Ein freiwilliger Lebensabend im Land der Täter: Die stationäre Versorgung älterer Juden und „rassisch“ verfolgter Christen in Westdeutschland (ca. 1945–1975) 3515129901, 9783515129909

Obwohl sich der Großteil der jüdischen Überlebenden für die Auswanderung entschied, verblieb eine kleine Anzahl deutsche

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German Pages 176 [178] Year 2022

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Table of contents :
Inhalt
1. Einleitung
1.1 Quellenlage
1.2 Untersuchungszeitraum
1.3 Forschungsstand
2. Der Neubeginn jüdischen Lebens nach 1945 und die Gründung jüdischer Altersheime
3. Rassisch verfolgte Christen und die Einrichtung von Altersheimen für rassisch Verfolgte nichtjüdischen Glaubens
3.1 Altersheime für rassisch Verfolgte nichtjüdischen Glaubens
4. Die Unterstützung der Überlebenden durch Hilfsorganisationen und Interessengemeinschaften
4.1 Heimträger
5. Die Altersheime für rassisch Verfolgte jüdischen Glaubens bzw. jüdischer Herkunft
5.1 Wer zog in die hier untersuchten Altersheime?
5.2 Bewerbungsmodalitäten
5.3 Aufnahmebedingungen
5.4 Abnahme der Bewohnerzahlen
6. Die Heimbewohner
6.1 Die Alterszusammensetzung der Heimbewohner
6.2 Geschlechterverhältnis
6.3 Gesundheitszustand der Heimbewohner
7. Betreuung der Heimbewohner
7.1 Pflegerische Betreuung
7.2 Ärztliche Versorgung
7.3 Beerdigungsmodalitäten und Nachlass
7.4 Verpflegung
8. Das Heimmilieu
8.1 Feiertage
8.2 Freizeit
8.3 Konflikte
8.4 Hausordnungen
9. Ausstattung und räumliche Bedingungen
10. Finanzielle Aspekte
10.1 Finanzierung der Heime
10.2 Finanzierung des Heimaufenthalts
10.3 Rückerstattung von Eigentum
11. Personal
12. Zusammenfassung
Bibliographie
Archivalische Quellen
Literatur
Online-Quellen
Abkürzungen Fußnoten
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Ein freiwilliger Lebensabend im Land der Täter: Die stationäre Versorgung älterer Juden und „rassisch“ verfolgter Christen in Westdeutschland (ca. 1945–1975)
 3515129901, 9783515129909

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Nina Grabe

Ein freiwilliger Lebensabend im Land der Täter Die stationäre Versorgung älterer Juden und „rassisch“ verfolgter Christen in Westdeutschland (ca. 1945–1975)

Medizin, Gesellschaft und Geschichte Beiheft 82

Franz Steiner Verlag

Medizin, Gesellschaft und Geschichte Jahrbuch des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung Gegründet von robert Jütte Herausgegeben von Marion Baschin Beiheft 82

Nina Grabe

EIN FREIWILLIGER LEBENSABEND IM LAND DER TÄTER Die stationäre Versorgung älterer Juden und „rassisch“ verfolgter Christen in Westdeutschland (ca. 1945–1975)

Franz Steiner Verlag

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Robert Bosch Stiftung GmbH

Umschlagabbildung: Neubau des Altersheims der jüdischen Kultusgemeinde der Rheinpfalz in Neustadt/Pfalz. Quelle: Zentralarchiv zur Geschichte der Juden, Heidelberg (ZAH) Bestand: ZAH, B. 1/40, Nr. 387 (Fotosammlung) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2022 Layout, Satz und Herstellung durch den Verlag Druck: Memminger MedienCentrum, Memmingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12990-9 (Print) ISBN 978-3-515-12992-3 (E-Book)

Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1 .1 Quellenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1 .2 Untersuchungszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1 .3 Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

1.

2.

3.

Der Neubeginn jüdischen Lebens nach 1945 und die Gründung jüdischer Altersheime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

Rassisch verfolgte Christen und die Einrichtung von Altersheimen für rassisch Verfolgte nichtjüdischen Glaubens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16 3 .1 Altersheime für rassisch Verfolgte nichtjüdischen Glaubens . . . . . . . . . . . . . . 17 4.

Die Unterstützung der Überlebenden durch Hilfsorganisationen und Interessengemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19 4 .1 Heimträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 5.

Die Altersheime für rassisch Verfolgte jüdischen Glaubens bzw. jüdischer Herkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Wer zog in die hier untersuchten Altersheime? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewerbungsmodalitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufnahmebedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abnahme der Bewohnerzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27 27 37 40 47

Die Heimbewohner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 .1 Die Alterszusammensetzung der Heimbewohner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 .2 Geschlechterverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 .3 Gesundheitszustand der Heimbewohner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49 49 52 53

5 .1 5 .2 5 .3 5 .4 6.

6

Inhalt

Betreuung der Heimbewohner

7 .1 7 .2 7 .3 7 .4

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflegerische Betreuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ärztliche Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beerdigungsmodalitäten und Nachlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verpflegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60 60 66 68 71

8.

Das Heimmilieu

8 .1 8 .2 8 .3 8 .4

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Feiertage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Freizeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hausordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81 83 90 93 103

9.

Ausstattung und räumliche Bedingungen

7.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

10. Finanzielle Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

117 10 .1 Finanzierung der Heime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 10 .2 Finanzierung des Heimaufenthalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 10 .3 Rückerstattung von Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

11. Personal

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

12. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

155

Bibliographie

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Archivalische Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Online-Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

163 163 164 173

Abkürzungen Fußnoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

175

1.

Einleitung

Nach Kriegsende lebten in den vier Besatzungszonen von Deutschland nur noch etwa 10 .000 bis 20 .000 deutsche Juden,1 darunter sowohl die Überlebenden der innerhalb der Reichsgrenzen von 1937 errichteten Konzentrationslager als auch Personen, die ihrer Deportation in einem Versteck oder mit Hilfe ihrer nichtjüdischen Angehörigen hatten entkommen können .2 Hinzu kamen etwa 9 .000 aus Konzentrationslagern außerhalb Deutschlands zurückgekehrte Juden deutscher Herkunft .3 Zu diesen gehörten ebenfalls Menschen, die aufgrund ihrer „arischen“ Ehepartner erst in den letzten Kriegsmonaten – überwiegend nach Theresienstadt – deportiert worden waren und somit vergleichsweise gute Überlebenschancen besessen hatten .4 Der Vernichtung entkommen waren – wie später näher erörtert wird – außerdem viele „rassisch Verfolgte nichtjüdischen Glaubens“, bei denen es sich zumeist um Christen handelte . Zudem kehrten bereits in den ersten Nachkriegsjahren Juden und Christen jüdischer Herkunft aus dem ausländischen Exil nach Deutschland zurück .5 Ihre Anzahl fiel insgesamt betrachtet aber gering aus und lag bei höchstens vier Prozent .6

Lorenz (2002), S .  8; Brenner (2007) . Auch nach Angaben des Vorsitzenden der Gemeindeabteilung im „Zentralkomitee der befreiten Juden in der britischen Zone“, Norbert W ., belief sich die Anzahl der in Deutschland lebenden Juden deutscher Herkunft im Jahr 1947 auf etwa 18 .000 bis 20 .000 Personen: Lorenz (2002), S . 9 . Im folgenden Text wird zwecks einfacheren Leseflusses die grammatikalisch männliche Form verwendet . Wenn nicht extra erwähnt, sind aber immer alle Geschlechter mitgedacht . 2 Beispielsweise hatten sich in Hannover vorwiegend in „Mischehen“ lebende Juden retten können . Zusammen mit den Christen jüdischer Herkunft, die nur durch die nationalsozialistischen Rassengesetze zu Juden erklärt worden waren, lag die Anzahl der Überlebenden nach Kriegsende bei etwa hundert Personen: Quast (1997), S . 56; Lorenz (2002), S . 9 . Vgl . auch Brenner (2007) . 3 Lorenz (2002), S . 9 . 4 Etwa 3 .500 Überlebende kehrten 1945 aus dem tschechischen Konzentrationslager Theresienstadt zurück, das insgesamt die geringste Anzahl an Todesopfern verzeichnete . Im Vergleich dazu hatten nur etwa 1 .500 Juden Lager wie Auschwitz, Buchenwald oder Bergen-Belsen überlebt: Lorenz (2002), S . 9 . Vgl . auch Kugelmann (1992), S . 349 . 5 Vgl . verschiedene Beiträge in Lühe/Schildt/Schüler-Springorum (2008) . 6 Büttner (2008), S . 66 . Im Jahr 1947 wurde die Anzahl der Rückkehrer noch auf höchstens 200 Personen geschätzt: Lorenz (2002), S . 9 . Durch die Einreise weiterer Rückkehrer in den nächsten Jahren und Jahrzehnten wird in der Forschung von einer Gesamtzahl von etwa 9 .000 bis 18 .000 ausgegangen, d . h . ein An1

8

Einleitung

Da in der nationalsozialistischen Rassenideologie der „Grad“ des „Jüdischseins“ eine entscheidende Rolle gespielt hatte, waren die Überlebenschancen für „Volljuden“ weitaus geringer ausgefallen als für die „jüdischen Mischlinge“, die mit einem Nichtjuden verheirateten Juden sowie die Christen jüdischer Abstammung . Dem „Reichsbürgergesetz“ von 1935 zufolge wurde demjenigen der Status eines „Volljuden“ zugesprochen, der drei jüdische Großeltern besessen und der jüdischen Glaubensgemeinschaft angehört hatte oder mit einem „Volljuden“ verheiratet gewesen war .7 Als „jüdische Mischlinge“ wurden Personen definiert, die – als „Mischlinge zweiten Grades“ bzw . „Vierteljuden“ – von einem „volljüdischen“ Großelternteil abstammten .8 Zu den „Mischlingen ersten Grades“ bzw . „Halbjuden“ hatten diejenigen Menschen gezählt, die über zwei „volljüdische“ Großelternteile verfügten .9 „Mischlingen“, die sich nicht zur jüdischen Religion bekannt und zudem einen nichtjüdischen Ehepartner geheiratet hatten, war durch das „Reichsbürgergesetz“ das „vorläufige Reichsbürgerrecht“ zugesprochen,10 „Volljuden“ hingegen die Staatsbürgerschaft entzogen worden .11 Bis in die 1950er Jahre hinein stellten die osteuropäischen „Displaced Persons“ (DPs) den größten Anteil der in den westlichen Besatzungszonen lebenden Juden .12 Seit Mitte der 1940er Jahre suchten darüber hinaus immer mehr Juden aus Osteuropa aufgrund der dort – besonders in Polen – stattfindenden antisemitischen Verfolgungen Schutz in Westdeutschland .13 Sowohl die KZ-Überlebenden als auch die osteuropäischen jüdischen Flüchtlinge betrachteten ihren Aufenthalt in Deutschland aber meist nur als eine Übergangslösung vor der geplanten Auswanderung .14 Diese verzögerte sich jedoch häufig bis weit in die 1950er Jahre hinein, zumal sich der Staat Israel erst im Jahr 1948 gründete und die strengen Einwanderungsgesetze der USA ebenfalls eine

teil von etwa 3,3 bis höchstens 6,7 Prozent: Borch-Nitzling (2006), S . 2, 104 . Vgl . auch Aschkenasi (2014) . Im Vergleich dazu war der Anteil der politischen Flüchtlinge unter den nach Deutschland Zurückkehrenden wesentlich höher: Borch-Nitzling (2006), S . 104 . 7 Vgl . Meyer (2002), S . 96 ff .; Meyer (2012) . 8 Tent (2007), S . 26 ff . 9 Tent (2007), S . 27 f .; Meyer (2002), S . 96 ff . 10 Tent (2007), S . 37; Asmuss (2015) . 11 Tent (2007), S . 37 . 12 Lorenz (2002), S .  10 . Vgl . zur Situation der DPs u . a . Jacobmeier (1983); Königseder/Wetzel (1994); Schoeps (2001) . 13 Vgl . z . B . Kugelmann (1992), S . 349 f . Bei diesen Flüchtlingen handelte es sich z . T . um ehemalige KZHäftlinge osteuropäischer Herkunft und DPs, die nach Kriegsende in ihre Heimatländer zurückgekehrt waren, diese nun aber wieder verlassen mussten: Brenner (2007) . Durch den Zuzug von osteuropäischen Juden lebten im Sommer 1947 etwa 182 .000 Juden in Westdeutschland, die zu 80 Prozent polnischer Herkunft waren und überwiegend in der amerikanischen Besatzungszone Unterkunft fanden . In der britischen Zone waren es ca .  23 .000, in der französischen Zone 3 .000 und in Westberlin ca .  9 .000 Juden: Dietrich (1998), S . 33 . 14 Z . B . Scheller (1992), S . 142 .

Einleitung

Hürde darstellten .15 Selbst Personen, die sich nach ihrer Befreiung aktiv in den neu gegründeten jüdischen Gemeinden engagierten, entschieden sich nicht selten gegen einen dauerhaften Verbleib in Deutschland .16 Letztendlich entschloss sich lediglich eine kleine Gruppe von deutschen Juden zu einem Leben im Land ihrer ehemaligen Verfolger . Zumeist waren es Menschen, die entweder als „Mischlinge“, aufgrund ihres nichtjüdischen Ehepartners oder durch eine Flucht ins Ausland ihrer Ermordung entgangen waren und sich bereits in einem höheren Lebensalter befanden .17 Unter den Überlebenden der Konzentrations- bzw . Vernichtungslager fiel der Anteil der über 60-Jährigen hingegen extrem gering aus .18 Zwar fehlte den in Deutschland bleibenden Juden oft einfach nur die Kraft für einen Neuanfang im Ausland; zugleich fühlten sich aber insbesondere ältere Menschen ihrem Herkunftsland bzw . dessen Sprache und Kultur noch immer so eng verbunden, dass eine Auswanderung für sie nicht in Frage kam .19 Die überwiegende Mehrheit der freiwillig in Deutschland verbleibenden Juden entschied sich für ein Leben in den westlichen Besatzungszonen bzw . der Bundesrepublik . Da sich die deutschen Juden in besonderer Weise um eine Wiederbelebung des nahezu komplett ausgelöschten jüdischen Lebens in Deutschland bemühten, kam es bereits kurz nach Kriegsende zur Gründung der ersten jüdischen Gemeinden .20 Bedingt durch den hohen Anteil an älteren und sich oft in einer schlechten gesundheitlichen Verfassung befindenden Mitgliedern beschäftigten sich die Gemeinden schon in den ersten Monaten nach ihrer Gründung mit der Errichtung von Altersheimen .21 Demzufolge konnten in mehreren deutschen Großstädten bereits kurz nach Kriegsende die ersten Heime für jüdische Überlebende eröffnet werden . Mitte der 1950er Jahre fungierten sogar schon 14 der insgesamt 16 nach dem Krieg gegründeten jüdischen Fürsorgeeinrichtungen in der Bundesrepublik als Altersheime .22

Scheller (1992), S . 142 . Trotz aller Schwierigkeiten gelang im Zeitraum von 1945 bis 1951 bzw . 1952 allein über 200 .000 bzw . 52 .000 jüdischen DPs die Auswanderung nach Israel bzw . in die USA . Zurück blieben die „hard-core-Fälle“, d . h . kranke und alte Menschen, für die eine Auswanderung kaum noch in Frage kam: Dietrich (1998), S . 38 f . Zur Versorgung älterer DPs in Deutschland vgl . Grabe (2020) . 16 Vgl . Dietrich (1998), S . 114; Bergmann (2008), S . 19 f . 17 Scheller (1992), S . 144; Kugelmann (1992), S . 349 f .; Tent (2007) . 18 Kugelmann (1992), S . 349 . 19 Kugelmann (1992), S . 350; Quast (2001), S . 69, 80; Quast (1997), S . 65 . Juden, die während des Nationalsozialismus von Nichtjuden beschützt worden waren, blieben z . T . auch aus Loyalität gegenüber ihren Rettern in Deutschland: Lavsky (1997), S . 206 . 20 Vgl . z . B . Maor (1961); Heinsohn (2008), S . 80 . 21 Beispielsweise waren in den 1950er und 1960er Jahren in Hamburg ca . 40 Prozent der Mitglieder der jüdischen Gemeinde älter als 56 Jahre: Büttner (1997), S . 79 . 22 Föcking (2003), S . 247; Quast (2001), S . 53; Hammerschmidt (2005), S . 331 . 15

9

10

Einleitung

Auch für rassisch verfolgte Christen, die aufgrund ihrer jüdischen Herkunft ebenfalls von Vernichtung betroffen waren, wurden ab den frühen 1950er Jahren eigene Altersheime, v . a . in evangelischer Trägerschaft, errichtet .23 Die folgende Untersuchung bietet einen exemplarischen Überblick über die Situation der nach Kriegsende in Westdeutschland eingerichteten Altersheime für die überlebenden deutschen Juden und rassisch Verfolgten nichtjüdischen Glaubens . Dabei wird verschiedenen Fragen nachgegangen, wobei der Fokus auf den Heimbewohnern liegt . Unter anderem sollen deren Gründe für den freiwilligen Verbleib in Deutschland bzw . die dorthin erfolgte Rückkehr erörtert werden . Von Interesse sind zudem die gesundheitliche Situation der alten Menschen sowie das Heimmilieu . Inwieweit unterschied sich der Alltag in einem jüdischen bzw . von NS-Opfern bewohnten Heim von demjenigen in anderen deutschen Altersheimen? Wie gestaltete sich das in immer mehr jüdischen Heimen praktizierte Zusammenleben von Juden und Nichtjuden bzw . Nichtverfolgten? Die in dieser Untersuchung im Mittelpunkt stehenden Altersheime eignen sich sowohl aufgrund ihrer Gemeinsamkeiten als auch ihrer unterschiedlichen Entwicklung als gute Beispiele für die Situation der bis 1960 in Westdeutschland errichteten Altersheime für jüdische Überlebende deutscher Herkunft . Die stationäre Versorgung von rassisch Verfolgten nichtjüdischen Glaubens soll anhand des zu Anfang der 1960er Jahre eröffneten evangelischen „Altersheims Heilsberg“ erörtert werden . 1.1

Quellenlage

Die Quellen zu den nach Kriegsende in den westlichen Besatzungszonen bzw . in der Bundesrepublik gegründeten jüdischen Altersheimen finden sich vorwiegend im „Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden“ in Heidelberg . Für diese Untersuchung wurde – exemplarisch – umfangreiches Quellenmaterial zu den jüdischen Heimen in Essen-Werden, Hannover und Neustadt in der Pfalz24 ausgewertet . Vereinzelte Informationen fanden sich auch zu den jüdischen Altersheimen in Aachen, Dortmund, Hamburg und Bremen . Im Staatsarchiv Hamburg gibt es ebenfalls  – sehr wenige  – Akten zum 1945 eingerichteten Altersheim der dortigen jüdischen Gemeinde .

So in Berlin, Scherfede und Bad Vilbel: https://www .diakonissenhaus .de/altenhilfe-und-hospize/ pflegeeinrichtungen/grueber-haeuser-berlin-zehlendorf/geschichte/; http://www .haus-phoebe .de/; https:// www .altenzentrum-heilsberg .de/unser-haus/geschichte . 24 Da in den Quellen zumeist „Neustadt in der Pfalz“ zu finden ist, wird im Folgenden diese Bezeichnung verwendet . Offiziell heißt die Stadt „Neustadt an der Weinstraße“ bzw . (bis 1936 und von 1945 bis 1950) „Neustadt an der Haardt“ . 23

Forschungsstand

Die Unterlagen zum evangelischen Altersheim für rassisch Verfolgte nichtjüdischen Glaubens, das Anfang der 1960er Jahre in Bad Vilbel eröffnet wurde, konnten im „Archiv der Evangelischen Landeskirche in Hessen und Nassau“ in Darmstadt eingesehen werden . 1.2

Untersuchungszeitraum

Der Untersuchungszeitraum liegt zwischen 1945 und etwa 1975 . In dieser Zeit begann sich nach und nach ein neues jüdisches Leben in Westdeutschland herauszubilden, das stark von den Überlebenden des Holocaust geprägt war . Dies galt gleichfalls für die hier untersuchten Altersheime in Hannover, Essen-Werden und Neustadt in der Pfalz, die in den Jahren zwischen 1948 und 1960 gegründet wurden . Der Bau des Altersheims für rassisch verfolgte Christen in Bad Vilbel erfolgte erst im Jahr 1961, d . h . 16 Jahre nach Kriegsende . Aufgrund der guten Quellenlage, die z . B . Vergleiche zwischen den genannten Einrichtungen ermöglicht, liegt der Schwerpunkt dieser Untersuchung auf den 1950er und 1960er Jahren . Den zeitlichen Endpunkt bildet das Jahr 1975 . So nahm die Anzahl der im Fokus stehenden Heimbewohner jüdischen Glaubens bzw . jüdischer Herkunft ab den 1970er Jahren deutlich ab . Da nun vermehrt nichtjüdische Bewerber aufgenommen werden mussten, kam es jedoch zu einer erheblichen Veränderung des Heimmilieus . 1.3

Forschungsstand

Zur Situation der deutschen Juden nach dem Holocaust existieren bereits zahlreiche Untersuchungen .25 Dies gilt ebenfalls für die freiwillig aus dem ausländischen Exil nach Deutschland zurückkehrenden Personen .26 Auch die Geschichte des Alters sowie der stationären Betreuung alter Menschen steht im Fokus verschiedener Publikationen,27 darunter auch Arbeiten, die sich aus historischer und aktueller Perspektive speziell mit der jüdischen Sicht auf das Alter auseinandersetzen .28 Zur jüdischen Pflegegeschichte der Vorkriegszeit sind in den letzten Jahrzehnten ebenfalls verschiedene Forschungs-

Vgl . u . a . Büttner (1986); Brenner (1995); Gay (2001); Kauders (2008); Grossmann (2012) . Zu Hannover u . a . Lavsky (1997) . 26 Z . B . Krauss (2001) . Zudem mehrere Beiträge in Lühe/Schildt/Schüler-Springorum (2008); BorchNitzling (2006); Aschkenasi (2014) . 27 Imhof (1981); Conrad/Kondratowitz (1993); Göckenjan (2007); Ehmer/Höffe (2009); Irmak (2002); Grabe: Die stationäre Versorgung (2016) . 28 Z . B . Ben-Chorin (2019); Heinzmann (2019); Radbil (2019) . Vgl . auch weitere Beiträge in Probst (2019); Probst (2017) . Zur jüdischen Wohlfahrtspflege: Heuberger/Spiegel (1992) . Vgl . auch Hammerschmidt (2005); Lange (2008), S . 40 ff . 25

11

12

Einleitung

arbeiten und -projekte entstanden, die sich z . T . auch der Altenpflege widmen .29 Weit weniger Beachtung fanden bislang hingegen die Entwicklung der jüdischen Altenpflege und die Situation der jüdischen Altersheime in Westdeutschland nach 1945 .30 Die stationäre Versorgung alter Menschen in jüdischen Institutionen der Vor- und Nachkriegszeit wird außerdem in einzelnen Arbeiten thematisiert .31 Umfassend erörtert wird in der Forschung zudem die psychische Situation der zumeist schwer traumatisierten Holocaust-Überlebenden .32 Insgesamt betrachtet stellt die Betreuung der freiwillig in Deutschland verbliebenen deutschen Juden höheren Lebensalters aber in vielen Aspekten noch immer ein Forschungsdesiderat dar . Dies gilt ebenfalls für die in den 1950er und 1960er Jahren errichteten Altersheime für die ehemals rassisch Verfolgten nichtjüdischen Glaubens, die sich vorwiegend in christlicher bzw . evangelischer Trägerschaft befanden .

Zur jüdischen Pflegegeschichte: Steppe (1997); Ulmer (2009); Seemann: Judentum und Pflege (2017) . Eine Ausnahme bilden verschiedene Aufsätze, die z . B . im Rahmen des Frankfurter Forschungsprojekts „Jüdische Pflegegeschichte“ erstellt wurden . Das Projekt wird durchgeführt von der Frankfurt University of Applied Sciences: https://www .juedische-pflegegeschichte .de . 31 Vgl . z . B . Heldt u . a . (2006); Sostmann (2008) . Zum „Jüdischen Altersheim Hannover“: Grabe: Die stationäre Versorgung (2016) . 32 Vgl . u . a . Eitinger/Krell/Rieck (1985) . Speziell zur Altenpflege u . a . Weitzel-Polzer (2002); Leonhard (2005); Kellermann (2006); Liebermann (2006); Staszewski (2019); Teshuva (2010) . 29 30

2.

Der Neubeginn jüdischen Lebens nach 1945 und die Gründung jüdischer Altersheime

Den überlebenden deutschen Juden gelang z . T . bereits unmittelbar vor bzw . nach Kriegsende die Gründung jüdischer Gemeinden in den westlichen Besatzungszonen .1 Dabei bildeten sich v . a . in der britischen Zone wichtige Zentren der deutschen Juden heraus, wohingegen sich die osteuropäischen jüdischen DPs und Flüchtlinge vorrangig in der amerikanischen Zone, z . B . in Bayern, organisierten .2 Unter den Gründern der ersten jüdischen Nachkriegsgemeinden befanden sich überwiegend Juden, die mit Hilfe ihrer nichtjüdischen Ehepartner überlebt hatten oder aus einem Konzentrationslager – v . a . aus Theresienstadt3 – zurückgekehrt waren .4 Indem sich insbesondere die jüngeren Altersgruppen meist für die Auswanderung entschieden, trugen hauptsächlich Personen mittleren und höheren Alters zum Aufbau der ersten jüdischen Gemeinden in Deutschland bei, so auch in Hamburg und Düsseldorf .5 Bereits Ende 1945 existierten in den drei westlichen Besatzungszonen 51,6 im Jahr 1948 sogar schon 124 jüdische Gemeinden .7 In den folgenden Jahren gelang die Gründung weiterer Gemeinden, 1950 z . B . diejenige der „Jüdischen Kultusgemeinde der Rheinpfalz“ .8 Obwohl es nach und nach in immer mehr westdeutschen Städten zu einer Wiederbelebung jüdischen Lebens kam, blieb die Diskussion

Vgl . z . B . Heinsohn (2008), S . 80 . Vgl . auch Brenner (1995) . Brenner (2007) . Vgl . z . B . Lorenz (2002), S . 9 . Vgl . Heinsohn (2008), S . 79 f . Auch die meisten Vorstandsmitglieder der 1945 gegründeten Frankfurter Gemeinde besaßen einen nichtjüdischen Ehepartner: Tauber (1998), S . 100 . 5 Vgl . zu Hamburg z . B . Lorenz (2002), S . 12, zu Düsseldorf z . B . Jakobs (o . J .) . Vgl . auch Scheller (1992), S . 144 . 6 https://www .zentralratderjuden .de/der-zentralrat/geschichte/ . 7 Von den Gemeinden befanden sich 50 in der amerikanischen, 50 in der britischen und 23 in der französischen Besatzungszone sowie eine in Westberlin: Buser (2017), S . 18 . 8 https://www .alemannia-judaica .de/neustadt_synagoge .htm#Zur%20Geschichte%20des%20israelitischen %20Altersheim . 1 2 3 4

14

Der Neubeginn jüdischen Lebens nach 1945

zur Frage „Auswandern oder Bleiben“ weiterhin präsent .9 Da sich v . a . die jüdischen Nachkriegsgemeinden in Nord- und West- bzw . Südwestdeutschland überwiegend aus deutschstämmigen Juden zusammensetzten,10 bestanden innerhalb des Untersuchungszeitraums nur wenige oder keine Kontakte zwischen den jüdischen DPs bzw . Flüchtlingen und den Juden deutscher Herkunft .11 Dies traf auch auf die jüdischen Gemeinden von Düsseldorf, Hannover, Neustadt in der Pfalz und Hamburg zu .12 In den von diesen Gemeinden eingerichteten und in der vorliegenden Untersuchung im Fokus stehenden Altersheimen lebten nahezu ausschließlich Juden deutscher Herkunft . Die ersten westdeutschen Altersheime für die überlebenden Juden deutscher Herkunft entstanden mit Hilfe der Alliierten bzw . der Besatzungsbehörden schon kurz nach Kriegsende . In Hamburg konnte bereits im Juli 1945 ein provisorisches Altersheim für etwa 50 jüdische Überlebende eingerichtet werden .13 Das Heimgebäude in der Rothenbaumchaussee wurde der sich gerade neu konstituierenden jüdischen Gemeinde von der Besatzungsmacht zur Verfügung gestellt .14 In den folgenden Jahren gelang – ebenfalls mit Unterstützung der Alliierten sowie der internationalen jüdischen Hilfsorganisationen – in weiteren Städten, u . a . in Frankfurt am Main,15 Essen-Werden

9 Vgl . dazu auch Lorenz (2002), S . 8 . 10 Brenner (2007) . 11 Dietrich (1998), S . 85 . 12 Auch die Mitglieder der Frankfurter

Gemeinde sollten möglichst Ortsansässige und keine „Durchreisenden“ sein . Der Gemeinderabbiner sprach sich sogar explizit gegen die Aufnahme von DPs aus: Tauber (2008), S . 75 . Auch die Hamburger Juden deutscher Herkunft unterschieden sich hinsichtlich ihrer religiösen und kulturellen Prägung von den osteuropäischen Juden: Lorenz (2002), S . 18 . Durch die zunehmende Anzahl orthodoxer osteuropäischer Mitglieder, darunter DPs und Flüchtlinge, orientierten sich schließlich aber immer mehr Gemeinden am orthodoxen Ritus, anfangs insbesondere in Süddeutschland . Zudem wurden in Ortschaften, in denen zuvor keine Juden gelebt hatten, jüdische Gemeinden gegründet sowie Schulen und Gebetsräume eingerichtet . Als wichtigstes Ziel galt aber weiterhin die Auswanderung: Brenner (2007) . Die Beziehung zwischen den deutschen Juden und den jüdischen DPs und Flüchtlingen aus Osteuropa zeichnete sich durch erhebliche Spannungen aus . Diese gründeten sich v . a . auf die bereits seit Jahrhunderten bestehenden Differenzen zwischen dem vorwiegend liberal ausgerichteten deutschen und dem orthodox geprägten osteuropäischen Judentum . Vgl . z . B . Tauber (2008), S . 75 . In der Nachkriegszeit befürchteten daher v . a . die liberalen deutschen Juden eine zunehmende Dominanz der osteuropäischen Traditionen durch die in Deutschland lebenden DPs und Flüchtlinge: Brenner (2007); Heinsohn (2008), S . 81 f . 13 ZAH, B . 1/28, Nr . 126: Norbert W . an John M . c/o WJC, Lon ., 6 .7 . o . J ., S . 227; Lorenz (2002), S . 55 . Das Gebäude in der Rothenbaumchaussee 217 war vor der Enteignung durch die Nationalsozialisten bereits als jüdisches Altersheim und in den 1940er Jahren als „Judenhaus“ genutzt worden: Zoder (2015) . 14 Bereits zwei Jahre später kam es zu einer Umnutzung des Gebäudes und zu einer Verlegung der Bewohner in das frühere jüdische Altersheim in der Sedanstraße: ZAH, B . 1/28, Nr . 126: Norbert W . an John M . c/o WJC, Lon ., 6 .7 . o . J ., S . 227; ZAH, B . 1/28, Nr . 126: Norbert W . an Stephan B . c/o WJC, Lon ., 2 .4 .1947, betr . AH Ham . Sedanstr .  23 . Im Mai 1958 eröffnete die Hamburger Gemeinde in der Schäferkampsallee schließlich ein rituell geführtes Altenheim: Lorenz (2010) . 15 Tauber (1998), S . 102 f . Der ebenfalls geplante Wiederaufbau des vormaligen Israelitischen Krankenhauses kam hingegen zu diesem Zeitpunkt nicht zur Umsetzung: Seemann: Frankfurter jüdische Altenpflege (2017) .

Der Neubeginn jüdischen Lebens nach 1945

und Aachen,16 die Gründung jüdischer Altersheime . Häufig erfolgte deren Einrichtung in Gebäuden, die sich schon in der Vorkriegszeit im Besitz der jüdischen Gemeinden befunden hatten – so auch beim im Jahr 1948 eröffneten „Altersheim Rosenau“ in Essen-Werden . Das Altersheim der jüdischen Gemeinde in Hannover wurde hingegen 1953 in einem kompletten Neubau eingerichtet .17 Dies galt ebenfalls für das 1960 eingeweihte neue jüdische Altersheim in Neustadt in der Pfalz .18

16 17 18

Z . B . ZAH, B . 1/28, Nr . 245: o . N . an Joint, Bergen-Belsen, 9 .8 .1948 . ZAH, B . 1/6, Nr . 7: Ber . über Gründung u . Status JAH, o . D . ZAH, B . 1/40, Nr . 331: Einladungskarte der JKR, Frühjahr 1960 .

15

3.

Rassisch verfolgte Christen und die Einrichtung von Altersheimen für rassisch Verfolgte nichtjüdischen Glaubens

Gemäß den 1935 erlassenen „Nürnberger Gesetzen“ bzw . der nationalsozialistischen Rassentheorie zufolge waren Christen jüdischer Abstammung ebenfalls als Juden definiert worden .1 Da demnach allein die „rassische“ Herkunft und nicht die Religionszugehörigkeit entscheidend war, hatten auch die als nicht „nicht arisch“ definierten Protestanten und Katholiken zu den Opfern der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik gehört .2 Ob sie jedoch „nur“ von gesellschaftlicher Ausgrenzung und staatlichen Repressionen oder aber von Deportation und Ermordung betroffen waren, hing von mehreren Faktoren ab .3 Während „rassisch“ als „Volljuden“ definierte Christen, die keinen „arischen“ Ehepartner und keine getauften Kinder besaßen, zum Tragen des Judensterns gezwungen und in die Vernichtungslager deportiert wurden, hatten für die in einer „Mischehe“ lebenden Juden sowie die „Mischlinge“ hingegen Überlebenschancen bestanden .4 Waren die jüdischen „Mischehepartner“ mit einem nichtjüdischen, d . h . „arischen“ Partner verheiratet, gab es selbst für „Volljuden“ – wenn auch nur vorerst – eine Chance, von der Deportation zurückgestellt zu werden . Hatte sich der nichtjüdische Ehepartner jedoch scheiden lassen oder war verstorben, entfiel dieser Schutz .5 In einigen Gebieten des Deutschen Reichs begann die Deportation der in einer „Mischehe“ lebenden Juden bereits im Jahr 1943 .6 Betroffen gewesen waren

Vgl . z . B . Schäfer-Richter (2009); Stickler (2009) . Stickler (2009) . Vgl . dazu u . a . Schäfer-Richter (2009), S . 14 . Die meisten Christen jüdischer Herkunft lebten in einer „Mischehe“ und galten als „Mischlinge ersten oder zweiten Grades“: Schäfer-Richter (2009), S . 14 . Der Großteil der „Mischlinge“ überlebte die NS-Diktatur: Tent (2007), S . 26, 32 . 5 Meyer (2012) . 6 So z . B . auch die „Aktion Mischehepartner“ in Frankfurt am Main: Stickler (2009) . Darüber hinaus unterlagen die in „Mischehen“ lebenden Menschen zahlreichen Repressionen . Im „Gau Hessen-Nassau“ z . B . konnten sie bereits wegen kleinster Vergehen verhaftet und deportiert werden: Meyer (2002), S . 94 . 1 2 3 4

Altersheime für rassisch Verfolgte nichtjüdischen Glaubens

v . a . Juden aus „nichtprivilegierten Mischehen“, d . h . Ehen zwischen einem jüdischen Mann und einer nichtjüdischen Frau, die entweder keine gemeinsamen Kinder besaßen oder aber diese nicht hatten taufen lassen .7 Letztlich spielte es dabei keine Rolle, ob der Ehemann jüdischen Glaubens oder nur jüdischer Herkunft, aber christlichen Glaubens war . In einer „privilegierten Mischehe“ hingegen wurden die betroffenen Ehepaare häufig sogar bis Anfang 1945 verschont .8 Eine „Mischehe“ galt in dem Fall als „privilegiert“, wenn nur die Frau jüdischen Glaubens bzw . jüdischer Herkunft war oder mindestens ein christlich getauftes gemeinsames Kind existierte .9 Ab Mitte Januar 1945 wurden schließlich die letzten sich noch in Freiheit befindenden Juden deportiert, darunter viele Christen jüdischer Herkunft sowie die in einer „Mischehe“ lebenden Juden . Mehrheitlich kamen sie in das KZ Theresienstadt, das zu dieser Zeit den größten Anteil an christlichen Häftlingen verzeichnete .10 Obwohl die meisten „Volljuden“ den Aufenthalt in Theresienstadt nicht überlebten, bot das Lager insbesondere für die erst in den letzten Kriegsmonaten ankommenden Häftlinge – darunter eine vergleichsweise hohe Anzahl alter Menschen11 – relativ gute Überlebenschancen .12 So wurden z . B . über 60-jährige Frauen zumeist von der Arbeitspflicht entbunden .13 Da die „Aktion Mischehepartner“ kurz vor Ende des Kriegs abgebrochen wurde, erlebte ein großer Teil der Deportierten die Befreiung .14 3.1

Altersheime für rassisch Verfolgte nichtjüdischen Glaubens

Auch viele ältere Menschen aus der Gruppe der ehemals rassisch Verfolgten nichtjüdischen Glaubens, bei denen es sich zumeist um Christen handelte, wollten ihre letzten Lebensjahre nicht in einem „normalen“ deutschen Altersheim verbringen, in dem sie auf ihre ehemaligen Unterdrücker stoßen konnten .15 Die schwierige Situation dieser Gruppe von Opfern der nationalsozialistischen Rassenpolitik geriet jedoch erst spät in den Fokus der christlichen Organisationen und Wohlfahrtsverbände . Folglich wurde auch die Einrichtung spezieller Altersheime für rassisch verfolgte Christen erst verVgl . z . B . Schäfer-Richter (2009), S . 124 . Stickler (2009) . Schäfer-Richter (2009), S . 124 . Juden, die in „privilegierten Mischehen“ lebten, mussten keinen Judenstern tragen: Schäfer-Richter (2009), S . 127 . 10 Schäfer-Richter (2009), S . 234 . 1943 betrug der Anteil der christlichen Häftlinge etwa neun Prozent . In Theresienstadt war – unabhängig von der Religion – auch die Anzahl an Künstlern, Wissenschaftlern sowie älteren Menschen überdurchschnittlich hoch: Schäfer-Richter (2009), S. 280. Vgl. auch Tent (2007), S . 236 f . 11 Trotzdem herrschten auch in Theresienstadt sehr schlechte Lebensbedingungen . Zudem drohte älteren und arbeitsunfähigen Menschen die Verlegung nach Auschwitz: Schäfer-Richter (2009), S . 284 . 12 Schäfer-Richter (2009), S . 255 . 13 LkAHN, B . 160, Nr . 13: Notiz, betr . Hanna L ., o . D . 14 Vgl . dazu u . a . Tent (2007) . 15 LkAHN, B . 160, Nr . 47: HWNGB, o . D .: Liste v . AH in BRD . 7 8 9

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Rassisch verfolgte Christen

gleichsweise spät in den Blick genommen . Anfang der 1950er Jahre kam es jedoch auf Initiative der Stiftung „Evangelische Hilfsstelle für ehemals Rasseverfolgte“ schließlich in Berlin-Zehlendorf zur Errichtung des Altersheims „Heinrich-Grüber-Haus“ für rassisch Verfolgte nichtjüdischer Religion .16 Außerhalb Berlins hingegen entstand in der Bundesrepublik erst Anfang der 1960er Jahre ein spezielles Heim für die ehemals verfolgten Christen . Neben den oben genannten jüdischen Heimen steht auch das 1961 eröffnete „Altersheim Heilsberg“ in Bad Vilbel im Mittelpunkt dieser Studie . Das Haus befand sich in Trägerschaft des „Evangelischen Hilfswerks in Hessen-Nassau“, dem bereits „seit Jahren auffiel, dass die jüdische Gemeinde sehr gut für die ihr anvertrauten alten Menschen sorgen kann, dass aber gerade die rassisch Verfolgten nicht jüdischen Glaubens keine bestimmte Stelle hatten, an die sie sich in ihrem Alter und in Not wenden konnten“ .17

16 https://www .diakonissenhaus .de/altenhilfe-und-hospize/pflegeeinrichtungen/grueber-haeuser-berlinzehlendorf/geschichte/ . Im „Heinrich-Grüber-Haus“ fanden anfangs nur etwa 16 alte Menschen Unterkunft; in den nächsten Jahren nahm die Anzahl der Bewohner aber deutlich zu, u . a . durch den Bau eines neuen Heimgebäudes im Jahr 1959: Kreutzer/Schwäbl/Sylten (1988), S . 27 . Anfang der 1960er Jahre verfügte das „Heinrich-Grüber-Haus“ über 48 Plätze: LkAHN, B . 160, Nr . 47: HWNGB, o . D .: Liste v . AH in BRD . 17 LkAHN, B . 160, Nr . 12: Erica L . an Ludwig L ., Illinois, USA, 20 .2 .1962, S . 1 .

4.

Die Unterstützung der Überlebenden durch Hilfsorganisationen und Interessengemeinschaften

Die Versorgung der nach Kriegsende in Deutschland lebenden Juden wurde in den ersten Nachkriegsmonaten von den Alliierten bzw . internationalen Hilfsorganisationen wie der „United Nations Relief and Rehabilitation Administration“ (UNRRA)1 und später der „International Refugee Organization“ (IRO) durchgeführt .2 Eine tragende Rolle spielten außerdem die ausländischen jüdischen Organisationen3 wie das „American Jewish Joint Distribution Committee“ ( Joint)4 und die britische „Jewish Relief Unit“ .5 Vielfach begannen diese mit ihrer Tätigkeit jedoch vergleichsweise spät, in der amerikanischen Besatzungszone z . B . erst drei Monate nach Kriegsende .6 Indem sich die Besatzungsmächte – zumindest anfangs – vorwiegend auf die Versorgung der DPs fokussierten, räumten sie den deutschen Juden keine gesonderte Stellung ein .7 Vielmehr sollten die deutschstämmigen Überlebenden schnell in die deutsche Gesellschaft integriert werden . Im Gegensatz zu den vorwiegend in Lagern untergebrachten jüdischen DPs lebten die deutschen Juden nicht in Gemeinschaftsunterkünften und profitierten daher kaum von den besseren Versorgungsleistungen der internationalen Hilfsorganisationen .8 Diese erhielten in Hamburg sogar die Direktive, „jegliche Aktivitäten“ für die deutschen Juden zu unterbinden .9 Bald darauf weiteten die jüdischen Scheller (1992), S . 142 f .; Eckert (1996), S . 169; Haushofer (2010), S . 993 . Vgl . u . a . Quast (2001), S . 22, 95; Haushofer (2010), S . 993 . In Hamburg leisteten u . a . das Joint und das britische „Jewish Committee for Relief Abroad“ Unterstützung: Schüler-Springorum (2016) . 4 Scheller (1992), S . 143 . Das Joint wurde bereits im Ersten Weltkrieg gegründet: Giere (1997), S . 19 . 5 Scheller (1992), S . 143; https://juedische-geschichte-online .net/ausstellung/juedisches-leben-seit-1945# beginning/5 . 6 Dietrich (1998), S . 29 . 7 Lorenz (2002), S . 17 . 8 Die Betreuung der DPs wurde anfangs von der UNRRA und ab Sommer 1947 von der IRO übernommen: Lorenz (2002), S . 17 . 9 Lorenz (2002), S . 17 . 1 2 3

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Die Unterstützung der Überlebenden durch Hilfsorganisationen und Interessengemeinschaften

Organisationen ihre Unterstützung aber ebenfalls auf die deutschen Juden aus . Somit profitierten neben den jüdischen Gemeinden auch die jüdischen Altersheime von materiellen und finanziellen Hilfen .10 Dass diese sich teilweise ausschließlich auf die „Glaubensjuden“ beschränkten, führte zu weiteren Kontroversen . Beispielsweise verfolgte das Joint Anfang 1948 in Nordrhein-Westfalen den Plan, ehemalige „Sternträger“, die keiner jüdischen oder anderen Religionsgemeinschaft angehörten, von den Versorgungsleistungen auszuschließen .11 Infolge des Rückzugs der Alliierten und der Konstituierung der Bundesrepublik entschied sich das Joint Ende der 1940er Jahre zu einer schrittweisen Reduzierung seiner Hilfsmaßnahmen für die in Deutschland lebenden Juden12 – ein Entschluss, der insbesondere auch die ohnehin unter finanziellen Problemen leidenden jüdischen Altersheime betraf . Unter anderem beklagte die jüdische Gemeinde in Bremen die aus ihrer Sicht unüberlegten Streichungen der Lebensmittelrationen für das mit etwa zehn Personen belegte Altersheim .13 Ab September 1949 stellte das Joint schließlich sogar gänzlich die Lebensmittelsubventionen für das Bremer Altersheim ein, da eine weitere Versorgung „aufgrund der äußerst geringen Belegschaft“ des Altersheims „von wirklich alten Personen“ angeblich nicht mehr gerechtfertigt werden könnte .14 Drei Jahre später musste auch das Altersheim der Synagogengemeinde Düsseldorf in Essen-Werden auf die Lebensmittelzuteilungen des Joint verzichten .15 Wie später erörtert wird, unterstützten die internationalen jüdischen Organisationen die jüdischen Heime und Gemeinden aber weiterhin finanziell . Ein erheblicher Teil der Hilfsmaßnahmen für die Überlebenden jüdischen Glaubens bzw . jüdischer Herkunft konnte zudem durch regional agierende Organisationen und Initiativen sichergestellt werden .16 1946 erfolgte z . B . in Frankfurt am Main die Einrichtung einer „Betreuungsstelle für politisch, rassisch und religiös Verfolgte“ . Deren Zuständigkeit beschränkte sich nicht nur auf die jüdischen NS-Opfer und stand ebenfalls rassisch verfolgten Christen offen, die aber bald eine eigene Hilfsstelle erhielten .17

Beispielsweise organisierte das Joint für die jüdischen Altersheime von Bremen und Düsseldorf regelmäßige Lebensmittelzuteilungen: ZAH, B .  1/2, Nr .  251: Joint, Hohne-Belsen, an jüd . Gem . Bremen, 31 .8 .1949; ZAH, B . 1/5, Bur . 253: Vorst . SD an JTC, Ham ., 23 .1 .1952 . 11 ZAH, B . 1/28, Nr . 120: Sozialmin . NRW, Düss ., an LV jüd . Gem ., Julius D ., Düss ., 27 .2 .1948 . 12 Zugunsten der Unterstützung der nach Israel ausgewanderten Juden kürzte das Joint seit 1948 die Hilfen für Juden in Deutschland um bis zu 50 Prozent . Deutlich spürbar wurde dies z . B . auch in der jüdischen Gemeinde von Hamburg: Lorenz (2002), S . 36 . 13 ZAH, B . 1/2, Nr . 251: Israelitische Gem . Bremen e . V . an Vorsitzenden d . Exekutive beim CCBZ, 4 .6 .1949 . 14 ZAH, B . 1/2, Nr . 251: Joint an jüd . Gem . Bremen, 31 .8 .1949, S . 64 . 15 ZAH, B . 1/5, Bur . 253: Vorst . SD an JTC, Ham ., 23 .1 .1952 . 16 In Frankfurt am Main gründete sich z . B . bereits 1945 eine jüdische Betreuungsstelle, als deren Kostenträger das Fürsorgeamt der Stadt fungierte: Tauber (1998), S . 101 f . 17 Demzufolge beschränkte die Betreuungsstelle ihre Arbeit fortan nur noch auf Mitglieder der Frankfurter jüdischen Gemeinde: Tauber (1998), S . 102 . 10

Die Unterstützung der Überlebenden durch Hilfsorganisationen und Interessengemeinschaften

Anders als den christlichen freien Wohlfahrtsverbänden, die schon kurz nach Kriegsende ihre Arbeit wiederaufnahmen,18 gelang es der von den Nationalsozialisten aufgelösten „Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland“ erst Anfang der 1950er Jahre, sich neu zu organisieren .19 Zuvor gründeten sich aber bereits auf regionaler Ebene die ersten kleinen Verbände der jüdischen Wohlfahrtspflege, deren Beratungsbüros zusammen mit den jüdischen Gemeinden als wichtige Anlaufstellen für die Überlebenden fungierten .20 1951 kam es schließlich zur offiziellen Neugründung der „Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e . V .“ (ZWST) .21 Zu ihren ersten Mitgliedern gehörte u . a . die Jüdische Gemeinde Hamburg . Die in der Wohlfahrtsstelle der Gemeinde tätigen Fürsorgerinnen kümmerten sich um die auf besondere Hilfe angewiesenen und verarmten Gemeindemitglieder, darunter viele ältere Menschen .22 Einige Betreute nahmen die Hilfsangebote sogar täglich in Anspruch .  1965 notierte z . B . eine Fürsorgerin bezüglich einer psychisch erkrankten jüdischen Altersheimbewohnerin: „Gelegentlich kommt Frau W[…] auch selbst zu uns und fast täglich telefoniert sie mit uns.“23 Darüber hinaus führten die Mitarbeiter der jüdischen Gemeinden bzw . Wohlfahrtsstellen regelmäßige Hausbesuche durch .24 Wichtige Hilfe leisteten zudem Einzelpersonen. Beispielsweise waren die Betroffenen bei Entschädigungsangelegenheiten auf die Unterstützung von Juristen und Medizinern angewiesen. Zumeist standen die als Heimträger fungierenden jüdischen Gemeinden in enger Verbindung mit einem vorzugsweise jüdischen Rechtsanwalt, der sie in juristischen Fragen beriet und vor Gericht vertrat. Die Synagogengemeinde Düsseldorf beauftragte ebenfalls einen jüdischen Rechtsanwalt,25 der sowohl die Gemeinde als auch das

Vgl . u . a . Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 46–50 . Vgl . Scheller (1992), S .  142–145 . Die übrigen, ebenfalls bereits in der Vorkriegszeit gegründeten Verbände der Freien Wohlfahrtspflege – d . h . der katholische Caritasverband, die evangelische Innere Mission, die Arbeiterwohlfahrt und in eingeschränkter Form auch das Deutsche Rote Kreuz – hatten sich schon kurz nach Kriegsende neu konstituieren können .  1948 schlossen sich die „Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege“, denen mittlerweile auch der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband angehörte, zur überregional tätigen „Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege“ zusammen: Hammerschmidt (2005), S . 76 f . 20 Quast (2001), S . 95; Föcking (2003), S . 36 . 21 Scheller (1992), S .  145 . Die „Zentralwohlfahrtsstelle“ war bereits 1917 gegründet worden: Heuberger (1992), S . 71; Föcking (2003), S . 36; Hammerschmidt (2005) . 22 Darüber hinaus verwaltete die ZWST z . B . auch den Wohlfahrtsetat der Hamburger Gemeinde: Schüler-Springorum (2016) . 23 LkAHN, B . 160, Nr . 12: ZWST an Amtsgericht Bad V ., 9 .12 .1965 . 24 Seitens der jüdischen Gemeinden in Hessen erfolgten die Hausbesuche etwa einmal pro Monat: LkAHN, B . 160, Nr . 12: ZWST an Amtsgericht Bad V ., 9 .12 .1965 . 25 Der Rechtsanwalt der Düsseldorfer Synagogengemeinde ließ sich nach seiner Rückkehr aus dem Exil und mehrjähriger Tätigkeit für die britischen Besatzungsbehörden 1953 als Anwalt in Düsseldorf nieder . Dort engagierte er sich für jüdische Organisationen und Einzelpersonen, u . a . auch für die jüdische Gemeinde, in der er einen Sitz im Vorstand besaß . Von 1963 bis 1969 war er zudem Vorstandsmitglied des „Zentralrats der Juden in Deutschland“: Felbinger/Fetthauer (2018), S . 425; ZAH, B . 1/5, Bur . 282: Georg S . K ., Amst ., an RA Richard G ., Düss ., 29 .5 .1962 . 18 19

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Die Unterstützung der Überlebenden durch Hilfsorganisationen und Interessengemeinschaften

„Altersheim Rosenau“ und dessen Bewohner, z. B. bei der Beantragung von Entschädigungsleistungen, unterstützte.26 Jüdische Überlebende, die sich aufgrund gesundheitlicher Verfolgungsbeschwerden um eine Entschädigung bemühten, zogen vorzugsweise einen ärztlichen Gutachter jüdischen Glaubens hinzu.27 Zur Unterstützung der rassisch verfolgten Christen jüdischer Herkunft bildeten sich nach Kriegsende ebenfalls verschiedene Initiativen.28 Die offiziellen Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche hielten sich anfangs hingegen mit ihrer Hilfe weitgehend zurück. Beispielsweise entschied sich das „Hilfswerk der Evangelischen Kirche in Deutschland“ 1947 gegen ein Sonderprogramm zur Unterstützung der rassisch verfolgten Protestanten.29 Folglich waren die Betroffenen auf anderweitige Unterstützung angewiesen, die v. a. auf Initiative von Einzelpersonen erfolgte. In Frankfurt am Main wurde z. B. bereits 1946 von Pastoren der „Bekennenden Kirche“ eine evangelische „Hilfsstelle für rassisch verfolgte Christen“ aufgebaut. Trotz anfänglicher Differenzen kam es letztlich zu einer Kooperation mit dem „Evangelischen Hilfswerk in Hessen-Nassau“, das u. a. auch die im „Altersheim Heilsberg“ lebenden Menschen unterstützte.30 In einigen Fällen ging die Initiative zur Gründung der Hilfsstellen weniger von christlicher als von jüdischer Seite aus .31 Außerdem standen viele Angebote sowohl Z . B . ZAH, B . 1/5, Bur . 316: RA Richard G . an Oberstadtdir . Essen, 2 .5 .1967; ZAH, B . 1/5, Nr . 124: SD an Gerda H ., z . H . Minna R ., 20 .6 .1952 . 27 Die Synagogengemeinde Düsseldorf besaß ebenfalls einen medizinischen Sachverständigen, der u . a . auch für die medizinischen Gutachten der Bewohner der „Rosenau“ zuständig war: ZAH, B . 1/5, Nr . 124: SD an Oberversicherungsamt Düss ., 9 .2 .1953 . 28 Während des Nationalsozialismus hatten die rassisch verfolgten Christen von den christlichen Gemeinden bzw . den beiden christlichen Kirchen nur selten Unterstützung erhalten . So hieß es z . B . bereits Ende 1941 von der Evangelischen Landeskirche von Nassau-Hessen [sic!]: „[E]ine deutsche evangelische Kirche hat das religiöse Leben deutscher Volksgenossen zu pflegen und zu fördern. Rassejüdische Christen haben in ihr keinen Raum und kein Recht .“ Demzufolge durften die als „nicht arisch“ geltenden Gemeindemitglieder zukünftig weder an Gottesdiensten und am Abendmahl teilnehmen noch auf christlichen Friedhöfen bestattet werden: Stickler (2009) . Die ersten Hilfsstellen für rassisch verfolgte Christen hatten sich zwar schon vor dem Krieg gegründet, waren aber spätestens 1944 verboten worden . Vgl . zu Hamburg z . B . Meyer (2010) . In Westberlin gehörte der evangelische Pastor Heinrich Grüber, der sich zusammen mit seiner Frau bereits in der Vorkriegszeit für rassisch verfolgte Christen eingesetzt und diesen z . B . bei der Flucht ins Ausland geholfen hatte, zu den Hauptinitiatoren der Stiftung „Evangelische Hilfsstelle für ehemals Rasseverfolgte“ . Vgl . dazu Schäfer-Richter (2009), S . 212 . 29 Stickler (2009) . 30 Vgl . Stickler (2009) . Bei vielen der Unterstützten handelte es sich um Witwen, deren jüdische Ehemänner Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung geworden waren . Vgl . dazu z . B . LkAHN, B . 160, Nr . 11: Lieselotte S ., Frankf ., 10 .11 .1958; LkAHN, B . 160, Nr . 11: Claire S ., Frankf ., eidesstattliche Erklärung durch Heinrich L ., o . D . 1960 erfolgte die Angliederung an die Geschäftsstelle des Diakonischen Werks: LkAHN, O . N .: Anmerkung: Akten in Bestand 160, Hilfsstelle für rassisch verfolgte Christen beim Diakonischen Werk Frankfurt a . M . 31 So auch im Falle der „Hilfsstelle für Rasseverfolgte bei der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart“, die 1945 auf Initiative der Jüdischen Gemeinde Stuttgart eingerichtet wurde . Nach Ansicht der jüdischen Gemeinde sollten nicht nur die „Glaubensjuden“, sondern auch die von den Nürnberger Gesetzen Betroffenen nichtjüdischen Glaubens auf die Unterstützung eigener Organisationen zurückgreifen können: Ingendahl (2003) . 26

Die Unterstützung der Überlebenden durch Hilfsorganisationen und Interessengemeinschaften

rassisch Verfolgten jüdischer als auch christlicher Religion offen . In Hamburg gründete sich unmittelbar nach Kriegsende z . B . die „Notgemeinschaft der durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen“, die sich ebenfalls für die keiner jüdischen Gemeinde angehörigen „Glaubensjuden“ zuständig fühlte .32 Der Großteil der Betreuten gehörte jedoch zum Kreis der ehemals verfolgten Christen .33 Auch der in den 1950er Jahren als übergeordnete Organisation gegründete „Zentralverband der durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen e . V .“ war zwar „nicht an die Frage der Religionszugehörigkeit gebunden, sondern allein an die Frage der Betroffenheit durch die judenfeindliche Gesetzgebung des Nationalsozialismus“, versorgte aber ebenfalls fast ausschließlich rassisch Verfolgte nichtjüdischer Religion .34 Die Hamburger Notgemeinschaft gab seit 1948 eine bundesweit vertriebene Zeitschrift heraus, das Mitteilungsblatt der Notgemeinschaft der durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen . Veröffentlicht wurden hier u . a . aktuelle Informationen zu Entschädigungsgesetzen, Beratungsstellen und Altersheimen .35 Neben den oben genannten Organisationen engagierten sich auch die nichtjüdischen freien Wohlfahrtsverbände wie die Innere Mission, die Caritas oder das Deutsche Rote Kreuz für die rassisch Verfolgten jüdischer und christlicher Religion .36 Vielfach begannen sie bereits in den ersten Nachkriegsmonaten und somit sogar noch vor den internationalen jüdischen Organisationen mit ihren Hilfsmaßnahmen .37 Unter anderem kümmerten sich die christlichen Wohlfahrtsverbände um die Verteilung von Sachspenden sowie die Unterbringung älterer Überlebender in Altersheimen .38 Nach dem Rückzug der Alliierten sowie der internationalen Hilfsorganisationen sah sich der deutsche Staat im Rahmen der „Wiedergutmachung“ ebenfalls zur Unterstützung der NS-Opfer verpflichtet . Wie später näher erörtert wird, handelte es sich dabei vorwiegend um finanzielle Zuschüsse .

Die Hamburger Notgemeinschaft, die bereits seit längerem geplant war, entwickelte sich zu einer wichtigen Anlauf- und Beratungsstelle für die ehemals Verfolgten . Unter anderem stellte sie Verfolgtenausweise aus, verteilte Spenden, kümmerte sich um Wohnraum, beriet in rechtlichen Fragen und organisierte die Rückführung von Häftlingen aus Theresienstadt: Meyer (2010) . 33 Meyer (2006), S . 86; Schüler-Springorum (2016) . 34 NHStAH, VVP 12, Nr . 61: ZNGB, Ham ., an Dr . Walter R ., Hann ., 26 .4 .1967, S . 2 . 35 Z . B . LkAHN, B . 160, Nr . 48: „Neufestsetzung der BEG-Gesundheitsschadenrente bei Erhöhung von Rentenleistungen aus der Sozialversicherung“, in: MNNGB, Ham ., Februar/März 1966, S . 2 f .; o . N .: „Altersheime“, in: MNNGB, Ham ., Februar 1964, S . 2 . 36 1946 wurden z . B . mit Hilfe des „Deutschen Hilfswerks“ an alle älteren Juden 50 RM ausgegeben: Quast (2001), S . 22, 95 . 37 Dietrich (1998), S . 29 . 38 Quast (2001), S . 95 . 32

23

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Die Unterstützung der Überlebenden durch Hilfsorganisationen und Interessengemeinschaften

4.1

Heimträger

Die meisten in dieser Untersuchung genannten Altersheime befanden sich in Trägerschaft der jüdischen Gemeinden . Da sich diese oft schon kurz nach ihrer Gründung mit der Unterbringung und Versorgung der älteren Gemeindemitglieder beschäftigten, konnten, wie erwähnt, bereits in den ersten Nachkriegsjahren mehrere jüdische Altersheime eingerichtet werden .39 Auch das 1948 eröffnete „Altersheim Rosenau“ entstand vorrangig auf Anregung der Düsseldorfer Gemeinde, deren Vorstand die Verwaltung und einen großen Teil der Finanzierung übernahm .40 Dabei ging die Heimgründung, d . h . dessen „Förderung und Entwicklung“,41 vorwiegend auf die Initiative der „Wohlfahrtsdezernentin der Synagogengemeinde Düsseldorf und des Landesverbands der jüdischen Gemeinden von Nordrhein-Westfalen“ zurück,42 der es nach eigener Aussage gelungen war, „das Heim wieder seinem ursprünglichen Zweck in neuer Schönheit zuzuführen“.43 Darüber hinaus kümmerte sich die aus mehreren Gemeindemitgliedern bestehende „Rosenau-Kommission“ um die Angelegenheiten des Heims .44 Neben den Gemeinden beteiligten sich die Besatzungsmächte, die örtlichen deutschen Behörden, die Landesregierungen sowie verschiedene internationale und nationale jüdische Hilfsorganisationen und Wohlfahrtsverbände an der Einrichtung jüdischer Altersheime . Im Falle der „Rosenau“ wurde z . B . die „Jewish Trust Corporation for Germany“ als Eigentümerin eingesetzt, die Verwaltung lag aber weiterhin in den Händen der Düsseldorfer Synagogengemeinde .45 Auch an der Aufrechterhaltung des bereits 1945 eingerichteten Altersheims in der Hamburger Rothenbaumchaussee beteiligten sich verschiedene Institutionen . So fiel das – auf Initiative der jüdischen Gemeinde und mit Hilfe der Militärbehörden geschaffene  – Heim im Jahr 1946 in die Hände der städtischen Gesundheitsverwaltung, die sich aber noch immer unter Kontrolle der britischen Besatzungsmacht befand .46 Die Finanzierung sollte durch das Joint, die alltägliche Verwaltung hingegen durch die jüdische Gemeinde erfolgen .47

1949 begann z . B . auch die Aachener Gemeinde mit dem Wiederaufbau des Altersheims: ZAH, B . 1/28, Nr . 244: Alfred L ., Treuhänder des Jüd . AH Aachen, Rundschreiben, Juni 1949 . 40 Die Synagogengemeinde war Mitglied im „Landesverband der jüdischen Kultusgemeinden von Nordrhein-Westfalen“: ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Erhebungsbogen für soziale Einrichtungen, 30 .9 .1958 . 41 ZAH, B . 1/5, Nr . 123: Celia F ., Lon ., an Meta D ., SD, 23 .2 .1948 . 42 ZAH, B . 1/5, Nr . 123: SD an Redaktion Neue Welt, Mü ., 16 .3 .1948 . 43 ZAH, B . 1/5, Nr . 123: Meta D . an Celia F ., Lon ., 7 .4 .1948 . 44 Vgl . z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 44: SD an Vorst . jüd . Kultusgem . Mülheim, o . D . (1961) . 45 Die Verwaltung des Heims erfolgte durch den Vorstand der Synagogengemeinde Düsseldorf, dem die von der Gemeindevertretung eingesetzte „Rosenau-Kommission“ zur Seite stand: ZAH, B .  1/5, Nr .  124: Statut d . Alters- und Erholungsheims „Rosenau“, o . D . (1952); ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Erhebungsbogen für soziale Einrichtungen, 30 .9 .1958 . 46 StAH, GB, 252-6, Nr . 1735: Gesundheitsverw . Ham ., Senatsdir . Hugo G ., 15 .1 .1946 . 47 StAH, GB, 252-6, Nr . 1735: Gesundheitsverw . Ham ., Senatsdir . Hugo G . an David R ., Ham ., 11 .1 .1946; StAH, GB, 252-6, Nr . 1735: Senatsdir . Hugo G . an Senator Paul N ., Sozialverw ., Ham ., 11 .1 .1946 . Die jüdische 39

Heimträger

Als Heimträger fungierten auch als gemeinnützig anerkannte Vereine .48 Beispielsweise gründete die Jüdische Gemeinde Hannover mit dem Ziel, ein Altersheim für ihre Mitglieder zu errichten, Anfang der 1950er Jahre den rechtsfähigen Verein „Jüdisches Altersheim Hannover e . V .“ .49 Das Altersheim fungierte als eine eigenständige juristische Institution und war somit weder eine Unterorganisation der Jüdischen Gemeinde Hannover noch des „Landesverbands der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen“ .50 Indem vorwiegend der von diesen Institutionen vertretene Personenkreis im Heim Unterkunft fand, bestand jedoch allein schon „aus der Fürsorgepflicht der Gemeinde gegenüber den Heiminsassen“ eine enge Verbindung zu beiden Einrichtungen .51 Zu den weiteren traditionellen Trägern von Altersheimen zählten gemeinnützige Stiftungen . Nach Kriegsende konnte auch ein Teil der von den Nationalsozialisten aufgelösten jüdischen Stiftungen rekonstituiert werden – so u . a . die 1920 gegründete „Henry und Emma Budge-Stiftung“ in Frankfurt am Main, die 1930 ein jüdisch-christliches Altersheim eröffnet hatte .52 Nachdem die Stiftung Anfang der 1950er Jahre wieder ihre ursprünglichen Rechte zurückerhalten hatte, gelang 1968 schließlich die Einrichtung eines neuen Altersheims, in dem wie in der Vorkriegszeit abermals Juden und Christen Aufnahme fanden .53 Auch bei der „Rosenau“ handelte es sich ursprünglich um eine private Stiftung von 1914 zugunsten der Düsseldorfer Synagogengemeinde .54

Gemeinde übernahm später ebenfalls die Trägerschaft des 1958 eröffneten rituell geführten Altersheims in der Schäferkampsallee: Lorenz (2010) . 48 U . a . war das Neustädter Heim in der Vorkriegszeit als Verein geführt worden . 1949 wurde, da dem Verein nach 1945 die erforderlichen Vorstandsmitglieder fehlten, vorerst ein Notvorstand gegründet: ZAH, B . 1/40, Nr . 305: Amtsgericht Speyer an Josef L ., Landau, 4 .5 .1949 . 49 ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Ber . über Gründung u . Status JAH, o . D ., S . 1 . 50 ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Ber . über Gründung u . Status JAH, o . D ., S . 2 . 51 ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Ber . über Gründung u . Status JAH, o . D ., S . 2 . 52 Picard (1997), S . 11; Rauber (2006), S . 162 . 53 Rauber (2006), S . 163 . Ebenfalls auf Stiftungsbasis geführt wurde das 1911 als „Damenheim“ gegründete Frankfurter „Rothschild’sche Altersheim“ der „Freiherrlich Wilhelm Carl von Rothschild’schen Stiftung für wohltätige und gemeinnützige Zwecke“ . Anders als der Großteil der in dieser Studie untersuchten Einrichtungen nahm das Heim ausschließlich Frauen auf: Seemann: Frankfurter jüdische Altenpflege (2017) . 54 ZAH, B . 1/5, Nr . 123: SD an CJC, Bremen, 26 .9 .1947 .

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Die Unterstützung der Überlebenden durch Hilfsorganisationen und Interessengemeinschaften

Abb. 1 Das Mitte der 1950er Jahre bis zur Eröffnung des Neubaus 1960 als Provisorium dienende jüdische Altersheim in Neustadt i. d. Pfalz (o. D., ca. 1960)55

55

ZAH, B . 1/40, Nr . 387: Fotosammlung: JAN, o . D . (ca . 1960) .

5.

Die Altersheime für rassisch Verfolgte jüdischen Glaubens bzw. jüdischer Herkunft

5.1

Wer zog in die hier untersuchten Altersheime?

Die jüdischen Altersheime versorgten in den ersten Nachkriegsjahren  – wie schon erwähnt  – hauptsächlich Juden, die den Krieg entweder durch ihre nichtjüdischen Ehepartner, in einem Versteck oder aber in einem Konzentrationslager überlebt hatten .1 Dies betraf u . a . das im Sommer 1945 eingerichtete Altersheim in der Hamburger Rothenbaumchaussee, das etwa 50 Personen Unterkunft bot .2 In den Altersheimen für rassisch Verfolgte nichtjüdischen Glaubens fanden vorwiegend Christen jüdischer Herkunft Aufnahme, darunter auch ehemalige KZ-Häftlinge, von denen ein großer Teil ebenfalls nur durch die Ehe mit einem Nichtjuden der Vernichtung entgangen war .3 Auf großes Interesse stießen die Altersheime für NS-Opfer zudem bei den „Rückwanderern“, d . h . denjenigen Juden bzw . rassisch verfolgten Christen, die während der NS-Diktatur ins Ausland geflohen waren, sich dort aber nicht wirklich hatten einleben können und daher nach Kriegsende freiwillig nach Deutschland zurückkehrten . Zur Rückkehr berechtigt waren alle im Ausland lebenden Personen deutscher Herkunft, die vor ihrer Emigration bzw . Flucht im Gebiet des damaligen Deutschen Reichs gelebt hatten . Folglich erhielt z . B . auch in Nordrhein-Westfalen, laut Anordnung der Landesregierung, „jeder, der aus der Emigration zurückkehrte, eine Zuzugsgenehmigung“, die eine „Rückkehr nach Westdeutschland ohne weiteres möglich“ machte .4 Obwohl ein großer Teil der Bewohner der hier genannten Altersheime von diesem Z . B . hatte auch die 74-jährige Jüdin Anna L . „von 1942 bis Kriegsende illegal in Ost-Berlin“ gelebt: ZAH, B . 1/5, Nr . 124: Anna L . an SD, 14 .3 .1953 . Auch eine Mitbewohnerin hatte sich nach ihrer Flucht nach Brüssel aufgrund der 1942 einsetzenden Deportationen bei „Freunden und Bekannten versteckt“: ZAH, B . 1/5, Nr . 124: Eidesstattliche Versicherung, betr . Haftentschädigung, März 1953 . 2 ZAH, B . 1/28, Nr . 126: Norbert W . an John M . c/o WJC, Lon ., 6 .7 . (1947), S . 227 . 3 Unter den rassisch verfolgten Christen befanden sich auch viele „Mischlinge“, die sich zum großen Teil für den Verbleib in Deutschland entschieden: Tent (2007), S . 260 ff . 4 ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Vorst . SD an Simon R ., 20 .12 .1950 . 1

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Die Altersheime für rassisch Verfolgte jüdischen Glaubens

Recht Gebrauch machte, fiel der Anteil der „Rückwanderer“ unter der Gesamtzahl der ins Ausland geflohenen Juden – wie schon erwähnt – insgesamt sehr klein aus .5 Obwohl z . B . der Frankfurter Oberbürgermeister zum Jahreswechsel 1946/47 die im Exil lebenden deutschen Juden explizit zur Rückkehr nach Deutschland aufforderte, stießen die „Rückwanderer“ sehr häufig auf Ablehnung .6 Dies galt jedoch nicht nur für die nichtjüdische Bevölkerung,7 vielmehr standen auch die internationalen jüdischen Organisationen sowie die im Ausland verbleibenden deutschen Juden einer Reorganisation jüdischen Lebens in Deutschland gleichermaßen skeptisch gegenüber .8 Unter anderem wurde den Rückkehrern sogar ein Verrat an ihrer Religion sowie am „wahren Judentum“ unterstellt .9 Aus diesem Grund betrachteten die internationalen jüdischen Organisationen die sich nach 1945 in Deutschland neu konstituierenden jüdischen Gemeinden noch in den 1960er Jahren mit Argwohn .10 Eine gezielte Anwerbung von Juden durch die deutschen jüdischen Gemeinden sollte daher möglichst verhindert werden . 1948 hieß es daher auch von Seiten des „Zentralkomitees der befreiten Juden in der britischen Zone“ in der Korrespondenz mit einem aus dem Ausland zurückgekehrten älteren Ehepaar: „Bemühungen von unserer Seite können selbstverständlich nur nichtoffiziell unternommen werden, da wir uns keinesfalls in den Verdacht bringen lassen wollen, eine Repatriierung nach Deutschland direkt oder indirekt gefördert zu haben.“11 Darüber hinaus standen die deutschen jüdischen Gemeinden in den ersten Jahren nach Kriegsende einer noch völlig ungewissen Zukunft gegenüber . Nicht selten sahen sie sich sogar nur als provisorische Übergangsorganisationen, zumal viele ihrer jüngeren Mitglieder in naher Zukunft eine Auswanderung, v . a . nach Israel, anvisierten .12 So erschien es vielen Juden „nachdem [sic!], was geschehen ist“, kaum noch möglich, die „deutsche Erde […] als heimatliche Erde zu betrachten“ .13 Auch die Synagogengemeinde Düsseldorf bedauerte, dass „nicht alle jüdischen Menschen ins Ausland gehen“ könnten und viele „gezwungen“ sein würden, „ihren Lebensabend hier zu verbringen“ .14 Bis zur Gründung der Bundesrepublik bzw . einer demokratischen Regierung und der Verabschiedung des Grundgesetzes sprachen sich die jüdischen Gemeinden z . T . sogar ausdrücklich gegen eine Rückkehr nach Deutschland aus . Im Sommer 1948 riet z . B . die Düsseldorfer Synagogengemeinde „grundsätzlich jedem jüdischen Menschen von einer Vgl . zu den untersuchten Heimen z . B . ZAH, B . 1/6, Nr . 551: JAH an Vorst ., 17 .9 .1962; ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Minna K . an JAH, 11 .8 .1962 . 6 Kingreen (2008), S . 122; Balser (1998), S . 171 . 7 Zumal insbesondere viele Flüchtlinge und Evakuierte eine Bevorzugung der Juden befürchteten: Balser (1998), S . 171 . Vgl . zudem Bergmann (2008), S . 20 ff ., 30 ff . 8 Vgl . z . B . Kruse/Schmitt (2000), S . 212 ff .; Kauders (2008), S . 88; Bergmann (2008), S . 20 ff ., 30 ff . 9 Koch (2018); Lorenz (2002), S . 18 . 10 Kruse/Schmitt (2000), S . 212 ff .; Brenner (2007) . 11 ZAH, B . 1/28, Nr . 117: Norbert W . an Julius D ., Düss ., 12 .9 .1948, betr . Dr . Simon L ., z . Zt . in Bombay, S . 42 . 12 Vgl . dazu u . a . Brenner (2020) . 13 ZAH, B . 1/5, Nr . 123: SD an Herbert G ., Lisboa, 20 .8 .1948 . 14 ZAH, B . 1/5, Nr . 123: SD an Herbert G ., Lisboa, 20 .8 .1948 . 5

Wer zog in die hier untersuchten Altersheime?

Repatriierung aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen nach Deutschland dringend ab“ .15 Dieser Rat richtete sich explizit auch an alte Menschen, die ihren Lebensabend in einem deutschen jüdischen Altersheim verbringen wollten . Nach Aussage der Synagogengemeinde wäre es bei den „gegebenen Verhältnissen“ ohnehin absolut unklar, wie lange das von der Gemeinde getragene Altersheim „Rosenau“ überhaupt noch aufrechterhalten werden könnte .16 Tatsächlich hatte sich Ende der 1940er Jahre die Anzahl der Gemeindemitglieder in Düsseldorf „von Monat zu Monat durch Todesfälle und Abwanderung verringert“, während „Zugänge“ kaum zu verzeichnen waren .17 Trotz aller Ablehnung und der Angst vor einer ungewissen Zukunft entschieden sich letztlich jedoch v . a . ältere Menschen für einen Lebensabend im Land ihrer Geburt, selbst wenn sie dort keine Angehörigen mehr vorfanden, die sich um sie kümmern konnten .18 Viele Rückkehrwillige bemühten sich daher bereits mehrere Monate vor ihrer Einreise nach Deutschland um einen Altersheimplatz .19 Beispielsweise erhielt auch das Heim der Düsseldorfer Synagogengemeinde zahlreiche Bewerbungen aus dem Ausland, u . a . aus den Niederlanden, der Schweiz, aus England, Uruguay, Brasilien, Frankreich, Portugal und den USA .20 1950 verwies die Jüdische Gemeinde Hannover ebenfalls auf die hohe Anzahl der aus „Shanghai, Israel, Südamerika und Europa und aus der russischen Zone“ zurückkehrenden Juden: „Bei diesen Rückwanderern handelt es sich meistens um alte, gebrechliche Menschen, die entweder arbeitsunfähig sind, und ausserdem durch die schlechte Wirtschaftslage gar keine Arbeit bekommen würden.“21 Für den Einzug in das hannoversche Heim entschied sich Ende der 1950er Jahre z . B . eine 65-jährige Witwe, die nach dem Tod ihres Mannes aus dem südamerikanischen Exil zurückkehrte .22 1962 bat die ebenfalls aus Südamerika zurückgekehrte Minna K . im selben Heim um Aufnahme . Dass sie sich für das hannoversche Heim entschied, beruhte dabei aber weniger auf einer bewussten Auswahl als vielmehr auf dem Wunsch, in der Nähe ihrer Schwester leben zu wollen .23 Die Aussicht auf einen engeren Kontakt zu den wenigen noch verbliebenen Angehörigen gehörte für viele Menschen zu den entscheidenden Gründen für ihre Rückkehr,24 so auch im Fall des jüdisch-christlichen Ehepaars L ., das sich nach seiner Flucht in Indien niedergelassen hatte . Obwohl Herr ZAH, B . 1/5, Nr . 123: SD an Herbert G ., Lisboa, 20 .8 .1948 . ZAH, B . 1/5, Nr . 123: SD an Herbert G ., Lisboa, 20 .8 .1948 . ZAH, B . 1/5, Nr . 123: SD an Herbert G ., Lisboa, 20 .8 .1948 . Vgl . z . B . ZAH, B .  1/6, Nr .  551: JAH an Vorst . JAH, 17 .9 .1962 . Vgl . dazu auch Borch-Nitzling (2006), S . 99 f . 19 Z . B . ZAH, B . 1/6, Nr . 551: JAH an Vorst . JAH, 17 .9 .1962; ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Minna K . an JAH, 11 .8 .1962 . 20 Vgl . z . B . zu den Aufnahmen im Jahr 1958 u . a . ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Leo S . an SD, 10 .3 .1959; ZAH, B . 1/5, Nr .  44: Hans M ., Lissabon, an SD, 27 .11 .1958; ZAH, B .  1/5, Nr .  46: Georg F ., Neuilly-sur-Seine, an SD, 29 .6 .1958 . 21 ZAH, B . 1/28, Nr . 242: JGH an CJC, Gem .-Abteilung, Lübeck, 14 .4 .1950, S . 37 . 22 ZAH, B . 1/6, Nr . 551: JAH an Vorst . JAH, 17 .9 .1962 . 23 ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Minna K ., Caracas, an JAH, 11 .8 .1962 . 24 Büttner (2008), S . 63 f .; Borch-Nitzling (2006), S . 113 f . 15 16 17 18

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Die Altersheime für rassisch Verfolgte jüdischen Glaubens

L . sich im Exil gut eingelebt hatte, wollte seine christliche Ehefrau, zumal sie auf die Unterstützung ihrer in Düsseldorf wohnenden Verwandten zurückgreifen konnte, „unbedingt nach Deutschland zu ihrer Familie zurück, um dort zu sterben“ – ein Wunsch, den ihr jüdischer Ehemann ihr nicht verwehrte .25 Zwar handelte es sich bei den meisten älteren Remigranten um Einzelpersonen oder um Ehepaare, einige Rückkehrwillige siedelten aber zusammen mit ihren Freunden und Bekannten nach Deutschland über, wo sie zumeist in dasselbe Altersheim zogen . Anfang der 1950er Jahre traf dies z . B . auf „mehrere Damen aus Brüssel“ zu, die nach vielen Jahren im Exil mittlerweile gut miteinander befreundet waren und nun alle im „Altersheim Rosenau“ Unterkunft fanden .26 Teilweise verstärkten auch mangelnde Sprachkenntnisse den Wunsch nach einer Rückkehr nach Deutschland . So entschied sich 1958 u . a . ein in Portugal lebendes deutsches Ehepaar, da es „der Landessprache nicht mächtig“ war, für ein Leben in seiner früheren Heimat .27 Die jüdische Kultusgemeinde der Rheinpfalz erhielt für ihr Altersheim in Neustadt ebenfalls „viele Anfragen von Menschen aus aller Welt“ .28 1968 bewarb sich z . B . der 76-jährige Georg B ., der seiner Deportation durch die Flucht in die chinesische Stadt Shanghai – einer der letzten Zufluchtsorte für europäische Juden – hatte entgehen können .29 Dass Herr B . sich für das Neustädter Heim entschied, war v . a . auf die „Anwesenheit einer Bankfiliale“ desjenigen Kreditinstituts, bei dem er Wertpapiere besaß, zurückzuführen .30 Bei den Anwärtern für das Neustädter Altersheim handelte es sich zudem häufig um Juden, die 1940 aus Südwestdeutschland oder auch aus ihrem Exil in Frankreich in die französischen Internierungslager, v . a . nach Gurs, deportiert worden waren .31 Einem Teil der Häftlinge war nach oder sogar noch vor Kriegsende die Auswanderung in außereuropäische Staaten gelungen;32 viele ältere Menschen hatten hingegen vorerst in französischen und vorwiegend nichtjüdischen Altersheimen

ZAH, B . 1/28, Nr . 117: Norbert W . an Julius D ., Düss ., 12 .9 .1948, betr . Dr . Simon L ., z . Zt . in Bombay, S . 42 . ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Hanne M ., Düren, an SD, 2 .3 .1951 . Vgl . auch ZAH, B . 1/5, Nr . 21: SD an Marie G ., Belgien, 27 .12 .1950 . 27 ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Hans M ., Lissabon, an SD, 27 .11 .1958 . Vgl . auch ZAH, B . 1/5, Nr . 34 c: Hanna R ., Biberach-Jordanbad, 14 .4 .1948; LkAHN, B . 160, Nr . 12: James L ., New York, an Erica L ., DW Frankf ., 12 .2 .1963 . Vgl . auch Borch-Nitzling (2006), S . 113 f . 28 ZAH, B . 1/40, Nr . 305: JKR an LAW, Mainz, 1 .10 .1956 . 29 ZAH, B . 1/40, Nr . 42: Georg B . an JKR, 31 .3 .1968; Wulf (2018) . Ebenfalls nach Shanghai geflüchtet war eine jüdische Witwe, die sich 1951 in der „Rosenau“ bewarb: ZAH, B . 1/5, Nr . 125: Friede B ., Essen, an SD, 30 .8 .1951 . 30 ZAH, B . 1/40, Nr . 42: Georg B . an JKR, 25 .4 .1968 . 31 Darunter hatten sich auch viele Bewohner der aufgelösten südwestdeutschen jüdischen Altersheime befunden: Steppe (1997), S . 97, 177 . Einigen Häftlingen war bereits 1941 die Flucht gelungen: ZAH, B . 1/40, Nr . 305: JKR an LAW, Mainz, 1 .10 .1956 . 32 ZAH, B . 1/40, Nr . 305: JKR an LAW, Mainz, 1 .10 .1956; ZAH, B . 1/40, Nr . 43: ZWST an JKR, 1 .4 .1957 . 1950 bewarb sich auch in der „Rosenau“ in Essen-Werden eine Jüdin, die „über vier Jahre in Gurs und Masseubes interniert“ und 1946 nach England ausgewandert war, wo sie noch immer mit ihrer Familie lebte: ZAH, B . 1/5, Nr . 125: Gustav Heinrich R ., Lon ., an RA Willy S ., Düss ., 25 .12 .1950 . 25 26

Wer zog in die hier untersuchten Altersheime?

und Krankenhäusern Aufnahme gefunden .33 Auch unter den Bewerbern der anderen hier untersuchten jüdischen Altersheime befanden sich Juden, die bereits in einem fast immer christlichen Altersheim im Ausland untergebracht worden waren und sich nun um einen Heimwechsel bemühten .34 Dass sich insbesondere gläubige Juden in einem christlich geprägten Haus häufig nicht sehr wohl und „fehl am Platz“ fühlten, zeigte sich u . a . im Fall einer 91-Jährigen, die bereits seit Jahren in einem katholischen Altersheim in den Niederlanden lebte . Als sie aufgrund ihrer zunehmenden Pflegebedürftigkeit ohnehin verlegt werden sollte, organisierte ihr Neffe 1964 schließlich ihre Übersiedlung in die Bundesrepublik und ihre Aufnahme in das jüdische Altersheim in Hannover .35 Für die Rückkehr entschieden sich außerdem Personen, die nach ihrer Befreiung – oft zusammen mit ihren Familien – ins Ausland ausgewandert waren, sich dort jedoch nicht wirklich einleben konnten . Selbst hochaltrige Menschen nahmen die Strapazen eines erneuten Umzugs auf sich, so die 88-jährige Maria H ., die seit Kriegsende bei ihrer Tochter in England lebte, sich dort „aber nicht glücklich“ fühlte und sich daher – zumal es ihr auch nicht mehr gelang, die englische Sprache zu erlernen – bereits „seit Jahren“ nach ihrer deutschen Heimat sehnte .36 Obwohl sie dort weitgehend auf sich allein gestellt sein würde, entschloss sie sich im Jahr 1950 schließlich zur Rückkehr und bewarb sich noch vor ihrer Abreise in einem jüdischen Altersheim .37 Auch die 71-jährige Witwe Henriette K . gab nach zwei Aufenthalten bei ihrem Sohn in Israel ihre Auswanderungspläne endgültig auf, da sie das dortige „Klima nicht vertragen“ könnte .38 Eine mangelnde Anpassungsfähigkeit an die im ausländischen Exil herrschenden klimatischen Bedingungen gehörte insbesondere bei alten Menschen zu den sehr häufig genannten Gründen für eine Rückkehr nach Deutschland .39 Der in Argentinien lebenden Erna R . wurde sogar von ärztlicher Seite zu einem Umzug nach Europa geraten, da das feuchte Klima ihrer neuen Wahlheimat ihrer Gesundheit „nicht zuträglich“ sein

Laut Aussage der Kultusgemeinde in Neustadt würde die Ausstattung dieser Einrichtungen jedoch „sehr zu wünschen übrig“ lassen: ZAH, B . 1/40, Nr . 305: JKR an LAW, Mainz, 1 .10 .1956 . 34 So bat im Neustädter Heim u . a . eine Jüdin um Aufnahme, die bislang in New York in einem Altersheim gelebt hatte, das jedoch geschlossen werden musste: ZAH, B . 1/40, Nr . 42: Leopold G ., Mü ., an JKR, 9 .11 .1964 . 35 ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Dr . Fritz S ., Niederlande, 7 .5 .1964 . Eine in Italien lebende gutsituierte Jüdin hatte ebenfalls die Möglichkeit, „in ein hiesiges Altersheim einzutreten, das unter Aufsicht eines Pfarrers von Nonnen geführt wird“. Da der Einzug in dieses Heim jedoch ein „schwerer Entschluss […] für einen Juden“ sein würde und sie „gerne als Jude sterben“ wollte, bemühte sie sich um eine Rückkehr nach Deutschland und einen Platz im jüdischen Altersheim in Neustadt: ZAH, B . 1/40, Nr . 43: Marianne K ., Meran, an JKR, März 1966 . 36 ZAH, B . 1/5, Nr . 125: Gustav Heinrich R ., Lon ., an RA Willy S ., Düss ., 25 .12 .1950 . 37 ZAH, B . 1/5, Nr . 125: Gustav Heinrich R ., Lon ., an RA Willy S ., Düss ., 25 .12 .1950 . 38 1964 bemühte sie sich um einen Platz im jüdischen Altersheim in Hannover: ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Henriette K ., Duisburg, an JGH, 25 .10 .1964 . 39 Z . B . ZAH, B . 1/40, Nr . 43: Rolf L ., Illinois, an JAN, 4 .4 .1959; ZAH, B . 1/40, Nr . 43: Raoul S . an JKR, 29 .9 .1969 . Vgl . auch Büttner (2008), S . 64 . 33

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Die Altersheime für rassisch Verfolgte jüdischen Glaubens

würde .40 Mitte der 1950er Jahre konnte in den deutschen jüdischen Altersheimen außerdem eine Zunahme von Bewerbern aus Israel beobachtet werden, die „infolge der schwierigen wirtschaftlichen Situation, in der sich das Land Israel befindet, hierher zurückkommen werden“ .41 Eine Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Situation sowie eine nicht ausreichende medizinische Versorgung befürchteten auch andere im außereuropäischen Ausland lebende Emigranten, die sich für eine Rückkehr nach Deutschland entschieden .42 Eine nicht unerhebliche Rolle spielte dabei auch die Aussicht auf finanzielle Hilfe, v . a . durch die – später näher erörterten – staatlichen Entschädigungsmaßnahmen .43 Unter anderem bezeichnete auch der in der „Rosenau“ lebende Willy S . die Aussicht auf eine „Unterstützung aus öffentlichen Wohlfahrtsgeldern“ als wesentlichen Grund für seine Remigration .44 Aufnahmegesuche erreichten die Altersheime für NS-Opfer zudem aus West- und Ostberlin,45 vereinzelt auch aus anderen Gebieten der DDR .46 Dabei zählten im Falle der aus Berlin kommenden Heimanwärter v . a . die als unsicher empfundene politische Situation sowie die ungünstige geographische Lage der Stadt zu den entscheidenden Motiven für eine Übersiedlung in die westlichen Bundesländer .47 Beispielsweise wurde 1953 eine in Ostberlin lebende Jüdin durch einen Zeitungsbericht auf das „Altersheim Rosenau“ in Essen-Werden aufmerksam .48 Da sie als „Ostflüchtling […] in Kürze nach Nordrhein-Westfalen ausgeflogen“ werden sollte, bat sie um schnellstmögliche Aufnahme .49 Im selben Heim bewarb sich im Jahr 1959 der bereits im „Jüdischen Altersheim Berlin“ lebende Leo S ., der ebenfalls „weg“ aus der Stadt wollte .50 Ähnlich argumentierte das Berliner Ehepaar H ., das 1961 im hannoverschen Altersheim um Aufnahme bat .51

ZAH, B . 1/40, Nr . 42: Erna R ., Argentinien, an JAN, 28 .8 .1960 . ZAH, B . 1/40, Nr . 305: JKR an LAW, Mainz, 1 .10 .1956; ZAH, B . 1/40, Nr . 42: Luise M ., Frankf ., an JAN, 6 .10 .1960 . Vgl . zudem Kingreen (2008), S . 139 . 42 Kruse/Schmitt (2000), S . 217 . 43 Borch-Nitzling (2006), S . 106 . 44 ZAH, B . 1/5, Bur . 282: Georg S . K . an SD, 26 .1 .1962 . 45 ZAH, B . 1/5, Nr . 21: SD an Ariane M ., Berlin, 16 .11 .1950 . 46 ZAH, B . 1/5, Nr . 124: SD an IM NRW, 14 .4 .1953; ZAH, B . 1/6, Nr . 552: ZWST, Frankf ., an JAH, 24 .5 .1963 . Zudem war auch das gesellschaftliche Klima der DDR nicht frei von antisemitischen Strömungen . Vgl . u . a . Staritz (1995), S . 224 f . 47 Vgl . zudem ZAH, B . 1/40, Nr . 327: Hans B ., Berlin, an JKR, 25 .11 .1962 . 48 Der Bericht über das Heim erschien in der Berliner Allgemeinen Wochenzeitung: ZAH, B . 1/5, Nr . 124: Anna L . an SD, 14 .3 .1953 . 49 ZAH, B . 1/5, Nr . 124: Anna L . an SD, 14 .3 .1953 . 50 ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Leo S . an SD, 10 .3 .1959 . 51 ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Hilde u . Egon H ., Berlin, an Vorst . JGH, 22 .9 .1961 . 40 41

Wer zog in die hier untersuchten Altersheime?

In den für diese Studie untersuchten Einrichtungen stellten die „Rückwanderer“ schon bald den größten Anteil der Bewohner . Wie oben dargestellt, überwog bei ihnen eindeutig die Sehnsucht nach ihrer früheren Heimat52 gegenüber der Angst vor einem Leben im Land der Täter . Dabei spielte es bei älteren Menschen sicherlich eine Rolle, dass sie im Gegensatz zu ihren jüngeren Schicksalsgenossen nicht mehr vor der Herausforderung standen, sich eine Zukunft in Deutschland aufbauen zu müssen . Darüber hinaus besaßen die freiwillig zurückkehrenden Juden oft schon kurz nach Kriegsende ein erstaunlich großes Vertrauen in die sich neu konstituierende demokratische Ordnung der Bundesrepublik . Auch nach Überzeugung der jüdischen Gemeinde der Rheinpfalz würden Juden – mit Hilfe der durch die „jetzige Regierung“ erlassenen Gesetze – wieder als gleichwertige Bürger betrachtet und „unbelehrbare“ Personen „strafrechtlich“ verfolgt werden .53 Einem Bewerber gegenüber, der zwar die Rückkehr nach Deutschland anstrebte, sich aber vor der dort herrschenden antijüdischen Stimmung fürchtete, betonte die Gemeinde ebenfalls, „von einem Steigen des Antisemitismus in unserer Gegend“ bislang nichts erfahren zu haben.54 Wie am Beispiel dieses Heimbewerbers ersichtlich wird, bestanden – trotz aller Zuversicht – bei vielen „Rückwanderern“ große Ängste vor einer Wiedererstarkung antisemitischer Strömungen .55 Im Jahr 1948 war sich u . a . auch der aus Indien nach Deutschland remigrierte Mediziner Dr . L . sehr bewusst, „dass es mit allen möglichen Widrigkeiten verbunden ist, für uns Juden im alten Lande zu existieren“.56 Rund zehn Jahre später berichtete eine in London lebende Jüdin ebenfalls von ihrer Furcht, nach Deutschland zurückzugehen, „da ich dort […] meine ganze Familie verloren habe“ .57 Eine weitere aus England zurückgekehrte Christin jüdischer Herkunft schrieb noch fast 20 Jahre nach Kriegsende in ihrem Bewerbungsschreiben für das „Altersheim Heilsberg“: „Sollten es die Verhältnisse erlauben, möchte ich gerne in Deutschland bleiben.“58 Als sich ein christlich-jüdisches Ehepaar im selben Heim bewarb, erkundigte es sich bei der Heimleitung zudem explizit nach den Mit-

Zur Bedeutung der „Heimat“ für die nach Deutschland zurückkehrenden Juden vgl . Borch-Nitzling (2006), S . 71 ff ., 125 ff . Laut den Untersuchungen von Andreas Kruse und Erik Schmitt gehörte die Sehnsucht nach der „deutschen Heimat“ hingegen bei den Rückkehrern jüngeren Alters nicht zu den ausschlaggebenden Gründen für die Remigration: Kruse/Schmitt (2000), S . 226 ff . 53 ZAH, B . 1/40, Nr . 42: JKR an Victor M ., Florida, 8 .6 .1959 . Tatsächlich kam es 1959 in der Bundesrepublik zu einer Häufung antisemitischer Übergriffe, u . a . Schändungen jüdischer Friedhöfe: Fischer/Lorenz (2007), S . 85 f . Ein Gesetz, das Volksverhetzung als Straftat definierte, wurde nach jahrelangen Debatten schließlich im Sommer 1960 verabschiedet . Vgl . Fischer/Lorenz (2007), S . 71 . 54 ZAH, B . 1/40, Nr . 42: JKR an Victor M ., Florida, 8 .6 .1959 . 55 Vgl . Bergmann (2008), S . 31 f . 56 Dieses „Opfer“ wollte er „aber gern bringen, um den Seelenfrieden meiner Frau, den sie […] in 15 Jahren nicht gefunden hat, zu schaffen“: ZAH, B . 1/28, Nr . 117: Norbert W . an Julius D ., Düss ., 12 .9 .1948, S . 42 . 57 Aufgrund ihrer Sorge hatte sie bislang die Rückkehr – trotz ihrer Einsamkeit – immer wieder verschoben: ZAH, B . 1/5, Nr . 46: Clara C ., Lon ., an SD, 28 .6 .1959 . 58 LkAHN, B . 160, Nr . 11: Sara W ., Traunstein, an Ev . HW, Frankf ., 2 .7 .1963 . 52

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bewohnern bzw . danach, ob bei diesen antisemitische Ansichten beobachtet werden könnten .59 Da zwischen der Befreiung oder der Rückkehr nach Deutschland und der geplanten Auswanderung nicht selten mehrere Jahre vergingen, stellte der Aufenthalt in einem Altersheim für einige Juden lediglich eine Übergangslösung dar . Insbesondere für die Überlebenden der Konzentrationslager, die sich fast immer in einer schlechten körperlichen Verfassung befanden und häufig keine Angehörigen mehr besaßen, erwies sich eine vorübergehende stationäre Heimunterbringung oft als die einfachste Lösung . Nach ihrer Befreiung aus Theresienstadt wurde z . B . auch die 1866 geborene Bella B . vorerst im jüdischen Altersheim in der Hamburger Rothenbaumchaussee untergebracht .60 Zwei Jahre später, d . h . 1947, zog sie im hohen Alter von 80 Jahren zu ihrer Schwester nach London, wo sie 1949 verstarb .61 1962 entschloss sich nach langer Überlegung ebenfalls eine Bewohnerin der „Rosenau“, „zu meiner Familie zurückzugehen und das Altersheim zu verlassen“, obwohl sie sich dort „äußerst wohl“ gefühlt hätte .62 Einige Altersheimbewohner entschieden sich sogar noch Jahrzehnte nach Kriegsende für die Auswanderung, u . a . nach Israel .63 1963 nahm selbst eine schwer pflegebedürftige Heimbewohnerin die Strapazen einer Übersiedlung in die USA auf sich .64 Während sie dort jedoch von ihren Angehörigen versorgt werden konnte, hätte ihr in Deutschland die Verlegung in ein nichtjüdisches Krankenhaus bevorgestanden .65 Vereinzelt erhielten die jüdischen Heime auch Bewerbungen von Nichtjuden, die sich zumeist aber ganz bewusst für ein jüdisches Haus entschieden . 1951 war z . B . eine Adventistin fest davon überzeugt, dass ihre Mutter gut in einem jüdischen Altersheim untergebracht sein würde, zumal diese den Sabbat ebenso sehr heiligen und Schweinefleisch meiden würde wie die Juden .66 Darüber hinaus nahmen viele Altersheime in Ausnahmefällen nicht nur alte Menschen auf, sondern ebenfalls deren versorgungsbedürftige Kinder . Da z . B . der erst 49-jährige Heinz A . nach seiner Konzentrationslagerhaft als „seelisch schwer geschädigt“ galt und u . a . an einer „paranoiden Psychose“ litt, konnte er ohne seine gleichermaßen auf Betreuung angewiesene Mutter „nicht zurechtkommen“ .67 Um eine Trennung von Mutter und Sohn zu vermeiden, plädierte LkAHN, B . 160, Nr . 13: Erna B . an DW, 11 .11 .1961 . Frau B . und ihr 84-jähriger Ehemann waren im Juni 1943 in das KZ Theresienstadt deportiert worden, wo Herr B . bereits im Oktober gleichen Jahres verstorben war: Igla (2017) . 61 Igla (2017) . 62 ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Toni M . an SD, 15 .2 .1962 . 63 Z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Rosa B . an SD, 6 .8 .1966 . 64 ZAH, B . 1/40, Nr . 2: JKR an Toni B .-W ., Nancy, Frankr ., 4 .2 .1963; ZAH, B . 1/40, Nr . 2: Erika G ., 8 .6 .1959 bis 5 .2 .1963 . 65 ZAH, B . 1/40, Nr . 2: JKR an Toni B .-W ., Nancy, Frankr ., 4 .2 .1963; ZAH, B . 1/40, Nr . 2: Erika G ., 8 .6 .1959 bis 5 .2 .1963 . 66 ZAH, B . 1/5, Nr . 125: Katharina G . an SD, 18 .9 .1951 . 67 LkAHN, B . 160, Nr . 11: o . N . an HNGB, Bonn-Beuel, 3 .4 .1961; LkAHN, B . 160, Nr . 11: Erica L . an Bayr . Landesentschädigungsamt, Mü ., 7 .9 .1961 . 59 60

Wer zog in die hier untersuchten Altersheime?

die zuständige Fürsorgerin für eine gemeinsame Aufnahme .68 Eine ähnliche Situation bestand im Fall von Karl L ., der als „Mischling I. Grades“ während des Nationalsozialismus „allerlei Verfolgung erlitten“ und zehn Monate im Arbeitslager verbracht hatte .69 Aufgrund der daraus resultierenden psychischen und physischen Erkrankungen war er schließlich nicht mehr dazu fähig, alleine für sich zu sorgen, und zog daher zusammen mit seiner Mutter, die ihn auch weiterhin „etwas pflegen könnte“, in das „Altersheim Heilsberg“ .70 Aufgrund der großen Solidarität unter den jüdischen Überlebenden und der Beobachtung, dass sich insbesondere die aus dem Ausland zu Besuch kommenden Juden häufig nur in einer jüdischen Umgebung wirklich sicher fühlten, stellten alle jüdischen Altersheime zusätzliche Zimmer für auswärtige Gäste zur Verfügung . Genutzt wurden diese v . a . von Angehörigen der Heimbewohner, die aus dem In- und Ausland angereist waren .71 Unterkunft erhielten aber ebenfalls alle anderen Juden, die für eine begrenzte Zeit eine solche benötigten .72 Auch im „Altersheim Rosenau“ meldeten sich „ständig Interessenten, die als Gäste aufgenommen werden“ wollten .73 Beispielsweise lebte 1950 für drei Wochen eine Familie im Haus, die sich auf der „Durchreise nach Israel“ befand .74 Da die meisten Auswanderer Deutschland mit dem Schiff und somit über die großen Überseehäfen verließen, fungierte insbesondere das Altersheim in Bremen als vorübergehende Unterkunft für ausreisewillige Juden .75 Dass sich die Gastfreundschaft der jüdischen Heime aber nicht nur auf die unmittelbare Nachkriegszeit beschränkte, zeigte sich z . B . auch in Hannover, dessen jüdisches Altersheim Anfang 1973 insgesamt 34 Gäste beherbergte .76 Vor allem bei einer hohen Fluktuation der Gäste führte deren Anwesenheit zwangsläufig zu einer gewissen Unruhe im Haus, so u . a . 1950 im Altersheim der Düsseldorfer Gemeinde . Nach Aussage des Gemeindevorstands würde die „Rosenau“ jedoch „kein Erholungsheim für Gäste, die nur vorübergehend im Altersheim

LkAHN, B . 160, Nr . 11: Stadtgesundheitsamt Offenbach an Ev . HW Frankf ., 11 .4 .1961 . LkAHN, B . 160, Nr . 13: Karl L ., Frankf ., mit eidesstattlicher Versicherung, o . D . LkAHN, B . 160, Nr . 13: Karl L ., Frankf ., mit eidesstattlicher Versicherung, o . D . Z . B . ZAH, B . 1/6, Nr . 551: JAH an Vorst . JAH, 18 .8 .1962 . Auch in der Hausordnung der „Rosenau“ hieß es, dass „gegen den Empfang von Besuchern […] nichts einzuwenden“ wäre . Besucher, die im Heim essen und übernachten wollten, mussten jedoch zuvor der Heimleitung angekündigt werden: ZAH, B . 1/5, Nr . 124: HO, o . D . (ca . 1948–1952) . 1950 schrieb die Tochter eines Heimbewohners, nachdem sie ihren Urlaub in der „Rosenau“ verbracht hatte und dort „mit meinem geliebten Vater zusammen sein“ konnte, einen Dankesbrief an den Heimträger: ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Greta B . an Vorstand SD, 11 .11 .1950 . 72 Z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Vorst . SD an Rolf B ., 11 .4 .1950; ZAH, B . 1/6, Nr . 1420: JAH, Bewerbungen 1969–1986 . Waren alle Gästezimmer belegt, half die Heimleitung jedoch meist bei der Unterkunftssuche . So vermittelte auch das Neustädter Heim einem jüdischen Besucher ein Zimmer in einer nahe gelegenen Pension . Dabei wies sie jedoch explizit darauf hin, dass diese einen „deutschen“, d . h . nichtjüdischen Inhaber besitzen würde: ZAH, B . 1/40, Nr . 42: JAN an Rolf H ., 5 .3 .1964 . 73 ZAH, B . 1/5, Nr . 46: SD, 19 .4 .1961, betr . JAR . 74 ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Ber . betr . Heiminsassen u . Gästeverkehr im JAR, 12 .5 .1950 . 75 ZAH, B . 1/2, Nr . 251: Israelitische Gem . Bremen e . V . an Exekutive beim CCBZ, 4 .6 .1959, S . 20 . 76 ZAH, B . 1/6, Nr . 1112: PMV JAH, 14 .3 .1973, S . 1 . 68 69 70 71

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wohnen wollen“, sein . Folglich sollte in Zukunft nur noch Dauerpensionären Aufnahme gewährt werden, wobei die Länge des Verbleibens bei mindestens drei Monaten lag .77 Für Angehörige galten aber weiterhin flexible Aufenthaltszeiten . Zudem erfolgte selbst bei einer Vollbelegung des Hauses nur selten eine Ablehnung von Besuchern . Die Nichte einer Heimbewohnerin, die 1961 zum 85-jährigen Geburtstag ihrer Tante aus den Niederlanden angereist war, wurde für zwei Nächte sogar im Büro der Heimleiterin untergebracht .78 Ähnliche Vorgaben wie die „Rosenau“ besaß das Neustädter Altersheim, das über ein eigenes, an das Heimgebäude angrenzendes „Gästehaus“ verfügte .79 Obwohl die Heimleitung zu Anfang der 1960er Jahre für Gäste einen Mindestaufenthalt von vier Wochen vorsah,80 nahm das Heim im Ausnahmefall aber ebenfalls Menschen auf, die für lediglich eine Nacht bzw . wenige Tage eine Unterkunft benötigten81 – so 1964 im Fall eines 79-Jährigen, der zwar vorwiegend aufgrund eines Termins nach Neustadt reiste,82 zugleich aber sein Interesse an dem neu erbauten „berühmten“ jüdischen Altersheim bekundete, das er – in Hinblick auf einen späteren Einzug ohnehin – „schon lange […] kennenlernen“ wollte .83 Auch andere Interessenten nutzten vor ihrem endgültigen Heimeinzug die Möglichkeit eines vorübergehenden Aufenthalts „auf Probe“,84 was von den Heimleitungen ausdrücklich begrüßt wurde .85 1959 bat z . B . die in London lebende Clara C . darum, „für einige Wochen besuchsweise“ in der „Rosenau“ wohnen zu dürfen, da sie erst dann endgültig entscheiden könnte, „ob sie bleiben will“ .86 Den Status eines Gastes nahmen außerdem diejenigen „Rückwanderer“ ein, die zwar bereits im Heim wohnen durften, bis zum Wiedererlangen ihrer deutschen Staatsangehörigkeit aber noch keine offizielle Einzugsberechtigung besaßen .87 Umgekehrt kam es immer wieder vor, dass Heimbewohner – in Absprache mit der Leitung – das Heim für mehrere Wochen oder sogar Monate verließen, z . B . für einen

ZAH, B . 1/5, Nr . 21: SD an Jüd . Gem . Gelsenkirchen, 31 .8 .1950 . ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Rosa B . an SD, 24 .11 .1961 . ZAH, B . 1/40, Nr . 42: JKR an Rob F ., USA, 26 .9 .1965 . ZAH, B . 1/40, Nr . 42: JKR an Mariella G ., Berlin-Zehlendorf, 10 .2 .1961 . Z . B . ZAH, B . 1/40, Nr . 43: JKR an Marianne K ., Meran, 10 .5 .1966 . ZAH, B . 1/40, Nr . 42: RA Dr . Rolf H ., Mü ., an JAN, 26 .2 .1964 . ZAH, B . 1/40, Nr . 42: RA Dr . Rolf H ., Mü ., an JAN, 26 .2 .1964 . Vgl . u . a . ZAH, B . 1/5, Nr . 46: Clara C ., Lon ., an SD, 28 .6 .1959; ZAH, B . 1/40, Nr . 42: JAN an Anni B ., Buenos Aires, 1 .6 .1966 . 85 So auch die Heimleiterin der „Rosenau“: ZAH, B . 1/5, Nr . 46: SD an Alex R ., Brüssel, 28 .10 .1960 . 86 ZAH, B . 1/5, Nr . 44: SD an Meta D ., 27 .2 .1959 . 87 Dies betraf 1958 u . a . eine aus Frankreich zurückkehrende Bewerberin für das „Altersheim Rosenau“: ZAH, B . 1/5, Nr . 46: SD an Georg F ., Neuilly-sur-Seine, 4 .7 .1958 . 77 78 79 80 81 82 83 84

Bewerbungsmodalitäten

ärztlich empfohlenen Kuraufenthalt,88 eine Urlaubsreise oder einen Besuch bei ihren im In- und Ausland lebenden Angehörigen .89 5.2

Bewerbungsmodalitäten

Die Bewerbung auf einen Heimplatz erfolgte vorwiegend auf schriftlichem Weg, wobei sich die Interessenten meist in einem persönlichen Anschreiben an den Heimträger oder die Heimleitung wandten . Viele Menschen erfuhren durch Zeitungsberichte, z . B . in der regionalen Presse, von den neu errichteten Altersheimen für NS-Verfolgte .90 Auch die Heime rekrutierten neue Bewohner u . a . mit Hilfe von Inseraten, bevorzugt in den deutschsprachigen jüdischen Zeitungen, die sowohl im In- als auch im Ausland bezogen werden konnten .91 Darüber hinaus spielte die persönliche Information durch Freunde und Bekannte eine wichtige Rolle, insbesondere für die im Ausland lebenden Menschen .92 Erhebliche Hilfe bei der Vermittlung von Heimplätzen, der Bewerbung, der Einreise nach Deutschland sowie der Heimaufnahme leisteten die verschiedenen Hilfsorganisationen und Wohlfahrtsverbände, die jüdischen Gemeinden sowie die Hilfsstellen für die rassisch Verfolgten nichtjüdischen Glaubens .93 1964 übermittelte die „Evangelische Hilfsstelle für ehemals Rasseverfolgte“ z . B . der 52-jährigen Wilma R . die Adresse des „Altersheims Heilsberg“ .94 Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Frankfurter „Hilfsstelle für rassisch verfolgte Christen“ führten auf Wunsch sogar Hausbesuche durch, um den von ihnen betreuten Personen persönlich bei der Erstellung der Auf-

1950 plante z . B . auch eine Bewohnerin der „Rosenau“ einen vierwöchigen Aufenthalt in einem Kurhotel in Bad Nauheim . Wie alle rassisch Verfolgten erhielt sie von der Kurverwaltung 50 Prozent Ermäßigung auf die Kurkarte und alle Kurbäder: ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Jüd . Kurhotel, Bad Nauheim, an SD, 2 .8 .1950 . 89 Im Oktober 1958 befanden sich nach Aussage der Heimleiterin der „Rosenau“ z . B . „viele Damen im Urlaub“: ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Meta D . an Herta H ., 15 .10 .1958 . 1960 verbrachte eine Bewohnerin zwei Monate in Israel: ZAH, B .  1/5, Nr .  73: Vorlagen zur heutigen Sitzung der Rosenau-Kommission, 25 .10 .1960, S .  1 . Weitere Bewohner verließen das Heim für einen mehrwöchigen Kuraufenthalt: ZAH, B . 1/5, Nr . 46: Rosa B . an SD, 26 .9 .1960 . 90 Z . B . ZAH, B . 1/40, Nr . 330: „Im Zeichen der Brüderlichkeit . Das jüdische Altersheim wurde gestern feierlich eingeweiht“, in: Pfälzer Tageblatt, 30 .5 .1960; ZAH, B . 1/40, Nr . 330: „Kurzberichte der Woche“, in: AWJ, 10 .6 .1960 . 91 Im Sommer 1958 meldeten sich z . B . auf ein in der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland geschaltetes Inserat der Synagogengemeinde Düsseldorf etwa zwölf Bewerber für einen Heimplatz in der „Rosenau“: ZAH, B . 1/5, Nr . 44: SD an Henriette v . G ., Holland, 17 .7 .1958 . 92 Z . B . erfuhr das jüdische Ehepaar A . von Freunden von dem geplanten Altersheimneubau in Neustadt: ZAH, B . 1/40, Nr . 1: Fritz N ., Bad H ., an JKR, Neustadt, 15 .11 .1957 . Vgl . auch ZAH, B . 1/40, Nr . 42: Luise M ., New York, an JKR, 10 .1 .1969; ZAH, B . 1/40, Nr . 43: Raoul S . an JKR, 29 .9 .1969 . 93 Z . B . LkAHN, B . 160, Nr . 11: Dr . Siegfried L ., Kelkheim, an DW, EKHN, 1961 . 94 Frau W . bat kurz darauf im Heim um Aufnahme: LkAHN, B . 160, Nr . 11: Wilma R . an Ev . HW, Frankf ., 4 .2 .1964 . 88

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nahmeanträge zu helfen .95 Die jüdischen Heimanwärter wendeten sich häufig an die ZWST, von der sie z . B . die Anschriften der in Deutschland existierenden jüdischen Altersheime erhielten .96 In den 1960er Jahren stellten die meisten Heime bereits eigenes Informationsmaterial bereit . Den Interessenten für das jüdische Altersheim in Neustadt wurde neben einem „Hausprospekt“ zusätzlich ein Exemplar der Hausordnung sowie – allerdings nur zur Ansicht – ein Fotoalbum mit vielen Fotografien vom Heimgebäude und dessen Räumlichkeiten zugesandt .97 Darüber hinaus bestand in allen Einrichtungen die Möglichkeit einer vorherigen Besichtigung, z . B . in Form eines mehrwöchigen Probewohnens .98 Bedingt durch die vergleichsweise geringe Anzahl an Altersheimen für die Überlebenden jüdischen Glaubens bzw . jüdischer Herkunft waren diese Häuser häufig nicht nur voll belegt, sondern besaßen ebenfalls sehr lange Wartelisten .99 Teilweise mussten Bewerber mehrere Monate, z . T . sogar Jahre auf einen Heimplatz warten oder auch an andere Einrichtungen verwiesen werden .100 Aus diesem Grund bemühten sich viele Menschen schon früh um einen Platz im Altersheim . Insbesondere die im Ausland lebenden alten Menschen, die eine Rückkehr nach Deutschland planten, bewarben sich zumeist schon mehrere Monate vor ihrer endgültigen Übersiedlung .101 In einigen Einrichtungen konnten sich die Interessenten sogar schon vor Baubeginn, d . h . noch Jahre vor der Eröffnung, auf einer Liste vormerken lassen – so in den Altersheimen in Bad Vilbel und Neustadt, die schon drei Jahre vor ihrer Einweihung die ersten Anfragen erhielten . Die für das „Altersheim Heilsberg“ in Frage kommenden Personen wurden, wie bereits oben dargestellt, vorwiegend von den Hilfsstellen für rassisch Verfolgte nichtjüdischen Glaubens über den geplanten Heimbau informiert .102 Einige Interessenten ließen sich daraufhin zwar sofort auf die Bewerberliste setzen, wiesen jedoch zu diesem Zeitpunkt ein noch vergleichsweise niedriges Lebensalter auf oder waren noch berufstätig .103 Beispielsweise bat der 1911 geborene Detlev E . 1958, im Alter von

Z . B . LkAHN, B . 160, Nr . 48: Erica L . an Friedrich u . Sofie H ., Wies ., 20 .9 .1973 . Vgl . z . B . ZAH, B . 1/40, Nr . 2: Max T . an JKR, 7 .6 .1969; Koch (2018) . ZAH, B . 1/40, Nr . 2: Max T . an JKR, 23 .6 .1969; ZAH, B . 1/40, Nr . 43: JKR an Richard M ., 16 .6 .1969 . So auch im „Altersheim Rosenau“, im „Altersheim Heilsberg“ und im „Jüdischen Altersheim Hannover“: ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Vorlagen zur heutigen Sitzung der Rosenau-Kommission, 25 .10 .1960, S . 3; LkAHN, B . 160, Nr . 48: Erica L . an Friedrich u . Sofie H ., Wies ., 20 .9 .1973; ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Norbert P . an Harald S ., Berlin, 28 .9 .1961 . Die Möglichkeit eines „Probewohnens“ nutzten etwa Anwärter aus dem Ausland, z . B . ZAH, B . 1/40, Nr . 42: JKR an Anni B ., Buenos Aires, 1 .6 .1966 . 99 Dies betraf u . a . die „Rosenau“ und das Altersheim in Neustadt . Anfang 1953 war die „Rosenau“ z . B . „auf Monate voll belegt“: ZAH, B . 1/5, Nr . 124: SD an IM NRW, 5 .1 .1953 . Vgl . zu Neustadt ZAH, B . 1/40, Nr . 42: Heimleitung JAN an Leopold G ., 19 .11 .1964; ZAH, B . 1/40, Nr . 42: JKR an Luise M ., 12 .11 .1969 . 100 Z . B . ZAH, B . 1/40, Nr . 42: JKR an Wilhelmine Z ., 26 .9 .1962; ZAH, B . 1/5, Nr . 125: Krankenhausfürsorgerin, Hann ., Sozialamt, an JAR, 19 .8 .1958; ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an Sozialamt Hann ., 22 .8 .1958 . 101 LkAHN, B . 160, Nr . 11: Erica L . an Hedwig D ., New York, 28 .12 .1965 . 102 LkAHN, B . 160, Nr . 11: Liste v . mögl . Interessenten für AHH, 14 .7 .1961 . 103 LkAHN, B . 160, Nr . 11: Liste v . mögl . Interessenten für AHH, 14 .7 .1961 . 95 96 97 98

Bewerbungsmodalitäten

nur 47 Jahren, um eine Vormerkung im geplanten Altersheim in Bad Vilbel .104 Auch das jüdische Ehepaar N ., das seit seiner Rückkehr aus Bolivien vorübergehend in Bad Homburg eine Unterkunft gefunden hatte, bewarb sich bereits im November 1957 um ein „schönes Doppelzimmer“ im Neustädter Heim .105 Obwohl die Eröffnung ursprünglich im Jahr 1958 erfolgen sollte, verzögerte sich der Bau letztlich um zwei ganze Jahre . Somit erfolgte die Aufnahme der ersten Bewohner erst 1960 .106 Die seit längerer Zeit vorgemerkten Heimanwärter – darunter auch das oben genannte Ehepaar – mussten also wiederholt auf ein späteres Einzugsdatum vertröstet werden .107 Bewerber, deren Heimeintritt nicht länger herausgezögert werden sollte, wurden – wenn auf absehbare Zeit keine Aussicht auf ein freies Zimmer bestand – notfalls an ein anderes jüdisches oder auch nichtjüdisches Heim verwiesen .108 Viele Heimanwärter bewarben sich daher vorsichtshalber in mehreren Altersheimen . Auf diese Weise konnten sie zwar nicht über den Standort und den Träger bestimmen, zumindest aber ihre Chancen auf einen schnellstmöglichen Heimeinzug erhöhen . 1961 erteilte z . B . die jüdische Witwe eines Protestanten dem „Altersheim Heilsberg“ eine Absage, da sie mittlerweile im jüdischen Altersheim in Frankfurt einen Platz erhalten und sich dort gut eingelebt hätte .109 Gegen einen Umzug sprach zudem ihre Überzeugung, dass sie trotz der Ehe mit einem „evangelischen Mann“ „niemals“ dessen Glauben angenommen hätte und sich demzufolge in einem jüdischen Haus ohnehin besser aufgehoben fühlte als im christlich geführten Heilsberger Heim .110 Da sich einige Personen, die sich schon früh auf die Warteliste hatten setzen lassen, zum Zeitpunkt der Heimeröffnung bzw . bei Freiwerden eines Zimmers noch „zu jung“ für ein Altersheim fühlten, stellten sie ihre Bewerbung – zumindest vorerst – zurück .111 Gegen den Einzug entschieden sich ebenfalls Bewerber, die sich schließlich doch noch zur Auswanderung entschlossen oder sogar geheiratet hatten; wieder andere waren in ein anderes Heim gezogen oder bereits verstorben .112

LkAHN, B . 160, Nr . 11: Dr . Detlev E ., Frankf ., an HW EKHN, 6 .2 .1958 . ZAH, B . 1/40, Nr . 1: Fritz N ., Bad H ., an JKR, Neustadt, 15 .11 .1957 . ZAH, B . 1/40, Nr . 1: Josef L ., JKR, an Fritz N ., Bad H ., 26 .11 .1957 . ZAH, B . 1/40, Nr . 1: Josef L ., JKR, an Fritz N ., Bad H ., 26 .11 .1957; ZAH, B . 1/40, Nr . 1: Fritz N . an Josef L ., JKR, 21 .11 .1958; ZAH, B . 1/40, Nr . 1: Josef L ., JKR, an Fritz N ., Bad H ., 17 .3 .1959 . 108 Vgl . z . B . ZAH, B . 1/40, Nr . 43: JAN an Sara B ., Santiago de Chile, 30 .9 .1971 . 109 LkAHN, B . 160, Nr . 13: Louise G ., Frankf ., an DW Frankf ., 10 .3 .1961; LkAHN, B . 160, Nr . 13: Louise G ., Baden-Baden, an HW EKHN, 16 .11 .1961 . 110 LkAHN, B . 160, Nr . 13: Louise G ., Baden-Baden, an HW EKHN, 16 .11 .1961 . 111 LkAHN, B . 160, Nr . 47: AHH, verschiedene Antworten von Bewerbern, ab Anfang März 1961 . Z . B . LkAHN, B . 160, Nr . 11: Heinrich L . an HW EKHN, 16 .11 . o . J . Auch ein Bewerber-Ehepaar für das provisorische Neustädter Altersheim fühlte sich noch „viel zu rüstig“ für einen Heimeinzug: ZAH, B . 1/40, Nr . 42: Friedrich U ., Zweibrücken, an JKR, 2 .5 .1955 . 112 LkAHN, B . 160, Nr . 47: AHH, verschiedene Antworten von Bewerbern, ab Anfang März 1961 . Z . B . LkAHN, B . 160, Nr . 11: Heinrich L . an HW EKHN, 16 .11 . o . J . 104 105 106 107

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Die Altersheime für rassisch Verfolgte jüdischen Glaubens

5.3

Aufnahmebedingungen

Die Heimaufnahme war an bestimmte Bedingungen geknüpft, die sich – zumindest in Bezug auf die grundlegenden Aufnahmemodalitäten – in nahezu allen Einrichtungen in Deutschland sehr ähnlich gestalteten . So sollte bereits vor dem Einzug insbesondere die „Kostenübernahme […] geklärt sein“ .113 Zudem erforderte die Heimaufnahme die Vorlage eines aktuellen ärztlichen Attestes, das nicht nur die Notwendigkeit eines Heimaufenthalts befürwortete, sondern ebenfalls den Grad der Pflegebedürftigkeit dokumentierte .114 Lag eine hohe Pflegebedürftigkeit vor, konnte  – wie in vielen der hier untersuchten Heime – eine Aufnahme abgelehnt werden .115 Demzufolge mussten auch die Bewerber für das „Altersheim Rosenau“ ihre „nicht vorhandene Pflegebedürftigkeit“ durch ein ärztliches Attest bescheinigen lassen .116 Aus dem Ausland zurückkehrende Heimanwärter ließen sich häufig noch vor ihrer Einreise nach Deutschland, oft auch von einem deutschen oder deutschsprachigen Arzt, eine Bescheinigung über ihren Gesundheitszustand ausstellen .117 Darüber hinaus entschieden sich viele Heime für zusätzliche, auf die Bewohnerklientel zugeschnittene Aufnahmebedingungen . Dies traf in besonderem Maße auf Einrichtungen zu, die vorwiegend für Opfer des Nationalsozialismus errichtet worden waren . Beispielsweise sah ein Teil der jüdischen Altersheime – zumindest anfangs – die ausschließliche Aufnahme jüdischer Bewohner vor – so auch das Altersheim der Düsseldorfer Synagogengemeinde in Essen-Werden, das in den ersten Jahren selbst bei „Mischehepaaren“ keine Ausnahme machte, obwohl diese häufig in ähnlich starker Weise von Verfolgung und Diskriminierung betroffen waren .118 Folglich wurde 1948 ein in einer „Mischehe“ lebendes Ehepaar abgelehnt und an das jüdische Altersheim in Aachen verwiesen, das sich zu diesem Zeitpunkt allerdings noch im Bau befand .119 Der Heimträger, d . h . die Aachener jüdische Gemeinde, erklärte sich aber bereits vor der Eröffnung zur Aufnahme von „Mischehepaaren“ bereit . Auch gegenüber dem „Zentralkomitee in der britischen Zone“ äußerte sich der Gemeindevorstand durchaus kritisch über die häufig praktizierte alleinige Aufnahme jüdischer Heimbewohner, zumal 70 Prozent aller nichtjüdischen „Mischehenpartner“ „das Schicksal mit ihren jüdischen Vgl . dazu z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 44: SD an Hans M ., 4 .12 .1958 . Z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Dr . Bartolomeo R ., Lisboa, Ärztl . Zeugnis, 3 .1 .1959 . Von öffentlicher Unterstützung abhängigen Personen konnte ohne Attest sogar die Finanzierung des Heimplatzes verweigert werden: Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 121 . 115 Z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 44: SD an Vorst . JKR, o . D . (1961); ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an Sozialamt Hann ., 22 .8 .1958 . 116 Vgl . dazu Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 121–124; ZAH, B . 1/5, Nr . 21: SD an Jüd . Gem . Gelsenkirchen, 31 .8 .1950; ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Dr . Bartolomeo R ., Lisboa, Ärztl . Zeugnis, 3 .1 .1959 . 117 ZAH, B . 1/5, Nr . 46: Claude A ., Vichy, an SD, 6 .12 .1959 . 118 So wurden im „Altersheim Rosenau“ anfangs „ausschliesslich rassisch Verfolgte aufgenommen“, mit denen in diesem Fall Juden gemeint waren: ZAH, B . 1/5, Nr . 123: SD an IM NRW, 21 .12 .1949 . 119 ZAH, B . 1/5, Nr . 123: Meta D ., SD, an Celia F ., Lon ., 7 .4 .1948 . 113 114

Aufnahmebedingungen

Partnern geteilt“ hätten und es daher für „die Juden […] immer wieder ein peinliches Gefühl zu hören“ wäre, „dass den Partnern die Einweisung in ein jüdisches Altersheim verschlossen bleibt“ .120 Dieses Problem führte in vielen jüdischen Altersheimen zu Kontroversen . Unter anderem erklärte sich aber auch die „Rosenau“ Anfang der 1950er Jahre zur Aufnahme von „Mischehepaaren“ bereit .121 Der Einzug von Nichtjuden bzw . Christen, deren jüdischer Ehepartner bereits verstorben war, erfolgte aber aufgrund der noch immer tiefsitzenden Skepsis gegenüber der nichtjüdischen Bevölkerung weiterhin nur in wenigen Ausnahmen sowie erst nach intensiven Gesprächen mit dem Gemeindevorstand und der „Rosenau-Kommission“ .122 Unter anderem erhielt die christliche Witwe eines Juden Anfang 1951 eine Absage, da die „Rosenau“ aus Sicht des Heimträgers „ein ausgesprochen jüdisches Haus“ sein würde und daher „wohl Mischehepaare“, nicht aber deren verbliebene christliche Ehepartner allein aufgenommen werden könnten .123 Möglich war lediglich ein vorübergehender Aufenthalt als zahlender „Dauergast“ .124 Bereits wenige Monate später wurde schließlich jedoch sowohl „Mischehepaaren“ als auch den nichtjüdischen Ehepartnern verstorbener Juden dauerhafter Verbleib gewährt .125 1961 traf dies z . B . auf den 75-jährigen nichtjüdischen Witwer Sigmund M . zu, dessen jüdische Ehefrau 1945 bereits „krank“ aus Theresienstadt zurückgekehrt, nach einer vorübergehenden Besserung nun aber an einem Herzinfarkt verstorben war .126 Da Frau M . vor dem Krieg zu den Mitgliedern der Essener Kultusgemeinde gehört hatte und Herr M . sich „selbstverständlich“ den Gepflogenheiten des Altersheims anpassen wollte127 und sich zudem „während des Naziterrors vorbildlich gegenüber seiner Frau und ihrer Familie benommen“ hätte, stand seinem Einzug nichts entgegen .128 Die Frage nach der Aufnahme von nichtjüdischen Ehepartnern führte im jüdischen Altersheim in der Hamburger Rothenbaumchaussee zu ähnlichen Diskussionen und einer „sorgsamen Prüfung“ der betroffenen Personen .129 In anderen jüdischen Einrichtungen stießen Heimanwärter nichtjüdischer Religion auf weniger Hürden . Unter anderem konnten im Ende der 1940er Jahre eingerichteten jüdischen Altersheim in Aachen –

ZAH, B . 1/28, Nr . 245: Vorst . jüd . Gem . Aachen an CJC, Lübeck, 1948, S . 4 . ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an Berthold C ., Berlin-Grunewald, 7 .2 .1951 . ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an Dora W ., Rheidt, 19 .1 .1951 . ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an Berthold C ., Berlin-Grunewald, 7 .2 .1951 . ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an Dora W ., Rheidt, 19 .1 .1951 . ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an Katharina G ., Essen, 20 .9 .1951 . ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Sigmund M . an SD, o . D . (1961) . ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Sigmund M . an SD, o . D . (1961) . Darüber hinaus würde nach Aussage der Nichte der Einzug ihres Onkels in die „Rosenau“ auch dem Wunsch ihrer Tante entsprechen . Ergänzend schrieb Frau T . über Herrn M .: „Seine Loyalität zu unserer Familie, seine unermüdliche Sorge und Liebe für seine jüdische Frau während der langen Jahre ihrer Krankheit und seine untadelige Gesinnung und Integrität werden es sicher der jüdischen Gemeinde zur Ehrenpflicht machen, für meinen Onkel Daueraufnahme auf der Rosenau zu erwirken.“ ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Ruth Nancy T ., New York, an SD, 30 .11 .1961, S . 1 . 129 Lorenz (2002), S . 55 . 120 121 122 123 124 125 126 127 128

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Die Altersheime für rassisch Verfolgte jüdischen Glaubens

wie bereits erwähnt  – in beschränkter Anzahl auch „religiös und politisch“ Verfolgte nichtjüdischer Herkunft bzw . nichtjüdischen Glaubens Daueraufnahme beantragen .130 Im 1960 eröffneten jüdischen Altersheim in Neustadt erfolgte ebenfalls die Aufnahme von christlich-jüdischen Ehepaaren .131 Obwohl das 1961 eröffnete evangelische Altersheim für rassisch Verfolgte nichtjüdischen Glaubens in Bad Vilbel vorrangig Christen Unterkunft bot, wurden auch „Mischehepaare“, „Glaubensjuden“ sowie zu einem Drittel „Nicht-Verfolgte“ aufgenommen .132 Dabei gehörten Bewerber jüdischen Glaubens zur „zweiten Vorzugskategorie“, während Personen ohne Verfolgtenstatus nur dann einen Heimplatz erhielten, wenn dieser nicht an einen Bewerber aus der ersten oder zweiten „Vorzugskategorie“ vergeben werden konnte .133 Von dieser Regelung profitierten z . B . der „Glaubensjude“ Ludwig B . und seine evangelische Ehefrau, die 1962 ein Zimmer im „Altersheim Heilsberg“ bezogen .134 Zwar hatte das Ehepaar zuvor bereits eine Zusage von einem evangelischen Heim erhalten, forderte jedoch „als Verfolgte besonderen Schutz“ und daher Aufnahme in einem Haus für NS-Opfer .135 Aufgrund ihrer nichtjüdischen Abstammung zählte Frau B . nicht „zum Personenkreis der nach den Richtlinien des HNG-Fonds aufgenommenen Personen“,136 als Ehefrau eines Juden erhielt sie aber dennoch bevorzugte Aufnahme .137 Gleichermaßen Vorrang erhielten die verwitweten Partner rassisch verfolgter Christen . 1963 zog z . B . die „Glaubensjüdin“ Emmi U ., deren evangelischer, jüdischstämmiger Ehemann bereits verstorben war, in das Heim in Bad Vilbel .138 Dass Frau U . eine „ausreichende“ Pension erhielt und laut Aussage der für die Aufnahme zuständigen Fürsorgerin „in der Art sehr gut zu unseren gebildeten, geistig interessierten Damen“ passte, wirkte sich zusätzlich positiv auf ihre Aufnahmechancen aus .139 Im Haus lebten ebenfalls mehrere evangelische Witwen nichtjüdischer Herkunft, die mit einem „Volljuden“ verheiratet gewesen waren und somit zum Kreis der ehemals Verfolgten gezählt werden konnten .140 Darüber hinaus nahm das Altersheim bzw . das als Heimträger fungierende „Evangelische Hilfswerk“, wie oben erwähnt, „in den von uns selbst 130 Im Altersheim der jüdischen Gemeinde in Aachen erfolgte die Aufnahme unter folgenden Voraussetzungen: „Erholungsbedürftige und durch Kreissonderhilfsausschuß anerkannt rassisch, religiös und politisch Verfolgte können nach ärztlicher Untersuchung Erholung dort finden.“ ZAH, B . 1/28, Nr . 244: Alfred L ., Treuhänder Jüd . AH Aachen, Rundschreiben, Juni 1949 . 131 ZAH, B . 1/40, Nr . 42: JAN, betr . Aufnahme im JAN (Fragebogen), o . D . 132 LkAHN, B . 160, Nr . 12: Erica L . an Lukasgem . Frankf ., 8 .9 .1961; LkAHN, B . 160, Nr . 47: Belegung mit RV nicht jüd . Glaubens, 27 .9 .1962 . 133 LkAHN, B . 160, Nr . 11: Erica L . an Gregor N ., AHH, 13 .3 .1963; LkAHN, B . 160, Nr . 47: Belegung mit RV nicht jüd . Glaubens, 27 .9 .1962 .

134 LkAHN, B. 160, Nr. 13: Erica L. an RP, WB, Köln, 17.4.1962. 135 136 137 138 139 140

LkAHN, B . 160, Nr . 13: Erica L . an RP, WB, Köln, 17 .4 .1962 . LkAHN, B . 160, Nr . 13: RP, Köln, an HW EKHN, Frankf ., 17 .5 .1962 . LkAHN, B . 160, Nr . 13: Erica L . an RP, WB, Köln, 17 .4 .1962 . LkAHN, B . 160, Nr . 11: Erica L . an Gregor N ., AHH, 13 .3 .1963 . LkAHN, B . 160, Nr . 11: Erica L . an Gregor N ., AHH, 13 .3 .1963 . LkAHN, B . 160, Nr . 47: AHH: Liste d . unterzubringenden Personen, o . D .

Aufnahmebedingungen

finanzierten Betten auch Menschen auf, die nicht unter diesen mit Vorrang zu behandelnden Personenkreis fallen“ .141 Die Aufnahme von Bewohnern nichtjüdischen Glaubens bzw . nichtjüdischer Herkunft erfolgte in den untersuchten Einrichtungen zumeist nicht allein aus weltanschaulichen, sondern auch aus finanziellen Gründen . So wurden bestimmte staatliche Finanzierungshilfen nur in dem Fall gezahlt, wenn eine festgelegte Anzahl der Heimplätze an nichtjüdische Heimanwärter vergeben wurde . Beispielsweise erhielt das „Jüdische Altersheim Hannover“ ein Baudarlehen des niedersächsischen Lastenausgleichsamtes, dessen Zuständigkeit sich jedoch vorrangig auf die nichtjüdischen deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen beschränkte . Für das hannoversche Heim bestand daher die Verpflichtung, bei einer Unterbelegung mit jüdischen Bewohnern dem Lastenausgleichsamt „unverzüglich“ alle freien Plätze zu melden, damit eine Belegung der leeren Betten mit nichtjüdischen Flüchtlingen und anderen Bedürftigen erfolgen konnte .142 Mit der Erweiterung des ursprünglichen Aufnahmekreises verband sich für die Heimträger zudem die Hoffnung auf eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation . Das Heim in Hannover verzeichnete Anfang der 1970er Jahre bereits einen Leerstand von zehn Zimmern bzw . 13 Betten und somit einen monatlichen Einnahmeausfall von bis zu 8 .000 DM .143 Zur Verhinderung weiterer finanzieller Einbußen entschied sich der Heimvorstand schließlich für die Aufnahme nichtjüdischer Heimbewohner, zumal dies – wie oben erwähnt – ohnehin als Auflage des Lastenausgleichsamts in den Satzungen des Hauses festgeschrieben worden war .144 Der vermehrte Einzug von Personen ohne Verfolgtenstatus führte jedoch in den ursprünglich für NS-Opfer errichteten Heimen spätestens in den 1970er Jahren zu einer Veränderung der Bewohnerstruktur . Dabei verband sich mit der Aufnahme von Nichtverfolgten immer auch die Gefahr von Spannungen zwischen den Bewohnergruppen, z . B . in Form antisemitischer Anfeindungen gegenüber den im Haus lebenden Juden .145 Als sich z . B . auch das jüdische Altersheim in Hannover Anfang der 1970er Jahre zur Aufnahme von Nichtjuden verpflichtet fühlte, hielt es der Heimvorstand daher für selbstverständlich, dass „die Qualität der Aufzunehmenden vorher eingehend geprüft werden“ müsste .146 Um im „Altersheim Heilsberg“ ebenfalls eine Diskriminierung der rassisch Verfolgten zu verhindern, hieß es in einem Informationsblatt, das jedem Bewerber zugesandt wurde, explizit: „Wir nehmen auch einige Nicht-Verfolgte auf, deren innere Einstellung zu den Verfolgten jedoch positiv sein muss.“147 Anders als die oben genannten, LkAHN, B . 160, Nr . 12: Erica L . an Ludwig L ., Illinois, 20 .2 .1962 . ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Ber . über Gründung u . Status JAH, o . D .; ZAH, B . 1/6, Nr . 7: Ber . über Gründung u . Status JAH, o . D . 143 ZAH, B . 1/6, Nr . 1418: JAH, Protokoll Vorst .- u . Aufsichtsratssitzung, 5 .9 .1973 . 144 ZAH, B . 1/6, Nr . 1418: JAH, Protokoll Vorst .- u . Aufsichtsratssitzung, 5 .9 .1973 . 145 Vgl . zu dieser Problematik auch Rauber (2006), S . 163 . 146 ZAH, B . 1/6, Nr . 1418: JAH, Protokoll Vorst .- u . Aufsichtsratssitzung, 5 .9 .1973 . 147 LkAHN, B . 160, Nr . 12: Erica L ., Ev . HW, Frankf ., betr . Aufnahme im AHH, 13 .9 .1961 . 141 142

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Die Altersheime für rassisch Verfolgte jüdischen Glaubens

in dieser Studie näher untersuchten Einrichtungen bot das 1968 eröffnete Altersheim der Frankfurter „Henry und Emma Budge-Stiftung“ laut deren Satzung von 1920 ganz bewusst sowohl Juden als auch Christen Unterkunft .148 Bedingt durch die geringe Anzahl jüdischer Altersheime, die zudem nicht in allen Regionen bzw . Bundesländern in gleicher Anzahl zur Verfügung standen, erklärten sich die jüdischen Heimträger prinzipiell zur Aufnahme von Anwärtern aus der ganzen Bundesrepublik bereit . Da in den ersten Nachkriegsjahren z . B . auch in der Pfalz noch „kein jüdisches Altersheim“ existierte, zog eine aus Ludwigshafen stammende KZÜberlebende vorerst in das 1952 eröffnete jüdische Altersheim in Frankfurt, bemühte sich jedoch so schnell wie möglich um einen Wechsel in ihre Heimatregion .149 Häufig bevorzugten die Heimträger Bewerber aus dem näheren Umkreis bzw . Personen, die dort vor ihrer Deportation oder Flucht gelebt hatten . Auch das „Jüdische Altersheim Hannover“ diente der Aufnahme von „älteren Juden und deren Ehegatten“, die vorzugsweise aus Niedersachsen kommen sollten oder zumindest dort ihren aktuellen Wohnsitz besaßen .150 Das Heim in der Hamburger Rothenbaumchaussee gewährte ebenfalls bevorzugt Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde Hamburg Einzug, auswärtige Bewerber mussten sich daher „einer sorgsamen Prüfung“ durch den für die Aufnahme zuständigen Gemeindevorstand unterziehen .151 Seit Mitte 1947 beauftragte die Gemeinde sogar einen eigenen Wohlfahrtsausschuss mit der Auswahl der Bewerber .152 Ähnlich gestaltete sich die Situation im Altersheim der Synagogengemeinde Düsseldorf, der es „geboten“ schien, „dass zunächst unseren Gemeindemitgliedern, die durch ihre Gemeindesteuern zur Unterhaltung des Heims beitragen, der Vorzug gewährt wird“ .153 Bei der Aufnahme finanziell bedürftiger auswärtiger alter Menschen spielte es eine bedeutende Rolle, durch wen bzw . durch welche Institution der Heimaufenthalt finanziert werden sollte . Das jüdische Altersheim in Neustadt konnte z . B . beim zuständigen Fürsorgeamt „nur Fürsorgefälle anmelden“, die aus dem Gebiet von Rheinland-Pfalz stammten . Eine in München lebende und von der dortigen „Fürsorge“ betreute Interessentin erhielt demzufolge eine Absage .154 Obwohl die Heime für rassisch verfolgte Christen Bewerber aus dem gesamten Bundesgebiet akzeptierten, existierten für die Aufnahme strenge Bedingungen, die im Folgenden am Beispiel des „Altersheims

148 Gemäß der Satzung der 1920 ins Leben gerufenen Stiftung sollte das Heim zu jeweils 50 Prozent Juden und Christen Aufnahme bieten . Das nach Kriegsende eröffnete neue Heim verstand sich als Nachfolgerin des 1930 gegründeten „Henry und Emma Budge-Heims für alleinstehende alte Menschen“: Kingreen (2008), S . 142; Rauber (2006), S . 162 f . 149 ZAH, B . 1/40, Nr . 42: Minna B ., jüd . AH Frankf ., Gagernstr . 36, Zimmer 10, an JKR, 4 .11 .1953 . 150 ZAH, B . 1/6, Nr . 7: Ber . über Gründung u . Status JAH, o . D . 151 Wie bereits erwähnt, galt dies ebenfalls für die nichtjüdischen Ehepartner von „Mischehen“: Lorenz (2002), S . 55 . 152 Lorenz (2002), S . 55 . 153 ZAH, B . 1/5, Nr . 73: SD an Renate T ., New York, 28 .2 .1962 . 154 ZAH, B . 1/40, Nr . 42: ZWST, Frankf ., 4 .11 .1958 .

Aufnahmebedingungen

Heilsberg“ dargestellt werden . Um einen der für rassisch Verfolgte nichtjüdischen Glaubens vorbehaltenen Plätze zu erhalten, mussten alle Bewerber ihren „Berechtigtenstatus“ mit Hilfe verschiedener Dokumente belegen können .155 Außerdem verlangte der Heimträger eine kurze Schilderung der Verfolgungsgeschichte in schriftlicher Form .156 Zu den erforderlichen Dokumenten gehörten a) eine beglaubigte Fotokopie der Geburtsurkunde mit „Abstammungsnachweis“, b) eine beglaubigte Fotokopie der Taufurkunde, c) eine beglaubigte Fotokopie des Verfolgungsnachweises, d) ein ärztliches Attest, inklusive der Angabe, ob eine Diät eingehalten werden musste oder eine Pflegebedürftigkeit vorlag, e) „Angabe von Aktenzeichen des Wiedergutmachungsantrages; wann wurde er wo gestellt; mit welchem Resultat“; f) bei nicht ausreichendem Einkommen, bei dem ein Zuschussantrag zur Deckung der Pflegekosten durch den Heimträger notwendig werden würde, war eine beglaubigte Fotokopie einer monatlichen Einkommensbescheinigung vorzulegen .157 Bei Ehepaaren und den Ehepartnern von rassisch Verfolgten wurde zusätzlich eine Kopie der Heiratsurkunde eingefordert .158 Unterlagen zu Entschädigungsverfahren sowie Bescheinigungen über die Deportation bzw . die Konzentrationslagerhaft dienten ebenfalls als Beweis .159 Besaßen die Antragsteller nicht genug Unterlagen, durften sie ihre Verfolgungsgeschichte aber auch von einem Notar als eidesstattliche Erklärung ausfertigen und dem Heim zukommen lassen .160 Die Auswahl der Bewerber aus den Reihen der rassisch Verfolgten nichtjüdischer Religion lag jedoch nicht allein in der Befugnis der Heimleitung und des Heimträgers . Vielmehr mussten alle für die Aufnahme relevanten Dokumente zuvor an das „Hilfswerk für die von den Nürnberger Gesetzen Betroffenen nicht jüdischen Glaubens“ in Berlin-Charlottenburg gesendet werden . Erst nachdem das „Evangelische Hilfswerk“ die Unterlagen überprüft und den Bewerber für aufnahmeberechtigt erklärt hatte, war ein Heimeinzug möglich .161 Im Durchschnitt dauerte es etwa vier Wochen, bis die Genehmigung vorlag .162 Stand im Heim kein freier Platz zur Verfügung, konnten jedoch bis zum endgültigen Heimeintritt – der meist nur durch den Tod oder den Auszug eines Bewohners möglich wurde – oft weitere Monate verstreichen .163 Personen, die

LkAHN, B . 160, Nr . 12: HW EKHN, Frankf ., o . D . (ca . 1962) . LkAHN, B . 160, Nr . 47: Belegung mit RV nicht jüd . Glaubens, 27 .9 .1962 . LkAHN, B . 160, Nr . 12: HW EKHN, Frankf ., o . D . (ca . 1962) . Die vorherige Klärung der Finanzierung des Heimaufenthalts gehörte in allen Altersheimen zur Aufnahmeprozedur . Vgl . Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 111 . 158 Z . B . LkAHN, B . 160, Nr . 48: Erica L . an HWNGB, Berlin, 5 .10 .1973 . 159 Vgl . z . B . LkAHN, B .  160, Nr .  48: RP Köln, Bescheid, 26 .4 .1961; LkAHN, B .  160, Nr .  13: Erica L . an HNGB, Berlin-Charlottenburg, 25 .3 .1964; LkAHN, B .  160, Nr .  13: RP Wies ., Entschädigungsbehörde, 11 .3 .1957 . 160 LkAHN, B . 160, Nr . 11: Erica L . an Bertha S ., Zürich, 21 .5 .1964 . 161 Vgl . z . B . LkAHN, B . 160, Nr . 11: Erica L . an Hedwig D ., New York, 28 .12 .1965; LkAHN, B . 160, Nr . 48: Erica L . an Friedrich u . Sofie H ., Wies ., 20 .9 .1973 . 162 Z . B . LkAHN, B . 160, Nr . 11: Erica L . an Hedwig D ., New York, 28 .12 .1965 . 163 Vgl . z . B . LkAHN, B . 160, Nr . 11: Erica L . an Hedwig D ., New York, 28 .12 .1965 . 155 156 157

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Die Altersheime für rassisch Verfolgte jüdischen Glaubens

sich aus dem Ausland für einen Heimplatz bewarben, schickten die erforderlichen Papiere bereits vor bzw . nach ihrer Remigration an das Heim . Dabei erwies es sich als ratsam, sich bereits im jeweiligen Aufenthaltsland „bezüglich der zu erwartenden Heimkehr- bzw. Rückkehrerentschädigung der Wiedergutmachungsbehörden“ an das deutsche Konsulat sowie einen – bevorzugt jüdischen – Anwalt zu wenden .164 Ebenfalls musste schon im Vorfeld der Übersiedlung nach Deutschland geklärt werden, wie der Heimaufenthalt finanziert werden sollte bzw . welches Sozialamt die Zuständigkeit besaß .165 Da sowohl viele jüdische Altersheime als auch das evangelische „Altersheim Heilsberg“ erst mehrere Jahre oder Jahrzehnte nach dem Holocaust errichtet wurden und ihre Anzahl ohnehin gering ausfiel, fanden zahlreiche Juden bzw . rassisch Verfolgte vorerst in christlichen oder konfessionell unabhängigen Einrichtungen Unterkunft .166 Dort vermissten sie häufig jedoch das Zusammenleben mit anderen Schicksals- und Glaubensgenossen und bemühten sich daher so schnell wie möglich um einen Umzug in ein Heim für NS-Opfer .167 Während die kommunalen bzw . staatlichen Altersheime meist ohnehin Bewerbern aller Religionen offenstanden, erklärten sich auch einzelne christliche Altersheime, v . a . aus humanitären Beweggründen, explizit zur Aufnahme von Juden bereit .168 Diese Erfahrung machte Anfang der 1960er Jahre z . B . ein christlich-jüdisches Ehepaar, dem ein evangelisches Altersheim „liebevoll“ die Aufnahme angeboten hatte, „um an uns einem jüdischen Ehepaar ,gutzumachen‘, was die Nazis mörderisch 6 Millionen Juden angetan haben“ .169 Vielfach verband sich mit der Bereitschaft zur Aufnahme von Opfern des Nationalsozialismus aber primär die Aussicht auf staatliche finanzielle Zuschüsse . Im Gegenzug verpflichteten sich die begünstigten Heime jedoch zur Aufnahme einer gewissen Anzahl von rassisch Verfolgten .170 In den frühen 1960er Jahren wurde u . a . der Bau eines Hamburger Altersheims mit „wesentlichen Mitteln aus zweckgebundenen besonderen HilfsFonds“ finanziert .171 Als Aufnahmevoraussetzung galt auch hier der Nachweis rassischer Verfolgung sowie der nichtjüdische Glauben der Bewerber .172 Im gleichen Zeitraum

Z . B . LkAHN, B . 160, Nr . 47: Belegung mit RV nicht jüd . Glaubens, 27 .9 .1962 . Z . B . LkAHN, B . 160, Nr . 47: Belegung mit RV nicht jüd . Glaubens, 27 .9 .1962 . Mitte der 1950er Jahre zog z . B . auch eine Bewerberin für das kleine, provisorische Altersheim in Neustadt, in dem jedoch kein Platz zur Verfügung stand, schließlich in eine christliche Einrichtung: ZAH, B . 1/40, Nr . 42: Fanny P . an JKR, 3 .5 .1955 . 167 ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Dr . Fritz S ., Niederlande, 7 .5 .1964 . 168 LkAHN, B . 160, Nr . 48: Kopie aus: MNNGB, Ham ., Februar 1964 . 169 LkAHN, B . 160, Nr . 12: Ludwig L ., Chicago, an Erica L ., 12 .2 .1962 . 170 LkAHN, B . 160, Nr . 48: „Altersheime“, in: MNNGB, Ham ., Februar 1964, S . 2 . 171 Das Haus der „Stiftung Gast- und Krankenhaus“ in Hamburg-Poppenbüttel nahm daher eine „begrenzte Anzahl von Personen aus dem […] Kreis ehemaliger Verfolgter auf, zu denen übrigens auch solche gehören, die sich zu keiner Konfession bekennen“: LkAHN, B . 160, Nr . 48: „Altersheime“, in: MNNGB, Ham ., Februar 1964, S . 2 . 172 LkAHN, B . 160, Nr . 48: „Altersheime“, in: MNNGB, Ham ., Februar 1964, S . 2 . 164 165 166

Abnahme der Bewohnerzahlen

griff ebenfalls ein evangelischer Heimträger in Hannover bei der Errichtung eines neuen Altersheims auf einen Zuschuss des „Zentralverbands der durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen e . V .“ zurück .173 Einer Liste zufolge, die 1964 im Mitteilungsblatt der Notgemeinschaft der durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen veröffentlicht wurde, boten insgesamt 16 bundesdeutsche Altersheime rassisch verfolgten Christen bevorzugte Aufnahme . Zumeist handelte es sich um christliche Einrichtungen .174 5.4

Abnahme der Bewohnerzahlen

In einigen jüdischen Heimen kam es, wie schon erwähnt, in den 1960er Jahren zu einem stetigen Rückgang an Bewerbern . Beispielsweise war Mitte der 1960er Jahre die Belegung des hannoverschen Altersheims „dauernd schlecht und stark rückläufig“ .175 Lebten 1962 noch 32 Personen im Haus, zeigte sich drei Jahre später bereits eine Verringerung auf 23 Personen .176 Der Heimvorstand reagierte darauf mit unterschiedlichen Maßnahmen . Unter anderem versprach er sich durch den Einsatz gezielter Werbung in der jüdischen Presse – in Form von „Reklame“ mit „Bild“ – eine „bessere Belegung“ .177 Die trotz aller Bemühungen weiter sinkenden Bewohnerzahlen führten letztlich zu einem deutlichen Anstieg der Pflegekosten .178 Um jedoch den Heimbetrieb aufrechterhalten zu können, entschieden sich viele Heime zur Aufnahme von nichtjüdischen Bewerbern . Darunter befand sich Anfang der 1970er Jahre auch das hannoversche Heim, das z . B .  1973 acht Sterbefälle, aber keine jüdischen Bewerber mehr verzeichnete .179 Das 1972 eröffnete neue Altersheim der Düsseldorfer Synagogengemeinde stand – anders als die „Rosenau“ – auch allen nichtjüdischen Bewerbern offen .180 Bedingt durch das Ausbleiben jüdischer Bewohner erwies sich jedoch die Schließung von einzelnen Einrichtungen als unvermeidbar, zumal sich nicht alle jüdischen Heime zur Aufnahme von Nichtjuden bereit erklärten .181

Demzufolge musste die „Henriettenstiftung“ „Wohnungen oder Altersheimzimmer für 25 Personen von in d. R. über 60 Jahren aus dem Kreis der aus Gründen der Rasse, der Religion, Nationalität oder politischen Auffassung Verfolgten des nationalsozialistischen Regimes nichtjüdischen Glaubens zu den üblichen Aufnahmebedingungen zur Verfügung“ stellen: NHStAH, VVP 12, Nr . 61: ZNGB, 23 .12 .1963 . 174 LkAHN, B . 160, Nr . 48: „Altersheime“, in: MNNGB, Ham ., Februar 1964, S . 2 . 175 ZAH, B . 1/6, Nr . 551: TB JAH für 1965 . 176 ZAH, B . 1/6, Nr . 551: TB JAH für 1965 . 177 ZAH, B . 1/6, Nr . 709: PMV JAH, 23 .2 .1966 . 178 So stiegen die Selbstkosten im Zeitraum 1962–1965 von 13,31 DM auf 17,81 DM: ZAH, B . 1/6, Nr . 551: TB JAH für 1965 . 179 ZAH, B . 1/6, Nr . 1112: PMV Verein „JAH e . V .“, 27 .3 .1974 . 180 ZAH, B . 1/5, Nr . 440: SD an Ausgleichsamt Essen, 4 .12 .1972, S . 2 . Auch das 1974 eröffnete neue Altenzentrum in Frankfurt stand Nichtjuden offen: Piro-Klein (2019), S . 7 . 181 Das Altersheim in Neustadt wurde 1987 geschlossen, da es nur noch über acht Bewohner verfügte: Kukatzki (1997), S . 69 . 173

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Die Altersheime für rassisch Verfolgte jüdischen Glaubens

Eine gleichermaßen sukzessive Verringerung der Bewerber aus den Reihen der rassisch verfolgten Christen konnte im „Altersheim Heilsberg“ beobachtet werden . Schon 1962, d . h . ein Jahr nach der Eröffnung, verzeichnete das Haus, das insgesamt über 93 Plätze verfügte,182 von denen 59 den von den Nürnberger Gesetzen Betroffenen nichtjüdischen Glaubens vorbehalten waren, „nicht mehr genug Anmeldungen dieser Art“ .183 Im September 1962 versorgte das Heilsberger Altersheim sogar nur noch 18 alte Menschen jüdischer Herkunft .184 Da demzufolge zur längerfristigen Finanzierung des Heimbetriebs vermehrt Bewerber ohne Verfolgtenstatus aufgenommen werden mussten, wurden 32 Betten „zur Belegung mit Nicht-Verfolgten freigegeben“ .185 Nach diesen Plätzen herrschte jedoch – bedingt durch den allgemeinen Mangel an Altersheimplätzen – innerhalb kurzer Zeit bereits eine so große Nachfrage, dass das Haus durch „Voranmeldungen Nicht-Verfolgter auf 10 Jahre belegt“ war .186 Um allzu langen Wartezeiten in Zukunft entgegenzuwirken, plante der Heimträger sogar einen Neubau mit weiteren 50 Betten .187 Die Anzahl der Heimbewohner mit Verfolgungshintergrund verringerte sich in den 1970er Jahren hingegen noch weiter . Beispielsweise lebten 1976, d . h . 15 Jahre nach der Eröffnung des neuen Hauses, lediglich elf rassisch verfolgte Christen sowie zwei „Glaubensjuden“ im „Alters- und Wohnheim Heilsberg“, das zu dieser Zeit insgesamt 205 Personen versorgte .188 Zwei Jahre später verzeichneten Heim und Wohnheim sogar nur noch acht rassisch verfolgte Christen und zwei Juden .189

LkAHN, B . 160, Nr . 13: Erica L an Erna B ., 17 .11 .1961 . LkAHN, B . 160, Nr . 13: Erica L . an RP, WB, Köln, 1 .4 .1962 . LkAHN, B . 160, Nr . 47: Belegung mit RV nicht jüd . Glaubens, 27 .9 .1962 . 1964 versorgte das Heim weiterhin 18 rassisch Verfolgte, und zwar 16 Christen und zwei „Glaubensjuden“: LkAHN, B . 160, Nr . 47: Erica L ., HNGB, an Allg . Treuhandorganisation, Berlin, 7 .4 .1965 . 185 LkAHN, B . 160, Nr . 47: Belegung mit RV nicht jüd . Glaubens, 27 .9 .1962 . 186 LkAHN, B . 160, Nr . 11: Erica L . an Hedwig D ., New York, 28 .12 .1965 . 187 LkAHN, B . 160, Nr . 47: Erica L ., HNGB, an Allg . Treuhandorganisation, Berlin, 7 .4 .1965 . 188 LkAHN, B . 160, Nr . 47: GDHN, Darm ., an HWNGB, Berlin, 1 .2 .1977 . 189 LkAHN, B . 160, Nr . 46: GDHN, Darm ., an HWNGB, Berlin, 1 .2 .1979 . 182 183 184

6.

Die Heimbewohner

6.1

Die Alterszusammensetzung der Heimbewohner

Das Alter der nach Kriegsende in Deutschland verbleibenden deutschen Juden war – auch im Vergleich zur Gesamtbevölkerung1  – recht hoch,2 zumal sich die jüngeren Überlebenden großteils zur Auswanderung entschlossen . Auch unter den insgesamt etwa 810 erwachsenen Mitgliedern aller jüdischen Gemeinden in Niedersachsen befanden sich in den frühen 1950er Jahren fast 200 über 60-Jährige .3 Allein in Hannover belief sich das Durchschnittsalter der Gemeindemitglieder 1950 auf ca . 55 Jahre .4 Drei Jahre später waren 40 Prozent der hannoverschen Juden bereits im Alter von über 60 Jahren, genauer gesagt 71 61- bis 70-Jährige, 18 71- bis 80-Jährige und sogar elf über 80-Jährige .5 Im Vergleich dazu lag der Anteil der über 65-jährigen Bevölkerung in Hannover und auch im gesamten Bundesgebiet im selben Jahr mit etwas über zehn Prozent wesentlich niedriger .6 Zwischen 1953 und 1963, d . h . innerhalb von zehn Jahren, stieg er aber um fast fünf Prozent und lag am Ende dieser Zeitspanne bei etwa 15 Prozent .7 Auch die Mitglieder der Hamburger jüdischen Gemeinde wiesen ein ver-

1950 lag der Anteil „alter Menschen“ bei etwa zehn Prozent: Depuhl (1956), S . 48 . Kugelmann (1992), S . 349 f .; Tauber (1998), S . 100 . In Frankfurt am Main waren sogar nur 50 von insgesamt etwa 650 Überlebenden im Alter von unter 40 Jahren: Tauber (2008), S . 98 . Zur Altersstruktur der Bundesrepublik: https://service .destatis .de/bevoelkerungspyramide/index .html#!y=1950&a=20,65&v=2&g . Zur demographischen Entwicklung z . B . Imhof (1981) . 3 ZAH, B . 1/6, Nr . 176: Statistische Liste LV Nds ., Stichtag 10 .7 .1952 . 4 ZAH, B . 1/28, Nr . 242: JGH an CJC, Gem .-Abteilung, Lübeck, 14 .4 .1950 . 5 ZAH, B . 1/6, Nr . 176: Statistik über altersmäßige Zusammensetzung Mitgl . JGH, 10 .1 .1953; Quast (2001), S . 79 f ., 91, 159; Quast (1997), S . 71 . 6 SAH, Akz . 24/2000, Nr . 39: Städt . Verwaltungsdir . Keese, 18 .3 .1964: Planung v . Altenwohn- u . Altenheimen, S . 4 . Zur Bundesrepublik: https://service .destatis .de/bevoelkerungspyramide/index .html#!y=1950& a=20,65&v=2&g . 7 SAH, Akz . 24/2000, Nr . 39: Städt . Verwaltungsdir . Keese, 18 .3 .1964: Planung v . Altenwohn- u . Altenheimen, S . 4 . 1 2

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Die Heimbewohner

gleichsweise hohes Alter auf . So lag der Anteil der über 56-Jährigen in den 1950er und 1960er Jahren bei etwa 40 Prozent .8 Wie bereits erläutert, setzte sich die Gruppe der deutschen Juden einerseits aus den Überlebenden der Konzentrationslager und andererseits aus Personen zusammen, die im Untergrund, in einer „Mischehe“ oder im Ausland ihrer Ermordung entkommen waren .9 Unter den ehemaligen Häftlingen der Vernichtungslager waren nur sehr wenige ältere Menschen; wesentlich höher fiel hingegen deren Anteil bei denjenigen Juden aus, die aus den KZs Theresienstadt oder Gurs zurückgekehrt waren .10 Eine Bewohnerin des „Altersheims Rosenau“ feierte nach „jahrelangem“ Aufenthalt in Theresienstadt 1948 ihren 80 . Geburtstag .11 Unter den jüdischen „Rückwanderern“ befanden sich ebenfalls zahlreiche hochaltrige Personen . Auch die Bewohner der in dieser Studie im Fokus stehenden jüdischen Altersheime besaßen ein auffallend hohes Durchschnittsalter, das nicht niedriger lag als in anderen, d . h . nicht von NS-Opfern bewohnten Einrichtungen .12 Beispielsweise wiesen die Bewohner des jüdischen Altersheims in der Hamburger Rothenbaumchaussee in den späten 1940er Jahren ein Alter zwischen 65 und 85 Jahren auf .13 In der „Rosenau“ lebten im Oktober 1949 und Anfang Januar 1953 gleichfalls ausschließlich über 65-Jährige .14 1958 verzeichnete das Heim zwar zwei Bewohner im Alter von unter 65 Jahren; alle übrigen 26 Personen besaßen aber ein höheres Alter .15 Mehrere im Haus lebende Frauen feierten während ihres Heimaufenthalts bereits ihren 85 . oder 90 . Geburtstag .16 Die älteste – in den untersuchten Quellen genannte – Bewohnerin beging im Herbst 1964 sogar ihren 95 . Geburtstag .17 Obwohl das Neustädter Heim ebenfalls mehrere unter 60-Jährige verzeichnete, stellten die

Büttner (1997), S . 79 . Im Vergleich dazu lag Anfang der 1970er Jahre der Gesamtanteil der über 65-Jährigen in der Bundesrepublik bei etwa 17 Prozent: Lehr (1972), S . 197 . 9 Nicht wenige waren erst nach ihrer Befreiung aus dem Lager ausgewandert . Vgl . z . B . ZAH, B . 1/40, Nr . 1: Fritz N ., Bad H ., an JKR, 15 .11 .1957; ZAH, B . 1/40, Nr . 43: ZWST an JKR, 1 .4 .1957; ZAH, B . 1/40, Nr . 43: Raoul S . an JKR, 29 .9 .1969 . 10 Vgl . z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 125: Friedrich S ., Gelsenkirchen, an SD, 12 .6 .1951; ZAH, B . 1/5, Nr . 34 b: Hanna R . an Am . Consulate General, Bremen, 19 .6 .1950; ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Henriette K ., Duisburg, an JGH, 25 .10 .1964 . 11 ZAH, B . 1/5, Nr . 123: LV jüd . Gem . in NRW an Sozialmin . Düss ., 14 .9 .1948 . Eine weitere KZ-Überlebende feierte 1950 in der „Rosenau“ ihren 77 . Geburtstag: ZAH, B . 1/5, Nr . 34 c: IM NRW, Amt für Wiedergutmachung, an Hanna R ., JAR, 11 .3 .1950 . 12 Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 207 ff . Lediglich in den Altersheimen für „heimatlose Ausländer“ wiesen die Bewohner z . T . ein niedrigeres Durchschnittsalter auf: Grabe (2020), S . 92 f . Zur steigenden Lebenserwartung der deutschen Bevölkerung vgl . u . a . Irmak (2002), S . 42 ff .; Moses (2005), S . 56 f . Vgl . dazu auch Imhof (1981) . 13 ZAH, B . 1/28, Nr . 126: Norbert W . an John M . c/o WJC, Lon ., 6 .7 . (ca . 1947), S . 227 . 14 ZAH, B . 1/5, Nr . 123: SD an IM NRW, 20 .10 .1949; ZAH, B . 1/5, Nr . 124: SD an IM NRW, 5 .1 .1953 . 15 ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Erhebungsbogen für soziale Einrichtungen, 30 .9 .1958 . 16 Z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 73: SD an Ursel S ., JAR, 28 .1 .1963: Glückwunsch zum 90 . Geburtstag . 17 ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Rosa B . an SD, 22 .9 .1964 . 8

Die Alterszusammensetzung der Heimbewohner

über 80-jährigen Bewohner aber auch hier einen großen Anteil .18 Zudem erfolgte die Aufnahme von Personen in einem Alter von unter 60 Jahren nur in Ausnahmefällen .19 Hoch lag jedoch nicht nur das Alter der schon länger in einem Heim lebenden Menschen, auch die Neuzugänge waren beim Einzug oft bereits über 70 oder 80 Jahre alt .20 Selbst ein 91-Jähriger und seine 84-jährige Ehefrau planten nach jahrelangem Exil in Portugal trotz ihres hohen Alters im Jahr 1958 eine Rückkehr nach Deutschland und baten daher um Aufnahme in der „Rosenau“ .21 Gleichermaßen hoch lag das Durchschnittsalter der Bewohner . Im Sommer 1948, d . h . wenige Monate nach der Heimeröffnung, betrug der Altersdurchschnitt der elf im Haus aufgenommenen Menschen 73 Jahre,22 zwei Jahre später etwa 70 Jahre23 und 1962 sogar bereits über 80 Jahre .24 Da auch psychische Traumata sowie lang andauernder Stress den Alterungsprozess forcieren und somit eine vorzeitige Pflegebedürftigkeit herbeiführen können,25 begaben sich viele NS-Opfer bereits als weit unter 60-Jährige in stationäre Heimbetreuung .26 Im „Altersheim Rosenau“ bewarb sich 1953 z . B . die in Israel lebende 56-jährige Betty A ., die als psychisch und physisch „zart“ beschrieben wurde und sich daher dem „Einwandererschicksal“ nicht mehr gewachsen fühlte .27 Im gleichen Jahr bemühte sich ein erst 45-jähriger KZ-Überlebender, der vorerst im jüdischen Altersheim in Frankfurt untergekommen war, um einen Wechsel nach Neustadt .28 1962 lebten im Neustädter Heim sogar mehrere unter 60-Jährige .29 Im Altersheim für rassisch verfolgte Christen in Bad Vilbel bewarben sich ebenfalls vergleichsweise viele Menschen unter 65 Jahren; einige waren z . B . erst 48 oder sogar 41 Jahre alt .30 Da sich viele aber letztlich doch erst in einem höheren Alter, d . h . mehrere Jahre nach ihrer Bewerbung, für den Heimeinzug entschieden, lag das Alter der im Haus lebenden Menschen Mitte der 1960er Jahre zwischen 62 und 88 Jahren .31 ZAH, B . 1/40, Nr . 47: JKR, o . D . (1962) . Demzufolge galt auch der 58-jährige Peter S . als „zu jung“ für das Altersheim . Stattdessen wurde ihm vom Heimträger, d . h . der jüdischen Kultusgemeinde, die Stelle des Kantors im Heim angeboten: ZAH, B . 1/40, Nr . 43: JAN an Peter S ., Lon ., 8 .7 .1965 . 20 Z . B . zog 1964 eine 79-Jährige ins Heim: ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Rosa B . an SD, 11 .5 .1964 . Eine Bewerberin aus dem Ausland besaß 1960 ein Alter von 80 Jahren: ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Vorlagen zur heutigen Sitzung d . Rosenau-Kommission, 25 .10 .1960 . 21 ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Hans M ., Lissabon, an SD, 27 .11 .1958 . 22 Der jüngste Bewohner besaß ein Alter von 64 Jahren, der älteste war 83 Jahre alt: ZAH, B . 1/5, Nr . 123: SD an jüd . Gem . Essen, 15 .7 .1948 . 23 ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Ber . über Bes . u . Bespr . im JAR, 27 .7 .1950 . 24 ZAH, B . 1/5, Nr . 73: SD an Dir . Landschaftsverb . Rheinl ., LF, Köln-Deutz, 20 .3 .1962 . 25 Vgl . u . a . Meis (1956), S . 43 f . 26 Vgl . z . B . ZAH, B . 1/40, Nr . 42: Minna B ., jüd . AH Frankf ., Gagernstr . 36, Zimmer 10, an JKR, 4 .11 .1953 . 27 ZAH, B . 1/5, Nr . 124: Ev . Kreisdekanat Nordbaden, Heidelberg, an SD, 27 .11 .1953 . 28 Das provisorische jüdische Altersheim in Neustadt in der Pfalz wurde Mitte der 1950er Jahre eingerichtet: ZAH, B . 1/40, Nr . 42: Minna B ., jüd . AH Frankf ., Gagernstr . 36, Zimmer 10, an JKR, 4 .11 .1953 . 29 ZAH, B . 1/40, Nr . 47: JKR, o . D . (1962) . 30 LkAHN, B . 160, Nr . 11: Liste v . mögl . Interessenten für d . AHH, 14 .7 .1961 . 31 LkAHN, B . 160, Nr . 47: Erica L ., HNGB, an Allg . Treuhandorganisation, Berlin, 7 .4 .1965 . 18 19

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Die Heimbewohner

6.2

Geschlechterverhältnis

Während viele Altersheime in Deutschland ausschließlich Frauen oder Männer aufnahmen,32 standen die sich hier im Mittelpunkt befindenden Einrichtungen allen Geschlechtern offen . Da Frauen im Durchschnitt eine höhere Lebenserwartung als Männer aufweisen, stellten sie innerhalb des Untersuchungszeitraums nicht nur den größeren Anteil der über 60-jährigen Gesamtbevölkerung, sondern auch den Großteil der in einem Altersheim lebenden Menschen .33 Die „Feminisierung“ des Alters zeigte sich in den untersuchten Heimen, die v . a . alleinstehende, verwitwete Frauen versorgten, ebenfalls in sehr deutlicher Weise .34 Beispielsweise entschieden sich viele im ausländischen Exil lebende Jüdinnen, die nach dem Tod ihrer Ehemänner auf sich allein gestellt waren, für einen Lebensabend in einem deutschen Altersheim . Demzufolge verzeichnete u . a . auch das „Altersheim Rosenau“ weitaus mehr Bewohnerinnen als Bewohner .35 1952 lebten z . B . acht Männer und 23 Frauen im Heim .36 Sechs Jahre lang blieb die Anzahl der Frauen nahezu gleich, wohingegen sich die Zahl der Männer auf fünf reduzierte .37 Anfang der 1960er Jahre standen den 17 Bewohnerinnen sogar nur noch zwei Bewohner gegenüber .38 Dieselbe Anzahl an Männern verzeichnete 1963 das Altersheim in Hannover, dessen übrige Plätze mit 26 Frauen belegt waren .39 Im jüdischen Altersheim in Neustadt betrug der Anteil der Männer – zumindest in den frühen 1960er Jahren, d . h . kurz nach der Eröffnung – hingegen etwa 50 Prozent .40 Unter den ehemals rassisch Verfolgten nichtjüdischen Glaubens und den jüdischen „Mischehepartnern“ befanden sich aus den oben genannten Gründen ebenfalls mehr Frauen als Männer, darunter viele Witwen .41 Zudem hatten, wie schon beschrieben, für die erst spät nach Theresienstadt deportierten und in einer „Mischehe“ – insbesondere in einer „privilegierten Mischehe“ – lebenden Frauen jüdischer Herkunft bessere Über-

Z . B . nahmen zahlreiche deutsche Altersheime ausschließlich Frauen auf . Ebenfalls existierten sowohl Einrichtungen für die gebildeten, „bürgerlichen“ Sozialschichten als auch Häuser für die „unteren“ Sozialschichten . Vgl . dazu Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 110 f ., 213 ff . 33 Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 210 . Zudem zogen verheiratete Männer, da sie meist von ihren Ehefrauen gepflegt wurden, gemeinhin später in ein Heim als ihre unverheirateten Geschlechtsgenossen . Vgl . dazu Voges/Zinke (2010), S . 307 . 34 Vgl . zur „Feminisierung“ des Alters u . a . Woltereck (1956), S . 75; Lohmann: Ältere Menschen (1970), S . 306; Tews (1993), S . 24 ff . 35 ZAH, B . 1/5, Nr . 123: Liste: Insassen JAR, 28 .9 .1949 . 36 ZAH, B . 1/5, Nr . 124: Aufstellung Insassen JAR, Okt . 1952 . 37 ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Erhebungsbogen für soziale Einrichtungen, 30 .9 .1958 . 38 ZAH, B . 1/5, Nr . 46: o . N ., o . D . (ca . 1961) . 39 ZAH, B . 1/6, Nr . 552: JAH, Liste Pensionspreise Heimbew ., Stand 25 .10 .1963 . 40 ZAH, B . 1/40, Nr . 225: Liste mit Bewohner JAN, o . D . (1960/61) . 41 Schäfer-Richter (2009), S . 253 . 32

Gesundheitszustand der Heimbewohner

lebenschancen bestanden als für männliche jüdische Häftlinge .42 Demzufolge enthielt die Liste der im „Altersheim Heilsberg“ „unterzubringenden Personen“ Anfang der 1960er Jahre die Namen von 46 Frauen und nur 17 Männern .43 Unter anderem lebte die verwitwete „getaufte Jüdin“ Victoria K . im Haus, deren „arischem“ Ehemann es gelungen war, seine Frau „vor Verfolgung zu schützen“ .44 Im Heim fanden darüber hinaus Jüdinnen bzw . Christinnen jüdischer Herkunft Aufnahme, die sich während des Nationalsozialismus zwangsweise oder freiwillig von ihren nichtjüdischen Ehemännern hatten scheiden lassen . So schrieb eine Bewohnerin: „1935 drohte der Stellungsverlust meines Mannes durch seine Ehe mit mir […] Die Belastung die durch mich in die Ehe gekommen war, veranlasste mich, eine Scheidung vorzuschlagen, die 1935 ausgesprochen wurde.“45 6.3

Gesundheitszustand der Heimbewohner

Viele Überlebende der nationalsozialistischen Verfolgung litten unter körperlichen und psychischen Beschwerden .46 Insbesondere der Gesundheitszustand der ehemaligen KZ-Häftlinge fiel extrem schlecht aus .47 Neben akuten Infektionserkrankungen, Tuberkulose sowie Unter- und Mangelernährung gehörten Herzschwäche, Bluthochdruck oder Magengeschwüre zu den häufig diagnostizierten Beschwerden . Hinzu kamen psychische und kognitive Probleme wie ein gestörtes Erinnerungsvermögen, Ruhelosigkeit, verminderte Konzentrationsfähigkeit, Überempfindlichkeit sowie depressive Phasen und Apathie .48 Zahlreiche Häftlinge bedurften daher in den ersten Wochen und Monaten nach ihrer Befreiung einer stationären, medizinisch überwachten Betreuung bzw . einer langen Phase der Rekonvaleszenz .49 Dies betraf insbeson-

Schäfer-Richter (2009), S . 124 . Auch waren ältere Frauen – wie schon erwähnt – meist nicht mehr zur Zwangsarbeit herangezogen worden: Schäfer-Richter (2009), S . 255; LkAHN, B . 160, Nr . 13: Notiz, betr . Hanna L ., o . D . 43 LkAHN, B . 160, Nr . 47: HW EKHN, o . D . (Anfang 1960er Jahre), Liste d . unterzubringenden Personen . 44 LkAHN, B . 160, Nr . 11: AHH an Heinrich L ., 27 .6 .1961 . 45 Nachdem Frau W . „zwei Haussuchungen der Gestapo“ erlebt hatte, entschloss sie sich 1939 „unter wachsender Angst“, einem Angebot der Quäker zu folgen und zu einem älteren Ehepaar in England als Gesellschafterin zu ziehen: LkAHN, B . 160, Nr . 46: Claire Betty W ., 6 .5 .1980 . 46 Vgl . dazu u . a . Eitinger/Krell/Rieck (1985); Lavsky (1997), S . 206 . 47 Dietrich (1998), S . 61 f . Aufgrund verfolgungsbedingter Gesundheitsschäden fiel z . B . auch der Anteil der Rentenempfänger in den jüdischen Gemeinden sehr hoch aus . 1952 bezogen z . B . ca . 267 Mitglieder der niedersächsischen jüdischen Gemeinden eine Rente: ZAH, B . 1/6, Nr . 176: Statistische Liste LV Nds ., Stichtag 10 .7 .1952 . 48 Dietrich (1998), S . 62; Kruse/Schmitt (2000), S . 185 f . 49 Beispielsweise wurde ein Bewohner des „Altersheims Heilsberg“ nach seiner Befreiung aus Theresienstadt in einem Krankenhaus der amerikanischen Militärbehörde medizinisch versorgt . LkAHN, B .  160, Nr . 48: o . N .: Handschriftliche Notizen . Auch in Stuttgart-Degerloch wurden in einem Privatsanatorium auf Anordnung der Militärregierung seit Sommer 1945 jüdische KZ-Überlebende untergebracht, darunter etwa 84 Juden aus Württemberg und etwa 135 polnische Juden: Dietrich (1998), S . 100 . 42

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Die Heimbewohner

dere alte Menschen, deren Organismus sich ohnehin langsamer regeneriert .50 Zudem gelang ihnen auch psychisch die Adaption an ihre neuen Lebensumstände, z . B . im Ausland, weitaus schlechter .51 Schließlich verhinderten irreparable körperliche und seelische Schäden sehr häufig ein „normales“ Leben außerhalb einer stationären Einrichtung52 – so auch im Fall einer Jüdin, die nach ihrer Befreiung aus Bergen-Belsen und einem anschließenden längeren Aufenthalt im jüdischen „Krankenhaus Belsen“ 1948 in das neu eröffnete „Altersheim Rosenau“ einziehen konnte .53 Lediglich ein kleiner Teil der über 60-jährigen KZ-Überlebenden, u . a . die 1940 nach Gurs deportierte Johanna M ., zeigte sich „trotz hohen Alters“ noch auffallend „gesund und rüstig“ .54 Viele ihrer Schicksalsgenossen litten jedoch unter – nicht allein altersbedingten – gesundheitlichen Beeinträchtigungen . Beispielsweise wurde 1953 der Gesundheitszustand der „Insassen“ des „Altersheims Rosenau“ im Vergleich zu den Bewohnern anderer, d . h . nicht von ehemals Verfolgten bewohnter Altersheime als „ausserordentlich schlecht“ beschrieben .55 Eine 66-jährige und mittlerweile in den USA lebende Jüdin bewarb sich z . B . aufgrund einer im Konzentrationslager erworbenen Herzerkrankung Ende der 1950er Jahre zusammen mit ihrem Ehemann im Neustädter Altersheim .56 1950 plante, nachdem er etwa ein Jahr aufgrund schwerer Depressionen in verschiedenen „Nervenkliniken“ zugebracht hatte, der 62-jährige Igor K . einen Aufenthalt im Heim der Düsseldorfer Synagogengemeinde .57 Selbst zehn Jahre später litten viele NS-Opfer noch immer unter den Folgen ihrer Inhaftierung, die zu degenerativen Erkrankungen, psychischen Veränderungen und vorzeitiger Alterung führen konnte .58 1963 schrieb ein ehemaliger KZ-Häftling an die jüdische Gemeinde von Hannover: „Leider bin ich durch die langen Jahre im KZ und im Judenlager Lodz sehr leidend und daher sehr ruhebedürftig geworden.“59 Körperliche Langzeitschäden zeigten sich nicht nur bei „Langzeitinhaftierten“, sondern ebenfalls

NHStAH, Nds . 300, Acc . 48/65, Nr . 52: Oberpräs . Hann ., 15 .5 .1946 . Vgl . z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 124: Ev . Kreisdekanat Nordbaden, Heidelberg, an SD, 27 .11 .1953 . Dietrich (1998), S .  62 . Vgl . u . a . LkAHN, B .  160, Nr .  13: Erica L . an HNG-Fonds, Bonn-Beuel-Süd, 1 .1 .1962, Antrag auf Aufnahme im AHH . 53 Die Vermittlung in das Heim erfolgte durch die „Hospital Welfare Office Jew Relief Unit“: ZAH, B . 1/5, Nr . 123: Jüd . Gem . Kreis Detmold an SD, 21 .9 .1948 . 54 ZAH, B . 1/5, Nr . 21: RA Alfons W ., Saarbrücken, an JAR, 20 .12 .1950 . 55 ZAH, B . 1/5, Nr . 124: SD an IM NRW, 5 .1 .1953 . 56 Entscheidend war dabei auch, dass in der Pfalz ein „wärmeres, gleichmäßigeres Klima“ herrschte, das sich positiv auf die Herzerkrankung von Frau M . auswirken sollte: ZAH, B . 1/40, Nr . 42: Victor M ., Forida, an JKR, 27 .4 .1959 . 57 ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Jüd . Gem . Gelsenkirchen an LV jüd . Gem . NRW, Düss ., 16 .8 .1950 . 58 Paul: Internationale Erfahrungen (1963), S . 44 . Dabei konnten sich z . B . „bei vielen Verfolgten, die lange mangelernährt waren […] Symptome einer frühzeitigen Alterung“ zeigen, die auch bei lang andauernden Angsterfahrungen auftreten konnten: Paul: Psychologische Untersuchungsergebnisse (1963), S .  237 . Vgl . u . a . auch ZAH, B . 1/5, Nr . 44: o . N .: Wintergarden, Kings Cross, 14 .3 .1961, Medical Report on Robert Paul P . 59 ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Samuel P . an JGH, 4 .10 .1963 . 50 51 52

Gesundheitszustand der Heimbewohner

bei Personen, die erst in den letzten Kriegsmonaten deportiert worden waren .60 Unter anderem litt die 1945 aus Theresienstadt befreite 62-jährige Hanna L . noch wochenlang an einer „Magensenkung und Magenerweiterung infolge der schlechten Ernährung im KZ“.61 Rund 20 Jahre später suchte sie schließlich als mittlerweile „schwerer Pflegefall“, nachdem sie von einem Krankenhaus zum anderen geschickt worden war, einen Platz im Altersheim, „wo sie in Ruhe sterben“ könnte .62 Ebenfalls in den 1960er Jahren bemühte sich die von den Nationalsozialisten als „Volljüdin“ definierte Christin Bertha S ., die sowohl eine langjährige Flucht als auch eine Lagerhaft überstanden hatte, um Heimaufnahme . Nach der 1934 erfolgten Scheidung von ihrem „arischen“ Ehemann und dem Verlust ihrer Arbeit als „Privat-Psychologin“ hatte sie sich zur Flucht in die Schweiz entschieden, sich aber nach einem vorübergehenden Aufenthalt in Italien schließlich in Frankreich niedergelassen . Dort war sie von den deutschen Besatzern in ein Konzentrationslager verbracht worden, aus dem sie jedoch 1944 hatte fliehen können .63 Nach ihrer erneuten Einreise in die Schweiz,64 wo sie als über 50-Jährige ein Studium der protestantischen Theologie begonnen und dieses im Alter von 60 Jahren mit dem Pfarrexamen abgeschlossen hatte, kehrte sie nach Deutschland zurück .65 Obwohl Frau S . nach Kriegsende also durchaus ein sehr erfolgreicher Neuanfang gelungen war, hatte die jahrelange Verfolgung bei ihr „schwere gesundheitliche und psychische Störungen“ und Schäden hinterlassen .66 Unter anderem litt sie unter einem partiellen „Verlust ihres Erinnerungsvermögens“67 und konnte sich somit nicht mehr der genauen Zeitpunkte und Orte der Verfolgung entsinnen .68 Als 72-Jährige fühlte sich Frau S . letztlich „unendlich erschöpft“69 und „nicht mehr in der Lage, sich allein zu versorgen, da sich ihr Alter durch die durch die Verfolgung erlittenen Schäden nun in vielerlei Hilflosigkeit sehr bemerkbar“ machen würde .70 Einzelne Altersheimbewohner konnten durch schwere physische und psychische Erkrankungen und Veränderungen selbst die wichtigsten „Angelegenheiten nicht mehr selbst besorgen“; vom Heim musste daher schließlich – laut ärztlicher Bescheinigung – eine Pflegschaft beantragt werden .71 Dies traf 1952 z . B . auf den 1874

Nicht wenige verstarben kurz nach ihrer Befreiung, da sie körperlich und psychisch zu geschwächt waren: Schäfer-Richter (2009), S . 236 f . 61 LkAHN, B . 160, Nr . 13: Markus H .: Ärztl . Bescheinigung, 15 .6 .1945 . 62 LkAHN, B . 160, Nr . 13: Erica L . an HNGB, Berlin-Charlottenburg, 25 .3 .1964 . 63 LkAHN, B . 160, Nr . 11: Erica L . an HWNGB, Berlin-Charlottenburg, 30 .5 .1964 . 64 LkAHN, B . 160, Nr . 11: Erica L . an HWNGB, Berlin-Charlottenburg, 30 .5 .1964 . 65 LkAHN, B . 160, Nr . 11: Bertha S ., Zürich, an Walter R ., 6 .8 .1963 . 66 LkAHN, B . 160, Nr . 11: Erica L . an HWNGB, Berlin-Charlottenburg, 30 .5 .1964 . 67 LkAHN, B . 160, Nr . 11: Erica L . an HWNGB, Berlin-Charlottenburg, 30 .5 .1964 . 68 LkAHN, B . 160, Nr . 11: Bertha S ., Zürich, an Erica L ., 18 .5 .1964 . Auch viele andere NS-Opfer konnten sich aufgrund ihres „Alters und gesundheitlichen Zustandes“ nicht mehr genau an die Zeit ihrer Verfolgung erinnern . Z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 124: Eidesstattliche Versicherung, betr . Haftentschädigung, März 1953 . 69 LkAHN, B . 160, Nr . 11: Bertha S ., Zürich, an Walter R ., 6 .8 .1963 . 70 LkAHN, B . 160, Nr . 11: Erica L . an HWNGB, Berlin-Charlottenburg, 30 .5 .1964 . 71 ZAH, B . 1/5, Nr . 125: Alexianer-KH für Nerven- und Gemütsleiden, Neuss, 11 .2 .1952 . 60

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Die Heimbewohner

geborenen Alexander D . zu, der aufgrund einer Arteriosklerose der Blutgefäße des Gehirns unter Lähmungen, Sprachstörungen und „Geistesschwäche“ litt .72 Besaßen die betroffenen alten Menschen in Deutschland keine Angehörigen mehr, übernahmen v . a . Mitglieder der Gemeindevorstände oder die Heimleitung die Pflegschaft .73 In der zeitgenössischen Fachliteratur der 1950er und 1960er Jahre wurde die Ansicht vertreten, dass Personen, die – z . B . durch die rechtzeitige Flucht ins Ausland – nicht in einem Konzentrationslager inhaftiert gewesen waren,74 im Gegensatz zu den ehemaligen Häftlingen keine dauerhaften Schäden davongetragen hatten .75 Wie am Beispiel zahlreicher Heimbewohner ersichtlich wird, führten jedoch die jahrelange Diskriminierung, der Verlust ideeller und materieller Werte sowie die ständige Angst um das eigene Leben und dasjenige der Angehörigen nicht selten zu ähnlich schweren gesundheitlichen Problemen wie eine Lagerhaft .76 So war es auch im Fall einer Christin jüdischer Herkunft, die zwar „wegen ihrer schweren Gehstörung nicht zur Zwangsarbeit eingezogen oder in das KZ eingeliefert“ worden war,77 aufgrund der Ermordung ihrer Tochter und ihrer Schwester jedoch einen „erheblichen Schaden erlitten“ hatte .78 Auch eine ihrer Mitbewohnerinnen, die durch das Gutachten eines befreundeten Arztes in einem „privaten Krankenheim“ „versteckt“ worden war und somit ebenfalls ihrer Deportation hatte entgehen können, war als 73-Jährige „gesundheitlich so geschwächt, dass sie ihren Haushalt nicht mehr selbst versehen“ konnte .79 Während Frau J . letztlich zwar erst im Alter von über 80 Jahren in ein Altersheim zog,80 bemühten sich viele NS-Opfer aufgrund ihres schlechten körperlichen oder psychischen Gesundheitszustands jedoch – wie erwähnt – schon in einem Alter von weit unter 60 um einen Heimplatz . Unter anderem bewarben sich 1958 eine 46-Jährige und ihr 47-jähriger Ehemann im „Altersheim Heilsberg“, da „die durchgemachten Anstrengungen“ das Paar „nervlich arg belastet“ hätten .81 Gleichfalls „nervlich am Ende“ fühlte sich die ebenfalls rassisch verfolgte Dora G ., die sich 1958 im Alter von nur 45 Jahren im selben Heim bewarb .82 ZAH, B . 1/5, Nr . 125: Alexianer-KH für Nerven- und Gemütsleiden, Neuss, 11 .2 .1952 . ZAH, B . 1/6, Nr . 551: JAH an Amtsgericht Hann ., 3 .3 .1965 . So kam es immer wieder vor, dass alte Menschen, v . a . wenn sie durch ein ärztliches Gutachten als nicht deportationsfähig galten, von der Ermordung verschont wurden . Beispielsweise erlitt eine Christin jüdischer Herkunft kurz vor ihrem Abtransport einen Nervenzusammenbruch, der sie vor der Deportation bewahrte: Schäfer-Richter (2009), S . 238 . 75 Schäfer-Richter (2009), S . 113; Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 202 f . 76 Vgl . Schäfer-Richter (2009), S . 114 . 77 LkAHN, B . 160, Nr . 48: RP Köln, Bescheid, 14 .10 .1960, S . 1 . In einigen Fällen konnten alte, für die Deportation vorgesehene Christen jüdischer Herkunft sogar an ihrem Wohnort bleiben, wenn sie vom zuständigen Amtsarzt als nicht arbeitsfähig eingestuft worden waren: Schäfer-Richter (2009), S . 114, 236 . 78 LkAHN, B . 160, Nr . 48: RP Köln, Bescheid, 14 .10 .1960, S . 1 . 79 LkAHN, B . 160, Nr . 13: Erica L . an HNG-Fonds, Bonn-Beuel-Süd, 1 .1 .1962 . 80 LkAHN, B . 160, Nr . 48: RP Köln, Bescheid, 14 .10 .1960, S . 1 . 81 LkAHN, B . 160, Nr . 11: Marie E ., Frankf ., 3 .11 .1958 . 82 LkAHN, B . 160, Nr . 11: Dora G ., Frankf ., 10 .11 .1958 . 72 73 74

Gesundheitszustand der Heimbewohner

Von Seiten der medizinischen Gutachter wurden oft nur die unmittelbaren, d . h . direkt nach der Befreiung auftretenden gesundheitlichen Schäden auf die Verfolgung zurückgeführt .83 Die „Spätschäden“, die sich erst Jahrzehnte nach der eigentlichen traumatischen Erfahrung und oft in Form psychischer Erkrankungen manifestierten, fanden hingegen keine Beachtung .84 Zudem wurden die psychischen Folgen der nationalsozialistischen Verfolgung, anders als im europäischen und angloamerikanischen Ausland,85 in der deutschen psychologischen und psychiatrischen Fachliteratur bis zum Beginn der 1960er Jahre weitgehend ausgeblendet,86 dann mehrte sich schließlich die Anzahl deutschsprachiger Veröffentlichungen .87 Erstmals fanden in diesem Zusammenhang auch die bei vielen Überlebenden erst im hohen Alter auftretenden psychischen Spät- und Langzeitschäden Beachtung . Einer Untersuchung aus den frühen 1960er Jahren zufolge stellte sich „häufig nach einer vorübergehenden Besserung der Beschwerden und einer Beruhigung der äußeren und inneren Lage der Geschädigten sekundär eine neue Phase der gesundheitlichen Beeinträchtigung ein, die oft zu Störungen der sozialen Anpassung führt. Diese Schäden werden als sog. Spätschäden bezeichnet.“88 In den Altersheimen für NS-Opfer ließen sich, wie oben dargestellt, bei vielen alten Menschen ebenfalls noch Jahre und Jahrzehnte nach der Verfolgung oder Konzentrationslagerhaft Spätschäden erkennen .89 Beispielsweise wiesen ehemalige KZ-Häftlinge häufig „posttraumatische Belastungsstörungen“ auf, die sich im hohen Alter z . B . in Form von Schlaf- und Angststörungen äußerten .90 Auch die 1964 im „Altersheim Heilsberg“ aufgenommene Psychologin und Theologin Bertha S ., deren Verfolgungsgeschichte oben bereits dargestellt wurde, litt noch drei Jahrzehnte nach ihrer ersten Flucht unter physischen und psychischen Spätschäden .91 Neben gesundheitlichen Beschwerden zeigten sich bei vielen Betroffenen außerdem Veränderungen im Sozialverhalten, die das Zusammenleben der Heimbewohner erheblich beeinflussten und – wie später näher dargestellt wird – zu zahlreichen Konflikten im Heimalltag führten . Unter anderem gewöhnten sich viele ehemalige Lagerhäftlinge nur langsam wieder an „die hiesigen Verhältnisse“ wie die Einhaltung der gängigen Höflichkeits- und Hygienere-

ZAH, B . 1/5, Bur . 282: SD an Georg S . K ., 3 .4 .1959 . Vgl . dazu auch Schäfer-Richter (2009), S . 241; Sedlaczek (1996), S . 37 f . Z . B . Friedman (1949); Niederland (1964); Krystal (1968) . Einen Überblick über die wissenschaftlichen Veröffentlichungen in Europa bietet Baeyer/Häfner/Kisker (1964), S . 74–84 . Vgl . auch Kellermann (2006), S . 141 . 86 Vgl . u . a . Sedlaczek (1996), S . 38 ff . 87 Z . B . Baeyer (1958); Paul: Internationale Erfahrungen (1963), S . 44 . Vgl . dazu auch weitere Beiträge in Paul/Herberg: Psychische Spätschäden (1963); Baeyer/Häfner/Kisker (1964) . 88 Paul/Herberg: Einführung (1963), S . 1; Paul: Internationale Erfahrungen (1963), S . 44; Paul: Psychologische Untersuchungsergebnisse (1963) . 89 Vgl . z . B . Kellermann (2006); Liebermann (2006) . 90 Weitzel-Polzer (2002), S . 192 f .; Kellermann (2006), S . 139 ff .; Liebermann (2006), S . 126 ff ., 133 f .; Teshuva (2010), S . 7 . Vgl . auch Krystal (1968); Eitinger/Krell/Rieck (1985) . 91 LkAHN, B . 160, Nr . 11: Erica L . an HWNGB, Berlin-Charlottenburg, 30 .5 .1964 . 83 84 85

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Die Heimbewohner

geln . Die Heimleiterin des hannoverschen Heims musste z . B . sehr viel Geduld aufbringen, um eine Bewohnerin, die ihre im KZ entwickelten Verhaltensweisen selbst 17 Jahre nach ihrer Befreiung nicht mehr ablegen konnte, „an Sauberkeit zu gewöhnen“ .92 Dass Frau D . zudem Lebensmittel, u . a . lose Butter, aus dem Speisesaal entnahm und in ihrer Handtasche versteckte, stieß bei ihren Mitbewohnern auf gleichermaßen große Ablehnung .93 Anderen alten Menschen hingegen gingen die hygienischen Vorgaben der Heime nicht weit genug; eine Bewohnerin befürchtete sogar, dass „durch Hygienemängel Ratten ins Haus kommen“ könnten .94 Auffallend viele Opfer nationalsozialistischer Verfolgung verhielten sich extrem misstrauisch95 und entwickelten große Verfolgungsängste, die sich im Alter häufig verstärkten .96 Anfang der 1960er Jahre litt z . B . die 1898 geborene Christin Lilly W ., die 1938 aufgrund ihrer jüdischen Herkunft in Kolumbien Schutz gesucht hatte, unter einem stetig zunehmenden „Verfolgungswahn“ .97 Da sie sich sogar in ihrer Wohnung bedroht fühlte, irrte sie „tagelang in den Straßen umher“ und „verwahrloste“ dadurch „immer mehr“ .98 Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland und dem Einzug in das Altersheim in Bad Vilbel verbesserte sich ihr Zustand letztlich aber nur geringfügig . Daher mussten ihr weiterhin regelmäßig „Beruhigungspillen“ verabreicht werden .99 Besonders sensibel reagierten NS-Opfer zudem auf Medienberichte über Kriegsund Krisengebiete . Selbst noch Jahrzehnte nach dem Krieg bzw . der Zeit ihrer eigenen Verfolgung äußerten z . B . auch die Bewohner des „Altersheims Heilsberg“ ein auffallend großes Interesse und viel Anteilnahme an politischen Erreignissen, v . a . wenn diese den Staat Israel und das Schicksal der jüdischen Bevölkerung betrafen .100 Dabei brandeten „immer wieder“ Ängste auf, die aber nach Aussage der Heimleitung „wohl eher durch Assoziation als durch unmittelbare Bedrohung“ entstehen würden . So riefen im Fernsehen oder Radio übertragene Bilder bzw . Geräusche, die von den alten Menschen mit den eigenen Erlebnissen in Verbindung gebracht wurden, besonders starke emotionale Reaktionen hervor .101 Ebenfalls stiegen negative Erinnerungen auf,

U . a . wehrte sie sich gegen eine Reinigung ihrer Füße: ZAH, B . 1/6, Nr . 551: JAH, Anita N ., an Vorst ., 14 .9 .1962 . 93 ZAH, B . 1/6, Nr . 551: JAH, Anita N ., an Vorst ., 14 .9 .1962 . 94 LkAHN, B . 160, Nr . 13: Erna B . an Walter R ., DW Frankf ., 21 .3 .1962 . 95 Zum Misstrauen gegenüber der deutschen Tätergesellschaft vgl . u . a . Borch-Nitzling (2006), S . 128 ff . 96 Dieses Verhalten zeigten zwar auch viele Nichtverfolgte, nahm aber bei Flüchtlingen und NS-Opfern ein besonders großes Ausmaß an . Vgl . dazu Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 199 f .; Grabe (2020), S . 112 f . 97 Außerdem fühlte sie sich einsam und hatte bereits mehrere Selbstmordversuche überlebt: LkAHN, B . 160, Nr . 12: Konsulatsabteilung d . dt . Botschaft Bogota an jüd . Gem . Frankf ., 7 .6 .1962 . 98 LkAHN, B . 160, Nr . 12: Konsulatsabteilung d . dt . Botschaft Bogota an jüd . Gem . Frankf ., 7 .6 .1962 . 99 LkAHN, B . 160, Nr . 12: Erica L . an Lisa M ., jüd . Gem . Frankf ., 18 .5 .1962 . 100 LkAHN, B . 160, Nr . 47: Ent ., betr . RV im AHH, Anfang 1975, S . 2 . 101 Bei vielen Überlebenden sind die Erinnerungen an die Zeit ihrer Verfolgung mit starken Emotionen verbunden: Kruse/Schmitt (2000), S . 168 f .; Teshuva (2010), S . 8; Staszewski (2019), S . 243 . 92

Gesundheitszustand der Heimbewohner

wenn Begriffe wie „Terror“, „Bombenanschläge“ oder auch „jüdisch“ fielen .102 Um zu verhindern, dass durch die von außen in das Heim eindringenden Nachrichten „der gewünschte Frieden im Haus“ gestört werden könnte, erschien es der Leitung des Heilsberger Heims „besonders wichtig, den Bewohnern Vertrauen und Ruhe zu vermitteln“ .103 Da es bei nicht wenigen Opfern der nationalsozialistischen Diktatur zu schweren psychischen und psychiatrischen Erkrankungen kam, ließ sich die Einweisung in eine psychiatrische Klinik nicht in allen Fällen vermeiden .104 1968 musste z . B . eine „stark“ depressive Bewohnerin des Heims in Bad Vilbel zur „Dauerbehandlung“ in eine „Heilund Pflegeanstalt“ überstellt werden, da sie durch ihr Verhalten – u . a . gab sie „angezogene Schreie wie eine Luftschutzsirene“ von sich – ihre Mitbewohner in Angst versetzte .105 Aufgrund der häufig nur geringen Behandlungserfolge der zeitgenössischen Psychiatrie – so bestand die Therapie vorwiegend aus einer medikamentösen Sedierung – kehrten viele alte Menschen jedoch nicht mehr in ihr Altersheim zurück und verblieben daher bis zu ihrem Tod in stationärer psychiatrischer Behandlung .106

LkAHN, B . 160, Nr . 47: Ent ., betr . RV im AHH, Anfang 1975, S . 2 . LkAHN, B . 160, Nr . 47: Ent ., betr . RV im AHH, Anfang 1975, S . 2 . ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Jüd . Gem . Gelsenkirchen an LV jüd . Gem . NRW, Düss ., 16 .8 .1950; ZAH, B . 1/5, Nr . 21: SD an Toni F ., Köln, 20 .10 .1950; ZAH, B . 1/6, Nr . 551: TB JAH für 1965 . 105 LkAHN, B . 160, Nr . 14: Dr . Herbert O ., Bad V ., an HL Gregor N ., 8 .5 .1968 . 106 Z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 124: SD an Stadtverw . Essen, 20 .12 .1952 . 102 103 104

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7.

Betreuung der Heimbewohner

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Pflegerische Betreuung

Sowohl die christliche als auch die jüdische Pflegeethik bzw . -tradition beruhen auf religiösen Geboten und Überzeugungen . Dabei zeigen sich zwischen den Religionen viele Parallelen, z . B . stehen die Nächstenliebe und das Wohl des einzelnen Menschen im Christen- und im Judentum im Mittelpunkt des pflegerischen Handelns .1 Ebenso teilen beide Religionen die Wertschätzung des Alters bzw . des alten Menschen .2 Im Judentum zählt der eng mit dem Gebot der Nächstenliebe verbundene Krankenbesuch (Bikkur Cholim) sogar zu den „heiligen Pflichten“ (Mizwot) jedes gläubigen Juden .3 Eine gleichermaßen tragende Rolle in der jüdischen Pflegetradition spielen die Gebote der Wohltätigkeit, d . h . der ausgleichenden sozialen Gerechtigkeit (Zedakah) sowie der barmherzigen Fürsorge gegenüber Schwächeren (Gemilut Chessed) .4 Insbesondere die Gemilut Chessed umfasst das ganze menschliche Leben, u . a . auch die „Fürsorge für die Schwachen und Bedürftigen“, die „Hilfe für die Verlassenen […] und das hilflose Alter“ sowie die würdevolle „Bestattung der Toten“ .5 Darüber hinaus bestimmten Zedakah und Gemilut Chessed ebenfalls das Leitbild der Anfang des 20 . Jahrhunderts gegründeten ZWST .6 Die Sorge um erkrankte und hilfsbedürftige Mitmenschen beschränkte sich aber nicht nur auf Juden und erfolgte unabhängig vom gesellschaftlichen Stand oder Besitz der zu betreuenden Person .7 Die jüdische Pflegeethik umfasste ebenfalls bestimmte Vorschriften und Gebote für die tägliche pflegerische Arbeit . Demzufolge beeinflusste sie auch den Alltag der jüdischen Kranken-

Zur jüdischen Pflegeethik z . B . Hennings (2008), S . 4 f .; Probst (2017) . Ben-Chorin (2019), S . 43 . Vgl . dazu Alexander-Ihme: Die religiösen Grundlagen (1992), S .  220; Steppe (1997), S .  81 ff .; Probst (2017), S . 7 f .; vgl . auch Hennings (2008), S . 5 . 4 Alexander-Ihme: Die religiösen Grundlagen (1992); Alexander-Ihme: Zur Praxis (1992), S . 242 ff .; Hennings (2008), S . 4; Lange (2008), S . 42 f . 5 Hennings (2008), S . 5 . 6 https://zwst .org/de/ueber-uns/leitbild-zedaka; Hennings (2008), S . 8 . 7 Alexander-Ihme: Die religiösen Grundlagen (1992), S . 221; Steppe (1997), S . 82; Hennings (2008), S . 4 f . 1 2 3

Pfegerische Betreuung

häuser und Altersheime .8 Außerdem sollten auch bettlägerige Personen Gelegenheit zur rituellen Reinigung der Hände, z . B . vor und nach den Mahlzeiten, erhalten und am Sabbat die Körperpflege auf das Notwendigste beschränkt oder von nichtjüdischem Personal übernommen werden .9 Inwieweit in den jüdischen Altersheimen eine strenge Einhaltung dieser Regeln erfolgte, hing immer davon ab, ob sich das Personal und die Bewohner dem orthodoxen oder dem liberalen Judentum zugehörig fühlten . Während in streng religiös geführten Häusern – mit Ausnahme des Sabbat – ausschließlich jüdisches Pflegepersonal tätig sein sollte, verbanden sich für die in dieser Studie untersuchten und sehr liberal ausgerichteten jüdischen Altersheime z . B . mit der dauerhaften Einstellung nichtjüdischen Personals kaum Probleme .10 Ebenso wenig Schwierigkeiten bereitete der Verzicht auf die Einhaltung der religiösen Speisevorschriften . Für orthodoxe Juden hingegen gehörte das Befolgen der Kashrut zu den essentiellen Bestandteilen einer ganzheitlich ausgerichteten Pflege und ging somit in seiner Bedeutung weit über die physische Nahrungsaufnahme hinaus .11 Bis in die 1960er Jahre hinein waren die meisten Altersheime in der Bundesrepublik, darunter die hier genannten jüdischen Einrichtungen, nicht auf die Versorgung von Langzeitpflegefällen eingestellt . Beispielsweise schrieb 1950 die Synagogengemeinde Düsseldorf, dass sie „nicht in der Lage“ sein würde, in der „Rosenau“ Personen aufzunehmen, „die ständige Pflege oder Wartung benötigen“, wobei als Begründung der Mangel an Pflegepersonal angegeben wurde .12 Bewohner, die lediglich – z . B . durch eine akute Erkrankung – „vorübergehend pflegebedürftig“ waren, konnten jedoch im Heim verbleiben und von der dort beschäftigten Krankenschwester betreut werden .13 Das jüdische Altersheim in Hannover nahm ebenfalls keine Pflegefälle auf .14 So erfolgte 1964 die Ablehnung einer 91-jährigen, stark gehbehinderten und inkontinenten Bewerberin . Auch hier begründete die Heimleitung ihre Entscheidung mit dem Mangel an qualifizierten Pflegekräften .15 Bewohner, die erst während ihres Heimaufenthalts pflegebedürftig wurden und keine Behandlung im Krankenhaus benötigten, sollten jedoch – wie in

Z . B . dürfen Frauen nur vom weiblichen Personal gewaschen und gepflegt werden . Zudem sollten sowohl weibliche als auch männliche Patienten bzw . Heimbewohner niemals völlig unbekleidet bzw . unbedeckt im Bett liegen: Urban (2010), S . 48; Paillon (2010), S . 96 . 9 Steppe (1997), S . 283; Urban (2010), S . 48; Paillon (2010), S . 96 . 10 Bei vielen deutschen Juden führten erst die Erfahrungen im Nationalsozialismus zu einer stärkeren Identifikation mit der Religion: Quast (1997), S . 65; Kruse/Schmitt (2000), S . 214 f . 11 So gewährleistete die strenge Befolgung der Kashrut-Vorgaben nicht nur die „Reinhaltung“ des Körpers, sondern auch diejenige der Seele: Seemann (2019) . 12 ZAH, B . 1/5, Nr . 21: SD an jüd . Gem . Gelsenkirchen, 31 .8 .1950 . 13 ZAH, B . 1/5, Nr . 21: SD an Amalie H ., Lon ., 8 .1 .1951 . 14 Das Heim verfügte aber über eine Krankenschwester: ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Norbert P . an Johann L ., Haifa, Israel, 17 .7 .1963 . 15 ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Norbert P . an Dr . Horst H ., 12 .5 .1964; ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Dr . Horst H ., Niederlande, an JAH, 7 .5 .1964 . 8

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Betreuung der Heimbewohner

der „Rosenau“ – möglichst bis an ihr Lebensende weiterhin im Haus leben dürfen, wo sie „mit der nötigen Sorgfalt“ betreut werden würden .16 In vielen Fällen erwies sich die Verlegung in ein Krankenhaus oder Pflegeheim letztlich jedoch als unvermeidbar, zumal die Anzahl der in Altersheimen zur Verfügung stehenden Pflegeplätze innerhalb des gesamten Untersuchungszeitraums gering ausfiel .17 Nicht wenige Juden mussten aus diesem Grund in christliche oder konfessionell unabhängige Pflegeheime verlegt werden, in denen sie aber als einzige Bewohner jüdischen Glaubens nicht selten Ausgrenzung und Ablehnung erfuhren . Mitte der 1960er Jahre betraf dies z . B . die schwer pflegebedürftige Amalie S ., die nach einem Krankenhausaufenthalt nicht wieder in das hannoversche Altersheim zurückkehren konnte und daher in ein christliches Pflegeheim übersiedelte .18 Dort fühlte sie sich jedoch „einsam, wie eine Ausgestoßene“, und verlor schließlich ihren „ganzen Lebenswillen“ .19 Da ihr in ihrer neuen Umgebung v . a . die „jüdischen Menschen“ fehlten, bemühte sie sich – wenn auch erfolglos – um eine Rückkehr in ihre frühere Unterkunft .20 Insbesondere für dementiell veränderte alte Menschen stellte eine Verlegung bzw . der Wechsel ihres gewohnten Umfelds eine traumatische Erfahrung dar . So musste 1964 die unter Arteriosklerose des Gehirns21 leidende Rosa Z ., die erst ein Jahr zuvor aus einer christlichen Einrichtung in das jüdische Altersheim in Neustadt übergesiedelt war, aufgrund ihrer Betreuungsbedürftigkeit abermals einen Wechsel in ein nichtjüdisches Pflegeheim vollziehen . Kurz nach ihrer dortigen Ankunft zeigte die 76-Jährige, die in Neustadt als „gutartig und sanft“ gegolten hatte, plötzlich ein extrem aggressives, unangepasstes Verhalten .22 Unter anderem hätte sie nach Aussage des Pflegeheims getobt, Möbel demoliert und sogar einen Selbstmordversuch ausgeführt .23 Altersheime, die keine Pflegefälle aufnahmen, verloren zunehmend an Attraktivität . So bestand bei den Anwärtern für die jüdischen Altersheime immer häufiger die Befürchtung, bei einsetzender Pflegebedürftigkeit in ein nichtjüdisches Pflegeheim umsiedeln zu müssen . Im Jahr 1961 entschied sich daher z . B . der in Berlin lebende Theo L .

ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Vorst . JAH, Norbert P ., an SD, 21 .4 .1961 . Vgl . auch ZAH, B . 1/6, Nr . 551: TB JAH für 1965 . 17 Das einzige jüdische Krankenhaus, das nach 1945 weitergeführt werden konnte, ist bis heute dasjenige in Berlin . 18 ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Vorst . JAH an Max S ., 31 .3 .1964 . 19 ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Vorst . JAH an Max S ., 31 .3 .1964 . 20 ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Max S . an Norbert P ., 25 .3 .1964 . 21 ZAH, B . 1/40, Nr . 2: JAN, 15 .1 .1964 . 22 ZAH, B . 1/40, Nr . 2: JAN an Rose N ., 10 .2 .1964 . 23 Aufgrund dieser extremen Verhaltensänderung unterstellte die Leitung des Pflegeheims ihren Neustädter Kollegen sogar, von der „Bösartigkeit“ seiner früheren Bewohnerin gewusst, diese aber gezielt verheimlicht zu haben . Die Leitung des Neustädter Heims sorgte sich weiterhin um ihre frühere Bewohnerin, die auch den Mitarbeitern „durch ihr liebenswertes Wesen sehr ans Herz gewachsen“ wäre . Da der alten Dame unbedingt geholfen werden sollte, informierte die Heimleitung ihre Nichte: ZAH, B . 1/40, Nr . 2: JAN an Rose N ., 10 .2 .1964 . 16

Pfegerische Betreuung

gegen seinen – ursprünglich geplanten – Einzug in das Neustädter Altersheim .24 Stattdessen verblieb er in Berlin, dessen jüdisches Altersheim sich in unmittelbarer Nähe des jüdischen Hospitals befand und ihm somit eine Verlegung in eine nichtjüdische Einrichtung erspart bleiben würde .25 Die Verlegung pflegebedürftiger jüdischer Heimbewohner stieß auch bei deren Angehörigen auf Kritik und Unverständnis . Als einem 84-jährigen Bewohner der „Rosenau“ nach einem Krankenhausaufenthalt die Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik bevorstand, beklagte sein Sohn die „drastische Weise“, auf welche „jüdische alte Leutchen“ aus dem Heim entfernt worden wären, zumal „in unseren jüdischen Kreisen immer die Nächstenliebe“ als besonders wichtiger Teil des Judentums herausgestellt werden würde .26 Voller Enttäuschung über die als Heimträger fungierende Düsseldorfer Synagogengemeinde schrieb er dieser einige Zeit später, dass es ihm schließlich „gottlob“ gelungen wäre, seine Eltern – die bislang gemeinsam in der „Rosenau“ gelebt hatten – in einem evangelischen Heim unterzubringen .27 Bedingt durch die fehlenden Kapazitäten zur Aufnahme von Pflegefällen kam es nicht nur zur Verlegung von Bewohnern; zugleich erwies es sich häufig als unvermeidbar, Juden, die sich erst in einem Stadium erhöhter Pflegebedürftigkeit für einen Heimeintritt entschieden, von vornherein in ein christliches bzw . konfessionell unabhängiges Pflegeheim einzuweisen .28 In den 1960er Jahren nahm die Diskussion um die Einrichtung von Pflegeheimen und -abteilungen in der gesamten Bundesrepublik ein immer größeres Ausmaß an .29 Insbesondere die freien Wohlfahrtsverbände, darunter auch die ZWST, plädierten für eine bessere stationäre Betreuung pflegebedürftiger alter Menschen – ein „dringendes Problem“, das gelöst werden müsste .30 1961 startete die ZWST – u . a . auch durch „viele Zuschriften“ aus den jüdischen Gemeinden – unter den jüdischen Altersheimen eine Umfrage zur Ermittlung des Bedarfs an Pflegeplätzen . Dazu hieß es von Seiten der Zentralwohlfahrtsstelle, dass diese „in Erkenntnis der besonders schwierigen Situation“ der jüdischen Altersheime, die durch „die große Anzahl von vollpflegebedürftigen Heiminsassen hervorgerufen“ werden würde, darum bemüht sein würde, „im Rahmen ihres Programmes der Altenfürsorge für eine verbesserte Unterbringung und Betreuung dieser Pflegebedürftigen Sorge zu tragen“ .31 Die Thematik stand auch auf der Agenda von Fort-

ZAH, B . 1/40, Nr . 42: Theo L ., Berlin-Charlottenburg, an JKR, 12 .8 .1961 . ZAH, B . 1/40, Nr . 42: Theo L ., Berlin-Charlottenburg, an JKR, 12 .8 .1961 . ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Richard A ., Duisburg, an Vorst . JKR, 21 .11 .1960; ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Richard A . an SD, 5 .9 .1960 . 27 ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Richard A ., Duisburg, an Vorst . SD, 21 .11 .1960 . 28 NHStAH, VVP 12, Nr . 61: Theodor H . an Vorst . Henriettenstiftung, 14 .8 .1963 . 29 Auch auf einer für das leitende Personal organisierten Tagung der „Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland“ wurde über das Thema „Pflegeabteilungen in Altersheimen“ diskutiert: ZAH, B . 1/6, Nr . 551: ZWST: Programm d . 2 . Seminars für Leiter jüd . AH BRD, 27 .–29 .11 .1961, in Ham . 30 ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Leo W ., ZWST, an alle LV, 30 .10 .1961 . 31 ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Leo W ., ZWST, an alle LV, 30 .10 .1961 . 24 25 26

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Betreuung der Heimbewohner

bildungsseminaren, die von der ZWST in regelmäßigen Abständen für das Personal in der jüdischen Altenpflege organisiert wurden .32 Neben Vorträgen und Diskussionen umfasste das Programm der meist zweitägigen Fortbildungen die Besichtigung jüdischer und nichtjüdischer Alters- und Pflegeheime, u . a .  1961 eines städtischen Hamburger Pflegeheims .33 Um auch die individuellen Anliegen der Teilnehmer zu berücksichtigen, konnten diese bereits auf dem Anmeldeformular, d . h . im Vorfeld der Seminare, Angaben zu den von ihnen erbetenen Diskussionsinhalten machen .  1962 wünschte sich z . B . auch die Leiterin der „Rosenau“ in ihrer Anmeldung für ein Seminar für die „leitenden Mitarbeiter in jüdischen Altersheimen“ eine ausführlichere Diskussion zum Thema „Pflegeabteilungen“ .34 In die Planung von Pflegeheimen und -abteilungen involviert war die ZWST schon in den 1950er Jahren . Unter anderem forderte sie Ende dieses Jahrzehnts die „Jüdische Kultusgemeinde der Rheinpfalz“ wiederholt dazu auf, das von dieser neu erbaute Altersheim in Neustadt „möglichst auch für Pflegebedürftige“ einzurichten .35 Die zu diesem Zeitpunkt bereits fertiggestellten Räumlichkeiten entsprachen jedoch „nicht den Anforderungen eines Pflegeheimes“ .36 Da aber die Realisierung einer Pflegeabteilung im Neustädter Heim aufgrund der bereits bestehenden Vorgaben und Empfehlungen für deren Konzeption37 nur durch eine komplette bauliche Umgestaltung möglich gewesen wäre, kam es letztlich nicht zur Umsetzung der geplanten Pflegestation .38 In den späten 1960er Jahren entschieden sich in Deutschland schließlich immer mehr Altersheime für eine eigene Pflegeabteilung bzw . zur Ausweitung ihrer Pflegeabteilungen; eine Verlegung von besonders betreuungsbedürftigen Bewohnern konnte somit häufig verhindert werden .39 Anfang des Jahres 1973 wurde im Zuge von Umbauten auch im hannoverschen Heim ein kleines Krankenzimmer für zwei Patienten eingerichtet,40 da es nach Aussage des Heimträgers nicht mehr länger „zumutbar“ sein würde, „unsere Dauerkranken an ein christliches Pflegeheim abzuschieben, wie es früher aus Personalmangel getan“ worden wäre .41 Durch die Neueinstellung einer zusätzlichen Das Seminar richtete sich bewusst an Personen, die z . B . als Mitglied der Heimkommission, als Vorstandsdezernenten der Gemeinde u . Ä . „mit Altersheimfragen befasst“ und daran interessiert waren: ZAH, B . 1/40, Nr . 47: ZWST, Frankf ., an alle leitenden Mitarbeiter in jüd . AH, 31 .5 .1960 . 33 ZAH, B . 1/5, Nr . 73: ZWST, Frankf ., Programm d . 2 . Seminars für Leiter jüd . AH, 27 .–29 .11 .1961, in Ham . 34 ZAH, B . 1/5, Nr . 73: ZWST, Frankf .: Fragebogen zur Teilnahme am 3 . Seminar für leitende Mitarbeiter in jüd . AH, 3 .–5 .12 .1962, in Köln . 35 ZAH, B . 1/40, Nr . 364: ZWST an JKR, 19 .6 .1958, S . 1 . 36 Beispielsweise waren die für eine Pflegestation vorgesehenen sechs Einzel- und sechs Doppelzimmer nicht groß genug, um mit von allen Seiten zugänglichen Pflegebetten ausgestattet zu werden: ZAH, B . 1/40, Nr . 364: HSH d . ZWST an ZWST, Frankf ., 4 .5 .1958 . 37 Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 165 . 38 Zudem konnte der Umbau nachträglich nicht mehr finanziert werden: ZAH, B . 1/40, Nr . 364: HSH d . ZWST an ZWST, Frankf ., 4 .5 .1958 . 39 Vgl . dazu auch Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 90 ff . 40 ZAH, B . 1/6, Nr . 1112: PMV JAH, 14 .3 .1973 . 41 ZAH, B . 1/6, Nr . 1112: PMV JAH, 14 .3 .1973 . 32

Pfegerische Betreuung

qualifizierten Krankenschwester konnte die Versorgung von Pflegefällen zukünftig sogar weitgehend vom Heim „selbst“ und nicht nur auf der oben genannten Krankenstation übernommen werden . Allein im Frühjahr 1973 lebten bereits sechs Bewohner mit einer „hundertprozentigen Pflegebedürftigkeit“ im hannoverschen Heim .42 Weitere sechs Personen galten immerhin zu 50 Prozent als pflegebedürftig und zwei Pflegefälle konnten vorrangig von ihren ebenfalls im Haus wohnenden Ehefrauen betreut werden .43 Auch das 1961 erbaute Altersheim in Bad Vilbel besaß eine Pflegestation mit „ausgebildeten Schwestern“ .44 Die Pflegestation hatte Anfang der 1960er Jahre neun Betten; kurz darauf erfolgte bereits eine Erhöhung auf 24 Betten .45 1978 waren sogar 52 Plätze der Station mit pflegebedürftigen Personen belegt .46 Pflegefälle, die eine umfassende medizinische Versorgung benötigten, mussten aber  – mit Ausnahme von langjährigen Bewohnern47 – auch in Bad Vilbel fast immer abgelehnt werden .48 Nur in wenigen Fällen und nur durch die Fürsprache der für die Aufnahme zuständigen Fürsorgerin wurde ebenfalls schwerer erkrankten Personen der Heimeinzug ermöglicht, v . a . wenn es sich um ehemals Verfolgte handelte . Bezüglich der 81-jährigen Hanna L . schrieb die Fürsorgerin Erica L ., dass sie zwar nicht wüsste, „ob wir sie in diesem Stadium überhaupt noch im Altersheim aufnehmen können“, sie den Einzug dort aber trotzdem befürworten würde .49 Da sich „die Unterbringung von Pflegebedürftigen“ für das Heim spätestens Ende der 1960er Jahre zu einem größer werdenden Problem entwickelte,50 plante der Heimträger 1979 schließlich einen zusätzlichen Neubau für weitere Pflegebetten .51 Bedingt durch die aufgrund der Betreuung pflegebedürftiger Bewohner entstehenden Zusatzkosten, die v . a . mit dem Mehreinsatz des Personals zusammenhingen, erhoben alle Heimträger für besondere pflegerische Leistungen bzw . den Aufenthalt auf der Pflegeabteilung einen Zuschlag . Anfang 1962 verlangte z . B . das „Altersheim Heilsberg“, in dem die täglichen Pensionskosten zwischen 10 DM und 10,90 DM lagen, einen täglichen Pflegezuschlag von 2,50 DM .52

ZAH, B . 1/6, Nr . 1112: PMV JAH, 14 .3 .1973 . ZAH, B . 1/6, Nr . 1112: PMV JAH, 14 .3 .1973 . Auch ein 1974 eröffneter Neubau des jüdischen Altersheims in Frankfurt besaß eine Pflegeabteilung mit etwa 30 Plätzen: Interview (1998), S . 152 . 44 LkAHN, B . 160, Nr . 11: AHH an Ludwig B ., Bad Nauheim, 30 .11 .1961 . 45 LkAHN, B . 160, Nr . 46: GDHN, Darm ., an HWNGB, Berlin, 12 .1 .1978, S . 3 . 46 LkAHN, B . 160, Nr . 46: GDHN, Darm ., an HWNGB, Berlin, 12 .1 .1978, S . 3 . 47 LkAHN, B . 160, Nr . 12: Erica L . an Erna L ., Frankf ., 5 .7 .1962 . 48 LkAHN, B . 160, Nr . 12: Erica L . an Dörte L ., Frankf ., 5 .7 .1962 . 49 So sollte Frau L . und deren berufstätiger Tochter demonstriert werden, dass das Hilfswerk „zu allem bereit“ sein würde, um ihnen zu helfen: LkAHN, B . 160, Nr . 13: Erica L . an HNGB, Berlin-Charlottenburg, 25 .3 .1964 . 50 LkAHN, B . 160, Nr . 46: GDHN, Darm ., an HWNGB, Berlin, 12 .1 .1978, S . 2 . 51 LkAHN, B . 160, Nr . 46: GDHN, Darm ., an HWNGB, Berlin, 1 .2 .1979 . 52 LkAHN, B . 160, Nr . 12: HW EKHN, o . D . ( Januar 1962) . 42 43

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Betreuung der Heimbewohner

7.2

Ärztliche Versorgung

In allen Heimen – unabhängig davon, ob es sich um Einrichtungen mit oder ohne Pflegeabteilung handelte – bestand für die Bewohner die Möglichkeit zur regelmäßigen Konsultation eines praktischen Arztes . Dieser wurde entweder von der Heimleitung bzw . dem Heimträger fest als „Heimarzt“ angestellt oder durfte von den einzelnen Bewohnern frei gewählt werden . Die Ärzte mussten über eine kassenärztliche Zulassung verfügen und hielten ihre Sprechstunde meist ein- bis zweimal pro Woche – bei „Notfällen auch sofort“53 – im Heimgebäude ab .54 Neben den Bewohnern behandelten sie ebenfalls das im Heim tätige Personal .55 Für ihre Leistungen erhielten die Mediziner eine finanzielle Aufwandsentschädigung vom Heimträger . Beispielsweise zahlte die Synagogengemeinde Düssseldorf dem von ihr angestellten Dr . P . ein „kleines Honorar“ dafür, dass er als Heimarzt ein- bis zweimal pro Woche die „Rosenau“ aufsuchte und deren Bewohner ärztlich behandelte .56 Seine Nachfolgerin, die außerhalb ihrer Tätigkeit im Heim keine weitere ärztlichen Aufgaben übernahm, bezog hingegen ein festes monatliches Gehalt .57 Anders als in den übrigen hier untersuchten Altersheimen gestaltete sich die Situation im jüdischen Altersheim in der Hamburger Rothenbaumchaussee, das im Jahr 1946 in die Betreuung der Hamburger Gesundheitsbehörde, d . h . einer staatlichen Institution, überging . Indem diese zugleich die Zuständigkeit für die ärztliche Versorgung der Heimbewohner besaß, zählte auch die Bestimmung eines Heimarztes zu ihren Befugnissen .58 Beschäftigten die Einrichtungen keinen eigenen Heimarzt, wurden die Bewohner von ihren Hausärzten, d . h . einem Arzt ihrer Wahl betreut .59 Dieser kam im Rahmen der hausärztlichen Versorgung regelmäßig in das Heim oder konnte von den alten Menschen in seiner Praxis aufgesucht werden . Den Bewohnern des „Altersheims Heilsberg“, das ebenfalls auf einen Heimarzt verzichtete, standen in unmittelbarer Nähe „drei ambulante Ärzte“ zur Verfügung .60 Ähnlich wurde in den jüdischen Altersheimen von Hannover und Neustadt verfahren, in denen sich ebenfalls jeder den Arzt

ZAH, B . 1/5, Nr . 44: SD an Paul J ., 11 .3 .1959 . Auch das provisorische Neustädter Altersheim besaß Ende der 1950er Jahre einen Heimarzt, der nicht „ständig im Heim anwesend“ war: ZAH, B . 1/40, Nr . 43: JKR an Ida W ., Ev . KH Essen-Werden, 25 .9 .1958 . 55 Laut Vertrag verpflichtete sich z . B . auch die Heimärztin der „Rosenau“ dazu, das Personal medizinisch zu betreuen: ZAH, B . 1/5, Nr . 124: Vertrag zwischen SD u . Frau Dr . Rebecca N ., 30 .4 .1954 . 56 ZAH, B . 1/5, Nr . 44: SD an Stefan M ., 22 .1 .1960 . 57 Die Heimärztin der „Rosenau“ erhielt 1954 ein Gehalt von monatlich 200  DM in bar: ZAH, B .  1/5, Nr . 124: Vertrag zwischen SD u . Dr . Rebecca N ., 30 .4 .1954 . 58 StAH, GB, 252-6, Nr . 1735: Gesundheitsverw . Ham ., 15 .1 .1946 . 59 Auch im „Jüdischen Altersheim Hannover“ konsultierten die Bewohner einen Arzt ihrer Wahl: ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Norbert P . an Johann L ., Haifa, Israel, 17 .7 .1963 . 60 LkAHN, B . 160, Nr . 12: Erica L . an Alma G ., Stuttgart-Vahingen, 8 .11 .1962 . 53 54

Ärztliche Versorgung

bestellen konnte, „den er möchte“ .61 Teilweise wohnten die Heimärzte sogar auf dem Heimgelände und waren somit in Notfällen sofort erreichbar . Da dies besonders für abseits gelegene Einrichtungen eine Rolle spielte, erwies es sich z . B . auch für die außerhalb der Stadt liegende „Rosenau“ als Glücksfall, dass die ab 1954 im Heim tätige Ärztin eine Wohnung im Heimgebäude bezog .62 Selbst wenn die jüdischen Altersheime bevorzugt Ärzte jüdischer Religion beschäftigten, erwies sich dieser Wunsch – v . a . durch den in Deutschland herrschenden Mangel an jüdischen Medizinern – nicht immer als realisierbar . Unter anderem besaß das Altersheim in Essen-Werden bis Mitte der 1950er Jahre einen nichtjüdischen Heimarzt, der zusätzlich zu seiner Praxis in Essen-Werden regelmäßig Sprechstunden im Heim abhielt .63 Ein- bis zweimal pro Woche erhielt er Unterstützung von einem Kollegen aus Düsseldorf, der – als einziger jüdischer Arzt der Gemeinde – zudem die seelische Betreuung der Heimbewohner übernahm .64 Obwohl sich beide Mediziner nicht in die Quere kommen, sondern sich vielmehr „bezüglich medizinischer Behandlungen“ gegenseitig beraten sollten,65 entstand schnell ein Konkurrenzverhältnis .66 Dabei fühlte sich der christliche Heimarzt Dr . P . von seinem jüdischen Kollegen Dr . H . zunehmend in die Rolle eines Assistenten gedrängt . Außerdem schien Dr . H . dem Christen Gerd P . die erforderliche Kompetenz zur psychischen Betreuung der jüdischen Patienten abzusprechen, obwohl dieser nach eigener Aussage in gleicher Weise „Seele und Leib“ behandeln würde .67 Die Düsseldorfer Synagogengemeinde äußerte zwar wiederholt ihre Zufriedenheit mit der Arbeit ihres christlichen Heimarztes, entschloss sich 1954 aber zur Einstellung einer „gerade aus dem Ausland“ zurückgekehrten jüdischen Ärztin .68 Die Gemeinde fühlte sich „zu diesem Schritt genötigt, da in letzter Zeit viele frühere jüdische Ärzte in die BRD zurückgekehrt“ waren69 und sie es als Verpflichtung ansah, den „Rückwanderern“ beim Wiederaufbau ihrer Existenz in Deutschland zu helfen .70

ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Norbert P . an Johann L ., Haifa, Israel, 17 .7 .1963; ZAH, B . 1/40, Nr . 42: JKR an Roland F ., 18 .1 .1965; ZAH, B . 1/40, Nr . 43: JKR an Robert R ., 28 .7 .1960 . 62 Die „Rückwanderin“ Dr . Rebecca N . erhielt sowohl Unterkunft als auch Verpflegung im Altersheim: ZAH, B . 1/5, Nr . 124: Vertrag zwischen SD u . Frau Dr . Rebecca N ., 30 .4 .1954; ZAH, B . 1/5, Nr . 124: SD an Dr . med . Gerd P ., Essen-Werden, 30 .3 .1954 . 63 ZAH, B . 1/5, Bur . 253: Vorst . SD an JTC, Ham ., 23 .1 .1952 . 64 ZAH, B . 1/5, Nr . 125: Dr . med . Gerd P . an Dr . Horst H ., Düss ., 10 .7 .1952; ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an Dr . Gerd P ., 30 .7 .1951 . 65 ZAH, B .  1/5, Nr .  125: SD an Dr . Horst H ., Düss ., 28 .5 .1951; ZAH, B .  1/5, Nr .  125: SD an Dr . Gerd P ., 30 .7 .1951 . 66 Folglich plädierte der christliche Heimarzt für eine klare Trennung der Aufgabengebiete: ZAH, B . 1/5, Nr . 125: Dr . Gerd P . an Dr . Horst H ., Düss ., 10 .7 .1952 . 67 ZAH, B . 1/5, Nr . 125: Dr . Gerd P . an Dr . Horst H ., Düss ., 10 .7 .1952 . 68 ZAH, B . 1/5, Nr . 124: SD an Dr . Gerd P ., Essen-Werden, 30 .3 .1954 . 69 ZAH, B . 1/5, Nr . 124: SD an Dr . Gerd P ., Essen-Werden, 30 .3 .1954 . 70 ZAH, B . 1/5, Nr . 124: SD an Dr . Gerd P ., Essen-Werden, 30 .3 .1954 . 61

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Betreuung der Heimbewohner

7.3

Beerdigungsmodalitäten und Nachlass

Sowohl im Christen- als auch im Judentum existieren traditionelle Sterbe- und Bestattungsriten, die  – abhängig von der Religiosität der Bewohner, Mitarbeiter und Heimträger  – auch in den Altersheimen Berücksichtigung fanden . Beispielsweise äußerten viele im Sterben liegende Heimbewohner den Wunsch nach dem Beistand eines Geistlichen, d . h . eines Rabbiners bzw . eines Pastors .71 Auch nach Eintritt des Todes bemühten sich die Heimmitarbeiter um die Einhaltung der wichtigsten Bestattungstraditionen, z . B . die Waschung und die Aufbahrung der Verstorbenen . In den jüdischen Heimen wurden diese Handlungen, wenn möglich, von der Chewra Kaddischa übernommen, bei der es sich um eine ehrenamtlich fungierende, für die Ausführung der traditionellen jüdischen Sterbe- und Bestattungsriten zuständige Beerdigungsgemeinschaft handelt .72 Unter anderem übernahm die Chewra Kaddischa auch die Betreuung schwer erkrankter und sterbender Personen sowie von deren Hinterbliebenen .73 Die Beisetzung der jüdischen Heimbewohner und -mitarbeiter erfolgte zumeist auf dem jüdischen Friedhof der für das Heim zuständigen jüdischen Gemeinde .74 Während ein – zumeist vom Heimträger beauftragtes – Beerdigungsinstitut die Bestattung organisierte, stellte die Gemeinde den Rabbiner und den Kantor .75 Zudem war in vielen Fällen die Chewra Kaddischa anwesend .76 Obwohl die jüdischen Religionsvorschriften eine Einäscherung Verstorbener untersagen, entschieden sich einzelne jüdische Heimbewohner und Mitarbeiter für eine Feuerbestattung – so auch eine Bewohnerin des hannoverschen Heims, die aus Solidarität mit ihrem von den Nationalsozialisten ermordeten Ehemann, der im KZ „im Krematorium verbrannt“ worden war, explizit eine Einäscherung wünschte .77 Ihre

Im Judentum spricht der Sterbende das Schuld- und Glaubensbekenntnis . Zudem wird ihm die Thora gereicht und das Trauergebet (Kaddisch) gesprochen . Vgl . dazu Paillon (2010), S .  181; Urban (2010), S . 50–55 . 72 Zur Chewra Kaddischa: Alexander-Ihme: Zur Praxis (1992), S . 243; Wolgast (2017), S . 187 ff .; Hennings (2008), S . 10 . Nach dem traditionellen jüdischen Ritus wird der Verstorbene nach der Waschung mit einem weißen Hemd bekleidet und einem weißen Tuch bedeckt . Am Kopfende werden zwei Kerzen entzündet . Zumeist übernimmt die Chewra Kaddischa diese Aufgabe: Alexander-Ihme: Zur Praxis (1992), S . 243; Trabert (2005), S . 47 f ., 58; Paillon (2010), S . 181; Urban (2010), S . 50–55 . Vgl . zudem Jütte (2016), S . 369–421; Probst (2017) . 73 Hennings (2008), S . 10 . 74 So erfolgte auch die Überführung der verstorbenen Heimleiterin der „Rosenau“ von Essen-Werden auf den jüdischen Friedhof in Düsseldorf, Standort der Synagogengemeinde: ZAH, B . 1/5, Nr . 124: SD an AOK, Essen-Werden, 16 .2 .1955 . 1981 wurde z . B . eine Bewohnerin des Neustädter Heims, wie zuvor auch ihr Ehemann, auf dem jüdischen Friedhof in Neustadt bestattet: ZAH, B . 1/40, Nr . 1: Benno W . an Pete R ., Israel, 16 .3 .1981 . 75 ZAH, B . 1/5, Nr . 124: SD an Sally M .-C ., Brüssel, 16 .12 .1953; ZAH, B . 1/40, Nr . 1: JKR an Nachlass Leonie T ., 16 .4 .1981 . 76 Z . B . ZAH, B . 1/40, Nr . 1: JKR an Nachlass Leonie T ., 16 .4 .1981 . Vgl . zudem Paillon (2010), S . 181 . 77 ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Vorst . jüd . Gem . Braun . an Siegmund F ., o . D . 71

Beerdigungsmodalitäten und Nachlass

Bestattung in Braunschweig durfte zwar auf dem jüdischen Friedhof erfolgen, die jüdische Gemeinde organisierte aber keinen Trauergottesdienst und auch das Kaddisch, d . h . das traditionelle jüdische Totengebet, musste allein von ihrem Sohn verlesen werden .78 Der 1962 verstorbene Hausmeister der „Rosenau“ erhielt ebenfalls eine Feuerbestattung .79 Die Erstattung der Beerdigungskosten erfolgte bevorzugt aus dem Nachlass der verstorbenen Bewohner . Insbesondere die aus dem Ausland zurückkehrenden Juden besaßen – im Gegensatz zu den Überlebenden der Konzentrationslager – häufig Sparbücher und ähnliche finanzielle Rücklagen, mit denen sowohl die Beerdigungskosten als auch die Grabpflege bezahlt werden konnten .80 Ansonsten verpflichteten sich – falls vorhanden – die Angehörigen zur Kostenübernahme .81 Bei Fürsorge- bzw . Sozialhilfeempfängern ohne zahlungsfähige Angehörige und bei Personen, die nur über ein geringes Vermögen verfügten, wurden die Kosten komplett oder zumindest anteilig aus öffentlichen Mitteln bezahlt .82 Da zwischen der Bestattung und der Kostenübernahme durch die zuständigen staatlichen Behörden aber meist einige Wochen oder Monate vergingen, mussten die Beerdigungskosten vorerst vom Heimträger, d . h . den jüdischen Gemeinden, ausgelegt werden, deren finanzielle Situation, wie später näher erörtert wird, ohnehin bereits angespannt war . Anfang 1952 kam z . B . die Düsseldorfer Synagogengemeinde für die Beerdigungskosten einer verstorbenen Bewohnerin auf, die weder noch lebende Angehörige noch finanzielle Rücklagen besaß . Für die als Nachlassverwalterin eingesetzte Gemeinde bestanden verschiedene Möglichkeiten zur Rückerstattung der Beerdigungskosten . Unter anderem existierte die Aussicht auf die Auszahlung eines Sterbegelds, da Frau T . zu Lebzeiten ein verfolgungsbedingter Gesundheitsschaden zuerkannt worden war .83 Sterbegeld konnte aber nur dann bewilligt werden, wenn der Tod „im ursächlichen Zusammenhang mit dem anerkannten Leiden“ stand, was im Falle von Frau T . allerdings nicht zutraf .84 Folglich wurde der von der Düsseldorfer Synagogengemeinde an das „Amt für Wiedergutmachung“ gestellte Antrag abgelehnt .85 Um „wenigstens einen Teil“ der Auslagen zurückzuerhalten,

ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Vorst . jüd . Gem . Braun . an Siegmund F ., o . D . Die Gründe dafür werden in den Quellen jedoch nicht gennant: ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Rosa B . an SD, 19 .2 .1962 . 80 So auch im Fall einer 1955 verstorbenen Bewohnerin der „Rosenau“: ZAH, B . 1/5, Nr . 124: SD an Amtsgericht, Essen-Werden, 17 .2 .1955, S . 2 . Hinzu kam ein kleiner finanzieller Beitrag für die Chewra Kaddischa, z . B . ZAH, B . 1/40, Nr . 1: JKR an Nachlass Leonie T ., 16 .4 .1981 . 81 ZAH, B . 1/5, Nr . 124: SD an Sally M .-C ., Brüssel, 16 .12 .1953 . 82 ZAH, B . 1/5, Nr . 123: Stadt Essen an SD, 2 .11 .1949 . 83 ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an RP Sonderabteilung für politisch u . RV, Düss ., 16 .1 .1952 . 84 ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an RP Sonderabteilung für politisch u . RV, Düss ., 16 .1 .1952 . 85 ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an RP Sonderabteilung für politisch u . RV, Düss ., 16 .1 .1952 . Auch bei einem weiteren verstorbenen Heimbewohner konnte „kein Zusammenhang zwischen Tod und Verfolgung“ festgestellt werden . Da der Tod mit 77 Jahren zudem ein „normale[r] Lebensabgang“ sei, wurde „kein Sterbegeld gewährt“: ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an Landesbezirksstelle für Wiedergutmachung Karlsruhe, 2 .8 .1951 . 78 79

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Betreuung der Heimbewohner

bemühte sich der Gemeindevorstand schließlich um einen Zuschuss der nordrheinwestfälischen Landesregierung .86 In einzelnen Fällen, v . a . wenn es sich um langjährige Heimbewohner gehandelt hatte, beteiligten sich die Heimträger aber auch freiwillig an den Beerdigungskosten .87 Zudem kam es immer wieder vor, dass Heimbewohner, die einen Antrag auf Entschädigungsleistungen – z . B . auf eine „Emigranten-Soforthilfe“ – gestellt hatten, noch vor der Bewilligung bzw . Auszahlung dieser Gelder verstarben . Da die Entschädigungsansprüche jedoch auf die Erben oder Nachlasspfleger übergingen, konnten diese die ausgezahlten Gelder zur Begleichung der Beerdigungskosten verwenden .88 Bei Bewohnern, die keine Angehörigen besaßen und kein Testament hinterlassen hatten, wurden in allen hier untersuchten jüdischen Altersheimen die Heimträger als Nachlasspfleger eingesetzt . Für die Bewohner des „Jüdischen Altersheims Hannover“ bestand sogar die Verpflichtung, „ihre Hinterlassenschaften“ dem Heim zu vermachen .89 Einem Bewohner riet der Heimvorstand sogar ausdrücklich davon ab, ein Testament zugunsten seines Neffen zu erstellen .90 Anders gestaltete sich die Situation im Heim der Düsseldorfer Gemeinde, wo die Bewohner selbständig über ihren Nachlass verfügen konnten und dementsprechend häufig testamentarisch genau festlegten, welcher Person welches Erbe zugutekommen sollte . Beispielsweise erhielt der Vorstand der Synagogengemeinde Mitte der 1950er Jahre zwar die Verfügung über die Barmittel der 1955 verstorbenen Heimleiterin Minna R .;91 da diese jedoch zu Lebzeiten ein Testament erstellt hatte, wurde die Verfügungsmacht des Gemeindevorstands deutlich beschränkt . So ging ein Anteil des Nachlasses von Frau R ., darunter ihre Wohnungseinrichtung, an den „Jüdischen Frauenverein Düsseldorf “ sowie an eine befreundete Heimbewohnerin und die Wohlfahrtsdezernentin der Gemeinde .92 Alleinstehende Menschen ohne Erben setzten aber tatsächlich sehr häufig den Heimträger sowie auch Mitbewohner als Erben ein, denen sie sowohl Geldbeträge als auch Möbel und Kleidung vermachten .93 Unter anderem hieß es Ende der 1970er Jahre im Testament einer Bewohnerin: „In diesem Schreiben möchte ich mich erkenntlich zeigen für all die Liebe die mir alle Menschen hier im Heim erwiesen haben und einige Andenken hinterlassen.“94 In den ersten Nachkriegsjahren besaßen die Bewohner der jüdischen Heime, insbesondere die KZ-Überlebenden, keine oder nur sehr geringe Geld- und Sachwerte . Nicht selten befanden sich die aus dem Exil zurückgekehrten Menschen hingegen in

86 87 88 89 90 91 92 93 94

ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an RP Sonderabteilung für politisch u . RV, Düss ., 16 .1 .1952 . ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an RP Sonderabteilung für politisch u . RV, Düss ., 16 .1 .1952 . ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an Bezirksregierung Düss . zur Weiterleitung an IM NRW, 22 .5 .1951 . ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Norbert P . an Anton G ., JAH, 14 .9 .1961 . ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Norbert P . an Anton G ., JAH, 14 .9 .1961 . ZAH, B . 1/5, Nr . 124: SD an Amtsgericht, Essen-Werden, 17 .2 .1955, S . 2 . ZAH, B . 1/5, Nr . 124: SD an Amtsgericht, Essen-Werden, 17 .2 .1955, S . 2 . Z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Cilly W . an SD, 10 .7 .1950 . Dem Heimleiter vermachte sie z . B . eine „Haargarnitur“: ZAH, B . 1/40, Nr . 1: Leonie T ., 2 .9 .1979 .

Verpfegung

einer vergleichsweise guten finanziellen Lage . Da zudem auch die Anzahl der Entschädigungsleistungen in den 1950er Jahren erheblich zunahm, hinterließen einige Heimbewohner neben Geldbeträgen ebenfalls eigene Möbel und Wertgegenstände, z . B . Schmuck .95 Eine 1958 verstorbene Heimbewohnerin der „Rosenau“ bedachte die Synagogengemeinde Düsseldorf in ihrem Testament sogar mit einem Betrag von 3 .000 DM .96 7.4

Verpflegung

Nach Kriegsende litten alle Altersheime – unabhängig davon, in welcher Trägerschaft sie sich befanden  – unter der allgemeinen Nahrungsmittelknappheit . Da die deutschen Juden die gleichen Lebensmittelrationen wie die restliche deutsche Bevölkerung erhielten und alten Menschen ohnehin geringere Mengen an Nahrung zugestanden wurden als der jüngeren, arbeitsfähigen Bevölkerung, waren auch die Bewohner der jüdischen Altersheime auf behördlich verordnete Zusatzrationen und Spenden angewiesen .97 Einrichtungen, die durch die regelmäßige Anwesenheit eines Heimarztes sowie pflegerisch ausgebildeter Mitarbeiter eine umfassende medizinische Versorgung gewährleisten konnten, profitierten jedoch in den Jahren nach Kriegsende – ähnlich den Krankenhäusern – von höheren Verpflegungssätzen .98 1946 erhielt daher z . B . das Hamburger Altersheim, indem „durch den Besuch eines Arztes und durch laufende ärztliche Betreuung – sei es auch nur einmal in der Woche“ – bewusst der „Krankenhauscharakter des Heimes“ hervorgehoben wurde, „auf Drängen“ des Joint „Zusatzbezugsscheine“ von der städtischen Gesundheitsbehörde .99 Obwohl einige Heime über eigene Nutzgärten verfügten und Gemüse und Obst anbauten,100 mussten alle jüdischen Einrichtungen bis in die 1950er Jahre hinein auf Lebensmittelspenden zurückgreifen . Im Februar 1948 bat z . B . das kurz zuvor eröffnete „Altersheim Rosenau“ um Lebens-

1961 hinterließ eine Heimbewohnerin mehrere Möbel, u . a . eine Couch, einen Polstersessel und einen Vitrinenschrank, sowie Schmuck, z . B . eine Brillantbrosche: ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Emma K . an SD, 6 .3 .1961, Anlage 1–3 . 1981 hinterließ eine Bewohnerin des Neustädter Heims sogar Schmuck im Wert von 15 .036 DM: ZAH, B . 1/40, Nr . 1: Walter H ., Goldschmiedemeister, Neustadt, 13 .8 .1981 . Weiterhin vererbte sie an ihre in den USA lebende Schwester 64 .407 DM, an ihre Nichte in Argentinien 5 .000 DM sowie 3 .500 DM an das „DRK und Bedürftige“: ZAH, B . 1/40, Nr . 1: Finanzamt Kaiserslautern an JKR, 10 .8 .1981, S . 4 . 96 ZAH, B . 1/5, Nr . 44: SD an Fritz K ., Düss ., 1 .8 .1958 . 97 Büttner (1986), S . 16; vgl . auch Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 233 ff . 98 StAH, GB, 252-6, Nr . 1735: Gesundheitsverw . Ham ., 15 .1 .1946 . 99 StAH, GB, 252-6, Nr . 1735: Gesundheitsverw . Ham ., 15 .1 .1946 . 100 Zum „Altersheim Rosenau“ gehörte z . B . ein etwa sieben Morgen großer parkähnlicher Garten, der auch für Gemüse- und Obstanbau genutzt wurde . Zudem existierte ein Gewächshaus: ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Ber . über Bes . u . Bespr . im JAR, 27 .7 .1950, S . 3 . 95

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Betreuung der Heimbewohner

mittel sowie Kleidung für etwa 15 bis 20 Personen .101 Das Joint lieferte sogar noch bis Anfang der 1950er Jahre kontinuierlich eine große Anzahl an Lebensmitteln an das Heim in Essen-Werden und trug somit erheblich zur Versorgung der alten Menschen bei .102 Darüber hinaus erhielt das Heim kleinere Spenden von weiteren internationalen jüdischen Organisationen, im Februar 1948 48 „Büchsen Milch“ und zwei „Büchsen Trinkschokolade“ .103 Kleinspenden in Form von Lebensmitteln kamen außerdem von einzelnen Privatpersonen .104 Für rituell geführte Einrichtungen konnten sogar koschere Care-Pakete105 – u . a . über das Rote Kreuz – organisiert werden .106 Trotz aller Spenden gestaltete sich die Nahrungsmittelversorgung in allen deutschen Altersheimen häufig aber nur unzureichend, zumal v . a . ein Mangel an frischen Lebensmitteln bestand . Im „Altersheim Rosenau“ kam es Anfang 1950 zu wiederholten Klagen über die nicht ausreichende Verpflegung, die einem Bericht des Heimträgers zufolge tatsächlich zu wenig Frischfleisch und Fisch enthielt .107 Erst ab Mitte der 1950er Jahre gelang es den Altersheimen, ihren Bewohnern wieder sättigende, schmackhaftere und ausgewogenere Mahlzeiten zu servieren, darunter eine zusätzliche Kaffee-Mahlzeit am Nachmittag .108 Bis Mitte der 1960er Jahre wurden kostspielige Nahrungsmittel wie Bohnenkaffee und Butter häufig aber ausschließlich sonntags sowie an Feiertagen serviert .109 Während in den unmittelbaren Nachkriegsjahren der Fett- und Kalorienanteil der Speisen möglichst hoch sein sollte,110 rückte mit Besserung der Ernährungslage zunehmend auch die ernährungsphysiologische Qualität der in den Heimen verarbeiteten Lebensmit101 Die Lieferungen des Joint wurden über das Wirtschaftsamt verteilt: ZAH, B . 1/5, Nr . 123: SD an Wirtschaftsamt c/o jüd . Gem . Bremen, 16 .2 .1948 . 102 ZAH, B . 1/5, Bur . 253: Vorst . SD an JTC, Ham ., 23 .1 .1952 . 103 ZAH, B . 1/5, Nr . 123: Jewish Committee for Relief Abroad, Jewish Relief Unit, an Julius D ., SD, 9 .2 .1948 . Als diese Spende in einer englischsprachigen jüdischen Zeitschrift jedoch als große Leistung hervorgehoben wurde, bemerkte die Düsseldorfer Gemeinde verärgert: „Die paar Kakaobüchsen und die paar Pfund Wolle können wir angesichts des großen Werkes und der ununterbrochenen Versorgung mit Lebensmitteln durch den Joint keinesfalls als Leistung betrachten“: ZAH, B . 1/5, Nr . 123: SD an Jewish Relief Unit, Düss ., 5 .5 .1948 . 104 1950 besuchte z . B . das in den USA lebende Ehepaar R . die „Rosenau“ und spendete dem Heim 100 kg Zucker: ZAH, B . 1/5, Nr . 21: SD an Willy L ., USA, 3 .11 .1950 . 105 Die amerikanische Hilfsorganisation „Care“ („Cooperative for American Remittances to Europe“) wurde 1945 mit dem Ziel gegründet, international, d . h . auch „über ehemalige Feindeslinien hinweg“, Hilfe zu leisten . Diese bestand v . a . in der Versendung von Nahrungsmitteln: https://www .care .de/ueber-uns/ unsere-geschichte . 106 ZAH, B . 1/2, Nr . 251: Jüd . Gem . Bremen e . V . an CJC, Gemeindeabt ., Lübeck, 16 .5 .1950, S . 25 . 107 Ein Zustand, der trotz finanzieller Schwierigkeiten möglichst schnell behoben werden sollte: ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Jahresber . über „Rosenau“, 21 .1 .1950 . 108 Das Frühstück setzte sich zumeist aus Brot, Margarine oder Butter, Marmelade und Kornkaffee zusammen . Mittags gab es eine warme Mahlzeit, häufig Fleisch mit Gemüse und einer „Sättigungsbeilage“, sowie ein Dessert bzw . Obst . Am Nachmittag wurden Kaffee und Gebäck, abends Brot und Aufschnitt, z . T . auch eine warme Suppe u . Ä . serviert . Vgl . dazu ZAH, B . 1/5, Nr . 44: SD Düss . an Elda W ., 28 .11 .1960; ZAH, B . 1/40, Nr . 43: JKR an Alfred L ., Lon ., 5 .8 .1969; Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 237 ff . 109 Vgl . Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 238 . 110 In den nichtjüdischen Einrichtungen konnte v . a . das häufig verwendete, preisgünstige Schweinefleisch zur Erhöhung der Kalorienzahlen beitragen: Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 238 .

Verpfegung

tel in den Fokus der Fachliteratur zur Altenpflege .111 Dass z . B . in der Küche des jüdischen Altersheims in Hannover ausschließlich fettärmeres Kalb- und Geflügelfleisch und „daher qualitativ hochwertigere Nahrungsmittel“ verwendet wurden, erhöhte nicht nur die Qualität der Verpflegung, sondern ebenfalls die Attraktivität des Heims .112 In einigen Fällen verleiteten die im Haus gebotenen Mahlzeiten sogar „die Bewohner anderer jüdischer Altersheime zum Wechsel nach Hannover“ .113 Wie später beschrieben wird, resultierte der Einkauf teurerer Lebensmittel jedoch zwangsläufig in einer Steigerung der Betriebskosten und somit letztlich auch der Pflegesätze .114 Selbst wenn alle Heimbewohner gleichermaßen unter der anfangs schlechten Versorgungssituation litten, besaß die Verfügbarkeit einer ausreichenden Menge an Nahrung für die Überlebenden der Konzentrationslager eine besondere Bedeutung . Nach der jahrelangen extremen Mangelernährung und der ständigen Angst, zu verhungern oder von anderen Häftlingen bestohlen zu werden, gewöhnten sich viele KZ-Überlebende erst langsam wieder an regelmäßige Mahlzeiten und eine ausreichende Anzahl von Lebensmitteln für sich und ihre Mitbewohner . Somit war es z . B . selbst noch Jahrzehnte nach Kriegsende keine Seltenheit, dass einzelne Heimbewohner heimlich Essen aus dem Speisesaal mit in ihr Zimmer nahmen, um es dort vor ihren Mitbewohnern zu verstecken bzw . für eventuelle Notzeiten aufzubewahren .115 Meist handelte es sich um besonders hochwertige oder nahrhafte Nahrungsmittel wie Butter oder Brot .116 Darüber hinaus brauchte eine große Zahl der im Altersheim lebenden alten Menschen aufgrund gesundheitlicher Beschwerden eine Diätverpflegung . So boten nahezu alle Heime bereits in den 1950er Jahren eine spezielle Diätkost an .117 Darauf waren in besonders vielen Fällen die Opfer des Nationalsozialismus angewiesen, die durch jahrelange Verfolgung häufig „starke gesundheitliche Schäden erlitten“ hatten .118 Die Diätkost bedurfte jedoch einer ärztlichen Verordnung, außerdem wurde ein finanzieller Aufschlag verlangt .119 Bedingt durch die steigende Anzahl an Typ-II-Diabetikern plädierte die Fachliteratur zur Altenpflege ab den 1960er Jahren zwar für den Einsatz von

Vgl . Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 238 . ZAH, B . 1/6, Nr . 552: PMV JAH, 12 .4 .1956, S . 2 . ZAH, B . 1/6, Nr . 553: PMV JAH, 19 .11 .1969, S . 2 . Vgl . z . B . ZAH, B . 1/6, Nr . 552: PMV JAH, 12 .4 .1956, S . 3 . Im provisorischen jüdischen Altersheim in Neustadt wurde Mitte der 1950er Jahre z . B . für die Verpflegung fast doppelt so viel Geld ausgegeben wie für die Gehälter der Mitarbeiter: ZAH, B . 1/40, Nr . 305: ZWST, Frankf ., betr . Etat unseres AH, 13 .6 .1956 . 115 Vgl . z . B . ZAH, B . 1/6, Nr . 551: JAH, Marie W ., an Vorst . JAH, 14 .9 .1962 . 116 Z . B . ZAH, B . 1/6, Nr . 551: JAH, Marie W ., an Vorst . JAH, 14 .9 .1962 . 117 Dazu gehörten u . a . Diabetes-, Magen-, Leber- und Gallendiäten . Vgl . dazu Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 240 f . 118 ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an IM NRW, 16 .1 .1951 . 119 Im „Jüdischen Altersheim Hannover“ kostete die Diät-Verpflegung 1  DM pro Tag: ZAH, B .  1/6, Nr . 552: JAH an Aline H ., 10 .1 .1964 . 111 112 113 114

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Betreuung der Heimbewohner

diätisch geschulten Fachkräften,120 in der Praxis erwies sich diese Forderung aber als kaum umsetzbar .121 Demzufolge übernahm weiterhin das Küchenpersonal – außerhalb der „Küchenzeiten“ auch das Pflege- oder Hauspersonal122 – „nach Anweisung der betreuenden Ärzte“ die Zubereitung der erforderlichen Diäten .123 An Festtagen servierten alle Altersheime besondere Gerichte und Lebensmittel . In den jüdischen Heimen galt dies besonders für religiöse Feste wie Chanukka und die Sederabende .124 Auch in den Altersheimen für rassisch verfolgte Christen waren die wichtigen religiösen Feste wie Weihnachten und Ostern ein Anlass für üppigere Mahlzeiten . Dabei erhielten die Bewohner bereits zum Frühstück Lebensmittel, die ansonsten nicht täglich auf dem Speiseplan standen, u . a . Weißbrot, Butter und Bohnenkaffee .125 Sowohl bei jüdischen als auch bei christlichen Festen gehörte zudem der Verzehr bestimmter Speisen zu den grundlegenden Festtagstraditionen . Beliebt war z . B . traditionelles süßes Festtagsgebäck . So aß man etwa in christlichen Einrichtungen in der Weihnachtszeit Christstollen und in den jüdischen Häusern wurden am Purimfest süße „Hamantaschen“ gebacken .126 In den meisten Altersheimen erfolgte die gemeinsame Einnahme der Mahlzeiten in einem Speisesaal bzw . -raum . Kranken und pflegebedürftigen Heimbewohnern wurde das Essen jedoch auf dem Zimmer serviert .127 Für diese Serviceleistung verlangten einige Einrichtungen ein zusätzliches Entgelt .128 Im jüdischen Altersheim in Neustadt konnten sich auch gesunde, nicht bettlägerige Bewohner „gegen einen Zuschlag das Frühstück aufs Zimmer servieren lassen“ .129 Nahmen Bewohner den Zimmerservice nur in Ausnahmefällen in Anspruch, gehörte dieser zum normalen Alltagsservice, für den keine Extrakosten anfielen . 1962 reagierte z . B . eine Bewohnerin des Heilsberger Heims sehr erfreut, als ihr die im Heim tätige Krankenschwester – damit sie sich nicht

Lohmann: Die Lebenssituation (1970), S . 127 . Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 240 f . Da z . B . eine Bewohnerin der „Rosenau“ Anfang der 1960er Jahre „strengste Diät“ halten musste und aus diesem Grund am späteren Abend eine weitere Mahlzeit zu sich nehmen sollte, servierte ihr die diensthabende Schwester täglich um 21 Uhr eine warme Suppe: ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Rosa B . an SD, 7 .7 .1962 . 123 LkAHN, B . 160, Nr . 12: Erica L . an Alma G ., Stuttgart-Vahingen, 8 .11 .1962 . 124 So gab es im „Altersheim Rosenau“ am zweiten Sederabend eine geschmückte Festtafel und die Heimküche servierte „kulinarische Genüsse“: ZAH, B . 1/5, Nr . 73: „Im JAR […]“, o . D . (1960er Jahre) . Vgl . zudem ZAH, B . 1/6, Nr . 551: PMV JAH, 23 .7 .1968; ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Rosa B . an SD, 8 .1 .1963 . 125 So der Speiseplan eines Westberliner Heims für rassisch verfolgte Christen an Weihnachten 1962 . Die Mittagsmahlzeit bestand aus Nudeleintopf mit Gänseklein sowie einer Orange; am Nachmittag wurden Christstollen und Apfelkuchen gereicht; abends erhielten die Bewohner neben dem sonst üblichen Wurstund Käseaufschnitt zusätzlich kalten Braten: LkAHN, B . 160, Nr . 13: Erna B . an Walter R ., 31 .3 .1962, Anhang 2: Speiseplan Heinrich-Grüber-Haus Berlin . 126 ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Emma K . an SD, 6 .3 .1961; ZAH, B . 1/6, Nr . 551: JAH, Norbert P ., an JAH, 16 .2 .1961 . 127 Z . B . ZAH, B . 1/40, Nr . 47: HL Josef L . an Pensionäre, 3 .8 .1966 . 128 Vgl . u . a . ZAH, B . 1/40, Nr . 1: JKR an Leoni T ., 20 .12 .1962 . 129 ZAH, B . 1/40, Nr . 1: Josef L ., JKR, an Fritz N ., Bad H ., 17 .3 .1959 . 120 121 122

Verpfegung

bei ihrem Weg zum Speisesaal erkälten würde – nach dem Baden das Essen freiwillig ins Zimmer gebracht hatte .130 Da ein großer Teil des Personals „freie Kost und Logis“ erhielt, profitierte es ebenfalls von der im Heim gebotenen Verpflegung .131 Während die Wohnungen der mit ihrer Familie auf dem Heimgelände wohnenden Hausmeister und Heimleiterehepaare meist eine eigene Küche besaßen, war der Einsatz von Kochplatten u . Ä . in den Zimmern des übrigen Personals nicht erwünscht oder sogar ausdrücklich verboten .132 Die täglichen Mahlzeiten spielten in allen Altersheimen eine tragende Rolle für das psychische Wohlbefinden der Bewohner .133 Folglich bot die im Heim angebotene Verpflegung – wie später dargestellt wird – immer wieder Anlass zu Konflikten . Einige Bewohner beschwerten sich regelmäßig, z . T . sogar in Form von seitenlangen Briefen an den Heimträger, über das Essen und dessen Qualität .134 In diesem Zusammenhang äußerten sie häufig auch Verbesserungsvorschläge und zogen dabei sogar die Speisepläne anderer Altersheime als Vorbild heran .135 Während sich die Kritik der meisten Bewohner v . a . auf die Menge, den Fleischanteil und insbesondere den Geschmack des Essens bezog, bemängelte ein Ehepaar zudem die ernährungsphysiologische Qualität der Speisen . In diesem Zusammenhang demonstrierte es zugleich seine Bildung bzw . vorgebliche Überlegenheit gegenüber dem vermeintlich unwissenden Küchenpersonal .136 Unter anderem verwies Frau B . auf die hohe Schadstoffbelastung von Rindernieren sowie auf die „überfetteten Saucen und Suppen“ .137

LkAHN, B . 160, Nr . 12: Katharinen- und Weissfrauenstift, Frankf ., an Erica L ., AHH, o . D . (März 1962) . Z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an Irma A ., Lon ., 12 .4 .1951; ZAH, B . 1/5, Nr . 180: Rosa B . an SD, 24 .4 .1966 . Vgl . auch ZAH, B . 1/5, Nr . 124: Vertrag zwischen SD u . Frau Dr . Rebecca N ., 30 .4 .1954 . 132 Dass z . B . eine in der „Rosenau“ angestellte Pflegerin häufig in ihrem Zimmer kochte, galt nicht nur als zu gefährlich, sondern – aufgrund hoher Strompreise – ebenfalls als zu kostenintensiv: ZAH, B . 1/5, Nr . 180: Rosa B . an SD, 27 .2 .1966 . 133 Nicht selten fungierte die Nahrungsaufnahme als Ersatz für menschliche Zuwendung . Daher erwiesen sich kohlenhydrathaltige Lebensmittel wie Süß- und Mehlspeisen als besonders beliebt: Beske (1960), S . 64 . 134 Vgl . dazu z . B . LkAHN, B . 160, Nr . 13: Erna B . an Walter R ., 31 .3 .1962, Anhang 1; LkAHN, B . 160, Nr . 13: Erna B . an Walter R ., DW Frankf ., 21 .3 .1962 . 135 LkAHN, B . 160, Nr . 13: Erna B . an Walter R ., DW Frankf ., 21 .3 .1962, Anhang 2: Speiseplan HeinrichGrüber-Haus Berlin . 136 LkAHN, B . 160, Nr . 13: Erna B . an Walter R ., 31 .3 .1962, Anhang 1 . 137 Außerdem plädierte sie für einen höheren Anteil an Rohkost: LkAHN, B . 160, Nr . 13: Erna B . an Walter R ., 31 .3 .1962 . 130 131

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Betreuung der Heimbewohner

Abb. 2

Altersheim in Neustadt i. d. Pfalz (Neubau), Speisesaal (o. D., 1960er Jahre)138

In der jüdischen Religion existieren für die Zubereitung und den Verzehr von Speisen bestimmte, auf der Thora basierende Speisegesetze . Diesen zufolge sind ausschließlich „koschere“ Lebensmittel erlaubt . Dazu zählen u . a . das Fleisch von Wiederkäuern mit gespaltenen Hufen sowie von Geflügel und Fisch, der allerdings Schuppen und Flossen aufweisen muss . Verboten sind hingegen Schweinefleisch, Meeresfrüchte sowie alle bluthaltigen Nahrungsmittel .139 Zudem dürfen Fleisch und Milchprodukte niemals zusammen verarbeitet und gegessen werden .140 Unter den in der Nachkriegszeit in Deutschland lebenden Juden bestand bezüglich der Einhaltung religiöser Speisevorschriften keine einheitliche Meinung . Da ein großer Teil der deutschen Juden bereits in der Vorkriegszeit nicht streng religiös gelebt hatte,141 legten sie oft auch weiterhin wenig Wert auf die Einhaltung der Kashrut-Regeln . Dies traf z . B . auf die jüdische Gemeinde in Hannover zu, in der sich Mitte der 1960er Jahre sogar nur sechs von insgesamt etwa 200 Haushalten koscher ernährten .142 Im hannoverschen Altersheim wurde daher ebenfalls nicht koscher gekocht und ledig-

138 139 140 141 142

ZAH, B . 1/40, Nr . 387: Fotosammlung: JAN, o . D . (1960er Jahre) . Vgl . z . B . Urban (2010), S . 49 . Urban (2010), S . 49 . Vgl . z . B . Dietrich (1998), S . 85 . ZAH, B . 1/6, Nr . 709: PMV JAH, 23 .2 .1966, S . 1 f .

Verpfegung

lich auf Schweinefleisch verzichtet .143 Gleichermaßen wenig Beachtung fanden die religiösen Speisevorschriften in den Altersheimen der Synagogengemeinde Düsseldorf und der „Jüdischen Kultusgemeinde der Rheinpfalz“ .144 Auch die dort lebenden alten Menschen, die überwiegend dem liberalen Judentum angehörten, schienen mit der gebotenen Heimverpflegung keine „Schwierigkeiten“ zu haben .145 Die Versorgung mit koscheren Lebensmitteln gestaltete sich – zumindest in den ersten Nachkriegsjahren – in vielen Städten ohnehin keineswegs einfach . In Hamburg wurde das Schächten zwar im März wieder offiziell erlaubt; der für die rituelle Schächtung zuständige Schochet musste jedoch erst aus Bergen-Belsen anreisen und stand den Hamburger Juden nur einmal pro Woche zur Verfügung .146 Da das 1945 eröffnete jüdische Altersheim keine koschere Küche besaß, fiel der Verzicht auf koscheres Fleisch den meisten Heimbewohnern aber wohl nicht allzu schwer . In Frankfurt am Main hingegen, das über eine der größten jüdischen Gemeinden in Deutschland verfügte, konnte schon in den Nachkriegsjahren geschächtet werden; es existierten sogar mehrere koschere Metzgereien,147 die u . a . auch das orthodoxe Altersheim mit Fleisch versorgten .148 Im Jahr 1957 konnte schließlich auch in Hamburg durch einen in der Stadt ansässigen Schochet erstmals wieder regelmäßig rituell geschlachtet werden .149 Davon profitierte ebenfalls das neue, 1958 eröffnete rituell geführte jüdische Altersheim in der Schäferkampsallee .150 Für das Altersheim der Düsseldorfer Synagogengemeinde in Essen-Werden ergaben sich jedoch weitaus mehr Schwierigkeiten . Obwohl im Heim keine koscheren Mahlzeiten serviert wurden, bevorzugte der Heimträger spätestens Anfang der 1960er Jahre die Verwendung von koscher geschlachtetem Frischfleisch .151 Da aber im näheren Umkreis keine koschere Metzgerei existierte, ließ sich die Heimleiterin sowohl Werbebroschüren als auch Fleischproben von auswärtigen Schlachtern zusenden .152 Zudem berücksichtigte sie bei ihrer Auswahl die Erfahrungen und Empfehlungen anderer jüdischer Heimleitungen .153 Dass sich das Heim wiederholt Frischfleisch und Wurstwaren von verschiedenen koscheren Metzgereien aus der ganzen Bundesrepublik liefern lassen musste, u . a . sogar aus München und Frankfurt, verband sich jedoch mit erheb-

ZAH, B . 1/6, Nr . 709: PMV JAH, 23 .2 .1966, S . 1 f .; ZAH, B . 1/6, Nr . 552: PMV JAH, 12 .4 .1956, S . 3 . Vgl . z . B . ZAH, B . 1/5, Bur . 262: Vorst . SD an Stella G ., Asten, 28 .3 .1958; ZAH, B . 1/40, Nr . 2: JAN an Karl K ., 24 .8 .1972 . 145 ZAH, B . 1/5, Nr . 46: Minna K ., Montevideo, an SD, 6 .7 .1959; ZAH, B . 1/40, Nr . 42: Georg B . an JKR, 25 .4 .1968 . 146 https://juedische-geschichte-online .net/ausstellung/juedisches-leben-seit-1945#beginning/5 . 147 Vgl . u . a . ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Rosa B . an SD, 29 .10 .1961 . 148 ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Joint an JGH, 29 .4 .1963 . 149 Lorenz (2010) . 150 Das Heim befand sich in der gleichen Straße wie das Ende des 19 . Jahrhunderts eingeweihte Altersheim der israelitischen Gemeinde von Hamburg: Lorenz (2010); Studemund-Halévy (2011) . 151 Vgl . z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Simon M ., Mü ., an SD, 14 .8 .1961 . 152 ZAH, B . 1/5, Nr . 73: SD an Rosa B ., 14 .11 .1963; ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Rosa B . an SD, 29 .10 .1961 . 153 ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Rosa B . an SD, 29 .10 .1961 . 143 144

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Betreuung der Heimbewohner

lichen Problemen .154 So entsprachen die gelieferten Fleisch- und Wurstproben häufig nicht den Ansprüchen der Heimleiterin . Beispielsweise sah das – bedingt durch die meist lange Lieferzeit von etwa einem Tag – stark gesalzene Fleisch, „wenn es ankommt […] nicht mehr so appetitlich aus“ .155 Als ab 1962 „nur noch rituell geschlachtetes Fleisch“ verwendet werden sollte, bestellte die Heimleiterin pro Woche „stets eine grössere Menge von den auswärts wohnenden rituellen Schlachtern“ .156 Um die Fleischwaren „während der Woche“ ausreichend gekühlt aufbewahren zu können, erwies sich die Anschaffung eines zwar kostspieligen, zugleich aber leistungsfähigeren großen Kühlschranks letztlich als unvermeidbar .157 Obwohl die „Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland“ schon in den späten 1950er Jahren den Wunsch äußerte, dass alle jüdischen Heime eine rituelle Küche besitzen sollten, zeigten – wie oben dargestellt – die jüdischen Gemeinden in Hannover, Neustadt und Düsseldorf bis in die 1960er Jahre oder auch länger wenig Interesse an einer Versorgung mit koscheren Produkten .158 Besondere Gäste – z . B . ein zum Neujahrsfest ins Altersheim in Hannover eingeladenes Rabbiner-Ehepaar – erhielten jedoch auf Wunsch koscheres Fleisch .159 Auf die meisten anderen rituell lebenden Besucher wurde hingegen weniger Rücksicht genommen . Beispielsweise wollte eine streng rituell lebende Jüdin, die als Besucherin einen dreitägigen Aufenthalt im Neustädter Heim plante, zwar an der normalen Heimverpflegung teilnehmen, dann aber „nur Milchspeisen essen“, um nicht gegen die Trennung von milchigen und fleischigen Speisen verstoßen zu müssen .160 Auch bei weiteren Außenstehenden traf die in den hier genannten Heimen praktizierte Nichteinhaltung der jüdischen Speisegesetze teilweise auf wenig Verständnis . 1958 schrieb z . B . eine jüdische Krankenschwester, die sich in der „Rosenau“ für den Posten der Heimleiterin bewarb: „dass Ihr Altersheim nicht rituell geführt wird hat mich, aufrichtig gesagt sehr gewundert und aus diesem Grunde, wäre ich genötigt, im Falle meiner Anstellung mich selbst zu verköstigen.“161 Zunehmend schwierig erwies sich die Beschäftigung jüdischer Mitarbeiter auch im „Jüdischen Altersheim Hannover“, wo sich im Jahr 1963 selbst unter Zuhilfenahme des Joint keine „geeignete Person“ für die Heimleitung finden ließ . So zog u . a . ein streng orthodoxes, sich bereits in der näheren Auswahl befindliches Ehepaar seine Bewerbung wieder zurück, als es

154 Z . B . bot ein Münchner Metzger dem Heim die wöchentliche Lieferung von mehreren Kilo Wurstwaren, Rind- und Kalbfleisch an: ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Simon M ., Mü ., an SD, 14 .8 .1961 . 155 ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Rosa B . an SD, 29 .10 .1961 . 156 ZAH, B . 1/5, Nr . 73: SD an Dir . Landschaftsverb . Rheinl ., LF, Köln-Deutz, 20 .3 .1962 . 157 ZAH, B . 1/5, Nr . 73: SD an Dir . Landschaftsverb . Rheinl ., LF, Köln-Deutz, 20 .3 .1962 . 158 ZAH, B . 1/5, Bur . 262: Vorst . SD an Emma W ., Frankf ., 17 . o . M . 1958 . Im „Elternheim der jüdischen Kultusgemeinde der Rheinpfalz“ in Neustadt erfolgte innerhalb des Untersuchungszeitraums keine Umstellung auf eine koschere Verpflegung: ZAH, B . 1/40, Nr . 2: JAN an Karl K ., 24 .8 .1972 . 159 ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Vorst . JAH an JAH, 5 .9 .1961 . 160 ZAH, B . 1/40, Nr . 43: Anneliese L ., Ludwigshafen, an JKR, 14 .9 .1960 . 161 ZAH, B . 1/5, Bur . 262: Stella G . an Vorst . SD, 8 .4 .1958 .

Verpfegung

davon erfuhr, dass das Haus nicht rituell geführt werden würde .162 Aus den gleichen Gründen verzeichnete das hannoversche Altersheim seit Anfang der 1960er Jahre ebenfalls einen deutlichen Rückgang an Heimanwärtern .163 Sowohl zur Anwerbung orthodoxer Juden als auch als Reaktion auf den zunehmenden Druck von außen – v . a . von den „höheren jüdischen Instanzen“, die dem Heimbetrieb „erhebliche“ finanzielle Zuschüsse gewährten – beschloss der Heimvorstand im Februar 1966 schließlich eine Umstellung auf koschere Kost .164 Im Vorfeld der Umstrukturierung kam es unter den Mitgliedern des Heimvorstands zu einer regen und durchaus kontroversen Diskussion über die Vor- und Nachteile einer koscheren Küche . Dass diese nicht nur von den Heimbewohnern, sondern ebenfalls von auswärtigen Gästen in Anspruch genommen werden würde, gehörte zu den von den Befürwortern einer koscheren Ernährung am häufigsten herangeführten Argumenten .165 Die Neustrukturierung der Verpflegung erforderte zahlreiche Umbauten und Neuanschaffungen . Da eine wichtige Voraussetzung für die Einhaltung der Kashrut-Gesetze in der Einrichtung einer zweiten Küche bestand, mussten alle für die Zubereitung und den Verzehr der Mahlzeiten benötigten Geräte, Maschinen, Möbel und Gegenstände komplett neu erworben werden .166 Dazu zählte z . B . das Essgeschirr und -besteck für etwa 80 Personen in jeweils doppelter Anzahl .167 Weitere Neuanschaffungen waren spezielle Behälter zum Warmhalten der bereits am Vortag des Sabbat – an dem Speisen weder gekocht noch erwärmt werden durften – zubereiteten Mahlzeiten .168 Neben dem Umbau der Küche erfolgte ebenfalls eine Unterteilung des Speisesaals, um die getrenn162 ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Joint an JGH, 14 .5 .1963 . 1961 musste z . B . auch für die zu Rosch Haschanah eingeladenen Rabbiner extra koscheres Fleisch bestellt werden: ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Norbert P . an JAH, 5 .9 .1961 . 163 ZAH, B . 1/6, Nr . 709: PMV JAH, 23 .2 .1966, S . 1 f . 164 ZAH, B . 1/6, Nr . 2076: JAH, Rundschreiben, 25 .2 .1966 . Vgl . dazu auch ZAH, B . 1/6, Nr . 709: PMV JAH, 23 .2 .1966, S . 1 f . Der Speiseplan sah z . B . im Sommer 1967 folgende Speisen vor: Sonntag: mittags: Kalbsbraten, Pfifferlinge, gemischter Salat, Kartoffeln, Kaltschale/Diät: gedünstetes Kalbsfleisch, Bohnengemüse; abends: Käseplatte, Tomate . Montag: mittags: Hühnerbrühe mit Reis, Königsberger Klopse, Gurkensalat, Kartoffeln, Grapefruit/Diät: grüner Salat; abends: gemischte Platte . Dienstag: mittags: Kalbsrollbraten, Karotten, Blumenkohl, Kartoffeln, Pfirsich (Vorsuppe); abends: Rührei, Quark, Tomate . Mittwoch: mittags: Fruchtsuppe, Kochfisch, Kräutersoße, Kartoffeln, grüner Salat, Grießpudding mit Himbeersaft; abends: Fleischplatte . Donnerstag: mittags: Nudelsuppe, Rindfleisch, Meerrettichsoße, Kartoffeln, Bohnensalat, Pflaumen; abends: vegetarisch . Freitag: mittags: Apfelreis; abends: Hühnerbrühe, Leberklößchen, gebratenes Hähnchen, gemischter Salat, Kartoffeln, Zitronencreme/Diät: gedünstetes Hähnchen, grüner Salat . Sonnabend: mittags: Kaltschale, Schmorbraten, Gurkensalat, Kartoffeln, Pfirsich/Diät: gekochtes Huhn, Reis, Karotten; abends: Käseplatte, Birne . Auch unter der Woche wurde abends oft ein warmes Gericht serviert, z . B . Omelett mit Preiselbeeren, Rührei oder Hackbraten . Zudem erhielten die Bewohner fast immer eine Vorsuppe, eine Nachspeise, viel Obst und abends häufig Kakao: ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Speisekarte, 30 .7 .–5 .8 .1967 . 165 Teilweise hatten sich sogar „Außenstehende beschwert […], dass man hier nicht mal koscher essen kann“: ZAH, B . 1/6, Nr . 709: PMV JAH, 23 .2 .1966, S . 1 ff . 166 ZAH, B . 1/6, Nr . 709: PMV JAH, 23 .2 .1966, S . 3; ZAH, B . 1/6, Nr . 552: o . N ., Bad Nauheim, an Vorst . JGH, 5 .10 .1965 . 167 ZAH, B . 1/6, Nr . 709: PMV JAH, 23 .2 .1966, S . 2 . 168 ZAH, B . 1/6, Nr . 709: o . N ., Bad Nauheim, an Vorst . JGH, 5 .10 .1965 .

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Betreuung der Heimbewohner

te Einnahme von milchigen und fleischigen Lebensmitteln zu gewährleisten .169 Im jüdischen Altersheim in Hannover galten jedoch nicht nur der Speisesaal, sondern auch die sich auf der gleichen Etage befindlichen Gemeinschaftsräume – d . h . der Aufenthaltsund der Fernsehraum – als koscher . Die Zimmer der Bewohner sowie die Teeküchen erfüllten diese Anforderung hingegen nicht, da sich dort „jeder […] essen und kochen“ durfte, was er wollte .170 Folglich war es streng untersagt, aus diesen Räumen Nahrungsmittel und gebrauchtes Essgeschirr in die koscheren Bereiche des Hauses zu bringen . Gleichfalls sollten alle in der Küche zubereiteten Speisen möglichst im Speisesaal eingenommen werden .171 Ausnahmen existierten nur für bettlägerige Heimbewohner . In diesem Fall musste das Personal aber streng darauf achtgeben, dass das benutzte Geschirr „nach Beendigung der Mahlzeit sofort zurück“ in die Küche gebracht und „keine Speisen, die nicht aus der Küche kommen auf die Teller gelegt“ wurden .172 In der „Rosenau“ und im Neustädter Heim musste das Küchenpersonal keine Kenntnisse in der rituellen Zubereitung der Mahlzeiten aufweisen .173 In Hannover erwies sich die Beschäftigung einer nichtjüdischen Köchin bis Mitte der 1960er Jahre als ähnlich unproblematisch .174 Nach der Umstellung auf eine koschere Verpflegung benötigte das hannoversche Heim jedoch jüdisches Küchenpersonal, das nicht nur mit den Kashrut-Regeln vertraut sein, sondern auch selber koscher leben musste .175 Da vorerst aber kein geeignetes Küchenpersonal gefunden werden konnte, übernahm ein Ehepaar aus der jüdischen Gemeinde die vorübergehende Beaufsichtigung über die korrekte Einhaltung der rituellen Zubereitung der Mahlzeiten .176

ZAH, B . 1/6, Nr . 709: PMV JAH, 23 .2 .1966, S . 1 . ZAH, B . 1/6, Nr . 709: PMV JAH, 23 .2 .1966, S . 3 . ZAH, B . 1/6, Nr . 709: PMV JAH, 23 .2 .1966, S . 3 . ZAH, B . 1/6, Nr . 709: PMV JAH, 23 .2 .1966, S . 3 . ZAH, B . 1/5, Bur . 262: Vorst . SD an Stella G ., Asten, 28 .3 .1958; ZAH, B . 1/5, Bur . 262: Vorst . SD an Emma W ., Frankf ., 17 . o . M . 1958 . 174 ZAH, B . 1/6, Nr . 709: PMV JAH, 23 .2 .1966, S . 1 f . 175 ZAH, B . 1/6, Nr . 552: o . N ., Bad Nauheim, an Vorst . JGH, 5 .10 .1965 . 176 ZAH, B . 1/6, Nr . 709: PMV JAH, 23 .2 .1966, S . 1 f . 169 170 171 172 173

8.

Das Heimmilieu

Im Heimalltag spielte die Atmosphäre im Haus bzw . innerhalb der Hausgemeinschaft eine tragende Rolle für das Wohlbefinden der alten Menschen und der Mitarbeiter . Beeinflusst wurde sie sowohl durch die Persönlichkeit, das Verhalten sowie das Herkunftsmilieu der Bewohner und Mitarbeiter als auch durch deren religiöse Ausrichtung .1 In Heimen mit einer relativ homogenen Bewohnerklientel, die sich z . B . einem ähnlichen Sozialmilieu und derselben Religion zugehörig fühlte, bildete sich im Heimalltag ein spezifisches Milieu heraus . Dieses war in den jüdischen Altersheimen stark von der jüdischen Religion und Kultur geprägt, die sich jedoch in Deutschland erst nach und nach rekonstituierte . Nach dem Holocaust kam dem jüdischen Glauben und der Bekenntnis zum Judentum jedoch eine wichtige identitätsstiftende Funktion zu, die weit über das Religiöse hinausging .2 Aus diesem Grund beriefen sich auch die Träger der in dieser Untersuchung analysierten nicht streng religiös geführten Einrichtungen dezidiert auf ihr „Jüdischsein“ . Beispielsweise betonte die Synagogengemeinde Düsseldorf wiederholt, dass es sich bei der „Rosenau“ um ein „ausgesprochen jüdisches Heim“ handele .3 Da sich viele Juden nach einem Zusammensein mit Menschen sehnten, mit denen sie nicht nur ein ähnliches Schicksal, sondern auch eine ähnliche Sozialisation, Tradition und Religion verband, besaß der Heimeinzug eine große Attraktivität . Dies offenbart sich auch in den Bewerbungsbriefen . 1962 schrieb z . B . eine Heimanwärterin, dass sie sich „unbeschreiblich“ danach sehnen würde, „so rasch als möglich in jüdische Gemeinschaft“ zu kommen .4 Dabei bot das vergleichsweise abgeschlossene Heimmi-

Vgl . Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 227 f . Vgl . dazu auch Kruse/Schmitt (2000), S . 214 f . ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an Berthold C ., Berlin-Grunewald, 7 .2 .1951 . Wie weit der Heimalltag von religiösen Riten und Handlungen, z . B . den täglichen Gebeten oder der Vorbereitung des Sabbats, bestimmt wurde, lässt sich jedoch nur aus vergleichsweise wenigen der hier untersuchten Quellen herauslesen, z . B . ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Neufassung HO JAH, o . D .; ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Norbert P . an RA Dr . Egon S ., 16 .4 .1964 . 4 ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Eva L . an Schw . Anita K ., 9 .9 .1962 . Eine weitere Bewerberin wollte ebenfalls ihren Lebensabend in einem „jüdischen Milieu“ verbringen: ZAH, B . 1/6, Nr . 551: ZWST an LV jüd . Gem . in Nds ., 12 .6 .1961 . Vgl . auch ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Jüd . Gem . Gelsenkirchen an LV jüd . Gem . NRW, Düss ., 23 .8 .1950 . 1 2 3

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Das Heimmilieu

lieu den alten Menschen zugleich einen nicht unerheblichen Schutz vor der – oft noch immer antisemitisch eingestellten  – Außenwelt . Aus diesem Grund wünschte sich 1968 auch ein bislang in München lebender 76-jähriger Jude, der jahrelang von einem judenfeindlichen Nachbarn drangsaliert worden war, in einem jüdischen Altersheim endlich „ruhig und unangefochten von Rassismus und Antisemitismus mein Leben zuende leben“ zu können .5 Ein Ehepaar, das sich für das Neustädter Heim interessierte, bevorzugte ebenfalls ein jüdisches Haus, „da wir den sehnlichsten Wunsch haben, unseren Lebensabend in einer kultivierten jüdischen Gemeinschaft zu beschließen“ .6 Auch der aus Frankreich zurückkehrende Claude A . wollte nach der langen Zeit im Exil im Altersheim „als guter Jude mit Glaubensgenossen zusammenleben“ .7 Die Bewerber für die hier untersuchten jüdischen Einrichtungen verstanden sich zwar durchaus als gläubige Juden, auf die strenge Einhaltung religiöser Gebote und Vorschriften wie der Kashrut schienen hingegen – wie schon erwähnt – nur die wenigsten Wert zu legen . Auch wenn das evangelische „Altersheim Heilsberg“, das vorwiegend für rassisch verfolgte Christen errichtet worden war, ebenfalls Personen jüdischen und katholischen Glaubens Aufnahme gewährte, besaß der Heimalltag eine deutlich protestantische Prägung . Da es sich bei den Heimleitern vorwiegend um evangelische Pastoren handelte, konnten im Haus z . B . jeden Sonntag evangelische Gottesdienste und sogar tägliche Andachten abgehalten werden .8 Als im Sommer eine bislang als „Seelsorgerin“ tätige Theologin im Altersheim um Aufnahme bat, stieß die Aussicht auf weitere „geistliche Hilfe“ beim Heimträger auf große Zustimmung, da es im Haus „viel Gelegenheit zu Andachten etc .“ geben würde .9 Beeinflusst wurde die Heimatmosphäre außerdem vom sozialen Herkunftsmilieu der Bewohner . Im Gegensatz zu zahlreichen anderen deutschen Altersheimen standen die sich hier im Fokus befindenden Einrichtungen Bewerbern aller Sozialschichten offen . Entscheidend für die Aufnahme war allein der Verfolgtenstatus bzw . die jüdische Religion oder Herkunft . Auffallend ist jedoch, dass der Großteil der im „Altersheim Heilsberg“ und in den jüdischen Heimen lebenden alten Menschen dem Bildungsbürgertum10 oder der Mittelschicht angehörte .11 Insbesondere im Heilsberger Heim für rassisch Verfolgte lebten auffallend viele Akademiker, u . a . Theologen, Juristen, Medi-

ZAH, B . 1/40, Nr . 42: Georg B . an JKR, 31 .3 .1968 . ZAH, B . 1/40, Nr . 1: Fritz N ., Bad H ., an JKR, 15 .11 .1957 . Nahezu identisch argumentierte einen Tag zuvor ein weiterer Bewerber: ZAH, B . 1/40, Nr . 43: Robert R . an JKR, 14 .11 .1957 . 7 ZAH, B . 1/5, Nr . 46: Claude A ., Vichy, an SD, 6 .12 .1959 . 8 LkAHN, B . 160, Nr . 46: GDHN, Darm ., an HWNGB, Berlin, 1 .2 .1979 . 9 LkAHN, B . 160, Nr . 11: Bertha S . an Walter R ., Zürich, 6 .8 .1963; LkAHN, B . 160, Nr . 11: Erica L . an Bertha S ., 26 .11 .1963 . 10 ZAH, B . 1/5, Nr . 125: Gustav Heinrich R ., Lon ., an RA Willy S ., Düss ., 25 .12 .1950; ZAH, B . 1/5, Nr . 125: Dora W . an SD, 15 .1 .1951 . 11 ZAH, B . 1/5, Nr . 46: Clara C ., Lon ., an SD, 28 .6 .1959; ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Minna K ., Caracas, an JAH, 11 .8 .1962 . 5 6

Feiertage

ziner bzw . deren Witwen und Ehefrauen .12 Da die Heimträger eine homogene Bewohnerstruktur zur Verhinderung von Konflikten begrüßten, maßen sie dem Herkunftsmilieu der Heimgemeinschaft eine große Bedeutung zu . Demzufolge sprach sich die im Heilsberger Altersheim für die Bewerber zuständige Fürsorgerin 1963 für die Aufnahme einer jüdischen Witwe aus, die als gläubige Jüdin zwar nicht zum bevorzugten Kreis der Aufnahmeberechtigten gehörte, aber „in der Art sehr gut zu unseren gebildeten, geistig interessierten Damen“ passen würde .13 Der hohe Bildungsgrad vieler Heimbewohner offenbarte sich u . a . in den Bewerbungsschreiben und Beschwerdebriefen, die sowohl inhaltlich als auch sprachlich z . T . sehr differenziert ausfielen .14 Das bereits genannte Ehepaar B . sowie die im hannoverschen Heim lebende Aline H . betonten ebenfalls ihre „Kultiviertheit“ und Bildung . Beispielsweise unterfütterte Frau H . ihre Kritik wiederholt mit Zitaten und Verweisen auf die von ihr gelesene Literatur .15 8.1

Feiertage

In allen Altersheimen wurden die wichtigsten religiösen Feiertage zumeist mit der ganzen Hausgemeinschaft begangen .16 In den jüdischen Heimen betraf dies v . a . Chanukka, das Purim- und das Neujahrsfest sowie den Sederabend,17 in den christlichen Einrichtungen Weihnachten und Ostern .18 Im Heimalltag fanden darüber hinaus weitere religiöse Bräuche Beachtung, u . a . die Einleitung des Sabbats mit dem Kiddusch, wobei die Broche, d . h . der Segen, von einem Heimbewohner gesprochen werden durfte .19 Neben dem Servieren besonderer Speisen und dem Besuch eines Gottesdienstes gehörte insbesondere am Chanukka-, am Weihnachts- und am Osterfest das Beschenken der Heimbewohner durch die Heimleitung bzw . den Heimträger zu den Festtags-

LkAHN, B . 160, Nr . 11: Dr . Detlev E ., Frankf ., an HW EKHN, 6 .2 .1958; LkAHN, B . 160, Nr . 11: Dr . Siegfried L ., Kelkheim, an DW, EKHN, 1961; LkAHN, B . 160, Nr . 11: Bertha S . an Walter R ., Zürich, 6 .8 .1963 . 13 LkAHN, B . 160, Nr . 11: Erica L . an Gregor N ., AHH, 13 .3 .1963 . Auch eine Bewerberin, der ein „ziemlich betontes Standesbewusstsein“ zugesprochen wurde, ließ sich vom kultivierten Milieu des Hauses überzeugen: LkAHN, B . 160, Nr . 12: Ev . Matthäus-Gem ., Frankf ., an DW Frankf ., 13 .9 .1961 . 14 Vgl . u . a . ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Willi C ., Berlin, z . Zt . Schweiz, an JAR, 25 .8 .1962; ZAH, B . 1/5, Nr . 46: Harald S ., Berlin, an SD, 1 .10 .1960; ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Sigmund M . an SD, o . D . (1961); ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Aline H . an Vorst . JAH, 8 .4 .1963; LkAHN, B . 160, Nr . 13: Ludwig B . an Walter R ., DW Frankf ., 26 .4 .1962; LkAHN, B . 160, Nr . 13: Erna B . an Walter R ., DW Frankf ., 18 .11 .1962 . 15 Z . B . ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Aline H . an Vorst . JAH, 26 .10 .1960; ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Aline H . an Vorst . JAH, 13 .2 .1961 . 16 Dabei bereitete die festliche Gestaltung der jüdischen Feiertage z . B . auch der Heimleiterin der „Rosenau“ viel Freude: ZAH, B . 1/5, Nr . 92: Zeugnis, 23 .9 .1970 . 17 Z . B . ZAH, B . 1/6, Nr . 551: TB JAH für 1965 . 18 Vgl . z . B . zum „Altersheim Heilsberg“: LkAHN, B . 160, Nr . 46: GDHN, Darm ., an HWNGB, Berlin, 1 .2 .1979 . 19 ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Norbert P . an RA Dr . Egon S ., 16 .4 .1964 . 12

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Das Heimmilieu

traditionen in der stationären Altersversorgung .20 Darüber hinaus erfreuten häufig auch die Wohlfahrtsverbände und -vereine die alten Menschen mit kleinen Überraschungen .21 Teilweise wurden nicht nur die einzelnen Bewohner, sondern ebenfalls das Heim bzw . die Heimträger bedacht . Unter anderem spendeten örtliche Firmen, Vereine und Wohlfahrtsverbände Möbel und Einrichtungsgegenstände für die Heimausstattung . Das jüdische „Altersheim Rosenau“ erhielt 1962 zu Chanukka u . a . „drei nette kleine Cocktail Sessel“ und eine „schöne Tischdecke für den Aufenthaltsraum“ .22 An den Feierlichkeiten nahmen fast immer auswärtige Gäste teil, z . B . der Vorstand der jüdischen Gemeinde .23 Da die meisten Bewohner der hier untersuchten jüdischen Einrichtungen keine oder nur wenige Angehörige besaßen und daher nur selten Kontakt zu Kindern bzw . Enkelkindern hatten, erfreuten sich Besuche von Kindergruppen besonders großer Beliebtheit24 – so 1961 eine im hannoverschen Heim stattfindende „Kinder-Purim-Feier“ .25 Neben den religiösen Jahresfesten wurden in den Altersheimen zusätzliche kleinere Veranstaltungen mit einem religiösen Bezug organisiert, z . B . in Form einer gemeinsamen „Kaffeetafel“ mit dem für das Heim zuständigen Rabbiner .26 In der „Rosenau“ gestaltete sich der Kontakt zur Synagogengemeinde durch die räumliche Distanz zwischen den Städten Essen-Werden und Düsseldorf vergleichsweise kompliziert . Beispielsweise fielen die Besuche des Gemeindevorstands und anderer Gemeindemitglieder wie der für die Seelsorge verantwortlichen Rabbiner seltener aus .27 Umgekehrt stellte die mit Kosten verbundene Fahrt nach Düsseldorf allein schon aus finanziellen Gründen für viele Heimbewohner eine Schwierigkeit dar . Um den alten Menschen jedoch zumindest ab und zu die Teilnahme an den Veranstaltungen der Synagogengemeinde in Düsseldorf zu ermöglichen, beteiligte diese sich wiederholt an den Fahrtkosten .28 Wesentlich regelmäßiger fiel hingegen der Kontakt zwischen den ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Norbert P . an Theodor H ., 13 .12 .1962; LkAHN, B . 160, Nr . 46: GDHN, Darm ., an HWNGB, Berlin, 1 .2 .1979, S . 1 . Am Ostermorgen 1962 erhielten z . B . alle Bewohner des „Altersheims Heilsberg“ ein kleines Osternest mit Schokoladeneiern: LkAHN, B . 160, Nr . 13: AHH, Bad V ., 23 .4 .1962 . 21 Z . B . überraschte das DRK die Bewohner der „Rosenau“ „wie jedes Jahr“ mit einem Geschenk-Päckchen zu Chanukka: ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Rosa B . an SD, 8 .1 .1963 . 22 ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Rosa B . an SD, 8 .1 .1963 . 23 Da aber z . B . im Fall der „Rosenau“ der zweite Sederabend im Heim, d . h . in Essen-Werden, fernab von Düsseldorf, stattfand, waren meist nur wenige Vertreter der in der Landeshauptstadt ansässigen jüdischen Gemeinde anwesend . 1959 nahmen neben den Heimbewohnern auch etwa zehn bis zwölf Gemeindemitglieder an der Sederfeier in der „Rosenau“ teil: ZAH, B . 1/5, Nr . 44: SD an Meta D ., AH, 9 .4 .1959 . 24 So auch die 1960 im „Altersheim Rosenau“ stattfindende Kinder-Chanukka-Feier mit Schulkindern aus Essen-Werden: ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Rosa B . an SD, 19 .12 .1960 . 25 ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Norbert P . an JAH, 16 .2 .1961 . 26 ZAH, B . 1/6, Nr . 551: PMV JAH, 23 .7 .1968 . 27 Beispielsweise zeigte sich die Heimleiterin enttäuscht darüber, dass während der Chanukkatage im Jahr 1962 kein einziger Vertreter der Gemeinde „unsere Leutchen im Altersheim“ besucht hätte: ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Rosa B . an SD, 8 .1 .1963 . 28 Da die Gemeinde z . B . auch 1951 großen Wert darauf legte, „eine Anzahl unserer Heiminsassen zu diesem gemütlichen Abend hier zu haben“, übernahm sie für etwa sechs Personen einen Teil der Fahrtkosten: ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an Frl . Ida W ., AH, 30 .10 .1951 . 20

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Bewohnern des jüdischen Altersheims und der jüdischen Gemeinde in Hannover aus . Dort nutzte die Gemeinde bis etwa Mitte der 1960er Jahre sogar die Räumlichkeiten des Altersheims für Versammlungen und religiöse Feierlichkeiten .29 Dass die im Heim lebenden alten Menschen demzufolge die wichtigen jüdischen Feste mit der gesamten Gemeinde begehen konnten und auch im Alltag weniger „abgeschottet“ lebten, empfanden sie meist als große psychische Unterstützung .30 Nur wenige Heimbewohner nahmen den Kontakt zu den Juden außerhalb des Heimmilieus als Belastung wahr .31 Ab 1964 fanden schließlich aber ohnehin nur noch die Versammlungen des Frauenvereins der jüdischen Gemeinde im Heimgebäude statt, während für die übrigen Veranstaltungen der nahe gelegene neue Gemeindesaal zur Verfügung stand .32 Obwohl sich unter den Bewohnern der in dieser Studie untersuchten Altersheime ebenfalls strenggläubige Juden befanden, fühlte sich – wie schon erwähnt – der Großteil dem liberalen Judentum zugehörig;33 nicht wenige lebten sogar weitgehend säkular und feierten lediglich die wichtigsten jüdischen Festtage .34 Insbesondere die Angehörigen des Bildungsbürgertums hatten sich in der Vorkriegszeit überwiegend als Deutsche gefühlt, die sich nur durch ihre jüdische Religion von ihren nichtjüdischen Mitbürgern unterschieden .35 Hatten sie zudem christliche Freunde, Angehörige oder Ehepartner, waren sie häufig auch von deren religiösen Traditionen geprägt worden und berücksichtigten daher häufig auch die christlichen Feiertage wie Weihnachten und Ostern .36 1958 berichtete z . B . die in der „Rosenau“ lebende Ella L ., die vorübergehend in einem christlichen Krankenhaus versorgt wurde, voller Freude von der dortigen Weihnachtsfeier, wobei ihr insbesondere der Gesang und die Kerzen des Weihnachtsbaums „größten Genuss“ bereitet hätten .37 Deutlich zeigte sich die liberale bzw . säkulare Einstellung der nicht rituell geführten jüdischen Heime im folgenden Beispiel aus dem „Altersheim Rosenau“ . Dort organisierte 1962 ein örtliches Unternehmen für die Heimbewohner am „zweiten Weihnachtstag“ eine kleine Feier, die trotz ihrer eindeutig christlichen Ausrichtung bei den alten Menschen und dem Personal auf positive Resonanz stieß . Indem die Heimleiterin während der Veranstaltung Bezüge zum jüdischen Chanukkafest herstellte, offenbarten sich sowohl die Gemeinsamkeiten ZAH, B . 1/6, Nr . 552: TB zur MV JAH, 8 .4 .1964, S . 1 . ZAH, B . 1/6, Nr . 551: PMV JAH, 23 .7 .1968; ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Norbert P . an Theodor H ., 13 .12 .1962 . So schrieb 1963 eine Bewohnerin „mir gefiel es nie, dass der Sederabend mit so vielen Leuten gefeiert wird“: ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Sigrid D . an Vorst . JGH, 31 .3 .1963 . 32 ZAH, B . 1/6, Nr . 552: PMV JAH, 8 .4 .1964, S . 1 . 33 Darunter v . a . die soziale Mittelschicht, die sich seit dem 19 . Jahrhundert vermehrt um eine „Anpassung“ an die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft bemühte . Vgl . zum Prozess der Assimilation der deutschen Juden u . a . Steppe (1997), S . 67–70 . 34 Z . B . ZAH, B . 1/40, Nr . 42: Georg B . an JKR, 25 .4 .1968 . 35 Vgl . u . a . Kruse/Schmitt (2000), S . 214 f . 36 Beispielsweise erhielt eine jüdische Heimbewohnerin von ihrer Nichte u . a . eine Postkarte mit Ostergrüßen: ZAH, B . 1/5, Nr . 34 c: Postkarte an Hanna R ., 1950 . 37 ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Ella L ., Missions-KH Hiltrup/Münster, an Meta D ., 2 . Weihnachtstag (1958) . 29 30 31

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zwischen den christlichen und jüdischen Grundwerten als auch die Offenheit vieler Juden gegenüber dem Christentum .38 Unter anderem erhielt z . B . das in der „Rosenau“ beschäftigte christliche Personal ein zusätzliches Weihnachts- und Ostergeld, die jüdischen Mitarbeiter hingegen eine Extravergütung zu Chanukka .39 Gleichfalls gewährten die jüdischen Heime ihren christlichen Mitarbeitern an den christlichen Feiertagen eine Verkürzung der Arbeitszeit .40 Außer den religiösen Festen wurden in allen Altersheimen die Geburtstage der Bewohner berücksichtigt und mehr oder weniger groß gefeiert . Zumeist bedachten die Heimleitungen die Geburtstagskinder mit kleinen Geschenken in Form von Bargeld, Kleidung oder Lebensmitteln . Da sie dabei durchaus auf individuelle Wünsche eingingen, konnten in den 1960er Jahren z . B . auch zwei Bewohnerinnen des „Altersheims Rosenau“ mit den von ihnen erbetenen Geschenken, einem „Sofakissen“41 bzw . einem „Morgenrock“, versorgt werden .42 Häufig beteiligten sich auch die Mitbewohner an der Finanzierung von Geburtstagsgeschenken .43 Besondere Ehrung kam den besonders hochaltrigen Bewohnern zu, deren Anzahl – wie bereits beschrieben – in den hier genannten Heimen vergleichsweise groß war . 1964 feierte eine Bewohnerin der „Rosenau“ sogar ihren 95 . Geburtstag .44 Sehr alte Menschen bekamen an ihrem Geburtstag nicht nur Besuch von einer Vertretung des Heimträgers, z . B . in Person des Vorstands der jüdischen Gemeinde, sondern ebenfalls vom Bürgermeister oder anderen Vertretern der Kommunalpolitik .45 Die zuständigen staatlichen Behörden, so z . B . die Ämter für „Wiedergutmachung“, sprachen meist ebenfalls ihre Gratulation aus und ließen den alten Menschen ein „kleines Geldgeschenk“ zukommen . Indem die Behörden in ihren Gratulationsschreiben häufig direkt auf das schwere Schicksal der ehemals Verfolgten verwiesen, versuchten sie immer auch ein wenig ihr schlechtes Gewissen bezüglich der Verbrechen des Nationalsozialismus zu beruhigen . Beispielsweise hieß es vom nordrhein-westfälischen „Amt für Wiedergutmachung“ 1950 in einem Geburtstagsgruß an die 77-jährige Jüdin Hanna R .: „Gleichzeitig gebe ich der Hoffnung Ausdruck, dass sie nach den schweren Jahren der Verfolgungen, denen Sie während des Naziregimes ausgesetzt waren, diesen Festtag und alle kommenden Tage frei von dem Druck der ver-

ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Rosa B . an SD, 8 .1 .1963 . ZAH, B . 1/5, Nr . 124: SD an Dr . Gerd P ., 8 .12 .1952; ZAH, B . 1/5, Bur . 326: Einnahmen u . Ausgaben für JAR für 1 .–31 .12 .1955; ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Rosa B . an SD, 9 .5 .1962 . 40 ZAH, B . 1/40, Nr . 47: Aushang, Dezember o . J . 41 ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Rosa B . an SD, 19 .2 .1962 . 42 ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Rosa B . an SD, 22 .9 .1964 . 43 Beispielsweise sammelten die im „Altersheim Rosenau“ lebenden Menschen Geld für einen neuen Zimmertisch, den sich eine Mitbewohnerin zu ihrem 90 . Geburtstag wünschte: ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Rosa B . an SD, 6 .2 .1963 . 44 ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Rosa B . an SD, 22 .9 .1964 . 45 Vgl . z . B . ZAH, B . 1/6, Nr . 551: PMV JAH, 23 .7 .1968 . 38 39

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gangenen Jahre verleben mögen.“46 Bezüglich der jüdischen Altersheime war es außerdem üblich, dass die Geburtstage hochaltriger Heimbewohner in der jüdischen Presse, d . h . der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland – der damals wichtigsten deutschsprachigen jüdischen Zeitung –, veröffentlicht wurden .47 Zu den weiteren im Heim stattfindenden Feiern gehörten die Dienstjubiläen der Mitarbeiter, insbesondere der Heimleitungen .48 Eine wichtige Bedeutung für die Heimträger bzw . die jüdischen Gemeinden besaßen zudem die Feierlichkeiten zur Eröffnung neuer Altersheime, zumal auch diese Einrichtungen – neben den Gemeindezentren und Synagogen – das im Nachkriegsdeutschland neu entstehende jüdische Leben repräsentierten . Demzufolge bildete die Segnung des Heimgebäudes durch einen Rabbiner einen grundlegenden Bestandteil der Einweihungszeremonie .49 Da die Existenz jüdischer Einrichtungen in den ersten Jahren nach dem Holocaust jedoch keinesfalls eine Selbstverständlichkeit war, gerieten die Einweihungsfeiern jüdischer Heime zu einem medialen Ereignis, das sowohl in der regionalen als auch der überregionalen jüdischen und nichtjüdischen Presse Erwähnung fand .50 Dabei zeigte sich, dass das Verhältnis zwischen den jüdischen Überlebenden und der deutschen Mehrheitsgesellschaft weiterhin nicht frei von Spannungen war; z . T . wurde sogar selbst von jüdischer Seite Kritik an der Wiederbelebung des jüdischen Lebens geübt . Beispielsweise führte 1948 ein als „tendenziös“ betrachteter Bericht in einer jüdischen Zeitung, der zur Eröffnung des „Altersheims Rosenau“ erschien, zu großen Unstimmigkeiten .51 Dass der Verfasser des Artikels nicht mehr an „ein jüdisches Leben in Deutschland“ glaubte und folglich die Schaffung jüdischer Altersheime für „unnötig“ hielt, führte dabei ebenso zu Empörung wie seine Kritik an den „pompösen Einweihungsfeiern“ für Einrichtungen, die „renoviert werden würden, nur um der Welt zu beweisen, dass noch einige Juden da

ZAH, B . 1/5, Nr . 34 c: IM NRW, Amt für Wiedergutmachung, an Hanna R ., JAR, 11 .3 .1950 . ZAH, B . 1/5, Nr . 124: Minna R . an SD, 28 .9 .1952 . Dass sich viele alte Menschen jedoch gegen die Veröffentlichung ihres Geburtstages bzw . Alters aussprachen, zeigt sich in verschiedenen an die Heimleitung gerichteten Schreiben . Auch die oben erwähnte 95-jährige Bewohnerin sprach die Bitte aus, dass ihr Geburtstag im Heim und der Gemeinde nicht weiter zur Kenntnis genommen werden sollte: ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Rosa B . an SD, 22 .9 .1964 . Vgl . auch ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Anna L . an SD, 24 .8 .1959; ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Emma P . an SD, o . D . 48 Z . B . wurde in der „Rosenau“ 1969 „im Kreise der Bewohner“ das zehnjährige Dienstjubiläum der Heimleiterin gefeiert: ZAH, B . 1/5, Nr . 92: SD an Rosa B ., 4 .11 .1969 . 49 Das Programm der am 22 . Mai 1960 erfolgten Einweihungsfeier des Neustädter Altersheims umfasste neben Reden und der Segnung des Hauses durch den Landesrabbiner von Rheinland-Pfalz ebenfalls Musikeinlagen . Ein Streichquartett spielte Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy und Max Bruch, u . a . Bruchs Vertonung des jüdischen Gebets „Kol Nidre“: ZAH, B . 1/40, Nr . 331: Einladungskarte JKR, Frühjahr 1960 . Vgl . auch ZAH, B . 1/40, Nr . 330: „Jüdisches Altersheim seiner Bestimmung übergeben“, in: Die Rheinpfalz, 30 .5 .1960 . 50 ZAH, B . 1/40, Nr . 330: „Im Zeichen der Brüderlichkeit . Das jüdische Altersheim wurde gestern feierlich eingeweiht“, in: Pfälzer Tageblatt, 30 .5 .1960; ZAH, B . 1/40, Nr . 330: „Nie wieder Rückfall in die Barbarei . Das neue jüdische Altersheim wurde eingeweiht“, in: Der Pfälzer, Pfingsten 1960 . 51 ZAH, B . 1/28, Nr . 120: Julius D . an CJC, Lübeck, 28 .4 .1948 . 46 47

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sind“ .52 Die „Rosenau“ verzeichnete zum Zeitpunkt der Eröffnung, d . h . am 10 . Februar 1948, tatsächlich erst sehr wenige Bewohner; die Anzahl der im Heim lebenden alten Menschen erhöhte sich aber schon bald auf etwa 30 Personen .53 Ansonsten berichteten die jüdischen Periodika wie die Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland in ausführlicher und durchweg positiver Form über die Eröffnung neuer Altersheime für die überlebenden Juden, so u . a . über das 1960 eingeweihte, neu erbaute jüdische Altersheim in Neustadt in der Pfalz .54 Da sich ebenfalls nichtjüdische Zeitungen in verhältnismäßig großen, bebilderten Artikeln den jüdischen Altersheimen widmeten, stieg deren Bekanntheit erstmals auch in der nichtjüdischen deutschen Bevölkerung .55 Dazu trug die Anwesenheit hochrangiger Personen bei den Eröffnungsfeiern bei, darunter nicht nur die Vertreter der jüdischen Gemeinden und Organisationen, sondern ebenfalls diejenigen der Kommunal- und Landespolitik sowie der christlichen Kirchen und Wohlfahrtsverbände .56 In den meisten Presseberichten zur Einweihung jüdischer Altersheime wurde vergleichsweise ausführlich aus den Redebeiträgen der anwesenden Politiker und Honoratioren zitiert . In Neustadt sprachen u . a . der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, der Generalkonsul von Israel, der Generalsekretär des 1950 gegründeten „Zentralrats der Juden in Deutschland“57 sowie der Oberbürgermeister von Neustadt .58 Dass in nahezu allen Reden explizit die Schuld des deutschen Volks an der Ermordung und Verfolgung der Juden Erwähnung fand, resultierte aus dem sich Anfang der 1960er Jahre vollziehenden DiskurswechZAH, B . 1/28, Nr . 120: Übersetzung, Eingang am 30 .3 .1948 . Aufgrund des schnellen Einschreitens der Düsseldorfer Synagogengemeinde fand der Bericht aber keine weitere Verbreitung: ZAH, B . 1/28, Nr . 120: Julius D . an CJC, Lübeck, 28 .4 .1948; ZAH, B .  1/28, Nr .  119: Julius D ., Düss ., an Rat im CCBZ, Bremen, 13 .5 .1948, Ratssitzung Bad Harzburg . 53 Am 16 . Februar besaß das Heim sieben Bewohner: ZAH, B . 1/5, Nr . 123: SD an Wirtschaftsamt c/o jüd . Gem . Bremen, 16 .2 .1948 . 1951 lebten bereits 30 Personen im Haus: ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an Bezirksregierung Düss . zur Weiterleitung an IM NRW, 22 .5 .1951 . 54 ZAH, B . 1/40, Nr . 330: „Deus Nobis Haec Otia Fecit . Einweihung des neuen jüdischen Altersheims in Neustadt an der Weinstraße“, in: AWJ, 27 .5 .1960; ZAH, B . 1/40, Nr . 330: „Das neue Altersheim“, in: AWJ, 27 .5 .1960; ZAH, B . 1/40, Nr . 330: „Kurzberichte der Woche“, in: AWJ, 10 .6 .1960 . Vgl . auch ZAH, B . 1/40, Nr . 330: „Das erste jüdische Altenheim in Deutschland [sic!] in Neustadt geweiht“, in: Sonntagsblatt Staatszeitung […]: An American Newspaper printed in the German language, New York, 12 .6 .1960 . 55 Vgl . z . B . zur Eröffnung der „Rosenau“: ZAH, B . 1/5, Nr . 123: Celia F ., Lon ., an Meta D ., SD, 23 .2 .1948 . 56 Auch an der Feier zur Eröffnung der „Rosenau“ nahmen neben wichtigen „jüdischen Persönlichkeiten“ u . a . auch Vertreter der Militärregierung und der deutschen Behörden teil: ZAH, B . 1/28, Nr . 120: Übersetzung, 30 .3 .1948 . In Neustadt waren im Jahr 1960 zur Heimeröffnung u . a . Vertreter der Stadt Neustadt, der Landespolitik, der Polizei, der Gewerkschaften, der christlichen Kirchen sowie der freien Wohlfahrtsverbände als Ehrengäste eingeladen: ZAH, B . 1/40, Nr . 331: mehrere vorgedruckte Antwort-Postkarten, Teilnahme angekündigt, o . D . (Frühjahr 1960); ZAH, B . 1/40, Nr . 331: JKR an AWJ, Düss ., 3 .6 .1960, S . 1; ZAH, B . 1/40, Nr . 330: „Im Zeichen der Brüderlichkeit . Das jüdische Altersheim wurde gestern feierlich eingeweiht“, in: Pfälzer Tageblatt, 30 .5 .1960 . Zur Einweihung des Anbaus des „Jüdischen Altersheims Hannover“: ZAH, B . 1/6, Nr . 1435: Grundsteinlegung zum Anbau an JAH am 20 .10 .1968 anlässlich d . 80 . Geburtstags d . ersten Vorsitzenden Theodor H ., 1968 . 57 Heinsohn (2008), S . 81 . 58 ZAH, B . 1/40, Nr . 331: Einladungskarte JKR, Frühjahr 1960 . 52

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sel .59 Dieser hatte zur Folge, dass es innerhalb der deutschen Öffentlichkeit erstmals zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus kam, die sich u . a . in einer deutlichen Zunahme gerichtlicher Verfahren und Strafprozesse zeigte .60 Auch der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz verwies in seiner Ansprache auf die „Leidenswege der Juden in Deutschland“ sowie das „Unrecht“, das das „Deutsche Volk wieder gutmachen“ müsste .61 Mahnend fügte er hinzu, dass sich der in der unmittelbaren Vergangenheit erfolgte „Rückfall in die Barbarei […] nicht wiederholen“ dürfte62 und der „unselige, primitive Antisemitismus“ für immer „aus unserer Mitte verbannt“ werden müsste .63 Der Bürgermeister von Neustadt bezeichnete den Heimneubau ebenfalls als einen freiwilligen Beitrag seiner Stadt zur „Wiedergutmachung“ .64 Durch die Anwesenheit von nichtjüdischen Repräsentanten der deutschen Politik und Gesellschaft geriet das neu entstehende deutsche Judentum verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit; zugleich wurde es auch von „offizieller“ Seite legitimiert . Die Einweihung ihres neuen Altersheims war daher nach Ansicht der „Jüdischen Kultusgemeinde der Rheinpfalz“ für „die im politischen Leben stehenden verantwortlichen Männer des Landes der rechte Augenblick“, den „jüdischen Mitbürgern“ „menschlich“ ihr „herzliches Vertrauen auszusprechen“ .65 Auch der regionalen Presse zufolge würde „dieser Tag […] in die Geschichte der Stadt eingehen“,66 zumal „ein dunkler Fleck in der Geschichte unserer Stadt […] nun auch rein äußerlich ausgelöscht“ worden wäre .67 Die in den Eröffnungsreden thematisierte und zumindest offiziell angestrebte Integration der Juden in die deutsche Gesellschaft entsprach jedoch meistens eher einem Ideal als der Wirklichkeit . Dies offenbarte sich nicht nur in Form antisemitischer Anfeindungen, sondern ebenfalls im Desinteresse weiter Teile der Gesellschaft am Schicksal der Überlebenden . Es bestand also in Neustadt durchaus die Gefahr, dass der in der oben erwähnten und als „dunkler Fleck“ bezeichneten Zerstörung des ehemaligen jüdischen Altersheims sowie

In den 1950er Jahren erfolgte hingegen im öffentlichen Diskurs der Bundesrepublik eine Verdrängung und Negierung der nationalsozialistischen Verbrechen: Wolfrum (2008) . Vgl . auch Staritz (1995) . 60 Einen ersten Überblick zur deutschen „Vergangenheitsbewältigung“ bietet z . B . Wolfrum (2008) . Vgl . auch Fischer/Lorenz (2007), S . 58 . 61 ZAH, B . 1/40, Nr . 331: JKR an AWJ, Düss ., 3 .6 .1960, S . 1 f . 62 ZAH, B . 1/40, Nr . 331: JKR an AWJ, Düss ., 3 .6 .1960, S . 1 f . Vgl . auch ZAH, B . 1/40, Nr . 330: „Nie wieder Rückfall in die Barbarei . Das neue jüdische Altersheim wurde eingeweiht“, in: Der Pfälzer, Pfingsten 1960 . 63 ZAH, B . 1/40, Nr . 330: „Nie wieder Rückfall in die Barbarei . Das neue jüdische Altersheim wurde eingeweiht“, in: Der Pfälzer, Pfingsten 1960 . 64 ZAH, B . 1/40, Nr . 330: „Im Zeichen der Brüderlichkeit . Das jüdische Altersheim wurde gestern feierlich eingeweiht“, in: Pfälzer Tageblatt, 30 .5 .1960 . 65 ZAH, B . 1/40, Nr . 331: JKR an AWJ, Düss ., 3 .6 .1960, S . 1 . 66 ZAH, B . 1/40, Nr . 330: „Im Zeichen der Brüderlichkeit . Das jüdische Altersheim wurde gestern feierlich eingeweiht“, in: Pfälzer Tageblatt, 30 .5 .1960 . 67 ZAH, B . 1/40, Nr . 330: „Im Zeichen der Brüderlichkeit . Das jüdische Altersheim wurde gestern feierlich eingeweiht“, in: Pfälzer Tageblatt, 30 .5 .1960 . 59

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der Ermordung der dort lebenden alten Menschen zutage tretende Antisemitismus der Deutschen durch den Neubau lediglich „äußerlich ausgelöscht“ worden war .68 8.2

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Die im Altersheim lebenden Menschen verfügten über vergleichsweise viel freie Zeit, die sie mit verschiedenen Tätigkeiten wie Handarbeiten, Lesen, Hören von Musik, Gesprächen oder Spazierengehen ausfüllten .69 Ab etwa Mitte der 1950er Jahre entwickelte sich zudem das Fernsehen zu einer beliebten Beschäftigung . 1954 und 1962 beteiligten sich z . B . die nordrhein-westfälische und die hessische Landesregierung an der Ausstattung der Altersheime mit TV-Geräten, da diese „besonders Altersheimbewohnern einen Blick nach draußen“ gewähren würden .70 Bedingt durch den z . T . noch vergleichsweise guten Gesundheitszustand vieler Bewohner unternahmen diese häufig noch Ausflüge in die nähere Umgebung . Laut Aussage der Heimleiterin befand sich z . B . in der „Rosenau“ ein äußerst „unternehmungslustiger Insassen-Kreis“ .71 Personen, denen nur wenig Geld zur Verfügung stand, konnten sich hingegen mit Kosten verbundene Aktivitäten wie Bus- und Bahnfahrten oder Konzert- und Kinobesuche nur selten leisten .72 Darüber hinaus boten alle Altersheime ihren Bewohnern in mehr oder weniger großen Abständen Ausflüge, Vorträge und musikalische Darbietungen . Ein großer Teil der Gemeinschaftsveranstaltungen, die zumeist mit Hilfe der jeweiligen jüdischen Gemeinden realisiert wurden, stand – wie zuvor dargestellt wurde – in Verbindung mit den jüdischen Feiertagen .73 Im Alltag organisierten die jüdischen Gemeinden zusammen mit den Heimleitungen jedoch weitere Veranstaltungen zur Zerstreuung der alten Menschen . Die Bewohner der „Rosenau“ und des „Jüdischen Altersheims Hannover“ erhielten z . B . innerhalb des gesamten Untersuchungszeitraums regelmäßig Besuch von den Frauenvereinen ihrer jüdischen Gemeinde .74 Unter anderem organisierte der hannoversche Frauenverein Ausflüge in die nähere Umgebung .75 Auch die Frauen der Düsseldorfer Synagogengemeinde, die z . B . allein im Jahr 1965 etwa zehnmal im AltersZAH, B . 1/40, Nr . 330: „Im Zeichen der Brüderlichkeit . Das jüdische Altersheim wurde gestern feierlich eingeweiht“, in: Pfälzer Tageblatt, 30 .5 .1960 . 69 Vgl . dazu Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 260 . 70 ZAH, B . 1/5, Nr . 124: Ministerpräs . NRW an JAR, 29 .10 .1954 . Zu Hessen: LkAHN, B . 160, Nr . 14: Erica L . an Hessischen Rundfunk, Frankf ., Werner Hess, 7 .5 .1962 . 71 ZAH, B . 1/5, Nr . 44: SD an Elsa W ., 28 .11 .1960 . 72 ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an Frl . Ida W ., AH, 30 .10 .1951 . 73 Z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Jahresber . JAR, 21 .1 .1950, S . 2 . 74 Bereits im 19 . Jahrhundert gründeten sich zahlreiche jüdische Frauenvereine, die sich u . a . auch der Unterstützung alter und kranker Menschen widmeten . Vgl . Steppe (1997), S . 86 f . Vgl . auch Sengling (1992), S . 162 . 75 ZAH, B . 1/6, Nr . 552: PMV JAH, 16 .7 .1962, S . 1 . 68

Freizeit

heim zu Gast waren,76 erfreuten die alten Menschen stets mit „kleinen Aufmerksamkeiten“ .77 Die enge Beziehung zu den Gemeindemitgliedern, d . h . zu anderen Juden, spielte für die alten Menschen eine große Bedeutung, zumal sie vielfach keine Angehörigen mehr besaßen und somit nur über wenige Kontakte zur Außenwelt verfügten . Folglich stießen sowohl die regelmäßigen Besuche der Frauenvereine als auch die von der Gemeinde bzw . der Heimleitung organisierten Freizeitangebote auf positive Resonanz .78 Beliebt waren v . a . Musikveranstaltungen wie Konzerte von auswärtigen und regionalen Chören und Musikern .79 Auf diese Weise konnte zugleich der Kontakt zur örtlichen nichtjüdischen Bevölkerung verbessert werden . 1952 zeigte sich z . B . im Besuch eines örtlichen Gesangsvereins auch im „Altersheim Rosenau“ die – nach Aussage der Heimleiterin – schon länger bestehende „gute Nachbarschaft zum Ort“ .80 In den 1960er Jahren nahm die Anzahl der Zerstreuungsangebote in nahezu allen deutschen Altersheimen sichtbar zu . In dieser Entwicklung spiegelten sich die zeitgenössischen Bemühungen der Altenhilfe wider, die auf eine stärkere Aktivierung alter Menschen abzielten .81 Auch die hier vorgestellten Einrichtungen boten ihren Bewohnern schließlich ein breitgefächertes Angebot an Veranstaltungen . Zu diesen gehörten ab den 1960er Jahren immer häufiger Bildungsangebote, u . a . Vorträge und Besichtigungen von Sehenswürdigkeiten . Ein Teil dieser Angebote besaß einen unmittelbaren Bezug zum Judentum . Beispielsweise organisierte das Neustädter Heim im Jahr 1970 einen Filmvortrag über Israel sowie Bildungsfahrten zu historischen jüdischen Friedhöfen und Synagogen .82 Abwechslungsreich war ebenfalls das Freizeitangebot im evangelischen „Altersheim Heilsberg“ . Ende der 1970er Jahre konnten die dort lebenden alten Menschen etwa einmal pro Monat an einer besonderen Veranstaltung teilnehmen . Im Jahr 1979 bestand z . B . die Gelegenheit zur Teilnahme an zehn Aktivitäten, darunter ein Lichtbildvortrag, mehrere Ausflüge, eine Weinprobe und sogar die Hochzeit zweier Heimbewohner .83 Auswärtige Anbieter, u . a . die freien Wohlfahrtsverbände oder die Kommunen, organisierten weitere Angebote zur Unterhaltung . 1969 lud z . B .

ZAH, B . 1/6, Nr . 551: TB JAH für 1965 . ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Jahresber . JAR, 21 .1 .1950, S . 2; ZAH, B . 1/6, Nr . 551: PMV JAH, 23 .7 .1968 . 1963 erhielten die alten Menschen u . a . Besuch vom jüdischen Sportverein „Makkabi“, der mit 40 Personen in das Heim kam: ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Rosa B . an SD, 30 .12 .1963; ZAH, B . 1/5, Nr . 73: SD an Rosa B ., 22 .3 .1963 . 79 In der „Rosenau“ wurde 1966 z . B . für ein Konzert extra ein Klavier gemietet: ZAH, B .  1/5, Nr .  73: Rosa B . an SD, 2 .1 .1966 . Vgl . zudem ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Rosa B . an SD, 14 .11 .1960 . Zum Heilsberger Heim: LkAHN, B . 160, Nr . 46: GDHN, Darm ., an HWNGB, Berlin, 1 .2 .1979, S . 1 . 80 ZAH, B . 1/5, Nr . 124: Minna R . an SD, 28 .9 .1952 . 81 Vgl . dazu Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 260 . 82 ZAH, B . 1/40, Nr . 47: Jom Hatzmaut, o . D . (Mai 1970); ZAH, B . 1/40, Nr . 47: Aushang, HL, 11 .5 .1970; LkAHN, B . 160, Nr . 46: GDHN, Darm ., an HWNGB, Berlin, 12 .1 .1978 . 83 Die Silberhochzeit des Heimleiters wurde ebenfalls im Heim gefeiert: LkAHN, B . 160, Nr . 46: GDHN, Darm ., an HWNGB, Berlin, 1 .2 .1979, S . 1 f . 76 77 78

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die ZWST die Bewohner der jüdischen Altersheime in Köln, Frankfurt, Würzburg und Neustadt zu einem gemeinsamen Ausflug ein .84 Neben den oben genannten Angeboten bildeten sich ab den späten 1960er Jahren – vorwiegend auf Initiative der Heimleitungen – in vielen Altersheimen Gruppen von Bewohnern, die einem gemeinsamen Hobby nachgingen . Im „Altersheim Heilsberg“ existierten in den 1970er Jahren z . B . eine Bastelgruppe, ein Spiele- und ein Singkreis .85 Großer Beliebtheit erfreute sich zudem die einmal pro Woche von einer externen „Fachkraft“ angeleitete „Altengymnastik“ .86 Dass in den 1970er Jahren immer mehr Alters- und Pflegeheime sportliche Aktivitäten sowie rehabilitative Maßnahmen in ihr Freizeitangebot integrierten, lässt sich ebenfalls als Resultat eines sich in der Altenpflege vollziehenden Paradigmenwechsels interpretieren, wonach sich der Alterungsprozess aktiv beeinflussen lassen könnte . So gewann in den 1960er Jahren die „Aktivitätstheorie“ an Einfluss, der zufolge ein direkter Zusammenhang zwischen Aktivität, Lebenszufriedenheit und Gesundheit bestehen würde .87 Viele Heimleitungen intendierten daraufhin auch eine „größere Öffnung“ der Heime gegenüber der Außenwelt, im Falle des „Altersheims Heilsberg“ z . B . gegenüber den örtlichen Kirchengemeinden und der Heilsberger Bevölkerung .88 Dass es tatsächlich zu mehr persönlichen Kontakten zwischen den Heimbewohnern und den alten Menschen aus der Umgebung kam, zeigte sich an der Teilnehmerzahl des im Heim stattfindenden Singkreises, der „mittlerweile auch Gemeindemitglieder des Heilsbergs“ verzeichnete .89 In den späten 1970er Jahren bestand zudem eine Beteiligung des Altersheims am „Altenclub“ der Arbeiterwohlfahrt .90 In den 1970er Jahren verfügte auch die Düsseldorfer Synagogengemeinde über einen „Altenclub“, der aber weniger von den Bewohnern des 1970 neu errichteten „Nelly-Sachs-Hauses“ als vielmehr von den nicht stationär betreuten älteren Mitgliedern der Gemeinde genutzt wurde .91

ZAH, B . 1/40, Nr . 47: Sehr geehrte Pensionäre, 11 .4 .1969 . LkAHN, B . 160, Nr . 46: GDHN, Darm ., an HWNGB, Berlin, 1 .2 .1979, S . 2 . Vgl . zudem LkAHN, B . 160, Nr . 46: GDHN, Darm ., an HWNGB, Berlin, 12 .1 .1978 . 86 LkAHN, B . 160, Nr . 47: Jahresber . 1975 über RV nicht jüd . Glaubens im AHH an HNG-Fonds, Bundesmin . d . Finanzen, Bonn, 2 .4 .1976, S . 2 . 87 Vgl . Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 186 f . 88 LkAHN, B . 160, Nr . 46: GDHN, Darm ., an HWNGB, Berlin, 12 .1 .1978, S . 2 . 89 LkAHN, B . 160, Nr . 46: GDHN, Darm ., an HWNGB, Berlin, 12 .1 .1978, S . 2 . 90 LkAHN, B . 160, Nr . 46: GDHN, Darm ., an HWNGB, Berlin, 12 .1 .1978, S . 2 . 91 ZAH, B . 1/5, Nr . 440: SD an Ausgleichsamt Essen, 4 .12 .1972 . 84 85

Konfikte

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Konflikte

In allen Altersheimen kam es immer wieder zu Konflikten, die sowohl unter den Bewohnern als auch zwischen den Bewohnern und dem Personal bzw . der Heimleitung entstanden .92 Während kleinere Streitigkeiten meist ohne Einmischung des Personals geschlichtet wurden, musste bei unlösbar scheinenden Differenzen die Heimleitung und z . T . sogar der Heimträger eingeschaltet werden .93 Viele Bewohner äußerten ihren Unmut außerdem in schriftlicher Form an die Heimleitung oder den Heimträger . Anlass für Kritik boten v . a . die Verpflegung, die Heimordnungen, das Leitungs-, Hausund Pflegepersonal sowie die Mitbewohner . In den Heimen, in denen vorrangig NS-Opfer lebten, bestand bei vielen Konflikten ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Verfolgungsschicksal der Bewohner . Beispielsweise gab es weiterhin große Ängste vor antisemitischer Diskriminierung . Bei nicht wenigen Menschen hatte die jahrelange Verfolgung schließlich zu einem misstrauischen und auffallend defensiven Verhalten geführt, das sich nicht nur gegen die Täter, sondern ebenfalls gegen die Helfer, d . h . die Heimmitarbeiter und -träger, richtete .94 Auch die Bewohner der hier untersuchten Altersheime äußerten teilweise auffallend viel und nicht immer angebracht scheinende Kritik an ihrer Umgebung .95 In welcher Form sich die Zeit der Verfolgung selbst noch Jahrzehnte nach Kriegsende auf die Verhaltensweisen und die Beziehungen der Betroffenen zu ihren Mitmenschen auswirken konnte, soll im Folgenden exemplarisch anhand eines christlich-jüdischen Ehepaares und einer Jüdin dargestellt werden, die Anfang der 1960er Jahre in den Altersheimen in Bad Vilbel und Hannover lebten . Die Jüdin Aline H ., die von der Heimleitung als auffallend intelligent und gebildet beschrieben wurde, war bereits Mitte der 1950er Jahre im „Jüdischen Altersheim Hannover“ aufgenommen worden .96 Dass die nationalsozialistische Verfolgung bei ihr v . a . seelische Spuren hinterlassen hatte, versuchte sie durch ein extrem defensives Verhalten zu überspielen und zeigte sich demzufolge äußerst feindselig, missgünstig und intolerant gegenüber ihren Mitmenschen .97 So unterstellte sie dem Heimvorstand, den Mitarbeitern sowie der jüdischen Gemeinde in zahlreichen Beschwerdebriefen eine vorsätzlich schlechte Behandlung der im Haus lebenden

Vgl . dazu auch Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 269 ff . Z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 124: Brief v . 17 Unterzeichnern, u . a . Heimleiterin, an SD, o . D . (1952) . Kühner (2008), S . 53 . So beklagte sich z . B . ein Bewohner des Heilsberger Heims „ständig, z. B. übers Essen“ . Zudem verhielt er sich „aggressiv und brutal“: LkAHN, B . 160, Nr . 12: Tom L ., New York, an Erica L ., DW Frankf ., 12 .2 .1963 . 96 Vgl . u . a . ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Aline H . an Vorst . JAH, 4 .3 .1962; ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Norbert P . an RA Dr . Richard C ., 16 .4 .1964 . 97 Zu ihrer KZ-Haft: ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Aline H . an Vorst . JGH, 6 .7 .1960 . Das auffällige Verhalten von Frau H . wurde vom Heimvorstand durch einen „krankhaften Zustand“, Verfolgungswahn und eine dem Alter entsprechende Unzurechnungsfähigkeit erklärt: ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Norbert P . an RA Dr . Richard C ., 16 .4 .1964 . 92 93 94 95

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alten Menschen .98 Der Jude Ludwig B . und seine christliche Ehefrau Erna, die Anfang der 1960er Jahre im „Altersheim Heilsberg“ Aufnahme fanden, verhielten sich ähnlich unangepasst und konfrontierten die Heimleitung und den Heimträger in gleichermaßen aggressiver Form mit zahlreichen, z . T . seitenlangen Beschwerdebriefen . Unter anderem kritisierte das Paar die Verpflegung – deren Qualität seinen Ansprüchen in keinster Weise genügte99 – sowie den Lebens- und Einrichtungsstil der angeblich ungebildeten Mitbewohner .100 Sowohl Frau H . als auch Herr und Frau B . wollten mit ihrer Kritik und ihren Verbesserungsvorschlägen v . a . ihre Überlegenheit gegenüber den vorgeblich anspruchslosen und weniger „kultivierten“ Mitmenschen darlegen .101 Dass Heimbewohner wiederholt betonten, höhere Ansprüche zu besitzen als die übrigen im Haus lebenden Menschen, konnte zwar auch in vielen Heimen für Nichtverfolgte beobachtet werden; im Falle der hier beschriebenen Personen lässt sich dieses Verhalten aber großteils auf die jahrelangen Diskriminierungserfahrungen zurückführen .102 Beispielsweise hatte der jüdische Rechtsanwalt Ludwig B . innerhalb weniger Jahre nicht nur seinen gesellschaftlichen Status und seinen Arbeitsplatz verloren, sondern ihm waren zugleich seine Würde und sein „Wert“ als Mensch abgesprochen worden .103 Seine „arische“ Ehefrau hatte, da sie sich nicht von ihm hatte scheiden lassen, ebenfalls unter der Diskriminierung durch die Nationalsozialisten gelitten . Letztlich war beiden alten Menschen nur noch ihr Stolz, insbesondere auf ihre hohe Bildung und ihre „gute Herkunft“, geblieben, was sie ihrer Umgebung immer wieder demonstrierten . Ähnlichen „Schaden gelitten“ durch die „Gemeinheiten des Nationalsozialismus und die Kälte der Nachkriegszeit“ hatte – nach Aussage des protestantischen Heimseelsorgers – das seelische Gleichgewicht einer weiteren Heimbewohnerin .104 Obwohl diese „eigentlich ein warmherziger Mensch“ sein würde, terrorisierte sie nun ihre Umgebung und spielte

Auch mit der Versorgung im Heim, in dem sie seit über zehn Jahren lebte, war sie nie zufrieden, vgl . ZAH, B . 1/6, Nr . 552: versch . Briefe v . Aline H . an Vorst . JAH, z . B . ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Richard C ., RA u . Notar, an Vorst . JAH, 26 .6 .1964; ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Aline H . an Vorst . JGH, 6 .7 .1960; ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Aline H . an Vorst . JAH, 8 .9 .1965 . 99 LkAHN, B . 160, Nr . 13: Erna B . an Walter R ., 31 .3 .1962, Anhang, S . 3 ff . Da z . B . Anfang der 1960er Jahre angeblich regelmäßig ranzige Butter sowie das „Kriegsgetränk Muckefuck“, d . h . Getreidekaffee, im Altersheim serviert werden würden, fühlte sich das Ehepaar, das ohnehin ausschließlich in seinem Zimmer aß, sogar zum Kauf zusätzlicher hochwertiger Lebensmittel auf eigene Kosten genötigt . Beispielsweise bereitete Frau B . ihr Frühstück selbst zu und brauchte dafür „Deutsche Markenbutter“ und Bohnenkaffee: LkAHN, B . 160, Nr . 13: Erna B . an Walter R ., DW Frankf ., 21 .3 .1962; LkAHN, B . 160, Nr . 13: Erna B . an Walter R ., 31 .3 .1962, Anhang, S . 3 f . 100 Das Altersheim für rassisch verfolgte Christen in Scherfede, in dem sie zuvor gelebt hatten, bezeichnete Frau B . als „spiessbürgerliches Heim“, das für „Großstädter, kultivierte Menschen wie wir“ in keiner Weise angemessen sein würde: LkAHN, B .  160, Nr .  13: Erna B .: Meine Erfahrungen in Scherfede-Rimbeck (2 Monate), 1961, S . 3 . 101 Überdies übte Frau H . Kritik an den im Haus gefeierten religiösen Festen . 102 Vgl . dazu auch Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 282 . 103 Vgl . dazu Baeyer (1958), S . 2320; Sedlaczek (1996), S . 41 . 104 LkAHN, B . 160, Nr . 13: Dr . Alexander R ., AHH, an DW Frankf ., 18 .1 .1963 . 98

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sich als „Herrin des Hauses“ auf .105 Auffallend ist, dass die als besonders „schwierig“ geltenden Bewohner vom Personal eine besondere Rücksichtnahme und Toleranz gegenüber ihren oft völlig überhöhten Ansprüchen und ihrem defensiven Verhalten erwarteten . Da diesem Wunsch jedoch nicht immer entsprochen wurde, bezogen sich die betreffenden Personen, so u . a . das Ehepaar B . sowie Frau H ., ganz gezielt auf ihren Opferstatus .106 Beispielsweise zitierte Herr B ., der sich als NS-Opfer mehr Beachtung wünschte, in einem seiner Beschwerdebriefe folgenden Satz aus der Festschrift zur Heimeröffnung: „Dieses Haus ist in erster Linie für die Opfer des Faschismus gebaut worden […], in dem die gequälten Menschen endlich Ruhe, Sammlung und Frieden finden mögen.“107 Inhaltlich identisch argumentierte Frau H ., die ihre Kritik am Vorstand der Jüdischen Gemeinde Hannover mit folgendem Hinweis untermauerte: „Wenn ich mich erinnere sollte dieses Altersheim eine Schöpfung für alte Leute sein, die die Nazi Verfolgung“ überstanden hätten .108 Durch diese Äußerungen fühlte sich das Personal jedoch erpresst bzw . manipuliert . So beklagte der Heilsberger Heimleiter, dass Frau B . es immer wieder gezielt ausnutzen würde, „als rassisch-verfolgte Frau eines Juden mit Vorrechten hier zu leben“, und durchaus die „Trommel für ihre Interessen zu rühren“ wüsste .109 Die in Hannover lebende Aline H . leistete sich von ihrer Rente sogar einen eigenen Rechtsanwalt, der sie bei ihren wiederholten Klagen gegen das Personal und die Heimleitung unterstützte .110 Aufgrund des Verhaltens von Frau H . und einiger weiterer Heimbewohner hatte die Leiterin des hannoverschen Heims mittlerweile regelrecht „Angst“ vor der Einstellung neuer Hausmädchen, da diese schon nach kurzer Zeit die Kündigung einreichen würden .111 1963 hieß es vom Vorstand der jüdischen Gemeinde sogar: „und wenn man unserem Personal weiter so zusetzt, dass es weggeht, so werden wir das Heim schließen müssen. Denn heute lässt sich dies kein Personal mehr bieten.“112 Sowohl Frau H . als auch das Ehepaar B . ließen bei ihren Anfeindungen völlig außer Acht, dass es sich beim Großteil der Mitbewohner und der Mitarbeiter gleichfalls um Opfer der nationalsozialistischen Diktatur handelte, deren Schicksal dem ihrigen sehr ähnelte . Stattdessen nahmen sie aber scheinbar ausschließlich ihre eigene Leidensgeschichte wahr .  1963 erhielt die im Heilsberger Heim lebende Ursula R . aufgrund ihres als „unheilbar egozentrisch“ beschriebenen Charakters sogar die Kündigung ihres

LkAHN, B . 160, Nr . 13: Dr . Alexander R ., AHH, an DW Frankf ., 18 .1 .1963 . LkAHN, B . 160, Nr . 13: o . N . an HWNGB, Berlin, 21 .1 .1963 . Das Zitat stammt aus der vom Theologen Martin Niemöller gehaltenen Festrede: LkAHN, B .  160, Nr . 13: Ludwig B . an Walter R ., DW Frankf ., 26 .4 .1962 . 108 ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Aline H . an Vorst . JGH, 6 .7 .1960 . 109 LkAHN, B . 160, Nr . 13: AHH an HW, Mannheim, 9 .4 .1962 . 110 Z . B . ZAH, B . 1/6, Nr . 552: RA Richard C . an Norbert P ., 23 .4 .1956 . 111 ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Marie W . an Vorst . JAH, 15 .11 .1961 . 112 ZAH, B . 1/6, Nr . 552: JGH an Aline H ., 11 .4 .1963 . Vgl . zudem auch ZAH, B . 1/6, Nr . 553: 14 Unterschriften an Vorst . JAH, 2 .12 .1969 . 105 106 107

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Heimplatzes .113 Da die oben genannten Personen den Status eines Opfers nur für sich allein beanspruchten, brachten sie dementsprechend wenig Toleranz für die ebenso schwierige Situation ihrer Mitmenschen auf, v . a . wenn sich deren Traumata in kognitiven Einbußen und psychischen Störungen äußerten . Frau H . empfand es u . a . als unzumutbare „Belastung mit Personen zusammenzuleben, deren Gehirnfunktion defekt sind [sic!]“ .114 Zudem äußerte sie sich gegenüber Personen, die den Aufenthalt in einem Vernichtungslager überlebt hatten, in besonders abfälliger und diskriminierender Weise . Sie stellte sogar eine eigene „Hierarchie“ auf, an deren unterstem Ende für sie die Auschwitz-Überlebenden standen . So schrieb sie über einen Mitbewohner, der für drei Jahre in Auschwitz inhaftiert gewesen war: „Die Auschwitz Häftlinge brachten ihren eigenen Lebensstil mit. Den hatte das Vernichtungslager geprägt. Sie waren robust und brutal im Aussehen und Manieren.“115 Dass der von ihr diffamierte Mitbewohner seine Kinder und seine Ehefrau im Konzentrationslager verloren hatte, schien sie hingegen nicht zu interessieren .116 Besonders problematisch konnte sich das Zusammenleben gestalten, wenn im Heim sowohl ehemalige Verfolgte als auch Personen ohne Verfolgungsschicksal aufgenommen wurden . Wie bereits dargestellt, litten die Bewohner der hier im Fokus stehenden Einrichtungen noch immer unter der antisemitischen Einstellung von weiten Teilen der deutschen Bevölkerung .117 Ein von der amerikanischen Militärregierung erstellter Antisemitismus-Report kam 1947 sogar zu dem Ergebnis, dass 80 Prozent der deutschen Bevölkerung eine mehr oder weniger ausgeprägte antisemitische Einstellung besaßen .118 Der ersten bundesdeutschen Umfrage zufolge, die zu diesem Thema im Jahr 1949 vom „Institut für Demoskopie“ durchgeführt wurde, zeigten hingegen „nur“ 23 Prozent der Befragten eine ablehnende Grundhaltung gegenüber Juden bzw . dem Judentum .119 Dass sich die Beziehung zwischen Juden und Nichtjuden demzufolge schwierig gestaltete, wird auch in den hier untersuchten Altersheimen wiederholt sichtbar .120 Ende der 1960er Jahre berichtete z . B . ein in München lebender jüdischer Heimbewerber von den jahrelangen Schikanen seines Nachbarn  – bei dem es sich LkAHN, B . 160, Nr . 13: Dr . Alexander R ., AHH, an Walter R ., Frankf ., 10 .1 .1963 . ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Aline H . an Vorst ., 21 .4 .1958 . ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Aline H . an Vorst . JAH, 4 .3 .1962 . Dabei bezog sie sich auf das 1949 erschienene Buch „Als Gefangene bei Stalin und Hitler: Eine Welt im Dunkel“ von Margarete Buber-Neumann, einer Überlebenden verschiedener Konzentrationslager . 116 ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Norbert P . an Aline H ., 13 .4 .1959 . 117 Vgl . Herzig (1997), S . 263 f . Vgl . auch Grossmann (2012) . 118 Bergmann (2008), S . 24 . 119 Bergmann (2019) . 120 Dass durch eine kritische Presseberichterstattung dem Antisemitismus zusätzliche Nahrung gegeben werden könnte, wurde auch in der „Rosenau“ befürchtet: ZAH, B . 1/5, Nr . 124: Schreiben, v . 17 Personen unterzeichnet, u . a . Heimleiterin, an SD, o . D . (1952) . 113 114 115

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um einen „alten Nazi“ handeln würde –, der ihn über Jahre hinweg „aus rassischen, religiösen Gründen“ beschimpft und verleumdet hätte .121 Betroffen waren aber nicht nur Personen jüdischen Glaubens, sondern ebenfalls Christen jüdischer Herkunft .122 1966 veröffentlichte das Mitteilungsblatt der Notgemeinschaft der durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen einen Bericht des Bundesinnenministeriums „über rechtsradikale und antisemitische Tendenzen“ in der deutschen Bevölkerung .123 1962 schrieb der im „Altersheim Heilsberg“ lebende Jude Ludwig B . in einer Beschwerde an das Diakonische Werk: „Es ist kein gutes Experiment, Widerstandskämpfern und Opfern des Faschismus, deren Leben seit 29 Jahren willkürlich zerstört worden ist, die nach wie vor im Kampfe stehen müssen gegen die unbewältigte Vergangenheit der Deutschen, die uns hier in diesem Hause besonders übel entgegentritt – zuzumuten, sich mit Verfechtern verkommenster Hitlerscher Gesinnung an einen Tisch zu setzen .“ .124 Herr B . bezog sich dabei auf ein konkretes Beispiel aus dem Heimalltag, dessen Wahrheitsgehalt anhand der Quellen aber nicht mehr überprüft werden kann . Seinem Bericht zufolge hätte eine Mitbewohnerin „kürzlich ihre scheinheilige Maske“ fallen gelassen und in „Gegenwart der schwerkranken Frau E[…], ihre Ansicht laut werden […] lassen: ,jeder anständige Deutsche war im Hitlerstaat bei der SS oder SA‘“ .125 Selbst wenn einige der von Bewohnern geäußerten Anschuldigungen und Berichte nicht vollständig der Realität entsprachen, zeigen sie doch sehr deutlich, dass sich die Beziehung zwischen Deutschen und Juden keineswegs „normal“ gestaltete . 1963 schrieb z . B . auch die Heilsberger Heimleitung voller Enttäuschung über das Verhalten einer Bewohnerin, die nicht „gewillt“ sein würde, „zu verzeihen“, dass im Haus eigentlich der „Geist der Versöhnung herrschen“ sollte und kein neuer „Kampf“ zwischen Deutschen und Juden .126 Letztlich brauchte es zur Herstellung eines harmonischeren Zusammenlebens aber v . a . Zeit und zudem das Engagement der Mitarbeiter . Demzufolge schrieb Mitte der 1960er Jahre die für die Bewohner des „Altersheims Heilsberg“ zuständige Fürsorgerin des „Evangelischen Hilfswerks“: „Konflikte, die durch die Mischung von Verfolgten

121 ZAH, B . 1/40, Nr .  42: Georg B . an Hausverw . B ., Mü ., 3 .5 .1968; ZAH, B . 1/40, Nr . 42: Georg B . an JKR, 1 .5 .1968 . Ähnlich erging es einer Heimbewohnerin, die ebenfalls von seinem nationalsozialistisch eingestellten Nachbarn bedroht worden war: ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Ingrid B ., z . Zt . Kurhaus Schloss Lerbach, an SD, 28 .5 .1958 . 122 1967 hatte z . B . ein „alter Herr“ als ehemals rassisch verfolgter Christ sehr unter mehreren antisemitischen Nachbarn in seiner Wohnsiedlung zu leiden . Aus Angst vor weiteren Anfeindungen ließ er sich das Mitteilungsblatt der Notgemeinschaft der durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen zukünftig nur noch in einem „geschlossenen Kuvert“ zusenden: NHStAH, VVP 12, Nr . 61: ZNGB, Ham ., an Vorst . Mitgliederverb . in Berlin, Ham ., Hann . u . a ., 21 .12 .1967 . 123 LkAHN, B . 160, Nr . 48: MNNGB, Ham ., Februar/März 1966, S . 1 f . 124 LkAHN, B . 160, Nr . 13: Ludwig B . an Walter R ., DW Frankf ., 26 .4 .1962, S . 1 . 125 Da das Altersheim vorrangig NS-Opfern Unterkunft bieten sollte, dürften, so seine Forderung, Personen, die SS-Verbrecher „als ,anständige Deutsche‘“ bezeichnen würden, „nicht in dieses Haus“ gehören: LkAHN, B . 160, Nr . 13: Ludwig B . an Walter R ., DW Frankf ., 26 .4 .1962, S . 1 . 126 LkAHN, B . 160, Nr . 13: o . N . an HWNGB, Berlin, 21 .1 .1963 .

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und Nicht-Verfolgten“ entstanden und „im Anfang häufiger waren, sind mit viel Geduld und Einzelarbeit an beiden Teilen verringert worden und verursachen keine schweren Auseinandersetzungen mehr.“127 Auch den Mitgliedern des Vereins „Jüdisches Altersheim Hannover“ zufolge gestalteten sich die Beziehungen zwischen den im Haus lebenden alten Menschen im März 1974, d . h . vier Monate nach dem Einzug der ersten nichtjüdischen Bewohner, ohne erwähnenswerte Schwierigkeiten . Vielmehr hätten sich die neuen Bewohner gut in der Hausgemeinschaft eingelebt .128 Die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung, die in „herkömmlichen“ Altersheimen betreut wurden und somit ausschließlich mit Menschen nichtjüdischen Glaubens bzw . ohne Verfolgungsschicksal zusammenlebten, empfanden ihren Heimaufenthalt hingegen – wie schon beschrieben – oft als so belastend, dass sie einen Heimwechsel anstrebten .129 Einzelne Bewohner unterstellten sogar dem Heimpersonal eine latent antisemitische Einstellung .130 Zumeist stammten diese Anschuldigungen von Personen, die sich ohnehin misstrauisch verhielten . Auch Aline H . unterstellte einer Hausangestellten, dass diese sich „nicht jüdischen Menschen gegenüber“ niemals so „dreist“ verhalten würde wie gegenüber den jüdischen Heimbewohnern .131 Der in Bad Vilbel lebende Ludwig B . und seine nichtjüdische Ehefrau fühlten sich vom christlichen Heimleiterehepaar und ihren nichtjüdischen Mitbewohnern ebenfalls diskriminiert .132 Nach Aussage von Herrn B . wären sie im Heilsberger Heim sogar „vom ersten Tage an beschimpft worden“ .133 Dabei würde „der Ungeist, der von diesem unfähigen, antisemitischen Heimleiter, einem Pfarrer ohne wahrhaft menschliche Qualitäten, und ohne spürbaren Geist, assistiert von einer Frau auf gleichem untragbaren Niveau, ausgeht […] allen die Krone“ aufsetzen .134 Dass Frau B . gleichermaßen übertrieben wirkende Anschuldigungen äußerte und noch fast 20 Jahre nach Kriegsende die im Heim tätigen Pflegerinnen mit den „SSLkAHN, B . 160, Nr . 47: Erica L ., HNGB, an Allg . Treuhandorganisation, Berlin, 7 .4 .1965, S . 1 . ZAH, B . 1/6, Nr . 1112: PMV JAH, 27 .3 .1974 . Dies betraf Mitte der 1960er Jahre u . a . eine 91-jährige Jüdin, die in einem katholischen Altersheim lebte, „was für eine orthodox jüdische Frau“ – nach Aussage ihrer Nichte – aber zwangsläufig „Probleme“ mit sich bringen würde: ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Dr . Fritz S ., Niederlande, 7 .5 .1964 . 130 1958 beklagte z . B . die Heimleiterin der „Rosenau“ die antisemitischen Äußerungen der Milchhändlerin: ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Meta D . an Alfred S ., 8 .10 .1958 . Auch von Seiten der Firma, in deren Besitz sich das Gelände der „Rosenau“ befand, erfuhr das Heimpersonal Ablehnung: ZAH, B . 1/5, Nr . 123: Erklärung zur Vorlage beim Entnazifizierungsausschuss, 5 .4 .1948 . 131 Ob es sich bei der betreffenden Angestellten um eine Jüdin oder aber um eine Christin handelte, lässt sich aus den Quellen nicht herauslesen: ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Aline H . an Vorst . JAH, 30 .6 .1963 . Die Hausangestellte hatte zuvor jedoch ausgesagt, dass sie von Frau H . geschlagen worden wäre und sich folglich weigern würde, deren Zimmer zu säubern: ZAH, B . 1/6, Nr . 552: JAH an Aline H ., 9 .2 .1961 . 132 Die Bewohner der umliegenden Ortschaften bezeichnete Frau B . ebenfalls als „feindselig gegenüber Andersgläubigen“ und sogar als „unverhohlen faschistisch“: LkAHN, B . 160, Nr . 13: Erna B .: Meine Erfahrungen in Scherfede-Rimbeck (2 Monate), 1961 . 133 LkAHN, B . 160, Nr . 13: Ludwig B . an Walter R ., DW Frankf ., 26 .4 .1962 . 134 LkAHN, B . 160, Nr . 13: Ludwig B . an Walter R ., DW Frankf ., 26 .4 .1962 . Weiterhin bezeichnete Frau B . das evangelische Heimleiterehepaar als „Faschisten“ und verdächtigte sie der „Sabotage“: LkAHN, B . 160, Nr . 13: AHH, Bad V ., 21 .4 .1962 . 127 128 129

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Wärterinnen“ ihrer „Gestapo-Haft“ verglich135 sowie die im Heim gebotene Verpflegung als „Vorkriegsküche Goebbelsscher Prägung“ bezeichnete,136 dokumentiert ebenfalls ihre psychischen Traumata . Frau B . ging mit ihren ständigen Beschuldigungen des Personals sogar so weit, dass sowohl die Heimleitung als auch das übrige Personal vor „ihrem Kommando“ zitterten .137 Insbesondere der Heimleiter gehörte zu den „Leidtragenden“138 und fürchtete sich vor ihren Schikanen, zumal er „keine Lust“ verspürte, „von ihr bei staatlichen Stellen – wie sie immer droht – angeschwärzt zu werden“ .139 Während er Erna B . jedoch als „Psychopathin“ bezeichnete und die übrigen Bewohner sich ebenfalls über sie und ihren Ehemann beschwerten, berücksichtigte die für das Heim zuständige Fürsorgerin des „Evangelischen Hilfswerks“ in ihrer Beurteilung immer auch das schwere Schicksal der ehemals Verfolgten .140 Über Erna B . schrieb sie z . B .: „[D]urch die nervlichen Belastungen der Verfolgungsjahre ist Frau B[…] – ohne ihr nahe treten zu wollen – nervlich schwer geschädigt.“141 Wie hier ersichtlich wird, stellte der Umgang mit den traumatisierten alten Menschen für das Personal eine große Herausforderung dar und erforderte eine besondere Sensibilität . Als nicht tolerabel galt daher das Verhalten des im „Altersheim Heilsberg“ beschäftigten Hausmeisters, der sich wiederholt und v . a . grundlos unhöflich gegenüber den Bewohnern verhielt, die aufgrund ihrer Verfolgung jedoch „besonders empfindlich“ sein würden .142 Selbst wenn es sich beim Leitungs- und Pflegepersonal ebenfalls um ehemalige Verfolgte handelte, verhielten diese sich nicht selten – wenn auch sicherlich unbeabsichtigt – tatsächlich erstaunlich unüberlegt und unsensibel . Mitte der 1960er Jahre weckte z . B . im „Jüdischen Altersheim Hannover“ die Nummerierung der Bewohnerzimmer, d . h . die dortige Anbringung von Nummernschildern, bei einigen Bewohnern negative Erinnerungen .143 So assoziierten die Überlebenden der Konzentrationslager die Zimmernummern mit ihren Häftlingsnummern,144 wohingegen die Heimleitung mit der Nummerierung lediglich die Hoffnung auf eine Erleichterung der alltäglichen Arbeitsabläufe verband . Dass auf den ersten Blick harmlos wirkende

LkAHN, B . 160, Nr . 13: Erna B . an Walter R ., 31 .3 .1962 . LkAHN, B . 160, Nr . 13: Erna B . an Walter R ., DW Frankf ., 21 .3 .1962 . Nicht selten waren die „Schwestern […] dem Weinen nahe über die Ungebührlichkeiten dieser Frau“: LkAHN, B . 160, Nr . 13: Gerd T ., AHH, an Ev . HW, Mannheim, 9 .4 .1962 . 138 LkAHN, B . 160, Nr . 13: AHH, Bad V ., 21 .4 .1962 . 139 LkAHN, B . 160, Nr . 13: Gerd T ., AHH, an Ev . HW, Mannheim, 9 .4 .1962 . 140 LkAHN, B . 160, Nr . 13: o . N . an Erna B ., AHH, Bad V ., 10 .5 .1962 . Erica L . war zudem für die „Hilfsstelle für Rassisch Verfolgte“ zuständig . Außerdem übernahm sie als Fürsorgerin des „Evangelischen Hilfswerks“ auch die Betreuung der in einem Altersheim in Darmstadt untergebrachten osteuropäischen „Displaced Persons“ bzw . „heimatlosen Ausländer“ . Vgl . Grabe (2020), S . 198 ff . 141 LkAHN, B . 160, Nr . 13: Erica L . an RP, WB, Köln, 1 .4 .1962 . 142 LkAHN, B . 160, Nr . 47: Erica L . an AHH, 10 .7 . o . J . (1960er Jahre) . 143 ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Aline H . an Vorst . JAH, 8 .9 .1965 . 144 ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Aline H . an Vorst . JAH, 8 .9 .1965 . 135 136 137

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Handlungen zu Irritationen führten, zeigt auch das folgende Beispiel aus Hannover, wo die dortige jüdische Gemeinde im Jahr 1969 für den 9 . November eine festliche Veranstaltung plante . Dabei übersah sie jedoch völlig, dass es sich bei diesem Datum um den Jahrestag der „Reichspogromnacht“ handelte, an dem, nach Aussage einer Heimbewohnerin, in anderen Ländern Trauerfeiern abgehalten werden würden .145 Zwei Bewohnerinnen waren 1938 sogar unmittelbar von den Ereignissen betroffen gewesen und somit sicherlich ebenfalls nicht an einer Feier interessiert .146 Gegebenenfalls entstanden die ersten größeren Missverständnisse bereits bei der Bewerbung . Insbesondere unüberlegte Formulierungen und Vorgaben der Heimträger – v . a . bezüglich der Aufnahmebedingungen – konnten von jüdischen Bewerbern leicht fehlgedeutet werden und letztlich sogar den Heimeinzug verhindern .147 Beispielsweise fühlte sich ein jüdischer Heimanwärter – als er erfuhr, dass den Bewerbungsunterlagen für das Altersheim für rassisch Verfolgte nichtjüdischen Glaubens eine Abstammungsurkunde beigelegt werden musste – „sehr betroffen“ und an die Zeit erinnert, „in der das Wohl und Wehe eines Menschen in Deutschland vom Nachweis seiner arischen Abstammung abhängig war“ .148 Trotz der Erklärung, dass die Abstammungsunterlagen lediglich dem Zweck dienen würden, den Verfolgtenstatus der Bewerber, d . h . deren Berechtigung für einen von den zuständigen Behörden finanzierten Heimplatz, „einwandfrei nachweisen“ zu können,149 hatte Herr L . bereits jegliches Vertrauen zum Heim verloren .150 Vielmehr unterstellte er der Heimleitung einen nationalsozialistischen und antisemitischen „Geist“ .151 Demzufolge ließ er sich auch nicht mehr umstimmen, als das Heim ihm und seiner ebenfalls jüdischen Ehefrau eine Aufnahme in Aussicht stellte .152 Dass die Aufnahmeformalitäten der Heimträger und Behörden als „diskriminierend“ empfunden wurden, führte auch in anderen Fällen zu Konflikten und Unsicherheiten .153 Aufgrund fehlender Konzepte und Schulungen in Bezug auf die Betreuung der NSOpfer hing es v . a . vom Charakter und der Empathie der einzelnen Mitarbeiter ab, inwieweit das Zusammenleben im Heim möglichst konfliktarm gestaltet werden konnte . Eine intensivere Auseinandersetzung mit den psychischen Hintergründen auffälliger Verhaltensweisen alter Menschen erfolgte zumindest in Deutschland erst in den späten 1960er Jahren, sowohl in der medizinisch orientierten Geriatrie und Psychiatrie als

ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Sigrid D . an JGH, 29 .10 .1969 . Die Mutter einer Bewohnerin hätte sich, so die Aussage von Frau D ., infolge der Pogrome am 9 . November 1938 aus Angst vor der Zukunft sogar „das Leben genommen“: ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Sigrid D . an JGH, 29 .10 .1969 . 147 LkAHN, B . 160, Nr . 12: Generalkonsulat BRD, Chicago, an HW EKHN, 15 .2 .1962, S . 2 . 148 LkAHN, B . 160, Nr . 12: Generalkonsulat BRD, Chicago, an HW EKHN, 15 .2 .1962, S . 1 . 149 LkAHN, B . 160, Nr . 12: Erica L . an Ludwig L ., Illinois, 20 .2 .1962 . 150 LkAHN, B . 160, Nr . 12: Erica L . an Ludwig L ., Illinois, 20 .2 .1962 . 151 LkAHN, B . 160, Nr . 12: Ludwig L ., Illinois, an Erica L ., 12 .2 .1962 152 LkAHN, B . 160, Nr . 12: Erica L . an Ludwig L ., Illinois, 20 .2 .1962 . 153 Vgl . z . B . ZAH, B . 1/40, Nr . 42: Georg B . an JKR, 25 .4 .1968 . 145 146

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auch in der Fachliteratur zur Altenpflege . Beispielsweise konnte Kritik an der Verpflegung als Verlangen nach mehr Zuwendung durch das Personal interpretiert werden .154 Indem insbesondere das bei vielen NS-Opfern zu beobachtende kritische und misstrauische Verhalten allmählich als Resultat der Verfolgung verstanden wurde, zeigten die im Heim tätigen Mitarbeiter zunehmend mehr Verständnis für die traumatisierten Heimbewohner . Da sich der fachliche Diskurs aber meist erst mit einer zeitlichen Verzögerung in der Praxis niederschlug, entstanden jedoch, wie oben dargestellt, weiterhin zahlreiche Missverständnisse, die z . T . auch auf der Unbedachtheit des Personals beruhten . Wie an den obigen Beispielen ersichtlich wurde, lebten in nahezu allen Heimen Menschen, die den Kontakt zu ihren Mitbewohnern bewusst mieden und daher nicht an den gemeinsamen Mahlzeiten im Speisesaal oder an Gemeinschaftsveranstaltungen teilnahmen .155 Solange dadurch der Frieden im Haus nicht gestört wurde, stieß ein zurückgezogenes Leben weitgehend auf Toleranz . Verhielten sich Personen jedoch aggressiv gegenüber ihren Mitbewohnern, kam es zwangsläufig zu Streitigkeiten und zur Gegenwehr der Angegriffenen . Im Fall von Aline H . forderte die Mehrheit der im Heim lebenden alten Menschen 1960 schließlich sogar ihre Kündigung .156 Eine ähnliche Situation bestand im Heilsberger Heim, wo die „Insassenvertretung“ der Bewohner sich ebenfalls um die Entlassung mehrerer Mitbewohnerinnen bemühte .157 Dass Personen aufgrund von nicht lösbar scheinenden Konflikten freiwillig oder auch unfreiwillig einen Heimwechsel anstrebten bzw . vollzogen, stellte tatsächlich keine Seltenheit dar .158 Das Ehepaar B . hatte – auf eigenen Wunsch – bereits mehrfach das Heim gewechselt,159 wobei es in zwei weiteren Altersheimen für rassisch Verfolgte nichtjüdischer Religion zu ähnlichen Schwierigkeiten gekommen war wie im „Alters-

Vgl . dazu auch Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 283 . Auch das erwähnte Ehepaar B . ließ sich daher das Essen auf das Zimmer bringen: LkAHN, B . 160, Nr . 13: HL AHH, 23 .4 .1962, betr . Ostern im AH . Die ebenfalls als schwierige Bewohnerin geltende Aline H . nahm auch alle Mahlzeiten im Zimmer ein: ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Egon S ., RA u . Notar, Hann ., an Vorst . JAH, 23 .4 .1964 . 156 ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Schreiben v . März 1960 mit den Unterschriften v . 11 Bewohnern . 157 LkAHN, B . 160, Nr . 13: Erica L . an HWNGB, Berlin, 13 .3 .1964 . Nach Aussage einer ebenfalls von Verfolgung betroffenen Mitbewohnerin würde es sich bei einer der als problematisch bezeichneten Frauen sogar um „die am meisten gehasste Bewohnerin“ des Hauses handeln: LkAHN, B . 160, Nr . 13: o . N . an HWNGB, Berlin, 21 .1 .1963 . 158 1958 verließen z . B . zwei Bewohnerinnen das „Altersheim Rosenau“ und bewarben sich im jüdischen Altersheim in Neustadt: ZAH, B . 1/40, Nr . 43: JAN, 27 .8 .1958 . Auch ein Bewohner des „Altersheims Heilsberg“ erhielt aufgrund seines Verhaltens die Kündigung: LkAHN, B . 160, Nr . 12: HW EKHN, Dr . Erwin V ., an Herbert V ., AHH, 9 .10 .1963 . 159 LkAHN, B . 160, Nr . 13: Erna B .: Meine Erfahrungen in Scherfede-Rimbeck (2 Monate), 1961; LkAHN, B . 160, Nr . 13: Erica L . an RP, WB, Köln, 17 .4 .1962 . 154 155

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heim Heilsberg“ .160 Letztlich verließen Ludwig und Erna B . aber auch das Heim in Bad Vilbel, da trotz mehrfacher Schlichtungsversuche einer Fürsorgerin keine Einigung erreicht werden konnte .161 Äußerst selten führte das betrügerische Verhalten von Bewohnern zu einer Kündigung des Heimplatzes . Ende der 1970er Jahre betraf dies z . B . den 1903 geborenen Beat M ., der sich „fälschlicherweise als unter dem Nazi-Regime Verfolgter“ ausgab und „nur aus diesen Gründen“ im „Altersheim Heilsberg“ Aufnahme gefunden hatte .162 Da er letztlich trotz mehrfacher Versuche nicht in der Lage war, seine jüdische Herkunft sowie seine Verfolgung und Konzentrationslagerhaft „aus rassischen, religiösen oder politischen Gründen“ glaubhaft belegen zu können, vermochte selbst die sehr engagierte Fürsorgerin des Hilfswerks „nicht mehr für ihn [zu] tun“, als ihm beim Umzug in ein anderes Altersheim zu helfen .163 Obwohl sich, wie beschrieben, auch einige Heimbewohner negativ über die als Heimträger fungierenden jüdischen Gemeinden äußerten,164 machte es jedoch einen Unterschied, ob die Kritik weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, z . B . in Form von Beschwerdebriefen an die Heimleitung, geäußert oder aber außerhalb der jüdischen Bevölkerung verbreitet wurde .165 Demzufolge versetzte es sowohl die Heimleiterin als auch die in der „Rosenau“ lebenden alten Menschen Anfang der 1950er Jahre in Unruhe, als ein als „Wüstling“ bekannter Bewohner damit drohte, der nichtjüdischen Presse negative Informationen über das Heim und die Synagogengemeinde Düsseldorf weiterzugeben .166 Einige Jahre später betrachtete es die Nachfolgerin der obigen Heimleiterin ebenfalls mit Sorge, dass sich eine Bewohnerin bei Außenstehenden, d . h . „bei Christen über das jüdische Altersheim Rosenau“ und dessen jüdische Bewohner beklagte .167 Insbesondere vor dem Hintergrund der den Juden entgegengebrachten Ressenti-

160 Das Ehepaar B . hatte in Berlin im Heinrich-Grüber-Haus und in Scherfede im „Altersheim der Schwester Dore Schellenberg“ gelebt: LkAHN, B . 160, Nr . 13: Erica L . an RP, WB, Köln, 17 .4 .1962 . 161 LkAHN, B . 160, Nr . 13: o . N . an Erna B ., AHH, Bad V ., 10 .5 .1962 . 162 LkAHN, B . 160, Nr . 48: Ärztl . Bescheinigung, Peter W ., prakt . Arzt, Bad V ., 20 .4 .1979; LkAHN, B . 160, Nr . 48: Erica L ., HNGB, an das DRK Kreisverb . Marburg, Abt . Sozialarbeit, 21 .12 .1979 . Herr M ., der „erwiesenermassen ein grosser Betrüger“ sein würde, war bereits durch zahlreiche weitere Delikte aufgefallen . U . a . hatte er zwölf Jahre lang doppelte Sozialhilfe bezogen und war daraufhin rechtskräftig verurteilt worden: LkAHN, B . 160, Nr . 48: Angela F ., DW, Frankf ., Aktenvermerk, 13 .11 .1979 . 163 LkAHN, B .  160, Nr .  48: Bayerisches Landesentschädigungsamt, Mü ., an DW in Hessen, Frankf ., 21 .2 .1979; LkAHN, B . 160, Nr . 48: Erica L ., Betreff Besuch Beat M ., 9 .5 .1979 . 164 Vgl . u . a . ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Aline H . an Vorst . JAH, 13 .2 .1961; ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Norbert P . an RA Dr . Egon S ., 16 .4 .1964 . 165 Die z . B . von einer Bewohnerin jüdischen Glaubens geäußerte Kritik an der vorgeblich lieblosen jüdischen Heimleitung, die mit einem Hinweis auf die „rührende Tatsache der christlichen Kindergabe zu Weihnachten für alte Menschen“ untermauert wurde, gehörte dabei noch zu den harmlosen Bemerkungen: ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Aline H . an Vorst . JAH, 13 .2 .1961 . 166 ZAH, B . 1/5, Nr . 124: Schreiben, v . 17 Personen unterzeichnet, u . a . Heimleiterin, an SD, o . D . (1952) . 167 ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Meta D . an Alfred S ., 25 .4 .1959 .

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ments empfand sie es als „unerhört, dass eine Jüdin selbst noch gegen uns arbeitet“ .168 Da sich die neu gegründeten jüdischen Gemeinden gegenüber der deutschen Mehrheitsgesellschaft als Gemeinschaft präsentieren wollten, reagierte der Aachener Gemeindevorstand gleichermaßen empfindlich darauf, dass sich ein Vorstandsmitglied der Düsseldorfer Synagogengemeinde bei der Landesregierung negativ über ihn geäußert hatte und auf diese Weise einen „Keil“ zwischen ihn und die deutschen Behörden getrieben hätte .169 So dürfte – nach Aussage des Aachener Gemeindevorstands – ein Jude „unter keinen Umständen über innere Verhältnisse der Gemeinden“ in negativer Form „zu einem arischen Menschen sprechen, gleichgültig welche Stellung er bekleidet“ .170 Mit großem Interesse verfolgten die jüdischen Gemeinden zudem die – nicht immer vorurteilsfreie – mediale Berichterstattung über die von ihnen betriebenen Heime . Für große Aufregung sorgte u . a . ein bereits erwähnter, in der jüdischen Presse veröffentlichter Bericht über die Einweihung des „Altersheims Rosenau“ . In dem Artikel wurde nicht nur die Existenzberechtigung jüdischer Altersheime generell in Frage gestellt, sondern zugleich auch der Düsseldorfer Gemeindevorstand in einem schlechten Licht dargestellt .171 Da die Vorstandsmitglieder durch diese „Verzerrung objektiver Tatbestände“ das „Einvernehmen“ unter den in der britischen Besatzungszone lebenden Juden172 sowie den Ruf der Gemeinde in „jüdischen Kreisen“ stark gefährdet sahen,173 sorgten sie schnellstmöglich für die Veröffentlichung einer Gegendarstellung .174 8.4

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Der tägliche Alltag wurde in allen Altersheimen durch eine Hausordnung geregelt . Diese zeichnete sich bis in die 1960er Jahre hinein vielfach durch strenge Vorschriften und Reglementierungen aus, die allein schon durch die feste Struktur des Tagesablaufs zu einer Einschränkung der individuellen Freiheit führten .175 Unter anderem standen die alten Menschen fast fortwährend unter Aufsicht des Personals und mussten sich an festgelegte Essens-, Ausgeh- und Ruhezeiten richten .176 Nicht wenige Einrichtungen, insbesondere diejenigen für die sozialen „Unterschichten“, intendierten mit Hilfe der 168 Zudem dürfte letztlich nicht die gesamte „Judenheit“ unter dem Verhalten einer einzelnen Person „leiden“: ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Meta D . an Alfred S ., 25 .4 .1959 . 169 ZAH, B . 1/28, Nr . 245: Vorst . jüd . Gem . Aachen an CJC, Gem .-Abt ., Lübeck, 16 .7 .1948, S . 7 . 170 ZAH, B . 1/28, Nr . 245: Vorst . jüd . Gem . Aachen an CJC, Gem .-Abt ., Lübeck, 16 .7 .1948, S . 7 . 171 ZAH, B . 1/28, Nr . 119: Julius D ., Düss ., an Rat im CCBZ, Bremen, 13 .5 .1948, S . 8 . 172 ZAH, B . 1/28, Nr . 119: Julius D ., Düss ., an Rat im CCBZ, Bremen, 13 .5 .1948, S . 8 . 173 ZAH, B . 1/28, Nr . 119: LV Düss . an VJC [Bedeutung unklar, evtl . ist CJC gemeint], Lübeck, 23 .3 .1948, S . 52 . 174 ZAH, B . 1/28, Nr . 120: Julius D . an CJC, Lübeck, 28 .4 .1948 . 175 Vgl . dazu Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 222 f . 176 Z . B . LkAHN, B . 160, Nr . 13: Aufnahme-Vertrag AHH, o . D . (frühe 1960er Jahre) . Vgl . dazu Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 222 f . Siehe zudem Stengel (1962), S . 14; Buchberger (1968), S . 102 .

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Durchsetzung rigider Hausordnungen eine latente Disziplinierung der Bewohner . Beispielsweise drohten beim Übertreten der Regeln ein Ausgangsverbot, Taschengeldentzug oder sogar die Kündigung des Heimplatzes .177 In den hier im Mittelpunkt stehenden, speziell für NS-Opfer errichteten Altersheimen, in denen bei der Aufnahme keine Unterscheidung zwischen den verschiedenen Sozialschichten vorgenommen wurde, existierten hingegen weit weniger strenge Heimordnungen . So verzichteten die Heime auf eine Vielzahl an Ver- und Geboten und setzten vielmehr auf die freiwillige Kooperation der alten Menschen . Auch im 1948 eröffneten „Altersheim Rosenau“ wurde, um nicht den Eindruck „eines starren, in Paragraphen gefassten Zwanges zu geben, […] an jeden einzelnen Heiminsassen appelliert, dass er von sich aus bemüht bleibt, den Hausfrieden zu wahren“ .178 Da „jeder Insasse“ im Heim einen „vollwertigen Ersatz für die ihm verlorengegangene eigene Häuslichkeit“ vorfinden sollte, plädierte die Hausordnung für „gegenseitige Rücksichtnahme“ und gegen „persönliche Gehässigkeiten“ .179 Feste Essens-, Besuchs- und Ruhezeiten bildeten aber auch in den hier untersuchten Häusern einen wichtigen Bestandteil der Heimordnungen .180 Beispielsweise begann in der „Rosenau“ die Nachtruhe ab 21 Uhr,181 die Bewohner durften sich aber noch bis 22 Uhr im „Tagesraum“ aufhalten und dort sogar leise Radio hören .182 Da sich die allgemeinen, in den 1960er Jahren beginnenden Wandlungsprozesse im Heimwesen ebenfalls in den Hausordnungen niederschlugen, kam es zu einer Aufweichung strenger Regeln .183 Dazu zählten u . a . längere Ausgeh- und Besuchszeiten .184 Folglich hieß es z . B . 1972 im jüdischen Altersheim in Neustadt: „Sie können aber frei nach Ihren Interessen leben und auch abends rausgehen z. B. zu Konzerten.“185 In diesem Fall wurde den Heimbewohnern sogar „selbstverständlich“ ein Hausschlüssel ausgehändigt,186 wohingegen in den meisten deutschen Altersheimen ein abendliches bzw . nächtliches Ausgangsverbot herrschte .187 In den Hausordnungen der christlichen und jüdischen Heime fanden häufig auch Gebets- und Gottesdienstzeiten in der Hausordnung Beachtung . Beispielsweise hieß es in der Heimordnung des „Jüdischen Altersheims Hannover“: „Die Heimbewohner

Vgl . dazu Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 225 . ZAH, B . 1/5, Nr . 124: HO, 22 .4 .1948 . ZAH, B . 1/5, Nr . 124: HO, 22 .4 .1948 . So lag die Besuchszeit für die im Umfeld des Heims lebenden Personen zwischen 14 und 18 Uhr; Auswärtige konnten „ausnahmsweise“ aber auch außerhalb dieser Zeit die im Haus lebenden alten Menschen besuchen: ZAH, B . 1/5, Nr . 124: HO, 22 .4 .1948 . Das Frühstück wurde z . B . um 8 .30 Uhr, das Mittagessen um 12 .30 Uhr, der Nachmittagskaffee um 15 .30 Uhr und das Abendessen um 19 Uhr serviert: ZAH, B . 1/5, Nr . 124: HO, o . D . (1948–1952) . 181 ZAH, B . 1/5, Nr . 124: HO, o . D . (1948–1952) . 182 ZAH, B . 1/5, Nr . 124: HO, 22 .4 .1948 . 183 Vgl . Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 226 f . 184 Vgl . Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 226 f . 185 ZAH, B . 1/40, Nr . 2: JAN an Karl K ., 24 .8 .1972 . 186 ZAH, B . 1/40, Nr . 2: JAN an Karl K ., 24 .8 .1972 . Vgl . auch ZAH, B . 1/5, Nr . 44: SD an Cilly W ., 1 .8 .1958 . 187 Vgl . Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 222 f . 177 178 179 180

Hausordnungen

werden gebeten, an den jüdischen Gottesdiensten und Veranstaltungen teilzunehmen.“188 Rituell geführte Einrichtungen verwiesen in ihren Heimordnungen außerdem auf die Einhaltung der Kashrut-Regeln . Demzufolge durften z . B . im hannoverschen Heim ab Mitte der 1960er Jahre keine Speisen mehr außerhalb des Speisesaals eingenommen und gleichfalls keine – nicht aus der Küche kommenden – Lebensmittel mit dem Essgeschirr des Heims in Berührung kommen .189 Neben den zumeist für mehrere Jahre gültigen Heimordnungen erließen die Heimleitungen zusätzliche temporäre bzw . anlassbedingte Verfügungen zur Regulierung des Heimalltags .190 1950 stellte z . B . der Vorstand der Synagogengemeinde Düsseldorf – nach einer Besprechung mit der Heimleiterin und „verschiedenen Insassen“ – Regeln zur Badbenutzung auf . Diesen zufolge konnte aufgrund der allgemeinen Brennstoffknappheit nur an drei Tagen pro Woche ein warmes Wannenbad eingenommen werden, wobei jeder Bewohner auf Weisung des Personals „turnusmäßig einmal als erster baden“ durfte .191 Dass die Zusammenkünfte der Mitarbeiter in der „Rosenau“, wie im obigen Beispiel erkennbar, schon in den frühen 1950er Jahren unter Anwesenheit einiger „Insassen“ stattfanden und Letztere somit durchaus Einfluss auf die Belange des Heimalltags nahmen, gehörte jedoch zu den Ausnahmen . Dies traf in gleicher Weise auf die Bewohnervertretung des Anfang der 1960er Jahre eröffneten Heims in Bad Vilbel zu . So entschieden sich die meisten deutschen Heime erst in den späten 1960er Jahren für einen regelmäßigen Austausch zwischen den Bewohnern und der Heimleitung . Infolgedessen erfolgte dann erstmals auch eine Auseinandersetzung mit der Kritik und den Wünschen der im Heim lebenden Menschen .192 Somit war es unüblich, dass die Anfang der 1950er Jahre verfasste Hausordnung des „Altersheims Rosenau“ nicht nur bereits feste Regularien zur Äußerung von Beschwerden, sondern ebenfalls für Verbesserungsvorschläge enthielt .193

ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Neufassung HO JAH, o . D . ZAH, B . 1/6, Nr . 709: Ent .: An die Bew . unseres Heims, o . D . (1966); ZAH, B . 1/6, Nr . 709: PMV JAH, 23 .2 .1966 . 190 Im jüdischen Altersheim in Neustadt wurde z . B . in einer „Bekanntmachung“ darauf verwiesen, dass die Haustür um 21 Uhr abgeschlossen werden müsste: ZAH, B . 1/40, Nr . 47: HL: Bekanntmachung, o . D . (1960er Jahre) . 1966 bat der Heimleiter die Bewohner z . B . auch darum, aufgrund des Personalmangels auf „Sonderbedienungen, z. B. den Zimmerservice“, zu verzichten: ZAH, B . 1/40, Nr . 47: HL Josef L . an Pensionäre, 3 .8 .1966 . 191 ZAH, B . 1/5, Nr . 21: SD an d . Insassen d . JAR, 2 .2 .1950 . 192 LkAHN, B . 160, Nr . 13: Erica L an Erna B ., 17 .11 .1961 . 193 Diese sollten der Heimleitung gemeldet und erst dann, wenn „die beanstandeten Mängel daraufhin nicht abgestellt werden würden“, dem Vorstand bzw . der „Rosenau-Kommission“ vorgetragen werden: ZAH, B . 1/5, Nr . 124: SD an Minna R ., 5 .12 .1952, Anlage: HO . 188 189

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9.

Ausstattung und räumliche Bedingungen

Alle ehemals jüdischen Altersheime waren entweder im Krieg zerstört oder durch die Nationalsozialisten sowie die Besatzungsmächte zweckentfremdet worden . Demzufolge gehörte die Suche nach geeigneten Räumlichkeiten zu einer der grundlegenden Aufgaben der Heimträger . In den ersten Jahren nach Kriegsende fanden die alten und auf Betreuung angewiesenen Juden in mehr oder weniger renovierungsbedürftigen Altbauten Unterkunft . Viele Gebäude hatten bereits vor der Enteignung durch die Nationalsozialisten als jüdische Altersheime fungiert oder sich zumindest im Besitz der jüdischen Gemeinden befunden . Mit Hilfe der Besatzungsmächte konnte, wie später näher erläutert wird, häufig schon kurz nach Kriegsende eine Rückerstattung an die neu gegründeten jüdischen Gemeinden erreicht werden . Dies traf u . a . auf die Heime in Hamburg, Bremen, Aachen und Düsseldorf, Neustadt in der Pfalz sowie z . T . auch auf Frankfurt am Main zu . In Frankfurt überließ die Stadtverwaltung der sich neu organisierenden jüdischen Gemeinde sogar bereits im Mai 1945 die Räumlichkeiten des ehemaligen jüdischen Krankenhauses zur Einrichtung eines Altersheims, das aber erst 1952 eröffnet werden konnte .1 Das jüdische Altersheim in der Hamburger Rothenbaumchaussee befand sich ebenfalls in einem Gebäude, das zum Besitz der früheren jüdischen Gemeinde gehört hatte .2 Da das „Israelitische Altersheim“ in Neustadt infolge der „Reichspogromnacht“ im November 1938 völlig zerstört und danach in Brand gesetzt worden war,3 nutzte die „Jüdische Kultusgemeinde der Rheinpfalz“ das noch bestehende ehemalige Verwaltungsgebäude ab Mitte der 1950er Jahre „als Notbehelf“ zur Unterbringung von etwa 15 alten Menschen .4 Bei den genannten Einrichtungen handelte es sich jedoch lediglich um provisorische und nur einfach ausgestattete Altersheime, die schnellstmöglich zur Betreuung der auf Pflege angewiesenen alten Menschen geschaffen worden waren . Auch das 1946 eröffnete Frankfurter Altersheim

Tauber (1998), S . 102 f . Nach 1939 diente es als Sammelunterkunft für Hamburger Juden, als „Judenhaus“: Zoder (2015) . ZAH, B . 1/40, Nr . 305: JKR, Anlage zum Mantel-Antrag, o . D . ZAH, B . 1/40, Nr . 305: JKR an das LAW, Mainz, 1 .10 .1956 . Die Umbaumaßnahmen wurden aus Wiedergutmachungsleistungen finanziert: ZAH, B . 1/40, Nr . 330: „Gründung einer Pfälzer Gemeinde“, o . D .

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Ausstattung und räumliche Bedingungen

wurde als Provisorium konzipiert und konnte daher „keine Heimstätte im eigentlichen Sinne“ sein .5 Dementsprechend einfach fiel die Ausstattung aus, z . B . besaß das Haus eine Kohleheizung und kein fließendes Wasser .6 Ähnlich gestaltete sich die Situation in zahlreichen weiteren Unterkünften für alte Menschen, insbesondere in den Altersheimen für Flüchtlinge sowie die unteren Sozialschichten .7 Während diese Heime bis weit in die 1960er Jahre hinein häufig vorwiegend Mehrbettzimmer besaßen,8 boten die hier untersuchten jüdischen Altersheime hingegen schon in den späten 1940er Jahren fast ausschließlich Einzel- und Doppelzimmer .9 Beispielsweise hatte das Altersheim der Synagogengemeinde Düsseldorf Anfang der 1950er Jahre Zimmer mit ein oder zwei Betten, während das über etwa 450 Plätze verfügende städtische Altersheim in Düsseldorf große Mehrbettzimmer bzw . Schlafsäle für sechs bis 25 Personen besaß .10 Aus Mangel an geeigneten Räumlichkeiten wiesen aber auch einige jüdische Nachkriegsheime, u . a . das Haus in Bremen, Mehrbettzimmer auf .11 In den meisten Fällen beruhte die Entscheidung für Mehrbettzimmer auf zwei Gründen . So verhinderte einerseits die räumliche Aufteilung vieler Altbauten eine getrennte Unterbringung der einzelnen Bewohner; andererseits erlaubte die Ausstattung der Schlafräume mit mehreren Betten eine höhere Auslastung der Heime, die wiederum eine Verbesserung der finanziellen Situation der Heimträger versprach . Ende 1950 plante daher auch das finanziell stark belastete Altersheim der Düsseldorfer Synagogengemeinde, um „das Heim lukrativer führen zu können“, die Umrüstung seiner Einzelzimmer in Doppelzimmer .12 1951 wurden so acht Zimmer von jeweils zwei Personen belegt, wohingegen 15 Zimmer weiterhin als Einzelzimmmer vermietet werden konnten .13 Die Doppelzimmer der „Rosenau“ fielen mit einer Größe von etwa 25 Quadratmetern vergleichsweise geräumig aus .14 Im Idealfall wurden sie zudem von Ehepaaren oder sich nahestehenden Personen bewohnt .15 Ansonsten mussten sich jedoch zwei Personen ein Zimmer teilen, die sich zuvor völlig fremd gewesen waren .16 Interview (1998), S . 152 . Interview (1998), S . 153 . Vgl . Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 146–160 . Vgl . Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 148 ff ., 151 f . Das „Altersheim Rosenau“ verfügte 1951 z . B . über 15 Einzelzimmer und acht Doppelzimmer: ZAH, B . 1/5, Nr . 125: Irma A . an „Rosenau-Kommission“, 3 .11 .1951, S . 1 f . In der „Rosenau“ sollten Doppelzimmer vorwiegend Ehepaaren und Geschwistern vorbehalten werden: ZAH, B . 1/5, Nr . 21: SD an Heide G ., Hiltrup, 28 .7 .1950 . 10 ZAH, B . 1/5, Nr . 21: SD an Heimleiterin Johanna R ., 16 .3 .1951 . 11 Beispielsweise besaß das jüdische Altersheim in Bremen zumindest in den ersten Nachkriegsjahren Mehrbettzimmer für ca . vier Bewohner: ZAH, A 3 Fotosammlung, Zentralkomitee 1: Foto: AH Bremen, ca . 1946 o . 1947 . 12 ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Vorst . SD an Eva S ., Frankf ., 8 .11 .1950 . 13 ZAH, B . 1/5, Nr . 125: Irma A . an „Rosenau-Kommission“, 3 .11 .1951 . 14 ZAH, B . 1/5, Nr . 44: SD an Paul J ., 11 .3 .1959 . 15 Z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 44: SD an Paul J ., 11 .3 .1959 . 16 Z . B . ersichtlich in ZAH, B . 1/5, Nr . 125: Irma A . an „Rosenau-Kommission“, 3 .11 .1951 . 5 6 7 8 9

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Ende der 1950er Jahre geriet die Unterbringung alter Menschen in großen Mehrbettzimmern in der zeitgenössischen Literatur der Wohlfahrts- bzw . Altenpflege zwar zunehmend in die Kritik; Zweibettzimmer galten aber weiterhin als tolerabel .17 Da für die von NS-Opfern bewohnten Einrichtungen andere Maßstäbe galten, schrieb z . B . die Synagogengemeinde Düsseldorf 1958: „Es stellt sich immer mehr heraus, dass die Heiminsassen nicht zu zweit in einem Zimmer untergebracht sein sollen.“18 Folglich besaßen die ab den späten 1950er Jahren speziell für NS-Opfer neu erbauten Altersheime ausschließlich Einzel- und Doppelzimmer .19 Die vom „Zentralverband der durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen“ geförderten Heimträger erhielten sogar explizit die Auflage, ehemals rassisch Verfolgten „grundsätzlich“ Einzelzimmer zur Verfügung zu stellen .20 Folglich bot das 1961 eröffnete Altersheim für rassisch verfolgte Christen in Bad Vilbel seinen Bewohnern 67 Einzel- und lediglich 15 Doppelzimmer, die v . a . Ehepaare aufnehmen sollten .21 Gleichermaßen wenig Zimmer für zwei Personen existierten im jüdischen Neustädter Altersheim . Zudem dienten auch hier Doppelzimmer fast ausschließlich der Unterbringung von Ehepaaren oder Geschwistern .22 Das auf dem Heimgelände lebende Personal wohnte in Einzel-, Doppel- oder auch Dreibettzimmern .23 Dabei waren es zumeist die alleinstehenden Heimleiterinnen und die Krankenschwestern, die ein Einzelzimmer erhielten,24 während sich die Pflegeund Haushaltshilfen ein Zimmer mit anderen Kolleginnen teilen mussten .25 Sowohl die Heimleiter- als auch die Hausmeisterehepaare bezogen auf dem Heimgelände eine kleine Wohnung .26 Die in den einzelnen Einrichtungen zur Verfügung stehende Anzahl an Plätzen fiel teilweise sehr unterschiedlich aus . Die ersten in den Nachkriegsjahren geschaffenen Unterkünfte boten häufig nur vergleichsweise wenig Räume, zumal es sich oft um Gebäude handelte, die ursprünglich nicht als Altersheim konzipiert worden waren .27 Wäh-

Vgl . dazu Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 152 ff . Auch frei gewordene Betten könnten, nach Ansicht der Gemeinde, nur in Einzelzimmern abgegeben werden: ZAH, B .  1/5, Bur .  326: SD, 22 .7 .1958: Anlage zur Vierteljahresabrechnung JAR, 1 . Quartal 1 .4 .– 30 .7 .1958 . 19 Insbesondere ehemalige Lagerhäftlinge besaßen häufig ein besonders starkes Bedürfnis nach mehr Privatsphäre . Vgl . u . a . Liebermann (2006), S . 129 . 20 NHStAH, VVP 12, Nr . 61: ZNGB, Ham ., an GNGBN, Hann ., 23 .12 .1963 . 21 LkAHN, B . 160, Nr . 47: Krankenstation AHH, Grundriss, o . D . 22 ZAH, B . 1/40, Nr . 225: Liste mit Bewohnern, o . D . (Anfang 1960er Jahre) . 23 ZAH, B . 1/5, Nr . 125: Inventur JAR, 15 .11 .1951; ZAH, B . 1/5, Nr . 180: AOK Essen, 21 .4 .1967 . 24 ZAH, B . 1/5, Nr . 125: Irma A . an „Rosenau-Kommission“, 3 .11 .1951 . 25 ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an Irma A ., Lon ., 12 .4 .1951 . 26 Das Altersheim in Neustadt stellte dem Heimleiterehepaar eine „moderne, möblierte Wohnung“ zur Verfügung: ZAH, B . 1/40, Nr . 327: Stellenanzeige aus AWJ, 21 .8 .1964, S . 6 . Auch der Hausmeister erhielt eine Dienstwohnung auf dem Heimgelände: ZAH, B . 1/40, Nr . 321: JKR an Karl L ., 31 .3 .1966 . Zur „Rosenau“: ZAH, B . 1/5, Nr . 123: RA Egon S . an Hausmeister, Werden, 23 .6 .1947 . 27 Oftmals besaßen sie anstatt mehrerer kleiner nur wenige große Räume und galten daher für die gewünschte Einzel- oder Doppelbelegung als ungeeignet . 17 18

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rend z . B . das 1945 in Hamburg eröffnete jüdische Heim in der Rothenbaumchaussee 50 alte Menschen beherbergen konnte,28 stellten die jüdischen Altersheime in Dortmund und Essen-Werden Ende der 1950er bzw . Anfang der 1960er Jahre nur 2229 bzw . 3130 Betten bereit .31 Da sich Einrichtungen mit einer so geringen Bettenzahl jedoch, wie später beschrieben wird, auf Dauer als nicht rentabel genug erwiesen, verfügten die in den 1960er und 1970er Jahren neu erbauten Heime über eine höhere Anzahl an Plätzen . Im Vergleich zu den Einrichtungen für alte Menschen ohne Verfolgungsschicksal war die Gesamtzahl der Betten aber weiterhin niedrig .32 Das 1961 eröffnete Altersheim für rassisch verfolgte Christen in Bad Vilbel konnte z . B . 63 Personen aufnehmen .33 Das im gleichen Zeitraum erbaute jüdische Altersheim in Neustadt besaß etwa 70 Plätze .34 Über eine Anzahl von etwa hundert Betten verfügte das im Jahr 1970 als „Ersatz“ für die „Rosenau“ in Düsseldorf erbaute „Nelly-Sachs-Haus“ .35 Indem die hier genannten Einrichtungen für Juden und rassisch verfolgte Christen nicht mehr als etwa hundert Plätze besaßen, entsprachen sie den Maßgaben der zeitgenössischen Altenpflege . So sprach man sich in der Fachliteratur der 1960er Jahre, insbesondere von Seiten der freien Wohlfahrtsverbände, verstärkt gegen die noch immer vielfach vorhandenen großen Einrichtungen mit mehreren Hundert Betten aus und plädierte stattdessen für Häuser mit nicht mehr als hundert Betten .36 Für das Wohlbefinden der Heimbewohner spielte auch die Ausgestaltung der Räumlichkeiten eine tragende Rolle . Die in den ersten Jahren nach Kriegsende geschaffenen Altersheime wurden meist mit gebrauchten, nicht einheitlichen Möbeln ausgestattet . Teilweise erhielten die Heime zusätzlich Möbel- und Sachspenden von Firmen oder Privatpersonen .37 Dabei konnte es nach der Eröffnung durchaus mehrere Monate dauern, bis das Haus komplett eingerichtet war .38 Dass einige Bewohner eigene Möbelstücke mitbrachten, stieß daher auf Zustimmung der Heimträger .39 Der Großteil der überlebenden Juden besaß jedoch keine oder nur sehr wenige eigene Möbel und ZAH, B . 1/28, Nr . 126: Norbert W . an John M . c/o WJC, Lon ., 6 .7 . o . J . ZAH, B . 1/2, Nr . 644: Jüd . AH Dortmund, Selbstkostennachweis für Quartal III, 1960, S . 2 . ZAH, B . 1/5, Bur . 262: SD an Margot B ., Mü ., 28 .3 .1958 . Die Einzelzimmer der „Rosenau“ besaßen z . B . eine Größe von etwa zehn Quadratmetern: ZAH, B . 1/5, Nr . 21: SD an Cilly W ., Mülheim, 4 .8 .1950 . 32 Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 150 f . 33 LkAHN, B . 160, Nr . 47: Belegung mit RV nicht jüd . Glaubens, 27 .9 .1962 . 34 ZAH, B . 1/40, Nr . 327: Stellenanzeige aus AWJ, 21 .8 .1964, S . 6 . 35 ZAH, B . 1/5, Nr . 440: SD an Ausgleichsamt Essen, 4 .12 .1972, S . 2 . 36 Vgl . dazu auch Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 150 ff . 37 Z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 123: SD an Abraham G ., Wuppertal-Elberfeld, 6 .2 .1948 . 38 Dies betraf z . B . auch das „Altersheim Rosenau“, dem selbst zwei Jahre nach der Eröffnung immer noch die finanziellen Mittel zur Ausstattung von drei weiteren Zimmern fehlten . Für die bereits bewohnten Räume sollten aber ebenfalls noch notwendige Einrichtungsgegenstände beschafft werden, darunter Nachtschränkchen, Lampen, Matratzen, Teppiche und Tische: ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Ber . über Bes . u . Bespr . im JAR, 27 .7 .1950, S . 2 . 39 Z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 44: SD an Henriette v . G ., Holland, 17 .7 .1958 . 28 29 30 31

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Einrichtungsgegenstände, zumal v . a . die im Ausland lebenden Menschen meist ohne ihren Hausrat nach Deutschland zurückkehrten .40 Neben Möbeln benötigten die Heime weitere notwendige Einrichtungs- und Gebrauchsgegenstände .41 Wenige Monate vor der Heimeröffnung profitierte z . B . der Heimträger der „Rosenau“ von einer Spende der „Deutschen Krankenhausgesellschaft für Altersheime und Krankenhäuser“, die etwa 60 Garnituren Bettwäsche,42 Glühbirnen und weitere Gebrauchsgegenstände umfasste .43 Ähnlich einfach fiel die sanitäre Ausstattung der Nachkriegsheime aus, die über Gemeinschaftstoiletten und -waschräume verfügten . Teilweise besaßen die Bewohnerzimmer aber fließendes Wasser, so u . a . in der „Rosenau“ .44 Da sich viele Altbauten aufgrund einer zunehmend maroden Bausubstanz, einer ungünstigen Aufteilung der Räumlichkeiten sowie einer veralteten Ausstattung längerfristig kaum noch zur Unterbringung alter Menschen eigneten, kam es in den 1960er Jahren nicht nur zu umfangreichen Renovierungen, sondern ebenfalls zu Neubauten . Dabei spielte auch der Fachdiskurs innerhalb der Wohlfahrts- bzw . Altenpflege eine entscheidende Rolle, der sich in den 1960er Jahren immer stärker auf den Heimbau auswirkte .45 Ende der 1960er Jahre genügte z . B . die „Rosenau“ nach Ansicht des Heimträgers „nicht mehr den Ansprüchen eines Altersheims“ .46 Dies betraf sowohl das baufällige Gebäude als auch die Einrichtung, die als stark „abgenutzt“ und „beschädigt“ beschrieben wurde .47 Dass die Möblierung erneuerungsbedürftig sein würde und z . B . die Stühle „wackelig“ und daher sogar gefährlich für die „hoch betagten Insassen“ sein könnten, hatte der Heimträger bereits 1962 bemängelt .48 Nach Aussage des Essener Bauaufsichtsamts war die gesamte Bausubstanz des Hauses Anfang 1968 schließlich „so schlecht, dass Einsturzgefahr“ bestand .49 Bei den alten Menschen stieß der Zustand vieler Altersheime auf gleichermaßen starke Kritik, zumal sich die Ansprüche an die Heime bzw . eine altersgerechte Unterbringung in den späten 1960er Jahren deutlich erhöht hatten .50 Demzufolge wünschten sich auch die Bewohner der „Rosenau“ eine

Selbst Jahre nach Kriegsende bzw . der Rückkehr aus dem Ausland befürworteten viele Juden ein möbliertes Zimmer, z . B . ZAH, B . 1/40, Nr . 42: Georg B . an JKR, 25 .4 .1968 . 41 Vgl . u . a . ZAH, B . 1/5, Nr . 123: LV jüd . Gem . NRW an Dr . Lutz L ., Köln, 16 .12 .1947; ZAH, B . 1/5, Nr . 123: SD an Abraham G ., Wuppertal-Elberfeld, 6 .2 .1948 . 42 ZAH, B . 1/5, Nr . 123: LV jüd . Gem . NRW an Dr . Lutz L ., Köln, 16 .12 .1947 . 43 ZAH, B . 1/5, Nr . 123: Sozialmin . NRW an LV jüd . Gem . in NRW, 21 .11 .1947 . 44 ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Vorst . SD an Ludwig G ., RA, Amst ., 16 .3 .1950 . 45 Vgl . z . B . Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 51 ff . 46 ZAH, B . 1/5, Nr . 46: Franz S ., SD, an Geschäftsstelle Landgericht Düss ., 30 .8 .1971 . 47 Aufgrund des schlechten Zustands der meisten Einrichtungsgegenstände konnten nur wenige Dinge in das neue Heim in Düsseldorf mitgenommen werden . In einem von der Synagogengemeinde käuflich erworbenen Nachlass eines Bewohners befanden sich noch „gute Gegenstände“, die ebenfalls für das neue Haus zur Verfügung gestellt werden sollten: ZAH, B . 1/5, Nr . 46: Betr . Inventar JAR, 19 .11 .1970 . 48 ZAH, B . 1/5, Nr . 73: SD an Dir . Landschaftsverb . Rheinl ., LF, Köln-Deutz, 20 .3 .1962 . 49 ZAH, B . 1/5, Nr . 46: Stadt Essen, Bauaufsichtsamt, an SD, 12 .2 .1968 . 50 Vgl . dazu auch Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 155 f . 40

Ausstattung und räumliche Bedingungen

„modernere Ausstattung“ und Zimmer „mit Bädern und Balkon“ .51 Trotz der in vielen Heimen vollzogenen Umbau- und Renovierungsmaßnahmen boten v . a . die gänzlich neu erbauten Häuser52 eine altersgerechte Architektur und Ausstattung, zu der z . B . Balkone, Terrassen und Personenaufzüge zählten .53 Dies betraf ebenfalls das 1960 eröffnete jüdische Altersheim in Neustadt, dessen Gebäude u . a . große Fensterfronten besaßen, die selbst im Winter viel Sonnenlicht in die Räume ließen . Im Sommer stand den alten Menschen eine große Sonnenterrasse vor dem Speisesaal zur Verfügung . Als besonders modern galten auch die Bad- und Toilettenräume, die mit Entlüftungsanlagen ausgestattet waren, sowie die mit einer Schallverdämmung versehenen Fußböden .54 Da sich die Architektur und die Ausstattung des Hauses außerdem an den zeitgenössischen Designvorstellungen orientierten, wurde das Neustädter Altersheim in der Presse sogar als das „wahrscheinlich […] modernste jüdische Heim in der Bundesrepublik Deutschland“ bezeichnet .55 Wie später beschrieben wird, stieß die vergleichsweise luxuriöse, kostspielige Gestaltung des Hauses jedoch, u . a . bei der ZWST, nicht nur auf positive Resonanz .56 Beispielsweise erhielten die Giebelwände eine Mosaikverkleidung, für die „japanisches Steinzeug und italienisches Glasmosaik“ Verwendung fanden .57 Nahezu alle neu erbauten Altersheime verfügten über komplett möblierte Zimmer und ermöglichten daher nur noch das Mitbringen von Kleinmöbeln .58 Die Bewohnerzimmer des 1961 errichteten „Altersheims Heilsberg“ waren z . B . jeweils mit einem Bett, einem Nachttisch, einem Kleiderschrank, einem „Aufsatzschrank für Koffer“, einem Tisch, einem Stuhl und einem Sessel ausgestattet .59 „Wenige eigene Möbel“ sowie Stehlampen u . Ä . durften aber ebenfalls mitgebracht werden .60 Auf diese Weise konnte den alten Menschen das Eingewöhnen in ihrer neuen Umgebung erheblich erleichtert werden . 1962 fühlte sich auch die neu eingezogene Margot L . bereits „nach

ZAH, B . 1/5, Nr . 46: Franz S ., SD, an Geschäftsstelle Landgericht Düss ., 30 .8 .1971 . Auch viele in den 1950er Jahren erbauten Heime wurden in den 1960er Jahren renoviert . So erfolgte z . B . 1963 die grundlegende Renovierung des „Jüdischen Altersheims Hannover“: ZAH, B . 1/6, Nr . 552: TB zur MV JAH, 8 .4 .1964 . Anfang der 1970er Jahre wurde das hannoversche Heim zudem um einen Neubau erweitert: ZAH, B . 1/6, Nr . 553: Hermann G ., Architekt, Frankf ., an JAH, 13 .7 .1971 . 53 LkAHN, B . 160, Nr . 11: DW, EKHN, 23 .2 .1961 . 54 Im Neubau befand sich u . a . auch die Wohnung für den Hausmeister . Im Keller wurde sogar eine Leichenhalle für verstorbene Bewohner eingerichtet: ZAH, B . 1/40, Nr . 330: „Das neue Altersheim“, in: AWJ, 27 .5 .1960 . 55 ZAH, B . 1/40, Nr . 327: ZWST an Maximilian F ., Heidelberg, 12 .8 .1964 . 56 ZAH, B . 1/40, Nr . 364: ZWST an JKR, 19 .6 .1958 . 57 ZAH, B . 1/40, Nr . 330: „Das neue Altersheim“, in: AWJ, 27 .5 .1960 . 58 Da z . B . auch die Zimmer der „Rosenau“ über eine Grundausstattung mit Möbeln verfügten, sollten möglichst nicht zu viele und zu große Möbel mitgebracht werden: ZAH, B .  1/5, Nr .  44: SD an Paul J ., 11 .3 .1959 . 1972 besaßen auch die Zimmer des Neustädter Heims eine „Standardmöblierung“: ZAH, B . 1/40, Nr . 2: JAN an Karl K ., 12 .10 .1972 . 59 Die Bettwäsche wurde ebenfalls vom Heim gestellt: LkAHN, B . 160, Nr . 11: DW, EKHN, 23 .2 .1961 . 60 LkAHN, B . 160, Nr . 11: DW, EKHN, 23 .2 .1961; LkAHN, B . 160, Nr . 12: Erica L ., betr . Aufnahme im AHH, 13 .9 .1961 . 51 52

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wenigen Tagen ausserordentlich wohl“ im Heim, zumal ihre Kinder alles getan hätten, ihr „ein hübsches Nestchen mit kleinem Erker behaglich und wohnlich einzurichten“ – u . a . mit einem Teppich und ihrem „Lieblingssessel“ .61

Abb. 3

Altersheim in Neustadt i. d. Pfalz (Neubau), Sonnenterrasse (o. D., 1960er Jahre)62

Zugleich wurde in der zeitgenössischen Fachliteratur zur Altenpflege immer häufiger für eine zweckmäßige, leicht zu reinigende Ausstattung und Möblierung plädiert.63 Daher erhielten nicht nur Pflegeheime und -stationen, sondern auch immer mehr Altersheime eine Einrichtung mit „weißen Krankenhausmöbeln“ und leicht zu reinigenden Linoleumfußböden .64 Die Ausstattung der Bewohnerzimmer unterschied sich somit grundlegend vom Einrichtungsstil der in der Vorkriegszeit erbauten Heime, in denen die Nachahmung eines „bürgerlichen“ Wohnzimmers intendiert werden sollte .65 Bei den alten Menschen stieß die spartanisch wirkende Einrichtung aber nur selten auf poPositiv bewertete sie aber auch die modernen Möbel des Heims, zu denen ein „ausgezeichnetes Bett“ mit Rheumadecke gehörte: LkAHN, B . 160, Nr . 12: Margot L ., AHH, an Direktion St . Katharinen- u . Weissfrauenstift, Frankf ., 18 .3 .1962 . 62 ZAH, B . 1/40, Nr . 387: Fotosammlung: JAN, o . D . (1960er Jahre) . 63 Vgl . Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 157 f . 64 Vgl . Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 158 . 65 Vgl . dazu Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 157 . 61

Ausstattung und räumliche Bedingungen

sitive Resonanz . Beispielsweise äußerte sich eine in das neu erbaute „Altersheim Heilsberg“ umgesiedelte Christin jüdischer Herkunft „anfänglich“ leicht enttäuscht „über die etwas schlichte Ausstattung des hellen schönen Raumes“, der sich sehr von den Zimmern in ihrem früheren Heim unterschied .66 Aufgrund wiederholter Kritik, die sowohl von Bewohnern als auch in der Fachliteratur zur Altenpflege geäußert wurde, ließ sich aber bereits nach kurzer Zeit ein Gegentrend beobachten . Dadurch kam es schließlich zu einer Rückbesinnung auf eine „wohnlichere“ Raumausstattung, wodurch u . a . auch das Mitbringen einer größeren Anzahl eigener Möbel wieder erlaubt war .67 Eine gleichermaßen wichtige Rolle für das Wohlbefinden der alten Menschen und die Atmosphäre im Haus spielten die Gemeinschaftsräume, zu denen u . a . die Speisezimmer zählten . In den hier untersuchten Heimen wurden die Hauptmahlzeiten gemeinsam in einem Speiseraum bzw . -saal eingenommen .68 Das jüdische Altersheim in Neustadt besaß, wie bereits erwähnt, sogar eine dem Speisesaal angegliederte große Terrasse, die ebenfalls zur Einnahme der Mahlzeiten genutzt werden konnte .69 Darüber hinaus entschieden sich immer mehr Heime zur Einrichtung kleiner Teeküchen, in denen sich die Bewohner selbständig heiße Getränke und kleine Gerichte zubereiten durften .70 Für die individuelle Freizeitgestaltung standen in allen Altersheimen weitere Gemeinschaftsräume zur Verfügung . Insbesondere die Neubauten boten mehrere „Gesellschaftsräume“, die als Bibliothek, Lese- oder Fernsehraum genutzt wurden .71 Ein eigenes Badezimmer oder WC besaßen bis in die 1970er Jahre hinein zwar nur die wenigsten Bewohnerzimmer,72 fließendes warmes und kaltes Wasser im Zimmer gehörte aber in den hier im Fokus stehenden Einrichtungen meist zum Standard .73 Dass die Doppelzimmer des neu erbauten jüdischen Altersheims in Neustadt bereits Anfang der 1960er Jahre über ein Badezimmer mit WC und einer Sitzbadewanne verfügten, stellte daher eine sehr große Ausnahme dar .74

LkAHN, B . 160, Nr . 12: Mara D ., AHH, an Erica L ., 3 .3 .1962 . Vgl . Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 159 . Z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Rosa B . an SD, 29 .1 .1962; LkAHN, B . 160, Nr . 13: Aufnahme-Vertrag AHH, o . D . (frühe 1960er Jahre) . 69 ZAH, B . 1/40, Nr . 330: „Das neue Altersheim“, in: AWJ, 27 .5 .1960 . 70 LkAHN, B . 160, Nr . 11: DW, EKHN, 23 .2 .1961 . Vgl . auch Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 161 . 71 LkAHN, B . 160, Nr . 11: DW, EKHN, 23 .2 .1961 . Im Neustädter Heim wurde z . B . die Bibliothek zugleich auch als Fernsehraum genutzt: ZAH, B . 1/40, Nr . 330: „Das neue Altersheim“, in: AWJ, 27 .5 .1960; ZAH, B . 1/40, Nr . 380: Fotoalbum: JAN . 72 Üblich waren hingegen, besonders in Altbauten, Waschräume und zudem oft nur wenige WCs . Vgl . Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 160 . 73 ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Norbert P . an Harald S ., Berlin, 28 .9 .1961 . 74 Ansonsten kamen auf je sechs Einzelzimmer drei Toiletten in den Korridoren: ZAH, B . 1/40, Nr . 364: HSH, ZWST, an ZWST, Frankf ., 4 .5 .1958 . Vgl . auch ZAH, B . 1/40, Nr . 42: JAN an Renate M ., 14 .10 .1960; ZAH, B . 1/40, Nr . 2: JAN an Karl K ., 24 .8 .1972 . 66 67 68

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Ausstattung und räumliche Bedingungen

In den 1950er Jahren wurde, wie schon in der Vorkriegszeit, weiterhin dafür plädiert, Altersheime möglichst in einer ruhigen Umgebung weitab von der Stadt zu errichten . Diesem Ideal entsprach z . B . das „Altersheim Rosenau“, das im Jahr 1905 auf einer etwa 300 Meter hohen Erhebung – mitten im Wald gelegen75 – am Rande von Essen-Werden erbaut worden war .76 Anders als von den Heimträgern postuliert empfanden viele alte Menschen den abgelegenen Standort von Heimen hingegen keineswegs als vorteilhaft . Da sie „den Berg nicht mehr hinauf und runter […] klettern“ konnte, entschied sich eine Bewohnerin letztlich sogar für den Auszug aus der „Rosenau“; falls sich die Düsseldorfer Synagogengemeinde jedoch für einen anderen Standort des Heims entscheiden würde, wollte sie, so ihr Versprechen, aber „gerne“ zurückkommen, zumal sie sich unter der Obhut der Heimleiterin in der Heimgemeinschaft sehr wohl gefühlt hätte .77 Indem spätestens Ende der 1960er Jahre bei der Planung von Altersheimen ebenfalls die Wünsche der zukünftigen Bewohner Berücksichtigung fanden, veränderten auch die Heimträger ihre Vorstellungen von der idealen Lage eines Altersheims . So sollten alte Menschen zukünftig möglichst „stadtnah und verkehrsgünstig untergebracht“ werden, „um am gesellschaftlichen kulturellen und religiösen Leben teilzuhaben“ .78 Selbst die Lage des hannoverschen jüdischen Altersheims in einem Randbezirk der Stadt galt nun als ungünstig .79 Als Vorteil erwies sich aber eine gute Verkehrsanbindung, z . B . eine nahe gelegene Bushaltestelle, wie im Fall des jüdischen Altersheims in Neustadt .80 Die Errichtung von Pflegestationen und -heimen erforderte nicht nur bestimmte bauliche Maßnahmen wie barrierefreie Räumlichkeiten und breite Türen, sondern ebenfalls eine besondere Ausstattung mit medizinischen Geräten sowie technischen Hilfsmitteln zur Erleichterung des Pflegeprozesses . Da sich etwa die pflegerische Versorgung bettlägeriger Bewohner in „normalen“ Betten nur schwer durchführen ließ, wurden die Pflegestationen mit speziellen, höhenverstellbaren Krankenbetten und mobilen Nachttischen versehen .81 1962 erfolgte z . B . in der „Rosenau“, die über keine gesonderte Pflegestation verfügte, auf Rat der behandelnden Ärzte der Ankauf von Krankenbetten zur einfacheren Versorgung vorübergehend pflegebedürftiger Bewohner .82 In vielen neu errichteten Heimen gehörte der Einbau einer Pflegeabteilung von Beginn an zum Konzept, da – so auch der Träger des 1961 eröffneten Altersheims in Bad Vilbel  – „in Zukunft […] der Schwerpunkt auf Pflege gelegt werden“ müsste .83

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ZAH, B . 1/5, Nr . 124: SD an IM NRW, 5 .1 .1953 . ZAH, B . 1/5, Nr . 440: Stadtkämmerei Essen, 30 .4 .1971 . ZAH, B . 1/5, Nr . 124: Ursel S . an SD, 21 .4 .1953 . ZAH, B . 1/5, Nr . 46: Franz S ., SD, an Geschäftsstelle Landgericht Düss ., 30 .8 .1971 . ZAH, B . 1/6, Nr . 551: JAH an Vorst . JAH, 18 .8 .1962 . ZAH, B . 1/40, Nr . 327: ZWST an Maximilian F ., Heidelberg, 12 .8 .1964 . Z . B . LkAHN, B . 160, Nr . 46: GDHN, Darm ., an HWNGB, Berlin, 12 .1 .1978 . ZAH, B . 1/5, Nr . 73: SD an Dir . Landschaftsverb . Rheinl ., LF, Köln-Deutz, 20 .3 .1962, S . 2 . LkAHN, B . 160, Nr . 47: GDHN, Darm ., an HWNGB, Berlin, 1 .2 .1977, S . 2 .

Ausstattung und räumliche Bedingungen

Demzufolge entschied sich der Heimträger für eine Pflegestation mit insgesamt neun Plätzen in drei Einzel- und drei Doppelzimmern .84 Obwohl in der Fachliteratur zur Altenpflege z . T . seit Ende der 1950er Jahre für eine verbesserte, „altersgerechte“ Ausstattung der Heime plädiert wurde, kam es häufig erst in den späten 1960er Jahren zur praktischen Umsetzung der Vorschläge .85 Dabei spielten sowohl mangelndes Interesse an den neuesten Erkenntnissen als auch finanzielle Engpässe der Heimträger eine bedeutende Rolle . Dies betraf 1958 auch das jüdische Altersheim in Neustadt, das – wie später dargestellt wird – ablehnend auf die zwar auffallend progressiven, zugleich aber sehr kostenintensiven Forderungen der ZWST reagierte . Nach deren Vorstellungen sollte eine gut ausgestattete Pflegeabteilung u . a . über Handläufe an den Flurwänden, Haltegriffe in den Badezimmern sowie von allen Seiten zugängliche Badewannen verfügen86 – Vorgaben, die großteils erst in den 1970er Jahren, z . T . sogar gesetzlich, zur praktischen Umsetzung kamen . Dass viele Maßnahmen zur Verbesserung der Heimausstattung an finanziellen Hürden scheiterten, zeigt sich auch im „Altersheim Rosenau“, dessen Heimleiterin 1962 die veraltete Einrichtung als „schon fast gefährlich“ beschrieb und darüber hinaus den Einbau zusätzlicher Geländer, an denen sich die durchschnittlich 80- bis 90-jährigen Bewohner „beim Gehen halten können“, forderte .87 Letztlich erhielten die Räumlichkeiten der „Rosenau“ erst aufgrund gesetzlicher Anordnungen von 1968 bzw . 1974 eine auf die alten Menschen zugeschnittene Ausstattung, zu der u . a . Handläufe und Haltegriffe in allen Fluren und Bädern gehörten .88 Weniger in der Praxis als im theoretischen Fachdiskurs vollzog sich anfangs auch der Wechsel von einer „bewahrenden“ zu einer rehabilitativ ausgerichteten Altenpflege, die sich gleichfalls erst seit den späten 1960er Jahren durchsetzen konnte .89 Dass in den oben genannten Vorschlägen der ZWST für das Neustädter Heim bereits im Jahr 1958 zusätzliche Räumlichkeiten und Apparate für die „Bewegungs- und Elektrotherapie“ gefordert wurden, zumal diese Maßnahmen „einen großen Schritt zur Rehabilitation“ darstellen würden, zählte in der zeitgenössischen deutschen Altenpflege also eher zu den Ausnahmen als zur gängigen Praxis .90

Darüber hinaus standen ein Bad, Toilettenräume, eine Teeküche, ein Arzt- und ein Schwesternzimmer auf der Station zur Verfügung: LkAHN, B . 160, Nr . 47: Krankenstation AHH, Grundriss, o . D . 85 Vgl . Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 166 ff ., 172 . 86 ZAH, B . 1/40, Nr . 364: HSH, ZWST, an ZWST, Frankf ., 4 .5 .1958, S . 3 . 87 ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Rosa B . an SD, 29 .1 .1962 . 88 Z . B . LkAHN, B . 160, Nr . 47: Jahresber . 1975 über RV nicht jüd . Glaubens im AHH an HNG-Fonds, Bundesmin . Finanzen, Bonn, 2 .4 .1976; LkAHN, B . 160, Nr . 46: GDHN, Darm ., an HWNGB, Berlin, 12 .1 .1978 . Vgl . auch Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 166 ff . 89 Vgl . dazu Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 267 ff . 90 Zu den weiteren Wünschen der Gutachterin der ZWST zählten „helle Pastellfarben für Zimmer und Korridore“, ein Lichtknopf neben jedem Bett, der bei Betätigung auch im Schwesternzimmer aufleuchtet, sowie Sauerstoff-Flaschen-Manometer, Ständer für Bluttransfusionen u . Ä .: ZAH, B . 1/40, Nr . 364: HSH, ZWST, an ZWST, Frankf ., 4 .5 .1958, S . 4 . 84

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Ausstattung und räumliche Bedingungen

Wie zahlreiche christliche Heime verfügten die jüdischen Einrichtungen häufig über eigene Sakralräume . Während die christlichen Heimkapellen jedoch vorwiegend nur von den Heimbewohnern genutzt wurden,91 fungierten die Gebetsräume der jüdischen Altersheime vereinzelt sogar als Synagogen-Ersatz und standen somit der gesamten jüdischen Gemeinde zur Verfügung . Dies betraf v . a . diejenigen jüdischen Gemeinden, in deren Einzugsgebiet außerhalb der Altersheime keine weiteren Synagogen oder Gebetssäle existierten .92 Auch die „Jüdische Kultusgemeinde der Rheinpfalz“ entschied sich Ende der 1950er Jahre zur Integration eines Gebetsraums in das in Neustadt neu errichtete Altersheim .93 Dieser Raum diente sowohl den Heimbewohnern als auch allen weiteren, in Neustadt und Umgebung lebenden Juden als Synagoge . Teilweise kam es aber selbst in Städten, die bereits über eine separate Synagoge verfügten, zur Einrichtung heimeigener Sakralräume, so u . a . in Frankfurt am Main .94 Insbesondere gehbehinderten alten Menschen wurde auf diese Weise die Teilnahme am Gottesdienst sehr erleichtert bzw . erst möglich gemacht . Für die Heimsynagogen bestand jedoch immer die Gefahr einer Zweckentfremdung, da sie in einzelnen Fällen nicht dem Gottesdienst vorbehalten blieben, sondern – wie in Neustadt – die Funktion von „Mehrzweckräumen“ erfüllten . Dass im Gebetsraum des neu erbauten Neustädter Heims neben dem heiligen Thora-Schrein auch Musik- und TV-Apparate aufgestellt werden sollten, stieß jedoch weniger bei der Heimleitung als bei außenstehenden jüdischen Organisationen wie der ZWST auf Ablehnung .95

Es gab aber durchaus Ausnahmen . Z . B . wurden auch die russisch-orthodoxen Kapellen der Altersheime für „heimatlose Ausländer“ häufig von nicht im Heim lebenden Osteuropäern genutzt: Grabe (2020), S . 54 . 92 Mangels geeigneter Räumlichkeiten nutzte z . B . auch die Bremer Gemeinde das Gebäude des jüdischen Altersheims für Gottesdienste und Versammlungen . Eine eigenständige Synagoge wurde erst im Jahr 1960 errichtet: https://www .jüdische-gemeinden .de/index .php/gemeinden/a-b/467-bremen . 93 Mit der Schließung des Heims im Jahr 1987 musste auch die Synagoge aufgegeben werden . Die „Jüdische Kultusgemeinde der Rheinpfalz“ besaß somit nur noch eine Synagoge in Kaiserslautern: Kukatzki (1997), S .  69; https://www .jüdische-gemeinden .de/index .php/gemeinden/m-o/1425-neustadt-weinstrasserheinland-pfalz . 94 Dies betraf z . B . die Stadt Frankfurt am Main, in der etwa das 1974 eingeweihte neue Altenzentrum der jüdischen Gemeinde über eine Synagoge verfügte . Vgl . dazu Seemann: Frankfurter jüdische Altenpflege (2017) . 95 Die Kritik erfolgte nach einer Besichtigung des noch nicht bezugsfertigen Neubaus durch eine Vertreterin der ZWST: ZAH, B . 1/40, Nr . 364: HSH, ZWST, an ZWST, Frankf ., 4 .5 .1958 . Wie die Heimbewohner auf die Zweckentfremdung des Gebetsraums reagierten, lässt sich aus den gesichteten Quellen nicht erschließen . 91

10.

Finanzielle Aspekte

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Finanzierung der Heime

Nicht nur der Neubau von Altersheimen, sondern auch die Sanierung und Umgestaltung bereits vorhandener Gebäude stellten für die Heimträger eine enorme finanzielle Belastung dar . Insbesondere die als Heimträger fungierenden und sich nach Kriegsende gerade völlig neu organisierenden jüdischen Gemeinden waren auf finanzielle Unterstützung angewiesen . Diese kam – wie bereits erwähnt – sowohl von Seiten jüdischer Organisationen und Institutionen aus dem In- und Ausland als auch vom deutschen Staat . In den ersten Nachkriegsjahren spielten die international tätigen jüdischen Organisationen wie das „American Jewish Joint Distribution Committee“ ( Joint) eine tragende Rolle in der Versorgung der überlebenden Juden . Später beteiligte sich u . a . die 1950 ins Leben gerufene jüdische Treuhänderstelle „Jewish Trust Corporation“ an der Finanzierung . 1 Ab den frühen 1950er Jahren konnten die Heimträger außerdem auf die Unterstützung der „Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland“ zurückgreifen, die auch für die Altersfürsorge der jüdischen Bevölkerung zunehmend an Bedeutung gewann .2 Die internationalen jüdischen Hilfsorganisationen arbeiteten meist eng mit den deutschen Behörden zusammen . So war es auch im Falle des jüdischen Altersheims in der Hamburger Rothenbaumchaussee, das auf Wunsch des Joint seit 1946 von der Gesundheitsverwaltung des Senats der Stadt Hamburg betreut wurde .3 Im Gegenzug dazu verpflichtete sich das Joint zur Übernahme der „Kosten der Bewirtschaftung“ des

Vgl . z . B . zum Düsseldorfer Heim ZAH, B . 1/5, Bur . 253: Vorst . SD an JTC, Ham ., 23 .1 .1952 . Vgl . z . B . ZAH, B . 1/5, Bur . 326: JAH, Einnahmen- u . Ausgabenrechnung für 1 .4 . bis 31 .12 .1954 . StAH, GB, 252-6, Nr . 1735: Senatsdir . Hugo G . an Senator Paul N ., Sozialverw ., Ham ., 11 .1 .1946 . Der Kontakt zum Hamburger Senat wurde durch einen Vertreter des Joint übernommen . Vgl . dazu Lorenz (2005), S . 342; StAH, GB, 252-6, Nr . 1735: Gesundheitsverw . Ham ., Senatsdir . Hugo G ., an David R ., Ham ., 11 .1 .1946 .

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Finanzielle Aspekte

Hauses .4 Unter anderem unterstützte es den Umbau des Altersheims mit einem Betrag von 30 .000 RM .5 Nach der Gründung der Bundesrepublik und dem Rückzug der ausländischen Hilfsorganisationen verpflichteten sich zunehmend auch die staatlichen deutschen Behörden zur Unterstützung der jüdischen Altersheime . Beispielsweise stellte das „Bundesamt für Soforthilfe“ – im Rahmen einer „Förderung von Altersheimen der freien Wohlfahrtsverbände“  – Anfang der 1950er Jahre den gemeinnützig arbeitenden jüdischen Einrichtungen Gelder zur Verfügung .6 Gemäß den Vorgaben konnte jeder von der Freien Wohlfahrtspflege geplante Heimplatz mit einem Betrag von 5 .000 DM bezuschusst werden .7 Davon profitierte u . a . die jüdische Gemeinde von Hannover, die 35 Plätze für das von ihr geplante Altersheim beantragte und schließlich die Zusage für ein Darlehen von 175 .000 DM erhielt .8 Wichtige Finanzhilfe leisteten außerdem die einzelnen Bundesländer .9 Verwendet wurden die Zuschüsse sowohl für Neubauten als auch zur Ausstattung und Renovierung von Altbauten . Die in den späten 1940er Jahren begonnene Renovierung und Einrichtung des bereits vor der Enteignung als Altersheim genutzten Gebäudes der „Rosenau“ erfolgte vorwiegend durch finanzielle Unterstützung der nordrhein-westfälischen Landesregierung sowie des Heimträgers, d . h . der Synagogengemeinde Düsseldorf .10 Anfang der 1950er Jahre stellte das nordrhein-westfälische Sozialministerium der Synagogengemeinde abermals Gelder, nun 5 .000 DM, für die Renovierung der „Rosenau“ zur Verfügung .11 Die Gemeinde investierte das Geld u . a . in die Kücheneinrichtung, in Möbel, medizinische Geräte sowie die Begleichung von Handwerkerrechnungen .12 Anders als die meisten anderen jüdischen Träger vertrat der Düsseldorfer Gemeindevorstand zu diesem Zeitpunkt die Ansicht, „keine“ finanzielle Unterstützung von anderen jüdischen Hilfsorganisationen zu benötigen .13 Unter der Bedingung, dass ein Teil der Heimplätze Personen nichtjüdischen Glaubens vorbehalten blieb, die „aus Gründen der Rasse, der Religion, Nationalität oder politi-

StAH, GB, 252-6, Nr . 1735: Senatsdir . Hugo G . an Senator Paul N ., Sozialverw ., Ham ., 11 .1 .1946 . Lorenz (2002), S . 42 . Vgl . zudem StAH, GB, 252-6, Nr . 1735: Gesundheitsverw . Ham ., Senatsdir . Hugo G ., an David R ., 11 .1 .1946 . 6 Die für die Förderung der Heime bereitgestellten Mittel wurden auf die Länder der amerikanischen und britischen Besatzungszone aufgeteilt und standen nur in begrenzter Höhe zur Verfügung: ZAH, B . 1/28, Nr . 259: Hauptamt für Soforthilfe, Bad H ., an Zentralrat d . Juden in Deutschland, Ham ., 29 .12 .1950 . 7 Im Gegenzug behielt sich das Amt eine Kontrolle der Heimbelegung vor: ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Ber . über Gründung u . Status JAH, o . D ., S . 1 . 8 B . 1/6, Nr . 551: Ber . über Gründung u . Status JAH, o . D ., S . 1 . 9 Die Synagogengemeinde Düsseldorf erhielt z . B . für ihren Etat von 1951/52 einen Zuschuss vom nordrhein-westfälischen Innenministerium: ZAH, B . 1/5, Bur . 253: JTC, Ham ., an Alfred S ., Vorst . SD, 26 .1 .1952 . 10 ZAH, B . 1/5, Nr . 123: SD an CJC, Bremen, 26 .9 .1947 . 11 ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Aufstellung über Rechnungsbelege, JAR, o . D ., S . 1 . 12 ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Aufstellung über Rechnungsbelege, JAR, o . D ., S . 1 . 13 ZAH, B . 1/5, Nr . 123: SD an CJC, Bremen, 26 .9 .1947 . 4 5

Finanzierung der Heime

schen Auffassung“ von der nationalsozialistischen Verfolgung betroffen gewesen waren, gewährte auch der „Zentralverband der durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen e . V .“ finanzielle Hilfe beim Neubau von Altersheimen .14 Auf diese Unterstützung konnten alle bundesdeutschen Heimträger zurückgreifen, d . h . ebenfalls Einrichtungen, die nicht vorwiegend ehemaligen Verfolgten Unterkunft bieten sollten . Wie schon erwähnt, nahm Anfang der 1960er Jahre z . B . die hannoversche „Henriettenstiftung“, ein evangelisches Diakonissenmutterhaus, als Träger vieler niedersächsischer Altersheime einen Zuschuss des „Zentralverbands der durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen e . V .“ in Anspruch .15 Dabei bestand für die Stiftung jedoch die bis Ende 1986 geltende Verpflichtung, „Wohnungen oder Altersheimzimmer für 25 Personen von in d. R. über 60 Jahren“ aus dem Kreis der rassisch Verfolgten nichtjüdischen Glaubens zur Verfügung zu stellen .16 Ab den 1960er Jahren gestaltete sich – aufgrund des allgemeinen Wirtschaftsaufschwungs in der Bundesrepublik  – die finanzielle Situation der Heimträger zunehmend besser . Demzufolge kam es nicht nur vermehrt zu Umbauten der in den ersten Nachkriegsjahren eingerichteten Heime, sondern ebenfalls zu Neubauten .17 Trotz aller Investitionen litten aber die meisten gemeinnützigen Träger weiterhin unter erheblichen Geldsorgen, u . a . die „Jüdische Kultusgemeinde der Rheinpfalz“, die Ende der 1950er Jahre mit der Errichtung eines großen Altersheims in Neustadt begann . Bereits während des Baus hatte die Kultusgemeinde wiederholt mit finanziellen Engpässen zu kämpfen, die letztlich insbesondere mit Hilfe verschiedener nationaler und internationaler jüdischer Organisationen behoben wurden . 1958, d . h . kurz nach Baubeginn, erhielt der Heimträger z . B . von der „Jewish Claims Conference“ einen Zuschuss von 3 .000 DM .18 Letztlich waren aber auch deren Mittel begrenzt, zumal die „Claims Conference“ bereits anderen Institutionen wie der ZWST erhebliche finanzielle Unterstützung leistete und eng mit dieser zusammenarbeitete .19 Damit sich die geförderten Häuser später nicht als „Defizitunternehmen“ herausstellten, sollten zukünftig nur noch Zuschüsse für Einrichtungen gewährt werden, die bereits im Vorfeld eines Neubaus mit der Zentralwohlfahrtsstelle in Kontakt getreten waren .20 Deren Beschluss vom September 1957 zufolge müssten sogar „alle Projekte in gemeinsamer Beratung unter

Vgl . z . B . NHStAH, VVP 12, Nr .  61: ZNGB, Ham ., an GNGBN, Hann ., 23 .12 .1963 . Die „Allgemeine Treuhand-Organisation“ bezuschusste Heimplätze für nichtjüdische Verfolgte des NS-Regimes und stellte z . B . 400 .000 DM für die Errichtung des Wohnheims bereit: NHStAH, VVP 12, Nr . 61: Zusatzvereinbarung zum Vertr . v . 15 .10 .1960 zw . Allg . Treuhand-Organisation u . Henriettenstiftung, 25 .10 .1962 . 15 NHStAH, VVP 12, Nr . 61: ZNGB, Ham ., an GNGBN, Hann ., 23 .12 .1963 . 16 NHStAH, VVP 12, Nr . 61: ZNGB, Ham ., an GNGBN, Hann ., 23 .12 .1963 . 17 Vgl . z . B . ZAH, B . 1/40, Nr . 364: ZWST an alle LV, 21 .1 .1958, S . 1 . 18 ZAH, B . 1/40, Nr . 364: ZWST an LV jüd . Gem . Rheinland-Pfalz, Koblenz, 25 .6 .1958 . 19 Viele Anträge auf Unterstützung konnten schließlich nicht mehr berücksichtigt werden: ZAH, B . 1/40, Nr . 364: ZWST an alle LV, 21 .1 .1958, S . 3 . 20 ZAH, B . 1/40, Nr . 364: ZWST an alle LV, 21 .1 .1958, S . 1 . 14

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Finanzielle Aspekte

Hinzuziehung einer Kommission von Fachleuten“ geprüft werden .21 Dass die „Jüdische Kultusgemeinde der Rheinpfalz“ bei der Konzeption ihres Altersheims hingegen weitgehend im Alleingang gehandelt hatte, führte daher zwangsläufig zu Differenzen mit der ZWST .22 So fühlte diese sich sowohl bei der Planung wie bei der Umsetzung des Neubaus übergangen .23 Im Mittelpunkt der Kritik standen v . a . die als viel zu kostspielig bezeichneten Neubauten, die durchaus „zweckmäßiger“ hätten ausfallen können .24 Nach Ansicht der ZWST wären die Gebäude zwar „sehr repräsentativ, vom betriebswirtschaftlichen Standpunkt her“ aber „außerordentlich ungünstig“.25 Angesichts der sich bereits Ende der 1950er Jahre abzeichnenden stetigen Zunahme pflegebedürftiger Heimbewohner führte zudem das Fehlen einer Pflegeabteilung zu erheblichen Unstimmigkeiten zwischen dem Heimträger und der Zentralwohlfahrtsstelle . Obwohl die Kultusgemeinde – wie schon erwähnt – „wiederholt“ von der ZWST um die – allerdings mit weiteren Kosten verbundene – Einrichtung einer Pflegeabteilung gebeten worden war, zeigte sie an deren „Ratschlägen“ auch weiterhin „kein Interesse“ .26 Dass sie folglich weder bei der ZWST noch bei anderen jüdischen Hilfsorganisationen einen Antrag auf eine finanzielle Unterstützung zum Bau einer Pflegestation stellte, erwies sich aufgrund des steigenden Bedarfs an Pflegebetten letztlich jedoch als Fehlentscheidung . So war eine nachträgliche Auszahlung der Hilfsgelder nicht mehr möglich .27 Nahezu alle Heimträger mussten bei der Finanzierung von Neu- oder Umbauten – wie an den obigen Beispielen ersichtlich wurde – auf die Unterstützung unterschiedlicher Institutionen zurückgreifen . Zumeist waren es sowohl Zuschüsse von staatlicher Seite als auch von nationalen und internationalen jüdischen Hilfsorganisationen . Zusätzlich griffen viele Heime auf private Spenden zurück . Das jüdische Altersheim in Hannover konnte, wie schon erwähnt, ebenfalls nur mit Hilfe verschiedener Geldgeber finanziert werden . Zu diesen gehörten u . a . das „Bundesamt für Soforthilfe“, das niedersächsische Innenministerium, die Stadt Hannover, der „Verband der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen“, die „Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsver-

Unter anderem sollte neben der Finanzierung des Heimneubaus sowie des längerfristigen Heimbetriebs auch über die Beschaffung von fachlich geschultem Personal diskutiert werden: ZAH, B .  1/40, Nr . 364: ZWST an alle LV, 21 .1 .1958, S . 1 f . 22 ZAH, B . 1/40, Nr . 364: ZWST an alle LV, 21 .1 .1958, S . 1–3; ZAH, B . 1/40, Nr . 364: ZWST an JKR, 19 .6 .1958 . 23 ZAH, B . 1/40, Nr . 364: ZWST an alle LV, 21 .1 .1958, S . 1 . 24 So vertrat die ZWST die Ansicht, „dass ein Bedürfnis für ein so großes Altersheim, noch dazu abseits der jüdischen Zentren, nicht besteht und dass sich der Aufwand eines so hohen Betrages hierfür nicht rechtfertigen lässt“: ZAH, B . 1/40, Nr . 364: ZWST an JKR, 19 .6 .1958, S . 1 f . 25 ZAH, B . 1/40, Nr . 364: ZWST an JKR, 19 .6 .1958, S . 2 . 26 ZAH, B . 1/40, Nr . 364: ZWST an JKR, 19 .6 .1958, S . 1 . 27 ZAH, B . 1/40, Nr . 364: ZWST an JKR, 19 .6 .1958, S . 1 . Die ZWST erklärte sich zwar weiterhin dazu bereit, für Heimbewohner, die nicht der „Jüdischen Kultusgemeinde der Rheinpfalz“ angehörten, die Pflegekosten zu übernehmen; letztlich entschied sich die Kultusgemeinde aber aufgrund ihrer schlechten finanziellen Lage gegen die Einrichtung einer Pflegestation: ZAH, B . 1/40, Nr . 364: ZWST an JKR, 19 .6 .1958, S . 1; ZAH, B . 1/40, Nr . 364: Joint, Frankf ., an JKR, 19 .6 .1958 . 21

Finanzierung der Heime

bände in Deutschland“, die ZWST, das niedersächsische Sozialministerium sowie private Spender, darunter z . B . eine Firma und eine Einzelperson .28 Die Rentabilität von Altersheimen verbesserte sich mit zunehmender Anzahl an Plätzen . Aus diesem Grund bemühten sich viele Einrichtungen um eine Erhöhung ihrer Bettenzahl, die jedoch nur durch An-, Um- oder Neubauten erreicht werden konnte . Da sich Mitte der 1960er Jahre auch die Räumlichkeiten des – ohnehin baufälligen und nicht mehr zeitgemäß ausgestatteten – „Altersheims Rosenau“ für die dringend notwendige Erhöhung der Aufnahmekapazität als ungeeignet erwiesen,29 entschied sich die Synagogengemeinde Düsseldorf gegen die weitere Nutzung des Hauses .30 Stattdessen erfolgte nach dem Verkauf des Heimgrundstücks31 der Bau eines neuen Gebäudes, das einer größeren Anzahl von Bewohnern Platz bot und somit eine verbesserte wirtschaftliche Rentabilität versprach .32 Zwar verband sich mit dem neuen Heimstandort in Düsseldorf eine Umsiedlung der Bewohner in eine für sie völlig neue Umgebung; das Zusammenleben mit den bisherigen Mitbewohnern wurde ihnen aber weiterhin ermöglicht .33 Die wenigsten gemeinnützigen Einrichtungen konnten sich längerfristig selbständig durch ihre Einnahmen, d . h . durch die Pflegegelder der Heimbewohner tragen . Folglich waren sie auf regelmäßige finanzielle Zuschüsse angewiesen . Anfang der 1950er Jahre befand sich z . B . das „Altersheim Rosenau“ nicht mehr länger in der Lage, sich „mit dem von den Insassen selbst gezahlten Tagessatz von 5 DM pro Person“ zu unterhalten .34 Allein für die Verpflegung – die bereits Anlass zu vielen Klagen gab und daher in Zukunft reichhaltiger und individueller sein sollte – benötigte der Heimträger von jedem Bewohner einen Zuschuss von mindestens 2 DM pro Tag .35 Obwohl die Entlassung des festangestellten Heimarztes eine Kostenersparnis ermöglichte, fehlte es weiterhin an „ausreichenden Mitteln für eine ausreichende Betreuung“, die nicht nur die pflegerische Versorgung, sondern ebenfalls kulturelle Angebote umfasste .36 Um jedoch die „ordentliche Betreuung“ der Bewohner nicht zu gefährden, dürften die täglichen Gesamtkosten  – so das Fazit des Heimvorstands  – keinesfalls unter einem Betrag von ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Ber . über Gründung u . Status JAH, o . D ., S . 2 . Vgl . z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 73: SD an Oberstadtdir . Walter H ., Düss ., 5 .12 .1962 . Vgl . z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 73: SD an Oberstadtdir . Walter H ., Düss ., 5 .12 .1962 . Zur Finanzierung des etwa 4,5 Millionen DM teuren Neubaus musste die alte „Rosenau“ verkauft werden . Die Düsseldorfer Synagogengemeinde konnte aus eigenen Mitteln lediglich 1 Million DM beisteuern und fühlte sich daher zum Verkauf gezwungen: ZAH, B .  1/5, Bur .  316: RA Richard G . an Oberstadtdir . Essen, 2 .5 .1967 . 32 ZAH, B . 1/5, Nr . 73: SD an Oberstadtdir . Walter H ., Düss ., 5 .12 .1962; ZAH, B . 1/5, Bur . 316: RA Richard G . an Oberstadtdir . Essen, 2 .5 .1967 . 33 ZAH, B . 1/5, Bur . 316: RA Richard G . an Oberstadtdir . Essen, 2 .5 .1967 . 34 ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Ber . über Bes . u . Bespr . im JAR, 27 .7 .1950, S . 1 . 35 ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Ber . über Bes . u . Bespr . im JAR, 27 .7 .1950, S . 1 . 36 ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Ber . über Bes . u . Bespr . im JAR, 27 .7 .1950, S . 2 . 28 29 30 31

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Finanzielle Aspekte

7 DM liegen .37 Zu diesem Zeitpunkt sahen sich aber nur wenige Heimbewohner zur Zahlung höherer Pflegesätze in der Lage .38 Da der jüdischen Gemeinde in Düsseldorf demzufolge zu wenig Gelder zur Verfügung standen, übernahm schließlich die nordrhein-westfälische Landesregierung die zusätzlichen Pflegekosten .39 Die Synagogengemeinde war aber auch in den nächsten Jahren auf eine staatliche Bezuschussung der von den Bewohnern zu zahlenden Pflegekosten angewiesen .40 Beispielsweise lebten in der „Rosenau“ sowie den anderen hier untersuchten Einrichtungen viele „Rückwanderer“ aus dem Ausland, die zwar bereits vor mehreren Monaten Aufnahme im Haus gefunden, bislang aber noch keine offizielle „Anerkennung“ als NS-Verfolgte erhalten hatten .41 Da sie somit also „noch keine Ansprüche auf Haftentschädigung bzw. Rente“ stellen konnten,42 wurden sie meist so lange wie möglich „umsonst“ im Heim versorgt,43 was den Heimträger finanziell jedoch enorm belastete .44 Beispielsweise trugen im Mai 1951 sieben45, im Januar 1952 drei Heimbewohner „nur wenig“ bzw . gar „nichts“ zur Finanzierung ihres Heimaufenthalts bei .46 Bedingt durch die stete Steigerung der „laufenden Unkosten“47 mussten alle gemeinnützig arbeitenden Altersheime auf die Hilfe verschiedener Institutionen und Organisationen zurückgreifen, darunter die ZWST .48 In der „Rosenau“ verschärfte sich die finanzielle Situation Ende der 1950er Jahre erheblich durch das weitgehende Ausbleiben der – bislang regelmäßig erfolgten – Zuwendungen des Landes Nordrhein-Westfalen sowie der ZWST .49 Der von der Zentralwohlfahrtsstelle gewährte monatliche Zuschuss von 500 DM sollte zukünftig sogar ganz entfallen, v . a . aufgrund der stetig steigenden Anzahl der von ihr unterstützten Einrichtungen .50 Obwohl es der Düsseldorfer Synagogengemeinde im Sommer 1958 trotz finanzieller Schwierigkeiten erneut

ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Ber . über Bes . u . Bespr . im JAR, 27 .7 .1950, S . 2 . Z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an Landesbezirksstelle für Wiedergutmachung Karlsruhe, 2 .8 .1951 . ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Ber . über Bes . u . Bespr . im JAR, 27 .7 .1950, S . 2 . Bislang hatte z . B . die Düsseldorfer Synagogengemeinde „versucht, mit eigenen Mitteln […] eine Überbrückung vorzunehmen“, damit das Heim „nicht zusammenbricht“: ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an IM NRW, Düss ., 25 .7 .1951, S . 1 . 41 ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an IM NRW, Düss ., 25 .7 .1951 . 42 ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an IM NRW, Düss ., 25 .7 .1951 . 43 ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an Bezirksregierung Düss . zur Weiterleitung an IM NRW, 22 .5 .1951 . 44 Vgl . z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an Landesbezirksstelle für Wiedergutmachung Karlsruhe, 2 .8 .1951 . 45 ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an Bezirksregierung Düss . zur Weiterleitung an IM NRW, 22 .5 .1951 . 46 Zudem war bei mehreren Personen das Rentenverfahren noch nicht abgeschlossen: ZAH, B .  1/5, Bur . 253: Vorst . SD an JTC, Ham ., 23 .1 .1952 . 47 ZAH, B . 1/5, Nr . 44: SD an Ingrid B ., 24 .6 .1958 . 48 1954 wurde auch die „Rosenau“ u . a . durch die ZWST unterstützt . Beispielsweise gewährte die Zentralwohlfahrtsstelle dem Altersheim „Rosenau“ im Zeitraum von April bis Dezember 1954 10 .000 DM . Hinzu kamen 4 .185 DM von der „Claims Conference“, 4 .000 DM von der Synagogengemeinde Düsseldorf sowie Spenden von 9 DM: ZAH, B . 1/5, Bur . 326: JAR, Einnahmen- u . Ausgabenrechnung für 1 .4 . bis 31 .12 .1954 . 49 ZAH, B . 1/5, Nr . 44: SD an Ingrid B ., 24 .6 .1958 . 50 ZAH, B . 1/5, Nr . 44: SD an Ingrid B ., 24 .6 .1958 . 37 38 39 40

Finanzierung der Heime

gelang, „aus eigenen Mitteln einen Betrag von 10.000 DM“ beizusteuern,51 sah sich der Heimvorstand schließlich zu einer Erhöhung der Pensionskosten gezwungen .52 Zwar stieß diese Maßnahme bei den alten Menschen auf wenig Verständnis,53 letztlich ermöglichte die Anhebung der Pensionszahlungen  – indem jeder Heimbewohner „in etwa die Kosten trägt, die er selbst verursacht“ – aber die Aufrechterhaltung des Heimbetriebs .54 1960 konnte „dank Pensionspreiserhöhung und Vollbesetzung“ sogar erstmals ein Ausgleich des Heimetats erreicht werden .55 Selbst wenn sich die finanzielle Situation der meisten Heimträger in den 1960er Jahren deutlich verbesserte, waren die gemeinnützigen Häuser weiterhin auf regelmäßige Zuschüsse angewiesen . Unter anderem entstanden allein durch die ebenfalls gestiegenen Personallöhne und Lebensmittelpreise höhere Kosten .56 Das Altersheim der Neustädter Kultusgemeinde notierte im November 1961 sogar einen finanziellen Verlust von insgesamt 27 .000 DM bzw . etwa 1 .200 DM pro Person .57 Das jüdische Altersheim in Hannover verzeichnete 1962 zwar „lediglich“ ein Defizit von 1 .037 DM; die Beiträge der Bewohner deckten die Kosten aber nur zu etwa 75 Prozent .58 Auch Ende der 1960er Jahre musste das hannoversche Heim auf einen Zuschuss des Landes Niedersachsen zurückgreifen, der pro Monat und Bewohner einen Betrag von 180 DM vorsah .59 Um nicht allein von Zuschüssen abhängig zu sein, versuchten die Heime der „ständigen Teuerung“ zudem mit einer Erhöhung der Pensionspreise sowie verschiedenen Rationalisierungsmaßnahmen entgegenzuwirken .60 In Neustadt erhielten die Heimbewohner z . B . bei längerer Abwesenheit nicht mehr die bislang üblichen kompletten Pensionskosten zurückerstattet, sondern nur noch einen Anteil .61 Einige Sparmaßnahmen galten zwar nur temporär, wirkten sich aber unmittelbar auf den Heimalltag und das Wohlbefinden der alten Menschen aus .62

ZAH, B . 1/5, Bur . 326: SD, 22 .7 .1958: Anlage zur Vierteljahresabrechnung JAR, 1 . Quartal 1 .4 .–30 .7 .1958 . ZAH, B . 1/5, Nr . 44: SD an Ingrid B ., 24 .6 .1958 . ZAH, B . 1/5, Nr . 44: SD an Ingrid B ., 24 .6 .1958 . ZAH, B . 1/5, Nr . 44: SD an Ingrid B ., 24 .6 .1958 . ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Vorlagen zur heutigen Sitzung der Rosenau-Kommission, 25 .10 .1960, S . 4 . Vgl . z . B . ZAH, B . 1/6, Nr . 552: PMV JAH, 25 .4 .1960, S . 1; ZAH, B . 1/6, Nr . 552: PMV JAH, 19 .4 .1961 . ZAH, B . 1/40, Nr . 2: JKR an Erika G ., 30 .11 .1961 . Schon 1960 wurden die Preise für ein Einzelzimmer von 250 DM auf 265 DM erhöht: ZAH, B . 1/40, Nr . 225: JKR an Bew . AH, 1 .11 .1960 . Das „Jüdische Altersheim Dortmund“ verzeichnete sogar allein im 3 . Quartal 1960 ein Defizit von 2 .173,18 DM: ZAH, B . 1/2, Nr . 644: Jüd . AH Dortmund, Selbstkostennachweis für Quartal III, 1960, S . 3 . 58 ZAH, B . 1/6, Nr . 552: TB MV JAH, 8 .4 .1964 . 59 ZAH, B . 1/6, Nr . 551: PMV JAH, 23 .7 .1968, S . 3 . Das Defizit des hannoverschen Heims von 1964 betrug 7 .868,51 DM . 1965 waren es bereits 9 .379,58 DM, also 1 .511,07 DM mehr als im Vorjahr: ZAH, B . 1/6, Nr . 551: TB JAH für 1965 . 60 ZAH, B . 1/40, Nr . 2: JKR an Erika G ., 30 .11 .1961 . 61 ZAH, B . 1/40, Nr . 225: JKR an unsere Pensionäre, 15 .3 .1961 . 62 Beispielsweise durfte im „Jüdischen Altersheim Neustadt“ die Heizung in den Baderäumen im Winter 1962 aufgrund des gestiegenen Heizölpreises „nur während der Benutzung“ in Betrieb genommen werden: ZAH, B . 1/40, Nr . 2: JAN an Erika G ., 11 .11 .1962 . 51 52 53 54 55 56 57

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Finanzielle Aspekte

Eine weitere Maßnahme zur Aufstockung des Heimetats bestand darin, die Bewohner zur Zahlung zusätzlicher Geldbeträge zu verpflichten . Dabei handelte es sich um regelmäßige oder einmalige Abgaben bzw . Spenden, die ebenfalls von zahlungsfähigen Angehörigen übernommen werden konnten .63 Da z . B . die „Wohlfahrtsunterstützung“ des weitgehend mittellosen Willy S . nicht zur Finanzierung des von ihm in der „Rosenau“ bewohnten Einzelzimmers ausreichte, forderte der Heimträger von seinem Sohn, der in den Niederlanden lebte, einen monatlichen Zuschuss .64 Außerdem bestand für die Heimbewohner – v . a . wenn es sich um vermögende Personen handelte – in einigen Häusern eine zwar freiwillige, jedoch „moralische“ Verpflichtung zur Unterstützung „ihrer“ Einrichtung .65 Ein gutsituiertes Bewohnerehepaar erhielt Mitte der 1960er Jahre von der Neustädter Heimleitung sogar die direkte Aufforderung, „für das Heim, so wie es allerorts üblich ist, etwas besonders zu tun“, was jedoch „bis jetzt leider nicht erfolgt“ wäre .66 Befanden sich Bewohner hingegen in einer weniger guten finanziellen Lage, verzichteten die Heime auf die Zusatzabgaben und gewährten – bei Vorlage der Vermögenslage – zudem eine Ermäßigung des Pensionspreises .67 Vereinzelt erhielten mittellose Bewohner von den Heimträgern sogar „eine kleine Beihilfe“ .68 Dies betraf z . B . die in der „Rosenau“ lebenden alten Menschen, wobei die Düsseldorfer Synagogengemeinde aufgrund ihrer eigenen – bereits ausführlich dargestellten – angespannten Finanzlage aber „nur eine bescheidene Anzahl Personen berücksichtigen“ konnte .69 Um keine Missgunst unter den Bewohnern aufkommen zu lassen, wurde die Heimleiterin darum gebeten, Sorge dafür zu tragen, dass die Auszahlung des Geldes innerhalb des Hauses „nicht breitgetreten wird“ .70 Trotz einer guten Wirtschaftsführung und regelmäßiger finanzieller Zuschüsse mussten alle Heime sowohl beim Bau als auch im laufenden Betrieb mit zusätzlichen ungeplanten Mehrkosten rechnen .71 Oft führten selbst kleine Änderungen im Betriebsablauf wie ein unbelegtes Bewohnerzimmer oder ein Personalwechsel zu Mehr1950 spendete z . B . eine Bewohnerin der „Rosenau“ der Düsseldorfer Gemeinde 100 DM: ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Vorst . SD an Louisa H ., JAR, 4 .7 .1950 . 64 ZAH, B . 1/5, Bur . 282: SD an Georg S . K ., Holland, 24 .1 .1962 . 65 Vgl . u . a . ZAH, B . 1/40, Nr . 2: HL JAN an Rosa A ., 1 .7 .1965 . 66 ZAH, B . 1/40, Nr . 1: HL JAN an Leoni T ., 1 .7 .1965 . 67 Z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Vorst . SD an Rolf B ., JAR, 8 .9 .1950; ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Vorlagen zur heutigen Sitzung der Rosenau-Kommission, 25 .10 .1960, S . 4; ZAH, B . 1/40, Nr . 1: HL JAN an Leoni T ., 1 .7 .1965; ZAH, B . 1/40, Nr . 2: HL JAN an Rosa A ., 1 .7 .1965 . 68 ZAH, B . 1/5, Nr . 21: SD an Johanna R ., AH, 17 .10 .1950 . 69 ZAH, B . 1/5, Nr . 21: SD an Johanna R ., AH, 17 .10 .1950 . 70 ZAH, B . 1/5, Nr . 21: SD an Johanna R ., AH, 17 .10 .1950 . 71 Beispielsweise führte 1948 ein unwetterbedingter Wasserschaden in den Gebäuden des Aachener Altersheims, dessen Instandsetzung gerade erst begonnen hatte, zu unvorhersehbaren Ausgaben: ZAH, B . 1/28, Nr . 245: o . N . an Joint, Bergen-Belsen, 9 .8 .1948, S . 2 . Da jedoch das Bauguthaben des Heimträgers, d . h . der jüdischen Gemeinde von Aachen, bereits ausgeschöpft war, wurde beim „Zentralkomitee der befreiten Juden“ ein Kredit von 5 .000 DM erbeten: ZAH, B . 1/28, Nr . 245: Vorst . jüd . Gem . Aachen an CJC, Gemeindeabt . Lübeck, 2 .8 .1948, S . 3 . 63

Finanzierung der Heime

ausgaben . Im Altersheim der Düsseldorfer Gemeinde verursachten im Jahr 1958 z . B . mehrere Faktoren Zusatzkosten, u . a . die Einstellung eines neuen Heimleiters und einer neuen Krankenschwester, die beide ein höheres Gehalt erhielten als ihre Vorgänger .72 Zugleich entfiel ein Teil der Pensionszahlungen aufgrund der wochenlangen Abwesenheit mehrerer Bewohner, die u . a . längere Urlaubsreisen unternahmen .73 Aus dem abgelegenen Standort der „Rosenau“ resultierten zudem allein durch längere Anfahrts- und Transportwege von Lebensmitteln und Heizmaterial ohnehin besonders hohe Betriebskosten .74 Wiederholte Mehrausgaben erwiesen sich für einzelne Einrichtungen nicht selten sogar als existenzbedrohend . Ende der 1940er Jahre galten z . B . die jüdischen Altersheime in Bremen und Essen-Werden als kaum noch rentabel .75 Während das Heim der Düsseldorfer Gemeinde schließlich durch eine Vergrößerung der Bettenzahl weitergeführt werden konnte, schien die „Rentabilität“ des Bremer Altersheims hingegen schon im Sommer 1949 „mehr als fraglich“ zu sein .76 Das Joint vertrat sogar die Ansicht, dass „die wenigen alten Menschen in ein anderes Jüdisches Altersheim transferiert werden können“ .77 Letztlich kam es aber nur selten zur Schließung von Altersheimen .78 Erhebliche Kosten verursachte ebenfalls die tägliche Verpflegung der Heimbewohner und Mitarbeiter; in den 1950er und 1960er Jahren überstieg sie zumeist sogar die Ausgaben für die Personallöhne .79 Auch im „Jüdischen Altersheim Hannover“ entfielen auf die Verpflegung insgesamt die größten Summen  – 1964 waren es z . B . 48 .927,51 DM –, während für die Gehälter des Personals „nur“ 36 .435,20 DM an Ausgaben entstanden .80 Nach dem zu Beginn der 1950er Jahre erfolgten Wegfall der regelmäßig gelieferten Lebensmittelspenden der internationalen jüdischen Hilfsorganisationen gerieten viele Heime in zusätzliche finanzielle Schwierigkeiten .81 Um den alten Menschen jedoch weiterhin eine ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln

ZAH, B . 1/5, Bur . 326: SD, 22 .7 .1958: Anlage zur Vierteljahresabrechnung JAR, 1 . Quartal 1 .4 .–30 .7 .1958 . ZAH, B . 1/5, Bur . 326: SD, 22 .7 .1958: Anlage zur Vierteljahresabrechnung JAR, 1 . Quartal 1 .4 .–30 .7 .1958 . ZAH, B . 1/5, Bur . 253: Vorst . SD an JTC, Ham ., 23 .1 .1952 . ZAH, B . 1/2, Nr . 251: Joint, Hohne-Belsen, an jüd . Gem . Bremen, 31 .8 .1949, S . 64; ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Ber . über Bes . u . Bespr . im JAR, 27 .7 .1950 . Im Oktober 1949 wies die Synagogengemeinde Düsseldorf z . B . das nordrhein-westfälische Innenministerium darauf hin, dass das Altersheim, wenn die Bewohner den Pensionspreis nicht mehr zahlen könnten, „notleidend wird“ und eventuell geschlossen werden müsste: ZAH, B . 1/5, Nr . 123: SD an IM NRW, 20 .10 .1949 . 76 ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Ber . über Bes . u . Bespr . im JAR, 27 .7 .1950; ZAH, B . 1/2, Nr . 251: Joint, Hohne-Belsen, an jüd . Gem . Bremen, 31 .8 .1949, S . 64 . 77 ZAH, B . 1/2, Nr . 251: Joint, Hohne-Belsen, an jüd . Gem . Bremen, 31 .8 .1949, S . 64 . 78 ZAH, B . 1/40, Nr . 2: JAN an Erika G ., 11 .11 .1962 . 79 ZAH, B . 1/5, Bur . 326: Einnahmen u . Ausgaben für JAR für 1 .1 . bis 31 .12 .1955; ZAH, B . 1/2, Nr . 644: Jüd . AH Dortmund, Selbstkostennachweis für Quartal III, 1960, S . 2 . 80 Anders als der Großteil der nichtjüdischen Heime beschäftigten die jüdischen Heime nur selten konfessionell gebundene Schwestern, die nur einen sehr geringen Lohn erhielten: ZAH, B . 1/6, Nr . 551: JAH, Gewinn- u . Verlustrechnung, 31 .12 .1965 u . 31 .12 .1964 . 81 ZAH, B . 1/5, Bur . 253: Vorst . SD an JTC, Ham ., 23 .1 .1952 . 72 73 74 75

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Finanzielle Aspekte

bieten und gleichzeitig eine Steigerung der Pensionskosten verhindern zu können, ließ sich in der „Rosenau“ der Rückgriff auf staatliche Hilfen letztlich nicht mehr vermeiden .82 Darüber hinaus erhielten die jüdischen Altersheime – wenn auch in unregelmäßigeren Abständen als in den Nachkriegsjahren –, wie schon beschrieben, weiterhin Lebensmittelspenden, z . B . vom Joint und der ZWST .83 Dass sie im Gegensatz zu den christlichen und konfessionell unabhängigen Einrichtungen auf vergleichsweise preisgünstigeres Schweinefleisch verzichteten und stattdessen auf teurere Fleischsorten zurückgriffen, führte zu einer zusätzlichen Erhöhung der Ausgaben .84 Weitere finanzielle Belastungen entstanden durch den Ankauf von Fleisch aus ritueller Schlachtung, zumal allein dessen Anlieferung Kosten verursachte .85 Als große finanzielle Herausforderung für das Heim in Hannover erwies sich Mitte der 1960er Jahre die Umstellung auf eine koschere Verpflegung bzw . die dafür notwendige Neugestaltung der Küchen- und Speiseräume . Zwar verzeichnete das Heim bereits durch den Verzicht auf Schweinefleisch laufende Mehrausgaben,86 mit dem Umbau der Küche sowie des Speisesaals entstanden jedoch weitere Kosten von etwa 25 .000 DM .87 Längerfristig erwartete der Heimvorstand aber weder höhere Pensionszahlungen für die Bewohner noch ein Defizit im Heimhaushalt; vielmehr versprach er sich durch den erhofften Zuwachs an Bewohnern und Mitarbeitern eine Verbesserung der Finanzlage .88 Sieben Jahre später bezeichnete der Heimvorstand diese jedoch weiterhin als äußerst „prekär“ .89

ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an IM NRW, 16 .1 .1951 . 1954 erhielt das Heim von der ZWST größere Mengen an Butter, Fett, Käse, Milch usw . Zur Lagerung frischer Lebensmittel benötigte das Heim einen Kühlraum, der zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht zur Verfügung stand: ZAH, B . 1/5, Nr . 124: SD an Minna R ., 15 .11 .1954 . 84 ZAH, B .  1/5, Bur .  326: Einnahmen u . Ausgaben für JAR für 1 .1 . bis 31 .12 .1955; ZAH, B .  1/2, Nr .  644: Jüd . AH Dortmund, Selbstkostennachweis für Quartal III, 1960, S . 2 . Im „Jüdischen Altersheim Hannover“ wurden z . B . 1956 für die Verpflegung pro Tag 2,66 DM ausgegeben, in den Altersheimen der übrigen, d . h . christlichen Wohlfahrtsverbände jedoch nur 1,65 DM, da vorwiegend preisgünstiges Schweinefleisch verwendet wurde: ZAH, B . 1/6, Nr . 552: PMV JAH, 12 .4 .1956, S . 3 . 85 ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Simon M ., Mü ., an SD, 14 .8 .1961 . Die Suche nach geeigneten und v . a . preisgünstigen Fleischereien bzw . Lebensmittellieferanten gestaltete sich jedoch – wie schon beschrieben – nicht einfach . So bestand insbesondere bei preisgünstigen Angeboten immer die Gefahr, dass die gelieferten Waren wie z . B . koscheres Fleisch „qualitative Nachteile“ aufwiesen . Vgl . z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 73: SD an Rosa B ., 14 .11 .1963 . 86 ZAH, B . 1/6, Nr . 552: PMV JAH, 12 .4 .1956, S . 3 . 87 ZAH, B . 1/6, Nr . 709: PMV JAH, 23 .2 .1966, S . 3 . 88 ZAH, B . 1/6, Nr . 2076: JAH, Rundschreiben, 25 .2 .1966 . 89 ZAH, B . 1/6, Nr . 1436: JAH an LV jüd . Gem ., 14 .9 .1973 . 82 83

Finanzierung des Heimaufenthalts

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Finanzierung des Heimaufenthalts

In den ersten Nachkriegsjahren waren die meisten Bewohner der jüdischen Altersheime weitgehend mittellos, insbesondere die Überlebenden der Konzentrationslager .90 Viele „Rückwanderer“ kehrten ebenfalls „ohne finanzielle Mittel“ nach Deutschland zurück .91 Die ersten, noch weitgehend unkoordinierten Maßnahmen zur Unterstützung der deutschen Juden wurden – wie bereits beschrieben – direkt nach Kriegsende von den Besatzungsmächten, den internationalen Hilfsorganisationen sowie den neu gegründeten jüdischen Gemeinden durchgeführt . Dazu gehörten neben individuellen Zuwendungen ebenfalls Regularien zur finanziellen Entschädigung, die jedoch regional begrenzt waren und in den verschiedenen Besatzungszonen bzw . Bundesländern erheblich voneinander abweichen konnten .92 Nach und nach gelang – zumindest innerhalb der einzelnen Besatzungszonen – eine Vereinheitlichung der Unterstützungsleistungen .93 1946 entstanden z . B . auch in der amerikanischen Zone mehrere Gesetze; ein zoneneinheitliches „Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts“ erließ der „Süddeutsche Länderrat“ aber erst im April 1949 .94 Die in den übrigen westlichen Zonen lebenden Juden profitierten von ähnlichen Gesetzgebungen .95 In Hamburg erhielten z . B . die „an Leib und Leben“ geschädigten Überlebenden der NS-Diktatur eine geringfügige Rente .96 In den frühen 1950er Jahren kam es schließlich auch von Seiten der neu gegründeten Bundesrepublik Deutschland zu umfassenderen, jedoch noch immer regional begrenzten, uneinheitlichen Entschädigungszahlungen und -gesetzen . Diese erfolgten jedoch nur selten auf freiwilliger Basis, sondern vielmehr auf Drängen der Alliierten sowie der internationalen jüdischen Organisationen . Unter anderem widmete sich die 1951 gegründete „Jewish Claims Conference“ – ein Dachverband von 23 jüdischen Organisationen – der Entschädigung jüdischer NS-Opfer, wobei die deutsche Bundesregierung ebenfalls in die Pflicht genommen wurde .97

Vgl . u . a . ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an Landesbezirksstelle für Wiedergutmachung Karlsruhe, 2 .8 .1951 . ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an Bezirksregierung Düss . zur Weiterleitung an IM NRW, 22 .5 .1951 . Beispielsweise wurden in Hamburg höhere Beschädigtenrenten ausgezahlt als in Niedersachsen: ZAH, B . 1/28, Nr . 242: JGH an CJC, z . H . Norbert W ., Lübeck, 14 .4 .1950, S . 36 . 93 Vgl . dazu u . a . Fischer/Lorenz (2007), S . 58 f .; Bundesministerium der Finanzen (2021), S . 7 . 94 Das Gesetz wurde im August 1949 durch besondere Landesgesetze in Bayern, Bremen, Hessen und im Gebiet des späteren Baden-Württemberg verkündet: Bundesministerium der Finanzen (2021), S . 8; Pawlita (2006), S . 56 . 95 Bundesministerium der Finanzen (2021), S . 8 . 96 Büttner (2008), S . 54 . 97 Im September 1951 unterzeichneten die Vertreter der „Jewish Claims Conference“ und der Bundesregierung mit dem „Luxemburger Abkommen“ zwei Protokolle, in denen sich die Bundesrepublik zur „Rückerstattung von Vermögenswerten“ sowie zur „individuellen Entschädigung“ überlebender Juden verpflichtete . Weiterhin stellte die Bundesregierung der „Claims Conference“ 450 Millionen DM für „die Unterstützung und Ansiedlung jüdischer Überlebender zur Verfügung“: Buser (2017), S . 21 . Vgl . zudem https://www .claimscon . de/ueber-uns/geschichte .html; Fischer/Lorenz (2007), S . 58 f . 90 91 92

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Finanzielle Aspekte

Die teilweise sehr unübersichtliche rechtliche Lage wirkte sich erheblich auf den Heimalltag aus . Beispielsweise konnten zahlreiche Bewohner der „Rosenau“ Anfang der 1950er Jahre aufgrund fehlender gesetzlicher Bestimmungen keinen Antrag auf Entschädigung stellen, da ihnen die offizielle Anerkennung als „Verfolgte“ des Nationalsozialismus fehlte . Dieses Problem betraf im Frühjahr 1951 mehrere Heimbewohnerinnen, die nach der Auflösung ihres Brüsseler Altersheims gemeinsam in die Bundesrepublik bzw . in das Heim in Essen-Werden übergesiedelt waren .98 Obwohl sie vor dem Krieg in Deutschland, z . T . sogar im Gebiet von Nordrhein-Westfalen, gelebt hatten und somit zum Personenkreis der potentiell Entschädigungsberechtigten gehörten,99 bestand für die alten Frauen zu diesem Zeitpunkt noch „keine Möglichkeit der Anerkennung“ .100 Damit jedoch v . a . alte, in Heimen lebende Juden und somit auch die genannten Bewohnerinnen so schnell wie möglich von den „Vergünstigungen für Verfolgte“ profitierten,101 wurde ihnen die behördliche Anerkennung als Verfolgte des Naziregimes häufig schon vorläufig in Form einer „Sonderregelung“ gewährt .102 In diesem Zusammenhang bestand z . B . die Möglichkeit zur Zahlung eines Vorschusses, durch den aus dem Ausland zurückkehrende Juden innerhalb kurzer Zeit, v . a . wenn sie „schon alt und krank“ waren,103 „ihre Ansprüche auf Rente, Emigranten-Soforthilfe und Haftentschädigung geltend machen“ konnten .104 Vorraussetzung für die Inanspruchnahme dieser Leistungen – sowie für eine Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung105 – war der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit .106 Dies betraf auch die ehemals rassisch Verfolgten nichtjüdischen Glaubens, deren Unterstützungsanträge „bei Fällen nicht deutscher Staatsangehörigkeit“ fast immer abgelehnt wurden .107 Eine Rolle bei der Finanzierung des Heimaufenthalts bzw . dem Bezug einer Altersrente spielte zudem die Altersgrenze, die für Männer gemeinhin bei 65 Jahren, für Frauen bei 60 Jahren lag .108 Anrecht auf eine Altersrente in Form einer „Sonderhilfsrente“ besaßen daher z . B . auch zwei über 65-jährige Jüdinnen, die 1948 in die „Rosenau“ übersiedelten, bislang aber in der französischen Besatzungszone gelebt und vom Joint

ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an IM NRW, 23 .4 .1951 . 1951 hieß es z . B . auch in einem Schreiben der Düsseldorfer Synagogengemeinde an einen aus der Emigration zurückkehrenden Bewerber, dass dieser zuvor in NRW gelebt haben müsste . Zudem war für die „Anerkennung“ das Bundesland verantwortlich, in dem er seinen Wohnsitz angemeldet hatte: ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an Alex P ., Brüssel, 23 .2 .1951 . 100 ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an IM NRW, 23 .4 .1951 . 101 ZAH, B . 1/5, Nr . 34 d: Stadt Essen an Hanna R ., AH, 16 .12 .1950 . 102 ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an Bezirksregierung Düss . zur Weiterleitung an IM NRW, 22 .5 .1951 . 103 ZAH, B . 1/5, Nr . 34 d: Stadt Essen an Hanna R ., AH, 16 .12 .1950 . 104 ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an Bezirksregierung Düss . zur Weiterleitung an IM NRW, 22 .5 .1951 . 105 ZAH, B . 1/40, Nr . 2: Max T . an JKR, 7 .6 .1969 . 106 Vgl . z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 34 b: Hanna R . an Am . Consulate General Bremen, 19 .6 .1950 . 107 LkAHN, B . 160, Nr . 11: Erica L . an Wilma R ., 10 .3 .1964, Betr . Aufnahme AHH . 108 ZAH, B . 1/5, Nr . 123: SD an Joint, Französische Zone, Nordrach, 5 .7 .1948 . 98 99

Finanzierung des Heimaufenthalts

Unterstützung erhalten hatten .109 Da ihre Mitbewohner ebenfalls über keine „anderen Einnahmen“ verfügten, bestritten sogar „sämtliche Insassen […] ihre Pensionen aus ihren Sonderhilfsrenten“ .110 Im März 1952 erfolgte in Nordrhein-Westfalen schließlich die Verabschiedung des „Gesetzes über die Anerkennung der Verfolgten und Geschädigten der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und über die Betreuung der Verfolgten“ .111 Die nun gezahlte Vollrente, die auch dem Großteil der im „Altersheim Rosenau“ lebenden Menschen zustand, betrug monatlich 233,30 DM pro Person .112 Das erste bundeseinheitliche Entschädigungsgesetz wurde schließlich im Oktober 1953 mit dem „Bundesergänzungsgesetz“ (BErgG) geschaffen .113 Da es aber noch zahlreiche Mängel aufwies, kam es  – u . a . auf Druck der „Claims Conference“  – im Juni 1956 zum Erlass des „Bundesentschädigungsgesetzes“ (BEG), das rückwirkend zum 1 . Oktober 1953 in Kraft trat .114 Die nach dem BEG geleisteten Entschädigungen konnten u . a . in Form von Renten, Heilverfahren, Kapitalentschädigungen sowie einer Versorgung von Hinterbliebenen gewährt werden .115 Anspruch auf eine Entschädigung besaßen Personen, die während des Nationalsozialismus „aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen“ verfolgt worden waren .116 Eine Berechtigung besaßen somit auch die ehemals rassisch verfolgten Christen jüdischer Herkunft . Als Ergänzung zum BEG erfolgte zur Unterstützung der Betroffenen die Einrichtung von Härtefonds, z . B . die „Härtefonds für rassisch Verfolgte nicht jüdischen Glaubens“ (HNG) . Die aus den HNG-Fonds gezahlten Beihilfen spielten als „Mittel für individuelle Betreuungsmaßnahmen“ auch bei der Finanzierung des Heimaufenthalts eine wichtige Rolle .117

109 Gleichzeitig wurde das Joint von seiner Unterhaltspflicht entbunden und übernahm lediglich die Fahrtkosten nach Essen: ZAH, B . 1/5, Nr . 123: SD an Joint, Französische Zone, Nordrach, 5 .7 .1948 . 110 Der monatliche Beitrag für volle Pension, in der u . a . auch eine ärztliche Betreuung im Heim enthalten war, betrug 165 DM: ZAH, B . 1/5, Nr . 123: SD an Joint, Französische Zone, Nordrach, 5 .7 .1948 . 111 ZAH, B .  1/5, Bur .  253: Vorst . SD an JTC, Ham ., 23 .1 .1952; https://recht .nrw .de/lmi/owa/br_bes_ text?anw_nr=2&gld_nr=2&ugl_nr=25&bes_id=4837&aufgehoben=N&menu=1&sg=0 . 112 ZAH, B . 1/5, Nr . 124: IM NRW an SD, 11 .12 .1952 . 113 Bundesministerium der Finanzen (2021); Hockerts (2013) . 114 Zuvor hatte die Bundesregierung der „Claims Conference“ einen – vertraglich geregelten – Einfluss auf das Gesetz zur Entschädigung der NS-Opfer bewilligt: Hockerts (2013) . 115 Bundesministerium der Finanzen (2021), S . 8 . 116 Vgl . dazu § 1 des BEG: „(1) Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung ist, wer aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus oder aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen verfolgt worden ist und hierdurch Schaden an Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen, in seinem beruflichen oder in seinem wirtschaftlichen Fortkommen erlitten hat“: https://www .gesetze-im-internet .de/beg/BJNR013870953 .html#BJNR013870953BJNG000200328 . 117 Vgl . LkAHN, B . 160, Nr . 46: Bundesmin . d . Finanzen, Bonn, an Claire Betty W ., DW Frankf ., 12 .10 .1989 . Da z . B . einer 1877 geborenen Christin jüdischer Herkunft ein unmittelbar auf die nationalsozialistische Verfolgung zurückzuführender Schaden im Sinne des § 1 BEG zuerkannt wurde, erhielt sie aus den Mitteln der HNG-Fonds eine laufende Beihilfe zum Lebensunterhalt von 150 DM, von der auch der Heimaufenthalt finanziert werden sollte: LkAHN, B . 160, Nr . 48: RP Köln, 26 .4 .1961 .

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Finanzielle Aspekte

Die oben genannten, von der Bundesrepublik gezahlten Leistungen kamen ausschließlich NS-Opfern deutscher „Volkszugehörigkeit“ zugute, die vor Kriegsbeginn ihren Wohnsitz im Gebiet des ehemaligen Deutschen Reichs besessen hatten .118 Zu den ersten staatlichen Unterstützungsmaßnahmen gehörte die Haftentschädigung . Diese konnte nicht nur von ehemaligen KZ-Häftlingen beantragt werden, sondern ebenfalls von Personen, die der Gefängnis- oder Konzentrationslagerhaft hatten entgehen können . Als Voraussetzung galt jedoch, dass sie ein Leben „unter menschenunwürdigen Bedingungen in der Illegalität“ geführt oder durch das erzwungene Tragen des „Judensterns“ unter Freiheitsbeschränkung gelitten hatten .119 Nach dem Bundesergänzungsgesetz von 1953 umfasste die Entschädigung 5 DM pro Tag .120 Laut BEG hatten außerdem alle Verfolgten, denen die Freiheit mindestens auf die Dauer von drei Jahren entzogen worden war, Anspruch auf eine Soforthilfe von 3 .000 DM .121 Personen, die nur für einen vergleichsweise kurzen Zeitraum inhaftiert oder z . B . aufgrund ihrer nichtjüdischen Ehepartner erst spät deportiert worden waren, erhielten daher nur eine geringe Haftentschädigung .122 Anrecht auf Entschädigungsleistungen nach dem BEG besaßen zudem alle ehemals Verfolgten, die während der Zeit des Nationalsozialismus ihrer Arbeit nicht mehr hatten nachgehen dürfen bzw . ihre Ausbildung nicht hatten beenden können .123 Den aus dem Ausland zurückkehrenden Juden stand außerdem eine „Emigranten-Soforthilfe“ zu, die Anfang der 1950er Jahre bei 500 DM pro Person lag und den Betroffenen den Neustart in Deutschland erleichtern sollte .124 Seit 1956 konnte durch das BEG eine einmalige „Soforthilfe für Rückwanderer“ von 6 .000 DM pro Person ausgezahlt wer-

118 Klatt (2019) . Dies gilt auch für die Zahlung von Renten . So mussten z . B . die Bewohner der „Rosenau“  – um eine Rente zu erhalten  – vor dem Krieg bzw . der Emigration ins Ausland ihren „ständigen Wohnsitz im Bereich des jetzigen Landes Nordrhein-Westfalen“ besessen haben: ZAH, B . 1/5, Nr . 124: Ausführungsbehörde für Unfallversicherung, Düss ., an LV jüd . Gem . in NRW, 6 .7 .1953 . Zum Erhalt der Soforthilfe wurde ebenfalls ein Beweis dafür verlangt, dass die Betroffenen vor der Emigration in Deutschland gelebt hatten . Vgl . z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 44: SD an Robert Paul P ., Australia, 17 .3 .1961 . 119 Laut BEG § 47 wurde eine Entschädigung aufgrund einer Freiheitsbeschränkung nicht nur den in einem Konzentrationslager inhaftierten NS-Opfern zugesprochen, sondern u . a . auch Personen, deren Freiheit durch das Tragen des „Judensterns“ beschränkt worden war: https://www .gesetze-im-internet .de/ beg/BJNR013870953 .html#BJNR013870953BJNG004000328 . 120 Hockerts (2013) . Somit erhielten ehemalige KZ-Häftlinge denselben Betrag wie auch alle anderen Personen, die zu Unrecht im Gefängnis gesessen hatten . Vgl . dazu z . B . Klatt (2019) . 121 https://www .gesetze-im-internet .de/beg/BJNR013870953 .html#BJNR013870953BJNG004000328 . 122 Dies betraf 1950 z . B . auch 15 Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Hannover: ZAH, B . 1/28, Nr . 242: JGH an CJC, z . H . Norbert W ., Lübeck, 14 .4 .1950, S . 36 . Vgl . u . a . auch LkAHN, B . 160, Nr . 13: RP Wies ., Entschädigungsbehörde, 11 .3 .1957 . 123 Da z . B . der jüdische Hausmeister der „Rosenau“ einen „Schaden im beruflichen Fortkommen“ erlitten hatte, erhielt er eine monatliche Rente von 25 DM: ZAH, B . 1/5, Nr . 48: Marie J . an RP Düss ., 2 .11 .1963 . 124 Vgl . z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an Irma A ., Lon ., 12 .4 .1951 .

Finanzierung des Heimaufenthalts

den .125 Um möglichst schnell auf die Soforthilfe zurückgreifen zu können, wurde diese zumeist schon vor der Ankunft in Deutschland beantragt .126 Personen, die aufgrund ihrer Verfolgung und Inhaftierung „Schäden an Körper und Gesundheit“ erlitten hatten, erhielten eine Beschädigtenrente .127 Von diesem Recht machten auch zahlreiche Heimbewohner Gebrauch, darunter z . B . der bereits mehrfach genannte Jude Ludwig B ., der zusammen mit seiner christlichen Ehefrau im Altersheim für rassisch Verfolgte in Bad Vilbel lebte . Aufgrund seines anerkannten „Verfolgungsschadens“ – bei dem es sich um eine sich stetig verschlechternde Parkinson-Erkrankung handelte – erhielt er nach dem BEG eine Beschädigtenrente, die Anfang der 1960er Jahre bei monatlich 166 DM lag .128 Voraussetzung für die Bewilligung einer Beschädigtenrente sowie für die genaue Festsetzung der zu zahlenden Beträge war ein ärztliches bzw . amtsärztliches Gutachten .129 1949 benötigte die Heimbewohnerin Hanna R . in ihrer „Wiedergutmachungsangelegenheit“, d . h . zur Festsetzung ihrer Beschädigtenrente, ein „eingehendes, nach Möglichkeit fachärztliches, durch Zusatzuntersuchungen hinreichend fundiertes Gutachten“ .130 Mussten sich die Antragsteller „einer besonderen klinischen Überprüfung, welche Röntgen, EKG […] notwendig“ machen würde, unterziehen, wurden sie – zumindest in Nordrhein-Westfalen – vom Innenministerium an einen für diese Fälle zuständigen Internisten verwiesen .131 Dass die Konsultation eines Mediziners eigener Wahl – wie hieraus ersichtlich wird – nur in begrenztem Maße möglich war, konnte sich jedoch erheblich auf den Ausgang der Entschädigungsverfahren auswirken . So zeigten sich nicht alle medizinischen Gutachter gleichermaßen verständnisvoll gegenüber den Leiden der NS-Opfer, die sie nicht selten sogar als Simulanten und Rentenbetrüger abstempelten .132 Vor allem psychische Beschwerden, z . B . ein „Nervenleiden“, wurden häufig nicht als Folgeerscheinung der psychischen Belastung während der nationalsozialistischen Verfolgung anerkannt .133

125 Vgl . z . B . Büttner (2008), S . 55; Felbinger/Fetthauer (2018), S . 425; ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Hans M . an SD, 18 .12 .1958 . 126 Ende 1958 wartete z . B . ein in Portugal lebendes Ehepaar, das Anfang 1959 nach Deutschland zurückkehren und dort ein Zimmer im „Altersheim Rosenau“ beziehen wollte, „sehnlichst“ auf den Bescheid des Entschädigungsamtes: ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Hans M . an SD, 18 .12 .1958 . 127 ZAH, B . 1/40, Nr . 43: JKR an Ida W ., Ev . KH Essen-Werden, 25 .9 .1958 . 128 LkAHN, B . 160, Nr . 13: Erna B . an Walter R ., DW Frankf ., 18 .11 .1962; LkAHN, B . 160, Nr . 13: Erna B .: Meine Erfahrungen in Scherfede-Rimbeck (2 Monate), 1961 . 129 Zur Feststellung der Entschädigungsleistung mussten sich auch die ehemals rassisch verfolgten Christen einer amtsärztlichen Untersuchung unterziehen . Vgl . z . B . LkAHN, B . 160, Nr . 11: Erica L . an Hilda S ., Frankf .-Offenbach, 6 .10 .1961 . 130 ZAH, B . 1/5, Nr . 34 c: Verein für Verfolgte d . Nazi-Regimes (VVN), Essen, 1 .7 .1949 . 131 Auch im Falle von Frau R . stand ein Internist für den Bezirk Groß-Essen „unverzüglich“ dafür bereit, die „Interessen“ der Antragstellerin „weitestgehend zu vertreten“: ZAH, B . 1/5, Nr . 34 c: Verein für Verfolgte d . Nazi-Regimes (VVN), Essen, 1 .7 .1949 . 132 Sedlaczek (1996), S . 37 ff . 133 Schäfer-Richter (2009), S . 241 . Vgl . u . a . ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Jüd . Gem . Gelsenkirchen an LV jüd . Gem . v . NRW, Düss ., 23 .8 .1950 .

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Finanzielle Aspekte

Zur Unterstützung der Antragsteller beschäftigten die jüdischen Gemeinden daher oft eigene medizinische Sachverständige, die neben der ärztlichen Betreuung der Gemeindemitglieder ebenfalls die Ausstellung medizinischer Gutachten übernahmen .134 In vielen Fällen erwies es sich für die Gutachter aber tatsächlich als sehr schwierig, einen direkten Zusammenhang zwischen der erlittenen Verfolgungssituation und der bestehenden Erkrankung herzustellen135 – insbesondere wenn das Gutachten erst Jahre nach dem Krieg bzw . der Zeit der Verfolgung ausgestellt wurde .136 Eine große Rolle spielte zudem der Grad der Schädigung . Nach dem BEG erfolgte eine Unterstützung z . B . erst bei einem „Mindestschaden“ von 25 Prozent .137 Da der durch die „Verfolgung“ entstandene Gesundheitsschaden des oben bereits genannten Willy S . laut ärztlichem Gutachten aber lediglich bei 15 Prozent lag, besaß er folglich keinen Anspruch auf eine Beschädigtenrente .138 Das zuständige Münchner Entschädigungsamt argumentierte in diesem Zusammenhang  – allerdings in einer völlig unangemessen wirkenden bürokratischen Logik – mit dem hohen Alter des Antragstellers . Da dieser trotz seiner gesundheitlichen Probleme bereits das hohe Alter von 86 Jahren erreicht hatte, könnte er, so das Argument, wohl „kaum so schwer geschädigt worden sein“, wie er behaupten würde .139 Personen, denen hingegen ein „Verfolgungsschaden“ bescheinigt worden war, besaßen nicht nur Anrecht auf eine Beschädigtenrente, sondern ebenfalls auf die Erstattung ihrer Arzt- und Apothekerkosten .140 Die medizinischen Dienstleistungen konnten jedoch ausschließlich für das als „Verfolgungsschaden“ geltende Leiden in Anspruch genommen werden .141 Litt ein NS-Opfer hingegen unter mehreren gesundheitlichen Beschwerden, von denen aber nicht alle als „Verfolgungsschaden“ galten, wurden folglich nur die Behandlungskosten für die berentete Erkrankung durch das BEG erstattet . Da alte Menschen häufig eine erhöhte Multimorbidität aufwiesen, waren sie von dieser Problematik besonders betroffen . Eine Bewohnerin der „Rosenau“ zahlte z . B . von ihrer geringen „Verfolgtenrente von 303 DM“ sowohl die Heimkosten, ihre Kranken- und Sterbeversicherung als auch ihre hohen Arztkosten .142 So musste sie für die Therapie eines nicht als „Verfolgungsschaden“ anerkannten Glaukoms „laufend zum Augenarzt“ gehen und sich außerdem einer stationären operativen Behandlung unterziehen .143 Ihre Krankenversicherung gewährte ihr aber lediglich einen geringen 134 Vgl . zur Düsseldorfer Synagogengemeinde ZAH, B . 1/5, Nr . 124: SD an Oberversicherungsamt Düss ., 9 .2 .1953 . 135 Vgl . zu dieser Thematik u . a . Baeyer (1958) . 136 Vgl . z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Herta H . an SD, 27 .12 .1958; ZAH, B . 1/5, Bur . 282: SD an Georg S . K ., 3 .4 .1959 . 137 ZAH, B . 1/5, Bur . 282: SD an Georg S . K ., 3 .4 .1959, S . 2 . 138 ZAH, B . 1/5, Bur . 282: SD an Georg S . K ., 3 .4 .1959, S . 2 . 139 ZAH, B . 1/5, Bur . 282: SD an Georg S . K ., 3 .4 .1959, S . 2 . 140 Zuständig waren auch hier die Ämter für Wiedergutmachung . 141 ZAH, B . 1/5, Nr . 44: SD an Stefan M ., 22 .1 .1960 . 142 ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Ingrid B . an SD, 28 .5 .1958 . 143 ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Ingrid B . an SD, 28 .5 .1958 .

Finanzierung des Heimaufenthalts

Zuschuss . Daher wandte sie sich letztlich an das zuständige Amt für Wiedergutmachung, das sich zumindest an den Kosten für den Krankenhausaufenthalt beteiligte .144 Unter gewissen Bedingungen übernahmen die staatlichen Behörden ebenfalls die Behandlungskosten für eine nicht berentete Erkrankung .145 Als Voraussetzung galt dabei jedoch, dass die ehemals Verfolgten weder in einer gesetzlichen Krankenkasse versichert waren noch über ein bestimmtes monatliches Einkommen verfügten, das Ende der 1950er Jahre nicht über 500 DM liegen durfte .146 Zwischen der Beantragung einer Entschädigungsleistung und der endgültigen Entscheidung über deren Anerkennung vergingen – wie schon erwähnt – oft mehrere Monate, in denen viele Menschen selbst für ihre Behandlungskosten aufkommen mussten . Aus diesem Grund geriet z . B . die aus Portugal zurückgekehrte 85-jährige Fanny M ., die Ende der 1950er Jahre einen Antrag auf eine Beschädigtenrente gestellt hatte, in finanzielle Not .147 Da sie selbst über „keinen Pfennig“ verfügte, jedoch teure Medikamente benötigte, bestand letztlich keine andere Möglichkeit, als dass die anfallenden Kosten bis zum Abschluss des Rentenverfahrens von der „winzigen“ Rente ihres Mannes von „monatlich 145 Mark“ beglichen wurden .148 Obwohl viele NS-Opfer nach dem BEG ein Anrecht auf mehrere Entschädigungsleistungen besaßen, fielen die tatsächlich ausgezahlten Beträge letztlich aber oft sehr gering aus . Reichten sie nicht zur Begleichung der Heimkosten, kam es u . a . sogar zu einer Verzögerung des Heimeinzugs – so im Fall einer Christin jüdischer Herkunft, der nach dem BEG zwar keine „Entschädigung“,149 seit 1956 aber eine Beihilfe aus den HNG-Fonds gewährt worden war .150 Obwohl sie bereits die Zusage für einen Heimplatz erhalten hatte, konnte sie 1961 „noch nicht ins Altersheim Heilsberg aufgenommen werden […] da sie nur eine monatliche Beihilfe aus den HNG-Fonds von 150 DM“ erhielt, der Tagessatz aber bei 10,90 DM lag .151 Um der 83-Jährigen jedoch schnellstmöglich die Aufnahme zu ermöglichen, bat der Heimträger schließlich um eine Erhöhung des HNG-Zuschusses beim „Hilfswerk für die von den Nürnberger Gesetzen Betroffenen nicht jüdischen Glaubens“ . 152 Bis zur endgültigen Bewilligung der Erhöhung gewährte das Fürsorgeamt eine „Überbrückungshilfe“ .153 Zahlreiche weitere Heimbewohner waren ebenfalls auf staatliche Unterstützung angewiesen . Beispielsweise befanden ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Ingrid B . an SD, 28 .5 .1958 . ZAH, B . 1/40, Nr . 43: Ida W ., Ev . KH, an JKR, 1 .9 .1958 . ZAH, B . 1/40, Nr . 43: Ida W ., Ev . KH, an JKR, 1 .9 .1958 . ZAH, B . 1/5, Nr . 44: SD an Hans M ., Lissabon, 8 .1 .1959; ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Hans M . u . Frau an SD, 3 .12 .1959 . 148 ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Dr . Bartolomeo R ., Lisboa: Ärztl . Zeugnis, 3 .1 .1959; ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Hans M . u . Frau an SD, 3 .12 .1959 . 149 LkAHN, B . 160, Nr . 48: RP Köln, Bescheid, 14 .10 .1960, S . 1 f . 150 LkAHN, B . 160, Nr . 48: RP Köln, Bescheid, 14 .10 .1960, S . 2 . 151 LkAHN, B . 160, Nr . 48: HW EKHN an HWNGB, Bonn-Beuel-Süd, 3 .12 .1961 . 152 LkAHN, B . 160, Nr . 48: HW EKHN an HWNGB, Bonn-Beuel-Süd, 3 .12 .1961 . 153 LkAHN, B . 160, Nr . 48: HW EKHN an HWNGB, Bonn-Beuel-Süd, 3 .12 .1961 . 144 145 146 147

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Finanzielle Aspekte

sich unter den im Heilsberger Heim lebenden Menschen lediglich zwei „Selbstzahler“, wohingegen alle anderen Bewohner Sozialhilfe und Leistungen aus den HNG-Fonds bezogen .154 Zudem wurde häufig nur eine Rente, z . B . die Haftentschädigung, gezahlt, während der Antrag auf eine Beschädigtenrente – aufgrund mangelnder Beweise – abgelehnt werden musste .155 Darüber hinaus konnte eine Auszahlung der nach dem BEG gewährten Entschädigungsleistungen sogar abgelehnt werden, wenn die betreffenden Personen bereits anderweitige Entschädigungen erhalten hatten . 1957 bewilligte z . B . die hessische Entschädigungsbehörde den Antrag der 1883 geborenen Hanna L . und gewährte ihr nach dem BEG eine „Geldentschädigung für Freiheitsentziehung aus Gründen der Rasse“ im Lager Theresienstadt für die Zeit vom 14 . Februar bis zum 8 . Mai 1945 .156 Da sie jedoch schon „Vorleistungen“ in Höhe von 1 .200 DM erhalten hatte, gelangte der als Haftentschädigung vorgesehene Betrag von 300 DM nicht zur Auszahlung .157 Die „Unterstützung aus öffentlichen Wohlfahrtsgeldern“, z . B . in Form einer Rente, schien aber trotzdem für einige Remigranten „der wesentliche Grund“ für die Rückkehr nach Deutschland gewesen zu sein .158 Die Verhandlungen mit den zuständigen Behörden zogen sich nicht nur  – wie beschrieben  – oft jahrelang hin, sondern es kam auch durch Formfehler, nicht eingehaltene Antragsfristen und Missverständnisse zu Verzögerungen oder sogar einer Ablehnung von Anträgen .159 Dass viele Antragsteller „mittellos, krank und mürbe, über 70 Jahre alt und wohl ganz besonders auf Mitgefühl, Hilfe und vor allem auf ihr Recht in ihren Wiedergutmachungsanträgen angewiesen“ waren, wurde hingegen von den Behörden leicht vergessen .160 Diese Erfahrung machte z . B . der in den Niederlanden lebende Sohn des oben genannten Willy S ., der wenige Monate vor dem Tod seines Vaters im Jahr 1962, d . h . mehrere Jahre nach der Antragstellung, an seinen Rechtsanwalt schrieb: „Zu meinem Bedauern muss ich feststellen, dass die noch laufenden Anträge meines Vaters bei der Münchner Wiedergutmachung wenig aussichtsreich sind.“161 Obwohl die Jüdische Gemeinde Düsseldorf Einspruch gegen die Entscheidung des Entschädigungsamtes erhoben und sich der Sohn sogar an den Bundespräsidenten persönlich gewandt hatte,

LkAHN, B . 160, Nr . 47: Erica L ., HNGB, an Allg . Treuhandorganisation, Berlin, 7 .4 .1965 . Beispielsweise konnte für den Heimbewohner Willy S . durch das BEG zwar eine Haftentschädigung erwirkt werden, die Aussichten auf eine Rente „aufgrund des Gesundheitsschadens“ erschienen hingegen sehr gering: ZAH, B . 1/5, Bur . 282: SD an Georg S . K ., 3 .4 .1959, S . 1 f . 156 LkAHN, B . 160, Nr . 13: RP Wies ., Entschädigungsbehörde, 11 .3 .1957 . 157 LkAHN, B . 160, Nr . 13: RP Wies ., Entschädigungsbehörde, 11 .3 .1957 . 158 ZAH, B . 1/5, Bur . 282: Georg S . K . an Vorst . SD, 26 .1 .1962; ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Magda P ., New York, an SD, 17 .1 .1961 . 159 ZAH, B . 1/5, Bur . 282: SD an Georg S . K ., 3 .4 .1959, S . 1 . 160 ZAH, B . 1/5, Bur . 282: Georg S . K ., Holland, betr . Antrag auf Entschädigung, 19 .4 .1959, S . 2 . 161 ZAH, B . 1/5, Bur . 282: Georg S . K ., Amst ., an RA Richard G ., Düss ., 29 .5 .1962; ZAH, B . 1/5, Bur . 282: Georg S . K . an SD, 14 .12 .1962 . 154 155

Finanzierung des Heimaufenthalts

erfolgte letztlich die Ablehnung aller Anträge .162 Das zuständige Fürsorgeamt trug zwar die Kosten für die Heimunterbringung, finanzierte aber nur ein Zweibettzimmer und konnte somit die von Herrn S . gewünschte Unterbringung in einem Einzelzimmer nicht vollständig übernehmen .163 Nach langer Diskussion übernahmen schließlich sowohl der Sohn als auch der Bruder des mittlerweile über 90-jährigen Herrn S . die restlichen Heimkosten .164 Ebenfalls „keine Wiedergutmachung“ nach ihrer Rückkehr nach Deutschland erhielt eine im Neustädter Altersheim lebende jüdische Witwe, da sie bereits 1925, d . h . vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten, nach Südafrika ausgewandert war und demzufolge nicht mehr als Verfolgte anerkannt werden konnte .165 Nicht selten profitierten sogar erst die Erben der Antragsteller von der Entschädigung . Beispielsweise wurde das Nervenleiden eines verstorbenen Heimbewohners zu dessen Lebzeiten nicht als Folge seiner rassischen Verfolgung und Emigration angesehen und daher eine Entschädigung abgelehnt .166 Erst nach Berufung und „nochmaliger Überprüfung des gesamten Verfahrens“ konnte schließlich Jahre später durch ein erneutes medizinisches Gutachten ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Tod des Antragstellers und dessen Verfolgung festgestellt werden . Da die durch die Verfolgung hervorgerufene Verschlechterung seines organischen Nervenleidens „als messbare Schadensfolge im Sinne des Gesetzes“ galt, gewährte die zuständige Behörde eine Vollrente, die nun aber folglich an die Erbberechtigten ausgezahlt wurde .167 Für Personen, die keine Entschädigung erhielten, bestand die Möglichkeit, sowohl im akuten Krankheitsfall als auch bei einer stationären Heimversorgung auf staatliche Unterstützungsmaßnahmen zurückzugreifen . Die Zuständigkeit hierfür lag bei den Fürsorge- bzw . Sozialämtern ihres bisherigen Wohnortes .168 Dies traf ebenfalls auf ehemals Verfolgte zu, deren Rente noch nicht bewilligt worden war .169 Auf öffentliche Unterstützung angewiesene oder über eine geringe Rente verfügende Heimbewohner konnten sich im Alltag meist nur wenige persönliche Ausgaben leisten . 1952 hatten z . B . im „Altersheim Rosenau“ selbst diejenigen Personen, die eine Vollrente von monatlich etwa 233 DM erhielten, „für sich persönlich“ – d . h . für Kleidung, Kino u . Ä . – nur 60 DM im Monat zur Verfügung .170 In einer ähnlich schlechten finanziellen Lage befand sich zehn Jahre später u . a . eine im hannoverschen Heim le162 ZAH, B . 1/5, Bur . 282: SD an Georg S . K ., 3 .4 .1959, S . 2; ZAH, B . 1/5, Bur . 282: Georg S . K ., Amst ., an RA Richard G ., Düss ., 29 .5 .1962 . 163 ZAH, B . 1/5, Bur . 282: SD an Willy S ., JAR, 12 .2 .1959 . 164 ZAH, B . 1/5, Bur . 282: Georg S . K ., Amst ., an RA Richard G ., Düss ., 29 .5 .1962 . 165 ZAH, B . 1/40, Nr . 42: Gerda G ., Süd-Afrika, an JKR, 10 .1 .1967 . 166 ZAH, B . 1/5, Nr . 124: RP Düss . an Alfred S . als Nachlasspfleger v . Gustav R ., 22 .11 .1954 . 167 ZAH, B . 1/5, Nr . 124: RP Düss . an Alfred S . als Nachlasspfleger v . Gustav R ., 22 .11 .1954 . 168 Vgl . dazu Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 129 f . 169 Ende der 1950er Jahre musste z . B . auch eine Bewohnerin der „Rosenau“, deren Entschädigungsverfahren noch nicht abgeschlossen war, im Krankheitsfall vorerst einen „Schein der Fürsorge […] in Anspruch nehmen“: ZAH, B . 1/5, Nr . 44: SD an Emma P ., o . D . 170 ZAH, B . 1/5, Nr . 124: SD an IM NRW, 5 .1 .1953 .

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Finanzielle Aspekte

bende Jüdin, der weder ein Gesundheits- noch ein Berufsschaden zuerkannt worden war und die daher nur eine „minimale Rente“ erhielt .171 Die ihr monatlich zur Verfügung stehenden geringen Geldbeträge investierte sie u . a . in Briefmarken, Straßenbahnfahrten, Haar-, Fuß- und Handpflege, Schuh- und Kleiderreparaturen, Zeitschriften sowie frisches Obst .172 Völlig mittellose Bewohner, deren Heimaufenthalt großteils oder sogar vollständig aus öffentlichen Mitteln beglichen werden musste, erhielten „von der Wohlfahrt“, d . h . von den zuständigen Fürsorge- und Sozialämtern, ein monatliches Taschengeld, über das sie frei verfügen durften .173 Darüber hinaus unterstützten viele Heimträger, u . a . die Düsseldorfer Synagogengemeinde, ihre finanziell bedürftigen Bewohner mit einem zusätzlichen Taschengeld .174 Eine kleine Anzahl der in den Altersheimen für NS-Opfer lebenden alten Menschen befand sich in einer vergleichsweise guten finanziellen Situation und kam daher vollständig oder zumindest anteilsweise selbst für ihren Heimaufenthalt auf . Beispielsweise besaßen „Rückwanderer“, die rechtzeitig bzw . mit ihrem Vermögen ins Ausland hatten fliehen können, häufig genügend finanzielle Mittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts .175 Nach dem Erlass des BEG bzw . der daraufhin gezahlten Entschädigungsleistungen waren schließlich immer mehr Bewohner zur Begleichung der Heimkosten in der Lage .176 So verschaffte ihr „monatliches Einkommen“ u . a . auch einem in Berlin lebenden Ehepaar, das sich 1960 für die „Rosenau“ bewarb, einen „angenehmen Lebensabend“ .177 Über ausreichend Geldmittel zur Zahlung der Heimkosten verfügten ebenfalls Personen, die ihre Immobilien zurückerhalten hatten .178 Im hannoverschen Heim konnten im Jahr 1963 sogar 22 von insgesamt 26 Bewohnern die Pensionskosten ganz oder zumindest zum großen Teil aus ihrer Rente oder sonstigem Vermögen begleichen .179

ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Sigrid D ., JAH, an Norbert P ., 4 .11 .1962 . ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Sigrid D ., JAH, an Norbert P ., 4 .11 .1962 . Vgl . z . B . ZAH, B . 1/5, Bur . 282: SD an Georg S . K ., 4 .8 .1959; ZAH, B . 1/6, Nr . 551: JAH an Vorst . JAH, 14 .6 .1962 . 174 Ein Bewohner der „Rosenau“ erhielt z . B . 1959 monatlich 15 DM von der Wohlfahrt und sogar monatlich 25 DM von der Synagogengemeinde Düsseldorf: ZAH, B . 1/5, Bur . 282: SD an Georg S . K ., 4 .8 .1959 . 175 Z . B . ZAH, B . 1/40, Nr . 1: Fritz N ., Bad H ., an JKR, 15 .11 .1957 . 176 Z . B . standen auch der aus Gurs zurückgekehrten Johanna M . „aufgrund der Wiedergutmachungsgesetze […] erhebliche Ansprüche zu“: ZAH, B . 1/5, Nr . 21: RA Alfons W ., Saarbrücken, an JAR, 20 .12 .1950 . Vgl . u . a . LkAHN, B . 160, Nr . 11: Erica L . an HWNGB, Berlin-Charlottenburg, 30 .5 .1964; ZAH, B . 1/40, Nr . 42: Georg B . an JKR, 31 .3 .1968; ZAH, B . 1/40, Nr . 2: JAN, o . D . (ca . 1972) . 177 ZAH, B . 1/5, Nr . 46: Harald S ., Berlin, an SD, 1 .10 .1960 . 178 Z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Hanne M ., Düren, an SD, 2 .3 .1951 . 179 ZAH, B . 1/6, Nr . 552: JAH, Liste Pensionspreise Heimbew ., 25 .10 .1963 . 171 172 173

Rückerstattung von Eigentum

10.3

Rückerstattung von Eigentum

Die in den späten 1930er Jahren erfolgten Enteignungen jüdischen Besitzes durch die Nationalsozialisten betrafen auch die jüdischen Heimträger . Nach Kriegsende begann die Rückerstattung ehemals jüdischen Eigentums jedoch nur sehr zögerlich .180 Den jüdischen Nachkriegsgemeinden gelang aber mit Hilfe der Allierten z . T . schon kurz nach Kriegsende, d . h . mehrere Jahre vor einer gesetzlichen Regelung, die Rückerstattung von Immobilien . 1945 konnte z . B . auch in Hamburg ein erstes provisorisches Altersheim für jüdische Überlebende in einem Gebäude eingerichtet werden, das sich in der Vorkriegszeit im Besitz der jüdischen Gemeinde befunden hatte .181 Zwei Jahre später wurde der neu gegründeten Hamburger jüdischen Gemeinde durch die Militärbehörden schließlich das ehemalige jüdische Altersheim in der Sedanstraße, das bislang von „britischen Truppen in Anspruch genommen“ worden war, zurückerstattet .182 Obwohl die westlichen Besatzungsmächte seit 1947 erste Gesetze zur Rückgabe erließen183 – die britischen Militärbehörden z . B . im Jahr 1949 –, trat das in ganz Westdeutschland gültige „Bundesrückerstattungsgesetz“ erst 1957 in Kraft .184 Als kompliziert und langwierig erwies sich Ende der 1940er Jahre u . a . die Rückgabe des vormaligen jüdischen Altersheims „Rosenau“ in Essen-Werden, dessen Bewohner 1938 gewaltsam „vertrieben“ worden waren .185 Laut Grundbucheintrag befand sich die „Rosenau“ mittlerweile im Besitz einer Maschinenfabrik, die das Haus 1940 günstig erworben hatte .186 Da sich das Innenministerium von Nordrhein-Westfalen aber nach eigenem Bekunden für die Belange der jüdischen Gemeinden einsetzen wollte, bat es die Militärregierung im Juni 1947 darum, „das genannte Grundstück zu Gunsten des Landesverbandes der jüdischen Gemeinde in Düsseldorf freizugeben“ .187 Als offizielle Besitzerin wehrte sich die Maschinenfabrik E . jedoch vehement gegen die Rückgabe an die jüdische Gemeinde . Erst nachdem die Stadt Essen im Sommer 1947 sogar damit drohte, „zur Not“ eine „zwangsweise Überweisung“ an die Düsseldorfer Gemeinde vorzunehmen, erhielt diese „mit Zustimmung der Militärregierung“ das vorläufige Nutzungs-

Vgl . u . a . Bergmann (2008), S . 32 ff . Zoder (2015) . ZAH, B . 1/28, Nr . 126: Norbert W . an Stephan B . c/o WJC, Lon ., 2 .4 .1947, S . 3 . Vgl . Fischer/Lorenz (2007), S . 58 . In der amerikanischen Besatzungszone wurde bereits im November 1947 das „Militärregierungsgesetz Nr . 59“ erlassen . Die britische Zone folgte im Mai 1949: Godin (1948), S . 1 . Vgl . außerdem Hockerts (2013) . 185 ZAH, B . 1/5, Nr . 123: SD an Baulenkungsamt Essen, 18 .7 .1947; ZAH, B . 1/5, Nr . 124: SD an Allianz-Versicherungs-Akt .-Ges . Düss ., 13 .2 .1952 . 186 Die Maschinenfabrik E . erwarb das Heimgelände als Werksheim zu einem Kaufpreis von nur 65 .000  RM, gegenüber dem Effektivwert von 200 .000  RM: ZAH, B .  1/5, Nr .  123: Erklärung zur Vorlage beim Entnazifizierungsausschuss, 5 .4 .1948 . 187 ZAH, B .  1/5, Nr .  123: IM NRW an Militärregierung, Abt . Eigentumskontrolle, Düss .-Mettmann, 23 .6 .1947 . 180 181 182 183 184

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Finanzielle Aspekte

recht .188 Im Gegenzug verlangte die sich weiterhin uneinsichtig gebende Firma jedoch eine monatliche Miete von 400 RM .189 Zudem bedurfte es einer „enormen Anstrengung, das Haus wieder bewohnbar zu machen“, da das gesamte Gebäude mittlerweile „total heruntergekommen“ war .190 Laut Mietvertrag mussten „sämtliche Kosten der Instandsetzung des Grundstücks“ jedoch allein von der Synagogengemeinde getragen werden,191 unbeachtet der Tatsache, dass der derzeitige Besitzer die komplette Innenausstattung des früheren Altersheims nahezu vollständig zerstört bzw . zweckentfremdet hatte .192 Dass die Maschinenfabrik sogar noch während der bereits begonnenen Renovierungsarbeiten „16 Lastwagen mit Erde und Obstbäumen“ vom Gelände abtransportieren ließ, stellte nicht nur eine „eklatante Verletzung“ gegen die Verfügung der Militärregierung, sondern auch einen weiteren Affront gegen die Düsseldorfer jüdische Gemeinde bzw . die jüdische Bevölkerung dar .193 Bis zur endgültigen Anerkennung der von der Synagogengemeinde Düsseldorf über die „Jewish Trust Corporation“ erhobenen Ansprüche auf eine Rückerstattung der „Rosenau“ vergingen letztlich aber noch mehrere Jahre .194 Erst durch das „Bundesrückerstattungsgesetz“ von 1957 wurden die meisten Ansprüche auch anerkannt .195 Ende der 1950er Jahre gelang z . B . der „Jüdischen Kultusgemeinde der Rheinpfalz“ „unter Verwendung der ihr zustehenden Entschädigungsbeträge“ der Bau eines neuen Altersheims .196 Dabei wurde das Rückerstattungsverfahren ebenfalls bereits schon vor der endgültigen Klärung der Gesetzeslage mit Hilfe der „Jewish Trust Corporation“ in die Wege geleitet .197 Anspruch auf eine Rückerstattung ihres Eigentums besaßen sowohl die jüdischen Gemeinden und Institutionen als auch Privatpersonen, deren Besitz „arisiert“ worden war .198 Demzufolge bemühten sich ebenfalls viele ältere Menschen, z . B . nach ihrer Rückkehr aus dem Exil, um eine Rückgabe ihrer Grundstücke .199 Personen, die in ein Altersheim ziehen wollten, entschieden sich aber zur Finanzierung ihrer Heimunter-

ZAH, B . 1/5, Nr . 123: Stadt Essen an Fa . E ., 10 .7 .1947 . ZAH, B . 1/5, Nr . 123: Erklärung zur Vorlage beim Entnazifizierungsausschuss, 5 .4 .1948 . Beispielsweise waren die Heizungen herausgerissen sowie die Böden und Türen als Brennholz genutzt worden: ZAH, B . 1/5, Nr . 123: Erklärung zur Vorlage beim Entnazifizierungsausschuss, 5 .4 .1948 . 191 ZAH, B . 1/5, Nr . 123: Mietvertrag zwischen Firma E . u . SD, 6 .1 .1948 . 192 ZAH, B . 1/5, Nr . 123: Erklärung zur Vorlage beim Entnazifizierungsausschuss, 5 .4 .1948 . 193 ZAH, B . 1/5, Nr . 123: Erklärung zur Vorlage beim Entnazifizierungsausschuss, 5 .4 .1948 . Mit ihrer 1948 an das Altersheim gehenden Spende von Beerenobst verfolgte die Firma E . daher sicherlich v . a . den Zweck, ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen: ZAH, B . 1/5, Nr . 123: SD an Firma E ., Velbert, 6 .8 .1948 . 194 ZAH, B . 1/5, Nr . 124: SD an Allianz-Versicherungs-Akt .-Ges . Düss ., 13 .2 .1952 . 195 Dies betraf z . B . auch die Frankfurter „Henry und Emma Budge-Stiftung“: Picard (1997), S . 11 . 196 ZAH, B . 1/40, Nr . 305: JKR an LAW, Mainz, 1 .10 .1956, S . 1 . 197 ZAH, B . 1/40, Nr . 305: Branche Française de la JTC, Mainz, an JKR, 28 .1 .1954 . 198 Vgl . u . a . Lillteicher (2003), S . 137 . 199 Vgl . z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 21: RA Alfons W ., Saarbrücken, an JAR, 20 .12 .1950; ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Hanne M ., Düren, an SD, 2 .3 .1951 . 188 189 190

Rückerstattung von Eigentum

bringung häufig für den Verkauf oder die Vermietung ihrer zurückerstatteten Immobilien .200 Sehr selten erreichten die jüdischen Altersheime „Gegenstände aus jüdischem Besitz“ als Spende, die von den Nationalsozialisten unrechtsmäßig konfisziert worden waren und deren rechtmäßige Eigentümer nicht mehr ermittelt werden konnten . 1953 erhielt das Heim der Düsseldorfer Gemeinde z . B . eine private Spende, u . a . Möbelstücke und ein Ölgemälde, deren derzeitige nichtjüdische Besitzerin sich „nicht an fremdem Eigentum bereichern“ wollte und daher „die Dinge gerne an die Rosenau“, d . h . an eine jüdische Institution, verschenken wollte .201

200 201

Vgl . ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Hanne M ., Düren, an SD, 2 .3 .1951 . ZAH, B . 1/5, Nr . 124: Minna R . an SD, 19 .8 .1953 .

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11.

Personal

Zu den grundlegenden Voraussetzungen für die Versorgung betreuungsbedürftiger alter Menschen gehört die Verfügbarkeit einer ausreichenden Anzahl von Pflege-, Haus- und Küchenpersonal . Das „Jüdische Altersheim Hannover“ stützte sich – nach eigener Angabe – hauptsächlich auf „drei bewährte Kräfte“, d . h . die zugleich als Krankenschwester im Haus tätige Heimleiterin, die Köchin sowie eine für die Verwaltung zuständige Buchhalterin .1 Einen ebenfalls wichtigen Teil der Arbeit übernahmen ungelernte weibliche Haushaltshilfen .2 In vielen jüdischen Altersheimen verfügte die Heimleiterin – wie in Hannover – über eine krankenpflegerische Ausbildung .3 Dies traf häufig ebenfalls auf Ehefrauen von Heimleitern zu, zumal die Führung vieler Heime von Ehepaaren übernommen wurde .4 Da aber innerhalb des Untersuchungszeitraums keine verbindlichen Vorgaben für die Ausbildung und Qualifikation der Heimleitungen existierten,5 konnten prinzipiell auch „Quereinsteiger“ und fachfremde Personen, die zuvor noch nie ein Altersheim geleitet hatten, mit dieser Aufgabe betraut werden .6 Neben den erwähnten Krankenschwestern bevorzugten viele Heimträger jedoch ausgebildete, d . h . examinierte Fürsorgerinnen . Beispielsweise stellte die Synagogengemeinde Düsseldorf bevorzugt Fürsorgerinnen oder zumindest in der Betreuung alter Menschen erfahrene Frauen als Heimleiterinnen ein .7 Die in den jüdischen Altersheimen in Hannover und Essen-Werden beschäftigte Meta D . besaß sogar ein „Examen als Fürsorgerin und Heimleiterin“ sowie Kenntnisse in der Diätverpflegung und somit die ideale fachliche

ZAH, B . 1/6, Nr . 551: TB JAH für 1965, o . D . ZAH, B . 1/6, Nr . 551: TB JAH für 1965, o . D . ZAH, B . 1/6, Nr . 551: LV jüd . Gem . v . Nds . an Joint, Frankf ., 3 .5 .1963; ZAH, B . 1/6, Nr . 551: TB JAH für 1965, o . D . 4 ZAH, B . 1/40, Nr . 327: Hans B ., Berlin, an JKR, 30 .12 .1962 . 5 Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 322 . 6 Z . B . war auch der Heimträger der „Rosenau“ an einer Bewerberin „interessiert“, auch wenn diese noch nie ein Altersheim geführt hatte: ZAH, B . 1/5, Bur . 262: SD an Margot B ., Mü ., 28 .3 .1958 . 7 Vgl . z . B . ZAH, B . 1/5, Bur . 262: Meta D ., Amst ., an SD, 31 .3 .1958 . 1 2 3

Personal

Qualifikation für ihre Tätigkeit .8 Auch im Fall einer über zehn Jahre im „Altersheim Rosenau“ tätigen Heimleiterin erwies es sich als Vorteil, dass sie nicht nur „verwaltungstechnische“, sondern ebenfalls „pflegerische“ Aufgaben übernahm .9 In anderen Einrichtungen verfügte das Leitungspersonal über keine krankenpflegerische Ausbildung .10 Im Neustädter Altersheim, das bevorzugt Ehepaare mit der Leitung beauftragte,11 übertrug der Heimträger den Frauen die Gesamtaufsicht über die Küche und den Einkauf sowie die „Überwachung des Küchen- und Hauspersonals“ .12 Die Männer besaßen die Zuständigkeit für die Verwaltung und die Wirtschaftsführung .13 Auch das evangelische „Altersheim Heilsberg“ beschäftigte Ehepaare, wobei es sich zumeist um Pastoren und deren Ehefrauen handelte, die zugleich die seelsorgerische Betreuung der Bewohner übernahmen und gleichfalls keine pflegerische Ausbildung vorweisen mussten .14 Im Zusammenhang mit der in den frühen 1960er Jahren beginnenden Professionalisierung der Altenpflege erhöhten sich die Anforderungen der Heimträger an das Leitungspersonal . Diese Entwicklung zeigte sich u . a . an der steigenden Anzahl an Fortbildungsangeboten .15 Die ZWST organisierte z . B . – auf eigene Kosten – bereits in den frühen 1960er Jahren regelmäßige Fortbildungsseminare für das Leitungspersonal jüdischer Altersheime, die u . a . auch die Leiterinnen der „Rosenau“ und des hannoverschen Altersheims besuchten .16 Der Ende der 1970er Jahre in Bad Vilbel beschäftigte Heimleiter nahm – „um dem Wohl der Heimbewohner noch besser gerecht zu werden“ – ebenfalls aus eigener Initiative an einer „Fortbildungsmaßnahme von 300 Lehrstunden und Certifikats-Abschluss teil“, obwohl er nach Aussage des Heimträgers bereits über alle erforderlichen „beruflichen Qualifikationen“ verfügen würde .17 Auch wenn viele Altersheime – unabhängig von ihrer Trägerschaft – keine pflegebedürftigen alten Menschen aufnahmen, verzichteten nur die wenigsten Einrichtungen auf krankenpflegerisch ausgebildetes Personal . Bis in die späten 1960er Jahre hinein besaßen die in der Altenpflege tätigen Pflegerinnen zumeist eine konfessionelle, d . h .

8 Vgl . z . B . ZAH, B . 1/5, Bur . 262: Meta D ., Amst ., an SD, 31 .3 .1958 . 9 ZAH, B . 1/5, Nr . 92: Zeugnis, 23 .9 .1970 . 10 Z . B . ZAH, B . 1/40, Nr . 327: Stellenanzeige aus AWJ, 21 .8 .1964, S . 6 . 11 Da das Neustädter Heim nicht von einer Person allein geführt werden konnte, erfolgte nur die Einstel-

lung von Heimleiterehepaaren: ZAH, B . 1/40, Nr . 327: JKR an Grete W ., Dortmund, o . D . (August 1964) . ZAH, B . 1/40, Nr . 327: JKR an Hans B ., 24 .12 .1962 . Dies betraf auch das in der „Rosenau“ beschäftigte „Hausmeisterehepaar“: ZAH, 1/5, Nr . 48: SD an AOK Essen, 6 .8 .1964 . 13 ZAH, B . 1/40, Nr . 47: HL Josef L . an Pensionäre, 3 .8 .1966 . 14 LkAHN, B . 160, Nr . 13: HW EKHN an Karl L ., Frankf ., 29 .11 .1961; LkAHN, B . 160, Nr . 48: Erica L ., betr . Besuch Beat M ., 9 .5 .1979 . 15 Vgl . dazu auch Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 350 f . 16 ZAH, B . 1/5, Nr . 73: ZWST, Frankf .: Fragebogen zur Teilnahme am 3 . Seminar für leitende Mitarbeiter in jüd . AH, 3 .–5 .12 .1962, in Köln; ZAH, B . 1/6, Nr . 551: ZWST, Frankf ., an alle LV u . jüd . Gem ., d . AH unterhalten, 6 .11 .1962 . 17 LkAHN, B . 160, Nr . 47: GDHN, Darm ., an HWNGB, Berlin, 12 .1 .1978 . 12

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Personal

christliche Anbindung, zumal die Altenpflege zu den traditionellen Aufgabenbereichen christlicher Pflegeorganisationen gehörte .18 Eine wichtige Rolle für die Versorgung alter Menschen spielten zudem die Schwestern vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) sowie zunehmend auch „freie“, konfessionell ungebundene Krankenschwestern .19 Über eine gleichermaßen lange Tradition verfügte die jüdische Kranken- und Altenpflege, die sich ähnlich den christlichen Krankenpflegerinnen in Schwesternverbänden20 bzw . in Mutterhäusern organisierte .21 Die Bezahlung der jüdischen Schwestern überstieg jedoch diejenige ihrer christlichen Kolleginnen, die oft nur ein „Taschengeld“ erhielten .22 Da Juden am Sabbat und den jüdischen Feiertagen nicht arbeiten sollten, wurden die jüdischen Pflegerinnen, wenn möglich, durch nichtjüdisches Personal abgelöst .23 Nach Kriegsende war die jüdische Kranken- und Altenpflege jedoch nahezu nicht mehr existent . Die jüdischen Heime mussten daher auf die wenigen in Deutschland verbliebenen jüdischen Pflegerinnen sowie immer häufiger auf „Rückwanderinnen“ aus dem Ausland zurückgreifen, zumal sich ein großer Teil der überlebenden jüdischen Krankenschwestern in den 1950er Jahren für die Auswanderung entschied .24 Trotz der extrem schwierigen Anwerbung jüdischer Mitarbeiter beschäftigten die in dieser Untersuchung genannten Einrichtungen mindestens eine qualifizierte Pflegerin, bei der es sich fast immer um examinierte Krankenschwestern handelte . Deren Hauptaufgaben bestanden überwiegend darin, die „Heiminsassen in gesundheitlicher Hinsicht zu betreuen“ sowie den im Heim tätigen Ärzten bei der Behandlung behilflich zu sein .25 Die jüdischen Altersheime stellten hohe Anforderungen an das Pflegepersonal, wohingegen viele nichtjüdische Einrichtungen weit weniger Wert auf eine fundierte pflegerische Ausbildung legten; vielmehr sollte das in der Altenpflege eingesetzte, vorwiegend

Siehe dazu u . a . Kreutzer (2005), S . 7, 33; Kreutzer (2008), S . 61; Schweikardt: Die Entwicklung (2008), S . 61 . Vgl . zudem Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 298 ff . 19 Für die Krankenpflegerinnen, „die sich zur Krankenpflege berufen fühlten, aber nicht einem Orden oder Mutterhaus beitreten wollten“, gründete die ehemalige DRK-Schwester Agnes Karll 1903 die „Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen Deutschlands“: Kreutzer (2005), S . 39; O . N . (1957) . 20 Die erste jüdische Schwesternorganisation, der „Verein für jüdische Krankenpflegerinnen zu Frankfurt a . M .“, der sich auch der Ausbildung widmete, gründete sich im Jahr 1893 . Ein Jahr später wurde in Berlin der „Verein für jüdische Krankenpflegerinnen“ geschaffen, dessen Krankenpflegeschule 1895 eröffnet wurde: Steppe (1997), S . 97, 103 f ., 200; Seemann: Judentum und Pflege (2017), S . 15 . Auch in weiteren deutschen Städten entstanden jüdische Pflegeverbände und Ausbildungsstätten, 1921 z . B . in Hannover: Steppe (1997), S . 97, 108 ff ., 112–114 . 21 Auch die jüdischen Mutterhäuser boten eine vollständige Versorgung und kostenlose Betreuung und Behandlung bei Krankheit . Vgl . zu Frankfurt am Main z . B . Steppe (1997), S . 253 ff .; Seemann: Judentum und Pflege (2017), S . 28 . 22 Steppe (1997), S . 252; Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 329 f . 23 Piro-Klein (2019), S . 6 . 24 Z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 48: SD, Dr . Horst H ., an „The Central British Fund“, Lon ., 19 .5 .1967 . 25 ZAH, B . 1/5, Nr . 21: SD an Schw . Johanna O ., Düss ., 15 .12 .1950 . 18

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weibliche Personal über Geduld, Empathie und eine gewisse „Mütterlichkeit“ verfügen .26 Nach dem Holocaust fungierten insbesondere die in jüdischen Institutionen ausgebildeten Krankenschwestern außerdem als wichtige Repräsentantinnen der jüdisch geprägten Kranken- und Altenpflege . Demzufolge fühlten sie sich dazu verpflichtet, den traditionell guten Ruf der jüdischen Pflege – v . a . in der von antisemitischen Vorurteilen geprägten deutschen Gesellschaft – wiederaufleben zu lassen .27 Auch die Anfang der 1950er Jahre im „Altersheim Rosenau“ beschäftigte und als „ausgezeichnet“ beschriebene jüdische Krankenschwester trug maßgeblich dazu bei, dass die im Haus gebotene medizinisch-pflegerische bzw . „sanitäre Betreuung“ eine „rühmliche Ausnahme“ darstellte .28 Als ähnlich gut wurde die Versorgung der im Haus lebenden alten Menschen mit gespendeten Medikamenten bezeichnet .29 Das evangelische „Altersheim Heilsberg“ im hessischen Bad Vilbel beschäftigte ebenfalls mindestens eine ausgebildete Krankenschwester . In den frühen 1960er Jahren übernahm z . B . eine DRKSchwester die Stelle der leitenden Krankenpflegerin .30 Zudem kamen in Heilsberg „Altenhelferinnen“ zum Einsatz,31 die – wie die Anfang der 1970er Jahre in der „Rosenau“ tätigen „Altenpflegehelferinnen“32 – zwar nur eine verkürzte krankenpflegerische, jedoch speziell auf die Betreuung alter Menschen zugeschnittene Ausbildung durchlaufen hatten .33 Da es dem Pflegepersonal aber nur selten gelang, die Betreuung aller im Haus lebenden alten Menschen zu gewährleisten, wurden auch ungelernte Mitarbeiterinnen, z . B . Haushaltshilfen, für leichtere pflegerische Tätigkeiten herangezogen . Ansonsten übernahmen die ausschließlich weiblichen und meist sehr jungen Haushaltshilfen vorwiegend hauswirtschaftliche Arbeiten .34 Einfache und v . a . mit weniger Verantwortung verbundene Aufgaben in der täglichen nichtpflegerischen Bewohnerversorgung konnten zudem von Schulpraktikantinnen übernommen werden, die ab

André (1993), S . 202; Döring (2006), S . 3; ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Landesrabbinat an JGH, 5 .10 .1960 . Vgl . auch Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 303 ff . 27 Seemann (2019) . 28 ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Ber . über Bes . u . Bespr . im JAR, 27 .7 .1950 . 29 ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Ber . über Bes . u . Bespr . im JAR, 27 .7 .1950 . 30 LkAHN, B . 160, Nr . 13: Erna B . an Walter R ., 31 .3 .1962; LkAHN, B . 160, Nr . 13: Erna B . an Walter R ., DW Frankf ., 18 .11 .1962 . 31 Ob es sich bei den in den Quellen zum „Altersheim Heilsberg“ genannten „Altenhelferinnen“ um „Altenpflegehelferinnen“ handelte, lässt sich aus den Quellen nicht erschließen . Infolge der Entwicklung des eigenständigen Berufsbilds der „Altenpflegerin“ kam es ab Anfang der 1960er Jahre auch zur Schaffung der verkürzten Ausbildung zur „Altenpflegehelferin“: Grabe (2018), S . 260; Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 352 ff . 32 ZAH, B . 1/5, Nr . 92: AOK Essen, Anmeldung, 3 .2 .1970 . 33 Unter anderem leisteten die Altenhelferinnen Unterstützung beim „Briefeschreiben“, beim An- und Umkleiden, beim „Erzählen von Erinnerungen“ sowie die Begleitung der Bewohner beim Spaziergang: LkAHN, B . 160, Nr . 11: AHH an Ludwig B ., Bad Nauheim, 30 .11 .1961 . 34 Eine 1963 in der „Rosenau“ tätige Haushaltshilfe besaß z . B . ein Alter von 24 Jahren: ZAH, B . 1/5, Nr . 48: Personalkarte, 1963 . 26

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den 1970er Jahren z . B . im Heilsberger Heim Einsatz fanden und deren Tätigkeit junge Frauen für die Altenpflege sensibilisieren sollte .35 Einen nicht unerheblichen Einfluss auf das Leben im Heim und die dort herrschenden Strukturen besaßen darüber hinaus die externen, d . h . nicht am unmittelbaren Heimalltag teilnehmenden Heimvorstände . Im Falle der jüdischen Einrichtungen setzten sich diese aus Mitgliedern der jeweiligen jüdischen Gemeinden zusammen . Für die Verwaltung der „Rosenau“ wählte der Vorstand der Synagogengemeinde Düsseldorf z . B . einen aus drei Gemeindemitgliedern bestehenden Ausschuss .36 Dieser fungierte als Heimvorstand und übernahm die übergeordnete Verwaltung der „Rosenau“ jedoch nicht vor Ort, sondern „von Düsseldorf aus“, während die Heimleiterin direkt im Haus lebte .37 Die Aufgaben des Heimvorstands waren u . a . die Aufnahme und Ablehnung der Bewerber sowie die Einstellung und Entlassung von Angestellten; zudem vertrat er das Heim gegenüber den Behörden .38 Ähnlich gestaltete sich die Arbeit des ebenfalls v . a . aus Männern bestehenden Vorstands des – als gemeinnütziger Verein geführten – „Jüdischen Altersheims Hannover“ . Im Jahr 1968 verfügte der Vereinsvorstand z . B . über 13 Mitglieder (zehn Männer und drei Frauen) .39 In nahezu allen deutschen Altersheimen bildeten Frauen den Großteil des Personals, zumal es sich insbesondere bei der Altenpflege um eine traditionell weiblich konnotierte Tätigkeit handelte .40 Auch in den in dieser Studie genannten Einrichtungen wurden für die pflegerische Betreuung der Heimbewohner ausschließlich Frauen eingesetzt .41 Die in den Heimen beschäftigten männlichen Mitarbeiter übernahmen vorrangig Tätigkeiten in der Verwaltung, als Hausmeister42 oder als Gärtner .43 Im liberal ausgerichteten Neustädter Heim hingegen waren seit Anfang der 1970er Jahre vereinzelt männliche Zivildienstleistende tätig, die ebenfalls für pflegerische Hilfsarbeiten eingesetzt wurden .44

LkAHN, B . 160, Nr . 47: GDHN, Darm ., an HWNGB, Berlin, 1 .2 .1977 . ZAH, B . 1/5, Nr . 123: Verwaltungsordnung für d . v . Vorst . u . Repräsentanz d . SD gewählten Ausschuss für Verw . JAR, o . D . 37 ZAH, B . 1/5, Nr . 73: SD an Oberstadtdir . Walter H ., Düss ., 5 .12 .1962 . 38 ZAH, B . 1/5, Nr . 73: SD an Oberstadtdir . Walter H ., Düss ., 5 .12 .1962 . 39 ZAH, B . 1/6, Nr . 551: PMV JAH, 23 .7 .1968, S . 1 . 40 Vgl . Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 308 f .; Grabe: Altenpflege (2016), S . 28 f . Zum Anforderungsprofil der jüdischen Pflegerin: Steppe (1997), S . 141, 145, 264 ff . 41 Traditionell durften ausschließlich Frauen die Pflege weiblicher Patienten übernehmen, vgl . Kottek (2010) . So war nicht nur das traditionelle Ideal der christlichen, sondern auch dasjenige der jüdischen Pflegerin weiblich: Steppe (1997), S . 276 . Zur Rolle der Frauen in der jüdischen Wohlfahrtspflege vgl . Sengling (1992), S . 162 . 42 Im Neustädter Heim übernahm der Hausmeister neben Reparaturen u . a . die Reinigung des Hofes und das Abholen des nicht im Heim wohnenden Personals vom Bahnhof Neustadt mit dem betriebseigenen Bus: ZAH, B . 1/40, Nr . 321: Dienstvertrag zwischen JAN Hauberallee u . Karl L ., o . D . (frühe 1970er Jahre), S . 1 . 43 Z . B . ZAH, B . 1/5, Bur . 253: Vorst . SD an JTC, Ham ., 23 .1 .1952 . 44 Z . B . ZAH, B . 1/40, Nr . 48: Bundesverwaltungsamt an JKR, 27 .7 .1972 . Das Altersheim in Neustadt erhielt als gemeinnützige Einrichtung die Anerkennung zur Beschäftigung von Zivildienstleistenden, wobei 35 36

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Bis weit in die 1960er Jahre hinein bevorzugten die Träger fast aller deutschen Altersheime ältere, „reifere“ Pflegerinnen, Heimleiterinnen und Heimleiter, denen sie eine ausgeglichene Persönlichkeit und ein besonderes Verständnis für alte Menschen zuschrieben .45 Dass u . a . die 1958 als Heimleiterin in der „Rosenau“ eingestellte Fürsorgerin bereits 55 Jahre alt war, galt daher keinesfalls als Nachteil,46 zumal der Heimvorstand zuvor sogar eine 65-jährige Bewerberin in die nähere Auswahl genommen hatte .47 Dass in der Altenpflege bevorzugt ältere Pflegerinnen und Heimleitungen Einsatz fanden, erwies sich auch für arbeitssuchende „Rückwanderer“ als Vorteil, da sich unter diesen ebenfalls viele über 40-Jährige befanden .48 In den hier im Fokus stehenden jüdischen Heimen bildeten die Remigranten ebenfalls den größten Anteil der Mitarbeiter . Häufig handelte es sich um Witwen und Alleinstehende, die sich in ihrem Exil im Ausland nicht wirklich einleben konnten, so u . a . die seit über 20 Jahren in Israel lebende Margot B ., die sich 1958 als Heimleiterin bewarb .49 Frau B . hatte nach dem Tod ihres Mannes zwar für mehrere Jahre die zuvor gemeinsam geführte Apotheke alleine geleitet,50 litt aber nach Beendigung ihrer Berufstätigkeit unter starker Einsamkeit und kehrte daher schließlich im Alter von 55 Jahren in ihr Heimatland zurück .51 Ende der 1950er Jahre plante auch die nach ihrer Befreiung aus Theresienstadt nach England ausgewanderte Else M . ihre Remigration nach Deutschland, wo sie die Leitung eines jüdischen Altersheims übernehmen wollte .52 Bei vielen Heimleiterehepaaren handelte es sich ebenfalls um „Rückwanderer“ .53 Wie schon beschrieben, bemühten sich außerdem Juden aus West- oder Ostberlin aufgrund der dortigen „unsicheren politischen Situation“ um einen Umzug in die westlichen Bundesländer bzw . die Bundesrepublik .54

Einsatzmöglichkeiten für zwei Zivildienstleistende vorhanden sein mussten: ZAH, B . 1/40, Nr . 48: Bundesmin . für Arbeit u . Sozialordnung, Bonn, an JKR, 12 .7 .1972 . 45 Vgl . dazu u . a . Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 324; ZAH, B . 1/5, Nr . 180: Notiz für Vorst ., 21 .5 .1963 . 46 ZAH, B . 1/5, Bur . 262: Meta D ., Amst ., an SD, 31 .3 .1958 . 47 ZAH, B . 1/5, Bur . 262: Stella G ., Österreich, an SD, 10 .2 .1958 . 48 ZAH, B . 1/5, Nr . 180: Notiz für Vorst ., 21 .5 .1963 . 49 ZAH, B . 1/5, Bur . 262: Margot B . an SD, 14 .2 .1958, S . 1 . 50 Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland wünschte sie sich eine Arbeit als Heimleiterin bzw . in der Betreuung alter und kranker Menschen: ZAH, B . 1/5, Bur . 262: Margot B . an SD, 14 .2 .1958, S . 1 f . 51 ZAH, B . 1/5, Bur . 262: Margot B . an SD, 14 .2 .1958, S . 1 . 52 ZAH, B . 1/5, Bur . 262: Else M ., Lon ., 15 .2 .1958, S . 1 . 53 Z . B . ZAH, B . 1/5, Bur . 262: Meta D ., Amst ., an SD, 31 .3 .1958 . 54 Beispielsweise bewarb sich ein in Berlin lebendes jüdisches Ehepaar 1962 im Neustädter Altersheim um den Posten der Heimleitung: ZAH, B . 1/40, Nr . 327: Hans B ., Berlin, an JKR, 25 .11 .1962 .

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Die Suche nach jüdischem oder auch nichtjüdischem Personal erfolgte vorwiegend mit Hilfe von Stellenanzeigen, die sowohl in der regionalen und überregionalen jüdischen55 als auch nichtjüdischen Presse erschienen .56 Da die deutschen jüdischen Periodika wie die Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland ebenfalls von den im Ausland lebenden deutschen Juden gelesen wurden, konnten diese sich auch über freie Stellen in den deutschen Altersheimen informieren .57 Dabei bewarben sich Personen, die eine Rückkehr in ihre Heimat anstrebten, häufig schon vor ihrer Ankunft in Deutschland um eine Arbeitsstelle – so 1958 die 1945 nach England ausgewanderte Else M ., die seit 1949 ein Altersheim in London geleitet hatte .58 Da sie sich letztlich aber für eine Zukunft in Deutschland entschied, antwortete sie noch vor ihrer Ausreise auf ein Inserat des Altersheims der Düsseldorfer Gemeinde, dessen Heimleiterposten neu besetzt werden musste .59 Auch das Heim in Hannover, das 1956 per Stellenanzeige in der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland eine neue Heimleiterin suchte, erhielt Bewerbungen aus England, Israel, Österreich und Italien .60 Nicht immer entsprachen die ohnehin wenigen Bewerber jedoch den an sie gestellten Anforderungen und besaßen z . B . keinerlei Erfahrung in der Betreuung alter Menschen . Mitte der 1950er Jahre erteilte der Vorstand des hannoverschen Altersheims sogar allen Anwärterinnen, die sich aus dem Ausland auf die Stelle der Heimleitung beworben hatten, eine Absage . Letztlich wurde die Leitung des Hauses der einzigen Krankenschwester des Heims übertragen, die diese Aufgabe zusätzlich zu ihrer pflegerischen Tätigkeit übernahm .61 Da diese Lösung jedoch schnell zu einer Überbelastung der Schwester führte, erfolgte 1956 ein weiterer Wechsel der Heimleitung .62 Die meisten Interessenten für eine Tätigkeit im Altersheim wandten sich direkt an die Heimleitung bzw . die Heimträger, v . a . auf die von diesen geschalteten Stellenanzeigen .63 Zugleich fungierten Hilfsorganisationen und Wohlfahrtsverbände als wichtige Arbeitsvermittler . Unter anderem leitete die ZWST die an sie gerichteten Bewer-

Eine wichtige Rolle spielte die 1946 in Düsseldorf neu gegründete Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland: Buser (2017), S . 19 . 56 1963 meldete sich z . B . eine bislang im städtischen Düsseldorfer Krankenhaus beschäftigte jüdische Krankenschwester auf ein Inserat der Synagogengemeinde Düsseldorf, das in der Düsseldorfer Tageszeitung Rheinische Post veröffentlicht worden war: ZAH, B . 1/5, Nr . 180: Notiz für Vorst ., 21 .5 .1963 . 57 Z . B . bemühte sich auch das „Jüdische Altersheim Hannover“ im Ausland um Personal: ZAH, B . 1/6, Nr . 552: PMV JAH, 12 .4 .1956, S . 1 . 1963 zeigte z . B . eine nach England emigrierte und in London als Wohlfahrtspflegerin der jüdischen Gemeinde tätige Jüdin Interesse an der Leitung des Heims: ZAH, B .  1/6, Nr . 552: Erika R ., Lon ., an JGH, 5 .6 .1963 . 58 ZAH, B . 1/5, Bur . 262: Else M ., Lon ., 15 .2 .1958 . 59 ZAH, B . 1/5, Bur . 262: Else M ., Lon ., 15 .2 .1958 . 60 ZAH, B . 1/6, Nr . 552: PMV JAH, 12 .4 .1956, S . 1 . 61 ZAH, B . 1/6, Nr . 552: PMV JAH, 12 .4 .1956, S . 1 f . 62 Die Heimleitung übernahm nun die examinierte Fürsorgerin Meta D .: ZAH, B . 1/5, Bur . 262: Meta D ., Amst ., an SD, 31 .3 .1958; ZAH, B . 1/6, Nr . 552: PMV JAH, 12 .4 .1956 . 63 ZAH, B . 1/5, Nr . 180: Notiz für Vorst ., 21 .5 .1963 . 55

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bungen direkt an die Heimträger weiter .64 1963 erhoffte sich z . B . ein aus Israel nach Deutschland zurückgekehrter Jude die Unterstützung der Wohlfahrtsstelle, die daraufhin alle jüdischen Altersheime dazu aufrief, ihr jegliche freie Stellen zu melden .65 Mitunter beteiligte sich die ZWST zudem auf eigene Initiative an der Rekrutierung neuer Mitarbeiter und vermittelte arbeitssuchende Juden, die sich ihrer Ansicht nach z . B . gut zur Leitung eines Altersheims eignen würden, an die betreffenden Einrichtungen .66 Auf die von den jüdischen Altersheimen veröffentlichten Stellenanzeigen anworteten vereinzelt auch nichtjüdische Bewerber, v . a . für die Posten der Heimleitung und der Krankenschwester . 1948 bewarb sich sogar eine katholische Krankenschwester aufgrund ihres großen Mitgefühls mit den verfolgten Juden bewusst im jüdischen „Altersheim Rosenau“ .67 Laut Beschluss der Gemeindevertretung der Düsseldorfer Gemeinde sollten jedoch ausschließlich jüdische Krankenpflegerinnen im Heim eingestellt werden .68 Aus dem gleichen Grund lehnte der Gemeindevorstand auch noch zehn Jahre später, d . h . 1958, eine christliche Bewerberin für den Posten der „Heimschwester“ ab, obwohl diese in Argentinien jahrelang eine aus Düsseldorf stammende jüdische Emigrantin gepflegt hatte .69 Auf großes Interesse der Heimleitung stieß hingegen die Anfrage einer weiteren nichtjüdischen Krankenschwester, die nach dem Krieg die Ehe mit einem polnischen Juden eingegangen und mit diesem nach Israel emigriert war .70 Obwohl sie „Israel und sein Volk“ noch immer sehr lieben würde und als ihre „zweite Heimat“ bezeichnete,71 entschied sich Edith H . nach dem Tod ihres Mannes für eine Rückkehr nach Deutschland .72 Dort wollte sie aber bevorzugt in einer Einrichtung für Juden bzw . „meines Mannes Volk, welches auch das meine geworden ist“, tätig sein . Der Düsseldorfer Synagogengemeinde schien sie demzufolge auch als Nichtjüdin durchaus für die Betreuung von jüdischen NS-Opfern geeignet zu sein .73 Anders als beim Pflegepersonal, das zumeist mehr Kontakt zu den Bewohnern besaß und ebenfalls seelsorgerische Aufgaben übernahm, legten die Heimträger beim Hauspersonal keiZAH, B . 1/40, Nr . 327: ZWST, Frankf ., an JKR, 2 .3 .1961 . Die in der „Rosenau“ tätigen Heimleiterinnen wurden vom Heimträger, d . h . dem Vorstand der Synagogengemeinde Düsseldorf, sowie der „RosenauKommission“ eingesetzt: ZAH, B . 1/5, Nr . 124: SD an Minna R ., 5 .12 .1952 . 65 ZAH, B . 1/6, Nr . 551: SD an ZWST, Frankf ., 5 .9 .1963 . Vgl . ebenfalls ZAH, B . 1/40, Nr . 327: ZWST, Frankf ., an alle jüd . AH in BRD u . Westberlin, 24 .9 .1964 . 66 ZAH, B . 1/40, Nr . 327: ZWST an Maximilian F ., Heidelberg, 12 .8 .1964 . 67 ZAH, B . 1/5, Nr . 123: Schw . Aloisia G . an SD, 6 .4 .1948 . 68 ZAH, B . 1/5, Bur . 262: SD an Edelgard T ., 28 .3 .1958 . 69 Dass Edelgard T . bis Kriegsende bei der Wehrmacht als Krankenschwester tätig war, sprach evtl . zusätzlich gegen ihre Einstellung in der „Rosenau“: ZAH, B . 1/5, Bur . 262: Edelgard T ., Dortmund, an SD, o . D . (1958) . 70 ZAH, B . 1/5, Bur . 262: Vorst . SD an Edith H ., Jer ., 4 .3 .1958 . 71 ZAH, B . 1/5, Bur . 262: Vorst . SD an Edith H ., Jer ., 4 .3 .1958 . 72 ZAH, B . 1/5, Bur . 262: Edith H ., Jer ., an Vorst . SD, 10 .3 .1958 . 73 ZAH, B . 1/5, Bur . 262: Vorst . SD an Edith H ., Jer ., 4 .3 .1958; ZAH, B . 1/5, Bur . 262: Edith H ., Jer ., an Vorst . SD, 10 .3 .1958 . 64

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nen großen Wert auf die jüdische Religionszugehörigkeit . Beispielsweise beschäftigte das „Altersheim Rosenau“ viele Katholikinnen als „Hausgehilfinnen“ .74 Deren Betreuung erfolgte jedoch nicht durch den Heimträger, d . h . die Düsseldorfer Synagogengemeinde, sondern durch die entsprechenden christlichen Institutionen . Somit wurde z . B . 1962 eine schwangere spanische Haushaltshilfe, die während des Mutterschutzes vorübergehend das Heim verlassen musste, an das zuständige katholische „Bischöfliche Generalsekretariat“ verwiesen .75 Dieses beschäftigte eine Spanierin, „die als Betreuung für die spanischen Gastarbeiter in Essen eingesetzt“ worden war und sich auch im Fall der oben genannten Haushaltshilfe um die Unterbringung in einem Mütterheim sowie die Geburt des Kindes kümmerte .76 Wie nahezu alle bundesdeutschen Altersheime77 litten die jüdischen Häuser unter einem erheblichen Mangel an Arbeitskräften, der sich sowohl beim Pflege- als auch beim Hilfs-, Küchen- und Leitungspersonal zeigte . Als größtes Problem erwies sich jedoch das Fehlen qualifizierter Kräfte für die Betreuung von Pflegefällen, zumal deren Anzahl stetig anstieg . Das „Altersheim Rosenau“ beschäftigte z . B . Ende der 1950er Jahre zur Versorgung der durchschnittlich 20 bis 30 Heimbewohner nur eine „Heimschwester“, die jedoch – falls möglich – von einer zweiten Krankenpflegerin Unterstützung erhielt .78 1960 verfügte das „Jüdische Altersheim Hannover“, als „die Personalnot immer schwieriger wurde“, ebenfalls über lediglich eine krankenpflegerisch ausgebildete Mitarbeiterin .79 Obwohl alle Bemühungen zur Einstellung einer zweiten examinierten Krankenschwester erfolglos blieben und außerdem zwei Hilfskräfte entlassen werden mussten, gelang schließlich die Anwerbung einer zweiten Pflegerin . Zwar besaß diese nicht das erwünschte Krankenpflegeexamen, hatte aber beim Deutschen Roten Kreuz zumindest eine pflegerische Grundausbildung erhalten .80 Existierten in den 1950er Jahren für die stationäre Altenpflege nur wenige Vorgaben für einen verbindlichen Personalschlüssel, kam es in den 1960er Jahren v . a . in der zeitgenössischen Fachliteratur zu einer intensiven Diskussion über den Personalmangel .81 Da aber die im theoretischen Fachdiskurs postulierten Vorgaben nur selten in der Praxis Umsetzung fanden, mussten die meisten Heime weiterhin mit einer zu geringen Anzahl an Pflegekräften auskommen . Die Rekrutierung geeigneter Mitarbeiterinnen gelang daher auch im jüdischen Altersheim in Hannover nur unter „erheblichen

ZAH, B . 1/5, Nr . 48: Personalkarte, 1963 . ZAH, B . 1/5, Nr . 48: SD an Frl . Maria M ., 14 .11 .1962 . ZAH, B . 1/5, Nr . 73: SD, o . D . (1962); ZAH, 1/5, Nr . 48: SD an Frl . Maria M ., 14 .11 .1962 . Vgl . dazu Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 310–321 . ZAH, B . 1/5, Bur . 262: Vorst . SD an Edith H ., 28 .3 .1958; ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Erhebungsbogen für soziale Einrichtungen, 30 .9 .1958 . 79 ZAH, B . 1/6, Nr . 552: PMV JAH, 25 .4 .1960, S . 1 . 80 ZAH, B . 1/6, Nr . 552: PMV JAH, 25 .4 .1960, S . 1 . 81 Vgl . dazu Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 316 ff . 74 75 76 77 78

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Schwierigkeiten“,82 zumal selbst Hilfskräfte für die leichteren pflegerischen Arbeiten fehlten .83 Selbst ein Jahrzehnt später – als die Anzahl der Pflegefälle in nahezu allen Einrichtungen erheblich zugenommen hatte – konnte der Personalmangel nicht behoben werden . So waren im hannoverschen Heim z . B . im Dezember 1973 nur zwei Krankenschwestern sowie eine Pflegehelferin im Haus tätig .84 Über die „völlig veränderte Situation was das Pflegepersonal betrifft“ klagte Mitte der 1960er Jahre ebenfalls das jüdische Altersheim in Neustadt, dem es nach dem Weggang mehrerer Mitarbeiter nicht gelang, die freien Stellen neu zu besetzen .85 Da sich die Rekrutierung von krankenpflegerisch ausgebildeten Aushilfen gleichermaßen schwierig gestaltete, führte der ungeplante Ausfall von Pflegekräften schnell zu einer Unterversorgung der Bewohner . Diese Gefahr bestand Anfang der 1960er Jahre u . a . in der „Rosenau“, als die zur Entlastung der leitenden Krankenschwester eingestellte Vertretung nach der Geburt ihres zweiten Kindes vorerst nur noch in Notfällen eingesetzt werden durfte .86 Es wurde zwar zumindest für einige Tage eine „Aushilfsschwester“ gefunden, die Heimleiterin beklagte aber weiterhin die scheinbar aussichtslose Personalsituation, die sich nicht nur auf die Pflegekräfte beschränkte .87 Aufgrund des dauerhaften Mangels an qualifizierten Mitarbeiterinnen entschieden sich viele Heime, wie bereits umfassend erörtert, gegen die Aufnahme von Pflegefällen . Auch die jüdischen Altersheime in Hannover und Neustadt besaßen Mitte der 1960er Jahre keine Kapazitäten zur Betreuung dauerhaft pflegebedürftiger Bewohner .88 In Neustadt war z . B . „immer nur eine Krankenschwester im Dienst“, die zudem am Abend das Heim verließ . Für die Nacht musste daher in Notfällen eine zusätzliche „Nachtpflegerin“ eingestellt werden .89 Da eine Mitte der 1960er Jahre in der „Rosenau“ tätige Krankenschwester neben ihrer Arbeit noch ihre Kinder versorgte, übernachtete sie zwei- bis dreimal pro Woche in ihrer eigenen Wohnung und war somit in Notfällen ebenfalls nicht immer ereichbar .90 Ansonsten wohnte das Leitungs-, Pflege- und Hauspersonal bis in die 1960er Jahre hingegen häufig auf dem Heimgelände und stand den alten Menschen somit nahezu „rund um die Uhr“ zur Verfügung .91

ZAH, B . 1/6, Nr . 551: TB JAH für 1965, S . 2 . ZAH, B . 1/6, Nr . 552: PMV JAH, 16 .7 .1962 . ZAH, B . 1/6, Nr . 1112: Zur Ausarbeitung für TB 1973 . ZAH, B . 1/40, Nr . 43: JKR an Toni L ., Tel Aviv, 13 .9 .1965 . ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Rosa B . an SD, 20 .4 .1961 . Zudem musste für die Köchin ebenfalls eine Vertretung gefunden werden: ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Rosa B . an SD, 20 .4 .1961 . 88 ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Vorst . JAH an Max S ., 31 .3 .1964; ZAH, B . 1/40, Nr . 43: JKR an Toni L ., Tel Aviv, 13 .9 .1965 . 89 ZAH, B . 1/40, Nr . 2: JKR an Jim u . Alice S ., USA, 28 .1 .1963 . 90 ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Rosa B . an SD, 1 .7 .1966 . 91 Auch die im „Altersheim Rosenau“ angestellte Krankenschwester lebte im Haus: ZAH, B . 1/5, Bur . 262: SD an Margot B ., Mü ., 28 .3 .1958 . 82 83 84 85 86 87

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Zu den wenigen Möglichkeiten, die eine unerwünschte Verlegung in ein Pflegeheim verhindern konnten, gehörte die Einstellung externer Pflegerinnen, der „Privatpflegerinnen“,92 die eigens zur Betreuung einzelner Bewohner ins Heim kamen und daher nur für diese verantwortlich waren . Im „Altersheim Rosenau“ griffen verschiedene Bewohner, deren Gesundheitszustand sich im Laufe des Heimaufenthalts verschlechtert hatte, auf externe Pflegerinnen zurück . Beispielsweise stellte die Heimleitung 1961 für die nach einem Schlaganfall linksseitig gelähmte Anne L . eine von dieser selbst finanzierte zusätzliche Schwester ein .93 Auch für eine weitere Bewohnerin, die „seit Wochen völlig hilflos“ war, konnte auf deren Kosten „eine nette Frau“ gefunden werden, die sie täglich etwa vier Stunden lang betreute .94 Im selben Jahr erklärte sich das Neustädter Altersheim zur Aufnahme einer gelähmten Bewerberin bereit, wenn – so die Bedingung – für diese eine „Privatschwester zur Pflege engagiert“ werden würde .95 Aufgrund des Personalmangels wurden die „Privatpflegerinnen“ z . T . aber nicht nur für einzelne Bewohner, sondern ebenfalls zur Unterstützung des regulär im Haus tätigen Personals eingesetzt – so auch in den 1950er Jahren im Fall der Krankenschwester Amalie A ., die ursprünglich ausschließlich für die Versorgung eines pflegebedürftigen Ehepaares zuständig sein sollte .96 Nach dem Tod der Ehefrau blieb ihr jedoch „genug Zeit“ übrig, um die „Heimschwester bei der Betreuung der anderen Bewohner zu unterstützen“.97 Für diese Aufgabe erhielt sie im Heim „Kost und Logis“ sowie eine vom Heimträger gezahlte Vergütung .98 Da die Suche nach externen Pflegerinnen jedoch sehr häufig erfolglos verlief,99 ließ sich die Verlegung in ein Pflegeheim oder ein Krankenhaus nicht immer verhindern . Anfang der 1960er Jahre fühlte sich z . B . das Altersheim in Neustadt ebenfalls nicht mehr dazu in der Lage, die Verantwortung für eine an „fortschreitender Verkalkung“ mit „Gedächtnisschwäche“ leidende Bewohnerin zu übernehmen .100 Um dem chronischen Personalmangel in den Altersheimen entgegenzuwirken, wurden von der deutschen Bundesregierung seit den 1960er Jahren erstmals „Gastarbeiterinnen“ aus dem Ausland als Pflegerinnen und Haushaltshilfen angeworben .101 92 ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Max S . an Norbert P ., 25 .3 .1964 . 93 ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Rosa B . an SD, 24 .4 .1961 . 94 ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Rosa B . an SD, 7 .1 .1961 . 95 ZAH, B . 1/40, Nr . 42: JKR an Sam S ., Baden-Baden, 14 .2 .1961 . 96 ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an Amalie A ., AH, 27 .9 .1951 . 97 ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an Amalie A ., AH, 27 .9 .1951 . 98 ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD an Amalie A ., AH, 27 .9 .1951 . 99 ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Vorst . JAH an Max S ., 31 .3 .1964 . 100 ZAH, B . 1/40, Nr . 2: JAN an Ruth F ., USA, 31 .12 .1962 . Auch

die 74-jährige Erika G ., die u . a . an einer „Arteriosklerose des Gehirns“ sowie Schäden an Knie und Hüftgelenken litt, musste das Heim verlassen . So war laut ärztlichem Attest ihr Verbleib im Altersheim wegen der „ungenügenden dringend notwendigen Pflege der als Schwerkranke zu bezeichnenden Patientin nicht mehr angängig und nicht mehr tragbar“: ZAH, B . 1/40, Nr . 2: JAN, Dr . Johann S ., Neustadt, 3 .1 .1963, Ärztl . Zeugnis . 101 Z . B . hatte sich der Einsatz von hochqualifizierten koreanischen Krankenschwestern bereits in den deutschen Krankenhäusern bewährt . Vgl . dazu Kreutzer (2005), S . 31 f .; Winkler (2009); Schweikardt: Berufliche Entwicklung (2008), S . 255 ff .

Personal

In den 1960er Jahren beschäftigte das jüdische „Altersheim Rosenau“ z . B . mehrere katholische Hausgehilfinnen aus Jugoslawien und Spanien .102 Die Personalnot in der Altenpflege verschärfte sich zusätzlich durch die hohe Fluktuation der Mitarbeiter .103 Dabei reichten diese entweder selber die Kündigung ein oder mussten von der Heimleitung gekündigt werden .104 Bedingt durch die hohe Arbeitsbelastung verblieb zwar auch das Pflegepersonal oft nicht lange an seinem Arbeitsplatz,105 ein auffallend häufiger Wechsel zeigte sich aber v . a . bei den Haushaltshilfen .106 Teilweise waren die oft noch sehr jungen Frauen, bedingt durch den anstrengenden Arbeitsalltag oder auch eine Schwangerschaft, sogar nur für wenige Monate im Heim .107 Das Problem des häufigen Personalwechsels betraf alle deutschen Altersheime, unabhängig von ihrer Trägerschaft .108 Da auf diese Weise außerdem die Zusammenarbeit zwischen den im Haus beschäftigten Personen beeinträchtigt wurde, beklagte der Heimarzt der „Rosenau“ Anfang der 1950er Jahre ebenfalls den mehrfachen Schwesternwechsel, der seiner Ansicht nach zu einer unbefriedigenden Versorgung der Heimbewohner führen würde .109 Mitte der 1960er Jahre litt das neu erbaute jüdische Altersheim in Neustadt gleichermaßen stark unter der Fluktuation des Haus- und Pflegepersonals .110 In Hannover erfolgte Anfang 1964 – mit Ausnahme der Köchin – sogar eine fast hundertprozentige Erneuerung des Heimpersonals .111 Eine weitaus geringere Fluktuation zeigte sich beim leitenden Personal sowie bei den Hausmeistern . Eine Heimleiterin der „Rosenau“ feierte 1969 sogar bereits ihr zehnjähriges Dienstjubiläum112 und schied erst im Herbst 1970 aus ihrem Dienst aus .113 Der im Heim angestellte Hausmeister und seine als Köchin tätige Ehefrau verblieben ebenfalls fast zwölf Jahre an ihrem Arbeitsplatz .114 Teilweise kam es aber bei der Heimleitung zu einem gleichermaßen häufigen Wechsel, v . a . aufgrund von Konflikten und

ZAH, B . 1/5, Nr . 48: Personalkarte, 1963; ZAH, B . 1/5, Nr . 180: AOK Essen, 21 .4 .1967 . Vgl . u . a . ZAH, B . 1/5, Nr . 125: Dr . Gerd P . an SD, 20 .7 .1951 . Z . B . ZAH, B . 1/5, Nr . 48: SD, Zeugnis: Magda V ., 30 .6 .1963 . Vgl . auch Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 335 f ., 314 . 105 Z . B . verblieb eine Krankenschwester nur drei Monate in der „Rosenau“: ZAH, B . 1/5, Nr . 48: SD, Dr . Horst H ., an „The Central British Fund“, Lon ., 19 .5 .1967 . 106 Z . B . ZAH, B . 1/6, Nr . 551: TB JAH für 1965, o . D . Das hannoversche Heim war für die Versorgung der Bewohner und des Haushalts zeitweise sogar auf „stundenweise angestellte Putzfrauen“ angewiesen: ZAH, B . 1/6, Nr . 552: TB zur MV JAH, 8 .4 .1964, S . 1 . 107 Vgl . ZAH, B . 1/5, Nr . 124: SD, 19 .2 .1953, Anlage zum Nachweis für 1952 . 108 Vgl . Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 314 ff . 109 ZAH, B . 1/5, Nr . 125: Dr . Gerd P . an SD, 20 .7 .1951 . 110 ZAH, B . 1/6, Nr . 551: TB JAH für 1965, S . 2 . 111 ZAH, B . 1/6, Nr . 552: TB zur MV JAH, 8 .4 .1964 . 112 ZAH, B . 1/5, Nr . 92: SD an Rosa B ., 4 .11 .1969 . 113 ZAH, B . 1/5, Nr . 92: Zeugnis, 23 .9 .1970 . 114 ZAH, B . 1/5, Nr . 21: SD an Günther J ., JAR, 29 .7 .1950; ZAH, B . 1/5, Nr . 73: Rosa B . an SD, 19 .2 .1962 . 102 103 104

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gesundheitlichen Problemen .115 Die 1955 im hannoverschen Altersheim angestellte Heimleiterin gab ihre Arbeit sogar bereits „nach zehn Tagen wieder auf“ .116 Ein Wechsel der Arbeitsstelle verband sich für die Mitarbeiter der jüdischen Heime jedoch oft mit erheblichen Komplikationen . So standen ihnen als Alternative nur vergleichsweise wenige Einrichtungen zur Auswahl . Zudem befanden sich deren Träger bzw . die jüdischen Gemeinden in einem regelmäßigen Austausch untereinander . Folglich sprachen sich die Gründe für eine Kündigung schnell herum und der Neuanfang in einer anderen Einrichtung gestaltete sich somit umso schwieriger . Als sich z . B . die ehemalige Leiterin des jüdischen Altersheims in Hannover 1958, d . h . etwa ein Jahr nach ihrer Kündigung dort,117 für die Leitung der „Rosenau“ bewarb, trat ihr die Düsseldorfer Synagogengemeinde keinesfalls unvoreingenommen entgegen .118 So hatte sich der Düsseldorfer Gemeindevorstand bereits bei seinen Kollegen in Hannover über Frau D . erkundigt,119 wobei dieser zwar Fleiß und Ehrlichkeit, zugleich aber ein allzu strenger Führungsstil zugeschrieben wurde .120 Dass sich der Vorstand des Heims in Essen-Werden trotz dieser Warnung schließlich doch für die vormalige Leiterin des hannoverschen Heims entschied, offenbart abermals den eklatanten Mangel an qualifizierten Bewerbern . Letztlich musste die „Rosenau“ vorübergehend sogar auf eine nichtjüdische Heimleiterin zurückgreifen, da Meta D . bereits ein Jahr später auch ihren neuen Arbeitsplatz in Essen-Werden aus gesundheitlichen Gründen wieder verließ .121 Ihre Nachfolgerin reichte 1963 aber ebenfalls ihre Kündigung ein .122 Die Beschäftigung nichtjüdischer Mitarbeiter war in nahezu allen jüdischen Altersheimen üblich, da sowohl die Anzahl der in Deutschland lebenden jüdischen Krankenschwestern und Pflegerinnen als auch diejenige der für die Heimleitung geeigneten Personen jüdischen Glaubens, wie erwähnt, extrem gering ausfiel .123 Mitte der 1950er

115 Z . B . ZAH, B . 1/6, Nr . 552: PMV JAH, 12 .4 .1956; ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Kurzber . über Besuch v . Selma K . u . Ernst C . im JAR, 3 .9 .1959 . 116 ZAH, B . 1/6, Nr . 552: PMV JAH, 12 .4 .1956 . 117 ZAH, B . 1/6, Nr . 552: PMV JAH, 12 .4 .1956, S . 2; ZAH, B . 1/5, Bur . 262: Norbert P . an SD, 8 .4 .1958; ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Kurzber . über Besuch v . Selma K . u . Ernst C . im JAR, 3 .9 .1959 . 118 ZAH, B . 1/5, Bur . 262: Meta D ., Amst ., an SD, 31 .3 .1958 . 119 ZAH, B . 1/5, Bur . 262: SD an Norbert P ., Hann ., 2 .4 .1958 . 120 Der hannoversche Gemeindevorstand schrieb über Frau D ., über deren Fortgang er „nicht sehr traurig“ war: „Sie ist fleißig, ehrlich und energisch, und der einzige Fehler den sie hat ist der, da sie etwa zu streng im Amt war […] werdet es selbst merken, wenn ihr sie zur Probe […] einstellen wollt.“ ZAH, B . 1/5, Bur . 262: Norbert P . an SD, 8 .4 .1958 . 121 ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Kurzber . über Besuch v . Selma K . u . Ernst C . im JAR, 3 .9 .1959 . 122 ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Marie W . an Vorst . JAH, 9 .4 .1963: Kündigung . Unter den Bewerbern, die sich für ihre Nachfolge interessierten, befand sich u . a . das Heimleiterehepaar des jüdischen Altersheims in Neustadt, das sich für einen Wechsel seiner Arbeitsstelle entschieden hatte: ZAH, B . 1/6, Nr . 551: Egon u . Martha L ., Neustadt, an JAH, 6 .10 .1963 . 123 ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Aline H . an Norbert P ., 5 .6 .1959 . Ebenfalls waren auch „freie“ Schwestern des „Agnes-Karll-Verbands“ im Heim tätig: ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Schw . Lina R . an Norbert P ., 16 .5 .1956 . Auch die Heimleiterinnen waren meist keine Jüdinnen: ZAH, B . 1/6, Nr . 552: PMV JAH, 12 .4 .1956, S . 2 .

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Jahre übernahm im jüdischen Altersheim in Hannover  – wenn auch nur für einen Zeitraum von sechs Wochen – sogar eine katholische Caritasschwester den Posten der Heimleiterin .124 In den frühen 1960er Jahren stellte der Heimvorstand abermals eine nichtjüdische Heimleiterin ein, die allerdings keine konfessionelle Anbindung besaß . Da sie sich jedoch als Nichtjüdin „fehl am Platz“ fühlte, reichte sie letztlich die Kündigung ein, da ihrer Ansicht nach unbedingt eine Jüdin mit der Heimleitung betraut werden müsste .125 Es erwies sich demzufolge als große Hilfe für die jüdischen Altersheime, dass sich unter den im Laufe der 1950er und 1960er Jahre nach Deutschland zurückkehrenden Juden ebenfalls Krankenschwestern, Fürsorgerinnen und andere für die Altenbetreuung geeignete Personen befanden . Das Arbeitspensum des in der stationären Altersversorgung tätigen Personals, insbesondere dasjenige der Pflegerinnen, war – wie oben beschrieben – aufgrund des Personalmangels extrem hoch . Da in vielen Einrichtungen, wie ebenfalls bereits dargestellt, lediglich eine ausgebildete Krankenschwester die alleinige Zuständigkeit und Verantwortung für die Betreuung einer hohen Anzahl von Bewohnern besaß, gehörten sowohl lange Arbeitstage als auch Überstunden zum Alltag, der kaum Privatleben zuließ . Offiziell lagen die Arbeitszeiten der Schwester zwischen 8 Uhr am Morgen und 8 Uhr am Abend, abzüglich zwei Stunden Mittagspause .126 Laut der Anfang der 1950er Jahre erstellten „Arbeitseinteilung für die ständige Krankenschwester im Alten- und Erholungsheim ,Rosenau‘“ sollte diese jedoch jederzeit, d . h . ebenfalls in ihren Pausen, „für dringende Fälle zur Verfügung“ stehen .127 Über mangelnde Freizeit klagte 1956 z . B . auch eine im jüdischen Altersheim in Hannover tätige Schwester des „Agnes-Karll-Verbands“, die in vier Wochen lediglich drei freie Tage erhalten hätte und zudem selbst in ihrer Freizeit sowie in der Nacht „oft rausgeklingelt“ worden wäre . Da sie sich jedoch während ihrer Anwesenheit im Haus „verantwortlich“ fühlen würde, bräuchte sie, so ihre Forderung, zumindest einmal in 14 Tagen „eine ruhige Nacht“ .128 Während es in vielen Einrichtungen – v . a . mangels geeigneter Haushaltshilfen – üblich war, den Krankenschwestern ebenfalls hauswirtschaftliche Arbeiten zu übertragen, sollte diese Praxis in der „Rosenau“ hingegen „ausdrücklich“ unterlassen werden .129

ZAH, B . 1/6, Nr . 552: PMV JAH, 12 .4 .1956, S . 2 . ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Marie W . an Vorst . JAH, 9 .4 .1963 . Zudem erhielt sie pro Woche einen halben freien Tag sowie zwei freie Sonntage im Monat: ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD, Arbeitseinteilung für d . ständige Krankenschw . im Alten- u . Erholungsheim „Rosenau“, 11 .9 .1951 . 127 ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD, Arbeitseinteilung für d . ständige Krankenschw . im Alten- u . Erholungsheim „Rosenau“, 11 .9 .1951 . 128 ZAH, B . 1/6, Nr . 552: Schw . Lina R . an Norbert P ., 16 .5 .1956 . 129 ZAH, B . 1/5, Nr . 125: SD, Arbeitseinteilung für d . ständige Krankenschw . im Alten- u . Erholungsheim „Rosenau“, 11 .9 .1951 . 124 125 126

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Die langen Arbeitszeiten des Personals führten sowohl zu einer körperlichen und psychischen Überbelastung der Pflegerinnen als auch zur Gefahr einer pflegerischen Unterversorgung der alten Menschen . Dass dieses – in der gesamten deutschen Altenpflege bestehende – Problem in der Öffentlichkeit kaum Beachtung fand und selbst die Heimärzte sich wenig um die Belange des Pflegepersonals kümmerten, offenbart dessen äußerst niedriges Sozialprestige .130 Auch der Heimarzt der „Rosenau“ gab Anfang der 1950er Jahre zu, die Leistungen des Pflegepersonals bislang kaum beachtet zu haben . Vielmehr hätte er dem „Arbeitsgebiet der Krankenschwester“ „erst“ durch „Klagen von verschiedenen Seiten“, die aufgrund des Personalmangels eine unzureichende Betreuung der Bewohner befürchteten, mehr Aufmerksamkeit geschenkt .131 Dr . P . verwies daraufhin in einem Schreiben an den Heimträger auf die extreme Arbeitsbelastung der im Haus tätigen Schwester, deren Aufgaben „weit über das hinaus“ gehen würden, „was man einer einzigen Arbeitskraft zumuten“ könnte .132 Da sich die Situation in anderen Altersheimen ähnlich gestaltete und kaum eine Verbesserung zu erwarten war, litten fast alle Pflegerinnen unter dem enormen Arbeitspensum . Beim Großteil der Betroffenen führte die ständige körperliche und psychische Belastung zu gesundheitlichen Beschwerden, z . B . chronischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen .133 Dadurch erhöhte sich nicht nur die Anzahl der Fehlzeiten, sondern ebenfalls diejenige der krankheitsbedingten Kündigungen .134 Beispielsweise empfand auch eine Krankenschwester der „Rosenau“ ihre Tätigkeit als zu „große seelische Belastung, der ich nicht mehr gewachsen bin“ .135 Trotz ihrer Beliebtheit bei den Bewohnern und Mitarbeitern reichte sie ihre Kündigung ein, um wieder ihrer früheren, von ihr als weniger anstrengend empfundenen Arbeit als OP-Schwester nachgehen zu können .136 Eine 1966 für kurze Zeit im Haus beschäftigte 53-jährige Schwester,137 die ohnehin als „seelisch belastet und psychisch sehr labil“ beschrieben wurde, entschied sich nach einem Krankenhausaufenthalt letztlich sogar zu einer Rückkehr nach Israel zu ihren Angehörigen .138

130 Die Arbeit in der Altenpflege galt aufgrund negativer Altersbilder, der geringen Bezahlung sowie der Annahme, dass es sich um eine besonders anstrengende Tätigkeit handeln würde, als wenig attraktiv . Vgl . dazu ausführlich Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 318–321 . 131 Klagen kamen u . a . von der Heimleiterin, den Bewohnern sowie der betreffenden Schwester: ZAH, B . 1/5, Nr . 125: Dr . Gerd P . an SD, 20 .7 .1951; ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Marianne M . an SD, 13 .7 .1950 . 132 ZAH, B . 1/5, Nr . 125: Dr . Gerd P . an SD, 20 .7 .1951 . 133 So war u . a . auch eine Krankenschwester der „Rosenau“ „fast ununterbrochen krank“: ZAH, B .  1/5, Nr . 48: Aktenvermerk, 8 .2 .1966 . 134 ZAH, B . 1/5, Nr . 44: Kurzber . über Besuch v . Selma K . u . Ernst C . im JAR, 3 .9 .1959 . Vgl . auch Grabe: Die stationäre Versorgung (2016), S . 343, 345 . 135 ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Marianne M . an SD, 13 .7 .1950 . 136 ZAH, B . 1/5, Nr . 21: Marianne M . an SD, 13 .7 .1950; ZAH, B . 1/5, Nr . 21: SD, Zeugnis, 28 .8 .1950 . 137 ZAH, B . 1/5, Nr . 48: Ausweis über Erlaubnis zur berufsmäßigen Ausübung d . Krankenpflege, 25 .3 .1957 . 138 ZAH, B . 1/5, Nr . 48: Aktenvermerk, 8 .2 .1966 .

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Bereits kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs gründeten die jüdischen Überlebenden deutscher Herkunft in den westlichen Besatzungszonen die ersten jüdischen Gemeinden . Diese kümmerten sich aufgrund des vergleichsweise hohen Lebensalters der in Deutschland verbliebenen Juden schon früh um die Einrichtung jüdischer Altersheime . An deren Aufbau beteiligten sich neben den jüdischen Gemeinden ebenfalls die internationalen jüdischen Hilfsorganisationen sowie die Besatzungsmächte und später auch der deutsche Staat . Die jüdischen Altersheime in Essen-Werden und Hamburg konnten bereits in den ersten Nachkriegsjahren, d . h . noch unter Aufsicht der britischen Besatzungsmacht, eröffnet werden . Die Häuser in Hannover und Neustadt sowie das für ehemals rassisch Verfolgte nichtjüdischen Glaubens erbaute Altersheim in Bad Vilbel entstanden hingegen erst in den 1950er und 1960er Jahren, d . h . in der 1949 gegründeten Bundesrepublik . Als Träger der jüdischen Altersheime fungierten hauptsächlich jüdische Gemeinden, so auch im Falle der Häuser in Essen-Werden und Neustadt . Das 1953 gegründete „Jüdische Altersheim Hannover“ wurde in enger Anbindung an die hannoversche Gemeinde als gemeinnütziger Verein geführt . In Trägerschaft des „Evangelischen Hilfswerks in Hessen-Nassau“ befand sich das vorwiegend von Christen jüdischer Herkunft bewohnte „Altersheim Heilsberg“ . Alle vor dem Krieg existierenden jüdischen Altersheime waren durch die Nationalsozialisten sowie die Besatzungsmächte zerstört oder zweckentfremdet worden . Zum Teil konnte aber schon kurz nach Kriegsende eine Rückgabe der ehemaligen Heimgebäude an die neu gegründeten jüdischen Gemeinden erreicht werden . Zumeist befanden sich die Räumlichkeiten aber in einem mittlerweile stark renovierungsbedürftigen Zustand und mussten daher völlig neu – zumeist allerdings mit gebrauchten Möbeln – ausgestattet werden . Bei den Bewohnern der in dieser Studie untersuchten Einrichtungen handelte es sich ausschließlich um Juden und jüdischstämmige Christen deutscher Herkunft . Zu diesen gehörten die Überlebenden der nationalsozialistischen Konzentrationslager sowie Personen, die im Untergrund bzw . in einem Versteck der Deportation entronnen waren . Hinzu kamen die „Rückwanderer“, d . h . Juden oder rassisch verfolgte Christen,

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die bereits in den ersten Jahren nach Kriegsende aus dem ausländischen Exil freiwillig nach Deutschland zurückkehrten . Unter den „Rückwanderern“ befanden sich einerseits Personen, die durch eine frühzeitige Flucht ins Ausland ihrer Deportation und Ermordung hatten entgehen können, andererseits aber auch Überlebende, die erst nach Kriegsende ins Ausland ausgewandert waren . Obwohl sich die internationalen jüdischen Organisationen und selbst die neu gegründeten deutschen jüdischen Gemeinden anfangs gegen eine Rückkehr der jüdischen Exilanten aussprachen, mehrte sich deren Anteil seit Ende der 1940er Jahre auch in den jüdischen Altersheimen . So überwog insbesondere bei den älteren Remigranten – trotz negativer Erfahrungen – die Sehnsucht nach ihrer früheren Heimat gegenüber der Angst vor einem Leben im Land ihrer ehemaligen Verfolger . Nicht wenige Menschen nahmen – um ihren Lebensabend in Deutschland verbringen zu können – selbst noch in einem sehr hohen Alter die Strapazen eines erneuten Umzugs in Kauf . Aus diesem Grund stellten die „Rückwanderer“, darunter ebenfalls viele ehemals rassisch verfolgte Christen, spätestens seit Mitte der 1950er Jahre in den hier im Mittelpunkt stehenden Altersheimen schließlich sogar den größten Anteil der Bewohner . Die Interessenten für einen Heimplatz erfuhren vorwiegend aus der jüdischen Presse, von Bekannten oder den jüdischen Hilfsorganisationen bzw . den entsprechenden Institutionen für rassisch verfolgte Christen von den speziell für NS-Opfer errichteten Altersheimen . Zumeist bewarben sich die alten Menschen in schriftlicher Form direkt beim Heimträger oder der Heimleitung . Zu den Aufnahmevoraussetzungen der hier im Fokus stehenden Heime gehörten die jüdische Religion bzw . Abstammung, die deutsche Herkunft sowie der Verfolgtenstatus, die mit verschiedenen Dokumenten belegt werden mussten . Indem die Heimträger von den Bewerbern häufig eine detaillierte Schilderung der eigenen Verfolgungsgeschichte verlangten, finden in den untersuchten Quellen die Verbrechen des Nationalsozialismus bzw . die leidvollen Erfahrungen der Opfer wiederholt Erwähnung . In einigen jüdischen Heimen wurden anfangs ausschließlich Juden aufgenommen und somit selbst die nichtjüdischen Ehepartner von Heimanwärtern abgelehnt, so u . a . in der „Rosenau“ . Im Laufe der 1950er Jahre erfolgte jedoch eine Aufweichung dieser Vorgaben . Letztlich konnte schließlich nicht nur den nichtjüdischen Ehepartnern, sondern auch Nichtjuden bzw . Nichtverfolgten Aufnahme gewährt werden  – eine Aufnahmepraxis, für die sich das jüdische Altersheim in Neustadt schon von Beginn an, d . h . seit 1960, entschieden hatte . Das fast zeitgleich eröffnete „Altersheim Heilsberg“ betreute neben rassisch verfolgten Christen zu einem bestimmten Anteil ebenfalls Juden und Personen ohne Verfolgtenstatus . Spätestens in den 1970er Jahren entschieden sich letztlich aber alle der hier untersuchten Einrichtungen – v . a . durch die Abnahme der Bewerber aus dem Kreis der NS-Opfer – zur Aufnahme von Nichtjuden und Nichtverfolgten . Darüber hinaus standen nahezu alle Altersheime auswärtigen Gästen offen, u . a . Heimanwärtern, die vorerst nur probeweise im Haus leben wollten .

Zusammenfassung

Vor allem für alleinstehende ältere Menschen, die in Deutschland keine Verwandten mehr besaßen und sich nicht mehr zutrauten, ein eigenständiges Leben zu führen, erschien der Einzug in ein Altersheim, zumal dieses auch als Familienersatz fungierte, häufig als beste Lösung . Die speziell für NS-Opfer errichteten Heime gewannen zusätzlich an Attraktivität, indem sie den ehemals Verfolgten ein Zusammenleben mit Menschen ermöglichten, die ein ähnliches Schicksal teilten sowie derselben Religion angehörten wie sie selbst . Dabei diente das Heim gleichfalls als Schutz vor der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft, die noch immer nicht frei von antisemitischen Einstellungen war . Aus diesem Grund bestand anfangs nur wenig Kontakt zur deutschen Bevölkerung, wohingegen zwischen den Heimbewohnern und den jüdischen Gemeinden ein regelmäßiger Austausch herrschte . Der starke Zusammenhalt der deutschen Juden stellte somit auch für die im Heim lebenden Menschen jüdischen Glaubens eine erhebliche Unterstützung dar . Das Zusammenleben von Verfolgten und Nichtverfolgten barg zwar viel Konfliktpotential; in den hier untersuchten Einrichtungen erfolgte jedoch eine genaue Überprüfung der nichtjüdischen bzw . nicht rassisch verfolgten Bewerber . Aus diesem Grund scheinen diesbezügliche Konflikte eher eine Ausnahme gewesen zu sein . Teilweise wird das spannungsreiche Verhältnis zur nichtjüdischen Tätergesellschaft im Quellenmaterial aber auch nur indirekt, „zwischen den Zeilen“ sichtbar . Einzelne Heimbewohner fühlten sich aber nicht nur von ihren nicht von Verfolgung betroffenen Mitmenschen, sondern sogar vom Heimpersonal sowie den Mitbewohnern diskriminiert, selbst wenn diese mit ihnen ein ähnliches Verfolgungsschicksal teilten . Vor allem psychisch traumatisierte NS-Opfer zeigten nicht selten ein extrem defensives, kritisches Verhalten und deutliche Ansätze von Verfolgungswahn . Beispielsweise vermuteten sie hinter jeder Handlung ihrer Mitmenschen einen Angriff auf ihre Person bzw . ihr „Jüdischsein“ . Dabei beriefen sie sich explizit auf ihren Opferstatus, den sie häufig aber ausschließlich für sich selbst beanspruchten, während sie das Schicksal ihrer Mitbewohner völlig ignorierten . Das auffällige Sozialverhalten und die ständigen Beschwerden lassen sich in den meisten Fällen als eine der unmittelbaren psychischen Wirkungen der jahrelangen Verfolgung interpretieren . Betroffen waren insbesondere die Überlebenden der Konzentrationslager, zugleich aber auch Personen, die der Deportation durch die rechtzeitige Flucht ins Ausland entgangen waren . Da sich schwere Traumata oft erst Jahre oder sogar Jahrzehnte nach der Verfolgung in Form psychischer Spätschäden manifestierten, konnten noch in den 1960er und 1970er Jahren, d . h . innerhalb des Untersuchungszeitraums, bei vielen Altersheimbewohnern psychische Auffälligkeiten festgestellt werden . Innerhalb des deutschen Fachdiskurses zur Altenpflege fanden die Spätschäden der Verfolgung hingegen erst ab Ende der 1960er Jahre breitere Aufmerksamkeit . Dass die meisten Opfer nationalsozialistischer Verfolgung zudem unter körperlichen, vielfach chronischen Beschwerden und z . B . einer vorzeitigen Alterung litten, war weniger leicht zu übersehen . Auch die Bewohner der in dieser Untersuchung genannten Altersheime befanden sich teilweise in einer schlechten

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gesundheitlichen Verfassung, die nicht nur auf ihr hohes Lebensalter zurückzuführen war, sondern ebenfalls im Zusammenhang mit ihrer Verfolgungsgeschichte bzw . ihrer Lagerhaft stand . Obwohl sich viele NS-Opfer aus diesem Grund schon als unter 65-Jährige in einem Altersheim bewarben, wies ein bemerkenswert großer Teil der Heimbewohner, darunter selbst Überlebende der Konzentrationslager, ein auffallend hohes Lebensalter auf . Dabei lag nicht nur das Durchschnittsalter der bereits im Haus lebenden Menschen, sondern ebenfalls das Eintrittsalter häufig bei über 70 Jahren . Die ältesten Bewohnerinnen waren sogar schon weit über 80 Jahre alt . Anders als viele andere Altersheime standen die hier untersuchten Einrichtungen zwar allen Geschlechtern offen, sie betreuten aber – wie der Großteil der deutschen Heime – weitaus mehr Frauen als Männer, darunter viele Witwen . Teilweise lag der Anteil der Bewohnerinnen sogar bei über 80 Prozent . Begründet lag dies u . a . in der durchschnittlich höheren Lebenserwartung von Frauen . So kehrten viele Jüdinnen nach dem Tod ihrer Ehemänner aus dem Exil nach Deutschland zurück . Zudem hatten für die sich in einer „Mischehe“ mit einem Nichtjuden befindenden Jüdinnen auch im Konzentrationslager weitaus bessere Überlebenschancen bestanden als für die jüdischen Ehemänner nichtjüdischer Frauen . Für den Heimalltag und v . a . für das Wohlbefinden der alten Menschen kam der Atmosphäre innerhalb der Hausgemeinschaft eine tragende Bedeutung zu . Beeinflusst wurde sie u . a . durch die Persönlichkeit, das Verhalten, das Herkunftsmilieu sowie die Religion der Bewohner und Mitarbeiter . Insbesondere die Häuser in konfessioneller Trägerschaft unterlagen einer religiösen Prägung . Das Milieu der jüdischen Altersheime war von der jüdischen Religion und Kultur geprägt, die sich jedoch nach Kriegsende erst nach und nach rekonstituieren musste . In den untersuchten Quellen findet das Judentum vorwiegend in Verbindung mit den jüdischen Feiertagen Erwähnung, wohingegen z . B . die im Heim gewährleistete Seelsorge und die hauseigenen Gottesdienste nur am Rande thematisiert werden . Die Bewohner der hier im Fokus stehenden jüdischen Heime fühlten sich überwiegend dem liberalen Judentum zugehörig und hatten vor dem Krieg nicht religiös gelebt . Auch hatten sie sich v . a . als „Deutsche“ gefühlt, die sich lediglich durch ihren jüdischen Glauben von ihren christlichen Mitbürgern unterschieden . Nach dem Holocaust kam dem Bekenntnis zum Judentum für viele Überlebende jedoch eine wichtige identitätsstiftende Bedeutung zu, die über das rein Religiöse weit hinausging . Als wichtige Unterstützung nahmen die alten Menschen z . B . auch den regelmäßigen Austausch mit den jüdischen Gemeinden wahr, deren Mitglieder regelmäßig und v . a . an den jüdischen Feiertagen in den Altersheimen zu Gast waren . Zusätzlich organisierten die jüdischen Gemeinden bzw . die Heimträger zusammen mit den Heimleitungen regelmäßig Freizeitaktivitäten wie Ausflüge und Konzerte für die Bewohner . Darüber hinaus bemühten sie sich spätestens in den ausgehenden 1960er Jahren um mehr Kontakte zwischen den Heimbewohnern und der „Außenwelt“, d . h . der nichtjüdischen Bevölkerung . Die Existenz jüdischen Lebens geriet ebenfalls durch die Einweihungsfeiern der neu erbauten jüdischen Altersheime

Zusammenfassung

in den Fokus der nichtjüdischen Öffentlichkeit . Indem an den Feierlichkeiten wichtige Vertreter aus Politik und Gesellschaft teilnahmen, erschienen in der regionalen nichtjüdischen Presse ausführliche Berichte, in denen u . a . die Täterschaft bzw . die Schuld der Deutschen zur Sprache kam . Trotz der Besinnung auf ihre jüdische Identität verzichteten die Altersheime häufig auf die Einhaltung der jüdischen Speisevorschriften, u . a . die Häuser in Neustadt und Essen-Werden sowie anfänglich auch das hannoversche Heim . Schweinefleisch wurde aber in keiner der hier untersuchten jüdischen Einrichtungen verarbeitet . Der Vorstand des Altersheims in Hannover entschied sich Mitte der 1960er Jahre jedoch für eine mit hohen Kosten verbundene komplette Umstellung auf eine streng koschere Verpflegung . Die damit einhergehende Orientierung am orthodoxen Judentum erfolgte jedoch weniger auf Wunsch der hannoverschen Gemeinde als vielmehr auf äußeren Druck, v . a . von Seiten der internationalen jüdischen Organisationen . Die Beerdigung verstorbener Heimbewohner jüdischen Glaubens erfolgte nach dem jüdischen Bestattungsritus auf einem jüdischen Friedhof, wobei die Gemeinde sich um den Rabbiner und den Kantor sowie um die Chewra Kaddischa kümmerte . Zu den Aufgaben der Heimträger gehörten ebenfalls die Verwaltung des Nachlasses von Bewohnern und die Ermittlung der Erben . Bis in die späten 1950er Jahre gestaltete sich die finanzielle Situation der Überlebenden fast immer sehr schlecht . Obwohl bereits in den ersten Nachkriegsjahren verschiedene Unterstützungsmaßnahmen für NS-Opfer existierten, die diesen z . B . den Aufenthalt in einem Altersheim ermöglichten, trat zumeist erst in den 1950er Jahren eine Besserung ein . Eine entscheidende Rolle spielte dabei das „Bundesentschädigungsgesetz“ von 1956, das rückwirkend zum 1 . Oktober 1953 in Kraft trat . Diesem Gesetz zufolge konnten die Opfer der nationalsozialistischen Diktatur u . a . einen Gesundheitsschaden oder ihr Recht auf eine Haftentschädigung geltend machen . Die Auszahlung erfolgte z . B . in Form einer Rente oder eines einmaligen finanziellen Zuschusses . Den aus dem Ausland zurückkehrenden Deutschen jüdischer Religion bzw . Herkunft stand zusätzlich eine „Emigranten-Soforthilfe“ zu . Obwohl der Großteil der Bewohner jüdischen Glaubens bzw . jüdischer Abstammung Anspruch auf eine Entschädigung besaß, kam es immer wieder zur Ablehnung von Anträgen sowie zu langen Verzögerungen, die v . a . für alte Menschen eine zusätzliche Belastung darstellten . Verstarben Heimbewohner noch vor der Bewilligung ihres Entschädigungsantrags, profitierten erst deren Erben von den Zahlungen, mit denen u . a . die Bestattungskosten gedeckt werden konnten . Die jüdischen Heimträger befanden sich innerhalb des gesamten Untersuchungszeitraums in einer ähnlich schwierigen finanziellen Lage wie die Heimbewohner . Daher waren sie nicht nur beim Bau und der Ausstattung, sondern ebenfalls bei der Aufrechterhaltung des Heimbetriebs nahezu durchgehend auf Zuschüsse angewiesen . Diese kamen sowohl von Seiten der internationalen, vorwiegend jüdischen Hilfsorganisationen als auch vom deutschen Staat bzw . den jeweiligen Landesregierungen .

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Die zumeist unter einer gleichermaßen angespannten Finanzlage leidenden nichtjüdischen Einrichtungen wie das evangelische „Altersheim Heilsberg“ profitierten ebenfalls von staatlichen Geldern und den Zuwendungen der Heimträger . Trotz aller Zuschüsse gestaltete sich die wirtschaftliche Situation einiger jüdischer Häuser aber so problematisch, dass zumindest die finanziell bessergestellten Bewohner zur regelmäßigen oder einmaligen Abgabe zusätzlicher Geldbeträge verpflichtet wurden . Umgekehrt gewährten die meisten Heime ihren weniger begüterten Bewohnern individuell festgelegte Ermäßigungen sowie ein zusätzliches Taschengeld . Alle hier untersuchten Einrichtungen beschäftigten mindestens eine ausgebildete Krankenschwester, die teilweise zugleich die Heimleitung übernahm . Gleichermaßen häufig bekamen examinierte Fürsorgerinnen diese Aufgabe übertragen . Gemäß der christlichen und jüdischen Pflegetraditionen, die sich in ihren Grundzügen nur wenig voneinander unterscheiden, lag die pflegerische Betreuung der Bewohner in allen in dieser Untersuchung genannten Einrichtungen in den Händen des weiblichen Personals . Die wenigen männlichen Mitarbeiter waren u . a . als Hausmeister, in der Verwaltung sowie in den Heimvorständen tätig . Zur Gewährleistung einer umfassenden medizinischen Betreuung verfügten die meisten Heime zudem über einen regelmäßig im Haus anwesenden jüdischen oder auch christlichen Heimarzt . Die Mitte der 1950er Jahre im Altersheim der Düsseldorfer Gemeinde eingestellte Ärztin, bei der es sich ebenfalls um eine „Rückwanderin“ handelte, erhielt sogar eine Wohnung im Heimgebäude . Durch die stetig zunehmende Anzahl pflegebedürftiger Heimbewohner machte sich der Mangel an qualifiziertem Pflegepersonal auch in den hier im Fokus stehenden Einrichtungen immer stärker bemerkbar . Trotz zahlreicher Versuche zur Anwerbung von Pflegekräften sowie des Einsatzes von Hilfskräften und – von den Bewohnern selbst finanzierten – „Privatpflegerinnen“ ließ sich das Problem letztlich nicht beheben . Während im evangelischen „Altersheim Heilsberg“ v . a . christliches Personal beschäftigt wurde, erfolgte in den jüdischen Heimen die Bevorzugung von Mitarbeitern jüdischen Glaubens . Bei diesen handelte es sich wie bei den Bewohnern vorwiegend um Remigranten . Dass viele der aus dem Ausland zurückgekehrten Jüdinnen ein Alter von über 40 aufwiesen, korrespondierte mit dem Ideal der älteren, „reiferen“ Altenpflegerin und Heimleitung, die sich vorgeblich besonders gut in die Situation alter Menschen hineinversetzen könnte . Insbesondere für die Betreuung der vielfach traumatisierten NS-Opfer erwies sich die Beschäftigung von Personen, die ein ähnliches Verfolgungsschicksal besaßen wie die von ihnen betreuten alten Menschen, als großer Vorteil . Obwohl die gesamte deutsche Altenpflege mit einem großen Mangel an Personal zu kämpfen hatte, waren die jüdischen Heime aufgrund der geringen Anzahl der in Deutschland lebenden jüdischen Pflegerinnen und Fürsorgerinnen besonders stark betroffen . Folglich mussten die jüdischen Heime wiederholt auf nichtjüdische Mitarbeiter zurückgreifen . Anders als bei Pflege und Leitungspersonal schien dies beim

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Haus- und Küchenpersonal kein Problem für die Heimträger zu sein . Zumeist erwies sich aber auch der Einsatz nichtjüdischer bzw . christlicher Pflegekräfte als unkompliziert, zumal der Großteil der in dieser Studie untersuchten jüdischen Altersheime ohnehin nicht rituell geführt wurde . Zudem bestand zwischen den Heimen und den jüdischen Gemeinden ein sehr enger Kontakt, so dass z . B . die seelsorgerische Betreuung der Bewohner durch einen Rabbiner zu jeder Zeit gewährleistet werden konnte und alle Häuser über einen Gebetsraum verfügten . Wie der Großteil der deutschen Altersheime besaßen die hier im Fokus stehenden Einrichtungen nicht genug personelle und räumliche Kapazitäten zur Versorgung pflegebedürftiger alter Menschen . Bewerber, die auf eine umfassendere medizinische Betreuung angewiesen waren, erhielten somit fast immer eine Absage . Lediglich Bewohner, die erst im Laufe ihres Aufenthalts pflegebedürftig wurden, durften zumeist so lange wie möglich im Heim verbleiben . Teilweise gelang zur Entlastung die zusätzliche Rekrutierung externer, d . h . nicht zum Heimpersonal gehörender „Privatpflegerinnen“ . Diese übernahmen v . a . die Versorgung pflegebedürftiger Bewohner, die für diese Extra-Leistung jedoch die vollen Kosten tragen mussten . Im Laufe der 1960er Jahre entschieden sich schließlich – aufgrund der deutlichen Zunahme pflegebedürftiger Heimanwärter und -bewohner – zwar immer mehr Altersheime für die Einrichtung einer Pflegestation, die Verlegung in ein Pflegeheim oder Krankenhaus ließ sich aber trotz aller Bemühungen nicht immer vermeiden . Die Bewohner wurden dadurch jedoch nicht nur aus ihrer gewohnten Umgebung, sondern ebenfalls aus der als Schutz empfundenen, vorwiegend aus NS-Opfern bestehenden Heimgemeinschaft gerissen . Darüber hinaus gestaltete sich v . a . für gläubige Juden der Aufenthalt in einer von christlichen Traditionen geprägten Einrichtung nicht einfach . Folglich bemühten sich viele Juden, die z . B . aus Mangel an jüdischen Altersheimen vorerst in einem christlichen Haus Unterkunft gefunden hatten, so schnell wie möglich um einen Wechsel in eine jüdische Einrichtung, wo sie ihren Lebensabend in einem von jüdischen Traditionen geprägten Heimmilieu verbringen konnten . Zwischen den hier untersuchten, vorwiegend für NS-Opfer errichteten Altersheimen und den fast ausschließlich von Nichtverfolgten bewohnten Einrichtungen lassen sich sowohl zahlreiche Gemeinsamkeiten als auch deutliche Unterschiede feststellen . Gemeinsamkeiten bestanden u . a . in den grundlegenden Strukturen des Heimbetriebs, der pflegerischen und medizinischen Versorgung, der Altersstruktur sowie dem hohen Frauenanteil unter den Bewohnern und Mitarbeitern . Gleichermaßen ähnlich gestalteten sich die Freizeitangebote und die fast immer schlechte finanzielle und personelle Situation der Heimträger . Indem die Träger im regelmäßigen Austausch mit den Heimleitungen standen, besaßen sie einen nicht unerheblichen Einfluss auf das Heimmilieu, v . a . auf dessen religiöse Ausprägung . In der Religion, d . h . den jüdischen Feiertagen, Ritualen und Gebräuchen, zeigen sich auch die am deutlichsten sichtbaren Differenzen zu den nichtjüdischen bzw . christlichen Altersheimen . In Hannover un-

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terlag ebenfalls die Verpflegung – durch die Mitte der 1960er Jahre erfolgte Umstellung auf eine streng koschere Küche – den religiösen Traditionen . Im Unterschied zu den nicht von NS-Opfern bewohnten Altersheimen war der Alltag in den untersuchten Einrichtungen – zumindest unterschwellig – stark vom Verfolgungsschicksal der Bewohner geprägt . Deutlich wird dies u . a . in den oft komplizierten Beziehungen der ehemals Verfolgten zu ihren Mitmenschen, insbesondere zur nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft . Mit Rücksicht auf die vielfach schwer traumatisierten alten Menschen verfügten die Altersheime für die Opfer der nationalsozialistischen Diktatur z . B . über weitaus weniger rigide Heimordnungen als andere deutsche Heime . Dass nahezu alle in dieser Studie genannten Häuser vorwiegend Einzel- und Doppelzimmer aufwiesen, zählte in der zeitgenössischen stationären Altersversorgung ebenfalls nicht zum Standard . Dies gilt in gleicher Weise für die Ausstattung der in den 1950er und 1960er Jahren neu erbauten Heime, die den Idealvorstellungen der zeitgenössischen Altersfürsorge entsprachen .

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Abkürzungen Fußnoten

Abt . = Abteilung AH = Altersheim AHH = Altersheim Heilsberg Akt .-Ges . = Aktien-Gesellschaft allg . = allgemein Am . = American Amst . = Amsterdam AOK = Allgemeine Ortskrankenkasse ärztl . = ärztlich AWJ = Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland Bad H . = Bad Homburg Bad V . = Bad Vilbel bayr . = bayerisch BEG = Bundesentschädigungsgesetz Ber . = Bericht Bes . = Besichtigung Bespr . = Besprechung Betr ./betr . = Betreff/betreffs Bew . = Bewohner Braun . = Braunschweig BRD = Bundesrepublik Deutschland CCBZ = Central Committee/Zentralkomitee der befreiten Juden der britischen Zone CJC = Central Jewish Committee d . = der, die, das, des Darm . = Darmstadt DDR = Deutsche Demokratische Republik Dir . = Direktor DM = Deutsche Mark DRK = Deutsches Rotes Kreuz dt . = deutsch Düss . = Düsseldorf DW = Diakonisches Werk

EKHN = Evangelische Kirche in Hessen und Nassau Ent . = Entwurf ev . = evangelisch Fa . = Firma Frankf . = Frankfurt/Main Frankr . = Frankreich Frl . = Fräulein GB = Gesundheitsbehörde GDHN = Gesellschaft für Diakonische Einrichtungen in Hessen und Nassau Gem . = Gemeinde GNGBN = Gemeinschaft d . durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen Niedersachsen e . V . Ham . = Hamburg Hann . = Hannover HL = Heimleitung/Heimleiter HNG = Härtefonds für rassisch Verfolgte nicht jüdischen Glaubens HNGB = Hilfsstelle für die von den Nürnberger Gesetzen Betroffenen nicht jüdischen Glaubens HO = Hausordnung HSH = Henrietta-Szold-Heim, Kinderferienheim HW = Hilfswerk HWNGB = Hilfswerk für die von den Nürnberger Gesetzen Betroffenen nicht jüdischen Glaubens IM = Innenministerium JAH = Jüdisches Altersheim Hannover JAN = Jüdisches Altersheim/Elternheim der Rheinpfalz, Neustadt JAR = Jüdisches Altersheim Rosenau

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Abkürzungen Fußnoten

Jer . = Jerusalem JGH = Jüdische Gemeinde Hannover JKR = Jüdische Kultusgemeinde der Rheinpfalz, Neustadt Joint = American Jewish Joint Distribution Committee JTC = Jewish Trust Corporation for Germany jüd . = jüdisch KH = Krankenhaus KZ = Konzentrationslager LAW = Landesamt für Wiedergutmachung LF = Landesfürsorgestelle Lon . = London LV = Landesverband Min . = Minister Mitgl . = Mitglieder MNNGB = Mitteilungsblatt der Notgemeinschaft der durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen mögl . = mögliche Mü . = München MV = Mitgliederversammlung Nds . = Niedersachsen NRW = Nordrhein-Westfalen o . D . = ohne Datum o . J . = ohne Jahr o . M . = ohne Monat o . N . = ohne Namensangabe

PMV = Protokoll der Mitgliederversammlung prakt . = praktisch Präs . = Präsident RA = Rechtsanwalt Rheinl . = Rheinland RM = Reichsmark RP = Regierungspräsident RV = rassisch Verfolgte Schw . = Schwester SD = Synagogengemeinde Düsseldorf städt . = städtisch TB = Tätigkeitsbericht u . = und v . = von Verb . = Verband Vertr . = Vertrag Verw . = Verwaltung Vorst . = Vorstand WB = Wiedergutmachungsbehörde Wies . = Wiesbaden WJC = World Jewish Congress z . H . = zu Händen z . Zt . = zur Zeit ZNGB = Zentralverband der durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen e . V . zw . = zwischen ZWST = Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland

Obwohl sich der Großteil der jüdischen Überlebenden für die Auswanderung entschied, verblieb eine kleine Anzahl deutscher Juden im Land ihrer Verfolger – darunter viele ältere Menschen. In einigen westdeutschen Städten kam es daher bereits kurz nach Kriegsende nicht nur zur (Neu-)Gründung jüdischer Gemeinden, sondern auch zur Einrichtung jüdischer Altersheime. Diese boten sowohl den Überlebenden der Konzentrationslager als auch den aus der Emigration zurückgekehrten älteren Menschen Unterkunft. Nina Grabe unterzieht die Situation der Heime und der dort lebenden alten

Menschen erstmals einer näheren Betrachtung: Wie gestalteten sich der Heimalltag und die Aufnahmemodalitäten? In welcher Weise wirkte sich die Verfolgungsgeschichte der Bewohner auf ihre körperliche und psychische Gesundheit sowie auf das Zusammenleben und die Beziehungen zu den Mitbewohnern und dem Personal aus? Legten die Heim-Leitungen Wert auf die Einhaltung religiöser Bräuche und Speisevorschriften? Wie konnte vor dem Hintergrund des allgegenwärtigen Mangels an Pflegepersonal die pflegerische und medizinische Betreuung der Heimbewohner gewährleistet werden?

ISBN 978-3-515-12990-9

www.steiner-verlag.de

9 783515 129909

Franz Steiner Verlag