Eigentum und Sozialhilfe: Die eigentumstheoretischen Grundlagen des Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt gem. § 11 Abs. 1 BSHG nach der Privatrechtslehre Immanuel Kants [1 ed.] 9783428484690, 9783428084692


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German Pages 246 Year 1995

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Eigentum und Sozialhilfe: Die eigentumstheoretischen Grundlagen des Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt gem. § 11 Abs. 1 BSHG nach der Privatrechtslehre Immanuel Kants [1 ed.]
 9783428484690, 9783428084692

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GERALD SÜCHTING

Eigentum und Sozialhilfe

Hamburger Rechtsstudien herausgegeben von den Mitgliedern des Fachbereichs Rechtswissenschaft I der Universität Harnburg Heft 86

Eigentum und Sozialhilfe Die eigentumstheoretischen Grundlagen des Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt gern. § 11 Abs. 1 BSHG nach der Privatrechtslehre Immanuel Kants

Von

Gerald Süchting

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung der Universität Harnburg

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Süchting, Gerald: Eigentum und Sozialhilfe : die eigentumstheoretischen Grundlagen des Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt gern. § 11 Abs. 1 BSHG nach der Privatrechtslehre Immanuel Kants I von Gerald Süchting. - Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Hamburger Rechtsstudien ; H. 86) Zugl.: Hamburg, Univ., Diss., 1995 ISBN 3-428-08469-1 NE: GT

Dem Hamburger Seminar für Rechtsphilosophie gewidmet.

Alle Rechte vorbehalten © 1995 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0072-9590 ISBN 3-428-08469-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

9

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

II

A. Das geltende Recht der Hilfe zum Lebensunterhalt im Verhältnis zur Eigentumsgarantie ................................................... . ........................ . .

19

I. Die geschichtliche Entwicklung hin zum BSHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

II. Die Anspruchsvoraussetzungen der Hilfe zum Lebensunterhalt gern. § II I 1 BSHG ... .. ..... . . . ... ... . . ... . ........ . ...... .... . .. ........ . ......... . . . ... ..

23

1. Leistungshöhe .. . .. .. . .. .. . .. .. . . .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. . .. . .. . .. .. . . .. .. .. .

24

2. Grundsätze der Sozialhilfeleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

3. Allgemeine Grundsätze des Sozialrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

4. Verfassungsrechtliche Einordnung der Hilfe zum Lebensunterhalt . . . . . . . . . .

34

5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

III. Eigentumsbegriff und Eigentumsschutz von subjektiven öffentlichen Rechten . .

44

1. Der Eigentumsbegriff aus verfassungsgerichtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

a) Der Eigentumsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

b) Instituts- und Bestandsgarantie . .. .. .. .. .. . . . .. .. .. . . . .. .. .. .. .. . . .. .. . ..

48

c) Eigentumsgegenstand. . ................... . ....................... . .....

50

d) Sozialpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

e) Verstärkter Vertrauensschutz für die Eigentümerposition . . . . . . . . . . . . . . . .

54

f) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Eigentumsschutz subjektiver öffentlicher Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

a) Die Position des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

b) Kritik an den Kriterien des Bundesverfassungsgerichts und Darstellung der Kontroverse um den Eigentumsschutz subjektiver öffentlicher Rechte ........... .. .. ..... ................. .. ......................... .. .....

62

aa) Kein subjektives öffentliches Recht habe Eigentumsqualität, auch nicht die vennögenswerten und erst recht nicht der Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt .. . .. .. . . . . .. . .. . . .. . . .. .. .. . .. .. .. . .. . ..

62

bb) Einige der vennögenswerten subjektiven öffentlichen Rechte unterfallen der Eigentumsgarantie, jedoch nicht der Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

6

Inhaltsverzeichnis cc) Alle vermögenswerten subjektiven öffentlichen Rechte unterfallen der Eigentumsgarantie, auch der Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt................................ . .... . ................. .. .....

73

3. Grundlage: Definition des Eigentumsbegriffs, ausgehend vom Standpunkt des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Zusammenfassende Problemformulierung

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B. Der vorpositive Begründungszusammenhang von Eigentum und Sozialhilfe . . . . . . . . .

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I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Zur Rechtslehre Kants . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

2. Die Modalkategorien in der Privatrechtstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

II. Die praktische Möglichkeit des Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Die Modalkategorie der Möglichkeit....

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a) ... in der Erkenntnistheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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b)

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00.

und in der praktischen Philosophie

2. Der Rechtsbegriff der Person

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a) Erkenntnistheoretische Einführung in den Personenbegriff . . . . . . . . . . . . . .

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aa) Das empirische Selbstbewußtsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

bb) Das reine Selbstbewußtsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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cc) Das Ich-an-sich .

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dd) Die Einheit des Erkenntnissubjekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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b) Der Grundsachverhalt des Rechts: Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

aa) Die Möglichkeit, die Idee der Freiheit zu denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 bb) Freiheit als Prinzip menschlichen Handeins-Das reine praktische 102 Subjekt . 00

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cc) Die Eigenständigkeit des Rechts gegenüber der Moral (und die einheitliche Fundierung beider in der Idee der Freiheit) . . . . . . . . . . . . . . . . 108 dd) Freiheit als rechtsphilosophischer Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 (1) Regulativ, nicht konstitutiv

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(2) Das ursprüngliche Menschenrecht der Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 ee) Das Rechtsverhältnis im allgemeinen und im strikten Sinne . . . . . . . . 113 ff) Der Andere im Recht

3. Der Eigentumsgegenstand

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a) Einleitung und Darstellungsziel

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b) Erkenntnistheoretische Einführung: Phänomena und Noumena . ......... 119

Inhaltsverzeichnis

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c) Der Gegenstand im Rechtsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 aa) Der äußere Gegenstand: Sachen i. S. d. § 90 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 bb) Der innere Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 (1) Das "geistige" Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 (2) Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 (a) Forderung aus Rechtsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 (b) Forderungen aus Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 (aa) Gesetzliche Forderungen zwischen Privaten . . . . . . . . . . 129 (bb) Gesetzliche Forderungen der verfaßten Allgemeinheit gegen Private . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 (cc) Forderungen Privater gegen den Staat . . . . . . . . . . . . . . . . 130 (dd) Abgrenzung zur Konzession . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 (3) § 11 Nr. 1 S. 1 BSHG ist formell identisch mit sonstigen Ansprüchen des Forderungseigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 4. Die rechtliche Zuordnung: Die Herrschaft der Person über den Gegenstand . 133 a) Einleitung und Darstellungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 b) Die Möglichkeit rechtlicher Herrschaft über Gegenstände, § 2 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 c) Die Intelligibelität der rechtlichen Zuordnung, §§ 6 und 7 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 aa) Die Deduktion des intelligibelen Besitzes, § 6 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 bb) Anwendung der Kategorie ,;ntelligibeler Besitz" auf einen Gegenstand des positiven Rechts,§ 7 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre . . 139 d) Vorläufige und gesicherte Gegenstandsherrschaft im Übergang vom Natur- zum bürgerlichen Zustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 5. Schlußbemerkung zur Möglichkeit des Eigentums und Vorformulierungen zum Sozialrechtsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 a) Schlußbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 b) Vorformulierungen zum Sozialrechtsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

lli. Freiheitsverwirklichung in der Gegenständlichkeit- Erwerb und Gebrauch . . . . 147 1. Einleitung und Darstellungsziel.......... . ..... ... . ....................... . . 147

2. Die Modalkategorie der Wirklichkeit... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 a) ... in der theoretischen Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 b) ... und in der praktischen Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 3. Ursprünglicher und abgeleiteter Erwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

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Inhaltsverzeichnis b) Der ursprüngliche Erwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 c) Der abgeleitete Erwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 4. Der Vernunfttitel des Erwerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 5. Die Dynamik des Eigentums in der bürgerlichen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . 159 IV. Die Notwendigkeit der Eigentumsregulation am Beispiel der Sozialhilfe . . . . . . . 165 1. Einleitung und Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 2. Die Modalkategorie der Notwendigkeit... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 a) ... in der theoretischen Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 aa) Formallogischer Begriff der Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 bb) Die "Realnotwendigkeit" .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 b) ... und in der praktischen Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 3. Die Notwendigkeit des Eigentums und des Erwerbs - Ausschluß einer eigentumslosen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 4. Rechtsphilosophische Rekonstruktion der Begriffe Bedürftigkeit und Hilfe

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a) Der Begriff der Bedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 aa) . . . als individuelle Not . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 bb) ... und als intersubjektiver Mangel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 b) Der Begriff der Hilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 aa) Die private Hilfspflicht in positivgesetzlichen Ausformungen . . . . . . 182 bb) Der Staat als Garantengemeinschaft, !.Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 5. Vier Aspekte der Staatspflicht zur Hilfe zum Lebensunterhalt . . . . . . . . . . . . . . . 185 a) 1. Aspekt: Das allgemeine Rechtsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 b) 2. Aspekt: Das Recht aufTeilhabe im ursprünglichen Gesamtbesitz . . . . . 191 c) 3. Aspekt: Teilhaberecht am Obereigentum des Volkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 d) 4. Aspekt: Verteilungsgerechtigkeit im bürgerlichen Zustand . . . . . . . . . . . . 202 aa) Die Möglichkeit des Gegenstandsbesitzes im Rechtsverhältnis: Ausgleichende Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 bb) Die Wirklichkeit des Besitzes der Gegenstände : Tauschgerechtigkeit . .. . ... .. . .. . . ..... ....... . . . . . . .. ... . .... . .. ...... . . . . . . . .. . .. . 207 cc) Die Notwendigkeit des Besitzes von Gegenständen: Verteilungsgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 (1) Jede Person muß Teil an den Gegenständen haben, derer sie zum Dasein als eines soziokulturell-biologischen Mangelwesens bedarf (Grundbedürfnisbefriedigung eines jeden) . . ... . ... 210

(2) Jeder Person sind gleiche Möglichkeiten zum Gegenstandserwerb zu eröffnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211

Inhaltsverzeichnis

9

(3) Im bürgerlichen Zustand sind Einrichtungen und Verfahren bereitzustellen, die Punkt Eins und Zwei regulativ nach Maßgabe der öffentlichen Gerechtigkeit verwirklichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 dd) Die Pflicht des Staates zur Hilfe zum Lebensunterhalt, Garantengemeinschaft 2.Teil.. . .................... . ..... . ... .. ........ .. ... . .. 212 V. Zusammenfassung: Die Eigentumsqualität des Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt im vorpositiven Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 C. Methodologische Schlußbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 I. Die methodologische Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 Il. Dialektische Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 1. Auslegungen zu § 2 der Grundlinien der Philosophie des Rechts . . . . . . . . . . . . 224 2. Auslegungen zu § 31 der Grundlinien der Philosophie des Rechts . . . . . . . . . . . 228 Ill. Auslegung des Art.14 Abs.l S. 1 GO nach der dialektischen Methode . . . . . . . . . . 230 1. Methodologischer Standpunkt des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . 230 2. Auslegung des Art.14 Abs.l S. 1 GO nach der dialektischen Methode i.S. Hegels ................. . .. .. ............ . ....... . .. . .... . .. . ........ . .... . . 233 a) Auslegung nach dem Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 b) Auslegung nach der Teleologie . . . . . . . .. . . . . . .. . . . . . .. .. . . . .. . . . . . . .. . .. 235 c) Auslegung nach dem System ............... .. ................... . .... .. 235 d) Auslegung nach der Normgeschichte . .. . . . .. . .. . .. . .. .. . .. . . . .. . .. . .. . . 237 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240

Einleitung 1. Zu lösende Aufgabe dieser Arbeit ist die Rechtsfrage, warum ein Mensch einem notleidenden anderen Menschen helfen soll. Ausgangspunkt der Überlegungen ist ein Bestimmungsproblem im geltenden Recht, das unter der Überschrift ,,Eigentumsschutz subjektiver öffentlicher Rechte" seinen Platz in der Grundrechtsdogmatik hat. Hier ist die Frage aufgeworfen, ob der Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt gern. § 11 I 1 BSHG Eigentum des Bedürftigen ist. Dieser Ausgangspunkt macht die Arbeit zu einer juristischen. Die Lösung wird in einer vorpositiven Begründung subjektiver Berechtigung gesucht. Leitfaden der Überlegungen ist die Privatrechtstheorie Immanuel Kants. Zentraler Punkt dieser Theorie ist, wie Teilhabe der Person an kulturellen und materiellen Gütern nach einem freiheitsgegründeten Rechtsbegriff zu denken möglich ist. Diese Lösungsstrategie macht die Arbeit zu einer rechtsphilosophischen. Es wird sich ergeben, daß der Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt gern. § 11 I BSHG notwendiger Gegenstand der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG ist. Dieses Ergebnis gründet in der Überzeugung, daß jede Person gegen die andere einen Rechtsanspruch darauf hat, daß ihr stets die Möglichkeit zum Erwerb von Gegenständlichkeit und zur Teilhabe an Gegenständlichkeit gelassen werden muß. Daraus läßt sich folgern, daß einer Person, die aus sich selbst heraus keinen Zugriff auf die Güter der Welt hat, diese Güter insoweit geleistet werden müssen, als es zur Bewahrung und zur Förderung dieser Person in ihrem gesellschaftlichen Dasein notwendig ist. Dieses Recht der einen Person gegen die andere ist ihr unveräußerliches Privatrecht. Dieses Recht ist für denjenigen, der sonst nichts hat, sein Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG. In der Bundesrepublik Deutschland wird dieses subjektive öffentliche Recht durch die Leistungsverwaltung "Sozialhilfebehörde" verwirklicht. 2. Es ist ohne weiteres denkbar, daß jeder im Staate sich selbst, dem Gelingen oder Nichtgelingen seines Lebens überantwortet bleibt, ohne daß eine Institution im Staat für das materielle Dasein des Bürgers auch nur eine Hand rührt. Jede Form der Unterstützung Bedürftiger wäre dann mitleidigen Privaten oder karitativen Organisationen überlassen. Die Wirklichkeit in der Bundesrepublik Deutschland sieht jedoch anders aus. Der bedürftige Bürger hat nach dem Bundessozialhilfegesetz einen rechtlichen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt, grundsätzlich ohne daß gefragt wird, warum er in Not geriet 1 oder daß er für die Sozialleistung I Bis auf die Ausnahmen, in denen die Bedürftigkeit nicht das Ergebnis lebenszufälligen Unglücks ist, sondern planmäßig oder grob fahrlässig herbeigeführt wurde, eventuell sogar

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Einleitung

eine Gegenleistung erbringen müßte. Das ist vor dem Hintergrund der erheblichen Abgabenleistung der vermögenden Bürger begründungsbedürftig und wirft die Rechtsfrage auf, wie es sachhaltig und nicht nur formal auf das geltende Recht verweisend juristisch zu begründen ist, daß in der Bundesrepublik Deutschland bedürftigen Bürgern Hilfe zum Lebensunterhalt geleistet wird. Diese Begründung ist möglich, bedarf jedoch einer tiefergehenderen Bemühung um den Rechtsbegriff allgemein und um den Sozialrechtsbegriff insbesondere. Selbstverständlich ist nur der Verweis auf das geltende Bundessozialhifegesetz, welches als geltendes Recht die Hilfspflicht des Staates normiert2 . Führt man sich vor Augen, daß staatlich vermittelte Hilfe für Bedürftige auf der anderen Seite rechtszwangsbewehrte Abgabenpflicht für Vermögende bedeutet, stellt sich die weitere Frage nach der Rechtfertigung des Bundessozialhifegesetzes überhaupt. Es ist ein grundsätzlicher Unterschied zwischen willkürlicher privater Mildtätigkeit und rechtlicher Organisation der Daseinsfürsorge. Im einen Fall kann man achtlos an dem Bettler in der Bahnhofspassage vorübergehen, kann seiner Bitte um eine milde Gabe nachkommen oder nicht, was grundsätzlich einem selbst überlassen ist. Im anderen Fall tritt derselbe Bettler als bedürftiger Leistungsempfänger vor der Sozialhilfebehörde auf und fordert seinen Satz an Hilfeleistung ein. Für diese Forderung stehen ihm Rechtsmittel zur Verfügung, d. h., er kann sie vor dem Verwaltungsgericht und mittels der gerichtlichen Vollstreckungsorgane erzwingen. Die Hilfe wird aus Steuermitteln finanziert, welche - "die andere Seite der Medaille" - die Finanzbehörde rechtszwangsweise beim vermögenden Bürger erhebt. Auf der einen Seite steht also die Abgabenpflicht, auf der anderen das subjektive öffentliche Recht auf Hilfe. Begründungsbedürftig ist der Rechtszwang zur Hilfe. Warum darf der Staat einen Teil seiner Bürger mit allgemeinen Steuerpflichten belasten, um bedürftigen anderen helfen zu können? Mit dieser so präzisierten Frage wird deutlich, daß Sozialhilfe kein isoliertes Phänomen zwischen Sozialbehörde als gebender Institution und Bedürftigem als Leistungsempfänger ist, sondern sowohl zwischenmenschliche Pflicht als auch Berechtigung in einem staatlichen Vermittlungszusammenhang anspricht. Damit ist der Rahmen des einfachen Gesetzesrechts verlassen und die Ebene materiellen Verfassungsrechts erreicht. mit dem Ziel, Leistungen nach dem BSHG zu bekommen, vgl. § 25 I, II BSHG. Einem solchen widersprüchlichen Verhalten gegenüber kann das Gesetz nicht gleichgültig bleiben. Derjenige, der arbeitsvermögend ist, ist nicht bedürftig im Sinne des BSHG. Zu den persönlichen Hauptursachen der Hilfebedürftigkeit siehe bei Oestreicher/Schelter/Kunz, BSHG- Kommentar, Einführung S. 80 ff. 2 Dieser gesetzesformale Sozialhilfebegrifffindet sich z. B. bei Luber, BSHG-Kommentar, zu § 1, S. 30 (8). Sozialhilfe sei die staatliche Leistung, die an den Bürger aufgrund des BSHG geleistet würde. Dieser formale Begriff grenzt die Sozialhilfe korrekt ab von sonstigen Sozialleistungen des Staates, hat also im System der Sozialleistung Bedeutung. Trotzdem ist er positivistisch verkürzt. Er führt nicht weiter, wenn es um das Problem der Begründung von Sozialhilfe geht.

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In dieser Frage überlappen sich besonderes Verwaltungsrecht, materielles Verfassungsrecht und vorpositive Begründungszusammenhänge des Grundgesetzes. Daß es sich lohnt, dieser Begründungsfrage nachzugehen, und daß es sich um keine rein akademische Fragestellung handelt, ergibt sich aus der Tatsache, daß die Gewährung von Sozialhilfe erhebliche praktische Bedeutung hat und immer wieder unter der Überschrift "Umbau des Sozialstaats" in das Schußfeld der Tagespolitik gerät.

Im Jahre 1992 bezogen ca. 4.718.000 Menschen in der Bundesrepublik Deutschland Sozialhilfe, sei es Hilfe zum Lebensunterhalt gern. §§ 11 ff. BSHG, sei es Hilfe in besonderen Lebenslagen gern. §§ 27 ff. BSHG3 . Auf die Gesamteinwohnerzahl von ca. 80.974.632 Menschen4 in der Bundesrepublik Deutschland im gleichen Zeitraum gerechnet, ergibt sich, daß ca. 5,8 % der Bürger Sozialhilfe bezogen, jeder 17. Einwohner Sozialhilfeempfänger war und ca. 2.035.000 Haushalte Hilfe zum Lebensunterhalt bezogen5 • Vom Staat wurden dafür 1992 ausschließlich der Verwaltungskosten ca. 42,603 Milliarden DM aufgewendet. Diesen Ausgaben der Sozialhilfebehörden stehen Einnahmen i. H. v. ca. 7,566 Milliarden DM gegenüber, so daß sich eine direkt aus Steuermitteln finanzierte Nettoausgabe i. H. v. ca. 35,037 Milliarden DM ergibt6 . Diese Zahlen sind absolut genommen angesichts der riesigen Ausgaben der Sozialversicherungen im gleichen Zeitraum nicht sonderlich beeindruckend. Allein die gesetzlichen Rentenversicherungen, die größten Leistungsträger unter den Sozialversicherungen, gaben 1992 insgesamt DM 307.012.000.000,-7 aus. Dabei istjedoch zu bedenken, daß die Ausgaben der Rentenkassen zum weit überwiegenden Teil aus Sozialversicherungsbeiträgen gedeckt werden und lediglich der verlorene Bundeszuschuß zur Altersversorgung direkt aus Steuermitteln kommt- und der belief sich 1992 als Leistung an die Rentenversicherer auf ca. 61,174 Milliarden DM. Damit ist die Nettobelastung des Steuerzahlers durch Sozialhilfe in die Nähe des größten Versorgungswerkes im Staate gerückt. Umgerechnet auf die Einwohnerzahl ist jeder- Kleinkinder und Leistungsempfänger miteingerechnet- 1992 als Steuerzahler durch Sozialhilfe mit ca. DM 435,- netto belastet worden. Dieser Wert dürfte noch dramatischer ausfallen, wenn nur die lohn- und einkommenssteuerzahlenden Bürger in Ansatz gebracht würden. Die Belastung durch die Daseinsfürsorge des Staates in Form der Sozialhilfe ist 3 Statistisches Jahrbuch 1994 f!ir die Bundesrepublik Deutschland, herausgegeben vom Statistischen Bundesamt Wiesbaden, Wiesbaden 1994, S. 498. Zahlen übersteigen die Gesamtzahl der Hilfeempfänger, weil der Bezug mehrerer Leistungstypen gleichzeitig möglich ist. 4 Statistisches Jahrbuch 1994 für die Bundesrepublik Deutschland, herausgegeben vom Statistischen Bundesamt Wiesbaden, Wiesbaden 1994, S. 62. s Statistisches Jahrbuch 1994 für die Bundesrepublik Deutschland, herausgegeben vom Statistischen Bundesamt Wiesbaden, Wiesbaden 1994, S. 500. 6 Statistisches Jahrbuch 1994 für die Bundesrepublik Deutschland, herausgegeben vom Statistischen Bundesamt Wiesbaden, Wiesbaden 1994, S. 499. 7 Statistisches Jahrbuch 1994 für die Bundesrepublik Deutschland, herausgegeben vom Statistischen Bundesamt Wiesbaden, Wiesbaden 1994, S. 492.

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also beachtlich, für den einzelnen fühlbar und eine häufig beklagte Bürde für die kommunalen Kostenträger. Warum also wird Sozialhilfe geleistet und warum ist es notwendig, diese Form der Daseinsfürsorge zu verrechtlichen? Zunächst ist zu klären, nach welchen Grundsätzen die Leistungen vergeben werden. Diese Grundsätze sind im Bundessozialhifegesetz geregelt. Darüberhinaus sind die gesetzlich geregelten Ziele der Sozialhilfe zu erinnern, die in einem Kontext zu allgemeinen sozialrechtlichen Zielsetzungen des SGB/1 stehen, welche für das Sozialgesetzbuch in allen Büchern bestimmend sind. Die Ziele des Sozialrechts werden erst vor dem Hintergrund materiellen Verfassungsrechts verständlich, wobei die verwendeten Begriffe Menschenwürde, personale Freiheit sowohl im Verfassungsrecht als auch im Sozialrecht vage bleiben. Sehr früh ergibt sich, daß sich die Begründungen von Sozialhilfe in unscharfen Begriffen und/oder außerrechtlichen Zusammenhängen verlieren. Zur Aufklärung der Pflicht zur und des Rechts auf Sozialhilfe tragen sie nur wenig bei. Rechtsprechung und Lehre lassen die Pflicht des Staates zur Sozialhilfe direkt und nur aus dem Schutz der Menschenwürde und dem Sozialstaatsgebot fließen. Es ist unmittelbar einleuchtend, daß die Grundrechtsbestimmung des Art. I Abs. 1 GG und die Staatsaufgabenbestimmung des Art. 20 Abs. I GG mit der Daseinsfürsorge Sozialhilfe zusammenhängen. Ein menschenwürdiges Dasein in ständiger Not und existenzieller Bedrängnis ist nach unserem Verständnis als gesellschaftlicher Normalfall in einer Wohlstandsgesellschaft nicht vorstellbar. Existenzielle Not zu bekämpfen ist Aufgabe einer sozial gerecht eingerichteten Gemeinschaft. Das sind Programmsätze, die sich aus Art. I und 20 GG ergeben sollen, genauere Angaben lassen sich jedoch auch unter Zuhilfenahme der Kommentierungen zu diesen Bestimmungen nicht machen. Insbesondere ist damit nicht zu begründen, warum es eine erzwingbare Rechtspflicht sein muß, dem anderen zu helfen. Auch bleibt offen, nach welchen Gerechtigkeitsmaßstäben sich die Berechtigung des Bedürftigen bestimmt. Kann ihm die staatliche Fürsorge ersatzlos gestrichen werden mit Hinweis auf vorhandene ausreichende private Wohlfahrtsverbände? Oder kann sie ihm beliebig reduziert werden in einer politischen Zeit, in der sozialfürsorgerische Maßnahmen nicht populär sind? Welchen Vertrauensschutz genießt der bedürftige Leistungsempfänger? Wie muß der Sozialhilfesatz auf Geldentwertung reagieren und dieser eventuell angepaßt werden? Diese Fragen lassen sich mit den Grundsätzen, welche von Rechtsprechung und Lehre zu Art. I Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz entwickelt wurden, nicht oder nicht befriedigend beantworten. Es liegt nahe, die staatliche Daseinsfürsorge an ein konkretes Grundrecht anzubinden. Bei der Sozialhilfe handelt es sich um den Eingriff in die Vermögenswerte des einen und die Zuweisung von Vermögenswerten an einen anderen. Als konkretes Grundrecht liegt somit das Grundrecht, welches den Schutz privaten Vermögens garantiert, nahe: Die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG. Für den

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Steuerpflichtigen kommt die Eigentumsgarantie in Form eines Abwehrgrundrechts, für den Bedürftigen in Form eines Teilhabe- bzw. Gewährleistungs-Grundrechts in Betracht. Mit dem Ausdruck "Gewährleistung" wird dem Wortlaut des Art. 14 Abs. I S. 1 GG entsprochen. Diese Anhindung wurde bisher nicht gesucht. Sie wurde bisher weit überwiegend ausdrücklich abgelehnt. Die Frage, ob staatliche Fürsogeansprüche Gegenstände der Eigentumsgarantie sein können, wurde unter dem Titel ,,Eigentumsschutz von subjektiven öffentlichen Rechten" diskutiert und im dogmatischen Windschatten des Bundesverfassungsgerichts stets strikt verneint. Auch wenn sich diese Auffassung in den letzten 40 Jahren verfestigte- und immer wieder bei Diskussion verschiedener subjektiver öffentlicher Rechte formelhaft wiederholt wurde - ist die Frage nach wie vor offen, ob die Eigentumsqualität von Fürsorgeansprüchen mit gutem Grund verneint wurde. Voraussetzung solchen Fragens ist, daß man sich zunächst der ,,Eigentumstheorie" des Bundesverfassungsgerichts versichert und die Grundsätze, die das Bundesverfassungsgericht um den Eigentumsbegriff herum entwickelt hat, zusammenfassend sichtet. Sodann ist die Geschichte des fürsorgeausgrenzenden Kriterienkatalogs zum Eigentumsschutz von subjektiven öffentlichen Rechten in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung nachzuzeichnen und einer ersten dogmatischen Kritik zu unterziehen. Erste Unstimmigkeiten ergeben sich schon hier. Die verfassungsgerichtlich entwickelten Kriterien, die den Eigentumsschutz von subjektiven öffentlichen Rechten bestimmen, ergeben sich nicht aus den Grundsätzen zum Eigentumsgrundrecht und sind neben diesen nicht widerspruchsfrei anwendbar. Nach Erschließung dieses Problemfelds ist das Verhältnis zwischen Sozialhilfeanspruch und Eigentumsgarantie offen und grundsatzorientiert neu zu bestimmen. Die Besinnung auf eine prinzipienorientierte Grundlegung des Sozialhilfeanspruchs und seines Verhältnisses zur Eigentumsgarantie fängt an mit der Entwicklung eines vorverständlichen Eigentumsbegriffs. Auch wenn die hier vorgestellte Position sich grundsätzlich unterscheidet von den tradierten Lösungen zum Eigentumsschutz von subjektiven öffentlichen Rechten, so nimmt sie doch ihren Ausgang von der "Eigentumstheorie" des Bundesverfassungsgerichts. Diese wird definitorisch verdichtet zum Satz: Eigentum ist die Herrschaft von Personen über Gegenstände unter Rechtsgesetzen. Damit ist der Grund gelegt für ein weiteres rechtsphilosophisches Nachdenken über den Eigentumsbegriff, welches um das Problem der Sozialhilfe kreist. Im zweiten rechtsphilosophischen Teil wird der Begriff des Eigentums in seine Elemente Person, Gegenstand, Herrschaft der Person über den Gegenstand zerlegt und in die Rechtsphilsophie Immanuel Kants eingepaßt. Durch dieses Verfahren erschließt sich der systematische, d. h. erkenntnistheoretische und praktischphilosophische Zusammenhang, in dem die Eigentumslehre Kants, wie er sie in der "Metaphysik der Sitten" entwickelte, steht. Wichtige Grundlegungen werden vor allem im Personen- und im Gegenstandsbegriff geleistet, jeweils geleitet vom vorgestellten Erkenntnisinteresse am Rechts und Eigentumsbegriff und personaler Sozialhilfepflicht. Diese Überlegungen gehen weit über einen bloßen Hinweis auf die

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Sozialpflichtigkeit des Eigentums gern. Art. 14 Abs. 2 GG hinaus und verhalten sich zu dieser im Resultat begründend. Die Darstellung der Eigentumstheorie Kants folgt einem vorher zu erklärenden Muster, das sich aus dem Aufbau seiner Rechtslehre herauslesen läßt und ein strukturiertes Verständnis seiner Theorie ermöglicht. Die Darstellung steht unter drei Titeln: Wie Eigentum möglich ist.

Welches sind die erkenntnistheoretischen und praktischphilosophischen Bedingungen, unter denen der Rechtsbegriff ,,Eigentum" gedacht werden kann? Hier wird die kantische Rechtsphilosophie als Lehre der Möglichkeitsbedingungen der notwendig rechtsgesetzlich bedingten menschlichen Gemeinschaft erinnert und auf die rechtliche Organisation von Gegenständlichkeit angewendet. Das ist die Grundlegung der weiteren Argumentation. Wie Eigentum wirklich wird.

Eigentum wird wirklich im Erwerb. Was genau macht den Rechtsbegriff "Eigentum" zu einer Größe in der Wirklichkeit? Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit wirkliche berechtigte Gegenstandsteilhabe in einem Gemeinwesen möglich ist? Wie verhält sich das Eigentum in einer verwirklichten bürgerlichen Gesellschaft mit wechselseitig aufeinander bezogenen Bedürfnissen der einzelnen und den verschiedenen Arten ihrer Befriedigung? Es ist denkmöglich - und mehr als das: es ist sogar (welt-)gesellschaftliche Wirklichkeit, daß sich die Eigentumsverhältnisse gegen die rechtsbegriffliche Voraussetzung personalfreiheitlichen Daseins eines jeden richten. Belegen läßt sich die These mit dem Hinweis auf soziale Randexistenzen - z. B. Obdachlose, entlassene Strafgefangene, alleinerziehende Mütter -, denen der Zugang zur hocharbeitsteiligen gesellschaftlichen Warenproduktion und zum Warentausch bis zur Unmöglichkeit erschwert ist. Das führt unmittelbar zum dritten Schritt: Warum die Eigentumsregulation Sozialhilfe notwendig ist.

Teilhabe an Gegenständlichkeit ohne Rückbezug dieser Teilhabe auf die Voraussetzungen möglichen berechtigten Daseins eines jeden ist als rechtliche, d. h. in einem Verhältnis allgemeiner vernunftbestimmter Sozialität (= verwirklichter Intersubjektivität), nicht möglich. Gefordert ist eine verallgemeinerungsfähige menschliche Praxis unter dem kategorischen Imperativ. Im Rechtsverhältnis sind nicht allein die autonome Willensbildung des anderen, sondern auch und gerade die materiellen Daseinsbedingungen (die materiellen Voraussetzungen der Autonomie) Gegenstand der Achtung. Im Prozeß wechselseitiger Erweiterung im Rechtsverhältnis ist das materielle Dasein des einen immer reflektiert in der Möglichkeit zum Dasein des anderen. Diese Reflexion erfordert in der Wirklichkeit der bürgerlichen Gesellschaft einen Regulationsmechanismus, der das Vermögen des einen

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mit dem (Un-)Vermögen des anderen vermittelt und in den Grenzen des Rechtsprinzips ausgleicht. Diese Vermittlung erfordert Institutionen der Verteilungsgerechtigkeit Dieses Ergebnis ist geleitet von der einen Aufgabe des Rechts: freie Personalität eines jeden zu verwirklichen. Das wird in dem Staat erreicht, in dem das grundlegende Rechtsprinzip berechtigten Daseins eines jeden nicht nur bloß negativ geschützt, sondern positiv gesetzt, bestätigt und - bedürftigenfalls - in seinen Möglichkeitsbedingungen geleistet, also aktiv verwirklicht wird. Die Setzung des Einzelnen in die Gegenständlichkeit, in ein materielles Dasein überhaupt, ist im Begriff des Eigentums zusanunengefaßt. Es ist vollkonunene Pflicht, in einem staatlich vermittelten Zusanunenhang die Möglichkeiten berechtigten Daseins zu garantieren. Diese vollkonunene Pflicht geht auf die Regulation von Rechten an Gegenständen, dahingehend, daß jedem die Möglichkeit gegeben sein muß, sein Wohl zu suchen und nach seiner Vorstellung von Glück zu verfahren. Diese Pflicht kann im Bedarfsfall umschlagen in eine Gewährung von primären Lebenschancen, wie z. B. Obdach, Nahrung, Arbeit. Dieser vollkonunenen Pflicht genügend richtet das BSHG einen staatlich vermittelten Regulationsmechanismus ein und ist im Zusanunenhang mit der Abgabenfinanzierung der Sozialhilfe Ausdruck eines intersubjektiven Vermögensausgleichs nach Eigentumsgrundsätzen. Diese bestinunen den Vermögensausgleich in zwei Richtungen: schützend für den Vermögenden, gewährleistend für den Bedürftigen, der sonst nichts oder nicht ausreichend hätte. Ohne den Anspruch gegen den Staat auf Sozialhilfe wäre für ihn die Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG bedeutungslos. Es ergibt sich die Eigentumsqualität des Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt, dieser garantiert das berechtigte Dasein des Bedürftigen, was sich aus dem Menschenwürde und Sozialstaatsgedanken allein nicht erschließen läßt. In der Philosophie Kants werden die Begriffe der Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit als die "reinen Verstandesbegriffe" der Modalität in der Erkenntnistheorie, und, übertragen in die praktische Philosophie, als die "Kategorien der Freiheit" der Modalität, verwendet, die da sind: Erlaubnis, Pflicht und vollkonunene Pflicht. Die Modalkategorien sind im Rahmen einer Interpretation der Rechtslehre Kants das analytische Instrumentarium, mit dem die Eigentumstheorie Kants zu erschließen und in Richtung einer staatlichen Eigentumsregulationstheorie oder "Sozialstaatstheorie" zu öffnen ist. Dieser methodische Ansatz wird am Beispiel des positivrechtlichen Eigentums- und des Sozialhilfebegriffs fruchtbar gemacht. Der modalkategoriale Aufbau der Darstellung der Rechtslehre Kants hat einerseits zum einen seinen Grund in der Gliederung der Privatrechtslehre Kants in drei Hauptstücke selbst. Andererseits wird damit formal unterstrichen, daß sich Recht, Staat und Gerechtigkeit radikal nur vom Subjekt und von der Person her denken lassen. Die subjektsgegründeten Kategorien der Modalität a priori verhalten sich zu aller menschlicher Erkenntnis - sei sie theoretisch, sei sie praktisch - limitierend und geben die Bedingungen vor, unter denen Erkenntnis zu gewinnen ist. So weist der modalkategoriale Aufbau einer vernunftsgegründeten Rechtslehre immer zurück auf den freiheitsprinzipiierten Personenbegriff 2 Süchting

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Es ist nicht ohne weiteres einzusehen, wie die Eigentumslehre Kants, eine Theorie des ausgehenden 18.Jahrhunderts, mit dem aktuell geltenden Bundessozialhifegesetz und dem Art. 14 Abs. 1 S. I Grundgesetz zusammenhängt. Der ist der Ableitungsgang ungewohnt für den juristischen Leser, weil Themen der Schulphilosophie besprochen werden müssen, und unbefriedigend für den philosophischen Leser, weil Bezüge zum geltenden Recht hergestellt werden, somit für eine philosophische Lehre der Anspruch eines geltenden normativen Dogmas erhoben wird, was sich mit kritischer Lesart eines philosophischen Textes eigentlich nicht recht vereinbaren läßt. Im dritten Teil des Textes wird eine methodische Überlegung nachgereicht, die diese Untersuchung wieder auf juristischen Boden zurückführt. Gegenstand dieser im letzten Abschnitt formulierten Vorschläge ist die Auslegung des Art. 14 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz, mithin die Interpretation materiellen Verfassungsrechts. Dabei wird nicht erhoben und kann nicht erhoben werden der Anspruch einer umfassenden Theorie der Verfassungsauslegung. Der Bezug auf die maßgeblichen Äußerungen des Bundesverfassungsgerichts zur Auslegung von Verfassungsnormen liegt aber nahe8 • Man wird alles folgende als konventionelle Auslegung des Art. 14 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz, der Eigentumsgarantie, nach dem Sinn des Wortes ,,Eigentum" und einem diesen notwendig zu unterlegenden praktisch-philosophischen Zweck lesen können.

s Das Problem der Verfassungsinterpretation wurde vor zwei Jahrzehnten intensiver diskutiert als heute. Nachweis dieser Diskussion bei Dreier,Ra1f/Schwegmann,Friedrich: ,,Probleme der Verfassungsinterpretation-Dokumentation einer Kontroverse", Baden-Baden 1976.

A. Das geltende Recht der Hilfe zum Lebensunterhalt im Verhältnis zur Eigentumsgarantie Am Ende dieses Kapitels wird gezeigt, daß das Problem des Eigentumsschutzes von subjektiven öffentlichen R.echten nicht befriedigend gelöst wurde. Die Einordnung der staatlichen Sozialhilfe in den Grundrechtsschutz des Grundgesetzes ist bisher nicht überzeugend gelungen. Die Mängel sind inhaltlicher und methodischer Natur. Den Streitstand in der Literatur aufnehmend wird das Problem geöffnet. Im dann folgenden Kapitel "B" wird über das Verhältnis von Eigentum und Sozialhilfe aus vorpositiver Sicht nachgedacht. Ausgegangen wird von einer aus dem positiven Recht und dessen Interpretation induktiv gewonnenen Definition des Eigentumsbegriffs, die den Anforderungen guten Definierens genügt. Diese Definition wird am Ende dieses ersten Kapitels vorgestellt. Die Elemente der Definition werden im Folgekapitel "B" rechtsphilosophisch gedeutet. Der Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt gern. § 11 I 1 BSHG steht in einem System gegenleistungsfreier staatlicher Daseinsfürsorge, wie z. B. Jugendhilfe, Ausbildungsförderung, Hilfe in besonderen Lebenslagen gern. §§ 27 ff. BSHG oder Kriegsopferversorgung. Dieser Bereich ist nicht insgesamt Gegenstand der Untersuchung. Für jeden einzelnen Anspruch gelten Besonderheiten in der Anspruchsbegründung. Es ist nicht möglich, die Ergebnisse der Einordnung des § 11 I S. 1 BSHG auf sonstige Ansprüche der staatlichen Daseinsfürsorge ohne weiteres zu übertragen.

I. Die geschichtliche Entwicklung hin zum BSHG Die Tradition zwischenmenschlicher Fürsorge 1, in der das geltende BSHG steht, ist die Geschichte der Entdeckung des Bedürftigen als eines Rechtssubjekts im Fürsorgeverhältnis. Sie ist ein Übergang von familiärer, privater Unterstützung des Bedürftigen aus dem engsten Lebensverband heraus, über die UnterstützungsleiI Zur Sozialhilfegeschichte s. Andreae/Kobus, Fürsorge- und Versorgungsrecht, Stuttgart 1955, S. 12-27; Luber, BSHG-Kommentar Bd. 1, 152. Erg.Lfrg. 1991, EinführungS. XV ff.; v. Maydell (Hrsg.), Lexikon des Rechts- Sozialrecht, S. 309, 310; Nees/Neubig/Zuodar, Sozialhilfe- Leistungs- und Verfahrensrecht, Frankf./M. 1986, S. 19 ff.; Peters, SozialhilfeGrundriß und Praxisanleitung, 1970, S. 5 f.; Ritter, Gerhard A., "Der Sozialstaat- Entstehung und Entwicklung im internationalen Vergleich", 2. Auf!. München 1991, S. 30 - 102 (mit dem Schwerpunkt Sozialversicherungsrecht); Schultelfrenk- Hinterberger, Sozialhilfe- Eine Einführung, 2. Aufl.1986, S. 37 ff. (mit vielen weiteren Nachweisen); Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht Bd. 3, 4. Auf!. 1978, § 146 Rn. 1 ff., S. 266 ff. (m.w.N.).

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A. BSHG und Art. 14 GG- Verhältnisbestimmung im geltenden Recht

stungen beruflicher bzw. ständischer Korporationen oder karitativer Organisationen hin zur gesetzlich fixierten Aufgabe der verfaßten Allgemeinheit, jedem notleidenden Bürger eine menschenwürdige Existenz zu sichern. Mit diesem Übergang einher verlief die Entwicklung eines Fürsorgeverfahrensrechts, welches die rechtsförmige Leistung und Durchsetzung des Hilfeanspruchs absichert. Das moderne Verständnis ist im § 4 I BSHG formuliert: "Auf Sozialhilfe besteht ein Anspruch, soweit dieses Gesetz bestimmt, daß die Hilfe zu gewähren ist."

Daß der Bedürftige einen Rechtsanspruch auf Hilfe hat, ist weder im geschichtlichen noch im internationalen Vergleich eine Selbstverständlichkeit. Im Altertum wurde die Fürsorge in vorstaatlicher Organisation von Familien-, Sippen- oder Stammesverbänden ausgeübt2 • Antrieb dieser Hilfe mochte die unmittelbar gefühlte mitmenschliche Zuwendung gewesen sein, wie auch moralische oder religiöse Motive eine Rolle gespielt haben könnten. Der genetisch abgegrenzte Verband entwickelte die heute noch gültige Grundform der Hilfe, daß aus der gesamten Lebensmittelproduktion der Gemeinschaft der Teil für die Alten, Siechen und Schwachen abgezweigt wurde, der zu deren Lebenshaltung notwendig und von der notwendigen Lebenshaltung der anderen übrig war. Diese mitmenschliche Solidarität war für den Bedürftigen alles andere als sicher. Verlor er den Kontakt zu seinem Verband, ging er der Gemeinschaftsleistung verlustig und durfte auf die Hilfe anderer nicht hoffen. Das ist auch heute noch für jede privat-mitmenschlich motivierte und organisierte Hilfeleistung gültig. Mit den ersten staatlichen Organisationen wurde Fürsorge in Ansätzen zu einer Leistung der verfaßten Allgemeinheit. Im antiken Griechenland und Rom kam es zu Komverteilungen an die Armen und zur Unterstützung von Waisen3 . Bis in die heutige Zeit hinein wirkt die christliche Liebes- und Hilfspflicht gegenüber dem Nächsten, wie sie im Neuen Testament erwähnt wird. Die Hungrigen seien zu sättigen, die Obdachlosen zu beherbergen, die Nackten zu kleiden und die Gefangenen zu besuchen4 • Es war stets Aufgabe der Kirche, karitativ tätig zu sein, und über lange Zeiten war sie die einzige fürsorgende Institution im Staat. In der mittelalterlichen Gesellschaft spielten neben der Kirche Zünfte, Gilden und andere ständische Organisationen eine bedeutende Rolle bei der Versorgung Notleidender5. Die religiöse Hilfspflicht war durch das informelle Normengefüge der mittel2 Mildenberger, Gerhard, Sozial- und Kulturgeschichte bei den Germanen. Von den Anfangen bis zur Völkerwanderungszeit, Stuttgart 1972, S. 63 ff.; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 1978, Bd. 3, S. 267. 3 Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht, 4.Aufl.1978, Bd. 3, S. 267. 4 Bibel, Neues Testament, Matthäus 25, 31-46- "Scheidung der Guten und der Bösen im Endgericht" - Die Guten waren die, die halfen. s Fröhlich, Sigrid, Die Soziale Sicherung bei Zünften und Gesellenverbänden, Berlin 1976; Strube, F., Soziale Sicherung bei den Handwerkszünften in Bremen, Diss. Kiel 1974; Schöpfer, Gerald, Sozialer Schutz im 16.- 18.Jahrhundert, Graz 1976.

I. Die geschichtliche Entwicklung hin zum BSHG

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alterliehen Gesellschaft gut abgesichert, es war "verdienstlich" zu helfen, gleichwohl war diese Form der Fürsorge einem rechtlichen Leistungsverhältnis nicht vergleichbar6. Es lag immer im Belieben des vermögenden Christen, wann er wieviel den Armen geben wollte, und es lag immer im Belieben der Kirche, wieviel sie den Armen zu geben hatte, ohne daß diese einen Anspruch gegen sie geltend machen konnten. Der Übergang von privater Fürsorge zu öffentlicher Wohlfahrtspflege vollzog sich, als das Armenwesen zum Gegenstand der Gesetzgebung von Ländern, Städten und Gemeinden wurde. Wohlfahrtspflege wurde als Polizeirecht7 zur Sicherung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verstanden und fand vor allem in Bettelverboten Ausdruck. Es wurden jedoch auch die Armutsursachen 8 bekämpft, z. B. in Verboten des Preis- und Zinswuchers, des Glücksspiels und von überhöhten Aufwendungen bei Hochzeiten und Begräbnissen9 . Zum Schutz der Städte vor Armenzuwanderung war das "Heimatortprinzip" verbreitet, demnach der Arme nur an seinem Heimatort Unterstützung erhielt. Die ansteigende Bevölkerungswanderung10 zwang jedoch dazu, die Armenpolizei von allen Nähebeziehungen, seien sie 6 Nees/Neubig/Zuodar, Sozialhilfe- Leistungs- und Verfahrensrecht, 1986, S. 20, 21, setzt diese privatrechtliche Organisation der Fürsorge der rechtsförmigen Institutionalisierung des Hilfeanspruchs gleich. Das verkennt jedoch, daß mit der kirchlichen Fürsorge auch kirchlichreligiöse Zwecke verfolgt wurden und nicht die Hilfe um des Bedürftigen Willen geleistet wurde. Hier ist schon sauber zu unterscheiden: die christliche Motivation begründet noch nicht die Rechtlichkeit der Hilfe. Hilfe als Rechtsanspruch ist - nach einem aufgeklärten Rechtsverständnis - unabhängig von theologischen Konzeptionen zu denken. 7 Eine erste übergreifende Kodifikation war die "Ordnung und Reformation guter Policey" Karls V. von 1530. s Charakteristisch für diese Zeit war, daß sich wirtschaftliche Interessen mit dem Fürsorgegedanken vermischten. Ein Beispiel ist die Einrichtung einer Flachs- und Spinnindustrie Ende des 18. Jahrhunderts in einem Armenhaus in Hamburg, in der die Armen zur Arbeit angehalten wurden, ihr Fleiß überprüft und sie diesem entsprechend versorgt wurden. Über die Ursachen der Armut in Harnburg schrieb Caspar von Voght: ,,Zu den allgemeinen Ursachen der Annut kommen in Harnburg noch die gewöhnliche Unfreundlichkeit der Winter, der schwankende Wechsel verschiedener Handelszweige, von welchem die Annen ihren Unterhalt hoffen können; die Menge von Leuten, welche aus den nahegelegenen ännem Gegenden mit der oft getäuschten Erwartung herbeikommen, Beschäftigung oder Unterstützung in einer großen Handelsstadt zu finden, deren Einwohner von jeher den Ruhm edelmütiger Wohltätigkeit hatten und verdienten; und endlich die äußerste Wohlfeilheit und Menge weiblicher Dienstboten, deren Lohn im Durchschnitt nicht über 10 Rthlr. beträgt und deren Anzahl sich beinahe auffünfzehntausend beläuft. Hiezu kommt leider noch, daß die Abgaben für Fleisch und Brot 15 bis 25 Prozent und die verschiedenen Biersteuern über 60 Prozent betragen." Über die Errichtung der Harnburgischen Armenanstalt im Jahre 1788, in: Jantke, CarVHilger, Dietrich, Die Eigentumslosen.Der deutsche Pauperismus und die Emanzipationskrise in Darstellungen und Deutungen der zeitgenössischen Literatur, Freiburg!B. 1965, S. 197 [198]. 9 Nees/Neubig/Zuodar, Sozialhilfe - Leistungs- und Verfahrensrecht,Frankf./M. 1986, S. 21; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 1978, Bd. 3, S. 268. to Köllmann,Wolfgang, Industrialisierung, Binnenwanderung und "Soziale Frage".(Zur Entstehungsgeschichte der deutschen Industriegroßstadt im 19.Jahrhundert), Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Bd. 46, S. 45 ff.

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A. BSHG und Art. 14 GG- Verhältnisbestimmung im geltenden Recht

familiärer oder landsmannschaftlieber Art gewesen, abzukoppeln. Bestimmend wurde das Recht des Unterstützungswohnsitzes, demnach dem Bedürftigen dort Unterstützung zuteil wurde, wo er lebenszufälligerweise seinen Wohnsitz hatte 11 • Immer noch war der Status des Armen diskriminiert. Er ging seiner bürgerlichen Rechte, insbesondere des Wahlrechts verlustig. Auf jeden Fall war seine Freizügigkeit eingeschränkt. Das alte preußische Recht 12 ging davon aus, daß Hilfe nicht wegen der Bedürftigkeit des Armen zu leisten war, sondern die behördliche Pflicht gegenüber dem Staat, im Gemeinwesen Ordnung zu halten, ausdrückte. Der Arme war somit nicht Subjekt im Leistungsverhältnis, sondern Objekt behördlicher Pflichterfüllung. Diese Gedanken bestimmten auch noch die Kodifikationen in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts 13 und in der Weimarer Republik 14. In der Weimarer Republik vollzog sich jedoch eine grundlegende Neuorientierung des Leistungsrechts. Ziel der Hilfe war es nicht mehr, den Armen nur am Leben zu erhalten, sondern ihm Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Ferner wurde die Rechts- und damit Gleichförmigkeit von Art und Maß der Leistungen, ausgehend von einheitlichen örtlichen Trägern der Fürsorge, erreicht. Das altpreußische Recht des Unterstützungswohnsitzes wurde abgelöst durch die lnpflichtnahme derjenigen öffentlichen Fürsorgestelle, in deren Bezirk der Bedürftige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte 15 . Für das gewandelte Verständnis von staatlicher Fürsorge unter dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist immer noch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. 6. 1954 grundlegend: ,,Der Einzelne ist zwar der öffentlichen Gewalt unterworfen, aber nicht Untertan, sondern Bürger. Darum darf er in der Regel nicht lediglich Gegenstand staatlichen Handeins sein. Er wird vielmehr als selbständige sittliche verantwortliche Persönlichkeit und deshalb als Träger von Rechten und Pflichten anerkannt. Dies muß insbesondere dann gelten, wenn es um seine Daseinsmöglichkeiten geht. •.t 6

Ausgehend vom Rechtstaats- und Sozialstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 1 GG, und dem Menschenwürdegrundsatz, Art. 1 Abs. 1 GG, sei Fürsorgerecht kein Polizeirecht, sondern ein Recht der Armen. Der staatlichen Verpflichtung korrespondiere Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 1978, Bd. 3, S. 269. "Gesetz über die Armenpflege" von 31. 12. 1842, Preußische Gesetzessammlung 1843 S. 8 ff. -mit ersten Ansätzen zum Subsidiaritätsprinzip bzw. zum Nachrang der Fürsorge. 13 "Gesetz über den Unterstützungswohnsitz" in der Fassung vom 30. 5. 1908, RGBI. s. 381. 14 Die aufgrund des ,,Ermächtigungsgesetzes" vom 8. 12. 1923 erlassene gesetzesgleiche ,,Fürsorgepflichtverordnung" vom 13. 2. 1924, RGBI.S. 100, der die "Reichgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge" vom 13. 2. 1924, letzte Fassung vom 20. 8. 1953, BGBI.I, S. 967, folgten. Diese beiden Regelwerke galten bis zum lokrafttreten des BSHG in der Bundesrepublik Deutschland. 15 Das Fürsorgerecht der Weimarer Republik knapp dargestellt bei Luber, BSHG-Kommentar Bd. 1, 152. Erg.Lfrg. 1991, Einführung S.XVI. 16 BVerwGE 1, 159 [161]. II

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ll. Anspruchsvoraussetzungen der Hilfe zum Lebensunterhalt

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eine Berechtigung des Bedürftigen. Diese Auffassung war Leitlinie bei den Beratungen zum BSHG 17 und letztlich das beherrschende gesetzgebensehe Verständnis am 1. 6. 1962, als das BSHG inkrafttrat. Fürsorge läßt sich geschichtlich zurückverfolgen von ersten naturzuständlichprivaten Solidaritätsleistungen bis hin zur rechtsförmig ausgestalteten Sozialhilfeverwaltung der aktuellen bürgerlichen Gesellschaft der hocharbeitsteiligen Industrienation Bundesrepublik Deutschland. Sowohl die Leistung als auch das Versagen jeder einzelnen geschichtlichen Stufe läßt sich in der aktuellen bürgerlichen Gesellschaft wiederfinden. So wird die öffentliche staatliche Fürsorge nach wie vor ergänzt durch private selbständige Wohlfahrtsorganisationen und - abnehmend -durch Leistungen der Familie. Durch das Auseinanderfallen des tradierten Familienverbandes und die schwächer werdende Bindung des Bürgers an religiöse Institutionen wird der Staat, also die Allgemeinheit, verstärkt in Anspruch genommen. Vermittelt durch die Steuerpflicht wird die Daseinshaltung der Armen, Pflegebedürftigen und Hilflosen im wachsenden Maß zur Aufgabe aller.

II. Die Anspruchsvoraussetzungen der Hilfe zum Lebensunterhalt gern. § 11 I 1 BSHG

Mit der Hilfe zum Lebensunterhalt wird der überlieferte Kernbereich staatlicher Armenfürsorge beschrieben. Im § 4 I i.V.m. § 11 I 1 BSHG ist die allgemeine Leistungspflicht des Staates auf die Bedürftigkeit seines Bürgers hin geregelt. Dieser allgemeinen Hilfspflicht stehen andere Hilfspflichten, die nur gegenüber bestimmten Personengruppen in qualifizierten Lebenssituationen bestehen, als besondere gegenüber. Die Grundlagen der Hilfe zum Lebensunterhalt werden anband der gesetzlichen Regelungen der§§ 11-26 BSHG überblicksweise dargestellt. Der Gesetzestext ist nur dann verständlich, wenn er im Zusammenhang allgemeiner sozialhilferechtlicher Grundsätze gelesen wird. Diese sind in den §§ 1-9 BSHG geregelt und ihrerseits im Zusammenhang allgemeiner sozialrechtlicher Ziele zu lesen, die eindeutig auf den verfassungsrechtlichen Kontext personaler Freiheit und Menschenwürde verweisen. Der systematische Zusammenhang der Hilfe zum Lebensunterhalt mit Grundrechten wird deutlich, soweit er von Rechtsprechung und Literatur mitverfolgt wurde.

17 ,,Begründung zum Entwurf eines Bundessozialhilfegesetzes (BSHG)", BT-DS Nr. 1799 v. 20. 4. 1960, abgedruckt bei Luber, BSHG-Kommentar Bd. 1, Stand 1991, Materialien

s. 1 ff.

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A. BSHG und Art. 14 GG- Verhältnisbestimmung im geltenden Recht

1. Leistungshöhe

Das BSHG gewährt Ansprüche auf Hilfe zum Lebensunterhalt und auf Hilfe in besonderen Lebenslagen, § 1 I BSHG. Wer seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen bestreiten kann, hat Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt, § 11 I 1 BSHG. Der notwendige Unterhalt richtet sich gern. §§ 12 ff. BSHG auf Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung, persönliche Bedürfnisse des täglichen Bedarfs, Kranken- 1 und Altersvorsorge2 sowie Bestattung3 . Die Hilfe zum Lebensunterhalt deckt die elementaren Grundbedürfnisse des Bedürftigen und seiner Familie ab, insoweit dieser sich nicht selbst helfen kann4 . Die Formen der Hilfe sind persönliche Hilfe (Dienstleistung), Geld- oder Sachleistung, § 8 I BSHG. Ob die Hilfe in der einen oder anderen Form oder kombiniert erbracht wird, steht im Ermessen des Leistungsträgers. Die Hilfe zum Lebensunterhalt kann durch einmalige oder durch fortlaufende Leistung als verlorener Zuschuß erbracht werden, § 21 I BSHG. Auch kann sie bei absehbar nur kurzer Notlage als Gelddarlehen gewährt werden,§§ 15b; 89 BSHG. Die Höhe der Geldleistungen orientieren sich an den pauschalierten Regel- bzw. Mehrbedarfssätzen, §§ 22-24 BSHG i.V.m. den Regelsatzbestimmungen5 der Länder. In Harnburg beträgt der Regelsatz für Alleinstehende ab 18 Jahren und für Haushaltsvorstände DM 479,-6 im Monat. Bei Alleinerziehenden wird für ein bis zu 6jähriges Kind ein Regelsatz von zusätzlich DM 263,- gewährt, bei gemeinsamer Erziehung beträgt der Regelsatz DM 240,-. Für ein 7-13 jähriges Kind kommen DM 311,- in Ansatz, für den Jugendlichen bis einschließlich 17 Jahren DM 431,-, und gehört eine mindestens 18-jährige Person dem Haushalt an (z. B. die Ehefrau oder der Ehemann7 ), so werden DM 383,- zusätzlich geleistet8 . Die MehrbedarfsÜbernahme der Krankenversicherungsbeiträge gern. § 13 BSHG. Übernahme der Kosten für eine angemessene Alterssicherung gern. § 14 BSHG. 3 Übernahme der Bestattungskosten gern. § 13 BSHG, soweit es dem hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, diese Kosten zu tragen. 4 OVG Münster, ZfSH 1981,93 [93 f.]. 5 Der Regelbedarf wird von den Ländern nach Maßgabe der 10. Verordnung zur Durchführung des§ 22 BSHG (RegelsatzVO) festgesetzt. Die Zusammensetzung des "Warenkorbs" gern. § 22 BSHG ist ausführlich in der geltenden Zusammenstellung von 1986 bei Oestreicher/Schelter/Kunz, BSHG-Kommentar, Ordnungsnummer 5 und bei Brühl, Albrecht, Mein Recht auf Sozialhilfe, München 8. Auf!. 1991, S. 255 ff. nachgewiesen. 6 Stand 1. 7. 1991, vgl. Brühl,Albrecht: Mein Recht auf Sozialhilfe, München 8. Auf!. 1991, S. 18. Die hier angeführten Regelsätze sind mittlerweile mehrfach erhöht worden. 7 Beteiligen sich beide Eheleute gemeinsam an den Kosten der Haushaltsführung oder ist ein bestimmtes Beteiligungsverhältnis nicht feststellbar, so wird die Differenz zwischen dem Regelsatz für den Haushaltsvorstand und dem für den erwachsenen Haushaltsangehörigen zwischen den Eheleuten aufgeteilt, BVerwGE 15, 306. In Harnburg bekämen die Eheleute also beide DM 431 ,-. s Die verschiedenen Leistungen in den Bundesländern bei Brühl, Albrecht, Mein Recht auf Sozialhilfe, München 8. Auf!. 1991, S. 18, im Überblick. I

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II. Anspruchsvoraussetzungen der Hilfe zum Lebensunterhalt

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sätze sind ebenfalls pauschaliert. Für über 60-Jährige wird z. B. generell ein Mehrbedarf von 20 % anerkannt, § 23 I Nr. 1 BSHG, so daß ein bedürftiges Ehepaar, sie 62 und er 65 Jahre alt, einen Anspruch auf laufende Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von DM 1034,40 hätte. Aus § 25 I BSHG läßt sich schließen, daß die Arbeitswilligkeit des Bedürftigen Anspruchsvoraussetzung ist9 . Jeder Bedürftige ist verpflichtet, seine Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhalts einzusetzen und somit durch eigene Initiative die Notsituation zu beheben 10. Erwerbsarbeit nimmt als Teilnahme am gesellschaftlichen Tauschprozeß einen hohen Stellenwert ein und wird als Voraussetzung menschenwürdigen Lebens begriffen 11 • Weigert sich der Bedürftige, zurnutbare Arbeit zu leisten, so verliert er den Anspruch auf Hilfe, § 25 I BSHG. Bei § 25 I BSHG ist problematisch, ob mit der sozialhilferechtlichen Arbeitspflicht ein repressives, in Rechtsform gegossenes sozialpädagogisches (und damit eigentlich unjuristisches) Instrument vorgegeben ist, mit dem der grundsätzlich als mündig vorauszusetzende Bedürftige nur als Objekt staatlicher Erziehung zur Selbsthilfe begriffen wird 12 . Ein Rechtsgrund für einen Anspruchsausschluß oder eine -beschränkung ist nicht unmittelbar ersichtlich. Die Bedürftigkeit des Anspruchstellers - grundsätzliche Anspruchsvoraussetzung gern. § 11 I BSHG - wird durch eine Arbeitsverweigerung des Bedürftigen nicht geringer. Es scheint jedoch ungerecht zu sein, jemanden, der sich der Gemeinschaft verweigert, durch Gemeinschaftsleistungenerhalten zu müssen 13 • Aber ein einfaches Rechts- und Billigkeitsgefühl kann so einschneidende Maßnahmen nicht befriedigend begründen. Der Rechtsgrund des Anspruchsverlustes liegt vielmehr im widersprüchlichen Verhalten des Bedürftigen. Einerseits macht er mit Anspruchsstellung seinen Anteil an der gesellschaftlichen Produktion geltend und verlangt Güterzuweisung aus den volkswirtschaftlich erzeugten Lebensmitteln, andererseits weigert er sich, an der Produktion, die ihn nähren soll, im Rahmen seiner Fähigkeiten und Ausbildung 9 § 25 I BSHG ist ein gesetzlicher Anspruchsausschlußgrund, dessen Wirkung schon mit der Weigerung des Bedürftigen, zurnutbare Arbeit zu leisten, eintritt, ohne daß es einer gesonderten Feststellung durch den Leistungsträger bedarf. Folglich ist die Arbeitswilligkeit des Bedürftigen, d. h. seine Bereitschaft, an der gesellschaftlichen Produktion, die ihn selbst ja gerade ernähren soll, teilzunehmen, Anspruchsvoraussetzung. to § 18 I BSHG spricht vom ,,Müssen" des Hilfesuchenden, seine Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhalts einzusetzen. II Daß der Bedürftige gern.§ 19 II BSHG zu gemeinnützigen Arbeiten herangezogen werden kann, begründet BVerwGE 67, 1 [5]: ,,Arbeiten als solches ist - ganz gleich, aufwelchem Wege hierzu Gelegenheit geboten wird- ein Mittel, einen Hilfesuchenden (Hilfeempfänger) in seinem Selbsthilfestreben zu unterstützen und ihm Gelegenheit zur Entfaltung seiner Persönlichkeit zu geben, ein wesentliches Kriterium für ein Leben, das der Würde des Menschen entspricht, § 1 Abs.2 BSHG (weitere Nachweise)". 12 Auf diese scheinbar widersprüchliche Konzeption des § 25 weist Krahmer in Lehr- und Praxiskommentar BSHG, Baden-Baden 3. Auf!. 1991, § 25 Rn. 10, hin. 13 Krahmer in Lehr- und Praxiskommentar BSHG, Baden-Baden 3. Autl. 1991, § 25 Rn. 10.

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mitzuwirken. Damit setzt er sich außerhalb der Produktionsgemeinschaft. Der Sozialhilfeempfänger hat jedoch kein Recht auf Faulheit. In seiner Weigerung zu arbeiten liegt die Verneinung dessen, was er durch den Gang zum Sozialamt geltend macht: die Verneinung der wechselseitigen zwischenmenschlichen Erweiterung in gesellschaftlicher Produktion und Bedürfnisbefriedigung, welche letztlich ihn durch Sozialhilfe/Hilfe zum Lebensunterhalt ernähren soll. Ein solches Verhalten ist unauflösbar widersprüchlich und begründet keine Rechtspflicht der verfaßten Allgemeinheit, einen so auftretenden Anspruchsteller zu unterstützen. Eine Rechtspflicht der verfaßten Allgemeinheit zur Hilfe kann nur bestehen, wenn der bedürftige Anspruchsteller sich widerspruchsfrei in den Rechtsformen der bürgerlichen Gesellschaft bewegt, als deren Glied er sich behauptet. Ferner ist die sozialhilferechtliche Arbeitspflicht als Konkretisierung des Bedürftigkeitsgrundsatzes zu erklären. Derjenige ist nicht bedürftig, der seiner persönlichen Eignung und Fähigkeit nach (arbeits-)vermögend ist und somit durch eigene Leistung den Unterhalt für sich und seine Familie beschaffen könnte 14• Folgerichtig weicht die ursprüngliche Berechtigung des Bedürftigen der nur noch ermessensgeleiteten Möglichkeit der Verwaltung, dem Verweigerer sukzessive den Anspruch zu kürzen bis zum Entzug jeder Leistung, um ihn zur Erwerbsarbeit anzuhalten 15 • Bleibt dieses Mittel, welches nur nebenbei den Charakter einer erzieherischen Maßnahme hat, ohne daß damit die Gerechtigkeit der Arbeitspflicht begründet wäre, erfolglos, darf dem Verweigerer trotzdem der Schutz des Staates nicht versagt werden. Der Schutz des absolut notwendigen Existenzminimums muß weiterhin gewährt werden 16• Zur Beschränkung der Leistung auf das zum Lebensunterhalt Unerläßliche kann es ebenfalls führen, wenn der Bedürftige einen der Tatbestände des § 25 II BSHG erfüllt. Demnach wird die Hilfe auf das zum Lebensunterhalt Unerläßliche eingeschränkt, wenn der Bedürftige sich "unwirtschaftlich verhalten hat und so seine Bedürftigkeit selbst verursacht hat. Diese Tatbestände können als eine Beschrän14 Mit der Arbeitspflicht ist insofern die Quelle eigener Arbeitskraft angesprochen, die zum Lebensunterhalt im Rahmen der Selbsthilfe nutzbar gemacht werden muß, § 2 I BSHG. ,,Die Verweisung des einzelnen auf seine eigenen Mittel verletzt(... ) nicht den Sozialstaatsgethlnken. Mit dem Bundessozialhilfegesetz hat der Gesetzgeber seine Pflicht zur sozialen Aktivität (BVerjGE 1,97 [ 105]) erkannt und zugleich auch durch Bemessung der einzelnen Mittel des um Hilfe Nachsuchenden die Voraussetzungen für ein sowohl dem wohlverstandenen Interesse des einzelnen als auch dem der Gemeinschaft dienendes Sozialrecht geschaffen (... ). Deshalb enthält IUls Verlangen an den einzelnen, zunächst seine eigenen Kräfte anzuspannen, nicht einen Abstrich vom Sozialstaatsgethlnken, sondern dessen Verdeutlichung und entspricht thlmit zugleich der Menschenwürde." BVerwGE 23, 149 [153]. 15 BVerwGE 67, 1 ff.; 68, 91 [94]; 68, 97 [101]; Schulte!frenk-Hinterberger, Sozialhilfeeine Einführung, 3. Aufl. 1986, S. 213 ff. 16 Dieses geschieht durch Leistung von Hilfe zum Lebensunterhalt ohne den sog. "soziokulturellen Anteil" des Warenkorbes, aus dem sich der Regelsatz berechnet. Ca. 80 % des Regelsatzes sind sodann weiterzugewähren. Krahmer in Lehr- und Praxiskommentar zum BSHG, § 25 Rn. 9, Knopp-Fichtner BSHG-Komm. § 25 Rn. 3.

II. Anspruchsvoraussetzungen der Hilfe zum Lebensunterhalt

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kung zivilrechtlicher Privatautonomie mit den Mitteln der Sozialhilfe interpretiert werden 17 • Ausnahmsweise- da sonst nach den Gründen der Bedürftigkeit nicht gefragt wird - kommt in diesen Bestimmungen eine vorherige oder während des Leistungsbezugs andauernde Lebensführungsschuld des Bedürftigen in Ansatz. Gern. § 97 I 1 BSHG gilt bei Leistung von Hilfe zum Lebensunterhalt das Aufenthaltsortsprinzip. Für die Sozialhilfe örtlich zuständig ist der Träger der Sozialhilfe, in dessen Bereich sich der Hilfesuchende tatsächlich aufhält. Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt haben auch bedürftige Ausländer, soweit sie sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, § 120 I BSHG, es sei denn, sie haben sich in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland begeben, um Sozialhilfe zu bekommen, § 120 III 1 BSHG. Für asylsuchende Ausländer ohne Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung nach dem Ausländergesetz a.F. oder sonstige Ausländer, die zur Ausreise verpflichtet sind, konnte der Anspruch auf das zum Lebensunterhalt Unerläßliche beschränkt werden, § 120 II Nr. 1-3, letzter Hs. BSHG a.F. 18 • Seit dem 01. Dez. 1993 gilt für diesen Personenkreis das Asylbewerberleistungsgesetz, demnach Grundleistungen zum Lebensunterhalt als Sachleistungen oder in Form von Wertgutscheinen gewährt werden,§ 3 AsylbLG. Neben der allgemeinen Hilfe zum Lebensunterhalt zählt § 27 Nr. 1-12 BSHG beispielhaft besondere Lebenslagen auf, in denen Bedürftigkeit gegeben sein kann: Aufbau oder Sicherung der Lebensgrundlage, Krankheit, Familienplanung, Schwangerschaft, Wochenbett, Behinderung, Blindheit, Pflegebedürftigkeit, Alter, Unvermögen in der Haushaltsführung oder - im Wortlaut unbestimmt - besondere soziale Schwierigkeiten 19• Der Tatbestand ist gern. § 27 II BSHG ausdrücklich offen, die Hilfe kann also auch in anderen, von Abs. 1 nicht erfaßten "besonderen Lebenslagen" gewährt werden. Allen besonderen Lebenslagen ist gleich, daß sie einen über das normale Maß hinausgehenden, entweder zeitlich beschränkten oder fortlaufenden zusätzlichen Bedarf erzeugen, der durch staatliche Hilfe ausgeglichen und befriedigt werden 17 Dahinter steht der Schutzgedanke, daß die Gemeinschaft nicht für die vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführte Bedürftigkeit des einzelnen einzustehen haben soll. Dazu Köbl, Ursula, Schranken der Privatautonomie aufgrund Sozialhilferechts - eine grundsätzliche Orientierung, ZfSHISGB 1990,449 [449 ff.]. 18 Die praktizierte pauschale Reduktion des Sozialhilfesatzes für Asylbewerber war ermessensfehlerhaft, da das Ermessen, welches diese Vorschrift eröffnete, nicht ausgeübt wurde. Der Zweck, das Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland so unattraktiv wie möglich zu machen, war kein zulässiges Kriterium. Die Bedürftigkeit ist stets strikt personenbezogen-individuell festzustellen. Die Reduktionsmöglichkeit auf das Existenznotwendige für noch nicht anerkannte Asylbewerber hatte ihren Rechtsgrund darin, daß der nicht anerkannte oder noch nicht anerkannte Asylbewerber nicht Bürger der verfaßten Allgemeinheit (Rechtsgemeinschaft) der Bundesrepublik Deutschland ist. 19 Dazu die Verordnung zur Durchführung des § 72 BSHG vom 9. 6. 76, abgedruckt z. B. bei Roseher in Lehr- und Praxiskommentar BSHG, Baden-Baden 3. Auf!. 1991, zu§ 72. Personenkreise, für die besondere soziale Schwierigkeiten vermutet werden, sind Obdachlose, Landfahrer, Nichtseßhafte, entlassene Strafgefangene und verhaltensgestörte Jugendliche.

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soll. Die Notlage ist jeweils speziell durch einen besonderen Umstand bestimmt und wird mit einer gezielten staatlichen Maßnahme bewältigt. Hilfe in besonderen Lebenslagen ist keine ,,klassische" Armenfürsorge, sondern punktuell operierendes Instrument staatlicher Daseinsvorsorge20. Die Hilfe in besonderen Lebenslagen differenziert sich aus in ,,Muß- Leistungen", z. B. §§ 37, 38, 39, 67, 68, 69 III 1 BSHG, "Soll-Leistungen", z. B. §§ 36, 70, 72, 75 BSHG und "Kann-Leistungen", z. B. §§ 30, 39 I 2, 75 III BSHG. Hier besteht also in weiten Bereichen - entgegen der Verheißung des § 4 I 1 BSHG lediglich ein Anspruch auf ein pflichtgemäßes Ennessen bei Entscheidung über das "Ob" der Hilfe und kein direkter Anspruch auf die Hilfe selbst. Diesen Ansprüchen gegenüber ist die Hilfe zum Lebensunterhalt gern. § 11 I 1 BSHG eine "Muß"-Leistung. 2. Grundsätze der Sozialhilfeleistung

Das Maß und die Fonn der Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt werden geleitet von im BSHG geregelten sozialhilferechtlichen Grundsätzen. Mit diesen Grundsätzen ist der Zweck der Hilfe näher zu erschliessen. Sie haben unmittelbare praktische Bedeutung für das Verwaltungshandeln, für die Gewährung oder Versagung von Hilfe. Die Grundsätze im Überblick: - Bedürftigkeit des Hilfeempfängers; - Subsidiarität der Hilfe; Arbeitspflicht des Hilfeempfängers; - Offizial- oder Spontaneitätsgrundsatz für die Hilfegewährung; - Individualisierung der Hilfeleistung; - Rechtsanspruch auf Hilfeleistung; - Unverfügbarkeit des Anspruchs auf Hilfe. Sowohl für die Hilfe zum Lebensunterhalt wie für die Hilfe in besonderen Lebenslagen ist die Bedürftigkeit des Hilfsempfängers Voraussetzung der Leistungsgewährung. Ob jemand bedürftig ist, ergibt sich aus seinem Einkommen, § 76 I BSHG2\ von dem der Regelbedarf gern. §§ 22; 23; 24 BSHG und der Mehrbedarf22 abgezogen wird. Ergibt sich, daß Regel- und Mehrbedarf das verfügbare Einkommen übersteigen, so hat der Bürger einen Anspruch auf Hilfe zum LebensSchulteffrenk-Hinterberger, Sozialhilfe, S. 251. Das Einkommen wird gern. §§ 76 II - 78 BSHG bereinigt. 22 Im Gesetz nicht ausdrücklich verwendeter Begriff - hierunter fallen z. B. Miet-, Heizungs-, Alters- oder Krankenversicherungskosten, die vom Warenkorb des Regelsatzes nicht erfaßt werden. Vgl. zur konkreten Berechnung übersichtlich Brühl, Albrecht, Mein Recht auf Sozialhilfe, München 8. Auf!. 1991, S. 37-45, ferner Oestreicher/Schelter/Kunz, Bundessozialhilfegesetz- Kommentar zu den genannten Vorschriften. 20

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unterhalt in Höhe der Differenz zwischen Einkommen und Bedarf. Hilfe zum Lebensunterhalt setzt dann ein, wenn das Einkommen des Bedürftigen den Regelbedarf und den Mehrbedarf unterschreitet. Nicht jeder Vermögensgegenstand muß dabei eingesetzt werden. Es wird hier vom Gesetz ein Kernbereich der Intimgegenstände eingeräumt, deren Verlust eine besondere Härte darstellen würde, § 88 II BSHG23 . Die Sozialhilfe greift erst ein, wenn der Bedürftige sich nicht selbst helfen kann oder ohne sonstiges Vermögen (z. B. privat- oder öffentlichrechtliche Unterhaltsansprüche) ist,§ 2 I BSHG. Dieser Grundsatz des Nachrangs oder der Subsidiarität ist eine direkte Folgerung aus dem Bedürftigkeitsprinzip. Wer sonstige Ansprüche auf private Unterhaltsleistung oder Leistungen der Sozialversicherungen hat, ist vermögend und nicht bedürftig, muß daher nicht durch die Allgemeinheit unterstützt werden. Die Gewährung von Sozialhilfe geschieht unabhängig von den Tatsachen, welche die Notlage bei dem Bedürftigen bewirkten. Dieser Grundsatz hat zwei Ausnahmen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist§ 25 II BSHG. Demnach kann die Hilfe auf das Unerläßliche eingeschränkt werden, wenn der Hilfesuchende die Anspruchsvoraussetzungen des § 11 I S. 1 BSHG absichtlich herbeigeführt hat, sei es durch Vermögensverminderung (§ 25 II Nr. 1 BSHG), sei es durch Beendigung eines Arbeitsverhältnisses (§ 25 II Nr. 3 BSHG), oder sei es, daß ein Hilfeempfänger trotz Belehrung sein unwirtschaftliches Verhalten fortsetzt (§ 25 II Nr. 2 BSHG). Eine weitere Ausnahme bildet der§ 120 III 1 BSHG, der bestimmt, daß dem Ausländer, der sich zum Zweck des Leistungsbezugs in die Bundesrepublik Deutschland begeben hat, der Anspruch verwehrt wird. Der Grundsatz der Spontaneität oder das Offizialprinzip der Sozialhilfe , § 5 BSHG, besagt, daß die Hilfe schon dann einsetzen soll, wenn der zuständigen Stelle die Voraussetzungen der Leistungsgewährung bei einer Person bekannt werden, ohne daß es eines Antrags bedarf24. Das Arbeitsgebot aus den§§ 18 I, 25 BSHG25 ist als spezielle Regelung zu den allgemeinen sozialrechtlichen Mitwirkungspflichten der §§ 60 ff. SGB/1 zu versteSogenanntes "Schonvermögen". Knopp-Fichtner BSHG-Komm. § 5 Rn. 1-3. Dazu im Gegensatz steht die Praxis, die weniger aufsuchende Hilfe anbietet, als die Bedürftigen in der Behörde abzuwarten, um dort formularmäßig-antragsgleich Kenntnis von den Voraussetzungen der Hilfe zu nehmen. Dazu instruktiv und krititsch Schoch,Dietrich, Der Sozialhilfeantrag und die Ermittlung der rechtserheblichen Tatsachen, in Zentralblatt für Sozialversicherung,Sozialhilfe und Versorgung 87, 65 [68]. 25 Krahmer in LPK-BSHG, § 18 Rn. 1 sieht in der Arbeitspflicht eine Konkretisierung des Subsidiaritätsprinzips im BSHG. Dieses ist wiederum Ausgestaltung des Bedürftigkeitsprinzips, demnach niemand bedürftig ist, der sich aus anderen Quellen als die Sozialhilfe Unterhalt für sich und seine Familie besorgen kann. Die andere Quelle ist in diesem Fall das Vermögen, zurnutbare Arbeit zu verrichten und so den notwendigen Lebensunterhalt bestreiten zu können. 23

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hen, schließt deren Anwendung aber nicht aus. Die Mitwirkung besteht hier in der Selbsthilfe, durch eigene Arbeit die Notlage zu beheben. Wer notwendige und zumutbare Mitwirkung unterläßt, also z. B. einer Selbsthilfe- oder Auskunftspflicht nicht nachkommt, dem kann der Anspruch auf Sozialhilfe nach den allgemeinen sozialrechtlichen Regeln oder aber dem besonderen § 25 BSHG eingeschränkt oder vorübergehend gestrichen werden. Der Grundsatz der Individualisierung des § 3 I BSHG besagt, daß die Leistungsgewährung sich nach den Erfordernissen des Einzelfalls auszurichten hat. Den Wünschen des Hilfeempfängers soll entsprochen werden. Auch dieser Grundsatz ist als präzisere Fassung des Bedürftigkeitsprinzips zu verstehen, da Bedürftigkeit grundsätzlich keine generalisierende Betrachtung zuläßt, sondern stets individuell ist. Bedarf ist persönlich und speziell26. Typisierte Leistungen laufen Gefahr, am persönlichen Bedarf vorbeizugehen. Im Widerspruch zu diesem Grundsatz scheint das Regelsatzwesen des § 22 BSHG zu stehen, nach dem die Leistungen der Sozialhilfeverwaltung durch die Ländersozialbehörden standardisierend festgelegt werden27 . Der Regelsatz generalisiert zwar, überläßt aber die entscheidenden Lenkungen des Mitteleinsatzes - wofür also die Geldleistung ausgegeben wird - dem Bedürftigen selbst. Damit ist ein Kompromiß zwischen Gleichbehandlung vor dem BSHG und bedarfsorientierter Hilfe gefunden. Der Anspruch auf Sozialhilfe ist unverfügbar, § 4 I 2 BSHG: "Der Anspruch kann nicht übertragen, verpfändet oder gepfandet werden. " 28

Damit ist jede Form der zivilrechtliehen Entäußerung unwirksam. § 4 I 2 BSHG ist ein gesetzliches Verbot i. S. d. § 134 BGB. Die Bestimmung ist eine Besonderheit gegenüber sonstigen sozialrechtlichen Geldansprüchen, die gern. den im § 53 SGB/1 genannten Voraussetzungen übertragen werden können. Auch die Unverfügbarkeit ist eine Konsequenz des Bedürftigkeitsprinzips. Die Hilfe wird auf die Bedürftigkeit hin geleistet, diese ist jedoch höchstpersönlich. Nur wer bedürftig ist, soll in den Genuß der gegenleistungsfreien Gemeinschaftsleistung "Hilfe zum Lebensunterhalt" kommen. Folgerichtig ist auch die Anwendung der§§ 48-50 SGB/1 und die Vererblichkeit des Anspruchs ausgeschlossen29•

BVerwGE 50,73 [75]; 55,148 [150]. Zum Spannungsverhältnis Individualisierungsgebot-Regelsätze Schultetrrenk-Hinterberger, Sozialhilfe, S. 115 f.; Giese, ZfSH 75,129 ff. 28 Dahinter steht der Rechtsgedanke eines vollstreckungsfreien Vermögensraums wie bei den Pfandungsfreigrenzen für Arbeitseinkommen, §§ 850 - 850i ZPO; s.a. § 400 BGB. Dem Schuldner soll das Existenznotwendige belassen und trotzdem noch Anreiz zur Arbeit geboten werden. 29 BVerwGE 25, 23 [25 ff.]; 58,68 [69 ff.]; dazu Roseher in LPK-BSHG, § 4 Rn. 19, 21. Die Einschränkungen von privaten Rechten durch Sozialhilferecht bespricht Köbl, Ursula, Schranken der Privatautonomie aufgrund Sozialhilferechts - eine grundsätzliche Orientierung, ZfSHISGB 90, 449-465. 26 27

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§ 4 I BSHG i.V.m. § 38 SGB/1 geben dem Bedürftigen einen Rechtsanspruch auf Hilfe. Der Anspruch ist nur dem Grunde nach formuliert, die nähere Ausgestaltung - die "Ausfüllung" des Anspruchs - ist unter den Vorbehalt weiterer gesetzlicher Regelung gestellt. Fraglich ist, welchen Regularien die gesetzliche Ausfüllung des Sozialhilfeanspruchs unterliegt. In Betracht als Regularien kommen nur die Aufgaben und Ziele, wie sie im SGB/1 formuliert sind und die sozialstaatliehen Grundsätze, die sich aus dem Grundgesetz herleiten lassen. Im Zentrum des Interesses steht die Leistungsgewährung. Der Bedürftige muß mit Erwartungssicherheit einen bestimmten Lebensstandard gewährt bekommen. Der steuerzahlende Bürger muß mit Erwartungssicherheit absehen können, welche Abgabenbelastung durch Finanzierung von Sozialhilfe auf ihn zukommt. Der § 22 III BSHG verweist hinsichtlich der konkreten Bestimmung der Regelsatzhöhe auf die Landessozialbehörden, die gemäß der Regelsatzverordnung des Bundesministers für Jugend,Familie,Frauen und Gesundheit die Höhe der Regelsätze festlegen. Die Verfahren in den einzelnen Behörden oder von diesen gern. § 22 III BSHG bestimmten Stellen zur Festsetzung des Regelsatzes sind nicht allgemein geregelt30• Die einzelnen Länder bestimmen die Regelsätze in unterschiedlicher Höhe in unterschiedlichen Verfahren. Das ist angesichts der hohen Bedeutung der Regelsätze ein Defizit an Rechtsstaatlichkeie1. Da die Willensvermittlung in dieser Festsetzung zugunsten einer verwaltungsinternen Festsetzung durchbrochen wird, ist ebenfalls eine Verletzung des Demokratiegrundsatzes zu besorgen. Die Regelsätze haben als Festlegung des Existenzminimums in der Bundesrepublik Deutschland Leitfunktion für andere Rechtsgebiete, z. B. das Steuerreche2 , das private Unterhaltsrecht, den zivilprozessualen Vollstreckungsschutz und die Prozeßkostenhilfe, für die Ausbildungsförderung und die Wohngeldgewährung33 . Ihrer wesentlichen Bedeutung nach wären die Regelsätze nur durch ein Gesetz festzulegen.

30 Das Verfahren der Regelsatzfestlegung beschreiben Bieback, Kari-1./Stahlmann, Günther, Existenzminimum und Grundgesetz- Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Festlegung der Regelsätze in der Sozialhilfe, in: Sozialer Fortschritt 87, I [5 f.]. 31 Zu einer anderen Auffassung gelangt der VGH Mannheim in der NVwZ 91,92 [92 ff.]. Die Festsetzung der Regelsätze sei keine wesentliche Entscheidung und stehe damit nicht unter dem parlamentsgesetzlichen Vorbehalt, sondern sei mit der Rechtslage ab Juni 1985 lediglich die Fortschreibung eines Sockelbetrags [S. 93]. Wenn sich die Regelsatzfestsetzung nur darauf reduzierte, wäre es in der Tat nur eine reine Fortrechnung einer einmalig getroffenen gesetzgebensehen Entscheidung. Der Regelsatz und dessen Festsetzung beruht jedoch auf einem ebenfalls nur verwaltungsintern zusammengestellten "Warenkorb", durch den die Höhe des Regelsatzes entscheidend bestimmt wird. Rechtstaatlich und demokratisch unbedenklich wäre es jedoch allein, wenn der Regelsatz in allen seinen bestimmenden Merkmalen parlamentsgesetzlich festgelegt würde. 32 Dazu das BVerfG in NJW 92, 3153 [3153 ff.] zum Einkommenssteuerfreibetrag, welcher mindestens auf Höhe des Sozialhilfesatzes festzulegen ist. 33 Zur Bedeutung der Regelsätze in anderen Rechtsgebieten bei Bieback, Kari-J./Stahlmann, Günther, Existenzminimum und Grundgesetz - Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Festlegung der Regelsätze in der Sozialhilfe, in: Sozialer Fortschritt 1987, S. 1 [7 ff.].

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Bei Streitigkeiten über Ansprüche nach dem BSHG ist der Rechtsweg über § 40 I VwGO zu den Verwaltungsgerichten zulässig. Ansprüche auf Geld- oder Sachleistungen nach dem BSHG sind mit der Verpflichtungsklage gern. § 42 I VwGO oder mit der einstweiligen Anordnung gern. § 123 I VwGO einzufordern. Für Verfahren in Sozialhilfesachen sind Schwerpunktkammern oder -senate zu schaffen, das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten ist kostenfrei, § 188 VwGO. Die Festsetzung der Regelsätze ist im vollen Umfang gerichtlich überprüfbar34, obwohl die Gerichte sich faktisch sehr zurückhalten und bisher keine allgemeingültigen Regeln für die Rechtmäßigkeit der Regelsätze formuliert haben 35 • 3. AUgemeine Grundsätze des Sozialrechts

Das Bundessozialhilfegesetz ist als 9. Buch in das gesetzgebensehe Großvorhaben eines systematischen Sozialgesetzbuches eingeordnet. Im Allgemeinen Teil des Sozialgesetzbuches, SGB/1, werden die Aufgaben und Zuständigkeiten der Sozialverwaltung näher geregelt, für die Sozialhilfe speziell im § 28 SGB/1. Die materiellen Voraussetzungen, "Aufgaben" und ,,Ziele" der Sozialleistungsgewährung, sind allgemein im § 1 I SGB/1, "Aufgaben des Sozialgesetzbuches", gefaßt: "Das Recht des Sozialgesetzbuchs soll zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit Sozialleistungen einschließlich sozialer und erzieherischer Hilfen gestalten. Es soll dazu beitragen, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, gleiche Voraussetzungen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit, insbesondere auch für jüngere Menschen, zu schaffen, die Familie zu schützen und zu fördern, den Erwerb des Lebensunterhalts durch eine frei gewählte Tätigkeit zu ermöglichen und besondere Belastungen des Lebens, auch durch Hilfe zur Selbsthilfe, abzuwenden oder auszugleichen."

Diese Grundsätze gelten insbesondere für die Sozialhilfe. Die materiellen Verbürgungen werden durch die Garantie der Einrichtung von Sozialleistungsträgern, § 1 II SGB/1, ergänzt: "Das Recht des Sozialgesetzbuchs soll auch dazu beitragen, daß die zur Erfüllung der in Absatz 1 genannten Aufgaben erforderlichen sozialen Dienste und Einrichtungen rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen."

Für das Sozialhilferecht formuliert § 9 SGB/1 speziell: "Wer nicht in der Lage ist, aus eigenen Kräften seinen Lebensunterhalt zu bestreiten oder in besonderen Lebenslagen sich selbst zu helfen, und auch von anderer Seite keine ausreichende Hilfe erhält, hat ein Recht auf persönliche und wirtschaftliche Hilfe, die seinem besonderen Bedarf entspricht, ihn zur Selbsthilfe befähigt, die Teilnahme am Le-

BVerwGE 25, 307 [307 ff.]; VGH Mannheim NVwZ 91, 92 [93 ff.]. Bieback, Karl-J./Stahlmann, Günther, Existenzminimum und Grundgesetz - Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Festlegung der Regelsätze in der Sozialhilfe, in: Sozialer Fortschritt 1987, S. 1 ff. [2 ff.]. 34

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ben in der Gemeinschaft ermöglicht und die Führung eines menschenwürdigen Lebens sichert."

In diesem Kontext steht § 1 II BSHG: "Aufgabe der Sozialhilfe ist es, dem Empfänger der Hilfe die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht. Die Hilfe soll ihn so weit wie möglich befähigen, unabhängig von ihr zu leben; hierbei muß er nach seinen Kräften mitwirken."

Die Aufgaben und Ziele des SGB/1 und des BSHG wiederholen die vagen Begriffe des Grundgesetzes von Menschenwürde und personaler Freiheit, ohne sie in dem Maße zu konkretisieren, die sie zu tauglichen Obersätzen einer Subsumtion von behördlichen Entscheidungen machen würde. Die Aufgaben und Ziele, wie sie das SGB/1 formuliert, ergeben keinen verläßlichen normativen Rahmen, anhand dessen die Ausfüllung des Gesetzesvorbehalts des§ 4 I 2 BSHG durch den Gesetzgeber oder durch die Leistungsbehörden gerichtlich überprüft werden könnte. Der Gesetzgeber hat die verfassungsrechtlichen Vorgaben von Menschenwürde, freier Entfaltung der Persönlichkeit, Gleichheit, Familienschutz und das Menschenbild vorn "Bürger als eines soziokulturellen Wesens" in besondere Regelungen der Sozialhilfe einfließen lassen. Betont wird einerseits die Gemeinschaftsgebundenheit des einzelnen, der auf die Solidaritätsleistung der Gerneinschaft vertrauen dürfe, andererseits enthält die Zielbestimmung in den Mitwirkungspflichten einen Appell an dessen Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit Die Zielsetzungen des SGB/1 und des BSHG versuchen, das Bürgerbild der Verfassung- die arbeitende, sozial und kulturell verhaftete, eigenverantwortlich bedürfnisgeleitet handelnde Person - zu integrieren. Das BSHG setzt die wirtschaftliche Selbständigkeit des Bürgers in engen Zusammenhang mit dessen menschenwürdiger Lebensführung. Menschenwürde in diesem Sinne bedeutet zunächst gesicherten Lebensunterhalt, an erster Stelle durch selbst geleistete Erwerbsarbeit, an zweiter Stelle durch Leistungen der an Arbeit gekoppelten gesetzlichen Sozialversicherungssysteme oder durch private Unterhaltsansprüche, und erst an letzter Stelle durch die subsidiäre Gemeinschaftsleistung Sozialhilfe. Gleichwohl bleiben die Zusammenhänge zwischen den leitenden Grundsätzen des BSHG undeutlich. Der systematische Zusammenhang der Ziele und Aufgaben des Sozialhilferechts ist nicht hinreichend bestimmt. So werden die Grundbestimmungen des Gesetzgebers als Ausprägungen der evangelischen und katholischen Soziallehre verstanden. Es wird vertreten, daß die Sozialordnung und damit das BSHG nicht deduktiv systematisch aus Prinzipien herleitbar sei, sondern sich induktiv aus einer Gesamtschau grundsätzlicher Ziele der Sozialordnung erschließe. Sie sei das Resultat einer geschichtlichen Entwicklung, dem BSHG liege also kein geschlossenes, vorgeformtes sozialpolitisches Modell zugrunde. So hätten die Zielbestimmungen Men3 Süchting

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A. BSHG und Art. 14 GG- Verhältnisbestimmung im geltenden Recht

schenwürde, Eigenverantwortung, Selbsthilfe, Solidarität, Vorsorge und Subsidiarität sich zwar in einem geschichtlichen Kontext hervorgearbeitet, jedoch stünden sie in keinem systematisch erlaßbaren Zusammenhang36. Diese Auffassung ist eine Absage an (sozial-) rechtswissenschaftliche Systembildung. Der Hinweis auf die konfessionellen Soziallehren kann die Forderung nach einem aufgeklärten und spezifisch juristischen Sozialrecht nicht befriedigen. Den theologischen Ansätzen zwar nicht unbedingt entgegengesetzt, ist jedoch nach spezifisch rechtlichen Ansätzen zu suchen. Ohne begriffliche Klarheit auf der Ebene der Aufgaben und Ziele, letztlich der verfassungsrechtlichen Vorgaben des Sozialhilferechts, läßt sich keine geordnete Entwicklung des Fürsorgerechts denken. Diese Entwicklung hat immer zwei Seiten zu beachten: den Schutz des Bedürftigen vor ungeregelter Reduktionsgesetzgebung und den Schutz des steuerzahlenden Bürgers vor ungeregeltem Ausbau des Wohlfahrtstaates. Die Vagheit der Begriffe, anband derer die Einzelentscheidungen von Gesetzgeber und Behörden überprüft werden müssen, überträgt sich in die richterlichen Entscheidungen. Die Konkretisierung des Wortlauts der Tatbestände des BSHG bereitet hohe Schwierigkeiten, so daß sich das Sozialhilferecht heute als von der höchstrichterlichen Rechtsprechung geprägtes caselaw darstelle7 • Weitere Anhaltspunkte zur spezifisch rechtlichen Interpretation der Ziele und Aufgaben der Hilfe zum Lebensunterhalt gibt deren verfassungsrechtliche Einordnung. 4. Verfassungsrechtliche Einordnung der Hilfe zum Lebensunterhalt

Das Verfassungsrecht ist normatives Richtmaß für gesetzgeberisches Handeln und für Verwaltungsentscheidung auf dem Gebiet des Sozialhilferechts in zwei Richtungen. Erstens wird mit der grundrechtliehen Fundierung des Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt der normative Rahmen der weiteren Entwicklung dieses Rechts, sei es in wirtschaftlichen Hochkonjunkturen oder Krisenzeiten, gezogen. Insbesondere die formalen Kriterien der Bestimmung des Leistungsniveaus, einerseits als Begünstigung der Bedürftigen, andererseits als Abgabenbelastung der Vermögenden, sind hiervon zu erhoffen. Hier ist nach den materiellverfassungsrechtlichen Voraussetzungen subjektiver Berechtigung auf Hilfe zum Lebensunterhalt zu fragen. Zweitens ist nach den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Verfahren zu suchen, die zur Bestimmung des Leistungsniveaus der Hilfe zum Lebensunter36 Oestreicher/Schelter/Kunz, BSHG-Komm., Einführung Rn. 51 ff. Auch die BT-DS 3/ 1799, Entwurf eines BSHG, spricht von einem evolutionären Charakter des Sozialhilferechts unter Übernahme ehemaliger bewährter Regelungen, S. 32, ohne daß im Entwurf oder dessen Begründung diese Grundsätze reflektiert wurden. 37 Schulte/Trenk-Hinterberger, BSHG, S. 59.

ll. Anspruchsvoraussetzungen der Hilfe zum Lebensunterhalt

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halt führen. Fraglich ist hier, welche Folgerungen aus den materiellen Voraussetzungen subjektiver Berechtigung auf Hilfe zum Lebensunterhalt für die Festsetzung der Regelsätze durch die Ländersozialbehörden unter den Anforderungen rechtsstaatlicher Verfahrensgerechtigkeit zu ziehen sind. Das BSHG wurde im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Art. 74 Nr. 7 GG erlassen und wird von den Ländern als eigene Angelegenheit ausgeführt, Art. 84 Abs. I GG. Die Grundsätze, die heute allgemein die Darstellung der verfassungsrechtlichen Grundlagen der Sozialhilfe bestimmen, sind von der Rechtsprechung anband der Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge vom 1. Aug. 1931 entwickelt worden: "Die Leitgedanken des Grundgesetzes führen dazu, das Fürsorgerecht dahin auszulegen, daß die Rechtspflicht zur Fürsorge deren Träger gegenüber dem Bedürftigen obliegt und dieser einen entsprechenden Rechtsanspruch hat."38

Die das Sozialhilferecht bestimmenden verfassungsrechtlichen Normen seien in ihrem systematischen Zusammenhang zu entfalten und anband der Leitidee der Verfassung vom Menschen als einer selbständigen, sittlich verantwortlichen Person zu konkretisieren39 . Diese Leitidee sei in den Art. l und 20 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3, Art. 2 und Art. 19 des Grundgesetzes aufweisbar. ,,Die unantastbare, von der staatlichen Gewalt zu schützende Würde des Menschen (Art. I) verbietet es, ihn lediglich als Gegenstand staatlichen Handeins zu betrachten, soweit es sich um die Sicherung des ,notwendigen Lebensbedarfs' (§ I der Reichsgrundsätze), also seines Daseins überhaupt, handelt. Das folgt auch aus dem Grundrecht der freien Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1). Im Rechtsstaat (Art. 20 in Verbindung mit Art. 28) sind die Beziehungen des Bürgers grundsätzlich solche des Rechts; daher wird auch das Handeln der öffentlichen Gewalt ihm gegenüber der gerichtlichen Nachprüfung unterworfen (Art. 19 Abs. 4). Mit dem Gedanken des demokratischen Staates wäre es unvereinbar, daß zahlreiche Bürger, die als Wähler die Staatsgewalt mitgestalten, ihr gleichzeitig hinsichtlich ihrer Existenz ohne eigenes Recht gegenüberständen. Auch der Gemeinschaftsgedanke, der in den Grundsätzen des sozialen Rechtsstaats (Art. 20 und 28) und der Sozialgebundenheit des Eigentums (Art. 14 Abs. 2) erschöpft sich nicht in der Gewährung von materiellen Leistungen, sondern verlangt, daß die Teilnehmer der Gemeinschaft als Träger eigener Rechte anerkannt werden, die grundsätzlich einander mit gleichen Rechten gegenüberstehen (vgl. auch Art. 3), und daß nicht ein wesentlicher Teil des Volkes in dieser Gemeinschaft hinsichtlich seiner Existenz ohne Rechte dasteht. Endlich ist auch das Grundrecht auf Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2) Ausfluß jenes Grundgedankens. "40

BVerwGE I, 159 [161]. Leitend BVerwGE 1, 159 [161] mit Verweis auf BVerfGE 2, 380 [381, 4. Leitsatz] dort vertritt das BVerfG die These des systematischen Zusammenhangs aller Verfassungsrechtssätze, die u.a. auch das ,,Menschenbild des Grundgesetzes" verfassen. Dazu Schulte/ Trenk-Hinterberger, BSHG, S. 46 ff. 38

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A. BSHG und Art. 14 GG- Verhältnisbestimmung im geltenden Recht

Diesen leitenden Grundüberzeugungen ist zuzustimmen, auch wenn sie die vefassungsrechtliche Fundierung des BSHG unter dem Aspekt der Eigentumsgarantie nur unzureichend benennen. Das Recht auf Sozialhilfe ist keine etatistisch-verselbständigte Wohltat, welche auf einer positivistisch in die Verfassung hineingelesenen "Staatsaufgabe" beruht, sondern begründet und begrenzt sich im subjektiven Recht des Bedürftigen. Zu den Zusammenhängen zwischen Grundrechten und Sozialhilfe im einzelnen:

Art. 1 Abs. 1 GG: Oberstes Ziel des Sozialhilferechts ist es, dem Bedürftigen ein menschenwürdiges Dasein zu sichern. Die Sicherung des Existenzminimums wird ausgehend vom Art. 1 Abs. 1 GG garantiert. Der Menschenwürdegrundsatz steht unter der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG, hat also neben den Staatgrundsätzen des Art. 20 Abs. 1 besonders hohen Rang. Die Verbürgung der Menschenwürde, auf welche die §§ 1; 9 SGB/1; 1 II BSHG verweisen, wurde ursprünglich als ein Abwehrgrundrecht gegen staatliches Handeln konzipiert. Der Staat soll den Bürger nicht zum bloßen Objekt seines Handeins verächtlich herabwürdigen und somit dessen Rechtssubjektsqualität prinzipiell in Frage stellen dürfen41 • Staatliches Handeln hat den Bürger in dem Wert zu achten, der ihm kraft seines Personseins zukommt42 • In einer sozialstaatliehen Auslegung des Art. 1 Abs. 1 GG wird dem Staat jedoch zusätzlich auferlegt, ,jenes Existenzminimum zu gewähren, das ein menschenwürdiges Dasein überhaupt erst ausmacht. " 43 Darin ist - die Pflicht des Staates gewendet zu einem korrespondierenden Anspruch- eine Teilhabeberechtigung ausgedrückt. Die Entwicklung des Menschenwürdeprinzips von einem liberal- klassischen "status negativus" hin zu einem sozialstaatlich motivierten Teilhaberecht ging einher mit einem gewandelten Verständnis der Grundrechte überhaupt, wie es das Bundesverfassungsgericht im ,,numerus clausus"-Urteil formulierte. Grundrechte haben der herkömmlichen Auslegung nach zwei Seiten. Die eine ist dem Staat abgewandt und grenzt die bürgerliche Freiheit und ihre Verwirklichungen in der Güterwelt gegen staatlichen Zugriff ab. Die andere ist dem Staat zugewandt und begreift den Staat als Umsetzungs- und Verwirklichungsmodus bürgerlicher Freiheit BVerwGE 1, 159 [161,162]. Geddert-Steinacher, Tatjana: "Menschenwürde als Verfassungsbegriff-Aspekte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art.l Abs.1 GG", Diss. Tübingen 1991 interpretiert die auf Dürig zurückgehende "Objektformel" des BVerfG's vor dem Hintergrund der kantischen Moralphilosophie, insbes. des kategorischem Imperativs. Geddert-Steinacher weist jedoch nicht auf, wie Würde und Autonomie bei Kant im Verhältnis äußerer personaler Freiheit spezifisch als Rechtsbegriffe zu verstehen sind. Das sind vor der Trennung von Moral und Recht im Begriff des Rechts, § B zur Einleitung in die Rechtslehre/Metaphysik der Sitten, noch notwendig vorzunehmende Bestimmungen. 42 BVerfGE 30, 1 [25, 26]. 43 BVerfGE 45, 187 [228], ,,Lebenslange Freiheitsstrafe" . 40 41

II. Anspruchsvoraussetzungen der Hilfe zum Lebensunterhalt

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in der Gemeinschaft mit anderen, was sich in Vermittlung der Freiheitsverwirklichungen in der Gegenständlichkeit äußert, d. h. Verteilung, Ausgleich und bedürftigenfalls Zuteilung oder Teilhabe an den Gütern der bürgerlichen Gesellschaft. ,)e stärker der moderne Staat sich der sozialen Sicherung und kulturellen Förderung der Bürger zuwendet, desto mehr tritt im Verhältnis zwischen Bürger und Staat neben das ursprüngliche Postulat grundrechtlicher Freiheitssicherung vor dem Staat die komplementäre Forderung nach grundrechtlicher Verbürgung der Teilhabe an staatlichen Leistungen. " 44

Zwar soll der Staat den einzelnen nicht sämtlicher Lebensrisiken entheben, jedoch ist er aus seinen grundrechtliehen Verbürgungen zu einer maßvollen Daseinsvorsorge verpflichtet, die dem einzelnen die existenzielle Angst nimmt, sich und/ oder seine Familie nicht mehr mit dem Notwendigsten versorgen zu können45 . Der Gedanke staatlicher Fürsorge hat im beschränkten Umfang Eingang in den Grundrechtsteil gefunden46 und erschließt sich u.a. über eine sozialstaatliche Auslegung des Art. 1 Abs. I GG. Kontrovers wird in der Literatur das Problem behandelt, ob schon die grundrechtliche Bestimmung des Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot dem einzelnen ein subjektives öffentliches Recht auf Sozialhilfe gibt. Diese Frage war zu der Zeit aufgeworfen, als der § 4 I 1 BSHG nicht existierte und das Fürsorgerecht von den Reichsgrundsätzen des Jahres 1931 bestimmt wurde. Der Streit in der Literatur bezieht sich auf die hypothetische Vorstellung, ob - wenn keine die Sozialordnung regelnden Gesetze wie das BSHG oder die Reichsgrundsätze existieren würden - dann die Bestimmung des Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsgebot dem einzelnen allein schon ohne einfachgesetzliche Umsetzung ein subjektives öffentliches Recht auf staatliche Fürsorgeleistung zusprechen würde. Mit dieser Problemstellung, ein subjektives öffentliches Recht schon auf Verfassungsebene zu begründen, erschließt sich der verfassungsrechtliche Gehalt der durch das BSHG gewährten Rechte. Die Vorgaben einer gerechten Sozialordnung werden so normativ erfaßt. Ein subjektives öffentliches Recht auf Sozialhilfe auf Verfassungsebene wird mit dem Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und auf den§ 2 I SGB/1, der den Fürsorgeanspruch nur im Rahmen geltender Gesetze anerkennt, vemeint47 . Der alleinige Hinweis auf§ 2 SGB/1 ist jedoch zu beanstanden. Das einfache Gesetzesrecht ist nicht methodisch zulässig als einziges Deutungskriterium zur Interpretation einer Verfassungsnorm heranzuziehen. Auch der Hinweis 44 45

BVerfGE 33, 303 [330, 331], ,,Numerus clausus". BVerwGE 1, 159 [161].

46 BVerfGE 1, 97 [104]- diese Entscheidung war dem liberal- klassischen Konzept, welches nur auf die Abwehrfunktion des Grundrechts abhob, noch verhaftet. Es wurde über einen Anspruch auf "angemessene Versorgung" im Gegensatz zu "notwendiger Versorgung" diskutiert und verneint. Die Entscheidungsgründe waren jedoch in Richtung sozialstaatlicher Interpretation des Art. 1 Abs.1 GG offen. 47 Knopp/Fichtner im BSHG-Kommentar § 1 Rn. 12; § 4 Rn. 2 mit Verweis auf BVerfGE 1, 97 [104] und 22, 180.

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A. BSHG und Art. 14 GG- Verhältnisbestimmung im geltenden Recht

auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 1,97 [104,105] ist zweifelhaft, weil in dieser Entscheidung der Anspruch auf angemessene, nicht aber auf notwendige Hilfe verneint wurde. In dieser letzten Richtung blieb die Entscheidung offen. Ein subjektives öffentliches Recht auf Fürsorge direkt aus dem Menschenwürdegrundsatz wird bejaht mit dem Argument, der Wesensgehalt der Menschenwürde diktiere die Gewährung eines Existenzminimums 48 • In einer Zusammenschau der grundrechtliehen Garantien, des Sozial- und Rechtsstaatsgebots und des Demokratieprinzips in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG ergebe sich begrifflich die Pflicht des Staates zur Sozialhilfe. Aber auch an diese Auffassung knüpfen sich Zweifel. Ein subjektives Recht setzt ein materielles Gesetz voraus, das aufgrund eines bestimmten Tatbestandes einen Verpflichteten und einen Berechtigten zu bestimmen gestattet, welcher durch die Rechtsfolge nicht nur tatsächlich begünstigt wird, sondern nach dem Zweck des Gesetzes auch begünstigt werden soll49 • Die Rechtsgrundlage eines subjektiven öffentlichen Rechts muß also hinreichend bestimmbar hinsichtlich des in der Regelung Gewollten, und zwar hinsichtlich Anspruchsberechtigten, Anspruchspflichtigen und Inhalts des Anspruchs, sein. Das subjektive Recht ist öffentlich, wenn der Verpflichtete Träger öffentlicher Gewalt ist, somit nach der Subjektstheorie das materielle Gesetz dem öffentlichen Recht zugehört. Bei der Bejahung eines subjektiven öffentlichen Rechts nur aus dem Art. 1 Abs. 1 GG in Zusammenschau mit anderen - gleichfalls nicht hinreichend konkretisierten - grundrechtliehen Verbürgungen wird nicht beachtet, daß ein subjektives öffentliches Recht gemäß der oben angeführten Definition einen gesetzlich bestimmten Tatbestand voraussetzt. Dieser ist jedoch mit dem Art. 1 Abs. 1 GG auch in Zusammenhang mit dem Sozialstaatsgebot - nicht gegeben. Auch ist die Interpretation dieser Grundbestimmung keinesfalls eindeutig und unstreitig, so daß von einer Konkretisierung durch Interpretation keine Rede sein kann. Ohne Rückgriff auf speziellere, vor dem Hintergrund des Menschenwürdegrundsatzes auszudeutende Grundrechte wird daher ein subjektives öffentliches Recht auf der Grundrechtsebene der formellen Voraussetzung nach nicht zu begründen sein. Das gelingt hinsichtlich eines Anspruchs auf Leistung des für die Daseinshaltung Unerläßlichen durch Rückgriff auf die Verbürgung des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot Damit läßt sich ein subjektives öffentliches Recht auf den biologischen Grundbedarf des Menschen begründen. Sozialhilfe deckt jedoch nicht nur die reine Subsistenz des einzelnen ab, sondern begreift ihn dem ,,Menschenbild des Grundgesetzes" entsprechend als soziales und kulturelles Wesen. Diesem Men48 Dürig, Günter in Maunz/Dürig/Herzog, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 1 Rn. 4345; Nipperdey, Grundrechte Bd. 2 S. 5 ff.; Knoll, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 111, 418 ff.; und nicht zuletzt die oben ausführlich zitierte Entscheidung BVerwGE 1, 159 [161]. 49 Wolff/Bachof, VwR I, § 43 I b.

II. Anspruchsvoraussetzungen der Hilfe zum Lebensunterhalt

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sehenbild entsprechend ist im Warenkorb zur Regelsatzberechnung ein sogenannter "soziokultureller Anteil" integriert. Um einen Anspruch auf den soziokulturellen Anteil zu begründen, ist es ebenfalls notwendig, ein spezielleres Grundrecht zu finden, dieses in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsgebot zu interpretieren, um so alle normativen Aspekte der Fürsorge vollständig zu erfassen. Für den Bereich der eigenverantwortlichen Lebensführung mit eigenem selbstbestimmten Gütereinsatz, der im Falle des Bedürftigen ein Recht zur Teilhabe an den Gütern der Produktionsgemeinschaft zur Daseinsbewältigung darstellt, ist dieses nicht möglich ohne Rückgriff auf Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG. In der Eigentumsgarantie ist die gegenständliche Vermittlung subjektiver Freiheit, wie sie sich für den Bedürftigen selbst und für andere in seinem Handeln verwirklicht, grundrechtlich geschützt. Festzuhalten ist zunächst, daß die subjektive Berechtigung auf Sozialhilfe sich nur durch eine komplementäre Zusammenschau des Menschenwürdegrundsatzes, der Wesensgehaltsgarantie, des Sozialstaatsgebots und der Spezialgrundrechte auf Verfassungsebene ergeben kann.

Art. 2 Abs. 1 GG: § 1 II SGB/1 verweist auf das Recht zur freien Entfaltung der Persönlichkeit, die allgemeine Handlungsfreiheit, auf das Recht, im Rahmen der Rechte anderer, der verfassungsmäßigen Ordnung und des Sittengesetzes zu tun oder zu lassen was man will. Die allgemeine Handlungsfreiheit ist im engen Zusammenhang mit dem Menschenwürdegrundsatz zu sehen, mit dem zusammen sie das ,,Menschenbild des Grundgesetzes" prägt50• Der handlungsfreie Bürger ist als bedürfnisgeleitet handelnde Person zu begriffen, welche der materiellen Voraussetzungen eigener Handlungen bedarf. Nahrung, Obdach, soziale und kulturelle Bezüge, die materiellen Voraussetzungen des Daseins überhaupt sind damit urnfaßt. Hierin liegt der Zusammenhang zwischen Hilfe zum Lebensunterhalt und personaler Handlungsfreiheit. Ohne diese liefe das Grundrecht auf Freiheit leer, das bloße Vermögen, frei handeln zu können, hätte keinen Platz in der gesellschaftlichen Wirklichkeit und Güterwelt

Art. 2 Abs. 2 GG: Der Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit hängt zwar mit dem Sinn und Zweck der Sozialhilfe zusammen, welche gerade eine Lebenshaltung ermöglichen soll, urnfaßt aber nicht den Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt in seinem spezifisch vermögenswerten Wesen als Anspruch gegen den Staat.

Art. 3 Abs. 1 GG: Die Formulierung des § 1 I SGB/1, es soll dazu beigetragen werden, "gleiche Voraussetzungen" der freien Entfaltung der Persönlichkeit zu schaffen, verweist auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Diesem nach ist Gleiso Grundlegende Interpretation des Art. 2 Abs. I GG in BVerfGE 6, 32 [36 f.].

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A. BSHG und Art. 14 GG- Verhältnisbestimmung im geltenden Recht

ches gleich und Ungleiches der Ungleichheit entsprechend zu behandeln. Der Emanzipationsgedanke im Sozialrecht hat drei Dimensionen: Erstens, die subjektive Berechtigung des Hilfeempfängers gegenüber der Behörde, die Emanzipation des Bedürftigen im Leistungsverhältnis; zweitens, die Gleichstellung der Hilfeempfänger untereinander unter Berücksichtigung des Individualisierungsgrundsatzes51; drittens, die Gleichstellung der Hilfeempfänger zur nicht leistungsempfangenden vermögenden Bevölkerung, von der sie das Leistungsniveau der Hilfe zum Lebensunterhalt nicht offensichtlich und diskriminierend abheben darf.

Rechts- und Sozialstaatsgebot: Keine Grundrechte, aber verfassungsrechtliche Grundbestimmungen sind das Rechtstaatsgebot und das Sozialstaatsgebot, Art. 20 Abs. 1; 28 Abs. 1 GG. Die rechtsförmige Ausgestaltung der sozialen Ansprüche im § 2 I SGB/1 und § 4 I 1 BSHG setzen die Hilfe zum Lebensunterhalt, den Sozial- und den Rechtsstaatsgedanken in einen unlösbaren Zusammenhang. Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips sind die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, die ungeschriebenen Grundsätze des Vertrauensschutzes, sowie die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Vorbehalt des Gesetzes 52 . Wie oben dargestellt, sind alle Entscheidungen auf Grundlage des BSHG justiziahe!. Auch die Regelsatzfestsetzungen können Gegenstand richterlicher Überprüfung sein. Die Kriterien, nach denen die Prüfung sich bestimmt, sind jedoch nur wenig ausgearbeitet53 . Formal ist jedoch der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Genüge getan. Vertrauensschutz gilt auch und gerade hinsichtlich sozialer Ansprüche. Das Problem des allgemeinen rechtsstaatliehen Vertrauensschutzes ist die Vagheit seiner 51 Auf die Ungleichheit der Bedürftigkeit der Hilfeempfänger wird mit dem Individualisierungsgrundsatz des § 3 I BSHG Rücksicht genommen. 52 Zu diesen Prinzipien Wolff/Bachof, VwR I, § 30 S. 174 ff. Das Verwaltungshandeln muß dem materiellen Gehalt der Gesetze entsprechen (Gesetzmäßigkeit der Verwaltung). Keine Rechtspflicht ohne gesetzliche Ermächtigungsgrundlage (Vorbehalt des Gesetzes). 53 Besonders klar wird dieser Mangel in BVerwGE 87, 212 [212 ff.] bei Beantwortung der Frage, ob Spielzeug für Kinder Bestandteil des persönlichen Bedarfs und damit im Regelsatz enthalten ist oder nicht. Das Verfahren nahm seinen Ausgang im Begehren der Eltern, die für ihr Kind eine einmalige Hilfe zur Anschaffung eines Dreirades beantragten. In einer Argumentation, die direkt ausging vom Menschenwürdegrundsatz ohne weitere grundrechtliche Konkretisierung unternahm es das BVerwG, das Kinderspiel als notwendiges menschenwürdiges Verhalten des Kindes zu bestimmen und die dafür gebrauchten Sachen - Spielzeug als deswegen vom persönlichen Bedarf und vom Regelsatz umfaßt darzustellen. Die einmalige zusätzliche Hilfe wurde abgelehnt. Das ist im Ergebnis überzeugend, jedoch ist die Begründung allein mit dem Menschenwürdeprinzip zu abstrakt. Der Regelsatz ist konkreter von der persönlichen Freiheit des Kindes, Art. 2 Abs. I GG, und vom Grundrecht auf Ehe und Familie, welches auch die Freiheit der Kindererziehung beinhaltet, Art. 6 Abs. 1 GG, sowie vom Gedanken eines notwendigen Farnilienvermögens, welches die freie Entwicklung der Kinder ermöglicht, Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG, bestimmt.

11. Anspruchsvoraussetzungen der Hilfe zum Lebensunterhalt

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Bestimmungen54. Das betrifft z. B. das Verbot echter Rückwirkung im Sozialrecht, ebenso wie das Vertrauendürfen des Bedürftigen auf eine kontinuierliche Leistungsentwicldung. Wie es um den Vertrauensschutz im Sozialhilferecht bestellt ist hinsichtlich des Vertrauendürfens des Bedürftigen auf einen bestimmten gleichbleibenden oder wachsenden Leistungsstandard bei gleichbleibender oder steigender volkswirtschaftlicher Leistungskraft, ist im Rahmen des Rechtsstaatsprinzips nicht ausgearbeitet worden. Die einfachgesetzliche Ankoppelung der Regelsatzanpassung an den Zeitpunkt der Neubestimmung der Rentenbemessungsgrundlagen, § 22 111 3 BSHG, bestimmt den Zeitpunkt, aber nicht die Höhe der Regelsatzanpassung. Das ist ein Regelungsdefizit55 . § 2 I SGBII verankert den Gesetzesvorbehalt für die Sozialverwaltung, der im § 4 I 1 BSHG nochmals aufgenommen wird mit der Formulierung, daß der Anspruch auf Hilfe besteht, soweit das BSHG es bestimmt. Soziale Rechte bestehen nur im Rahmen gesetzlicher Bestimmungen. Das sichert die formale Gerechtigkeit und die Nachprüfbarkeil der Ausübung staatlicher Umverteilungsfunktionen. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung fordert im Rahmen des Art. 1 Abs. 3 GG von der Sozialhilfebehörde, die Grundrechte zu wahren, die verfassungsgestaltenden Grundsatzentscheidungen zu beachten und Verhältnismäßigkeit im Verfahren einzuhalten. Damit ist die Rechtsförmigkeit des Sozialhilfeverfahrens bestimmt, die materiell grundrechtliche Rahmenbestimmung der Hilfeleistung bleibt jedoch offen.

Naheliegenderweise wird das BSHG in den Zusammenhang des Gebots gebracht, in der Bundesrepublik Deutschland eine gerechte Sozialordnung zu verwirldichen56. ,,Die Fürsorgefür Hilfsbedürftige gehön zu den selbstverständlichen 54 Bieback/Stahlmann, Existenzminimum und Grundgesetz, Sozialer Fortschritt 87, 1 [3]; Böckenförde, Ernst-W., Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs, in Festschrift für A. Amdt, 1969, S. 53 ff., mit vernunftrechtlicher Herleitung des Rechtsstaatsprinzips anband der Rechtslehre Kants, S. 56 f. 55 Bieback/Stahlmann, Existenzminimum und Grundgesetz, Sozialer Fortschritt 87, 1 [5] mit Hinweis auf die nachteiligen Unwägbarkeiten für die Leistungsbezieher, die durch die "Deckelung" der Regelsätze in den Jahren 1982-1985 offensichtlich wurden. Man wird einem Anspruch auf Erwartungssicherheit bzw. Vertrauensschutz nicht entgegenhalten können, daß der Leistungsempfänger sich zu rühren habe und arbeiten soll, statt sich in sicherer Erwartung seiner Bezüge zurückzulehnen; ferner, daß Arbeitslöhne ja auch nicht automatisch angepaßt würden. Erstens ist im Normalfall dem Leistungsempfänger, sei es durch Langzeitarbeitslosigkeit oder durch Krankheit, der Arbeitsmarkt verschlossen, so daß er sich nicht rühren kann auf dem Arbeitsmarkt. Zweitens ist der Regelsatzempfänger ohnehin schon - ähnlich wie sog. ,,Leichtlohngruppen" - in einer wirtschaftlichen Randlage mit dauernd drohendem Verlust der soziokulturellen Bezüge, so daß hier eine erheblich geringere Toleranz hinsichtlich schwankender Leistungsniveaus im Verhältnis zur Produktions- und Konsumtionsgemeinschaft der Anderen besteht. Der integrative Sinn der Sozialhilfe würde verfehlt, wenn das nicht in einer steten Anpassung der Regelsätze an das volkswirtschaftliche Leistungsniveau berücksichtigt würde. 56 Benda, Ernst, Der soziale Rechtsstaat, in:Benda/MaihoferNogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, Berlin/New York 1983, S. 477-554; Bull, Hans-P., Die Staatsaufgaben

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A. BSHG und Art. 14 GG- Verhältnisbestimmung im geltenden Recht

Verpflichtungen eines Sozialstaats. " 51 Das Sozialstaatsgebot fordert, daß der Staat sich der bedürftigen Menschen durch Hilfen der Allgemeinheit annimmt58 . ,,Auch der Gemeinschaftsgedanke, der in den Grundsätzen des sozialen Rechtsstaats (Art. 20 und 28) und der Sozialgebundenheit des Eigentums (Art. 14 Abs. 2) Ausdruck gefunden hat, erschöpft sich nicht in der Gewährung von materiellen Leistungen, sondern verlangt, daß die Teilnehmer der Gemeinschaft als Träger eigener Rechte anerkannt werden, die grundsätzlich einander mit gleichen Rechten gegenüberstehen (vgl.. auch Art. 3), und daß nicht ein wesentlicher Teil des Volkes in dieser Gemeinschaft hinsichtlich seiner Existenz ohne Rechte dasteht. " 59

Es wird aus dem Sozialstaatsgebot heraus argumentiert, daß der erreichte Standard sozialer Sicherung "verfassungsfest", d. h. verfassungsrechtlich gegen Reduktionen abgesichert sei60. Eine Verfassungsfestigkeit sozialrechtlicher Positionen ist jedoch nur relativ zum Vorhandenen zu verstehen. Vorgegebenerweise hängt das Maß des zu Leistenden von dem des Vorhandenen, das Maß der Hilfe also notwendig von der volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ab. Folglich kann ein materiell bestimmter Regelsatz (z. B.: die Hilfe zum Lebensunterhalt beträgt mindestens DM 350,-) nicht in der Verfassung über das Sozialstaatsgebot fixiert werden. Offen bleibt immer noch die Frage, nach welchen Verfahren und Kriterien diese Regelsätze bemessen und angegeglichen werden müssen, welche verfassungsrechtlichen Prinzipien dafür maßgebend sind. An. 14 Abs. 1 S. 1 GG:

Einen ausdrücklichen Bezug zu Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG zog- trotz Hinweises auf die Sozialpflichtigkeit des Eigentums in oben zitierter Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts - für die Sozialhilfeansprüche - soweit ersichtlich - niemand61. Die herrschende Meinung62 bewegt sich in der dogmatischen Spur des nach dem Grundgesetz, Frankfurt!M. 1973, S. 163 ff., 224 ff.; Schlenker, Rolf-U., Soziales Rückschrittsverbot und Grundgesetz, Berlin 1986, S. 91 ff.; Schmidt, Reiner, Der soziale Auftrag des Grundgesetzes, in: Weyer, Willi, Rechtsstaat und Sozialstaat, Stuttgart u.a. 1972, S. 39-61; zur Normqualität des Sozialstaatsprinzips: Wiedenbrüg, Gemot, Der Einfluß des Sozialstaatsprinzips auf die Zuerkennung subjektiver öffentlicher Rechte-Zugleich ein Beitrag über Wesen und Motorik des Sozialstaatsprinzips, Harnburg 1978. 57 BVerfGE 43,13 [19]; 44,353 [375]. 58 Luber in BSHG.Komm. Bd. 1, Allgemeines S. 4. 59 BVerwGE 1, 159 [162]. 60 K.ittner in AK-GG, Art. 20 Rn. 29, der diesen Satz aus dem Arbeitsrecht in das System der sozialen Sicherung transportieren will. 61 Ausnahmslos wird eine unterschiedslose Subsumtion aller vermögenswerten öffentlichen Rechte, ausgenommen Fürsorgeansprüche, unter Art. 14 GG gefordert. Kritisch dazu verhalten sich folgende Autoren, ohne jedoch eine entschieden ausgewiesene andere Meinung zu vertreten: Rittstieg in AK-GG, Art. 14 Rn. 114; Paptistella, Eigentum und eigene Leistung, S. 126; Bull, Der Sozialstaat als Rechtsstaat, ZfS 88, 13; Rupp-v. Brünneck, abweichende Meinung zu BVerfGE 32, 111 - S. 141 ff. Früher: BGHZ 6, 270 [278]; 15, 17 [20]; 27, 69 [73]; in VersR 64, 89 [92]; Giese, DRiZ 53, 61; Stödter, DÖV 53, 98; Haas, System der öffentlichen Entschädigungspflichten, S. 34,74; Hamel, Die Bedeutung der Grundrechte

II. Anspruchsvoraussetzungen der Hilfe zum Lebensunterhalt

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Bundesverfassungsgerichts und grenzt den Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt aus der Eigentumsgarantie aus. Für das Problem der Leistungshöhenbestimmung und des Vertrauensschutzes für den Hilfeempfänger wären jedoch aus der unter dem Gesichtspunkt der staatlichen Sozialhilfe konkretisierten Eigentumsgarantie Anregungen zu erwarten. S. Zusammenfassung

§ 4 I 1 BSHG gibt den Rechtsanspruch auf Sozialhilfe im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen. Dieser wichtige Prograrnrnsatz zieht die staatliche Fürsorge ihrer Intention nach aus dem Bereich beliebig gewährbarer Almosen heraus und erklärt zunächst eine Berechtigung der Hilfsempfanger. Diese Berechtigung bezieht sich nur auf den Anspruchsgrund, nicht auf Anspruchshöhe und Anspruchsart. Der Anspruch wird einfachgesetzlich begründet, ist aber verfassungsrechtlich nicht befriedigend auszufüllen und bleibt somit in entscheidenden Bestimmungen offen:

- Welcher Schutz wird den Hilfsempfängern hinsichtlich der Leistungshöhe zuteil? - Welche Ermessenskriterien bestimmen die Verwaltungsentscheidung? - Kann die Hilfe nach ,,Form" und ,,Maß" beliebig gewählt werden, nach vom je aktuellen Gesetzgeber frei gestaltbaren Ermessensspielräumen? - Besteht ein Vertrauensschutz der Bedürftigen hinsichtlich Leistungshöhe und Leistungsanpassung an die Wirtschaftsentwicklung? - Welche Kriterien bestimmen den Vertrauensschutz? - Geben diese einen wirksamen Schutz gegen sog. ,,Reduktionsgesetzgebung" bei gleichzeitig flexibler Anpassung an volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit? - Ergibt sich aus der besonderen Natur der Sozialhilfe, daß die Entscheidung über das Maß der Hilfe nur in einem formell gesetzlichen Verfahren entschieden werden darf, und eine einfache Verwaltungsrichtlinie, wie es Länderpraxis ist63 , nicht zureicht? im sozialen Rechtsstaat, S. 19; Schack, Neuordnung des öffentlichen Entschädigungsrechts, Gutachten für den 41. DIT, S. 40 Fn. 169; Brinkmann, Grundrechte-Kommentar zum Grundgesetz, Art. 14 Rn. I 1a; Maunz in der frühen (Auf!. 1969) Kommentierung des Art. 14 bei M/0/H, Rn. 37. 62 Herrschend vor allem deshalb, weil das Bundesverfassungsgericht sie vertritt. Die Subsumtionsmöglichkeit wird entweder ignoriert, ausdrücklich verneint und/oder als gefahrvoll angesehen. In Auswahl: Papier in M-0-H, GG-Kommentar 22. Lfrg. München 1983, Rn. 1 ff.; Pieroth, Bodo/Schlink, Bemhard, Grundrechte.Staatsrecht II, 4. Auf!. Heidelberg 1988 Rn. 986 ff.; Bryde,Brun-Otto in v.Münch,Ingo, Grundgestz-Kommentar Bd. 1, München 1984, Art. 14 GG Rn. 11 ff.; Leisner, Walter: ,,Eigentum", in Handbuch des Staatsrechts Bd. IV, S. 1023 ff.; Ossenbühl, Fritz: "Staatshaftungsrecht", 4. Auf!. München 1991, S. 122 ff.

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A. BSHG und Art. 14 GG- Verhältnisbestimmung im geltenden Recht

Unbefriedigend unter dem Aspekt rechtswissenschaftlicher Systembildung ist das unsystematische und darum beliebige Nebeneinander von "Prinzipien". Ebenfalls nicht befriedigen konnten die Ansätze, welche die Sozialhilfegewährung aus der Verfassung heraus zu begründen versuchten. Das Menschenwürdekriterium ohne spezialgrundrechtliche Umsetzung bleibt zu abstrakt, als daß mit ihm ein verläßlicher Rahmen der Gesetzgebungs- und Verwaltungstätigkeit geleistet wäre. Einen Beitrag zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen der Sozialhilfe leistet die nun folgende Bemühung um den Eigentumsbegriff. Ausgegangen wird von der rechtsphilosophisch noch zu begründenden Überzeugung, daß im Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG die gegenständliche Vermittlung von Menschenwürde und persönlicher Freiheit geschützt wird64• Der Eigentumsbegriff wird aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewonnen und dann über die Rückführung zu den rechtsphilosophischen Grundlagen des Eigentums auf die Hilfe zum Lebensunterhalt bezogen. Von dem relativ ausgefeilten System des Bestandsschutzes im Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG lassen sich zur Frage der subjektiven Berechtigung des Bedürftigen Schlüsse ziehen.

111. EigentumsbegritT und Eigentumsschutz von subjektiven ötTenttichen Rechten Mit der Vorstellung des verfassungsgerichtlich entwickelten Eigentumsbegriffs wird der sozialhilferechtliche Zusammenhang verlassen. Dieses neue Ansetzen ist erforderlich, um die nachfolgende Kontroverse um den Eigentumsschutz subjektiver öffentlicher Rechte begrifflich verständlich zu machen und die Entwicklung einer Definition des Eigentumsbegriffs vorzubereiten. Im Abschnitt zum Eigentumsschutz subjektiver öffentlicher Rechte wird der Gegenstand des Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt an den Eigentumsbegriff herangeführt und nach den Kriterien des Bundesverfassungsgerichts ins Verhältnis gesetzt. Das Bundesverfassungsgericht verneint den Eigentumsschutz von Fürsorgeansprüchen. Eine anschließende Kritik des Kriterienkatalogs arbeitet methodische und inhaltliche Mängel dieser Position heraus.

Im Fortgang werden die Obersätze des Bundesverfassungsgerichts zum Eigentumsbegriff zu einer Definition verdichtet, die den Ausgangspunkt für die rechtsphilosophische Reflexion des Kapitels TI bildet.

63 Bieback/Stahlmann, Existenzminimum und Grundgesetz, Sozialer Fortschritt 87, 1 [5 f.]. 64 ,,Eigentum ist Freiheit", Dürig in FS Apelt, S. 30; Eigentum ist die "Objektivation der Freiheit", Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 97.

III. Eigentum und subjektive öffentliche Rechte

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1. Der Eigentumsbegriff aus verfassungsgerichtlicher Sicht

a) Der Eigentumsbegrifl Der Wortlaut des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG ist als Interpretationsbasis denkbar dünn. Die klassische Auslegungsmethode steht vor Schwierigkeiten, neue rechtliche Phänomene nach Art. 14 GG zu beurteilen. Das ist das grundsätzliche Problem im Umgang mit dem Grundrecht auf Eigentum. Das Bundesverfassungsgericht hat auf diese Schwierigkeit bisher nicht mit einer allgemeinen Formel, was denn nun Eigentum sei, reagiert, sondern entwickelt seine Eigentumstheorie mit an Einzelfällen entwickelten Programm- und Obersätzen. Art. 14 GG geht zurück auf den ähnlich lautenden Art. 153 WRV2 • Die Spuren deutscher Eigentumsverfassung lassen sich bis zum Preußischen Allgemeinen Landrecht zurückverfolgen3 • Die bundesdeutsche Interpretationsgeschichte zum Art. 14 GG knüpft an die Traditionen der Weimarer Republik an4 • "Das Eigentum ist ebenso wie die Freiheit ein elementares Grundrecht, das Bekenntnis zu ihm ist eine elementare Wertentscheidung des Grundgesetzes von besonderer Bedeutung für den sozialen Rechtsstaat. " 5

Die Eigentumsgarantie steht also nicht neben sonstigen Spezialgrundrechten wie z. B. die Unverletzlichkeit der Wohnung oder das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, sondern ist gleich der personalen Freiheit des Art. 2 Abs. 1 GG den anderen Grundrechten übergeordnet. Im Eigentum verwirklicht sich Menschenwürde und personale Freiheit in der Gegenständlichkeit. Dieser Zusammenhang ist allen anderen spezielleren Grundrechten systematisch vorausgesetzt. Alle Bemühung um den Eigentumsbegriff steht unter folgendem Verdikt: "Der Begriff des von der Verfassung gewährleisteten Eigentums muß aus der Verfassung selbst gewonnen werden. Aus Nonnen einfachen Rechts, die im Range unter der Verfassung stehen, kann weder der Begriff des Eigenturns im verfassungsrechtlichen Sinn abgeleitet werden noch kann aus der privatrechtliehen Rechtsstellung der Umfang der Gewährleistung des konkreten Eigenturns bestimmt werden." 6 I Zum "Verfassungsbegriff des Eigentums" s. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 126ff., mit umfangreichen weiteren Nachweisen insbes. zur monographischen Literatur. Im folgenden ist allein thematisch die Eigenturnstheorie des BVerfG. 2 Kommentiert von Anschütz,Gerhard, Die Verfassung des Deutschen Reichs vorn 11. August 1919, 14. Auflage 1933, Neudruck Berlin 1960, S. 605f., mit Rückbezug auf die grundlegende Schrift von Wolff, Martin: "Reichsverfassung und Eigentum" in Berliner Festgabe für W. Kahl 1923, S. 3. 3 Überblick über die Geschichte des Eigentums- und Enteignungsbegriffs bei Nicolaysen, Gert "Die Enteignung subjektiver öffentlicher Rechte", Diss. Harnburg 1957, S. 24-57. 4 BVerfGE 2, 380 [399ff.]- was sich durch einen Vergleich der Anschützschen Kornrnentierungen zum Art. 135 WRV (s.o. Fn. 90) mit den heutigen Kornrnentierungen zum Art. 14 GG belegen läßt. s BVerfGE 14, 263 [277].

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A. BSHG und Art. 14 GG- Verhältnisbestimmung im geltenden Recht

Dieser Satz geht von der Selbstverständlichkeit aus, daß normenhierarchisch übergeordnete Begriffe nicht durch untergeordnete Begriffe bestimmt werden können, sondern ihrerseits den untergeordneten als normatives Raster vorstehen. Der Rechtsbegriff ,,Eigentum" kann nur durch eine spezifisch rechtsbegriffliche Anstrengung ergründet werden. Durch diese einfache, klare und als selbstverständlich nachvollziehbare methodologische Positionsbestimmung ist allen Versuchen, den Begriff des Eigentums durch seine ,,Funktionen" in der gesellschaftlichen Wirklichkeit, durch den Enteignungsbegriff oder durch Sammlung und Sichtung niederrangigen Rechts definieren zu wollen, die juristische Grundlage entzogen. Es gebe keinen absoluten Begriff des Eigentums, sondern die konkrete Reichweite der Eigentumsgarantie entwickele sich erst aus der verhältnismäßigen Bestimmung von Inhalt und Schranken gern. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG7 • ,,Absolut" heißt uneingeschränkt, unbedingt, allgemein 8 - sollte dieser Satz so zu verstehen sein, daß es keinen allgemeinen Begriff und damit gar keinen Begriff vom Eigentum geben soll? Die Frage stellen heißt sie verneinen. Das Bundesverfassungsgericht verzichtet keineswegs darauf, allgemeine Merkmale anzugeben: "Das Privateigentum im Sinne der Verfassung zeichnet sich in seinem rechtlichen Gehalt durch Privatnützigkeit und grundsätzliche Verfügungsbefugnis über den Eigentumsgegenstand aus( ...)."9

Dem Einzelnen werden die Gegenstände zum Ge- und Verbrauch zugeordnet, er kann den Gegenstand erwerben und wieder veräußern. ,,Eigentum ist eine Form der Sachherrschaft und damit der umfassende Begriff für die vielfältig denkbaren sachenrechtliehen Beziehungen." 10

Der Eigentumsbegriff ist Oberbegriff jeder dinglichen Berechtigung. Jedes Recht an einer Sache ist eigentumsfähig, sobald ein Recht einer natürlichen oder juristischen Person zugeordnet ist, ist es deren Eigentum. "Diese Sachherrschaft kann nach den verschiedensten Gesichtspunkten und Anschaungen ausgestaltet werden. Das Eigentum bürgerlichen Rechts ist durch seine Privatnützigkeit und grundsätzliche Verfügungsfähigkeit gekennzeichnet." 11

Der zweite Satz ist seinem Sinn nach im § 903 BGB noch schärfer gefaßt: ,,Der Eigentümer einer Sache kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen."

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BVerfGE 58, 300 [325]. BVerfGE 20, 351 [355].

Brockhaus Enzyklopädie Bd. l, Stichwort "absolut". BVerfGE 37, 132 [140]. 10 BVerfGE 24, 367 [389/390]; in Grundsätzen wiederholtE 50, 300 [339f]. 11 BVerfGE 24, 367 [389/390]; in Grundsätzen wiederholtE 50, 300 [339f].

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III. Eigentum und subjektive öffentliche Rechte

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Diese Grundnorm der zivilrechtliehen Eigentumsordnung regelt die Zuordnung einer Sache zum Eigentümer in zwei Richtungen. Erstens als ein tatsächliches Verhältnis zur Sache, in dem die Verfügung über die Sache in die - zunächst - ungeregelte Willkür des Eigentümers gestellt ist. Zweitens als Rechtsverhältnis zu anderen Personen, in dem der Eigentümer die Mitmenschen in deren Willkür dahingehend beschränken kann, daß der konkrete Sachgegenstand kein Objekt ihrer Willkür mehr sein kann. Eigentum ist das umfassendste Herrschaftsrecht des Zivilrechts über eine Sache und ist als ,formaler Zuordnungsbegriff unwandelbar und für alle Sachen gleich" 12• Formalität heißt, daß der Eigentumsbegriff nicht nur auf bestimmte Gegenstände Anwendung findet, sondern gegenstandsunabhängig streng rechtsbegrifflich verfaßt ist. Zuordnung heißt, daß im Eigentumsbegriff ein Rechtsverhältnis zwischen Personen in Ansehung der Gegenstände ausgedrückt ist. Die Verfügungsbefugnis und das Ausschließungsrecht kann durch die Gesetze 13 oder Rechte Dritter 14 beschränkt werden. Rechte Dritter können sich z. B. aus Notsituationen ergeben,§§ 227, 229, 904 BGB; 32,34 StGB, oder aus Rechtsgeschäft, in dem der Eigentümer sich eigener Einwirkungsmöglichkeiten begibt und Einwirkungsmöglichkeiten Dritter eröffnet. Im § 903 BGB spiegelt sich das .,dialektische Verhältnis" von privater Zuordnung und Sozialbindung des Art. 14 GG wieder, welches erst im Zusammenspiel den Inhalt eigentümerischer Berechtigung ergibt. Je stärker der Sachgegenstand in Beziehung zur Allgemeinheit steht, umso stärker schränken vielfältig ausdifferenzierte Gesetze die Eigentümerbefugnisse ein 15 • Das Bundesverfassungsgericht erkennt die Existenz überpositiven, auch den Verfassungsgesetzgeber bindenden Rechts an und ist zuständig, das gesetzte Recht daran zu messen 16•17 • Das Problem istjedoch die Vagheit eines vorpositiven Eigentumsbegriffs. Eine nähere Bestimmung dieses Begriffs wurde nicht versucht, obwohl gerade von diesem schärfere Konturen des Eigentumsbegriffs zu erwarten gewesen wären. So behilft sich das Bundesverfassungsgericht mit den Ausformungen des bürgerlichen Rechts, den gesellschaftlichen Anschauungen und der Funktion des Eigentums, um induktiv aufsteigend von der einfachgesetzlichen Regelung und den sozialen Phänomenen die Prinzipien des Eigentums zu ergründen. Dabei muß es notwendig gegen den eigenen richtigen Grundsatz verstoßen, daß der Verfassungsbegriff •.Eigentum" nicht durch niederrangiges Recht bestimmt werden Palandt, BGB-Kornmentar3 , vor§ 903 Rn Ia. Zu eigentumsbeschränkenden Gesetzen s. Palandt vor § 903 Rn 2. 14 Zum Begriff der Rechte Dritter: Palandt § 1004 Rn 7. 15 Zivilrechtliches Nachbarrecht, §§ 906-923 BGB; öffentliches Nachbar- und Baurecht, z. B. BauGB, Wasserrecht, Naturschutzrecht u.v.m. 16 BVerfGE 1,14 [18]. 12 13

17 Papier in Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz Kommentar Bd. 1, Art. 14 Rn. 1: 6 ,.Die Eigentumsgarantie des GG steht in der Tradition der Philosophie der Aufklärung sowie der rechtsstaatliehen Verfassungen, die die Eigentumsgarantie als Menschenrecht erachteten und von den starken Interdependenzen zwischen Freiheit und Eigentum ausgingen."

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A. BSHG und Art. 14 GG- Verhältnisbestimmung im geltenden Recht

kann, sondern sich durch übergeordnete Grundsätze bestimmt 18 . Von den übergeordneten Grundsätzen absteigend ließen sich die Leitlinien der Eigentumsordnung verläßlich ziehen. Auch die Frage nach der Eigentumsqualität des Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt wird unter einem vorpositiven Eigentumsbegriff beantwortbar.

b) Instituts- und Bestandsgarantie ,,Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistet das Privateigentum sowohl als Rechtsinstitut wie auch in seiner konkreten Gestalt in der Hand des einzelnen Eigentümers." 19

Neben der sog. "Institutsgarantie" des Eigentums steht im Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG die sog."Bestandsgarantie", die die konkrete, schon verwirklichte Verfügungsmacht in der Hand des Eigentümers zum Schutzobjekt hat20 • Fraglich ist der subjektiv-rechtliche Gehalt der sog. "Institutsgarantie". Art. 14 I 1 GG gewährleistet das Privateigentum als Rechtseinrichtung und ergänzt die Garantie persönlicher Freiheit im Art. 2 Abs. 1 GG21 . Eine Rechtsordnung auf dem Boden des geltenden Grundgesetzes, die das Eigentum nicht kennt, ist somit nicht denkbar. Das genaue Verhältnis von Art. 2 und 14 GG entzog sich bisher der Bestimmung, da Begriffe wie ,,Persönlichkeit", "Freiheit" im Art. 2 Abs. 1 GG und "Eigentum" im Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG den traditionellen Auslegungsmethoden nur schwer zugänglich sind. Wie personale Freiheit und Eigentum zusammenhängen, ist im Lauf der Untersuchung mit der Darstellung des vorpositiven Begriffs des Eigentums zu klären. Der subjektiv-rechtliche Gehalt der Institutsgarantie ist vorläufig wie folgt zu bestimmen. ,,Das Grundrecht des Einzelnen setzt das Rechtsinstitut Eigentum voraus; es wäre nicht wirksam gewährleistet, wenn der Gesetzgeber an die Stelle des Privateigentums etwas anderes setzen könnte, was den Namen ,Eigentum' nicht verdient."22

Damit ist zugleich ausgedrückt, daß es vor dem Hintergrund der Institutsgarantie schlechthin unrechtlieh ist, über die Gesetzgebung Gegenstände - nicht nur Gegenstände überhaupt, sondern auch einzelne Gegenstände - außerhalb der Möglichkeit ihres Erwerbs zu setzen. Jeder Gegenstand ist zunächst potentiell Gegenstand sub18 Das bemängeln auch Papier Papier in Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz Kommentar Bd. 1, Art. 14 Rn. 38; und Leisner, DVBl 1983, 61 [63]. 19 BVerfGE 24,367 [389]; 26,215 [222]; 42,263 [294]; 50,290 [339]; 58,300 [339f.]. 2o BVerfG NJW 75,37 [38 I. Sp.]. 21 Dieses Verhältnis zwischen personaler Freiheit und Eigentumsgrundrecht spitzte Dürig in FS Apelt,S. 30ff., zur Formulierung zu: ,,Eigentum ist Freiheit.", was von Ossenbühl mit der Wendung, Eigentum sei die "Objektivation der Freiheit", Staatshaftungsrecht in der 3.Auflage 1983, S. 97, übernommen wurde. 22 BVerfGE 24,367 [389f.].

III. Eigentum und subjektive öffentliche Rechte

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jektiv-privatrechtlicher Berechtigung. Wird auch nur ein einziger Gegenstand aus dem Schutzbereich der Eigentumsgarantie genommen, so wird dieser Gegenstand nicht dem Einzelnen, sondern der verfaßten Allgemeinheit zugeordnet. Das Institut des privaten Eigentums wird auf diesen Gegenstand nicht angewendet, es liegt ein Eingriff in den Schutzbereich der Institutsgarantie vor. Fraglich ist sodann, ob die Institutsgarantie auch verletzt wurde. "Die Rechtsinstitutsgarantie wird noch nicht verletzt, wenn bestimmte Vennögensgüter, die für die Allgemeinheit von essentieller Bedeutung sind, zur Vermeidung von Gefahren für übergeordnete Gemeinwohlbelange nicht der Privatrechtsordnung und ihrem Eigentumsbegriff, sondern einem verwaltungsrechtlichen Herrschafts- und Nutzungsregime unterstellt werden. " 23

Positiv gewendet heißt dieses, daß die "Beweislast" dafür, ob der Eingriff in die Institutsgarantie rechtmäßig war oder nicht, bei dem eingreifenden Gesetzgeber liegt. Dieser hat zu begriinden, daß er den Gegenstand aus der Eigentumsgarantie herausnehmen mußte, um die übergeordneten essentiellen Allgemeinwohlinteressen verfolgen zu können. Ein Eingriff in die Institutsgarantie ist also dann rechtswidrig und verletzt diese Garantie, wenn mit diesem Eingriff nicht essentielle Belange des Allgemeinwohls (z. B. die Abwehr von Gefahren für überragende Gemeinschaftsgüter) verfolgt werden. Beispiel im gewerblichen Rechtsschutz geistigen Eigentums ist der§ 13 I S. 1 PatG, demnach die Wirkung eines Patentes (§ 9 PatG) insoweit nicht eintritt, als die Bundesregierung anordnet, daß die Erfindung im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt benutzt werden soll. Für körperliche Gegenstände ist als Beispiel anzuführen die Beschränkung des Rechts an einer Sache, dernach bestimmte Nutzungsmöglichkeiten an der Sache untersagt werden. Das Recht an dieser bestimmten Nutzung ist ein eigenständiger Gegenstand - ein "property right" - und diesen Gegenstand außer Möglichkeit seines Erwerbs zu setzen greift hinsichtlich dieses bestimmten und abgegrenzten Gegenstands "Nutzungsmöglichkeit" in die Institutsgarantie ein24. Beispiele für den Begriff des Forderungseigentums liefert der Problemkreis des Eigentumsschutzes subjektiver öffentlicher Rechte. Hier war es lange umstritten, ob bestimmte gesetzlich garantierte Forderungen gegen den Staat Gegenstände der Eigentumsgarantie sein können. Die Entwicklung zu einer eigentumsrechtlichen Behandlung von subjektiven öffentlichen Rechten fand ihren vorläufigen Abschluß damit, daß z. B. sozialversicherungsrechtliche Ansprüche akzeptiert wurden, fürsorgerechtliche Ansprüche jedoch nicht. Es ist deutlich, von welcher zentralen subjektiv-rechtlichen Bedeutung die Institutsgarantie somit für die Ausgangsfrage nach der Eigentumsqualität des Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt ist. Ebenfalls ins Zentrum gerückt ist die 23 Papier in Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz Kommentar Bd. 1, Art. 14 Rn. 13 a.E. mit diese Auffassung stützendem Verweis aufBVerfGE 58, 300 [389] ; 24, 367 [389f.]. 24 Folgerichtig wurde die Institutsgarantie im "Naßauskiesungsbeschluß" des BVerfGE 58, 300 [300ff.] thematisiert, da dem Grundstückseigentümer die Nutzungsmöglichkeit ,,Naußauskiesung" aufgrund wasserhaushaltsrechtlicher Bestimmungen untersagt wurde.

4 Süchting

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Frage nach dem möglichen Gegenstand der Eigentumsgarantie und nach den sinnvollen Abgrenzungen, die man innerhalb dieses Begriffs vornehmen kann. Erkennt man den Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt als tauglichen Gegenstand der Eigentumsgarantie an, und grenzt der Gesetzgeber bzw. der Verfassungsinterpret diesen Gegenstand aus dem Art. 14 GG aus, so ist er hinsichtlich der guten Gründe, auf denen diese Ausgrenzung und Zurücksetzung des Berechtigten beruht, "begründungs-" und "beweispflichtig". Aus der Bestandsgarantie folgt die grundsätzliche Unzulässigkeit hoheitlicher Eingriffe in das Eigentum25 . Der Bestand des Eigentums in der Hand des Eigentümers soll gesichert werden. Bestand des Eigentums ist der Inhalt des Eigentums zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort in einer bestimmten gesellschaftlichen Situation. Inhalt ist die Synthese aus privater Zuordnung und Sozialbindung. Im dialektischen Zusammenspiel dieser beiden Momente ergibt sich der Inhalt der Bestandsgarantie. Eine Reduzierung dieses Schutzes auf eine bloße ,,Eigentumswertgarantie", die es dem Staat beliebig freiließe, bestehendes Eigentum gegen ein Äquivalent auszutauschen im Rahmen des Art. 14 Abs. 3 GG, ist damit nicht zu vereinbaren26. Jedoch ist die Eigentumswertgarantie dahingehend zu verstehen, daß die Bestandsgarantie in diese umschlagen kann, wenn Allgemeinwohlbelange eine Enteignung gegen Entschädigung zwingend erfordern27 • Mit der Bestandsgarantie ist die Achtung des Staates vor der konkreten Berechtigung des konkreten Eigentümers am konkreten Gegenstand ausgedrückt.

c) Eigentumsgegenstand Der Frage, ob die Instituts- oder die Bestandsgarantie durch eine staatliche Maßnahme betroffen ist, vorgelagert ist die Frage, ob überhaupt ein eigentumsfähiger Gegenstand vorliegt. Die Eigentumsgarantie schützt keine Chancen, Aussichten oder Verdienstmöglichkeiten28 , sondern nur das Erworbene29 , ein Grundsatz, der sich aus der Abgrenzung zu Art. 12 Abs. 1 GG entwickelte. Art. 14 GG schützt also nur die tatsächliche, wirkliche Berechtigung am Gegenstand. Unproblema25 ,,Das Grundgesetz gewährleistet das Privateigentum sowohl als Rechtsinstitut wie in seiner konkreten Gestalt in der Hand des einzelnen Eigentümers. Eingriffe von hoher Hand in das Eigentum sind damit grundsätzlich unzulässig. Ehe aber beurteilt werden kann, ob ein verfassungsrechtlich untersagter Eingriff in das Eigentum vorliegt und welche Folgen er hat, muß Klarheit di.lrüber bestehen, wie weit sich di.ls verfassungsrechtlich geschützte Eigentum erstreckt." BVerfGE 20, 351 [355); Papier a. a. 0. Rn. 2 folgert ein staatliches Vermögensentziehungs-, Minderungs- und Umschichtungsverbot aus Art. 14 GG im Sinne eines allgemeinen ,,Bereicherungsverbots" für die öffentliche Hand. 26 BVerfGE 38,175 [184). 27 Vgl. Pieroth,Bodo/Schlink, Bernhard, Grundrechte. Staatsrecht II, 4. Aufl. Heidelberg 1988 Rn. 986ff. [989-991). 28 BVerfGE 28, 119 [142); 30, 292 [335). 29 BVerfGE 30, 292 [335).

DI. Eigentum und subjektive öffentliche Rechte

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tischgeschützt sind Berechtigungen an körperlichen Sachen, aber auch- eine Entwicklung in der WRV durchAnschütz und Wolff- Forderungen30. Es umfaßt der ,,Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG jedenfalls diejenigen vermögenswerten Rechtspositionen (... ),die das bürgerliche Recht einem privaten Rechtsträger als Eigentum zuordnet. " 31 Berechtigungen, "... die das bürgerliche Recht und die gesellschaftlichen Anschauungen geformt haben, ... " 32 gehören also zu den Gegenständen des Eigentumsrechts. Die Aktie genießt als Vermögens-, nicht jedoch als Mitgliedschaftsrecht Eigentumsschutz33, ebenso das Anteilsrecht am Unternehmen als gesellschaftsrechtlich vermitteltes Eigentum34. Im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes unterfällt das Patent als fertige Erfindung der Eigentumsgarantie35, genauso wurde für das Recht am Warenzeichen entschieden36, und ebenso würde für das Gebrauchs- und Geschmacksmusterrecht zu entscheiden sein. Auch das Urheberrecht wurde dem Eigentum zugeordnet37 . Abgestellt wurde auf das vermögenswerte Ergebnis der schöpferischen Urheberleistung und seine Freiheit, in eigener Verantwortung nach dem Urhebergesetz darüber verfügen zu können. Die einfachgesetzliche ausgestaltete Verfügungsmacht mache den Inhalt des geistigen Eigentums Urheberrecht aus38. Diese Argumentation ist ein Beispiel dafür, wie das BVerfG entgegen eigener methodischer Vorgabe das Eigentumsrecht vom niederrangigen Gesetzesrecht her interpretiert. Geistiges Eigentum war damit neben dem Sach- und Rechtseigentum anerkannt39. Ein Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs40 wurde frühzeitig bejaht41 . Dieser Schutz bezieht sich auf die Sach- und Rechtsgesamtheit des Betriebs42, was später wieder bezweifelt wurde43, im Ergebnis aber trotzdem überzeugt. Abzustellen ist hier nicht auf die einzelnen Sachen oder Rechte, die das Material des Gewerbebetriebs ausmachen, sondern auf deren Organisation. Der koordinierte, verfahrensmäßig 30 Wolff, Martin, Reichsverfassung und Eigentum, in: Berliner Festgabe für Kahl S. 3, 6; im Anschluß daran Anschütz, Gerhard, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, l4.Auflage 1933, Neudruck Berlin 1960, S. 605f.; und die Rechtssprechung RGZ 102, 165; 103, 200; 105, 253; 116, 268, BVerfGE 45, 142 [179]; 68, 193 [122; 77, 370 [377]. 31 BVerfGE 70, 191 [199] mit Verweis auf 1,264 [278]; 58,300 [335f.]. 32 BVerfGE 1, 264 [278]. 33 BVerfGE 14, 263 [276f.]. 34 BVerfGE 50, 290 [341ff., 344]. 35 BVerfGE 36,281 [290]. 36 BVerfGE 51, 193 [3. Leitsatz; 216ff.]; 78, 58 [71]. 37 BVerfGE 31,229 [240, 1. Leitsatz]. 38 BVerfGE 49, 382 [392]. 39 BVerfGE 79, 29 [41f.].

40 Ausführlich dargestellt von Ossenbüh1, Fritz: Staatshaftungsrecht, München 4. Auf!. 1991, s. 127f. 41 BVerfGE 1, 264 [277]. 42 BVerfGE 13, 225 [229]. 43 BVerfGE 51, 193 [221f.].

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A. BSHG und Art. 14 GG- Verhältnisbestimmung im geltenden Recht

geordnete Betriebsablauf zur Gewinnerzielung ist hier Gegenstand der Eigentumsgarantie. Im Betriebsablauf verwirklicht sich die Idee von einem Verhältnis zwischen Produktionsfaktoren (intern) und ihren Beziehungen zum Markt (extern). Die umgesetzte und verwirklichte Idee von einer Organisation ist ein eigenständiger Vermögenswert, bildet den formalen Rahmen des konkreten Sach- und Rechtsmaterials und ist als Ensemble entsprechend den Grundsätzen geistigen Eigentums eine schöpferische Leistung44 •

d) Sozialpflicht Der Gebrauch des Eigentums soll dem Wohl der Allgemeinheit dienen, Art. 14 Abs. 2 GG. ,Jnhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt". Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG bürdet die inhaltliche Bestimmungsarbeit dem Gesetzgeber auf. Der Gesetzgeber darf dabei nicht beliebig verfahren. Er hat alle rechtsstaatlich verfaßten Grundsätze zu beachten45 . So muß er die Grundsätze des Vertrauensschutzes, der Verhältnismäßigkeit, der Gesetzlichkeit und das Sozialstaatsprinzip im Art. 14 GG berücksichtigen. Der Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG ist daher nicht als Generalvollmacht an eine ungeregelte Gesetzgeberwillkür zur Bestimmung des Eigentums nach gesellschaftlichen Zufällen zu lesen, sondern als verfassungsgebundener Auftrag zur Konkretisierung des Rechtsinstituts Eigentum. Die Bestimmungsarbeit reguliert die zunächst grundsätzlich grenzenlos freie Verfügungsmacht des Eigentümers über den Gegenstand nach Maßgabe der Sozialpflicht "Die Gesamtheit der in den gesetzlichen Normen sichtbar werdenden Beschränkungen des Eigentums läßt sich in dem Begriff der Sozialpflichtigkeit zusammenfassen, sie zieht der umfassenden Gebrauchs- und Verfügungsbefugnis des Eigentümers im Interesse des gemeinen Wohls allgemeine Grenzen."46 44 Strikt anderer Ansicht hier Wüstendörfer in: Kritische Justiz 1970, S. 128ff., der das Rechtsinstitut des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs als ,,Legende" abtut, als Erzählung von etwas, was es in Wirklichkeit nicht gäbe. Er vermutet hier eine ungerechtfertigte Privilegierung der Unternehmerleistung, welche vor allem im Arbeitskampfrecht deliktsrechtlich repressiv gegen Arbeitnehmerinteressen wirke. Der Aspekt der Privilegierung der Unternehmerleistung ist zuzugeben, allerdings ist dieses Rechtsgut ebenfalls in die Schrankensystematik des Art. 14 GG eingepaßt. Das strahlt auch auf die zivilrechtliche Haftung im Arbeitskampf aus. Der Ausgleich zwischen Unternehmer- und Arbeitnehmerinteressen im Arbeitskampf ist nicht durch Verneinung des Rechtsguts des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs zu gewinnen, sondern durch die sorgfältige Abwägung des Rechtswidrigkeitsmerkmals in den zivilrechtliehen Haftungstatbeständen, ferner durch Bestimmung der Sozialpflichtigkeit eines Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs (Rechtsgutsbestimmung im Rahmen des§ 823 I BGB). Ansonsten ist kein Grund gegeben, den (arbeits-)rechtswidrigen Streik nicht auch deliktsrechtlich zu würdigen - ein repressives Moment gegen den Arbeiter, der sich mit einem wilden Streik ins Unrecht stellt, ist darin nicht zu erkennen. 45 BVerfGE 37, 132 [145, 148]; 53, 352 [357f.]; 68, 361 [372f.]. 46 BVerfGE 20,351 [356].

III. Eigentum und subjektive öffentliche Rechte

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Die Dynamik gesellschaftlicher Güterorganisation ist zu berücksichtigen: "Inhalt und Funktion des Eigentums sind dabei der Anpassung an die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse fähig und bedürftig; es ist Sache des Gesetzgebers, Inhalt und Schranken des Eigentums unter Beachtung der grundlegenden verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen zu bestimmen(...)."47 Dabei ist weder die gesellschaftliche Dynamik noch der Gesetzgeber normativ ungebunden: "Das Gebot sozialgerechter Nutzung ist( ... ) nicht nur eine Anweisung für das konkrete Verhalten des Eigentümers, sondern in erster Linie eine Richtschnur für den Gesetzgeber, bei der Regelung des Eigentumsinhalts das Wohl der Allgemeinheit zu beachten. Es liegt hierin eine Absage an eine Eigentumsordnung, in der das Individualinteresse den unbedingten Vorrang vor den Interessen der Gemeinschaft hat."48 Die Bezüge zwischen Individual- und Allgemeinbelangen sind so aufzulösen: ,,Je stärker ein Eigentumsobjekt soziale Funktionen erfüllt, desto größere Einschränkungen seiner Befugnisse muß der Eigentümer von Verfassungs wegen hinnehmen(. . .)."49 Es "... ist die Befugnis des Gesetzgebers zur Inhalts- und Schrankenbestimmung um so weiter, je mehr das Eigentumsobjekt in einem sozialen Bezug und einer sozialen Funktion steht." 50 Diese Relation zwischen Privatnützigkeit und Sozialbindung wird ausgedrückt in dem Grundsatz, daß Einschränkungen des Eigentums stets verhältnismäßig sein müssen51 • Dieses Verhältnismäßigkeitskriterium habe im Art. 14 GG eine besondere Ausprägung erhalten. Die gesetzliche Eigentumsbindung i. S. d. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG muß vom geregelten Gegenstand her geboten sein und darf nicht weiter als der Schutzzweck selbst gehen. Das Verhältnis zwischen privater Berechtigung und sozialer Gebundenheit ist produktiv. Durch die Bestimmung dieses Verhältnisses wird der Inhalt des konkreten Eigentums definiert. Geht der Gesetzgeber zum Wohle der Allgemeinheit unter den gesetzlichen Voraussetzungen über diese "Pflicht des Eigentums" hinaus, so transformiert sich die "Bestandsgarantie" in die "Wertgarantie" des Art. 14 Abs. III GG. Dieser Grundsatz ist auch nicht durch die vielbesprochene "Naßauskiesungsentscheidung" des Bundesverfassungsgerichts abgelöst worden52 . Enteignung ist der " . . . staatliche BVerfGE 24, 367 [390]. BVerfGE 21, 73 [83]. 49 BVerfGE 52, I [32]; 79, 292 [302]. so zitiert aus E 50, 290 [340], vorher schon BVerfGE 21, 73 [83]; 31, 229 [242]; 36, 281 [292]; 37, 132 [140]; 42, 263 [294]. Si BVerfGE 8, 71 [80]; 50, 290 [341]. 47 48

52 "Das Eigentum schützt den konkreten Bestand in der Hand des einzelnen Eigentümers (BVerfGE 24, 367 [400]; 38, 175 [181, 184f.]). Dieser braucht eine Entziehung seiner verfassungsrechtlich geschützten Rechtsstellung nur hinzunehmen, wenn der Eingriff in jeder Hinsicht den im Art. 14 Abs. 3 GG normierten Voraussetzungen entspricht. In einem solchen Fall

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A. BSHG und Art. 14 GG- Verhältnisbestimmung im geltenden Recht

Zugriff auf das Eigentum des Einzelnen. Ihrem Zweck nach ist sie auf vollständige oder teilweise Entziehung konkreter subjektiver Rechtspositionen gerichtet, die durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG gewährleistet sind(.. .)"53, also die gesetzliche Aufhebung privaten Eigentums zu öffentlichem Eigentum, gerichtet auf die Beförderung des Allgemeinwohls unter gleichzeitigem gesetzlich festgelegten Wertausgleich. Der Enteignungsbegriff ist somit der Grenzbegriff zum sozialpflichtigen Eigentum, ein staatlicher Eingriff, der nicht mehr durch die Sozialpflicht gedeckt wird, ist- Rechtmäßigkeit gern Art. 14 Abs. 3 GG vorausgesetzt -Enteignung. Damit ist grundgesetzlich festgeschrieben, daß mit einer geschichtlich-aktuellen Güterverteilung und -organisation kein ewig fixierter Zustand gegeben ist, sondern diese Verteilung in einem Prozeß privaten Tausches, staatlicher Umverteilung und politischer Pragmatik nach Maßgabe des Allgemeinwohls steht. ,,Das Wohl der Allgemeinheit ist nicht nur Grund, sondern auch Grenze für die den Eigentümer aufzuerlegenden Beschränkungen. "54• e) Verstärkter Vertrauensschutzfür die Eigentümerposition Es ist der privilegierte Vertrauensschutz, den Eigentümerpositionen genießen, der es nahelegt, über einen Eigentumsschutz von Sozialhilfeansprüchen nachzudenken. Vertrauensschutz meint die Verläßlichkeit und Berechenbarkeil des Rechts, die kontinuierliche und vom Bürger vorhersehbare Entwicklung individueller Rechte und Pflichten. ,,Soweit es um die Funktion des Eigentums als Element der persönlichen Freiheit des Einzelnen geht, genießt dieses einen besonders ausgeprägten Schutz,(... )", welcher sichjedoch durch die Verpflichtung zum Allgemeinwohl relativiert55 • Für vermögenswerte Rechte hat der rechtsstaatliche Vertrauensgrundsatz eine eigene Ausprägung und verfassungsrechtliche Ordnung in der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG erfahren56. Der Eigentümer genießt einen besonders hohen Vertrauensschutz. Die hohe verfassungsrechtliche Stellung des Eigentums fordert, daß bei Eingriffen in das Eigentum die diesen Eingriff rechtfertigenden Zwecke von besonderer Dringlichkeit und hohem Gewicht sein müssen. Die Eigentümerposition ist gegenüber anderen Rechtspositionen eine besonders geschützte und somit eine starke Rechtsstellung, die sich gegen geringe unwesentliche öffentliche Belange tritt an die Stelle der Bestandsgarantie eine Wengarantie, die sich auf Gewährung einer vom Gesetzgeber dem Grunde nach zu bestimmenden Entschädigung richtet (BVerjGE 24, 367 [397]; 46, 268 [285})." BVerfGE 58, 300 [323]. 53 BVerfGE 52, 1 [27]. S4 BVerfGE 21,73 [86]; 25, 112 [117f.]; 37, 132 [141]; 50, 290 [341]; ausdrücklichE 52, 1 [29]. 55 zitiert aus BVerfGE 50, 300 [340], vorher schon BVerfGE 14, 288 [293f]; 42, 64 [77]; 42, 263 [293ft]. 56 BVerfGE 36, 281 [293]; 45, 142 [168]; 58, 81 [120f.]; 64, 87 [104].

III. Eigentum und subjektive öffentliche Rechte

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durchsetzt und behauptet57• Die starke, geschützte Stellung des Eigentümers bedeutet eine Vorrangregel für seine Belange in der Abwägung des Gesetzgebers, dergegenüber sich Allgemeinwohl- bzw. Sozialbelange konkret ausweisen müssen. Allerdings muß der Gesetzgeber beiden dem Eigentumsrecht immanenten Momenten Rechnung tragen und sie in ein ausgewogenens Verhältnis bringen - einerseits die verfassungsrechtlich garantierte Rechtstellung, andererseits das Gebot einer sozial gerechten Eigentumsordnung. Inhalts- und Schrankenbestimmung bedeutet also nicht die Bestimmung des Eigentumsbegriffs, sondern geht auf die Bestimmung des besonderen Rechts, welches aus einer bestehenden Eigentümerposition fließt. Dieses kann gesetzgeberisch auf verschiedenen normenhierarchischen Stufen geschehen vom Bundesgesetz bis hin zum Verwaltungsakt In Art. 14 GG wird gegenüber dem allgemeinen ein speziell gesteigerter Grundsatz des Vertrauensschutzes hineingelesen. Es bleibt jedoch unausgearbeitet, welchen eigenständigen Gehalt der Vertrauensschutz innerhalb des Art. 14 GG neben der Bestands- und Wesensgehaltsgarantie und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz haben kann58 • Es liegt nahe, diesen Gedanken höheren Vertrauensschutzes für den Eigentümer als überflüssig abzutun59. Mit diesem Grundsatz wird nichts ausgesagt, was nicht im herausgehobenen Bestandsschutz schon angelegt ist. Der gesteigerte Vertrauensschutz ist als Bekräftigung der besonderen Bedeutung zu lesen, die dem Eigentumsgrundrecht beigemessen wird.

f) Zusammenfassung

Die Eigentumstheorie des B VerfG läßt sich in folgenden Thesen zusammenfassen: - Das Eigentumsgrundrecht ist als abstraktes Rechtsinstitut und als konkreter Bestand geschützt60; - Eigentum ist eine Form der Sachherrschaft, die durch Privatnützigkeit und Verfügungsbefugnisgekennzeichnet ist61 ; - das Eigentumsgrundrecht sichert dem Bürger einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich und damit eigenverantwortliche Lebensführung62, steht somit im Zusammenhang zu Art. 1 Abs. 1 GG; Fast wörtlich nach BVerfGE 45, 142 [168] m.w.N.; 53, 257 [309]. Das beklagt auch Pieroth, B., Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrauensschutz, JZ 84,971 [974]. 59 So Pieroth, vorherige Fußnote. 60 BVerfGE 24, 367 [389]. 61 BVerfGE 24, 367 [389]. 62 BVerfGE 24, 367 [389]. 57 58

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A. BSHG und Art. 14 GG- Verhältnisbestimmung im geltenden Recht

- Eigentum ergänzt die Handlungs- und Gestaltungsfreiheit des Einzelnen aus Art. 2 Abs. 1 GG63 , verwirklicht diese Freiheit im gegenständlichen Bereich; - das Eigentumsgrundrecht sichert den konkreten, vor allem durch Arbeit und Leistung erworbenen Bestand an vermögenswerten Rechten vor ungerechtfertigten Eingriffen durch die öffentliche Gewalt64 ; - private Berechtigung und Sozialpflichtigkeit des Eigentums stehen in einem untrennbaren dialektischen Zusammenhang; - Sozialpflicht ist Grund und Grenze möglicher Eigentumsbeschränkungen65 ; - die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs ist auch daran zu überprüfen, ob der Eingriff der verfassungsrechtlich herausgehobenen Stellung des Eigentümers Rechnung trägt66; - der Gesetzgeber hat öffentliche Interessen mit Eigentümerinteressen bei Eingriffen in " ... einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis ... " zu bringen67 ; - der rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes hat im Eigentumsgrundrecht eine eigene gehobene Ausprägung erfahren68 ; - es gibt keinen "absoluten Begriff' des Eigentums, sondern die konkrete Reichweite der Eigentumsgarantie ergibt sich erst aus der verhältnismäßigen Bestimmung von Inhalt und Schranken gern. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG69. Nach welchen Gesetzen sich die bestimmende Bewegung vollziehen darf, inwieweit die Pflichtigkeit des Eigentums und die Prinzipien der Umverteilung begrifflich in ,,Eigentum" schon vorausgesetzt sind, welche Gegenstände vom Eigentum umfaßt sind, darüber geben der Wortlaut des Art. 14 GG und dessen Interpretation durch das Bundesverfassungsgericht keinen Aufschluß. Für die Wissenschaft vom Recht gilt weitgehend das von Karl Marx für die Nationalökonomie 1844 Gesagte. Sie geht " . . . vom Faktum des Eigentums aus. Sie erklärt uns dasselbe nicht. Sie faßt den materiellen Prozeß des Privateigentums, den es in der Wirklichkeit durchmacht, in allgemeine, abstrakte Formeln, die ihr dann als Gesetze gelten. Sie begreift diese Gesetze nicht, d. h., sie zeigt nicht nach, wie sie aus dem Wesen des Privateigentums hervorgehen."70

BVerfGE 14, 288 [293]. BVerfGE 31, 229 [239]. 65 BVerfGE 50, 290 [341]; 52, 1 [29]. 66 BVerfGE 50, 290 [340]. 67 BVerfGE 52, 1 [29]. 68 BVerfGE 53, 257 [309]. 69 BVerfGE 20, 351 [355]. 70 K. Marx MEW Erg.Bd. -1844, Pariser Manuskripte, S . 510. 63

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lll. Eigentum und subjektive öffentliche Rechte

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Der Mangel der verfassungsgerichtlichen Eigentumstheorie liegt in ihrer fallbezogenen Entwicklung ohne allgemeinen Begriff vom Eigentum. Wie aus dem Wesen des Privateigentums unter anderem der Anspruch auf Sozialhilfe/Hilfe zum Lebensunterhalt hervorgeht, kann gezeigt und begrifflich gefaßt werden. Voraussetzung ist eine Erklärung über das Wesen des Privateigentums. Das Wesen bestimmen heißt die Begriffe nennen, unter denen Eigentum zu denken möglich ist. Zuvor ist jedoch die Ausgrenzung des Anspruchs auf Sozialhilfe/Hilfe zum Lebensunterhalt aus der Eigentumsgarantie durch das Bundesverfassungsgericht näher zu untersuchen. 2. Eigentumsschutz subjektiver öffentlicher Rechte71

a) Die Position des Bundesverfassungsgerichts In einer weit zurückgehenden Entscheidungsreihe hat das Bundesverfassungsgericht Merkmale erarbeitet, anband derer subjektive öffentliche Rechte dem Bigenturnsschutz des Art. 14 GG unterfaßt werden können. Im Überblick:

Ein öffentlich-rechtlicher Anspruch unterfalle dann dem Art. 14 GG, wenn - er dem Berechtigten nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts eine vermögenswerte Rechtsposition als privatnützig zuordne72, - er auf nicht unerheblicher Eigenleistung beruhe 73 - und der Existenzsicherung des Berechtigten diene74 . Ferner müsse der öffentlich-rechtliche Anspruch - als Recht verfügbar für den Berechtigten sein75 , - als Rechtsposition dem Berechtigten ein subjektiv öffentliches Recht auf Leistung begründen76 - und damit eine eigentümerähnliche Stellung einräumen77 , um dem Eigentumsschutz aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG zu unterfallen.

71 Dazu ausführlich mit vielen Nachweisen Ossenbühi,Fritz: Staatshaftungsrecht, 4. Aufl. München 1991 S. 131ff.; zum Begriff und zur Historie des subjektiven öffentlichen Rechts Bauer, Hartmut, Geschichtliche Grundlagen zur Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, Berlin 1986. 72 BVerfGE 76, 220 [235]; 72, 141 [152]; 69, 272 [272, 1. Leitsatz, auch 300m.]. 73 BVerfGE 76, 220 [235]; 69, 272 [300m.]. 74 BVerfGE 69, 272 [303]. 1s BVerfGE 53, 257 [291]. 76 BVerfGE 72, 141 [153]. 77 Leitend BVerfGE 4, 219 [219, 3. Leitsatz]; 72, 141 [153].

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A. BSHG und Art. 14 GG- Verhältnisbestimmung im geltenden Recht

Das BVerfG nahm zur Frage, in welchem methodischen Verhältnis diese Kriterien zueinander stehen, nicht Stellung78 . Die verfassungsgerichtliche Position war frühzeitig in den Grundzügen erkennbar und hat sich trotz der neueren viel besprochenen Rechtssprechung nur wenig bewegt. In einer ersten Entscheidung formulierte das BVerfG schon eindeutig, daß einige öffentlichrechtliche Anspruchspositionen nicht der Eigentumsgarantie unterfallen könnten: ,,Art. 14 GG schützt das Rechtsinstitut des Eigentums, wie es das bürgerliche Recht und die gesellschaftlichen Anschauungen geformt haben. 'Eigentum' im Sinne dieser Bestimmung ist nicht eine vorwiegend durch das öffentliche Recht gewährte und bestimmte Rechtsposition wie der Gewerbebetrieb des Bezirksschomsteinfegermeisters."79

Das BVerfG entwickelte seine Grundsätze in einem negativen Verfahren der Begriffsbestimmung80 an der Frage, wann ein Eingriff in öffentlich rechtliche Rechtspositionen eine Enteignung darstelle: ,,Die bisherige Lehre und Rechtsprechung hat überwiegend zwar private Vermögensrechte (dingliche Rechte, Forderungs- und Mitgliedschaftsrechte), nicht aber subjektive öffentliche Rechte zum Eigentum im Sinne der Enteignungsbestimmungen gerechnet ( ...)."81

Folglich wurde der Eigentumsgarantie eine am positiven Recht orientierte Teleologie unterlegt: ,,Denn das Grundgesetz wollte hier das Rechtsinstitut des Eigentums, so wie es das bürgerliche Recht und die gesellschaftlichen Anschauungen geformt haben, schützen, und dieser Schutz kann nicht auf eine vorwiegend öffentliche gewährte Rechtsposition erstreckt werden, der alle den Eigentumsbegriff konstituierenden Merkmale fehlen."

Der Eigentumsschutz der Rechtsposition eines konzessionierten Bezirksschornsteinfegermeisters wurde verneint, die Entscheidung blieb jedoch in eine Richtung offen: andere Positionen des öffentlichen Rechts könnten Art. 14 GG unterfallen, wenn sie die den Eigentumsbegriff konstituierenden Merkmale erfüllen82. Nicht geklärt wurden damit allerdings die den Eigentumsbegriff konstituierenden Merkmale. 78 Auf daraus resultierende Unsicherheiten weist Ossenbühl in der Festschrift Zeidler 1987, S. 625ff., hin. Die kritische Stellungnahme Ossenbühls wird weiter unten ausfuhrlieh besprochen. 79 ,,Bezirksschomsteinfegermeister" BVerfGE 1, 264 [278f.], später 11, 64 [70]; 19, 354 [370]. 80 Analyse der frühen Enteignungsrechtsprechung von Horn,Joachim: "Die Abgrenzung von Enteignung und Eigentumsbindung", Diss.Hamburg 1955; der aktuelle Stand ist dargestellt m.w.Nw. bei Ossenbühl, Fritz: Staatshaftungsrecht, 4. Auf!. München 1991 S. 121ff. 81 BVerfGE 1, 264 [277]. 82 Diese Auslegung der Entscheidung findet sich auch bei Andersen, Holger: ,,Probleme der Wandlung des Eigentumsbegriffs", Diss. Frankfurt/M. 1984, S. 6.

III. Eigentum und subjektive öffentliche Rechte

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Ein Impuls für die Rechtsprechung des BVerfG ging vom BGH aus. Dieser formulierte die sogenannte ,.Unterschiedslosigkeitstheorie", dernach alle vermögenswerten subjektiven öffentlichen Rechte dem Art. 14 GG unterfallen: "Die Eigentumsgarantie des Art. 14 GrundG umfaßt alle vermögenswerten Rechte, auch diejenigen auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts. " 83

Das Eigentum im weitesten Sinne sei geschützt84• Unter Berufung auf Art. 74,75 der Einleitung in das Preußische Allgemeine Landrecht und auf die Prinzipien der Naturrechtslehre argumentierte der BGH, daß staatliche Aktivität jede Vermögensposition- ob privat- oder öffentlichrechtlich-tangieren könne, somit jede Position auch geschützt sein müsse85 • Daß diese Theorie sich nicht durchsetzen konnte, lag daran, daß die Prinzipien der Naturrechtslehre, welche die Eigentumsqualität diktieren sollten, ungenannt und unvermittelt mit dem Eigentumsbegriff blieben, und die Art. 74,75 der Einleitung in das Preußische Allgemeine Landrecht ohne normative Kraft für die aktuelle Begriffsauslegung sind. Diese Formulierungen des BGH provozierten eine Gegenbewegung, die eine erste ausdrückliche Ausgrenzung der Sozialhilfeansprüche vortrug: ",Eigentum' im Sinne des Art. 14 GG umfaßt grundsätzlich nicht vermögenswerte Rechte des öffentlichen Rechts, jedenfalls nicht Ansprüche, die der Staat in Erfüllung seiner Fürsorgepflicht den Bürgern durch Gesetz einräumt." 86

Dem BGH sei ausdrücklich nicht zu folgen 87 • In einer rechtsgeschichtlichen und systematischen Betrachtung wurde festgestellt, daß der Wille des Verfassungsgebers und die Kontinuität der Kommentierungen zum Eigentumsrecht seit der Weimarer Reichsverfassung eine restriktive Auslegung nahelegten: mit Art. 14 GG handle es sich primär um die Verteidigung der privaten Sphäre gegen den Staat88 • Diese Entscheidung war typisch für das eindimensionale "liberale" Grundrechtsverständnis, in dem sich der Bürger über das Grund- und Menschenrecht des übermächtigen Staats erwehren muß. Jedoch war auch diese Entscheidung an wichtiger Stelle für die Zukunft offen. Ausnahmen vom zitierten Grundsatz erschienen möglich. Ob Ansprüche, die nicht auf staatlicher Gewährung beruhen, der Eigentumsgarantie unterfallen, wurde nicht entschieden. So erwog das Gericht schließlich, daß öffentlichrechtliche Anspruchspositionen so starke privatrechtliche ,,Elemente" enthalten könnten, daß sie dem verfassungsrechtlichen Begriff des Eigentums zugerechnet werden müßten89• 83 BGHZ 6, 270 [278], diese Entscheidung war leitend für die sog. "Unterschiedslosigkeitstheorie". 84 BGHZ 6, 270 [277]. 85 BGHZ 6, 270 [278]. 86 BVerfGE 2, 380 [381, 3. Leitsatz]. 87 BVerfGE 2, 380 [401]. 88 BVerfGE 2, 380 [400, 401]. 89 BVerfGE 2, 380 [402].

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A. BSHG und Art. 14 GG- Verhältnisbestimmung im geltenden Recht

Aber auch weiterhin blieben Fürsorgeansprüche von der Eigentumsgarantie ausgegrenzt90. Kriterien, die das BVerfG sehr viel später nochmals aufnahm, wurden nebenbei in einer Folgeentscheidung entwickelt. ,,Nicht alle vermögenswerten subjektiven öffentlichen Rechte sind Eigentum im Sinne des Art. 14 GG. Maßgebend ist allein, ob im Einzelfall ein subjektives öffentliches Recht dem Inhaber eine Rechtsposition verschafft, die derjenigen eines Eigentümers entspricht."91

Fraglich blieb, wann ein subjektives öffentliches Recht mit dem Eigentum vergleichbar ist. Dazu führte das Gericht aus: Kennzeichnend sei die freie Verfügbarkeil des Rechts für den Berechtigten. Konnte dieser das Recht frei veräußern, so kam ein Eigentumsschutz in Betracht. Desweiteren müsse das subjektive öffentliche Recht eine Gegenleistung des Staates für geleistete Dienste sein, und dürfe keine Schutz- oder Fürsorgemaßnahme des Staates darstellen. Genauer: Das subjektive öffentliche Recht müsse unabhängig von den tatsächlichen wirtschaftlichen oder persönlichen Verhältnissen des AnspruchssteHers sein, d. h. keine Bedürftigkeit des AnspruchssteUers zur Voraussetzung haben. Seien diese Kriterien erfüllt, käme ein Schutz aus Art. 14 GG in Betracht92. Danach nahm das Bundesverfassungsgericht zur Frage staatlicher Eingriffsbefugnis in öffentlich-rechtlich begründetes Eigentum, der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes Stellung. Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz aus der Eigentumsgarantie gehe nicht so weit, dem Bürger jegliche Enttäuschung zu ersparen. Habe bei einer öffentlich-rechtlichen Position die staatliche Gewährleistung ein deutliches Übergewicht gegenüber der eigenen Leistung, so greife der Schutz des Art. 14 GG nicht ein93 . Die öffentlich-rechtliche Position müsse gewertet werden. Sie müsse so stark sein, daß es nach rechtstaatlichen Grundsätzen ausgeschlossen erscheint, daß der Staat sie ersatzlos entziehen kann94. Die Eingriffsbefugnisse des Staates bestimmten sich nach der Festigkeit der Rechtsposition. Das wurde verdeutlicht am Beispiel der auch eigentumsrechtlich geschützten Rentenanwartschaft So sei z. B. eine rentenrechtliche Anwartschaft schwächer geschützt als ein rentenrechtliches Vollrecht, da die Veränderbarkeit der Anwartschaft in den Merkmalen Anspruchshöhe, Beitragshöhe und Zeitpunkt der Erstarkung zum Vollrecht in ihr konstruktiv angelegt sei95 . Eigentumsschutz sei dann ge90 BVerfGE 3, 1 [11]; 3, 58 [153]. 91 BVerfGE 4, 219 [240, 241; 219: Leitsatz 3]. 92 BVerfGE 4, 219 [242]. 93 BVerfGE 11, 221 [226] m.w.N. zur älteren Rechtsprechung; 14, 288 [293, 299]. 94 BVerfGE 16, 94 [112], 45, 142 [170]. 95 BVerfGE 22, 241 [253] - diese flexiblen Anpassungsmöglichkeiten im Rentenrecht trotz der Eigentumsgarantie für Rentenanwartschaften sind vor allem in der Diskussion um die Verlegung der Altersgrenzen, nach denen ein Zugang zum Rentenbezug möglich wird,

III. Eigentum und subjektive öffentliche Rechte

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geben, wenn das subjektive öffentliche Recht dem Einzelnen eine eigentümerähnliche Position verschaffe96. Ansprüche, die erst durch Gesetz gewährt würden i.S. einer öffentlich-rechtlichen Leistung wie Sozialhilfe, stünden nicht im Schutz des Art. 14 GG97 . Folgerichtig unterschied das Bundesverfassungsgericht zunächst im Altersrentenanspruch die anspruchsbegründenden Elemente, die auf eigener Beitragsleistung beruhen, gegenüber denjenigen, die durch den Bundeszuschuß finanziert werden, wie z. B. die Anrechnung beitragsloser Ausfall- und Zurechnungszeiten98 bei Ermittlung des Rentenanspruchs, und verneinte für diese Elemente des Rentenanspruchs den Schutz aus Art. 14 GG99 . Grundsätzlich könnten vermögenswerte subjektive öffentliche Rechte Eigentum sein, wenn der rechtsbegründende Tatbestand eine so verfestigte Position schaffe, daß sie nach rechtsstaatliehen Grundsätzen nicht mehr entzogen werden könne und zudem vollkommen oder doch überwiegend auf eigener Leistung beruhe 100• Der Gesetzgeber könne den ihm geeignet erscheinenden Weg zur Daseinsvorsorge beschreiten, er genieße dabei Gestaltungsfreiheit und habe das Recht, in bestehende Positionen und Anwartschaften nachteilig modifizierend einzugreifen 101 . Um Härten zu vermeiden, habe er mit Kollisionsregelungen Übergänge in Neugestaltungen zu harmonisieren 102• Schließlich gab das Bundesverfassungsgericht die Differenzierung innerhalb der rentenversicherungsrechtlichen Anspruchsposition auf: diese falle insgesamt unter Art. 14 GG, soweit sie nachkonstitutionell begründet wurde. Inhaltlich ist damit der aktuelle Stand der Rechtsprechung zum Eigentumsschutz subjektiver öffentlicher Rechte in ihrem Anwendungsfall auf soziale Rechte gern. §§ 2-10 SGB/1, insbesondere auf den Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt, erreicht.

wichtig. Die Einschränkungen der gesetzgebensehen Gestaltungsmöglichkeiten durch die Eigentumsgarantie sind also denkbar gering. 96 BVerfGE 24, 220 [226]. 97 BVerfGE 29, 22 [34]. 98 Diese Begriffe der RVO sind durch den§ 54 SGB/VI seit dem 1. 1. 1992 durch die Begriffe ,,Beitragszeiten", "beitragsfreie Zeiten" und ,,Berücksichtigungszeiten" ersetzt, meinen der Sache nach aber das Gleiche: daß bestimmte Zeiten rentensteigernd dem Versicherten angerechnet werden, ohne daß in diesen Zeiten der volle Beitrag oder überhaupt ein Beitrag entrichtet wurde, wie z. B. Zeiten der Ausbildung, der Kindererziehung, des Kranken-, Verletzten- oder Arbeitslosengeldbezugs. 99 BVerfGE 29, 283 [302]. 10o BVerfGE 48, 403 [412, 413]. 101 BVerfGE 39, 302 [315]; 40, 121 [133]. 102 BVerfGE 51,257 [266].

A. BSHG und Art. 14 GG- Verhältnisbestimmung im geltenden Recht

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b) Kritik an den Kriterien des Bundesverfassungsgerichts und Darstellung der Kontroverse um den Eigentumsschutz subjektiver öffentlicher Rechte In der Kontroverse um den Eigentumsschutz subjektiver öffentlicher Rechte lassen sich grob drei Positionen unterscheiden. Die erste Position grenzt unterschiedslos alle subjektiven öffentlichen Rechte aus der Eigentumsgarantie aus, sowohl die sozialversicherungsrechtlichen als auch - a fortiori - die Fürsorgeansprüche. Diese ,,negative Unterschiedslosigkeitstheorie" bewegt sich in kritischer Distanz zur vom Bundesverfassungsgericht vertretenen Auffassung und wird hier unter aa) untersucht.

Die zweite Position ist die "Unterschiedstheorie" des Bundesverfassungsgerichts. Diese ist eben dargestellt worden und wird in bb) im Zusammenhang des Streitstandes auf ihre Widerspruchsfreiheit untersucht. Die dritte Position ist die positive "Unterschiedslosigkeitstheorie", die alle vermögenswerten subjektiven öffentlichen Rechte der Eigentumsgarantie unterfassen möchte, so auch den Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt. Diese unter cc) dargestellte Lehre wird in Kapitel B im Rückgang auf die vorpositiven Begriffselemente von ,,Eigentum" näher begründet. aa) Kein subjektives öffentliches Recht habe Eigentumsqualität, auch nicht die vermögenswerten und erst recht nicht der Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt Diese Position wird von Papier103 vertreten: "Die vielfach geforderte Einbeziehung öffentlich-rechtlicher Positionen in den Eigentumsschutznach Art. 14 GG ( .. .)gibt dem Art. 14 GG insoweit eine andere Funktion und Wirkung. Sie führt eine Befestigung, wenn nicht sogar tendenziell eine Erweiterung der Staatsquote am Bruttosozialprodukt herbei. Sie zementiert eine einmal vom staatlichen Gesetzgeber vorgenommene und zu verantwortende Vermögensverteilung. ( ...) Der grundrechtsverpflichtete Hoheitsträger wird letztlich als Leistungsschuldner angesprochen und zur Aufrechterhaltung eines bestehenden Leistungsniveaus verpflichtet. Eine eigentumskräftige Verfestigung kann - radikal gesprochen - zum Versuch eines ungenierten Zugriffs in die Taschen der künftigen Beitrags- und Steuerzahlergenerationen entarten. Ein Eigentumsschutz öffentlich rechtlicherPositionengestaltet den Art. 14 GG von einem Freiheits- oder Abwehrrecht in ein Teilhaberecht um. Grundrechtliche Teilhaberechte können aber nie die dem Freiheitsrecht eigene Stringenz und Verbindlichkeit aufweisen. Sie geben dem Gesetzgeber eher (Abwägungs-)Direktiven und stehen unter dem Vorbehalt des (finanzpolitisch) Möglichen. Die sozialstaatliche Grundrechtsausdehnung wird mit einer Anspruchsminderung oder -relativierung erkämpft. Die Gefahr, daß jene Relativität der Garantiefunktionen, jene Mutation vom zwingenden Rechtstitel zum 103

In Maunz/Dürig/Herzog, GG-Kommentar Bd. 1, Art. 14 Rn. 6ff.

III. Eigentum und subjektive öffentliche Rechte

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,Maßgabegrundrecht' (...) friiher oder später auch den status negativus, also die klassischen abwehrrechtlichen Schutzfunktionen erfaßt, liegt auf der Hand. Auf dem Spiel steht mithin die Grundrechtsgeltung allgemein."

Diese Auffassung nährt sich aus einem an der Lehre des BVerfG vorbeigehenden Sicht des Art. 14 GG als eines " ... an den Staat gerichtetes Vermögensentziehungs- und Umverteilungsverbot[s]. Mit der Garantie privater vermögenswerter Rechtspositionen konstituiert er ein Bereicherungsverhot gegen die öffentliche Hand(...)." 104

Es ist richtig, daß mit dem Eigentumsschutz vermögenswerter öffentlich rechtlicher Positionen eine Interpretation des Art. 14 GG als eines Teilhaberechts einhergeht. Dieser Schritt wurde in dem Augenblick vollzogen, als der Anspruch auf Altersrente insgesamt, ohne Unterscheidung nach Beitragsanteil und Bundeszuschußanteil der Eigentumsgarantie unterfaßt wurde. Das würde erst recht für die Subsumtion des Anspruchs auf Hilfe zum Lebensmiterhalt unter den Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG gelten. Richtig ist auch, daß es damit zu einer gewissen Verfestigung der sozialrechtlichen Ansprüche kommen muß. Fraglich ist jedoch, wie diese "Verfestigung" aussieht, ob und inwieweit sie sich von der überkommenen Einordnung der Sozialleistungen in den Menschenwürde- und Sozialstaatsgrundsatz unterscheidet. Niemand vertritt die naive Position, daß ein bestimmtes Sozialniveau Bedürftigen unabhängig von volkswirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zu gewähren sei. Dieses Sozialniveau kann sich nur relativ zum Bruttosozialprodukt oder einer anderen Kenngröße der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, welche die tatsächliche Leistungsfähigkeit der Produktionsgemeinschaft wiedergibt, bewegen. Aber auch ein prozentual "zementierter" Anteil am Bruttosozialprodukt ist im Fürsorgerecht nicht zu fordern, dieser Anteil kann bei niedrigem Bruttosozialprodukt höher, bei hohem niedriger ausfallen, ohne daß gegen den Sozialstaatsgedanken oder Bigenturnsschutz verstoßen würde. Teilhaberechte stehen unter dem Vorbehalt des Möglichen in dem Sinne, was der Einzelne vernünftigerweise von der Allgemeinheit beanspruchen kann. Die "Verfestigung" des sozialen Besitzstandes würde allein in begrifflicher Klarheit bestehen, daß Verwaltung und Gesetzgeber die Leistungshöhe öffentlicher Fürsorge angesichts des Fundamentalzusammenhangs zwischen dem Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt mit der eigenverantwortlichen Lebensführung des Bedürftigen im vermögensrechtlichen Bereich bestimmen, und diesem somit genau das gleiche (begriffliche) Verständnis und den gleichen Schutzinstinkt entgegenbringen wie sonstigen existenziell wichtigen Vermögenswerten Privater auch. Der Zusammenhang, daß ein anderer Interpretationsaspekt ein Grundrecht als "status negativus" schwächen könne, die neue Sicht eines Grundrechts als Teilhaberecht dieses Rechts als Abwehrrecht ineffektivieren könne, ist bei anderen Grundrechten, die derart "mutierten", nicht zu beobachten gewesen. Es ist auch 104

In Maunz/Dürig/Herzog, GO-Kommentar Bd. 1, Art. 14 Rn. 5.

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nicht nachzuvollziehen. Hier handelt es sich um ein Scheinargument. Wenn der Art. 14 GG vor dem Hintergrund des Art. I Abs. 1; 19 Abs. 2 GG und der Soziaistaatsgarantie als Teilhabegrundrecht ausgelegt würde, ist es ohne jeden Einfluß auf die Abwehrfunktion des Art. 14 GG. Die Interpretation zum Teilhabegrundrecht verhält sich zur klassischen Funktion als Abwehrgrundrecht komplementär105, d. h. ergänzend: als der bestehenden Schutzrichtung etwas hinzugebend, ohne den Schutz selbst in Frage zu stellen. Die Flexibilität, die Art. 14 GG durch Bestandsgarantie im Verhältnis zur Sozialpflicht mittlerweile erlangt hat, bliebe unberührt, die Abwehrfunktion bliebe voll erhalten. Die Staatsquote am Bruttosozialprodukt ist keine verfassungsrechtliche Größe. Die Verfassung redet weder Minimal- noch Maximalstaatskonzeptionen das Wort. Sie ist für beide volkswirtschaftliche Konzeptionen offen. Eine Vermögensverteilung zum Nachteil kommender Generationen zu verfestigen, ist mit dem geltenden Art. 14 GG nicht möglich, da der Bestandsschutz ausdrücklich geschichtlich-gesetzlich wandelbarer Inhaltsbestimmung unterliegt. Das gilt auch für eigentumsgeschützte sozialrechtliche Positionen. Ein Musterbeispiel ist die Entwicklung im Rentenrecht im Übergang von den Regelungen der RVO zum SGB/VI. Hier ist die Gesetzeslage den demographischen Gegebenheiten angepaßt worden, gerade um zukünftigen Generationen eine bezahlbare gesetzliche Altersversorgung einzurichten, ohne daß Art. 14 GG den vielfältigen Leistungsnachteilen für jetzige Versicherte und spätere Rentenbezieher eine Schranke gesetzt hätte. Von einem "ungenierten Griff in die Taschen von zukünftigen Generationen" kann nicht die Rede sein, wenn es darum geht, eine Leistungspflicht des Staates methodisch sauber in die Grundbegriffe der Rechtsordnung einzupassen. Es geht um begriffliche Einordnung und nicht um die Grundrechtsgeltung allgemein. Speziell das Eigentumsgrundrecht braucht nicht "gerettet", sondern muß rechtsbegrifflich bestimmt und auf seine Geltung für diejenigen, die nichts oder wenig haben, untersucht werden. bb) Einige der vermögenswerten subjektiven öffentlichen Rechte unterfallen der Eigentumsgarantie, jedoch nicht der Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt Dieses ist die oben ausführlich dargestellte Position des Bundesverfassungsgerichts, die von weiten Kreisen der Literatur übernommen wurde. Der Kriterienkatalog der Rechtsprechung ist ein Versuch, den Eigentumsbegriff definitorisch aufzuladen, um ihn subsumibel zu gestalten. Die Ansprüche, die der Staat in Erfüllung seiner fürsorgerischen Tätigkeiten einräumt, sind mit dem Kriterium der "Eigenleistung" aus der Eigentumsgarantie ausgegrenzt. Fraglich ist, ob das mit gutem Grund geschieht. ws Vgl. die Formulierungen im "numerus-clausus"-Urteil BVerfGE 33, 303 {330, 331] für den Art. 12 GG, die das Verhältnis Abwehr/Teilhabe als "(... ) komplementäre Forderung nach grundrechtliehen Verbürgung der Teilhabe an staatlichen Leistungen" bestimmte.

III. Eigentum und subjektive öffentliche Rechte

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Unklar ist, woher das Bundesverfassungsgericht diese Kriterien gewonnen hat, welche spezielle "Eigentumstheorie" hier in Ansatz gebracht wurde. Begründungen in der Rechtssprechung und in der Literatur fehlen. Fraglich ist auch, in welchem Verhältnis die einzelnen Kriterien zueinander in methodischer Hinsicht stehen, was sie für den Eigentumsbegriff leisten sollen und was nicht. Der Frage nach dem methodischen Verhältnis der Kriterien zueinander ist Ossenbühl106 nachgegangen. Dabei unterscheidet er das positiv definierende Kriterium der Zuordnung einer vermögenswerten Rechtsposition und die negativ ausgrenzenden Kriterien der Eigenleistung und der Existenzsicherung. Mit dem Merkmal einer vermögenswerten Rechtsposition sei alles erfaßt, "was das Eigentum im verfassungsrechtlichen Sinne (positiv) konstituiert. " 107. Dieses Kriterium bestimme allein notwendig und hinreichend, ob ein öffentlich-rechtlicher Anspruch Eigentum ist oder nicht. Demgegenüber hätten das Eigenleistungs- und Existenzsicherungskriterium lediglich ausgrenzende Funktion, stellten selbst also keinen Begriffsinhalt dar108 • Insgesamt solle der Kriterienkatalog des Bundesverfassungsgerichts keine Tatbestandsqualität haben, mithin könne man nicht einfach unter ihn subsumieren, sondern er sei eine Sammlung von Topoi, anhand derer in wertender Betrachtung des Falls ein subjektives öffentliches Recht dem Art. 14 GG untergeordnet werden kann- oder auch nicht 109• Mit diesem reduzierten Anspruch, nach dem die Eigentumsqualität einer vermögenswerten Rechtsposition im topischen Verfahren bestimmt wird, ohne daß die Topoi näher begründet sind, gibt Ossenbühl die feste Begriffsbildung im Art. 14 GG auf. Auch abstrakte Begriffe des Grundgesetzes müssen hinreichend definiert werden, um juristische Subsumtionsarbeit zu ermöglichen. Für das Existenzsicherungskriterium trifft die Überlegung Ossenbühls zudem nicht zu, daß das Bundesverfassungsgericht diesem nur "negativ-ausgrenzende Funktion" zubillige und es nicht als positives Kriterium benutzen würde. ,,Konstitutives (! G.S.) Merkmal für den Eigentumsschutz einer sozialversiche-

rungsrechtlichen Position ist schließlich, daß sie der Existenzsicherung des Berechtigten zu dienen bestimmt ist. " 110 Die These von der nur negativen Ausgren-

zungsfunktion läßt sich zumindest nicht am Sprachgebrauch des Bundesverfas-

106 Ossenbühl, Fritz: "Der Eigentumsschutz sozialrechtlicher Positionen in der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts -Eine Zwischenbilanz"; in: FS für Zeidler, Berlin/New York 1987, S. 625ff. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist der Kernsatz in BVerfGE 69, 272 (300): .. Voraussetzung für einen Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Positionen ist eine vermögenswerte Rechtsposition, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts dem Rechtsträger als privatnützig zugeordnet ist; diese genießt den Schutz der Bigenturnsgarantie dann, wenn sie auf nicht unerheblichen Eigenleistungen des Versicherten beruht und zudem der Sicherung seiner Existenz dient." 107 Ossenbühl, a. a. 0., S. 629/630. 108 Ossenbühl, a. a. 0., S. 631 f. 109 Ossenbühl, a. a. 0., S. 629. uo BVerfGE 69, 272 (303).

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sungsgerichts festmachen. Ossenbühl weist auf die widersprüchliche Verwendung dieses Merkmals durch das Bundesverfassungsgericht hin, das an anderer Stelle 111 feststellt, daß nicht alle Sozialversicherungsansprüche Existensicherungsfunktion hätten, trotzdem aber der Eigentumsgarantie unterfielen. Er zieht jedoch nicht wie Stober112 - den folgerichtigen Schluß, das Existenzsicherungskriterium zur Eigentumsbegründung ganz fallenzulassen, wenn es sich nicht widerspruchsfrei verwenden läßt. Das Konzept einiger positiv-definierender und anderer lediglich negativ-ausgrenzender Kriterien ist definitionstheoretisch nicht überzeugend. Mit einem "Ausgrenzungskriterium" ist immer zugleich gesetzt, was der Kandidat der Eigentumsgarantie- der in Frage stehende Anspruch- positiv erfüllen muß, ist also immer zugleich positiv-definierend. Wenn es heißt, der Anspruch dürfe nicht aus staatlicher Fürsorge gewährt werden oder es müsse eine Eigenleistung des Berechtigten korrespondieren, oder der Anspruch müsse der Existenzsicherung dienen, so sind damit positive Merkmale gesetzt 113 • Die Position des Bundesverfassungsgericht zu diesem Problem ist insgesamt positiv bestimmend, die Merkmale sind als Katalog zur Definition des Eigentumsbegriffs zu begreifen. Als solcher muß er zunächst unter der selbstverständlichen Voraussetzung, daß der Eigentumsbegriff nicht im Zivil- und Strafrecht mal dieses, im Sozialrecht mal jenes bedeuten kann, es im Rechtssystem also einen einheitlichen Eigentumsbegriff geben muß - im geltenden Recht widerspruchsfrei anwendbar sein. Schon hier setzt erste Kritik an. Der Verdacht liegt nahe, daß vom Bundesverfassungsgericht ein mit der sonstigen Eigentumsdogmatik nicht vereinbarer -und das heißt unbegründeter und am Begriff vorbeigehender - Sondertatbestand sozialrechtlichen Eigentums geschaffen wurde. Widersprüchlich im System der Eigentumsgewährleistung ist die Einführung des Eigenleistungskriteriums. Der Gedanke, einer Eigentümerposition müsse eine eigene Anstrengung des Berechtigten zugrundeliegen, erinnert an die "Arbeitstheorie" John Lockes 114, der die in den Gegenstand hineingelegte Arbeit als eigen-

BVerfGE 69, 272 (304). Stober, Rolf: "Eigentumsschutz im Sozialrecht", SGb 89, 53 (59). 113 Andersen, Holger: ,,Probleme der Wandlung des Eigentumsbegriffs", Diss. Frankfurt/ M. 1984, S. 5lf., betont, daß das Eigenleistungskriterium ein konstituierendes Merkmal der Eigentumsgarantie in der Verfassungsgerichtsrechtsprechung sei. Daß das Eigenleistungskriterium so verstanden werde, beruhe auf einem nicht näher ausgewiesenen Vorverständnis und Gerechtigkeitsgefühl. 114 Die Parallele zwischen Eigenleistungskriterium und der Eigentumstheorie John Lockes zog Andersen, Holger: "Probleme der Wandlung des Eigentumsbegriffs", Diss. Frankfurt/M. 1984, S. 44ff. Er bezieht sich auf Lockes "2nd Treatise about Govemment", deutsch: "Über den wahren Ursprung, die Reichweite und den Zweck der staatlichen Regierung", Frankfurt/M. 4. Aufl.l989, §§ 27-30. Zutreffend kritisiert er Eigenleistung als nicht tauglich zur Eigentumsbegründung. Dazu neuerdings Brocker,Manfred: ,,Arbeit und Eigentum", Darmstadt 1992, S. 350, mit Argumenten aus der Rechtsphilosophie Kants gegen die unterstellte Lockesche Arbeitstheorie des BVerfGs. 111

112

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turnskonstituierend begriff. Mit einfachen Beispielen läßt sich aufzeigen, daß dieses Merkmal unanwendbar im geltenden Recht ist 115 • Wenn ein wohltätiger Mensch in karitativer Absicht einem Bedürftigen notariell beglaubigt eine monatliche Rente zusichert, so käme niemand auf die Idee, den Schenkungsanspruch des Bedürftigen aus dessen Vermögens- und Eigentumssphäre auszugrenzen. Auch der Fall des Erben, der im Wege der Universalsukzession vermögend wird, illustriert, daß das Recht Eigentum ohne Arbeit und/oder Vermögenseinsatz anerkennt. Gleiches gilt für den glücklichen Lotteriegewinner116• Allein für den Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt soll anderes gelten, weil hier der Staat in Erfüllung von Fürsorgepflichten tätig wird. Warum dieses aber ein unterscheidendes Merkmal sein kann, welches eine andere rechtliche Einordnung des Anspruchs nahelegt, wurde nicht erklärt und kann auch nicht erklärt werden 117 • So betonte Weber die Einheitlichkeit des Eigentumsbegriffs: "Die Eigentumsgarantie differenziert(... ) prinzipiell nicht zwischen mehr oder weniger schutzwürdigem Eigentum; sie kennt diesen Unterschied überhaupt nicht. Sie fragt ferner nicht danach, ob die Berechtigung ererbt oder durch eigene Leistung erworben wurde und ob der Berechtigte durch großen Leistungseinsatz oder durch Glücksfall erlangt hat." 118

Zudem- im System des Bundesverfassungsgerichts argumentierend -auch in der Verwendung auf die gesetzlichen Rentenversicherungen ist das Eigenleistungskriterium alles andere als überzeugend. Dieser Sozialversicherungszweig ist vom Äquivalenzgedanken, die Versicherungsleistung stünde der Beitragsleistung gleichwertig gegenüber, weit entfernt. Die Leistungen der Rentenversicherung finanzieren sich aus dem augenblicklichen Beitragsaufkommen der Beschäftigten, der Arbeitgeber und dem Bundeszuschuß. Rücklagen über eine Monatsausgabe hinaus (sog. Schwankungsreserve) zu bilden ist den Rentenversicherungen nicht gestattet. Grundsätzlich ergibt sich aus diesem Umlageverfahren zwischen den aktuell Arbeitenden folgender Zusammen11s Diese Beispiele finden sich auch bei Unger,Manfred, Verfassungsrechtlicher Schutz für Anwartschaften aus der Rentenversicherung, Zentralblatt für Sozialversicherung,Sozialhilfe und Versorgung, 1985, 225 [228]; Bull, Hans-Peter, Der Sozialstaat als Rechtsstaat, Zeitschrift für Sozialreform 1988, 13 [26ff.]. 116 Andersen, Holger: ,,Probleme der Wandlung des Eigentumsbegriffs", Diss. Frankfurt/ M. 1984 S. 47ff. behauptet, aus diesen Gegenbeispielen sei kein Argument gegen das Eigenleistungskriterium gewinnen, weil diese Erwerbsarten von zu geringer wirtschaftlicher Bedeutung seien. Dagegen wiederum läßt sich einwenden, daß aus der wirtschaftlichen Bedeutung kein Rechtsbegriff zu gewinnen ist, weder in seiner positiven Bestimmung noch in der Ausgrenzung des Nichtdazugehörigen. 117 Daß in diesen Beispielsfällen Privateigentum übertragen wird, kann keine Ungleichbehandlung zu vermögenswerten öffentlich-rechtlichen Positionen rechtfertigen. Diesen Unterschied hat das BVerfG mit der Anerkennung subjektiver öffentlicher Rechte als Eigentum i. S. d. Art. 14 GG eingeebnet. 118 Weber, Werner: Das Eigentum und seine Garantie in der Krise", in Festschrift für Michaelis 1972, S. 316 [319].

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bang: je mehr beschäftigt sind, desto höher das Beitragsaufkommen, desto mehr kann verteilt werden. Andererseits - und die Überlegungen zur Rentenreform 1992 illustrieren das 119 - werden die Leistungen der Rentenversicherung notwendig gekürzt, sobald weniger in die gemeinsame Kasse zur aktuellen Umverteilung einzahlen. Die Leistungshöhe ist für den Einzelnen also nur zum Teil abhängig von seiner eigenen Beitragsleistung, diese wird lediglich für den Verteilungsschlüssel unter den Rentenanspruchsberechtigten in Ansatz gebracht. Bestimmendes Merkmal ist das aktuelle Beitragsaufkommen, dieses bestimmt das Maß des in der Sozialversicherung Umzuverteilenden. Das gilt nur im Grundsatz. Es wird bei der Finanzierung der Altersversorgung nicht rein durchgehalten. Die Sozialversicherung finanziert sich nur zum Teil aus Beiträgen, ein nicht unerheblicher Teil wird aus Bundesmitteln/Steuergeldern aufgrund gesetzlicher Garantien oder Zusagen, § 1384 RVO, seit dem 1. 1. 1992 §§ 213-215 SGB/VI 120, aufgebracht. Die Finanzierung bestimmter Ausfall- oder Zurechnungszeiten wird vom Bund übernommen. Dieser sog. "Bundesanteil" hat sich nach der Rentenreform 1992 noch erhöht. Eine Gleichwertigkeit zwischen Beitrag und Rentenanspruch ist folglich vom System der Umverteilung und der Finanzierung in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht angezielt 121 , obwohl es natürlich nicht ausgeschlossen ist, daß eine Gleichwertigkeit tatsächlich nach versicherungsmathematischen Grundsätzen vorkommen kann. Ebenfalls unzutreffend ist der "Prärniengedanke". So wird vertreten, das Bundesverfassungsgericht wolle mit dem Eigenleistungskriterium die Ansprüche der Beitragszahler in den Renten- und Arbeitslosigkeitsversicherungen eigentumsrechtlich "prämieren" 122 . Es ist unklar, wie diese Prämie sich konkretisiert, wel119 Die Reform der Rentenversicherung motivierte sich vor allem aus der prognostizierten demographischen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland. Diese geht dahin, daß im Jahre 2030 immer weniger Beitragszahler immer mehr Rentenanspruchsberechtigten gegenüberstehen. Die Berechnungen sind teilweise durch die teilweise Wiederherstellung der Einheit Deutschlands hinfällig geworden. Es ist ein Gebot der Verteilungsgerechtigkeit, in beitragsschwachen Zeiten den Beschäftigten nicht die gesamte Last der Altersversorgung aufzubürden, sondern das Leistungsniveau der Rentenversicherung zu senken. Vgl. dazu "Der Spiegel", ,)ung gegen Alt- es wird erbarmungslose Kämpfe geben", Heft 31 aus 1989, S. 44ff.; Bundestags-Drucksachen ll/3735 S. 19ff., 11/4124 S. 240ff.; Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, MateriaHe vom Januar 1987: Reform oder Revolution? Diskussion um die Änderung der Struktur in der gesetzlichen Rentenversicherung 1990, s. 1ff.[3]. 12o Zur Neuregelung s. das Gutachten des Sozialbeirats über eine Strukturreform zur längerfristigen finanziellen Konsolidierung und systematischen Fortentwicklung der gesetzlichenRentenversicherung im Rahmen der gesamten Altersversorgung, Bundestags-Drucksache 10/5332, S. 9ff. 121 BVerfGE 76, 220 [236] spricht von einer generalisierten Gleichwertigkeit, ohne näher zu erläutern, was damit gemeint ist. S. dazu Stober in SGb 89, 53 [55], der die Überlagerung des Äquivalenzprinzips durch die Prinzipien der Solidarität, des sozialen Ausgleichs, des Generationenvertrags usw. betont. 122 Stober in SGb 89, 53 [59].

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ches Mehr sie für den Versicherten bedeutet. Es ist unausgemacht, daß der Vertrauensschutz/Bestandsschutz aus einem "elastisch" interpretierten Art. 14 GG tatsächlich stärkere Positionen verschafft gegenüber Reduktionsgesetzgebung als ein ,,hart" interpretierter Menschenwürde- und Sozialstaatsgrundsatz 123 . Der Gedanke einer Prämierung durch Subsumtion ist dem Rechtsdenken, das in der begrifflichen Arbeit Gleiches gleich und Ungleiches der Ungleichheit entsprechend behandelt, fremd. Eine Prämie auf der einen Seite ist Zurücksetzung auf der anderen, und die zurückgesetzte Seite heißt staatliche Fürsorge für Bedürftige. Warum gerade die Fürsorgeansprüche aus der Eigentumsgarantie mit diesem Merkmal ausgegrenzt werden sollen, wenn dieses bei anderen vermögenswerten Rechstpositionen, die ebenfalls nicht auf Eigenleistung beruhen, nicht geschieht, die Eigenleistung also im Sozialrecht ein die Ungleichheit begründendes Merkmal sein soll, ist auch nicht mit dem Gedanken der Belohnung des Beitragszahlers befriedigend zu begründen. Ähnlich widersprüchlich verwendet wurde das Existenzsicherungskriterium. Der Widerspruch liegt darin, daß das Existenzsicherungskriterium als eigentumskonstitutives Merkmal eingeführt wird, dieses Merkmal auf der Seite der Anspruchsbegründung als Eigentum akzeptierter subjektiver öffentlicher Rechts nicht auftaucht. Leistungen der Sozialversicherungen - als Eigentum anerkannt- werden nicht auf die Bedürftigkeit des Berechtigten hin gewährt. Die Existenzsicherung ist nicht Rechtsgrund der Leistungsgewährung, sowohl der Vermögende wie der Unvermögende haben bei Erfüllung des gesetzlichen Tatbestands in abstrakter Gleichheit Anspruch auf die Versicherungsleistung 124. Gerade der Anspruch aber, der zur Existenzsicherung nicht nur marginal, sondern substantiell dient, der Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt gern. § 11 I 1 BSHG, wird aus der Eigentumsgarantie ausgegrenzt. Das ist widersprüchlich. Folgerichtig wird vertreten, dieses Merkmal in der Eigentumsbegründung fallenzulassen 125 . Der Gedanke, ein Vermögenswertes öffentliches Recht unterfalle dann der Eigentumsgarantie, wenn dieses Recht eine eigentümerähnliche Stellung einräume126, ist eine inhaltsleere Tautologie. Das Definierende wiederholt das Definierte. Das Merkmal diente in der Rechtsprechung lediglich zur Ausgrenzung bloßer Chancen oder nicht verfestigter Aussichten in der Sozialversicherung aus der Eigentumsgarantie, die lediglich Vollrechte oder - abgeschwächter - Anwartschaften sichert 127 . Zur Ausgrenzung des Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt aus 123 Bull, Hans-Peter: "Der Sozialstaat als Rechtsstaat"; Zeitschrift für Sozialreform 88, 13 [28]: "Wäre nicht Art. 14 GG angewendet worden, so hätte man einen gleich intensiven Schutz der Sozialleistungsrechte nach Art. 2 1 GG, vielleicht i. V.m dem Sozialstaatsprinzip, annehmen müssen. " 124 Lediglich auf Renten wegen Todes, §§ 46ff. SGB/VI, findet eine Anrechnung sonstiger Einkommen statt, §§ 97; 314 SGB/VI. Diesen Ansprüchen stehen keine eigenen Beitragsleistungen der Berechtigten gegenüber, maßgebend ist der Versorgungsgedanke, die finanzielle Unterstützung der Hinterbliebenen. 12s Stober in SGb 89, 53 [59]. 126 BVerfGE 4, 219 [3.Leitsatz]; neuerlich 72, 141 [153].

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der Eigentumsgarantie ist dieses Kriterium nach der Verwendungsweise des BVerfG nicht geeignet. Dergenaue Status dieses Merkmals in der Eigentumsbegründung ist nicht bestimmbar. Einleuchtender ist das Kriterium grundsätzlicher Verfügbarkeit 128 des Eigentumsgegenstands. Verfügbarkeil des Eigentumsgegenstands ist eine Funktion der ausschließlichen privatnützigen Zuordnung 129 des Gegenstands zum Berechtigten. Im Normalfall steht Sach-, Rechts- oder geistiges Eigentum in der freien Dispositionsbefugnis des Berechtigten, er kann es frei übertragen, abtreten, verpfänden oder belasten. Das ist das Grundprinzip der sozial-marktwirtschaftlich verfaßten Bundesrepublik Deutschland: Privatautonomie 130• Im Merkmal der Verfügbarkeil könnte ein schlüssiges Kriterium zur Ausgrenzung des Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt, der gern. § 4 I 2 BSHG gerade unverfügbar ist, gesetzt worden sein. Das setzt voraus, daß die Verfügbarkeil als notwendiges Merkmal der Bigenturnsbegründung anerkannt werden muß. Die Verfügungsbefugnis Privater ist jedoch sowohl zivil- als auch öffentlichrechtlich vielfältig beschränkbar. Eine wirksame privatautonom gesetzte privatrechtliche Verfügungseinschränkung liegt z. B. in der Bewilligung der Eintragung einer Vormerkung in das Grundbuch, § 885 BGB. Jede nachträgliche Verfügung, die den Anspruch des Vormerkungsberechtigten beeinträchtigen oder vereiteln würde, ist insoweit dem Vormerkungsberechtigten gegenüber unwirksam, § 883 II 1 BGB. Sachenrechtliche Verfügungsbeschränkungen erwachsen ebenfalls aus Rechten des Nacherben, Anordnung der Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung, Konkurseröffnung, usw. 131 , ohne daß am grundsätzlichen Eigentum am jeweiligen Gegenstand des Berechtigten zu zweifeln wäre. Im öffentlichen Recht kann beispielsweise die Verfügungssperre unter Genehmigungsvorbehalt für den Grundeigentümer in einem Umlegungsgebiet für die Zeit des Umlegungsverfahrens aus§ 51 I Nr. 1 BauGB angeführt werden. ,,Die Genehmigung darf nur versagt werden, wenn Grund zu der Annahme besteht, daß daß Vorhaben die Durchführung der Umlegung unmöglich machen oder wesentlich erschweren würde.",§ 51 III BauGB 132• Die Genehmigung kann mit Auflagen, Bedingungen oder Befristungen versehen werden, § 51 IV BauGB - im Effekt nicht nur eine Verfügungs-, sondern eine allgemeine Nutzungsbeschränkung als Konki'etisierung der Sozialpflicht von Grundeigentum. Gewendet ausgedrückt kann dem Eigentümer eine bestimmte Nutzung, z. B. eine Verfügung über das Grundstück, BVerfG a. a. 0 . BVerfGE 53,257 [291]. 129 BVerfGE 76, 220 [235]; 72, 141 [152]; 69, 272 [!.Leitsatz, auch S. 300]. uo Zur verfassungsrechtlichen Fundierung der Privatautonomie im Art. 2 Abs. 1 GG s. BVerfGE 81, 242 [254ff.]. 131 Vgl. Wolff/Raiser, Sachenrecht, lO.Aufl. Tübingen 1957, § 30 III. 132 Wenn also die Umlegung mindestens wesentlich erschwert würde, dann kann die Verfügungssperre durchgesetzt werden. 121

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untersagt werden, wenn planensehe Belange der Bauordnung entgegenstehen. Die Sozialpflicht des Eigentums kann also auf dessen Unverfügbarkeit gehen, ohne daß das Eigentum deswegen aufhörte, ein solches in der Hand des Privaten zu sein. Sozialrechtliche Ansprüche auf Sach- oder Dienstleistungen sind grundsätzlich unverfügbar, § 53 I SGB/1. Das gilt auch, wenn sie aus einem Sozialversicherungsverhältnis erwachsen. Diese Beschränkung gilt für laufende Geldleistungen, die zur Sicherung des Lebensunterhalts, wie z. B. Altersrente oder Arbeitslosengeld, soweit sie den Betrag, der innerhalb der zivilprozessualen Pfändungsfreigrenzen, §§ 850ff.ZPO, liegt, nicht übersteigen, § 53 III SGB/1. Verfügungen über Geldleistungen stehen unter dem ermessensgeleiteten Genehmigungsvorbehalt der Leistungsbehörde. Das Ermessen ist daran gebunden, ob die Verfügung ,,zur Erfüllung oder zur Sicherung von Ansprüchen auf Rückzahlung von Darlehen und auf Erstattung von Aufwendungen, die im Vorgriff auf fällig gewordene Sozialleistungen zu einer angemessenen Lebensführung gegeben oder gemacht worden sind" dient, oder sonst im vom Leistungsträger zu beurteilendem wohlverstandenen Interesse des Berechtigten steht, § 53 II Nr. 1 und 2 SGB/I. Die Verfügbarkeit des Anspruchs auf laufende Geldleistungen ist also einschränkbar, aber nicht aufgehoben. Im Einzelfall kann aber ein Anspruch für unverfügbar erklärt werden. Das ändert jedoch an seiner grundsätzlichen eigentumsartigen Zuordnung zum LeistungsempHinger nichts. Festzuhalten ist, daß das Verfügungsrecht eines Eigentümers sowohl privatautonom133 oder gesetzlich im Zivilrecht und im öffentlichen Recht, sei es zur Sicherung fremder Ansprüche, sei es zur Konkretisierung der Sozialpflicht des Eigentums, bis zur Unverfügbarkeit beschränkt werden kann, ohne daß der Gegenstand aufhörte, im Eigentum des Berechtigten zu stehen. Zu bedenken ist dabei, daß die Verfügbarkeil nur eine Nutzungsmöglichkeit unter anderen ist, ihr Ausschluß hebt die privatnützige Zuordnung insgesamt nicht auf. Mit ihr ist also nur ein Merkmal unter anderen, jedoch kein notwendiges Merkmal der Eigentumsbegründung gegeben. Der Ausschluß der Verfügbarkeil ist also kein sicheres Indiz für das Nichtvorliegen einer Eigentümerposition. Übertragen auf den Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt ergibt sich, daß sich aus dem § 4 I 2 BSHG allein nicht begründen läßt, daß hier keine Eigentümerposition vorliegt. Zudem ist der Anspruch für den Berechtigten verfügbar - auf ihn verzichten kann er allemal. Unproblematisch hinsichtlich eines Eigentumsschutzes ist für den Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt das Erfordernis einer vermögenswerten Rechtsposition, welche privatnützig zugeordnet werden muß, um Eigentum zu begründen. Kein Merkmal des Vermögensbegriffs ist eine Marktchance im Sinne eines Fremdinteresses, welches sich in einer Gegenleistung verwirklicht, die mit dem Gegenstand des Vermögens verbunden wäre. Dieses Merkmal ist unter dem Aspekt des oben zur Verfügbarkeil Gesagten nicht relevant. Eigentum definiert sich nicht aus Tauschmöglichkeiten. "Vermögen" ist vielmehr weiter zu fassen als private Gegen133

Jedoch nur- nach Maßgabe des§ 137 BGB - mit relativer Wirkung.

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standsmacht, durchaus im Sinne sprachlichen Vorverständnisses: Der Eigentümer vermag mit dem Gegenstand grundsätzlich nach seiner Willkür verfahren als Ermöglichung und Erweiterung (s)eines Wirkungskreises in die Güterwelt hinein. Der Anspruch auf Sach- und Geldleistungen durch Hilfe zum Lebensunterhalt begründet unproblematisch eine vermögenswerte Rechtsposition. Mit den oben vorgestellten Kriterien der Eigenleistung und der Existenzsicherung markiert das Bundesverfassungsgericht immer noch den Stand der Entwicklung. Diese beiden Kriterien stehen im Zentrum der Kontroverse um den Eigentumsschutz subjektiver öffentlicher Rechte. Erstens: Woher kommen diese Kriterien, wo nimmt sie das Bundesverfassungsgericht her? Welches "Vorverständnis" setzt sich in diesen Kriterien durch? Zweitens: Wie begründet es sich, daß hier ein Sondertatbestand des Eigentums zum traditionellen zivilrechtliehen Eigentum geschaffen wurde? Was rechtfertigt die Abkehr von einem einheitlichen Eigentumsbegriff in der Rechtsordnung? Zusammengefaßt ergibt sich, daß eine widerspruchsfreie Verwendung der eigentumsbegründenden Kriterien des Bundesverfassungsgerichts im geltenden Recht nicht möglich ist. Die Kritik ist unter dem Aspekt begründet, daß ein sozialrechtlicher Sondertatbestand ,,Eigentum" unter dem Erfordernis eines rechtssystematisch-einheitlichen Eigentumsbegriffs nicht zulässig ist. Die Kriterien sind als positiv definierende Merkmale vom Bundesverfassungsgericht zur Eigentumsbegründung aufgenommen worden, konnten sich aber als solche im Falle der "Eigenleistung" und der ,,Existenzsicherung" nicht widerspruchsfrei halten lassen. Beide Kriterien sind schon deswegen - aus dem geltenden Recht heraus argumentiert aufzugeben. Die Kriterien der Eigenleistung und der Existenzsicherung haben keine aus dem positiven Recht und dessen Geschichte heraus begründbare eigentumskonstitutive Wirkung. Es ist allein denkbar, diese Kriterien im Rahmen der Verhältnismäßigkeit gesetzgebenscher Gestaltung der Eigentumsordnung oder Eingriffe der Verwaltung in bestehendes Eigentum (als Maßbestimmungen) zu berücksichtigen. Sie können lediglich zur Begründung eines gestuften Eigentumsschutzes, zur Konkretisierung des Vertrauens- oder Sozialbindungsgrundsatzes angesetzt werden 134. Damit, daß die Kriterien des Bundesverfassungsgerichts bzgl. ihres Ausgrenzungsanspruchs widerlegt sind, ist jedoch noch nicht positiv begründet, daß Sozialhilfeansprüche auch der Eigentumsgarantie unterfallen 135 . Die Frage nach dem Eigentumsschutz für den Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt ist jedoch zumindest wieder offen. Das Bundesverfassungsgericht ist seiner "Begründungs-" und "Beweislast" nicht nachgekommen. So vertreten von Rittstieg in AK-GG, Art. 14 Rn. 114; und Stober in SGb 89, 53 [59]. Allein Paptistella, Werner: ,,Eigentum und eigene Leistung - Zum Kriterium der eigenen Leistung beim Eigenturnsschutz öffentlichrechtlicher Rechtspositionen", Diss.München 1974, S. 126, erwägt allein aus der Widerlegung des Eigenleistungskriteriums heraus, den Sozialhilfeanspruch dem Art. 14 GG zu subsumieren. 134 I3S

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cc) Alle vermögenswerten subjektiven öffentlichen Rechte unterfallen der Eigentumsgarantie, auch der Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt Die hier sogenannte "positive Unterschiedslosigkeitstheorie" geht zurück auf die oben schon angesprochenen Entscheidungen des BGH 136. Im Ergebnis kommt die Unterschiedslosigkeitstheorie zu dem Schluß, daß jede vermögenswerte, ein subjektives öffentliches Recht begründende Rechtsposition der Eigentumsgarantie unterfalle. Diese Auffassung entwickelte sich aus der Bestimmung des Enteignungsbegriffs, der einen Grenzbegriff zum sozialpflichtigen Eigentum darstellt. Die Grundsätze des Eigentums- und Enteignungsbegriffs brachten ,,schon die §§ 74 und 75 Einl.ALR in klarer Weise zum Ausdruck, die insoweit auf die Naturrechtslehre der Aufklärung zurückgingen. " 137 Im Ergebnis erfuhr diese Auffassung Zustimmung 138, auch wenn der naturrechtliche Ansatz der Aufklärung skeptisch beurteilt wurde 139 . Folgerichtig müßte auch das subjektive öffentliche Recht auf Hilfe zum Lebensunterhalt unter der Eigentumsgarantie stehen. Der Unterschiedslosigkeitstheorie ist zugutezuhalten, daß in ihr die widersprüchlichen Kriterien der Eigenleistung und der Existenzsicherungsfunktion nicht vorkommen. Sie teilt aber den Mangel der verfassungsgerichtlichen Position, daß das in ihr ausgedrückte Vorverständnis nicht belegt wurde. Der historischen Herleitung des Enteignungsbegriffs aus dem PrALR folgend ist der vorpositive "naturrechtliche" Begründungszusammenhang des Eigentums zwar angesprochen, aber nicht abgeleitet worden. Diesem Hinweis auf vorpositive Zusammenhänge ist nachzugehen, da sich weder aus dem positiven Recht noch aus der gesellschaftlichen "Funktion" des Eigentums begrifflich etwas gewinnen läßt. Ausgangspunkt dieser nun notwendigen rechtsphilosophischen Eigentumsbegründung ist eine vorläufige Definition. 3. Grundlage: Dermition des Eigentumsbegriffs ausgehend vom Standpunkt des Bundesverfassungsgerichts

Die dargestellte verfassungsgerichtliche Sicht des Art. 14 GG entwickelte den Eigentumsbegriff unter fallaufgegebenen Gesichtspunkten, ohne jemals eine allgemeine Definition des Eigentumsbegriffs vorzustellen. Die Haltung des Bundesverfassungsgerichts, sich in dieser Hinsicht nicht verbindlich zu machen, spitzt sich zu in dem Satz, daß es keinen absoluten Begriff des Eigentums gebe 140• Dieser BGHZ 6, 270; 15, 17; in Bezug genommen in VersR 64, 89 (92). BGHZ 6, 270 [278]. 138 Stödter, Rolf: "Über den Enteignungsbegrifr', DÖV 53, 97 [98]; Giese, F.: "Enteignung und kein Ende", DRiZ 53, 61 [62]. 139 Stödter a. a. 0. 140 BVerfGE 20, 351 [355]. 136

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A. BSHG und Art. 14 GG- Verhältnisbestimmung im geltenden Recht

Satz darf nicht so verstanden werden, daß eine positive Definition des Eigentumsbegriffs überhaupt unmöglich wäre. Ein Begriff, der einer erklärenden und erläuternden definitorischen Anstrengung unzugänglich ist, wäre - da ohne festgelegten Inhalt und ohne Bedeutungsgehalt, unter dem sich eine Rechtstatsächlichkeit fassen ließe - kein Begriff. Normenlogisch zwingend ist die Aussage des Bundesverfassungsgerichts, daß der Begriff des Eigentums nicht aus gegenüber dem Verfassungstext niederrangigem einfachen Gesetzesrecht gewonnen werden kann 141 • Im einfachen Gesetzesrecht sind zwar induktiv die Konkretisierungen des Rechtsbegriffs vom Eigentum aufzufinden und somit Hinweise auf den Begriff selbst möglich, ohne daß jedoch eine zwingende Ableitung gelingen könnte. Auch ein Blick in das Europa- 142 oder Völkerrecht 143, welches in der Bundesrepublik Deutschland einfachgesetzlich gilt, offenbart keine allgemeine Definition des Eigentumsbegriffs. Eigentum wird zwar menschenrechtlich verbürgt, nicht aber begrifflich festgelegt. Die europa- und völkerrechtlichen Eigentumsgarantien sind den gleichen begrifflichen Problemen ausgesetzt wie Art. 14 GG. Bei dem Versuch, den Eigentumsbegriff als Rechtsbegriff zu fassen, handelt es sich um die Erstellung einer synthetischen semantischen Nominaldefinition 144. Das Sprachzeichen ,,Eigentum" wird durch Beilegung einer rechtsbegrifflichen Bedeutung erläutert, ohne daß eine Bindung an den umgangssprachlichen Wortgebrauch eine Bindung bestünde 145 . Die Definition darf nicht zirkulär sein, d. h., der Begriff (Definiens) darf sich in der definierenden Formel (Definiendum) weder offen noch versteckt wiederholen 146. Das Definiendum soll positiv bestimmen, auf welche Merkmale bei Verwendung des Sprachzeichens verwiesen wird, d. h., die BVerfGE 58, 300 [325]. Art. 222 EWGV: ,,Der Vertrag läßt die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mit· gliedstaaten unberührt." - aus dieser Formulierung ist für die Bestimmung des Eigentumsbegriffs nichts zu gewinnen. 143 Art. 17 Nr. 1 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte: "Jeder Mensch hat allein oder in der Gemeinschaft mit anderen Recht auf Eigentum. " Dieses Recht wird flankiert durch Art. 25 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte: "Jeder Mensch hat Anspruch auf eine Lebenshaltung, die seine und seiner Familie Gesundheit und Wohlbefinden einschließ· lieh Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztlicher Betreuung und der notwendigen Leistungen der sozialen Fürsorge gewährleistet; er hatdosRecht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität, Verwitwung, Alter oder vor anderweitigem Verlust seiner Unter· haltsmittel durch unverschuldete Umstände." Das geltende BSHG geht über diese Garantie hinaus, indem es dem Bedürftigen auch bei verschuldeter Notlage Hilfe zum Lebensuntehalt gewährt. 144 Dieser Begriff wurde von Herberger, Maximilian/Simon, Dieter; Wissenschaftstheorie für Juristen, Frankfurt/Main 1980, S. 304ff. in die juristische Definitionslehre eingeführt. Im folgenden werden hier die Grundsätze der sogenannten ,,klassischen" Definitionslehre zugrundegelegt, die inhaltlich weitgehend deckungsgleich mit denen der neueren, formallogisch ausgerichteten Definitionslehre sind (vgl. Herberger/Simon a. a. 0. S. 32lff.). 145 Herberger/Simon, Wissenschaftstheorie für Juristen, S. 306. 146 Herberger/Simon, Wissenschaftstheorie für Juristen, S. 313. 141

142

m. Eigentum und subjektive öffentliche Rechte

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Definition darf nicht bloß negativ-merkmalsausschließend sein 147• Die eingeführten Merkmale müssen zusammengenommen ihrerseits den Begriff klar und vollständig erfüllen, d. h. der Merkmalskomplex des Definiendums muß jederzeit das Definiens in der Verwendung ersetzen können 148. Eine diesen Kriterien genügende Definition des Rechtsbegriffs vom Eigentum bietet das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung nicht an. Trotzdem kann eine solche Formel vom Eigentum gefunden werden. Auszugehen ist von den durch den geltenden Eigentumsbegriff rechtlich geregelten Lebenssachverhalten, deren allgemeines Prinzip aufzuweisen ist. Zunächst ist allen Begriffsverwendungen .,Eigentum" gleich, daß in ihnen ein Zuordnungsverhältnis ausgedrückt wird. Zuordnungsverhältnisse sind im Recht allgegenwärtig: Zuordnung einer Person zu einem Staat im Begriff der Staatsbürgerschaft, zu einer Familie im Begriff der Verwandtschaft, zu einer Personengesellschaft im Gesellschafterbegriff oder Zuordnung (Zurechnung) eines Verhaltens zu einer Person als zu verantwortende Handlung oder Unterlassung im Strafrecht. Mit dem Eigentumsbegriff wird regelmäßig das Zuordnungsverhältnis zwischen einer Person und einem Gegenstand beschrieben. Im einfachsten Fall wird ein Gegenstand einer Person zugeschrieben. Kompliziertere Abwandlungen, z. B. Miteigentum, gesellschaftsrechtlich vermitteltes Eigentum, allgemeines Eigentum der öffentlichen Hand, sind denkbar und geregelte Wirklichkeit. Das einfache Prinzip einer Person wird ein Gegenstand zugeordnet - ist aber allen Abwandlungen inhaltlich zugrundeliegend. Zuordnung ist als rechtliches Verhältnis zu denken. Vermengt die Umgangssprache die Unterscheidung zwischen faktischer Gewalt über einen Gegenstand und der Berechtigung an einem Gegenstand, so differenziert die Rechtssprache in Besitz, §§ 854ff. BGB, und Eigentum, §§ 903ff. BGB. Ausgegrenzt ist in der fachsprachlichen Bedeutung also die bloß faktische Innehabung des Gegenstands als Begriffsinhalt Abzustellen ist auf die rechtsgesetzliche Zuschreibung des Gegenstands zu einer Person. Weiteres Definitionsmerkmal ist somit die Zuordnung unter Rechtsgesetzen. Zuordnungssubjekt des Eigentumsbegriffs ist die Person. Zu unterscheiden sind natürliche und juristische Personen. Aus dieser Unterscheidung ergeben sich für den Eigentumsbegriff zunächst keine Konsequenzen. Rechtlich werden der Person Eigenschaften attribuiert: Rechtsfahigkeit und Geschäftsfahigkeit. Der Begriff der Person ist die kleinste Einheit des Rechts, trotzdem die am stärksten klärungsbedürftige: aus diesem Begriff ist das gesamte Programm subjektiver Berechtigung zu entwickeln. In Aufklärung des Personenbegriffs ist in diesen ein Konzept erkennender Rechtsvernunft hineinzulesen, welches für die nähere Bestimmung des Eigentumsbegriffs fruchtbar zu machen ist. Herberger/Simon, Wissenschaftstheorie für Juristen, S. 314ff. Herberger/Simon, Wissenschaftstheorie für Juristen, S. 32lff., Grundsatz der ,,Eleminierbarkeit" des Definiens durch das Definiendum. 147 148

76

A. BSHG und Art. 14 GG- Verhältnisbestimmung im geltenden Recht

Zuordnungsobjekt des Eigentumsbegriffs ist der Gegenstand. Was denn nun ein Gegenstand der Eigentumsgarantie sein soll, ist Kernfrage der gesamten Kontroverse um den Eigentumsschutz vermögenswerter subjektiver öffentlicher Rechte. Versäumt wurde dabei festzustellen, was ein Gegenstand überhaupt ist und wieweit folglich der Kandidatenbereich für den Eigentumsbegriff reicht. Trotzdem ist der verwendete Gegenstandsbegriff mehrschichtig. Direkt faßbar spricht man von Sacheigentum, schon abgeleiteter vom Forderungseigentum, und ganz im Innerlichen verschwindet das sogenannte geistige Eigentum. Der Gattungsbegriff vom Gegenstand im Recht steht jedoch noch aus. Faßt man zusammen, so ergibt sich die erste vorläufige Bestimmung, daß das Eigentum ein Zuordnungsverhältnis zwischen Person und Gegenstand unter Rechtsgesetzen bedeutet. Damit ist jedoch der Sinn und Zweck der Zuordnung noch nicht hinreichend zum Ausdruck gebracht. Es ist nicht so, daß der Gegenstand der Person als gleichberechtigter neben- oder beigeordnet wird, sondern er wird dieser untergeordnet. Das Bundesverfassungsgericht drückt es so aus, daß der Gegenstand der privaten Verfügungsbefugnis der Person unterliegt, von ihr gebraucht, verbraucht oder sonst genutzt werden kann, d. h. privatnützig ist. Der Gegenstand unterliegt der freien Willkür der Person im rechtsgesetzlichen Rahmen, ohne daß der Gegenstand aus sich selbst heraus dieser Dispositionsbefugnis eine eigene Berechtigung entgegensetzen kann. Das Zuordnungsverhältnis kann also näher als ein Herrschaftsverhältnis der Person über den Gegenstand qualifiziert werden. Wie sich dieses Herrschaftsverhältnis begründet und welche Grenzen gesetzt werden müssen, ist vor einem freiheitlichen Konzept personaler Berechtigung zu entwickeln. Nunmehr ergibt sich folgende allgemeine Bedeutung des Eigentumsbegriffs: Eigentum ist das Herrschaftsverhältnis einer Person über einen Gegenstand unter Rechtsgesetzen. Wenn man also sagt, umgangs- oder rechtssprachlich, dieser Gegenstand ist oder steht in mein(em) Eigentum, so behauptet man: ich als Person habe unter rechtsgesetzlichen Bestimmungen die Herrschaft über diesen Gegenstand. Diese Definition ist das allgemeine Prinzip des Eigentums in allen Abwandlungen und erfüllt den Rechtsbegriff vom Eigentum - da das Definiendum das Definiens immer ersetzen kann - vollständig. Auch ist positiv ausgesagt, welche Merkmale das Eigentum ausmachen. Die weitere notwendige Bedingung einer guten Definition, die Klarheit der definierenden Merkmale, ist jedoch nicht erreicht. Im nachfolgenden rechtsphilosophischen Nachdenken über die Merkmale wird diese Klarheit angestrebt. Grund und Grenze des Eigentums, der Herrschaft einer Person über einen Gegenstand unter Rechtsgesetzen, wird bestimmt. Aus diesem Nachdenken lassen sich direkt Schlüsse für die Umverteilung vom Vermögenden zum Bedürftigen, also für die Hilfe zum Lebensunterhalt ziehen, ob der Anspruch auf diese Hilfe ein möglicher oder notwendiger Gegenstand der Eigentumsgarantie ist.

IV. Zusammenfassende Problemformulierung

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IV. Zusammenfassende Problemformulierung Die vorangegangene Untersuchung hat folgendes ergeben:

1. Die verfassungsrechtliche Einordnung der Ansprüche nach BSHG, speziell der Hilfe zum Lebensunterhalt ist ungenau und zur Bestimmung des Anspruchsgrunds und der Anspruchsgrenze nicht zureichend. 2. Durch die Ausgrenzung der Fürsorgeansprüche aus Art. 14 GG erscheint es fraglich, ob die Verfassungsdogmatik dem emanzipatorischen Anspruch des BSHG, das auch den Bedürftigen als vollberechtigtes Mitglied der Gesellschaft erkennt, gerecht wird. Durch die Ausgrenzung aus der Eigentumsgarantie wird dem bedürftigen Anspruchsberechtigten der Hilfe zum Lebensunterhalt, § 11 I 1 BSHG, eine nicht begründete begriffliche Ungleichbehandlung vor dem Gesetz zuteil. Die Berechtigung des Hilfeempfängers wird an der wichtigen Stelle des Vertrauensschutzes niedriger eingestuft als die anderer Berechtigter aus öffentlich-rechtlichen Rechtspositionen. 3. Die Ausgrenzung der Fürsorgeansprüche aus der Eigentumsgarantie mittels der Kriterien Eigenleistung und Existenzsicherung ist dem Bundesverfassungsgericht nicht überzeugend gelungen. Mit der Sozialhilfe wird wie in der Sozialversicherung ein allgemeines Lebensrisiko abgesichert. Dieses Risiko heißt nicht Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Alter, sondern allgemein Bedürftigkeit. Wie in der Sozialversicherung wird die Sozialhilfe in einem Umlageverfahren finanziert. Dieses Umlageverfahren unterscheidet sich von den Sozialversicherungen dadurch, daß es alle Steuerzahler zur Finanzierung heranzieht, und nicht, wie die Sozialversicherungen, nur bestimmte Personengruppen. Die Gesunden erbringen Beiträge für die Kranken, die Jungen für die Alten, die Arbeiter für die Arbeitslosen und die Vermögenden für die Bedürftigen. Das Risiko Bedürftigkeit hätte der Gesetzgeber auch mit der Einrichtung einer Körperschaft öffentlichen Rechts - analog zu denen der Sozialversicherung - absichern können, hat sich aber anders entschieden. Umgekehrt hätte sich der Gesetzgeber zur Erfüllung der Aufgaben in der gesetzlichen Sozialversicherung durch Steuern und nicht durch sog. Sozialabgaben entscheiden können. Sozialhilfe wird durch allgemeine Abgaben und nicht durch die sog. Lohnnebenkosten finanziert. Das ist nicht mehr als eine geschichtliche Zufälligkeit in der Organisationsform. Aus dieser anderen Organisationsform ist keine zu den übrigen Sozialleistungen unterschiedliche verfassungsrechtliche Kategorisierung herzuleiten. Auf jeden Fall sind die Kriterien der Eigenleistung und der Existenzsicherung keine hinreichenden Gründe, den Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt aus der Eigentumsgarantie auszugrenzen. 4. Auf dieser zweifelhaften theoretischen Grundlage begibt sich die h.M. der Möglichkeit, die Sozialhilfeansprüche dem differenziert entwickelten Schutz aus Art. 14 GG zu unterstellen. Von einer solchen Unterfassung könnten jedoch weittragende Impulse für die weitere Entwicklung des Sozialhilferechts ausgehen 1•

78

A. BSHG und Art. 14 GG- Verhältnisbestimmung im geltenden Recht

Es ist jedoch noch unausgemacht, ob sich positiv begründen läßt, daß Sozialhilfeansprüche Eigentumsbezüge aufweisen, oder umgekehrt, ob das Eigentum sozialhilferechtliche Bezüge hat. Diese Begründung ist nicht damit geleistet, daß man auf die fragwürdige Argumentation des Bundesverfassungsgerichts hinweist, ohne tatsächlich einen subsumtionsfahi.gen Begriff vom Eigentum zu geben, an dem - überprüfbar - dann der Sozialhilfeanspruch zu messen wäre. Eine Erinnerung an den Eigentumsbegriff ist notwendig, wie er sich als spezifischer Rechtsbegriff darstellt. Auszugehen ist dabei von der Definition ,,Eigentum", wie ihn Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG vorprägt: ,,Eigentum ist die Zuordnung von Gegenständen zu Personen im Sinne einer Herrschaft der Person über den Gegenstand unter Rechtsgesetzen."

Diese noch weiter zu erläuternde erste Bestimmung ist Ausgangspunkt und Leitlinie der folgenden Überlegungen. Eigentum als Grund- und Menschenrecht ist dabei in den vorpositiven Kontext zu stellen, in dem das Grundgesetz selbst steht, Art. 1 Abs. 2 GG. Die vorpositiven Begründungszusammenhänge sind aufzuklären.

t ,Jm Bereich des An. 14 GG aber wird über die Reformmöglichkeiten des Sozialrechts entschieden." - Katzenstein, Dietrich, "Das Sozialrecht in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . .", SGb 88, 185.

B. Der vorpositive Begründungszusammenhang von Eigentum und Sozialhilfe Das Begründungsproblem in der Dogmatik des Eigentumsgrundrechts ist offensichtlich. Die Begründung, daß Art. 14 GG die Fürsorgeansprüche nicht umfasse, ist weder Rechtsprechung noch Literatur widerspruchsfrei gelungen. Das Verhältnis zwischen Eigentum und Sozialhilfe steht in Frage. Es muß von Grund auf überdacht werden. Ziel des folgenden Nachdenkens ist es, Eigentum und Sozialhilfe in eine umfassende rechtsbegriffliche Konzeption zu setzen und aus dieser heraus den einheitlichen systematischen Zusammenhang zwischen den beiden Rechtsinstituten aufzuweisen. Das Recht an Gegenständen verwandelt sich im Sozialrechtsverhältnis zum Recht auf Gegenstände. Der vorpositive vernunftrechtliche Zusammenhang zwischen Eigentum und Sozialhilfe legt den Schutz für den Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG nahe. Dieses Ergebnis entwickelt sich deduktiv aus einem vorausgesetzten personal-freiheitlich begründeten Rechtsbegriff. Um diesen zu gewinnen, wird auf die Rechtslehre Immanuel Kants in der ,,Metaphysik der Sitten" zurückgegriffen. Die Darstellung ist nach der Untergliederung der Privatrechtstheorie Kants in drei Hauptstücke geordnet. Die Gliederung orientiert sich dabei an der praktisch-philosophischen Kategorienlehre Kants 1, insbesondere an den Kategorien der Modalität2• In der theoretischen Philosophie wird nach den Modalkategorien der Begriff vom Erkenntnisgegenstand in ein Verhältnis zum theoretischen Erkenntnisvermögen, das unter den reinen Verstandesbegriffen steht, gesetzt3. In der praktischen Philosophie wird mit den Kategorien der Modalität die menschliI Die "Kategorien der Freiheit" werden von Kant kurz erwähnt in der Kritik der praktischen Vernunft B S. I I 7. An ihre Funktion in der praktischen Philosophie Kants knüpfen sich vielfältige Interpretationsschwierigkeiten. Dazu instruktiv Bobzien,Susanne, Die Kategorien der Freiheit bei Kant, in: Oberer,Hariolf/ Seel,Gerhard (Hrsg.), "Kant. Analyse · Probleme · Kritik", Würzburg 1988, S. 193-220. Dazu ferner Schönrich,Gerhard, ,,Die Kategorien der Freiheit als handlungstheoretische Elementarbegriffe", in: Prauss, Gerold, Handlungstheorie und Transzendentalphilosophie, Frankfurt/M. 1086, S. 246 [264ff.]; am Rande Hoffmann,Thomas S., "Die absolute Form - Modalität, Individualität und das Prinzip der Philosophie nach Kant und Hege!", Berlin/New York 1991, zgl. Diss. Bonn 1990. 2 Den Hinweis auf die modalkategoriale Struktur der Privatrechtslehre Kants entnimmt man explizit dem § 41 Metaphysik der Sitten/RL, ferner der Einteilung der Privatrechtslehre in drei Hauptstücke, welche nach der Möglichkeit des Besitzes, dessen Verwirklichungsmodus (Erwerb) und dessen Notwendigkeit (subjektiv bedingt durch den Erwerb vor einem idealen Gerichtshof der praktischen Vernunft) geordnet ist. 3 Kritik der reinen Vernunft B S. 266ff.

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B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

ehe Zwecksetzung und die menschliche Handlung in ein Verhältnis zum praktischen Erkenntnisvermögen gesetzt, welches unter dem Gesetz der Freiheit, dem kategorischen (Rechts-)Imperativ steht. Anhand dieses "Leitfadens" werden die eigentumstheoretischen Möglichkeits-, Verwirklichungs- und Notwendigkeitsbedingungen subjektiver Berechtigung an Gegenständen aufgewiesen. Die Elemente der oben im rechtsphilosophischen Sinne vorverständlich entwikkelten Eigentumsdefinition ermöglichen es, das Rechtsinstitut ,,Eigentum" überhaupt zu denken. In den einzelnen Begriffen dieser Definition ist der inhaltliche Rahmen aufzuzeigen, in nur dem allein Eigentum als Rechtsbegriff vorgestellt werden kann. Anhand der einzelnen Begriffe wird eine Rechtskonzeption erläutert, die Eigentum begründet und an der sich Eigentum begrenzt. In einer kurzen Aufnahme der Voraussetzungen, die Eigentum zu einer wirklichen Größe im Rechtsleben machen - Eigentum wird wirklich im Erwerb - wird das Defizit bloß besitzstandswahrender, insofern nur individuell begründeter Eigentumsbehauptung und die zerstörerische Instabilität solipsistischer Eigentumsbegründung aufgewiesen. In enger Anlehnung an das Privat- im Übergang zum Staatsrecht Kants wird folgend die notwendige Vermittlung subjektiver Berechtigung an Gegenständen mit der notwendigen Möglichkeit zum Dasein aller verdeutlicht. Aus dem Grundsatz eines unaufgebbaren Teilhaberechts der Person an Gegenständlichkeit entwickelt sich die Rechtspflicht im interpersonalen Verhältnis, dem anderen den faktischen Zugang zu den (im wörtlichen Sinne) Lebensmitteln zu belassen oder aber bedürftigenfalls dem anderen die Lebensmittel zu gewähren. Das geschieht mit der staatlich geleisteten Sozialhilfe.

I. Einleitung 1. Zur Rechtslehre Kants

Die Nachfrage nach einem vorpositiven Begründungszusammenhang geht von den vielfachen Hinweisen aus, die das Grundgesetz und die Eigentumsgarantie in den Traditionszusammenhang neuzeitlicher aufgeklärter Staatsphilosophie setzen. Der vom Bundesverfassungsgericht behauptete "vorpositive Gehalt" der Eigentumsgarantie1 und die kurze Bemerkung des Bundesgerichtshofes, die Eigentumsgarantie sei naturrechtliehen Ursprungs2, legen eine solche Anstrengung nahe. Damit wird kein rechtsgeschichtliches Interesse verfolgt, vielmehr gelten die rechtsphilosophischen Begriffsklärungen auch für das heutige Gesetzesverständnis. Der Eigentumsbegriff des Art. 14 GG ist weiter als der des§ 903 BGB. Der Gegenstandsbereich ist u.a. um die Forderungsrechte an der Leistung anderer erweitert. Damit ist der Eigentumsbegriff des Bundesverfassungsgerichts im Gegent 2

BVerfGE 15, 126 [144]; 41, 126 [157]. BGHZ 6, 270 [278].

I. Einleitung

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Standsbereich zum Teil deckungsgleich mit dem Begriff des "intelligibelen Besitzes", wie ihn Immanuel Kant in seiner Privatrechtstheorie entwickelt und ihn auf körperliche Sachen, auf Forderungsrechte und auf den ,,Zustand eines Anderen in Verhältnis auf mich"3 bezieht. Die dritte Kategorie des Zustandes einer anderen Person in ihrem Verhältnis zu mir fällt aus dem Rahmen des am positiven Recht entwickelten Vorverständnisses von Eigentum. Diese letzte Kategorie des wechselseitigen Verhältnisses der Personen zueinander kann bei der Untersuchung des Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt jedoch außer Acht gelassen werden. Bei dem Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt handelt es sich um ein Forderungsrecht und damit um einen Gegenstand subjektiven intelligibelen Besitzes der zweiten Kategorie. Die Teilidentität der Kantischen Lehre vom intelligibelen Besitz in ihren exponierten drei kategorialen Unterscheidungen mit der Eigentumstheorie des Bundesverfassungsgerichts im Gegenstandsbereich legt es nahe, entweder von der "Eigentumstheorie Kants" - so der Sprachgebrauch von Kristian Kühl - oder aber von der "Besitztheorie Kants" - so der Sprachgebrauch von Manfred Brocker - zu sprechen. Wenn im folgenden von der "Besitztheorie" Kants gesprochen wird, dann deshalb, weil der Eigentumsbegriff von Kant speziell belegt wird4 und bei Nachvollzug und Interpretation des kantischen Textes terminologisch sauber nur von der Lehre intelligibelen Besitzes als dem System der Grundsätze subjektiver Berechtigung an Gegenständlichkeit a priori gesprochen werden kann. Dieses System der Grundsätze ist in den Eigentumsbegriff des Bundesverfassungsgerichts, der sich zum Besitzbegriff der Privatrechtslehre Kants wie das Besondere zum Allgemeinen verhält, jederzeit hineinzudenken. ,,Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen"5 lautet der Wahlspruch der Aufklärung und setzt voraus, daß man sich zunächst seines eigenen Verstandes versichert. Gründe und Grenzen menschlicher Erkenntnis und die moralischen und rechtlichen Gesetze seines Handeins werden von Kant im Menschen selbst aufgewiesen. Die Verlagerung der Möglichkeitsbedingungen für Erkenntnis, sei es theoretische oder praktische, in das Subjekt unter Nachweis dessen formal-apriorischer Teilhabe an der Weltkonstitution, wie diese ist oder durch menschliches Handeln hervorgebracht wird, ist der feste nicht hintergehbare Bestand der ,,kopernikanischen Wende" 6 , die mit den Kritiken der reinen und der praktischen Vernunft voll§ 4 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre. Kant faßt den Begriff des Eigentums mit der Bedeutung und der Einschränkung im Gegenstandsbereich, die unserem aktuellen§ 903 BGB entspricht,§ 17 a.E. Metaphysik der Sitten/Rechtslehre. 5 Aus ,,Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?", Weisehedei Werkausgabe Frankfurt/M. 1964, A S. 481. 6 Kritik der reinen Vernunft B, Einleitung B S. XVI; dazu Jaspers, Kar!: Kant. Leben, Werk, Wirkung. 3. Auf!. München 1985 S. 51: ,,Die alte dogmatische Metaphysik transzendierte denkend im Gegenständlichen zu einem übersinnlichen Gegenstand des Seins an sich oder Gottes. Kant transzendierte über das gegenständliche Denken gleichsam rückwärts zur Bedingung aller Gegenständlichkeit. An die Stelle der metaphysischen Erkenntnis einer anderen Welt tritt die Ursprungserkenntnis unseres Erkennens. " 3

4

6 Süchting

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B. Sozialhilfe und Eigentum - Dialektische Verhältnisbestimmung

zogen wurde. Diese strikt subjektsorientierte Sicht ist grundlegend für den Begriff des Rechts wie auch für den rechtsphilosophischen Begriff vom Gegenstand.

,,Der Kampf um den Eigentumsbegrijj"7 wird ausgestritten von Besitzstandswahrem auf der einen und Umverteilungsbefürwortem auf der anderen Seite. "Eigentum ist ein eigentümliches Recht: Die meisten haben es, alle streben danachund doch steht es überall im Streit. Der Kampf ums Recht ist die Theorie, der Kampf ums Eigentum ist die Praxis. " 8 - aber eine mit der Theorie des Eigentums zu vermittelnde Praxis. Die unterschiedlichen Gemengelagen, die von einseitiger Behauptung der Besitzinteressen gegen den Staat9 bis zur Formel: ,,Eigentum ist Diebstahl" 10 gehen, lassen kein festes Regelwerk für die Begriffsbildung ,,Eigentum" erkennen. Der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff konnte bisher von der Staatsrechtslehre nicht mit festem Inhalt gefüllt werden. Die rechtsphilosophische Untersuchung des Eigentumsbegriffs zielt nun in eine andere Richtung der Begriffsbildung - sie ist nicht am Einzelfall orientiert, sondern versucht die allgemeinen Begriffe des Eigentums aufzufinden. Leitende These ist, daß sowohl Besitzstandswahrung als auch Umverteilung sich aus einem und demselben Gerechtigkeitsgrund herleiten lassen. 2. Die Modalkategorien in der Privatrechtstheorie

Der Anlaß, Kants Privatrechtstheorie gegliedert nach den Modalkategorien darzustellen, ist der Hinweis, den er selbst im§ 41 der Rechtslehre gibt: "Der rechtliche Zustand ist dasjenige Verhältnis der Menschen unter einander, welches die Bedingungen enthält, unter denen allein jeder seines Rechts teilhaftig werden kann, und das formale Prinzip der Möglichkeit desselben, nach der Idee eines allgemein gesetzgebenden Willens betrachtet, heißt die öffentliche Gerechtigkeit, welche in Beziehung, entweder auf die Möglichkeit, oder Wirklichkeit, oder Notwendigkeit des Besitzes der Gegenstände (als der Materie der Willkür) nach Gesetzen in die beschützende (iustitia tutatrix), die wechselseitig erwerbende (iustitia commutativa) und die austeilende Gerechtigkeit (iustitia distributiva) eingeteilt werden kann." 11

Dieser Satz faßt im Begriff der "öffentlichen" Gerechtigkeit den Grundsatz zusammen, daß jeder ursprünglich und im bürgerlichen Zustand das subjektive Recht auf Teilhabe an der Gegenständlichkeit hat. Dieses Recht auf Teilhabe verwirklicht Leisner, Walter: "Eigentum" im Handbuch des Staatsrechts, Bd.IV, S. 1024. s Leisner, Walter: ,,Eigentum" im Handbuch des Staatsrechts, Bd.IV, S. 1024. 9 Nozick, Robert: ,,Anarchie,Staat,Utopia", Deutsch München 1974, aus dem Umschlagtext: ,,Der Staat darf seinen Zwangsapparat nicht dazu einsetzen, einige Bürger dazu zu bringen, anderen zu helfen oder jemanden um seines eigenen Wohls oder Schutzes willen etwas zu verbieten." 10 Proudhon, Pierre-J.: Was heißt Eigentum? oder: Untersuchungen über die Grundlagen von Recht und Staatsmacht, Paris 1840/1841, deutsch 1844. 11 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre,§ 41 l. Satz, B S. 1531154. 7

I. Einleitung

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sich "öffentlich" in einem Zustand verrechtlichter menschlicher Gesellschaft - im Staat. ,,Der rechtliche Zustand" ist die Organisation menschlicher Gesellschaft nach dem Freiheitsprinzip des kategorischen Rechtsimperativs: "handle äußerlich so, daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne" 12• Der Rechtsbegriff a priori "der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andem nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann" 13 - hat in jeder menschlichen Handlung, die diesen Bedingungen entspricht, objektive praktische Realität. Das wirkliche Recht ist auszurichten an den Bedingungen a priori, die jeden Menschen in sein Recht setzen, die jedermann als freiheitliches Subjekt unter anderen Subjekten voraus-setzen. Dieser formale Grundsatz ist ungeschichtlich, kann aber in jeden rechtlichen Zustand der Geschichte bewertend und korrigierend hineingebildet werden. Die formale Bedingung der Möglichkeit eines rechtlichen Zustands faßt Kant im Begriff der "öffentlichen Gerechtigkeit" zusammen. Die öffentliche Gerechtigkeit ist der Grundbegriff eines Systems gesellschaftlicher äußerer Freiheit a priori. Die Materie dieses Systems ist die gegenstandsbezogene subjektive Willkür der je Einzelnen, die sich wiederum wechselseitig als je Einzelne aufeinander beziehen. Der formale Begriff öffentlicher Gerechtigkeit faßt in sich - "nach der Idee eines allgemein gesetzgebenden Willens betrachtet" - den Gedanken von letztbegründeter Intersubjektivität im wirklichen zwischenmenschlichen Verhältnis. Der Gegenbegriff zur öffentlichen Gerechtigkeit ist die private Gerechtigkeit. Diese ist naturzuständlich-provisorisch, die öffentliche Gerechtigkeit ist staatlich-peremtorisch. Kant stuft den Begriff der öffentlichen Gerechtigkeit dreifach ab. Der dreifach gestufte Gerechtigkeitsbegriff ergibt sich aus den Grenzbegriffen der praktischen Philosophie, den Modalkategorien praktischer Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit. Beschützend, erwerbend, austeilend sind die traditionellen und von Kant wieder aufgenommenen Prädikate des Gerechtigkeitsbegriffs. Diese drei Stufen des Gerechtigkeitsbegriffs in ihrer jeweiligen Eigenständigkeit und in ihrem kategorialen Zusammenhang ergeben das vollständige normative Prinzip des "Besitzes der Gegenstände". Faktische Gegenstandsmacht als rechtliche Gegenstandsmacht des je einzelnen Willkürwesens ist nach diesen formalen Begriffen zu bestimmen. Fraglich ist, welchen Status die Modalkategorien in der Rechtsphilosophie Kants haben. In der Begründung der Möglichkeit einer theoretischen Philosophie bei Kant fällt das Erkennende und das Erkannte im Begriff der reinen Vernunft zusammen. Im denkerischen Nachvollzug der formalen Bedingungen, unter denen das Denken steht, unterscheidet er den Gegenstand-an-sich, den materialen Grund der Erkennt12 13

6•

Metaphysik der Sitten Einleitung, B S. 34. Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, Einleitung in die Rechtslehre § B.

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B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

nis, von der Formkraft des Verstandes, dem formalen Apriori der Erkenntnis, und fügt beides im Begriff vom Gegenstand wieder zusammen. Der Gegenstand ist der Oberbegriff für die geformte Mannigfaltigkeit aus der Wahrnehmung unter einem synthetisierenden Prinzip oder Urteil, welches der Verstand gibt, und die Wahrneh- · mung erst im synthetisierenden Akt des Verstehens zu einem bestimmten Objekt formt. Diese zusammengesetzt formal-materiale, sujektiv-objektive Konstruktion von Gegenstandserkenntnis ist der Inhalt der kopernikanischen Wende. Erkenntnis richtet sich nicht nur nach dem gegebenen Etwas, sondern ist stets ein Akt schematischer Synthese zwischen den formalen Bedingungen der Erkenntnis und den Wahr-nehmungen vom Materialen. Das formende Schema des Verstandes strukturiert sich in den Grundbegriffen der Erkenntnis, den Kategorien oder ,,reinen Verstandesbegriffen". Diese Begriffe sind ,,rein" in dem Sinne, daß sie von den materialen Bedingungen der Erkenntnis losgelöste Grundformen des Denkens sind, die im begrifflichen Denken befangene Gegenständlichkeit ermöglichen. Obwohl diesen Begriffen keine Anschauung korrespondiert, sind sie nicht leer: "Ein Begriff, der eine Synthesis in sich faßt, ist für leer zu halten und bezieht sich auf keinen Gegenstand, wenn diese Synthesis nicht zur Erfahrung gehört, entweder als von ihr erborgt, und dann heißt er ein empirischer Begriff, oder als ein solcher, auf der, als Bedingung a priori, Erfahrung überhaupt (die Form derselben) beruht, und dann ist es ein reiner Begriff, der dennoch zur Erfahrung gehört, weil sein Objekt nur in dieser angetroffen werden kann." 14

Die Kategorien gehören zur Gruppe der reinen Begriffe, weil- so lautet die Unterscheidung - sie nicht vom Material der Erfahrung, sondern vom formalen Apriori der Erfahrung, wie es sich in der Erfahrung selbst aufweist und aus ihr isoliert werden kann, genommen werden. Es kann etwas nur dadurch Gegenstand unserer Erfahrung werden, daß es kategorial verstandesbegrifflich bestimmt wird 15 . In den reinen Verstandesbegriffen ist die menschliche Erfahrung und Erkenntnis begründet und begrenzt. Über diese Begriffe hinaus ist ein Urteil über die erscheinende Welt nicht sinnvoll möglich. Zugleich ist mit den reinen Verstandesbegriffen grenzbegrifflich der Aufweis der nicht-gegenständlichen, formalen oder "noumenalen" Natur des Menschen verbunden. Der noumenale Charakter ist der körperlichen, gegenständlichen, erscheinenden oder "phänomenalen" Natur des Menschen als eines wirklichen Wesens inhaltlich. Wenn auch jeder Mensch körperlich und psychologisch eigenartig ist, so sind sich die Menschen jedoch in den Gründen und in den Grenzen ihres Erkenntnisvermögens, innerhalb dessen sie Gegenstände beurteilen können, gleich. Dieser Aufweis gibt - abstrahiert von den Unterschieden die Idee eines Vernunftwesens oder die Idee der Menschheit. Kant unterscheidet 4 Hauptgruppen reiner Verstandesbegriffe: Qualität (Eigenschaft), Quantität (Maß), Relation (Verhältnis) und Modalität (Art und Weise). Jede Gruppe unterteilt sich in drei Kategorien. Innerhalb der Modalität unterscheidet er 14 15

Kritik der reinen Vernunft B S. 267. Eisler,Rudolf, Kant Lexikon, Berlin 1930, S. 282 (zum Begriff der Kategorie).

I. Einleitung

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die Kategorien der Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit. Was wird damit für die theoretische Erkenntnis, also die Gegenstandskonstitution ausgesagt? Die Kategorien der Modalität sind Grenzbegriffe der reinen Vernunft, die eine Verselbständigung des Denkens über das Denken in einen vom Gegenständlichen völlig abgetrennten Bereich verbieten. Die Formbegriffe des Verstandes weisen sich im begrifflichen Denken von Gegenständlichkeit auf, und haben nur in den empirischen Begriffen ihre Wahrheit und Existenz, ohne daß sie eigenständig vom Gegenstand zu denken wären. Ein von der Gegenständlichkeit abgelöster Begriff wäre ein leerer Begriff, denn in ihm wird nichts materiales synthetisiert. Die reinen Verstandesbegriffe synthetisieren hingegen schematisch die Bestimmungsfunktionen des Verstandes, wie diese ihrerseits Wahrnehmungen ordnen und synthetisieren. Die Kategorien der Modalität zeigen das Verhältnis zwischen dem Verstand und der materialen Grundlage der Erkenntnis an. ,,Eben um deswillen sind auch die Grundsätze der Modalität nichts weiter, als Erklärungen der Begriffe der Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit" - reine Begriffe ! "in ihrem empirischen Gebrauche, und hiermit zugleich Restriktionen aller Kategorien auf den bloß empirischen Gebrauch, ohne den transzendentalen zuzulassen und zu erlauben. Denn, wenn diese nicht eine bloß logische Bedeutung haben, und die Form des Denkens bloß analytisch ausdrücken sollen, sondern Dinge und deren Möglichkeit, Wirklichkeit oder Notwendigkeit betreffen sollen, so müssen sie auf die mögliche Erfahrung und deren synthetische Einheit gehen, in welcher allein Gegenstände der Erkenntnis gegeben werden." 16

In den Modalkategorien ist im doppelten Sinne ein kritisches Prinzip des Urteilsvermögens vorgestellt. Es ist ein kritisches Prinzip des Urteilsvermögens in einem ersten Sinne, in dem es auf das Urteilsvermögen selbst bezogen wird und für dieses den Gegenstandsbezug stets und immer voraussetzt. Es ist ein kritisches Prinzip des Urteilsvermögens in einem zweiten Sinne, in dem es sich auf Gegenstände bezieht und Urteile über diese nur im Rahmen möglicher, wirklicher oder notwendiger Begriffe von Erfahrungsgegenständen zuläßt. Damit wird nichts über den Gegenstand selbst ausgesagt, ihm werden keine Prädikate hinzugefügt, wohl aber über dessen Verhältnis zur Wirklichkeit, bestimmt nach den formalen Bedingungen des Denkens. Folgernd formuliert Kant die ,,Postulate des empirischen Denkens überhaupt I. Was mit den formalen Bedingungen der Erfahrung (der Anschauung und den Begriffen nach) übereinkommt, ist möglich.

2. Was mit den materialen Bedingungen der Erfahrung (der Empfindung) zusammenhängt, ist wirklich. 3. Dessen Zusammenhang mit dem Wirklichen nach allgemeinen Bedingungen der Erfahrung bestimmt ist, ist (existiert) notwendig. " 11

16 17

Kritik der reinen Vernunft B S. 266/267. Kritik der reinen Vernunft B S. 266.

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B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

Ausgegrenzt als sinnlos sind mit den Kategorien der Modalität alle Aussagen, die sich nicht auf zumindest erfahrungsmögliche Gegenstände beziehen. So ist z. B. eine Aussage über das "Ding-an-sich" nur eingeschränkt möglich. Die dem erscheinenden Gegenstand vorauszusetzende und nicht verstandesmäßig geformte Substanz ist selbst nicht erfahrbar. "Das Ding-an-sich ist gelb" wäre zwar ein singuläres Urteil der Qualität, aber ein Scheinurteil außerhalb des Erfahrungsmöglichen. Es stimmt mit den Bedingungen der Erfahrung, die sich zusammensetzt aus Wahrnehmung und synthetisierender Verstandesleistung, nicht überein und ist damit eine "unmögliche" Aussage. Die Modalkategorien stellen also ein den übrigen Kategorien vorgeordnetes Metakriterium vor, welches deren Aussagemöglichkeiten auf den Bereich möglicher Erfahrung limitiert. Darin kommt komprimiert zum Ausdruck, daß das, was wir Erfahrung nennen, stets das Zusammentreffen der kategorialen Grundbestimmtheit des Subjekts und des Dings-an-sich ist, welches in der schematischen Verstandessynthese des Wahrgenommenen zum bestimmten Gegenstand wird. Darüber hinaus kann kein sicherer Grund gefunden und keine wahre Aussage getroffen werden 18• Kant überträgt die Kategorien der Modalität, wie er sie in der Erkenntnistheorie entwickelt, in die praktische Philosophie. Das Material der Erkenntnistheorie ist der Gegenstand. Aussagen über Gegenstände werden modalkategorial nach der Möglichkeit, Wirklichkeit oder Notwendigkeit des Gegenstands bestimmt. Das Material der praktischen Philosophie als Tugendlehre ist der Zweck. Das Material der praktischen Philosophie als Rechtslehre ist die äußere Handlung in ihrem Bezug zur äußeren Freiheit anderer. Aussagen über Zwecke und Handlungen werden modalkategorial nach deren Möglichkeit, Wirklichkeit oder Notwendigkeit unter einem praktischen Gesetz der Freiheit bestimmt. Theoretische Erkenntnis steht unter den formalen Bedingungen der reinen Verstandesbegriffe, die ihr als Gesetze (regelmäßige Abläufe der Verstandesfunktionen) gelten. Rechtserkenntnis steht unter der Idee der Freiheit und ihrer Gesetzlichkeit, wie sie im kategorischen (Rechts-)Imperativ als Sollen ausgedrückt wird. ,,Alle Imperativen werden durch ein Sollen ausgedruckt, und zeigen dadurch ein Verhältnis eines objektiven Gesetzes der Vernunft zu einem Willen an, der seiner subjektiven Beschaffenheit nach dadurch nicht notwendig bestimmt wird (eine Nötigung)." 19

Im kategorischen (Rechts-) Imperativ ist die formale Bedingung für rechtliches Handeln angegeben. In der Rechtslehre wird mit den Kategorien der Modalität das äußere Handeln ins Verhältnis zu dieser formal-gesetzlichen Bedingung des Rechthandeins gesetzt. Kant nennt die Kategorien in der praktischen Philosophie "Kate18 Woraus Wittgenstein, Ludwig im Vorwort zum Tractatus logico-philosophicus, BadenBaden 1963, den Schluß zog: "Was sich sagen läßt, läßt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muß man schweigen. " Der sinnvolle Ausdruck der Gedanken findet seine Grenzen nicht nur in der Sprache (Syntax), sondern auch in der Erfahrungsmöglichkeit des Gedachten. 19 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, B S. 37.

I. Einleitung

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gorien der Freiheit"- eine Umschreibung dafür, daß menschliches Handeln in einem Akt praktischer Urteilskraft unter die Idee der Freiheit und ihrer Gesetzlichkeit gezogen wird. Freiheit als normatives und konstitutives Prinzip menschlicher Praxis wird handelnd verwirklicht. Durch Vergleich der Handlung mit dem kategorischen Rechtsimperativ ist die Handlung auf ihre Möglichkeit, Wirklichkeit oder Notwendigkeit zu untersuchen, oder aber, wie Kant in der praktischen Philosophie unterscheidet, ob sie als "4. Modalität Das Erlaubte und Unerlaubte Die Pflicht und das Pflichtwidrige Vollkommene und unvollkommene Pflicht." 20

einzuordnen ist. Was bei der modalkategorialen Bestimmung des Gegenstandes galt, gilt entsprechend bei der modalkategorialen Bestimmung einer äußeren Handlung. Der Handlung wie sie erscheint wird kein zusätzliches Prädikat, welches sich auf die Handlung als Erscheinung bezöge, hinzugegeben. Die Handlung wird allein hinsichtlich ihres Verhältnisses zu den Begriffen a priori der praktischen Vernunft bestimmt. So ist in der Rechtsphilosophie zu fragen: 1. Ist die vorgestellte und noch nicht vollzogene äußere Handlung erlaubt oder möglich unter dem kategorischen Rechtsimperativ? 2. Ist die vollzogene äußere Handlung Verwirklichung des kategorischen Rechtsimperativs- ist sie rechtspflichtgemäß? 3. Ist in einer menschlichen Gemeinschaft ohne die zu vollziehende Handlung die Verwirklichung des kategorischen Rechtsimperativs nicht denkbar, d. h., ist die Handlung unter dem kategorischen Rechtsimperativ notwendig oder vollkommene Pflicht? Angewendet auf die Aufgabenstellung ergeben sich folgende Fragen für das hier angezielte Problemverhältnis zwischen Eigentum und Hilfe zum Lebensunterhalt gern. § 11 I BSHG unter dem kategorischen Rechtsimperativ: 1. Wie ist ein subjektives Recht an körperlichen Gegenständen und an Forderungsrechten (Eigentum im Sinne des Bundesverfassungsgerichts) möglich? 2. Wie verwirklicht sich dieses subjektive Recht? 3. Ist eine gerechte Eigentumsordnung ohne Eigentumsregulation denkbar und ist die Hilfe zum Lebensunterhalt gern. § 11 I BSHG Ausdruck einer notwendigen Eigentumsregulation unter dem kategorischen Rechtsimperativ? Gefragt wird nach Grund und Grenze des Eigentums und der Eigentumsregulation unter dem formalen Prinzip der "öffentlichen Gerechtigkeit" am Beispiel der Sozialhilfe/Hilfe zum Lebensunterhalt. Beides - sowohl das Recht am Gegenstand

zo Kritik der praktischen Vernunft, A S. 117.

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B. Sozialhilfe und Eigentum - Dialektische Verhältnisbestimmung

wie auch das Recht zur Eigentumsregulation - muß sich schlüssig aus dem Begriff des berechtigten Subjekts unter einem allgemeinen Gesetz der Freiheit ergeben. Charakteristisch für dieses Verfahren ist, daß nur formale Aussagen über den Eigentumsbegriff möglich sein werden. Der Begriff des subjektiven Rechts am Gegenstand wird lediglich formal auf sein Verhältnis zum praktischen Gesetz hin untersucht. Die Frage nach der Möglichkeit von Eigentum geht darauf, warum es dem Einzelnen erlaubt ist, Eigentum zu haben und zu erwerben. Die Frage nach der Wirklichkeit von Eigentum geht auf quasi- soziologische Betrachtungen vor dem normativen Bezugsrahmen der Möglichkeit von Eigentum: wie das Eigentum sich wirklich verhält, eben darauf, wie es faktisch eine Größe unserer Erfahrung wird, wie es sich nach den Ermöglichungs-Begriffen a priori verwirklicht, also wie es erworben wird. Die Frage nach der Notwendigkeit von Eigentum läßt sich hier zweigliedrig verfolgen. Zum ersten ist damit das Problem aufgeworfen, ob ohne das Rechtsinstitut Eigentum eine rechtliche menschliche Gemeinschaft denkbar ist, ob und warum eine eigentumslose Gesellschaft nach praktisch-philosophischen Grundsätzen unmöglich ist. Diese Frage ist nicht nur akademisch von Bedeutung. Aus dem vorausgesetzten notwendigen Eigentumsprinzip ist zum zweiten auf die Notwendigkeit der Eigentumsregulation zu schließen. Die innere Dialektik des Eigentumsbegriffs ist zu entfalten, die Begründung und Begrenzung menschlicher Gegenstandsmächtigkeit ist in einen schlüssigen systematischen Zusammenhang zu bringen. In diesen Zusammenhang ist schlußendlich der Fürsorgeanspruch als Ausdruck der Möglichkeit von Eigentum, also der ursprünglich-subjektiven Teilhabeberechtigung des Menschen an der Gegenständlichkeit, zu begreifen als letzte Folgerung des Eigentumsprinzips für jeden - auch für den Bedürftigen.

II. Die praktische Möglichkeit des Eigentums 1. Die Modalkategorie der Möglichkeit .••

a) ... in der Erkenntnistheorie

Kant faßt die Ableitung der ,,reinen Verstandesbegriffe", denen die Kategorien der Modalität angehören, zusammen: " . . . alle Grundsätze des reinen Verstandes sind nichts weiter als Prinzipien apriori der Möglichkeit der Erfahrung, und auf die letztere allein beziehen sich auch alle synthetischen Sätze a priori, ja ihre Möglichkeit beruht selbst gänzlich auf dieser Beziehung."'

Es sind Begriffe ohne Anschauung, jedoch sind sie auf Anschauung und Erfahrung bezogen und damit inhaltlich erfüllte Begriffe.

I

Kritik der reinen Vernunft, B S. 294.

li. Die praktische Möglichkeit des Eigentums

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Erfahrung setzt sich nach diesem erkenntnistheoretischen Konzept aus Wahrnehmung und der synthetisierenden Leistung des Verstandes im Begriff zusammen. Im Begriff ist die ungeordnete, nur raum/zeitlich bestimmte Wahrnehmung zur Einheit gebracht. Der Begriff ist das Ergebnis der verstandesmäßigen Syntheseleistung. Erkenntnis von einem Gegenstand ist das Ergebnis von Anschauung und begrifflicher Formung der Anschauung. Es fordert das ,,Postulat der Möglichkeit der Dinge (... ) also, daß der Begriff derselben mit den fonnalen Bedingungen einer Eifahrung überhaupt zusammenstimme. Diese, nämlich die objektive Form der Eifahrung überhaupt, enthält aber alle Synthesis, welche zur Erkenntnis der Objekte erfordert wird. " 2 Erfahrung ist nur von Gegenständen (Dingen) möglich und vollzieht sich im formal bedingenden Rahmen des Verstandes. Dieser ist strukturiert nach reinen Verstandesbegriffen oder Kategorien, und mit diesen Kategorien ist die Grenze des Bereichs möglicher Erfahrung angegeben. Dieser Zusammenhang ist in der erkenntnistheoretischen Kategorie der ,,Möglichkeit" ausgedrückt. Nicht notwendig ist auf dieser modalkategorialen Stufe, daß dem Begriff von einem Gegenstand, dessen Möglichkeit untersucht wird, auch aktuell eine Anschauung korrespondiert. Der Begriff wird unabhängig von der Erfahrung in dem Sinne gebildet, daß sein Gegenstand nicht wirklich sein muß. Andererseits ist der Begriff nicht losgelöst von möglicher Erfahrung, ".. .nicht unabhängig von aller Beziehung auf die Form einer Eifahrung überhaupt, und die synthetische Einheit, in der allein Gegenstände können erkannt werden."3 • So erklärt sich das Verhältnis der Modalkategorie ,,Möglichkeit" zu den anderen Kategorien. Die Kategorie der Möglichkeit steht diesen als ,,Restriktion"4 gegenüber. Damit ist der Bezug aller Kategorien auf das Erfahrungsmögliche innerhalb der Grenzen des reinen Verstandes verdeutlicht.

b) . . . und in der praktischen Philosophie5 Die Eigenständigkeit der Modalkategorie der Möglichkeit in der praktischen Philosophie gegenüber der theoretischen Philosophie ergibt sich aus dem verschiedenen Gegenstand der praktischen Philosophie. Möglichkeit im theoretischen Sinne meint die Übereinstimmung des Begriffs von einem Gegenstand mit den formalen Bedingungen der Erfahrung. Möglichkeit im praktischen Sinne heißt "Erlaubnis", und geht in der Tugendlehre auf die Übereinstimmung eines Zwecks unKritik der reinen Vernunft, B S. 267. Kritik der reinen Vernunft, B S. 269. 4 Kritik der reinen Vernunft, B S. 266. s Dazu unter anderen Beck, Lewis White: "Kants Kritik der praktischen Vernunft- ein Kommentar", München 1974, S. 146ff. Sein Verständnis der Modalkategorien in der praktischen Philosophie Kants weicht von dem hier vorgestellten ab. Beck stellt seine Ausführungen ausdrücklich unter den Vorbehalt der "vorläufigen Überlegung" und begründet sie nicht weiter, S. 150, 151. Eine Auseinandersetzung kann deshalb an dieser Stelle unterbleiben. 2

3

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B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

ter einer subjektiven Regel (Maxime) mit dem kategorischen Imperativ (praktisches Gesetz), in der Rechtslehre auf die Übereinstimmung der äußerlichen (gegenstandsmächtigen) Handlung mit dem kategorischen Rechtsimperativ. Unter dem kategorischen Imperativ haben die Kategorien zwar einen der reinen Vernunft verwandten, dem anderen Gegenstand entsprechend jedoch davon verschiedenen Sinn. "Diese Kategorien der Freiheit, denn so wollen wir sie statt jener theoretischen Begriffe als Kategorien der Natur benennen, haben einen augenscheinlichen Vorzug vor den letzteren [gemeint sind die Kategorien der reinen Vernunft, G.S.], daß, da diese nur Gedankenformen sind, welche nur unbestimmt Objekte überhaupt für jede uns mögliche Anschauung durch allgemeine Begriffe bezeichnen, diese [die Kategorien unter dem kategorischen Imperativ, G.S.] hingegen, da sie auf Bestimmung einer freien Willkür gehen (der zwar keine Anschauung völlig korrespondierend gegeben werden kann, die aber, welches bei keinen Begriffen des theoretischen Gebrauchs unseres Erkenntnisvermögens stattfindet, ein reines Gesetz a priori zum Grunde liegen hat), als praktische Elementarbegriffe statt der Form der Anschauung (Raum und Zeit), die nicht in der Vernunft selbst liegt, sondern anderwärts, nämlich von der Sinnlichkeit, hergenommen werden muß, die Form eines reinen Willens in ihr, mithin dem Denkungsvermögen selbst, als gegeben zum Grunde liegen haben; dadurch es denn geschieht, daß, da es in allen Vorschriften der reinen praktischen Vernunft nur um die Willensbestimmung, nicht um die Naturbedingungen (des praktischen Vermögens) der Ausführung seiner Absicht zu tun ist, die praktischen Begriffe a priori in Beziehung auf das oberste Prinzip der Freiheit sogleich Erkenntnisse werden und nicht auf die Anschauungen warten dürfen, um Bedeutung zu bekommen, und zwar aus diesem merkwürdigen Grunde, weil sie die Wirklichkeit dessen, worauf sie sich beziehen (die Willensgesinnung), selbst hervorbringen, welches gar nicht Sache theoretischer Begriffe ist."6

Anders als in der theoretischen Philosophie erwächst aus der Prüfung der Maxime in der Tugendlehre oder der äußeren Handlung in der Rechtslehre eine gültige Verstandeserkenntnis hinsichtlich ihrer Erlaubtheit. Nicht erforderlich ist, daß die Maxime auch wirklich gesetzt oder die Handlung auch wirklich vollzogen wird. In diesem Verhältnis zwischen Maxime/Handlung zum kategorischen Imperativ und zum Rechtsimperativ ist die Unabhängigkeit der praktischen Urteilskraft im Prüfverfahren von den materialen Bedingungen der Erfahrung ausgedrückt. Die praktische Überlegung erschöpft sich in einer Kompatibilitätsprüfung zum kategorischen (Rechts)lmperativ. Aus der imperativischen Natur des praktischen Gesetzes ergibt sich, daß in dieser Prüfung die Wirklichkeit des Freiheitsprinzips in der Willkürbestimmung (Maximensetzung) und in der Handlungsäußerlichkeit sich durchsetzt. Der normative Grundsatz setzt sich in der faktischen Selbstsetzung des Subjekts in Selbstbestimmung (Maximensetzung) und Handlungsvollzug durch. Kant zeigt auf, daß Freiheit und Bestimmung des Subjekts in einem wirklichkeitsgestaltenden Ursache/Wirkungs-Verhältnis stehen, " . . . daß (. .. ) die Freiheit als eine Art von Kausalität, die aber empirischen Bestimmungsgründen nicht unter6

Kritik der praktischen Vernunft, A S. 115, 116.

II. Die praktische Möglichkeit des Eigentums

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warfen ist, in Ansehung der durch sie möglichen Handlungen als Erscheinungen in der Sinnenwelt betrachtet werde"1 . Auch hier haben die Kategorien der Modalität den anderen Kategorien gegenüber eine eigenartige Funktion. Während die Kategorien der Quantität, Qualität und Relation".. .so allgemein genommen..." sind, daß der ,,Bestimmungsgrundjener Kausalität auch außer der Sinnenwelt in der Freiheit als Eigenschaft eines intelligibelen Wesens angenommen werden kann" - also eines nur intelligibelen, nicht praktisch werdenden Wesens ohne gegenständliche Bezüge - schafften die Kategorien der Modalität den Übergang "von praktischen Prinzipien überhaupt zu denen der Sittlichkeit"8 - oder, um es an den Werken Kants festzumachen, von der Kritik der praktischen Vernunft zu einer Metaphysik der Sitten. In den Modalkategorien der praktischen Vernunft ist der Wirklichkeitsbezug der praktischen Gesetze hergestellt. Im Übergang von der Möglichkeit zur Wirklichkeit zur Notwendigkeit einer Maxime oder einer äußeren Handlung ist der Gegenstandsbezug und die Sachhaltigkeit der praktischen Gesetze strukturiert. In den Modalkategorien wird der Bezug der praktischen Gesetze zur menschlichen Praxis hergestellt. Kant leitet die Kategorientafel mit der Anmerkung ein, daß die Kategorien jeder Gruppe "von den moralisch noch unbestimmten und sinnlich bedingten zu denen, die sinnlich unbedingt, bloß durchs moralische Gesetz bestimmt sind, fortgehen" 9 • Für die Modalkategorien wird das Verhältnis zwischen moralischem Gesetz und Wirklichkeit der Willkürbestimmung und des äußeren Handlungsvollzuges bestimmt. Was bedeutet das für die Kategorien des Erlaubten, der Pflicht und der vollkommenen Pflicht? Hier ist zu unterscheiden. Ist die bloß erlaubte Maxime oder die erlaubte Handlung hinsichtlich ihrer wirklichen Setzung oder ihres Vollzuges gleichgültig für die Verwirklichung des praktischen Gesetzes- man kann sie setzen (vollziehen), man kann es aber auch lassen - so hat in der Pflicht sich eine mit dem praktischen Gesetz kompatible Maxime oder Handlung verwirklicht. Die Maximensetzung auf der Stufe der Pflicht ist eine unter anderen möglichen, die Entscheidung für die verwirklichte Maxime steht im Belieben des Subjekts, sie zu setzen oder nicht. Die äußere Handlung auf der Stufe der Pflicht ist eine unter mehreren möglichen, sie zu vollziehen steht im Belieben der Person, ihre Übereinstimmung mit dem kategorischen Rechtsimperativ macht sie zu einer rechtlichen Handlung 10• Vollkommene Pflichten sind Rechtspflichten entweder gegen sich selbst (gegen das Recht der Menschheit in der eigenen Person) oder gegen andere (das Recht der Kritik der praktischen Vernunft, A S. 118. s Kritik der praktischen Vernunft, A S. 118. 9 Kritik der praktischen Vernunft, A S. 116. 10 ,,Recht oder Unrecht (rectum aut minus rectum) überhaupt ist eine Tat, sofern sie pflichtmäßig oder pflichtwidrig (... ) ist; die Pflicht selbst mag, ihrem Inhalte oder ihrem Ursprunge nach, sein, von welcher Art sie wolle." Metaphysik der Sitten/Einleitung in die Rechtslehre, B S. 23. 7

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B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

Menschen). Vorläufig kann zu den vollkommenen Pflichten soviel gesagt werden, daß ohne deren Befolgung ein freiheitliches Dasein der Menschen nicht denkbar ist. Vollkommene Pflichten sind somit rein durch das moralische Gesetz und durch keine weitere sinnliche Affektion hinreichend bestimmt, in ihnen wirkt allein der kategorische Rechtsimperativ auf den homo phaenomenon nötigend. Sie müssen erfüllt werden. Eine äußere Handlung ist rechtlich erlaubt, wenn sie mit dem Grundsatz der Wahrung eigener und dritter äußerer Freiheit in wechselseitigen Bezügen übereingeht als unter einem vereinigten Willen stehend; sie ist Rechtspflicht, wenn die vollzogene Handlung tatsächlich diese Bedingung erfüllt; und sie ist vollkommene Rechtspflicht, wenn ohne den Vollzug dieser Handlung die Verwirklichung eines rechtlichen Zustands nicht denkbar ist. Somit ist für das Eigentum nach den Kategorien der Modalität zu fragen, wie Eigentum (subjektive Berechtigung an Gegenständlichkeit im allgemeinen Sinne) rechtsbegrifflich möglich ist, in welcher Weise Eigentum erlaubt ist. Zunächst ist der Grundsatz subjektiver Berechtigung zu klären, deren formale Bedingungen liegen im Begriff der Person. Der Begriff der Person wird an den Anfang gestellt um zu zeigen, daß von diesem Begriff die Konzeption einer formalen Rechtslehre a priori den Ausgang nimmt. In ihr sind Freiheitsgesetzlichkeit (Autonomie) und Intersubjektivität im Rechtsverhältnis aufzuweisen, Voraussetzungen, die in die Konstruktion eines Sozialrechtsverhältnisses eingehen. "Sozialrechtsverhältnis" soll im folgenden das Rechtsverhältnis zwischen Bürgern eines Staates benennen, in dem der eine zur Leistung von Gütern, sei es Sachleistung oder Dienstleistung, an den anderen aus dem Rechtsgemeinschaftsgedanken verpflichtet ist.U Dieses Verhältnis wird im geltenden Recht durch die sozialen Umverteilungssysteme der Steuern, Sozialabgaben und -leistungen nach den Büchern des SGB geregelt und durch Steuer- bzw. sozalhilfebehörden institutionell und verfahrensmäßig vermittelt. Für die vorverständliche Definition des Eigentumsbegriffs ist es nicht minder wichtig, einen gesicherten Begriff vom "Gegenstand" zu bilden, wie er spezifisch als Rechtsbegriff zu verstehen ist. Daß der Gegenstandsbegriff von zentraler Bedeutung ist, wurde schon beim Durchgang der verfassungsgerichtlichen Entscheidungen zum Gegenstand des Eigentums deutlich. Hier jedoch sind die erkenntnistheoretischen Grundlagen des Gegenstandsbegriffs aufzusuchen und auf das Recht als Inbegriff wechselseitig aufeinander bezogener äußerer Freiheit zu beziehen. Auf das hiesige Problem bezogen kann gefragt werden: ist der gegen den Staat gerich11 Im Sozialrechtsverhältnis wird die menschliche Sozietät als Gemeinschaft zur Bewältigung von existenzbedrohender Zufälligkeit interpretiert. Diese Zufälligkeit tritt der Person als Gefahr für ihr freiheitliches Dasein in Form von Krankheit, Alter, Unfall, Arbeitslosigkeit und Bedürftigkeit entgegen. Personale Gemeinschaft als Rechtsgemeinschaft emanzipiert sich von im Zufall liegenden Gefahren durch Vorsorge und Solidarleistung. Damit wird der Zufall zwar nicht aus der Wirklichkeit eieminiert (Alter, Krankheit usf. wird es immer geben), aber als zwischen die Existenzbedingungen der Personen tretendes Risiko rechtlich bewältigt.

II. Die praktische Möglichkeit des Eigentums

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tete Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt ein möglicher, wirklicher und/oder notwendiger Gegenstand des Eigentums des Einzelnen? - worauf die Antwort im Gegenstandsbegriff selbst tragend vorbereitet wird. Das eigentliche Rechtsverhältnis in Ansehung der Gegenständlichkeit wird unter der als Herrschaftsverhältnis qualifizierten Zuordnung von Gegenständen zu Personen behandelt. Hier werden einige Besonderheiten des formalen Rechtsbegriffs a priori in Ansatz gebracht, die eine erste methodisch und inhaltlich begründete Abweisung anderer in der Literatur vertretener Eigentumsbegründungen ermöglicht. Diese drei Begriffe - Person, Gegenstand, Zuordnung (als Rechtsverhältnis)- kann man als Ermöglichungsbegriffe des Eigentums bezeichnen. 2. Der Rechtsbegriff der Person "Person ist dasjenige Subjekt, dessen Handlungen einer Zurechnung fähig sind. Die moralische Persönlichkeit ist also nichts anders, als die Freiheit eines vernünftigen Wesens

unter moralischen Gesetzen (... ), woraus dann folgt, daß eine Person keinen anderen Gesetzen, als denen, die sie (entweder allein, oder wenigstens zugleich mit anderen) sich selbst gibt, unterworfen ist." 12 "Person" ist ein Rechtsbegriff. Von diesem Begriff nimmt das Denken eines freiheitlich-rechtlichen Zusammenseins von Personen seinen Ausgang. Anders als der umfassendere Begriff vom Menschen ist er abgezogen vom anthropologischen, geschichtlich und sozial bedingten Wesen, und als allgemeiner Teil- vom Vollbegriff des Menschen strikt bezogen auf dessen praktisch-vernünftiges Vermögen. Das Prinzip der praktischen Vernunft ist Autonomie, wechselbegrifflich für Freiheit. Im ethischen Sinne ist damit das Vermögen zur Handlung nach selbstgesetzten Regeln, zur Selbstgesetzgebung im intra- und im interpersonalen Zusammenhang gemeint. Freiheit im juridischen Sinne bedeutet hingegen nur äußere Freiheit oder die Unabhängigkeit des Einzelnen von der nötigenden Willkür eines anderen. Die Person ist moralisches Subjekt, dem ein Perzeptions- und ein Verstandesvermögen eigen ist, aus dem sich kategorische Bestimmungen personaler Praxis gewinnen lassen. Praxis vollzieht sich auch im Verhältnis zu anderen (realmöglichen) Personen. Die Person vermag im interpersonalen Rechtsverhältnis Freiheit äußerlich handelnd zu verwirklichen. Ist der erste nachzuzeichnende Schritt der vom Erkenntnis- zum moralischen Subjekt, so geht der zweite Schritt vom moralischen Subjekt zur Rechtsperson. a) Erkenntnistheoretische Einführung in den Personenbegriff In der Lehre von den Möglichkeitsbedingungen der Erkenntnis, welche Kant in der "Kritik der reinen Vernunft" vorstellt 13, steht das "Subjekt" 14 im Zentrum. Der 12

Metaphysik der Sitten/Einleitung in die Metaphysik der Sitten, B S. 22.

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B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

Personenbegriff wird lediglich angedeutet 15 • Vom Subjekt hebt alle Erkenntnis an. Es ist die logische Mitte der Wahrnehmungs- und Denktätigkeit des Menschen. Mit dem Subjektsbegriff ist die Identität dieser Tätigkeit in der Zuordnung zu einem wahrnehmenden und denkenden Wesen zu verschiedenen Zeiten ausgedrückt. Die Welt der äußeren und inneren Erscheinungen ist kategorial organisiert in den menschlichen Erkenntnisvermögen Sinnlichkeit, Verstand und Vernunft. Sinnlichkeit ist die ,,Rezeptivität unseres Gemüts, Vorstellungen zu empfangen", sofern das Gemüt durch ein Entgegenstehendes gereizt wird. Der Verstand ist das "Vennögen, Vorstellungen selbst hervorzubringen, oder die Spontaneität des Erkenntnisses" 16• Dieses Vermögen steht unter den reinen Verstandesbegriffen (Kategorien), die eine Erkenntnis der Einheit unserer Wahrnehmungen nach Regeln möglich machen. Die Regeln der Verstandestätigkeit werden durch die Vernunft in eine transzendente Einheit unbedingter reiner Denktätigkeit überhaupt gebracht, die Vernunft ist das "Vennögen der Einheit der Verstandesregeln unter Prinzipien" 11• Transzendental bedeutet nicht losgelöst von aller Erfahrung, sondern abgeleitet von allen materialen Bedingungen der Erfahrung die formale Einheit der Erfahrung in einem Begriff a priori fassend 18• Von der ersten ungeordneten Wahrnehmung einer Erscheinung bis zum transzendentalen einheitlichen Vernunftbegriff ist stets das Subjekt das schaffende, unterscheidende, zusammenfügende und urteilende Moment im Erkenntnisverfahren. ,,In allen Urteilen bin ich immer das bestimmende Subjekt desjenigen Verhältnisses, welches das Urteil ausmacht. Das aber Ich, der ich denke, im Denken immer als Subjekt, und als etwas, was nicht bloß wie (ein [nach Erdmann]) Prädikat dem Denken anhängend, betrachtet werden kann, gelten müsse, ist ein apodiktischer und selbst identischer 13 Das erkennende Subjekt wird von Kant ausdrücklich in zwei Kapiteln der Kritik der reinen Vernunft besprochen: erstens in "Transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe", Kritik der reinen Vernunft, A S. 95-130; B S. 129-169, zweitens in "Von den Paralogismen der reinen Vernunft", KdrV, B 399-432; A 349-405. Die Kritik der reinen Vernunft behandelt nichts anderes als den Begriff des erkennenden Subjekts und die in ihm liegenden Bedingungen der Gegenstandskostitution a priori. 14 Subjekt: das Untergeworfene, Objekt: das Entgegengeworfene, abgeleitet von lat. "iacere" = werfen. Zum theoretischen Subjektsbegriff bei Kant siehe zur kurzen Einführung Anacker, Ulrich: "Subjekt" im Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Krings/Baumgartner/ Wild (Hrsg.), München 1974, S. 1441-1443; unter strafrechtlichem Aspekt dargestellt bei Zaczyk, Rainer: "Das Unrecht der versuchten Tat", Berlin 1989, S. 130-136. 15 z. B. Kritik der reinen Vernunft, B S. 408, 409, 412. 16 Kritik der reinen Vernunft, A S. 51. 11 Kritik der reinen Vernunft, A S. 302. 18 Zu den zwei Bedeutungsmöglichkeiten von "transzendental" s. Harrison, Ross: "Wie man dem transzendentalen Ich einen Sinn verleiht", in: Kants transzendentale Deduktion und die Möglichkeit von Transzendentalphilosophie, Forum für Philososphie in Bad Homburg, 1988, S. 32ff. [33]. Harrison weist darauf hin, daß "transzendental" bedeuten kann: Die Erfahrung überschreitend; oder: Die Erfahrung formal bedingend. Im folgenden wird unterstellt, daß bei Kant Transzendentalphilosophie nur im letzteren Sinne gemeint ist (sein kann).

Il. Die praktische Möglichkeit des Eigentums

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Satz, aber er bedeutet nicht, daß ich als Objekt, ein, für mich, selbst bestehendes Wesen, oder Substanz sei." 19

Die formalen Voraussetzungen der Welterkenntnis liegen im Subjekt selbst. Die Welt des Subjekts ist in diesem Sinne die kategorial erfaßte Vielheit der wahrgenommenen Erscheinungen und wird im Subjektsbegriff zurückgeführt auf einen einheitlichen Punkt des Erkennens. Durch Wahrnehmung und logische Strukturierung ist das Subjekt weltkonstitutiv innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft. Die Rede vom "Ich" als eines erkennenden Subjekts steht notwendig jeder Aussage über die Welt bei. Das "Ich" als reines inhaltsleeres Selbstbewußtsein20 ist Quell des Denk- und Erkenntnisvermögens. Der Begriff vom "Ich", vom allgemein-individuellen Subjekt, läßt sich weiter zergliedern. Zu unterscheiden ist ein erscheinendes empirisches Ich, das im Prozeß bewußten Wahrnehmens und Denkens befangen ist, als solches die Person sich selbst erscheint, ein diesem vorausgesetztes reines Ich, das in sich die formalen Bedingungen a priori (die Kategorien) der Verstandeserkenntnis zur Einheit (die Identität des Bewußtseins in seinen verschiedenen Zuständen) isolierend zusammenfaßt; und ein diesen beiden Formen des "Ich" grenzbegrifflich gegenüberstehendes noumenales ,,Ich an sich", welches keiner positiven Bestimmung zugänglich ist. aa) Das empirische Selbstbewußtsein21 Die Lehre vom "Ich" beginnt mit der Wahrnehmung seiner selbst, eine zirkuläre Situation, in der Erkenntnissubjekt und -objekt im Bewußtsein vom Selbst zusamKritik der reinen Vernunft, B S. 407. Den Begriff des Selbstbewußtseins für das Konzept einer Transzendentalphilosophie im Sinne Kants bespricht Aschenberg, Reinhold ,,Einiges über das Selbstbewußtsein als Prinzip der Transzendentalphilosophie", in: Kants transzendentale Deduktion und die Möglichkeit von Transzendentalphilosophie, Forum für Philososphie in Bad Homburg, 1988, S. 51ff. Das Selbstbewußtsein sei ein skepsisresistenter Sachverhalt (S. 56). Es sei ein Wissen von mir, insofern ich mich selbst meine, ein formales Wissen von Empfindungen und Wirklichkeit, welches - durch welche Aussage auch immer und selbst in den diesen Zusammenhang negierenden Aussagen - nicht hintergehbar sei (S. 57). Diese Deutung Aschenbergs ist überzeugend. Genau so ist der Begriff des Selbstbewußtseins zu verstehen: Im Begriff des theoretischen Selbstbewußtseins deutet sich die reflexive Selbst- und Letztbegründungsstruktur des praktischen Subjekts an, welches ebenfalls den Begründungsregeln der kritischen Philosophie gemäß zu erklären ist. Im Folgenden wird von der Begründungseinheit theoretischer und praktischer Subjektivität ausgegangen, die sich zwar an unterschiedlichen Gegenständen aufweist, jedoch gleicherweise in transzendentaler Apperzeption als reine Subjektivität sich fundiert. Zur erkenntniskritischen Funktion des Begriffs vom Selbstbewußtsein s. Sturma, Dieter: "Kant über Selbstbewußtsein", Bildesheim und anderswo, 1985, insbes. S. 76ff. 21 Zur Abgrenzung des empirischen vom transzendentalen Selbstbewußtsein und der Kontroverse, ob der Begriff eines transzendentalen Selbstbewußtseins überhaupt sinnvoll ist Hecker, Wolfgang: "Selbstbewußtsein und Erfahrung - Zu Kants transzendentaler Deduktion und ihrer argumentativen Rekonstruktion", München 1984, S. 128, 129. 19

2o

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B. Sozialhilfe und Eigentum - Dialektische Verhältnisbestimmung

menfallen. "Ich existiere denkend" als empirischer Satz sagt das wirkliche Dasein des denkenden Subjekts, die bewußte Wahrnehmung des "Ichs" seiner selbst, das erfahrungsbestimmte Selbstbewußtsein aus. Das erscheinende Ich, wechselbegrifflich für "Ich existiere denkend", bin mir meiner selbst nur als denkendes Wesen und als eines denkenden Wesens bewußt, erscheine mir selbst nur als denkend. "Ich denke" heißt noch nicht "Ich stelle vor", ist also nicht das bestimmte Denken von etwas, sondern meint die Erfahrung des eigenen Verstandesprozesses zur Synthetisierung der Empfindungen22 . Das empirische Selbstbewußtsein ist die Erfahrung des Subjekts als eines wirklich denkenden Wesens, die Immanenz des Subjekts in seinen Erfahrungen und die Identität des Subjekts in seinen Wahrnehmungen zu verschiedenen Zeiten. bb) Das reine Selbstbewußtsein Kant führt das empirische Selbstbewußtsein zurück auf das ,,reine Ich" oder die "ursprünglich synthetische Einheit"23 der Apperzeption (der bewußten Wahrnehmung)24: "Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können; denn sonst würde etwas in mir vorgestellt werden, was garnicht gedacht werden könnte, welches ebensoviel heißt, als die Vorstellung würde entweder unmöglich, oder wenigstens für mich nichts sein"2:;,

oder griffiger: alle Erfahrung muß gedacht werden, und diese notwendige Bedingung der Erfahrung setzt den reinen Begriff vom Ich als der formalen Bedingung von Erkenntnis voraus. Dieser reine Begriff vom Ich ist die "transzendentale Einheit des Selbstbewußtseins, um die Möglichkeit der Erkenntnis a priori aus ihr zu bezeichnen. " 26 Das reine Ich ist in dem Sinne "ursprünglich"21 , als nichts ihm Vorhergehendes angegeben werden kann. In seiner nicht- oder vorsinnlichen Natur gründet das Subjekt in sich selbst, ist spontan, aus sich selbst heraus anfangend.

22 Becker, Wolfgang: "Selbstbewußtsein und Erfahrung- Zu Kants transzendentaler Deduktion und ihrer argumentativen Rekonstruktion", München 1984, S. 87. 23 Kritik der reinen Vernunft, B S. 131, 132. 24 Becker, Wolfgang: "Selbstbewußtsein und Erfahrung - Zu Kants transzendentaler Deduktion und ihrer argumentativen Rekonstruktion", München 1984, S. 128f., 151, 155- mit nicht überzeugender Beispielsbidung zum "Ich" als Subjekt oder Objekt im Sprachgebrauch aufS. 135 - letztlich läßt sich das Subjekt in jedem Urteil, jeder Aussage durch Voranstellung des "Ich denke (Aussage X)" sowohl als Subjekt als auch als Objekt der Aussage konstruieren. 25 Kritik der reinen Vernunft, B S. 131, 132. 26 Kritik der reinen Vernunft, B S. 132. 27 Kritik der reinen Vernunft, B S. 132.

II. Die praktische Möglichkeit des Eigentums

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"Und so ist die synthetische Einheit der Apperzeption der höchste Punkt, an dem man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik, und, nach ihr, die Transzendentalphilosophie heften muß, ja dieses Vermögen ist der Verstand selbst."28

cc) Das Ich-an-sich Das reine Ich ist der Inbegriff a priori erkenntnisbestimmender Verstandeskategorien, deren Gegenbegriff im "Ich-an-sich", das dem reinen Ich noch Hintergehenden, lediglich negativ gesetzt, jedoch nicht sinnvoll begrifflich gefaßt werden kann, da diesem "Ich-an-sich" keine Anschauung korrespondiert. Das "Ich-ansich" ist - entsprechend dem "Ding-an-sich" - noumenal und damit durch keine weitere positive Bestimmung erschließbar. Von der Erfahrung kommt man zu deren formalen Bedingungen, hinter diese gelangt man jedoch erkenntnisprozessual nicht. Hier gelingt allein eine Grenzziehung: ,;Der Begriff eines Noumenon ist also bloß ein Grenzbegriff, um die Anmaßung der Sinnlichkeit einzuschränken, und also nur von negativem Gebrauche"29 ,

genauso verhält es sich mit dem Ich-an-sich. Das "Ich-an-sich" ist ein Noumenon, ein leerer, unbestimmter und nicht positiv bestimmbarer Begriff. Als das den Kategorien Vorausgehendes kann es nicht Gegenstand kategorialer Erkenntnis sein, ist ein erkenntnistheoretischer Grenzbegriff für das Subjekt. dd) Die Einheit des Erkenntnissubjekts Die analytische Leistung Kants, den Begriff des Ichs zu unterteilen in das empirische Ich, das reine Ich und das Ich-an-sich verführt dazu, diese Glieder eines einheitlichen Begriffs vom "Ich" unvermittelt nebeneinander zu stellen, als hätte eines ohne das andere eigenständige Bedeutung. Diese Elemente sind jedoch aus der Einheit des Erkenntnissubjekts geschlossen. Eines erklärt sich aus dem anderen. Das "Ich-an-sich" ist als leerer, nur negativer Begriff, dem keine weitere Bedeutung beigelegt werden kann als das dem reinen Ich Hintergehende, nur in der Abgrenzung zu den ersten beiden positiven Bestimmungen überhaupt faßbar. Das reine Ich als der Inbegriff der reinen Verstandesbegriffe ist die Formbedingung des empirischen Ichs und gibt diesem die Grenzen der erscheinenden Denktätigkeit seiner selbst, faßt es somit zur Einheit zusammen. Vom empirischen Ich geht die Ableitung aus, von der sinnlichen Wahrnehmung meiner selbst als denkend, und stellt das reine Ich (oder das Subjekt) in gegenständliche Bezüge, wobei der erste Gegenstand es selbst ist. In dieser Bestimmung ist die unterschiedliche Perspektivität der Subjekte -jedes mit je unterschiedlichen Bezügen, Interessen, faktischen 28 29

Kritik der reinen Vernunft, B S. 134 Anmerkung a.E. Kritik der reinen Vernunft, B S. 310, 311.

7 Süchting

8. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

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Möglichkeiten als Prozeß und Resultat der Individuation - ausgeklammert, in diesem gegliederten Begriff vom "Ich" kommt nur die formale Grundstruktur von Erkenntnissubjektivität zum Ausdruck, wie sie aus der objektiven Selbsterfahrung zurückgeschlossen und auf Gegenständlichkeit hingeordnet, nicht aber die Materie der Erkenntnis selbst ist. Sinnhaft zusammengefaßt sind diese drei Elemente im Begriff des Erkenntnissubjekts, das positiv mit einer dualen Struktur beschrieben werden kann, einerseits als eines erscheinenden Wesens (homo phaenomenon), andererseits als eines vorsinnlichen, auf Sinnlichkeit bezogenen aus sich selbst heraus formenden Wesens a priori (homo intelligibiles). Negativ ausgegrenzt aus dem Bereich möglicher Aussagen über das Ich ist das "Ich-an-sich" (homo noumenon). Das ,,reine Ich" ist dem Prozeß der Selbstsetzung des Subjekts im Denken inhaltlich als dessen notwendige formale Bedingung a priori. Dieser von der Sinnlichkeit zurückgeschlossene Ursprung der Denktätigkeit ist abgeleitet von aller Individuation und ist allen Erkenntnissubjekten eigen, kommt allen Verstandeswesen zu. Diese auf Sinnlichkeit bezogenen Vor-Sinnlichkeit gibt den theoretischen Begriff von Intersubjektivität Was läßt sich auf dem Boden dieser Subjektskonstitution in der theoretischen Philosophie für die praktische Philosophie an Stand gewinnen? Intersubjektivität läßt sich nur durch isolierendes Erkennen der formalen Regeln des Verstandesgebrauchs im Subjekt selbst konzipieren. Das Programm der "kopernikanischen Wende"30 ist nicht mehr hintergehbar. Dazu bedarf es - abgezogen vom empirischen praktischen Subjekt - zunächst der Konzeption eines ,,reinen praktischen Subjekts", welches die Regeln oder die Gesetzmäßigkeit der Praxis in sich aufzuweisen hat, und so als allgemeines praktisches Subjekt - d. h. gültig für jedes Vernunftwesen, welches die eigene Subjektivität denkt - gesetzt werden kann.

b) Der Grundsachverhalt des Rechts: Freiheit Kant leitet die ,,Metaphysik der Sitten" mit einigen knappen Definitionen ein, die seine Lehre vom handelnden Menschen als eines praktisch-vernünftigen Willkürsubjekts umreißen. Menschliche Handlung gründet in einer Kausalität eigener Art, die im Begehrungsvermögen ausgedrückt ist. ,,Begehrungsvermögen ist das Vermögen, durch seine Vorstellungen Ursache der Gegenstände dieser Vorstellungen zu sein."31 Dem Subjekt wird zugeschrieben, im Begehrungsvermögen in sich gründend selbst Ursache einer Wirkung außer ihm selbst zu sein. "Gegenstand" bleibt hier unbestimmt (und kann vorläufig 32 unbestimmt bleiben), jeder Gegen-

30

31 32

Kritik der reinen Vernunft, Einleitung 8 S.XVI. Metaphysik der Sitten/Einleitung, 8 S. 1. Zum rechtlichen Gegenstandsbegriff siehe gleich li 8 3).

II. Die praktische Möglichkeit des Eigentums

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stand der Vorstellung kann Gegenstand des Begehrungsvermögens sein. In der Vorstellung wird der Gegenstand gesetzt, und mittels der Handlung - sei es eine innere, sei es eine äußere Handlung der Person - hervorgebracht oder verwirklicht. Handlung bei Kant ist ein weiter Begriff, der von dem umgangssprachlichen Begriff der Handlung, der nur den äußeren Handlungsvollzug bedeutet, abgelöst und weiter gefaßt ist. Handlung ist auch der Denkprozeß, das subjektive Vernunftschlußverfahren, das Setzen von Zwecken als psychologischer Akt - sich also innerlich Verhaltensziele zu bestimmen, ist schon Handlung - und selbstverständlich auch umfaßt sind die äußeren Handlungsvollzüge einer Person, welche in interpersonalen oder sozialen Bezügen stehen. In einem weiteren Ableitungsschritt wird das Begehrungsvermögen losgelöst vom unmittelbar gegenständlichen Bezug und eingesetzt in das menschliche Vermögen, begrifflich zu denken: "Das Begehrungsvermögen nach Begriffen, sofern der Bestimmungsgrund derselben zur Handlung in ihm selbst, nicht in dem Objekte angetroffen wird, heißt ein Vermögen,

nach Belieben zu tun oder zu lassen."33

Die Beliebigkeit liegt in der Vorstellung des Begriffs vom Gegenstand, die gesetzt werden kann oder auch nicht. Beliebigkeit meint, daß der Handelnde nach seinem Belieben die Wahl hat, einen Gegenstand zum Gegenstand (Zweck) seines Begehrungsvermögens zu (will-)küren oder es zu lassen. So viel kann jetzt schon gesagt werden: Diese Wahl hat nur ein Wesen, welches nicht vollständig bestimmt ist durch den Naturprozeß. Ein Wesen, welches nicht aus Freiheit handeln kann, ist hinsichtlich der Gegenstände, die es begehrend verfolgt, immer durch vorangegangene Ursachen prädisponiert. Die Unabhängigkeit vom unmittelbaren gegenständlichen Bezug erfordert eine weitere Differenzierung. Wird der Begriff vom Gegenstand gesetzt mit dem Bewußtsein - unabhängig von der faktischen Möglichkeit - den Gegenstand handelnd verwirklichen zu können, so heißt das Begehrungsvermögen "Willkür", fehlt dieses Bewußtsein, so heißt es "Wunsch". Dieses Begriffspaar-Willkürund Wunsch - hat noch keine wertende oder moralische Implikation. So differenziert sich das Begehrungsvermögen nach dem Bewußtsein des Subjekts von seiner Gegenstandsmächtigkeit. Willkür wird als das vom Subjekt gegenstandsmächtig ausgeübte Begehrungsvermögen nach Begriffen definiert. Die Unterscheidung ist später für die Entwicklung des Rechtsbegriffs von Bedeutung, da im Recht ein wechselseitiges gegenstandsmächtiges Willkürverhältnis ausgedrückt wird, soweit die Handlungen der Personen "als Facta aufeinander (unmittelbar oder mittelbar) Einfluß haben können"34• Eine weitere Unterscheidung innerhalb des Begehrungsvermögens erfolgt nach dessem "inneren Bestimmungsgrund'.35 , nach dem, was die Setzung des Gegen33 34

35

7*

Metaphysik der Sitten/Einleitung, B S. 4, 5. Metaphysik der Sitten/Einleitung in die Rechtslehre, B S. 32. Metaphysik der Sitten/Einleitung, B S. 5.

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B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

stands in der Vorstellung selbst verursacht. Hier unterscheidet Kant heteronome und autonome Antriebe. Die Autonomie oder Selbstgesetzlichkeit des Subjekts geht zurück auf die für sich selbst praktische reine Vernunft, auf die Idee von Freiheit und deren Gesetzlichkeit - ein aus dem Subjektsbegriff selbst entwickelter Grundsachverhalt, der näher zu untersuchen ist. Ist der das Begehrungsvermögen bestimmende Antrieb autonom gesetzt, gründet er also in der Selbstgesetzlichkeit des Subjekts, so heißt das Begehrungsvermögen nach Begriffen "Wille". Ist der Wille weiter bestimmt als bewußt gegenstandsmächtige Willkür, so ist das Begehrungsvermögen erkannt als das Vermögen des Subjekts, die Idee praktischer Freiheit handelnd zu verwirklichen. "Der Begriff der Freiheit ist ein reiner Vernunftbegriff, der eben darum für die theoretische Philosophie transzendent, d.i. ein solcher ist, dem kein angemessenes Beispiel in irgend einer möglichen Erfahrung gegeben werden kann, welcher also keinen Gegenstand einer uns möglichen theoretischen Erkenntnis ausmacht und schlechterdings nicht für ein konstitutives, sondern lediglich als regulatives und zwar nur bloß negatives Prinzip der spekulativen Vernunft gelten kann, im praktischen Gebrauch derselben aber seine Realität durch praktische Grundsätze beweiset, die als Gesetze einer Kausalität der reinen Vernunft, unabhängig von allen empirischen Bedingungen (dem sinnlichen überhaupt) die Willkür zu bestimmen, und einen reinen Willen uns zu beweisen, in welchem die sittlichen Begriffe und Gesetze ihren Ursprung haben."36

Kant unterscheidet einen theoretischen Begriff der Freiheit, der zu denken möglich ist, - und der, um die prinzipiell unendliche Reihe der Kausalität zur Einheit zu denken, anzunehmen notwendig ist-, und einen praktischen Begriff der Freiheit, der unter dem Erfordernis einer allgemeingültigen Ethik anzunehmen notwendig ist. Der praktische Begriff generiert willkürbestimmende Imperative. Handeln aus den Imperativen beweist einen reinen, d. h. von materialen Bedingungen unabhängigen Willen in der Person. Im Handeln aus Imperativen wird Freiheit gegenständlich i.S. objektiver praktischer Realität in den der Handlung zugrundeliegenden Grundsätzen. Fraglich ist, wie Freiheit als Idee zu denken möglich ist und wie sie das menschliche Handeln notwendig bestimmt. aa) Die Möglichkeit, die Idee der Freiheit zu denken37 Auf der transzendentalen Idee der Freiheit gründet sich deren praktischer Begriff, der da lautet: Metaphysik der Sitten/Einleitung, Vorbegriffe zur Metaphysik der Sitten [a.A.]. Dazu Zaczyk, Rainer: "Das Unrecht der versuchten Tat", Berlin 1989, S. 130ff.; die Einflüsse des englischen Skeptizismus auf die kantische Philosophie nachzeichnend Rang, Bernhard, ,,Naturnotwendigkeit und Freiheit- Zu Kants Theorie der Kausalität als Antwort aufHume", Kant-Studien 81 (1990),S. 24-56. 36 37

Il. Die praktische Möglichkeit des Eigentums

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"Freiheit im praktischen Verstande ist die Unabhängigkeit der Willkür von der Nötigung durch Antriebe der Sinnlichkeit." 38

Um sich die kritischen Gehalt dieses praktischen Begriffs zu verdeutlichen, ist es notwendig, auf die transzendentale Idee der Freiheit kurz einzugehen. Eine transzendentale Idee ist ein reiner Vernunftbegriff, welcher die Möglichkeit der Erfahrung übersteigt39 . "Sie sind Begriffe der reinen Vernunft; denn sie betrachten alles Erfahrungserkenntnis als bestimmt durch eine absolute Totalität der Bedingungen. " 40 Der transzendentalen Ideen sind drei: Gott, Freiheit und Unsterblichkeit41. Sie übersteigen Erfahrung nicht als inhaltsleere Spekulationen, sondern sind aus den Erfahrungsdaten rückgeschlossene allgemeine Vernunftbegriffe a priori, welche regulativ -selbst also keine Erfahrung verfassend- das subjektive Denken zur Einheit zusammenfassen. Die transzendentale Idee der Freiheit faßt die Gesamtheit (Totalität) der Bedingungen und des Bedingten in der Kausalreihung der Erscheinungen zu einem schlechthin Unbedingten zusammen, die somit selbst keinen Bedingungen unterliegt, sondern spontan(= von selbst) anfängt. Die transzendentale Idee der Freiheit ist somit ein Grenzbegriff zur Kausalität des Erscheinenden und ist das Prädikat einer notwendig anzunehmenden, selbst nicht bedingten ersten Ursache a priori (als einheitsstiftender Gründung des Kausalprozesses). Das Problem, dem Kant sich stellt, lautet: Wie ist in einer durchgängig kausal bestimmten Natur unserer Erfahrung eine spontane Kausalität (Kausalität aus Freiheit) zu denken möglich 't2 - und findet die Antwort in der dualen Struktur des Subjekts. Was das Subjekt als raum-zeitliche Abfolge der Gegenstände unter den Begriff der Kausalität faßt, ist keine Eigenschaft der Gegenstände selbst, sondern wird als Regel oder Naturgesetzlichkeit vom Subjekt in die Gegenstände hineingelegt. Kausalität ist eine Kategorie des reinen Verstandes43, welche die Erscheinungen in eine naturgesetzlich geordnete Abfolge bringt, ohne damit über die Gegenstände selbst etwas auszusagen. Alle Gegenstände der Erfahrung stehen unter der Kategorie der Kausalität, sind also als Bedingtes und Bedingendes auf- und absteigend in einem durchgehenden Kausalprozeß befangen. Das gilt nur für die erscheinenden Gegenstände und die empirischen Begriffe von ihnen. Anderes gilt für die intelligibele -

Kritik der reinen Vernunft, B S. 561 , 562. Kritik der reinen Vernunft, B S. 377. 40 Kritik der reinen Vernunft, B S. 383, 384. 41 zum Begriff des Absoluten siehe Kritik der reinen Vernunft, B S. 380ff.; zu den Begriffen Gott,Freiheit und Unsterblichkeit siehe Kritik der reinen Vernunft, B S. 395 Anmerkung. 42 Kritik der reinen Vernunft, B S. 472, 473; 3. Antinomie der reinen Vernunft. 43 Kausalität ist ein reiner Verstandesbegriff, siehe dazu die Tafel der Kategorien nebst Erläuterung, Kritik der reinen Vernunft, B S. 106ff. 38 39

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B. Sozialhilfe und Eigenturn-Dialektische Verhältnisbestimmung

nicht die noumenale!- Natur des Subjekts. Hier ist zur Erklärung der empirischen Naturkausalität "eine Kausalität durch Freiheit(... ) anzunehmen notwendig. "44 Die so angenommene transzendentale Idee der Freiheit ist eine "absolute Spontaneität der Ursachen, eine Reihe von Erscheinungen, (...), von selbst anzufangen"45, und vervollständigt die Reihe der Bedingungen zur Seite des Unbedingten, also ihres Anfangs hin, ohne welchen sie niemals vollständig zu denken wäre. Die Kausalitätskategorie als reiner Verstandesbegriff ist kein Gegenstand der Erfahrung, sondern deren Möglichkeitsbedingung a priori im reinen Verstande. Freiheit ist die Idee reiner Vernunft einer Einheit von Kausalität, und ist transzendental in dem Sinne, daß sie über die Kategorie der Kausalität auf Erfahrung bezogen ist. So ist in allem, was ist, die erfahrungsgesetzliche Determination enthalten, und diese Determination weist auf die transzendentale Idee der Freiheit hin als das Unbedingte, welches durch die Erfahrung von Determination anzunehmen notwendig ist. Den Begriff der Freiheit sinnvoll zu denken ist aufgrund der intelligibelen Natur des Erkenntnissubjekts möglich. Wie der reine Vernunftbegriff der Freiheit im praktischen Sinne anzunehmen notwendig ist, ja, überhaupt erst praxisbegründend ist, und sich in der Handlungsregulation verwirklicht, in dieser "objektiv-praktische Realität" hat, ist Darstellungsaufgabe des folgenden. Aus den theoretischen Erwägungen zu diesem Begriff kann mitgenommen werden, daß Freiheit der Wirklichkeit immer nur als regulatives, niemals aber als konstitutives Element immanent ist, aus der Wirklichkeit nur als transzendentale Idee geschlossen werden kann, niemals aber als materialer Teil der Wirklichkeit selbst ausgewiesen werden kann. Dieses ist aus der theoretischen Grundlegung dieses Begriffs vorauszusetzen: Freiheit wird sich nicht in der Materie des Handeins aufweisen lassen, sondern nur in der formalen Rückgebundenheit des Handeins an ein Prinzip a priori, welches aus Freiheit auf das Begehrungsvermögen (Willkür) wirkt. bb) Freiheit als Prinzip menschlichen Handeins Das reine praktische Subjekt Freiheit im theoretischen Sinne ist als die transzendentale Idee vorgestellt, die der Kausalitätskategorie eine erste noumenale unbedingte Ursache problematisch vorangibt Fraglich ist, wie diese Idee der reinen Vernunft praktisch wirksam sein, wie die reine Vernunft für sich praktisch werden kann, wie diese transzendentale Idee einen Bestimmungsgrund der Willkür abgeben soll. Die Frage geht auf das Problem, ob auf den Begriff der Freiheit eine Ethik gegründet werden kann.

44 45

Kritik der reinen Vernunft, B S. 472. Kritik der reinen Vernunft, B S. 474.

11. Die praktische Möglichkeit des Eigentums

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Eine Ethik muß allgemeingültige Regeln - Imperative oder Sollenssätze - vorschreiben, welche für alle Personen verbindlich sind. Allen Subjekten ist das Erkenntnisvermögen a priori des reinen Verstandes, welches ihnen die Idee der Freiheit gibt, gemein. Unterschiedlich und individuell sind den Subjekten die jeweiligen gegenständlichen Bezüge. Eine allgemeingültige Ethik kann sich also nicht auf den gegenständlichen Bezügen der Subjekte aufbauen, wohl aber auf das Erkenntnisvermögen a priori des reinen Verstandes. Das Begehrungsvermögen ist die Möglichkeit des Subjekts, selbst ursächlich im Wirklichkeitsprozeß zu sein. Steht die Ursächlichkeit des Subjekts selbst unter einer Bedingung, die nicht im Subjekt selbst aufgefunden werden kann, ist das Subjekt heteronom determiniert, - so ist jede ethische Überlegung, jede Begründung eines allgemeinverbindlichen "Sollens" aussichtslos. Eine eigenständige, von soziologisch-psychologisch-empirischer Forschung unabhängige normative Bestimmung des Subjekts könnte nicht begründet werden. Das, was den Subjekten als einziges zukäme, benennt Kant scherzhaft als "die Freiheit des Bratenwenders" also keine Freiheit, sondern strenge empirisch-mechanische Determination. Jede Handlung des Menschen ist zu verstehen als unter einer persönlichen, d. h.: von der Person mit dieser Handlung gesetzten Regel stehend. "Ich habe Hunger. Ich will essen." kann allgemein regelbildend übersetzt werden in: "Wenn ich Hunger habe, will ich essen.". Ausgedrückt wird damit eine innere Kausalität der Person, oder ein Prozeß innerer pragmatischer Teleologie, in welchem die Ursache "Hunger" die Wirkung ,,Essen" als Zweck weiteren personalen Verhaltens hervorbringt. Jeder Handlung - sei sie innerlich oder äußerlich - kann attribuiert werden, daß sie erlaubt oder verboten ist, einigen sogar, daß die Ausführung dieser Handlung notwendig ist. Die Schwierigkeit liegt darin, ein Kriterium zu finden, nach dem dieses Attribut vergeben werden kann. Die persönliche gesetzte Handlungsregel nennt Kant ,,Maxime". In einer reinen praktischen Philosophie geht es um die Art und Weise der persönlichen Maximensetzung, welche Bedingung die Maxime erfüllen muß, um als ethische bestehen zu können. Eine erlaubte Maxime muß (auch) als frei gesetzte, d. h. losgelöst von der je unterschiedlichen subjektiven Perspektivität der Person im Naturprozeß denkbar sein. Ohne dieses ,,Freiheitskriterium" wäre sie vollständig gebunden an den konkreten Naturprozeß innerer oder äußerer Teleologie, in welchem die konkrete Person befangen ist, und wäre keine mögliche Handlungsregel für alle Vernunftwesen. Eine Handlungsregel, deren Befolgung für alle Vernunftwesen möglich ist, ist ein Gesetz. Ein Gesetz, welches normativ eine Handlungsanweisung gibt, ist ein praktisches Gesetz. Liegt den praktischen Gesetzen der Gedanke der Freiheit zugrunde46, d. h., beziehen sie ihre Gültigkeit aus der Tatsache, daß sie als mögliche Regel aller Vernunftwesen gedacht werden können, so sind sie kategorische (= bedingungslose) Gesetze.

46 -

und das ist immer so, sonst wären sie keine allgemeingültigen Gesetze -

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B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

Der Aufweis einer Kausalität aus Freiheit für den Willen nimmt seinen Ausgang bei der Annahme, das jeder Bestimmungsgrund der Willkür auf eine gültige Regel oder praktische Grundsätze zurückzuführen sein muß. Diese Regel muß allgemeine Gültigkeit haben, um ein "praktisches Gesetz" genannt werden zu können. Diese Regel darf selbst unter keiner Bedingung stehen, muß selbst also unbedingt sein. Die Regel muß aus Freiheit gegeben sein. Gelingt es, ein solches praktisches Gesetz zu finden, so muß dieses notwendig von der je unterschiedlichen Perspektivität der Subjekte in ihren gegenständlichen Bezügen absehen, weil in diesen keine Allgemeinheit zu finden ist. Kausalität in der Willkürbestimmung aus Freiheit kann also nur in der intelligibelen Natur des Menschen gründen, welche schon den theoretischen Begriff der Freiheit gab. Die intelligibele Natur des Menschen kann jedoch - da selbst nicht gegenständlich - keine Gegenstände des Wollens vorgeben, sondern nur - da selbst nur formal - die Form des Wollens vorschreiben. Die notwendige Form des Wollens ist durch diese Voraussetzungen vorgegeben. Das Begehrungsvermögen muß sich selbst als allgemein gesetzgebend in seinen Bestimmungsgründen als Willkür setzen. Dem freien Willen ist das Gesetz durch die intelligibele Natur des Subjekts aufgegeben, unabhängig von den materialen Bedingungen seines Wollens, die Formbedingung einer allgemeinen Gesetzgebung in seiner subjektiven Regelbildung (Maximensetzung) zu erfüllen. Anders ausgedrückt: die Maxime (=subjektive Regel) in der Vorstellung des einzelnen vom hervorzubringenden Gegenstand muß übereinstimmen mit der Idee einer allgemeinen Gesetzgebung aller vernünftigen Wesen: "Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne. " 47

Dieser Sollenssatz ist empirisch unbedingt, da er nur die intelligibele Kategorie der Regelhaftigkeit/Gesetzlichkeit des Wollens zum Prinzip hat; er ist formal, da er keine gegenständlichen Bezüge aufnimmt; und er drückt ein "Sollen" aus: es ist der kategorische Imperativ. .,Man kann das Bewußtsein dieses Grundgesetzes" und dieses Bewußtsein ist in der Deduktion eines allgemeinen Prinzips, welches eine nur vernunftgegründete Ursache zur Formung der Gegenstände des Begehrungsvermögens hergibt, hergestellt- "ein Faktum der Vernunft nennen."48 In der reinen praktischen Vernunft ist Freiheit als solche nicht erfahrbar, sie weist sich aber auf in der Möglichkeit des kategorischen Imperativs und erweist sich in ihm als unmittelbar gesetzgebend, als objektiv-real die Willkür bestimmend. Das Subjekt muß sich unter diese Regel subsumieren, begreift sich unter dieser Regel als in sich selbst gründend regelbestimmend frei und verwirklicht die Freiheitsgesetzlichkeit im regulierten Handeln. ,,Du sollst" nach dem kategorischen Imperativ handeln, "weil du kannst", meint hier: ethisches Handeln ist unter der Idee der Freiheit möglich, der Begriff der Freiheit generiert den kategorischen Imperativ, der wiederum auf die Idee der Freiheit im praktischen Sinne verweist (und diesem 47 48

Kritik der praktischen Vernunft, A S. 54. Kritik der praktischen Vernunft, A 55, 56.

II. Die praktische Möglichkeit des Eigentums

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erst einen Sinn gibt), es ist also im Vernunftschlußverfahren praktischer Syllogistik möglich, nach dem kategorischen Imperativ zu handeln, folglich - da ethisches Handeln als gesollt vorausgesetzt wird als Frage nach dem gesollten Handeln überhaupt (was soll ich tun?)- sollst Du dem kategorischen Imperativ gemäß handeln. Im personalen Verfahren der Regulation von Maximen nach dem kategorischen Imperativ verwirklicht sich der praktische Begriff der Freiheit. Dieses Verhältnis zwischen der Materie und der Form der gesetzten Handlungsregel kann in einem Beispiel verdeutlicht werden49 • Ich bin mit einigen Freunden auf Bergwanderung. Ein Unwetter und weite Wegstrecke schneidet uns ab von den Versorgungsleistungen der Zivilisation. Plötzlich befinden wir uns in einer Mangelsituation, in welcher die Lebensmittel rationiert werden müssen und keiner sich mehr richtig satt essen kann, bis das Unwetter vorüber ist. Ich werde zum Hüter der Lebensmittel gewählt, weil meine Bergkameraden glauben, daß ich ein Spezialist für Verteilungsgerechtigkeit bin. Ich bekomme den alleinigen Zugriff auf die Lebensmittel. Die Situation spitzt sich zu. Alle umschleichen sich wie hungrige Wölfe (unter Wölfen). Auch mein Hunger treibt mich dazu, ungehemmt nach den Lebensmitteln zu greifen und mich nach Lust und Wonne vollzuschlagen, selbst wenn für die anderen nichts mehr übrig bliebe. Trotzdem lasse ich es. Ein Gefühl der Verantwortung und der Solidarität für meine Bergkameraden wird für mich handlungsbestimmend, läßt mich Abstand nehmen von dem unmittelbaren Trieb "Ich habe Hunger. Ich will essen.", und läßt mich nach einem wie auch immer qualitativ und quantitativ zu bestimmenden Begriff von Gerechtigkeit die Lebensmittel verteilen. Dieses Verhalten wird jedermann auch vorverständlich als richtig erkennen, im Sinne moralischer Richtigkeit. Dieser innere Prozeß der Triebregulation läßt sich in den bisher vorgestellten Begriffen der praktischen Philosophie Kants beschreiben. Der Gegenstand meiner 49 Solche Beispiele begründen nichts, sie sind keine Argumente im rechtlichen Diskurs und lassen als Lösung eines Beispiels keine Verallgemeinerungen zu. Andere Ansätze, welche versuchen, durch raffiniert gebildete Geschichten oder z. B. Modelle eines Nutzenkalküls den Vorteil der einen oder der anderen Entscheidungsalternative herauszuarbeiten, bleiben immer der besonderen Perspektivität eines Nutzenkalküls bzw. der besonderen Situation ihrer erzählten Geschichte verhaftet, ohne die Allgemeingültigkeit einer Freiheitsgesetzlichkeit zu erreichen, geschweige denn, Rechtszwang allgemeingültig begründen zu können. Eine Theorie, welche z. B. auf dem Modell eines ursprünglichen Zustands begründungstragend aufbaut, dergestalt, daß diese Modellvorstellung aus welcher ,,Evidenz" auch immer Gerechtigkeitsgrundsätze generieren soll, bleibt immer demjenigen gegenüber wirkungslos, der sich weigert, seinem Handeln gerade diese Modellvorstellung und die damit (scheinbar) zu verbindenden Gerechtigkeitsgrundsätze zugrundezulegen. Daß diese Zugrundelegung notwendig ist, kann nicht bewiesen werden. Dieser Zweifel an solchen Begründungsmodellen trifft insbes. Rawls,John mit "Eine Theorie der Gerechtigkeit", deutsch Frankfurt 1979. Zur weiteren Kritik an der Raw1sschen Theorie unter Berücksichtigung seiner neuesten Schriften siehe Köhler,Michael, Iustitia distributiva, ARSP 93, 457 [471-475]. Anders die hier vorgestellte kantische Lehre, welche bei jeder Person, welche im empirischen Selbstbewußtsein sich selbst als identisch erlebt, zwingend die Idee der Freiheit mit der ihr impliziten Gesetzlichkeit skepsisresistent notwendig im praktischen Sinne attribuiert.

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B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

Vorstellung, den ich handelnd hervorbringen möchte, ist ,,Essen". Dieser Gegenstand wird mir durch den einfachen physiologischen Mangel des Hungers aufgedrängt, insofern bin ich also eindeutig Leidender eines von mir nicht beeinflußten und auch nicht beeinflußbaren Naturprozesses, in welchem das Stoffwechselsystem "menschlicher Körper" nach Ausgleich giert. Die Materie meines Begehrens ist genau dieser Ausgleich, die Handlung des Ausgleichens (Essen) ist das von mir dazu eingesetzte materiale Mittel. In der moralischen Reflexion, welche mit den Begriffen "Verantwortung" und "Solidarität" für den Bergkameraden umschrieben sind, bleibt diese Materie meines Begehrens zwar erhalten (ich werde essen, wenn auch weniger), sie wird aber durch die Reflexion auf die mit mir in Gemeinschaft stehenden Kameraden überformt In dieser Reflexion ist es nicht ausschlaggebend, daß die anderen mich besonders für meine edle Haltung, meinen Gerechtigkeitssinn und Kameradschaft loben werden, wenn ich mich bescheide; oder anders, wegen meines Egoismus und meiner Pflichtvergessenheit verachten werden, wenn ich alles aufesse. Ausschlaggebend ist die Überlegung, daß ich den anderen die Regel "Wenn Du Hunger hast, dann esse", unter die ich mich selbst setze, unmöglich machen würde, wenn ich alles aufaße. Sie hätten in der konkreten Situation nicht mehr die Möglichkeit, sich unter diese Regel zu setzen. Ein ungehemmtes meinem Triebe Nachgeben würde also alle anderen aus der Selbstverwirklichungsmöglichkeit ,,Essen" setzen, meine Maxime taugte somit nicht zur allgemeinen Regel. Setze ich mich jedoch allen anderen gleich in meinem inneren teleologischen Prozeß der Maximen - und Zwecksetzung mit jener der anderen, - wie es unter der Prämisse reiner praktischer Subjektivität erforderlich ist -, so gerate ich in einen Selbst-Widerspruch, der ohne die Modifikation meiner Maxime und meines Zwecks auf die innere Teleologie der anderen hin nicht aufzulösen ist. Allein dieser Widerspruch gibt schon einen hinreichenden Grund zur Formung meiner Maxime. Der Widerspruch und dessen Auflösung ist keine bloße logische Formalität, sondern Ausdruck der Zerrissenheit und der Einheit des Subjekts in seinen materialen Handlungsantrieben50. In dem Gedanken eines einheitlichen Handlungsan50 Dem von Hegel, G. W. F. in seinen "Grundlinien einer Philosophie des Rechts" und "Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts, seine Stelle in der praktischen Philosophie und sein Verhältnis zu den positiven Rechtswissenschaften", Werkausgabe Michei/Moldenhauer, Frankfurt a.M. 1970, Bd. 4 S. 434ff. vorgetragenen Einwand bloßer Formalität, d. h. Wirkungslosigkeit des kategorischen Imperativs für menschliches Verhalten, ist überzeugend von Ebbinghaus, Jürgen: "Deutung und Mißdeutung des kategorischen Imperativs", in: Gesammelte Schriften Bd. 1, Neudruck Bonn 1985, S. 279ff. [287ff.] und neuerdings von v. Freier, Friedrich: "Kritik der Hegeischen Formalismusthese" und sehr klar von Geddert-Steinacher, Tatjana: "Menschenwürde als Verfassungsbegriff - Aspekte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 1 Abs. 1 GG", Diss. Tübingen 1991, S. 38, entgegengetreten worden. Auf die dort vorgetragenen Argumente kann verwiesen werden. Zudem: Die Formalismusthese ignoriert den Ableitungsgang, an dessen Ende die transzendentale Idee der Freiheit steht und den den diesem Ableitungsgang verbundenen Immanenzzusammenhang zwischen erfahrener Wirklichkeit (Kausalität) und Idee einer Spontaneität. Praktische Freiheit ist als Regulationsprinzip der Maximen nur im Zusammenhang mit diesen zu denken, ist ohne die Kausalität eines handelnden Subjekts überhaupt nicht denkbar. Sie

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triebs im kategorischen Imperativ, welcher neben den materialen Bestimmungsgründen der Willkür steht, aber deren allein hinreichende normative Bestimmung abgibt, kann sich das Subjekt als selbst handlungsbestimmend annehmen und die Handlungen als auch Selbstregelhaft (autonom) bewirkt verstehen. Der praktische Begriff der Freiheit ist notwendig als willkürbestimmend allen Vernunftwesen beizulegen. Vernunftwesenheit ist durch Unbedingtheit im Denken und Handeln definiert. Im Begriff der Freiheit ist der Selbstgrund des Subjekts im Sinne dessen formaler Selbstgesetzlichkeit (Autonomie) a priori gegeben. Damit wird die Zurechnung einer Handlung zu einem Subjekt als von diesem verursacht möglich. Der Begriff einer regelhaften Kausalität aus Freiheit ist somit notwendiger Bestimmungsgrund für das menschliche Handeln geworden. Praxis außerhalb dieser freiheitsgesetzlichen Kausalität ist nicht denkbar. Zur ersten Stufe reiner theoretischer Intersubjektivität ist die zweite der reinen praktischen Intersubjektivität51 unter dem kategorischen Imperativ nunmehr gewonnen. erschließt sich erst aus der vorausgesetzten Frage des "Was soll ich tun?", mit der die eigene innere Teleologie auf vorgegeben-selbstgegründete Gesetzlichkeit geprüft wird. Es liegt in der Logik dieser inneren Teleologie, daß sie als Kausalität eines Vernunftwesens begriffen wird und somit als einheitliche widerspruchsfreie Selbstkonstitution des praktischen Subjekts normativ gedeutet wird. Dem faktischen Prozeß innerer Teleologie ist das Freiheitsgesetz als Idee immanent, "Sollen" oder Notwendigkeit einer Maxime oder Handlung wird im praktischen Syllogismus des Vernunftschlußverfahrens - Kritik der praktischen Vernunft, Von der Typik der reinen Praktischen Urteilskraft, A S. 119ff.- generiert. In diesem Sollensschluß ist das Dasein der erkennenden und der praktischen Vernunft stets affirmiert, eine Entscheidung gegen deren Wirklichkeit als widerspruchsfreie Subjektskonstitution ist nicht möglich (nicht erlaubt) bzw. verboten. st An dieser Stelle kann der Deduktionsgang Kants in den §§ 1-7 der Kritik der praktischen Vernunft zur Entwicklung des kategorischen Imperativs nur angedeutet werden. Aus der neueren Literatur zum kategorischen Imperativ: Gunkei,Andreas: "Spontaneität und moralische Autonomie- Kants Philosophie der Freiheit", Bern 1989 (zur Fundierung der Freiheit im reinen Subjekt: S. 153-166, Kritik der Deduktion des kategorischen Imperativs: S. 197ff. Gunkel diskutiert die für den hiesigen Argumentationszusammenhang nebensächliche Frage, ob bei Kant dem Aufweis von Freiheit in der Kritik der reinen Vernunft/Kritik der praktischen Vernunft eine Lehre von zwei Welten, denen das Subjekt angehört, oder zwei Aspekten einer Welt, die das Subjekt erfahrt, beruht. Gunkel entscheidet sich ohne hinreichende Begründung für die ,,Zwei-Welten-Lehre" (156). Demgegenüber ist die ,,ZweiAspekte-Lehre" vorzuziehen. Im Aufweis der reinen Verstandesbegriffe und der transzendentalen Ideen wird immer wieder von Kant betont, daß sie nur aus der Erfahrung gewonnen wurden, auf Erfahrung konstitutiv oder regulativ bezogen sind und nur in den Grenzen der Kategorien der Modalität Gültigkeit haben. Die reine Subjektivität, sei es die theoretische oder die praktische, ist somit der vorgefundenen Welt immanent und ergibt, wenn sie analytisch herausgearbeitet wird, nur den weiteren Aspekt des "a priori" einer einheitlichen Welt. So belegen die von Gunkel angeführten Textbeispiele aufS. 156 auch eher das Gegenteil von dem, was er vertritt.); Langthaler, Rudolf: "Kants Ethik als "System der Zwecke", Berlin u.a.l991 (zur Formel des Menschen als Zweck an sich selbst); Nisters, Thomas: Kants kategorischer Imperativ als Leitfaden humaner Praxis, München 1989 (den praktischen Syllogismus erklärend, leider mißlingt die Erklärung von vollkommenen und unvollkommenen Pflichten aufS. 16/17, das Zitat "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten AB 57" ist falsch und die kantische Einteilung in der Metaphysik der Sitten, A,B S. 49 wird ignoriert); umfas-

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cc) Die Eigenständigkeit des Rechts gegenüber der Moral52 (und die einheitliche Fundierung beider in der Idee der Freiheit) Die praktische Philosophie als reine Philosophie hatte nur die reine Vernunft zum Gegenstand, wie diese für sich im kategorischen Imperativ praktisch wird, d. h. ein unbedingtes Prinzip hergibt, welches eine ethische Willensbestimmung überhaupt erst ermöglicht. Die praktische Philosophie als "sachhaltige Philosophie", die reine Philosophie weiterentwickelnd zu einer Metaphysik im Sinne einer Anwendung des reinen Prinzips auf äußeres und inneres menschliches Handlungsvermögen, unterteilt sich in Rechtslehre und Tugendlehre. Kant thematisiert diesen neuen Abschnitt seines Denkens in der ,,Metaphysik der Sitten", in welcher er die Ableitung des praktischen Gesetzes voraussetzen kann. Als Tugendlehre geht die praktische Philosophie nur auf die Maximensetzung des Subjekts, ohne den äußeren Verwirklichungsmodus handelnder Subjektivität in den Blick der praktischen Reflexion zu nehmen. Der kategorische Imperativ ist so zunächst ein Gesetz des "forum internum" des Menschen. Kant spricht bei mit dem kategorischen Imperativ übereinstimmenderSetzungeiner Maxime der Willkür von einer "moralischen Handlung", es ist diejenige, "(... )in welcher die Idee der Pflicht aus dem Gesetze zugleich die Triebfeder der Handlung ist. " 53 Hier hat die Handlung die Eigenschaft, dem Bestimmungsgrunde nach mit dem kategorischen Imperativ vereinbar zu sein. Das ist gleichbedeutend mit: Die Handlung aus Freiheit zu vollziehen. Hiervon unterscheidet er die ,,Legalität einer Handlung", deren Übereinstimmung mit dem allgemeinen Gesetz. Die Legalität einer Handlung ist unabhängig von den inneren Bestimmungsgründen der Willkür:

send Schnoor, Christian: "Kants kategorischer Imperativ als Kriterium der Richtigkeit des Handelns", Tübingen 1989; vor allem aber Kaulbach, Friedrich: "Das Prinzip Handlung in der Philosophie Kants", Berlin u.a. 1978, S. 143-202 (Kaulbach betont die methodische Einheit theoretischer und praktischer Philosophie bei Kant, S. 143/144 und verdeutlicht deren sachliche Differenz: gehe es in der theoretischen Philosophie um das Verstehen von (Denk)Handlungen, so geht es in der praktischen Philosophie um deren Bewertung.); Kritik des kategorischen Imperativs auch bei Köhler, Michael: "Die bewußte Fahrlässigkeit", Heidelberg 1982, S. 159 (Freiheit und empirische Welt seien bei Kant abstrakt unvermittelt in den Gegensatz gestellt, S. 160. Dieser These gegenüber ist zu betonen: Freiheit ist- wie ausgeführt -immanente Idee der erscheinenden Welt und unter der Fragestellung: Wie ist ein verbindliches Sollen für alle Subjekte möglich? - notwendig vorauszusetzendes Prinzip von Handlungssubjektivität, welche unter einem kategorischen Imperativ reguliert dieses Prinzip objektiv-praktisch realisiert und somit praktische Subjektivität als notwendig existierend stets affirmiert). 52 Bartuschat, Wolfgang: "Praktische Philosophie und Rechtsphilosophie bei Kant"; Philosophisches Jahrbuch 94 (1987) S. 24ff. 53 Metaphysik der Sitten/Einleitung, B S. 15.

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,,Man nennt die bloße Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung einer Handlung mit dem Gesetze ohne Rücksicht auf die Triebfeder derselben, die Legalität (Gesetzmäßigkeit);(...)."54

"Gesetz" meint den kategorischen Imperativ. Hinsichtlich der Legalität der Handlung ist der motivationale Handlungsantrieb gleichgültig. Diejenigen Regeln, welche andere Handlungsantriebe als das Handeln aus der Idee eigener subjektiver Freiheit zulassen, also heteronome Bestimmungen miteinbeziehen, nennt Kant juridisch. "Die Pflichten nach der rechtlichen Gesetzgebung können nur äußere Pflichten sein, weil diese Gesetzgebung nicht verlangt, daß die Idee der Pflicht, welche innerlich ist, für sich selbst Bestimmungsgrund der Willkür des Handelnden sei, und, da sie doch einer für Gesetze schicklichen Triebfeder bedarf, nur äußere mit dem Gesetze verbinden kann."55

Dieser äußere Bestimmungsgrund ist u. a. der Rechtszwang56. Hier hat die Handlung die Eigenschaft, mit den Verwirklichungsbedingungen des kategorischen Imperativs im intersubjektiven Verhältnis äußerer Freiheit - handle so, daß dein Willkürgebrauch die äußere Freiheit eines jeden anderen nicht schädigt und erhält und mit dieser unter einem allgemeinen Gesetz vereinigt stehen kann - übereinzustimmen, ohne daß die Maxime, die das Subjekt zur Handlung bestimmte, geprüft würde. Die Rechtspflicht ist Bestandteil der Ethik57 • ,,Das Rechthandeln mir zur Maxime zu machen, ist eine Forderung, die die Ethik an mich tut."58 Das Rechthandeln ist als Bestandteil des Imperativenkatalogs unter dem kategorischen Imperativ zu begreifen. ,,Die ethische Gesetzgebung(... ) macht zwar auch innere Handlungen zu Pflichten, aber nicht etwa mit Ausschließung der äußeren, sondern geht auf alles, was Pflicht ist, überhaupt. " 59 Kant trennt die Rechstlehre jedoch ihrem Gegenstand nach sorgfaltig von der Tugendlehre ab. Der allgemeine Rechtsbegriff, nachdem das Recht der Inbegriff der Bedingungen ist, nach denen der äußere Willkürgebrauch des einen mit eines jeden anderen unter einem allgemeinen Gesetze gedacht werden muß, formuliert zwar auch einen Imperativ - ,,handle diesen Bedingungen gemäß" -, welcher eine Selbstverbindlichkeit einfordert, wie es auch unter dem kategorischen Imperativ der Fall ist, zusätzlich wird in der Rechtslehre aber noch die Möglichkeit des Rechtszwangs eröffnet. Metaphysik der Sitten/Einleitung, B S. 15. Metaphysik der Sitten/Einleitung, B S. 15. 56 Metaphysik der Sitten/Einleitung in die Rechtslehre § D ,,Das Recht ist mit der Befugnis zu zwingen verbunden". 57 Vgl. Kants Einteilung der Moral als eines Systems der Pflichten, Metaphysik der Sitten/RL, B S. 51 ; Bartuschat a. a. 0. S. 28. 58 Metaphysik der Sitten/Einleitung in die RL, B S. 34. 59 Metaphysik der Sitten/Einleitung, B S. 15. 54

55

110

B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

Jede moralische Handlung ist auch rechtlich, d. h.: es gibt eine Einheit zwischen Moral und Recht dergestalt, daß die Rechtlichkeit der Handlung Bestandteil der moralischen Reflexion ist60; aber nicht jede rechtliche Handlung ist auch moralisch, d. h. das Recht ist der moralischen Reflexion gegenüber eigenständig insofern in ihm ein von der Selbstbestimmung des Subjekts sich lösender Perspektivenwechsel zum Faktum geschehender Handlungen vollzogen wird. "Die Trennung von Moralität und Recht ist durch den unterschiedlichen Gegenstandsbereich bedingt, auf den sie sich jeweils beziehen. Die Differenz macht es unmöglich, das eine vom anderen zu bestimmen."61

Moralität ist nur subjektsintern gebietend. Das Recht ist durch Legitimation des Zwangs im äußeren intersubjektiven Verhältnis regulativ-verbietend oder regulativ-erlaubend, und in der eröffneten bloß äußeren Perspektive unabhängig von der aktuellen motivationalen Struktur der Handlung, sondern allein abstellend auf deren Kompatibilität mit den Bedingungen äußerer Willkürzusammenstimmung. Demnach ist nur das Rechtspflicht, was im äußeren Willkürgebrauch einer äußeren zwischenpersonalen Freiheits(zwangs)vermittlung zugänglich ist. Hier sind die äußeren Setzungen der Willkürsubjekte Gegenstand, wie sie wechselseitig aufeinander Einfluß haben können. Ausgeklammert sind motivationale Zusammenhänge, wie z. B. Wünsche, Mitleid, Glaube, Neigungen aller Art. Den Grund hat das Rechtsverhältnis in der intelligibelen Natur des Menschen (in der Idee der Freiheit), und ist eine Anwendung dieser Idee auf die gegenständlichen Bezüge der Person im Verhältnis zu anderen Personen. "Die Rechtsphilosophie gewinnt (...) die vernünftige Geltung beanspruchende Allgemeinheit, nun nicht des Sittengesetzes, sondern der Idee eines vereinigten Willens, im Ausgang von dem Äußeren, in dem die vernünftigen Willen der Vielen zerstreut sind, in bezug worauf die Allgemeinheit erst zustande zu bringen ist." 62

Das Recht ist bei Kant verwirklichte lntersubjektivität, in der das vernunftallgemeine Subjekt der reinen praktischen Philosophie in seine gegenständlichen Bezüge gesetzt und somit als endlich-besonderes Subjekt begriffen wird. 60 Anders Ebbinghaus, Jürgen: "Kant und das 20.Jahrhundert", in: Gesammelte Schriften Band 3, Neudruck Bonn 1989, S. 151-174, der eine Trennung der Rechtslehre vom Freiheitsapriori bei Kant annimmt. Diese These wird überzeugend kritisiert von Bartuschat, Wolfgang "Praktische Philosophie und Rechtsphilosophie bei Kant"; Philosophisches Jahrbuch 94 (87) S. 31; Kersting, Wolfgang "Wohlgeordnete Freiheit", 1984, S. 37ff., Kaulbach, Friedrich: "Die rechtsphilosophische Version der transzendentalen Deduktion", in: "Studien zur späten Rechtsphilosophie Kants und ihrer transzendentalen Methode", S. 9-54 (er weist zudem die methodische Einheit der theoretischen und praktischen Philosophie sowie die Homogenität in der letzteren auf). 61 Bartuschat, Wolfgang "Praktische Philosophie und Rechtsphilosophie bei Kant"; Philosophisches Jahrbuch 94 (87) S. 38. 62 Bartuschat, Wolfgang ,,Praktische Philosophie und Rechtsphilosophie bei Kant"; Philosophisches Jahrbuch 94 (87) S. 36.

li. Die praktische Möglichkeit des Eigentums

111

dd) Freiheit als rechtsphilosophischer Begriff

In den Vorbegriffen zur Metaphysik der Sitten63 wiederholt Kant in einer Kurz-

formel den Begriff der Freiheit im Übergang von einer reinen theoretischen zu einer reinen praktischen Philosophie:

"Der Begriff der Freiheit ist ein reiner Vernunftbegriff, der eben darum für die theoretische Philosophie transzendent, d.i. ein solcher ist, dem kein angemessenes Beispiel in irgend einer möglichen Erfahrung gegeben werden kann, welcher also keinen Gegenstand einer uns möglichen Erkenntnis ausmacht, und schlechterdings nicht für ein konstitutives, sondern lediglich als regulatives und zwar nur bloß negatives Prinzip der spekulativen Vernunft gelten kann, im praktischen Gebrauch derselben aber seine Realität durch praktische Grundsätze beweiset, die, als Gesetze, eine Kausalität der reinen Vernunft, unabhängig von allen empirischen Bedingungen (dem Sinnlichen überhaupt), die Willkür bestimmen und einen reinen Willen in uns beweisen, in welchem die sittlichen Begriffe und Gesetze ihren Ursprung haben."64

(1) Regulativ, nicht konstitutiv Konstitutiv ist ein Begriff, nach dem objektive Erfahrung begründet, bedingt oder bestimmt wird65 • Ein Rechtsbegriff ist konstitutiv, wenn er der Person die Materie des Handeins vorgeben würde. Die kosmologische Idee der Freiheit ist nur regulativ, d. h ., sie bedingt kein Objekt der Erfahrung, wie z. B. die reinen Verstandesbegriffe (Kategorien). Freiheit als regulativer Rechtsbegriff bedingt das Handeln formal regulativ nach der Vereinbarkeit des Handeins mit der äußeren Freiheit anderer und schreibt nicht die Materie der Willkür selbst vor66 • Das macht die Rechtslehre zur ,,Metaphysik" - sie ist ein von den physischen Gegenständen der Willkür gelöster, aber auf diese bezogener Pflichtenkodex, dessen Befolgung unter dem kategorischen Imperativ notwendig und mit Rechtszwang anderer einforderbar ist.

(2) Das ursprüngliche Menschenrecht der Freiheit Die bekannte negative und positive Formulierung des Freiheitsbegriffs übersetzt Kant in das zwischenpersonale Rechtsverhältnis als Menschenrecht überraschenderweise nur negativ: ,,Freiheit (Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür), sofern sie mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüngliche, jeden Menschen, kraft seiner Menschheit, zustehende Recht. "67

63 64 65

66 67

Metaphysik der Sitten A,B S. 18f. Metaphysik der Sitten A,B S. 18/19. Eisler,Rudolf- "Kant Lexikon", Neudruck Hildesheim 1984, S. 305. Metaphysik der Sitten/Einleitung in die Rechtslehre A, B S. 33. Metaphysik der Sitten/Einleitung in die Rechtslehre A, B S. 45.

112

B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

Freiheit als Rechtsbegriff bezieht sich auf äußere Handlungen, durch welche das Verhältnis zwischen den Personen material, d. h. gegenstandsbezogen bestimmt wird. Der kategorische Rechtsimperativ - "handle äußerlich so, daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit vonjedermann nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen könne"68 - hat nur äußere Handlungen zum Gegenstand, während der kategorischen Imperativ auf Maximen bezogen ist. Freiheit im rechtlichen Sinne ist äußere Handlungsfreiheit. Sie geht aus von dem Vermögen der Person, sich selbst zu bestimmen, und zwar nicht nur hinsichtlich der Maximen, sondern auch hinsichtlich der personalen Bezüge zur Außenwelt. Mit Freiheit als dem Attribut jeder denkbaren Personalität ist normativ im Rechtsverhältnis die Unabhängigkeit der Person vom nötigenden Zwang anderer zunächst als "sein sollend" festgestellt, und gibt im strikten Recht die Befugnis, nötigendem Zwang anderer mit Rechtszwang zu begegnen. Positiv ist damit zudem die Selbstbestimmungsbefugnis der Person gesetzt, sich ihrer eigenen Glückseligkeitskonzeption gemäß die gegenständlichen Bezüge zu ordnen. Damit ist das Rechtsverhältnis über bloße Abwehrrechtsfunktionen hinaus als ein interpersonaler Konstitutionszusammenhang äußerer Freiheit begriffen. Die freie Selbstsetzung der Person in die Welt als Prinzip menschlicher Praxis und als Faktum des Selbstbewußtseins bestätigt sich in der Formulierung und bewährt sich über die Befolgung des kategorischen Rechtsimperativs im interpersonalen Verhältnis. Freiheit als Menschenrecht ist insofern .,einzig", als das gesamte System einer Rechtslehre a priori, der Begriff des subjektiven Rechts überhaupt und somit einer jeden konkreten Berechtigung an einem Gegenstand von diesem Begriff seinen Ausgang nimmt. Die Idee der Freiheit im praktischen Sinne, angewendet auf das zwischenpersonale Verhältnis, ist der Kristallisationskern der Rechtslehre. Hier ist nicht von .,Freiheiten" die Rede, von Vergegenständlichungen der Freiheit, sondern nur von dem einen Vermögen der reinen praktischen Person, autonom und gegenstandsmächtig zu handeln. In dieser reinen Subjektivität sind sich alle gleich. Aus dieser Gleichheit konzipiert sich das wechselseitige Rechts-, Pflichts- und gegebenenfalls auch Zwangsverhältnis der Personen zueinander. Aus diesem notwendig vorauszusetzenden a priori der Freiheit ist jedes Verhältnis rechtlicher Begünstigung und Belastung, wie es z. B. konkret im Sozialhilferechtsverhältnis vorfindlieh ist, zu begründen und zu entwickeln. Das Freiheitsrecht ist "ursprünglich" in dem Sinne, als es weder verliehen wird noch sonst erworben werden muß, noch daß eine Person dieses Rechts verlustig gehen könnte. Diese Bestimmung mag aus heutiger Sicht selbstverständlich sein, im ausgehenden 18.Jahrhundert, in dem der ostpreußische Landarbeiter als Inventar der Scholle vom Junker be- und gehandelt wurde und erst durch Stadtluft die Möglichkeit hatte (und oft selbst dort nicht), frei zu werden, hatte diese Dimension des Freiheitsrechts a priori eine deutlich sozialkritische Zielrichtung. Der Freiheit geht kein rechtlicher Akt zuvor, sondern ist Attribut eines jeden kraft seiner 68

Metaphysik der Sitten/Einleitung in die Rechtslehre A S. 34.

II. Die praktische Möglichkeit des Eigentums

113

Menschheit. Als Recht ist sie nicht das Resultat innerstaatlicher Grundrechtsgewährleistungen -was eine bloß positivistische Sicht nahelegen könnte- sondern kommt dem einzelnen vorpositiv zu und wird durch das positive Recht konkretisiert. Freiheit im praktischen Sinne ist ein Vermögen der Vernunft und der vernünftigen Person und ist deren erster (Selbst-)Besitz. So ist es sinnvoll davon zu sprechen, das Freiheitsrecht "stehe einem zu". Es ist ein regulatives Vermögen, aus dem sich der positive Konstitutionszusammenhang freiheitlicher Selbstverwirklichung aller Personen ableiten läßt. Das impliziert auch die Notwendigkeit, dem anderen in diesem Konstitutionszusammenhang stets und immer die Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung im Rahmen der Kompatibilität einzuräumen. In aller Vorsicht im Umgang mit der Textgrundlage aus der Einleitung in die Metaphysik der Sitten, die zum ursprünglichen, jedem Menschen kraft seiner Menschheit ursprünglichen Menschenrecht der Freiheit nur sehr kurz formuliert, ist vorbehaltlich weiterer Präzisierungen interpretierend festzuhalten, daß in diesem Begriff des Menschenrechts die Perspektive personaler Handlungsregulation um die Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit äußerer Handlungsmöglichkeiten anderer erweitert wird. Die positive Konstitution des Rechtsverhältnisses im jedem zukommenden Menschenrecht der Freiheit eröffnet- nicht im Sinne unfreiheitlicher materialer Bestimmung des anderen, sondern im Sinne der Regulation eigenen Handeins in Ansehung der notwendig zu belassenden Handlungsmöglichkeiten anderer - die Möglichkeit eines Sozialrechtsverhältnisses, in welchem die einzelne Person nicht nur im Verhältnis der Wechselwirkung zu anderen Personen, sondern in Gemeinschaft mit ihnen begriffen wird.

ee) Das Rechtsverhältnis im allgemeinen und im strikten Sinne Die Zusammenstimmung der äußeren Freiheit eines jeden mit jedem basiert auf zwei Grundakkorden, die sich im Begriff des Rechts und der Rechtspflicht ausdrücken. Der erste Dreiklang ist die ,,Allgemeine Einteilung der Rechtspjlichten"69 , welcher ein Verfahren der Verallgemeinerung der Person vom rechtlichen Selbstverhältnis hin zu interpersonal wirklich gesicherter Gegenstandsteilhabe vorstellt. Der erste Imperativ geht auf die Person im Selbstverhältnis: "Sei ein rechtlicher Mensch. " 70, degradiere dich nicht zum bloßen Objekt im zwischenmenschlichen Verhältnis. Die Formel fußt auf der zweiten Ausformung des kategorischen Imperativs: "Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andem, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest."71 , 69 70

71

Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, B S. 43, 44. Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, B S. 43. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, B S. 66, 67.

8 Süchting

114

B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

wendet diesen aber in das Verhältnis interpersonaler Vermittlung des Willkürgebrauchs hinein. In der Pflicht, ein rechtlicher Mensch zu sein, ist die Pflicht im Verhältnis zu anderen beschlossen, gemäß der eigenen Freiheitsgesetzlichkeit zu handeln und sich als Rechtsperson zu setzen. Darin ist nichts anderes ausgedrückt, als die Idee der Menschheit (die Vernunftallgemeinheit des besonderen Subjekts) handelnd unter dem Recht der Menschheit in sich selbst zu verwirklichen. Die Selbstsetzung als besondere Person unter dem Recht der Menschheit wird im zweiten Schritt erweitert um den wirklichen besonderen Anderen, der als frei und gleich unter dem Recht der Menschheit gesetzt ist. Der Imperativ lautet: "Tue niemandem Unrecht.'' 12, und in diesem Sollen wird der Andere als berechtigt in seinem Dasein, d. h. seinen gegenständlichen Bezügen vorausgesetzt. Auf diesem Grundsatz beruhen die Gerechtigkeitsformen der Schutz- und Tauschgerechtigkeit, die im ersten zwischenmenschlichen Erweiterungsschritt die Unverletzlichkeit und freie Selbstbestimmung der Person im Güterstatus und Güterverkehr einfordern. Der erste Imperativ stellt eine innere, der zweite eine äußere Rechtspflicht vor. Der zweite Imperativ ist intersubjektiv erzwingbar, der erste nicht. Der dritte Imperativ zielt darauf ab, das Prinzip der inneren Rechtspflicht, das Recht der Menschheit, auch äußerlich zu verwirklichen, nicht nur im Selbst- oder besonderen Fremdbezug, sondern in vernunftallgemeiner Interpersonalität "Tritt in einen Zustand, worin jedermann das Seine gegen jeden anderen gesichert sein kann"13 - sichere die Gegenstandsteilhabe eines jeden, oder anders: Gib der Idee der Menschheit in deinem Handeln ein rechtliches Dasein, erkenne im Dasein der Menschheit die formale Bedingung der Möglichkeit deines äußeren rechtlichen Handelns. Der erste Gegenstand der Gesetzgebung ist hier, mit anderen in ein Verhältnis verwirklichter Menschenrechtlichkeit zu gehen, was gleich bedeutet, sich mit ihm in einen bürgerlichen Zustand unter öffentlichen Gesetzen zu begeben. In dieser Rechtspflicht gründet die Gerechtigkeitsform der Verteilungsgerechtigkeit Die Einteilung der Rechtspflichten ist allgemein und stellt nicht das strikte, nur äußerliche Recht vor. Nur das strikte äußere Recht kann als Verhältnis durchgängiger wechselseitiger Zwangsbefugnis verstanden werden74. Dieses Verständnis wird durch den zweiten Dreischritt vorbereitet, an dessen Ende die bekannte Erklärung des Rechtsbegriffs als des Inbegriffs " ... der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann. " 15 steht. Diese Formel führt Kant ein als die Grundlage einer möglichen (und damit aller wirklichen!) positiven Gesetzgebung76. Das Recht der Menschheit im Selbstverhältnis des Subjekts hat hier zunächst keinen Platz. n Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, B S. 43. 73 74 75

76

Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, B S. 43. Metaphysik der Sitten/Einleitung in die Rechtslehre, B S. 35ff. Metaphysik der Sitten/Einleitung in die Rechtslehre, B S. 33. Metaphysik der Sitten/Einleitung in die Rechtslehre, B S. 32.

II. Die praktische Möglichkeit des Eigentums

115

Der erste Schritt blendet die motivationalen Beweggründe aus und nimmt menschliche Handlung in strikter Äußerlichkeit auf. Der Begriff des Rechts betreffe "erstlich nur das äußere und zwar praktische Verhältnis einer Person gegen eine andere, sofern ihre Handlungen als Facta aufeinander (unmittelbar, oder mittelbar) Einfluß haben können." - 77

als Gegenstandsbereich der Rechtsgesetzgebung ist der Bereich erscheinender Handlungen im Zwischenmenschlichen benannt. Daraus läßt sich schließen, daß im Recht nur das gegenstandsmächtige Begehrungsverrnögen des einen gegen das des anderen verkehrt wird, weil nur die Gegenstände der Vorstellung, die tatsächlich hervorgebracht werden können, als faktische Handlungen zu realisieren sind. Gegenstandsohnmächtiges Wünschen wird beiseite gelassen, und auch das nicht näher qualifizierte "Bedürfnis", welches vorverständlich als der bloß subjektiv empfundene Mangel an Gegenstandsteilhabe zu verstehen ist, reicht nicht hin, Rechte und Pflichten im intersubjektiven Verhältnis zu generieren. Aus diesen ersten Bestimmungen erhellt sich, daß eine metaphysische Rechtslehre als Grundlage möglicher positiver Gesetzgebung auf die gegenständlichen Bezüge der Personen und somit die materialen Bedingungen von Interpersonalität (und nur auf diese) geht. Diese Perspektive gründend unterstreicht der letzte Schritt, daß die Prinzipien der Rechtslehre nicht aus den materialen Bedingungen selbst gefolgert werden können, die Gegenstände selbst die Prinzipien rechtlichen Handeins nicht abgeben, sondern sich die Rechtspflichten aus dem Freiheitsapriori ableiten, und nur die Freiheit im Dasein (als äußere Freiheit, in Gegenständlichkeit gesetzte Willkür unter dem Gesetz der Freiheit) in Ansatz kommt: " .. .in diesem wechselseitigen Verhältnis der Willkür, kommt auch gar nicht die Materie der Willkür, d.i. der Zweck, den ein jeder mit dem Objekt, was er will, zur Absicht hat, in Betrachtung, z. B. es wird nicht gefragt, ob jemand bei der Ware, die er zu seinem eigenen Handel von mir kauft, auch seinen Vorteil finden möge, oder nicht, sondern nur nach der Form der Willkür, sofern sie bloß als frei betrachtet wird, und ob durch die Handlung eines von beiden sich mit der Freiheit des andern nach einem allgemeinen Gesetze vereinigen lasse."78

Aus dieser klaren Grenzziehung gewinnt Kant den Begriff des strikten Rechts, dessen Funktion im äußeren Verhältnis gesetzter Willkür eines jeden zu jedem nicht nur als Verhältnis positiv verwirklichter Freiheit, sondern auch als wechselseitiges Zwangsverhältnis, und damit als sich an der äußeren Freiheit des anderen negativ bestimmende Verwirklichungsbedingung äußeren Handeins unter dem Freiheitsprinzip zu verstehen ist. Diesen Gedanken nimmt die positive Begründung des Rechts auf und wendet sie gegen eine unrechtlieh bestimmte Willküräußerlichkeit, der schützend, ausgleichend und verteilend mit Rechtszwang entgegenzutreten ist79• Der Rechtszwang ist der Handlung nicht abstrakt als fremdes entgegen77 78

79

8*

Metaphysik der Sitten/Einleitung in die Rechtslehre, B S. 32. Metaphysik der Sitten/Einleitung in die Rechtslehre, B S. 32, 33. Metaphysik der Sitten/Einleitung in die Rechtslehre, B S. 35.

116

B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

gestellt, sondern konkretisiert das der Handlung zugrundeliegende Prinzip freier Willkür unter dem kategorischen Imperativ eines jeden und dessen Setzungsbefugnis in die Gegenständlichkeit, ist in diesem Prinzip begründet und begrenzt. Dieses strikte, weil zwangsbewehrte "enge" Recht, welches nur äußerlich ist - die Gegenstandsmacht der einzelnen bestimmend und trennend und im Begriff des Gesamtbesitzes vereinend - ist die alleinige Grundlage möglicher positiver Gesetzgebung. Was ist mit diesen Ausführungen für das Problem der Eigentumsqualität des Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt unter dem Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG gewonnen? Negativ ausgrenzend soviel, daß Sozialhilfe als Rechtsinstitut nicht auf den bloßen Wunsch oder das bloß subjektive Mangelgefühl (Bedürfnis im unqualifizierten Sinn) des Einzelnen hin gegründet werden kann. Auch religiöse Überzeugung, Mitleid oder ein ,,heißes soziales Herz" reichen nicht hin, den rechtlichen Eingriff beim Geber - die Finanzierung der Sozialhilfe aus dem Steueraufkommen - oder den Anspruch des Empfängers aus §§ 4 I, 11 I 1 BSHG strikt-rechtlich zu begründen. Diese Gründe könnten allein Appelle an die Freigiebigkeit auf der einen, Almosen auf der anderen Seite begründen, nicht aber Rechtspflicht und Rechtsanspruch. Positiv bestimmend wäre also an die Begründung von Rechtspflicht und Rechtsanspruch die Anforderung zu stellen, daß diese sich aus dem Prinzip rechtlicher Teilhabe an Gegenständlichkeit im interpersonalen Verhältnis als Bedingungen der Freiheitsverwirklichung eines jeden Willkürsubjekts interpretieren lassen müssen. Aus dieser Anforderung wird deutlich, warum der Bezug zwischen der Eigentumsgarantie und dem Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt - wenn er denn ein striktes Recht ist - so nahe liegt. Der Anspruch wäre Ausdruck der berechtigten Teilhabe an Gegenständlichkeit auch desjenigen, der seinen Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln zu bestreiten nicht vermögend ist; die Leistungspflicht Ausdruck des Imperativs, dem berechtigten Dasein der Menschheit im Anderen Geltung zu verschaffen. Übertragen auf das Recht der Sozialhilfe ist jeder Zusammenhang als mangelhaft erkannt, der unabgeleitete Teleologien wie z. B. soziales Gewissen, Mitleid, Wohltätigkeit (welche in sich auch immer ein Fremdbestimmungsmoment haben können, wie es am eigenen Leib bei beengender Fürsorge wahrgenommen werden kann) zum Ausgang nimmt zur Begründung von Rechtszwang, ohne eine intersubjektiv begründete Rechtsgesetzlichkeit aus dem Freiheitsapriori allgemeingültig in Ansatz bringen zu können. Genau hier liegt die Stärke und kritische Kraft des kantischen Ansatzes, daß sich der Rechtszwang - z. B. der Zwang, Steuern zahlen zu müssen, um anderen staatlich vermittelt Hilfe zum Lebensunterhalt zu leisten strikt nach der äußeren Freiheit eines jeden, sowohl des Gebers als auch des Nehmers, begründen lassen können muß, und nicht allein in beliebiger, z. B. tagespolitischer Pragmatik begründet sein darf. Dieser Zusammenhang ist weiter aufzuwei-

II. Die praktische Möglichkeit des Eigentums

117

sen in den unterschiedlichen Momenten des Eigentumsbegriffs und dessen Anwendung auf das Recht der Hilfe zum Lebensunterhalt. ff) Der Andere im Recht

Die Verallgemeinerungsfähigkeit persönlicher Maximen setzt den Gedanken einer vernunftbegabten Wesenheit voraus, die von Kant die Idee einer Menschheit genannt wird: reine praktische Subjektivität, von der es nur eine gibt. Eine Rechtsphilosophie vorbereitend, die sich als Regulativ interpersonaler Wirkungszusammenhänge versteht, muß gefragt werden, wie sich die Idee allgemeiner Vernunft und Freiheitsgesetzlichkeit im interpersonalen Verhältnis regulativ durchsetzt. Kant spricht von der äußeren Freiheit des einen, die mit der des anderen unter einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zu vereinigen sein soll. Der "Eine" als Subjekt ist hinreichend beschrieben. Dieses gewinnt sich als die unmittelbare Einhheit aller Erfahrungen, denen notwendig ein "Ich denke" unterlegt werden muß. Dieses "Ich" ist die Klammer, die um jede Erkenntnis gelegt ist, als der perspektivische Bezugs- und Begründungspunkt des subjektiven Weltbezugs. Das Subjekt erfährt sich selbst, es erscheint sich selbst, ist Gegenstand eigener Anschauung - im Begriff des "Ich" als erscheinendes Selbst fallen Subjektsund Gegenstandsbegriff zusammen. Genausowenig, wie über den Gegenstand an sich, also über die der Erscheinung zugrundeliegenden Substanz, im Rahmen des Erfahrungsmöglichen etwas ausgesagt werden kann, genausowenig ist dieses möglich für ein voraussetzbares "Ich an sich". Das Selbstbewußtsein des Subjekts ist folglich auf die Anschauung seiner selbst und im Reflexivwerden in eigener Verstandestätigkeit beschränkt. Diese Aussagen kann das Subjekt jedoch nur über sich treffen. Nicht möglich ist es, über eine eventuelle Verstandestätigkeit und Vernunftprozessualität eines erscheinenden Wesens außer mir die Aussage zu treffen, daß dieses Wesen als Vernünftiges existiert. Damit ist das Problem umrissen: Wie kommt der vernünftige "Andere" in die Rechtsphilosophie? Kann man Vernunftprozessualität anderer ohne weiteres in den Horizont normativer Erwägungen einbeziehen? Ich selbst kann mich im Rahmen transzendentaler Apperzeption als reines Subjekt erschließen, mir ist dieser Schluß aber bei anderen Wesen, deren innerer Erkenntnisprozeß mir nicht zugänglich ist, nicht möglich. Kant löst dieses Problem mit der Erklärung eines projektiven Akts des erkennenden Verstandes, der dem sich mir ähnlich äußernden Wesen das Vermögen der Begriffe und der Einheit der Begriffe zuschreibt: ,,Es muß aber gleich anfangs befremdlich scheinen, daß die Bedingung, unter der ich überhaupt denke, und die mithin bloß eine Beschaffenheit meines Subjekts ist, zugleich für alles, was denkt, gültig sein solle, und daß wir auf einen empirisch scheinenden Satz ein apodiktisches und allgemeines Urteil zu gründen uns anmaßen können, nämlich: daß alles, was denkt, so beschaffen sei, als der Ausspruch des Selbstbewußtseins es an mir aussagt. Die Ursache hiervon liegt darin: daß wir den Dingen a priori alle die Eigen-

118

B. Sozialhilfe und Eigenturn-Dialektische Verhältnisbestimmung schaften notwendig beilegen müssen, die die Bedingungen ausmachen, unter welchen wir sie allein denken. Nun kann ich von einem denkenden Wesen durch keine äußere Erfahrung, sondern bloß durch das Selbstbewußtsein die mindeste Vorstellung haben. Also sind dergleichen Gegenstände nichts weiter, als die Übertragung dieses meines Bewußtseins auf andere Dinge, welche nur dadurch als denkende Wesen vorgestellt werden. Der Satz: Ich denke, wird hierbei nur problematisch genommen; nicht sofern er eine Wahrnehmung von einem Dasein enthalten mag, (das Cartesianische COGITO ERGO SUM,) sondern seiner bloßen Möglichkeit nach, um zu sehen, welche Eigenschaften aus diesem so einfachen Satze auf das Subjekt desselben (es mag dergleichen nun existieren oder nicht) fließen rnögen."80

Der Gedanke der Interpersonalität gründet nicht und kann nicht gründen auf der erkannten wirklichen und erfahrbaren Personalität des anderen, sondern auf der problematischen Annahme wirklicher Vernunftpersonalität des anderen. Die Vernünftigkeit des anderen wird als Realmöglichkeit in der Rechtsphilosophie postuliert. Wenn eine Rechtsphilosophie der Freiheit (also nicht der repressiven heteronomen Macht, sondern der selbstregelhaften Verbindlichkeit im interpersonalen Verhältnis) möglich sein soll, so nur unter der Voraussetzung der Vemunftprozessualität anderer. Diese kann zwar nicht erfahren, muß aber aus der Definition des Rechtsverhältnisses heraus angenommen werden. Diese "petitio principii" ist daher keine beliebige, sondern eine notwendige Annahme81 einer normativ-freiheitlichen Handlungstheorie im zwischenpersonalen Verhältnis. Diese Annahme ergibt sich zwingend aus dem Begriff des Rechts. 3. Der Eigentumsgegenstand

a) Einleitung und Darstellungsziel

Kant entwickelt den Begriff der Sache in den Vorbegriffen zur Metaphysik der Sitten als Gegenbegriff zu dem der Person: ,,Sache ist ein Ding, was keiner Zurechnung fähig ist. Ein jedes Objekt der freien Willkür, welches selbst der Freiheit ermangelt, heißt daher Sache (res corporalis)."82

Alle Sachen sind befangen im unendlichen Prozeß der Naturkausalität. Demgegenüber ist das Selbstgrundsein der Person in der zugeschriebenen Kausalität aus Freiheit das Moment, welches eine Zurechnung von Handlungen als ihre HandlunKritik der reinen Vernunft, B S. 404/405. So spricht auch Fichte, Johann Gottlieb, "Grundlagen des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre", Ausgabe Medicus 1922, Neudruck Harnburg 1979, in seinen Lehrsätzen §§ 3; 4 (S. 30;40) von der bloßen Annahme eines Vernunftwesens außer mir, welche mich in die rechtliche Reflexion zwingt. 82 Metaphysik der Sitten/Einleitung, B S. 23. 80

SI

II. Die praktische Möglichkeit des Eigentums

119

gen ermöglicht. Der Sachbegriff Kants findet eine vordergründige teilweise Entsprechung im § 90 BGB: "Sachen im Sinne dieses Gesetzes sind nur körperliche Gegenstände." 83

Um sich dem Sachenbegriff bei Kant zu nähern, muß man sich jedoch vom zivilrechtlichen Sachenbegriff lösen. Der im Privatrecht Kants eingeführte Begriff ist weiter und urnfaßt neben körperlichen Gegenständen u.a. geistiges und Forderungseigentum, wie auch das Gemeinschaftsverhältnis der Personen zueinander: "Der äußeren Gegenstände einer Willkür können nur drei sein: 1. eine (körperliche) Sache außer mir; 2. die Willkür eines anderen zu einer bestimmten Tat (praestatio); 3. der Zustand eines anderen in Verhältnis auf mich; ..." 84

Welche Bedeutung die Bestimmung des Gegenstandsbegriffs für die Beantwortung der Ausgangsfrage, ob der Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt Bigenturnsqualität hat oder nicht, zukommt, ist mit dem Durchgang durch die Position des Bundesverfassungsgerichts zum Art. 14 GG klar geworden. Die Meinungsverschiedenheiten um den Schutzbereich des Art. 14 I S. 1 GG liegen im Gegenstandsbegriff. Umso wichtiger ist es, an dieser Stelle eine abgesicherte theoretische Grundlage in positiver Bestimmung des Begriffs zu finden. Eine positive Bestimmung bedeutet, daß der Gegenstandsbegriff nicht durch die Funktion des Eigentums in privater Hand (funktionaler Eigentumsbegriff) oder negativ durch das Enteignungsrecht (enteignungsrechtlicher Eigentumsbegriff) bestimmt werden kann, sondern durch einen eigenständigen positiven und allgemeinen Merkmalskatalog definiert werden muß. Die erste Abgrenzung liegt zunächst in der erkenntnistheoretischen Grundunterscheidung zwischen "Phänomena" und "Noumena". Der Gegenstandsbegriff wird analytisch erlaßt als das Erscheinende, dem ein "Gegenstand-an-sich", die Erscheinung verursachend, aber selbst nicht erscheinend, zugrundeliegt. Der erkenntnistheoretische Gegenstandsbegriff ist die Basis für den Gegenstand im Recht, wie er im Verhältnis wechselseitig aufeinander bezogener Willkür als Eigentumsgegenstand zu begreifen ist. b) Erkenntnistheoretische Einführung: Phänomena und Noumena

Aus der erkenntnistheoretischen Grundlegung des Subjektbegriffs hat sich erhellt: alle Erkenntnis hebt an von der Wahrnehmung, die - ohne gegenständlichen Bezug - Empfindung, oder - wenn der Wahrnehmung ein Gegenstand korrespon83 Auf das Problem des am 20. 8. 1990 neueingefügten § 90a S. l BGB, nach dem Tiere keine Sachen mehr sind, wird hier nicht eingegangen. Da nicht unter einem Gesetz der Freiheit stehend, ordnen sich nach Kant auch Tiere in die Welt der Gegenstände ein. 84 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre § 4, B S. 59, ,,Exposition" der möglichen Gegenstände des Besitzes/Eigentums. Auf die dritte Kategorie, welche der Kategoriengruppe der Relation nachgebildet ist und in der Rechtsphilosophie Kants die häusliche Gemeinschaft der Personen besitztheoretisch privatrechtlich begründen soll, wird hier nicht eingegangen.

120

B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

diert - Erkenntnis heißt. Erkenntnis oder "objektive Perzeption"85 ist zu unterscheiden in die Anschauung und in den Begriff. In der Anschauung geht die Wahrnehmung unmittelbar auf den Gegenstand, während im Begriff eine Abstraktionsleistung liegt. In ihm sind Gegenstände nach Merkmalskomplexen zusammengefaßt, und der Gegenstand wird im Begriff mittelbar nach diesen Merkmalen nur gedacht. Der Begriff heißt empirisch, wenn er auf einen Gegenstand der Erfahrung geht. Er heißt rein, wenn er auf die Möglichkeitsbedingungen von Erfahrung geht - ursprünglich verortet im kategorial strukturierten reinen Verstand und dessen kategorialer Struktur. Der die reinen Begriffe zur Einheit fassende und somit das Erfahrungsmögliche verlassende Begriff heißt reiner Vernunftbegriff oder "Idee". Ein Beispiel: Die Einheit aller Kausalverläufe gibt den Begriff von einem Unbedingten im Subjekt, und damit die Idee der Freiheit. Alle diese Unterscheidungen Wahrnehmung, Erkenntnis, Begriff, reiner Begriff und Idee - stehen unter dem Gattungsbegriff der Vorstellung, in dem jede Reizung des inneren Sinnes gefaßt ist. Vorstellung benennt allgemein die Wahrnehmung von "etwas". Wenn es oben in der Definition des Begehrungsvermögens heißt, es sei das Vermögen, einen Gegenstand der Vorstellung hervorbringen zu können, so ist Gegenstand der Vorstellung nicht der unmittelbar angeschaute, sondern - da es um einen noch hervorzubringenden Gegenstand geht - der nach Begriffen gedachte Gegenstand, der das Objekt der Willkür abgibt. Weiter hat sich ergeben, daß das Erkannte Resultat einer zusanunenführenden Leistung der Sinnlichkeit und des Verstandes ist, in welcher das Material der Anschauung raum/zeitlich und verstandeskategorial notwendig formal bedingt und verbunden wird. "Verbindung liegt (aber) nicht in den Gegenständen, und kann von ihnen nicht etwa durch Wahrnehmung entlehnt und in den Verstand dadurch allererst aufgenommen werden, sondern ist allein eine Verrichtung des Verstandes, der selbst nichts weiter ist, als das Vermögen, a priori zu verbinden, und das Mannigfaltige gegebener Vorstellungen unter Einheit der Apperzeption zu bringen, welcher Grundsatz der oberste im ganzen menschlichen Erkenntnis ist. " 86

Kant betont das Zusammenspiel von Sinnlichkeit und Verstand im Erkenntnisprozeß und unterstreicht die Begrenzung der reinen Verstandesbegriffe auf ihre empirische, d. h. erfahrungsermöglichende Funktion, ohne daß sie eine davon losgelöste eigenständige, bloß "transzendentale" Funktion hätten 87 • "Verstand und Sinnlichkeit können bei uns nur in Verbindung Gegenstände bestinunen." 88 Aus diesem Grundverständnis von Erkenntnis ergeben sich weitere Bestinunungen. Gegenstände sind Objekte des Erkenntnisvermögens, insoweit sie erscheinen, 85 86 87

88

Kritik der reinen Vernunft, B S. 376/377. Kritik der reinen Vernunft, B S. 137. Kritik der reinen Vernunft, B S. 303. Kritik der reinen Vernunft, B S. 314.

li. Die praktische Möglichkeit des Eigentums

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d. h. mögliche Gegenstände sinnlicher Erfahrung sind. Dem gegenüber steht der Begriff von einer zugrundeliegenden Substanz, die Ursache der Erscheinung: der "Gegenstand-an-sich". Dieser Gegenstand-an-sich ist selbst nicht erscheinend, und somit nicht erfahrungsmöglich, kein Gegenstand möglicher Erkenntnis. Kant nennt diesen Gegenstand-an-sich "Noumenon", und erklärt: "Der Begriff eines Noumenon ist also bloß ein Grenzbegriff, um die Anmaßung der Sinnlichkeit einzuschränken, und also nur von negativem Gebrauche."89

Das Noumenon kann nicht positiv bestimmt werden, weil ihm ein in der Anschauung liegendes nicht gegeben werden kann, dieser Begriff ist leer. Diese ersten Überlegungen ergeben für den Gegenstand im Rechtsverhältnis folgendes. Das Rechtsverhältnis basiert auf der angenommenen wechselseitigen Bezüglichkeit gegenstandsmächtiger Willkürsubjekte in Raum und Zeit unter einem Gesetz, das den äußeren Freiheitsgebrauch eines jeden verträglich zu dem des Anderen normativ bestimmt. Das Subjekt ist im Vermögen der inneren Kausalität "Willkür" als gegenstandsmächtig zu begreifen. Gegenstand im rechtlichen Sinne meint zunächst nur die Vorstellung von etwas90. D.h., ein Gegenstand existiert nur in der Wahrnehmung (innere Wahrnehmung nur in der Zeit, durch reine Denkoperation; äußere Wahrnehmung in Raum und Zeit, durch die Vermittlung der fünf äußeren Sinne) eines Subjekts, und ist nur als Wahrgenommenes, als Resultat von Reiz und Perzeption begreifbar. Nicht möglich ist eine Aussage über das "Ding an sich". Das ,,Ding an sich" ist aus allen Betrachtungen der praktischen Vernunft herausgezogen. Es wird allein vom "empirischen Gegenstand" als dem Objekt möglicher Wahrnehmung die Rede sein. Alle noumenalen "Gegenstände" - die zwar denkbar, aber nicht erfahrungsmöglich sind - sind damit aus der Welt des Rechts ausgegrenzt. Der Ertrag dieser Untersuchung scheint gering zu sein. Mit dieser Unterscheidung sind jedoch einige Grundbegriffe gegeben, die für das Verstehen der komplexeren Eigentumsgegenstände- z. B. geistiges Eigentum und Forderungseigentum - nützlich sind. c) Der Gegenstand im Rechtsverhältnis

Das Rechtsverhältnis ist das Verhältnis der Willkür des einen zur Willkür des anderen, wie sie faktisch aufeinander Einfluß nehmen können, unter einem allgemeinen Gesetz der Freiheit. Auszugleichen und in ein verträgliches Verhältnis zu bringen ist die Gegenstandsmacht des einen mit der des anderen. Das positive Recht sichert die Sphäre der Freiheitsverwirklichung in äußerer Gegenständlich-

89 90

Kritik der reinen Vernunft, B S. 31 0/311. Kritik der reinen Vernunft, A 99, 100; 581, 582.

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B. Sozialhilfe und Eigenturn-Dialektische Verhältnisbestimmung

keit, geordnet nach den Bedingungen, die im interpersonalen Verhältnis durch den kategorischen (Rechts-)Imperativ gesetzt sind. Eigentum als Rechtsbegriff handelt von dem praktischen Verhältnis zwischen Personen in Ansehung der wirklichen Gegenständlichkeit. Der eigentumstheoretische Gegenstandsbegriff ist folglich der des Rechts insgesamt. Diese Bestimmung bleibt so einfach und allgemein. Die nähere Qualifikation der Gegenstände als Objekte von Berechtigungen im interpersonalen Verhältnis ist differenzierter und nimmt zunächst die Unterscheidung des erkenntnistheoretischen Erfahrungsbegriffs in innere und äußere Gegenstände auf. Die äußeren Gegenstände oder "Sachen" sind unproblematisch als mögliche Eigentumsgegenstände qualifizierbar. Schwieriger zu fassen sind die inneren Gegenstände, deren Unterfälle geistiges Eigentum und Verbindlichkeiten sind. Hier ist herauszuarbeiten, wie ein innerer Gegenstand, z. B. ein Gedanke, eine Melodie oder eine (Selbst-) Verpflichtung, zum Rechtsgegenstand werden kann. aa) Der äußere Gegenstand: Sachen i. S. d. § 90 BGB Es ist von vornherein eindeutig, daß der Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt gern. § 11 I 1 BSHG keine Sache ist. Auf den Sachbegriff ist daher nur am Rande einzugehen. Der äußere Gegenstand ist durch die äußeren Sinne - Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten -in Raum und Zeit wahrnehmbar. Es ist der Körper, die Sache, das Material, wie es äußerlich erscheint, nicht jedoch Erfindungen, Ideen, Gedanken oder Verbindlichkeiten. Letztere sind innere Gegenstände, die nur dem inneren (Denk-)Sinn erlaßbar sind, welche nur zeitlich erlaßbar sind. Der menschliche Körper der Person, der das erste Dasein der Person ist, ist ein äußerer Erfahrungsgegenstand in dem Naturprozeß determinierter Kausalität, ist aber nicht die Person selbst, sondern in deren Besitz und erstes Eigentum vor allem weiteren äußeren Eigentum. Der körperliche Gegenstand ist der mit fester Oberflächenstruktur tastbare, der im geläufigen Begriff von der Sache gemeinte Gegenstand, und das positive Rechtsgebiet, welches von der Sache handelt, ist das Sachenrecht91 . Das Sachenrecht unterteilt sich positivrechtlich in das Recht der beweglichen und das der unbeweglichen Sachen, eine Unterscheidung, die in einem Erfahrungsbegriff von einer Sache aufzunehmen ist. Der hier verwendete Begriff vom äußeren Gegenstand ist weiter als der Sachbegriff, er umfaßt z. B. auch Handlungen als äußerlich-sinnlich wahrnehmbare Vollzüge in der Wirklichkeit. Als Handelnde ist somit eine Per91 Die Legaldefinition des § 90 BGB, in welcher die Sache im Sinne des Gesetzes als ,,körperlichen Gegenstand" definiert ist, ist somit von weitreichendem erkenntnistheoretischen Inhalt.

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son der anderen zunächst nur Gegenstand. Erst der projektive Akt der erkennenden Rechtsvernunft subsumiert den anderen unter die Vernunftwesenheit und zieht so den anderen in die Sphäre der Personalität. bb) Der innere Gegenstand Der Begriff vom inneren Gegenstand ist weiter als der geläufige Begriff vom "geistigen Eigentum". Während dieses sich nur bezieht auf die positivrechtlichen Verbürgungen gewerblicher Schutzrechte92 und des Urheberrechts, ist der ,,innere Gegenstand" diese umfassend, beschreibt aber allgemein das diesen Rechten zugrundeliegende "etwas". Miturnfaßt sind in diesem Begriff alle Gedanken, inneren Wahrnehmungen, die sich nicht unter diese positiv-gesetzlichen Kategorien fassen lassen, die aber auch - und das ist im Zusammenhang der Untersuchung der Bigenturnsqualität von Sozialhilfeansprüchen von zentraler Bedeutung- Verbindlichkeiten/ Forderungen, also Versprechen und/oder in sich ausgleichsbedürftige Handlungen und denen korrespondierende Ansprüche auf Seiten eines anderen begründen. Der innere Gegenstand existiert nur in der Zeit und nicht im Raum. Die lntelligibelität des inneren Gegenstands läßt sich mit dem Urheberrecht am Buch erläutern. Das Urheberrecht ist kein Sacheigentum, das sich auf das Buch als eines äußeren Gegenstands bezieht, sondern ein geistiges Eigentum, welches sich auf die in dem Buch als körperlicher Gegenstand in der Anordnung der verwendeten zwischenmenschlich verstehbaren Zeichen verkörperten Idee, die schöpferische Leistung des Autors richtet. Das Buch selbst ist als Sache beliebig reproduzierbar, und als Sache in der Hand des Eigentümers, z. B. des Buchkäufers, geschützt. Der Gegenstand des Urheberrechts ist jedoch der im Zeichensystem nach Außen tretende innere Gegenstand (Gedanke, Architektur, Komposition) des Autors93 oder Urhebers. 92 Rechte am Patent, Gebrauchs- und Geschmacksmuster und am Warenzeichen. Siehe dazu Hubmann, Heinrich: "Gewerblicher Rechtsschutz", München 5. Auf!. 1988, S. 35-45, der jedoch die besitzrechtliche Komponente bei der Bestimmung des Schutzgegenstands ausklammert und allein auf einen verengten wirtschaftlichen Vermögensschutz als Zweck des gewerblichen Rechtsschutzes abstellt. So formuliert er die nicht überzeugende Ansicht, daß "geistige Gegenstände" Gemeingut seien, S. 36, - das ist sicher nicht richtig, ein Gedanke, eine Erfindung usw. muß und kann erworben werden durch Bildung des Geistes wie alle anderen Gegenstände auch. Sie steht im Besitz des Erfinders. Auch das Recht arn eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist, obwohl nicht gesetzlich geregelt, aber durch Verfassungsinterpretation gewonnen, eine Form eines gewerblichen Schutzrechts, daß auf dem inneren Gegenstand der Idee von einer Unternehmensorganisation basiert. Nicht der Gewerbebetrieb in seiner Körperlichkeit, den Maschinen, Gebäuden, angestellten Menschen ist gemeint, sondern das geformte organisatorische Miteinander dieser Produktionsfaktoren macht die Substanz des inneren Gegenstands "eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb" aus. 93 Metaphysik der Sitten, B S. 127; vgl. auch "Von der Unrechtmäßigkeit des Büchemachdrucks" in der Kgl.-Prß.-Akademieausgabe, Bd. 8, S. 77ff.

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B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

Kant faßt den Gedanken des Urheberrechts so: ,,Ein Buch ist eine Schrift(...), welche eine Rede vorstellt, die jemand durch sichtbare Sprachzeichen an das Publikum hält."94

Im folgenden differenziert er zwischen dem Sachenrecht am Buch und dem "persönlichen Recht" an der Rede des Schriftstellers, die dieser durch den Verleger an das Publikum hält. Dieses Rechts müsse sich der Schriftsteller erst durch Vollmacht begeben, bevor der Nachdrucker im Namen des Schriftstellers die Rede verbreiten darf 95 . Hier ist von Kant, wenn auch nicht präzise bezeichnet, die Unterscheidung in den inneren und äußeren Gegenstand aufgenommen, und zur Erklärung des Rechtsverbots des Büchernachdrucks nutzbar gemacht worden. Von Bedeutung ist in diesem Abschnitt über den Büchernachdruck, daß Kant den Prozeß der Veräußerung des inneren Gegenstands "Rede" als Metapher für die Idee des Autors vom Inhalt des Buches durch ein Zeichensystem (gesprochene Sprache, Mathematik, Maschinensprache) aufnimmt, und das Resultat, die Organisation der Zeichen, wie sie erscheint, nicht als das Objekt der Berechtigung, sondern den inneren Gegenstand des geäußerten Gedankens als geschützten Gegenstand des Eigentums erkennt. Dieser Grundsatz des Urheberrechts läßt sich in allen anderen inneren Gegenständen auffinden. Es ist der Zusammenhang, daß das Innere einen mit den äußeren Sinnen wahrnehmbaren Ausdruck gefunden haben muß, in die Äußerlichkeit, also die Sphäre des Rechts eingetreten sein muß. Erst dann ist das zwischenpersonale Verhältnis angesprochen. Erst mit dem Schritt der intersubjektiven Vermittlung über Zeichen oder Werkstoff beginnt die Berechtigung96 des Schöpfers gegenüber anderen am inneren Gegenstand. Nicht die körperliche Raum- oder Klangform, sondern der ihr zugrundeliegende Gedanke, das formende Prinzip, welches sich in einem verstehbaren Zeichensystem oder einem Werkstoff durchsetzt, das Bewegende im Ausdruck, ist der geschützte innere Gegenstand. Der Begriff vom inneren Gegenstand gliedert sich (1) in das geistige Eigentum und (2) in die Verbindlichkeit, letztere wiederum in (a) die bloße SelbstverbindMetaphysik der Sitten/Rechtslehre, B S. 127. Metaphysik der Sitten, B S. 128. 96 Diese Berechtigung kann sich z. B. in der grundsätzlichen Zuordnung der wirtschaftlichen Verwertungsmöglichkeiten des inneren Gegenstandes ausdrücken, wie das BVerfG es in seiner Urheberrechtsentscheidung (E 31 , 229 [240, 241] formulierte: ,,Der Urheber hat nach dem Inhalt der Eigentumsgarantie grundsätzlich einen Ansprnch darauf, daß ihm der wirtschaftliche Nutzen seiner Arbeit zugeordnet wird, soweit nicht Gründen des gemeinen Wohls der Vorrang vor den Belangen des Urhebers zukommt. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß es um das Ergebnis der geistigen und persönlichen Leistung des Urhebers geht, nicht aber um einen unverdienten Vennögenszuwachs." Es geht also um eine persönliche geistige Leistung, um einen inneren Gegenstand, der in die Rechtssphäre tritt und dort eine- in dieser Entscheidung eher unbestimmte - Funktion zugeordnet bekommt: "wirtschaftliche Verwertung". Die wirtschaftliche Verwertbarkeit ist jedoch nicht die Sache selbst, nicht der eigentumsgeschützte Gegenstand, dieser ist die schöpferische Leistung des Urhebers. 94

95

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lichkeit und (b) die Fremdverbindlichkeit, dieser korrespondiert der Begriff der Forderung im Rechtssinne. (1) Das "geistige" Eigentum

Der Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt gern. § 11 I 1 BSHG ist kein "geistiges Eigentum", somit ist dieser Begriff nur am Rande zu erläutern. Der nur gedachte Gedanke, die nicht gespielte Melodie oder das nicht aufgezeichnete technische Verfahren sind nicht in der Sphäre des Rechts, weil eine interpersonale Vermittlung der Idee in einem definierten Zeichensystem oder in einem Werkstoff nicht erfolgte. Der innere Gegenstand, dem dieses zusätzliche Prädikat des äußeren Ausdrucks nicht zukommt, bleibt nur persönlich, ist zwar eine Schöpfung und als solche ein Teil der Wirklichkeit, aber kein rechtsrelevanter Gegenstand im Verhältnis zwischen Personen. Erst mit dem äußeren Ausdruck tritt der innere Gegenstand in Zeit und Raum, wird also, seine verständliche Formulierung vorausgesetzt, für andere wahmehm- und verstehbar, als Idee verrnittelbar. Der Ausdruck, dessen Bedeutung der innere Gegenstand ist, ist selbst äußerer Gegenstand, und nur als äußerer Gegenstand ohne den Bedeutungszusammenhang - das Buch als getrockneter, gepreßter und bemalter Zellulosebrei- nur als äußeres Eigentum erfaßt97, ist also nicht Schutzgegenstand des geistigen Eigentums. Die positiven Rechtskategorien geistigen Eigentums sind großenteils Verfahrensrecht, welches u.a. den Sinn hat, die Priorität, die verständliche Äußerlichkeit und die Innovation der Schöpfung festzustellen. Dieses positive Recht ist Resultat einer geschichtlichen Entwicklung, in welcher der Schutz geistigen Eigentums nicht selbstverständlich war. Grundsätzlich ist jeder innere Gegenstand tauglich zum geistigen Eigentum, so er nur einen interpersonal verständlichen Ausdruck gefunden hat und neu ist98 . 97 Nur als äußerer Gegenstand genommen kann es in andere Bedeutungszusammenhänge gestellt werden, unter Vernachlässigung des inneren Gegenstands, dessen Ausdruck es ist. So taugt ein Buch als Zierstück im Regal oder als Briefbeschwerer, - dann ist das Buch Ausdruck der ästhetischen Idee von einem Zierstück oder der technischen Idee von einem Briefbeschwerer. Satirisch Schopenhauer am Ende des Vorworts zur ersten Auflage von "Die Welt als Wille und Vorstellung", Dresden 1818, Vorschläge zur abartigen Verwendung von Büchern: ,,Der bis zur Vorrede, die ihn abweist, gelangte Leser hat das Buch für baares Geld gekauft und frägt, was ihn schadlos hält? - Meine letzte Zuflucht ist jetzt, ihn zu erinnern, daß er ein Buch, auch ohne es gerade zu lesen, doch auf mancherlei Arl zu benutzen weiß. Es kann, so gut wie viele andere, eine Lücke seiner Bibliothek ausfüllen, wo es sich, sauber gebunden, gewiß gut ausnehmen wird. Oder auch er kann es seiner gelehrlen Freundin auf die Toilette, oder den Theetisch legen. Oder endlich er kann ja, was gewiß das beste von Allem ist und ich besonders rathe, es recensieren." 98 Daß jeder innere Gegenstand zur Eigentumsbehauptung taugt, läßt sich gut am Beispiel eines Kinderspiels erläutern, in dem es darum geht, etwas herauszufinden, eine Spielidee zu entwickeln oder auf eine Wissensfrage zu antworten. Es kommt häufig vor, daß mehrere Kinder die gleiche Idee haben, eines jedoch am schnellsten antwortet. Diesem schnelleren Kind wird dann häufig von einem anderen Kind entgegengehalten, es selbst habe die Idee auch

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B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

(2) Forderungen

Forderungen korrelieren mit Verbindlichkeiten. Der allgemeine Begriff der Verbindlichkeit ist, sich selbst zu einem Tun oder Unterlassen zu verpflichten, der allgemeine Begriff der Forderung ist, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen verlangen zu können99 . Forderungen im Rechtssinne können durch einseitige Willenserklärung, wie z. B. bei der Auslobung, § 657 BGB, durch mehrere übereinstimmende Willenserklärungen, also durch Vertrag, § 305 BGB, oder durch Gesetz entstehen. Nur zu etwas Möglichem kann man sich verpflichten, § 306 BGB - die innere Kausalität, auf welche der andere einen rechtlichen Anspruch haben kann, ist immer auf einen möglichen Erfolg gerichtet. Dieses hat seinen Grund im vorausgesetzten Rechtsbegriff. Die Willkür im Rechtssinne ist kein Wunsch, sie muß sich immer als gegenstandsmächtige setzen, um Rechtspflichten zu erzeugen. (a) Forderung aus Rechtsgeschäft Einer Forderung aus Rechtsgeschäft liegt eine Willenserklärung zugrunde, die in dem gefaßten Vorsatz besteht, einem anderen einen Gegenstand zu bewirken durch Tun oder Unterlassen, und der verstehbaren Erklärung dieses Vorsatzes, d. h. dessen Ausdruck in der Äußerlichkeit durch verstehbare Zeichen, welche den Gegenstand und die Setzung des Gegenstands als für den anderen zu bewirkenden Erfolg der eigenen Handlung/Unterlassung bedeuten. Vorsatz bezeichnet hier die Vorstellung des Gegenstands und die Bestimmung seiner selbst, diesen Gegenstand hervorzubringen. In einem zweiten Schritt bedeutet es die Bewirkung des Gegenstands für andere = Widmung der eigenen Willkürkausalität für andere Personen gehabt, der andere sei bloß vorlaut gewesen, eigentlich aber sei es die eigene Idee. Das dieser Haltung zugrundeliegende moralische Urteil bezieht sich auf eine Berechtigung am inneren Gegenstand ,,Idee", sei es, welche es wolle, das Kind behauptet ein geistiges Eigentum ("meine Idee!") an diesem Gegenstand. Es entspringt später dann einer Gewöhnung an gesellschaftliche Übereinkünfte oder positives Recht, das solche Behauptungen mit fortschreitender Entwicklung des Kindes, Jugendlichen, Erwachsenen nur noch im Rahmen verfahrensmäßig abgesicherten geistigen Eigentums erhoben werden. Die faktische Achtung, die geistigem Eigentum entgegengebracht wird, ist gering, wie sich am Raubkopierwesen im literarischen und im Software-Bereich ablesen läßt. Das liegt zu einem guten Teil daran, daß zur Erkenntnis des inneren Gegenstands eine Abstraktion von den leichter faßlichen äußeren Sinnen hin zum inneren Sinn, dem Denken, vorauszusetzen ist, um den Begriff und Wert des inneren Gegenstands zu erfassen. Gleichwohl ist schon in ersten Kindeijahren das moralische Bewußtsein einer Berechtigung am inneren Gegenstand vorhanden, wenn die erste Äußerung, d. h. die Priorität im Ausdruck der Idee gegeben ist. So kommt es auch vor, daß sich das Kind, welches die Idee gegenüber dem schnelleren Kind als eigene Idee behauptet, der Erwiderung ausgesetzt sieht, es mag ja die Idee gehabt haben, es müsse sie jedoch auch äußern. Das ist meistens einleuchtend: Die Rechtsbehauptung gelingt nur dann, wenn die Idee interpersonalen Ausdruck gefunden hat, vorher sind die Gedanken "frei", d. h., es bezieht sich kein Recht und keine Pflicht auf sie. 99 siehe auch die Legaldefinition ,,Anspruch" im § 194 I BGB, welcher als ,,Das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen(... )" definiert ist.

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außer mir. Es ist ein selbstgesetztes Sollen, geschöpft aus einem Akt autonomer Selbstbestimmung, wie er im gefaßten Entschluß, in der Entscheidung, in der Bestimmung der grundsätzlich unbestimmten Willkür zur Hervorbringung des Gegenstands begrifflich zu fassen ist. Die einseitige Willenserklärung ist die bloße Verpflichtung seiner selbst, wird durch Erklärung wirksam und bekommt durch die Erklärung ihre rechtsspezifische äußere Existenz 100• Fraglich ist, inwieweit die Rechtsfigur des Vertrages gegenüber der einseitigen Verpflichtung Eigenständigkeil behaupten kann als Rechtsgrund einer Verbindlichkeit/Forderung. Denkbar wäre es, in einem Vertrag zwei gegenüberliegende Selbstverpflichtungen zu sehen, die lediglich in einem Sinnzusammenhang stehen, ohne ein übergeordnetes rechtliches Ganzes zu erzeugen. Ein solches Verständnis schöpft die Rechtsform "Vertrag" jedoch nicht aus. Hier ist abzugrenzen: der Akt einseitiger Selbstverpflichtung setzt keine anderseitige Erklärung voraus, daß das Tun oder Unterlassen als Bewirkung des vorgestellten Gegenstandes auch angenommen wird, sondern formuliert eine abstrakte Verpflichtung ad incertas personas (an den, den es angeht). Für die Auslobung ist zur Entstehung der Forderung keine Willenserklärung, sondern nur der Realakt erforderlich, an den der Auslobende seine Selbstverpflichtung geknüpft hat. Im Vertrag verhält es sich anders: Es stehen sich Angebot, die Erklärung des sich Verpflichtenden, und Annahme, die Erklärung des anderen, sich selbst zur Annahme des Gegenstands zu verpflichten, gegenüber. Die Forderung entsteht hier aus dem wirksam zustandegekommenen Konsens der Parteien, daß der eine sich für den anderen bestimmt in einem wechselseitigen Verhältnis der Bewirkung von Leistung und Annahme. Dieser Konsens setzt wiederum das Vermögen der Verragsparteien voraus, sich wirksam verpflichten zu können. Der Gegenstand der Forderung ist das ,,Etwas", zu dem sich der Verpflichtete seiner Vorstellung nach bestimmt, es hervorzubringen. Der Forderungsberechtigte gewinnt durch diese Übereinkunft den inneren Gegenstand der Selbstbestimmung des anderen, dessen Vermögen zur Kausalität in Ansehung eines vertraglich bestimmten Gegenstands. Die Übereinkunft (der Vertragsschluß) setzt die inneren Gegenstände der beiderseitigen Selbstverpflichtungen unter den Begriff des Rechts als eines Verhältnisses äußerer Willkür. Im Vertrag sind die Verpflichtungen, für einen anderen zu leisten und die Leistung des anderen anzunehmen, enthalten. Die Kausalität des anderen zur Bewirkung des versprochenen Gegenstands gehört sodann als erklärtes Versprechen zu den äußeren Vermögensgüwo Kant formuliert es so: ,,Der Besitz der Willkür eines anderen, als Vennögen, sie, durch die meine, nach Freiheitsgesetzen zu einer gewissen Tat zu bestimmen (das äußere Mein und Dein in Ansehung der Kausalität eines anderen), ist ein Recht (dergleichen ich mehrere gegen eben dieselbe Person oder gegen andere haben kann); der lnbegriff(das System) der Gesetze aber, nach welchen ich in diesem Besitze sein kann, das persönliche Recht, welches nur ein einziges ist." - Die Erwerbung der Kausalität eines anderen kann immer nur abgeleitet sein, kann niemals durch ursprünglichen Erwerb oder durch Eigenmächtigkeit rechtlich erfolgen, Metaphysik der Sitten, B S. 97. Die nähere Erklärung, wie das Versprechen durch Willenserklärung auf Seiten des Promittenten funktioniert, bleibt Kant schuldig - die Verpflichtung durch einseitige Willenserklärung erklärt er nicht.

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B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

tem 101 des Berechtigten. Das Vermögen zur Kausalität des anderen ist für den einen ein äußerer Gegenstand und als solcher grundsätzlich eigentumsfähig. Die Beschränkung der Erwerbsmöglichkeit am Vermögen zur Kausalität gründet in der Personalität des anderen, d. h., daß dieses Vermögen nur insoweit veräußert werden darf, als dessen Betätigung immer noch als freiheitliche zu denken möglich ist. 102 (b) Forderungen aus Gesetz Neben ein- und mehrseitigen Willenserklärungen können Forderungen aus Gesetz103 entstehen. Gesetzliche Forderungen können bestehen im Verhältnis des einen gegen den anderen (zwischen Privaten), im Verhältnis der verfaßten Allgemeinheit zu dem einen (Staat gegen den Privaten, z. B. Steuern oder Sozialabgaben), und im Verhältnis des einen zur verfaßten Allgemeinheit (Ansprüche des Privaten gegen den Staat, z. B. auf Sozialleistungen). Allgemeines Prinzip gesetzlicher Ansprüche ist, daß der Gesetzgeber an einen faktischen Sachverhalt z. B. schädigendes Verhalten, Leistung eines Vermögensvorteils ohne Rechtspflicht (ungerechtfertigte Bereicherung), Veräußerung eines Wirtschaftsgutes unter Mehr101 Ein normaler Austauschvertrag, z. B. Kaufvertrag § 433 BGB, enthält folglich diese Elemente: 1. das Versprechen des Verkäufers, a) die Sache zu übergeben, b) dem Käufer Eigentum an der Sache zu verschaffen; diesem Versprechen des Verkäufers korrespondieren 2. die Versprechen des Käufers, a) einen andem Besitz als den des Verkäufers an der Sache zu begründen, b) ein anderes Eigentum als das des Verkäufers an der Sache zu begründen. Im Zusammenhang - im sog. "synallagmatischen Verhältnis" dazu - steht 3. das Versprechen des Käufers, a) dem Verkäufer den Kaufpreis zu übergeben, b) dem Verkäufer Eigentum am Kaufpreis zu verschaffen. Diesem Versprechen des Käufers korrespondiert 4. das Versprechen des Verkäufers, a) ein anderen Besitz als den des Käufers am Kaufpreis zu begründen, b) ein anderes Eigentum als das des Käufers am Kaufpreis zu begründen. Schon auf schuldrechtlicher Ebene stehen sich acht verschiedene Gegenstände gegenüber, im Vertragschluß sind acht verschiedene Selbstverpflichtungen ausgedrückt, die als Leistungspflichten auch verletzt werden können. Was nach Kant nun das Äußere sei, was durch Vertrag erworben wird, formuliert er so: "Da es nur die Kausalität der Willkür des anderen in Ansehung einer mir versprochenen Leistung ist, so erwerbe ich dadurch unmittelbar nicht eine äußere Sache, sondern eine Tat desselben, dadurchjene Sache in meine Gewalt gebracht wird, damit ich sie zu der meinen mache." Es würde nur das Versprechen erworben werden, diese ist ein innerer Gegenstand der Selbstverpflichtung für einen anderen und das im Vertrag geäußerte Versprechen bereichere das Vermögen, Metaphysik der Sitten, B S. 101. Warum man denn ein Versprechen halten solle, ergebe sich unmittelbar aus dem Sittengesetz, d. h. aus dem Vermögen der Person, sich selbst Imperative geben zu können, wie es sich dann z. B. im Versprechen ausdrückt, Metaphysik der Sitten, B S. 100. 102 Nicht möglich ist also die vollständige Verdinglichung der Person im Verdingungsoder Dienstvertrag, daher Verbot der Sklaverei, so zu erklären die Restriktionen der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht. 103 Welchen Status der positive Setzungsakt "Gesetz" im System der normativen Handlungstheorie Kants genießt, wie mit diesem die äußeren wirklichen Bedingungen zwischenpersonaler Freiheit geschaffen werden, muß noch geklärt werden. Hier geht es zunächst um das Phänomen einer Forderung aus Gesetz, ohne daß näher nach deren tieferen Legitimationsgrund gefragt wird. Dieser Anspruch wird als möglicher Gegenstand des Eigentums vorgestellt.

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wertschöpfung, Erreichen einer Altersgrenze unter Belegung von Beitragszeiten in der Rentenversicherung (und hier interessierend: objektive Bedürftigkeit im Sozialhilferecht) direkt die Rechtsfolge einer Leistungspflicht knüpft, die entweder ein Privater oder der Staat selbst zu erbringen hat. (aa) Gesetzliche Forderungen zwischen Privaten Für den Gang der Untersuchung sind vernachlässigbar die gesetzlichen Ansprüche unter Privaten. Bekannte positivrechtliche Beispiele sind im Deliktsrecht, §§ 823ff. BGB, im Recht der ungerechtfertigten Bereicherung, §§ 812ff. BGB, oder im Eigentümer/Besitzer-Verhältnis, §§ 985ff. zu finden. Diesen Beispielen gemeinsam ist, daß mit dem tatbestandlieh typisierten faktischen Verhalten, mit dem gesetzlich Rechtsfolgen verbunden werden, in Zuweisungen von Gegenständen zu Personen eingegriffen wird, sei es durch Schädigung, Ge- oder Verbrauch, unberechtigte wirksame Verfügung über den Gegenstand, sei es durch Erlangen eines Gegenstands, ohne daß dem eine Berechtigung zugrundeliegt Diese veränderte, dem objektiven Recht nicht entsprechende Zuordnung wird mit der gesetzlichen Regelung zur Leistung von Schadensersatz normativ ausgeglichen. Diedeliktische Handlung oder die Leistung ohne Rechtsgrund trägt also dieses Drängen auf nachfolgenden Ausgleich unter dem Rechtsprinzip schon in sich, und das bewirkte Ungleichgewicht der Zuordnungsverhältnisse wird mit den gesetzlichen Ansprüchen korrigiert. (bb) Gesetzliche Forderungen der verfaßten Allgemeinheit gegen Private Hier sind zwei Grundtypen zu unterscheiden, erstens den Fall, in dem die verfaßte Allgemeinheit als quasi-private Person dem Einzelnen gegenübertritt, und private Ansprüche aus z.B Delikt, ungerechtfertigter Bereicherung oder Eigentümer/Besitzer-Verhältnis geltend macht; zweitens den Fall, in dem die Allgemeinheit dem Einzelnen gegenübertritt als verfaßte Staatlichkeit (in welcher der Einzelne als Bürger befangen ist) und dem Bürger seinen Beitrag zur institutionalisierten Sphäre der Allgemeinheit abfordert 104• Positivrechtliche Beispiele ergeben sich aus dem Abgaben- und Sozialversicherungsrecht Der Rechtsgrund der Forderung liegt in der Pflicht des Einzelnen, sich eine Sphäre der Allgemeinheit als Bürger zu geben, in welcher Freiheit als Konstitutionsprinzip zwischenpersonaler Verhältnisse verwirklicht wird. Die institutionelle Sicherung erfordert materielle Mittel, welche durch die Abgabenpflicht beschafft werden. Die Grenze der Abgabenpflicht wird durch die Freiheits-Sicherungsfunktion des Staates gezogen. 104 Sog. Grundpflichten, welche den Grundrechten korrespondieren. Sie sind durch die Pflicht, den Naturzustand zu verlassen, in einen rechtlichen Zustand einzutreten und diesen rechtlichen Zustand zu erhalten, zu begründen. Neben den Abgabenpflichten ist hier insbes. die Wehrpflicht zu nennen. Zur positivrechtlichen Problematik Badura, Peter, Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension, DVBl 1982, 861 ff.

9 Süchting

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B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

(cc) Forderungen Privater gegen den Staat Das System der inneren Gegenstände schließt ab mit den gesetzlich begründeten Forderungen des Einzelnen gegen die verfaßte Allgemeinheit. Die soeben getroffene Unterscheidung ist aufzunehmen. Staat und Bürger können sich als (quasi)private Personen gegenüberstehen, dem Bürger stünden Ansprüche aus Delikt 105 , Kondiktion 106 oder Vindikation 107 zu. Daneben stehen die staatlichen Leistungsversprechen, wie sie in den gesetzlichen Anspruchsnormen zu finden sind. Zunächst ist zu denken an die Rechtsform einer "öffentlich-rechtlichen Auslobung", wenn der Staat im Rahmen der influenzierenden Staatsverwaltung durch Prämiierung bestimmter Verhaltensweisen einen Anspruch des Bürgers auf Subventionen begründet. Daneben sind die Ansprüche auf Alters-, Kranken- oder Arbeitslosenversorgung zu nennen, die aus einem gesetzlichen Zwangsaustauschverhältnis resultieren, das gerade nicht das Element privatautonomer Versorgungsgestaltung, sondern nur, und das unvollkommen 108, das Element eines synallagmatischen Leistungsaustauschs enthält. Der Auslobung als Leistungsversprechen ähnlich, aber auf einer Pflicht zur Daseinsvorsorge beruhend ist die gesetzliche Bestimmung des Sozialhilfeanspruchs. Beruht die Auslobung von Subventionen auf der pragmatischen Staatskunst der Wirtschaftslenkung 109, so ist der tiefere Sinn der Sozialhilfe im Gedanken interpersonaler Hilfspflicht unter Verteilungsgerechtigkeit zur Durchsetzung des ursprünglichen Rechts auf Teilhabe an der Gegenständlichkeit als Wirklichkeitsbedingung der Freiheit zu suchen, beruht mithin auf einer Staatspflicht, wie sie ihren Ausdruck im Begriff des "sozialen Rechtsstaats", Art. 20 Abs. 1 GG, gefunden hat. Gleich an Auslobung und Daseinsvorsorge durch Sozialhilfe ist, daß die Leistung ohne Gegenleistung erfolgt. Im Akt des Leistungsgesetzgebens ist eine Selbstbindung der verfaßten Allgemeinheit zur Hervorbringung eines Gegenstands - der Leistung - zu sehen. Diese Selbstbindung erfolgt über den Entschluß der Repräsentativorgane der verfaßten Allgemeinheit. Der gesetzte Zweck, sei es eine Geld-, Sach- oder Dienstleistung 110, ist der innere Gegenstand, der in der gesetzliZ.B. Amtspflichtverletzungen, § 839 BGB, Art. 34 GG. Z.B. Rückforderungsansprüche bei zuviel geleisteten Abgaben. 107 Z.B. bei Entziehung des Eigetumsgegenstands. 10s Die Sozialversicherungen basieren auf dem Versicherungs- und Solidaritätsprinzip. Beide Prinzipien stehen in einem Spannungsverhältnis zueinander. Während das Versicherungsprinzip fordert, daß jeder Einzahler ein ungefähres Äquivalent seiner Leistungen durch Risikioabdeckung zurückerhält, bestimmt das Solidarprinzip, daß ·die wirtschaftlich Leistungsfähigeren die Schwächeren unterstützen. Daß in der Rentenversicherung kein präzises Äquivalent ausgegeben wird, ist an der Mischfinanzierung dieses Versorgungswerks abzulesen, die sich zu einem Teil aus dem Bundeszuschuß speist. 109 Die Wirtschaftslenkung muß sich im Rechtssinne ebenfalls auf die Sicherung des Daseins in der Rechtsgemeinschaft der in ihr arbeitenden Personen beziehen lassen. uo Siehe die Formen der Sozialhilfe, § 8 BSHG. 105

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chen Erklärung seine Äußerlichkeit gefunden hat und damit zum Rechtsgegenstand im zwischenpersonalen Verhältnis wurde. Das ist das verbindende Gemeinsame aller Selbstbindungen durch einseitige Willenserklärungen: Rechtsgegenstand werden die Ansprüche gegen den Staat durch das Gesetzgebungsverfahren, in welchem die verfaßte Allgemeinheit sich äußerlich verbindlich macht in der Setzung von Tatbestandsvoraussetzungen und von Rechtsfolgen in einer Norm des Leistungsverwaltungsrechts. Das ist der notwendige und schon hinreichende Grund, die Forderung aus§ 11 I 1 BSHG als Gegenstand des Eigentums zu erkennen. Notwendig deshalb, weil die positiv-gesetzliche Äußerlichkeit des inneren Gegenstands der Selbstverbindung zur Hilfe zum Lebensunterhalt diesen ins Verhältnis interpersonaler Willkür setzt; schon hinreichend deshalb, weil grundsätzlich jeder äußere Gegenstand dem Zugriff der Person ausgesetzt, mithin ein Objekt möglichen Mein/Dein ist, und es einer weiteren Begründung der Eigentumsqualität nicht bedarfJll. Der einzige Unterschied zwischen einer öffentlich-rechtlichen und einer privatrechtlichen Auslobung liegt in der Rückbindung der öffentlich-rechtlichen Auslobung an die Konstruktion des Staats als freiheitssichernd und -ermöglichend, dem Staat somit keine beliebige Verfolgung privater Zwecke möglich (erlaubt) ist. Für den Anspruch auf Sozialhilfe bedeutet dieses im entfalteten systematischen Zusammenhang begrifflich-formallogisch Eigentumsqualität, denn ein hinreichendes Kriterium zur Ausgrenzung dieses Anspruchs aus dem Kandidatenkreis des Forderungseigentums ist nicht ersichtlich. (dd) Abgrenzung zur Konzession Zur Abgrenzung: Aus dem hier vorgestellten System fallen Ansprüche heraus, die nicht auf die Zuweisung von Gegenständlichkeit oder Leistung, sondern die auf die Regulation der Zweckverwirklichung des Bürgers gehen. Erlaubnisse oder Konzessionen werden verwaltungsrechtlich erteilt, wenn bei Verboten mit Erlaubnisvorbehalt der Erlaubnistatbestand gegeben ist. Der Anspruch des Bürgers richtet sich auf Bescheidung, also auf eine bestimmte Tätigkeit der Behörde, die keine Dienstleistung ist, sondern nur als Regulation eines Bereichs personaler Zweckverwirklichung qualifiziert werden kann. Die Tätigkeit als solche, die Bescheidung, hat keinen Wert für den Bürger. Der Anspruch des Bürgers geht bei Vorliegen der Erlaubnisvoraussetzungen auf eine bestimmte Qualität der Handlung, auf das positive Gewährenlassen, die Feststellung der Erlaubtheit der Handlung. Diese bloße 111 Es wäre ein Systembruch vor dem Hintergrund der vorgestellten normativen Handlungstheorie, die Rechts-, d. h. Eigentumsqualität des Gegenstands "Forderung gegen den Staat" danach beurteilen zu wollen, aus welcher Motivation - ob nun aus pragmatischen Gründen, hypothetischen Imperativen folgend, oder aus Notwendigkeit unter dem Sittengesetz - der Staat die Selbstverpflichtung vornahm, denn diese Zwecke sind dem forum internum der Willensbildungsorgane überantwortet und kein taugliches Kriterium zur Kategorisierung des resultierenden Anspruchs auf Leistung.

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B. Sozialhilfe und Eigentum -Dialektische Verhältnisbestimmung

Qualität ist kein hervorzubringender Gegenstand, sondern eine Eigenschaft, ein reines Prädikat, welches der Handlung zugeordnet wird, und kein eigenständiges Objekt. Damit wird kein Gegenstand zugewiesen, sondern eine vorher verschlossene Möglichkeit zur Zweckverwirklichung des Bürgers wieder eröffnet, wie z. B. für denjenigen, der gewerbsmäßig Leben oder Eigentum anderer bewachen oder gewerbsmäßig fremde Sachen versteigern möchte 112• Geht es bei der Leistungsverwaltung um die Bewirkung von Güterzuweisungen durch den Staat, so geht es bei der Aufsichtsverwaltung um Regulation von Zweckverwirklichungen des Bürgers113. (3) § 11 Nr. 1 S. 1 BSHG ist formell identisch mit sonstigen Ansprüchen des Forderungseigentums

Mit der Feststellung, daß Forderungen des einzelnen gegen den Staat insgesamt Ausdruck der inneren Selbstbindung des Staates durch seine Repräsentativorgane sind, die durch Gesetz in die Äußerlichkeit eintritt, ist die formelle Identität des Sozialhilfeanspruchs mit vertraglichen Forderungen, Ansprüchen aus privater Auslobung oder staatlichen Leistungen erkannt. Die einfache Gleichsetzung gibt einen ersten Anhaltspunkt dafür, daß im System der Gegenstände des Eigentums der Sozialhilfeanspruch einen festen Platz einnimmt, aus dem er systematisch sinnvoll nicht zu verdrängen ist. Der mögliche Einwand, der Fürsorgeanspruch sei nur in der Staatspflichtsphäre angesiedelt und deshalb aus der Eigentumsgarantie auszugrenzen 114, geht fehl, weil er entweder den motivationalen Zusammenhang der Leistungsgewährung oder eine nicht abgeleitete Staatsteleologie zum Kriterium nimmt, was in einer auf äußerlichen Willkürabgleich gehenden, also spezifisch juristischen normativen Handlungslehre nicht zulässig ist. Trotz dieser festgestellten formellen Identität bleibt der materielle subjektiv-rechtliche Zusammenhang zwischen dem Eigentum und der Sozialhilfe noch im Dunkeln. Diese Identität ist nur formal, ohne die Notwendigkeit der Sozialhilfe aus Freiheit einheitlich mit dem Eigentum zu begründen.

§§ 34a; 34b GewO. Vgl. BVerfGE l, 264 [278f.] (Bezirksschornsteinfegermeister). 114 Auf dem Boden einer Art. 14-Interpretation, welche das Eigentumsgrundrecht strikt als bürgerliches Abwehrgrundrecht versteht und subjektive öffentliche Rechte als Emanationen einer staatlichen Hoheitsgewalt teilweise abkoppelt von privaten Rechten (und darum den Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt aus der Eigentumsgarantie ausgrenzend) siehe Nicolaysen, Gert: "Die Enteignung subjektiver öffentlicher Rechte", Diss. Harnburg 1957, s. 82ff. II 2 II3

II. Die praktische Möglichkeit des Eigentums

133

4. Die rechtliche Zuordnung: Die Herrschaft der Person über den Gegenstand

a) Einleitung und Darstellungsziel

In der Frage nach der Person wurde zunächst den Möglichkeiten und Bedingungen der Gegenstandserkenntnis nachgegangen. Als Antwort wurde mit Kant das formale Apriori reiner Verstandesbegriffe vorgeschlagen, die das Erkenntnissubjekt strukturieren, und im Verein mit einem gegebenen und wahr-genommenen materialen "Etwas" objektive Erkenntnis verfassen. Ein Gegenstand ist nach dieser Lehre für die Person nur als erkannter Gegenstand, und das heißt: nur als unter den formalen Erkenntnisbedingungen a priori stehender Gegenstand. Die reinen Verstandesbegriffe sind ein Hinweis auf die intelligibele Natur der Person, in welcher allein die Idee der Freiheit anzunehmen möglich und notwendig ist. Die Idee der Freiheit weist sich auf im Bewußtsein eines jeden Vernunftwesens, unter einem rein vernunftgewirkten praktischen Gesetz zu stehen, welches die Regelhaftigkeit persönlicher Handlung bestimmt. Die jetzt beschäftigende Frage schichtet sich ab von der theoretischen Gegenstandserkenntnis und richtet sich auf das Problem, wie das intersubjektive Rechtsverhältnis in Ansehung der Gegenständlichkeit nach dem Freiheitsprinzip zu denken ist. Die Grundlagen einer sachhaltigen praktischen Philosophie, einer Metaphysik des Rechts, sind erläutert worden° 5 . Die Rechtslehre ist ein Teil der Ethik, welche in die Moral- und die Rechtslehre zerfällt. Die Rechtslehre unterscheidet sich von der Morallehre hinsichtlich der Gegenstände ihrer Gesetzgebung. Sie nimmt nur die Äußerlichkeit der Handlungen in den Blick. Nicht Gegenstand des Rechts ist die subjektive Maxirnensetzung, sondern nur der gegenständliche Bezug der Handlung, in dem die Handlung für andere Subjekte ist. Der Begriff der Zuordnung zielt auf das Problem, wie ein Gegenstand im praktisch-rechtlichen Sinne für die Person sein kann. Warum darf eine Person sich Gegenstände aneignen, sie als "Mein und Dein", als in Besitz und Eigentum stehend bezeichnen? Warum hat die Person die Möglichkeit, Gegenstände rechtlich zu beherrschen? Die Antwort fällt bei Kant im § 2 der Metaphysik der Sitten/Rechtslehre überraschend kurz aus, trotzdem löst sie das Problem. Die Gegenstände haben keine Eigenberechtigung und können der Willkür des Subjekts nichts entgegensetzen. Das "Erlaubnisgesetz" zur Aneignung rekonstruiert rechtsphilosophisch, was faktisch vorfindlieh ist, und interpretiert das Dasein der Person in der Gegenständlichkeit bzw. Leiblichkeit hin zu einem berechtigten Dasein. Die im strikten Recht konstruierte Möglichkeit rechtlicher Gegenstandsteilhabe ist zunächst nichts als eine aus der praktischen Vernunft selbst geschlossene Notwendigkeit. ,,Die Vernunft will, daß dieses als Grundsatz gelte, und zwar als praktische Vernunft, die sich durch dieses ihr Postulat a priori erweitert." 06 [sub (b)]. 115

s.o. B. II. 2.

134

B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

Rechtliche Zuordnung im Rahmen einer Metaphysik der Sitten muß sich in reinen Begriffen fassen lassen, welche auf die Möglichkeit a priori von Zuordnung gehen, folglich ist der Begriff "Besitz" als subjektive Bedingung des Gebrauchs der Gegenstände intelligibel zu erfassen [sub (c)]. Die rechtliche Teilhabe an Gegenständlichkeit läßt sich in verschiedenen Stadien intersubjektiver Vermittlung denken. Kant unterscheidet zwei Zustände: erstens, den Zustand unvermittelter, vereinzelt gesetzter und sich setzender Personalität, den Naturzustand; zweitens, den Zustand wirklich vermittelter Interpersonalität, den bürgerlichen Zustand unter einer Idee der öffentlichen Gerechtigkeit. Die rechtliche Teilhabe an Gegenständen ist durch diese Zustände hindurch zu verfolgen und auf dem Niveau des bürgerlichen Zustands auf Begründung zu untersuchen117. Kant spricht in den naturzuständlich-"mangelhaften" Vermittlungsformen vom ,,rechtlichen Besitz" der Gegenstände, und erst auf Höhe des bürgerlichen Zustands von ,,Eigentum" [sub (d)]. Schließlich ist der Rückschluß zulässig, daß das Prinzip intersubjektiver Vermittlung der wirklichen positiv-gesetzlich konkretisierten Güterzuordnung unter dem Grundgesetz und den einfachen Gesetzen normativ inhaltlich ist.

b) Die Möglichkeit rechtlicher Herrschaft über Gegenstände, § 2 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre 118 Vorfrage berechtigter Teilhabe der Person an Gegenständlichkeit (und damit der gestellten Aufgabe, ob und warum der Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG ist) ist, warum es der Person überhaupt möglich, d. h. erlaubt ist, einen rechtlichen Besitz an Gegenständen zu begründen. Kant behandelt diese Frage im § 2 im ersten Hauptstück von ,,Das Privatrecht vom äußeren Mein und Dein überhaupt" 119 • Seine Argumentation ist verwikkelt. Der Besitz - vorbegrifflich die tatsächliche Herrschaft über den Gegenstand, § 854 BGB - wird doppeldeutig als die ,,subjektive Bedingung der Möglichkeit des 116

re.

117

Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, B S. 58 (§ 2 Satz 9). Die Darstellung orientiert sich an den §§ 8 und 9 der Metaphysik der Sitten/Rechtsleh-

118 Dazu: Brocker, Manfred: "Kants Besitzlehre", Würzburg 1987, S. 92ff.; Deggau,Hans Georg: "Die Aporien in der Rechtslehre Kants", Stuttgart-Bad Cannstatt 1983, S. 79ff.; Kersting, Wolfgang: "Wohlgeordnete Freiheit" 1984, S. 127ff.; Kühl, Kristian: "Eigentumsordnung als Freiheitsordnung", Freiburg 1984, S. 135ff.; Langer, Claudia: "Reform nach Prinzipien", Stuttgart 1986, S. 143ff.; textkritisch und die systematische Stelle des § 2 im Privatrecht aus philologisch-inhaltlichen Gründen im§ 6 verortend (eine Auffassung, der sich hier ausdrücklich nicht angeschlossen wird), Ludwig, Bernd: "Kants Rechtslehre", Harnburg 1988, s. 60ff., 112/113. 119 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, B S. 56ff.

II. Die praktische Möglichkeit des Eigentums

135

Gebrauchs" zunächst im faktischen, sodann aber als subjektive Bedingung der Berechtigung am Gegenstand im intelligibelen (oder "bloß-rechtlichen") Sinne verstanden120. Wie stimmt es mit dem kategorischen Rechtsimperativ, dem Gesetz nur äußerer Freiheit zusammen, einen Gegenstand gebrauchen zu dürfen? Diese Frage ist in zwei Richtungen zu beantworten. Einmal bezogen auf die äußeren Gegenstände der Willkür; zum anderen bezogen auf andere Willkürsubjekte, die ihrerseits teilhaben an Gegenständlichkeit. Die Gegenstände können dem Willkürsubjekt keine Eigenberechtigung entgegenhalten, da ihnen keine Vernunftwesenheit attribuiert werden kann. Die Gegenstände der Willkür setzen somit dem Zugriff keinen Widerstand entgegen. Die Grenzen rechtlicher Besitzmöglichkeit wird durch die äußere Freiheit (die gesetzte Willkür) anderer, mit denen sich notwendig zu vermitteln ist, gezogen. Es gilt, daß der kategorische Imperativ das formale Vermittlungskriterium a priori in Ansehung des Gegenstandsgebrauchs ist, nicht jedoch den Gegenstandsgebrauch selbst material bestimmt. Das wäre aber der Fall, wenn der kategorische Rechtsimperativ " ...brauchbare Gegenstände außer aller Möglichkeit ihres Gebrauchs setzte: d.i. diese in praktischer Rücksicht vernichtete,(.. .); obgleich die Willkür, formaliter, im Gebrauch der Sachen mit jedermanns äußerer Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammenstimmete."121

Schwerer noch als dieser Übertritt aus dem Kompetenzbereich des kategorischen Rechtsimperativs wiegt das Argument, daß- wenn unter praktischen Gesetzen ein Imperativ gelten würde, nach dem ein rechtlicher Besitz unmöglich wäre eine äußere Freiheit selbst, das Grundprinzip des kategorischen Rechtsimperativs: das berechtigte Dasein der Person in Gegenständlichkeit als Gesolltes, unmöglich wäre. Somit hätte Freiheit im praktischen Sinne: Kausalität der Willkür aus Freiheit, kein Dasein im System menschlicher Vernunft. Ein solcher Imperativ würde folglich sich widersprüchlich zum praktischen Gesetz selbst verhalten. "Also ist es eine Voraussetzung a priori der praktischen Vernunft, einen jeden Gegenstand meiner Willkür als objektiv-mögliches Mein oder Dein anzusehen und zu behandeln."122-

und zwar in den formalen Grenzen des kategorischen Rechtsimperativs, der die Vermittlung mit dem ihrerseits berechtigten Dasein anderer unter einem allgemeinen Gesetz einfordert. Damit ist dem erkenntnistheoretischen "Ich denke", der eine erste Verselbständigung des "Ich" vom erscheinenden Gegenstand bedeutet, praktisch-philosophisch ein "Ich will" hinzugedacht, das die (Rechts-)Herrschaft des Subjekts über den Gegenstand ermöglicht und Herrschaft als rechtliche Teilhabe an Gegenständlichkeit 12o Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, B S. 55, 56. 121 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, § 2 Satz 3. 122 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre,§ 2 Satz 7.

136

B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

abzieht von empirisch-faktischer Zufälligkeit (Faustrecht und/oder durch den Rechtstitel der Arbeit erworbenes Eigentum i. S. d. John Locke), und begrundet in intelligibler Bestimmung durch ein praktisches Gesetz a priori. Das ,,Erlaubnisgesetz" der praktischen Vernunft gibt der Person zusätzlich zu ihrem wirklichen Dasein die Dimension des berechtigten Daseins. Im reduzierten Rechtssinne ist die allgemeine Person Herr der Welt durch dieses Erlaubnisgesetz. Sie kann sich die Welt aneignen unter den regulativen Ideen der Freiheit und ihre Zwecke den Wirkungen der Naturkausalität beiordnen, bzw. sich die Naturkausalität selbst zum Zweck und Nutzen machen. Durch diese Bestimmung ist die Gegenständlichkeit dem Subjekt überhaupt eröffnet, ein Besitz- bzw. Privatrecht wird so zu denken erst möglich. Dieser erste Schritt darf nicht mit der Bestimmung des Verhältnisses (zwischen wem oder was), welches im Rechtsbegriff des Besitzes und des Eigentums beschrieben wird, verwechselt werden 123 . c) Die Intelligibelität der rechtlichen Zuordnung, §§ 6 und 7 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre aa) Die Deduktion 124 des intelligibelen Besitzes, § 6 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre 125 Das Rechtsverhältnis zwischen Personen in Ansehung der Gegenständlichkeit ist mit der Rechtspflicht, ". . . gegen andere so zu handeln, daß das Äußere (Brauchbare) auch das Seine von irgendjemanden werden könne" 126 , zunächst als 123 gegen Ludwig, Bernd: ,,Kants Rechtslehre", Harnburg 1988, S. 60ff., 112/113, welcher das System der Privatrechtslehre dadurch auseinanderreißt, daß er die Begründung der Möglichkeit eines rechtlichen Besitzes in die apagogische Beweisführung Kants hineinliest, daß es sich beim Rechtsbegriff des Besitzes nur um einen reinen Begriff handeln kann. Hier handelt es sich bei Kant um zu unterscheidende Beweisziele - zum einen die Möglichkeit, zum anderen die Art eines rechtlichen Besitzes. 124 Zum Begriff der Deduktion bei Kant s. Eisler, Rudolf: "Kant Lexikon", Neudruck Hildesheim 1984, S. 82. ,,Es bedarf keiner Erklärung, wie die Objekte des Begehrungsvermögens möglich sind, sondern nur, 'wie Vernunft die Maxime des Willens bestimmen könne',ob sie als reine Vernunft praktisch und ein Gesetz einer möglichen (übersinnlichen Naturordnung sein kann (... ). ". Das Ziel einer praktischen Deduktion des Besitzbegriffs kann also nicht sein, diesen Begriff als mögliches Objekt der Willkür zu erschließen, sondern ihn als praktischen Vernunftbegriff (normativen Begriff) zu entwickeln, welcher allen möglichen Objekten der Willkür und so auch dem empirischen Begriff zugrundeliegt 125 Dazu Brocker, Manfred: "Kants Besitzlehre", Würzburg 1987, S. 92ff.; Kühl, Kristian: ,,Eigentumsordnung als Freiheitsordnung", Freiburg 1984, S. 149ff.; Langer, Claudia: "Reform nach Prinzipien", Stuttgart 1986, S. 145, 149 (entwickelt den Syllogismus, welcher der Definition, nicht der Deduktion des intelligibelen Besitzes zugrundeliegt); ganz auf dem Boden des überwundenen Formalismuseinwands Deggau, Hans Georg: "Die Aporien in der Rechtslehre Kants", Stuttgart/Bad Cannstatt 1983, S. 79ff.

Il. Die praktische Möglichkeit des Eigentums

137

möglich aufgewiesen. Undeutlich geblieben ist die Doppeldeutigkeit des Besitzbegriffs, wie er als empirischer und als metaphysischer Begriff auf die Begründung dieses Rechtsverhältnisses in Ansehung der Gegenständlichkeit zu beziehen ist. Zu unterscheiden ist die Herrschaft über den Gegenstand im empirisch-faktischen Sinne und im intelligiblen bloß-rechtlichen Sinne. Die rechtliche Zuordnung eines Gegenstands zu einer Person ist gleichbedeutend mit der rechtlichen Abweisung anderer Personen vom Gegenstandsgebrauch. Die Zuordnung bedeutet Gebrauchsbefugnis für den Berechtigten vor allen anderen- ,,Das äußere Meine ist dasjenige, in dessen Gebrauch mich zu stören l.iision sein würde, ... " 127 • Diese Läsion ("Unrecht = Abbruch an meiner Freiheit, die mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetz bestehen kann" 128) ist aber auch dann gegeben, wenn die Person nicht aktuell die tatsächliche körperliche Sachherrschaft inne hat, sondern mit dem Gegenstand in bloß-rechtlicher Verbindung steht, sie also einen bloß-rechtlichen Gegenstandsbesitz behauptet. Der Begriff eines bloß-rechtlichen oder intelligibelen Herrschaftsverhältnisses ergibt sich synthetisch 129 aus dem Rechtsverhältnis zwischen freien Willkürsubjekten, denen in Ansehung der Gegenständlichkeit nach Zuordnungsprinzipien wechselseitig die Verbindlichkeit auferlegt wird, sich des Gebrauchs der Güter des je anderen zu Gunsten dieses anderen zu enthalten. Der Rechtssatz ist synthetisch, weil hier für das Subjekt eine rein vernunftrechtlich begründete Gegenstandsteilhabe im interpersonalen Verhältnis begrifflich gefaßt wird, was aus dem Subjekts- oder aus dem Gegenstandsbegriff allein nicht zu schließen ist, sondern sich erst in Verknüpfung beider im Begriff des rechtlichen Besitzes entwickelt. Im § 3 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre identifiziert Kant den "Besitz" als rechtliche Verbindung der Person mit der Sache und erkennt diese Verbindung als notwendige Voraussetzung für die Aussage: Dieser Gegenstand ist mein oder dein. Im § 4 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre "exponiert" Kant die Gegenstände, auf die sich die rechtliche Verbindung beziehen kann - körperliche Sachen, Forderungen und die Gemeinschaft mit Personen (welche mir gegenständlich sind) außer mir. Die Exposition oder "Erörterung" folgt dem Kategorienmuster der Relation. Im § 5 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre "definiert" Kant den Begriff des äußeren Mein und Dein, also die rechtliche Verbindung zwischen Person und Gegenstand in Abgrenzung vom empirischen Besitz (tatsächlicher Innehabung) als intelligibelen Besitz. Daß es einen intelligibelen Besitz geben muß, ist notwendige Voraussetzung für die rechtliche Begründung von Mein und Dein in einer metaphysischen Rechtlehre. Metaphysik der Sitten/Rechtslehre,§ 6 B S. 67. Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, § 5, B S. 61. 12s Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, § 5, B S. 61 (auch Anmerkung). 129 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, § 6, B S. 63, 64; dazu Kersting, "Wohlgeordnete Freiheit" S. 134ff. 126

127

138

B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

Im § 6 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre folgt die Deduktion des intelligibelen Besitzes, d. h. die Rückbindung dieses Begriffs einer rechtlichen Verbindung an die Begriffe der reinen praktischen Vernunft. Die rechtliche Zuordnung ist von allen ".. .Bedingungen der Anschauung, welche den empirischen Besitz begründen. .. " 130, losgelöst in dem Sinne, daß empirische Faktizitäten - in der Hand halten, bearbeiten, erzeugen - über die rechtliche Zuordnung nichts aussagen und diese nicht begründen können. Die rechtliche Zuordnung geschieht in Ansehung der Gegenständlichkeit, begründet sich aber nicht in dieser. Das Rechtsverhältnis "Besitz" oder ,,Eigentum" ist kein Verhältnis zwischen Person und Sache, sondern eines zwischen der Person und einer verfaßten lnterpersonalität, d. h. dem Verhältnis der besonderen Selbstsetzung in einen Gegenstand zur allgemeinen wechselseitigen Vermittlung äußerer Freiheit unter einem allgemeinen Rechtsgesetz. ,,Nun ist die Weglassung, oder das Absehen (Abstraktion) von diesen sinnlichen Bedingungen des Besitzes, als eines Verhältnisses von Personen zu Gegenständen, die keine Verbindlichkeit haben, nichts anderes als das Verhältnis einer Person zu Personen, diese alle durch den Willen der ersteren, so fern er dem Axiom der äußeren Freiheit, dem Postulat des Vermögens und der allgemeinen Gesetzgebung des a priori als vereinigt gedachten Willens gemäß ist, in Ansehung des Gebrauchs der Sache zu verbinden, welche also der intelligibele Besitz derselben, d.i. der durch das bloße Recht, ist, obgleich der Gegenstand (die Sache, die ich besitze) ein Sinnenobjekt ist." 131

Dieses Verhältnis ist - der Begründung von Interpersonalität gemäß vom besonderen Subjekt erweiternd auf eine allgemeine formale Personalitätsbedingung schließend - notwendig intelligibel. In Anwendung dieser theoretischen Grundlegung rechtlicher Teilhabe an Gegenständen ergibt sich, daß alle Gegenstandsformen, äußere und innere (soweit letztere in die äußere Rechtssphäre durch Verkörperung oder Erklärung getreten sind), ohne empirische Bedingung wie ,,Bearbeitung,Begrenzung oder überhaupt Fonngebung" 132 (bis auf die Bemächtigung des Gegenstands), welcher Art auch immer, Gegenstände der Berechtigung eines einzelnen sein können. Das bedeutet, daß zur Begründung der Berechtigung an Gegenständen weder die in diese gesetzte Arbeit, noch die lnnehabung, noch irgendeine andere faktische Leistung am Gegenstand hinreicht. Davon scharf zu trennen ist der Umstand, daß zur Verwirklichung der Berechtigung am Gegenstand ein empirischer Akt - der Erwerb - vorausgesetzt werden muß, mit dem sich die Willkür konkret in den Gegenstand setzt. Der Erwerb ist der notwendige Verwirklichungsmodus, nicht aber der spezifische Rechtsgrund der Berechtigung. Lediglich der (modalkategorialen) Vollständigkeit halber, nicht aber Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, § 6, B S. 66. Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, § 17, B S. 93. 132 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, § 17, B S. 93- ganz deutlich hier die Wendung Kants gegen alle Lehren (,,Arbeitstheorien") wie z. B. die des John Locke, "Über den wahren Ursprung, die Reichweite und den Zweck der staatlichen Regierung", 5.Kapitel, 8.Aufl.Frankf./M.l99l, S. 215ft'., die in der Manipulation des Gegenstands einen rechtlichen Erwerbstitel erkennen wollen. 13o 131

II. Die praktische Möglichkeit des Eigentums

139

im Begründungszusammenhang von Eigentum und Eigentumsregulation "Sozialhilfe" ist der Erwerb in der Modalkategorie der "Wirklichkeit" zu behandeln. bb) Anwendung der Kategorie "intelligibeler Besitz" auf einen Gegenstand des positiven Rechts, § 7 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre Die Deduktion des intelligibelen Besitzes hat ergeben, daß (Gegenstands-)Macht kein Recht schafft, daß sich ganz allgemein von empirischen Bedingungen her Eigentum nicht bestimmen läßt. Damit wird deutlich, welche Grundsatzkritik sich gegen das ,,Eigenleistungskriterium" des Bundesverfassungsgerichts richten muß. Wird die Eigenleistung als notwendiges Merkmal der Eigentumsbegründung eingeführt, verfällt die Bigenturnsbegründung im Falle der subjektiven öffentlichen Rechte dem "naturalistischen Fehlschluß" in der Form, zu glauben, aus dem Sein der Eigenleistung ein Sollen der Verbindlichkeit anderer, sich des Gebrauchs meiner Gegenstände zu enthalten, schließen zu können. Genauso verhält es sich mit dem Ansatz, welche die situative Gebundenheit, die Funktion des Eigentumsgegenstands, die Zwecke der Person, welche den Gegenstand in ihre Willkürsetzung als Mittel eingebunden hat, zur Eigentumsbegründung heranziehen will - aus dem wie auch immer bestimmten Sein des Gegenstands läßt sich keine Verbindlichkeit anderer ableiten. Somit teilt das "Existenzsicherungskriterium" den Grundsatzeinwand gegen das Eigenleistungskriterium. Die Funktion eines subjektiven öffentlichen Rechts zur Existenzsicherung - was sich ja auch und gerade bei dem Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt in Ansatz bringen ließe - begründet nicht dessen Eigentumsqualität Die Funktion fließt aus der Berechtigung, der umgekehrte Schluß ist nicht zulässig. Unbenommen bleibt es, die investierte Arbeit in einen Gegenstand, dessen Funktion zur Existenzsicherung usw., in Ansatz als "Schutzwürdigkeitskriterien", d. h. als Maßbestimmungen im intersubjektiven Abgleich äußerer Freiheit in Ansatz zu bringen. Erst die Situationsbindung, in der der Gegenstand liegt, welche u.a. auch durch Eigenleistung bei Erwerb und durch existenzsichemde Funktion des Gegenstands gekennzeichnet ist, gibt Kriterien für die letzten Bestimmungen, nach denen die Berechtigung des Eigentümers sich verwirklichen darf im Gegenstandsgebrauch. Die Berechtigung am Gegenstand ergibt sich also erst in der Wirklichkeit des Gegenstands und seiner sozialen Eingebundenheit im Verhältnis zu anderen Personen (und deren Teilhabe an materiellen Gütern).

d) Vorläufige und gesicherte Gegenstandsherrschaft im Übergang vom Natur- zum bürgerlichen Zustand

Die Rechtlichkeit der Güterzuordnung ist selbstverständliche Erfahrung des Alltags. Nur in sozialen Problemfällen, welche u.a. die Gerichte beschäftigen, bricht

140

B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

faktischer Besitz aus der rechtlichen Zuordnung aus. Die Zuordnung von Gegenständen zu Personen vollzieht sich unter dem Grundgesetz nach einfachen Gesetzen. In der Rechtswirklichkeit der BRD haben wir einen bürgerlichen Zustand unter öffentlichen Gesetzen im Sinne Kants vor Augen. Dieser vorfindliehen Rechtswelt gegenüber ist die folgende Überlegung eines Naturzustands experimentell. Die Konstruktion eines Naturzustands gelingt durch das bloße Wegdenken aller Bedingungen, welche den bürgerlichen Zustand verwirklichter Gemeinschaft verfassen. Im Naturzustand gelten keine positiven öffentlichen Gesetze, es ist keine Staatsgewalt in ihren drei Formen - gesetzgebend, verwaltend, rechtsprechend institutionalisert. Im Naturzustand sind die gegenständlichen Bezüge eines jeden gegenüber jedem prinzipiell äußerlich ungesichert, weil es keine Institutionen öffentlichen Rechtszwangs gibt, welche die Einhaltung der Regeln sichern. Es ist ein mangelhafter Zustand, in welchem sich die Personen unvermittelt zueinander verhalten und hinsichtlich auf Wahrung ihres Besitzstands auf ihre Kraft, Geschicklichkeit, Mut und Intelligenz verwiesen sind, aber immer in der Gefahr leben, auf einen kräftigeren, geschickteren, mutigeren oder intelligenteren anderen zu treffen. Jeder ist sein eigener Richter und Vollstrecker. Dieser Zustand ist fiktiv, mit ihm wird keine historische Begebenheit behauptet - ein reines Denkmodell. Demgegenüber ist der Rechts- oder bürgerliche Zustand der einer entwickelten Staatlichkeil, in dem die Institutionen der Gesetzgebung, der Verwaltung und der Rechtsprechung, der Kontrolle und des Zwangs interpersonal vermittelt verwirklicht sind. Das Gedankenexperiment einer "Beobachtung" des Besitzes im Naturzustand und im Übergang zum rechtlichen Zustand hat die Funktion, die Notwendigkeit verwirklichter Interpersonalität als Grundlage einer gesicherten Berechtigung am Gegenstand zu illustrieren. Die Verwirklichung eines bürgerlichen Zustands ist notwendige Bedingung, d. h. Bedingung der Möglichkeit peremtorischen Besitzes am Gegenstand, somit Bedingung von Eigentum. In naturzuständlichen Verhältnissen sind nur provisorische Besitzverhältnisse möglich 133 . Natürlicherweise ist auch im Naturzustand ein Zugriff auf Gegenstände faktisch möglich. Ein empirisch faktischer Besitz des Gegenstands ist nicht ausgeschlossen. Fraglich ist jedoch, ob und wie ein bloß-rechtlicher Besitz, ein vernunftrechtliches Mein und Dein unter fehlendem positiven Recht vorgestellt werden kann. Auch im Naturzustand ist die Vernunftsubjektivität eines jeden, und damit die Zwangsbefugnis aus dem kategorische Rechtsimperativ, prinzipiell vorauszusetzen, obwohl öffentliche Gerechtigkeit in rechtsgemeinschaftlichen Zusammenhängen nicht verwirklicht ist. Der Erwerb eines Gegenstands kann hier nur ein einseitiger oder ein von der Willkür eines oder mehrerer anderer abgeleiteter Akt sein. Ein von allgemeiner Willkür abgeleiteter Erwerb durch Gesetz scheidet mangels verfaßter Willkürallgemeinheit aus. Jeder Erwerb kann also nur ein Akt einseitiger oder mehrseitiger Willkür sein, dem die Vermittlung mit einer allgemeinen Rechts133

Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, § 9, B S. 74.

II. Die praktische Möglichkeit des Eigentums

141

gesetzlichkeit fehlt. Der Erwerb und damit der Besitz im Naturzustand leidet folglich unter diesem Mangel. Zwar setzt sich die Willkür formgültig nach dem kategorischen Rechtsimperativ in den Gegenstand, die allgemeine Grundlage der gesicherten Rechtlichkeit des wirklichen Besitzes, dessen Einpassung in eine umfassende positive Güterordnung, steht jedoch aus. "Mit einem Worte: die Art, etwas Äußeres als das Seine im Naturzustande zu haben, ist ein physischer Besitz, der die rechtliche Präsumtion für sich hat, ihn, durch Vereinigung mit dem Willen aller in einer öffentlichen Gesetzgebung, zu einem rechtlichen zu machen, und gilt in der Erwartung komparativ für einen rechtlichen." 134

Die im Naturzustande faktisch begründete, rechtlich jedoch vorläufige Herrschaft über den Gegenstand wird für eine rechtliche genommen, nicht als verwirklichtes Vollrecht, sondern als mangelhafter Besitz mit der Aussicht, zum Eigentum in verwirklichter Interpersonalität zu erstarken. Daraus läßt sich folgern.

,,Etwas Äußeres als das Seine zu haben, ist nur in einem rechtlichen Zustande, unter einer öffentlich gesetzgebenden Gewalt, d.i. im bürgerlichen Zustande, möglich. " 135 ,,Nur in einer bürgerlichen Verfassung kann etwas peremtorisch, dagegen im Naturzustande zwar auch, aber nur provisorisch erworben werden. " 136 ,,Denn, der Form nach, enthalten die Gesetze überdas Mein und Dein im Naturzustande ebendasselbe, was die im bürgerlichen vorschreiben, so fern dieser bloß nach reinen Vernunftbegriffen gedacht wird: nur daß im letzteren die Bedingungen angegeben werden, unter denen jene zur Ausübung (der distributiven Gerechtigkeit gemäß) gelangen. " 137 Nur in verwirklichter Interpersonalität ist ein durch Zwangsgesetzgebung gesicherter Besitz und damit Eigentum möglich 138 . ,,Es ist kein Recht oder Eigenthum ohne Gesetz ... Also fängt alles Eigenthumsrecht nur in bürgerlicher Gesellschaft an ... " 139 Verwirklichte Interpersonalität setzt mindestens einen wirklichen anderen voraus, ohne den ein bürgerlicher Zustand nicht möglich ist. ,,Es ist aber klar, daß ein Mensch, der auf Erden ganz allein wäre, eigentlich kein äußeres Ding als das Seine haben, oder erwerben könnte; .. ." 140 - Robinson Crusoe würde also bis zum Erscheinen von Freitag notwendig im Naturzustand leben, erst in wirkMetaphysik der Sitten/Rechtslehre, § 9, B S. 75. Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, § 8, B S. 72. 136 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre,§ 15, B S. 86. 137 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, § 44, B S. 194. 138 Vgl.Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, § 8, B S. 73. 139 Kant,Immanuel: Reflexion 7665, Werkausgabe der Kgl.-Prß.-Ak. d. Wiss., Berlin 1922, Bd. 19. 140 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, § 11, B S. 82. 134

135

142

B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

lieh vorgenommener Vermittlung mit Freitag würde sein Besitz rechtlich erstarken, würde ,,Eigentum" werden können. - Schlußendlich die wichtige Befugnis, einen anderen aus dem Naturzustand heraus in ein Verhältnis der Vermittlung mit meiner äußeren Freiheit zu zwingen: "Wenn es denn rechtlich möglich sein muß, einen äußeren Gegenstand als das Seine zu haben: so muß es auch dem Subjekt erlaubt sein, jeden anderen, mit dem es zum Streit des Mein und Dein überein solches Objekt kommt, zu nötigen, mit ihm zusammen in eine bürgerliche Verfassung zu treten. " 141 Im bürgerlichen Zustand wird nicht material bestimmt, was das rechtliche Mein und Dein sein soll, "... denn bürgerliche Verfassung ist allein der rechtliche Zustand, durch welchen jedem das Seine nur gesichert, eigentlich aber nicht ausgemacht und bestimmt wird. " 142 Die materiale Bestimmung bleibt der Setzung des einzelnen überlassen, das ist der menschen-rechtliche Grundsatz privatrechtlicher Freiheit und Selbstbestimmung. Jedoch setzt der bürgerliche Zustand formale Bedingungen, unter denen der äußere Freiheitsgebrauch des einen mit dem des anderen unter einem allgemeinen Gesetz kompatibel sein soll. Vorausgesetzt, der Erwerb im Naturzustand ist formgültig nach dem kategorischen Rechtsimperativ vollzogen worden, so findet mit dem Eintritt in den bürgerlichen Zustand keine Güterverschiebung statt. Stimmt jedoch die "Präsumtion" eines rechtlichen Besitzes nicht, ist also unrechtlieh erworben worden, so findet eine Revision nach den Grundsätzen der Schutz-, Tauschund Verteilungsgerechtigkeit statt. Das wäre z. B. dann der Fall, wenn Robinson Crusoe einem ankommenden Schiffbrüchigen Zutritt zu und Gebrauchsbefugnis an seiner Insel verwehren würde mit dem (Schein-) Argument, er habe sich die Insel insgesamt angeeignet, sie sei sein rechtlicher Besitz, und ob er damit den Schiffbrüchigen dem sicheren Ertrinken preisgeben wird, sei ihm ganz und gar gleichgültig. Eine solche besitzindividualistische Haltung verträgt sich nicht mit dem Grundsatz, daß die Freiheit des Crusoe sich mit der äußeren Freiheit des Schiffbrüchigen zu vermitteln hat, und der Crusoe wird dem Schiffbrüchigen Existenzmöglichkeit auf seiner Insel, d. h. Mitbesitz und Gebrauchsbefugnis, einräumen müssen. Diese formale Korrektur geht nicht über die Sicherungsfunktion des bürgerlichen Zustands hinaus und sichert jedem nur das, was auch schon naturzuständlich das Seine eines jeden unter dem kategorischen Rechtsimperativ ist. Insofern findet eine Bestimmung des Seinen eines jeden nach formalem Kriterium im bürgerlichen Zustand statt, womit der Zielpunkt der Vereinigung aller angegeben ist: 141 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, § 8, a.E. B S. 73; sinngemäß auch in§ 15 B S. 87; so auch die Kantische Re-Formulierung der dritten Rechtsregel Ulpians (Digesten 1.1.10.1: "iuris praecepta sunt haec: honeste vivere, alterum non laedere, suum cuique tribuere. "),in einen Zustand zu treten, in welchem jedem das Seine gesichert wird, Metaphysik der Sitten/ Einteilung der Rechtslehre, B S. 43, 44. 142 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, § 9, B S. 74.

li. Die praktische Möglichkeit des Eigentums

143

" ...man müsse aus dem Naturzustande, in welchem jeder seinem eigenen Kopfe folgt, herausgehen und sich mit allen anderen (mit denen in Wechselwirkung zu geraten er nicht vermeiden kann) dahin vereinigen, sich einem öffentlich gesetzlichen äußeren Zwang unterwerfen, also in einen Zustand treten, darin jedem das, was für das Seine anerkannt werden soll, gesetzlich bestimmt, und durch hinreichende Macht (die nicht die seinige, sondern eine äußere ist) zu Teil wird, d.i. er solle vor allen Dingen in einen bürgerlichen Zustand treten.'d 43

Der Zusammenhang zwischen individueller Besitzposition und notwendigem öffentlich-rechtlichen Zustand, oder aber Bestimmung und Sicherung der Freiheitsverwirklichung eines jeden, hat eine besonders wichtige Implikation. Der Zustand des öffentlichen Rechts im Verhältnis zu dem naturzuständlichen des Privatrechts "enthält nicht mehr, oder andere Pflichten der Menschen unter sich, als in jenem gedacht werden können; die Materie des Privatrechts ist eben dieselbe in beiden. " 144 Das heißt, daß die Hilfspflicht einem anderen gegenüber sich schon privatrechtlich, d. h. in einem fiktiven Naturzustand begründen können lassen muß, und nicht erst als "Staatsaufgabe" oder "Allgemeinwohlbestimmung" in von subjektiver Freiheit unabgeleiteten Zusammenhängen aus einer Verfassung konstruiert werden darf. Gelingt diese privatrechtliche Begründung nicht, so ist der Schluß zwingend, daß dieser Hilfeleistung, wie sie nach dem BSHG vollzogen wird, weder Recht des Bedürftigen noch Pflicht des Vermögenden zugrundeliegt, so daß ein staatliches Sozialhilfewesen Unrecht wäre. Das Gedankenexperiment eines Naturzustands soll argumentativ nicht überdehnt werden. Es ist von Kant lediglich zu Demonstrationszwecken in die Rechtslehre eingeführt worden (eine problematische Annahme mit dem heuristischen Ziel, die Prinzipien, die im bürgerlichen Zustand wirksam sind, besser darstellen zu können). Hervorzuheben sind der Zweck der Eigentumssicherung nach Maßgabe der Schutz- und Tauschgerechtigkeit, und der Zweck der Eigentumsregulation nach Maßgabe der Verteilungsgerechtigkeit Mit der Sozialhilfe/Hilfe zum Lebensunterhalt wird eigentumsregulativ in bestehendes Vermögen über die Steuerlast eingegriffen. Sie müßte sich aus der Gerechtigkeitsform der Verteilungsgerechtigkeit begründen lassen. S. Schlußbemerkung zur Möglichkeit des Eigentums und Vorformulierungen zum Sozialrechtsverhältnis

a) Schlußbemerkung Die vorverständliche Erklärungdes Eigentumsbegriffs-Eigentum ist die Herrschaft der Person über Gegenstände unter Rechtsgesetzen - ist in ihren Begriffselementen weiter erläutert worden. 143 144

Metaphysik der Sitten/Rechtslehre,§ 44, B S. 193. Metaphysik der Sitten/Rechtslehre,§ 41 vorletzter Absatz, B S. 156.

144

B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

Die Person wurde in der Erkenntnistheorie gründend als freiheitliches Willkürsubjekt bestimmt, das in sich ein ethisches Vermögen aus der Idee der Freiheit und des Rechts schöpft. Konsequenz dieses Personenbegriffs ist, daß die Grundlage jeder möglichen positiven Gesetzgebung - und damit jeder geltenden Eigentumsverfassung - an den Personenbegriff rückgebunden ist, sich an der Person begründet und begrenzt. Die Freiheitlichkeit dieses Rechtsbegriffs besteht darin, daß er strikt äußerlich ist, und die Setzung der Willkür in die Gegenständlichkeit nur nach der äußeren Freiheit anderer formal reguliert. Staatlichkeit ist von der Person abgeleitet. Dieser Grundsatz ist Gesetz in den Art. 20 Abs. 2; 1 Abs. 3 GG. Der Gegenstandsbegriff kann allgemein als alles von der Person Verschiedene gefaßt werden 145 . Dieser Begriff möglicher Eigentumsgegenstände ist weit, verträgt aber weder erkenntnistheoretisch noch praktisch-philosophisch eine Eingrenzung bis auf die, daß, wenn der Gegenstand rechtlich erlaßt sein soll, er im interpersonalen Rechtsverhältnis gesetzt, also ein äußerer Gegenstand sein muß. Das bedeutet für sog .•~nnere Gegenstände" des Eigentums, wie z. B. Forderungs- oder geistiges Eigentum, daß sie erklärt oder verkörpert werden, also intersubjektiv verstehbar sein müssen. Der Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt ist als in den §§ 11 I 1; 4 I BSHG die gesetzlich erklärte Selbstverbindlichkeit des Staates zur Leistung an einen bestimmten Personenkreis, und ist damit formal als möglicher Gegenstand des Eigentums erkannt. Im Begriff der Herrschaft der Person über den Gegenstand unter Rechtsgesetzen wurde Person und Gegenstand in ein Verhältnis gebracht. Dieses Verhältnis beruht auf einer mehrschichtigen Begründung. Einerseits geht ihm ein Akt der subjektiven Willkür voraus, in dem sich die Willkür in den Gegenstand setzt. Dieser Akt heißt Erwerb. Andererseits ist dieses Verhältnis als Rechtsverhältnis gegründet in der verwirklichten interpersonalen Vermittlung der äußeren Freiheit des einen mit der des anderen unter öffentlichen positiven Gesetzen. Daß dem rechtlichen Eigentum die allgemeine Vermittlung zugrundeliegt, konnte am Gedankenmodell eines rechtlichen Besitzes im Übergang von einem fiktiven Natur- zu einem wirklichen bürgerlichen Zustand institutioneller Staatlichkeil illustriert werden. Nur im letzteren ist gesicherter Besitz, rechtlich verwirklichtes Eigentum möglich. Eigentum i. S. d. Art. 14 GG setzt also die wirkliche Interpersonalität des Staates voraus, und findet in dieser den Rechtsgrund. Der Gedanke, daß Eigentum gegründet ist im Prozeß wirklicher willkürlicher Gegenstandsformung durch die Subjekte unter einem Gesetz rechtlicher äußerer Freiheit, dynamisiert die Position bestehenden Eigentums und setzt ihn in den Prozeß sozialer Veränderungen. Die Achtung vor bestehender Eigentümerberechtigung steht der Vermittlung dieser Berechtigung mit der äußeren Freiheit anderer gegenüber- nicht widersprüchlich im Sinne eines Gegensatzes fremder unabgeleiteter Positionen, sondern beide Grundsätze einheitlich entwickelt aus demselben Prinzip der notwendig jeder Person beizulegenden äußeren Freiheit zur berechtigten Teilhabe an der Gegenständlichkeit. 145

Metaphysik der Sitten/Rechtslehre§ 7, B S. 68.

II. Die praktische Möglichkeit des Eigentums

145

Der zweite Teil der Eigentumsbegründung, der Verwirklichungsmodus im Erwerb, steht noch aus. Der Erwerb wird unter der Modalkategorie der Wirklichkeit, der Pflicht und des Pflichtwidrigen, erläutert. Kant selbst hat den Erwerb einleitend-zentral in den§§ 10-17 seiner Privatrechtslehre gefaßt. In diesem Begriff sind die Voraussetzungen seiner Privatrechtslehre zusammengezogen und werden auf die Gegenstände der Erfahrung, wie z. B. auf den Boden, angewendet.

b) Vorfonnulierungen zum Sozialrechtsverhältnis

Die negative Formulierung des Gebots, rechtlich zu handeln, lautet: unterlasse Handlungen oder Handlungsformen, welche sich gegen die äußere Freiheit eines anderen - vereinigt mit Dir unter einem allgemeinen Gesetz - richten. Mit dieser "Schadensvermeidungsformel" oder bloßem status negativus der einen Person zu anderen ist der Inhalt des Rechtsbegriffs jedoch noch nicht erschöpft. Positiv läßt sich das Rechtsverhältnis dahingehend formulieren, daß die Person in der Reflexion der Rechtlichkeit des Handeins immer die Möglichkeitsbedingungen einer verwirklichten äußeren Freiheit des anderen miteinbeziehen und sie affirmativ in die Vollzüge des eigenen Handeins mitzusetzen hat. Diese negative und positive Wendung des Gebots rechtlichen Handeins ergibt sich direkt aus dem Begriff des Rechts. Wenn die Freiheit des einen mit der Freiheit des anderen den Rechtsbedingungen nach unter einem allgemeinen Gesetz soll vereinigt werden können, dann setzt das allemal voraus, daß der eine dem anderen in der Totalität seiner Handlungen immer die Möglichkeit zu einer äußeren Freiheit wird belassen müssen - "belassen" heißt primär Nichtschädigung, sekundär Leistung des Daseinsnotwendigen. Das allgemeine Rechtsverhältnis konkretisiert sich in enger Anlehnung an den Sprachgebrauch zum Sozialrechtsverhältnis, wenn es darum geht, die Leistungspflicht des einen gegenüber dem anderen aus dem Faktum einer Bedürftigkeit des anderen heraus zu begründen. Es ist schon ausgemacht, daß staatliche Leistungstätigkeit im Übergang vom Privatrecht zum Öffentlichen Recht bei Kant nur der Reflex der Rechte und Pflichten Privater sein kann. Das geltende Sozialrecht als Teilgebiet des besonderen Verwaltungsrechts reflektiert in diesem Sinne nur die Leistungspflichten eines vermögenden Privaten an einen bedürftigen anderen Privaten, um diesem die Möglichkeit des Daseins in Gemeinschaft mit ihm zu geben. Eine Leistungspflicht bzw. eine Anspruchsberechtigung ist jedoch nur dann indiziert, wenn die Möglichkeit des Daseins des anderen eingeschränkt oder nicht vorhanden ist. Diese Mangelsituation ist subjektiv personal zu bestimmen. Sie ist die subjektive Bedingung, unter der ein Hilfsanspruch erworben werden kann. Der Hilfsanspruch kann umformuliert werden zu einem Teilhabeanspruch an Gegenständlichkeit überhaupt. Teilhabe ist Grundvoraussetzung der Freiheitsver10 SUchring

146

B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

wirklichung, hier treffen sich der status negativus und -positivus aus dem Rechtsbegriff146. Bedürftigkeit als Mangel kann punktuell sein - Mangel an Wohnraum, an Ausbildung, an Kommunikation - und schon in diesem einen Punkt den Bedürftigen aus der Gemeinschaft hebeln, oder sie kann sich umfassend auf alle Lebensbereiche beziehen - wie im Falle desjenigen, der seinen Lebensunterhalt nicht selbst, d. h. aus eigener Kraft oder aus eigenen Versorgungsansprüchen decken kann. Schon in punktueller Bedürftigkeit liegt die Tendenz zum Totalverlust der Möglichkeiten, welche die Gemeinschaft der Vermögenden als Freiheitsverwirklichungschancen bietet. In dem Mangel an Teilhabe einer Person mit der Tendenz, daß diese Person aus der Gemeinschaft herausfällt und in dieser Welt der Gegenstände, deren Produktion und Konsumtion keinen Platz mehr erhält, liegt ein Defizit, welches im Rechtsverhältnis auf Ausgleich drängt, ähnlich wie eine deliktische Handlung oder eine Leistung ohne Rechtsgrund eine fehlerhafte Zuordnung erzeugt, welche Umverteilung erfordert. Im Sozialhilferecht sollen die Güter und die Lasten dieser Umverteilungstätigkeit vom Vermögenden zum Bedürftigen hin gerecht (iustitia distributiva) verteilt werden. Grundsätzlich wird die Verteilung der Güter in einer freiheitlichen Gesellschaft vom Markt vorgenommen durch privatautonomes Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage. Das Sozialhilferecht korrigiert die Problemlagen der Randbereiche einer marktgesteuerten gesellschaftlichen Verteilungstätigkeit Begreift man das Aufeinandertreffen von Angebot und Nachfrage, also den menschlichen Güterverkehr, in seiner ungeformten und ungesteuerten Form - bildlich "Manchesterkapitalismus" - als bloßen Naturprozeß, nicht aus Freiheit, sondern aus Bedürfnis, Trieb und Leidenschaft, so liegt im Sozialhilferecht ein Teil der Emanzipation des Menschen von den in ihm angelegten Naturgewalten des Erwerbstriebs und anderen Lebenszufälligkeilen und -risiken, welche ihn aus dem Markt des Güterverkehrs und damit in einer bürgerlichen Gesellschaft der Marktsubjekte aus seinem Dasein zu drängen drohen (wie z. B. Arbeitslosigkeit und Krankheit). Der Rechtsbegriff und somit der Sozialrechtsbegriff sind gleichgültig gegenüber den Glücksvorstellungen der Personen, welche Lebensperspektive sie verfolgen und in welchen Gegenständen sie ihre Befriedigung suchen. Das Recht ist tolerant gegenüber den Trieben und den Leidenschaften, und es eröffnet in allen seinen Teilordnungen die gesamte Dynamik menschlicher Organisation von Gegenständlichkeit nach Begehr und Belieben unter einem allgemeinen Gesetz der Freiheit mit allen anderen Personen. Diese Toleranz begründet das im Privateigentum fundierte offene System der Arbeitsteilung, Produktion und Konsumtion zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse. Die Grundfigur dieser Bewegungen ist der Erwerb. 146

Haverkate,Görg: .,Rechtsfragen des Leistungsstaats", Tübingen 1983, S. 5ff.

III. Eigentum wird wirklich im Erwerb

147

111. Freiheitsverwirklichung in der Gegenständlichkeit Erwerb und Gebrauch 1. Einleitung und Darstellungsziel

Dem unbefangenen Vorverständnis ist die Wirklichkeit von Eigentum präsent. Es stellt sich dar in der gesellschaftlichen Güterorganisation, im Tausch oder Güterverkehr, im tatsächlichen berechtigten "ln-den-Händen-Halten" eigener Gegenstände, im Gebrauch und Verbrauch der Mittel, kurz, die Wirklichkeit des Eigentums in Berechtigung und Verkehr ist alltägliche Erfahrung. Der Erwerb ist der Verwirklichungsmodus des Eigentums. Erwerb ist die Tatigkeit der Person, mit der diese auf die Gegenständlichkeit, im weitesten Sinne: Auf alles ihr Äußerliche, zugreift und unter einer Idee vereinigter Willen macht, daß der Gegenstand der ihre wird. In dieser Tatigkeit wird der vorpositive Eigentumsbegriff, der sich in intelligibelen Bestimmungen "verliert", mit der Materialität (Wirklichkeit) verbunden 1. Allein diese spezielle Funktion des Erwerbsakts ist Untersuchungsgegenstand dieses Kapitels. In Frage steht die Wirkung, daß eine Person durch Erwerb eines Gegenstandes alle anderen Personen mit Rechtszwang daran hindem kann, diesen Gegenstand für sich zu beanspruchen. Wie ist diese Wirkung des Erwerbs unter Rechtsbegriffen zu denken möglich ?2 Der Begriff der Wirklichkeit erfordert eine erkenntnistheoretische Grundlegung. Die Modalkategorie der Wirklichkeit bekommt bei Kant eine eigene Wendung gegen einen traditionell-vorkantischen Wirklichkeitsbegriff. Gegen diesen ist Wirklichkeit nicht zu verstehen als vom Subjekt gelöste, gleichsam diesem fremde Objektivität, sondern ist das Ergebnis der Wahrnehmung von etwas Gegebenem und der synthetischen Leistung formalen Erkenntnisvermögens a priori - mithin eine subjektsgewirkte Wirklichkeit. In diesem Zusammenhang steht die Wirklichkeit der Freiheit in menschlicher Handlung3. In der praktischen Philosophie übersetzt Kant den Begriff der Freiheit in den der Pflicht. Die Freiheit der Willkür verwirklicht sich in der Maxime einer Handlung, die mit dem kategorischen Imperativ vereinbar ist. Die Idee eines freiheitlichen äußeren Rechtsverhältnisses verwirklicht sich in einer mit dem kategorischen Rechtsimperativ übereinstimmenden äußeren Handlung. Diese Handlung heißt Rechtspflicht, sie steht unter der Notwendigkeit des praktischen Gesetzes.

Vgl. § 10Metaphysik der Sitten/Rechtslehre; B S. 76. Davon zu unterscheiden ist die Frage, warum der Erwerb für die Freiheitsverwirklichung der Person in der Gegenständlichkeit notwendig ist. Diese Frage wird in B. IV. 3. .,Die Notwendigkeit des Erwerbs und des Eigentums - Ausschluß einer eigentumslosen Gesellschaft" behandelt. 3 Zur Wirklichkeit der reinen praktischen Vernunft im moralischen Gesetz s. Heidegger, Martin: .,Vom Wesen menschlicher Freiheit-Einleitung in die Philosophie", Gesamtausgabe Frankfurt/M.I984, Bd. 31, S. 278. t

2

10•

148

B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

Der Erwerb als Akt der Besitznahme ist eine äußere Handlung. Hier ist die Aneignung der Gegenstand der Vorstellung, der durch die Willkür gesetzt wird und handelnd hervorgebracht werden soll. Der Erwerb ist ein Handlungsfaktum, das unter der Idee der Freiheit und des Rechts steht. Es sind grob zu unterscheiden der ursprüngliche und der abgeleitete Erwerb. In diese Typologie ist der Erwerb des Gegenstands "Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt" einzuordnen. In Anwendung der Ermöglichungsbegriffe von Eigentum ist der Rechtsgrund und der Vernunftstitel des Erwerbs aufzuweisen. Erst durch die Rückführung auf die Idee einer vereinigten Willkür a priori ist es möglich, den Erwerbsakt mit der Verbindlichkeit aller anderen, sich des Gebrauchs des erworbenen Gegenstands zu enthalten, zusammenzusetzen, also die Absolutheit des Eigentumsrechts zu begründen. Der Erwerbsakt ist rechtlich, wenn er mit der äußeren Freiheit anderer unter einem allgemeinen Gesetz der Freiheit und des Rechts einhergeht, er begründet nur im Verhältnis verwirklichter vermittelter Interpersonalität rechtlichen Besitz und Eigentum. Der Wirklichkeit der Eigentumsverhältnisse hat Kant kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Die Erscheinungsformen einer entwickelten bürgerlichen Tauschgesellschaft, im positiven Sinne als die einer naturformende Kräfte freisetzenden Produktionsgemeinschaft, im negativen Sinne als die Verelendungstendenzen begünstigende Kapitalansammlungsmöglichkeit für einige Wirtschaftssubjekte, wurden erst augenfällig in der entfesselten Dynamik gesellschaftlicher Bedürfnisse, gesellschaftlicher Arbeitsteilung und Vermögenssammlung mit der Industrialisierung der Produktion im 19. Jahrhundert. Den Prozeß dynamisierter Bedürfnisse, mechanisierter Arbeit und daraus resultierender sozialer Scherung zwischen Arm und Reich hat Hegel in den §§ 189-208 seiner "Grundlinien der Philosophie des Rechts" beobachtet und als Charakter der bürgerlichen Gesellschaft interpretiert. Seine Interpretation ist heute noch aussagekräftig und ist als Ergänzung der Überlegungen Kants hier aufzunehmen. Hegel stellt anschaulich die Instabilität des Prinzips unregulierter Gegenstandsteilhabe dar, wie dieses zu Gunsten einiger und zu Lasten anderer in der bügerlichen Gesellschaft wirken kann. Diese Gedankenführung Hegels leitet über in die Notwendigkeit der Eigentumsregulation.

2. Die Modalkategorie der Wirklichkeit •••

a) .. . in der theoretischen Philosophie ... "Was mit den materialen Bedingungen der Erfahrung (der Empfindung) zusammenhängt, ist wirklich. "4

Ausgangspunkt ist die erkenntnistheoretische Modalkategorie der Wirklichkeit. Der Begriff der Wirklichkeit ist immer zusammenzudenken mit den Erfahrungs4 Kritik der reinen Vernunft, B S. 266; S. 270 a.E.: Empfindung ist die Materie der Erfahrung.

III. Eigentum wird wirklich im Erwerb

149

möglichkeiten erkennender Subjektivität. Außerhalb dieser Möglichkeiten existiert keine Wirklichkeit für das Subjekt. Zu unterscheiden sind die formalen (Möglichkeits-)Bedingungen der Erfahrung, die reinen Verstandesbegriffe, und die materialen Bedingungen der Erfahrung, das vom intelligibelen Subjekt Unterschiedene, diesem Entgegenstehende. Materiale Bedingung der Erfahrung ist der gegenständliche Inhalt, auf welchen die Wahrnehmung und das Denken in ihren formalen Strukturen a priori sich beziehen. Der Zusammenhang mit dem Denken des Inhalts wird durch die Wahrnehmung hergestellt: " . .. die Wahrnehmung aber, die den Stoff zum Begriff hergibt, ist der einzige Charakter der Wirklichkeit." 5

Die Wirklichkeit eines Gegenstands ist dessen Dasein für das erkennende Subjekt. Das setzt allemal die formale Denkmöglichkeit des Begriffs dieses Gegenstands voraus. Dem möglichen Begriff des Gegenstands wird in der Kategorie der Wirklichkeit zusätzlich zu seiner formalen Möglichkeit sein Vorhandensein in der Vorstellung des Subjekts als wahrgenommene Gegenständlichkeit hinzugetan. ,,Das Postulat, die Wirklichkeit der Dinge zu erkennen, fordert Wahrnehmung, mithin Empfindung, deren man sich bewußt ist, zwar nicht unmittelbar, von dem Gegenstande selbst, dessen Dasein erkannt werden soll, aber doch Zusammenhang desselben mit irgendeiner wirklichen Wahrnehmung, nach den Analogien der Erfahrung, welche alle reale Verknüpfung in einer Erfahrung überhaupt darlegen. " 6

Die Wirklichkeit eines Gegenstands kann also durch aktuelle Wahrnehmung belegt werden, oder aber "nach den Analogien der Erfahrung" durch Verknüpfung vorhandener Bewußtseinsinhalte erschlossen werden. Wirklichkeit ist das Resultat eines Wirkungszusammenhangs zwischen Subjekt und Gegenstand, die synthetische Einheit von etwas Gegenständlichem, darauf bezogener Wahrnehmung und verstandesmäßiger Kategorialisierung des Wahrgenommenen. Der Gegenstand ist nur wirklich als Gegenstand meiner Vorstellung. "Ich kann (. ..) äußere Gegenstände nicht wahrnehmen, sondern nur aus meiner inneren Wahrnehmung auf ihr Dasein schließen, indem ich diese als die Wirkung ansehe, wozu etwas Äußeres die nächste Ursache ist."7

Der wirkliche Gegenstand ist immer nur als Wirkung zu erkennen, ohne daß über den wirkenden Gegenstand, die zugrundeliegende Ursache, das "Ding an sich", erkennender Aufschluß möglich wäre. Kritik der reinen Vernunft, B S. 273. Kritik der reinen Vernunft B S. 272. 7 Kritik der reinen Vernunft A S. 368 -dieser Zusammenhang, daß der äußere Gegenstand kein unmittelbar "an sich" wahrgenommener, sondern ein aus der inneren Wahrnehmung erschlossener ist, ergibt den ersten Grundsatz des transzendentalen Idealismus kantischer Prägung. 5

6

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B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

Diese Grundbestimmung faßt Heidegger mit Kant zusammen: "Wirklichkeit begreift Kant als Zusammenhang mit dem, was uns ein Reales, Sachhaltiges zeigt: mit der Empfindung. Nur indem das Vorstellen sich an das hält, was in der zweiten Gruppe der Grundsätze über den Gegenstand gesagt ist, kann über dessen Wirklichkeit entschieden werden."

Die Kategorie der Wirklichkeit behauptet gegenüber der Kategorie der Möglichkeit einen eigenständigen Zusammenhang im Erkenntnisprozeß. "Die bisherige rationale Metaphysik dagegen faßt Wirklichkeit nur als Ergänzung der Möglichkeit im Sinne der Deutbarkeit: existentia als complementum possibilitatis. Damit ist aber noch nichts über die Wirklichkeit selbst ausgemacht. Was rein verstandesmäßig zum Möglichen noch hinzugedacht werden könnte, das ist nur das Unmögliche, aber nicht das Wirkliche. "

Der Begriff der Wirklichkeit ist dabei zu unterscheiden von dem Begriff der Realität. Realität ist das der Wirklichkeit Zugrundeliegende, die Ursache, die auf das Wahrnehmungsvermögen wirkt. "Was Wirklichkeit heißt, erfüllt und bewährt sich uns nur im Verhältnis des Vorstellens zur Begegnung eines Realen der Empfindung. Hier sind wir an dem Punkt, von dem die Mißdeutung des Realitätsbegriffs ausgeht. Weil das Reale, und zwar als Gegebenes, allein die Wirklichkeit eines Gegenstands bewährt, hat man - zu Unrecht - Realität mit Wirklichkeit gleichgesetzt. Realität aber ist nur die Bedingung für die Gegebenheit eines Wirklichen, jedoch nicht schon die Wirklichkeit des Wirklichen." 8

Diese Interpretation erhellt, daß Wirklichkeit nur im Zusammenhang mit Erfahrung zu denken ist und in dieser den Inhalt hergibt. Begriffe der praktischen Philosophie gründen in der Idee der Freiheit, und haben selbst kein gegenständliches Dasein. Eigentum als Rechtsbegriff ist theoretisch und "verliert" sich im Intelligibelen9. Was als "Eigentum" offenbar wird, sind dessen Funktionen: Z.B. Ge- und Verbrauch, Nutzung, Formierung von Gegenständlichkeit im weitesten Sinne. Eigentum ist der rechtliche Ermöglichungsbegriff für eine rechtliche Erwerbsgemeinschaft a priori, hat in dieser Erwerbstätigkeit seine eigene Realität, als dieser immanente Erlaubnis zum Tun. Es ist selbst nicht am Gegenstand erfahrbar, sons Heidegger, Martin: "Die Frage nach dem Ding- Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsätzen", Freiburger Vorlesungen WS 35/36, Gesamtausgabe Frankfurt/M. 1984 Bd. 41, S. 2411242. Vor allem der letzte Satz spiegelt die Unterscheidung in den Gegenstand der Empfindung und den Gegenstand-an-sich. 9 Wie Kant es im § 6 a. E., Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, B S. 67, ausdrückt: "Es darf auch niemanden befremden, daß die theoretischen Prinzipien des Mein und Dein sich im Intelligibelen verlieren und kein erweitertes Erkenntnis vorstellen; weil der Begriff der Freiheit, auf dem sie beruhen, keiner theoretischen Deduktion seiner Möglichkeit fähig ist und nur aus dem praktischen Gesetze der Vernunft (dem kategorischen Imperativ), als einem Faktum derselben, geschlossen werden kann.". Die theoretischen Prinzipien des Mein und Dein sind das Wesen, d. h. die innere Ermöglichung von Eigentum, welches nur aus einer transzendentalen Idee der Freiheit gedacht werden kann.

III. Eigentum wird wirklich im Erwerb

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dem begrifflich ein innerer Gegenstand, ist als solcher deduzierbar und als praktischer Begriff menschliche Praxis überhaupt erst ermöglichend.

b) ... und in der praktischen Philosophie

Die Kategorien der Modalität als "Kategorien der Freiheit" setzen das menschliche Willkürvermögen ins Verhältnis zur praktischen Gesetzlichkeit der Vernunft im kategorischen Imperativ. Die Modalkategorie der Wirklichkeit wird praktischphilosophisch übersetzt in ,,Die Pflicht und das Pjlichtwidrige" 10• Der Pflichtbegriff bei Kant ist vielschichtig und hier nicht in allen Facetten zu beleuchten. Einleitend in seine Metaphysik definiert er: "Pflicht ist diejenige Handlung, zu der man verbunden ist. Sie ist also die Materie der Verbindlichkeit,..... u

Zur Erinnerung: Im erkenntnistheoretischen Sinne wurde die Wirklichkeit als das mit den materialen Bedingungen der Erfahrung Zusammenhängende verstanden. Im Begriff der Pflicht wird das praktische Gesetz mit seiner Materie, mit menschlicher Handlung verbunden. Die Materie des Sollens ist das Gesollte (die Handlung). Die Pflicht ist diejenige Handlung als ethisch geformte Handlung, die unter dem kategorischen Imperativ gesollt ist. Pflicht ist aber nicht die nur gedachte oder vorgestellte Handlung, sondern die vollzogene Handlung, die ihrer Form nach mit dem kategorischen Imperativ übereinstimmt. Wurde zuerst gefragt: Wie und unter welchen Bedingungen ist ein Wille, der sich selbst als allgernein gesetzgebenden Willen will, zu denken möglich und welche Bedingungen gibt er dem Vollzug des Willens auf, so führt der Begriff der Pflicht - die Wirklichkeit des Willens - die Möglichkeit eines Willens und dessen Vollzugs ineins. Rechtspflicht ist die äußere Handlung, die mit dem kategorischen Rechtsimperativ übereinstimmt. ,,Alle Pflichten sind entweder Rechtspflichten (officia iuris), d.i. solche, für welche eine äußere Gesetzgebung möglich ist, oder Tugendpflichten (officia virtutis s. ethica), für welche eine solche nicht möglich ist; .. .'.12

Zu unterscheiden ist das Handeln aus Pflicht, welches die gesetzlich kompatible Maxirnensetzung aus dem Bewußtsein des praktischen Gesetzes heraus meint und die Moralität der Handlung ausmacht, Gegenstand der Tugendlehre; und das Handeln gemäß der Pflicht, welches das gesetzmäßige Handeln meint und die Legalität der Handlung ausmacht, Gegenstand der Rechtslehre, jedoch nur in Bezug auf äußere Handlungen, die in einem sozialen Kontext stehen. In letzterem ist die strikte Rechtszwangsbegründung beschlossen.

Kritik der praktischen Vernunft, A S. 117. u Metaphysik der Sitten/Einleitung, B S. 21. 12 Metaphysik der Sitten/Einleitung, B S. 47.

IO

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B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

In Anwendung des kategorischen Rechtsimperativs auf eine vollzogene Handlung ist in einem Akt der praktischen Urteilskraft die Handlung auf ihre Übereinstimmung mit dem Prinzip des Abgleichs äußerer Freiheit eines jeden mit jedem zu prüfen. Übertragen auf den Eigentumsbegriff ist dieser Prüfung zunächst der Akt der Eigentumsbildung durch den einzelnen in der Wirklichkeit, der Erwerb, vorgelagert. Dem Begriff des Erwerbs sich zu nähern, ist natürlich auch für die weitere Bestimmung des Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt von Bedeutung. Er ist einzuordnen in das System des ursprünglichen und abgeleiteten Erwerbs, und es ist so aus der Perspektive des hilfeberechtigten Bedürftigen zu klären, wie der Anspuch erworben wird. 3. Ursprünglicher und abgeleiteter Erwerb 13

a) Einleitung

Wie erwerbe ich einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt? Die Antwort auf diese Frage könnte kurz in einem Hinweis auf die Anspruchsvoraussetzungen des § 11 I 1 BSHG bestehen. Damit wäre jedoch nicht die innere Struktur des Erwerbens erschlossen und der Erwerbsbegriff als Rechtsbegriff nicht hinreichend geklärt. Ausgehend vom intelligibelen Personenbegriff und dem weiten Gegenstandsbegriff ist grundlegend festzuhalten : ,,Nichts Äußeres ist ursprünglich mein;... '.1 4 , alles Äußere muß erworben werden. Allein die Freiheit als das Selbstgrundsein der Person in sich ist das".. .ursprüngliche, jedem Menschen, kraftseiner Menschheit, zustehende Recht. " 15, -Freiheit als Vermögen zur Selbstgesetzlichkeit ist der innere "Gegenstand", demgegenüber alles äußere, der Person gegen-stehende, phänomenale, erst erworben werden muß: ,,Das angeborene Mein und Dein kann auch das innere (meum vel tuum intemum) genannt werden; denn das äußere muß jederzeit erworben werden. " 16 Erwerb ist die Handlung, in der sich die Person auf den Gegenstand bezieht und ihn zu sich in ein Verhältnis bringt, welches allen anderen Personen die Verbindlichkeit auferlegt, sich des Gebrauchs dieses Gegenstands zu enthalten. Im Faktum des Erwerbs verwirklicht sich der Eigentumsbegriff a priori. Das vollzieht sich in drei Momenten. Erstens, "Was ich (nach dem Gesetz der äußeren Freiheit) in meine Gewalt bringe, ...", zweitens, " . . .und wovon, als Objekt meiner Willkür; Gebrauch zu machen ich (nach dem Postulat der praktischen Vernunft) das Vennögen habe, ... ", und drittens, " .. .endlich, was ich (gemäß der Idee 13 Dazu Kühl, Kristian: "Eigentumsordnung als Freiheitsordnung" Freiburg 1984, S. 178ff.; Langer, Claudia: "Reform nach Prinzipien", Stuttgart 1986, S. 163ff.; zum ursprünglichen Erwerb des Bodens bei Kant s. Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, §§ 12ff. 14 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, § 10 B S. 76. 15 Metaphysik der Sitten/Einleitung in die Rechtslehre, B S. 45. 16 Metaphysik der Sitten/Einleitung in die Rechtslehre, B S. 45.

III. Eigentum wird wirklich im Erwerb

153

eines möglichen vereinigten Willens) will, es solle mein sein, das ist mein. " 17 - das ist wirklich mein.

Einen Gegenstand in meine Gewalt bringen heißt, die tatsächliche Herrschaft über ihn gewinnen. Dies geschieht über eine nicht notwendig unmittelbare raumzeitliche Nähe zum Gegenstand. Eine Besonderheit im ersten Moment der Eigentumsverwirklichung ist der Verweis auf den kategorischen Rechtsimperativ. Schon in diesem ersten Schritt wird deutlich, daß die Erlangung tatsächlicher Herrschaft nicht unter Verletzung der äußeren Freiheit anderer geschehen darf. In diesem ersten Hinweis sind die nächsten zwei Momente schon beschlossen. Zunächst ist zu erinnern, daß der Erwerb eines Gegenstands überhaupt erlaubt, d. h. praktisch möglich sein muß. Das Postulat der praktischen Vernunft, daß es möglich sein muß, gewann sich aus dem Argument, daß ohne berechtigte Gegenstandsteilhabe ein Willkürgebrauch und die Vernunft in praktischer Hinsicht insgesamt unmöglich würde. Jeder Erwerb und damit jedes wirkliche Eigentum setzt die Möglichkeit berechtigter Teilhabejedermanns voraus. Das Begründungsniveau theoretisch und praktisch fundierter Interpersonalität eröffnet der dritte Schritt, welcher den Erwerbsakt unter die Idee einer möglichen vereinigten Willkür setzt. Faktische Gegenstandsmacht hat sich dieser Idee gemäß zu organisieren. Nochmals wird deutlich, daß das Rechtsverhältnis in Ansehung der Gegenständlichkeit auf idealer Interpersonalität beruht, die als verwirklichte Interpersonalität im bürgerlichen Zustand sich als Gemeinschaft der Eigentümer konstituiert. Damit ist zudem ausgesagt, daß rechtlicher Erwerb unter der Idee öffentlicher Gerechtigkeit und deren besonderer Form, der Verteilungsgerechtigkeit (nach der ,,Notwendigkeit des Besitzes der Gegenstände" 18) steht. Der dreigliedrige Grundsatz ist das allgemeine Prinzip aller äußeren Erwerbung. Der Erwerb des Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt steht unter diesen Kriterien. Der Anspruch muß faktisch eingefordert (geltend gemacht) werden, er muß ein möglicher Eigentumsgegenstand sein (was oben hinreichend dargelegt wurde19) und der Erwerb des Anspruchs muß vereinbar mit der Idee eines vereingten Willens, der Idee einer öffentlichen Gerechtigkeit I Verteilungsgerechtigkeit sein. Im Erwerbsbegriff sind zu unterscheiden, je nach dem, ob das Eigentum am Gegenstand von anderen abgeleitet ist oder nicht, der ursprüngliche und der abgeleitete Erwerb.

17

18 19

Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, § 10 B S. 77. Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, § 41 B S. 154. s.o. B. li. 3.

154

B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

b) Der ursprüngliche Erwerb

Ursprünglich ist der Erwerb, der ein Akt einseitiger Willkür ist und damit nicht das Eigentum am Gegenstand von der Willkür eines anderen ableitet. Dieser Erwerb heißt auch "Bemächtigung"20• Positivrechtliches Beispiel ist die Aneignung gern. den §§ 958ff. BGB: "Wer eine herrenlose Sache in Eigenbesitz nimmt, erwirbt das Eigentum an der Sache.", § 958 I BGB. Auch die Schöpfung eines urheberrechtlich geschützten Werkes, die Entwicklung einer neuen technischen, patentrechtlich schützbaren Idee ist ein ursprünglicher Erwerb als Zugriffe menschlicher Intelligenz auf das Feld denkerischer Möglichkeiten. Hier wird durch einen einseitigen Akt der Willkür allen anderen Rechtssubjekten eine Verbindlichkeit auferlegt, sich des Gebrauchs der Sache zu enthalten. Das gilt gleichermaßen für Sach- und für geistiges Eigentum. Eine solche interpersonale Wirkung läßt sich nur damit erklären, daß die einseitige Willkür eines Vernunftwesens für sich selbst Glied transpersonaler Allgemeinheit ist, an der Idee eines Rechts der Menschheit teilhat und diese Idee sich in jedem rechtlichen Willkürakt verwirklicht. Kant erklärt die ursprüngliche Erwerbung in heute noch gültiger Weise21 • Sie enthält drei Elemente "1. die Apprehension eines Gegenstands, der keinem angehört, (...). Diese Apprehension ist die Besitznehmung des Gegenstands der Willkür in Raum und der Zeit; der Besitz also, in dem ich mich setze, ist sensibler Besitz (possessio phänomenon)."

Vorausgesetzt ist eine faktische Handlung, mit der die Person sich in der Erscheinungswelt in Beziehung zum Gegenstand setzt. Dieses allein begründet jedoch noch keine Verbindlichkeit anderer. Hinzukommen muß noch die Kenntlichmachung, daß der Gegenstand der Meine sein soll. "2. Die Bezeichnung (declaratio) des Besitzes dieses Gegenstandes und des Akts meiner Willkür, jeden anderen davon abzuhalten." -

der Erwerb ist nur dann interpersonal bedeutsam, wenn er für andere verstehbar ist. Das ist - wie oben dargestellt - besonders für geistiges Eigentum von Bedeutung. Als rechtlicher Akt ist die Bemächtigung nur dann zu qualifizieren, wenn sie übereinstimmt mit Idee eines vereinigten Willens aller. "3. Die Zueignung (appropriatio) als Akt eines äußerlich allgemein gesetzgebenden Willens (in der Idee), durch welchen jedermann zur Einstimmung mit meiner Willkür verbunden wird.".

Der Anspruch auf Hilfe in Notlagen entsteht vorpositiv unabhängig von der Selbstverbindung der verfaßten Allgemeinheit, wie sie im § 11 I 1 BSHG formu2o 21

Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, § 10 B S. 78. Metaphysik der Sitten/Rechtslehre,§ 10 B S. 77178.

III. Eigentum wird wirklich im Erwerb

!55

liert ist. Er leitet sich nicht ab von der Erklärung irgendeiner Person, Hilfe leisten zu wollen, sondern fällt dem Bedürftigen ursprünglich kraft Notlage gegen den Vermögenden zu. Demgegenüber wird die Hilfe selbst, die Mittel also, mit denen der Notlage begegnet wird, abgeleitet erworben durch die Einigung, daß das Eigentum an den Hilfsgütem (Geld- oder Sachleistungen) auf den Bedürftigen übergehen soll.

c) Der abgeleitete Erwerb

Der ursprüngliche Erwerb ist notwendig immer ein Akt einseitiger Willkür des Erwerbenden, als rechtlicher und eigentumsbegründender Erwerb eingebunden in einem wirklichen Verhältnis allgemeiner Willensvermittlung. Demgegenüber setzt der abgeleitete Erwerb immer einen Akt der Willkür desjenigen voraus, von dem erworben wird (Veräußerer). Es sind zu unterscheiden: - der Erwerb durch einseitigen Willkürakt des Veräußerers, hier wird der Gegenstand allein durch die Willkür des Veräußerers das Seine eines anderen; Ein positivrechtliches Beispiel für diesen ersten Fall ist die Auslobung des § 657 BGB: "Wer durch öffentliche Bekanntmachung eine Belohnung für die Vornahme einer Handlung, insbesondere für die Herbeiführung eines Erfolges, aussetzt, ist verpflichtet, die Belohnung auch demjenigen zu entrichten, welcher die Handlung vorgenommen hat, auch wenn dieser nicht mit Rücksicht auf die Auslobung gehandelt hat. ". Führt also jemand den Erfolg herbei, so erwirbt er damit noch nicht die Belohnung selbst. Was er durch die Herbeiführung des Erfolges erwirbt, ist der Besitz der Willkür des Auslobenden dahingehend, daß er von ihm die Leistung der Belohnung verlangen kann - er erwirbt also die Forderung aus § 657 BGB durch I) die einseitige Willenserklärung des Auslobenden, die in der öffentlichen Bekanntnmachung besteht; und 2) durch die Erfüllung der in der Bekanntmachung verlangten Voraussetzungen (Realakt). Zwar kann man im Falle des § II I I BSHG nicht davon sprechen, daß Hilfe zum Lebensunterhalt eine Belohnung und Bedürftigkeit ein herbeizuführender Erfolg sind, aber als einseitige Verpflichtungserklärung in öffentlicher Bekanntmachung ist die Sozialhilfe der Auslobung nach § 657 BGB strukturell gleich. Trotzdem ist der § II I 1 BSHG von der Auslobung zu unterscheiden. § 11 I 1 BSHG ist Ausdruck einer vorpositiv-ursprünglichen Berechtigung des Bedürftigen, die im Falle einer Auslobung nicht besteht, sondern abgeleitet vom Erklärenden durch die Willenserklärung erst entsteht.

der Erwerb durch doppelseitigen Willkürakt auf Seiten des Erwerbers und des Veräußerers, hier wird der Gegenstand durch die übereinstimmenden Willenserklärungen von Veräußerer und Erwerber das Seine des Erwerbers. Der häufigste Fall der zweiten Gruppe ist der Vertrag. Der einfache Fall ist die dingliche Verfügung über einen Gegenstand, dernach der Veräußerer und der Erwerber darüber einig sind, daß das Eigentum am Gegenstand auf den Erwerber übergehen soll. ,,Die Übertragung seines Eigentums an einen anderen ist die Veräußerung. Der Akt der vereinigten Willkür zweier Personen, wodurch überhaupt das Seine des einen auf den anderen übergeht, ist der Vertrag."22 Kant hat das zivilrechtliche Abstraktionsprinzip, die Unterschei-

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B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

dung zwischen schuldrechtlichem Versprechen und dinglicher Verfügung, mitgedacht "Eine Sache wird in einem Vertrage nicht durch Annehmung (acceptatio) des Versprechens, sondern nur durch Übergabe (traditio) des Versprochenen erworben. " 23 Im kantischen Sprachgebrauch erwirbt man durch das vertragliche Versprechen ein "persönliches Recht" an der Willkür des anderen, diesen zu einem Handeln, Dulden oder Unterlassen bestimmen zu dürfen24 . Der vertragliche Erwerb setzt Willkürakte auf Seiten des Erwerbers und des Veräußerers voraus, ist also mindestens ein zweiseitiger Erwerb, bei dem sich jedoch Erwerber- und/oder Veräußerermehrheiten gegenüberstehen können. Der Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt ist ein gesetzlich gewährter Anspruch, hier findet sich auf Veräußererseite also die verfaßte Willkür aller, auf der Erwerberseite der einzelne Bedürftige. Auch von einem abgeleiteten Erwerb durch Vertrag ist der § 11 I 1 BSHG streng zu unterscheiden.

Auch der Erwerb von der verfaßten allgemeinen Willkür, der Erwerb vom Staat25 , ist ein abgeleiteter Erwerb. Sozialrechtliche Ansprüche - subjektive öffentliche Rechte ! - richten sich sämtlich gegen den Staat. Im Normalfall sind sie der obigen zweiten Fallgruppe zuzuordnen, da sie einen Antrag des Berechtigten voraussetzen. Der Antrag ist die Willenserklärung des Berechtigten, das soziale Recht in Anspruch nehmen zu wollen. Die Forderung gegen den Leistungsträger entsteht erst mit der Antragstellung, diese begründet das Leistungsverhältnis - siehe z. B. § 46 I BAFöG. Demgegenüber gilt im Sozialhilferecht das Spontaneitäts- oder Offizialprinzip des § 5 BSHG: "Die Sozialhilfe setzt ein, sobald dem Träger der Sozialhilfe oder dem von ihm beauftragten Stellen bekannt wird, daß die Voraussetzungen für die Gewährung vorliegen. " Sozialhilfe setzt also keinen Antrag voraus. Die Einteilung in ursprünglichen und abgeleiteten Erwerb konnte also verfeinert werden: der ursprüngliche Erwerb ist immer ein einseitiger Willkürakt des Erwerbenden, der abgeleitete Erwerb setzt immer einen Willkürakt des Veräußerers voraus, entweder einseitig (Beispiel: Auslobung), oder zweiseitig auch die Einstimmung des Erwerbers voraussetzend (Vertragliche Ansprüche, gesetzliche Ansprüche unter Antragserfordernis). Diese Einteilung geht ,,Nach dem Rechtsgrund (titulus) der Erwerbung; welches eigentlich kein besonderes Glied der Einteilung der Rechte, aber doch ein Moment der Art ihrer Ausübung ist: entweder durch den Akt einer einseitigen, oder doppelseitigen, oder allseitigen Willkür, wodurch etwas Äußeres (facto, pacto, lege) erworben wird." 26 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, B S. 98. Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, § 21, B S. 103. 24 Vgl. wieder die Legaldefinition des § 194 I BGB für "Anspruch": .,Das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen ... ". 25 In dieser Redeweise ist mit "Staat" nicht der Staat als Idee einer verwirklichten intersubjektiven Freiheit gemeint, sondern der empirische Sammelbegrifffür alle Institutionen der Exekutive, Körperschaften des öffentlichen Rechts, welche mit der Leistungsverwaltung (Sozialhilfe) befaßt sind. 26 Metaphysik der Sitten, § 10 a.E. B S. 79/80. 22 23

111. Eigentum wird wirklich im Erwerb

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Der Erwerb von allseitiger Willkür geschieht durch Gesetz (lege). Der Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt wird ursprünglich erworben und durch das Gesetz ausgestaltet. Im § 11 I 1 BSHG ist die wirkliche interpersonale Vennittlung des Erwerbs, wie sie zur Eigentumsbegründung notwendig ist, in einer republikanisch verfaßten Staatlichkeit notwendig impliziert. Die Wirklichkeit des Eigentums setzt wirkliche Willensvennittlung voraus - diese gibt erst den "Vemunfttitel" des Erwerbs. 4. Der Vernunfttitel des Erwerbs27

Rechtlicher Erwerb gesicherten Eigentums ist nur im bürgerlichen Zustand möglich. Der bürgerliche Zustand muß erworben und gesichert werden. Der Erwerb des bürgerlichen Zustands ist allem rechtlichen Erwerb vorausgesetzt. ,,Indessen ist die erste Erwerbung doch darum so fort nicht die ursprüngliche. Denn die Erwerbung eines öffentlich rechtlichen Zustandes durch Vereinigung des Willens aller zu einer allgemeinen Gesetzgebung wäre eine solche, vor der keine vorhergehen darf, und doch wäre sie von dem besonderen Willen eines jeden abgeleitet und allseitig: da eine ursprüngliche Erwerbung nur aus einem einseitigen Willen hervorgehen kann." 28

Der Erwerb eines bürgerlichen Zustands ist ein abgeleiteter Erwerb, den die Personen je abgeleitet voneinander als ihnen äußerlicher Gegenstand (Gemeinschaft mit anderen) erwerben. Das ist ein bemerkenswerter Akzent im Argumentationsgang der Besitzlehre Kants. Aus dem lediglich problematisch angenommenen Naturzustand ohne geschichtliche Faktizität heraus wird der bürgerliche Zustand "erworben" - auch diesem Erwerb kann nur der Status einer problematischen Annahme zukommen, welche der Wirklichkeit verfaßter Staatlichkeit zugrundeliegt Damit wird jedoch deutlich, daß mit dem Übergang in den bürgerlichen Zustand das Recht (das somit zum Eigentum der Person zählen müßte) an anderen Personen erworben wird, daß diese sich dem Rechtsimperativ gemäß verhalten. Ihr liegt zugrunde die "Idee einesapriorivereinigten (notwendig zu vereinigenden) Willens 29 aller(... ), welche hier als unumgängliche Bedingung (condicio sine qua non) stillschweigend vorausgesetzt wird; denn durch einseitigen Willen kann anderen eine Verbindlichkeit, die sie für sich sonst nicht haben würden, nicht auferlegt werden. " 30 27 Dazu Kühl, Kristian: "Eigentumsordnung als Freiheitsordnung" Freiburg 1984, S. 203ff.; Langer, Claudia: "Reform nach Prinzipien", Stuttgart 1986, S. l65ff. 28 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, § 10 B S. 78/79. 29 Des Willens und nicht der Willkür - hier wird die reine praktische Vernunft selbst in ihren gegenständlichen Bezügen als notwendig vereinigte gedacht und nicht das gegenstandsmächtige Begehrungsvermögen nach Begriffen "Willkür" - der Vernunfttitel des Erwerbs "verliert" sich -ganz entsprechend zum intelligibelen Besitz -im Intelligibelen. 30 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, § 15, B S. 86.

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B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

Die Idee eines vereinigten Willens aller subsumiert den Einzelnen unter die Gattungsbegriffe der Vernunftsubjektivität und der Rechtspersonalität. Die Idee eines vereinigten Willens gibt den Vernunfttitel rechtlichen Erwerbs ab, begründet den Erwerb im System der praktischen Vernunft. Die Idee eines vereinigten Willens a priori ist das normative Prinzip rechtlicher Organisation von Zwischenmenschlichkeit "Ein Staat ist die Vereinigung einer Menge unter Rechtsgesetzen. So fern diese als Gesetze a priori notwendig, d.i. aus Begriffen des äußeren Rechts überhaupt von selbst folgend (nicht statutarisch) sind, ist seine Form die Idee eines Staates überhaupt, d.i. der Staat in der Idee, wie er nach reinen Rechtsprinzipien sein soll, welche jeder wirklichen Vereinigung zu einem gemeinen Wesen (also im Inneren) zur Richtschnur (norma) dient." 31

Dieses normative Prinzip übersetzt Kant bis in seine Institutionenlehre der Gewaltenteilung32 und in das Staatsformmerkmal "Republik". So versteht Kant in der Vereinigung der drei institutionalisierten Gewalten Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung im Staate dessen "Heil", was er als "den Zustand der größten Übereinstimmung der Verfassung mit Rechtsprinzipien" erklärt, "als nach welchen zu streben uns die Vernunft durch einen kategorischen Imperativ verbindlich macht"33 . Gewaltenteilung und Staatsform stehen also im direkten Ableitungszusammenhang mit der Idee einer vereinigten Willkür a priori, die als praktische Vernunft will, daß sich der bürgerliche Zustand so organisiere. Rechtliche Organisation von Zwischenmenschlichkeit in Ansehung der Gegenständlichkeit verwirklicht sich in den Eigentumsverhältnissen. Die faktischen Eigentumsverhältnisse gründen und begrenzen sich in diesem intelligibel die Wirklichkeit regulierenden (normativ bedingenden) Prinzip vereinigter Willkür a priori34. "Nun ist die Weglassung, oder das Absehen (Abstraktion) von diesen sinnlichen Bedingungen des Besitzes, als eines Verhältnisses der Person zu Gegenständen, die keine Verbindlichkeit haben, nichts anders als das Verhältnis einer Person zu Personen, diese alle durch den Willen der ersteren, so fern er dem Axiom äußerer Freiheit, dem Postulat des Vermögens und der allgemeinen Gesetzgebung des a priori als vereinigt gedachten Willens gemäß ist, in Ansehung des Gebrauchs der Sache zu verbinden, welches also der intelligibele Besitz derselben, d.i. der durchs bloße Recht, ist, obgleich der Gegenstand (die Sache, die ich besitze) ein Sinnenobjekt ist."3s Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, § 45, B S. 194/195. Metaphysik der Sitten/Rechtslehre,§ 45, B S. 195. 33 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre,§ 49 a.E., B S. 203. 34 Die Idee des vereinigten Willens, also der Vernunfttitel des Erwerbs, ist "einschränkende Bedingung der Besitznehmung als einer Austheilung durch den gemeinschaftlichen Willen", Gesamtausgabe der Peuß. Ak. d. Wiss. Band 23, S. 223. In dieser Sentenz wird von Kant die Besitznehmung - ein Akt der partikularen Willkür - der Idee nach mit einer Verteilung durch die praktische Vernunft selbst in ihren gegenständlichen Bezügen ineins gesetzt, der Akt der Willkür wird rechtlich begründet und begrenzt durch die Sollensordnung der praktischen Rechtsvernunft, unter den er notwendigerweise zu subsumieren ist. 31

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III. Eigentum wird wirklich im Erwerb

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Wirklich gesicherter Eigentumserwerb hat seinen Vernunftsgrund in der Idee eines vereinigten Willens a priori36, welche auf die wirklichen Besitzverhältnisse angewendet wird37 • Jeder Rechtsposition an Gegenständen ist dieses normative Prinzip inhaltlich vorausgesetzt und ist durch es reguliert38 . Wirkliches Eigentum ist nur in diesem Ableitungszusammenhang begreiflich. 5. Die Dynamik des Eigentums in der bürgerlichen Gesellschaft

Im bürgerlichen Zustand treten die Personen aus der naturzuständlichen Wechselwirkung in verrechtlichte Gemeinschaft miteinander. Diese Gemeinschaft ist bestimmt u.a. durch die Bedürfnisse der einzelnen, die sich als willkürlich gesetzte Metaphysik der Sitten/Rechtslehre,§ 17, B, S. 93. Langer, Claudia: "Reform nach Prinzipien", Stuttgart 1986, S. 166 erkennt in der Idee einer vereinigten Willkür eine ,,kontraktualistische" Eigentumsbegründungsposition Kants in der kantischen Konzeption des Ideenbegriffs und des Gedankens eines vereinigten Willens überwiegen jedoch die Unterschiede zu den klassischen Vertragstheorien, nach denen Staat und Eigentum konstitutiv durch Vertrag begründet wurden. Die Idee bei Kant ist demgegenüber ein bloß regulativer Begriff und eben nicht konstitutiv (Eigentum wird konstituiert durch den Akt des Erwerbs) und so verhält es sich auch mit der Idee eines vereinigten Willens, welche zwar eine notwendige Annahme der praktisch-vernünftigen Spekulation ist, jedoch nur regulative und nur in der Regulation Wirklichkeit hat. Man wird also von einer vernunftrechtlichen Eigentumsbegründung bei Kant in Abgrenzung zu sog. Vertragstheorien sprechen müssen. Die Figur eines vereinigten Willens hat in ihr nur heuristische Funktion. 37 Im Sinne einer unendlichen Transformation bestehender Eigentumsordnungen, Langer, Claudia: "Reform nach Prinzipien", Stuttgart 1986, S. 168, in welcher jede positive Bigenturnsordnung unter dieser Idee eines vereingten Willens provisorisch ist. Movens dieser Transformation sind die immer neu hinzutretenden Menschen, die Dynamik des Eigentumsverkehrs und die notwendig asymptotisch-infinitesimale Annäherung der wirklichen Verhältnisse an einen idealen Zustand gerechter Güterverteilung, Langer, S. 171. 38 Aus diesem Grundzusammenhang und dem Gedanken eines ursprünglichen Gesamtbesitzes glaubt Langer, Claudia: "Reform nach Prinzipien", Stuttgart 1986, S. 168, ein materiales Gerechtigkeitsprinzip in der kantischen Rechtsphilosophie schließen zu können: "Der hier explizite Gedanke einer grundsätzlichen Gleichberechtigung aller Menschen hinsichtlich ihrer materiellen Ansprüche, zumindest des Anspruchs auf Existenzsicherung, findet sich auch an anderen Stellen in Kants Werk. ". Schon jetzt auf dem Boden des regulativen Begriffs von einer Idee eines vereinigten Willens läßt sich sagen, daß hieraus kein materiales Gerechtigkeitsprinzip wird folgen können, sondern immer nur ein formales. Die Teilhabeansprüche einer Person gegen die Gemeinschaft werden sich immer nur in Relation zum Produktionsund Konsumtionsniveau einer bürgerlichen Gesellschaft unter Heranziehung von Zumutbarkeitskriterien bestimmen lassen und nicht absolut-material mit dem Hinweis auf die Existenzsicherung. Im Fall extremer Knappheit wird selbst das biologisch Erforderliche zu versagen sein - wo nichts zu verteilen ist, kann nichts verteilt werden - die dem Grunde nach bestehenden Ansprüche sind der Höhe nach auf Null reduziert. Es besteht jedoch ein Anspruch auf ein gerechtes Verteilungsverfahren, welches jedem zumindest eine Chance zum Dasein beläßt, auch wenn sich diese Chance nicht notwendig realisieren muß. In zugespitztester Situation ist aber auch diese Chance demjenigen zu verweigern, der auf die Priorität der Aneignung eines anderen am knappen lebensnotwendigen Gut trifft. 35

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B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

Zwecke einerseits, andererseits als objektive Notwendigkeiten der biologisch-sozialen Daseinserhaltung darstellen 39. ,,Die Art des Bedürfnisses und der Befriedigung"40 hat Hegel beobachtet und interpretiert. Kant selbst hat den wirklichen Verhältnissen des Eigentums und seiner Verteilung kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Ein Rückgriff auf die Arbeit Hegels ist trotz der systematischen Unterschiede in der Darstellung (welche inhaltliche Unterschiede reflektieren) zulässig, weil sich bei Hegel das Programm einer Rechtsphilosophie gründend auf und systematisch ausgehend von personaler Willensfreiheit wiederholt. Der Begründungszusammenhang der Kantischen Philosophie wird im folgenden nicht eigentlich verlassen41 , trotzdem hat die Darstellung den Charakter eines Exkurses. Es ist ,,das Vernünftige, daß ich Eigentum besitze;(. ..) Was und wieviel ich besitze, ist (...) eine rechtliche Zufälligkeit. " 42 Zufall bedeutet freilich auch die faktisehe Möglichkeit freiheitswidriger Zustände. Hegel erklärt "Bedürfnis" zunächst als Differenz zwischen subjektivem Setzungswillen, bezogen auf die Gegenständlichkeit, und tatsächlicher Gegenstandsmacht. Die Mittel zur Befriedigung der Bedürfnisse werden in der Gegenständlichkeit gefunden, und die Art und Weise, wie das Bedürfnissubjekt sich die Mittel aneignet, für sich verfügbar macht, ist die Tätigkeit und Arbeit des Subjekts "als das die beiden Seiten"-Bedürfnis und Gegenständlichkeit-" Vermittelnde"43 . Die objektiven Notwendigkeiten der Daseinshaltung- Luft, Licht, Wasser, Nahrung, Wärme - diktieren aus der biologischen Existenz des Menschen heraus die Grundbedürf39 Hege!, Grundlinien der Philosophie des Rechts (Grundlinien der Philosophie des Rechts) § 194 l.Hs. 40 Hege!, Grundlinien der Philosophie des Rechts §§ 190ff. 41 Zum Verhältnis der praktischen Philosophie Kants zur Rechtsphilosophie Hegels s. Ritter, Joachim: "Moralität und Sittlichkeit- Zu Hegels Auseinandersetzung mit der kantischen Ethik" in Riede!, Manfred (Hrsg.): "Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie", Frankfurt/M.1975, S. 217ff. Ritter weist zutreffend als Parallele zwischen der kantischen und der hegelschen Doktrinen nach, daß in beiden die Unterscheidung zwischen Moralität und Legalität der Handlungen getroffen wird und durch das Recht die Äußerlichkeit der Handlungen im zwischenpersonalen Verhältnis strukturiert wird. Sodann behauptet Ritter (S. 238) jedoch, Kant habe die Ethik vom Recht getrennt und Hege! habe beide wieder zusammengeführt, was irgendeinen Unterschied zwischen den Gedankengängen machen soll. Die These, Kant habe die Rechtslehre von der Ethik getrennt, ist hinsichtlich der unterschiedlichen Gegenstandshereiche richtig (und ist eine zutreffende Unterscheidung Kants, welche auch von Hegel aufgenommen wird), vom Standpunkt des ethisch reflektierenden Subjekts aus (auf den es allein ankommt und von dem auch Hege! in seinen ersten Bestimmungen ausgeht) ist diese These unzutreffend. Recht und Ethik ist im reflektierenden Bewußtsein des Subjekts bei Kant zunächst ineins gesetzt, denn Rechtzubandein ist eine Forderung, welche die Ethik an mich stellt. Eine unrechtliehe Handlung, welche ethisch ist, ist in der kantischen Doktrin nicht denkbar. Im Begriff der vollkommenen Pflicht, welche nur eine Rechtspflicht sein kann, ist der Zusammenhang zwischen Ethik und Recht bei Kant noch pointierter vorgestellt: Ohne Befolgung der vollkommenen Pflichten (gegen sich und andere) ist der Person ein Dasein in Freiheit, das heißt: Eine moralische Existenz, nicht möglich. 42 Hege!, Grundlinien der Philosophie des Rechts § 49 S. 1 u.2. 43 Hege!, Grundlinien der Philosophie des Rechts§ 189 S. 1.

ill. Eigentum wird wirklich im Erwerb

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nisse, von deren Befriedigung der Mensch als homo phaenomenon objektiv abhängig ist, um sich an sich im Dasein zu erhalten. Die Intelligenz des Menschen abstrahiert von diesen Grundbedürfnissen weitere subjektive Zwecke, z. B. die der Bequemlichkeit, der Sicherheit oder des guten Geschmacks44. In diesem Abstraktionsverfahren entwickeln sich die Bedürfnisse vom objektiv (durch die biologische Existenz in dieser Welt) gegebenen zum willkürlich Gesetzten. Sie zergliedern und teilen sich, die Entwicklung eines neuen Bedürfnisses erfordert neue Mittel zu seiner Befriedigung, diese Mittel stellen wieder neue Bedürfnisse dar, welche wieder neue Mittel erfordern, usf. "eine ins Unendliche fortgehende Vervielfältigung, welche in eben dem Maße eine Unterscheidung dieser Bestimmungen und Beurteilung der Angemessenheil der Mittel zu ihren Zwecken- die Veifeinerung ist."45 Im interpersonalen Verhältnis wechselseitiger Bezüglichkeit werden die Bedürfnisse, ob subjektiv-zufällig oder objektiv abstrakt notwendig, zu einem Dasein für andere und damit zu einer materialen Bedingung der Gemeinschaft46. Diese Bedingung erzwingt unter der vorausgesetzten Gleichheit aller Anerkennung der Bedürfnishaltung des je anderen. Die Anerkennung geht sowohl auf die objektiv-naturnotwendig induzierten Bedürfnisse wie auf die willkürlich gesetzten Zwecke. Im Verhältnis wechselseitiger Erweiterung und Verallgemeinerung in der Gemeinschaft werden die bloß partikularen subjektiven Bedürfnisse zu gesellschaftlichen Bedürfnissen, die sich im Prozeß der Verfeinerung der Bedürfnisse und der Mittel zu ihrer Befriedigung von der naturzufälligen Existenzgrundlage immer weiter abstrahieren, so "daß die strenge Naturnotwendigkeit des Bedürfnisses versteckt wird und der Mensch sich zu seiner; und zwar allgemeinen Meinung und einer nur selbstgemachten Notwendigkeit, statt nur zu äußerlicher; zu innerer Zufälligkeit, zur Willkür verhält. " 47 In diesem Prozeß liegt die ,formelle Befreiung"48 des Subjekts von der vorgegebenen Notwendigkeit der Naturbedürfnisse und übersetzt die Bedürfnishaltung des einzelnen in das Gewillkürte, aus eigenem Antrieb gesetzte. Inhalt der Bedürfnishaltung bleibt jedoch der Bezug zur Gegenständlichkeit, und die Qualität des Gegenstands der Vorstellung, ein willkürlich gesetzter zu sein, ist lediglich dessen formale Bestimmung in einem verfeinerten Bedürfnis (eine neue Qualität49), die gleich den naturnotwendigen Bedürfnissen auf die materialen Bedingungen des Daseins geht. Der Prozeß der Verfeinerung der Bedürfnisse und der Arten ihrer Befriedigung ist ein Vorgang der Emanzipation der Person zur unvernünftigen Natur und deren Zufälligkeit, in welchem die Person die objektive Notwendigkeit der Daseinshaltung zu ihrem willkürlich gesetzten Zweck macht. 44 45

46 47 48 49

Hege!, Grundlinien der Philosophie des Rechts§ 190 S. 2. Hege!, Grundlinien der Philosophie des Rechts § 191. Hege!, Grundlinien der Philosophie des Rechts § 192 S. 1 und 2. Hege!, Grundlinien der Philosophie des Rechts§ 194. Hege!, Grundlinien der Philosophie des Rechts§ 195 S. 1. Hege!, Grundlinien der Philosophie des Rechts§ 192 S. 2.

11 Süchting

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B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

Die wechselseitige Bezüglichkeil der Bedürfnisse und ihrer Befriedigung mündet in der Teilung der Arbeit und im Tausch der Mittel zur Bedürfnisbefriedigung50. ,Jn dieser Abhängigkeit und Gegenseitigkeit der Befriedigung der Bedürfnisse schlägt die subjektive Selbstsucht in den Beitrag zur Befriedigung der Bedürfnisse aller anderen um,-..."51 , eine Erinnerung Hegels an die "invisible hand" Adam Smiths, daß die subjektive Setzung in die Gegenständlichkeit in Vermittlung und Gemeinschaft mit der Gattung einen Gewinn an allgemeiner Wohlfahrt, Gegenstandsteilhabe und effektiver Naturformung bedeutet, Resultat synergetischen Zusammenwirkens der Willkürsubjekte im systematisch aufeinander bezogenen gesellschaftlichen Dasein. In dem Prozeß der Verfeinerung, der ausgeht von der freien, eigenen Fähigkeiten, Neigungen und Vermögen entsprechenden Setzung der Person in einem Zusammenhang von Intersubjektivität, liegt unmittelbar die Rechtlichkeit gesellschaftlicher Ungleichverteilung begründet52 . Die Möglichkeiten des einzelnen zur Gegenstandsteilhabe bestimmen sich formal nach seinen Chancen, die im gesellschaftlichen Zusammenhang gleich für alle sein müssen - freier Zugang zu Erziehung, Bildung (Vermögensbildung), Märkten und sozialer Sicherheit auf der einen Seite. Auf der anderen Seite bestimmen sie sich material durch die zufälligen Naturanlagen, wie z. B. geerbtes Eigentum, Neigungen und Fähigkeiten (als das Vermögen, das Vorhandene zu entwickeln und für das eigene Dasein einzusetzen), was bei jedem unterschiedlich vorhanden und entwickelt und dem Mündigen zur freien Setzung überantwortet ist. Ungleichverteilung hat ihren Gerechtigkeitsgrund in je unterschiedlichen materialen Bedingungen des Daseins53 , solange die formale Gleichheit im Zugang zu Gegenstandsteilhabe gewährt ist. Gleichwohl kann gesellschaftliche Ungleichverteilung im Vermögen und die sich immer weiter abstrahierende Bedürfnishaltung im Verfeinerungsprozeß eine Dynamik entwickeln, die auf die materialen Bedingungen des Daseins der je anderen zurückschlägt, sie in ihren Möglichkeiten bis zur Nichtexistenz beschränkt - das sich zufällig entwickelnde Eigentum und sich zufällig akkumulierende Kapital kommt zu den Risiken naturzuHilligen Daseins hinzu, objektive biologische Bedürftigkeit aus Naturzufälligkeit (Krankheit, Unfall, Naturkatastrophe) wird so ergänzt um die Bedürftigkeit aus sozialer Zufälligkeit. "Die Richtung des gesellschaftlichen Zustandes auf die unbestimmte Vervielfältigung und Spezifizierung der Bedürfnisse, Mittel und Genüsse, welche, so wie der Unterschied zwischen natürlichem und ungebildetem Bedürfnisse, keine Grenzen hat,- der Luxus -ist Hege!, Grundlinien der Philosophie des Rechts§ 196; § 198. Hege!, Grundlinien der Philosophie des Rechts§ 199 S. I. 52 Hege!, Grundlinien der Philosophie des Rechts § 200. 53 Hege!, Grundlinien der Philosophie des Rechts § 49 Anmerkung; - ein Satz, nach dem materiale Gleichheit aller gefordert würde, läßt sich rechtlich nicht begründen und gehört "dem leeren Verstande" an, § 200 Anmerkung. 5o

51

III. Eigentum wird wirklich im Erwerb

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eine ebenso unendliche Vermehrung der Abhängiglekeil und Not, welche es mit einer unendlichen Widerstand leistenden Materie, nämlich mit äußeren Mitteln von der besonderen Art, Eigentum des freien Willens zu sein, dem somit absolut Harten zu tun hat."54

Die mögliche (und in Frühphasen des Kapitalismus wirkliche) Entwicklung pointiert: Die Zuordnungsverhältnisse bewegen sich zu absoluter Gegenstandsteilhabe einiger Gegenstandsmächtiger, zu Ausgrenzung, Ausbeutung und Entrechtung anderer in einem fortschreitenden Prozeß der Arbeit, des Tausches und des akkumulierenden Kapitals. Auf der einen Seite steht der Vermögende, auf der anderen Seite der Bedürftige, der - im ungehemmten Fortgang bürgerlicher Tauschgesellschaftlichkeit - es mit dem "unendlich Harten" berechtigten Besitzes des Vermögenden zu tun hat, das sich für den Lebenskampf des Bedürftigen als undurchdringliche Rechtsposition des Vermögenden darstellt. Ein immer noch aktuelles Beispiel ist die weltwirtschaftliche Verflechtung entwickelter Industrienationen mit hohem Vermögen an Volksbildung, Mobilität, Technisierung ("Know How") und immensen angesammelten Kapitalmengen auf der einen Seite, und auf der anderen Seite die Ländergruppe mit den Negativkennzeichen niedrigen Bildungsstandes, geringer Mobilität, fehlender Technisierung und hoher Verschuldung - die sogenannte Dritte Welt. Nimmt man die Staaten in ihren wechselseitigen Bezügen als Subjekte, wird deutlich, daß das Verhältnis von Hunger und Not zu Luxus und gesteigerter Konsumtion unrechtlieh und schon deswegen das Verhältnis der Staaten zueinander gleichsam naturzuständlich ist. Aber auch in der Bundesrepublik Deutschland läßt sich die rechtliche Instabilität egoistisch gesteuerter Eigentumsdynamik beispielhaft an der "sozialen Scherung" erläutern, die in der grundsätzlich berechtigten und volkswirtschaftlich eventuell sinnvollen Entwicklung immer größerer und einflußreicherer Kapitalgesellschaften (Kapital-, Technologie- und Medienkonzemierung) auf der einen, jedoch die Rechtlichkeit dieser Konzentrationen in Frage stellenden Tendenzen zu verfestigter Arbeitslosigkeit, Sozialhilfeabhängigkeit und Ausgrenzung vom gesellschaftlichen Tauschprozeß auf der anderen Seite sich ausdrückt. Regel löst diese Eigentumsdynamik in der bürgerlichen Gesellschaft zur Seite der Freiheit der Person hin auf im "Polizei"-Recht der staatlich vermittelten Sozialhilfe, mit welcher die Hilfe für Bedürftige notwendig allgemein, d. h. vom mildtätigen Wohlwollen gelöst, vermittelt wird55 • Die Interpretation des gesellschaftlich dynamischen Eigentums im Prozeß der Arbeitsteilung und der Bedürfnisbefriedigung in Produktion und Tausch bei Regel schließt trotz der unleugbar vorhandenen systematischen und inhaltlichen Unterschiede zur Rechtsphilosophie Kants an dessen Erklärung zu den Ermöglichungsbegriffen des Eigentums an. Auch bei Kant ist in der gegenstandsmächtigen Willkür des einzelnen die Möglichkeit angelegt, daß diese als Willkür des vermögen54 55

II *

Hege!, Grundlinien der Philosophie des Rechts§ 195 S. 2. Hege!, Grundlinien der Philosophie des Rechts § 241 ff.

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B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

den Subjekts umschlägt in die faktische Ausgrenzung, Ausbeutung und Entrechtung des anderen. Man kann hier von einer "negativen Dialektik" des Eigentums in der Wirklichkeit sprechen, d. h. im Prinzip berechtigter Teilhabe an Gegenständlichkeit liegt ein innerer Gegensatz, der - solange er unvermittelt mit dem berechtigten Dasein aller anderen bleibt - sich gegen das Prinzip selbst richtet, indem sich berechtigte Teilhabe einer Person absolut, und das heißt: gegen alle anderen, setzen kann. Die Freiheit der Person, Gegenstände sich aneignen zu dürfen und so - gründend im allgemeinen Subjektsbegriff und der Idee eines allgemein gesetzgebenden Willens - der Freiheit ein Dasein zu geben, kann sich im gesellschaftlichen Prozeß der Verfeinerung der Bedürfnisse gegen sich selbst wenden und Verhältnisse erzeugen, in denen Einzelne sich in dieser Freiheit nicht mehr selbst besitzen können, weil die Gegenständlichkeit durch die Berechtigung anderer besetzt ist. Diese (Total)Berechtigung ist das absolut Harte, was den so Entrechteten in Abhängigkeit und Not hält56• Die negative Dialektik des nur besonderen, individualistisch begründeten Eigentums ist keine innere Notwendigkeit des Eigentumsgrundsatzes, nichts, was Entrechtung und Ausgrenzung geschichtlich notwendig hervortreibt, sondern der Ausschluß anderer von Gegenstandsteilhabe ist lediglich eine (jedoch rechtlich auszuschließende) Möglichkeit der Entwicklung. Die Widersprüchlichkeit des nur individuellen Prinzips muß zur Seite der äußeren Freiheit anderer hin aufgelöst werden, die wirkliche Berechtigung, die auf Grundlage möglicher Gegenstandsteilhabe aller sich setzen konnte, muß nach ihren Möglichkeitsbedingungen reguliert werden, d. h. wirkliche (Eigentums-) Verhältnisse, die sich gegen das sie Begründende und Begrenzende wenden, müssen diesen Bedingungen gemäß umgestaltet werden. In einer Situation unrechtlieber Ungleichverteilung müssen bestehende Eigentümerpositionen einem Verteilungsprinzip subsumiert werden, welches sich in den Möglichkeitsbedingungen des Eigentums begründet und begrenzt. Das Grundprinzip berechtigter Gegenstandsteilhabe aller, wie es sich aus dem Begriff der Person und deren notwendiger Verwirklichung der Freiheit ergibt, setzt sich erst in interpersonal begründeten wirklichen Eigentumsverhältnissen durch, wo jede Eigentümerposition in einem steten Abgleich mit der äußeren Freiheit (=berechtigter Gegenstandsteilhabe) anderer steht. Der Grundzusammenhang zwischen der Möglichkeit des abstrakten, mit der Idee von Interpersonalität unvermittelten Gegenstandsbesitzes und dessen Verwirklichung führt auf die Notwendigkeit der Eigentumsregulation und damit zum Vollbegriff von Eigentum.

56

Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts§ 243.

IV. Die Notwendigkeit der Eigentumsregulation

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IV. Die Notwendigkeit der Eigentumsregulation am Beispiel der Sozialhilfe 1. Einleitung und Überblick

Sozialhilfe ist nur eine unter mehreren Eigentumsregulationen, weder die einzige noch die wichtigste. Sie ist jedoch die extremste Form der Belastung von Eigentum, da keine mit der Belastung des Eigentums zusammenhängende Vergünstigung an anderer Stelle gewährt wird. An dieser Extremregulation lassen sich einige das Eigentumsrecht leitenden Grundsätze aufweisen, wie sie für alle Eigentumspositionen vorauszusetzen sind. Die pointierteste Problemformulierung, ob Sozialhilfe nach Gerechtigkeitsgrundsätzen denkbar ist oder nicht, findet sich bei Nozick: "Die Besteuerung von Arbeitsverdiensten ist mit Zwangsarbeit gleichzusetzen."'

Es sei nicht einzusehen, warum ein arbeitender Mensch mit einer Zwangsabgabe belastet wird, um Bedürftige zu ernähren, während nicht-arbeitende Bürger diese Last nicht tragen müßten. An den Staat Steuern zahlen, um Bedürftige zu ernähren, sei staatlich vermittelte Zwangsarbeit im Dienste der Bedürftigen2 • Diese Sicht des staatlichen Umverteilungssystems nimmt ein traditionelles Problem der Rechtszwangsbegründung scharf in den Blick. Ist der Steuerbefehl des Staates vergleichbar mit dem Befehl eines Räubers, einen Teil seines Geldes herauszugeben, anderenfalls würden Zwangsmittel eingesetzt, oder unterscheidet sich der Befehl des Staates vom räuberischen Verlangen durch einen Rechtsgrund? Das Problem der Rechtszwangsbegründung hat eine Entsprechung auf der Seite der Anspruchsbegründung. Ist das Verhältnis zwischen Staat und Bedürftigen bei der Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt das zwischen Vermögendem und Bettler, dem es evtl. gesetzlich erlaubt wurde, gleichsam ganz besonders dringlich um das Almosen betteln zu dürfen, und es dem Staat beliebig überlassen bleibt, ' Nozick, Robert: "Anarchie,Staat,Utopia", München 1974 S. 159. Nozick, Robert: ,,Anarchie,Staat,Utopia", München 1974 S. 160. Nozick empfindet es als ungerecht, daß detjenige in einer Gesellschaft, der sich dafür entscheidet, mit wenigen Mitteln auszukommen und wenig zu konsumieren, also mit dem staatlich gewährten Existenzminimum vorlieb nimmt, 1.: von der Gesellschaft (d. h. vonjedem einzelnen) unterstützt wird; 2.: seinerseits nicht zur Hilfeleistung an Bedürftige herangezogen wird. Nozicks Gedanke ist fruchtbar, insofern er nochmals den Zusammenhang zwischen Bedürftigkeit und Hilfe begründungspflichtig macht. Nozicks Einwand gegen die Sozialhilfe geht jedoch in bundesrepublikanischen Verhältnissen vor dem § 11 I I BSHG ins Leere, insofern dem ,,Bedürftigen" kein Rechtsanspruch auf Hilfe zusteht, wenn er ihm zurnutbare Arbeit zur Erzielung seines Lebensunterhalts nicht verrichtet, § 25 BSHG. Der Anspruchsteller in Nozicks Beispiel, der mit dem wenigen, was ihm der Staat bei Bedürftigkeit geben würde, zufrieden wäre, ist kein Bedürftiger im Sinne unseres BSHG. Nozick beschreibt den Ausnahmefall eines M!ßbrauch der Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen. Ein solcher Mißbrauch wird jedoch - soweit ersichtlich - von keiner Sozialrechtsordnung der Welt honoriert. 2

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B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

das peculium zu gewähren oder (auch nur teilweise) zu entziehen, oder kommt der Staat mit der Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt einer auch vorpositiv begründbaren Rechtspflicht nach? Darf ein Staat sich entscheiden, keine Sozialhilfe zu leisten? Kant ist auf die Eigentumsregulation zum Zwecke der Sozialfürsorge nur kurz eingegangen. Er setzt sowohl Abgabenlast für Vermögende wie Hilfe für Bedürftige in einen subjektiv-teleologischen Zusammenhang, der sich aus der Idee der vereinigten Willens aller im bürgerlichen Zustand ergibt. Deutlich grenzt er seine Konzeption, die Hilfeleistung für Bedürftige staatlich vennittelt, von karitativen privaten Organisationen ab - dieses jedoch mit einem problematischen gesellschaftpolitischen Argument im Status eines nur hypothetischen Imperativs höherer Effizienz staatlicher Fürsorge: "Dem Oberbefehlshaber steht indirekt, d.i. als Übernehmer der Pflicht des Volks, das Recht zu, dieses mit Abgaben zu seiner (des Volks) eigenen Erhaltung zu belasten, als da sind: das Annenwesen, die Findelhäuser und das Kirchenwesen, sonst milde, oder fromme Stiftungen genannt. Der allgemeine Volkswille hat sich nämlich zu einer Gesellschaft vereinigt, welche sich immerwährend erhalten soll, und zu dem Ende sich der inneren Staatsgewalt unterworfen, um die Glieder dieser Gesellschaft, die es selbst nicht vermögen, zu erhalten. Von Staatswegen ist also die Regierung berechtigt, die Vermögenden zu nötigen, die Mittel der Erhaltung deljenigen, die es, selbst den notwendigsten Naturbedürfnissen nach, nicht sind, herbei zu schaffen; weil ihre Existenz zugleich als Akt der Unterwerfung unter den Schutz und die zu ihrem Dasein nötige Vorsorge des gemeinen Wesens ist, wozu sie sich verbindlich gemacht haben, auf welche der Staat nun sein Recht gründet, zur Erhaltung ihrer Mitbürger das Ihrige beizutragen. Das kann nun geschehen: durch Belastung des Eigentums der Staatsbürger, oder ihres Handelsverkehrs, oder durch errichtete Fonds und deren Zinsen: nicht zu Staats- (denn der ist reich), sondern zu Volksbedürfnissen, aber nicht bloß durch freiwillige Beiträge (weil hier nur vom Rechte des Staats gegen das Volk die Rede ist),(... )sondern zwangsmäßig, als Staatslasten. Hier frägt sich nun: ob die Versorgung der Armen durch laufende Beiträge, so daß jedes Zeitalter die Seinigen ernährt, oder durch nach und nach gesammelte Bestände und überhaupt fromme Stiftungen (... ) und zwar jenes nicht durch Bettelei, welche mit der Räuberei nahe verwandt ist, sondern durch gesetzliche Auflage ausgerichtet werden soll. - Die erstere Anordnung muß für die einzige dem Rechte des Staats angemessene, der sich niemand entziehen kann, der zu leben hat, gehalten werden; weil sie nicht (wie von frommen Stiftungen zu besorgen ist), wenn sie mit der Zahl der Armen anwachsen, das Armsein zum Erwerbmittel ftir faule Menschen machen, und so eine ungerechte Belästigung des Volks durch die Regierung sein würden. " 3

Der Standpunkts Kants ist kurz, inhaltsreich und wirft vielfältige Begründungsprobleme auf, die aus der schwierigen Einordnung dieser Stelle in seine Besitzund Eigentumsphilosophie resultieren. Gleichwohl ist zunächst festzuhalten, daß Kant eine Eigentumsregulationskompetenz des Staates zugunsten Bedürftiger in Armenhäusern grundsätzlich anerkennt. Jede Zeit habe ihre Armen zu ernähren,

3

Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, Allgemeine Anmerkung C, B S. 216/217.

IV. Die Notwendigkeit der Eigentumsregulation

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d. h., die real existierende bürgerliche Gesellschaft hat bei vorhandenen Mitteln diese Mittel so zu verteilen, daß jeder Bürger in ihr sein Dasein und ein Leben in Gemeinschaft hat. Die Rechtsphilosophie Kants diskutiert das Sozialhilfewesen nicht ausdrücklich, sondern spricht lediglich von der Besteuerungsmöglichkeit des Staates zur Finanzierung des Arrnenwesens. Ein ausdrücklicher Zusammenhang zwischen dem Eigentumsbegriff und der Versorgung der Armen wird von Kant nicht hergestellt. Daß ein solcher Zusammenhang zwischen Eigentum und Sozialhilfe sich aus der Rechtsphilosophie Kants mit guten Gründen behaupten und widerspruchsfrei ableiten läßt, wird zu zeigen sein. Die kantische Staatslehre ist für "moderne" sozialstaatliche Begründungszusammenhänge offen, beziehungsweise kann kritisch in den real existierenden Sozialstaat gewendet werden. Wie die Belastung bestehenden Eigentums und die Umverteilung zugunsten Bedürftiger rechtlich zu interpretieren ist, dazu im folgenden. Vorausgesetzt ist der modalkategoriale Zugriff auf die Eigentumslehre mit dem Begriff der ,,Notwendigkeit", zunächst grundlegend in der theoretischen, dann übertragen in die praktische Philosophie. Das theoretische Verhältnis der Notwendigkeitskategone zu denen der Möglichkeit und Wirklichkeit ist der Einstieg, wobei vom besonderen Interesse ist, wie sich aus dem Verhältnis der formalen Erkenntnisbedingungen a priori zu den materialen Bedingungen der Erkenntnis ein notwendiger Gegenstand des Erkenntnisvermögens apodiktisch erschließen läßt. Dieser Zusammenhang gibt wertvolle Hinweise für die Übertragung der Notwendigkeitskategone in die praktische Philosophie, wo sie mit "Vollkommene und unvollkommene Pflicht" übersetzt ist4 . Der Vorlauf zum Kern des Problems ist damit noch nicht abgeschlossen. In einer nochmaligen Besinnung auf die Grundbegriffe des Rechtsverhältnisses ist zu fragen, ob Eigentum und Erwerb als Rechtsinstitute überhaupt notwendiger Bestandteil rechtlich organisierter Gemeinschaft sind, oder ob nicht auch eine erwerbsund eigentumslose Gesellschaft rechtlich zumindest denkbar ist. Das ist eine Wiederholung der Ermöglichungsbegriffe des Eigentums, die auf die These zugespitzt werden, daß eine rechtliche Gesellschaft ohne das Rechtsinstitut des Eigentums nicht denkbar, Erwerbsmöglichkeit und Eigentum eines jeden unter dem kategorischen Rechtsimperativ also notwendig ist. Nach dieser Erinnerung an den Eigentumsbegriff wird sich zwei Grundbegriffen des Sozialhilferechts angenähert. Zunächst ist das Phänomen der Bedürftigkeit in die Eigentumstheorie zu übersetzen und festzuhalten, daß in der Bedürftigkeit nicht nur individuelle Not, sondern auch ein intersubjektiver Mangel ausgedrückt ist, der das Rechtsverhältnis von Mensch zu Mensch tangiert. Die gesetzlich vorgeschriebene Reaktion auf Bedürftigkeit ist Hilfe. Problematisch ist, wie Hilfe Rechtspflicht sein kann und nicht nur der reinen Nächstenliebe, die mit dem hier 4

Kritik der praktischen Vernunft, A S. 117.

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B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

vertretenen strikten Rechtsbegriff gerade nicht zu fassen ist, sich verantwortet. Wie begründet also die Not des einen die Hilfspflicht des anderen, obwohl dieser andere nicht durch aktives Tun zur lebenszufälligen Not des einen beigetragen hat? Das obige Kant-Zitat zum besteuerungsberechtigten "Oberbefehlshaber" aufnehmend ist sodann vorläufig zu beleuchten, wie sich persönliche Hilfspflicht übersetzt in eine staatliche Garanten- oder Hilfspflicht. Diese begrifflichen Vorarbeiten nutzend werden anband der Rechtslehre Kants vier Argumente vorgestellt, welche die vollkommene Staatspflicht zur Eigentumsregulation zum Zwecke der Hilfe zum Lebensunterhalt für Bedürftige begründen und stützen sollen: - Der kategorischen Rechtsimperativ wird auf die berechtigte Gegenstandsteilhabe aller angewendet, und speziell formuliert zu einem kategorischen Sozialrechtsimperativ. - Aus der Denkfigur eines ursprünglichen Gesamtbesitzes wird das unaufgebbare Menschenrecht eines jeden auf Teilhabe an Gegenständlichkeit begründet. - Dieses Recht ist auch in staatlicher Gemeinschaft der Menschen durchzusetzen. Der Titel des Anspruchs auf Teilhabe gründet dann in der Denkfigur eines Obereigentums des Volkes an aller Gegenständlichkeit im Staate. - Diese Überlegungen münden in der ,,Notwendigkeit des Besitzes der Gegenstände"5, in der Idee einer verteilungsgerechten Organisation der Güter im Staate, welche die sozial bestimmten Grundbedürfnisse des einzelnen berücksichtigen muß. Es verlangt noch besondere Aufmerksamkeit, den Übergang der (Hilfs-)Fflichtigkeit vom einzelnen hin zur verfaßten Allgemeinheit darzustellen und zu begründen. Dem Staat allein kommt Eingriffskompetenz gegenüber bestehendem Eigentum zu, er ist als Verwalter des Obereigentums des Volkes der ,,richtige Anspruchsgegner" des Bedürftigen. Aus der beschränkten Perspektive des Bedürftigen, der sonst nichts oder nicht ausreichend hat, ist letztlich die Summe zu ziehen. Sein Recht auf Sozialhilfe/Hilfe zum Lebensunterhalt ist vorpositiv begründetes Eigentum. Wer im Staate, aus welchen Gründen - Krankheit, Alter, Arbeitslosigkeit - auch immer, nicht oder nicht ausreichend hat, hat zumindest durch sein bloßes gesellschaftliches Dasein Teil an der Gütergemeinschaft im Obereigentum des Volkes und kann aus diesem seinen Teil herausverlangen. § ll I l BSHG ist Ausdruck eines vorpositiven Rechtsverständnisses, der zu seiner Finanzierung eingesetzte Rechtszwang ist rechtlich und der Anspruch auf Leistung ist keine beliebige Einrichtung des Staates, sondern zwingende Notwendigkeit unter dem Menschenwürdegrundsatz und der Eigentumsgarantie.

s Metaphysik der Sitten/Rechtslehre,§ 41 B S. 154.

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2. Die Modalkategorie der Notwendigkeit •.•

a) ... in der theoretischen Philosophie

Zu unterscheiden sind ein formallogischer Begriff der Notwendigkeit (aa) und ein Begriff materialer Notwendigkeit oder ,,Realnotwendigkeit"6 (bb). aa) Formallogischer Begriff der Notwendigkeit p+-q

"p ist notwendige Bedingung von q" - das Zeichen "+-" ist Ausdruck dieses Verhältnisses. Wenn q vorliegt, kann man immer auf das Vorliegen von p geschlossen werden7 , weil q das Vorliegen von p zwingend voraussetzt. Damit ist ein formales, bloß logisches Verhältnis zwischen p und q ausgedrückt, ohne daß etwas über die Existenz oder Nichtexistenz von p oder q ausgesagt würde. bb) Die ,,Realnotwendigkeit" Anders in der Modalkategorie der Notwendigkeit, die sich aus den vorausgesetzten Kategorien der Möglichkeit und Wirklichkeit ergibt. "Dessen Zusammenhang mit dem Wirklichen nach allgemeinen Bedingungen der Erfahrung bestimmt ist, ist (existiert) notwendig. " 8 - die allgemeinen Bedingungen der Erfahrung sind die reinen formalen Verstandesbegriffe a priori, der Begriff der Wirklichkeit ist oben erklärt. Ein Etwas, was als nicht hinwegzudenkende Bedingung für die Existenz eines Anderen erkannt ist, existiert dann notwendig, wenn die Existenz des Anderen nachgewiesen ist. "Da nun keine Existenz der Gegenstände der Sinne völlig a priori erkannt werden kann, aber doch komparative a priori relativisch auf ein anderes gegebenes Dasein, gleichwohl aber auch alsdann nur auf diejenige Existenz kommen kann, die irgendwo in dem Zusammenhange der Erfahrung, davon die gegebene Wahrnehmung ein Teil ist, enthalten

6 Kritik der reinen Vernunft, B S. 279; dazu Eisler, "Kant Lexikon" S. 386 zum Begriff "Notwendigkeit". Eisler unterscheidet logische Notwendigkeit eines Gegenstands, durch dessen Gegenteil das Formale alles Denklichen aufgehoben würde; und "Realnotwendigkeit" eines Gegenstands, durch dessen Nichtexistenz das Materiale alles Denklichen aufgehoben würde. 7 Herberger/Simon, Wissenschaftstheorie für Juristen, Frankfurt/M. 1. Aufl. 1980, S. 48ff.- er nennt dieses Verhältnis "Replikation", also Rückschluß aus einer positiven Setzung. Das Zeichen"+--" nennt er "Replikator", S. 7, 48. s Kritik der reinen Vernunft, B S. 266.

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B. Sozialhilfe und Eigentum - Dialektische Verhältnisbestimmung sein muß: so kann die Notwendigkeit der Existenz, niemals aus Begriffen, sondern jederzeit nur aus der Verknüpfung mit demjenigen, was wahrgenommen wird, nach allgemeinen Gesetzen der Erfahrung erkannt werden können."9

Der notwendige Gegenstand ist der seiner materialen Bedingung nach also (noch) nicht aktuell erfahrene, aber zwingend aus gemachten Erfahrungen nach den Gesetzen der Erfahrung erschließbare Gegenstand. Dessen Wirklichkeit ist nicht nur bloß möglich oder nur einfach behauptbar, sondern schlechthin zwingend. Sein Gegenteil, d. h. die Nichtexistenz wäre mit den Denkgesetzen, d. h. mit dem menschlichen Erfahrungsvermögen und mit dem Dasein des gegebenen Gegenstands nicht vereinbar. Über den Gegenstand selbst wird mit diesem Rückschluß nichts ausgesagt, weder wird er substanziell noch seinen Eigenschaften nach erschlossen, sondern er wird lediglich in ein Verhältnis mit der Gesetzmäßigkeit der menschlichen Vernunft- dem Erkenntnisvermögen- gesetzt 10: ein subjektiv-synthetisches Urteilu. Dieses wird "apodiktisch" genannt, d. h., das Gegenteil des Erschlossenen ist mit den Denkgesetzen unvereinbar. Es ist das höchste logische Verhältnis, welches ein Gegenstand des Denkens zum Denken haben kann. Der notwendige Gegenstand ist jederzeit auch möglich. Das ist in dieser dritten Modalkategorie, die sich aus der ersten und zweiten zusammensetzt, jederzeit inbegriffen. So ist der notwendige Gegenstand jederzeit auch wirklich, weil von der Wirklichkeit des Gegebenen immer auch auf die Wirklichkeit dessen geschlossen werden kann, ohne welches das Gegebene nicht gedacht werden könnte. Dieses Verhältnis der Gegenstände, in dem das Dasein des einen notwendige Bedingung des Daseins des anderen ist, wird im Begriff der Kausalität deutlich. Auch Ursache und Wirkung können, müssen aber nicht, in einem Verhältnis der Notwendigkeit stehen. Für die Erkenntnistheorie folgert Kant: "Hieraus folgt: daß das Kriterium der Notwendigkeit lediglich in dem Gesetze der möglichen Erfahrung liege: daß alles, was geschieht, durch ihre Ursache in der Erscheinung a priori bestimmt sei. Daher erkennen wir nur die Notwendigkeit der Wirkungen in der Natur, deren Ursachen uns gegeben sind, und das Merkmal der Notwendigkeit im Dasein reicht nicht weiter, als das Feld möglicher Erfahrungen,(...)." 12

Das Feld der Erscheinungen und Erfahrungen ist durchgängig kausal bestimmt und steht notwendigerweise unter Ursache/Wirkungs-Verhältnissen: "Die Notwendigkeit betrifft also nur die Verhältnisse der Erscheinungen nach dem dynamischen Gesetze der Kausalität, und die darauf sich gründende Möglichkeit, aus irgendeinem gegebenen Dasein (einer Ursache) a priori auf ein anderes Dasein (die Wirkung) zu schließen. (.. .) Daher ist der Satz: nichts geschieht durch ein blindes Ohngefähr (...)

Kritik der reinen Vernunft, B S. 279. Kritik der reinen Vernunft, B S. 266. 11 Kritik der reinen Vernunft, B S. 286f. 12 Kritik der reinen Vernunft, B S. 280.

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ein Naturgesetz a priori; imgleichen: keine Notwendigkeit in der Natur ist blinde, sondern bedingte, mithin verständliche Notwendigkeit." 13

Kant verweist hier nur auf den Schluß von der Ursache auf die Wirkung, zudem kann auch von Wirkungen auf die ihnen zugrundeliegenden Ursachen geschlossen werden. Dem liegt der Gedanke der kausalen Kontinuität der Wirklichkeit zugrunde. "Notwendigkeit begreift Kant als die Bestimmtheit durch das, was mit dem Wirklichen - aus der Zusammenstimmung mit der Einheit einer Erfahrung überhaupt - festliegt. Nur indem das Vorstellen sich an das hält, was in der dritten Gruppe der Grundsätze über die Ständigkeit des Gegenstands gesagt ist, kann über dessen Notwendigkeit entschieden werden. Die bisherige rationale Metaphysik dagegen verstand die Notwendigkeit lediglich als dasjenige, was nicht nicht sein kann. Weil jedoch das Dasein nur als Ergänzung des Möglichen und dieses nur als das Denkbare bestimmt wurde, blieb auch diese Bestimmung des Notwendigen im Bereich der Denkbarkeit; das Notwendige ist das als unseiend Undenkbare. Aber das, was wir denken müssen, braucht deshalb nicht zu existieren. Wir können überhaupt nie das Dasein eines Gegenstandes in seiner Notwendigkeit erkennen, sondern immer nur das Dasein eines Zustandes eines Gegenstandes im Verhältnis zu anderen.'" 4

Mit Notwendigkeit wird ein Verhältnis von Etwas zu den Möglichkeitsbedingungen von Erfahrungen im menschlichen Verstand und gemachten wirklichen Erfahrungen angegeben. Die Notwendigkeit eines Gegenstandes ergibt sich aus seinem Kausalitätsverhältnis (nach Naturgesetzen) zu Erfahrungsgegenständen. Soweit der Begriff der Notwendigkeit in der theoretischen Philosophie. Dieses theoretische Vorverständnis übertragen auf die praktische Philosophie müßte die Notwendigkeit das Verhältnis von "etwas" (Handlung) zur praktischen Vernunft bedeuten. b) ... und in der praktischen Philosophie

Die Modalkategorien in der praktischen Philosophie sind "Kategorien der Freiheit"15, im Gegensatz zu den "Kategorien der Natur" in der theoretischen Philosophie16. Die Kategorie der Notwendigkeit bezeichnet freiheitsprinzipiiert keine Naturkausalität, sondern eine Kausalität aus Freiheit der für sich selbst praktischen reinen Vernunft. Die praktische Kausalität ist keiner empirischen Bedingung unterworfen, sondern wird strikt formal vom kategorischen Imperativ dem menschlichen ZweckKritik der reinen Vernunft, B S. 280. Heidegger, Martin: "Die Frage nach dem Ding", Gesamtausgabe Frankfurt/M. 1984 Bd. 41, S. 242. 15 Kritik der praktischen Vernunft, A S. 116. 16 Kritik der praktischen Vernunft, A S. 115. 13

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und Handlungsvermögen als Sollen in apriorischer Begründung vorgestellt 17 . Der Notwendigkeit einer Handlung unter dem praktischen Gesetz liegt kein wie auch immer gearteter sinnlicher Antrieb zugrunde, sondern die Notwendigkeit der Handlung bestimmt sich rein (=intelligibel und die Moralität der Handlung wie die Pflichtwidrigkeit der Unterlassung bestimmend) nach dem praktischen Gesetz der Vernunft. "Die praktische Notwendigkeit, nach diesem Prinzip zu handeln, d.i. die Pflicht, beruht garnicht auf Gefühlen, Antrieben und Neigungen, sondern bloß auf dem Verhältnisse zu einander, in welchem der Wille eines vernünftigen Wesens jederzeit zugleich als gesetzgeberui betrachtet werden muß, weil es sie sonst nicht als Zweck an sich selbst denken könnte." 18 -

damit ist das Sollen aus dem Imperativ allgemein ausgedrückt - dieses verhält sich aber angesichts seiner Gegenstände, den Handlungen, zur praktischen Vernunft in zu unterscheidenden Formen. In der praktischen Philosophie sind nach den Gegenständen der Verbindlichkeit Tugendlehre und Rechtslehre zu unterscheiden. Gegenstand der Tugendlehre ist die subjektive Maxime des Handelns. In der Modalkategorie der Notwendigkeit wird die Maxime des Handelnden ins Verhältnis zum kategorischen Imperativ gesetzt. Gegenstand der Rechtslehre ist die Legalität der äußeren Handlung. In der Modalkategorie der Notwendigkeit wird die äußere Handlung ins Verhältnis zum kategorischen Rechtsimperativ gesetzt (der Begriff der Legalität einer Handlung ist verengt auf die Übereinstimmung einer äußeren Handlung mit dem kategorischen Rechtsimperativ). Die notwendige Handlung unter dem praktischen Gesetz heißt "vollkommene Pjlicht'" 9 • Vollkommene Pflichten sind nur Rechtspflichten 20. Zu unterscheiden sind Rechtspflichten gegen sich selbst und Rechtspflichten gegen andere. Die Vollkommenheit oder Unvollkommenheit einer Pflicht bestimmt sich aus ihrem Verhältnis zum praktischen Gesetz. In der vollkommenen Pflicht sind zwei Aspekte praktischen Denkens enthalten: erstens der Aspekt, der die vernunftssubjektiv bestimmte Gattung in den besonderen Menschen hineinbildet, im Recht der Menschheit in unserer eigenen Person; zweitens der Aspekt, der den besonderen Menschen in der Gattung, d. h. im wirklichen intersubjektiven Verhältnis faßt, im Recht der Menschen21 • Die Verengung vollkommener Pflichten auf Rechtspflichten muß erklärt werden. Sicher ist es zu kurz gegriffen, eine Pflicht deshalb als "vollkommen" erklären zu wollen, nur weil sie rechtszwangsbewehrt ist. Zudem träfe dieses Kriterium für die 17 18 19 20 21

Kritik der praktischen Vernunft, A S. 115. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Übergang zur Metaphysik der Sitten, B S. 76. Kritik der praktischen Vernunft, A S. 117. Metaphysik der Sitten, B S. 49. Vgl. Metaphysik der Sitten, B S. 49.

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Rechtspflichten gegen mich selbst nicht zu. Die besondere Form der Nötigung hat mit der Begründung der Vollkommenheit der Pflicht nichts zu tun, folgt aber im äußeren Verhältnis zu anderen Personen aus der Vollkommenheit der Pflicht22. Das Recht ist der Inbegriff der Bedingungen, unter denen der Willkürgebrauch des einen mit der äußeren Freiheit aller anderen möglich ist. Der notwendige Abgleich äußeren Willkürgebrauchs im zwischenmenschlichen Verhältnis begründet die Zwangsbefugnis eines jeden gegen jeden, einander in ein Rechtsverhältnis ( in den bürgerlicher Zustand) zu nötigen. Dieser Zwang kann nur auf das äußere Verhältnis gehen, in dem die Personen als freie gesetzt werden. Nicht aber wird im Rechtsverhältnis die Maximensetzung des einzelnen konditioniert, d. h. dessen subjektive Regelsetzung einem Rechtszwang unterworfen. Wie ist es vor diesem Hintergrund zu begründen, daß nur die Rechtspflichten vollkommene Pflichten sind? Aus dem Recht der Menschheit in unserer eigenen besonderen Person ist intrapersonal die Verbindlichkeit begründet, ein rechtlicher Mensch zu sein23 . Die so gefaßte ,,rechtliche Ehrbarkeit" läßt sich übersetzen in die Pflicht, sich selbst immer als Person, niemals aber als bloßes Objekt ohne eigene Zwecke zu behaupten. Mit dem Recht der Menschheit in unserer eigenen Person unvereinbar sind alle Handlungen, die zu einer Selbstaufhebung der Freiheit im Dasein führen würden24• Ausgeschlossen sind damit freiwillige Versklavung, völlige Hörigkeit oder blinder Befehlsgehorsam als Formen rechtlicher Praxis im Selbstverhältnis. Aus dem Recht der Menschen ist die Verbindlichkeit im zwischenpersonalen Verhältnis zu begründen, niemandem anders Unrecht zu tun, also niemanden anderen zu schädigen, ihm in seiner äußeren Freiheit "Abbruch zu tun". Diese Pflicht besagt, daß es bei der eigenen Handlung immer zugleich darum gehen muß, die Freiheit und die Berechtigung aus Freiheit des anderen in der Gegenständlichkeit zu achten und in den eigenen Rechtsreflexionshorizont mit aufzunehmen. Dieser Grundsatz wird im wirklichen interpersonalen Verhältnis aufgehoben in der dritten Rechtspflicht, in einen Zustand zu treten, "worin jedermann das Seine gegenjeden anderen gesichert sein kann (Iex iustitiae). " 25 22 Gegen z. B. Beck, Lewis White : "Kants Kritik der praktischen Vernunft"; München 1974 s. 148ff. 23 Metaphysik der Sitten, B S. 44. 24 Positivrechtliche Beispiele für eine Verletzung der (Rechts-)Pflichten gegen sich selbst sind die §§ 226a (sittenwidrige Einwilligung in die Körperverletzung); 216 (unbeachtliches Verlangen nach dem Tod durch Taterhand) StGB und das Betäubungsmittelstrafrecht. Obwohl grundsätzlich Einwilligungen die Strafbarkeit eines Täters rechtfertigend ausschließen, ist in diesen Fällen die Einwilligung unbeachtlich bzw. nur strafmildernd in Ansatz gebracht. Das hat nach Kant seinen Grund darin, daß das Opfer eine Pflicht gegen sich selbst mit der Einwilligung verletzt, die Einwilligung gerade nicht Ausdruck der Autonomie ist, weil es die Verletzung nicht wollen kann, somit die unveräußerlichen Rechtspositionen des Opfers nicht preisgibt und der Täter folglich vor der objektiven Rechtsordnung trotzdem das Recht des Opfers verletzt.

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B. Sozialhilfe und Eigentum -Dialektische Verhältnisbestimmung

Mit den drei Rechtspflichten ist folgende Struktur entworfen. Zunächst sind innere und äußere Rechtspflichten unterschieden. Erstens die innere Pflicht, sich immer als Zweck zugleich zu behaupten (personal). Zweitens die äußere Pflicht, niemandem Unrecht zu tun (Interpersonalität l.Stufe). Die dritte Rechtspflicht gewinnt Kant aus "Ableitung der letzteren vom Prinzip der ersteren durch Subsumtion"26, woraus sich der Imperativ ergebe, in einen Zustand zu treten, in dem jedem das Seine gesichert wird (Interpersonalität 2.Stufe). Dieser Dreischritt ist markiert durch die Begriffe Person (konstituiere dich im zwischenmenschlichen Verhältnis äußerer Freiheit als gegenstandsmächtiges Vernunftssubjekt), Interpersonalität (setze dich in ein Verhältnis zu anderen Vernunftwesen, in dem du diese als gleiche erkennst und achte sie als solche) und Staat (errichte einen Zustand verwirklichter Interpersonalität als Freiheitsordnung, in der sich das allgemeine freie und gleiche Verhältnis der Vernunftwesen als Ordnungsprinzip äußerer gewillkürter Gegenständlichkeit durchsetzt). Diese Begriffe zeigen einen Stufengang der Verallgemeinerung des Subjekts in der Selbst-, Fremd- und Gemeinschaftsorganisation rechtlicher Verhältnisse an. Damit ist der Legitimationszusammenhang jeder staatlichen Institution zusammengefaßt - dieser kann nur strikt vom Subjekt aus begründet werden. Der Übergang von der zweiten zur dritten Rechtspflicht ist der Übergang von einer dialogischen, noch naturzuständlichen Situation hin zu verwirklichter Gemeinschaft im Rechtsverhältnis. Erst die dritte Ausformung entwikkelt den Vollbegriff der Rechtspflicht Rechtspflichten sind vollkommene Pflichten und erfordern die Selbstverwirklichung der Person als freie und gleiche unter anderen freien und gleichen Personen. Normativ ist die Sitte, d. h. die ständige gesellschaftlichen Übung, bestimmt durch die praktische Rechtsvernunft, welche den äußeren Rahmen praktisch-autonomer Personalität in wechselseitiger Vermittlung im kategorischen Rechtsimperativ regelt. Die Pflicht zur Erfüllung des kategorischen Rechtsimperativs ist nicht hintergehbar, ihn zu befolgen ist unmittelbar aufgegeben, weil ohne dieses ein Dasein der praktischen Vernunft in Sozietät nicht denkbar ist. Die Sicherung des Seinen eines jeden ist die Achtung gegenüber dessen erworbenen Gegenständen, ist die Achtung von dessen Gegenständlichkeit überhaupt, in nur dieser der andere für mich ist. Was hier über ein bloßes Nichtschädigungsgebot im zwischenmenschlich-naturzuständlichen Verhältnis hinaus ausgesagt ist, ist die institutionelle Absicherung von Berechtigungssphären der Einzelnen mit institutionalisierten Zwangsapparaten. Damit ist der Übergang von naturzuständlicher zu rechtlicher Organisation von Zwischenmenschlichkeit zur Pflicht gemacht Pflicht exeundum et statu naturali, um einzutreten in einen Zustand öffentlicher Gerechtigkeit mit wechselseitig vermitteltem Rechtszwang. Im Naturzustand kann das Dasein der praktischen Vernunft nur provisorisch sein. Die Verwirklichung praktischer Rechtsvernunft in einem Zustand öffentlicher 25 26

Metaphysik der Sitten, Einteilung der Rechtslehre, B S. 44. Metaphysik der Sitten, B S. 44.

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(Verteilungs-)Gerechtigkeit gibt ihr ein gesichertes, dauerhaftes und von den Zufalligkeiten nicht zuletzt der menschlichen Natur emanzipiertes Dasein. Welcher Sinn kann nach diesen Vorüberlegungen dem Begriff einer "vollkommenen Pflicht", welche nur eine Rechtspflicht sein kann, beigelegt werden? Festzuhalten ist folgender Gebrauch von Notwendigkeit in der praktischen Philosophie: allgemein wird mit dem Begriff der Notwendigkeit einer Handlung unter dem praktischen Gesetz der Vernunft deren Gesolltheit als Pflicht ausgedrückt. Modalkategorial wird die einzelne Handlung ins Verhältnis zur praktischen Vernunft gesetzt und dort unter dem Begriff der Notwendigkeit als vollkommene oder unvollkommene Pflicht erkannt. Vollkommene Pflichten sind nur Rechtspflichten gegen sich selbst und andere. Vollkommene Pflichten sind Handlungen, deren Vomahme unmittelbar geboten ist und ohne deren Vomahme ein freiheitlich-rechtliches Dasein der Menschheit nicht denkbar ist27 (dieser Satz ergibt sich aus Befolgung der kantischen Anweisung, daß sich die dritte Modalitätskategorie aus der Subsumtion der zweiten unter die erste erschließen läßt). Darin Inbegriffen ist äußere Handlungsfreiheit und gerechte Gegenstandsorganisation. Nachdem oben die Möglichkeit des Eigentums dargestellt wurde, ist nun im folgenden die Notwendigkeit von Eigentum, d. h. gerechter Teilhabe an Gegenständlichkeit, näher aufzuweisen. Hier wird die Frage nach dem Gerechtigkeitsprinzip des Daseins der Vernunft, die nur in der Gegenständlichkeit ist, aufgeworfen. Der Nachweis geht darauf, daß ein Rechtsverhältnis ohne gerechte Organisation von Gegenständlichkeit nicht denkbar ist. Der Grundbegriff dieser Organisation ist Eigentum. 3. Die Notwendigkeit des Eigentums und des ErwerbsAusschluß einer eigentumslosen Gesellschaft

Daß Eigentum praktisch möglich ist28 , wurde oben aufgewiesen: die Gegenstände haben dem Zugriff, dem Erwerb des Subjekts keine Eigenberechtigung entge27 Z.B. verletzt der Suizid nach Kant eine vollkommene Rechtspflicht gegen sich selbst, weil durch ihn im verallgemeinerten Vernunftschluß ein Dasein der Menschheit in mir/in jeder anderen Person nicht möglich ist. 28 ,,Es ist möglich, einen jeden äußeren Gegenstand meiner Willkür als das Meine zu haben; d.i.: eine Maxime, nach welcher; wenn sie Gesetz würde, ein Gegenstand an sich (objektiv) herrenlos (res nullius) werden müßte, ist rechtswidrig."- in dieser Grundbestimmung des Privatrechts, Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, § 2, B S. 56, will Kant die bloße Möglichkeit des Besitzes und Eigentums nachweisen und folgert diese aus dessen Notwendigkeit: das Gegenteil von berechtigter Teilhabe an Gegenständlichkeit ist unter dem Rechtsprinzip nicht denkbar, diesem "widrig". Das Rechtsprinzip ist ein kategorischer Imperativ, ein a priori menschlich-moralisch-rechtlicher Praxis, unter ihm ist der Person notwendigerweise die Gegenständlichkeit zur Aneignung eröffnet.

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genzusetzen. Nunmehr ist fraglich, ob unter dem kategorischen Rechtsimperativ eine eigentumslose Gesellschaft denkbar ist? Der Verstand ist als synthetisierende Erkenntnisfunktion im Dasein nur durch seine Tätigkeit an der Gegenständlichkeit. Die Verstandesfunktionen werden als Formbedingungen für Erkenntnis konstitutiv, soweit sie den materialen Bedingungen - den Gegenständen - der Erfahrung hinzugetan werden. Die Ideen der Vernunft und so auch die Idee der Freiheit werden erst ausgehend von der Auseinandersetzung formaler Bedingungen der Erfahrung von Gegenständlichkeit gewonnen. Die Normprinzipien der praktischen Vernunft sind dem erkennenden Subjekt immanent. Das Vermögen der Vernunft und das Begehrungsvermögen aus (dem Bewußtsein der) Freiheit sind Faktizitäten der Subjektivität29• Diese Faktizitäten sind aber nur insoweit, als sie durch die Tätigkeit des Subjekts in die Gegenständlichkeit gesetzt werden. Die Vernunft und die Freiheit sind also keine selbständigen Größen, die unabhängig von Gegenständlichkeit existierten, die sich aber im Erkennen und Handeln des Subjekts synthetisch a priori aufweisen lassen. Wie ist es erklärlich, daß nun die Vernunft ein Dasein haben soll, d. h. dem Subjekt Gegenstände zugeordnet werden sollen, Eigentum also notwendig unter dem praktischen Gesetz ist? Von den Faktizitäten der Vernunft und der Freiheit läßt sich auf ihr "Sein-Sollen" nicht schließen. Die Rechtslehre Kants geht vom Dasein erkennender Vernunftsubjektivität aus. Das ist ihre nicht hinwegzudenkende Voraussetzung, die erkenntnistheoretisch angelegt und als zwecktätiges Dasein in der praktischen Philosophie formalgesetzlich bestimmt ist. Das Dasein des Subjekts ist für das Subjekt erfahrenes Dasein, ist seine Wirklichkeit für sich selbst. Wirklich ist das Subjekt nur, insoweit es für sich selbst und damit auch für andere gegenständlich ist. Im Dasein des Subjekts ist dessen Bezug auf die Gegenständlichkeit notwendig angelegt. Mit dem Rechtsprinzip wird das Dasein der Subjekte in ihren gegenständlichen Bezügen unter eine allgemeine Gesetzlichkeit gezogen, welche die "äußere Freiheit" der Subjekte, deren gegenständliche Bezüge, wechselseitig vermittelt. Eingefordert wird also eine Organisation der Gegenständlichkeit im intersubjektiven Verhältnis, in der im gemeinschaftlichen Dasein das Dasein eines jeden als berechtigtes geachtet und bewahrt wird. Das ist die privatrechtliche Ausgangsstellung der Rechtslehre. Jede wirkliche Position in der Gegenständlichkeit hat sich unter die Idee eines allgemein gesetzgebenden unbedingten Willens zu subsumieren. Erst die intersubjektive Begründung der eigenen gegenständlichen Bezüge transformiert faktische Sachherrschaft zu rechtlichem Besitz, erst die Verwirklichung der Interpersonalität im bürgerlichen Zustand transformiert den rechtlichen Besitz zu Eigentum. Im Eigentum ist subjektive Teilhabe an Gegenständlichkeit und damit das Dasein des Subjekts selbst, dem rechtlichen Regulativ wirklich unterworfen. Eigentum ist die 29 Das Bewußtsein des Gesetzes der Freiheit ist ein Faktum der Vernunft, Kritik der praktischen Vernunft, § 7, A S. 55, 56. Diesem Bewußtsein sind das Vernunftvermögen und das Vermögen zur Autonomie (Freiheit) vorausgesetzt, mithin selbst Faktizitäten.

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Herrschaft der Person über Gegenstände unter Rechtsgesetzen- oder, was das gleiche ist, Eigentum ist das Institut der äußeren Freiheitsvermittlung in Ansehung der Gegenständlichkeit. Die Tatsache, daß Vernunft ist, verdankt sich neben dem naturkausal unerforschlichen ersten Ursprung notwendig der Entscheidung des Subjekts für das Dasein. Die Person ist frei, sich in das Dasein zu setzen, diese oder andere Gegenstände zu erwerben, oder aber sich aller Gegenständlichkeit, d. h. sich ihres Daseins zu entledigen. Die Gegenstandsmacht der Person ist ursprünglich und ausnahmslos subjektskonzipiert und ist keiner auto- oder heteronomen Vorentscheidung unterworfen. Die Entscheidung des Einzelnen für ein so oder anders bestimmtes Dasein oder aber Nichtsein ist für den anderen Gegenstand der Achtung, denn was in dem Gegenstand eines anderen, der diesem zugeordnet ist, geachtet wird, ist nicht der Gegenstand selbst, sondern die Entscheidung des anderen, diesen Gegenstand als den seinen zu bezeichnen. Da der Eine für den Anderen nur in der Gegenständlichkeit ist, ist das Achtungsverhältnis auf die Vemunftprozessualität (das Vermögen, sich der eigenen praktischen Vernunft gemäß zu setzen) des anderen bezogen, deren Resultat die Entscheidung für diesen oder jenen Gegenstand und somit das so bestimmte Dasein des Anderen ist. Die personale Entscheidung in die Gegenständlichkeit ist der erste Grund für das Sein-Sollen von Eigentum. Die Entscheidung der Person begründet das Achtungsverhältnis zunächst nur subjektiv. Die intersubjektive Begründung von Eigentum als Rechtsbegriff fordert die Setzungen des Subjekts als äußere Handlungen unter den kategorischen Rechtsimperativ. Eigentum als Rechtsbegriff umfaßt die Bedingungen, unter denen der Eine mit dem Anderen nach Gerechtigkeitsprinzipien an Gegenständlichkeit teilhaben kann. Wenn die Notwendigkeit des Eigentums behauptet wird, wird somit die notwendig gerechte Gegenstandsorganisation eingefordert. Dieses fallt mit dem kategorischen Rechtsimperativ zusammen, ist in diesem enthalten, denn erst in der Gegenständlichkeit hat der Eine zum Anderen eine Sphäre äußerer Freiheit. Aus dem gegebenen kategorischen Rechtsimperativapriori folgt direkt das Institut des Eigentums, welches die Sphäre äußerer Freiheit institutionalisiert. Daraus folgt auch, daß eine jede Rechtsordnung, die sich als gerecht begreift, zugleich Eigentumsordnung sein, das Rechtsinstitut Eigentum also kennen muß. Das ist der zweite Grund für das "Sein Sollen" von Eigentum. Ist damit zwar nicht material eine vorgegebene Zuordnung bestimmter Gegenstände zu bestimmten Personen zu leisten, so doch ein System von formalen Gerechtigkeitsgrundsätzen, die sich auf die Zuordnung von Gegenständen zu Personen beziehen. Notwendig ist eine Handlung, die vom praktischen Gesetz als vollkommene Pflicht vorgestellt wird. Die Nichtvomahme einer solchen Handlung ist pflichtwidrig. Die Organisation von Zwischenmenschlichkeit nach Eigentumsgrundsätzen ist vollkommene Pflicht. Eine eigentumslose Gesellschaft verstößt gegen den Rechtsimperativ, demnach man in einen Zustand treten soll, in dem jedem das Seine gesichert wird, und ist als gerechte Gesellschaft nicht denkbar. Mit dem Rechtsinsti12 Süchting

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B. Sozialhilfe und Eigentum - Dialektische Verhältnisbestimmung

tut Eigentum geht es im Grundsatz nicht um die direkte Zuweisung von Gütern zu Personen, sondern im hier entfalteten Zusammenhang nur um das Formprinzip einer solchen Zuweisung. Damit hat es lediglich die Möglichkeitsbedingungen gerechter Teilhabe an Gegenständlichkeit zu formulieren, jedoch nicht material zu bestimmen, was das Seine eines jeden ist - das bleibt der subjektiven Zwecksetzung des Einzelnen überlassen. Der Rechtsbegriff des Eigentums ist damit ein rechtliches Apriori einer Gesellschaft unter Gerechtigkeitsgrundsätzen. Aus der Notwendigkeit des Rechtsinstituts Eigentum folgt unmittelbar die Notwendigkeit des Rechtsinstituts Erwerb: "ohne ursprünglichen oder abgeleiteten Erwerb kein Eigentum". Die Möglichkeit des Eigentums vermittelt die Chance zum Erwerb, aber nicht das Gut selbst. Wenn jeder Person die Möglichkeit eines autonom-berechtigten Daseins a priori zukommt, so ist ihr jederzeit die Möglichkeit zum berechtigten Erwerb einzuräumen. Die Gewährung von Sozialhilfe/Hilfe zum Lebensunterhalt gern. § 11 I 1 BSHG trägt diesem Grundgedanken Rechnung, weist dem Bedürftigen primär Geldleistungen (gleichbedeutend mit Marktchancen) zu und nur sekundär Sachleistungen. So ist der unterschiedlichen Perspektivität in je unterschiedlicher Glücksverfolgung der Bedürftigen entgegengekommen. Der Bedürftige kann sich am Markt mit eigenen Geldmitteln als Marktsubjekt behaupten. Die Möglichkeit, daß sich dieses Rechtsprinzip der Güterzuordnung im System der Bedürfnisse und im System der Mittel zu deren Befriedigung in der wirklichen bürgerlichen Gesellschaft gegen einzelne Subjekte selbst kehren kann, ist oben in der Wirklichkeit der Eigentumsordnung nachgewiesen worden. Es gibt keine geschichtliche Notwendigkeit dieser negativen Dialektik und der aus ihr entspringenden Entrechtung und Ausgrenzung einzelner. Trotzdem weist schon die bloße Möglichkeit einer solchen Entwicklung auf die Notwendigkeit der Eigentumsregulation hin. Eigentum und Eigentumsregulation geben Grund und Grenze ein und desselben Prinzips an: des Prinzips der berechtigten Teilhabe der Person an Gegenständlichkeit im verwirklichten intersubjektiven Verhältnis. 4. Rechtsphilosophische Rekonstruktion der Begriffe Bedürftigkeit und Hilfe

Ist das Dasein des Menschen und dessen Teilhabe an der Gegenständlichkeit in der Wirklichkeit gesetzt (wovon alle philosophische Überlegung- theoretisch wie praktisch - bei Kant ausgeht), so ist es vernunftsgrundsätzlich unumgänglich, diese Teilhabe rechtlich zu organisieren. Aus der Wirklichkeit des Daseins des Menschen und den Möglichkeitsbedingungen seiner Praxis läßt sich somit die Notwendigkeit des Eigentums schließen. Am Beispiel der Hilfe zum Lebensunterhalt ist jetzt die Notwendigkeit der Eigentumsregulation aufzuweisen. Eigentumsregulation ist die Beschränkung bestehender Eigentumspositionen und Erwerbschancen zugunsten der Berechtigung an Gegenständlichkeit anderer.

IV. Die Notwendigkeit der Eigentumsregulation

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Den Argumentationsgang vorbereitend müssen die Grundbegriffe der Hilfe zum Lebensunterhalt, die Bedürftigkeit des Leistungsempfängers und die staatliche Reaktion darauf, die Hilfe für den Bedürftigen, unter dem eigentumstheoretischen Aspekt näher betrachtet werden. Ausgegrenzt aus der Untersuchung werden die rechtlichen Bestimmungen zur Finanzierung der Hilfe zum Lebensunterhalt durch Steuergelder - die Finanzierung wird hier pauschal als Eingriff in das Vermögen nichtbedürftiger steuerpflichtiger Bürger vorausgesetzt, mehr bedarf es zur Klärung der Frage, welche Art Bedürftigkeit eine HUfspflicht initiiert und worauf sich die Hilfspflicht in einem vorpositiven Sinne rechtlich gründet, nicht30. Ausgangspunkt der Begriffsklärungen ist das Gesetz. Hilfe- und Bedürftigkeitsbegriff werden hier in einem qualifizierten Sinne verwendet. "Hilfe zum Lebensunterhalt ist dem zu gewähren, der seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem aus seinem Einkommen oder Vermögen, beschaffen kann.", § II I I BSHG.

a) Der Begriff der Bedürftigkeit .. . aa) ... als individuelle Not ... Der Begriff der Bedürftigkeit ist - wenn auch nicht ausdrücklich - im § 11 I 1 BSHG enthalten. Bedürftigkeit ist dann gegeben, wenn die Person ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten kann. Lebensunterhalt sind die Mittel, welche die Person einsetzen muß, um sich im Dasein (Leben) zu halten. Das Dasein der Person ist in zwei Dimensionen zu deuten. Zum ersten ist es die biologische Existenz, in der die Person auf Stoffwechsel mit der sie umgebenden Natur angewiesen ist - Nahrung, Luft, Wärme. Zum zweiten ist es die soziale Existenz, in der die Person auf (im gegenständlichen Sinne) Stoffwechsel mit der sie umgebenden Sozietät anderer Personen angewiesen ist - Kommunikation, Bildung, Arbeit. Dieser Dualität des Daseins der Person trägt§ 12 I 1,2 BSHG Rechnung. § 12 I 1 BSHG spricht von den Bedürfnissen nach Ernährung und den Mitteln ihrer Bereitung (Hausrat), Wärme (Unterkunft, Kleidung, Heizung) und Gesundheitsvorsorge (Körperpflege). § 12 I 2 BSHG führt zudem die Beziehungen zur Umwelt und die Teilnahme am kulturellen Leben als persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens an. Entsprechend dieser Dualität ist der Warenkorb zur Bestimmung des Regelsatzes gern. § 22 I BSHG ausgestaltet. Die Notwendigkeit des Stoffwechsels gründet in der objektiven Tatsache, daß der Mensch ein Mangelwesen ist, das auf die Zufuhr äußerer Stoffe angewiesen ist, sich die Welt also aneignen muß, um in ihr Stand zu haben. Grundsätzlich ist der Einzelne in diesem Prozeß der Erhaltung seiner biologischen und sozialen Existenz 30 Zu den Gerechtigkeitsfragen, die im System des Steuer- und Leistungsstaats damit aufgeworfen werden, dazu BVerfG in NJW 92, 3632 (Einkommenssteuerfreibetrag hat sich am gesellschaftlich garantierten Existenzminimum zu orientieren).

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B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

auf seine eigenen Kräfte und Vermögen verwiesen. Es ist Ausdruck seiner freien Setzung in die Gegenständlichkeit, mit was und mit wem er in Austausch treten will, um den Mangel seiner Existenz auszugleichen. Auch ist es ihm freigestellt, welchen Grad der Verfeinerung, d. h. Loslösung von den Grundbedürfnissen er erreichen , welchen Grad der Arbeitsteilung er mit anderen verwirklichen will. Aus diesen subjektiven Setzungen in die bürgerliche Gesellschaft wird die oben bezeichnete Eigentumsdynamik angetrieben, mit der ihr innewohnenden möglichen negativen Dialektik. Im Dasein und in seiner freien Setzung in die Gegenstände können den Menschen zwei Risiken für die Lebenshaltung treffen. Das erste Risiko gefährdet die biologische Existenz des Menschen. Unfall, Krankheit, Gebrechlichkeit im Alter sind Daseinszufalligkeiten, die den körperlichen Stoffwechsel einschränken bzw. unmöglich machen können, so daß der einzelne für seinen notwendigen Lebensunterhalt selbst nicht mehr aufkommen kann. Das zweite Risiko gefährdet die soziale Existenz des Menschen. Familienverlust, Arbeitslosigkeit, soziale Randexistenz sind Zufälligkeiten der bürgerlichen Gesellschaft, auf die der einzelne nicht immer Einfluß nehmen kann, die ihn treffen können wie ein Naturunglück. In beiden Risiken liegt die Gefahr begründet, daß der Einzelne aus seinem sozial bestimmten Dasein herausgedrängt wird und er nicht mehr - sowohl tatsächlich bei Krankheit oder Gebrechlichkeit, als auch rechtlich bei verfestigter Arbeitslosigkeit (der Arbeitslose könnte ja noch stehlen) -die Möglichkeit hat, die zur Lebenshaltung notwendigen Mittel zu erwerben. Allerdings begründet nicht jedes Bedürfnis die Pflicht anderer zur Hilfeleistung. Bedürfnisse allgemein sind die Differenz zwischen den der Person verfügbaren Mitteln, um den Gegenstand der Willkür hervorzubringen und den dafür erforderlichen Mitteln. Nun ist es deutlich, daß der Gegenstand der Willkür frei und somit losgelöst von den notwendigen Bedingungen der Daseinshaltung gesetzt werden kann. Die sogenannten Luxusbedürfnisse setzen voraus, daß die Grundbedürfnisse befriedigt sind. Diese verfeinerten Bedürfnisse können im intersubjektiven Verhältnis keine rechtliche Hilfspflicht begründen. Dem Rechnung tragend spricht § 11 I 1 BSHG vom "notwendigen Lebensunterhalt". Der notwendige Lebensunterhalt ist der Mitteleinsatz, ohne den der Einzelne sich nicht in seiner biologischen und soziokulturellen Existenz halten kann. Der notwendige Lebensunterhalt eines Menschen ist einerseits individuell durch sein körperlich-biologisches Dasein, andererseits sozial durch sein gesellschaftliches Dasein in Gemeinschaft mit anderen bestimmt. Der notwendige Unterhalt der körperlichen Existenz ist diktiert durch die naturzufällige Disposition des einzelnen. Dieser kann z. B. je nach Gesundheitszustand divergieren. Der notwendige Unterhalt der sozialen Existenz des einzelnen ist diktiert durch das Niveau der bürgerlichen Gesellschaft, in welcher er sich bewegt - welche Grade an Bildung, Arbeitsteilung, Bedürfnisverfeinerung, Mobilität, Kommunikation und kulturellen Austausch diese entwickelt hat und als Teil gerade dieser bürgerlichen Gesellschaft sich der einzelne halten können muß.

IV. Die Notwendigkeit der Eigentumsregulation

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Bedürfnis ist selbstdefiniert insoweit, als das Willkürsubjekt den Gegenstand seiner Willkür in der Vorstellung selbst setzt und somit die Differenz zum Verfügbaren selbst bestimmt. Bedürfnis ist dem Subjekt insoweit objektiv vorgegeben, als es zu seiner Erhaltung im Dasein auf Gegenständlichkeit zugreifen muß und die Differenz zwischen dem dafür Notwendigen und dem Verfügbaren ist der objektive, d. h. gegebene Bedarf des Subjekts als eines homo phaenomenon. Im folgenden soll der Bedarf, der auf den notwendigen Lebensunterhalt geht (da nicht auf freier Setzung des Subjekts beruhend, sondern ihm biologisch und soziokulturell gegenständlich bestimmt), "objektiver Bedarf' genannt werden (in Abgrenzung zu Bedürfnissen, die über diesen hinausgehen und "subjektiver Bedarf' genannt werden können). bb) ... und als intersubjektiver Mangel Das Rechtsverhältnis geht auf wechselseitige Achtung der äußeren Freiheit. Initial der Achtung ist nicht die Gegenständlichkeit, in die der Andere sich setzt, sondern der dieser Formung zugrundeliegende Willensprozeß, der sich in der Setzung aktualisiert. Dieser Willensprozeß ist als psychisch-motivationaler Zusammenhang besonders, nach dem Vermögen der Willensbildung und den Formbedingungen des Entschließens aber allgemein. Der allgemeine Status der subjektiven Setzung begründet das Verhältnis der Interpersonalität Im Rechtsverhältnis geht es also um das Dasein der Gattungssubjektivität in eigener und fremder Setzung in die Gegenständlichkeit. Das ist der Gegenstand der Achtung, welcher mit der Metapher von "äußerer Freiheit" bezeichnet wird. Die Bedürftigkeit eines Einzelnen erscheint unmittelbar als dessen persönliche Not. Es ist der direkte Augenschein des Elends, der körperlichen Hinfälligkeit, der sozialen Marginalisierung, der Randexistenz in unterschiedlichster Form. Nicht sinnlich wahrnehmbar, aber erschließbar ist, daß in der Not des einzelnen ein intersubjektiver Zusammenhang angesprochen wird, welcher Rechtszwang gegenüber Vermögenden begründet. Grundsätzlich lebt jeder sein Leben und ist seines Glückes Schmied. In der Umkehrung könnte das bedeuten, daß die naturzufällig oder sozial zufällig bedingten Fehlschläge in der Lebensplanung des anderen die Gemeinschaft unberührt lassen könnten. Einen Hinweis, nicht aber die hinreichende Begründung eines intersubjektiven Zusammenhangs, in dem individuelle Not steht, gibt das mitmenschliche Bedauern oder Mitleid gegenüber dem Bedürftigen, welches bei Gelegenheit in einer karitativen Zuwendung münden kann. Der Gedanke der Mitmenschlichkeit31 übersetzt sich in der Rechtslehre Kants in die Idee einer Gattungssubjektivität, die sich als Recht der Menschheit (Freiheit, Gleichheit und berechtigte Teilhabe an Gegenständlichkeit) im bürgerlichen Zustand rechtlicher Gemeinschaft als konkretes Menschenrecht der Menschen verwirklicht. 31

Dazu oben schon zum Begriff eines Sozialrechtsverhältnisses, II B 5 b).

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B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

An der Gattungssubjektivität hat der Mensch als homo noumenon teil, darin ist er allgemein und allen anderen Personen gleich. Jedes willkürbestimmte Bedürfnis ist ein Mangel der sich in der besonderen Person setzenden Gattungssubjektivität Der noumenale Begriff vom Menschen gibt die Idee der Menschheit und der Freiheit. Diese setzt und verwirklicht sich in dem besonderen Menschen, wie er ist der Mensch als homo phaenomenon. Er setzt sich als Teil der Gattung, die seinen Subjektsstatus im Rechtsverhältnis (frei, gleich und berechtigt zur Gegenstandsteilhabe) begründet. In der Situation, in der ein objektiver Bedarf vom einzelnen nicht befriedigt werden kann, ist sein Dasein als vernünftiges Wesen gefährdet, sein Recht auf Teilhabe an der Gegenständlichkeit in Frage gestellt. Unter der Idee eines Rechts der Menschheit ist das objektive Bedürfnis des Einzelnen als Mangel der Gattungssubjektivität zu verstehen. Es ist eine allgemeine Rechtsvernunft, welche sich im bedürftigen anderen nicht setzen kann. Im Verhältnis der rechtlichen Gemeinschaft des einen mit dem anderen ist (nur) die objektive Not des einen auch die Not des anderen, im Verhältnis wechselseitiger Bestätigung, Achtung und Wahrung der materialen Daseinsbedingungen des je anderen ist das Rechtsverhältnis durch die Gefährdung dieser Bedingungen betroffen und ggf. verletzt. b) Der Begriffder Hilfe aa) Die private Hilfspflicht in positivgesetzlichen Ausformungen Gemäß § 11 I 1 BSHG ist ,,Hilfe zum Lebensunterhalt" staatlicherseits zu leisten. Gemeint ist damit die Deckung des objektiven Bedarfs des einzelnen, die erforderlich ist, um ihn in seiner biologischen Existenz und seinem sozial bestimmten Dasein zu halten, durch den Staat, welcher seine Bürger dafür in zurnutbarer Weise belastet. Dieses geschieht hauptsächlich durch Geldleistung. Die letzte Bestimmung, welche Güter für die Geldhilfe eingetauscht werden, sind dem Bedürftigen selbst überlassen. Durch Geldhilfe garantiert der Staat also nicht das Dasein selbst, wie es zum Beispiel bei einer Sachleistung (ausgewogene Ernährung und zweckmäßige Kleidung statt Zigaretten und Alkohol) oder in gesteigerter Form bei Zwangsernährung des Bedürftigen der Fall wäre, sondern garantiert nur die Bedingungen der Möglichkeit der Deckung des objektiven Bedarfs. Der Staat kommt damit unter dem geltenden § 11 I BSHG einer positiven Rechtspflicht nach. Fraglich ist jedoch, ob diese positive Rechtspflicht sich auch vorpositiv-rechtsphilosophisch im bisher vorgestellten Begriffsrahmen begründen läßt. Da im Staatsrecht die Materie des Rechts keine andere als die des Privatrechts sein kann32, es also auch im Staatsrecht- in allen Ableitungen- immer nur um die 32 § 41 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre: Die Materie des Privatrechts ist im bürgerlichen wie im öffentlichen Zustand dieselbe.

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äußere Freiheit des einen neben der des anderen gehen kann, muß die Hilfeleistungspflicht sich zunächst privatrechtlich begründen lassen. Erste Hinweise, aber nicht die hinreichende Begründung selbst, geben die positivrechtlichen Ausformungen von Hilfspflichten zwischen Privaten. Personale Hilfeleistungspflicht ist im geltenden Strafrecht mehrfach festgeschrieben. Für den Personenkreis der einstandspflichtigen sog. "Garanten" für ein Rechtsgut sind alle Delikte des StGB-BT auch durch ein Unterlassen zu verwirklichen, § 13 StGB i.V.m. den Tatbeständen des besonderen Teils. Hier trifft die Verantwortlichkeit jedoch nur diejenigen, die aufgrund besonderer Umstände vor allen anderen dafür einzustehen haben, daß keine Verletzung des Rechtsguts geschieht. In den sog. "unechten Unterlassungsdelikten" ist keine allgemeine, jeden betreffende Hilfspflicht ausgedrückt, sondern eine nur speziell verantwortliche Personenkreise betreffende Pflicht zur Schadensabwendung. Eine allgemeine, jeden betreffende Hilfspflicht ist dagegen im § 323c StGB eingefordert: "Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft."

Das Schadensrisiko kann sich gegen Rechtsgüter einzelner (Unglücksfallen) oder gegen Rechtsgüter einer unbestimmten Vielheit (gemeine Gefahr oder Not) richten. Die Hilfeleistung muß möglich und geeignet sein, d. h. die rettende Handlung muß von dem einzelnen tatsächlich vornehmbar und nicht durch Hindernisse unmöglich sein und objektiv die Chance zur Rettung des Rechtsguts bedeuten. Das setzt zum einen voraus, daß der Helfer zur Hilfe nach seinen Kräften, Fähigkeiten und nach seiner Kenntnis vom Schadensrisiko objektiv in der Lage ist, den Schaden tatsächlich abzuwenden, ohne sich selbst unzumutbar Gefahren auszusetzen. Das setzt zum anderen in der Person des Helfers voraus, daß er rechtlich nicht zumindest gleichwertig zur Rettung eines anderen Rechtsguts verpflichtet ist. Im § 323c StGB ist die strafbewehrte Grundsolidaritätspflicht des Menschen zur Hilfeleistung für andere ausgedrückt. Es ist eine strafbewehrte Pflicht von Privaten zu Privaten. Die Solidaritätspflicht - restriktiv interpretiert - geht darauf, den anderen vor Zufälligkeiten des Daseins zu schützen und ihm handelnd durch Hilfeleistung die materialen Möglichkeitsbedingungen personalen Daseins zu gewähren, die durch die Lebenszufälligkeit eines Unglücks, einer gemeinen Gefahr oder Not entzogen sind. Das setzt notwendig voraus, daß durch Unglück, Gefahr oder Not auch tatsächlich die Daseinsbedingungen des Opfers gefahrdet sind - das ist nur bei Gefahr für Leben oder existenzbedrohender Gesundheits- oder Eigentumsgefahr der Fall, nicht aber bei Gefährdungen für "Luxus"-Rechtsgüter. Diese Pflicht ist zwischenmenschlich begründet in der Idee der Menschheit in der Person eines jeden, deren Möglichkeit zum Dasein zu garantieren ist.

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Im Vergleich: Auch die Hilfe zum Lebensunterhalt als private Pflicht müßte mit der objektiven Bedürftigkeit eine Form von Not voraussetzen, bevor sie zu leisten ist. Diese Not muß existenziell bedrohlich sein, d. h. die biologische und die soziale Existenz des einzelnen gefährden. Die Hilfe zum Lebensunterhalt vollzieht sich jedoch nicht direkt zwischenmenschlich, sondern vermittelt im Verhältnis des Staates zum Bedürftigen. Die gemeinschaftliche Bewältigung existenzieller Bedrohungen bedeutet eine Lösung von der direkten Abhängigkeit von unmittelbaren Natureinflüssen. Wie sich das System der Bedürfnisse und das System der Arbeit(steilung) löst vom Angewiesensein auf das unmittelbare Bedürfnis und dem unmittelbaren Mitteleinsatz zu dessen Befriedigung, hin zum Prinzip der aufgeschobenen Befriedigung und der wechselseitigen Erweiterung im gesellschaftlich differenzierten Prozeß der Naturbewältigung (Arbeitsteilung), so schlägt sich dieser Prozeß nieder in der Lösung des einzelnen aus der unmittelbaren Verhaftung der Gegenständlichkeit, Abhängigkeit von den Zufällen des Daseins, hin zur planenden Sorge für das Dasein in der (Rechts)Gemeinschaft, die in der Natur zwar ihre Lebensgrundlage sucht und findet, sich dieser gegenüber aber nicht nur als Geformtes, sondern vernunftprozessual bedingt auch als Formendes (als selbstbewußte Subjektivität gegenüber dem Naturprozeß) versteht. In der erforderlichen und zurnutbaren Hilfe für den anderen ist ein Aspekt der Emanzipation gegenüber der unvernünftigen Natur enthalten, der gegenüber die Person sich als Aneignende verhält.

bb) Der Staat als Garantengemeinschaft, l.Teil Bedürftigkeit ist ein konkreter individuell-objektiver Mangel der intersubjektiven Rechtsvernunft. Die Not des einen ist die Not der Gattung. Im naturzuständlichen Nebeneinander der Personen bleibt es eine Zufalligkeit für den Bedürftigen, ob er auf einen vermögenden anderen trifft, der ihm wird helfen können oder nicht. Umgekehrt bleibt es im naturzuständlichen Nebeneinander eine Zufälligkeit für den Vermögenden, ob und wievielen Bedürftigen er wird helfen müssen. Im Naturzustand bestimmt sich Anspruch und Leistungspflicht nach den Zufalligkeiten zeitlichen und räumlichen Aufeinandertreffens von objek.tivem Bedarf und Vermögen. Erst in einem Zustand öffentlicher Gerechtigkeit, im Staat seiner Idee nach, werden Lasten der Hilfe und das Maß der Ansprüche verteilungsgerecht bestimmt einerseits proportional zur Leistungsfähigkeit, andererseits proportional zur Bedürftigkeit. Die Stetigkeit der Hilfeleistung an den einzelnen und die zurnutbare Belastung des Vermögenden in den Institutionen der Verteilungsgerechtigkeit machen die bürgerliche Gesellschaft von den Zufälligkeiten des personalen Nebeneinanders unabhängig. Dieser erste verteilungspragmatische Aspekt der Staatspflicht

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zur Hilfeleistung leitet über in deren privatrechtlich eigentumstheoretische Begründung. Dort wird sich ergeben, daß in der Zurückdrängung des Zufalls durch rechtliche Vergemeinschaftung der Hilfeleistung ein vorpositiv begründetes Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit beschlossen liegt. S. Vier Aspekte der Staatspflicht zur Hilfe zum Lebensunterhalt

Die Grundbegriffe der Sozialhilfe, objektive Bedürftigkeit und die diese ausgleichende Hilfe, sind erklärt worden. In der Hilfe werden dem Bedürftigen die materialen Möglichkeitsbedingungen des Daseins geleistet, nicht jedoch die Entscheidung für das Dasein abgenommen, noch dem Einzelnen die Setzung in bestimmte Gegenstände vorgeschrieben. An diesen Begriff der Hilfe knüpfen sich folgende Fragen an: a) Wie ist es zu erklären, daß die objektive Bedürftigkeit eines einzelnen das Rechtsverhältnis zwischen den Menschen so berührt, daß ein vermögender anderer zur Hilfeleistung rechtsverpflichtet ist? Hier ist der kategorische Rechtsimperativ zu erinnern und abzuschichten von Tugendpflichten, die auf die Beförderung fremder Glückseligkeit gehen. Das ist innerhalb der praktischen Philosophie notwendig, um die Grenze zwischen nächstenliebender Wohltätigkeit und Erfüllung von Rechtspflichten im interpersonalen Verhältnis ziehen zu können. b) Wie ist das Rechtjedermanns (auch des objektiv Bedürftigen) auf Teilhabe an der Gegenständlichkeit zu erklären? Hier ist Kants Denkfigur eines "ursprünglichen Gesamtbesitzes" in Ansatz zu bringen. Diese sehr grundsätzliche Überlegung nimmt die Trennung von Person und Gegenstand, wie sie im Kapitel der Möglichkeitsbedingungen des Eigentums vorgestellt wurde, wieder auf und erläutert daran die unaufgebbare Berechtigung der Person zum Erwerb und Besitz von Gegenständen(= selbst ein Dasein zu haben). c) Wie setzt sich das grundsätzliche Teilhaberecht eines jeden im bürgerlichen Zustand rechtlich gesicherter Besitzstände um? Was für eine rechtslogische "Sekunde Null" als ursprünglicher Gesamtbesitz eingeführt wird, wird in das Verhältnis rechtlicher Teilung der Güterwelt unter den Personen in den bürgerlichen Zustand übertragen als verwirklichte Gattungssubjektivität angesichts der Gegenständlichkeit, deren höchster logischer Punkt durch den Begriff Kants vom "Obereigentum des Volkes" markiert wird. Aus dem ursprünglichen Recht auf Teilhabe wird ein Teilhaberecht gegen den Staat. Die im kategorischen Rechtsimperativ angelegte Verpflichtung findet hier die eigentumstheoretische Fundierung.

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d) Nach welchem Rechtsprinzip ist Umverteilung im bürgerlichen Zustand zum Zwecke der Hilfe für objektiv Bedürftige zu organisieren? Unter dem Begriff der Verteilungsgerechtigkeit oder dem "notwendigen Besitz der Gegenstände" ist die Summe aus dem vorher Dargelegten zu ziehen. Gegenstand der Untersuchung ist das dritte Hauptstück im Privatrecht der Metaphysik der Sitten, in welchem der subjektiv bedingte Erwerb unter einer ideal gedachten öffentlichen Gerichtsbarkeit (die praktische Vernunft als auf wirkliche Verhältnisse angewendet und für diese entscheidend gedacht) behandelt wird33 . Subjektive Bedingung zum Erwerb eines Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt ist die objektive Bedürftigkeit des Anspruchstellers. Grund und Grenze der Eigentumsregulation im bürgerlichen Zustand sind am Beispiel der Hilfe zum Lebensunterhalt aufzuzeigen. Sowohl die Berechtigung des Vermögenden wie auch die des objektiv Bedürftigen sind aus einem einheitlichen Prinzip- dem kategorischen Rechtsimperativ - zu entwickeln. Die hier entwickelten Grundsätze weisen über das Recht der Sozialhilfe hinaus. Sie lassen sich auf das gesamte Feld staatlicher Daseinsvorsorge und auf alles, was unter den Begriff des Sozialstaats gezogen wird, übertragen. Das ergibt sich notwendig aus der Allgemeingültigkeit des kategorischen Rechtsimperativs für alles positive eigentumsregulierende Recht zum Zweck der Eingriffs- und Leistungsverwaltung. a) 1. Aspekt: Das allgemeine Rechtsprinzip

Der erste zu vollziehende Gedankenschritt ist die Verankerung der Hilfe zum Lebensunterhalt in das zwischenmenschliche Rechtsverhältnis im vorpositiven Sinne. Damit wird rechtsphilosophisch lediglich nachvollzogen, was mit dem § 11 I 1 BSHG längst geltendes Recht ist. Was innerhalb der Bundesrepublik Deutschland eine Selbstverständlichkeit ist, ist es jedoch im internationalen Verhältnis nicht. Entwicklungshilfe bzw. wirtschaftliche Zusammenarbeit vollzieht sich nicht rechtsförrnig unter einem international vermittelnden öffentlichen Zustand der Verteilungsgerechtigkeit, sondern privatrechtlich-zufällig in quasi naturzuständlichen Verhältnissen. Das findet nicht zuletzt darin Ausdruck, daß die internationale Hilfeleistung immer auch überformt ist von wirtschaftlichen oder politischen Interessen. Entwicklungshilfe (als Weltsozialhilfe verstanden) garantiert den bedürftigen Menschen anderer Nationen keinen Rechtsanspruch auf Hilfe, z. B. für diesen Bereich der "nicht selbstverständlichen" Hilfeleistung ist eine grundsätzliche Erinnerung an die Berechtigung der objektiv Bedürftigen notwendig. Das Grundverständnis stößt vor allem auf ein Problem, für das eine Lösung angeboten werden muß:

33

Metaphysik der Sitten/Rechtslehre B S. 139ff.

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Wird mit der Hilfe zum Lebensunterhalt nicht unzulässigerweise eine Tugendpflicht zur Hilfe verrechtlicht? Die Gesetze der Tugendlehre und der Rechtslehre sind gleich verbindlich, sind jedoch nach ihren Gegenständen und dem Nötigungsmodus zu unterscheiden. Die Gesetze der Tugendlehre gehen auf die Maximensetzung des Subjekts, die Gesetze der Rechtslehre gehen auf die Vereinbarkeit des äußeren Freiheitsgebrauchs eines jeden mit jedem unter einem allgemeinen Gesetz. Die Verbindlichkeit der Tugendpflicht ist nur innerer Selbstzwang des Subjekts unter dem kategorischen Imperativ, die Verbindlichkeit der Rechtspflicht ist auch die Möglichkeit zum äußeren Rechtszwang durch andere, die ihren Freiheitsstatus gegen Fehlverhalten mit Zwang durchsetzen können34 . Tugendpflichten35 sind in solche gegen sich selbst und solche gegen andere zu unterscheiden. Die Wohltätigkeit gegen andere fällt in letztere Kategorie. Hier fragt Kant: "Wie kann man aber, außer dem Wohlwollen des Wunsches in Ansehung anderer Menschen (welches nichts kostet), noch, daß dieses praktisch sei, d.i. das Wohltun, in Ansehung der Bedürftigen jedermann, der das Vermögen dazu hat, als Pflicht ansinnen?"36 -

und antwortet selbst: "Wohltätig, d.i. anderen Menschen in Nöten zu ihrer Gückseligkeit, ohne dafür etwas zu hoffen, nach seinem Vermögen beförderlich zu sein, ist jedes Menschen Pflicht. " 37

Zur Begründung dieser Pflicht argumentiert Kant auf den ersten Blick ganz überraschend. Er führt an, daß die nur eigennützige Maxime "ein jeder für sich, Gott (das Schicksal) für uns alle"38 in Situationen eigener Not es jedermann erlauben würde, Hilfe und Beistand zu versagen, was den eigenen Interessen zuwiderlaufen würde und man darum diese Maxime eines moralischen Solipsismus unmöglich wollen könne. Dieses Argument erinnert an die im Gegensatz zum kategorischen Imperativ nur pragmatisch begründende "Goldene Regel"39 : "Was Du nicht willst, das man dir tu', das füg'auch keinem anderen zu!", die sich übertragen läßt: "Was Du nicht willst, das man Dir versage, das versage auch anderen nicht!". In diesem Argument Kants ist, obwohl es vordergründig wie eine Nutzenabwägung eigenen Verhaltens wirkt, trotzdem die vernünftig-kompatible Wechselbeziehung zwischen Maxime und kategorischem Imperativ eingefordert, mithin 34 Das strikte Recht, Metaphysik der Sitten/Einleitung in die Rechtslehre, § E, B S. 35, 36, welches mit der Befugnis zu zwingen verbunden ist. 35 Zum folgenden s. Ebbinghaus, Jürgen: "Deutung und Mißdeutung des kategorischen Imperativs" in: Gesammelte Schriften Bd. 1, Bonn 1986, S. 279 [286ff.]- vor allem mit ausführlichem Aufweis des Vernunftschlusses zur Gesetzlichkeit der Maximenbildung. 36 Metaphysik der Sitten/Tugendlehre, § 29 A S. 123. 37 Metaphysik der Sitten/Tugendlehre, § 30 A S. 124. 38 Metaphysik der Sitten/Tugendlehre, § 29 A S. 123. 39 Ein in kantischer Terminologie nur hypothetischer Imperativ.

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wird damit der kategorische Imperativ angewendet. Kant präzisiert sein Argument noch weiter, indem er das gemeinschaftliche Dasein der Personen in Ansatz bringt, welches zum Wohltun verpflichtet, " ... weil sie als Mitmenschen, d.i. Bedürftige, auf einem Wohnplatz durch die Natur zur wechselseitigen Beihülfe vereinigte vernünftige Wesen anzusehen sind. " 40 Diese Überlegung läßt sich noch weiter zurückverfolgen auf den Gedanken allgemeiner Gattungssubjektivität, die eigener Zwecksetzung wie auch der Zwecksetzung anderer inhaltliches Prinzip ist: ,,Nun würde zwar die Menschheit bestehen können, wenn niemand zu des anderen Glückseligkeit was beitrüge, dabei ihr nichts vorsätzlich entzöge, allein es ist dieses doch nur eine negative und nicht positive Übereinstimmung zur Menschheit, als Zweck an sich selbst, wenn jedermann auch nicht die Zwecke anderer, so viel an ihm ist, zu befördern trachtete. Denn das Subjekt, welches Zweck an sich selbst ist, dessen Zwecke müssen, wenn jene Vorstellung bei mir alle Wirkung tun soll, auch, so viel möglich, meine Zwecke sein."41

Die Beförderung fremder Glückseligkeit als Pflicht bedeutet nicht, daß man sich an die Stelle des anderen zu setzen und dessen Zwecke als eigene zu übernehmen hat, sondern daß man die fremde Perspektivität des anderen in den eigenen moralischen Reflexionshorizont einpaßt und im eigenen Handeln ermöglicht bzw. befördert (als fremde). Gattungssubjektivität ist in der Hilfe also nicht bloß negatives Abweisen von personalem Fehlverhalten, sondern positiv den Anderen bestätigend als Person im Dasein. Insofern genügt Hilfe für objektiv Bedürftige der Tugendpflicht, fremde Glückseligkeit zu befördern. Nun ist die Erfüllung von Tugendpflichten verdienstlich, d. h. etwas über das Geschuldete Hinausgehendes. Die Erfüllung von Rechtspflichten ist "nur" die Erfüllung einer strikten Verbindlichkeit der äußeren Freiheit anderer gegenüber. Kant selbst kommen Zweifel, ob das Wohltun gegen andere angesichts der Zufälligkeit der Güterverteilung - der Eine hat mehr, der Andere weniger, je nach den Glücksund Wechselfällen des Lebens -immer nur "verdienstlich", d. h. Erfüllung einer Tugendpflicht, oder nicht vielmehr Rechtspflicht sei: ,,Das Vermögen wohlzutun, was von Glücksgütern abhängt, ist größtenteils ein Erfolg aus der Begünstigung verschiedener Menschen durch die Ungerechtigkeit der Regierung, welche eine Ungleichheit des Wohlstandes, die anderer Wohltätigkeit notwendig macht, einführt."42

Statt des Zufalls durch ungerechte Regierung kann hier auch die Zufälligkeit des (Arbeits-) Marktes, die Zufälligkeit der menschlichen Anlagen in Geist und Körperlichkeit gesetzt werden - alles, was der Formungskraft des Subjekts entzogen ist. Als bloße Tugendpflicht werde der Vermögende schon zu seinem Selbstgefal40 41

42

Metaphysik der Sitten/Tugendlehre, § 30 a.E., A S. 124. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Übergang zu Metaphysik der Sitten, B S. 69. Metaphysik der Sitten/Tugendlehre, § 31 -Kasuistische Fragen a.E.- A S. 126.

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len Hilfe leisten, um die Achtung anderer einem großzügigen und edelmütigen Bürger gegenüber zu erwerben, jedoch .,Verdient unter solchen Umständen der Beistand, den der Reiche den Notleidenden erweisen mag, wohl überhaupt den Namen der Wohltätigkeit, mit welcher man sich so gern als Verdienst brüstet?"43 Kant stellt diese Frage, löst das Problem aber nicht. Allerdings läßt sich aus seinem Konzept der Rechtspflicht herleiten, daß mit dem Wohltun gegen andere nicht nur eine Tugendpflicht erfüllt wird, sondern in Fällen objektiver Bedürftigkeit einer Rechtspflicht nachgekommen wird. Kant hat die Hilfe für Arme in der (Staats)Rechtslehre thematisiert - nochmals das Zitat: ,,Dem Oberbefehlshaber steht indirekt, d.i. als Übernehmer der Pflicht des Volks, das Recht zu, dieses mit Abgaben zu seiner (des Volks) eigenen Erhaltung zu belasten, als da sind: das Armenwesen, die Findelhäuser und das Kirchenwesen, sonst milde, oder fromme Stiftungen genannt. Der allgemeine Volkswille hat sich nämlich zu einer Gesellschaft vereinigt, welche sich immerwährend erhalten soll und zu dem Ende sich der inneren Staatsgewalt unterworfen, um die Glieder dieser Gesellschaft, die es selbst nicht vermögen, zu erhalten. Von Staatswegen ist also die Regierung berechtigt, die Vermögenden zu nötigen, die Mittel der Erhaltung derjenigen, die es, selbst den notwendigsten Naturbedürfnissen nach, nicht sind, herbei zu schaffen; weil ihre Existenz zugleich als Akt der Unterwerfung unter den Schutz und die zu ihrem Dasein nötige Vorsorge des gemeinen Wesens ist, wozu sie sich verbindlich gemacht haben, auf welche der Staat nun sein Recht gründet, zur Erhaltung ihrer Mitbürger das Ihrige beizutragen." 44 Ein solches Recht des Souveräns kann sich jedoch nicht losgelöst, sozusagen ,,kraft Souverän-Seins", von subjektiver Berechtigung einzelner ergeben. Dieses Recht muß sich aus der Freiheit der Bürger ableiten lassen. Der Rechtsgrund der Eingriffsbefugnis und der Leistungspflicht muß im zwischenmenschlichen Rechtsverhältnis aufzuweisen sein, welches sich im bürgerlichen Zustand im Staat institutionalisiert. Zur Erinnerung: .,Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willlkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann. " 45

... . . handle äußerlich so, daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen könne, ... " 46 ,,Eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann etc."47

43 44 4S

46 47

Metaphysik der Sitten/Tugendlehre, § 31 -Kasuistische Fragen a.E.- A S. 126. Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, Allgemeine Anmerkung C, B S. 216/217. Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre, § B, B S. 33. Metaphysik der Sitten/Einleitung in die Rechtslehre, § C, B S. 34. Metaphysik der Sitten/ Einleitung in die Rechtslehre,§ C, B S. 33.

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B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

Das gesamte Dasein der Person als deren äußere Freiheit, vergegenständlichter Willkürprozeß ist rechtlich-normativ erlaßt. Nicht nur Handlungen, sondern auch der Zustand der Person unterliegt dem Rechtsprinzip. Nicht nur das aktive Tun, sondern auch das Unterlassen, also das personale Verhalten insgesamt, so es nur im interpersonalen Zusammenhang steht. Im Begriff "Verhalten" steckt das Verhältnis der Person zu anderen Personen und diese Beziehung wird auch durch den Zustand der Person bestimmt. Die Vereinbarkeit äußerer Freiheit des einen mit der des anderen muß unter rechtlichem Aspekt umfassend und nicht nur reduziert auf das aktive Tun der Person geprüft werden. Vorausgesetzt ist also im Rechtsverhältnis, daß Bedingungen gesetzt werden, die das Dasein der Willkür des einen mit dem Dasein der Willkür des anderen als jeweils freie, d. h. gegenseitig bestätigende, aber auch beschränkende Gegenstandsmacht ermöglichen. Das Rechtsverhältnis ist die formale Möglichkeitsbedingung wechselseitig gesicherter freier Gegenstandsmacht Damit ist zunächst das Prinzip subjektiver Berechtigung, wie es im Iex permissiva des § 2 der Rechtslehre Ausdruck findet, ausgesagt: die Person hat ein erstes unaufgebbares Menschenrecht auf Gegenstandsteilhabe. Der Gedanke des ursprünglichen Gesamtbesitzes ist eine Illustration dieses Zusammenhangs. Dieses Recht ist aus dem angeborenen Recht der Freiheit48 direkt deduzierbar. Freiheit ist ohne Gegenstandsformung, ohne Prozeß des Subjekts am Objekt, in welchem Freiheit sich erst aufweist, nicht denkbar. Freiheit ist nichts als ein Attribut, welches der Gegenstandsmacht des Subjekts, als ein Vermögen, die Welt formend zu erkennen und zu gestalten, zukommt. Das Recht auf Gegenstandsteilhabe kann daher aus dem ersten Recht der Freiheit analytisch geschlossen werden, denn im Begriff der Freiheit ist Prozeß am Gegenstand vorausgesetzt. Damit ist der Grund subjektiver Berechtigung (die Möglichkeit moralischer Freiheitsäußerung) und der Begriff subjektiver Berechtigung (Gegenstandsteilhabe unter einem Gesetz der Freiheit) ausgesagt. Im Rechtsverhältnis gibt der Grund der Berechtigung die Grenze des Rechts an. Niemand hat gegen den anderen einen Rechtsanspruch, daß dieser ihn glücklich mache, ihm die persönliche Zwecksetzung abnehme und/oder materieller Wohlfahrt zuführe. Der Anspruch im Rechtsverhältnis geht darauf, daß jeder sich so verhalte und einrichte, daß allen die Möglichkeit der Gegenstandsteilhabe =Freiheitsverwirklichung in der Gegenständlichkeit gelassen und wenn diese Möglichkeit nicht besteht, gegeben wird. Es kann im Rechtsverhältnis also nicht um die materiale Glückseligkeit gehen, sondern jeweils notwendigerweise erstens:

48

um die Chance, sich in Gegenständlichkeit setzen zu können (erwerben zu können, eine im "ursprünglichen Gesamtbesitz" begründete individuelle Institutsgarantie);

Metaphysik der Sitten/ Einteilung der Rechtslehre, B S. 45.

IV. Die Notwendigkeit der Eigentumsregulation

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zweitens: verwirklichte Chancen im intersubjektiven Zusammenhang gesichert zu bekommen (Be(sitz)standsschutz); in diesem Dreischritt ergibt sich der dritte Schritt aus den beiden vorherigen: drittens: für die Möglichkeit, daß sich eine Daseinszufälligkeit gegen die prinzipiellen Erwerbsmöglichkeiten eines Subjekts richtet, auf Neuverteilung von Gegenständen und Erwerbschancen (eine nach Maßstäben der Verteilungsgerechtigkeit zu leistende, im "Obereigentum des Volkes" begründete Hilfe zum Lebensunterhalt).

Die letzte Wendung, daß die Möglichkeit des Gegenstandserwerbs auch gegeben werden muß, ist nach dem allgemeinen Prinzip des Rechts begründungsbedürftig. Damit wird nicht nur ein Unterlassen der aktiven Schädigung des anderen gefordert, sondern eine Leistungspflicht auf ein Unvermögen des anderen hin, welches in einen schädigenden Erfolg umzuschlagen droht, in dem Kausalzusammenhang die Rechtsgemeinschaft direkt scheinbar nicht ursächlich ist. Eine Leistungspflicht kann nur dann begründet werden, wenn das Dasein anderer äußerer Freiheit in oben entwickeltem Verständnis zu garantieren ist. Eine solche Hilfeleistungspflicht kann nur auf dem Grundverständnis beruhen, daß jedem im Rechtsverhältnis unabhängig von den Zufällen der Natur ein berechtigtes Dasein möglich sein muß. Diesem Grundverständnis ist das Prinzip einer rechtlichen Organisation von Gegenstandsteilhabe insgesamt vorausgesetzt. Ausgehend von der fundamentalen Trennung zwischen Person und Gegenstand ist das Zugriffsrecht einer jeden Person auf die Gegenständlichkeit postuliert worden49. Dieses Zugriffsrecht ist die "Initialzündung" der Eigentumstheorie, von ihm leitet sich jede Berechtigung an Gütern ab. Dieses Zugriffsrecht ist unter dem Aspekt eines fiktiven "ursprünglichen Gesarntbesitzes" zu diskutieren. Der Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt ist abgeleitet von diesem ersten Zugriffsrecht, wurzelt also in der Eigentumstheorie. Im weiteren Ableitungsgang ist aufzuweisen, wie sich das fundamentale Recht auf Gegenstände im bürgerlichen Zustand umsetzt zu einem Teilhaberecht b) 2. Aspekt: Das Recht aufTeilhabe im ursprünglichen Gesamtbesitz50

Vor Kant hat Rousseau ein Teilhaberecht eines jeden Menschen an der Gegenständlichkeit ausdrücklich anerkannt. Er unterscheidet ebenfalls den Naturzustand vom bürgerlichen Zustand: Nur unter einem Gesellschaftsvertrag würde aus faktischem Besitz rechtliches Eigentum. Ebenso betont er die Wechselseitigkeit zwischen der Behauptung eigenen und der Achtung fremden Eigentums. 49 50

Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, § 2. Dazu Luf, Gerhard: "Freiheit und Gleichheit"; Wien New York 1978, S. 88ff.

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B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung ,,Jeder Mensch hat natürlicherweise ein Recht auf alles, was er braucht; der ausdrückliche Akt jedoch, der ihn zum Eigentümer irgendeines Besitztums macht, schließt ihn von allem übrigen aus. Wenn sein Anteil feststeht, muß er sich darauf beschränken und hat keinen weiteren Anspruch gegen die Gemeinschaft."51

Erst dann also, wenn der Anteil feststeht, besteht kein weiterer Anspruch gegen die Gemeinschaft. Wie aber vorher, wenn der Mensch noch nicht alles, was er braucht, erworben hat? Hier läßt Rousseau die Möglichkeit eines Anspruchs gegen die Gemeinschaft offen. Hervorzuheben ist bei Rousseau der bei ihm nicht weiter ausgearbeitete Gedanke, daß jeder Mensch "natürlicherweise" ein Recht auf mindestens die Gegenstände hat, derer er bedarf, um sich im Dasein zu halten. Auch bei Kant findet sich die Figur eines ursprünglichen Rechts der Person auf Gegenständlichkeit. In Anlehnung an die Rousseausche Konstruktion, jedoch mit spezifisch vernunftrechtlicher Begründung grenzt er den "ursprünglichen Gesamtbesitz" vom Zustand der Gemeinschaft des Mein und Dein ab. ,,Der Zustand der Gemeinschaft des Mein und Dein (communio) kann nie als ursprünglich gedacht, sondern muß (durch einen äußeren rechtlichen Akt) erworben werden; obwohl der Besitz eines äußeren Gegenstands ursprünglich nur gemeinsam sein kann. " 52

Der bürgerliche Zustand eines gesicherten Mein und Dein (die Gemeinschaft der Eigentümer) muß durch einen rechtlichen Akt gestiftet werden. Vorher sind die zwischenmenschlichen Verhältnisse naturzuständlich. Vor jeder Erwerbung in dieser Naturzuständlichkeit kann der Besitz eines jeden Gegenstands nur als gemeinsamer Besitz aller Personen gedacht werden. Einen durch Wegrechnung jeden vollzogenen Erwerbs in der Wirklichkeit konstruierten ursprünglichen Gesamtbesitz grenzt Kant ab von der "uranfanglichen Gemeinschaft" in Ansehung der Gegenstände. ,,Auch wenn man sich (problematisch) eine ursprüngliche Gemeinschaft (communio mei et tui originaria) denkt: so muß sie doch von der uranfänglichen (communio primaeva) unterschieden werden, welche, als in der ersten Zeit der Rechtsverhältnisse unter Menschen gestiftet, angenommmen wird und nicht, wie die erstere, auf Prinzipien, sondern nur auf Geschichte gegründet werden kann: wobei die letztere immer als erworben und abgeleitet (communio derivativa) gedacht werden müßte."53

Der ursprüngliche Gesamtbesitz ist eine Denkfigur, die mit den formalen Bedingungen des Rechtsdenkens vereinbar ist- eine "problematische" (=denkmögliche) Fiktion, die allerdings jeder weiteren Güterorganisation im Prozeß des wechselseitigen Erwerbs notwendig vorausgesetzt werden muß, ohne daß dieser Zustand historische Gegebenheit sein müßte. Es ist der Zustand völliger Intelligibelität der 51 Rousseau, Jean-Jacques: Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts; Stuttgart 1977; S. 23, 24. 52 § 10Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, B S. 76, 77. 53 § 10Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, B S. 77.

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Person, die in ihm kein Dasein hat, keine materialen Bezüge aufweist, sich nicht handelnd in die Gegenständlichkeit gesetzt hat: der Zustand aller Möglichkeiten, eine "logische Sekunde Null" der Eigentumstheorie. Die Fiktion eines ursprünglichen Gesamtbesitzes hat objektiv-praktische Realität in jedem Erwerbsakt Der ursprüngliche Gesamtbesitz ist die Gleichheit und Einheit des Besitzzustands aller, vor jeder Partikularisierung und näheren Güterverteilung. Dieser Zustand kann keine Wirklichkeit haben, weil er voraussetzt, daß die Person ohne materialen Bezug ist, also kein Dasein, keine Erfahrung ihrer selbst hat, kann nur ein "leerer Begriff' sein, dem keine Anschauung gegeben werden kann, da die Person in ihm nicht wirklich ist. Es ist die Stufe, auf der die rechtlich-praktische Möglichkeit der Zuordnung von Gegenständen zu Personen diskutiert und bejaht werden muß, um rechtliche Praxis zu ermöglichen. Jeder Zugriff auf Gegenstände leitet sich denknotwendig vom ursprünglichen Gesamtbesitz her ab, auch in den vielschichtigsten Vermittlungen abgeleiteten Erwerbs ist der Gesamtbesitz in hier vorgestellter Begrifflichkeil enthalten als logisch Erstes eines Erwerbs überhaupt. Der ursprüngliche Gesamtbesitz hat insofern in jedem wirklichen Erwerb objektive praktische Realität, wenn auch keine geschichtliche Faktizität. Der Gesamtbesitz hat Begründungsfunktion für jede besondere Eigentumsorganisation, als Ausdruck ursprünglicher Teilhabeberechtigung, wie sie sich aus der Erlaubtheil des Zugriffs auf Gegenstände ergibt und sich im wirklichen Erwerbsprozeß durchsetzt. Erst durch diese Konstruktion, daß sich auf die Gegenstände keine Berechtigungen der Vernunftwesenheit beziehen, von jeder geltenden Güterorganisation also abgesehen wird, läßt sich das Postulat der praktischen Vernunft, daß es der Person erlaubt sei, Gegenstände zu gebrauchen, begründen54, weil somit nichts und niemand dem personalen Zugriff rechtlich widerstehen kann bis auf eine andere Person, deren äußere Freiheit durch den Zugriff verletzt wird. Der ursprüngliche Gesamtbesitz ist als Grundsatz im ursprünglichen, aber auch in jedem noch so komplex abgeleiteten Erwerbstatbestand enthalten und gibt diesem seinen tieferen, von der geschichtlich zufälligen Eigentumsorganisation abstrahierten, im rechtlichen Postulat der praktischen Vernunft ausgedrückten Legitimationsgrund. Der Gesamtbesitz ist die logische Bedingung, unter der ich jeden aktuellen Besitzer einer Sache, welche mir gehört, zur Unterlassung der Besitzstörung auffordern kann. In diesem Sinne gebraucht Kant den Gesamtbesitz als Rechtsgrund für eine aktuelle Berechtigung einer Person an einem Gegenstand gegenüber anderen Personen, so daß der berechtigten Person die Befugnis zusteht, den Gegenstand zu nutzen und andere von der Nutzung abzuhalten. Nur mit dem ursprünglichen Gesamtbesitz läßt sich der ursprüngliche Erwerb und der abgeleitete Erwerb erklären, wie auch das ursprüngliche Menschenrecht auf Teilhabe an der Gegenständlichkeit. Der Sphäre reiner Subjektivität steht im ursprünglichen Gesamtbesitz eine Sphäre reiner Gegenständlichkeit gegenüber, auf die sich keine interpersonalen Beziehungen richtet. Ein solcher Zustand ist 54

§ 2 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, B S. 56.

13 Süchting

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B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

nicht erfahrungsmöglich und doch gibt dieser Zustand einen Begriff von dem grundsätzlichen Teilhaberechts eines jeden auf Dasein, auf Freiheitsverwirklichung in der Gegenständlichkeit. Hier hat jedes Subjekt in grundlegender Gleichheit gemäß der Möglichkeit und Notwendigkeit von Besitz und Eigentum freien Zugriff auf die Gegenstände, kann sich setzen in diese andere Sphäre, ein Zustand gänzlich unstrukturierter Komplexität. Dieses ursprüngliche Zugriffs-, d. h. Bemächtigungsund Erwerbsrecht ist unaufgebbar mit dem Begriff des Subjekts verknüpft und kommt diesem kraft Personseins zu. Jedes neu auf die Welt kommende Vernunftwesen hat dieses Recht, sich formend in die Gegenständlichkeit setzen zu können. Das ergibt sich aus der ursprünglichen Berechtigung, wie sie in einem vorgestellten Gesamtbesitz notwendig anzunehmen ist55 . Die Hilfeleistungspflicht im Rechtsverhältnis findet im ursprünglichen Gesamtbesitz ihre erste eigentumstheoretische Fundierung. Nur unter Annahme eines ursprünglichen Menschenrechts auf Teilhabe an Gegenständlichkeit, d. h. Dasein oder Wirklichkeit der Person, kann eine Rechtspflicht auf Hilfeleistung überhaupt gedacht werden. Diese Berechtigung ist der Grund für jeden Besitz, für das gesamte körperliche Dasein der Person, welche unter diesem Gesichtspunkt als Eigentümer ihrer selbst, ihrer eigenen Gegenständlichkeit begriffen werden muß. Kant unterscheidet zwei Arten des Gesamtbesitzes, den ursprünglichen und den gestifteten: "Das Recht in einer Sache ist ein Recht des Privatgebrauchs einer Sache, in deren (ursprünglichen, oder gestifteten) Gesamtbesitze ich mit allen andern bin."56 55 Dieser Zusammenhang einer dauernden Transformation der Eigentumsverhältnisse läßt sich illustrieren mit der Situation der Rentenversicherung und der demographischen Struktur der Bundesrepublik Deutschland. Bis zum Jahre 2025 wird ein im Erwerbsleben stehender Bürger 1,2 Rentner und 0,8 Heranwachsende/ Auszubildende zu ernähren haben. Bei vorausgesetztem gleichem Bruttosozialprodukt wird also - damit für den arbeitenden Bürger noch ein gerechter Anteil an seinem Arbeitslohn bestehen bleibt - der Anteil eines jeden Rentners am Bruttosozialprodukt sich verringern müssen. Das bedeutet entweder eine Änderung der Rentenformel oder eine Änderung der Rentenzugangsberechtigung. Diese Änderung ist ein Eingriff in die verfassungsgerichtlich anerkannte Eigentümerposition des Rentners und gesetzlich in der Rentenversicherung Zwangsversicherten. Dieser Eingriff legitimiert sich aber aus dem Gedanken, daß die einmal gesetzlich verfestigte Eigentumslage neuen sozialen Situationen anzupassen ist, daß Eigentum also nicht statisch oder als Besitzstand dauerhaft fixiert ist. Bestehendes Eigentum muß sich mit neuen berechtigten Ansprüchen vermitteln. Die Rentenansprüche, welche der Arbeiter 1995 durch Beiträge erwirbt, sind der Höhe nach mit den materiellen Bedürfnissen des Arbeiters im Jahre 2025 in Ausgleich zu bringen. Dieser Arbeiter des Jahres 2025 soll auf der einen Seite seinen eigenen Lebensunterhalt und den seiner Familie bestreiten, auf der anderen Seite die Rente des Arbeiters aus dem Jahre 1995 finanzieren. Zwar hat jeder Rentner einen Besitzstand in Form einer geltenden Gesetzeslage, welchen die Rentenformel festschreibt. Dieser "soziale Besitzstand" genießt den Vertrauensschutz des Art. 14 GG als Eigentum des Rentenzugangsberechtigten, muß aber mit den kommenden Generationen notwendig dahingehend geteilt werden, daß der einzelne Rentner Einschränkungen der Sozialleistungen hinnehmen muß. Dieses ist ein Beispiel für das eigentumstheoretische Kalkül, in dem der Obersatz der Gegenstandsteilhabeberechtigung einer jeden kommenden Generation mitaufgenommen gehört.

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Rechtsbegründend in der gedachten Als-Ob-Konstruktion eines gedachten Naturzustands kann nur der ursprüngliche Gesamtbesitz sein. Im bürgerlichen Zustand transformiert sich der ursprüngliche Gesamtbesitz zum gestifteten Gesamtbesitz, der im Staatsrecht Kants mit dem Begriff "Obereigentum des Volkes" ausgezeichnet wird. In dieser Transformation liegt der qualitative Übergang von nur partikularer Besitzstandschaft des einzelnen, welche berechtigt ist vor dem Hintergrund des ursprünglichen Aneignungsrechts im ursprünglichen Gesamtbesitz, hin zu einer interpersonal-distributiv vermittelten Eigentumsordnung beschlossen. Dieser Übergang hat vor allem hinsichtlich der Maßbestimmungen einer Hilfeleistungspflicht Konsequenzen. Im Naturzustand ist dem Bedürftigen nur das Notwendige zur Erhaltung seiner biologischen Subsistenz zu gewähren57 . Im gestifteten Gesamtbesitz ist zum Obereigentum des Volkes - als Teil dessen der Bedürftige begriffen wird - auch das entwickelte System der Arbeitsteilung, d. h. das System der Bedürfnisse und der Arten und Weisen ihrer Befriedigung zu zählen. Hier ist dem Bedürftigen zusätzlich zu seiner biologischen Lebenshaltung das zur Teilnahmemöglichkeit an diesem System der Produktion und Konsumtion Notwendige (Kommunikations-, Bildungs- und Mobilitätschancen), also der soziokulturelle Anteil am Obereigentum des Volkes zu gewähren. Es trifft also zu, wenn man davon spricht, daß der ursprüngliche Gesamtbesitz die besitztheoretische Umsetzung des kategorischen Imperativs ist, durch welche die Selbstregelhaftigkeit der Person sich ein berechtigtes Dasein in der Gegenständlichkeit zu geben vermag58 . Zu kurz greift es jedoch, hier nur den ursprünglichen und nicht den allgemeinen Begriff von einem Gesamtbesitz bei Kant argumentativ anzusetzen, und sich dadurch der qualitativen und quantitativen Folgerungsmöglichkeiten zu begeben59. Die peremtorische Organisation der Berechtigung an Gegenständen nach dem kategorischen Rechtsimperativ findet im bürgerlichen Zustand statt. Hier wird der Metaphysik der Sitten/Rechtslehre§ 11, B S. 81. Mißverständlich hierzu Luf, Gerhard: "Freiheit und Gleichheit", S. 95, 96, der aus dem ursprünglichen Gesamtbesitz heraus folgert: "Daß bei der Verteilung des Eigentums ein zureichender und einheitlicher Standard materieller Lebensbedingungen anzustreben ist, stellt wohl eine Selbstverständlichkeit dar, . . .". Eine Selbstverständlichkeit ist mit der herzustellenden Gleichheit materieller Lebensbedingungen mitnichten vor dem Hintergrund des Privatrechts Kants ausgedrückt, wenn man unter materieller Gleichheit der Lebensbedingungen die quantitativ gleiche Zuteilung von Gütern an jeden versteht. Mit der Eigentumslehre Kants wird sich hiergegen kein einheitlicher Standard der Lebenshaltung begründen lassen, vielmehr ist im Privatrecht nach dem kategorischen Rechtsimperativ die unterschiedliche Glückseligkeitskonzeption der einzelnen freigesetzt und Ungleichverteilung somit auf Rechtsgrundsätze zurückführbar. 58 So Luf, Gerhard: ,,Freiheit und Gleichheit", S. 90. 59 Diese Verkürzung des Begriffs vom Gesamtbesitz ist bei Luf (s.vorherige Fußnote) schon durch das insofern sinnentstellende Zitat der Metaphysik der Sitten/Rechtslehre § 11, B S. 81 angelegt, in dem die Unterscheidung Kants in den ursprünglichen und gestifteten Gesamtbesitz ausgestrichen wurde. 56

57

13*

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B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

Gedanke eines ursprünglichen Rechts Aller auf Alles verwandelt. Der grundsätzliche Gegensatz zwischen Personalität und Gegenständlichkeit bleibt erhalten, nur wird er im bürgerlichen Zustand (ebenfalls flktional) zu einem rechtlich aufgelösten Gegensatz mit Namen "Obereigentum des Volkes". Das Teilhaberecht an der ungeformten Gegenständlichkeit im ursprünglichen Gesamtbesitz leitet hier fort zu einem Teilhaberecht an der verrechtlichten Güterorganisation im bürgerlichen Zustand. c) 3. Aspekt: Teilhaberecht am Obereigentum des Volkes

Der Übergang vom ungesetzlichen Naturzustand zu einem rechtlichen bürgerlichen Zustand steht bei Rousseau unter dem Sollenssatz: ,,Finde eine Form des Zusammenschlusses, die mit ihrer ganzen gemeinsamen Kraft die Person und das Vermögen jedes einzelnen Mitglieds verteidigt und schützt und durch die doch jeder, indem er sich mit allen vereinigt, nur sich selbst gehorcht und genauso frei bleibt wie zuvor. " 60

Der Zusammenschluß wird im Gesellschaftsvertrag verlaßt, in dem sich jedes Mitglied des Vertrags mit seinem gesamten Vermögen an das Gemeinwesen völlig entäußert6 \ sich und das eigene Vermögen aber in diesem Akt in einem rechtlichen und geschützten Zustand wieder zurückerhält. ,)edes Glied überantwortet sich der Gemeinschaft in dem Augenblick, in dem sie sich bildet, so, wie es sich gerade befindet - sich und alle seine Kräfte, wozu auch die Güter gehören, die es besitzt." 62

Findet also eine Art "Durchgangserwerb" der im Gesellschaftsvertrag verfaßten Allgemeinheit statt? Rousseau formuliert hier undeutlich: ,,Es ist nicht etwa so, daß durch diesen Akt der Besitz, indem er in andere Hände übergeht, seine Natur änderte und Eigentum würde in den Händen des Souveräns: Aber da die Kräfte der Polis unvergleichlich größer sind als die eines Einzelnen, ist der öffentliche Besitz in der Tat auch stärker und unwiderruflicher, ohne rechtmäßiger zu sein, zumindest für die Staatsfremden." 63

Einerseits erhält der Souverän kein Eigentum, andererseits geht das Vermögen in den "öffentlichen Besitz" über. Wie ist das zu erklären? Die Berechtigung an den Gütern liegt beim einzelnen Bürger, wie bei diesem auch der private Besitz liegt. Von diesem abgeleitet ist eine tatsächliche Güterherrschaft der im Gesellschaftsvertrag verfaßten Allgemeinheit zu denken, der "öffentliche Besitz", der die 60 61 62

63

Rousseau, Jean-Jacques: "Vom Gesellschaftsvertrag . . ."; S. 17. Rousseau, Jean-Jacques: "Vom Gesellschaftsvertrag .. ."; S. 17. Rousseau, Jean-Jacques: "Vom Gesellschaftsvertrag . . ."; S. 23. Rousseau, Jean-Jacques: "Vom Gesellschaftsvertrag . .."; S. 23.

IV. Die Notwendigkeit der Eigentumsregulation

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Berechtigung des Einzelnen wiederum begründet und anderen staatsfremden Mächten entgegengehalten werden kann: "Denn der Staat ist hinsichtlich seiner Glieder durch den Gesellschaftsvertrag, der im Staat allen Rechten zur Grundlage dient, Herr über all ihr Gut; aber den anderen Mächten gegenüber ist er es nur aufgrund des Rechts des ersten Besitznehmers, das er vom einzelnen übernommen hat. " 64 -

wobei die letzte Wendung eines deutlich macht: daß sich der staatliche .,öffentliche Besitz" vom vereinzelten Willkürakt (Bemächtigung) eines naturzuständlichen Subjekts dem Grunde nach ableitet, diesen aber als rechtlichen erst begründet. "Das Eigentümliche an dieser Entäußerung ist, daß die Gemeinschaft, weit entfernt, den Einzelnen ihre Güter zu entreißen, dadurch, daß sie sie annimmt, ihnen im Gegenteil bloß ihren rechtmäßigen Besitz sichert, die unrechtmäßige Aneignung in ein wirkliches Recht und die Nutznießung in Eigentum verwandelt. Indem die Eigentümer als Sachwalter des Gemeinguts betrachtet und ihre Rechte von allen Gliedern des Staates anerkannt und mit aller Kraft gegen Fremde behauptet werden, haben sie sozusagen durch eine vorteilhafte Abtretung an die Öffentlichkeit und mehr noch an sich selbst alles erworben, was sie hingegeben hatten."65

Auch bei Kant findet sich diese .,Verwandlung" des Besitzes zu Eigentum im Übergang vom (bei ihm bloß erdachten) Natur- zum (bei ihm notwendigen) bürgerlichen Zustand. Der bürgerliche Zustand wird bei Rousseau naturalistisch als auf einem ursprünglichen "Gesellschaftsvertrag" beruhend und in diesem begründet beschrieben. Kant bedient sich der Denkfigur eines ursprünglichen Kontrakts nur, um die wechselseitige Verbindlichkeit der Subjekte im rechtlichen Verhältnis zu veranschaulichen. Hier ist der ursprüngliche Kontrakt lediglich Idee, welche ineins mit dem kategorischen Rechtsimperativ und der Idee eines vereinigten Willens zu denken ist. Die verwirklichte Vernunftssubjektivität im bürgerlichen Zustand wird mit der "Idee" vom ursprünglichen Kontrakt auf die ihr zugrundeliegende Einheit gebracht, die wechselseitige Verbindlichkeit zum und im bürgerlichen Zustand ergibt sich jedoch nicht aus einer faktischen Willensübereinkunft der Personen (im Vertrag), sondern durch das Apriori des möglichen Daseins anderer Personen, aus dem kategorischen Rechtsimperativ. Der Übergang ist bei Kant Gegenstand des Imperativs: "(. . .)du sollst, im Verhältnis eines unvermeidlichen Nebeneinanderseins, mit allen anderen, aus jenem (dem Naturzustand, G.S.) heraus, in einen rechtlichen Zustand, d.i. den einer austeilenden Gerechtigkeit, übergehen. " 66 "Der Akt, wodurch das Volk sich selbst zu einem Staat konstituiert, eigentlich aber nur die Idee desselben, nach der die Rechtmäßigkeit desselben allein gedacht werden kann, ist der ursprüngliche Kontrakt, nach welchem alle (omnes et singuli) im Volk ihre äuße-

64 65 66

Rousseau, Jean-Jacques: "Vom Gesellschaftsvertrag . . ."; S. 23. Rousseau, Jean-Jacques: "Vom Gesellschaftsvertrag . . ."; S. 25. § 42 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, B S. !54.

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B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung re Freiheit aufgeben, um sie als Glieder eines gemeinen Wesens, d.i. des Volks als Staat betrachtet (universi) sofort wieder aufzunehmen und man kann nicht sagen: der Staat, der Mensch im Staate, habe einen Teil seiner angebornen äußeren Freiheit einem Zwekke aufgeopfert, sondern er hat die wilde und gesetzlose Freiheit gänzlich verlassen, um seine Freiheit überhaupt in einer gesetzlichen Abhängigkeit, d.i. in einem gesetzlichen Zustande unvermindert wieder zu finden; weil diese Abhängigkeit seinem eigenen gesetzgebenden Willen entspringt." 67

Eine gegenständliche "geschichtliche" Vorstellung der Verwandlung ungeregelter zu geregelter Freiheit ginge bei Interpretation dieser Textstelle bei Kant fehl. Der Übergang und damit die Veränderung der zwischenmenschlichen Verhältnisse beruht allein auf den problematischen Annahmen eines Naturzustands und einer gesetzlosen "Freiheit" (welches nur die Freiheit von äußeren Gesetzen meinen kann, denn eine gesetzlose Freiheit im praktisch-philosophischen Sinn kann es nicht geben: Freiheit weist sich erst im kategorischen Imperativ, im praktischen Gesetz also, auf). Kant veranschaulicht diesen Übergang auch als wechselseitigen Erwerb des bürgerlichen Zustands, d. h. der friedlichen Willkür aller: "Indessen ist die erste Erwerbung doch darum so fort nicht die ursprüngliche. Denn die Erwerbung eines öffentlichen rechtlichen Zustandes durch die Vereinigung des Willens aller zu einer allgemeinen Gesetzgebung wäre eine solche, vor der keine vorhergehen darf und doch wäre sie von dem besonderen Willen eines jeden abgeleitet und allseitig: da eine ursprüngliche Erwerbung nur aus dem einseitigen Willen hervorgehen kann. "68

Der Erwerb eines bürgerlichen Zustands ist erste und notwendige Voraussetzung zur Begründung rechtlich gesicherten Eigentums. Alles Eigentum leitet sich von der Idee eines vereinigten Willens ab: "Der Vernunfttitel der Erwerbung aber kann nur in der Idee eines a priori vereinigten (notwendig zu vereinigenden) Willens aller liegen, welche hier als unumgängliche Bedingung (conditio sine qua non) stillschweigend vorausgesetzt wird; denn durch einseitigen Willen kann anderen eine Verbindlichkeit, die sie für sich sonst nicht haben würden, nicht auferlegt werden."69

Der Vernunfttitel legt anderen vernünftigen Wesen die Verbindlichkeit auf, die Rechtsposition des Erwerbers am Gegenstand zu achten und sich z. B. des Gebrauchs des Gegenstands zu enthalten. Diese Verbindlichkeit wird institutionalisiert. Kant entwickelt eine moderne gewaltenteilige republikanische Institutionenlehre nach dem Repräsentationsprinzip. Der Landesherr ist die oberste Gewalt im Volk, eine Person der praktischen Vernunft, in seiner Funktion idealerweise mit der Wirklichkeit dieser gleichzusetzen. Durch den Landesherrn soll die praktische Vernunft über das Volk herrschen. Der Landesherr ist zu unterscheiden vom Regenten.

67

68 69

§ 47 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, B S. 198, 199. § 10Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, B S. 79. § 15Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, B S. 86.

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"Der Beherrscher des Volks (der Gesetzgeber) kann also nicht zugleich der Regent sein, denn dieser steht unter dem Gesetz und wird durch dasselbe, folglich durch einen anderen, dem Souverän, verpflichtet." 70

Die Entfaltung der Gewaltenteilungslehre bei Kant unterscheidet Legislative (Souverän), Exekutive (Regent) und Judikative (Gerichtsbarkeit), "wodurch der Staat (civitas) seine Autonomie hat, d.i. sich nach Freiheitsgesetzen bildet und erhält"71. Der Souverän oder Landesherr hat bei Kant hinsichtlich der Güterorganisation Rousseaus Konzeption auf dem ersten Blick ähnlich, aber von Grund auf anders gedacht - eine Sonderstellung. "Von einem Landesherren kann man sagen: er besitzt nichts (zu eigen), außer sich selbst; denn, wenn er neben einem anderen im Staat etwas zu eigen hätte, so würde mit diesem ein Streit möglich sein, zu dessen Schlichtung kein Richter wäre. Aber man kann auch sagen: er besitzt alles; weil er das Befehlshaberrecht über das Volk hat (jedem das Seine zu Teil kommen zu lassen), dem alle äußere Sachen (divisim) zugehören."72

Wie ist dieses Befehlshaberrecht zu erklären? Kommt dem Landesherrn eine Art Superdirektionsbefugnis zu, die jede private Willkürentschließung überstimmen kann? Kant verneint dieses ausdrücklich. "Kann der Beherrscher als Obereigentümer (des Bodens), oder muß er nur als Oberbefehlshaber in Ansehung des Volks durch Gesetze betrachtet werden? Da der Boden die oberste Bedingung ist, unter der allein es möglich ist, äußere Sachen als das Seine zu haben, deren möglicher Besitz und Gebrauch das erste erwerbliehe Recht ausmacht, so wird von dem Souverän als Landesherrn, besser als Obereigentümer (dominus territorii)

§ 49 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, B S. 201. § 49 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, B S. 202; auch § 45 Metaphysik der Sitten/ Rechtslehre, B S. 195: ,;Ein jeder Staat enthält drei Gewalten in sich, d.i. den allgemein vereinigten Willen in dreifacher Person (trias politica): die Herrschergewalt (Souveränität), in der des Gesetzgebers, die vollziehende Gewalt, in der des Regierers (zu Folge dem Gesetz) und die rechtsprechende Gewalt (als Zuerkennung des Seinen eines jeden nach dem Gesetz), in der Person des Richters(...), gleich den drei Sätzen in einem praktischen Vernunftschluß: Dem Obersatz, der das Gesetz jenes Willens, dem Untersatz, der das Gebot des Verfahrens nach dem Gesetz, d.i. das Prinzip der Subsumtion unter demselben und dem Schlußsatz, der den Rechtsspruch (die Sentenz) enthält, was im vorkommenden Falle Rechtens ist." Kant entwickelt die Gewaltenteilung also nicht (nur) unter dem funktionalen Aspekt eines Systems von "checks and balances", also innerstaatlicher Kontrollverfahren, sondern in ihrem logischen Verhältnis zueinander im praktischen Vernunftschlußverfahren. Ausgangspunkt ist der (triviale) praktische Syllogismus Obersatz - Mittelsatz - Schlußsatz. Die Produktion der Obersätze (praktische allgemeingültige Regeln: Gesetze) liegt dem Souverän ob. Das tatsächliche Handeln als Staatsfunktion (zu unterscheiden vom privaten Handeln) schafft den Sachverhalt des Mittelsatzes und ist Sache der Regierung. Die Vermittlung des einen mit dem anderen unter einer Idee der öffentlichen Gerechtigkeit geschieht im Schlußsatz, der den Sachverhalt mit dem Gesetz vergleicht. Das Schlußverfahren begründet die Wirklichkeit und die Durchsetzung der praktischen Vernunft aus Freiheit im Staat. 72 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, B S. 214. 10 71

200

B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung alles solches Recht abgeleitet werden müssen. Das Volk, als die Menge der Untertanen, gehört ihm auch zu (es ist sein Volk)(... ) als Oberbefehlshaber (nach dem persönlichen Recht)."

Das Obereigentum ist jedoch keine wirkliche Größe des bürgerlichen Zustands, sondern widerum nur als Idee gedacht: ,,Dieses Obereigentum ist aber nur eine Idee des bürgerlichen Vereins, um die notwendige Vereinigung des Privateigentums aller im Volk unter einem öffentlichen allgemeinen Besitzer, zu Bestimmung des besonderen Eigentums, nicht nach Grundsätzen der Aggregation (die von den Teilen zum Ganzen empirisch fortschreitet), sondern dem notwendigen formalen Prinzip der Einteilung (Division des Bodens) nach Rechtsbegriffen vorstellig zu machen." 73

Das Obereigentum ist eine regulative gedankliche Bestimmung, welche aller wirklichen Güterorganisation immanent ist. Sie läßt sich als Gesamtvermögen aller an aller verfügbaren Gegenständlichkeit verstehen. Die Idee eines Gesamtvermögens ist die eigentumstheoretische Umsetzung der zu verwirklichenden Idee eines rechtlich regulierten personalen Miteinanders in Ansehung der Gegenständlichkeit im bürgerlichen Zustand in einen Begriff der Berechtigung aller an allem. Das breite Spektrum aller Handlungsalternativen wird unter dem Rechtsprinzip reduziert auf die dem anderen im äußeren Freiheitsgebrauch unschädlichen. In der rechtlichen Handlung verwirklicht sich die Person als gattungsmäßig bestimmtes Vernunftswesen. Der Rechtspflicht, andere zu achten, korrespondiert die Befugnis, den anderen bei Fehlverhalten in das wirkliche Achtungsverhältnis zu zwingen. Dieser Zwang tritt dem einen nicht als heteronome Fremdbestimmung entgegen, als Nötigung nur fremder Willkür, sondern auch als Ausdruck seiner eigenen Vernunftssubjektivität, als von ihm selbst zu Wollendes. So ist der Staat als Rechtsoder interpersonales Anerkennungsverhältnis in seinen unterschiedenen Vermittlungsstufen ("Gewalten") strikt vom Subjekt, von der Person aus konzipiert und unterscheidet sich gerade darin von einer beliebig Imperative setzenden "Räuberbande". Das Obereigentum des Souveräns drückt keine beliebige Zugriffsmacht des Staatsapparats aus, der sich dann über persönliche Berechtigung grundlos hinwegsetzen könnte, sondern entwickelt sich der Idee nach von der subjektiven Teilhabe an Gegenständlichkeit im einzelnen ausgehend hin zu einer Sphäre höchstmöglicher Verallgemeinerung, ohne aber sich gegen diese Voraussetzung wenden zu können. Der Souverän selbst kann keinen Erwerb auch nur eines Gegenstands behaupten, er gilt lediglich, als ob er der Obereigentümer und oberster Regulierer des Gesamtvermögens wäre. Es ist festzuhalten, daß in diesem Begriff kein Privateigentum des Staates ausgedrückt ist, mit etwa den einem Privateigentümer gleichkommenden Befugnissen am Gesamtvermögen. Die Funktionen und Befugnisse des Staates sind von vornherein nur auf Lenkung und Verteilung, auf Regulation also, beschränkt. 73

Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, AbschnittBAllgemeine Anmerkung, B S. 212, 213.

IV. Die Notwendigkeit der Eigentumsregulation

201

Wenn der Staat als Inbegriff der verfaßten Willkür in bestehende Eigentümerpositionen eingreift oder aber neue Eigentümerpositionen durch Leistung schafft,so liegt im Eingreifen oder Leisten die Behauptung dinglicher Berechtigung an den Eingriffs- oder Leistungsgütern74• Das Obereigentum des Souveräns ist der höchste logische Punkt, von dem sich alles peremtorische Privateigentum ableitet. Es ist nichts anderes als die Berechtigung der verfaßten Allgemeinheit an allen Gegenständen, eine Abstraktion von den je besonderen Eigentümerpositionen, von der je geschichtlich besonderen Eigentumsorganisation hin zu einer Figur größter Allgemeinheit, die den Legitimationsgrund aller besonderen Verteilung von Gegenständen auf Personen hin abgibt. Ist der Vernunft- oder Formaltitel rechtlichen Erwerbs die Idee einer verfaßten Willkür, so ist der dingliche oder Materialtitel der des Obereigentums der verfaßten Allgemeinheit. Das Obereigentum des Staates ist die gedankliche Fortentwicklung der Konstruktion eines ursprünglichen Gesamtbesitzes, von dem sich jeder naturzuständlich-provisorische Besitz ableitet und setzt diesen voraus. Der ursprüngliche Gesamtbesitz drückt die ursprüngliche Berechtigung aller an allem vor jedem Erwerb aus, das Obereigentum der vereinigten Willkür verbildlicht die verfaßte Berechtigung aller an allem im bürgerlichen Zustand. Die Berechtigung aller an allem im bürgerlichen Zustand geht darauf, durch die Ausübung von besonderen Eigentumsrechten nicht geschädigt oder der Lebenschancen beraubt zu werden. Damit paßt sich das Obereigentum ein in das grundsätzliche Rechtsverhältnis. Achtung und wechselseitige Respektierung in Ansehung der Gegenständlichkeit bedeutet, daß der eine den anderen bei Ausübung seiner Eigentümerbefugnisse in seinem Recht beläßt und ihm Lebenschancen, Nutzungs- und Gebrauchsmöglichkeiten an Gegenständen offenläßt Die Eigentümerbefugnisse bestimmen sich erst durch dieses interpersonale Vermittlungsverhältnis. Die Befugnisse bestimmen sich immer wieder neu anband der sich verändernden Situationen der Sozietät. Jede Not, jeder neue Mensch auf der Welt verändert die Verhältnisse und immer muß neu geteilt werden. Das Obereigentum der verfaßten Willkür unter einer Idee vereinigter Willen ist der notwendig anzunehmende Legitimationsgrund zum Eingriff in bestehende Eigentümerpositionen und zur Leistung an den Bürger. Dieser Begriff, der für die Berechtigung aller an allem im Rechtsverhältnis steht, begründet die Regulation der Gegenstandsbezüge im interpersonalen Verhältnis aus der Teilhabe der Subjekte an Gegenständlichkeit unter der Idee des bürgerlichen Vereins heraus. Der Rechts74 Kant zeigt am empirischen Beispiel des einseitigen Erwerbs des Bodens, wie diese behauptete und notwendig anzunehmende dingliche Berechtigung des Souveräns sich ableitet, Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, § 16, B S. 90ff. Eine solche Erwerbung steht unter der Bedingung des vereinigten Willens (oder der Einwilligung aller anderen). Der Boden ist die oberste Bedingung, unter der es möglich ist, äußere Sachen als das seine zu haben, folglich bezieht sich das Obereigentum des Souveräns gerade auf diesen, B S. 182f.

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B. Sozialhilfe und Eigenturn-Dialektische Verhältnisbestimmung

grund besteht darin, daß der je besonderen Berechtigung die Idee der Allgemeinheit zugrundeliegt, die jede besondere Berechtigung als Vernunfttitel begründet, aber auch begrenzt. Dieses Rechtsgrundes bedarf es, um die regulativen Funktionen des Staates von unvermittelten Machtstrukturen (Räuberbande) abzugrenzen. Der Befehl, Steuern zu zahlen, muß sich so unterscheiden lassen können von dem "Geld oder Leben !" eines Straßenräubers. Die im Geldwert verkörperte Arbeitskraft des Steuerpflichtigen muß sich anders qualifizieren lassen als die für einen Despoten abgefronte Zwangsarbeit. Das heißt, daß der Eigentumseingriff gerecht sein muß. Auch die Fürsorge des Staates gegenüber seinen Bürgern muß sich anders bestimmen als das beliebig ausgeworfene Almosen, das gegeben oder verweigert werden kann nach Wunsch des Gebers. Auch hier muß das Rechtsprinzip sich durchsetzen. Auch in der Leistungsverwaltung des Staates muß Gerechtigkeit liegen. Mit dem Obereigentum des Souveräns ist der Grund der peremtorischen Berechtigung des Einzelnen an seinen Gegenständen gegeben, d. h. seiner mit dem Grundsatz der Verteilungsgerechtigkeit vermittelten Befugnis, andere vom Gebrauch seiner Gegenstände abzuhalten. Enthalten ist gleichermaßen das Recht auf Teilhabe und die Pflicht zum Teilen. Das Recht zur Teilhabe geht primär auf die Möglichkeit zum rechtlichen Erwerb, sekundär auf Zuweisung der Güter, die notwendig sind, die Person im Dasein zu halten, ansonsten nur auf die Eröffnung von Erwerbschancen, nicht aber auf die Zuweisung materieller Güter über das zur biologisch-soziokulturellen Lebenshaltung Erforderliche hinaus. Sich zu setzen, bleibt der autonomen Entscheidung der Person vorbehalten. Teilhabeberechtigung bedeutet keinen Anspruch auf materielle Glückseligkeit, sondern im eigentumstheoretischen Sinne Anspruch nur auf Haltung im Dasein aus eigenem Recht. So ist auch die Pflicht zum Teilen begrenzt: sie kann nicht weiter gehen, als einem jeden die Möglichkeit zu Erwerb zur Verwirklichung seiner Lebenschancen und Glücksvorstellungen offenzulassen. Dieser Grundsatz ist unter dem Begriff der Verteilungsgerechtigkeit näher zu erläutern. d) 4. Aspekt: Verteilungsgerechtigkeit im bürgerlichen Zustand "Wenn unter Naturrecht nur das nicht-statuarische, mithin lediglich das a priori durch jedes Menschen Vernunft erkennbare Recht verstanden wird, so wird nicht bloß die zwischen Personen in ihrem wechselseitigen Verkehr unter einander geltende Gerechtigkeit (iustitia cornrnutativa), sondern auch die austeilende (iustitia distributiva), so wie sie nach ihrem Gesetzeapriori erkannt werden kann, daß sie ihren Spruch (sententia) fällen müsse, gleichfalls zum Naturrecht gehören."7~ 75 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, § 36, B S. 139. Den Begriff der Verteilungsgerechtigkeit auf Grundlage der Rechtsphilosophie Kants entwickelt Köhler, Michael, Justitia distributiva, ARSP93,S. 457.

IV. Die Notwendigkeit der Eigentumsregulation

203

"Gerecht" ist das Prädikat einer äußeren Handlung, die mit dem kategorischen Rechtsimperativ vereinbar ist, "ungerecht" das Prädikat einer unvereinbaren äußeren Handlung76 • Die Gerechtigkeit einer Handlung ist nicht nur ihre Übereinstimmung mit dem positiven Gesetz, sondern stets auch die Übereinstimmung mit dem vernünftigen Rechtsbegriff a priori. Kant unterscheidet drei Formen des Gerechtigkeitsbegriffs: 1) Schutzgerechtigkeit, 2) Tauschgerechtigkeit und 3) Verteilungsgerechtigkeit "Verteilung" ist doppelsinnig erstens als (statischer) Zustand und zweitens als (dynamische) Tatigkeit zu verstehen. Im statischen Sinne ist die faktische Zuordnung der Gegenstände zu Personen (Güterallokation) gemeint. Im dynamischen Sinne ist mit Verteilung die Tatigkeit des Eingreifens in bestehende Besitzpositionen und die Zuweisung neuer Besitzpositionen ausgedrückt (Umverteilung). Der Begriff der Gerechtigkeit bezieht sich auf beides, sowohl auf Verteilung als Zustand wie als Tatigkeit. Wie kann Verteilungsgerechtigkeit nach ihrem Gesetze a priori erkannt werden? Einen Hinweis auf die Begründung und Konstruktion von Verteilungsgerechtigkeit gibt Kant amEndeseines Privatrechts: "Der rechtliche Zustand ist dasjenige Verhältnis der Menschen unter einander, welches die Bedingungen enthält, unter denen allein jeder seines Rechts teilhaftig werden kann und das formale Prinzip der Möglichkeit desselben, nach der Idee eines allgemein gesetzgebenden Willen betrachtet, heißt die öffentliche Gerechtigkeit, welche in Beziehung, entweder auf die Möglichkeit, oder Wirklichkeit, oder Notwendigkeit des Besitzes der Gegenstände (als der Materie der Willkür) nach Gesetzen in die beschützende (iustitia tutatrix), die wechselseitig erwerbende (iustitia commutativa) und die austeilende Gerechtigkeit (iustitia distributiva) eingeteilt werden kann.'m

Verteilungsgerechtigkeit entwickelt sich begrifflich aus der Möglichkeit des Eigentums, die sich in faktischen rechtlichen Besitzverhältnissen verwirklicht und bringt nichts anderes als die Notwendigkeit der Eigentumsregulation zum Ausdruck. Ohne Eigentumsregulation ist die Verwirklichung der prinzipiellen Teilhabe an (Zugriffs möglichkeit auf) Gegenständlichkeitjedermanns nicht denkbar. Verteilung als Zustand ist unrechtlich, wenn sie einem einzelnen, aus welcher Zufälligkeit auch immer, das Dasein (den Erwerb von Gegenständlichkeit) unmöglich macht und diesem Zustand im Rahmen des Möglichen und Zurnutbaren abgeholfen werden kann. Ein solcher Zustand verstößt gegen den Sozialrechtsimperativ, stets so handeln zu sollen, daß anderen die Möglichkeit des Erwerbs und des Daseins materiell belassen und im Fall objektiver Bedürftigkeit eingeräumt wird. (Um-)Verteilung als Tatigkeit ist unrechtlich, wenn sie bestehende Besitzverhältnisse nicht als grundsätzlich berechtigte78 aufnimmt und das grundsätzliche AchEisler, Rudolph, Kant-Lexikon, S. 184 zum Begriff "Gerechtigkeit". Metaphysik der Sitten/Rechtslehre,§ 41, B S. 154. 78 Wie es Kant am Beispiel des ursprünglichen Erwerbs des Bodens, Metaphysik der Sitten/Rechtslehre § 16, verdeutlicht: ,,Eine solche Erwerbung aber bedarf doch und hat auch 76 77

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B. Sozialhilfe und Eigentum - Dialektische Verhältnisbestimmung

tungsverhältnis vor der Willkürsetzung anderer in die Gegenständlichkeit anderer nicht wahrt bzw. überhaupt garnicht erst zu bestimmen vorgibt. Umverteilung ist auch dann unrechtlich, wenn sie dem objektiv Bedürftigen nur unzureichend Gegenstände zur notwendigen Lebenshaltung zuweist, aber auch dann, wenn sie ihm mehr als das Notwendige zuweist und darum in die bestehenden Besitzstände Vermögender mehr als notwendig eingreift. Ohne die verteilungsgerechte Vermittlung von Rechtspositionen an der Gegenständlichkeit durch Eigentumsregulation ist ein Rechtsverhältnis nicht denkbar. Eigentumsregulation ist also notwendig. Offen bleibt die Frage, inwieweit die eigentumsregulatorische Funktionen der Güterzuweisung, Eingriff und Leistung, mit dem Prinzip des Rechts einhergehen. Der Begriff des Rechts ist hier vorausgesetzt als Inbegriff der kategorisch-apodiktisch-universal begründeten Verhaltensnormen (vollkommene Pflichten) unter Menschen zur Konstitution von Handlungsfreiheit im äußeren Verhältnis. Notwendigkeit, d. h. Verbindlichkeit, Sollen, tritt hier aus der Person als etwas schon in ihr vernunftbegrifflich liegendes hervor. Der Aufweis gelingt mit der erkenntnistheoretisch fundierten Bestimmung personaler Freiheit in Denk- und Zwecktätigkeit, dem formalen Apriori menschlicher Weltkonstitution. Aus diesem ursprünglichen Vermögen heraus - Spontaneität der Verstandestätigkeit, Selbstgesetzgebung (Autonomie) der Vernunft, darin gründend das Vermögen zur kategorialen Durchformung zwischenmenschlicher Verhältnisse - gewinnt sich der Rechtsbegriff. Das beinhaltet die notwendig strikte Formalität des Rechts- und des Rechtszwangsbegriffs a priori; immer als Form von "etwas"- der interpersonalen Verhältnisse-, als praktische Begriffe niemals losgelöst als reine Form an sich zu denken. Der Begriff der subjektiven Berechtigung reduziert sich in dieser ersten Begründungsleistung auf die Stimmigkeit äußerer Handlung mit der voraussetzbaren Vernunftallgemeinheit im umfassenden personalen Verhältnis. Subjektive Berechtigung korreliert mit der allgemein-interpersonal notwendigen Verfassung, dem Verband rechtlicher Organisation unter Vernunftgesetzlichkeit - im so entwickelbaren Begriff: Staatlichkeit. Diese Korrelation ist das Resultat einer Begründungs- und Voraussetzungskohärenz im oben entwickelten Zusarnrnenhang. Subjektive Berechtigung ist als wirklich nur zu denken in einem Zustand öffentlicher Gerechtigeine Gunst des Gesetzes (Lex permissiva) in Ansehung der Bestimmung der Grenzen des rechtlich-möglichen Besitzes für sich: weil sie vor dem rechtlichen Zustande vorhergeht und, als bloß dazu einleitend, noch nicht peremtorisch ist, welche Gunst sich aber nicht weiter erstreckt, als bis zur Einwilligung Anderer (Teilnehmer) zu Errichtung des letzteren, bei dem Widerstande derselben aber in diesen (den bürgerlichen) zu treten und solange derselbe währt, allen Effekt einer rechtmiißigen Erwerbung bei sich führt, weil dieser Ausgang auf Pflicht gegründet ist." Die erforderliche Einwilligung anderer Teilnehmer der bürgerlichen Gesellschaft stellt jeden Erwerb unter ein ideal begründetes Konsensprinzip. Der ideale Konsens, ausgedrückt in dem vereinigten Willen, der sich in der verfaßten Willkür aller verwirklicht, ist nicht nur der Vernunfttitel des Erwerbs, sondern auch der Verteilung (als Tätigkeit) im Staat.

IV. Die Notwendigkeit der Eigentumsregulation

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keit79, d. h.: in gesellschaftlicher Organisation ausgerichtet auf notwendig zu verwirklichende Vernunftallgemeinheit "Sein Recht" gegenüber einer praktisch-gesetzlichen Verfaßtheit einfordern heißt nicht, ein "Geschenk" oder ,,Almosen" zu beanspruchen, gleichsam besonders dringlich betteln zu dürfen, sondern aus sich selbst heraus und damit im notwendigen Zusammenhang mit allen anderen realmöglichen Vernunftsubjekten den eigenen Teil (wie auch immer der zu bestimmen ist) herauszuverlangen und zwar als Grundrecht der Freiheitsverwirklichung in der Gegenständlichkeit im intersubjektiven Verhältnis. Handlungen gesellschaftlicher Institution werden idealerweise an diesem Prinzip gemessen und im Falle der Stimmigkeit mit dem Prädikat "gerecht" bedacht. Der subjektiven Berechtigung des Einzelnen zu genügen, ist notwendige und hinreichende Bedingung, einer Handlung das Prädikat "gerecht" zuzudenken. Ins Zentrum der Gerechtigkeitsüberlegung ist damit das Subjekt gerückt, von dessen Vernunftapriori alle Begründungsleistung ausgeht. Demgegenüber ist "Staat" nur abgeleitet, eine dem Subjektsbegriff unter dem Gesetz der Freiheit inhaltliche Idee, die in einem bürgerlichen Zustand zu verwirklichen ist. Der Begriff der Gerechtigkeit ergibt sich aus dem vorausgesetzten Apriori des Allgemeinen Rechtsprinzips. Gerecht ist ein Prädikat, welches menschlichem Verhalten beigelegt wird: es beschreibt die Vereinbarkeit dieses Verhaltens mit dem kategorischen Rechtsimperativ. Wer Gerechtigkeit fordert, fordert ein Verhalten, das mit diesem Imperativ in Einklang steht80. Mit dieser Forderung wird die formale Bedingung der rechtlichen Organisation der Gesellschaft vorgegeben. Nicht aber vorgegeben werden die rechtlichen Regeln selbst. Im Begriff der Gerechtigkeit weist sich einmal mehr das Programm der

79

Metaphysik der Sitten S. 422ff.

so ,.Ein nicht bloß formaler Begriff der Gerechtigkeit beruht auf einem vorpositiven Be-

griff des Rechts. " Mit dieser These werden zwei Betrachtungsweisen des Gerechtigkeitsbegriffs ausgegrenzt: - zum einen, daß Gerechtigkeit sich begrifflich in der formal gleichmäßigen Realisation des positiven Gesetzesrechts erschöpfe. Hier ist der Gerechtigkeitsbegriff im positiven Recht gegründet und teilt dessen Mangel formal-inhaltlicher Beliebigkeit. - zum anderen, daß Gerechtigkeit sich als Prädikabilie richtigen positiven Rechts erschöpfend darstellen lasse. Das Recht könne richtig, gerecht sein oder auch nicht. Kategorial gefaßt als Urteil: hier nur partikulär, positiv oder negativ, hypothetisch und assertorisch, nicht aber, wie von einer entwickelten Rechtsvernünftigkeit zu fordern, universal, kategorisch und apodiktisch. Dem vorpositiven Begriff des Rechts entsprechend ist der Gerechtigkeitsbegriff als kritischer Maßstab gegenüber dem positiven Recht zu entwickeln, das gelingt jedoch nur, wenn er aus diesem heraustritt und der unaufgeklärten Faktizität als normatives Moment gegenübersteht, gegründet in einer umfassenden Theorie menschlicher Erkenntnismöglichkeit und Zwecktätigkeit". Diese Thesen sind einem bisher unveröffentlichten Referat von Prof. Dr. Michael Köhler vorgetragen anläßlich eines Symposions zum Gerechtigkeitsbegriff am 12. I. 1990 in Harnburg- entnommen.

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B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

Metaphysik der Sitten auf, die lediglich die formale Grundlage zu jeder möglichen positiven Gesetzgebung abgeben wi11 81 . "Die moralische Person, welche der Gerechtigkeit vorsteht, ist der Gerichtshof (forum) und, im Zustande ihrer Amtsführung, das Gericht (iudicium): alles nur nach Rechtsbedingungen a priori gedacht, ohne, wie eine solche Verfassung wirklich einzurichten und zu organisieren sei (wozu Statute, also empirische Prinzipien gehören), in Betrachtung zu ziehen." 82

Die Gerechtigkeitsformen stehen ihrem modalkategorialen Verhältnis nach zueinander in einem Ableitungs- und Begründungszusanunenhang. Einer Gerechtigkeitsform handelnd genügen heißt nicht jeder Gerechtigkeitsform genügen. Die ausgleichende Gerechtigkeit und die Tauschgerechtigkeit stehen nebeneinander und ergeben - wie in den sonstigen modalkategorialen Ableitungszusammenhängen auch - durch ,,Zusammenfassung" das Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit (als gegenüber den vorherigen Gerechtigkeitsformen zwar abgeleitete, jedoch relativ zu diesen als selbständige Gerechtigkeitsform unter einem allgemeinen Begriff der Gerechtigkeit). aa) Die Möglichkeit des Gegenstandsbesitzes im Rechtsverhältnis: Ausgleichende Gerechtigkeit Es ist erlaubt, Gegenstände in Besitz zu nehmen und zu haben. Das ist das Grundprinzip subjektiver Berechtigung im Dasein als Sein für andere, § 2 Metaphysik der Sitten/RL. Ausgleichende oder schützende Gerechtigkeit nimmt dieses Prinzip auf und fordert das menschliche Verhalten in Übereinstimmung mit diesem Grundsatz ein. Der Erwerb von Gegenständen kann als rechtlicher behauptet und interpersonal geltend gemacht werden. Jeder Mensch hat ein Recht auf Erwerb und sollten die soziokulturell-ökonomischen Umstände so organisiert sein, daß jemand von seiner persönlichen Setzung in die Gegenständlichkeit ausgeschlossen ist, so ist es vollkommene Pflicht (Rechtspflicht) aus dem Prinzip der Schutzgerechtigkeit, die Umstände so zu korrigieren, daß die Möglichkeit des Erwerbs jedem offensteht. Aus dem Grundsatz des rechtlichen Erwerbs und Besitzes ergibt sich im zwischenmenschlichen Zusammenhang die Verpflichtung zum Schadensersatz bei schädigenden Handlungen: "Wer zum Schadensersatze verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatze berechtigende Umstand nicht eingetreten wäre."-§ 249 S. I BGB 83 . Schadensausgleich ist das Korrektiv gegenüber Verhaltensweisen, die mit der Ausgleichsgerechtigkeit nicht verMetaphysik der Sitten/Rechtslehre, Einleitung § B, B S. 32. Metaphysik der Sitten/Rechtslehre,§ 36, B S. 140. 83 Getreu der zweiten der drei Rechtsregeln des Ulpian, Digesten 1.1.10.1: ,,luris praecepta sunt haec: honeste vivere, alterum non laedere, suum cuique tribuere." 81

82

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einbar sind. Der Grundsatz der Schutzgerechtigkeit setzt im bürgerlichen Zustand Institutionen des Rechtsschutzes voraus (Justiz, Polizei), bei denen das Recht am Gegenstand eingeklagt werden kann. Der eigentumstheoretische Imperativ der ausgleichenden oder schützenden Gerechtigkeit lautet: "Handle so, daß jeder die Möglichkeit zum Besitz von Gegenständen hat." Ausgleichende Gerechtigkeit faßt schon auf problematischer Ebene die partikulare Gegenstandsmacht des Subjekts unter die allgemeine Vermittlung des Rechtsprinzips. Der rechtliche Erwerb steht unter dem notwendigen äußeren Freiheitsabgleich mit anderen. Die Erlaubnis für jeden, Gegenstände sein eigen nennen zu können, trägt alle Folgerungen der Tausch- und Verteilungsgerechtigkeit in sich. Die erste Folgerung ist die des Güterverkehrs, der wechselseitigen Erweiterung der Personen im Tausch. bb) Die Wirklichkeit des Besitzes der Gegenstände: Tauschgerechtigkeit Die Personen stehen als wirkliche Wesen in Wechselwirkung, in aufeinander bezogenen Kausalbeziehungen undurchschaubarer sozialer Komplexität. Zur Befriedigung seiner Bedürfnisse tritt der Mensch zu anderen in ein Verhältnis wechselseitigen Erwerbs, des Güterverkehrs, zur erweiterten Organisation seiner Selbsterhaltung. Im Tausch werden die Güter in wertbestimmende Bedürfnisrelationen zwischen Anbieter und Nachfrager gesetzt. Überlassen bleibt es dem Subjekt selbst, eine Bewertung des einzelnen Gutes vorzunehmen, ein iustum precium ist mit diesem Kriterium nicht bestimmbar84•85 . Welchen Stellenwert ein Gegenstand für das Subjekt in dessen persönlichem Weltentwurf und Handlungszusammen84 Ganz entsprechend die Formulierung des § 138 II BGB, welcher in Regelbeispielstechnik ausgehend von der ersten notwendigen Bedingung eines auffälligen Mißverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung das Ausnützen einer Willensschwäche, also die Heteronomie eines Vertragsteils, tatbestandlieh erfaßt. Hier ist also nicht das Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung das das Rechtsgeschäft Vernichtende, sondern es ist das Moment im Rechtsgeschäft, welches einen Vertragspartner nicht als autonomes Willkürsubjekt gelten läßt. 85 Zum Problem des "iustum precium" Kant im dritten Betreff seines Begriffs vom Recht: "Drittens in diesem wechselseitigen Verhältnis der Willkür kommt auch garnicht die Materie der Willkür; d.i. der Zweck, den ein jeder mit dem Objekt, was er will, zur Absicht hat, in Betrachtunng, z. B. er wird nicht gefragt, ob jemand bei der Ware, die er zu seinem eigenen Handel bei mir kauft, auch seinen Vorteil finden möge, oder nicht, sondern nur nach der Fonn im Verhältnis der beiderseitigen Willkür; sofern sie bloß alsfrei betrachtet werden wird und ob durch die Handlung eines von beiden sich mit der Freiheit des andern nach einem allgemeinen Gesetze zusammen vereinigen lasse." - Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, § B S. 32, 33, - Kant kennt einen "gerechten Preis", der sich au< der Sache selbst ergeben könnte, nicht.

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bang genießt, ist intersubjektiv-allgemein nicht feststellbar, sondern der autonomen Setzung des Einzelnen notwendigerweise zu belassen. Auch hier erweist sich die Wirklichkeit von Freiheit: wie ich mich zur Gegenständlichkeit verhalte, wie ich sie fasse (als Erkenntnis, begrifflich) und sie bewerte (z. B. im Zusammenhang mit meiner Bedürfnisbefriedigung, Selbstdefinition des Bedürfnisses und der Weise der Befriedigung). Das Verfahren des Tausches als Güterverkehr muß dieses grundsätzliche Verhältnis ent- und erhalten. Tauschgerechtigkeit ist das formale Prinzip dynamischen Eigentums, wie dieses von Person zu Person bewegt wird. Es formuliert keinen objektiven Maßstab gerechter Preisbildung, sondern nur die Integrität und freie Bedürfnissetzung der Tauschsubjekte. Die kritische Leistung dieses Prinzips erweist sich an der Ausgrenzung von Verhaltensweisen, die die Freiverantwortlichkeit der am Tausch Beteiligten gefährden oder ausschließen: Nötigung, Irrtumserregung oder -ausnutzung, Ausnutzung der Unerfahrenheit, unlauterer Wettbewerb, Marktmachtrnißbrauch. In diesen Verhaltensweisen ist die grundsätzliche Achtungsbeziehung der Subjekte zueinander als frei ihre Bedürfnisse definierende, frei in die Bedürfnisrelation des Tausches eintretende Personen verletzt. Es folgt jedoch in der Wendung, daß das, was nach tauschgerechten Bedingungen erworben wurde, gerecht erworben, als Recht erworben wurde, so daß Recht und Besitz am Gegenstand vom Erwerber als im Obereigentum der verfaßten Willkür unter einem allgemeinen Gesetz der Freiheit begründet geltend gemacht werden kann. Der Grundsatz der Tauschgerechtigkeit im bürgerlichen Zustand fordert Institutionen, die den ordnungsgemäßen Ablauf des Marktspiels (Angebot und Nachfrage) steuernd schützen: Rechtsgeschäftslehre, Vertragsrecht, Wettbewerbsordnung. In gesellschaftlicher Wirklichkeit des Güterverkehrs - Ware gegen Ware, Ware gegen Geld, Arbeitskraft=Ware (eine fragwürdige Bestimmung, welche nur in einer reduzierten betriebswirtschaftliehen Betrachtung, welche Arbeit nicht als menschliche Zwecktätigkeit, sondern nur als Produktionsfaktor begreift, einen Sinn ergibt) - ist damit die Gleichheit der Berechtigung im Tausch postuliert, aber nicht die Gleichheit des Interesses am Tausch, die Gleichheit des Bedürfnisses zum Tausch. Es ist eine komplexe gesellschaftliche Organisation (,.freie Marktwirtschaft") denkbar, in welcher freiheitswidrige Zustände der Güterverteilung (statisch/dynamisch) erzeugt werden. Diese Konzeption nimmt die Privatautonomie nur einseitig, im Sinne einer ungeregelten Handlungsmächtigkeit, ohne das Korrektiv, den Freiheitsahgleich mit anderen (wirklichen oder zukünftig möglichen Vernunftwesen) mitzudenken. Die einseitige Auffassung des Freiheitsprinzips ist instabil und führt - zwar nicht notwendig, aber realmöglich - zur totalen Chancenmehrung bei einigen wenigen und zur totalen Chancenlosigkeit bei fast allen (Manchesterkapitalismus). Diese negative Seite des Privatautonomieaprioris (negative Dialektik) ist über den Rückschluß der Wirklichkeit zu ihrer subjektiv-allgemeinen Begrün-

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dung (als der Wirklichkeit immanentes Prinzip) korrigierend aufzuheben, diese Korrektur ist keine Einschränkung der Privatautonomie, sondern erst deren allgemeine Verwirklichung und nicht Behauptung und Anmaßung bloß vereinzelter Handlungsmächtigkeit86• Genauso ist eine Organisation, die das Privatautonomieprinzip nur negativ faßt, sich in Abgrenzung zu diesem Grundsatz definitorisch erschöpft und Bedürfnisse planerisch zu erfassen sucht (z. B."Planwirtschaft"), keine stabile Formation, sondern im Ansatz schon die Grundvoraussetzung des hier vorgestellten systemischen Entwurfs negierend: die Spontaneität im Weltentwurf, die Selbstregelhaftigkeit des Subjekts und dessen freie Bedürfnisdefinition, dessen Phantasie und Kreativität nicht erschließend und diesen Voraussetzungen die Person als eines nur gesellschaftlichen Wesens entgegengestellt87• Tauschgerechtigkeit ist somit verwirklicht, wenn im Tausch(-vertrag) die Subjekte als solche, d. h. als Vernünftige und sich selbst Setzende gefaßt sind. Ein freiheitlicher Begriff von Austauschgerechtigkeit ist forrna1 88 • Der Imperativ der Tauschgerechtigkeit lautet: "Handle so, daß jeder im Güterverkehr mit anderen seine Bedürfnisse und Wertvorstellungen frei setzen kann." cc) Die Notwendigkeit des Besitzes von Gegenständen: Verteilungsgerechtigkeit Verteilung ist Eingriff in und Leistung von Berechtigung an Gegenständen. Verteilung ist die eigentliche öffentliche Tatigkeit der Eigentumsregulation. Die öffentliche eigentumsregulative Tatigkeit hat sich nach Gerechtigkeitsgrundsätzen zu 86 Was sich denkerisch im kategorischen Imperativ in der don abgefordenen hypothetischen Folgeabschätzung nachvollziehen läßt: meine Maxime hat praktisch nur dann Bestand, wenn sie sich widerspruchsfrei in die Vernunftsallgemeinheit ("Gesetzlichkeit der inneren Natur") einpaßt. 87 Zur Kritik zentral verwaltender Winschaftskonzeptionen vgl. klassisch Eucken, Walter: .,Grundsätze der Winschaftspolitik", Tübingen 6.Aufl.l990, S. 58-154. Eucken leitet aus der Kritik der Zentralverwaltungswinschaft sein Modell des Ordoliberalismus ab, welches einen Mittelweg aus freiem Warenverkehr und zentraler Regulation vorschlägt- oder aber: welches in zentraler Regulation die Freiheit des Warenverkehrs erst bestimmt. 88 Diese ist in einem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang nicht gewahn, wenn eine Regel es zuläßt oder gar bestimmt, daß jemandem das Letzte verwehn wird (was voraussetzt, daß etwas vorhanden ist), die einfachste Form der Subsistenz, Wärme, Obdach, Nahrung & Kleidung, ihm nicht zu eigen gegeben wird, da dieser Bedürftige im gesellschaftlichen Güterverkehr bzw. in der Teilhabe an der Gegenständlichkeit nicht mehr als Gleicher, als Freier in seinem ursprünglichen Recht auf Mitteilhabe genommen wird, sondern nur noch als Mangelwesen/Bedürfnissubjekt, dem ein Almosen zukommt oder auch nicht - ein würdewidriger Zustand, letztlich ein durch gesellschaftlichen Tausch induzienes Unrecht und ein Verstoß gegen den Grundsatz der Austauschgerechtigkeit durch Ausschluß Einzelner vom freien Güterverkehr, in Konsequenz Negation des berechtigten Daseins des Bedürftigen bis zu dessen Tod. 14 Stichling

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richten, die den Begründungszusammenhang von Staatlichkeit und des Obereigentums der vereinigten Willkür vom einzelnen Subjekt aus in sich aufnehmen. Rechtsverlust und Rechtsgewinn müssen sich strikt rechtlich begründen lassen. Es sind drei Grundsätze, die Verteilung unter der Voraussetzung, daß etwas zum Verteilen vorhanden ist, begründen und begrenzen: (1) Jede Person muß Teil an den Gegenständen haben, derer sie zum Dasein als eines soziokulturell-biologischen Mangelwesens bedarf (Grundbedürfnisbefriedigung eines jeden)

Das Gesamtvermögen der vereinigten Willkür bezieht sich nicht nur auf äußere Gegenstände (Sachen), sondern auch auf die intellektuellen inneren Gegenstände, Ideen, Gedanken, Informationen, Know-How, kulturelle Errungenschaften. Auch an diesen Gegenständen kann jeder kraft Teihabe am Gesamtvermögen ein Teilhaberecht geltend machen, um sich selbst nicht nur als biologisches, sondern auch als soziokulturelles Wesen in den Rechtzusammenhang der bürgerlichen Gesellschaft eingepaßt zu sehen. Hieraus folgen die Grundbedürfnisse auf Bildung, Kommunikation und Mobilität. Eine Verpflichtung zur Befriedigung von über diese biologischen und soziokulturellen Grundbedürfnisse hinaus - zur Vermittlung materieller Wohlfahrt oder Glückseligkeit - läßt sich aus dem allgemeinen Rechtsprinzip nicht ableiten. Nur das Dasein der Vernunft im anderen, die in ihm verwirklichte Idee der Menschheit läßt seine Zwecksetzung eingehen in einen universalen gattungsgeschichtlichen Vernunftprozeß, an dem auch der Vermögende teilhat und der konstitutiv für das Rechts- und Achtungsverhältnis anderen gegenüber ist. Die fundamentale Gleichsetzung im regelhaften Tun eines jeden mit der Gattungsidee durch den Subsumtionsschluß nach dem kategorischen Imperativ/Rechtsimperativ setzt mit dem anderen das "Reich der Zwecke"89 überhaupt. Dieses Erkennen seiner selbst im anderen geht auf zwei Momente: erstens, den anderen als intelligibeles Wesen betrachtend (als Gattungssubjekt); zweitens, den anderen als erscheinen-des Wesen betrachtend, als für mich daseiendes Wesen (als Person). Die Berechtigung zum Dasein (biologisch/soziokulturell) muß ich dem anderen zubilligen, wie ich mir selbst dieses Recht zumesse. Will ich mich zu meiner Gattungssubjektivität, deren Glied ich als konkrete vernunftbegabte Person bin, nicht widersprüchlich verhalten, so muß ich den anderen in seinem Dasein halten, wie ich mich in meinem eigenen Dasein halte, woraus folgt, daß ich ihn erstens nicht schädigen darf und zweitens an ihn im Falle objektiver Bedürftigkeit zu leisten habe. Diese Grundsätze sind Forderungen, die aus dem Rechtsprinzip der prinzipiellen Vermittlung äußerer Freiheit im interpersonalen Verhältnis entspringen: die äußere Freiheit des anderen ist zu achten und zu bewahren. 89

Zum Begriff des "Reichs der Zwecke" Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, B

s. 74ff.

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(2) Jeder Person sind gleiche Möglichkeiten zum Gegenstandserwerb zu eröffnen Eine weitere, auf materiale Gleichheit aller zielende Leistungspflicht der Rechtsgemeinschaft läßt sich nicht einfordern, sondern nur die Chancengleichheit - was der Einzelne mit seinen Chancen macht, ist unter dem Freiheitsprinzip ihm selbst überlassen. Dieser zweite Satz steht in der Nähe zum Inhalt der Tauschgerechtigkeit, markiert aber eine anders gelagerte Ebene. Nicht der Tausch selbst, sondern die Möglichkeit, in den Prozeß wechselseitiger Erweiterung durch Güterverkehr eintreten zu können, ist thematisch. Zur Erfüllung dieses Grundsatzes sind z. B. gleiche Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten, Vermögensbildung, Leistungsanreize (Subventionen) für Leistungsschwächere, aber auch als Reaktion auf quantitative Diskriminierung Quotenregelungen mögliche pragmatische Umsetzungen. (3) Im bürgerlichen Zustand sind Einrichtungen und Verfahren bereitzustellen, die Punkt Eins und Zwei regulativ nach Maßgabe der öffentlichen Gerechtigkeit verwirklichen Die notwendige Staatlichkeil der Verteilungsfunktion ergibt sich aus zwei Aspekten: 1. nur der Souverän als Repräsentant der Idee vereinigter Willkür kann nach der Idee vom Obereigentum verfahren und in bestehendes Eigentum regulativ eingreifen; 2. der Anspruch des Bedürftigen begründet sich aus der Teilhabe am Gesamtvermögen aller und richtet sich gegen das Obereigentum des Volkes, als dessen Teilhaber auch der Bedürftige verstanden werden muß. Der Souverän repräsentiert dieses Gesamtvermögen, er ist dessen Organ. Institutionalisierung bedeutet auch verfahrensmäßig-rechtliche Absicherung der Ansprüche in der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Dieses geschieht durch die Einrichtung von Sozialbehörden nach Punkt Eins und durch Einrichtung von Marktaufsichts- und Wettbewerbsregulationsbehörden, öffentlichen Bildungs- und Vermögensbildungsanstalten90. Ferner gehört hierher die zentrale Regelung der Unternehmensverfassung (Mitbestimmung) durch Gesetz als Bestimmung der Eigentumsteilhabe der Arbeiter im Unternehmen91 . Jeder Rechtserwerb des einen ist ein Möglichkeitsverlust der Freiheitsverwirklichung für andere. Ein Eingriff in bestehende Eigentümerpositionen darf sich notwendig nur nach den Ideen vom vereinigten Willen und vom Obereigentum des Volkes vollziehen. Überschießende Ansprüche über ein biologisch und soziokultu90 Zu den einzelnen Differenzierungen, welche die Eigentumstheorie Kants in der gesellschaftlichen Wirklichkeit erfährt, vgl. Kühl, Kristian: "Eigentumsordnung als Freiheitsordnung", Freiburg 1984, S. 260-292. 91 Das assoziiert auch Kühl, Kristian: "Eigentumsordnung als Freiheitsordnung", Freiburg 1984, s. 292ff.

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B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

rell zu definierendes Grundbedürfniskonzept hinaus sind vom Standpunkt der Verteilungsgerechtigkeit abzuwehren. Die Verwirklichung von Chancengleichheit durch Zuweisung von Gütern - Bildung, Marktchance durch Subvention, Vermögen, Arbeitsplatz (bei Quotenregelung) - soll Ausdruck der grundsätzlich gleichen Berechtigung aller am Gesamtvermögen sein, deren Aktualisierung aber der Zwecksetzung und Bedürfnisdefinition eines jeden überlassen sein muß. Eine Leistung von Gütern ist nur insoweit notwendig, d. h. im Rechtsverhältnis nicht hinwegzudenken, wie mit ihr erstens die Existenzbedingungen garantiert und zweitens die Chancengleichheit verwirklicht werden. Darüber hinausgehende Leistungen und Ansprüche lassen sich aus dem Rechtsverhältnis kantischer Prägung nicht herleiten. Subjektive Bedingung des Erwerbs eines Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt ist objektive Bedürftigkeit. Der Anspruch ist im privatrechtlichen, d. h. naturzuständlichen Verhältnis begründet als zwischenmenschliche Hilfspflicht. Es ist also kein Anspruch, der sich erst aus der Verstaatlichung der personalen Verhältnisse ergäbe. Mit Existenzgarantie und Chancengleichheit ist das staatliche Mandat zur Umverteilung eigentumstheoretisch abschließend umrissen. Existenzgarantie und Chancengleichheit sind das allein notwendige, aber auch hinreichende Minimum staatlicher Eigentumsregulation. Daneben ist es ohne weiteres vorstellbar, daß die Allgemeinheit über sich Regeln beschließt, die andere Ziele und Zwecke verfolgt und weitergehende Belastungen des Besitzes und Leistungen einfordert. Dieses vollzieht sich dann nach den Regeln der Staatsklugheit, nicht aber als vorpositiv einforderbare Berechtigung der Person. Die Hilfe zum Lebensunterhalt, wie sie im § 11 I 1 BSHG positiviert ist, ist so in den Zusammenhang der grundsätzlichen Berechtigung der Person an Gegenständlichkeit gestellt. Eigentum und Hilfe zum Lebensunterhalt entspringen einem einheitlichen Prinzip eines freiheitsprinzipiierten Privatrechts.

dd) Die Pflicht des Staates zur Hilfe zum Lebensunterhalt, Garantengemeinschaft 2.Teil Die Pflicht der Person zur Hilfe bei objektiver Bedürftigkeit ist als (Privat-) Rechtspflicht im vorpositiven Sinne begründet. Sie beruht auf dem Gedanken notwendiger Verwirklichung praktischer Rechtsvernunft im zwischenpersonalen Verhältnis. Das grundsätzliche Schädigungsverbot und Achtungsgebot schlägt um in eine Leistungspflicht, wenn der andere nicht vermögend ist, sich aus eigener Fähigkeit, Leistung oder eigenen Mitteln im Dasein zu halten. Dann müssen dem Bedürftigen die Mittel, Chancen und Güter zugewiesen werden, derer er bedarf, um die Möglichkeit zu haben, sich im Fortgang selbst helfen zu können. Der entscheidende Mangel dieser nur privatrechtliehen Begründung einer Hilfspflicht liegt darin, daß mit ihr nur die dialogische Situation der Zwischenmensch-

IV. Die Notwendigkeit der Eigentumsregulation

213

lichkeit, nicht aber die allgemeinen Unterscheidungen von (1) Personalität und Gegenständlichkeit, (2) Interpersonalität und ursprünglichem Gesamtbesitz, (3) Idee eines vereinigten Willens und eines Gesamtvermögens in Ansatz kommt. Der Mangel ist oben mit der Zufälligkeit in der Verteilung der Lasten und der Leistung einer Hilfspflicht umrissen worden92 .Die Vermittlung der Hilfspflicht mit den materialen Bedingungen des Daseins von Personalität in allen Stufen verrechtlichter Organisation der Güterwelt steht noch aus. Fraglich ist, ob die Pf1icht zur Hilfe dem zwischenmenschlichen Bereich überlassen sein kann, oder ob ebenfalls die Delegation der Hilfspflicht auf staatliche Institutionen im bürgerlichen Zustand notwendig ist: wie wird die individuell-personale Hilfspflicht eine Pf1icht des Staates? Vorab ist schon deutlich, daß die Pflicht des Staates nur eine von der Pf1icht des Individuums abgeleitete sein kann93 . Mit der Hilfspflicht des Staates geht eine Verallgemeinerung der Rechtsgarantie einher, die korreliert mit der Verrechtlichung und Sicherung des Besitzes im Übergang vom Natur- zum bürgerlichen Zustand. Staatliche Hilfe zum Lebensunterhalt ist Umverteilung. Dem einen wird genommen, um dem anderen zu geben. "Von Staatswegen ist also die Regierung berechtigt, die Vermögenden zu nötigen, die Mittel der Erhaltung derjenigen, die es, selbst den notwendigsten Naturbedürfnissen nach, nicht sind, herbei zu schaffen; weil ihre Existenz zugleich als Akt der Unterwerfung unter den Schutz und die zu ihrem Dasein nötige Vorsorge des gemeinen Wesens ist, wozu sie sich verbindlich gemacht haben, auf welche der Staat nun sein Recht gründet, zur Erhaltung ihrer Mitbürger das Ihrige beizutragen. Das kann nun geschehen: durch Belastung des Eigentums der Staatsbürger, oder ihres Handelsverkehrs, oder durch errichtete Fonds und deren Zinsen: nicht zu Staats- (denn der ist reich), sondern zu Volksbedürfnissen, aber nicht bloß durch freiwillige Beiträge (weil hier nur vom Rechte des Staats gegen das Volk die Rede ist),(...)sondern zwangsmäßig, als Staatslasten."94 Wer berechtigt ist, irgendetwas zu tun, dem ist dieses Tun erlaubt, ohne daß damit eine Rechtspflicht gerade zu diesem Tun ausgedrückt wäre. Die schwache Formulierung Kants zuspitzend, ist hier die Rechtspflicht des Staates, ohne deren Vornahme eine rechtliche Staatlichkeit nicht denkbar ist, zu begründen. Nun ist Kant selbst die Notwendigkeit der Daseinsfürsorge nicht entgangen, er begründet sie aus der freiheitsprinzipiierten Staatsteleologie heraus. "Der allgemeine Volkswille hat sich nämlich zu einer Gesellschaft vereinigt, welche sich immerwährend erhalten soll und zu dem Ende sich der inneren Staatsgewalt unterworfen, um die Glieder dieser Gesellschaft, die es selbst nicht vermögen, zu erhalten." 95 II D 4 b bb). "Die Materie des Privatrechts ist eben dieselbe in beiden", Metaphysik der Sitten/ Rechtslehre § 41, B S. 156. Im Staatsrecht werden die materialen Verhältnisse zur Vernunftallgemeinheit formal fortbestimmt, nicht aber als materiale neu gesetzt. 94 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, Allgemeine Anmerkung C, B S. 216, 217. 95 Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, Allgemeine Anmerkung C, B S. 216,217. 92 93

214

B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

Somit wird man mit Kant den Rechtszwang der Abgabenlast universal, kategorisch und apodiktisch begründen müssen. Die Gesellschaft, die sich dem eigenen, notwendig zu unterlegenden Willen gemäß erhalten soll, erhält sich in jedem ihrer Teile durch Leistung an die, die sich selbst nicht zu erhalten vermögen. Die rechtlich organisierte Gesellschaft verwaltet das Gesamtvermögen aller durch Regulation des Privateigentums. Die Rechtsgarantie, die den Einzelnen vom fiktiven Naturzustand in den bürgerlichen Zustand nötigt, hebt die personale Hilfspflicht von der individuellen auf die allgemeine Ebene der Staatlichkeit. Denn: wenn es weiterhin im bürgerlichen Zustand Sache des Einzelnen wäre, objektive Bedürftigkeit durch Hilfe zu beheben, so wäre der objektiv Bedürftige weiterhin der Zufälligkeit ausgesetzt, einen zur Hilfe Vermögenden zu finden, der wiederum zufälligerweise den Hilfsverlangen vieler Bedürftiger ausgesetzt sein kann, was zu seiner gegenüber anderen Vermögenden unverhältnismäßigen Inanspruchnahme führen kann. Der Staat ist die Einrichtung der Verteilungsgerechtigkeit, die den Bedürftigen und den Vermögenden solcher Zufälligkeilen der Idee nach enthebt. Dieses geschieht durch die Einrichtung von Institutionen und Verfahren, die es dem Bedürftigen ermöglichen, sein Recht unabhängig von der Freigiebigkeit eines Vermögenden durchzusetzen, und die es dem Vermögenden ermöglichen, nicht unverhältnismäßig belastet zu werden, was in naturzuständlichen Verhältnissen gerade nicht möglich ist. Der Staat als "Obereigentümer"96 der Gesamtheit aller Gegenstände ist der richtige Anspruchsgegner des Bedürftigen. Rechtsgrund der Belastung des Eigentums der Vermögenden ist- wie dargestellt - das Obereigentum der verfaßten Willkür unter der Idee eines vereinigten Willens, von dem sich jedes besondere Eigentum rechtlich ableitet. Rechtsgrund der Leistung von Eigentum an objektiv Bedürftige ist die unaufgebbare Teilhabe eines jeden an diesem Gesamtvermögen als seines ursprünglichen Eigentums, das sich im bürgerlichen Zustand zur existenzminimalen Güterteilhabe transformiert. Das Gesamtvermögen enthält innere und äußere Gegenstände. Der Bedürftige ist phaenomenal ein biologisches und soziokulturelles Stoffwechselwesen. Dementsprechend konzipiert sich der Teilhabeanspruch als biologisches und soziokulturelles Existenzminimum durch Zuweisung innerer und äußerer Gegenstände, quantitativ bestimmt durch das Niveau der bürgerlichen Gesellschaft hinsichtlich Arbeitsteilung und Bildung, in welcher der Bedürftige lebt. Dieser Sprung von der bloß biologischen zur soziokulturellen Existenz ist eng verknüpft mit dem Übergang vom naturzuständlichen Nebeneinander zum bürgerlichen Zustand der Gemeinschaft, oder in eigentumstheoretischen Termini: vom ursprünglichen Gesamtbesitz zum Obereigentum des Volkes. Verteilungsgerechtigkeit im bürgerlichen Zustand der Gemeinschaft geht auf umfassende Teilhabeermöglichung hinsichtlich aller soziokulturellen Errungenschaften der verfaßten Allgemeinheit. Die quantitative Bestimmung kann nur in einem Beschluß der verfaßten Allgemeinheit erfolgen, in wel96

"Obereigentümer" im Sinne des oben unter B IV 5c) entwickelten Begriffs.

V. Zusammenfassung

215

ehern zum einen das Lebenshaltungsniveau in der bürgerlichen Gesellschaft biologisch und soziokulturell bestimmt wird, zum anderen - darauf bezogen - das Maß der notwendigen Hilfe berechnet wird. An diesem Beschluß der öffentlichen Gerechtigkeit muß auch der objektiv Bedürftige beteiligt werden. Der Beschluß ist folglich in Gesetzesform zu erlassen. Die fundamentale zwischenmenschliche Hilfspflicht ist in der staatlichen Hilfe zum Lebensunterhalt aufgehoben in dem Sinne, daß diese jene erst wirklich in den intersubjektiven Vermittlungszusammenhang der Personen angesichts der Gegenständlichkeit setzt. Diese Vermittlung ist notwendig. Der Vermittlungszusammenhang einer Idee vereinigter Willen begründet erst Gegenstandsteilhabe im Eigentum als rechtliche, begründet die Sicherung bestehenden Besitzes als rechtlich und die Bestimmung neuen Eigentums durch Leistung, andererseits den Anspruch des objektiv Bedürftigen als rechtlich zur Verwirklichung von Freiheit in der Gegenständlichkeit. Im bürgerlichen Zustand ist der Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt für den objektiv Bedürftigen Durchsetzung seiner im ursprünglichen Gesamtbesitz begründeten Teilhabe am Gesamtvermögen.

V. Zusammenfassung: Die Eigentumsqualität des Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt im vorpositiven Sinne Im Übergang vom Problem des Eigentumsschutzes subjektiver öffentlicher Rechte unter Art. 14 Abs. 1 GG zur vorpositiven Bestimmung des Eigentumsbegriffs wurde Eigentum vorläufig mit "Herrschaft der Person über Gegenstände unter Rechtsgesetzen" erklärt. Die einzelnen Elemente dieser Erklärung wurden rechtsphilosophisch weiter erhellt. Im Ergebnis wurde mit Eigentum die rechtliche Organisation der Gegenständlichkeit nach Maßgabe rechtsvernünftiger Interpersonalität im zu verwirklichenden bürgerlichen Zustand verstanden. Ausgangspunkt war die Gegenstandsmacht der Person, die Grundannahme des Menschen als eines naturformenden Wesens, welches im Rechtsverhältnis mit Anderen in Regularien äußeren Handeins steht. Eigentum an äußeren Gegenständen ist die Sphäre (raum/ zeitlich) äußerer Freiheit, welche die Person sich selbst gibt unter dem kategorischen Rechtsimperativ. Im Eigentum ist die Person für andere Personen als Berechtigte im Dasein. Es ist das Resultat einer sich rechtlich entschließenden und setzenden Willkür, welche das Rechtsverhältnis zwischen Personen in Ansehung der Gegenständlichkeit begründet, dergestalt, daß einer Person der Gegenstand als der ihrige im Verhältnis zu anderen Personen (nur ist die Bestimmung eines "Mein und Dein" sinnvoll) zur Beherrschung zugeordnet wird. Forderungen gegen andere Personen sind Gegenstände, auf die sich Eigentum beziehen kann. Gleiches gilt für Forderungen gegen Personengesamtheilen wie z.B gegen Gesellschaften des privaten Rechts, Körperschaften des öffentlichen Rechts, gegen den Staat als juristische Person. Kant faßt Forderungen unter den Systembe-

216

B. Sozialhilfe und Eigentum- Dialektische Verhältnisbestimmung

griff "auf dingliche Art persönliche Rechte". Eine Einengung des Gegenstandsbegriffs auf nur bestimmte Klassen von Gegenständen ist erkenntnistheoretisch und praktisch-philosophisch nur insoweit zulässig, als der Gegenstand selbst im Rechtsverhältnis stehen muß, also ein äußerer Gegenstand oder aber ein innerer Gegenstand mit äußerem Ausdruck sein muß. Der Gegenstand muß im Verhältnis zur äußeren Freiheit der Personen stehen, der Gegenstandsbegriff im Recht ist folglich von der äußeren Freiheit der Person her zu bestimmen. Eine weitere Einengung, evtl. nach Fallgruppen, ist nicht begründbar. Die vorhandenen Schwierigkeiten der Lehre vom geltenden Art. 14 GG- Eigentumsschutz subjektiver öffentlicher Rechte -, konnten hier in der grundsätzlichen Reflexion über den Gegenstandsbegriff widerspruchsfrei aufgelöst werden. Die Subsumtion des Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt unter den Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG ist zwar ein notwendiger, aber nur ein formaler Schluß, der die Eigentumsqualität des Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt mitbegründet In ihm ist der Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt dem Gegenstandsbegriff nur subsumiert, nicht jedoch substantiell aus konkreter Freiheit im gesellschaftlichen Bezug begründet. Die weitergehende eigentumstheoretische Begründung aus dem Prinzip rechtlichen Daseins der Person heraus gelang im Nachvollzug der kantischen Begründung erstens des Rechtsverhältnisses im kategorischen Rechtsimperativ; zweitens der unaufgebbaren Berechtigung aller an Gegenständlichkeit, was gleichbedeutend ist mit einem Anspruch auf rechtliches Dasein; drittens die Transformation dieses Rechts im bürgerlichen Zustand zu einem Teilhaberecht am Gesamtvermögen des Volkes (unter der Idee eines Obereigentums des Volkes, von dem jedes besondere private Eigentum abgeleitet ist); und viertens die Vermittlung dieses Teilhaberechts mit bestehenden Berechtigungen anderer unter der Idee einer öffentlichen Gerechtigkeit/ Verteilungs-gerechtigkeit. Der so aufgewiesene Freiheitsgrund der Hilfe zum Lebensunterhalt fällt mit dem Freiheitsgrund des Eigentumsrechts zusammen: dem berechtigten Dasein der Person in der Gegenständlichkeit. Diese vier Aspekte wurden jeweils auf das Problem der objektiven Bedürftigkeit eines Anderen angewendet, woraus resultierte die Pflicht zur Leistung des zum Lebensunterhalt Notwendigen an den Bedürftigen. Diese Leistungspflicht ist an den materialen Bedingungen des Daseins zweifach quantitativ bestimmt: - Niemand muß mehr leisten als ihm ohne Gefahrdung seines eigenen Daseins und ohne Nichterfüllung anderer wichtiger Unterhaltspflichten gegenüber anderen möglich ist. - Niemand hat aus der Eigentumsgarantie auf mehr Hilfe Anspruch, als zur Behebung seiner objektiven Bedürftigkeit in biologischer und soziokultureller Hinsicht notwendig ist. Mit der Verrechtlichung der Hilfe zum Lebensunterhalt im bürgerlichen Zustand setzt sich der Mensch gegenüber der äußeren Natur als formend und gestaltend, emanzipiert sich, soweit es die materialen Bedingungen der Sozietät (die Produk-

V. Zusammenfassung

217

tionsverhältnisse) es zulassen, als Vernunftwesen von den Zufalligkeiten (Kausalität der Natur, die an sich notwendig, für die Person aber sich zufällig vollzieht). Das Eigentum dessen, der nichts oder zur Lebenshaltung nicht ausreichend hat und sich darum im Dasein nicht halten kann, ist immer noch sein Teilhaberecht am Gesamtvermögen, sein berechtigtes Dasein, in dem andere Mitbürger ihn im Rechtsverhältnis nach dem Sozialrechtsimperativ zu bestätigen haben. "Hier frägt sich nun: ob die Versorgung der Armen durch laufende Beiträge, so daß jedes Zeitalter die Seinigen ernährt, oder durch nach und nach gesammelte Bestände und überhaupt fromme Stiftungen(. . .) und zwar jenes nicht durch Bettelei, welche mit der Räuberei nahe verwandt ist, sondern durch gesetzliche Auflage ausgerichtet werden soll. - Die erstere Anordnung muß für die einzige dem Rechte des Staats angemessene, der sich niemand entziehen kann, der zu leben hat, gehalten werden; weil sie nicht (wie von frommen Stiftungen zu besorgen ist), wenn sie mit der Zahl der Armen anwachsen, das Armsein zum Erwerbmittel für faule Menschen machen und so eine ungerechte Belästigung des Volks durch die Regierung sein würden.'m Erst die Versorgung im und durch den Staat ermöglicht verteilungsgerechte Belastung der Vermögenden und verteilungsgerechte Leistung an die objektiv Bedürftigen. Erst im Zustand öffentlicher Gerechtigkeit ist die Zufälligkeit der Hilfeleistung im privatrechtliehen Zustand überwunden. Wie jedoch die Versorgung der objektiv Bedürftigen sich positivrechtlich genau umzusetzen hat, läßt sich aus den Grundlegungen einer Rechtslehre a priori nicht entwickeln. Die quantitativen letzten Bestimmungen lassen sich nur in Zusammenhang mit empirischer Erforschung der gesellschaftlichen Verhältnisse treffen. Was ist mit diesen Betrachtungen gewonnen? Es sind die Begriffe gefunden, unter denen Sozialhilfe als rechtliche freiheitsprinzipiiert überhaupt zu denken möglich ist. Es ist festgestellt, daß diese Begriffe mit der freiheitsprinzipiierten Fundierung des Rechtsbegriffs vom Eigentum zusammenfallen. Das Achtungsgebot gegenüber dem Eigentum eines anderen ist im Begründenden ein und dasselbe mit der vollkommenen Pflicht, einem bedürftigen anderen Hilfe zum Lebensunterhalt zu leisten: Aktualisierung von Teilhaberechten am Gesamtvermögen.

97

Metaphysik der Sitten/Rechtslehre, Allgemeine Anmerkung C, B S. 217.

C. Methodologische Schlußbetrachtung Das Nachdenken über den Eigentums- und den Hilfebegriff hat zum Ergebnis, daß beide Begriffe als Rechtsbegriffe homogen in der Notwendigkeit des berechtigten Daseins der Person gründen. Der Rechtsbegriff vom Eigentum umfaßt die personale Freiheitsverwirklichung in der Gegenständlichkeit. Sozialhilfe im vom Bundessozialhilfegesetz vorgestellten Typus leistet Geld oder Sachen, ermöglicht also demjenigen, der sonst nichts hat, gerade diese Freiheitsverwirklichung in der Gegenständlichkeit. Das Recht auf Sozialhilfe ist vom Eigentumsrecht abgeleitet und steht als Abgeleitetes unter den Kategorien des Eigentumsrechts. Der Weg zu diesem Ergebnis - ausgehend vom geltenden Recht zu einer vorverständlichen Definition des Eigentumsbegriffs hin zu einer Reflexion über die Elemente der Eigentumsdefinition - soll in einer methodologischen Schlußbetrachtung als eigenes Resultat des Nachdenkens über Eigentum und Sozialhilfe festgehalten werden. In einem ersten Schritt ist dazu die methodologische Fragestellung zu explizieren (I). Ihr juristisch-sachlicher Kern ist die Frage nach der Möglichkeit eines Gesetzesverständnisses auf Grundlage einer Theorie freiheitlicher unverfügbarer Personalität des Gesetzesunterworfenen auf allen Stufen der Gesetzesrealisation. Im Versuch, eine Antwort auf diese methodologische Fragestellung zu geben, wird einem Vorschlag von Regel in den §§ 2 und 31 der "Grundlinien der Philosophie des Rechts" gefolgt, und die philosophische oder "dialektische" Methode des Rechtsverstehens vorgestellt (II). Die entwickelten Grundsätze des Verstehens von Rechtstexten werden in einem dritten Schritt auf die sog. "objektive" Auslegungslehre des Bundesverfassungsgerichts anzuwenden sein. In diesem methodologisch reflektierten Zusammenhang knüpft sich eine Betrachtung des zur Aufgabe genommenen Verständnisproblems des Verhältnisses zwischen Eigentum und Sozialhilfe nach dem Wortlaut, dem Sinn und Zweck, der systematischen Stellung und der Entstehungsgeschichte einer Norm an (III). Dieser letzte Teil hat gleichzeitig die Funktion einer Ergebnisformulierung, einer Zusammenfassung der Gesamtbemühung.

I. Die methodologische Fragestellung Aus der Perspektive des bedürftigen Sozialhilfeempfängers läßt sich der Untersuchungsgegenstand des Vorstehenden als die Frage nach der spezifisch juristischen Begründung und Begrenzung seiner Rechtsposition formulieren. Das rechtsphilosophische Nachdenken über den Eigentumsbegriff hat ein eindeutiges Ergeh-

I. Die methodologische Fragestellung

219

nis erbracht: die Hilfe für den objektiv Bedürftigen ist Ausdruck dessen Teilhabe am Gesamtvermögen der vereinigten Willkür, folglich sein Eigentum im vorpositiven Sinne. Dieses Ergebnis steht unvermittelt neben den Rechtsauffassungen des Bundesverfassungsgerichts und der Literatur, die aus dem Eigentumsbegriff des Art. 14 Abs. 1 GG das subjektive öffentliche Recht auf Sozialhilfe gerade aus der Eigentumsgarantie ausgrenzen und dessen Eigentumsqualität verneinen. Der juristische Untersuchungsgegenstand legt eine juristische Untersuchungsmethode nahe. ,,Jede Wissenschaft bedient sich bestimmter Methoden, Arten des Vorgehens, um Antworten auf die von ihr gestellten Fragen zu erlangen. " 1 Methode ist eine Art des Vorgehens - eine planmäßige, wissenschaftliche und für andere nachvollziehbare Form des Begründens und Verstehens. Ein Vor-Gang setzt einen Standort voraus und eine Bewegungsperspektive, nicht aber ein vorgefaStes Ergebnis des Vorgehens (als vorformulierte Antwort auf die Frage, die das Vorgehen initiiert), bis auf dessen Planmäßigkeit, Wissenschaftlichkeit und Nachvollziehbarkeit als formale Kriterien der Erkenntnisgewinnung. Ausgegangen wurde bei der vorliegenden Untersuchung von mehreren Standpunkten. Der eine ist der des geltenden Rechts. Dieser ist notwendig für einen hier und jetzt über Rechtsfragen nachdenkenden Juristen. Unter dem Aspekt der entworfenen Fragestellung wurde das geltende Recht unabhängig von einem konkreten Fall abstrakt-systematisch einbezogen. Es war die abstrakte Rechtslage hinsichtlich des Anspruchs auf Sozialhilfe, hinsichtlich der Auslegung des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG und hinsichtlich des Verhältnisses beider insbesondere in der Problematik der Verhältnisbestimmung darzustellen. Die Problematik der Verhältnisbestimmung ergab den Untersuchungsgegenstand für den zweiten Teil, leitete also über in eine grundsatzorientierte Reflexion innerhalb des Begriffsgebrauchs von ,,Eigentum". Diese grundsatzorientierte, rechtsphilosophische Bemühung wurde eingeleitet durch eine definitorische Versicherung des Sprachgebrauchs von "Eigentum", welche den Grundsätzen guter Definition genügte. Diese abstrakt-rechtliche und vom hier zu entwickelnden methodologischen Standpunkt aus vorverständliche Ebene wurde im zweiten Teil der Untersuchung verlassen. Der definitorisch verdichtete Sprachgebrauch von ,,Eigentum" wurde zur Leitlinie genommen, die Begriffe, unter denen der Rechtsbegriff "Eigentum" zu denken möglich ist, also sein juristisches Wesen ausmachen, grundsatzorientiert weiter aufzuklären. Der Ausgangspunkt dieser weiteren Aufklärung, die Rechtsphilosophie Immanuel Kants, markiert den zweiten Standpunkt der angewendeten Methode. Dieser zweite Standpunkt beruht auf der Überzeugung, daß in Grundsatzfragen die klassischen juristischen Methoden nur eingeschränkt brauchbar sind bzw. ihrerseits als Methode methodologisch interpretiert werden müssen. Die Lehren von der Auslegung einer Norm oder eines Rechtsbegriffs nach deren Wortlaut, nach dem Sinn und Zweck, nach deren systematischer Stellung im Normengefüge I Larenz, Kar! : ,,Methodenlehre der Rechtswissenschaften", Berlin 6. Auf!. 1991, Einleitung, 1. Satz.

220

C. Methodologische Schlußbetrachtung

und der Entstehungsgeschichte bleibt ungenügend in methodologisch unreflektierter Anwendung, wenn z. B. nach dem Grundrechtsbegriff des Eigentums gefragt wird. Dieses liegt u.a. daran, daß im gewöhnlichen Gebrauch vom Eigentumsbegriff und den damit verbundenen Vorstellungen zuwenig Anhaltspunkte gegeben sind, an denen sich eine Auslegung als Normverstehen entwickeln und zu denen sich der Auslegende als Verstehender in ein Verhältnis setzen könnte. Hier bedarf es zum einen eines Selbstverständnisses des verstehenden Juristen als eines Verstehenden, was allein erste erkenntnistheoretische Anstrengungen vor jeder praktischphilosophischen Bemühung rechtfertigt. Zum anderen bedarf es hierfür eines entwickelten allgemeinen Verständnisses von einem Rechtsbegriff als zu Verstehendes, was allein die ethische Anstrengung und die Überleitung in die Rechtsphilosophie motiviert und begründet. Die Kompetenz der theoretischen und der praktischen als aus einer reflexiven Vernunft entwickelt zu denkenden Philosophie Immanuel Kants (als hervorragendem Vertreter neuzeitlicher Rechtsphilosophie) zur Interpretation des tradierten Methodenkanons und zur Auslegung geltenden Verfassungsrechts beruht darauf, daß die zentralen Theoreme der neuzeitlichen Rechtsphilosophie " ... als verbindliche Rechtsnormen (und nicht etwa lediglich als Appelle an den Gesetzgeber oder unverbindliche Programmsätze) Eingang in die Verfassung gefunden haben und dieser geradezu ihren Stempel aufdrücken. Mit der Gewährleistung von Freiheitsund Gleichheitsrechten, rechtsstaatliehen Garantien, Demokratieprinzip und Sozialstaatsgebot hat das Grundgesetz wichtige Elemente moderner Staats- bzw. Rechtsphilosophie ,übernommen' in dem Sinn, daß nun Gehalte wissenschaftlicher bzw. philosophischer Reflexion und Postulate ethisch bestimmten Denkens zu rechtsverbindlichen Inhalten, normativen Leitlinien, Staatsstruktur- oder Staatszielbestimmungen der ranghöchsten staatlichen Normebene geworden sind. Die Verfassung vermag so geradezu als institutionalisierte Verbürgung für einen gewissen ethischen Grund- oder Mindestgehalt des Rechts erscheinen. Natürlich zieht diese Inkorporation staatsphilosophischer Lehrsätze in das entscheidende Rechtsdokument freiheitlicher Ordnungen bestimmte Folgeprobleme nach sich. Zum einen erfahren jene Gehalte durch Aufnahme in das Staatsgrundgesetz eine Statusänderung, eine Transformation; sie teilen nun den Rechts- und Vorrangcharakter der Verfassung und sind den Regeln der juristischen Methodik gemäß auszulegen. Zugleich bedeutet dies, daß Verfassungsinterpretation partiell zu einem Akt praktisch wirksamer rechtsphilosophischer Anstrengung wird. " 2

Die These von der Inkorporation rechtsphilosophisch begründeter Sätze in das Grundgesetz läßt sich durch viele Systemmerkmale und materiellrechtliche Inhalte des Grundgesetzes stützen. Entscheidend in diesem Zusammenhang ist, daß die juristische Hermeneutik sich einzupassen hat in einen allgemeinen wissenschaftlichen hermeneutischen Zusammenhang, oder: daß die juristische Logik Teil einer übergreifenden Wissenschaft der Logik ist und aus dieser heraus begriffen werden muß, bzw. in dieser ihr Begriff erst zu finden ist. Insofern kann man von einer "Ak2 Dreier, Horst: "Rechtsethik und staatliche Legitimität", Universitas-Zeitschrift für interdisziplinäre Wissenschaft 1993, 377 [388, 389].

I. Die methodologische Fragestellung

221

tualität" der Rechtsphilosophie (in ihren logischen Bezügen) Immanuel Kants sprechen3. Die Problematik um den Eigentumsbegriff und dessen Auslegung war auch für Larenz Gegenstand hermeneutischer Bemühung4 • In einem Exkurs im Rahmen seiner Methodenlehre expliziert Larenz als Ausgangspunkt eine Unterscheidung Hegels zwischen "abstraktem" und ,,konkretem" Begriff von einem Gegenstand. Der abstrakte Begriff fasse nur die gelöste Allgemeinheit der Merkmale einer so bestimmten Klasse von Gegenständen, unter Hinweglassung des Besonderen und alleinigem Einbezug des Gemeinschaftlichen. Dies sei die Weise, wie der Verstand den Begriff auffasse, und diese Begriffe seien hohl und leer, bloße Schemen und Schatten. Dieser von Larenz erinnerte abstrakte Begriff von einem Gegenstand ist Resultat einer Abstraktionsleistung, durch die der Verstand eine Fülle wahrgenommener Sinnesdaten auf eine Ebene selektiver Merkmalsbestimmtheit hebt. Ein Beispiel ist die vorverständlich entwickelte Definition des Eigentumsbegriffs am Ende des ersten Teils der hier vorliegenden Untersuchung. Durch diese synthetisierende Tätigkeit des Verstandes wird ein bewegtes vierfüßiges Fellbündel zum Tier, zum Hund, zum Dackel. In diesen Bestimmungsschritten vom genus proximum über die differentia specifica zum Artbegriff ist die Merkmalsgemeinschaft mit anderen Tieren aufgehoben, die höhere Bestimmtheit des abstrakten Artbegriffs "Dackel" steht aber als eigenständige, bestehende und bei sich bleibende Besonderheit dem Gattungsbegriff gegenüber. Diesen Abstraktionsleistungen sei - gewissermaßen als erkenntnistheoretischer Fluchtpunkt - der konkrete Begriff als wahrhaft Erstes vorgeordnet. Dieser konkrete Begriff nehme den wahrgenommenen Gegenstand in der ungeordneten Fülle seiner Weltbezüge, in allen Möglichkeiten, Verwirklichungen und Notwendigkeiten in sich auf in unbegrenzter, und darum der Gegebenheit des Gegenstands angemessener Komplexität. Dieser konkrete Begriff sei das Initial der Verstandestätigkeit, die den Begriff in Abstraktionsschritten von den Besonderheiten entleert und so zum hohlen und leeren abstrakten Begriff ableite. Das von Larenz nach Hegel 3 Die ,,Aktualität" der Rechtslehre Kants wird von Kühl,Kristian: "Eigentumsordnung als Freiheitsordnung - Zur Aktualität der Kantischen Rechts- und Eigentumslehre", Freiburg 1984, und von Luf, Gerhard: "Freiheit und Gleichheit- Die Aktualität im politischen Denken Kants", Wien/New York 1978, jeweils in den Untertiteln in Anspruch genommen, ohne jedoch zu erklären, was mit ,,Aktualität" gemeint ist. Aktuell ist das Wirkliche, Gegenwärtige, jetzt Erfahrbare. Wird also nach der Aktualität der Eigentumslehre Kants gefragt, so fragt man nach deren Wirkungsmächtigkeit in der Gegenwart, inwieweit ihre Prinzipien heute als normative Bestimmungen für das positive Recht (vermittelt durch einen Bestimmungsakt der Subsumtion des positiven Rechts unter die normativen Prinzipien dieser Theorie in Anwendung der Theorie) verstanden werden können. Daß diese bestinunende Kraft der Theorie innewohnt, ist zunächst vom Boden der Theorie selbst zu prüfen und hier in den ersten beiden Teilen der Untersuchung geprüft worden. 4 Larenz, Kar!: "Methodenlehre der Rechtswissenschaften", Berlin 6. Auf!. 1991, S. 457ff. [459].

222

C. Methodologische Schlußbetrachtung

erinnerte Verhältnis zwischen konkretem und abstraktem Begriff besteht somit zwischen zwei zu unterscheidenden Momenten des gegebenen Etwas, welches einerseits als konkret an sich bestehendes, andererseits als durch die synthetisierende Verstandesfunktion bestimmtes Etwas für das erkennende Subjekt genommen wird. Das Verhältnis ist nicht das des Gegensatzes, sondern der abstrakte Begriff präsentiert sich zusammenhängend gefolgert auf Grundlage des konkreten. Larenz fragt so folgerichtig am Beispiel des abstrakten Eigentumsbegriffs im geltenden Recht nach dessen Vor- oder Rückbezogenheit auf einen konkreten Eigentumsbegriff. Dieses gilt Larenz als Vorstudie zu seiner Lehre vom Rechtsbegriff, welcher als äußerer und innerer Typus näher zu bestimmen sei, die hier jedoch nicht weiter ausgeführt werden soll und kann5 . Hier der Aufweisgang von Larenz zum Eigentumsbegriff: ,Jm Rahmen des abstrakt-begrifflichen Systems, das dem BGB zugrunde liegt, definiert man das Eigentum als das umfassendste Herrschaftsrecht, das nach der geltenden Rechtsordnung an einer Sache möglich ist. Diese Definition gründet sich auf den § 903 BGB, demgemäß der Eigentümer einer Sache, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit ihr nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen kann. Ein solcher Begriff des Eigentums sagt nichts über seinen rechtlichen Sinn, über seine Funktion im Gesamtzusammenhang der Rechtsordnung aus. Man kann nichts aus ihm ableiten, was man nicht bereits in ihn hineingelegt hat. Der Hinweis darauf, daß das Eigentum das "umfassendste" mögliche Recht an einer Sache sei, dient lediglich der Abgrenzung zu den ,beschränkten dinglichen Rechten', ist im Grunde nichtssagend. Allerdings fehlt nicht der Hinweis auf Schranken, die sich aus dem Gesetz oder Rechten Dritter ergeben. Diese Schranken aber scheinen zufällig und beliebig zu sein; der Umfang des Eigentums könnte danach auf eine ,leere Menge' reduziert werden. Mit einem solchen Eigentumsbegriff ist nichts anzufangen, wenn es etwa um die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG geht. Was dem Grundgesetzgeber vor Augen gestanden hat, ist offenbar nicht der abstrakte Begriff des BGB, sondern eine bedeutend inhaltsreichere Vorstellung, die hier nicht weiter entwickelt werden kann. Sucht man aber auch nur das Eigentum im Sinne unseres Sachenrechts nach der Weise Hegels als einen sinnhaltigen Begriff zu erfassen, dann muß man von seinem rechtlichen Sinn ausgehen, daß es der Person die freie Gestaltung ihrer dinglichen Umwelt ermöglicht, ihr, wie Hege! sagt, ,eine äußere Sphäre ihrer Freiheit' von Rechts wegen gewährt. Von hier aus wären dann die einzelnen Momente oder Bestimmungen dieses konkreten Begriffs, die sich in den Bestimmungen des positiven Rechts mehr oder weniger deutlich oder verhüllt wiederfinden, zu entwickeln, also etwa die dauernde Zuordnung einer Sache zu einer Person, die deren Befugnis zur unmittelbaren Sachherrschaft (zum Besitz), zur Einwirkung auf die Sache und zur rechtlichen Verfügung über das Eigentum einschließt, als die Kehrseite hiervon der Ausschluß Dritter von jeder Einwirkung, den rechtlichen Schutz durch Klagemöglichkeiten und, im Verletzungsfall, Schadensersatzansprüche, schließlich die sich aus den Notwendigkeiten des Zusammenlebens und der wechselseitigen Rücksichtnahme oder der freiwilligen Selbstbeschränkung des Eigentümers zu Gunsten eines Dritten ergebenden Schranken seiner Befugnisse. Durch die Rückbeziehung aller dieser Be-

s Eine Kritik dieser Typuslehre würde auf der nachfolgenden Besprechung der Hegel-Rezeption in methodologischer Hinsicht bei Larenz aufbauen und deren Einwände wiederholen.

I. Die methodologische Fragestellung

223

Stimmungen auf die Sinneinheit des ,konkreten Begriffs' werden sie aus ihrer Isolierung befreit und wird das Zusammenspiel der verschiedenen, das Sacheigentum betreffenden Nonnen des positiven Rechts verständlich gemacht."6

Der Analyse der abstrakten Begriffe um den Eigentumsbegriff von Larenz ist zuzustimmen. Seiner Kritik an den geläufigen Definitionen von Eigentum im Sachen- und Verfassungsrecht ist nichts weiter hinzuzufügen als der im ersten Teil der Untersuchung aufgewiesene Widerspruch in der Lehre vom Eigentumsschutz subjektiver öffentlicher Rechte. Ebenfalls zuzustimmen ist seinem Vorschlag, von dem Gedanken, Eigentum gewähre von Rechts wegen eine äußere Freiheitssphäre, die weiteren Bestimmungen und Momente des konkreten Begriffs vom Eigentum zu entwickeln. Der zweite Teil der Untersuchung stimmt mit diesem Vorschlag überein. Zweifel ergeben sich aus der Anhindung dieses Vorschlags an eine Hegeische Unterscheidung zwischen "abstrakten" und ,,konkreten" Begriffen. Diese Unterscheidung ist der theoretischen Naturphilosophie entnommen und kann nicht unmodifiziert auf die praktische Philosophie übertragen werden. Festzuhalten an dieser Unterscheidung ist die Inblicknahme des konkreten Begriffsverständnisses, in dem wir uns immer schon bewegen, wenn wir in abstrakten Begriffen sprechen, und welches die Wesensverfassung des abstrakten Begriffsverständnisses ausmacht. Die Voraussetzung eines konkreten Begriffsverständnisses hat nichts mit der Ansetzung eines unbewiesenen Grundsatzes zu tun, daraus eine Satzfolge deduktiv abgeleitet wird. Ein Zirkel im Beweis kann in der Fragestellung nach dem konkreten Begriff nicht liegen, weil es in der Beantwortung der Frage nicht um eine ableitende Begründung, sondern um eine aufweisende Grund-Freilegung geht7 . In Entsprechung zu den Begriffen der Natur müssen abstrakte Rechtsbegriffe als praktisch-philosophische Begriffe sich auf ein ihnen zugrundeliegendes Konkret-Allgemeines zurückführen lassen. Zu folgen ist der Emphase von Larenz bei der Frage nach dem rechtlichen Sinn des Eigentumsbegriffs. Diese Emphase ist jedoch methodologisch umzusetzen und kann nicht angemessen mit einem Verweis auf die Begriffslehre der Naturphilosophie bei Hegel gestützt werden. In diesem Zusammenhang erscheint es unausgemacht, ob Larenz die Frage nach dem rechtlichen Sinn von gesetzlich ausgestalte6 Larenz, Karl: ,,Methodenlehre der Rechtswissenschaften", Berlin 6.Aufl.l991, S. 457ff. [459]. 7 Dieser Absatz ist der Frage nach der ontologischen Differenz zwischen Seiendem und Sein und dem Sinn von Sein bei Heidegger, Martin: "Sein und Zeit", Freiburg 1927,2. unveränderter Nachdruck der 15. Aufl. Tiibingen 1993), S. 8, nachgebildet. Die "leitende Hinblicknahme auf dßs Sein entwächst dem durchschnittlichen Seinsverständnis, in dem wir uns immer schon bewegen, und dßs am Ende zur Wesensveifassung des Daseins selbst gehört. Solches Voraussetzen hat nichts zu tun mit der Ansetzung eines unbewiesenen Grundsatzes, dßraus eine Satifolge deduktiv abgeleitet wird. Ein kann in der Fragestellung nach dem Sinn des Seins überhaupt nicht liegen, weil es in der Beantwortung der Frage nicht um eine ableitende Begründung, sondern um eine aufgewiesene Grund-Freilegung geht."

224

C. Methodologische Schlußbetrachtung

ten Begriffen hinreichend mit der Unterscheidung in abstrakte und konkrete Begriffe innerhalb der Begriffslehre Hegels in der "Wissenschaft der Logik" expliziert und in Stellung gebracht hat. Zweifel an der Angemessenheit nähren sich vor allem aus dem Textbefund, daß Hegel die Dialektik zwischen Allgemeinem und Konkretem im Begriffsverstehen in seiner sachhaltigen und seinsbezogenen "Wissenschaft der Logik" und in den §§ 2 und 31 seiner "Grundlinien der Philosophie des Rechts" um den Aspekt der welterzeugenden Freiheit als einer "zweiten Natur", als das den normativen Begriffen des Rechts zugrundeliegende konkret-allgemein Normative, erweitert. Diese Aspektverschiebung, daß das Allgemeine in einem abstrakten Rechtsbegriff nur vom Standpunkt des freien Subjekts aus bestimmt werden kann, expliziert Hegel im § 4 der Grundlinien der Philosophie des Rechts: "Der Boden des Rechts ist überhaupt das Geistige und seine nähere Stelle und Ausgangspunkt ist der Wille, welcher frei ist, so daß die Freiheit seine Substanz und Bestimmung ausmacht und das Rechtssystem das Reich der verwirklichten Freiheit, die Welt des Geistes aus ihm selbst hervorgebracht, als eine zweite Natur ist."

Diese ersten Bestimmungen am Anfang der Grundlinien der Philosophie des Rechts sind voluminös und voraussetzungsreich. Der Begriff der Person, wie er in der kantischen Philosophie Hegel als Inbegriff praktischer Subjektivität vorlag, wird von Hegelinden Folgeparagraphen ontologisch beschrieben und im abstrakten Recht(§§ 34-104 Grundlinien der Philosophie des Rechts) privatrechtstheoretisch fundiert. Auf Grundlage der Rechtsphilosophie Kants sind diese Voraussetzungen in der vorliegenden Untersuchung im zweiten Teil dargestellt worden. Die Differenz zwischen der geläufigen formellen Wortlautargumentation im rechtswissenschaftliche Begriffsverstehen und der philosophischen Methode der Betrachtung von Rechtsbegriffen (die, wie angedeutet, eine Interpretation der Wortlautargumentation ist) diskutiert Hegel im Zusatz zum § 2 Grundlinien der Philosophie des Rechts. Er markiert den eigenen Stand des rechtsphilosophischen Begriffverstehens auf dem Boden des Geistigen (des freien selbstbewußten Willens) im§ 31 Grundlinien der Philosophie des Rechts. Diese beiden Fundstellen sind Gegenstände der folgenden Untersuchung.

II. Dialektische Methode 1. Auslegungen zu § 2 der Grundlinien der Philosophie des Rechts

Hegel vindiziert die Rechtswissenschaft der Philosophie: "Die Rechtswissenschaft ist ein Teil der Philosophie" 1

I

§ 2 der Grundlinien der Philosophie des Rechts S. I.

II. Dialektische Methode

225

Diese Einbindung fügt die rechtswissenschaftliche Methode in die Methode der Philosophie ein, wie diese von Hegel in der Wissenschaft der Logik entwickelt wurde. Die Rechtswissenschaft hat "die Idee, als welche die Vernunft eines Gegenstandes ist, aus dem Begriffe zu entwikkeln oder, was dasselbe ist, der eigenen immanenten Entwicklung der Sache selbst zuzusehen."2

Das Projekt, den Begriff des Rechts aus dem Begriff selbst zu entwickeln, ist in der Begriffslehre der Wissenschaft der Logik fundiert. Der logische Fluchtpunkt dieser Begriffslehre ist der Begriff des Begriffs. In "der Wissenschaft des Begriffes kann dessen Inhalt und Bestimmung allein durch die immanente Deduktion bewährt werden;'.3, was bedeutet, daß der Begriff in sich nur begrifflich reflexiv genommen werden kann, um für das Subjekt als reflexiver zu sein, was den Erkennenden auf das Verfahren immanenten Fortschreitens innerhalb seiner begrifflichen Erkenntnisbedingungen verweist. Der Begriff, insofern er zu einer solchen reflexiven Existenz für das Subjekt gediehen ist, " ...welche selbst frei ist, ist nichts anderes als Ich oder das reine Selbstbewußtsein. Ich habe wohl Begriffe, d. h. bestimmte Begriffe, aber Ich ist der reine Begriff selbst, der als Begriff zum Dasein gekommen ist." 4

Zentral in Hegels Begriffslehre ist seine Lehre vom Verstehen eines Gegenstands, vom Begreifen eines Gegenstandes vom Standpunkt der reflexiven Subjektivität einer transzendentalen Einheit des Selbstbewußtseins aus, von wo aus der Prozeß des Verstehens als eine Aneignung- einerseits: des Gegenstandes als eines eigengeformten, andererseits: der Subjektivität als einer frei formenden - durch die verstehende Subjektivität verstanden wird. "Das Begreifen eines Gegenstandes besteht in der Tat in nichts anderem, als daß Ich denselben sich zu eigen macht, ihn durchdringt und ihn in seine eigene Form, d.i. in die Allgemeinheit, welche unmittelbar Bestimmtheit, oder Bestimmtheit, welche unmittelbar Allgemeinheit ist, bringt. Der Gegenstand in der Anschauung oder auch in der Vorstellung ist noch ein Äußerliches, Fremdes. Durch das Begreifen wird das Anundfürsichsein, das er im Anschauen und Vorstellen hat, in ein Gesetztsein verwandelt, Ich durchdringt ihn denkend. ,.s

Schon an dieser Stelle kann deutlich gemacht werden, daß der Versuch bei Larenz, den Immanenzzusammenhang in der dialektischen Methode der Begriffsentwicklung bei Hegel mit der Unterscheidung zwischen "abstraktem" und ,,konkre§ 2 der Grundlinien der Philosophie des Rechts S. 2. Wissenschaft der Logik li, S. 252. 4 Wissenschaft der Logik II, S. 253, der Begriff des Begriffes wird hier von Hege!, wie er später im Text auch selbst ausführt, ganz analog der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption (transzendentale Einheit des Selbstbewußtseins) bei Kant in der Kritik der reinen Vernunft, B S. 132ff., verwendet. 5 Wissenschaft der Logik li, S. 255. 2

3

15 Süchting

226

C. Methodologische Schlußbetrachtung

tem" Begriffen festzuhalten und in die Rechtswissenschaft als philosophische Methode einzuführen, die Methode bei Regel nur unvollkommen rezipiert und ihr dynamisches Moment der immanenten Deduktion nicht aufnimmt. Bei Regel sind Allgemeines und Besonderes Bewegungen des Begriffs in sich, und Abstraktion und Konkretion Bestimmungen, die relativ vom Standpunkt des Verstehenden sich ergeben. Derjenige, der vom vorfindliehen Gegenstand (z. B. dem positiv-rechtlichen Begriff des Eigentums im Art. 14 GG) ausgeht, demjenigen ist eine Lehre von der Freiheitsverwirklichung in der Gegenständlichkeit sich setzender Personalität abstrakt. Derjenige, der von der transzendentalen Einheit des Selbstbewußtseins ausgehend einen freiheitlichen Personenbegriff entwickelt, dem erscheint diese als das eigentlich Konkrete und eine transsubjektive Privatrechtslehre das Abgeleitete oder ,,Abstrakte" zu sein. Die Wissenschaft des Rechts hat das Recht als Vorgefundenes zum Gegenstand, dessen immanente Entwicklung sie als philosophische Wissenschaft denkend betrachtet. "Der Begriff des Rechts fallt (... ) seinem Werden nach außerhalb der Wissenschaft des Rechts, seine Deduktion ist hier vorausgesetzt, und er ist als gegeben aufzunehmen."6 Der Begriff des Rechts ist aus einer Lehre freier Subjektivität geschöpft und bezeichnet den Inbegriff der Bedingungen, nach denen die äußere Freiheit des einen mit der äußeren Freiheit des anderen unter allgemeinen Gesetzen vereinigt werden kann. Dieser Begriff des Rechts ist einer philosophischen Rechtswissenschaft vorausgesetzt, diese gründet auf jenem und nimmt - methodisch betrieben - von jenem ihren Ausgang. ,,Als Teil hat sie einen bestimmten Anfangspunkt, welcher das Resultat und die Wahrheit von dem ist, was vorhergeht und was den Beweis desselben ausmacht." Regel selbst definiert den Begriff des Rechts nicht, sondern legt ihn im Aufweisgang der Grundlinien der Philosophie des Rechts frei in allen seinen Gestaltungen als Formungsgeschichte des Geistes in der normativen Perspektive universeller Freiheitsverwirklichung. Die fehlende Definition, die z. B. in der kantischen Rechtsphilosophie an den Anfang gestellt zu finden ist, erklärt sich aus Regels Abgrenzung der philosophischen von der von ihm sogenannten "formellen" Methode: ,,Nach der formellen, nicht philosophischen Methode der Wissenschaften wird zuerst die

Definition, wenigstens um der äußeren wissenschaftlichen Form wegen, gesucht und

verlangt. Der positiven Rechswissenschaft kann es übrigens auch darum nicht sehr zu tun sein, da sie vornehmlich darauf geht, anzugeben, was Rechtens ist, d. h. welches die besonderen gesetzlichen Setsimmungen sind, weswegen man zur Warnung sagt: omnis definitio in iure civili periculosa. Und in der Tat, je unzusammenhängender und widersprechender in sich die Bestimmungen eines Rechtes sind, desto weniger sind Definitionen in demselben möglich, denn diese sollen vielmehr allgemeine Bestimmungen enthalten, diese machen aber unmittelbar das Widersprechende, hier das Unrechtliche, in

6 § 2 der Grundlinien der Philosophie des Rechts S. 4. Ausgelassen wurde in (... ) ,,daher".

II. Dialektische Methode

227

seiner Blöße sichtbar. So z. B. wäre für das römische Recht keine Definition vom Menschen möglich, denn der Sklave ließe sich darunter nicht subsumieren, in seinem Stand ist der Begriff vielmehr verletzt; ebenso perikulös würde die Definition von Eigentum und Eigentümer für viele Verhältnisse erscheinen.7 - Die Deduktion aber der Definition wird etwa aus der Etymologie, vornehmlich daraus geführt, daß sie aus den besonderen Fällen abstrahiert und dabei das Gefühl und die Vorstellung der Menschen zum Grunde gelegt wird. Die Richtigkeit der Definition wird dann in der Übereinstimmung mit den vorhandenen Vorstellungen gestezt. Bei dieser Methode wird das, was allein wissenschaftlich wesentlich ist, in Ansehung des Inhalts die Notwendigkeit der Sache an und für sich selbst (hier des Rechts), in Ansehung der Form aber die Natur des Begriffs, beiseite gestellt." 8

Die formelle Definition bleibt abstrakt, ohne die immanente Entwicklung des Rechtsbegriffs zu beobachten. Hegel plädiert für die Anwendung der philosophischen Methode in der Rechtswissenschaft, welche die Bewegungen innerhalb des Rechtsbegriffs nachvollzieht: "Vielmehr ist in der philosophischen Erkenntnis der Notwendigkeit eines Begriffs die Hauptsache, und der Gang, als Resultat, geworden zu sein, sein Beweis und Deduktion. Indem ein Inhalt für sich notwendig ist, so ist das Zweite, sich umzusehen, was in den Vorstellungen und in der Sprache demselben entspricht. Wie aber dieser Begriff für sich in seiner Wahrheit und wie er in der Vorstellung ist, dies kann nicht nur verschieden voneinander, sondern muß es auch der Form und Gestalt nach sein. Wenn jedoch die Vorstellung nicht auch ihrem Inhalte nach falsch ist, kann wohl der Begriff als in ihr enthalten und, seinem Wesen nach, in ihr vorhanden aufgezeigt, d. h. die Vorstellung zur Form des Begriffs erhoben werden. Aber sie ist so wenig Maßstab und Kriterium des für sich selbst notwendigen und wahren Begriffs, daß sie vielmehr ihre Wahrheit aus ihm zu nehmen, sich aus ihm zu berichtigen und zu erkennen hat. " 9

"Beweis" und "Deduktion" hat im hegelschen Wortgebrauch die Bedeutung, dem Werden eines Seins zuzuschauen und die Regelmäßigkeit des Gangs, "als Resultat geworden zu sein" zu erkennen, d. h. als Erkennender sich dazu zu verstehen und sich den Begriff (z. B. des Eigentums) in seinem Resultat- als Geformter für den Erkennenden da zu sein - als Selbstgeformten anzueignen. Die Notwendigkeit des Begriffsinhalts besteht darin, daß er anders nicht denkbar ist. Hegel unterscheidet die vulgäre Vorstellung, die den Begriff begleitet, von seinem notwendigen Inhalt. Die Vorstellung gibt (z. B. als vorverständliche Definition) den Ausgangspunkt, nicht aber den notwendigen und schon garnicht die Wahrheit des Begriffs (dessen Übereinstimmung mit dem Gegenstand) und ist nicht für diese zu nehmen. Die Differenz zwischen Vorstellung, die den Begriff begleitet, und dem in seiner immanenten Entwicklung erkannten Begriff wird aufgehoben in der nonnativen 7 Diese Bemerkung Hegels läßt sich selbstverständlich auch auf die "perikulöse" Definition des Eigentumsbegriffs im Art. 14 GG angesichts der Widersprüchlichkeit in der Lehre vom Eigentumsschutz subjektiver öffentlicher Rechte beziehen. s § 2 der Grundlinien der Philosophie des Rechts S. 1-7. 9 § 2 der Grundlinien der Philosophie des Rechts, Zusatz, Satz 8-12.

15*

228

C. Methodologische Schlußbetrachtung

Stellung des Begriffs zur Vorstellung (ein Verhältnis auf Veränderung der Vorstellung drängender Spannung), in welcher der Begriff ein Sollen der Vorstellung gegenüber ausdrückt und diese "ihre Wahrheit aus ihm zu nehmen, sich aus ihm zu berichtigen und zu erkennen hat.". Einer weiteren Ausführung zur Methode in der Rechtswissenschaft enthebt sich Regel: "Worin das wissenschaftliche Verfahren der Philosophie bestehe, ist hier aus der philosophischen Logik vorauszusetzen." 10

Dieser voluminöse Verweis läßt den Leser trotz der vorausgegangenen Explikationen zur philosophischen und deren Abgrenzung von der formellen Methode allein. Auch in der vorliegenden Untersuchung kann die Begriffslehre Regels, wie sie sich aus ihrer Auseinandersetzung mit der kantischen Lehre von den reinen Verstandesbegriffen entwickelt, nicht angemessen aufgenommen werden. Allein festgehalten werden kann bis hierher, daß es zusätzlich zu einem ontologischen Begriffsverstehen in der Logik in der Rechtsphilosophie eines Aufweises des zu verstehenden Rechtsbegriffs aus dem ersten Grundsatz praktischer Philosophie bei Regel, dem Willen, welcher frei ist, heraus bedarf. 2. Auslegungen zu § 31 der Grundlinien der Philosophie des Rechts

§ 31 der Grundlinien der Philosophie des Rechts schließt unmittelbar an den letzten Satz des§ 2 (Zusatz) an: "Die Methode, wie in der Wissenschaft der Begriff sich aus sich selbst entwickelt und nur ein immanentes Fortschreiten und Hervorbringen seiner Bestimmungen ist, der Fortgang nicht durch die Versicherung, daß es verschiedene Verhältnisse gebe, und dann durch das Anwenden des Allgemeinen auf einen solchen Stoff geschieht, ist hier gleichfalls aus der Logik vorausgesetzt." 11

Zwischen dem § 2 und dem § 31 Grundlinien der Philosophie des Rechts liegt innerhalb der Einleitung seiner Rechtsphilosophie Regels ontologische Bestimmung des freien Willens, sein Aufweis des Prinzips freier Subjektivität. Nochmals betont Regel, daß die rechtswissenschaftliche Methode, welche die Bezeichnung "wissenschaftlich" verdiene, dem Gegenstand nichts hinzufügt, ihn in der Betrachtung weder verändert noch gleichsam zubereitet für das menschliche Verstehen, sondern daß dieser Prozeß der Aufweis menschlichen Verstehens am Gegenstand selbst ist, der den Gegenstand so erscheinen läßt, wie er wahrhaft für das menschliche Erkennen ist. Diese Methode gegenstandsimmanenter Reflexion nennt Regel Dialektik:

10 II

§ 2 der Grundlinien der Philosophie des Rechts, Zusatz, Satz 16. § 31 der Grundlinien der Philosophie des Rechts, Satz l.

II. Dialektische Methode

229

"Das bewegende Prinzip des Begriffs, als die Besonderungen des Allgemeinen nicht nur auflösend, sondern auch hervorbringend, heiße ich Dialektik - Dialektik also nicht in dem Sinne, daß sie einen dem Gefühl, dem unmittelbaren Bewußtsein überhaupt gegebenen Gegenstand, Satz usf. auflöst, verwirrt, herüber- und hinüberführt und es nur mit Herleiten des Gegenteils zu tun hat- eine negative Weise, wie sie häufig auch bei Platon erscheint. Sie kann so das Gegenteil der Vorstellung, oder entschieden wie der alte Skeptizismus den Widerspruch derselben, oder auch matter Weise eine Annäherung zur Wahrheit, eine moderne Halbheit, als ihr letztes Resultat ansehen." 12

Der positive Rechtsbegriff erreicht seine Wahrheit als wirkliche Bestimmung intersubjektiver Verhältnisse in der Übereinstimmung mit den vorpositiven Grundsätzen der äußeren Freiheitsregulation 13 • Entscheidend in diesem dialektischen Verfahren ist, daß die Besonderungen eines Begriffs, dessen Gestaltungen in der Wirklichkeit, nicht als Limitation des Begriffsverstehens genommen werden, sondern als Chiffren für das ihnen zugrundeliegende Allgemeine: "Die höhere Dialektik des Begriffs ist, die Bestimmung nicht bloß als Schranke und Gegenteil, sondern aus ihr den positiven Inhalt und Resultat hervorzubringen und aufzufassen, als wodurch sie allein Entwicklung und immanentes Fortschreiten ist. Diese Dialektik ist dann nicht äußeres Tun eines subjektiven Denkens, sondern die eigene Seele des Inhalts, die organisch ihre Zweige und Früchte hervortreibt.'" 4

Diesem Inhalt wird nichts hinzugetan: "Dieser Entwicklung der Idee als eigener Tätigkeit ihrer Vernunft sieht das Denken als subjektives, ohne seinerseits eine Zutat hinzuzufügen, nur zu. " 15

Die Pointe dieser allgemeinen Dialektik in der Rechtswissenschaft formuliert Hegel auf der Höhe der Philosophie des absoluten Geistes, der sich ,,Im Begriffe(...) das Reich der Freiheit eröffnet. Er ist das Freie, weil die an undfür sich seiende Identität, welche die Notwendigkeit der Substanz ausmacht, zugleich als aufgehoben oder Gesetztsein ist und dies Gesetztsein als sich auf sich selbst beziehend, eben jene Identität ist.'' 16

Diese Spontaneität und Identität in seinen Emanationen des absoluten Geistes übersetzt Hegel in die Rechtsphilosophie wie folgt:

§ 31 der Grundlinien der Philosophie des Rechts, Zusatz, Satz 1 u. 2. Zum Positivitätsbegriff ist diese Festlegung verkürzt, vgl. § 3 der Grundlinien der Philosophie des Rechts, in welchem der Positivitätsbegriff voll entfaltet wird. Die äußere Freiheit der Person ist jedoch das konkret-allgemeine und die Substanz des Rechts, die Übereinstimmung mit diesem ersten Grundsatz ergibt den ersten Wahrheitsgehalt des Rechtsbegriffs. 14 § 31 der Grundlinien der Philosophie des Rechts, Zusatz, Satz 4 u. 5. 15 § 31 der Grundlinien der Philosophie des Rechts, Zusatz, Satz 6. 16 Wissenschaft der Logik II, S. 251. 12 13

230

C. Methodologische Schlußbetrachtung ,,Etwas vernünftig betrachten heißt, nicht an den Gegenstand von außen her eine Vernunft hinzubringen und ihn dadurch bearbeiten, sondern der Gegenstand ist für sich selbst vernünftig; hier ist es der Geist der Freiheit, die höchste Spitze der selbstbewußten Vernunft, die sich Wirklichkeit gibt und als existierende Welt erzeugt; die Wissenschaft hat nur das Geschäft, diese eigene Arbeit der Vernunft der Sache zum Bewußtsein zu bringen.'' 17

Der Rechtsbegriff in allen seinen Gestaltungen in der Wirklichkeit wird von Hegel ausgehend vom freien Willen normativ beobachtet. Die Welt des Rechts wird als durch das Prinzip des freien Willens und dessen notwendiger Verwirklichung erzeugte zweite Welt - vgl. § 4 Grundlinien der Philosophie des Rechts - neben der unendlichen Determination durch die Naturkausalität (die dem Menschen ein Zufall ist) begriffen. Der Auftrag des Rechtswissenschaftlers ist, dem Rechtsbegriff in seinen Gestaltungen (z. B. in denen des Eigentumsbegriffs) im Hinblick auf deren allgemeine Bestimmungen nachzuspüren und dem menschlichen Bewußtsein zuzueignen. Dieser Auftrag wurde hier in den ersten beiden Teilen der vorliegenden Untersuchung angenommen.

111. Auslegung des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG nach der dialektischen Methode Die philosophische oder "dialektische" Methode ist keine ausgewiesene Methode der Verfassungsinterpretation. Dazu bedürfte es weiterer Forschung, welche die Formenvielfalt des Grundgesetzes, die Arten der Rechte und deren Schranken, präzise aufzunehmen und aus dem einheitlichen philosophischen Prinzip zu entwikkeln hätte. Gleichwohlläßt sich die philosophische Methode in ihrem grob umrissenen Inhalt an die tradierte Auslegungslehre als Arbeitshypothese heranführen, um so - vorbehaltlich weiterer Ausarbeitungen - für die Verfassungsinterpretation als normatives Deutungsschema fruchtbar zu werden. Dieses geschieht hier unter Erinnerung an die Thesen des Bundesverfassungsgerichts zur Auslegung von Rechtsnormen (1). Sodann werden die klassischen Argumentationen nach dem Wortlaut und nach der Teleologie ihrerseits im Sinne der dialektischen Methode interpretiert und auf das hiesige Bestimmungsproblem im Rahmen des Art. 14 GG angewendet (2). 1. Methologischer Standpunk des Bundesverfassungsgerichts1

Zum Problem der Verfassungsinterpretation wurde seitens des Bundesverfassungsgerichts nie ausdrücklich Stellung bezogen. Es liegen jedoch Stellungnah§ 31 der Grundlinien der Philosophie des Rechts, Zusatz, Satz 7. Die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts zum Aus1egungsproblem: E 1, 299 [312]; 6, 55 [75]; 10, 234 [244]; 11, 126 [130] (leitend); 33, 265 [294]. Judikatur des BGHZ zum 17 I

III. Auslegung des Art. 14 Abs. I S. 1 GG

231

men2 vor für die allgemeine Auslegung des Rechts, welche auf die Verfassungsinterpretation übertragbar sind. Einen Unterschied zwischen Verfassungsrecht und gesetztem Recht machte das Bundesverfassungsgericht dabei nicht. Es ist kein Grund ersichtlich, "die allgemeinen Auslegungsgrundsätze nicht wenigstens prinzipiell auch auf die Verfassungsinterpretation anzuwenden. Denn die Verfassung als Gesetz ist ebenso wie alle anderen Gesetze ein (zumeist in der Umgangssprache abgefaßtes) Sprachwerk, das als solches der Auslegung bedarf, wie die in ihr enthaltenen Sätze den Charakter von Normen haben; ihre Bindungswirkung ist gewiß nicht geringer, sondern stärker als die aller anderen Gesetze." 3 Leitend ist für das Bundesverfassungsgericht die sogenannte "objektive Theorie", dernach bei Auslegung des Gesetzestextes der objektive, im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers zu ermitteln ist. Demgegenüber sei der subjektive Wille der Beteiligten bei Gesetzgebungsverfahren und Diskussion unbeachtlich. Das Auslegungsziel, der objektive Wille des Gesetzgebers, müsse mithilfe objektiver grammatischer, systematischer, teleologischer und historischer4 Methode ermittelt werden. Das BVerfG greift auf die tradierte Auslegunglehre Savignys5 zurück. "Während die ,subjektive' Theorie auf den historischen Willen des ,Gesetzgebers'= Gesetzesverfassers, auf dessen Motive in ihrem geschichtlichen Zusammenhang abstellt, ist nach der ,objektiven' Theorie, die in Rechtsprechung und Lehre immer stärkere Anerkennung gefunden hat, Gegenstand der Auslegung das Gesetz selbst, der im Gesetz objektivierte Wille des Gesetzgebers. ,Der Staat spricht nicht in den persönlichen Äußerungen der an der Entstehung des Gesetzes Beteiligten, sondern nur im Gesetz selbst. Der Wille des Gesetzgebers fällt zusammen mit dem Willen des Gesetzes' (Radbruch, Rechtsphilosophie, 4.Auflage 1950, S. 210f.). Diesem Auslegungsziel dienen die Auslegung aus dem Wortlaut der Norm (grammatische Auslegung), aus ihrem Zusammenhang (systematische Auslegung), aus ihrem Zweck (teleologische Auslegung) und aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte (historische Auslegung).

Auslegungsproblem: E 17, 21 [23]; 20, 104 [107]; 33, 321 [330]; 36, 370 [377]; 37, 58 [60]; 46,74 [76]. 2 Dargestellt von Müller, Friedrich: ,,Juristische Methodik", Berlin 5.Aufl.1993, S. 30 [34ff.]. 3 Larenz, Kar1: ,,Methodenlehre der Rechtswissenschaft", S. 363. 4 Die historische Methode soll dabei nur eine HUfsfunktion haben, die die Ergebnisse der anderen Argumente absichern oder stützen helfen soll. Dagegen wendet sich Larenz, Kar!: ,,Methodenlehre der Rechtswissenschaft", S. 348- der Verfassungsgesetzgeber fühle sich der geschichtlichen Kontinuität verbunden, "die von der Paulskirche bis zur Weimarer Verfassung reichte; an solcher Kontinuität sollte man, soweit das möglich ist, gerade angesichts des gestörten Verhältnisses der Deutschen zu ihrer Geschichte festhalten. " s Die historische Rechtsschule Savignys ist dargestellt von Larenz, Kar!: ,,Methodenlehre der Rechtswissenschaften", Berlin 6.Aufl.l991, S. 11-18.

232

C. Methodologische Schlußbetrachtung Um den objektiven Willen des Gesetzgebers zu erfassen, sind alle diese Auslegungsmethoden erlaubt. Sie schließen einander nicht aus, sondern ergänzen sich gegenseitig. Das gilt auch für die Heranziehung der Gesetzesmaterialien, soweit sie auf den objektiven Gesetzesinhalt schließen Jassen. Freilich sind die ,Vorarbeiten eines Gesetzes für dessen Auslegung immer nur mit einer gewissen Zurückhaltung, in der Regel bloß unterstützend, zu verwerten' (RGZ 128,111 ). Sie dürfen nicht dazu verleiten, die Vorstellungen der gesetzgebenden Instanzen dem objektiven Gesetzesinhalt gleichzusetzen (z. B. schon RGZ 27,411, ferner BayerVerfGH VGHE NF Bd. 3 II 1950 S. 15 [24]). Der Wille des Gesetzgebers kann bei der Auslegung des Gesetzes nur insoweit berücksichtigt werden, als er in dem Gesetz selbst einen hinreichend bestimmten Ausdruck gefunden hat (vgl. BGH LIM Nr. 3 zu§ 133 BGB). Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in seiner Entscheidung vom 2l.Mai 1952 (BVerfGE 1,299 [312]) ausgesprochen, daß für die Auslegung einer Gesetzsvorschrift der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgebend ist, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, und daß der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift für deren Auslegung nur insoweit Bedeutung zukommt, ,als sie die Richtigkeit einer nach den angegebenen Grundsätzen ermittelten Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die auf dem angegebenen Weg allein nicht ausgeräumt werden können'. " 6

Um eine an diesen eigenen methodologischen Kriterien orientierte Auslegung des Art. 14 Abs. 1 GG hat sich das BVerfG nicht bemüht. Eine systematische Begriffsentwicklung wurde nie versucht, was letztlich zu den im ersten Teil der vorliegenden Untersuchung dargestellten Widersprüchen in der Dogmatik des Bigenturnsschutzes subjektiver öffentlicher Rechte führte. Aus niederrangigem Gesetzesrecht läßt sich nicht verbindlich auf den Norminhalt des diesem regulativ übergeordneten Verfassungsrechts schließen. Es hilft im Rahmen des Begriffes vom ,,Eigentum" auch nicht weiter, den rechtsvergleichend-systematischen Kontext europa-7 oder völkerrechtlicher8 Kodifikationen zu bemühen, da auch in diesen der Begriff nicht näher konkretisiert wird. Das Auslegungsziel des BVerfGs, den objektiven Willen des Gesetzes festzustellen, scheint schon in der Aufgabenstellung widersprüchlich zu sein. Ein Wille kann allein einer Person oder einer Personengemeinschaft, die ihrer inneren Verfassung gemäß ihren Willen bildet, zugeschrieben werden. Der Wortlaut des Gesetzes ist keine Person. Der Wille des Gesetzgebers kommt nur im Rahmen historischer Argumentation zum Zuge. So könnte die Erforschung des objektiven Willens des Gesetzes also nichts anderes bedeuten, als in der hermeneutischen Anstrengung den BVerfGE 11, 127 [129-131]. Der EWG-Vertrag spricht nur im Art. 222 vom Eigentum und nur dahingehend, daß die Eigentumsordnungen der Mitgliedstaaten unberührt bleiben sollen. Für Art. 14 GG ist damit begrifflich nichts gewonnen. s Art. 17 Abs. I der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: .,Jeder Mensch hat allein oder in Gemeinschaft mit anderen Recht auf Eigentum" - auch diese Formulierung hilft in der Frage, was Eigentum ist, nicht weiter. 6

7

III. Auslegung des Art. 14 Abs. I S. l GG

233

Willen des Interpreten in den Wortlaut des Gesetzes hineinzubilden. Das liefe jedoch an der Intention des BVerfGs vorbei. Der Metapher vom "Willen des Gesetzes" läßt sich jedoch so einen Sinn geben, daß mit ihr die wirklich verfaßte allgemeine Willkür - und dieser kommt ein Wille zu ! - in den Blick genommen ist, wie sie über das Gesetz zu sich selbst spricht, sich in sich mit sich selbst angesichts des Regelungsgegenstands vermittelt und das über sich beschließt, was sie in den Grenzen der praktischen Rechtsvernunft über sich beschließen kann. Mit dem Maßstab der praktischen Rechtsvernunft ist ein objektiver Maßstab gegeben, der menschlicher Handlung als regulatives Prinzip immanent ist. Damit bietet sich die praktische Rechtsvernunft als kritisches Prinzip an, den objektiven Willen eines Gesetzes zu erforschen. Nach diesem kritischen Prinzip ist nach der dialektischen Methode i.S. Hegels der Wortlaut und die Teleologie des Rechtsbegriffs vom Eigentum auszudeuten. Nach dem BVerfG stehen die einzelnen Argumentationsstrategien bei Auslegung des Gesetzes in dem Verhältnis, daß gegen den Wortlaut (contra Iegern) nicht interpretiert werden darf und daß dem historischen Argument lediglich subsidiäre Bedeutung zukommt9 .

2. Auslegung des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG nach der dialektischen Methode i.S. Hegels

a) Auslegung nach dem Wortlaut

Die Auslegung einer Norm nach dem Wortlaut verdeutlicht wie keine andere Argumentationsstrategie die Bindung der Gewalten an das Gesetz. Der Wortlaut gibt den Grund und die Grenze des Normverstehens an, das sprachliche Zeichen ist Initial und Grenzbestimmung der Reflexion über den Norminhalt Die vorverständnisgeleitete Annäherung an den Eigentumsbegriff ergab die Definition, nach der Eigentum die Zuordnung von Gegenständen zu Personen unter Rechtsgesetzen bedeutet. Die Zuordnung hat ein rechtliches Herrschaftsverhältnis der Person über den Gegenstand zum Inhalt. Die Begriffe Person, Gegenstand und Zuordnung wurden im Rahmen der theoretischen und praktischen Philosophie Kants erklärt. Materiale Bezüge sind Gegenstände, nicht aber Begründungselemente dieser Eigentumslehre. Vor diesem Hintergrund entwickelt sich der Eigentumsbegriff streng normativ vom Subjekt aus und nimmt zur Begründung eines intelligibelen Besitzes keine materialen Bestimmungen auf. Im Eigentumsbegriff ist das interpersonale Rechtsverhältnis angesichts der Gegenständlichkeit als a priori menschlicher Zwecktätigkeit konzipiert. In ihm sind die Möglichkeitsbedingungen 9 Weitergehende Besprechung der Methodenlehre des Bundesverfassungsgerichts bei Müller,Friedrich: ,,Juristische Methodik", Berlin 5.Aufl.l993, S. 30ff.

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C. Methodologische Schlußbetrachtung

rechtlicher Gegenstandsteilhabe anzugeben. Darin ist die Vermittlung äußerer Freiheit eines jeden mit jedem im Rechtsverhältnis inbegriffen, eine Sphäre äußerer Freiheit eines jeden überhaupt erst als rechtliche verlaßt: Eigentum bedeutet berechtigtes Dasein für jedermann. Zwei Abstraktionsschritte leiteten auf für das Vorverständnis ungewohnte Denkfiguren. Diese Ableitungen bewegten sich innerhalb des Wortlauts des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG. Zunächst die (problematische) Annahme eines ursprünglichen Gesamtbesitzes in einer gedachten Sekunde Null eines Naturzustands, in der noch kein Erwerb irgendeines Gegenstands durch irgendeine Person sich vollzog. Sodann die Idee eines Obereigentums einer vereinigten Willkür im bürgerlichen Zustand, wie dieses als Ausdruck des interpersonalen Rechtsverhältnisses besondere Eigentümerstellungen begründet und begrenzt. Ist der erste ursprüngliche Gesamtbesitz eine Konstruktion, in der allen nichts gehört, so ist mit der Idee eines Gesamtvermögens aller ausgedrückt, daß allen gemeinsam alles gehört. Im Obereigentum und im ursprünglichen Gesamtbesitz sind verteilungslose gesellschaftliche Zustände angedeutet. Beide Gedankenexperimente innerhalb des Eigentumsbegriffs führen auf die grundsätzliche und unveräußerliche Berechtigung der Person an der Gegenständlichkeit. Diese ist ein Ermöglichungsbegriff für faktischen Besitz nach Rechtsgrundsätzen und rechtliches Eigentum - und für die notwendige Durchsetzung dieser Berechtigung aus Rechtsgründen in jeder aktuellen Eigentumsorganisation. Der logisch zwingende Zusammenhang zwischen sich zufällig vollziehender Wirklichkeit der Gegenstandsteilhabe mit einer jeden aktuellen Eigentumsorganisation und dem ihr immanenten Vernunftsprinzip begründet die Hilfspflicht gegenüber dem Bedürftigen, der sich nicht oder nicht ausreichend am Leben halten kann. Das Daseinjedermanns (auch des Bedürftigen) ist im Rechtsverhältnis vorausgesetzt. Bedingungen zu setzen, nach denen dieses Dasein unmöglich würde, wendet sich gegen die Voraussetzungen des Rechtsverhältnisses und damit gegen die Idee des Rechts unter einer Idee der Menschheit selbst. Damit ist die vollkommene (Rechts-)Pflicht zur Sozialhilfe im schlüssig-deduktiven Zusammenhang des Eigentumsbegriffs verankert. 'Eigentum' als Rechtsbegriff verfaßt die rechtliche Teilhabe der Person an den Gütern im verwirklichten interpersonalen Zusammenhang und wendet sich im Falle des Bedürftigen zu einer Leistungspflicht der Rechtsgemeinschaft an den Bedürftigen zum Erhalt seiner Person (biologisch und soziokulturell). Die positiv-rechtliche Umsetzung dieser Leistungspflicht, der Anspruch auf Sozialhilfe des Bedürftigen, ist dessen (originäres Teilhaberecht) Eigentum, was bedeutet, daß der Bedürftige sein Dasein nicht der beliebigen Willkür eines anderen verdankt (was ein Widerspruch zum Freiheitsprinzip in dessen negativer Bedeutung wäre), sondern seine Existenz und Lebenshaltung in sich selbst und aus eigenem Recht begründet. Dieser schlüssige begriffliche Zusammenhang legt es nahe, den Eigentumsschutz aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG auf das subjektive öffentliche Recht auf Sozial-

III. Auslegung des Art. 14 Abs. I S. I GG

235

hilfeaus § 11 I 1 BSHG auszudehnen. Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG wäre somit auch als Teilhabe- bzw. Gewährleistungsrecht zu interpretieren.

b) Auslegung nach der Teleologie

Nach dem objektiven Sinn und Zweck einer Norm zu fragen heißt, das Sein-Sollende in ihr aufzusuchen und daraus die Notwendigkeit der Normauslegung zu begründen. Das erste nonnative Prinzip der Eigentumsgarantie lautet: Die Person soll sein. Wie ist aus dem Faktum des Daseins einer Person darauf zu schließen, daß die Person sein soll- ohne dem "naturalistischen Fehlschluß" zu erliegen, nach dem man vom Sein (einer Person) nicht auf ein Sollen (ihres Daseins als Person) schließen kann? Gegenstand der Achtung im Rechtsverhältnis ist nicht die äußere Sphäre der Person als solche in isolierter Gegenständlichkeit, sondern nur als Resultat eines Formungsprozesses an den materialen Bezügen der Person, mithin als etwas Gewordenes, in dessen Werdensprozeß die Person als Willkürsubjekt sich gesetzt hat. Gegenstand der Achtung ist hier die Ent - Scheidung des Subjekts in die Materialität, wie es diese als Gegenstand der Willkür in den eigenen Setzungsprozeß aufgenommen hat. Interpersonal normativ wird dieser Setzungsprozeß nur, wenn man ihn als allgemeines Prinzip der Gattung "Mensch" begreift. Die doppelte Natur des Menschen als phänomenales und intelligibeles Wesen ergibt das allgemeine Prinzip kategorial durchgeformter Gegenstandsmacht und ist in der "Idee einer Menschheit" zusammengefaßt. Was sich als Ent-Scheidung im Einen setzt, ist Ausdruck desselben Prinzips, an dem der Andere teilhat kraft Menschseins. Er verhält sich widersprüchlich zu seinen eigenen Daseinsbedingungen, wenn er dem Einen die Setzung seiner selbst nicht achtet oder nicht ermöglicht. Widersprüchliches Verhalten ist jedoch unter dem Gebot der Regel- bzw. Gesetzmäßigkeit des eigenen Tuns ausgeschlossen- aus notwendiger Übereinstimmung mit den theoretischen und praktischen Gesetzen, wenn Freiheit möglich sein soll. Voraussetzung der Leistungspflicht ist somit der Setzungsprozeß, ein Daseinwollen des Bedürftigen. Die affinnative Haltung des Bedürftigen dem Dasein unter einer Idee der Menschheit gegenüber generiert die Pflicht zur Hilfe zum Lebensunterhalt. Damit ist die Teleologie der Eigentumsgarantie objektiv begründet und inhaltlich bestimmt.

c) Auslegung nach dem System

Das rechtsphilosophische System Kants kann als nachvollziehbares hermeneutisches Prinzip im Sinne einer "Grundrechtstheorie" dem Grundrechtsteil unterlegt

236

C. Methodologische Schlußbetrachtung

werden 10• Es ist tauglich, den Art. 14 Abs. I GG in einen schlüssigen Zusammenhang zur Würde des Menschen, personaler Handlungsfreiheit im Rahmen des Sit10 Das Vorverständnis, welches an den Verfassungstext herangetragen wird, wird von Bökkenförde "Grundrechtstheorie" genannt (Böckenförde, Ernst Wolfgang: "Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation" in NJW 1974, 1529ff.). In seinem Zugriff auf die Problemlagen der Grundrechtsinterpretation geht es ihm um eine Systematisierung der Vorverständnisse in einzelne Lehren, deren kritische Aufnahme und Darstellung der vorzugswürdigen liberal-sozialstaatlichen Grundrechtstheorie. Die Bedeutung verschiedener Grundrechtstheorien werden von ihm unterstrichen:". . . die Konsequenzenfürden (konkreten) Grundrechtsinhalt sind sehr weittragend, je nachdem im Lichte welcher Grundrechtstheorie, etwa der liberal-rechtstaatlichen, einer institutionellen oder einer demokratisch funktionalen, die Grundrechtsbestimmung vorgenommen wird."(NJW 1974, 1529). Jede dieser Grundrechtstheorien bedeutet eine Akzentsetzung, eine Schwerpunktverschiebung im Gesamtbau des Grundgesetzes, je nach dem man diesen oder jenen Aspekt von Staatlichkeil und Staatsbegründung stärker in den Vordergrund schiebt. Zu recht betont Böckenförde gegen Forsthoff, daß die Interpretation der Grundrechte von einer systembildenden Theorie her keine "ideologische Zutat" des Auslegenden, sondern vielmehr notwendige Voraussetzung der teleologischen und systematischen Auslegung sei (NJW 1974, 1529). Obwohl Grundrechte und Staatsorganisationsrecht auf bestimmte Sinnzusammenhänge verweisen und somit bestimmte Vorverständnisse plausibel machen und andere nicht, so ist der Verfassungstext selbst doch nur von fragmentarischem Ch!Wlkter und bedarf der vereinheitlichenden Interpretation anband einer Grundrechtstheorie. Der Verfassungstext selbst stellt diese Sinnzusammenhänge nicht vor, sondern deutet auf diese hin, er be - deutet einen rechtswissenschaftlich faßbaren systematischen Oberpunkt, an dem die gesamte Interpretationsleistung festgemacht werden kann. Diesen herauszuarbeiten ist Sache des Auslegenden, notwendige Arbeit zur Aufklärung und Kritik des an den Verfassungstext herangetragenen Vorverständnisses. ,,Die Suche nach einer solchen Grundrechtstheorie des GG, die den Regelungen des Grundrechtsteils zugrundeliegt und sie inhaltlich prägt, ist auch keineswegs so unergiebig, wie es zunächst scheinen möchte." (NJW 1974, 1537). Böckenförde selbst schlägt eine Grundrechtstheorie vor, welche ausgeht von den klassischen Freiheitsrechten des liberalen Rechtsstaates, welche den Subjektsbegriff vorstaatlich, d. h. vorpositiv bestimmen und somit dem staatlichen Zugriff prinzipiell entziehen - womit die Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte prinzipiell umrissen ist (NJW 1974, 1537). Dieses erste Verständnis subjektiver Berechtigung soll sodann harmonisiert werden mit den sozioökonomischen Voraussetzungen grundrechtlieber Freiheitsverwirklichung: ,,Dem Staat ist damit von Verfassungs wegen eine Verantwortung für die Schaffung und Sicherung der notwendigen sozialen Voraussetzungen grundrechtlicher Freiheit zuerkannt. (... ) Der Staat ist zur Intervention in die "freien" gesellschaftlichen Abläufe gehalten, zur fondauernden Relativierung der in der Gesellschaft immer neu entstehenden sozialen Ungleichheit, darüber hinaus auch zur (globalen) Steuerung der gesellschaftlichen Entwicklung und gesellschaftlichen Wohlstands als der (sozialen) Freiheitsbasis für alle." (NJW 1974, 1538). Böckenförde plädiert für einen sozialliberalen Rechtsstaat, dessen Freiheitsgarantien durch soziale Verteilungsfunktionen material gestützt und gesichert werden. Diese Grundrechtstheorie ist unter der Schrankentrias des Art. 2 Abs. I GG und der Sozialund Allgemeinwohlbindung des Eigentums nach Art. 14 Abs. 2; 3 Satz l GG und dem Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. I GG plausibel. Die Begründung vorstaatlicher Freiheit ist im Subjektsbegriff aufweisbar, begründet und begrenzt das Rechtsverhältnis und somit auch die staatliche Interventionskompetenz in das freie Wechselspiel der personalen Kräfte. Nach welchen Regeln sich das vollziehen muß, ist oben zumindest in der Regel der Verteilungsgerechtigkeit aufgewiesen. Daß nicht nur die Freiheit der Person~ sondern auch der Staat

IV. Ergebnis

237

tengesetzes und dem Sozialstaatsgebot zu setzen. Die Systematik läßt sich in die Zweck-, Ziel- und Ausgabenbestimmung des Sozialgesetzbuches/1 und des BSHG hineintragen und gibt hier einen Maßstab zur Auslegung des geltenden Rechts.

d) Auslegung nach der Normgeschichte Die Rechtstheorie Kants ergibt aus sich selbst heraus kein normgeschichtliches Argument. Zwar wird der Einfluß des kantischen Privatrechts auf die deutsche Rechtsentwicklung behauptet 11 , ohne daß sich daraus irgendetwas für die Auslegung des Art. 14 GG ergäbe.

IV. Ergebnis Dem in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Eigentumsschutz subjektiver öffentlicher Rechte entwickelten Kriterienkatalog zur Bestimmung des Eigentumsbegriffs begegnet grundsätzliche Kritik. Die Ausgrenzung der Hilfe zum Lebensunterhalt aus der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG ist nicht widerspruchsfrei begründet worden und im Eigentumssystem des geltenden Rechts auch nicht widerspruchsfrei zu begründen. Der Anspruch des Bedürftigen auf Hilfe zum Lebensunterhalt ist bei Anwendung der rechtsphilosophischen oder "dialektischen" Methode bei Auslegung des Art. 14 GG Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG. Aus der Sicht der hier vorgestellten vorpositiv normativen Eigentumstheorie lassen sich daraus vier Folgerungen ableiten: - die Ausgrenzung des Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt aus der Bigenturnsgarantie setzt diesen Gegenstand außerhalb der Möglichkeit rechtlichen Erwerbs und verstößt somit gegen die Institutsgarantie;

und seine regulative Tätigkeit freiheitlich letztbegründet werden muß in einem schlüssigen systematischen Zusammenhang, ist notwendig, um z. B. die Abgabepflicht zur Sozialversicherung oder den Steuerbefehl des Finanzamts vom Verlangen eines Räuberhauptmanns abgrenzen zu können. Genau diese Begründungsleistung erbringt die Rechts- und Eigentumstheorie Kants. In einem schlüssigen Zusammenhang sind Grund und Grenzen subjektiver Gegenstandsmacht im intersubjektiven Rechtsverhältnis aufgewiesen und somit der Gerechtigkeitsgrund staatlicher Intervention angegeben. Für die Böckenfördsche Konzeption einer liberal-sozialstaatliehen Grundrechtstheorie bietet sich die Rechtslehre Kants als Ideenträger und Begründungshintergrund harmonisch an. 11 Vgl. Wieacker, Franz: "Privatrechtsgeschichte der Neuzeit", 2. Aufl. 1967, S. 35lff.

238

C. Methodologische Schlußbetrachtung

- als bestehendes konkretes Eigentum in der Hand des Bedürftigen ist der Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt der Bestandsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG zu subsumieren; - die Bestimmung der Regelsätze legt einerseits fest, wieviel an den Bedürftigen zu leisten ist, legt andererseits fest, mit welchen Kosten die Allgemeinheit aus dem Sozialhilfewesen belastet wird. Für den Hilfeempfänger ist die Festsetzung des Regelsatzes eine wesentliche Bestimmung seines Niveaus der Lebenshaltung. Für den Steuerzahler ist die Festsetzung des Regelsatzes (Anpassung nach oben oder nach unten) in einem vermittelten Zusammenhang eine wesentliche quantitative Bestimmung seiner Hilfspflicht gegenüber Bedürftigen. Die Festsetzung der Regelsätze erfordert deswegen zwingend einen Beschluß der Allgemeinheit über sich selbst, wieviel zu leisten ist und wie hoch die die daraus resultierende Abgabenlast zu sein hat. In diesem doppelten Sinn ist die Regelsatzfestsetzung eine Inhaltsbestimmung des Eigentums i.S. des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG. Regelsätze sind in allen Stufen ihrer Bestimmung mittels eines formellen und materiellen Gesetzes festzulegen; - die vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung verwendeten Kriterien der nicht unerheblichen Eigenleistung und der existenzsichemden Funktion des Eigentumsgegenstands lassen sich zwar als eigentumskonstitutive Kriterien nicht widerspruchsfrei halten, können jedoch als Maßbestimmungen eines gestuften Vertrauensschutzes in der Eigentumsdogmatik beibehalten werden1: - Im Falle einer nicht auf Eigenleistung beruhenden Eigentumsposition, welche für den Berechtigten ohne existenzsichemde Funktion ist, besteht eine weite Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, unter vernünftigen Gründen des Allgemeinwohls die Eigentumsposition zu beschränken. - Im Falle einer auf Eigenleistung beruhenden Eigentumsposition mit existenzsichernder Funktion besteht eine engere Gestaltungsfreiheit, die Eigentumsposition nur unter dem Aspekt wichtiger Gemeinschaftsgüter zu beschränken. - Im Falle einer nur auf Eigenleistung beruhenden Eigentumsposition, die ausschließlich Existenzsicherungsfunktion hat, besteht eine besonders enge Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, so daß die Eigentumsposition nur unter dem Aspekt eines besonders herausragend wichtigen Gemeinschaftsgutes beschränkt werden darf. Die Kriterien der Eigenleistung und der Existenzsicherungsfunktion sind Begriffe, die in der Intensität ihres Vorliegens in der konkreten Eigentümerposition aufgewiesen werden müssen, und bestimmen nach ihrer Intensität den Grad des Vertrauensschutzes. Es ist nicht möglich, hier eine abstrakte Typologie ohne systemat Einer Anregung von Stober, Rolf : ,,Eigentumsschutz im Sozialrecht", SGb 89, 53 [59f.] folgend.

IV. Ergebnis

239

tisierte Typenreihung mittels mehrerer Einzelfallbetrachtungen aufzustellen. Die Kriterien der Eigenleistung und der Existenzsicherungsfunktion sind als Elemente eines beweglichen Systems2 des aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG hergeleiteten Vertrauensschutzes in die rechtliche Wertung einzubinden.

2 Zum Begriff eines beweglichen Systems im Zivilrecht s. leitend Wilburg, Walter: "Die Elemente des Schadensrechts", Marburg 1941; ,,Entwicklung eines beweglichen Systems im Bürgerlichen Recht", Rektorratsrede, Graz 1950; ,,Zusammenspiel der Kräfte im Aufbau des Schuldrechts", AcP 163, 346; ferner Reinhardt, Rudolph: "Beiträge zum Neubau des Schadensersatzrechts", AcP 148, 147 (kritisch); Marton, Geza: "Versuch eines einheitlichen Systems zivilrechtlicher Haftung", AcP 162, I (kritisch); die Lehre vom beweglichen System ausweitend zu einer allgemeinen, d. h. auf alle Rechtsgebiete anwendbaren Methodenlehre s. Bydlinski, Franz: ,,Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff', Wien 1982, S. 53lff.; Canaris, Claus W.: "Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz", Berlin 1969, S. 74ff., 82, 152ff.; Larenz, Kar!: "Methodenlehre der Rechtswissenschaft", 6. Aufl.Berlin 1991.

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