Zur Positivität des Rechts in der kritischen Naturrechtslehre Immanuel Kants: Eine Studie zum metaphysischen Begriff des provisorisch-rechtlichen Besitzes [1 ed.] 9783428558612, 9783428158614

Die Arbeit vergewissert sich der Bedeutung der teils willkürlichen, teils notwendigen Positivität des äußeren Rechts nac

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German Pages 706 [707] Year 2020

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Zur Positivität des Rechts in der kritischen Naturrechtslehre Immanuel Kants: Eine Studie zum metaphysischen Begriff des provisorisch-rechtlichen Besitzes [1 ed.]
 9783428558612, 9783428158614

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R ECHT UND PHILOSOPHIE Band 7

Zur Positivität des Rechts in der kritischen Naturrechtslehre Immanuel Kants Eine Studie zum metaphysischen Begriff des provisorisch-rechtlichen Besitzes

Von

Martin Heuser

Duncker & Humblot · Berlin

MARTIN HEUSER

Zur Positivität des Rechts in der kritischen Naturrechtslehre Immanuel Kants

Recht und Philosophie Herausgegeben von Prof. Dr. Eberhard Eichenhofer, Jena Prof. Dr. Stephan Kirste, Salzburg Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Michael Pawlik, Freiburg Prof. Dr. Michael Schefczyk, Karlsruhe Prof. Dr. Klaus Vieweg, Jena Prof. Dr. Benno Zabel, Bonn

Band 7

Zur Positivität des Rechts in der kritischen Naturrechtslehre Immanuel Kants Eine Studie zum metaphysischen Begriff des provisorisch-rechtlichen Besitzes

Von

Martin Heuser

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat diese Arbeit im Jahr 2019 als Dissertation angenommen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2020 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 2509-4432 ISBN 978-3-428-15861-4 (Print) ISBN 978-3-428-55861-2 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

„Der Philosoph macht nur gegebene Begriffe deutlich.“ Log, AA IX: 64.15-16.

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2018/2019 von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen. Abseits der Erlangung einer akademischen Qualifikation hatte die Arbeit für mich mit ihrer Themenstellung vor allem den Zweck, mir als Jurist Klarheit über die Grundlagen des eigenen Tuns zu verschaffen. Für eine Dissertation weist sie nunmehr einen eher ungewöhnlichen Umfang auf und wird vermutlich manch potentiellen Leser schon aus diesem Grund von einer durchgängigen Lektüre abhalten. Allerdings ist dieser äußere Umfang einem Gesamtdurchgang durch den metaphysischen Rechtsgedanken Immanuel Kants geschuldet, der notwendig war, weil die Arbeit die Kantische Rechtslehre erstmals aus der Warte der philosophischen Methode einer synthetischen Erkenntnis aus reinen Begriffen zu begreifen versucht. Wenn ich den Text gewordenen Gedanken nun nach Jahren intensiver Arbeit aus der Hand gebe, bin ich mir sicher, dass sich die Arbeit gelohnt und ihren Zweck jedenfalls für mich erfüllt hat, auch wenn ich mit der erlangten Einsicht bei einem Neubeginn manches anders und bestenfalls auch kürzer ausführen würde. Mein verbindlicher Dank gilt Herrn Professor Dr. Rainer Zaczyk für seine produktiven Widerstände sowie die klaglos bewältigten Mühen des Erstgutachtens; Herrn Professor Dr. Benno Zabel B.A. für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Dem Förderungsfond Wissenschaft der VG WORT bin ich für eine überaus großzügige finanzielle Förderung bei der Drucklegung zu großem Dank verpflichtet. Frau Professorin Dr. Katrin Gierhake, LL.M. habe ich bei dieser Gelegenheit meinen herzlichen Dank für die wohlwollende Möglichkeit der Mitarbeit an ihrem Regensburger Lehrstuhl, die gemeinsam veranstalteten Lektüreveranstaltungen zur Philosophie Immanuel Kants und das darin in mich gesetzte Vertrauen auszusprechen. Sie hat mit großzügig gewährten Freiräumen maßgeblich zur Förderung und dadurch hoffentlich auch zum Gelingen meiner Arbeit beigetragen. Schließlich möchte ich Dipl.-Jur. Maria Kirchberg B.A. von ganzem Herzen danken, nicht nur für ihren unentbehrlichen Zuspruch gerade auch in schwierigen Phasen. Gewidmet ist die Arbeit keiner Person, sondern der Sache selbst. Regensburg, im August 2019

Martin Heuser

Inhaltsübersicht Teil I Grundlage einer Interpretation der Rechtslehre

19

1. Kapitel Gesetzesbewusstsein als Factum und Freiheit als Tatsache des Bewusstseins

21

2. Kapitel Sittengesetzliches Pflichtbewusstsein und kategorischer Imperativ

29

3. Kapitel Philosophische Methode einer Rechtserkenntnis aus reinen Vernunftbegriffen

33

A. „Metaphysik“ im Verhältnis reiner Verstandesbegriffe zur praktischen Vernunft . . . . 35 B. Methode metaphysischer/philosophischer Begriffserkenntnis a priori . . . . . . . . . . . . . 38 C. Methodologische Mittel zum Zweck philosophischer Begriffserkenntnis . . . . . . . . . . 51 4. Kapitel Vernunftbegriffliches System metaphysischer Anfangsgründe des Rechts

71

A. Der logische Begriff des Postulats als Grundlage aller Postulate . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 B. Die praktischen Postulate als metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre . . . . . . . 79 Teil II Eine Interpretation der Rechtslehre

114

5. Kapitel Der allgemeine Begriff des Rechts

116

A. Die Idee der Rechtslehre (§ A) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 B. Analytische Exposition und Realdefinition des allgemeinen Begriffs des Rechts (§ B) 123

10

Inhaltsübersicht

C. Der realdefinierte Begriff als allgemeines Bestimmungsprinzip des Rechts (§ C) . . . . 143 D. Der allgemeine Begriff des Rechts im subjektiven Gebrauch (§ D) . . . . . . . . . . . . . . . 149 E. Die Darstellung des definierten Begriffs strikten Rechts in Analogien (§ E) . . . . . . . . 152 6. Kapitel Die Einteilung des allgemeinen Begriffs des Rechts

156

A. Vernünftige Einteilung des dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Pflichtbegriffs . . . 160 B. Verständige Einteilung des Rechtsbegriffs selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 C. Verständige Rechtsbegriffseinteilung und vernünftige Rechtsbegriffserkenntnis . . . . . 192 7. Kapitel Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem allgemeinen Begriff des Rechts

197

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts . . . . . . . . . 198 B. Der Rechtszustand als praktische Vernunftidee allen äußeren Rechts . . . . . . . . . . . . . 531 8. Kapitel Die vernunftbegrifflich-notwendige Positivität alles wirklichen äußeren Rechts

619

A. Der Vernunftbegriff des öffentlichen Gesetzes und die Positivität äußeren Rechts . . . 620 B. Zur antinomischen Interpretation der Positivität des äußeren Rechts . . . . . . . . . . . . . . 660 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 667 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 671 Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 694

Inhaltsverzeichnis Teil I Grundlage einer Interpretation der Rechtslehre

19

1. Kapitel Gesetzesbewusstsein als Factum und Freiheit als Tatsache des Bewusstseins

21

2. Kapitel Sittengesetzliches Pflichtbewusstsein und kategorischer Imperativ

29

3. Kapitel Philosophische Methode einer Rechtserkenntnis aus reinen Vernunftbegriffen

33

A. „Metaphysik“ im Verhältnis reiner Verstandesbegriffe zur praktischen Vernunft . . . . 35 B. Methode metaphysischer/philosophischer Begriffserkenntnis a priori . . . . . . . . . . . . . 38 C. Methodologische Mittel zum Zweck philosophischer Begriffserkenntnis . . . . . . . . . . 51 I. Analytische „Exposition“ und anschließende Realdefinition des a priori gegebenen Begriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 II. Unmittelbar gewisse „Postulate“ als praktische Prinzipien/Anfangsgründe . . . . . . 58 III. Mittelbare Gewissheit durch „akroamatische Beweise“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 IV. Philosophisch-praktische Erkenntnis nur der gesetzlichen „Gründe“ zu möglichen kategorischen Imperativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

4. Kapitel Vernunftbegriffliches System metaphysischer Anfangsgründe des Rechts

71

A. Der logische Begriff des Postulats als Grundlage aller Postulate . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 I. Die vernünftige Einteilung denkbarer (theoretischer/praktischer) Postulate . . . . . 73

12

Inhaltsverzeichnis II. Die Kausalitätsprädikabilie der Handlung im logischen Begriff des Postulats . . . 75 1. Reine Vernunft als Subjekt der Kausalität im Begriff des Postulats . . . . . . . . . 76 2. Die Vernunftidee transzendentaler Freiheit und die Kausalitätsprädikabilie der Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 3. Der vielfältige Gegenstandsbezug der Handlung im Verstandesbegriff der kausalen Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 III. Die unmittelbare Gewissheit der (Ausführungsart der) postulierten Handlung . . . 77 IV. Der Grundsatzcharakter eines unmittelbar gewissen Postulats . . . . . . . . . . . . . . . . 78

B. Die praktischen Postulate als metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre . . . . . . . 79 I. Das Postulat rechtsgesetzlicher Beschränkung der Willkür (§ C Abs. 4) . . . . . . . . 80 1. Die postulierte Handlung und ihre unmittelbar gewisse Ausführungsart . . . . . . 85 2. Der vernunftbegriffliche Voraussetzungszusammenhang im Handlungsbegriff 89 II. Das Postulat der rechtlichen Möglichkeit eines privaten äußeren Mein und Dein (§ 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 1. Die postulierte Handlung und ihre unmittelbar gewisse Ausführungsart . . . . . . 92 2. Der vernunftbegriffliche Voraussetzungszusammenhang im Handlungsbegriff

96

a) Das rein verstandesbegriffliche Gerüst der natürlichen Privatrechtslehre . . . 96 b) Die synthetisch-kategoriale Architektonik der natürlichen Privatrechtslehre 100 III. Das Postulat der rechtlichen Notwendigkeit eines öffentlichen Rechts (§ 42 Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 1. Die postulierte Handlung und ihre unmittelbar gewisse Ausführungsart . . . . . . 103 2. Der vernunftbegriffliche Voraussetzungszusammenhang im Handlungsbegriff 108 a) Die innere Handlung einer Substanz an sich selbst im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 b) Die äußere Handlung einer Substanz an sich selbst im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

Teil II Eine Interpretation der Rechtslehre

114

5. Kapitel Der allgemeine Begriff des Rechts

116

A. Die Idee der Rechtslehre (§ A) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 B. Analytische Exposition und Realdefinition des allgemeinen Begriffs des Rechts (§ B) 123 I. Zur Methode einstweiliger Abstraktion im schon konkreten Rechtsbewusstsein (§ B Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

Inhaltsverzeichnis

13

II. Verstandesanalytische Exposition des a priori durch die Vernunft gegebenen Rechtsbegriffs (§ B Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 1. Modalität im Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 2. Relation im Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 3. Qualität im Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 4. Quantität im Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 III. Realdefinition des verstandesanalytisch exponierten Rechtsbegriffs (§ B Abs. 3) 140 C. Der realdefinierte Begriff als allgemeines Bestimmungsprinzip des Rechts (§ C) . . . . 143 I. Wahrheit des Satzes der Definition (§ C Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 II. Deutlichkeit der Definition als Begriff (§ C Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 III. Ausführlichkeit (extensive Deutlichkeit) der Definition als deutlicher Begriff (§ C Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 IV. Bestimmtheit (Präzision) der Definition als ausführlicher Begriff (§ C Abs. 4) . . 148 D. Der allgemeine Begriff des Rechts im subjektiven Gebrauch (§ D) . . . . . . . . . . . . . . . 149 Hinweis: Zur Vermeidung von Hypostasen im Rechtsdenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 E. Die Darstellung des definierten Begriffs strikten Rechts in Analogien (§ E) . . . . . . . . 152

6. Kapitel Die Einteilung des allgemeinen Begriffs des Rechts

156

A. Vernünftige Einteilung des dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Pflichtbegriffs . . . 160 I. Die drei Formeln der Rechtspflichten als Einteilungsprinzipien des Systems der Rechtspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 1. Rechtliche Achtung seiner selbst (lex iusti) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 2. Rechtliche Achtung seinesgleichen (lex iuridica) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 3. Rechtliche Achtung überhaupt (lex iustitiae) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 II. Zum intrapersonalen Ausgangspunkt aller Rechtspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 1. Wider eine Verabsolutierung der bloß äußeren Rechtspflichtart . . . . . . . . . . . . 172 2. Wider eine Marginalisierung der inneren Rechtspflichtart . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 B. Verständige Einteilung des Rechtsbegriffs selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 I. Nach objektivem Gesichtspunkt: natürliches und positives als objektives Recht unter dem Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 II. Nach subjektivem Gesichtspunkt: angeborenes und erworbenes als subjektives Recht unter dem Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 1. Das angeborene Recht äußerer Freiheit als negativer Begriff von Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 2. Das erworbene Recht äußerer Freiheit als positiver Begriff von Privatautonomie 188 3. Annex: Inneres und äußeres Mein und Dein als subjektiver Rechtsbesitz . . . . . 188

14

Inhaltsverzeichnis

C. Verständige Rechtsbegriffseinteilung und vernünftige Rechtsbegriffserkenntnis . . . . . 192

7. Kapitel Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem allgemeinen Begriff des Rechts

197

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts . . . . . . . . . 198 I. Haben eines äußeren Gegenstandes der freien Willkür . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 1. Das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft als begrifflicher Anfangsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 2. Exposition und Realdefinition des Begriffs des äußeren Mein und Dein . . . . . . 232 3. Deduktion des Begriffs des intelligiblen Besitzes als Realbedingung im definierten Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 a) Zur einheitlichen Interpretation von § 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 aa) Analytische und synthetische Rechtssätze a priori . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 bb) Vom einzelnen synthetischen Rechtssatz a priori zu seiner allgemeinen Vernunftbedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 cc) Die Deduktion der allgemeinen Vernunftbedingung im metaphysischen Anfangsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 b) Kritische Anmerkung zur Behandlung eines Text- und Verständnisproblems 277 c) Zur Anwendung des Rechtsbegriffs vom Besitz auf empirische Verhältnisse 284 4. Der Allgemeinwille im bürgerlichen Zustand als Realbedingung eines äußeren Rechtsbesitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 a) Das autonomietheoretische Problem der individuellen Besitzbehauptung im Naturzustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 b) Die vernunftbegriffliche Aufhebung dieses autonomietheoretischen Problems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 c) Begriffliche Folgen dieser Aufhebung für den Besitzbegriff . . . . . . . . . . . . . 308 aa) Der Begriff des „provisorisch-rechtlichen“ Besitzes . . . . . . . . . . . . . . . . 315 (1) Metaphysischer Verstand: Dasein erworbener Einzelrechte nur durch wirklichen Allgemeinwillen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 (2) Empirischer Verstand: Dasein erworbener Einzelrechte auch ohne wirklichen Allgemeinwillen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 (3) Etymologie, Geschichte und zeitgenössische Rezeption des Adjektivs „provisorisch“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 bb) Der Begriff des „peremtorischen“ Besitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 cc) Idealistische Kritik eines bloß abstrakten Verständnisses von Besitz und Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 II. Handelndes Erwerben eines äußeren Gegenstandes der freien Willkür . . . . . . . . . 338

Inhaltsverzeichnis

15

Exkurs: Kants Okkupationstheorie des Besitzes zwischen hoheits- und privatrechtlichem Eigentumsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 1. Deduktion des Begriffs der ursprünglichen Erwerbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 a) Der praktische Vernunftbegriff des Sachenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 b) Der praktische Vernunftbegriff der ursprünglichen Erwerbung des Bodens 388 aa) Der physische Gegenstand der ersten Erwerbung einer Sache ist der Boden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 bb) Der ideale Selbststand der ursprünglichen Erwerbung des Bodens ist ein ursprünglicher Gesamtbesitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 cc) Der Rechtsbegriff der ursprünglichen Erwerbung des Bodens ist die Bemächtigung (Okkupation) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 dd) Die provisorisch-rechtliche Qualität einer Bemächtigung (Okkupation) im Naturzustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 ee) Die Exposition des reinen Begriffs einer ursprünglichen Erwerbung des Bodens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 ff) Die Deduktion des reinen Begriffs der ursprünglichen Erwerbung . . . . 418 2. Deduktion des Begriffs der Erwerbung durch Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 a) Der praktische Vernunftbegriff des persönlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . 433 b) Der praktische Vernunftbegriff der Erwerbung durch Vertrag . . . . . . . . . . . . 433 aa) Die Exposition und Deduktion des reinen Begriffs der Erwerbung durch Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 bb) Der Erwerbsgegenstand des persönlichen Rechts und der Übergang eines Sachenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 3. Deduktion des Begriffs der Erwerbung durch Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 a) Der praktische Vernunftbegriff des dinglich-persönlichen Rechts . . . . . . . . . 445 b) Der praktische Vernunftbegriff der Erwerbung durch Gesetz . . . . . . . . . . . . 448 aa) Die Exposition des reinen Begriffs der Erwerbung durch Gesetz . . . . . . 451 bb) Die Deduktion des reinen Begriffs der Erwerbung durch Gesetz . . . . . . 452 cc) Die möglichen Erwerbsgegenstände des auf dingliche Art persönlichen Rechts im Naturzustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 dd) Das allerpersönlichste Recht der ehelichen Gemeinschaft von Mann und Frau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 4. Episode zum idealen Erwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 III. Rechtskräftiges Zurechnungsurteil im Erwerb eines äußeren Gegenstandes der freien Willkür . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 1. Das Rechtsproblem der effektiven Sicherstellung in einer Erwerbshandlung 474 a) Die relative Sicherstellungsfunktion des privatrechtlichen Vertrages . . . . . . 475 b) Die absolute Sicherstellungsfunktion des ursprünglich öffentlich-rechtlichen Vertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 2. Das Prinzip der austeilenden Gerechtigkeit als Naturrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 478 3. Die moralische Person des Gerichtshofs als Befugnissubjekt rechtskräftiger Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479

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Inhaltsverzeichnis 4. Rechtskraft als Naturrechtsprinzip einer distributiven Gerechtigkeit . . . . . . . . . 482 5. Die vier Erwerbsfälle einer scheinbaren Divergenz der Urteilsgründe im natürlichen Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 a) Die naturrechtlich divergierende Beurteilung im Schenkungsvertrag . . . . . . 490 b) Die naturrechtlich divergierende Beurteilung im Leihvertrag . . . . . . . . . . . . 492 c) Die naturrechtlich divergierende Beurteilung in der Rückbemächtigung . . . 493 d) Die naturrechtlich divergierende Beurteilung in der Erwerbung der Sicherheit durch Eidesablegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 IV. Praktische Notwendigkeit einer rechtskräftigen Willenssubstanz im Erwerb eines äußeren Gegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 1. Der rechtliche Zustand nach dem formalen Prinzip der öffentlichen Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 a) Gesetzlich beschützende Gerechtigkeit (iustitia tutatrix) . . . . . . . . . . . . . . . . 509 b) Gesetzlich garantierte Vertragsgerechtigkeit (iustitia commutativa) . . . . . . . 511 c) Gesetzlich austeilende Gerechtigkeit durch rechtskräftiges Urteil (iustitia distributiva) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 2. Der rechtliche Zustand als Gerechtigkeitszustand bürgerlicher Gesellschaft . . . 515 3. Einheit und Differenz des äußeren Rechts im natürlichen und im rechtlichen Zustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518 4. Bürgerlich gleichgeordnete Gesellschaft als rechtliche Wirkung subordinativer Staatstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 5. Das unmittelbar gewisse Postulat des öffentlichen Rechts als begrifflicher Anfangsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524

B. Der Rechtszustand als praktische Vernunftidee allen äußeren Rechts . . . . . . . . . . . . . 531 I. Die Sanktion eines öffentlichen Gesetzes als Unterschied zwischen natürlichem Zustand und öffentlichem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537 II. Der praktische Vernunftbegriff des Staates als gesetzliche Selbstvorstellungstätigkeit (d. h. Autonomie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 1. Realdefinition des reinen praktischen Vernunftbegriffs des Staates . . . . . . . . . . 544 a) Nominaldefinition des Staatsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544 b) Verstandesanalytische Exposition des Staatsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 c) Realdefinition des Staatsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 d) Die Aufgabe vernunftbegrifflicher Entwicklung eines metaphysischen Staatsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 2. Metaphysische Einteilung des reinen praktischen Vernunftbegriffs des Staates 552 a) Der rein begriffliche Gesichtspunkt der metaphysischen Einteilung . . . . . . . 552 b) Die metaphysische Einteilung der staatlichen Selbsttätigkeit . . . . . . . . . . . . 554 c) Staatliche Selbstbestimmung (Autonomie) kraft praktischem Vernunftschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557

Inhaltsverzeichnis

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3. Begriffliche Entwicklung der sich in sich metaphysisch verfassenden Staatstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561 a) Exposition des vereinigten Volkswillens (Souverän) als gesetzgebende Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561 aa) Der Staatsbürger als gesetzgebendes Glied der bürgerlichen Gesellschaft 564 bb) Die Verpflichtung positiver Gesetze auf die Selbstständigkeit der Glieder bürgerlicher Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566 b) Deduktion des allgemeinen Verhältnisses in den drei Staatsgewalten . . . . . . 568 aa) Die drei Staatsgewalten als Staatswürden nach dem Begriff des Staates 569 bb) Das in den drei Staatswürden begrifflich jeweils aufgehobene Subordinationsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572 cc) Die durch den Urvertrag rein begrifflich betätigte Subordination unter den vereinigten Volkswillen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 574 (1) Macht das Privatrecht im natürlichen Zustand eine autonome Selbstverpflichtung „überflüssig“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577 (2) Der praktische Vernunftbegriff der idealen Erwerbshandlung eines metaphysischen Staatsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584 (3) Der praktische Vernunftbegriff des ursprünglichen Vertrages als bürgerlicher Gesellschaftsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 (4) Die drei Willensmomente in der urvertraglichen Konstitution des gesetzgebenden Allgemeinwillens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591 c) Exposition des urvertraglichen Einheitsverhältnisses der drei Staatswürden 591 aa) Die drei objektiven Verhältnisse der drei Staatswürden zueinander . . . . 592 bb) Die drei subjektiven Verhältnisse der drei Staatswürden an sich selbst 593 d) Exposition der subordinativen Vereinigung der drei Staatswürden in der Einheit des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595 aa) Die ausübende Gewalt im Gewaltengefüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 596 (1) Der reine praktische Begriff der Regierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 596 (2) Das Verhältnis von Gesetzgebung und Regierung zueinander . . . . . 604 bb) Die rechtsprechende Gewalt im Gewaltengefüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605 (1) Der reine praktische Begriff der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . 606 (2) Das Verhältnis von Gesetzgebung bzw. Regierung und Rechtsprechung zueinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 612 cc) Die Autonomie des Staates in der subordinativen Vereinigung der drei Staatsgewalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 614 (1) Die subordinative Gewaltenteilung als Autonomie des Staates sowie des Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 614 (2) Das Heil des Staates in der subordinativen Vereinigung der drei Gewalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615 (3) Die Verkehrung des gewaltenteiligen Subordinationsverhältnisses als Despotie und Unheil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 618

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Inhaltsverzeichnis 8. Kapitel Die vernunftbegrifflich-notwendige Positivität alles wirklichen äußeren Rechts

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A. Der Vernunftbegriff des öffentlichen Gesetzes und die Positivität äußeren Rechts . . . 620 I. Das öffentliche Gesetz als staatliche Selbstbestimmungsfunktion rechtskräftiger Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620 II. Die Sanktion (d. h. Heiligung) des öffentlichen Gesetzes als distributive Gerechtigkeitsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 626 III. Die Einteilung des Begriffs des öffentlichen Gesetzes und der Begriff des positiven Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629 1. Zum Vernunftbegriff eines natürlichen öffentlichen Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . 632 2. Zum Vernunftbegriff eines positiven öffentlichen Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . 633 3. Zur Antinomie natürlicher und positiver Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 636 a) Der abstrakte Verstand des positiven Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637 b) Der abstrakte Verstand des natürlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 639 IV. Die Unwiderstehlichkeit der Staatstätigkeit in bürgerlichen Gesetzen . . . . . . . . . . 641 1. Zur rechtsbegrifflichen Denkmöglichkeit der Frage des Widerstandsrechts . . . 643 2. Zur staatsrechtsbegrifflich unmöglichen Denkbarkeit eines Widerstandsrechts 644 a) Das subjektive Widerstandsrecht gegen den Staat als angeborenes Recht? 644 b) Das subjektive Widerstandsrecht gegen den Staat als erworbenes Recht? . . 645 c) Zur weiteren Verdeutlichung der unmöglichen Denkbarkeit eines Widerstandsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 647 3. Der Begriff der unmöglichen Denkbarkeit eines Widerstandsrechts . . . . . . . . . 650 4. Zur in sich widersprüchlichen Behauptung eines naturprivatrechtlichen Widerstandsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 652 a) Die neukantianische Widerstandsrechtsbehauptung als rechtspositivistische Kritik an Kant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655 b) Die eigentumstheoretische Widerstandsrechtsbehauptung als naturrechtsmateriale Kritik an Kant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 656 B. Zur antinomischen Interpretation der Positivität des äußeren Rechts . . . . . . . . . . . . . . 660 I. Gerhard Dulckeit: Die „Verneinung allen positiven Rechts“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 661 II. David Kräft: „Ein dezidierter Rechtspositivismus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 663 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 667 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 671 I. Siglen und Werkausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 671 II. Weitere Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 671 Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 694

Teil I

Grundlage einer Interpretation der Rechtslehre Die vorliegende Untersuchung möchte sich anhand des Rechtsdenkens Immanuel Kants (1724 – 1804) über die Positivität des Rechts begrifflich aufklären. Sie ist dementsprechend auf eine Interpretation des Kantischen Werks Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (1797) in der Metaphysik der Sitten angewiesen. Da es sich bei dieser Schrift allerdings um ein Spätwerk im kritischen Gesamtsystem Kantischer Moralphilosophie handelt, bedarf es vor aller Interpretation einer gedanklichen Verortung dieses Werkes innerhalb desselben, um der naheliegenden Gefahr, bloß die je eigenen und schon gefassten Vorurteile im Verständnis zu befestigen, hinreichend vorzubeugen. Eine solche Verortung im begrifflichen Zusammenhang erscheint dabei umso dringender angeraten, als es den Anschein haben könnte, die eigens vorgelegte Frage nach der Positivität des Rechts sei lediglich einem juristischen Erkenntnisinteresse entsprungen, mit dem der Interpret an die zu interpretierende Rechtslehre gleichsam von außen einfach heranzutreten gedenkt. Alleine eine solchermaßen systematisch-unvermittelte Befragung der Rechtslehre würde weder ihrem für sich stehenden, noch ihrem systematischen Stellenwert von innen heraus gerecht werden können. Unter Offenlegung der dementsprechend vorauszusetzenden Verständnisprämissen muss die erforderliche gedankliche Einordnung also den Grund zu aller Interpretation des einzuordnenden Werkes zuerst bereiten. So macht sie eine auf diesen Prämissen basierende Interpretation schließlich einer kritischen Beurteilung nach Gründen und Folgen erst zugänglich. Dabei ist die vorgelegte Interpretationsarbeit einzig auf Verständnis und nicht schon auf Kritik des zu interpretierenden Werkes angelegt, denn jede auch nur verständige Kritik setzt ein vollständiges Verständnis für sich selbst bereits voraus. Eine Apologie in der negativen Konnotation des Wortes sollte so ebenfalls nicht zu befürchten sein. Für den im Folgenden zu entwickelnden Gedankengang sei dabei vorweg bemerkt, dass die hier gegebene Interpretation nach dem Dafürhalten ihres Verfassers an keiner Stelle ihres Fortgangs – insbesondere mit Blick auf die Beantwortung der vorgesetzten Fragestellung – eine besondere Originalität für sich beansprucht bzw. einen solchen Anspruch zur Absicht hat, sondern einzig auf ein deutliches Bewusstsein des Allgemeinen und daher Bleibenden in der Rechtsvorstellung Immanuel Kants abzielt. Sie arbeitet somit keine besonderen Pointen heraus; vielmehr erinnert sie bestenfalls – und zwar dort, wo sie nicht fehlgeht – lediglich überall längst bekannte Vorstellungen kritischer Philosophie nochmals. Allerdings ist dieser beste Fall eines schon hinreichend befestigten Verständnisses kritischen Denkens gerade in der Begründung der hier vorauszusetzenden objektiven Realität des Ver-

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Teil I: Grundlage einer Interpretation der Rechtslehre

nunftbegriffs (= der Idee) der Freiheit des Willens, d. h. ausgerechnet im Anfang des moralischen Bewusstseins von vornherein nicht zu hoffen. Denn mit der Wendung vom „Factum der Vernunft“ hat der Autor der Kritik der praktischen Vernunft (1788) seine Interpreten im Rahmen seiner Freiheitslehre nach ganz überwiegend vorherrschender Lesart vor ein zunächst nur schwerlich auflösbares Mysterium gestellt. Mit einer bestimmten Auflösung dieses tatsächlich jedoch weit weniger diffizilen begrifflichen Rätsels ist nach dem bislang Gesagten im Grunde aber notwendig auch eine bestimmte Auffassung der Rechtslehre in der Folge verbunden. Der Rechtsgedanke Immanuel Kants steht und fällt nach alledem, jedenfalls im hiesigem Verständnis und dieses mit ihm, folglich mit seinem schon in begrifflich bestimmter Weise als begründet vorausgesetzten Freiheitsbegriff:

1. Kapitel

Gesetzesbewusstsein als Factum und Freiheit als Tatsache des Bewusstseins1 Der hier nur kurz zu erinnernde Grundgedanke der Kantischen Freiheitslehre findet sich im ersten Hauptstück der „ A n a l y t i k d e r r e i n e n p r a k t i s c h e n Ve r n u n f t “, das von „ d e n G r u n d s ä t z e n d e r r e i n e n p r a k t i s c h e n Ve r n u n f t “ handelt.2 Da mit dem Bewusstsein solcher Grundsätze der reinen praktischen Vernunft ein Freiheitsbewusstsein des Willens verknüpft ist, ist mit der deutlichen Vorstellung solcher Grundsätze auch eine deutliche Vorstellung der Freiheit des Willens bzw. der Freiheit der reinen praktischen Vernunft verbunden. Das erste Hauptstück der Analytik enthält daher eine Selbstvergewisserung der Freiheit desjenigen Willens- oder Vernunftsubjekts zu einem deutlichen Bewusstsein, das sich über seine reinen praktischen Grundsätze selbst aufklärt. Ein deutliches Bewusstsein von einem Bewusstseinsgegenstand setzt für sich selbst aber zunächst ein klares Bewusstsein von diesem Bewusstseinsgegenstand als einem Ganzen überhaupt voraus. Denn ein klares und daher deutliches Bewusstsein schon von den einzelnen Vorstellungsmerkmalen des vorgestellten Bewusstseinsgegenstandes bedarf zunächst eines Bewusstseins der Vorstellung von diesem Bewusstseinsgegenstand überhaupt. Deutlichkeit eines Vorstellungsgegenstandes ist daher nur ein höherer Grad an Klarheit im Bewusstsein.3 Das erste Hauptstück der Analytik der Grundsätze der reinen praktischen Vernunft beinhaltet folglich methodologisch im besten Sinne des Begriffs nichts anderes als eine Aufklarung oder Aufklärung des stets schon gegebenen Bewusstseins der Grundsätze der reinen praktischen Vernunft. Dementsprechend setzt die Analytik der Grundsätze der reinen praktischen Vernunft zumindest ein dunkles, d. h. ein (noch) nicht (klar) bewusstes Bewusstsein der Vorstellung solcher Grundsätze in jedem Willenssubjekt voraus. Der erste Schritt dieser Analytik in ihrem Aufklärungsbestreben besteht somit darin, zunächst einmal 1 Es handelt sich bei diesem Kapitel um die Zusammenfassung des Gesamtgedankens einer ausführlichen Interpretation der §§ 1 – 7 KpV, die Verf. unter dem Titel „Man kann das Bewußtsein dieses Grundgesetzes ein Factum der Vernunft nennen“ (in: JRE 26 [2018], S. 343 – 427) als etymologisch-begriffsgeschichtliche Vorstudie zur Freiheitslehre Immanuel Kants zum Zwecke einer Interpretation seiner Rechtslehre gefertigt hat. Auf diese ausführliche Vorstudie sei hier darum vorab ergänzend verwiesen. 2 KpV, AA V: 19 ff. 3 Log, AA IX: 33 ff., 58 ff.

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1. Kap.: Gesetzesbewusstsein als Factum

ein klares Bewusstsein der Vorstellung der Grundsätze der reinen praktischen Vernunft überhaupt im Bewusstsein des sich selbst vergewissernden Willenssubjekts zu erzeugen. Aus diesem Grund findet sich in § 1 KpV eine willkürliche „ E r k l ä r u n g “4 des Begriffs praktischer Grundsätze durch eben ein solches sich selbst vergewisserndes Willenssubjekt, der die weiter zu verdeutlichenden objektiven Grundsätze der reinen praktischen Vernunft (Gesetze) klar bezeichnet, indem er sie von den bloß subjektiven Grundsätzen der Willkür (Maximen) unterscheidet. Von diesen subjektiven Grundsätzen der Willensbestimmung kann im Rahmen einer Verdeutlichung (d. h. Exposition) der objektiven Grundsätze einer reinen praktischen Vernunft folglich abstrahiert werden, denn sie können keine praktischen Gesetze der Willensbestimmung vorstellen (§§ 2 – 3 KpV). Die weitere Exposition der Grundsätze der reinen praktischen Vernunft (Gesetze) kann sich folglich ganz auf die Vorstellungsmerkmale eben dieser Grundsätze als Gründe einer Willensbestimmung beschränken (§§ 4 – 8 KpV): Da die objektiven Gesetze von den subjektiven Maximen unterschieden sind, können sie den Grund ihrer Willensbestimmung jedoch nicht – wie diese – in die vorgestellte Materie des Begehrens setzen, sondern lediglich in ihre eigene Form (§ 4 KpV). Ein Grundsatz der reinen praktischen Vernunft (Gesetz) ist in seiner nun deutlicher werdenden Vorstellung also dadurch maßgeblich gekennzeichnet, dass er den Grund der Willensbestimmung in die bloße Form eines Gesetzes, d. h. in die bloße Gesetzesallgemeinheit setzt. Diese bloße Gesetzesallgemeinheit des Willens bzw. Willensallgemeinheit in Grundsätzen der reinen praktischen Vernunft ist mithin die unendlich-allgemein bestimmende Vernunftgröße des qualitativ gesetzlich zu bestimmenden Willens.5 Dies aber setzt voraus, dass der durch Grundsätze der reinen praktischen Vernunft gesetzlich objektiv zureichend bestimmbare Wille seinerseits in seiner Einzelnheit für eine bloß vernunftgesetzliche Bestimmung zugänglich ist und nicht bereits durch andere subjektive, d. h. naturkausale Gründe bestimmt wird. Es gehört daher die freie Bestimmbarkeit des Willens (im transzendentalen Sinne und durch die bloße allgemeine Form des Gesetzes) zur deutlichen Vorstellung der Willensbestimmung in Grundsätzen der reinen praktischen Vernunft (§ 5 KpV). Gesetzliche Willensbestimmung durch Grundsätze der reinen praktischen Vernunft setzt mit Blick auf den bestimmbaren Willen folglich die Vorstellung einer Kausalität voraus, die nicht aus anderen und von ihr verschiedenen Kausalursachen heraus bestimmt wird. Sofern der gesetzlich bestimmbare Wille mithin als eine an sich für vernunftgesetzliche Bestimmung empfängliche Kausalität vorgestellt wird, ist in seinem Begriff der Kausalität von allem Natur- oder Anschauungsbezug in Raum und Zeit abstrahiert, sodass die (noumenale) Sphäre der Bestimmbarkeit in 4

Es handelt sich nach den vier Arten möglicher Erklärungen (Exposition, Explication, Declaration und Definition) um eine „ D e c l a r a t i o n “, siehe dazu KrV, AA III: 477-480 = A 727 ff./B 755 ff. 5 Vgl. dazu in der Sache zutreffend auch Tieftrunk, Philosophische Untersuchungen I (1797), S. 75: „[…] die u n b e d i n g t e A l l g e m e i n h e i t [ist] das erste und oberste Criterium des Vernunftgesetzes“.

1. Kap.: Gesetzesbewusstsein als Factum

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dem insofern reinen Kausalitätsbegriff ihrerseits noch nicht weiter bestimmt ist. Also ist in dieser bloß gedanklichen Voraussetzung eines frei bestimmbaren Willens bis hierher lediglich ein unbestimmter und daher noch alleine negativer Begriff von Freiheit des Willens als Kausalität im Begriff eines Grundsatzes der reinen praktischen Vernunft gedacht. Ein positiver Begriff von Freiheit des Willens als Kausalität im Begriff eines Grundsatzes der reinen praktischen Vernunft liegt in der bloßen Voraussetzung eines frei bestimmbaren Willens daher noch nicht. Denn in dieser bloß gedanklichen Voraussetzung ist der Wille lediglich Objekt und nicht auch Subjekt der Grundsätze reiner praktischer Vernunft. Soll der frei bestimmbare Wille sich selbst durch Grundsätze der reinen praktischen Vernunft aber auch in einem positiven Verstande des Begriffs frei bestimmen, so muss er sich mit der reinen praktischen Vernunft als Subjekt ihrer Grundsätze identifizieren. Der frei bestimmbare Wille muss sich die Grundsätze der reinen praktischen Vernunft in diesem Fall also selbst vorstellen und eben in dieser spontanen Vorstellung bzw. Vorstellungstätigkeit (einer Selbstgesetzgebung, d. h. Autonomie) läge ein positiv bestimmter Begriff von Freiheit des Willens als Kausalität im Begriff eines Grundsatzes der reinen praktischen Vernunft. Aus eben diesem Grund steht das sich über seine Grundsätze reiner praktischer Vernunft aufklärende Willenssubjekt in § 6 KpV vor der „ A u f g a b e “, sich das Gesetz, welches den frei bestimmbaren Willen alleine zu bestimmen tauglich ist, selbst zu denken und d. h.: sich dieses Gesetz mit der Spontanität seines reinen Denkens ursprünglich selbst vorzustellen. Gelingt dem sich selbst über seine Grundsätze der reinen praktischen Vernunft aufklärenden Willenssubjekt diese Selbstvorstellung des seinen Willen bestimmenden Gesetzes durch bloßes Denken (§ 7 KpV), so hat es sich mit der Spontanität seines reinen Denkens den freien Bestimmungsgrund seines frei bestimmbaren Willens positiv selbst vorgestellt und sich sein Gesetz der Willensbestimmung mithin zugleich auch selbst gegeben: Freiheit des Willens ist dann als Kausalität positiv bestimmt als Autonomie (§ 8 KpV), d. h. als tätige Selbstgesetzgebung. Sich das Grundgesetz seiner Willensbestimmung selbst bloß auch nur vorzustellen, ist daher identisch mit der sodann schon positiv bestimmten Tatsache für dieses Gesetzesbewusstsein, frei zu sein. Aus diesem Grund lässt sich aus dem wirklichen Gesetzesbewusstsein eines Willenssubjekts (als ratio cognoscendi, d. h. Idealgrund) auch auf die darin bereits objektiv (in Grundsätzen) reale Freiheit seines Willens (als ratio essendi, d. h. Realgrund dieses Gesetzesbewusstseins) schließen.6 Der Begriff einer reinen und an sich selbst praktischen Vernunft bedeutet folglich, dass sich der Wille (die praktische Vernunft) durch das reine Denken (die reine Vernunft) den allgemeingesetzlichen Bestimmungsgrund seiner selbst ursprünglich selbst völlig spontan vorstellt: „Denn reine, a n s i c h p r a k t i s c h e Ve r n u n f t ist hier unmittelbar gesetzgebend.“7 6 7

KpV, AA V: 04.28-37, 29.24-30.35, 47.21-50.13. KpV, AA V: 31.09-10.

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1. Kap.: Gesetzesbewusstsein als Factum

Der Vernunftbegriff (= die Idee) der Freiheit ist nach alledem in seiner objektiven Realität nichts anderes, als der die Grundsätze der reinen praktischen Vernunft innerlich rein begrifflich unendlich-allgemein bestimmende Vernunftgrund. Sollte dieser fundamentale Grundgedanke im Anfang des moralischen Bewusstseins, dass nämlich der Freiheitsbegriff im positiven Verstande des reinen Begriffs der Kausalität innerlich die Grundsätze reiner praktischer Vernunft vernunftbegrifflich real bestimmt, allerdings im Rahmen der kritischen Selbstvergewisserung der Analytik der Grundsätze reiner praktischer Vernunft jedoch dunkel geblieben sein, so muss es in der Folge auch im Dunkeln bleiben, dass und wie ebenderselbe Freiheitsbegriff in solchen praktischen Vernunftgrundsätzen realer Bestimmungsgrund ist, die in einer durch ihn grundgelegten Metaphysik der Sitten deutlich bewusst gemacht werden sollen.8 Denn: „Praktisch ist alles, was durch Freiheit möglich ist.“9 Mit einem deutlichen Bewusstsein dieses Grundgedankens aber war auch die willkürliche Erklärung des Begriffs der Grundsätze reiner praktischer Vernunft in § 1 KpV nicht bloß willkürlich erdacht, sondern sie hat mit der Spontanität eines freien Willens zum Zwecke seiner kritischen Selbstaufklärung und Selbstvergewisserung willkürlich gedacht werden sollen; sie enthält mithin die praktische Notwendigkeit eines freien und allgemeingesetzlich bestimmten Willens in sich. Die Exposition der Grundsätze der reinen praktischen Vernunft läuft so zum Schluss in sich selbst auch wieder zurück. Der Grundgedanke der Kantischen Freiheitslehre besteht folglich darin, dass Freiheit als Tatsache des Bewusstseins eines freien Willens in der Vernunftvorstellung seiner gesetzlichen Selbstvorstellungstätigkeit als Autonomie begriffen wird; das Grundgesetz der reinen und an sich selbst praktischen (d. h. tätigen) Vernunft (§ 7 KpV) ist daher nichts anderes als das reine praktische Selbstbewusstsein eines freien Willens.10 Die sich selbst vernünftig begreifende Freiheit des einzelnen Willenssubjekts ist allerdings nach hiesigem Verständnis dabei real nicht ohne die sie im reinen Denken qua spontaner Selbstvorstellung bestimmende Allgemeingesetzlichkeit – die an sich eine Allgemeinwillentlichkeit ist – zu denken, obgleich die Freiheit des Willens in einem positiven Verstande des reinen Begriffs der Kausalität dasjenige Moment ist, dadurch die spontane Selbstvorstellung der Allgemeingesetzlichkeit im reinen Denken ursprünglich anhebt. Der allgemeine Wille in Gesetzen ist demnach ursprünglich die allgemeine Vorstellung des freien Willens, und als solche nichts anderes als der reine praktische Begriff des freien Willens, der sich durch diese seine spontane gesetzliche Selbstvorstellungstätigkeit eben dieses Allgemeinwillens praktisch (d. h. tätig) an und für sich selbst ursprünglich als frei in einem positiven Verstande des reinen Begriffs der Kausalität begreift. Im reinen 8

Dies gilt besonders für die in der rechtsphilosopischen Kantforschung höchst umstrittene Frage nach dem Verhältnis von allgemeinen Rechts- und Sittengesetz, denn beide Gesetze sind praktische Grundsätze. 9 KrV, AA III: 520.01 = A 800/B 828. 10 Siehe dafür KpV, AA V: 29.25-28 i.V.m. 42.04-19.

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praktischen Begriff des freien Willens als einer absoluten Kausalität ist dieser also im allgemeinen Willen mit sich selbst identisch, und so besteht in der positiven Bestimmung eines freien Willens ursprünglich überhaupt gar kein Gegensatz zwischen diesem freien und dem allgemeinen Willen.11 Eben diese Autonomie eines sich in seinem reinen praktischen Begriff selbst bewussten freien Willens ist demselben in seiner gesetzlichen (Vorstellungs-)Folge zu seiner spontanen (Vorstellungs-)Tätigkeit also ursprünglich zurechenbar. Das wirkliche Gesetzesbewusstsein eines freien Willens beruht nämlich auf seiner bloßen Selbstvorstellungstätigkeit und kann daher – wie sich in der lediglich erläuternden Anmerkung zu § 7 KpV findet – auch mit dem zurechnungstheoretischen Begriff vom „Factum der Vernunft“12 in einer gänzlich intelligiblen Bedeutung dieses Begriffs belegt werden. Denn mit dem vom lateinischen „facere“ sich ableitenden Factumbegriff wurde in der – auch Immanuel Kant noch bestens vertrauten – Rechtssprache ursprünglich eine zur freien Tat unter Gesetzen zurechenbare Handlung bezeichnet.13 Die Wendung vom „Factum der Vernunft“ ist mithin als genitivus subjectivus zu verstehen und nicht etwa als genitivus objectivus im modernen Sinne einer bloßen Tatsache für das Bewusstsein. Eben einen solchen ihm gleichermaßen schon bekannten Tatsachenbegriff hat Immanuel Kant gerade nicht für das Bewusstsein des Grundgesetzes der reinen praktischen Vernunft, sondern alleine für die aus diesem Gesetzesbewusstsein für dieses Bewusstsein folgende Freiheit als objektive Tatsache des Bewusstseins (genitivus objectivus) verwendet (§ 91 KU), denn die objektive Realität des Vernunftbegriffs der Freiheit kann bewiesen und diese Freiheit darum als Tatsache positiv auch gewusst – nicht bloß geglaubt – werden.14 Wollte man das Kantische „Factum der Vernunft“ als „Tatsache der Vernunft“ begreifen, so müsste es als die unmittelbar gewisse Tatsache der Vernunft an sich selbst (genitivus subjectivus) begriffen werden und wäre so offensichtlich mit der auf sie sehr wahrscheinlich nicht bloß zufällig folgenden „Thathandlung“ Johann Gottlieb Fichtes eng verwandt.15 Jedenfalls dürfte im 11 Diese Identität des freien Willens mit dem allgemeinen Willen im reinen praktischen Begriff des freien Willens (Autonomie) ist ganz maßgeblich für die im zweiten Teil der Arbeit herausgearbeitete Auffassung des Kantischen Rechtsdenkens, besonders im Begriff des provisorischen Privatrechtsbesitzes bereits im natürlichen Zustand. Denn wenn der freie Wille mit dem allgemeinen Willen als Selbstgesetzgebung ursprünglich identisch ist, dann können beide Momente des freien Willens in der Rechtslehre nicht in einem ursprünglichen Gegensatz befangen nebeneinander bestehen, was aber der Fall wäre, wenn der freie Wille im äußeren Verhältnis des Naturzustandes bereits unabhängig vom allgemeinen Willen subjektive äußere Rechte effektiv für sich selbst begründen könnte, und der allgemeine Wille im Staat insofern nicht weiter maßgeblich sein sollte. Hierin läge die vom allgemeinen Willen unabhängige Selbstgesetzgebung eines einzelnen freien Willens, d. h. ein manifester Widerspruch im Begriff des freien Willens als Selbstgesetzgebung (Autonomie). 12 KpV, AA V: 31.24. 13 Siehe MS, AA VI: 227.21-23. 14 KU, AA V: 468.12-30. 15 Siehe dazu Fichte, Rezension Aenesidemus, in: GA I/2, S. 46; ders., Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, in: GA I/2, S. 255 ff. (§ 1); ders., Brief (Nr. 169) vom

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1. Kap.: Gesetzesbewusstsein als Factum

Kantischen Sprachgebrauch uneingeschränkt der Satz gelten: Wer von Autonomie spricht, muss auch Factum sagen, und wer Factum sagt, spricht von Autonomie. Die hier nur in aller Kürze vorgetragene Interpretation der Freiheitsbegründung Immanuel Kants schließt sich in ihrem Verständnis der berühmten Wendung vom „Factum der Vernunft“ also einer mittlerweile im Vordringen befindlichen Deutung an, die diese bloß fakultativ in einer erläuternden Anmerkung vorkommende Wendung mit Blick auf das Bewusstsein des Grundgesetzes der reinen praktischen Vernunft mitunter als „Tat der Vernunft“ begreift.16 Sie steht damit allerdings für sich – besonders in der vorstehenden Ausdeutung – zunächst in einem eher als schroff zu bezeichnenden Gegensatz zu einer gegenwärtig immer noch ganz überwiegend wirkmächtigen Deutung im Gefolge Dieter Henrichs, die den Begriff „Factum“ in ihrem Verständnis durch den modernen und Immanuel Kant bereits begriffsgeschichtlich noch gänzlich unbekannten Begriff „Faktizität“ (im Sinne einer bloßen Tatsache für das Bewusstsein) ersetzt, ihn mithin auf den nach Verf. Ansicht wenig plausiblen Standpunkt stellen möchte, er habe die Freiheit des Willens in eben jener bloß erläuternden Anmerkung vermittelst einer freilich zum Scheitern verurteilten „Theorie von der unverständlichen Faktizität des vernünftigen Sittengesetzes“17 zu begründen versucht. Verhielte es sich tatsächlich so, dass sich die Kantische Freiheitslehre in einer partikularen Halbheit verliert, die mit ihrer Unverständlichkeit eigentlich den Ehrennamen einer Theorie schon nicht verdient hätte, dann läge beispielsweise auch Gerold Prauss gewiss ganz richtig in seiner an Klarheit nichts zu wünschen übrig lassenden Einschätzung, wenn er mit Blick auf die Wendung vom „Factum der Vernunft“ von einem „Unding“, einer „Verzweiflungstat“ und dem „Ausdruck bloßer Not“ spricht.18 In einem solchen für den interpretierten Autor nicht gerade eben sehr vorteilhaften Begriffsverständnis ist aber möglicherweise noch zu wenig bedacht, dass sich zur „Sattelzeit“ der Jahrhundertwende des Jahres 1800 ein tiefgreifender intellektueller Wandel vollzieht, der nicht selten auch mit einem erheblichen und nicht zu unterschätzenden Bedeutungswandel der Grundworte ver-

6. Dezember 1793 an Friedrich Immanuel Niethammer, in: GA III/2, S. 19 (21). Vgl. ferner zum Verhältnis der Kantischen Wendung vom „Factum der Vernunft“ und Fichtes „Thathandlung“ die in Fn. 1 genannte Studie. 16 Siehe dafür etwa Bojanowski, Kants Theorie der Freiheit (2006), S. 60 ff.; Franks, All or Nothing (2005), S. 278 ff.; Kaufmann, in: Stolzenberg (Hrsg.): Kant in der Gegenwart (2007), S. 227 (237 ff.); Kitaoka, in: Funke (Hrsg.): Akten des 7. Internationalen Kant-Kongresses II/1 (1991), S. 323 ff.; Steigleder, Kants Moralphilosophie (2002), S. 98, 102 ff.; Willaschek, in: Funke (Hrsg.): Akten des 7. Internationalen Kant-Kongresses II/1 (1991), S. 455 – 466; ders., Praktische Vernunft (1992), S. 177 ff.; Wolff, DZPhil 57 (2009), S. 511 (531 ff., 534 ff.); Zöller, in: Mülder-Bach/Schumacher (Hrsg.): Am Anfang war … – Ursprungsfiguren und Anfangskonstruktionen der Moderne (2008), S. 91 (103 ff.). 17 Henrich, in: Henrich/Schulz/Volkmann-Schluck (Hrsg.): FS Gadamer (1960), S. 77 (82 f.); siehe ferner ergänzend dens., in: Schwan (Hrsg.): FS Weischedel (1975), S. 55 – 112. 18 Prauss, Kant über Freiheit als Autonomie (1983), S. 68 f., 115.

1. Kap.: Gesetzesbewusstsein als Factum

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bunden ist,19 ganz so, wie er sich nicht zuletzt auch für den Faktum- bzw. Tatsachenbegriff belegen lässt, wenn man nur hinreichend bedenkt, dass letzterer erst im Jahre 1756, und zwar in theologischen Zusammenhängen durch die Arbeit eines ihm durchaus bekannten Zeitgenossen Immanuel Kants Eingang in die deutsche Sprache fand.20 Für die hier im Folgenden noch vorzutragende Interpretation der Rechtslehre, die nicht einfach mit besonderen Wörtern und Bedürfnissen der Gegenwart an diese heranzutreten sich untersteht, bedeutet dieser zuvor dargelegte Umstand, dass sich diese Interpretation aller Voraussicht nach von den Interpretationen solcher Denker der Gegenwart grundlegend unterscheiden wird, die im Gefolge Dieter Henrichs für Immanuel Kant von einer Freiheitsbegründung vermittelst einer „Faktizität“ des Sittengesetzes ausgehen. Dies betrifft dann besonders z. B. die in den letzten Jahrzehnten wirkmächtig gewesenen Interpretationen der Kantischen Rechtslehre durch Wolfgang Kersting oder Bernd Ludwig.21 Meint man nämlich bereits im ursprünglichen Anfang des moralischen (Selbst-)Bewusstseins der Freiheit, und zwar zur philosopischen Begründung der darin liegenden praktischen Erkenntnis, sich mit einer Faktizität maßgeblich auf etwas anderes als den reinen praktischen Begriff des freien Willens stützen zu können, so wird man es vermutlich auch in Fragen der praktischen Notwendigkeit eines staatlichen Allgemeinwillens in Gesetzen an einer solchen Ansicht nicht fehlen lassen. Den Staat in seiner eigenen substanziell-praktischen Notwendigkeit (d. h. Freiheit bzw. Autonomie bzw. Selbstvorstellungstätigkeit), und zwar mitsamt seiner ihn innerlich praktisch bestimmenden gesetzesförmigen Willensallgemeinheit, lassen solche Interpreten dann nämlich gleichsam akzessorisch aus dem in ihrem Verständnis in Wahrheit gänzlich unabhängig von diesem schon vermeintlich subsistierenden Privateigentum oder Privatrechtsbesitz, d. h. ursprünglich aus einem im Naturzustand für sich alleine subsistierenden besonderen Einzelwillen und somit letztlich aus der lockesianisierenden Vorstellung einer empirischen Tatsache hervorgehen. Damit aber dürfte sich das vernünftige (Subordinations-)Verhältnis eines im äußeren Verhältnis objektiv rechtsbegründenden Allgemeinwillens in der Staatsidee zu einem besonderen Willen in einzelnen subjektiven (nicht schon angeborenen) Rechten gründlich verkehren, denn ein wirkliches subjektives äußeres Recht setzt für sich selbst ein wirkliches objektives äußeres Recht und mithin einen wirklichen Allgemeinwillen in äußeren Gesetzen für sich selbst voraus. Mit einem Wort: Die hier vorgelegte Interpretation der Rechtslehre Immanuel Kants verhält sich kritisch zu einer gegenwärtig noch immer ganz vorherrschenden eigentums- oder privatrechtsspezifischen Interpretation des Verhältnisses von Natur19

Worauf Henrich, Grundlegung aus dem Ich I (2004), S. 9 in einer neueren Arbeit selbst hinweist. 20 Dazu ausführlich die oben in Fn. 1 genannte Vorstudie m.w.N. 21 Vgl. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 100; Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 92 Fn. 19.

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1. Kap.: Gesetzesbewusstsein als Factum

und Rechtszustand. Sie enthält eben darum in der Folge – wie sie selbst weiß – auch eine Reihe von Zumutungen in der Sache selbst für das hieran gewohnte Kantverständnis, das künftig möglicherweise mit einigen Interpretationsschätzen wird brechen müssen, will es sich auf ein metaphysisches Gesamtverständnis der Kantischen Philosophie einlassen, das den Grund im Anfang des moralischen Bewusstseins nicht in einer Faktizität von Verbindlichkeit, sondern einer spontanen Selbstvorstellungstätigkeit eines freien Willens gesetzt sieht. So ist dann im Rahmen einer „Metaphysik“ des Rechts rein vernunftbegrifflich (d. h. philosophisch) insbesondere a priori erkennbar, dass: - alle rechtliche Verpflichtung ursprünglich – intra-, nicht interpersonal – nur als rechtliche Selbstverpflichtung denkbar ist; - ein vorläufiger äußerer Rechtsbesitz im Naturzustand mit diesem selbst außerhalb des bloßen Denkens in der Zeit nicht existent, sondern nur im Hin-blick (pro-visio) auf den staatlichen Allgemeinwillen darin schon rein begrifflich rechtlich bestimmt denkbar ist; - der Staat mit seinem substanziellen Allgemeinwillen in Rechtsgesetzen schon unmittelbar an sich selbst gewiss das absolute Subjekt allen äußeren Rechts ist, das nach der reinen praktischen Idee des ursprünglichen Vertrages sich selbsttätig verfassend gedacht werden muss, und in dieser autonomen Staatsselbsttätigkeit, kraft des Vernunftbegriffs seines allgemeinen Willens, drei einander vernunftschlüssig subordinierte Staatsgewalten in sich als notwendige Einheit schließt. Wenn im Rahmen der hier vorzutragenden Interpretation später also beispielsweise ohne weiteres auch von einer „Selbstvorstellungstätigkeit“ oder eines „in Gesetzen an sich selbst tätigen Allgemeinwillens im Staat“ die Rede sein sollte, so hat dieser für das gewöhnliche Kantverständnis (vor allem im Gefolge Dieter Henrichs) sicherlich ungewöhnliche Wortgebrauch seinen Grund ebenfalls in der zuvor auseinandergesetzten Vorstellung von Autonomie als gesetzlicher Selbstvorstellungstätigkeit und soll nicht etwa an nachkantische Idealisten erinnern; mögliche gedankliche Ähnlichkeiten der hier vorzustellenden Interpretation der Rechtslehre mit solchen nachkantischen Idealisten mögen ihren Grund in der Sache selbst haben, sofern sich diese nämlich ebenfalls mit der allgemeinen Vorstellung, d. h. mit dem Begriff der Autonomie befasst haben. Wo schließlich diese Autonomie eines einzelnen freien Willens (d. h. die Selbstvorstellungtätigkeit eines substanziellen Willens in Gesetzen) im Grunde objektiv real ist, da muss nach dem bisher Gesagten auch ein Allgemeinwille in seinem selbstvorstellenden Denken sein, und dort, wo Freiheit zugleich in der Folge eines freien Willens Dasein hat, muss nach dem noch zu Sagenden zugleich auch ein allgemeiner Wille schon Dasein haben; wobei dieser hier gebrauchte Begriff des „Daseins“ nicht etwa eine eigens patentierte Erfindung der Philosophie Hegels bemüht.22

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Siehe dazu KrV, AA III: 93.19 = A 80/B 106; RGV, AA VI: 39.09-15.

2. Kapitel

Sittengesetzliches Pflichtbewusstsein und kategorischer Imperativ1 In der willkürlichen Erklärung des Begriffs praktischer Grundsätze (§ 1 KpV) wird die in einem subjektiven/objektiven Grundsatz enthaltene allgemeine Willensbestimmung von den praktischen Handlungsregeln unter einer solchen allgemeinen Willensbestimmung unterschieden.2 Allgemeine Willensbestimmung und praktische Handlungsregel stehen in der Einheit des Begriffs praktischer Grundsätze somit im Verhältnis der Subordination zueinander. Maximen und Gesetze sind als praktische Grundsätze in ihrer subjektiven bzw. objektiven Willensbestimmung folglich von den unter ihnen bestimmbaren Handlungsregeln zu unterscheiden. Solche praktischen Handlungsregeln stellen dem Willenssubjekt nämlich lediglich mögliche Handlungen als Mittel zum Zweck unter der jeweils schon vorausgesetzten allgemeinen Willensbestimmung des betreffenden praktischen Grundsatzes vor. Insofern das Willenssubjekt nun aber nicht auch schon automatisch gemäß dieser reflektierten Einsicht in den Handlungszusammenhang tätig ist (wie es beim Menschen wirklich ist), stellt die praktische Handlungsregel diesem einsichtigen Willenssubjekt (Mensch) einen praktisch nötigenden „ I m p e r a t i v “ vor.3 Gemäß der im Begriff eines praktischen Grundsatzes vorgesehenen Subordination der Handlungsregeln unter die jeweils allgemeine Willensbestimmung sind also hypothetische Imperative unter Maximen und kategorische Imperative unter Gesetzen zu unterscheiden. Denn Maximen beinhalten lediglich eine allgemeine Willensbestimmung für das jeweilige Willenssubjekt der Maxime, sodass die Handlungsregeln unter dieser lediglich endlich-allgemeinen Willensbestimmung in einem subjektiven Grundsatz nur unter dieser subjektiven Bedingung, d. h. hypothetisch gebieten. Dagegen beinhalten Gesetze mit ihrer schon unbedingten Form eines Allgemeinwillens eine unendlich-allgemeine Bestimmung für jedes einzelne freie Willenssubjekt (das sich eben erst durch diese unbedingte Gesetzesallgemeinheit als frei erkennt), sodass die Handlungsregeln unter diesen objektiven praktischen Grundsätzen ebenfalls für ein jedes freies Willenssubjekt gleichermaßen praktisch not-

1

Die Überlegungen dieses Kapitels beruhen mit Blick auf den Gedanken eines sittengesetzlichen kategorischen Imperativs in Verhältnis zum Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft (§ 7 KpV) ebenfalls auf der in Fn. 1 des ersten Kapitels genannten Studie. 2 KpV, AA V: 19.07-08. 3 KpV, AA V: 20.06-13.

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2. Kap.: Sittengesetzliches Pflichtbewusstsein und kategorischer Imperativ

wendig geboten sind und ein Imperativ in solchen Fällen folglich kategorisch (ausnahmslos) gebietet. Gemäß der so verstandenen willkürlichen Begriffserklärung in § 1 KpV – die noch ganz maßgeblich für das metaphysische Erkenntnisprogramm einer Metaphysik der Sitten sein wird4 – sind also praktische Gesetze von kategorischen Imperativen unter ihnen zu unterscheiden. Denn während Gesetze mit ihrer allgemeinen Willensbestimmung kraft Autonomie für alle möglichen freien (heiligen und unheiligen) Willenssubjekte gelten, nötigen kategorische Imperative unter praktischen Gesetzen nur solche (unheiligen) Willenssubjekte, die nicht schon vernunftnaturnotwendig kraft intellektueller Einsicht in den unendlich-allgemeinen Willensbestimmungszusammenhang eines allgemeinen Gesetzes tätig sind. D. h. kategorische Imperative nötigen insbesondere nur den Menschen zur Handlung. Das im Rahmen einer kritischen Selbstvergewisserung eines freien Willenssubjekts von diesem ursprünglich sich selbst spontan vorgestellte „ G r u n d g e s e t z d e r r e i n e n p r a k t i s c h e n Ve r n u n f t “ (§ 7 KpV): „ H a n d l e s o , d a ß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Princip e i n e r a l l g e m e i n e n G e s e t z g e b u n g g e l t e n k ö n n e “5, ist gemäß der in § 1 KpV begrifflich angelegten Differenz folglich nicht identisch mit dem berühmten kategorischen Imperativ. Die den Menschen an einen Imperativ erinnernde Handlungsaufforderung „Handele so …“ wirkt nämlich nur in einem unheiligen Gesetzesbewusstsein eines freien Willenssubjekts als praktische Nötigung (d. h. präskriptiv), da ein solches Subjekt nicht schon kraft intellektueller Einsicht naturnotwendig tätig ist. Im Gesetzesbewusstsein eines heiligen Willenssubjekts ist dagegen die zur unendlich-allgemeinen Willensbestimmung gehörige Handlung eine vernunftnaturnotwendige Folge aus der bloßen intellektuellen Einsicht in diesen Willensbestimmungszusammenhang und so beschreibt die praktische Handlungsregel unter einem Gesetz in diesem Fall lediglich deskriptiv einen vernunftnatürlichen Zusammenhang von Willens- und Handlungsbestimmung nach dem logischen Verhältnis von Grund und Folge.6 Da nun aber nach den Überlegungen des ersten Kapitels auch das menschliche Willenssubjekt ein grundgesetzliches Bewusstsein seiner unendlich-allgemein bestimmenden Freiheit im Willen positiv hat, muss dieses eine verbindende Vorstellung seiner praktischen Handlungsregeln (Imperative) unter dem Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft mit ebendiesem Grundgesetz für sich selbst schlussfolgern. Andernfalls hätte es eine rein intellektuelle Einsicht in seine praktische Willensbestimmung durch Grundsätze der reinen praktischen Vernunft, die aber mangels eines vernunftnatürlichen Automatismus zu keiner Zeit auch in willkürlichen Handlungen praktisch sein könnte. Dementspre4

Siehe dazu unter C. IV. im dritten Kapitel. KpV, AA V: 30.37-39. 6 Zu dem aus nicht-idealistischer (und eher realistischer) Sichtweise möglicherweise leicht mit Spott zu versehenden Begriff der „Heiligkeit“ in diesem Zusammenhang der Grundlegung der Freiheit des Willens eines menschlichen Willenssubjekts siehe weiterführend KpV, AA V: 32 f., 122.09-16. 5

2. Kap.: Sittengesetzliches Pflichtbewusstsein und kategorischer Imperativ

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chend gibt es eine weitere gesetzliche Vorstellung praktischer Vernunft, dadurch die Vorstellung eines kategorischen Imperativs für die zugleich empirischen Handlungen eines menschlichen Willenssubjekts unter dem Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft gesetzliche Wirklichkeit hat. Sie kommt schließlich erst in der „ F o l g e r u n g “ von § 7 KpV zu einem deutlichen Bewusstsein: „Reine Vernunft ist für sich allein praktisch und giebt (dem Menschen) ein allgemeines Gesetz, welches wir das S i t t e n g e s e t z nennen.“7 Nach alledem kann – wohl entgegen einer landläufigen Auffassung in der Kantinterpretation – weder die bloße Handlungsregel des kategorischen Imperativs mit ihrem Sollen, noch das für Menschen alleine gültige Sittengesetz, sondern einzig das Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft als oberster Grundsatz der Kantischen Moralphilosophie gelten.8 Eine für menschliche Willenssubjekte Geltung beanspruchende Metaphysik der Sitten, die zwar nicht auf Anthropologie gegründet, aber doch auf diese angewandt werden kann,9 ist folglich unter diesem ursprünglich obersten grundgesetzlichen Freiheitsbewusstsein aus der (lediglich zweitobersten) Vorstellungsform des Sittengesetzes heraus vernunftbegrifflich zu entwickeln. Indem dieses für menschliche Willenssubjekte gültige Sittengesetz dabei die praktische Handlungsregel eines kategorischen Imperativs mit der allgemeinen Bestimmung des Willens darüber im menschlichen Willkürsubjekt des Sittengesetzes selbst verbindet, hat eine Metaphysik der Sitten den auf menschliche Handlungen gehenden Begriff gesetzlicher Verbindlichkeit überhaupt nach seinen Gründen zu einem deutlichen Bewusstsein zu entwickeln.10 Gegenstand einer solchen Metaphysik der Sitten ist mithin der vom menschlichen Willenssubjekt ausgehende und auf das menschliche Willkürsubjekt gerichtete Pflichtbegriff in seiner vernunftbegrifflichen Verfassung und dementsprechenden Entfaltung. Der Begriff der Pflicht stellt dem Subjekt eine Handlung nach dem Sittengesetz nämlich unter Ausschluss aller bloß sinnlichen Antriebe als an und für sich selbst objektiv praktisch vor und enthält darum nicht natürliche, sondern praktische Nötigung für das sinnlich-affizierbare Willenssubjekt Mensch.11 Der Gedanke der Kantischen Rechtslehre ist dementsprechend vermittelst einer Eintei7

KpV, AA V: 31.35-37. Henrich, in: Engelhardt (Hrsg.): Sein und Ethos (1963), S. 350 (363) liegt also richtig, wenn er konstatiert, der kategorische Imperativ könne nicht das einzige und oberste Prinzip der Ethik sein; er dürfte sich jedoch irren, wenn er damit zugleich meint, diese sachlich zutreffende These kritisch gegen die Kantische Moralphilosophie wenden zu können, denn auch darin hat der kategorische Imperativ diese von ihm nur vermeinte Stellung nicht. Mit seiner insgesamt reduktionistischen Deutung folgt Henrich also dem Kantverständnis Hegels, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, in: Moldenhauer/Michel (Hrsg.): Hegel Werke in 20 Bänden VIII (1986), S. 138 ff. (§§ 53 – 54, 60) u. ö., der die kritische Philosophie Kants in seinem Vortrag ebenfalls auf ein bloßes Sollen reduziert sehen möchte. 9 Siehe dazu MS, AA VI: 216.28-217.08. 10 Zum Begriff der Verbindlichkeit siehe MS, AA VI: 222.03-04. 11 Zum Pflichtbegriff siehe KpV, AA V: 32.21-31, 80.25-29; GMS, AA IV: 400.18-19; MS, AA VI: 222.31-34. 8

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2. Kap.: Sittengesetzliches Pflichtbewusstsein und kategorischer Imperativ

lung des Begriffs einer willkürlichen Handlung überhaupt vernunftbegrifflich zu entfalten.12 Da eine empirische menschliche Handlung unter dem sittengesetzlichen Pflichtbewusstsein aber gemäß der Einheit der sinnlichen Vorstellungsformen des menschlichen Subjekts eine innere und äußere Wirklichkeit in Raum und Zeit zugleich auf sich vereinigt, sind unter dem auf menschliche Handlungen gestellten Pflichtbegriff sowohl eine innere als auch eine äußere Relation der Pflicht in der Einheit des Handlungsbegriffs vorstellbar. Dabei betrifft die auf die innere Handlung eines Willkürsubjekts in der Zeit gehende Pflichtrelation die tugendgesetzlich zu bestimmende Zwecksetzungstätigkeit des Willkürsubjekts alleine, während die auf die äußere Handlung eines Willkürsubjekts im Raum gehende Pflichtrelation die rechtsgesetzlich zu bestimmende äußere Handlungswirklichkeit aller Willkürwesen gemeinschaftlich betrifft.13 Der zunächst im sittengesetzlichen Selbstverhältnis eines freien Willkürsubjekts intrapersonal gründende Pflichtbegriff teilt sich in seiner begrifflichen Einheit folglich in eine innere sowie eine äußere Pflichtrelation ein, wobei aus dem letztgenannten interpersonalen Einteilungsglied des allgemeinen Pflichtbegriffs der allgemeine Begriff des Rechts (§ B Abs. 2 – 3 RL) analytisch durch Exposition zu einem deutlichen Bewusstsein hervorgeht, wie zu Beginn der eigentlichen Interpretation der Rechtslehre gezeigt werden wird.

12 13

MS, AA VI: 218.30-36. Siehe dazu besonders MS, AA VI: 214.13-30.

3. Kapitel

Philosophische Methode einer Rechtserkenntnis aus reinen Vernunftbegriffen Schon der Titel des hier zu interpretierenden Werkes Metaphysik der Sitten muss in einem sich ,postmetaphysisch‘ auf der Überholspur des Denkens dünkenden Zeitalter auf Ablehnung stoßen; und dort, wo dies durch zufällige Umstände nicht von vornherein der Fall ist, dürfte diesem Titel mitsamt seinem Sachanliegen vermutlich nicht selten und trotz aller Affirmation jedenfalls ein gewisses Unverständnis entgegenschlagen. Denn es wird selbst in der Interpretation des Kantischen Werkes wohl nicht immer hinreichend bewusst mitgeführt, dass für Kant alles Denken nichts anderes als ein Urteilen durch Begriffe, d. h. ein erkennendes Vorstellen durch Begriffsmerkmale ist.1 Ein Begriff ist nämlich, im Gegensatz zu einer Anschauung, die eine einzelne Vorstellung ist, für Kant zunächst nichts anderes als eine mit Bewusstsein auf ein Objekt des Denkens bezogene allgemeine Vorstellung.2 Durch seinen in Begriffsmerkmalen insgesamt in ihm bestimmten Vorstellungsinhalt sind unter einem Begriff (als Erkenntnisgrund) daher die durch ihn bestimmbaren Gegenstandsvorstellungen enthalten bzw. erkennbar, sodass an einem Begriff in logischer Hinsicht – ganz maßgeblich entscheidend für die folgende Interpretation der Rechtslehre – Inhalt und Umfang zu unterscheiden sind, die gegeneinander in einem umgekehrten Verhältnis stehen (denn je mehr Vorstellungen ein Begriff unter sich enthält, desto weniger Merkmalsvorstellungen enthält er in sich und umgekehrt).3 Alles Denken in Begriffen setzt nach alledem ursprünglich die erst vermittelst der transzendentalen Idealität der sinnlichen Vorstellungsformen von Raum und Zeit4 ihrerseits überhaupt ideal vorstellbare Spontanität des Denkvermögens bzw. des Bewusstseins selbst voraus und ist insofern seinerseits kein bloß gewirkter Natur1

KrV, AA III: 85 ff. = A 67 ff./B 92 ff.; Log, AA IX: 58 ff., 91 ff. Log, AA IX: 91.06-16 (§ 1). 3 Log, AA IX: 95 f. (§§ 7, 8). – Übrigens zeigt sich bereits an dieser logischen Einsicht in das Wesen eines Begriffs als einer Bewusstseinsfunktion des menschlichen Geistes, wie wenig tatsächlich dadurch gesagt und geschweige denn verstanden sein dürfte, wenn man beispielsweise den Kantischen Rechtsbegriff (zumeist mit kritischem Impetus verbunden) einen rein formalen und leeren Begriff nennt. Denn eben dadurch, dass der Kantische Rechtsbegriff der Einleitung in die Rechtslehre (§ B Abs. 3 = RL, AA VI: 230.24-26) nur wenige Merkmalsvorstellungen in sich enthält, muss er umso mehr rechtlich durch ihn bestimmbare Gegenstandsvorstellungen (z. B. im Hauptteil derselben) unter sich enthalten und genau darin (d. h. in seiner reichhaltigen rechtlichen Bestimmungssphäre) liegt seine praktische „ B r a u c h b a r k e i t “ als eines a priori durch die Vernunft gegebenen Begriffs begründet. 4 Dazu die §§ 3, 6 der KrV, AA III: 54-57/59-61 = A 26 ff./B 40 ff. bzw. A 32 ff./B 49 ff. 2

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3. Kap.: Rechtserkenntnis aus reinen Vernunftbegriffen

vorgang des Bewusstseins in der Zeit, sondern eine im Ursprung metaphysisch anhebende Tätigkeit des Bewusstseins.5 – Mit einer Metaphysik der Sitten ist nun aber nicht irgendein mögliches, sondern ein methodologisch ganz bestimmtes Denken über die Sitten der Menschen bezeichnet, wie man dem zweiten Abschnitt der Einleitung in dieses Werk, und zwar unter dem Titel „ Vo n d e r I d e e u n d d e r N o t h w e n d i g k e i t e i n e r M e t a p h y s i k d e r S i t t e n “, entnehmen muss:6 Denn da es in der Moralphilosophie nicht um die soziologische Frage zu tun ist, wie unter Menschen tatsächlich gehandelt wird, sondern darum, wie unter ihnen tatsächlich ganz allgemein gehandelt werden soll, können diejenigen Sittengesetze, die die praktischen Handlungsregeln (Imperative) unter ihnen rein begrifflich (kategorisch) bestimmen, nicht aus der verständigen und noch so fein ausgeführten Beobachtung empirischer Tatsachen in menschlichen Handlungszusammenhängen gewonnen werden. Durch solche ihrer Materie nach empirisch gegebenen Begriffe von menschlichen Handlungen können nämlich vermittelst verständiger Vergleichung, Reflexion und Abstraktion allenfalls endlich-allgemeine Begriffe und mithin durch diese auch nur endlich-allgemeine Grundsätze (Maximen) bestimmt werden.7 Die begriffliche Bestimmung menschlicher Handlungen in kategorisch gebietenden Sittengesetzen kann dementsprechend nur durch reine, d. h. durch a priori (vor aller Erfahrung) gegebene Begriffe gedacht werden. Diese auch sogenannten „ N o t i o n e n “ entspringen hinsichtlich ihrer Vorstellungsmaterie nämlich nicht aus der Erfahrung, sondern aus dem bloßen Verstand.8 Insofern handelt es sich bei diesen reinen Begriffen zunächst um reine Verstandesbegriffe,9 die vermittelst ihres Ursprungs in der Spontanität des Verstandes an sich unendlich-allgemeine Bestimmung enthalten. Ein „System der Erkenntniß a priori aus bloßen Begriffen“ nennt Kant nun überhaupt „ M e t a p h y s i k “ oder auch „reine Philosophie“.10 5 Im Begriff des Denkens ist das Verhältnis eines denkenden Subjekts zur einem wirklich gedachten Objekt gefasst und so fällt das Denken im Kantischen System selbst unter den reinen und abgeleiteten Verstandesbegriff der Handlung, der unter dem reinen Verstandesbegriff der Kausalität das Verhältnis des Subjekts der Kausalität zur Wirkung begreift (A 205/B 250). Die Kausalität der Denktätigkeit ist dabei im Ursprung als eine spontane Kausalität zu denken (B 129 ff.), da das denkende Subjekt ausweislich seines Begriffs selbst nicht bloß Objekt und insofern nicht bloß kausale Wirkung des Denkens sein kann. Denken ist demnach für Kant Tätigkeit des menschlichen Geistes und so schreibt er in der Einleitung in die Transzendentale Logik (A 57/B 81): „In der Erwartung also, daß es vielleicht Begriffe geben könne, die sich a priori auf Gegenstände beziehen mögen, […] bloß als Handlungen des reinen Denkens, die mithin Begriffe […] sind, so machen wir uns zum voraus die Idee von einer Wissenschaft des reinen Verstandes und Vernunfterkenntnisses, dadurch wir Gegenstände völlig a priori denken.“ 6 MS, AA VI: 214.31-218.08. 7 Siehe dazu besonders Log, AA IX: 91 ff. (§§ 2 – 6). 8 Siehe dazu besonders Log, AA IX: 91 ff. (§§ 2, 4). 9 Siehe dafür die nach Quantität, Qualität, Relation und Modalität geordnete Tafel der reinen Verstandesbegriffe in KrV, AA III: 93 = A 80/B 106. 10 MS, AA VI: 216.28-29 und auch schon MAN, AA IV: 469.21-22.

A. „Metaphysik“ im Verhältnis reiner Verstandesbegriffe zur praktischen Vernunft

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A. „Metaphysik“ im Verhältnis reiner Verstandesbegriffe zur praktischen Vernunft Damit ist allerdings für das Verständnis des Erkenntnisprojekts einer Metaphysik der Sitten noch nicht das hinreichend Notwendige gesagt. Denn gemäß ihrer transzendentalen Deduktion stehen reine Verstandesbegriffe (Kategorien) vermittelst der vom Verstand im Verhältnis zur Sinnlichkeit gewirkten transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft zunächst bloß im Verhältnis zur Vorstellungseinheit der reinen Anschauungsformen (Raum und Zeit), dadurch dem sinnlich verfassten Erkenntnissubjekt eine empirische Naturerkenntnis der darin empirisch zur Rezeption gegebenen Gegenstandsvorstellungen unter seinen Begriffen von einem Gegenstand überhaupt möglich ist.11 Mit den in dieser Transzendentalphilosophie auf der Basis ebendieser Deduktion vorgestellten synthetischen Grundsätzen des Verstandes,12 die lauter nicht-empirische (apriorische) Prinzipen der Natur enthalten, liegt dann zunächst ein „ t r a n s s c e n d e n t a l e [ r ] Theil der Metaphysik der Natur“ vor, weil sich diese transzendentalen Verstandesgrundsätze „ohne Beziehung auf irgend ein bestimmtes Erfahrungsobject, mithin unbestimmt in Ansehung der Natur dieses oder jenes Dinges der Sinnenwelt“, auf die Natur beziehen und so „den Begriff einer Natur überhaupt möglich machen“.13 – Beschäftigt sich die „Metaphysik der Natur“ in ihrem nicht-transzendentalen Teil dagegen „mit einer besonderen Natur dieser oder jener Art Dinge, von denen ein empirischer Begriff gegeben ist, doch so, daß außer dem, was in diesem Begriffe liegt, kein anderes empirisches Princip zur Erkenntniß derselben gebraucht wird (z. B. sie legt den empirischen Begriff einer Materie […] zum Grunde und sucht den Umfang der Erkenntniß, deren die Vernunft über diese Gegenstände a priori fähig ist)“, so „muß eine solche Wissenschaft noch immer eine Metaphysik der Natur, nämlich der körperlichen […] Natur, heißen“.14 Eine solche Metaphysik der körperlichen Natur findet sich schließlich im Kantischen Werk Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, denn dieses enthält „Principien der C o n s t r u c t i o n der Begriffe, welche zur Möglichkeit der Materie überhaupt gehören“.15 Zur Bewältigung ihres Erkenntnisprojekts wird darin „eine vollständige Zergliederung des Begriffs von einer Materie überhaupt zum Grunde gelegt, […] die zu dieser Absicht sich keiner besonderen Erfahrungen, sondern nur dessen, was sie im abgesonderten (obzwar an sich empirischen) Begriffe selbst antrifft, in Beziehung auf die reinen Anschauungen im Raume und der Zeit (nach Gesetzen, welche schon dem Begriffe der Natur überhaupt wesentlich anhängen) bedient, […]“.16 11 12 13 14 15 16

Siehe dazu KrV, AA III: 107-130 = B 129 ff. (besonders die §§ 21, 24 und 26). KrV, AA III: 146 ff. = A 158 ff./B 197 ff. MAN, AA IV: 469.31-470.01. MAN, AA IV: 470.01-12. MAN, AA IV: 472.01-04. MAN, AA IV: 472.04-12.

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3. Kap.: Rechtserkenntnis aus reinen Vernunftbegriffen

Das Gesamtprojekt einer „Metaphysik der Natur“ ist demnach nur im Verhältnis reiner Verstandesbegriffe zu (möglichen Vorstellungen in) den reinen sinnlichen Anschauungen von Raum und Zeit vorstellbar. Dagegen kann eine „Metaphysik der Sitten“, sofern sie rein begrifflich unendlich-allgemein bestimmte praktische Grundsätze enthalten soll, nicht in diesem theoretischen Gebrauchsverhältnis reiner Verstandesbegriffe geleistet werden. Es muss also außerhalb der Sphäre des theoretischen Begriffsgebrauchs – und hierin besteht vielleicht schon eine erste Zumutung für das landläufige Kantverständnis – sodann auch ein weiteres Verhältnis geben, darin reine Verstandesbegriffe in einem praktischen Gebrauch zum Zwecke der rein begrifflichen Bestimmung in praktischen Vernunftgrundsätzen des Willens anwendbar sind, soll es überhaupt eine Metaphysik der Sitten geben. Aus diesem Grund notiert der Autor einer Kritik der reinen Vernunft bereits am Ende der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe, er wolle „nur in Erinnerung bringen, daß die Kategorien im D e n k e n durch die Bedingungen unserer sinnlichen Anschauung nicht eingeschränkt sind, sondern ein unbegrenztes Feld haben“, und dort, wo ein anschaulicher Vorstellungsbezug im Denken nicht möglich sei, „der Gedanke vom Objecte übrigens noch immer seine wahre und nützliche Folgen auf den Ve r n u n f t g e b r a u c h des Subjects haben kann“, nämlich da, wo er auf „die Bestimmung […] des Subjects und dessen Wollen gerichtet ist“.17 Alleine in diesem als solchem von Kantinterpreten wohl nur selten angesehenen praktischen Gebrauchsverhältnis reiner Verstandesbegriffe zum Willen (d. h. im Verhältnis zur praktischen Vernunft) sind dann ein oberstes Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft (§ 7 KpV), mit ihm ein für Menschen gültiges Sittengesetz und dadurch schließlich eine Metaphysik der Sitten überhaupt erst vorstellbar. In der Kritik der praktischen Vernunft deutet Kant daher abermals und schon rückblickend auf ebendieses Verhältnis eines praktischen Verstandes- bzw. Vernunftgebrauchs, wenn er von „ d e r B e f u g n i ß d e r r e i n e n Ve r n u n f t i m p r a k t i s c h e n G e b r a u c h e z u e i n e r E r w e i t e r u n g , d i e i h r i m S p e k u l a t i v e n f ü r s i c h n i c h t m ö g l i c h i s t “ urteilt: „Außer dem Verhältnisse aber, darin der Ve r s t a n d zu Gegenständen (im theoretischen Erkenntnisse) steht, hat er auch eines zum Begehrungsvermögen, das darum der Wille heißt, und der reine Wille, so fern der reine Verstand (der in solchem Falle Vernunft heißt) durch die bloße Vorstellung eines Gesetzes praktisch ist.“18 Vom positiv bestimmten Freiheitsbegriff als einer spontanen Kausalität in der gesetzlichen Selbstvorstellungstätigkeit eines freien Willenssubjekts, wie er also im Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft objektive Realität hat, war bereits zuvor im ersten Kapitel die Rede. Es fragt sich hier nur noch, wie dieser Vernunftbegriff (= die Idee) der Freiheit des Willens genau im Verhältnis der reinen Verstandesbegriffe zur praktischen Vernunft gedacht werden musste?

17 18

KrV, AA III: 128.28-37 = B 166. KpV, AA V: 50.15-17, 55.11-15.

A. „Metaphysik“ im Verhältnis reiner Verstandesbegriffe zur praktischen Vernunft

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Nun liegt – wie ebendort ausgeführt – im reinen Verstandesbegriff der Kausalität, auch wenn er auf einen frei bestimmbaren Willen bezogen wird, noch kein hinreichend positiv bestimmter Begriff einer spontanen Kausalität, solange nicht auch das selbsttätig kausal an sich selbst hervorgebrachte Gesetzesbewusstsein eines freien Willens bewusst ist. Allerdings liegt in diesem Begriffsbezug zur praktischen Vernunft bereits ein praktischer Bezug des reinen Kausalitätsbegriffs auf denjenigen der Substanz. Denn indem der Wille im bloßen Denken als frei bestimmbare Kausalität vorgestellt wird, ist der Anfang seiner kausalen Bestimmung – wenn auch noch unbestimmt – in ihn selbst gesetzt. Er wird also nach der kategorischen Urteilsfunktion der bloßen Substanzkategorie mithin im Denken als bloßes Subjekt und nicht auch als Prädikat dieser Bestimmung vorgestellt; der Wille wird mithin als absolutes Subjekt seiner praktischen Bestimmung im Denken gesetzt, denn: „Dasjenige, dessen Vorstellung das a b s o l u t e S u b j e c t unserer Urtheile ist und daher nicht als Bestimmung eines andern Dinges gebraucht werden kann, ist Substanz.“19 Erst vermittelst des selbsttätig gewirkten Bewusstseins des moralischen Gesetzes hat das Willenssubjekt sodann die praktische Gewissheit, dass diese sich selbst im Denken vorgestellte Relation reiner Verstandesbegriffe mit Bezug auf die praktische Vernunft objektive Realität im Begriff des freien Willens hat. Die den freien Willen innerlich im moralischen Gesetz bestimmende unendliche Allgemeinheit als Form dieses Gesetzes dürfte dabei wiederum nichts anderes als die reine Kategorie der Gemeinschaft in ihrem Verhältnis zum Willen sein. Also nur im Zusammenspiel der drei Relationskategorien des Verstandes – Substanz/Kausalität/Gemeinschaft – im Verhältnis zur praktischen Vernunft lässt sich die praktische Idee der Freiheit in ihrer objektiven Realität, d. h. in ihrer begrifflich-bestimmenden Funktion in praktischen Gesetzen der reinen Vernunft denken. Zugleich entspricht dieser Vorstellungsumstand der Kantischen Erklärung des Ideenbegriffs: „Der Begriff ist entweder ein e m p i r i s c h e r oder r e i n e r B e g r i f f , und der reine Begriff, so fern er lediglich im Verstande seinen Ursprung hat (nicht im reinen Bilde der Sinnlichkeit) heißt Notio. Ein Begriff aus Notionen, der die Möglichkeit der Erfahrung übersteigt, ist die I d e e oder der Vernunftbegriff.“20 Eine Metaphysik der Sitten hat nun unter dem für Menschen gültigen Sittengesetz nicht die Natur, sondern die Freiheit der menschlichen Willkür zu ihrem Gegenstand in praktischen Grundsätzen bzw. Gesetzen.21 Dementsprechend ist ebendieser vorstehend hinsichtlich seiner rein begrifflichen Relation und Vorstellbarkeit erläuterte 19

KrV, AA IV: 220.07-09 = A 348 ff.; siehe zum reinen Substanzbegriff ferner auch A 70/ B 95 i.V.m. A 80/B 106; B 128 f.; A 323/B 379 f.; A 344/B 402; A 401; B 410 ff. Das logische Vorstellungsverhältnis eines kategorischen Urteils im reinen Substanzbegriff stellt übrigens auch die rein begriffliche Form der sogenannten Mensch-Zweck-Formel des kategorischen Imperativs (GMS, AA IV: 429.10-12) vor: „H a n d l e s o , d a ß d u d i e Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines j e d e n a n d e r n j e d e r z e i t z u g l e i c h a l s Z w e c k [Subjekt], n i e m a l s b l o ß a l s M i t t e l [Prädikat] b r a u c h s t .“ (Klammerzusatz des Verf.). 20 KrV, AA III: 203.34-37; Log, AA IX: 92 f. (§§ 3 – 4). 21 MS, AA VI: 216.28-34.

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3. Kap.: Rechtserkenntnis aus reinen Vernunftbegriffen

Vernunftbegriff der Freiheit des Willens in solchen praktischen Grundsätzen einer Metaphysik der Sitten jederzeit als innerlich rein begrifflich bestimmender Vernunftgrund stillschweigend vorauszusetzen.22 Folglich ist die bloße Gesetzesallgemeinheit in der Form praktischer Grundsätze, darin der Freiheitsbegriff wirklich ist, gleichermaßen vernunftbegrifflicher Bestimmungsgrund einer Metaphysik der Sitten, denn Freiheit als praktische Notwendigkeit und gesetzesförmige Allgemeinheit sind hier Wechselbegriffe für ein unter praktischen Gesetzen freies Willkürsubjekt. Nach alledem kann sich die ganze vernunftbegriffliche Entwicklung der praktischen Idee der Freiheit in praktischen Grundsätzen einer Metaphysik der Sitten nur vermittels reiner Verstandesbegriffe im Verhältnis zur praktischen Vernunft vollziehen (dazu das vierte Kapitel); sie mögen Stammbegriffe (Prädikamente) oder nur abgeleitete Begriffe (Prädikabilien) des reinen Verstandes sein, als z. B. Haben, Handlung, Kraft, Substanz etc.23 Auf diese Weise ist eine rein vernunftbegrifflich zu entwickelnde Metaphysik der Sitten unter dem für Menschen gültigen Sittengesetz auf nicht-empirische Weise gegründet. Soll sie überdies in der Folge aber auch auf empirische menschliche Handlungsverhältnisse Anwendung haben können,24 so müssen die reinen Vernunftbegriffe (d. h. Ideen) der praktischen Vernunft (d. h. des Willens) vermittelst der in ihnen gedachten reinen Verstandesbegriffe auch auf sinnlich gegebene bzw. zu gebende Vorstellungen anwendbar sein. Diese Anwendungsmöglichkeit auf empirische Verhältnisse versichert nun dabei genau jener durch die Kategorien, und zwar neben ihrem möglichen Bezug auf nicht-sinnliche einzelne Vorstellungen auch überhaupt mögliche theoretische Bezug auf sinnliche Anschauungen.25

B. Methode metaphysischer/philosophischer Begriffserkenntnis a priori Erst jetzt, nachdem hat deutlich werden sollen, dass eine Metaphysik der Sitten das rein begriffliche Verhältnis des reinen Verstandes (d. h. des reinen Denkens) zur praktischen Vernunft (d. h. zum Willen) betrifft, ist es möglich, die mit diesem Kapitel aufgeworfene Frage nach der Methodik einer praktischen/philosophischen Erkenntnis a priori aus reinen Vernunftbegriffen in einer Metaphysik näher zu be22

MS, AA VI: 221.07-36. Siehe zu dieser Differenz reiner Verstandesbegriffe KrV, AA III: 93 f. =A 81 f./B 107 f. 24 MS, AA VI: 217.06-08: „Das will so viel sagen als: eine Metaphysik der Sitten kann nicht auf Anthropologie gegründet, aber doch auf sie angewandt werden.“ 25 Diese wichtige Unterscheidung von einzelnen Vorstellungen bzw. Anschauungen überhaupt und sinnlichen Anschauungen (im Gegensatz zu nicht-sinnlichen Anschauungen) liegt der Deduktion der reinen Verstandesbegriffe (KrV, §§ 22 ff.) maßgeblich zugrunde, siehe dazu KrV, AA III: 117.33-118.37 (§ 23 = B 148 f.); siehe ferner den Abschnitt über die Unterscheidung aller Gegenstände des Denkens überhaupt in „Phaenomena“ und „Noumena“ in KrV, AA III: 202 ff. = A 235 ff./B 294 ff.; sowie FM, AA XX: 272.08-22. 23

B. Methode metaphysischer/philosophischer Begriffserkenntnis a priori

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leuchten. Freilich ohne sich damit in der Folge auch schon werktätiges Gehör verschafft zu haben, hat Hans Friedrich Fulda bereits vor rund zwei Jahrzenten und wohl nicht ganz zu Unrecht darauf hingewiesen, dass unter den Interpreten der Kantischen Rechtslehre bis heute weitgehend ungeklärt ist, was unter einer solchen Erkenntnis eigentlich verstanden werden muss, wo doch aus bloßen Begriffen nach Kant zunächst nur analytisch wahre Urteile zu entspringen scheinen, nicht jedoch die eigentlich erst erkenntniserweiternden und darum besonders interessierenden synthetischen Urteile a priori; es sei hier deshalb besonders schwer zu sagen, worin eine solche Erkenntnis aus reinen Begriffen bestehen und wodurch sie möglich sein soll.26 Im Folgenden ist daher einmal – so weit notwendig – genauer zu erwägen, was es denn mit einer solchen philosophischen Erkenntnis aus reinen Begriffen wohl auf sich haben könnte, da das Erkenntnisprojekt einer Metaphysik der Sitten, indem sie nach ihrer eigenen Idee – wie bemerkt – ausdrücklich auf eine solche Erkenntnis ausgeht, ohne eine solche methodologische Erwägung überhaupt gar keiner verständigen, geschweige denn einer vernünftigen Beurteilung durch Verf. zugänglich sein dürfte.27 Noch im Erscheinungsjahr der Rechtslehre hat Johann Heinrich Tieftrunk auf diese Notwendigkeit methodologischer Vergewisserung in einigen für unsere heutige Ohren möglicherweise sehr drastisch klingenden Worten deutlich hingewiesen: „Man verlacht mit Recht einen jeden, welcher auf große Unternehmungen ausgeht, ohne vorher überlegt zu haben, ob er auch das Vermögen dazu habe; was soll man nun von dem urtheilen, welcher auf Vernunfterkenntnisse ausgeht, ohne das Vermögen der Vernunft erforschen zu wollen?“28 Weil die hier beabsichtigte Interpretation der Metaphysik der Sitten allerdings nur auf ihren ersten Teil, nämlich Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre gerichtet ist, von deren Stand begrifflicher Erforschung man heute unter Hinweis auf die Einschätzung Fuldas wohl besser schweigt, ist im Folgenden verkürzt auch nur die Rede von einer Rechtserkenntnis a priori aus reinen Vernunftbegriffen, und zwar aus solchen Begriffen der praktischen Vernunft (d. h. des Willens). Immanuel Kant behandelt, obzwar nicht den Inhalt, wohl aber „die Methode der Erkenntniß aus reiner Vernunft“ nach eigener Auskunft im „zweiten Haupttheile der transscendentalen Kritik“, d. h. in der transzendentalen Methodenlehre.29 Zum 26 Fulda, in: Hüning/Tuschling (Hrsg.): Recht, Staat und Völkerrecht bei Immanuel Kant (1998), S. 141 (142). 27 Instruktiv zum Folgenden nunmehr auch Heuser, RphZ 2018, S. 240 – 255. 28 Tieftrunk, Philosophische Untersuchungen I (1797), S. VII f. – Zaczyk, in: Fricke/König/ Petersen (Hrsg.): Das Recht der Vernunft (1995), S. 311 (312) hat mit Recht darauf hingewiesen, Kant habe „das ganze Arsenal der Vernunftkritik aufgeboten“, um der Frage „Was ist Recht?“ eine Antwort zu geben. Die folgenden Überlegungen (besonders auch unter C.) greifen daher in ihrem Rückbezug auf die Transzendentale Methodenlehre der Kritik der reinen Vernunft in einigen Teilen einen von Zaczyk gegebenen Hinweis auf: „Es müßte sich also von den einzelnen Erkenntnisschritten in der Rechtslehre jeweils eine Verbindung zur Vernunftkritik herstellen lassen, zumindest müßte gezeigt werden können, wie eine Einsicht im Recht sich in den Zusammenhang kritischen Denkens einordnen lässt.“ 29 KrV, AA III: 468.11-14 = A 712/B 740.

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3. Kap.: Rechtserkenntnis aus reinen Vernunftbegriffen

Verständnis der Metaphysik der Sitten, und zwar als einem System der Vernunfterkenntnis aus reinen Begriffen a priori, ist darum ein Mindestmaß an Vertrautheit mit ebendieser Methodenlehre, insbesondere in ihrem Abschnitt „ D i e D i s c i p l i n d e r r e i n e n Ve r n u n f t i m d o g m a t i s c h e n G e b r a u c h e “ (A 712 ff./B 741 ff.) notwendig, obgleich die Moralphilosophie, da sie selbst nicht Transzendentalphilosophie ist, inhaltlich selbst nicht der Transzendentalphilosophie des theoretischen Vernunftgebrauchs unterfällt. Andernfalls, nämlich ohne eine solche methodologische Kenntnis, mag es nach einer nur allzu bekannten Interpretenklage in einer ersten Annäherung an das Kantische Werk und sogar mit einer in gewisser Weise zuzugestehenden Plausibilität möglicherweise so scheinen, als leide beispielsweise die originale Textfassung und -anordung der Rechtslehre selbst an zahlreichen Brüchen und offensichtlichen Inkonsistenzen.30 Zur Vermeidung eines solchen abermals zugunsten des zu interpretierenden Autors nicht gerade eben sehr vorteilhaften Verdikts ist es folglich erforderlich, die notwendige Vertrautheit mit der Methode rein begrifflicher Erkenntnis zunächst einmal positiv herzustellen, denn für Immanuel Kant besteht die ihre Erkenntnis als Materie bestimmende Form einer Wissenschaft in nichts anderem als ihrer (systematischen) Methode:31 Da es sich bei der reinen Mathematik nach Kant um eine reine und sich synthetisch erweiternde Vernunftwissenschaft handelt, verdeutlicht er die Eigenart der reinen philosophischen Vernunfterkenntnis im genannten Abschnitt der transzendentalen Methodenlehre in Kontrast zur mathematischen Vernunfterkenntnis: „Die p h i l o s o p h i s c h e Erkenntniß ist die Ve r n u n f t e r k e n n t n i ß aus B e g r i f f e n , die mathematische aus der C o n s t r u c t i o n der Begriffe.“32 Zur mathematischen Konstruktion eines Begriffs wird demnach erfordert, dass die ihm korrespondierende Anschauung a priori in einer nicht empirischen einzelnen Vorstellung dargestellt wird:33 „So construire ich einen Triangel, indem ich den 30

So konstatierte schon Tenbruck, ArchPhil 3 (1949), S. 216, der Text gebe dem Kenner Rätsel auf. Gegenwärtig spricht beispielsweise Wolfgang Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 71 in seinem wiederabgedruckten Vorwort zur Erstausgabe seiner Interpretation (1984) von einer „spröde[n], sperrige[n] Spätschrift, die kompositorisch unausgewogen und bisweilen fahrig in der Gedankenführung“ sei und deren „merkwürdige […] Textgestalt“ „teils verwittert, teils unfertig“ wirke. Manfred Brocker, Kants Besitzlehre (1987), S. 9 zweifelt sogar an der Echtheit des Textes, wenn er eine „apokryphe Textgestalt“ entdeckt haben will und Bernd Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 3 hat auf der Basis des sich hieran in der Sache anschließenden Verdikts ihrer gänzlichen „Verdorbenheit“ bekanntlich kurzerhand eine eigens von ihm komponierte Rechtslehre neu editiert, die (ebd., S. 6, 44 ff.) den kaum geringen Anspruch für sich erhebt, den „wiederhergestellten“ und ursprünglich „von Kant zum Druck vorgesehenen“ Text – gleichsam posthum – zu liefern, vgl. Ludwig (Hrsg.): Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (20184). Im Anschluss an diese interpretatorische und editorische Großlage rechtsphilosopischer Kantforschung hat zuletzt auch Hirsch, Freiheit und Staatlichkeit bei Kant (2017), S. 29 ein aufwendiges Interpretationswerk vorgelegt, das die in der hier beabsichtigten Untersuchung relevanten Sachbereiche betrifft. 31 Log, AA IX: 139 (§§ 94 – 96). 32 KrV, AA III: 469.08-09 = A 713/B 741. 33 KrV, AA III: 469.10-16 = A 713/B 741; Log, AA IX: 141 f. (§§ 102 – 103).

B. Methode metaphysischer/philosophischer Begriffserkenntnis a priori

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diesem Begriffe entsprechenden Gegenstand entweder durch bloße Einbildung in der reinen, oder nach derselben auch auf dem Papier in der empirischen Anschauung, beidemal aber völlig a priori, ohne das Muster dazu aus irgend einer Erfahrung geborgt zu haben, darstelle. Die einzelne hingezeichnete Figur ist empirisch und dient gleichwohl, den Begriff unbeschadet seiner Allgemeinheit auszudrücken, weil bei dieser empirischen Anschauung immer nur auf die Handlung der Construktion des Begriffs, welchem viele Bestimmungen, z. E. der Größe, der Seiten und der Winkel, ganz gleichgültig sind, gesehen und also von diesen Verschiedenheiten, die den Begriff des Triangels nicht verändern, abstrahirt wird.“34 Die mathematische Erkenntnis betrachtet also das Allgemeine (den Begriff) im Besonderen bzw. im Einzelnen (der Anschauung) und unterscheidet sich hierin von der philosophischen Erkenntnis. Dagegen betrachtet die philosophische Erkenntnis das Besondere rein begrifflich nur im Allgemeinen.35 Insofern unterscheiden sich mathematische und philosophische Erkenntnis nicht durch ihre Materie, sondern durch ihre methodologische Form. Dabei ist die Form der mathematischen Erkenntnis nach Kant die Ursache dafür, dass reine Mathematik in ihren begrifflichen Konstruktionen wirklich lediglich auf „Quanta“, d. h. reine Größenvorstellungen (in nicht empirischen Anschauungen) gehen kann, und nicht auch auf wirkliche „Qualitäten“ von Gegenständen des mathematischen Vernunftgebrauchs gerichtet ist, denn diese lassen sich alleine in empirischen Anschauungen darstellen.36 Ist eine mathematische Vernunfterkenntnis von realen Qualitäten (von Gegenständen theoretischen Denkens) vermittelst Konstruktion somit ausgeschlossen, so kann eine (philosophische) Vernunfterkenntnis von realen Qualitäten (von Gegenständen des Denkens) „nur durch Begriffe möglich sein“.37 Dabei „handelt die Philosophie eben sowohl von Größen, als die Mathematik, z. B. von der Totalität, der Unendlichkeit u. s. w. […]. Aber obgleich sie in solchen Fällen einen gemeinschaftlichen Gegenstand haben, so ist die Art, ihn durch die Vernunft zu behandeln, doch ganz anders in der philosophischen, als mathematischen Betrachtung. Jene hält 34

KrV, AA III: 469.16-26 = A 713 f./B 741 f. KrV, AA III: 469.27-36 = A 714/B 742; Log, AA IX: 22.33-23.33, 24.20-27. – Um ein hier in dieser Arbeit relevant werdendes Beispiel einer solchen philosophischen Betrachtung zu nennen: Die besonderen Privatrechte der einzelnen Privatrechtssubjekte im natürlichen Privatrecht werden in der Kantischen Rechtslehre rein begrifflich im Allgemeinen (d. h. unter „pro-visorischer“ Voraussetzung des gesetzlichen Allgemeinwillens im Staat) gedanklich betrachtet werden. Damit unvereinbar ist aber eine vorherrschende Lesart, die das Allgemeine (den Staat in der Idee) in seiner ihm eignenden praktischen Notwendigkeit kurzerhand aus dem Besonderen (dem vermeintlich vor- und unabhängig von ihm schon substanziell existenten Eigentum oder Privatrechtsbesitz) ableiten möchte. Vgl. dazu bereits das am Ende des ersten Kapitels vorblickend Gesagte. 36 KrV, AA III: 469.34-470.06 = A 714 f./B 742 f. 37 KrV, AA III: 470.06-07 = A 715/B 743. 35

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3. Kap.: Rechtserkenntnis aus reinen Vernunftbegriffen

sich bloß an allgemeinen Begriffen, diese kann mit dem bloßen Begriffe nichts ausrichten, sondern eilt sogleich zur Anschauung, in welcher sie den Begriff in concreto betrachtet, […].“38 Einen synthetisch durch die Vernunft dem reinen Verstand eines Philosophen a priori gegebenen Begriff kann dieser nun analytisch zergliedern. Dabei wird er aber über den a priori schon gegebenen und in ihm begrenzten Inhalt dieses Begriffs insgesamt nicht hinausgelangen, wenn auch sein Bewusstsein von den einzelnen Vorstellungsmerkmalen des zergliederten Begriffs durch die Analyse zunehmend extensiv deutlicher geworden sein dürfte.39 Wie aber kann – um den Hinweis Fuldas zu konkretisieren – das Besondere erkenntniserweiternd (synthetisch) im Allgemeinen philosophisch betrachtet werden, sodass schließlich eine philosophische Erkenntnis entspringt, die sich über die bloß a priori schon gegebenen Begriffsinhalte als solche zu einer neuen Satzeinheit bzw. Begriffsverbindung a priori erweitert? – Dieser Frage gelten die folgenden Ausführungen: Während die mathematische Vernunfterkenntnis das Allgemeine (den Begriff) im Besonderen (der Anschauung) betrachtet, kann die philosophische Begriffserkenntnis im praktischen Vernunftgebrauch schon nicht auf eine anschauliche Besonderheit Bezug nehmen. Im Verhältnis reiner Verstandesbegriffe zur praktischen Vernunft kann die Besonderheit also nur in Begriffen und folglich alleine durch Merkmalsverschiedenheit der Begriffe gedacht werden.40 Denn außer Anschauungen und Begriffen verfügt das menschliche Erkenntnisvermögen für Kant über keine weiteren Erkenntnisformen, d. h. über keine weiteren mit Bewusstsein auf Objekte 38 KrV, AA III: 470.15-29 = A 715 f./B 743 f. – Um auch hier ein Beispiel zu nennen: Im ersten Kapitel war die Rede davon, dass die bestimmende Form eines praktischen Gesetzes in der bloßen Gesetzesallgemeinheit, d. h. in der darin vorgestellten Willensallgemeinheit liegt, dadurch sich ein einzelner Wille qualitativ erst als freier Wille erkennt. Es ist demnach eine reine Größenvorstellung der praktischen Vernunft (die Gesetzesallgemeinheit), dadurch eine reale Vernunftqualität (die Freiheit des Willens) philosophisch erkennbar ist. Wollte man dagegen den freien Willen ohne diese reine Größenvorstellung der Vernunft in seiner vernünftigen Qualität denken, so würde man ihn ohne seinen ihn bestimmenden Erkenntnisgrund im vernünftigen Bewusstsein und mithin völlig bewusstlos oder unvernünftig denken wollen. Also sind es die Vernunftbegriffe, die durch eben ihre in ihrer Form unendliche Allgemeinheit (einer reinen Größenvorstellung) eine philosophische Begriffserkenntnis material (qualitativ) bestimmen. 39 Vgl. KrV, AA III: 470.30-471.01 = A 716/B 744, wo von einem willkürlich gemachten (konstruierten) Begriff die Rede ist. Siehe ferner Log, AA IX: 33 ff., 58 ff., 70 ff., 111 (§ 36), 115 (§ 44), 140 ff. (§§ 98, 104, 105). 40 Insofern unterscheidet sich auch die Methode philosophisch-praktischer Begriffserkenntnis von derjenigen philosophisch-transzendentaler Begriffserkenntnis, wie sie in KrV, AA III: 471.29-477.15 = A 717 ff./B 746 ff. beleuchtet wird. Die erstere geht damit in gewisser Weise (nämlich in ihrer methodischen Vorstellung einer reinen praktischen Vernunft im Verhältnis von reinem Verstand und Wille) noch über die transzendentale Methode der bloß theoretisch gebrauchten Vernunft hinaus, die nur im möglichen Anschauungsbezug auch eine philosophische Begriffserkenntnis kennt. Insofern ist im „praktischen Gebrauche der reinen Vernunft“ ein „Inbegriff der Grundsätze a priori des richtigen Gebrauchs“, d. h. „Kanon der reinen Vernunft“ möglich (KrV: AA III: 517 ff., A 795 ff./B 823 ff.).

B. Methode metaphysischer/philosophischer Begriffserkenntnis a priori

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bezogene Vorstellungen.41 Also vermag die praktische Vernunfterkenntnis das Besondere – einen speziellen Begriff – nur im Allgemeinen – einem weniger speziellen und insofern allgemeinen Begriff – zu betrachten. Mithin ist eine einheitliche Vernunftbetrachtung zweier durch Merkmalsverschiedenheit für den Verstand unterschiedener und daher für sich in einem Moment auch gegensätzlicher Begriffe schon rein logisch nur dadurch möglich, dass die verschiedenen und einandander widersprechenden Begriffe in einer schlüssigen Subordination – d. h. in einer Reihe – vorgestellt werden, darin ihr Widerspruch in der Sphäre ihres gemeinsamen höheren Begriffs zur begrifflichen Einheit bewahrend aufgehoben ist. Jede logische Begriffsbestimmung und mithin auch jede bestimmte Begriffserkenntnis nimmt ihren Ausgang somit zunächst von einem disjunktiven Urteil,42 das die Sphäre eines gegebenen Begriffs nach dem Satz des Widerspruchs so einteilt, dass die Teile der Sphäre einander in dem Ganzen (des gegebenen Begriffs) oder zu einem Ganzen (eines Begriffs) als Ergänzungen wechselseitig bestimmen.43 Die somit nicht einander einseitig subordinierten, sondern wechselseitig ausschließenden Glieder eines gegebenen Begriffs sind in seiner Sphäre mithin als A oder nicht A bestimmt, und auf diese Weise lässt sich beispielsweise auch der Rechtsbegriff etwa im Hinblick auf den reinen Verstandesbegriff des Habens logisch einteilen:

Abb. 1: Logische (dichotomische) Grundeinteilung des Rechtsbegriffs nach dem reinen Begriff des Habens

Beide Glieder der Einteilung stellen so verschiedene Urteile als in der Gemeinschaft einer begrifflichen Sphäre stehend vor und das disjunktive Urteil bringt jedes in ihm enthaltene Urteil nur durch die Einschränkung des anderen mit Blick auf die ganze Sphäre des gegebenen Begriffs hervor.44 Der eigentümliche Charakter eines disjunktiven Urteils besteht mithin darin, dass die Glieder der Disjunktion zunächst einmal nur problematische Urteile einer begrifflichen Möglichkeit sind, „von denen nichts anders gedacht wird, als daß sie, wie Theile der Sphäre einer Erkenntniß, jedes des andern Ergänzung zum Ganzen (complementum ad totum), zusammengenommen, der Sphäre des ersten gleich seien“.45 Hieraus folgt dann aber, dass in einem der beiden Glieder die Wahrheit bzw. Bestimmung des gegebenen Begriffs gelegen sein und dieses eine Glied insofern für 41 42 43 44 45

Nochmals Log, AA IX: 91 (§ 1). KrV, AA III: 388.21-25 = A 576 f./B 604 f. KrV, AA III: 96.30-97.02 = B. 112; Log, AA IX: 106 f. (§§ 27 – 28). Log, AA IX: 106 f. (§ 28). Log, AA IX: 107.10-17 (§ 29).

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3. Kap.: Rechtserkenntnis aus reinen Vernunftbegriffen

sich assertorisch gelten muss, „weil außer ihnen die Sphäre der Erkenntniß unter den gegebenen Bedingungen nichts mehr befaßt und eine der andern entgegengesetzt ist, folglich w e d e r a u ß e r ihnen etwas anders, n o c h auch u n t e r ihnen mehr als Eines wahr sein kann“.46 In disjunktiven Urteilen wird somit das, was als Glied unter dem eingeteilten Begriff enthalten ist, als enthalten unter einem der Glieder der Einteilung betrachtet, denn was in der Sphäre eines gegebenen Begriffs enthalten ist, das ist – logisch – auch unter einem der Teile dieser Sphäre enthalten.47 Demnach ist in obiger Einteilung des Rechtsbegriffs entweder das Haben eines Gegenstandes oder das Nichthaben eines solchen wahr, sodass die Bestimmung des Rechtsbegriffs entweder unter dem ersteren oder dem letzteren enthalten ist. Die Division in disjunktiven Urteilen zeigt somit nicht die Koordination der Teile des ganzen Begriffs (zu seinem Begriffsinhalt in ihm), sondern alle Teile seiner Sphäre unter ihm (unter seinem Begriffsinhalt) an. Die logische Bestimmung eines Begriffs beruht nun positiv aber auf einem (disjunktiven) Vernunftschluss, der das disjunktive Urteil der logischen Einteilung eines gegebenen Begriffs im Obersatz führt, und bei dem der Untersatz diese Sphäre des gegebenen Begriffs bis auf einen Teil der Einteilung einschränkt, sodass der Schlusssatz den gegebenen Begriff durch diesen einen Teil notwendig bestimmt.48 Es wird somit von der Wahrheit eines Gliedes der Disjunktion der Einteilung auf die Falschheit aller übrigen Glieder, oder von der Falschheit aller Glieder, außer einem, auf die Wahrheit des einen Gliedes geschlossen; zwischen den Gliedern der Disjunktion findet Dichotomie statt.49 Wenn dabei der Untersatz die Sphäre des Begriffs auf nur ein Glied der logischen Einteilung einschränkt, dann ist mit diesem Untersatz vorausgesetzt, dass es kein drittes gleichrangiges Glied in der Sphäre des gegebenen Begriffs gibt. Das Prinzip der disjunktiven Vernunftschlüsse ist somit der „ G r u n d s a t z d e s a u s s c h l i e ß e n d e n D r i t t e n “50. Nun enthält das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft von der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein bzw. dem rechtlichen Verbot der absoluten Herrenlosigkeit äußerer Gegenstände in der Rechtslehre Immanuel Kants (§ 2 Abs. 1) einen Satz, der die Sphäre des eingeteilten Rechtsbegriffs nach Haben/ Nichthaben eines Gegenstandes mit praktischer Notwendigkeit des Rechtsbegriffs auf das Glied des Habens einschränkt, sodass die begriffliche Bestimmung des Rechtsbegriffs nicht unter dem Glied des Nichthabens, sondern unter dem Glied des Habens eines Gegenstandes notwendig gedacht werden muss. Denn dieses Postulat enthält mit der postulierten Möglichkeit eines äußeren Habens zugleich auch den besonderen Begriff von einem äußeren Haben unter dem rechtsbegrifflichen Einteilungslied des Habens überhaupt: 46 47 48 49 50

Log, AA IX: 107.17-22 (§ 29). Log, AA IX: 107 f. (§ 29). KrV, AA III: 388.21-25 = A 576 f./B 604 f.; Log, AA IX: 120 ff. (§§ 56 – 61, 77 – 78). Log, AA IX: 129 f. (§ 77). Log, AA IX: 130 (§ 78).

B. Methode metaphysischer/philosophischer Begriffserkenntnis a priori

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Abb. 2: Bestimmung des durch den Begriff des Habens eingeteilten Rechtsbegriffs nach dem Postulat des § 2 Abs. 1

Da die nach dem Grundsatz des ausschließenden Dritten vorgenommene Einschränkung der Einteilung des Rechtsbegriffs auf das Einteilungsglied des Habens jedoch materiell auf einem metaphysischen Satz mit einem metaphysischen Begriffsgehalt beruht (§ 2 Abs. 1), handelt es sich bei der disjunktiv-vernunftschlüssig vorgenommenen Begriffsbestimmung des Rechtsbegriffs nicht um eine bloß logische, sondern um eine metaphysische Begriffsbestimmung aus einem rein rechtlichen Prinzip (Anfangsgrundsatz): Obersatz: Das Recht ist entweder im Haben oder Nichthaben eines Gegenstandes. Untersatz: Das rechtliche Haben eines äußeren Gegenstandes ist rechtlich möglich. Schlusssatz: Also ist das Recht rechtsbegrifflich notwendig im Haben eines Gegenstandes.

Das rechtliche Postulat des § 2 der Rechtslehre dient somit in einem disjunktiven Vernunftschluss der metaphysischen Bestimmung des Rechtsbegriffs als Anfangsund Synthesisgrund im Denken, da durch es selbst in der Bestimmung des Rechtsbegriffs ein besonderer Rechtsbegriff, nämlich der Begriff des äußeren Rechtsbesitzes (§ 5) notwendig bestimmt wird. In diesem durch das rechtliche Postulat (§ 2) disjunktiv geschlossenen Rechtsbegriff des Habens eines äußeren Gegenstandes (§ 5) liegt jedoch zugleich die synthetische Verbindung der noch vorgeordneten Begriffe des rein rechtlichen (intelligiblen) Habens eines Gegenstandes überhaupt sowie des bloß äußeren (empirischen) Habens eines Gegenstandes beschlossen, d. h. die rein begriffliche Synthesis der beiden rein begrifflichen Glieder einer disjunktiven Einteilung des reinen Verstandesbegriffs des Habens eines Gegenstandes unter dem reinen praktischen Rechtsbegriff a priori (siehe Abb. 3 auf S. 46). Daraus ist aber ersichtlich, dass der reine Rechtsbegriff des Habens (des intelligiblen Besitzes) begrifflicher Bestimmungsgrund nicht nur im reinen Rechtsbegriff des Habens eines äußeren Gegenstandes unter ihm (§ 5 Abs. 1 Satz 2), sondern auch schon im rechtlichen Postulat der praktischen Vernunft (§ 2) sein muss (§ 6 Abs. 10). Im Übrigen findet sich mit dem reinen Begriff eines rein rechtlichen Besitzes sowohl als auch mit dem reinen Begriff eines äußeren Rechtsbesitzes jeweils ein synthetisch aus reinen Begriffen geschlossener Rechtsbegriff, d. h. jeweils eine reine praktische Idee im metaphysischen Rechtsdenken, und zwar, weil eine Idee für Kant be-

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3. Kap.: Rechtserkenntnis aus reinen Vernunftbegriffen

Abb. 3: Trichotomie des Habens in der Sphäre des Rechtsbegriffs in der rechtlich-praktischen Bestimmung des Postulats des § 2 Abs. 1

kanntlich ein aus reinen Begriffen geschlossener Vernunftbegriff ist.51 So resultiert der reine praktische Begriff (die Idee) des intelligiblen Besitzes aus der schlüssigen Verbindung des reinen Verstandesbegriffs des Habens mit dem reinen praktischen (und nicht unpraktischen!) Vernunftbegriff des Rechts (1. Synthesis), während die reine praktische Idee des äußeren Mein und Dein aus der schlüssigen Verknüpfung des reinen praktischen Vernunftbegriffs des intelligiblen Besitzes mit dem reinen Begriff eines äußeren Gegenstandes resultiert (2. Synthesis), wie sie sich aus der Bestimmung des bloß äußeren (empirischen) Besitzes eines Gegenstandes im begrifflichen Gegensatz zum rein rechtlichen (intelligiblen) Besitz eines Gegenstandes ergibt. Mithin erklärt sich anhand des vorstehenden disjunktiven Vernunftschlusses metaphysischer Begriffsbestimmung, d. h. anhand einer synthetischen Begriffserkenntnis a priori das philosophische Erkenntnisprinzip vernunftbegrifflicher Begriffseinteilung. Denn die begriffliche „Eintheilung aus dem P r i n c i p d e r S y n t h e s i s a priori [hat] T r i c h o t o m i e , nämlich: 1) den Begriff als die Bedingung, 2) das Bedingte, und 3) die Ableitung des letztern aus dem erstern.“52 So ist etwa – wie ausgeführt – der synthetisch geschlossene Begriff des äußeren Rechtsbesitzes nichts anderes als die schlüssige Ableitung des Begriffs vom äußeren Besitz eines Gegenstandes, der durch den Begriff des reinen Rechtsbesitzes rechtlichpraktisch bedingt ist. Enthält die logische – verständige – Einteilung des Begriffs des Habens eines Gegenstandes unter dem Rechtsbegriff dann immer noch bloß zwei begriffliche Einteilungsglieder (Dichotomie),53 nämlich den reinen Rechtsbesitz und den empirischen Besitz, so enthält die metaphysische – vernünftige – Einteilung eben dieses Begriffs drei Einteilungsglieder (Trichotomie). Die Trichotomie des Begriffs ist darum das Prinzip und Kennzeichen einer philosophischen – synthetischen – Begriffserkenntnis a priori, d. h. einer metaphysischen Begriffsbestimmung. 51 52 53

Oben Fn. 20. Log, AA IX: 147.30-148.02 (§ 113). Vgl. dazu Log, AA IX: 147 (§ 113).

B. Methode metaphysischer/philosophischer Begriffserkenntnis a priori

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Allerdings war dieser wichtige Umstand schon unter seinen zeitgenössischen Interpreten längst nicht allgemein bekannt, wie man einer Äußerung Immanuel Kants in der Kritik der Urteilskraft entnehmen kann: „Man hat es bedenklich gefunden, daß meine Eintheilungen in der reinen Philosophie fast immer dreitheilig ausfallen. Das liegt aber in der Natur der Sache. Soll eine Eintheilung a priori geschehen, so wird sie entweder a n a l y t i s c h sein nach dem Satze des Widerspruchs; und da ist sie jederzeit zweitheilig (quodlibet ens est aut A aut non A). Oder sie ist s y n t h e t i s c h ; und wenn sie in diesem Falle aus B e g r i f f e n a priori (nicht wie in der Mathematik aus der a priori dem Begriffe correspondirenden Anschauung) soll geführt werden, so muß nach demjenigen, was zu der synthetischen Einheit überhaupt erforderlich ist, nämlich 1) Bedingung, 2) ein Bedingtes, 3) der Begriff, der aus der Vereinigung des Bedingten mit seiner Bedingung entspringt, die Eintheilung nothwendig Trichotomie sein.“54 Doch wohl nicht umsonst hat es sogar ein Hegel einem Kant dagegen zum Verdienst angerechnet, auf das Prinzip der Trichotomie in der Sphäre des Geistes aufmerksam gemacht zu haben.55 Man wird daher die synthetische Begriffserkenntnis der metaphysischen Rechtslehre Immanuel Kants als Interpret nur insofern zu erschließen vermögen, soweit man sich der vorstehenden Zusammenhänge bewusst ist, und folglich die Rechtslehre – als das System einer metaphysischen Begriffserkenntnis a priori – nach dem darin zumeist bereits in der Gliederung offenliegenden Prinzip der Trichotomie durchdenkt. Wenn es nun aber stimmt, was Fulda bemerkt hat, nämlich dass unter den Interpreten der Rechtslehre bislang weitgehend unklar ist, was eine synthetische Begriffserkenntnis a priori überhaupt ist,56 dann lässt sich absehen, dass der eigentlich metaphysische Gehalt der Rechtslehre in der Vergangenheit noch überhaupt gar nicht ermessen werden konnte, und eine dieser philosophischen Methode entsprechende Interpretation möglicherweise zu neuen Einsichten gelangen wird, die mitunter den rechtsphilosophischen Einsichten Hegels ähneln könnten. Wie dem aber auch sei, so wird sich eine einheitliche Betrachtung des rechtsbegrifflich Besonderen im rechtsbegrifflich Allgemeinen, d. h. in der Sphäre (§§ 1 – 62) des allgemeinen Rechtsbegriffs (§ B Abs. 3), nur in einer schlüssigen Subordination der einander in ihrer Koordination möglicherweise widersprechenden besonderen Rechtsbegriffe einstellen. Dementsprechend setzt die philosophische Methode für sich selbst die logische Unterscheidung von Gattungs- und Artbegriffen voraus.57 So sind zum Beispiel in der Sphäre des Gattungsbegriffs des Habens eines Gegenstandes drei Arten des Besitzes eines Gegenstandes vernünftig eingeteilt 54

KU, AA V: 197.18-27. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, in: Moldenhauer/Michel (Hrsg.): Hegel Werke in 20 Bänden VIII (1986), S. 382 (Zusatz zu § 230). 56 Oben Fn. 26. 57 Zur logischen Differenz von Gattungs- und Artbegriff im Begriffsgebrauch Log, AA IX: 96 f. (§ 10); zur logischen Einteilung eines Begriffs methodologisch Log, AA IX: 146 (§ 110). 55

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3. Kap.: Rechtserkenntnis aus reinen Vernunftbegriffen

vorstellbar (s. o.). Denn während das intelligible Haben eines Gegenstandes überhaupt in einem logischen Verstandesgegensatz zum empirischen Haben eines Gegenstandes steht, stellt das rechtliche Haben eines empirischen Gegenstandes eine Unterart des rechtlichen Habens eines Gegenstandes überhaupt vor (§ 7 Abs. 2 S. 1). Ebenso stehen – um auf eine höhere Begriffseinteilung hinzuweisen – Privatrecht (§§ 1 – 40) und öffentliches Recht (§§ 43 – 62) unter dem Rechtsbegriff in einem Verstandesgegensatz zueinander, obgleich das Privatrecht dem öffentlichen Recht im synthetischen Rechtsbegriff der öffentlichen Gerechtigkeit inhärierend subordiniert vorzustellen ist (§ 41). Wie gesehen, bedürfen solche synthetischen Begriffsverknüpfungen a priori jedoch in dem (regressiv) obersten Anfang ihrer begrifflichen Reihe eines metaphysischen Synthesisgrundes, da sie andernfalls, ohne diesen metaphysischen Anfangsgrund im Denken, bloß logische und nicht auch objektive – begrifflich-praktische – Realität für sich beanspruchen könnten. Soll also eine Begriffsverknüpfung eine philosophische bzw. metaphysische Begriffserkenntnis der praktischen Vernunft auch tatsächlich in sich schließen, so muss eine solche ihren Ursprung in einem obersten und unmittelbar bewussten Grundsatz (Postulat) der praktischen Vernunft bzw. in dem hierin objektiv schon praktisch real bestimmenden Vernunftbegriff der Freiheit haben. Denn nur vermittelst eines solchermaßen vernunftschlüssig durchgängigen und mithin nicht bloß begrifflichen, sondern vernunftbegrifflichen Zusammenhangs rechtfertigt sich – in einer entsprechenden Deduktion – schließlich der praktische Gebrauch, der von der sodann nicht bloß logischen, sondern metaphysischen und gleichwohl mit objektiver Realität versehenen Begriffsreihe von einem Begriffssubjekt gemacht werden kann. So ist beispielsweise der oberste Begriff in der Subordination der begrifflichen Reihe von intelligiblen Besitz, äußeren Rechtsbesitz, etc. dann als Realgrund (ratio essendi) desjenigen metaphysischen Grundsatzes der praktischen Vernunft erkennbar, dadurch er selbst (d. h. der Begriff des intelligiblen Besitzes) in einem metaphysischen Sinne erst als praktisch notwendig erkannt werden kann, sodass dieser oberste metaphysische Grundsatz58 in seiner eigenen praktischen Notwendigkeit als Synthesisgrund ratio cognoscendi (d. h. Idealgrund) dieses praktisch notwendigen Begriffs und der durch ihn insgesamt metaphysischen Synthesis der in einer Reihe unter ihm subordinierten Begriffe ist (§ 6 Abs. 10). Die nach wissenschaftlicher Methode betriebene philosophische Erkenntnis setzt also für sich selbst eine von Begriff zu Begriff (d. h. diskursiv) fortschreitende Erkenntnismethode unter einem unmittelbar bewussten und mithin auch unmittelbar ohne jeden möglichen Beweis gewissen Anfangsgrundsatz (= Prinzip) voraus.59, 60 Sie wird von Kant darum auch als eine solche „ a u s P r i n c i p i e n (ex 58

Mit Blick auf das Beispiel des natürlichen Privatrechts handelt es sich bei diesem Anfangsgrund um § 2 (RL, AA VI: 246 f.). 59 Zur wissenschaftlichen im Gegensatz zur popularen Methode siehe Log, AA IX: 148 (§ 115), und zur synthetischen im Gegensatz zur analytischen Methode siehe ebd.: 149 (§ 117), danach sowohl die wissenschaftliche als auch die synthetische Methode von Grund- oder Elementarsätzen anheben und von ihnen aus die begrifflichen Folgen darunter entwickeln.

B. Methode metaphysischer/philosophischer Begriffserkenntnis a priori

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principiis)“ bezeichnet,61 denn das rein begrifflich Besondere muss im Rahmen einer philosophischen Betrachtung mit praktischer Notwendigkeit vernunftschlüssig subordiniert in der rein begrifflichen Sphäre eines allgemeinen praktischen Vernunftgrundsatzes gedacht werden. Ist ein solcher metaphysischer Anfang im (Privat-)Rechtsbewusstsein unter dem allgemeinen Rechtsbegriff als der praktischen Kategorie der Gemeinschaft aber in seinem vollem Umfang durch den Begriff des Habens überhaupt einmal begrifflich angeknüpft, so kann durch Aufstieg, Einteilung, Analyse, Realdefinition und synthetische Verknüpfung der im Begriff des äußeren Habens innerlich real schon vorausgesetzten (allgemeineren und somit höheren) reinen Verstandesbegriffe (z. B. Handlung, Kraft, Substanz, Kausalität, Gemeinschaft) im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug das vernunftbegriffliche System eines äußeren rechtlichen Habens insgesamt nach innen hin vollständig und synthetisch ausgemessen werden, dadurch sich die Deutlichkeit im Bewusstsein rechtlicher (= allgemeinwillentlicher bzw. freiheitlicher) Bestimmung des Rechtsbegriffs zunehmend intensiv vergrößert,62 sodass es ohne dieses methodologische Bewusstsein von einer intensiven Deut60 Weil er einen solchen obersten Grundsatz bei Kant nicht zu finden glaubte, meinte übrigens schon Nehr, Kritik über die metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre (1798), S. VII, IX f., 95, der die Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre einzig „mit der Fackel der Logik zu beleuchten“ suchte (S. 3), dass Kant mit seiner Rechtslehre überhaupt gar keine Metaphysik bearbeitet habe. Auch wenn diese gewiss etwas vorschnelle Kritik daran leidet, dass sie die beiden praktischen Grundlegungsschriften (GMS/KpV), darin sich der vermisste oberste Grundsatz mit dem Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft durchaus findet, auszublenden scheint, zeigt sie doch, dass die hier wiedererinnerte philosophische Methode einer metaphysischen Vernunfterkenntnis aus reinen Begriffen in ihrer Einheit und Differenz mit der bloß logischen Methode zu Zeiten Immanuel Kants von einigen seiner Interpreten durchaus verstanden wurde. Man wird ohne bessere Einsicht in die philosophische Methode metaphysischer Erkenntnis gegen die hiesige Erinnerung also nicht einfach einwenden, sie bestehe in ›bloßer Logik‹ und habe zum Verständnis der Kantischen (Rechts-)Metaphysik nichts beizutragen; auch die Metaphysik als Erkenntnis aus reinen Begriffen kann der bloßen Logik nicht entsagen und muss sie für sich selbst voraussetzen (A 57/B 81 f.; Log, AA IX, 12 f., 17 f.). Zum Verhältnis von Logik und Philosophie auch Tieftrunk, Philosophische Untersuchungen I (1797), S. 17 f. Im Übrigen ist die ganze Transzendentalphilosophie nichts anderes als eine mit Spontanität aus dem Denken selbst heraus ins Verhältnis der selbst gewirkten subjektiven Anschauungsformen der Sinnlichkeit gesetzte Logik richtigen Denkens im anschaulichen Gegenstandsbezug, eben eine „Transzendentale Logik“. 61 Log, AA IX: 22.05-07 u. ö. Insgesamt werden dabei im Verhältnis der höheren zu den niederen Begriffen insbesondere die in den §§ 7 – 16 der Kantischen Begriffslogik, a.a.O.: 95 ff. genannten Bestimmungen methodologisch vorausgesetzt. 62 Log, AA IX: 62.27-63.13, 59.22-28: „Mit der Synthesis jedes neuen Begriffs in der Aggregation coordinirter Merkmale wächst die e x t e n s i v e oder a u s g e b r e i t e t e Deutlichkeit, so wie mit der weitern Analysis der Begriffe in der Reihe subordinirter Merkmale die i n t e n s i v e oder t i e f e Deutlichkeit. Diese letztere Art der Deutlichkeit, da sie nothwendig zur G r ü n d l i c h k e i t und B ü n d i g k e i t des Erkenntnisses dient, ist darum hauptsächlich Sache der Philosophie und wird insbesondre in metaphysischen Untersuchungen am höchsten getrieben.“

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3. Kap.: Rechtserkenntnis aus reinen Vernunftbegriffen

lichkeit (Profundität), die nur von reinen Vernunftbegriffen sowie willkürlichen Begriffen möglich ist,63 den möglicherweise unzutreffenden Anschein haben kann, als kämen im fortschreitenden gedanklichen Progress sukzessiv immer neue besondere begriffliche Bestimmungen von irgendwoher (außerhalb des schon allgemeinen Rechtsbewusstseins des allgemeinen Begriffs des Rechts) in den metaphysischen Gedankengang hinzu und damit auf methodologisch gänzlich unbestimmte Art auch irgendwie (z. B. aus der Endlichkeit des Subjekts oder sonst woher) in diesen hinein. Tatsächlich wird allerdings – im Ausgang vom Haben – von den niederen Rechtsbegriffen in Ansehung höherer Rechtsbegriffe ein abstrakter Begriffsgebrauch, und umgekehrt von den höheren Rechtsbegriffen in Ansehung niederer Begriffe ein konkreter Begriffsgebrauch gemacht werden.64 Denn durch die Abstraktion von besonderen begrifflichen Bestimmungen (z. B. des Begriffs des äußeren Rechtsbesitzes) lassen sich die niederen Begriffe auf höhere Begriffe reduzieren (z. B. den des wechselseitigen Selbstbesitzes der äußeren Besitzrechtssubjekte im Staat, den des reinen Rechtsbesitzes, etc.), auf denen im Allgemeinen ihre eigene logische bzw. metaphysische Determination basiert. Allerdings enthält diese Abstraktion von besonderen Merkmalen niederer Begriffe in Ansehung der höheren Begriffe keine Negation der logischen Determination der Reihe der höheren Begriffe, sodass ein niederer Begriff stets nur durch die höheren Begriffe über ihm zugleich in seiner konkreten Bestimmung denkbar ist. Wollte man alle begriffliche Bestimmung dagegen bloß in einem niederen Begriff (z. B. dem Begriff des äußeren Rechtsbesitzes) aufgehoben wissen, so läge darin ein bloß abstraktes Denken, das die konkrete Bestimmung durch die ganze Reihe der höheren Begriffe (z. B. des reinen Rechtsbesitzes, des wechselseitigen Selbstbesitzes der äußeren Besitzrechtssubjekte im Staat, etc.) in seiner logischen Abstraktion kurzerhand leugnen wollte, dadurch aber der metaphysischen Bestimmung im Ausgang vom reinen Rechtsbegriff verlustig ginge, und mithin in seinem eigenen Begriffsverständnis empirisch würde. Wie sich noch herausstellen wird, lässt sich dieser missliche Umstand eines bloß abstrakten Rechtsdenkens für die Interpretation der Kantischen Rechtslehre am Verständnis des Begriffs des provisorisch-rechtlichen Besitzes gut studieren, da das Adjektiv provisorisch bereits lexikalisch über einen reinen sowie einen empirischen Bedeutungsgehalt verfügt. Doch nur unter Wahrung des rein begrifflichen Bestimmungszusammenhangs in der Reihe der einander subordinierten Rechtsbegriffe lässt sich auch ein System reiner Rechtsbegriffe als eine Metaphysik unter metaphysischen Anfangsgründen des Rechts rein rechtsbegrifflich bestimmt denken. Bevor im nächsten Kapitel das systematische Gerüst einer solchen (intensiven) Rechtserkenntnis a priori aus metaphysischen (d. h. aus innerlich schon rein begrifflichen) Prinzipien bzw. Anfangsgründen skizziert werden soll, ist hier zunächst noch das dazugehörige methodologische Rüstzeug zum Zwecke einer solchen sys63 64

Log, AA IX: 63.04-05. Log, AA IX: 99 f. (§§ 15 – 16).

C. Methodologische Mittel zum Zweck philosophischer Begriffserkenntnis

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tematischen Bearbeitung der philosophischen Erkenntnis zu erinnern. Erst in der Interpretation der Rechtslehre kann und muss sich der hier als bloße Methodik abstrakt erinnerte Gedanke einer philosophischen Vernunfterkenntnis dann in der Sache selbst beglaubigen (vgl. besonders § 6 RL).

C. Methodologische Mittel zum Zweck philosophischer Begriffserkenntnis Sind mathematische und philosophische Vernunfterkenntnis durch die Form ihrer Methode voneinander unterschieden, so ist eine philosophische Erkenntnis – wie bemerkt – nicht einfach mit mathematischen Mitteln zu haben. Vielmehr müssen diese methodologischen Mittel ihrem philosophischen Erkenntniszweck selbst angemessen sein. In der transzendentalen Methodenlehre notiert Kant darum: „Die Gründlichkeit der Mathematik beruht auf Definitionen, Axiomen, Demonstrationen. Ich werde mich damit begnügen, zu zeigen: daß keines dieser Stücke in dem Sinne, darin sie der Mathematiker nimmt, von der Philosophie könne geleistet, noch nachgeahmt werden […].“65

I. Analytische „Exposition“ und anschließende Realdefinition des a priori gegebenen Begriffs Im Hinblick auf die Methode der „ D e f i n i t i o n “ eines Begriffs ist hier zunächst einmal deutlich zu erinnern, dass es sich dabei, neben den Methoden der „ E x p o s i t i o n , E x p l i c a t i o n “ oder „ D e c l a r a t i o n “, um eine von vier Unterarten der methodischen Form der „Erklärung“ eines Begriffs handelt.66 Zur Definition notiert Kant sodann eingangs seiner Überlegungen zur Differenz mathematischer und philosophischer Erkenntnis weiter: „Definiren soll, wie es der Ausdruck selbst giebt, eigentlich nur so viel bedeuten, als den ausführlichen Begriff eines Dinges innerhalb seiner Grenzen ursprünglich darstellen.“67 Dabei gilt: „ A u s f ü h r l i c h k e i t bedeutet die Klarheit und Zulänglichkeit der Merkmale; G r e n z e n die Präcision, daß deren nicht mehr sind, als zum ausführlichen Begriffe gehören; u r s p r ü n g l i c h aber, daß diese Grenzbestimmung nicht irgend woher abgeleitet sei und also noch eines Beweises bedürfe, welches die vermeintliche Erklärung unfähig machen würde, an der Spitze aller Urtheile über einen Gegenstand 65

KrV, AA III: 477.05-08 = A 726 f./B 754 f. Siehe schon oben zu Fn. 4 im ersten Kapitel m.w.N. 67 KrV, AA III: 477.17-18 = A 727/B 755. – Das Wort „definieren“ ist entlehnt aus dem lat. „definire“, das eigentlich „abgrenzen“ bedeutet und eine Ableitung von lat. „finis“, „Grenze“ vorstellt (siehe dazu Kluge/Seebold, Etymologisches Wörterbuch [201125], S. 185). 66

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3. Kap.: Rechtserkenntnis aus reinen Vernunftbegriffen

zu stehen.“68 Eine Definition ist demnach nichts anderes, als ein zureichend deutlicher sowie abgemesser Begriff, und folglich „allein als ein logisch vollkommener Begriff anzusehen, denn es vereinigen sich in ihr die beiden wesentlichsten Vollkommenheiten eines Begriffs: die Deutlichkeit und die Vollständigkeit und Präcision in der Deutlichkeit (Quantität der Deutlichkeit)“69. Ist ein Gegenstand und mithin auch sein Begriff dem verständigen Denken nun materiell durch die Sinne, d. h. in einer empirischen Erfahrung gegeben, so lässt sich dieser Begriff nicht schon ursprünglich zum Voraus und innerhalb seiner Grenzen präzise angeben. Empirische Begriffe sind damit per se keiner Definition im eigentlichen Sinne dieses Begriffs zugänglich und so spricht man in ihrer Erklärung, die hier nichts anderes als eine bloß nominale „ B e z e i c h n u n g “ ist, nach Kant besser davon, dass man sie lediglich „ e x p l i c i e r t “.70 Doch auch ein dem Verstand (ggf. durch die Vernunft) a priori gegebener (unendlich-allgemeiner) Begriff ist keiner Definition im strengen Sinne dieses Begriffs zugänglich, da sich über die dem unendlich-allgemein bestimmten Begriffsgegenstand angemessene Ausführlichkeit zum Voraus seiner Bewusstmachung keine Gewissheit erlangen lässt. So kann „kein a priori gegebener Begriff definirt werden, z. B. Substanz, Ursache, Recht, Billigkeit etc. Denn ich kann niemals sicher sein, daß die deutliche Vorstellung eines (noch verworren) gegebenen Begriffs ausführlich entwickelt worden, als wenn ich weiß, daß dieselbe dem Gegenstande adäquat sei. Da der Begriff desselben aber, so wie er gegeben ist, viel dunkele Vorstellungen enthalten kann, die wir in der Zergliederung übergehen, ob wir sie zwar in der Anwendung jederzeit brauchen: so ist die Ausführlichkeit der Zergliederung meines Begriffs immer zweifelhaft und kann nur durch vielfältig zutreffende Beispiele v e r m u t h l i c h , niemals aber a p o d i k t i s c h gewiß gemacht werden. Anstatt des Ausdrucks Definition würde ich lieber den der E x p o s i t i o n brauchen, […].“71 68

KrV, AA III: 477.32-37 = A 727/B 755. Log, AA IX: 140 (§ 99), ferner 62.27-30, 63.06-13. 70 KrV, AA III: 477.19-478.05 = A 727 f./B 755 f.; ferner Log, AA IX: 141.30-142.02 (§ 103). 71 KrV, AA III: 478.05-18 = A 728 f./B 756 f.; ferner Log, AA IX: 142 (§ 104). – Zur Differenz verworrener (undeutlicher) und deutlicher Vorstellungen (Log, AA IX: 33 ff.), und zwar anhand einer sinnlichen Körpervorstellung sowie einer übersinnlich (a priori) gegebenen Rechtsbegriffsvorstellung, siehe auch schon die tiefgründige Anmerkung in der Transzendentalen Ästhetik (A 43 ff./B 60 ff.), die für Verf. in einer frühen Phase seiner Studie ursprünglich Anlass war, sich über die Kantische Vorstellungs-, Begriffs- und Erkenntnistheorie, wie sie hier gerade in Teilen nochmals nachgezeichnet wird, zum Zwecke einer Interpretation der Rechtslehre für sich selbst zunächst deutlich aufzuklären: „Der Unterschied einer undeutlichen von der deutlichen Vorstellung ist bloß logisch und betrifft nicht den Inhalt. Ohne Zweifel enthält der Begriff von R e c h t , dessen sich der gesunde Verstand bedient, eben dasselbe, was die subtilste Speculation aus ihm entwickeln kann, nur daß im gemeinen und praktischen Gebrauche man sich dieser mannigfaltigen Vorstellungen in diesem Gedanken nicht bewußt ist. Darum kann man nicht sagen, daß der gemeine Begriff sinnlich sei und eine bloße Erscheinung enthalte, denn das Recht kann gar nicht erscheinen, sondern sein Begriff liegt im Verstande und stellt eine Beschaffenheit (die moralische) der 69

C. Methodologische Mittel zum Zweck philosophischer Begriffserkenntnis

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Da es die Philosophie bzw. Metaphysik (der Sitten) nun allerdings ausschließlich mit a priori gegebenen Begriffen zu tun hat, muss der Methode der Exposition darin – wie noch weiter auszuführen sein wird – eine nicht unwichtige Bedeutung zugemessen werden und so ist zu Beginn der Rechtslehre (§ B Abs. 2) methodologisch zunächst einmal überhaupt eine Exposition des Rechtsbegriffs zu erwarten. Ebenso mussten bereits die Grundsätze der reinen praktischen Vernunft, und zwar ausgehend von ihrem zunächst willkürlich erklärten (deklarierten) Begriff, zu einem deutlichen Bewusstsein exponiert72 werden, dadurch sich zugleich die Freiheit des Willens, nämlich als eine durch ein demselben zurechenbares „Factum“ gewisse Tatsache des Bewusstseins positiv erschloss. Können also ihrer Materie nach weder empirisch durch die Sinne gegebene Begriffe, noch solche a priori durch Vernunft und Verstand gegebene Begriffe im eigentlichen Sinne durch den Verstand definiert werden, so verbleiben nur noch willkürlich durch diesen selbst erdachte, und insofern durch das Denken selbst gemachte Begriffe einer Definition zugänglich:73 Denn in diesem vorsätzlichen Fall der Begriffsbildung muss der Begriff definierbar sein, weil das Verstandessubjekt ihn willkürlich hat denken wollen, und folglich auch wissen muss, was es sich dabei gedacht hat. Allerdings ist mit der bloß willkürlich erdachten Definition eines Begriffs, der insofern lediglich eine Denkmöglichkeit enthält, nicht auch schon gesagt, dass dem Begriff ein Gegenstand tatsächlich korrespondiert und die Definition in der Folge auch mit der objektiven Realität des Begriffs wahr wäre. Mehr als ein Projekt, den Begriff (z. B. einer eines willkürlich erdachten Werkzeuges durch etwaige Herstellung) wahr zu machen, ist durch eine solche bloß willkürliche Definition nicht bezeichnet oder deklariert, sodass man nach Kant besser von einer „Declaration“ spricht.74 Soll ein willkürlich erdachter Begriff aber notwendig auch einen ihm korrespondierenden Gegenstand haben, so muss er sich in seiner Synthesis nicht auf eine empirische Gegenstandsvorstellung, sondern auf eine reine Anschauung a priori beziehen und den Gegenstand darin zugleich konstruieren.75 „[M]ithin hat nur die Mathematik Definitionen. Denn den Gegenstand, den sie denkt, stellt sie auch a priori in der Anschauung dar, und dieser kann sicher nicht mehr noch weniger enthalten als der Begriff, weil durch die Erklärung der Begriff von dem Gegenstande ursprünglich, Handlungen vor, die ihnen an sich selbst zukommt. Dagegen enthält die Vorstellung eines K ö r p e r s in der Anschauung gar nichts, was einem Gegenstande an sich selbst zukommen könnte, sondern bloß die Erscheinung von etwas und die Art, wie wir dadurch afficirt werden, und diese Receptivität unserer Erkenntnißfähigkeit heißt Sinnlichkeit und bleibt von der Erkenntniß des Gegenstandes an sich selbst, ob man jene (die Erscheinung) gleich bis auf den Grund durchschauen möchte, dennoch himmelweit unterschieden.“ 72 Ausdrücklich KpV, AA V: 46.16. 73 Zum Gegensatz gegebener und gemachter Begriffe siehe Log, AA IX: 93 (§ 4). 74 KrV, AA III: 478.18-30 = A 729/B 757; ferner Log, AA IX: 142.03-09 (§ 103). 75 Log, AA IX: 64.13-14: „Zur Synthesis gehört die Deutlichmachung der O b j e c t e , zur Analysis die Deutlichmachung der B e g r i f f e .“

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3. Kap.: Rechtserkenntnis aus reinen Vernunftbegriffen

d. i. ohne die Erklärung irgend wovon abzuleiten, gegeben wurde.“76 Alleine das mathematische Denken erfüllt demnach die strengen Anforderungen an eine Definition (Ausführlichkeit, Präzision, Ursprünglichkeit, Darstellung). Nach alledem besteht die Methode begrifflicher Erklärung für die mathematische Vernunfterkenntnis in der synthetischen Definition und für die philosophische Vernunfterkenntnis in der analytischen Exposition. Diese letztere – auch „ E r ö r t e r u n g “ genannt – ist jedoch nichts anderes als das verstandesanalytische Verfahren in Ansehung gegebener Begriffsmerkmale zur sukzessiven Verdeutlichung des Begriffsinhalts.77 „Denn gegebene Begriffe kann man nur deutlich machen, sofern man die Merkmale derselben successiv klar macht.“78 Zur anschaulichen Verdeutlichung eines solchen Verfahrens der Erzeugung intellektueller Deutlichkeit in Begriffen (auch „ Ve r s t a n d e s d e u t l i c h k e i t “) bedient sich Kant in seiner Logik eines moralischen Begriffs: „So sind z. B. in dem Begriffe der T u g e n d als Merkmale enthalten 1) der Begriff der Freiheit, 2) der Begriff der Anhänglichkeit an Regeln (der Pflicht), 3) der Begriff von Überwältigung der Macht der Neigungen, wofern sie jenen Regeln widerstreiten. Lösen wir nun so den Begriff der Tugend in seine einzelnen Bestandtheile auf, so machen wir ihn eben durch diese Analyse uns deutlich. Durch diese Deutlichmachung selbst aber setzen wir zu einem Begriffe nichts hinzu; wir erklären ihn nur. Es werden daher bei der Deutlichkeit die Begriffe nicht der M a t e r i e , sondern nur der F o r m nach verbessert.“79 „Werden a l l e Merkmale eines gegebenen Begriffs klar gemacht: so wird der Begriff v o l l s t ä n d i g deutlich; enthält er auch nicht zu viel Merkmale, so ist er zugleich präcis und es entspringt hieraus eine Definition des Begriffs.“80

Eben diese Vollständigkeit ist allerdings, wie schon bemerkt, mangels Gewissheit der zu gebenden Ausführlichkeit in der Vorstellung der Begriffsmerkmale, das ursprüngliche Problem, weshalb sich ein a priori gegebener Begriff nicht im eigentlichen Sinne, d. h. synthetisch, sondern nur uneigentlich, nämlich analytisch definieren lässt; und deshalb gilt hier die besondere, vor Irrtümern möglichst bewahrende Vorsicht: „Da man durch keine Probe gewiß werden kann, ob man alle Merkmale eines gegebenen Begriffs durch vollständige Analyse erschöpft habe: so sind alle analytischen Definitionen für unsicher zu halten.“81 Weil nun allerdings der sich in einer Exposition analytisch betätigende Verstand nur vier Momente analytischen 76 KrV, AA III: 478.30-37 = A 729 f./B 757 f.; ferner Log, AA IX: 141 (§ 102), 142.03-09 (§ 103). 77 Log, AA IX: 142 f. (§ 105): „Das E x p o n i r e n eines Begriffs besteht in der an einander hängenden (successiven) Vorstellung seiner Merkmale, so weit dieselben durch Analyse gefunden sind.“ 78 Log, AA IX: 142 (§ 104). 79 Log, AA IX: 35.21-32, ferner 63.14-64.12. 80 Log, AA IX: 142 (§ 104). 81 Log, AA IX: 142 (§ 104); ebenso KrV, AA III: 479.24-480.17 = A 731 f./B 760 f.

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Verstehens hat, und zwar Modalität, Relation, Qualität und Quantität,82 ergibt sich eine diesem Verstand angemessen ausführliche Vollständigkeit dann doch jedenfalls insoweit, als der a priori gegebene Begriff im Rahmen der analytischen Exposition seiner Merkmale systematisch durch eben diese vier Momente des Verstandes geführt wird. Insofern kann die Philosophie ihre analytisch erst zu gewinnenden Definitionen in einer wissenschaftlichen Bearbeitung ihres Gegenstandes nicht einfach vorwegschicken. Vielmehr muss eine Definition in der Philosophie auf ihr Werk (nämlich die Exposition) erst hin folgen.83 Auf diese unschwer schon rein äußerlich erkennbare Weise verfährt beispielsweise bereits die Transzendentale Ästhetik, wenn sie an den ursprünglich a priori durch die transzendentale Synthesis des Verstandes eben diesem Verstand auch zur Analyse gegebenen Begriffen von den Anschauungsformen Raum und Zeit jeweils vier Momente untersucht, dadurch ein zunehmend deutliches Bewusstsein vom Begriffsgegenstand, d. h. von eben diesen reinen Anschauungsformen erzeugt wird:84 So handelt es sich bei diesen Anschauungen dann der Modalität nach um notwendige Vorstellungen, die der Relation nach allen (näher ausgeführt sinnlichen) Anschauungen gemäß dem Vorstellungsverhältnis von Inhärenz und Subsistenz zugrunde liegen, ihre Realität qualitativ als reine Anschauungen haben und darum der Quantität nach unendliche Größen vorstellen. Erst anschließend folgt schließlich die Definition der Begriffe von Raum und Zeit.85 Von einer in der Rechtslehre nach philosophischer Methode zu erwartenden Exposition des Rechtsbegriffs (§ B Abs. 2) ist folglich alleine durch methodologische Überlegungen vorauszusehen, dass sie durch eben diese Momente des Verstandes geführt werden wird, bevor sodann (§ B Abs. 3) nicht eine synthetische, sondern analytische Definition des Begriffs des Rechts in seinem allgemeinen Gebrauch entspringt. Denn: „Das analytische Verfahren, Deutlichkeit zu erzeugen […] ist das erste und hauptsächlichste Erfordernis bei der Deutlichmachung unseres Erkenntnisses. Denn je deutlicher unser Erkenntniß von einer Sache ist: um so stärker und wirksamer kann es auch sein.“86 Nun handelt es sich beim Rechtsbegriff aber nicht um einen bloß willkürlich gemachten Begriff, der einen bloß irgendwie vorgestellten Gegenstand des Denkens lediglich nominal zur Unterscheidung von anderen Gegenständen bezeichnet/deklariert. Vielmehr handelt es sich um einen ursprünglich a priori durch die Vernunft 82

KrV, AA III: 87 = A 70/B 95. KrV, AA III: 479.12-23 = A 730 f./B 759 f., wo Kant in einer Anmerkung zur philosophischen Methode schon im Jahr 1781 darauf hinweist: „In der Mathematik gehört die Definition ad esse, in der Philosophie ad melius esse. Es ist schön, aber oft sehr schwer, dazu zu gelangen. Noch suchen die Juristen eine Definition zu ihrem Begriffe vom Recht.“ 84 Vgl. KrV, AA III: 52.15-19 = B 38 sowie 52.20-53.29 = A 23 ff./B 38 ff. bzw. 57.21-58.30 = A 30 ff./B 46 ff. 85 KrV, AA III: 55.09-11 = A 26/B 42 bzw. 59.31-32 = A 33/B 49. 86 Log, AA IX: 64.21-25. 83

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3. Kap.: Rechtserkenntnis aus reinen Vernunftbegriffen

dem Verstand zur Analyse und zur analytischen Definition gegebenen Begriff, sodass sich der Verstand in diesem Fall nicht mit einer bloßen Nominaldefinition begnügen kann, sondern aus den ursprünglich im Innern mit Notwendigkeit des Vernunftsubjekts vollständig gegebenen Begriffsdaten vielmehr eine Sach-/Realdefinition versuchen muss, indem er in der analytisch zu verfassenden Definition „die Möglichkeit des Gegenstandes aus innern Merkmalen“ darlegt.87 Realdefinitionen werden somit „aus dem Wesen der Sache, dem ersten Grunde der Möglichkeit“ gewonnen und „enthalten also das, was jederzeit der Sache zukommt – das Realwesen derselben“.88 In ihnen müssen diejenigen wesentlichen, d. h. notwendigen Merkmale gesetzt sein, die dem Vorstellungsgegenstand (Recht) „ a l s G r ü n d e andrer Merkmale von Einer und derselben Sache“ (Recht) zukommen.89 Das innerlich zureichend bestimmende und daher auch für die notwendig attributiven begrifflichen Folgen konstitutive Vorstellungsmerkmal des sittengesetzlichen Rechtsbegriffs (§ B Abs. 3) als einem praktischen Vernunftbegriff kann allerdings nur der – innerlich schon das noch höhere Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft determinierende – Vernunftbegriff der Freiheit sein, wie er durch die bestimmende Willensallgemeinheit in der bloßen Gesetzesförmigkeit praktischer Grundsätze objektive Realität hat. Mit einer analytischen Realdefinition (des Rechtsbegriffs im allgemeinen Gebrauch) alleine ist jedoch für das wissenschaftliche Projekt Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre noch nicht viel gewonnen, denn erst wenn der bisher nur inhaltlich gewonnene Rechtsbegriff seinerseits wiederum in praktischen Grundsätzen (Prinzipien/Anfangsgründen/Postulaten) rein begrifflich objektiv bestimmende praktische Realität hat, lassen sich unter dem allgemeinen Rechtsbegriff und durch ihn subordiniert alle möglichen besonderen Rechtsvorstellungen erst in ihrem vernünftigen (rein begrifflichen) Zusammenhang als solche rechtlich begründet (d. h. rechtsbegrifflich bestimmt) nach der erläuterten Methode philosophischer Begriffserkenntnis denken. „Die Deutlichkeit der Erkenntnisse und ihre Verbindung zu einem systematischen Ganzen hängt“ daher nicht nur „ab von der Deutlichkeit der Begriffe […] in Ansehung dessen, was in ihnen“, sondern auch, „in Rücksicht auf das, was unter ihnen enthalten ist“.90 Dementsprechend bedarf es in einem weiteren Schritt einer Einteilung des definierten Begriffs (des Rechts) in Ansehung seines Umfangs der unter ihm in seiner Sphäre durch ihn erkennbaren Vorstellungen.91 Erst sodann kann die zuvor skizzierte philosophische Methode einer 87 Log, AA IX: 143 f. (§ 106): „ S a c h - E r k l ä r u n g e n oder Real-Definitionen hingegen sind solche, die zur Erkenntniß des Objects, seinen innern Bestimmungen nach, zureichen, indem sie die Möglichkeit des Gegenstandes aus innern Merkmalen darlegen. […] In Sachen der Moral müssen immer Real-Definitionen gesucht werden, dahin muß alles unser Bestreben gerichtet sein.“ 88 Log, AA IX: 143 f. (§ 106). 89 Log, AA IX: 60.18-61.04. 90 Log, AA IX: 140 (§ 98). 91 Log, AA IX: 140 (§ 98), 146 ff. (§§ 110 – 113); RL, AA VI: 236 ff.

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metaphysischen Rechtserkenntnis aus reinen Vernunftbegriffen a priori einsetzen (§§ 1 ff.), die die besonderen reinen Rechtsbegriffe in ihrem schlüssig-subordinativen Zusammenhang unter dem und durch den allgemein bestimmend gebrauchten Rechtsbegriff als solche praktisch bestimmt denkt, d. h. das Besondere im Allgemeinen philosophisch betrachtet. Dabei wird – insofern schon rein logisch – vom allgemeinen Begriff des Rechts in Ansehung der niederen Rechtsbegriffe ein konkreter/determinierender, und von den besonderen Rechtsbegriffen in Ansehung ihrer höheren Rechtsbegriffe ein abstrakter Begriffsgebrauch gemacht werden müssen,92 wobei die niederen und insofern abhängigen Begriffe in ihrer Abstraktion freilich nicht ohne die über ihnen bis zum höchsten Rechtsbegriff stets schlüssig vermittelnden Rechtsbegriffe und ihrer Bestimmung alleine für sich schon objektive Realität im vernünftigen (Privat-) Rechtsbewusstsein haben können.93 Im Rahmen der in der hiesigen Interpretation der Rechtslehre maßgeblich zu untersuchenden Kantischen Verhältnisbestimmung des natürlichen Privatrechts im Naturzustande, das lediglich vermittelst einer Abstraktion von empirischen Bedingungen qualitativ als rechtlich bestimmt unter dem allgemeinen Rechtsbegriff vorstellbar ist (§§ 6, 7 RL), zum Rechtszustand des öffentlichen Rechts, darin vermittelst der Idee eines urvertraglich gründenden staatlichen Allgemeinwillens alleine ein peremtorischer Privatrechtsbesitz rechtskräftig vorstellbar ist, wird die gedankliche Beachtung dieser logischen Regel zum abstrakten/konkreten Begriffsgebrauch im rein begrifflichen Rechtsdenken noch von nicht zu unterschätzender Bedeutung sein, da die Abstraktion von empirischen Bedingungen keine Negation der metaphysischen Bestimmung höherer Begriffe in dem abstrakt gebrauchten Begriff ist. So erklärt sich dann der Begriff des – eben vermittelst dieser angesprochenen Abstraktion – auf diesen konkreten Rechtszustand des Besitzes im Staat rein rechtsbegrifflich schon hinblickenden (d. h. provisorischen) Privatrechtsbesitzes im Naturzustand (§§ 8, 9).

Die Methode der (dicho- bzw. trichotomischen) Einteilung eines Begriffs ist also notwendige Bedingung innerhalb der Methode philosophischer Begriffserkenntnis im Rahmen einer Metaphysik. Aus diesem Grund folgt übrigens auf den zweiten Abschnitt der Einleitung in die Metaphysik der Sitten, der auf eben diese philosophischen Methode einer Metaphysik der Sitten mit all ihren Bedingungen und Implikationen hindeutet, ein dritter Abschnitt, der „ Vo n d e r E i n t h e i l u n g e i n e r M e t a p h y s i k d e r S i t t e n “ selbst handelt. In Kenntnis dieses methodologischen Zusammenhangs ist es also nicht ohne Friktionen möglich, die vier Abschnitte dieser originalen Einleitung kurzerhand in der Reihenfolge II, I, IV, III anzuordnen, wie sich Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 49 ff. dies für seine Edition der Rechtslehre vorstellt. Verf. vermag eben darum auch nicht der Ansicht Zaczyks, JRE 14 (2006), S. 311 ff. (316 Fn. 18) zu folgen, der den Eingriff Ludwigs an diesem Punkt für plausibel erachtet, weil sie die Abschnitte in eine „kantisch-konsequente Abfolge“ stelle, sodass die „gewissermaßen ,unkantische‘ Reihenfolge“ im Originaltext dafür sprechen soll, dass Kant im Progress von den beiden Grundlegungsschriften zur Metaphysik „hier auf dem Weg zu etwas Neuem war“. 92 Dazu Log, AA IX: 99 f. (§ 16). 93 Siehe Log, AA IX: 99 (§ 15).

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3. Kap.: Rechtserkenntnis aus reinen Vernunftbegriffen

II. Unmittelbar gewisse „Postulate“ als praktische Prinzipien/Anfangsgründe Die Mathematik hat vermittelst ihrer Begriffskonstruktionen in anschaulichen Vorstellungen des Gegenstandes unmittelbar gewisse synthetische Sätze a priori von ihrem Erkenntnisgegenstand, weil sie darin die Prädikate (Bestimmungen) desselben unmittelbar (d. h. ohne einen erst schlüssig vermittelnden Begriff) in ihrem Bewusstsein verbinden kann. Solche unmittelbar gewissen synthetischen Grundsätze a priori, „z. B. daß drei Punkte jederzeit in einer Ebene liegen“, heißen „Axiome“ und sind unmittelbar evident.94 Die Philosophie hat es dagegen nicht auch mit Anschauungen, sondern lediglich mit reinen Begriffen zu tun. Voneinander verschiedene reine Begriffe können allerdings in einem einheitlichen synthetischen Satz – schon rein logisch und wie schon bemerkt – nicht ohne einen höheren und insofern beide niederen Begriffe miteinander verbindenden, d. h. nicht ohne einen (in einem Vernunftschluss) vermittelnden Begriff gedacht werden. Also „läßt sich nicht ein Begriff mit dem anderen synthetisch und doch unmittelbar verbinden, weil, damit wir über einen Begriff hinausgehen können, ein drittes, vermittelndes Erkenntniß nöthig ist“95. Dementsprechend kann es in der theoretischen und praktischen Philosophie, da es darin schon keine Begriffskonstruktionen gibt, keine unmittelbar gewissen „Axiome“ geben. Mehr noch:96 Die ganze Transzendentalphilosophie des theoretischen Vernunftgebrauchs kann keine unmittelbar an sich selbst gewisse synthetische Grundsätze a priori enthalten, da sie sich vermittelst ihrer Begriffe doch immer auf Gegenstände möglicher Erfahrung unter der Zeitbedingung (als der die bloßen Begriffe im theoretischen Vernunftgebrauch verbindenden dritten Vorstellung) beziehen muss und mithin keine durch bloße Begriffe unmittelbar gründende Gewissheit für sich zu beanspruchen vermag. Vielmehr bedürfen ihre synthetischen Sätze a priori aus bloßen Begriffen zum theoretisch berechtigten Vernunftgebrauch einer eigenen Rechtfertigung (d. h. Deduktion), die sie als notwendige begriffliche Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung in anschaulichen Vorstellungen selbst ausweist.97 Dieser begriffliche Fremdbezug steht dagegen in der praktischen Philosophie gerade nicht zur Debatte. Vielmehr findet in ihrem Erkenntnisverhältnis der reinen Verstandesbegriffe zur praktischen Vernunft ein rein begrifflicher Selbstbezug des denkenden und wollenden Subjekts statt. Folglich ist die Denkmöglichkeit rein begrifflich unmittelbar gewisser Grundsätze für ein solches Subjekt darin gegeben, wobei die Realität solcher Grundsätze an der Realität eines in seiner objektiven Realität unmittelbar an sich selbst gewissen reinen Begriffs hängt. Eben diese 94

KrV, AA III: 480.18-27 = A 732/B 760 f.; Log, AA IX: 110 (§ 35). KrV, AA III: 480.19-22 = A 732/B 760. 96 KrV, AA III: 480.27-481 = A 732 ff./B 761 f. 97 Nur in diesem Sinne heißen die Verstandesgrundsätze auch „Grundsätze“, obgleich sie nicht für sich selbst schon begrifflich unmittelbar als gewiss anzusehen sind, KrV, AA III: 482.35-483.17 = A 736 f./B 764 f. 95

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Voraussetzung erfüllt aber der Vernunftbegriff der Freiheit als eine Tatsache des Bewusstseins eines freien Willenssubjekts. Denn das vermittelst spontaner Gesetzesselbstvorstellungstätigkeit durch den Freiheitsbegriff innerlich real gewirkte Bewusstsein des Grundgesetzes einer reinen und an sich selbst praktischen Vernunft fungiert nach hier favorisierter Lesart als idealer Erkenntnisgrund für diesen in seiner Folge die Metaphysik der Sitten konstitutiv bestimmenden und rein begrifflich real verbindenden Freiheitsbegriff. Also hat die praktische Philosophie – im Gegensatz zur bloßen Transzendentalphilosophie – schon an dieser höchsten Stelle im Anfang des moralischen Bewusstseins durchaus einen – und zwar in der bloßen Gesetzesvorstellung – unmittelbar gewissen synthetischen Grundsatz a priori, dadurch sie die objektive Realität des Freiheitsbegriffs als Tatsache für das Bewusstsein eines freien Willens rein begrifflich und doch unmittelbar an sich selbst erkennt. In diesem Sinne drängt sich das Bewusstsein dieses Grundgesetzes nämlich „für sich selbst uns auf[] als synthetischer Satz a priori, der auf keiner, weder reinen noch empirischen, Anschauung gegründet ist“98. Eben deshalb kann dieser oberste Grundsatz der gesamten praktischen Philosophie aber kein „Axiom“ sein. Vielmehr wird er vom Autor einer Kritik der praktischen Vernunft aus diesem Grund auch als ein praktisches „Postulat“ der praktischen Vernunft angesprochen.99 Unter einem „ P o s t u l a t “ ist in logischer Hinsicht begriffen „ein praktischer, unmittelbar gewisser […] Grundsatz, der eine mögliche Handlung bestimmt, bei welcher vorausgesetzt wird, daß die Art sie auszuführen, unmittelbar gewiß sei“.100 Indem ein Postulat dabei eine mögliche Handlung notwendig bestimmt, dadurch ein Gegenstand als Objekt der Handlung möglich wird, handelt es sich beim Postulat der Form nach logisch um einen praktischen Satz.101 Beim Postulat des Grundgesetzes der reinen praktischen Vernunft (§ 7 KpV) postuliert bzw. bestimmt dieses nun die tätige Subordination der einzelnen subjektiven Willensbestimmung unter die objektive Willensbestimmung einer allgemeinen Gesetzgebung, dadurch die Freiheit des Willens als Vorstellungsgegenstand des Postulats objektiv real ist und wobei die grundgesetzliche Art dieser freien Subordinationstätigkeit im spontanen Bewusst98

KpV, AA V: 31.24-31. Zur Bezeichnung des Grundgesetzes als Postulat siehe KpV, AA V: 31.02-34, 46.11; KU, AA V: 470.11; ferner auch MS, AA VI: 225.17-31. Vgl. dazu instruktiv schließlich Wolff, DZPhil 57 (2009), S. 511 (522 ff.). Die theoretischen Postulate der reinen praktischen Vernunft (die Unsterblichkeit der Seele und das Dasein Gottes = KpV, AA V: 122 ff., 124 ff., 132 ff.) stellen dem Willen dagegen inhaltlich keine Willensbestimmung als praktische Handlung, sondern eine in seinem (Sichselbst-)Denken notwendige (Folge-)Annahme und mithin alleine einen theoretischen Satz als gebotene Denkhandlung vor. Sie sind folglich nur der Form, nicht aber auch der Materie nach praktische (Grund-)Sätze. In diesem bloß logisch-formellen Sinne ist das oberste Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft dann „kein Postulat, sondern ein Gesetz […], durch welches Vernunft unmittelbar den Willen bestimmt“ (KpV, AA V: 132.09-13). 100 Log, AA IX: 112 (§ 38) zum Postulat im Gegensatz zum Problem. 101 Log, AA IX: 110 (§ 32) zum praktischen im Gegensatz zum theoretischen Satz. 99

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3. Kap.: Rechtserkenntnis aus reinen Vernunftbegriffen

sein des Grundgesetzes der reinen praktischen Vernunft schon gleichursprünglich unmittelbar gewiss ist. Ob dieser unmittelbaren Gewissheit handelt es sich der logischen Form nach um einen „ G r u n d s a t z “, denn nur „[u]nmittelbar gewisse Urtheile a priori können Grundsätze heißen, sofern andre Urtheile aus ihnen erwiesen, sie selbst aber keinem andern subordinirt werden können. Sie werden um deswillen auch P r i n c i p i e n (Anfänge) genannt.“102 Dieser Grundsatz der reinen praktischen Vernunft aber hat eine Subordinationstätigkeit des freien Willens zum Gegenstand und folglich handelt es sich nicht nur der logischen Form, sondern auch der vernünftigen Materie nach um einen praktischen (d. h. moralischen) Satz103 bzw. um ein praktisches Postulat der praktischen Vernunft.104 Da durch das Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft allerdings erst ein für menschliche Willenssubjekte gültiges Sittengesetz mit praktischer Notwendigkeit vorstellbar ist, darunter eine Metaphysik der Sitten mit ihren insofern spezielleren praktischen Grundsätzen zu entwickeln ist, sind aus dem unmittelbar gewissen Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft unter ihm andere moralische Urteile (d. h. Begriffe und Sätze) im Sinne des logischen Grundsatzbegriffes insgesamt erweislich. Weil diese Erweislichkeit materiell aber auf dem in diesem Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft objektiv realen Vernunftbegriff der Freiheit basiert, eignet den erwiesenen Urteilen (d. h. Begriffen und Sätzen) materiell letztlich ebendieselbe Selbstgewissheit, die auch dem Freiheitsbegriff zukommt. Insofern aus solchen sekundären Urteilen sodann aufgrund ihrer logischen Form wiederum besondere Urteile subordinativ erweislich sind, fungieren sie selbst als Grundsätze, d. h. Prinzipien oder Anfänge. Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre enthalten mit ihrem sittengesetzlich gründenden System einer Erkenntnis aus reinen Begriffen a priori mithin zugleich ein – im nächsten Kapitel zu erörterndes – wissenschaftliches System von Anfangsgründen, d. h. ein System von Prinzipien, Grundsätzen oder Postulaten, und machen eben dadurch eine philosophische Begriffserkenntnis des begrifflich Besonderen in allgemeinen begrifflichen Prinzipien synthetisch vorstellig.105 102

Log, AA IX: 110 (§ 34). Log, AA IX: 110.07-10 (§ 32) zum moralisch-praktischen Satz im Gegensatz zum spekulativ-theoretischen Satz. 104 Vgl. oben Fn. 99 zum Unterschied des Grundgesetzes der reinen praktischen Vernunft als einem materiell praktischen Postulat der praktischen Vernunft von den materiell theoretischen Postulaten der praktischen Vernunft (angesprochen in Log, AA IX: 112.09-12 [§ 38]). 105 Oben Fn. 61. – Dieser damit schon methodologisch aufgewiesene, innere, nämlich rein begriffliche und daher auch gedankliche Zusammenhang der beiden praktischen Grundlegungschriften (GMS/KpV) mit der durch sie grundgelegten Metaphysik der Sitten, die sich wiederum in Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre und solche der Tugendlehre einteilt, dürfte jedenfalls dort noch nicht hinreichend bedacht sein, wo die gedankliche und sachliche Unabhängigkeit zwischen diesen Schriften behauptet wird. Auf Basis einer solchen Behauptung der Unabhängigkeit ist dann von Willaschek, JRE 5 (1997), S. 205 ff. (225 f.) schließlich sogar die noch weitergehende (aber immerhin konsequente) These vertreten worden, die Rechtslehre gehöre selbst richtigerweise und entgegen ihrer offiziellen Selbstvorstellung gar nicht in die Metaphysik der Sitten. Etwas ganz Ähnliches scheint wohl auch Beck, 103

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Die unmittelbar gewissen Grundsätze/Prinzipien/Anfänge/Postulate der philosophischen und folglich auch der moralischen Vernunfterkenntnis können dann, im Gegensatz zu denjenigen der mathematischen Vernunfterkenntnis, „ A k r o a m e “ heißen; denn im Gegensatz zu intuitiv gewissen Axiomen, sind diskursiv gewisse Akroame keiner anschaulichen Darstellung fähig, sondern sie können alleine durch Begriffe ausgedrückt werden.106 Als unmittelbar gewisse Grundsätze sind diese Akroame selbst schließlich keines (diskursiven) Beweises fähig und eines solchen auch nicht bedürftig, da sie andernfalls schon nicht als „ E l e m e n t a r - S ä t z e “ am Anfang einer begrifflichen (diskursiven) Erkenntnis stehen könnten.107 Dies gilt besonders – aber, wie noch gezeigt werden wird, nicht nur – für das oberste Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft (§ 7 KpV), das als ein oberster „Grundsatz“ schon ausweislich seines Begriffs per se keinem Beweis und auch keiner Deduktion zugänglich sein kann,108 sodass man sich eigentlich wundern sollte, weshalb eine nicht eben gerade geringe Zahl von Interpreten in der Kantischen Wendung vom „Factum der Vernunft“ (1788) eine Aufgabe dieser in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785) nur vermeintlich gesuchten Deduktion des obersten moralischen Prinzips erblicken möchte, denn auch bei der dortigen Deduktion des kategorischen Imperativs109 handelt es sich gewiss nicht um eine De-

Kants „Kritik der praktischen Vernunft“ (19953), S. 63 zu denken: „Die einzige ,Metaphysik der Sitten‘, die Kant je schrieb, war tatsächlich die Kritik der praktischen Vernunft; sie allein, wenn überhaupt, ist ein ,System der Erkenntnis a priori aus reinen Begriffen‘.“ In gewisser Weise erinnern diese mindestens impliziten Behauptungen eines sich in seinen Publikationen selbst nicht so recht verstehenden Autors zugleich an die anonym vorgetragene These eines zeitgenössischen Rezensenten (vermutlich Johann Christoph Schwab, in: Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung 1 [1804/IV], S. 297 ff.), der im Todesjahr Immanuel Kants behauptet hatte, dieser habe mit dem vorgelegten Werk entgegen seiner offiziellen Betitelung gar keine Metaphysik der Sitten, sondern allenfalls Anwendungen derselben verfasst. Den unschwer zu antizipierenden Einwand auf ein solches gegen das offizielle Anliegen des Autors selbst gerichtetes Verständnis beantwortete sich der anonyme Rezensent (300 f.) dann kurzerhand mit der unterstellten Senilität des Autors selbst und nahm damit das später bekanntlich berühmt gewordene und seither zum Zitatenschatz der Kantforschung gehörige Senilitätsverdikt Arthur Schopenhauers vorweg: „Soll denn aber, wird vielleicht einer oder der andere fragen, Kant vergessen haben, was er ehemals Metaphysik der Sitten nannte, und was zu schreiben er sich vorgenommen hatt? – Das muß Rec. dahingestellt seyn lassen : nur findet er nichts außerordentliches daran, daß einem siebenzigjährigen Greise hierin etwas menschliches begegnet ist. […] Warum soll den ein großer Metaphysiker, in seinem hohen Alter, den Schwachheiten der menschlichen Natur nicht unterworfen gewesen seyn?“. 106 Log, AA IX: 110 (§ 35). 107 Log, AA IX: 110 (§ 33) zu den indemonstrablen im Gegensatz zu den demonstrablen Sätzen; siehe ferner ebd.: 70.27-71.37 zur rationalen – begrifflich unmittelbaren und mittelbaren – Gewissheit innerhalb des Wissens. 108 KpV, AA V: 46.16 ff. 109 GMS, AA IV: 453 ff.

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3. Kap.: Rechtserkenntnis aus reinen Vernunftbegriffen

duktion des obersten moralischen Grundsatzes.110 Gegen ein positivistisches Wissenschafts- und Kantverständnis, das allerorten nach Deduktionen und Beweisen in der Kantischen Philosophie fahndet, und zwar auch dort, wo es gar nichts zu beweisen gibt, ist darum ein auch für sein Rechtsdenken wichtiger Satz aus der Logik Immanuel Kants ausdrücklich zu erinnern: „Alle Gewißheit ist entweder eine u n v e r m i t t e l t e oder eine v e r m i t t e l t e , d. h. sie bedarf entweder eines Beweises, oder ist keines Beweises fähig und bedürftig. Wenn auch noch so Vieles in unserm Erkenntnisse nur mittelbar, d. h. nur durch einen Beweis gewiß ist: so muß es doch auch etwas I n d e m o n s t r a b l e s oder u n m i t t e l b a r G e w i s s e s geben und unser gesammtes Erkenntniß muß von u n m i t t e l b a r g e w i s s e n Sätzen ausgehen.“111

III. Mittelbare Gewissheit durch „akroamatische Beweise“ Sind unter bzw. aus den unmittelbar gewissen (Anfangs-)Grundsätzen (Axiomen und Akroamen) andere Urteile (Begriffe und Sätze) a priori beweisbar, so folgt in Ansehung dieser Urteile für das Subjekt derselben eine apodiktische Gewissheit. Alle apodiktische Gewissheit kann aber nicht empirisch, sondern nur rational (d. h. mit begrifflicher Notwendigkeit) vermittelt sein. Folglich kommt rationale Gewissheit lediglich in den Vernunftwissenschaften, d. h. in den mathematischen und philosophischen Erkenntnissen vor. Bei der mathematischen handelt es sich sodann im Grunde um eine intuitive, während es sich bei der philosophischen Vernunftwissenschaft um eine diskursive Gewissheit handelt. Dementsprechend sind beide rationalen (und insofern begrifflich vermittelten) Gewissheiten dadurch unterschieden, dass alleine die mathematische Erkenntnis eine anschauliche Gewissheit (= „Evidenz“) gewisser Begriffe bzw. Sätze im Grunde für sich beanspruchen kann; sie alleine verfügt insofern in ihren apodiktischen Beweisen über „Demonstrationen“.112 Auch aus diesem Grund ist übrigens das Verständnis der Kantischen Wendung vom „Factum der Vernunft“ im Sinne einer Evidenzbehauptung wohl eher als misslich zu bezeichnen.113 Denn eine Evidenzbehauptung betrifft für Kant niemals 110 Der kategorische Imperativ ist weder der oberste, noch für sich selbst überhaupt schon ein praktischer Grundsatz (§§ 1, 7 KpV). Siehe zum Ganzen im Übrigen weiterführend die in Fn. 1 des ersten Kapitels genannte Studie. 111 Log, AA IX: 71.18-24. 112 KrV, AA III: 481.15-24 = A 734/B 762; Log, AA IX: 70.27-71.37. 113 Im Rahmen seiner Interpretation der Kantischen Rechtslehre argumentiert beispielsweise Hirsch, Freiheit und Staatlichkeit bei Kant (2017), S. 102 f. mit einer solchen „Selbstevidenz“ der reinen praktischen Vernunft im „Faktum sittlicher Verpflichtung“, um sich schließlich den nicht weiter beweisbaren Postulatcharakter des allgemeinen Rechtsgesetzes (§ C Abs. 4) zu erklären (S. 165): „Dass Kant das Recht als Postulat einführt, ist also schlichtweg die Konsequenz aus der Selbstevidenz der reinen praktischen Vernunft, wie sie uns im Faktum entgegentritt.“

C. Methodologische Mittel zum Zweck philosophischer Begriffserkenntnis

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diskursive, sondern lediglich intuitive (d. h. anschauliche) Erkenntnisse a priori und so kann das durch den Freiheitsbegriff real gewirkte, d. h. im Ursprung rationale (nicht intuitive) Bewusstsein des Grundgesetzes der reinen praktischen Vernunft nicht mit einer solchen Evidenzbehauptung verknüpft sein. Wäre in dieser Wendung dagegen auf ein intuitives Bewusstsein des Grundgesetzes bzw. seiner kategorischen Verpflichtung unter ihm abgehoben, so käme eine solche Evidenzbehauptung über eine empirische Gewissheit (d. h. eine bloße Faktizität) des bloß empirischen (Pflicht-)Bewusstseins nicht hinaus, und so ermangelte es ihr schlechterdings an apodiktischer (rein begrifflich bzw. anschaulicher) Notwendigkeit, sodass ihr Gegenstand infolge ihres bloß empirisch-intuitiven Bezuges gerade nicht als evident anzusehen wäre. Das Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft könnte dann aber – entgegen seiner tatsächlichen Stellung im begrifflichen Gefüge Immanuel Kants – nicht als oberster Grundsatz der ganzen kritischen Moralphilosophie fungieren, darunter andere Urteile (Begriffe und Sätze) – z. B. einer Metaphysik der Sitten – wiederum apodiktisch erweislich sind. Das landläufige Verständnis der Kantischen Wendung vom „Factum der Vernunft“, und zwar als einer (evidenten) „Faktizität der Vernunft“ vermag sich darum auch, wie an vielerlei Interpretationssymptomen nachweisbar wäre, die praktische Grundsatz- oder Elementarsatzphilosophie Immanuel Kants in seiner Metaphysik der Sitten rein begrifflich noch nicht hinreichend zu erklären. Denn in ihrer methodologischen Anlage einer gründlichen Vernunfterkenntnis aus reinen Begriffen (und nicht aus bloßer Faktizität) finden sich in ihren begrifflichen Ableitungsverhältnissen unter ihren praktischen Grundsätzen keine anschaulichen Demonstrationen, sondern – wie z. B. in § 13 Abs. 2 RL – lediglich durch Begriffe geführte, d. h. „ a k r o a m a t i s c h e (diskursive) B e w e i s e “114. Solche die apodiktische Gewissheit diskursiver Erkenntnisse begrifflich vermittelnde Beweise teilen sich wiederum in direkte und indirekte Beweise ein, wobei die erstgenannten Beweise die Wahrheit (d. h. objektive Realität des Begriffs) aus ihren Gründen dartun, während die letztgenannten (apagogischen) Beweise die Wahrheit durch einen Schluss aus der Falschheit des Gegenteils nachweisen.115

IV. Philosophisch-praktische Erkenntnis nur der gesetzlichen „Gründe“ zu möglichen kategorischen Imperativen Mit den vorstehenden Überlegungen ist die Differenz der philosophisch-praktischen von der mathematischen Vernunfterkenntnis hinreichend erörtert; allerdings nur gemäß der sie bestimmenden Form. Folglich bedarf es jetzt noch einer näheren 114

KrV, AA III: 481.30-482.02 = A 734 f./B 762 f.; Log, AA IX: 71.33-35: „Ein Beweis, welcher der Grund mathematischer Gewißheit ist, heißt D e m o n s t r a t i o n und der der Grund philosophischer Gewißheit ist, ein a k r o a m a t i s c h e r Beweis.“ 115 Log, AA IX: 71.25-33.

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3. Kap.: Rechtserkenntnis aus reinen Vernunftbegriffen

Bestimmung der Materie der in der Form philosophischer Vernunfterkenntnis aus reinen Begriffen a priori wissenschaftlich zu bestimmenden Erkenntnis. Im Anhang zur Einleitung in die Logik findet sich, über die bisher ausgewerteten methodologischen Hinweise zu einer Vernunfterkenntnis aus reinen Begriffen hinaus, schließlich sogar die hier zu diesem Zweck maßgebliche Unterscheidung „ d e s t h e o r e t i s c h e n u n d d e s p r a k t i s c h e n E r k e n n t n i s s e s “116. Demnach sind jeweils zwei einander entgegengesetzte Arten theoretischer und praktischer Erkenntnisse zu unterscheiden: Zunächst gehören alle „ I m p e r a t i v e n “, d. h. alle praktischen Handlungsregeln des Sollens zur Klasse der praktischen Erkenntnisse, und zwar insofern diese den theoretischen Naturerkenntnissen des empirischen Seins entgegengesetzt sind; sodann gehören auch schon die „ G r ü n d e z u m ö g l i c h e n I m p e r a t i v e n “ zur Klasse der praktischen Erkenntnisse, und zwar insofern diese den spekulativen Erkenntnissen des theoretischen Vernunftgebrauchs entgegengesetzt sind.117 Da sich aber aller spekulativer Vernunftgebrauch in rein begrifflichen Relationen theoretischer Vernunftideen erschöpft, bestehen die praktischen Erkenntnisse der letztgenannten Art in den rein begrifflichen Relationen praktischer Vernunftideen (z. B. der Freiheit, des Staates, etc.) als Gründe zu möglichen Imperativen moralischen Sollens in ihrer vernunftbegrifflichen Folge. Nun sind praktische Vernunftideen in ihren rein begrifflichen Relationen jedoch nichts anderes, als in ihrer praktischen Notwendigkeit erkennbare Vernunftbegriffe, und mithin stellen die dementsprechenden praktischen Erkenntnisse auch die Materie einer Metaphysik der Sitten vor; sie hat also eine praktische Ideenerkenntnis zu ihrem Gegenstand. In der kritischen Rechtslehre ist es darum nicht um die Entwicklung irgendwelcher (kategorischen) Imperative menschlicher Willkürsubjekte (d. h. Handlungsregeln praktischen Sollens) zu einem deutlichen Bewusstsein zu tun, denn diese sind Gegenstand schon der positiven Wissenschaften, beispielsweise der positiven Rechtswissenschaft. Vielmehr ist es darin – gemäß der begrifflichen Unterscheidung von Gesetzen und kategorischen Imperativen unter solchen Gesetzen in § 1 KpV118 – um die praktische Erkenntnis der vernunftbegrifflichen Gründe solcher moralischen Imperative in praktischen Grundsätzen (d. h. metaphysischen Gesetzen) zu tun. Nun setzen aber kategorische Imperative des Rechts über und für sich selbst in ihrer Normativität allgemeine (vorpositive sowie positive) Gesetze voraus, dadurch sie nämlich als praktische Regeln und Gebote für menschliche Willkürsubjekte erst verbindlich sind,119 und folglich haben Metaphysische Anfangsgründe der Rechts116

Log, AA IX: 86 f. Log, AA IX: 86.12-25; siehe ferner zum Begriff praktischer Erkenntnis KrV, AA III: 08.26-31 = B IX f. und 421.17-22 = A 633/B 661; KpV, AA V: 20.02-13; MS, AA VI: 225.17-31. 118 Siehe dazu schon das zweite Kapitel. 119 Vgl. zu den diesbezüglichen terminologischen und gedanklichen Schwierigkeiten mit der „Normativität des Rechts“ in der Sekundärliteratur, die praktische Gesetze und kategorische Imperative darunter nicht immer hinreichend unterscheidet, etwa den Überblick bei Hirsch, 117

C. Methodologische Mittel zum Zweck philosophischer Begriffserkenntnis

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lehre die vernunftbegrifflichen Gründe zu einer allgemeinen (letztlich positiven) Rechtsgesetzgebung in metaphysischen Rechtsgrundsätzen zu ihrem Gegenstand, dadurch sich der für die hiesige Interpretationsarbeit gewählte Titel der Untersuchung aus der Sache selbst rechtfertigt. Sie entwickeln daher die vorpositiven, d. h. (vernunft-)natürlichen Gesetze, die in ihrer rein vernunftbegrifflich bestimmenden Form als kritisches Naturrecht einer jeden bloß positiven und daher für sich lediglich willkürlich gesetzten Gesetzgebung vernunftgedanklich in praktischen Ideen (z. B. der Vernunftidee des Staates) notwendig vorausgehen.120 Das metaphysische Naturrecht Immanuel Kants hat als Teil seiner kritischen Philosophie demnach Bestand in praktischen Vernunftideen, d. h. in praktisch bestimmenden Vernunftbegriffen, die sich ihrerseits aus reinen Verstandesbegriffen (Prädikamenten und Prädikabilien) im Einheitsverhältnis zur praktischen Vernunft (d. h. im Verhältnis des reinen Denkens zum Willen) konstituieren. Eine wichtige oder vielleicht sogar die wichtigste Einsicht der bisherigen methodologischen Vorüberlegungen zu einer Interpretation der Kantischen Rechtslehre, dadurch sich die folgende Interpretation wesentlich von gegenwärtig verfügbaren Interpretationen unterscheiden dürfte, besteht also darin, dass sich die Rechtslehre mit ihrem – wie vorstehend positiv bestimmten – metaphysischen Erkenntnisprogramm als eine praktische Grundsatzphilosophie in reinen Vernunftbegriffen nicht auf die Herzählung oder Bestimmung formaler bzw. materialer Imperative des Rechts eigens richtet. Eben hierauf weist dann auch eine Bemerkung in der Vorrede zur Rechtslehre gleich eingangs recht ausdrücklich hin, wenn es darin heißt: „Die R e c h t s l e h r e […] ist nun das, wovon ein aus der Vernunft hervorgehendes System verlangt wird, welches man die M e t a p h y s i k d e s R e c h t s nennen könnte. Da aber der Begriff des Rechts als ein reiner, jedoch auf die Praxis (Anwendung auf in der Erfahrung vorkommende Fälle) gestellter Begriff ist, mithin ein m e t a p h y s i s c h e s S y s t e m desselben in seiner Eintheilung auch auf die empirische Mannigfaltigkeit jener Fälle Rücksicht nehmen müßte, um die Eintheilung vollständig zu machen […], Vollständigkeit der Eintheilung des E m p i r i s c h e n aber unmöglich ist, und, wo sie versucht wird (wenigstens um ihr nahe zu kommen), solche Begriffe nicht als integrirende Theile in das System, sondern nur als Beispiele in die Anmerkungen kommen können: so wird der für den ersten Theil der Metaphysik der Sitten allein schickliche Ausdruck sein m e t a p h y s i s c h e A n f a n g s g r ü n d e d e r R e c h t s l e h r e : weil in Rücksicht auf jene Fälle der Anwendung nur Annäherung zum System, nicht dieses selbst erwartet werden kann. Es wird daher hiemit, so wie mit den (früheren) metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft, auch hier gehalten werden: nämlich das Recht, was zum a priori entworfenen System gehört, in den Text, die Rechte aber, welche auf besondere Erfahrungsfälle bezogen werden, in zum Theil weitläuftige Anmerkungen zu bringen: weil sonst das, was hier Metaphysik ist, von dem, was empirische Rechtspraxis ist, nicht wohl unterschieden werden könnte.“ (RL, AA VI: 205.08-206.03). Freiheit und Staatlichkeit bei Kant (2017), S. 67 ff., den dieser dort unter der Frage „Warum überhaupt Recht?“ gibt. 120 Siehe zum Subordinationsverhältnis natürlicher und positiver Gesetzgebung MS, AA VI: 224.27-36, 227.10-20.

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3. Kap.: Rechtserkenntnis aus reinen Vernunftbegriffen

Auf diese Weise erklärt es sich beispielsweise, dass ein kategorischer Imperativ des Strafgesetzes mitsamt dem für moderne Strafrechtskantianer so unangenehmen Problem der Todesstrafe unter „E.“ nur in einer „ A l l g e m e i n e [ n ] A n m e r kung von den rechtlichen Wirkungen aus der Natur des b ü r g e r l i c h e n Ve r e i n s “121 angesprochen wird. Denn dieser Imperativ des Strafgesetzes, das seinen rein begrifflichen Vernunftgrund selbst wiederum schon ausweislich seiner textlichen Anordnung nur im Staat einer bürgerlichen Gesellschaft haben kann,122 gehört nach allen bisherigen Überlegungen nicht zur metaphysischen Erkenntnismasse eines kritischen Naturrechts, das es ausschließlich mit den rein begrifflichen Gründen zu aller Rechtsgesetzgebung und ihrer begrifflichen Entfaltung, nicht aber mit den Folgen solcher Grundbegriffe selbst zu tun hat. Man kann folglich nicht einfach unvermittelt mit empirischen Rechtslagen an das metaphysische Begründungsprogramm der Kantischen Rechtslehre herantreten, ohne diesem oder auch sich selbst geistige Gewalt anzutun, wie schon ein anonymer Rezensent in „Tübingische gelehrte Anzeigen“ dies antizipierend bemerkte: „Daß dieselbe [sc. die Rechtslehre] an die vorhergehenden critischen Untersuchungen des Verf. sich anschließen würde, ließ sich als nothwendig voraussehen. Leider wird dies freylich die beschwerliche Folge haben, daß für die Kantischen Rechtsgelehrten, die gewöhnlicher Weise den Kant nicht einmal gelesen, geschweige denn studiert haben, das Herausheben einzelner Formeln zu Ausstaffierung ihrer positiven Jurisprudenz eine sehr mißliche Sache werden dürfte.“123 Ganz in diesem Sinne notierte ein weiterer Rezensent sehr drastisch: „Auch diese Schrift wird dem schlechtesten Mißbrauch ausgesetzt seyn. Es wird Civilisten geben, die aus der kritischen Philosophie Sätze ableiten werden, welche aus einer ganz anderen Quelle flossen. Und Jünglinge wird es geben, die […] alles positive gelehrte Studium des Statutarischen in unserer Jurisprudenz, als vermeintliche Rechtsphilosophen, verwerfen werden. Aber es wird auch Männer geben, die ohne das positive System aus seinem eigenen Zusammenhang reissen zu wollen, sich dennoch zu höheren Gesichtspunkten erheben, und die Quelle der wichtigsten Bestimmungen desselben in der blossen Vernunft suchen werden.“124 Mit diesen zeitgenössischen Stimmen ist also nachweisbar, dass es sich zur Zeit des Erscheinens der Rechtslehre jedenfalls in Teilen herumgesprochen hatte, dass sie es nicht mit Imperativen rechtlichen Sollens, sondern alleine mit reinen praktischen Vernunftgründen (Ideen) zu denselben zu schaffen hat. Aus demselben methodologischen Grund kann sich dann – heute wie damals – aber auch kein kategorischer Imperativ des Eigentums unvermittelt in Metaphysische 121

RL, AA VI: 318, 331 ff. Stang, Darstellung der reinen Rechtslehre von Kant (1798), S. 124 weist deshalb darauf hin, dass Strafe ausweislich ihres Begriffs, mangels eines gesetzlich möglichen Subordinationsverhältnisses, im bloßen Naturzustand noch nicht einmal bestimmt gedacht werden kann. 123 Anonym, Tübingische gelehrte Anzeigen 1797, S. 305 (306). 124 Anonym (r.), Allgemeine juristische Bibliothek 3 (1797), S. 145 (146 f.). 122

C. Methodologische Mittel zum Zweck philosophischer Begriffserkenntnis

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Anfangsgründe der Rechtslehre eingebildet finden.125 Es dürfte daher bereits unter methodologischen Vorzeichen eher als verfehlt anzusehen sein, innerhalb der kritischen Naturrechtslehre Immanuel Kants, und zwar vornehmlich mit den Kritikern ihrer editorischen Erscheinungsform, nach einer Eigentumstheorie zu suchen, die noch dazu den Staat in seiner praktischen Notwendigkeit akzessorisch nach sich ziehen, und in dieser – wie sich finden wird – substanziell verkehrten Vorstellungsweise zu allem Überfluss schließlich als „letzte philosophische Großtat“126 des vergreisenden Autors gelten soll. Um es also nochmals ausdrücklich und deutlich zu sagen: Schon die hiesige Gegenstandsbestimmung einer Metaphysik der Sitten verhält sich – allerdings auf keinerlei Weise eigens gesuchte, sondern methodologisch-textimmanente Art – kritisch zu einer eigentums- bzw. privatrechtsspezifischen Interpretation der Kantischen Rechtslehre, die in der ganzen Bandbreite verfügbarer moderner Interpretationen gegenwärtig gleichwohl als ganz herrschend angesehen werden muss; eine besondere Originalität ist darum jedenfalls mit der hiesigen Interpretation, die sich aus sich selbst heraus für ein einstweilen notwendiges Moment mitsamt seiner Negativität in diesen Gegensatz setzt, nicht verbunden. Im Gegenteil: Eine sich methodologisch ganz auf sich selbst verlassende, eigentumsspezifische Interpretationsweise verfehlt nämlich nach den vorstehenden Überlegungen nicht nur das rein vernunftbegriffliche und daher metaphysische Erkenntnisprogramm der Kantischen Rechtslehre, dadurch sie in ihrem Verständnis selbst – freilich unbemerkt – in ein materiell mit rechtlichen Imperativen (beispielsweise des Eigentums) aufgeladenes und somit vorkritisches (d. h. empirisches) Naturrecht gedanklich zurückfallen muss; denn der empirische Einzelwille vor dem staatlichen Allgemeinwillen in Gesetzen bürgt dann freilich schon irgendwie gänzlich selbst für den allgemeinwillentlichen Rechtsgrund seines von ihm vermeinten Eigentums. Eine solche also die beiden logischen Begriffsebenen (Inhalt und Umfang) im metaphysischen Zusammenhang bereits nicht unterscheidende Interpretationsweise, die das Dasein subjektiver Einzelrechte aber überhaupt ohne das Dasein eines diese Rechte objektiv bestimmenden Allgemeinwillens im Staat glaubt denken zu können, verfehlt nach hiesigem Begriffsverständnis überdies jedoch in ihrer eigenen begrifflichen Originalität auch ganz einfach schon die Kantischen Begriffsinhalte. Denn es ist nicht der in einer bloßen Anmerkung zu § 17 erstmals erwähnte und tatsächlich mit einer (auf körperliche Sachen) ganz beschränkten Gegenstandssphäre versehene Begriff des insofern uneingeschränkten Eigentumsrechts127, sondern der

125 So meint dagegen mit Blick auf das natürliche Privatrecht etwa Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 170, und zwar durchaus stellvertretend für eine ganze rechtsphilosophische Interpretenphalanx: „Die Schaffung von Eigentumsverhältnissen ist ein kategorischer Imperativ.“ 126 So Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 73. 127 RL, AA VI: 270.10-14: „Der äußere Gegenstand, welcher der Substanz nach das Seine von jemanden ist, ist dessen E i g e n t h u m (dominium), welchem alle Rechte in dieser Sache

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3. Kap.: Rechtserkenntnis aus reinen Vernunftbegriffen

im Haupttext (§§ 1 ff.) maßgebliche Begriff des äußeren Mein und Dein, d. h. eines äußeren und nicht auf körperliche Sachen eingeschränkten Rechtsbesitzes überhaupt, der vermittelst des Begriffs eines reinen Rechtsbesitzes (§ 6) im Anfang des bloß natürlichen (d. h. vorstaatlichen) Privatrechtsbewusstseins in einem unmittelbar gewissen praktischen Vernunftgrundsatz (§ 2) synthetisch nach der Methode philosophischer Erkenntnis angeknüpft wird. Doch auch eine privatrechtsbesitzspezifische Interpretation des Verhältnisses von Natur- und Rechtszustand, die immerhin die vom Autor vorgesehenen Begriffsinhalte (Besitz anstatt Eigentum) an diesem Punkt genügend wahrt,128 vermag dem metaphysischen Erkenntnisprogramm in der logischen Differenz von Begriffsinhalt und -umfang letztlich noch nicht gerecht zu werden, denn dieses Programm betrifft schließlich materiell die vernünftige (ursprünglich rein begriffliche) Subordination des rein begrifflich Besonderen (d. h. des Privatrechts) unter bzw. in das rein begrifflich Allgemeine (d. h. in das Staatsrecht), so wie diese rein begriffliche und vernünftige Subordination im Begriff eines „pro-visorischen“ Privatrechtsbesitzes schon im Naturzustand metaphysisch begriffen werden muss. Ein empirischer Einzelwille im Naturzustand macht für sich selbst nämlich noch keinen rechtlichen Allgemeinwillen, und so verschafft er sich darum für sich selbst auch noch keinen zeitlich vorläufigen Rechtsbesitz, wie er im empirischen und somit jedenfalls nicht metaphysischen Wortgebrauch des ,provisorischen‘ Besitzes nach solchem Verständnis bei Abwesenheit eines Allgemeinwillens gleichwohl liegen soll. Der im Folgenden geltend zu machende Interpretationsansatz, der – mit einem deutlich herausgestellten Bewusstsein von dieser Aufgabe – ausschließlich den rein begrifflichen Gründen zu möglichen subjektiven Rechten bzw. objektiven Rechtspflichten kategorischer Imperative des Rechts nachspüren möchte, versucht also offensichtlich, im Gegensatz zu bisherigen Interpretationansätzen, eine dezidiert metaphysische, d. h. rein vernunftbegriffliche Lesart der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre stark zu machen. Daher dürfte wiederum zu seiner Beurteilung, und zwar aus dem gedanklichen Standpunkt der großen Masse der bisherigen Interpretationsansätze, in Rechnung zu stellen sein, dass sich besonders Bernd Ludwig mit seiner den originalen Text erheblich verändernden Edition der Rechtslehre Immanuel Kants im Meiner-Verlag129 gedanklich auf eine eigentumsspezifische Interpretation stützt.130 Denn eine dezidiert metaphysische Interpretation ist nach den vorstehenden Überlegungen besonders im Gegensatz zu einer eigentumstheoretischen Interpretation zu entwickeln, sodass die wohl am elaboriertesten durchgeführte Form dieses Interpretationsansatzes als gedankliche Kontrastfolie herangezogen werden muss. (wie Accidenzen der Substanz) inhäriren, über welche also der Eigenthümer (dominus) nach Belieben verfügen kann (ius disponendi de re sua).“ 128 Dafür Rühl, Kants Deduktion des Rechts als intelligibler Besitz (2010), S. 69 ff., 91 ff. 129 Ludwig (Hrsg.): Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (20184). 130 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988).

C. Methodologische Mittel zum Zweck philosophischer Begriffserkenntnis

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Wie sich im Rahmen dieser Gegenüberstellung zeigen wird, hält die eigentumstheoretische Interpretation und Edition Bernd Ludwigs allerdings tatsächlich weder die maßgeblichen Begriffsinhalte (z. B. Eigentum anstatt Besitz), noch die maßgeblichen Begriffsebenen (Begriffsinhalt/-umfang) immer hinreichend auseinander. So reduziert sie beispielsweise die Deduktion des Begriffs der ursprünglichen Erwerbung in § 17 gedanklich tatsächlich auf eine solche dieser Erwerbung selbst, d. h. auf eine Deduktion des Begriffsgegenstandes.131 Auf diese Weise aber beachtet sie die logischen Mindestbedingungen in der idealen Differenz von Begriff und Gegenstand, wie sie für eine metaphysische Vernunfterkenntnis aus reinen Begriffen hingegen zwingend beachtlich sein dürfte, schon im Ansatz nicht. Möglicherweise ist es jedoch nicht gerecht, die editorischen Überlegungen Bernd Ludwigs zur Kantischen Rechtslehre alleine mit den logischen Anforderungen des Begriffs zu konfrontieren und ihnen schließlich eine inhaltliche Ungenauigkeit im Umgang mit den Kantischen Begrifflichkeiten nachzuweisen. Denn Bernd Ludwig hat von Beginn an seiner stets schon sehr ingeniösen Überlegungen keinen Hehl daraus gemacht, dass er nicht etwa primär darauf ausgeht, die Rechtslehre Immanuel Kants zu interpretieren, und also bloß zu verstehen, sondern schlichtweg darauf, sie umzuformen. Sein freimütig zum Voraus gesetzter Wahlspruch zur Neuedition der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre lautet nämlich bekanntlich: „Die Philosophen haben die Rechtslehre nur verschieden i n t e r p r e t i e r t , es kömmt darauf an sie zu v e r ä n d e r n “132. Unter Voraussetzung dieser seiner subjektiven Zwecksetzung ist es dann durchaus nachvollziehbar, dass sich in der Konsequenz dieses Denkens an keiner Stelle die Frage nach der philosophischen Methode einer Metaphysik der Sitten aufgeworfen findet.133 – Mit einer anderen Zwecksetzung hätte sich dem ausgewiesenen Kantforscher Bernd Ludwig dagegen sehr wahrscheinlich erschlossen, dass die philosophische Methode Immanuel Kants in einer bloßen Begriffserkenntnis aus innerlich rein begrifflich verfassten Prinzipien (= Postulaten) besteht, sodass er sich beispielsweise auch von vornherein daran gehindert gesehen hätte, das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft in § 2 nach § 6 in eine Begriffsdeduktion zu versetzen.134 Denn dieses Postulat fungiert methodologisch als ein metaphysischer Anfangsgrundsatz und mithin als ein metaphysisches Prinzip im Rahmen der vernunftbegrifflichen Erkenntnis des natürlichen Privatrechts, sodass die aus diesem metaphysischen Anfangsgrundsatz zu leistende Deduktion des reinen und in eben diesem Anfangsgrundsatz praktischen Vernunftbegriffs des intelligiblen Besitzes (§ 6) nur unter Voraussetzung dieses Postulats in § 2 möglich ist. 131 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 65 ff. (73 f.); siehe zu einer Kritik hieran unter A. II. 1. b) ff) im siebenten Kapitel. 132 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 1. 133 Vielmehr meint Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 58 f. lediglich, auch den diesbezüglich maßgeblichen zweiten Abschnitt der Einleitung in die Metaphysik der Sitten („ Vo n d e r I d e e u n d d e r N o t h w e n d i g k e i t e i n e r M e t a p y h s i k d e r S i t t e n “) an anderer Stelle im Text einordnen zu müssen. 134 So aber Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 60 ff.

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3. Kap.: Rechtserkenntnis aus reinen Vernunftbegriffen

Die betreffenden Details gehören in den Interpretationsteil. Es versteht sich mit dieser einstweiligen Gegenüberstellung des metaphysischen sowie des eigentumstheoretischen Interpretationsansatzes schließlich aber, dass die hier geltend zu machende Interpretation den originalen Text der Rechtslehre, wie er gegenwärtig in der Akademieausgabe weitgehend noch verfügbar ist, und nicht die sich zunehmender Verbreitung erfreuende Edition Bernd Ludwigs zugrunde legt,135 darin eine philosophische Vernunfterkenntnis aus reinen Begriffen unter metaphysischen Anfangsgrundsätzen bereits durch die veränderte Textanordnung der §§ 2, 6 methodologisch nicht länger möglich ist. Wenn damit nun auch endgültig abzusehen ist, dass sich eine dezidiert metaphysische Lesart kritisch zu einer eigentumstheoretischen Interpretation und Edition der Kantischen Rechtslehre verhält, so sollte diese für den eigentumstheoretischen Standpunkt mitunter gewiss zumutungsvolle Kritik – wohlverstanden – allerdings trotzdem nicht einfach als dessen umstandslose Negation, sondern vielmehr als die kritische Fortanknüpfung einer gemeinschaftlichen Verständnisanstrengung begriffen werden. Denn die nach dem metaphysischen im Gegensatz zum eigentumstheoretischen Verständnishorizont geltend zu machende Verständniseinheit dieser Rechtslehre lebt gerade auch von dem Gegensatz beider Teile, die sie mit ihm notwendig in sich schließt. Es ist nämlich begriffsgeschichtlich möglicherweise kein Zufall, dass die Rechtslehre Immanuel Kants von Beginn an stets auch aus der begrifflichen Warte des modernen Begriffs des Privateigentums (Lockescher Provenienz) interpretiert wurde, da Immanuel Kant mit dem Besitzbegriff seiner Rechtslehre und im okkupationstheoretischen Anschluss an Hugo Grotius, wie sich zeigen wird, noch eine Mittlerstellung im begriffsgeschichtlichen Übergang vom altständisch-hoheitsrechtlichen zu eben jenem bis heute wirkmächtigen liberalprivatrechtlichen Eigentumsbegriff einnimmt.136 Nur auf diese mittlere Weise lassen sich im Übrigen die andernfalls notwendigen Einseitigkeiten beider begrifflichen Extreme vermeiden.

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So hat die Edition Bernd Ludwigs in jüngerer Zeit beispielsweise auch in einer das Thema der hiesigen Interpretation betreffenden Studie Verwendung gefunden: Kräft, Apriorität und Positivität des Rechts nach Kant (2011), S. 20. Im Übrigen erfreut sich diese Edition der Kantischen Rechtslehre in Interpretationen, die das öffentliche Recht und die Staatlichkeit zum Thema haben, großer Beliebtheit, siehe etwa Hirsch, Freiheit und Staatlichkeit bei Kant (2017), S. 29, 274 Fn. 96, 302 Fn. 195; Niebling, Das Staatsrecht in der Rechtslehre Kants (2005), S. 14 – 18/111; Winkler, Die Freiheit im und vom Staate bei Immanuel Kant (2011), S. 4 Fn. 27. 136 Auf diese begriffsgeschichtliche Übergangsstellung Immanuel Kants weist beispielsweise der Regensburger Rechtshistoriker Dieter Schwab, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe II (19984), S. 97 hin. – Siehe dazu ausführlich die Ausführungen direkt unter A. II. im siebenten Kapitel.

4. Kapitel

Vernunftbegriffliches System metaphysischer Anfangsgründe des Rechts Die Metaphysik der Sitten betrifft in ihrer praktischen Erkenntnis – wie ausgeführt – das Verhältnis der reinen Verstandesbegriffe zum Willen, und zwar in der Art, wie reine (unabgeleitete oder abgeleitete) Verstandesbegriffe (Prädikamente oder Prädikabilien) in metaphysischen Grundsätzen der praktischen Vernunft objektiv real sind, d. h. in der Art, darin sie rein begrifflich praktisch bestimmende Wirklichkeit haben. Das Gesamtsystem einer Metaphysik des Rechts ergibt sich also aus dem System metaphysischer Anfangsgründe (d. h. Grundsätze = Prinzipien = Postulate), die rein begrifflich innerlich miteinander verbunden sein müssen, da unter ihnen als praktischen Grundsätzen eben diese Begriffe in einer praktischen Erkenntnis synthetisch miteinander verbunden vorgestellt werden. Folglich lässt sich dieses System als begriffliches Gerüst der Rechtslehre – wie es ihr Titel Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre selbst schon verspricht – vollständig ausbuchstabieren, wenn die praktischen Postulate der Rechtslehre in ihrem inneren rein verstandesbegrifflichen Zusammenhang und schon vernünftig eingeteilt vorgestellt werden können.1 Diese systematische Vorstellung der „Architektonik“ der Rechts1 Die nachfolgenden Überlegungen unterscheiden sich durch diesen verstandesbegrifflichen Bezug auf die praktische Vernunft in praktischen Postulaten maßgeblich von der seinerzeit von Geismann, ZPhilF 39 (1985), 649 ff. zu Unrecht vernichtend rezensierten Studie Sängers, Die kategoriale Systematik in den „Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre“ (1982), denn in dieser alleine bereits von ihrer Stoßrichtung her wichtigen Studie wird eben dieser praktische Grundsatzbezug noch zu wenig bedacht. Bedenkt man ihn dagegen methodologisch hinreichend, dann erledigt sich auch der zunächst möglicherweise plausibel erscheinende Einwand, den Bernd Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 126 f. Fn. 68 gegen den Ansatz Monika Sängers formuliert hat. Denn obzwar die reinen Verstandesbegriffe selbstverständlich nur im empirisch-anschaulichen (Fremd-)Bezug der theoretischen Vernunft konstitutiv zum Zwecke der Naturerkenntnis gebraucht werden können, worauf Ludwig insistiert, lässt sich doch von diesen im (Selbst-)Verhältnis zur praktischen Vernunft zugleich ein konstitutivpraktischer Gebrauch machen, dadurch sich für einen solchen Begriffshorizont ein ganzes Feld praktischer Begriffserkenntnis rein metaphysisch auftut. Aus welchen Begriffen sollte sich auch sonst eine praktische Vernunfterkenntnis aus reinen Begriffen in einer Metaphysik der Sitten speisen? Bleibt man also – möglicherweise durch sich bis heute noch immer auswirkende Spätfolgen neukantianischer Verzeichnung verursacht – gedanklich bei dem vermeintlich alleine möglichen theoretischen Gebrauch der reinen Verstandesbegriffe stehen, so verschließt man sich in der Konsequenz das ganze positiv durch bloße Begriffe zu bestimmende Gebiet der praktischen Philosophie, das intellektuell zu erschließen Immanuel Kant mit seiner Vernunftkritik doch wohl gerade angetreten war. Hierüber kann, freilich nicht ohne einen begrifflich blinden Fleck im praktischen Bewusstsein, ein ernsthafter

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4. Kap.: Vernunftbegriffliches System metaphysischer Anfangsgründe des Rechts

lehre Immanuel Kants, die in der Studie Wolfgang Kerstings, der seinerzeit angetreten war, um die Kantische Rechtsphilosophie zu rehabilitieren, wohl lediglich Anspruch geblieben ist, eben weil sich diese Studie zumeist maßgeblich auf nachgelassene Reflexionen und Vorarbeiten stützt,2 ist darum der Gegenstand der nachfolgenden Überlegungen:

A. Der logische Begriff des Postulats als Grundlage aller Postulate Die praktische Philosophie einer Metaphysik der Sitten muss – wie zuvor bemerkt – auf praktischen Postulaten der praktischen Vernunft beruhen, d. h. auf solchen Grundsätzen, die nicht nur gemäß ihrer logischen Form, sondern auch in ihrem Inhalt einen praktischen Satz der praktischen Vernunft vorstellen. Es sind also Zweifel nur bei demjenigen bestehen, der die Kritik der reinen Vernunft lediglich in ihrem für den theoretischen Vernunftgebrauch positiven Teil (der Transzendentalen Ästhetik und Analytik), nicht aber in ihrem für den theoretischen Vernunftgebrauch nur negativen Teil (der Transzendentalen Dialektik sowie Methodenlehre) zur Kenntnis zu nehmen bereit ist; und wer überdies auch die auf die Kritik der reinen Vernunft methodologisch zurückblickenden Abschnitte der Kritik der praktischen Vernunft systematisch ausblendet. Im zweiten Hauptstück der Transzendentalen Methodenlehre, d. h. im „ K a n o n d e r r e i n e n V e r n u n f t “ (AA III: 517.18-28 = A 795 f./B 823 f.) heißt es dagegen schon unmissverständlich: „Indessen muß es doch irgendwo einen Quell von positiven Erkenntnissen geben, welche ins Gebiet der reinen Vernunft gehören, und die vielleicht nur durch Mißverstand zu Irrthümern Anlaß geben, in der That aber das Ziel der Beeiferung der Vernunft ausmachen. […] Vermuthlich wird auf dem einzigen Wege, der ihr noch übrig ist, nämlich dem des p r a k t i s c h e n Gebrauchs, besseres Glück für sie zu hoffen sein.“ Am praktischen Vernunftbegriff der Freiheit, der für sich selbst u. a. den reinen Kausalitätsbegriff des Verstandes im praktischen Vernunftbezug voraussetzt, lässt sich dann auch beispielhaft studieren, dass reine Verstandesbegriffe im Selbstverhältnis zur praktischen Vernunft praktische Ideen und mithin eine Begriffserkenntnis a priori möglich machen. Darum handelt schon das Kanonkapitel der Transzendentalen Methodenlehre von dieser „Freiheit nur im praktischen Verstande“ (KrV, AA III: 521.03-07 = A 801 f./B 830 f.). An den diesbezüglichen Missverständnissen der Sekundärliteratur, nicht alleine mit Blick auf diesen Freiheitsbegriff „nur im praktischen Verstande“, sondern insbesondere auch im Hinblick auf die Verwechslung des zurechnungstheoretischen Factumbegriffs mit einem modernen Faktizitätsbegriff, lässt sich dann ablesen, welche erheblichen Schwierigkeiten sich aus der hiesigen Warte infolge eines stets schon vorausgesetzten theoretisch-reduktionistischen Gesamtverständnisses der Kantischen Philosophie im Verständnis derselben einstellen müssen. Neuerdings scheint sich übrigens ein aus der hiesigen Warte zu begrüßendes Bestreben breit zu machen, das kategorialsystematische Denken Immanuel Kants wieder mehr in den Dienst einer Interpretation der Rechtslehre zu stellen, vgl. etwa Puls, Funktionen der Freiheit (2013), S. 115 – 135 oder auch Mosayebi, Das Minimum der reinen praktischen Vernunft (2013), S. 208 – 224. 2 Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 71. – Wie hier in dieser Einschätzung auch schon Fulda, in: Hüning/Tuschling (Hrsg.): Recht, Staat und Völkerrecht bei Immanuel Kant (1998), S. 141.

A. Der logische Begriff des Postulats als Grundlage aller Postulate

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an praktischen Postulaten der praktischen Vernunft eine logische Form, die auf einen praktischen Satz geht, und ein bestimmter Inhalt, der einen praktischen Satz des Willens a priori gibt, zu unterscheiden. Dementsprechend liegt den praktischen Postulaten der praktischen Vernunft zunächst der logische Postulatbegriff zugrunde: „Ein P o s t u l a t ist ein praktischer, unmittelbar gewisser Satz oder ein Grundsatz, der eine mögliche Handlung bestimmt, bei welcher vorausgesetzt wird, daß die Art sie auszuführen, unmittelbar gewiß sei.“ (Log, AA IX: 112.03-05 [§ 38]).

In einem Postulat wird also mit der Spontanität des Denkens ein Satz vorgestellt, der in einem ersten Moment eine mögliche Handlung bestimmt. Aus diesem Grund, nämlich wegen seines spontanen Bezuges auf eine mögliche Handlung, ist der Satz eines Postulats in logischer Hinsicht ein praktischer Satz.3 Nun sind aber im Vernunftgebrauch nur zwei Handlungsarten, nämlich der theoretische sowie der praktische Vernunftgebrauch zu unterscheiden, sodass sich eine vernünftige Einteilung aller möglichen Postulate im reinen Denken ergibt:

I. Die vernünftige Einteilung denkbarer (theoretischer/praktischer) Postulate Im reinen und verständigen Denken kann demnach in einem Postulat ein praktischer Satz vorgestellt werden, der entweder einen theoretischen oder einen praktischen Vernunftgebrauch zum Gegenstand hat. Gegenstand eines Postulats ist folglich entweder eine Denk- oder eine Willenshandlung. Also sind Postulate der theoretischen und solche der praktischen Vernunft zu unterscheiden: Ein Postulat der theoretischen Vernunft stellt dem Denken durch das Denken eine bestimmte Denkhandlung, ein Postulat der praktischen Vernunft stellt dem Willen durch das Denken eine bestimmte Willenshandlung vor. Mithin spricht man besser von theoretischen Postulaten der theoretischen Vernunft und praktischen Postulaten der praktischen Vernunft. Unter die erstgenannten fallen jedenfalls alle mathematischen Postulate (z. B. der Geometrie), die als willkürliche Konstruktionshandlungen des Denkens sogar unter einer problematischen Bedingung des Willens stehen,4 sowie insbesondere auch die zur Transzendentalphilosophie gehörigen „Postulate des empirischen Denkens überhaupt“5, die dagegen unter keiner problematischen Willensbedingung stehen. Zur Klasse der praktischen Postulate der praktischen Vernunft zählt zunächst das „Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft“, und darunter sodann auch das für 3

Zu praktischen Sätzen im Sinne der Logik siehe AA IX: 110 (§ 32). KpV, AA V: 31.02-06: „Die reine Geometrie hat Postulate als praktische Sätze, die aber nichts weiter enthalten als die Voraussetzung, daß man etwas thun k ö n n e , wenn etwa gefordert würde, man s o l l e es thun und diese sind die einzigen Sätze derselben, die ein Dasein betreffen. Es sind also praktische Regeln unter einer problematischen Bedingung des Willens.“ 5 KrV, AA III: 185-198 = A 218 ff./B 265 ff. 4

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4. Kap.: Vernunftbegriffliches System metaphysischer Anfangsgründe des Rechts

menschliche Willenssubjekte gültige „Sittengesetz“ (§ 7 KpV). Während das „Grundgesetz“ ein reines praktisches Selbstverhältnis des freien Willens (d. h. sein reines praktisches Selbstbewusstsein) in sich fasst, hat das schon unter diesem stehende „Sittengesetz“ die menschliche Willkür zu seinem begrifflichen Gegenstand und fasst somit ein Gegenstandsverhältnis des freien Willens in sich. Also gehören zur Klasse der praktischen Postulate der praktischen Vernunft nicht nur das oberste praktische Postulat des Willens in seinem Selbstverhältnis, sondern auch alle dadurch vermittelst des Freiheitsbegriffs vorstellbaren praktischen Postulate des Willens in seinem Gegenstandsverhältnis, d. h. alle metaphysischen Rechts- und Tugendgesetze einer freien Willkür. Denn die Rechtsgesetze beziehen sich unter dem „Sittengesetz“ auf äußere Handlungen der Willkür, während sich die Tugendgesetze unter dem „Sittengesetz“ auf innere Handlungen der Willkür beziehen. Folglich gehören die hier noch weiter vorzustellenden Postulate der Rechtslehre zur Klasse der praktischen Postulate der praktischen Vernunft. Zuvor ist allerdings auf die Vollständigkeit der bisher nur verständigen und darum dichotomischen Einteilung aller möglichen Postulate hinzuweisen, und zwar durch vernunftschlüssige Subordination (Trichotomie) ihrer Einteilungsglieder: Dabei lässt sich ein praktisches Postulat der theoretischen Vernunft von vornherein nicht denken, denn es wäre offensichtlich ungereimt, wenn das reine Denken dem Denken eine auszuführende Willenshandlung vorstellen würde, da das Denken für sich selbst nichts wollen kann. Dagegen ist es möglich, dass das reine Denken dem Willen eine bestimmte Denkhandlung vorstellt, denn ein durch reines Denken bestimmbarer Wille vermag sich alles Mögliche (z. B. sich selbst oder Gott und die Welt) zu denken. Also sind als dritte Klasse der vernünftigen Einteilung theoretische Postulate der praktischen Vernunft denkbar, worauf eine Anmerkung in der Logik hinweist: „Es kann auch t h e o r e t i s c h e Postulate geben zum Behuf der praktischen Vernunft. Dieses sind theoretische, in praktischer Vernunftabsicht nothwendige Hypothesen, wie die des Daseins Gottes, der Freiheit und einer andern Welt.“6 Mit der nötigen begrifflichen Vorsicht sind daher die in der Rechtslehre vorfindlichen Postulate, und zwar als praktische Postulate der praktischen Vernunft, hinsichtlich ihrer vernunftlogischen Qualität nicht mit den theoretischen Postulaten der praktischen Vernunft zu verwechseln,7 obgleich sie in ihrer bloß logischen 6 Log, AA IX: 112.09-12 (§ 38). Siehe dazu auch KpV, AA V: 11.28-31, 122 ff., 124 ff., 132 ff.; VNAEF, AA VIII: 418.30-37. 7 Denn die rechtlichen Postulate in der praktischen Philosophie müssen notwendig auf äußere Handlungen bezogen sein und stellen so nicht bloß eine im Denken theoretisch vorauszusetzende Denkannahme des Willens vor; zutreffend in der Einordnung insoweit etwa Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 194 Fn. 32; oder Zaczyk, in: Fricke/König/Petersen (Hrsg.): Das Recht der Vernunft (1995), S. 311 (317 f.). Dagegen hält neben Horn, in: Klemme (Hrsg.): Kant und die Zukunft der europäischen Aufklärung (2009), S. 400 (418) beispielsweise auch Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 111 (Fn. 48) das von ihm editorisch nach § 6 versetzte rechtliche Postulat der praktischen Vernunft in § 2 (RL, AA VI: 246.03-247.08) offenbar für ein theoretisches Postulat der praktischen Vernunft. Nach Flikschuh, JRE 12 (2004), S. 299 ff. neigen neben ihr selbst (301 ff.) auch große

A. Der logische Begriff des Postulats als Grundlage aller Postulate

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Qualität, nämlich als Postulate überhaupt, d. h. in der formalen Struktur ihrer logischen Vorstellungsform, mit diesen vermittelst des logischen Begriffs des Postulats identisch sind.8 Denn der Begriff einer möglichen Handlung, die durch den praktischen Satz in einem (theoretischen oder praktischen) Postulat der (theoretischen bzw. praktischen) Vernunft bestimmt wird, bildet die gemeinsame Vorstellungsgrundlage aller möglichen Postulate und bedarf daher an diesem Punkt noch weiterer Aufklärung, um das hier beabsichtigte Verständnis der philosophischen Methode einer reinen Begriffserkenntnis aus rechtlich-praktischen Postulaten der praktischen Vernunft, und zwar im Verhältnis reiner Verstandesbegriffe (Prädikamente/Prädikabilien) zur praktischen Vernunft, zu ermöglichen:

II. Die Kausalitätsprädikabilie der Handlung im logischen Begriff des Postulats Der Begriff der Handlung ist im kritischen System Immanuel Kants ein reiner, jedoch abgeleiteter Verstandesbegriff (d. h. eine Prädikabilie), und zwar unter der reinen Verstandeskategorie der Kausalität.9 Als reiner Kausalitätsbegriff setzt der Handlungsbegriff also insofern den reinen Verstandesbegriff der Kausalität, d. h. das rein verstandesbegrifflich-notwendige Verhältnis von Ursache und Wirkung für, in und über sich selbst voraus. Dementsprechend wird im reinen Verstandesbegriff der Handlung lediglich „das Verhältniß des Subjects der Causalität zur Wirkung“10 rein verständig und mithin schon vor allem anschaulichen Bezug im Denken vorgestellt. Diesen Umstand greift jetzt die logische Vorstellungsform des Postulats mit Blick auf ihr Subjekt, die darin bestimmbare Tätigkeit sowie das Objekt derselben für sich selbst auf:

Teile der angloamerikanischen Sekundärliteratur (300 Fn. 4 m.w.N.) zur Gleichsetzung des rechtlichen Postulats mit den theoretischen Postulaten der praktischen Vernunft, obgleich die daraus resultierenden Differenzen sogleich in die Augen fallen (303). Allerdings wusste bereits Mellin, Encyclopädisches Wörterbuch IV/2 (1802), S. 664 (668) zu berichten: „Der Ausdruck Postulat der reinen praktischen Vernunft ist es eigentlich, der am meisten Mißdeutung, und jene Klagen über die vielen Postulate in der kritischen Philosophie, veranlaßt hat.“ 8 Das ist der sachliche Grund für die von Flikschuh, JRE 12 (2004), S. 299 ff. ausgemachten Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen Postulate, weshalb sie von der formalen Identität dieser Postulate ausgeht. 9 KrV, AA III: 93.21-94.31 = A 80-82/B 106-108. 10 KrV, AA III: 177.04-05 = A 205/B 250. – Weiterführend dazu auch Gerhardt, in: Prauss (Hrsg.): Handlungstheorie und Transzendentalphilosophie (1986), S. 98 ff.

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4. Kap.: Vernunftbegriffliches System metaphysischer Anfangsgründe des Rechts

1. Reine Vernunft als Subjekt der Kausalität im Begriff des Postulats Für die oben schon eingeteilten Postulate der theoretischen oder praktischen Vernunft bedeutet dies zunächst, dass das „Subject der Causalität“ der darin durch das Denken bestimmten Denk- oder Willenshandlung die (reine) Vernunft selbst ist. Der reine Verstandesbegriff der Handlung steht so hinsichtlich des Subjekts der Handlung im logischen Begriff des Postulats also nicht im einbildungskräftigen Vorstellungsbezug auf die unter reinen Verstandesbegriffen bestimmbare Vielfalt sinnlicher Anschauungen (möglicher gegenständlicher Handlungen räumlich-zeitlicher Wirklichkeit), sondern im Vorstellungsbezug auf die noch über reinen Verstandesbegriffen vorzustellende Vernunfteinheit in ihrer ursprünglichen Spontanität des Denkvermögens. Denn wie jede reine Kategorie, zeichnet sich auch der reine Handlungsbegriff dadurch aus, dass er auf einzelne Vorstellungen überhaupt (d. h. nicht notwendig sinnliche Anschauungen) und zugleich auf sinnliche Anschauungen beziehbar ist. Der reine Handlungsbegriff ist dadurch in seiner Begriffssphäre dem Freiraum reinen Denkens und Wollens zugänglich, woraus die Möglichkeit der zuvor schlüssig eingeteilten theoretischen und praktischen Postulate resultiert. 2. Die Vernunftidee transzendentaler Freiheit und die Kausalitätsprädikabilie der Handlung Der reine Handlungsbegriff ist nach alledem also wesentlich geeignet, den besonders auch im praktischen Begriff der Freiheit vorausgesetzten Begriff der transzendentalen Freiheit11 – bekanntlich verstanden als eine absolute, d. h. von selbst anfangende Spontanität mit zeitlicher Vorstellungswirklichkeit12 – im theoretischen sowie praktischen Vernunftbezug vorzustellen und damit „das Problem der Metaphysik“13 aufzulösen, das primär ein Anfangs- bzw. Ursprungsproblem ist, nämlich das des Daseins der Freiheit. Denn durch den zugleich auf zweifache Art möglichen Vorstellungsbezug des reinen Kausalitätsbegriffs der Handlung ist es im Vorstellungsvermögen überhaupt möglich, eine Ursache im Subjekt der Kausalität (z. B. dem Denken oder dem Willen) vor aller Zeit spontan (d. h. frei) tätig anheben zu 11

KpV, AA V: 29.06-07. KrV, AA III: 308 ff./362 ff./366 ff./368 ff. = A 444 ff., 532 ff., 538 ff., 542 ff./B 472 ff., 560 ff., 566 ff., 570 ff. 13 Prol, AA IV: 344.24-40: „Die Idee der Freiheit findet lediglich in dem Verhältnisse des I n t e l l e c t u e l l e n als Ursache zur E r s c h e i n u n g als Wirkung statt. […] Nur wenn durch eine Handlung e t w a s a n f a n g e n soll, mithin die Wirkung in der Zeitreihe, folglich der Sinnenwelt anzutreffen sein soll […], da erhebt sich die Frage, ob die Causalität der Ursache selbst auch anfangen müsse, oder ob die Ursache eine Wirkung anheben könne, ohne daß ihre Causalität selbst anfängt. Im ersteren Falle ist der Begriff dieser Causalität ein Begriff der Naturnothwendigkeit, im zweiten der Freiheit. Hieraus wird der Leser ersehen, daß, da ich Freiheit als das Vermögen eine Begebenheit von selbst anzufangen erklärte, ich genau den Begriff traf, der das Problem der Metaphysik ist.“ 12

A. Der logische Begriff des Postulats als Grundlage aller Postulate

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lassen, während die Wirkung der Handlung in der Zeitreihe vorzustellen ist.14 Folglich ist es der Vernunft überhaupt möglich, das Dasein der Freiheit vermittelst des reinen Handlungsbegriffs in Postulaten vorzustellen. Ist das Subjekt der Kausalität einer in einem Postulat vorgestellten Handlung aber die Vernunft in ihrer Spontanität höchstselbst, so erklärt sich auch, dass Postulate höchste und daher nicht weiter ableitbare, sondern in sich selbst unmittelbar gewisse „Grundsätze“ vorstellen. 3. Der vielfältige Gegenstandsbezug der Handlung im Verstandesbegriff der kausalen Wirkung Bedeutet der reine und abgeleitete Kausalitätsbegriff der Handlung das Verhältnis des Subjekts der Kausalität zur Wirkung, und ist das Subjekt einer in einem Postulat bestimmten Handlung stets die (reine) Vernunft, so differenzieren sich die unterschiedlich möglichen Postulate durch die mit der Handlung intendierte Vorstellungswirklichkeit – wie in vorstehender Einteilung gesehen – sachlich nach möglichen Vorstellungsgegenstands- bzw. Gebrauchsverhältnissen der Vernunft. So ist der Vorstellungsgegenstand im Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft beispielsweise der freie Wille selbst, weshalb das darin aufgehobene praktische Postulat für diesen freien Willen ein Selbstverhältnis vorstellt. Dagegen wäre in einem praktischen Postulat, das ein tätiges Besitzverhältnis der praktischen Vernunft zu ihr äußeren Gegenständen als rechtlich möglich vorstellt (§ 2), ein rechtlich in äußeren Handlungen als möglich bestimmtes Gegenstandsverhältnis des Willens vorgestellt. Gleichwohl würde ein solches praktisches Postulat (des Willens) seine ihm eignende Gewissheit nicht aus dem äußeren Vorstellungsgegenstand des Subjekts der Kausalität, sondern aus diesem Subjekt der Kausalität, d. h. aus der (praktischen) Vernunft selbst beziehen. Denn die Vernunft ist Subjekt sowohl des Postulats, als auch der durch das Postulat bestimmten und auszuführenden Handlung, dadurch sich besonders in einem praktischen Postulat eine (nicht als Evidenz misszuverstehende) Selbstgewissheit einstellt:

III. Die unmittelbare Gewissheit der (Ausführungsart der) postulierten Handlung Dementsprechend ist in einer durch ein Postulat objektiv vorgestellten und wirklich bestimmten Handlung subjektiv die (spontane) Art ihrer Ausführung 14 Eben dies aber entspricht dem Kantischen Begriff des Daseins, RGV, AA VI: 39.09-15: „Ursprung (der erste) ist die Abstammung einer Wirkung von ihrer ersten, d. i. derjenigen Ursache, welche nicht wiederum Wirkung einer andern Ursache von derselben Art ist. Er kann entweder als V e r n u n f t - oder als Z e i t u r s p r u n g in Betrachtung gezogen werden. In der ersten Bedeutung wird blos das D a s e i n der Wirkung betrachtet; in der zweiten das G e s c h e h e n derselben, mithin sie als Begebenheit auf ihre Ursache in der Zeit bezogen.“

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4. Kap.: Vernunftbegriffliches System metaphysischer Anfangsgründe des Rechts

gleichermaßen unmittelbar kraft Vernunft real im Bewusstsein des Postulats vorausgesetzt. Denn durch eine kraft Vernunft objektiv bestimmte und eingeforderte Handlung kann stets nur etwas an sich Vernünftiges hervorgebracht werden, sodass auch die tätige Bewirkung im Ausgang vom Subjekt der postulierten Tätigkeit gleichursprünglich vernünftig sein muss. Auf diese Weise ist ein Postulat in seiner ihm eignenden unmittelbaren Gewissheit zur Aktualisierung derselben im Bewusstsein insgesamt stets auf einen tätigen Vollzug durch das Subjekt der postulierten Handlung selbst hin angelegt. Die einem Postulat unmittelbar eignende Gewissheit lässt sich demnach für das Subjekt des Postulats weder akroamatisch beweisen, noch rein anschaulich demonstrieren, sondern alleine als Selbstgewissheit sich im (Selbst-)Bewusstsein aktualisierend erinnern. Der praktische Satz eines Postulats ist daher „keines Beweises fähig“ und gilt eben deshalb als Grundsatz.15

IV. Der Grundsatzcharakter eines unmittelbar gewissen Postulats In diesem Sinne ist das Wort „oder“ in der eingangs unter A. vorgestellten Definition des Postulatbegriffs, danach ein Postulat ein unmittelbar gewisser Satz „oder“ ein Grundsatz ist, nicht als ein exklusives „Oder“, sondern als eine Präzisierung desselben Sachverhalts zu verstehen. – Folglich sind solchermaßen bestimmte Grundsätze schon mit ihrer logischen Qualifikation als Prinzipien im Gesamtgefüge vernünftigen Denkens geeignet, den Anfang einer wissenschaftlichgründlichen Bearbeitung eines Vorstellungsgegenstandes zu bilden: „Sie werden um 15 Siehe zur unmittelbaren und nicht weiter beweisbaren Gewissheit praktischer Sätze in Postulaten (neben Log, AA IX: 110 ff. [§§ 33, 34, 38]) bereits die methodologischen Überlegungen unter C. II. im dritten Kapitel. – In der rechtsphilosophischen Kantliteratur ist diese für die Methode philosophischer Erkenntnis aus reinen Begriffen maßgebliche epistemologische Eigenschaft von Postulaten offensichtlich nicht immer hinreichend bekannt. Dies gilt besonders dort, so sich die Interpreten beispielsweise mit Blick auf das Postulat des § 2 Abs. 1 im dortigen zweiten Absatz nach einem „Beweis“ desselben umsehen. Ein solcher Verständnisfehler findet sich bereits in der zeitgenössischen Rezeption, beispielsweise bei Nehr, Kritik über die metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre (1798), S. 33 ff. Vgl. dafür in neuerer Zeit etwa auch Friedrich, Eigentum und Staatsbegründung (2004), S. 105; Guyer, in: Timmons (Hrsg.): Kant’s Metaphysics of Morals (2002), S. 23 (54 ff.); Henrich, Das Emissionsrecht (2015), S. 94 ff.; Hirsch, Freiheit und Staatlichkeit bei Kant (2017), S. 275; Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 190 ff.; Kühl, Eigentumsordnung als Freiheitsordnung (1984), S. 135 ff.; Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 60 ff., 111 ff. (mit der editorischen Konsequenz der Versetzung des Postulats); Müller, Wille und Gegenstand (2006), S. 192 ff.; Struck, KS 78 (1987), S. 471 (472 ff.); Zaczyk, Selbstsein und Recht (2014), S. 66 Fn. 16; Zotta, Legitimität und Recht (2000), S. 51 ff.; vgl. dagegen andererseits mit der nötigen Zurückhaltung bereits unter den zeitgenössischen Interpreten beispielsweise Beck, Commentar über Kants Metaphysik der Sitten I (1798), S. 145 ff.; Stang, Darstellung der reinen Rechtslehre von Kant (1798), S. 22; sowie in neuerer Zeit etwa Fulda, in: Höffe (Hrsg.): Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (1999), S. 87 (94 ff.); oder Zaczyk, in: Fricke/König/Petersen (Hrsg.): Das Recht der Vernunft (1995), S. 311 (321).

B. Die praktischen Postulate als metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre

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deswillen auch P r i n c i p i e n (Anfänge) genannt.“16 Ist der Vorstellungsgegenstand dabei materiell ein originärer Vorstellungsgegenstand der bloßen Vernunft, so sind im Ausgang von solchen vernünftigen Grundsätzen andere reine Vernunfturteile ableitbar, d. h. es ist dadurch eine reine Vernunfterkenntnis aus bloßen Vernunftbegriffen a priori möglich. Postulate dienen in dieser Hinsicht als reine Synthesisgründe im vernünftigen Denken.

B. Die praktischen Postulate als metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre Es ist also der reine Verstandesbegriff der Handlung unter dem reinen Verstandesbegriff der Kausalität, der allen Postulaten bereits mit ihrer logischen Form innerlich gleichermaßen zugrunde liegt. Erst durch ihren Vorstellungsgegenstand der Handlung unterscheiden sich Postulate dann materiell voneinander. Praktische Postulate der praktischen Vernunft gehen dabei ursprünglich auf den Willen, dem sie eine bestimmte Willenshandlung vorstellen. Ist diese Willenshandlung wiederum auf einen Gegenstand des Willens, nämlich die Willkür des sinnlichen Begehrungsvermögens bezogen, dann handelt es sich um ein Willenspostulat im Gegenstandsverhältnis desselben. Der Gegenstand kann dabei eine innere oder eine äußere Handlung der Willkür sein, sodass unter dem Sittengesetz auf innere Handlungen bezogene Tugendgesetze sowie auf äußere Handlungen bezogene Rechtsgesetze gleichermaßen als praktische Postulate der praktischen Vernunft gelten müssen. Diese Tugend- und Rechtsgesetze sind also mit ihrem jeweils materiell näher bestimmten Handlungsbegriff durch den darin innerlich schon vorausgesetzten reinen Handlungsbegriff mit der logischen Vorstellungsform des Postulats verbunden. Dabei ist es, da es sich im Grunde um Postulate eines freien Willens als Subjekt derselben handelt, in beiden Arten möglicher Gesetze unter dem Sittengesetz rein vernunftbegrifflich um das Dasein dieses freien Willens in der Folge selbst zu tun. Die rechtlichen Postulate der praktischen Vernunft haben es folglich materiell allesamt mit dem Dasein eines freien Willens in praktischen Ideen zu tun. Die in metaphysischen Anfangsgründen vorgetragene Rechtslehre Immanuel Kants könnte demnach im Grunde der Sache selbst eine gewisse – hier gewiss nicht gesuchte und darum auch nicht weiter interessierende – Ähnlichkeit etwa mit der hegelschen „Philosophie des Rechts“ aufweisen, wenn man sich nur der wortmächtigen Formulierung Hegels in § 29 seiner „Grundlinien“ von 1821 erinnert: „Dies, daß ein Dasein überhaupt Dasein des freien Willens ist, ist das Recht. – Es ist somit überhaupt

16

Log, AA IX: 110 (§ 34).

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4. Kap.: Vernunftbegriffliches System metaphysischer Anfangsgründe des Rechts

die Freiheit, als Idee.“17 Sofern diese hier lediglich beiläufig erinnerte mögliche Ähnlichkeit prima vista aber eine Zumutung für das gewöhnliche Verständnis des Verhältnisses der beiden Denker in ihren philosophischen Leistungen zueinander darstellen sollte, sei hier – im Anschluss beispielsweise an Rainer Zaczyk – daran erinnert, dass nicht nur Hegels „harte Kritik an der vorgeblichen Negativität und Formalität von Kants Rechtsbegriff“ eben in jenem § 29, „sondern auch seine eigene gewaltige Leistung der Grundlinien der Philosophie des Rechts […] den Blick auf die Leistung Kants“ effektiv bis heute verstellen, sodass sich beide „Theorietypen“ möglicherweise – z. B. in ihrer jeweils wohlverstandenen Staatsvorstellung – doch nicht so fundamental voneinander unterscheiden könnten, wie man dies mitunter infolge eines eher subjektivistischen Kantverständnisses Hegelschen Gepräges18 gewöhnlich unterstellen würde.19

I. Das Postulat rechtsgesetzlicher Beschränkung der Willkür (§ C Abs. 4) Innerhalb der zuvor schon vorgestellten Subordination möglicher ethischer Postulate (d. h. Tugendgesetze) der praktischen Vernunft ist unter dem Sittengesetz begrifflich notwendig ein höchstes und daher allgemeines Tugendgesetz im Subordinationsverhältnis der inneren Zwecksetzungstätigkeit der menschlichen Willkür unter einen freien Willen als Postulat zu denken: „Das oberste Princip der Tugendlehre ist: handle nach einer Maxime der Z w e c k e , die zu haben für jedermann ein allgemeines Gesetz sein kann.“20 Dieses allgemeine Tugendgesetz postuliert hier also zunächst nur, überhaupt nach der tugendgesetzlich bestimmten Maxime der Willensbestimmung zu handeln, d. h. diese tugendgesetzlich bestimmte Maxime der Willensbestimmung innerlich handelnd an sich selbst – eben durch sich selbst – in sich selbst zu setzen, wobei die tugendgesetzliche Art der Ausführung dieser inneren Handlung der Willkürbestimmung im bereits grundgesetzlich-wirklichen Bewusstsein des allgemeinen Tugendgesetzes eines freien Willenssubjekts als unmittelbar gewiss vorausgesetzt ist.21 17 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, in: Moldenhauer/Michel (Hrsg.): Georg Werke in zwanzig Bänden VII (1986), S. 80 (§ 29). 18 Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, in: Moldenhauer/Michel (Hrsg.): Hegel Werke in 20 Bänden VIII (1986), S. 115 f., 118 f., 122 f. selbst hält Kant, wie man weiß, einen bloß subjektiven Idealismus vor. 19 Zaczyk, in: Fricke/König/Petersen (Hrsg.): Das Recht der Vernunft (1995), S. 311 und 331. Vgl. ferner auch Honrath, Die Wirklichkeit der Freiheit im Staat bei Kant (2011), S. 200 – 206 (insbesondere dortige Fn. 490); Kaulbach, in: ders.: Studien zur späten Rechtsphilosophie Kants und ihrer transzendentalen Methode (1982), S. 135 (147). 20 TL, AA VI: 395.15-16. 21 Dementsprechend eignet diesem obersten Prinzip der Tugendlehre die charakteristische Signatur eines praktischen Postulats: „Dieser Grundsatz der Tugendlehre verstattet, als ein kategorischer Imperativ, keinen Beweis, […].“ (TL, AA VI: 395.22-23).

B. Die praktischen Postulate als metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre

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Innerhalb der bereits vorgestellten Subordination möglicher rechtlicher Postulate (d. h. Rechtsgesetze) der praktischen Vernunft ist unter dem Sittengesetz begrifflich notwendig auch ein höchstes und daher allgemeines Rechtsgesetz im Subordinationsverhältnis der äußeren Wirktätigkeit der menschlichen Willkür unter einen freien Willen, d. h. das subordinierende Verhältnis eines im allgemeinen Gesetz freien Willens (= eines Allgemeinwillens) zur einzelnen freien Menschenwillkür in Gemeinschaft mit ihresgleichen darunter als Postulat zu denken (§ C Abs. 4): „Also ist das allgemeine Rechtsgesetz: handle äußerlich so, daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne, […].“22 Auch hier postuliert das allgemeine Rechtsgesetz zunächst nämlich nur, äußerlich überhaupt gemäß dem allgemeinen Rechtsgesetz der allgemeinen Vereinbarkeit der Freiheit der Willkür zu handeln, d. h. die Freiheit der Willkür eines jeden Rechtssubjekts in äußeren Handlungen tätig anzuerkennen, wobei die rechtsgesetzliche Art der Ausführung dieser wirktätigen Anerkennungsleistung im bereits grundgesetzlich-wirklichen Bewusstsein des allgemeinen Rechtsgesetzes als unmittelbar gewiss vorausgesetzt ist. Dieses wirkliche Gesetzesbewusstsein enthält darum die Momente der Möglichkeit und Notwendigkeit wirklich rechtsgesetzlichen Freiheitsgebrauchs im äußeren Verhältnis eingeteilt in bzw. unter sich, und zwar als rechtliches Postulat des natürlichen Privatrechts (§ 2) sowie als rechtliches Postulat des öffentlichen Rechts (§ 42). Dabei wird die privatrechtliche Möglichkeit rechtsgesetzlichen äußeren Freiheitsgebrauchs nur innerhalb der Begriffssphäre der öffentlich-rechtlichen Notwendigkeit rechtsgesetzlichen äußeren Freiheitsgebrauchs, d. h. nur innerhalb der schon vorausgesetzten praktischen Idee des Staates mit seinem Allgemeinwillen in Gesetzen denkbar sein (§§ 8, 9, 15), wie die Interpretation der Rechtslehre beglaubigen wird, wenn und weil eine rechtliche Möglichkeit – als Wirkliche (d. h. ein subjektives Recht) – nicht außerhalb der vernünftigen Begriffssphäre der rechtlichen Notwendigkeit eines Allgemeinwillens – der eben nur im Staat äußeres Dasein hat – denkbar ist. Für das im Begriff des provisorischen Besitzes vernünftig begriffene Verhältnis des natürlichen Privatrechts (als einem Besonderen) zum Öffentlichen Recht (als einem Allgemeinen) wird dieser Gedanke der inneren Verknüpfung der drei genannten rechtlichen Postulate schließlich ganz maßgeblich werden. Vorerst ist allerdings nur darauf zu merken, dass Immanuel Kant das allgemeine Rechtsgesetz des § C Abs. 4, und zwar ganz im Sinne der bereits explizierten Bewusstseinsstruktur des logischen Postulatsbegriffs, auch selbst ausdrücklich als ein „Postulat, welches gar keines Beweises weiter fähig ist“23, anspricht. Das aber bedeutet, dass das rechtsgesetzliche Postulat durch den Handlungsbegriff mit der logischen Form eines Postulats verbunden ist, sodass der reine Handlungsbegriff des logischen Postulatbegriffs durch den materiellen Begriff einer äußeren Handlung der freien Willkür im rechtsgesetzlichen Postulat sowohl auf die vernünftig bestim22 23

RL, AA VI: 231.10-12. RL, AA VI: 231.10-18.

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4. Kap.: Vernunftbegriffliches System metaphysischer Anfangsgründe des Rechts

mende Vernunfteinheit im Subjekt des praktischen Postulats (d. h. auf den Willen), als auch auf die äußere Handlungswirklichkeit der Willkür im Raum, und somit insgesamt auf das Objekt des rechtsgesetzlichen Postulats bezogen werden kann, nämlich die freie Willkür im äußeren Verhältnis. Aus diesem Grund bildet in der Kantischen Rechtslehre – wie schon bemerkt – der Begriff einer Handlung („ A k t“ ) der freien Willkür überhaupt den einzuteilenden Oberbegriff in der Einteilung „ R e c h t oder U n r e c h t (aut fas aut nefas)“.24 Über den Begriff einer willkürlichen Handlung, der den Begriff einer willentlichen Handlung in sich voraussetzt, sind die beiden jetzt eingeführten allgemeinen Gesetze bzw. Postulate der Tugend und des Rechts dabei jeweils mit dem sittengesetzlichen bzw. grundgesetzlichen sowie dem logischen Postulatbegriff verbunden, wobei Subjekt des Postulats bzw. Gesetzes im Grunde jeweils der freie Wille selbst ist, sodass die allgemeinen Gesetze des Rechts und der Tugend als innerlich rein begrifflich verfasste Funktionen der Freiheit gelten müssen:

Abb. 4: Subordination und Koordination der praktischen Grundsätze

Über das besondere Prädikat des Begriffs ihrer willkürlichen (äußeren oder inneren) Handlung sind die beiden allgemeinen Gesetze bzw. Postulate des Rechts und der Tugend für den bloßen Verstand unter dem Sittengesetz aber auch voneinander unterschieden. Dieser Gegensatz ist jedoch in der begrifflichen Subordinationseinheit des vernünftig gegebenen Sittengesetzes darüber kein absoluter und vor der Vernunft schon für sich selbst bestehender Gegensatz, dadurch das Recht von der Ethik und diese von jenem zur gänzlichen Unabhängigkeit völlig getrennt wären. In der vernünftigen Einheit des sittengesetzlichen Handlungsbegriffs sind beide im Ursprung moralischen Gesetze vielmehr durch schlüssige Verknüpfung des praktischen Vernunftbegriffs der Freiheit begrifflich vermittelt miteinander vorzustellen, und zwar derart, dass das Recht unter dem Sittengesetz an sich eine notwendige, aber für sich selbst nicht schon hinreichende Bedingung der Tugend ist, weil das besondere Prädikat der Legalität unter dem allgemeinen Begriff der Sittlichkeit schon analytisch in dem besonderen Prädikat der Moralität vorausgesetzt ist. Der reine praktische Vernunftbegriff der Freiheit des Willens in einem positiven Verstande des 24

MS, AA VI: 218.30-36.

B. Die praktischen Postulate als metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre

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reinen Begriffs der Kausalität (§§ 7, 8 KpV) ist somit verbindender Grund von Recht und Tugend. Im Gesetz oder Begriff des Rechts kommt also kein spezifisches Prädikat zu dem der Moralität bzw. Sittlichkeit hinzu,25 sondern der Begriff des Rechts ist in diesen Prädikaten stets schon gesetzt, und folglich durch merkmalsreduzierende Abstraktion von den insofern schon besonderen Merkmalen im kategorischen Pflichtbegriff unter dem Sittengesetz völlig rein, und mithin für dieses Reflexionsmoment auch unabhängig von diesen seinen besonderen Prädikaten im moralischen Bewusstsein vorstellbar (dazu § B Abs. 2).26 Das allgemeine Rechtsgesetz ist neben dem allgemeinen Tugendgesetz also in der Formel des allgemeinen Sittengesetzes als dem „oberste[n] Grundsatz der Sittenlehre“ aufgehoben,27 weil der einheitliche Begriff der Handlung darin („handele“) das Willkürsubjekt darunter in zweierlei Weisen, nämlich in einer inneren sowie einer äußeren Handlung zugleich anspricht, denn der Handlungsbegriff teilt sich gemäß der sinnlichen Verfassung eines Willkürsubjekts in eine innere sowie eine äußere Handlung verständig ein.28 Weder Tugend, noch Recht lassen sich demnach in ihrem Grunde unabhängig von dem gemeinschaftlich über ihnen stehenden Sittengesetz bzw. dem darin praktischen Vernunftbegriff der Freiheit denken, sodass insbesondere die mit Blick auf das Recht seit vielen Jahren und in vielen Varianten vorgetragenen Unabhängigkeitsthesen29 zurückzuweisen 25 Vgl. für eine solche behauptete Verbesonderung des Rechtsdenkens im Ausgang von einer subjektivistischen Verengung „des kategorischen Imperativs“ auf Moralität beispielsweise aber Deggau, Die Aporien der Rechtslehre Kants (1983), S. 53; Harzer, JRE 14 (2006), S. 225 (233, 237 f.); Zaczyk, ARSP-Beiheft 56 (1994), S. 105 (116); ders., JRE 14 (2006), S. 311 ff. (314/318). 26 Vgl. RL, AA VI: 239.16-21; TL, AA VI: 396.24-28. 27 MS, AA VI: 226.01-03: „Der oberste Grundsatz der Sittenlehre ist also: handle nach einer Maxime, die zugleich als allgemeines Gesetz gelten kann. – Jede Maxime, die sich hiezu nicht qualificirt, ist der Moral zuwider.“ 28 Das ist der gedankliche Hintergrund der Passage in MS, AA VI: 214.22-30. 29 Siehe dafür etwa Altmann, Freiheit im Spiegel des rationalen Gesetzes bei Kant (1982), S. 61, 66 f.; Csingár, Auswirkungen der Erkenntnistheorie und Ethik Kants auf seine Rechtsphilosophie (2013), S. 11, 96 f., 207; Ebbinghaus, in: Oberer/Geismann (Hrsg.): GS I (1986), S. 333 ff., S. 349 (356 f.), S. 407 (418 f.); ders., in: Oberer/Geismann (Hrsg.): GS II (1988), S. 231 (232, 241 ff.), S. 283 (296 ff., 304 f., 365 ff.), S. 407 (408 f.); ders., in: Oberer/ Geismann (Hrsg.): GS III (1990), S. 151 (164 ff.); Geismann, JRE 14 (2006), S. 3 – 124; ders., Kant und kein Ende II (2010), S. 11 – 146; Horn, in: Klemme (Hrsg.): Kant und die Zukunft der europäischen Aufklärung (2009), S. 400 ff.; Oberer, KS 64 (1973), S. 88 (98 ff.); Reich, Rousseau und Kant (1936), S. 18; Ripstein, Force and Freedom (2009), S. 359; Tuschling, in: Euler/Tuschling (Hrsg.): Kants „Metaphysik der Sitten“ in der Diskussion (2013), S. 71 (79 f.); Willaschek, JRE 5 (1997), S. 205 ff.; ders., IJPS 17 (2009), S. 49 (52 ff./67); Wood, in: Timmons (Hrsg.): Kant’s Metaphysics of Morals (2002), S. 1 (6 ff.). Monographisch unterrichten über das Problem mittlerweile Scholz, Das Problem des Rechts in Kants Moralphilosophie (1972); Müller, Das Verhältnis von Recht und sittlicher Autonomie in Kants Metaphysik der Sitten (1996); Mosayebi, Das Minimum der reinen praktischen Vernunft (2013); Kalscheuer, Autonomie als Grund und Grenze des Rechts (2014). – Instruktiv kann auch die diesbezügliche Auseinandersetzung bei Hirsch, Freiheit und Staatlichkeit bei

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4. Kap.: Vernunftbegriffliches System metaphysischer Anfangsgründe des Rechts

sind. Aus der Kennzeichnung des allgemeinen Rechtsgesetzes als ein nicht weiter beweisbares Postulat der praktischen Vernunft folgt nämlich gewiss nicht seine Unabhängigkeit vom objektiv realen Freiheitsbegriff der zweiten Kritik,30 sondern das direkte Gegenteil, da das allgemeine Rechtsgesetz im Falle der Unabhängigkeit vom Freiheitsbegriff nicht als ein praktischer Grundsatz (d. h. „Gesetz“) im Sinne von § 1 KpV gedacht werden könnte, weil ein solcher Grundsatz innerlich rein begrifflich durch den praktischen Freiheitsbegriff objektiv real bestimmt wird und eben deshalb tatsächlich „praktisch“ ist, weil er tatsächlich nur durch Freiheit möglich ist. Das allgemeine Rechtsgesetz wäre in der behaupteten Unabhängigkeit also bereits rein begrifflich gar kein „Gesetz“ und folglich von Immanuel Kant auch schon falsch bezeichnet. Hält man dies aber in der Sache für wahrscheinlich, dann steht die Rechtslehre jedenfalls völlig zu Unrecht unter dem Titel einer Metaphysik der Sitten.31 Allerdings kann die Unabhängigkeitsthese auch bereits durch den ihr eindeutig widersprechenden Textbefund in § E Abs. 1 S. 4 widerlegt werden. Falls im Rahmen der Debatte solcher Unabhängigkeitsthesen pauschal auch die Unabhängigkeit des Rechts vom „kategorischen Imperativ“ behauptet wurde, bedarf eine solche These schon einer rein begrifflichen Kritik. Denn ein kategorischer Imperativ ist bloß eine für Menschen gültige Handlungsregel unter dem Sittengesetz und daher gemäß der begrifflichen Unterscheidungen der §§ 1, 7 KpVan und für sich selbst gar kein praktisches Gesetz der Freiheit. Das allgemeine Rechtsgesetz des § C Abs. 4 ist folglich nicht schon an sich, sondern nur für Menschen unter allgemeinen Rechtsgesetzen ein kategorischer Imperativ.32 Insofern hat es seinen beschränkt richtigen, jedoch wohl kaum jemals recht eigentlich so gemeinten Sinn, dass das Recht, nämlich als ein praktisches Gesetz, nicht vom kategorischen Imperativ abhängig ist; wohl aber ist der kategorische Imperativ des Rechts unter dem allgemeinen Rechtsgesetz von diesem Recht mitsamt seinem allgemeinen Gesetz abhängig. Allerdings ist das allgemeine Rechtsgesetz in diesem dezidiert metaphysischen Verständnis – entgegen einer These insbesondere Wolfgang Kerstings – keine unter „Unterschlagung“ der maßgeblichen Fragestellung „abrupt“ in den Begründungsgang der Rechtslehre eingeführte „spezialisierte Version des kategorischen Imperativs“, die auf „die Begründung von Pflichten, denen Zwangsbefugnisse korrespondieren“, eigens hin angelegt ist,33 denn die rechtliche Zwangsbefugnis ist Kant (2017), S. 67 ff. gelesen werden, darin er (Fn. 9 und 10) zwischen „schwachen“ und „starken Unabhängigkeitstheoretikern“ unterscheidet. 30 Siehe dafür aber besonders Willaschek und Wood in voriger Fn. 29. 31 Vgl. dazu schon oben Fn. 105 im dritten Kapitel. 32 Die hierin liegende und bereits im zweiten Kapitel hiesiger Untersuchung kritisierte Verkürzung findet sich – losgelöst von der Unabhängigkeitsfrage – für das allgemeine Rechtsgesetz beispielsweise, aber längst nicht nur, bei Höffe, in: ders. (Hrsg.): Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Berlin 1999, S. 41 (55). 33 Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 104/106 sowie S. 73, 102, 139 f.; im gedanklichen Anschluss hieran ebenso Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 92, 96 sowie Herb/ Ludwig, KS 83 (1993), S. 283 (286); ferner Hössl, in: Gerhardt/Horstmann/Schumacher

B. Die praktischen Postulate als metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre

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als allgemeine Vorstellung eines subjektiven Rechts überhaupt schon analytisch im allgemeinen Begriff des Rechts enthalten (§ D), der seinerseits wiederum analytisch schon im Pflichtbegriff gesetzt ist (§ B). Das allgemeine Rechtsgesetz des § C Abs. 4 ist in der Reihe der durch besondere Prädikate des äußeren Handlungsbegriffs gedachten Subordination der rechtlichen Grundsätze der praktischen Vernunft unter dem Sittengesetz ausweislich seines Begriffs als der höchste Rechtsgrundsatz anzusehen, aus dem heraus also das ganze System der rechtlichen Grundsätze äußerer Handlungen und mithin das ganze System der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre mit der Notwendigkeit des reinen Begriffs schlüssig folgt, weil in ihm der allgemeine und auf äußere Handlungen bezogene Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) schon rein begrifflich und damit objektiv-bestimmende Realität hat.

Abb. 5: Subordination und Koordination der rechtlich-praktischen Grundsätze

Im praktischen Postulat des allgemeinen Rechtsgesetzes ist also das – in § B Abs. 1 gesuchte – allgemeine (d. h. notwendige und hinreichende) Kriterium allen Rechts vernunftbegrifflich aufgehoben, weshalb es sich in § C Abs. 4 auch unter der Überschrift „ A l l g e m e i n e s P r i n c i p d e s R e c h t s “34 gesetzt findet. Dieses in § C Abs. 1 zuvor ausdrücklich begrifflich formulierte allgemeine Prinzip des Rechts, darunter und dadurch alle möglichen äußeren Handlungen als an sich recht-/ unrechtmäßig für jedermann (d. h. für Privatrechts- und Staatsrechtssubjekt) praktisch-notwendig erkennbar sind, bildet nämlich den intellektuellen Erkenntnisgrund für eine darunter rechtsbegrifflich-bestimmt fortzuentwickelnde metaphysische Rechtslehre, die eine synthetische Rechtserkenntnis aus reinen Vernunftbegriffen für äußere Handlungen a priori vorzutragen zur Absicht hat. 1. Die postulierte Handlung und ihre unmittelbar gewisse Ausführungsart Um sich nun über den vernunftbegrifflichen Rahmen einer vernunftbegrifflich zu leistenden metaphysischen Rechtserkenntnis a priori unter dem vernünftig be(Hrsg.): Kant und die Berliner Aufklärung IV (2001), S. 161 (167). – Kritisch zu dieser Ansicht etwa Zaczyk, ARSP-Beiheft 56 (1994), S. 105 (116 Fn. 48) oder Fulda, JRE 14 (2006), S. 167 (181). 34 RL, AA VI: 230.28.

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4. Kap.: Vernunftbegriffliches System metaphysischer Anfangsgründe des Rechts

stimmten Begriff und Kriterium des Rechts weiter zu verständigen, ist das allgemeine Rechtsgesetz als praktisches Postulat (§ C Abs. 4) hinsichtlich seiner vernunftbegrifflichen Vorstellungsstruktur nochmals ausführlicher zu erwägen. Die betreffende Passage lautet: „Also ist das allgemeine Rechtsgesetz: handle äußerlich so, daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne, zwar ein Gesetz, welches mir eine Verbindlichkeit auferlegt, aber ganz und gar nicht erwartet, noch weniger fordert, daß ich ganz um dieser Verbindlichkeit willen meine Freiheit auf jene Bedingungen s e l b s t einschränken s o l l e , sondern die Vernunft sagt nur, daß sie in ihrer Idee darauf eingeschränkt s e i und von andern auch thätlich eingeschränkt werden dürfe; und dieses sagt sie als ein Postulat, welches gar keines Beweises weiter fähig ist.“ (RL, AA VI: 231.10-18).

Da der allgemeine Begriff des Rechts analytisch aus dem bereits synthetisch verbundenen Vernunftbegriff der Pflicht, wie er im kategorischen Imperativ des Sittengesetzes unter dem Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft schon bewusst ist,35 exponiert wird, statuiert also auch das allgemeine Rechtsgesetz für menschliche Willkürsubjekte eine Pflicht, d. h. eine Verbindlichkeit.36 Diese Pflicht geht als Rechtspflicht überhaupt nur dahin, in äußeren Handlungen so zu handeln, dass der eigene freie Willkürgebrauch mit dem eines jeden anderen Willkürsubjekts allgemein bestehen kann, d. h. dahin, äußerlich überhaupt nur gemäß der verbindlichen Anforderung des allgemeinen Rechtsgesetzes zu handeln. Die – allgemein rechtsgesetzliche – Art der Ausführung einer jeden rechtmäßigen Handlung ist somit bereits im Sinne des logischen Postulatbegriffs unmittelbar mit dem ursprünglich grundgesetzlich-unmittelbaren Bewusstsein des allgemeinen Rechtsgesetzes selbst gewiss. Dementsprechend fordert das sich bloß auf die allgemeingesetzliche Beschränkung der Freiheit äußerer Handlungen beziehende allgemeine Rechtsgesetz von dem ihm subordinierten Willkürsubjekt nicht die – dem Bestimmungsanspruch des allgemeinen Tugendgesetzes allein unterfallende – innere Handlung, die eigene Freiheit in äußeren Handlungen um dieser rechtsgesetzlichen Verbindlichkeit willen selbst einzuschränken. Denn kraft des allgemeinen Rechtsgesetzes unterfällt nur die Freiheit des Willens bzw. der Willkür in äußeren Handlungen der rechtsgesetzlichen 35 Zum Begriff der Pflicht siehe GMS, AA IV: 389.05-23, 397 ff. (400.17-19), 406 ff., 412.26 ff. (421.06-20), 425.01-11, 434.07-30, 439.24-440.13; KpV, AA V: 8.04-11, 32, 71.28-72.11, 80.19-82.17, 86.22-33. 36 Siehe dazu die Begriffsbestimmungen der Einleitung in die MS, AA VI: 222.03-04 und 221.31-34, darin der Begriff der „Verbindlichkeit“ definiert wird als „die Nothwendigkeit einer freien Handlung unter einem kategorischen Imperativ der Vernunft“ und der Begriff der „Pflicht“ als „diejenige Handlung, zu welcher jemand verbunden ist“, d. h. als „die Materie der Verbindlichkeit“, sodass es „einerlei Pflicht (der Handlung nach) sein [kann], ob wir zwar auf verschiedene Art dazu verbunden werden können“, und zwar durch allgemeines Rechts- sowie allgemeines Tugendgesetz, die beide gleichermaßen nur durch „den oberste[n] Grundsatz der Sittenlehre“ (MS, AA VI: 226.01-03) möglich sind, „der überhaupt nur aussagt, was Verbindlichkeit sei“ (MS, AA VI: 225.06-08).

B. Die praktischen Postulate als metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre

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Beschränkung auf die Bedingung der Allgemeingesetzlichkeit und eben deshalb „ i s t “ die Freiheit in äußeren Handlungen auch schon stets kraft reiner praktischer Vernunft hierauf eingeschränkt. Folglich kann die äußere Freiheit im Rahmen der allgemeinen rechtsgesetzlichen Bestimmung auch rechtsgesetzlich erlaubtermaßen durch andere Personen (d. h. freie Willkürsubjekte) rein äußerlich tätig eingeschränkt werden, wenn sie die rechtsgesetzliche Allgemeinbedingung der Freiheit des Willens nämlich ohne diese tätige Einschränkung Dritter nicht wahrt. Das objektive Recht ist ganz allgemein schon ausweislich seines Begriffs mit der subjektiven Befugnis zu zwingen verbunden (§ D). Unter dem obersten rechtlichen Postulat der praktischen Vernunft in ihrem äußeren Gegenstandsverhältnis (§ C Abs. 4) ist es folglich rein vernunftbegrifflich um eine allgemeingesetzliche Beschränkung der Freiheit der Willkür in äußeren Handlungen zu tun, und zwar auf der Basis des reinen Vernunftbegriffs des natürlichen Zwangsrechts zur gesetzlichen Verfassungstätigkeit in äußeren Handlungen, d. h. dem in reinen praktischen Vernunftbegriffen gedachten subjektiven Recht (nicht auf, sondern) zum Staat des öffentlichen Rechts (§ 42 Abs. 1): – Ist diese allgemeingesetzliche Beschränkung der Freiheit unter dem allgemeinen Postulat des Rechts dabei von einem freien Willenssubjekt zunächst als bloße Vernunftidee im Verhältnis der einander interpersonal gegenüberstehenden Privatrechtssubjekte lediglich gedacht, weil es in diesem Interpersonalverhältnis bloß für sich selbst noch an einer wirklichen allgemeinen Gesetzgebung im äußeren Verhältnis der Privatrechtssubjekte gedanklich fehlt, so resultiert daraus die rechtlich bestimmte Naturzustandsvorstellung im reinen Rechtsdenken (§§ 1 – 40). Diese von der rechtlich unbestimmten Naturzustandsvorstellung (§ 42 Abs. 2 – 3) zu unterscheidende Naturzustandsvorstellung stellt aber gemäß § B Abs. 1 nichts anderes als eine Abstraktion von einem schon konkreten Rechtsdenken in positiven staatlichen Gesetzen, und insofern ein völlig abstraktes Recht (z. B. des äußeren Besitzes) im bloßen Denken vor, das eben darum noch kein konkretes Dasein auch außerhalb des bloßen Gedankens (,provisorisch‘) für sich selbst in einer Zeit hat. – Ist diese allgemeingesetzliche Beschränkung der Freiheit unter dem allgemeinen Postulat des Rechts dagegen von einem freien Willenssubjekt intrapersonal als praktische Vernunftidee (d. h. als praktisch-wirklich) im Verhältnis der einander interpersonal gegenüberstehenden Privatrechtssubjekte gedacht, weil dieses Interpersonalverhältnis an und für sich selbst schon intrapersonal einer wirklichen allgemeinen Gesetzgebung im äußeren Verhältnis der Privatrechtssubjekte subordiniert vorgestellt wird, so resultiert daraus mit der praktischen Vernunftidee des Staates die Rechtszustandsvorstellung im reinen Rechtsdenken (§§ 43 – 62). Sie hebt die naturzuständliche Abstraktion von einem wirklichen Allgemeinwillen in Gesetzen durch eine vernünftige Subordination des Interpersonalrechtsverhältnisses unter ein Rechtsverhältnis gesetzlicher Allseitigkeit auf, sodass in der Folge rein begrifflich ein konkretes Rechtsdenken in positiven staatlichen Gesetzen einsetzt, das das

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4. Kap.: Vernunftbegriffliches System metaphysischer Anfangsgründe des Rechts

konkrete (peremtorische) Dasein des äußeren Rechts (z. B. des Eigentums oder des Besitzes) im reinen Denken vorstellbar macht. Also hat die rechtsgesetzlich als notwendig postulierte Idee allgemeingesetzlicher Beschränkung der Freiheit im äußeren Verhältnis (§ C Abs. 4) nur durch die praktische Idee des Staates (§ 45 Abs. 1) auch ihre rein begrifflich bestimmende und daher praktische Realität, sodass der in diesem rechtsgesetzlichen Postulat objektiv real bestimmende allgemeine Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) für sich auch erst im Staat (§ 45 Abs. 1) ein Dasein außerhalb des bloßen Gedankens selbst haben kann. Unter dem rechtsgesetzlichen Postulat des Rechts ist es somit letztlich insgesamt um eine rechtsbegriffliche Vernunftvorstellung äußerer Freiheit zu tun, die alleine im bzw. durch den Staat Wirklichkeit haben kann, denn alleine in dieser öffentlichen Rechtsform einer äußeren Gesetzgebung kann es eine äußere gesetzliche Bestimmung äußerer Handlungen der freien Willkür wirklich geben. In dieser rechtsbegrifflichen Vernunftvorstellung liegt dann zugleich die metaphysische Befugnis zu einer wirklichen äußeren Gesetzgebung im Staat, d. h. die rein begrifflich vermittelte praktische Notwendigkeit einer positiven Setzung des Rechts in äußeren Gesetzen.37 Der in dieser metaphysischen Vorstellung angesprochene Vernunftbegriff des Staates ist somit in der Sphäre des allgemeinen Rechtsbegriffs unter diesem, aber nicht schon in diesem selbst gesetzt, denn dann wäre er analytisch bereits im allgemeinen Begriff des Rechts enthalten und so wäre der Staatsbegriff (§ 45 Abs. 1) folglich mit diesem allgemeinen Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) vollkommen identisch. Die praktische Vernunftidee des Staates mitsamt der ihr an und für sich selbst schon eignenden praktischen Notwendigkeit würde sodann alleine durch Analyse des allgemeinen Rechtsbegriffs und nicht erst durch synthetische Begriffsverknüpfung unter diesem zu einem deutlichen Bewusstsein erhoben werden können. Dies aber, nämlich die analytische Verknüpfung, ist die irrige Behauptung, die in vielen Interpretationen schon daraus resultiert, dass sie Kants diesbezüglich maßgeblichen Satz in § 42 Abs. 1, der unter dem allgemeinen Rechtsbegriff steht, und in dieser Stellung vom Grund der praktischen Notwendigkeit des Postulats des öffentlichen Rechts handelt, um den wesentlichen Zusatz „im äußeren Verhältnis“ hinter „dem Begriff des R e c h t s “ reduzieren.38

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Nochmals MS, AA VI: 224.27-36. Der Satz (RL, AA VI: 307.12-13) lautet: „Der Grund davon läßt sich analytisch aus dem Begriffe des R e c h t s im äußeren Verhältniß im Gegensatz der G e w a l t (violentia) entwickeln.“ Siehe für diese nicht unempfindliche Verkürzung im begrifflichen Rechtsdenken beispielsweise Bartuschat, in: Zaczyk/Köhler/Kahlo (Hrsg.): FS E.A. Wolff (1998), S. 17 (18/ 21 ff.); Hirsch, Freiheit und Staatlichkeit bei Kant (2017), S. 217/301 u. ö.; Kühl, Eigentumsordnung als Freiheitsordnung (1984), S. 164; May, Kants Theorie des Staatsrechts (2002), S. 59; Metzger, Untersuchungen zur Sitten- und Rechtslehre Kants und Fichtes (1912), S. 86; Niebling, Das Staatsrecht in der Rechtslehre Kants (2005), S. 73/84; Pinzani, in: Dörflinger/ Hüning/Kruck (Hrsg.): Das Verhältnis von Recht und Ethik in Kants praktischer Philosophie (2017), S. 171 (187 – 189); Unruh, Die Herrschaft der Vernunft (20162), S. 157/161. 38

B. Die praktischen Postulate als metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre

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Dieses „äußere Verhältnis“ ist jedoch das im und unter dem allgemeinen Begriff des Rechts maßgebliche Verhältnis äußerer Handlungen, die Erkenntnisgegenstand des allgemeinen Rechtsbegriffs unter ihm in seiner Bestimmungssphäre sind. Da aber alle rechtliche Bestimmung im äußeren Handlungsverhältnis der Menschen zueinander unter dem allgemeinen Begriff des Rechts effektiv nur vom Staatsrechtssubjekt über ihnen ausgeht, ermöglicht der im allgemeinen Postulat des Rechts (§ C Abs. 4) praktisch gebrauchte Begriff der äußeren Handlung die in sich schlüssig verfasste Einheitsvorstellung des äußeren Rechts der Menschen in seiner ganzen Totalität, d. h. die Einheit der Rechtsidee.39 Er ist darum als Strukturgeber der gesamten Rechtslehre (§§ 1 – 62) unter dem allgemeinen Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) einer Analyse hinsichtlich der in ihm innerlich schon vorausgesetzten reinen sowie zugleich metaphysischen Prädikate zu unterziehen: 2. Der vernunftbegriffliche Voraussetzungszusammenhang im Handlungsbegriff Bei dieser angesprochenen Totalität der Rechtsidee ist es insgesamt um die vernünftige Einheitsvorstellung eines freien Willens verbunden im äußeren Gegenstandsverhältnis überhaupt, d. h. um die Vernunftvorstellung einer Kausalität aus Freiheit im globalen Verhältnis äußerer Handlungen zueinander zu tun. – Insofern bedarf diese Rechtsvorstellung praktischer Vernunft in ihrer Totalität schon rein begrifflich für sich selbst der Voraussetzung des reinen Handlungsbegriffs als Prädikabilie unter der reinen Verstandeskategorie (Prädikament) der „Kausalität“, und zwar im Ausgang vom reinen Verstandesbegriff eines Subjekts, d. h. im Ausgang von der reinen Verstandeskategorie (Prädikament) der „Substanz“: Zur rein verstandesbegrifflichen Voraussetzungsstruktur in der Prädikabilie der Handlung: Der reine Begriff der „Handlung“ muss in diesem Zusammenhang unter dem reinen Begriff der Kausalität also mit dem reinen Begriff der „Substanz“ innerlich verknüpft sein, dadurch er als rein begrifflich abgeleiteter Verstandesbegriff (d. h. als Prädikabilie) selbst erst denkbar ist, weil eine Handlung als Akzidenz einer Substanz ursprünglich inhärierend vorzustellen ist, soll sie überhaupt ein Subjekt ihrer Kausalität haben. Nun wird die Kausalität einer Substanz in der Verstandesprädikabilie der „Kraft“ begriffen und folglich ist der reine Handlungsbegriff über diesen reinen Kraftbegriff mit dem reinen Substanzbegriff innerlich verknüpft. Im Aufstieg seiner inneren rein verstandesbegrifflichen Voraussetzungsstruktur gilt vom reinen Kausalitätsbegriff darum: „[…] Causalität führt auf den Begriff der Handlung, diese auf den Begriff der Kraft und dadurch auf den Begriff der Substanz.“40 39

Nicht umsonst ist im Zusammenhang mit diesem Postulat (RL, AA VI: 231.10-18) die Rede von einer „Idee“ der Vernunft, darin sie bereits jederzeit praktisch-notwendig auf die unbedingte Bedingung der rechtlichen Allgemeingesetzlichkeit eingeschränkt ist. Siehe zur dialektischen Binnenstruktur der Rechtsidee in ihrer Entfaltung unter dem Rechtsbegriff weiterführend auch Hoffmann, ARSP 87 (2001), S. 449 – 467 (besonders 458 ff.). 40 KrV, AA III: 176.19-20 = A 204/B 249.

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4. Kap.: Vernunftbegriffliches System metaphysischer Anfangsgründe des Rechts

Dementsprechend setzt der hier untersuchte reine Handlungsbegriff die reinen Begriffe von Kraft und Substanz in sich und für sich selbst über sich voraus. Der reine Begriff der Substanz als das Subjekt einer kausalen Handlung überhaupt: Der Begriff der Kraft gehört nun selbst noch zu den Prädikabilien der Kausalität41 und macht somit auch ein begriffliches Moment der Handlung aus. Dagegen stellt der Begriff der Substanz, neben dem Begriff der Kausalität, einen reinen Verstandesbegriff der Relation, und zwar den des Vorstellungsverhältnisses von Inhärenz und Subsistenz vor. Der Begriff der Substanz betrifft in dieser Funktion des Denkens einen Vorstellungsgegenstand, und zwar als Subjekt der Bestimmung in einem Urteil überhaupt. Demnach sind einer Substanz – als dem logischem Subjekt der Bestimmung im Denken – alle möglichen Prädikate der Bestimmung inhärierend zuzuordnen, während ihre Vorstellung in ihrer Subsistenz selbst nicht als bloßes Prädikat in der Bestimmung einer anderen Substanz betrachtet werden kann.42 Folglich sind einer Substanz in dieser Funktion des Denkens auch alle Prädikate einer kausalen Handlung zurechenbar. Der reine Begriff der Substanz im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug zum freien Willen: Diese reinen Verstandesbegriffe (von Substanz, Kraft, Handlung, Kausalität) stehen in einer praktischen Metaphysik nun – wie bemerkt – nicht in einer theoretischen, sondern praktischen Erkenntnisrelation, und zwar im rechtsgesetzlichen Verhältnis der praktischen Vernunft, d. h. in einer Relation des freien Willens. Also stellt der reine Verstandesbegriff der Substanz im reinen praktischen Vernunftbezug des allgemeinen Rechtsgesetzes das absolute (Vernunft-)Subjekt allen äußeren Rechts im reinen Rechtsdenken vor, dem in der begrifflichen Folge ursprünglich auch alle rechtlich bestimmten äußeren Handlungen nach der Denkfunktion von Inhärenz und Subsistenz zurechenbar sein müssen. Das absolute Subjekt rechtsgesetzlicher Bestimmung kann aber – wie ebenfalls bemerkt – nur ein sich in allgemeinen Rechtsgesetzen wirklich selbst bestimmendes Rechts- und Willenssubjekt, d. h. einzig das Staatsrechts-, und nicht ein bloßes Privatrechtssubjekt sein. Hinter der praktischen Vernunftidee des Staates (§ 45 Abs. 1) steht folglich die reine Substanzkategorie im rechtsgesetzlichen Verhältnis zur praktischen Vernunft, von der aus alle praktische Notwendigkeit rechtlicher Bestimmung im äußeren Verhältnis unter dem allgemeinen Rechtsgesetz ausgeht. Der Staat ist unter dem allgemeinen Rechtsgesetz demnach zu begreifen als ein substanzieller, d. h. als ein in äußeren Gesetzen an sich selbst tätiger Allgemeinwille, wobei hier darauf hinzuweisen ist, dass in dieser rein verstandesbegrifflichen Fundierung praktischen Rechtsdenkens keine willkürliche Apotheose des Staates gelegen ist. Von der kausalen Handlung zur absoluten Substanz dieser Handlung: Im Ausgang von dem im allgemeinen Postulat gebrauchten (äußeren) Handlungsbegriff, der den Substanzbegriff – über den Kraftbegriff vermittelt – in sich selbst voraussetzt, wird eine rein begriffliche Entwicklung des vorstehenden Rechtsgedankens aber 41 42

KrV, AA III: 94.15-27 = A 82/B 108. KrV, AA: 87 = A 80/B 106 sowie 106.16-28 = B 128 f.

B. Die praktischen Postulate als metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre

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nicht mit der Vorstellung des substanziellen Staatsbegriffs in der praktischen Idee des Staates, oder gar seiner rein begrifflich praktisch-notwendigen letzten Folge, nämlich der Vernunftidee eines ewigen Friedens einsetzen können. Vielmehr ist dieser Rechtsgedanke in seiner Totalität unter dem allgemeinen Postulat des Rechts ja erst vollständig in synthetischen Begriffsverknüpfungen zu entwickeln. Diese vernunftbegriffliche Entwicklung wird darum in einem ersten Schritt der metaphysischen Rechtslehre andersherum auszuführen sein, nämlich begrifflich von der kausalen Handlung eines einzelnen freien Willkürsubjekts im rechtsgesetzlichpraktischen Vernunftbezug zur absoluten Substanz aufsteigend. Das erste begriffliche Moment der Rechtslehre besteht unter dem allgemeine Rechtsbegriff also nicht schon im Begriff des Staates und seiner in ihm gesetzten praktischen Notwendigkeit, sondern in dem eines tätig gewirkten Zustandes einer einzelnen äußeren Handlung, der, vermittelst der vorgezeichneten begrifflichen Entwicklung, unter dem Begriff der äußeren Handlung ja überhaupt letztlich als rechtlich, d. h. wirklich allgemeingesetzlich bestimmt begriffen werden können soll. Der reine Begriff eines im Gegenstandsverhältnis des Subjekts einer Handlung schon gewirkten Zustandes aber, in dessen allgemeiner Vorstellung das Subjekt den Gegenstand kraft Handlung bereits für sich kausal ergriffen hat, und mithin begrifflich schon mit ihm in seinem Besitz verbunden ist, ist der Begriff des Habens, denn: „[…] der Besitz nach einem reinen Verstandesbegriffe gedacht […] ist die zehnte Categorie des Aristoteles, habere; im critischen System aber eine Prädicabile der Categorie der Ursache“43. Folglich stellt diese Kausalitätsprädikabilie und nicht die des Handelns den begrifflichen Ausgangspunkt der Rechtslehre unter dem allgemeinen Rechtsbegriff vor, darin die Kausalität eines freien Willens in seiner äußeren Wirklichkeit rein begrifflich und daher anfänglich-metaphysisch entwickelt werden soll. Von der rechtlichen Möglichkeit einer äußeren Handlung im Hinblick auf die notwendige rechtsgesetzliche Bedingung: Dieser rein begriffliche Anlage entsprechend, wird der Hauptteil der Rechtslehre in den §§ 1 ff. nicht schon unvermittelt mit dem Postulat der rechtlichen Notwendigkeit (= d. h. dem objektiven Gesetz) einer rechtsgesetzlichen Verfassung in äußeren Handlungen des Willkürsubjekts einsetzen, sondern mit dem Postulat der rechtlichen Möglichkeit (= d. h. der subjektiven Erlaubnis) eines Gegenstandesbezuges in äußeren Handlungen desselben überhaupt. Da aber eine subjektive Erlaubnis (§ 2 Abs. 1) unter einem allgemeinen Rechtsgesetz (§ C Abs. 4) schon rein begrifflich nicht außerhalb der Sphäre eines objektiven Gesetzes stehend gedacht werden kann, ist es die praktische Notwendigkeit des Vernunftbegriffs des im öffentlichen Recht wirklichen Rechtsgesetzes (§§ 42 Abs. 1, 45 Abs. 1) unter dem allgemeinen Rechtsgesetz (§ C Abs. 4), dadurch sich – im Hinblick hierauf: provisorisch – rechtlich bestimmte Verhältnisse der Menschen im äußeren Gegenstandesbezug bereits in ihrem natürlichen Zustand denken lassen. Wollte man über diese bloß provisorisch-rechtlich bestimmt gedachten Begriffe vom natürlichen Privatrecht hinaus die tatsächliche Existenz der durch sie begreiflichen 43

VARL, AA XXIII: 325.11-12.

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4. Kap.: Vernunftbegriffliches System metaphysischer Anfangsgründe des Rechts

Rechtsverhältnisse (des Eigentums bzw. Besitzes) im natürlichen Zustand auch außerhalb des bloßen Gedankens dieses Naturzustandes, mithin in realen Rechtsverhältnissen in einer wirklichen Zeit behaupten, so läge hierin die nicht eben sehr idealistische Hypostasierung des Naturzustandsgedankens in einer Zeit selbst, dadurch eine solche Behauptung – ob gewollt oder nicht – gedanklich unausweichlich auf das voraufgeklärte Niveau essentialischer Naturrechtslehren zurückfiele. Hätte die metaphysische Rechtslehre Immanuel Kants allerdings tatsächlich einen solchen vermeintlich irgendwo empirisch existenten Gegenstand, so dürfte man den Autor wohl kaum mit Recht dafür rühmen, ein voraufgeklärtes Naturrecht mit seiner ,kritischen‘ Rechtslehre überwunden zu haben.

II. Das Postulat der rechtlichen Möglichkeit eines privaten äußeren Mein und Dein (§ 2) Das erste rechtliche Postulat der praktischen Vernunft (§ 2) unter dem allgemeinen Rechtsgesetz (§ C Abs. 4) wird nach der vorstehenden Überlegung die äußere Handlung eines Privatrechtssubjekts, und zwar im Hinblick auf einen von ihm verschiedenen äußeren Gegenstand überhaupt rechtlich-synthetisch bestimmen, wobei die rechtsgesetzliche Art, diese äußere und daher gegenstandszugreifende Handlung eines Privatrechtssubjekts ursprünglich auszuführen, mit dem wirklichen Bewusstsein des praktischen Satzes von § 2 im Sinne des logischen Postulatbegriffs als unmittelbar gewiss gleichursprünglich vorausgesetzt ist. Es lautet mit der gesetzesförmigen Idee einer auch im äußeren Verhältnis praktischen (d. h. tätigen) Vernunft: „Es ist möglich, einen jeden äußern Gegenstand meiner Willkür als das Meine zu haben; […].“44 1. Die postulierte Handlung und ihre unmittelbar gewisse Ausführungsart Dieses rechtliche Postulat bestimmt also – ganz im Sinne der Definition des logischen Postulatbegriffs – das tätige Haben nicht eines schon bestimmten, sondern eines jeden äußeren Gegenstandes überhaupt als rechtlich möglich, d. h. als erlaubt. Eine praktisch-notwendig (d. h. kategorisch) gebotene Rechtspflicht, Verhältnisse des äußeren Mein und Dein zu schaffen, gibt es dagegen – um es hier ganz deutlich gegen eine eigentumstheoretische Lesart zu bemerken – im Ausgang von diesem Postulat nicht;45 aus einer rechtlichen Möglichkeit folgt keine rechtliche 44

RL, AA VI: 246.05-08. Das ist aber die entscheidende These der eigentums- oder privatrechtsspezifischen Interpretation der Kantischen Staatsbegründung, vgl. repräsentativ nur Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 156 f. (besonders dortige Fn. 121) und S. 170: „Die Schaffung von Eigentumsverhältnissen ist ein kategorischer Imperativ.“ 45

B. Die praktischen Postulate als metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre

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Notwendigkeit, sondern jene Möglichkeit setzt vielmehr eine Notwendigkeit bereits für sich selbst voraus, da eine rechtliche Möglichkeit (d. h. Erlaubnis) schon nicht außerhalb der Sphäre einer rechtlichen Notwendigkeit (d. h. Gesetz) denkbar ist. Die privatrechtsspezifische Lesart, die aus der mit § 2 vermeinten Notwendigkeit von privaten Besitzrechten vor dem Staat heraus akzessorisch-funktional die zur Sicherung dieser vermeinten Rechte (analytisch) gehörige Notwendigkeit des Staates behauptet, strapaziert also nicht nur die logische Systematik, sondern auch den Wortlaut des Textes zu sehr. Ein schon mit Rechtstitel versehenes und daher rechtlich erlaubtes Haben eines ganz bestimmten äußeren Gegenstandes wäre nun infolge der Bestimmung des Postulats begrifflich als rechtlicher Besitz, d. h. mit Possessivpronomen als ein „äußeres Mein und Dein“46 anzusprechen. Das rechtliche Postulat des § 2 bestimmt folglich richtigerweise nur, dass es rechtlich überhaupt erlaubt ist, einen jeden äußeren Gegenstand als potentiellen Rechtsbesitz zu behandeln.47 Der Begriff des Besitzes oder Habens eines äußeren Gegenstandes bezeichnet somit den im Ausgang vom Willens- bzw. Willkürsubjekt tätig gewirkten Zustand im Verhältnis zu einem bestimmten äußeren Gegenstand. Er setzt auf diese Weise den Begriff der äußeren Handlung oder des Besitzerwerbs, d. h. einer äußeren Besitzerwerbshandlung für sich selbst voraus; und so wie der reine Begriff der Handlung eine Prädikabilie des reinen Verstandesbegriffs der Kausalität vorstellt, so stellt auch der reine Begriff des Habens – wie schon bemerkt – eine ebensolche Prädikabilie vor. Mithin ist das in unmittelbarer Selbstgewissheit eines freien Willens als rechtlich möglich postulierte Haben eines äußeren Gegenstandes für sich selbst ursprünglich gedanklich auf einen handelnden Erwerb eines äußeren Gegenstandes durch das adressierte Willkürsubjekt des rechtlichen Postulats angewiesen, sodass eben ein solcher tätiger Erwerb eines rechtlich möglichen Habens überhaupt in der – rechtlichen, d. h. wirklich allgemeingesetzlichen – Art seiner tätigen Ausführung gleichursprünglich mit dem unmittelbaren Bewusstsein des rechtlichen Postulats der praktischen Vernunft (§ 2 Abs. 1) als unmittelbar gewiss vorausgesetzt ist.48 Das Postulat enthält demnach die ebenfalls mit dem allgemeinen Rechtsgesetz unter ihm unmittelbar gewisse Erlaubnis zu einem „ursprünglichen“ bzw. „ersten“ Besitzerwerb eines äußeren Gegenstandes in äußeren Handlungen gleichursprünglich in sich.49 Aus diesem Grund 46

RL, AA VI: 236.24-26. RL, AA VI: 246.32-35. 48 Es handelt sich bei der mit der logischen Vorstellungsstruktur des Postulats notwendigen Erwähnung der ersten Besitzerwerbshandlung in § 2 Abs. 3 also entgegen einem weithin bestehenden Konsens nicht um einen beliebigen gedanklichen Vorgriff auf das zweite Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre; vgl. dazu aber etwa Hartmann, in: Brandt/Stark (Hrsg.): Autographen, Dokumente und Berichte (1994), S. 109 (117 Fn. 34). 49 Zum Problem des ursprünglichen Erwerbs siehe im zweiten Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre die §§ 10/11 – 17 (RL, AA VI: 258 ff.) und zur wichtigen gleichursprünglichen Gemeinsamkeit sowie Differenz von ursprünglichem Erwerb (des Bodens) und erstem Erwerb (eines öffentlichen rechtlichen Zustandes durch ursprünglichen Vertrag) besonders § 10 Abs. 5 (RL, AA VI: 259.12-28). Allerdings darf man zu diesem Zweck nicht die Edition Bernd 47

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4. Kap.: Vernunftbegriffliches System metaphysischer Anfangsgründe des Rechts

heißt es in § 2 Abs. 3 in einer viel diskutierten Wendung Immanuel Kants zuletzt auch noch: „Man kann dieses Postulat ein Erlaubnißgesetz (lex permissiva) der praktischen Vernunft nennen, was uns die Befugniß giebt, die wir aus bloßen Begriffen vom Rechte überhaupt nicht herausbringen könnten: nämlich allen andern eine Verbindlichkeit aufzulegen, die sie sonst nicht hätten, sich des Gebrauchs gewisser Gegenstände unserer Willkür zu enthalten, weil wir zuerst sie in unseren Besitz genommen haben.“50 Indem diese Erlaubnis praktischer Vernunft zu einer (ursprünglichen bzw. ersten) äußeren Erwerbshandlung in der zuvor postulierten rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Gegenstandsbesitzes als schon gewirkter Zustand einer äußeren Handlung überhaupt innerlich vorausgesetzt ist, ist diese Erlaubnis des Postulats ebenso wenig beweisbar, wie auch das Postulat des § 2 als gedankliche Einheit schon insgesamt keines Beweises fähig ist. Denn als solches stellt es im Verhältnis zum praktischen Postulat des § C Abs. 4, überhaupt unbedingt rechtsgesetzlich-bedingt in äußeren Handlungen zu verfahren, eine vernunftbegriffliche Spezifizierung vor, indem es nämlich auf die rechtliche Möglichkeit eines Rechtsbesitzes in äußeren Handlungen geht. Insofern ist das Postulat des § 2 mit einer postulierten äußeren Besitzerwerbshandlung materiell nicht schon begrifflich-analytisch aus dem Postulat des § C Abs. 4 ableitbar, denn dieses ist als allgemeines und oberstes Postulat ohne weitere besondere Prädikate nur auf äußere Handlungen überhaupt gerichtet. Vielmehr besteht das Postulat des § 2 mit seiner rein begrifflichen Verbesonderung selbstständig für sich unter dem allgemeinen Rechtsgesetz und enthält insofern eine rechtliche Ludwigs heranziehen, denn dieser (Kants Rechtslehre [1988], S. 70 f.) hat diesen § 10 Abs. 5 in seiner Vorstellung der Rechtslehre Immanuel Kants kurzerhand aus dem Text derselben ,verbannt‘. 50 RL, AA VI: 247.01-06. – Dieser innere (vernunft-)logische Grund für die von Kant an dieser Stelle fakultativ eingeführte Begrifflichkeit des „Erlaubnisgesetzes“ im Rahmen der praktischen Vernunftvorstellung des rechtlichen Postulats (§ 2), das in der Sache – ohne schon im allgemeinen Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) analytisch enthalten zu sein – ja lediglich ein ganz alltägliches und banales Rechtsbewusstsein in seiner Synthese zum Ausdruck bringt, nämlich in der Welt äußerer und vom Willkürsubjekt räumlich verschiedener Gegenstände überhaupt willkürlich handeln zu dürfen, kommt in den vielen mittlerweile diesbezüglich erschienen Interpretationen möglicherweise gelegentlich noch etwas zu kurz. Vgl. dazu beispielsweise Brandt, in: ders. (Hrsg.): Rechtsphilosophie der Aufklärung (1982), S. 233 – 285; Flikschuh, JRE 12 (2004), S. 299 (312 ff.); Friedrich, Eigentum und Staatsbegründung (2004), S. 102 ff./110 ff.; Hartmann, in: Brandt/Stark (Hrsg.): Autographen, Dokumente und Berichte (1994), S. 109 – 120; Hespe, in: Hüning/Stiening/Vogel (Hrsg.): FS Tuschling (2002), S. 119 – 149; Hruschka, in: ders., Kant und der Rechtsstaat (2015), S. 48 – 88; ders., Law and Philosophy 23 (2004), S. 45 – 72; Kaufmann, JRE 13 (2005), S. 195 – 219; Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 190 ff.; Kühl, Eigentumsordnung als Freiheitsordnung (1984), S. 135 ff.; Ludwig, in: Brandt (Hrsg.): Rechtsphilosophie der Aufklärung (1982), S. 218 – 232; ders. (Fn. 7), 60 ff./108 ff.; ders., ARSP 82 (1996), S. 250 – 259; Müller, Wille und Gegenstand (2006), S. 192 ff.; Oberer, in: ders. (Hrsg.): Kant: Analysen – Probleme – Kritik III (1997), S. 157 (197 ff.); Radermacher, ARSP 74 (1988), S. 42 – 50; Saito, ARSP 82 (1996), S. 238 – 250; Struck, KS 78 (1987), S. 471 – 476; Tuschling, in: Oberer/Seel (Hrsg.), Kant: Analysen – Probleme – Kritik (1988), S. 273 – 292; Zaczyk, in: Fricke/König/Petersen (Hrsg.): Das Recht der Vernunft (1995), S. 311 – 331; Zotta, Legitimität und Recht (2000), S. 50 ff.

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Erweiterung der praktischen Vernunft (d. h. des Willens) in die äußere Wirklichkeit: „Die Vernunft will, daß dieses als Grundsatz gelte, und das zwar als p r a k t i s c h e Vernunft, die sich durch dieses ihr Postulat a priori erweitert.“51 Dementsprechend lässt sich das rechtliche Postulat mitsamt seiner Erlaubnis auch aus den „bloßen Begriffen vom Rechte“ (d. h. aus den §§ B Abs. 3/C Abs. 1) „überhaupt nicht herausbringen“,52 denn der allgemeine Rechtsbegriff stellt als allgemeines Kriterium allen Rechts lediglich die rechtsgesetzliche Form äußerer Handlungen überhaupt mit praktischer Notwendigkeit rein begrifflich vor. Er enthält also keine, nämlich mit Blick auf schon begrifflich weiter prädizierte äußere Handlungen, besonders bestimmte materielle Erlaubnis analytisch in sich, und eben darauf beruht die nach dem Verstandesprinzip des Widerspruchs in apagogischer Form anhand des Begriffs ,eines Gegenstandes meiner (freien) Willkür‘ lediglich zur größeren Verstandesdeutlichkeit begrifflich-analytisch geführte Selbstvergewisserung des ohnehin schon unmittelbar gewissen Willensinhalts des Postulats des § 2 Abs. 1 in § 2 Abs. 2,53 wenn sie zutreffend herausstellt, dass ein äußerer Gegenstandsbesitz rechtlich jedenfalls überhaupt möglich (d. h. erlaubt) sein muss, weil das allgemeine Rechtsgesetz – als das oberste praktische Postulat der reinen praktischen Vernunft im äußeren Gegenstandsverhältnis überhaupt – materiell immerhin kein (absolutes) Verbot eines solchen äußeren Besitzes enthält.54 Über diesem obersten allgemeinen Rechtsgesetz gibt es aber kein weiteres Rechtsgesetz und folglich auch kein absolutes materielles Verbot eines äußeren Rechtsbesitzes, denn was rechtsgesetzlich nicht verboten ist, ist eben darum rechtsgesetzlich erlaubt. Das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft im äußeren Besitzverhältnis ist nach alledem in seiner ihm eignenden unmittelbaren Gewissheit – wie alle kritische Subjektsphilosophie und mithin auch die sogleich vorzustellende Begriffsstruktur der Kantischen Rechtslehre – auf einen praktischen Selbstvollzug durch das jeweils adressierte Subjekt desselben im Denken angewiesen. Insbesondere lässt sich die unmittelbare und gewiss ganz banale Gewissheit des § 2 Abs. 1, überhaupt in äußeren Handlungen in Raum und Zeit werktätig sein zu dürfen, auch nicht durch die Überlegungen von § 2 Abs. 2 in irgendeiner Weise gleichsam von außen für ein menschliches Willkürsubjekt andemonstrieren. Wird nämlich in der wissenschaftlich-objektiven, d. h. verständigen Interpretation von § 2 nicht mit allen daraus zwangsläufig folgenden Implikationen deutlich bewusst bedacht, dass es sich bei diesem rechtlichen Postulat der praktischen Vernunft materiell um das Postulat (m)eines freien und vernünftigen Willenssubjekts handelt, so bleibt jeder wissenschaftlich-objektive Verständnisversuch des praktischen Erlaubnissatzes von § 2 51

RL, AA VI: 247.06-08. RL, AA VI: 247.01-03. 53 Diese Vergewisserung ist wohlgemerkt kein „Beweis“, denn als ein oberster Grundsatz ist das rechtliche Postulat keines Beweises fähig und bedürftig (vgl. dazu aber bereits oben Fn. 15 m.w.N.). 54 RL, AA VI: 246.19-25. 52

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notwendig in einer Distanz von Verstand und Vernunft bzw. in einem noch unaufgehobenen Gegensatz befangen, sodass sich subjektiv das Verstandesbedürfnis nach einem Beweis dieses sodann intellektuell noch unbegriffenen Satzes einstellen muss. 2. Der vernunftbegriffliche Voraussetzungszusammenhang im Handlungsbegriff Es sind bis hierher vier reine Verstandesbegriffe in der postulatartig verfassten Vorstellungsstruktur der metaphysischen Rechtslehre bewusst geworden, darin insgesamt die synthetische Rechtsvorstellung der Kausalität eines freien Willens in einer ihm äußeren Gegenstandswirklichkeit rechtsgesetzlich und daher vernunftbegrifflich zu entwickeln ist, nämlich: Substanz – Kraft – Handlung – Haben; womit zugleich – wie bemerkt – eine vom Haben anhebende innere rein begriffliche Voraussetzungsstruktur dieser Begriffsfolge bezeichnet ist. Diese gibt die Einteilung der natürlichen Privatrechtslehre als dem ersten Teil einer Rechtslehre vom äußeren Mein und Dein in ihrem inneren rein begrifflichen Zusammenhang und damit das rein verstandesbegriffliche Gerüst dieser Metaphysik vor: Denn so wie der reine Verstandesbegriff des Habens in sich den reinen Verstandesbegriff des Handelns voraussetzt, setzt das rechtliche Haben/Besitzen eines äußeren Gegenstandes für sich selbst ein äußeres rechtliches Handeln/Erwerben voraus. Und so wie der reine Verstandesbegriff der Handlung den reinen Verstandesbegriff der Kraft in sich voraussetzt, so bedarf das äußere rechtliche Handeln/ Erwerben für sich der äußeren rechtlichen Kraft/Rechtskraft. Schließlich ist auch diese äußere Rechtskraft in ihrer Allgemeingesetzlichkeit ursprünglich innerlich nicht schon durch einen einzelnen Willen für sich selbst in seinem äußeren Verhältnis begründbar, sondern setzt – so wie der reine Verstandesbegriff der Kraft den reinen Verstandesbegriff der Substanz voraussetzt – einen allgemeingesetzgebenden Willen als absolutes Subjekt (Substanz) aller rechtgesetzlichen Bestimmung im äußeren Verhältnis wirklich für sich selbst voraus, darin der einzelne freie Wille in seiner Substanz also für seine äußeren Verhältnisse rechtlich jederzeit praktisch-notwendig schon aufgehoben vorzustellen ist: a) Das rein verstandesbegriffliche Gerüst der natürlichen Privatrechtslehre Unter diesen reinen Verstandesbegriffen ist es nun also um den darin jeweils möglichen rechtsgesetzlichen Vernunftbezug unter dem allgemeinen Rechtsgesetz (§ C Abs. 4) zu tun. Folglich sind im Verhältnis zum jeweiligen reinen Verstandesbegriff die jeweiligen Artbegriffe darunter im rechtsgesetzlichen Verhältnis zu erwägen.55 Da eine Metaphysik des Rechts als reine Vernunfterkenntnis aus Be55

11).

Zur Differenz von Gattungs- und Artbegriff siehe nochmals Log, AA IX: 96 f. (§§ 10,

B. Die praktischen Postulate als metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre

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griffen a priori jedoch zugleich auch auf menschliche Handlungsverhältnisse im Raum („Anthropologie“) anwendbar sein soll, sind in einem ersten Schritt die jeweiligen Artbegriffe unter dem rein verständigen Gattungsbegriff nach dem Einteilungsgesichtspunkt des Gegensatzes von Vernunft und Sinnlichkeit einzuteilen: Unter dem reinen Verstandesbegriff des Habens – als Gattungsbegriff – sind somit die Artbegriffe eines sinnlichen sowie eines rein intelligiblen Habens eines äußeren Gegenstandes zunächst einander verständig entgegenzusetzen, sodass sie unter der rechtsgesetzlichen Vernunfteinheit in der Folge vernünftig subordiniert vorgestellt werden können. Im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug eines freien Willens handelt das erste Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre, das eben diese rechtsgesetzliche Vernunfteinheit mit Blick auf äußere Gegenstände der Willkür in einer Metaphysik zum Thema hat, folglich „ [ v ] o n A r t e t w a s Ä u ß e r e s a l s d a s S e i n e z u h a b e n “56. Während die sinnliche Art, etwas Äußeres zu haben, dabei im Begriff des empirischen Besitzes eines äußeren Gegenstandes begriffen wird, wird die rechtliche Art, überhaupt etwas zu besitzen, im Begriff des intelligiblen Besitzes begriffen (§§ 1 ff.). Im Begriff eines äußeren Rechtsbesitzes (§ 5) kommt es sodann zur vernunftschlüssigen Subordination der beiden Einteilungsglieder des empirischen und des intelligiblen Habens, weil der Begriff eines intelligiblen Rechtsbesitzes als begrifflich-innere Realbedingung in diesem Begriff eines äußeren Rechtsbesitzes gesetzt wird, sodass durch ihn ein reiner Rechtsbesitz an äußeren Gegenstanden, die empirisch auch besessen werden können, tatsächlich vorstellbar ist. Durch das Postulat des § 2 enthält zuletzt der als Realbedingung im Begriff eines äußeren Rechtsbesitzes gesetzte Begriff eines reinen Rechtsbesitzes im Rahmen einer Begriffsdeduktion (§ 6) seine rechtsgesetzliche Beglaubigung kraft praktischer Vernunft, dadurch von der gesamten Begriffsreihe unter diesem metaphysischen Anfangsgrundsatz mit Recht ein praktischer Gebrauch gemacht werden kann. Zugleich ist damit schon im ersten Hauptstück die zum rechtlichen Haben innerlich gehörige Erwerbshandlung vernunftbegrifflich stillschweigend vorausgesetzt. Auch der reine Verstandesbegriff der Handlung teilt sich sodann gemäß dem bekannten Einteilungsgesichtspunkt in die Artbegriffe einer empirischen sowie einer intelligiblen bzw. rein rechtlichen Handlung ein, die folglich im rechtsgesetzlichen Bezug eines freien Willens vernunftschlüssig miteinander vermittelt vorgestellt werden müssen. Dementsprechend entwickelt erst das zweite Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre die metaphysischen Rechtsbegriffe vom privatrechtlichen Erwerbshandeln mit Blick auf äußere Gegenstände aus dem Erlaubnisgesetz des rechtlichen Postulats (§ 2 Abs. 3) zu einem deutlichen Bewusstsein und handelt also „ [ v ] o n A r t e t w a s Ä u ß e r e s z u e r w e r b e n “57. Innerhalb dieser an sich 56

RL, AA VI: 245.07. RL, AA VI: 258.02. – In der rechtsphilosophischen Kantliteratur ist diese Reihenfolge Kantischen Vorgehens, das den schon tätig gewirkten Zustand des Habens noch vor der tätigen Bewirkung desselben vernunftbegrifflich entwickelt, unter Hinweis auf vermeintlich daraus folgende Aporien (wohl infolge der Verkehrung der Zeitfolge einer empirischen Besitzer57

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4. Kap.: Vernunftbegriffliches System metaphysischer Anfangsgründe des Rechts

vernünftigen Rechtsvorstellung der zum privatrechtlichen Haben begrifflich gehörigen privatrechtlichen Erwerbshandlung kommt dann insbesondere, nämlich in der Deduktion des Vernunftbegriffes des ursprünglichen Erwerbs (§ 17), auch das „Problem der Metaphysik“58 zu seiner zunächst noch nur rein privatrechtlichen Auflösung. Denn durch diesen praktischen Vernunftbegriff wird die rechtsgesetzliche Freiheitskausalität eines einzelnen Willenssubjekts in ursprünglicher Synthese mit seiner räumlich-zeitlichen Gegenstandswirklichkeit unter dem allgemeinen Postulat und Rechtsgesetz vorgestellt, sodass die Freiheit des Willens in dieser vernunftbegrifflichen Vorstellung schon ihr rein privatrechtliches und somit noch lediglich abstraktes Dasein hat. Doch aller privatrechtlich handelnde Erwerb setzt gemäß der rein verstandesbegrifflichen Vorstellungsstruktur in seinem Vernunftprädikat der Rechtlichkeit die rechtliche Kraft, d. h. Rechtskraft eines gesetzgebenden Allgemeinwillens für, in und über sich selbst voraus. Hierunter ist also eine von einem substanziellen Allgemeinwillen im einzelnen Erwerbsfall auf diesen effektiv ausgehende rechtliche Kausalität in einzelnen Rechtshandlungen dieses Allgemeinwillens, d. h. in rechtskräftig zurechnenden Urteilen unter seinen allgemeinen Gesetzen begriffen.59 Das dritte Hauptstück greift unter der Verstandesprädikabilie der Kraft also den im zweiten Hauptstück entwickelten Artbegriff einer einzelnen privatrechtlichen Erwerbshandlung auf und setzt diesem im Zurechnungsurteil zunächst rein verständig den Artbegriff einer allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erwerbshandlung entgegen, sodass diese beiden Artbegriffe im Begriff des rechtskräftigen Zurechnungsurteils vernunftschlüssig miteinander in der rechtsgesetzlichen Vernunfteinheit vermittelt vorgestellt werden können. Folglich handelt das dritte Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre in den §§ 36 – 40 „ [ v ] o n d e r s u b j e k t i v - b e d i n g t e n Erwerbung durch den Ausspruch einer öffentlichen Ger i c h t s b a r k e i t “60. Dieser auf einen ersten flüchtigen Blick zunächst möglicherweise systemwidrig erscheinende Umstand, dass nämlich das Urteilsprinzip eines öffentlichen (staatlichen) Gerichtshofs von Immanuel Kant bereits im Naturzustand, d. h. rein gedanklich noch vor dem Staat abgehandelt wird, ist aber mit der rein verstandesbegrifflichen Anlage der natürlichen Privatrechtslehre allenfalls dann in einer „höchst künstlichen dritten Position“ für „leicht bizarr“ zu erachten,61 wenn zuvor nicht hinreichend deutlich bemerkt wurde, dass bereits alles rechtliche Haben werbshandlung) kritisiert worden. Siehe zunächst etwa Deggau, Die Aporien der Rechtslehre Kants (1982), S. 63 f./142 und schließlich auch Brandt, DZPhil 47 (1999), 887 (896); ders., in: Gerhardt/Horstmann/Schumacher (Hrsg.): Kant und die Berliner Aufklärung IV (2001), S. 72 – 80. Doch derlei Aporien dürften tatsächlich lediglich außerhalb des Kantischen Gedankenganges anzutreffen sein. 58 Siehe dazu schon oben zu Fn. 13. 59 Siehe allgemein zum naturrechtlichen Prinzip rechtskräftigen, d. h. rechtlich-effektiven Erwerbs (= iustitia distributiva): RL, AA VI: 296.16.-297.20. 60 RL, AA VI: 296.13-14. 61 So Brandt, JRE 21 (2013), S. 261 (265).

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eines äußeren Gegenstandes selbst nur unter („pro-visorischer“) Voraussetzung der Idee eines wirklichen Allgemeinwillens im Staat rein begrifflich als rechtlich bestimmt im Naturzustand vorstellbar ist (§§ 8, 9, 15). Die praktische Idee eines staatlichen Allgemeinwillens in äußeren Verhältnissen gibt nämlich die Beurteilungsidee des natürlichen Privatrechts in äußeren Verhältnissen freier Willkürsubjekte begrifflich vor, auch wenn es am Dasein eines solchen wirklich gesetzgebenden Allgemeinwillens in der dieser Naturzustandsvorstellung gerade noch fehlt, weil sie davon gedanklich abstrahiert. Nach diesen rein begrifflichen Systemüberlegungen geht aller rechtskräftiger Privatrechtserwerb im äußeren Verhältnis und mithin überhaupt alle Rechtskraft ursprünglich von einem wirklich allgemein gesetzgebenden Willen als dem absoluten, d. h. selbsttätigen und daher an sich selbstzweckhaften Subjekt (Substanz) aller rechtlichen Bestimmung im äußeren Verhältnis aus. Das bis hierher rein vernunftbegrifflich entwickelte natürliche Privatrecht (§§ 1 – 40) setzt also die praktische und unter dem allgemeinen Postulat des Rechts (§ C Abs. 4) schon an sich selbst notwendige Idee des Staates (§ 45) bereits jederzeit für sich selbst provisorisch voraus. Dementsprechend wird einem freien Willenssubjekt im Anschluss an die drei Hauptstücke des natürlichen Privatrechts rein vernunftbegrifflich und im Grunde intrapersonal ein selbstzweckhafter Übergang in die wirklich rechtsgesetzliche Rechtsform des öffentlichen Rechts als praktisch-notwendig deutlich bewusst. Unter dem reinen Substanzbegriff sind also im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug die beiden einander verständig entgegengesetzt denkbaren Arten von rechtlichen Willenssubjekten, nämlich das Privatrechts- und das Staatsrechtssubjekt, rein begrifflich in einer vernünftigen Subordination schlüssig miteinander zu verbinden. An vierter Stelle behandelt das natürliche Privatrecht (§§ 41 – 42) im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug des reinen Verstandesbegriffs der Substanz folglich den „ Ü b e r g a n g von dem Mein und Dein im Naturzustande zu dem im r e c h t l i c h e n Z u s t a n d e ü b e r h a u p t “62. Dieser Übergang, vernünftig begriffen im reinen praktischen Begriff des ursprünglichen Vertrages der einzelnen Rechtssubjekte zu einem allgemeingesetzgebenden Rechtssubjekt (§ 47), ist schließlich mit der ganzen Totalität seiner rechtlichen Bestimmung vernunftbegrifflich aufgehoben im „Postulat des öffentlichen Rechts“ (§ 42 Abs. 1): „[…] du sollst im Verhältnisse eines unvermeidlichen Nebeneinanderseins mit allen anderen aus jenem heraus in einen rechtlichen Zustand, d. i. den einer austheilenden Gerechtigkeit übergehen.“63

62

RL, AA VI: 305.31-32. RL, AA VI: 307.08-11 (siehe ausführlich dazu noch unten). Im Übrigen ist dieses Postulat des öffentlichen Rechts der Sache nach auch in den §§ 41 Abs. 2/49 Abs. 4 (RL, AA VI: 306.17-28/318.04-14) angesprochen. 63

100 4. Kap.: Vernunftbegriffliches System metaphysischer Anfangsgründe des Rechts

b) Die synthetisch-kategoriale Architektonik der natürlichen Privatrechtslehre Es ist jetzt das rein verstandesbegriffliche Gerüst der Kantischen Metaphysik des natürlichen Privatrechts im rechtsgesetzlichen Verhältnis zur praktischen Vernunft deutlich bewusst geworden. Zwischen den einzelnen eingeteilten Gliedern dieses rein begrifflichen Gerüsts wurden dadurch zugleich jedenfalls in Anfängen auch innere Verknüpfungen, d. h. begriffliche Synthesen bewusst, die ursprünglich unter dem allgemeinen Postulat des Rechts (§ C Abs. 4) auf dem rechtlichen Postulat von der Möglichkeit eines äußeren Rechtsbesitzes (§ 2) beruhen. Die natürliche Privatrechtslehre basiert in ihrer sukzessiv begriffsverknüpfenden Vorgehensweise also insgesamt auf einer synthetischen Methode des Denkens bzw. des Verstandes im Ausgang von einem metaphysischen Grundsatz.64 Also muss der natürlichen Privatrechtslehre zugleich formal eine synthetisch-kategoriale Architektonik des Verstehens eignen, sodass den drei Hauptteilen mitsamt dem einem Übergangsteil in ihrer 1 – 2 – 3/4-Struktur die vier klassischen Verstandes- bzw. Urteilsmomente in ihrer synthetischen Reihenfolge zugrunde liegen.65 Denn so, wie diese Momente einer jeden verstandesanalytischen Begriffsanalyse in ihrer analytischen Reihenfolge (Modalität – Relation – Qualität – Quantität) zugrunde gelegt werden müssen,66 so müssen sie auch einer jeden vernünftigen Begriffseinteilung in ihrer synthetischen Reihenfolge (Quantität – Qualität – Relation – Modalität) zugrunde gelegt werden. Der Grund davon ist der, dass aus einem Begriff an seinen Merkmalen nur herausanalysiert werden kann, was zuvor ursprünglich synthetisch in diesen schon hingekommen ist. Die synthetisch-kategoriale Verknüpfung der vier Teile des natürlichen Privatrechts lässt sich nun am besten im Ausgang von dem zuletzt thematisierten Übergang des im Naturzustand rein begrifflich gedachten äußeren Rechtsbesitzes in denjenigen im bürgerlichen Rechtszustand beglaubigen, denn hierin liegt ein leicht erkennbarer Wechsel in der Modalität des äußeren Besitzes: Das Postulat des öffentlichen Rechts (§ 42 Abs. 1) fordert unter dem allgemeinen Postulat des Rechts (§ C Abs. 4) mit praktischer Notwendigkeit diesen in der Tat idealen Übergang von einem im reinen Privatrechtsdenken bloß gedachten äußeren Rechtsbesitz in einen Besitzzustand, darin dieser äußere Rechtsbesitz im reinen Rechtsdenken auch ein wirklicher Besitzzustand unter dem allgemeinen Rechtsgesetz sein kann. In diesem Übergang, darin gänzlich intellektuell ein staatlicher Zustand im Rechtsdenken völlig ideal erworben wird, und mithin im vierten Teil des natürlichen Privatrechts, findet demnach also aus innerer praktischer Notwendigkeit heraus ein Wechsel in der Modalität des gedachten äußeren Rechtsbesitzes statt, und 64

Zur synthetischen im Gegensatz zur analytischen Methode siehe nochmals Log, AA IX: 149 (§ 117). 65 Vgl. KrV, AA III: 93 (A 80/B 106) bzw. KrV, AA III: 87 (A 70/B 95). 66 Siehe dazu methodologisch schon oben unter C. I. im dritten Kapitel und in der interpretativen Anwendung noch unten im Interpretationsteil, vor allem im fünften Kapitel.

B. Die praktischen Postulate als metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre

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zwar von der bloßen rechtlichen Möglichkeit desselben im reinen Privatrechtsdenken hin zur rechtlichen Wirklichkeit, d. h. zu einem möglichen Dasein im reinen Rechtsdenken.67, 68 Während diese Wirklichkeit in ihrem metaphysischen Gehalt im Begriff des „ p e r e m t o r i s c h e n Besitzes“ vernünftig begriffen liegt, gehört die bloße Möglichkeit mit Blick auf diese Wirklichkeit unter der praktischen Vernunftidee des Staates in ihrem metaphysischen Gehalt vernünftig unter den Begriff des „ p r o v i s o r i s c h e n Besitzes“.69 Gemäß ihrer allgemeinen Kennzeichnung fügen die Modalitätskategorien dabei als Prädikate einer Erkenntnis jedoch keinen eigenen Inhalt material hinzu, sondern bestimmen lediglich das Verhältnis dieser Erkenntnis zum Erkenntnisvermögen.70 Allerdings setzt der Übergang in der Modalität an vierter Stelle im begrifflichen System der einzelnen Teile einer Metaphysik des Privatrechts damit bereits eine kategorial-systematisch in gewisser Weise bestimmte metaphysische Privatrechtserkenntnis von der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Rechtsbesitzes im Na67

Auch dieser wichtige gedankliche Zusammenhang ist in der Edition Bernd Ludwigs nicht mehr rekonstruierbar, denn dieser (Kants Rechtslehre [1988], S. 75 ff.) hat die Übergangsparagraphen 41 – 42 ins öffentliche Recht selbst gesetzt. 68 Vielleicht ist es in diesem Zusammenhang auch nicht unnötig zu erwähnen, dass die im Naturzustand alleine denkbare rechtliche Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein überhaupt nichts über eine vermeintliche Veränderung des angeborenen Selbststandes des Privatrechtssubjekts beim gedanklichen Übergang in den Staat aussagt; insbesondere kann man infolge dieser bloßen rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Rechtsbesitzes im Naturzustand nicht sagen, auch das Privatrechtssubjekt sei vor diesem rein gedanklichen Übergang für sich eine bloße Möglichkeit. Eine solche das Privatrechtssubjekt mit seinem möglichen äußeren Rechtsobjekt unmittelbar setzende und so tatsächlich vernichtende Auffassung desselben beruhte nämlich schlicht auf einer Verwechslung des äußeren Rechtsbesitzes mit seinem Subjekt und schon die rechtliche Möglichkeit eines äußeren Rechtsbesitzes setzt richtigerweise notwendig ein Subjekt dieses Besitzes für sich selbst voraus. Also müsste ein solcher – Subjekt und Objekt verwechselnder – Einwand, wollte er sich nur nicht selbst widersprechen, umgekehrt für sich selbst annehmen, dass ein Privatrechtssubjekt richtigerweise immer schon mit äußeren Gegenständen rechtlich verbunden gedacht werden muss (vgl. dafür wohl Zaczyk, Selbstsein und Recht [2014], S. 71), und so widerspräche er nicht nur dem Subjektsbegriff, sondern auch dem Rechtsgedanken Immanuel Kants, denn: „Nichts Äußeres ist ursprünglich mein; wohl aber kann es ursprünglich […] erworben sein.“ (RL, AA VI: 258.09-11). 69 Siehe einstweilen §§ 8, 9, 15 sowie die §§ 44 Abs. 2, 52 Abs. 2, 61 Abs. 1. – Wie dabei über die in § 2 postulierte und sodann (§§ 3 – 9) in reinen Begriffen synthetisch im reinen Denken entwickelte rechtliche Möglichkeit eines äußeren Privatrechtsbesitzes in so mancher Interpretation dann allerdings auch ein über diesen Gedanken hinausgehendes Dasein schon im Naturzustand in diese vernunftbegrifflich reale Möglichkeit hinzukommt, muss ein Geheimnis solcher Interpreten bleiben, die folglich auch denken müssen, dass der Übergang von dem einen in den anderen Zustand nicht ein rein idealer und somit intellektueller, sondern ein – mit ihrem schon hypostasierten Naturzustand – historischer Akt in der Zeit ist, wenn sie sich in ihrem empirischen Verständnis der Kantischen Rechtsmetaphysik nur nicht selbst widersprechen wollen; dass die provisorische Erwerbung eine rein begrifflich und daher metaphysisch „wahre“ Erwerbung ist (RL, AA VI: 264.29 [§ 15 Abs. 4]), verschafft ihr für sich selbst jedenfalls noch kein Dasein außer dieser begrifflichen Wahrheit, d. h. außerhalb des bloßen Gedankens der rechtlichen Möglichkeit des Erwerbs eines äußeren Gegenstandes im Naturzustand. 70 Siehe dafür KrV, AA III: 186.04-07 = A 219/B 266.

102 4. Kap.: Vernunftbegriffliches System metaphysischer Anfangsgründe des Rechts

turzustand material für sich selbst voraus, sodass sich die Erkenntnismaterie dieses natürlichen Privatrechts in reinen Begriffen beim Übergang ins öffentliche Recht nicht ändern kann:71 Auf diese Weise entwickelt das erste Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre rein vernunftbegrifflich das rechtliche Haben eines äußeren Gegenstandes in seinem ganzen möglichen Umfang überhaupt und steht so unter dem kategorial-systematischen Aspekt der Quantität des rechtlichen Habens eines äußeren Gegenstandes. Indem das zweite Hauptstück die zum jeweiligen rechtlichen Haben eines äußeren Gegenstandes besonders gehörige Erwerbshandlung (facto/pacto/lege)72 vernunftbegrifflich entwickelt, handelt es selbst kategorial-systematisch von der Qualität des rechtlich tätigen Habens eines äußeren Gegenstandes. Das dritte Hauptstück entwickelt ferner die rechtliche Relation dieses der Qualität nach rechtlich tätigen Habens eines äußeren Gegenstandes durch ein einzelnes Rechtssubjekt und führt so auf die naturrechtliche Idee des rechtskräftigen Erwerbszurechnungsurteils eines absoluten Rechtssubjekts, das für ein einzelnes Willenssubjekt wirklich zu verfassen der Modalität nach ein Postulat des öffentlichen Rechts ist. Mit dieser in sich geschlossenen synthetisch-kategorialen Architektonik stehen die drei ersten Hauptstücke der natürlichen Privatrechtslehre innerlich folglich weder im kategorial-systematischen Verhältnis lediglich der Relationskategorien (Substanz/Kausalität/Gemeinschaft)73, noch im Verhältnis lediglich der Modalitätskategorien (Möglichkeit/Wirklichkeit/Notwendigkeit)74.

III. Das Postulat der rechtlichen Notwendigkeit eines öffentlichen Rechts (§ 42 Abs. 1) So wie infolge der logischen Verfassung eines praktischen Postulats überhaupt die rein verstandesbegriffliche Struktur und die synthetisch-kategoriale Architektonik des natürlichen Privatrechts (§§ 1 – 42) aus dem Postulat der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Rechtsbesitzes (§ 2) mit begrifflicher Genauigkeit zu ermessen waren, 71

RL, AA VI: 306.31-33 (§ 41 Abs. 3): „die Materie des Privatrechts ist eben dieselbe in beiden [Zuständen]“. 72 RL, AA VI: 260.05-09. 73 So lautet die Ordnungsidee Brandts, JRE 21 (2013), S. 261 (264 f.). 74 So lautet hingegen die Ordnungsidee bei Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 154 f.; ferner Henrich, Das Emissionsrecht (2015), S. 84 ff.; Noltenius, Die Europäische Idee der Freiheit (2017), S. 364 ff.; Süchting, Eigentum und Sozialhilfe (1995), S. 79 Fn. 2, 82 ff.; teilweise wohl auch Zaczyk, Selbstsein und Recht (2014), S. 67 f. – Allerdings zieht diese sich auf die modale Einteilung des Vernunftbegriffs der öffentlichen Gerechtigkeit (RL, AA VI: 305.34-306.16) in § 41 Abs. 1 sich stützende Ordnungsidee zu wenig in Bedacht, dass es eine öffentliche Gerechtigkeit gerade im bloß natürlichen Privatrecht gar nicht geben kann, sodass die modale Einteilung ihres Vernunftbegriffs auch nicht das Einteilungsprinzip einer natürlichen Privatrechtslehre abzugeben vermag. Eben darum bleibt nicht nur die vierte Stelle der Kantischen 1-2-3/4-Matrix des natürlichen Privatrechts mit dieser Ordnungsidee unbestimmt.

B. Die praktischen Postulate als metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre

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so kann auch die rein begriffliche Verfassung des natürlichen öffentlichen Rechts (§§ 43 – 62) aus dem Postulat der rechtlichen Notwendigkeit eben dieses öffentlichen Rechts (§ 42 Abs. 1) präzise ermessen werden, darin der im natürlichen Privatrecht mögliche äußere Rechtsbesitz alleine Wirklichkeit haben kann. Auch in diesem Sinne dürfte der Hinweis des betagten Autors am Schluss seiner Vorrede zur Rechtslehre zu verstehen sein, der die methodologische Kenntnis seiner metaphysischen Vorgehensweise bei seinem Leser, und zwar nach Veröffentlichung insbesondere dreier Vernunftkritiken und einer Metaphysik der Natur, auf der Zielgeraden seiner Publikationstätigkeit schlechterdings mit einer gewissen Berechtigung voraussetzt: „Gegen das Ende des Buchs habe ich einige Abschnitte mit minderer Ausführlichkeit bearbeitet, als in Vergleichung mit den vorhergehenden erwartet werden konnte: theils weil sie mir aus diesen leicht gefolgert werden zu können schienen, theils auch weil die letzte (das öffentliche Recht betreffende) eben jetzt so vielen Discussionen unterworfen und dennoch so wichtig sind, daß sie den Aufschub des entscheidenden Urtheils auf einige Zeit wohl rechtfertigen können.“75 Das zweite rechtliche Postulat der praktischen Vernunft (§ 42 Abs. 1) unter dem allgemeinen Rechtsgesetz (§ C Abs. 4) wird im Anschluss an die vorstehenden Überlegungen die für bloße Privatrechtssubjekte äußere Handlung des Staatsrechtssubjekts im binnenstaatlichen Subordinationsverhältnis sowie im zwischenstaatlichen Koordinationsverhältnis entwickeln, und zwar im Ausgang vom Vernunftbegriff einer äußeren Handlung, darin alle Privatrechtssubjekte in einem Staatsrechtssubjekt zu diesem als Einheit einer moralischen Person aus sich selbst heraus ursprünglich vereinigt und mithin im Grunde vernünftig verfasst vorgestellt werden müssen: 1. Die postulierte Handlung und ihre unmittelbar gewisse Ausführungsart Das „Postulat des öffentlichen Rechts“ (§ 42 Abs. 1) lautet: „[…] du sollst im Verhältnisse eines unvermeidlichen Nebeneinanderseins mit allen anderen aus jenem heraus in einen rechtlichen Zustand, d. i. den einer austheilenden Gerechtigkeit übergehen.“76 75 RL, AA VI: 209.08-14. – Es sei hier mit Blick auf sein wissenschaftlich-schriftstellerisches Selbstverständnis zudem auch daran erinnert, dass Immanuel Kant nach eigener Auskunft schon in „Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können“ (1783 – AA IV: 255) nicht „für Lehrlinge, sondern für künftige Lehrer“ schreibt. Und eben diesen Anspruch an seine Leser setzt Kant auch im Hinblick auf die Rechtslehre voraus, wie man etwa einem Brief an Schütz vom 10. 07. 1797, AA XII: 181.23-28 entnehmen kann, darin es mit Blick auf die Methode trichotomischer Begriffseinteilung in einem besonderen Fall heißt: „Allein man kann im Grunde Niemandem es verdenken, daß er, bei einer Neuerung in Lehren, deren Gründe er nicht umständlich erörtert, sondern bloß auf sie hinweiset, in seinen Deutungen den Sinn des Lehrers verfehlt, und da Irrthümer sieht, wo er allenfalls nur über den Mangel der Klarheit Beschwerde führen sollte.“ 76 RL, AA VI: 307.08-11.

104 4. Kap.: Vernunftbegriffliches System metaphysischer Anfangsgründe des Rechts

Es ist demnach für ein menschliches Willkürsubjekt unter diesem Postulat kategorisch geboten, einen rechtlichen Zustand seiner freien Willkür im äußeren Handlungsverhältnis zu haben, d. h. einen solchen Zustand mit seinesgleichen unter einem diesen Zustand ermöglichenden Staatsrechtssubjekt kraft seiner äußeren Handlung rechtlich zu besitzen. An diesem Postulat des öffentlichen Rechts interessiert in einer Metaphysik nun material aber nicht so sehr die kategorische Handlungsregel in diesem Gebot selbst, sondern es interessieren vielmehr die dieses Postulat, und damit in der Folge auch die das Gebot innerlich rein begrifflich verfassenden Vernunftbegriffe als Gründe zu einem solchen Imperativ.77 Da aber auch nur solche Vernunftbegriffe als Gründe zu rechtlichen Imperativen im Rahmen einer wissenschaftlich vorgehenden Metaphysik des Rechts in einer praktischen Begriffserkenntnis a priori intensiv deutlich bewusst gemacht werden sollen, ist dieses kategorische Gebot mit der hier vorgelegten metaphysischen Interpretation, die auf die intensive Verdeutlichung von synthetischen Begriffszusammenhängen zielt, ebenso nicht etwa dahingehend misszuverstehen, ein Willkürsubjekt solle sich die praktische Notwendigkeit des öffentlichen Rechts unter dem allgemeinen Rechtsgesetz bloß deutlich bewusst machen. Eine solche rein intellektuelle Obliegenheit betrifft nämlich allenfalls den wissenschaftlich arbeitenden Rechtsphilosophen. Über die noch ausführlich zu untersuchende vernunftbegriffliche Verfassung des Postulats, daraus diese praktische Notwendigkeit des öffentlichen Rechts unter dem allgemeinen Rechtsgesetz im Grunde rein begrifflich schlüssig vermittelt folgt, gibt nun die darin bestimmte äußere Handlung einen ersten Anhaltspunkt. Denn über diesen Handlungsbegriff ist auch das Postulat des öffentlichen Rechts durch die reine Verstandesprädikabilie der Handlung mit der logischen Vorstellungsform eines Postulats überhaupt erst verbunden. Das Postulat bestimmt also, dass ein freies Willkürsubjekt als natürliches Privatrechtssubjekt in den Zustand des öffentlichen Rechts eintreten soll, mithin bestimmt es die äußere Handlung der tätigen Verfassung eines staatlichen Zustandes durch alle möglichen Privatrechtssubjekte als praktisch-notwendig. Dabei ist die Art der Ausführung dieser äußeren Verfassungshandlung eines natürlichen Privatrechtssubjekts mit dem unmittelbar rechtsgesetzlichen und darum praktisch-notwendigen Bewusstsein dieses Postulats im Sinne des logischen Postulatbegriffs als unmittelbar gewiss vorausgesetzt. Sollen sich Privatrechtssubjekte also in äußeren Handlungen selbst zu einem Staat tätig verfassen, und dies ist im Grunde des Begriffs eine unvertretbare höchstpersönliche Leistung eines jeden freien Willkürsubjekts, so ist dies aus ihrem Zustand im natürlichen Privatrecht heraus nur vorstellbar durch eine allumfassend-tätige Vereinigung dieser Subjekte im äußeren Verhältnis. Die Rechtsform einer Vereinigung im Privatrecht aber ist der Vertrag und folglich bedarf es eines allumfassenden Vertrages der Privatrechtssubjekte im äußeren Verhältnis, dadurch ein gesetzgebender Allgemeinwille und mithin ein vom natürlichen Pri77 Siehe dazu schon die Gegenstandsbestimmung einer Metaphysik des Rechts unter C. IV im dritten Kapitel.

B. Die praktischen Postulate als metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre

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vatrecht abgehobener Zustand einer qualitativ ganz neuen Rechtsform, nämlich der des öffentlichen Rechts unter allgemeinen Gesetzen im Rechtsdenken entsteht. Der praktische Vernunftbegriff eines solchen allumfassenden, und mit dieser rechtlichen Einzigartigkeit daher in der empirischen Endlichkeit der Privatrechtssubjekte an sich gar nicht möglichen, sondern nur ideal und doch praktisch-notwendig mit dem praktischen Freiheitsbegriff noch vor allen empirischen Verhältnissen vorstellbaren Vertrages, ist der „ u r s p r ü n g l i c h e K o n t r a k t “78 (§ 47). Der reine Vernunftbegriff des ursprünglichen Vertrages ist also, als Voraussetzung des Vernunftbegriffs des Staates, mit der postulierten Handlung des § 42 Abs. 1 kraft des unmittelbaren rechtsgesetzlichen Bewusstseins im Postulat des öffentlichen Rechts als unmittelbar gewiss vorausgesetzt. Mithin enthält schon die praktische Vernunftidee eines ursprünglichen Vertrages diejenige praktische Notwendigkeit in sich, dadurch das Postulat des öffentlichen Rechts für menschliche Willkürsubjekte als rein begrifflich verfasster Vernunftgrund einen kategorischen Imperativ im moralischen Pflichtbewusstsein vorstellt. Unter dieser praktischen Vernunftidee ist dann aber, wie mit dem Vernunftbegriff des Staates bemerkt, das absolute Subjekt (Substanz) allen äußeren Rechts gedacht, darauf schon das natürliche Privatrecht, und zwar mit seinem rein verstandesbegrifflichen Gerüst im Verhältnis zur praktischen Vernunft, hinausgelaufen war. Der praktische Vernunftbegriff des ursprünglichen Vertrages enthält also den in §§ 41 – 42 behandelten Übergang des äußeren Rechtsbesitzes vom natürlichen in den rechtlichen Zustand rein begrifflich, d. h. lediglich intellektuell bzw. ideal in sich, sodass dieser Übergang von Seiten des Privatrechtssubjekts nicht anders denn als ein idealer Erwerb dieses von der freien Willkür aller abgeleiteten Zustandes verstanden werden muss. Bevor nun auch das rein verstandesbegriffliche Gerüst des natürlichen öffentlichen Rechts im Ausgang vom privatrechtlich zuletzt erreichten Begriff der Substanz näher erläutert werden kann, bedarf es noch einiger Bemerkungen zum vorstehend schon erläuterten Grund des Postulats im Hinblick auf die Textgrundlage: Ausweislich des Textes geht das Postulat des öffentlichen Rechts (§ 42 Abs. 1) nicht etwa aus dem (schon wirklichen) Eigentum bzw. äußeren Rechtsbesitz oder einer anthropologischen Tatsache, sondern alleine „[a]us dem Privatrecht im natürlichen Zustande […] hervor“79. Denn mit dem vorgestellten rein verstandesbegrifflichen Gerüst sowie der synthetisch-kategorialen Verknüpfung der 1-2-3/4 Teile des natürlichen und insgesamt synthetischen Privatrechts läuft dieses unter dem allgemeinen Rechtsgesetz letztlich gedanklich auf das Staatsrecht hinaus, weil alles natürliche Privatrecht mit dieser metaphysischen Gesamtanlage nur im Hinblick („pro-visio“) auf die synthetisch-praktische Vernunftidee des Staates selbst als solches in seinen synthetischen Begriffen denkbar ist (vgl. §§ 8, 9, 15 usw.), sodass sich die rein begriffliche praktische Notwendigkeit des öffentlichen Rechts am Ende aus der zu einem intensiv deutlichen Bewusstsein vollständig entwickelten natürli78 79

RL, AA VI: 315.30-316.06. RL, AA VI: 307.08-09.

106 4. Kap.: Vernunftbegriffliches System metaphysischer Anfangsgründe des Rechts

chen Privatrechtsvorstellung von selbst aus sich selbst ergibt und sich die systematische Stellung des Postulats in § 42 ganz zwanglos erklärt. Diese natürliche Privatrechtsvorstellung äußerer Handlungsverhältnisse freier Willkürsubjekte entsteht im reinen Rechtsdenken aber dadurch, dass die freien Willkürsubjekte in ihren äußeren Verhältnissen gerade nur unter dem allgemeinen Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) bzw. dem allgemeinen Rechtsgesetz (§ C Abs. 4) und somit in gedanklicher Abwesenheit einer tatsächlich schon wirklichen äußeren Gesetzgebung (vgl. § B Abs. 1) rein begrifflich, d. h. insofern rechtlich noch bloß abstrakt erwogen werden. Die natürliche Privatrechtsvorstellung resultiert mithin „aus dem Begriffe des R e c h t s im äußeren Verhältniß“,80 sodass auch das Postulat des öffentlichen Rechts selbst nur eben „aus dem Begriffe des R e c h t s im äußeren Verhältniß“ hervorgeht. Wenn Immanuel Kant nun in § 42 Abs. 1 notiert: „Der Grund davon“, dass sich nämlich das Postulat des öffentlichen Rechts aus dem Privatrecht im natürlichen Zustande ergibt, „läßt sich analytisch aus dem Begriffe des R e c h t s im äußeren Verhältniß im Gegensatz der Gewalt (violentia) entwickeln“81, dann setzt er damit nur dazu an, die insgesamt unmittelbare Selbstgewissheit des praktischen Satzes des Postulats nochmals zu einer größeren extensiven Deutlichkeit zu erheben. Da diese Gewissheit im Grunde aber unmittelbar bewusst ist, lässt sie sich abermals weder demonstrativ, noch akroamatisch beweisen.82 Also bleibt auch hier – so wie schon im Rahmen von § 2 Abs. 2 – keine andere Möglichkeit, als die praktische Gewissheit des Satzes des Postulats, und zwar durch Konfrontation mit seinem begrifflichen Gegenteil, in einer nach apagogischer Form geführten, begrifflich-analytischen Selbstvergewisserung nochmals zu einer größeren Verstandesdeutlichkeit zu erheben. Eben darum lässt sich der „Grund davon“, dass sich das Postulat des § 42 Abs. 1 aus dem Privatrecht im natürlichen Zustande von selbst ergibt, „analytisch aus dem Begriffe des R e c h t s im äußeren Verhältniß im Gegensatz der Gewalt (violentia) entwickeln“. Die auf diesen Satz des Abs. 1 folgenden Abs. 2 – 3 des § 42 enthalten diese analytische Selbstvergewisserung anhand der im Sperrdruck hervorgehobenen Antonyme von Recht und Gewalt dann schließlich in sich, und man kann darum nur gegen eine schon empfindlich verkürzte Textgrundlage behaupten, das Postulat des öffentlichen Rechts gehe „analytisch aus dem Begriffe des R e c h t s “ hervor,83 denn dann müsste es (§ 42 Abs. 1) nicht erst unter dem, sondern bereits in dem Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) gesetzt sein. Dass das Postulat öffentlichen Rechts aber ganz gewiss nicht analytisch schon im allgemeinen Begriff des Rechts gesetzt ist und 80

RL, AA VI: 307.12-13. RL, AA VI: 307.12-13. 82 Statt vieler seien hier für die dennoch unternommene Suche nach einem Beweis repräsentativ Herb/Ludwig, KS 83 (1993), S. 283 (297 ff.) genannt, weil sie „den entscheidenden Beweis […] – kurioserweise – erst [in] § 44“ gefunden haben wollen. – Wenn aber jemand zu einem ausweislich seines Begriffs ohnehin schon unmittelbar gewissen Satz einen Beweis gefunden haben will, kann man wohl sicher sein, dass er – methodologisch betrachtet – jedenfalls gar keinen Beweis haben dürfte. 83 Nachweise zu dieser dennoch vielfach aufgestellten Behauptung oben in Fn. 38. 81

B. Die praktischen Postulate als metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre

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darum auch im Rahmen der analytischen Exposition dieses Begriffs (§ B Abs. 2) nicht einfach vergessen wurde, hat seine Ursache in den besonderen Prädikaten, die der in § 42 Abs. 1 postulierten äußeren Handlung, und zwar im Gegensatz zu der in § C Abs. 4, eignen. Während nämlich das allgemeine Rechtsgesetz, und mit diesem der allgemeine Begriff des Rechts, selbst nur die rechtsgesetzliche Form einer äußeren Handlung überhaupt zum Inhalt hat, hat das Postulat des öffentlichen Rechts nur eine einzige und schon ganz bestimmte äußere Handlung zu ihrem Gegenstand, nämlich die, einen Zustand äußerer Gesetzgebung zu errichten. Also folgen hinsichtlich ihrer Materie weder das Postulat des § 2, noch das Postulat des § 42 schon irgendwie analytisch aus dem allgemeinen Rechtsbegriff. Auch sollte man sich wohl durch die vermittelst der Antonyme von Recht und Gewalt begrifflich-analytisch geführte Verdeutlichung der unmittelbaren Gewissheit des Postulats nicht zu der auf Abwege führenden Annahme verleiten lassen, es würden in § 42 Abs. 2 – 3 anthropologische Tatsachen einer hobbesianischen „Naturzustandsskizze“ bemüht, um das Postulat zu begründen.84 Darüber hinaus sei angemerkt, dass spätestens mit dem Postulat des öffentlichen Rechts jede eigentumsoder privatrechtsbesitzspezifische Begründung der praktischen Notwendigkeit des Staates zwangsläufig ins Straucheln gerät, denn auf die nur vermeintlich kategorischnotwendig zu schaffenden Eigentumsverhältnisse85 rekurriert § 42 mit keinem Wort. Aus eben diesem Grund müssen beispielsweise Herb/Ludwig, als zwei sehr konsequente Vertreter einer eigentumstheoretischen Lesart, dann auch behaupten, die Kantische Rechtsmetaphysik fundiere den Staat auf zweierlei verschiedene Weisen (= §§ 1 – 9 bzw. §§ 41 – 44),86 weshalb sie sich an dieser Stelle des Gedankens die kritische Nachfrage gefallen lassen müssen, was denn das für eine wundersame Metaphysik sein soll, die gleich über zwei (reine) praktische Begriffe für ein und ebendenselben Gegenstand praktischen Denkens verfügt? Denn wenn zwei voneinander verschiedene Begriffe ein und ebendasselbe Objekt des Denkens begreifen sollen, dann kann man schon in rein logischer Hinsicht sicher sein, dass mit diesen Begriffen schlechterdings gar nichts objektiv begreiflich ist. Tatsächlich liegt dann auch der das Postulat des öffentlichen Rechts einheitlich von innen heraus praktisch bestimmende und in seiner Folge das natürliche Privatrecht mit dem öffentlichen Recht synthetisierende Vernunftbegriff des ursprünglichen Vertrages in der eigentumstheoretischen Interpretation unausbleiblich völlig verkannt vor, denn in der Konsequenz einer solchen Lesart muss sich zugleich auch „Kants Verabschiedung der Vertragstheorie“87 behaupten. Es fehlt der eigentumstheoretischen Lesart, je84 Die daraus resultierenden Schwierigkeiten lassen sich exemplarisch bei Herb/Ludwig, KS 83 (1993), S. 283 (297 ff.) oder auch Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 253 ff. studieren. 85 Siehe oben Fn. 45. 86 Herb/Ludwig, KS 83 (1993), S. 283 ff. 87 So lautet der Titel eines Aufsatzes von Ludwig, in: JRE 1 (1993), S. 221 – 254. – Siehe dafür in der Sache ähnlich aber beispielsweise auch Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 269 ff.

108 4. Kap.: Vernunftbegriffliches System metaphysischer Anfangsgründe des Rechts

denfalls im Vortrag ihrer prominentesten Wortführer, somit gewiss nicht an einiger Folgerichtigkeit und darin dürfte ein großer Teil ihrer bis heute ungebrochenen Attraktion begründet sein. 2. Der vernunftbegriffliche Voraussetzungszusammenhang im Handlungsbegriff Da im Postulat des öffentlichen Rechts – wie zuvor herausgestellt – der Vernunftbegriff eines ursprünglichen Vertrages zur Konstitution eines Staatsrechtssubjekts praktisch bestimmende Realität hat, ist zum Zweck einer rein verstandesbegrifflichen Fortanknüpfung der Metaphysik des öffentlichen Rechts der Ausgang von der zuvor im natürlichen Privatrecht gedanklich erreichten Kategorie der Substanz zu nehmen, die im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug hinter der praktischen Idee des Staates (§ 45 Abs. 1) steht, und von der aus mit dem Staat alles öffentliche Recht innerlich seinen Ausgang nimmt (§ 43): Das Postulat des öffentlichen Rechts geht – wie bemerkt – auf die äußere Handlung der Verfassung eines Staates. Der reine Handlungsbegriff aber ist unter dem reinem Kraftbegriff ein abgeleiteter Verstandesbegriff der Kausalität unter der reinen Substanzkategorie. Dieser reine Verstandesbegriff der Handlung muss dann unter der reinen Substanzkategorie wiederum verständig eingeteilt werden in den Begriff einer inneren sowie den einer äußeren Handlung. Folglich sind im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug der reinen Substanzkategorie eine innere sowie eine äußere Handlung des Staates verständig zu unterscheiden, die im Fortgang des öffentlichen Rechts abermals einander vernünftig subordiniert in einem dritten Begriff von einer substanziellen Handlung im rechtgesetzlichen Vernunftbezug gedacht werden müssen. Dementsprechend nimmt das öffentliche Recht gemäß § 43 seinen begrifflichen Ausgang von dem die innere Handlung des Staates an sich selbst betreffenden „ S t a a t s r e c h t “ (§§ 44 – 52), geht von dort rein begrifflich zum „ V ö l k e r r e c h t “ im äußeren Handlungsverhältnis zwischen den Staaten fort (§§ 53 – 61), und endet schließlich im reinen praktischen Begriff eines „ V ö l k e r s t a a t s r e c h t s “, d. h. dem auch sogenannten „ W e l t b ü r g e r r e c h t [ ] “ (§ 62).88 – § 43 hat es demnach ersichtlich mit dem ganzen Umfang des öffentlichen Rechts überhaupt zu tun und handelt daher synthetisch-kategorial von der Quantität allen öffentlichen Rechts. Für den verstandesbegrifflichen Fortgang des öffentlichen Rechts ist nun zunächst die innere von der äußeren Handlung eines Staates zu unterscheiden:

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Dagegen hält Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 75/78 f. auch diese Erwähnung des Völker- und Weltbürgerrechts bereits im Staatsrecht (= § 43) selbst für eine weitere schriftstellerische Inkonsequenz, die einer editorischen Behebung bedürfe, weil er den inneren begrifflichen Zusammenhang des öffentlichen Rechts im Ausgang vom Staatsrecht offenbar nicht hinreichend bedenkt.

B. Die praktischen Postulate als metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre

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a) Die innere Handlung einer Substanz an sich selbst im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug Die innere Handlung einer Substanz im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug, durch die das „Problem der Metaphysik“ eine staatsrechtliche Auflösung erfährt und die Freiheit vermittelst der praktischen Vernunftidee des Staates äußeres Dasein haben kann, bildet das gesamte Staatsrecht. Die Metaphysik des Staatsrechts besteht also im praktischen Vernunftbegriff einer inneren substanziellen Handlung, die folglich vom Staatsrechtssubjekt durch dieses selbst, und zwar von selbst, auf dieses selbst, in sich selbst zurückgeht. Die innere Handlung einer Willenssubstanz als dem absoluten Subjekt rechtsgesetzlich-äußerer Bestimmung im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug hat somit einen absoluten Charakter, und sie ist dabei als Vernunftidee innerlich rein verstandesbegrifflich verfasst, sodass ihr zugleich die empirische innere Handlung eines empirischen Staatsrechtssubjekts verständig entgegengesetzt werden kann, um diese empirische Realität in der praktischen Vernunftidee des Staates schließlich schlüssig bestimmt aufzuheben.89 Aus diesem Grund unterscheidet § 45 Abs. 1 zwischen dem „Staat i n d e r I d e e “ und „jeder wirklichen Vereinigung zu einem gemeinen Wesen“, wobei dieser letzteren die Idee als Norm, d. h. als „Richtschnur (norma)“ praktisch-bestimmend zugrunde liegt, sodass eine solche empirische Vereinigung ohne diese sie innerlich praktisch-bestimmende Idee eines Staates auch überhaupt gar nicht als ein wirklicher Staat begriffen, sondern nur als eine rohe Gewalttätigkeit wahrgenommen werden könnte. Die innere Handlung der staatlichen Willenssubstanz begreift gemäß der Definition des Handlungsbegriffs das Verhältnis des Subjekts der Kausalität zur Wirkung. Folglich hat es das quantitativ alleine auf diese innere Handlung gehende Staatsrecht der Qualität nach mit einer Kausalität, und zwar im Selbstverhältnis der staatlichen Willenssubstanz zu tun. Das qualitative Moment des Staatsrechts handelt folglich im praktischen Vernunftbezug des reinen Kausalitätsbegriffs, und zwar im Ausgang vom praktischen Vernunftbezug des reinen Substanzbegriffs, von der inneren Verfassung eines jeden Staates. Diese innere Verfassung ist aber als kausale Handlung vernunftbegrifflich nichts anderes als die rein gesetzliche Selbsttätigkeit einer staatlichen Willenssubstanz, d. h. die rein gesetzliche Selbstvorstellung als Tätigkeit, mithin: Autonomie. Von der Autonomie des Staates im inneren Selbstverhältnis handeln folglich die §§ 45 – 49. Dieser Abschnitt kulminiert schließlich (§ 49 Abs. 4) unmissverständlich in den Satz: „Also sind es drei verschiedene Gewalten (potestas legislatoria, executoria, iudiciaria), wodurch der Staat (civitas) seine Autonomie hat, d. i. sich selbst nach Freiheitsgesetzen bildet und erhält.“90 Unter dem synthetischkategorialen Verstandesmoment der Qualität hat es das metaphysische Staatsrecht also mit der Selbstvorstellungstätigkeit eines sich an und für sich selbst durch sich selbst tätig verfassenden Allgemeinwillens zu tun, wobei diese Selbstvorstellungs89 Daraus resultiert in der Sache die berühmte Unterscheidung der „respublica noumenon“ von der „respublica phaenomenon“ (SF, AA VII: 91). 90 RL, AA VI: 318.04-06.

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tätigkeit in Rechtsgesetzen, die auch als das reine praktische Selbstbewusstsein eines Staatsrechtssubjekts angesprochen werden könnte,91 mit der Idee vernunftschlüssiger Gewaltengliederung in der Einheit des Staatsrechtssubjekts verbunden ist (§ 45 Abs. 2). Mit Blick auf die drei Gewalten dieses vermittelst ihrer Vereinigung autonomen Staatsrechtssubjekts kann daher auch von drei „Staatswürden“ gesprochen werden (§§ 47, 48 Abs. 2), denn die reine praktische Selbstgesetzgebungsfunktion erhebt das Subjekt derselben ursprünglich über jeden Preis und verleiht ihr folglich ihre unanstastbare Würde, die an sich im Grunde als „ u n t a d e l i g “92 oder „heilig“93, und in der Folge darum für alle bloßen Privatrechtssubjekte als „ u n w i d e r s t e h l i c h “94 vorzustellen ist. Diese innere Handlung einer staatlichen Willenssubstanz setzt in sich selbst für ihre eigene (In-Sich-)Relation aber eine Wechselwirkung voraus, dadurch sich ihre Staatswürden erst im Verhältnis der staatlichen Einheit tatkräftig konstituieren. Die §§ 50 – 52 handeln darum unter dem synthetisch-kategorialen Aspekt der Relation schließlich mit der reinen Verstandeskategorie der Gemeinschaft im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug von dieser Wechselwirkung, die in ihrem Vernunftbegriff insbesondere die staatliche Selbstvorstellungstätigkeit in Gesetzen vermittelst eines „ r e p r ä s e n t a t i v e n S y s t e m [ s ] d e s Vo l k s “95 tatkräftig besorgt. Staatsrechtliche Repräsentation ist so begriffen als tatkräftige Selbstvorstellungstätigkeit des Staatsrechtssubjekts. Das ganze Staatsrecht (§§ 43 – 52) hat es schließlich insgesamt, und zwar gemäß dem synthetisch-kategorialen Verstandesmoment der Modalität, mit der alleine im Staat ursprünglich wirklichen inneren praktischen Notwendigkeit allen äußeren Rechts unter dem allgemeinen Rechtsgesetz selbst zu tun, so wie diese im reinen praktischen Vernunftbegriff des Staates objektiv bestimmend real ist. Der Staat ist nach seiner Modalität also als ein praktisch-notwendiger Selbstzweck anzusehen, weil in ihm und durch ihn das äußere Recht der Menschen Dasein haben kann. Eben deshalb bestimmt sich aus ihm – in dieser seiner Nukleusfunktion für alles äußere Recht – innerlich das ganze natürliche öffentliche Recht bis hin zum Weltbürgerrecht fort, und eben überhaupt nur deshalb kann auch schon das natürliche Privatrecht vom äußeren Mein und Dein im Hinblick („pro-visio“) auf ihn im reinen Rechtsdenken praktisch bestimmt (bloß) gedacht werden, denn der Übergang aus dem natürlichen in einen staatlichen Zustand (§ 42 Abs. 1) ist nicht als bloßes Mittel zu einem abstrakten Zweck, sondern schon als Zweck an sich selbst notwendig. Inwieweit all das in der Edition der Rechtslehre Immanuel Kants, wie sie Bernd Ludwig dem interessierten Publikum vorstellen möchte, noch rekonstruierbar ist, 91 Diese gedankliche Zumutung für alles empirische Rechtsdenken setzt freilich das im ersten Kapitel auseinandergesetzte Freiheitsverständnis voraus. 92 RL, AA VI: 316.19. 93 RL, AA VI: 319.02-11. 94 RL, AA VI: 316.21. 95 RL, AA VI: 341.09-12.

B. Die praktischen Postulate als metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre

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muss hier noch offen bleiben. Es sei aber der Hinweis erlaubt, dass diese Edition das Staatsrecht in einer eigens kreierten Reihenfolge (nämlich: §§ 41, 42, 44, 43; 45, 48, 46, 49 Abs. 1 – 2, 49 Abs. 3 – 4, 47, 51, 52; Anmerkung, 50) setzt, weil für den Herausgeber derselben, wie er freimütig einräumt, „[s]elbst nach mehrfacher genauer Lektüre des Staatsrechts der Rechtslehre […] kein nachvollziehbarer sachbezogener Aufbau dieses Abschnitts aufzuspüren“ war.96 b) Die äußere Handlung einer Substanz an sich selbst im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug Im Gegensatz zu der vorstehend systematisch vorgestellten inneren Handlung des metaphysischen Staatsrechts lässt sich nun auch die äußere Handlung einer staatsrechtlichen Willenssubstanz im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug systematisch bestimmen, durch die das „Problem der Metaphysik“ zunächst eine völkerrechtliche und schließlich sogar eine völkerstaatsrechtliche, d. h. globale Auflösung erfährt. Sie bildet quantitativ das gesamte Völkerrecht (§§ 53 – 61). Qualitativ handelt dieses mit der reinen Verstandeskategorie der Kausalität im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug von der Kausalität einer staatlichen Willenssubstanz im äußeren Verhältnis zu ihresgleichen, sodass es darin um die Verträglichkeit der rechtlich gleichgeordneten Völkerrechtssubjekte zu einem sie rechtlich vereinigenden Völkerbund zu tun ist. Doch auch diese äußeren Handlungen der staatlichen Willenssubstanzen im Völkerrecht können in ihrer wirklichen Kausalität innerlich letztlich nur vermittelst einer tatkräftigen „ W e c h s e l w i r k u n g “97 gedacht werden, sodass das Völkerstaats- bzw. Weltbürgerrecht (§ 62) unter dem synthetisch-kategorialen Moment der Relation im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug der reinen Kategorie der Gemeinschaft vom weltbürgerrechtlichen Prinzip einer „ f r i e d l i c h e n […] Gemeinschaft aller Völker auf Erden“98 handelt. Auf diese Weise ist im natürlichen öffentlichen Recht ein letzter Übergang in der Modalität allen Rechtsdenkens angelegt, denn in der praktischen Vernunftidee eines wirklichen Weltbürgerrechts ist offensichtlich die praktische Vernunftidee eines ewigen Friedens schon rein begrifflich praktisch bestimmend vorausgesetzt, die alle praktische Notwendigkeit rechtsgesetzlicher Bestimmung in der nun rein begrifflich vollständig ausgemessenen Totalität alles Rechtsdenkens unter dem allgemeinen Rechtsgesetz bzw. -begriff an und für sich selbst vereinigt.99 Mit einem dementsprechenden „ B e s c h l u s s “, der die „allgemeine und fortdauernde Friedensstiftung“ durch das Recht als „den ganzen Endzweck der Rechtslehre innerhalb den Grenzen der bloßen Vernunft“ ausweist, weil der „Friedenszustand […] allein der unter G e s e t z e n gesicherte Zustand des Mein und Dein in einer Menge einander 96 97 98 99

Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 75 ff. RL, AA VI: 352.18. RL, AA VI: 352.06-09. RL, AA VI: 355.09-16.

112 4. Kap.: Vernunftbegriffliches System metaphysischer Anfangsgründe des Rechts

benachbarter Menschen“ ist, kehrt der allgemeine Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) – als praktische Gemeinschaftskategorie – in seiner begrifflich-synthetischen Entwicklung (§§ 1 – 62) durch das Weltbürgerrecht in der praktischen Vernunftidee des ewigen Friedens zuletzt also auch wieder in sich selbst zurück,100 womit das gesamte Panorama eines sich praktisch in seiner metaphysischen Bestimmung selbst entwickelnden Rechtsbegriffs noch vor einer jeden konkreten Zeitbestimmung a priori und in sich geschlossen im vernünftigen Rechtsbewusstsein daliegt.101

100

Dieser allgemeine Begriff des Rechts (§ B Abs. 3), der nach seiner praktischen Idee alleine durch den Staat Wirklichkeit hat, hat an sich selbst eine gewisse moralische Beschaffenheit äußerer Handlungen, nämlich ihre allgemeingesetzliche Vereinbarkeit mit der Freiheit eines jeden, und damit im Grunde etwas Intelligibles und nicht „eine bloße Erscheinung“ zum Inhalt. Wenn in seiner Folge also rechtliche Bestimmungen in wirklichen Staaten unter der praktischen Idee des Rechts als positive Gestalten in einer Zeit auch erscheinen, so erscheint damit eben nicht auch schon das Recht „an sich“ selbst und dann behält übrigens auch der Kantische Nebensatz aus dem Jahr 1781 „das Recht kann gar nicht erscheinen“ (siehe dazu oben Fn. 71 im dritten Kapitel m.w.N.) mit der Rechtslehre im Jahr 1797 seine uneingeschränkte Bedeutung. 101 RL, AA VI: 355.07-30.

Abb. 6: Übersicht über die rein verstandesbegriffliche Architektonik der Rechtslehre im Hinblick auf eine äußere Handlung überhaupt

B. Die praktischen Postulate als metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre 113

Teil II

Eine Interpretation der Rechtslehre Mit den vorstehenden metaphysisch-methodologisch intendierten Systemüberlegungen zur Aufklärung der rein begrifflichen Verfassung und Architektonik der Kantischen Metaphysik des Rechts im Ausgang vom Begriff des Postulats dürfte das unter ihren Interpreten weithin konsentierte Verständnis betreffend die in Teilen oder gar im Ganzen angenommene „Verdorbenheit“ der Textgestalt der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre nunmehr in einem etwas anderen Licht erscheinen. Aus diesem Grund erfährt die Kantische Rechtslehre in der jetzt vorzustellenden Interpretation auch eine sich in ihren Ergebnissen mitunter anders ausnehmende Beleuchtung, als sie ohne diese methodologischen Vorüberlegungen zum Erkenntnisprojekt einer Metaphysik der Sitten jedenfalls in einer sich postmetaphysisch glaubenden Zeit des Denkens zu erwarten ist. Sollte somit in der Folge ein tendenziell neuer – dezidiert metaphysischer – Gehalt mit einem gewissen methodologischen Recht ans Licht des dann möglicherweise ein weiteres Mal neu anbrechenden Tages der Kantischen Rechtsphilosophie befördert werden können, so müsste jede künftig weiterhin nicht dezidiert metaphysisch vorgehende Lesart für sich selbst ausreichende Vorsorge treffen, dass sie nicht tatsächlich ungewollt nur einen längst Toten nochmals im Dunkel ihrer metaphysischen Nacht begräbt. Ist der metaphysische (rein vernunftbegriffliche) Anspruch der Kantischen Rechtslehre nach hiesigem Grundverständnis ohne einen belastbaren methodologischen Gegenentwurf also nicht länger verhandelbar, so lässt sich doch auf seiner Basis über die Details der mit der entsprechenden Lesart erzielten Ergebnisse gewiss noch immer trefflich genug streiten. Die folgende Interpretation macht den ihr vorausgegangenen Interpretationen mithin nicht das Gebiet, sondern lediglich die darauf bislang erzielten Ergebnisse in einem gewissen Maß streitig und verfährt damit wie jede ernsthafte Interpretation (vor und nach ihr), die in Erscheinung tritt, weil sie sich selbst mit den ihr vorausgegangenen Verständnisversuchen noch nicht hinreichend befriedigt gefunden hat. Aus diesem Grund dürfte die Form ihrer Erscheinung wohl auch zu einem nicht geringen Teil aus dem Kontext derjenigen Umstände resultieren, die sie für sich selbst vorzufinden glaubt. Eine berechtigte Kritik ihrer Form räumt also im besten Fall nachhaltig mit den von ihr als vorgefunden geglaubten Umständen auf, und zwar indem sie nachweist, wie der metaphysische Erkenntnisanspruch Kantischen Rechtsdenkens darin Befriedigung erfährt.

Teil II: Eine Interpretation der Rechtslehre

115

Insofern sich in diesem möglicherweise gleichsam paradoxen Anspruch der vorgestellten Herangehensweise dann noch der Anschein einer ihr nicht gut anstehenden Unbescheidenheit wähnen lassen sollte, sei hier daran erinnert, dass sich Verf. mit dieser nicht schon auf Kritik oder Besserwissen, sondern lediglich auf Verständnis des zu interpretierenden Autors gerichteten Vorgehensweise, an keiner Stelle seines Gedankens selbst einsichtiger als dieser befinden dürfte. Denn die hier vorgelegte Interpretation geht mit diesem Selbstverständnis jedenfalls nicht darauf aus, den zu interpretierenden Autor besser zu verstehen, als dieser sich in seinen zumeist in mehreren Auflagen veröffentlichten Schriften selbst wohl schon verstanden haben wird, da ein solches Besserverstehen, jedenfalls auch nach Kant (A 314/B 370), eine präzisere begriffliche Bestimmung voraussetzt, als dieser besser verstandene Autor sie hatte, und von der ich hier gerne zugebe, tatsächlich nicht über eine solche zu verfügen. Alles andere wäre Hybris.

5. Kapitel

Der allgemeine Begriff des Rechts Die im vorigen Kapitel auf den Grundpfeilern von drei vernünftig eingeteilten rechtlichen Postulaten der praktischen Vernunft (§ C Abs. 4, § 2, 42 Abs. 1) im Ausgang vom logischen Postulatbegriff vollständig entwickelte und im Folgenden näher zu beglaubigende Begriffsarchitektonik der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre beruht in sich geschlossen auf der objektiv-real bestimmenden Kraft des allgemeinen Begriffs des Rechts (§ B Abs. 3), darin mit der Vernunftvorstellung eines allgemeinen Rechtsgesetzes für äußere Handlungen unter dem Sittengesetz wiederum der Freiheitsbegriff des Grundgesetzes der reinen praktischen Vernunft (§ 7 KpV) objektiv-real bestimmend ist. Im Ausgang von diesem allgemeinen Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) sind daher alle (d. h. natürliche und positive) rechtlichen Vorstellungen unter ihm rein begrifflich objektiv bestimmbar. Insofern liegt in ihm rein begrifflich – a priori – schon der ganze mögliche Umfang der durch ihn unter ihm bestimmbaren Rechtsvorstellungen in ihrer Totalität beschlossen und so lässt sich auch die ganze Idee allen möglichen Rechts, damit aber ebenso die Idee aller möglichen wissenschaftlichen Behandlung dieses Rechts, a priori aus diesem allgemeinen Begriff des Rechts heraus lediglich durch vernünftige Einteilung erschließen. Insofern beruht die Wissenschaft vom Recht dann auf „einer Idee des Ganzen, welche den Teilen vorangeht“, sodass unter dieser „ W i s s e n s c h a f t […] der Inbegriff einer Erkenntniß als S y s t e m zu verstehen ist“.1 In der Logik heißt es daher: „In allen Wissenschaften, vornehmlich denen der Vernunft, ist die Idee der Wissenschaft der allgemeine A b r i ß oder U m r i ß derselben, also der Umfang aller Kenntnisse, die zu ihr gehören. Eine solche Idee des Ganzen – das Erste, worauf man bei einer Wissenschaft zu sehen und was man zu suchen hat, ist a r c h i t e k t o n i s c h , wie z. B. die Idee der Rechtswissenschaft.“2

A. Die Idee der Rechtslehre (§ A) Rechtslehre und Rechtswissenschaft sind hier in § A mithin als Synonyme anzusehen, sodass mit dem Begriff der „Lehre“ auf die Wissenschaftlichkeit und 1 2

Log, AA IX: 72.01-07. Log, AA IX: 93.09-13 (§ 3).

A. Die Idee der Rechtslehre (§ A)

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Systematizität des Vortrages abhoben ist.3 In begrifflicher Entsprechung zur besonderen Metaphysik der Natur könnten die Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre daher auch solche der „Rechtswissenschaft“ heißen. Allerdings soll in § A nicht schon die Idee dieser Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, sondern ausweislich der Überschrift „ W a s d i e R e c h t s l e h r e s e i “ 4 erst die Idee der Rechtslehre überhaupt eingeteilt werden. – Wenn diese Einteilung – wie bemerkt – den allgemeinen Begriff der Rechts (§ B Abs. 3) schon voraussetzt, so liegt hierin ein unvermeidlicher Vorgriff, weil eine wissenschaftliche Behandlung eines Vernunftgegenstandes erst möglich ist, nachdem der Vernunftbegriff dieses Gegenstandes bereits hinreichend aufgeklärt im Bewusstsein vorliegt, da ohne seine kriterielle Funktion auch der Vernunftgegenstand selbst und mithin die Idee der entsprechenden Vernunftwissenschaft noch nicht hinreichend klar vorstellbar sind, sodass auch eine vernünftige Einteilung dieser Idee in der Folge noch nicht möglich ist. Nach Abriss der Idee der Rechtslehre (§ A) kann die eigentliche Ausführung dieser Wissenschaft im Ausgang vom allgemeinen Begriff des Gegenstandes dieser Wissenschaft (§ B) sodann erst beginnen. Die nun einzuteilende Idee der Rechtswissenschaft ist somit Teil derjenigen Wissenschaft, die durch sie erst vernünftig ausführbar ist und insofern hat Bernd Ludwig gegen eine weit verbreitete Praxis zu Recht darauf insistiert, dass eine ernsthafte Interpretation der Rechtslehre nicht einfach unter Außerachtlassung der Gegenstandsbestimmung des § A mit den §§ B ff. einsetzen sollte.5 Der allgemeine Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) hat die Gesetzmäßigkeit äußerer Handlungen und mithin auch nur äußere Gesetze zu seinem Gegenstand. Dementsprechend macht die Einheit der unter ihm in seiner Sphäre vorstellbaren äußeren Gesetze den ganzen Umfang seiner möglichen Gegenstände aus, die wiederum Gegenstand einer entsprechenden Wissenschaft sein können. An diese Feststellung knüpft der erste Satz von § A folglich mit einer Begriffserklärung zu dieser Wissenschaft an: „Der Inbegriff der Gesetze, für welche eine äußere Gesetzgebung möglich ist, heißt die R e c h t s l e h r e (Ius).“6 Aus diesem Grund ist die Idee der Rechtslehre bzw. -wissenschaft mit dem Begriff einer äußeren Gesetzgebung einteilbar. Da alle äußere Gesetzgebung für ein freies Willkürsubjekt aber nur aus seinem eigenen freien Willen (d. h. seiner Persönlichkeit7) oder dem eines für ihn äußeren Gesetzgebers entspringen kann, erfolgt die 3

Höffe, in: ders. (Hrsg.): Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Berlin 1999, S. 41 (42). 4 RL, AA VI: 229.04. 5 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 93 Fn. 21. 6 RL, AA VI: 229.05-06. – Buttermann, Die Fiktion eines Faktums – Kants Suche nach einer Rechtswissenschaft (2011), S. 62 hält den Kantischen Begriff der äußeren Gesetzgebung für zu „unspezifisch“, sodass sich auch gleich zu Beginn der Rechtslehre schon „mit seiner Unschärfe das Feld möglicher Rechtsinterpretationen“ eröffne. 7 Der Begriff der „ P e r s ö n l i c h k e i t “ (KpV, AA V: 66) betrifft das durch reines Denken bestimmte Verhältnis (d. h. die Relation) der Freiheit des Willens auf sich selbst, d. h.

118

5. Kap.: Der allgemeine Begriff des Rechts

Einteilung der Idee der Rechtswissenschaft im ersten Schritt über die verständige Entgegensetzung positiv gesetzter und natürlicher Gesetze.8 Eine positiv gesetzte äußere Gesetzgebung durch den freien Willen eines anderen Rechtssubjekts stellt für das von dieser äußeren Gesetzgebung betroffene Willkürsubjekt eine schon wirkliche Gesetzgebung im äußeren Verhältnis vor. Also lässt sich im Ausgang von dieser Begriffserklärung einer positiven äußeren Gesetzgebung auch ein erstes Einteilungsglied in der Einteilung der Idee der Wissenschaft von den äußeren Gesetzen bestimmen, denn: „Ist eine solche Gesetzgebung wirklich, so ist sie Lehre des positiven Rechts“9. Die positive Rechtswissenschaft bzw. empirische Rechtslehre hat nach dieser Begriffserklärung also alleine mit dem schon wirklichen äußeren Recht eines äußeren Gesetzgebers zu tun. Nun ist dieser positiven äußeren Gesetzgebung in schon wirklichen äußeren Gesetzen eines äußeren Gesetzgebers eine in diesem Sinne noch nicht positive äußere Gesetzgebung der eigenen Persönlichkeit, d. h. des eigenen freien Willens bzw. der eigenen reinen praktischen Vernunft verständig entgegenzusetzen. Die Rede ist dann von einer äußeren Gesetzgebung in natürlichen Gesetzen und die betreffende Wissenschaft als weiteres Einteilungsglied innerhalb der Idee der Rechtslehre ist mit der „natürlichen Rechtslehre (Ius naturae)“10 angemessen bezeichnet. In dieser bloß verständigen Einteilung der Idee der Rechtswissenschaft durch verständige Entgegensetzung positiver Gesetzgebung im Ausgang vom freien Willen eines äußeren Gesetzgebers und natürlicher äußerer Gesetzgebung im Ausgang vom eigenen freien Willen ergibt sich nun aber das Problem, dass beide möglichen äußeren Gesetzgebungen (die fremdpersonale sowie die intrapersonale Gesetzgebung), damit jedoch auch die ihnen korrespondierenden Wissenschaften – mit Blick etwa auf einen sie gemeinschaftlich verbindenden allgemeinen Willen – zunächst völlig unverbunden nebeneinander stehen. Zur genaueren Herausarbeitung und späteren Auflösung dieses Grundproblems der Rechtsphilosophie ist es nun nicht unwichtig, hier den Ausgangspunkt aller Gesetzgebung nochmals deutlich in Erinnerung zu rufen: Der Grund aller möglichen Gesetzgebung ist überhaupt das Grundgesetz der praktischen Vernunft (§ 7 KpV), und zwar als Grundsatz der Autonomie eines freien Willens (§ 8 KpV). Dementsprechend ist außerhalb der Sphäre dieses mit der Spontanität reinen Denkens dem Willen selbst gegebenen Grundsatzes der Autonomie eines freien Willens keine Gesetzgebung und folglich auch keine Verpflichtung unter einer Gesetzgebung denkbar. Insbesondere kann dann eine fremdpersonale äußere Rechtsgesetzgebung seinen Selbststand, weshalb der Begriff der Persönlichkeit – als eine Kategorie der Freiheit – an der logischen Stelle der Denkfunktion eines kategorischen Urteils steht, die in ihrem Gegenstandsbezug die Denkkategorie der Substanz bildet. 8 Siehe zu Entgegensetzung natürlicher und positiver Gesetze auch MS, AA VI: 224.27-36, 227.10-20; RL, AA VI: 237.15-17. 9 RL, AA VI: 229.06-07. 10 RL, AA VI: 229.13-14.

A. Die Idee der Rechtslehre (§ A)

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durch einen äußeren Gesetzgeber unter dem Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft zu keinem Moment als eine „Fremdverpflichtung“ vernünftig gedacht werden, ohne zugleich gedanklich schon in Heteronomie zu verfallen.11 Da also alle äußere Gesetzgebung – als Verpflichtung eines freien Willkürsubjekts – unter dem Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft im Ursprung immer nur vom eigenen freien Willen dieses Willkürsubjekts ausgehen kann,12 ist besonders alle fremdpersonale (positive) äußere Gesetzgebung, und zwar im Gegensatz zu aller intrapersonalen (natürlichen) äußeren Gesetzgebung, in diesem Gegensatz entweder ganz unmöglich,13 oder es existiert ein übergeordnetes natürliches Gesetz im intrapersonalen Ausgang vom eigenen freien Willen, dadurch es schon praktischnotwendig ist, sich selbst der positiven äußeren Gesetzgebung eines andern freien Willenssubjekts in gewisser – noch zu entwickelnder – Weise zu unterwerfen. Gibt es ein solches natürliches Gesetz, das für das freie Willkürsubjekt im Grunde nur die Idee einer Mitgesetzgebung14 in äußeren Verhältnissen als praktisch-notwendig vorstellen kann, dann kann es darunter auch eine positive äußere Gesetzgebung

11 Eine solche Heteronomie aber muss beispielsweise die jüngst erschiene Interpretation Hirschs, Freiheit und Staatlichkeit bei Kant (2017), S. 210 ff. noch voraussetzen. Denn in ihrer autonomietheoretischen Rekonstruktion geht sie mit der herrschenen Kantinterpretation davon aus, dass im Naturzustand vor und unabhängig vom Staat bereits subjektive äußere Rechte existieren, die sich gedanklich als äußere „Fremdverpflichtung“ im Rechtsdenken vorstellen. Dem Staat wird dann von Hirsch lediglich (aber immerhin) noch die Rolle zugedacht, diese tatsächliche „Fremdverpflichtung“ als „Selbstverpflichtung“ begreiflich zu machen. Damit aber ist für ein Verstandesmoment des Gedankens anerkannt, dass Verpflichtung im Grunde (vor dem Staat) schon als Heteronomie denkbar sein soll, und zwar, weil der empirische Einzelwille eines Privatrechtssubjekts in Ansehung eines äußeren Gegenstandes darin bereits für sich selbst im interpersonalen Verhältnis zu seinesgleichen als rechtsbegründend angesehen wird. Hirsch, der die Freiheit des Willens mit dem herrschenden Kantverständnis schon in einem Faktum kategorischer Verpflichtung ausreichend begründet sieht (S. 46 ff.), setzt so nach dem hier dazu im Gegensatz vertretenen Freiheitsverständnis (siehe oben im ersten Kapitel) in seiner an sich sehr verdienstlichen Neubestimmung der Rolle des Kantischen Staates noch mindestens einen Schritt zu spät an. Wie später zu zeigen ist, kann nur ein dezidiert metaphysisches Verständnis des Begriffs eines „provisorischen Besitzes“ eines äußeren Gegenstandes im Naturzustand diese autonomietheoretische Schwierigkeit im Hin-blick (pro-visio) auf den Staat und seinen im äußeren Verhältnis alleine effektiv rechtsbegründenden Allgemeinwillen heben. 12 MS, AA VI: 223.25-31: „Die m o r a l i s c h e Persönlichkeit ist […] nichts anders, als die Freiheit eines vernünftigen Wesens unter moralischen Gesetzen […], woraus dann folgt, daß eine Person keinen anderen Gesetzen als denen, die sie (entweder allein, oder wenigstens zugleich mit anderen) sich selbst giebt, unterworfen ist.“ 13 Dieser Einseitigkeit scheint in seiner Interpretation von § B ein Stück weit auch Naucke, in: Sitzungsberichte der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolfgang GoetheUniversität Frankfurt am Main (1996), S. 187 (186 f.) zuzuneigen, wenn er meint, Kant halte das positive Recht von der Einordnung als wirklichem Recht fern. Dies widerspräche dann aber bereits dem Begriff einer positiven Gesetzgebung als einer wirklichen äußeren Gesetzgebung. 14 Siehe vorstehend Fn. 12 sowie RL, AA VI: 313.29-314.03 (§ 46).

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5. Kap.: Der allgemeine Begriff des Rechts

geben.15 Insofern wäre schließlich in der begrifflichen Einheit der Idee der Rechtswissenschaft eine vernünftige Subordination der beiden möglichen äußeren Gesetzgebungen mitsamt ihren Wissenschaften im Ausgang vom freien Willen eines Rechtssubjekts vorgestellt. Die wirkliche (positive) äußere Gesetzgebung setzte zu ihrer eigenen begrifflichen Möglichkeit nämlich eine natürliche äußere Gesetzgebung über sich selbst und für sich selbst voraus. Diese vernünftige Subordination aus einem natürlichen Gesetz (& § 42 Abs. 1) rein begrifflich zu erweisen, wäre dann die wesentliche Aufgabe eines überempirischen und daher metaphysischen Teils der Rechtswissenschaft, der mit ihr als Antwort die Frage nach der Möglichkeit der Positivität des Rechts in äußeren Gesetzen vernünftig auflösen würde.16 Ein solcher metaphysischer Teil der Rechtslehre hätte es folglich begrifflich mit den Gründen zu allen möglichen positiven Rechten und Pflichten unter wirklichen äußeren Gesetzen, nicht aber mit diesen äußeren Gesetzen und Geboten (d. h. Imperativen) selbst zu tun.17 Tatsächlich findet sich ein Hinweis auf genau diese Auflösung und die damit verbundene Aufhebung des bloß verständigen Gegensatzes von positiver und natürlicher Rechtslehre schon in § A unter Rekurs auf den der positiven Rechtslehre insofern überzuordnenden Begriff einer „bloße[n] Rechtswissenschaft (Iurisscientia)“, die „der s y s t e m a t i s c h e n Kenntniß der natürlichen Rechtslehre (Ius naturae)“ zukomme, und die „zu aller positiven Gesetzgebung die unwandelbaren Principien hergeben“ müsse.18 Die Wissenschaft der natürlichen Rechtslehre hat es insofern schlechterdings mit den übergeordneten Bedingungen der Möglichkeit einer positiven Gesetzgebung zu tun und die Frage nach der Positivität des Rechts in der kritischen Naturrechtslehre Immanuel Kants ist folglich tatsächlich nichts anderes als die Frage nach dem Gegenstand der natürlichen oder metaphysischen Rechtslehre (d. h. Naturrechtslehre) überhaupt.19 Dieser in der Sache letztlich klare Hinweis in § A bedarf allerdings noch einiger Erläuterung, denn er ist in den Ausführungen Immanuel Kants zusätzlich mit weiteren Bestimmungen verknüpft: Zunächst ist nämlich zu bemerken, dass die Einteilung des § A mit dem Begriff der bloßen Rechtswissenschaft als einem Artbegriff auf die einzuteilende Idee der 15

Siehe dazu MS, AA VI: 224.27-36, 227.10-20; RL, AA VI: 307.08-11 (§ 41 Abs. 1); 357.12-17 (Anhang). 16 Nach Ritter, Der Rechtsgedanke Kants nach den frühen Quellen (1971), S. 184 f. wird die Geltungsfrage des positiven Rechts in der Kantischen Rechtslehre nicht behandelt. Ähnlich auch schon Metzger, Untersuchungen zur Sitten- und Rechtslehre Kants und Fichtes (1912), S. 84. Zutreffend dagegen Oberer, KS 64 (1973), S. 88 (90 f.). 17 Zu dieser Gegenstandsbestimmung der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre siehe oben unter C. IV. im dritten Kapitel. 18 RL, AA VI: 229.11-15. 19 Siehe zur Beantwortung dieser Frage nach dem Gegenstand der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre aus ihrem Begriff heraus selbst insbesondere bereits die Ausführungen unter C. IV. im dritten Kapitel; im Übrigen auch das vierte Kapitel.

A. Die Idee der Rechtslehre (§ A)

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Rechtswissenschaft überhaupt als Gattungsbegriff rekurriert: Indem die positive Rechtslehre nämlich der bloßen Rechtswissenschaft entgegengesetzt und ihr in dieser Entgegensetzung zugleich auch subordiniert wird, stellt diese vernunftschlüssige Einteilung auf die Einteilung dieser Rechtswissenschaft überhaupt ab, und zwar in eine empirische und eine reine (= bloße) Rechtswissenschaft, wobei diese Einteilung sachlich identisch ist mit der zuvor ausdrücklich vorgenommenen Einteilung einer positiven und natürlichen Rechtslehre. Die Subordination der positiven Rechtslehre unter die bloße (natürliche/reine) Rechtswissenschaft kommt dabei dadurch zustande, dass die reine Rechtswissenschaft – gemäß ihrer Aufgabenbeschreibung – der schon wirklichen Rechtslehre die Prinzipien ihrer eigenen Möglichkeit vor- bzw. überordnen und damit erst bereitstellen muss. Also ist – anders als z. B. Otfried Höffe annimmt – auch die positive Rechtslehre eine Rechtswissenschaft.20 Sodann wird das Verständnis des gegebenen Hinweises auf die vernunftschlüssige Subordination in der Einteilung der Idee der Rechtswissenschaft aber auch dadurch noch in einem gewissen Maß erschwert, dass die beiden entgegengesetzten Arten von Rechtswissenschaften durch die zusätzliche Vorstellung ihrer jeweiligen Wissenschaftlersubjekte eine weitere Repräsentation erhalten.21 Der Grundbegriff dieses Wissenschaftlersubjekts, der sowohl der positiven Rechtslehre, als auch der bloßen Rechtswissenschaft zugrunde liegt, ist der „ R e c h t s k u n d i g e “22, denn wer die betreffenden Gesetze schlicht kennt, ist insofern auch als kundig anzusehen. Im Falle der positiven bzw. empirischen Rechtslehre wird dieser in den Gesetzen Rechtskundige – eine gewisse Passivität ausdrückend – auch als der „Rechtsgelehrte (Iurisconsultus)“23 bezeichnet, denn er ist in seiner Wissenschaft, die eine Praxis zwischenmenschlicher Handlungen zum Gegenstand hat, darauf angewiesen, dass ihm die positiven äußeren Gesetze als Objekte seiner Wissenschaft durch einen 20

Höffe, in: ders. (Hrsg.): Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Berlin 1999, S. 41 (44) übersieht beim Begriff der „Rechtswissenschaft“ den Zusatz „bloße“ in gewisser Weise und qualifiziert darum alleine die natürliche Rechtslehre als „die für Kant einzige Rechtswissenschaft“. Auch nimmt Eisfeld, Erkenntnis, Rechtserzeugung und Staat bei Kant und Fichte (2015), S. 229 ff. das positive Recht aus der Idee des Ganzen heraus. 21 Buttermann, Die Fiktion eines Faktums (2011), S. 60 sieht dagegen schon hier „ein Beispiel für die literarisch kaum bewältigte Komplexität der Argumentation“, denn in „merkwürdig gewundenen Erklärungen“ würden „Distinktionen innerhalb des Begriffs der Rechtslehre vorgeschlagen, die augenscheinlich nichts zur Argumentation beizutragen haben und lediglich Kants Interesse an systematischer Vollständigkeit zu belegen scheinen“. 22 RL, AA VI: 229.07 bzw. 14. – Das übersieht Buttermann, Die Fiktion eines Faktums (2011), S. 63 ff., der den Begriff des „Rechtsgelehrten“ als Grundbegriff anzusehen scheint und die Passage so liest, als vereinige dieser „Rechtsgelehrte“ sowohl die Kenntnis der positiven, als auch die Kenntnis der natürlichen Gesetze auf sich. In der Folge ist es dann – gegen den Text – nicht der „Rechtskundige“, sondern der „Rechtsgelehrte“, der aller positiven Gesetzgebung die unwandelbaren Prinzipien darreichen muss, sodass Buttermann schließlich den in § B angesprochenen „ R e c h t s g e l e h r t e n “ (S. 76) mit einen voraufgeklärten Naturrechtler identifiziert, der sich im Sein nach einem Sollen umschaut. 23 RL, AA VI: 229.08.

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5. Kap.: Der allgemeine Begriff des Rechts

äußeren Gesetzgeber zuallererst gegeben werden, bevor er sie im Gegenstands- bzw. Praxisbezug seiner Rechtswissenschaft sodann bis zur höchsten Stufe der darin insgesamt möglichen Kenntnis (nämlich Klugheit) studieren kann. Der „Rechtsgelehrte“ wird also im Grunde erst durch Erfahrung wirklich klug und so heißt er „ r e c h t s e r f a h r e n (Iurisperitus), wenn er die äußern Gesetze auch äußerlich, d. i. in ihrer Anwendung auf in der Erfahrung vorkommende Fälle, kennt, die auch wohl R e c h t s k l u g h e i t (Iurisprudentia) werden kann“.24 Ohne die Prädikate der Rechtserfahrung und einer darauf basierenden Rechtsklugheit bleibt vom Begriff des Rechtsgelehrten allerdings nur noch der ihm zugrundeliegende Stammbegriff vom Rechtskundigen zurück, der sich – in gegensätzlich-positiver Bestimmung dazu – alleine aus sich selbst heraus systematisch in den natürlichen Gesetzen rechtskundig gemacht hat, wenn er der Rechtskundige der bloßen und in diesem Sinne natürlichen Rechtswissenschaft ist. Die Rechtskundigen der natürlichen Rechtslehre könnten folglich auch – eine gewisse Aktivität ausdrückend – als „philosophische Rechtslehrer“25 bezeichnet werden.26 Mit der aus der Einteilung der Idee der Rechtswissenschaft folgenden Subordination des positiven Rechts unter das natürliche Recht ist der Weg der natürlichen Rechtslehre in Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre vorgegeben: Es ist darin um den Ausweis eines natürlichen Gesetzes im intrapersonalen Ausgang zu tun, dadurch eine Subordination unter die positive Gesetzgebung eines fremdpersonalen Gesetzgebers praktisch notwendig ist, sodass das natürliche Recht insgesamt schon die in reiner praktischer Vernunft liegenden metaphysischen Gründe zu allen möglichen kategorischen Imperativen des Rechts enthält. Da diese metaphysischen Gründe in reiner praktischer Vernunft gründen, können sie schließlich auch nur aus reinen Begriffen praktischer Vernunft bestehen und so bestätigt sich in der vernünftigen Einteilung der Rechtsidee erstmals die vorab im dritten Kapitel vorgetragene Gegenstandsbestimmung der Kantischen Metaphysik des Rechts, von der hier nunmehr auch deutlich geworden ist, dass sie die Auflösung der autonomietheoretischen Frage zum Gegenstand hat, wie eine fremdpersonale äußere Gesetzgebung mit praktischer Notwendigkeit möglich ist, wenn eine solche unter dem Grundsatz der Autonomie (§§ 7, 8 KpV) als „Fremdverpflichtung“ schon überhaupt gar nicht gedacht werden kann. Etwas denken zu können, setzt aber eine allgemeine Vorstellung des zu Denkenden, d. h. seinen Begriff voraus und folglich beginnt die wissenschaftliche Behandlung dieses Problems und mithin des Naturrechts über24

RL, AA VI: 229.07-11. So z. B. in RL, AA VI: 281.33. 26 Nach Höffe, in: ders. (Hrsg.): Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Berlin 1999, S. 41 (43 ff.) hingegen unterscheidet Kant an dieser Stelle vielmehr „vier Arten einer sich steigernden Rechtskompetenz“ (iurisconsultus/iurisperitus/iurisprudentia/iurisscientia), wobei Kant „die epistemisch höchste Stufe, die Rechtswissenschaft (iurisscientia), merkwürdigerweise dort gegeben sieht, wo zugleich ein epistemisches Defizit besteht, wo es nämlich an Rechtserfahrung und Rechtsklugheit mangelt“. In der Folge interpretiert Höffe diesen Umstand als ein eher modern anmutendes Plädoyer Kants für ein bescheidenes Selbstverständnis der Naturrechtswissenschaft. 25

B. Analytische Exposition des allgemeinen Begriffs des Rechts (§ B)

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haupt methodologisch zwangsläufig mit dem allgemeinen Begriff des Gegenstandes der eingeteilten Rechtswissenschaft, nämlich mit dem Begriff des Rechts:

B. Analytische Exposition und Realdefinition des allgemeinen Begriffs des Rechts (§ B) Sollen die positiven Gesetze unter den natürlichen Gesetzen mit praktischer Notwendigkeit gemäß der vorgestellten Einteilung der Idee der Rechtswissenschaft subordiniert vorgestellt werden können, so bedarf es eines gemeinsamen Begriffs beider Gesetzesarten als Gattungsbegriff, dadurch diese Subordination alleine vernünftig zustande kommen kann.

I. Zur Methode einstweiliger Abstraktion im schon konkreten Rechtsbewusstsein (§ B Abs. 1) Im Ausgang von schon ganz konkreten wirklichen äußeren (positiven) Gesetzen müsste sich dieser Begriff des Rechts als allgemeines (Begriffs-)Merkmal sowohl der positiven als auch der natürlichen Gesetze darüber im Rechtsbewusstsein ausfindig machen lassen, wenn man im schon ganz konkreten Rechtsbewusstsein von allen besonderen Merkmalen äußerer Gesetze abstrahiert.27 Das allgemeine Merkmal allen Rechts lässt sich also völlig rein denken, wenn man vom konkreten Begriff positiver Gesetze methodologisch nur einen völlig abstrakten Begriffsgebrauch28 macht, denn dadurch kann die den natürlichen und positiven Gesetzen gemeinsam zugrundeliegende Vernunftvorstellung äußerer Gesetzlichkeit einer Handlung überhaupt in ihren eigenen konstitutiven und daher irreduziblen Begriffsmerkmalen (von der bloßen Form eines allgemeinen Willens im Gesetz) im Rechtsbewusstsein als allgemeiner Begriff des Rechts freigelegt werden. Vermittelst dieser Abstraktion29 im Ausgang 27

Die folgende Interpretation identifiziert also das in § B Abs. 1 angesprochene „allgemeine Kriterium“ (woran Recht/Unrecht erkennbar sind) mit dem allgemeinen Begriff des Rechts (§ B Abs. 3), da sie sich sonst nicht zu erklären vermag, wie eine Rechtserkenntnis unter einem allgemeinen Begriff, d. h. nach einem allgemeinen Kriterium des Rechts möglich sein soll. Sie weicht damit beispielsweise in gewisser Weise von der Auffassung Zaczyks, in: Gephart/Suntrup (Hrsg.): Rechtsanalyse als Kulturforschung II (2015), S. 19 (22) ab, der davon ausgeht, ein solches allgemeines Kriterium könne „gar kein Element eines immer schon vorausgesetzten Begriffs von Recht sein“, sondern es müsse „seinerseits dem Rechtsbegriff vorausliegen“. 28 Methodologisch dazu Log, AA IX: 99 f. (§ 16). 29 Weil sich diese Abstraktion letztlich auf einen dem Verstand a priori durch die praktische Vernunft (d. h. durch den freien Willen) gegebenen Begriff bezieht, verläuft sich diese methodologisch angestellte Abstraktion dabei auch nicht zuletzt einfach in irgendwelchen (bloßen Gegenstands-)Vorstellungen; der „Leitfaden“ der positiven Gesetze reißt also niemals ab. Vgl. dazu auch Zaczyk, in: ders./Köhler/Kahlo (Hrsg.): FS E.A. Wolff (1998), S. 509 (522).

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5. Kap.: Der allgemeine Begriff des Rechts

vom konkreten und wirklichen Rechtsbewusstsein lässt sich somit ein völlig reines Rechtsbewusstsein für ein jedes freies Willkürsubjekt an sich selbst denken. Nun ist der Gegenstand der positiven Gesetze aber nur das schon wirklich konkret gesetzte Recht eines äußeren Gesetzgebers und so fällt die abstrahierende Aufsuchung des stets schon vorausgesetzten allgemeinen Begriffs des Rechts nicht in die methodologische Zuständigkeit der positiven Rechtswissenschaft. Aus diesem Grund wird die mit § B aufgeworfene Frage „ W a s i s t R e c h t ? […] den R e c h t s g e l e h r t e n […] eben so in Verlegenheit setzen, als die berufene Aufforderung: W a s i s t W a h r h e i t ? den Logiker.“30 Denn so wie der Logiker eine Materie seiner formalen und allgemeinen logischen Regeln der Wahrheit als Anwendungsgebiet seiner logischen Wissenschaft immer schon voraussetzen muss, ohne dieses materiale Anwendungsgebiet mit seinen materialen Wahrheiten auch nur zu kennen, so muss auch der Rechtsgelehrte – umgekehrt – in seinem ihm alleine bekannten materialen Anwendungsgebiet seiner Wissenschaft stets schon ein materiell-allgemeines und doch zugleich formales (nicht-bloß logisches) Kriterium seines materialen Wissenschaftsgegenstandes unbewusst voraussetzen, da er sich sonst mit seiner positiven Rechtswissenschaft selbst nicht denken könnte. Allerdings liegt in dieser methodologischen Beschränkung der positiven Rechtswissenschaft kein Makel und man darf § B Abs. 1 daher auch nicht so lesen, als amüsiere sich Kant über die Beschränktheit der empirischen Rechtsgelehrten. Denn der Vergleich zielt auf eine berühmte Stelle aus dem dritten Abschnitt der Einleitung in die Transzendentale Logik, die ja selbst bekanntlich keine völlig allgemeine und von allem Inhalt abstrahierte Logik ist, sondern eine solche Logik, die auf das bloße (richtige) Denken eines Gegenstandes überhaupt geht und insofern einen möglichen Gegenstandsbezug der reinen logischen Denkformen in Begriffen (Kategorien) von einem Gegenstand des Denkens überhaupt ins sich voraussetzt.31 Eine solche Transzendentale Logik aber fällt ebenso nicht in den methodologischen Zuständigkeitsbereich der bloßen Logik, als der reine Rechtsbegriff nicht in den methodologischen Zuständigkeitsbereich der empirischen Rechtsgelehrten gehört. Deshalb schreibt Kant in der vergleichend bemühten Stelle gegen eine Geringschätzung der mit einer falsch adressierten Frage konfrontierten Logiker auch: „Die alte und berühmte Frage, womit man die Logiker in die Enge zu treiben vermeinte und sie dahin zu bringen suchte, daß sie sich entweder auf einer elenden Diallele mußten betreffen lassen, oder ihre Unwissenheit, mithin die Eitelkeit ihrer ganzen Kunst bekennen sollten, ist diese: W a s i s t W a h r h e i t ? […] Es ist schon ein großer und nöthiger Beweis der Klugheit oder Einsicht, zu wissen, was man vernünftiger Weise fragen solle. Denn wenn die Frage an sich ungereimt ist und unnöthige Antworten verlangt, so hat sie außer der Beschämung dessen, der sie aufwirft, bisweilen noch den Nachtheil, den unbehutsamen Anhörer derselben zu ungereimten Antworten zu verleiten und den belachenswerthen Anblick zu geben, daß einer (wie die Alten sagten) den Bock 30 31

RL, AA VI: 229.17-22. Zum Projekt einer Transzendentalen Logik siehe A 55 ff./B 79 ff.

B. Analytische Exposition des allgemeinen Begriffs des Rechts (§ B)

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melkt, der andre ein Sieb unterhält.“32 Liest man § B Abs. 1 also als Geringschätzung der positiven Rechtswissenschaft33 bzw. der empirischen Rechtsgelehrten, so muss man unterstellen, man könne ihr bzw. ihnen mit Recht Antworten auf Fragen abverlangen, die ausweislich ihres Begriffs gar nicht in ihren Zuständigkeitsbereich fallen. Auf der gedanklichen Linie einer solchen weit verbreiteten Lesart liegt es dann zugleich, dass die natürliche Rechtslehre – umgekehrt – von vielen ihrer Interpreten als zuständig nicht bloß für das allgemeine Kriterium allen Rechts in seiner gründlichen Entfaltung bis hin zu einer natürlichen Befugnis zu einer positiven Gesetzgebung erachtet wird, sondern darüber hinaus nicht selten auch für kategorische Rechtsimperative (z. B. des Eigentums, der Sozialhilfe, des Strafrechts, etc.) unter einer solchen alleine naturrechtlich begründeten Gesetzesbefugnis.34 Der empirische Rechtsgelehrte kann also in seinem originären Zuständigkeitsbereich nur angeben, „[w]as Rechtens sei (quid sit iuris), d. i. was die Gesetze an einem gewissen Ort und zu einer gewissen Zeit sagen oder gesagt haben“35. Geht er in seinen kraft Vernunft natürlicherweise an sich selbst gestellten Fragen über diesen Zuständigkeitsbereich hinaus, so wird er in dieser seiner Transzendierung des bloß empirischen Zuständigkeitsbereichs – wenn sie denn gelingt und nicht schon vorher an einer der vielen Klippen des ungeduldigen menschlichen Geistes scheitert – Naturrechtler bzw. Rechtsmetaphysiker: Dem empirischen Rechtsgelehrten bleibt es mit seinen bloß positiven Gesetzen eines schon bestimmten Staates irgendwo auf dem Erdboden also verborgen, „ob das, was sie wollten, auch recht sei“, und auch, was „das allgemeine Kriterium, woran man überhaupt Recht sowohl als Unrecht (iustum et iniustum) erkennen könne [sei], wenn er nicht eine Zeit lang jene empirischen Principien verläßt, die Quellen jener Urtheile in der bloßen Vernunft sucht (wiewohl ihm dazu jene Gesetze vortrefflich zum Leitfaden dienen können), um zu einer möglichen positiven Gesetzgebung die Grundlage zu errichten.“36 Das allgemeine Kriterium allen Rechts, daran Recht und Unrecht für jedermann unterscheidbar sind, liegt den positiven Gesetzen also in der reinen praktischen Vernunft, d. h. im je eigenen freien Willen mitsamt seinem Grundgesetz (§ 7 KpV) gedanklich schon voraus und ermöglicht es in dieser Voraussetzung zugleich, auch erst ein natürliches Recht unter diesem allgemeinen Begriff des Rechts, nämlich noch über den positiven Gesetzen, zu denken, da diesen andernfalls – nur durch den bloßen Begriff – noch keine hinreichende Grundlage errichtet werden könnte. In dieser Passage von § B Abs. 1 ist also der eingangs erwähnte abstrakte Begriffsgebrauch bezeichnet, der vom Begriff positiver Gesetze zum Zweck der Verdeutlichung des allgemeinen Begriffs der Rechts gemacht werden muss. Der Begriff 32

KrV, AA III: 79.05-19 = A 57 f./B 82. Siehe dafür beispielsweise oben Fn. 13. 34 Siehe zu dieser unrichtigen Gegenstandsbestimmung einer Metaphysik des Rechts oben unter C. IV. im dritten Kapitel. 35 RL, AA VI: 229.22-24. 36 RL, AA VI: 229.24-230.04. 33

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5. Kap.: Der allgemeine Begriff des Rechts

des „Leitfadens“ deutet hierauf hin. Denn in der Reihe der einander im konkreten Rechtsbewusstsein schon subordinierten Gesetze und Begriffe kann im Ausgang von den positiven Gesetzen abstrahierend von allen jeweils besonderen Merkmalen im Rechtsbewusstsein aufgestiegen werden. Die Gesetzesförmigkeit muss dabei als allgemeines (d. h. gemeinschaftlich verbindendes) Merkmal an allen zunehmend konkreter bzw. abstrakter werdenden Rechtsvorstellungen schon anzutreffen sein, sodass sich eben diese Gesetzesförmigkeit äußerer Handlungen später (§ B Abs. 2) als allgemeines Kriterium allen Rechts in voller Deutlichkeit entpuppen wird (§ B Abs. 3). In der Folge kann und muss die Begriffsreihe vom abstrakten zum konkreten Rechtsbewusstsein sodann mit der objektiv-realen praktischen Bestimmung des Begriffs des Rechts auch wieder abgestiegen werden, sodass sich alle möglichen Rechtsvorstellungen deutlich nach Recht und Unrecht anhand des allgemeinen Begriffs des Rechts in einer praktischen Rechtserkenntnis unterscheiden und bestimmen lassen werden. In dieser Determination eines konkreten und darum in der Beurteilung richtenden Gebrauchs des allgemeinen Begriffs des Rechts liegt dann seine Funktion als „Richtschnur (norma)“.37 Der ganze Hauptteil der Rechtslehre (§§ 1 ff.) unter dem allgemeinen Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) wird darum – als eine rein begriffliche Rechtserkenntnis a priori – einesteils in einem konkreten Gebrauch des allgemeinen Rechtsbegriffs und anderenteils in einem abstrakten Gebrauch der besonderen Rechtsbegriffe bestehen, wobei nach innen hin im Rechtsbewusstsein überhaupt zunehmend alle weiteren in der Sphäre alles möglichen Begriffsgebrauch gesetzten besonderen Rechtsbegriffe deutlich gemacht werden, dadurch der konkrete und der abstrakte Begriffsgebrauch an einem bestimmten Scheitelpunkt des metaphysischen Rechtsdenkens, nämlich im praktischen Vernunftbegriff des Staates und seiner Richtschnurfunktion,38 zusammenfallen werden. Der Grad der insbesondere in § 6 zunächst größtmöglichen Abstraktion nimmt somit im Verlaufe des Hauptteils der Metaphysik unter dem allgemeinen Begriff des Rechts zunehmend ab, wobei der Grad der zunächst geringstmöglichen Konkretion entsprechend zunehmen wird.39 Der gemeinsame Grund dieser Abstraktion bzw. Konkretion ist aber der im allgemeinen Rechtsgesetz objektiv-real bestimmende allgemeine Begriff des Rechts bzw. der darin schon wirkliche Vernunftbegriff der Freiheit mit seiner ihn selbst wiederum innerlich bestimmenden Form bloßer Allgemeingesetzlichkeit, der sich durch die nach unten hin zunehmenden Konkretionsstufen in jeweils spezifischer werdenden Begriffsmerkmalen hin zu allem alleine – und zwar kraft der darin als wirklich gedachten Allgemeingesetzlichkeit – im Staat wirklich möglichen Privatrecht vermittelt, wobei dieses konkrete metaphysische Begriffsverhältnis im Vernunftbegriff der öffentlichen Gerechtigkeit (vgl. § 41 Abs. 1) verfasst ist. 37

Vgl. zu einem solchen konkreten Gebrauch des praktischen Vernunftbegriffs des Staates RL, AA VI: 313.10-16 (§ 45 Abs. 1). 38 Siehe die vorige Fn. 37. 39 Erinnert sei vergleichend an die im vierten Kapitel dementsprechend schon herausgearbeitete begriffliche Architektonik der Rechtslehre.

B. Analytische Exposition des allgemeinen Begriffs des Rechts (§ B)

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Rainer Zaczyk hat in diesem Zusammenhang auf den mit dem Begriff vom „Leitfaden“ angeknüpften Ariadne-Mythos hingewiesen, darin dieser Leitfaden den Rückweg aus dem unübersichtlichen Labyrinth versichert.40 Was damit symbolisiert werden soll, erschließt sich vor dem Hintergrund der skizzierten methodologischen Vorgehensweise. Denn durch den abstrakten Gebrauch des Begriffs positiver Gesetze und ihrer schon wirklichen Gestalten kommt das sich selbst über seinen allgemeinen Begriff des Rechts vergewissernde Rechtssubjekt aus den unübersichtlichen und einem Labyrinth gleichenden Rechtsverhältnissen des wirklichen Lebens wieder zurück zu sich selbst im Ausgang von seiner eigenen reinen praktischen Vernunft und wird dort in seinem Vernunftbegriff des Rechts auch auf der verständigen Suche nach dem allgemeinen Kriterium allen Rechts fündig. In umgekehrter Richtung, d. h. im konkreten Gebrauch des allgemeinen Begriffs des Rechts im Abstieg zu den schon wirklichen Gestalten positiver Rechte kann und muss dieser Leitfaden dagegen nunmehr geradewegs zur Richtschnur allen (metaphysischen oder positiven) Rechtsdenkens gedanklich gespannt werden, und dient insofern zur konkreten Bestimmung bzw. zum Begreifen der zuvor nur abstrakt gebrauchten und darum auch nur abstrakt gedachten Rechtsbegriffe. Es wäre also ein methodologisches Versäumnis (oder genauer: abstraktes Denken41), wenn man anhand des gewissermaßen schlaffen Leitfadens und nicht der konkret gespannten Richtschnur, d. h. schon anhand der bloßen Abstraktion, wie sie etwa im natürlichen Privatrecht zu 40

Zaczyk, in: ders./Köhler/Kahlo (Hrsg.): FS E. A. Wolff (1998), S. 509 (523). Vgl. dazu methodologisch nochmals Log, AA IX: 99 f. (§§ 15, 16). Der Ausdruck „abstraktes Denken“ wird hier und im Folgenden lediglich zur deutlichen Beschreibung des damit bezeichneten Denkens gebraucht, nämlich zur Kennzeichnung eines solchen Denkens, das im Aufstieg einer ursprünglich schon bestimmt gedachten Begriffsreihe eines mit ihr schon begrifflich konkret bestimmten Gedankens von allen konkreten besonderen Bestimmungen in dieser Reihe absieht, und mithin vom niedersten und besondersten Begriff dieser Reihe einen bloß abstrakten Gebrauch macht. Bleibt das Denken aber unbewusst hierbei stehen, und leugnet es somit den konkreten und bestimmenden Begriffsgebrauch der insofern allgemeineren bzw. höheren Begriffe im Abstieg der Begriffsreihe des begrifflich bestimmten Gedankens, dann genügt sich ein solches abstraktes Denken in bloßer Abstraktion, womit es die bloße Abstraktion eines niederen Begriffs in der begrifflichen Bestimmung für das Ganze der Bestimmung selbst ausgibt, sodass es die konkrete Bestimmung der oberen Begriffe in seiner Abstraktion gänzlich negiert, und sich mithin in seiner Bestimmtheit des niedersten Begriffs an sich selbst durchstreicht. So beruht beispielsweise das empirische Wortverständnis des reinen praktischen Vernunftbegriffs des provisorischen Privatrechtsbesitzes im Naturzustand (§ 9) auf einer unbewussten Abstraktion von der reinen praktischen Bestimmung des insofern höheren Begriffs des Staates bürgerlicher Verfassung (§ 8), während sich mit der konkreten Bestimmung des letztgenannten Begriffs eine metaphysische Bestimmung, damit aber auch ein metaphysisches Wortverständnis im Vernunftbegriff des provisorischen Privatrechtsbesitzes im natürlichen Zustand einstellt. Eine originär pejorative Bedeutung ist mit der deutlichen Kennzeichnung eines abstrakten Denkens als „abstraktes Denken“ also ursprünglich nicht verbunden und im Folgenden insofern auch keineswegs beabsichtigt, wenngleich Verf. mit dieser Begrifflichkeit in der Sache ein Rechtsdenken kritisieren wird, das sich besonders für den reinen praktischen Vernunftbegriff des provisorischen Privatrechtsbesitzes im natürlichen Zustand – unbewusst – auf ein bloß abstraktes Rechtsdenken beschränkt. 41

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5. Kap.: Der allgemeine Begriff des Rechts

Beginn am größten ist, und nicht anhand der metaphysischen Determination bzw. Konkretion, wie sie durch den praktischen Vernunftbegriff des Staates überall wirklich ist, bereits zu konkreten wirklichen subjektiven äußeren Privatrechten im bloß abstrakt gedachten Naturzustand freier Willkürsubjekte gelangt sein wollte. Der praktische Vernunftbegriff des Privatrechts (§§ 1 ff.) setzt also für sich selbst den praktischen Vernunftbegriff des Staates (§ 45 Abs. 1) bestimmend über sich und in sich voraus, so wie letzterer den Vernunftbegriff des ewigen Friedens (Beschluss) für sich selbst über sich selbst in sich selbst voraussetzt, der wiederum den allgemeinen Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) für sich selbst in sich selbst und über sich selbst mit seiner ganzen praktischen Notwendigkeit voraussetzt.42 Man sieht also, dass die in § B angeknüpfte und kaum einmal näher beleuchtete Methode eines zunächst abstrakten und sodann konkreten Begriffsgebrauchs maßgeblich für ein zutreffendes Verständnis auch des Hauptteils der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre und damit auch für ein – durch den allgemeinen Begriff des Rechts unter ihm gewährleistetes – metaphysisches Begreifen beispielsweise des Begriffs eines provisorischen Besitzes (§ 9) ist. Ein bloß abstraktes Rechtsdenken muss hierunter nämlich einen zeitlich vor dem Staat für sich selbst bestehenden Rechtsbesitz an einem äußeren Gegenstand verstehen und wird so in seinem Verstandesergebnis selbst empirisch, weil es an der konkret vernunftschlüssig vermittelten metaphysischen Bestimmung des praktischen Vernunftbegriffs des Staates noch fehlt; ein konkretes und darin wirklich metaphysisches Rechtsdenken muss hierin dagegen einen äußeren Rechtsbesitz rein gedanklich im Hin-blick (pro-visio) auf die im Staat wirkliche Allgemeingesetzlichkeit begreifen und vermeidet so auch von selbst den gedanklichen Abfall in ein empirisches (voraufgeklärtes) Naturrecht. Der allgemeine Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) fungiert also als der alles – bloß gedachte oder darüber hinaus auch schon wirkliche – äußere Recht innerlich bestimmende Vernunftgrund und alleine vor diesem Hintergrund ist es nicht als Schelte einer positiven Rechtswissenschaft überhaupt zu verstehen, wenn Immanuel Kant zuletzt, und zwar unter wohlweislicher Beschränkung auf eine „bloß empirische Rechtslehre“ notiert, sie sei „(wie der hölzerne Kopf in Phädrus’ Fabel) ein Kopf, der schön sein mag, nur Schade! daß er kein Gehirn hat“.43 Denn einer bloß empirischen und daher zugleich auch stets schon besonderen Rechtslehre, die („bloß“) sich selbst auch ohne den allgemeinen Begriff ihres Rechts glaubt denken zu können, fehlt es ohne diesen Begriff an ihrem Denkvermögen selbst.

42 In diesem Sinne würde Verf. gerne auch den Satz Zaczyks, in: Gephart/Suntrup (Hrsg.): Rechtsanalyse als Kulturforschung II (2015), S. 19 (30) verstehen können: „Ein entwickelter Begriff von Freiheit setzt also die Existenz einer freiheitlich verfassten Allgemeinheit (den Staat) voraus, […].“ 43 RL, AA VI: 230.04-06.

B. Analytische Exposition des allgemeinen Begriffs des Rechts (§ B)

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II. Verstandesanalytische Exposition des a priori durch die Vernunft gegebenen Rechtsbegriffs (§ B Abs. 2) Der allgemeine Begriff des Rechts kann durch einen abstrakten Gebrauch des Begriffs positiver Gesetze methodologisch völlig rein im moralischen Bewusstsein einer Rechtsperson vorgestellt werden. Mit diesem regressiven Aufstieg im moralischen Bewusstsein stößt ein menschliches Rechtssubjekt sodann notwendig auf die Vorstellung eines höchsten allgemeinen Grundsatzes, darunter positive Gesetze des Rechts als solche progressiv erst bestimmt vorstellbar sind. Das sich selbst vergewissernde Rechtssubjekt wird mit § B Abs. 1 also auf den Weg der Kritik der praktischen Vernunft bzw. der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten verwiesen, denn darin findet sich mit dem Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft (§ 7 KpV) der oberste Grundsatz der Freiheit des Willens, darunter alle anderen praktischen Grundsätze (= Gesetze) wiederum selbst erst als solche durch den praktischen Freiheitsbegriff begründet vorstellbar sind. Der innerlich den freien Willen in seiner ursprünglich spontan-tätigen Selbstvorstellung dieses obersten praktischen Gesetzes bestimmende Vernunftgrund ist dabei die allgemeinwillentliche Form der Vorstellung dieses Gesetzes an sich selbst.44 Also betrifft der allgemeine Begriff des Rechts im Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft, mit dem darin formal bestimmenden Allgemeinwillen, als der Form eines jeden Gesetzes, ursprünglich die Allgemeingesetzlichkeit der Handlungen eines jeden freien Willens. Die Metaphysik der Sitten unter dem Sittengesetz (§ 7 KpV) entwickelt aber nicht diesen grundgesetzlichen Begriff des Rechts der Allgemeingesetzlichkeit der Handlungen eines jeden Willenssubjekts, denn sie hat nicht das schon intrapersonal wirkende „R e c h t [ ] der Menschheit in unserer eigenen Person“ an und für sich selbst, sondern, ausweislich ihres Begriffs, lediglich das interpersonale „Recht der Menschen“ zum Gegenstand.45 Allerdings ist das im intrapersonalen Verhältnis ursprünglich verpflichtend wirkende „Recht der Menschheit“ jederzeit stillschweigend als höchster intelligibler Vernunftgrund zu allem interpersonalen „Recht der Menschen“ vorausgesetzt,46 denn der sowohl Grund- als auch Sittengesetz zugleich unterstehende Mensch (§ 7 KpV) weiß sich nur kraft seines Grundgesetzes ursprünglich als ein freies Willenssubjekt, sodass „ F r e i h e i t […], sofern sie mit jedes Anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann“, wie es später noch heißen wird, das „einzige, ursprüngliche, jedem Menschen kraft seiner Menschheit zustehende Recht“ ist.47 Die unbedingte allgemeinwillentliche Form des Grundgesetzes der reinen praktischen Vernunft (§ 7 KpV) selbst ist also als das (heilige) „Recht der Menschheit“ vorzustellen, weil es an und für sich 44

Siehe dazu das erste Kapitel. Siehe zu dieser nur im Verhältnis zur Kritik der praktischen Vernunft erklärbaren Differenz: RL, AA VI: 263.24-30, 240. 46 Auf diesem wirksamen Grund-Folge-Ableitungsverhältnis beruht die Allgemeine Einteilung der Rechtpflichten: RL, AA VI: 236 f. 47 RL, AA VI: 237.29-32. 45

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5. Kap.: Der allgemeine Begriff des Rechts

selbst noch keinen spezifisch auf ein menschliches Willkürwesen (Menschen) restringierten Anwendungsbereich hat. Ein solcher Anwendungsbereich gehört erst zur Vorstellungsform des Sittengesetzes, darunter dann das „Recht der Menschen“ vorzustellen ist. Für Menschen enthält die Handlungsregel des Grund- und Sittengesetzes nämlich den dieser allgemeinen Handlungsregel entsprechenden kategorischen Imperativ und mithin die verbindliche Pflicht, in allen (inneren und äußeren) Handlungen nach dem allgemeinen Gesetz zu verfahren. In Bezug auf äußere Handlungen von Menschen in Raum und Zeit handelt es sich beim Sittengesetz dabei um das allgemeine Rechtsgesetz und nur der seiner rechtlich-moralischen Pflicht entsprechende allgemeine Rechtsbegriff interessiert auch in einer Metaphysik der Sitten, die immerhin bekanntlich auf „Anthropologie“ anwendbar sein soll. Deshalb enthält der erste Satz des hier zu interpretierenden § B Abs. 2 sogleich die maßgebliche Einschränkung des a priori durch die Vernunft dem menschlichen Verstand zur Verdeutlichung dargereichten „Begriff[s] des Rechts, sofern er sich“ – nämlich unter dem Sittengesetz – „auf eine ihm correspondirende Verbindlichkeit bezieht, (d. i. der moralische Begriff desselben)“.48 Mit einem Wort: Es wird im Folgenden nicht der allgemeine Begriff des Rechts, wie er im Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft als Recht der Menschheit schon dem Sittengesetz innerlich zugrunde liegt, weiter analysiert,49 sondern lediglich der allgemeine Begriff des Rechts, wie er unter dem Sittengesetz dem allgemeinen Rechtsgesetz zugrunde liegt. Deswegen heißt es – mit diesen gedanklichen Subordinationsschritten im Hinterkopf – an einer nur wenig späteren Stelle rückblickend auch: „Wir kennen unsere eigene Freiheit (von der alle moralische Gesetze, mithin auch alle Rechte sowohl als Pflichten ausgehen) nur durch den m o r a l i s c h e n I m p e r a t i v , welcher ein pflichtgebietender Satz ist, aus welchem nachher das Vermögen, andere zu verpflichten, d. i. der Begriff des Rechts, entwickelt werden kann.“50 Eine solche Entwicklung des allgemeinen moralischen Begriffs des Rechts aus dem Begriff des kategorischen Imperativs, d. h. aus dem Begriff einer für Menschen gültigen Handlungspflicht unter dem Sittengesetz ist aber nichts anderes als die im dritten Kapitel schon vorausblickend erörterte Methode verstandesanalytischer „Exposition“ der Begriffsmerkmale mit Blick auf eine sodann anzuschließende 48

RL, AA VI: 230.07-08. – Das Verständnis der begrifflichen Bestimmungen der Rechtslehre setzt also die im zweiten Kapitel auseinandergesetzte Differenz des kategorischen Imperativs vom Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft (§§ 1, 7 KpV) unumgänglich voraus. 49 Dieser allgemeine Begriff des Rechts (der Menschheit) enthält der Modalität nach praktische Notwendigkeit, der Relation nach das substanzielle Subordinationsverhältnis eines Einzelwillens in einem Allgemeinwillen, der Qualität nach die Freiheit des Willens überhaupt, der Quantität nach unendliche Allgemeinheit (als innerlich real den Begriff als allgemeine Vorstellung bestimmende Vernunftgröße). 50 RL, AA VI: 239.16-21.

B. Analytische Exposition des allgemeinen Begriffs des Rechts (§ B)

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analytische Realdefinition des exponierten Begriffs.51 Denn eine solche Entwicklung („explicatio“) erfolgt in analytischen Begriffsurteilen, durch die ein zunächst noch unentwickelt (d. h. implizit) im Subjekt des Begriffs (hier: der Pflicht) gelegenes Prädikat (hier: das Recht) im Bewusstsein sukzessiv klar gemacht wird; eben darum handelt es sich auch nicht um ein bloß tautologisches Vorgehen.52 Die Exposition des moralischen Begriffs des Rechts in § B Abs. 2 enthält also wahrscheinlich nicht „schlicht thetisch“ hingestellte und „mehr deskriptive Anwendungsbedingungen des Rechts“, wie beispielsweise Otfried Höffe dies annimmt,53 sondern die in ihm enthaltenen Begriffsmerkmale in verstandesanalytischer Reihenfolge, und mithin in der Folge dieses Vorgehens ein zunehmend extensiv deutliches Bewusstsein ihres Begriffs: 1. Modalität im Rechtsbegriff Der sittengesetzliche Pflichtbegriff, daraus der moralische Begriff des Rechts analytisch verdeutlicht werden soll, enthält selbst praktische Nötigung in sich und setzt mithin die praktische Notwendigkeit eines allgemeinen praktischen Gesetzes über sich voraus. Also muss auch der allgemeine moralische Begriff des Rechts seiner Modalität nach die praktische Notwendigkeit eines allgemeinen Gesetzes in sich haben. Diese praktische Notwendigkeit ist aber nichts anderes als praktische Freiheit, denn diese ist als praktischer Vernunftbegriff in praktischen Gesetzen stets schon innerlich objektiv-real bestimmend.54 Folglich hat es der allgemeine Begriff des Rechts mit Gesetzen der Freiheit zu tun und betrifft von den Modalkategorien der

51

Siehe dazu methodologisch mit den entsprechenden Nachweisen oben unter C. I. im dritten Kapitel. 52 Log, AA IX: 111.19-21 und 111.26-28 (§ 37). 53 Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien (1990), S. 126 ff.; ders., Der kategorische Rechtsimperativ, in: ders. (Hrsg.): Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (1999), S. 41 (46 ff.). Der Grund dieser Annahme beruht bei Höffe darauf, dass er im moralischen Begriff des Rechts „ein synthetisches Apriori“ vermutet, sodass sich der Begriff des Rechts aus zwei „methodisch grundverschiedenen Momenten“ zusammensetze, nämlich aus „der ,Verbindlichkeit‘ und aus dem, was sie ,betrifft‘“. Dieses letztere Moment des Gegenstandes der Verbindlichkeit kennzeichnet Höffe sodann mit seinem Begriff der deskriptiven „Anwendungsbedingungen“ (ihm darin folgend etwa auch Niebling, Das Staatsrecht in der Rechtslehre Kants [2005], S. 36). Schon etwas genauer dürfte an diesem Punkt dagegen Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 79 sprechen, wenn er notiert: „Kants Exposition des Rechtbegriffs bietet eine dreifache, sich zunehmend verengende Bestimmung seines Anwendungsgebietes.“ Denn das Anwendungsgebiet eines Begriffs unter diesem – die Begriffssphäre – bestimmt sich mittelbar über die im Begriff enthaltenen Begriffsmerkmale. Allerdings nimmt in einer verstandesanalytischen Exposition nicht die Bestimmung dieser Merkmale und damit die Verengung des Anwendungsgebietes zu, sondern lediglich die Deutlichkeit des Begriffs im Bewusstsein des desselben insgesamt. 54 Vgl. dazu auch Bartuschat, JRE 16 (2008), S. 25 (34); Römpp, Kants Kritik der reinen Freiheit (2006), S. 109 – 117.

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5. Kap.: Der allgemeine Begriff des Rechts

Freiheit an der dortigen Stelle praktischer Notwendigkeit die „ Vo l l k o m m e n e […] P f l i c h t “55. 2. Relation im Rechtsbegriff Der sittengesetzliche Pflichtbegriff im praktischen Verhältnis der Menschen zueinander betrifft in seiner Allgemeinheit ihre äußeren Handlungen. Also muss auch der moralische Begriff des Rechts seiner Relation nach äußere Handlungen der Menschen in seinen der Modalität nach praktisch-notwendigen Gesetzen zum Gegenstand haben. Diese äußeren Handlungen menschlicher Rechtssubjekte in einer räumlich-zeitlichen Wirklichkeit sind aber nichts anderes als zur Tat zurechenbare „Facta“ im Sinne des zurechnungstheoretischen Factumbegriffs56. Folglich hat es der allgemeine Begriff des Rechts mit äußeren Handlungen in äußeren Gesetzen der Freiheit der Menschen in Gemeinschaft zu tun und betrifft von den Relationskategorien der Freiheit an der Stelle der dortigen Gemeinschaftskategorie das Verhältnis der Freiheit „ W e c h s e l s e i t i g einer Person auf den Zustand der anderen“57. In den Worten Immanuel Kants: „Der Begriff des Rechts […] betrifft e r s t l i c h nur das äußere und zwar praktische Verhältnis einer Person gegen eine andere, sofern ihre Handlungen als Facta aufeinander (unmittelbar oder mittelbar) Einfluß haben können.“ (RL, AA VI: 230.07-11).

3. Qualität im Rechtsbegriff Der sittengesetzliche Pflichtbegriff im praktischen Verhältnis der Menschen zueinander betrifft nur ihre äußeren Handlungen in räumlich-zeitlicher Wirklichkeit und folglich real auch nur das äußere Verhältnis ihrer unter dem Sittengesetz jeweils frei wirkmächtigen Willkür im wechselseitigen Verhältnis. Also hat auch der moralische Begriff des Rechts seiner Qualität in der äußeren Handlungsrelation unter praktisch-notwendigen äußeren Gesetzen nach alleine das Verhältnis der Willkür des einen zu der eines jeden anderen zum Gegenstand. Allerdings liegt diese Qualität in der Relation des Rechtsbegriffs und so ist ihre nochmalige ausdrückliche Feststellung ein identischer Satz. Soll dieser analytische Satz die Qualität der Relation aber zum Zwecke der Verdeutlichung besonders herausstellen, so kann dies nur im Gegensatz zum bejahenden Merkmal dieser Qualität geschehen: Der äußerlich wirkmächtigen Willkür ist begrifflich der ohnmächtige bloße Wunsch im Innern der 55 KpV, AA V: 66.36 (die dort ebenfalls verortete unvollkommene Pflicht betrifft den Tugendbegriff). 56 Siehe MS, AA VI: 227.21-23. 57 KpV, AA V: 66.28-29. – Die Totalität des Rechtsbegriffs wird unter ihm darum rein begrifflich auch mit der reinen Verstandeskategorie der Gemeinschaft im rechtsgesetzlichen Bezug zur praktischen Vernunft erreicht (siehe oben zum Ende des vierten Kapitels unter B. III. 2. b)).

B. Analytische Exposition des allgemeinen Begriffs des Rechts (§ B)

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Willkür entgegengesetzt,58 sodass sich die Relation im Rechtsbegriff ihrer Qualität nach im Gegensatz zum bloßen Wunsch besonders deutlich machen lässt. Darum heißt es vom Rechtsbegriff unter entsprechender Hervorhebung dieser beiden Antonyme im Sperrdruck ferner: „Aber z w e i t e n s bedeutet er nicht das Verhältniß der Willkür auf den W u n s c h (folglich auch auf das bloße Bedürfniß) des Anderen, wie etwa in den Handlungen der Wohlthätigkeit oder Hartherzigkeit, sondern lediglich auf die W i l l k ü r des Anderen.“ (RL, AA VI: 230.11-15).

Folglich hat es der Begriff des Rechts mit wirklichen und nicht bloß in Wünschen subjektiv eingebildeten Handlungen zu tun, sodass er alle drei Qualitätskategorien der Freiheit zugleich betrifft, denn diese gehen auf: „Praktische Regeln des B e g e h e n s (praeceptivae) […] des U n t e r l a s s e n s (prohibitivae) […] der A u s n a h m e n (exceptivae)“59. Dementsprechend bleibt auch das subjektive „bloße Bedürfnis“ des jeweils anderen, d. h. dasjenige, wodurch bloß bestimmt wird, was er zur eigenen Zufriedenheit alleine mit seinem eigenen Zustand bedarf,60 im Rechtsbegriff außer Acht, denn materiale Bestimmungsgründe der Willkür sind eben keine freiheitlichen Bestimmungsgründe im praktischen Gesetzen (§§ 2 – 3 KpV). Von Rechtsbegriffs wegen kann im interpersonalen Verhältnis freier Willkürsubjekte zueinander also auch weder Wohltätigkeit in der einen Richtung gefordert, noch Hartherzigkeit in der anderen Richtung verboten werden. Wenn damit folglich aus der bloßen inneren Bedürftigkeit der einen Person, infolge fehlender Rechtspflicht der anderen Person, keine verbindlichen Rechtsansprüche erwachsen können, so ist mit diesem Satz aber nicht auch zugleich bestimmt, dass die Bedürftigkeit des Menschen in seiner sinnlichen Konstitution überhaupt gänzlich aus der Rechtsvorstellung ausgeklammert sei. Vielmehr ist ja die ganze äußere Existenz eines freien Willkürsubjekts Gegenstand des Rechtsbegriffs. Insofern ist es durch den allgemeinen Rechtsbegriff denkmöglich, dass sich unter einer den freien Willkürsubjekten in ihrem Interpersonalverhältnis übergeordneten Rechtsperson eines staatlichen Allgemeinwillens erwerbliche Rechtsansprüche im äußeren Verhältnis ergeben, die die Bedürftigkeit menschlicher Existenz zum Gegenstand haben, womit allerdings noch nicht einem wie auch immer verstandenen Sozial- und Umverteilungsstaat das Wort geredet wäre. Wenn nun Wolfgang Kersting aber an dieser Stelle aus den Überlegungen Immanuel Kants mit der Vorhut einer eigentumsspezifischen Interpretation der Kantischen Rechtslehre schon ohne die notwendige und wichtige Einschränkung auf ein „bloßes“ Bedürfnis schlussfolgert, eine „Rechtsgemeinschaft ist keine Solidargemeinschaft der Bedürftigen, sondern eine Selbstschutzgemeinschaft der Hand58 59 60

MS, AA VI: 211 ff. KpV, AA V: 66.24-31. KpV, AA V: 25.12-20.

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5. Kap.: Der allgemeine Begriff des Rechts

lungsmächtigen“61, so zeigt sich hierin die ganze Problematik einer solchen eigentumstheoretischen Herangehensweise. Denn einerseits fehlt dieser mit dem Text nur schwerlich vereinbaren Aussage eine methodologische Verortung innerhalb des rechtsbegrifflichen Gerüsts, sodass sie die Überlegungen zum bloßen Rechtbegriff mit einer Aussage betreffend schon eine tatsächlich als existierend vorgestellte Rechtsgemeinschaft konfrontiert, die jedoch einen in dieser Form noch gar nicht bloß im Begriff des Rechts liegenden wirklichen Allgemeinwillen im äußeren Verhältnis für sich selbst voraussetzt; andererseits zeigt diese Aussage in ihrer Suggestion einer besonderen Exklusivität der offensichtlich schon durch glückliche Zufälle privilegierten Eigentümersubjekte zugleich sehr deutlich, dass der gedanklich-rechtsbegründende Ausgang schon von einem besonderen subjektiven Recht einiger Privatrechtssubjekte zwangsläufig auf eine Partikulargemeinschaft, nicht aber auf die bürgerliche Rechtsgemeinschaft unter einem wirklichen Allgemeinwillen herauslaufen muss. Kerstings Gesellschaft handlungsmächtiger Eigentümer ist rechtsbegrifflich also allenfalls als eine Eigentümergesellschaft bürgerlichen Rechts, d. h. erst im Staat, nicht aber als bürgerliche Gesellschaft allen Rechts, d. h. als Staat vorstellbar. Folglich geht die von ihm aufgemachte Disjunktion am eigentlichen Punkt eines substanziellen Begriffs von Rechtsgemeinschaftlichkeit vorbei, denn eine Rechtsgemeinschaft ist offenbar weder eine „Solidargemeinschaft der Bedürftigen“, noch eine „Selbstschutzgemeinschaft der Handlungsmächtigen“. 4. Quantität im Rechtsbegriff Ist der moralische Rechtsbegriff seiner praktisch-notwendigen Relation nach unter äußeren Gesetzen qualitativ auf das äußere Verhältnis der Willkür des einem zu der eines anderen gerichtet, so liegt in dieser Qualität der rechtsbegrifflich bestimmten Willkür zugleich die sie ursprünglich vernünftig bestimmende Quantität im Rechtsbegriff. Denn erst dadurch, dass die Willkür eines jeden in ihrer rechtsbegrifflichen Relation unter äußeren Gesetzen stehend praktisch-notwendig betrachtet wird, lässt sich die Willkür praktisch-notwendig (d. h. frei) bestimmt denken. Also nur durch die Subordination der Willkür unter ein allgemeines Gesetz des Rechts kann die äußere Relation freier Willkürsubjekte als rechtlich/unrechtlich begriffen werden.62 Die Willkür ist in dieser Subordination die Materie des allgemeinen Rechtsgesetzes und nur durch die darin praktisch bestimmende Form eines unendlich allgemeinen Willens bestimmt, der der Begriff des sich selbst bestimmenden Subjekts ist. Die Vernunftvorstellung dieser bloßen Form eines unendlichallgemeinen Willens aber ist eine reine Größenvorstellung der praktischen Vernunft und folglich liegt in der Qualität der Relation des moralischen Begriffs des Rechts seiner Quantität nach analytisch schon das Merkmal der bloßen Gesetzesförmigkeit 61

Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 80. Siehe dazu dann auch § C Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 (= allgemeines Prinzip und allgemeines Gesetz des Rechts). 62

B. Analytische Exposition des allgemeinen Begriffs des Rechts (§ B)

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der freien Willkür unter praktisch-notwendigen äußeren Gesetzen.63 Soll diese Quantität in der Qualität des moralischen Rechtsbegriffs aber zur größeren Deutlichkeit besonders herausgestellt werden, so kann dies abermals nur durch Gegensatz der diese Quantität nicht bestimmenden Vorstellung geschehen. An einem Gesetz aber sind lediglich die bestimmende Form und die bestimmbare Materie zu unterscheiden,64 und folglich muss die analytische Verdeutlichung unter Hinweis auf diese beiden Antonyme geschehen: „ D r i t t e n s , in diesem wechselseitigen Verhältniß der Willkür kommt auch gar nicht die M a t e r i e der Willkür, d. i. der Zweck, den ein jeder mit dem Object, was er will, zur Absicht hat, in Betrachtung, z. B. es wird nicht gefragt, ob jemand bei der Waare, die er zu seinem eigenen Handel von mir kauft, auch seinen Vortheil finden möge, oder nicht, sondern nur nach der F o r m im Verhältniß der beiderseitigen Willkür, sofern sie bloß als f r e i betrachtet wird, und ob durch65 die Handlung eines von beiden sich mit der Freiheit des 63 Es liegen im Rechtsbegriff auch alle drei Quantitätskategorien der Freiheit zugrunde, KpV, AA V: 66.19-23. 64 Bei den Begriffen von Materie und Form handelt es sich um Reflexionsbegriffe des Verstandes, die aller Reflexion zugrunde liegen, wobei Materie immer das Bestimmbare überhaupt und Form dessen Bestimmung bedeutet (A 260 ff./B 316 ff.). 65 Die Akademieausgabe erwägt an dieser Stelle eine Ersetzung des Wortes „durch“ vermittelst des Wortes „dadurch“. Hinter diesem Gedanken steht aber letztlich die Frage nach dem richtigen Bezug des noch folgenden Satzteils „die Handlung eines von beiden“. Denn es kann damit zunächst das Subjekt der Handlung gemeint sein und sich die Wendung folglich auf „jemand“ und „mir“ beziehen, sodass zwei Personen gedacht sind und nun „die Handlung eines von beiden“ angeknüpft wird. In diesem Fall lässt sich dem Satz insgesamt aber kein vernünftiger Sinn mehr abnehmen und so resultiert die Idee einer Ersetzung des unmittelbar vorher stehenden Wortes „durch“ vermittelst des Wortes „dadurch“. Mit dieser Änderung würde nun im „wechselseitigen Verhältnis der Willkür“ „nach der Form im Verhältnis der beiderseitigen Willkür, sofern sie bloß als frei betrachtet wird,“ „gefragt“, „und ob dadurch“, d. h. durch die Frage nach der Form oder die dementsprechende Betrachtung, „die Handlung eines von beiden sich mit der Freiheit des andern nach einem allgemeinen Gesetze zusammen vereinigen lasse“. Folglich setzt diese Lesart implizit eine mögliche Kausalbeziehung zwischen der bloßen – intellektuellen – Frage nach der Form der Willkür bzw. ihrer – intellektuellen – Betrachtung als einer freien Willkür und ihrer rechtsgesetzlichen Bestimmtheit voraus. Doch die tatsächliche (nicht bloß begrifflich-theoretische) rechtsgesetzliche Bestimmung einer Handlung setzt vielmehr einen voluntativen Akt für sich selbst voraus (und sei er auch durch äußeren rechtsgesetzlichen Zwang vermittelt). Also führt diese korrigierte Lesart in der Sache auch nicht zu einem sinnvollen Textverständnis. Ludwig (Hrsg.): Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (20184), S. 38 scheint dieser Lesart zuzuneigen und hat sich der Schwierigkeit (im Anschluss an Brandt, Eigentumstheorien von Grotius bis Kant [1974], S. 183 En. 9) durch eine Streichung des die Probleme nur vermeintlich alleine verursachenden Wörtchens „durch“ kurzerhand entledigt. Beifall hat diese Emendation zuletzt etwa auch durch Zaczyk, in: Gephart/Suntrup (Hrsg.): Rechtsanalyse als Kulturforschung II (2015), S. 19 (25 Fn. 18) erfahren. Möglicherweise lassen sich die Schwierigkeiten auf diese Weise aber nicht gänzlich beseitigen und so liegt es nahe, nach einem anderen Bezugspunkt des Satzteils „die Handlung eines von beiden“ Ausschau zu halten, sodass auch das diesem Teil vorangehende Wort „durch“ an seinem Ort bleiben kann. Der Satzteil „durch die Handlung“ könnte sich vermittelst des Fortsatzes „eines von beiden“ dann auch einfach nicht auf ein Subjekt, sondern ein „Object“ der

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5. Kap.: Der allgemeine Begriff des Rechts

andern nach einem allgemeinen Gesetze zusammen vereinigen lasse.“ (RL, AA VI: 230.15-23).

Die Materie der Willkür besteht in bloßen Gegenstandsvorstellungen, die im willkürlichen Begehrungsvermögen lauter empirische Motive und mithin nur naturkausale Bestimmungsfaktoren wirken. Darum kann aus einer materialen Bestimmung niemals praktisch-notwendige (d. h. freie) Bestimmung resultieren (§§ 2 – 3 KpV). Aus eben diesem Grund wird in der rechtlichen Bestimmung auch nicht nach dem zu erwartenden Nutzen oder der gewünschten Glückseligkeit der Rechtssubjekte infolge einer rechtlichen Bestimmung gefragt. Gibt aber die bestimmbare Materie der Willkür als Objekt keine freiheitliche Bestimmung, so kann freiheitliche Bestimmung lediglich noch aus der bestimmenden Form des Subjekts resultieren. Da nun der Rechtsbegriff seiner Modalität nach praktisch-notwendig (frei) bestimmt, liegt die frei bestimmende Form in den äußeren Rechtsgesetzen und folglich wird mit dem moralischen Rechtsbegriff gefragt, ob die Form der freien Willkür im äußeren Verhältnis derjenigen eines allgemeinen Gesetzes der Freiheit entspricht.66 Nochmals zur bestimmenden Vernunftgröße eines reinen Allgemeinwillens im Rechtsbegriff: In einer Interpretation jüngeren Datums hat Rainer Zaczyk mit Blick auf § B besonders herausgestellt und betont, dass der moralische Begriff des Rechts das Recht in einem „zweiseitigen Verhältnis“ betrifft;67 und tatsächlich ist dieser Begriff auch bestimmend auf äußere Handlungen freier Willkürsubjekte unter äußeren Gesetzen in ihrem Interpersonalverhältnis gerichtet. In dieser Hinsicht bildet die Vorstellung eines Zweipersonenverhältnisses die kleinstmögliche Modelleinheit zur Vorstellung dieses Gegenstandsbezuges des moralischen Begriffs des Rechts. Dieser Handlung beziehen. „Object“ der Handlung ist aber mittelbar die „ M a t e r i e “ der Willkür, die unmittelbar subjektiv als ein im Hinblick auf das Objekt vorgestellter „Zweck“ begriffen wird. Mit diesem Bezug würde dann „gefragt“, ob „durch die“ vorzunehmende „Handlung“ der subjektiv gesetzte „Zweck“ der Handlung und/oder das entsprechend zweckmäßig hervorzubringende „Object“ der Handlung in der äußeren Wirklichkeit, d. h. „eines von beiden sich mit der Freiheit des andern nach einem allgemeinen Gesetze zusammen vereinigen lasse“. Lässt sich nämlich bereits der subjektive Zweck der Handlung mit der Freiheit des anderen allgemeingesetzlich vereinigen, weil schon dieser allgemeingesetzlich bestimmt ist, so ist auch die dementsprechend durch die Handlung hervorzubringende äußere Wirklichkeit, d. h. das Objekt allgemeingesetzlich bestimmt. Lässt sich dagegen bloß das durch die Handlung hervorzubringende äußere Objekt in seiner äußeren Handlungswirklichkeit mit der Freiheit des anderen allgemeingesetzlich verträglich denken, kommt es auf die vorgenannte analytische Zweck-Mittel-Beziehung nicht weiter an. Denn wenn die äußere Handlungswirklichkeit objektiv mit der Freiheit eines jeden allgemeingesetzlich vereinbar ist, so entspricht das Verhältnis der beiderseitigen Willkür notwendig der gesetzlichen Form. 66 Dieser qualitativ durch die bestimmende reine Größenvorstellung praktischer Vernunft positiv bestimmte Gedanke wäre als leerer Formalismus gründlich missverstanden, vgl. aber beispielsweise Lisser, Der Begriff des Rechts bei Kant (1922), S. 14 f., 24. 67 Zaczyk, in: Gephart/Suntrup (Hrsg.): Rechtsanalyse als Kulturforschung II (2015), S. 19 (25 ff.).

B. Analytische Exposition des allgemeinen Begriffs des Rechts (§ B)

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Begriff des Rechts hat aber nicht nur und ganz einfach diese äußeren Handlungen zum direkten Gegenstand, sondern dieselben – insofern nur indirekt – unter äußeren Gesetzen, d. h. unter der übergeordneten Vorstellung von etwas rechtlich Allgemeinem. Also liegt im Begriff des Rechts schon eine Subordination dieser äußeren Interpersonalverhältnisse unter äußere Gesetze überhaupt, die gleichsam durch den Rechtsbegriff praktisch-notwendig bestimmt werden. Insofern ist aber in der Sphäre des allgemeinen Begriffs des Rechts (§ B Abs. 3) unter ihm (§§ 1 – 62) auch das Verhältnis einer rechtsbegrifflich bestimmten äußeren Gesetzgebung zu äußeren Handlungen im Interpersonalverhältnis, d. h. eine positive Gesetzgebung vorstellbar. Andernfalls wäre der allgemeine Begriff des Rechts darüber nicht ein allgemeiner, sondern ein – unter Abstraktion von dieser Subordination unter das Allgemeine überhaupt – sehr spezieller Rechtsbegriff, nämlich ein bloß auf Interpersonalverhältnisse gehender und demzufolge hinsichtlich seiner ihn innerlich bestimmenden Vernunftgröße eines allgemeinen Willens nach hiesigem Verständnis gründlich reduzierter (Privat-)Rechtsbegriff.68 Wenn Zaczyk mit seiner Betonung des Interpersonalverhältnisses im moralischen Rechtsbegriff nun auch das positiv gesetzte Recht aus der Sphäre dieses Begriffs ausklammert bzw. ausklammern sollte,69 so kann einer solchen Abstraktion nach den vorstehenden Überlegungen nicht gefolgt werden, weil ein solches abstraktes Rechtsdenken bloß im Interpersonalverhältnis den dieses Verhältnis erst rechtlich (= allgemeinwillentlich) bestimmenden Grund, nämlich die Allgemeinwillentlichkeit in der bloßen Form eines Gesetzes, darunter subordiniert erst alle Interpersonalverhältnisse ihre rechtliche Bestimmung positiv haben können, für sich selbst gänzlich ausklammert und so das rechtliche Interpersonalverhältnis in der Folge ganz für sich selbst auch schon an sich verabsolutieren muss. Möglicherweise liegt eine solche Verabsolutierung dann etwa in dem hieran angeschlossenen „Denken des Rechts auf der Grundlage der Interpersonalität“, das Johann Gottlieb Fichte nach dem Dafürhalten Zaczyks „mit voller Kraft“ entfaltet haben soll.70

68 Dies lässt sich dann auch anhand der Realdefinition des Rechtsbegriffs in § B Abs. 3 nochmals aufweisen, die nach dem hier kritisierten Begriffsverständnis zu einer bloßen Nominaldefinition des Privatrechts bzw. des Naturzustandes werden muss (dazu sogleich). 69 Was nicht ganz klar wird, vgl. aber Zaczyk, in: Gephart/Suntrup (Hrsg.): Rechtsanalyse als Kulturforschung II (2015), S. 19 (26) und auch schon oben Fn. 27. 70 Zaczyk, in: Gephart/Suntrup (Hrsg.): Rechtsanalyse als Kulturforschung II (2015), S. 19 (27 Fn. 23). Merkwürdigerweise ist Fichte dabei im Rahmen eines interpersonalen Rechtsdenkens mit seiner Reduzierung des Rechtsbegriffs auf ein technisch-pragmatisches Prinzip offenbar sogar so kraftvoll vorgangen, dass Zaczyk, in: Hoffmann (Hrsg.): Das Recht als Form der „Gemeinschaft freier Wesen als solcher“ (2014), S. 25 (34 ff.) in seinem Fichteverständnis wiederum Kantisches Rechtsdenken bemühen muss, um das „mit voller Kraft“ im Schwange befindliche interpersonale Rechtsdenken Fichtes nicht völlig aus der von ihm vorgesehenen Richtung laufen zu lassen. Zaczyks Ausführungen (a.a.O., S. 25) beginnen darum mit dem zum Voraus schon ausgemachten Programmsatz: „Man kann über Fichtes Begriff der Anerkennung und seinen Gehalt für das Recht nur dann ertragreich nachdenken, wenn man Kants praktische Philosophie einbezieht.“

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5. Kap.: Der allgemeine Begriff des Rechts

Der damit in der Sache angesprochene Gedanke des rechtlichen „Anerkennungsverhältnisses“ setzt also nach dem hier dagegen gesetzten Kantverständnis jedenfalls den allgemeinen Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) für sich selbst, über sich selbst und in sich selbst schon immer voraus, da ein interpersonales Anerkennungsverhältnis andernfalls nicht als „rechtlich“ erkannt und prädiziert werden könnte, sodass dieser Rechtsgedanke interpersonaler Anerkennung in der Sache auch erst unter diesem Begriff (§§ 1 ff.) und mithin nicht schon auf einer einzigen (d. h. absoluten), sondern vielmehr erst auf einer sekundären Ebene des Begriffs des Rechts zu entfalten wäre. Merkwürdigerweise weiß sich Verf. über diese Verortung des dann gegebenenfalls möglichen Gedankens auf einer Gegenstandsebene des moralischen Begriffs des Rechts dabei trotz der bestehenden Diskrepanz auf der vorgelagerten Inhaltsebene desselben wieder einig mit Rainer Zaczyk, wenn dieser notiert, es lasse sich „etwa an Kants Besitzlehre […] zeigen, dass dies auch von Kant schon so gedacht war“.71 Eine handfeste Differenz im Rechtsdenken besteht somit augenscheinlich in der Frage, wie die metaphysische Privatrechtslehre Immanuel Kants unter dem allgemeinen Begriff des Rechts rechtsbegrifflich bestimmt gedacht werden muss: Nach der hier zu entfaltenden Ansicht wird alles natürliche Privatrecht nur im Hin-blick (pro-visio) auf einen wirklichen staatlichen Allgemeinwillen lediglich „für provisorisch“ rein begrifflich unter dem allgemeinen Begriff des Rechts als solches erkannt und sonach rechtlich bestimmt werden können (§ 15 Abs. 3). Dagegen wird ein Rechtsdenken in bloßen Anerkennungsverhältnissen, das die praktisch-notwendige Subordination der Interpersonalität unter einen darin gedachten Allgemeinwillen bereits innerhalb der Form des allgemeinen Begriffs des Rechts nicht anerkennt, auch alles natürliche Privatrecht unter diesem – insofern an praktischer Bestimmung leeren – Begriff schon gänzlich unabhängig von einem wirklichen Allgemeinwillen für sich selbst und mithin in einem gewissen Sinne vorläufig ,als provisorisch‘ schon vor dem Staat erkennen wollen. Zugleich behauptet sich in diesem Rechtsdenken die inhaltliche Entwicklung dieses Rechtsbegriffs auch erst in privaten Anerkennungsverhältnissen, d. h. in der schon entwickelten Vorstellung eines Begriffsgegenstandes des Rechts, sodass sich die logische Differenz von Inhalt und Umfang des Begriffs darin insofern auflöst und in der Folge auch die Rolle des Staates nicht wirklich rechtsbegrifflich bestimmbar sein kann, weil unklar ist, wie diese für sich privaten Subjekte unter ihrem Rechtsbegriff den Staat – als etwas Allgemeines – mit Recht wirklich aus sich selbst heraussetzen können sollten, wenn das Allgemeine noch nicht einmal in ihrem Begriff von Recht als praktisch bestimmendes Moment gedacht sein soll. Der erstgenannten Ansicht liegt – unter Hinweis auf die methodologischen Überlegungen zu § B Abs. 1 – nach alledem wohl ein metaphysisch-konkretes, der an zweiter Stelle genannten Ansicht ein metaphysisch-abstraktes Rechtsdenken in 71 Vgl. Zaczyk, in: Gephart/Suntrup (Hrsg.): Rechtsanalyse als Kulturforschung II (2015), S. 19 (27).

B. Analytische Exposition des allgemeinen Begriffs des Rechts (§ B)

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sowie unter dem allgemeinen Begriff des Rechts zugrunde. Während das metaphysisch-konkrete Rechtsdenken über einen praktisch-bestimmenden Begriff von einem substanziellen Allgemeinwillen in und unter dem allgemeinen Begriff des Rechts (§ B Abs. 3), nämlich über die Begriffe der vernünftigen Gesetzesform im sowie den des Staates unter dem Begriff des Rechts deutlich bewusst verfügt, geht einem abstrakten Rechtsdenken ein deutliches Bewusstsein von der stetigen Voraussetzung dieses Grundbegriffs dagegen ab. Er wird von einem solchen Rechtsdenken daher auch nicht als idealer Erkenntnisgrund des Rechtssubjekts in seiner moralischen Personalität selbst in Ansatz gebracht, sodass sich das bloße Willkürsubjekt darin, und zwar in seiner Eigenart als ein empirisch beschränktes Willenssubjekt, durch einen solchen Begriff von einem substanziellen Allgemeinwillen über ihm gar bedroht fühlen dürfte. Denn das metaphysisch-abstrakte Rechtsdenken ist begrifflich lediglich auf die Gegenstände des Begriffs eines solchen substanziellen Allgemeinwillens beschränkt, d. h. die bloße Willkür des Subjekts im sowie die vermeinten Privatrechtsverhältnisse solcher Willkürsubjekte unter dem Begriff des Rechts. Beide somit in ihrer Charakteristik skizzierten Arten des Rechtsdenkens im Ausgang von Immanuel Kant kommen aber darin überein, dass sie ihren gedanklichen Ausgang von einem Begriff des Rechts zu nehmen angeben, der in bestimmter Weise mit dem Rechtssubjekt selbst schon immer verbunden sein soll, und in dieser Gemeinsamkeit muss auf lange Sicht dann wohl auch der Grund ihrer begrifflichen Verständigungsmöglichkeit gelegen sein.72 Dabei entscheidet sich allerdings die Frage, wie über die Art und Weise dieser ursprünglichen Verbindung von Begriff und Subjekt bzw. die Verbindung des Begriffs der Freiheit mit seinem Subjekt (d. h. dem Willen) schon im Grunde und sodann zugleich folgerichtig gedacht werden muss, nach der hier vertretenen Lesart bereits im ursprünglichen Anfang allen moralischen Selbstbewusstseins eines freien Willens, nämlich in demjenigen Sachverhalt, den Immanuel Kant mit dem Begriff vom „Factum der Vernunft“ erläuternd bezeichnet hat.73

72 Nach dem metaphysisch-konkreten Rechtsdenken ist Rechtssubjekt ursprünglich immer der sich selbst mit seinem Grundgesetz als frei sich vorstellende Wille selbst („die Persönlichkeit“); nach einem metaphysisch-abstrakten Rechtsdenken dürfte Rechtssubjekt ursprünglich immer schon nur der Mensch als endliches Vernunft- und Willkürwesen („die Person“) sein. In der Kantischen Philosophie ist aber – jedenfalls nach dem hier vertretenen Verständnis – der Vernunftbegriff der Persönlichkeit Realbedingung im Vernunftbegriff der Person, vgl. KpV, AA V: 66.26-27; MS, AA VI: 223.24-26; sowie ferner schon oben Fn. 7. 73 Siehe dazu das erste Kapitel.

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5. Kap.: Der allgemeine Begriff des Rechts

III. Realdefinition des verstandesanalytisch exponierten Rechtsbegriffs (§ B Abs. 3) Die verstandesanalytische Exposition läuft mit diesem quantitativen Moment im Begriff des Rechts wieder in ihren Ausgangspunkt des modalen Moments im Begriff des Rechts zurück, denn Allgemeingesetzlichkeit in äußeren Handlungen (Quantität) bedeutet nichts anderes als praktische Notwendigkeit (Modalität) und damit Freiheit in äußeren Handlungen unter allgemeinen Gesetzen der Freiheit. Freiheit und Gesetzesförmigkeit in äußeren Handlungen sind in der Sphäre des allgemeinen Rechtsbegriffs mithin als Wechselbegriffe anzusehen,74 wobei die Gesetzesförmigkeit das die insofern gesetzlich bestimmbare Freiheit bestimmende Moment in ihrer rechtlichen Qualität ist. Die Vorstellung vom allgemeinen Gesetz macht (als bestimmende Form) den Rechtsbegriff und die darin bestimmte Freiheit äußerer Handlungen somit innerlich aus sich selbst heraus qualitativ vernünftig erst denkbar und so muss die Vernunftvorstellung dieser Gesetzesförmigkeit eben darum als das synthetisch-konstitutive Vorstellungsmerkmal des Begriffs des Rechts gelten. In einer auf die vorstehende verstandesanalytische Exposition des Rechtsbegriffs folgenden (analytischen) Realdefinition dieses Begriffs muss nunmehr also dieses konstitutive Vorstellungsmerkmal im Begriff des Rechts diesen innerlich als bestimmend vorausgesetzt werden,75 da die analytisch zu gewinnende Definition andernfalls bloß eine aus der Relationsvorstellung des exponierten Begriffs aggregierte Nominaldefinition abgegeben würde.76 In diesem Fall könnte der moralische Begriff des Rechts das äußere Verhältnis der Willkürsubjekte unter äußeren Gesetzen nicht (präskriptiv) praktisch bestimmen, sondern lediglich (deskriptiv) theoretisch beschreiben,77 etwa wie folgt: „Das Recht ist also“ „nach einem allgemeinen Gesetze“ „das äußere und zwar praktische Verhältnis einer Person gegen eine andere, sofern ihre Handlungen als Facta aufeinander (unmittelbar oder mittelbar) Einfluß haben können“.78 Reduziert man diese Nominaldefinition des moralischen Begriffs des Rechts überdies gedanklich auch noch um das zwischen äußeren Handlungen und Gesetzen darin gedachte Subordinationsverhältnis, wie es in dem nur unter Gesetzen denkbaren Begriff der Verbindlichkeit mit der darin aufgehobenen praktischen Notwendigkeit zum Ausdruck kommt, dann verbleibt von diesem reduzierten Begriff lediglich noch die um ihren inneren Bestimmungsgrund auch in der bloßen Be74 Dies ist gemäß Log, AA IX: 144 (§ 107 Nr. 1) das erste von vier Haupterfordernissen, die an eine Definition zu stellen sind. 75 Siehe zu dieser Methode der Realdefinition nochmals oben unter C. I. im dritten Kapitel. 76 Zur Differenz von Nominal- und Realdefinition siehe nochmals Log, AA IX: 143 f. (§ 106). 77 So beispielsweise Buttermann, Die Fiktion eines Faktums (2011), S. 86, 90 für den Kantischen Begriff des Rechts in § B Abs. 3. Siehe ferner ebenso Willaschek, in: Gerhardt (Hrsg.): Kant im Streit der Fakultäten (2005), S. 188 (197). 78 RL, AA VI: 230.24, 230.22, 230.09-11.

B. Analytische Exposition des allgemeinen Begriffs des Rechts (§ B)

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schreibung gebrachte Nominaldefinition des interpersonalen Privatrechtsverhältnisses, so wie es zuletzt als bloßes Anerkennungsverhältnis in Auseinandersetzung mit einem abstrakten Rechtsdenken teilweise kritisch erörtert wurde: „Das Recht ist also“ „das äußere und zwar praktische Verhältnis einer Person gegen eine andere, sofern ihre Handlungen als Facta aufeinander (unmittelbar oder mittelbar) Einfluß haben können“. Dies aber wäre – ob gewollt oder ungewollt – nichts anderes, als die bloß beschreibende Nominaldefinition des Naturzustandes, darin es bekanntlich an einer rechtskräftigen Gesetzgebungsinstanz über den Privatrechtssubjekten fehlt, sodass sich dieser durch die Abwesenheit äußerer Gesetze kennzeichnet und nur durch den und unter dem moralischen Begriff des Rechts nach dem darin gefassten Kriterium von Recht und Unrecht beurteilt werden kann, wobei mit diesem Kriterium allen Rechts stillschweigend schon wieder die innerlich alles Recht bestimmende Vorstellung einer Allgemeingesetzlichkeit („pro-visio“) vorausgesetzt bzw. unter Leugnung derselben gedanklich erschlichen ist. Denn ein rechtlich sich verfassendes Anerkennungsverhältnis auf Ebene interpersonaler Gleichordnung muss eine die individuellen Rechtssubjekte allgemein verbindende Vorstellung für sich selbst und damit einen gemeinsamen Willen, d. h. die Idee eines Allgemeinwillens, über sich begrifflich voraussetzen und diesen also mitsamt der dazugehörigen Subordination in seinem Begriff von Recht denken. Die Realdefinition des zuvor verstandesanalytisch exponierten moralischen Begriffs des Rechts kommt also an der rein begrifflichen Realbedingung eines allgemeinen Willens in Gesetzen nicht vorbei. Es muss darum zum Zweck dieser Realdefinition selbst darin die im Begriff des Rechts aufgehobene Relation äußerer willkürlicher Handlungen als unter einem allgemeinen Gesetz der Freiheit stehend ausgewiesen werden und genau dies leistet die Kantische Realdefinition des moralischen Begriffs des Rechts durch das Wörtchen „nach“: „Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach79 einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“ (RL, AA VI: 230.24 – 26).

Diese analytisch gewonnene Realdefinition setzt nun aber nicht nur die Gesetzesvorstellung über der Relationsvorstellung des Rechtsbegriffs als ein innerlich konstituierendes und daher vorrangig-übergeordnetes Merkmal, sondern sie tut dies notwendig in einer ganz besonderen Weise, und zwar so, dass das innerlich entscheidende Merkmal „nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit“ so verstanden werden muss, dass hiermit einesteils auf ein allgemeines Rechtsgesetz der reinen praktischen Vernunft überhaupt (§ C Abs. 4) und zugleich anderenteils darunter auch auf jedes allgemeine Rechtsgesetz überhaupt, d. h. auch die positiven Gesetze ab79 NB: Wäre der Begriff des Rechts und dieses mit ihm tatsächlich bereits ursprünglich aus einem bloßen Interpersonalverhältnis heraus denkbar, dann müsste die Realdefinition hier nicht mit dem Wort „nach“, sondern mit dem Wort „vor“ agieren und lautete sodann wie folgt: ,Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern schon vor (und also unabhängig von) einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann‘.

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5. Kap.: Der allgemeine Begriff des Rechts

gehoben ist. Diese beiden einander subordinierten Bedeutungsebenen möglicher Gesetze kommen dabei durch den Begriff von einem „Inbegriff der Bedingungen“ in den Begriff des Rechts hinein, der der Relationsvorstellung des Rechtsbegriffs („die Willkür des einen mit der Willkür des anderen“) und mit ihr zugleich auch der Modalitätsvorstellung („nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit“) durch das Wort „unter“ noch vorgeordnet ist. Nur dadurch gehört das Moment eines allgemeinen Rechtsgesetzes überhaupt zur Konstitutionsvorstellung allen Rechts im allgemeinen Rechtsbegriff selbst und das Moment positiver Rechtsgesetze zur Verwirklichungsvorstellung des allgemeinen Rechtsbegriffs unter ihm in seiner Folge, sodass der allgemeine Rechtsbegriff in positiven Gesetzen Wirklichkeit haben kann. Die unter dem Begriff des Rechts vorstellbare Totalität allen Rechts ist somit im Begriff des Rechts selbst ursprünglich gesetzt; der Begriff des Rechts enthält die möglichen Prädikate allen Rechts somit nicht nur in sich, sondern zugleich auch entwickelbar unter sich. Ohne diese In-Sich-Relation wäre sonst schon die Idee der Rechtswissenschaft in § A nicht genau dementsprechend einteilbar gewesen.80 Da sie aber auf diese Weise eingeteilt wurde, dass nämlich eine positive Rechtswissenschaft mit ihrem Gegenstand nur subordiniert unter einer natürlichen Rechtswissenschaft mit ihrem Gegenstand unter dem allgemeinen Begriff des Rechts selbst vorstellbar ist, enthält der allgemeine Rechtsbegriff nicht nur diese eingeteilte Idee der Rechtswissenschaft, sondern auch das herausgearbeitete In-Sich-Verhältnis in sich. Erst auf diese Weise kann durch ihn und unter ihm die ganze Idee des Rechts81 vernunftbegrifflich a priori erkannt bzw. begriffen werden,82 und zwar so, wie die rein begriffliche Architektonik unter praktischen Postulaten des Rechts in ihrem schlüssigen Verhältnis dies vorzeichnet.83 Mit dem Begriff vom „Inbegriff der Bedingungen“ ist also nicht etwa auf materiale Anwendungsbedingungen des moralischen Rechtsbegriffs abgehoben, wie z. B. die körperliche Verfassung der menschlichen Willkürsubjekte oder der hieraus resultierende physische Bodenbezug, denn dabei handelt es sich um natürliche Tatsachen im begrifflichen Gegenstandsbezug, nicht aber um begriffliche Bedingungen und bestimmende Merkmale des Rechts selbst. Handelte es sich bei solchen materialen Anwendungsbedingungen des Rechts dagegen auch schon um Begriffsmerkmale selbst, so hätten sie in der Exposition des Rechtsbegriffs (§ B Abs. 2) bewusst werden müssen. Da dies aber nicht geschehen ist, beschließt die nur aus tatsächlich bewusst gewordenen Merkmalen bestehende Realdefinition des Begriffs 80

Dort war darauf hingewiesen worden, dass die Einteilung der Idee der Rechtslehre selbst schon den allgemeinen Begriff des Rechts für sich voraussetzt. 81 Verf. vermag darum auch nicht einzusehen, weshalb man nach den Überlegungen v. d. Pfordtens, in: ders.: Menschenwürde, Recht und Staat bei Kant (2009), S. 59 (61 – 66) nicht ohne weiteres von einer Rechtsidee sprechen können sollen dürfte. RL, AA VI, S. 231.16 (§ C Abs. 4) handelt explizit von dieser Idee. 82 Das übersieht die von Deggau, Die Aporien der Rechtslehre Kants (1983), S. 51 f. geübte Kritik am Kantischen Begriff des Rechts. 83 Siehe dazu das vierte Kapitel.

C. Der realdefinierte Begriff (§ C)

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des Rechts (§ B Abs. 3) methodologisch völlig zu Recht die ihr notwendig vorausgehende Exposition.84

C. Der realdefinierte Begriff als allgemeines Bestimmungsprinzip des Rechts (§ C) Dass die Realdefinition – wie zuvor gezeigt – als eine wahre Definition aus der verstandesanalytischen Begriffsexposition notwendig folgt, unterliegt gemäß § 108 der Kantischen Logik methodologisch auch einer nochmaligen gedanklichen Überprüfung, deren Ergebnisse sich schließlich in § C finden. Um diese Ankündigung allerdings einsichtig zu machen, bedarf es zunächst noch einmal der deutlichen Erinnerung, was eine Definition ausweislich ihres Begriffs überhaupt ist: „Definiren soll, wie es der Ausdruck selbst giebt, eigentlich nur so viel bedeuten, als den ausführlichen Begriff eines Dinges innerhalb seiner Grenzen ursprünglich darstellen.“85 Eine jede Definition hat also gemäß ihrer Definition vier Momente: Ausführlichkeit – Grenzgenauigkeit – Ursprünglichkeit – Darstellbarkeit. Wie bereits gesehen,86 trifft dieser (strenge) Begriff der Definition aber nur auf die mathematischen (synthetischen) Definitionen zu, weil sich schon nur mathematische Verhältnisse auch in einer reinen Anschauung konstruieren und mithin alleine auch die Begriffe dieser Verhältnisse anschaulich darstellen lassen. Eine philosophische (analytische) Definition lässt sich folglich nicht im eigentlichen Sinne darstellen, weil sie schon nicht in bloßer Konstruktion besteht. Allerdings hat § E die uneigentlich so zu nennende Konstruktion des Rechtsbegriffs zum Zwecke seines in Analogien „gleichsam“ darstellbaren Inhalts zum Gegenstand. Die mathematischen Begriffskonstruktionen entspringen ursprünglich aus reiner theoretischer Vernunft und erfüllen eben darum auch das Merkmal der Ursprünglichkeit der Definition, denn sie werden nicht anderswoher abgeleitet. Ebenso verhält es sich aber auch mit den philosophischen Definitionen, denn sie haben a priori durch die praktische Vernunft dem Verstand zur Analyse/zum Verstehen dargereichte und daher nicht anderswoher weiter abgeleitete Begriffe zum Gegenstand. So folgt der Rechtsbegriff – wie gesehen – ursprünglich aus dem Grundgesetz der reinen prak84 Das übersieht Deggau, Die Aporien der Rechtslehre Kants (1983), S. 55, wenn er meint, Kant verfahre hier wider seine bessere Einsicht aus der Transzendentalen Methodenlehre (A 730 f./B 759 f.), wonach in der Philosophie die Definition das Werk (der Philosophie) nicht schon anheben lassen, sondern eher beschließen muss. – Nach Willaschek, in: Gerhardt (Hrsg.): Kant im Streit der Fakultäten (2005), S. 188 (191 f.) bleibt dagegen offen, ob sich die Definition wirklich aus den drei Momenten der Exposition ergibt. 85 KrV, AA III: 477.17-18 = A 727/B 755. 86 Siehe dazu schon ausführlich unter C. I. im dritten Kapitel.

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5. Kap.: Der allgemeine Begriff des Rechts

tischen Vernunft, sodass es an diesem Punkt keiner weiteren Überlegung hinsichtlich seines Vernunftursprungs bedarf; ein Umstand, der nicht etwa mit einer vermeintlichen Unabhängigkeit des Rechts von reiner praktischer Vernunft verwechselt werden sollte. Das Problem des Verstandes mit den analytischen Definitionen der Philosophie und damit auch mit dem realdefinierten Rechtsbegriff besteht vielmehr darin, sich ihrer bzw. seiner Ausführlichkeit und Präzision (= Grenzgenauigkeit) zu versichern. Denn diese beiden „wesentlichsten Vollkommenheiten eines Begriffs“87 machen insgesamt die Qualität einer Definition aus,88 und da der analytisch definierte Begriff nicht ursprünglich durch den Verstand in der Anschauung konstruiert, sondern dem Verstand durch die praktische Vernunft (a priori) erst zur Exposition und Definition gegeben wird, ist diese Qualität einer solchen analytischen Definition für den Verstand nach seiner Expositionstätigkeit zunächst nicht einfach schon (intuitiv) gewiss, auch wenn ein solcher Vernunftbegriff für die Vernunft im Grunde selbstgewiss sein mag. Um sich die notwendige Verstandesgewissheit zum Zwecke des wissenschaftlichen Fortgangs der folgenden begrifflichen Entwicklung und Erkenntnis des Rechts aber letztlich doch zu verschaffen, bedarf es also weiterer Prüfung der Definition, und diese Prüfung erfordert gemäß logischer Methodenlehre wiederum die Verrichtung von vier Handlungen, durch die sich die vier Absätze des § C nach Anordnung und Inhalt methodologisch erklären. „[E]s ist nämlich dabei zu untersuchen: ob die Definition 1) als ein Satz betrachtet, wahr sei, ob sie 2) als ein Begriff, deutlich sei, 3) ob sie als ein deutlicher Begriff auch ausführlich, und endlich 4) als ein ausführlicher Begriff zugleich bestimmt, d. i. der Sache selbst adäquat sei.“89

Alle vier gedanklichen Punkte der Prüfung der Einheit des Begriffs der zuvor gegebenen Definition des Rechts versichern sich so der Möglichkeit des Begriffs des Rechts, denn das „Kriterium der Möglichkeit eines Begriffs“ ist „die Definition, in der die E i n h e i t des Begriffs, die W a h r h e i t alles dessen, was zunächst aus ihm abgeleitet werden mag, endlich die Vo l l s t ä n d i g k e i t dessen, was aus ihm gezogen worden, zur Herstellung des ganzen Begriffs das Erforderliche desselben ausmacht“.90 Diese drei logischen Kriterien (Einheit/Wahrheit/Vollständigkeit) gelten nämlich als Bedingungen der Möglichkeit einer jeden Erkenntnis unter Begriffen überhaupt, weil sie das Wesen eines Begriffs (d. h. die logische Form seiner Allgemeinheit) konstituieren:91 87 88 89 90 91

Log, AA IX: 140 (§ 99). Log, AA IX: 144 (§ 107 Nr. 2). Log, AA IX: 145 (§ 108). KrV, AA III: 98.26-30 = B 115. Zum folgenden Gedanken siehe KrV B 111, 113-116.

C. Der realdefinierte Begriff (§ C)

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Ein Begriff ist seiner logischen Form nach eine allgemeine Vorstellung. Im Begriff der Allgemeinheit sind aber die logischen Größenvorstellungen der Einheit, Vielheit und Allheit gesetzt, weil die Einheit des Begriffs (d. h. seine Allgemeinheit) eine Vielheit von Vorstellungen unter sich vereinigt, sodass diese Vielheit in der Einheit (des Begriffs) erst einheitlich vorgestellt werden kann, und mithin eine Allheit (d. h. Totalität) vorstellt, dadurch ein Begriff wiederum insgesamt einheitlich (d. h. allgemein) bestimmt ist. Erst durch seine Allgemeinheit bestimmt ein Begriff seinen Gegenstand also qualitativ einheitlich und so ist in einer begrifflichen Erkenntnis eines Objekts (von vielen möglichen Objekten) die Einheit des Begriffs selbst anzutreffen. Diese Einheit des Begriffs kann darum genauer auch qualitative Einheit genannt werden. – Auf diese Weise aber stimmt die Erkenntnis von einem Begriffsgegenstand (von vielen möglichen Gegenständen) unter einem Begriff auch mit dem Begriff des Gegenstandes selbst zusammen und ist folglich wahr. Darum kann mit Blick auf die vielfach möglichen Wahrheiten unter einem Begriff und die dadurch begrifflich verbundenen Vielheiten auch von der qualitativen Vielheit der Merkmale gesprochen werden, die zu einem Begriff als einem gemeinschaftlichen Grund gehören. – Wird diese Vielheit von Merkmalen unter dem Begriff zusammen nunmehr auf die Einheit des Begriffs (d. h. seinen Inhalt) selbst zurückgeführt, so stimmt sie ausschließlich mit diesem (und in dieser Rückführung mit keiner anderen Vorstellung) überein, sodass man von qualitativer Vollständigkeit (Totalität) sprechen kann, die schließlich die Vollkommenheit in einer Erkenntnis ausmacht. – Diese drei logischen Kriterien stehen also hinter der gemäß § 108 der logischen Methodenlehre vierteilig ausfallenden Überprüfung einer gefertigten Definition.

I. Wahrheit des Satzes der Definition (§ C Abs. 1) Die Realität und Wahrheit des Satzes der in § B Abs. 3 vorgestellten Definition des Rechts ergibt sich ursprünglich aus dem unmittelbar – spontan – bewussten Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft bzw. dem daraus gefolgerten Sittengesetz, als dem pflichtbegrifflichen Ausgangspunkt der zuvor analytisch geleisteten Vergewisserung der Definition des Rechts. Der Satz der verstandesanalytischen Definition des Rechts ist also wahr, wenn seine Vorstellung der allgemeinen Vernunftvorstellung, d. h. dem reinen Vernunftbegriff, mithin der Idee des Rechts entspricht. Nun dienen Vernunftbegriffe aber zum Begreifen, so wie Verstandesbegriffe zum Verstehen.92 Also ist der Satz der Definition des Rechts wahr, wenn durch ihn der Gegenstand des Vernunftbegriffs des Rechts unter ihm einheitlich begriffen werden kann. Dies wiederum setzt voraus, dass er als allgemeines Prinzip ein einheitliches Kriterium, d. h. eine für sich hinreichende Allgemeinvorstellung zur Erkenntnis desselben unter sich in sich fasst. Also muss durch den Satz der Definition – als 92

A 311/B 367.

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5. Kap.: Der allgemeine Begriff des Rechts

Kennzeichen seiner Wahrheit – der Gegenstand des Rechts, d. h. die Rechtmäßigkeit einer äußeren Handlung (mithin auch die der dadurch etwaig gegebenen positiven Gesetze) unter demselben erkannt werden können. Da nun die Rechtmäßigkeit äußerer Handlungen einheitlich aus der sie bestimmenden Form der Allgemeingesetzlichkeit resultiert, kann durch den Satz der Definition, die äußere Handlungen darin unter Gesetze stellt, auch die Rechtmäßigkeit einer äußeren Handlung als Gegenstand des Rechtsbegriffs erkannt werden:93 „Eine jede Handlung ist r e c h t , die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann.“94 Demnach ist der Satz der Realdefinition des Rechts mit Bezug auf das oberste Kriterium praktischer Wahrheit – das allgemeine Gesetz – also selbst wahr.95

II. Deutlichkeit der Definition als Begriff (§ C Abs. 2) Die logische Deutlichkeit der Definition als Begriff besteht in der Klarheit, d. h. dem Bewusstsein der darin zu einer Einheit koordinierten Vorstellungsmerkmale überhaupt.96 Die inhaltlichen Vorstellungsmerkmale eines Begriffs sind dementsprechend vollständig klar, wenn sie zur Unterscheidung seines Begriffsgegenstandes von anderen Gegenständen zureichen.97 Nun kann durch den Satz der Definition des Rechtsbegriffs gemäß § C Abs. 1 die Rechtmäßigkeit einer äußeren Handlung als Vorstellungsgegenstand desselben erkannt werden. Dementsprechend muss durch ebendenselben Satz in der Folge auch eine andere Handlung, als ein anderer Gegenstand, der nicht unter den Begriff gehört, von einer rechtmäßigen Handlung unterschieden werden können. Das ist dann auch der Satz des § C Abs. 2: „Wenn also meine Handlung, oder überhaupt mein Zustand mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann, so thut der mir Unrecht, der mich daran hindert; denn dieses Hinderniß (dieser Widerstand) kann 93 Dies scheint Deggau, Die Aporien der Rechtslehre Kants (1983), S. 51 zu bezweifeln, wenn er befürchtet, dass in der Formulierung des Rechtsbegriffs die Abstraktion so weit getrieben sei, dass der darin übrig bleibende ,Formalismus‘ ohne ,Praxisbezug‘ und ,Geltungsanspruch‘ bleiben müsse. 94 RL, AA VI, S. 230.29-31. 95 Wäre der allgemeine Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) nicht mit diesem allgemeinen Kriterium (= Prinzip) allen Rechts (§§ B Abs. 1, § C Abs. 1) identisch, dann würde unter ihm auch sein Gegenstand nicht als solcher begriffen werden können, vgl. dazu schon oben Fn. 27. Man kann mit dieser Identität von Begriff und Kriterium dann auch nicht füglich sagen, in § C Abs. 1 liege eine „Anwendung“ des Rechtsbegriffs zur Gewinnung des allgemeinen Kriteriums; vgl. aber bspw. Thomas, Das Problem der rechtlichen Verbindlichkeit bei Kant, in: Hüning/Michel/Thomas (Hrsg.): Aufklärung durch Kritik (2004), S. 361 (368); Hespe, in: Hüning/ Tuschling (Hrsg.): Recht, Staat und Völkerrecht bei Immanuel Kant (1998), S. 293 (298 f. Fn. 12). 96 Log, AA IX: 61.32-62.02, 62.27-35. 97 Siehe Anth, AA VII: 137.24-25 sowie B 414 f. Anm.

C. Der realdefinierte Begriff (§ C)

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mit der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen nicht bestehen.“98 Mithin kann durch die Definition des Rechts unter ihrem Begriff eine rechtmäßige Handlung von einer unrechtmäßigen Handlung unterschieden werden, sodass die Vorstellungsmerkmale offensichtlich zur Unterscheidung der durch den Begriff vorstellbaren Gegenstände von anderen Vorstellungsgegenständen in ihrer Klarheit zureichen und die Definition als Begriff insgesamt auch deutlich ist.99

III. Ausführlichkeit (extensive Deutlichkeit) der Definition als deutlicher Begriff (§ C Abs. 3) Die Ausführlichkeit, d. h. die extensiv vollständige Deutlichkeit besteht in der totalen Klarheit der zum ganzen Begriffsinhalt koordinierten Merkmale.100 Die Definition eines – wie zuvor bereits geprüft – deutlichen Begriffs des Rechts dürfte wegen der darin zur Unterscheidung zureichenden Klarheit der Merkmale nunmehr aber auch ausführlich sein. Die Ausführlichkeit folgt mithin aus der so geprüften Deutlichkeit. Darum kann der Gedanke des § C Abs. 3, und zwar mit einer weiteren durch den Begriff des Rechts möglichen Unterscheidung, an den Gedanken des vorgegangenen Absatzes anknüpfen: „Es folgt hieraus auch: daß nicht verlangt werden kann, daß dieses Princip aller Maximen selbst wiederum meine Maxime sei, d. i. daß ich es m i r z u r M a x i m e meiner Handlung m a c h e ; denn ein jeder kann frei sein, obgleich seine Freiheit mir gänzlich indifferent wäre, oder ich im Herzen derselben gerne Abbruch thun möchte, wenn ich nur durch meine ä u ß e r e H a n d l u n g ihr nicht Eintrag thue. Das Rechthandeln mir zur Maxime zu machen, ist eine Forderung, die die Ethik an mich thut.“101 So wie nämlich schon die Unrechtmäßigkeit einer äußeren Handlung, als ein anderer Gegenstand, von der alleine unter dem einheitlichen Begriff des Rechts begriffenen Rechtmäßigkeit einer äußeren Handlung durch Negation eines Vorstellungsmerkmals als Gegensatz unterschieden werden konnte, kann nunmehr auch eine innere Handlung mitsamt ihrer 98

RL, AA VI: 230.32-231.02. Nur darum geht es in § C Abs. 2. Es ist also unerheblich, ob und dass der erst später erwähnte sowie unschwierig verständliche Begriff der „Läsion“ hier verdeckt eingeführt wird bzw. schon eingeführt werden könnte (vgl. dazu aber Ludwig, Kants Rechtslehre [1988], S. 94 und 107). 100 Log, AA IX: 62.30-37: Die Deutlichkeit in Ansehung des Begriffsinhalts geht auf die darin zu eben diesem Inhalt koordinierten Merkmale und heißt extensive Deutlichkeit; in ihrer Totalität auch Ausführlichkeit. Dagegen heißt die Deutlichkeit in Ansehung der unter einem Begriff subordinierten Merkmale eine intensive Deutlichkeit und in ihrer Totalität auch Profundität. – Mit der intensiven Deutlichkeit des Rechtsbegriffs beschäftigt sich folglich nicht schon die Einleitung in die Rechtslehre, der es lediglich um den Begriffsinhalt zu tun ist, sondern der Hauptteil der derselben, dem es um eine rein begriffliche Rechtserkenntnis unter dem Rechtsbegriff zu tun, dadurch also (in einer Metaphysik des Rechts) die Totalität der unter ihm vorstellbaren Merkmale des Rechts ermessen werden kann. Vgl. dazu auch schon die methodologischen Überlegungen im dritten und vierten Kapitel. 101 RL, AA VI: 230.03-09. 99

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5. Kap.: Der allgemeine Begriff des Rechts

Gesetzgebung von der alleine durch den Rechtsbegriff in der Folge unter ihm erfassten äußeren Handlung unterschieden werden, ohne dass hier – wegen der unterschiedlichen Sphären des Begriffs bzw. Gesetzes – zugleich eine kontradiktorische Unvereinbarkeit beider durch Negation vorgestellt wäre. Die Maxime einer Handlung, d. h. der subjektive Handlungsgrundsatz einer freien Willkür muss demnach alleine objektiv mit der Freiheit einer jeden anderen Willkür allgemein bestehen können; nicht aber muss sich der Handelnde diesen allgemeinen Rechtsgrundsatz – von Rechts wegen – selbst wiederum auch subjektiv zu seinem subjektiven Handlungsgrundsatz, d. h. zu seiner Maxime machen, denn diese innere Handlung ist ausweislich der deutlichen und ausführlichen Definition nicht begrifflicher Gegenstand des Rechts.

IV. Bestimmtheit (Präzision) der Definition als ausführlicher Begriff (§ C Abs. 4) Die Bestimmtheit der Definition als eines ausführlichen sowie zureichend deutlichen Begriffs muss nunmehr in der Präzision der quantitativen Deutlichkeit, d. h. in der Abgemessenheit der Ausführlichkeit bestehen,102 denn eine Definition vereinigt als ein zureichend deutlicher und abgemessener Begriff die beiden wesentlichen Vollkommenheiten eines Begriffs auf sich: Deutlichkeit und Präzision in der Deutlichkeit.103 Nur eine präzise bestimmte Definition ist demnach als Begriff „der Sache selbst adäquat“104. Präzision in der Ausführlichkeit gewährleistet nämlich, dass es gerade nur die deutlich gemachten Merkmale sind, die zum ausführlichen Begriff gehören, d. h. die Grenzgenauigkeit im Begriff garantiert die Sachangemessenheit der Definition. Jetzt ergibt sich aber die Grenze der zum ausführlichen Begriff gehörenden Vorstellungsmerkmale aus dem Ursprung des Begriffs, sodass die grenzgenaue Präzision in der Definition des Rechts durch das in reiner praktischer Vernunft ursprünglich unter dem Grundgesetz derselben gegründete Sittengesetz, und zwar in der Form des darin analytisch vorstellbaren allgemeinen Rechtsgesetzes versichert werden muss, darin der allgemeine Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) als ein praktischer Begriff innerlich objektiv-real bestimmend wirkt. Dieses unmittelbar kraft Vernunft bewusste allgemeine Rechtsgesetz (§ C Abs. 4) enthält nämlich mit der darin vorgestellten objektiv-gesetzlichen Verbindung der Willkürsubjekte lediglich die zum ausführlichen Begriff des Rechts gehörigen Vorstellungsmerkmale und dadurch auch die zuvor aus der Definition des Rechts gezogenen wahren Folgerungen im Hinblick auf die unter diesem Begriff in der Folge erkennbaren Vorstellungen: „Also ist das allgemeine Rechtsgesetz: handle äußerlich so, daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem 102 Log, AA IX: 63.06-07: „Die extensive Größe der Deutlichkeit, sofern sie nicht abundant ist, heißt P r ä c i s i o n (Abgemessenheit).“ 103 Log, AA IX: 140 (§ 99). 104 Log, AA IX: 145 (§ 108).

D. Der allgemeine Begriff des Rechts im subjektiven Gebrauch (§ D)

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allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne, zwar ein Gesetz, welches mir eine Verbindlichkeit auferlegt, aber ganz und gar nicht erwartet, noch weniger fordert, daß ich ganz um dieser Verbindlichkeit willen meine Freiheit auf jene Bedingungen s e l b s t einschränken s o l l e , sondern die Vernunft sagt nur, daß sie in ihrer Idee darauf eingeschränkt s e i und von andern auch thätlich eingeschränkt werden dürfe; und dieses sagt sie als ein Postulat, welches gar keines Beweises weiter fähig ist. – Wenn die Absicht nicht ist Tugend zu lehren, sondern nur, was r e c h t sei, vorzutragen, so darf und soll man selbst nicht jenes Rechtsgesetz als Triebfeder der Handlung vorstellig machen.“105 Die allgemeine Vorstellung, d. h. der Begriff des Rechts ist demnach – wie sollte es anders sein – rechtsgesetzlich bestimmt. Zur weiteren inhaltlichen Interpretation dieser Passage kann und muss hier auf die entsprechenden Ausführungen im vierten Kapitel verwiesen werden.106 Es sei nur erinnert, dass das allgemeine Rechtsgesetz unter dem Sittengesetz als Erkenntnis- oder Idealgrund des allgemeinen Rechtsbegriffs fungiert, der in diesem allgemeinen Rechtsgesetz seine objektive, d. h. begrifflich bestimmende Realität hat, sodass der allgemeine Rechtsbegriff als Seinsoder Realgrund des allgemeinen Rechtsgesetzes gelten muss, so wie ein solches Verhältnis von Ideal- und Realgrund überhaupt in den Verhältnissen der Begriffe von metaphysischen Grundsätzen der praktischen Vernunft stattfindet.

D. Der allgemeine Begriff des Rechts im subjektiven Gebrauch (§ D) Hat der allgemeine Begriff des Rechts nach alledem objektive Realität im allgemeinen Rechtsgesetz, so erstreckt sich diese begriffliche Realität auch in die gesamte unter diesem Begriff praktisch bestimmbare äußere Handlungswirklichkeit menschlicher Willkürwesen. Im moralischen Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) ist also ursprünglich ein praktisch bestimmendes Verhältnis zu den Subjekten allen Rechts der Menschen angelegt und folglich muss sich von diesem praktisch bestimmenden Vernunftbegriff auch ein praktischer Gebrauch von diesen menschlichen Willkürsubjekten machen lassen können, weil dieser subjektive Gebrauch vom objektiven Recht bereits im Begriff desselben angelegt ist.107 Die subjektive „Befugnis“ oder „Erlaubnis“ zum Gebrauch des objektiven Rechts ist also analytisch im Begriff des Rechts, nämlich in seiner Relationsvorstellung des gesetzlich bestimmten äußeren Willkürverhältnisses der in ihm angesprochenen Rechtspersonen (§ B Abs. 2) schon 105

RL, AA VI: 231.10-21. Siehe dort unter B. I. 107 Die ursprünglich zentrale Frage der Rechtsphilosophie ist also jedenfalls für Kant die nach dem Begriff des Rechts (§ B) und nicht bloß die Frage nach der darin analytisch enthaltenen Zwangsbefugnis (§ D), wie aber Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 106 infolge seines Freiheitsverständnisses dafürhalten will. 106

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5. Kap.: Der allgemeine Begriff des Rechts

gesetzt, weil diese Relation eine äußere Pflichtrelation vorstellt, die ihrerseits aus Geboten/Verboten/Erlaubnissen bestehend zu denken ist.108 Diese rein begriffliche Setzung zu verdeutlichen hat nunmehr § D zur Absicht, der ausweislich des Tenors seiner Überschrift verkündet: „ D a s R e c h t i s t m i t d e r B e f u g n i s z u z w i n g e n v e r b u n d e n . “109 Methodologisch kann diese analytische Verdeutlichung der in der Relationsvorstellung des Rechtsbegriffs gelegenen Zwangsvorstellung abermals nur über den dieser rechtsbegrifflichen Relation entgegengesetzten Begriff geführt werden, sodass sich die antonymische Terminologie von Freiheit und Hindernis der Freiheit erklärt.110 Nach dieser begrifflichen Ableitung sind die Begriffe der äußeren Freiheit und des Zwanges im sittengesetzlichen Rechtsgesetz, d. h. in dem darin objektiv realen Rechtsbegriff, ursprünglich synthetisch miteinander verbunden vorzustellen. Der Begriff rechtsgesetzlicher „Befugnis“ macht auf diese Fügung Anzeige.111

Hinweis: Zur Vermeidung von Hypostasen im Rechtsdenken Zum Zwecke der nachfolgenden Interpretation, die eine metaphysische Lesart der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre zur Absicht hat, ist hier nochmals ausdrücklich zu erinnern, dass eine metaphysische Rechtserkenntnis a priori, als eine philosophische Vernunfterkenntnis aus reinen Begriffen, die logische Differenz von Begriff und Gegenstand für sich selbst voraussetzt, weil sie als solche nur im Verhältnis des allgemeinen Begriffs des Rechts zu der Totalität der unter ihm rein begrifflich vorstellbaren Rechtsvorstellungen denkmöglich ist. Wird eine rein in einem Begriff gelegene begriffliche Bestimmung also zugleich auch schon ohne weiteres für eine außerhalb des bloßen Begriffs wirkliche Bestimmung genommen, wie sie alleine unter dem Begriff als sein Vorstellungsgegenstand begrifflich durch ihn bestimmt denkbar ist, so resultiert hieraus notwendig eine Hypostase der zuvor nur gedachten Bestimmung im Denken, dadurch sich aber zugleich der Begriff auf seinen Gegenstand reduziert und sich so in der Folge die Vorstellungssphäre einer Vernunfterkenntnis aus reinen Begriffen unter dem wissenschaftlich zu entwickelnden reinen Begriff notwendig verschließt, sodass jede so vorgehende Lesart der Kanti108 Es ist also in methodologischer und sachlicher Hinsicht sehr erstaunlich, dass man ausgerechnet im Kantischen Rechtsdenken die ,Ersetzung des Pflichtbegriffs durch die neue juridische Fundamentalkategorie des subjektiven Rechts‘ ausgemacht haben will, vgl. dazu Auer, AcP 208 (2008), S. 584 (618 ff.) im Anschluss an Hruschka, JZ 59 (2004), S. 1085. 109 RL, AA VI: 231.23. 110 Das übersieht Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 97 f. Fn. 29, der die begriffliche Ableitung des Zwangs für „etwas umständlich[]“, „zirkulär“ und „letztlich überflüssig“ hält. Kritisch zu dieser Ableitung auch Willaschek, in: Merker/Mohr/Quante (Hrsg.): Subjektivität und Anerkennung (2004), S. 271 (276 – 278). 111 Honrath, Die Wirklichkeit der Freiheit im Staat bei Kant (2011), S. 190 f.; Kaulbach, in: ders.: Studien zur späten Rechtsphilosophie Kants und ihrer transzendentalen Methode (1982), S. 55 (61).

D. Der allgemeine Begriff des Rechts im subjektiven Gebrauch (§ D)

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schen Rechtslehre mit ihrer unverständigen Gleichsetzung von Begriff und Begriffsgegenstand ihrem gedanklichen Abfall ins Empirische entgegensieht. Diese zwar möglicherweise etwas drastisch klingende, jedoch vielleicht nicht unwichtige und darum bei Gelegenheit entschuldigte Anmerkung erfolgt hier deshalb an dieser Stelle von § D, weil dieser alleine vom allgemeinen Begriff des subjektiven Rechts (d. h. Befugnis) handelt und eben darum über diese rein begriffliche Setzung im Begriff des Rechts noch nicht hinausgeht. Folglich ist diese rein begriffliche Setzung auch nicht selbst schon mit irgendeinem wirklichen subjektiven Zwangsrecht (z. B. angeborener Freiheit als Unabhängigkeit von fremder Willkür, Privateigentum, Strafe, etc.) im äußeren Verhältnis zu verwechseln. Ein solches wirkliches subjektives Zwangsrecht, „als moralische[s] Ve r m ö g e n , andere zu verpflichten“112, ist nämlich erst unter diesem Begriff überhaupt nur denkbar. Im Übrigen kommt einer solchermaßen unter einem Begriff gedachten Vorstellung in praktischen Verhältnissen ihrerseits auch nur dann objektive Realität zu, wenn der sie bestimmende Begriff über ihr – als praktischer Begriff – seinerseits über einen unmittelbar gewissen Idealgrund verfügt, darin er selbst praktisch ist. Im Rahmen einer interpretativen Beschäftigung mit der idealistischen Rechtsphilosophie Immanuel Kants, die noch nicht oder schon nicht mehr daran gewöhnt ist, Inhalt und Umfang eines Begriffs (d. h. Begriff und Gegenstand) im Denken jederzeit notwendig und hinreichend bestimmt auseinanderzuhalten,113 dürfte eine solche Hypostasierung der rein im Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) gelegenen Rechtsbestimmung zu einer schon wirklichen Rechtsbestimmung, wie sie alleine nur unter dem Begriff selbst gedacht werden kann, wohl kein selten anzutreffender Umstand sein, der allerdings gravierende Folgen im Gesamtverständnis einer Metaphysik des Rechts befürchten lässt. Denn auf diese Weise versetzt sie schon ganz zu Beginn allen rechtsbegrifflich bestimmten Denkens mindestens das unter dem Begriff des Rechts erst denkbare angeborene subjektive Recht der Freiheit (als Unabhängigkeit von fremder Willkür)114 bereits in den Rechtsbegriff selbst, sodass sich in der Folge auch der ganze Naturzustand mit dem darin alleine nur schon denkbaren äußeren Rechten in den Rechtsbegriff selbst zu verlagern droht und seine Hypostase im Rechtsdenken insgesamt – ob gewollt oder nicht – somit die notwendige Folge 112

RL, AA VI: 237.18 (moralisches Vermögen heißt hier so viel wie rechtliches Können). Man stößt auf die logische Differenz von Begriff und Gegenstand im Denken, wenn man sich beispielsweise im theoretischen Erkenntnisbezug über die transzendentale Idealität und bloß empirische Realität der subjektiven Anschauungsformen der Sinnlichkeit vergewissert (dazu A 19 ff./B 33 ff.), darin empirisch gegebene Gegenstandsvorstellungen begrifflich bestimmbar sind. Denn das Denken selbst (als ein Vorstellungsverhältnis von Subjekt und Objekt) ist ohne diese Idealität in seiner eigenen Spontanität schon nicht denkbar. – Dem juristischen Kantinterpreten müsste hinsichtlich der Differenz von Begriff und Gegenstand dann spätestens mit A 43 f./B 61 f. ein Licht aufgehen. Deswegen wäre auch die Behauptung ganz widersinnig, die Kantische Rechtslehre sei völlig unabhängig von der transzendentalen Idealität bzw. Kants transzendentalem Idealismus denkbar. 114 RL, AA VI: 237 f. 113

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5. Kap.: Der allgemeine Begriff des Rechts

ist.115 Eine solche Hypostase des Naturzustandes und der darin bloß mit Blick auf den Staat gedachten äußeren Rechte liegt – wie im Folgenden noch zunehmend deutlicher wird – zumindest jeder privatrechtsspezifischen Ableitung des Staates innerhalb der Kantischen Rechtslehre zugrunde, die das Besondere unter einem allgemeinen Begriff schon ohne das darin vorausgesetzte Allgemeine in seiner Sphäre bestimmt glaubt denken zu können.

E. Die Darstellung des definierten Begriffs strikten Rechts in Analogien (§ E) Mit § D ist deutlich bewusst geworden, dass die Begriffe von äußerer Freiheit und rechtlichem Zwang ursprünglich synthetisch im sittengesetzlichen Rechtsbegriff der Menschen verbunden sind. Das im moralischen Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) begriffene „Recht der Menschen“ unter Rechtsgesetzen wird also nicht bestehend aus der objektiven Pflicht des einen und der subjektiven Befugnis eines anderen Rechtssubjekts erst zusammengesetzt (d. h. aggregiert) gedacht, sondern beide sind ursprünglich im Begriff des Rechts einheitlich (subordiniert) gesetzt. Deshalb notiert Immanuel Kant zu Beginn von § E: „[…] das Recht darf nicht als aus zwei Stücken, nämlich der Verbindlichkeit nach einem Gesetze und der Befugniß dessen, der durch seine Willkür den andern verbindet, diesen dazu zu zwingen, zusammengesetzt gedacht werden, sondern man kann den Begriff des Rechts in der Möglichkeit der Verknüpfung des allgemeinen wechselseitigen Zwanges mit jedermanns Freiheit unmittelbar setzen“116. Indem das Recht der Menschen unter Rechtsgesetzen nämlich zuletzt nur auf äußere Handlungen in ihrem wechselseitigen Verhältnis geht, lässt sich dieser äußere Handlungszusammenhang rechtsgesetzlich bestimmt denken, wenn er als ein „ m i t j e d e r m a n n s F r e i h e i t n a c h a l l g e m e i n e n Gesetzen zusammenstimmende[r] durchgängie[r] wechs e l s e i t i g e [ r ] Z w a n g [ ] “117 vorgestellt wird. In dieser freiheitlichen Rechtsvorstellung äußerer Handlungen ist dann „nichts Ethisches beigemischt“118, weil darin von der sittengesetzlichen Bestimmungssphäre für innere Handlungen gänzlich abstrahiert wird. Das unter dem moralischen Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) 115

So sieht beispielsweise Höffe, in: Brandt (Hrsg.): Rechtsphilosophie der Aufklärung (1982), S. 335 (357) noch zutreffend, dass die alleine im Begriff des Rechts begrifflich liegende Zwangsbefugnis nicht etwa bereits mit dem Strafzwangsrecht unter dem Rechtsbegriff identisch ist. Gleichwohl hypostasiert er diese in § D rein begrifflich gedachte Zwangsbefugnis bereits in seiner Interpretation des § D zu einer schon wirklichen Zwangsbefugnis des Willkürsubjekts, wie sie im angeborenen Recht erst unter (nicht schon im) Begriff des Rechts gedacht werden kann. Im Anschluss hieran hat sich (allerdings in sich widersprüchlich) z. B. auch Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 101 f. positioniert. 116 RL, AA VI: 232.06-11. 117 RL, AA VI: 232.02-05. 118 RL, AA VI: 232.11-16.

E. Die Darstellung des definierten Begriffs strikten Rechts in Analogien (§ E)

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begriffene Recht ist also ein völlig äußeres und darum „ s t r i c t e s (enges) Recht“,119 das aber gleichwohl „gründet […] auf dem Bewußtsein der Verbindlichkeit eines jeden nach dem Gesetze“.120 Das Recht der Menschen kann darum auch als striktes und völlig äußeres Recht nicht unabhängig vom Sittengesetz oder dem praktischen Vernunftbegriff der Freiheit gedacht werden. Aus diesem Grund waren zuvor schon die in der Sekundärliteratur in mehreren Varianten vertretenen Unabhängigkeitsthesen zurückzuweisen;121 sie sind nicht nur der Sache nach verfehlt, sondern auch dem eindeutigen Textbefund in § E zuwider. § E Abs. 1 enthält also in gewisser Weise das Resümee der methodologisch notwendigen Gedankenschritte der §§ B–D. Denn der a priori dem Verstand durch die praktische Vernunft gegebene Begriff der Rechts wurde zunächst in seinen Begriffsmerkmalen analytisch verdeutlicht (§ B Abs. 2), sodann durch entsprechend subordinierte Setzung seiner deutlich bewusst gemachten Begriffsmerkmale realdefiniert (§ B Abs. 3) und schließlich gedanklich überprüft (§ C) sowie hinsichtlich seines subjektiv möglichen Gebrauchs weiter analysiert, sodass sich eine ursprüngliche Verknüpfung (Synthese) von äußerer Freiheit und rechtsgesetzlichem Zwang im moralischen Begriff des Rechts fand, die Gegenstand von § E Abs. 1 ist. Diese Vorgehensweise beruht – wie vorab herausgearbeitet werden konnte – auf der methodologischen Eigenart philosophischer Erkenntnis aus reinen Begriffen, und zwar im Gegensatz zur mathematischen Erkenntnis durch Begriffskonstruktionen. Demnach können nur mathematische Begriffe synthetisch definiert werden, während philosophische Begriff analytisch definiert werden müssen. Die in philosophischen Begriffen liegende Synthese wird darum auch nicht zu Beginn, sondern – wie jetzt gesehen – erst am Ende deutlich bewusst. Dies hat seinen Grund darin, dass die philosophische Definition mit ihrer Synthesis nicht – wie aber eine mathematische Definition – ursprünglich konstruiert, d. h. anschaulich dargestellt werden kann. Wenn nun aber ein philosophischer Begriff, wie der moralische Rechtsbegriff ein solcher ist, praktische Bestimmung unter sich in den räumlich vorgestellten Handlungsverhältnissen der Menschen haben (d. h. auf Anthropologie anwendbar sein) soll, dann muss sein Grundgedanke aber doch in einer mathematischen Konstruktion versinnbildlicht werden können, weil in der reinen Anschauungsform des Raumes, darin die äußeren Handlungen unter dem Rechtsbegriff bestimmt vorzustellen sind, mathematische Konstruktionen möglich sind. Insofern lässt sich die Idee des Rechtsbegriffs anhand der Analogie einer ihr entsprechenden mathematischen Konstruktion verdeutlichen. § E Abs. 2 – infolge seiner Einrückung schon nicht mehr zum Haupttext gehörend – hat nun diese gleichsam nachträgliche Darstellung und nicht eigentliche 119

Anders als beispielsweise Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 86 dies annimmt, gibt es keinen Unterschied zwischen dem moralischen Begriff des Rechts (§ B) und dem strikten Recht (§ E). 120 RL, AA VI: 232.16-23. 121 Siehe dazu oben Fn. 29 im vierten Kapitel.

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5. Kap.: Der allgemeine Begriff des Rechts

Konstruktion des moralischen Begriffs des Rechts zu seinem thematischen Gegenstand: „Das Gesetz eines mit jedermanns Freiheit nothwendig zusammenstimmenden wechselseitigen Zwanges unter dem Princip der allgemeinen Freiheit ist gleichsam die C o n s t r u c t i o n jenes Begriffs, d. i. Darstellung desselben in einer reinen Anschauung a priori, […].“122 Der Gedanke der gleichsam anschaulichen Darstellung der im Rechtsbegriff gelegenen Rechtsidee beruht nun auf einer Analogie, die einen zunächst dynamisch vorgestellten Anknüpfungspunkt metaphysischer Naturwissenschaft123 gedanklich auf eine rein formale Anschauung reduziert, sodass sich das „Rechte (rectum)“ in einer geometrischen Raumkonstruktion als das „ G e r a d e “ versinnbildlichen lässt, das dem „ K r u m m e n “ und „ S c h i e f e n “ entgegengesetzt wird:124 „Das erste ist die i n n e r e B e s c h a f f e n h e i t einer Linie von der Art, daß es zwischen zwei gegebenen P u n k t e n nur eine e i n z i g e , das zweite aber die L a g e zweier einander durchschneidenden oder zusammenstoßenden L i n i e n , von deren Art es auch nur eine e i n z i g e (die senkrechte) geben kann, die sich nicht mehr nach einer Seite als der andern hinneigt, und die den Raum von beiden Seiten gleich abtheilt, nach welcher Analogie auch die Rechtslehre das S e i n e einem jeden (mit mathematischer Genauigkeit) bestimmt wissen will, […].“125 Die im moralischen Begriff des Rechts gelegene Idee des Rechts besteht mit dieser Analogie also in einer Gerechtigkeit, durch die jeder Mensch unter dem Rechtsgesetz den ihm rechtlich zustehenden Rechtsbesitz (Mein und Dein = das Seine) in einem jeden möglichen Einzelfall unter dem Rechtsgesetz rechtlich bestimmt hat. Dies aber ist, wie sich im gedanklichen Fortgang zeigen wird, nichts anderes als die Idee einer öffentlichen Gerechtigkeit (vgl. § 41 Abs. 1), deren praktisch-notwendiges Moment in einer rechtskräftigen Entscheidung durch einen staatlichen Gerichtshof gesetzt ist (iustitia distributiva), und die folglich jederzeit mit praktischer Notwendigkeit das einzig gerechte und mithin rechtlich einzig mögliche Urteil in den menschlichen Rechtsverhältnissen wirklich einzufordern vermag. Eine solche im wirklichen „Recht der Menschen“ praktisch bestimmende Idee des Rechts bzw. der Gerechtigkeit unter Rechtsgesetzen lässt sich dann aber nicht länger mit einem bloß abstrakten Rechtsdenken als (abstrakt bleibendes) „Vernunftrecht“ 122

RL, AA VI: 232.30-35. Ausgangspunkt der „Analogie der Möglichkeit freier Bewegungen der Körper […]“ (RL, AA VI: 232.34) ist das dynamische Gesetz der Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung in der ursprünglichen Erteilung der Bewegung (= MAN, AA IV: 548.25-249.04). Beispielsweise übersieht dies Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 88, der in seiner Interpretation auf das dritte mechanische Gesetz der notwendigen Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung in der bloßen Mitteilung der Bewegung abstellt. 124 RL, AA VI: 233.11-13. – Nicht selten wird diese Zweistufigkeit der Analogie verkannt und der anschauliche Gehalt der Analogie in der Folge nicht erfasst. Vgl. etwa Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 87 – 90; Höffe, Der kategorische Rechtsimperativ, in: ders. (Hrsg.): Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Berlin 1999, S. 41 (58). Kritisch darum auch Mosayebi, Das Minimum der reinen praktischen Vernunft (2013), S. 238. 125 RL, AA VI: 233.13-23. 123

E. Die Darstellung des definierten Begriffs strikten Rechts in Analogien (§ E)

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richtig bezeichnen, weil sie sich weder auf ein an und für sich selbst gänzlich intelligibles „Recht der Menschheit“, noch auf eine irgendwie ideal bloß gedachte Wirklichkeit der Menschen beschränkt, sondern alles Wirkliche durch ihr praktisch bestimmendes Rechtdenken erst als rechtliche Wirklichkeit in äußeren Verhältnissen der Menschen hervorbringt und insofern bloße Natur (der Menschen) als vernünftige Natur (der Rechtspersonen) ganz konkret praktisch begreiflich macht. Der Begriff des „Naturrechts“ ist darum dort richtig gewählt, wo Immanuel Kant von natürlichen Gesetzen des Rechts handelt (§§ 1 – 62), die nach ihrem eigenen Anspruch rein begriffliche Bedingung der praktischen Möglichkeit einer jeden positiven Gesetzgebung sind. Insofern darf der Titel der hier vorgelegten Interpretation zur Positivität des Rechts in der kritischen Naturrechtslehre Immanuel Kants – wenn sie sich selbst in ihrem ganzen gedanklichen Zusammenhang nur richtig versteht – als Kontrapunkt zu einem bestenfalls abstrakt-metaphysischen Rechtsdenken unter dem abstrakten Begriff eines Vernunftrechts verstanden werden. ***

Ist das „Recht der Menschen“ unter dem moralischen Rechtsbegriff von § B Abs. 3 somit gemäß § E als ein striktes Recht begriffen, lässt sich in diesem Begriff doch zugleich auch noch ein „Recht im w e i t e r e n Sinne (ius latum)“126 denken, dem die subjektive Zwangsbefugnis abgeht, weil intelligibler Grund dieses moralischen Rechtsbegriffs innerlich das „Recht der Menschheit“ an sich selbst ist, das in derjenigen bloßen Allgemeingesetzlichkeit vorgestellt wird, die – wie bemerkt – bestimmender Grund im realdefinierten Rechtsbegriff ist. Bezieht man also das „Recht der Menschheit“ vermittelst des moralischen Rechtsbegriffs direkt auf die unter dem Rechtsbegriff stehenden Menschen, so ergibt sich zwar im „Recht der Menschen“ eine rechtliche Bestimmung von interpersonalen Rechtspflichten, denen dann jedoch ein subjektives Zwangsrecht abgeht, weil Berechtigungssubjekt ursprünglich nicht ein Mensch, sondern die Menschheit an sich selbst ist, während der Mensch bei diesem Recht im weiteren Sinne nur als verpflichtet vorgestellt wird. Angesprochen ist damit insbesondere die „ B i l l i g k e i t “, die als ein wahres Recht, neben dem nur vorgeblichen Notrecht, nicht in der Einleitung der Rechtslehre selbst, sondern lediglich in einem Anhang zu dieser abgehandelt wird.127 Das Recht im weiteren Sinne (d. h. die Billigkeit) bedarf mit dem vorgesetzten Interpretationsziel an dieser Stelle jedoch keiner genaueren Erläuterung.128

126

RL, AA VI: 233.34-234.02. RL, AA VI: 233 ff. 128 Zur Billigkeit Dahlstrom, JRE 5 (1997), S. 55 (67 ff.); zum Notrecht Küper, Immanuel Kant und das Brett des Karneades (1999). 127

6. Kapitel

Die Einteilung des allgemeinen Begriffs des Rechts Der Inhalt des Begriffs des Rechts und nur dieser Inhalt seiner in ihm liegenden Merkmalsvorstellungen hat in der Einleitung in die Rechtslehre (§§ B–E) methodologisch zur größtmöglichen extensiven Deutlichkeit entwickelt werden sollen. Alle weiteren Ausführungen der Rechtslehre selbst können somit nur noch diejenigen Rechtsvorstellungen zu ihrem thematischen Gegenstand haben, die unter dem Begriff des Rechts in seiner Sphäre vorstellbar und daher rechtlich durch ihn bestimmbar, d. h. erst als solche rechtsbegrifflich bestimmt denkbar sind. Diejenigen rechtlichen Vorstellungen, die dabei rein begrifflich, d. h. ohne die positiv bestimmte Willkür eines äußeren Gesetzgebers schon bestimmbar sind, sind Gegenstand einer Metaphysik des Rechts, die eine Rechtserkenntnis aus reinen Begriffen a priori, und zwar unter innerlich rein begrifflich verfassten Rechtsgrundsätzen der reinen praktischen Vernunft, zur Absicht hat. Unter dem Vernunftbegriff des Rechts ist es folglich nicht um eine extensive, sondern intensive Deutlichkeit desselben hinsichtlich der unter ihm mit seiner begrifflichen Notwendigkeit subordinierten Begriffe zu tun. Unterscheidet man nun im Rechtsdenken, das seinerseits nur durch den Rechtsbegriff selbst möglich ist, allerdings gedanklich nicht oder nicht richtig zwischen Inhalt und Umfang des Rechtsbegriffs, mit der Folge, dass Begriff und Gegenstand des Rechts ununterscheidbar eins und ebendasselbe im Denken, damit aber jedenfalls nichts richtig Bestimmtes werden, dann verstellt man sich – wie bereits bemerkt – diejenige Unterscheidungsmöglichkeit im reinen Denken, die eine Metaphysik des Rechts erst denkmöglich macht.1 Dieser missliche Umstand im Rechtsdenken ist nach allen bisherigen Überlegungen notwendig zu vermeiden und darum ist vor ihm in aller möglichen Eindringlichkeit zu warnen, denn es ließe sich leicht sich ausmalen, wohin es führen würde, wollte man sich in Unkenntnis dieser idealen Differenz über den in der Folge sodann in metaphysischer Hinsicht durchaus unverständlichen Gedanken des zu interpretierenden Autors oder den von ihm in mehreren Auflagen zum Druck gegebenen Text kurzerhand erheben. Ist die hier gemachte Warnung verstanden, dann bedeutet das aber zugleich auch, dass die rein denkend bestimmten Rechtsbestimmungen unter dem Begriff des Rechts zunächst nur als gedachte (metaphysische) 1 So beruht beispielsweise die sich als idealistische Kritik des Kantischen Besitzbegriffs ankündigende Studie Müllers, Wille und Gegenstand (2006), S. 104 f. auf der Annahme, im Hauptteil der Rechtslehre sei es noch um die Exposition der im Rechtsbegriff enthaltenen Vorstellungen zu tun.

6. Kap.: Die Einteilung des allgemeinen Begriffs des Rechts

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Rechtsbestimmungen wirklich sind, sodass ihnen eine Wirklichkeit außer des Begriffs bzw. außer ihrer Vorstellung nicht ohne einen praktisch-notwendig wirkenden Rechtsgrund über ihnen selbst einfach unterlegt werden darf. Ein solcher praktischer Rechtsgrund äußerer Rechtswirklichkeit wird dann unter dem allgemeinen Begriff des Rechts in seiner Sphäre erst im Staat seinerseits wirklich gedacht und folglich kann alle auch außer einem metaphysischen Begriff selbst gedachte Rechtswirklichkeit nur im Ausgang vom oder zumindest im Hinblick („provisorisch“) auf den Vernunftbegriff des Staates rechtlich bestimmt gedacht werden. Das ist unter dem allgemeinen Begriff des Rechts die metaphysische Grundeinsicht in die Kantische Idee allen wirklichen Rechts und daher im Folgenden rein begrifflich zu entfalten, wobei der abstrakte Gedanke einer sich selbst im Grunde schon genügsamen vorstaatlichen Privatrechtswirklichkeit im Rechtsdenken gründlich zu verabschieden sein wird, sodass von einer eigentums- oder privatrechtsspezifischen Theorie der Staatsbegründung am Ende nicht mehr viel übrig bleiben kann, auch wenn dies beim gegenwärtigen Stand begrifflich-methodologischer Erforschung des Kantischen Rechtsdenkens, wie objektiv voraussehbar und subjektiv nachvollziehbar ist, nicht überall auf Beifall stoßen dürfte. Der allgemein bestimmende Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) wird im Folgenden also als „ E r k e n n t n i s g r u n d “ derjenigen Rechtsvorstellungen gebraucht, die unter ihm in seiner Sphäre durch ihn allgemein bestimmt besonders vorstellbar sind,2 und insofern sind unter ihm sukzessiv all diejenigen Rechtsvorstellungen rechtlich bestimmbar, von denen er zuvor – man denke in Erörterung des natürlichen Rechts unter dem allgemeinen Begriff des Rechts methodologisch stets an § B Abs. 1 – abstrahiert wurde,3 wobei die Grenze des metaphysischen Rechtsdenkens dort erreicht wird, wo der Begriff positiver Gesetze im Rechtsdenken begründet liegt, und von dem aus die Rechtslehre einst (§ B) methodologisch angehoben hatte. Soll die rechtliche Bestimmung der besonderen Rechtsbegriffe unter dem allgemein bestimmenden Begriff des Rechts dabei wissenschaftlich und systematisch geschehen, dann bedarf es zunächst eines klaren Bewusstseins der unter ihm allgemein überhaupt vorstellbaren besonderen Rechtsvorstellungen. Ein solches Bewusstsein des Umfangs bzw. der Sphäre des Begriffs wird durch seine Einteilung bewirkt.4 Aus diesem Grund folgt auf die Einleitung in die Rechtslehre die „ E i n t h e i l u n g d e r R e c h t s l e h r e “5, die sich nach ihrem Gegenstand, d. h. nach dem Recht richtet und folglich zunächst einmal nur eine Einteilung des moralischen Rechtsbegriffs (§ B Abs. 3) vorstellt.6 Da dieser allgemeine Rechtsbegriff analytisch aus dem sit2

Siehe Log, AA IX: 95 (§ 7). Siehe Log, AA IX: 96 (§ 8). 4 Log, AA IX: 140 (§ 98). 5 RL, AA VI: 236.17. 6 Diese ursprüngliche „ E i n t h e i l u n g d e r R e c h t s l e h r e “ (RL, AA VI: 236.17) ist also nicht identisch mit der aus ihr heraus in der Folge erst entwickelbaren „ T a f e l d e r E i n t e i l u n g d e r R e c h t s l e h r e “ (RL, AA VI: 210), wie sie sich am Ende der Vorrede zur Rechtslehre völlig legitim als deren Inhaltsangabe und -übersicht schon vorab gesetzt findet. 3

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tengesetzlichen Pflichtbegriff gewonnen wurde, kann und muss die Einteilung nach Gesichtspunkt des Pflichtbegriffs oder dem des Rechtsbegriffs vorgenommen werden. Folglich zerfällt die „ E i n t h e i l u n g d e r R e c h t s l e h r e “ in zwei Stücke (= Nebeneinteilungen bzw. Kodivisionen), nämlich „ A . A l l g e m e i n e E i n t h e i l u n g d e r R e c h t s p f l i c h t e n “ und „ B . A l l g e m e i n e E i n t h e i l u n g d e r R e c h t e “.7 Jede Einteilung erfolgt also nach einem bestimmten Gesichtspunkt und so muss man bei jeder Begriffseinteilung vorab wissen, was man mit ihr erreichen möchte. Denn dieser Gesichtspunkt gibt logisch das begriffliche Merkmal vor, dadurch die Sphäre des Begriffs nach dem Verstandesprinzip des Widerspruchs in zwei Teile zerfällt, die fortan als „ G l i e d e r “ des „ e i n g e t e i l t e [ n ] B e g r i f f [ s ] “ gelten können.8 Da die unter einem allgemeinen Begriff besonders vorstellbaren Vorstellungen nach ihren Vorstellungsmerkmalen teils miteinander übereinstimmen und sich teils voneinander unterscheiden, lassen sie sich nämlich nach einem bestimmten Einteilungsgesichtspunkt in der Sphäre des allgemeinen Begriffs entgegensetzen. Der Gegensatz dieser verständig eingeteilten Glieder ist also ein Widerspruch zwischen den beiden besonderen Begriffen dieser Glieder nur für den Verstand. In der Einheit des allgemeinen Begriffs ist dieser Gegensatz dagegen durch schlüssige Subordination der eingeteilten Glieder ursprünglich schon (synthetisch) aufgehoben. Wird also ein ursprünglich der Vernunft entspringender Begriff (z. B. der des Rechts) zum wissenschaftlichen Zwecke seiner intensiven Verdeutlichung verständig eingeteilt, dann muss innerhalb der Sphäre dieses Vernunftbegriffs jeder begriffliche Widerspruch für den Verstand vernünftig aufgehoben werden können, und zwar durch schlüssige Subordination der verständig entgegengesetzten Einteilungsglieder. Diese Subordination bedarf aber eines vermittelnden allgemeinen Merkmals über sich, das beide Glieder miteinander verbindet, und insofern besteht die Subordination beider Glieder in einem dritten Einteilungsglied, das aus der Verbindung beider Glieder unter dem allgemeinen Merkmal schlüssig resultiert. Es ist dies eine „Eintheilung aus dem aus dem P r i n c i p d e r S y n t h e s i s a priori“, die in sich voraussetzt „1) den Begriff als die Bedingung, 2) das Bedingte, und 3) die Ableitung des letztern aus dem erstern“.9 Im Gegensatz zur bloß verständigen und darum dichotomischen Einteilung resultiert dann eine trichotomische Einteilung. Deswegen verweist RL, AA VI: 238.21-25 auch im Ausgang von der „Obereintheilung“ (der Rechtslehre in angeborenes und erworbenes Recht) auf diese in der Folge bloß auf das äußere Recht zu beziehende „Eintheilung der Rechtslehre“ (womit dann die Tafel gemeint ist) erst hin. Siehe zum hier maßgeblichen Begriff der Untereinteilung (Subdivision) Log, AA IX: 147 (§ 112). Diese nicht unwichtige Differenz übersieht Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 49 ff. in seinen editorischen Änderungsplänen für seine Vorstellung der Kantischen Rechtslehre, wenn er die Tafel am Ende der Vorrede für „ganz offensichtlich fehlplaziert“ erachtet. 7 RL, AA VI: 236.18-19 und 237.13-14; Log, AA IX: 147 (§ 112). 8 Log, AA IX: 146 (§ 110). 9 Log, AA IX: 147 f. (§ 113).

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Eine solche „ T r i c h o t o m i e “ lässt sich jedoch – im Gegensatz zur Dichotomie – nicht bloß mit dem logischen Verstandesprinzip des Widerspruchs hervorbringen, sondern führt über ihr Prinzip, den Vernunftschluss, regressiv auf die allgemeine Vorstellung der eingeteilten Glieder, d. h. auf den Vernunftbegriff oder die Sache selbst. Deshalb gehört die Methode der Dichotomie zur Logik des bloßen Verstandes10 und die Methode der Trichotomie zur Logik der reinen (praktischen) Vernunft, darin eine synthetische Erkenntnis aus reinen Begriffen der (praktischen) Vernunft unter einem obersten (unmittelbar gewissen) Grundsatz möglich ist. Dieses Prinzip der Trichotomie ist also das wesentliche Moment der philosophischen Methode einer Vernunfterkenntnis aus reinen Begriffen unter praktischen Grundsätzen, d. h. einer Metaphysik der Sitten.11 Bloße Verstandeswidersprüche sind dann letztlich sowie ursprünglich niemals auch Widersprüche für die Vernunft und dieser (dialektische) Umstand will bei der Kantischen Einteilung des Rechtsbegriffs (z. B. in natürliches und positives Recht) bedacht sein, sollen hier keine nur vermeintlich schon endgültigen und einander ausschließlichen Disjunktionen im vernünftigen Rechtsdenken durch den bloßen Verstand gesetzt werden.12 Nach diesen methodologischen Vorüberlegungen fällt die Allgemeine Einteilung der Rechtspflichten trichotomisch aus, während die Allgemeine Einteilung der Rechte zunächst nur dichotomisch hingestellt wird. Denn der rechtliche Pflichtbegriff wird im allgemeinen Rechtsbegriff schon vollständig vorausgesetzt und soll in der Rechtslehre nicht eigentlich in seiner intensiven Deutlichkeit entwickelt werden; vielmehr wird diese Rechtslehre als solche nur von dem Recht handeln, wenn sie ausweislich ihres Titels die intensive Deutlichkeit des Rechtsbegriffs zur Absicht hat. Dann aber muss diese begriffliche Entwicklung unter dem allgemeinen Rechtsbegriff von seinen verständig entgegengesetzten Einteilungsgliedern erst ihren Ausgang nehmen und diese Glieder im Fortgang des Hauptteils der Rechtslehre letztlich schlüssig gemäß der Idee allen Rechts miteinander verknüpfen. Also ist eine vernunftschlüssige Einteilung der unter dem allgemeinen Rechtsbegriff vorstellbaren Rechtspflichten und eine verständige Einteilung der unter dem allgemeinen Rechtsbegriff zugleich vorstellbaren Rechte zu erwarten, darunter sodann erst in der Folge der Gedanke des Hauptteils der Rechtslehre rein begrifflich vollständig zu entwickeln ist.

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Log, AA IX: 147 f. (§ 113). Darum hat Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, in: Moldenhauer/ Michel (Hrsg.): Hegel Werke in 20 Bänden VIII (1986), S. 382 (Zusatz zu § 230) es Kant nicht zu Unrecht zum Verdienst angerechnet, auf die notwendige Trichotomie in der Sphäre des Geistes aufmerksam gemacht zu haben. 12 Zur Dialektik in der Entgegensetzung von Naturrecht und Rechtspositivismus siehe besonders das achte Kapitel. 11

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A. Vernünftige Einteilung des dem Rechtsbegriff zugrunde liegenden Pflichtbegriffs Diese rein begriffliche Entwicklung des Rechtsbegriffs im Hauptteil der Rechtslehre wird somit nur dort überhaupt als solche begriffen werden können, wo die den Einteilungen zugrundeliegende Methode rein begrifflicher Erkenntnis mit den dazugehörigen logischen Implikationen schon hinreichend begriffen ist. Wenn dann einer der profiliertesten rechtsphilosophischen Kantforscher der letzten Dekaden anlässlich der Kantischen Einteilung der Rechtspflichten einen Satz wie den Folgenden auch in der dritten Auflage seiner Habilitationsschrift noch immer unwidersprochen zum Druck gibt, so erweist sich dies allerdings als sehr aufschlussreich für den bisher erreichten Stand der metaphysischen Auffassung der Kantischen Rechtsmetaphysik: „Im zweiten Teil des Einleitungskapitels der Rechtslehre reiht Kant lediglich Einteilungen und Gliederungen aneinander, deren jede so unvorbereitet gesetzt wird wie die den Einteilungsreigen anführende dreigliedrige Rechtspflichtentafel selbst. Da es an jeder argumentativen Einbettung fehlt, die Pflichtentrias völlig kontextlos dasteht, sieht sich die Interpretation dieses Rechtspflichtenkanons vor große philologische und systematische Probleme gestellt, und sie kann von vornherein nicht hoffen, mehr als plausible Vermutungen hinsichtlich der Bedeutung der inneren Rechtspflicht in Kants Alterswerk zu entwickeln.“13

I. Die drei Formeln der Rechtspflichten als Einteilungsprinzipien des Systems der Rechtspflichten Soll die gesamte Sphäre des allgemeinen Rechtsbegriffs hinsichtlich des in ihm unter dem Sittengesetz vorgestellten Rechtspflichtbegriffs vernünftig eingeteilt werden, so muss diese Einteilung nicht nur vermutlich, sondern sogar sehr gewiss aus genau drei vernunftschlüssig einander subordinierten Gliedern bestehen, deren drittes Glied sich durch schlüssige Ableitung des zweiten Gliedes aus dem „Prinzip“ des ersten Gliedes ergibt.14 Das Prinzip – d. h. der praktische Grundsatz – dieser 13 Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 167 Fn. 217; vgl. ähnlich urteilend beispielsweise auch Höffe, in: Gerhardt/Horstmann/Schumacher (Hrsg.): Kant und die Berliner Aufklärung I (2001), S. 275 („thetisch, zum Teil sogar kryptisch“); Pippin, in: Höffe (Hrsg.): Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (1999), S. 63 ff. („[…] the notion of Rechtspflicht (juridical duty) itself is not a topic we have been much prepared for“), vgl. ferner Brandt, in: Brandhorst/Hahmann/Ludwig (Hrsg.): Sind wir Bürger zweier Welten? (2012), S. 311 (330 f.); Friedrich, Eigentum und Staatsbegründung (2004), S. 59. 14 Kant benennt das Prinzip der Synthesis a priori anlässlich seiner Einteilung der Rechtspflichten sogar ausdrücklich und noch mehr wird man in einer nach wissenschaftlicher Methode streng systematisch vorgehenden Schrift auch nicht verlangen können: „Also sind obstehende drei classische Formeln zugleich Eintheilungsprincipien des Systems der Rechtspflichten in i n n e r e , ä u ß e r e und in diejenigen, welche die Ableitung der letzteren vom Princip der ersteren durch Subsumtion enthalten.“ (RL, AA VI: 237.09-12).

A. Vernünftige Einteilung des Pflichtbegriffs

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Einteilung kann aber ursprünglich nur der praktische Freiheitsbegriff als Autonomie (d. h. nicht schon als Moralität) sein, wie er in der reinen Allgemeinwillentlichkeit des Grundgesetzes der reinen praktischen Vernunft als objektiv real erkannt wird (§§ 6, 7, 8 KpV), denn diese reine praktische Vernunftvorstellung15 enthält das Subordinationsverhältnis eines freien Einzelwillens unter einen reinen Allgemeinwillen. Also ist – wie schon anlässlich § B Abs. 2 bemerkt – der reine Allgemeinwille als Vorstellungsform des Grundgesetzes der reinen praktischen Vernunft das bestimmende Prinzip im Rechtsbegriff überhaupt und mithin auch im moralischen Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) des für Menschen gültigen Sittengesetzes unter dem Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft. Soll somit dieser moralische Begriff des Rechts hinsichtlich der in ihm vorgestellten Pflichtrelation eines freien Willkürsubjekts unter einem gesetzlichen Allgemeinwillen eingeteilt werden, dann kann dies für ein solches Willkürsubjekt nur im Hinblick auf diesen Vernunftgedanken von einem gesetzlichen Allgemeinwillen über ihm selbst geschehen, darin es sich die ganze Menschheit als an sich selbst vernünftiges Rechtssubjekt vorstellen muss.16 Bevor aber die autonomietheoretische Implikation dieser alles Recht der Menschen begründenden Relationsvorstellung, und zwar in dem sie verdeutlichenden Gegensatz zu einem abstrakten Rechtsdenken in bloßen Interpersonalverhältnissen, das einem gegenwärtig ganz vorherrschenden Kantverständnis offensichtlich zu entsprechen scheint, erläutert werden soll, ist die schlüssige Ableitung der drei Glieder zunächst selbst in ihrem inneren Zusammenhang kurz nachzuvollziehen:

1. Rechtliche Achtung seiner selbst (lex iusti) Adressat und insofern Objekt einer Pflicht kann überhaupt nur ein freies Willkürsubjekt (Person) unter dem Sittengesetz sein (§ 7 KpV). Folglich kann Adressat und Objekt einer Rechtspflicht in Ansehung äußerer Handlungen unter dem sittengesetzlichen Rechtsgesetz (= lex) und Rechtsbegriff ebenso nur eine solche Person sein. Also wird auch im Rechtspflichtbegriff das Subordinationverhältnis einer Person unter einem gesetzlich bestimmten Willen in Ansehung äußerer Handlungen gedacht. Ein gesetzlich bestimmter Wille aber ist ein freier Wille und folglich ist das eigentliche Subjekt einer Pflichtrelation der eigene freie Wille (d. h. die Persönlichkeit) einer Rechtsperson unter seinem sich selbst ursprünglich spontan 15

Siehe dazu nochmals das erste Kapitel. Die „Menschheit“ als das moralisch bestimmende „Allgemeine“ in der eigenen Person bezeichnet das moralisch-intelligible „Weltverhältnis“ des moralischen Subjekts, das auf Ebene der reinen Vernunft bereits mit allen anderen Vernunftsubjekten a priori jederzeit notwendig in einer moralischen Welteinheit (dem sog. mundus intelligibilis) verbunden ist. Insofern trägt der Mensch die ihn an und für sich selbst verbindende „Idee der Menschheit […] als das Urbild seiner Handlungen in seiner Seele“ (A 318/B 374). Der Weltbegriff („mundus“) scheint also schon ursprünglich nicht in erster Linie von einer räumlichen und mithin sinnlichen Vorstellung auszugehen, sondern meint zunächst wohl eher übersinnlich und insofern intelligibel die „Menschheit“ bzw. die „Geschlechter der Menschen“ überhaupt, vgl. dazu Kluge/Seebold, Etymologisches Wörterbuch (201125), S. 981 f. 16

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6. Kap.: Die Einteilung des allgemeinen Begriffs des Rechts

vorgestellten Grundgesetz seiner reinen praktischen Vernunft. Die gesetzliche Bestimmung dieses frei bestimmten Willens resultiert dabei aus der in der Form des Grundgesetzes sich selbst vorgestellten Allgemeinwillentlichkeit. Also betrifft die Rechtspflicht im moralischen Begriff des Rechts zunächst im ersten Einteilungsglied nur das allgemeingesetzlich bestimmte Verhältnis des Willens zur Willkür einer Person in Ansehung äußerer Handlungen. Die rechtliche Verpflichtungsrelation einer Person findet somit ursprünglich im rechtlichen Selbstverhältnis zu ihrer eigenen menschheitsrechtlich bestimmten Persönlichkeit statt,17 obgleich die so vorgestellte Rechtspflicht hinsichtlich ihres Gegenstandes nur auf die äußeren Handlungen einer Rechtsperson überhaupt (d. h. nicht etwa auf innere Handlungen) gerichtet ist.18 Es gilt folglich für alle Rechtspflichten unter dem Sittengesetz ein Satz Immanuel Kants aus seiner Tugendlehre, den dieser dort mit Blick auf den Begriff der Pflicht überhaupt notiert: „Denn ich kann mich gegen Andere nicht für verbunden erkennen, als nur so fern ich zugleich mich selbst verbinde: weil das Gesetz, kraft dessen ich mich für verbunden achte, in allen Fällen aus meiner eigenen praktischen

17 Brandt, in: Brandhorst/Hahmann/Ludwig (Hrsg.): Sind wir Bürger zweier Welten? (2012), S. 311 (352 ff.), der offenbar nicht zwischen Recht der Menschheit und Recht der Menschen unterscheidet, thematisiert, wie sich die innere Rechtspflicht aus dem Recht der Menschheit ableiten lassen soll, wenn doch im Recht der Menschen die Pflicht eigentlich dem Recht vorausgehen muss. Er kommt so zu dem verblüffenden Ergebnis, dass sich das Recht der Menschheit eigentlich aus der (inneren) Pflicht ableiten müsste. Kant habe aber darauf verzichtet, den „Zirkel […] als einen nicht vitiösen zu thematisieren“. 18 Mit dem deutlichen methodologischen Bewusstsein der Differenz von Inhalt und Umfang eines Begriffs erklärt sich hier in seiner Entwicklung auch der zunächst Rätsel aufgebende Satz Immanuel Kants zur inneren Rechtspflicht (RL, AA VI: 236.28-30): „Diese Pflicht wird im folgenden als Verbindlichkeit aus dem R e c h t e der Menschheit in unserer eigenen Person erklärt werden […].“ Denn eine Erklärung des eingeteilten Gattungsbegriffs dieser inneren Rechtspflicht lässt Kant nirgendwo in der Rechtslehre folgen, sodass die angekündigte Erklärung in rechtsphilosophischen Kantforschung schon vermisst wurde, vgl. dazu etwa Brandt, in: Brandhorst/ Hahmann/Ludwig (Hrsg.): Sind wir Bürger zweier Welten? (2012), S. 311 (312 ff./352 ff.) oder auch Rühl, Kants Deduktion des Rechts als intelligibler Besitz (2010), S. 53. – Wohl aber findet sich in der Totalität des reinen Rechtsdenkens unter dem eingeteilten allgemeinen Rechtsbegriff und mithin auch unter dem Gattungsbegriff einer inneren Rechtspflicht – der ja nur eine bestimmte Art von Rechtspflichten allgemein vorstellt – eine bestimmte Rechtsart (§ 22), die für sich selbst und mithin auch in der ihr begrifflich vorausgesetzten Rechtspflicht nur aus dem „Recht der Menschheit“ erklärlich ist. Also lässt sich unter dem Gattungsbegriff der inneren Rechtspflicht in der Totalität des rein begrifflichen Rechtsdenkens unter dem allgemeinen Begriff des Rechts eine schon bestimmte innere Rechtspflicht denken, darauf sich die beim Gattungsbegriff dieser inneren Rechtspflicht angekündigte Erklärung bezieht. Die Ankündigung ist darum auch nicht einfach nur auf Textstellen außerhalb der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre zu beziehen, wie Oberer, in: Doyé/Heinz/Rameil (Hrsg.): FS Baum (2004), S. 203 (210) dies annehmen muss, wenn er die Wendung „im folgenden“ auf den Aufsatz „Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen“ (1797) beziehen möchte. Erheblich plausibler ist es da schon, wenn man die vermisste Erklärung mit Hirsch, Freiheit und Staatlichkeit bei Kant (2017), S. 185 f. in den nachfolgenden Einteilungen RL, AA VI: 239 f. verortet.

A. Vernünftige Einteilung des Pflichtbegriffs

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Vernunft hervorgeht, durch welche ich genöthigt werde, indem ich zugleich der Nöthigende in Ansehung meiner selbst bin.“19 Das erste Moment einer jeden sittengesetzlichen Rechtspflicht in Ansehung äußerer Handlungen geht also dahin, überhaupt eine Person und nicht nur tierisches Menschenwesen zu sein. Es lautet darum: „1) S e i e i n r e c h t l i c h e r M e n s c h (honeste vive).“20 Im Ausgang von der Menschheitsformel des uneingeschränkten sittengesetzlichen kategorischen Imperativs21 besteht die Art dieser Rechtspflicht im rechtsgesetzlichen Selbstverhältnis („lex iusti“) darin, die Menschheit in der eigenen Person in der äußeren Wirklichkeit jederzeit als Zweck und niemals bloß als Mittel zu behandeln. Eine Rechtsperson schuldet demnach der in ihrer Person berechtigt vorgestellten Menschheit, als dem intelligiblen Substrat, sich selbst, als eines Teils derselben, äußerlich niemals bloß als Mittel zu irgendeinem Zweck, sondern jederzeit auch als Zweck an sich selbst zu achten. Im äußeren Handlungsumgang ist es einer Rechtsperson daher verboten, sich anderen Menschen zum bloßen Mittel ihrer willkürlichen Zwecke zu machen und zugleich ist es ihr umgekehrt geboten, sich für sie jederzeit auch selbst als Zweck, d. h. als autonomes Willenssubjekt zu behaupten. Die innere Rechtspflicht kann daher auch lauten: „Mache dich anderen nicht zum bloßen Mittel, sondern sei für sie zugleich Zweck“.22 Wollte man nun an dieser Stelle des Gedankens die gewiss nicht uninteressante Frage aufwerfen, wie denn die Vorstellung von anderen Menschen/Personen (d. h. der Gedanke der Interpersonalität) in das rechtliche Selbstverhältnis einer Rechtsperson (d. h. in den Gedanken der Intrapersonalität) gedanklich hineinkommt,23 so wäre darauf aus der bis hierher entwickelten Warte zu antworten, dass sich der Mensch selbst erst unter seinem grundgesetzlichen Vernunftbegriff der Menschheit an und für sich selbst als solcher vernünftig begreifen kann, denn das Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft (§ 7 KpV), darin dieser Begriff der Menschheit wohl bestimmend gedacht wird, ist nichts anderes als das reine praktische Selbstbewusstsein eines freien Willens, damit aber auch das praktische Selbstbewusstsein eines Menschen als Person: der Begriff der Menschheit ist ein Gattungs-, der Begriff des Menschen ist ein Artbegriff.24 Die im begrifflichen Denken notwendig aufkommende Frage nach der Interpersonalität setzt also in ihrer Beantwortung den Kantischen Freiheitsbegriff schon für sich selbst voraus, und eben deshalb ist die hier an dieser Stelle begrifflichen Rechtsdenkens nur schlüssig einzuteilende rechtsge19

TL, AA VI: 417.25-418.03. RL, AA VI: 236.24. 21 „H a n d l e s o , d a ß d u d i e M e n s c h h e i t s o w o h l i n d e i n e r P e r s o n , als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Z w e c k , n i e m a l s b l o ß a l s M i t t e l b r a u c h s t . “ (GMS, AA IV: 429.10-12). 22 RL, AA VI: 236.27-28. 23 Diese begriffliche Unterscheidung zwischen dem intra- und interpersonalen Verhältnis findet sich auch bei Köhler, JRE 14 (2006), S. 425 (438); Eppeneder, Das ,Recht der Menschheit in der Pflichtenlehre Kants‘ (1980), S. 103. 24 Vgl. dazu auch Ju, Kants Lehre vom Menschenrecht (1990), S. 95 ff. 20

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6. Kap.: Die Einteilung des allgemeinen Begriffs des Rechts

setzliche Relation im äußeren Verhältnis der Menschen bereits begriffliches Vorstellungsmerkmal im moralischen Begriff des Rechts (§ B Abs. 2 – 3). Würde eine solche Frage nach der Interpersonalität dagegen als kritische Nachfrage an das Kantische Rechts- und Freiheitsdenken – so wie es bis hierher Stück für Stück entwickelt wurde – in der Sache selbst aufzufassen sein, so müsste sie wohl für sich selbst ein philosophisches System von Begriffen begründet voraussetzen können, darin sich der Mensch auch unabhängig von seinem reinen praktischen Selbstbewusstsein (§ 7 KpV) als Person selbst begreifen könnte. Ein solches System würde darum ein spekulatives System des Selbstbewusstseins sein, darin sich der Mensch schon unabhängig von seiner praktischen Vernunft (d. h. seinem Willen) durch bloßes Denken (d. h. reine Vernunft), mithin schon bloß theoretisch an sich selbst erkennt, und das also in der Sache den Gedanken des Paralogismenkapitels der Kritik der reinen Vernunft (A 341 ff./B 399 ff.) gründlich widerlegt, nach dem eine solche Theorie vom reinen Selbstbewusstsein für Kant unmöglich ist, weil sich das denkende Subjekt im bloßen Denken (vermittelst Begriffen) an sich selbst nur beständig um sich selbst herumzudrehen vermag, eben weil es sich als denkendes Subjekt im Denken (d. h. in Begriffen) stets schon selbst über sich selbst gedanklich voraussetzen muss. Eine solche spekulative Theorie verfügte dann aber gewiss auch über einen Kant indes noch unbekannten Begriff von Begriff, der nicht länger auf die logische Unterscheidung von Inhalt und Umfang desselben angewiesen ist, und auf diese begrifflich überlegene Weise seines Vorstellungsvermögens (intellektueller Anschauung) natürlich auch die logische Differenz von Begriff und Gegenstand in der Vorstellung eines Begriffs bzw. in der begrifflichen Vorstellung des denkenden „Ich“ zur unmittelbar (selbst-)bewussten Identität im Denken aufhebt. Somit wäre jedenfalls die Frage nach einer Interpersonalität, die sich selbst noch vor der Autonomie eines freien Willens mit objektiver Realität notwendig bestimmt denken zu können behauptet, an einem wohl auch nach ihrer Vorstellung anderen Ort im Denken schon zu stellen, weil sie nach eigenem Anspruch einen noch tiefer im Denken liegenden Ausgangspunkt beanspruchen muss, als dies die Kantische Begriffslehre25 für sich vermag. Das Kantische Rechts- und Freiheitsdenken auf der Grundlage seiner (praktischen) Selbstbewusstseinstheorie (§ 7 KpV), das nach hiesigem Verständnis allerdings auf der gedanklichen Zumutung der logischen Differenz von Inhalt und Umfang eines Begriffs noch beruht, kann dabei aus den vorstehenden Gründen nicht für ein derart begrifflich abgehobenes Denken beansprucht werden.

2. Rechtliche Achtung seinesgleichen (lex iuridica) Ein Rechtsdenken in bloßen Interpersonalverhältnissen auf der gedanklichen Grundlage der Kantischen Rechtslehre, das über einen tiefer im Denken liegenden Punkt allerdings tatsächlich nicht verfügt, kann seinen Ausgang dann ausweislich 25

Siehe zu dieser besonders KrV, A 50 ff./B 74 ff., Logik, AA IX: 91 ff. (§§ 1 ff.).

A. Vernünftige Einteilung des Pflichtbegriffs

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seines Begriffs nur bei bloß äußeren Rechtspflichten nehmen.26 Diese Art von Rechtspflicht bildet im Rahmen des Kantischen Rechtsdenkens das zweite und der inneren Rechtspflicht bloß verständig (kontradiktorisch27) entgegengesetzte Glied in der Einteilung des rechtsbegrifflichen Pflichtbegriffs: „ 2 ) T h u e n i e m a n d e n U n r e c h t (neminem laede)“28. In dieser kontradiktorischen Entgegensetzung innerer und bloß äußerer Rechtspflicht29 ist die einheitliche sowie ursprünglich vernunftschlüssige Verbindung beider Arten von Rechtspflichten in dem ihnen übergeordneten Vernunftbegriff des Rechts allerdings für den bloßen Verstand dieses kontradiktorischen Begriffs nicht bewusst. Insofern fehlt diesem Einteilungsglied also für sich in seiner beschränkten Isolierung noch eine schlüssige Vermittlung mit dem reinen praktischen Selbstbewusstsein eines freien Willens (§ 7 KpV) über ihm. Jedes Rechtsdenken, das von einem solchen verständig beschränkten Begriff von äußerer Rechtspflicht seinen Ausgang nehmen wollte, käme also über ein bloß nominales Privatrechtsdenken nicht hinaus und es ist an dieser Stelle überaus bemerkenswert bzw. symptomatisch bezeichnend, dass ausgerechnet eine privatrechtsspezifische Lesart der Kantischen Rechtslehre – wie noch auseinanderzusetzen ist – nicht eben geringe Probleme mit der originär rechtlichen Qualität der dieser bloß äußeren Rechtspflicht vernunftschlüssig vorgeordneten inneren Rechtspflicht hat, weil diese Lesart für sich selbst im Naturzustand eine äußere Verpflichtung in Eigentums- oder Besitzverhältnissen denken will, die ihren Ausgang jedenfalls nicht im Willen des vermeintlich einseitig schon von fremder Seite verpflichteten Rechtssubjekts haben soll, und so gedanklich von einer mit dem im Ursprung allgemeinwillentlichen Autonomiebegriff (§§ 7, 8 KpV) unvereinbaren ursprünglichen Fremdverpflichtung im bloßen Interpersonalverhältnis ausgeht. Eine bloße Rechtsperson unter dem allgemeinen Rechtsbegriff ist bloß für sich selbst aber nicht schon ein allgemeinwillentliches Subjekt, sondern lediglich allgemeinwillentliches Objekt dieses Begriffs, sodass ein solches bloß verständiges Rechtsdenken in reinen Interpersonalverhältnissen wohl schlicht Subjekt und Objekt bzw. Begriff und Gegenstand im Hinblick auf § B Abs. 3 nicht zutreffend unterscheidet. Denn für den bloßen Verstand ist ein Willkürsubjekt eben – wie es analytisch in seinem Begriff liegt – immer nur Subjekt; für die praktische Vernunft, die selbst nur Subjekt ist, ist ein Willkürsubjekt in ihrem praktischen Rechtsbegriff dagegen das Objekt der Bestimmung. Im Ausgang von einem Objekt der Bestimmung lässt sich aber keine Verpflichtung als Bestimmung im vernünftigen Einklang mit der Autonomie des 26

Siehe dafür beispielsweise auch Kersting, Kant über Recht (2004), S. 51 f. „Neminem laede – so lautet die Grundpflicht“. 27 Das ist die erste allgemeine Regel einer logischen Einteilung, Log, AA IX: 146 f. (§ 111). 28 RL, AA VI: 236.31-33. 29 Dem Inneren ist das Äußere entgegengesetzt, wobei es sich abermals (vgl. schon oben Fn. 64 im fünften Kapitel) um Reflexionsbegriffe des reinen Verstandes handelt, die aller Reflexion zugrunde liegen (A 265 f./B 321 f.), sodass sich diese Disjunktion zur logischen Einteilung eines Vernunftbegriffs anbietet, weil sie ein rein begriffliches Verstandesmerkmal bemüht.

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6. Kap.: Die Einteilung des allgemeinen Begriffs des Rechts

Subjekts ursprünglich denken. Das ist nach hiesigem Verständnis von Autonomie das ganze und sie schließlich zum Scheitern verurteilende Problem jeder privatrechtsspezifischen Lesart, die im natürlichen Privatrecht vor dem Staat unter dem allgemeinen Begriff des Rechts nicht subjektive äußere Rechte im Hinblick auf ihn bloß „für provisorisch“ erkennt, sondern schon vor ihm ,als provisorisch‘ unabhängig von ihm erworben haben und als Grund- bzw. Abwehrrechte kritisch gegen ihn in Ansatz bringen will; sich mithin gründlich negativ zu ihm verhält. Doch das hinter der äußeren Rechtspflicht schlüssig stehende Berechtigungssubjekt ist in Wahrheit auch gar nicht die bloße Person eines anderen, sondern die Menschheit in der Person eines anderen. Im Ausgang von der Menschheitsformel des kategorischen Imperativs unter dem sittengesetzlichen Rechtsgesetz („lex iuridica“) besteht eine äußere Rechtspflicht dann darin, die Menschheit in der Person aller anderen Menschen in äußeren Handlungen niemals bloß als Mittel zu behandeln, sondern sie in diesen äußeren Handlungen jederzeit auch als Zweck an sich selbst zu achten. Die vermeintliche Alternative, sofern die bloß äußere und noch unschlüssige Rechtspflicht nicht erfüllbar sein sollte, sich aus aller menschlichen Gesellschaft zu entfernen,30 ist also in Wahrheit nur eine Alternative des Denkens für den bloßen Verstand, nicht aber für den Willen der reinen Vernunft; sie ist insofern bloßer Schein des Denkens.31 3. Rechtliche Achtung überhaupt (lex iustitiae) Aus diesem Grund resultiert eine dritte und an sich selbst vernünftige Art von Rechtspflicht, wenn die äußere Rechtspflicht nicht bloß für sich selbst der inneren Rechtspflicht unvermittelt entgegengesetzt, sondern in ihrem Moment der Entgegensetzung zugleich auch schlüssig vermittelt aus dem Prinzip der inneren Rechtspflicht,32 d. h. aus dem Recht der Menschheit im Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft (§ 7 KpV), abgeleitet im Rechtsdenken vorgestellt wird: „3) T r i t t (wenn du das letztere nicht vermeiden kannst) in eine Gesellschaft mit Andern, in welcher Jedem das Seine erhalten werden kann (suum cuique tribue).“33 Erst mit dieser Art einer allseitigen Rechtspflicht, jede – die eigene und fremde – Rechtsperson äußerlich nicht bloß als Mittel, sondern stets auch als Zweck an sich selbst zu behandeln, d. h. ihr so ihr Recht tätig anerkennend zu gewähren, lässt sich 30

RL, AA VI: 236.31-33. Dagegen will Höffe, in: Gerhardt/Horstmann/Schumacher (Hrsg.): Kant und die Berliner Aufklärung I (2001), S. 275 (280 f.) hier eine echte Alternative erblicken; Pinzani, ZPhilF 59 (2005), S. 71 (79) findet die Bemerkungen Kants „verblüffend“; vermittelnd Zaczyk, ARSPBeiheft 56 (1994), S. 105 (117): „merkwürdig, aber erklärbar“. 32 Höffe, in: Gerhardt/Horstmann/Schumacher (Hrsg.): Kant und die Berliner Aufklärung I (2001), S. 275 (282) stellt hier in dieser Ableitung verkürzend auf die innere Rechtspflicht selbst und nicht auf das ihr übergeordnete Prinzip, d. h. alle Rechtspflichten verbindende Allgemeine ab. 33 RL, AA VI: 237.01-03. 31

A. Vernünftige Einteilung des Pflichtbegriffs

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dann unter ihr eine äußere rechtliche Wirklichkeit einer Vielzahl von Rechtspersonen unter dem allgemeinen Begriff des Rechts rechtsbegrifflich einheitlich begründet denken. Deswegen ist diese dritte allgemeine Rechtspflicht, die als bloßer Artbegriff möglicher Rechtspflichten unter dem allgemeinen Rechtsbegriff nur eine bestimmte Gattung von näher gekennzeichneten Rechtspflichten vorstellt, und insofern selbst noch keine begriffliche Spezifizierung in Ansehung des inneren oder äußeren Mein und Dein in sich enthält, noch nicht selbst identisch mit derjenigen praktisch-notwendigen Pflicht zum öffentlichen Recht (§ 42 Abs. 1), die sich erst in Ansehung des äußeren Mein und Dein unter dem allgemeinen Rechtsbegriff und mithin erst unter der in seiner Sphäre nur allgemein eingeteilten Art allseitiger Rechtspflichten mit begrifflich vermittelnder Notwendigkeit auch praktisch bestimmend erkennen lässt. Obgleich also die naturrechtliche Rechtspflicht zum Staat als eine konkret bestimmte allseitige Rechtspflicht unter diesen Gattungsbegriff einer allseitigen Rechtspflicht gehört, ist sie mit diesem Begriff nicht schon identisch und es wäre abermals abstraktes und noch dazu ein sehr ungeduldiges Rechtsdenken, einer solchen Gleichsetzung schon auf Ebene der bloßen Einteilung der Sphäre des moralischen Rechtsbegriffs das Wort zu reden.34 Nun liegt es auf der Hand, dass sich ein ohnehin nur abstrakt vorgehendes und sich eigentlich schon selbst genügsames Privatrechtsdenken mit dieser allgemeinen Art von allseitiger Rechtspflicht und ihrer konkreten vernunftbegrifflichen Entwicklung in der Totalität des allgemeinen Rechtsbegriffs unter ihm ein nicht geringes Verständnisproblem einhandeln muss: Nach hiesigem methodologischen Verständnis wird unter dem allgemeinen Rechtsbegriff sowohl die Vorstellung des natürlichen Privatrechts, als auch die des Staatsrechts in ihrem schlüssig vermittelten Zusammenhang, und zwar rein begrifflich mit zunehmend intensiver Deutlichkeit im Ausgang vom angeborenen Recht der Freiheit als bloßer äußerer Unabhängigkeit einer Rechtsperson zu entwickeln sein, sodass sich auch die praktische Notwendigkeit des Staates für eines solches Rechtssubjekt mitsamt der zu ihm gehörigen allseitigen Pflicht, in ihn überzugehen, innerhalb der natürlichen Privatrechtslehre zusehends verdeutlichen wird. Für ein abstraktes Privatrechtsdenken wird sich die praktische Notwendigkeit des Staates analytisch mit dem vermeintlich schon für sich selbst bestehenden Privatrechtsbesitz verknüpft und so scheinbar bereits im ersten Hauptstück der natürlichen 34 Siehe dafür in der Tendenz besonders Friedrich, Eigentum und Staatsbegründung (2004), S. 69, 157 ff., der auf diese Weise immerhin eine eigentumstheoretische Lesart der Kantischen Staatsbegründung (z. B. durch Kersting, etc.) kritisieren will, sowie ironischerweise zeitgleich auch Kersting, Kant über Recht (2004), S. 51 ff., der auf diese Weise kurzerhand Kant für seine (vermeintlich) eigentumstheoretische Staatsbegründung kritisieren möchte. Zu seinen Begriffsverständnis daher sogleich. Neuerdings hat auch Hirsch, Freiheit und Staatlichkeit bei Kant (2017), S. 254 diese Tendenz in Teilen aufgegriffen.

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6. Kap.: Die Einteilung des allgemeinen Begriffs des Rechts

Privatrechtslehre ergeben (§§ 1 – 9), sodass der auf diese analytische Verknüpfung nicht Rücksicht nehmende § 42 als Zusatzbegründung erscheinen muss, nach der Kant zudem auch über einen anthropologisch noch angehauchten Weg der Staatsbegründung zu verfügen scheint.35 Weil aber beide tatsächlich nur subjektiv vermeinten Ableitungsarten der praktischen Notwendigkeit des Staates einen freien Willen unter einem allgemeinen Gesetz, und zwar mit seinem Begriff von Autonomie als allgemeingesetzlicher Selbstvorstellungstätigkeit (§ 7 KpV), in der Tat intellektuell nicht befriedigen können, da sie, mit dem empirischen Einzelwillen eines als für sich selbst schon seinesgleichen verpflichtend vorgestellten Willkürsubjekts, ursprünglich noch immer in blanker Heteronomie gründen,36 muss sich dann selbst unter den herausragenden Vertretern einer eigentumstheoretischen Lesart plötzlich Kritik an dieser nur vermeintlichen Begründungweise Immanuel Kants entladen, die überdies auch gleich einen neuen und scheinbar aussichtsreichen Kandidaten für diese Begründungsleistung bei sich führt, nämlich die dritte allgemeine Art der Rechtspflichten überhaupt bzw. das diese allseitige Pflicht innerlich fundierende Moment. So titelt dann beispielsweise derselbe Wolfgang Kersting, der zuvor noch erklärt hatte, es ließen sich bezüglich der Allgemeinen Einteilung der Rechtspflichten nur Vermutungen anstellen,37 in einer Interpretation jüngeren Datums und im Gestus einer zur Überzeugung gereiften Einsicht: „Das Recht der Menschheit ist ein Recht auf Republik“38. Unter diesem Begriff des Rechts der Menschheit versteht Kersting dabei aber – schon begrifflich reduziert – nur das angeborene Recht der Freiheit (d. h. das innere Mein und Dein),39 das richtig verstanden erst eine begriffliche Folge aus und unter dem Recht der Menschheit in der Person eines jeden freien Willkürsubjekts ist,40 sodass hier eine sehr unglückliche Verwechslung eines (ersten) Teils des „Rechts der Menschen“ mit dem „Recht der Menschheit“ überhaupt vorliegt. Ist diese begriffliche Reduktion einmal deutlich bemerkt, so sieht man gegen Kerstings nicht näher belegte Behauptung41 auch, dass Kant weder das angeborene Recht der Freiheit, noch das Recht der Menschheit als „Menschheitsrecht“ bezeichnet, denn dieser Begriff findet sich in der Kantischen Rechtslehre überhaupt nirgendwo. Es muss daher deutlich davor gewarnt werden, das als intelligibler Grund fungierende „Recht der Menschheit“ mit dem in der Folge darunter begrifflich vermittelt gedachten „Recht der Menschen“, das sich seinerseits in angeborenes und erworbenes 35

Siehe zu dieser Lesart kritisch schon oben unter B. III. 1. im vierten Kapitel. Auf die aus einer eigentumstheoretische Lesart resultierenden Schieflagen weist beispielsweise auch Hespe, in: Bacin/Ferrarin/La Rocca/Ruffing (Hrsg.): Kant und die Philosophie in weltbürgerlicher Absicht III (2013), S. 809 f. hin. 37 Siehe oben Fn. 13. 38 Kersting, Kant über Recht (2004), S. 51. 39 Kersting, Kant über Recht (2004), S. 48 – 50. 40 RL, AA VI: 237.29-32. 41 Kersting, Kant über Recht (2004), S. 49. 36

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Recht einteilt,42 im Begriff vom „Menschheitsrecht“ zu einer ununterscheidbaren Einheit zu verschmelzen.43 Auf eben dieser Verschmelzung beruht allerdings der von Wolfgang Kersting an dieser Stelle kritisch gegen die – von ihm zuvor tatsächlich sehr unkritisch herbeiinterpretierte – privatrechtsspezifische Staatsbegründung Immanuel Kants erhobene Einwand: „Dem Rechtsgesetz selbst, dem inneren Mein und Dein und dem angeborenen Freiheitsrecht, also allen dem Privatrecht vorausgehenden und es begründenden vernunftrechtlichen Fundamentalprinzipien, spricht Kant keinerlei systematische Bedeutung für eine vernunftrechtliche Staatsbegründung zu. Diese systematische Auszeichnung des Privatrechts ist jedoch nicht im Mindesten gerechtfertigt. Nicht erst die rechtliche Ungesichertheit des äußeren Mein und Dein führt zu der vernunftrechtlichen Forderung des Staates: daß der Naturzustand zu verlassen sei, verlangt bereits das angeborene Freiheitsrecht selbst. Mehr noch: Angesichts der systematischen Vorrangigkeit der Rechtsperson gegenüber ihren rechtlichen Besitzverhältnissen kommt einem im angeborenen Freiheitsrecht selbst verankerten Staatsbegründungsgebot sogar systematische Vorrangigkeit zu. Das von Kant explizit aus dem Privatrecht abgeleitete Postulat des öffentlichen Recht kann nicht mehr sein als eine systematische Ergänzung der bereits mit dem Menschheitsrecht selbst notwendig verknüpften Rechtspflicht, den Naturzustand zu verlassen. Kants Marginalisierung des Rechtsgesetzes und des angeborenen Freiheitsrechts muß revidiert werden. Nur so kann die von ihm aus dem Gleichgewicht gebrachte systematische Architektonik der Rechtsmetaphysik wieder restabilisiert werden.“44

An dieser harschen Kritik des Interpreten an dem von ihm interpretierten Autor, die hinfällig wird, insofern man sich selbst nicht der entscheidenden begrifflichen Unterscheidungsmerkmale zuvor beraubt, weil man wichtige Einteilungsebenen gedanklich kurzerhand überspringt, ist nun aber – wie noch gezeigt werden wird – bereits die Prämisse im ersten Satz verfehlt, danach sich die Kantische Staatsbegründung nur auf das äußere Mein und Dein – d. h. ein bestimmtes Einteilungsglied schon unter dem allgemeinen Rechtsbegriff/-gesetz – beschränkt. Richtig ist allerdings, dass eine solche Auszeichnung des Privatrechts auch in der Sache nicht gerechtfertigt werden könnte, sondern vielmehr ein begrifflich ununterbrochener Zusammenhang bestehen muss, der alle Vernunftbegriffe des Rechts in Ansehung des inneren und äußeren Rechtsbesitzes unter dem allgemeinen Rechtsbegriff in der Totalität dieses Begriffs innerlich miteinander verknüpft, und zwar nach der im vierten Kapitel explizierten „Architektonik“. Insofern wird Wolfgang Kersting an der hier zu entwickelnden Kritik an der auch von ihm zuvor maßgeblich propagierten privatrechtsspezifischen Lesart der Kantischen Rechtslehre nichts auszusetzen finden. Es wird dabei nur nicht Kants „Marginalisierung“ gewisser Systemelemente, sondern die seiner Interpreten revidiert werden. Dass die allgemeine Art der dritten Rechtspflicht noch nicht auf konkret bestimmte allseitige Rechtspflichten in An42

RL, AA VI: 237.18-23 (siehe zu dieser Einteilung erst noch unten unter B. II.). Zu Recht kritisch daher auch Hirsch, Freiheit und Staatlichkeit bei Kant (2017), S. 185 Fn. 86. 44 Kersting, Kant über Recht (2004), S. 51. 43

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sehung des inneren oder äußeren Mein und Dein begrifflich spezialisiert ist, lässt sich übrigens auch schon an dem in der Allgemeinen Einteilung der Rechtspflichten verwendeten Begriff „das Seine“ belegen. Denn dieser Begriff ist selbst ein allgemeiner Oberbegriff für alles mögliche (innere oder äußere) Mein und Dein. In diesem Zusammenhang steht ein weiterer Erläuterung bedürftiger Satz Immanuel Kants, dem gemäß die dritte Rechtspflichtart insbesondere nicht besagt, man solle jedem das „ S e i n e “ geben, „denn man kann niemanden etwas geben, was er schon hat“:45 Mit dem Begriff „das Seine“ ist dabei in einer metaphysischen Rechtslehre allerdings kein bloß physischer Gegenstand in Raum und Zeit als physischer Besitz angesprochen, sondern die allgemeine Vorstellung eines bestimmten Rechtsbesitzes irgendeines Gegenstandes überhaupt. Dementsprechend besagt die Art der dritten Rechtspflicht nach Kant auch nicht, dass man jemanden im rechtlichen Zustand einen Rechtsbesitz (als das Seine) geben solle, den er rechtlich schon hat. Aus diesem Grund läge an dieser Stelle nun zunächst eine privatrechtsspezifische Lesart nahe, die bekanntlich die Behauptung aufstellt, jemand könne einen Rechtsbesitz schon vor dem Staat provisorisch (vorläufig) rechtlich wirklich haben, sodass man einer solchen Person auch im rechtlichen Zustand – mit Kant – nicht geben könne, was sie eben schon rechtlich habe. Allerdings lässt sich diese Behauptung nicht nur an dieser Stelle tatsächlich allenfalls sehr schwerlich mit dem Text in Einklang bringen. Denn die dritte Rechtspflichtart geht dahin, in eine Gesellschaft zu treten, „in“ welcher jedem das Seine „erhalten werden kann“46 und nur in diesem Zustand einer solchen Gesellschaft wird jemanden dann etwas erhalten, das er rechtlich schon hat, sodass man in diesem Zustand dann auch nicht einfach sagen kann, man solle es ihm geben, eben weil er es darin schon hat. Also wird ein wirklicher Rechtsbesitz mit der dritten Rechtspflichtart erst im und nicht schon vor diesem Zustand gedacht. Die Wendung „das Seine erhalten werden kann“ in der dritten Pflichtformel macht mit Blick auf diesen gebotenen Zustand einer bestimmten rechtlichen Gesellschaft dann nur Sinn, wenn das Wort „erhalten“ als „gesichert“ begriffen wird. Die allgemeine Formel muss nach Kant nämlich lauten: „,T r i t t in einen Zustand, worin Jedermann das Seine gegen jeden Anderen gesichert sein kann‘ (Lex iustitiae).“47 Der Gedanke einer solchen rechtlich effektiven Sicherung (§ 8) eines Rechtsbesitzes in einem Zustand rechtlicher Gesellschaft setzt aber für sich selbst natürlich einen bestimmten Rechtsbesitz im Privatrechtsverhältnis gedanklich schon voraus und alleine in diesem Sinne eines begrifflichen Voraussetzungsverhältnisses setzt dann das öffentliche Recht einen vor diesem und „provisorisch“ im Hin-blick („pro-visio“) auf dieses öffentliche Recht selbst bloß gedachten Privatrechtsbesitz in sich selbst voraus (§§ 7, 8, 9, 15, 41 Abs. 3, 44 Abs. 2 – 3). Auf diese Weise einer rein begrifflichen und nicht auch schon hypostasierten Voraussetzung oder Vorsehung (d. h. 45 46 47

RL, AA VI: 237.03-06. RL, AA VI: 237.01-03. RL, AA VI: 237.06-08.

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Provision) eines natürlichen Privatrechts vor (aber unter) dem Begriff des öffentlichen Rechts besteht schließlich die synthetische Verknüpfung des öffentlichen Rechts mit dem Privatrecht, das für sich in seiner Existenz dann nicht außerhalb von, sondern nur schlüssig subordiniert in jenem alleine an sich selbst auch vernünftig begriffen werden kann. Es darf nämlich nicht verkannt werden, dass auch die Entgegensetzung von Privatrecht und öffentlichem Recht für sich selbst lediglich eine verständige Einteilung in der Sphäre des moralischen Rechtsbegriffs ist und beide Glieder dieser Einteilung nur schlüssig vermittelt in einer vernünftigen Einheit an und für sich vorstellbar sind, die dann übrigens wiederum im Begriff öffentlicher Gerechtigkeit (§ 41 Abs. 1) begriffen wird. Weder der Natur-, noch der Rechtszustand, sind mit diesem Begriffsverständnis Immanuel Kants also als Zustände gekennzeichnet, darin eine Rechtsperson ihres Privatrechtsbesitzes bereits notwendig teilhaftig ist. Ein solcher idealer und die Totalität der Rechtsidee öffentlicher Gerechtigkeit in sich fassender Zustand allen möglichen Rechtsbesitzes wird nämlich erst in der praktischen Vernunftidee des jeder Zeitbestimmung enthobenen ewigen Friedens gedacht, denn „der Friedenszustand ist allein der unter G e s e t z e n gesicherte Zustand des Mein und Dein“48. Die äußeren und nur im Staat unter dem allgemeinen Rechtsbegriff wirklich im Einklang mit der Autonomie eines jeden denkbaren Gesetze sind es demnach, die allen Rechtsbesitz als solchen im Grunde rechtlich erst möglich und bestenfalls in der Folge auch rechtlich wirklich (d. h. effektiv) machen. Darum wird der rechtliche Zustand dann lediglich definiert als „dasjenige Verhältniß der Menschen unter einander, welches die Bedingungen enthält, unter denen allein jeder seines Rechts t h e i l h a f t i g werden kann“49, eben weil jedes Rechtssubjekt auch nur im Rechtszustand nach seiner praktischen Idee Teil an der allgemeinen Gesetzgebung hat (§ 46 Abs. 1). Ist das Privatrechtssubjekt also seines Rechtsbesitzes noch nicht einmal in einem Rechtszustand schon teilhaftig vorgestellt, so erst recht nicht im bloßen Naturzustand, wie uns eine diesen Naturzustand verabsolutierende privatrechtsspezifische Lesart hingegen glauben machen möchte. Mit der Kantischen Textgrundlage ist eine solche offensichtlich zu Hypostasen neigende Lesart bei Lichte besehen allerdings durchaus unvereinbar.

II. Zum intrapersonalen Ausgangspunkt aller Rechtspflicht Der innere Ausgangspunkt aller unter dem allgemeinen Rechtsbegriff von § B Abs. 3 vernünftig vorstellbaren Rechtspflichten des Rechts der Menschen liegt also mit der inneren Rechtspflicht im intrapersonalen Selbstverhältnis einer Rechtsperson,50 das rechtlich das Verhältnis des allgemeinwillentlich bestimmten Willens 48 49 50

RL, AA VI: 355.09-11. RL, AA VI: 305.34-306.01. So dürfte auch Köhler, Recht und Gerechtigkeit (2017), S. 267 zu verstehen sein.

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6. Kap.: Die Einteilung des allgemeinen Begriffs des Rechts

zur freien Willkür einer Person umschließt. Alle äußere Verpflichtung im Interpersonalverhältnis ist somit nur im Ausgang von dieser intrapersonalen Dimension allen „Rechts der Menschen“ unter dem moralischen Begriff des Rechts denkbar, und setzt zu seiner Wirklichkeit außerhalb des bloßen Gedankens die allseitig tätige und darum effektiv subordinative Anerkennung einer äußeren Gesetzgebungsinstanz voraus. Das ist der einheitliche Rechtsgedanke der drei in der Sphäre des moralischen Begriffs des Rechts unter ihm schlüssig eingeteilten Rechtspflichtarten, die die in diesem moralischen Rechtsbegriff inhaltlich begriffene Relation (§ B Abs. 3) insgesamt ursprünglich einheitlich konstituieren. Jedes der dabei verständig eingeteilten Momente verweigert sich daher im vernünftigen Rechtsdenken mit Recht einer Verabsolutierung für sich selbst, sodass weder eine bloß innere, noch eine bloß äußere Rechtspflicht der im moralischen Begriff des Rechts an und für sich aufgehobenen Vorstellungsrelation bereits für sich angemessen sind. Allerdings beruht auf einer einseitigen Verabsolutierung des bloß äußeren Moments der Rechtspflicht in der rechtsphilosophischen Kantforschung die nicht weniger einseitige Marginalisierung des inneren Moments: 1. Wider eine Verabsolutierung der bloß äußeren Rechtspflichtart Aus dem vorgetragenen Grund erweist sich ein Rechtsdenken in bloßen Interpersonalverhältnissen, jedenfalls auf Grundlage der hier mit deutlicher Unterscheidung von Inhalt und Umfang des moralischen Rechtsbegriffs zum Verständnis gegebenen Rechtslehre Immanuel Kants, als zu kurzschlüssig, auch wenn es in seinem Grunde unter dem Begriff einer rechtlichen Anerkennungstheorie firmieren sollte. Denn der Begriff des verpflichtenden Subjekts sowie der des verpflichteten Subjekts – dieses als Objekt der Verpflichtung im Rechtsbegriff – werden dort, wie schon bemerkt, mit dem Begriff der Person einfach kurzerhand in einerlei Sinn genommen. Ein bloßes Rechtsdenken in Interpersonalverhältnissen ist aber sachlich auch ohne diesen dem Wort nach zu urteilen nachkantisch inspirierten Begriff überall dort vorausgesetzt, wo wirkliche subjektive äußere Privatrechte vor und unabhängig von dem Staat im Kantischen Rechtsdenken behauptet werden. Bildet dann aber nicht eigentlich das Intrapersonalverhältnis den eigentlichen Ausgangspunkt des Rechtsdenkens, so muss eine auf äußere Handlungen bezogene innere Rechtspflicht im intrapersonalen Verhältnis überaus verdächtig werden: 2. Wider eine Marginalisierung der inneren Rechtspflichtart Allerdings zeigt sich an diesem Verdacht nicht etwa ein gedanklicher Fehler Immanuel Kants, sondern – nach hiesigem Verständnis seiner Freiheitslehre (§ 7 KpV) – ein solcher seiner Interpreten, die rechtliche Verpflichtung im Ausgang nicht vom eigentlichen Selbst, sondern im Ausgang von einer fremden Person ursprünglich denken und so den Kantischen Begriff von Autonomie (§ 8 KpV) mit ihrer

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naturzuständlichen Heteronomie im Grunde verfehlen. Ein solches weit verbreitetes und sachlich übrigens der Vorstellung einer alle Freiheit ursprünglich begründenden „Faktizität“ von Verpflichtung (Dieter Henrich)51 durchaus entsprechendes Verständnis,52 das dem eigentlichen Rechtssubjekt in seiner vernünftigen Qualität an sich selbst noch nicht gerecht werden dürfte, wird seine Ursache vermutlich in einem subjektivistisch verengten Verständnis des sittengesetzlichen kategorischen Imperativs haben, danach dieser, zumeist gleichsam auch schon als das höchste Prinzip Kantischer Moralphilosophie angesehene Imperativ, vermeintlich nur für inneres moralisches (d. h. ethisch-tugendhaftes) Handeln, nicht gleichursprünglich eigentlich auch stets schon für äußere rechtliche Handlungen Gültigkeit beansprucht. Doch dieser völlig grundlose Umstand, der sich anhand eines Referats der in der Sekundärliteratur entsprechend diskutierten Unabhängigkeitsthesen gewiss ausführlich belegen ließe, sei hier nur als erläuternde Erklärungshypothese angeführt, weil es nach allen bisherigen Überlegungen unmöglich ist, diese im Sittengesetz unmittelbar aufgehobene Gewissheit gleichursprünglich rechtlicher und ethischer Verpflichtung jemandem andemonstrieren zu wollen. So hat beispielsweise Reinhard Brandt mit Blick auf die innere Rechtspflicht, und zwar in ihrem Gegensatz zur „Ethik“, von einer „paradoxe[n] Innerlichkeit des grundsätzlich äußerlichen Rechts“ gesprochen.53 Etwas Ähnliches werden auch Wolfgang Kersting oder Otfried Höffe im Sinn haben, wenn sie in diesem Zusammenhang von einer scheinbaren „contradictio in adjecto“54 ausgehen oder gar „ein systemwidriges Element, eine Anomalie“ gefunden haben wollen, darauf „die Rechtsmoral“ in einer „kategorischen Vorleistung“ basiere.55 In den weiteren Kanon solcher Stimmen gehört dann schließlich auch die verbreitete Auffassung, bei der inneren Rechtspflicht handele es sich nicht – zugleich auch – um eine echte und mithin physisch erzwingbare Rechtspflicht im Sinne des strikten Rechts von § E, für die also eine äußere Gesetzgebung tatsächlich möglich sei, sondern um eine im eigentlichen Sinne der „Ethik“ unterfallende und darum auch nicht zur Rechts-, sondern zur Tugendlehre gehörige innere Pflicht.56

51

Siehe dazu das erste Kapitel. Vgl. im hiesigen Zusammenhang etwa Hirsch, Freiheit und Staatlichkeit bei Kant (2017), S. 182 ff. 53 Brandt, in: Brandhorst/Hahmann/Ludwig (Hrsg.): Sind wir Bürger zweier Welten? (2012), S. 311 (331). 54 Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 168. 55 Höffe, in: Gerhardt/Horstmann/Schumacher (Hrsg.): Kant und die Berliner Aufklärung I (2001), S. 275 (276 ff.). 56 Vgl. etwa Höffe, in: Gerhardt/Horstmann/Schumacher (Hrsg.): Kant und die Berliner Aufklärung I (2001), S. 275 (283 ff.); Joerden, in: Klemme (Hrsg.): Kant und die Zukunft der europäischen Aufklärung (2009), S. 448 (466); Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 168; Kühl, in: ders.: Freiheitliche Rechtsphilosophie (2008), S. 223 (235); Pinzani, ZPhilF 59 (2005), S. 71 (73 ff.); Pippin, in: Höffe (Hrsg.): Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (1999), S. 63 (69). 52

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6. Kap.: Die Einteilung des allgemeinen Begriffs des Rechts

Doch eine innere Rechtspflicht hat keine innere Handlung (d. h. Zwecksetzungstätigkeit) eines Willkürsubjekts57 unter dem allgemeinen Tugendgesetz,58 sondern eine äußere Handlung (d. h. Wirktätigkeit) eines solchen Subjekts unter dem allgemeinen Rechtsgesetz zu ihrem rechtlichen Bestimmungsgegenstand. Sie ist also hinsichtlich ihres Vorstellungsgegenstandes stets schon auf eine äußere Handlungswirklichkeit und mithin auf die im moralischen Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) begriffene Relation gerichtet. Insofern teilt sie ein gemeinsames Moment mit der bloß äußeren Rechtspflicht, denn der Begriff äußerer Handlung verbindet beide Rechtspflichtmomente unter dem allgemeinen Begriff des Rechts. Von dieser bloß äußeren Rechtspflicht unterscheidet sich die innere Rechtspflicht für sich betrachtet jedoch dadurch, dass sie nicht unmittelbar physisch im äußeren Verhältnis erzwungen werden kann,59 weil die Verpflichtungsinstanz und mithin das Befugnissubjekt intrapersonal im Rechtssubjekt selbst liegt. Dagegen kann die bloß äußere Rechtspflicht physisch im äußeren Verhältnis erzwungen werden, jedoch lässt sie sich noch längst nicht auch schon mit Recht erzwingen, sofern sie bloß für sich selbst und nicht bereits schlüssig mit der inneren Rechtspflicht begrifflich vermittelt betrachtet wird. Denn außerhalb der intrapersonalen Verpflichtungsinstanz ist bislang noch keine weitere Verpflichtungsinstanz gedacht und im Begriff einer bloß äußeren Rechtspflicht liegt eine solche Verpflichtungsinstanz, die nur ein Allgemeinwille in einer Rechtsperson sein kann, nicht; wie kommt also ein wirklicher Allgemeinwille in den Gedanken der bloß äußeren Rechtspflichten hinein? Da ein solcher Allgemeinwille tatsächlich noch gar nicht seinen begrifflich vermittelten Weg in die bloß äußere Rechtspflicht hineingefunden haben kann, muss alles abstrakte Rechtsdenken im unmittelbaren Ausgang von einer bloß äußeren Rechtspflicht alle rechtliche Verpflichtung auch ursprünglich nicht aus Autonomie, sondern aus Heteronomie entspringen lassen; ein mit dem Begriff der Autonomie (§ 8 KpV) gänzlich unvereinbarer Gedanke. Also ist in Wahrheit – und hierin liegt gewiss eine Zumutung für alles bloß interpersonale Rechtsdenken – nicht der Gedanke einer inneren,60 sondern der einer bloß äußeren Rechtspflicht für sich selbst ein wirklich paradoxer Gedanke.61 Nur schlüssig miteinander in einer allseitigen Rechtspflicht 57

In dieser Richtung aber Pinzani, ZPhilF 59 (2005), S. 71 (74 ff.). So zutreffend auch Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 172 Fn. 226. 59 In dieser Richtung auch Höffe, in: Gerhardt/Horstmann/Schumacher (Hrsg.): Kant und die Berliner Aufklärung I (2001), S. 275 (282); Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 168; Pinzani, ZPhilF 59 (2005), S. 71 (77). 60 Z. B. will Friedrich, Eigentum und Staatsbegründung (2004), S. 58 ff. bei der inneren Rechtspflicht schwerwiegende systematische und begründungstheoretische Probleme ausgemacht haben. Ebenso meldet Hirsch, Freiheit und Staatlichkeit bei Kant (2017), S. 175 ff. (182) seinen Zweifel an, „ob sich bei Kant überhaupt eine überzeugende Erklärung der Möglichkeit innerer (Recht-)Pflichten rekonstruieren lässt“, bleibt aber selbst unentschieden, weil Kant ja immerhin davon auszugehen scheine. 61 Daher resultiert dann auch die ambivalente Einordnung der inneren Rechtspflicht. Vgl. etwa Pinzani, ZPhilF 59 (2005), S. 71 (77), der von einem „Zwitterwesen“ spricht, oder auch Höffe, in: Gerhardt/Horstmann/Schumacher (Hrsg.): Kant und die Berliner Aufklärung I 58

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vermittelt lässt sich nämlich im Ausgang von der inneren Rechtspflicht62 auch eine nicht bloß äußere Rechtspflicht denken, die unter dem allgemeinen Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) an und für sich selbst mit Recht erzwungen werden kann, und die nur eben darum zur Sphäre des strikten Rechts (§ E) gehört.63 Nach alledem ist eine nicht bloß äußere Rechtspflicht nur vermittelst einer metaphysischen Repräsentation der intrapersonalen Verpflichtungsinstanz der inneren Rechtspflicht als solche denkbar, während die innere Rechtspflicht nur vermittelst seiner solchen Repräsentationsinstanz (Staat) auch in der Folge äußerlich erzwingbar ist. Die staatliche Wirklichkeit allseitiger Verbindlichkeit setzt unter dem allgemeinen Rechtsbegriff nämlich beide Rechtspflichtmomente in sich selbst und für sich selbst voraus. In einer mit staatlichem Zwang durchsetzbaren Rechtspflicht begegnet einer Rechtsperson nach ihrem praktischen Vernunftbegriff des Staates dann nicht bloß eine andere Rechtsperson, sondern – in der Einheit der moralischen Person des Staates – ursprünglich zurechenbar ihre eigene Rechtspersönlichkeit.64 Staatlicher Rechtszwang ist in seiner reinen praktischen Vernunftidee begriffen als bloßer Selbstzwang65 und gegen diesen im Folgenden zu entfaltenden praktischen (2001), S. 275 (276 ff.), der sich in möglicherweise nicht überall widerspruchslosen Charakterisierungen dahin windet, dass es sich um ein „systemwidriges“ „Drittes“ handeln muss. 62 Diesen systematischen Vorrang betonen auch Köhler, JRE 14 (2006), S. 425 (436 ff.); Oberer, in: Doyé/Heinz/Rameil (Hrsg.): FS Baum (2004), S. 203 ff. 63 Indem Hirsch, Freiheit und Staatlichkeit bei Kant (2017), S. 199 ff. die innere Rechtspflicht unter dem Begriff des Rechts mit der im Begriff des Rechts begriffenen Relation anhand eines Selbstmordbeispiels etwas unvermittelt konfundiert, gelangt er sogar zu der Einschätzung, dass die innere Rechtspflicht auch für sich selbst erzwingbar sein müsste, sodass er sich gedanklich zu einer „immanenten Kant-Korrektur“ befähigt sieht. 64 Siehe MS, AA VI: 223.24-31. – Mit dieser staatlichen Repräsentationsmöglichkeit und -notwendigkeit unterscheidet sich die hier vertretene Auffassung dann auch von derjenigen Köhlers, JRE 14 (2006), S. 425 (440 ff.), ders., Recht und Gerechtigkeit (2017), S. 272, der für sich lediglich die Möglichkeit eines Selbstzwangsrechts in untrennbarer Einheit mit der pragmatischen und ethischen Selbstmotivation sieht, und einen äußeren Zwang mangels Betroffenheit des interpersonalen Zusammenhangs per se ausschließen will, da das „Menschenrecht“ andernfalls vom Subjekt der Befugnis abgelöst würde. Doch das Subjekt der Zwangsbefugnis innerhalb der inneren Rechtspflicht ist nicht ein Mensch, sondern die Menschheit in der eigenen Person, und eben diese Menschheit muss nach hiesigem Verständnis wiederum in der moralischen Person des Staates, und zwar in seinem Allgemeinwillen vorgestellt werden. Also ist die Menschheit im praktischen Vernunftbegriff des Staates repräsentiert und repräsentiert so seinerseits jeden einzelnen Menschen. Mit diesem begrifflich vermittelten (d. h. schlüssigen) Repräsentationsgedanken der idealen Vorstellung der praktischen Idee des Staates stellt sich eine menschliche Rechtsperson im Staat also selbst vor, und so kann eine innere Rechtspflicht im äußeren Handlungszusammenhang staatlicher Weise mit äußerem Zwang durchgesetzt werden. 65 Deswegen geht Immanuel Kant selbst auch von der rechtlichen Erzwingbarkeit innerer Rechtspflichten in einem staatlichen Zusammenhang aus, etwa wenn er einen Strafrechtszwang im Falle der „Bestialität“ (Sodomie) annimmt (RL, AA VI: 362 f. – Anhang). Auf der Basis der hier vorgeschlagenen Interpretation könnte daher eine Auffassung der inneren Rechtspflicht nochmals gründlicher zu überdenken sein, die – sich selbst auf Kant stützend – Rechtspflichtverstöße im Selbstverhältnis per se aus dem Bereich möglichen

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6. Kap.: Die Einteilung des allgemeinen Begriffs des Rechts

Idealismus lässt sich eine sich in ihrer bloßen Erscheinung möglicherweise schlecht ausnehmende empirische Staatswirklichkeit nicht ernstlich in Ansatz bringen. Denn ein solcher sich selbst nur scheinbar genügsamer Realismus im praktischen Denken setzt in seinem empirischen Begriff vom Staat eben diesen reinen praktischen Vernunftbegriff von Staatlichkeit schon für sich selbst voraus, da er die so kritisierte Gewalttätigkeit andernfalls zuvor nicht bereits als Staatswirklichkeit hätte begreifen können; schlechterdings weil es ihm ansonsten an einem vernünftigen Begriff fehlte. Die praktische Vernunftidee des Staates ist mit ihrer stets schon kritischen Potenz in einem metaphysisch-konkreten Rechtsdenken also niemals eine bloße Behauptung. Abstrahiert man dagegen im Rechtsdenken von der staatlichen Repräsentationsinstanz, so sind völlig unabhängig von ihr gar keine äußeren Rechtspflichten wirklich vorstellbar. Also sind bloß äußere Rechtspflichten nur im Hinblick (provisorisch) auf diese Repräsentationsinstanz als solche schon wirklich denkbar. Dies aber entspricht dem Kantischen Rechtsdenken im Naturzustand. Man sieht auf diese Weise: Sowohl die Frage nach der physischen Erzwingbarkeit der inneren Rechtspflicht, als auch die Frage nach der metaphysischen Erzwingbarkeit der bloß äußeren Rechtspflicht, bedarf jeweils einer begrifflich vermittelten und daher differenzierten Antwort, soll das Rechtsdenken infolge einer Verabsolutierung schon eines der beiden Pflichtmomente für sich selbst nicht unverstanden dialektisch werden. Immanuel Kant gibt diese begrifflich sehr differenzierte Antwort in der Totalität der rein begrifflich bestimmbaren Rechtsidee unter dem allgemeinen Begriff des Rechts im Hauptteil seiner Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. Um die begrifflichen Differenzen in ihrer Systematik jedoch nicht vorschnell unter der jeweiligen subjektiven Erwartungshaltung (d. h. der besonderen Meinung oder den je eigenen Einfällen) des Lesers zu verschütten, wird es, wie nunmehr etwas deutlicher geworden sein dürfte, nicht nur erforderlich sein, die jeweiligen Begriffsinhalte genau zu unterscheiden, sondern auch, die begrifflichen Subordinationsverhältnisse in der Einheit des allgemeinen Begriffs stets ausreichend zu reflektieren. Denn die gedankliche Kraft eines schon aus der Zeit gegangenen Philosophen ist in der auf ihn zeitlich nachfolgenden Gegenwart wohl niemals sehr viel größer zu veranschlagen, als die der seine Gedanken bearbeitenden Interpreten und Denker. Soll die gedankliche Kraft des Kantischen Rechtsdenkens aber möglichst umfassend bewusst gemacht werden, so geht es im Rahmen der erforderlichen Unterscheidungen unter dem Kantischen Rechtsbegriff schließlich wohl auch darum, einen in der Vergangenheit anscheinend weithin entstandenen Eindruck von diesem Rechtsdenken auszuräumen, wie ihn beispielsweise Christoph Horn formuliert hat: „Wer sich Kants Politische Philosophie genauer ansieht, wird feststellen, dass ihre systematischen Grundlagen ausgesprochen unklar sind, und man muss als Interpret(in) fast Straf(un)rechts herauszunehmen gedenkt, vgl. etwa Joerden, in: Klemme (Hrsg.): Kant und die Zukunft der europäischen Aufklärung (2009), S. 448 (466 f.); Kühl, in: ders.: Freiheitliche Rechtsphilosophie (2008), S. 223 (235); Maatsch, Selbstverfügung als intrapersonaler Rechtspflichtverstoß (2001), S. 220; Mosbacher, Strafrecht und Selbstschädigung (2001), S. 66, 84 ff., 89 f.; siehe andererseits aber Köhler, Strafrecht Allgemeiner Teil (1996), S. 14 f.

B. Verständige Einteilung des Rechtsbegriffs selbst

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zwangsläufig den Eindruck gewinnen, Kants Position sei konfus und inhomogen. Gelegentlich spricht Kant wie ein klassischer Naturrechtlicher (etwa wenn er Ulpians Rechtsregeln interpretiert), gelegentlich wie ein liberaler Verteidiger der Menschenrechte (scheinbar in der Tradition Lockes), gelegentlich verwendet er Elemente einer strategischrationalen Vertragstheorie (angelehnt an Hobbes), gelegentlich die Theorie der Volkssouveränität (in der Nachfolge Rousseaus), und im ersten Teil seiner Metaphysik der Sitten, der Rechtslehre, bildet schließlich eine merkwürdige Eigentumstheorie das Zentrum seiner Überlegungen. Ein Zusammenhang zwischen diesen und anderen Versatzstücken lässt sich nur schwer ausmachen. Besonders prekär wird diese Mixtur, wenn man versucht, sich Kants Lösung für das Problem der moralischen Legitimation von Staatlichkeit klarzumachen.“66

B. Verständige Einteilung des Rechtsbegriffs selbst Derselbe Rechtsbegriff, der vorstehend hinsichtlich seines in ihm enthaltenen Pflichtbegriffs schlüssig eingeteilt wurde (§ B Abs. 3), lässt sich nunmehr auch hinsichtlich der in seiner Sphäre enthaltenen Rechte zunächst bloß verständig einteilen.67 Bezieht sich eine solche Einteilung „2)“ auf die einer objektiven Gesetzespflicht begrifflich korrespondierenden subjektiven Rechte (§ D), so werden die unter dem moralischen Begriff des Rechts vorstellbaren subjektiven Rechte als moralische Verpflichtungsvermögen und mithin als rechtsgesetzliche Gründe zu wirklichen (= positiven) subjektiven äußeren Rechten eingeteilt. Bezieht sich die Einteilung der Rechte „1)“ dagegen zunächst auf die unter dem Rechtsbegriff begrifflich (d. h. objektiv) möglichen Rechtssysteme (§ A), so werden die Rechte überhaupt unter einem objektiven Gesichtspunkt eingeteilt.

I. Nach objektivem Gesichtspunkt: natürliches und positives als objektives Recht unter dem Rechtsbegriff Soll die hier – aus schon besagten Gründen – einstweilen für sich bloß verständig vorzunehmende Einteilung des moralischen Begriffs des Rechts unter einem objektiven Gesichtspunkt im weiteren Verlauf des Hauptteils der Rechtslehre zu einer vernünftigen Einteilung begrifflich fortentwickelt werden können, so bedarf es nicht eines beliebigen, sondern abermals eines vernünftigen Einteilungsmerkmals, dadurch die gesamte Sphäre des moralischen Begriffs des Rechts verständig in zwei einander zunächst entgegengesetzte Glieder vollständig geteilt werden kann. Das zweite Einteilungsglied unter dem objektiven Gesichtspunkt systematisch möglicher Rechtslehren muss dann aus dem Prinzip des ersten Einteilungsgliedes heraus ver66 Horn, in: Klemme (Hrsg.): Kant und die Zukunft der europäischen Aufklärung (2009), S. 400. 67 RL, AA VI: 237.13-26.

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6. Kap.: Die Einteilung des allgemeinen Begriffs des Rechts

nunftschlüssig entwickelbar sein. Das Prinzip allen Rechts aber ist das Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft mitsamt der darin menschheitsrechtlich bestimmenden Willensallgemeinheit als seiner Bewusstseinsform. Folglich ist die verständige Einteilung des Rechtsbegriffs unter dem objektiven Gesichtspunkt möglicher systematischer Rechtslehren im Ausgang von diesem vernunftbegrifflichen Merkmal allen Rechts vorzunehmen. Da das Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft das reine praktische Selbstbewusstsein eines jeden freien Willenssubjekts vorstellt, lässt sich unter diesem im intrapersonalen Selbstverhältnis einer jeden menschlichen Rechtsperson zunächst eine Allgemeingesetzlichkeit (d. h. ein Recht) mit praktischer Notwendigkeit des Freiheitsbegriffs in äußeren Handlungen denken, die auf die zufällige Willkür der eigenen oder einer fremden Person nicht angewiesen und darum schon a priori aus reiner Vernunft für jedermann praktisch erkennbar ist. Eine solche a priori (d. h. rein begrifflich) erkennbare reine Allgemeingesetzlichkeit in äußeren Handlungen wird allerdings nur in (vernunft-)natürlichen Gesetzen gedacht.68 Insofern diese natürlichen Gesetze als praktische Grundsätze a priori in ihrer systematischen Gesamtheit nur durch den einzuteilenden Rechtsbegriff denkbar sind, muss als eine mögliche systematische Rechtslehre zunächst eine Naturrechtslehre gedacht werden. Das erste verständige Einteilungsglied der hier vorzunehmenden Einteilung des allgemeinen Rechtsbegriffs unter seinem objektiven Gesichtspunkt bildet also das „ N a t u r r e c h t “69. Bei diesem Naturrecht handelt es sich aber zunächst nur um ein in reinen praktischen Begriffen gedachtes Recht, das bestenfalls die vernunftbegriffliche Möglichkeit alles in äußeren Verhältnissen auch wirklichen Rechts real in sich enthält (vgl. schon § A). Insofern ist einem zunächst bloß gedachten Naturrecht ein begrifflich schon wirkliches Recht verständig entgegengesetzt, das seinen Ausgang für sich nicht in der je eigenen reinen praktischen Vernunft eines jeden freien Willenssubjekts, sondern in dem Willen eines äußeren (d. h. willkürlichen) Gesetzgebers und seiner für sich zufälligen Setzung nimmt.70 Das zweite verständige Einteilungsglied der hier 68

MS, AA VI: 224.27-33. RL, AA VI: 237.15. 70 MS, AA VI: 224.27-33. – In der an sich willkürlich-zufälligen, aber für sich begrifflichnotwendigen Setzung positiver Gesetze liegt auch begründet, dass sie nicht bereits von Natur aus einfach da sind, sondern als ein Produkt menschlicher Willkür angesehen werden müssen. Hierin, nämlich in der Setzung des nicht bereits von Natur aus Bestehenden, liegt schließlich ein ursprüngliches Moment des Begriffs des Positiven (siehe dazu auch Blühdorn, in: Ritter/ Gründer [Hrsg.]: HWPh VII [1989], Sp. 1106 ff.). Das Kriterium, d. h. das allgemeine und hinreichende Merkmal der Positivität des Rechts besteht nach dem Gesagten also in der Willkürlichkeit und nicht in der dem positiven Recht mitunter auch eignenden Publizität bzw. Öffentlichkeit. Vielmehr liegt in der Publizität des Rechts ein Naturrecht und positives Recht überspannendes gemeinsames Moment, danach ein öffentliches natürliches Recht praktisch-notwendig vorstellbar ist, das mit einer aus ihm heraus gedachten naturrechtlichen Befugnis zum öffentlichen Recht (§ 42 Abs. 1) den natürlichen Rechtsgrund zu einer jeden positiven Gesetzgebung beinhaltet. Wollte man die Positivität des 69

B. Verständige Einteilung des Rechtsbegriffs selbst

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vorzunehmenden Einteilung des allgemeinen Rechtsbegriffs unter seinem objektiven Gesichtspunkt bildet also das „ p o s i t i v e (statutarische) Recht“71. Schon diese für sich bloß verständige Einteilung des allgemeinen Rechtsbegriffs in ein natürliches und ein positives Recht lässt sich gedanklich allerdings nur vornehmen, wenn zuvor innerhalb der rechtsbegrifflichen Vorstellung (§ B Abs. 2 – 3) nicht bereits von dem den Rechtsbegriff innerlich bestimmenden Moment der Allgemeingesetzlichkeit abstrahiert wurde, denn diese ist es, die sich hier unter dem moralischen Begriff des Rechts – als dem allgemeinen Kriterium allen Rechts – in eine un-/endliche Allgemeingesetzlichkeit eingeteilt findet. Wäre der moralische Begriff des Rechts infolge einer solchen Abstraktion jedoch mit einer bloßen Nominalvorstellung des Interpersonalverhältnisses auch tatsächlich gänzlich identisch, so wäre es völlig unbegreiflich, wie unter ihm in seiner Sphäre eine natürliche und eine positive Gesetzgebung verständig eingeteilt vorstellbar sein sollten, denn das bloße Interpersonalverhältnis kennzeichnet sich in seiner ursprünglichen Vorstellung für sich selbst gerade durch seine Unabhängigkeit von jedweder Allgemeingesetzlichkeit. Sollen diese beiden Arten von (un- bzw. endlicher) Allgemeingesetzlichkeit aber nicht unvermittelt im Rechtsdenken jeweils für sich selbst nebeneinander bestehen bleiben, d. h. sollen weder – abstrakt – bloß gedachte natürliche, noch – abstrakt – lediglich irgendwie wirkliche positive Gesetze unter dem allgemeinen Begriff des Rechts und mit seiner praktischen Notwendigkeit gedacht werden, wie es jedoch gewöhnlich oder zumindest nicht selten geschieht, so bedarf es im Hauptteil der Rechtslehre einer vernunftschlüssigen Vermittlung beider Einteilungsglieder, und zwar dergestalt, dass alles positive Recht lediglich subordiniert unter natürlichen Gesetzen sowie nur im Ausgang vom Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft mit der praktischen Notwendigkeit des darin realen Freiheitsbegriffs, und mithin innerhalb (d. h. nicht außerhalb) der Sphäre desselben denkbar ist.72 In diesem Sinne Rechts hingegen schon vermittels der ihr empirisch auch eignenden Publizität (vgl. RL, AA VI: 311.06-08) hinreichend kennzeichnen, so wäre alles Naturrecht bloß natürliches Privatrecht, und ein alle Privatrechtssubjekte verbindender und ihnen in dieser Verbindung übergeordneter unendlich allgemeiner Wille im (öffentlichen) Naturrecht unvorstellbar. Doch von der empirischen Positivität des Rechts ausgehend, stellt seine Publizität lediglich ein zufälliges und alleine nicht schon hinreichendes Merkmal dar, das darum nicht geeignet ist, den Grund einer Einteilung des allgemeinen Vernunftbegriffs des Rechts a priori, wie sie in der metaphysischen Rechtslehre vorzunehmen ist, vorzustellen. Vor diesem Hintergrund lässt sich entgegen Ruzicka, in: Holzhey/Kohler (Hrsg.): Verrechtlichung und Verantwortung (1987), S. 141 (150 f.) dann auch gar kein positives Recht denken, das als „verwirklichte[s] Naturrecht“ und mithin ohne „eigenständige[n] Rechtscharakter“ auf dem Boden des bürgerlichen Zustands (der Naturrechtslehre) dem Naturrecht entgegengesetzt wäre, denn ein solches positives Recht müsste sich im Grunde wohl über das Merkmal der Öffentlichkeit definieren. 71 RL, AA VI: 237.16-17. 72 Nur unter unbewusster Abstraktion von dieser notwendigen vernunftschlüssigen Vermittlung „fragt sich […], mit welchem Recht dieses positive Recht noch ,Recht‘ heißen

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6. Kap.: Die Einteilung des allgemeinen Begriffs des Rechts

vernunftschlüssiger Vermittlung ist der Hauptteil der Rechtslehre maßgeblich mit der rein begrifflich aufzulösenden Frage konfrontiert, wie eine äußere Gesetzgebung im Ausgang von einem fremden Willkürsubjekt in ihrer Wirklichkeit – ohne dabei auch nur für ein Moment lang gedanklich in Heteronomie zu verfallen – im Einklang mit dem Vernunftbegriff der Autonomie eines freien Willens (§ 8 KpV) gedacht werden muss,73 wobei das erst mit dem Vernunftbegriff des Staates praktisch zur Auflösung kommende Autonomieproblem anfänglich bereits im bloßen Naturzustand ins abstrakte Rechtsbewusstsein tritt, wenn es darin um das natürliche Privatrecht im bloßen Interpersonalverhältnis bei gedanklicher Abwesenheit eines wirklichen Allgemeinwillens in äußeren Gesetzen zu tun ist, das als „Fremdverpflichtung“ auch in einem vorläufigen und darum empirischen Sinne von ,provisorisch‘ nicht angemessen metaphysisch begriffen ist. Lässt sich die bereits mehrfach grob skizzierte Auflösung dieses autonomietheoretischen Problems dagegen im Rahmen einer rein begrifflich vorgehenden Interpretation schon im Naturzustand selbst im reinen praktischen Vernunftbegriff eines im Hinblick auf den Staat „pro-visorischen“ Rechtsbesitzes zu einem metaphysischen Bewusstsein erheben, dann ist als Ergebnis der hier erkenntnisleitend vorgelegten Frage nach der Positivität des Rechts in der kritischen Naturrechtslehre Immanuel Kants am Ende weder ein in seiner Abstraktion bloß subjektivistisch verbleibendes Vernunftrecht, noch ein bloß sich objektivistisch dünkender Rechtspositivismus, sondern ein in reinen praktischen Vernunftbegriffen schlüssig vermittelter Zusammenhang von Naturrecht74 und positivem Recht in der Idee allen Rechts zu erwarten.75 kann, […]“, wie Ruzicka, in: Holzhey/Kohler (Hrsg.): Verrechtlichung und Verantwortung (1987), S. 141 (152) es formuliert hat. Vgl. dazu auch Kühl, ARSP-Beiheft 37 (1990), S. 75 (81). 73 Vgl. dazu MS, AA VI: 224.33-36. 74 Der von Immanuel Kant ohne Vorbehalte in einem metaphysischen Sinne gebrauchte Begriff des Naturrechts (siehe dafür etwa RL, AA VI: 242.12) ist seinen Interpreten im Laufe der Zeit fremd geworden. So hat beispielsweise bereits Bargmann, Der Formalismus in Kant’s Rechtsphilosophie (1902), S. 15 f. seine aufrichtige Verwunderung zum Ausdruck gebracht: Obgleich das Recht bei Kant unabhängig von aller Erfahrung entwickelt werde, erscheine seine Behandlung oft als „historisch“; vor diesem Hintergrund sei der Begriff des Naturrechts von Kant „nicht gerade günstig gewählt“, denn er verwische den gewaltigen Unterschied, der zwischen ihm und seinen Vorgängern gleichwohl bestehe. Dreier, Rechtsbegriff und Rechtsidee (1986), S. 13 f. dagegen sieht Kant wohl auch in der Sache zumindest in großen Teilen auf einem empirischen Naturrechtsbegriff reduziert. Im Gegensatz dazu möchte Kühl, ARSPBeiheft 37 (1990), S. 75 lieber von einem „Vernunftrecht“ sprechen und v. d. Pfordten, Rechtsethik (2011), S. 46 hat sogar schon die terminologische Überwindung des Naturrechtsbegriffs bei Kant diagnostiziert. Vgl. zum Begriff eines abstrakten Vernunftrechts auch die Überlegung oben am Ende von E. im 5. Kapitel. Dieser in der rechtsphilosophischen Kantforschung geläufige Begriff ist übrigens – wie im Verlauf der hiesigen Arbeit gezeigt wird – mitnichten die konsequente Folge aus einem metaphysischen Freiheitsverständnis (§ 7 KpV), das seine objektive Realität in der grundgesetzlichen Selbstvorstellungstätigkeit eines freien Willens praktisch-notwendig weiß. Denn die hierin liegende reine und praktische Selbsterkenntnis eines freien Willens besteht in einer nach Grund und Folge durchaus praktischen, nicht aber in einer nach Grund oder Folge abstrakt bleibenden Selbstsetzung.

B. Verständige Einteilung des Rechtsbegriffs selbst

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Dasselbe autonomietheoretische Problem, das bereits in der vernunftschlüssigen Einteilung des dem Rechtsbegriff zugrundeliegenden Pflichtbegriffs ins Bewusstsein trat, nämlich das Problem ursprünglich intrapersonaler Selbstverpflichtung auch im interpersonalen Verhältnis, tritt nach alledem ebenso hier im Rahmen der Einteilung des Rechtsbegriffs nach einem objektiven Gesichtspunkt ins Bewusstsein, und zwar als das Problem einer Autonomie (d. h. Selbstgesetzgebung) auch im interpersonalen Verhältnis. Selbstgesetzgebung und Selbstverpflichtung – beides auch im interpersonalen Verhältnis – sind demnach Wechselbegriffe. Hinsichtlich der autonomietheoretischen Frage nach einer ursprünglich intrapersonal gründenden Selbstgesetzgebung im interpersonalen Verhältnis verweist also auch die bloß verständige Einteilung des moralischen Begriffs des Rechts unter einem objektiven Gesichtspunkt insofern auf das objektiv bestimmte Programm der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. – Von einer verständigen Einteilung dieses Begriffs unter einem subjektiven Gesichtspunkt ist darum entsprechend das subjektiv bestimmte Programm der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre zu erwarten:

75 Es zeigt sich also unter methodologischen Vorzeichen bereits in der zunächst bloß verständigen Einteilung des Rechtsbegriffs unter einem objektiven Gesichtspunkt, dass jede Einseitigkeit, die entweder nur Naturrecht oder einzig positives Recht anerkennen zu können glaubt, der unter dem Begriff des Rechts enthaltenen Totalität rechtlich bestimmbarer Vorstellungen alleine nicht genügsam sein kann. Die antinomisch anmutende Dialektik von Naturrecht und Rechtspositivismus beruht also in ihrem Grunde auf einer bloß verständig und noch nicht zugleich auch vernünftig vorgenommenen Einteilung eines von reiner praktischer Vernunft bereits ursprünglich synthetisch zu einer Einheit verbundenen Rechtsbegriffs. Insofern diese verständige Entgegensetzung dabei als bloße Entgegensetzung in ihrer vorgängigen synthetischen Einheit unbegriffen bleibt, resultiert hieraus die – in historischen Epochen des Denkens und Handelns – ewige Wiederkehr des Naturrechtsstreits. Dabei ist zu bemerken, dass diese Dialektik, auch wenn sie von Seiten des Rechtspositivismus anheben sollte, einen unendlich-allgemeinen Begriff des Rechts jederzeit vernunftnotwendig schon für sich selbst voraussetzt, da sie andernfalls selbst nicht denkbar wäre, weil alles positive Recht nach seinem Begriff andernfalls bloße Willkür, nicht aber rechtlich zumindest bestimmbare Willkür wäre. Indem diese Dialektik allerdings selbst denkbar ist und jederzeit auch notwendig gedacht worden ist sowie fernerhin auf alle Zeiten weiter gedacht werden wird, zeigt sie sich darin selbst als vernünftig. Hoffmann, ARSP 87 (2001), S. 449 (458) spricht deshalb auch von einer „konstitutiven Antinomie“ des Rechts. Dagegen will Maus, Zur Aufklärung der Demokratietheorie (1992), S. 149 f. bei dieser Einteilung Kants „schroffe[] Dissonanzen“ ausgemacht haben. Vgl. zum Verhältnis von Naturrecht und positivem Recht vorerst auch Höffe, MERKUR 37 (1983), S. 613 ff. und Hoffmann, in: Hogrebe (Hrsg.): Grenzen und Grenzüberschreitungen (2002), S. 63 ff.; überdies Klausen, Die Freiheitsidee in ihrem Verhältnis zum Naturrecht und dem positiven Recht bei Kant (1950); Kühl, ARSP-Beiheft 37 (1990), S. 75 ff. Ob der hier vertretenen Interpretationsposition gegenüber die beiden diesbezüglich bislang existierenden Monographien – Dulckeit, Naturrecht und positives Recht bei Kant (1932) sowie Kräft, Apriorität und Positivität des Rechts nach Kant (2011) – dieser bereits hier in der verständigen Einteilung des Begriffs angelegten Dialektik der Positivität des Rechts gerecht werden, wird später zu untersuchen sein. Wie aber bereits jetzt zu vermerken ist, setzen beide genannten Arbeiten die von Kant vorgenommene und für das systematische Verständnis der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre methodologisch wichtige objektive Einteilung des Begriffs des Rechts in seine beiden Glieder nicht weiter auseinander.

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6. Kap.: Die Einteilung des allgemeinen Begriffs des Rechts

II. Nach subjektivem Gesichtspunkt: angeborenes und erworbenes als subjektives Recht unter dem Rechtsbegriff Auch die nunmehr noch vorzunehmende verständige Einteilung des moralischen Begriffs des Rechts unter einem subjektiven Gesichtspunkt muss ihren Ausgang vom Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft als dem Prinzip allen Rechts nehmen. Da dieses Grundgesetz durch die spontane Selbstvorstellungstätigkeit eines freien Willens an und für sich selbst als sein reines praktisches Selbstbewusstsein (d. h. seine Persönlichkeit) hervorgebracht wird, ist das moralische Selbstbewusstsein eines freien Willkürsubjekts (d. h. einer Person) unter dem grundgesetzlichen Sittengesetz immer schon mit dem objektiv praktisch realen Vernunftbegriff der Freiheit verbunden. Eine menschliche Rechtsperson in den sinnlichen Verhältnissen von Raum und Zeit verfügt demnach zeit ihres Lebens stets schon über die ursprüngliche Rechtsvorstellung ihrer Freiheit. In diesem Sinne ist einem menschlichen Willkürsubjekt die Freiheit der Willkür angeboren und ebendiese Freiheit der Willkür berechtigt dasselbe Willkürsubjekt unter dem moralischen Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) dann auch subjektiv zu einem Rechtszwang gegen dasjenige dadurch gleichursprünglich verpflichtete Willkürsubjekt, das diese gesetzliche Freiheit tätig aufhebt (§ D). Folglich stellt das „ a n g e b o r n e “ Recht bzw. konkret die angeborene Freiheit der Willkür einer Rechtsperson als ein moralisches Verpflichtungsvermögen das erste Glied in der Einteilung des moralischen Begriffs des Rechts unter einem subjektiven Gesichtspunkt vor.76 Diesem stets schon angeborenen Recht ist nach dem Verstandesprinzip des Widerspruchs begrifflich das nicht schon stets angeborene, sondern vermittelst einer äußeren Handlung erst „ e r w o r b e n e “ Recht verständig entgegenzusetzen.77 Soll dieses mit dem Rechtssubjekt nicht ursprünglich, sondern erst vermittelst äußerer Handlung synthetisch verbundene erworbene Recht dann im Ausgang vom objektiv bestimmenden Freiheitsbegriff im Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft auch schlüssig vermittelt mit dem angeborenen Recht als ein moralisches Verpflichtungsvermögen gedacht werden, dann muss die in der Erwerbshandlung des erworbenen Rechts gleichursprünglich liegende Verpflichtung des anderen Rechtssubjekts im Grunde begrifflich auf eine intrapersonale Selbstverpflichtung unter dem Recht der Menschheit bzw. auf eine darauf gründende Selbstgesetzgebung im äußeren Verhältnis zurückgeführt werden. Da eine äußere Gesetzgebung aber im bloß interpersonalen Gleichordnungsverhältnis des Naturzustandes nicht gedacht wird, ist mit dem Einteilungsglied des erworbenen Rechts zugleich die über den Naturzustand in einer gedanklichen Überordnung hinausweisende Rechtsvorstellung einer äußeren Gesetzgebungsinstanz verbunden, die dem interpersonalen Rechtsverhältnis der

76 77

RL, AA VI: 237.18-23 i.V.m. 237.27-238.25. RL, AA VI: 237.18-23.

B. Verständige Einteilung des Rechtsbegriffs selbst

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Rechtspersonen übergeordnet ist und diese mitsamt ihren äußeren Rechtsverhältnissen folglich in sich gesetzesförmig subordiniert. In diesem vernünftigen Sinne ist es dann zu verstehen, dass die Rechte unter dem moralischen Begriff des Rechts als moralische Verpflichtungsvermögen zugleich einen gesetzlichen Grund (d. h. einen vernünftigen Rechtstitel) zu den positiven Rechten enthalten,78 denn alles positive Recht setzt mit den äußerlich tätig erworbenen Rechten eine äußere Gesetzgebung über den Privatrechtssubjekten für sich selbst voraus. Die Einteilung nach einem subjektiven Gesichtspunkt deckt sich in dieser autonomietheoretischen Problemstellung also mit der ihr vorangegangenen Einteilung nach einem objektiven Gesichtspunkt. Demnach ist unter dem Einteilungsglied des angeborenen Rechts ein reines Naturrecht zu denken, denn das angeborene Recht ist an und für sich nicht Gegenstand einer positiven äußeren Gesetzgebung. Dagegen sind unter dem Einteilungsglied des tätig erworbenen Rechts, allerdings nur in schlüssiger Vermittlung mit dem angeborenen Recht, sowohl ein tätig erworbenes Naturrecht, als auch ein tätig erworbenes positives Recht denkbar, wobei das tätig erworbene Naturrecht dann den Grund zu allem positiven Recht als Bedingung seiner Möglichkeit in sich enthalten muss. Eine kritische Naturrechtslehre, die im Ausgang von der grundgesetzlichen Freiheit des Willens rein begrifflich den Grund zu aller positiven Rechtslehre schlüssig in sich selbst entwickelt, muss darum, unter gedanklicher Voraussetzung des angeborenen Rechts, primär auf das tätig erworbene Naturrecht bezogen werden, womit sich das metaphysische Erkenntnisprogramm der Kantischen Rechtslehre an diesem Punkt im schlüssigen Dreischritt (angeborenes, erworbenes, positives Recht) weiter konkretisiert hat. Die einzelnen Glieder der hier auseinanderzusetzenden Verstandeseinteilung des moralischen Begriffs des Rechts bedürfen allerdings einer gesonderten Betrachtung, soll der durch sie im Hauptteil der Rechtslehre mögliche gedankliche Vernunftzusammenhang, darin die Freiheit des Willens entwickelt, niemals aber verloren geht, noch deutlicher vor Augen gestellt werden: 1. Das angeborene Recht äußerer Freiheit als negativer Begriff von Privatautonomie Das einzige angeborene Recht der Menschen ist nach dem Grundgedanken der vorstehenden Einteilung die „ F r e i h e i t “ ihrer Willkür „sofern sie mit jedes Anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann“.79 Subjekt dieses angeborenen Rechts ist also das einzelne und für sich bloß private Rechtssubjekt, weshalb diese angeborene Freiheit auch noch nicht positiv in äußeren 78

Die „Allgemeine Einteilung der Rechte“ (RL, AA VI: 237.13-26) bezieht sich unter „2)“ auf die „Rechte als (moralischer) V e r m ö g e n Andere zu verpflichten, d. i. als einen gesetzlichen Grund zu den letzteren (titulum)“ und knüpft mit dieser Wendung („den letzteren“) an die in der vorstehenden Kodivision zuletzt genannten positiven Rechte an, die dort das zweite Einteilungsglied in der Einteilung nach einem objektiven Gesichtspunkt vorstellen. 79 RL, AA VI: 237.29-32.

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6. Kap.: Die Einteilung des allgemeinen Begriffs des Rechts

Handlungen über die ganz beschränkte Sphäre des für sich selbst rechtlich freien Willkürsubjekts hinausreicht. In diesem beschränkten Sinne ist die Freiheit noch in einem bloß negativen Verstande ihres Begriffs als „Unabhängigkeit von eines Anderen nöthigender Willkür“80 und mithin noch nicht auch synthetisch erweitert als rechtgesetzliche (d. h. wechselseitig-gemeinschaftliche) Abhängigkeit in äußeren freien Handlungen voneinander in einem positiven Verstande von Autonomie gedacht.81 Der interpersonale Raum der menschlichen Rechtssubjekte ist auf diese Weise in seiner ursprünglichen Einheit zwischen diesen zuallererst noch völlig abstrakt und nicht auch schon konkret (d. h. als Boden) geteilt vorzustellen.82 Das für sich auf dem Erdboden bloß private Rechtssubjekt kann bei diesem intellektuellen Verstand seiner rechtsgesetzlichen Freiheit allerdings nicht gut stehen bleiben, denn die rechtsgesetzliche Freiheit geht kraft ihres Vernunftbegriffs auf äußere Handlungen und weist somit über die abstrakte Unabhängigkeit von fremder Willkür schon im Grunde des Begriffs deutlich hinaus.83 Mit dem moralischen Begriff des Rechts ist also vielmehr ein interpersonal-rechtsgesetzlicher Zusammenhang der Rechtssubjekte in ihren äußeren Handlungen auch positiv vorgezeichnet, der diesen zunächst bloß negativen Zusammenhang im interpersonalen Verhältnis zwar einesteils für sich selbst voraussetzt, jedoch anderenteils in seiner begrifflichen Entwicklung für ein gedankliches Moment von Subordination unter das Allgemeine auch hinter sich zurücklässt, wobei der angeborene Rechtsstatus der einzelnen Rechtsperson mit seiner stetigen Voraussetzung zu keiner Zeit verloren geht. Das angeborene Recht der Freiheit der Willkür als bloßer Unabhängigkeit von fremder Willkür kann für sich somit als Privatautonomie nur in einem negativen Verstande des Begriffs begriffen und im Rahmen der begrifflichen Fortentwicklung vorausgesetzt werden. Denn Freiheit als Autonomie ist Selbstgesetzgebung, die allerdings ein für sich bloß privates Rechtssubjekt nur im inneren Verhältnis zu sich selbst rein gedanklich und nicht auch schon im äußeren Verhältnis zu seinesgleichen tätig auszuüben vermag. Ein zum positiven Verstande entwickelter Begriff von Autonomie (= Freiheit) des Privatrechtssubjekts im äußeren Verhältnis, d. h. ein positiver Begriff von Privatautonomie setzt darum vielmehr für sich selbst eine gemeinsam mit allen anderen Privatrechtssubjekten verfasste Gesetzgebungsinstanz 80

RL, AA VI: 237.29. Zu den unter dem angeborenen Recht eingeteilten Befugnisausprägungen dieser rechtsgesetzlichen Unabhängigkeit einer freien Willkür siehe RL, AA VI: 237.32-238.11 und ergänzend etwa auch Friedrich, Eigentum und Staatsbegründung (2004), S. 77 f.; Ju, Kants Lehre vom Menschenrecht (1990), S. 119 ff.; oder Hespe, in: Bacin/Ferrarin/La Rocca/Ruffing (Hrsg.): Kant und die Philosophie in weltbürgerlicher Absicht III (2013), S. 809 (817 f.). 82 Vgl. dazu auch Klemme, in: Gerhardt/Horstmann/Schumacher (Hrsg.): Kant und die Berliner Aufklärung IV (2001), S. 180 (185). 83 Deswegen lässt sich die Kantische Rechtsphilosophie nach hier vertretenem Verständnis auch nicht angemessen erschließen, wenn man sie im Anschluss an die Verdrängungstendenzen Hegels auf einen bloß negativen Begriff von Freiheit in äußeren Verhältnissen reduziert sieht, vgl. dafür beispielsweise Pawlik, JRE 14 (2006), S. 269 (287 ff.) oder auch Müller, Wille und Gegenstand (2006), S. 59. 81

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im äußeren Verhältnis über diesem voraus, und bereits diese sich selbst subordinierende Verfassungstätigkeit im äußeren Verhältnis erfordert gedanklich eine äußere Handlung im allseitigen Verhältnis der Rechtssubjekte, die über die angeborene Unabhängigkeit deutlich hinausgeht.84 Es ist demnach eine subjektivistisch-einseitige Vorstellung von Privatautonomie nach Kantischen Begriffen gänzlich undenkbar, bei der die Autonomie der Privatrechtssubjekte in ihrem äußeren Verhältnis auch völlig unabhängig von einer solchen übergeordneten Gesetzgebungsinstanz schon 84

Gegen dieses hier vertretene Verständnis des Begriffs der Freiheit (des Willens) in seiner begrifflichen Entwicklung ins äußere Verhältnis (der Rechtspersonen) lässt sich wohl nicht ohne weiteres anführen, es bleibe hinter der gedanklichen Leistung Immanuel Kants zurück. Denn diese begriffliche Entwicklung entspricht begrifflich exakt dem Freiheitsgedanken in dem diesen begründenden intelligiblen Selbstverhältnis eines freien Willens (dazu das erste Kapitel). Auch für einen einzelnen freien Willen ergibt sich im reinen praktischen Selbstverhältnis ein positiv verstandener Begriff von seiner Freiheit (als Kausalität) nämlich erst durch die spontane und als Factum zurechenbare Selbstvorstellung seines allgemeingesetzlich verfassten Grundgesetzes der reinen praktischen Vernunft (§§ 6, 7, 8 KpV), darunter subordiniert Freiheit als solche positiv erst real begriffen werden kann. Vor und unabhängig von dieser grundgesetzlichen Selbstvorstellung lässt sich gedanklich aber nur ein negativer und noch unbestimmter Begriff von Freiheit des Willens in der reinen Verstandeskategorie der Kausalität denken. Nicht anders verhält es sich mit der begrifflichen Entwicklung ebendieses positiv verstandenen Freiheitsbegriffs im äußeren Handlungsverhältnis. Der positive Begriff von Freiheit (in seinem Selbstverhältnis) ist dem menschlichen Rechtssubjekt zwar schon vor aller wirklichen äußeren Allgemeingesetzlichkeit im Staat grundgesetzlich selbstbewusst. Im äußeren Verhältnis zu seinesgleichen bedeutet er gedanklich aber zunächst lediglich negativ eine Unabhängigkeit von der Willkür anderer Rechtspersonen, womit zugleich ein negativer Begriff vom rechtlichen Interpersonalverhältnis gedacht ist. Dagegen setzt ein positiver Verstand des Begriffs der Freiheit im äußeren Verhältnis und mit ihm auch ein solcher des Begriffs eines rechtlichen Interpersonalverhältnisses die im Ausgang vom freien Willen bzw. vom einzelnen Rechtssubjekt in äußeren Handlungen tätige Subordination unter eine wirkliche Allgemeingesetzlichkeit (im Staat) begrifflich für sich selbst voraus. Darum ist mit einem so verstandenen Freiheitsbegriff auch ein Rechtsdenken in bloßen Interpersonalverhältnissen unvereinbar, das Freiheit schon in einem positiven Verstand des Begriffs ursprünglich aus sich selbst (d. h. der bloßen Gleichordnungsrelation) hervorbringen möchte, denn es fehlt in einem solchen Gedanken das subordinativ bestimmende Moment der Allgemeingesetzlichkeit. Wollte man also gegen das hier wie vorstehend begrifflich entwickelte Freiheitsverständnis Immanuel Kants in Ansatz bringen, die gedankliche Leistung Immanuel Kants bestehe demgegenüber gerade darin, dass er Freiheit des einzelnen Willens bzw. eines einzelnen Rechtssubjekts in äußeren Handlungen auch ohne tätige Subordination unter eine Allgemeingesetzlichkeit gedacht habe, so wäre damit nach hiesigem Verständnis entweder auf eine bloße Denkmöglichkeit im negativen Begriff von Freiheit im äußeren Verhältnis abgehoben und so der Begriff des angeborenen Rechts der Freiheit missverstanden, oder aber das innerlich bestimmende Moment der Allgemeingesetzlichkeit gedanklich in Gänze geleugnet und so ein positiver Begriff von Freiheit im äußeren Verhältnis ins Werk gesetzt, der sich ohne sein bestimmendes Moment der Allgemeingesetzlichkeit selbst nicht begreifen könnte. In der Konsequenz dieses ursprünglich von aller Subordination herrlich freien Denkens, das die gedankliche Leistung Immanuel Kants von der begrifflich konstitutiven Subordination in die bloße Koordination verlagern möchte, läge es dann auch, dass die Freiheit des Willens schon im intelligiblen Selbstverhältnis irgendwie (etwa in einer unbegreiflichen „Faktizität“ der Vernunft?) ohne die grundgesetzlich bestimmende Allgemeingesetzlichkeit gedacht werden müsste.

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gänzlich für sich selbst (d. h. im bloßen Interpersonalverhältnis) in einem positiven Sinne gedacht sein soll, wobei es innerhalb dieser Auffassung nach hiesigem Verständnis nicht darauf ankommt, ob dieses begrifflos Vorgestellte gedanklich nur für ein zeitlich vorläufiges (d. h. empirisch-provisorisches) oder gar für ein zeitlich endgültiges (d. h. empirisch-peremtorisches) Moment genommen wird. Das angeborene Recht der Freiheit der Willkür behandelt Kant explizit nur in den „Prolegomenen“ vor dem eigentlichen Hauptteil der Rechtslehre, d. h. anlässlich der bloßen Begriffseinteilung des Rechtsbegriffs.85 Dabei ist zu bemerken, dass das angeborene Recht der Freiheit mit dem grundgesetzlichen Selbstbewusstsein eines freien Willens, d. h. in der menschheitsrechtlichen Allgemeinheit als dem bestimmenden Moment im Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft für sich selbst und ohne alle weitere Deduktion unmittelbar gewiss ist. Dagegen erfordern alle erworbenen Rechte nach ihrem Begriff methodologisch eine Deduktion des Begriffs ihres Erwerbsakts (§§ 17, 19, 22) und bedürfen aus diesem Grund dann auch einer ausführlichen begrifflichen Entwicklung im Hauptteil der Rechtslehre, weil sie nicht ursprünglich bereits synthetisch mit dem angeborenen Rechtsbewusstsein der freien Willkür verbunden sind, sodass vor der Hand unklar ist, ob vom jeweiligen Begriff der entsprechenden Erwerbshandlung ein praktischer Gebrauch mit Recht gemacht werden darf. Mit dieser unmittelbaren Gewissheit des angeborenen Rechts der Freiheit im grundgesetzlichen Recht der Menschheit erklärt sich dann auch, weshalb das angeborene Recht der Freiheit der Willkür „jedem Menschen“ „kraft seiner Menschheit“ zusteht.86 Das „Recht der Menschheit“ ist übergeordneter intelligibler Vernunftgrund des von ihm verständig zu unterscheidenden „Recht[s] der Menschen“,87 welches sich gemäß der hier auseinanderzusetzenden Begriffseinteilung wiederum in das angeborene und das erworbene Recht (der Menschen) einteilt.88 Die die in der Sekundärliteratur vorfindliche Konfundierung beider unterschiedener Rechte im unkantischen Begriff des „Menschheitsrechts“89 war darum schon zuvor zu kritisieren,90 weil sie die zur Unterscheidung der begrifflichen Denkebenen maßgeblichen Begriffsmerkmale zur ununterscheidbaren Einheit aufhebt. Dementsprechend findet sich dann in der rechtsphilosophischen Kantliteratur nicht selten eine

85

RL, AA VI: 238.21-25. RL, AA VI: 237.29-32. 87 Die verständige Entgegengesetzung von „Recht der Menschheit in unserer eigenen Person“ und „Recht der Menschen“ unter dem Begriff des Rechts überhaupt (d. h. des Begriffs der vollkommenen Pflicht) ist Teil der „ E i n t e i l u n g d e r M e t a p h y s i k d e r S i t t e n ü b e r h a u p t “ (RL, AA VI: 239 f.) und somit im Rahmen der (schon spezielleren) Einteilung des moralischen Begriffs des Rechts stillschweigend gedanklich vorausgesetzt. 88 Siehe dazu auch Hirsch, Freiheit und Staatlichkeit bei Kant (2017), S. 204 ff. 89 Siehe oben Fn. 41. 90 Kritisch wie hier auch Hirsch, Freiheit und Staatlichkeit bei Kant (2017), S. 206 f. 86

B. Verständige Einteilung des Rechtsbegriffs selbst

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Gleichsetzung des Rechts der Menschheit mit dem angeborenen Recht der Freiheit,91 sodass beispielsweise Wolfgang Kersting vom angeborenen Recht der Freiheit über die mit ihm alleine begriffene Unabhängigkeit von fremder Willkür hinaus meint, es beinhalte als „Menschheitsrecht“ positiv-konkret auch schon ein „Recht auf Republik“.92 Dagegen spricht Bernd Ludwig, um ein weiteres Beispiel zu nennen, gegen die Kantische Begrifflichkeit von einem „angeborene[n] Recht der Menschheit“93 und übersieht so, dass zwar der Spezies Mensch kraft Menschheit sein Recht der Freiheit, nicht aber der Menschheit als Gattung selbst irgendetwas Spezielles angeboren werden kann. Das Recht der Menschheit in der eigenen Person oder auch das angeborene Recht sind dann trotz bestehender gedanklicher Zusammenhänge begrifflich auch nicht einfach identisch mit der inneren Rechtspflicht94 oder dem inneren Mein und Dein95. Ebenso ist das angeborene Recht, als ein Glied der Einteilung des moralischen Begriffs des Rechts unter ihm, nicht mit diesem einfach (inhaltlich) identisch.96 Setzt man solche voneinander unterschiedenen Begrifflichkeiten bzw. Begriffsebenen in der Interpretation der Kantischen Rechtslehre dagegen kurzerhand gleich, so beraubt man sich als Interpret selbst derjenigen begrifflichen sowie gedanklichen Differenzen, die zum Zwecke einer metaphysischen Rechtserkenntnis aus reinen Begriffen a priori unabdingbar sind. Es ist also im Rahmen einer dezidiert metaphysischen Interpretation dringend angeraten, diese im Ausgang von der Textgrundlage zwingend vorgegebenen begrifflichen Unterschiede nicht einfach kurzerhand einzuebnen.

91 Vgl. dafür etwa Ebbinghaus, Positivismus – Recht der Menschheit – Naturrecht – Staatsbürgerrecht, in: Oberer/Geismann (Hrsg.): GS I (1986), S. 349 (354); ders., Das Kantische System der Rechte des Menschen und Bürgers in seiner geschichtlichen und aktuellen Bedeutung, in: Oberer/Geismann (Hrsg.): GS II (1988), S. 249 (259 ff.); Friedrich, Eigentum und Staatsbegründung (2004), S. 79; Geismann, Kant und kein Ende III (2012), S. 12 f.; Hirsch, Kants Einleitung in die Rechtslehre von 1784 (2012), S. 63 ff.; Höffe, in: Gerhardt/ Horstmann/Schumacher (Hrsg.): Kant und die Berliner Aufklärung I (2001), S. 275 (278 f.); Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 157 ff.; Klemme, in: Gerhardt/Horstmann/ Schumacher (Hrsg.): Kant und die Berliner Aufklärung IV (2001), S. 180 ff. – Auf die Notwendigkeit einer begrifflichen und sachlichen Differenzierung hat dagegen auch schon Ju, Kants Lehre vom Menschenrecht (1990), S. 95 ff./110 f. hingewiesen. 92 Kersting, Kant über Recht (2004), S. 48 ff., 51 ff. 93 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 104. 94 RL, AA VI: 236.24-30. 95 RL, AA VI: 237.24-26. 96 Vgl. dafür aber Friedrich, Eigentum und Staatsbegründung (2004), S. 78 f.; Hespe, in: Bacin/Ferrarin/La Rocca/Ruffing (Hrsg.): Kant und die Philosophie in weltbürgerlicher Absicht III (2013), S. 809 (816); Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 161; Römpp, Kants Kritik der reinen Freiheit (2006), S. 122.

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6. Kap.: Die Einteilung des allgemeinen Begriffs des Rechts

2. Das erworbene Recht äußerer Freiheit als positiver Begriff von Privatautonomie Das in der Kantischen Rechtslehre alleine als thematischer Gegenstand in seiner vernunftbegrifflichen Entwicklung zu behandelnde Recht der Menschen teilt sich also verständig ein in das angeborene und das erworbene Recht. Da jeder Erwerb eine entsprechende Erwerbshandlung eines ursprünglich freien Willkürsubjekts voraussetzt, wird die vernunftbegriffliche Entwicklung des auf das erwerbliche Recht bezogenen Hauptteils der Rechtslehre im Rahmen von Begriffsdeduktionen insbesondere auch auf die Vernunftbegriffe der entsprechenden Erwerbshandlungen gerichtet sein (§§ 17, 19, 22). Denn solche Erwerbshandlungen haben als rechtliche ausweislich ihres Begriffs die rechtliche Synthesis eines Rechtssubjekts mit seinem von ihm äußerlich verschiedenen Gegenstand in äußeren Handlungen im interpersonalen Zusammenhang a priori zum Gegenstand. Solchen synthetischen Rechtsbegriffen a priori kommt daher im Rahmen einer metaphysischen bzw. philosophischen Begriffserkenntnis nach den methodologischen Vorüberlegungen des grundlegenden Teils dieser Interpretationsarbeit eine herausgehobene Stellung zu. Wirkt eine solche rechtliche Erwerbshandlung dann aber gemäß ihrem Begriff ein subjektives Recht einer einzelnen Rechtsperson, so ist mit ihr und ihrem Begriff gleichursprünglich auch eine rechtliche Verpflichtung anderer Rechtssubjekte verbunden. Also entsteht erst mit dem unter dem Recht der Menschen eingeteilten Begriff des erworbenen Rechts im vernünftigen Rechtsdenken das autonomietheoretische Grundproblem von rechtlicher (d. h. allgemeingesetzlicher) Verpflichtung im interpersonalen Verhältnis der für sich bloß privaten Rechtssubjekte. Nur wenn sich dieses derart im Rechtsbewusstsein auftuende Grundproblem der Rechtsphilosophie unter dem moralischen Begriff des Rechts mit Blick auf den unter ihm praktisch bestimmbaren Vernunftbegriff einer übergeordneten äußeren und so gedanklich späterhin auch positiven Gesetzgebung auflösen lässt, hat der mit dem angeborenen Recht der Freiheit als Unabhängigkeit anhebende Begriff der Privatautonomie im äußeren Verhältnis dann auch einen positiven Verstand. Der eingeteilte Begriff des erworbenen Rechts ist insofern mit einem positiv verstandenen Begriff von Privatautonomie im äußeren Verhältnis verbunden, die ihrerseits nur unter einer durch die Autonmie des Rechtssubjekts überhaupt gleichursprünglich mitkonstituierten und ihr insofern übergeordneten Gesetzgebungsinstanz im äußeren Verhältnis wirklich vernünftig denkbar ist. Auf diese Weise ist dann das Erkenntnisprogramm der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre auch unter einem subjektiven Gesichtspunkt vorgezeichnet. 3. Annex: Inneres und äußeres Mein und Dein als subjektiver Rechtsbesitz Weil das angeborene begrifflich nicht mit dem inneren und das erworbene Recht nicht mit dem äußeren Mein und Dein vollkommen identisch sind, beide Begriff-

B. Verständige Einteilung des Rechtsbegriffs selbst

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lichkeiten (Recht bzw. Mein und Dein) jedoch in einem engen inneren Zusammenhang miteinander stehen, folgt auf die verständige Einteilung der Rechte unter einem subjektiven Gesichtspunkt schließlich – durch eine textliche Einrückung editorisch hinreichend gekennzeichnet – noch die ihr anhängende verständige Einteilung des possessorischen Rechtsbegriffs vom Mein und Dein.97 Bereits dieser Umstand widerspricht jeder begrifflich nicht weiter vermittelten Gleichsetzung beispielsweise des angeborenen Rechts mit dem inneren Mein und Dein oder der zuvor unter subjektivem Gesichtspunkt eingeteilten Rechte mit dem Mein und Dein überhaupt.98 Denn während der Begriff des Rechts subjektiv eine Befugnis und mithin ein moralisches Verpflichtungsvermögen ursprünglich in sich begreift, handelt es sich beim Begriff vom Mein und Dein um einen besitzanzeigenden Rechtsbegriff in Ansehung eines Rechts- bzw. Besitzgegenstandes. Indem der Begriff des Mein und Dein also einen Rechtsbesitz unter sich begreift, setzt er den subjektiven Begriff des Rechts schon über sich und in sich selbst für sich selbst in seiner eigenen Bestimmung voraus.99 Der Begriff des Mein und Dein bezieht sich folglich subjektiv-rechtlich auf einen bestimmten Besitzgegenstand, während der Begriff des subjektiven Rechts für sich selbst lediglich das Verhältnis eines berechtigten zu einem verpflichteten Rechtssubjekt begreift, das in Ansehung eines bestimmten Gegenstandes näher konkretisiert und dann mit dem Begriff vom Mein und Dein angemessen begriffen werden kann.

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RL, AA VI: 237.24-26. Vgl. für eine solche die begrifflichen Unterschiede aufhebenden Gleichsetzung in der Tendenz aber etwa Deggau, Die Aporien der Rechtslehre Kants (1983), S. 63 Fn. 2; Friedrich, Eigentum und Staatsbegründung (2004), S. 73, 76 deutlich zu Fn. 297, S. 78 u. ö.; Geismann, Kant und kein Ende III (2012), S. 12; Hespe, in: Bacin/Ferrarin/La Rocca/Ruffing (Hrsg.): Kant und die Philosophie in weltbürgerlicher Absicht III (2013), S. 809 (818); Hirsch, Kants Einleitung in die Rechtslehre von 1784 (2012), S. 63: „deckungsgleich; Hruschka, in: ders.: Kant und der Rechtsstaat (2015), S. 48 (61); Jacob, Das Individuum im Spannungsverhältnis (2010), S. 39; Klemme, in: Gerhardt/Horstmann/Schumacher (Hrsg.): Kant und die Berliner Aufklärung IV (2001), S. 180 (u. ö.); Kühl, Eigentumsordnung als Freiheitsordnung (1984), S. 127; Lehmann, in: ders.: Beiträge zur Geschichte und Interpretation der Philosophie Kants (1969), S. 195 (199); Müller, Wille und Gegenstand (2006), S. 57, 77 u. ö.; Oberer, in: Doyé/Heinz/ Rameil (Hrsg.): FS Baum (2004), S. 203 (204); Römpp, Kants Kritik der reinen Freiheit (2006), S. 123 ff.; Rühl, Kants Deduktion des Rechts als intelligibler Besitz (2010), S. 55; Wawrzinek, Die „wahre Republik“ (2009), S. 89. – Jedenfalls implizit dagegen wie hier beispielsweise Bartuschat, in: Zaczyk/Köhler/Kahlo (Hrsg.): FS E.A. Wolff (1998), S. 17 f. 99 Es ist mit dieser metaphysisch-methodologisch gegründeten Begriffsbestimmung dann nach hiesiger Auffassung keine hyperkritische oder rechthaberische Wortklauberei, im Rahmen einer Interpretation der Kantischen Rechtslehre darauf zu insistieren, dass nicht der Begriff des inneren/äußeren Mein und Dein im Recht das bestimmende Moment ist (wie dieses Bestimmungsverhältnis jedoch beispielsweise Zaczyk, in: Hoffmann [Hrsg.]: Das Recht als Form der „Gemeinschaft freier Wesen als solcher“ [2014], S. 25 [29] denken will), sondern, dass – umgekehrt – der Begriff des Rechts das rechtlich bestimmende Moment im Rechtsbegriff des inneren/äußeren Mein und Dein ist. 98

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6. Kap.: Die Einteilung des allgemeinen Begriffs des Rechts

Die verständige Einteilung des Rechtsbegriffs vom Mein und Dein im Anschluss an die Einteilung des subjektiven Rechtsbegriffs kennt mit dem inneren Voraussetzungsverhältnis beider eingeteilter Grundbegrifflichkeiten dann ein „angeborne[s]“ bzw. „ i n n e r e [ s ] “ sowie ein „äußere[s]“ bzw. „erworben[es]“ Mein und Dein.100 Unter dem inneren Mein und Dein wird folglich ein innerer Rechtsbesitz unter einem subjektiven Recht verstanden, während unter dem äußeren Mein und Dein ein äußerer Rechtsbesitz unter einem subjektiven Recht verstanden wird. Gegenstand des inneren Rechtsbesitzes ist unter dem subjektiven Recht angeborener Freiheit der Willkür einer Rechtsperson dann ihr eigener psychischer und physischer Gegenstand in Zeit (Seele) und Raum (Körper), wobei dieser angeborene Rechtsbesitz in seinem Begriff vom Mein und Dein für sich keiner weiteren Deduktion bedarf, weil er mit der angeborenen Freiheit eines menschlichen Rechtssubjekts gleichursprünglich rechtsbegrifflich schon synthetisch verbunden ist. Das subjektive Recht angeborener Freiheit betrifft also materiell nur das innere Mein und Dein im äußerlich gegenständlichen Selbstverhältnis, d. h. „den Besitz meiner selbst“.101 Dieser Selbstbesitz unter dem angeborenen Recht der Freiheit bildet so die erste sinnenweltliche Ausübungsbedingung der rechtlichen Willkür in den natürlichen Verhältnissen von Raum und Zeit,102 d. h. eines menschlichen Lebens in Freiheit.103 Dabei unterfällt insbesondere seine körperliche Erscheinung für das diese selbstbesitzende Rechtssubjekt nicht der Sphäre des äußeren Mein und Dein, da sich das Subjekt an sich selbst nicht äußerlich von sich selbst im Raum verschieden, sondern lediglich logisch durch Begriffe und insofern bloß unterschieden vorstellt.104 Schließlich ist der innere Selbstbesitz unter dem angeborenen Recht der Freiheit 100

RL, AA VI: 237.24-26. Vgl. dazu etwa auch RL, AA VI: 254.03-07 sowie KrV, B 415. 102 Vgl. auch Deggau, Die Aporien der Rechtslehre Kants (1983), S. 39; Höffe, „Königliche Völker“ (2001), S. 28; Klemme, in: Gerhardt/Horstmann/Schumacher (Hrsg.): Kant und die Berliner Aufklärung IV (2001), S. 180 (185); Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 101 Fn. 34, S. 104 f.; Müller, Wille und Gegenstand (2006), S. 127 ff., insb. S. 130. 103 Ohne hier einer unvermittelten Gleichsetzung des inneren Mein und Dein als Selbstbesitz mit der bloßen Leiblichkeit des Menschen das Wort zu reden, ist doch gegen Friedrich, Eigentum und Staatsbegründung (2004), S. 80 f. darauf zu insistieren, dass der dem Selbstbesitz unterfallende Körper des Menschen die sinnliche „Ausübungsbedingung“ der Freiheit in den Verhältnissen von Raum und Zeit darstellt. Sein anderslautendes und als Kritik an Mullholland vorgetragenes Urteil basiert sich dagegen auf einer unvermittelten begrifflichen Gleichsetzung des inneren Mein und Dein mit dem angeborenen Recht der Freiheit (Nachweise in dortiger Fn. 317). Kurioserweise sieht Friedrich ausgerechnet in der aus seiner Sicht fehlenden begrifflichen Gleichsetzung „den Grundfehler in Mulhollands Interpretation“, ohne seine eigene begriffliche Konfundierung zu bemerken, obgleich er a.a.O. in Klammern den Begriff „[=Recht]“ hinter das Zitat (AA VI, S. 237) des „angeborenen Mein und Dein“ setzen muss, weil beide Begriffe eben gemäß der zugrundeliegenden textlichen Basis tatsächlich nicht einfach identisch sind (siehe zudem bei Friedrich dazu auch S. 96 Fn. 362). 104 Klemme, in: Gerhardt/Horstmann/Schumacher (Hrsg.): Kant und die Berliner Aufklärung IV (2001), S. 180 (185) spricht hier insofern von einer „rechtliche[n] Besonderheit“. 101

B. Verständige Einteilung des Rechtsbegriffs selbst

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niemals bloß als ein faktisch-empirischer Besitz, sondern jederzeit bereits als ein Rechtsbesitz mit praktischer Notwendigkeit vorgestellt. Dagegen ist potentieller Gegenstand eines äußeren Rechtsbesitzes unter einem subjektiven Recht erworbener Freiheit im äußeren Verhältnis ein jeder für das erwerbende Rechtssubjekt äußerer Gegenstand seiner Willkür (vgl. § 2), wobei ein solcher erworbener Rechtsbesitz in seinem Begriff für sich selbst einer Deduktion bedarf (vgl. § 5), weil er mit der angeborenen Freiheit eines menschlichen Rechtssubjekts gerade nicht schon gleichursprünglich synthetisch verbunden ist, sondern zuallererst tätig verbunden werden muss. Eine solche Begriffsdeduktion im Hinblick auf das äußere Mein und Dein setzt die angeborene Freiheit eines ursprünglich alleine nur sich selbst besitzenden Willkürsubjekts aber stillschweigend für sich selbst voraus, da es ohne diese begriffliche Voraussetzung nicht zu einer begrifflich-schlüssigen Vermittlung innerhalb des verständig eingeteilten Rechts der Menschen kommen könnte und im Übrigen auch die angeborene Selbstständigkeit der Rechtsperson, die im Staat in einem sie bewahrenden Sinne aufzuheben sein wird, gedanklich tatsächlich verloren ginge. Aus diesem Grund knüpft dann § 1 Abs. 1 auch zunächst noch begrifflich indifferent gegen die schon besondere Unterscheidung von innerem und äußerem überhaupt und ganz allgemein an den Begriff des Mein und Dein an, bevor sich der Hauptteil der Rechtslehre erst sodann mit § 1 Abs. 2 gedanklich explizit auf die begriffliche Entwicklung des äußeren Mein und Dein spezifiziert, sodass die inhaltliche „Einteilung der Rechtslehre“ hinsichtlich ihres Hauptteils in den „Prolegomenen“ mit der notwendigen Voraussetzung des inneren Mein und Dein von Kant vorab „bloß auf das äußere Mein und Dein bezogen“ wird.105 Gedanklich ist der possessorische Rechtsbegriff vom Mein und Dein (d. h. vom „Haben“) nach alledem innerlich auf den in ihm mittelbar bestimmend vorausgesetzten Rechtsbegriff bezogen, wobei unter ihm selbst in seiner begrifflichen Sphäre mittelbar dann zugleich auch ein sinnlicher Gegenstandsbezug in den anschaulichen Verhältnissen von Raum und Zeit denkbar und auf diese Weise auch ein empirischer Gegenstand des freien Willkürsubjekts mit diesem Rechtsbegriff rechtlich bestimmbar ist, woraus schließlich die Antinomie106 des Besitzbegriff (intelligibler vs. empirischer Besitz) im Rechtsdenken entspringt. Eben diese rechtsbegriffliche Bestimmungsmöglichkeit mit Blick auf äußere Gegenstände eines körperlich verfassten freien Willkürsubjekts (Mensch) unter dem moralischen Begriff des Rechts rein begrifflich zu bestimmen und die Antinomie im Besitzbegriff dadurch zur vernünftigen Aufhebung im Rechtsdenken zu bringen, ist nach dem hier entwickelten und noch weiter zu entwickelnden Verständnis das metaphysische Anliegen des Hauptteils der Rechtslehre Immanuel Kants. Wollte man mit der zuvor kritisierten, weil begrifflich-unvermittelten Gleichsetzung der 105 106

RL, AA VI: 238.21-25. RL, AA VI: 254.33 ff. (§ 7).

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6. Kap.: Die Einteilung des allgemeinen Begriffs des Rechts

subjektiven Rechte und des Rechtsbesitzes (Mein und Dein) Ernst machen, so würde eine in dieser Rechtslehre beabsichtigte Metaphysik des Rechts, d. h. eine Rechtserkenntnis aus reinen Begriffen a priori in Ansehung des äußeren Mein und Dein schlechterdings unmöglich sein, weil Recht und äußerer Rechtsbesitz (z. B. in der Vorstellung eines ursprünglich rechtlichen Interpersonalverhältnisses) begrifflich ursprünglich immer schon ein und ebendasselbe wären, sodass eine in bestimmter Weise begrifflich bestimmte Relation dieser beiden Begriffe überhaupt gar nicht länger zur vernünftigen Entwicklung anstünde.107 Somit steht zu befürchten, dass sich die unvermittelten begrifflichen Gleichsetzungen der rechtsphilosophischen Kantliteratur an diesem frühen Punkt des Gedankengangs jedenfalls nicht in einem positiven Sinne auf das Gesamtverständnis der Kantischen Rechtsmetaphysik auswirken dürften, weil sie die im Rahmen einer philosophischen Erkenntnis maßgeblichen begrifflichen Unterschiede in einer sie nicht bewahrenden Weise aufheben, d. h. negieren.

C. Verständige Rechtsbegriffseinteilung und vernünftige Rechtsbegriffserkenntnis Das metaphysische Erkenntnisprogramm des Hauptteils der Rechtslehre Immanuel Kants knüpft mit den vorstehenden Überlegungen, eben weil es die Rechtslehre rein begrifflich nicht in vollkommenen Pflichten, sondern in natürlichen Rechten – nach trichotomischer Vernunftmethode – zur intensiven Deutlichkeit entwickelt, an die zuletzt auseinandergesetzten – noch nur dichotomischen – Verstandeseinteilungen des moralischen Begriffs des Rechts an. Die zunächst nur verständige Begriffseinteilung dient somit in den bereits vorgezeichneten Bahnen dem metaphysischen Erkenntnisinteresse im Rahmen einer vernünftigen Rechtserkenntnis aus reinen Vernunftbegriffen a priori. Ein jeder verständige Widerspruch zwischen irgendwelchen besonderen Rechtsbegriffen unter dem moralischen und als allgemein gebrauchten Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) muss somit durch die praktische Bestimmung dieses übergeordneten Vernunftbegriffs des Rechts selbst – und zwar vermittelst gedanklich regressiver Abstraktion und progressiv-schlüssiger Konkretion – in der Sphäre des Allgemeinen gehoben werden können. Hierin besteht die im Grundlegungsteil der hiesigen Interpretationsarbeit nachgezeichnete philosophische Methode, die das Besondere in Begriffen schlüssig vermittelt im Allgemeinen betrachtet, d. h. die das Besondere im Allgemeinen begrifflich bewahrend aufhebt und sich darum auch nicht in bloß begrifflicher Abstraktion schon selbst gedanklich genügsam sein kann. Dieses Allgemeine weiß sich dabei selbst in metaphysischen 107 In der Folge scheinen die begrifflich-methodologisch vorgehenden Ausführungen Immanuel Kants dann sehr schnell redundant zu werden, vgl. für eine solche Auffassung beispielsweise Friedrich, Eigentum und Staatsbegründung (2004), S. 101 f., 118 ff. oder Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 198.

C. Verständige Rechtsbegriffseinteilung und vernünftige Rechtsbegriffserkenntnis 193

Anfangsgründen (d. h. praktischen Postulaten = Grundsätzen = Prinzipien) unmittelbar objektiv (d. h. begrifflich) real, weshalb solche Anfangsgrundsätze (§§ C Abs. 4/2 Abs. 1/42 Abs. 1) – gemäß der im vierten Kapitel vorgezeichneten und im Folgenden stets gedanklich als bekannt vorausgesetzten rein begrifflichen Architektonik der Metapyhsische Anfangsgründe der Rechtslehre – in ihrem schlüssigen Verhältnis zueinander den jeweils obersten gedanklichen Ausgangspunkt aller metaphysischen Begriffs- und Rechtserkenntnis a priori bilden.

Abb. 7: Verständige Grundeinteilung des kantischen (Natur-)Rechtsdenkens

Ist diese begrifflich-systematische Vorgehensweise methodologisch verstanden, dann ist klar, dass innerhalb der damit bezweckten synthetischen Begriffsverknüpfung kein begriffliches Glied der schon (verständig) vorgenommenen und noch weiter vorzunehmenden Begriffseinteilungen unter dem moralischen Begriff des Rechts in seiner Totalität für sich selbst gedanklich unverbunden, d. h. in unaufgehobenen Verstandeswidersprüchen befangen zurückbleibt. Insbesondere setzt die auf das äußere Mein und Dein gerichtete vernunftbegriffliche Gedankenentwicklung des Hauptteils der Rechtslehre (§§ 1 – 62) das diesem verständig entgegengesetzte Einteilungsglied des inneren Mein und Dein unter dem insgesamt zu entwickelnden moralischen Begriff des Rechts der Menschen schlüssig stets über und für sich selbst voraus, sodass die etwaige gedankliche Sorge, das Rechtssubjekt drohe in seinem angeborenen rechtlichen Selbststand der Freiheit im Rahmen dieser begrifflichen Entwicklung über das vernunftbegriffliche Entwicklungsmoment eines substanziellen Staates unterzugehen, zwar gewiss honorig, jedoch – wohlverstanden – unbegründet ist, da diese Sorge eines bloß abstrakten Rechtsdenkens bei dem bloßen Verstandesgegensatz des angeborenen Rechts gegen das erworbene Recht bzw. des inneren Mein/Dein gegen das äußere Mein/Dein gedanklich stehen bleibt. Denn tatsächlich ergibt sich – wie zuvor skizziert – erst vermittelst dieses begrifflichen Entwicklungsmoments ein positiv verstandener Begriff vom angeborenen Selbststand der Freiheit dieses privaten Rechtssubjekts in äußeren Handlungen, d. h. ein positiver Begriff von Privatautonomie als Freiheit in äußeren Verhältnissen.

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6. Kap.: Die Einteilung des allgemeinen Begriffs des Rechts

Mit dem in der vorstehend auseinandergesetzten Einteilung des Mein und Dein angeknüpften Besitzbegriff ist auch der im ersten Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre maßgebliche reine Verstandesbegriff (= Haben) im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug angeknüpft. Bevor allerdings die damit anhebende vernunftbegriffliche Entwicklung des natürlichen Privatrechts vom äußeren Mein und Dein erörtert werden kann, bedarf es vorab noch eines vollständig eingeteilten und implizit schon vorausgesetzten Überblicks über das insgesamt zu entfaltende Naturrecht. Eben deshalb findet sich in den von Immanuel Kant in der Rechtslehre auf die Einleitung hin gegebenen Einteilungen an letzter Stelle und nach der in der Rechtslehre begrifflich maßgeblich – wie bemerkt – vorausgesetzten „ E i n t e i l u n g d e r M e t a p h y s i k d e r S i t t e n ü b e r h a u p t “108 mit einer optischen Abhebung („* * *“) versehen eben diese „oberste Einteilung des Naturrechts“109 : Bekanntlich zerfällt das Naturrecht bei Immanuel Kant in die Verstandesgegensätze des „ n a t ü r l i c h e [ n ] “ und des „ b ü r g e r l i c h e [ n ] “ Rechts, d. h. in den Verstandesgegensatz von „ P r i v a t r e c h t “ und „ ö f f e n t l i c h e [ m ] “ Recht.110 Das dabei bemühte Einteilungsmerkmal bildet der Relationsbegriff der „Gemeinschaft“, der als reiner Verstandesbegriff einer Wechselwirkung in praktischer Funktion auch im Rechtsbegriff gedacht wird,111 und von dem im Rahmen seiner verständigen Einteilung anfänglich bewusst geworden ist, dass unter ihm das umfassend gemeinschaftliche (nicht bloß interpersonale) Rechtsverhältnis aller Rechtspersonen, und zwar zur Auflösung ihres autonomietheoretischen Problems in ihrem äußeren Verhältnis, rein begrifflich zu entwickeln ist; die allgemeine Vorstellung einer wirklichen rechtlichen Gemeinschaft muss also begrifflich unter dem allgemeinen Begriff rechtlicher Gemeinschaft (§ B Abs. 3) begriffen werden. Eine solche umfassende Rechtsgemeinschaft oder rechtliche Wechselwirkung der Rechtssubjekte kann dann im Grunde nur in einer bürgerlichen Gesellschaft gedacht werden, weil sie alleine die durch sie interpersonal wirklich verbundenen (koordinierten) Privatrechtssubjekte in sich unter einem gesetzlichen Allgemeinwillen praktisch-notwendig subordiniert vorstellt. Eine solche bürgerliche Gesellschaft unter einem gesetzlichen Allgemeinwillen im Staat112 ist aber im bloß natürlichen 108

RL, AA VI: 239-242.11. – Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 49 ff. hat diese Einteilung freilich ans Ende des Abschnittes „Von der Einteilung einer Metaphysik der Sitten“ der Einleitung in die Metaphysik der Sitten versetzt. 109 RL, AA VI: 242.12-19 i.V.m. 238.24. 110 RL, AA VI: 242.12-15. 111 Siehe dazu oben unter B. II. 2. im fünften Kapitel. 112 Die durch den Staat vermittels gesetzlicher Subordination koordinierte bürgerliche Gesellschaft ist also nicht mit dem Staat einfach identisch, sondern der Staat ist vielmehr als gesetzliche Rechtsform der bürgerlichen Gesellschaft begriffen: „[…] der b ü r g e r l i c h e V e r e i n (unio civilis) kann nicht wohl eine G e s e l l s c h a f t genannt werden; […]. […] Jener Verein ist also nicht sowohl als m a c h t vielmehr eine Gesellschaft.“ (RL, AA VI: 306.36-307.06 [§ 41]). Dementsprechend kann nicht bereits das bürgerliche Gleichheitsver-

C. Verständige Rechtsbegriffseinteilung und vernünftige Rechtsbegriffserkenntnis 195

Zustand der Rechtssubjekte, und zwar infolge der darin gedanklich vorherrschenden Abstraktion von diesem gesetzlichen Allgemeinwillen, noch nicht konkret gedacht, und folglich ist dem natürlichen Zustand mit dieser seiner Abstraktion der bürgerliche Zustand, bzw. es ist dem natürlichen Privatrecht mit dieser seiner Abstraktion das bürgerliche öffentliche Recht noch entgegengesetzt. Merkmal dieser bloß verständigen und vernunftbegrifflich aufzuhebenden Einteilung des Naturrechts ist mit der praktischen Gemeinschaftskategorie also nicht der Begriff der „Gesellschaft“, denn Gesellschaften kann es sowohl im natürlichen, als auch um bürgerlichen Zustand geben, sodass es sich hierbei schon um ein beide Zustände gemeinsam verbindendes und nicht exklusiv teilendes Begriffsmerkmal unter dem allgemein gebrauchten Rechtsbegriff handelt. Nun liegt in der Entgegensetzung vom natürlichen Privatrecht zum bürgerlichen öffentlichen Recht aber lediglich ein abstrakter Verstandesgegensatz im Rechtsdenken vor, sodass der eine Zustand ohne den anderen Zustand nicht vernünftig in seiner Einheit gedacht werden kann, und folglich muss dieser abstrakte Verstandesgegensatz unter dem moralischen Begriff des Rechts der Menschen begrifflich schlüssig vermittelt in der Vernunfteinheit eines dritten Vernunftbegriffs, nämlich in dem Begriff der öffentlichen Gerechtigkeit (§ 41 Abs. 1) synthetisch aufhebbar sein. Dann aber kann in dieser potentiellen begrifflichen Vermittlung schon das erste Einteilungsglied – d. h. das natürliche Privatrecht – letztlich im Grunde nicht außerhalb des zweiten Einteilungsgliedes – d. h. dem bürgerlichen öffentlichen Recht – an und für sich selbst vernünftigerweise bereits begriffen werden, sodass im Rahmen der vernunftbegrifflichen Entwicklung des ersten Einteilungsgliedes das zweite Einteilungsglied begrifflich immer schon stillschweigend vorausgesetzt ist (vgl. § 15 Abs. 3).113 In dieser Form einer Voraussetzung oder Provision im Wortsinne (d. h. Vorsehung) lässt sich aller natürliche Privatrechtsbesitz dann nur im Hin-blick („prov-visio“) auf die bürgerliche Gesellschaft im Staat rein vernunftbegrifflich schon vor diesem Einteilungsglied gedanklich vorstellen (§§ 7, 8, 15), d. h. „provisorisch für rechtlich erkennen“ (§ 44 Abs. 3) und mithin auch nur in diesem Sinne durch metaphysische Rechtsbegriffe denken bzw. begreifen. Mit einem im zeitlichen Sinne vorläufigen Rechtsbesitz im Naturzustand hat diese metaphysische Erkenntnisrelation dann allerdings nicht das Geringste zu tun, denn in einem solchen empirischen Begriffsverständnis läge eine Hypostase des provisorischen Rechtsbesitzes und mithin eine unzulässige Verabsolutierung des Naturzustandes an und für sich selbst, der – wohlverstanden und wie jetzt bemerkt – lediglich ein erstes begrifflich-verständiges Einteilungsglied innerhalb der ganzen Totalität der Rechtsidee und somit an hältnis der einzelnen Rechtssubjekte zueinander als Staat gelten, wie beispielsweise Hruschka, in: ders.: Kant und der Rechtsstaat (2015), S. 13 (15 Fn. 9) gegen die von ihm affirmativ zitierte Textstelle dafürhält, sondern lediglich „das Ganze derselben in Beziehung auf seine eigene Glieder“ (RL, AA VI: 311.14-15), d. h. das Subordinationsverhältnis der einzelnen Willkürsubjekte unter den gesetzlich verfassten Allgemeinwillen. 113 Ebenso kann das zweite Glied nicht ohne das erste Glied vernünftig gedacht werden und so muss jenes dieses genau so für sich selbst voraussetzen, RL, AA VI: 306.29-35, 312.34-36.

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6. Kap.: Die Einteilung des allgemeinen Begriffs des Rechts

und für sich auch kein empirisches Datum in der Zeit ist.114 In dieser metaphysischen Begriffseinsicht, die in Ansehung sonst überfälliger Hypostasen eine disziplinierende Wirkung im Rechtsdenken haben kann, besteht möglicherweise – wie im ganzen bisherigen Gedankenverlauf deutlich geworden sein sollte – wohl die wichtigste These im Grundverständnis der hier vertretenen Interpretation. Mit diesem vernünftigen oder schlüssigen und von Hypostasen methodologisch frei gehaltenen Verständnis der obersten Einteilung des Naturrechts lässt sich dann in der schlüssigen Folge alles natürliche Privatrecht subordiniert im bürgerlichen öffentlichen Recht denken, sodass auch alle partikularen Privatrechtsgesellschaften („z. B. eheliche, väterliche, häusliche überhaupt und andere beliebige mehr“115) die bürgerliche Gesellschaft im Staat für sich selbst voraussetzen (siehe besonders die §§ 22 ff.). Der Staat kann darum in der bis heute weitgehend unausgesprochenen Konsequenz einer eigentumstheoretischen Interpretation auch nicht als Eigentümergesellschaft vernünftig begriffen werden, denn jede (private) Eigentümergesellschaft (bürgerlichen Rechts) setzt den Staat schon für sich selbst voraus und macht aus diesem Grund in ihrer Partikularität auch selbst noch längst keinen Staat.

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„Der G e s c h i c h t s u r k u n d e […] nachzuspüren, ist v e r g e b l i c h , d. i. man kann zum Zeitpunkt des Anfangs der bürgerlichen Gesellschaft nicht herauslangen (denn die Wilden errichten kein Instrument ihrer Unterwerfung unter das Gesetz, und es ist auch schon aus der Natur roher Menschen abzunehmen, daß sie es mit der Gewalt angefangen haben werden).“ (RL, AA VI: 339.27-32). 115 RL, AA VI: 306.23-24.

7. Kapitel

Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem allgemeinen Begriff des Rechts Erst jetzt ist methodologisch und begrifflich der gedankliche Grund bereitet, darauf es möglich ist, den Kantischen Gedanken einer Rechtserkenntnis aus reinen Vernunftbegriffen des Rechts unter dem dabei als allgemein bestimmend gebrauchten moralischen Begriff des Rechts der Menschen (§ B Abs. 3) Schritt für Schritt rein begrifflich nachzuvollziehen und auf diese Weise den Begriff des Rechts in seiner Idee unter ihm von einem zunächst völlig abstrakten zu einem zunehmend intensiv deutlichen Bewusstsein zu erheben. Dabei wird der Grad der begrifflichen Abstraktion zu Beginn – nämlich im ersten Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre – aus methodologisch bereits im dritten Kapitel erörterten Gründen am größten sein, sodass nicht zu erwarten ist, eine vollkommen intensive Vernunftdeutlichkeit der Totalität der Rechtsidee könne vom Leser der Rechtslehre in ihrer metaphysischen Konkretion bzw. Determination bereits im isolierten gedanklichen Nachvollzug lediglich der §§ 1 – 9 erreicht werden. Wohl aber lassen sich diese für das Gesamtverständnis der Kantischen Rechtslehre weichenstellenden Anfangsparagraphen, da sie alles auf sie Folgende in sich selbst begrifflich real schlüssig voraussetzen, mit einem methodologisch schon erarbeiteten intensiven Bewusstsein von der Kantischen Rechtsidee rückblickend aus diesem Bewusstsein heraus heller ausleuchten. Diese hellere Beleuchtung setzt dann, soll sie vom Leser nicht als grell oder gar als blendend wahrgenommen werden, allerdings das methodologische Bewusstsein der idealen Differenz von Begriff und Gegenstand bzw. Begriffsinhalt und -umfang der allgemeinen Rechtsvorstellung als Mindestverständnisbedingung voraus, wie sie im Rahmen einer metaphysischen Begriffserkenntnis a priori unabdingbar ist. Ohne dieses Bewusstsein wird man in der nachfolgenden Interpretation darum auch nur das Zerr- oder Vexierbild des bisher landläufigen Verständnisses der Kantischen Rechtslehre zu finden glauben, das weitgehend nämlich noch auf einer unbemerkten Gleichsetzung von Begriff und Gegenstand beruht, und die hier vorgelegte Interpretation darum auf den Standpunkt gestellt sehen wollen, sie verstehe entweder bloß ihren Kant oder gar sich selbst nicht so recht. Beide Erklärungsvarianten sind freilich stets real möglich, aber ohne begrifflich belastbaren Gegenentwurf sowie unter fehlender Benennung des methodologischen oder gedanklichen Verständnisfehlers zugleich auch die billigsten.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts Der Naturzustand ist bis hierher als ein bloßer Vernunftgedanke in der verständigen Einteilung des moralischen Rechtsbegriffs bzw. des unter ihm zu entwickelnden Begriffs des Naturrechts angesprochen worden. Die bloße Vernunftidee des Naturzustandes, der an und für sich selbst keinerlei objektive Realität außerhalb seines bloßen Gedankens hat, enthält dabei infolge der mit § B Abs. 1 gedanklich begonnenen methodologischen Abstraktion von allen schon auch nur anfänglich konkret gedachten Rechtsgesetzen im äußeren Verhältnis positiv lediglich die rechtsbegriffliche Beurteilungsidee allen Rechts, d. h. einen im Rechtsbegriff bloß bestimmend gedachten Allgemeinwillen,1 darunter ein freies Willkürsubjekt, und zwar ohne eine wirkliche äußere Gesetzgebung, die nur im Staat möglich ist, ursprünglich kraft seines grundgesetzlichen Selbstbewusstseins bzw. kraft seines angeborenen Rechts der Freiheit in Verhältnis zu seinesgleichen schon jederzeit praktisch-notwendig steht. Auf diese begrifflich-subordinative Weise lässt sich dann dieses interpersonale Verhältnis freier Willkürsubjekte als Privatrechtsverhältnis gedanklich bereits vor einer staatlichen Gesetzgebung – wohlverstanden mit dem Postulat rechtsgesetzlicher Beschränkung der freien Willkür (§ C Abs. 4)2 aber auch nur im Hinblick auf diese – rein rechtsbegrifflich (d. h. metaphysisch) bestimmen. Dagegen geht einem empirischen Verständnis dieses tatsächlich lediglich provisorisch für rechtlich erkennbaren Interpersonalverhältnisses – soweit für Verf. bisher ersichtlich war – nicht nur eine ausdrückliche Bestimmung seiner begrifflich-metaphysischen Methode, sondern auch eine solche seiner Naturzustandsvorstellung ab; bestenfalls ist als Lippenbekenntnis noch zu erfahren, dass es sich nicht um einen historischen Zustand handeln soll. Nun hat Immanuel Kant den Begriff des Naturzustandes, sieht man neben weiteren Einzelbemerkungen von den sachlichen Hinweisen im Rahmen der „obersten Einteilung des Naturrechts“3 ab, in Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre nirgendwo positiv definiert, und zwar wohl deshalb, weil es sich um einen Rechtsbegriff unter dem ihm übergeordneten Begriff des Naturrechts handelt, der nicht selbst, sondern bloß in der Form seiner unter ihm enthaltenen und eingeteilten Begriffe (Mein und Dein = Besitz = Haben) positiv begrifflich entwickelt werden wird. Es findet sich in § 41 Abs. 2 lediglich eine die schon angesprochene Abstraktion zum Ausdruck bringende und darum negative Definition des Naturzustandes, als eines noch nicht-rechtlichen Zustandes, der durch die Abwesenheit einer austeilenden Gerechtigkeit, die nur durch den Staat möglich ist, wesentlich ge1

Siehe zu diesem bestimmenden Allgemeinwillen im Rechtsbegriff oben unter B. II. 4. im fünften Kapitel. 2 Siehe zu diesem ersten und obersten rechtlichen Postulat der praktischen Vernunft im äußeren Verhältnis bereits die Ausführungen unter B. I. im vierten Kapitel. 3 RL, AA VI: 242.12-19.

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kennzeichnet sein soll. Will man sich von der durch Verf. zuvor gegebenen Erklärung des Naturzustandes im Einklang mit dieser Negativerklärung also überzeugen, ohne zugleich der Interpretenbehauptung einer in § B Abs. 1 angeknüpften und hier fortwirkenden Abstraktionsmethode schon ungeprüft Glauben schenken zu wollen, so sieht man sich insbesondere auf die Vorarbeiten zur Rechtslehre und die Vorlesungsnachschrift Metaphysik der Sitten Vigilantius verwiesen. Auch in den Vorarbeiten findet sich dann der Gedanke, dass das interpersonale Privatrecht wechselseitig angelegt ist, während das öffentliche Recht die Subordination des Privatrechts- unter das Staatsrechtssubjekt enthält. Denkt man sich dagegen das Privatrecht ohne ein öffentliches Recht, d. h. ohne Subordination unter einen wirklichen Allgemeinwillen, so resultiert die Naturzustandsvorstellung, die nur noch die „bloße Idee der Möglichkeit einer Rechtspflege“ in sich enthält.4 Also ist die Wechselseitigkeit des Privatrechtsverhältnisses auch nach den Vorarbeiten zur Rechtslehre nicht ohne die gleichzeitige Subordination der Privatrechtssubjekte unter einen gesetzgebenden Allgemeinwillen wirklich denkbar und so enthält die Naturzustandsvorstellung auch darin nur die rechtsbegriffliche Beurteilungsidee allen Rechts. Der Naturzustand stellt demnach als bloße Idee kein Zeitdatum vor und enthält folglich auch kein solches in sich.5 Eben deshalb beschreibt die Vorlesungsnachschrift Metaphysik der Sitten Vigilantius aus dem Winterhalbjahr 1793/1794 den Naturzustand gar nicht anders: „Man hat sich ferner die Menschen unterm Gesetz in einem verschiedenen Zustande gedacht, und den statum naturalem vom statu civili dadurch abgeschieden, daß man die Eingehung eines Status civilis auf ein freiwilliges Pactum aussetzt. Es ist indeß hiebey darin ein Irrthum, einen verschiedenen Zustand anzunehmen, da in Rücksicht ihrer Rechte es in statu naturali et civili dieselben bleiben ; nur das Recht wird insofern nur in verschiedenem respectu betrachtet, der status naturalis existiert an sich gar nicht, und hat nie existirt, es ist eine bloße Vernunft-Idee, die die Beurtheilung des Privatverhältnisses der Menschen unter einander enthält, wie sich nämlich die Freiheit des einen gegen die Freiheit des anderen nach den Gesetzen der allgemeinen Freiheit bestimmt.“6 Darf man sich demnach wohl darin einig finden, dass der Naturzustand auch in der Rechtslehre von 1797 eine bloße Vernunftidee vorstellt, die mit dem im Rechtsbegriff bestimmend vorgestellten Allgemeinwillen die rechtsbegriffliche Beurteilungsidee des Privatrechts in sich enthält, dann folgt hieraus, dass sich mit Blick auf die im Naturzustand schon gedachten Privatrechte – erstens – ohne unzulässige Hypostasen keine Existenzbehauptungen verbinden lassen, die über die bloß gedachte Idee solcher Rechte schon ohne weiteres hinausgehen, und dass – zweitens – alle darin rein begrifflich bloß gedachten subjektiven Rechte eines einzelnen Willens lediglich 4

VARL, AA XXIII: 347.14-16. Siehe dafür RL, AA VI: 251.01-13, 258.09-21, 262.26-34, 264.17-28, 318.19-33, 339.27-32. 6 V-MS/Vigil, AA XXVII 2,1: 589.17-28. 5

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vermittelst des im Rechtsbegriff bestimmend vorgestellten Allgemeinwillens und darum alleine in einer Subordination unter diesen gedacht werden können.7 In einem solchen Denken subjektiver Rechte unter einem rein begrifflich vorgestellten Allgemeinwillen bereits im Naturzustand liegt aber der gedankliche Vorausblick auf den Staat, denn in ihm alleine lässt sich ein Allgemeinwillen in Gesetzen unter dem allgemein gebrauchten Begriff des Rechts wirklich denken. Also werden die subjektiven Privatrechte im Naturzustand gedanklich nur im Hin-blick („pro-visio“) auf den Staat schon wirklich als rechtlich unter dem Begriff des Rechts erkannt und dies ist die wahrhaft metaphysische Bedeutung des Begriffs vom „provisorischen“ Rechtsbesitz im natürlichen Privatrecht schon vor dem Staat. In diesem metaphysischen Realbegriff ist dann die reale Möglichkeit subjektiver Privatrechte im Staat bürgerlicher Gesellschaft angelegt. Ohne dieses gedankliche Verhältnis zu einem wirklichen Allgemeinwillen im Staat lässt sich vor dem Staat dagegen gar kein subjektives Recht schon in seiner rechtlichen Wirklichkeit denken und darum geht ein empirisches Verständnis des Begriffs des provisorischen Besitzes im Sinne eines vor dem Staat einstweilen vorläufig für sich bestehenden Rechtsbesitzes bereits im Naturzustand schlechterdings fehl. Ein solches hypostasiertes Verständnis des provisorischen Besitzes setzt zwangsläufig auch ein hypostasiertes Verständnis des Naturzustandes für sich selbst voraus und verfehlt somit jedenfalls die Kantische Naturzustandsvorstellung, weil sich ein solches Denken in Hypostasen offenbar von aller Subordination unter einen Allgemeinwillen gänzlich frei sprechen zu können glaubt, wenn es dem bloßen (und darum empirischen) Einzelwillen rechtsbegründende Kraft für sich selbst im reinen Interpersonalverhältnis zuspricht und so – gewollt oder ungewollt – in das gedankliche Gegenteil von Autonomie eines einzelnen freien Willens, nämlich in Heteronomie umschlägt. – Dieses hier vorab pointierte autonomietheoretische Problem ist im Folgenden ausführlich zu entwickeln:

I. Haben eines äußeren Gegenstandes der freien Willkür Der erste Teil der Rechtslehre Immanuel Kants bezieht sich ausweislich seiner Überschrift auf „ D a s P r i v a t r e c h t v o m ä u ß e r e n M e i n u n d D e i n ü b e r h a u p t “8. Dabei handelt das erste von drei Hauptstücken dieses ersten Teils der Rechtslehre „ Vo n d e r A r t e t w a s Ä u ß e r e s a l s d a s S e i n e z u h a b e n “9. Mit dem abgeleiteten reinen Verstandesbegriff (= Prädikabilie) des Habens (= Besitz) wird hier zugleich der rechtliche Besitzbegriff („Mein und Dein“) 7 Deswegen muss jede gedankliche Marginalisierung dieses im Rechtsbegriff bestimmend vorgestellten Allgemeinwillens (siehe zu diesem bereits oben unter B. II. 4. und B. III. im fünften Kapitel) auch zu einem völlig anderen (nämlich schon für sich selbst absoluten) Privatrechtsverständnis führen, als es hier im Folgenden entwickelt werden wird. 8 RL, AA VI: 245.01-05. 9 RL, AA VI: 245.06-07.

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angeknüpft, wie er zuvor in ein inneres und ein äußeres Mein und Dein eingeteilt wurde.10 Im Verstandesbegriff des Habens wird dann – gänzlich abstrakt – der schon erfolgte Gegenstandsbezug einer Substanz, d. h. eines Subjekts im Denken vorgestellt.11 Mit dieser Verbindung von Objekt und Subjekt ist aber im Begriff des Habens die Kausalität der Substanz in Bezug auf das Objekt gedanklich aufgehoben, sodass im Begriff des Habens das Verhältnis des Subjekts der Kausalität zur Wirkung, d. h. der Handlungsbegriff innerlich real vorausgesetzt ist.12 Handelnde Kausalität setzt aber gedanklich Kraft der Substanz in Bezug auf das Objekt voraus, und mithin sind mit dem angeknüpften Begriff des Habens in diesem innerlich die reinen Begriffe von Handlung, Kraft und Substanz real vorausgesetzt, dadurch sich – wie im vierten Kapitel ausführlich herausgearbeitet – die natürliche Privatrechtslehre mit ihren 1 – 2 – 3/4 Hauptstücken innerlich rein verstandesbegrifflich im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug strukturiert und das rein begriffliche System einer metaphysischen Privatrechtserkenntnis im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug a priori vorgegeben ist. 10

RL, AA VI: 237.24-26. Siehe nochmals ausführlich zum Begriff des Habens unter B.II. im vierten Kapitel. Hier ist nur zu erinnern, dass es sich bei diesem Begriff im Kantischen System um einen reinen und abgeleiteten Verstandesbegriff (Prädikabilie) unter der reinen Verstandeskategorie (Prädikament) der Kausalität handelt, und der insofern geeignet ist, eine Kausalität des Willens aus Freiheit im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug in äußeren Handlungen im reinen Denken vorzustellen. Im Aristotelischen Denken bildet der Begriff des „habere“ – wie Kant (VARL, XXIII: 325.11-12) natürlich weiß – die zehnte Kategorie. Siehe weiterführend Funke, in: Ritter/ Gründer (Hrsg.): HWPh III (1974), Sp. 981 zum im Ursprung aristotelischen Begriffsverständnisses des Habensbegriffs vom Dauerzustand des Daseienden über die Bedeutung des in Gebrauch Stehens hin zur Vorstellung des Besitzes. 12 Der reine Begriff der Handlung ist also begriffliche Realbedingung im reinen Begriff des Habens, sodass ein Haben innerlich nicht ohne Handlung denkbar ist. Allerdings handelt es sich bei diesem rein begrifflichen Voraussetzungsverhältnis nicht schon um ein unter diesen Begriffen auch denkbares Zeitverhältnis, sodass sich ein Haben im reinen Denken schon vernünftig denken lässt, ohne dass zuvor die Handlung schon vernünftig gedacht wurde. Dagegen lässt sich unter Zeitverhältnissen ein empirisches Haben eines Gegenstandes nicht ohne die diesem Besitz vorangegangene empirische Besitzerwerbshandlung verständig denken; den Apfel im meiner Hand muss ich zuvor physisch ergriffen haben. Ein metaphysisches Rechtsdenken ist auf dieses verständige Denken in Zeitverhältnissen aber für sich selbst nicht konstitutiv angewiesen (d. h. der zum physischen Besitz zuvor ergriffene Apfel wird als ein äußerer Gegenstand darum durch dieses bloß empirische Subjekt-Objekt-Verhältnis noch nicht rechtlich besessen) und muss folglich auch nicht die empirischen Bedingungen eines Habens in ihrer verständigen Abfolge, sondern die rein begrifflichen Bedingungen im Begriff des Habens in ihrer vernünftigen Realvoraussetzungsfolge im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug vernünftig entwickeln. Deshalb steht das Haben (im ersten Hauptstück) in der Kantischen Privatrechtslehre vor der Handlung (2. Hauptstück) und diese vor der Kraft (3. Hauptstück), bevor dann an vierter Stelle der Übergang zur Substanz im Habensbegriff entwickelt werden kann, wobei die rechtliche Substanz im Habensbegriff, die allen rechtskräftigen Erwerb äußeren Habens gedanklich wirklich möglich macht, nicht aus einem für sich bloß einzelnen, sondern aus einem aus allen Einzelwillen sich ursprünglich konstituierend gedachten Allgemeinwillen resultiert. Eine Verkürzung des freiheitlichen Selbststandes eines freien Willenssubjekts liegt hierin also wohl kaum; Gegenteiliges ist nämlich der Fall. – Zur metaphysischen Kritik der empirisch unterbestimmten Kritik an diesem Kantischen Vorgehen, das insbesondere das Haben vor der Handlung entwickelt, siehe im Übrigen schon oben Fn. 57 im vierten Kapitel. 11

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Da diese vier reinen Begriffe von Haben, Handlung, Kraft und Substanz aber nicht außer einander, sondern nach der substanziellen Denkform von Inhärenz und Subsistenz ineinander jeweils einander vorausgesetzt sind, stehen auch die 1 – 2 – 3/4 Hauptstücke der natürlichen Privatrechtslehre unter dem sie verbindenden allgemeinen Rechtsbegriff ineinander in einem gedanklichen Zusammenhang, d. h. in einem realen begrifflichen Voraussetzungszusammenhang, dadurch sie erst ein substanzielles Ganzes gedanklich bilden. Nur deshalb wird im gedanklichen Durchgang durch die vier Hauptstücke auch eine intensive Deutlichkeit des innerlich substanziellen Rechtsbegriffs sukzessive befördert und so steht am Ende dieses Durchgangs der gedankliche Übergang in das stets schon gedanklich stillschweigend vorausgesetzte öffentliche Recht, darin ein substanzieller Wille in allgemeinen Rechtsgesetzen wirklich bestimmend gedacht wird. Macht man sich also die logische Struktur begrifflichen Denkens13 im Rahmen metaphysischer Begriffserkenntnis nicht klar, oder leugnet man sie gar, etwa weil man überhaupt schon gänzlich begriffslos glaubt denken zu können, so vermag man sich auch die begriffliche Tiefenstruktur einer solchen Metaphysik im Rahmen der eigenen Interpretation nicht klar zu machen, weil die rein begrifflichen Subordinationsverhältnisse der besonderen Rechtsbegriffe unter dem allgemein gebrauchten Rechtsbegriff dann in ihrem jeweils für sich unterschiedlichen Allgemeinheitsgrad unreflektiert bleiben müssen, wobei man im Übrigen auch nur höchst selten zu ahnen scheint, dass eine besondere Rechtsvorstellung nur unter einer in ihrem Verhältnis allgemeineren Rechtsvorstellung subordiniert als solche wirklich begriffen werden kann. In der Folge muss das Vorstehende bereits im ersten Anfang allen moralischen Selbstbewusstseins, nämlich im praktischen Vernunftbegriff der Freiheit des Willens, der nur unter seiner grundgesetzlichen Selbstvorstellung eines reinen Allgemeinwillens – als seinem Begriff – vernünftig begriffen werden kann, gründlich unverständlich bleiben. Das notwendige Resultat dieser begrifflich-methodologisch unklaren Herangehensweise ist dann wiederum das zufällige Hin- und Herschwanken zwischen metaphysisch-abstrakten und hypostatisch-konkreten Aussagen in der Interpretation des Kantischen Rechtsgedankens, das – der eigenen Kompetenz gewiss – obendrein nicht selten für das des zu interpretierenden Autors selbst auszugeben gepflegt wird. Frühe Einsichten, späte Brüche und letzte Revisionen sind somit vermeintlich allerorten auf dem weiten Feld des Kantischen Denkens zu entdecken. Beinahe hoffnungslos klingt dagegen der in viel guter Absicht formulierte Appell, den Peter König mit Blick auf das trichotomische Begriffsdenken Immanuel Kants schon in ihrer Sprache an die Adresse seiner Interpreten formuliert hat: „Für […] die Einteilungen der ,Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre‘ sollte dieser Anspruch auf sachliche Bedeutung der Dreigliedrigkeit ernstgenommen werden und einen Leitfaden an die Hand geben, mit dessen Hilfe sich einige sonderbare Züge des Textes vielleicht besser enträtseln lassen.“14 13 14

(134).

Siehe besonders Log, AA IX: 95 (§ 7). König, in: Höffe (Hrsg.): Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (1999), S. 133

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Das erste Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre – um den Faden der Interpretation wieder anzuknüpfen – widmet sich in seiner vernunftbegrifflichen Entwicklung aber nicht dem Mein und Dein überhaupt, sondern spezifisch nur dem äußeren Mein und Dein (d. h. dem äußeren Rechtsbesitz) und handelt insofern rechtsbegrifflich von einer rechtlichen Art des Habens, der im menschlichen Rechtsverstand eine nicht-rechtliche und insofern empirische Art des Habens entgegengesetzt ist, weil sich der so eingeteilte reine Verstandesbegriff des Habens einesteils auf empirische Gegenstandsvorstellungen und anderenteils zugleich auch auf intelligible Rechtsvorstellungen beziehen lässt, die im Vernunftbegriff des äußeren Rechtsbesitzes (d. h. eines äußeren Gegenstandes in Raum und Zeit) also offensichtlich schon synthetisch miteinander verknüpft in einem vernünftigen Rechtsbewusstsein vorliegen. Wäre ein solcher zugleich zweiseitiger Vorstellungsbezug im reinen Verstandesbegriff des Habens eines denkenden Willenssubjekts sowie in allen weiteren reinen Begriffen dagegen gar nicht möglich, so wäre auch alle metaphysische Rechtserkenntnis des Menschen a priori ganz unmöglich und die berühmte Antinomie im Besitzbegriff (§ 7) für diesen ganz und gar undenkbar. Da diese Antinomie im Besitzbegriff vom äußeren Mein und Dein aber – wie der sogleich zu interpretierende § 1 aufzeigt – im menschlichen Rechtsdenken durchaus real ist, ist es in der Kantischen Rechtslehre folglich um eine rechtliche Synthesis a priori im Begriff des menschlichen Rechtssubjekts, das ursprünglich nur sich selbst und nichts Äußeres schon rechtlich besitzt,15 mit dem Begriff eines äußeren Gegenstandes in Raum und Zeit überhaupt zu tun, die als rechtliche Verbindung unter dem allgemein gebrauchten Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) nur vermittelst des darin bestimmend vorgestellten Allgemeinwillens überhaupt als solche im interpersonalen Verhältnis mit praktischer Notwendigkeit denkbar ist. § 1 Abs. 1

Um die Anknüpfung des vorstehenden Gedankens in § 1 Abs. 1 zu belegen, ist es erforderlich, sich die maßgebliche Passage in Erinnerung zu rufen. Sie lautet: „Das r e c h t l i c h M e i n e (meum iuris) ist dasjenige, womit ich so verbunden bin, daß der Gebrauch, den ein Anderer ohne meine Einwilligung von ihm machen möchte, mich lädiren würde. Die subjective Bedingung der Möglichkeit des Gebrauchs überhaupt ist der B e s i t z .“ (RL, AA VI: 245.09-12).

Mit dem in § 1 Abs. 1 aufgegriffenen Begriff des rechtlich Meinen ist an dieser Stelle der einem Rechtssubjekt überhaupt zurechenbare Rechtsbesitz bezeichnet, der gegen die begrifflich besondere Unterscheidung von innerem und äußerem Rechtsbesitz unter ihm zunächst (und zwar genau bis zum nächsten Absatz) noch indifferent ist, weil eine synthetisch-verknüpfende Voraussetzung des unter dem angeborenen subjektiven Recht der Freiheit inneren Selbstbesitzes eines menschlichen Rechtssubjekts andernfalls begrifflich ausgeschlossen und der zur Freiheit angeborene Selbststand des Privatrechtssubjekts so tatsächlich verloren wäre. Es 15

RL, AA VI: 258.09: „Nichts Äußeres ist ursprünglich mein, […].“

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

wäre jedoch abermals und nunmehr auch im Hinblick auf bereits gedanklich vollbrachte Leistungen abstraktes Denken, wenn der innere Selbstbesitz unter dem angeborenen Recht der Freiheit ohne diese Verknüpfungsmöglichkeit gedanklich unverbunden mit dem noch zu entwickelnden äußeren Mein und Dein zurückbleiben sollte. Insbesondere bezeichnet der Begriff des rechtlich Meinen auch nicht das erst in vielen begrifflichen Vermittlungen unter ihm und mithin durch weitere besondere Rechtsbegriffe erst vorstellbare „Eigentum“, weshalb der in der metaphysischen Begriffsentwicklung kaum relevante Privateigentumsbegriff auch nur im Ende einer Anmerkung des letzten Paragraphen des Sachenrechts eher beiläufig bloß erwähnt wird.16 Es muss darum an dieser Stelle der Hinweis erlaubt sein, dass die in der Sekundärliteratur nicht selten anzutreffende eigentumstheoretische Behauptung, Kant führe hier in § 1 Abs. 1 den Begriff des Eigentums ein,17 der im Folgenden zu einer Eigentumstheorie ausgearbeitet werde, bei Lichte besehen keinerlei Stütze im Text findet. Mit diesen beiden Vorbemerkungen lässt sich dann erschließen, welcher methodologische Status der in § 1 Abs. 1 S. 1 gegebenen Begriffsbestimmung des rechtlichen Mein (d. h. Rechtsbesitzes überhaupt) zukommt. Da es sich um eine bloße Beschreibung des Begriffs ohne weitere Klärung seiner begriffsinhaltlichen Voraussetzungsverhältnisse handelt, liegt hier eine bloße Nominaldefinition vor, die lediglich zur verständigen Unterscheidung des Begriffsgegenstandes von anderen nicht unter diesen Begriff gehörigen Vorstellungen hinreicht.18 Mehr als eine bloße Nominaldefinition (also eine darüber hinausgehende analytische Realdefinition) kann an dieser Stelle auch noch gar nicht geleistet werden, weil der Begriff des Rechtsbesitzes bzw. spezifisch der Begriff des im Folgenden nur zu entwickelnden äußeren Rechtsbesitzes (äußeres Mein und Dein) noch gar nicht verstandesanalytisch exponiert wurde (vgl. dafür erst § 4), wie es Voraussetzung für eine analytische Realdefinition (vgl. dafür dann § 5) wäre. Nun ist aus den im vorherigen Kapitel abgehandelten Begriffseinteilungen schon bekannt, dass sich der Begriff des rechtlich Meinen in den Begriff des inneren sowie den des äußeren Mein und Dein einteilt, sodass die in § 1 Abs. 1 S. 1 gegebene Nominaldefinition des Begriffs des rechtlich Meinen anhand dieser beiden Arten des

16

RL, AA VI: 270.10-14 (§ 17). – Zutreffender Hinweis auf die nicht unmittelbar anzunehmende Identität des in § 1 Abs. 1 angeknüpften Begriffs vom rechtlichen Meinen mit dem Eigentumsbegriff auch schon bei Stang, Darstellung der reinen Rechtslehre von Kant (1798), S. 22. 17 Siehe dafür beispielsweise zeitgenössisch schon Tieftrunk, Philosophische Untersuchungen I (1797), S. 175 f., 179 ff.; Nehr, Kritik über die metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre (1798), S. 31 f.; gegenwärtig Unruh, in: Eckl/Ludwig (Hrsg.): Was ist Eigentum? (2005), S. 133 (135). 18 Siehe zur Differenz von Real- und Nominaldefinition nochmals Log, AA IX: 143 f. (§ 106) und die entsprechenden Vorüberlegungen im dritten Kapitel.

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Rechtsbegriffs gedanklich geprüft und so zugleich veranschaulicht sowie für den weiteren Gedankengang in § 1 Abs. 2 fruchtbar gemacht werden kann: – Der innere Rechtsbesitz (d. h. das innere Mein) umfasst unter dem angeborenen Recht der Freiheit des einzelnen Willkürsubjekts seine eigene psychische und physische Erscheinung, d. h. den diesem Willkürsubjekt angeborenen Gegenstand in Zeit und Raum (= Seele und Körper). Greift nun ein Willkürsubjekt unter dem moralischen und alle Willkürsubjekte im äußeren Verhältnis verbindenden Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) auf Körper oder Seele eines ihm fremden Willkürsubjekts physisch (unmittelbwar bzw. mittelbar) zu, und zwar ohne den freien Willen des diesen Zugriff erleidenden Rechtssubjekts, so ist dieser physische Zugriff auf den angeborenen Selbstbesitz nach dem Begriff des angeborenen Rechts der Freiheit als Unabhängigkeit von fremder Willkür unrecht (= Körperverletzung bzw. Beleidigung) und folglich ist das den unrechtlichen Zugriff (d. h. die Läsion) erleidende Rechtssubjekt gemäß seinem Begriff angeborener Freiheit der Willkür derart mit seinem angeborenen Gegenstand verbunden, dass der fremde und uneingewilligte Gebrauch von diesem Gegenstand durch ein fremdes Rechtssubjekt es selbst rechtlich lädiert, eben weil dieser angeborene Gegenstand rechtlich nur von dem lädierten Willkürsubjekt besessen wird. Der angeborene Selbstbesitz unter dem angeborenen Recht der Freiheit fällt also in der Sphäre des moralischen Begriffs des Rechts unter den nominalen Begriff des rechtlichen Mein und Dein überhaupt. – Der äußere Rechtsbesitz (d. h. das äußere Mein) umfasst gemäß seinem Begriff unter dem allgemein gebrauchten Begriff des Rechts die Erscheinung eines äußeren Gegenstandes in Raum und/oder Zeit, d. h. im einfachsten Falle eine dem freien Willkürsubjekt in Raum und Zeit gegenüberstehende körperliche Sache.19 Greift nun 19 Dieser Fall ist deshalb der einfachste, weil die körperliche Sache kein zurechnungsfähiges Wesen und mithin selbst nicht auch Rechtssubjekt, sondern bloßes Rechtsobjekt ist (MS, AA VI: 223.32-34). Aus diesem Grund leichtest möglicher Vorstellbarkeit im Rahmen der vorzunehmenden Überlegung – worauf Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 107 Fn. 45 zutreffend hinweist – knüpft auch § 1 Abs. 2 S. 1 den Begriff der „Sache“ („res corporalis“) in einer noch unspezifischen Weise, d. h. in Verbesonderung synonym für einen äußeren Gegenstand („res“) überhaupt an. Damit aber sollen keineswegs nicht-sachenrechtliche Besitzformen, die sich als Fremdbesitzformen mitunter auch auf die Person eines anderen als einem zugleich auch äußeren Gegenstand (d. h. Willkürobjekt) beziehen, wie etwa vertraglich zu Besitz zu erwerbende Leistungen einer Willkür (§§ 18 ff.) oder kraft Gesetz durch vertragliche Ableitung zu Besitz zu erwerbende Personenverbindungen (§§ 22 ff.), aus dem gedanklichen Zusammenhang herausgenommen werden. Vielmehr markiert die bloß körperliche Sache als bloßes Willkürobjekt einen besonderen Extrempunkt im möglichen Verhältnis von Willkürsubjekt und -objekt, dazwischen diese anderen Willkürgegenstände mit ihren Besitzrechtsformen anzusiedeln sind. Denn eine bloß körperliche Sache steht als bloß äußerer Gegenstand im kontradiktorischen Gegensatz zum Willkürsubjekt, das zwar mit seinem von ihm ursprünglich besessenen Körper für andere Rechtssubjekte auch ein äußerer Gegenstand in Raum und Zeit (d. h. Rechtsobjekt) ist, zugleich aber stets auch mit Freiheit in seiner zurechenbaren Person und Persönlichkeit begabt ist, woran es bei Sachen fehlt. Im Verlaufe der natürlichen Privatrechtslehre werden also erheblich komplexere Rechtsformen äußeren Gegenstandsbesitzes gefunden werden müssen, als das bloße Sachenrecht eine erste solche Rechtsbesitzform vorstellt.

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ein Willkürsubjekt unter dem moralischen und alle Willkürsubjekte im äußeren Verhältnis verbindenden Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) auf diese körperliche und von einem anderen Willkürsubjekt physisch besessene Sache zu, und zwar ohne den freien Willen des diesen Zugriff erleidenden Rechtssubjekts, so ist dieser physische Zugriff auf die körperliche Sache nur insoweit eine Läsion der angeborenen Freiheit des leidenden Rechtssubjekts (als Unabhängigkeit von fremder Willkür), als dieses über seinen angeborenen Selbstbesitz körperlich mit der körperlichen Sache verbunden ist (= Körperverletzung). Darüber hinaus verletzt der physische Gebrauch, den das lädierende Subjekt von der entrissenen körperlichen Sache macht, das den Zugriff zuvor erleidende Rechtssubjekt nicht selbst, denn mit dem erfolgreich lädierenden Zugriff auf die körperliche Sache durch das lädierende Rechtssubjekt wird die körperliche Verbindung zwischen der körperlichen Sache und dem angeborenen Selbstbesitz des den Zugriff erleidenden Rechtssubjekts negierend aufgehoben. Folglich ist das – durch den Zugriff des anderen Rechtssubjekts zwar körperlich im angeborenen Selbstbesitz lädierte, aber durch den sodann zeitlich erst darauffolgend physisch von diesem gemachten Gebrauch von der körperlichen Sache nicht weiter rechtlich lädierte – Rechtssubjekt nicht dergestalt über die wechselnden Zeitverhältnisse hinweg mit der körperlichen Sache rechtlich verbunden, dass der physische Gebrauch, den ein anders Rechtssubjekt ohne seinen Willen von der Sache macht, es selbst lädiert. Also gehört der körperliche Gegenstand durch den bloß physischen Besitz eines freien Willkürsubjekts gemäß der Nominaldefinition des § 1 Abs. 1 S. 1 nicht schon zum rechtlich Meinen, sodass der physische bzw. empirische Besitz eines äußeren körperlichen Gegenstandes keineswegs mit einem äußeren Rechtsbesitz (d. h. einem äußeren Mein und Dein) zu verwechseln ist. Aus der bloß empirischen Tatsache des Besitzes eines äußeren Gegenstandes folgt nicht das rechtliche Factum des Besitzes. Es gibt deshalb, auch dieser möglicherweise schmerzliche Hinweis sei erlaubt, im Kantischen Rechtsdenken – neben dem inneren und dem äußeren Rechtsbesitz – keinen begrifflich konfundierenden und in der Sache naturalistisch fehlschlüssigen „Rechtstitel des physischen Besitzes“,20 wie beispielsweise aber Wolfgang Kersting oder Bernd Ludwig und weitere Interpreten unter empfindlicher empirischer Verkürzung des metaphysischen Gedankens Immanuel Kants mit mehr oder weniger gravierenden Verständnisfolgen offenbar dafürhalten wollen.21 Dass 20 Vgl. darum auch VARL, AA XXIII: 336.06-12: „Würde nun kein äußeres Mein und Dein möglich seyn so würde die Freyheit sich selbst vom physischen Besitz d. i. von Sachen in Raum und Zeit abhängig machen folglich der Rechtsbegrif selbst von empirischen Bedingungen a priori abhängig mithin selbst empirisch seyn welches dem Begriffe des Rechts wiederspricht.“ 21 Explizit Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 179 f.; ders., AZP 6 (1/1987), S. 31 (40); implizit und explizit Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 107, 115, 118; explizit Herb/Ludwig, KS 83 (1993), S. 283 (290); siehe ferner auch Brandt, in: ders. (Hrsg.): Rechtsphilosophie der Aufklärung (1982), S. 233 (256); Friedrich, Eigentum und Staatsbegründung (2004), S. 105 f.; Müller, Wille und Gegenstand (2006), S. 190. – Zutreffend in diesem Punkt dagegen Kühl, Eigentumsordnung als Freiheitsordnung (1984), S. 138 ff. Doch weder der innere Selbstbesitz eines freien Willkürsubjekts, noch der empirische Besitz eines äußeren Gegenstandes verleihen für sich schon einen Rechtstitel in Ansehung eines Gegenstandes „außer mir“, sodass auch diese beiden Begriffe – im vermeinten ,Rechtstitel‘ des

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sich der metaphysische (= rein vernunftbegriffliche) Gehalt des Kantischen Rechtsdenkens auf diese empirisch verkürzende Weise in der Interpretation nicht erschließt, bedarf nach allen vorangegangenen Überlegungen nun keiner erneuten Auseinandersetzung mehr. Allerdings muss hier erwähnt werden dürfen, dass eine den originalen Text auf dieser empirisch-reduzierten Verständnisbasis erheblich verändernde Edition der Rechtslehre unter keinen guten begrifflichen Vorzeichen erscheint.22 Und nur zur Kennzeichnung der gedanklichen Absatzbewegung einer dezidiert metaphysischen Lesart gegenüber einer in diesem Sinne eben noch nicht metaphysischen Verständnisweise bedarf es hier einer ausdrücklichen Zurückweisung solcher empirischer Verkürzungsansprüche der Interpreten an ihren Gegenstand. Die vorstehende Überlegung zum äußeren Rechtsbesitz unter der Nominaldefinition des rechtlichen Meinen macht insgesamt deutlich, dass ein äußeres Mein und Dein mit der gegebenen Nominaldefinition, die lediglich auf dem allgemein gebrauchten Rechtsbegriff im Verhältnis zum Besitzbegriff beruht, nur dann denkmöglich ist, wenn der Rechtsbesitz (d. h. das rechtlich Meine) unabhängig vom empirischen Besitz in der Zeit und folglich auch ohne diesen empirischen Besitz in der Zeit gedacht wird. In Ansehung des äußeren Mein und Dein resultiert im Verhältnis von Rechts- und Besitzbegriff also die Antinomie im Besitzbegriff, danach im äußeren Verhältnis ein empirischer und ein rechtlicher Besitz explizit voneinander zu unterscheiden sind.23 Auf eben diese Unterscheidung kommt dann § 1 Abs. 2 ausdrücklich zu sprechen. Bevor jedoch diese Unterscheidung weiter erläutert werden kann, bedarf es zuvor noch einer Interpretation von § 1 Abs. 1 S. 2, der sich auf die vorangegangene Nominaldefinition des rechtlich Meinen bezieht und aussagt, dass die subjektive Bedingung der Möglichkeit des Gebrauchs überhaupt der Besitz ist. Da sich aus der Nominaldefinition in Bezug auf die Vorstellung eines für das Willkürsubjekt äußeren Gegenstandes schon die Antinomie im Besitzbegriff entwickeln ließ, eignet auch diesem Satz dieselbe darin aufgehobene Dialektik des Rechtsdenkens mitsamt ihren intellektuellen Fallstricken: So sagt § 1 Abs. 1 S. 2 für den empirischen Verstand zunächst scheinbar aus, die subjektive Bedingung der Möglichkeit des physischen Gebrauchs eines physischen

physischen Besitzes verbunden gedacht – keinen Rechtstitel abgeben. Nur der Begriff des äußeren Mein und Dein vermag einen solchen Rechtstitel zu verleihen und eben darum bedarf dieser Begriff einer vernunftbegrifflichen Entwicklung (§§ 4 – 6). 22 Vgl. dazu schon oben am Ende des dritten Kapitels m.w.N. 23 Im angeborenen Selbstbesitz unter dem angeborenen Recht der Freiheit fallen empirischer und rechtlicher Besitz in einer ursprünglichen Synthesis stets schon zusammen und darum entsteht dort die Antinomie im Rechtsdenken nicht. Wohl aber lassen sich empirischer und rechtlicher Besitz auch im angeborenen Selbstbesitz begrifflich unterscheiden, und so setzt dann der Begriff des Habens auch in diesem angeborenen Verhältnis den reinen Rechtsbesitzbegriff unter dem allgemeinen Begriff des Rechts für sich selbst voraus.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Gegenstandes sei überhaupt der physische Besitz.24 Diesem empirischen Satzverständnis entsprechend, wäre der physische Besitz dann im Hinblick auf die Nominaldefinition des rechtlich Meinen auch als die physische Bedingung der Möglichkeit des Gebrauchs eines Gegenstandes angesprochen. Völlig unklar ist allerdings, was ein solcher empirischer Satz, der tatsächlich, wenn er überhaupt Sinn macht, eine einzige Banalität zum Ausdruck bringt, in der vernunftbegrifflichen Entwicklung einer Rechtsmetaphysik zu suchen hätte. Doch abgesehen davon, dass ein solcher empirischer Verstand von Satz 2 die metaphysische Ebene Kantischen Rechtsdenkens nicht erreicht, ergibt sich mit ihm auch im Übrigen gar kein stimmiger Begriffsbezug in Verhältnis zu Satz 1. Denn darin ist nicht vom Gebrauch eines physischen Gegenstandes, sondern vom Gebrauch des rechtlich Meinen, d. h. vom Gebrauch eines Rechtsbesitzes die Rede. Also ist Satz 2 im metaphysischen Verstand so zu begreifen, dass die subjektive Bedingung der rechtlichen Möglichkeit des rechtlichen Gebrauchs des rechtlich Meinen überhaupt der rechtliche Besitz ist. Denn ohne einen schon angeborenen oder erworbenen Rechtsbesitz kann – wie die Überlegungen zum inneren und äußeren Rechtsbesitz unter der Nominaldefinition des Rechtsbesitzes gezeigt haben – niemand einen rechtlichen Gebrauch von einem Rechtsbesitz machen, sodass der subjektiv-rechtliche Besitz eben subjektive Bedingung der Möglichkeit des rechtlichen Gebrauchs des Rechtsbesitzes ist. Nur so ergibt sich ein metaphysisch und rechtlich stimmiger, und nicht ein empirisch und physisch unterbestimmter Satz in einer Rechtsmetaphysik. § 1 Abs. 2

An die somit für das Gesamtverständnis einer Metaphysik des Rechts in Ansehung des äußeren Rechtsbesitzes mit der Nominaldefinition des rechtlich Meinen wichtig werdende Unterscheidung eines physischen von einem bloß rechtlichen Besitz erinnert nun begrifflich § 1 Abs. 2. Dieser Absatz setzt die zuvor explizierte Überlegung, die den Begriff des rechtlich Meinen mit dem unter ihm denkbaren und zuvor schon eingeteilten Begriff des äußeren Mein konfrontiert, für sich selbst voraus. Denn in dieser sich begrifflich-systematisch zwingend ergebenden Überlegung ist klar geworden, dass ein äußerer Rechtsbesitz mit dieser Nominaldefinition des Rechtsbesitzes nur dann gedacht werden kann, wenn der Besitzbegriff zugleich auch in einem nicht-physischen und mithin rein rechtlichen Sinne verstanden werden kann, sodass – nur scheinbar paradox – der (rechtliche) Besitz eines äußeren Gegenstandes gedacht wird, in dessen (physischen) Besitz das besitzende Rechtssubjekt doch nicht ist.25 Nichts anderes besagt § 1 Abs. 2 S. 1 und leitet mit der Wendung 24 So besonders Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 106 f.; siehe für ein solches empirisches Satzverständnis im Übrigen etwa auch Henrich, Das Emissionsrecht (2015), S. 94; Herrmann, Leib und Besitz, in: PhilPerspekt 3 (1971), S. 195 (207); Kühl, Eigentumsordnung als Freiheitsordnung (1984), S. 130; Zotta, Legitimität und Recht (2000), S. 46 f. 25 Deswegen lässt sich das äußere Mein und Dein auch nicht, wie Saage, Eigentum, Staat und Gesellschaft bei Immanuel Kant (19942), S. 48 jedoch dafürhält, als „das Recht auf äußeren, physischen Besitz“ verstehen. Seine von ihm bekanntlich stark gemachte These des Kantischen „Besitzindividualismus“ (S. 43 ff.) steht darum bei Lichte besehen unter keinen guten be-

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„Etwas Ä u ß e r e s “26 auf den in der Folge begrifflich zu entwickelnden äußeren Rechtsbesitz hin. Dementsprechend ergibt sich, wie § 1 Abs. 2 S. 2 festhält, ein Widerspruch im Rechtsdenken eines äußeren Rechtsbesitzes, wenn der Besitzbegriff nicht zwei verschiedenen Bedeutungsweisen im Rechtsdenken, nämlich einer empirischen und einer rein rechtlichen Bedeutung fähig wäre. Der reine Verstandesbegriff des Habens (= Besitz) ist aber durch den im Denken zugleich in zweierlei Weisen möglichen Vorstellungsbezug eben dieser beiden Bedeutungsebenen fähig.27 § 1 Abs. 3

Wird der reine Verstandesbegriff des Habens im Begriff des äußeren Rechtsbesitzes (= äußeres Mein) im rechtsgesetzlichen Vorstellungsbezug also nicht nur auf die praktische Vernunft, sondern zugleich auch auf die sinnlichen Anschauungsformen von Zeit und Raum in ihrer durch die transzendentale Synthesis des Verstandes als produktiver Einbildungskraft28 spontan gewirkten Vorstellungseinheit bezogen, so muss insbesondere auch die im Begriff des äußeren Rechtsbesitzes verwendete Grundverhältnisvorstellung des Raumes („außer […] einander“29) hier nicht bloß in einer topologischen, sondern zugleich auch in einer bloß logischen Weise reinen Denkens der Verschiedenheit von Subjekt und Objekt30 verständlich sein. Eben deshalb weist § 1 Abs. 3 S. 1 auf diese wichtige, in der Kritik der reinen Vernunft schon gewonnene und für das Verständnis einer Metaphysik des Rechts unabdingbare Einsicht in entsprechender Hervorhebung deutlich hin: „Der Ausdruck: ein Gegenstand ist a u ß e r m i r , kann aber entweder so viel bedeuten, als: er ist ein nur von mir (dem Subject) u n t e r s c h i e d e n e r , oder auch ein in einer grifflichen Vorzeichen. In der Sache ebenso Zotta, in: Saage, Eigentum, Staat und Gesellschaft bei Immanuel Kant (19942), S. 9 ff.; ders., Legitimität und Recht (2000), passim. 26 RL, AA VI: 245.13. 27 Siehe zu dieser Fähigkeit doppelten (d. h. sinnlichen und vernünftigen) Vorstellungsbezuges reiner Verstandesbegriffe oben Fn. 25 im dritten Kapitel. Selbstverständlich würde eine genauere Untersuchung dieser Auszeichnung reiner Verstandesbegriffe die hiesige Auseinandersetzung thematisch in die Transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe (A 84 ff./B 116 ff.) führen. Eine Auseinandersetzung dieser Deduktion kann in der hiesigen Interpretation allerdings nicht in dem dafür erforderlichen Umfang geleistet werden. Jedoch setzt das Verständnis der Kantischen Metaphysik ein zutreffendes Verständnis von dieser Deduktion für sich selbst voraus, denn darin ist es jedenfalls um die Bedingungen der Möglichkeit des sinnlichen Gegenstandsbezuges reiner Verstandesbegriffe zu tun. Wer diese Deduktion also für gescheitert erachten möchte, der muss folglich auch die theoretische und praktische Metaphysik Immanuel Kants für gänzlich grundlos erachten, wenn sie zumindest nach einer Seite hin auf einen sinnlich-möglichen Gegenstandsbezug in reinen Verstandesbegriffen setzt. Dieter Henrich, in: Prauss (Hrsg.): Kant – Zur Deutung seiner Theorie von Erkennen und Handeln (1973), S. 90 hat somit sehr wahrscheinlich ganz recht mit seiner Behauptung, dass derjenige, der die Deduktion zutreffend versteht, einen Schlüssel zum Verständnis des ganzen kritischen Werkes besitzt. 28 Siehe dazu KrV, B 150 ff. (§ 24). 29 KrV, AA III: 52.21-26 = A 23/B 38. 30 KrV, A 373.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

a n d e r e n S t e l l e (positus) im Raum oder in der Zeit befindlicher Gegenstand.“31 Die Kantische Rechtsmetaphysik ist – gegen die unbeirrbare Ansicht beispielsweise des Unabhängigkeitstheoretikers Georg Geismanns an diesem Punkt32 – ohne die transzendentale Idealität der reinen Anschauungsformen, die diese bloß logische Begriffsbedeutung neben einer topologischen Begriffsbedeutung im reinen Denken erst ermöglicht, also überhaupt gar nicht denkbar, und deshalb bedarf ein metaphysisches Verständnis der Kantischen Rechtslehre für sich selbst auch eines deutlichen Bewusstseins des „notorisch akzeptanzdefizitgeplagten“33 Gedankens der Transzendentalen Ästhetik bzw. des Transzendentalen Idealismus. Dass in der Interpretation der Kantischen Rechtslehre bis vor einige Zeit bekanntlich noch ihr metaphysisch-kritischer Charakter, den eigentlich auch die Unabhängigkeitstheoretiker in Abrede stellen müssten, ernstlich in Frage gezogen wurde, sagt also möglicherweise auch über den bis zum heutigen Tage erst erreichten Verständnisstand des Kantischen Rechtsdenkens bzw. die damit gedanklich gepflegte Umgangsweise etwas Substanzielles aus. Denn ein intelligibler „Vernunftbesitz“, so Kant in § 1 Abs. 3 S. 2, ist nur vermittelst der bloß logischen Unterscheidungsweise von (Rechts-)Subjekt und (Rechts-)Gegenstand im Begriff eines äußeren Besitzes begreiflich, während die topologische Unterscheidungsweise für sich einen bloß empirischen Besitz eines äußeren Gegenstandes versteht. Also gilt mit § 1 Abs. 3 S. 3 der im Rahmen der vernunftbegrifflichen Entwicklung (§§ 3 – 6) unter einem metaphysischen Anfangsgrundsatz des Privatrechts (§ 2), und zwar dann hinsichtlich der realen Bedingung seiner Möglichkeit zu erweisende Schluss: „Ein i n t e l l i g i b l e r Besitz (wenn ein solcher möglich ist) ist ein Besitz o h n e I n h a b u n g (detentio).“34 Dementsprechend ist es im weiteren Fortgang des ersten Hauptstücks der natürlichen Privatrechtslehre um die rein begriffliche Entwicklung (d. h. Exposition und Realdefinition) des Begriffs eines äußeren Rechtsbesitzes (d. h. äußeren Mein und Dein) zu tun, der im Grunde seines Begriffs ein reiner Vernunftbesitz, d. h. ein bloß rechtlicher Besitz ist (§ 5), sodass sich die praktische Rechtfertigungs- oder Deduktionsfrage im reinen Rechtsdenken stellen wird, mit welchem metaphysischen Rechtsgrund im praktisch-vernünftigen Rechtsbewusstsein der Vernunftbegriff eines rein rechtlichen Besitzes im äußeren Gegenstandsbezug eines freien Willkürsubjekts praktisch gebraucht werden darf (§ 6). Da eine jede metaphysische Begriffserkenntnis a priori jedoch eines unmittelbar gewissen Anfangsgrundes im Bewusstsein über sich bedarf, darunter sie selbst erst mit der Notwendigkeit des allgemein gebrauchten Begriffs begriffen werden kann, ist methodologisch notwendig zunächst ein metaphysischer Anfangsgrundsatz alles vernünftigen Privatrechtsdenkens im

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RL, AA VI: 245.22-25. Geismann, Kant und kein Ende III (2012), S. 19 Fn. 4 und S. 26 Fn. 38. So die sehr treffliche Formulierung bei Ludwig, JRE 21 (2013), S. 271 (295). RL, AA VI: 245.27-246.02.

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vernünftigen Rechtsbewusstsein aufzusuchen.35 So erklärt sich mit methodologischer Notwendigkeit die Stellung des rechtlichen Postulats der praktischen Vernunft in § 2 der Kantischen Rechtslehre; nicht aber die desselben in § 6 der von § 1 Abs. 1 an empirisch und darum wohl auch gründlich unterbestimmten Vorstellung36 Bernd Ludwigs von dieser Rechtslehre.37 1. Das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft als begrifflicher Anfangsgrundsatz In der bloß inhaltlichen Entwicklung des im Hauptteil der Rechtslehre (§§ 1 ff.) allgemein gebrauchten moralischen Begriffs des Rechts (§ B Abs. 3) war ohne weitere begriffliche Spezifizierung nur von äußeren Handlungen überhaupt die Rede, die unter dem allgemeinen Rechtsgesetz (§ C Abs. 4), als einem praktischen Postulat der praktischen Vernunft, als rechtlich gedacht und somit rein begrifflich auch denkend bestimmt werden können. Unter dieser allgemeinen Rechtsvorstellung entsteht mit dem in dieser Weise rein begrifflich (a priori) schon praktisch erkannten angeborenen Recht der Freiheit der Willkür eines einzelnen Rechtssubjekts für sich selbst zugleich auch seine Naturzustandsvorstellung im zunächst noch sehr abstrakten Rechtsdenken, danach ein solches Rechtssubjekt seine Privatautonomie bereits in einem negativen Verstande als bloße Unabhängigkeit von fremder Willkür ursprünglich mit sich verbunden weiß. Da aber der Begriff der Privatautonomie (d. h. der rechtlichen Freiheit in äußeren Handlungsverhältnissen) in seiner allgemeinen Konkretion auf einen positiv verstandenen Begriff von Selbstgesetzgebung im äußeren Verhältnis hinweist, kann ein solches Rechtssubjekt bei seiner bloß angeborenen Unabhängigkeit im abstrakten Rechtsbewusstsein gedanklich nicht stehen bleiben. Vielmehr ist die Totalität seines potentiellen äußeren Handlungszusammenhangs unter seinem moralischen Begriff des Rechts und somit zugleich unter seinem angeborenen Recht der Freiheit rein rechtsbegrifflich bestimmt vorzustellen, sodass sich in dieser rein begrifflichen (= metaphysischen) Konkretion bzw. Determination insgesamt ein positiv verstandener Begriff von Selbstgesetzgebung im äußeren Verhältnis (= Privatautonomie) in seiner intensiven Deutlichkeit einstellen muss. Zu diesem Zweck muss dann aber eine einzelne äußere Handlung des Privatrechtssubjekts überhaupt gedacht werden, die über seine nur angeborene Freiheitssphäre hinausreicht, womit sich im Verhältnis zu dem Postulat des allgemeinen Rechtsgesetzes eine begriffliche Spezifizierung ergibt, die in einem privatrechtlichen Postulat der praktischen Vernunft (§ 2) angeknüpft werden wird. Da eine jede äußere Handlung kraft ihres Begriffs einen äußeren Gegenstandsbezug des einzelnen freien Willkürsubjekts enthält, handelt es sich bei dieser Anknüpfung um die begrifflich besondere Vorstellung einer äußeren und auf einen äußeren Gegenstand rechtlich 35 Zu dieser Methode philosophischer Erkenntnis als einer reinen Begriffserkenntnis „ a u s P r i n c i p i e n (ex principiis)“ siehe bereits oben die Vorüberlegungen im dritten Kapitel. 36 Siehe für diese Kritik schon zuvor zu Fn. 21, 24. 37 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 60 ff.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

bezogenen Handlung, d. h. einer Besitzerwerbshandlung in Ansehung eines äußeren Gegenstandes überhaupt. Wird diese mit einem besonderen Rechtsbegriff begriffene äußere Besitzerwerbshandlung dann zu Beginn der in reinen Begriffen bloß gedachten und nicht auch zeitlich hypostasierten Naturzustandsvorstellung in einem Anfangspunkt der von ihm anhebenden kritischen Selbstvergewisserung selbst als ein äußerer Handlungszustand angesprochen, so resultiert der Begriff eines äußeren Rechtsbesitzes, d. h. des Habens eines äußeren Gegenstandes (äußeres Mein). Das im Naturzustand zu denkende Privatrechtspostulat bezieht sich somit begrifflich notwendig auf das Haben eines äußeren Gegenstandes, sodass im Ausgang von diesem Postulat alle innerlich im rechtsgesetzlichen Vernunftbegriff des Habens eines äußeren Rechtsbesitzes bereits rein begrifflich vorausgesetzten Rechtsbedingungen – bis hin zu dem dieses äußere Haben allgemeinwillentlich (d. h. rechtlich) bestimmenden Allgemeinwillen – gedanklich in ihrer notwendigen Subordination entwickelt werden können, eben weil sie mit dieser notwendigen Subordination noch verwickelt bereits im Vernunftbegriff eines äußeren Rechtsbesitzes gesetzt sind. Da diese begriffliche Verbesonderung einer Naturzustandsvorstellung der freien Willkür unter dem Rechtsbegriff also nicht schon in dem nur als allgemein bestimmend gebrauchten Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) gelegen ist, sondern nur unter ihm als solche allgemein bestimmt gedacht werden kann, lässt sich die unmittelbare Gewissheit des Privatrechtspostulats (§ 2) auch nicht schon aus den bloßen Begriffen vom Recht herausbringen. § 2 Abs. 1

Das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft im natürlichen Privatrecht, das rein begrifflich eine rechtliche Verbindung (Synthesis) eines Rechtssubjekts mit einem für dieses äußeren Rechtsgegenstand für rechtlich möglich erklären muss, lautet mit dieser vorstehenden gedanklichen Hinführung und in einer verdeutlichenden Absetzung zur rechtlichen Unmöglichkeit als seinem gedanklichen Gegenteil: „Es ist möglich, einen jeden äußern Gegenstand meiner Willkür als das Meine zu haben; d. i.: eine Maxime, nach welcher, wenn sie Gesetz würde, ein Gegenstand der Willkür a n s i c h (objectiv) h e r r e n l o s (res nullius) werden müßte, ist rechtswidrig.“ (RL, AA VI: 246.04-08).

Das für die gesamte natürliche Privatrechtslehre innerlich bestimmend maßgebliche Postulat in § 2 postuliert also die rechtliche Möglichkeit eines äußeren Mein38 und knüpft daher begrifflich an die ganz banale und alltägliche Rechtsbe38 § 2 setzt damit in sich selbst – wie mit der Begriffsdeduktion des § 6 erst deutlich werden wird – den reinen Vernunftbegriff eines rein rechtlichen Besitzes für sich selbst real bestimmend in sich voraus. Allerdings handelt es sich somit um eine erst zu entfaltende begriffliche Vermittlung und so leistet § 2, vor der Exposition (§ 4) und Realdefinition (§ 5) des Begriffs vom äußeren Mein und Dein mitsamt der begrifflichen Realbedingung eines intelligiblen Besitzes, wie jedoch Friedrich, Eigentum und Staatsbegründung (2004), S. 101 annimmt, nicht unmittelbar schon „den Nachweis, daß der Begriffs (sic!) eines intelligiblen Besitzes nicht leer

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sitzvorstellung eines äußeren (nicht notwendig bloß körperlichen) Gegenstandes als Materie für die nach ihrer rechtsgesetzlichen Form (§ B Abs. 3) freie Willkür an.39 Diese begriffliche Vorstellung ist aber keineswegs mit dem erst unter ihr sowie in weiteren begrifflichen Vermittlungen denkbaren, und darum auch erst an der Stelle seiner begrifflichen Bestimmung beiläufig erwähnten, sachenrechtlichen Eigentumsbegriff40 identisch. Es ist daher eine in mehrfacher Hinsicht unrichtige Vorstellung der Kantischen Privatrechtsmetaphysik, die diese gegen ihre eigene Grundbegrifflichkeit im Grunde auf eine Eigentumstheorie zurückstutzt, danach die Schaffung von Eigentumsverhältnissen – wie z. B. Bernd Ludwig41 meint – ein kategorischer Imperativ (d. h. Rechtspflicht) des Naturrechts sei, dem die (dann in Wahrheit bloß analytische) Notwendigkeit akzessorisch anhänge, und zwar zur Sicherung dieser für sich naturzuständlichen Eigentumsverhältnisse, in einen staatlichen Rechtszustand zu treten. Denn die willkürliche Schaffung von Verhältnissen des als Eigentum begrifflich erheblich verkürzten äußeren Meinen wird für das natürliche Privatrecht (§§ 1 – 42) unter dem moralischen Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) ist“. Diese Bemerkung des begrifflichen Unterschiedes ist hier deshalb wichtig, weil sich der eigenständige Charakter der Deduktion (§ 6) des Begriffs des intelligiblen Besitzes als Realbedingung im Begriff des äußeren Mein und Dein (§ 5) unter dem Postulat des § 2 andernfalls mit Friedrich (a.a.O., S. 118 ff.) nicht mehr einsehen lässt. 39 In Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre entspricht der Begriff eines äußeren Gegenstandes (res) überhaupt, als Inbegriff einer möglichen Materie der rechtsgesetzlich freien Willkür, derjenigen Systemstelle im vernunftgedanklichen Gebäude, die der Begriff des Beweglichen im Raume, als rein begrifflich zu bestimmende natürliche Materie überhaupt, in Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft im reinen Denken entsprechend einnimmt (vgl. zum Begriff einer Materie überhaupt die Vorrede in MAN, AA IV: 467 ff. [472]). Auf diesen Umstand weist auch Brocker, Kants Besitzlehre (1987), S. 63 hin. 40 „Der äußere Gegenstand, welcher der Substanz nach das Seine von jemanden ist, ist dessen E i g e n t h u m (dominium), welchem alle Rechte in dieser Sache (wie Accidenzen der Substanz) inhäriren, über welche also der Eigenthümer (dominus) nach Belieben verfügen kann (ius disponendi de re sua).“ (RL, AA VI: 270.10-14 [§ 17 Abs. 5]). 41 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 156 f. (besonders dortige Fn. 121), S. 170, 179 ff. – Auch glaubt Ludwig, a.a.O., S. 113 f. an der vorstehenden Formulierung des Postulats infolge seiner eigenen begrifflichen Verkürzungen bemängeln zu können, dass der erste Halbsatz zwar den zweiten impliziere, der zweite jedoch nicht den ersten Halbsatz, denn der zweite Halbsatz („d. i. […]“) bedeute nicht, „daß ich jeden äußeren Gegenstand meiner Willkür als den meinen haben kann: Gerade die Willkür eines anderen (§ 4 b) ist prinzipiell nicht herrenlos (sie ist die Seine!), daraus folgt aber nicht, daß z. B. ich sie als die Meine haben kann, wie es in der ersten Formel enthalten ist. […]“. – An dieser Überlegung ist sachlich freilich alleine richtig, dass ich die Willkür eines anderen nicht als die Meine haben kann. Jedoch ist die Willkür eines anderen mit ihrer angeborenen Unabhängigkeit auch kein äußerer Gegenstand, worauf alleine das Postulat gerichtet ist. Richtigerweise unterfällt nämlich nicht die Willkür selbst, sondern – philologisch unzweideutig – lediglich „die L e i s t u n g von etwas durch die Willkür des Andern“ (§ 4 b) dem Begriff eines möglichen äußeren Gegenstandes des Rechts (RL, AA VI: 248.08). Es lässt sich aus der Formulierung des Postulats folglich auch keine thematische Beschränkung auf das Sachen- und Eigentumsrecht herausbringen, wie Ludwig (a.a.O.) dem Leser seiner Edition und andere Autoren (etwa Brandt, in: ders. [Hrsg.]: Rechtsphilosophie der Aufklärung [1982], S. 233 [260 ff.]) uns glauben machen möchten.

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nicht als kategorisch-notwendig, sondern als unter dem allgemeinen Rechtsgesetz rechtlich möglich vorgestellt; weil nämlich der bloßen Naturzustandsvorstellung der nicht schon im, sondern erst unter dem moralischen Begriff des Rechts gedachte Vernunftgedanke einer wirklichen Verpflichtungsinstanz im äußeren Verhältnis (die der Staat mit seinem praktisch-notwendigen Allgemeinwillen vorstellt) ausweislich ihres Begriffs noch abgeht. Eine eigentumstheoretische Lesart der Rechtslehre Immanuel Kants – auch wenn sie zur Zeit noch als ganz herrschend im gegenwärtigen Kantverständnis empirisch anerkannt werden muss – beruht so schlechterdings nur auf einer begrifflichen Erschleichung, die es weder mit den Begriffsinhalten (insbesondere Besitz & Eigentum),42 noch mit den Modalitätsvorstellungen der jeweiligen metaphysischen Anfangsgründe im Rechtsbewusstsein sehr genau nimmt und die den Staat (d. h. die wirkliche Allgemeingesetzlichkeit allen äußeren Rechts) in ihrer Folge zum profanen Mittel des material bereits vorausgesetzten Zwecks des Privateigentums degradiert.43 Vor einer solchen Interpretationsweise, die bei Lichte besehen von vornherein keine Aussicht darauf mitbringt, den metaphysischen Begriffsgehalt der Kantischen Rechtslehre angemessen als solchen zu ermessen, kann darum, und zwar mit einigen niemals gänzlich versiegten kritischen Hinweisen gemeinsam, nicht eindringlich genug gewarnt werden.44 Jedenfalls besteht – wie 42

Luf, Freiheit und Gleichheit (1978), S. 81 sowie Zotta, Legitimität und Recht (2000), S. 46 Fn. 109 behaupten allerdings für ihren Kant den nicht trennscharfen Gebrauch bzw. die nicht hinreichende Unterscheidung dieser Begrifflichkeiten. 43 Siehe für den Primat des Eigentums in der Kantischen Rechtslehre neben Ludwig (zuvor Fn. 41) gegenwärtig besonders auch Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 177 ff. (182 Fn. 15) und Kühl, Eigentumsordnung als Freiheitsordnung (1984), S. 133. Oftmals verrät diese Bestimmung im Verständnis von Besitz und Eigentum bereits der Werktitel der Interpretation. Siehe für eine eigentumstheoretische Interpretation neben vielen weiteren Interpreten ferner beispielsweise etwa auch Baumann, Zwei Seiten der Kantschen Begründung von Eigentum und Staat, KS 85 (1994), S. 147 ff.; Brandt, Eigentumstheorien von Grotius bis Kant (1974); Brocker, Kant über Rechtsstaat und Demokratie (2006), S. 21, 29; ders., Kants Besitzlehre, Zur Problematik einer transzendentalphilosophischen Eigentumslehre (1987), passim; Buchda, Das Privatrecht Immanuel Kants (1929), S. 29; Byrd/Hruschka, JRE 14 (2006), S. 141 (165); Deggau, Die Aporien der Rechtslehre Kants (1983), S. 77; Friedrich, Eigentum und Staatsbegründung (2004), S. 88 ff. (Fn. 342); Held, Eigentum und Herrschaft bei John Locke und Immanuel Kant (2006), passim; Herb/Ludwig, Naturzustand, Eigentum und Staat, KS 83 (1993), S. 283 ff.; Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien (1990), S. 68, 107; Horn, Nichtideale Normativität (2014), S. 196 ff.; Kersting, Kant über Recht (2004), S. 58 ff., 96; Kühnemund, Eigentum und Freiheit (2008), S. 61 ff.; Langer, Reform nach Prinzipien (1986), S. 138 ff.; Luf, Freiheit und Gleichheit (1978), S. 78 ff.; Müller, Wille und Gegenstand (2006), S. 170 ff.; Saage, Eigentum, Staat und Gesellschaft bei Immanuel Kant (1973/19942), passim; Schmidlin, in: Holzhey/Kohler (Hrsg.): Eigentum und seine Gründe (1983), S. 47 ff.; Süchting, Eigentum und Sozialhilfe (1995), passim; Unruh, Die vernunftrechtliche Eigentumsbegründung bei Kant, in: Eckl/Ludwig (Hrsg.): Was ist Eigentum? (2005), S. 133 ff.; Zotta, Immanuel Kant. Legitimität und Recht, Eine Kritik seiner Eigentumslehre, Staatslehre und seiner Geschichtsphilosophie (2000). 44 Neuerdings hat auch Köhler, Recht und Gerechtigkeit (2017), S. 356 f. konstatiert, dass man sich der Kantischen Privatrechtstheorie, u. a. durch die begriffliche Verkürzung auf das Privateigentum (a.a.O., S. 357 Fn. 74), im Verständnis bis heute sehr beharrlich „verweigert“. Gegen die begrifflich verkürzende Gleichsetzung von (intelligiblem) Besitz und (Sach-)Ei-

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auch Wolfgang Kersting mittlerweile zu ahnen scheint45 – ein erheblicher Irrtum darin, eine „letzte philosophische Großtat“46 Immanuel Kants in einer solchen Eigentumstheorie zu wähnen; wenn überhaupt besteht diese „Großtat“ mit der Rechtslehre von 1797 nämlich in der philosophiehistorisch wohl erstmaligen metaphysischen Anstrengung des Begriffs des Rechts überhaupt. Zum logischen und metaphysischen Status des unmittelbar bewussten Postulats als einem metaphysischen Anfangsgrund im selbstbewussten Rechtsbewusstsein ist bereits im Rahmen der Überlegungen zur rein begrifflichen Architektonik der Kantischen Rechtslehre im vierten Kapitel alles Notwendige gesagt worden, worauf hier ausdrücklich verwiesen sei. Es ist nur nochmals zu erinnern, dass mit der als unmittelbar gewiss postulierten rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein innerlich zugleich auch die Art der tätigen Bewirkung (d. h. die rechtliche Art der entsprechenden äußeren Besitzerwerbshandlung) ursprünglich unmittelbar als gewiss vorausgesetzt ist, eben weil diese tätige Ausführung der in § 2 postulierten Besitzhandlung insgesamt in ihrer Wirklichkeit den äußeren Handlungsbegriff und so auch alle darin innerlich schon zum Voraus gesetzten Rechtsbegriffe (nämlich Rechtskraft und substanzielle Allgemeingesetzlichkeit im äußeren Verhältnis) unter dem allgemeinen Rechtsgesetz (§ C Abs. 4) für sich selbst voraussetzt. Nur so lässt sich nämlich die von einem besonderen Rechtsbegriff postulierte rechtliche Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein in der Sphäre des als allgemein gebrauchten Rechtsbegriffs (§ B Abs. 3) im Grunde rein begrifflich (= metaphysisch) als praktisch-notwendig bestimmen und dann in der Folge auch in ihrer metaphysischen Wirklichkeit synthetisch denken. Denn äußere Wirklichkeit hat der – mit der in ihm objektiv realen praktischen Notwendigkeit des Freiheitsbegriffs – als allgemein gebrauchte moralische Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) nur durch die ihrerseits unter gentum hat sich vor wenigen Jahren allerdings bereits Rühl, Kants Deduktion des Rechts als intelligibler Besitz (2010), S. 69 ff., ders., JRE 18 (2010), S. 563 ff. ausdrücklich gewendet. Freilich ist Rühl damit auf die Kritik der Eigentumstheoretiker gestoßen und so hat man ihm – Inhalt und Vorstellungsgegenstand des Begriffs vom äußeren Mein und Dein bzw. des intelligiblen Besitzes konfundierend – vorgeworfen, er begründe mit seiner These „Intelligibler Besitz ist nicht Eigentum“ zugleich auch die These, intelligibler Besitz an einer Sache sei nicht dasselbe wie das Eigentum an dieser Sache (Hruschka, JRE 21 [2013], S. 333). Der berechtigte Hinweis auf die begriffliche Differenz von (intelligiblem) Besitz und (Sach-)Eigentum ist also nicht völlig neu. Er findet sich beispielsweise insoweit sehr zutreffend bereits bei Haensel, Kants Lehre vom Widerstandsrecht (1926), S. 41 (und dort gegen Lisser gerichtet). Vgl. aus der Literatur ferner implizit oder explizit auch Köhler, in: Zaczyk/Köhler/Kahlo (Hrsg.): FS E.A. Wolff (1998), S. 247 (253 – 255, 265); Kaufmann, JRE 13 (2005), S. 195 (196 Fn. 6); Hespe, in: Hoke (Hrsg.): Proceedings of the Eight International Kant-Congress II/2 (1995), S. 773 (775 Fn. 7); noch ambivalent dagegen ders., in: Hüning/Tuschling (Hrsg.): Recht, Staat und Völkerrecht bei Immanuel Kant (1998), S. 293 (300 Fn. 17); auch sieht Saage, Eigentum, Staat und Gesellschaft bei Immanuel Kant (19942), S. 48 zutreffend, dass der Eigentumsbegriff in der Begründung der natürlichen Privatrechtslehre nicht am richtigen Platze ist, um ihn wenig später (S. 51) ohne weiteres dennoch eigenmächtig einzuführen. 45 Vgl. oben Fn. 44 im 6. Kapitel. 46 So noch Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 73.

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ihm praktisch-notwendige Vernunftvorstellung des Staates, weil im Staat – anders als im bloßen Naturzustand – eine rechtsbegriffliche Allgemeingesetzlichkeit rein begrifflich wirklich im äußeren Verhältnis vorgestellt wird. Die praktische Notwendigkeit solcher rechtsgesetzlicher Beschränkung der freien Willkür im äußeren Verhältnis aber liegt im moralischen Begriff des Rechts und wird durch das Postulat des allgemeinen Rechtsgesetzes (§ C Abs. 4) an sich selbst vorgestellt. Ohne diese begriffliche Vermittlung lässt sich also im bloßen Naturzustand noch keine wirkliche praktische Notwendigkeit im äußeren Verhältnis denken, deren erstes Moment die in § 2 postulierte rechtliche Möglichkeit und nicht schon die vermeintliche Notwendigkeit eines äußeren Mein und Dein ist. Außerhalb der Sphäre des als allgemein gebrauchten Rechtsbegriffs folgt aus einer Möglichkeit im reinen Denken nämlich gewiss keine Notwendigkeit des Gedachten, und deshalb lassen sich der Naturzustand sowie die in ihm denkbaren Privatrechtsverhältnisse auch nicht außerhalb der ihnen in der Sphäre des Rechtsbegriffs übergeordneten allgemeineren Rechtsbegriffe in ihrer Wirklichkeit denken. Das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft (§ 2), das die somit beschriebene Voraussetzungsstruktur eines äußeren Rechtsbesitzes begrifflich in sich enthält, dient dann anfänglich als Synthesisgrund in einem naturzuständlichen Privatrechtsbewusstsein, und zwar hinsichtlich seines ganzen rein begrifflichen Umfangs (§§ 1 – 42).47 § 2 Abs. 2

Ein unmittelbar bewusster praktischer Satz (d. h. ein Postulat) lässt sich nicht weiter – anschaulich oder begrifflich vermittelt – beweisen, sondern in seiner inhaltlichen Vorstellung dieser Selbstgewissheit allenfalls begrifflich-analytisch, und zwar durch gedankliche Konfrontation mit seinem Gegenteil, zu größerer extensiver Deutlichkeit erheben. Andernfalls könnte der praktische Satz eines Postulats nicht als metaphysischer Anfangsgrundsatz im Rahmen einer rein begrifflichen Vernunfterkenntnis fungieren. Eben deshalb enthält § 2 Abs. 2 auch keinen Beweis oder etwa eine Begründung des rechtlichen Postulats der praktischen Vernunft in § 2 Abs. 1, sondern eine solche begriffsanalytische Verdeutlichung zum Zwecke kritischer Selbstvergewisserung. Dass die freie Willkür einen äußeren Gegenstand überhaupt als ihre Materie haben darf, kann darum auch kein sich selbst bewusstes Rechtssubjekt in vernünftigen Zweifel ziehen und mehr als dies besagt § 2 Abs. 1 auch gar nicht. In der allenthalben geführten Suche nach einem Beweis oder einer Begründung für diesen Satz würde sich also nur ein leere Intellektualität zu manifestieren suchen, die sich selbst offenbar nicht schon unmittelbar als praktisch wissen will: eine im Grunde praktische Vernunft, die sich in ihrer Folge mit einem praktischen Skeptizismus für möglicherweise unpraktisch hielte. Darum ist es für die sich selbst bewusste praktische Vernunft tatsächlich auch nicht, wie jedoch beispiels47 Übrigens darf zur Beurteilung großer Teile der englischsprachigen Rezeption des Kantischen Privatrechtsdenkens darauf hingewiesen werden, dass das Postulat/Erlaubnisgesetz nach den Forschungen Karin Flikschuhs, JRE 12 (2004), S. 299 f. darin weitgehend als irrelevant angesehen wird.

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weise Wolfgang Kersting für seine Interpretation noch dafürhält, „angesichts der Bedeutung, die ihm zukommt […], […] befremdlich, welch geringen argumentativen Aufwand Kant bei seiner Einführung betreibt“48, und eben darum liegt auch keine Erschleichung einer ,Begründung‘ in der Behauptung, die unmittelbare Gewissheit des § 2 Abs. 1 sei mit dem einer menschlichen Rechtsperson angeborenen Rechtsbewusstsein (im Sinne des Rechts angeborener Freiheit) ursprünglich schon in einem vernünftigen Rechtsbewusstsein gesetzt. Das kontradiktorische Gegenteil der rechtlichen Möglichkeit des Rechtsbesitzes an einem äußeren Gegenstand ist die in § 2 Abs. 1 schon gedanklich dagegen gesetzte Unmöglichkeit eines äußeren Rechtsbesitzes. Wäre ein äußerer Rechtsbesitz also überhaupt rechtlich unmöglich, d. h. rechtswidrig, so wäre der äußere Gegenstand objektiv (d. h. nach Rechtsbegriffen) an sich selbst herrenlos;49 und zwar – maßgbelich für alles Folgende – nicht bloß relativ im rechtlichen Gebrauch, sondern bereits ursprünglich und absolut in der tätigen Besitzbegründung. Da in der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Rechtsbesitzes begrifflich-analytisch aber die Rechtmäßigkeit und nicht die Rechtswidrigkeit eines äußeren Rechtsbesitzes gelegen ist, betrachtet § 1 Abs. 1 das kontradiktorische Gegenteil der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Rechtsbesitzes, nämlich die an sich selbst absolute Herrenlosigkeit eines äußeren Gegenstandes, als rechtswidrig. Aus diesem Verhältnisgedanken im begrifflichen Gegensatz von rechtlicher Erlaubnis eines äußeren Rechtsbesitzes und rechtlichem Verbot absoluter Herrenlosigkeit äußerer Gegenstände lässt sich dann vernünftig schließen, dass es ein noch übergeordnetes absolutes Gebot der praktischen Vernunft sein muss, nach dem die absolute Herrschaftsbegründung in Ansehung äußerer Gegenstände an sich selbst praktisch-notwendig ist, da die rechtliche Möglichkeit als Erlaubnis andernfalls – was unmöglich ist – außerhalb der Sphäre der rechtlichen Notwendigkeit als Gebot gedacht sein müsste. Eine solche absolute Herrschaft in Ansehung äußerer Gegenstände bedeutet aber an und für sich selbst nicht die praktische Notwendigkeit eines Sachenrechts (§§ 11 – 17), sondern die eines öffentlichen Rechts (§ 42 Abs. 1), weil sich die freien Willkürsubjekte nur vermittelst der ursprünglichen öffentlichen Rechtsform, nämlich der wirklich allgemeingesetzlichen Staatsrechtsform, als füreinander zugleich auch äußere Gegenstände, selbst im äußeren Verhältnis wechselseitig rechtlich besitzen, dadurch dann aller übrige äußere Rechtsbesitz in der Folge erst wirklich möglich ist. In dieser praktisch-notwendigen Vorstellung (einer bürgerlichen Gesellschaft im Staat) liegt somit ein positiver Begriff von Privatautonomie (d. h. Selbstgesetzgebung) der Privatrechtssubjekte in Ansehung äußerer Gegenstände. Ohne einen solchen vermittelst des praktischen Vernunftbegriffs des Staates bürgerlicher Gesellschaft positiv verstandenen Begriff von Privatautonomie, d. h. 48

Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 190. Einem absolut an sich selbst herrenlosen äußeren Gegenstand wäre also von Rechts wegen Rechtssubjektivtät, d. h. Freiheit und Substanzialität zugesprochen; dies aber widerspricht seinem Begriff, denn ein äußerer Gegenstand ist ein solcher nur für das ihn als solchen im Bewusstsein habende Subjekt. 49

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äußerer Freiheit als Selbstgesetzgebung des einzelnen Rechtssubjekts im äußeren Verhältnis, wäre ein äußerer Gegenstand, mit dem ein freies Willkürsubjekt ausweislich seines Begriffs ursprünglich rechtlich (d. h. allgemeinwillentlich = personal allseitig) nicht schon synthetisch a priori verbunden ist, ein absolut herrenloser Gegenstand und insofern unter rechtlichem Gesichtspunkt für dieses eine Nullität („res nullius“). Ein äußerer Gegenstandsbezug in äußeren Handlungen der Willkürsubjekte wäre dann nicht möglich und der Rechtsbegriff, der die allgemeingesetzliche Vereinbarkeit solcher äußeren Handlungen der Willkürsubjekte zum Gegenstand hat (§ B Abs. 3), wäre in der Sphäre seiner Bestimmung eine leere Form. Ein „Leben“, als das Vermögen, seinen Vorstellungen gemäß zu handeln,50 wäre einem zwangsläufig raum-zeitlich verwobenen Willkürsubjekt damit im Recht nicht länger möglich, denn bereits der ursprünglich im angeborenen Selbstbesitz befindliche Körper eines Willkürsubjekts lokalisiert sich im Raum kraft Geburt zwangsläufig auf einem Stück Boden und mithin auf einem für dieses Subjekt äußeren Gegenstand, dessen Herr es doch nicht sein dürfte, weil eine – intelligible und mithin metaphysische – Verbindung dieses Dinges an sich mit seinem eigenen an sich selbst tätigen Selbst vermeintlich rechtswidrig, d. h. kraft praktischer Vernunft undenkbar wäre.51 In der Folge wäre die Rechtsperson kraft praktischer Vernunft gezwungen, sich im rechtlichen Intrapersonalverhältnis (lex iusti) ins Unrecht zu setzen, da sie entweder rechtswidrig in der Welt äußerer Gegenstände lebend verbleiben oder sich gleichsam rechtswidrig gegen das eigene Leben in einer äußeren Welt tätig ins Nichtsein setzen müsste.52 50

MS, AA VI: 211.07-09. Dieser Boden ist als ein äußerer Gegenstand niemals Teil des inneren Meinen, auch wenn die Affektion (nicht aber der dann ansetzende Gebrauch) des physisch durch eine körperlich verfasste Willkür besessenen Bodens im reinen Naturzustand beispielsweise eine mittelbare Läsion des rechtlichen Selbstbesitzes darstellt. Die gegenteilige Behauptung Herbs/Ludwigs, KS 83 (1993), S. 283 (289), die mit RL, AA VI: 254.03-15 unvereinbar ist, muss dagegen implizit voraussetzen, dass der Boden als äußerer Gegenstand der Willkür durch den bloßen Akt der physischen Besitznehmung mit rechtlicher Wirkung zu einem inneren Gegenstand, d. h. zu einem inneren Mein wird. Alleine einem bloß physischen Akt kann diese rechtliche Wirkung, ohne einen naturalistischen Fehlschluss, dem alleine der Begriff des intelligiblen Besitzes eines äußeren Gegenstandes vorbeugen kann, nicht ursprünglich zukommen (wie Ludwig, Kants Rechtslehre [1988], S. 105 sogar selbst sieht). Deswegen ist schließlich auch die Behauptung Ludwigs, a.a.O., S. 105/111/ 113 unzutreffend, es sei, und darin liege die besondere Pointe der Einführung des § 2, ohne das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft ein „Kommunismus nach Rechtsgesetzen“ denkmöglich. Doch wenn ein äußerer Gegenstand kraft praktischer Vernunft absolut herrenlos bleiben müsste, dann wäre ein physischer Zugriff ursprünglich (d. h. die physische Besitzbegründung) schon rechtmäßig gar nicht denkmöglich, sodass auch kein physischer Zugriff in der Art nach Ludwigs Vorstellung seines „Kommunismus nach Rechtsgesetzen“ denkmöglich wäre. Die kommunistische Vorstellung Bernd Ludwigs beruht an diesem Punkt allerdings auf einer empirischen Unterbestimmung des Gebrauch- und Besitzbegriffs in § 1 Abs. 1 (siehe schon oben Fn. 24). 52 Diese Alternative der bloß äußeren Rechtspflichtart ist aber, wie bereits oben unter A. I. 2. im sechsten Kapitel bemerkt, nur eine Alternative für den Verstand, nicht jedoch für die praktische Vernunft. Denn die praktische Vernunft verfügt über den praktischen Vernunftbegriff 51

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Die in § 2 Abs. 1 durch Sperrdruck hervorgehobenen Worte „ a n s i c h (objektiv) h e r r e n l o s “ weisen also auf die metaphysische Tiefendimension des zu entwickelnden Rechtsgedankens hin, sodass dieser in § 2 Abs. 2 beleuchtete Gedanke nicht begreiflich ist, wenn er beispielsweise mit Bernd Ludwig – und zwar in durchaus konsequenter Fortsetzung seines Verständnisses von § 1 Abs. 1 – in einer vordergründig beschränkt bleibenden empirischen Lesart bestimmt werden soll, danach nur der physische Gebrauch äußerer Gegenstände durch eine solche absolute Herrenlosigkeit rechtlich verunmöglicht wäre.53 Doch im Rahmen einer Metaphysik der Rechts muss es an diesem Punkt begrifflich um den rechtlichen Gebrauch des äußeren Gegenstandes zu tun sein, und darum wäre durch die absolute Herrenlosigkeit eines äußeren Gegenstandes nicht bloß der physische Gebrauch desselben, sondern schon die physische Besitzbegründung, d. h. jeder nur denkbare Gegenstandsbezug eines freien Willkürsubjekts rechtlich gründlich verboten. Erst damit wäre jeder rechtliche Gebrauch gänzlich verunmöglicht, denn rechtlicher Gebrauch von einem äußeren Gegenstand, der in einer physischen Besitzbegründungstätigkeit selbst noch nicht physisch gebraucht wird, kann auch schon in der ersten Besitzerwerbshandlung (vgl. § 2 Abs. 3) bestehen, und in der ursprünglichen bzw. ersten Besitzerwerbshandlung in Ansehung eines äußeren Gegenstandes liegt das metaphysische Tiefenproblem der natürlichen Privatrechtslehre, die rein begrifflich aufzuklären hat, wie der ursprüngliche Erwerb einer körperlichen Sache in Verhältnis zur ersten Erwerbung eines rechtlichen Zustandes gleichursprünglich vernünftig gedacht werden muss (vgl. § 10 Abs. 554).55 des Staates, darin das für sich bloß verständige Einteilungsglied rein äußerer Rechtspflichten in der Einteilung aller möglichen Rechtspflichten mit praktischer Vernunft in der Einheit des als allgemein gebrauchten Rechtsbegriffs vorgestellt wird. In der Literatur ist auch die These vertreten worden, Kant klammere den Lebensbegriff in der Besitzlehre systematisch aus (Brandt, Eigentumstheorien von Grotius bis Kant [1974], S. 181), nicht zuletzt, weil er – vermeintlich – Schwierigkeiten mit der Verbindung von noumenaler und phaenomenaler Welt habe, was besonders an der Form von § 2 als eines „apagogischen Beweises“ erkennbar sei (so Zaczyk, Selbstsein und Recht [2014], S. 66 ff. Fn. 16, 21 und 22). – Doch die apagogische Form eignet der analytischen Vergewisserung in § 2 Abs. 2 (die im Übrigen kein „Beweis“ ist) tatsächlich nur, weil der praktische Satz des Postulats jedem menschlichen Rechtssubjekt im praktischen Leben schon stets unmittelbar gewiss ist. Aus ihr folgt also in Wahrheit geradezu das Gegenteil: Ein Leben im Recht ist dem menschlichen Rechtssubjekt nur möglich, weil es kraft reiner praktischer Vernunft immer schon a priori bestimmende allgemeine und besondere reine Begriffe von seinem Recht der Menschen hat. 53 Siehe dafür (im Anschluss an die Nachweise in vorigen Fn. 21, 24) Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 111 ff.: „Der erste Abschnitt ist nichts weiter als der Aufweis der Konsequenz eines rechtlichen Verbotes physischen Gebrauchs und physischer Inhabung: […]“. – Kritisch in diesem Punkt etwa auch Hespe, in: Hoke (Hrsg.): Proceedings of the Eight International Kant-Congress II/2 (1995), S. 773 (776 Fn. 9) sowie ders., in: Hüning/Stiening/ Vogel (Hrsg.): FS Tuschling (2002), S. 119 (131 Fn. 27). 54 Es ist mit seinem empirischen Vorverständnis kein Zufall, dass Bernd Ludwig mit dem Gedanken von § 10 Abs. 5 nichts anzufangen weiß und ihn darum – immerhin konsequent – aus seiner Vorstellung der Kantischen Rechtslehre ,verbannen‘ musste (siehe mit Nachweisen dazu schon oben Fn. 49 im vierten Kapitel).

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Mit einem deutlichen Bewusstsein dieser metaphysischen Tiefendimension des rechtlichen Postulats der praktischen Vernunft in § 2 Abs. 1 ist auch klar, dass sich der darin in Zusammenhang mit der Herrenlosigkeitsvorstellung gebrauchte Begriff der „res nullius“ einen äußeren Gegenstand in seiner reinen Denkform als Gegenstand überhaupt, und nicht – wie Bernd Ludwig mit tendenzieller Verkürzung des ganzen Rechtsgedankens auf das bloße Sachen- bzw. Eigentumsrecht annimmt – bloß körperliche Sachen („res corporalis“) anspricht.56 Denn es ist zwar richtig, worauf Ludwig hier insistiert, dass nur körperliche Sachen und nicht auch die mit dem eigenen Selbstbesitz verbundene freie Willkür der Rechtsperson als relativ herrenlos angesprochen werden können, doch die freie Willkür ist einesteils an sich selbst gar kein äußerer Gegenstand,57 und im Übrigen es ist in der Überlegung des § 2 Abs. 1 anderenteils auch gar nicht um eine relative, sondern um eine absolute Herrenlosigkeit äußerer Gegenstände gedanklich zu tun.58 55 Gedanklicher Vorblick: Die ursprüngliche Erwerbung einer körperlichen Sache setzt für sich rein gedanklich zunächst die Priorität des Zugriffs in der Zeit voraus und kann sodann im Ausgang vom ursprünglich erwerbenden Einzelwillen nur im Hinblick (pro-visio) auf die Allgemeingesetzlichkeit im Staat wirklich gedacht werden (§ 15 Abs. 3). Dementsprechend ist im ursprünglichen Erwerbsmoment der Priorität gleichursprünglich der Vernunftbegriff des Staates schon gesetzt, dessen Erwerb rein gedanklich in einem ersten Moment als der erste Erwerb in einer Zeit überhaupt vorgestellt werden muss, sodass in seiner Folge aller äußerer Rechtsbesitz gleichursprünglich als wirklich denkbar ist. 56 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 113 f. – Auf die hier maßgebliche Differenz zwischen dem Begriff des Gegenstandes („res“) überhaupt und dem Begriff der Sache als eines körperlichen Gegenstandes („res corporalis“) haben dagegen zutreffend etwa schon Zaczyk, in: Fricke/König/Petersen (Hrsg.): Das Recht der Vernunft (1995), S. 311 (320 Fn. 24) oder auch Hruschka, in: ders.: Kant und der Rechtsstaat (2015), S. 48 (62 Fn. 40) hingewiesen. 57 Siehe gegen Ludwig an diesem Punkt schon vorige Fn. 41. 58 Die Gleichsetzung der freien Willkür in ihrem angeborenen Selbststand mit einem äußeren Gegenstand widerspricht der Exposition des Begriffs eines äußeren Mein und Dein (§ 4), nach dem nur „die L e i s t u n g von etwas durch die Willkür des Andern“ (§ 4 b) und nicht auch die freie Willkür an und für sich selbst dem Begriff eines möglichen äußeren Gegenstandes des Rechts unterfällt (RL, AA VI: 248.08). Es liegt hier also eine irrige Subsumtionsleistung seitens der Interpretation vor und Bernd Ludwig hat diesen Irrtum von seinem akademischen Lehrer Reinhard Brandt, in: ders. (Hrsg.): Rechtsphilosophie der Aufklärung (1982), S. 233 (260) sowie ders., in: Eigentumstheorien von Grotius bis Kant (1974), S. 185 f. Anm. 6 übernommen. Da die Gedanken Reinhard Brandts zum „Erlaubnisgesetz“ jedoch eine breite Rezeption erfahren haben, wurde dieser Irrtum in der Folge auch in die Breite der Rechtslehreninterpretationen fortgetragen. Siehe im Anschluss daran etwa Friedrich, Eigentum und Staatsbegründung (2004), S. 105 Fn. 385; Deggau, Die Aporien der Rechtslehre Kants (1983), S. 99; Steigleder, Kants Moralphilosophie (2002), S. 173 („unzweifelhaft“). Freilich führen die Beschränkung des Gedankens in § 2 auf das Sachenrecht und die damit vorgenommene Aufspaltung des Postulats zur Unerklärbarkeit des über das bloße Sachenrecht schon in seinen Gliederungspunkten deutlich hinausweisenden zweiten Hauptstücks der natürlichen Privatrechtslehre. In der Konsequenz seines Irrtums muss Reinhard Brandt, DZPhil 47 (1999), S. 887 (900 ff.) der Kantischen Rechtslehre dann in dieser Hinsicht unlösbare Aporien diagnostizieren, die tatsächlich allerdings nur in seinem eigenen Verständnis von der Rechtslehre und nicht objektiv auch in dieser selbst anzutreffen sind.

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§ 2 Abs. 2 enthält nun allerdings positiv für sich lediglich eine Vergewisserung der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Rechtsbesitzes, die jedoch im gedanklichen Gegensatz zur absoluten Herrenlosigkeit des einer rechtlichen Willkür damit entzogenen äußeren Gegenstandes negativ geführt wird. Die somit bloß begrifflichanalytische Vergewisserung der unmittelbaren Gewissheit des natürlichen Privatrechtspostulats hebt darum vom Begriff eines „Gegenstand[es] meiner Willkür“59 an. Sie zerfällt, durch drei Spiegelstriche optisch getrennt, in vier gedankliche Abschnitte: Erster Abschnitt

Unter einem „Gegenstand meiner Willkür“ versteht ein menschliches Willkürsubjekt gemäß seinem Begriff „etwas, was zu gebrauchen ich p h y s i s c h in meiner Macht habe“.60 Es wird somit im Gedanken der begrifflich-analytischen Vergewisserung des Rechtsgedankens von § 2 Abs. 1 zunächst ein physischer Gegenstandsbezug des freien Willkürsubjekts in Raum und Zeit überhaupt angeknüpft. Allerdings wird dieser begrifflich angeknüpfte physische Gegenstandsbezug im nächsten Satz sogleich unter die Einheit des als allgemein gebrauchten Rechtsbegriffs gezogen, wenn die Überlegung einsetzt, ob dieser physische Gegenstandsbezug überhaupt in einem einzelnen physischen Gegenstand der Willkür denn mit dem allgemeinen Rechtsgesetz unvereinbar und mithin unrecht sein könnte. Denn dann stünde es „nun doch r e c h t l i c h schlechterdings nicht in meiner Macht […], Gebrauch von demselben zu machen“.61 Es wird mit dieser Überlegung somit – entgegen Ludwigs Vorstellung – nicht nur das Verbot eines physischen, sondern das eines rechtlichen Gebrauchs von dem physischen Gegenstand erwogen. Gäbe es nämlich mit dem allgemeinen Rechtsbegriff bzw. -gesetz ein solches Verbot rechtlichen Gebrauchs eines physischen Gegenstandes überhaupt, dann würde sich das Subjekt dieses rechtsgesetzlichen Verbots – nämlich die reine praktische Vernunft, d. h. die „Freiheit“ in einem positiven Verstande ihres Begriffs62 – „selbst des Gebrauchs ihrer Willkür in Ansehung eines Gegenstandes derselben berauben“.63 Denn mit einem solchen Verbot, nach dem reine praktische Vernunft gegen ihr eigenes Selbstbewusstsein durchaus unpraktisch wäre, setzte sie rein rechtsbegrifflich physisch „ b r a u c h b a r e Gegenstände außer aller Möglichkeit des“ rechtlichen „ G e b r a u c h s “, sodass sie „diese in praktischer Rücksicht vernichtete und zur res nullius machte; obgleich die Willkür formaliter im“ bloß physischen „Gebrauch der 59

RL, AA VI: 246.09. RL, AA VI: 246.09-10. 61 RL, AA VI: 246.10-13. 62 Zur Erinnerung des im ersten Kapitel erörterten Freiheitsbegriffs: Reine praktische Vernunft ist in der spontanen grundgesetzlichen Selbstvorstellungstätigkeit identisch mit einem Begriff von Freiheit im positiven Verstande, denn in dieser grundgesetzlichen Selbstvorstellungstätigkeit liegt das reine praktische Selbstbewusstsein (d. h. die Identität) eines freien Willens, d. h. der praktische Begriff der Freiheit. 63 RL, AA VI: 246.13-15. 60

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Sachen mit jedermanns äußeren Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammenstimmte“.64 Denn der bloß physische Gebrauch eines Gegenstandes ist – für sich betrachtet – unabhängig von der physischen Besitzergreifung denkbar, die, als ein möglicher rechtlicher Gebrauch von dem physischen Gegenstand, schon durch das absolute Verbot rechtswidrig sein müsste, sodass der physische Gegenstand dann in rechtlicher Hinsicht auch erst absolut unbrauchbar wäre.65 Die in § 2 Abs. 3 als Erlaubnisgesetz angesprochene Besitzbegründungsdimension spielt somit in der Vergewisserung des Postulats also eine nicht zu vernachlässigende Rolle, da andernfalls die absolute Herrenlosigkeit, deren Undenkbarkeit hier die Selbstgewissheit des Postulats verdeutlichen soll, selbst gar nicht denkbar wäre.66 Nach alledem wäre ein „Gegenstand meiner Willkür“ für ein menschliches Willkürsubjekt mit diesem unpraktischen rechtsgesetzlichen Verbot also in Wahrheit schon begrifflich gar kein „Gegenstand meiner freien Willkür“, sodass aus dem Begriff eines Gegenstandes der freien Willkür für diese freie Willkür analytisch folgt, dass dieser von ihr auch rechtlich gebraucht werden darf.67 Diese analytische Begriffseinsicht unter dem allgemeinen Begriff und Gesetz des Rechts (§ B Abs. 3) wird im Folgenden nur noch weiter verdeutlicht: Zweiter Abschnitt

Gäbe es mit der absoluten Herrenlosigkeit ein Verbot des rechtlichen Gebrauchs eines äußeren Gegenstandes, so müsste dieses Verbot material schon im allgemeinen Rechtsgesetz bzw. -begriff gesetzt sein. Das allgemeine Rechtsgesetz ist aber ein Gesetz der reinen praktischen Vernunft und diese enthält nur formell-gesetzliche, nicht materiell-gesetzliche Bestimmungsgründe in sich. Folglich kann reine praktische Vernunft in ihrem allgemeinen Rechtsgesetz auch kein materielles Verbot des rechtlichen Gebrauchs eines äußeren Gegenstandes enthalten und damit umgekehrt auch nicht die absolute Herrenlosigkeit äußerer Gegenstände gebieten. Reine praktische Vernunft abstrahiert in ihren formell-gesetzlichen Bestimmungsgründen 64

RL, AA VI: 246.15-19. Gerade dieser letzte Teil des ersten Gedankens bereitet der empirisch verkürzten Interpretation bisher nicht unerhebliche Probleme, da es ohne Reflexion des absoluten Moments in der Begründung der Gebrauchsrelation so scheint, als liege hier ein Zirkel in der Argumentation offensichtlich zu Tage. Siehe dazu m.w.N. Steigleder, Kants Moralphilosophie (2002), S. 167 ff. 66 Deswegen handelt es sich bei § 2 Abs. 3 auch nicht um einen gedanklichen Vorgriff auf das zweite Hauptstück, wie aber beispielsweise Hartmann, in: Brandt/Stark (Hrsg.): Autographen, Dokumente und Berichte (1994), S. 109 (117 Fn. 34); oder Rühl, Kants Deduktion des Rechts als intelligibler Besitz (2010), S. 79 f. dafürhalten. 67 Unter bemerkenswerter Verengung des Gebrauchbegriffs auf einen physischen Gebrauch meint auch der Eigentumstheoretiker Baumann, KS 85 (1994), S. 147 ff. an dieser Stelle, dass der Rechtsgedanke Immanuel Kants eine erhebliche Lücke aufweise: „Der Gebrauch von Gegenständen, etwa beim Arbeiten, setzt prinzipiell nicht privates Eigentum voraus. Kant hingegen meint nicht etwa nur, daß Gebrauch ohne Eigentum rechtswidrig ist, sondern vertritt eigentlich die viel stärkere These, daß Gebrauch ohne Eigentum nicht einmal möglich, denkbar ist. Kants Argumentation weist hier eine bemerkenswerte Lücke auf.“ 65

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nämlich von aller Materie der Willkür (vgl. §§ 2-4 KpV) und setzt in der allgemeingesetzlichen Form ihrer Gesetze nur einen real möglichen und rein formalgesetzlich zu bestimmenden Materiebezug für sich selbst voraus.68 Eben deshalb geht das allgemeine Rechtsgesetz – wie schon bemerkt – begrifflich lediglich auf äußere Handlungen überhaupt und nicht begrifflich schon verbesondert beispielsweise nur auf die äußere Besitzerwerbshandlung in Ansehung eines äußeren Gegenstandes. Bernd Ludwig geht in seiner Interpretation von § 2 Abs. 2 S. 3 davon aus, dass sich der dort verhandelte Gedanke zwischen den beiden Alternativen einer „(generelle[n]) Erlaubnis“ und einem „(generelle[n]) Verbot“ des Besitzes bewege, wobei sich das „absolute Verbot“ bereits mit § 2 Abs. 2 S. 1 – 2 als widersprüchlich erwiesen habe, sodass jetzt nur noch die Alternative der „generelle[n] Erlaubnis“ übrig bleibe.69 Doch sein Gedanke zur Widersprüchlichkeit eines „absoluten Verbot[s]“ des Besitzes erschließt – wie schon bemerkt – nicht die ganze Sphäre des Rechtsbegriffs, da dieser Gedanke der Widersprüchlichkeit nach Ludwig mit der Vorstellung des rechtsgesetzlichen Verbots nur eines physischen Gebrauchs eines äußeren Gegenstandes, und nicht mit der rechtlichen Verbotsvorstellung eines rechtlichen Gebrauchs desselben operiert.70 Deswegen spricht Bernd Ludwig dieses in Wahrheit gar nicht „absolute Verbot“ sachlich zutreffend auch nur als „(generelle[s]) Verbot“ an.71 Also rekurriert Ludwigs Interpretation von § 2 Abs. 2 auf eine – die apagogische Form der Vergewisserung aufsprengende – dritte Denkmöglichkeit, wenn sie erstens ein absolutes Verbot, das in Wahrheit kein solches ist, zweitens ein generelles Verbot, das tatsächlich die Sphäre des Rechtsbegriffs nicht vollständig erschließt, und drittens eine generelle Erlaubnis, die, in der Sphäre des generellen Verbots gesetzt, an dessen Fehler ebenso leidet, in ihrem Verhältnis zueinander zur Geltung bringen will. Dieser wohl unbemerkten Einführung einer dritten Position, und zwar infolge einer empirischen Verkürzung des Gebrauchbegriffs in § 2 Abs. 2, entspricht ganz konsequent die schon zum Voraus neben die beiden Rechtsbegriffe vom inneren und äußeren Rechtsbesitz gesetzte naturalistische Annahme eines „Rechtstitels des physischen Besitzes“, nämlich infolge empirischer Verkürzung des 68

RL, AA VI: 246.19-25. – Mit dieser rechtsgesetzlich bestimmbaren Möglichkeit eines Materiebezuges der freien Willkür kommen an dieser Stelle des Gedankens auch gewiss keine empirisch-materialen Bestimmungen in den rein metaphysischen Gedankengang der Kantischen Rechtslehre hinein, wie dies aber anscheinend der Vorstellung einiger ihrer Interpreten entspricht. Vgl. dazu etwa Dreier, Rechtsbegriff und Rechtsidee (1986), S. 14; Brocker, Kant über Rechtsstaat und Demokratie (2006), S. 47; Kräft, Apriorität und Positivität des Rechts nach Kant (2011), S. 44 f.; Maus, Zur Aufklärung der Demokratietheorie (1992), S. 165, 169. Für Zotta, in: Saage, Eigentum, Staat und Gesellschaft bei Immanuel Kant (19942), S. 22 Fn. 43 liegt hier sogar das ideologische Einfallstor Immanuel Kants, woran gedanklich schließlich auch Laschet, Metaphysik und Erfahrung in Kants praktischer Philosophie (2011), S. 253 ff. (266 ff.) anknüpft. 69 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 112; Herb/Ludwig, KS 83 (1993), S. 283 (290 ff.). 70 Siehe schon oben zu Fn. 53. 71 Einem absoluten Verbot läge nämlich eine universelle und daher unendliche Allgemeinheit innerlich bestimmend zugrunde, während einem generellen Verbot nur eine endliche Allgemeinheit bestimmend zugrunde liegt.

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Besitz- sowie des Gebrauchbegriffs bereits in § 1 Abs. 1.72 Eine solche – die Kantische Disjunktion eines absoluten Verbots rechtlichen Gebrauchs eines äußeren Gegenstandes und einer absoluten Erlaubnis rechtlichen Gebrauchs desselben aufhebende – Vorgehensweise leistet dann all denjenigen Kritikern Vorschub, die im hiesigen Zusammenhang explizit oder implizit angeben, Kant habe offensichtliche Probleme mit logischen Disjunktionen im Rahmen von apagogischen ,Beweisen‘ gehabt.73 Dritter Abschnitt

Der dritte Abschnitt knüpft nach den bisherigen Überlegungen wieder an den eingangs vorgestellten Begriff eines „Gegenstand[es] meiner Willkür“ an und zieht eine erste begriffliche Bilanz, wenn darin der Begriff der „ W i l l k ü r “ nunmehr durch Sperrdruck hervorgehoben erscheint und so auf die Wirkmächtigkeit im Gegensatz zur Wirkohnmächtigkeit eines bloßen Wunsches abgehoben ist.74 Im Begriff eines „Gegenstand[es] meiner Willkür“ liegt nämlich schon analytisch, dass dieser physische Gegenstand rechtlich gebraucht werden darf, da die freie Willkür andernfalls nicht rechtlich wirkmächtig, sondern rechtlich ohnmächtig mit diesem Gegenstand verfahren müsste, was ihrem Begriff von sich selbst widerspricht. Ein Gegenstand meiner freien Willkür ist daher das, „wovon beliebigen Gebrauch zu machen ich das physische Vermögen habe, dessen Gebrauch in meiner Macht (potentia) steht“.75 Dabei bezieht sich das Wort „Gebrauch“ vermittelst des Wortes „dessen“ auf das „physische Vermögen“ und so steht der rechtliche Gebrauch des physischen Gebrauchsvermögens nach dem Begriff eines „Gegenstand[es] meiner Willkür“ in der rechtlichen Macht der freien Willkür. Von der tatsächlichen Ausübung dieses physischen Gebrauchsvermögens in einem „ A k t der Willkür“ wird dabei im Begriff eines „Gegenstand[es] meiner Willkür“ abstrahiert, denn diese äußere Handlung ist die Bezeichnung dafür, dass das Willkürsubjekt den Gegenstand auch wirklich in seiner „Gewalt“ hat.76 Im Begriff eines „Gegenstand[es] meiner Willkür“ wird somit von einer etwaigen physischen Wirklichkeit (Gewalt) unter diesem Begriff gänzlich abgesehen und nur auf die Möglichkeit eines rechtlichen Gebrauchs des Gegenstandes als analytisch darin schon gelegener Inhalt abgehoben. Eben deshalb wird im Begriff eines „Gegenstand[es] meiner Willkür“ der „Gegenstand meiner Willkür“ als solcher bloß gedacht. „Um aber etwas bloß als Ge72

Siehe dort Fn. 21 und 24. Siehe dafür Struck, KS 78 (1987), S. 471 (473 ff.) sowie Zotta, Legitimität und Recht (2000), S. 52 ff. Fn. 121/122, S. 54 Fn. 124; und in der Sache wohl auch Müller, Wille und Gegenstand (2006), S. 197 ff. (sich auf Basis von Herbs/Ludwigs Interpretation gegen eine nur vermeintliche Kategorienverwechslung Kants in Stellung bringend). 74 RL, AA VI: 246.25-26. – Zur Differenz von Willkür und Wunsch siehe dabei MS, AA VI: 213.14-19. 75 RL, AA VI: 246.25-28. 76 RL, AA VI: 246.28-30. 73

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genstand meiner Willkür zu d e n k e n , ist hinreichend, mir bewußt zu sein, daß ich ihn in meiner Macht habe.“77 Demnach stellt der Begriff eines „Gegenstand[es] meiner Willkür“ – und zwar als Rechtsbegriff in der Vorstellung vom rechtlich Meinen – eine rechtbegriffliche (d. h. geistig-praktische) Macht im Verhältnis zum physischen Akt einer äußeren Handlung, d. h. im Verhältnis zur bloßen Gewalt vor, denn der physische Akt (d. h. die Gewalt) wird unter dem Begriff als solcher erst gedacht und mithin erst durch ihn praktisch bestimmt. Vor dieser praktischen Bestimmung folgt aus einem physischen Gewaltakt als einer empirischen Tatsache noch kein zurechenbarer Rechtsbesitz als ein rechtliches Factum. Praktische Vernunft ist eben nur vermittelst praktischer Begriffe objektiv praktisch und so stehen alle physischen Gegenstände in der Sphäre ihrer begrifflich-praktischen und eben dadurch objektiven Bestimmung. Vierter Abschnitt

Der vierte und letzte Abschnitt bringt die vorstehenden begrifflich-analytischen Überlegungen im Ausgang vom Begriff eines „Gegenstand[es] meiner Willkür“ abschließend nur noch auf den Begriff: „Also ist es eine Voraussetzung a priori der praktischen Vernunft, einen jeden Gegenstand meiner Willkür als objectiv mögliches Mein oder Dein anzusehen und zu behandeln“.78 Nichts anderes liegt nämlich auch schon im Begriff eines „Gegenstand[es] meiner Willkür“ und also ist die rechtliche Möglichkeit eines äußeren Rechtsbesitzes, wie im Postulat des § 2 Abs. 1 gelegen, begrifflich objektiv real. Da es somit rechtlich und tatsächlich möglich ist, einen äußeren Gegenstand willkürlich zu gebrauchen, wird mit § 2 Abs. 2 dann auch ein solcher Rechtsidealismus gründlich gehoben, dem ein äußerer Gegenstandsbezug rechtlich unmöglich oder jedenfalls zweifelhaft (d. h. nicht schon unmittelbar gewiss, sondern noch weiter beweis- und begründungsbedürftig) erscheint, und der deshalb in der Tat noch ein (un-)praktischer Skeptizismus ist.79 § 2 Abs. 3

Das äußere Mein und Dein stellt in seinem Begriff einen äußeren Rechtsbesitz unter einem erworbenen subjektiven Recht vor.80 Dabei setzt der wirkliche Erwerb subjektiver äußerer Rechte für sich selbst aber wirkliche Verpflichtung im äußeren Verhältnis schon voraus, weil das subjektive Recht (d. h. die Rechtsbefugnis) der einen Rechtsperson nicht ohne eine ihr korrespondierende Verpflichtung einer anderen Rechtsperson im betroffenen Rechtsverhältnis gedacht werden kann. Also ist 77

RL, AA VI: 246.31-32. RL, AA VI: 246.32-35. 79 Zu dieser gedanklichen Parallele zu einem Gedanken der ersten Vernunftkritik (B 69 – 71/ B 274) siehe auch Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 187 f.; Brandt, Eigentumstheorien von Grotius bis Kant (1974), S. 188; Hespe, in: Hoke (Hrsg.): Proceedings of the Eight International Kant-Congress II/2 (1995), S. 773 (775 Fn. 6). 80 Siehe zu dieser begrifflichen Verhältnisbestimmung des äußeren Mein und Dein unter erworbenen Rechten schon oben unter B. II. 3. im sechsten Kapitel. 78

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

im Begriff eines äußeren Mein und Dein zugleich auch der Begriff äußerer rechtlicher Verpflichtung im interpersonalen Verhältnis der Rechtssubjekte, d. h. ein positiv verstandener Begriff von Privatautonomie (d. h. Selbstgesetzgebung) im äußeren Verhältnis gesetzt. Folglich muss ein praktischer Satz, der die rechtliche Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein überhaupt postuliert (§ 2 Abs. 1), auch die rechtliche Möglichkeit rechtlicher Verpflichtung im äußeren Verhältnis für sich selbst in sich selbst über sich selbst voraussetzen. Diese Voraussetzungsstruktur aber entspricht exakt dem logischen Begriff eines Postulats, das die Art der Ausführung der postulierten Handlung kraft seiner Form als unmittelbar gewiss voraussetzt.81 Denn aufgrund der rechtsgesetzlichen Form des Postulats der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein (§ 2 Abs. 1) ist dann in diesem innerlich die rechtliche (= allgemeingesetzliche) Art der tätigen Begründung eines äußeren Mein und Dein, d. h. die rechtliche (= allgemeingesetzliche) Möglichkeit rechtlicher Verpflichtung im Interpersonalverhältnis anlässlich einer äußeren Besitzbegründungshandlung überhaupt vorausgesetzt und insofern begrifflicher Entwicklung aus diesem heraus zugänglich gemacht. Da nun tätige Besitzbegründung empirisch aber eine erste und metaphysisch eine ursprüngliche Erwerbung für sich selbst voraussetzt, berechtigt das Postulat des § 2 Abs. 1 gleichursprünglich zu einem ersten/ursprünglichen Besitzerwerb und damit natürlich zugleich auch zu einer ersten Verpflichtung im äußeren Verhältnis (§ 2 Abs. 3), die übrigens als bloß interpersonale nicht gedacht sein kann, weil ein bloß interpersonales nur ein besonderes, nicht aber ein allgemeines Willensverhältnis in selbstgegebenen Gesetzen vorzustellen vermag. Weil ein erster Erwerb eines äußeren Dinges in der Zeit jedoch wegen dieses Zeitmoments nicht unmittelbar schon metaphysisch an sich selbst a priori vor aller Zeit vorstellbar ist, bedarf es einer vernunftbegrifflichen Vermittlung, dadurch ein erster Erwerb zugleich ein ursprünglicher Erwerb und ein ursprünglicher Erwerb zugleich ein erster Erwerb ist (vgl. § 10 Abs. 5). Im metaphysischen Begriff des im Hin-blick (pro-visio) auf den Staat provisorischen ursprünglichen Erwerbs eines Bodens wird sich eine solche vernunftbegriffliche Vermittlung schließlich in einem vernünftigen Rechtsbewusstsein gedanklich einstellen (§ 17/§ 15 Abs. 3). Bevor es in weiteren und rein verstandesbegrifflich noch vorgelagerten begrifflichen Entwicklungsschritten mit der notwendigen intensiven Deutlichkeit jedoch zu einer solchen Vermittlung kommen kann, ist hier zunächst einmal nur darauf zu merken, dass § 2 Abs. 3 den mit der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Rechtsbesitzes unmittelbar synthetisch schon verbundenen Vernunftgedanken rechtlicher Verpflichtung im äußeren Verhältnis, und zwar in Ansehung eines ersten physischen Besitzerwerbsakts, ausdrücklich sowie unter fakultativer Bezeichnung als ein „Erlaubnisgesetz“ einführt: „Man kann dieses Postulat ein Erlaubnißgesetz (lex permissiva) der praktischen Vernunft nennen, was uns die Befugniß giebt, die wir aus bloßen Begriffen vom Rechte überhaupt 81

Siehe hierzu ausführlich das vierte Kapitel.

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

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nicht herausbringen könnten: nämlich allen andern eine Verbindlichkeit aufzulegen, die sie sonst nicht hätten, sich des Gebrauchs gewisser Gegenstände unserer Willkür zu enthalten, weil wir zuerst sie in unseren Besitz genommen haben. Die Vernunft will, daß dieses als Grundsatz gelte, und das zwar als p r a k t i s c h e Vernunft, die sich durch dieses ihr Postulat a priori erweitert.“ (RL, AA VI: 247.01-08).

Die explizite Voraussetzung der rechtsgesetzlichen Möglichkeit rechtlicher Verpflichtung im äußeren Verhältnis in Ansehung eines ersten Besitzerwerbsakts – der unter dem reinen Verstandesbegriff im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug stehend erst im zweiten Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre zu entwickeln ist – trägt hier nicht nur der logischen Form des Postulats, sondern damit zugleich auch der bereits im Rahmen von § 2 Abs. 2 herausgearbeiteten metaphysischen Tiefendimension von § 2 Abs. 1 Rechnung. Denn nur wenn eine erste physische Besitznehmung rechtlich mit all ihren begrifflichen Implikationen möglich ist, ist auch ein rechtlicher Gebrauch einzelner physischer Gegenstände allumfassend in der Sphäre des allgemeinen Rechtsgesetzes bzw. -begriffs vernünftig begreiflich. Das mit dem Postulat des § 2 Abs. 1 ursprünglich synthetisch verbundene Erlaubnisgesetz ist also ein solches einer sich selbst in ihrem Begriff (d. h. in ihrem Allgemeinwillen) unmittelbar bewussten praktischen Vernunft und dient mithin selbst als ein metaphysischer Anfangsgrundsatz im natürlichen Privatrechtsdenken. Da dieses ursprünglich synthetische Erlaubnisgesetz der praktischen Vernunft mit seiner begrifflichen Spezifikation auf eine erste äußere Besitzerwerbshandlung nicht analytisch aus dem lediglich auf äußere Handlungen überhaupt bezogenen allgemeinen Begriff des Rechts oder auch dem des angeborenen Rechts der Freiheit zu gewinnen ist, lässt sich ebenso die darin als rechtlich möglich vorgestellte Verpflichtung im äußeren Verhältnis nicht aus dem allgemeinen Begriff des Rechts und der darin bestimmend vorgestellten Allgemeinwillentlichkeit gewinnen. Vielmehr setzt der wirkliche Gedanke dieser Verpflichtung im äußeren Verhältnis eine allgemeinwillentliche Verpflichtungsinstanz voraus, die außerhalb des bloßen Begriffs gedacht werden muss, jedoch in dieser äußeren Form zugleich nur unter ihm gedacht werden kann, und darum im Vernunftbegriff des Staates begriffen ist, weil im Staat alleine eine wirkliche äußere Gesetzgebung rechtlich gedacht wird. Die rechtliche Verpflichtung im äußeren Verhältnis anlässlich eines ersten tätigen Besitzerwerbs wird darum nur im Hinblick (pro-visio) auf den Vernunftbegriff des Staates und den darin in äußeren Gesetzen vorgestellten Allgemeinwillen im äußeren Verhältnis als solche schon im Naturzustand wirklich gedacht werden können (§§ 7, 8, 15). Ein solches metaphysisches Verständnis der im Folgenden noch zu nehmenden vernunftbegrifflichen Entwicklung, insbesondere im Begriff des provisorischen Besitzes/Erwerbs, steht jedoch schon in allen bisher betrachteten gedanklichen Punkten (§§ 1 – 2) in einem diametralen Gegensatz zu einem empirischen Verständnis der Kantischen Rechtsmetaphysik, wie es beispielsweise Bernd Ludwig sehr konsequent vorträgt. Da nun Reinhard Brandt – seines Zeichens schon ein

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

ausgewiesener Eigentumstheoretiker82 sowie zugleich auch akademischer Lehrer des Ersteren – im zeitlichen Anfang einer neuen Beschäftigungsperiode mit dem Kantischen Rechtsdenken eine überaus wirkmächtig gewordene Interpretation des in § 2 Abs. 3 bloß fakultativ eingeführten Begriffs des Erlaubnisgesetzes vorgelegt hat,83 und zwar bereits auf der gedanklichen Grundlage der von Ludwig auf Basis seines empirischen Verstandes erstmals propagierten Versetzung des Postulats von § 2 in die Deduktion nach § 6,84 mag es zur größeren Deutlichkeit und besseren Verständlichkeit der hier vorgetragenen Interpretation beitragen, ein tendenziell empirisches Verständnis des Erlaubnisgesetzes gegen das schon vorgetragene metaphysische Verständnis desselben abzusetzen: Auch Reinhard Brandt erkennt zu Beginn seiner Überlegungen an, dass das rechtliche Postulat (§ 2 Abs. 1) bzw. Erlaubnisgesetz (§ 2 Abs. 3) für die gesamte Theorie der Kantischen Rechtslehre von Bedeutung ist,85 wobei das Verhältnis beider Momente zueinander – so wie es etwa vorstehend herausgearbeitet wurde – unbestimmt bleibt. Vielmehr beschränkt Brandt seine Überlegungen auf das Erlaubnisgesetz, das nach seiner Auffassung der „Vermittlung von Gebot und Verbot“ diene: „Es wird etwas „an sich“ Verbotenes provisorisch erlaubt und damit geboten, den Rechtsanspruch der Verhinderung nicht wirksam werden zu lassen.“86 Nach Brandts logischen Überlegungen folgt also aus der provisorischen Erlaubnis von etwas an sich Verbotenem ein negativ verklausuliertes Gebot, das an sich Verbotene in seiner wirkenden Entäußerung nicht zu verhindern. Da aber das Gebot der Nicht-Verhinderung in der Tat ein Verbot der Verhinderung ist, wird ein positiv bestimmtes Gebot in der Interpretation Brandts ursprünglich nicht gedacht. Dies aber – und hierin besteht der Grundmangel dieser Interpretation – ist notwendig, um überhaupt gedanklichen Eintritt in den Rechtsgedanken erworbener Verpflichtung im äußeren Verhältnis zu erhalten. Dagegen wurde für die hier vertretene Auffassung zuvor herausgearbeitet, dass es an sich nicht verboten ist, ein äußeres Mein und Dein zu haben, sodass – im Gegensatz zu Brandt – aus der Nichtexistenz von etwas an sich Verbotenem die Erlaubnis zu einem äußeren Mein und Dein resultiert. Da das Bewusstsein dieser Erlaubnis aber auf dem darüber vorausgesetzten allgemeinen Rechtsgesetz mit seiner praktischen Notwendigkeit beruht und also nur in dieser gesetzlichen Sphäre praktischer Notwendigkeit gedacht werden kann, ist im Rahmen dieser Erlaubnis zu einer rechtlichen Verpflichtung im äußeren Verhältnis (§ 2 Abs. 3) zugleich auch das praktisch-notwendige und positiv bestimmte Gebot stillschweigend innerlich vorausgesetzt, eine allgemein gesetzgebende Verpflichtungsinstanz im äußeren Ver82 Brandt, Eigentumstheorien von Grotius bis Kant (1974); vgl. ferner auch schon oben Fn. 21, 41, 58. 83 Brandt, in: ders. (Hrsg.): Rechtsphilosophie der Aufklärung (1982), S. 233 (275). 84 Ludwig, in: Brandt (Hrsg.): Rechtsphilosophie der Aufklärung (1982), S. 218 – 232. 85 Brandt, in: ders. (Hrsg.): Rechtsphilosophie der Aufklärung (1982), S. 233 ff. 86 Brandt, in: ders. (Hrsg.): Rechtsphilosophie der Aufklärung (1982), S. 233 (244).

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hältnis (d. h. den Staat) hervorzubringen (§ 42 Abs. 1). Nur im Hinblick (pro-visio) auf dieses Gebot lässt sich dann innerlich das ganze natürliche Privatrecht schon wirklich praktisch-notwendig bestimmt als solches denken. In der hier vertretenen Interpretation folgt also ein Gebot (d. h. eine praktisch notwendige Pflicht) nicht – wie aber für Brandt – aus einer Erlaubnis (d. h. einem subjektiven Recht als einer rechtlichen Möglichkeit),87 sondern es ist in einer Erlaubnis (d. h. in einer rechtlichen Möglichkeit) gleichursprünglich eine rechtliche Pflicht (d. h. eine praktische Notwendigkeit) innerlich real vorausgesetzt, weil eine jede Erlaubnis mit ihrer rechtlichen Möglichkeit nur innerhalb der Sphäre eines Gebots mit seiner praktischen Notwendigkeit denkbar ist. Wäre eine Erlaubnis nämlich nicht ursprünglich in der Sphäre eines Gebots bzw. Verbots gesetzt,88 dann wäre sie nicht mit gesetzlicher Universalität, d. h. als ein allgemein geltendes Gesetz, sondern bloß mit regelhafter Generalität, d. h. als ein nur im Allgemeinen geltendes Gesetz gesetzt.89 Wie bereits gesehen, changiert beispielsweise die Interpretation Bernd Ludwigs in Auseinandersetzung von § 2 Abs. 2 – wohl unbewusst – zwischen diesen beiden gedanklich voneinander unterschiedenen Polen, wenn sie ein absolutes Verbot und ein generelles Verbot des physischen Gebrauchs eines äußeren Gegenstandes einesteils voneinander unterscheidet und anderenteils doch gleichsetzt. Nicht viel anders geht es da übrigens auch der Interpretation Reinhard Brandts.90 In Zentrum der weiteren Überlegungen Reinhard Brandts steht dann die entscheidende Frage, welche an sich verbotene Handlung das Erlaubnisgesetz nach seiner Begriffsbestimmung provisorisch mit der Folge eines kategorischen Gebots ihrer Nicht-Verhinderung (d. h. ihres Geschehenlassens) erlaubt?91 Nach seiner – übrigens von Bernd Ludwig geteilten92 – Auffassung von § 2 Abs. 2 S. 3 gebiete die praktische Vernunft nun kategorisch, „von der physischen Relation des Gegen-

87

In diesem Verständnis träfe dann wohl auch der kritische Einwand Deggaus, Die Aporien der Rechtslehre Kants (1983), S. 83, 84, 87, 88 ff., 94 f. zu, der in der Kantischen Rechtslehre eine Subreption erkannt haben will, weil dort aus der bloßen rechtlichen Möglichkeit, die in § 2 erwiesen wird, auf die rechtliche Notwendigkeit der entsprechenden (Erwerbs-)Handlungen geschlossen werde, sodass die anschließende Entwicklung des Gedankens nach § 2 also im Wesentlichen zirkulär sei. 88 Das im Erlaubnisgesetz (§ 2 Abs. 3) innerlich vorausgesetzte praktisch-notwendige Gebot der Staatsbegründung (§ 42 Abs. 1) kann auch als sein logisches Gegenteil formuliert werden, nämlich als absolutes Verbot einer an und für sich bestehenden Herrenlosigkeit aller äußeren Gegenstände (vgl. § 2 Abs. 1). 89 ZeF, AA VIII: 348.22-41. 90 Vgl. Brandt, in: ders. (Hrsg.): Rechtsphilosophie der Aufklärung (1982), S. 233 (248), wo er das „an sich Verbotene“ nicht in einer „lex […] universalis“, sondern „lex generalis“ verortet. 91 Brandt, in: ders. (Hrsg.): Rechtsphilosophie der Aufklärung (1982), S. 233 (255 ff.). 92 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 63, 111 ff., insb. Fn. 56.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

standes der Habe abzusehen“, d. h. es fordere „kategorisch das Formalismusprinzip“.93 Für Reinhard Brandt ist es also ein kategorischer Rechtsimperativ des Naturrechts, im reinen Rechtsdenken von physischen Bestimmungen unter den Rechtsbegriffen zu abstrahieren.94 – Doch eine Abstraktion im Denken,95 d. h. ein abstraktes Rechtsdenken, ist an sich überhaupt keine Rechtshandlung, sondern eine logische Handlung des Denkens, und kann darum auch nicht rechtlich-kategorisch geboten werden, ganz abgesehen davon, dass ein abstraktes Rechtsdenken, ohne eine positiv bestimmte Konkretion im Rechtsdenken, auch an sich selbst überhaupt keinen Wert hat: die Abstraktion im metaphysischen Rechtsdenken ist bloßes Mittel zum Zweck, nämlich zum Zweck der in ihr schon vorausgesetzten begrifflich-schlüssigen Determination bzw. metaphysischen Konkretion im Rechtsdenken; sie alleine gibt dann einen begrifflich bestimmten besonderen Begriff vom Recht. Mit der Annahme der Existenz eines natürlichen kategorischen Imperativs zum abstrakten Rechtsdenken gelangt Brandt dann zu der weiteren Bestimmung, das Erlaubnisgesetz befehle „kategorisch, Handlungshinderungen nicht zu verhindern, die dem Prinzip des angeborenen Rechts widersprechen“96. Konkret bedeutet dies, das Erlaubnisgesetz „verbietet hier die Eliminierung einer Freiheitsberaubung, zu der wir nie einstimmten“.97 Reinhard Brandt denkt demnach im Naturzustand in Ansehung des äußeren Mein und Dein einen fremdverpflichtenden Gewaltakt, den zu verhindern an sich jeder, provisorisch jedoch niemand befugt sein soll, gerade weil das Erlaubnisgesetz vermeintlich die provisorische Duldung dieses heteronomen Gewaltakts einer einseitigen Willkür gebietet. Eben hierin besteht aber der mit der hier vorgelegten Interpretation mit Nachdruck in Frage gestellte Gedanke, danach eine naturzuständliche Heteronomie im äußeren Verhältnis, ohne einen positiv verstandenen Gedanken von Autonomie (d. h. Selbstgesetzgebung) im äußeren Verhältnis, mit einem vorherrschenden Kantverständnis schon unter dem allgemeinen Begriff des Rechts als rechtlich denkbar sein soll.98 Da aber das Erlaubnisgesetz jedenfalls in der Inter93 Brandt, in: ders. (Hrsg.): Rechtsphilosophie der Aufklärung (1982), S. 233 (256, 258); schon zuvor ders., Eigentumstheorien von Grotius bis Kant (1974), S. 188; und auch in der Folge noch immer ders., DZPhil 47 (1999), S. 887 (898). 94 Auf den aus dieser Auffassung resultierenden Zirkel im Hinblick auf die Deduktion in § 6 hat zu Recht Tuschling, in: Oberer/Seel (Hrsg.), Kant: Analysen – Probleme – Kritik (1988), S. 273 (277 f./283 f.) hingewiesen. Beifall hat diese Kritik dann etwa durch Hespe, in: Hüning/ Stiening/Vogel (Hrsg.): FS Tuschling (2002), S. 119 (134 Fn. 33) erfahren. 95 Siehe dazu nochmals Log, AA IX: 99 (§ 15). 96 Brandt, in: ders. (Hrsg.): Rechtsphilosophie der Aufklärung (1982), S. 233 (256 f.). 97 Brandt, in: ders. (Hrsg.): Rechtsphilosophie der Aufklärung (1982), S. 233 (261). 98 An diesem Punkt setzt neuerdings, allerdings unter der Überschrift „Autonomie trotz rechtlicher Fremdverpflichtung?“ gedanklich noch zu spät, Hirsch, Freiheit und Staatlichkeit bei Kant (2017), S. 210 ff. seine Interpretation an, darin der Staat die schon vorfindliche Heteronomie mit der Autonomie des Einzelnen vereinbar machen soll.

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pretation Brandts im Grunde selbst nur auf dem negativen Gedanken von etwas an sich Verbotenen, damit aber nicht auf dem Gedanken eines an und für sich selbst positiven Gebots der Begründung einer Verpflichtungsinstanz im äußeren Verhältnis beruht, vermag es – so verstanden – auch nicht das – von Brandt99 beiläufig sogar angesprochene – autonomietheoretische Problem darin zu lösen, dadurch dem staatlichen Allgemeinwillen schon im Grunde ursprünglich eine positive Bestimmung zuzudenken wäre. Es ist aber kein Zufall, dass ein abstraktes Rechtsdenken, das sich obendrein selbst sogar für rechtlich kategorisch notwendig geboten hält, über eine negative Bestimmung im Grunde seines Gedankens nicht hinauskommt, denn alle positive Bestimmung setzt konkret-schlüssiges Rechtsdenken für sich selbst voraus.100 Deshalb müssen die heteronom verstandene Freiheit des einzelnen Rechtssubjekts und die heteronom verstandene Freiheit des Staatsrechtssubjekts in einem solchen Verständnis auch in einem unaufhebbaren Gegensatz zueinander befangen bleiben, der sich, ohne vernunftschlüssige Vermittlung, in dem Gedanken grundrechtlicher Abwehrrechte der Einzelnen gegen den Staat manifestiert, die doch selbst ursprünglich durch einen heteronomen Gewaltakt im Naturzustand vor ihm, wenn auch nur einstweilen provisorisch, vermeintlich wohlerworben wurden.101 Die schlüssige Aufhebung dieses selbstgemachten Verstandesgegensatzes unter dem als allgemein gebrauchten moralischen Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) zur vernünftigen Einheit im Begriff der Autonomie im äußeren Verhältnis (= Staat) ist darum erklärtermaßen das Anliegen der folgenden dezidiert metaphysischen Interpretation, insbesondere der des Begriffs des provisorischen Besitzes im Naturzustand. Sie richtet sich folglich gegen das von Reinhard Brandt mit seiner Interpretation des Erlaubnisgesetzes stark gemachte empirische Verständnis einer im zeitlich vorläufigen Sinne provisorisch erlaubten Freiheitsberaubung im Naturzustand,102 wie sie in jeder eigentums- oder privatrechtsbesitzspezifischen Ableitung der 99

Brandt, in: ders. (Hrsg.): Rechtsphilosophie der Aufklärung (1982), S. 233 (261). Deswegen benimmt Brandt, in: ders. (Hrsg.): Rechtsphilosophie der Aufklärung (1982), S. 233 (267) dem Postulat des öffentlichen Rechts auch seine ihm originär eignende praktische Notwendigkeit in einem nicht unerheblichen Maße, wenn er die Staatserrichtung dem Zufall überstellt, indem er konstatiert: „Das zunächst aktivistisch klingende Prinzip: Du sollst den status naturalis verlassen! ist beim näheren Zusehen also doch anders zu lesen. Du sollst, wenn jemand die Initiative ergreift, aus dem status naturalis in den einer austeilenden Gerechtigkeit überzugehen, keinen Widerstand gegen die nicht gesetzmäßige Handlung leisten, denn er ist zu ihr befugt.“ Nach der von Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 170 Fn. 156 geteilten Auffassung Brandts ist der Übergang in den Staat also eine nicht gesetzmäßige (!) Handlung und darum gibt es eigentlich auch nicht die Pflicht des Einzelnen, in ihn überzugehen, sondern nur die Duldungspflicht der derselben, den Staat über sich geschehen zu lassen, wenn es denn zufällig gerade einmal passieren sollte. Nach hiesigem Verständnis liegt in einer solchen Interpretation eine dem Begriff der Autonomie (im äußeren Verhältnis) völlig unangemessene Auffassung von Freiheit und Recht. 101 Vgl. Brandt, in: ders. (Hrsg.): Rechtsphilosophie der Aufklärung (1982), S. 233 (249). 102 Brandt, in: ders. (Hrsg.): Rechtsphilosophie der Aufklärung (1982), S. 233 (262 i.V.m. 244 – 249): „Die Begriffe des Provisorischen und Peremtorischen sind eindeutig zeitlich strukturiert.“ (248). 100

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praktischen Notwendigkeit des Staates gedacht werden muss, wenn und weil darin ein subjektives Recht im äußeren Verhältnis mitsamt der diesem Recht vorausgehenden Verpflichtung schon im heteronomen Ausgang von einem besonderen Einzelwillen und nicht im Ausgang von einem gesetzgebenden Allgemeinwillen gedacht sein soll. 2. Exposition und Realdefinition des Begriffs des äußeren Mein und Dein Nachdem extensiv deutlich geworden ist, dass ein äußeres Mein und Dein rechtlich mitsamt den dieser rechtlichen Möglichkeit innerlich schon vorausgesetzten Rechtsbedingungen möglich ist, stellt sich im vernünftigen und darum in seiner kritischen Selbstbefragung regressiv fortschreitenden Rechtsbewusstsein nunmehr die Frage, wie ein solcher innerlich möglich ist, sodass es im weiteren Verlauf des ersten Hauptstücks der natürlichen Privatrechtslehre unter dem metaphysischen Anfangsgrundsatz des Privatrechts (§ 2) um die vernunftbegriffliche Entwicklung der in der postulierten rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein (§ 2 Abs. 1) schon verwickelt gelegenen reinen Rechtsbegriffe zu einer intensiven Deutlichkeit des Rechtsbegriffs zu tun ist. Denn diese schon verwickelt im Realbegriff eines äußeren Mein und Dein gelegenen reinen Rechtsbegriffe sind nichts anderes als die rein begrifflichen Realbedingungen der Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein. Vor der methodologisch dann in einem ersten Schritt notwendigen Exposition des Begriffs des äußeren Mein und Dein (§ 4) steht allerdings die an die schon in § 1 Abs. 1 erörterte Nominaldefinition des rechtlich Meinen überhaupt wieder anknüpfende Überlegung (§ 3), welche Vorstellung überhaupt im Begriff vom Mein und Dein gedacht wird, und darum auch in dem darunter besonders eingeteilt vorstellbaren Begriff vom äußeren Mein und Dein gedacht werden wird, sodass sich mit dieser – vom Allgemeinen zum Besonderen fortschreitenden – Überlegung103 vorab 103 Dass § 3 eine notwendige Zwischenstellung innehat und der Gedankengang hier vom Allgemeinen zum Besonderen fortschreitet, um dadurch in der Folge eine philosophische Erkenntnis, die das Besondere im Allgemeinen betrachtet, vorzubereiten, lässt sich auch an einer weiteren begrifflichen Beobachtung belegen. Denn § 1 Abs. 1 sprach zunächst noch völlig indifferent vom rechtlich-Meinen (dem Mein und Dein, d. h. vom Rechtsbesitz überhaupt), bevor in § 1 Abs. 2 dann etwas Äußeres als das Meine problematisch erwogen und noch nicht mit dem Begriff vom äußeren Mein und Dein (d. h. äußeren Rechtsbesitz) belegt wurde. Ebenso verhielt es sich noch in § 2 Abs. 1, bevor dann erstmals am Ende von § 2 Abs. 2 der Begriff von einem äußeren Mein oder Dein eingeführt wurde. Der im ersten Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre zu entwickelnde Realbegriff vom äußeren Mein und Dein (§ 5) wird schließlich erstmals in der Überschrift von § 4 eingeführt. Insofern wird in der begrifflichen bzw. gedanklichen Folge von § 1 bis zu § 5 eine Begriffsentwicklung offenbar, die von einem problematischen zu einem realen Begriffsverständnis fortschreitet. Realbedingung eines Rechtsbegriffs ist aber innerlich immer – in begrifflicher Vermittlung – der darin vorausgesetzte, weil als allgemein gebrauchte Rechtsbegriff und so liegt im Übergang von einem problematischen zu einem realen Begriffsverständnis zugleich auch der im dritten Satzteil von

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dann allgemeine von besonderen Bestimmungen im Begriff des äußeren Mein und Dein unterscheiden lassen werden (§ 4 a)–c)), mit der Folge, dass eine Realdefinition das allgemeine Moment des Begriffs vom äußeren Mein und Dein (§ 5) als ihn innerlich real bestimmend ausdrücklich setzen kann.104 – Diese Gedankenfolge ist nun ausführlich zu verfolgen: §3

Der Begriff des äußeren Mein und Dein stellt einen besonders eingeteilten Begriff unter dem allgemeinen Begriff des rechtlichen Mein und Dein vor.105 In Auseinandersetzung von § 1 Abs. 1/2 war deutlich geworden, dass das rechtliche Meine nominal so charakterisiert werden kann, dass es nicht in dem empirischen Besitz eines Gegenstandes, sondern in einem intelligiblen und somit rein rechtlichen Besitz desselben, abstrahiert von allen sinnlichen Besitzbedingungen in Raum und Zeit, besteht. Denn im Begriff vom „Meinen“ liegt analytisch der Begriff des Besitzes und in dem darauf bezogenen Prädikat „rechtlich“ liegt analytisch das Prädikat „intelligibel“. Außerdem war für ein metaphysisches Verständnis vom Rechtsbesitz deutlich geworden, dass die subjektive Bedingung der Möglichkeit des rechtlichen Gebrauchs eines rechtlich Meinen der rechtliche Besitz ist (§ 1 Abs. 1 S. 2), denn rechtlichen Gebrauch von einem Gegenstand vermag nur der rechtliche Besitzer desselben von ihm zu machen. Also ist der rechtliche Besitz das Kennzeichen eines § 3 angesprochene Gedanke rechtlicher Verbindlichkeit im äußeren Verhältnis. Mit diesem Gedanken wiederum verbunden ist eine begrifflich-praktische Verobjektivierung des Rechtsdenkens, das in den §§ 1, 2 alleine aus der Perspektive des sich selbst vergewissernden Subjekts zum Ausdruck gelangt und sich in § 3 mit der dritten Person („er“) erstmals zu einer verobjektivierenden Perspektive auch im schriftlichen Ausdruck erhebt. Auf diesen interessanten Umstand hat wohl als Erster Bernd Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 65 aufmerksam gemacht, allerdings bedauerlicherweise gänzlich andere Schlüsse daraus gezogen (siehe unten Fn. 108). 104 Diese wichtige Bedeutung im methodologischen Gesamtgefüge wird in der rechtsphilosophischen Kantforschung wohl weithin noch unterschätzt, da man in § 3 bestenfalls nur klarstellende und wiederholende Überlegungen wähnt, vgl. beispielsweise Kühl, Eigentumsordnung als Freiheitsordnung (1984), S. 144. Nach Friedrich, Eigentum und Staatsbegründung (2004), S. S. 119 wirkt § 3 sogar „schon aufgrund seiner Kürze und weil er in §5 fast wörtlich wiederholt wird“ als „deplaziert“ (sic!). Möglicherweise ist dies dann auch der gedankliche Grund, weshalb man in der gemeinsam mit § 2 angekündigten Kommentierung des § 3 bei Fulda, in: Höffe (Hrsg.): Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (1999), S. 87 (91 – 98) vergeblich nach einer solchen von § 3 sucht. NB: Im Rahmen des Deduktionsgedankens zum Begriff eines rein rechtlichen Besitzes wird – andersherum – zunächst (§ 6 Abs. 4 – 9) vom Besonderen zum Allgemeinen regressiv aufgestiegen und dann schließlich der Deduktionsgrund des Begriffs im Allgemeinen progressiv angesetzt (§ 6 Abs. 10), sodass es in der Folge gerechtfertigt ist, den im Allgemeinen deduzierten und praktisch erkannten Vernunftbegriff vom rein rechtlichen Besitz in konkreten und damit besonderen Begriffen und Verhältnissen vom äußeren Mein und Dein praktisch zu gebrauchen. Doch auch dieser methodologisch vorgegebene Gedanke in der Einheit von § 6 mit seinen zehn Absätzen stößt – wie sich noch zeigen wird – gegenwärtig weitgehend noch nur auf Ansätze von Verständnis. 105 RL, AA VI: 237.24-26 und 245.09-12.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

möglichen rechtlichen Gebrauchs eines Gegenstandes. Behauptet eine Rechtsperson in ihren äußeren Handlungen einen rechtlichen Gebrauch von einem Gegenstand zu machen, so behauptet sie zugleich ihren Rechtsbesitz. Eben an diesen Gedanken eines metaphysischen Verständnisses vom Rechtsbesitz knüpft nun § 3 in einem ersten Satzteil an, wenn dieser den Satz aufstellt, dass im rechtlichen „Besitze eines Gegenstandes […] derjenige sein [muß], der eine Sache als das Seine zu haben behaupten will“106. Denn im Gebrauch eines Gegenstandes überhaupt liegt unter dem allgemeinen Rechtsgesetz zugleich eine rechtliche – nicht bloß physische – Besitzbehauptung in Ansehung desselben. Dagegen müsste ein konsequent empirisches Verständnis von § 1 Abs. 1 S. 2, etwa in der Vorstellung Bernd Ludwigs,107 auch hier eigentlich den Satz aufgestellt sehen wollen, dass im physischen „Besitze eines Gegenstandes […] derjenige sein [muß], der eine Sache als das Seine zu haben behaupten will“. Dies ist indessen nicht der Fall; im Gegenteil: Nach Ludwigs Auffassung rekurriert § 3 auf die „Selbstverständlichkeit“ der in § 1 herausgearbeiteten Besitzantinomie und somit wohl auch auf den rechtlichen Besitz. Allerdings sei § 3 „gänzlich redundant“ und da er sich auch „weder systematisch noch sprachlich in den Text“ einfüge, könne davon ausgegangen werden, „daß er nicht für die Druckschrift bestimmt war, sondern als Vorarbeit zu werten ist“.108 In Bernd Ludwigs Vorstellung gibt es also auch keinen § 3, sodass auf § 1 – begrifflich unvermittelt – die Exposition des Begriffs vom äußeren Mein und Dein (§ 4) folgt, und schließlich gänzlich unklar bleibt, wie in Ludwigs Vorstellung die allgemeine Realbedingung im besonderen Begriff vom äußeren Mein und Dein (§ 5) methodologisch ausfindig gemacht werden sollte, wenn sie nicht zuvor im allgemeinen Begriff vom rechtlichen Meinen vor dem besonderen und real zu definierenden Begriff vom äußeren rechtlich Meinen aufgesucht sein würde. Allerdings wird sich finden, dass Bernd Ludwig die in § 5 auf diesem methodologischen Gedanken der Realdefinition zugleich geleistete Deduktion des Begriffs vom äußeren Mein und Dein109 (d. h. wohlgemerkt nicht die des Begriffs des rein rechtlichen Besitzes in § 6) als solche – ausdrücklich – gar nicht begreifen will.110 Indem der zweite Satzteil von § 3 den ersten und sachlich § 1 Abs. 1 S. 2 entsprechenden Satzteil an der Nominaldefinition des rechtlich Meinen von § 1 Abs. 1 S. 2 bestätigend prüft, zeigt sich, dass eine ,Redundanz‘ in § 3 allenfalls derjenige für 106

RL, AA VI: 247.10-11. Siehe oben Fn. 24. 108 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 65. 109 „Die S a c h e r k l ä r u n g dieses Begriffs aber, d. i. die, welche auch zur D e d u c t i o n desselben (der Erkenntniß der Möglichkeit des Gegenstandes) zureicht, lautet nun so: Das äußere Meine ist dasjenige, in dessen Gebrauch mich zu stören Läsion sein würde, o b i c h g l e i c h n i c h t i m B e s i t z d e s s e l b e n (nicht Inhaber des Gegenstandes) b i n .“ (RL, AA VI: 249.03-07). 110 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 109. 107

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sein Verständnis reklamieren dürfte, der den Besitz- und Gebrauchsbegriff in § 1 Abs. 1 nicht physisch und damit auch nicht empirisch begreift. „Denn wäre“ der seinen Rechtsbesitz Behauptende „nicht in demselben: so könnte er nicht durch den“ physischen „Gebrauch, den der andere ohne seine Einwilligung davon macht, lädirt werden“.111 Der Rechtsbesitz ist nämlich – als intelligibler Besitz – unabhängig von der physischen Gebrauchsrelation, die irgendjemand, es mag der Rechtsbesitzer selbst oder auch der Rechtsbesitzstörer sein, von dem physischen Gegenstand macht. Also wird unter dem Begriff des Rechtsbesitzes – und dies ist ganz maßgeblich für das Verständnis des noch folgenden dritten Satzteils – eine rein intelligible Verbindung (Synthesis) und damit eine von allen physischen Bedingungen abstrahierende Einheit des Rechtssubjekts mit seinem Gegenstand (d. h. mit einem Objekt) gedacht. Der reine Begriff eines Gegenstandes überhaupt ist aber der Begriff von einem Ding an sich selbst und so werden Subjekt und Objekt unter dem Begriff dieser rein intelligiblen Verbindung beide im Begriff von einem Ding an sich selbst zur Rechtseinheit verbunden gedacht. Diesen in der vorgestellten Abstraktion hoch abstrakten Gedanken einer rechtlichen Verbindung von Subjekt und Objekt unter dem Begriff des reinen Rechtsbesitzes greift nun der dritte sowie nur in seiner Originalfassung richtig zu verstehende Satzteil von § 3 als begründend für den zweiten Satzteil auf, und bringt so das natürliche Privatrechtsdenken ganz zu Beginn zunächst einmal zur beinahe höchsten und sodann im Folgenden zunehmend konkret aufzuhebenden Abstraktion. Der dritte Satzteil begründet in Bezug zu den vorherigen Satzteilen nämlich – gänzlich abstrakt – die These, dass ein physischer Gegenstandsgebrauch durch die eine Person gegen den Willen einer anderen Person nur dann als Rechtsverletzung (d. h. Läsion) begriffen werden kann (2. Satzteil), wenn der Rechtsbesitz des diesen Behauptenden begrifflich schon wirklich über beiden betroffenen Personen vorausgesetzt ist (1. Satzteil), „weil, wenn diesen Gegenstand etwas außer ihm, was mit ihm gar nicht rechtlich verbunden ist, afficirt, […] ihn selbst (das Subject) nicht afficiren und ihm unrecht thun könnte“112. Denn zwischen der physisch Gebrauch von einem Gegenstand machenden Person und dem gebrauchten Gegenstand entsteht durch diese bloß physische Gebrauchs111

RL, AA VI: 247.11-13. RL, AA VI: 247.13-15 – Die Akademieausgabe setzt in der Klammerauslassung das auf das Wort „etwas“ bezogene Wörtchen „es“, weil der Herausgeber das erste und zweite „ihm“ offenbar auf denjenigen (d. h. das Subjekt) beziehen möchte, der seinen Rechtsbesitz im ersten Satzteil behauptet (vgl. dazu auch Brandt, Eigentumstheorien von Grotius bis Kant [1974], S. 204 En. 11). Mit der Klammerauslassung folgt Verf. dagegen der Originalausgabe und bezieht dieses zweifache „ihm“ auf den Gegenstand (d. h. das Objekt), sodass der seinen Rechtsbesitz Behauptende aus dem ersten Satzteil erst mit dem darauf stehenden Wort „ihn selbst (das Subject)“ angeknüpft wird. Der Satz lautet also im hiesigen Verständnis der Originalfassung: ,weil, wenn diesen Gegenstand etwas außer ihm [selbst], was mit ihm [dem Gegenstand selbst] gar nicht rechtlich verbunden ist, afficirt, ihn selbst (das Subject) nicht afficiren und ihm unrecht thun könnte‘. Eine Korruption des Satzes (so aber Ludwig, Kants Rechtslehre [1988], S. 30) ist dann nicht existent. 112

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

relation kein Rechtsbesitz, d. h. keine rein intelligible (d. h. bloß rechtlich gedachte) Verbindung des Rechtsobjekts mit diesem Rechtssubjekt, und zwar als eine im Begriff vom Ding an sich selbst abstrakt begriffene Rechtseinheit. In diesem Sinne affiziert im Rahmen der im zweiten Satzteil erwähnten bloß physischen Gebrauchsrelation den Gegenstand „etwas außer ihm, was mit ihm gar nicht rechtlich verbunden ist“. Soll diese physische Gebrauchsrelation (d. h. Affektion des Objekts) aber zugleich doch als Läsion des Rechtsbesitzes einer anderen Person (d. h. als Affektion des Subjekts) begriffen werden (2. Satzteil), dann muss diese andere Person gedanklich schon im Rechtsbesitz des Gegenstandes sein (1. Satzteil), und dann muss zwischen diesem Subjekt und dem Objekt eine rein intelligible (d. h. bloß gedachte) Verbindung, und zwar als eine im Begriff vom Ding an sich selbst abstrakt begriffene Rechtseinheit bestehen.113 Hierin besteht der hoch abstrakte Sinngehalt des § 3 in seiner Stellung zwischen den §§ 2 und 4 im Rahmen der vernunftbegrifflich zu nehmenden Entwicklung des Begriffs vom äußeren Mein und Dein. Im Vorblick auf diese zunehmend konkreter werdende Entwicklung und den gegen das hiesige Verständnis, nämlich aus der gedanklichen Warte eines abstrakten Rechtsdenkens in bloßen Interpersonalverhältnissen abzusehenden Einwand, eine Rechtsverbindung sei eine solche zwischen Subjekten, nicht jedoch zwischen Subjekt und Objekt, ist hier noch Folgendes zum Zwecke größerer Deutlichkeit des Gedankens anzumerken: 1. Die rein intelligible Verbindung von Subjekt und Objekt, als eine im Begriff vom Ding an sich selbst abstrakt vorgestellte Rechtseinheit, wird unter dem Begriff des intelligiblen Besitzes im Begriff des äußeren Mein und Dein (d. h. im äußeren Rechtsbesitz) konkret begriffen.114 2. Diese rein intelligible Verbindung von Subjekt und Objekt im Begriff des äußeren Mein und Dein steht unter dem darin real als bestimmend vorausgesetzten Begriff vom rein rechtlichen Besitz, der als Rechtsbegriff vom Besitz eine rein intelligible (d. h. rein rechtliche) Verbindung von Subjekt und Subjekt in Ansehung möglicher Objekte vorstellt.115 3. Abstrakt wird diese rein intelligible (d. h. rein rechtliche) Verbindung von Subjekt und Subjekt in Ansehung möglicher Objekte im Begriff vom Ding an sich selbst als Rechtseinheit vorgestellt.116

113

Siehe dazu auch § 5 Abs. 1 S. 3 sowie sodann S. 4 (RL, AA VI: 249.08-17). Siehe besonders eindringlich RL, AA VI: 253.37-254.03. 115 RL, AA VI: 253.27-254.03. 116 Denn der Dingbegriff ist nichts anderes als der Substanzbegriff und dieser bezeichnet das Subjekt der Bestimmung im Denken: „[…] der nackte Verstandesbegriff von Substanz nichts weiter enthält, als daß ein Ding als Subject an sich, ohne wiederum Prädicat von einem andern zu sein, […].“ (KrV, AA IV: 250.10-12 = A 401). 114

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

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4. Konkret wird diese rein intelligible (d. h. rein rechtliche) Verbindung von Subjekt und Subjekt in Ansehung möglicher Objekte im metaphysischen Grundsatz einer „allgemeingeltenden G e s e t z g e b u n g “117 in Ansehung der Objekte als praktisch-notwendig vorgestellt (d. h. postuliert) und praktisch begriffen. 5. Dieser konkret-praktische Begriff einer rein intelligiblen (d. h. rein rechtlichen) Verbindung von Subjekt und Subjekt in Ansehung möglicher Objekte als einer allgemeingeltenden Gesetzgebung (Staat) begreift diese Relation im Begriff vom Ding an sich selbst dann schon konkret aus sich selbst heraus als Rechtseinheit, denn – und dies ist ganz gewiss die größte hier in dieser Interpretation herausgestellte Zumutung für jedes bloß abstrakte Rechtsdenken – der Staat als „eine vollkommene r e c h t l i c h e Ve r f a s s u n g unter Menschen i s t , d a s i s t d a s D i n g a n s i c h s e l b s t “118. Er ist somit an sich selbst das absolute Subjekt allen äußeren Rechts, weil er sich alleine aus sich selbst heraus ursprünglich selbst zu allem äußeren Recht bestimmt. Im Gedanken von § 3 sind mit der darin herausgestellten Voraussetzung des reinen Rechtsbesitzes im Begriff vom rechtlich Meinen, um es konkreter zu sagen, im schon gestörten Rechtsbesitzverhältnis drei in vorstehender Weise zur ursprünglichen Einheit in diesem Rechtsbesitzverhältnis zu bringende Momente angesprochen, nämlich – erstens – ein physischer Gebrauchsakt einer Rechtsperson von einem Gegenstand, sodann – zweitens – der einzelne Wille der einen Rechtsbesitz in Ansehung dieses Gegenstandes für sich behauptenden Rechtsperson und schließlich – drittens – die allgemeine Gesetzgebung aller Rechtssubjekte in Ansehung aller möglichen Rechtsobjekte (vgl. dann auch § 10 Abs. 3). §4

Der erste Schritt wissenschaftlicher Beschäftigung mit einem Vernunftbegriff besteht darin, seinen Begriffsinhalt durch verstandesanalytische Exposition zu einem deutlichen Bewusstsein zu bringen, um ihn sodann mit diesem deutlichen Bewusstsein real zu definieren, indem das zuvor deutlich gewordene Vorstellungsmerkmal seiner inneren Vernunftbedingung als Realbedingung im Bewusstsein des analysierten Begriffs gesetzt wird.119 Nun postuliert der metaphysische Anfangsgrundsatz in § 2 die rechtliche Möglichkeit eines äußeren Mein oder Dein und folglich handelt es sich beim metaphysischen Begriff vom äußeren Mein und Dein um einen Vernunftbegriff, der in einer 117

Siehe dafür RL, AA VI: 253.32-33 (§ 7 Abs. 1). RL, AA VI: 371.29-34. – Klenner, in: ders. (Hrsg.): Immanuel Kant, Rechtslehre (1988), S. 566 (583) hat diese Erklärung Kants als Verklärung gestempelt und trifft damit möglicherweise auch heute noch die allgemeine Meinung. 119 Siehe dazu methodologisch im Allgemeinen ausführlich das dritte Kapitel m.w.N. und im Einzelnen auch schon das fünfte Kapitel zur Einleitung der Rechtslehre, nämlich in wissenschaftlicher Auseinandersetzung des hier im Hauptteil der Rechtslehre als allgemein gebrauchten moralischen Begriff des Rechts (besonders § B). 118

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

wissenschaftlichen Behandlung des Naturrechts mit dem vorstehenden methodologischen Bewusstsein einer verstandesanalytischen Exposition bedarf. Die Überschrift von § 4 kündigt daher eine „ E x p o s i t i o n d e s B e g r i f f s v o m ä u ß e r e n M e i n u n d D e i n “120 an. Nach dem verstandesanalytischen Moment der Modalität kann der Vernunft- bzw. metaphysische Rechtsbegriff vom äußeren Mein und Dein nur praktische Notwendigkeit in sich enthalten, die ihm seine vernunftbegriffliche Realbedingung innerlich ursprünglich verleiht. Aus eben diesem Grund bedarf diese vernunftbegriffliche Realbedingung im metaphysischen Rechtsbegriff vom äußeren Mein und Dein (§ 5) ihrerseits selbst eines praktischen Rechtsgrundes, nach dem ein praktischer Gebrauch von diesem reinen Vernunftbegriff im äußeren Verhältnis (d. h. mit Rechtswirkungen) gerechtfertigt ist (§ 6). Eine solche Rechtfertigung eines praktischen Begriffsgebrauchs in einem ihm übergeordneten Anfangsgrundsatz allen metaphysischen Begriffsgebrauchs unter ihm leistet bekanntlich eine Deduktion dieses Begriffs. Nach dem verstandesanalytischen Moment der Relation begreift der Vernunft- bzw. metaphysische Rechtsbegriff vom äußeren Mein und Dein mit praktischer Notwendigkeit das Rechts- und damit Gemeinschaftsverhältnis121 eines Subjekts zu einem Objekt außer ihm. Folglich wird diese äußere Relation eines Subjekts zu einem Objekt außer ihm im Begriff vom äußeren Mein und Dein nach dem verstandesanalytischen Moment der Qualität rechtlich, d. h. als Rechtsverhältnis bzw. als Rechtsbesitz begriffen, und zwar, indem das Objekt dem Subjekt in ihrem Gemeinschaftsverhältnis begrifflich unter- und damit zugeordnet wird. Also setzt der metaphysische Rechtsbegriff vom äußeren Mein und Dein – nach vorstehender Überlegung zur Modalität in diesem Begriff – den Vernunft- bzw. metaphysischen Rechtsbegriff vom Rechtsbesitz in sich selbst als Realbedingung seiner selbst voraus, und eben darum entwickelt die alleine explizit Text gewordene Exposition des Begriffs vom äußeren Mein und Dein (§ 4) auch nur das verstandesanalytische Moment der Qualität in diesem Begriff zu einem deutlichen Bewusstsein, d. h. zur deutlichen Vorstellung der darin allgemein enthaltenen Rechtsbesitzvorstellung, und zwar im besonderen Ausgang von den unter dem Begriff durch ihn möglichen äußeren Gegenstandsrelationen. Der Autor dieses Paragraphen, der hier nicht mehr alle gedanklichen Schritte explizit herausstellt, sondern sich in seiner schriftlichen Darstellung auf das absolut Wesentliche beschränkt, setzt bei seinem Leser also ein vertrautes Umgangsverhältnis mit seiner methodologischen Vorgehensweise im Rahmen einer philoso120

RL, AA VI: 247.17. Zur nochmaligen Erinnerung sei hier der wiederholte Hinweis erlaubt, dass der als allgemein und somit bestimmend gebrauchte Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) nichts anderes ist, als der praktische Freiheitsbegriff der Gemeinschaft (siehe oben unter B. II. 2. im fünften Kapitel). 121

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

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phischen Begriffserkenntnis schon unumgänglich als existent voraus, und möglicherweise ist es dieser in der Gegenwartszeit des Denkens etwas allzu sehr voraussetzungsreich erscheinende Umstand, der die Textgestalt der Kantischen Rechtslehre – wie schon gesehen und noch weiter zu sehen sein wird – bei ihren Interpreten und Editoren nicht unerheblich in Verruf gebracht hat. § 4 Abs. 1

Das Subjekt in der Rechts- bzw. Gemeinschaftsrelation von Subjekt und Objekt im Begriff vom äußeren Mein und Dein wird verkörpert durch ein freies Willkürsubjekt, das durch diese raum-zeitliche Verkörperung in einem bloß natürlichen und noch nicht rechtlichen Verhältnis zu äußeren Gegenständen in Raum und Zeit steht. Folglich besteht die Sphäre aller für ein solches Rechtssubjekt unter seinem Begriff vom äußeren Mein und Dein möglichen äußeren Gegenstandsverhältnisse in seinen im sinnlichen Anschauungsbezug verständig denkmöglichen Objektrelationen, die sich bekanntlich nach den drei Verstandeskategorien der Relation – Substanz/Kausalität/Gemeinschaft122 – im sinnlichen Vorstellungsbezug des Verstandes ordnen.123 Also lässt sich die Qualität der praktisch-notwendigen (Rechts- bzw. praktischen Gemeinschafts-)Relation im metaphysischen Rechtsbegriff vom äußeren Mein und Dein in diesen drei möglichen äußeren Objektsverhältnissen eines menschlichen

122

KrV, A 80/B 106. D. h. es ist im menschlichen Vorstellungsvermögen möglich, reine Verstandesbegriffe (wie den der Kausalität oder des Habens) zunächst in einen rechtsgesetzlichen Vernunftbezug zu stellen, dadurch reine Vernunft- bzw. reine Rechtsbegriffe im reinen Denken mit seiner Spontanität entstehen (z. B. der Begriff äußerer Freiheit als angeborenes Recht oder der des Habens als Begriff vom Rechtsbesitz). Sodann sind diese reinen Rechtsbegriffe aber auch – durch weitere reine und dann auch empirische Begriffe unter ihnen vermittelt – auf sinnliche Gegenstandsvorstellungen beziehbar, und zwar, weil sich diese reinen Rechtsbegriffe, wie zuvor beschrieben, aus reinen Verstandesbegriffen (z. B. dem des Habens) konstituieren. Denn reine Verstandesbegriffe sind auch – und für das bloße Verstehen von bloß natürlichen Gegenstandsrelationen sogar ausschließlich – auf sinnliche Vorstellungen beziehbar. Auf diese Weise kommt es zur Vermittlung reiner und sinnlicher Vorstellungen in reinen Vernunftbegriffen vom Recht der Menschen und § 7 beruht maßgeblich auf der im menschlichen Vorstellungsvermögen angelegten Möglichkeit dieser begrifflichen Vermittlung sinnlicher mit vernünftigen Vorstellungen. Die reinen Verstandesbegriffe, transzendental zwischen Sinnlichkeit und Vernunft im reinen Denken eines Subjekts verortet, ermöglichen so insgesamt eine aus reinen Begriffen systematisch konstituierte Metaphysik des Rechts und so erklärt sich völlig zwanglos auch der Rekurs Immanuel Kants auf die drei Relationskategorien in § 4; ein Rekurs, der völlig unbegreiflich bleiben muss, solange nicht begriffen ist, dass und wie eine Metaphysik der Sitten nur im Verhältnis reiner Begriffe des Denkens zur praktischen Vernunft (d. h. zum Willen) denkbar ist. Eine Interpretation, die diese rein begriffliche Art metaphysischen Denkens leugnen wollte, verführe in ihrer Vorgehensweise aus der hiesigen Warte dann eben begrifflich blind und so könnte sie in der hier vorgelegten Interpretation darum auch nur das Zerrbild ihrer eigenen Auffassung von einer Metaphysik der Sitten erblicken, die Immanuel Kant für dieses begrifflich auf seinen bloß theoretischen Gebrauch beschränkte Auffassungsvermögen tatsächlich nur vorgelegt hat. 123

240

7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Rechtssubjekts zur extensiven Deutlichkeit exponieren und nicht anders verfährt dann auch Immanuel Kant in § 4.124 Aus diesem Grund werden in § 4 Abs. 1 zunächst die „ d r e i “125 alleine verständig denkmöglichen Klassen äußerer Gegenstände für ein freies Willkürsubjekt nach seinen drei reinen Verstandesbegriffen aller ihm denkmöglichen Relationen von einem Gegenstand überhaupt verständig geordnet benannt:126 – In der Rechts- bzw. praktischen Gemeinschaftsrelation des Begriffs vom äußeren Mein und Dein begreift der reine Substanzbegriff eines verständigen Rechtssubjekts auf der Seite des rechtsgesetzlichen Vernunftbezuges das Rechtssubjekt selbst und auf der Seite des sinnlichen Anschauungsbezuges das im Raum körperlich verfasste Rechtsobjekt,127 d. h. „eine (körperliche) S a c h e außer mir“.128 Durch den reinen Substanzbegriff unter ihm wird im metaphysischen Rechtsbegriff vom äußeren Rechtsbesitz also die praktische Gemeinschaft von einem reinen Subjekt und einem bloßen Objekt als einem äußeren Objekt rechtlich begriffen, d. h. nach der Kategorie „der S u b s t a n z , […] zwischen mir und äußeren Gegenständen nach Freiheitsgesetzen“129 gedacht. – Der reine Kausalitätsbegriff eines verständigen Rechtssubjekts begreift in der Rechts- bzw. praktischen Gemeinschaftsrelation des Begriffs vom äußeren Mein und Dein auf der Seite des rechtsgesetzlichen Vernunftbezuges die freie Kausalität des Rechtssubjekts selbst und auf der Seite des sinnlichen Anschauungsbezuges die räumliche Wirklichkeit der Kausalität eines im Raum körperlich erscheinenden fremden Rechtssubjekts als Rechtsobjekt, d. h. „die W i l l k ü r eines anderen zu einer bestimmten That“.130 Im metaphysischen Rechtsbegriff vom äußeren Mein und Dein wird durch den reinen Kausalitätsbegriff unter ihm somit die praktische Gemeinschaft von einem kausalen Subjekt und einem anderen kausalen Subjekt als einem äußeren Objekt begriffen, d. h. nach der Kategorie der „ C a u s a l i t ä t […] zwischen mir und äußeren Gegenständen nach Freiheitsgesetzen“131 gedacht. Das andere Rechtssubjekt wird mit diesem Begriff also nicht an sich selbst, d. h. als freies Willkürsubjekt (in seiner Substanz), sondern als äußeres Willkürobjekt und insofern 124 Kühl, Eigentumsordnung als Freiheitsordnung (1984), S. 145 will hier allerdings die in der Kritik der praktischen Vernunft entwickelten Kategorien der Freiheit am Werk wissen; ebenso Kaulbach, in: ders.: Studien zur späten Rechtsphilosophie Kants und ihrer transzendentalen Methode (1982), S. 75 (83). 125 RL, AA VI: 247.18. 126 RL, AA VI: 247.18-22. 127 Die reine Substanzkategorie (wie alle übrigen Relationskategorien) bedarf zu ihrer theoretisch-konstitutiven Bestimmung einer anschaulichen Gegenstandsvorstellung bekanntlich nicht bloß eines zeitlichen, sondern stets auch eines räumlichen Bezuges (siehe dafür KrV, A 182 ff./B 224 ff., B 274 ff., B 291). 128 RL, AA VI: 247.19. 129 RL, AA VI: 247.21-22. 130 RL, AA VI: 247.19-20. 131 RL, AA VI: 21-22.

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

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nur in einem bestimmten Moment seiner äußeren Willkürwirklichkeit (d. h. seiner äußeren Kausalität) besessen. Die zur Freiheit angeborene Willkür, die sich alleine selbst besitzt, und darum auch an sich selbst nicht herrenlos ist, ist daher nicht Objekt, sondern Subjekt in diesem Rechtsverhältnis.132 – In der Rechts- bzw. praktischen Gemeinschaftsrelation des Begriffs vom äußeren Mein und Dein begreift der reine Gemeinschaftsbegriff eines verständigen Rechtssubjekts auf der Seite des rechtsgesetzlichen Vernunftbezuges das Rechtssubjekt selbst und auf der Seite des sinnlichen Anschauungsbezuges das im Raum körperlich verfasste Rechtssubjekt, d. h. den „ Z u s t a n d eines Anderen in Verhältniß auf mich“.133 Durch den reinen Gemeinschaftsbegriff unter ihm wird im metaphysischen Rechtsbegriff vom äußeren Rechtsbesitz also die praktische Gemeinschaft von einem reinen Subjekt und einem anderen reinen Subjekt als einem äußeren Objekt rechtlich begriffen, d. h. nach der Kategorie der „ G e m e i n s c h a f t […] zwischen mir und äußeren Gegenständen nach Freiheitsgesetzen“134 gedacht. § 4 Abs. 2 – 4

Die nachfolgenden Abs. 2-4 von § 4 exponieren nun für jede Gegenstandsklasse (a)–c)) gesondert, und zwar im Ausgang von dem auf die Nominaldefinition des rechtlich Meinen (§ 1 Abs. 1) bezogenen Besitzbehauptungsgedanken des § 3, die im Rechtsbegriff vom äußeren Rechtsbesitz vorgestellte Qualität, d. h. das allgemeine Vorstellungsmerkmal eines reinen Rechtsbesitzes in der Vorstellung vom äußeren Mein und Dein.135 Dabei wird die Vorstellung des reinen Rechtsbesitzes im Fortgang von der einen zur nächsten Besitzgegenstandsklasse – aus Gründen, die in der Sache selbst liegen – erst zunehmend deutlicher: Denn in Bezug auf körperliche Sachen (a)) wird zunächst nur deutlich, dass die Rechtsbesitzbehauptung – insofern noch negativ-unendlich – einen Besitz des körperlichen Gegenstandes voraussetzt, der „ n i c h t i m p h y s i s c h e n B e s i t z d e s s e l b e n “136 besteht. Wegen der exemplarischen Verdeutlichung dieses Gedankens137 von § 4 a) kann hier bereits auf die interpretatorischen Überlegungen anlässlich § 1 Abs. 1-2 verwiesen werden, darin – gegen Teile einer eigentumsspezifischen Auffassungsweise – nachgewiesen wurde, dass der empirische Besitz eines äußeren Gegenstandes, d. h. die körperliche Verbindung desselben mit der 132

Diese wichtige Differenz darf nicht übersehen werden, da sich das Rechtsdenken mit einem Subsumtionsfehler andernfalls zwangsläufig in ,Aporien‘ verstrickt, wofür schon auf Fn. 41 und 58 m.w.N. zu verweisen ist. 133 RL, AA VI: 247.20-21. 134 RL, AA VI: 21-22. 135 Eine gedankliche Reduzierung der Kantischen Besitzlehre (§§ 1 – 9) auf das Sachenrecht, nämlich infolge einer eigentumsspezifischen Auffassungsweise derselben, vermag sich darum den Umfang dieses über das Sachenrecht deutlich hinausweisenden Paragraphen nicht widerspruchsfrei zu erklären (vgl. dazu besonders Ludwig, Kants Rechtslehre [1988], S. 108 f.). 136 RL, AA VI: 247.24-27. 137 RL, AA VI: 247-18-248.07.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

körperlichen Erscheinung eines Rechtssubjekts, noch keinen Rechtstitel in Ansehung eines äußeren Gegenstandes zu versprechen vermag, sodass erst der Besitztitel des insofern synthetischen Begriffs eines äußeren Mein und Dein a priori über den zur äußeren Freiheit angeborenen Selbstbesitz eines menschlichen Rechtssubjekts positiv hinausgeht.138 Sodann wird in Bezug auf die „ L e i s t u n g von etwas durch die Willkür des anderen“139 Rechtssubjekts (b)) deutlich, dass die Rechtsbesitzbehauptung in diesem Verhältnis – die negativ-unendliche Bestimmung ins positive wendend – einen gedachten Besitz voraussetzt, der vom empirischen Besitz unabhängig ist.140 Dieser gedachte und insofern unabhängig vom empirischen Verhältnis bestehende Besitz ist, wie in Bezug auf den Zustand anderer Personen zu mir selbst schließlich (c)) deutlich wird, positiv begriffen als ein Besitz „durch meinen bloßen Willen, […] mithin bloß-rechtlich“141. Fazit: Im Begriff eines äußeren Mein und Dein wird die rechtliche Unterordnung eines äußeren Besitzobjekts unter den freien Willen des einzelnen Besitzsubjekts gedacht, und dieser allgemein vorgestellte Subordinationsgedanke setzt für sich selbst die begriffliche Vorstellung eines reinen Rechtsbesitzes voraus, dadurch diesem einzelnen Willensverhältnis in seiner Bestimmung das Prädikat „rechtlich“ zugerechnet wird, sodass im Begriff eines bloß rechtlichen Besitzes ein rechtlich bestimmender Allgemeinwille gedacht sein muss, der – als seine allgemeine Vorstellung – der Begriff eines einzelnen freien Willens ist.142 Erst durch den real vorausgesetzten Begriff eines reinen Rechtsbesitzes kann das Subjekt-Objekt-Verhältnis im Begriff vom äußeren Mein und Dein also an sich selbst als das allseitige Rechtsverhältnis von Subjekten begriffen werden, die sich im äußeren Verhältnis vermittelst einer äußeren Gesetzgebung zunächst einmal wechselseitig selbst besitzen müssen, um sodann von ihnen verschiedene Gegenstände im äußeren Verhältnis mit Recht besitzen zu können; und nur so lässt sich schließlich der real definierte Vernunftbegriff vom äußeren Mein und Dein als ein praktischer Rechtsbegriff verstehen: § 5 Abs. 1

Auf eine verstandesanalytische Exposition eines durch die Vernunft dem Verstand a priori gegebenen Begriffs folgt in einer wissenschaftlichen Begriffserkenntnis a priori methodologisch seine Realdefinition, die das den Begriff innerlich konstitutiv real in seiner Allgemeinheit bestimmende Vorstellungsmerkmal als Realbedingung in der zu verfassenden Realdefinition ausdrücklich setzt.143 Auf diese Weise enthält 138 139 140 141 142 143

Siehe dazu oben unter A. I. zu Fn. 21 m.w.N. RL, AA VI: 248.08. RL, AA VI: 248.08-20. RL, AA VI: 248.21-29. Siehe zu diesen begrifflichen Relationen schon oben die Überlegungen zu § 3 m.w.N. Siehe zu dieser Methode der Realdefinition nochmals oben unter C. I im dritten Kapitel.

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

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der analytisch definierte Begriff die begriffliche Bedingung seiner eigenen Möglichkeit real in sich selbst und so ist die derart gegebene Realdefinition eines Begriffs identisch mit seiner Deduktion, denn indem seine begriffliche Realbedingung den Rechtsgrund zum praktischen Gebrauch des realdefinierten Begriffs in sich enthält, eignet dem derart abgeleitet realdefinierten Begriff ebendieselbe praktische Realität, die auch der begrifflichen Realbedingung ursprünglich schon unmittelbar zukommt. Der realdefinierte (praktische) Vernunftbegriff enthält den Grund seiner realen Möglichkeit also in sich selbst und unterscheidet sich dadurch von einem bloß willkürlich definierten Begriff, der für sich selbst zunächst nur eine bloße Denkmöglichkeit enthält, von der eben darum unklar ist, ob sie einen Gegenstand auch außer des Begriffs wirklich hat, und der mit dieser Ungewissheit auch nicht ohne weiteres praktisch real als bestimmend gebraucht werden kann. Erster Abschnitt

Der Ausgang des real zu definierenden Begriffs vom äußeren Mein und Dein muss von seiner Nominaldefinition genommen werden. Denn diese enthält die durch ihn maßgeblich begriffene Rechtsrelation von Subjekt und äußeren Objekt dergestalt in sich, dass sie von allen anderen Rechtsverhältnissen begrifflich unterschieden werden kann, wobei diese Unterscheidungsmöglichkeit auf der begrifflichen Vorstellung einer Rechtsverhältnisverletzung („Läsion“) als dem begrifflichen Gegenteil zu dem begriffenen Rechtsverhältnis beruht. Der erste von drei durch zwei Spiegelstriche getrennten Abschnitten innerhalb von § 5 Abs. 1 lautet somit: „Die N a m e n e r k l ä r u n g , d. i. diejenige, welche bloß zur U n t e r s c h e i d u n g des Objects von allen andern zureicht und aus einer vollständigen und bestimmten E x p o s i t i o n des Begriffs hervorgeht, würde sein: Das äußere Meine ist dasjenige außer mir, an dessen mir beliebigen Gebrauch mich zu hindern Läsion (Abbruch an meiner Freiheit, die mit der Freiheit von Jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann) sein würde.“144 Zweiter Abschnitt

Die vorstehende Nominaldefinition beschreibt die Relation von Subjekt und äußerem Gegenstand im Begriff vom äußeren Mein und Dein als ein Rechtsverhältnis nun allerdings bloß deskriptiv und bildet somit noch keinen präskriptiven, d. h. praktisch bestimmenden Vernunftbegriff, weil unklar ist, mit welchem begrifflichen Recht der Begriff vom äußeren Mein und Dein seinen Vorstellungsgegenstand aus sich selbst heraus praktisch bestimmen sollte. Einen solchen Rechtsgrund praktischer Bestimmung kann alleine ein anderer reiner praktischer Vernunftbegriff real in sich enthalten, der in dieser Nominaldefinition jedoch noch nicht gesetzt ist. Da ein äußeres Mein und Dein mit dem metaphysischen Anfangsgrundsatz von § 2 Abs. 1 aber rechtlich (d. h. praktisch) real möglich sein soll, muss es sich beim Begriff des äußeren Mein und Dein auch um einen praktischen Vernunftbegriff handeln, sodass es auch eben diesen ihn innerlich real bestimmenden 144

RL, AA VI: 248.32-249.03.

244

7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Vernunftbegriff geben muss. Nun lag dem Begriff vom äußeren Mein und Dein aber in allen besonderen Besitzgegenstandsklassen (§ 4 a)–c)) die Vorstellung vom rein rechtlichen Besitz allgemein zugrunde und so muss es sich beim Begriff des reinen Rechtsbesitzes bzw. dem Begriff vom rechtlich Meinen über dem Begriff vom äußeren Mein und Dein um dessen ihn innerlich real bestimmenden Vernunftbegriff handeln, sodass jener in diesem als solcher in seiner Realdefinition mit der realbegrifflichen Folge seiner – des realdefinierten Begriffs – Deduktion zu setzen ist. Der zweite Abschnitt innerhalb von § 5 Abs. 1 notiert daher: „Die S a c h e r k l ä r u n g dieses Begriffs aber, d. i. die, welche auch zur D e d u c t i o n desselben (der Erkenntniß der Möglichkeit des Gegenstandes) zureicht, lautet nun so: Das äußere Meine ist dasjenige, in dessen Gebrauch mich zu stören Läsion sein würde, o b i c h g l e i c h n i c h t i m B e s i t z d e s s e l b e n (nicht Inhaber des Gegenstandes) b i n .“145 Achtet man dagegen nicht auf die logische Differenz von Nominal- und Realdefinition, dann tritt auch nicht ins methodologische Bewusstsein, dass nur ein Realbegriff, der über die bloße Deskription seines Vorstellungsgegenstandes innerlich hinausgeht, zugleich die Bedingung der realen Möglichkeit des Begriffsgegenstandes in sich selbst setzt und so zur Erkenntnis der realen Möglichkeit des Gegenstandes, d. h. zur Deduktion des Begriffs zugleich innerlich zureicht.146 Die in § 5 Abs. 1 angesprochene Deduktion des Begriffs vom äußeren Mein und Dein ist also keineswegs mit der in § 6 erst noch zu leistenden Deduktion der begrifflichen Realbedingung in diesem Begriff zu konfundieren bzw. zu verwechseln. Bernd Ludwig irrt sich darum, wenn er – ohne das methodologische Bewusstsein der Differenz von Nominal- und Realdefinition eines praktischen Vernunftbegriffs – in einem auch durch den Wortlaut des Textes vorgegebenen entsprechend differenzierenden Verständnis eine „sinnlose Lesart“ wähnt und sich auf den § 6 in Wahrheit obsolet machenden Standpunkt stellen möchte, die Realdefinition des Begriffs vom äußeren Mein und Dein (§ 5) reiche zur Deduktion des Begriffs eines intelligiblen Besitzes zu.147 Wäre es Bernd Ludwig tatsächlich ernst gewesen mit diesem seinem Verständnis, so hätte er § 6 nicht in den Abs. 4 – 8 partiell streichen und durch Reintegration des zuvor aus seiner Stellung herausgeschnittenen § 2 wieder auffüllen,148 sondern gänzlich aus seiner Vorstellung der Kantischen Rechtslehre tilgen müssen. Der Begriff vom äußeren Mein und Dein ist durch die in ihm begrifflich gesetzte Realbedingung eines reinen Rechtsbesitzes somit nicht als die bloße Beschreibung eines Rechtsverhältnisses zwischen Rechtssubjekt und äußerem Rechtsobjekt zu missverstehen, sondern mit dieser inneren Realbedingung ist diese äußere Relation 145

RL, AA VI: 249.03-07. Der qualitative Unterschied zwischen Nominal- und Realdefinition ist also kein bloß quantitativer Unterschied, wie Rühl, Kants Deduktion des Rechts als intelligibler Besitz (2010), S. 86 f. dafürhält und in der Folge nicht einzusehen vermag, weshalb sich ihm „[o]berflächlich betrachtet“ in „§ 5 nichts wirklich Neues“ bietet. 147 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 109. 148 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 65 ff. 146

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

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von Subjekt und Objekt innerlich sowie präskriptiv, d. h. praktisch bestimmt als das Rechtsverhältnis von Rechtssubjekten in Ansehung äußerer Rechtsobjekte zu begreifen. Dritter Abschnitt

Der dritte Abschnitt des § 5 Abs. 1 vergewissert sich der begrifflich bis zu diesem Punkt insgesamt entwickelten Notwendigkeit der Voraussetzung eines intelligiblen Besitzes (in seiner Realität), und zwar im Ausgang von der bereits auseinandergesetzten Überlegung von § 3 in seiner originalen Textfassung, nach der die intelligible Rechtsbesitzbehauptung unter der Nominaldefinition des rechtlich Meinen (§ 1 Abs. 1) notwendig ist, soll der physische Gebrauch eines Gegenstandes durch eine Rechtsperson als Läsion der diesen Rechtsbesitz für sich behauptenden Rechtsperson begriffen werden können: „In irgend einem Besitz des äußeren Gegenstandes muß ich sein, wenn der Gegenstand m e i n heißen soll; denn sonst würde der, welcher diesen Gegenstand wider meinen Willen afficirte, mich nicht zugleich afficiren, mithin auch nicht lädiren.“149 Nun enthält aber die bloße Nominaldefinition des rechtlich Meinen (§ 1 Abs. 1) für sich selbst ebenso wenig praktische Notwendigkeit in sich, wie auch die bloße Nominaldefinition des äußeren rechtlich Meinen (§ 5 Abs. 1 – 1. Abschnitt) für sich nicht schon präskriptiv verfasst ist. Also muss der Begriff des intelligiblen Besitzes im Realbegriff des äußeren Mein und Dein (§ 5) nach der Exposition dieses letztgenannten Begriffs in § 4 nur vorausgesetzt werden, wenn es ein äußeres Mein und Dein geben soll. Dass es ein solches äußeres Mein und Dein rechtlich geben können muss, ist aber mit dem metaphysischen Anfangsgrundsatz von § 2 Abs. 1 unmittelbar bewusst, und so wird sich in der Deduktion des Begriffs eines rein rechtlichen Besitzes in § 6 erweisen, dass dieser Begriff im Postulat von § 2 seinen praktischen Rechtfertigungsgrund hat, eben weil er darin bereits objektiv real ist. Diese Begriffsdeduktion wird im dritten Abschnitt von § 5 Abs. 1 aber methodologisch noch nicht erreicht und so steht dort auch nicht die Notwendigkeit der Voraussetzung des Begriffs eines intelligiblen Besitzes hinsichtlich der Bedingung seiner Möglichkeit, sondern lediglich die Notwendigkeit der Voraussetzung eines intelligiblen Besitzes selbst (in seiner Realität) zur Vergewisserung. Und da gilt von diesem Begriffsgegenstand eines intelligiblen Besitzes nunmehr der sich aus der Überlegung im Anschluss an § 3 ergebende Satz 4: „Also muß zu Folge des § 4 ein i n t e l l i g i b l e r B e s i t z (possessio noumenon) als möglich vorausgesetzt werden, wenn es ein äußeres Mein oder Dein geben soll; […].“150 Da es gemäß § 2 ein solches äußeres Mein und Dein rechtlich geben können muss, lässt sich hier schließen, dass ein intelligibler Besitz vorausgesetzt werden muss. Dieser in § 5 mögliche Schluss auf die Voraussetzung eines intelligiblen Besitzes ist aber nicht identisch mit der Deduktion seines Begriffs (§ 6), denn Begriff und Begriffsgegen149 150

RL, AA VI: 249.08-11. RL, AA VI: 249.11-13.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

stand sind in einer metaphysischen Begriffsentwicklung stets penibel genau voneinander zu unterscheiden. Weil Bernd Ludwig diese nicht ganz unwichtige idealistische Differenz von Begriff und Begriffsgegenstand aber auch an dieser Stelle der metaphysischen Begriffsentwicklung nicht hinreichend in Rechnung stellt, sondern vielmehr alles für eins und ebendasselbe zu halten scheint, macht es für ihn subjektiv den irrigen Anschein, als wäre die „Ableitung des intelligiblen Besitzes“, darunter er die Deduktion in § 6 verstehen will, mit § 2 im Kopf, schon in § 5 Abs. 1 „fertig“.151 In der Folge dieser seiner Auffassung überredete er sich dann, § 2 an die Stelle der Abs. 4 – 8 von § 6 zu versetzen, sodass mit Blick auf das äußere Mein und Dein in § 5 Abs. 1 S. 4 nach seiner Vorstellung eine echte und vermeintlich erst noch zu erweisende Hypothese ausgesprochen sein soll.152 Doch in § 6 wird – ausweislich seiner Überschrift – nicht etwa der intelligible Besitz selbst, sondern lediglich der Begriff desselben deduziert, und hierin liegt nun einmal ein nicht geringer metaphysischer Unterschied, der für ein angemessenes Textverständnis der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre überdies auch nicht völlig unmaßgeblich sein dürfte. Wird ein intelligibler Besitz im Rahmen des Begriffs vom äußeren Mein und Dein vorausgesetzt, dann ist der „empirische Besitz (Inhabung)“ eines äußeren Gegenstandes, wie § 5 Abs. 1 S. 4 im Anschluss an § 1 resümiert, „alsdann nur Besitz in der E r s c h e i n u n g (possessio phaenomenon)“.153 Allerdings wird „der G e g e n s t a n d , den ich besitze, hier nicht so, wie es in der transscendentalen Analytik geschieht, selbst als Erscheinung, sondern als Sache an sich selbst betrachtet“154. Demnach ist die mit dem Begriff vom äußeren Mein und Dein rechtlich begreifliche (Subsistenz-Inhärenz-)Relation von Subjekt und Objekt – wie schon anlässlich von § 3 bemerkt – im Begriff vom Ding an sich selbst abstrakt gedacht. Im Gegensatz zur theoretischen Naturerkenntnis der Dinge, darin das Ding an sich selbst theoretisch unerkennbar bleibt, ist im Rahmen einer praktischen Freiheitserkenntnis der Willkür nach Gesetzen das Ding (tätig) an sich selbst durch die reine praktische Vernunft – die dieses Ding tätig an sich selbst mit ihrer spontanen gesetzlichen Selbstvorstellungstätigkeit (§ 7 KpV) selbst ist – nämlich praktisch erkennbar.155 Denn dem Dingbegriff liegt der reine Substanzbegriff mit seinem Vorstellungsverhältnis von Inhärenz und Subsistenz zugrunde, sodass er abstrakt die Vorstellung einer höchsten und allumfassenden Substanz als absolutes Subjekt an sich selbst ermöglicht, die im praktischen Vernunftbezug der gesetzliche Allgemeinwille überhaupt und im 151 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 61 f., 108 ff., 114, wo er einmal (S. 61 f./114) offenbar von der Deduktion des intelligiblen Besitzes und sodann (S. 108 ff.) von der Deduktion des Begriffs des intelligiblen Besitzes spricht, ohne diesen Objektswechsel in seinem interpretatorischen Denken auch nur zu bemerken. 152 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 60 ff., 114. 153 RL, AA VI: 249.13-14. 154 RL, AA VI: 249.14-17. 155 RL, AA VI: 249.17-22.

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rechtsgesetzlichen Vernunftbezug darunter der staatliche Allgemeinwille in der Form wirklicher Gesetze konkret vorstellt.156 Eben dadurch aber lassen sich diese zunächst nur abstrakten Dingrelationen an sich selbst praktisch-vernünftig bzw. rechtsgesetzlich wirklich bestimmt, d. h. wirklich freiheitlich bestimmt denken. In dieser praktisch-konkreten Bestimmung durch reine praktische Vernunftbegriffe allen Rechts kommt es dann rein gedanklich (d. h. begrifflich) zur ursprünglichen Vorstellungseinheit von Begriff und Gegenstand im Rechtsdenken. § 5 Abs. 2

Vor diesem die Differenz von Begriff und Gegenstand im Rechtsdenken in einem sie zugleich bewahrenden Sinne ursprünglich aufhebenden sowie realen Begriffshintergrund lässt sich dann auch § 5 Abs. 2 verstehen, der auf eben diese ursprüngliche Einheit im Begriff des subjektiven Rechts hinweist: Während die juristisch alltägliche Redeweise von einem „Recht auf diesen oder jenen Gegenstand“157 sprachlich (und so auch gedanklich) in einem wirklichen Gegensatz von subjektivem Recht einerseits und empirischen Gegenstand andererseits befangen bleibt, bedeutet die im Hinblick auf einen äußeren Gegenstand rein rechtsbegrifflich aufgeklärte Redeweise, „ihn b l o ß r e c h t l i c h besitzen“158, die rechtsbegriffliche Einheit von subjektivem Recht einerseits und dem Gegenstand andererseits, da der beide Momente verbindende Rechtsbesitzbegriff lediglich ein intellektuelles Rechtsverhältnis von Subjekt und Objekt begreift. Insofern ist „das Recht […] schon ein intellectueller Besitz eines Gegenstandes“ und „einen Besitz […] zu besitzen, würde ein Ausdruck ohne Sinn sein“.159 3. Deduktion des Begriffs des intelligiblen Besitzes als Realbedingung im definierten Begriff Mit der in § 5 gegebenen Realdefinition des Begriffs vom äußeren Mein und Dein, die den Begriff des intelligiblen bzw. rein rechtlichen Besitzes innerlich als die sie bestimmende Realbedingung in diesem praktischen Vernunftbegriff setzt, hängt die ganze bis dato vorgestellte Begriffsentwicklung unter dem als allgemein gebrauchten Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) an diesem bislang höchsten Vernunftbegriff vom Besitz, denn dieser synthetisiert – wie bemerkt – Subjekt und Objekt im Begriff vom äußeren Mein und Dein. §6

Methodologisch ist darum der aus einer unmittelbaren Vernunftgewissheit resultierende Nachweis zu führen, dass der praktische Gebrauch dieses höchsten und 156 157 158 159

Siehe dazu auch zuvor Fn. 118. RL, AA VI: 249.23-24. RL, AA VI: 249.24. RL, AA VI: 249.25-26.

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synthetisch im Rechtsbewusstsein wirkenden Vernunftbegriffs vom Besitz seinerseits berechtigt ist. § 6 kündigt aus diesem Grund die „ D e d u c t i o n d e s B e griffs des bloß rechtlichen Besitzes eines äußeren Gegens t a n d e s ( p o s s e s s i o n o u m e n o n ) “160 an, sodass auch nicht etwa die Deduktion des Begriffsgegenstandes, nämlich die des bloß rechtlichen Besitzes selbst, sondern einzig die des Begriffs zu erwarten ist (dazu unter a)).161 Auf der durchgängigen Nichtbeachtung dieser idealistischen Differenz von Begriff und Gegenstand in Auseinandersetzung einer Metaphysik des Rechts162 beruht dann wohl auch der für das gegenwärtige rechtsphilosophische Kantverständnis prägend gewordene Umstand, dass der einheitliche Gedanke des § 6 in seinen zehn Absätzen für die Riege der führenden Kantinterpreten mittlerweile als gänzlich unverständlich und daher auch nur als versehentlich in den Text der Druckschrift geraten angesehen wird (dazu unter b)). a) Zur einheitlichen Interpretation von § 6 Der im sachlichen Zusammenhang einheitliche Gedankengang von § 6 wird jedoch auch nach hiesigem metaphysischem Verständnis editorisch durch eine mit dem sechsten Absatz beginnende Einrückung des Textes gestört, nach der der eigentliche Deduktionsgedanke im zehnten Absatz nicht zum Haupttext gehörig erscheint. Dieser auffällige Umstand bildete ursprünglich einmal den Ausgangspunkt der mit seiner „Entdeckung“ beginnenden Spekulationen zur originalen Textgestalt der Kantischen Rechtslehre im ersten Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre,163 die die mögliche Auffassung eines einheitlichen Gedankens in § 6 schließlich vollends verstellten. Die folgende Interpretation, die gegen vorherrschende Verdrängungstendenzen solcher haltlos um sich greifender Spekulationen erstmals die gedankliche Einheit des ganzen Deduktionsgedankens in den zehn Absätzen von § 6 zur Geltung zu bringen zur Absicht hat, beruht darum auf der gedanklichen Ausblendung dieses – möglicherweise irrtümlich – verrückten Einzuges der Abs. 6 – 10, womit aber keineswegs schon einem editorisch zu behebenden Mangel der origi160

RL, AA VI: 249.28-29. Vgl. zur Verwechslung dieser beiden Momente im hiesigen Zusammenhang schon vorige Fn. 151, 152. 162 So notiert beispielsweise Süchting, Eigentum und Sozialhilfe (1995), S. 137, die begrifflichen Verhältnisse im Grunde verkehrend, der Begriff des intelligiblen Besitzes ergebe sich „synthetisch aus dem Rechtsverhältnis zwischen zwei Willkürsubjekten“ in Ansehung eines äußeren Gegenstandes. In der Folge dieser Verkehrung verkürzt sich die Realdefinition des Begriffs des äußeren Mein und Dein (§ 5) in seinem Verständnis dann auch auf den intelligiblen Besitz (selbst), sodass Süchting (S. 136 ff.) mit dieser Eskamotierung der metaphysischen Begriffsebene nicht von einer Deduktion des Begriffs, sondern von der des intelligiblen Besitzes selbst ausgeht, und als entscheidenden Gedanken dieser Deduktion bloß den des § 6 Abs. 9 (nicht Abs. 10) ansehen will, wo nur erst von der grundsätzlichen Abstraktion von sinnlichen Bedingungen in der metaphysischen Bestimmung durch praktische Begriffe die Rede ist. 163 Vgl. einstweilen Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 30, 32, 42, 60 ff. m.w.N. 161

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nalen Textgestalt das Wort geredet sein soll. Der vorgeschlagene Umgang mit dem – mutmaßlich – bloß verrückten Texteinzug dürfte, obgleich bislang noch überhaupt nicht erwogen, bei aller notwendigen Zurückhaltung solcher Erklärungshypothesen, jedenfalls die naheliegende und zugleich konservativste Herangehensweise an das insofern eingeräumte Textproblem von § 6 sein. § 6 Abs. 1

Die mit dem praktischen Postulat von der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein (§ 2) im vernünftigen Rechtsbewusstsein aufkommende Frage: „wie ist ein ä u ß e r e s M e i n u n d D e i n möglich?“164, reduziert sich mit der in § 5 Abs. 1 S. 2 gegebenen Realdefinition und Deduktion des Begriffs vom äußeren Mein und Dein auf die Frage nach der Möglichkeit der darin begrifflich gesetzten Realbedingung. Die in § 6 „nun“ mit der Deduktion des Begriffs des rein rechtlichen Besitzes aufzulösende Sachfrage lautet darum: „wie ist ein b l o ß r e c h t l i c h e r (intelligibler) B e s i t z möglich?“.165 Da aber der intelligible Besitz begrifflich als Realbedingung in dem Subjekt und äußeres Objekt synthetisch miteinander verbindenden Begriff vom äußeren Mein und Dein gesetzt wurde (§ 5), ist die Frage nach der Möglichkeit des intelligiblen Besitzes (im Begriff vom äußeren Mein und Dein) identisch mit der Frage, „wie“ – durch ihn – „ein synthetischer Rechtssatz a priori möglich“ ist?166 Lässt sich also zeigen, wie ein intelligibler Besitz (rein vernunftbegrifflich und damit allgemein) möglich ist (§ 6 Abs. 10 i.V.m. § 2), dann ist damit zugleich mittelbar (d. h. begrifflich vermittelt) auch gezeigt, wie ein einzelner synthetischer Rechtssatz vom äußeren Mein und Dein darunter im reinen praktischen Begriff vom äußeren Mein und Dein a priori möglich ist.167, 168 Dementsprechend (§ 6 Abs. 2 – 3) 164

RL, AA VI: 249.30. RL, AA VI: 249.31-32. – Die Frage nach der Möglichkeit eines intelligiblen Besitzes (selbst) ist die Frage nach seinem Realbegriff, denn die reale Möglichkeit eines bloß gedachten (= intelligiblen) Besitzes liegt in seinem Begriff, weil alles Denken bloß in Begriffen möglich ist. Dementsprechend bedarf es einer Deduktion des Begriffs vom intelligiblen Besitz aus reiner praktischer Vernunft, weil der Begriff des intelligiblen Besitzes nur durch diesen zurückführbaren Ursprung auch praktische Realität hat und somit nicht bloß eine (möglicherweise praktisch irreale) Denkmöglichkeit vorstellt. Nach Unruh, in: Eckl/Ludwig (Hrsg.): Was ist Eigentum? (2005), S. 133 (136) löst sich die Frage nach der Möglichkeit des intelligiblen Besitzes dagegen auf in die Frage: „Muß es Privateigentum geben?“. 166 RL, AA VI: 249.32-33. 167 Dagegen will Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 62/110 in seiner Vorstellung der Kantischen Rechtslehre die dritte Frage mit beinahe Münchhausenscher Verwegenheit unmittelbar durch das nach § 6 versetzte Postulat beantwortet sehen, denn dieses rechtliche Postulat der praktischen Vernunft (§ 2) sei selbst schon ein synthetischer Rechtssatz a priori und könne somit die zweite Frage nach der Möglichkeit eines intelligiblen Besitzes beantworten, da nur dieses Postulat einen solchen bloß rechtlichen Besitz fordern könne. Damit aber werde die erste Frage nach der Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein beantwortet, denn dieses setze die Möglichkeit eines intelligiblen Besitzes voraus. 165

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muss der einheitliche Deduktionsgedanke von § 6 im Ausgang von einem einzelnen synthetischen Rechtssatz vom äußeren Mein und Dein a priori (§ 6 Abs. 4) die allgemeinste Bedingung in diesem synthetischen Rechtssatz regressiv analytisch aufsuchen (§ 6 Abs. 4 – 9), bevor diese allgemeinste Bedingung in einem metaphysischen Anfangsgrundsatz der praktischen Vernunft selbst als praktisch real ausgewiesen werden kann (§ 6 Abs. 10), sodass der Realbegriff dieser allgemeinsten Bedingung auch progressiv im konkreten Fortgang von allgemeinen Rechtsbegriffen des Besitzes zu einzelnen synthetischen Rechtssätzen vom äußeren Mein und Dein praktisch mit Recht gebraucht werden kann; so wird dann beispielsweise – worauf § 7 Abs. 2 – 4 vorausweisen – etwa auch die Deduktion des synthetischen Rechtsbegriffs vom ursprünglichen Erwerb eines Bodens als einem äußeren Mein und Dein – und zwar gemäß der mehr oder weniger ausdrücklichen Ankündigung des § 7 Abs. 8 – in § 17 Abs. 2 schon unter Anwendung (§ 7) des Begriffs vom rein rechtlichen Besitz (§ 6) geleistet werden.169 Methodologisch bedarf es darum zunächst der Einteilung aller möglichen (analytischen und synthetischen) Rechtssätze:170 Ludwig konfundiert also einen einzelnen synthetischen Rechtssatz a priori (vom äußeren Mein und Dein) mit der praktisch-grundsätzlichen und damit allgemeinsten Bedingung seiner eigenen Möglichkeit, sodass die begrifflich schlüssige Ableitung des Einzelnen (Besonderen) aus dem Allgemeinen (als seiner realbegrifflichen Möglichkeit) nach philosophischer Methode unmöglich wird. Vielmehr behauptet sich in einer solchen Unmittelbarsetzung des Einzelnen mit dem Allgemeinen ein vitiöser Zirkel im Gedanken, denn das Postulat als unmittelbar gewisser metaphysischer Anfangsgrundsatz trägt nach Ludwigs Verständnis der drei Fragen von § 6 Abs. 1 nicht nur die Argumentationslast für die unter ihm mögliche begriffliche Vermittlung und Auflösung der drei Fragen, mithin auch für die Möglichkeit eines synthetischen Rechtssatzes a priori, sondern es soll dies nur vermögen, weil es selbst – unmittelbar – vermeintlich schon ein einzelner synthetischer Rechtssatz a priori ist. Ein synthetischer Rechtssatz wäre demnach – zu Ende gedacht – möglich, weil das Postulat, welches sagt, dass ein solcher sein soll, selbst ein solcher synthetischer Satz schon ist. Das Verständnisproblem in Ludwigs Interpretation resultiert also – und dies ist maßgeblich für seine editorische Versetzung des § 2 in § 6 – aus der Identifikation eines einzelnen synthetischen Rechtssatzes (vom äußeren Mein und Dein) a priori mit dem rechtlichen Postulat der praktischen Vernunft (S. 62 Fn. 24), das in der Tat nur die allgemeine praktische Vernunftbedingung der Möglichkeit eines solchen einzelnen synthetischen Satzes ist. Das rechtliche Postulat soll sich in Ludwigs Deduktionsvorstellung, als ein vermeintlich synthetischer Rechtssatz a priori, also seiner eigenen Möglichkeit nach selbst am Schopf aus dem Sumpf der eigens zuvor gemachten begrifflichen Konfusion ziehen. Ludwig behauptet subjektiv dann eigentlich auch nur, „daß ein ,synthetischer Satz a priori‘ möglich ist“ (S. 62). Einen Zirkel in Ludwigs Interpretation kritisierte daher auch schon Tuschling, in: Oberer/ Seel (Hrsg.): Kant: Analysen – Probleme – Kritik (1988), S. 273 (276 ff.) mit Recht. 168 Will man die Kantische Besitzmetaphysik also nachhaltig kritisieren, so ist dies nur in gründlicher Auseinandersetzung mit dem Deduktionsgedanken von § 6 möglich. Es sagt daher einiges über den philosophischen Selbstanspruch einer als „idealistische Kritik der Kantischen Besitzlehre“ angekündigten Studie aus, die gänzlich ohne Rekurs auf diese Deduktion auszukommen scheint (siehe dafür Müller, Wille und Gegenstand [2006], S. 192 ff.). 169 „Aber die Möglichkeit eines intelligibelen Besitzes, mithin auch des äußeren Mein und Dein läßt sich nicht einsehen, sondern muß aus dem Postulat der praktischen Vernunft gefolgert werden, wobei es noch besonders merkwürdig ist: daß diese […] sich durch bloße, vom Gesetz der Freiheit berechtigte W e g l a s s u n g empirischer Bedingungen e r w e i t e r e und so

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aa) Analytische und synthetische Rechtssätze a priori Unter der ursprünglich in dem als allgemein gebrauchten moralischen Begriff des Rechts der Menschen (§ B Abs. 3) rein gedanklich gelegenen Verbindung (d. h. Synthesis) der einzelnen Rechtssubjekte zu einer Rechtsgemeinschaft lassen sich alle möglichen Rechtssätze nicht als empirische, sondern nur als metaphysische Sätze a priori vorstellen.171 Diese besonderen Rechtssätze unter dem allgemeinen Satz des Begriffs des Rechts der Menschen sind aber entweder mit dem einzelnen menschlichen Rechtssubjekt kraft seiner Besonderheit bereits ursprünglich verbunden und folgen dann analytisch aus ihrem angeborenen Recht der Freiheit als Unabhängigkeit von fremder Willkür,172 oder sie müssen mit der Besonderheit eines einzelnen menschlichen Rechtssubjekts erst allgemein verbunden (d. h. erworben) werden und bedürfen im Erwerbs(handlungs)begriff dieser Synthesis einer eigenen Rechtfertigung (d. h. Deduktion).173 Eine solche Rechtfertigung der besonderen Erwerbsbegriffe in Ansehung besonderer einzelner synthetisch zu begründender Rechtssätze setzt dann aber für sich selbst den bereits seinerseits hinreichend deduzierten allgemeinen Begriff des synthetischen Erwerbs eines äußeren Mein und Dein (d. h. den reinen Rechtsbegriff vom Besitz überhaupt) für sich selbst über sich voraus. In diesem systematischen Zusammenhang findet sich in § 6 Abs. 2 – 3 die Einteilung aller möglichen Rechtssätze in analytische und synthetische Rechtssätze a priori, wobei im gedanklichen Fortgang (§ 6 Abs. 4 – 10) einer synthetischen Vernunfterkenntnis aus reinen Begriffen vom Recht a priori natürlich nur die Sphäre der synthetischen Rechtssätze a priori von intellektuellem Interesse ist. § 6 Abs. 2

Nach dieser verständigen Einteilung ist „der Rechtssatz a priori in Ansehung des e m p i r i s c h e n B e s i t z e s “ eines inneren oder äußeren Gegenstandes „ a n a l y t i s c h “.174 Denn ursprünglich ist einem menschlichen Rechtssubjekt – unter s y n t h e t i s c h e Rechtssätze a priori aufstellen kann, deren Beweis (wie bald gezeigt werden soll) nachher in praktischer Rücksicht auf analytische Art geführt werden kann.“ (RL, AA VI: 255.13-21). 170 NB: § 6 entspricht im praktischen Rechtsdenken des Verhältnisses von praktischem Subjekt und äußerem Objekt eine gedankliche Systemstelle, die im theoretischen Naturdenken des Verhältnisses von theoretischem Subjekt und äußerem Gegenstand die Analytik der Verstandesgrundsätze äußerer Gegenstände im Verhältnis zum verständigen Erkenntnissubjekt auffüllt. Auf diese Weise erklärt sich nicht nur der hier in den Vorarbeiten zur Rechtslehre anzutreffende gedankliche Rekurs auf das theoretische Problem des Schematismus (siehe dazu etwa Kersting, Wohlgeordnete Freiheit [20073], S. 201 ff. im Anschluss an Lehmann, in: ders.: Beiträge zur Geschichte und Interpretation der Philosophie Kants [1969], S. 195 [207 f.]), sondern auch die in den Abs. 2 – 3 des § 6 vorgenommene Einteilung aller Rechtssätze in analytische und synthetische Rechtssätze a priori (vgl. A 148 ff./B 187 ff.). 171 RL, AA VI: 249.34-35. 172 RL, AA VI: 237.18-32. 173 RL, AA VI: 258.09-11. – Anderer Ansicht Zaczyk, Selbstsein und Recht (2014), S. 71. 174 RL, AA VI: 249.35-250.01.

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seinem allgemeinen Begriff vom Recht der Menschen (§ B Abs. 3) – nur seine seelische und körperliche Existenz, und zwar als innerer Gegenstand des angeborenen Rechts der Freiheit als Unabhängigkeit von fremder Willkür, zu Rechtsbesitz (d. h. hier Selbstbesitz) angeboren.175 Ein äußerer sowie von ihm verschiedener Gegenstand ist dem menschlichen Rechtssubjekt mit seinem Begriff vom angeborenen Recht der Freiheit als Unabhängigkeit demnach nicht auch schon ursprünglich angeboren,176 sodass der empirische Besitz eines äußeren Gegenstandes im Raum immer nur mit seiner körperlichen Existenz physisch verbunden sein kann und somit unter den Begriff des angeborenen Rechtsbesitzes dieser körperlichen Erscheinung des eigenen Subjekts fällt, d. h. analytisch mit dem Rechtsbegriff dieses Selbstbesitzes verbunden ist. Der Bruch dieser physischen Verbindung von äußerem Rechtsobjekt und Rechtssubjekt durch ein anderes Rechtssubjekt bedeutet dann aber stets nur eine Verletzung der ursprünglich zu Recht besessenen eigenen körperlichen Erscheinung, nicht der des äußeren Gegenstandes: „Der Satz von einem empirischen rechtmäßigen Besitz geht also nicht über das Recht einer Person in Ansehung ihrer selbst hinaus.“177 Ein synthetisch erst zu erwerbender Rechtsbesitz in Ansehung des äußeren Gegenstandes ist mit dieser physischen Verbindung von Rechtsubjekt und äußerem Gegenstand nicht verbunden. Darum kann es – wie schon bemerkt – keinen naturalistisch fehlschlüssigen „Rechtstitel des physischen Besitzes“178 geben, und eben darum irrte sich beispielsweise auch schon Schopenhauer ganz grundsätzlich, wenn er sich dazu notierte: „Der Apfel ist mein, weil ich ihn gefasst habe“179. Mit dem als allgemein gebrauchten Begriff vom Recht der Menschen (§ B Abs. 3) bzw. mit dem darunter vorstellbaren Begriff des angeborenen Rechts äußerer Freiheit eines menschlichen Rechtssubjekts im Geiste, lässt sich dann jeder physische Eingriff in die rechtlich dem angeborenen Selbstbesitz unterfallende physische Besitzsubstanz eines menschlichen Rechtssubjekts im Grundsatz des allgemeinen Begriffs des Rechts unmittelbar (d. h. ohne weitere begriffliche Vermittlung) als Rechtsverletzung begreifen.180 Denn in den physisch-äußerlichen Handlungsrelationen menschlicher Willkürsubjekte ist der sie allgemein verbindende Begriff vom Recht stets schon praktisch-notwendig vorausgesetzt. Insofern ist die Rechtsverletzung im Hinblick auf den angeborenen Selbstbesitz dann mit dem Nominalbegriff vom rechtlich Meinen (§ 1 Abs. 1) rein äußerlich und somit zugleich schon anschaulich als Widerspruch zur rechtsgesetzlichen Freiheit erkennbar. Das angeborene Recht der Freiheit mit dem darunter zugleich unmittelbar real vorgestellten angeborenen Selbstbesitz kann darum gleichsam auch – in einem mehr übertragenen 175

RL, AA VI: 237.29-32. RL, AA VI: 258.09-11. 177 RL, AA VI: 250.07-08. 178 Siehe m.w.N. oben Fn. 21. 179 Schopenhauer, Nachlass II 1809 – 1818 (1967), S. 261. 180 Positivrechtlich beruht z. B. das Rechtsinstitut der Einwilligung im Strafrecht auf diesem Grundsatz, vgl. dazu weiterführend einstweilen beispielsweise Köhler, Strafrecht Allgemeiner Teil (1996), S. 242 ff. 176

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Sinne – als ein „Axiom des Rechts“181 angesprochen werden, denn unter einem Axiom wird gemäß den Bestimmungen der Logik ein unmittelbar gewisser und in der Anschauung darstellbarer, d. h. ein intuitiver Grundsatz verstanden.182 § 6 Abs. 3

Der Satz des Begriffs vom äußeren Mein und Dein, der ein Rechtssubjekt mit einem äußeren Rechtsobjekt verbindet, kann dagegen nicht analytisch sein, weil er über den angeborenen Selbstbesitz des Rechtssubjekts mit der Vorstellung von einem Gegenstand außer ihm begrifflich hinausgeht. In dieser das Subjekt um den äußeren Gegenstand erweiternden Verbindung liegt vielmehr eine rechtsbegriffliche Synthese. Also gehört er zur Sphäre der synthetischen Rechtssätze a priori. Auf keinen anderen Gedanken rekurriert nun auch § 6 Abs. 3, der den „Satz von der Möglichkeit des Besitzes einer Sache a u ß e r m i r “ als „ s y n t h e t i s c h “ anspricht.183 Mit diesem „Satz“ ist nun nämlich nicht unmittelbar, d. h. nicht ohne weitere begriffliche Vermittlung das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft von der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein (§ 2) gedanklich angeknüpft, wie Bernd Ludwig jedoch in der Tat dafürzuhalten scheint.184 Denn dann entstünde ein Zirkel im Denken, weil das Postulat, als ein metaphysischer „Grundsatz“185 und mithin als die allgemeine Bedingung aller möglichen synthetischen Rechtssätze vom äußeren Mein und Dein (§ 2), mit einem einzelnen synthetischen Rechtssatz (§ 6 Abs. 3) unvermittelt gleichgestellt wäre, obwohl der „Grundsatz“ in § 6 Abs. 10 zur Deduktion des „Satzes“ im Begriff vom intelligiblen Besitz herangezogen wird. „Satz“ und „Grundsatz“ (= Postulat) sind demnach in der Interpretation der Kantischen Rechtslehre mit philologischer Genauigkeit gründlich auseinanderzuhalten. Deshalb ist der Textbefund indes auch ein anderer: Die Möglichkeit eines Gegenstandes bildet sein Begriff und die Realmöglichkeit eines Gegenstandes bildet sein Realbegriff. Also ist mit dem „Satz von der Möglichkeit des Besitzes einer Sache a u ß e r m i r “ der Begriff „des Besitzes einer Sache a u ß e r m i r “ (= § 5 Abs. 1 S. 2) angesprochen, der in sich den Begriff vom bloß rechtlichen Besitz als seine Realbedingung setzt, sodass die Realmöglichkeit „des Besitzes einer Sache a u ß e r m i r “ der Realbegriff vom äußeren Mein und Dein bzw. der darin als Realbedingung gesetzte Begriff vom intelligiblen Besitz ist. Folglich ist im „Satz von der Möglichkeit des Besitzes einer Sache a u ß e r m i r “ der intelligible Besitz kraft seines Begriffs jedenfalls als (denk-)möglich vorausgesetzt 181

RL, AA VI: 250.06. Log, AA IX: 110 (§ 35). – Im strengen Sinne des Begriffs sind Axiome, ebenso wie Definitionen, nur in der Mathematik möglich (siehe dazu methodologisch unter C. im dritten Kapitel). Nur in einem weniger strengen und mehr übertragenen Sinne können beide Begriffe dann aber auch – wie hier oder andernorts – in der Philosophie gebraucht werden. 183 RL, AA VI: 250.09-17. 184 Nachweis oben in Fn. 167. 185 „Ein P o s t u l a t ist ein praktischer, unmittelbar gewisser […] Grundsatz“ (Log, AA IX: 112 [§ 38]); siehe dazu ausführlich bereits oben unter A. im vierten Kapitel. 182

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und eben darum spricht § 6 Abs. 3 diesen Satz auch als „die Voraussetzung der Möglichkeit einer possessio noumenon“ an.186 Diese denkmögliche begriffliche Voraussetzung eines intelligiblen Besitzes im Realbegriff vom äußeren Mein und Dein wirkt aber synthetisch im Begriff vom äußeren Mein und Dein, weil dadurch die begriffliche Vorstellung vom Rechtssubjekt mit der begrifflichen Vorstellung von einem äußeren Rechtssubjekt verbunden wird.187 Also stellt sich der als denkmöglich vorausgesetzte Begriff vom intelligiblen Besitz als praktisch real im Rechtsbewusstsein vor und so ist im Rahmen einer Deduktion dieses praktisch-synthetischen Begriffs (§ 6) seine reale Möglichkeit in einem begrifflich schon unmittelbar gewissen metaphysischen Anfangsgrundsatz (§ 2) nachzuweisen (§ 6 Abs. 10), sodass von ihm tatsächlich ein praktischer Gebrauch mit Recht gemacht werden darf. In dieser Deduktion aber wäre dann zugleich gezeigt, „wie ein solcher sich über den Begriff des empirischen Besitzes erweiternde Satz a priori möglich sei“188. Also ist es an dieser Stelle des Gedankengangs im Folgenden eine „Aufgabe für die Vernunft“189, eben dies im Rahmen einer Deduktion des Begriffs des rein rechtlichen Besitzes (§ 6 Abs. 4 – 10) zu zeigen. Es ist daher andererseits – wie gegen den mit gravierenden Folgen erhobenen Editionsanspruch Bernd Ludwigs ausdrücklich bemerkt werden muss – an dieser Stelle keine „Aufgabe für die Vernunft“, zu zeigen, wie das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft als Grundsatz a priori möglich ist.190 Denn abgesehen davon, dass diese These die begrifflichen Bezüge innerhalb von § 6 Abs. 3 nicht hinreichend wahrt, missachtet sie auch den logischen Status des Postulats, weil dieses einen unmittelbar gewissen praktischen Grundsatz enthält, der aus methodologischer Sicht überhaupt keines weiteren Beweises fähig ist,191 und es eben darum auch weder in § 2, noch in § 6, gezeigt werden kann, wie – d. h. in welchen begrifflichen Vermittlungsschritten – er möglich sei. Auf einem solchen irrigen Beweisanspruchsdenken in Bezug auf unmittelbare Vernunftgewissheiten192 beruht aber die Auffassung Bernd Ludwigs an diesem Punkt,193 der für sich vorauszusetzen scheint, Im186

RL, AA VI: 250.09-12. RL, AA VI: 250.12-14. 188 RL, AA VI: 250.15-17. 189 RL, AA VI: 250.14-17. 190 So aber Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 61 f., 64. 191 Siehe dazu im Allgemeinen schon unter C. II. im dritten Kapitel sowie im Besonderen Fn. 15 m.w.N. im vierten Kapitel. 192 NB: Ein solches irriges Beweisanspruchsdenken mit Blick auf das nach Auskunft Immanuel Kants keiner weiteren Deduktion fähige „Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft“ (§ 7 KpV) liegt auch der ganz gängigen Interpretenbehauptung zugrunde, in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten habe Immanuel Kant eine solche Deduktion des obersten Grundsatzes der Moral noch gesucht und nicht gefunden, sodass er sich mit Blick auf die anderslautende Auskunft in der Kritik der praktischen Vernunft zur geistigen Umkehr gezwungen gesehen habe. Siehe gegen ein solchermaßen schon begrifflich-methodologisch unhaltbares Kantverständnis in diesem Zusammenhang die in Fn. 1 des ersten Kapitels genannte Studie. 193 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 62 ff., 111 ff. 187

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manuel Kant vermöge ihm die unmittelbare Gewissheit seiner eigenen praktischen Vernunft gleichsam von außen anzudemonstrieren, wenn er konstatiert, man könne „die praktische Vernunft […] wirklich in Aktion […] sehen“, wenn man § 2 nur in § 6 versetze.194 Im Übrigen bleibt in Bernd Ludwigs Interpretation von § 6 auch völlig unklar, ob er von einer Deduktion des Begriffs oder des intelligiblen Besitzes selbst ausgehen möchte.195 bb) Vom einzelnen synthetischen Rechtssatz a priori zu seiner allgemeinen Vernunftbedingung Soll in den nun folgenden Abs. 4 – 10 des § 6 gezeigt werden, wie ein sich über den Begriff vom empirischen Besitz erweiternder und somit synthetischer Satz a priori im Begriff vom intelligiblen Besitz möglich ist, so muss im Ausgang von einem schon ganz konkreten einzelnen Rechtssatz a priori die allgemeinste Bedingung in diesem Satz analytisch-regressiv aufgesucht werden, um sodann progressiv-synthetisch zu zeigen, dass diese allgemeinste Bedingung begrifflich bereits in einem unmittelbar gewissen metaphysischen Anfangsgrundsatz objektiv praktisch real ist, eben weil der praktische Satz dieses Anfangsgrundsatzes, darunter die allgemeinste Bedingung eines synthetischen Rechtssatzes a priori als objektiv real praktisch erkannt wird, selbst nur unter begrifflicher Voraussetzung dieser allgemeinsten Bedingung in seiner Realität denkmöglich ist. Lediglich mit dieser zunächst analytischregressiven (§ 6 Abs. 4 – 9) und sodann synthetisch-progressiven (§ 6 Abs. 10) Vorgehensweise lässt sich die praktische Realität des Begriffs vom intelligiblen Besitz in dem durch ihn verbundenen und darum einheitlichen Verhältnis von allgemeinem praktischen Vernunftgrund sowie konkretem einzelnen synthetischen Rechtssatz a priori rein begrifflich aufzeigen. Eine solche methodologische Vorgehensweise im Ausgang von einem einzelnen synthetischen Rechtssatz a priori setzt aber die konkrete Kenntnis eines solchen Rechtssatzes, dessen begriffliche Realbedingung in der hier vorzunehmenden Deduktion ja gerade erst als praktisch-notwendig ausgewiesen werden soll, unter eben dieser begrifflichen Realbedingung schon positiv für sich selbst voraus. Der so beabsichtigte methodologische Ausgang der Deduktion dieser begrifflichen Realbedingung ist somit nur möglich, wenn mindestens ein einziger synthetischer Rechtssatz a priori schon unmittelbar konkret bewusst ist. Mit dem Postulat der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein (§ 2 Abs. 1) ist aber kraft seiner logischen Vorstellungsstruktur gleichursprünglich als unmittelbar gewiss auch vorausgesetzt, dass eine erste Erwerbung gewisser Gegenstände rechtlich real möglich sein muss (§ 2 Abs. 3).196 Da eine solche erste Erwerbung eines Gegen194

Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 62. Siehe schon oben Fn. 151. 196 Zur logischen Vorstellungsstruktur des Postulats von § 2 siehe ausführlich unter A. sowie B. II. im vierten Kapitel und dortige Fn. 48, 49. 195

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standes seine bis dato bestehende – relative – Herrenlosigkeit begrifflich voraussetzt, betrifft die unmittelbar gewisse rechtliche Erwerbsmöglichkeit von § 2 Abs. 3 also das Sachenrecht, weil nur Sachen als relativ herrenlose Gegenstände im Verhältnis von mehreren Rechtssubjekten zueinander vorstellbar sind. Der erste Erwerb einer Sache ist aber in der Totalität dieses Gedankens ein ursprünglicher Erwerb, weil die bis anhin herrenlose körperliche Sache (substanziell: der Boden) noch keiner einzelnen Rechtsperson zu Recht gehört (vgl. § 10 Abs. 5). Also ist der synthetische Rechtsbegriff a priori von der ursprünglichen Erwerbung des Bodens (vgl. § 16) als einem möglichen äußeren Mein und Dein im rechtlichen Postulat von § 2 Abs. 1 gleichursprünglich als unmittelbar gewiss in § 2 Abs. 3 vorausgesetzt. Der synthetische Rechtssatz a priori in Ansehung des Bodens kann und muss darum zum einzig möglichen sowie zugleich notwendigen Ausgangspunkt einer Deduktion des Begriffs eines bloß rechtlichen Besitzes in seinem rechtlich möglichen konkreten äußeren Gegenstandsbezug genommen werden. Ohne die unmittelbare praktische Gewissheit in Ansehung seiner (§ 2 Abs. 3) wäre eine Deduktion des Begriffs des rein rechtlichen Besitzes (§ 6) unter dem rechtlichen Anfangsgrundsatz von § 2 Abs. 1 nicht möglich und ohne diese Deduktion wäre wiederum auch – wie sich im zweiten Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre finden wird – eine Deduktion (§ 17) des Begriffs von der ursprünglichen Erwerbung des Bodens (§ 16) nicht möglich. § 6 Abs. 4 knüpft darum im Interesse der hier und andernorts noch zu leistenden Deduktion gewisser Vernunftbegriffe mit methodologischer Notwendigkeit und somit alles andere als „sinnlos“197 an den synthetischen Rechtssatz a priori vom Boden als einem äußeren Mein und Dein an. Im Bewusstsein dieser Vorgehensweise und ihrer Notwendigkeit liegt also nicht nur der Verstandesschlüssel zu den Abs. 4 – 10 in § 6, sondern auch der zum zweiten Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre. Trifft die vorstehende Deutung zu, dann handelt es sich bei den Abs. 4 – 8 in § 6 auch nicht um einen Texteinschub, der dort – unwidersprochen durch die rechtsphilosophische Kantforschung – insbesondere laut Gerhard Buchda, Friedrich Tenbruck und Bernd Ludwig vermeintlich offensichtlich nicht hingehört.198 Sie ist darum im Folgenden zu einer einheitlichen Interpretation des in § 6 letztlich (Abs. 10) vermittelst des Postulats von § 2 Abs. 1 geleisteten Deduktionsgedankens zu entfalten und bedarf zu diesem Zweck noch der gedanklichen Reduktion des mit § 2 Abs. 3 einstweilen angeknüpften Gedankens einer ursprünglichen Erwerbung des Bodens auf die unmittelbare Gewissheit des § 2 Abs. 1. Denn eben diese analytische Abstraktion im Aufstieg vom Einzelnen zum Allgemeinen findet auch in den sodann ausführlich zu interpretierenden Abs. 4 – 9 von § 6 statt:

197 Ohne diese methodologische Überlegung musste etwa Tenbruck, ArchPhil 3 (1949), S. 216 (217) der inhaltliche Übergang von § 6 Abs. 3 nach Abs. 4 dagegen „sinnlos“ und „ganz widersinnig“ erscheinen. 198 Buchda, Das Privatrecht Immanuel Kants (1929), S. 36 f.; Tenbruck, ArchPhil 3 (1949), S. 216 ff.; Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 32 Fn. 71 und S. 60 ff.

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Das menschliche Rechtssubjekt, das sich kraft seines ihm angeborenen Rechts der Freiheit von fremder Willkür ursprünglich nur selbst und darum auch noch keinen Gegenstand außer ihm besitzt, findet sich mit seiner Geburt in seiner Einzelnheit natürlicherweise lokalisiert auf dem Erdboden. Dieser Boden ist aber für ein menschliches Rechtssubjekt ein einzelner äußerer Gegenstand, den es folglich nicht schon alleine kraft Geburt zu Recht als ein äußeres Mein besitzt, und der mithin von ihm zuerst ursprünglich erworben werden muss. Die natürliche Lokalisierung der Menschen auf dem Erdboden stellt somit unter dem als allgemein gebrauchten Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) das ursprüngliche Besitzerwerbsproblem im äußeren Verhältnis der Menschen für ein vernünftiges Rechtsbewusstsein vor, das im besonderen Rechtsbegriff der ursprünglichen Erwerbung eines Bodens zur metaphysischen Auflösung gelangen wird (vgl. §§ 16, 17). Wäre diese später noch auseinanderzusetzende Auflösung jedoch nicht möglich, so wäre nicht nur der ursprüngliche Erwerb des Bodens, sondern mit ihm auch alles äußere Mein und Dein gänzlich unmöglich, und das rechtliche Postulat der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein (§ 2 Abs. 1) in Wahrheit ein durchaus unpraktischer Grundsatz der praktischen Vernunft. In der Folge dieser unpraktischen Vernunft müssten alle äußeren Gegenstände für menschliche Rechtssubjekte – insofern relativ – herrenlos bleiben, weil sie dann in der Tat ursprünglich schon im Grunde „ a n s i c h (objektiv)“ selbst absolut „ h e r r e n l o s [ e ] “ Dinge für das menschliche Rechtsbewusstsein vorstellten.199 Das aber würde bedeuten, dass bereits die mit Geburt natürlicherweise eintretende Lokalisierung auf einem Stück Erdboden als einem absolut herrenlosen Gegenstand rechtswidrig wäre, sodass sich das nach seiner eigenen sinnlichen Vorstellungsform natürlicherweise auf dem Erdboden lebende menschliche Rechtssubjekt aus dieser geerdeten Existenz seines Vernunftwesens scheinbar gänzlich entfernen müsste, wollte es der von Rechts wegen vermeintlich gebotenen absoluten Herrenlosigkeit der Dinge an sich selbst gerecht werden. Dieser in der Tat absurde Schluss, der nicht – wie aber § 7 KpV – dem eigenen Selbst, sondern den äußeren Dingen an sich selbst praktische Freiheit als Verpflichtungsvermögen ursprünglich zurechnet, würde jedoch praktische Vernunft im Leben ganz und gar unpraktisch erscheinen lassen, und so weiß ein jedes menschliche Rechtssubjekt unmittelbar, dass es rechtlich möglich sein muss, ein Leben auf dem mit anderen menschlichen Subjekten geteilten Erdboden führen zu können. An diese unmittelbare Gewissheit knüpft § 6 Abs. 4 darum mit Recht den weiteren Gedankengang: § 6 Abs. 4200

Der hier auseinanderzusetzende vierte Absatz knüpft nun im Hinblick auf den vorigen dritten Absatz mit seinem ersten Satz beispielhaft den synthetischen Rechtssatz a priori in Ansehung eines bestimmten Bodens an, weil dieser auf einer 199

Vgl. RL, AA VI: 246.05-08. RL, AA VI: 250.18-27 (alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Absatz). 200

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unmittelbaren Vernunftgewissheit beruht: „Auf solche Weise ist z. B. die Besitzung eines absonderlichen Bodens ein Act der Privatwillkür, ohne doch e i g e n m ä c h t i g zu sein.“ Selbstverständlich könnten auch alle unter diesem synthetischen Rechtssatz a priori begrifflich vermittelten und darum gedanklich noch entfernter liegenden synthetischen Rechtssätze a priori (z. B. der vom Mobiliarbesitz) angeknüpft werden. Allerdings würde damit die im Folgenden bis zum begrifflichgrundsätzlichen Scheitelpunkt der Deduktion zu abstrahierende Begriffsreihe lediglich nur unnötig verlängert. Die beispielhafte Anknüpfung im vierten Absatz wählt – wohlweislich – also den gedanklich kürzesten Weg.201 In der kraft Geburt – für sich erwogen durchaus – einseitigen Besitznahme eines Bodens durch ein freies Willkürsubjekt liegt aber mit der unmittelbaren Gewissheit der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Rechtsbesitzes (§ 2 Abs. 1) an sich kein Unrecht. Der einseitige Besitz eines Bodens durch ein Privatrechtssubjekt ist darum an sich nicht als „ e i g e n m ä c h t i g “ , sondern als rechtsmächtig anzusehen, eben weil das rechtliche (d. h. rechtsgesetzliche) Postulat der praktischen Vernunft (§ 2 Abs. 1) und mithin ein rechtsgesetzlicher Allgemeinwille zu diesem Besitz des Bodens ursprünglich ganz allgemein ermächtigt. Dieser insgesamt begründende Rechtsgedanke allgemeiner (d. h. ursprünglich rechtsgesetzlicher) Ermächtigung zu Besitz (§ 2 Abs. 1) und Erwerb (§ 2 Abs. 3) eines Bodens als äußeres Mein und Dein findet sich in § 6 Abs. 4 S. 1 allerdings positiv so noch nicht ausgesprochen. Vielmehr muss dieser begründende Grundgedanke des Allgemeinen im Ausgang vom Einzelnen, d. h. im Ausgang vom synthetischen Rechtssatz a priori des Privatbesitzes eines Bodens erst durch Begriffsanalyse sukzessiv zur Klarheit (§ 6 Abs. 4 S. 2) bzw. Deutlichkeit (§ 6 Abs. 5 – 9) seines begrifflichen Bewusstseins entwickelt werden. Eben deshalb bedient sich diese begriffliche Entwicklung besonderer Allgemeinbegriffe vom Recht der Menschen und nicht schon der Begrifflichkeit einer reinen Allgemeinvorstellung des rechtlichen Postulats. Der willkürliche Bodenbesitzer muss sich mit seiner rechtlichen Besitzbehauptung im konkreten Einzelfall dann auf einem Allgemeinwillen fundieren, der ursprünglich schon in dem von ihm für sich besessenen Boden als Rechtsvorstellung begrifflich angelegt ist. Da nun ein jedes menschliche Rechtssubjekt kraft Geburt natürlicherweise auf dem Erdboden zum Sitzen und damit unweigerlich in einen empirischen Besitz desselben kommt, lässt sich diese natürliche Besitzvorstellung, unter dem als allgemein gebrauchten Begriff vom Recht der Menschen (§ B Abs. 3) als Rechtsvorstellung schon allgemein begriffen, auch als ein „ a n g e b o r n e [ r ] G e m e i n b e s i t z [ ] des Erdbodens“ aller Menschen mit praktischer Notwendigkeit des allgemeinen Rechtsbegriffs denken, der dem Privatbesitz einzelner Menschen rechtsgedanklich stets schon zugrunde liegt. 201 Es handelt sich hierbei übrigens um eine methodologisch völlig übliche Vorgehensweise, die sich in einem anderen Zusammenhang vergleichbar beispielsweise auch bei Fichte, Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, in: GA I/2, S. 255 ff. (§ 1) findet.

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Im Rechtsbegriff dieses angeborenen Gemeinbesitzes, der einen besonderen Rechtsbegriff unter dem als allgemein gebrauchten Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) vorstellt, liegt dann die praktisch-notwendige Vernunftvorstellung eines alle Menschen in Ansehung des Bodenbesitzes a priori allgemein vereinigenden Willens, d. h. die Rechtsvorstellung eines reinen Allgemeinwillens in Ansehung des Weltbesitzes.202 Da dieser angeborene Gemeinbesitz des Erdbodens aber noch nicht mit dem zum menschlichen Leben im Recht notwendigen Privatbesitz eines Bodens identisch ist, muss sich die allgemeinwillentliche Erlaubnis zu einem „ P r i v a t b e s i t z [ ] “ des Bodens – begrifflich vermittelt – schlüssig aus dem mit dem angeborenen Gemeinbesitz a priori verbundenen Allgemeinwillen in Ansehung des Besitzes ergeben.203 Ohne diesen reinen Allgemeinwillen (praktischer Vernunft) in Ansehung des Besitzes äußerer Gegenstände in der Sphäre des allgemeinen Rechtsgesetzes avancierten diese äußeren Gegenstände in dieser Sphäre und durchaus im Widerspruch zu § 2 Abs. 1 gedanklich unwillkürlich zu „an sich“ selbst „nach einem Gesetze“ „herrenlosen Dingen“. Also ist – so muss ein von Kant an dieser Stelle noch unausgesprochenes Zwischenfazit im Vorblick auf § 6 Abs. 8 – 9 lauten – der konkrete Vernunftgedanke eines reinen Allgemeinwillens in Ansehung des Weltbesitzes, begrifflich vermittelt durch die konkrete Vernunftvorstellung eines angeborenen Gemeinbesitzes des Erdbodens, mit dem rechtlichen Postulat von § 2 Abs. 1 gedanklich verbunden. Mit dieser begrifflich konkreten Erlaubnis zu einem Privatbesitz des Bodens überhaupt erwirbt ein menschliches Rechtssubjekt „durch die erste Besitzung ursprünglich einen bestimmten Boden“. Die betreffende Besitzerwerbshandlung in Ansehung des ursprünglich zu erwerbenden Bodens liegt dabei gedanklich allerdings in204 einer Widerstandshand202 Zum Verständnis der weiteren begrifflichen Entfaltung dieses ersten allgemeinwillentlichen Moments unter dem als allgemein gebrauchten Begriff des Rechts der Menschen (§ B Abs. 3) bis hin zum Vernunftbegriff des Staates (§ 45 Abs. 1) ist es besonders wichtig überhaupt zu bemerken, dass sich dieses allgemeinwillentliche Moment in § 6 Abs. 4 bereits angeknüpft findet; ein Umstand, der jeder Interpretation zwangsläufig entgeht, die den Deduktionsgedanken zum Begriff des intelligiblen Besitzes in § 6, mit einer weithin vorherrschenden Verdrängungstendenz, ohne seine Abs. 4 – 8 zu verstehen sucht. Vgl. an diesem Punkt beispielsweise Deggau, Die Aporien der Rechtslehre Kants (1983), S. 137, der ein solches Moment von Allgemeinwillentlichkeit mit dieser Verkürzung in § 6 noch nicht entwickelt sehen will. 203 Der angeborene Gemeinbesitz des Bodens ist also kein angeborenes subjektives Recht der einzelnen freien Willkür. Vielmehr ist die Allgemeinheit der Willkürsubjekte, d. h. die Menschheit in ihren Personen, intelligibles Rechtssubjekt dieses Gemeinbesitzes an sich selbst, davon sich – als intelligibler Erwerbsgrund – alle weiteren subjektiven Privatrechte der einzelnen freien Willkür als sodann erworbene Rechte begrifflich vermittelt ableiten lassen müssen. Andernfalls gäbe es neben dem einzigen angeborenen Recht der Freiheit als Unabhängigkeit (im Widerspruch zu RL, AA VI: 237.27-32) ein weiteres angeborenes Recht (und zwar wechselseitiger Abhängigkeit in einem Gemeinbesitz des Erdbodens). 204 RL, AA VI: 250.23-25: „erwirbt durch erste Besitzung […], indem er […] widersteht“.

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lung gegen dasjenige Rechtssubjekt, das den Erwerbenden „im Privatgebrauch desselben hindern würde“ und ein Leben im Recht der Menschen somit verunmöglichen würde. Zu dieser gleichursprünglichen Widerstands- und Besitzerwerbshandlung berechtigt den ursprünglich Erwerbenden konkret der im angeborenen Gemeinbesitz des Erdbodens liegende reine Allgemeinwille, der, durch den angeborenen Gemeinbesitz begrifflich vermittelt, mit dem rechtlichen Postulat der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein (§ 2 Abs. 1) – wie bereits bemerkt – verbunden sein muss. Unter dieser allgemein und begrifflich noch gänzlich unvermittelt vorgestellten rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein ist aber zugleich auch allgemein und begrifflich ebenso unvermittelt schon die allgemeine (d. h. rechtsgesetzliche) Erlaubnis zu einer ersten Besitzerwerbung gleichursprünglich gedacht. Also vermittelt der konkrete Vernunftbegriff des angeborenen Gemeinbesitzes des Erdbodens, mitsamt dem darin konkret vorgestellten reinen Allgemeinwillen in Ansehung des Weltbesitzes, die allgemeingesetzliche und begrifflich noch unvermittelte Erlaubnis des § 2 Abs. 3 im konkreten Falle des ursprünglichen Bodenerwerbs als einem einzelnen äußeren Mein und Dein. In diesem Sinne ist es dann zu verstehen, dass die Widerstands- bzw. Besitzerwerbshandlung in Ansehung des ursprünglichen Bodenerwerbs unter dem Erlaubnisgesetz von § 2 Abs. 3, begrifflich vermittelt durch den konkreten Vernunftbegriff vom angeborenen Gemeinbesitz des Erdbodens, auch im konkret vorgestellten Einzelfall „mit Recht (iure)“ erfolgt. Denn der im angeborenen Gemeinbesitz zugleich konkret vorgestellte reine Allgemeinwille in Ansehung des Weltbesitzes verknüpft diesen konkreten Erwerbsfall unter dem konkreten Vernunftbegriff vom angeborenen Gemeinbesitz innerlich wiederum mit dem allgemeinen Postulat von der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein überhaupt (§ 2 Abs. 1). Da es sich bei dem vorstehenden Gedanken eines ursprünglichen Erwerbs eines Bodens im „natürlichen Zustande“ allerdings für sich genommen lediglich um einen bloßen Vernunftgedanken unter dem als allgemein gebrauchten Begriff vom Recht der Menschen (§ B Abs. 3) handelt, geht der konkret vorgestellte Erwerbsfall über eine durch reine Begriffe bloß gedachte Erwerbung nicht hinaus; ein ursprünglicher Erwerb ist außer dem bloßen Gedanken in einer wirklichen Zeit an sich selbst natürlich ein ganz unmöglicher Gedanke, weil ein Ursprung von Zeitverhältnissen nicht in Zeitverhältnissen vorgestellt werden kann. In diesem metaphysisch (d. h. rein begrifflich) disziplinierten Sinne erwirbt der Widerständige von § 6 Abs. 4 ein Stück Boden im natürlichen Zustand dann zwar „mit Recht (iure)“, nicht aber auch schon „von rechtswegen (de iure), weil in demselben noch kein öffentliches Gesetz existirt“. Denn in diesem bloß abstrakten Vernunftgedanken eines natürlichen Zustandes der freien Willkür fehlt es gedanklich noch an einer alle Willkürsubjekte in ihrem wechselseitigen Verhältnis durch Subordination unter sich vereinigenden und daher schon wirklichen Allgemeingesetzlichkeit, die ihrerseits unter dem allgemeinen Rechtsbegriff nur im Staat, d. h. in einem schon erworbenen und damit schon als in Zeitverhältnissen wirklich vorgestellten Rechtszustand der freien Willkür rechtlich bestimmt denkbar ist.

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Die in dem in § 6 Abs. 4 angeknüpften einzelnen synthetischen Rechtssatz a priori in Ansehung des Bodens schon unmittelbar bewusste Allgemeinvorstellung von der rechtlichen Möglichkeit eines ersten Besitzerwerbs (§ 2 Abs. 3) setzt in dieser ihrer Konkretion auf einen einzelnen synthetischen Rechtssatz a priori die schon konkreten Vernunftbegriffe vom ursprünglichen Gesamtbesitz des Erdbodens aller Menschen sowie von einem reinen Allgemeinwillen in Ansehung des bodenständigen Weltbesitzes voraus. Diese beiden besonderen Vernunftbegriffe liegen somit dem einzelnen synthetischen Rechtssatz a priori in Ansehung des Bodens als allgemeine Vernunftvorstellungen (d. h. Begriffe) innerlich schon voraus und bedürfen daher im Folgenden noch weiterer analytischer Verdeutlichung, um das allgemeinste Bestimmungsmoment des Zusammenhangs in ihnen, darauf die eigentliche Deduktion gerichtet sein muss, im konkreten Ausgang vom einzelnen Rechtssatz bewusst zu machen: § 6 Abs. 5205

Der konkrete Vernunftbegriff vom angeborenen Gemeinbesitz des Erdbodens aller Menschen ermöglicht – wie § 6 Abs. 4 aufzeigt – durch seine begriffliche Vermittlung den synthetischen Rechtssatz vom Boden als einem äußeren Mein und Dein. Soll dieser konkrete Vernunftbegriff in seiner objektiven Realität weiter verdeutlicht werden, so muss dies in gedanklicher Opposition zu seinem begrifflichen Gegenteil, der absoluten Herrenlosigkeit (d. h. Freiheit) der äußeren Dinge an sich selbst (vgl. § 2 Abs. 1) geschehen, die dann begrifflich eben nicht in ursprünglicher Gemeinschaft, d. h. in einem den Rechtssubjekten angeborenen Gemeinbesitz des Erdbodens stehen. Eben dies ist die Vorgehensweise von § 6 Abs. 5: So kann ein Boden zwar als relativ „ f r e i “ und insofern auch als relativ herrenlos angesehen werden, d. h. als im Privatbesitz von niemanden und insofern als „zu jedermanns Gebrauch offen“ stehend. Allerdings ist mit dieser offen gelassenen Gebrauchsmöglichkeit für jedermann bzw. seiner relativen Herrenlosigkeit in Verhältnissen der menschlichen Willkür der Boden an sich selbst ein rechtlich besitzbarer äußerer Gegenstand, d. h. an sich nicht als absolut herrenlos bzw. absolut frei anzusehen. Man kann mit dieser rechtlichen Besitzmöglichkeit darum nicht annehmen, der Boden sei schon „von Natur aus und u r s p r ü n g l i c h , vor allem rechtlichen Act, frei“. In diesem Fall würde man dem Boden, als einer unzurechnungsfähigen Sache, d. h. gänzlich unvereinbar mit seinem Begriff,206 ursprünglich Freiheit und mithin ursprünglich auch Rechtssubjektivität zurechnen, sodass mit diesem Zurechnungsverhältnis nicht nur „ein Verhältnis“ des ihm die Freiheit zurechnenden Subjekts zu ihm als einer vermeintlich gänzlich herrenlosen Sache vorläge, sondern der Boden „jedermann seinen Besitz verweigerte; […] weil diese 205 RL, AA VI: 250.28-37 (alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Absatz). 206 „ S a c h e ist ein Ding, was keiner Zurechnung fähig ist. Ein jedes Object der freien Willkür, welches selbst der Freiheit ermangelt, heißt daher Sache (res corporalis).“ (MS, AA VI: 223.32-34).

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Freiheit des Bodens ein Verbot für jedermann sein würde sich desselben zu bedienen“207. Lässt sich die Rechtssubjektivität von bloßen Rechtsobjekten im Begriff der Sache aber noch nicht einmal widerspruchsfrei denken, dann kann ein rechtliches Verbot in Ansehung des Gebrauchs eines Bodens richtigerweise auch nur von Rechtssubjekten ausgehen, die dann jedoch schon gemeinsam in einem [staatlichen] Besitz des Bodens sind, der ohne [ursprünglichen] Vertrag nicht [wirklich] stattfinden kann. Ein Boden aber, der nur durch diesen [ursprünglichen] Vertrag [wirklich rechtsgesetzlich] frei [für Menschen] sein kann, muss zuvor gedanklich schon „wirklich im Besitze aller derer (zusammen Verbundenen) sein, die sich wechselseitig den Gebrauch desselben untersagen oder ihn suspendiren“. Dies aber ist die Idee des angeborenen Gemeinbesitzes des Erdbodens aller Menschen, denn nur diese können sich den Gebrauch des Bodens wechselseitig versagen. § 6 Abs. 6208

Mit § 6 Abs. 5 ist nunmehr der konkrete Vernunftbegriff vom angeborenen Gemeinbesitz in seiner objektiven praktischen Realität, d. h. in seiner begrifflichen Wirklichkeit für die durch ihn vermittelt vorzustellenden Rechtsvorstellungen (ursprünglicher Erwerb des Bodens – ursprünglicher Vertrag – wirklicher Besitz des Bodens durch Menschen im Staat) anfänglich bewusst geworden. Damit eignet diesem konkreten Vernunftbegriff der Status einer praktischen Idee, die nunmehr in § 6 Abs. 6 gegen eine bloß chimärische (und in sich widersprüchliche) Idee in ihrem Gegenteil abgesetzt und so in ihrer metaphysischen Qualität abermals verdeutlicht werden kann: Zu diesem Zweck spricht § 6 Abs. 6 die „ u r s p r ü n g l i c h e Gemeinschaft des Bodens und hiemit auch der Sachen auf demselben (communio fundi originaria)“ zunächst einmal überhaupt als „eine Idee“ an, „welche objective (rechtlich praktische) Realität hat“. Diese ideelle Realität kann aber keine bloß für sich genommene empirische Realität sein, da sich alle menschlichen Rechtssubjekte, und zwar kraft ihres angeborenen Rechts der Freiheit als Unabhängigkeit von fremder Willkür, ursprünglich unabhängig von erst zu erwerbender Gemeinschaft mit ihresgleichen in ihr empirisches Dasein gesetzt finden. Unter empirischen Verhältnissen enthält der Begriff der „ u r s p r ü n g l i c h e [ n ] Gemeinschaft“ von menschlichen Rechtssubjekten einen Widerspruch in sich, der sich nur auflöst, wenn dieser Begriff unabhängig von Zeitverhältnissen gedacht wird, weil ein Ursprungszustand nicht in, 207 Der Originaltext (RL, AA VI: 250.32) setzt in der Klammerauslassung das Wort „sondern“, das mit der hier vertretenen Auffassung des Satzsinngehaltes nach heutigem Sprachverständnis den Gedankenfluss eher stört. Sollte sich aber – was hier noch nicht abschließend entschieden ist – kein sinnvoller Bezug des Wortes „sondern“ mit einem modernen Wortverständnis herstellen lassen, dann könnte dieses Wort möglicherweise in einer veralteten Wortbedeutung im Sinne von „besonders“ zu lesen sein (vgl. dazu einstweilen Kluge/Seebold, Etymologisches Wörterbuch [201125], S. 858 i.V.m. Dudenredaktion [Hrsg.]: Duden VII – Etymologie [20145], S. 789 f.). 208 RL, AA VI: 251.01-13 (alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Absatz).

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sondern nur vor Zeitverhältnissen (d. h. a priori) denkbar ist. Dann aber stellt die „objective (rechtlich praktische) Realität“ des Begriffs der „ u r s p r ü n g l i c h e [ n ] Gemeinschaft des Bodens“ an sich selbst eine rein ideelle (= bloß gedachte) Realität vor, d. h. eine lediglich begrifflich wirkliche Realität im reinen Rechtsdenken unter dem als allgemein gebrauchten Begriff des Rechts der Menschen (§ B Abs. 3). Der praktischen Idee der „ u r s p r ü n g l i c h e [ n ] Gemeinschaft des Bodens“ könnte somit die in sich widersprüchlich verfasste und darum nur erdichtete Idee „von der uranfänglichen (communio primaeva)“ entgegensetzt werden. Denn wenn alle Gemeinschaft der ursprünglich als unabhängig voneinander im vernünftigen Rechtsbewusstsein gesetzten menschlichen Rechtssubjekte in einer Zeit erworben vorgestellt werden muss, dann kann es mit dem Begriff vom angeborenen Recht der Freiheit nicht zugleich uranfänglich in einer Zeit schon eine wirkliche Gemeinschaft derselben Rechtssubjekte geben. Unterlegt man der Gemeinschaftsidee also ein Zeitschema, wie es mit dem Adjektiv „uranfänglich“ begrifflich geschieht, so muss die Gemeinschaft als erworbene und mithin „ g e s t i f t e t e Gemeinschaft“ begriffen werden, die nur durch einen „Vertrag[]“ der sich gemeinschaftlich verfassenden Rechtssubjekte gedacht werden kann. Im so verstandenen Begriff der uranfänglichen Gemeinschaft des Bodens liegt dann zugleich die kommunistische Behauptung eines in der Zeit (d. h. in der Geschichte) anzutreffenden Vertragsschlusses, „durch den auf den Privatbesitz Verzicht gethan, und ein jeder durch die Vereinigung seiner Besitzung mit der jedes Andern jenen in einen Gesammtbesitz verwandelt habe“. Die in einer wirklichen Zeit vorzustellende Behauptung der Errichtung einer kommunistischen Besitzgemeinschaft ist dann aber nicht mit der rein ideell vorzustellenden „ u r s p r ü n g l i c h e [ n ] Besitznehmung“ zu verwechseln, „darauf jedes Menschen besonderer Besitz habe gegründet werden können und sollen“, denn die vertragliche Aufgabe des Privatbesitzes zur realen Gründung einer kommunistischen Besitzgemeinschaft setzt die praktische Idee der „ u r s p r ü n g l i c h e [ n ] Gemeinschaft des Bodens und hiemit auch der Sachen auf demselben“ schon für sich selbst voraus.209 Da diese kommunistische Gemeinschaft dann aber gedanklich keine uranfängliche Gemeinschaft mehr ist, enthält der Begriff 209 Dies gilt auch für die in seiner Interpretation sowie für die Versetzung von § 2 wichtige und in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts geäußerte Behauptung Bernd Ludwigs, Kants Rechtslehre (1988), S. 105, 111, 113, die die These aufstellt, ohne das Postulat von § 2 sei auf Basis des angeborenen Rechts der Freiheit in Ansehung äußerer Gegenstände gedanklich ein „Kommunismus nach Rechtsgesetzen“ möglich, den es durch das Postulat zu verhindern gelte. Denn diese als eigentliche Pointe von § 2 apostrophierte Behauptung, die gedanklich offenbar auf dem naturalistisch fehlschlüssig untergeschobenen ,Rechtstitel‘ des physischen Besitzes empirischer Gegenstände (dazu oben Fn. 21) beruht, muss den Gedanken einer vertraglichen Aufgabe des Privatbesitzes zugunsten der kommunistischen Besitzgemeinschaft, damit aber den ganzen metaphysischen Gedankengang vom ursprünglichen Erwerb eines bestimmten Bodens bis hin zum urvertraglich gedachten Erwerb einer wirklichen Rechtsgemeinschaft in einer wirklichen Zeit, dadurch aller Privatrechtsbesitz, der dann zugunsten der kommunistischen Gemeinschaft aufgegeben werden kann, erst rechtlich wirklich möglich ist, über sich und für sich selbst schon voraussetzen.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

der uranfänglichen Gemeinschaft menschlicher Rechtssubjekte schließlich einen Widerspruch in sich, sodass dieser Begriff als Idee eine bloße „Erdichtung“ ist. § 6 Abs. 6 verdeutlicht somit die rein metaphysische Qualität der praktischen Realität der Idee einer „ u r s p r ü n g l i c h e [ n ] Gemeinschaft des Bodens“, die von allen Zeitverhältnissen für sich selbst gründlich abstrahiert und dergestalt dann auch im konkreten Vernunftbegriff vom angeborenen Gemeinbesitz des Erdbodens gedacht wird, der als begriffliche Vernunftbedingung der rechtlichen Möglichkeit eines ersten bzw. ursprünglichen Erwerbs eines bestimmten Bodens schon vor aller wirklichen Rechtsgemeinschaft der Menschen auf diesem Boden fungiert.210 § 6 Abs. 7211

Ist das sich bis hierin seiner eigenen Vernunftbegrifflichkeit vergewissernde Rechtsbewusstsein nun auf die Abstraktion von allen Zeitverhältnissen in seinem konkreten Vernunftbegriff vom angeborenen Gemeinbesitz des Erdbodens aller Menschen aufmerksam geworden, dann lässt sich der im synthetischen Rechtssatz a priori in Ansehung des Bodens rein begrifflich (d. h. abstrakt) gedachte ursprüngliche Erwerbsakt von allen übrigen auch zeitlich wirklich vorzustellenden Erwerbsakten und Besitzformen genau abgrenzen. Eben diesen negativen Ausschluss solcher Besitzvorstellungen aus dem hier im Hinblick auf sein allgemeinstes und innerlich bestimmendes Moment zu analysierenden Rechtsgedanken des synthetischen Rechtssatzes a priori nimmt nun § 6 Abs. 7 vor: Abstrakt (d. h. rein begrifflich) wird durch den in § 6 Abs. 4 erstmals angeknüpften Vernunftbegriff bzw. synthetischen Rechtssatz vom ursprünglichen Erwerb des Bodens a priori lediglich ein „Besitz (possessio)“ überhaupt, und zwar als Folge einer darin ursprünglich vorgestellten ersten „Besitznehmung des Bodens in der Absicht ihn dereinst zu erwerben“ gedacht. Konkret können unter dieser rein begrifflichen (d. h. abstrakten) Vorstellung – begrifflich weiter mit sinnlichen Bedingungen vermittelt – dann ein empirischer „ S i t z (sedes)“ eines menschlichen Rechtssubjekts und fernerhin auch eine dauerhafte „ N i e d e r l a s s u n g , Ansiedelung (incolatus)“ gedacht werden. Dagegen in bloßen Zeitverhältnissen gedacht, stellen diese beiden Begrifflichkeiten ge210 In dieser Formulierung steckt bereits das begrifflich (ohne Hypostasen im Denken) zu vermittelnde Problem des gedanklichen Verhältnisses von Privatbesitz und Staat. Denn während der Staat in seiner Realität als eine erworbene Rechtsgemeinschaft in einer wirklichen Zeit vorstellbar ist, ist der ursprüngliche Erwerb eines bestimmten Bodens lediglich vor einer wirklichen Zeit überhaupt vorstellbar. Dementsprechend ist einesteils ein Erwerb staatlicher Rechtsgemeinschaft nicht unabhängig von dem ihm gedanklich vorausgehenden ursprünglichen Erwerb des Bodens denkbar, anderenteils aber auch dieser ursprüngliche Erwerb eines bestimmten Bodens nicht in wirklichen Zeitverhältnissen vorstellbar. Wollte man dem ursprünglichen Erwerb also eine über seine rein ideelle Existenz hinausgehende Realität auch in einer wirklichen Zeit zusprechen, so läge darin die Hypostase eines bloßen Vernunftgedankens vom Erwerb und mit ihr die des Naturzustandes an sich selbst. 211 RL, AA VI: 251.14-22 (alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Absatz).

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meinsam die Art eines bloß empirischen Bodenbesitzes vor. Im Denken lassen sich folglich der empirische Sitz vom abstrakten Besitz sowie die empirische Niederlassung von der abstrakten Besitznehmung unterscheiden. Von einer Niederlassung ist in Ansehung bloß der abstrakten Rechtsvorstellung vom ursprünglichen Bodenerwerb dann „hier“ – in der metaphysischen Überlegung von § 6 – „nicht die Rede“. Denn die dauerhafte „Niederlassung“ auf einem bestimmten Boden kann unter rechtlichem Gesichtspunkt „kein ursprünglicher“, sondern lediglich ein sekundärer und damit „abgeleiteter“ Rechtsakt bzw. „Besitz“ sein. Dies würde dann nämlich insbesondere voraussetzen, dass die Vorstellung einer ursprünglichen „Besitznehmung“ eines Bodens und der empirische „Sitz“ eines menschlichen Rechtssubjekts schon begrifflich miteinander vermittelt im abstrakten Begriff des „Besitzes“ überhaupt mit praktischer Notwendigkeit gedacht werden könnten (vgl. dazu § 17 Abs. 2), sodass in der Folge unter dem abstrakten Begriff vom „Besitz“ auch eine empirische „Niederlassung“ des menschlichen Rechtssubjekts auf dem Boden als rechtlich begriffen werden könnte.212 Alleine von dieser schon allgemein rechtsbegrifflich bestimmten Konkretion muss im Rahmen der Aufsuchung der sie bestimmenden allgemeinsten Bedingung im Begriff des ursprünglichen Bodenerwerbs abgesehen werden, worauf § 6 Abs. 7 hier insistiert, um diese Aufsuchung nunmehr sukzessiv auch positiv zu bescheiden: § 6 Abs. 8213

Denn allerdings ist – wie § 6 Abs. 8 S. 1 herausstellt – der „physische Besitz (die Inhabung) des Bodens“ mit dieser gedanklich zu abstrahierenden begrifflichen Konkretion rein begrifflich und somit gänzlich abstrakt „schon ein Recht in einer Sache, obzwar“ ohne wirkliche Vermittlung des die Konkretion bestimmenden allgemeinsten Moment im Begriff vom ursprünglichen Erwerb des Bodens „freilich noch nicht hinreichend, ihn als das Meine anzusehen“. In Verhältnis zu anderen und ihm gleichen Rechtssubjekten ist der „physische Besitz (die Inhabung) des Bodens“ in dem ohne wirkliche äußere Gesetzgebung unter dem als allgemein gebrauchten Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) vorzustellenden Naturzustand dieser Rechtssubjekte, und zwar als ein „erster Besitz“ des bis anhin relativ herrenlos vorgestellten Bodens, nämlich einesteils „mit dem Gesetz der äußern Freiheit einstimmig“ und anderenteils – wie schon anlässlich § 6 Abs. 4 bemerkt – 212 Die empirische Niederlassung eines menschlichen Rechtssubjekts auf dem Boden, und d. h. als ein wirklicher Rechtsakt in einer wirklichen Zeit, kann dann schon nicht als „eigenmächtig“ unter Rechtsbegriffen als rechtlich begriffen werden. Das aber bedeutet zugleich, es gibt keine empirische Besitzsubstanz, die im Naturzustand schon wirklich rechtlich eigenmächtig (vor dem Staat) für sich selbst bestimmt gedacht werden kann (vgl. §§ 8 – 9), sodass sich – ohne Hypostase im Naturzustandsdenken – auch die Frage so nicht stellt, ob und in welchem Maße der Staat in das von ihm – vermeintlich – schon wirklich vorgefundene Privateigentum (am Boden und der Dinge darauf) eingreifen darf. 213 RL, AA VI: 251.23-36 (alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Absatz).

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auch schon „zugleich in dem ursprünglichen Gesammtbesitz enthalten, der a priori den Grund der Möglichkeit eines Privatbesitzes enthält“. § 6 Abs. 8 S. 2 erinnert insofern den positiv bereits erreichten Stand der bisherigen Reflexion über den mit § 6 Abs. 4 angeknüpften Vernunftbegriff vom ursprünglichen Bodenerwerb.214 Der konkrete Vernunftbegriff vom „ursprünglichen Gesammtbesitz […], der a priori den Grund der Möglichkeit eines Privatbesitzes enthält“ (§ 6 Abs. 8 S. 2), d. h. der konkrete Vernunftbegriff vom „ a n g e b o r n e n G e m e i n b e s i t z e des Erdbodens und dem diesem a priori entsprechenden allgemeinen Willen eines erlaubten Privatbesitzes auf demselben“ (§ 6 Abs. 4 S. 2) vermittelt der ersten und ursprünglichen Erwerbung eines bestimmten Bodens, mitsamt dem in ihrer Vorstellung dazugehörigen physischen Besitz des Bodens, einen naturzuständlichen Rechtstitel. Dies ist nun auch die über den mit § 6 Abs. 4 S. 2 schon erreichten Stand der Deutlichkeit des Gedankens eines Bodenbesitzes nicht hinausgehende Feststellung des ersten Halbsatzes von § 6 Abs. 8 S. 3: „Die erste Besitznehmung hat also einen Rechtsgrund (titulus possessionis) für sich, welcher der ursprünglich gemeinsame Besitz ist, […].“ Allerdings war dort – wie in Auseinandersetzung von § 6 Abs. 4 ausdrücklich bemerkt – der gedankliche Brückenschlag zwischen dem einzelnen synthetischen Rechtssatz a priori und seiner ihn innerlich bestimmenden rechtsgesetzlichen Allgemeinvorstellung (§ 2) durch eben diesen konkreten Vernunftbegriff, der dem synthetischen Rechtssatz a priori seinen „Rechtstitel“ vermittelt, methodologisch noch nicht möglich. Erst jetzt, nämlich nach der bis hierher geführten Verdeutlichung, ist die gedankliche Verknüpfung zwischen der einzelnen und der allgemeinen Synthesis nunmehr möglich. Der zweite Halbsatz von § 6 Abs. 8 S. 3 führt darum 214 Was diesem physischen Bodenbesitz unter dem allgemeinen Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) als einem einzelnen subjektiven „Recht in einer Sache“ für sich selbst allerdings im Naturzustand an sich selbst noch abgeht, und darum in der naturzuständlichen Erörterung des § 6 Abs. 8 auch noch keine Erwähnung finden kann, ist die ihn bestimmende Allgemeinheit und Absolutheit seiner sachenrechtlichen Rechtsform. Denn das Sachenrecht (§§ 11 – 17) ist begrifflich nicht schon vollständig identisch mit der Vorstellung eines subjektiven „Rechts in einer Sache“, sondern es begreift über dieser subjektiven Einzelbedeutung allgemein vielmehr überhaupt objektiv den „ I n b e g r i f f aller Gesetze, die das dingliche Mein und Dein betreffen“ (RL, AA VI: 261.15-17 – § 11 Abs. 3). Dieser Inbegriff von Gesetzen in Ansehung des dinglichen Mein und Dein ist aber nur in einer bürgerlichen Gesellschaft unter einer wirklichen äußeren Gesetzgebung wirklich möglich und mithin setzt ein jedes subjektives „Recht in einer Sache“ (d. h. auch am Boden) den wirklichen Allgemeinwillen einer wirklichen äußeren Gesetzgebung für sich selbst voraus. Deshalb ist die ursprüngliche Erwerbung eines bestimmten Bodens zu einem subjektiven Recht in dieser Sache im Naturzustand gedanklich nur im Hinblick auf den Staat, d. h. „provisorisch“ als rechtlich möglich (§§ 8, 9, 15) und § 11 Abs. 3 S. 2 (RL, AA VI: 261.17-25) wird diesen metaphysischen Sachverhalt in den weithin überlesenen Satz kleiden: „Es ist aber klar, daß ein Mensch, der auf Erden ganz allein wäre, eigentlich kein äußeres Ding als das Seine haben oder erwerben könnte: weil zwischen ihm als Person und allen anderen äußeren Dingen als Sachen es gar kein Verhältniß der Verbindlichkeit giebt. Es giebt also, eigentlich und buchstäblich verstanden, auch kein (directes) Recht in einer Sache, sondern nur dasjenige wird so genannt, was jemanden gegen eine Person zukommt, die mit allen Anderen (im bürgerlichen Zustande) im gemeinsamen Besitz ist.“

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erstmals innerhalb von § 6 den Begriff von einem allgemeinen „Grundsatz“ ein, der sich nach allen bisherigen Überlegungen durch eine praktische „Idee“ (§ 6 Abs. 6) als konkreter Rechtstitel in einen einzelnen synthetischen „Satz“ (§ 6 Abs. 4) a priori vermittelt und mithin insgesamt synthetisch im praktischen Rechtsdenken wirkt: „[…] der Satz: wohl dem, der im Besitz ist (beati possidentes)! […], ist ein Grundsatz des natürlichen Rechts, der die erste Besitznehmung als einen rechtlichen Grund zur Erwerbung aufstellt, auf den sich jeder erste Besitzer fußen kann“. Da nun innerhalb der Gedankenentwicklung der §§ 1 – 6 nur das Erlaubnisgesetz von § 2 Abs. 3 ganz allgemein die erste Inbesitznahme gewisser Gegenstände erlaubt, ist mit dem „Grundsatz des natürlichen Rechts“ eben dieses Erlaubnisgesetz angeknüpft, unter dem der konkrete Vernunftbegriff vom angeborenen Gemeinbesitz als konkreter „Rechtstitel“ der ersten Besitznehmung des Bodens fungiert: Dieses Erlaubnisgesetz berechtigt das einzelne Rechtssubjekt nämlich innerhalb des Naturzustandes dazu, anderen eine Verbindlichkeit aufzuerlegen, sich des Gebrauchs gewisser Gegenstände zu enthalten, weil sie das einzelne Rechtssubjekt zuerst in Besitz genommen hat (§ 2 Abs. 3). In dieser rechtsgesetzlich erlaubten interpersonalen Auferlegung einer Verbindlichkeit zur Gebrauchsenthaltung im Falle der Erstinbesitznahme des Bodens widersteht das einzelne Rechtssubjekt dann zugleich demjenigen Rechtssubjekt, das es im Privatgebrauch desselben hindern würde (§ 6 Abs. 4). Also vermittelt der in § 6 Abs. 4 mit dem einzelnen synthetischen Satz a priori von Bodenbesitz angeknüpfte konkrete Vernunftbegriff vom angeborenen Gemeinbesitz, und zwar über den in ihm vorausgesetzten reinen Allgemeinwillen in Ansehung des Weltbesitzes, die im praktischen Satz des Postulates von § 2 Abs. 1 bestimmend vorgestellte Allgemeinheit im konkreten Einzelfall der mit diesem Postulat gleichursprünglich allgemeingesetzlich erlaubten ersten Besitznehmung (§ 2 Abs. 3). In dieser vernunftbegrifflichen Vermittlung aber ist der Vernunftgedanke vom reinen Allgemeinwillen in Ansehung des Weltbesitzes – wie anlässlich § 6 Abs. 4 vorausblickend erwähnt – innerlich mit dem Postulat der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein (§ 2 Abs. 1) verbunden, womit auf den höchsten und allgemeinsten sowie dadurch insgesamt synthetisch wirkenden Vernunftbegriff im synthetischen Rechtssatz a priori übergeleitet ist. Denn § 6 Abs. 9 verdeutlicht die synthetische Vorstellungskraft (d. h. intelligible Wirkung) dieses im Erlaubnisgesetz schon realen Begriffs im vernünftigen Rechtsbewusstsein, bevor seine eigentliche Deduktion vermittelst des Postulats von § 2 Abs. 1 in § 6 Abs. 10 dann begreiflich werden kann. An dieser Stelle der – gewiss langwierigen – begrifflichen Anstrengung muss nun auch die ausdrückliche Feststellung erfolgen, dass der in § 6 Abs. 8 erwähnte „Grundsatz des natürlichen Rechts“ (= das Erlaubnisgesetz aus § 2 Abs. 3) weder mit dem in § 6 Abs. 3 erwähnten synthetischen Rechtssatz vom reinen Rechtsbesitz eines äußeren Gegenstandes a priori, noch mit dem Postulat der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein (§ 2 Abs. 1) gänzlich identisch ist, denn der

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einzelne synthetische Rechtssatz a priori ist nur vermittelst des Erlaubnisgesetzes als einem allgemeinen Grundsatz des natürlichen Rechts denkbar, und dieses Erlaubnisgesetz ist als allgemeiner Grundsatz der Art der Ausführung des Postulats der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein nur gleichursprünglich mit diesem unmittelbar gewiss. In dieser Zwischenstellung des Erlaubnisgesetzes (§ 2 Abs. 3), das die synthetische Wirkung des rechtlichen Postulats (§ 2 Abs. 1) vermittelst des konkreten Vernunftbegriffs vom angeborenen Gemeinbesitz des Erdbodens in den einzelnen synthetischen Rechtssatz a priori (§ 6 Abs. 3) vermittelt, kann der in § 6 Abs. 8 erwähnte „Grundsatz des natürlichen Rechts“ dann ganz gewiss kein „analytischer Rechtssatz“ im Sinne von § 6 Abs. 2 sein, wie Friedrich Tenbruck jedoch dafürhielt, als er im Jahr 1947 die für das gegenwärtige Kantverständnis noch immer fatale These zu begründen suchte, der in § 8 Abs. 9 hinsichtlich seiner Synthesis erörterte praktische „Grundsatz“ könne nicht der vermeintlich analytische „Grundsatz des natürlichen Rechts“ aus dem vorigen Absatz sein, sodass zwischen dem achten und neunten Absatz des § 6 ein in der Textfassung angelegter Bruch verlaufe, der beweise, dass es sich bei den Abs. 4 – 8 insgesamt um einen falschen Texteinschub handele.215 Also beruht die dann in der Folge insbesondere durch Bernd Ludwig noch enorm wirkmächtig gewordene These von einem falschen Texteinschub im Ursprung lediglich auf textlichem Unverständnis, und zwar infolge zuvor falsch hergestellter begrifflicher Bezüge zwischen dem achten und zweiten Absatz des § 6. Die Details hierzu gehören in eine kritische Anmerkung im Anschluss an die hier verfolgte einheitliche Interpretation von § 6. § 6 Abs. 9216

Nachdem im vorigen Absatz die synthetische Wirkung des Erlaubnisgesetzes der reinen praktischen Vernunft (§ 2 Abs. 3) als einem Grundsatz des natürlichen Rechts (§ 6 Abs. 8) bewusst geworden ist, ist diese synthetische Wirkung (Vorstellungskraft) des praktischen Grundsatzes im vernünftigen Rechtsdenken nunmehr weiter zu verdeutlichen, und zwar abermals durch gedankliche Absetzung von seinem Gegenteil, nämlich der synthetischen Wirkung von Verstandesgrundsätzen der reinen Vernunft im theoretischen Gebrauch: Die gedankliche Einheit eines reinen Verstandesbegriffs (z. B. der Substanz, der Kausalität, der Handlung oder des Besitzes) mit seinem Gegenstand in einer realen Naturerkenntnis bedarf im theoretischen Vernunftgebrauch der gedanklichen Vermittlung des reinen Begriffs mit einer durch die Sinnlichkeit des Verstandessubjekts empirisch gegebenen Gegenstandsvorstellung, denn nur vermittelst einer solchen gedanklichen Vermittlung korrespondiert dem abstrakten Begriff in einer Gegenstandserkenntnis auch wirklich eine konkrete empirisch gegebene Gegenstandsvorstellung. Die Möglichkeit dieser gedanklichen Vermittlung im theoretischen Vernunftgebrauch beruht dabei auf den synthetischen Verstandesgrundsätzen a priori 215

Tenbruck, ArchPhil 3 (1949), S. 216 (217 ff.). RL, AA VI: 251.37-252.10 (alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Absatz). 216

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(A 137 ff./B 176 ff.), durch die reine Verstandesbegriffe, nämlich vermittelst der transzendentalen Synthesis des Verstandes als produktiver Einbildungskraft, auf die Vorstellungseinheit der sinnlichen Anschauungsformen a priori bezogen werden. In diesem Sinne erinnert § 6 Abs. 9 in einem ersten Satzteil zunächst: „In einem t h e o r e t i s c h e n Grundsatze a priori müßte nämlich217 (zu Folge der Kritik der reinen Vernunft) dem gegebenen Begriff eine Anschauung a priori untergelegt, mithin etwas zu dem Begriffe vom Besitz des Gegenstandes h i n z u g e t h a n werden; […].“ In einem praktischen Grundsatz kann reine Vernunft mit einem reinen Verstandesbegriff – beispielsweise mit dem im ersten Satzteil thematisch zu Recht schon bemühten reinen Begriff des Besitzes (= Haben) – in dieser theoretischen Vorstellungsweise aber nicht verfahren, denn in der praktischen Vernunfterkenntnis ist es nicht um die Erkenntnis eines von der Vernunft bzw. vom Vernunftbegriff verschiedenen Gegenstandes zu tun. Vielmehr betrifft die praktische Erkenntnis die begriffliche Bestimmung des Willens, d. h. die bloß denkende Bestimmung der praktischen durch die reine Vernunft (in der Vernunfteinheit), sodass es auf eine anschaulich vermittelte Gegenstandsvorstellung darin nicht ankommt, weil nicht ein sinnlicher Gegenstand, sondern der Selbststand praktischer Vernunft in ihrem möglichen Gegenstandsbezug der (Selbst-)Vorstellungsgegenstand einer praktischen Erkenntnis ist. Dementsprechend muss im vernünftigen (Selbst-)Vorstellungsvermögen praktischer Vernunft von allen möglichen sinnlichen Vorstellungsbezügen abgesehen werden, um den reinen Verstandesbegriff, durch den alle praktische Bestimmung im Ausgang von praktischer Vernunft ursprünglich real möglich ist, in seiner praktischen Bestimmung rein zu denken.218 Der praktische Begriff ist 217 Das Wort „nämlich“ (RL, AA VI: 251.37) lässt sich bei der vorgegebenen Interpunktion und unter sachlicher Interpretation sinnvoll nur auf den achten Absatz beziehen. Denn dort alleine ist von einem praktischen Grundsatz die Rede, dem ein theoretischer Grundsatz, und zwar zum Zwecke der Verdeutlichung seiner Vorstellungsfunktion, entgegengesetzt werden könnte. Überdies handelt sowohl der praktische Grundsatz des achten als auch der des neunten Absatzes thematisch vom „Besitz“. – Wollte man die Abs. 4 – 8 mit einer vorherrschenden Verdrängungstendenz der Interpreten gegen ihren zu interpretierenden Text gleichwohl als falschen Texteinschub und daher für nichtig erachten, dann lässt sich der neunte Absatz wenigstens auch nicht sinnvoll an den dritten Absatz anschließen, denn dort ist von einem synthetischen „Satz“, nicht aber von einem „Grundsatz“ die Rede. Die alle praktische Begriffserkenntnis in der Folge verunmöglichende Identifizierung des im neunten Absatz angesprochenen „Grundsatzes“ mit dem im dritten Absatz angesprochenen „Satz“ ist aber die philologisch sowie sachlich unzutreffende Prämisse der Behauptung eines falschen Texteinschubes und/oder einer darauf basierenden These einer gedanklichen Lücke in § 6. Erstmals wurde dieser Zusammenhang wohl von Buchda, Das Privatrecht Immanuel Kants (1929), S. 36 verkannt, der ohne weitere Begründung einen Bezug auf Abs. 3 behauptete. Nicht anders erging es Tenbruck, ArchPhil 3 (1949), S. 216 (217), als er den Abs. 4 – 8 überhaupt jegliche Bedeutung absprechen wollte. 218 Nochmals: Dieses Absehen/Abstrahieren von besonderen Bestimmungen im Denken (d. h. unter Begriffen) ist logisch nichts anderes als ein abstrakter Begriffsgebrauch, der von niederen Begriffen in Ansehung ihrer höheren Begriffe gemacht wird (siehe Log, AA IX: 99 f. [§ 16]).

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dann ursprünglich kraft praktischer Vernunft in seiner spontanen Denkbestimmung ein Realbegriff, der mit seiner spontanen praktischen Bestimmung des in ihm realen Freiheitsbegriffs praktischer Vernunft schon objektive Realität an sich selbst a priori (vor aller Anschauung) hat. Diese objektive Realität muss aber für den jeweiligen reinen Verstandesbegriff und sein besonderes Vorstellungsverhältnis ursprünglich schon kraft praktischer Vernunft unmittelbar an sich selbst gewiss sein und eine solche unmittelbare praktische Gewissheit bildet nach den Überlegungen des vierten Kapitels einen praktischen Grundsatz, durch den alle darunter begrifflich vermittelbaren praktischen Vorstellungen mit der praktischen Notwendigkeit des Freiheitsbegriffs praktisch bestimmbar sind. Auf diese Weise ist beispielsweise im hier interessierenden Zusammenhang das Postulat des § 2 Abs. 1 mit dem reinen Begriff des Habens innerlich im Ursprung praktisch vernünftig verfasst, wobei dies auch für das damit gleichursprünglich als unmittelbar gewiss gesetzte Erlaubnisgesetz gilt, um das es in den Abs. 8 – 9 hinsichtlich seiner synthetischen Vorstellungskraft zu tun ist. Denn diese synthetische Vorstellungskraft beruht auf der abstrahierenden Vorstellungswirkung im Rechtsbewusstsein, die ein in diesem Grundsatz praktisch realer Vernunftbegriff ursprünglich ausübt, und zwar mit der Folge, dass der unter diesem Grundsatz vorgestellte einzelne Satz durch Abstraktion von seinen besonderen Vorstellungsmerkmalen unmittelbar mit der gänzlich abstrakten Vernunftvorstellung identifiziert und praktisch schon durch sie bestimmt gedacht werden kann. In diesem Sinne knüpft der zweite Satzteil von § 6 Abs. 9 an die abstrahierende Wirkung des Grundsatzes des natürlichen Rechts, d. h. des Erlaubnisgesetzes (§ 2 Abs. 3) an und verweist sodann auf die darin liegende Verknüpfung des Erlaubnisgesetzes mit dem rechtlichen Postulat von der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein (§ 2 Abs. 1): „[…] allein in diesem praktischen [Grundsatz] wird umgekehrt verfahren, und alle Bedingungen der Anschauung, welche den empirischen Besitz begründen, müssen w e g g e s c h a f f t (von ihnen abgesehen) werden, um den Begriff des Besitzes über den empirischen hinaus zu e r w e i t e r n und sagen zu können: ein jeder äußere Gegenstand der Willkür kann zu dem rechtlich Meinen gezählt werden, den ich (und auch nur so fern ich ihn) in meiner Gewalt habe, ohne im Besitz desselben zu sein.“219

219

Diese Erweiterung reiner praktischer Vernunft in die sinnlichen Vorstellungsverhältnisse der menschlichen Rechtssubjekte durch logische Abstraktion im praktischen Gebrauch reiner Vernunftbegriffe wäre nicht möglich, wenn nicht zugleich durch reine Verstandesbegriffe unter ihnen auch ein anschaulicher Vorstellungsbezug im Verhältnis zu objektiv realen Gegenständen möglich wäre. Andernfalls wäre reine praktische Vernunft in einem menschlichen und insofern endlichen Willenssubjekt äußerst unpraktisch vorgestellt. Der Begriff der praktischen Vernunft ist im menschlichen Vorstellungsvermögen also ursprünglich mit den sinnlichen Vorstellungsformen verbunden.

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cc) Die Deduktion der allgemeinen Vernunftbedingung im metaphysischen Anfangsgrundsatz Die synthetische (d. h. verbindende) Wirkung des mit dem Erlaubnisgesetz identischen praktischen Grundsatzes des natürlichen Rechts besteht mit ihrer Bestimmung zugleich in einer Abstraktion von allen zeitlichen Bedingungen unter reinen Rechtsbegriffen, die dem vernünftigen Rechtsbewusstsein in schlüssiger Subordination durch reine praktische Vernunft a priori in praktischen Grundsätzen gegeben sind, als z. B.: - Begriff des intelligiblen Besitzes - Begriff eines reinen Allgemeinwillens in Ansehung des Weltbesitzes - Begriff des angeborenen Gemeinbesitzes des Erdbodens aller Menschen - Begriff des ursprünglichen/ersten Bodenerwerbs - Begriff vom äußeren Mein und Dein überhaupt - Begriff des rechtlichen Bodenbesitzes

In der abstrahierenden und gleichursprünglich synthetisierenden Wirkung eines reinen praktischen (= realen) Vernunftbegriffs besteht seine objektive (= begriffliche) Realität im vernünftigen Rechtsbewusstsein. Dementsprechend muss der höchste praktische Vernunftbegriff einer Begriffsreihe220 seinen praktisch-notwendigen (= spontanen) Anfang in einem unmittelbar (= begrifflich nicht weiter vermittelt) gewissen Grundsatz reiner praktischer Vernunft (= der Freiheit) haben, darin er selbst bereits jederzeit objektiv real wirkt. Aber eben deshalb, nämlich weil der praktische Grundsatz in seiner unmittelbaren Vernunftgewissheit ohne diese stets schon praktisch-notwendig vorausgesetzte objektive Realität des höchsten Begriffs selbst nicht denkbar wäre, kann er durch diesen praktischen Grundsatz mit seiner begrifflichen Notwendigkeit praktisch erkannt werden.221 Der praktische Grundsatz verhält sich also als ratio cognoscendi (= Idealgrund) zum höchsten praktischen Begriff in ihm, während sich dieser höchste praktische Begriffe in ihm als ratio essendi (= Realgrund) zu ihm verhält. Ist die abstrahierende und dadurch synthetisierende Wirkung des Erlaubnisgesetzes der praktischen Vernunft (§ 2 Abs. 3) nunmehr analytisch auf ihren Begriff,

220

Zum logischen Begriff der „ R e i h e “ siehe Log, AA IX: 59. Die logische Abstraktion führt für sich dazu, dass der jeweilige Begriffsgegenstand unabhängig von sinnlichen Bedingungen, d. h. als frei im negativen Verstande des Begriffs, die praktische Bestimmung des obersten praktischen Begriffs an und für sich selbst aber führt dazu, dass der jeweilige Begriffsgegenstand auch im positiven Verstande des Begriffs als frei bestimmt vorgestellt wird, denn in allen begrifflich besonderen praktischen Grundsätzen unter dem „Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft“ (§ 7 KpV) ist der Vernunftbegriff der Freiheit praktisch bestimmend. 221

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

und zwar auf den Begriff des intelligiblen Besitzes reduziert,222 so steht dieser synthetische Begriff jetzt auch progressiv zur Deduktion vermittelst des rechtlichen Postulats der praktischen Vernunft (§ 2 Abs. 1) an, darin er aus der Bedingung seiner eigenen Möglichkeit als solcher praktisch-notwendig erkannt werden wird.223 § 6 Abs. 10224

§ 6 Abs. 9 hatte die Analyse des synthetischen Rechtssatzes a priori zuletzt auf den Begriff vom äußeren Mein und Dein mit seiner Realbedingung vom nichtempirischen (d. h. intelligiblen) Besitz geführt. In einer mit Blick auf seine objektive Realität geführten Deduktion dieses höchsten Gattungsbegriffs des Rechtsbesitzes ist dieser nun aus seiner eigenen Möglichkeit heraus, d. h. aus seinem Begriff und darum a priori zu erkennen.225 Dann aber darf sich diese Deduktion des Begriffs des intelligiblen Besitzes nicht in einer bloß logischen bzw. analytischen Begriffsableitung durch den Verstand und mithin in einer reinen Denkmöglichkeit des Begriffs erschöpfen.226 Vielmehr muss sie aus der unmittelbar gewissen objektiven Realität der praktischen Vernunft in Ansehung eines ihr möglichen Rechtsbesitzes selbst geführt werden und bedarf darum eines entsprechenden praktischen Grundsatzes der praktischen Vernunft für sich selbst, darin sich der zu deduzierende Begriff letztlich unmittelbar an sich selbst schon notwendig praktisch weiß. Nun ist es bekanntlich unmittelbar gewiss, dass praktischer Vernunft ein äußerer Rechtsbesitz rechtlich möglich ist (§ 2 Abs. 1) und folglich kann die Deduktion des höchsten Gattungs222

Anhand der vorstehenden Begriffsreihe, die mit § 6 Abs. 4 konkret angeknüpft wurde, ist beispielsweise auch ersichtlich, dass der Begriff des intelligiblen Besitzes oberste Realbedingung im Begriff des äußeren Mein und Dein ist (vgl. § 5 Abs. 1 S. 2). Noch nicht ersichtlich ist aus dieser bloßen Begriffsreihe bis hierhin, dass sich zwischen den Begriff des ursprünglichen/ersten Bodenerwerbs und den vom äußeren Mein und Dein noch der Vernunftbegriff der Gemeinschaft des Mein und Dein (= Staat bürgerlicher Gesellschaft) einschieben wird, und zwar in dem gedanklichen Moment, in dem ein äußeres Mein und Dein nicht nur abstrakt als realmöglich, sondern unter einem in äußeren Gesetzen bestehenden Allgemeinwillen als wirklich gedacht werden können soll. Der ursprüngliche Erwerb des Bodens ist dann gemäß § 15 Abs. 3 nur im Hinblick (pro-visio) auf Zustand bürgerlicher Gesellschaft im Staat mit der Rechtsfolge eines rechtlich wirklich bestimmten Bodenbesitzes denkmöglich, weil dieser Zustand die gedankliche Bedingung der möglichen Wirklichkeit allen äußeren Rechts und Besitzes ist. 223 Verhält es sich methodologisch auf diese Art und Weise, dann besteht die Deduktion des Begriffs des intelligiblen Besitzes selbst nicht bereits in der in § 6 Abs. 9 vorgetragenen Lehre der Abstraktion von allen sinnlichen Bedingungen durch eben diesen Begriff, wie dies aber beispielsweise Kaulbach, in: ders.: Studien zur späten Rechtsphilosophie Kants und ihrer transzendentalen Methode (1982), S. 9 (29 f.) unter methodologischer Gleichsetzung der Deduktion des § 6 mit den Deduktionen des zweiten Hauptstücks unterstellt. 224 RL, AA VI: 252.11-30 (alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Absatz). 225 Die Deduktion des Begriffs des intelligiblen Besitzes betrifft also seine objektive Realität, nicht bloß die objektive Realität seines Gegenstandes, wie Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 73, 120 hingegen in seiner metaphysisch verkürzenden Auffassung dafürhält. 226 Vgl. zu dieser bloß logischen Art der Deduktion („deductio“) Log, AA IX: 114 (§ 42).

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begriffs allen Rechtsbesitzes nur aus dieser unmittelbaren Vernunftgewissheit geführt werden, die dann zum metaphysischen Anfangsgrundsatz in einer synthetischen Begriffserkenntnis a priori dient.227 Eben dies stellt darum auch § 6 Abs. 10 S. 1 im ersten Satzteil fest: „Die Möglichkeit eines solchen Besitzes, mithin die Deduction des Begriffs eines nicht=empirischen Besitzes gründet sich auf dem rechtlichen Postulat der praktischen Vernunft: ”daß es Rechtspflicht sei, gegen Andere so zu handeln, daß das Äußere (Brauchbare) auch das Seine von irgend jemanden werden könne”, […].“ – Dabei beruht die im Postulat von der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein (§ 2 Abs. 1) vorausgesetzte Rechtspflicht (und damit die darin liegende praktische Notwendigkeit) innerlich ursprünglich auf der rechtsgesetzlichen Form der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein, die sich im Erlaubnisgesetz des Postulats (§ 2 Abs. 3) zum Ausdruck bringt, wenn darin die äußere Verpflichtungsmöglichkeit in Ansehung der ersten Besitznahme des Bodens beschlossen liegt, die sich gleichursprünglich als subjektives Widerstandsrecht gegenüber demjenigen vorstellt, der den Privatgebrauch des Erstbesitzes (durch eine Zweitinbesitznahme) verhindern würde (§ 6 Abs. 4). Denn diese zweite Inbesitznahme könnte – im Gegensatz zur ersten Besitznehmung – gemäß § B Abs. 3 nicht mit der freien Willkür aller nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit bestehen. Insofern muss unter diesem allgemeinen Begriff des Rechts von § B Abs. 3 im Postulat des § 2 eine Rechtspflicht zur Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein gedacht werden,228 die wohlgemerkt nicht mit einer praktisch-notwendigen – proaktiven – Rechtspflicht des einzelnen Rechtssubjekts zur Schaffung von Verhältnissen des äußeren Mein und Dein oder gar bloß des Eigentums verwechselt werden darf.229 Der im Postulat angeknüpfte Begriff des äußeren Mein und Dein ist nun aber nicht an und für sich selbst schon identisch mit dem zu deduzierenden Begriff des intelligiblen Besitzes und darum bedarf es in § 6 Abs. 10 S. 1 einer weiteren Überlegung, wie der Begriff vom intelligiblen Besitz mit dem Postulat von der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein verknüpft und folglich ebenfalls schon im Postulat gesetzt ist. Nun hatte die Exposition des Begriffs vom äußeren Mein und Dein (§ 4) erwiesen, dass der Begriff des intelligiblen Besitzes praktisch-notwendige Realbedingung im Begriff vom äußeren Mein und Dein ist (§ 5 Abs. 1 S. 2) und folglich ist der Begriff des intelligiblen Besitzes als Realbedingung der rechtlichen 227 Siehe zu dieser Methode philosophischer Vernunfterkenntnis abstrakt oben im dritten Kapitel. 228 Diese praktisch-notwendige Rechtspflicht wird also nicht außerhalb, sondern alleine innerhalb der Sphäre des allgemeinen Rechtsgesetzes (§ C Abs. 4) im Postulat der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein (§ 2) vorausgesetzt, sodass in dieser Voraussetzungsart auch kein unzulässiger Schluss aus einer bloßen Möglichkeit auf eine rechtliche Notwendigkeit liegt. Vgl. zu dieser wichtigen Differenz schon oben in Auseinandersetzung von § 2 Abs. 3 und dortige Fn. 87. 229 Siehe dafür besonders oben Fn. 41.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein im rechtlichen Postulat gesetzt. Eben deshalb führt der zweite den ersten und das Postulat als Deduktionsgrund anknüpfenden Halbsatz von § 6 Abs. 10 S. 1 in diesem Sinne fort: „[…] zugleich mit der Exposition des letzteren Begriffs, welcher das äußere Seine nur auf einen n i c h t = p h y s i s c h e n Besitz gründet, verbunden.“ Ist der Begriff des intelligiblen Besitzes als Realbedingung der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein somit im rechtlichen Postulat gesetzt, dann ist er in der unmittelbaren Vernunftgewissheit dieses Postulats bereits jederzeit praktisch-notwendig real. In diesem Sinne dient das Postulat als metaphysischer Erkenntnisgrund (= Idealgrund) des praktisch realen Begriffs vom intelligiblen Besitz und dieser seinerseits wiederum als Seinsgrund (= Realgrund) des Postulats. Also kann die reale Möglichkeit eines intelligiblen Besitzes, d. h. sein Begriff nur im Verhältnis zum metaphysischen Anfangsgrundsatz von der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein (§ 2), jedoch „keinesweges für sich selbst bewiesen oder eingesehen werden […], sondern ist eine unmittelbare Folge aus dem gedachten Postulat. Denn wenn es nothwendig ist, nach jenem Rechtsgrundsatz zu handeln, so muß auch die intelligibele Bedingung (eines bloß rechtlichen Besitzes) möglich sein.“230 Die erkenntnispraktische Relation des metaphysischen Grundsatzes der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein zum Begriff des intelligiblen Besitzes (§ 6 RL) verhält sich unter methodologischem bzw. strukturellem Gesichtspunkt ebenso, wie sich auch das Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft in der erkenntnispraktischen Relation zum Begriff der Freiheit (§ 7 KpV) verhält. Denn beide Begriffe, die innerlich auf einem reinen Verstandesbegriff im praktischen Vernunftbezug beruhen, nämlich auf den Begriffen der Kausalität bzw. des Habens, müssen als praktische Realbegriffe aus einer unmittelbaren praktischen Vernunftgewissheit heraus in ihrem praktischen Gebrauch gerechtfertigt werden, die im Falle des Freiheitsbegriffs in der spontanen Selbstvorstellungstätigkeit des grundgesetzlichen Bestimmungsgrundes eines an sich selbst tätigen freien Willens besteht und dort darum mit dem zurechnungstheoretischen Begriff vom „Factum der Vernunft“ erläutert werden kann. – Auf diesen Unterschied praktischer Grundsätze im Gegensatz zu theoretischen Grundsätzen des Besitzbegriffes (= Haben) deutet zuletzt auch nochmals § 6 Abs. 10 S. 4, denn wie der praktische Besitzbegriff kann auch der praktische Begriff der Freiheit nicht für sich selbst bewiesen oder gar theoretisch deduziert werden.

230 Wie diese methodologische Vorstellung der Deduktion beispielsweise mit der Vorstellung Wolfgang Kersting, Kant über Recht (2004), S. 63 von ihr übereinstimmt, kann hier nicht weiter untersucht werden: „Um den Begriff des intelligiblen Besitzes zu rechtfertigen, zu deduzieren, inszeniert Kant einen eigentumstheoretischen Thesenwettstreit, der zu einer Kommunismuswiderlegung und Bestätigung der besitzidealistischen These des Verfechters des Privateigentums an äußeren Sachen führt.“

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Nun liegt, worauf im ersten Kapitel hingewiesen wurde, der mit dem Begriff vom „Factum der Vernunft“ erläuterte Grundgedanke praktischer Freiheit, und zwar im positiven Verstande des reinen Begriffs einer Kausalität, durch eine nicht unempfindliche Begriffsverkürzung seiner Interpreten, die praktische Freiheit entgegen der begrifflich wohlüberlegten Vorstellung Immanuel Kants (§ 7 KpV) in einer „Faktizität von Vernunft“ begründet wissen wollen, jedenfalls nach hiesiger Auffassung methodologisch wohl weithin noch in der Sphäre des Unbewussten.231 Nicht anders kann es sich dann mit dem Grundgedanken der Deduktion des Begriffs des rein rechtlichen Besitzes (§ 6 RL) verhalten, denn diese Deduktion beruht methodologisch ebenfalls auf der Methode philosophischer Vernunfterkenntnis, die in einer synthetischen Erkenntnis aus reinen Begriffen a priori unter (praktischen) Grundsätzen einer sich selbst unmittelbar in Realbegriffen gewissen Vernunft besteht. In Kenntnis dieser philosophischen Methode Immanuel Kants dürfen dann auch die Abs. 4 – 8 des § 6 nicht mit Recht als ein vermeintlich falscher Texteinschub aus dem gedanklichen Gesamtgefüge einer vernunftbegrifflichen Erkenntnis einfach herausgenommen werden; ganz zu schweigen von einer editorischen Versetzung des als metaphysischer Anfangsgrundsatz in der Begriffserkenntnis des § 6 fungierenden Postulats von § 2. Mit der Skizze dieser aus hiesiger Warte in einigen Hinsichten eher als misslich zu bezeichnenden Großlage des vorherrschenden Kantverständnisses verwundert sich dann auch niemand ernstlich, wenn führende Kantinterpreten in Ansehung von § 6 ihr aufrichtiges Unverständnis offen zum Ausdruck bringen: So hat beispielsweise Hans Friedrich Fulda232 in seiner Interpretation von verbliebenen Teilen des § 6, darin er gleichwohl die von Kant „am sorgfältigsten ausgeführte“ Deduktion der Rechtslehre erblickt, offen zu Protokoll gegeben, er müsse Immanuel Kant in § 6 Abs. 10 S. 1 mit dem darin im zweiten Halbsatz enthaltenen Verweis auf die Exposition des Begriffs vom äußeren Mein und Dein „Unsinn“ unterstellen, wollte er ihn hier ernstlich beim Wort nehmen.233 Ganz im Gegensatz dazu bietet Wolfgang Kersting, der sich auf den methodologisch verkürzten Standpunkt stellt, die „Gültigkeit des Begriffs des intelligiblen Besitzes“ könne „nur logisch erschlossen werden“, die Deduktion des § 6 dann überhaupt gar „nichts Neues“, weil sie in seinem logisch reduzierten und den zweiten Halbsatz von § 6 Abs. 10 S. 1 offenbar ausblendenden Verständnis auch „nur die Voraussetzung des Vernunftpostulats explizit macht“.234 Mit diesen reduktionistischen Einseitigkeiten im Textverständnis wird man einer synthetischen Begriffserkenntnis a priori sowie ihrer synthetischen Methode der 231 Vgl. weiterführend zu dieser These das erste Kapitel und die dort in Fn. 1 genannte Studie. 232 Siehe Fn. 26 im dritten Kapitel. 233 Fulda, JRE 5 (1997), S. 103 (113 ff.). 234 Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 198.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Begriffsverknüpfung und -entwicklung unter einem praktischen Grundsatz – wie sie vorstehend nachgezeichnet wurde – jedoch nicht eigentlich gerecht. Allerdings entzieht sich einer solchen begrifflich scheinbar kleinkarierten Kritik beispielsweise Rainer Friedrich von vornherein, wenn er richtig mit seiner Annahme liegen sollte, dass die ganze kritische Rechtslehre von Immanuel Kant nur begriffsanalytisch hergeleitet wird, und der Deduktion des synthetischen Vernunftbegriffs des Besitzes in § 6 wohl auch daher „schon an äußerlichen Merkmalen“ anzusehen ist, „dass Kant mit diesen Fragestellungen im Rahmen seiner Besitzlehre nicht zu Rande gekommen ist“, schlechterdings weil dann auch klar sein dürfte, „daß es gar keiner spezifischen Methode bedarf, um die Deduktion zu leisten“.235 Durch die im Vorstehenden vorgelegte Interpretation der in den zehn Absätzen des § 6 von Immanuel Kant geleisteten synthetischen Begriffserkenntnis a priori drängt sich hier allerdings eine ganz andere Vermutung auf. Es könnte sich nämlich doch auch ganz einfach so verhalten, dass in den weithin abschätzig ausfallenden Urteilen über die philosophische Qualität der Deduktion des § 6 vielmehr nur ein in den Interpretationen zu verortender Mangel an methodologischem Bewusstsein erscheint. Hans Friedrich Fulda hat jedenfalls – wie nochmals zu erinnern ist – schon vor einiger Zeit und wohl nicht vollkommen zu Unrecht darauf hingewiesen, dass unter den Interpreten, worunter er auch sich selbst versteht, weitgehend unklar ist, worin die – hier in § 6 für ein angemessenes Verstehen des ganzen Paragraphen maßgebliche – philosophische Methode synthetischer Begriffserkenntnis a priori besteht.236 In der einheitlich möglichen Interpretation der zehn Absätze der Deduktion des Begriffs des intelligiblen Besitzes zeigt sich nach hier vertretener Auffassung also der erkenntnisreiche Ertrag der eingangs im dritten Kapitel betriebenen methodologischen Zurüstungen. Trifft diese Gesamteinschätzung zu, würde sich in der Vielzahl der sich unisono an § 6 brechenden Stimmen der rechtsphilosophischen Kantliteratur237 dann allerdings lediglich eine methodologische Selbstüberschätzung manifestieren, sodass die landläufig anzutreffende Unzufriedenheit mit dieser Deduktion als Symptom eines im Grundlegenden anzusiedelnden Rezeptionsmangels angesehen werden müsste. Setzt man diese scheinbar gewagte These der realen Möglichkeit eines schwerwiegenden Rezeptionsmangels also nur einmal für ein kritisches Moment gedanklich voraus, was in etwa so viel bedeutet, wie den von Immanuel Kant zeitlebens in mehreren Auflagen in § 6 publizierten Gedanken für ein möglicherweise verwegenes Interpretationsmoment nicht als völlig verfehlt anzusehen, so erscheint auch die dato unangefochtene Behauptung eines falschen Texteinschubes im richtigen Text in einem zweifelhafteren Licht. Die im Einheitsgrau begrifflicher Unterschiedslosigkeit gewiss unbezwei235

Friedrich, Eigentum und Staatsbegründung (2004), S. 100 ff., 118 ff. Siehe Fn. 26 im dritten Kapitel. 237 Vgl. für solche Urteile ferner etwa auch Deggau, Die Aporien der Rechtslehre Kants (1983), S. 137 f.; Kühl, Eigentumsordnung als Freiheitsordnung (1984), S. 152; Kühnemund, Eigentum und Freiheit (2008), S. 77; Langer, Reform nach Prinzipien (1986), S. 146 Fn. 20, S. 147. 236

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felbare These von einem falschen Text im richtigen ist darum im Folgenden nach ihren Ursachen und Folgen einmal kritisch zu beleuchten: b) Kritische Anmerkung zur Behandlung eines Text- und Verständnisproblems Versucht man den in zehn Absätzen vorgetragenen Gedanken der Deduktion des im Postulat der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein bereits objektiv realen Begriffs des intelligiblen Besitzes (§ 6) einheitlich zu verstehen, dann zeigt sich, dass diese objektive Realität des Begriffs methodologisch zunächst im Einzelfall eines realen synthetischen Satzes a priori erweislich sein muss (§ 6 Abs. 4), bevor sie sodann gedanklich sukzessiv (§ 6 Abs. 4 – 9) auf den auf den allgemeinen Grundsatz praktischer Vernunft reduziert werden kann, darin der Begriff ursprünglich mit einer abstrahierenden Synthesisleistung im vernünftigen Rechtsbewusstsein stets schon objektiv real ist (§ 6 Abs. 10). „Satz“ und „Grundsatz“ sind also nur infolge der objektiven Realität des Vernunftbegriffs vom Besitz innerlich, und zwar durch konkrete begriffliche Vermittlungen, konkret miteinander verknüpft. Diese konkrete begriffliche Verbindung von Satz und Grundsatz, die im Übrigen ohne die Abs. 4 – 8 in der Deduktion des Begriffs mit den darin erläuterten konkret vermittelnden Begriffen nicht nachvollziehbar ist, setzt als abstrakte Einheit innerlich aber ihre Unterscheidung in sich selbst voraus, sodass es einen begrifflich nicht unerheblichen Unterschied macht, wenn § 6 Abs. 3 von einem synthetischen Satz spricht und die Abs. 8 – 10 in § 6 von einem praktischen Grundsatz (bzw. Postulat) handeln. Der hier in § 6 Abs. 8 – 10 angesprochene Grundsatz (bzw. das Postulat) kann deshalb weder als synthetischer Satz im Sinne von § 6 Abs. 3, noch als analytischer Satz im Sinne von § 6 Abs. 2 aufgefasst werden. Allerdings wird dieser Umstand in der rechtsphilosophischen Kantliteratur seit nunmehr beinahe hundert Jahren, nämlich mindestens seit 1929 und mit nicht ganz unerheblichen Folgen, wohl durchgängig verkannt: Denn im Jahre 1929 fühlte sich mit Gerhard Buchda erstmals ein Interpret der Rechtslehre öffentlich in seinem subjektiven Verständnis der dort zu leistenden Deduktion durch die Abs. 4 – 8 gestört und stellte daher die auf die Behauptung einer völligen gedanklichen Zusammenhanglosigkeit gestützte These auf, diese Absätze gehörten gar nicht in den Text des § 6, sondern an den Schluss von § 9.238 Indem er dabei das im neunten Absatz vorkommende Wort „nämlich“ in seinem Verständnis auf den dritten Absatz von § 6 bezog, behauptete er implizit dann auch die Identität von Grundsatz und Satz im neunten bzw. dritten Absatz. Methodologische Erwägungen zur Deduktion des Begriffs oder Überlegungen zu der mit Abs. 6 einsetzenden Einrückung des Textes finden sich bei Gerhard Buchda dagegen nicht. 238 Buchda, Das Privatrecht Immanuel Kants (1929), S. 36 f.: „Ganz unvermittelt und störend schieben sich also die fünf Abschnitte dazwischen, sodaß sie dort nicht am rechten Platze sein können.“

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Offenbar in Unkenntnis dieser Behauptung Buchdas erneuerte der Schüler des Marburger Philosophen Julius Ebbinghaus‘ Friedrich Tenbruck im Jahre 1949 in einem fünfseitigen Aufsatz die wohl auch bei ihm auf subjektiven Verständnisschwierigkeiten beruhende These eines falschen Texteinschubes, denn § 6 vereinige „einige Absätze von disparatem Inhalt mittels verblüffender Übergänge […], ohne daß es dem Leser gelingen wollte, diese Teile zum Ganzen eines Arguments zusammenzubinden“239. Insbesondere erschienen Tenbruck mit seinem subjektiven Vorverständnis die Übergänge zwischen dem dritten und vierten sowie zwischen dem achten und neunten Absatz als „sinnlos“.240 Da Tenbruck den im achten Absatz angesprochenen „Grundsatz des natürlichen Rechts“ nun irrig für einen analytischen Rechtssatz a priori im Sinne des zweiten Absatzes erachtete, hielt er überdies auch den hier in dieser Arbeit gemachten „Versuch“, die textmäßig aus seiner Sicht „nicht gegebene Verbindung der Absätze 8 und 9 durch sachliche Interpretation herstellen zu wollen, [für] ganz widersinnig“.241 Der in den fraglich gewordenen Absätzen behandelte Gedanke der ursprünglichen Erwerbung des Bodens gehöre als ein „Fremdkörper“ vielmehr und „außer allen Zweifel“ gar nicht in das erste Hauptstück der Privatrechtslehre, sodass der neunte Absatz „ohne Bruch“ an den dritten Absatz anzuschließen und ohne Einrückung als Haupttext zu lesen sei, denn der neunte Absatz knüpfe „durch seinen Inhalt unmittelbar an das Problem der Deduktion eines praktischen Grundsatzes a priori an“.242 Doch dieser so begründeten These eines bruchlosen Zusammenhangs zwischen dem dritten und dem neunten Absatz von § 6 steht zunächst schon die leicht überprüfbare Tatsache entgegen, dass in § 6 ausweislich seiner Überschrift nicht ein praktischer Grundsatz, sondern ein praktischer Begriff deduziert werden soll. Friedrich Tenbruck identifizierte demnach in seinem Textverständnis nicht nur den Grundsatz des achten Absatzes irrig als Satz im Sinne des zweiten Absatzes, sondern überdies auch den Grundsatz des neunten Absatzes als den zu deduzierenden Begriff im zehnten Absatz. Der bruchlose Zusammenhang in seinem subjektiven Verständnis, das zwischen einem Satz, einem Grundsatz und einem Begriff, noch dazu in Metaphysik, d. h. in einem System praktischer Erkenntnis aus bloßen Begriffen, offenbar keinen auch nur bedenkenswerten Unterschied zu kennen scheint, ist also lediglich um den Preis mehrerer philologischer Ungereimtheiten erkauft. Möglicherweise hat Tenbruck seinen Fauxpas wenig später selbst bemerkt, denn so wäre es erklärlich, dass er die in einer Ankündigung sich vorbehaltene „Erörterung der sachlichen Konsequenzen dieser Konjektur“243 diskret nicht mehr hat öffentlich erscheinen lassen.

239 240 241 242 243

Tenbruck, ArchPhil 3 (1949), S. 216 ff. Siehe dazu schon oben Fn. 197. Tenbruck, ArchPhil 3 (1949), S. 216 (217). Tenbruck, ArchPhil 3 (1949), S. 216 (217 ff.). Tenbruck, ArchPhil 3 (1949), S. 216 (220).

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Dieser missliche Umstand, nämlich das Fehlen jeglicher – philologisch und/oder philosophisch – stichhaltiger Begründung für die These eines falschen Texteinschubes, ist in der sich hieran in der Folge sukzessive anschließenden Erörterung des Text- bzw. Verständnisproblems dann offenbar nicht mehr bemerkt worden: Zunächst erklärte Gerhard Lehmann244, wohl in Unkenntnis der Arbeit Gerhard Buchdas, im Hinblick auf die Behauptung Friedrich Tenbrucks seine uneingeschränkte Zustimmung. Sodann leistete auch Reinhard Brandt245 seinen Beifall zu dieser These eines falschen Texteinschubes, äußerte aber zugleich auch die Vermutung einer „Lücke“, da sich der neunte Absatz – entgegen der Auffassung Tenbrucks – vermittelst des dortigen Wortes „nämlich“ nur schlecht unmittelbar an den dritten Abschnitt anschließen lasse; der falsche Texteinschub gehöre dagegen wohl an das Ende des § 14. Im Gegensatz dazu schloss sich wenig später nochmals Thomas Mautner246 der Behauptung eines bruchlosen Zusammenhangs nach Entfernung des falschen Texteinschubes an und plädierte dafür, diesen gar nicht als zur Druckschrift gehörig anzusehen. Nach diesem eher unkritischen Zwischenspiel nahm sich mit Bernd Ludwig ein Schüler des Marburger Philosophen Reinhard Brandt den aufgeworfenen Fragen grundsätzlich an und vereinigte die beiden vorgenannten Positionen, indem er unter Aufbietung aller ihm eignenden philologischen Handwerkskunst247 einesteils eine anderweitig zu füllende Lücke (Brandt) und anderenteils zugleich die gänzliche Bedeutungslosigkeit des zwischenzeitlich allgemein verdächtig gewordenen Texteinschubes (Mautner) annahm.248 Insbesondere auf Basis dieses nach Ludwigs subjektiven Dafürhalten „schwersten Defekt[s] seiner [d. h. Kants] Schrift“ in § 6,249 sah sich dieser zu einer umfassenden und nach seinem eigenem Selbstverständnis sogar überwiegend philologisch motivierten Neuedition der Rechtslehre Immanuel Kants veranlasst. Diese Edition, die bekanntlich mit nicht ganz unerheblichen Texteingriffen einhergeht, hätte nunmehr eigentlich jedes wache kritische Auge auf sich ziehen müssen, wenn sie mit einer schon für sich selbst nicht unproblematischen Interpretations- bzw. Editionsmaxime250 den kaum geringen Anspruch für sich erhebt, den „wiederhergestellten“ und ursprünglich „von Kant zum Druck vorgese244 Lehmann, in: ders.: Beiträge zur Geschichte und Interpretation der Philosophie Kants (1969), S. 195 (204). 245 Brandt, Eigentumstheorien von Grotius bis Kant (1974), S. 185, 207 Fn. 20, 217 Fn. 46, ebenfalls in Unkenntnis Buchdas. 246 Mautner, KS 72 (1981), S. 356 ff. 247 Ludwig, ARSP 82 (1996), S. 250 spricht von „Textreparaturen“. 248 Erstmals Ludwig, in: Brandt (Hrsg.): Rechtsphilosophie der Aufklärung (1982), S. 218 ff. 249 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 32 Fn. 71; einige Jahre später ruderte Ludwig, ARSP 82 (1996), S. 250 von dieser Einschätzung wieder zurück und behauptete nunmehr, der einschlägigen Textstelle mitsamt ihrer Revision käme keine herausragende Bedeutung für das Verständnis der Rechtslehre zu. 250 Siehe dazu oben Fn. 132 im dritten Kapitel.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

henen“ Text gleichsam posthum erst zu liefern.251 Die von Bernd Ludwig in diesem Rahmen hergestellten begrifflichen Bezüge in der revidierten Edition der Kantischen Rechtslehre verdienen also eine kritische Betrachtung, zumal sie auf einem Verständnis der §§ 1 ff. beruhen, das sich – jedenfalls aus der hier vertreten Begriffswarte – bereits an mehreren Stellen als ein den metaphysischen Gehalt des Kantischen Rechtsdenkens empfindlich verkürzendes Missverständnis vorstellig gemacht hat.252 Innerhalb dieser kritischen Betrachtung ist dann zunächst festzustellen, dass Ludwig der von Tenbruck vertretenen These eines falschen Texteinschubs ohne nochmalige eigenständige Überprüfung „umstandslos“ seine Zustimmung erteilte,253 sodass er mit dieser Zustimmung natürlich auch die von ihm unbemerkt gebliebenen philologischen Probleme erbte. Mit dieser philologisch hoch belasteten Hypothek plädierte Ludwig für eine vollständige Tilgung des vermeintlich falschen Texteinschubes aus der Rechtslehre und bemerkte gegen Tenbruck sowie in Übereinstimmung mit Brandt zutreffend, allerdings objektiv wenig überraschend, dass sich der neunte Absatz nach der Tilgung nicht ohne weiteres „zufriedenstellend“ mit dem dritten Absatz vertrage.254 Tenbruck kreidete er dann auch mit Recht – wie schon gesehen – die Verwechslung der in der Überschrift des § 6 angekündigten Deduktion des „Begriffs“ des intelligiblen Besitzes mit der von diesem bloß subjektiv vermeinten Deduktion eines praktischen „Grundsatzes“ an, von der im dritten Absatz des § 6 vermeintlich die Rede sei.255 Im Rahmen dieser seiner philologisch berechtigten Kritik bemerkte Ludwig selbst jedoch nicht, dass im dritten Absatz überhaupt nur die Rede von einem „Satz“ und nicht auch von einem „Grundsatz“ ist, sodass er sich in der Folge mit seiner noch immer nicht unbelasteten Erbschaft von der im dritten Absatz philologisch nicht gegebenen Identität von Satz und Grundsatz überredete. Auf diese Weise verfiel er auf die fatale Annahme, die für § 6 insgesamt angekündigte Deduktion des Begriffs eines intelligiblen Besitzes solle gemäß dem dritten Absatz vermittelst des dort vermeintlich angekündigten synthetischen „Satzes“ geleistet werden und dieser sei gemäß Abs. 10 das dort zitierte rechtliche „Postulat“ der praktischen Vernunft.256 Da nun aber das in § 6 Abs. 10 praktisch gebrauchte Postulat selbst in § 6 nirgendwo begründet werde, obwohl es gemäß dem dritten Absatz die vermeintliche Aufgabe für die praktische Vernunft sei, zu zeigen, wie dieser synthetische „Satz“ möglich sei, müsse die sich infolge der Tilgung zwischen den Abs. 3 und 9 ergebende Lücke durch Versetzung des rechtlichen Postulats des § 2 nach § 6 geschlossen werden.257 Die dadurch von Ludwig subjektiv 251

Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 6, 44 ff. Vgl. oben Fn. 21, 24, 37, 41, 43, 51, 53, 54, 56, 58, 84, 92, 110, 151. 253 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 60. 254 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 60. 255 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 61 Fn. 21. 256 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 62 Fn. 24. – Siehe zur Kritik an dieser Auffassung schon oben Fn. 167. 257 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 60 ff. 252

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gesuchte und zufällig auch objektiv eintretende sprachliche Anschlussfähigkeit zwischen § 2 Abs. 3 und § 6 Abs. 9 „nötige[]“ philologisch zu diesem Schritt.258 Es sei daher „unabweisbar“, dass das rechtliche Postulat „zum Zeitpunkt der Anfertigung (d. i. des Aufschreibens) des Manuskripts“ seinen „Platz in § 6 gehabt“ habe.259 Doch diese vermeintliche philologische Unabweisbarkeit der vermeintlich wahren Positionierung des rechtlichen Postulats der praktischen Vernunft von § 2 in § 6 beruht – wie bemerkt – auf der philologisch objektiv nicht gegebenen, von Bernd Ludwig im Anschluss an Friedrich Tenbruck subjektiv jedoch behaupteten Identität von Satz und Grundsatz in § 6 Abs. 3.260 Insofern genügt die philologisch motivierte Revision Bernd Ludwigs schon ihren eigenen Ansprüchen nicht und vermag es darum natürlich auch nicht, die von Kant eigentlich vorgesehene Textfassung zu liefern, denn diese liegt dem Publikum seit 1797 bereits vor. In dieser originalen Fassung der metaphysischen Anfangsgründe bedarf das praktische Postulat in § 2 im Übrigen dann auch keines Beweises oder einer Begründung, denn ein Postulat enthält ausweislich seines logischen Begriffs einen schon unmittelbar gewissen praktischen Satz, der dann als metaphysischer Anfangsgrundsatz in einer zu deduzierenden synthetischen Begriffserkenntnis a priori fungiert. Es ist daher auch unter dem Gesichtspunkt philosophischer Methode die Annahme Bernd Ludwigs verfehlt, das Postulat von § 2 werde in § 6 Abs. 3 zur weiteren Begründung ausgeschrieben. Das rechtliche Postulat der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein ist also in § 2 schon sehr gewiss an seinem rechten Ort. In Bernd Ludwigs Beweisanspruchsdenken hinsichtlich unmittelbarer Vernunftgewissheiten offenbart sich vielmehr ein Mangel an methodologischem Bewusstsein im Hinblick auf die in einer Metaphysik des Rechts zu leistende praktische Begriffserkenntnis, der sich sprachlich sowie auch sachlich in der permanenten Gleichsetzung bzw. Verwechslung von Begriff und Gegenstand in dieser praktischen Erkenntnis zum Ausdruck bringt, beispielsweise dann, wenn der Gegenstand der Deduktion des Begriffs des intelligiblen Besitzes in § 6 mit einer Deduktion des intelligiblen Besitzes selbst und nicht mit dem bloßen Begriff identifiziert wird.261 Eben dadurch aber beraubt man sich gedanklich der metaphysischen Begriffsebene, um die es in Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre zu tun ist und so ist ein empirisches Unterverständnis dieses kritischen Werkes die zwangsläufig eintretende Folge, weil entweder die 258

Fn. 4). 259

Ludwig, in: Brandt (Hrsg.): Rechtsphilosophie der Aufklärung (1982), S. 218 (221

Ludwig, in: Brandt (Hrsg.): Rechtsphilosophie der Aufklärung (1982), S. 218 (221). Diese Kritik trifft beispielsweise auch Hartmann, in: Brandt/Stark (Hrsg.): Autographen, Dokumente und Berichte (1994), S. 109 (113 ff.), die zwar die Kritik Tuschlings, in: Oberer/Seel (Hrsg.): Kant: Analysen – Probleme – Kritik (1988), S. 273 ff. an Ludwig für berechtigt hält, gleichwohl aber aus anderen Gründen für die von Ludwig vorgeschlagene Versetzung des § 2 nach § 6 plädiert. Die sich hierauf beziehende und für Außenstehende kaum noch nachvollziehbare Auseinandersetzung zwischen Saito, ARSP 82 (1996), S. 238 ff. (sowie 259 ff.) einerseits und Ludwig, ARSP 82 (1996), S. 250 ff. andererseits bemerkt die bestehende Differenz von „Satz“ und „Grundsatz“ ebenfalls nicht. 261 Oben Fn. 151. 260

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Gegenstände für Begriffe selbst oder aber noch vielmehr die Begriffe für Gegenstände genommen werden müssen.262 Mit dieser Herangehensweise „repariert“ man dann den Text der Kantischen Rechtslehre allerdings nicht etwa, sondern ruiniert ihn in seinem metaphysischen Anspruch schlechterdings gründlich. Man kann die von Bernd Ludwig vorgenommene Textversetzung darum gemeinsam mit seinem akademischen Lehrer auch nicht mit Recht als eine „ingeniöse Entdeckung“263 rühmen und so täuscht sich Reinhard Brandt, wenn er den „Vorteil“ der ludwigschen Edition gerade darin erblicken möchte, dass diese „Kant nicht zum Autor eines konventionell abgesicherten Unsinn-Textes“ mache, sondern zu dem „eines kohärenten Werkes“.264 Der hier vorgelegte Versuch einer einheitlichen Interpretation des originalen § 6 verweigert sich daher auch seinem Machtspruch, danach derjenige den Argumenten Buchdas und Tenbrucks zustimme, der „einmal auf den Gedankensprung aufmerksam wurde“265, denn es existiert nach hiesigem Verständnis jedenfalls in der Originalfassung von § 6 gar kein Gedankensprung, eben weil die Argumente der beiden zitierten Autoren philologisch nicht haltbar sind. Aus diesem Grund trifft es dann schließlich jedenfalls für die Zukunft auch nicht länger 262

Freilich setzt sich diese unbemerkte Verwechslung von Begriff und Gegenstand weiter fort und so wird sich zeigen lassen, dass auch die von Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 67 ff. vorgenommenen Texteingriffe in die Deduktion des § 17 auf einer Unkenntnis des zu deduzierenden Gegenstandes beruhen. Ausweislich seiner Überschrift ist dieser Gegenstand ein Begriff, nämlich der einer ursprünglichen Erwerbung, wohingegen Ludwig daraus der Sache nach die Deduktion einer Erwerbshandlung, nämlich die der ursprünglichen Erwerbung selbst machen wird. 263 Brandt, in: ders. (Hrsg.): Rechtsphilosophie der Aufklärung (1982), S. V. Zustimmung oder Affirmation hat die Versetzung des § 2 nach § 6 freilich bereits von Anfang an durch nicht wenige Interpreten erfahren, etwa Brocker, Kants Besitzlehre (1987), S. 61 En. 122 i.V.m. S. 183 f. oder Kühl, Eigentumsordnung als Freiheitsordnung (1984), S. 122 Fn. 28. In neuester Zeit dann Horn, Nichtideale Normativität (2014), S. 181 f. Fn. 10 oder auch Hirsch, Freiheit und Staatlichkeit bei Kant (2017), S. 274 Fn. 96. Dagegen vertritt immerhin Ebeling, und zwar als Herausgeber der Kantischen Rechtslehre im Reclamverlag, die Ansicht, dass Ludwigs „Konstruktivismus“ „wenig abgesichert“ sei und „hypothetisch“ verbleibe, weshalb er die Eliminierung des Texteinschubes für seine Edition abgelehnt hat: Ebeling (Hrsg.): Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten (1990), S. 26 – 27. Euler/Tuschling, in: dies. (Hrsg.): Kants „Metaphysik der Sitten“ in der Diskussion (2013), S. 5 f. sprechen mit Blick auf Ludwigs Edition der Rechtslehre von einer nicht zu verantwortenden und im Gewand der Rekonstruktion daherkommenden Dekonstruktion. Vgl. kritisch ferner Friedrich, Eigentum und Staatsbegründung (2004), S. 104 Fn. 384; Geismann, Kant und kein Ende III (2012), S. 24 Fn. 29; Hespe, in: Hüning/Stiening/Vogel (Hrsg.): FS Tuschling (2002), S. 119 (131 Fn. 27/134 Fn. 33); Kersting, ArchGPh 71 (1989), S. 100 f.; Klenner, DLZ 110 (1989), Sp. 371 ff.; Küsters, Kants Rechtsphilosophie (1988), S. 12; Saito, ARSP 82 (1996), S. 238 ff./259 ff.; Süchting, Eigentum und Sozialhilfe (1995), S. 134 Fn. 118; Tuschling, in: Oberer/Seel (Hrsg.): Kant: Analysen – Probleme – Kritik (1988), S. 273 ff.; Unruh, Die Herrschaft der Vernunft (1993), S. 26 f.; ders., Die Herrschaft der Vernunft (20162), S. 36 ff.; Wenzel, ARSP 76 (1990), S. 227 (232 – 234); Zaczyk, in: Fricke/König/Petersen (Hrsg.): Das Recht der Vernunft (1995), S. 311 (313 Fn. 7). 264 Brandt, ZPhilF 44 (1990), S. 351 (365). 265 Brandt, ZPhilF 44 (1990), S. 351 (363 f.).

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zu, dass es „keinen Interpreten [gibt], der die Textkorrektur von Buchda und Tenbruck rückgängig machen möchte“.266 All dies wäre aber als längst verhallter Theaterdonner gar nicht weiter von Belang, wenn die gegen den Autor der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre vernünftelnden und alles andere als interpretationsneutralen267 Gedankenspiele nicht zur Grundlage der in der „Philosophischen Bibliothek“ des Meiner-Verlags mittlerweile in vierter Auflage erscheinenden Edition der Rechtslehre Immanuel Kants in der werktätigen Fassung von Bernd Ludwigs Vorstellung gedient hätten,268 die zwischenzeitlich durch Übersetzungsleistungen auch im englischsprachigen Ausland großflächig als Textgrundlage herangezogen wird.269 Denn dieser missliche Umstand lässt auf die hier geäußerte Vermutung von einem bis heute unbemerkten Rezeptionsmangel schließen, der seine Ursache – durchaus auch im Wortsinne – im Grundsätzlichen hat. In der Tat gilt die Tenbrucksche Lücke nämlich spätestens seit270 den engagierten Arbeiten Bernd Ludwigs – und zwar selbst unter den ersten Kritikern seiner Textversetzungsthese271 – als allgemein anerkannt.272 Diese unkritische Anerkennung eines vermeintlich falschen Texteinschubes in § 6, die das eigentlich bestehende Textproblem, und zwar die im Originaltext gesetzte Einrückung der Abs. 5 – 10 mit der Folge verdeckt, dass die konservativste Lösung für das bestehende Verständnisproblem, die gedankliche Aufhebung dieser mutmaßlich fehlerhaften Einrückung, noch überhaupt gar nicht erwogen werden konnte, dürfte ein vollständiges Textverständnis in Ansehung von § 6 bislang also 266

Brandt, ZPhilF 44 (1990), S. 351 (363 f. – Klammerzusatz des Verf.). Die Neutralität unterstellen aber beispielsweise Brocker, Kants Besitzlehre (1987), S. 61 Fn. 122 und Steigleder, Kants Moralphilosophie (2002), S. 181 f. Fn. 47. Wie hier dagegen urteilen etwa Kersting, ArchGPh 71 (1989), S. 100 (101) oder auch Unruh, Die Herrschaft der Vernunft (20162), S. 31 (jedoch im Widerspruch mit späteren Ausführungen [S. 36]). 268 Ludwig (Hrsg.): Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (20184). 269 Siehe dazu Edwards, in: Euler/Tuschling (Hrsg.): Kants „Metaphysik der Sitten“ in der Diskussion (2013), S. 21 ff. 270 Parma hält in seiner Arbeit mit dem bezeichnenden Titel „,Es war einmal eine Metaphysik der Sitten‘“, in: Brandt/Stark (Hrsg.): Zustand und Zukunft der Akademieausgabe von Immanuel Kants Gesammelten Schriften = Kant-Studien 91 (2000), Sonderheft, S. 42 (46) einen „eindeutigen Beweis der Nicht-Angehörigkeit dieser 5 Abschnitte zum § 6 der Rechtslehre“ bereits durch Buchda und Tenbruck für erbracht; die These gelte „seitdem als allgemein akzeptiert für die Kant-Forschung“. Ebenso wohl auch Brandt, ZPhilF 44 (1990), S. 351 (363) und Deggau, Die Aporien der Rechtslehre Kants (1983), S. 117 Fn. 42. 271 Vgl. Tuschling, in: Oberer/Seel (Hrsg.): Kant: Analysen – Probleme – Kritik (1988), S. 273 ff. 272 Auf den in der Sekundärliteratur bestehenden Konsens weisen unkritisch etwa Geismann, Kant und kein Ende III (2012), S. 33 Fn. 85; Edwards, in: Euler/Tuschling (Hrsg.): Kants „Metaphysik der Sitten“ in der Diskussion (2013), S. 21 (23 f.); Hartmann, in: Brandt/Stark (Hrsg.): Autographen, Dokumente und Berichte (1994), S. 109; Steigleder, Kants Moralphilosophie (2002), S. 181 f. Fn. 47 hin. – Einen allenfalls leise formulierten Zweifel an diesem Konsens kann man vielleicht Kaulbach, in: ders.: Studien zur späten Rechtsphilosophie Kants und ihrer transzendentalen Methode (1982), S. 9 (40) entnehmen. 267

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

schon im Grunde verhindert und die Textgrundlage in der Folge allgemein verdächtig gemacht haben.273 Solange es sich jedoch in dieser Art verhält, werden auch die Spekulationen, insbesondere über den richtigen Verbleib der zuvor gedankenlos ausgesonderten fünf Abschnitte des § 6, weiterhin ungebremst ins Kraut möglicher Plausibilität schießen. Nachdem in dieser Hinsicht einerseits schon § 9 (Buchda) und § 14 (Brandt), andererseits aber auch die vollständige Tilgung (Mautner/Ludwig) der inkriminierten Absätze – eines so un-/wahrscheinlich richtig wie das Andere – gehandelt wurden, stammt von Hans Friedrich Fulda, der zwischen dem dritten und neunten Absatz ohne weiteres einen fugenlosen Zusammenhang erkennt haben will,274 beispielsweise die mit einer gewiss in sich widerspruchsfreien Vermutung aufwartende Behauptung: „Es würde, beiläufig gesagt, keine große Mühe machen zu zeigen, daß die Absätze 4 – 8 in Wahrheit zum § 16 (als dessen Absätze 3 – 7, mit 3 und 4 als Fortsetzung des Haupttextes, 5 – 7 hingegen als Anmerkungen) gehören, während die letzten beiden Absätze von § 6 keine Anmerkungen zum Haupttext, sondern dessen Fortsetzung sind. Daß sich zwischen diese und die ersten drei Absätze des § 6 ein Textstück des § 16 verirrt hat, erklärt sich wohl daraus, daß die Bezifferungen „§ 6“ und „§ 16“ leicht zu verwechseln sind, wenn sie handschriftlich vorgenommen werden.“275 c) Zur Anwendung des Rechtsbegriffs vom Besitz auf empirische Verhältnisse Nachdem der Begriff des intelligiblen Besitzes in § 6 hinsichtlich seiner objektiven Realität aus der Bedingung seiner Möglichkeit mit praktischer Notwendigkeit erkannt wurde, stellt sich in der Folge die Frage nach dem gedanklichen Verfahren seiner Anwendung auf konkrete empirische Verhältnisse des durch ihn konkret möglichen äußeren Rechtsbesitzes. Wegen dieser notwendig möglichen Konkretion der an sich abstrakten Vorstellung des reinen Rechtsbesitzes kündigt die Überschrift

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Bei Parma, KS 91 (2000), Sonderheft, S. 42 (50 f.) heißt es sogar: „Der […] Fall von § 6 der MAR stellt also keinen Sonderfall dar, sondern eher die Regel! Die Unstimmigkeiten umfassen eine breite Palette von Fällen: Vorarbeiten sind im Text gelandet, Textteile fehlen, Fehlplazierungen (sic!) häufen sich, falsche Aufgliederungen von Textstücken sind mehrmals zu finden, nicht vervollständigte Streichungen von Sätzen sind belegbar, einige Textteile wurden formal nicht an andere angepasst. […]. Auch in der jüngsten Debatte über die Verderbtheit der MS lässt sich nämlich eine, meiner Meinung nach unhaltbare, Einschränkung erkennen: Verderbt ist der Text der MAR und zwar so, dass der ursprüngliche von Kant beabsichtigte Text widerhergestellt werden kann.“ 274 Fulda, in: Höffe (Hrsg.): Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (1999), S. 87 (104 Fn. 2). 275 Fulda, JRE 5 (1997), S. 103 (117 Fn. 6). – Nach Wawrzinek, Die „wahre Republik“ (2009), S. 134 Fn. 136 gehören die verbleibenden Absätze jedenfalls „aufgrund ihres Inhalts […] offensichtlich ins zweite Hauptstück des Privatrechts“. Nicht anders urteilt etwa auch Scherer, ethic@ 15 (2016), S. 369 (386 Fn. 11/394).

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

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des § 7 die „ A n w e n d u n g d e s P r i n c i p s d e r M ö g l i c h k e i t d e s ä u ß e r e n M e i n u n d D e i n a u f G e g e n s t ä n d e d e r E r f a h r u n g “276 an. §7

Als praktischer Realbegriff muss der Vernunftbegriff des intelligiblen Besitzes auf empirische Verhältnisse anwendbar sein, da er andernfalls ein unpraktischer und somit auch kein realer Begriff wäre. Nach seiner Deduktion steht die Anwendungsmöglichkeit auf empirische Besitzverhältnisse also gänzlich außer Frage277 und so erklärt sich von selbst die dort nicht weiter begründete Behauptung eingangs von: § 7 Abs. 1278 „Der Begriff eines bloß rechtlichen Besitzes ist kein empirischer (von Raum- und Zeitbedingungen abhängiger) Begriff, und gleichwohl hat er praktische Realität, d. i. er muß auf Gegenstände der Erfahrung, deren Erkenntniß von jenen Bedingungen abhängig ist, anwendbar sein.“

Erläuterungsbedürftig ist nach allen bisherigen begrifflichen Überlegungen (§§ 1 – 6) nur noch, in welcher gedanklichen Verfahrensweise der Rechtsbegriff vom Besitz auf empirische Verhältnisse und Begriffe vom Besitz mit der konkreten Rechtsfolge eines äußeren Mein und Dein anwendbar ist. Dabei sollte klar sein, dass sich die Antwort hierauf nur aus dem (menschlichen) Vorstellungsvermögen und der systematischen Ordnung der darin möglichen Vorstellungen ergeben kann: Weil über den sinnlichen Vorstellungen in der reinen subjektiven Vorstellungsform von Raum und Zeit die rein verstandesbegrifflichen Vorstellungen angeordnet sind, darüber in einer höheren Einheit lediglich noch rein vernunftbegriffliche Vorstellungen gedacht werden können, der Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) aber ein reiner Vernunftbegriff ist, muss sich dieser vermittelst rein verstandesbegrifflicher Vorstellungen in die sinnlichen Verhältnisse darunter begrifflich vermitteln. § 7 Abs. 1 beschreibt darum das gedankliche Verfahren dieser rein verstandsbegrifflichen Vermittlung des Rechtsbegriffs, dadurch empirische Verhältnisse konkret als Rechtsverhältnisse gedacht werden können: Satz 2

Der bis hierher unter ihm begrifflich als allgemein bestimmend gebrauchte „Rechtsbegriff“ (§ B Abs. 3) ist ein reiner praktischer Vernunftbegriff und kann darum nicht unmittelbar auf empirische Verhältnisse in den sinnlichen Anschau276

RL, AA VI: 252.32-33. Fulda, in: Hüning/Tuschling (Hrsg.): Recht, Staat und Völkerrecht bei Immanuel Kant (1998), S. 141 (153) will nun ausgerechnet nach der ausdrücklich so bezeichneten Deduktion des Begriffs des intelligiblen Besitzes in § 6 eine „transzendentale Deduktion“ desselben in § 7 erblicken, da es dort um den Anwendungsbezug des Begriffs zu tun sei. 278 RL, AA VI: 253.32-253.36 (alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Absatz). 277

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

ungsformen von Raum und Zeit angewendet werden, denn so, wie reine Verstandesbegriffe in ihrem Bestimmungsverhältnis auf die Einheit der reinen sinnlichen Vorstellungsformen bezogen sind, sind auch reine Vernunftvorstellungen in ihrem Bestimmungsverhältnis auf die Vorstellungseinheit des reinen Verstandes bezogen. Deshalb kann alle konkrete Vermittlung des als allgemein gebrauchten Rechtsbegriffs in sinnliche Vorstellungsverhältnisse nur vermittelst reiner Verstandesbegriffe, d. h. in begrifflichen Vermittlungsschritten geleistet werden, denn in einem reinen Verstandesbegriff liegt eine gleichartige Vorstellung, die eine reine Vernunftvorstellung mit einer sinnlichen Vorstellung gemeinsam verbindet. Im Falle des Besitzes äußerer Gegenstände gilt dann unter gesperrter Hervorhebung verstandesbegrifflicher Gleichartigkeit: „Der Rechtsbegriff, der bloß in der Vernunft liegt, kann nicht u n m i t t e l b a r auf Erfahrungsobjecte und auf den Begriff eines empirischen B e s i t z e s , sondern muß zunächst auf den reinen Verstandesbegriff eines B e s i t z e s überhaupt angewandt werden, […].“ In dieser Anwendung (d. h. begrifflichen Bestimmung) des als allgemein gebrauchten Rechtsbegriffs auf den reinen Verstandesbegriff des Besitzes (= Haben)279 liegt dann diejenige synthetische Vorstellung bestimmt, die in § 6 als synthetischer Vernunft- bzw. Rechtsbegriff des intelligiblen Besitzes deduziert wurde.280 Bei diesem so rein rechtsbegrifflich bestimmt gedachten Begriff handelt es sich im Verhältnis zu dem ihn innerlich bestimmenden allgemeinen Rechtsbegriff also um einen besonderen aber gleichwohl reinen Rechtsbegriff im Rahmen einer Metaphysik des Rechts, die als ein System der

279 In § 7 Abs. 1 S. 2 bezeichnet Immanuel Kant den Begriff des Besitzes/Habens erstmals ausdrücklich innerhalb der Rechtslehre als einen reinen Verstandesbegriff, wobei die rein verstandesbegriffliche Vorstellungsstruktur bereits in § 1 Abs. 2 S. 2 ausdrücklich angesprochen ist und die ganze bisherige Begriffsentwicklung andernfalls unmöglich wäre. Es ist daher eine Kritik verfehlt, nach der Immanuel Kant die reine Verstandesprädikabilie des Besitzes vorgeblich erst zum Zwecke der Lösung des Anwendungsproblems (gleichsam nachträglich) einführt (vgl. dafür Müller, Wille und Gegenstand [2006], S. 229). Im Übrigen sollte man im Hinblick auf reine Verstandes- und Vernunftbegriffe (wie z. B. den des Besitzes bzw. des Rechtsbesitzes) nicht von konstruierten, sondern von a priori gegebenen Begriffen sprechen, denn nur mathematische Begriffe werden im Kantischen System willkürlich konstruiert; reine Verstandes- bzw. Vernunftbegriffe entspringen dann ursprünglich nicht der Willkür. Auch mit dieser falschen Redeweise (vgl. dafür neben vielen anderen beispielsweise nur Kühl, Eigentumsordnung als Freiheitsordnung [1984], S. 221 oder Ludwig, Kants Rechtslehre [1988], S. 119) lässt sich die in einer Metaphysik des Rechts projektierte Ebene des Denkens nicht eigentlich erschließen. 280 Dass eine praktische Rechtsmetaphysik einen rein-verstandesbegrifflichen Bezug der praktischen Vernunft (d. h. des Willens) für sich selbst voraussetzt, ist eine (im dritten Kapitel erörterte) Grundthese der hier vorgelegten dezidiert metaphysischen Interpretation der Kantischen Rechtslehre. Leugnet man diese notwendige Denkmöglichkeit, beispielsweise weil man die reinen Verstandesbegriffe auf einen theoretischen Vernunftgebrauch beschränkt sieht, so benimmt man sich nicht nur der gedanklichen Möglichkeit einer solchen Metaphysik des Rechts, sondern auch ihrer Anwendungsmöglichkeit (vgl. dazu auch schon oben Fn. 1 im vierten Kapitel).

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Erkenntnis a priori aus reinen Begriffen verstanden sein will.281 In diesem besonderen reinen Rechtsbegriff, d. h. im reinen Rechtsbesitzbegriff (= Begriff des intelligiblen Besitzes) wird dann „statt der I n h a b u n g (detentio), als einer empirischen Vorstellung des Besitzes, der von allen Raumes- und Zeitbedingungen abstrahirende Begriff des H a b e n s , und nur daß der Gegenstand als in m e i n e r G e w a l t (in potestate mea positum esse) sei, gedacht“. Auf diese Weise kommt es durch den Rechtsbesitzbegriff im reinen Rechtsdenken zur gedanklichen Verbindung von intelligiblem Rechtssubjekt und äußerem Besitzobjekt, „da dann der Ausdruck des Äußeren nicht das Dasein in einem anderen Orte, als wo ich bin, […], sondern nur einen von mir unterschiedenen Gegenstand bedeutet.“ Der den Rechtsbesitzbegriff innerlich bestimmende Grund dieser Synthesis von intelligiblem Rechtssubjekt und äußerem Rechtsobjekt liegt dabei in dem in ihm innerlich vorausgesetzten allgemeinen Rechtsbegriff und dem darin als bestimmend vorgestellten Allgemeinwillen (d. h. praktischen Freiheitsbegriff). Aus diesem Grund – und dies ist maßgeblich für ein nicht privatrechtsspezifisches, sondern allgemeines Rechtsdenken des Besonderen unter dem als allgemein gebrauchten Rechtsbegriff – wird sich der reine Rechtsbesitzbegriff in Satz 6 auch noch als der besondere Rechtsbegriff einer „allgemeingeltenden G e s e t z g e b u n g “, damit aber als nicht-privatrechtsspezifisch, sondern als Privatrecht und öffentliches Recht innerlich begrifflich verknüpfend erweisen. Satz 3

Das erste gedankliche Moment der Anwendung des Rechtsbesitzbegriffs besteht mit der Überlegung von Satz 2 in seiner rein verstandesbegrifflichen Konstitution unter dem ihn allgemein bestimmenden Rechtsbegriff überhaupt. Das nächste gedankliche Moment seiner Anwendung auf empirische Verhältnisse kann dann nur in der gedanklichen Abstraktion von den besonderen sinnlichen Bedingungen des Besitzes bestehen, dadurch die sinnlichen Besitzverhältnisse unter ihm zur bestimmenden Einheit des in Verhältnis zu ihnen allgemeinen Rechtsbesitzbegriffs gebracht und in der Folge rechtlich durch ihn konkret bestimmt werden. Der eigentliche Grund der Abstraktion von allen sinnlichen Verhältnissen zur rechtlichen Bestimmung ist dabei der rechtlich bestimmende Grund im Rechtsbesitzbegriff, nämlich praktische Vernunft mit ihrem reinen Allgemeinwillen: „Nun will die praktische Vernunft durch ihr Rechtsgesetz, daß ich das Mein und Dein in der Anwendung auf Gegenstände nicht nach sinnlichen Bedingungen, sondern abgesehen von denselben, weil es eine Bestimmung der Willkür nach Freiheitsgesetzen betrifft, auch den Besitz desselben denke, indem nur ein Ve r s t a n d e s b e g r i f f unter Rechtsbegriffe subsumirt werden kann.“ In der Folge dieser kraft eines praktisch vernünftigen Allgemeinwillens gedanklich notwendigen Abstraktion zur rechtlichen

281 Dass der reine Verstandesbegriff des Besitzes also nicht schon an und für sich selbst identisch mit dem Vernunftbegriff des Rechtsbesitzes ist, verkennt beispielsweise die „idealistische Kritik“ Müllers, Wille und Gegenstand (2006), S. 230.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Bestimmung werden empirische Besitzverhältnisse unter dem Rechtsbesitzbegriff dann als Rechtsverhältnisse praktisch bestimmt gedacht:282 Satz 4

„Also werde ich sagen: ich besitze einen Acker, ob er zwar ein ganz anderer Platz ist, als worauf ich mich wirklich befinde.“ Satz 4 knüpft als Beispiel für eine rechtliche Bestimmung durch die Anwendung des Rechtsbesitzbegriffs den Einzelfall eines konkreten Bodenbesitzes an und stellt damit gedanklich den Zusammenhang mit dem in § 6 Abs. 4 angeknüpften synthetischen Rechtssatz a priori in Ansehung des Bodens wieder her, der – wie dort gesehen – für sich selbst u. a. den Vernunftbegriff der ursprünglichen Erwerbung eines bestimmten Bodens innerlich voraussetzt, der seinerseits, durch weitere begriffliche Vermittlungsschritte, ursprünglich nur durch den in ihm schon realen Begriff des intelligiblen Besitzes bestimmend gedacht werden kann (vgl. dazu insbesondere noch § 17 Abs. 2). In den Abs. 6 – 9 des § 6 waren also, und zwar im regressiv-analytischen Aufstieg der begrifflichen Reihe der diesen konkreten Bodenbesitz innerlich allgemein konkret bestimmenden Rechtsbegriffe bis hin zum reinen Rechtsbesitzbegriff als dem höchsten Begriff in dieser Begriffsreihe, die allgemeinen Bestimmungsmomente in diesem synthetischen Rechtssatz vom Bodenbesitz a priori bewusst geworden: - Begriff des intelligiblen Besitzes - Begriff eines reinen Allgemeinwillens in Ansehung des Weltbesitzes - Begriff des angeborenen Gemeinbesitzes des Erdbodens aller Menschen - Begriff des ursprünglichen/ersten Bodenerwerbs - Begriff vom äußeres Mein und Dein überhaupt - Begriff des rechtlichen Bodenbesitzes

Genau diese im regressiv-analytischen Aufstieg schon als praktisch real bewusst gewordene Begriffsreihe vermittelt dem privaten Bodenbesitz in ihrem konkreten progressiv-synthetischen Abstieg, d. h. in ihrer Anwendung auf die unter ihr bestimmbaren und mithin auch sinnlichen Vorstellungsgegenstände des Rechts, seine rechtliche Bestimmung, nämlich rein gedanklich durch eben jene Abstraktion von besonderen (sinnlichen) Vorstellungsmerkmalen des Besitzes äußerer Gegenstände, die im Rahmen der Analyse des synthetischen Rechtssatzes vom Bodenbesitz a priori als Vorstellungswirkung des synthetischen Rechtsbesitzbegriffs im vernünftigen Rechtsbewusstsein analytisch bewusst geworden ist (besonders § 6 Abs. 9):

282

Die gedankliche Abstraktion ist also weder eine äußere Handlung, noch Selbstzweck, und wird darum auch nicht schon an sich selbst als rechtlich-notwendig, sondern lediglich im Hinblick auf die durch sie gedanklich mögliche rechtliche Bestimmung geboten. Wegen eines möglichen Missverständnisses in dieser Frage vgl. die obigen Ausführungen zu § 2 Abs. 3 m.w.N.

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

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- Begriff des intelligiblen Besitzes - Begriff eines reinen Allgemeinwillens in Ansehung des Weltbesitzes - Begriff des angeborenen Gemeinbesitzes des Erdbodens aller Menschen - Begriff des ursprünglichen/ersten Bodenerwerbs - Begriff vom äußeres Mein und Dein überhaupt - Begriff des rechtlichen Bodenbesitzes

Der empirische Besitz eines äußeren Gegenstandes (z. B. des Bodens) wird dann durch den rechtlich schon a priori bestimmten und darum selbst rechtlich a priori bestimmenden Vernunftbegriff des reinen Rechtsbesitzes rechtlich bestimmt vorgestellt, wenn und weil mit seinem Rechtsgrund durch ihn von allen empirischen Besitzverhältnissen im vernünftigen Rechtsbewusstsein abstrahiert wird. Satz 5

Denn dann – und auch nur dann – stellt sich im vernünftigen Rechtsbewusstsein ein rein intelligibles, d. h. rechtsbegrifflich bloß gedachtes Verhältnis des intelligiblen Rechtssubjekts mit seinem äußeren Gegenstand und mithin ihre Synthesis (d. h. Verbindung) ein: „Denn die Rede ist hier nur von einem intellectuellen Verhältniß zum Gegenstande, so fern ich ihn in m e i n e r G e w a l t habe (ein von Raumesbestimmungen unabhängiger Verstandesbegriff des Besitzes), und er ist m e i n , weil mein zu desselben beliebigem Gebrauch sich bestimmender Wille dem Gesetz der äußeren Freiheit nicht widerstreitet.“ Die physische Gewalt, die in einer empirischen Besitznahme (z. B. in einer Erstinbesitznahme, d. h. Okkupation des Bodens) gelegen ist, wird so durch den Rechtsbesitzbegriff rechtlich intellektualisiert, d. h. auf eine rechtliche Gewalt reduziert und somit zuletzt auch praktisch bestimmt auf diese zurückgeführt, weil der bestimmende Grund des einzelnen Willensurteils im Hinblick auf einen äußeren Gegenstand („er ist m e i n “) im allgemeinen Rechtsgesetz und dem darin bestimmenden Allgemeinwillen liegt, der eine der bloß physischen Gewalt überlegene Rechtsgewalt, d. h. eine Rechtsmacht im vernünftigen Rechtsbewusstsein vorstellt. Aus dieser rein begrifflichen (d. h. metaphysischen) Einsicht in das intelligible Verhältnis von Allgemeinwille/Einzelwille/äußerer Gegenstand unter dem als allgemein gebrauchten Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) resultiert dann eine für die metaphysische Auffassung des natürlichen Privatrechts ganz maßgebliche Folgerung: Nur kraft eines rechtsmächtigen Allgemeinwillens behauptet der rechtsgesetzlich bestimmte Einzelwille seinen Gegenstandsbesitz in äußeren Handlungen für sich selbst auch zu Recht und nicht bloß eigenmächtig (vgl. § 6 Abs. 4 S. 1). Alles natürliche Privatbesitzrecht ist demnach – wie die §§ 8 – 9 sogleich entwickeln – nur mit Blick auf einen solchen rechtsmächtigen Allgemeinwillen schon vor seiner rechtsbegrifflichen Vorstellung im vernünftigen Rechtsbewusstsein als solches wirklich rechtlich bestimmt denkbar. Das damit aufgeworfene vernunftbegriffliche Vermittlungsproblem lässt sich dabei schon in der progressiv-synthetischen Begriffsreihe (s. o.) verorten:

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Denn zwischen dem angeborenen Gemeinbesitz des Erdbodens aller Menschen und dem ursprünglichen/ersten Bodenerwerb liegt die rechtsbegrifflich-synthetische Vernunftvorstellung einer Besitzerwerbshandlung eines einzelnen Willenssubjekts überhaupt, da beide Vernunftbegriffe andernfalls nicht schlüssig miteinander vermittelt vorstellbar wären. Das zweite Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre entwickelt darum die im reinen Verstandesbegriff des Habens innerlich vorausgesetzte reine Verstandesprädikabilie des Handelns im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug. Dieses erwerbende Handeln eines Einzelwillens kann vernunftbegrifflich jedoch nur rechtsgesetzlich bestimmt gedacht werden und setzt also einen gesetzlichen Allgemeinwillen für sich selbst, in sich selbst, und mithin über sich selbst voraus. Soll nun die Rechtsfolge eines praktisch realen Erwerbshandlungsbegriffs (z. B. der des ursprünglichen Erwerbs eines bestimmten Bodens) wirklich konkret rechtsgesetzlich bestimmt gedacht werden, dann setzt dies auch die Vernunftvorstellung eines konkret gesetzgebenden Allgemeinwillens in Ansehung des Bodens und aller Gegenstände auf ihm für sich selbst voraus. Dabei entsteht im synthetischen Rechtsdenken die gedankliche Schwierigkeit, dass es eine wirkliche äußere Gesetzgebung rein vernunftbegrifflich im bloßen Naturzustand und vor allem ursprünglichen Erwerb des Bodens unter dem als allgemein gebrauchten Rechtsbegriff gar nicht geben kann. Soll also ein äußeres Mein und Dein als eine konkrete Rechtsfolge gedacht werden, so vermittelt zwischen der konkreten Vernunftvorstellung eines äußeren Mein und Dein als konkreter Rechtsfolge und der abstrakten Vernunftvorstellung eines ursprünglichen Bodenerwerbs als Rechtsgrund die Vernunftvorstellung einer wirklichen äußeren Gesetzgebung im Begriff der äußeren Handlung, sodass die Handlung des ursprünglichen Erwerbs eines bestimmten Bodens vor dieser wirklichen äußeren Gesetzgebung im Naturzustand nur im gedanklichen Hinblick auf diese (d. h. „provisorisch“) rechtsbegrifflich konkret bestimmt gedacht werden kann (§ 15 Abs. 3). Die progressiv-synthetische Reihe der konkreten Vernunftbegriffe unterliegt so nach ihnen hin (d. h. intensiv) einer synthetischen Erweiterung im vernünftigen Rechtsbewusstsein, danach der ursprüngliche Bodenerwerb in sich selbst eine äußere Handlung, und diese wiederum in sich selbst eine äußere Gesetzgebung voraussetzen, sodass alles äußere Mein und Dein darunter nur unter gedanklich-provisorischer Voraussetzung einer äußeren Gesetzgebung rechtsbegrifflich wirklich konkret bestimmt und nicht bloß abstrakt denkbar ist: - Begriff des intelligiblen Besitzes - Begriff eines reinen Allgemeinwillens in Ansehung des Weltbesitzes - Begriff des angeborenen Gemeinbesitzes des Erdbodens aller Menschen - Begriff des ursprünglichen/ersten Bodenerwerbs - Begriff vom äußeres Mein und Dein überhaupt - Begriff des rechtlichen Bodenbesitzes

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So weit konkretisiert findet sich dieser erst noch zu entwickelnde und hier schon vorausgeblickte Gedanke allerdings in § 7 Abs. 1 S. 5 noch nicht.283 Wohl aber lässt sich dort schon schließen, dass der Gedanke einer „allgemeingeltenden G e s e t z g e b u n g “ rein begrifflich schon im Begriff des intelligiblen Besitzes gedacht sein muss, wenn ein reiner Allgemeinwille in Ansehung des Weltbesitzes sowie in weiteren Konkretisierungen auch eine wirkliche äußere Gesetzgebung unter diesem Begriff des intelligiblen Besitzes synthetisch bestimmt gedacht werden können. Satz 6

§ 7 Abs. 1 S. 6 entwickelt darum den erst auf das begriffliche Problem des provisorischen Besitzes hinführenden Gedanken, dass in der einzelnen Besitzbehauptung eines Einzelwillens in Ansehung eines besonderen Gegenstandes unter der in ihm übergeordneten Bedingung eines ihn rechtsgesetzlich bestimmenden Allgemeinwillens dann zugleich eine „allgemeingeltende[] G e s e t z g e b u n g “ mit interpersonaler Verpflichtungswirklichkeit liegt. Denn: „Gerade darin: daß abgesehen vom Besitz in der Erscheinung (der Inhabung) dieses Gegenstandes meiner Willkür die praktische Vernunft den Besitz nach Verstandesbegriffen, nicht nach empirischen, sondern solchen, die a priori die Bedingungen desselben enthalten können, gedacht wissen will, liegt der Grund der Gültigkeit eines solchen Begriffs vom Besitze (possessio noumenon) als einer allgemeingeltenden G e s e t z g e b u n g ; […].“ Die Abstraktion von allen empirischen Vorstellungsmerkmalen im empirischen Besitzbegriff beruht nämlich ursprünglich auf der rechtlichen Bestimmung (d. h. Konkretion) praktischer Vernunft, die vermittelst ihres allgemein bestimmenden Rechtsbegriffs (§ B Abs. 3) zunächst den reinen Verstandesbegriff des Besitzes anhand des im Rechtsbegriff bestimmenden Allgemeinwillens allgemeingesetzlich bestimmt, sodass auch alle rechtlichen Be283 Sollte die so gedachte Begriffsreihe des Besitzes unter dem als allgemein bestimmend gebrauchten Rechtsbegriff zutreffen, dann wird der intelligible Besitz abstrakt (d. h. in seinem bloßen Begriff) schon vor dem Begriff einer äußeren Gesetzgebung gedacht. Der Begriff einer äußeren Gesetzgebung setzt damit die abstrakte Vorstellung (d. h. den Begriff) des intelligiblen Besitzes in und für sich selbst voraus. Dagegen wird der Begriff des intelligiblen Besitzes konkret (d. h. unter und damit außer sich selbst) erst im Begriff eines äußeren Mein und Dein, damit aber erst unter der abstrakten Vorstellung (d. h. dem Begriff) einer äußeren Gesetzgebung gedacht. Im Begriff vom äußeren Mein und Dein, der nur unter dem Begriff einer äußeren Gesetzgebung und dem darin vorausgesetzten Begriff des intelligiblen Besitzes denkbar ist, liegt demnach, nämlich mit dem Bewusstsein dieser begrifflichen Vermittlung, eine konkrete Vorstellung sowohl des Begriffs einer äußeren Gesetzgebung, als auch des Begriffs vom intelligiblen Besitz; ohne dieses Bewusstsein begrifflicher Vermittlung allerdings lediglich ein abstraktes Privatrechtsdenken vom Besitz in bloßen Begriffen. Alles äußere Mein und Dein setzt also ausweislich seines Begriffs richtigerweise eine äußere Gesetzgebung (provisorisch) in sich selbst voraus und ist deshalb im Begriff einer äußeren Gesetzgebung ursprünglich aufgehoben, sodass alles äußere Mein und Dein (peremtorisch) nur unter einer äußeren Gesetzgebung wirklich rechtsbegrifflich bestimmt denkbar ist, vgl. dazu dann §§ 8 – 9.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

sitzvorstellungen unter diesem reinen Rechtsbegriff vom Besitz nur allgemeingesetzlich bestimmt vorstellbar sind. Eine solche allgemeine Gesetzgebung ist dann unter dem Begriff des intelligiblen Besitzes auch in jeder individuellen Besitzbehauptung eines einzelnen Willenssubjekts enthalten, dadurch sich der Gedanke interpersonaler Verpflichtung im äußeren Verhältnis im vernünftigen Rechtsdenken konkret bestimmt einstellt: „[…] denn eine solche ist in dem Ausdrucke enthalten: ”Dieser äußere Gegenstand ist m e i n ,” weil allen andern dadurch eine Verbindlichkeit auferlegt wird, die sie sonst nicht hätten, sich des Gebrauchs desselben zu enthalten.“ Das für eine metaphysische (nicht empirisch reduzierte) Auffassung der folgenden Paragraphen (§§ 8 – 9) wichtige Fazit zur Interpretation von § 7 Abs. 1 besteht demnach darin, dass sich in der Anwendung des Rechtsbegriffs vom Besitz, und zwar in seinem Moment der begrifflichen Abstraktion, eine vernunftbegrifflich bestimmende Konkretion bewusst ist, die den begrifflichen Grund zu dieser begrifflichen Abstraktion ursprünglich schon in sich selbst enthält, sodass diese Abstraktion nicht ohne die sie bestimmende Konkretion vernünftig bestimmt gedacht werden kann und sich andernfalls zwangsläufig ein bloß abstraktes Rechtsbesitzdenken mitsamt den aus ihm unweigerlich resultierenden metaphysischen Verkürzungen im Verständnis der Kantischen Rechtslehre einstellen muss. § 7 Abs. 2 S. 1

Nachdem nun die Begriffsreihe des äußeren Mein und Dein im Ausgang von einem zunächst abstrakt (§ 4) und sodann konkret (§ 6 Abs. 4) vorgestellten äußeren Mein und Dein im vernünftigen Rechtsbewusstsein bis zur höchsten Realbedingung im Begriff vom äußeren Mein und Dein (§§ 5 Abs. 1 S. 2, 6 Abs. 10) aufsteigend verfolgt wurde, sodann dieselbe Begriffsreihe im Ausgang von der abstrakten Vorstellung dieser Realbedingung aber auch wieder absteigend bis zu einem konkreten äußeren Mein und Dein beschritten wurde (§ 7 Abs. 1), lässt sich nun die im ersten Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre zu beantwortende Frage nach der Art, etwas Äußeres als das Seine zu haben, in § 7 Abs. 2 S. 1 allgemein bestimmt beantworten: „Die Art also, etwas außer mir als das Meine zu haben, ist die bloß rechtliche Verbindung des Willens des Subjects mit jenem Gegenstande, unabhängig von dem Verhältnisse zu demselben im Raum und in der Zeit, nach dem Begriff eines intelligibelen Besitzes.“284 § 7 Abs. 2 S. 2 – Abs. 4

Auf diese allgemeine Bestimmung der rechtlichen Art eines äußeren Gegenstandesbesitzes unter dem praktischen Realbegriff vom äußeren Mein und Dein folgen nun drei nach allgemeinen Kriterien besondere Fälle der Anwendung des Begriffs vom äußeren Mein und Dein, damit zugleich aber auch der Anwendung des

284

RL, AA VI: 253.37-254.03.

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Begriffs vom intelligiblen Besitz.285 Sie korrespondieren auf diese Weise den drei Fällen eines möglichen äußeren Mein und Dein, wie sie bereits in der Exposition dieses Begriffs (§ 4 a)–c)) gebraucht wurden und behandeln daher das sachenrechtliche Grundproblem des rechtlich bestimmten Bodenbesitzes (§ 7 Abs. 2 S. 2), das persönlich-rechtliche Problem des rechtlich bestimmten Versprechensbesitzerwerbs (§ 7 Abs. 3), sowie das dinglich-persönliche Folgeproblem des Erhalts des rechtlich bestimmten Personenbesitzes (§ 7 Abs. 4). Die drei Begriffsanwendungsfälle blicken somit auf die im zweiten Hauptstück innerlich vernunftbegrifflich zu entwickelnden besonderen Rechtsbesitzformen (§§ 11 – 17, 18 – 21, 21 – 30) unter dem allgemeinen Begriff vom äußeren Mein und Dein (§ 5) voraus. Dabei wird die praktische Realität des jeweiligen synthetischen Begriffs dieser jeweils besonderen Rechtsbesitzform (Sachenrecht, persönliches Recht, dinglich-persönliches Recht) aus der praktischen Realität des synthetischen Begriffs der sie innerlich jeweils begründenden Besitzerwerbshandlung resultieren, wobei dieser synthetische Begriff einer Erwerbshandlung mit Blick auf seine praktische Realität seinerseits durch die durch ihn in seinen Rechtsfolgen konkret gedachte Anwendung des schon deduzierten synthetischen Begriffs des intelligiblen Besitzes (§ 7 Abs. 1) deduziert werden wird (§§ 17 Abs. 2, 19 Abs. 3, 22), wenn und weil der synthetische Begriff des intelligiblen Besitzes analytisch in der Rechtsvorstellung dieser Rechtsfolgen aufweisbar ist. So ist dann in seinem letzten Teil auch der letzte Satz von § 7 im achten Absatz als Vorausblick auf das zweite Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre verständlich: „Aber die Möglichkeit eines intelligibelen Besitzes, mithin auch des äußeren Mein und Dein läßt sich nicht einsehen, sondern muß aus dem Postulat der praktischen Vernunft gefolgert werden, wobei es noch besonders merkwürdig ist: daß diese ohne Anschauungen, selbst ohne einer a priori zu bedürfen, sich durch bloße, vom Gesetz der Freiheit berechtigte W e g l a s s u n g empirischer Bedingungen e r w e i t e r e und so s y n t h e t i s c h e Rechtssätze a priori aufstellen kann, deren Beweis (wie bald gezeigt werden soll) nachher in praktischer Rücksicht auf analytische Art geführt werden kann.“286 § 7 Abs. 5 – 8

Dieser letzte Satz steht allerdings in einer Einrückung des Textes, die bereits mit dem fünften Absatz einsetzt und insgesamt die nunmehr in der Sache selbst (d. h. in ihrem Realbegriff) schon ausführlich behandelte Antinomie287 im Besitzbegriff betrifft, die aus dem zweifach möglichen und notwendigen Vorstellungsbezug des 285 Beispielsweise nach Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 198 handelt es sich bei § 7 dagegen um einen „kompositorisch unausgewogenen[…] Paragraphen, der so recht nicht zu seinem Thema kommt und neben einer Wiederholung de (sic!) begrifflichen Bestimmungen des intelligiblen Besitzes eine Exemplifizierung der ,Art, etwas außer mir als das Meine zu haben‘ […] bietet und abrupt mit einem Thesengerüst der Antinomie des äußeren Rechts schließt“. Vgl. ganz ähnlich ferner auch Friedrich, Eigentum und Staatsbegründung (2004), S. 120 ff. 286 RL, AA VI: 255.13-21. 287 Vgl. dazu auch Baumanns, PhJ 100 (1993), S. 282 ff.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

reinen Verstandesbegriff des Habens im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug resultiert. Die Passage der Abs. 5 – 8 von § 7 bedarf hier darum keiner weiteren Auseinandersetzung, wohl aber eines auf die Erscheinungsform ihres Textes bezogenen Hinweises. Denn in seinem fünfseitigen Aufsatz zur Begründung seiner These von einem falschen Texteinschub in den Abs. 4 – 8 von § 6 aus dem Jahr 1947 führte Friedrich Tenbruck beiläufig auch einen vermeintlichen Fehler in dieser Passage der Besitzantinomie von § 7 als ein weiteres Beispiel für die „Lückenhaftigkeit“288 des Kantischen Textes insgesamt an. Die Antinomie lautet: „Der S a t z heißt: E s i s t m ö g l i c h , etwas Äußeres als das Meine zu haben; ob ich gleich nicht im Besitz desselben bin. Der G e g e n s a t z : E s i s t n i c h t m ö g l i c h , etwas Äußeres als das Meine zu haben; wenn ich nicht im Besitz desselben bin. A u f l ö s u n g : Beide Sätze sind wahr: der erstere, wenn ich den empirischen Besitz (possessio phaenomenon), der andere, wenn ich unter diesem Wort den reinen intelligibelen Besitz (possessio noumenon) verstehe.“ (RL, AA VI: 255.06-13289).

Denn es ist mit dem Satz wahr, dass es möglich ist, etwas Äußeres rechtlich zu besitzen, obgleich der Rechtsbesitzer nicht im empirischen Besitz des Gegenstandes ist; ebenso wie es mit dem Gegensatz wahr ist, dass es nicht möglich ist, etwas Äußeres rechtlich zu besitzen, wenn der Besitzer nicht im intelligiblen Besitz desselben ist. Gegen diese zweifelsfrei wahre Auflösung der Antinomie durch Immanuel Kant setzte dann allerdings Tenbruck seinen Einwand: „Es bedarf keiner Frage, daß hier die Anknüpfung vertauscht ist und die Sache sich genau umgekehrt verhält.“290 Nach Tenbrucks Auffassung müsste somit schon der Satz der Antinomie eine offensichtlich sinnlose Bedeutung annehmen, nämlich: Es ist möglich, etwas Äußeres als das Meine zu haben, ob ich gleich nicht im intelligiblen Besitz desselben bin. Damit aber wäre umgekehrt, wenn es überhaupt ein äußeres Mein geben soll, der naturalistische Fehlschluss ins Werk gesetzt: Es ist möglich, etwas Äußeres als das Meine zu haben, weil ich im empirischen Besitz desselben bin. Dementsprechend lautet dann auch der Gegensatz in seiner Auffassung: Es ist nicht möglich, etwas Äußeres als das Meine zu haben, wenn ich nicht im empirischen Besitz desselben bin. Friedrich Tenbruck ist somit in seiner von ihm nicht weiter hinterfragten Konjektur zuletzt offenbar selbst dem Schein der Antinomie im Denken erlegen; ein Umstand, der vielleicht bezeugt, dass man in der Kürze von fünfseitigen Überlegungen keinen Gedanken zustande bringen kann, der dem metaphysischen Rechtsdenken Immanuel 288

Tenbruck, ArchPhil 3 (1949), S. 216 (219 Fn. 2). Rainer Zaczyk verdanke ich den Hinweis darauf, dass die Akadamieausgabe sowohl im Satz als auch im Gegensatz der Antinomie vor dem jeweils letzten Halbsatz anstatt des Semikolons der Originalausgabe ein Komma setzt, wobei die Bedeutung durch das Semikolon der Originalausgabe noch klarer werden dürfte. 290 Tenbruck, ArchPhil 3 (1949), S. 216 (219 Fn. 2). 289

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

295

Kants im ersten Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre gerecht werden würde – von einem validen Urteil über die Textgestalt ganz abgesehen. Tenbruck ist darum mit dieser Konjektur in der Vergangenheit auch weitgehend nur auf Ablehnung gestoßen291 und es verdankt sich wohl einer methodologisch verschuldeten Gedankenlosigkeit rechtsphilosophischer Kantinterpretation, dass er nicht ebenso mit seiner schon philologisch nicht weniger unhaltbaren These zu einem bloß vermeintlich falschen Texteinschub in § 6 bis heute lediglich auf Ablehnung, sondern – ganz im Gegenteil – auf uneingeschränkte Zustimmung gestoßen ist. 4. Der Allgemeinwille im bürgerlichen Zustand als Realbedingung eines äußeren Rechtsbesitzes In der gedanklichen Entwicklung der Anwendung und damit progressiv-synthetischen Konkretion des reinen praktischen Begriffs des intelligiblen Besitzes auf sinnliche Besitzverhältnisse (§ 7 Abs. 1) ist die Rechtsvorstellung einer allgemeingeltenden Gesetzgebung anfänglich bewusst geworden, die in einer jeden konkretindividuellen Besitzbehauptung eines Einzelwillens liegt. Dieser Gedanke ist nunmehr noch in seiner Bedeutung für die im ersten Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre rein begrifflich zu entwickelnde Art, etwas Äußeres als das Seine zu haben, selbst rein begrifflich zu entwickeln, womit das erste Hauptstück zu seinem Abschluss kommt.292 Um aber an dieser wichtigen Stelle des Kantischen Rechtsdenkens keinen Missverständnissen zu erliegen, sei hier der begrifflich bereits erreichte Stand im metaphysischen Rechtsdenken noch einmal rekapituliert: Es ist in der Einleitung in die Rechtslehre der als allgemein bestimmend gebrauchte Begriff des Rechts der Menschen (§ B Abs. 3) in extensiver (Verstandes-)Deutlichkeit bewusst geworden. Dieser Begriff des Rechts enthält unter sich besondere reine praktische Rechtsbegriffe, von denen zur (intensiven) Vernunftdeutlichkeit des Rechtsbegriffs überhaupt als praktisch real zunächst der Begriff des angeborenen Rechts äußerer Freiheit 291 Der Einschätzung Tenbrucks folgt gegenwärtig wohl nur Henrich, Das Emissionsrecht (2015), S. 92 f.; siehe im Übrigen ablehnend etwa Brandt, Eigentumstheorien von Grotius bis Kant (1974), S. 209 Fn. 28; Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 189 Fn. 26; Kühl, Eigentumsordnung als Freiheitsordnung (1984), S. 157 f.; Lehmann, in: ders.: Beiträge zur Geschichte und Interpretation der Philosophie Kants (1969), S. 195 (201 f.). Neuerdings – seit der 2018 erschienenen 4. Aufl. – scheint sich auch Ludwig (Hrsg.): Immanuel Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, S. XII i.V.m. S. 62 (Zeile 22) der Konjektur anzuschließen, indem er das Wort „der erstere“ in der Auflösung der Antinomie durch „der letztere“ ersetzt. 292 Leider spart Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 108 – 115 eine gründliche Interpretation des für ein zutreffendes Verständnis der §§ 8 – 9 unerlässlichen § 7 in seinem eigentumstheoretischen Zugriff auf die Kantische Rechtslehre aus. Ebenso entgeht Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 196 – 204 in seiner Interpretation von § 7 – unter der von ihm (177) gewählten Kapitelüberschrift „I. Das Eigentum“ – dieser wichtige Grundgedanke einer im Begriff des intelligiblen Besitzes vorgestellten allgemeingeltenden Gesetzgebung.

296

7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

mitsamt dem darunter besessenen inneren Mein und Dein entwickelt wurde. Außerdem wurde im Naturzustand unter dem rechtsbegrifflichen Einteilungsglied des erworbenen Rechts der Begriff des äußeren Mein und Dein (§ 5 Abs. 1 S. 2) mitsamt seiner höchsten inneren begrifflichen Realbedingung, nämlich dem Begriff des intelligiblen Besitzes (§ 6), als praktisch realer Vernunftbegriff entwickelt. Es existiert also im bereits naturzuständlichen Rechtsdenken der praktisch reale Begriff, d. h. die praktisch reale und gleichwohl nur abstrakte Vernunftvorstellung des äußeren Mein und Dein (§ 5 Abs. 1 S. 2) im vernünftigen Rechtsdenken. D. h. es gibt bereits im Naturzustand die im Begriff vom äußeren Mein und Dein gelegene und darum für sich selbst auch bloß abstrakte Vorstellung von einem äußeren Rechtsbesitz. Was dem Naturzustand dann jedenfalls aber mit der bisherigen vernunftbegrifflichen Entwicklung und ohne Hypostasen im reinen Denken gewiss noch abgeht, ist ein unter dem Begriff des äußeren Mein und Dein und damit ein außer des Begriffs selbst auch im Einzelfall konkret vorzustellendes äußeres Mein und Dein. Denn der Naturzustand ist selbst nur eine bloße Idee, nämlich die Idee allen möglichen äußeren Rechts, die eben darum an und für sich selbst kein begrifflich unvermitteltes Dasein in der Realität (d. h. auch außerhalb des bloßen Gedankens) hat. Vielmehr wird die mögliche Realität allen möglichen äußeren Rechts in einer Zeit überhaupt im Rechtszustand, und zwar nach der praktischen Idee allen wirklichen äußeren Rechts, d. h. durch den reinen praktischen Vernunftbegriff des Staates praktisch bestimmt gedacht, weil erst in diesem Begriff eine äußere allgemeine Gesetzgebung wirklich vorgestellt wird. Vor diesem begrifflichen und damit auch gedanklichen Hintergrund ist nun im Folgenden der Tenor des § 8 zu verstehen: „ E t w a s Ä u ß e r e s a l s d a s S e i n e zu haben, ist nur in einem rechtlichen Zustande, unter einer öffentlich-gesetzgebenden Gewalt, d. i. im bürgerlichen Z u s t a n d e , m ö g l i c h . “293 §8

Gewiss handelt es sich bei dieser hier in der Überschrift angesprochenen Möglichkeit eines äußeren Rechtsbesitzes nicht um eine bloße Denkmöglichkeit, denn um die Entwicklung bloßer Denkmöglichkeiten ist es in einer aufgeklärten (d. h. kritischen) Metaphysik des Rechts nicht zu tun; und da ein jedes verständige Subjekt denken kann, was es will, so kann sich ein jedes verständige Subjekt überdies auch einen äußeren Rechtsbesitz im Naturzustand widerspruchsfrei vorstellen, d. h. bloß denken, sodass der Satz der Überschrift des § 8 schlechterdings unzutreffend wäre. Auch die im praktisch realen Begriff vom äußeren Mein und Dein (§ 5 Abs. 1 S. 2) für sich selbst gelegene Realmöglichkeit eines äußeren Rechtsbesitzes kann sich im Tenor von § 8 nicht unvermittelt angesprochen finden, denn dieser Begriff existiert 293

RL, AA VI: 255.23-25.

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

297

bereits im Naturzustand, sodass sich auch bereits im Naturzustand die abstrakte Realmöglichkeit eines äußeren Mein und Dein denken lässt (s. o.). Also muss es sich bei der hier in der Überschrift von § 8 angesprochenen Möglichkeit eines äußeren Rechtsbesitzes im bürgerlichen Zustand um die im Einzelfall konkrete Realmöglichkeit eines äußeren Mein und Dein unter der abstrakten Realmöglichkeit desselben handeln, und der Begriff einer öffentlich-gesetzgebenden Gewalt im bürgerlichen Zustand (= Staat) ist dann, und zwar unter dem insofern höchsten praktischen Realbegriff vom intelligiblen Besitz, der schon den Gedanken einer allgemeingeltenden Gesetzgebung in sich enthält, derjenige Mittelbegriff im vernünftigen Rechtsdenken, der die im Begriff vom äußeren Mein und Dein (§ 5 Abs. 1 S. 2) für sich abstrakt vorgestellte Realmöglichkeit eines äußeren Rechtsbesitzes im Einzelfall an sich in die konkrete Realmöglichkeit desselben schlüssig vermittelt. Dann aber muss dieser Mittelbegriff, als ein die abstrakte und die konkrete Realmöglichkeit eines äußeren Rechtsbesitzes an sich verbindender Begriff, schon im Begriff des äußeren Mein und Dein als begrifflich allgemein bestimmende Realbedingung allen (d. h. bloß gedachten oder auch wirklichen) äußeren Rechtsbesitzes innerlich vorausgesetzt sein, und die §§ 8–9 hätten folglich die vernunftbegriffliche Entwicklung eben dieser inneren realbegrifflichen Voraussetzung bereits im Naturzustand zu ihrem thematischen Gegenstand. Die progressiv-synthetische Begriffsreihe des äußeren Rechtsbesitzes nähme sich dann an diesem Punkt – unter Ausblendung aller schon im Vorblick auf das zweite Hauptstück (§ 6 Abs. 4) anfänglich bewusst gewordenen Vernunftbegriffe – wie folgt aus: - Begriff des intelligiblen Besitzes - Begriff einer öffentlich-gesetzgebenden Gewalt im bürgerlichen Zustand - Begriff vom äußeren Mein und Dein überhaupt - Begriff eines konkreten äußeren Mein und Dein in Einzelfällen § 8 Abs. 1294

Da die Voraussetzung einer allgemeingeltenden Gesetzgebung, die rein gedanklich schon im Begriff des intelligiblen Besitzes gelegen ist, im Rahmen der vorgestellten Konkretion (d. h. Anwendung) dieses höchsten Realbegriffs alles äußeren Rechtsbesitzes, d. h. in der konkreten Besitzbehauptung eines Einzelwillens bewusst geworden ist (§ 7 Abs. 1 S. 6), knüpft § 8 Abs. 1 S. 1 die weitere vernunftbegriffliche Entwicklung an eben diese konkrete Besitzbehauptung eines Einzelwillens an: „Wenn ich (wörtlich oder durch die That) erkläre: ich will, daß etwas Äußeres das Meine sein solle, so erkläre ich jeden Anderen für verbindlich, sich des Gegenstandes meiner Willkür zu enthalten: eine Verbindlichkeit, die niemand ohne diesen meinen rechtlichen Act haben würde.“

294 RL, AA VI: 255.26-256.13 (alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Absatz).

298

7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

a) Das autonomietheoretische Problem der individuellen Besitzbehauptung im Naturzustand Mit der individuellen Behauptung eines subjektiven Besitzrechtes eines einzelnen Willenssubjekts in Ansehung eines bestimmten äußeren Gegenstandes ist begrifflich die dementsprechende Verpflichtung aller anderen Rechtssubjekte zur ihrerseitigen Enthaltung in Ansehung desselben verbunden. Die individuelle Rechtsbesitzbehauptung geht begrifflich also mit einer Verpflichtung im interpersonalen Verhältnis einher und da es im bloßen Naturzustand keine im interpersonalen Verhältnis verpflichtende Instanz äußerer Gesetzgebung gibt, handelt es sich bei einer solchen naturzuständlichen Rechtsbesitzbehauptung für sich betrachtet um einen bloß einseitigen Willensakt, der als solcher keine rechtsverbindliche (d. h. gesetzliche) Kraft im interpersonalen Verhältnis haben kann. Rechtsverbindliche Kraft kommt diesem einseitigen Willens- oder Willkürakt unter dem allgemein bestimmend gebrauchten Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) im Naturzustand an sich nur unter Voraussetzung eines rechtsgesetzlichen Erlaubnisgesetzes (§ 2 Abs. 3) zu, nach dem die erste Inbesitznahme eines äußeren Gegenstandes mitsamt dem daraus gedanklich resultierenden Verpflichtungsverhältnis rechtlich möglich (d. h. erlaubt) ist. Nur unter diesem rechtsgesetzlichen Erlaubnisgesetz, das – als praktisches Gesetz – einen Allgemeinwillen in sich selbst zur Geltung bringt, denn sonst wäre es an sich gar kein Gesetz, kommt der individuellen Besitzbehauptung im Naturzustand dann rechtsverbindliche Kraft im Interpersonalverhältnis zu, da sie andernfalls an und für sich selbst nur als empirischer Gewaltakt eines empirischen Einzelwillens und somit als blanke Heteronomie, d. h. als das gerade Gegenteil von Autonomie (= Selbstgesetzgebung) im äußeren Verhältnis begriffen werden müsste. In (d. h. nicht außerhalb) der individuellen Besitzbehauptung liegt somit ein vernunftbegrifflich noch weiter aufzulösendes autonomietheoretisches Problem, wenn der Einzelwille in seiner individuellen Besitzbehauptung unter dem rechtsgesetzlichen Erlaubnisgesetz der praktischen Vernunft (§ 2 Abs. 3) nicht bloß als autonomer Allgemeinwille gedacht, sondern als solcher in seiner realen Einzelnheit als freier Wille auch Wirklichkeit außer dieses bloßen Gedankens haben soll. Philipp-Alexander Hirsch hat auf dieses autonomietheoretische Problem in einer jüngst erschienen Interpretation der Rechtslehre Immanuel Kants wohl erstmals in der erforderlichen und begrüßenswerten Deutlichkeit hingewiesen, obgleich dabei, jedenfalls nach den Begriffen der hier zu entwickelnden Interpretation, noch immer keine in allen Belangen begrifflich befriedigende Aufhebung desselben herausgearbeitet. Denn sein interpretatorischer Lösungsvorschlag, der die Beurteilung der fundamentalen Bedeutung des Staates in der Kantischen Rechtslehre gleichwohl gewiss auf ein bis dato in der rechtsphilosophischen Interpretation noch nicht erreichtes Niveau hebt, setzt erst bei einer im Naturzustand real schon zugestandenen „rechtlichen Fremdverpflichtung“ im äußeren Verhältnis an, die sich dann im Staat

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

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immerhin als „mittelbare Selbstverpflichtung“ begreifen lassen soll.295 Auf diese Weise aber setzt seine interpretatorische Aufhebung des autonomietheoretischen Problems im Grunde – gemeinsam mit jeder eigentums- oder privatrechtsspezifischen Auffassung von Besitz und Staat – offenbar noch immer ein heteronomes Rechtspflichtdenken für sich selbst voraus,296 das unter dem Begriff der Autonomie (d. h. Selbstgesetzgebung) eines freien Willens (§ 7 KpV) von vornherein undenkbar sein muss, weil ein an sich praktisch vernünftiger Begriff von Pflicht und Recht nur unter dem Begriff der Autonomie (Selbstverpflichtung), nicht aber unter dem Begriff der Heteronomie (Fremdverpflichtung) begriffen werden kann. Der Begriff der „rechtlichen Fremdverpflichtung“ enthält also in der Sphäre des praktisch realen Begriffs der Autonomie (§ 8 KpV) einen unaufgehobenen und unaufhebbaren Widerspruch in sich, weil jeder interpersonalen Verpflichtung begrifflich notwendig eine intrapersonale Verpflichtung vorausgeht.297 In diesem Punkt unterscheidet sich eine dezidiert metaphysische Lesart der Kantischen Rechtslehre folglich von einer jeden andernfalls zwangsläufig empirisch-reduzierten Lesart, die einem empirischen Einzelwillen, und sei es auch nur für ein flüchtiges Verstandesmoment, rechtsbegründende Kraft im bloßen Interpersonalverhältnis (Naturzustand) zuspricht, und so den ihm entgegengesetzten freien Einzelwillen in einem seine Freiheit nicht bewahrenden, sondern negierenden Sinne aufhebt, d. h. den freien Willen – bewusst oder unbewusst – in diesem Moment allgemein schlechterdings vernichtet, weil sie einen freien Willen außerhalb der Sphäre des allgemeinen Willens, damit aber außer des Begriffs des freien Willens setzt. Die Aufhebung des autonomietheoretischen Problems interpersonal praktisch realer Freiheit vermittelst einer empirisch-reduzierten Lesart der Kantischen Besitzlehre stellt sich so als die negatorische Aufhebung des einzelnen Rechtssubjekts selbst vor, da sie nicht auf der notwendigen Identität des freien Willens mit seinem allgemeinen Willen im reinen praktischen Begriff des freien Willens beruht. Eine wechselseitig tätige Anerkennung freier Subjektivität lässt sich mit dieser heteronomen Zwangsveranstaltung eines Interpersonalverhältnisses begrifflich also nicht gut verbinden. Vielmehr entspricht ein solches Rechtsdenken dem in der Kantforschung weithin anerkannten und nichtsdestotrotz sehr problematischen Gedanken, nach dem praktische Freiheit ursprünglich in einer „Faktizität von Verbindlichkeit“ gründen soll,298 sodass aus der Warte dieses Vorverständnisses auch sehr wahrscheinlich der gegen die folgende Interpretation der §§ 8 – 9 in seiner Beobachtung zutreffend gerichtete Einwand zu erwarten ist, die neuerdings gegebene Vorstellung 295

Hirsch, Freiheit und Staatlichkeit bei Kant (2017), S. 210 ff., 248 ff. Vgl. beispielsweise ausdrücklich Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 168 Fn. 148 („Fremdverpflichtung“) oder Brandt, in: ders. (Hrsg.): Rechtsphilosophie der Aufklärung (1982), S. 233 (261) („Freiheitsberaubung“). 297 Siehe zur Marginalisierungstendenz im Hinblick auf die intrapersonale Rechtspflicht durch ein abstraktes Rechtsdenken in bloßen Interpersonalverhältnissen schon oben unter A. im sechsten Kapitel. 298 Siehe kritisch dazu das erste Kapitel und weiterführend die dort in Fn. 1 genannte Studie. 296

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

entspreche nicht der bisherigen Kantvorstellung, insbesondere insofern sie dem Vernunftbegriff des Staates eine fundamentale Bedeutung für alles äußere Mein und Dein zuspricht. Der urvertraglich ideal gründende Staat wird in einem solchen Rechtsverständnis nämlich vorwiegend als ein wohl eher lästiger „Umweg“ angesehen, den man halt nehmen müsse, um „Fremdverpflichtung […] mit Freiheit und Gleichheit kompatibel zu machen“.299 b) Die vernunftbegriffliche Aufhebung dieses autonomietheoretischen Problems Da sich praktische Freiheit aber weder an und für sich selbst, noch im äußeren Verhältnis, auf die bisher landläufig noch vorherrschende Art und Weise mit einer wie auch immer gearteten „Faktizität“ vernünftig begreifen lässt, steuert § 8 Abs. 1 fortan auch tatsächlich auf die in den Sätzen 2 – 7 zu entwickelnde vernunftbegriffliche Realbedingung vom bürgerlichen Zustand im Begriff vom äußeren Mein und Dein hin, nach der die mit diesem Begriff zugleich praktisch-notwendig zu denkende Verpflichtung im interpersonalen Verhältnis gleichursprünglich als Selbstverpflichtung bzw. als Selbstgesetzgebung, d. h. als Autonomie (schon im Naturzustand) begriffen werden muss. Satz 2

Die individuelle Besitzbehauptung eines einzelnen freien Willens im Naturzustand enthält unter der Regel des allgemeinen Rechtsgesetzes bzw. Rechtsbegriffs (§§ C Abs. 4, B Abs. 3) begrifflich in sich nämlich eine Selbstverpflichtung in Ansehung aller äußeren Gegenstände, dadurch sich der seinen Rechtsbesitz behauptende Einzelwille mit allen anderen Einzelwillen zu einem Allgemeinwillen in Ansehung aller äußeren Gegenstände verbindet und sich so sein eigenes Gesetz in Ansehung des Gegenstandsbesitzes in äußeren Verhältnissen gibt.300 § 8 Abs. 1 S. 2 notiert daher im Hinblick auf die individuelle Besitzbehauptung: „In dieser Anmaßung aber liegt zugleich das Bekenntniß: jedem Anderen in Ansehung des äußeren Seinen wechselseitig zu einer gleichmäßigen Enthaltung verbunden zu sein; denn die Verbindlichkeit geht hier aus einer allgemeinen Regel des äußeren rechtlichen Verhältnisses hervor.“ Satz 3

Dieser gedankliche und mithin auch vernunftbegriffliche Sachverhalt, der bereits in § 7 Abs. 1 S. 6 im Rahmen der dort vorgestellten Konkretion des Begriffs vom intelligiblen Besitz bewusst geworden ist, erfährt nun in Satz 3 eine weitere Erläu299

Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 168 Fn. 148. NB: Diese Ableitung einer allseitig-äußeren Rechtspflicht aus dem Prinzip der inneren (intrapersonalen) Rechtspflicht im interpersonalen (äußeren) Verhältnis entspricht der oben unter A. im sechsten Kapitel vorgestellten Einteilung des Rechtsbegriffs unter dem Gesichtspunkt der unter ihm vorzustellenden Rechtspflichtarten. 300

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

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terung. Denn wenn die in der individuellen Besitzbehauptung liegende intrapersonale Selbstverpflichtung unter dem als allgemein bestimmend gebrauchten Rechtsbegriff als wechselseitige Verpflichtung im interpersonalen Verhältnis begriffen werden muss, dann bin ich als ein meinen Rechtsbesitz behauptendes Willenssubjekt „nicht verbunden, das äußere Seine des Anderen unangetastet zu lassen, wenn mich nicht jeder Andere dagegen auch sicher stellt, er werde in Ansehung des Meinigen sich nach ebendemselben Princip verhalten; […]“. Nun ist aber mit jedem bodenständigen Weltausgriff eines einzelnen Rechtssubjekts in äußeren Handlungen zwangsläufig eine individuelle Besitzbehauptung in Ansehung äußerer Gegenständlichkeit verbunden, und so lässt sich die wechselseitige Versicherung mit Blick auf den äußeren Rechtsbesitz unter dem als allgemein gebrauchten Rechtsbegriff nicht als ein besonderer empirischer Akt in der Zeit, sondern nur als mit dem rechtlichen Anspruch jeder äußeren Handlung bereits rein begrifflich verbundener Rechtsanspruch vernünftig denken: „[…] welche Sicherstellung gar nicht eines besonderen rechtlichen Acts bedarf, sondern schon im Begriffe einer äußeren rechtlichen Verpflichtung wegen der Allgemeinheit, mithin auch der Reciprocität der Verbindlichkeit aus einer allgemeinen Regel enthalten ist“. Die unter dem allgemeinen Rechtsbegriff rein begrifflich gedachte wechselseitige Versicherung bzw. „Sicherstellung“ im Hinblick auf den äußeren Rechtsbesitz ist somit nicht als eine dem vermeintlich schon für sich selbst hinreichend begründeten äußeren Rechtsbesitz (bzw. Eigentum) gleichsam akzessorisch anhängende empirische Nachversicherung anzusehen, sondern als ein im rechtlichen Begründungsanspruch eines äußeren Rechtsbesitzes ursprünglich enthaltenes und somit als ein dieses innerlich bestimmendes Begriffs- und Rechtsmoment zu begreifen. Satz 4

Das Rechtssubjekt dieser wechselseitigen „Sicherstellung“, die alles äußere Mein und Dein ursprünglich innerlich allgemeingesetzlich bestimmt und insofern ermöglicht, kann dabei aber, eben wegen dieser Wechselseitigkeit, nicht das einzelne Willenssubjekt für sich selbst, sondern nur dieses an und für sich selbst mit seinesgleichen a priori schon vereinigt gedacht sein. Deshalb macht Satz 4 zunächst nur explizit, dass einem Einzelwillen für sich selbst keine rechtsbegründende Kraft im interpersonalen Verhältnis zukommt, weil sein einseitiger Wille kein allseitiger und allgemein gesetzgebender Wille (d. h. Autonomie), sondern in dieser seiner Einseitigkeit bloßer Fremdzwang (d. h. Heteronomie) für seinesgleichen ist: „Nun kann der einseitige Wille in Ansehung eines äußeren, mithin zufälligen Besitzes nicht zum Zwangsgesetz für jedermann dienen, weil das der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen Abbruch thun würde.“ Satz 5

Sodann ist positiv festzustellen, welches Rechtssubjekt die wechselseitige „Sicherstellung“ in Ansehung des äußeren Weltzugriffs bzw. Rechtsbesitzes ausweislich seines Begriffs gewährleisten kann, wenn dies ein Einzelwille für sich selbst

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

nicht vermag. Da in der individuellen Besitzbehauptung eine wechselseitige Verpflichtung gelegen ist, muss dieses Rechtssubjekt die Fähigkeit zur Gewährleistung wechselseitiger Verbindlichkeit in sich haben und also ein gesetzgebungsfähiger Allgemeinwille sein: „Also ist nur ein jeden anderen verbindender, mithin collectiv allgemeiner (gemeinsamer) und machthabender Wille derjenige, welcher jedermann jene Sicherheit leisten kann.“ Denn nur ein Allgemeinwille stellt im Hinblick auf äußere Gegenstände eine noch größere Gewalt als ein bloßer Einzelwille vor, weil er – im Gegensatz zu diesen – aus sich selbst heraus notwendig rechtsmächtig, d. h. allgemeingesetzgebend vorzustellen ist. Der in Satz 6 als „machthabender Wille“ angesprochene Wille ist also ein reiner Rechtswille und der so verstandene Machtbegriff bedeutet folglich nicht (bloß) eine empirische Übergewalt in Ansehung des Besitzes äußerer Gegenstände, sondern er bezeichnet im Grunde eine sich selbst in Gesetzen bestimmende Rechtsmacht (d. h. Autonomie), die allen bloß empirischen Verhältnissen schon rein begrifflich überlegen ist und insofern für alle ihr begrifflich subordinierten Mächte (z. B. einzelne Rechtssubjekte) eine unwiderstehliche Zwangsmacht vorstellt. Insofern darf ein solcher „collectiv allgemeiner (gemeinsamer) und machthabender Wille“ auch nicht als die bloße Aggregation empirischer Willkürsubjekte missverstanden werden, denn dann werden weiterhin die Willkürsubjekte in ihrer Einseitigkeit als das äußere Mein und Dein rechtlich bestimmend gedacht. Genau dies aber ist die These Bernd Ludwigs, wenn er in seiner Interpretation von § 8 den „allgemeinen Willen“ als die „reale Einigung der Betroffenen über die Zuteilung des äußeren Mein und Dein“ empirisch reduziert verstehen will, um die empirische Realität eines vermeintlich kategorisch notwendigen Eigentums auch bereits im Naturzustand vor und unabhängig von dem Staat zu behaupten.301 Satz 6

Eine solche unwiderstehliche Zwangsmacht unter allgemeinen Gesetzen wird rein begrifflich im bürgerlichen Zustand unter einem gesetzgebenden Allgemeinwillen gedacht, weil nur im Staatsrechtssubjekt (§ 45) eine im äußeren Verhältnis allgemein gesetzgebungsfähige Instanz (d. h. Legislative) verbunden mit einer rechtlich übermächtigen Zwangsgewalt (d. h. Exekutive) über den dadurch in dieser Subordination zur bürgerlichen Gesellschaft im Staat koordinierten Privatrechtssubjekten vorgestellt wird. – Die Undenkbarkeit eines subjektiven Widerstandsrechts einzelner Privatrechtssubjekte gegen eine solche unwiderstehliche Zwangsgewalt in äußeren Rechtsgesetzen hängt hiermit begrifflich zusammen.302

301

Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 115 – 119 (117), der sogleich (118) auch offen einräumt, dass sich damit „die äußere Sphäre meiner angeborenen Freiheit […] unter Umständen bis zur Unkenntlichkeit [verschiebt]“. 302 Dazu RL, AA VI: 318 ff.

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

303

Satz 7

Folglich vermag nur das nach reinen Begriffen innerlich rechtsgesetzlich bestimmt gedachte Staatsrechtssubjekt die wechselseitige Sicherstellung in Ansehung des äußeren Rechtsbesitzes rechtsgesetzlich zu leisten und somit gilt der weithin überlesene303 oder jedenfalls empfindlich marginalisierte304 Satz 7 von § 8 Abs. 1: „Also kann es nur im bürgerlichen Zustande ein äußeres Mein und Dein geben.“ Der Begriff des bürgerlichen Zustandes – und mit ihm der Begriff des Staates – ist also als vernunftbegriffliche Realbedingung im bis hierin entwickelten Vernunftbegriff vom äußeren Mein und Dein gesetzt. Wenn dabei der praktisch reale Vernunftbegriff vom intelligiblen Besitz die höchste begriffliche Realbedingung im praktisch realen Vernunftbegriff des äußeren Mein und Dein vorstellt (§ 5 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 6), dann stellt der Begriff des bürgerlichen Zustandes einen praktisch realen und konkreten Mittelbegriff in diesem begrifflichen Realverhältnis dar, der die im Begriff vom intelligiblen Besitz bloß abstrakt gedachte allgemeingeltende Gesetzgebung (§ 7 Abs. 1 S. 6) in den Begriff vom äußeren Mein und Dein, damit aber auch in die konkreten Verhältnisse vom äußeren Mein und Dein unter diesem Begriff schlüssig vermittelt. Der Staat ist somit rein begrifflich die schlüssige Vermittlungsinstanz alles wirklichen äußeren Rechts in äußeren Besitzverhältnissen, sodass sich die folgende progressiv-synthetische Begriffsreihe vom äußeren Rechtsbesitz ergibt: - Begriff des intelligiblen Besitzes - Begriff einer öffentlich-gesetzgebenden Gewalt im bürgerlichen Zustand - Begriff vom äußeres Mein und Dein überhaupt

Der praktisch reale Begriff vom äußeren Mein und Dein, der bereits im Naturzustand völlig abstrakt gedacht werden kann und muss (§ 5 Abs. 1 S. 2), ist so innerlich in seiner eigenen Bestimmung von einem in ihm schon notwendig vorausgesetzten praktisch realen Vernunftbegriff abhängig, der erst außerhalb des Naturzustandes natürlichen Privatrechts, nämlich im Rechtszustand öffentlichen Rechts konkret gedacht werden wird. Auf diese Weise findet sich hier in § 8 Abs. 1 S. 7 nicht nur die begrifflich schlüssige Verknüpfung von natürlichem Privatrecht und öffentlichem Recht, sondern auch die begrifflich schlüssige Vermittlung von Autonomie (= Freiheit) ins äußere Verhältnis der Privatrechtssubjekte, sodass im Staat ein 303

So findet man z. B. in der besonders wirkmächtig gewordenen eigentumstheoretischen Interpretation von Wolfgang Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 177 – 228, 260 – 268, jedenfalls soweit dies angesichts der Vielzahl der darin dagegen ausführlich verhandelten Nachlassreflexionen ersichtlich ist, keine qualifizierte Auseinandersetzung des Fundamentalgedankens von § 8 (Abs. 1 S. 7), obgleich dieser einer jeden eigentumsspezifischen Interpretation kontradiktorisch entgegensteht. Wenn Kersting (260) den Staat einmal als geltungstheoretischen Bestandteil des vollständigen Rechtsbegriffs des Eigentums anspricht, dann setzt dies eine eigentliche rechtliche Eigentumssubstanz schon voraus und der Staat hängt ihr sodann lediglich noch akzessorisch an. 304 Siehe dafür beispielsweise Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 115 – 119 (und kritisch dazu oben bei Fn. 301).

304

7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

positiv verstandener Begriff von Privatautonomie im Interpersonalverhältnis ursprünglich aufgehoben ist.305 In dieser die Privatautonomie eines jeden einzelnen Willenssubjekts über das angeborene Recht der Freiheit als bloßer Unabhängigkeit hinaus erst positiv begreifender Weise von § 8 Abs. 1 S. 7 liegt dann zugleich die sie bewahrende Aufhebung des autonomietheoretischen Problems, das mit der individuellen Besitzbehauptung (Satz 1) verbunden ist und dessen schlüssige Aufhebung nicht schon in der als Heteronomie unbegriffenen Freiheit eines bloßen Einzelwillens für sich selbst gelegen ist (Satz 4). Kein einziger äußerer Rechtsbesitz lässt sich also unter dem als allgemein bestimmend gebrauchten Rechtsbegriff für sich selbst und gänzlich unabhängig vom praktisch realen Begriff des bürgerlichen Zustandes schon vor dem Staat als solches (d. h. in seiner Rechtsqualität) konkret oder auch nur abstrakt denken. Zwar lässt sich von der synthetisch-konkretisierenden Vorstellungswirkung des praktischen Vernunftbegriffs eines bürgerlichen Zustandes in der Vorstellung vom äußeren Mein und Dein gedanklich abstrahieren; allerdings vermag auch ein solchermaßen abstraktes Rechtsdenken den insofern als Realbedingung im Begriff vom äußeren Mein und Dein fungierenden und darum auch schon konkret im vernünftigen Rechtsbewusstsein als solchen gesetzten Begriff eines bürgerlichen Zustandes nicht aus dem begrifflichen Gesamtgefüge vom äußeren Rechtsbesitz heraus zu eskamotieren. Der Staat ist und bleibt – auch für alles bloß abstrakte Rechtsdenken – ein allen äußeren Rechtsbesitz innerlich gründlich mitbestimmender Vernunftgedanke und so läge eine substanzielle Verkehrung in der privatrechtsspezifischen Vorstellung, nach der die vermeintlich für sich selbst schon bestehende praktische Notwendigkeit des äußeren Mein und Dein (bzw. Eigentums) die praktische Notwendigkeit des Staates nach sich ziehen soll. Denn nicht der Rechtsbesitz äußerer Gegenstände ist unter rechtlichen Gesichtspunkten der praktisch-notwendige Selbstzweck (d. h. Substanz allen äußeren Rechts), sondern die rechtliche Bestimmung in äußeren Verhältnissen überhaupt, deren absolutes Subjekt der Staat mit seinem gesetzgebenden Allgemeinwillen ist, und nicht eine zufällige Eigentümer- oder Privatbesitzergesellschaft. Eine (privatrechtsspezifische) Interpretation, die einen äußeren Rechtsbesitz gleichwohl innerlich unabhängig und für sich selbst schon vor dem Staat (einstweilen nach Zeitverhältnissen schon ,provisorisch‘) subsistierend ansetzen wollte, ist darum mit dem alles äußere Mein innerlich erst begründenden Fundamentalgedanken des § 8 schlechterdings unvereinbar. Hierauf wird in einer idealistischen Kritik an einem bloß abstrakten Rechtsdenken im Hinblick auf das rein begriffliche Verhältnis von Besitz und Staat zurückzukommen sein. § 8 Abs. 2

Im Anschluss an den für den Begriff vom äußeren Mein und Dein fundamentalen Gedanken des § 8 Abs. 1 und die Überschrift von § 8 insgesamt formuliert § 8 Abs. 2

305

Vgl. dazu schon oben unter B. II. im sechsten Kapitel.

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nunmehr noch einen auf das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft (§ 2 Abs. 1) bezogenen sowie als Hypothese formulierten „ F o l g e s a t z “: „Wenn es rechtlich möglich sein muß, einen äußeren Gegenstand als das Seine zu haben: so muß es auch dem Subject erlaubt sein, jeden Anderen, mit dem es zum Streit des Mein und Dein über ein solches Object kommt, zu n ö t h i g e n , mit ihm zusammen in eine bürgerliche Verfassung zu treten.“ (RL, AA VI: 25614-18).

Die Hypothese, die nicht unmittelbar an die unmittelbare Gewissheit der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein in § 2 Abs. 1 anknüpft, erklärt sich dabei in zwei gedanklichen Schritten wie folgt: Mit dem rechtlichen Postulat der praktischen Vernunft, das die ganze bisherige Entwicklung des synthetischen Begriffs vom äußeren Mein und Dein als metaphysischer Anfangsgrundsatz im natürlichen Privatrechtsdenken fundiert, ist es kraft praktischer Vernunft unmittelbar gewiss, dass ein äußeres Mein und Dein rechtlich möglich ist (§ 2 Abs. 1). Innerhalb dieser rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein ist jedem einzelnen Willenssubjekt eine erste Besitznahme eines äußeren Gegenstandes schon im Naturzustand mitsamt der damit innerlich verbundenen Verpflichtung im interpersonalen Verhältnis erlaubt (§ 2 Abs. 3). Diese erlaubte interpersonale Verpflichtung hat aber zu ihrer inneren begrifflichen Voraussetzung den rechtsgesetzlichen Begriff einer öffentlich-gesetzgebenden Gewalt im bürgerlichen Zustand (§ 8 Abs. 1). Folglich ist mit dem Erlaubnisgesetz der praktischen Vernunft innerlich der praktisch-notwendige Begriff des bürgerlichen Zustandes verbunden. Allerdings handelt es sich um eine begrifflich nach innen hin vermittelte Verbindung des Erlaubnisgesetzes mit dem praktisch notwendigen Begriff des bürgerlichen Zustandes, nämlich gemäß den in der Architektonik der natürlichen Privatrechtslehre rein begrifflich mit dem Haben schon angelegten vernunftbegrifflichen Vermittlungsschritten (Haben/Handeln/Kraft/Substanz)306. Erst nach vollständiger vernunftbegrifflicher Entwicklung der im Privatrechtspostulat innerlich vorausgesetzten vermittelnden Rechtsbegriffe (§§ 10 – 40) stellt sich dann das Bewusstsein praktischer Notwendigkeit eines öffentlichen Rechts bürgerlicher Gesellschaft (§ 42 Abs. 1) mit vollständig intensiver Deutlichkeit ein. Ist alles äußere Mein und Dein in Privatrechtsverhältnissen aber mit § 8 Abs. 1 nur durch den in seinem Begriff als Realbedingung vorausgesetzten Vernunftbegriff einer öffentlich-gesetzgebenden Gewalt im bürgerlichen Zustand selbst begrifflich vermittelt rechtlich real möglich, weil die praktische Notwendigkeit im Begriff dieser öffentlich-gesetzgebenden Gewalt auch allem äußeren Mein und Dein seine begriffliche Notwendigkeit praktisch vermittelt, dann hängt die praktische Notwendigkeit der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein im natürlichen Privatrecht zugleich auch von der praktischen Notwendigkeit allen öffentlichen Rechts selbst, d. h. von derjenigen im Postulat des öffentlichen Rechts (§ 42 Abs. 1)

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Siehe dazu ausführlich schon oben unter B. II. im vierten Kapitel.

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ab.307 In diesem Sinne einer erst noch in ihren begrifflichen Vermittlungsschritten zur vollständigen intensiven Deutlichkeit aufzuklärenden praktischen Notwendigkeit, die der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein unter dem Begriff vom äußeren Mein und Dein ihre praktische Notwendigkeit begrifflich vermittelt, ist dann die hypothetische Formulierung der Bedingung im Folgesatz zu verstehen, bevor diese Hypothese in § 9 Abs. 1 S. 3 zur Thesis werden wird. Denn wenn es in einem seinerseits praktisch-notwendigen Zustand bürgerlicher Gesellschaft – wie § 8 Abs. 1 entwickelte – rechtlich möglich sein muß, einen äußeren Gegenstand als das Seine zu haben, dann ist die im Erlaubnisgesetz von § 2 Abs. 3 erlaubte Verpflichtung im interpersonalen Verhältnis letztlich als ein an sich selbst schon unmittelbar praktisch-notwendiger Zwang zu einer bürgerlichen Verfassung zu begreifen. Im Gegensatz zu den Behauptungen einer eigentums- oder privatrechtsspezifischen Interpretation wird also in den §§ 1 – 8 nirgendwo die an sich selbst bestehende praktische Notwendigkeit eines äußeren Mein und Dein (bzw. Eigentums) erwiesen, denn die Schaffung von äußeren Besitzverhältnissen (bzw. Eigentumsverhältnissen) ist kein mit der freien Willkür schon rechtsgesetzlich unmittelbar verbundener Zweck. Vielmehr steht es jedem Willkürsubjekt kraft seiner Privatautonomie frei, ob und in welchem Maß es sich die Schaffung von äußeren Besitzverhältnissen zur Materie seiner Willkür unter äußeren Rechtsgesetzen machen möchte, denn die freie Willkür ist sich auch unabhängig von dieser materialen Zweckbestimmung als solche in ihrem angeborenen Zustand selbst bewusst. Wohl aber kann sie sich selbst, in ihren äußeren Verhältnissen mit ihresgleichen verbunden, nicht ohne eine äußere Gesetzgebung über ihr rechtsgesetzlich bestimmt denken, sodass ihr die praktische Notwendigkeit einer bürgerlichen Gesellschaft als ein Postulat im Grunde unmittelbar bewusst ist (§ 42 Abs. 1). Also ist die bürgerliche Gesellschaft in ihrer praktischen Notwendigkeit unmittelbar mit dem Freiheitsbewusstsein einer freien Willkür im äußeren Verhältnis verbunden (vgl. dann § 9 Abs. 1 S. 3). Diese praktische Notwendigkeit einer bürgerlichen Gesellschaft, die zugleich die praktische Notwendigkeit der rechtlichen Möglichkeit alles äußeren Mein und Dein bedeutet, weil der Begriff bürgerlicher Gesellschaft vernunftbegriffliche Realbedingung im Vernunftbegriff vom äußeren Mein und Dein ist, ist also keineswegs mit einer vermeintlichen praktischen Notwendigkeit des äußeren Rechtsbesitzes (bzw. Eigentums) für eine freie Willkür selbst zu verwechseln, weil ihre Freiheit dann durch diese materiale Zweckbestimmung verloren ginge. Eben dieses vernunftschlüssige Begründungsverhältnis der praktischen Notwendigkeit einer bürgerlichen Gesellschaft und der praktischen Notwendigkeit der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein darin steht in einer privatrechtsspezifischen Interpretation der Kantischen Besitzlehre auf dem Kopf, die aufgrund der eigens unterlegten praktischen Notwendigkeit des äußeren Mein und Dein (bzw. Eigentums) selbst die praktische Notwendigkeit der bürgerlichen Ge307

Siehe dazu auch Beck, Commentar über Kants Metaphysik der Sitten I (1798), S. 184.

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sellschaft in der akzessorischen Folge des Eigentums vermittelt begründet wissen will;308 obgleich diese praktische Notwendigkeit einer bürgerlichen Gesellschaft für Kant mit einem Postulat (§ 42 Abs. 1) tatsächlich schon als unmittelbar gewiss gilt und daher auch als gar keiner weiteren Begründung fähig angesehen wird. Auf diese – eine rechtliche Möglichkeit mit einer rechtlichen Notwendigkeit kurzerhand verwechselnde – Weise309 behauptet beispielsweise Bernd Ludwig eine in den §§ 1 – 9 zu verortende eigentumstheoretische Begründung der praktischen Notwendigkeit des Staates. Von dieser nahm er zunächst an, dass sie die alleinige Begründung für die praktische Notwendigkeit des Übergangs in den Staat darstelle,310 bevor er sich in einem gemeinsam mit Karlfriedrich Herb verfassten Aufsatz zu einer gegenteiligen Auffassung durchrang. Demnach wollen die beiden Autoren einerseits bereits mit § 8 Abs. 2 den „Nachweis der rechtlichen Notwendigkeit der bürgerlichen Verfassung“,311 und zwar obendrein „vermittels einer Analyse der Möglichkeit des rechtlichen Bezuges freier Wesen auf äußere Gegenstände der Willkür“, als erbracht ansehen, sodass dieses privatrechtliche Begründungsmodell von einem es noch zusätzlich flankierenden naturzuständlichen Begründungsmodell (§§ 42, 44) andererseits zu unterscheiden sei.312 – Richtigerweise folgt aber aus einer bloßen praktischen Möglichkeit nicht schon eine praktische Notwendigkeit, insbesondere wenn letztere nicht bereits ursprünglich in ersterer innerlich als bestimmend vorausgesetzt ist, wobei schon ganz davon abgesehen ist, dass die Kantische Me308 Siehe dafür oben Fn. 41, 43 m.w.N.; vgl. im Übrigen beispielsweise Kersting, Eigentum, in: Kolmer/Wildfeuer (Hrsg.): Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe I, Freiburg/ München 2011, S. 585 (590). 309 Siehe dazu schon im Zusammenhang mit einer Interpretation des Erlaubnisgesetzes oben Fn. 87, 88. 310 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 119 f. 311 So in diesem Punkt auch Hespe, in: Hüning/Tuschling (Hrsg.): Recht, Staat und Völkerrecht bei Immanuel Kant (1998), S. 293 (305); Hirsch, Freiheit und Staatlichkeit bei Kant (2017), S. 272 ff.; Rühl, Kants Deduktion des Rechts als intelligibler Besitz (2010), S. 91 f. 312 Herb/Ludwig, KS 83 (1993), S. 283 ff. (besonders 292 f./307) unter Verweis (in Fn. 4) auf Kersting, PrimaPhilos 1 (1988), S. 107 (110 f.), der in: Kant über Recht (2004), S. 109 ff. ebenfalls eine These zweifacher Begründung der praktischen Notwendigkeit des bürgerlichen Zustandes vertritt. Mit der Textedition Bernd Ludwigs arbeitend, hat auch Kräft, Apriorität und Positivität des Rechts nach Kant (2011), S. 25, 47, 52 die offenbar in Unkenntnis der Arbeit Herb/Ludwig erdachte These aufgestellt, eine „vollständige Parallelbegründung der Notwendigkeit des Staates aus instrumenteller Vernunft“ finde sich in den §§ 42 ff. Während die vorstehenden Interpretationen also zwei nebeneinander gesetzte Begründungen für die praktische Notwendigkeit des Staates gefunden zu haben glauben, behauptet Hirsch, Freiheit und Staatlichkeit bei Kant (2017), S. 285 ff. neuerdings, zwei ineinander gesetzte Begründungen für dieses Notwendigkeit nachweisen zu können, denn die eigentumstheoretische Staatsbegründung (§§ 1 – 9) stelle einen „besonderen Anwendungsfall“ einer vorgängigen und schon in den Einteilungen des allgemeinen Rechtsbegriffs selbst zu verortenden „autonomietheoretischen Staatsbegründung“ dar. In den Einteilungen des allgemein bestimmenden Rechtsbegriffs findet sich aber keine Staatsbegründung, sondern darin finden sich – wie schon gesehen – lediglich begriffliche Einteilungen des allgemeinen Begriffs des Rechts.

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thode der Begriffsentwicklung in den §§ 1 – 9 – wie sie vorstehend nachgezeichnet wurde – wohl kaum als Analyse des praktischen Satzes von § 2 Abs. 1 verstanden werden kann.313 Die Thesen des Interpretenduos werden dann zuletzt auch nicht dadurch richtig, dass sie zwei Begründungen für ein und eben denselben Gegenstand reinen Rechtsdenkens dort behaupten, wo gar keine Begründung möglich ist. c) Begriffliche Folgen dieser Aufhebung für den Besitzbegriff Mit diesem kritisch geschärften Blick sowie dem ihm zugrundeliegenden intensiven Bewusstsein des Rechtsbegriffs, demnach der praktisch reale Vernunftbegriff einer öffentlich-gesetzgebenden Gewalt in einem bürgerlichen Zustand begriffliche Realbedingung im praktisch realen Vernunftbegriff eines äußeren Mein und Dein unter ihm ist, sind nun die begrifflichen Folgerungen im Hinblick auf den naturzuständlich gedachten Besitzbegriff zu untersuchen. Dabei entsteht das begrifflich aufzuhebende Problem im vernünftigen Rechtsdenken, dass der praktisch reale Vernunftbegriff vom äußeren Mein und Dein bereits im Naturzustand gedacht werden kann und muss (§ 5 Abs. 1 S. 2), während der darin als begriffliche Realbedingung vorausgesetzte Begriff vom bürgerlichen Zustand der Gesellschaft an sich erst außerhalb des Naturzustandes, nämlich im Rechtszustand gedacht wird (§§ 43 ff.). §9

In welcher rein begrifflichen (d. h. metaphysischen) Weise kann also ein besonderer Privatrechtsbegriff unter dem als allgemein bestimmend gebrauchten Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) schon im Naturzustand (§§ 1 ff.) vor allem öffentlichen Rechtszustand (§§ 43 ff.) als praktisch-notwendiger Rechtsbegriff konkret gedacht werden, der für sich selbst einen nicht naturzuständlichen, sondern öffentlichrechtlichen Rechtsbegriff über sich in sich selbst real voraussetzt (§ 8 Abs. 1)? Da der Begriff vom äußeren Mein und Dein als praktisch realer Begriff im Naturzustand bereits als solcher real gedacht wurde (§§ 1 – 8), kann die rein begriffliche Auflösung dieses Denkproblems gewiss nicht darin bestehen, den Begriff vom äußeren Mein und Dein, und zwar infolge der Bewusstmachung seiner außernaturzuständlichen Realbedingung, im Naturzustand, d. h. dort wo diese insofern noch transzendente Realbedingung bewusst wurde, zum Verschwinden zu bringen. Damit ginge in der Tat ein begrifflich notwendiges Übergangsmoment praktischer Selbstständigkeit des Privatrechtssubjekts im äußeren Verhältnis verloren. Die Lösung kann aber ebenso nicht darin bestehen, den Begriff vom bürgerlichen Zustand, und zwar weil er im Naturzustand noch nicht an sich selbst, sondern nur für alles äußere Mein und Dein gedacht wird, im Naturzustand, d. h. dort wo seine stets schon vorausgesetzte allgemeine Bestimmung bereits für das naturzuständliche und darum 313 Kritisch daher auch Fulda, JRE 5 (1997), S. 267 (insb. 285); Geismann, Kant und kein Ende III (2012), S. 32 Fn. 71.

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noch abstrakte Privatrecht gedacht werden muss, zum Verschwinden zu bringen. Denn dann müsste einem empirischen Einzelwillen in Ansehung eines äußeren Gegenstandes rechtsbegründende Kraft im Interpersonalverhältnis zugesprochen werden, sodass ein äußerer Rechtsbesitz zugleich schon außerhalb seines Begriffs ganz konkret in einer Zeit als existent gedacht würde und mit dieser Hypostase des naturzuständlichen Rechtsbewusstseins nicht nur die rein metaphysische Ebene der Kantischen Rechtslehre verlassen, sondern mit der Heteronomie des einen interpersonal rechtsbegründend vorgestellten Einzelwillens auch die Freiheit aller übrigen einzelnen Willenssubjekte gründlich vernichtet würde. Vielmehr muss die begriffliche Auflösung des Problems also eine die bisherige begriffliche Entwicklung dieser privatautonomen Selbstständigkeit des Rechtssubjekts im äußeren Verhältnis in sich wahrende Aufhebung vorstellen. § 9 Abs. 1 leistet eben dies mit den beiden jeweils adjektivisch auf den reinen Rechtsbesitzbegriff bezogenen Prädikaten „provisorisch“ und „peremtorisch“. Denn der reine praktische Begriff des intelligiblen Besitzes – als höchster Gattungsbegriff in der progressivsynthetischen Begriffsreihe vom Besitz (s. o.) – verbindet unter sich den Begriff vom bürgerlichen Zustand mit dem Begriff vom äußeren Mein und Dein synthetisch, sodass ein konkreter äußerer Besitz eines Gegenstandes unter dem Begriff vom äußeren Mein und Dein (§ 5 Abs. 1 S. 2), unter Abstraktion von einem wirklichen bürgerlichen Zustand (d. h. im Naturzustand) vorgestellt, provisorisch schon als äußerer Rechtsbesitz angesehen werden muss, weil er in dieser begrifflichen Konstellation doch schon unter dem Begriff von einem bürgerlichen Zustand stehend gedacht wird (§ 8 Abs. 1), und insofern nur im begrifflichen Hinblick auf einen konkreten bürgerlichen Zustand begriffen werden kann. Bei Aufhebung dieser Abstraktion von der Vorstellung eines konkreten bürgerlichen Zustandes, d. h. unter dem Begriff der konkreten Vorstellung eines bürgerlichen Zustandes, resultiert dann begrifflich ein peremtorischer Rechtsbesitz, weil die rechtliche Bestimmung dieses Rechtsbesitzes in der Vorstellung einer wirklichen bürgerlichen Gesellschaft unter dem Begriff vom äußeren Mein und Dein aufgehoben ist. § 9 nimmt mit dem Tenor seiner Überschrift also kein Wort des für alles äußere Mein und Dein fundamentalen Grundgedankens von § 8 gedanklich zurück, sondern zieht nur die begrifflich notwendig differenzierende Folgerung im Hinblick auf die Vorstellung von einem konkreten Besitz unter dem Begriff vom äußeren Mein und Dein, wenn er titelt: „ I m N a t u r z u s t a n d e k a n n d o c h e i n w i r k l i c h e s , aber nur provisorisches äußeres Mein und Dein statt h a b e n . “314 Unerlässlich für das zutreffende Verständnis dieses wichtigen Satzes in einer Metaphysik des Rechts ist nach allen bisherigen Überlegungen folglich die im reinen Rechtsdenken bestenfalls disziplinierend wirkende Einsicht, dass mit dem auf den – im Naturzustand rein begrifflich bloß gedachten – äußeren Rechtsbesitz bezogenen Adjektiv „wirklich“ an dieser Stelle keine empirische Existenzaussage verbunden 314

RL, AA VI: 256.20-21.

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sein kann, sodass dieses Adjektiv, das eine zuvor (§ 5 Abs. 1 S. 2) schon gedachte rein realbegriffliche Relation im denkmöglichen Einzelfallbezug näher kennzeichnet, nicht mit einem Zeitschema im Verständnis unterlegt werden darf. Wie gegen ein zurzeit noch vorherrschendes Kant- und Wortverständnis dann erinnert werden muss, hat das Adjektiv „provisorisch“ somit in seinem metaphysischen Gebrauch nicht die mittlerweile im Alltagssprachverständnis gängig gewordene und zeitlich konnotierte Bedeutung von „vorläufig“. – In dieser gleichwohl weithin anzutreffenden empirisch reduzierten Auffassung liegt vielmehr ebendieselbe alltagssprachlich-positivistische Bedeutungsreduktion eines ursprünglich reinen und metaphysischen Wortgehalts, den die moderne Kantforschung auch dem zurechnungstheoretischen Begriff vom „Factum der Vernunft“, und zwar mit fatalen Konsequenzen für das Verständnis des Kantischen Freiheitsbegriffs, hat angedeihen lassen, wenn sie bei dieser Wendung „Faktizität“ anstatt „Factum“ im Verständnis für sich selbst setzt.315 § 9 Abs. 1316

Mit einem empirischen Verständnis der im Folgenden auseinanderzusetzenden Wendung vom „provisorischen“ Besitz wäre mit der darin liegenden Existenzbehauptung vorstaatlicher äußerer Besitzrechte zugleich ein materielles Natur- oder Vernunftrecht eingeführt. Man rühmt Immanuel Kant jedoch nicht zu Unrecht dafür, den voraufgeklärten Gedanken eines materiellen Idealrechts mit seiner kritischmetaphysischen Rechtslehre ein für alle Mal hinter sich gelassen zu haben. Denn in rein begrifflichen (= metaphysischen) Relationen vernünftigen Rechtsdenkens existieren keine subjektiven Rechte, die über die mit der idealen Konstitution eines freien Willens ursprünglich stets schon verbundene Freiheit im äußeren Verhältnis hinausgehen, sondern es gibt darin wirklich lediglich reine Grundbegriffe von solchen subjektiven äußeren Rechten, die dann unter einer empirischen Staatswirklichkeit auch empirisches Einzeldasein außerhalb des bloß vernünftigen Gedankens haben können, wenn und weil der praktische Vernunftbegriff des bürgerlichen Zustandes eines freien Willenssubjekts begriffliche Realbedingung innerhalb solcher metaphysischer Grundbegriffe von subjektiven äußeren Rechten ist (§ 8 Abs. 1). In diesem Sinne sollte nun, will man den Autor der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre nicht zu Unrecht für seine geistigen Errungenschaften rühmen, auch § 9 Abs. 1 S. 1 nicht mit einer weiteren Gedankenlosigkeit seitens der eigentums- oder privatrechtsspezifischen Interpretation dahingehend einfach missverstanden werden, als manifestiere sich darin der Primat eines materiellen Naturprivatrechts (Lockescher Provenienz), das vor jeder – gedachten oder auch empirisch wirklichen – Staatlichkeit schon seine für sich selbst bestehende Geltung besitzt. Für den Selbstanspruch einer metaphysischen Rechtslehre dürfte es nämlich keine zu vernachlässigende Kleinigkeit sein, ob sich darin tatsächlich eine solche materielle 315

Siehe dazu oben im ersten Kapitel und begriffsgeschichtlich weiterführend die dort in Fn. 1 genannte Studie. 316 RL, AA VI: 256.22-257.19 (alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Absatz).

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Rechtsbehauptung eingebildet findet, und so versteht sich die hiesige Interpretation, die auf diesen entscheidenden Unterschied besteht, selbst nicht als Rabulistik, auch wenn sie mit einem empirischen Kantverständnis an dieser Stelle gerne Tabula rasa machen möchte. Satz 1

Zu einer Hypostase des Begriffs vom äußeren Mein und Dein dürfte sich ein im Grunde schon kritisch gestimmtes Rechtsbewusstsein nun allerdings mit dem ersten und kraftvoll klingenden Satz von § 9 geradezu eingeladen fühlen: „Das N a t u r r e c h t im Zustande einer bürgerlichen Verfassung (d. i. dasjenige, was für die letztere aus Principien a priori abgeleitet werden kann) kann durch die statutarischen Gesetze der letzteren nicht Abbruch leiden, und so bleibt das rechtliche Princip in Kraft: „Der, welcher nach einer Maxime verfährt, nach der es unmöglich wird, einen Gegenstand meiner Willkür als das Meine zu haben, lädirt mich; […].“ Doch was sich hier auf einen ersten Blick nach einem a priori durch den Naturzustand materiell vorgegebenen Privatrechtsstandard anhört, den es unter positiven staatlichen Gesetzen zu hegen und pflegen gilt, das „N a t u r r e c h t im Zustande einer bürgerlichen Verfassung“, entpuppt sich nämlich, bei Lichte des Klammerzusatzes besehen, als etwas völlig anderes. Gemeint ist danach dasjenige Naturrecht, das sich für die letztere, d. h. für eine bürgerliche Verfassung, aus Prinzipien a priori ableiten lässt. Die rein rechtsbegrifflichen Verfassungsprinzipien für eine bürgerliche Gesellschaft finden sich unter dem Postulat des öffentlichen Rechts (§ 42 Abs. 1) aber erst im öffentlichen Recht entwickelt (§§ 43 ff.), sodass die positiven staatlichen Gesetze in § 9 Abs. 1 S. 1 nicht einem materiellen Naturprivatrechtskorpus (verkürzt: dem im Naturzustand durch Okkupation vermeintlich wohlerworbenen Eigentumsprivatrecht), sondern einem rein vernunftbegrifflichen natürlichen Staatsrecht entgegengesetzt werden. Folglich ist es der rein vernunftbegrifflich bestimmte Verfassungsauftrag (§ 42 Abs. 1), der durch die positiven Gesetze einer bürgerlichen Verfassung, die nur durch sie selbst vorstellbar sind, „nicht Abbruch leiden“ kann. Da nun der öffentlichrechtliche Vernunftbegriff eines bürgerlichen Zustandes aber begriffliche Realbedingung im Privatrechtsbegriff vom äußeren Mein und Dein unter ihm ist (§ 8 Abs. 1), geht der öffentliche Verfassungsauftrag letztlich dahin, einen allgemein gesetzgebenden Willen zu verfassen, durch den die darin in einer bürgerlichen Gesellschaft aufgehobenen Privatrechtssubjekte darunter ihren Rechtsbesitz in äußeren Verhältnissen privatautonom auch positiv bestimmen können; erst durch den Staat lässt sich ein positiv verstandener Begriff von Privatautonomie, d. h. Freiheit im äußeren Verhältnis denken. In diesem Sinne bleibt dann das bereits in § 6 Abs. 4 bzw. § 6 Abs. 8 auseinandergesetzte „rechtliche Princip“ (d. h. der „Grundsatz des natürlichen Rechts“ = das Erlaubnisgesetz) von § 2 Abs. 3 „in Kraft: ,Der, welcher nach einer Maxime verfährt, nach der es unmöglich wird, einen Gegenstand meiner

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Willkür als das Meine zu haben, lädirt mich‘“.317 Denn in der äußeren Verpflichtungsbefugnis des Erlaubnisgesetzes liegt gleichursprünglich vorausgesetzt rein begrifflich schon ein Zwangsrecht zur Verfassung eines bürgerlichen Zustandes (vgl. § 8 sowie auch noch § 9 Abs. 1 S. 3 und § 15 Abs. 1), sodass jedem widerstanden werden darf, der ein Rechtssubjekt an der ersten Besitznahme eines äußeren Gegenstandes und der darin innerlich schlüssig gedanklich vorausgesetzten Verfassungstätigkeit hindert. Damit löst sich dann auch ein viel beschriebenes Interpretationsproblem in Wohlgefallen auf, das in einer eigentumstheoretischen Interpretation mit dem begründenden Fortgang des ersten Satzes von § 9 Abs. 1 zwangsläufig im Denken entsteht: „[…] denn bürgerliche Verfassung ist allein der rechtliche Zustand, durch welchen jedem das Seine nur gesichert, eigentlich aber nicht ausgemacht und bestimmt wird“: Nach dem hier herausgestellten Gedanken, der den öffentlich-rechtlichen allgemeinen Begriff bürgerlicher Verfassung als begriffliche Realbedingung im besonderen Privatrechtsbegriff vom äußeren Mein und Dein versteht (§ 8 Abs. 1 S. 7), lässt sich ein positiv verstandener Begriff von Freiheit im äußeren Verhältnis (d. h. Privatautonomie) nur in einer bürgerlichen Gesellschaft im Staat denken. Demnach bestimmt der Staat die äußeren Besitzverhältnisse der Privatrechtssubjekte in ihm nur mittelbar, nämlich indem er in der Form seiner Verfassung die rechtlichen Bedingungen einer positiv verstandenen Privatautonomie der Privatrechtssubjekte gewährleistet, d. h. die Bürger als freie, gleiche und selbstständige Rechtssubjekte in ihren Privatrechtsverhältnissen anerkennt (vgl. § 46 Abs. 2). In dieser verfassungsrechtlichen Anerkennung der positiv verstandenen Freiheit eines jeden einzelnen Rechtssubjekts im Staat (vgl. § 46 Abs. 4 S. 3) liegt dann die positivgesetzliche Sicherung derjenigen Bestimmungen, die sich die Privatrechtssubjekte in ihren äußeren Verhältnissen vermittelst ihres staatlichen Allgemeinwillens (vgl. § 46 Abs. 1) unmittelbar selbst gegeben haben. Eine solchermaßen verstandene Privatautonomie der Privatrechtssubjekte steht also nicht in einem unaufgehobenen Gegensatz zur staatsrechtlichen Autonomie des Staatsrechtssubjekts, sondern in einer vernunftschlüssigen Einheit mit derselben, weil diese nur durch jene (vgl. § 47) und jene nur durch diese (§ 8 Abs. 1) denkmöglich ist. In diesem wechselseitigen Verständnis bestimmt der Staat die äußeren Privatrechtsverhältnisse nicht „eigentlich“, sondern sichert sie durch seine allgemeingesetzliche Bestimmung lediglich. Dagegen beginnt für eine eigentums- oder privatrechtsspezifische Interpretation der Kantischen Rechtslehre mit dem jetzt auseinandergesetzten Satz von § 9 Abs. 1 317 Insofern § 9 Abs. 1 S. 1 auf einen Gedanken der Abs. 4 – 8 des § 6 rekurriert, ist der Gedanke von § 9 nach gedanklicher oder gar editorisch-werktätiger Aussonderung dieser nur vermeintlich falsch eingeschobenen Absätze (vgl. dazu kritisch schon oben) schlechterdings nicht mehr – im hier herauszuarbeitenden Sinne – verständlich, sodass es nicht verwundert, wenn sich sodann ein empirisches Missverständnis desselben einstellt und sich die folgende Interpretation darum auch nur als das rabulistische Zerrbild eines auf dieser gedankenlosen Aussonderung beruhenden Verständnisses der Kantischen Rechtslehre darstellt.

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die so oder so, nur nicht rein begrifflich bestimmt, sondern nach willkürlichem Gutdünken zu beantwortende Frage der Verteilungsgerechtigkeit, d. h. ob und ggf. in welchem Umfang der Staat das vermeintlich materiell schon vorgefundene Naturprivatrecht der ihm mit ihren vorstaatlichen (Eigentums-)Ansprüchen entgegentretenden Privatrechtssubjekte selbst eingreifend bestimmen darf.318 Die somit mit Blick auf das Verhältnis von Privatrechts- und Staatsrechtssubjekt möglicherweise schon nicht ganz richtig gestellte Frage nach einer in der Rechtslehre Immanuel Kants vermeintlich angelegten Sozialstaatlichkeit dürfte offensichtlich auf diesem interpretatorischen Vorverständnis beruhen.319 Sätze 2 – 3

Die allgemeinwillentliche Sicherungsfunktion einer bürgerlichen Verfassung für das darin wirklich vorstellbare äußere Recht, d. h. für das Privatrecht in Ansehung äußerer Gegenstände, setzt also nach dem Vorstehenden die privatautonome Selbstständigkeit der Privatrechtssubjekte in sich selbst und durch sich selbst voraus. Im Staat ist damit ein äußerer Privatrechtsbesitz der Privatrechtssubjekte unter dem Staatsrechtssubjekt vorausgesetzt, weil der praktische Vernunftbegriff einer bürgerlichen Verfassung unter sich den praktischen Vernunftbegriff vom äußeren Mein und Dein zum Gegenstand seiner Bestimmung hat, eben weil dieser jenen in sich selbst zu seiner praktischen Bestimmung für sich selbst voraussetzt (§ 8 Abs. 1 S. 7). Dieser mit § 9 Abs. 1 S. 1 verbundene und an den dortigen Gedanken der staatlichen Sicherung des Rechtsbesitzes anknüpfende Sachverhalt gelangt nun in Satz 2 zum Ausdruck: „Alle Garantie setzt also das Seine von jemanden (dem es gesichert wird) schon voraus.“ Im Anschluss an diesen Satz differenziert § 9 Abs. 1 S. 3 die darin genannte Voraussetzung weiter in sich aus. Denn wenn im Staat zum Zwecke seiner eigenen rechtlichen Bestimmung ein äußerer Rechtsbesitz wirklich vorausgesetzt werden muss, dann muss vor dem Staat im Naturzustand – d. h. mit einer gedanklichen Abstraktion vom praktischen Vernunftbegriff des Staates und der ihm eigentümlichen rechtlich-praktischen Bestimmung – ein äußerer Rechtsbesitz unter dem 318

Siehe dafür Brandt, Eigentumstheorien von Grotius bis Kant (1974), S. 193; Geismann, Kant und kein Ende III (2012), S. 32; Hirsch, Freiheit und Staatlichkeit bei Kant (2017), S. 284 f. Fn. 139; Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 263 ff.; Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 158; Luf, Freiheit und Gleichheit (1978), S. 116 ff.; Saage, Eigentum, Staat und Gesellschaft bei Immanuel Kant (19942), S. 74 ff.; Wawrzinek, Die „wahre Republik“ (2009), S. 106; siehe das Problem referierend ferner auch Henrich, Das Emissionsrecht (2015), S. 144 – 154, 163 – 183. 319 Vgl. zu dieser Debatte etwa Geismann, Kant und kein Ende III (2012), S. 158 ff.; Höffe, „Königliche Völker“ (2001), S. 132 ff.; Kersting, in: Kant über Recht (2004), S. 127 ff.; Kühnemund, Eigentum und Freiheit (2008), S. 160 ff.; Kühl, in: Höffe (Hrsg.): Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (1999), S. 117 (128 – 131); Steigleder, Kants Moralphilosophie (2002), S. 215 ff.; Süchting, Eigentum und Sozialhilfe (1995); Zotta, Legitimität und Recht (2000), S. 95 ff. – Köhler, in: Zaczyk/Köhler/Kahlo (Hrsg.): FS E.A. Wolff (1998), S. 247 (268) spricht hier immerhin von einer ,schiefen Fragestellung‘.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

praktischen Vernunftbegriff des intelligiblen Besitzes als möglich vorausgesetzt werden. Denn nur was zuvor gedanklich schon möglich ist, kann sodann unter seiner insofern spezifischen begrifflichen Realbedingung gedanklich auch wirklich sein.320 In diesem Sinne repetiert § 9 Abs. 1 S. 3 das mit § 8 Abs. 1 schon bestimmte Verhältnis von bürgerlichem Zustand und Naturzustand in Ansehung des Besitzes äußerer Gegenstände, und verwandelt zugleich die Hypothese des Satzes von § 8 Abs. 2 zur These: „Mithin muß vor der bürgerlichen Verfassung (oder von ihr a b g e s e h e n ) ein äußeres Mein und Dein als möglich angenommen werden und zugleich ein Recht, jedermann, mit dem wir irgend auf eine Art in Verkehr kommen könnten, zu nöthigen, mit uns in eine Verfassung zusammen zu treten, worin jenes gesichert werden kann.“ Gegen die vorherrschende eigentums- oder privatrechtsspezifische Auffassung der Kantischen Rechtslehre ist hier an dieser Stelle nochmals deutlich darauf zu insistieren, dass vor dem Staat im Naturzustand nicht die praktische Notwendigkeit oder Wirklichkeit eines äußeren Mein und Dein (bzw. des Eigentums) vorausgesetzt bzw. behauptet wird, sondern lediglich die rechtliche Möglichkeit, und zwar so, wie sie metaphysisch grundsätzlich in § 2 Abs. 1 postuliert und begrifflich in § 5 Abs. 1 Satz realdefiniert sowie schließlich in ihrer Konkretion mit § 8 Abs. 1 S. 7 von der Vermittlung des praktischen Vernunftbegriffs eines bürgerlichen Zustandes abhängig ist. Eine anderslautende Interpretenbehauptung in Bezug auf das erste Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre,321 beispielsweise der Satz „Die Schaffung von Eigentumsverhältnissen ist ein kategorischer Imperativ“322, ist mit dem Textbefund von § 9 Abs. 1 S. 3 schlechterdings unvereinbar. Satz 4

Nach diesen den begründungspraktischen Fundamentalgedanken des § 8 nochmals differenziert auseinandersetzenden gedanklichen Zurüstungen der Sätze 1 – 3 von § 9 Abs. 1 führt nun Satz 4 erstmals die wichtige begriffliche Unterscheidung eines provisorischen Besitzes von einem peremtorischen Besitz ein: „Ein Besitz in Erwartung und Vorbereitung eines solchen Zustandes, der allein auf einem Gesetz des gemeinsamen Willens gegründet werden kann, der also zu der M ö g l i c h k e i t des Letzteren zusammenstimmt, ist ein p r o v i s o r i s c h - r e c h t l i c h e r Besitz, wogegen derjenige, der in einem solchen w i r k l i c h e n Zustande angetroffen wird, ein p e r e m t o r i s c h e r Besitz sein würde.“

320

In diesem Sinne war auch bereits der Satz der dritten (allseitigen) Rechtspflichtart (RL, AA VI: 237.01-08) in der vernunftschlüssigen Einteilung des allgemeinen Rechtsbegriffs der Menschen zu interpretieren, siehe dazu oben unter A. I. 3. im sechsten Kapitel. 321 Vgl. dafür oben Fn. 41, 43 m.w.N. 322 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 170.

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aa) Der Begriff des „provisorisch-rechtlichen“ Besitzes Der Besitz eines einzelnen äußeren Gegenstandes vor dem Zustand einer bürgerlichen Verfassung, d. h. der einzelne Besitz im Naturzustand kann demnach unter einer noch weiter zu beleuchtenden Bedingung als ein provisorisch-rechtlicher Besitz allgemein begriffen werden. Allerdings ist dieser provisorisch-rechtliche Einzelbesitz im Naturzustand gedanklich nicht unabhängig vom bürgerlichen Zustand, denn es handelt sich dabei um einen „Besitz in Erwartung und Vorbereitung eines solchen Zustandes“. Demnach ist im Folgenden jedes Wortverständnis zurückzuweisen, das dieses Vorbereitungs- und Erwartungsverhältnis des provisorischen Rechtsbesitzes im Naturzustand zum Verschwinden bringt. Folglich ist jetzt zunächst das mit diesem Begriff rein begrifflich (d. h. metaphysisch) begriffene Verhältnis des naturzuständlichen Einzelbesitzes zum bürgerlichen Zustand auseinanderzusetzen, das es sodann aus sich selbst heraus erlaubt, den naturzuständlichen Einzelbesitz als einen konkreten Rechtsbesitz anzusprechen, der mit dem adjektivischen Prädikat „provisorisch“ besonders gekennzeichnet ist.323 (1) Metaphysischer Verstand: Dasein erworbener Einzelrechte nur durch wirklichen Allgemeinwillen Zu diesem Zweck ist die Bedingung begrifflich auszuleuchten, unter der ein naturzuständlicher Besitz eines einzelnen äußeren Gegenstandes als ein provisorisch-rechtlicher Besitz begriffen werden kann: „Ein Besitz in Erwartung und Vorbereitung eines solchen Zustandes, der allein auf einem Gesetz des gemeinsamen Willens gegründet werden kann, der also zu der M ö g l i c h k e i t des Letzteren zusammenstimmt, ist ein p r o v i s o r i s c h - r e c h t l i c h e r Besitz, […].“

Der erste Satzteil bezieht sich auf den Zustand einer bürgerlichen Verfassung, von dem in den vorstehenden Sätzen die Rede war. Also ist – und das ist die im Folgenden nicht mehr zu hintergehende Grundeinsicht – ein provisorisch-rechtlicher Besitz lediglich ein Besitz in Erwartung und Vorbereitung eines Zustandes bürgerlicher Verfassung. Sieht man von dieser Erwartung und Vorbereitung eines bürgerlichen Zustandes, die im provisorisch-rechtlichen Besitz begriffen ist, gänzlich ab, dann ist der Einzelbesitz im Naturzustand dagegen eine rechtliche Nullität, weil er – ohne die ihn als Rechtsbesitz innerlich konkret bestimmende Realbedingung (§ 8 Abs. 1 S. 7) gedacht – nur eine empirische Tatsache im Rechtsbewusstsein vorstellt, nämlich einen empirischen Gegenstandsbesitz. Der zweite Satzteil bringt die Realbedingung im Begriff des Zustandes einer bürgerlichen Verfassung, damit zugleich aber auch in dem darunter vorstellbaren Begriff vom äußeren Rechtsbesitz zur Geltung, und enthält aus diesem Grund einen begrifflichen Doppelbezug in sich, der gleichwohl nur ein einheitliches Satzverständnis zulässt. Denn das hinter dem ersten Komma stehende Wort „der“ muss 323

Das Folgende findet sich zusammengefasst bei Heuser, RphZ 2018, S. 240 – 255.

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zunächst auf den Zustand bürgerlicher Verfassung, sodann aber damit zugleich auch auf den Besitz (als möglichen Rechtsbesitz) bezogen werden. Der Grund davon ist, dass ein Zustand bürgerlicher Verfassung, damit aber auch ein äußerer Rechtsbesitz darin, gleichermaßen (vgl. § 47/§ 8 Abs. 1 S. 5 – 7) nur auf einem Gesetz des gemeinsamen Willens gegründet werden können. Im dritten Satzteil setzt sich dieser doppelte Begriffsbezug fort, denn auch das dort nach dem zweiten Komma stehende Wort „der“ muss auf beide zuvor angeknüpften Bezugspunkte bezogen werden. Demnach stimmen sowohl ein Zustand bürgerlicher Verfassung, als auch ein Besitz in Erwartung eines solchen Zustandes bürgerlicher Verfassung, zur Möglichkeit (eines Gesetzes) eines gemeinsamen Willens zusammen. Ein (empirischer) Besitz eines einzelnen Gegenstandes im Naturzustand, der mit der Möglichkeit eines gesetzgebenden Allgemeinwillen in einer bürgerlichen Verfassung zusammenstimmt, ist in Hinsicht auf diesen Rechtszustand bürgerlicher Verfassung dann selbst insofern schon als Rechtsbesitz anzusehen. Eben dieser Umstand im vernünftigen Rechtsbewusstsein, der ursprünglich dem gemeinsam in den Begriffen vom äußeren Rechtsbesitz und vom bürgerlichen Zustand innerlich vorausgesetzten Begriff des intelligiblen Besitzes geschuldet ist, wird mit dem synthetischen Vernunftbegriff vom provisorischen Besitz im Naturzustand begriffen. Das in diesem vierten Satz von § 9 Abs. 1 aufgehobene Verhältnis von zunehmend konkreter werdenden allgemeinen bzw. besonderen Rechtsbesitzbegriffen ist mit Blick auf das darin jeweils allgemein bestimmende Moment sowie das darunter im Einzelnen allgemein bestimmte Moment nochmals für ein besseres Verständnis des Begriffs vom provisorischen Besitz im Naturzustand zu verdeutlichen: Die in § 5 Abs. 1 S. 2 und § 6 in ihrem realbegrifflichen, d. h. synthetisch-progressiven Voraussetzungsverhältnis entwickelten Begriffe vom äußeren und vom reinen Rechtsbesitz enthalten in sich lediglich abstrakte Vorstellungen von einem Rechtsbesitz: - Begriff (= abstrakte Vorstellung) des intelligiblen Besitzes - Begriff (= abstrakte Vorstellung) des äußeren Mein und Dein

Erst unter dem Begriff vom äußeren Rechtsbesitz lässt sich in der Folge seiner begrifflichen Bestimmung dann auch ein konkreter Rechtsbesitz an äußeren empirischen Gegenständen abstrakt denken:324 - Begriff (= abstrakte Vorstellung) des intelligiblen Besitzes - Begriff (= abstrakte Vorstellung) des äußeren Mein und Dein - Begriff (= abstrakte Vorstellung) von einem konkreten Rechtsbesitz eines äußeren Gegenstandes 324 Wäre der konkrete äußere Rechtsbesitz nicht bloß abstrakt in seinem Begriff, sondern damit zugleich auch schon außer seines Begriffs konkret als wirklich vorgestellt, so wäre der Gedanke nicht länger bloß metaphysisch rein begrifflich gedacht, sondern zu einer empirischen Vorstellung hypostasiert.

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Diese abstrakte (d. h. rein begriffliche) Vorstellung von einem konkreten äußeren Rechtsbesitz unter dem Begriff vom äußeren Mein und Dein setzt aber in diesem Begriff einen Mittelbegriff voraus, der die im Begriff vom intelligiblen Besitz abstrakt gelegene Rechtsbestimmung konkret in den Begriff vom äußeren Mein und Dein, damit aber auch in den Begriff von einem konkreten Rechtsbesitz eines äußeren empirischen Gegenstandes vermittelt. Dieser Mittelbegriff ist der Begriff bürgerlicher Verfassung (§ 8 Abs. 1 S. 7): - Begriff (= abstrakte Vorstellung) des intelligiblen Besitzes - Begriff (= abstrakte Vorstellung) der bürgerlichen Verfassung - Begriff (= abstrakte Vorstellung) des äußeren Mein und Dein - Begriff (= abstrakte Vorstellung) von einem konkreten Rechtsbesitz

Demnach ist ein konkreter Rechtsbesitz eines äußeren empirischen Gegenstandes nur unter dem Begriff der bürgerlichen Verfassung denkmöglich und eben darum auch nur in einer konkreten bürgerlichen Verfassung als wirklich existent denkbar: - Begriff (= abstrakte Vorstellung) des intelligiblen Besitzes - Begriff (= abstrakte Vorstellung) der bürgerlichen Verfassung - Begriff (= abstrakte Vorstellung) des äußeren Mein und Dein - Begriff (= abstrakte Vorstellung) einer konkreten bürgerlichen Verfassung - Begriff (= abstrakte Vorstellung) von einem konkreten Rechtsbesitz

Soll ein konkreter Rechtsbesitz eines äußeren empirischen Gegenstandes dann schon vor einer bürgerlichen Verfassung im Naturzustand – der im Hinblick auf eine wirkliche bürgerliche Verfassung an sich selbst schon eine völlig abstrakte Rechtsvorstellung ist – gedacht werden (§ 9 Abs. 1 S. 4), so liegt darin eine gedankliche Abstraktion von der abstrakten Vorstellung einer konkreten bürgerlichen Verfassung, nicht aber von der begrifflich vermittelten Bestimmung der abstrakten Vorstellung einer bürgerlichen Verfassung überhaupt, da ein Rechtsbesitz durch den Begriff vom äußeren Mein und Dein sonst überhaupt gar nicht konkret als solcher (d. h. außerhalb des bloßen Begriffs vom reinen Rechtsbesitz) gedacht werden könnte: - Begriff (= abstrakte Vorstellung) des intelligiblen Besitzes - Begriff (= abstrakte Vorstellung) der bürgerlichen Verfassung - Begriff (= abstrakte Vorstellung) des äußeren Mein und Dein - [---] - Begriff (= abstrakte Vorstellung) von einem konkreten Rechtsbesitz

Der Begriff von einem konkreten Rechtsbesitz eines äußeren Gegenstandes steht mit dieser Abstraktion im Naturzustand (§ 9) unter dem darin schon gedachten Begriff vom äußeren Rechtsbesitz (§ 5 Abs. 1 S. 2) dann in Hinsicht auf die noch abstrakte Vorstellung einer bürgerlichen Verfassung überhaupt (§ 8 Abs. 1), damit

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aber zugleich in konkreter Erwartung und Vorbereitung eines Zustandes bürgerlicher Verfassung (§ 42 Abs. 1/§ 2 Abs. 3), weil der Begriff vom äußeren Rechtsbesitz unter dem Begriff vom reinen Rechtsbesitz nur durch den Begriff bürgerlicher Verfassung konkret in seiner Bestimmung vorstellbar ist. Abstrahiert man dagegen auch von der abstrakten Vorstellung einer bürgerlichen Verfassung, so lässt sich dieser im Hinblick auf die bürgerliche Verfassung provisorische Rechtsbesitz eines äußeren empirischen Gegenstandes nicht länger als ein konkreter Rechtsbesitz abstrakt denken, eben weil der Begriff bürgerlicher Verfassung konkret bestimmende Realbedingung im Begriff des äußeren Rechtsbesitzes ist. Wollte man den konkreten Besitz des äußeren empirischen Gegenstandes mit dieser gänzlichen Abstraktion von aller Vorstellung bürgerlicher Verfassung im Naturzustand dennoch als einen (provisorischen) Rechtsbesitz ansprechen, so läge darin die begrifflich gänzlich unvermittelbare Hypostase der rein abstrakten Vorstellung von einem reinen Rechtsbesitz, sodass der bloße Begriff von einem Mein und Dein im Hinblick auf einen bloß empirischen äußeren Gegenstandsbesitz darunter zu einem konkreten äußeren Rechtsbesitz dieses Gegenstandes kurzerhand verdinglicht würde. Eben dies entspräche also einem empirischen Verständnis des Begriffs vom provisorischen Besitz, der im Naturzustand schon vor dem Staat einstweilen völlig unabhängig von diesem für sich selbst und rein aus sich selbst heraus subsistieren würde. Der im Gegensatz zu dieser Verkürzung metaphysisch wohlverstandene Begriff von einem provisorischen Besitz ist also der Begriff von einem im Einzelfall mit Blick auf seine begriffliche Realbedingung rechtlich schon vor dem außerbegrifflichen Dasein dieser Realbedingung konkret denkmöglichen Rechtsbesitz an einem äußeren Gegenstand. Er ist somit die abstrakte Vorstellung von einem konkreten Rechtsbesitz an einem äußeren Gegenstand, die sich der in ihr liegenden Abstraktion von der außerbegrifflichen Wirklichkeit ihrer inneren begrifflichen Realbedingung in ihrer metaphysischen Determination bewusst ist. Satz 5

Der Begriff des provisorischen Besitzes im Naturzustand insistiert nach alledem in seiner Abstraktion von aller außernaturzuständlichen Staatswirklichkeit gleichwohl beharrlich auf seiner in ihm innerlich begrifflich vorausgesetzten Realbedingung im Begriff vom äußeren Mein und Dein, nämlich dem praktischen Vernunftbegriff bürgerlicher Verfassung eines gesetzgebenden Allgemeinwillens, sodass der provisorische Rechtsbesitz als solcher alleine mit einem gesetzgebenden Allgemeinwillen zusammen bestehen kann. § 9 Abs. 1 S. 5 bringt diesen Sachverhalt nochmals zu einem deutlichen Ausdruck, indem er auf den allgemeingesetzgebenden Anspruch eines Einzelwillens in seiner naturzuständlichen Besitzbehauptung mit Blick auf einen äußeren Gegenstand abhebt: „Vor dem Eintritt in diesen Zustand, zu dem das Subject bereit ist, widersteht er denen mit Recht, die dazu sich nicht bequemen und ihn in seinem einstweiligen Besitz stören wollen: weil der Wille aller Anderen außer ihm selbst, der ihm eine Verbindlichkeit aufzulegen denkt, von einem

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gewissen Besitz abzustehen, bloß e i n s e i t i g ist, mithin eben so wenig gesetzliche Kraft (als die nur im allgemeinen Willen angetroffen wird) zum widersprechen hat, als jener zum behaupten, indessen daß der letztere doch dies voraus hat, zur Einführung und Errichtung eines bürgerlichen Zustandes zusammenzustimmen.“ Dabei ist zunächst abermals zu erinnern, dass die in diesem Satz vorkommenden Bestimmungen im Verhältnis von Natur- und Rechtszustand („Vor … Eintritt in den bürgerlichen Zustand“, „in seinem einstweiligen Besitz“) nicht in einem zeitlichen Sinne missverstanden werden dürfen, denn da es den Naturzustand an und für sich selbst außer seinem bloßen Gedanken in einer wirklichen Zeit überhaupt gar nicht gibt, und folglich auch nicht in einem historischen Akt aus diesem heraus in den Rechtszustand eingetreten werden kann, muss dem an empirische Verhältnisse gewöhnten Sprachverständnis eines abstrakten Verstandes an diesem Punkt der metaphysisch notwendige Einhalt geboten werden. Der provisorische Besitz im Naturzustand ist somit ein reines Gedankending und existiert darum auch nur (aber immerhin: praktisch-notwendig) in Gedanken, d. h. er hat rein gedankliche Existenz. Im Übrigen findet sich nach § 8 Abs. 1 S. 4 an dieser Stelle von § 9 Abs. 1 S. 5 der neuerliche Hinweis auf den unter rechtlichen Gesichtspunkten eigentlich selbstverständlichen Umstand, dass nur ein allgemeiner Wille auch rechtliche Bestimmung ursprünglich in sich hat, sodass einem einseitigen oder besonderen Willen für sich selbst keine gesetzliche Kraft gegenüber anderen Willenssubjekten eignet. Allerdings hat der einseitige Wille im provisorischen Rechtsbesitz den Allgemeinwillen einer mit ihm möglichen bürgerlichen Gesellschaft auf seiner Seite.325 Der Begriff vom provisorischen Rechtsbesitz bringt somit das im Naturzustand bestehende autonomietheoretische Problem interpersonaler Verpflichtung zu einer die Autonomie des freien Willens allseitig bewahrenden Auflösung, weil er den im Naturzustand für sich autonom vorgestellten Einzelwillen mit einem im Rechtszustand an und für sich gesetzgebend vorgestellten Allgemeinwillen innerlich verknüpft, indem er jenen begrifflich in der Sphäre von diesem setzt. Damit aber erweist sich beispielsweise die Grundannahme Philipp-Alexander Hirschs als überprüfungswürdig: „Im Naturzustand besteht das Problem, dass rechtliche Fremdverpflichtung nicht als autonome Selbstverpflichtung gedacht werden kann.“326 Denn im metaphysisch aufgefassten Begriff vom provisorischen Besitz wird gerade interpersonale Verpflichtung als Autonomie und damit als Selbstgesetzgebung, d. h. als 325

Beck, Commentar über Kants Metaphysik der Sitten I (1798), S. 187 notiert: „Es ist wohl zu merken: dieser Andere hat im Naturzustande nicht die Verbindlichkeit, sich des Gebrauchs desjenigen Aeußeren zu enthalten, das ich für das Meine ausgebe, wenn gleich mein Verfahren unter einer Regel steht, nach der es überhaupt möglich ist, etwas als das Meine zu haben; denn diese Verbindlichkeit kann […] nur unter der Voraussetzung seiner Sicherstellung, daß auch ich mich des Gebrauchs des Seinen enthalten werde, statt finden, welche Sicherstellung, und folglich auch jene Verbindlichkeit, nur in einer bürgerlichen Verfassung möglich ist. Aber auf diese seine Enthaltung vom Gebrauche des Meinen habe ich Naturzustande kein Recht, indem er nichts Aeußers als das Meine darin anerkennt; aber das er mit mir aus diesem Zustande heraus trete und sich mit mir in eine bürgerliche Verfassung begebe, dazu hat er Verbindlichkeit; […].“ 326 Hirsch, Freiheit und Staatlichkeit bei Kant (2017), S. 240.

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Selbstverpflichtung gedacht, eben weil in diesem Begriff der praktische Begriff bürgerlicher Verfassung innerlich bereits vorausgesetzt und damit selbst gedacht ist, wobei in diesem bloß Gedachten von einer wirklichen bürgerlichen Verfassung darunter abstrahiert ist. Satz 6

Nach alledem ist der provisorische Besitz, d. h. „die Art, etwas Äußeres als das Seine i m N a t u r z u s t a n d e zu haben, […] ein physischer Besitz, der die rechtliche P r ä s u m t i o n für sich hat, ihn durch Vereinigung mit dem Willen Aller in einer öffentlichen Gesetzgebung zu einem rechtlichen zu machen“. Der provisorische Rechtsbesitz ist also an und für sich selbst noch kein Rechtsbesitz, wohl aber enthält er in sich begrifflich die rechtliche Bedingung, dadurch er unter einer äußeren Gesetzgebung zu einem Rechtsbesitz wird. Sieht man von dieser begrifflichen Realbedingung als dem ihn innerlich bestimmenden Moment dagegen ab, so ist der Besitz im Naturzustand für sich lediglich noch ein empirischer Besitz, der dann nicht länger eine „rechtliche P r ä s u m t i o n für sich hat“ und eben deshalb auch nicht „ c o m p a r a t i v für einen rechtlichen“ Besitz gilt. Es lässt sich demnach kein Besitz eines äußeren Gegenstandes als (provisorischer) Rechtsbesitz denken, der nicht zugleich auch einen allgemeingesetzgebenden Willen in einer bürgerlichen Verfassung jedenfalls als vernunftbegriffliche Realbedingung in gedanklichen Ansatz bringt. Ist dem aber so, dann setzt jeder wirkliche äußere Rechtsbesitz bzw. jedes darüber als wirklich erworben vorausgesetzte subjektive äußere Recht einen wirklichen Allgemeinwillen im Staat für sich selbst voraus. Erworbene subjektive Besitzrechte können somit – gemäß der vorstehenden Metaphysik äußeren Rechtsbesitzes – nur in einem wirklichen Staat empirisches Dasein außerhalb ihres bloßen Vernunftbegriffs haben. (2) Empirischer Verstand: Dasein erworbener Einzelrechte auch ohne wirklichen Allgemeinwillen Diesem metaphysischen Verstand des Begriffs vom provisorischen Besitz eines äußeren Gegenstandes steht dann allerdings ein empirischer Verstand diametral entgegen, der erworbenen subjektiven Besitzrechten (besonders: individuellen Eigentumsrechten) bereits vor einem wirklichen Staat im bloßen Vernunftgedanken des Naturzustandes empirisches Dasein außerhalb ihres bloßen Vernunftbegriffs zusprechen will327 und sich so in seiner materiellen Natur- bzw. Vernunftrechtsbehauptung schlechterdings selbst nicht richtig verstehen kann, weil ein empirisches Einzeldasein subjektiver Besitzrechte außerhalb des besonderen Begriffs äußerer Besitzrechte, der selbst insgesamt wiederum nur innerhalb der Sphäre eines bloßen 327 Vgl. in dieser Tendenz die gesamte eigentums- bzw. privatrechtsspezifische Deutung der Kantischen Rechtsmetaphysik oben Fn. 43 m.w.N.; Hirsch, Freiheit und Staatlichkeit bei Kant (2017), S. 282 behauptet hier beispielsweise ohne weiteren Quellennachweis, dass Kant die „vorgefundenen Besitzverhältnisse […] provisorisches Eigentum nennt“.

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Begriffs vorgestellt wird, nämlich in der des Begriffs des Naturzustandes, eine in sich widersprüchliche und darum auch gänzlich unvorstellbare Vorstellung ist. Wenn beispielsweise Wolfgang Kersting mit Blick auf das äußere Mein und Dein im Naturzustand urteilt, „[e]s gibt für Kant außerhalb des Staates Recht“328, dann ist dieser Satz nach hier vertretener metaphysischer Lesart nur dann aufrecht zu erhalten, wenn er in Wahrheit aussagen soll: ,es gibt für Kant außerhalb des Staates schon besondere Rechtsbegriffe im reinen Rechtsdenken‘. Doch derart auf den bloßen Realbegriff eingeschränkt kann diese Wirklichkeitsbehauptung tatsächlich nicht gemeint sein, wenn Kersting wenig später beinahe gebetsmühlenhaft nachsetzt: „Das noch nicht peremtorisch gemachte natürliche Privatrecht ist ein Recht, das auf den Staat damit auf Positivierung hindrängt, das aber gleichwohl im vorstaatlichen Zustand Wirklichkeit und Geltung besitzt: Es gibt für Kant außerhalb des Staates Recht; das grundlegende vernunftrechtliche Freiheitsprinzip, die natürlichen Gesetze über das Mein und Dein, die reinen Prinzipien des Privatrechts, als das ist wirkliches und verbindliches Recht, das im Feld des angeborenen wie des erwerblichen Rechts eine generelle Orientierung der Willkür erlaubt, die als generelle jedoch nicht vermeiden kann, durch subjektive Rechtsbegriffe interpretiert und damit Kontroversen ausgeliefert und zweifelhaft zu werden.“329 Das in einem empirischen Verständnis des Begriffs vom provisorischen Besitz bestehende Problem ist also darin zu sehen, dass der für alles äußere und damit seinem Begriff nach synthetische Mein und Dein vorauszusetzende Allgemeinwille, der die in der Synthesis liegende Rechtsverbindung ursprünglich rein begrifflich leistet, gedanklich ausgespart bleiben soll, sodass die darauf gründende Rechtsbehauptung eines bloßen Einzelwillens in Wahrheit auch gar nicht über dessen ureigene Sphäre des Rechts angeborener Freiheit als Unabhängigkeit von fremder Willkür hinausreicht. Aus diesem Grund widerspricht sich dann beispielsweise Gerhard Luf, wenn er dafürhalten will, die von ihm so genannten provisorischen Rechte im Naturzustand ergäben sich „unmittelbar“ (d. h. ohne begriffliche Vermittlung = analytisch) aus dem Begriff der freien Person.330 Denn die freie Person hat ursprünglich nur ihre angeborene Unabhängigkeit von fremder Willkür und ist ausweislich ihres Begriffs nicht schon mit äußeren Gegenständen ursprünglich synthetisch-rechtlich verbunden.331 „Nichts Äußeres ist ursprünglich mein“, heißt es bei Immanuel Kant relativ unmissverständlich, mit der Folge, dass alles äußere Mein und Dein von der Person zuerst erworben werden muss. Darum müsste die ganze Kantische Besitz(§§ 1 ff.) und Erwerbslehre (§§ 10 ff.) im fundamentalen Widerpruch zu diesem ersten Satz von § 10 Abs. 2 begriffen werden, wollte man sich in seiner Deutung ernstlich auf den Standpunkt stellen: „Deutlicher als bei Kant selbst aber ist darauf 328

Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 259. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 263 f. 330 Luf, Freiheit und Gleichheit (1978), S. 79. 331 RL, AA VI: 237.24-26: „Das angeborne Mein und Dein kann auch das i n n e r e (meum vel tuum internum) genannt werden; denn das äußere muß jederzeit erworben werden.“ 329

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hinzuweisen, dass inneres und äußeres Mein und Dein eine Einheit bilden. Nicht ist es so, dass das innere Mein und Dein „angeboren“ ist und das äußere allererst erworben werden muss; […].“332 Zur Vermeidung dieses möglichen Widerspruchs ist es somit möglicherweise notwendig, noch beharrlicher als Rainer Zaczyk dies hier schon tut, darauf zu insistieren, dass die Gegenstände des inneren und äußeren Mein und Dein in ihrem Dasein ursprünglich gänzlich unverbunden, jedoch durch reine praktische Vernunftbegriffe vom Rechtsbesitz überhaupt über ihnen real miteinander in der Person eines tätig erwerbenden Rechtssubjekts verbindlich sind. Entsprechend dieser kritikwürdigen inneren Unvorstellbarkeit wirklichen äußeren Rechts vor seiner schon äußerlich wirklichen und innerlich synthetisch wirkenden Realbedingung versteht sich eine solche in sich widersprechende Existenzbehauptung dann auch ohne größeres Misstrauen gegen ihre eigenen Begriffsbildungen gut darauf, dem bloßen Einzelwillen im Naturzustand für sich selbst diejenige rechtsverbindliche Kraft zuzueignen, die richtigerweise nur in einem gesetzgebenden Allgemeinwillen gedacht werden kann, wenn sie die in den subjektiven Besitzrechten des Naturzustandes liegende Verpflichtung gegenüber allen anderen darin befindlichen Einzelwillen kurzerhand und bis dato weitgehend unwidersprochen beispielsweise als „Fremdverpflichtung“ (Ludwig) oder gar offen als „Freiheitsberaubung“ (Brandt) apostrophiert.333 Darum wirft es auch ein bezeichnendes Licht auf den gegenwärtig wieder erreichten Stand im Rechtsdenken, wenn sich eine jüngst erschienene Interpretation durch die von ihr vorgefundenen Umstände vor das Problem gestellt sieht, „rechtliche Fremdverpflichtung“ im Naturzustand durch Übergang in den Staat als „mittelbare Selbstverpflichtung“ erklären zu müssen.334 Doch in dieser unkritischen Begriffsbildung, geschuldet einer eigentums- bzw. privatrechtspezifischen Interpretation der Kantischen Rechtslehre, liegt in Wahrheit nicht die Freiheit des Einzelwillens zum Rechtsbesitz, sondern (mit Verlaub) vielmehr schon die Euthanasie der rechtsgesetzlichen Freiheit aller vernünftigen Willenssubjekte in ihrem interpersonalen Verhältnis beschlossen. Es offenbart sich in ihr also ein überprüfungswürdiges Verständnis von praktischer Freiheit des Willens nicht nur im Besonderen, sondern schon im Allgemeinen, d. h. im reinen praktischen Begriff der Freiheit des Willens. Zu der naturzuständlichen Existenzbehauptung eines erworbenen subjektiven Eigentumsrechts vor aller bürgerlichen Gesellschaft will dann natürlich die dem entgegenstehende These von § 8 Abs. 1 S. 7 nicht so recht passen: „Also kann es nur im bürgerlichen Zustande ein äußeres Mein und Dein geben.“335 Dementsprechend versteht sich eine eigentums- oder privatrechtsspezifische Interpretation zugleich sehr gut auf eine gedankliche Verdrängung dieser Fundamentalaussage,336 und zwar, 332 333 334 335 336

Zaczyk, Selbstsein und Recht (2014), S. 71. Nachweise oben in Fn. 296. Hirsch, Freiheit und Staatlichkeit bei Kant (2017), S. 210 ff., 248 ff. RL, AA VI: 256.12-13. Vgl. oben zu Fn. 292, 301, 303.

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indem sie den Begriff des provisorischen Besitzes in § 9 heranzieht, ihm kurzerhand ein Zeitschema im Verständnis unterlegt, und so aus dem dann bereits für sich selbst im Naturzustand auf einige Zeit einstweilen und vorläufig subsistierenden Privateigentum akzessorisch die praktische (Eigentumssicherungs-)Notwendigkeit der bürgerlichen Gesellschaft folgen lässt. Doch damit verkehrt sich natürlich der in § 8 angelegte Begründungszusammenhang, denn es ist in der Rechtslehre Immanuel Kants nicht das vermeintlich schon an und für sich selbst praktisch-notwendige Privateigentum, das dann später für sich den Staat notwendig macht, sondern es ist die an und für sich selbst praktisch-notwendige bürgerliche Verfassung eines Staates, die alles äußere Mein und Dein, damit in der Folge aber auch erst das Privateigentum überhaupt rechtlich wirklich möglich macht. Wäre es anders, so würde unter dem als allgemein bestimmend gebrauchten Rechtsbegriff nicht das Besondere (synthetisch) aus dem Allgemeinen, sondern das Allgemeine (analytisch) aus dem Besonderen hervorgehen; ein Umstand, der im Übrigen auch mit der philosophischen Methode, die das begrifflich Besondere im begrifflich Allgemeinen vernunftschlüssig mit praktischer Notwendigkeit synthetisch a priori erkennt, gänzlich unvereinbar wäre. Der empirische Verstand des Begriffs des provisorischen Besitzes behauptet also das empirische Dasein subjektiver Besitzrechte als materielles Vernunftrecht nicht nur vor einem wirklichen Allgemeinwillen im Staat, sondern auch vor dem bloßen Vernunftbegriff eines staatlichen Allgemeinwillens im Naturzustand, damit aber gänzlich unabhängig von der begrifflichen Realbedingung allen äußeren Privatrechtsbesitzes (§ 8 Abs. 1 S. 7), nämlich einem wirklichen Allgemeinwillen in äußeren Gesetzen. Ein empirischer Verstand abstrahiert an diesem gedanklichen Punkt somit sehr gründlich von allen vernunftbegrifflichen Realbedingungen (d. h. progressiv-synthetischen Bestimmungsmomenten) im Besitzbegriff und verdinglicht dadurch den bloß empirisch vorgestellten Besitz eines äußeren Gegenstandes zum Ding an sich selbst, d. h. zum reinen Rechtsbesitz. Die abstrakte (rein begriffliche) Vorstellung des intelligiblen Besitzes soll dann unmittelbar (d. h. ohne realbegriffliche Vermittlung) identisch mit der konkreten (anschaulichen) Vorstellung eines empirischen Besitzes sein. Also liegt dem empirischen Verstand des provisorischen Besitzes, und mit ihm dem des Naturzustandes, ein gänzlich abstraktes und darum in sich unschlüssig-einseitiges Rechtsdenken zugrunde, das derart gründlich in seiner bloßen Abstraktion verfährt, dass ihm seine innerlich real bestimmenden allgemeinen Vorstellungsmerkmale des konkreten Rechtsbesitzbegriffs (als bürgerlicher Verfassung) dabei abhandenkommen. Der empirische Verstand des Begriffs des provisorischen Besitzes in § 9 Abs. 1 S. 4 bringt nach alledem die rein vernunftbegriffliche (d. h. metaphysische) Einsicht des Satzes von § 8 Abs. 1 S. 7 gänzlich zum Verschwinden und fällt so hinter den bis dahin schon erreichten Stand im metaphysischen Rechtsdenken zurück, d. h. er verfällt in Verkennung eines maßgeblichen Moments der Besitzantinomie unweigerlich in das dialektische Gegenteil eines metaphysischen Verstandes des Begriffs vom provisorischen Besitz, nämlich in eine empirische Naturrechtsbehauptung. Das bloß abstrakte Rechtsdenken behauptet somit einmal mehr die unmittelbare Identität von Begriff und Gegenstand; hier die

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unmittelbare Identität von abstrakter Vorstellung eines äußeren Rechtsbesitzes überhaupt und einzelner Vorstellung eines konkreten äußeres Rechtsbesitzes.337 Der empirische Verstand klammert sich mithin an ein einzelnes Verstandesmoment des Besitzes und verabsolutiert dieses zum Ganzen des Rechts selbst.338 Ganz maßgeblich wurde ein solches empirisches Verständnis des Begriffs des provisorischen Besitzes in der jüngeren Zeit durch die eigentumstheoretischen Interpretationen Reinhard Brandts geprägt, der in seiner wirkmächtig gewordenen Studie zum Begriff des Erlaubnisgesetzes aus dem Jahr 1982 – wie schon oben in Auseinandersetzung von § 2 Abs. 3 bemerkt – sogar einer „provisorischen Erlaubnis“ zur „Freiheitsberaubung“ das Wort redet,339 die sich dann genau hier, nämlich in dem durch Okkupation provisorisch erworbenen Privateigentum, mit kritischem Impetus manifestieren soll: „Das provisorische Recht schafft die prinzipielle Möglichkeit, den Staat aus seiner Rechtsschöpfungsrolle zu drängen und ihn mit einem Vor-Recht der Menschen zu konfrontieren.“340 Von Brandt stammt schließlich die gegenwärtig weithin in den Interpretationen des Begriffs des provisorischen Besitzes angenommene und noch kaum metaphysisch zu missverstehende Einschätzung: „Die Begriffe des Provisorischen und Peremtorischen sind eindeutig zeitlich strukturiert.“341 – Doch soll die moderne Kantforschung damit tatsächlich richtig liegen? (3) Etymologie, Geschichte und zeitgenössische Rezeption des Adjektivs „provisorisch“ In der Tat bedeutet das Adjektiv „provisorisch“ im alltagsprachlichen Gegenwartsverständnis des Wortes so viel wie: „nur als einstweiliger Notbehelf, nur zur Überbrückung eines noch nicht endgültigen Zustandes dienend; vorläufig; behelfsmäßig“, und steht damit in einer adjektivischen Bedeutung des Substantivs „Provisorium“, das für „etw. Provisorisches; Übergangslösung“ gebraucht wird.342 337 Das hierin ein unübersehbarer Widerspruch liegt, bleibt natürlich niemanden verborgen und so versucht beispielsweise Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 119 dem Problem Herr zu werden, indem er zunächst verkündet, „der Rechtsanspruch auf äußeres Mein und Dein [ist] Bestandteil des Naturrechts“, und sodann einschränkend nachsetzt, „selbstverständlich nicht als Recht an bestimmten Gegenständen“. Doch wie soll im Begriff des provisorischen Besitzes ein subjektiver Rechtsanspruch in Ansehung eines äußeren Gegenstandes gedacht sein, der „selbstverständlich“ kein Recht an bestimmten Gegenständen sein soll? 338 Für die daraus im reinen Rechtsdenken entstehenden Probleme vgl. beispielsweise Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 179 – 186. 339 Brandt, in: ders. (Hrsg.): Rechtsphilosophie der Aufklärung (1982), S. 233 (244 ff., 255 ff., 261). 340 Brandt, in: ders. (Hrsg.): Rechtsphilosophie der Aufklärung (1982), S. 233 (249); vgl. dazu im Ergebnis ähnlich etwa auch Zotta, Legitimität und Recht (2000), S. 41 f.; Luf, Freiheit und Gleichheit (1978), S. 79/130. 341 Brandt, in: ders. (Hrsg.): Rechtsphilosophie der Aufklärung (1982), S. 233 (248). 342 Siehe dafür Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache VII (19993), S. 3036 f. (Stichworte: provisorisch; Provisorium).

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Mit diesem alltagssprachlichen Verständnis des Adjektivs steht also ein rechtsphilosophisches Kantverständnis in vollkommener Übereinstimmung, das unter dem Begriff des provisorischen Besitzes (§ 9 Abs. 1 S. 4) einen einstweilen im Naturzustand schon vor dem Staat vorläufig bzw. behelfsmäßig bereits irgendwie heteronom existierenden Privatrechtsbesitz (besonders: Privateigentum) an einem äußeren Gegenstand verstehen will, und zwar bis zu seiner späteren Sicherung darin. Da nun mit diesem auf Zeitverhältnisse gestellten Wortverständnis aber auch der Naturzustand zeitliche Existenz vor dem Staat erlangt, denn andernfalls könnte ein äußerer Privatrechtsbesitz darin nicht schon vor einer Staatswirklichkeit einstweilen vorläufig subsistieren, steht dieses empirische Verständnis des Begriffs vom provisorischen Besitz der Kantischen Qualifikation des Naturzustandes als einer bloßen Idee entgegen, denn von diesem heißt es, er „existiert an sich gar nicht, und hat nie existirt“343. Offensichtlich wird das moderne Gegenwartsverständnis des Wortes also jedenfalls einem etwaigen metaphysischen Begriffsgehalt nicht gerecht. Nun hat uns Dieter Henrich in seinem Chef d’Œuvre aber darüber belehrt, dass sich zur „Sattelzeit“ der Jahrhundertwende des Jahres 1800 ein tiefgreifender intellektueller Wandel vollzog, der nicht selten auch mit einem erheblichen und nicht zu unterschätzenden Bedeutungswandel der tradierten Grundworte verbunden war.344 Hat sich ein solcher Bedeutungswandel also ebenso im Wortverständnis des hier interessierenden Adjektivs vollzogen? Da uns jedenfalls von dem heute kaum noch geläufigen Adjektiv „peremtorisch“ überliefert ist, dass es – zunächst bis ins 18. Jahrhundert in Recht und Kanzlei gebraucht – zu eben dieser Sattelzeit schon ein Modewort der schöngeistigen Literatur gewesen zu sein scheint,345 liegt es hier zumindest nahe, dem ihm von Immanuel Kant im Jahr 1797 entgegengesetzten Adjektiv „provisorisch“ einmal bedeutungsgeschichtlich auf den Grund zu gehen: Nach einem Standardwerk unter den etymologischen Wörterbüchern der deutschen Sprache wird das deutsche Wort „provisorisch“ im 18. Jahrhundert nämlich aus dem französischen Wort „provisoire“ entlehnt (bzw. relatinisiert), das nach seinem Wortstamm eigentlich „Sorge tragend“ bedeuten müsste, aber das zusätzliche und heute als überwiegend bestimmend angesehene Merkmal „vorläufig“ bekam.346 Denn das Konkretum dieses Adjektivs, das Wort „Provisorium“, leitet sich ab von dem lateinischen „provisio (-onis) ,Vorsorge, Vorkehrung‘, zu l. providere (provisum) ,Vorsorge tragen, im voraus besorgen‘, zu l. videre ,sehen‘ und l. pro-“.347 Etymologisch hat das Adjektiv „provisorisch“ also die ursprüngliche Bedeutung von „vorsich-sehen“ bzw. „hinsehen auf etwas“. Möglicherweise ist das dann auch der ei-

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Oben Fn. 6. Henrich, Grundlegung aus dem Ich I (2004), S. 9. 345 Siehe dafür Schulz/Basler, Deutsches Fremdwörterbuch II (1942), S. 452 f. 346 Kluge/Seebold, Etymologisches Wörterbuch (201125), S. 728. 347 Kluge/Seebold, Etymologisches Wörterbuch (201125), S. 728; Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch II (1989), S. 1332 f. 344

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

gentliche Bedeutungsgehalt, der mit der rechtlichen „ P r ä s u m t i o n “348 gemeint ist, die dem provisorisch-rechtlichen (substanziell: eigentlich physischen) Besitz im Naturzustand „in Hinsicht“349 auf den mit ihm möglichen Allgemeinwillen eignet.350 Denn in der noch nicht verzeitlichten, sondern ursprünglichen Bedeutung des Adjektivs, lässt sich damit eine rein gedankliche und mithin rein begriffliche (d. h. metaphysische) Relation im bloßen Denken hervorragend verbinden. Ein begrifflich schon konkret Gedachtes (der einzelne Rechtsbesitz) steht dann – schon vor ihrer außerbegrifflichen Realität – rein gedanklich in Hinsicht auf seine innere begriffliche Realbedingung. Will man sich hierüber weiter belehren, so ist es nicht unerheblich zu wissen, wann sich der Wandel der Vorstellungsmerkmale des Adjektivs „provisorisch“ von ihrer ursprünglich lateinischen Bedeutung (prov-videre = vor-sehen) hin zu einer zusätzlich zeitlichen Konnotation (vorläufig, behelfsmäßig) genau vollzog. Zu diesem Zweck muss hier zunächst ein Standardwerk der historischen Fremdwortlexikographie bemüht werden: Nach Schulz/Basler handelt es sich bei unserem Adjektiv in der Bedeutung von „vorsorglich; einstweilig, vorläufig (geltend)“ nämlich um eine Bildung „offenbar erst […] des späten 18. Jahrhunderts“, und zwar „zu mittellat. provisorius (das für gleichbed. frz. provisoire, engl. provisory […] Vorlage war und auf lat. providere zurückweist. Ein mindestens bedeutungsmäßiger Einfluß auf unsere deutsche Gruppe mag vom Frz. u. wohl auch vom Engl. ausgegangen sein. […])“.351 Erstmals findet das deutsche Wort „provisorisch“ nach diesem wichtigen Hinweis dann wohl im Jahr 1801 (!) lexikographischen Eingang in die deutsche Sprache, und zwar durch Joachim Heinrich Campes Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke. Unter Rückversicherung des ursprünglichen Bedeutungsgehaltes und Kenntnisnahme des sich erweiternden Sinngehaltes heißt es darin erklärend: „Provisionaliter oder provisorisch, vorläufig, einstweilen, bis auf weiter, z. B. verfügen. Man kann auch oft vorkehrungsweise und vorkehrend dafür sagen.“352 Dass sich das heute geläufige Wortverständnis damit aber zur Jahrhundertwende des Jahres 1800 noch nicht primär und vollends schon durchgesetzt hat, sondern erst im Vordringen begriffen ist, lässt sich mitunter daran ablesen, dass das Substantiv „Provisorium“ – im Sinne eines behelfsmäßigen Zustandes – daraufhin erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts geprägt353 und schließlich auch erst mit der achten 348

RL, AA VI: 257.16 (§ 9 Abs. 1 S. 6). RL, AA VI: 264.23-27 (§ 15 Abs. 3 S. 3). 350 Möglicherweise ist dies in ersten Ansätzen auch schon von Lisser, Der Begriff des Rechts (1922), 37 f. erfasst. 351 Schulz/Basler, Deutsches Fremdwörterbuch II (1942), S. 716 f. 352 Campe, Wörterbuch I (1801), S. 556. 353 Schulz/Basler, Deutsches Fremdwörterbuch II (1942), S. 716 f. 349

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

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Auflage von Heyses Allgemeines verdeutschendes und erklärendes Fremdwörterbuch, das übrigens den bezeichnenden Untertitel Handbuch zum Verstehen und Vermeiden der in unserer Sprache mehr oder minder gebräuchlichen fremden Ausdrücke führt, im Jahr 1838 (!) lexikographisch und nur in einer Nebenbedeutung verzeichnet wurde: „Provisorium, n. eine Verwahrungschrift; auch der Zustand vorläufiger od. einstweiliger Einrichtungen“354. Zu diesem Zeitpunkt fremdelte Heyse offenbar sogar noch mit der erweiterten Bedeutung des Adjektivs: „provisional od. provisionell und p r o v i s i o n a l i t e r , auch provisorisch, vorsorglich, vorkehrungsweise oder vorkehrend, vorsichtlich, vorläufig, einstweilig und einstweilen, bis auf weiteren Bescheid“355. Vor diesem begriffsgeschichtlich skizzierten Hintergrund erscheint es Verf. mehr als unwahrscheinlich, dass Immanuel Kant, der es durchaus gewohnt war, in lateinischen Termini zu denken, bei Abfassung seiner 1797 veröffentlichten Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre sich des Adjektivs „provisorisch“ in der uns heute primär geläufigen und zeitlich konnotierten Bedeutung bedient haben soll, sodass mit dem provisorischen Besitz im Naturzustand insbesondere kein Provisorium vor Errichtung eines Zustandes bürgerlicher Verfassung gemeint sein kann.356 Denn abgesehen von den immensen metaphysischen Einbußen, die ein solch avantgardistischer Wortgebrauch für seine Rechtslehre mit sich gebracht hätte, nämlich den Abfall in ein unkritisch-materielles Naturrecht, ist doch zu bemerken, dass sich dieser moderne Wortgebrauch zum betreffenden Zeitpunkt noch gar nicht etabliert hatte.357 Ist damit aber erst einmal ein vom modernen Sprachverständnis unvoreingenommenes Bewusstsein für die vermittelst des ursprünglichen Bedeutungsgehalts des Adjektivs „provisorisch“ mögliche rein begriffliche (d. h. rationale) Anknüpfung geschaffen, dann verweist das hier in der praktischen Philosophie von Immanuel Kant gebrauchte Wort „provisorisch“ philosophiehistorisch möglicherweise auf ein rationalistisches Vorbild, das es in der Philosophie René Descartes’ haben könnte. Denn nach den Studien Robert Spaemanns liegt auch bei dem von Descartes im dritten Abschnitt seines Discours de la méthode (1637) eingeführten Gedanken einer 354

Heyse, Fremdwörterbuch II (18388), S. 304 f. Heyse, Fremdwörterbuch II (18388), S. 304 f. 356 Dafür aber besonders Brandt, in: ders. (Hrsg.): Rechtsphilosophie der Aufklärung (1982), S. 233 (248 f.). 357 In seinem Wortstamm (Provision, provisum, provisio, providere) enthält das Adjektiv provisorisch übrigens auch bereits eine sakrale Wortbedeutung in sich und bedeutet so viel wie „päpstlich verliehen“ (vgl. dazu Grimm/Grimm, Deutsches Wörterbuch VII [1889], Sp. 2180; Schulz/Basler, Deutsches Fremdwörterbuch II [1942], S. 713 f.; Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch II [1989], S. 1332 f.). Insofern mag im Kantischen Gebrauch des Begriffs des provisorischen Besitzes, der seine Rechtlichkeit innerlich aus dem in ihm rein begrifflich vorausgesetzten bürgerlichen Allgemeinwillen bezieht, auch dieses sakrale Moment aufgehoben sein, denn der staatliche Allgemeinwille gilt Immanuel Kant in seiner Idee bekanntlich als heilig (siehe RL, AA VI: 319.02-11). 355

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

„morale par provision“ der Akzent nicht auf dem Begriff des Vorläufigen (provisoire), sondern auf dem der Vorsorge sowie des Vorrats (provision).358 Doch wie dem auch immer sei, so muss sich das hier für die Interpretation der metaphysischen Rechtslehre Immanuel Kants wieder in Erinnerung gebrachte und ursprüngliche Wortverständnis des Adjektivs „provisorisch“ in der zeitgenössischen Rezeption der Rechtslehre belegen lassen, wenn es zur damaligen Zeit wenigstens noch nicht ungewöhnlich geworden sein sollte. Einen ersten Anhalt im Hinblick auf das betreffende Wortverständnis verspricht dann beispielsweise das von Georg Samuel Albert Mellin bearbeitete Encyclopädische Wörterbuch der kritischen Philosophie (1797 – 1803). Darin notiert dieser im Hinblick auf Kants Erwerbs- und Besitzlehre, und zwar ganz im Sinne des hier vorgetragenen metaphysischen Verstandes des Begriffs vom provisorischen Besitz: „[…] allein eben dieser Unterschied, den er zwischen provisorischen und peremtorischen Besitz machen muß, zeigt, daß ohne den Begriff eines bürgerlichen Zustandes der einer rechtlichen Erwerbung vor demselben nicht möglich ist. Es ist also wiederum die p r o v i s o r i s c h e Erwerbung ein vom Begriff des bürgerlichen Zustandes abhängiger Begriff […]. Im Naturzustande, der nichts vom bürgerlichen Zustande weiß, giebt es gar keine Erwerbung, gar keinen rechtlichen Besitz; allein im bürgerlichen Zustande muß freilich der Besitz v o r d e m s e l b e n (also […] in Beziehung auf einen bürgerlichen Zustand) als p r o v i s o r i s c h betrachtet werden. Folglich ist es ganz richtig, auch nach Kants Behauptung, daß im Naturzustande (ohne Beziehung auf den bürgerlichen Zustand) keine rechtliche Erwerbung möglich ist.“359 Bei dieser Stimme Mellins handelt es sich allerdings nicht um eine vereinzelt gebliebene Stimme.360 Auch der Rezensent der Rechtslehre Immanuel Kants in den Tübingische gelehrte Anzeigen vom 15. bzw. 18. Mai 1797 verstand sich sehr exakt auf das vorstehend vorgetragene metaphysische Begriffsverständnis, wenn er kurz und knapp resümierte: „Alle diese Rechte des äußeren Mein und Dein sind im Privatzustande zwar denkbar, aber ihre Existenz ist ohne einen Zustand des vereinigten allgemeinen Willens unter öffentlichen Rechtsgesetzen nicht möglich. Außer dem rechtlich-öffentlichen Zustande sind daher alle Rechte blos provisorisch, in einem solchen werden sie erst peremtorisch.“361 Ebenso wird man dem Rezensenten in Göttingische Bibliothek der neuesten theologischen Literatur ein metaphysisches Wortverständnis zugestehen müssen, der da schreibt: „Ein rechtlicher Besitz findet aber nur in einem bürgerlichen Zustande statt. […] Im Naturzustande kann auch ein

358

Spaemann, in: Barion/Böckenförde/Forsthoff/Weber (Hrsg.): Epirrhosis (1968), S. 683 – 696 (686 f.); ders., in: Ritter/Gründer (Hrsg.): HWPh VI (1984), Sp. 172 – 174. 359 Mellin, Encyclopädisches Wörterbuch II/1 (1799), S. 407 (438). 360 Vgl. ferner auch Beck, Commentar über Kants Metaphysik der Sitten I (1798), S. 185 – 190. 361 Anonym, Tübingische gelehrte Anzeigen 1797, S. 305 (316) – Hervorhebungen des Verf.

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wirkliches Mein und Dein statt finden, aber nur ein solches, welches in Rücksicht auf einen bürgerlichen Zustand, in dem man zu treten Willens ist, erworben wird.“362 Sichtet man die zeitgenössischen Rezensionen und Stimmen zur Rechtslehre Immanuel Kants systematisch, so fällt allerdings auf, dass es mit diesem metaphysischen Verstand des Begriffs vom provisorischen Erwerb nicht schon sein vollgültiges Bewenden hat. Ebenso und vielleicht noch vielmehr lässt sich unter diesen nämlich auch ein empirisches Verständnis dieses Begriffs leicht ausmachen, das – bemerkenswerterweise – schon Hand in Hand mit einer Verkürzung des Begriffs vom (äußeren) Mein und Dein auf das vermeintlich vor der bürgerlichen Verfassung schon subsistierende Privateigentum geht. Sehr deutlich wird dies beispielsweise bei Betrachtung einer ungewöhnlich ausführlichen und kritischen Rezension in den Annalen der Philosophie und des philosophischen Geistes, denn der anonyme Autor dieser Rezension hat die ihm – mit seinem subjektiv favorisierten Primat des Eigentumsrechts – widerstrebende Kantische These vom rechtsbegrifflichen Primat der bürgerlichen Verfassung durchaus noch sehr zutreffend aufgefasst: „Den Satz also, welcher ein Hauptfundament des ganzen Kantischen Naturrechts ausmacht, und mit welchem so viele andere Sätze, unter andern auch der, des unbedingten bürgerlichen Gehorsams zusammenhängen, ist nämlich, daß alles eigentliche Recht erst durch den Staat möglich werde, oder daß der bürgerliche Zustand der einzige denkbare sey, in welchem jeder seines Rechts theilhaftig werden könne, hält Rec. für unerwiesen, mithin auch dessen vielen und mannichfaltigen Folgen.“363 Der Rezensent stört sich demnach an dem in den heutigen Interpretationen beinahe völlig marginalisierten Satz des § 8 Abs. 1 S. 7 und unterzieht ihn darum einer aus seiner Sicht kritischen Prüfung, aus der jedoch ersichtlich wird, dass der dort herausgehobene allgemeinwillentliche Sicherstellungsbzw. Garantiegedanke (§ 8 Abs. 1 S. 3, § 9 Abs. 1 S. 1 – 2) nach des Rezensenten Auffassung in einem unaufgelösten Gegensatz zu dem Gedanken äußerer Rechtsbegründung befangen bleibt, obgleich er mit diesem tatsächlich gleichursprünglich in einer Begriffseinheit schon verbunden ist. Denn „die Macht, das Eigenthum gegen Angriffe zu schützen“ kann „unmöglich erst dasselbe rechtlich begründen“.364 Der anonyme Rezensent behauptet also ein im Naturzustand schon existentes Eigentumsrecht, das durch die bürgerliche Gesellschaft nicht erst rechtlich möglich sein (so aber § 8 Abs. 1 S. 7), sondern infolge seiner jederzeitigen Existenz bloß noch hintendrein von einem empirischen Machtapparat gegen ungehörige Angriffe abgesichert werden soll (so dann das eigentumstheoretisch unterbestimmte Verständnis von § 9 Abs. 1 S. 2), sodass der eigentliche Rechtsgedanke von § 8 Abs. 1 S. 7 verdächtig wird, weil Recht und Zwang – entgegen §§ D/E – begrifflich nicht in 362 Anonym, in: Göttingische Bibliothek der neuesten theologischen Literatur (1798), S. 159 (173 f.) – Hervorhebung des Verf. 363 Anonym, in: Annalen der Philosophie und des philosophischen Geistes III (1797), Sp. 13 (46). 364 Anonym, in: Annalen der Philosophie und des philosophischen Geistes III (1797), Sp. 13 (18 f.).

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

einer ursprünglichen Einheit, sondern in einer Zweiheit vorgestellt werden. Demnach ist das subjektive Eigentumsrecht in der Vorstellung des kritischen Rezensenten offensichtlich immer schon unmittelbar mit dem einzelnen Rechtssubjekt synthetisch verbunden365 und der Staat in der Folge gänzlich reduziert nur noch als ein empirisches Machtmittel im Dienste des Eigentumsrechts zu verstehen. Doch weder eine solche unfreiheitliche Eigentumstheorie, noch ein solches auf bloße Machtmechanik reduziertes Staatsverständnis finden sich wirklich in der Kantischen Rechtslehre, wenn man § 8 Abs. 1 S. 7 in seiner Fundamentalbedeutung für das ganze Kantische Rechtsdenken vernünftig begreift. In der (hobbesianisierenden) Vorstellung des Rezensenten hat dagegen mit dem Postulat von § 2 „jedes freie Wesen“ schon subjektiv „ein Recht, die äußeren Sachen zu beliebigen Zwecken zu gebrauchen“,366 sodass er im Naturzustand eine interpersonale Verpflichtung im Ausgang vom bloßen Privatrechtssubjekt denkt,367 die ihm schließlich den im modernen Sinne eigentumstheoretischen Satz ermöglicht: „So ist auch klar, daß das Eigenthum unmittelbar durch dieses Postulat bestimmt wird, und folglich das Recht darauf von aller bürgerlichen Gesellschaft unabhängig bestehet.“368 In der Folge ist es somit eine Sache der bloßen Klugheit, nicht aber des Rechts der Menschen, in eine bürgerliche Verfassung einzutreten.369 Da sich das so vermeinte Eigentum obendrein auch noch mit anderen Mitteln als bürgerlicher Gesellschaft hinreichend effektiv sichern lasse, folgt schließlich der nur mit einer empirischen Wortbedeutung des Adjektivs „provisorisch“ verständliche Satz: „Rec. sieht daher nicht ein, warum vor dem bürgerlichen Zustande nur ein provisorischer Erwerb möglich seyn sollte“370, denn der Naturzustand ist mit diesem empirischen Verständnis schon aus sich selbst der eigentliche Rechtszustand.371 Mit dem empirischen Verstand des Begriffs des provisorischen Besitzes, der mit einer eigentumsspezifischen Rechtsbehauptung vor und unabhängig von jeder bürgerlichen Verfassung zwangsläufig, nämlich wegen der darin schon liegenden empirischen Rechts(grund)behauptung, verbunden ist, wird der damit zugleich un365 Es wird vom anonymen Rezensenten in: Annalen der Philosophie und des philosophischen Geistes III (1797), Sp. 13 (23, 28) nämlich (gegen die Kantische Textgrundlage in RL, AA VI: 258.09) „[…] das Recht auf den beliebigen Gebrauch der Sachen mit jedem moralischen Wesen gesetzt“. 366 Anonym, in: Annalen der Philosophie und des philosophischen Geistes III (1797), Sp. 13 (20). 367 Anonym, in: Annalen der Philosophie und des philosophischen Geistes III (1797), Sp. 13 (21 f.). 368 Anonym, in: Annalen der Philosophie und des philosophischen Geistes III (1797), Sp. 13 (22). 369 Anonym, in: Annalen der Philosophie und des philosophischen Geistes III (1797), Sp. 13 (23 – 27, 30, 47). 370 Anonym, in: Annalen der Philosophie und des philosophischen Geistes III (1797), Sp. 13 (30). 371 Anonym, in: Annalen der Philosophie und des philosophischen Geistes III (1797), Sp. 13 (44 f., 46 f.).

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vereinbare rechtliche Sicherstellungsgedanke von § 8 Abs. 1 S. 3 – 7/§ 9 Abs. 1 S. 1 – 2 unverständlich. Aus diesem Grund behauptet sich in den zeitgenössischen Rezensionen dann schließlich auch die These eines zwischen den §§ 8 und 9 bestehenden und unaufgelösten Widerspruchs,372 der sich auf interpretatorischem Wege durch ein ebenso empirisches Verständnis auch des Gedankens der peremtorischen Sicherstellung des vor dem Staat existierenden provisorischen Eigentums im Staat scheinbar aufheben lässt.373 Ein weiterer anonymer Rezensent hat das Problem einer im empirischen Sinne vorstaatlichen Rechtsbehauptung im äußeren Verhältnis dabei vorzüglich auf den Begriff gebracht: „Die Behauptung, daß der bürgerliche Zustand allein der rechtliche sey, daß das Mein und Dein nur in diesem Zustand gesichert, und jeder mit uns in einen solchen Zustand zu treten genöthiget werden könne, will uns doch nicht so ganz einleuchten. Wenn es im Naturzustande schon Rechte gibt, so muß auch in demselben Rechtlichkeit statt haben können, […]; das Recht zur Nöthigung anderer, mit uns in einen Staat zu treten, würde wegfallen.“374 Dass der rechtliche Sicherstellungsbegriff bürgerlicher Verfassung (§ 8) im Verhältnis zu einem empirisch verstandenen Begriff des provisorischen Besitzes im Naturzustand (§ 9) schon in der zeitgenössischen Rezeption zu schwerwiegenden Verständnisproblemen führte, lässt sich schließlich auch anhand der umfangreicheren Kompendien belegen, die ebenso sehr zeitnah mit der Publikation der Kantischen Rechtslehre erschienen. Denn darin findet sich gleichermaßen die Behauptung eines „mit dem Ausdrucke provisorisch verklausuliert“ zum Ausdruck gebrachten Widerspruchs,375 ebenso wie die den empirischen Verstand von § 9 mit § 8 harmonisierende Behauptung einer empirisch aufgefassten Sicherstellung.376 Heinrich Stephani ist in seinen Anmerkungen zu Kants metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre, und zwar infolge seines subjektiv unwillkürlichen Widerwillens gegen die metaphysischen Aussagen Immanuel Kants in den §§ 8 – 9, dann sogar kurzerhand dazu übergegangen, diese unverdeckt in ihr Gegenteil umzudeuten: „Aufrichtig zu gestehen, so fühlen wir einen innern, von unserer Willkür unabhängigen Widerwillen gegen alle Sätze, die bei allem Widerspruche dennoch wahr seyn sollen. […] Ohne Widerspruch lautet diese ganze Behauptung auf folgende Weise. Eigenthum kann sich jeder auch in dem allgemeinen Sozialzustande

372

Anonym (Bs:), in: Neue allgemeine Deutsche Bibliothek 42 (1799), S. 28 (34 f.). Vgl. dazu Anonym (Pw.), in: Neueste critische Nachrichten 23 (1797), S. 137 (140 f.). 374 Anonym, in: Gothaische gelehrte Zeitungen (1797), S. 420 (425, 427, 438). 375 Nehr, Kritik über die metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre (1798), S. 37 – 39, der ohne weitere Verwunderung über diesen Sachverhalt obendrein feststellt: „Aber der Ausdruck provisorisch ist hier ganz unzweckmäßig, weil hier noch nicht der Ort ist, um die Anwendung der allgemeinen Grundsätze auf den Menschen, so wie er sich in den (sic!) Erfahrung zu erkennen gibt, zum machen.“ 376 In dieser Tendenz Bergk, Briefe über Immanuel Kant’s Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (1797), S. 79 f.; Stang, Darstellung der reinen Rechtslehre von Kant (1798), S. 33 – 35. 373

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

e r w e r b e n ; g e s i c h e r t wird es uns aber erst durch den bürgerlichen Verein.“377 Als Rechtsgrund dieses subjektiv im Naturzustand wirklich erwerblichen Eigentumsrechts behauptete Stephani sodann weder einen einzelnen Willen vor, noch einen allgemeinen Willen im bürgerlicher Zustand, sondern die bloße Vernunft, die hier offenbar mit praktischer Wirkung in einen Gegensatz zum Willen (d. h. zur praktischen Vernunft) tritt.378 Anders als für Kant, ist für Heinrich Stephani ein erworbenes Recht im Naturzustand damit nicht bloß rechtlich möglich, sondern für sich selbst schon rechtlich wirklich: „Folglich kann durch den Verein nicht erst ein Eigenthum entstehen, sondern durch denselben wird dasselbe – als nicht bloß möglich, sondern als schon wirklich vorhanden, beschützt.“379 Über den damit als entbehrlich vorgestellten Rechtsbegriff des Staates380 werden somit auch die begrifflichen Unterscheidungen in der Rechtslehre selbst hinfällig: „Mit dieser Darstellung fället auch die Eintheilung des Eigenthums in provisorisches und peremtorisches von selbst, als gänzlich unnöthig, hinweg.“381 Um an dieser die Kantischen Begrifflichkeiten hinter sich lassenden Stelle der begriffsgeschichtlichen Vergewisserung zu schließen, ist festzuhalten, dass sich in der zeitgenössischen Rezeption der Kantischen Rechtslehre sowohl ein metaphysischer als auch empirischer Verstand des Begriffs vom provisorischen Besitz nachweisen lässt. Insofern hat die rechtsphilosophische Kantforschung der Gegenwart, die einseitig auf einem empirischen Verstand dieses Begriffs beharrt, zwar bis heute keinen Schritt nach vorne, wohl aber auch keinen Schritt, und erst recht schon gar keinen begriffsgeschichtlichen Blick zurück getan, denn sie stellt einen möglichen Bedeutungswandel des Adjektivs „provisorisch“ mit ihrem modernen Wortgebrauch schlechterdings gar nicht in Rechnung. Allerdings führt die mit dem empirischen Verstand notwendig verbundene Behauptung eines naturzuständlich unabhängig vom Begriff eines bürgerlichen Zustandes subsistierenden Privateigentumsrechts dazu, dass der Staat bürgerlicher Verfassung im eigentumsspezifischen Rechtsdenken entweder im Widerspruch zu § 8 als gänzlich unnötig, oder in vermeinter Harmonie mit § 8 bloß als empirisches Sicherstellungsmittel analytisch notwendig mit dem Begriff des vorstaatlichen Eigentums verbunden vorgestellt werden muss, sodass das Kantische Rechtsdenken unbegreiflich werden dürfte, wenn es den Staat als unmittelbar gewiss notwendigen Selbstzweck allen äußeren Rechts 377

(76).

Stephani, Anmerkungen zu Kants metaphysischen Anfangsgründen (1797), S. 75 ff.

378 Stephani, Anmerkungen zu Kants metaphysischen Anfangsgründen (1797), S. 75 ff. (80 – 82). 379 Stephani, Anmerkungen zu Kants metaphysischen Anfangsgründen (1797), S. 75 ff. (80). 380 Stephani, Anmerkungen zu Kants metaphysischen Anfangsgründen (1797), S. 75 ff. (81): „So bald man sich von der rechtlichen Möglichkeit überzeugt haben wird, eine Sache zu seinem unzugängigen Personalreiche zu ziehen, ohne daß man dazu die Einwilligung oder Anerkennung der anderen nöthig hat, wird man auch um so lieber den Begriff vom Staate, als einer sich durch gegenseitigen Zwang constituirenden Gesellschaft, aufgeben.“ 381 Stephani, Anmerkungen zu Kants metaphysischen Anfangsgründen (1797), S. 75 (82).

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ansetzt (§§ 8, 9, 15, 42). Der an sich zur positiven Rechtslehre gehörige und für sich unter dem reinen Rechtsbegriff vom äußeren Mein und Dein begrifflich vermittelt vorstellbare Begriff des Privateigentums382 ist nach alledem schlechterdings nicht geeignet, dem metaphysischen Rechtsdenken Immanuel Kants in den §§ 1 – 9 gerecht zu werden,383 denn er zieht den Rechtsverstand, dem er angehört, von vornherein auf ein empirisches Rechtsdenken hinab, das dann allerdings jedenfalls nicht das rein begriffliche (metaphysische) Rechtsdenken der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre sein kann.384 In einer empirischen Rechtswirklichkeit gibt es an und für sich selbst nämlich weder einen provisorischen, noch einen peremtorischen Rechtsbesitz:385 bb) Der Begriff des „peremtorischen“ Besitzes Denn ausweislich seines Begriffs „würde“ ein peremtorischer Besitz ein solcher „sein“, der im „wirklichen Zustande“ bürgerlicher Verfassung angetroffen wird.386 Nun handelt es sich beim Zustand bürgerlicher Verfassung aber um eine praktische Idee, nach der ein rechtlicher Zustand dasjenige interpersonale Verhältnis der Menschen untereinander begreift, das zugleich die Bedingungen in sich enthält, unter denen allein jeder seines Rechts teilhaftig werden kann.387 Da aber eine praktische Idee niemals unmittelbare (d. h. begrifflich unvermittelte) empirische Existenz an sich selbst in einer Zeit haben kann, gibt es in einer empirischen Staatswirklichkeit unter diesem praktischen Begriff in der Zeit auch niemals die vollkommene rechtliche Teilhabemöglichkeit an sich selbst und folglich erst recht nicht die vollkommen verwirklichte Teilhabegerechtigkeit. Vielmehr wird dieser Idealzustand erst in der praktischen Vernunftidee des ewigen Friedens und damit außerhalb von wirklichen Zeitverhältnissen als praktisch-notwendiger Endzweck allen äußeren Rechts be382

RL, AA VI: 205.08-206.03 i.V.m. 270.10-14. Zutreffend insofern Köhler, ARSP 79 (1993), S. 457 (461): „Von besonders kritischer Bedeutung ist, daß der Begriff des Eigentums […] in einer freiheitsbegrifflichen Privatrechtsbegründung sich als sekundär und eingeschränkt bestimmt: ohnehin nur auf Sachen, nicht auf Personen bezogen, ist er ein problematischer Grenzbegriff eines Ensembles von an sich partikulären Besitz-(Gebrauchs-)rechten“; vgl. zur begriffsgeschichtlichen Einordnung dens., in: Klesczewski/Müller/Neuhaus (Hrsg.): Die Idee des Sozialstaates (2006), S. 19 (24). 384 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 185 Fn. 11 irrt sich demnach, wenn er konstatiert: „Der verborgene Leitfaden der Kantischen Rechtsreflexion ist das Eigentum, welches ihm ermöglicht, […] einen festen Punkt für die Vernunft-Begründung des Staats zu liefern, und diesen damit vom Verdacht, bloßes Produkt menschlicher Klugheit […] zu sein, befreien soll.“ 385 Der Begriff des peremtorischen Besitzes unterliegt allerdings eben demselben hypostasierenden Missverständnis, dem auch schon der Begriff des provisorischen Besitzes unterliegt. Vgl. dafür beispielsweise Zotta, Legitimität und Recht (2000), S. 101 ff.: „Eigentum als naturrechtliche Instanz in seiner quantitativen und qualitativen Ausformung existiert bereits als Provisorium vor jeder allgemeinen Rechtsordnung, doch erst der bürgerliche Rechtsstaat verwandelt es in eine gesicherte, peremtorische Größe.“ 386 RL, AA VI: 256.35-257.05. 387 RL, AA VI: 305.34-306.01. 383

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

griffen.388 In diesem Sinne ist ein peremtorischer Besitz äußerer Gegenstände ein zeitloses Ideal, das in einem wirklichen Idealzustand bürgerlicher Verfassung angetroffen würde. Demnach muss alle empirische Staat- und Besitzwirklichkeit im äußeren Verhältnis zwischen diesen beiden Extrempunkten im metaphysischen Rechtsbewusstsein, dem provisorischen sowie dem peremtorischen Besitz, die als Besitzbegriffe im Begriff bürgerlicher Verfassung in schlüssiger Vermittlung miteinander stehen, durch eben diesen schlüssig vermittelnden Begriff bürgerlicher Verfassung, als eine die vernünftige Rechtsidee graduell stets schon verwirklichende Rechtspraxis vernünftig begriffen werden.389 Die praktische Wirklichkeit ist dann qualitativ vernünftig, weil die Vernunft in praktischen Begriffen (d. h. in quantitativ reinen allgemeinen Vorstellungen) immer schon schlüssig wirklich ist. Der peremtorische Besitz ist in dieser vernünftigen Auffassung folglich unter dem Begriff bürgerlicher Verfassung in dieser bereits endgültig aufgehoben. Seinem Begriff liegt somit im Kantischen Wortgebrauch an dieser Stelle ebenfalls die ursprünglichetymologische und vom spätlateinischen „peremptio = Aufhebung“ sich herleitende Bedeutung dieses Adjektivs zugrunde;390 eine ausführliche begriffs- bzw. rezeptionsgeschichtliche Erörterung sowie Kritik sei hier erlassen. cc) Idealistische Kritik eines bloß abstrakten Verständnisses von Besitz und Staat Diesem in seiner Konkretion schlüssig-metaphysischen Rechtsdenken in reinen praktischen Begriffen steht nun in der Rezeptionsgeschichte der Kantischen Rechtslehre ein zuletzt immer noch empirisch bleibendes Rechtsdenken entgegen, das auf bloßer Abstraktion im reinen Rechtsdenken unter dem als allgemein bestimmend gebrauchten Begriff des Rechts der Menschen (§ B Abs. 3) beruht und den empirischen Besitz im Naturzustand auf diese Weise – nämlich unter Absehung von allen progressiv-synthetisch realbegrifflich vermittelnden Bestimmungen (besonders § 8) – unmittelbar mit dem Begriff des intelligiblen Besitzes setzt. Wird die mit dem empirischen Wortverständnis des Begriffs vom provisorischen Besitz dann unvereinbare Rechtsbegründungsfunktion der bürgerlichen Verfassung im äußeren Verhältnis der Privatrechtssubjekte dabei nicht als Widerspruch im abstrakten Rechtsdenken bewusst, sondern durch konsequent durchgeführte empirische Unterbestimmung des in § 8 exponierten Sicherstellungsgedankens, d. h. durch fortgesetzte Abstraktion, zur oberflächlichen Harmonie mit diesem gebracht, so resultiert die moderne Auffassung einer eigentums- bzw. privatrechtsspezifischen Interpretation, danach sich die eigentlich unmittelbare praktische Notwendigkeit bürgerlicher Verfassung aus der mit dem Privatrechtsbesitz vermeintlich verknüpften 388

RL, AA VI: 355.07-21. RL, AA VI: 341.01-08. 390 Vgl. dazu Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache VII (19993), S. 3036 f. (Stichworte: peremtorisch; Peremtion); Schulz/Basler, Deutsches Fremdwörterbuch II (1942), S. 452 f. 389

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

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Notwendigkeit zur effektiven Sicherstellung desselben gegen ungehörige Angriffe ableiten soll:391 Dass der vermeintliche Primat des Eigentums- bzw. Privatrechts vor jedem wirklichen Allgemeinwillen konsequent tatsächlich nur auf einen bloß funktionalistisch gedachten Not- und Verstandesstaat im Rechtsdenken hinleitet,392 lässt sich sehr eindrucksvoll an jenen kritischen Stimmen studieren, die einen der Rechtslehre Immanuel Kants eingeschriebenen „Besitzindividualismus“393 ausfindig gemacht haben wollen. So ist etwa nach Franco Zotta „[d]er bürgerliche Rechtsstaat […] das einzige Biotop, das die einigermaßen friedliche Koexistenz von Besitzindividualisten ermöglicht“, sodass schließlich der „besitzindividualistische homo oeconomicus […], seinem genuin asozialen Eigentümergebahren zum Trotz, dennoch in Gemeinschaft leben“ könne.394 Lediglich einen anderen und darum auch nicht derart zynisch anklingenden Akzent in dieser zuletzt zweckrational bleibenden Denkstruktur formuliert dagegen beispielsweise Wolfgang Kersting mit seinem Primat des Besonderen vor dem Allgemeinen: „Kants Naturzustandsbewohner […] leben in einer vernunftrechtlichen Privatrechtsordnung. […]. Das System der öffentlichen Gerechtigkeit dient lediglich der Institutionalisierung des Privatrechts und des angeborenen Freiheitsrechts. Der Kantische Rechtsstaat ist wesentlich ein Privatrechtsstaat. Sein Gesetzeswerk stattet das Privatrecht mit wirkungsvollen Ausführungsverordnungen aus.“395 Nicht zuletzt in diese affirmativ gehauene Kerbe dürfte dann schließlich

391

Vgl. dazu beispielsweise die in Fn. 43 genannten Literaturstimmen. – In einem solchen Primat des Privatrechts vor allem wirklichen Allgemeinwillen sieht mancher Interpret dann eine „philosophische Großtat“ (Kersting, Wohlgeordnete Freiheit [20073], S. 73), während andere Stimmen lieber von einem „totalitär vorgestellten Primat des Privateigentums“ (Zotta, Legitimität und Recht [2000], S. 95) sprechen. – In einem leisen Zweifel an seiner von ihm vertretenen These des Kantischen Besitzindividualismus hat Saage, Eigentum, Staat und Gesellschaft bei Immanuel Kant (19942), S. 74 f. mit Blick auf den Begriff des provisorischen Besitzes im Naturzustand die richtig formulierte, aber falsch beantwortete Frage gestellt: „Muß diese Aussage nicht so interpretiert werden, daß das provisorische Mein und Dein im Naturzustand, da von vornherein auf den peremtorischen Rechtszustand hin angelegt, im Grunde nur akzidentiellen Charakter hat? […] Ich meine, daß eine solche Interpretation deswegen über das Ziel hinausschießt, weil sie die soziale Dimension des Kantschen Eigentumsbegriffs unzulässig exponiert: am Ende müßte Kant dann gar als ein Vorläufer des Sozialismus erscheinen.“ 392 Saage, Eigentum, Staat und Gesellschaft bei Immanuel Kant (19942), S. 95 spricht von einer „Funktionalisierung des Staates bei Kant“. 393 Siehe dafür zunächst Saage, Eigentum, Staat und Gesellschaft bei Immanuel Kant (1973/19942); sodann im Anschluss daran Zotta, in: Saage, Eigentum, Staat und Gesellschaft bei Immanuel Kant (19942), S. 9 ff.; ders., Legitimität und Recht (2000); Held, Eigentum und Herrschaft bei John Locke und Immanuel Kant (2006). 394 Zotta, in: Saage, Eigentum, Staat und Gesellschaft bei Immanuel Kant (19942), S. 33 sowie ders., Legitimität und Recht (2000), S. 104. 395 Kersting, Kant über Recht (2004), S. 95.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Bernd Ludwigs Einschätzung schlagen: „Der Staat ist Pflicht als Staat des Eigentums“.396 Der kleinste gemeinsame Nenner in der rechtsphilosophischen Kantforschung, darauf sich sowohl ihre ärgsten Kritiker als auch ihre vehementesten Sympathisanten einigen können, besteht demnach in dem von Hans-Georg Deggau formulierten Satz: „Der Staat entsteht also aus der Notwendigkeit der Sicherung des Eigentums der Privateigentümer.“397 – Doch auf den darin liegenden Zirkel hätte man bereits durch das Studium der Arbeit Kurt Lissers aus dem Jahr 1922 aufmerksam werden können: „Das provisorische Eigentum muß angenommen werden, damit eine Pflicht entstehen kann, es mit Hilfe des Staates in ein peremtorisches zu verwandeln […]. Diese Pflicht aber besteht nur insofern man vor der bürgerlichen Verfassung oder von ihr abgesehen, ein Eigentum als möglich gesetzt hat.“398 Die privatrechtsspezifische Lesart der Kantischen Rechtslehre, die in einigen Teilen durchaus auch eine offen betriebene Umdeutung derselben ist, setzt durch ihre Abstraktion nämlich nicht den allgemeinen praktischen Vernunftbegriff bürgerlicher Verfassung als vernunftbegriffliche Realbedingung im besonderen Eigentums- oder Privatrechtsbegriff (§ 8), sondern sie setzt – in realbegrifflicher und mithin substanzieller Verkehrung – den besonderen Eigentums- bzw. Privatrechtsbegriff als begriffliche Realbedingung im allgemeinen Begriff bürgerlicher Verfassung, sodass sich hier die – schon an sich selbst gar nicht weiter mögliche – Ableitung des Allgemeinen aus dem Besonderen, und nicht die vernunftschlüssige Ableitung des Besonderen aus dem Allgemeinen behaupten will. Eine synthetische Begriffserkenntnis des begrifflich Allgemeinen im begrifflich Besonderen ist aber philosophisch schon methodologisch überhaupt gar nicht möglich und folglich müssen auch die in einer solchen unmöglichen Auffassung vorgetragenen Interpretationsergebnisse erst noch vom Kopf auf die Füße gestellt werden, sollen sie künftig praktisch brauchbar werden. Im Rahmen einer solchen philosophisch begründeten Umkehrung ist einer privatrechtsfunktionalistischen Ableitung der praktischen Staatsnotwendigkeit dann zunächst deutlich bewusst zu machen und eben darum in einem ersten Schritt lediglich entgegenzusetzen, dass der Staat als Realbedingung alles möglichen äußeren Rechts an und für sich selbst, d. h. als rechtlicher Selbstzweck bzw. als absolute Willenssubstanz allen äußeren Rechts die praktische Notwendigkeit eines rechtlichen Postulats (§ 42 Abs. 1) besitzt,399 und nicht als bloßes Mittel zum Zweck für von

396

Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 186. Deggau, Die Aporien der Rechtslehre Kants (1983), S. 225; vgl. auch Höffe, „Königliche Völker“ (2001), S. 24 f., wo es heißt, der Staat sei „gegenüber dem Privatrecht eine sekundäre und subsidiäre Institution“. 398 Lisser, Der Begriff des Rechts bei Kant (1922), S. 35 ff. 399 Siehe dazu besonders schon oben unter B. III. im vierten Kapitel sowie dortige Fn. 82 m.w.N. 397

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ihm substanziell Verschiedenes,400 nämlich für von ihm unabhängig vermeinte Eigentumsrechte der naturzuständlichen Privatrechtssubjekte fungiert.401 Mit dem Postulat von § 42 Abs. 1 ist es nun einmal unmittelbar gewiss, dass eine bürgerliche Verfassung für jedes menschliche Rechtssubjekt an sich selbst praktisch notwendig ist und so lässt sich gar keine weitere Begründung für eben diese unmittelbare Gewissheit geben. Die Frage nach einer irgendwie weiter abgeleiteten Begründung auch nur aufzuwerfen, offenbart hier lediglich einen fundamentalen Mangel an methodologischem Verständnis für die in einer Metaphysik gebrauchten Grundbegrifflichkeiten reinen Denkens; es handelt sich also um die falsch gestellte Frage eines verkehrten Privatrechtsbewusstseins, auf die eben darum gar keine vernünftige Antwort eines allgemeinen Rechtsbewusstseins möglich ist. Aus dieser Überlegung folgt sodann auch ohne weiteres die wichtige Feststellung, dass es im metaphysischen Rechtsdenken kein materielles Naturprivatrecht402 geben kann, das in seinem Kerngehalt vermeintlich auf eine Positivierung bzw. Transformation im Staat hindrängt403 und schließlich mit einem darin als unmöglich gesetzten Widerstandsrecht in Aporien führen müsste. Also lässt sich an diesen drei Interpretationssymptomen eine privatrechtsspezifische Interpretation erkennen, die die Kantische Rechtslehre, wenn auch unbewusst und zumeist gewiss nicht gewollt, in ihrer eigenen Gedankenlosigkeit tatsächlich auf das voraufgeklärte Niveau essentialistischer Naturrechtslehren zurückdatiert. Auch im Rahmen der nachfolgenden Überlegungen zu den metaphysischen Rechtsbegriffen des Erwerbs eines äußeren Gegenstandes kommt es somit darauf an, die empirischen Verkürzungen und Umdeutungen eines reduktionistischen Privatrechtsdenkens abzuhalten, sodass sich finden kann, dass und wie der praktische Vernunftbegriff bürgerlicher Verfassung als Realbedingung im Begriff einer ursprünglichen Erwerbung, damit aber auch im Begriff des Sachenrechts überhaupt sowie dem eines einzelnen Sachenrechts gesetzt ist.

400 Hüning, in: ders./Tuschling (Hrsg.): Recht, Staat und Völkerrecht bei Immanuel Kant (1998), S. 53 (83) erkennt in einer solchen Auffassung immerhin eine sachliche Ungereimtheit: „So führt die Rechtslehre zu einem systematisch letztlich auf die Sicherung des Eigentums reduzierten Staatsbegriff. […] Daß Kant in der Rechtslehre die Notwendigkeit des Staates ausschließlich aus dem Begriff des äußeren Mein und Dein und nicht in gleicher Weise aus dem Recht der Person ableitet, gehört zu den systematischen Merkwürdigkeiten dieser Schrift.“ 401 Der wichtige Gedanke, dass der Kantische Staat nicht Mittel zum Zweck des Eigentums ist, findet sich auch bereits bei Kaulbach, in: ders.: Studien zur späten Rechtsphilosophie Kants und ihrer transzendentalen Methode (1982), S. 111 (123 f.). 402 Das ist aber offenbar z. B. der Verständnishorizont von Kühl, Eigentumsordnung als Freiheitsordnung (1984), S. 206 ff., wenn er sehr deutlich von einem „Inhalt“ der „Regeln des Vernunftrechts bezüglich des Eigentums“ spricht. 403 So aber etwa Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 259, 261; Saage, Eigentum, Staat und Gesellschaft bei Immanuel Kant (19942), S. 67, 74, 77; Wawrzinek, Die „wahre Republik“ (2009), S. 109 und Fn. 66.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

II. Handelndes Erwerben eines äußeren Gegenstandes der freien Willkür Das erste Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre hatte die innerlich vernunftbegriffliche Entwicklung des reinen Verstandesbegriffs des Habens im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug zu einer intensiven Vernunftdeutlichkeit dieses Begriffs zum Thema. In diesem Rahmen wurden der praktische Vernunftbegriff des intelligiblen Besitzes als oberster besonderer Rechtsbegriff, der praktische Vernunftbegriff des äußeren Mein und Dein als unterster besonderer Rechtsbegriff sowie der praktische Vernunftbegriff der bürgerlichen Verfassung als ein beide vermittelnder Begriff im begrifflichen Realvoraussetzungsverhältnis bewusst: - Begriff des intelligiblen Besitzes (§ 6) - Begriff der bürgerlichen Verfassung (§ 8) - Begriff des äußeren Mein und Dein (§ 5 Abs. 1 S. 2)

Da der besondere Begriff des Habens die Synthesis von Rechtssubjekt und äußerem Rechtsobjekt unter dem als allgemein bestimmend gebrauchten Begriff des Rechts der Menschen (§ B Abs. 3), damit aber auch die metaphysische Begriffssphäre dieses allgemeinen Begriffs des Rechts der Menschen in seiner metaphysisch möglichen Tiefe quantitativ umfassend erschließt, kann sich die weitere begriffliche Entwicklung zu einer noch größeren intensiven Deutlichkeit des rein begrifflich verfassten Rechtsbewusstseins im Folgenden wesentlich nur noch auf die innerhalb dieser trichotomischen Begriffsreihe nach innen hin synthetisch-verbindend schon vorausgesetzten praktischen Vernunftbegriffe erstrecken. Demnach geht es insbesondere um die Verbindung der einesteils über dem Begriff bürgerlicher Verfassung und unter dem Begriff des intelligiblen Besitzes vorausgesetzten praktischen Vernunftbegriffe mit den anderenteils unter dem Begriff bürgerlicher Verfassung über dem Begriff des äußeren Mein und Dein vorausgesetzten Vernunftbegriffe. Da nun die drei bereits bewussten Vernunftbegriffe aus dem reinen Verstandesbegriff des Habens im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug entwickelt wurden, der reine Verstandesbegriff des Habens in sich selbst jedoch den reinen Verstandesbegriff der Handlung für sich selbst voraussetzt, sind die im zweiten Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre, und zwar im Ausgang vom bisher begrifflich erreichten Stand des metaphysischen Rechtsdenkens, zu entwickelnden praktischen Vernunftbegriffe aus dem reinen Handlungsbegriff im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug zu entwickeln. Die auf das Haben eines Gegenstandes bezogene Handlung ist eine Erwerbshandlung und folglich betrifft das zweite Hauptstück den Erwerb des Besitzes eines äußeren Gegenstandes. Die von Immanuel Kant herausgestellte Reihenfolge vernunftbegrifflicher Entwicklung, die vom Haben (1. Hauptstück) zum

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Erwerb (2. Hauptstück) fortschreitet, beruht also auf der philosophischen Methode synthetischer Erkenntnis a priori aus reinen Begriffen.404 Es gibt darum, jedenfalls nach der hier vertretenen Auffassung, auch wenig Grund, sie in der Tendenz als eine eigenartige Verlegenheitslösung zu interpretieren, die aus der vermeintlichen Schwierigkeit Immanuel Kants resultieren soll, eine substanzielle Verbindung von noumenaler und phaenomenaler Welt zu denken, wie sie im Besitzbegriff in der Tat wirklich gefragt ist.405 Immerhin muss die hier in dieser Arbeit herausgestellte rein verstandesbegriffliche Architektonik der natürlichen Privatrechtslehre nicht den Vorwurf gegen den Autor derselben erheben, er unterliege mit seiner Abhandlung des rechtlichen Besitzes eines äußeren Gegenstandes vor dem Erwerben einem gedanklichen Aufbaufehler – sei es, weil der äußere Besitz in einer Zeit immer Erwerb voraussetzt, oder, weil das einzelne Rechtssubjekt kraft seinem Begriff von sich selbst vermeintlich immer schon mit äußeren Rechtsobjekten verbunden vorzustellen sein soll. Denn indem sich neben der intelligiblen Art, etwas Äußeres als das Seine zu haben (1. Hauptstück), auch die intelligible Art, etwas Äußeres zu erwerben (2. Hauptstück), unter dem reinen Verstandesbegriff der Handlung verständig neben eine sinnliche Art des Erwerbs gestellt sieht, ist es unter der Überschrift, „ Vo n d e r A r t e t w a s Ä u ß e r e s z u e r w e r b e n “406, wohl um die ursprünglich rein vernunftbegriffliche (= metaphysische) und daher schlüssige Verbindung (= Synthesis) dieser beiden Arten in ihrer vernünftigen Einheit eines Begriffs praktischer Vernunft zu tun. Demnach geht es in der vernunftbegrifflichen Entwicklung der Prädikabilie des Handelns um die rein begriffliche Verbindung des Begriffs eines empirischen Erwerbs mit dem Begriff eines intelligiblen Erwerbs, sodass im Grunde zunächst ganz allgemein der freiheitskausale Rechtserwerbsbegriff mit dem Begriff eines ersten Erwerbs physischer Substanz überhaupt im Handlungsbegriff vermittelt werden muss. § 10

Der besondere Rechtsbegriff des ursprünglichen Erwerbs gehört so unter § 10 („ A l l g e m e i n e s P r i n c i p d e r ä u ß e r e n E r w e r b u n g “407) im Hinblick auf die in ihm vorgestellte Freiheitskausalität einesteils zu einem allgemeinen Teil 404

Siehe dazu ausführlich schon das dritte und vierte Kapitel im Allgemeinen bzw. im Einzelnen. Wegen vermeintlicher Aporien infolge dieser Vorgehensweise siehe Fn. 57 im vierten Kapitel. 405 So aber Zaczyk, Selbstsein und Recht (2014), S. 66 ff. und Fn. 16, der hier die intellektuelle Methode praktischer Erkenntnis gegen das praktische Leben selbst ausspielt, wenn er dafürhält, „diese Folge der Begründungsschritte dürfte doch Kants Schwierigkeit geschuldet sein, die Vernunft ins Leben einzufädeln, statt annehmen zu können, dass sie immer schon mit ihm versöhnt ist“. – Siehe zur Kritik an einer solchen Interpretation in diesem Punkt schon oben Fn. 52. 406 RL, AA VI: 258.02. 407 RL, AA VI: 258.04.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

eines jeden Erwerbs überhaupt, und anderenteils im Hinblick auf die unter ihm als Rechtsbesitz gegenständlich begriffene Bodensubstanz zu einem besonderen Teil des Erwerbsbegriffs, nämlich zum Sachenrecht. Auf diese Weise erklärt sich ganz zwanglos der nicht sachenrechtsspezifische Rekurs auf den Begriff des ursprünglichen Erwerbs in einem allgemeinen Teil der Erwerbslehre (§ 10).408 Zwischen dem Begriff der bürgerlichen Verfassung, als der begrifflichen Realbedingung alles äußeren Mein und Dein, und eben diesem Begriff des äußeren Mein und Dein tritt so a priori der Begriff des ursprünglichen Erwerbs ins allgemeine Rechts-, Besitz- und Erwerbsbewusstsein: - Begriff des intelligiblen Besitzes (§ 6) - Begriff der bürgerlichen Verfassung (§ 8) – Begriff des ursprünglichen Erwerbs (§ 10) - Begriff des äußeren Mein und Dein (§ 5 Abs. 1 S. 2)

§ 10 hat somit im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug des reinen Begriffs der Handlung den Erwerb, und unter dem Begriff des Erwerbs überhaupt das in sich schlüssige Einheitsverhältnis von ursprünglicher Erwerbung sowie bürgerlicher Verfassung rein begrifflich zum Gegenstand seiner vernünftigen Aufklärung, wobei der metaphysische Begriff ursprünglicher Erwerbung gewiss nicht mit dem empirischen Rechtsbegriff des Erwerbs einer relativ herrenlosen Sache (§§ 958 ff. BGB) verwechselt werden darf.409 408 Dagegen wertete Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 65 ff. den in § 10 eingeführten Begriff ursprünglicher Erwerbung, weil er im Sachenrecht (§§ 11 – 17) weiter entwickelt wird, als Indiz für eine vermeintlich weitere Korruption des Textes, sodass er § 10 kurzerhand um die Abs. 4 – 5 beraubte, denn eine Aufgliederung der ursprünglichen Erwerbung im vierten Absatz wäre an dieser Stelle (gemäß seinem stets schon eigentumstheoretisch reduzierten Vorverständnis) „sachlich nicht zu erwarten“ (S. 67). Die schlichte Verstehenslogik einer solchen Vorgehensweise hat Kühl, in: Höffe (Hrsg.): Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (1999), S. 117 affirmierend auf die Formel gebracht: „Die Überschrift von § 10 spricht noch nicht speziell von der ursprünglichen Erwerbung, […], sondern vom allgemeinen Prinzip der äußeren Erwerbung. Deshalb passen die Absätze 3 und 4 nicht in diesen § 10, […].“ Überhaupt wollen die besonderen Erwartungshaltungen der Eigentumstheoretiker und Privatrechtsspezialisten mit dem metaphysischen Angebot des § 10 vom allgemeinen Prinzip des Erwerbs nicht so recht übereinstimmen: So räumt beispielsweise Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 205 zwar noch ein, mit dem allgemeinen Prinzip der äußeren Erwerbung solle die „Grundstruktur der Handlung der Rechtserwerbung überhaupt aufgezeigt werden“, und doch setzt er sodann offensichtlich unbefriedigt nach: „Kant handelt hier in § 10 aber ausschließlich von der allein für das dingliche Recht bedeutsamen ursprünglichen Erwerbung“. Ebenso gibt sich Rühl, Kants Deduktion des Rechts als intelligibler Besitz (2010), S. 95 f. enttäuscht, wenn er notiert, § 10 halte mit der Erörterung der ursprünglichen Erwerbung nicht, was er in seiner Überschrift verspreche. 409 Deswegen kann man auch die Aneignung herrenloser Sachen (§§ 958 ff. BGB) nicht als Beispiel für den ursprünglichen Erwerb anführen, wie Süchting, Eigentum und Sozialhilfe (1995), S. 154 dies z. B. tut, denn ein ursprünglicher Erwerb ist in Zeitverhältnissen an sich selbst überhaupt gar nicht denkbar; es handelt sich um eine metaphysische Vorstellung. Hinter der ursprünglichen Begründung einer Habe durch Erwerbshandlung steht nämlich gedanklich

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Auch wenn dann unter dem in diesem Zusammenhang noch relevant werdenden metaphysischen Begriff des Sachenrechts (§§ 11 – 17) in weiteren begrifflichen Vermittlungen der Eigentumsbegriff410 als Rechtsbegriff einer empirischen Rechtslehre vorstellbar sein dürfte, so sind doch weder „die Bedingungen der Möglichkeit von Eigentumserwerb“411, noch „das Eigentumsrecht im engeren Sinne“412 spezifischer Gegenstand der §§ 10 ff. Ebenso wird in den Paragraphen des zweiten Hauptstücks nicht von der „pragmatischen Dimension des Besitzes“413 oder den „Bedingungen der Wirklichkeit, ein […] Äußeres zu erwerben“,414 gehandelt werden. Auch hat die Erwerbslehre nicht umgekehrt die ihr von Bernd Ludwig zugedachte Aufgabe, „[d]arzulegen, unter welchen – […] empirischen – Bedingungen eine Erwerbung rechtmäßig, d. h. mit dem [sc. § 10 Abs. 3] genannten Prinzip konform ist, […]“.415 Ferner lässt sich die Privatrechtslehre nicht angemessen erfassen, wenn man im ersten Hauptstück den Besitz und im zweiten Hauptstück das Eigentum entwickelt sehen möchte.416 Also darf man sich auch nicht mit Peter Unruh darüber wundern, „daß Kant auch die wenigen zu seiner Zeit bekannten Gesichtspunkte des Verbraucherschutzes […] ignoriert“417. Auf eine „Eigentumsdeduktion“ bzw. etwas dergleichen Ähnliches ist nämlich von vornherein nicht zu hoffen, und eine jede in diesem Sinne mehr oder weniger präzise formulierte Interpretenerwartung muss in Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre geradezu zwangsläufig entäuscht werden.418 Die oftmals dafürgehaltene Deduktion des § 17 das antinomische Freiheitsproblem in den Kausalitätsprädikablilien Haben/Handeln und da gilt in der Auflösung: „Eine u r s p r ü n g l i c h e Handlung, wodurch etwas geschieht, was vorher nicht war, ist von der Causalverknüpfung der Erscheinungen nicht zu erwarten.“ (KrV, A 544/ B 572). 410 RL, AA VI: 270.10-14 (§ 17 Abs. 5). 411 So aber etwa Zotta, in: Saage, Eigentum, Staat und Gesellschaft bei Immanuel Kant (19942), S. 16. 412 So aber beispielsweise Saage, Eigentum, Staat und Gesellschaft bei Immanuel Kant (19942), S. 52. 413 So aber Brocker, Kants Besitzlehre (1987), S. 103. 414 So hingegen Zaczyk, Selbstsein und Recht (2014), S. 67 f. – Etwas Ähnliches wird auch Luf, Freiheit und Gleichheit (1978), S. 80 in seiner Vorstellung haben, wenn er notiert: „Kant geht von der empirisch gegebenen Eigentumsstruktur aus und untersucht an diesem empirischen Material, welche Bedingungen an ihm a priori gegeben sein müssen, damit es als Erscheinungsform eines normativen, vom Postulat der Freiheit hergeleiteten Willens begriffen werden kann.“ 415 So Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 126. 416 Dafür jedoch Lehmann, in: ders.: Beiträge zur Geschichte und Interpretation der Philosophie Kants (1969), S. 195 (197). 417 Unruh, in: Eckl/Ludwig (Hrsg.): Was ist Eigentum? (2005), S. 133 (138). 418 Von einer „Eigentumsdeduktion“ spricht ausdrücklich etwa Zotta, in: Saage, Eigentum, Staat und Gesellschaft bei Immanuel Kant (19942), S. 19. Saage, Eigentum, Staat und Gesellschaft bei Immanuel Kant (19942), S. 48 ff. geht dagegen zunächst von einer „Deduktion seines [sc. Kants] Eigentumsbegriffs“ aus und redet dafür schon wenig später (S. 52 Fn. 11) nur noch von einer „Deduktion des Eigentums“, um sich sodann (S. 59) von einer „Deduktion des

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

liefert in einer Metaphysik des Rechts jedenfalls ausweislich ihrer Selbstauskunft nur die „ D e d u c t i o n d e s B e g r i f f s d e r u r s p r ü n g l i c h e n E r w e r b u n g “419. An den zahlreichen und gravierenden Eingriffen in das zweite Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre (betreffend insbesondere §§ 10, 11 – 17), die Bernd Ludwig seiner Edition der Rechtslehre Immanuel Kants hat angedeihen lassen,420 lässt sich dann schließlich gut studieren, auf welche Abwege ein jeder Verständnisversuch infolge eines bereits zum Voraus nur hinreichend fest entschlossen gefassten eigentumstheoretischen Vorurteils notwendig geraten muss. § 10 Abs. 1421

Im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug ist der reine Verstandesbegriff der Handlung im äußeren Verhältnis als Erwerb eines Besitzes zu begreifen. Da der reine Begriff der Handlung das Verhältnis des Subjekts der Kausalität zur Wirkung in sich begreift,422 begreift der Begriff der Erwerbung das Verhältnis des Rechtssubjekts der Erwerbskausalität zur Wirkung. Die im Begriff des Habens statisch vorgestellte Synthesis von Subjekt und Objekt wird somit im Begriff der Handlung als dynamisch vorgestellt, d. h. als eine sich begrifflich effektiv ereignende Verbindung von Subjekt und Objekt. Dementsprechend bewirkt die Verbindungshandlung des Rechtssubjekts in ihrer Rechtsfolge effektiv den Erwerb eines Rechtsobjekts. Das allgemeine Prinzip eines jeden Rechtserwerbs überhaupt ist demnach der in § 10 Abs. 1 S. 1 formulierte Begriff der Erwerbshandlung überhaupt: „Ich erwerbe etwas, wenn ich mache (efficio), daß etwas mein werde.“ Dieser praktische Vernunftbegriff der Erwerbshandlung überhaupt lässt sich nun in seiner Sphäre vollständig einteilen in die einanander verständig entgegenzusetzenden Artbegriffe eines ursprünglichen (= ersten und nicht abgeleiteten) Erwerbs und eines abgeleiteten (= nicht ersten und nicht ursprünglichen) Erwerbs, wobei eine trichotomisch-vernunftschlüssige Einteilung noch einen ersten abgeleiteten und insofern nicht ursprünglichen Erwerb kennt, darin die beiden verständigen Einteilungsglieder in einer Vernunfteinheit schlüssig miteinander verbunden und aufgehoben vorgestellt werden müssen. Diese trichotomische Einteilung des Begriffs einer Erwerbshandlung überhaupt liegt nun – wie sich sukzessive beglaubigen muss – der Rechts auf Privateigentum“ zu überreden. Es ist ihm offensichtlich einerlei, was Gegenstand einer Deduktion im Rahmen einer metaphysischen Rechtslehre sein kann. Ähnlich indifferent hält es auch Luf, Freiheit und Gleichheit (1978), wenn er (S. 78) einerseits von einer bei Kant tatsächlich nirgendwo anzutreffenden „Deduktion des ,äußeren Mein und Dein‘ zu handeln sich vorsetzt und darunter sogleich (S. 79) auf eine „Deduktion des Eigentumsbegriffes“ zu sprechen kommt, die im weiteren Verlauf (S. 86/92 f./107) zu einer bloßen „Eigentumsdeduktion“ wird. Vgl. ferner beispielsweise Brocker, Kants Besitzlehre (1987), S. 5; Kersting, Kant über Recht (2004), S. 76. 419 RL, AA VI: 268.02. 420 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 65 ff. 421 RL, AA VI: 258.05-08 (alle im Folgenden nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Absatz). 422 KrV, A 205/B 250.

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gedanklichen Einheit des § 10, damit aber zugleich dem allgemeinen Prinzip des Erwerbs (§ 10 Abs. 3) und somit der ganzen Erwerbslehre (§§ 11 – 35) insgesamt zugrunde. Die beiden übrigen Sätze von § 10 Abs. 1 richten sich darum zur vollständigen Einteilung des in Satz 1 enthaltenen Begriffs einer Erwerbshandlung überhaupt begrifflich zunächst auf den Verstandesgegensatz von ursprünglicher und abgeleiteter Erwerbung: Satz 2 erinnert zu diesem Zweck dabei analytisch und ganz abstrakt (d. h. ohne eine konkrete Rechtsbesitzbehauptung) den Begriff des ursprünglichen äußeren Meinen, dessen Kennzeichen – wie im Begriff gelegen – darin besteht, dass das ursprünglich schon mit dem Rechtssubjekt rechtlich verbundene äußere Mein keines verbindenden Erwerbsaktes mehr bedarf, um als solches zu gelten (denn es müsste ihm ursprünglich schon angeboren sein). Alle Erwerbshandlung hat somit ein nicht ursprünglich mit dem Rechtssubjekt schon verbundenes äußeres Mein zu seinem Gegenstand, sodass hier die Idee des ursprünglichen Erwerbs eines äußeren Meinen rein begrifflich im vernünftigen Rechtsdenken resultiert, denn andernfalls gäbe es gar keine mögliche Erwerbung eines äußeren Gegenstandes und der Begriff der Erwerbshandlung überhaupt wäre in seiner Sphäre lediglich eine leere Gedankenform. Satz 3 steht somit methodologisch vor der Aufgabe, den Begriff der ursprünglichen Erwerbung nominal näher zu kennzeichnen. Innerhalb der Sphäre des diesem übergeordneten Begriffs einer Erwerbshandlung überhaupt kann diese zur Unterscheidung hinreichende Kennzeichnung jedoch nur durch verständigen Gegensatz eines nicht ursprünglichen Erwerbs erfolgen. Da sich ein nicht ursprünglicher Erwerb auf einen zuvor irgendwann schon einmal erworbenen Gegenstand beziehen muss, handelt es sich bei ihm um einen abgeleiteten Erwerb, sodass nunmehr die Sphäre des Begriffs einer Erwerbshandlung überhaupt verständig und vollständig eingeteilt werden kann: „Eine Erwerbung aber ist ursprünglich diejenige, welche nicht von dem Seinen eines Anderen abgeleitet ist.“423

423 Der Begriff des „Seinen“ ist ein oberbegriffliches Synonym für den Begriff vom „Mein und Dein“, d. h. er steht für den possessorischen Rechtsbegriff (= den im reinen Verstandesbegriff des Habens innerlich bestimmend vorgestellten Rechtsbegriff der Menschen, § 7 Abs. 1 i.V.m. § B Abs. 3). In diesem Sinne setzt der possessorische Besitzbegriff den Begriff eines einzelnen Willens sowie den Begriff eines allgemeinen Willens noch darüber in sich voraus. Wohl aber darf der Begriff des „Seinen“ in § 10 Abs. 1 S. 3 nicht mit dem Begriff des Willens identifiziert und so verwechselt werden, denn dann wäre ein ursprünglicher Erwerb dadurch gekennzeichnet, dass er (übrigens ganz im Sinne eines empirischen Wortverständnisses des provisorischen Besitzes) unabhängig vom freien Willen aller anderen Subjekte, damit aber auch unabhängig von einem allgemeinen Willen der vom ursprünglichen Erwerb betroffenen Subjekte wäre. Rühl, Kants Deduktion des Rechts als intelligibler Besitz (2010), S. 102 gerät auf diese falsche Fährte und gelangt so natürlich auch zu der Diagnose von „[…] einem fundamentalen Widerspruch im System der Kantschen Rechtslehre“.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Eine ursprüngliche Erwerbung muss also gedacht werden, wenn der allgemeine Begriff einer Erwerbshandlung überhaupt (§ 10 Abs. 1 S. 1) in seiner Sphäre keine leere Gedankenform sein soll. Dass er keine leere Gedankenform sein kann, ist mit dem rechtlichen Postulat von § 2 und den dadurch gerechtfertigten praktischen Gebrauch vom Begriff des intelligiblen bzw. äußeren Besitz schon jetzt gewiss. Also muss § 10 in seinem weiteren Verlauf nicht nur das in der Überschrift angekündigte allgemeine Prinzip der äußeren Erwerbung, sondern – in diesem und für dieses vorausgesetzt – auch den möglichen Gegenstand bzw. die mögliche Gegenstandsklasse einer ursprünglichen Erwerbung weiter aufklären. § 10 Abs. 2424

Zu diesem Zweck bezeichnet § 10 Abs. 2 (vor dem Spiegelstrich) in einem ersten Schritt die Sphäre möglicher Gegenstände eines ursprünglichen Erwerbs. Da das menschliche Rechtssubjekt kraft seines Begriffs von sich selbst ursprünglich nur sich selbst zum angeborenen Recht der Freiheit als Unabhängigkeit im äußeren Verhältnis besitzt,425 ist es mit keinem äußeren Gegenstand ursprünglich schon synthetisch rechtlich verknüpft. Also muss alles äußere Mein erworben werden und folglich ist alles Äußere zunächst ein möglicher Gegenstand des ursprünglichen Erwerbs:426 „Nichts Äußeres ist ursprünglich mein; wohl aber kann es ursprünglich, d. i. ohne es von dem Seinen irgend eines Anderen abzuleiten, erworben sein.“427 Der auf dieser gedanklichen Basis im Folgenden fortzuentwickelnde Rechtsgedanke Immanuel Kants muss jedoch zwangsläufig missverständlich werden, sofern man diese fundamentale Grundaussage („Nichts Äußeres ist ursprünglich mein“) nicht bedingungslos ernst nehmen wollte. Denn wenn man sich das Rechtssubjekt ursprünglich stets schon mit äußeren Gegenständen synthetisch verbunden denkt,428 dann entfällt auch die praktische Notwendigkeit des Rechtsgedankens der ganzen Erwerbslehre mitsamt ihrer begrifflichen Differenzierungen, mit ihr aber auch die der Besitzlehre und mit dieser die der Rechtslehre insgesamt. Insbesondere dürfte die 424 RL, AA VI: 258.09-21 (alle im Folgenden nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Absatz). 425 RL, AA VI: 237.18-32. 426 Dass alles äußere Mein und Dein überhaupt erworben werden muss, steht spätestens seit der Einteilung des Begriffs des Mein und Dein (RL, AA VI: 237.24-26) fest und ist darum auch nicht – anders als Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 66 konstatiert – selbst Thema von § 10 Abs. 2. 427 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 66 versteht das Wort „wohl“ in diesem Satz als ein „obwohl“ und meint daher, Kant wolle behaupten, ein ursprünglicher Erwerb sei möglich, „obwohl“ ein ursprüngliches äußeres Mein und Dein unmöglich sei. Tatsächlich aber ist ein ursprünglicher Erwerb gedanklich notwendig, weil gar kein äußerer Gegenstand ursprünglich mein ist. Der von Ludwig an dieser Stelle aufgemachte Gegensatz besteht folglich nicht. 428 Vgl. dafür in der Tendenz etwa Zaczyk, Selbstsein und Recht (2014), S. 71 f. – Dass eine solche ursprüngliche Verbindung von Rechtssubjekt und äußerem Rechtsobjekt dem Begriff des Rechtssubjekts von sich selbst zuwiderläuft, weil hierunter alleine ein Rechtssubjekt, und kein äußeres Objekt verstanden wird, sei hier bemerkt.

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in § 8 Abs. 1 S. 7 von Immanuel Kant herausgestellte Bedeutung der bürgerlichen Verfassung im Staat als vernunftbegriffliche Realbedingung alles äußeren Mein und Dein somit unbegreiflich bleiben bzw. in ihrer Hervorhebung als Verlust von naturzuständlich schon vermeintem Selbststand des einzelnen Subjekts erscheinen, weil das Rechtssubjekt nach einem solchen Verständnis ja schon durch und für sich selbst mit allem Äußeren rechtlich synthetisch verbunden sein soll. Wollte man der bürgerlichen Verfassung eines gesetzgebenden Allgemeinwillens in einem solchen Rechtsdenken dennoch eine bestimmte Bedeutung zuweisen, so müsste sie als äußerer Gegenstand gleichursprünglich bereits mit dem Rechtssubjekt rechtlich verbunden vorgestellt werden, sodass diese ursprüngliche Verbindung aller besitzenden Rechtssubjekte in einer ursprünglichen Gemeinschaft des Mein und Dein (= ursprüngliche Gemeinschaft des äußeren Privatbesitzes) durch weitere gedankliche Schritte allenfalls noch „vertieft“ und „verfestigt“, nicht aber zuallererst einmal als ein wirklicher Allgemeinwille in Ansehung des äußeren Privatrechtsbesitzes ursprünglich begründet werden könnte.429 Einer solchen – die angeborene Unabhängigkeit gründlich vertilgenden – Auffassung erteilt Immanuel Kant jedoch im weiteren Fortgang des § 10 Abs. 2 (nach dem Spiegelstrich) in Satz 2 sogleich eine deutliche Absage, indem er nämlich den Zustand bürgerlicher Verfassung negativ als einen nicht ursprünglichen Zustand und mithin positiv als einen möglichen Erwerbsgegenstand überhaupt auszeichnet: „Der Zustand der Gemeinschaft des Mein und Dein (communio) kann nie als ursprünglich gedacht, sondern muß (durch einen äußeren rechtlichen Act) erworben werden; obwohl der Besitz eines äußeren Gegenstandes ursprünglich nur gemeinsam sein kann.“ Ist die Vorstellung einer ursprünglichen Gemeinschaft der Privatrechtssubjekte in Ansehung des Privatbesitzes äußerer Gegenstände also mit dem Begriff des angeborenen Rechts der Freiheit als bloßer Unabhängigkeit unvereinbar, so setzt dieser Begriff des Rechts angeborener Freiheit dagegen – wie man mit § 6 Abs. 4 – 8 schon weiß – in seiner positiv erwerbenden Entfaltung in äußere Handlungs- und Besitzverhältnisse die konkrete Vernunftidee eines ursprünglichen Gesamtbesitzes der Bodensubstanz und aller ihr inhärierenden Dinge darauf für sich selbst voraus. Denn die praktische Idee des ursprünglichen Gesamtbesitzes fungiert gemäß § 6 Abs. 8 als idealer (d. h. rein begrifflicher) und ursprünglicher (d. h. nicht seinerseits von einem anderen Besitz abgeleiteter) Ableitungsgrund des einzelnen Privatrechtsbesitzes im reinen Rechtsdenken.430 Dabei kann hier bemerkt werden, dass sie zugleich als 429 Vgl. dafür wohl ebenfalls in der Tendenz Zaczyk, Selbstsein und Recht (2014), S. 71, 73 f., 77 ff. 430 Sofern man die Abs. 4 – 8 des § 6 für einen falschen Texteinschub erachten und folglich im Verständnis tilgen wollte, resultiert daraus zwangsläufig auch eine veränderte Auffassung des zweiten Hauptstücks. Denn die in diesen Absätzen schon eingeführten Begrifflichkeiten gelangen dann im zweiten Hauptstück erstmals zu Bewusstsein, sodass sich Probleme im Hinblick auf den Grundgedanken des ersten Hauptstücks einstellen müssen. Auf diese Weise behauptet z. B. Kühnemund, Eigentum und Freiheit (2008), S. 80, mit dem zweiten Hauptstück

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idealer Ableitungsgrund des abgeleiteten Erwerbs eines bürgerlichen Zustandes der Gemeinschaft des äußeren Rechtsbesitzes fungieren muss, da alles wirkliche äußere Mein und Dein gemäß § 8 Abs. 1 S. 7 einen bürgerlichen Zustand über sich für sich selbst voraussetzt. Die praktische Idee der „ u r s p r ü n g l i c h e [ n ] Gemeinschaft des Bodens und hiemit auch der Sachen auf demselben (communio fundi originaria)“ war aber schon in § 6 Abs. 6 von der im Verhältnis zu ihr chimärischen Idee der „ u r a n f ä n g l i c h e n (communio primaeva)“ zu unterscheiden,431 denn eine uranfängliche Gemeinschaft stellt eine erste Gemeinschaft in Zeitverhältnissen vor, die somit selbst erst abgeleitet vom Willen aller für sich bloß voneinander unabhängigen Rechtssubjekte erworben werden muss und die folglich auch nicht als idealer Ableitungsgrund ihres Privatbesitzrechtes gelten kann. Eine ursprüngliche Handlung bzw. ein ursprünglicher Zustand lässt sich nämlich schlechterdings nicht an und für sich in Zeitverhältnissen denken, weil sie bzw. er allen Zeitverhältnissen im Ursprung konstitutiv vorausliegt; der Ursprungsbegriff hat eben einen originär metaphysischen Begriffsinhalt. Dementsprechend muss wegen ihrer Begriffsbildung auch die mit § 10 Abs. 2 S. 3 problematisch nur für ein Moment einmal in ihrem Begriff angenommene „ u r s p r ü n g l i c h e Gemeinschaft (communio mei et tui originaria)“ von der „ u r a n f ä n g l i c h e n (communio primaeva)“ unterschieden werden. Denn die ursprüngliche Gemeinschaft des Privatbesitzes müsste kraft (anderer als bislang entwickelter) praktischer Vernunftprinzipien gegründet angesehen werden,432 während stelle sich nachträglich eine entscheidende Veränderung des rechtlichen Postulats der praktischen Vernunft (§ 2) ein, und so gelangt er – möglicherweise etwas vorschnell – zu der Diagnose von allerlei Aporien (S. 93 ff., 96 u. ö.). 431 RL, AA VI: 251.01-05. 432 Da Kant die in § 10 Abs. 2 S. 3 nur problematisch gedachte ursprüngliche Gemeinschaft des Mein und Dein ausweislich § 10 Abs. 2 S. 2 in der Tat für undenkbar hält, kann er auch von den praktischen Prinzipien einer solchen Gemeinschaft positiv nichts wissen, außer dass sie auf praktischen Prinzipien gegründet sein müsste, wenn sie real denkbar wäre. Somit irrt sich Kühl, Eigentumsordnung als Freiheitsordnung (1984), S. 181, wenn er meint, Kant komme in § 11 auf die Prinzipien der Gemeinschaft des Mein und Dein noch genauer zu sprechen. Der Grund dieses Irrtums wird man wohl darin zu sehen haben, dass Kühl (S. 180 f.) die voneinander tatsächlich unterschiedenen Gedanken der §§ 6 Abs. 6 (ursprünglicher Gesamtbesitz des Bodens) und 10 Abs. 2 (ursprüngliche Gemeinschaft des Mein und Dein) begrifflich kurzerhand miteinander konfundiert und so den ursprünglichen Gesamtbesitz der ursprünglichen Gemeinschaft (des Mein und Dein) erfindet, den er sodann offenbar in § 11 Abs. 2 erwähnt gefunden haben will. Möglicherweise ist diese begriffliche Konfundierung dann auch der Grund, weshalb sich Kühl, in: Höffe (Hrsg.): Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (1999), S. 117 (119) später auf den Standpunkt gestellt hat, der ganze zweite Absatz des § 10 bleibe letztlich „undeutlich“. Auch Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 66 scheint von einer solchen Konfundierung auszugehen, wenn er in § 10 Abs. 2 S. 3 „eine Erörterung der ursprünglichen Gemeinschaft des Besitzes“ gefunden haben will, „aber nicht in ihrer spezifischen Funktion, die sie als Argumentationsmittel im Sachenrecht wahrnimmt“ (& § 13 Abs. 2 & § 6 Abs. 6). Denn die ursprüngliche Gemeinschaft des Besitzes in der spezifisch sachenrechtlichen Funktion ist eine

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die uranfängliche Gemeinschaft des Privatbesitzes kraft historischer Vorgänge als in ersten Zeitverhältnissen gestiftet angenommen werden müsste. Die uranfängliche Gemeinschaft des Privatbesitzes – wie die bürgerliche Gemeinschaft der Privatrechtssubjekte unter einem sie vereinigenden gesetzgebenden Allgemeinwillen eine solche sein könnte – ist folglich als erworben, und zwar abgeleitet erworben, d. h. als „communio derivativa“ im Rechtsdenken vorzustellen. Aus dem entwickelten Gedanken von § 10 Abs. 2 lässt sich also – im Einklang mit dem Text und doch über seine expliziten Aussagen hinaus – jetzt schon schließen: Ein bürgerlicher Zustand in einer allgemeinwillentlichen Verfassung der Privatrechtssubjekte kann begrifflich der äußere Gegenstand eines ersten und abgeleiteten Erwerbs, nicht aber der Gegenstand eines ersten und ursprünglichen Erwerbs sein. Somit scheidet die bürgerliche Verfassung aus der Sphäre möglicher Gegenstände eines ursprünglichen Erwerbsaktes aus. Wohl aber muss der erste und abgeleitete Erwerb eines bürgerlichen Zustandes der Privatrechtssubjekte begrifflich mit einer ursprünglichen Erwerbung in einem inneren Zusammenhang stehen, denn auch die ursprüngliche Erwerbung ist eine erste Erwerbung. Dementsprechend setzt die erste Erwerbung eines bürgerlichen Zustandes – als abgeleiteter Erwerb – einen ursprünglichen Erwerb für sich selbst begrifflich schon voraus. Da aber alles äußere Mein und Dein und mithin auch ein einstmals ursprünglich erworbener Rechtsbesitz an einem äußeren Gegenstand gemäß § 8 Abs. 1 S. 7 konkret nur in einer schon wirklichen bürgerlichen Verfassung rechtlich denkbar ist, kann alle ursprüngliche Erwerbshandlung konkret nur „provisorisch“ im Hinblick auf einen konkreten Zustand bürgerlicher Verfassung als rechtlich möglich gedacht werden (dazu dann später noch § 15 Abs. 3), weil der abstrakte Begriff bürgerlicher Verfassung überhaupt insofern als begriffliche Realbedingung auch im Begriff eines ursprünglichen Erwerbs fungiert: - Begriff des intelligiblen Besitzes (§ 6) - Begriff der bürgerlichen Verfassung (§ 8) - Begriff des ursprünglichen Erwerbs (§ 10) - Begriff des äußeren Mein und Dein (§ 5 Abs. 1 S. 2) - Begriff einer wirklichen bürgerlichen Verfassung - Begriff eines wirklichen äußeren Mein und Dein - Begriff eines ursprünglich wirklich erworbenen Mein

ursprüngliche Gemeinschaft des Gesamtbesitzes, und nicht eine ursprüngliche Gemeinschaft des Einzelbesitzes (= Mein und Dein), von welcher letzteren § 10 Abs. 2 S. 3 alleine handelt, während § 10 Abs. 2 S. 2 den ursprünglichen Gesamtbesitz abgrenzend zu einer Gemeinschaft des Privatbesitzes überhaupt erwähnt. Ebenso meint Brandt, Eigentumstheorien von Grotius bis Kant (1974), S. 191, die Okkupation (§§ 13 ff.) werde vermittelst der Idee der ursprünglichen Gemeinschaft des Mein und Dein rekonstruiert.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Die bürgerliche Verfassung der Privatrechtssubjekte ist somit zwar kein einzelner Gegenstand des ursprünglichen Erwerbs, wohl aber setzt der ursprüngliche Erwerb im Hinblick auf seinen einzelnen Gegenstand den allgemeinen Selbststand einer bürgerlichen Verfassung der Privatrechtssubjekte für sich selbst rein begrifflich immer schon voraus. – Auf eben diese hier vorausblickend schon vorab in aller Kürze erörterte Weise wird sich im weiteren Verlauf des zweiten Hauptstücks also die Frage aufklären, „[w]ie ein solcher Act der Willkür, als jener [sc. der einer ursprünglichen Erwerbung] ist, das Seine für jemanden begründen könne“433. Von dieser Anwort auf diese Frage hat Immanuel Kant aber in § 10 Abs. 5 wohlweislich notiert, sie sei „nicht leicht einzusehen“434. Sehr bedenklich stimmt es darum, wenn sich Bernd Ludwig dieses mahnenden Hinweises des von ihm interpretierten und editierten Autors kurzerhand entledigen will, indem er § 10 Abs. 5 aus der Rechtslehre Immanuel Kants tilgt.435 Es dürfte nämlich nach allen bisherigen Überlegungen kein bloßer Zufall sein, dass Ludwig in seinem eigentumsspezifischen Interpretationshorizont weder mit dieser Mahnung, noch mit dem Gedanken von § 10 Abs. 5 etwas besseres als seine Destruktion anzufangen weiß. § 10 Abs. 3436

Scheidet die erst abgeleitet zu erwerbende Gemeinschaft des Mein und Dein aus der Sphäre möglicher Gegenstände einer ursprünglichen Erwerbung aus, so beschränkt sich diese Sphäre auf diejenigen äußeren Gegenstände, die Gegenstand eines Privatrechtsbesitzverhältnisses sein können (§ 4). Diese äußeren Gegenstände für ein menschliches Rechtssubjekt tragen aber für sich selbst keine praktische Notwendigkeit in sich und folglich können sie einer ursprünglichen Erwerbshandlung auch keine praktische Notwendigkeit verleihen.437 Dementsprechend kann auch das in der Überschrift von § 10 angekündigte allgemeine Prinzip der äußeren Erwerbung, die in ihrem ersten eingeteilten Verstandesmoment eine ursprüngliche Erwerbung ist, nicht aus den möglichen Erwerbsgegenständen beziehen. Da jedoch an einer Erwerbshandlung neben dem Objekt nur noch das Subjekt beteiligt ist, muss die Erwerbshandlung ihre praktische Notwendigkeit aus dem Rechtssubjekt selbst heraus ableiten. Dieses hat bis zum hier erreichten Stand der vernunftbegrifflichen Entwicklung seines Rechtsdenkens (§§ A–9) nunmehr drei miteinander schlüssig verknüpfte Momente rechtsgesetzlich-praktischer Notwendigkeit gedacht: 433

RL, AA VI: 259.20-21. RL, AA VI: 259.20-22. 435 Siehe dazu kritisch schon oben Fn. 408 m.w.N. 436 RL, AA VI: 258.22-27 (alle im Folgenden nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Absatz). 437 Wäre die bürgerliche Verfassung Gegenstand eines ursprünglichen Erwerbs, so könnte sie diesem Erwerb zugleich auch seine praktische Notwendigkeit verleihen, denn die bürgerliche Verfassung ist mit dem Postulat des öffentlichen Rechts ein an sich selbst praktischnotwendiger Selbstzweck und damit Selbststand allen äußeren Rechts (§ 42 Abs. 1). Im dritten Moment des allgemeinen Prinzips des äußeren Erwerbs (§ 10 Abs. 3) findet dieser Umstand seinen Ausdruck. 434

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1. Das allgemeine Rechtsgesetz äußerer Freiheit in äußeren Handlungen überhaupt (§ C Abs. 4). 2. Das rechtsgesetzliche Postulat rechtlicher Möglichkeit eines äußeren Rechtsbesitzes bzw. Rechtsbesitzerwerbs (§ 2 Abs. 1 und 3). 3. Der praktische Vernunftbegriff (d. h. die Idee) eines kollektiv-allgemeinen (gemeinsamen) und machthabenden Willens in öffentlichen Gesetzen einer bürgerlichen Verfassung (§ 8 Abs. 1). Also kann und muss das allgemeine Prinzip des äußeren Erwerbs (§ 10 Abs. 3) im Begriff einer Erwerbshandlung überhaupt (§ 10 Abs. 1 S. 1) nur aus diesen drei innerlich schon schlüssig miteinander verknüpften Bedingungen438 formuliert werden: „Das Princip der äußeren Erwerbung ist nun: Was ich (nach dem Gesetz der äußeren F r e i h e i t ) in meine G e w a l t bringe, und wovon als Object meiner Willkür Gebrauch zu machen ich (nach dem Postulat der praktischen Vernunft) das Vermögen habe: endlich, was ich (gemäß der Idee eines möglichen vereinigten W i l l e n s ) w i l l , es solle mein sein, das ist mein.“

Eine Erwerbshandlung überhaupt trägt somit diese drei Bedingungen – nämlich die seiner rechtlichen Denkmöglichkeit, die seiner rechtlich-abstrakten Realmöglichkeit sowie die seiner rechtlich-konkreten Realmöglichkeit –, und zwar als insgesamt gesetzlich-notwendig und innerlich schlüssig bestimmende Momente, jederzeit schon in seinem rechtsgesetzlichen Anspruch an sich und alle anderen Rechtssubjekte. Die dem allgemeinen Prinzip des äußeren Erwerbs wirklich gemäß bestimmte Handlung ist somit ein allgemeines Gesetz für sich selbst und für alle anderen Rechtssubjekte gleichermaßen. Im allgemeinen Prinzip des äußeren Erwerbs wird also eine in sich schlüssig verfasste allgemeine Gesetzgebung gedacht. Denn die empirische Inbesitznahme eines einzelnen äußeren Gegenstandes durch ein einzelnes Rechtssubjekt wird als empirischer Gewaltakt zunächst nur im Einklang mit dem allgemeinen Rechtsgesetz äußerer Freiheit als rechtlich möglich gedacht, sodann, gemäß dem rechtlichen Postulat der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Rechtsbesitzes mit Rechtsmacht vermögend ausgestattet, als rechtlich überhaupt auch real möglich angesehen, und schließlich im Einklang mit der Idee eines möglichen Allgemeinwillens als rechtlich konkret real möglich bestimmt. Das allgemeine Prinzip des äußeren Erwerbs berechtigt somit einen einzelnen freien Willen konkret zum Besitz eines äußeren Gegenstandes, wenn er in seiner empirischen 438

Das rechtliche Postulat der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein (§ 2) unter dem allgemeinen Rechtsgesetz (§ C Abs. 4) ist durch den Begriff eines wirklich gesetzgebenden Allgemeinwillens in einer bürgerlichen Verfassung (§ 8) innerlich mit dem allgemeinen Rechtsgesetz (§ C Abs. 4) verknüpft, denn in diesem (§ 8) ist der gesetzliche Allgemeinwille des bloßen Rechtsgesetzes (§ C Abs. 4) als wirklich vorgestellt, sodass der wirkliche Allgemeinwille in seiner allgemeinen Vorstellung die rechtliche Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein (§ 2) unter dem allgemeinen Rechtsgesetz (§ C Abs. 4) schon für sich selbst notwendig voraussetzen muss.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Besitzerwerbshandlung einen rechtsmächtigen Allgemeinwillen wirklich real vorstellt.439 Es steht folglich mit seinem dritten Moment unter der Bedingung einer bürgerlichen Verfassung. § 10 Abs. 4440

Muss unter dem Begriff einer Erwerbshandlung überhaupt (§ 10 Abs. 1 S. 1) der Begriff einer ursprünglichen Erwerbung vorausgesetzt werden (§ 10 Abs. 1 S. 3), da andernfalls gar kein Erwerb eines äußeren Gegenstandes konkret denkmöglich wäre, so muss auch eine ursprüngliche Erwerbshandlung nach diesen drei Momenten des allgemeinen Prinzips des äußeren Erwerbs (§ 10 Abs. 3) rechtsbegrifflich bestimmt gedacht werden, weil dieses allgemeine Prinzip besonders und vor allem auch das Prinzip eines ursprünglichen Erwerbs ist. Der besondere Rechtsbegriff der ursprünglichen Erwerbung kann „also“ durch das allgemeine Prinzip von § 10 Abs. 3 rein rechtsbegrifflich allgemein bestimmt werden und dementsprechend leitet § 10 Abs. 3 S. 1 den zu entwickelnden Gedanken nunmehr auch ein: „Die Momente (attendenda) der u r s p r ü n g l i c h e n Erwerbung sind also: […]“. Dagegen erachtet Bernd Ludwig das Wort „also“ an dieser Stelle für einen inhaltlich unmöglichen Anschluss, denn nach seiner Auffassung ließen sich aus der äußeren Erwerbung im allgemeinen Prinzip die Momente der ursprünglichen Erwerbung nicht direkt und ohne weitere Vermittlung ableiten; sodass § 10 Abs. 4 vielmehr in die Deduktion von § 17 (Abs. 3) gehöre, wohin er diese Passage schließlich kurzerhand auch versetzt hat.441 Doch diese angenommene Unmöglichkeit basiert abermals schlicht auf einer Verwechslung von Begriff und Gegenstand, wie man Ludwigs Ausführungen entnehmen muss: Es sei nämlich verwunderlich, dass mit § 10 Abs. 4 S. 5 „die Ableitung des intelligiblen Besitzes an einer ursprünglichen erworbenen Sache schon abgeschlossen ist […], obgleich das Sachenrecht […] noch gar nicht angefangen hat“442. Betrachtet man § 10 Abs. 4 allerdings ohne den mit einer eigentumsspezifischen Interpretation schon immer irrig vorausgesetzten Primat des Sachenrechts, dann fällt auf, dass diese Passage nirgendwo eine Ableitung eines konkreten intelligiblen Besitzes an einer Sache enthält, sondern lediglich das abstrakte Schlussprinzip dieses Besitzes gemäß dem allgemeinen Prinzip des äußeren Erwerbs im abstrakt gedachten Falle einer ursprünglichen Erwerbung erörtert. Insofern findet in § 10 Abs. 4 alleine eine rein rechtsbe439

Das allgemeine Prinzip des äußeren Erwerbs ist ausweislich seiner Kennzeichnung selbstredend auf alle möglichen Erwerbsgegenstände anwendbar. Eine Beschränkung seiner Sphäre auf das bloße Sachenrecht (§ 11) lässt sich darum nicht gut vertreten, wenngleich sich die sachenrechtsspezifische Verengung eines eigentumstheoretischen Horizonts natürlich auch an dieser Stelle des Gedankens in der rechtsphilosophischen Kantliteratur findet; vgl. dafür etwa Friedrich, Eigentum und Staatsbegründung (2004), S. 138 oder Langer, Reform nach Prinzipien (1986), S. 158. 440 RL, AA VI: 258.28-259.11 (alle im Folgenden nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Absatz). 441 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 67 ff. 442 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 68.

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griffliche Bestimmung des besonderen (allerdings hier nur allgemein bestimmten) Rechtsbegriffs vom ursprünglichen Erwerb statt, und aus diesem Grund ist schon die genannte Ausgangsposition Bernd Ludwigs gedanklich unzutreffend, wonach das Wort „also“ auf eine ,direkte‘ Ableitung der ,ursprünglichen Erwerbung‘ (selbst) aus ,der äußeren Erwerbung im allgemeinen‘ (selbst) verweisen soll. Eine Metaphysik des Rechts hat nämlich nicht unmittelbar irgendwelche Erwerbsvorgänge und Rechte zu ihrem thematischen Gegenstand, sondern lediglich reine Begriffe von denselben, und „also“ ist es in § 10 ohne weiteres möglich, einen besonderen Begriff unter einem allgemeinen Begriff rein begrifflich zu bestimmen. Im Einklang mit dem allgemeinen Rechtsgesetz (§ C Abs. 4) ist ein ursprünglicher Erwerb dann nach dem allgemeinen Prinzip des äußeren Erwerbs zunächst überhaupt nur denkmöglich an einem herrenlosen äußeren Gegenstand, der also noch niemanden rechtlich zugeordnet ist, weil der empirische Erwerbsakt einer ursprünglichen Erwerbung andernfalls die rechtsgesetzliche Freiheit des ihn bereits besitzenden Rechtssubjekts lädieren würde. Das erste Moment der ursprünglichen Erwerbung ist mit § 10 Abs. 4 Sätze 1 – 2 folglich: „1. Die A p p r e h e n s i o n eines Gegenstandes, der Keinem angehört, widrigenfalls sie der Freiheit Anderer nach allgemeinen Gesetzen widerstreiten würde. Diese A p p r e h e n s i o n ist die Besitznehmung des Gegenstandes der Willkür im Raum und der Zeit; der Besitz also, in den ich mich setze, ist (possessio phaenomenon).“ Im besonderen Rechtsbegriff vom ursprünglichen Erwerb liegt somit analytisch, dass nur ein herrenloser Gegenstand ein ursprünglich erwerblicher Gegenstand sein kann, da der Erwerb andernfalls vom rechtlichen Besitzstand eines anderen Rechtssubjekts abgeleitet und somit nicht ursprünglich sein würde. – Übrigens traut Bernd Ludwig dem Leser seiner Edition der Rechtslehre Immanuel Kants den selbstständigen Nachvollzug dieser einfachen Denkleistung offenbar nicht zu, wenn er mit Blick auf § 10 Abs. 4 . 1 und seine den originalen Text korrumpierenden Editionsabsichten notiert: „Wie kann der Leser z. B. wissen, daß „also“ die „Apprehension“ eines Gegenstandes „der keinem anderen gehört“ das erste Moment der ursprünglichen Erwerbung abgeben wird? Bis zu dieser Stelle weiß er bloß, daß letztere sich nicht von dem Seinen eines anderen ableitet (§ 10 Absatz 2).“443 Sodann bedarf die ursprüngliche Erwerbshandlung nach dem allgemeinen Prinzip des äußeren Erwerbs zu ihrer realen Möglichkeit ganz abstrakt überhaupt, im Einklang mit dem Postulat der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Rechtsbesitzes (§ 2 Abs. 1 und 3), einer rechtsmächtigen Besitzbehauptung des ursprünglich erwerbenden Einzelwillens (im Sinne von §§ 7 Abs. 1 S. 6, 8 Abs. 1 S. 1, 9 Abs. 1 S. 5). Hierin liegt mit § 10 Abs. 4 S. 3 das zweite Moment der ursprünglichen Erwerbung: „2. Die B e z e i c h n u n g (declaratio) des Besitzes dieses Gegenstandes und des Acts meiner Willkür jeden Anderen davon abzuhalten.“ Schließlich ist ein ursprünglicher Erwerb in seinem Grunde nur im Einklang mit der Idee eines möglichen vereinigten Willens (§ 8 Abs. 1) nach dem allgemeinen 443

Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 67 f. Fn. 34.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Prinzip des äußeren Erwerbs ganz konkret real möglich. Das dritte Moment der ursprünglichen Erwerbung betrifft mit § 10 Abs. 4 S. 4 also: „3. Die Z u e i g n u n g (approbatio) als Act eines äußerlich allgemein gesetzgebenden Willens (in der Idee), durch welchen jedermann zur Einstimmung mit meiner Willkür verbunden wird.“ In der rechtsbegründenden Zueignung liegt somit die in § 8 Abs. 1 erörterte Gesetzgebung im äußeren Verhältnis, die im bloßen Naturzustand mit Blick auf den Staat provisorisch abstrakt als rechtlich realmöglich, aber noch nicht als konkret real möglich gedacht werden muss, sodass sich finden wird, dass ein ursprünglicher Erwerb nur im Hinblick auf eine bürgerliche Verfassung im Staat bereits vor dem Staat im Naturzustand abstrakt als real möglich gedacht werden muss (§ 15 Abs. 3). Wird nach alledem ein einzelner äußerer Gegenstand gemäß diesen drei Momenten (§ 10 Abs. 4) im Einklang mit dem allgemeinen Prinzip des äußeren Erwerbs (§ 10 Abs. 3), und zwar im Schlusssatz eines entsprechenden Zurechnungsschlusses unter dem allgemeinen Prinzip des äußeren Erwerbs, rechtlich als ursprünglich erworben angesehen („der äußere Gegenstand ist m e i n “), so enthält dieser Zurechnungsschluss im konkreten Einzelfall die praktisch-synthetische Vorstellungswirkung des praktischen Vernunftbegriffs des intelligiblen Besitzes (§§ 6, 7) in sich. Denn im Begriff eines konkreten äußeren Rechtsbesitzes wird das Besitzgegenstandsverhältnis als bloß rechtlich bestimmt angesprochen, sodass in der Vorstellung von einem konkreten äußeren Rechtsbesitz zugleich immer schon eine konkrete Anwendung des Begriffs des intelligiblen Besitzes und somit eine Abstraktion von allen sinnlichen Bedingungen des Besitzes eines äußeren Gegenstandes enthalten ist. Sieht man jedoch von allen sinnlichen Wirklichkeitsbedingungen des Besitzes, damit aber auch von allen empirischen Strukturen wirklicher Staatlichkeit ab, so abstrahiert man zugleich von denjenigen Momenten eines wirklichen Rechtsbesitzes, die dem vermittelnden Moment rechtspositiver Bestimmung im Staat („was Rechtens ist“) geschuldet sind, sodass sich der Erwerbsakt im Rechtsbewusstsein ursprünglich auf die naturzuständliche Besitzbehauptung eines Einzelwillens im Einklang mit einem möglichen gesetzgebenden Allgemeinwillen reduziert. Mit Blick auf das rechtsbegründende Zueignungsmoment im ursprünglichen Erwerb heißt es daher in § 10 Abs. 4 S. 5 abschließend: „Die Gültigkeit des letzteren Moments der Erwerbung, als worauf der Schlußsatz: der äußere Gegenstand ist m e i n , beruht, d. i. daß der Besitz als ein b l o ß r e c h t l i c h e r gültig (possessio noumenon) sei, gründet sich darauf: daß, da alle diese Actus r e c h t l i c h sind, mithin aus der praktischen Vernunft hervorgehen, und also in der Frage, was Rechtens ist, von den empirischen Bedingungen des Besitzes abstrahirt werden kann, der Schlußsatz: der äußere Gegenstand ist mein, vom sensibelen auf den intelligibelen Besitz richtig geführt wird.“ Der Begriff des intelligiblen Besitzes ist somit nicht nur im Postulat der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein (§ 2 Abs. 1) praktisch wirksam, wie schon anlässlich seiner Deduktion (§ 6 Abs. 10) herausgearbeitet werden konnte, sondern er muss auch im Postulat der rechtlichen Notwendigkeit eines öffentlichen Rechts (§ 42 Abs. 1) praktisch wirksam sein, da er andernfalls nicht den praktischen Vernunftbegriff eines gesetzgebenden Allgemeinwillens in einer bürgerlichen Ver-

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fassung (§ 8 Abs. 1) und durch diesen hindurch den praktischen Vernunftbegriff vom äußeren Mein und Dein (§ 5 Abs. 1 S. 2) praktisch real bestimmen könnte. Also steht – wie schon bemerkt – auch der Begriff bürgerlicher Verfassung unter der Bestimmung des Begriffs des intelligiblen Besitzes, sodass in der begrifflichen Vorstellung des ersten abgeleiteten Erwerbs einer bürgerlichen Verfassung, d. h. im Begriff des ursprünglichen Vertrages (§ 47) der Begriff des intelligiblen Besitzes praktisch wirksam ist und die bürgerliche Verfassung somit – in ihrer Funktion als Realbedingung alles äußeren Rechtsbesitzes (§ 8 Abs. 1 S. 7) – im öffentlichen Recht als eine allumfassende bzw. allseitige Besitzrechtsform überhaupt wird angesehen werden müssen. Die progressiv-synthetische Begriffsreihe des Besitzes würde sich im öffentlichen Recht dann folgendermaßen ausnehmen: - Begriff des intelligiblen Besitzes (§ 6) – Begriff des ursprünglichen Kontrakts (§§ 47, 15 Abs. 7) - Begriff der bürgerlichen Verfassung (§ 8) - Begriff des ursprünglichen Erwerbs (§ 10) - Begriff des äußeren Mein und Dein (§ 5 Abs. 1 S. 2) - […]

Für eine zutreffende Auffassung des auf das Verhältnis des ursprünglichen Erwerbs zum abgeleiteten Erwerb eines öffentlich-rechtlichen Zustandes gerichteten Gedankens von § 10 Abs. 5, auch vor seinem philosophiehistorischen Kontext, dürfte diese Erinnerung der begrifflichen Stellung des praktischen Vernunftbegriffs einer bürgerlichen Verfassung im Staat unter dem allgemeinen possessorischen Rechtsbegriff überhaupt nicht ganz unmaßgeblich sein. Immerhin findet der Begriff des ursprünglichen Vertrages in der Rechtslehre Immanuel Kants erstmals in der vernunftbegrifflichen Entwicklung des Begriffs der ursprünglichen Erwerbung seine explizite Erwähnung (§ 15 Abs. 7), und zwar als eine solche Vorstellung, die das metaphysische Problem der ganz abstrakten Vorstellung einer ursprünglichen Erwerbung zu einer konkreten und natürlich im höchsten Maße idealen Auflösung bringen wird: „Die Unbestimmtheit in Ansehung der Quantität sowohl als der Qualität des äußeren erwerblichen Objects macht diese Aufgabe (der einzigen ursprünglichen äußeren Erwerbung) unter allen zur schwersten sie aufzulösen. Irgend eine ursprüngliche Erwerbung des Äußeren aber muß es indessen doch geben; denn abgeleitet kann nicht alle sein. Daher kann man diese Aufgabe auch nicht als unauflöslich und als an sich unmöglich aufgeben. Aber wenn sie auch durch den ursprünglichen Vertrag aufgelöset wird, so wird, wenn dieser sich nicht aufs ganze menschliche Geschlecht erstreckt, die Erwerbung doch immer nur provisorisch bleiben.“ (RL, AA VI: 266.28-37).

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts § 10 Abs. 5444

Im Übergang von § 10 Abs. 2 zu Abs. 3 war bewusst geworden, dass eine Gemeinschaft des Mein und Dein, d. h. eine bürgerliche Gesellschaft der koordinierten Privatrechtssubjekte im Staat kein Gegenstand des ursprünglichen Erwerbs sein kann, und zwar, weil sich der Erwerb einer bürgerlichen Verfassung als gesetzgebender Allgemeinwille vom besonderen Willen eines jeden Rechtssubjekts ableiten muss. Der freie Selbststand des Privatrechtssubjekts ist nämlich kein äußerer Gegenstand, der keinem gehört und insofern der Sphäre möglicher Gegenstände eines ursprünglichen Erwerbs unterfallen könnte, sondern er ist ein innerer Gegenstand, der eben dem Privatrechtssubjekt, das ursprünglich nur sein eigener Herr ist, im ersten und noch allseitig unverbundenen (insofern negativen) Moment alleine gehört.445 Darum beschränkte sich die Sphäre möglicher Gegenstände eines ursprünglichen Erwerbs auf die drei in § 4 kategorialsystematisch genannten Klassen äußerer Gegenstände. Erst jetzt, nachdem die drei besonderen Momente einer ursprünglichen Erwerbshandlung (§ 10 Abs. 4) gemäß dem allgemeinen Prinzip des äußeren Erwerbs (§ 10 Abs. 3) rechtsbegrifflich allgemein bestimmt bewusst sind, lässt sich die Klasse der physischen Gegenstände einer ursprünglichen Erwerbung genau angeben. Denn da es sich gemäß dem ersten prinzipiell rechtlich bestimmten Moment der ursprünglichen Erwerbung um einen (nicht absolut) herrenlosen äußeren Gegenstand handeln muss (§ 10 Abs. 4 S. 1), bleiben von den in § 4 genannten kategorialen Gegenstandsklassen lediglich körperliche Gegenstände (Substanzen) übrig, weil sich die beiden übrigen äußeren Gegenstandsklassen mittelbar auf die angeborene Freiheit von anderen Rechtssubjekten beziehen, die allerdings ursprünglich stets schon ihr eigener Herr sind. § 10 Abs. 5 S. 1 enthält darum die prinzipiell bestimmte Festlegung der Gegenstandsklasse eines ursprünglichen Erwerbs:446 „Die ursprüngliche Erwerbung eines äußeren Gegenstandes der Willkür heißt B e m ä c h t i g u n g (occupatio) und kann nicht anders, als an körperlichen Dingen (Substanzen) statt finden.“ Naturrechtshistorisch ist mit diesem rein begrifflichen Bekenntnis zu der vor allem durch Hugo Grotius vertretenen Okkupationstheorie die

444 RL, AA VI: 259.12-28 (alle im Folgenden nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Absatz). 445 RL, AA VI: 237.18-238.11 (siehe dazu schon oben unter B. II. im sechsten Kapitel). 446 Ein sachenrechtsspezifischer Fokus ist mit dieser Benennung der einschlägigen Gegenstandsklasse des ursprünglichen Erwerbs in § 10 Abs. 5 – entgegen der landläufigen Lesart (z. B. Brandt, DZPhil 47 [1999], S. 887 [903]) – nicht verbunden. Eine konkrete sachenrechtliche Auseinandersetzung des Begriffs der ursprünglichen Erwerbung findet sich nämlich erst unter Rekurs auf einen spezifischen sachenrechtlichen Gegenstand (den Boden) ab §§ 12 ff. Insbesondere existiert die von Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 65 ff. spätestens ab § 10 Abs. 4 behauptete Fokussierung auf das Sachenrecht demnach objektiv nicht und seine dementsprechende Tilgung des fünften Absatzes löst somit kein Problem, sondern sie schafft erst ein solches.

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

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Ablehnung der besonders durch John Locke vertretenen Arbeitstheorie des Besitzes bzw. Eigentums verbunden (§ 17 Abs. 3 – 4).447 Allerdings beruht das rein begriffliche Bekenntnis zur Okkupationstheorie nur auf dem ersten prinzipiell rechtsbegrifflich bestimmten Moment der ursprünglichen Erwerbshandlung (§ 10 Abs. 4 S. 1). Über das dritte und schließlich rechtlich erst zueigendende Moment einer ursprünglichen Erwerbung (§ 10 Abs. 4 S. 4) ist damit noch nicht das Urteil gesprochen. Vielmehr wird die rechtliche Art der Verfassung dieses Zueignungsmoments erst das Urteil über die rechtsprinzipielle Qualität der von Immanuel Kant rein vernunftbegrifflich zu entwickelnden Okkupationstheorie (dazu noch unten) sprechen müssen. Alleine anhand der isolierten begrifflichen Vorstellung einer Okkupation (Bemächtigung) lässt sich darum nur schlecht das vor allem von Arthur Schopenhauer mit viel moralischer Entrüstung über Kants Erwerbslehre ausgeschüttete Faustrechtsverdikt vertreten.448 Immerhin mahnte Kant seine Interpreten ja selbst zur begrifflichen Vorsicht, wenn er von der ursprünglichen Erwerbshandlung in § 10 Abs. 5 S. 4 notierte: „Wie ein solcher Act der Willkür, als jener ist, das Seine für jemanden begründen könne, ist nicht leicht einzusehen.“ Das metaphysisch (= rein begrifflich) aufzulösende Problem einer ursprünglichen Erwerbshandlung besteht nämlich einesteils darin, dass sie ausweislich ihres Begriffs in der Vorstellung ihres ersten Erwerbsmoments auf der bloßen Priorität des Erwerbs vor anderen Erwerbszugriffen auf den Gegenstand in der Zeit beruht (§ 10 Abs. 5 S. 2). Denn die bloße Tatsache einer (ersten) empirischen Inbesitznahme schafft für sich selbst noch keinen Rechtstitel in Ansehung des äußeren Gegenstandes mit sachenrechtlicher Ausschlusswirkung gegenüber allen anderen Rechtssubjekten. Im Übrigen besteht das metaphysisch (= rein begrifflich) aufzulösende Problem einer ursprünglichen Erwerbshandlung anderenteils darin, dass sie ausweislich ihres Begriffs in der Vorstellung ihres zweiten Erwerbsmoments für sich auf „ e i n s e i t i g e r Willkür“ des erwerbenden Rechtssubjekts gegenüber allen anderen Rechtssubjekten beruht (§ 10 Abs. 5 S. 3). Also hängt die rein vernunftbegrifflich zu entwickelnde rechtliche Qualität der ursprünglichen Erwerbung eines körperlichen Gegenstandes als Okkupation innerlich von der rechtlichen Verfassung des dritten Moments einer ursprünglichen Erwerbshandlung, nämlich der Zueignung ab. Da aber hinter dem rechtlichen Zueignungsmoment der ursprünglichen Erwerbung prinzipiell die „Idee eines vereinigten Willens“ (§ 10 Abs. 3), d. h. der Begriff eines bürgerlichen Zustandes (§ 8 Abs. 1) 447

Allerdings beschränkt sich die ursprüngliche Erwerbung bei Grotius nicht auf dingliche Gegenstände, sondern auch allerpersönlichste Rechte und die Staatsgewalt unterliegen für ihn einer ursprünglichen Erwerbung (v. Kirchmann [Hrsg.]: Des Hugo Grotius drei Bücher über das Recht des Krieges und Friedens I [1869], S. 261 ff., 286 ff. = II. B., III. und V. Kap.). 448 Schopenhauer, Nachlass II 1809 – 1818 (1967), S. 262 f. (siehe zu dessen Fehlschluss darum schon oben Fn. 179) – Die von Horn, Nichtideale Normativität (2014), S. 216 bekannte Sympathie für das schopenhauersche Faustrechtsverdikt beruht möglicherweise darauf, dass er die „Einzelheiten“ des Erwerbsprinzips (§ 10 Abs. 4) kurz zuvor für „nicht weiter wichtig“ erachten wollte (S. 208).

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

steht, entscheidet die Verfassungsidee eines bürgerlichen Zustandes zugleich auch über die rechtliche Qualität der ursprünglichen Erwerbung, sodass aller ursprünglicher Erwerb im Naturzustand rein begrifflich nur im Hinblick („provisorisch“) auf die Verfassungsidee eines bürgerlichen Zustandes rechtsbegrifflich real denkbar sein wird (§ 15 Abs. 3). Weil die Verfassungsidee eines bürgerlichen Zustandes aber nichts anderes als der reine praktische Vernunftbegriff der Erwerbshandlung eines bürgerlichen Zustandes ist, nämlich der Begriff des ursprünglichen Vertrages, wird die ursprüngliche Erwerbshandlung nur im Hinblick auf den reinen praktischen Vernunftbegriff (nicht die unmögliche empirische Tatsache) des ursprünglichen Vertrages rechtsbegrifflich real bestimmt denkbar sein. Mit der rein metaphysischen Vorstellung der ursprünglichen Erwerbshandlung in Ansehung eines körperlichen Gegenstandes ist darum rein begrifflich gleichursprünglich die ursprungsvertraglich-ideale Erwerbshandlung in Ansehung einer bürgerlichen Verfassung verknüpft. Aus diesem Grund weist § 10 Abs. 5 S. 5 – 6, und zwar im Anschluss an die unmittelbar zuvor vorausgegangene Mahnung zur gedanklichen Vorsicht, auf den Begriff einer ersten Erwerbung hin, der die ursprüngliche Erwerbung eines körperlichen Gegenstandes konstitutiv für diese selbst mit der urvertraglich-abgeleiteten Erwerbung eines bürgerlichen Zustandes verbindet: „Indessen ist die e r s t e Erwerbung doch darum sofort nicht die u r s p r ü n g l i c h e . Denn die Erwerbung eines öffentlichen rechtlichen Zustandes durch Vereinigung des Willens Aller zu einer allgemeinen Gesetzgebung wäre eine solche, vor der keine vorhergehen darf, und doch wäre sie von dem besonderen Willen eines jeden abgeleitet und a l l s e i t i g : da eine ursprüngliche Erwerbung nur aus dem einseitigen Willen hervorgehen kann.“ Die Zueignung einer ursprünglichen Erwerbung muss demnach – für ihre eigene rechtliche Qualität – rein begrifflich auf der gleichursprünglichen Vorstellung einer allseitigen Erwerbung eines gemeinschaftlichen Zustandes des Mein und Dein beruhen. Damit aber ist jede hypostatische eigentums- oder privatrechtsspezifische Auffassung des Kantischen Rechtsdenkens, danach das naturzuständlich schon für sich gegründet subsistierende Eigentumsoder Besitzrecht der ,Naturzustandsbewohner‘ den Staat als zweckakzessorische Sicherungsveranstaltung hintendrein notwendig machen soll, unvereinbar,449 sodass sich in dieser tatsächlich unkantischen Auffassung zwangsläufig auch eine Marginalisierung der reinen praktischen Idee des ursprünglichen Vertrages behaupten muss.450

449

Bernd Ludwigs, Kants Rechtslehre (1988), S. 65 ff. (70 f) Tilgung des § 10 Abs. 5 (gemeinsam mit § 6 Abs. 4 – 8) ist also aus seinem schon gefassten Vorurteil heraus nur als konsequent zu bezeichnen. 450 Siehe dafür einstweilen schon oben Fn. 87 m.w.N. im vierten Kapitel.

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Exkurs: Kants Okkupationstheorie des Besitzes zwischen hoheits- und privatrechtlichem Eigentumsbegriff Ganz gewiss findet sich die zuvor anhand des Textbezuges von § 10 nur zum Voraus schon näher skizzierte rein vernunftbegriffliche Auflösung des metaphysischen Problems der ursprünglichen Erwerbung in ihrer notwendigen Konkretion erst in den entsprechenden Paragraphen des Sachenrechts (§§ 12 – 17). Mit dem dort maßgeblichen Begriff vom provisorischen Erwerb (§ 15 Abs. 3) im metaphysischen Rechtsverstand451 ist dann aber in einer gewissen Weise notwendig die Ablehnung der subjektivistisch-kritischen und zuletzt immer hypostatischen Vorstellung von vorstaatlich erworbenen Besitzgrundrechten verbunden, die mit ihrer vorstaatlich vermeinten Rechtsmaterie kritisch gegen den Staat in Ansatz gebracht werden könnten.452 Um dem damit von Seiten eines – in der Tendenz subjektivistischen und im Hinblick auf den Staatsbegriff bloß – abstrakten Rechtsdenkens zu erwartenden Fundamentaleinwand gerecht zu werden, die hier wohl erstmals vorgelegte Interpretation verkürze den naturzuständlichen (in Wahrheit: hypostatischen) Selbststand des einzelnen Rechtsubjekts in unangemessener Weise, sei im Folgenden der naturrechtshistorische Horizont der von Immanuel Kant 1797 vorgelegten metaphysischen (d. h. rein begrifflichen) Auflösung des Problems der ursprünglichen Erwerbung als Okkupation erinnert, in den sie sich teils kritisch (nämlich bloß begrifflich) sowie teils tradierend (insofern begrifflich fortführend) einfügt: Im 17. Jahrhundert setzte mit dem wiederbelebten Naturrecht nämlich die – sogleich noch in ihren gröbsten Umrissen nachzuzeichnende – Diskussion um die rechtliche Beschaffenheit des Privateigentums nicht mit seinem schon gewirkten Zustand (Haben), sondern mit der Frage nach seinem rechtlichen Erwerb und damit 451

Selbstredend setzt sich das oben unter A. I. 4 c) aa) im Gegensatz zu einem landläufig empirisch-verkürzenden Wortverständnis herausgearbeite metaphysische Begriffsverständnis an diesem Punkt nur konsequent (ins innere des Rechtsgedankens hin) fort. 452 Möglicherweise wendet sich Fichte, Der geschloßne Handelsstaat, in: GA I/7, S. 1 (53) im Jahr 1800 auch gegen diejenigen zeitgenössischen Stimmen (zu diesen kritisch schon oben unter A. I. 4. c) aa)), die Kant infolge ihres empirischen Wortverständnisses des Begriffs vom provisorischen Besitz eine solche vorstaatlich-grundrechtsmaterielle Position unterschieben zu können glaubten: „Ein falscher Saz wird gewöhnlich durch einen eben so falschen Gegensaz verdrängt; erst spät findet man die in der Mitte liegende Wahrheit. Dies ist das Schicksal der Wissenschaft. Man hat in unseren Tagen die Meinung, daß der Staat unumschränkter Vormünder der Menschheit für alle Angelegenheiten sey […] zur Genüge widerlegt; aber man hat, wie mir es scheint, von der anderen Seite die Pflichten, und Rechte des Staats wiederum zu eng beschränkt. Es ist zwar nicht geradezu unrichtig, und läßt einen guten Sinn zu, wenn man sagt: der Staat habe nichts mehr zu thun, als nur jeden bei seinen persönlichen Rechten, und seinem Eigenthume zu erhalten, und zu schützen; wenn man nur nicht oft in der Stille vorauszusetzen schiene, daß unabhängig vom Staate ein Eigenthum stattfinde, daß dieser nur auf den Zustand des Besitzes, in welchem er seine Bürger antreffe, zu sehen, nach dem Rechtsgrunde der Erwerbung aber nicht zu fragen habe. Im Gegensatze gegen diese Meinung würde ich sagen: es sey die Bestimmung des Staats, jedem erst das Seinige zu g e b e n , ihn in sein Eigenthum erst e i n z u s e t z e n , und sodann erst, ihn dabei zu s c h ü t z e n .“

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mit der metaphysischen Frage nach seinem Ursprung ein (v. a. Grotius, Pufendorf, Locke). Zu diesem Zeitpunkt entwickelte sich die (metaphysisch noch voraufgeklärte) Naturrechtslehre zunächst allerdings einesteils noch in der Tradition, anderenteils zugleich jedoch auch in liberaler Opposition zu einem altständischen Eigentumsbegriff, nach dem das Eigentum (dominium, Eigenschaft, eigen) nicht sachenrechtlich, sondern hoheitsrechtlich strukturiert war und in der Staatshoheit (imperium) seinen Ursprung hatte, sodass es danach wesentlich als Herrschaft begriffen wurde.453 Nur daneben existierte nach diesem altständischen Begriff untergeordnet das private Haben von Dingen (Hab und Gut, das Seine), zu dem lediglich werden konnte, was Recht und Gerechtigkeit sein oder vergeben konnte, das also Teil der res publica war und dessen Eigentümer folglich Eigentum mit hoheitsrechtlichen Befugnissen innehielten.454 Das Privatrecht stand mit diesem altständischen Begriff des Eigentums insofern unselbstständig neben bzw. unter dem öffentlichen Recht; Eigentum und Herrschaft waren wesentlich eins und ebendasselbe. Auch vor diesem Hintergrund konstatiert der Regensburger Rechtshistoriker Dieter Schwab: „Die Bedeutungsnähe von ,Eigentum‘ und ,Herrschaft‘ ist für die deutsche Rechtssprache traditionell. Während nach klassischem römischen Recht ,dominium‘ und ,proprietas‘ als Synonyma für das „privatrechtliche“ Eigentum standen, umfasste das mittelalterliche ,dominium‘ einen ungleich weiteren Bedeutungsbereich; es bezeichnete in der Mehrzahl der Fälle ein Verhältnis der Überordnung, der Herrschaft im heutigen Sinne, konnte aber auch für das bloße, nicht mit Hoheitsrechten verbundene Eigentum stehen. Dem ,dominus‘ entsprach in der deutschen Rechtssprache der ,Herr‘, dem ,dominium‘ die ,Herrlichkeit‘ oder ,Herrschaft‘: auch diese Begriffe bezeichneten sowohl – und zwar überwiegend – das Verhältnis der Überordnung, Hoheitsgewalt beliebiger Art […] als auch das bloße Innehaben von wirtschaftlich nutzbaren Rechten.“455 Allerdings vollzog sich unter dem Einfluß liberaler Naturrechts- und Eigentumslehren sodann ein Wandel im Eigentumsbegriff, sodass die zuvor herausgestellte Bedeutungsentsprechung von Eigentum (dominium) und Herrschaft (imperium) spätestens seit der Mitte des 18. Jahrhunderts in unaufhaltbarer Rückbildung begriffen war: „Der Begriff der Herrschaft verengte seine Bedeutung auf den Bezirk des Hoheitlichen; […]. Der Vorgang erweist sich auch an dem Verschwinden des Begriffs ,Eigentumsherr‘ aus dem Sprachgebrauch. Schon bei Adelung (1774) zeigte sich die Neigung, die Vokabel auf das Obereigentum – das weitgehend mit Hoheitsrechten verbunden ist – zu beschränken: […].“456 453

Rabe, in: Ritter (Hrsg.): HWPh II (1972), Sp. 399 f. Rabe, in: Ritter (Hrsg.): HWPh II (1972), Sp. 399 f. 455 Schwab, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe II (19984), S. 65 (76 f.). 456 Schwab, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe II (19984), S. 65 (77 m.w.N.). 454

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Soll dieser begriffsgeschichtlich nachweisbare Bedeutungswandel von einem hoheitsrechtlichen zu einem in der Tendenz bloß noch sachen- bzw. privatrechtlichen Eigentumsbegriff nun für das Verständnis des Kantischen Rechtsdenkens zum ausgehenden 18. Jahrhundert im metaphysischen Besitzbegriff fruchtbar gemacht werden, so bedarf es hier einer kurzen Erinnerung der ihm vorausgegangen (und im Kantischen Sinne: noch unvollständig aufgeklärten) Naturrechtsentwicklung in Opposition zum altständischen Eigentumsbegriff: Eigentum bei Hugo Grotius

Denn zunächst lassen sich die Ansätze dieses begrifflichen Wandels in De jure belli ac pacis (1625) bei Hugo Grotius (1583 – 1645) studieren, der sein natürliches und unwillkürlich erkennbares Recht noch in der menschlichen Natur457 und mithin wesentlich auf evidenten Grundsätzen gegründet sah.458 Hierin besteht allerdings zugleich das Grundproblem dieser Naturrechtslehre, dass sie nämlich ursprüngliche praktische Vernunftgrundsätze (-handlungen und -zustände) nicht bloß in der Idee (z. B. eines Naturzustandes), sondern mehr oder weniger stets auch unvermittelt schon in historischen Zeitverhältnissen denkt, sodass der rein begriffliche Wahrheitsgehalt – der später wohl erstmals von Immanuel Kant in seiner kritischen Rechtslehre, und zwar in den §§ 10 ff. auf den reinen Begriff gebracht wurde – in dieser naturrechtlichen Rechtsbegründung insofern verloren gehen musste.459 An Grotius‘ Behandlung der Eigentumsbegründung, die sich im Grunde wesentlich im zweiten sowie dritten Kapitel des zweiten Buches des Werkes De jure belli ac pacis findet, lässt sich dieser Umstand exemplarisch belegen. Dabei ist im Hinblick auf den begriffsgeschichtlichen Wandel im Eigentumsbegriff (von imperium zu dominium) zum Voraus zu bemerken, dass Grotius die Staatsgewalt (imperium) vom Eigentum (dominium) in Opposition zum tradierten hoheitsrechtslichen Eigentumsbegriff grundsätzlich trennte, indem er die Staatsgewalt aus dem Eigentumsbegriff aus457 v. Kirchmann (Hrsg.): Des Hugo Grotius drei Bücher über das Recht des Krieges und Friedens I (1869), S. 24 ff. (34) = Prolegomena 8. ff. (16); S. 73 ff. = 1, 1, 10, womit die Naturrechtslehre Grotius‘ im methodologischen Grundansatz in einem Gegensatz zur Naturrechtslehre Kants steht, denn für Kant (MS, AA VI: 216.28-217.27) kann eine Metaphysik der Sitten nicht auf Anthropologie gegründet, sondern lediglich auf eine solche in der Folge angewendet werden. 458 v. Kirchmann (Hrsg.): Des Hugo Grotius drei Bücher I (1869), S. 54 ff. = Prolegomena 39 ff.; S. 78 f. = 1, 1, 7; der Vernunftbegriff des Rechts (S. 69 = 1, 1, 3, 1) fällt in der Folge nur negativ aus: „Denn mit ,Recht‘ wird hier nur das Gerechte bezeichnet, und zwar mehr in einem verneinenden als bejahenden Sinne; so das Recht ist, was nicht ungerecht ist. Ungerecht ist aber das, was dem Begriff einer gemeinschaft vernünftiger Wesen widerstreitet.“ 459 So wie z. B. die Kantische Lehre von der ursprünglichen Erwerbung eines Bodens (§§ 12 ff.) nicht begreiflich sein dürfte, sofern man die ursprüngliche Besitzgemeinschaft des Bodens (§§ 6 Abs. 6, 13 Abs. 2), die als bloß idealer (nicht empirisch realer) Ableitungsgrund alles äußeren Mein und Dein am Boden fungiert, mit der ursprünglichen Gemeinschaft des Mein und Dein, die eine in sich widersprüchliche Idee vorstellt (§ 10 Abs. 2), verwechselt, und letztere obendrein mit einem empirischen Verständnis des Begriffs vom provisorischen Besitz unter Zeitverhältnisse mengt.

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schied.460 Allerdings bewahrte er mit seinem Eigentumsbegriff (dominium privatum) zugleich auch noch die Vorstellung eines Obereigentums (dominium eminens), das in der Staatshoheit (imperium) enthalten sei,461 und zur Enteignung berechtige (ius supereminentis dominii).462 Hierin besteht nach den Untersuchungen Schwabs schließlich die Besonderheit des Eigentumsbegriffs, mit der Grotius in der Folge wirkmächtig in der Diskussion des Verhältnisses von Staat und Privateigentum werden sollte.463 Charakteristisch ist nun für Grotius das Denken des Rechts aus dem Krieg – der Negation des Rechts – heraus. Dementsprechend entwickelt er den Eigentumsbegriff (dominium) im zweiten Buch aus den rechtmäßigen Ursachen des Krieges, denn Ursache eines Krieges sind stets Rechtsverletzungen,464 und der Schaden am Eigentum ist somit eine rechtmäßige Ursache für einen möglichen Krieg, sodass sich positiv die Frage nach der rechtmäßigen Eigentumsgenese aufdrängt.465 In dieser Vorstellung unterscheidet Grotius das Eigentum nach allgemeinem Menschenrecht von dem Eigentum nach dem besonderen Rechte.466 (i) Das Eigentum nach allgemeinem Menschenrecht geht unmittelbar auf eine Sache oder auf einzelne Handlungen, und in Beziehung auf eine Sache leitet Grotius seine Überlegungen zur Genese des Eigentums nach allgemeinem Menschenrecht dann wie folgt ein: „Die Sachen sind entweder noch außer jemandes Eigenthum oder schon Jemand zu eigen; jene können entweder gar nicht zu eigen gemacht werden, oder sie können es. Um das besser einzusehen, muß man den Anfang des Eigenthums kennen.“467 Die daraufhin einsetzende Erörterung setzt nun den göttlichen Ursprung und den empirischen Zeitanfang des Eigentums an Sachen nach allgemeinem Menschenrecht unmittelbar in eins: Gott habe dem Menschen mit der Erschaffung der Erde ein (angeborenes) Recht auf alle Dinge niederer Art gegeben und diese göttliche Mitgift habe in den einfachen Verhältnissen der ersten Zeit die Stelle des Eigentums vertreten.468 Es gibt für Grotius – anders als für einen noch nicht empfindlich verkürzten

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v. Kirchmann (Hrsg.): Des Hugo Grotius drei Bücher I (1869), S. 262 = 2, 3, 4. v. Kirchmann (Hrsg.): Des Hugo Grotius drei Bücher I (1869), S. 272 = 2, 3, 19, 2. 462 v. Kirchmann (Hrsg.): Des Hugo Grotius drei Bücher über das Recht des Krieges und Friedens II (1869), S. 311 = 3, 19, 7. 463 Schwab, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe II (19984), S. 95 ff. 464 v. Kirchmann (Hrsg.): Des Hugo Grotius drei Bücher I (1869), S. 216 ff. = 2, 1. 465 v. Kirchmann (Hrsg.): Des Hugo Grotius drei Bücher I (1869), S. 227 ff. = 2, 1, 11 ff.; S. 239 ff. = 2, 2. 466 v. Kirchmann (Hrsg.): Des Hugo Grotius drei Bücher I (1869), S. 239 = 2, 2, 1. 467 v. Kirchmann (Hrsg.): Des Hugo Grotius drei Bücher I (1869), S. 239 = 2, 2, 1. 468 v. Kirchmann (Hrsg.): Des Hugo Grotius drei Bücher I (1869), S. 239 = 2, 2, 2, 1 ff. 461

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Kant469 – mit diesem subjektiven Recht auf alle Sachen somit jedenfalls ein stellvertretendes ursprüngliches äußeres Mein und Dein bzw. eine ursprüngliche Gemeinschaft des Mein und Dein der Menschen auf Erden. Doch bei diesen einfachen Verhältnissen, darin das göttlich verliehene Recht auf alle Sachen die Stelle des Eigentums noch offen hielt, blieb es nicht: „Die Menschen begnügten sich nicht mehr, von wilden Früchten zu leben, Höhlen zu bewohnen, nackt zu gehen oder in Baumrinden und Thierfelle sich zu kleiden, sondern sie verlangten nach einer feineren Lebensweise, und es wurde deshalb die Arbeit nötig, welche der Einzelne deshalb auf den einzelnen Gegenstand verwendete.“470 Allerdings rechnete Hugo Grotius die empirische Tatsache der Bearbeitung des Gegenstandes – anders als nach ihm John Locke – mit diesem Satz noch nicht als ein rechtsbegründendes Faktum an. In den komplexer werdenden Zeitverhältnissen gilt ihm vielmehr ein daraufhin nachfolgender Vertrag als rechtsbegründender Akt, insbesondere im Falle der empirischen Besitzergreifung, denn beim Vertrag handelt es sich um die natürlichste Form der Verpflichtung unter Menschen471: „Man sieht zugleich, wie die Güter in das Eigentum übergegangen sind. Es geschah nicht durch den blossen Willen; denn dann hätte die Anderen nicht wissen können, was Jeder für sich haben wollte, und dessen sie sich also zu enthalten hätten; auch hätten dan Mehrere dieselben Sachen wollen können; vielmehr geschah es durch eine Art Vertrag, theils ausdrücklich, wie bei der T h e i l u n g , theils stillschweigend, wie bei der B e s i t z e r g r e i f u n g . Denn als die Gemeinschaft nicht mehr gefiel und doch keine ausdrückliche Theilung geschah, so muss man annehmen, dass Alle übereingekommen sind, Jeder solle zu eigen haben, was er in Besitz nehmen werde.“472 Dort wo keine ursprüngliche Teilung und mithin kein ursprünglicher Teilungsvertrag mit der Folge der Eigentumsentstehung stattfindet, da kann das dann besondere Eigentum nach Grotius ursprünglich nur noch durch Besitzergreifung entstehen.473 Hiervon handelt nunmehr das dritte Kapitel des zweiten Buches: (ii) Das Eigentum nach dem besonderen Rechte setzt nämlich ursprüngliche oder abgeleitete Erwerbung für sich selbst voraus: „Die erste konnte im Anfange bei dem Zusammenkommen des menschlichen Geschlechts auch durch Theilung geschehen, jetzt nur noch durch Besitzergreifung. […] Es bleibt also die Betrachtung der Besitzergreifung, welche nach jenen ersten Zeiten die einzige natürliche und dabei ursprüngliche Erwerbsart bildet.“474 Anders als nach ihm Kant, denkt Grotius die 469 RL, AA VI: 237.18-32, 258.06-11 – vgl. in diesem Zusammenhang auch die vorstehende Auseinandersetzung von § 10 Abs. 2. 470 v. Kirchmann (Hrsg.): Des Hugo Grotius drei Bücher I (1869), S. 245 = 2, 2, 2, 4. 471 v. Kirchmann (Hrsg.): Des Hugo Grotius drei Bücher I (1869), S. 33 = Prolegomena 15. 472 v. Kirchmann (Hrsg.): Des Hugo Grotius drei Bücher I (1869), S. 245 f. = 2, 2, 2, 5; S. 262 = 2, 2, 3, 3. 473 v. Kirchmann (Hrsg.): Des Hugo Grotius drei Bücher I (1869), S. 248 = 2, 2, 3, 3. 474 v. Kirchmann (Hrsg.): Des Hugo Grotius drei Bücher I (1869), S. 261 f. = 2, 3, 3, 1 – 2, 3, 4, 1.

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ursprüngliche Erwerbung hier offensichtlich noch nicht bloß in der Idee des natürlichen Rechts, sondern stets unter empirischen Zeitverhältnissen. Dementsprechend kann er auch zwischen einer ersten ursprünglichen Erwerbung des Bodens und einer ersten abgeleiteten Erwerbung eines staatlichen Zustandes nicht hinreichend differenzieren, sodass er – in einem weiteren Gegensatz zu Kant – beide Erwerbsgegenstände unter die ursprüngliche Erwerbung ziehen muss: „Unter den Gegenständen, die in Wahrheit Niemand gehören, giebt es Zweierlei, was der Besitzergreifung unterliegt: die Staatsgewalt und das Eigenthum, soweit es von jener unterschieden wird.“475 Demnach dürfte die von Grotius in seiner Naturrechtsvorstellung der Eigentumsgenese noch bewahrte Einheit von Staatsgewalt (imperium) und Eigentum (dominium) auf der sie gemeinsam verbindenden Erwerbsart beruhen, während ihre Differenz im jeweils verschiedenen Erwerbsgegenstand ihren Grund hat: Denn da die Besitzergreifung an Sachen mit der Folge des individuellen Eigentumsrechts ihre rechtliche Legitimation allerdings aus einem auf diesen Erwerbsvorgang stillschweigend bezogenen Vertrag aller miteinander ableitet,476 kann sich der ursprüngliche Erwerb von Eigentum zugleich mit dem Erwerb von Staatsgewalt verbinden.477 Der ursprüngliche Erwerb des besonderen Rechts des Eigentums (dominium) ist insofern ein abgeleiteter Erwerb der Staatshoheit (imperium). Weil sich die Staatsgewalt (imperium) aber vorzugsweise auf die Personen (personas) und erst sodann auf das Land (territorium) als Staatsgebiet bezieht,478 lässt sich vermittelst einer und ebenderselben ursprünglichen Erwerbshandlung mit Blick auf die Staatsbürger einesteils Staatsgewalt (imperium) und in Ansehung des Staatsgebietes anderenteils besonderes Eigentum (dominium) erwerben:479 „Auch ist die erste Erwerbung eines Landes von einem Volke oder dessen Oberhaupte mitunter so erfolgt, dass nicht blos die Staatshoheit, welches jenes […] Obereigenthum enthält, sondern auch das volle Privateigentum damit zuerst für dieses Volk oder sein Oberhaupt erworben worden ist. Die Landverteilung an die Einzelnen ist dann so geschehen, dass deren Eigenthümer von jenem ersten abhängig blieben, […].“480 Ist ein staatlicher Zustand aus Gründen des Eigentumsschutzes einmal vertraglich errichtet,481 dann kann das natürliche Recht zur ursprünglichen Besitzergreifung auch durch ein Staatsgesetz aufgehoben werden:482 „So hat der Wille des Menschen 475

v. Kirchmann (Hrsg.): Des Hugo Grotius drei Bücher I (1869), S. 262 = 2, 3, 4, 1. Oben Fn. 472. 477 v. Kirchmann (Hrsg.): Des Hugo Grotius drei Bücher I (1869), S. 33 f. = Prolegomena 15 f.; S. 79 f. = 1, 1, 14, 1. 478 v. Kirchmann (Hrsg.): Des Hugo Grotius drei Bücher I (1869), S. 262 = 2, 3, 4, 1. 479 v. Kirchmann (Hrsg.): Des Hugo Grotius drei Bücher I (1869), S. 262 = 2, 3, 4, 2. 480 v. Kirchmann (Hrsg.): Des Hugo Grotius drei Bücher I (1869), S. 272 = 2, 3, 19, 2. 481 v. Kirchmann (Hrsg.): Des Hugo Grotius drei Bücher I (1869), S. 33 ff. = Prolegomena 15 f., 21; S. 79 ff. = 1, 1, 9; S. 196 = 1, 4, 7, 3; S. 279 = 2, 4, 8, 3. 482 v. Kirchmann (Hrsg.): Des Hugo Grotius drei Bücher I (1869), S. 262 = 2, 3, 5. 476

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das Eigentum, wie es jetzt besteht, eingeführt.“483 Mit Grotius‘ Okkupationstheorie der Eigentumsgenese ist also nicht nur ein in alle Zeitverhältnisse ausgedehnter (und darum in sich widersprüchlicher) Begriff vom ursprünglichen Erwerb,484 sondern auch die Vorstellung von einem im Hinblick auf die Privatrechtssubjekte übermächtigen Staat verbunden, dessen überlegene Stellung sich eben aus der Okkupationstheorie der Eigentumsgenese speist und in der Vorstellung von einem Staatsobereigentum485 zum deutlichen Ausdruck gelangt.486 Über die im Staat aufgehobene höchste Gewalt unterrichtet schon das dritte Kapitel des ersten Buches, wonach es insbesondere kein Recht des Volkes zum Widerstand gegen den Inhaber der höchsten Staatsgewalt über ihm geben kann.487 Derselbe Staat ist aber mit seinem Eigentumsbegriff zugleich in gewisser Weise auch ein schwacher Staat, da er selbst – wie das Eigentum – der Veräußerung unterliegt.488 Dies ist die notwendige Konsequenz, so lange Herrschaft (imperium) und Eigentum (dominium) weiterhin im Eigentumsbegriff miteinander verbunden bleiben. Immanuel Kant hat dagegen – wie noch gezeigt werden wird – die Verknüpfung von Herrschaft (imperium) und Eigentum (dominium) nicht vermittelst eines Zeitdatums, sondern vermittelst des reinen praktischen Vernunftbegriffs des ursprünglichen Vertrages geleistet, und zwar, indem er den hoheits- und den sachenrechtlichen Eigentumsbegriff – in schlüssiger Subordination unter diesem reinen praktischen Vernunftbegriff – durch die Einheit des noch darüber stehenden reinen praktischen Rechtsbegriffs des Besitzes rein rechtsbegrifflich bestimmte: - Begriff des intelligiblen Besitzes (§ 6) - Begriff des ursprünglichen Kontrakts (§§ 47, 15 Abs. 7) - Begriff der bürgerlichen Verfassung (§ 8) - Begriff des ursprünglichen Erwerbs (§ 10) - Begriff des äußeren Mein und Dein (§ 5 Abs. 1 S. 2) - Begriff des öffentlichen Obereigentums (Allg. Anm. B.) - Begriff des ursprünglich erworbenen Bodens (§§ 16, 17) - […] - Begriff des Privateigentums an Sachen

483

4. 484

v. Kirchmann (Hrsg.): Des Hugo Grotius drei Bücher I (1869), S. 74 = Prolegomena 10,

v. Kirchmann (Hrsg.): Des Hugo Grotius drei Bücher I (1869), S. 261 ff. = 2, 3; S. 286 ff. = 2, 5. 485 v. Kirchmann (Hrsg.): Des Hugo Grotius drei Bücher I (1869), S. 144 = 1, 3, 6, 2; S. 158 ff. = 1, 3, 11 ff.; S. 272 = 2, 3, 19, 2. 486 Siehe dazu auch Brocker, Arbeit und Eigentum (1992), S. 72 f. 487 v. Kirchmann (Hrsg.): Des Hugo Grotius drei Bücher I (1869), S. 146 = 1, 3, 8. 488 v. Kirchmann (Hrsg.): Des Hugo Grotius drei Bücher I (1869), S. 316 ff. = 2, 6.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Eben deshalb lässt sich jedoch die Kantische Okkupationslehre des Bodenbesitzes (§§ 10, 12 ff.) – im rein begrifflich affirmativen und nicht-rein begrifflich kritischen Anschluss an die Okkupationstheorie des Eigentums von Hugo Grotius – nicht begreifen, wenn man den reinen oder äußeren Rechtsbesitzbegriff, gemeinsam mit einer eigentumsspezifischen Interpretation dieser Rechtslehre, stets schon mit einem bloß sachen- bzw. privatrechtlichen Eigentumsbegriff römisch-rechtlicher Provenienz identifizieren wollte. Auf diese begriffs- und somit auch gedankenlose Weise würde man Immanuel Kant nämlich lediglich noch das schon ganz reduzierte begriffliche Instrumentarium zugestehen, das John Locke im Rahmen seiner arbeitstheoretischen Begründung des Privateigentums – und zwar in gänzlicher Negation des hoheitsrechtlichen Eigentumsbegriffs – verwenden musste, als der britische Empirist das subjektive Eigentumsrecht auf einer empirischen Tatsache (= Bearbeitung eines Gegenstandes), und nicht auf einem jedenfalls möglichen oder gar wirklichen Allgemeinwillen zu gründen suchte: Eigentum bei John Locke

Denn mit seiner Arbeitstheorie der Eigentumsbegründung verabschiedete sich John Locke (1632 – 1704) in seinem rechtsphilosophsichen Hauptwerk Two Treatises of Government (1689) vom hoheitsrechtlichen Eigentumsbegriff, der mit einer kontraktualistischen Okkupationstheorie des Eigentums (zuvor Grotius/später Kant) gedanklich notwendig verbunden ist, sodass sich das im Ausgang von der einzelnen Person kraft eines arbeitenden Zugriffs auf körperliche Sachen bzw. äußere Gegenstände reduzierte Eigentum (einstmals: dominium) vom Sozialvertrag und somit auch von der Staatsgewalt (imperium) gründlich emanzipierte. – Manfred Brocker hat diesen gänzlichen Bruch John Lockes mit der von ihm vorgefundenen Okkupationstheorie immerhin sogar und wohl auch nicht ganz zu Unrecht – in der Sprache Thomas Samuel Kuhns – als einen „Paradigmenwechsel“ der neuzeitlichen Eigentumstheorie beschrieben.489 Mit der Naturrechtstheorie des Hugo Grotius teilt diejenige John Lockes allerdings den Ausgangspunkt: die metaphysische Frage nach dem wahren Ursprung der staatlichen Regierung bzw. der politischen Gewalt.490 Aus eben diesem Grund verwickelt auch sie sich dort in gedanklich unauflösbare Schwierigkeiten, wo sie ursprüngliche Relationen des Rechts (z. B. den Naturzustand, die Eigentumsbegründung oder die Staatserrichtung) unvermittelt stets schon in empirischen Zeitverhältnissen und nicht zunächst einmal bloß in der Idee (d. h. rein begrifflich bzw. metaphysisch) vorstellt, denn Ursprünge von Zeitverhältnissen lassen sich nicht an sich selbst schon in einer Zeit vorstellen. An Lockes Verhältnisbestimmung von privatem Eigentum und bürgerlicher Gesellschaft, die sich wesentlich im zweiten 489 Brocker, Arbeit und Eigentum – Der Paradigmenwechsel in der neuzeitlichen Eigentumstheorie (1992), passim; siehe ferner Schwab, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe II (19984), S. 79 ff. 490 Euchner (Hrsg.): John Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung (1977), S. 200 ff. (besonders § 1).

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Teil seiner Two Treatises findet, lässt sich deshalb auch hier dieser missliche Umstand studieren, wobei John Locke immerhin das naturrechtstheoretische Verdienst zukommen dürfte, das Rechtssubjekt – wenn auch rein begrifflich zu unvermittelt und darum letztlich noch bloß subjektivistisch bzw. individualistisch oder atomistisch – zum radikalen Ausgangspunkt seiner rechtsphilosophischen Überlegung gemacht zu haben:491 Sein naturrechtsphilosopischer Gedanke zum Ursprung politischer Macht und staatlicher Regierung setzt darum beim Naturzustand der Menschen an: „Um politische Gewalt richtig zu verstehen und sie von ihrem Ursprung abzuleiten, müssen wir erwägen, in welchem Zustand sich die Menschen von Natur aus befinden. Es ist ein Zustand vollkommener Freiheit, innerhalb der Grenzen des Gesetzes der Natur ihre Handlungen zu regeln und über ihren Besitz und ihre Persönlichkeit so zu verfügen, wie es ihnen am besten scheint, ohne dabei jemanden um Erlaubnis zu bitten oder vom Willen eines anderen abhängig zu sein. Es ist darüber hinaus ein Zustand der Gleichheit, in dem alle Macht und Rechtsprechung wechselseitig sind, da niemand mehr besitzt als ein anderer: […].“492 (i) Im Naturzustand herrscht dann kraft göttlicher Verpflichtung für jedermann ein natürliches Gesetz der Selbst- und Fremderhaltung: „Wie ein jeder verpflichtet ist, sich selbst zu erhalten und seinen Platz nicht vorsätzlich zu verlassen, so sollte er aus dem gleichen Grunde, und wenn seine eigene Selbsterhaltung dabei nicht auf dem Spiel steht, nach Möglichkeit auch die übrige Menschheit erhalten. Er sollte nicht das Leben eines anderen oder, was zur Erhaltung des Lebens dient: Freiheit, Gesundheit, Glieder oder Güter wegnehmen oder verringern, – es sei denn, daß an einem Verbrecher Gerechtigkeit geübt werden soll.“493 An dieser natürlichen Verpflichtung fällt dabei nicht nur die vorausgesetzte materielle Reichweite naturzuständlicher subjektiver Rechte des einzelnen Rechtssubjekts, sondern auch seine umfassende Vollstreckungskompetenz auf, die sogar ein vorstaatliches Strafrecht und damit recht eigentlich eine subjektiv-rechtliche Kompetenz zur effektiven Subordination der ursprünglich gleichgeordneten Rechtssubjekte in sich fasst; die Vollstreckungskompetenz des Einzelnen soll schließlich diejenige Effektivität des natürlichen Gesetzes im Naturzustand sichern, die diesem Zustand und mithin auch seinem natürlichen Gesetz darum abgeht, weil es in ihm ausweislich seiner Vorstellung an einer den bloß einzelnen Rechtssubjekten überlegenen und sie in sich subordinierenden staatlichen Gesetzesmacht noch fehlt.494 Dass diese vorstaatliche Vollstre491 Brocker, Arbeit und Eigentum (1992), S. 306 spricht von einem „Subjektivierungsmodell“. 492 Euchner (Hrsg.): John Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung (1977), S. 201 f. (§ 4). 493 Euchner (Hrsg.): John Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung (1977), S. 203 (§ 6). 494 Euchner (Hrsg.): John Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung (1977), S. 203 ff. (§§ 7 – 8).

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ckungs- und Strafrechtskompetenz – auch mit Blick auf die ihm vorausgegangene Naturrechtslehre – eine sehr weitgehende oder gar ungewöhnliche Behauptung ist, war John Locke allerdings durchaus noch bewusst: „Das mag zweifellos manchem als eine sehr seltsame Lehre erscheinen.“495 In der Tat vermag dann sein nachgesetzter Rechtfertigungsversuch, das Recht der Obrigkeit zur Bestrafung ausländischer Krimineller im Inland lasse sich ohne diese naturzuständliche Strafrechtskompetenz nicht denken, kaum zu überzeugen. Interessant ist da im hiesigen Zusammenhang vielmehr die schon nicht mehr naturzustandsimmenante Einlassung, dass mit der subjektivrechtlichen Kompetenz zur effektiven Rechtsdurchsetzung im Naturzustand derselbe bereits voll und ganz als ein Zeitdatum aufgefasst werden muss: „Als gewichtiger Einwand wird oft die Frage gestellt: Wo sind oder wo befanden sich jemals Menschen in einem solchen Naturzustand? Darauf mag vorläufig als Antwort genügen: Da sich alle Fürsten und Herrscher von unabhängigen Regierungen auf der ganzen Welt in einem Naturzustand befinden, ist es doch wohl einleuchtend, daß die Welt niemals ohne eine große Anzahl von Menschen in einem solchen Zustand war oder jemals sein wird. […]. Denn nicht jeder Vertrag beendet den Naturzustand unter den Menschen, sondern nur jener, in dem sie gegenseitig übereinkommen, eine Gemeinschaft einzugehen und einen politischen Körper zu bilden.“496 Demnach resultiert mit Blick auf diese im hypostasierten Naturzustand wirklich vermeinte Komptenz des einzelnen Rechtssubjekts zur effektiven Rechtsdurchsetzung die Frage nach der damit schon vorausgesetzten Realität bzw. Qualität der materiellen subjektiven Rechte im Naturzustand: Das in der Beantwortung dieser Frage maßgebliche fünfte Kapitel des zweiten Teils der Two Treatises, das vom Eigentum („Of Property“) handelt, nimmt seinen Ausgang dementsprechend nicht etwa von einer in einem praktischen Vernunftpostulat verfassten reinen praktischen Idee, sondern von dem Glaubenssatz: „Ob wir uns nach der natürlichen Vernunft richten, […], oder ob wir uns an die Offenbarung halten, […], es ist auf jeden Fall klar, daß Gott, […], die Erde den Menschenkindern gegeben hat, und daß er sie den Menschen gemeinsam gegeben hat.“497 Ausgehend von diesem hyperphysischen Grundsatz lässt John Locke, der mit seiner hypostasierenden Skizze des Naturzustandes zuvor bereits subjektive Privatrechte darin zeitlich vor einem staatlich verfassten Allgemeinwillen als für sich existent beDagegen zeichnet sich der Naturzustandsbegriff Immanuel Kants übrigens durch die gedankliche Abstraktion von aller rechtlichen Über-/Unterordnung der Privatrechtssubjekte aus, sodass sich das Rechtsinstitut „Strafe“ im Naturzustand noch überhaupt nicht begründet denken lässt (vgl. dazu schon oben Fn. 122 im dritten sowie Fn. 115 im fünften Kapitel). 495 Euchner (Hrsg.): John Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung (1977), S. 205 (§ 9). 496 Euchner (Hrsg.): John Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung (1977), S. 208 (§ 14). 497 Euchner (Hrsg.): John Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung (1977), S. 215 (§ 25).

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hauptet hatte, sodann auch keinen Zweifel an seinem insofern emanzipatorischen Erklärungsanliegen des Privateigentums: „Doch ich will mich bemühen darzustellen, wie Menschen zu einem Eigentum an einzelnen Teilen dessen gelangen konnten, was Gott der Menschheit gemeinsam gegeben hat, und das ohne einen ausdrücklichen Vertrag mit allen anderen Menschen.“498 Es ist folglich um eine non-kontraktualistische Eigentumsbegründung eines einzelnen Rechtssubjekts unabhängig vom Willen aller anderen Rechtssubjekte zu tun. Die groben Verlaufslinien dieser gänzlich subjektivistischen Eigentumstheorie sind bekannt: Die von Gott den Menschen nicht etwa zur moralischen Bewährung, sondern „zum Genuß ihres Daseins“ ursprünglich zu Gemeinbesitz überlassene Erde bietet diesen ihre gemeinsame Lebensgrundlage, sodass niemand „ursprünglich ein persönliches Herrschaftsrecht mit Ausschluß aller übrigen Menschen über irgend etwas“ hat und eine Erwerbsnotwendigkeit in Ansehung der Gegegenstände auf der Erde resultiert.499 Gemeinsam mit einem gedanklich unverkürzten Immanuel Kant geht Locke also zutreffend davon aus, dass kein äußerer Gegenstand ursprünglich schon subjektiv-rechtlich mit dem einzelnen Rechtssubjekt verbunden ist. Allerdings liegt die metaphysische Ursprungsdimension allen Erwerbs bei John Locke noch erheblich verkürzt vor, da die erste bzw. ursprüngliche Erwerbsnotwendigkeit für ihn nicht – wie hingegen für Kant – den Erdboden als Weltsubstanz überhaupt, sondern – akzidenziell – lediglich die Früchte auf der Erde betrifft. Der Königsberger Philosoph merkte daher mit Blick auf seinen britischen Kollegen beiläufig an: „Ferner [ist die Frage]: ist die Bearbeitung des Bodens (Bebauung, Beackerung, Entwässerung u. dergl.) zur Erwerbung desselben nothwendig? Nein! denn da diese Formen (der Specificirung) nur Accidenzen sind, so machen sie kein Object eines unmittelbaren Besitzes aus und können zu dem des Subjects nur gehören, so fern die Substanz vorher als das Seine desselben anerkannt ist.“500 Die ursprüngliche Aneignung dieser Früchte kann sich sodann nur im Ausgang vom einzelnen Rechtssubjekt vollziehen. Auch insofern teilen Locke und Kant einen gemeinsamen Ausgangspunkt, wobei beide Philosophen allerdings erheblich in der Auffassung der rechtlichen Art und Weise dieser Aneignung im Ausgang vom einzelnen Rechtssubjekt differieren. Handelt es sich für den kritischen Idealisten um ein nur vermittelst der reinen praktischen Idee eines Allgemeinwillens objektiv aufzulösendes Erwerbsproblem (§§ 10 Abs. 3 – 5, 15 Abs. 3 und 7, 17 Abs. 3), hängt der britische Empirist in dieser ursprünglichen Erwerbsfrage einem naturzuständlichen Solipsismus nach, sodass das Problem exklusiv-absoluter Rechtsbegründung in Ansehung äußerer Gegenstände durch gedankliche Ausblendung der anderen Rechtssubjekte und mithin durch Abstraktion vom eigentlichen Rechtsproblem 498

(§ 25). 499

(§ 26). 500

Euchner (Hrsg.): John Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung (1977), S. 216 Euchner (Hrsg.): John Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung (1977), S. 216 RL, AA VI: 265.10-15 (§ 15 Abs. 5).

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– nämlich einer effektiven Subordination im Interpersonalverhältnis – einer vorgeblichen Lösung zugeführt werden soll: Aus diesem Grund muss sich schon das einzelne Rechtssubjekt bereits in seinem naturzuständlichen Selbststand besonders auszeichnen, sodass es sich selbst ursprünglich nicht einfach bloß als eigener Herr, sondern – anders als für Kant (§ 17 Abs. 5) – gar zu Eigentum („property“) besitzt.501 Lässt sich dieses vom Willen aller anderer Rechtssubjekte unabhängige Personeneigentum in der je eigenen Person („property in his own person“) schließlich mittelbar auf äußere Gegenstände erstrecken, so unterfallen diese äußeren Dinge in der Folge der ausschließlichen persönlichen Eigentumssphäre des einzelnen Rechtssubjekts, und zwar gänzlich unabhängig von einem möglichen oder wirklichen Allgemeinwillen, der nur in einer bürgerlichen Gesellschaft der einzelnen Rechtssubjekte denkbar ist. Das Mittel zu diesem Zweck der vorbürgerlich-rechtlichen Persönlichkeitserweiterung in die äußere Gegenstandssphäre ist dann für den britischen Empiristen primär die eigenhändige Arbeit des einzelnen Menschen: „Die Arbeit seines Körpers und das Werk seiner Hände sind, so können wir es sagen, im eigentlichen Sinne sein Eigentum. Was immer er also dem Zustand entrückt, den die Natur vorgesehen und in dem sie es belassen hat, hat er mit seiner Arbeit gemischt und ihm etwas eigenes hinzugefügt. Er hat es somit zu seinem Eigentum gemacht.“502 Der äußere Gegenstand wird also nicht mit dem wechselseitigen Willen aller Rechtssubjekte aus dem ursprünglichen Gemeinbesitz herausgelöst und von diesem ursprünglichen Rechtszustand in den des Privateigentums überführt, sondern er wird dem Gemeinbesitz vielmehr entzogen: „Da er es dem gemeinsamen Zustand, in den es die Natur gesetzt hat, entzogen hat, ist ihm durch seine Arbeit etwas hinzugefügt worden, was das gemeinsame Recht der anderen Menschen ausschließt.“503 Die empirische Tatsache der Arbeit wirkt somit auf Seiten des ursprünglichen Gemeinbesitzes einesteils rechtsaufhebend und auf Seiten des subjektiven Eigentums anderenteils rechtsbegründend. Immanuel Kant hatte darum für einen solchen naturalistischen Fehlschluss504 auch nur zwei kritische Anmerkungen übrig: „Die Bearbeitung ist, wenn es auf die Frage von der ersten Erwerbung ankommt, nichts weiter als ein äußeres Zeichen der Besitznehmung, welches man durch viele andere, die weniger Mühe kosten, ersetzen kann.“ (RL, AA VI: 265.15-19 = § 15 Abs. 5).

501

(§ 27). 502

(§ 27). 503

(§ 27).

Euchner (Hrsg.): John Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung (1977), S. 216 Euchner (Hrsg.): John Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung (1977), S. 216 f. Euchner (Hrsg.): John Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung (1977), S. 217

504 Gegen diesen Vorwurf nimmt Kersting, in: Thompson (Hrsg.): John Locke und/and Immanuel Kant (1991), S. 109 (123) Locke allerdings in Schutz, wohingegen etwa Brocker, Arbeit und Eigentum (1992), S. 378 ff., 383 ff. (386) diese kritische Einschätzung zu teilen scheint.

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„Daß die erste Bearbeitung, Begränzung, oder überhaupt F o r m g e b u n g eines Bodens keinen Titel der Erwerbung desselben, d. i. der Besitz des Accidens nicht einen Grund des rechtlichen Besitzes der Substanz abgeben könne, sondern vielmehr umgekehrt das Mein und Dein nach der Regel (accessorium sequitur suum principale) aus dem Eigenthum der Substanz gefolgert werden müsse, und daß der, welcher an einen Boden, der nicht schon vorher der seine war, Fleiß verwendet, seine Mühe und Arbeit gegen den Ersteren verloren hat, ist für sich selbst so klar, daß man jene so alte und noch weit und breit herrschende Meinung schwerlich einer anderen Ursache zuschreiben kann, als der ingeheim obwaltenden Täuschung, Sachen zu personificiren und, gleich als ob jemand sie sich durch an sie verwandte Arbeit verbindlich machen könne, keinem Anderen als ihm zu Diensten zu stehen, u n m i t t e l b a r gegen sie sich ein Recht zu denken; […].“ (RL, AA VI: 268.31-269.09 = § 17 Abs. 3).

Denn die metaphysisch sublimierte Idee eines möglichen oder wirklichen Allgemeinwillens kommt im Rahmen dieser vermeinten Rechtsbegründung nicht vor, weshalb sich der damit begründete Eigentumsbegriff insofern vom Begriff der Herrschaft gründlich emanzipiert: „Das Gras, das mein Pferd gefressen hat, den Torf den mein Knecht gestochen, und das Erz, das ich an irgendeiner Stelle gegraben habe, werden ohne die Anweisung und die Zustimmung von irgend jemanden mein Eigentum.“505 Ist das private Eigentum auf diese Weise jedoch unabhängig von einer wirklichen Herrschaft schon tatsächlich vollständig begründbar, dann vermag auch staatliche Gewalt dem subjektiven Eigentumsrecht allenfalls noch die Schleppe seiner effektiven Befolgung außerhalb des Naturzustandes (d. h. außer der darin herrschenden Privatrechtsvollstreckungskompetenz des einzelnen Rechtssubjekts) hinterherzutragen. In den Zustand einer bürgerlichen Gesellschaft zu treten, ist für den vermögenden Eigentümer nämlich ein Gebot der Klugheit, d. h. ein tatsächliches Mittel zum Zweck des Eigentumsschutzes: (ii) Der Zweck der politischen bzw. bürgerlichen Gesellschaft, wie er im neunten Kapitel des zweiten Teils der Two Treatises beschrieben wird, ist nach alledem der effektive Schutz des naturzuständlich bereits begründeten Eigentums außerhalb der Unwägbarkeiten des Naturzustandes: „Wenn der Mensch im Naturzustand so frei ist, wie gesagt worden ist, wenn er der absolute Herr seiner eigenen Person und seiner Besitztümer ist, warum soll er dann auf seine Freiheit verzichten? Warum soll er seine Selbstständigkeit aufgeben und sich der Herrschaft und dem Zwang einer anderen Gesellschaft unterwerfen? Die Antwort darauf liegt auf der Hand: obwohl er nämlich im Naturzustand ein solches Recht hat, so ist doch die Freude an diesem Recht sehr ungewiß, da er fortwährend den Übergriffen anderer ausgesetzt ist. […] Das läßt ihn bereitwillig einen Zustand aufgeben, der bei aller Freiheit voll von Furcht und ständiger Gefahr ist. […] Das große und hauptsächlichste Ziel, weshalb

505

(§ 28).

Euchner (Hrsg.): John Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung (1977), S. 217

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Menschen sich zu einem Staatswesen zusammenschließen und sich unter eine Regierung stellen, ist also die Erhaltung ihres Eigentums.“506 Mit dieser Bestimmung der Notwendigkeit bürgerlicher Gesellschaft und Staatlichkeit, nämlich zur behaglicheren Einrichtung und Erhaltung507 der ohnehin schon subsistierenden Eigentümerverhältnisse, ist dann zugleich die eingangs vorgestellte metaphysische Frage nach dem Ursprung politischer Gewalt und staatlicher Regierung für John Locke hinreichend (freilich: bloß teleologisch) beantwortet: „Und hierin sehen wir das ursprüngliche Recht und den Ursprung von beiden, der legislativen und der exekutiven Gewalt wie auch der Regierungen und der Gesellschaften selbst.“508 Insbesondere die Gesetze der Legislative sind folglich „das große Werkzeug“ („the great instrument“) zur Bewerkstelligung dieses „große[n] Ziel[s]“ der Menschen, nämlich eines „friedlichen und sicheren Genuß[es] ihres Eigentums“.509 Innerhalb dieser glasklar bloß zweckrationalen (nicht-selbstzweckhaften) Auffassung des Staates bürgerlicher Gesellschaft kommt dem ursprünglichen Vertrag – als einem weiteren Zeitdatum – lediglich die Bedeutung eines historischen Begründungsaktes des politischen Körpers zu.510 Denn da das naturzuständlich bereits vollständig begründete Privateigentum insofern unabhängig vom Staat und mithin auch unabhängig vom ursprünglichen Vertrag vorzustellen ist, ist die subjektivistische Eigentumstheorie John Lockes nicht länger – wie aber noch seine Vorgänger (besonders Hugo Grotius) – konstitutiv auf den ursprünglichen Vertrag angewiesen. Da aber der Staatsbegriff auf diese Weise auch selbst unabhängig vom Eigentumsbegriff geworden ist, unterliegt die Staatsgewalt in der Naturrechtstheorie John Lockes nicht länger den Vorstellungsmerkmalen des Eigentumsbegriffs und mithin beispielsweise – anders als noch für Hugo Grotius – nicht mehr der Veräußerung.511 Mit der vorstaatlich begründeten Eigentumstheorie John Lockes kommt demnach die Emanzipation des privatrechtlichen vom hoheitsrechtlichen Eigentumsbegriff zu ihren naturrechtstheoretischen Höhepunkt:512 „Standen sich Privateigentum und 506 Euchner (Hrsg.): John Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung (1977), S. 278 (§§ 123 f.). 507 In der Rechtslehre Immanuel Kants (RL, AA VI: 237.01-08) findet sich dagegen ein ausdrücklicher Hinweis auf die von Locke noch unbemerkte (empirische – metapyhsische) Doppelsinnigkeit des Begriffs der „Erhaltung“ eines Rechtsbesitzes; vgl. dazu ausführlich schon oben unter A. I. 3. im sechsten Kapitel. 508 Euchner (Hrsg.): John Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung (1977), S. 279 f. (§ 127). 509 Euchner (Hrsg.): John Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung (1977), S. 283 (§ 134). 510 Euchner (Hrsg.): John Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung (1977), S. 260 ff. (§§ 95 ff.). 511 Euchner (Hrsg.): John Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung (1977), S. 290 (§ 141). 512 Vgl. Schwab, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe II (19984), S. 74 ff., 79 ff., 94 ff.

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Staatsgewalt als autonome Bezirke gegenüber (Privatwille – Staatswille), so wurde eine strenge Scheidung der privaten Rechtsstellung von allem, was als Ausfluß der Staatgewalt gedeutet wurde, notwendig. Das Ergebnis war das Auseinandertreten von Eigentum und Hoheitsrechten oder – allgemeiner ausgedrückt – von öffentlichem Recht und Privatrecht.“513 Besitz und Eigentum bei Immanuel Kant

Für Kant ist der Gegensatz von privatem und öffentlichen Recht dagegen nur ein solcher für die begriffliche Einteilung des Verstandes, nicht jedoch auch für die Vernunft, die eine schlüssige Einheit beider Einteilungsglieder unter dem als allgemein bestimmend gebrauchten Begriff des Rechts begreifen muss. Namentlich von der liberalen Eigentumsvorstellung John Lockes unterscheidet sich Immanuel Kant daher bereits dadurch, dass er keine Arbeits-, sondern eine Okkupationstheorie innerhalb der Vorstellung einer ursprünglichen Erwerbung eins äußeren Gegenstandes vertritt. In der Tradition der Okkupationstheorien unterscheidet sich Immanuel Kants Theorie des ursprünglichen Erwerbs fernerhin von der Grotianischen Theorie primär dadurch, dass begriffliche Rechtsfolge der Okkupationshandlung nicht das (hoheits- oder sachenrechtliche) Eigentum, sondern der äußere Rechtsbesitz überhaupt ist, darunter in der Folge erst der Rechtsbegriff des Eigentums begrifflich vermittelt denkbar ist, der sich bei Kant dabei in den hoheitsrechtlichen und den darunter zu subordinierenden privat- bzw. strikt sachenrechtlichen Eigentumsbegriff einteilt. Auf diese Weise vermag Kant mit John Locke den Gedanken einer Rechtsbegründung im Ausgang vom freien Rechtssubjekt zu teilen und dieses wahrhafte Moment, nämlich durch rein begriffliche Verknüpfung mit der reinen (d. h. zugleich nicht hypostasierten) praktischen Vernunftidee eines ursprünglichen Vertrages, mit dem zu aller Rechtsbegründung notwendigen gesetzgebenden Allgemeinwillen rein begrifflich zu verbinden, wobei der Lockesche Subjektivismus vermieden wird. In der Folge resultiert unter dem metaphysisch aufgeklärten Begriff des äußeren Rechtsbesitzes eine rein begriffliche Vereinigung der metaphysisch wahrhaften Momente der Grotianischen Okkupationstheorie mit den metaphysisch wahren Momenten des Lockeschen Begriffs des Privateigentums, und zwar unter Emendation aller metaphysisch irrigen Momente, die den Naturrechtstheorien beider vorkantischen Philosophen noch anheften, da sie den Naturzustand nicht bloß in der Idee erwägen, sondern unzulässig hypostasieren, und in diesem Rahmen nicht vom Besitz-, sondern vom Eigentumsbegriff ihren Ausgang nehmen. Insofern ist dann auch zu bemerken, dass Kant im Privatrecht einen strikt auf die Substanz des Sachenrechts bezogenen Eigentumsbegriff vertritt, während John Locke einen mit der Persönlichkeit verbundenden weiten privatrechtlichen Eigentumsbegriff (Persönlichkeit, Leben, Freiheit, Vermögen) hat,514 der dem einzelnen Rechtssubjekt einen 513

Schwab, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe II (19984), S. 94. f. 514 Euchner (Hrsg.): John Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung (1977), S. 278 (§ 123).

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

viel weiter ausgreifenden natürlichen ,Selbststand‘ zuspricht, als dies die angeborene Unabhängigkeit von fremder Willkür in der Theorie Kants schon für sich selbst vermag, weil er die Persönlichkeit unter das Eigentum subsumiert (oder besser: herabwürdigt). Vor diesem Hintergrund der naturrechtshistorischen Skizze des Wandels vom hoheits- zum privatrechtlichen Eigentumsbegriff ist es nunmehr – nachdem schon die Rede von einem „Paradigmenwechsel“ war – wohl nur als eine allzu auffällige Gedankenlosigkeit eines von vornherein privatrechts- bzw. eigentumsspezifischen Interpretations- und Auffassungshorizontes erklärlich, dass dieser die Naturrechtstheorie Immanuel Kants mit seinem schlichtweg empirischen Verstand515 des Begriffs eines provisorischen und insofern zeitlich vorläufigen sowie behelfsmäßigen Rechtsbesitzes bzw. Rechtserwerbs in der Tendenz ausgerechnet in das bloß zweckrational ausgemessene Prokrustesbett der Naturrechtstheorie des britischen Empiristen zu zwängen sucht, der überdies selbst noch nicht einmal eine Okkupationstheorie vertreten hatte.516 Denn die Existenzbehauptung eines vom Staat einstweilen unabhängigen naturzuständlichen Eigentumsrechts, das es – insofern zweckrational konsequent – im Staat zu erhalten gelte, findet sich in der Naturrechtstradition historisch wohl erstmals bei John Locke,517 eben weil dieser alles Privateigentum durch eine bloß empirische Tatsache schon unabhängig von einem ursprünglichen Vertrag und mithin auch unabhängig von einem eigentlich erst rechtsbegründenden Allgemeinwillen (d. h. im Staat) entstehen lässt. Indem der kritische Kant eine solche metaphysisch-unkritische Begründungsweise aber verwerfen und seine Okkupationstheorie in ihrem Zueignungsmoment (§ 10 Abs. 4 S. 4) daher gleichursprünglich konstitutiv mit diesem urvertraglichen Allgemeinwillen verknüpfen muss, lässt sich für diesen unabhängig vom Staat vor diesem selbst (d. h. im Naturzustand) auch kein schon für sich selbst einstweilen (provisorisch) schon wirkliches Eigentumsrecht behaupten, das es im Staat nur noch zu erhalten gelte, wie uns dies allerdings eine eigentums- bzw. privatrechtsspezifische Interpretation der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, die den natürlichen Selbststand des für sich bloß einzelnen Privatrechtssubjekts unzulässig über seinen Begriff von sich selbst überzieht, seit Jahr und Tag glauben machen möchte.518 Denn 515

Siehe dazu schon oben unter A. I. 4. c) aa). Brocker, Arbeit und Eigentum (1992), S. 306 führt die weitgehend affirmative Rezeption des Lockeschen Arbeitseigentums auch in weiten Teilen idealistischen Denkens wohl nicht ganz unzutreffend auf die darin stattfindende Versubjektivierung zurück. 517 Worauf Euchner, in: ders. (Hrsg.): John Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung (1977), S. 9 (33 Fn. 38) hinweist; siehe ferner Schwab, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe II (19984), S. 79. 518 Vgl. schon dazu schon oben unter A. I. 4. c) cc) und beispielsweise den Nachweis zu dortiger Fn. 397. – Reinhard Brandt, Eigentumstheorien von Grotius bis Kant (1974), S. 21 f. geht offenbar sogar davon aus, dass diese zweckrationale Bestimmung des Verhältnisses von Eigentum und Staat von so unterschiedlichen Autoren wie Grotius, Cumberland, Locke, Hume, Rousseau und Kant gleichermaßen vertreten wird, wenn er im Himblick auf diese notiert: „Die Deduktion der Rechtmäßigkeit des Privateigentums steht generell vor der des Staats; dieser 516

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es fehlt für Kant im Naturzustand nicht nur an der naturzuständlichen Rechtsdurchsetzungskompetenz, welche die sogar mit einer natürlichen Strafrechtskompetenz bedachten ,Naturzustandsbewohner‘ der Theorie John Lockes in ihrer naturzuständlichen Selbstherrlichkeit schon besitzen, sondern auch an einem wirklichen Allgemeinwillen, der mittelbar durch die Privatrechtssubjekte positiv selbstgesetzgebend in Ansehung des Besitzes äußerer Gegenstände rechtsbegründend wirken könnte. Der Kantische Naturzustand ist nämlich weder ein Zustand selbstherrlicher Rechtsdurchsetzung, noch ein Zustand selbstherrlicher Rechtsbegründung des für sich bloß einzelnen Rechtssubjekts, sodass auch der Kantische Rechtszustand im Staat bürgerlicher Gesellschaft nicht als rationales Mittel („great instrument“) zum Zweck der Absicherung vermeintlich naturzuständlich schon zum Voraus begründeter Einzelrechte zutreffend aufgefasst ist. Der Kantische Staat ist keine Eigentümergesellschaft der wohlhabenden Naturzustandsbewohner, sondern eine bürgerliche Gesellschaft allen äußeren Rechts der Menschen, womit er nicht als profanes Mittel zum Zweck, sondern als Zweck schon an sich selbst praktisch notwendig ist, weil er dem Begriff des Rechts in äußeren Verhältnissen der Menschen, die sich im Staat auch in ihrem äußeren Verhältnis wechselseitig selbst besitzen, seine unbedingte Wirklichkeit verleiht. In diesem Rahmen verknüpft die Kantische Naturrechtstheorie den ursprünglichen Erwerb eines bestimmten Bodens gleichursprünglich – d. h. nicht als Zeitdatum, sondern rein begrifflich und insofern metaphysisch – mit dem ursprünglichen Vertrag zur Verfassung einer bürgerlichen Gesellschaft, sodass eine ursprüngliche Erwerbung des Bodens im Naturzustand schon rein begrifflich nur im Hinblick (d. h. im ursprünglichen Wortsinn: provisorisch) auf eine bürgerliche Verfassung der Privatrechtssubjekte im Staat bereits rechtlich wirklich denkbar ist, weil die Bemächtigung am Boden damit zugleich als hoheitliche Behauptung eines Staatsgebietes durch die Person des Okkupanten begriffen werden muss, wobei die auf dem Boden ansässigen Rechtspersonen hoheitsrechtlich nicht nach dem dinglichen Rechtsbegriff erworben werden, sondern im Staat unter der Befehlsgewalt des Staatsoberhauptes nach einer Rechtsform des persönlichen Rechts (der des ursprünglichen Vertrages) rechtlich besessen werden bzw. sich selbst auch im äußeren Verhältnis selbst besitzen, nämlich in der öffentlich-rechtlichen Rechtsform eines allerpersönlichsten Rechts (dazu noch unten). Auf diese rein ideelle Weise entsteht mit der ursprünglichen Erwerbung eines Bodens im Naturzustand, unter der reinen praktischen Idee des ursprünglichen Vertrages, gleichursprünglich ein – in den eigentumsspezifischen Interpretationen aus naheligenden Gründen gänzlich ausgespartes – landesherrliches Obereigentum des Souverän („dominus territorii“) als reine praktische Idee, von dem alles einzelne Privateigentum in der Folge mit einem wirklichen Allgemeinwillen in Ansehung dieses Bodens sowie der Gegenstände auf ihm im Staat bürgerlicher Verfassung abgeleitet werden muss: verdankt seine Existenz der faktischen oder rechtlichen Notwendigkeit, das Eigentum gegen Übergriffe zu sichern.“

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

„Kann der Beherrscher als Obereigenthümer (des Bodens), oder muß er nur als Oberbefehlshaber in Ansehung des Volks durch Gesetze betrachtet werden? Da der Boden die oberste Bedingung ist, unter der allein es möglich ist, äußere Sachen als das Seine zu haben, deren möglicher Besitz und Gebrauch das erste erwerbliche Recht ausmacht, so wird von dem Souverän, als L a n d e s h e r r e n , besser als Obereigenthümer (dominus territorii), alles solche Recht abgeleitet werden müssen. Das Volk, als die Menge der Unterthanen, gehört ihm auch zu (es ist sein Volk), aber nicht ihm als Eigenthümer (nach dem dinglichen), sondern als Oberbefehlshaber (nach dem persönlichen Recht).“ (RL, AA VI: 323.22-31).

Dieter Schwab hat wohl nicht ganz unzutreffend darauf hingewiesen, dass Immanuel Kant mit seiner so verfassten Eigentumstheorie begrifflich eine Übergangsstellung in dem begriffsgeschichtlich sich ereignenden Wandel vom altständisch-hoheitsrechtlichen zum liberal-privatrechtlichen Eigentumsbegriff einnimmt.519 Indem dagegen die landläufig vorherrschende privatrechtspezifische Interpretation der Kantischen Rechtslehre – aus der schon ganz reduzierten Warte des modernen liberalen Eigentumsbegriffs (Lockescher Provenienz) – diesen begriffsgeschichtlichen Wandel sowie damit ebenso diese historische Übergangsstellung Immanuel Kants begrifflich ausblendet und darum nicht zu erfassen vermag, musste ihr zwangsläufig auch das naturrechtshistorische Novum der eigentlichen Eigentumsauffassung Immanuel Kants entgehen.520 Denn indem der ursprüngliche Vertrag als persönlicher Rechtsgrund nicht – wie aber bis dato – auf den dinglichen Okkupationsakt in der Zeit erst nachfolgt, sondern gleichursprünglich rein begrifflich als praktische Idee (eines dinglich-persönlichen Selbstbesitzes der Privatrechtssubjekte in ihrem äußeren Verhältnis nach dem öffentlichen Recht) gesetzt wird, kommt nicht dem Staat im Gegensatz zu den Privatrechtssubjekten eine Allmacht in Ansehung des äußeren Rechtsbesitzes (bzw. des Eigentums) und seiner Austeilung zu, sondern den in der gesetzlichen Selbstvorstellungseinheit des Staates an sich selbst im äußeren Verhältnis wirklich autonom verfassten Privatrechtssubjekten, und zwar als selbstständigen Staatsbürgern. Die in der rechtsphilosophischen Kantliteratur diskutierte Gerechtigkeitsfrage, ob der Staat in das von den einzelnen ,Naturzustandsbewohnern‘ bereits aggregierte und von ihm daher naturzuständlich – vermeintlich – vorgefundene Eigentum regulierend eingreifen dürfe,521 geht somit irrig schon von einem in der Kantischen Begrifflichkeit überhaupt gar nicht für sich bestehenden Gegensatz von Staatsrechts- und Privatrechtssubjekt aus, denn die von Kant geleistete metaphysische Begriffsverknüpfung beugt in dem mit ihr möglichen praktischen Vernunftbegriff öffentlicher (nicht schon: privater) Gerechtigkeit (§ 41 Abs. 1) sowohl den Einseitigkeiten eines bloß hoheitsrechtlichen, als auch den 519

S. 97. 520

Schwab, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe II (19984),

Deswegen kann hier auch nicht der philosophiehistorischen Einschätzung Reinhard Brandts, Eigentumstheorien von Grotius bis Kant (1974), S. 24 gefolgt werden, der da urteilt: „Die Kantische Theorie ist ein durchaus einseitiger Abschluß; Hume und Rousseau nehmen Komponenten der vorhergehenden Rechtsphilosophie auf, die Kant – zum größten Teil bewusst – ausschließt.“ 521 Siehe dazu schon oben Fn. 318, 319 m.w.N.

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Einseitigkeiten eines bloß privatrechtlichen Eigentumsbegriffs vor, weil sie das Obereigentum an der Bodensubstanz nicht als wirkliches Sacheigentum, sondern bloß als (nicht-dingliche) Idee des Staates bürgerlicher Gesellschaft der Privatrechtssubjekte begreift, sodass alles gerecht erst auszuteilende und insofern abzuleitende Privateigentum an äußeren Dingen lediglich im Staat der Privatrechtssubjekte wirklich denkbar ist: „Dieses Obereigenthum ist aber nur eine Idee des bürgerlichen Vereins, um die nothwendige Vereinigung des Privateigenthums aller im Volk unter einem öffentlichen allgemeinen Besitzer zu Bestimmung des besonderen Eigenthums nicht nach Grundsätzen der A g g r e g a t i o n (die von den Theilen zum Ganzen empirisch fortschreitet), sondern dem nothwendigen formalen Princip der E i n t h e i l u n g (Division des Bodens) nach Rechtsbegriffen vorstellig zu machen. Nach diesen kann der Obereigenthümer kein Privateigenthum an irgend einem Boden haben (denn sonst machte er sich zu einer Privatperson), sondern dieses gehört nur dem Volk (und zwar nicht collectiv, sondern distributiv genommen) zu; […].“ (RL, AA VI: 323.31-324.07).

Die ganze letzthin öffentliche Verfassung distributiver Gerechtigkeit in einer bürgerlichen Gesellschaft von in ihrem äußeren Verhältnis selbstständigen Privatrechtssubjekten hängt demnach an dieser im Vernunftbegriff der ursprünglichen Erwerbung eines bestimmten Bodens unter dem Vernunftbegriff des äußeren Rechtsbesitzes von Immanuel Kant begrifflich-schlüssig geleisteten Subordination alles dinglichen Privateigentums unter die reine praktische Idee eines staatlichen Obereigentums in der moralischen Person des Souveräns,522 da sich mit der okkupierenden Bemächtigung am Boden andernfalls eine Versklavung der Privatrechtssubjekte nach dem bloß dinglichen Eigentumsbegriff einstellen müsste: „Der Oberbefehlshaber kann also keine D o m ä n e n , d. i. Ländereien zu seiner Privatbenutzung (zu Unterhaltung des Hofes), haben. Denn weil es alsdann auf sein eigen Gutbefinden ankäme, wie weit sie ausgebreitet sein sollten, so würde der Staat Gefahr laufen, alles Eigenthum des Bodens in den Händen der Regierung zu sehen und alle Unterthanen als g r u n d u n t e r t h ä n i g (glebae adscripti) und Besitzer von dem, was immer nur Eigenthum eines Anderen ist, folglich aller Freiheit beraubt (servi) anzusehen.“ (RL, AA VI: 324.07-14).

522 Dieses im gleichen Ursprung öffentliche Moment der Kantischen Theorie des ursprünglichen Erwerbs und der distributiven Gerechtigkeit im Staat bürgerlicher Verfassung kommt wohl übrigens auch in der – obgleich selbst zutreffend kritisch im Hinblick auf einen eigentumstheoretischen Zugriffshorizont – zuletzt immer noch privatrechtspezifisch vorgehenden Rekonstruktion des Gedankens der ursprünglichen Erwerbung durch Michael Köhler, Recht und Gerechtigkeit (2017), passim, nicht hinreichend zum Ausdruck, insbesondere da Köhler den Begriff des ursprünglichen Erwerbs in seinem aktualisierenden Zugriff auf zahlreiche Rechtsverhältnisse außerhalb des bloßen Naturzustandes, d. h. auf Rechtsverhältnisse innerhalb der arbeitsteiligen Gesellschaft in zeitlich real existierenden Staaten ausdehnt und so zu wenig zur Geltung bringt, dass unter der reinen praktischen Idee des Obereigentums im Staat metaphysisch nur ein abgeleiteter Erwerb denkmöglich ist.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Der landesherrliche Souverän – gemäß § 46 Abs. 1: der vereinigte Volkswille – besitzt somit nach dem Privatrecht im Staat überhaupt gar nichts und nach dem öffentlichen Recht alles, nämlich das ganze Volk und insofern nur sich selbst: „Von einem Landesherrn kann man sagen: e r b e s i t z t n i c h t s (zu eigen), außer sich selbst; denn wenn er neben einem anderen im Staat etwas zu eigen hätte, so würde mit diesem ein Streit möglich sein, zu dessen Schlichtung kein Richter wäre. Aber man kann auch sagen: e r b e s i t z t a l l e s ; weil er das Befehlshaberrecht über das Volk hat (jedem das Seine zu Theil kommen zu lassen), dem alle äußere Sachen (divisim) zugehören.“ (RL, AA VI: 324.14-20).

Der ursprüngliche Vertrag aller menschlichen Rechtssubjekte (§ 47), der als eine reine praktische Vernunftidee das metaphysische Freiheitsproblem der ursprünglichen Erwerbung zur metaphysischen Auflösung bringt (§ 15 Abs. 3 i.V.m. § 15 Abs. 7), ist somit als die das Privatrecht und das öffentliche Recht synthetisch miteinander verbindende Rechtsbesitzerwerbsform des äußeren und wechselseitigen Selbstbesitzes der Privatrechtssubjekte bürgerlicher Gesellschaft im Staat anzusehen. Dann aber muss die bürgerliche Gesellschaft im Staat selbst als eine wechselseitige Selbstbesitzrechtsform der Privatrechtssubjekte in ihrem äußeren Verhältnis, d. h. als eine öffentliche Form des dinglich-persönlichen Rechts angesehen werden. Da dies aber so ist, denn der reine praktische Vernunftbegriff bürgerlicher Verfassung stellt – nach allen bisherigen Überlegungen, insbesondere zu § 8 Abs. 1 S. 7 – in der synthetisch-progressiven Reihe der einander subordinierten Rechtsbesitzbegriffe den notwendigen Mittelbegriff zwischen dem reinen und dem äußeren Rechtsbesitzbegriff vor, und alles natürliche Privatrecht darum selbst rein begrifflich nur im Hinblick (d. h. provisorisch) auf den Begriff bürgerlicher Verfassung rechtlich denkbar ist, spiegeln sich in den privatrechtlichen Rechtsbesitzerwerbsformen des zweiten Hauptstücks des natürlichen Privatrechts die im öffentlichen Rechtsbesitzbegriff bürgerlicher Verfassung begrifflich ursprünglich schon vereinigten Rechtsbesitzerwerbsformmomente wider: Mit dem Sachenrecht (§§ 11 – 17) teilt die bürgerliche Verfassung darum innerlich die einseitige Entstehungsvoraussetzung alles äußeren Rechtsbesitzes, nämlich das ursprüngliche Moment einseitiger Besitzergreifung durch ein einzelnes Willenssubjekt, die isoliert für sich („facto“523) als Gewalttätigkeit erscheinen und wahrgenommen werden muss. Dieser empirische Charakter der Bemächtigung verliert sich sodann in der rechtsbegrifflichen Wirkung des ursprünglichen Vertrages, sodass die hierauf beruhende bürgerliche Verfassung das sie innerlich rechtlich begründende Moment der Verträglichkeit („pacto“524) mit der alles persönliche Recht (§§ 18 – 21) innerlich begründenden Rechtsbesitzerwerbsform teilt.

523 524

RL, AA VI: 260.05-09. RL, AA VI: 260.05-09.

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Da aber durch den ursprünglichen Vertrag die staatliche Rechtsform eines allgemeinen Gesetzes ursprünglich rein begrifflich vorgestellt werden muss, teilt die bürgerliche Verfassung in dieser staatlichen Gesetzes- bzw. Rechtsbesitzform diejenige Rechtsbesitzform, die sich im Privatrecht von der Vorstellungsform des Gesetzes („lege“525) selbst innerlich ableitet, nämlich die dinglich-persönliche Rechtsform der häuslichen Gesellschaft (§§ 22 – 30). Die staatliche Rechtsbesitzund Erwerbsform des allgemeinen Gesetzes ist somit nichts anderes, als die öffentliche Form des dinglich-persönlichen Rechts, durch die sich die selbstständigen Privatrechtssubjekte in einer bürgerlichen Gesellschaft unter staatlichen Gesetzen im äußeren Verhältnis selbst besitzen. Aus diesem Grund spricht Immanuel Kant das Gesetzgebungsrecht des Staatsoberhauptes am Schluss seines Staatsrechts (§ 52 Abs. 4) auch – wie das dinglich-persönliche Recht des Privatrechts (§ 23) – als das „allerpersönlichste Recht“ an, das keiner Veräußerung (nämlich nach dem dinglichen Eigentumsbegriff) unterliegt: „Das Recht der obersten Gesetzgebung im gemeinen Wesen ist kein veräußerliches, sondern das allerpersönlichste Recht.“526 Und aus demselben Grund muss sich im natürlichen Privatrecht neben dem dinglichen und dem persönlichen Recht mit dem provisorisch vorausgesetzten Begriff bürgerlicher Verfassung an dritter Stelle schlüssig-notwendig das dinglich-persönliche Recht finden, das von den (vorwiegend: eigentumsspezifisch vorgehenden) Interpreten der Rechtslehre wohl noch selten richtig ernst genommen wurde. Weil die begriffliche Notwendigkeit bzw. Wirklichkeit des ursprünglichen Vertrags dabei in allen drei vorstehenden Momenten rein ideell und nicht als empirische Tatsache vorzustellen ist, lassen sich im Gegensatz zu diesen drei realen Rechtsbesitzerwerbsformen des natürlichen Privatrechts schließlich – episodisch und an vierter Stelle – noch drei rein ideale Rechtsbesitzerwerbsformen des natürlichen Privatrechts in Ansehung äußerer Gegenstände denken (§§ 32 – 35). Die begriffliche Verfassung der ursprünglichen Erwerbung, d. h. ihre rein begriffliche und gleichwohl konstitutive Verknüpfung mit der reinen praktischen Vernunftidee des ursprünglichen Vertrages gibt somit a priori Aufschluss über die architektonische Systemform, die dem zweiten Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre nach dem allgemeinen Erwerbsgedanken von § 10 innerlich zugrunde liegt. Mit einem Wort: Durch die einseitige Bemächtigung am Boden wird die bloße Sache unter der Idee des ursprünglichen Vertrages (zur bürgerlichen Verfassung) im gleichen Ursprung ihres Rechtsbegriffs zur öffentlichen Sache, d. h. zur res publica. Der im öffentlichen Recht als reine praktische Vernunftidee maßgebliche Republikgedanke Immanuel Kants, danach in einer Republik alleine das Gesetz (d. h. der Souverän oder die allgemeine Vorstellung des Volkes) selbstherrschend ist (§ 52 Abs. 3), erweist sich so ursprünglich verknüpft mit der sachenrechtlichen Theorie vom ursprünglichen Erwerb des Bodens, allerdings in einer naturrechtshistorisch und metaphysisch derart einzigartigen Form, dass eine privatrechtsspezifische Inter525 526

RL, AA VI: 260.05-09. RL, AA VI: 342.05-06.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

pretation der Kantischen Rechtslehre aus der Warte eines schon bloß liberalen Eigentumsbegriffs – wie nun jedenfalls etwas deutlicher geworden sein dürfte – schlechterdings keinen Begriff dafür haben kann. Doch mit dem Kantischen Begriff des Staatsobereigentums, der mit seiner Okkupationstheorie des Bodenbesitzes im Naturzustand konstitutiv verbunden ist, kann es nur im (nicht schon: vor dem) Staat wirkliches Privateigentum geben. § 10 Abs. 6 – 8

Nach diesem naturechtshistorischen Exkurs im Ausgang von § 10 Abs. 5, der die begriffliche Anknüpfung an tradierte Naturrechtsvorstellungen und die damit einhergehende kritische Aufgabe Immanuel Kants für seine eigene metaphysische (d. h. rein begriffliche) Rechtsbegründung kenntlich machen sollte, und zwar in Abgrenzung zu einem bloß subjektivistischen sowie im Hinblick auf einen rechtsbegründenden Allgemeinwillen insofern abstrakten Interpretationshorizont, ist nun im Anschluss an den allgemeinen Grundsatz der äußeren Erwerbung (§ 10) noch die „ E i n t h e i l u n g d e r E r w e r b u n g d e s ä u ß e r e n M e i n u n d D e i n “527 zu betrachten. Denn diese Einteilung des bis hierher (§ 10 Abs. 1 – 5) nur ganz allgemein erwogenen Begriffs der äußeren Erwerbung rechtfertigt die innere Systematik des zweiten Hauptstücks der natürlichen Privatrechtslehre, das in der metaphysischen Entwicklung der Besonderheit des Begriffs des äußeren Erwerbs maßgeblich in drei Abschnitte zerfällt und darum zunächst vom Sachenrecht, sodann vom persönlichen Recht und schließlich vom dinglich-persönlichen Recht handelt. Die trichotomische Einteilung des Vernunftbegriffs der äußeren Erwerbung (§ 10 Abs. 6 – 8) erfolgt dabei zuvor nach drei unterschiedlichen besonderen Gesichtspunkten, wobei sich die Systematik des zweiten Hauptstücks der natürlichen Privatrechtslehre explizit nach dem zweiten Gesichtspunkt, implizit dagegen nach allen drei besonderen Gesichtspunkten in ihrem inneren Zusammenhang gleichermaßen richtet: § 10 Abs. 6

Unter dem Begriff des äußeren Mein und Dein (§ 5 Abs. 1 S. 2) waren gemäß seiner verstandesanalytischen Exposition (§ 4) kategorialsystematisch drei Gegenstandsklassen möglichen äußeren Rechtsbesitzes (Substanz/Kausalität/Gemeinschaft) zu unterscheiden.528 Also lässt sich auch der Erwerbsbegriff des äußeren Mein und Dein (§ 10) auf diese drei Gegenstandsklassen beziehen, sodass eine Einteilung dieses Begriffs dem besonderen Gesichtspunkt des Objekts bzw. der rechtlich bestimmbaren Materie nach entspringt: „1. Der M a t e r i e (dem Objecte) nach erwerbe ich entweder eine körperliche S a c h e (Substanz) oder die L e i s t u n g (Causalität) eines Anderen oder diese andere P e r s o n selbst, d. i. den Zustand derselben, so fern ich ein Recht erlange, über denselben zu verfügen (das Commercium mit derselben).“ (RL, AA VI: 259.31-35). 527 528

RL, AA VI: 259.29-30. Siehe dazu ausführlich schon oben unter A. I. 2.

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§ 10 Abs. 7

Da jede rechtlich bestimmbare Materie unter dem Vernunftbegriff der äußeren Erwerbung für sich selbst eine sie innerlich rechtlich bestimmende Form voraussetzt, lässt sich der Erwerbsbegriff des äußeren Mein und Dein (§ 10) auch nach diesem besonderen Gesichtspunkt in die drei entsprechend maßgeblichen Rechtsformen des Erwerbs der möglichen Besitzgegenstände einteilen: „2. Der F o r m (Erwerbungsart) nach ist es entweder ein S a c h e n r e c h t (ius reale) oder p e r s ö n l i c h e s R e c h t (ius personale) oder ein d i n g l i c h - p e r s ö n l i c h e s R e c h t (ius realiter personale) des Besitzes (obzwar nicht des Gebrauchs) einer anderen Person als einer Sache.“ (RL, AA VI: 260.01-04). § 10 Abs. 8

Weil ferner die die rechtlich bestimmbare Materie innerlich rechtlich bestimmende Rechtsform ihrerseits eine sie rechtlich bestimmende Erwerbshandlung im Grunde für sich selbst voraussetzt, lässt sich der Erwerbsbegriff des äußeren Mein und Dein im Grunde auch nach diesem besonderen Gesichtspunkt in die drei entsprechenden Erwerbshandlungsformen einteilen: „3. Nach dem R e c h t s g r u n d e (titulus) der Erwerbung; welches eigentlich kein besonderes Glied der Eintheilung der Rechte, aber doch ein Moment der Art ihrer Ausübung ist: entweder durch den Act einer e i n s e i t i g e n oder d o p p e l s e i t i g e n oder a l l s e i t i g e n Willkür, wodurch etwas Äußeres (facto, pacto, lege) erworben wird.“ (RL, AA VI: 260.05-09).

Da sich das zweite Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre, das von der Art, etwas Äußeres zu erwerben handelt, nun in seiner eigenen Einteilung explizit nach dem (zweiten) Einteilungsgesichtspunkt der unter dem Vernunftbegriff der äußeren Erwerbung überhaupt denkbaren Rechtsformen richtet (Sachenrecht/persönliches Recht/dinglich-persönliches Recht), so wird es in der besonderen metaphysischen Entwicklung des Vernunftbegriffs der äußeren Erwerbung darin jeweils um eine metaphysische Rechtfertigung (d. h. Deduktion) des reinen praktischen Vernunftbegriffs derjenigen äußeren Erwerbshandlung zu tun sein (§§ 17, 19, 22), die der jeweiligen Rechtsform innerlich bestimmend rein begrifflich im Ganzen zugrundeliegt: 1. Deduktion des Begriffs der ursprünglichen Erwerbung Im ersten Abschnitt des zweiten Hauptstücks der natürlichen Privatrechtslehre (§§ 11 – 17), der vom Sachenrecht handelt, muss darum, gemäß der allgemeinen Vorüberlegung in § 10 Abs. 5, eine Deduktion des reinen praktischen Vernunftbegriffs der ursprünglichen Erwerbung (§ 17 Abs. 2) geleistet werden, und zwar unter Aufweis des darin bereits rein begrifflich praktischen Vernunftbegriffs des intelligiblen Besitzes (vgl. § 7 Abs. 2 i.V.m. Abs. 8), der als reiner possessorischer Rechtsbegriff die oberste begriffliche Realbedingung alles äußeren Mein und Dein

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

ist (§ 5 Abs. 1 S. 2) und als solcher bereits selbst hinreichend aus dem rechtlichen Postulat der praktischen Vernunft (§ 2 Abs. 1) deduziert wurde (§ 6 Abs. 10). Weil aber alles äußere Mein und Dein (§ 5 Abs. 1 S. 2) unter dem Begriff des intelligiblen Besitzes nur vermittelst des reinen praktischen Vernunftbegriffs bürgerlicher Verfassung der Rechtsbesitzsubjekte im Staat (§ 8 Abs. 1) wirklich rechtlich bestimmt denkbar ist, wird aller ursprünglicher Erwerb im Naturzustand schon rein begrifflich nur im Hinblick (d. h. im ursprünglichen Wortsinn: provisorisch) auf eine bürgerliche Verfassung im Staat metaphysisch denkbar sein (§ 15 Abs. 3). Also hängt auch der metaphysische Vernunftbegriff der Rechtsform des Sachenrechts (§ 11 Abs. 2), der nur durch den praktischen Vernunftbegriff der ursprünglichen Erwerbung gedacht werden kann, unter dem praktischen Vernunftbegriff des äußeren Mein und Dein (§ 5 Abs. 1 S. 1), und zwar wegen der metaphysischen bzw. rein rechtsbegrifflichen (daher auch: rechtlichen) Absolutheit des Sachenrechts und der diesem zugrundeliegenden ursprünglichen Erwerbung, vom praktischen Vernunftbegriff der bürgerlichen Verfassung ab; eben weil nur in einer bürgerlichen Verfassung der Privatrechtssubjekte ihr gesetzgebender Allgemeinwille in ihrem äußeren Verhältnis in Ansehung äußerer Gegenstände mit rein begrifflicher Allgemeinheit vorgestellt wird. Mit kritisch geschärftem Blick auf die gänzliche Verkennung dieses metaphysischen (d. h. rein begrifflichen) Zusammenhangs durch die Vertreter eines arbeitstheoretischen Sacheigentumsbegriffs, die mit ihrer rein subjektivistischen (individualistischen) und darum zuletzt stets empirisch vermeinten Rechtsbegründung zur Personifizierung der Sache übergehen müssen, notierte Immanuel Kant (§ 17 Abs. 3) daher schließlich anmerkend: „[…] wahrscheinlicherweise würde man auch nicht so leichten Fußes über die natürliche Frage […] weggeglitten sein: ”Wie ist ein Recht in einer Sache möglich?” Denn das Recht gegen einen jeden Besitzer einer Sache bedeutet nur die Befugniß der besonderen Willkür zum Gebrauch eines Objects, so fern sie als im synthetisch-allgemeinen Willen enthalten und mit dem Gesetz desselben zusammenstimmend gedacht werden kann.“529 Um es kurz zufassen: Die drei in § 10 Abs. 6 – 8 nach einander sich voraussetzenden Einteilungsgesichtspunkten vorgenommenen Einteilungen des allgemeinen Begriffs des äußeren Erwerbs (§ 10) geben durch ihren eigenen inneren Zusammenhang Aufschluss über die begrifflich besonders zu nehmende Entwicklung in den jeweiligen Abschnitten des zweiten Hauptstücks der natürlichen Privatrechtslehre unter eben diesem allgemeinen Begriff des äußeren Erwerbs. Für den ersten Abschnitt („ Vo m S a c h e n r e c h t “530) lässt sich darum die Frage, „Wie ist ein Recht in einer Sache möglich?“, mit dem hier zum Voraus exponierten Begriffszusammenhang und unter Abstraktion von allen besonderen Momenten des Sachenrechts, auf die darin schon vorausgesetzte Frage, „Wie ist ein ursprünglicher Erwerb möglich?“ (vgl. §§ 15 Abs. 3, 10 Abs. 4 S. 4 – 5), und 529 530

RL, AA VI: 269.09-16. RL, AA VI: 260.11.

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schließlich auf die darin wiederum vorausgesetzte sowie in § 10 Abs. 3 unter Verweis auf § 8 Abs. 1 S. 7 mit der praktischen Idee eines möglichen vereinigten Willens schon beantwortete Frage, „Wie ist überhaupt ein äußerer Erwerb möglich?“, reduzieren. Denn ohne einen ursprünglichen Erwerb gibt es überhaupt gar keinen (sodann: abgeleiteten) Erwerb. Die synthetisch-progressive Begriffsreihe des Rechtsbesitzes unter dem als allgemein gebrauchten Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) lautet dann an diesem Punkt kritischer Selbstaufklärung: - Begriff des intelligiblen Besitzes (§ 6) - Begriff der bürgerlichen Verfassung (§ 8) - Begriff des ursprünglichen Erwerbs (§ 10) - Begriff des äußeren Mein und Dein (§ 5 Abs. 1 S. 2) - Begriff der ursprünglichen Erwerbung des Bodens (§§ 16, 17) - Begriff des Sachenrechts (§ 11) § 11

Dieser rein rechtsbegriffliche Zusammenhang ist daher im Folgenden im Ausgang vom praktischen Vernunftbegriff des Sachenrechts und möglichst ohne begriffliche Verkürzungen zum Zwecke größerer intensiver Deutlichkeit des metaphysischen Rechts- bzw. Rechtsbesitz- bzw. Rechtsbesitzerwerbsbegriffs ausführlich zu entwickeln, wobei nunmehr klar geworden sein sollte, dass eine Interpretation, die hier primär eine Theorie des (für Kant tatsächlich bloß positiv möglichen) Rechtsbegriffs des Privateigentums entwickelt sehen möchte, diesem metaphysisch-grundsätzlichen und darum rein begrifflichen Gehalt im rein metaphysischen Vernunftbegriff des ursprünglichen Erwerbs eines bestimmten Bodens als Teil aller weltlichen Sachsubstanz selbst noch nicht gerecht zu werden vermag. a) Der praktische Vernunftbegriff des Sachenrechts Soll die im Rahmen der vernunftbegrifflichen Entwicklung des Begriffs der äußeren Erwerbung (§ 10) zu entwickelnde Metaphysik des Sachenrechts (§§ 11 – 17) den rein begrifflichen Grund zu allem durch sie wirklich möglichen positiven Sachenrecht enthalten, dann muss gemäß philosophischer Methode zunächst ein metaphysischer Realbegriff des Sachenrechts im Ausgang vom empirischen Nominalbegriff des Sachenrechts gewonnen werden, und zwar, indem die rein begriffliche Realbedingung in der das Wesen des Sachenrechts schon richtig beschreibenden Nominaldefinition explizit als solche gesetzt wird. Eben dies leistet § 11:

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts § 11 Abs. 1531

Denn § 11 Abs. 1 S. 1 knüpft an die Tatsache an, dass Sachenrechte in der empirischen Rechtswissenschaft als absolute Rechte gekennzeichnet werden, durch die sich der Inhaber solcher absoluten Sachenrechte als bloßer Rechtsbesitzer gegen jeden empirischen Besitzer der körperlichen Sache mit einem Herausgabeanspruch wenden kann.532 § 985 BGB bietet für diesen schon zu Zeiten Immanuel Kants geltenden Grundsatz des positiven Rechts gegenwärtig ein mustergültiges Beispiel: „Der Eigentümer kann von dem Besitzer die Herausgabe der Sache verlangen.“533 Dementsprechend konstatiert Kant dann im Ausgang von seiner im ersten Hauptstück entwickelten Unterscheidung des intelligiblen Besitzes vom empirischen Besitz (§§ 1 ff.) auch: „Die gewöhnliche Erklärung des R e c h t s i n e i n e r S a c h e (ius reale, ius in re), ,es sei das Recht g e g e n j e d e n B e s i t z e r d e r s e l b e n ‘, ist eine richtige Nominaldefinition.“ Wie aber ist die Absolutheit des Sachenrechts oder – was hier dasselbe bedeutet – eine solche im dinglichen Herausgabeanspruch wirksame allgemeine Rechtsverbindlichkeit jeden möglichen empirischen Besitzers gegen den einzigen Rechtsbesitzer der Sache möglich? Es ist genau diese Frage, die sich für Kant sogleich nach dem Innehalten eines Gedankenstrichs stellt: „Aber was ist das, was da macht, daß ich mich wegen eines äußeren Gegenstandes an jeden Inhaber desselben halten und ihn (per vindicationem) nöthigen kann, mich wieder in Besitz desselben zu setzen?“ Die Absolutheit des Sachenrechts setzt also für sich selbst voraus, dass ein einzelnes Rechtssubjekt durch seinen Willen alle anderen Rechtssubjekte in Ansehung der körperlichen Sache zu verpflichten vermag. In der Frage nach dem inneren Grund der Absolutheit des Sachenrechts finden wir also lediglich die allgemeine Frage nach dem inneren Grund rechtlicher Verpflichtung im interpersonalen Verhältnis für körperliche Gegenstände besonders verfasst, wie sie im reinen praktischen Vernunftbegriff des provisorischen Besitzes eines äußeren Gegenstandes überhaupt bereits zuvor in § 9 unter Verweis auf die Idee eines gesetzgebenden Allgemeinwillens (§ 8 Abs. 1 S. 7) metaphysisch aufgelöst wurde. – Die im Folgenden rein begrifflich zu entwickelnde Auflösung der Frage nach dem inneren Vernunftgrund der sachenrechtlichen Absolutheit wird also in der Idee eines gesetzgebenden Allgemeinwillens einer bürgerlichen Verfassung ihre Antwort finden, sodass ein reales Sachenrecht (z. B. das Privateigentum an einer körperlichen Sache) letztlich lediglich im Staat wirklich denkbar ist. Abgesehen vom gesetzgebenden Allgemeinwillen einer bürgerlichen Verfassung im Staat (d. h. im bloßen Naturzustand) lässt sich dann rein begrifflich im Hinblick (d. h. im ursprünglichen Wortsinn: provisorisch) auf den Staat einzig eine ursprüngliche Erwerbung des Bodens im gleichen 531

RL, AA VI: 260.14-32 (alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Absatz). 532 Siehe zur Absolutheit des Sachenrechts als einem Grundsatz des positiven Sachenrechts weiterführend etwa Baur/Stürner, Sachenrecht (200918), § 4 Rn. 3 ff. 533 § 985 BGB in der Fassung vom 02. 01. 2002 = BGBl. I, Nr. 2, S. 42 (202).

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Ursprung mit einer Staatskonstitution rechtlich bestimmt denken (§ 15 Abs. 3 und 7), sodass alles von der absoluten Rechtsperson des Staates nach der hoheitsrechtlichen Idee ihres Obereigentums abgeleitetes Privateigentum, unter dem schon im Naturzustand abstrakt denkbaren Begriff vom äußeren Mein und Dein, nur im Staat (d. h. nicht schon vor ihm: im Naturzustand) denkbar ist. Gegen die von einer eigentumsbzw. privatrechtsspezifischen Interpretation begrifflich bloß erschlichene und hierin lockesianisierende Existenzbehauptung eines wirklichen Privateigentums bereits im Naturzustand ist diese wichtige Feststellung ein maßgeblicher Punkt zur Kennzeichung der metaphysischen Verkürzungen einer solchen begrifflich-methodologisch ungenügenden Herangehensweise. Freilich steht und fällt dieses im diametralen Widerspruch zu einem landläufig vorherrschenden Kantverständnis möglicherweise große Wort dann mit der hier vertretenen dezidiert metaphysischen Interpretation der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, und zwar auf der Grundlage einer praktischen Erkenntnis des begrifflich Besonderen im Allgemeinen. Im Gegensatz zur hier vorgetragenen Interpretation, die gerade eben zuvor nur die begriffliche Kontinuität des Kantischen Gedankens des zweiten Hauptstücks im Einklang mit den begrifflich-praktischen Erkenntnissen des ersten Hauptstückes herausheben wollte, fährt Immanuel Kant in § 11 Abs 1 allerdings noch nicht sofort die begrifflichen Geschütze des ersten Hauptstücks auf, sondern beschränkt sich hier auf eine behutsame Herleitung der für die Absolutheit begrifflich maßgeblichen Realbedingung im Sachenrechtsbegriff: Da die rechtliche Realbedingung für diese sachenrechtlich Absolutheit, die in ihrer Rechtsfolge mit einer Rechtspflicht jedes einzelnen empirischen Besitzers gegen den einen Rechtsbesitzer der körperlichen Sache identisch ist, in ihrem Grunde nicht in dem äußeren Gegenstand liegen kann, muss sie im Grunde auf Seiten der beteiligten Subjekte, d. h. in ihrer ursprünglichen rechtlichen Verfassung anzutreffen sein. § 11 Abs. 1 S. 3 – 5 konzentrieren sich im weiteren Fortgang darum auf den Gedanken, dass rechtliche Verbindlichkeit ohne irrige Personifizierung – wie gesehen war dies noch der gedankliche Fehler John Lockes – nicht aus den Objekten eines Rechtsverhältnisses zu entspringen vermag,534 sodass § 11 Abs. 2 im Anschluss 534

An dieser Stelle des Gedankens ist nochmals zu errinnern, dass im Begriff des äußeren Mein und Dein ein Verhältnis von Rechtssubjekt zu Rechtsobjekt rein rechtlich begriffen wird, eben weil in dem darin schon schlüssig als Realbedingung vorausgesetzten Begriff des rein rechtlichen Besitzes überhaupt eine allgemeine Gesetzgebung in Ansehung der äußeren Gegenstände und mithin ein allgemeines Verhältnis von Rechtssubjekten zueinander gedacht wird (vgl. dazu schon oben anlässlich der Auseinandersetzung des § 3 unter A. I. 2.). Da der Sachenrechtsbegriff einen besonders eingeteilten Begriff unter dem allgemeinen Begriff des äußeren Mein und Dein vorstellt, setzt sich notwendig auch im Sachenrechtsbegriff dieses metaphysische Bestimmungsverhältnis fort. Es ist also keine Erkenntnis erst des Sachenrechts, dass Rechtsbesitzverhältnisse innerlich an sich selbst keine Subjekt-Objekt-Verhältnisse, sondern Subjekt-Subjekt-Verhältnisse im metaphysischen (d. h. rein begrifflichen) Rechtsdenken vorstellen. Wenn nun Ulli F. H. Rühl, Kants Deduktion des Rechts als intelligibler Besitz (2010), S. 97 aber genau dies und damit auch einen ab § 11 einsetzenden „Bruch durch das Kantsche Privatrecht“ behauptet, dann liegt darin eine begriffliche Verkennung des in § 5 Abs. 1 S. 2 realdefinierten Begriffs vom äußeren Mein und Dein, denn bei Kant findet sich

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

das ursprüngliche Rechtsverhältnis der Subjekte als Realbedingung im Sachenrechtsbegriff zu setzen vermag. § 11 Abs. 2535

Soll also überhaupt nur ein einziges reales Sachenrecht (ius in re) sein, dann muss im metaphysischen Vernunftbegriff des Sachenrechts der zwischen den Rechtssubjekten bürgerlich verfasste Gesamtbesitz (d. h. das Obeigentums des Souveräns) begriffliche Realbedingung im Begriff des Sachenrechts sein; und soll überhaupt alles seinem eigenen Begriff nach mögliche Sachenrecht (ius reale) als Ganzes sein, dann muss im metaphysischen Vernunftbegriff des Sachenrechts der zwischen den Rechtssubjekten ursprünglich schon vor der erst zu erwerbenden bürgerlichen Verfassung gedanklich bestehende Gesamtbesitz begriffliche Realbedingung in diesem metaphysischen Vernunftbegriff des Sachenrechts sein. Mittels des reinen praktischen Vernunftbegriffs des ursprünglichen Vertrages zur Konstitution einer bürgerlichen Verfassung würde der ursprüngliche Gesamtbesitz des Naturzustandes der Rechtssubjekte dann in einen bürgerlich verfassten Gesamtbesitz (als hoheitliches Obereigentum des Souveräns) im Staat rein begrifflich überführt, sodass in der begrifflichen Folge alles Sachenrecht objektiv-allgemein und subjektiv-einzeln real von diesem bürgerlichen Gesamtbesitz im Staat bürgerlicher Verfassung ableitbar wäre.536 Mit einer solchen Einteilung des als Realbedingung im Vernunftbegriff des Sachenrechts (ius reale, ius in re) fungierenden reinen praktischen Vernunftbegriffs des – ursprünglichen bzw. konstituierten – Gesamtbesitzes wäre also die im naturrechtshistorischen Exkurs zu § 10 Abs. 5 bereits skizzierte gleichursprünglichkontraktualistische Okkupationstheorie des Besitzes innerlich notwendig verknüpft. nirgendwo die These, dass der für diesen Begriff innerlich maßgebliche intelligible Besitz ein „unmittelbares Verhältnis zwischen der Person des Besitzers und einer Sache“ betrifft. Rühl irrt sich darum (a.a.O.), wenn er auf Basis lediglich seiner eigenen begrifflichen Konfusion urteilt: „Kants (Selbst-)Kritik der Vorstellung vom Sachenrecht als einer Beziehung zwischen Person und Sache ist ein schönes Stück Aufklärung im besten Sinn.“ Handelte es sich nämlich tatsächlich um eine Selbstkritik, dann hätte Immanuel Kant das erste Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre besser nicht gedruckt. 535 RL, AA VI: 260.33-261.14 (alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Absatz). 536 Vom bürgerlichen Gesamtbesitz in der moralischen Person des Staates (bzw. dem damit rein begrifflich gedachten Obereigentum), davon aller subjektiver Privatrechtsbesitz an körperlichen Sachen im Staat unter öffentlichen Rechtsgesetzen privatvertraglich abgeleitet erworben wird, ist auch in § 20 Abs. 1 dort die Rede (RL, AA VI: 274.08-12), wo es im Abschnitt vom persönlichen Recht um die Differenz zwischen einem persönlichen und einem dinglichen Recht zu tun ist, mit der Folge in § 21 Abs. 1, dass zur vertraglich-abgeleiteten Erwerbung des dinglichen Rechts an einer körperlichen Sache im Staat nicht das bloße Vertragsgeschäft ausreicht, wodurch nämlich nur ein persönliches Recht entsteht, sondern noch vielmehr die Tradition der Sache notwendig ist. Die genannte Passage in § 20 Abs. 1 lautet im Wortlaut: „[…] ein S a c h e n r e c h t gegen diejenige m o r a l i s c h e P e r s o n , welche nichts anders als die Idee der a priori v e r e i n i g t e n W i l l k ü r a l l e r ist, und wodurch ich allein ein Recht gegen jeden Besitzer derselben erwerben kann; als worin alles Recht in einer Sache besteht.“

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

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Möglicherweise deshalb notierte Immanuel Kant in § 11 Abs. 2 S. 1: „Die Realdefiniton würde daher so lauten müssen. Das R e c h t i n e i n e r S a c h e ist ein Recht des Privatgebrauchs einer Sache, in deren (ursprünglichen, oder gestifteten) Gesammtbesitze ich mit allen andern bin.“ Ausweislich seines unzweideutigen Wortlauts definiert Immanuel Kant mit diesem Satz also den Realbegriff des Sachenrechts und nicht – wie beispielsweise Kristian Kühl meint – den Begriff des Eigentums.537 Auch ist innerhalb dieser Realdefinition des privatrechtlichen Begriffs des Sachenrechts nicht – wie jedoch etwa Burkhard Kühnemund dafürhält – der bloße Privatgebrauch der Sache,538 sondern der ursprüngliche bzw. durch ursprünglichen Vertrag gestiftete Gesamtbesitz die rein begrifflich innere Realbedingung im reinen praktischen Vernunftbegriff des Sachenrechts.539 Folglich muss der praktische Vernunftbegriff der diesen Realbegriff des Sachenrechts innerlich begründenden Erwerbshandlungsform des ursprünglichen Erwerbs die rein rechtsbegriffliche Verbindung (Synthesis) des ursprünglichen Gesamtbesitzes mit dem bürgerlich-konstituierten Gesamtbesitz schon in sich enthalten, sodass der beide eingeteilten Gesamtbesitzzustände schlüssig verknüpfende Begriff der ursprünglichen Erwerbung innerlich lediglich im Hinblick (d. h. im ursprünglichen Wortsinn: provisorisch) auf eine bürgerliche Verfassung rechtlich bestimmt denkbar sein wird (§ 15 Abs. 3). Im dichotomisch eingeteilten Vernunftbegriff des Gesamtbesitzes liegt somit ursprünglich rein begrifflich derjenige – ideelle oder gar wirkliche – Allgemeinwille, der alles äußere Recht, und somit auch alles Sachenrecht, erst objektiv sowie subjektiv begründet denkbar macht. Vom dichotomisch eingeteilten Gesamtbesitz in der Realdefinition des Sachenrechts, dessen zweites Einteilungsglied (der gestiftete Gesamtbesitz) in der eigentumsspezifischen Interpretation übrigens schon aus nahe liegenden Ursachen systematisch nicht zur Kenntnis genommen werden darf,540 heißt es darum in § 11 Abs. 2 S. 2: „Denn das Letztere ist die einzige Bedingung, unter der es allein möglich ist, daß ich jeden anderen Besitzer vom Privatgebrauch der Sache ausschließe (ius contra quemlibet huius rei possessorem), weil, ohne einen solchen Gesammtbesitz vor537

(122). 538

Kühl, in: Höffe (Hrsg.): Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (1999), S. 117

Kühnemund, Eigentum und Freiheit (2008), S. 82. Dass es sich dabei methodologisch um eine qualitativ-innere und nicht um eine quantitativ-äußere Setzung des real bestimmenden Vorstellungsmerkmals im Vernunftbegriff des Sachenrechts handelt, übersieht beispielsweise Rühl, Kants Deduktion des Rechts als intelligibler Besitz (2010), S. 98. 540 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S.128 scheint seinen Kant in diesem Punkt sogar verbessern zu wollen: „Ein solcher Gesamtbesitz des Bodens wird nun nicht gestiftet, sondern ist (§ 13) in der ursprünglichen Gemeinschaft des Bodens gegeben.“ Allerdings meint Ludwig, a.a.O., S. 132 zugleich auch, die natürliche gemeinsame Bezugnahme der Menschen auf den Boden „stiftet diesen notwendigen Gesamtbesitz (§ 13)“. Wenn Bernd Ludwig also annehmen wollte, der ursprüngliche Gesamtbesitz sei ein durch empirische Tatsache gestifteter Besitz, dann wäre jedenfalls fraglich, warum Immanuel Kant den gestifteten Gesamtbesitz in seiner Rechtsmetaphysik zur Realbedingung des Vernunftbegriffs des Sachenrechts machte. 539

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

auszusetzen, sich gar nicht denken läßt, wie ich, der ich doch nicht im Besitz der Sache bin, von Andern, die es sind, und die sie brauchen, lädirt werden könne.“ Wenn nämlich der empirische Einzelbesitz eines Rechtssubjektes an einer körperlichen Sache gerade nicht rechtsbegründend wirkt, dann kann es rein begrifflich und ursprünglich nur der metaphysische (rein ideelle) Gesamtbesitz aller Rechtssubjekte sein, der in Ansehung des Einzelbesitzes eines Rechtssubjektes rechtsbegründend zu wirken vermag, weil nur in dieser rein begrifflichen Vorstellung alle Rechtssubjekte im Besitz äußerer Gegenstände ursprünglich schon rechtlich miteinander verbunden sind:541 „Durch einseitige Willkür kann ich keinen Andern verbinden, sich des Gebrauchs einer Sache zu enthalten, wozu er sonst keine Verbindlichkeit haben würde: also nur durch vereinigte Willkür Aller in einem Gesammtbesitz.“ Andernfalls, nämlich ohne diese reine praktische Idee von einem Gesamtbesitz aller darin insofern bereits in Ansehung der Gegenstände verbundenen Rechtssubjekte, würde am Sachenrechtsverhältnis gedanklich wiederum nur die körperliche Sache übrig bleiben, von der aus die Sachenrechtsbegründung dann unternommen bzw. (besser) gründlich unterlassen werden müsste: „Sonst müßte ich mir ein Recht in einer Sache so denken: als ob die Sache gegen mich eine Verbindlichkeit hätte, und davon allererst das Recht gegen jeden Besitzer derselben ableiten; welches eine ungereimte Vorstellungsart ist.“ § 11 Abs. 3542

Der letzte Absatz des § 11 enthält in seinem ersten Satz eine ausdrückliche Einteilung des zuvor in Abs. 1 nominal und sodann in Abs. 2 realdefinierten Begriffs des Sachenrechts (ius reale, ius in re), wobei die in der vorstehenden Interpretation bereits gebrauchte Differenz zwischen dem einzelnen konkreten Recht in einer Sache (ius in re), das nur im bürgerlichen Zustand unter öffentlichen Gesetzen wirklich denkbar ist, und dem abstrakten Sachenrecht (ius reale), als dem „ I n b e g r i f f aller Gesetze die das dingliche Mein und Dein betreffen“, nunmehr explizit gemacht wird. Da dieses letztere Sachenrecht mit der es innerlich begründenden Erwerbshandlungsform der ursprünglichen Erwerbung unter natürlichen Gesetzen einen spezifisch naturzuständlichen Teil hat, der es rein begrifflich mit der bürgerlichen Verfassung verknüpft, darunter dann wiederum das Recht in einer Sache (ius in re) denkbar ist, handelt der erste Abschnitt des zweiten Hauptstücks der natürlichen 541

Deswegen lässt sich der Erwerb eines subjektiven Besitzesrechts vom objektiv bestehenden Gesamtbesitz auch nicht mit Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 127 oder Müller, Wille und Gegenstand (2006), S. 219 als ein „Akt gegenseitiger Zuteilung und Verzicht von Besitzansprüchen“ denken, denn subjektive Besitzansprüche (die erst sodann verzichtbar sind) entstehen an sich erst durch den Erwerbsakt im zuteilenden Ausgang vom Gesamtbesitz, eben weil dieser Gesamtbesitz für sich selbst noch keine subjektiven Rechte (= Besitzansprüche), sondern lediglich objektives Recht enthält. 542 RL, AA VI: 261.15-25 (alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Absatz).

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

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Privatrechtslehre unter der Überschrift „ Vo m S a c h e n r e c h t “543 spezifisch nicht etwa vom konkreten Recht in einer Sache (ius in re) oder gar von einem ganz bestimmten, nämlich dem allgemeinsten konkreten Recht in einer Sache (dominium544), sondern vom Sachenrecht (ius reale) als dem metaphysischen Inbegriff aller möglichen – natürlichen und positiven – Gesetze des dinglichen Rechtsbesitzes überhaupt; in etwa so, wie der zweite Abschnitt des zweiten Hauptstückes der natürlichen Privatrechtslehre (§§ 18 – 21) unter der Überschrift „ Vo m p e r s ö n l i c h e n R e c h t “545 nicht etwa vom Dienstleistungsvertrag handelt, sondern ausweislich seiner Selbstauskunft in § 18 Abs. 1 vom abstrakten Inbegriff der Gesetze des persönlichen Rechts überhaupt. Der Begriff des konkreten Rechts in einer einzelnen Sache (ius in re) ist somit innerlich abhängig vom abstrakten Begriff des Sachenrechts überhaupt (ius reale), weil nur der letztere unmittelbar die begriffliche Realbedingung der absoluten Verbindlichkeit alles dinglichen Rechts in sich hat. § 11 Abs. 3 S. 2 – 3 halten dann genau diesen Umstand nochmals ausdrücklich gegen die verkürzenden Verständnisansprüche eines empirischen Rechtsbewusstseins fest: „Es ist aber klar, daß ein Mensch, der auf Erden ganz allein wäre, eigentlich kein äußeres Ding als das Seine haben oder erwerben könnte: weil zwischen ihm als Person und allen anderen äußeren Dingen als Sachen es gar kein Verhältniß der Verbindlichkeit giebt. Es giebt also, eigentlich und buchstäblich verstanden, auch kein (directes) Recht in einer Sache, sondern nur dasjenige wird so genannt, was jemanden gegen eine Person zukommt, die mit allen Anderen (im bürgerlichen Zustande) im gemeinsamen Besitz ist.“ Selbst wenn man also mit einer eigentums- bzw. privatrechtsspezifischen Interpretation der Kantischen Rechtslehre für ein kurzes gedankliches Moment nur einmal unterstellen wollte, dass Immanuel Kant in dieser Rechtslehre keinen begrifflichen bzw. gedanklichen Unterschied zwischen den Worten (äußerer) Rechtsbesitz, Sachenrecht und Eigentum macht, bliebe es mit der gerade eben zitierten Aussage von § 11 Abs. 3 doch völlig unerklärlich, wie sich die darin gegebene Worterklärung des Sachenrechts (ius reale) mit der naturzuständlichen und vorstaatlichen Existenzbehauptung eines wirklichen subjektiven Eigentumsrechts (ius in re) vertragen sollte, welche letztere sich im empirisch missverstandenen Begriff des provisorischen Besitzes546 allerdings tatsächlich so ausgesprochen findet; denn was ist ein für sich selbst ohne wirklichen Allgemeinwillen schon wirklich rechtsbegründender Einzelwille anderes, als die in § 11 Abs. 3 S. 2 zurückgewiesene vermeintliche Rechtsbegründung in der Isolation einer Robinsonade? Träfe eine solches Wortverständnis mitsamt dieser naturzuständlichen Existenzbehauptung wirklicher subjektiver äußerer Rechte (ius in re) dagegen zu, so wäre beispielsweise 543 544 545 546

RL, AA VI: 260.11. RL, AA VI: 270.10-14. RL, AA VI: 271.02. Dazu kritisch schon oben unter A. I. 4. c) aa).

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

das Privateigentum schon vor jedem wirklichen Allgemeinwillen im Ausgang vom bloßen Einzelwillen bereits rechtlich wirklich begründet zu denken und rein begrifflich das besondere sowie einzelne subjektive Recht eines individuellen Rechtssubjekts unabhängig vom rein begrifflich allgemeinen Willenssubjekt allen äußeren Rechts, mithin in der Robinsonade auch weit vor Ankunft von Freitag bereits gesetzt. In dieser tatsächlich allerdings schon an sich selbst metaphysisch grundlosen – weil begriffslosen – Vorstellung von einem freien Willen aber läge nicht zuletzt auch eine gänzliche Verkehrung der Methode philosophischer Erkenntnis, danach das begrifflich Besondere in der Sphäre des begrifflich Allgemeinen synthetisch a priori, und nicht bloß das begrifflich Allgemeine im begrifflich Besonderen analytisch erkannt wird. In der editorischen Versetzung der im Original von Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre nicht grundlos erst am Ende des gesamten Abschnitts über das Sachenrecht in einer Anmerkung zu § 17 (dort Abs. 5) lediglich beiläufig gegebenen Definition des Eigentumsbegriffs („dominium“)547 an das Ende des nun auseinandergesetzten § 11 (als ein neuer Abs. 4) durch Bernd Ludwig548 spiegelt sich daher genau jene Verkennung der innerlich vernunftschlüssigen Begründungsstruktur sowie des rein begrifflichen und daher metaphysischen Begründungsanliegens der Kantischen Rechtslehre wider, wie sie mit unvermeidlichen gedanklichen Verkürzungen in der Sache selbst, nämlich in den reinen praktischen Vernunftbegriffen vom Rechtsbesitz, insbesondere in dem eigentums- bzw. privatrechtsspezifischen Interpretations- bzw. gar Editionsanspruch an die Kantische Rechtslehre insgesamt zum Ausdruck kommt. b) Der praktische Vernunftbegriff der ursprünglichen Erwerbung des Bodens Die in § 11 Abs. 2 S. 1 exponierte Realdefinition des reinen praktischen Vernunftbegriffs des Sachenrechts, und zwar als dem Inbegriff aller natürlichen und positiven Gesetze des dinglichen Mein und Dein, enthält kraft ihrer vernunftbegrifflichen Realbedingung im Vorstellungsmerkmal des Gesamtbesitzes zugleich den vernunftbegrifflichen Grund ihrer eigenen Möglichkeit und mithin ihre Deduktion in sich selbst. Genau so verhielt es sich auch bereits bei der Realdefinition des praktischen Vernunftbegriffs des äußeren Mein und Dein in § 5 Abs. 1 S. 2.549 Im Fortgang des ersten Abschnitts des zweiten Hauptstücks der natürlichen Privatrechtslehre (§§ 12 – 17) ist es darum methodologisch nicht um eine Deduktion 547

Siehe zuvor Fn. 544. Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 71 ff. sowie dortige Fn. 39. – Affirmativ dazu beispielsweise Kühl, in: Höffe (Hrsg.): Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (1999), S. 117 (121): „§ 11 kann durch die Anmerkung zu § 17 ergänzt werden. Damit taucht der Begriff ,Eigentum‘ sachgerecht – Eigentum ist das wichtigste Sachenrecht – schon im ersten Paragraphen des Sachenrechts auf […].“ 549 Vgl. daher in der Durchführung der philosophischen Methode bereits die methodologischen Anmerkungen anlässlich der Auseinandersetzung von § 5 oben unter A. I. 2. 548

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

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des Vernunftbegriffs des Sachenrechts zu tun, ebenso wie es im Fortgang des ersten Hauptstücks der natürlichen Privatrechtslehre (§§ 6 – 9) nicht um eine Deduktion des Vernunftbegriffs des äußeren Mein und Dein zu tun war. Vielmehr wird es in jenem, und zwar genau so wie es in diesem methodologisch um die Deduktion des Vernunftbegriffs der synthetischen Vorstellungswirkung der Realbedingung (§ 6) im zuvor realdefinierten Begriff (§ 5 Abs. 1 S. 2) zu tun war, um eine Deduktion des Vernunftbegriffs der synthetischen Vorstellungswirkung der Realbedingung (§ 17) des schon realdefinierten Begriffs (§ 11 Abs. 2 S. 1) zu tun sein. Die Realbedingung im praktischen Vernunftbegriff des Sachenrechts ist der Gesamtbesitz und folglich handeln die §§ 12 – 17 von der begrifflichen Rechtfertigung (d. h. Deduktion) der synthetischen Vorstellungswirkung des Vernunftbegriffs des Gesamtbesitzes als Realbedingung des Sachenrechtsbegriffs. Da sich der Vernunftbegriff des Gesamtbesitzes in der Realdefinition des Sachenrechts aber in den ursprünglichen und den gestifteten Gesamtbesitz verständig einteilt, besteht die synthetische Vorstellungswirkung des Vernunftbegriffs des Gesamtbesitzes in der vernunftschlüssigen Verbindung der Vernunftbegriffe seiner eingeteilten Begriffsglieder. Weil der vernunftschlüssige Übergang vom ursprünglichen Gesamtbesitz – als der allgemeinsten Gesamtbesitzvorstellung überhaupt – zum gestifteten Gesamtbesitz – als einer einzelnen und insofern besonderen Vorstellung von einem Gesamtbesitz – aber einen ursprünglichen Erwerb eines sachgegenständlichen Besitzes rein begrifflich für sich selbst voraussetzt, besteht die synthetische Vorstellungswirkung des Vernunftbegriffs des Gesamtbesitzes – innerhalb der Realdefinition des praktischen Vernunftbegriffs des Sachenrechts – im praktischen Vernunftbegriff der ursprünglichen Erwerbung, die im Ausgang von ihrem Erwerbsgegenstand wiederum nur im Hinblick (d. h. im ursprünglichen Wortsinn: provisorisch) auf einen bürgerlich verfassten Gesamtbesitz rechtlich bestimmt denkbar ist. Also ist es mit der gegebenen Realdefinition des Sachenrechts (§ 11 Abs. 2 S. 1) in den §§ 12 – 17 um eine, anhand der für das ganze Sachenrecht im Ursprung maßgeblichen konkreten Gegenstandsvorstellung vorzunehmende, vernunftbegriffliche Entwicklung (§§ 12 – 15) bzw. Exposition (§ 16) und schließlich Deduktion (§ 17) des reinen praktischen Vernunftbegriffs der ursprünglichen Erwerbung zu tun. Lässt sich dabei durch den reinen praktischen Vernunftbegriff der ursprünglichen Erwerbung in seiner rechtsbegrifflichen Folge ein intelligibler Besitz an einer körperlichen Sache rechtlich bestimmt denken (§ 17 Abs. 2), dann muss er selbst (d. h. der Begriff, nicht bloß sein Gegenstand) innerlich auf dem in ihm vorausgesetzten und durch ihn in seiner Folge praktischen Vernunftbegriff des intelligiblen Besitzes beruhen, worin sodann seine (d. h. des Begriffs) eigene Deduktion innerhalb der bereits im ersten Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre vollumfänglich angeknüpften Begriffsreihe des Rechtsbesitzes unter dem als allgemein gebrauchten Begriff des Rechts (vgl. zu dieser schon zuvor) beruht. Übrigens basieren die subjektiven methodologischen und sachlichen Erwartungshaltungen Bernd Ludwigs, die in ihrer objektiven Enttäuschung Anlass zu

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

seinen – die metaphysische Sachenrechtslehre Immanuel Kants schlechterdings gänzlich entstellenden – Eingriffen in die §§ 10 – 17 waren,550 in großen Teilen auf einer rein äußerlichen („analogen“) Betrachtungs- und Verleichsweise der allgemeinen Besitzlehre (§§ 1 – 9) mit einem besonderen Teil der Erwerbslehre (§§ 11 – 17), und zwar im Ausgang von seinem empirisch schon um die rein metaphysische Begriffsebene ganz reduzierten Verständnis des Begriffs vom provisorischen Besitz: „Doch auch die Inhalte und Überschriften der Paragraphen geben zu Zweifeln an deren Authentizität Anlaß: Folgt im ersten Hauptstück auf Exposition und Deduktion (§ 4 – 6) die „provisorisch-peremtorisch“-Erörterung, so finden wir letztere hier (Überschrift § 15) vor diesen beiden. Darüber hinaus tut man sich schwer, in § 16 eine „Exposition“ zu finden, […]. Eher scheint § 15 die gesuchte Exposition zu enthalten, […]. […] Betrachten wir die Bezugsobjekte der Termini „Definition“, „Exposition“ und „Deduktion“ in den beiden Systemteilen: […] Unmittelbar fällt die Anordnung der (vermeintlichen) „Exposition“ nach den Definitionen auf, wie auch der Bezug der „Exposition“ auf den „Begriff“ („ursprüngliche Erwerbung“) der Deduktion und nicht auf das „Recht in einer Sache“. In der Besitzlehre führt die „Exposition“ zur „Sacherklärung“ des äußeren Mein und Dein und stellt die Notwendigkeit des intelligiblen Besitzes für dieses Mein und Dein heraus, wonach die „Deduktion“ (§ 6) die Wirklichkeit jenes intelligiblen Besitzes erweist. Dementsprechend müsste in einer analog zur Besitzlehre konstruierten „Exposition“ des Sachenrechts diese vor der „Realdefinition“ (in § 11) zu finden und die des Rechts in einer Sache“ (sic!) sein, welche die „ursprüngliche Erwerbung“ als Bedingung der Möglichkeit eben dieses Rechts herausstellt und damit zum Gegenstand für die „Deduktion“ macht.“551

Folgt man diesem eigentumstheoretischen Verständnisvorschlag Bernd Ludwigs, dann müsste also die Realbedingung im Begriff des Sachenrechts (§ 11 Abs. 2 S. 1) nicht der ursprüngliche bzw. gestiftete Gesamtbesitz, sondern die ursprüngliche Erwerbung unmittelbar, und überdies Gegenstand der Deduktion in § 17 auch nicht der bloße Begriff, sondern die ursprüngliche Erwerbung selbst sein; ganz so wie Ludwig bereits im ersten Hauptstück (§ 6) nicht eine Deduktion des bloßen Begriffs, sondern die (der Wirklichkeit) des intelligiblen Besitzes unmittelbar an sich selbst gefunden zu haben glaubte.552 Eine Metaphysik des Rechts hat es als System der praktischen Erkenntnis aus reinen Begriffen a priori aber nicht mit der Rechtfertigung (d. h. Deduktion) der Begriffsgegenstände, die ohnehin nur durch den reinen praktischen Vernunftbegriff real möglich sind, sondern mit einer solchen des praktischen Gebrauchs reiner Begriffe zu tun, von denen zunächst intellektuell unklar ist, ob sie als bloße Begriffe (d. h. reine Ideen) eine Sphäre des (praktischen) Begriffsgebrauchs haben. Aus diesem Grund ist eine Begriffsdeduktion (hier: § 17) methodologisch auch nur nach einer gehörigen Begriffsexposition (hier: § 16) 550 „Wir nehmen […] an, daß die von Kant zur Zeit der Erstellung des Manuskripts intendierte Version die Gestalt hatte: … § 14, § 17 (Deduktion), § 16 (peremtorisch-provisorisch), entfernen daher § 15, versehen § 16 mit dessen Überschrift und vertauschen die §§ 16 und 17 in Anordnung und Nummerierung; § 15 und die Überschrift des alten § 16 entfallen.“ (Ludwig, Kants Rechtslehre [1988], S. 74). 551 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 71 ff. 552 Vgl. kritisch dazu oben unter A. I. 3.

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

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möglich, weil andernfalls völlig unklar ist, was da deduziert werden soll, und so folgt richtigerweise nicht – wie jedoch Bernd Ludwig den Lesern seiner Edition der vermeintlichen Rechtslehre Immanuel Kants glauben machen möchte553 – eine Begriffsexposition (§ 16) auf die vermeintliche Deduktion eines bloßen Begriffsgegenstandes (§ 17). aa) Der physische Gegenstand der ersten Erwerbung einer Sache ist der Boden Bevor jedoch methodologisch eine Exposition (§ 16) und eine Deduktion (§ 17) des reinen praktischen Vernunftbegriffs der ursprünglichen Erwerbung möglich sind, muss die Vorstellung einer ursprünglichen Erwerbung zunächst einmal überhaupt im Ausgang von ihrem konkreten Gegenstandsbezug entwickelt werden, da andernfalls gänzlich unklar ist, ob ein etwaiger reiner praktischer Vernunftbegriff davon überhaupt eine reale Gegenstandssphäre haben kann. – Aus diesem methodologischen Grund war im Rahmen der Deduktion des reinen praktischen Vernunftbegriffs des intelligiblen Besitzes zunächst eine Anknüpfung des mit dem Erlaubnisgesetz von § 2 Abs. 3 unmittelbar gewiss rechtlich möglichen synthetischen Rechtssatzes a priori in Ansehung des Bodens notwendig (§ 6 Abs. 4), bevor die darin praktische Vorstellungskraft (d. h. begriffliche Wirklichkeit) des reinen praktischen Vernunftbegriffs des intelligiblen Besitzes regressiv analysiert (§ 6 Abs. 4 – 9) und schließlich in ihrer Synthesisfunktion aus dem Postulat der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Rechtsbesitzes (§ 2 Abs. 1) progressiv deduziert werden konnte (§ 6 Abs. 10). – Und aus ebendemselben Grund muss der Begriff der ursprünglichen Erwerbung zunächst einmal im Hinblick auf seinen unter ihm bestimmbaren Gegenstand konkret synthetisch bestimmt sein (§§ 12 – 15), bevor dieser Begriff hinsichtlich seiner reinen praktischen Qualität analytisch exponiert (§ 16) und schließlich durch analytischen Aufweis der durch ihn möglichen synthetischen Vorstellungskraft des reinen praktischen Vernunftbegriffs des intelligiblen Besitzes (§ 7 Abs. 1 S. 6 i.V.m. Abs. 2 und Abs. 8 S. 2) deduziert (§ 17 Abs. 2) werden kann. § 12

Soll der metaphysische und abstrakte Inbegriff des Sachenrechts (§ 11) hinsichtlich seiner inneren vernunftbegrifflichen Bedingungen im konkreten empirischmöglichen Gegenstandsbezug seiner Rechtsform rein begrifflich entwickelt werden, dann muss diese rein begriffliche Entwicklung bei der Vorstellung des ersten Erwerbs einer körperlichen Sache in Raum und Zeit überhaupt ansetzen, weil vor dieser ersten Erwerbung gedanklich kein reales Sachenrecht konkret möglich ist. § 12 hat darum die begriffliche (d. h. rein gedankliche) Bestimmung des physischen Gegenstandes eines ersten sachenrechtlichen Erwerbs in einer Zeit überhaupt zu seinem Thema, und vor diesem Hintergrund versteht sich das im ersten Absatz zunächst zu erörternde und sodann im zweiten Absatz rein begrifflich (d. h. akroamatisch) zu 553

Oben Fn. 550.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

beweisende metaphysische Urteil seiner Überschrift: „ D i e e r s t e E r w e r b u n g e i n e r S a c h e k a n n k e i n e a n d e r e a l s d i e d e s B o d e n s s e i n . “554 § 12 Abs. 1

In der begrifflichen Vorstellung des äußeren Mein und Dein (§ 5 Abs. 1 S. 2) des Sachenrechts (§ 11 Abs. 2 S. 1) wird – nach den Erkenntnissen aller bisherigen Interpretationsüberlegungen – der reine Rechtsbesitzbegriff (§§ 6, 7) unter dem als allgemein bestimmend gebrauchten Rechtsbegriff überhaupt (§ B Abs. 3) durch die reine Verstandeskategorie von Substanz/Inhärenz auf die anschauliche Vorstellung körperlicher Gegenstände außer des Rechtssubjekts selbst in Raum und Zeit bezogen (§ 4 Abs. 1). Folglich muss § 12 zur rein begrifflichen Beantwortung der aufgeworfenen Frage (nach dem konkreten Gegenstand einer ersten Erwerbung einer körperlichen Sache in einer Zeit überhaupt) beurteilen, welcher körperliche Gegenstand in den sinnlichen Anschauungsformen von Raum und Zeit nach seinem Begriff für die Urteilskraft eines verständigen Sinnessubjekts Mensch im Grunde als Substanz überhaupt aufzufassen ist, während alle dieser körperlichen Sache inhärierenden körperlichen Teilsachen als bloße Akzidenzien aufzufassen sind. Nun wird sich das sinnlich verfasste und darum selbst in einem Körper in Raum und Zeit geborene Verstandes-, Vernunft- und Rechtssubjekt Mensch seiner selbst stets schon – verstandesbegrifflich selbst – eingeordnet in einen natürlichen Gegenstandszusammenhang seiner empirischen Welt empirisch bewusst,555 sodass die aufgeworfene Frage auch nur aus diesem menschlichen Bewusstseinshorizont heraus begrifflich beantwortet werden kann. Da sich ein menschliches Rechtssubjekt mit diesem empirischen Bewusstseinshorizont aber ursprünglich auf dem Erdboden seiner empirischen Welt im Kosmos des Weltalls lokalisiert, muss dieser Erdboden durch seine verstandesbegriffliche Spontanität der Urteilskraft ursprünglich auch als die Substanz seiner empirischen Welt überhaupt, und mithin begrifflich als empirischer Gegenstand einer ersten Erwerbung körperlicher Sachsubstanz außerhalb des Rechtssubjekts selbst angesehen werden: „Der Boden (unter welchem alles bewohnbare Land verstanden wird) ist in Ansehung alles Beweglichen auf demselben als S u b s t a n z , die Existenz des Letzteren aber nur als I n h ä r e n z zu betrachten, und so wie im theoretischen Sinne die Accidenzen nicht außerhalb der Substanz existiren können, so kann im praktischen das Bewegliche auf dem Boden nicht das Seine von jemanden sein, wenn dieser nicht vorher als im rechtlichen Besitz desselben befindlich (als das Seine desselben) angenommen wird.“556 Ohne vorherigen Bodenerwerb in einer Zeit überhaupt ist einem menschlichen Rechtssubjekt ein Zugriff auf die auf dem Erdboden seiner natürlichen Welt befindlichen körperlichen Gegenstände nach dieser rein begrifflichen (d. h. meta554

RL, AA VI: 261.27-28. Vgl. dazu besonders die Kantische Widerlegung des problematischen Idealismus in KrV, B 274 ff. 556 RL, AA VI: 261.29-35. 555

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physischen) Grundbestimmung alles Sachenrechts schlechterdings nicht sachenrechtlich real möglich. Diese rein metaphysische bzw. rein sachenrechtliche Grundbestimmung im rein verstandesbegrifflich real möglichen empirischen Gegenstandsbezug des metaphysischen Vernunftbegriffs des Sachenrechts, die keiner bloß technischen oder empirischen Tatsache, sondern der Bewusstseinsverfassung des sinnlichen Verstandessubjekts geschuldet ist,557 ist weder als empiristische Bestimmung im Rahmen einer Metaphysik, d. h. als ein naturalistischer Fehlschluss, noch als eine materielle eigentumstheoretische Vorgabe von Seiten einer (naturalistisch fehlschlüssig vorgehenden) Metaphysik des Rechts aufzufassen. Allerdings vermag eine eigentumstheoretisch vorgehende Interpretation mit ihrem eigentumsmaterialen Auffassungshorizont gerade diese rein begriffliche Bestimmungsebene im metaphysischen Sachenrechtsdenken nicht einzusehen, und darum findet im Lager solcher Interpreten keine gerade eben geringe Empörung über das von Immanuel Kant mit § 12 (tatsächlich nur vermeintlich) Gesagte statt: Denn glaubt man in § 12 eine Grundbestimmung zum Eigentum zu finden, dann hat es im Zusammenhang mit den noch folgenden Ausführungen den in der Tat absurden Anschein, als sei der (in Wahrheit: nur im Staat abgeleitet vorstellbare) subjektivrechtliche Erwerb von Mobiliareigentum tatsächlich an den vorherigen subjektivrechtlichen Erwerb von Immobiliareigentum (im Naturzustand) geknüpft. So glaubt etwa Klaus Steigleder, es sei Kants These, „dass Sachen „auf“ dem Boden ursprünglich nur dann wirklich erworben werden können, wenn auch der Boden, auf dem sie sich befinden oder auf dem ich sie aufbewahre oder halte, von mir erworben ist“558. Nach der Einschätzung des Eigentumstheoretikers Kristian Kühl soll deshalb die „hier zu Tage tretende Überschätzung des Bodens im Vergleich zu beweglichen Sachen […] die geschichtliche Begrenztheit von Teilen der Kantischen Eigentumslehre“ zeigen, sodass Kant auch den „Beweis für diese Behauptungen […] schuldig“ geblieben sein müsse.559 Christian Müller, der Kant an dieser Stelle kurzerhand einer empirischen Argumentation bezichtigt, glaubt den von ihm interpretierten Autor dann ausgerechnet mit der von ihm selbst positivrechtlich vorgefundenden Eigentumswirklichkeit sowie mittels eines empirisch ganz reduzierten und insofern unterkomplexen Gebrauchsbegriffs eines Besseren belehren zu können: „Diese Ausführungen sind in zweifacher Hinsicht problematisch. Zum einen ist offensichtlich, dass Kant nicht a priori, sondern empirisch argumentiert – und dass seine Argumentation zeitgebunden und damit letztlich arbiträr ist. So wird die Bedeutung des Bodens in Zeiten der Luft- und Raumfahrt relativiert: Der Gebrauch von 557 Siehe für eine solche Behauptung in der Tendenz aber beispielsweise Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 127, 132 f. 558 Steigleder, Kants Moralphilosophie (2002), S. 179; ebenso Rühl, Kants Deduktion des Rechts als intelligibler Besitz (2010), S. 103 ff.; zutreffend dagegen in diesem wichtigen Punkt Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 133 Fn. 80. 559 Kühl, in: Höffe (Hrsg.): Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (1999), S. 117 (123) bzw. ders., Eigentumsordnung als Freiheitsordnung (1984), S. 196.

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Gegenständen ist auch ohne Bodenbezug zumindest denkbar […] und im Zuge des technischen Fortschritts zunehmend verwirklichbar. […] Zum anderen ist die Argumentation des § 12 in normativer Hinsicht unterkomplex. Es gelingt Kant nicht, den Bezug der Bodenproblematik zum Eigentumsthema deutlich zu machen: Zwar mag der Fahrnisbezug ohne Bodenbezug prekär sein; die Notwendigkeit dieses Bezuges impliziert jedoch kein Eigentumsrecht am Boden, sondern kann auch durch ein Aufenthaltsrecht gewährleistet werden. Kants Theorie impliziert in ihren Konsequenzen, dass das Eigentum an beweglichen Sachen nicht nur im Rahmen der ursprünglichen Erwerbung, sondern prinzipiell vom intelligiblen Bodenbesitz abhängig ist. […] Dass ein solches an die feudale Gesellschaftsordnung erinnerndes Eigentumskonzept […] doch keinesfalls – wie von Kant postuliert – normativ notwendig ist, zeigt etwa die derzeit geltende Privatrechtsordnung, die Mobiliareigentum auch ohne Immobiliareigentum ermöglicht.“560 Vor dem gedanklichen Hintergrund solcher subjektiv schon zugestandener Abfälligkeiten wird dann auch das Urteil Ulli F.H. Rühls nachvollziehbar, der eigentlich angetreten war, um vor einer eigentumstheoretisch-reduzierten Auffassung der Kantischen Rechtslehre zu warnen: „In § 12 präsentiert Kant eine These, die auch der wohlwollendste Leser bei angestrengtestem Bemühen des hermeneutischen Prinzips der Nachsichtigkeit nicht wird akzeptieren können. […] Hat man den Mut, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, dann kommt man bei allem Respekt vor Kants Genius nicht um die Schlussfolgerung herum, dass die in § 12 der Rechtslehre vertretene These unsinnig ist.“561 Unsinnig dürfte an diesen (mit Verlaub) metaphysisch möglicherweise noch eher wenig ahnungsvollen Absprechungen allerdings lediglich der eigentumstheoretische Erwartungshorizont ihrer sich einsichtiger dünkenden und darum hyperkritisch gebenden Autoren sein,562 von denen leider nur äußerst selten zu erfahren ist, auf welche rechtliche bzw. begriffliche Weise der ursprünglich kraft Geburt auf dem Erdboden lebende Mensch sich als Rechtssubjekt ohne einen solchen im ersten gedanklichen Schritt notwendigen Bodenbezug überhaupt tätig auf körperliche Gegenstände beziehen können sollte? Ganz gewiss aber relativiert sich die in dieser Hinsicht metaphysische Bedeutung des irdischen Bodens nicht „in Zeiten der Luftund Raumfahrt“,563 denn auch alle Luft- und Raumfahrt der Menschen nimmt ihren Ausgang noch immer vom irdischen Boden, der in einer metaphysischen Rechtsvorstellung zuvor mithin stets bereits rechtsbegrifflich ursprünglich erworben vorgestellt sein muss. Der einer menschlichen und mithin irdischen Willkür angeborene natürliche Zustand ist nämlich nicht der einer gleichsam überirdisch luft- oder 560

Müller, Wille und Gegenstand (2006), S. 220 Fn. 326. Rühl, Kants Deduktion des Rechts als intelligibler Besitz (2010), S. 103 – 107. 562 Vgl. aus der eigentumstheoretischen Literatur ferner etwa Buchda, Das Privatrecht Immanuel Kants (1929), S. 24 f. oder Zotta, Legitimität und Recht (2000), S. 69. 563 Wie Müller, Wille und Gegenstand (2006), S. 220 Fn. 326 meint; vgl. ferner Brocker, Kants Besitzlehre (1987), S. 107; Kühl, in: Höffe (Hrsg.): Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (1999), S. 117 (123). 561

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raumfahrenden Willkür und eine außerirdische Willkür fällt nicht unter den in der metaphysischen Rechtslehre vom Recht der Menschen alleine rein begrifflich zu verhandelnden Vernunft- und Rechtsgedanken. Es stellt sich hier darum vielmehr eine ganz andersartige Vermutung ein, nämlich die, dass es all jenen vermeintlich kritischen Interpretationen mit ihren überirdischen gedanklichen Höhenflügen – oder besser: mit ihrem völlig abstrakten Denken – gemein sein muss, dass ihnen ihr eigener vernunftbegrifflicher Faden einer rechtlich-geerdeten Selbstvergewisserung wohl zumindest einmal inmitten des Gedankenganges abgerissen ist. § 12 Abs. 2

Der von den eigentumstheoretisch vorgehenden Interpreten – die eigentlich allenthalben überall gleich mehrere Beweise für einen und ebendenselben Sachverhalt auch dort finden, nämlich im Rahmen von unmittelbaren Vernunftgewissheiten, wo es tatsächlich allerdings überhaupt gar nichts zu beweisen gibt564 – mitunter schon vermisste Beweis für die These des § 12 findet sich im zweiten Absatz dieses Paragraphen. Er wird, wie schon die Erörterung zu § 12 Abs. 1 direkt aufzeigte, in seiner begrifflichen Notwendigkeit bzw. in seiner philosophischen (d. h. diskursiven) Gewissheit durch den reinen Begriff der Substanz vermittelt, und hier in § 12 Abs. 2 jetzt nunmehr noch indirekt aus der problematischen gedanklichen Setzung des Gegenteils heraus, d. h. apagogisch aus der Unmöglichkeit, die Akzidenzien auf dem Boden als ersten Erwerbsgegenstand zu behandeln, geführt:565 „Denn setzet, der Boden gehöre niemanden an: so werde ich jede bewegliche Sache, die sich auf ihm befindet, aus ihrem Platze stoßen können, um ihn selbst einzunehmen, bis sie sich gänzlich verliert, ohne daß der Freiheit irgend eines Anderen, der jetzt gerade nicht Inhaber desselben ist, dadurch Abbruch geschieht; alles aber, was zerstört werden kann, ein Baum, Haus u. s. w., ist (wenigstens der Materie nach) beweglich, und wenn man die Sache, die ohne Zerstörung ihrer Form nicht bewegt werden kann, ein Immobile nennt, so wird das Mein und Dein an jener nicht von der Substanz, sondern dem ihr Anhängenden verstanden, welches nicht die Sache selbst ist.“566 bb) Der ideale Selbststand der ursprünglichen Erwerbung des Bodens ist ein ursprünglicher Gesamtbesitz Mit § 10 Abs. 5 S. 1 ist bereits rein begrifflich entwickelt, dass Gegenstand einer ursprünglichen Erwerbung nur eine körperliche Sache sein kann. Da eine ur564

Siehe dazu Fn. 15 im vierten Kapitel m.w.N. Vgl. dazu methodologisch Log, AA IX: 70 f. sowie schon oben unter C. III. im dritten Kapitel. 566 RL, AA VI: 262.01-10. – Vgl. dazu etwa die verständige Auseinandersetzung bei Friedrich, Eigentum und Staatsbegründung (2004), S. 146 f. Nach dem eigentumstheoretischen Auffassungshorizont Kühls, Eigentumsordnung als Freiheitsordnung (1984), S. 196 f. soll dagegen in § 12 Abs. 2 nachgewiesen sein, „daß der Eigentümer des Bodens jedermann verbieten kann, bewegliche Sachen auf seinem Boden ohne sein Einverständnis zu lagern“. 565

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sprüngliche Erwerbung allerdings rein begrifflich stets auch eine erste Erwerbung ist, ist die erste Erwerbung eines körperlichen Gegenstandes zugleich eine ursprüngliche Erwerbung. Mit § 12 steht folglich der Boden nicht nur als physischer Gegenstand einer ersten sachenrechtlichen, sondern zugleich auch einer ursprünglichen Erwerbung überhaupt fest. Die erste Erwerbung (§ 12) innerhalb des metaphysischen Vernunftbegriffs des Sachenrechts (§ 11 Abs. 2 S. 1) ist darum im Folgenden als ursprüngliche Erwerbung eines Bodens rechtsbegrifflich fortzuentwickeln: § 13

Der Rechtsbegriff der ursprünglichen Erwerbung des physischen Gegenstandes eines Bodens setzt dann zunächst im metaphysischen Grundsatz voraus, dass der Boden – erstens – rechtlich überhaupt ursprünglich erworben werden kann, und es – zweitens – einen reinen praktischen Vernunftbegriff gibt, darauf die rechtliche Möglichkeit der ursprünglichen Erwerbung des Bodens im Grunde innerlich ideal beruht. § 13 urteilt darum grundsätzlich: „ E i n j e d e r B o d e n k a n n u r sprünglich erworben werden, und der Grund der Möglichkeit dieser Erwerbung ist die ursprüngliche Gemeinschaft d e s B o d e n s ü b e r h a u p t . “567 § 13 Abs. 1

Der erste Teil des Satzes, das Urteil nämlich, dass ein jeder Boden in einer ersten Erwerbshandlung ursprünglich erworben werden kann, beruht begrifflich unmittelbar auf dem mit dem praktischen Satz des rechtlichen Postulats des § 2 Abs. 1 unmittelbar gewissen Erlaubnisgesetz der praktischen Vernunft, „nämlich allen andern eine Verbindlichkeit aufzulegen, die sie sonst nicht hätten, sich des Gebrauchs gewisser Gegenstände unserer Willkür zu enthalten, weil wir zuerst sie in unseren Besitz genommen haben“568 (§ 2 Abs. 3). Das Erlaubnisgesetz des § 2 Abs. 3 war insofern auch bereits in diesem gedanklichen Zusammenhang schon in § 6 Abs. 8 S. 3 als ein „Grundsatz des natürlichen Rechts“ angesprochen worden, „der die erste Besitznehmung als einen rechtlichen Grund zur Erwerbung aufstellt, auf den sich jeder erste Besitz fußen kann“.569 Mit dieser früheren Bekanntschaft erklärt dann hier in § 13 Abs. 1 aber ohne weiteres, dass Immanuel Kant für den damit erörterten ersten Teil des Urteilstenors der Überschrift und seinen gedanklichen Zusammenhang nur einen Halbsatz übrig hat: „Was das erste betrifft, so gründet sich dieser Satz auf dem Postulat der praktischen Vernunft (§ 2); […].“570 Innerhalb des gedanklich regressiv-analytischen Aufstiegs der allgemeinen Begriffsbestimmung im besonderen synthetischen Rechtssatz a priori des ersten bzw. 567

RL, AA VI: 262.12-14. RL, AA VI: 247.01-06. – Siehe dazu ausführlich schon oben unter B. II. im vierten Kapitel sowie unter A. I. 1 im hiesigen Kapitel. 569 RL, AA VI: 251.30-36. – Siehe dazu ausführlich schon die einheitliche Interpretation von § 6 unter A. I. 3. a). 570 RL, AA VI: 262.15-16. 568

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ursprünglichen Bodenbesitzes (§ 6 Abs. 4 – 9) war aber auch schon analytisch bewusst geworden, dass der äußere Rechtsbesitz am Boden innerlich begrifflich vermittelt über die reine praktische Idee eines ursprünglichen Gesamtbesitzes des Bodens und dem darin vorzustellenden reinen Allgemeinwillen in Ansehung desselben sowie der Gegenstände darauf (§ 6 Abs. 6) mit dem Erlaubnisgesetz der praktischen Vernunft (§ 2 Abs. 3) synthetisch verbunden sein muss. Also bildet der reine praktische Vernunftbegriff (d. h. die Idee) des ursprünglichen Gesamtbesitzes des Bodens im Postulat bzw. Erlaubnisgesetz des § 2, mit seiner synthetischen Vorstellungskraft, rein begrifflich den idealen Grund der Möglichkeit, darauf der ursprüngliche Erwerb eines bestimmten Bodens innerlich beruht, und dadurch begrifflich vermittelt er metaphysisch möglich ist. Ist diese begrifflich-synthetische Vermittlung der ursprünglichen Erwerbung eines bestimmten Bodens aber durch die reine praktische Idee einer ursprünglichen Gemeinschaft des Bodens möglich, dann muss dieses begriffliche Vermittlungsverhältnis, und mit ihm der zweite Satzteil des grundsätzlichen Urteils der Überschrift des § 13, rein begrifflich (d. h. akroamatisch) beweisbar sein. Der zweite Halbsatz von § 13 Abs. 1 verweist darum zum Zwecke dieses direkt zu führenden akroamatischen Beweises auf die gedankliche Ausführung in § 13 Abs. 2: § 13 Abs. 2571

Der synthetische Satz vom sachenrechtlichen Besitz des Bodens a priori, der durch den reinen praktischen Vernunftbegriff der ursprünglichen Erwerbung begrifflich vermittelte Rechtsfolge einer ursprünglichen Erwerbshandlung ist (vgl. auch schon § 6 Abs. 4), beruht – wenn er mit dem Postulat des § 2 rechtlich möglich sein muss – innerlich auf dem reinen praktischen Vernunftbegriff der ursprünglichen Gemeinschaft des Bodens, wenn er ohne diesen ursprünglichen Gesamtbesitz nicht denkmöglich ist. Denn dann ist (begrifflicher) Grund der Möglichkeit der ursprünglichen Erwerbung des Bodens die ursprüngliche Gemeinschaft des Bodens. § 13 Abs. 2 hat also zum Beweisgegenstand den begrifflichen Sachverhalt, dass Grund der Möglichkeit der ursprünglichen Erwerbung die ursprüngliche Gemeinschaft des Bodens ist, wobei die gedankliche Hintergrundfolie durch die diametral entgegensetzte und bereits in § 10 Abs. 2 S. 2 abschlägig beurteilte Vorstellung einer ursprünglichen Gemeinschaft des Mein und Dein gebildet wird. Eine solche Vorstellung einer ursprünglichen Gemeinschaft des äußeren Privatbesitzes des Bodens würde aber einerseits nur einen vom äußeren Rechtsbesitz eines anderen Rechtssubjekts schon abgeleiteten und gar nicht erst einen ursprünglichen Erwerb zulassen; und darüber hinaus andererseits zugleich, nämlich durch ihre begrifflich ursprünglich-wechselseitig bereits im äußeren Verhältnis der Privatbesitzrechtssubjekte vorgestellte Verpflichtungsrelation in Ansehung des ursprünglich existenten äußeren Privatbesitzes des Bodens, das angeborene Recht der Freiheit als Unabhängigkeit von fremder Willkür bloß negierend aufheben. Der Beweis in § 13 571 RL, AA VI: 262.17-34 (alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Absatz).

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Abs. 2 S. 1 setzt folglich rein begrifflich mit der ursprünglichen Besitzvorstellung eines freien menschlichen Rechtssubjekts ein, das ursprünglich nur sich selbst mitsamt seiner körperlichen Erscheinung,572 nicht aber bereits körperliche Gegenstände außer sich selbst subjektivrechtlich besitzt, denn zur Vermeidung von an dieser Stelle leicht möglichen Missverständnissen ist hier abermals die ursprüngliche Ausgangssituation der allgemeinen Erwerbslehre (§ 10 Abs. 2 S. 1) noch vor allem ursprünglichen Erwerb ausdrücklich zu erinnern: „Nichts Äußeres ist ursprünglich mein; wohl aber kann es ursprünglich, d. i. ohne es von dem Seinen irgend eines Anderen abzuleiten, erworben sein.“573 Nur mit der gedanklichen Präsens dieses Ausgangssatzes der allgemeinen Erwerbslehre (§ 10 Abs. 2 S. 1) wird man jetzt nicht den Ausgangssatz eines begrifflich geführten Beweises in einem ersten Teil der besonderen Erwerbslehre (§ 13 Abs. 2 S. 1) missverstehen wollen: „Alle Menschen sind ursprünglich (d. i. vor allem rechtlichen Act der Willkür) im rechtmäßigen Besitz des Bodens, d. i. sie haben ein Recht, da zu sein, wohin sie die Natur, oder der Zufall (ohne ihren Willen) gesetzt hat.“ Offenbar würde Immanuel Kant hier nämlich das gerade Gegenteil zu § 10 Abs. 2 S. 1 gesagt haben, wenn er mit diesem Satz in § 13 Abs. 2 S. 1 ausgesprochen haben wollte, jeder Mensch habe ursprünglich ein ihm angeborenes subjektives äußeres Recht des Privatbesitzes des Bodens, denn dann wäre das einzelne Rechtssubjekt ursprünglich bereits subjektivrechtlich mit äußeren Gegenständen synthetisch verbunden.574 Das einem jedem Menschen angeborene Recht der Freiheit als Unabhängigkeit von fremder Willkür wäre dann – entgegen seiner ausdrücklichen Kennzeichnung – nicht das einzige angeborene Recht, sondern tatsächlich gar kein Recht, weil diese Behauptung eines ursprünglich angeborenen äußeren Privatbesitzes des Bodens, im wechselseitigen Verhältnis allgemein vorgestellt, alle Unabhängigkeit des einzelnen Rechtssubjekts von fremder Willkür gründlich negieren würde: Der Mensch wäre dann ursprünglich nicht frei, sondern – wie die eigentumstheoretische Interpretation dies eigentlich begrüßen müsste – als ein dem äußeren Rechtsbesitz am Boden bzw. dem Immobiliareigentum ursprünglich verpflichtetes Wesen geboren.575 In der Sache selbst bedeutete dieser missliche Umstand freilich die ursprüngliche Herrschaft der äußeren Gegenstände über die einzelnen Rechtssubjekte. Deshalb ist der Ausgangssatz des Beweises in § 13 Abs. 2 S. 1 zwingend nur so zu verstehen, dass alle Menschen gemeinsam ursprünglich im rechtmäßigen Besitz des Bodens sind und also nicht schon ein subjektives Recht, das nur in einer bürgerlichen Verfassung, sondern bloß ein objektives Recht, d. h. einen sie ursprünglich bloß verbindenden Allgemeinwillen haben, da zu sein, wo die Natur sie durch Geburt 572 573 574 575

RL, AA VI: 237.18-32. RL, AA VI: 258.09-11. Vgl. für einen solchen Auffassungshorizont etwa den Nachweis in Fn. 332. Vgl. oben den Nachweis zu Fn. 41.

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gesetzt hat. § 13 Abs. 2 S. 2 hebt darum unter anderem genau diese rechtliche Beschaffenheit des ursprünglichen Besitzes nochmals ausdrücklich hervor: „Dieser Besitz (possessio), […] ist ein g e m e i n s a m e r Besitz […]“.576 Steht der Ausgangspunkt des Beweises der begrifflichen Grund-Folge-Relation von ursprünglichem Gesamtbesitz und ursprünglich erworbenem Bodenbesitz damit gedanklich klar vor Augen, dann kann der Beweis durch Kennzeichnung des Vorstellungsinhaltes des Grundbegriffs in Abgrenzung zu dem des Relatums weiter vorangetrieben werden. An dieser Stelle rekurriert § 13 Abs. 2 S. 2 auf eine begriffliche Unterscheidung, die bereits aus § 6 Abs. 7 bekannt ist: Der ursprüngliche Besitz („possessio“) des Bodens durch alle Menschen, der kein durch Rechtsakt erworbener subjektiver Rechtsbesitz ist, ist ein „ g e m e i n s a m e r Besitz“. Er ist somit vom Sitz („sedes“) eines Rechtssubjekts zu unterscheiden, darunter ein willkürlich erworbener Platz auf dem Erdboden und mithin ein „ d a u e r n d e [ r ] Besitz“ begriffen wird. Demnach ist Rechtssubjekt des ursprünglich gemeinsamen Besitzes des Bodens nicht ein einzelner Mensch, sondern die Menschheit in ihrer Gesamtheit (d. h. die reine praktische Vernunft), während Rechtssubjekt eines willkürlich erworbenen Sitzes auf dem Erdboden bloß der einzelne Mensch ist. Insofern lässt sich dann – worauf aber erst § 13 Abs. 2 S. 3 zu sprechen kommen wird – zwischen diesem ursprünglich-allgemeinen und dem erworbenen-einzelnen Rechtszustand des Besitzes ein selbst nicht weiter abgeleitetes und mithin ursprüngliches Ableitungsverhältnis im Rahmen der subjektiven Rechtsbesitzbegründung denken. In § 6 Abs. 7 war darum auch schon analytisch bewusst geworden, dass die dauerhafte Niederlassung auf einem Boden (als zweiter Rechtsakt) durch die Besitznehmung des Bodens (als erster Rechtsakt) mit dem „Besitz (possessio)“ begrifflich mittelbar verbunden sein muss. Bemerkungswürdig ist an der Exposition des ursprünglichen Gesamtbesitzes des Bodens durch alle Menschen in § 13 Abs. 2 S. 2 aber zuvor noch die dafür begrifflich gegebene Begründung, bei der es sich abermals um den rein begrifflichen Rekurs auf die sinnlich-verständige Bewusstseinsverfassung des Rechtssubjekts Mensch handelt: „Dieser Besitz (possessio) […] ist ein g e m e i n s a m e r Besitz wegen der Einheit aller Plätze auf der Erdfläche als Kugelfläche: weil, wenn sie eine unendliche Ebene wäre, die Menschen sich darauf so zerstreuen könnten, daß sie in gar keine Gemeinschaft mit einander kämen, diese also nicht eine nothwendige Folge von ihrem Dasein auf Erden wäre.“ Mit der Kugelgestalt des Erdbodens wird hier nämlich nicht eine begrifflich unvermittelte Faktizität des menschlichen Lebens bemüht, sondern die notwendig substanzbegriffliche Fundierung alles Sachenrechts 576 In der rechtsphilosophischen Kantliteratur findet sich dagegen natürlich auch an diesem Punkt eine Tendenz zur Versubjektivierung. Vgl. dafür etwa Byrd/Hruschka, JRE 14 (2006), S. 141 (148 ff.); Hespe, in: Hüning/Stiening/Vogel (Hrsg.): FS Tuschling (2002), S. 119 (140); ders., in: Hüning/Tuschling (Hrsg.): Recht, Staat und Völkerrecht bei Immanuel Kant (1998), S. 293 (311); Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 211. – Zutreffend dagegen an diesem Punkt Friedrich, Eigentum und Staatsbegründung (2004), S. 145: „Der Gesamtbesitz bedeutet […] kein Recht an der Sache […].“

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nur nochmals herausgestellt. Denn die Substanz bezeichnet als Subjekt der Bestimmung im Denken stets das in sich geschlossene Ganze einer Bestimmung, dem seine Bestimmungen dabei nur inhärierend zugeordnet werden können. Weil aber der Erdboden als gegenständliche Substanz alles Sachenrechts dieses Ganze im rein begrifflich bestimmenden Rechtsdenken vorstellt (§ 12), muss er sich auch dadurch auszeichnen, dass er in sich selbst geschlossen ist. Genau dieser Umstand liegt aber in der Kugelgestalt der Erde für das Vorstellungsvermögen eines sinnlichen Verstandessubjekts beschlossen. Aufgrund dieses Vorstellungsvermögens bilden die Menschen auf dem Erdboden dann unter ihrem allgemeinen Rechtsgesetz (§ C Abs. 4) ursprünglich eine Gemeinschaft des Besitzes des Erdbodens, die an und für sich selbst nur durch den im allgemeinen Rechtsgesetz schon bestimmend vorgestellten Allgemeinwillen bestimmt ist und also in sich selbst einen rein begrifflich verfassten Allgemeinwillen in Ansehung des Bodenbesitzes enthalten muss, sodass der ursprüngliche Gesamtbesitz des Bodens rein rechtsbegrifflich als idealer Ableitungsgrund für den ursprünglichen Privatrechtsbesitzerwerb des Bodens durch einzelne Rechtssubjekte fungieren kann und muss. Hiervon handelt nach einem Gedankenstrich der letzte Beweisschritt in § 13 Abs. 2 S. 3. Denn im Gegensatz zum willkürlich erworbenen dauernden Privatrechtsbesitz eines bestimmten Bodens durch einen einzelnen Menschen, der begrifflich nur in der Zeit denkbar ist, ist der rein gedanklich noch vor jedem rechtlichen Erwerbsakt (in der Zeit) vorgestellte Zustand des ursprünglichen Gesamtbesitzes des Bodens durch alle Menschen auf dem Erdboden an und für sich selbst nicht in der Zeit, sondern rein begrifflich nur vor aller Zeit (d. h. a priori) vorstellbar. Insofern handelt es sich bei dieser Vorstellung a priori – wie auch schon in § 6 Abs. 6 S. 1 analytisch bewusst geworden – um eine reine praktische Idee: „Der Besitz aller Menschen auf Erden, der vor allem rechtlichen Act derselben vorhergeht (von der Natur selbst constituirt ist), ist ein u r s p r ü n g l i c h e r G e s a m m t b e s i t z (communio possessionis originaria), dessen Begriff nicht empirisch und von Zeitbedingungen abhängig ist, wie etwa der gedichtete, aber nie erweisliche eines u r a n f ä n g l i c h e n G e s a m m t b e s i t z e s (communio primaeva), sondern ein praktischer Vernunftbegriff, der a priori das Princip enthält, nach welchem allein die Menschen den Platz auf Erden nach Rechtsgesetzen gebrauchen können.“ Gerade dieser von Immanuel Kant in § 13 Abs. 2 S. 3 exponierte reine praktische Ideengehalt des ursprünglichen Gesamtbesitzes ist es, der in den – hinsichtlich der idealen Differenz von Erscheinung und Ding an sich begrifflich noch unaufgeklärten – Naturrechtslehren seiner Vorgänger (von Grotius bis Locke) nicht rein, sondern stets zugleich empirisch in uranfänglichen Zeitverhältnissen gedacht wurde, wodurch ihnen aber – wie gesehen – alle metaphysische (rein begriffliche) Rechtsbegründung an sich unmöglich werden musste, weil der arbeitstätige bzw. kontraktualistische Übergang von dem einen in den anderen Besitzzustand dann ebenfalls als Zeitakt und nicht als bloß idealer Erwerb gedacht werden musste, sodass tatsächlich niemals ein reiner Allgemeinwille metaphysisch rechtsgründende Vorstellungskraft im Rahmen des ursprünglichen Erwerbsaktes entfalten konnte, da ein reiner All-

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gemeinwille in empirisch beschränkten Zeitverhältnissen an sich selbst (d. h. als reine Idee) schon rein begrifflich nicht angetroffen wird. – Als reine praktische Rechtsidee des Bodenbesitzes aller Menschen a priori vermag der Begriff des ursprünglichen Gesamtbesitzes dagegen rein gedanklich noch vor dem Erwerbsbegriff der ursprünglichen Erwerbung als dessen idealer Ableitungsgrund im reinen Rechtsdenken zu fungieren, und zwar, weil er mit dem rein rechtsgesetzlichen Allgemeinwillen (§ C Abs. 4) in ihm selbst, der alle Rechtssubjekte im Gesamtbesitz ursprünglich rein begrifflich miteinander verbindet, das Prinzip zu allem äußeren Erwerb (§ 10 Abs. 3), und damit auch zum ursprünglichen Erwerb (§ 10 Abs. 4 S. 4) eines besonderen Bodens in sich trägt. Da ohne dieses allgemeine Prinzip (§ 10 Abs. 3) jedoch kein ursprünglicher Erwerb (§ 10 Abs. 4 S. 4) rechtsbegrifflich bestimmt denkbar ist, ist der ursprüngliche Erwerb des Bodens nur durch den Begriff der ursprünglichen Gemeinschaft des Bodens vermittelt denkmöglich (q. e. d.). cc) Der Rechtsbegriff der ursprünglichen Erwerbung des Bodens ist die Bemächtigung (Okkupation) Nachdem zum Zwecke der Entwicklung des metaphysischen Sachenrechtsbegriffs (§ 11 Abs. 2 S. 1) zu größerer intensiver Vernunftdeutlichkeit zunächst mit dem Boden der physische Gegenstand einer ersten Erwerbung (§ 12) und sodann der ideale Selbststand einer solchen ersten bzw. ursprünglichen Erwerbung des Bodens (§ 13) rein begrifflich entwickelt wurden, ist es nunmehr um eine rein begriffliche Betrachtung der ursprünglichen Erwerbshandlung – durch die physischer Gegenstand und idealer Selbststand sich rechtsbegrifflich noch als miteinander verknüpft erweisen werden (§§ 16, 17) – selbst zu tun. § 14

Der besondere sachenrechtliche Rechtsbegriff der ursprünglichen Erwerbung des Bodens (§§ 13 f.) teilt die begrifflichen Vorstellungsmerkmale des allgemeinen erwerbsrechtlichen Rechtsbegriffs einer ursprünglichen Erwerbung überhaupt (§ 10 Abs. 4), sodass ihm dieselben maßgeblichen Prädikate – zeitliche Priorität des Erwerbszugriffs/Einseitigkeit der Zueignung – eignen und mithin auch dieselbe maßgebliche Bezeichnung – Bemächtigung (occupatio) – zukommt. Aus diesem Grund heißt es in der Überschrift des § 14: „ D e r r e c h t l i c h e A c t d i e s e r E r w e r b u n g i s t B e m ä c h t i g u n g ( o c c u p a t i o ) . “577 § 14 Abs. 1578

Weil nur ein bis dato noch nicht subjektivrechtlich durch ein einzelnes Rechtssubjekt zu Privatbesitz besessener Boden im Einklang mit dem allgemeinen Rechtsgesetz (§ C Abs. 4) – d. h. rechtmäßig – ursprünglich erworben werden kann, 577

RL, AA VI: 263.02-03. RL, AA VI: 263.04-16 (alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Absatz). 578

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denn andernfalls wäre die Erwerbung vom subjektivrechtlichen Besitzstand eines anderen abgeleitet, steht die empirische „ B e s i t z n e h m u n g (apprehensio)“ eines Bodens im Rahmen einer ursprünglichen Erwerbung unter der Bedingung der Priorität dieser Besitznehmung als der ersten in einer Zeit (§§ 14 Abs. 1 S. 1, 10 Abs. 4 S. 1 – 2, 10 Abs. 5 S. 2). Im Begriff der ursprünglichen Erwerbung eines Bodens liegt damit zugleich aber auch die Einseitigkeit der „Zueignung (appropriatio)“ durch das sich den Boden ursprünglich vermittelst erster Besitznehmung zueignende Subjekt beschlossen, da der Erwerb andernfalls nicht ursprünglich, sondern von anderen Privatrechtssubjekten privatvertraglich und damit von ihrem subjektivrechtlichen Besitzstand abgeleitet sein würde (§§ 14 Abs. 1 S. 2, 10 Abs. 4 S. 4 – 5, 10 Abs. 5 S. 3). Weil die einseitige Erwerbung mit ihrer Selbstberechtigung aber begrifflich eine „ B e m ä c h t i g u n g “ vorstellt (§ 14 Abs. 1 S. 3), kann auch die ursprüngliche Erwerbung eines bestimmten Bodens nur durch „Bemächtigung (occupatio)“ geschehen (§§ 14 Abs. 1 S. 4, 10 Abs. 5 S. 1). Also ist der Begriff der ursprünglichen Erwerbung eines Bodens mit dem Begriff der Bemächtigung (Okkupation) identisch. In diesem besonderen Begriff der Bemächtigung kommt dann das bereits in der Besitzlehre – mittelst des metaphysischen Begriffs vom provisorischen Besitz eines äußeren Gegenstandes (§§ 8, 9) rein begrifflich – erstmals allgemein aufgelöste Rechtsproblem sehr deutlich zum Ausdruck, wie ein einzelner Wille rechtsbegründend, und damit im gleichen Ursprung verpflichtend im äußeren (interpersonalen) Verhältnis wirken kann, wo es doch an einem alle Rechtssubjekte im äußeren Verhältnis durch allgemeine Gesetze wirklich verbindenden und dadurch verpflichtenden Allgemeinwillen in der abstrakten Naturzustandsvorstellung rein begrifflich gerade fehlt.579 Wie ist also die einseitige Zueignung des Bodens durch Bemächtigung rechtsbegründend bzw. rechtsverpflichtend (d. h. allgemeingesetzlich) real möglich? Es ist diese besondere Rechtsfrage, von der Immanuel Kant in § 10 Abs. 5 S. 4 schon ganz allgemein notiert hatte: „Wie ein solcher Act der Willkür, als jener ist, das Seine für jemanden begründen könne, ist nicht leicht einzusehen.“580 § 14 Abs. 2581

Dass eine ursprüngliche Erwerbung des Bodens rechtlich real möglich sein muss, ist mit dem rechtlichen Postulat der praktischen Vernunft und ihrem Erlaubnisgesetz zur ersten Besitznehmung (§ 2) unmittelbar – d. h. ohne weitere begriffliche Vermittlung – bewusst, worauf auch § 14 Abs. 2 S. 1 nochmals insistiert. Dagegen betrifft die gerade eben aufgeworfene Frage, wie eine einseitige Bemächtigung allgemein rechtsbegründend bzw. verpflichtend im äußeren Verhältnis 579

Siehe zu diesem autonomietheoretischen Problem einer naturzuständlichen Rechtsbesitzbehauptung bereits oben A. I. 4. a). 580 RL, AA VI: 259.20-22. 581 RL, AA VI: 263.17-30 (alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Absatz).

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möglich ist, die begriffliche Vermittlung der ursprünglichen Erwerbung des Bodens (Bemächtigung) durch das rechtliche Postulat der praktischen Vernunft (§ 2). Hiervon handelt darum § 14 Abs. 2 S. 2, der hier ohne Angabe aller notwendigen begrifflichen Vermittlungsschritte nur die allgemeinste Rechtseinsicht überhaupt zur besonderen Entfaltung bringt: Denn da ausnahmslos alles Recht den im allgemeinen Rechtsgesetz (§ C Abs. 4) bzw. im allgemeinen Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) bestimmenden Allgemeinwillen für sich selbst voraussetzt (vgl. darum besonders §§ 8 Abs. 1 S. 7, 10 Abs. 3, 10 Abs. 4 S. 4, 13 Abs. 2 S. 3), lässt sich auch das subjektive Besitzrecht in der Folge einer Bemächtigung nur durch diesen Allgemeinwillen im Grunde objektiv rechtlich bestimmt denken: „Derselbe Wille aber kann doch eine äußere Erwerbung nicht anders berechtigen, als nur so fern er in einem a priori vereinigten […] absolut gebietenden Willen enthalten ist; […]; denn nur nach dieses seinem Princip ist Übereinstimmung der freien Willkür eines jeden mit der Freiheit von jedermann, mithin ein Recht überhaupt, und also auch ein äußeres Mein und Dein möglich.“ § 14 Abs. 2 S. 2 enthält insofern auch nochmals die Anerkennung des von der eigentumstheoretischen Interpretation mit ihrem empirischen Verstand des Begriffs vom provisorischen Besitz eines äußeren Gegenstandes jedenfalls insgeheim nicht anerkannten Grundsatzes, dass ein solitärer Einzelwille für sich selbst nicht schon rechtsbegründend bzw. verpflichtend im interpersonalen Verhältnis zu wirken vermag (§§ C Abs. 4, 7 Abs. 1 S. 6, 8 Abs. 1 S. 4, 9 Abs. 1 S. 5, 10 Abs. 3, 10 Abs. 4 S. 4): „[…] denn der einseitige Wille (wozu auch der doppelseitige, aber doch b e s o n d e r e Wille gehört) kann nicht jedermann eine Verbindlichkeit auflegen, die an sich zufällig ist, sondern dazu wird ein a l l s e i t i g e r , nicht zufällig, sondern a priori, mithin nothwendig vereinigter und darum allein gesetzgebender Wille erfordert; […].“ Immanuel Kants Bemächtigungstheorie bzw. Begriff der ursprünglichen Erwerbung eines Bodens (§ 14) steht damit vor der im Folgenden (§ 15) aufzulösenden Aufgabe, den reinen Allgemeinwillen, wie er im allgemeinen Rechtsgesetz bestimmend vorgestellt wird, in den besonderen Rechtsbegriff der Bemächtigung begrifflich zu vermitteln. Wie kann bzw. muss der im allgemeinen Rechtsgesetz (§ C Abs. 4) bzw. im allgemeinen Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) innerlich bestimmend bloß vorgestellte gesetzliche Allgemeinwille also auch außer des bloßen Begriffs, nämlich im äußeren Verhältnis der Rechtssubjekte unter diesem Begriff wirklich rechtlich bestimmend gedacht werden? Da sich die Wirklichkeitsvorstellung eines gesetzlichen Allgemeinwillens unter dem bloßen Begriff dieses gesetzlichen Allgemeinwillens in seiner Folge von der Vorstellung seines bloßen Begriffsinhaltes im Grunde unterscheidet, bedarf es einer dritten – begrifflich vermittelnden – reinen Rechtsvorstellung unter dem allgemeinen Rechtsbegriff, durch die der gesetzliche Allgemeinwille des bloßen Begriffs tätig und damit wirklich unter dem bloßen Begriff dieses gesetzlichen Allgemeinwillens vorgestellt wird. Diese die metaphysische Bestimmungstätigkeit des gesetzlichen

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Allgemeinwillens in die Wirklichkeit begrifflich vermittelnde Rechtsvorstellung unter dem allgemeinen Begriff des Rechts ist der ursprüngliche Vertrag aller Rechtssubjekte, in dessen rechtsbegrifflicher Folge der gesetzgebende Allgemeinwille der Rechtssubjekte unter dem allgemeinen Begriff des Rechts mit seiner begrifflichen Notwendigkeit selbst rechtlich bestimmt vorgestellt wird, weil sich die Rechtssubjekte in diesem nicht-privatrechtlichen Vertrag zu einem in ihrem äußeren Verhältnis gesetzgebenden Rechtssubjekt vereinigen. Also ist die einseitige Zueignung im Rahmen der Okkupationstheorie durch den Rechtsbegriff des ursprünglichen Vertrages mit dem rechtsbegründenden Allgemeinwillen zu vermitteln. Eben hierauf deutet die Erläuterung im ersten Klammerzusatz des § 14 Abs. 2 S. 2: „Derselbe Wille aber kann doch eine äußere Erwerbung nicht anders berechtigen, als nur so fern er in einem a priori vereinigten (d. i. durch die Vereinigung der Willkür Aller, die in ein praktisches Verhältniß gegen einander kommen können) absolut gebietenden Willen enthalten ist; […].“ Denn die tätige „Vereinigung der Willkür Aller, die in ein praktisches Verhältniß gegen einander kommen können“, ist rein begrifflich nichts anderes, als ein ursprünglicher Vertrag aller Rechtssubjekte. – Leitet die einseitige Bemächtigung dann hiervon im Grunde ihr Recht zum Privatbesitz eines bestimmten Bodens in der Folge ab,582 so handelt es sich dabei nicht um eine privatvertragliche Ableitung des Rechtsbesitzwillens bzw. des äußeren Privatrechtsbesitzes (im Sinne von § 10 Abs. 5 S. 3), sondern es liegt der Bemächtigung dann eine in ihrem Ursprung öffentlich-rechtliche Ableitung des allgemeinen Rechtsbesitzwillens zugrunde, der den realen Rechtsgrund zu allem abgeleiteten äußeren Privatrechtsbesitz unter sich in sich enthält. Begrifflich abgesehen von bzw. vor diesem realen Rechtsgrund alles abgeleiteten äußeren Privatrechtsbesitzes – d. h. im Naturzustand – lässt sich die ursprüngliche Erwerbung des Bodens dann als Bemächtigung völlig rein, aber nur im begrifflichen Ausgang von ihrem rein idealen Begriffsgrund (§ 14) und rein begrifflich auch nur im Hinblick (d. h. im ursprünglichen Wortsinn: provisorisch) auf den realen Rechtsgrund alles abgeleiteten äußeren Privatrechtsbesitzes rechtlich bestimmt denken, wovon sogleich auch § 15 handeln wird. dd) Die provisorisch-rechtliche Qualität einer Bemächtigung (Okkupation) im Naturzustand Vor der damit anstehenden gedanklichen Auseinandersetzung von § 15 ist hier jedoch zuvor nochmals festzuhalten, dass im rechtlichen Postulat der praktischen Vernunft (§ 2) im Grunde jener gesetzlicher Allgemeinwille des allgemeinen Rechtsgesetzes (§ C Abs. 4) praktisch sein muss, da durch das Postulat andernfalls kein reiner Allgemeinwille rein begrifflich in die ursprüngliche Erwerbung des Bodens vermittelbar wäre. Da diese Vermittlung insgesamt aber auf dem reinen praktischen Vernunftbegriff des ursprünglichen Vertrages im Allgemeinen (§§ 14 582

Siehe auch RL, AA VI: 266.28-37 (§ 15 Abs. 7).

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Abs. 2, 15 Abs. 7) bzw. wiederum seiner rein begrifflichen Vermittlung im Besonderen beruht, lässt sich für die Okkupations- und Rechtstheorie Immanuel Kants nicht gut „Kants Verabschiedung der Vertragstheorie“583 behaupten.584 Eine solche Verabschiedung findet sich allenfalls in einer eigentumstheoretischen Interpretation, weil dem reinen Allgemeinwillen darin insgeheim alle konstitutive Bedeutung für den äußeren Rechtsbesitz abgesprochen sein muss, wenn sich mit dem empirischen Verstand des Begriffs des provisorischen Besitzes ein vorstaatlich wirklich subsistentes Eigentumsrecht im Ausgang vom solitären Einzelwillen tatsächlich behaupten soll. Allerdings ist eine solche Marginalisierung des ursprünglichen Vertrages bzw. des darin als wirklich vorgestellten Gesetzesallgemeinwillens mit den Ausführungen Immanuel Kants auch in § 15 schlechterdings unvereinbar; und so ist es abermals nur sehr konsequent, dass Bernd Ludwig diesen § 15 in seiner reduzierten Vorstellung der Rechtslehre Immanuel Kants – wie hier erinnert werden muss – gänzlich der Tilgung anheimgegeben hat.585 In der eigentumstheoretischen Interpretation steht der darin begrifflich offenbar nicht durch Vereinigungstätigkeit, sondern schon durch wundersame Annahme der Interpreten gleichsam a priori vereinigte Wille des § 14 Abs. 2 dann auch seit jeher in einem merkwürdigen Gegensatz zu dem durch ursprünglichen Vertrag a priori vereinigten Willen (§ 47); so notiert etwa Wolfgang Kersting, begrifflich überdies zwischen dem Willen und der Willkür als dem vereinigtem Subjekt hin und her schwankend: „Somit treten an die Stelle des […] Vertrages in der Kantischen Philosophie des Eigentums die praktischen Vernunftideen des ursprünglichen Gesamtbesitzes und des in ihm vereinigten Willens aller a priori. Die Konstruktion der vereinigten Willkür a priori besitzt den Status einer notwendigen geltungstheoretischen Annahme.“586 § 15

Ist aller äußerer Rechtsbesitz im Naturzustand seiner rechtlichen Qualität nach nur als provisorisch, nämlich rein begrifflich alleine im Hinblick auf eine bürgerliche Verfassung der Privatrechtssubjekte rechtlich bestimmt denkbar (§§ 8, 9),587 dann kann es sich bei der zu diesem schon gewirkt vorgestellten äußeren Rechtsbesitz innerlich ursprünglich vorausgesetzten Erwerbshandlung nicht anders verhalten, sodass auch auch jede Erwerbshandlung im Naturzustand rein begrifflich nur im Hinblick (d. h. im ursprünglichen Wortsinn: provisorisch) auf eine bürgerliche Verfassung der Privatrechtssubjekte rechtlich bestimmt denkbar ist. § 15 titelt darum: „ N u r i n e i n e r b ü r g e r l i c h e n Ve r f a s s u n g k a n n e t w a s

583

So aber Ludwig, in: JRE 1 (1993), S. 221 ff. Berechtigte Kritik auch bei Geismann, Kant und kein Ende III (2012), S. 40 Fn. 138. 585 Siehe schon oben Fn. 550 m.w.N. 586 Kersting, Eigentum, in: Thompson (Hrsg.): John Locke und/and Immanuel Kant (1991), S. 109 (121); ferner auch ders., Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 204 ff. 587 Dazu ausführlich oben unter A. I. 4.c). 584

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

peremtorisch, dagegen im Naturzustande zwar auch, aber n u r p r o v i s o r i s c h e r w o r b e n w e r d e n . “588 § 15 Abs. 1

Hinter diesem Satz der Überschrift des § 15 steht die rechtsbegriffliche Einsicht, dass der in einer bürgerlichen Verfassung in Gesetzesform wirkliche Allgemeinwille das absolute589 Subjekt alles äußeren Rechts der Menschen ist, das allen äußeren Rechtsverhältnissen der Privatrechtssubjekte darin ihre praktische Notwendigkeit im Grunde vermittelt, weil die Freiheit (d. h. Privatautonomie) der einzelnen Rechtsperson in äußeren Relationen durch eben dieses absolute Subjekt allen äußeren Rechts allgemeingesetzlich, d. h. durch die absolute Vereinigung aller einzelnen Rechtssubjekte an sich selbst garantiert ist. Um willen dieser Autonomie (d. h. Selbstgesetzgebung) der Privatrechtssubjekte ist der in Gesetzesform wirkliche Allgemeinwille im äußeren Verhältnis praktisch notwendiger Selbstzweck alles äußeren Rechts in Gesetzen und die bürgerliche Verfassung ein praktisch notwendiger Zustand einer jeden einzelnen Rechtsperson, mithin für diese „objectiv, d. i. als Pflicht, nothwendig“590. Das in § 9 Abs. 1 S. 3 als ein natürliches Zwangsrecht des einzelnen Rechtssubjekts zur bürgerlichen Verfassung anerkannte Verhältnis zu seinesgleichen wird hier in § 15 Abs. 1 S. 1 darum nunmehr als intrapersonal gründende Rechtspflicht jedes einzelnen Rechtssubjekts unter seinem allgemeinen Rechtsgesetz in Ansehung des Besitzerwerbs äußerer Gegenstände angesprochen, und zwar, weil diese intrapersonal gründende Rechtspflicht mit dem Postulat des öffentlichen Rechts (§ 42 Abs. 1) stets schon unmittelbar bewusst und insofern rein rechtsbegrifflich-teleologisch wirkender Rechtfertigungsgrund des ganzen natürlichen Privatrechts vom äußeren Mein und Dein ist, das nur im Hinblick hierauf (d. h. provisorisch) rechtlich bestimmt denkbar ist.591 Eben diesen für das metaphysische Verständnis der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre maßgeblichen Umstand, dass alle äußere Besitzerwerbung im Naturzustand dem Postulat des öffentlichen Rechts (§ 42 Abs. 1) rein begrifflich subordiniert ist, hält § 15 Abs. 1 S. 2 ausdrücklich fest, wenn dieser von der bür588

RL, AA VI: 264.02-04. RL, AA VI: 263.23. 590 RL, AA VI: 264.05-60. 591 NB: Diese rein begriffliche Teleologie des gesamten natürlichen Privatrechts hin zum öffentlichen Recht ist keine solche (begründungstheoretisch unkritische) Teleologie, die den Zweck außerhalb des Mittels und damit die Mittel bloß zweckrational (utilitär) im Hinblick auf den Zweck setzt, sondern sie ist eine solche, die den Zweck (d. h. die bürgerliche Verfassung eines öffentlichen Rechts) rein begrifflich schon ursprünglich in die Mittel (des natürlichen Privatrechts) selbst setzt, sodass die Mittel stets nur innerhalb des ganzen Zwecks und durch ihn mit seiner Bestimmung als solche überhaupt allgemein bestimmt gedacht werden können. Die Mittel (des Privatrechts) sind mit dieser Bestimmung dann aber eben nicht Mittel zum Zweck (des öffentlichen Rechts), sondern sie sind Mittel (des Privatrechts) im Zweck (des öffentlichen Rechts) selbst, weil sie die ursprüngliche und allgemeine Bestimmung des Zwecks im Besonderen und Einzelnen vermitteln. 589

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gerlichen Verfassung als naturrechtlicher Rechtspflicht in Ansehung alles rechtlich möglichen äußeren Rechtsbesitzes der Gegenstände urteilt: „Mithin giebt es in Hinsicht auf dieselbe und ihre Stiftung ein wirkliches Rechtsgesetz der Natur, dem alle äußere Erwerbung unterworfen ist.“592 Die äußere Erwerbung im Naturzustand ist also rechtlich nur real möglich, weil die bürgerliche Verfassung schon an sich selbst rechtlich notwendig ist, und sie eben dadurch allem äußerem Erwerb im Hinblick auf sie selbst seine rechtliche Notwendigkeit wiederum begrifflich zu vermitteln vermag. Dagegen findet in der eigentumstheoretischen Interpretation offensichtlich die ungenierteste Verkehrung dieses wohl mittlerweile sogar nicht selten überlesenen Satzes statt, wenn sie behauptet, die bürgerliche Verfassung sei erst in der Folge als Mittel rechtlich notwendig, weil das Eigentum bzw. der äußere Rechtsbesitz im Naturzustand schon im Grunde für sich selbst nicht bloß rechtlich möglich, sondern an und für sich selbst sogar rechtlich notwendig und darum Zweck an sich selbst (d. h. eben praktisch notwendig) sei.593 Die eigentumstheoretische Interpretation degradiert den Staat bürgerlicher Verfassung somit zum profanen Mittel des im Naturzustand als Selbstzweck überhöhten Privateigentums, sodass dieser in Wahrheit bloß zweckrationale Not- und Verstandesstaat nicht länger als absoluter Selbstzweck alles äußeren Rechts begreiflich ist, mit der Folge, dass Privatrechtsund Staatsrechtssubjekt – ohne konstitutiv gedachten ursprünglichen Vertrag – auf alle Zeit in einem gründlichen Gegensatz befangen bleiben müssen. In einem eigentumstheoretischen Rechtsdenken müsste § 15 Abs. 1 S. 2 daher auch richtigerweise lauten: ,Mithin gibt es in Hinsicht auf das naturzuständliche Eigentum und seine Sicherung ein wirkliches Rechtsgesetz der Natur, dem alle bürgerliche Verfassung unterworfen ist.‘ Würde der Satz aber so lauten, so existierte im Naturzustand bereits unabhängig von aller bürgerlichen Verfassung tatsächlich ein innerlich gründlich von dieser Verfassung losgelöstes Eigentumsrecht in Zeitverhältnissen, das zeitlich vor seiner tatsächlichen Sicherung durch staatliche Gewalt nur insofern noch als provisorisch anzusehen wäre, und das durch staatliche Sicherstellung dann peremtorisch würde, sodass nur der peremtorische äußere Rechtsbesitz im Staat – nicht aber der provisorisch für sich selbst subsistierende äußere Rechtsbesitz im Naturzustand – die bürgerliche Verfassung (als Mittel zu seinem Zweck) für sich selbst voraussetzen würde. Eben dies ist das ausgesprochene Verständnis beispielsweise des Eigentumstheoretikers Kristian Kühl: „Wie schon bei der ersten Deduktion der Besitzlehre in den §§ 8, 9 die Existenz wirklichen Eigentums an die eines bürgerlichen Rechtszustandes gebunden wurde, so gilt dies nach § 15 auch für den peremtorischen Eigentumserwerb.“594 Die Überlegungen Immanuel Kants im weiteren Verlauf des § 15 (Abs. 2 – 4) kommen hingegen zu einer anderen Beurteilung, und zwar, weil sie schon in § 15 592 593 594

RL, AA VI: 264.06-08. Vgl. dazu kritisch oben unter A. I. 4. c) cc) m.w.N. Kühl, Eigentumsordnung als Freiheitsordnung (1984), S. 204.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Abs. 1 S. 2 – wie gesehen – eine völlig andere Auffassung vortragen, als uns dies eine eigentumstheoretische Auffassungsweise glauben machen möchte: § 15 Abs. 2595

Zu diesem Zweck reflektiert § 15 Abs. 2 den besonderen Besitzerwerb der ursprünglichen Erwerbung eines Bodens nochmals im Ausgang vom empirischen Gegenstand bzw. seiner Besitznehmung durch das einzelne Rechtssubjekt und mithin im Einklang mit den rechtlich prinzipiell-allgemein bestimmten Momenten des allgemeinen Begriffs der ursprünglichen Erwerbung gemäß § 10 Abs. 4. Demnach fungiert die physische Besitznehmung (§ 10 Abs. 4 S. 1 – 2) des empirischen Gegenstandes als der „ e m p i r i s c h e T i t e l der Erwerbung“. Da sie begrifflich für sich selbst aber nur einen empirischen Besitz des Bodens zur Folge haben kann, vermag die bloße Tatsache der empirischen Besitznehmung für sich selbst auch noch nicht rechtsbegründend bzw. verpflichtend im Interpersonalverhältnis zu wirken. Soll die empirische Inbesitznahme rechtsbegründend wirken, dann muss ihr begrifflich in ihrer Folge ein noumenaler Besitz des äußeren Gegenstandes zugesprochen werden können. Dies aber würde eine ebenso noumenale (rein intellektuelle) Inbesitznehmung durch das okkupierende Rechtssubjekt begrifflich voraussetzen, und eine solche rein rechtsbegriffliche und mithin rein allgemeingesetzliche Inbesitznahme müsste folglich schon in seiner Zueignung (§ 10 Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 S. 4 – 5 bzw. § 7 Abs. 1 S. 6) begründend vorausgesetzt sein: „,Was ich nach Gesetzen der äußeren Freiheit in meine Gewalt bringe und will, es solle mein sein, das wird mein‘.“ § 15 Abs. 3596

Dem vorstehenden Rechtssatz der Zueignung eines einzelnen Rechts- bzw. Willenssubjekts, das solitär für sich selbst kein äußeres subjektives Recht und keine dem korrespondierende äußere Pflicht in Verhältnis zu seinesgleichen zu gründen vermag, weil beides ein allgemeines Gesetz in demselben Verhältnis voraussetzt, muss also der schon in § 14 Abs. 2 S. 2 angesprochene reine Allgemeinwille in Gesetzesform innerlich begründend vorausgesetzt sein: „Der Ve r n u n f t t i t e l der Erwerbung aber kann nur in der Idee eines a priori vereinigten (nothwendig zu vereinigenden) Willens Aller liegen, welche hier als unumgängliche Bedingung (conditio sine qua non) stillschweigend vorausgesetzt wird; denn durch einseitigen Willen kann Anderen eine Verbindlichkeit, die sie für sich sonst nicht haben würden, nicht auferlegt werden.“ Schlechterdings unvereinbar mit diesem ersten Satz von § 15 Abs. 3 ist also die tatsächliche Eigentumsrechtsbehauptung im Naturzustand unabhängig von einem solchen allgemeinwillentlichen Vernunfttitel der Erwerbung, wie sie im empirisch 595

RL, AA VI: 264.09-16 (alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Absatz). 596 RL, AA VI: 264.17-28 (alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Absatz).

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

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reduzierten Wortverständnis des provisorischen Besitzes (Eigentums) gelegen ist. Vielmehr lässt sich aller äußerer Rechtsbesitz und mithin auch der diesem bereits zugrundeliegende äußere Rechtsbesitzerwerb im Naturzustand unter dem als allgemein gebrauchten Rechtsbegriff des § B Abs. 3 schon rein rechtsbegrifflich nur im Hinblick auf den darin bestimmend vorgestellten und durch ursprüngliche Vereinigung der Idee nach real zu bewirkenden Allgemeinwillen in Gesetzesform rechtlich bestimmt denken: „Der Zustand aber eines zur Gesetzgebung allgemein wirklich vereinigten Willens ist der bürgerliche Zustand. Also nur in Conformität mit der Idee eines bürgerlichen Zustandes, d. i. in Hinsicht auf ihn und seine Bewirkung, aber vor der Wirklichkeit desselben (denn sonst wäre die Erwerbung abgeleitet), mithin nur p r o v i s o r i s c h kann etwas Äußeres u r s p r ü n g l i c h erworben werden.“ Der ursprüngliche Erwerb des Bodens im Naturzustand ist also gemäß § 15 Abs. 3 S. 3 rein begrifflich nur im Hinblick auf den Begriff bürgerlicher Verfassung bzw. die darin rein ideell gedachte ursprüngliche Vereinigung aller Rechtssubjekte durch Vertrag und auch nur insofern, d. h. rein begrifflich, also im ursprünglichen (nichtempirischen) Wortsinn provisorisch real möglich, da der Naturzustand und aller Erwerb in ihm eine bloße Idee vorstellen, mithin kein reales Dasein an und für sich selbst außer ihrer bloßen Idee haben. In einer realen bürgerlichen Verfassung kann es darum auch an und für sich selbst keinen ursprünglichen Erwerb,597 sondern rein begrifflich an sich nur peremtorischen Erwerb geben, worauf § 15 Abs. 3 S. 4 hinweist: „Die p e r e m t o r i s c h e Erwerbung findet nur im bürgerlichen Zustande statt.“ § 15 Abs. 4

Die rechtlich provisorisch bestimmt real denkmögliche ursprüngliche Erwerbung des Bodens im Naturzustand ist demnach, obgleich an sich selbst niemals peremtorisch möglich, „eine wahre Erwerbung“598. Jedoch nicht etwa, weil sie (vermeintlich) ein empirisch wirkliches äußeres Besitzrecht zeitlich schon vor dem Staat bürgerlicher Verfassung in einem uranfänglichen Naturzustand zur Folge hätte, sondern, weil sie mit Blick auf den bürgerlichen Zustand rein begrifflich und damit bloß metaphysisch eine „wahre“ bzw. wirkliche Erwerbung im reinen Rechtsdenken vorstellt. Die provisorisch rechtlich mögliche ursprüngliche Erwerbung ist also schon im Naturzustand an sich selbst wahr, weil ihr Begriff im Naturzustand an sich 597 Das ist aus der hier entwickelten dezidiert metaphysischen Auffassung der Rechtslehre Immanuel Kants der wesentliche Kritikpunkt an der maßgeblich auf Kant gestützten Begriffsbildung Michael Köhlers, Recht und Gerechtigkeit (2017), S. 591 ff., der ursprünglichen Erwerb (freilich nicht am Boden, sondern anderen Rechtsgegenständen) im Rahmen seiner privatrechtlich gründenden Gerechtigkeitstheorie auch in bürgerlichen (öffentlich-rechtlichen) Verhältnissen gedacht wissen will. Der Kantische Begriff der Gerechtigkeit ist aber mit seiner metaphysischen Auffassung des provisorischen Erwerbs/Besitzes äußerer Gegenstände notwendig ein metaphysischer Begriff nicht der privaten, sondern der öffentlichen Gerechtigkeit (§ 41 Abs. 1). 598 RL, AA VI: 264.29.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

selbst wahr und wirklich ist – aber auch nicht mehr als dies. Demnach ist sie insbesondere nicht an sich selbst – sondern bloß begrifflich durch den ursprünglichen Vertrag in die empirische Realität außer des bloßen Begriffs vermittelt – auch außer des reinen Begriffs für alle abgeleitete Erwerbung wahr bzw. wirklich. Die besondere gedankliche Schwierigkeit, die der – wie vorstehend – bloß metaphysisch bestimmte Rechtsbegriff der ursprünglichen Erwerbung im reinen Rechtsdenken macht, und die nicht selten zu einer insgeheimen Hypostasierung der Tätigkeit sowie der Rechtsfolge der ursprünglichen Erwerbung in einem primär nicht an rein begriffliche Relationen, sondern an empirische Verhältnisse gewöhnten Denkvermögen führt, findet sich übrigens in einer Anmerkung (§ 15 Abs. 7) Immanuel Kants ausdrücklich benannt, die damit insbesondere kein verteilungspolitisches Problem anspricht: „Die Unbestimmtheit in Ansehung der Quantität sowohl als der Qualität des äußeren erwerblichen Objects macht diese Aufgabe (der einzigen ursprünglichen äußeren Erwerbung) unter allen zur schwersten sie aufzulösen.“599 Es ist also die vollständige Abstraktion von allen empirischen Bedingungen (d. h. Quantität und Qualität des empirischen Objekts) innerhalb dieser Erwerbsrelation von Subjekt und Objekt, die es für das menschliche Vorstellungsvermögen so schwer macht, sie in der metaphysischen Determination bzw. Konkretion ihrer inneren rein rechtsbegrifflichen Bedingungen an sich selbst vorzustellen. Den metaphysischen Vernunftbegriff der ursprünglichen Erwerbung bestimmt innerlich real (qualitativ) nämlich der a priori vereinigte und insofern als intelligibles Subjekt an und für sich selbst (quantitativ) unendlich allgemein bestimmte Wille des allgemeinen Rechtsbegriffs. Die synthetisch-progressive Begriffsreihe des ursprünglichen Rechtsbesitzerwerbs unter dem als bestimmend gebrauchten Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) lautet dabei: - Begriff des intelligiblen Besitzes (§ 6) - Begriff eines a priori vereinigten Willens (§§ 14 Abs. 2 S. 2, 15 Abs. 3 S. 1) - Begriff des ursprünglichen Gesamtbesitzes (§ 13 Abs. 2) - Begriff des ursprünglichen Vertrags (§§ 15 Abs. 3 S. 1, 15 Abs. 7, 47) - Begriff der bürgerlichen Verfassung (§ 8 Abs. 1 S. 7) - Begriff der ursprünglichen Erwerbung (§§ 10, 14) - Begriff des äußeren Mein und Dein (§ 5 Abs. 1 S. 2) - […] - Begriff des urspr. Bodenerwerbs (§§ 16, 17) - Begriff des Sachenrechts (§ 11)

599

RL, AA VI: 266.28-31.

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

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ee) Die Exposition des reinen Begriffs einer ursprünglichen Erwerbung des Bodens Nachdem die ursprüngliche Erwerbung zur vernunftbegrifflichen Entwicklung des metaphysischen Begriffs des Sachenrechts (§ 11) im konkreten Ausgang von ihrem physischen Gegenstand (§ 12) hinsichtlich ihres idealen Selbststandes (§ 13) sowie ihres allgemeinen Begriffs (§ 14) erörtert wurde, sodass ihr provisorischrechtlicher Charakter herausgearbeitet werden konnte (§ 15), ist nunmehr noch der reine praktische Vernunftbegriff der ursprünglichen Erwerbung eines Bodens, der von Quantität und Qualität des zu erwerbenden physischen Gegenstandes gänzlich abstrahiert (vgl. § 15 Abs. 7), verstandesanalytisch zu exponieren (§ 16), bevor dieser reine praktische Vernunftbegriff sodann mit Blick auf den rein begrifflichen Rechtsgrund zu seinem eigenen praktischen Gebrauch mit rein begrifflicher Wirklichkeit abschließend deduziert werden kann (§ 17). § 16

In der Überschrift des § 16 findet sich darum an dieser Stelle der vernunftbegrifflichen Entwicklung die folgende Ankündigung: „ E x p o s i t i o n d e s B e g r i f f s e i n e r u r s p r ü n g l i c h e n E r w e r b u n g d e s B o d e n s . “600 Weil diese Erörterung dabei allerdings – wie bemerkt – von Quantität und Qualität des physischen Erwerbsgegenstandes bzw. der physischen Erwerbshandlung gänzlich absehen muss (§ 15 Abs. 7), um den praktischen Vernunftbegriff einer ursprünglichen Erwerbung des Bodens völlig rein im Rechtsbewusstsein zum Zwecke seiner anschließenden Deduktion zu erhalten, wird sie selbst bloß eine sehr abstrakte und lediglich metaphysisch-konkrete Rechtsvorstellung systematisch zu einem deutlichem Bewusstsein erheben können, nämlich diejenige reine Rechtsvorstellung, die im Begriff der provisorischen Erwerbung im Naturzustand (§ 15 Abs. 3) schon allgemein begriffen wird. Möglicherweise ist dies dann auch eine Ursache, weshalb Bernd Ludwig, der den Inhalt von § 15 ja bekanntlich gänzlich tilgen und unter dessen Überschrift den von § 16 setzen möchte, im Rahmen seiner eigentumstheoretischen Editionspläne zuvor bekennen musste: „[…] Darüber hinaus tut man sich schwer, in § 16 eine „Exposition“ zu finden, wo der Paragraph von der ersten Zeile an direkt auf die „peremtorisch-provisorisch“-Frage zusteuert (vgl. § 9).“601 Im Übrigen wird man in der Exposition des § 16, mit der hier vorgetragenen Bestimmung ihrer Aufgabe innerhalb der vernunftbegrifflichen Entwicklung des Sachenrechts, keine bloß aggregierte Zusammenfassung der bisherigen Überlegungen (§§ 12 – 15) zu ihren einzelnen Momenten finden.602

600

RL, AA VI: 267.02-03. Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 72. 602 Vgl. aber beispielsweise Friedrich, Eigentum und Staatsbegründung (2004), S. 151; ferner auch Buchda, Das Privatrecht Immanuel Kants (1929), S. 44; oder Rühl, Kants Deduktion des Rechts als intelligibler Besitz (2010), S. 107. 601

412

7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Wie jede verstandsanalytische Exposition eines a priori dem Verstand durch die reine praktische Vernunft zur extensiven Verdeutlichung gegebenen Begriffs, zerfällt auch diejenige des § 16 der Sache in die vier Verstandesmomente von Modalität, Relation, Qualität und Quanität.603 Dabei ist klar, das der metaphysische Begriff der ursprünglichen Erwerbung als reiner praktischer Rechtsbegriff – seiner Modalität nach – in seiner synthetischen Vorstellungskraft praktische Notwendigkeit besitzt, sodass in der Folge noch seine Deduktion erforderlich sein wird (§ 17). Die Textgestalt der verstandsanalytischen Exposition des § 16 beschränkt sich darum auf die drei Verstandesmomente der Relation, Qualität und Quantität im reinen praktischen Vernunftbegriff einer ursprünglichen Erwerbung des Bodens: § 16 Abs. 1604

Innerhalb des ersten Absatzes handelt der erste Textabschnitt (vor dem Spiegelstrich) von der Relation, während der zweite Textabschnitt (nach dem Spiegelstrich) von der Qualität im reinen praktischen Vernunftbegriff einer ursprünglichen Erwerbung des Bodens handelt: Erster Abschnitt

Der konkrete Begriff der ursprünglichen Erwerbung enthält in sich die allgemeine Vorstellung der kausal-erwerbshandelnden Relation eines einzelnen Willenssubjekts zu einem noch nicht erworbenen Stück Erdboden. Der zu exponierende abstrakte Begriff der ursprünglichen Erwerbung enthält in sich dagegen lediglich die allgemeine Vorstellung von einer sachenrechtlichen Erwerbshandlung eines Willenssubjekts, durch die in ihrer metaphysischen Relation der rein praktisch ideale Zustand eines ursprünglichen Gesamtbesitzes aller Menschen am Erdboden im Grunde mit dem ideal gedachten Zustand einer bürgerlichen Verfassung der Erwerbssubjekte auf dem Boden in der Folge praktisch-notwendig verbunden ist. – Da sich diese Relation für das Erwerbswillenssubjekt in ihrer praktischen Notwendigkeit qualitativ als eine reale Pflichtrelation verdeutlichen wird (dazu der zweite Abschnitt), behandelt der erste Abschnitt diese abstrakte und doch zugleich reale Pflichtrelation in seinen beiden Sätzen nach den drei in ihr schlüssig eingeteilt vorzustellenden allgemeinen Rechtspflichtmomenten (lex iusti/ lex iuridica/lex iustitiae)605, die diese Pflichtrelation des reinen Begriffs einer ursprünglichen Erwerbung ursprünglich in ihrer begrifflich-schlüssig vermittelten Einheit gedanklich konstituieren: Die innerlich real bestimmende Grundvorstellung im reinen Begriff eines ursprünglichen Erwerbs des Bodens bildet der Gesamtbesitz des Bodens: „Alle Menschen sind ursprünglich in einem G e s a m m t - B e s i t z des Bodens der 603

Siehe dazu methodologisch nochmals oben unter C. I. im dritten Kapitel. RL, AA VI: 267.04-23 (alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Absatz). 605 RL, AA VI: 236.24-237.08. 604

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ganzen Erde (communio fundi originaria) […].“ Dabei enthält diese naturzuständliche Rechtsvorstellung in ihrer so gedanklich isolierten Statik einen idealen ursprünglichen Besitz-, und damit auch Rechtszustand aller Menschen auf dem Erdboden. Ein Rechtsproblem im Ausgang von dieser ursprünglichen Gesamtbesitzvorstellung entsteht also erst durch die zusätzliche dynamische Vorstellung äußerer Handlungen der Menschen als einzelnen Rechtssubjekten, durch die jeweils ein Teil des objektiv bestehenden Gesamtbesitzes in subjektiv bestehenden Einzelbesitz überführt werden soll. Da ein menschliches Subjekt aber kraft Geburt in äußere Verhältnisse mit seinesgleichen auf dem Erdboden gesetzt wird, und es sich als Rechtssubjekt unter seinem allgemeinen Rechtsgesetz ursprünglich kraft innerer – intrapersonaler – Rechtspflicht (lex iusti) in Verhältnis zu seinesgleichen als Rechtsperson zu behaupten sich selbst gegenüber verpflichtet ist, darf es sich seinem eigenen Dasein in äußeren Verhältnissen auf dem Erdboden nicht verweigern, und ist also auf einen individuellen Teil des objektiv bestehenden Gesamtbesitzes subjektiv angewiesen.606 Der erste Satz von § 16 Abs. 1 setzt sich darum zunächst wie folgt fort: „Alle Menschen sind ursprünglich in einem G e s a m m t - B e s i t z des Bodens der ganzen Erde (communio fundi originaria) mit dem ihnen von Natur zustehenden W i l l e n (eines jeden) denselben zu gebrauchen (lex iusti), […].“ Mit diesem natürlichen (intrapersonalen) Willen eines jeden menschlichen Rechtssubjekts zum individuellen Gebrauch des Erdbodens beginnt dann innerhalb der naturzuständlichen Vorstellung des ursprünglichen Gesamtbesitzes des Erdbodens rein gedanklich das allgemeingesetzlich aufzulösende Divisions- und (interpersonale) Rechtsproblem im Hinblick auf die in äußeren Handlungen der Menschen gemeinsam geteilte Welt. Enthielte der ursprüngliche Gesamtbesitz aber nur das Rechtsproblem und nicht zugleich auch das Rechtsprinzip der Auflösung in sich, so wäre ein einzelnes Rechtssubjekt kraft seiner inneren – intrapersonalen – Rechtspflicht gezwungen, sich im äußeren Verhältnis zu seinesgleichen und damit im Hinblick auf seine äußere – interpersonale – Rechtspflicht (lex iuridica) ins Unrecht zu setzen.607 Vollständig lautet § 16 Abs. 1 S. 1 dann: „Alle Menschen sind ursprünglich in einem G e s a m m t - B e s i t z des Bodens der ganzen Erde (communio fundi originaria) mit dem ihnen von Natur zustehenden W i l l e n (eines jeden) denselben zu gebrauchen (lex iusti), der wegen der natürlich unvermeidlichen Entgegensetzung der Willkür des Einen gegen die des Anderen allen Gebrauch desselben aufheben würde, wenn nicht jener zugleich das Gesetz für diese enthielte, nach welchem einem jeden ein b e s o n d e r e r B e s i t z auf dem gemeinsamen Boden bestimmt werden kann (lex iuridica).“ Sollen innere – intrapersonale – und äußere – interpersonale – Rechtspflicht also im Ausgang vom ursprünglichen Gesamtbesitz des Bodens in besonderer Ansehung 606

Siehe zur Auseinandersetzung der intrapersonalen Rechtspflicht schon oben unter A. I. 1. im sechsten Kapitel. 607 Siehe zur Auseinandersetzung der interpersonalen Rechtspflicht schon oben unter A. I. 2. im sechsten Kapitel.

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des äußeren Erwerbs eines bestimmten Bodens nicht in einem unaufgehobenen Gegensatz befangen bleiben, sondern allseitig miteinander in einer gesetzlichen Vorstellung vereinbar sein, so müssen beide im Ausgang vom allgemeinen Prinzip des ursprünglichen Gesamtbesitzes des Bodens schlüssig miteinander in einer begrifflichen Einheit besonders vermittelbar sein, und zwar nach der allgemeinen Form, in der auch die bereits bloß allgemein eingeteilten Rechtspflichtarten unter dem allgemeinen Rechtsbegriff schlüssig miteinander vermittelbar waren.608 Es bedarf dann zur Vermittlung innerer und äußerer Rechtspflicht einer rechtsgesetzlichen Vorstellungs- bzw. Repräsentationsinstanz, die ihren begrifflichen Ausgang vom Prinzip des Rechts der Menschheit, d. h. von dem im allgemeinen Rechtsgesetz innerlich unendlich-allgemein bestimmenden gesetzlichen Allgemeinwillen nimmt, und auf diese Weise in ihrem reinen praktischen Begriff selbst nur ideal als reiner Allgemeinwille in Gesetzesform vorzustellen ist. Dieser reine Allgemeinwille eines den Boden austeilenden Gesetzes (lex iustitiae) muss dann allgemein schon im ursprünglichen Gesamtbesitz des Bodens enthalten sein, wenn dieser ursprüngliche Gesamtbesitz das allgemeine Rechtsprinzip der Auflösung des mit dem rechtlich intrapersonal verpflichteten Einzelwillen besonders beginnenden Divisionsproblems in Ansehung des Erdbodens enthält. Da jedoch nur in einer bürgerlichen Verfassung ein äußeres Gesetz existiert, durch das die einzelnen Rechtssubjekte darunter in Ansehung äußerer Gegenstände in ihren äußeren Verhältnissen durch einen Allgemeinwillen rechtlich wechselseitig miteinander verbunden sind, ist es der – insofern besondere – reine praktische Rechtsbegriff einer bürgerlichen Verfassung, der diesen reinen Allgemeinwillen eines den Boden austeilenden Gesetzes, das aus dem – insofern allgemeinen – Prinzip des ursprünglichen Gesamtbesitzes hervorgehen muss, in sich enthält. Der ideale Zustand des ursprünglichen Gesamtbesitzes des Erdbodens ist also im Grunde der hier in § 16 Abs. 1 zu exponierenden Relation des abstrakten Begriffs der ursprünglichen Erwerbung rein begrifflich mit dem idealen Zustand einer bürgerlichen Verfassung in der Folge verbunden, weil der reine praktische Begriff der ursprünglichen Erwerbung zunächst den reinen praktischen Begriff der bürgerlichen Verfassung, und dann darin wiederum – noch allgemeiner – den reinen praktischen Begriff des ursprünglichen Gesamtbesitzes des Erdbodens als rein begriffliche Realbedingung für sich selbst über sich selbst in sich selbst voraussetzt.609 § 15 Abs. 1 S. 2 bringt diesen Umstand rein begrifflicher Verknüpfung in der Sache selbst zur Geltung: „Aber das austheilende Gesetz des Mein und Dein eines jeden am Boden kann nach dem Axiom der äußeren Freiheit nicht anders als aus einem u r s p r ü n g l i c h und a priori vereinigten Willen (der zu dieser Vereinigung keinen rechtlichen Act voraussetzt), mithin nur im bürgerlichen Zustande hervorgehen (lex iustitiae distributivae), der allein, was r e c h t , was r e c h t l i c h und was R e c h t e n s ist, bestimmt.“ 608

Siehe dazu – gegen die gedanklichen Verkürzungen eines im Grunde bloß interpersonalen Rechtsdenkens – oben unter A. I. 3. sowie A. II. im sechsten Kapitel. 609 Vgl. dazu auch die oben vor ee) genannte progressiv-synthetische Begriffsreihe des ursprünglichen Rechtsbesitzerwerbs.

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Allerdings bedarf der in dieser Hinsicht wohl noch sehr verdichtet vorgetragene Satz zu einem besseren Verständnis noch weiterer Erörterung: Dabei ist zunächst darauf hinzuweisen, dass das rein begrifflich im ursprünglichen Gesamtbesitz gründende und den Boden austeilende Gesetz nur im bürgerlichen Zustand tatsächlich hervorgehen kann, weil alleine darin ein äußerer und sie allgemein verbindender Gesetzgeber der Privatrechtssubjekte auf dem Erdboden gedacht wird. Insofern kommt in der bürgerlichen Verfassung das allgemeine autonomietheoretische Problem rechtlicher Verpflichtung im äußeren Verhältnis (lex iusti vs. lex iuridica) in besonderer Betrachtung der notwendigen Teilung des Erdbodens zu einer gesetzlichen Auflösung (lex iustitiae). Andernfalls müsste die interpersonale Verpflichtung im Hinblick auf die notwendig vorzunehmende Teilung des Erdbodens im Ausgang bloß vom einzelnen Rechtssubjekt (der Okkupation) gedacht werden, sodass die angeborene Unabhängigkeit aller anderen Rechtssubjekte auf dem Erdboden von fremder Willkür durch die Okkupation nach dem „Axiom“610 der Freiheit bzw. des Rechts gründlich vertilgt würde. Also vermag nur der im bürgerlichen Gesetz rein begrifflich bestimmend vorgestellte Allgemeinwille das Rechtsproblem interpersonaler Verpflichtung im Rahmen des gesamten Weltzugriffs zu lösen, und zwar, weil darin eine im rein begrifflichen Grunde intrapersonal gründende äußere Gesetzgebung gedacht wird, in der die einzelnen Rechtssubjekte in Ansehung ihrer interpersonalen Verhältnisse selbst gesetzgebend (d. h. autonom) sind.611 Deshalb ist sodann der vielleicht nicht unwichtige Hinweis erlaubt, dass dieser im bürgerlichen Gesetz der Distribution des Bodens rein begrifflich real bestimmend vorgestellte Allgemeinwille ein „ u r s p r ü n g l i c h und a priori vereinigte[r] Wille[]“ ist, weil er durch den im reinen praktischen Vernunftbegriff bürgerlicher Verfassung innerlich als real bestimmend vorausgesetzten reinen praktischen Vernunftbegriff des ursprünglichen Gesamtbesitzes rechtlich real bestimmt gedacht wird. Dieser Allgemeinwille bedarf also für sich selbst keiner tatsächlichen vertraglichen Vereinigung der einzelnen Willenssubjekte und ist also insofern ein solcher, „der zu dieser Vereinigung keinen rechtlichen Act voraussetzt“. Allerdings kann der reine Allgemeinwille im bürgerlichen Gesetz nur durch den reinen praktischen Vernunftbegriff des ursprünglichen Kontrakts der Rechtssubjekte zu einem gesetzgebenden Allgemeinwillen – rein ideal – vereinigt gedacht werden, weil der reine praktische Vernunftbegriff der bürgerlichen Verfassung eben diesen Mittelbegriff im Rahmen der begrifflichen Vermittlung des ihn bestimmenden reinen Vernunftbegriffs des ursprünglichen Gesamtbesitzes in sich selbst voraussetzt.612 Die zum Zwecke der Begründung des bürgerlichen Allgemeinwillens in Gesetzen ideal gedachte Vereinigungshandlung ist an sich selbst eben nur eine rein begriffliche 610

Vgl. zu diesem Begriff die Auseinandersetzung zu § 6 Abs. 2 unter A. I. 3. a) aa). Vgl. MS, AA VI: 223.25-31. 612 Vgl. auch dazu die oben vor ee) genannte progressiv-synthetische Begriffsreihe des ursprünglichen Rechtsbesitzerwerbs. 611

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Denkhandlung des reinen Rechtsdenkens, nicht aber an sich selbst auch eine äußere Rechtshandlung, d. h. sie ist kein Rechtsakt. Gleichwohl bzw. gerade deshalb sind alle äußeren Rechtsakte der Privatrechtssubjekte in ihrem wechselseitigen Verhältnis – in fortzusetzender begrifflicher Vermittlung – schließlich erst unter dem innerlich rein ideal vorgestellten Begriff und Allgemeinwillen bürgerlicher Verfassung rechtlich bestimmt begreifbar. Denn dieser reine Allgemeinwille des bürgerlichen Gesetzes der ursprünglich vereinigt vorgestellten Privatrechtssubjekte bestimmt – was die privatrechtsspezifische Interpretation geflissentlich unterschlägt – insofern „alleine“ im äußeren Verhältnis der Privatrechtssubjekte,613 „was r e c h t , was r e c h t l i c h und was R e c h t e n s ist“, weil das Recht durch ihn nicht nur im Grunde rein begrifflich (,was an sich recht ist‘), sondern in der tatsächlichen Folge seiner Bestimmung in positiven Gesetzen auch empirisch wirklich (,was Rechtens ist‘) gedacht wird, da in ihm ursprünglich der Begriff des intelligiblen Besitzes praktisch ist,614 der in seiner synthetischen Vorstellungskraft von allen tatsächlichen Bedingungen der rechtsbegrifflich bestimmten Relation abstrahiert.615 Die Relation im reinen praktischen Vernunftbegriff der ursprünglichen Erwerbung enthält nach alledem in sich die rein begriffliche Auflösung des autonomietheoretischen Problems interpersonaler Verpflichtung in Ansehung des Bodens als der zunächst ungeteilten Weltsubstanz. Da die Vorstellung dieser Relation der ursprünglichen Erwerbshandlung eines einzelnen Willenssubjekts dabei innerlich auf der schlüssigen Subordination der in ihr vorausgesetzten reinen praktischen Vernunftbegriffe vom ursprünglichen Gesamtbesitz des Erdbodens und einer bürgerlichen Verfassung beruht, stellt sich das Subjekt des reinen praktischen Vernunftbegriffs der ursprünglichen Erwerbung diese beiden darin schlüssig vorausgesetzten reinen praktischen Vernunftbegriffe ursprünglich selbst in ihrer begrifflichen Verbindung praktisch-notwendig vor. Die bürgerliche Verfassung ist demnach für dieses Begriffssubjekt rein begrifflich ein praktisch-notwendiger Zustand eines jeden einzelnen Rechtssubjekts des reinen praktischen Vernunftbegriffs der ursprünglichen Erwerbung, sodass in diesem reinen praktischen Vernunftbegriff der ursprünglichen Erwerbung bzw. in seiner praktisch-notwendigen Relation qualitativ nichts anderes als die naturrechtliche Rechtspflicht zum öffentlichen Recht a priori rein rechtsbegrifflich bestimmt verfasst ist. Hiervon handelt § 16 Abs. 1 S. 3: Zweiter Abschnitt

Ihrer Qualität nach stellt die praktisch-notwendige Relation im reinen praktischen Vernunftbegriff einer ursprünglichen Erwerbung des Bodens die rein rechtsbegrifflich bestimmte Pflicht zum öffentlichen Recht vor, die an sich selbst grundsätzlich im Postulat des öffentlichen Rechts (§ 42 Abs. 1) verfasst ist, sodass dieses Postulat im reinen praktischen Vernunftbegriffs des ursprünglichen Erwerbs inner613

Vgl. etwa Kühl, Eigentumsordnung als Freiheitsordnung (1984), S. 219 f. Vgl. vorstehende Fn. 612. 615 Siehe im hiesigen Zusammenhang dazu RL, AA VI: 259.04-11 (§ 10 Abs. 4 S. 5), 253.27-36 (§ 7 Abs. 1 S. 6), 229.18-230.04 (§ B Abs. 1 S. 1 – 2), 306.08-16 (§ 41 Abs. 1 S. 2). 614

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lich bestimmend vorausgesetzt ist, mit der Folge, dass alle ursprüngliche Erwerbung bloß provisorisch, d. h. nur im Hinblick auf das öffentliche Recht rechtlich bestimmt real möglich ist. Die rechtlich reale Möglichkeit der ursprünglichen Erwerbung folgt somit rein begrifflich aus der praktischen Notwendigkeit der bürgerlichen Verfassung des öffentlichen Rechts; d. h. die praktische Notwendigkeit der bürgerlichen Verfassung folgt insbesondere nicht umgekehrt – wie in der privatrechtsspezifischen Auffassung – aus der für sich selbst vermeinten praktischen Notwendigkeit der ursprünglichen Erwerbung bzw. des Eigentums. Denn eine Pflicht (zur bürgerlichen Verfassung) folgt niemals aus einer Erlaubnis (zur ursprünglichen Erwerbung), wohl aber kann eine Erlaubnis (zur ursprünglichen Erwerbung) aus einer Pflicht (zur bürgerlichen Verfassung) resultieren. – Keinen anderen als den zuvor exponierten Sachverhalt formuliert dann auch § 16 Abs. 1 S. 3: „In diesem Zustand [des ursprünglichen Gesamtbesitzes] aber, d. i. vor Gründung und doch in Absicht auf denselben [den ursprünglich und a priori vereinigten Willen], d. i. p r o v i s o r i s c h , nach dem Gesetz der äußeren Erwerbung zu verfahren, ist P f l i c h t , folglich auch rechtliches Ve r m ö g e n des Willens jedermann zu verbinden, den Act der Besitznehmung und Zueignung, ob er gleich nur einseitig ist, als gültig anzuerkennen; mithin ist eine provisorische Erwerbung des Bodens mit allen ihren rechtlichen Folgen möglich.“616 Ist der reine praktische Vernunftbegriff einer ursprünglichen Erwerbung des Bodens demnach als der begriffliche Grund der naturrechtlichen Pflicht zum öffentlichen Recht anzusehen, dann liegt hierin eine praktische Erkenntnis a priori, weil damit der metaphysische Grund zu einem kategorischen Imperativ des äußeren Rechts überhaupt mit begrifflich-praktischer Notwendigkeit erkannt im Rechtsbewusstsein vorliegt. An dieser Stelle des Gedankens beglaubigt sich somit die im dritten Kapitel herausgearbeitete Aufgabe einer philosophisch-praktischen Erkenntnis aus reinen Vernunftbegriffen (Ideen), nach der in einer Metaphysik des Rechts lediglich rein begriffliche Gründe zu möglichen kategorischen Imperativen des Rechts, nicht aber diese Imperative in ihrer Materialität selbst erwartet werden dürften,617 weshalb sich hier im metaphysischen Sachenrecht Immanuel Kants dann auch kein kategorischer Imperativ des Eigentums findet, obgleich uns dies eine eigentumstheoretische Interpretation unbedingt glauben machen möchte. § 16 Abs. 2

Ihrer Quantität nach beruht die praktisch-notwendige Pflicht zum öffentlichen Recht in der Relation des reinen praktischen Vernunftbegriffs einer ursprünglichen Erwerbung des Bodens auf dem reinen allgemeingesetzlichen Willen, der im reinen praktischen Begriff der bürgerlichen Verfassung, damit aber auch im Postulat des öffentlichen Rechts und somit schließlich auch im rechtlichen Postulat der praktischen Vernunft mitsamt seinem Erlaubnisgesetz innerlich als bestimmend rein be616 617

RL, AA VI: 267.17-23 (Klammerzusatz der Begriffsbezüge durch Verf.). Siehe dazu unter C. IV. im dritten Kapitel.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

grifflich vorausgesetzt ist.618 Darum gilt von dieser im Hinblick auf die bürgerliche Verfassung ursprünglichen Erwerbung der Satz: „Eine solche Erwerbung aber bedarf doch und hat auch eine G u n s t des Gesetzes (lex permissiva) in Ansehung der Bestimmung der Grenzen des rechtlich-möglichen Besitzes für sich: weil sie vor dem rechtlichen Zustande vorhergeht und, als bloß dazu einleitend, noch nicht peremtorisch ist, welche Gunst sich aber nicht weiter erstreckt, als bis zur Einwilligung A n d e r e r (Theilnehmender) zu Errichtung des Letzteren, bei dem Widerstande derselben aber in diesen (den bürgerlichen) zu treten, und so lange derselbe währt, allen Effect einer rechtmäßigen Erwerbung bei sich führt, weil dieser Ausgang auf Pflicht gegründet ist.“619 ff) Die Deduktion des reinen Begriffs der ursprünglichen Erwerbung Nachdem der praktische Vernunftbegriff einer ursprünglichen Erwerbung des Bodens im Hinblick auf seinen rein begrifflichen bzw. rein metaphysischen Inhalt, d. h. gänzlich abstrahiert von Quanität und Qualität des empirischen Erwerbsgegenstandes (Boden) unter ihm, verstandesanalytisch exponiert wurde, steht dieser reine Begriff der ursprünglichen Erwerbung nunmehr zur Deduktion an. Denn gerade da es sich bei ihm um eine reine Vernunftidee handelt, die in ihrem reinen Begriffsinhalt von allem empirisch bestimmten Gegenstand unter ihm abstrahiert, ist bis zum Nachweis einer ihrerseits selbst schon apodiktisch gewissen Gebrauchsbefugnis unklar, ob von dieser reinen Idee mit ihrem rein metaphysischen Begriffsinhalt auch ein konkreter praktischer Gebrauch mit Recht in äußeren (empirischen) Verhältnissen der Menschen gemacht werden darf bzw. ob diese reinen Vernunftidee überhaupt einen praktischen empirischen Gegenstandsbezug hat. § 17 kündigt aus diesem Grund nicht etwa eine Deduktion der ursprünglichen Erwerbung selbst, die ohnehin nur durch ihren Begriff real möglich sein kann, sondern die „ D e d u c t i o n d e s B e g r i f f s d e r u r s p r ü n g l i c h e n E r w e r b u n g “ 620 an.621

618 Zum Verhältnis der beiden Postulate (§ 2 und § 42 Abs. 1) in Relation zum Postulat des allgemeinen Rechtsgesetzes (§ C Abs. 4) siehe oben unter B. im vierten Kapitel. 619 RL, AA VI: 267.24-32. 620 RL, AA VI: 268.02. 621 Während also die Exposition des Begriffs der ursprünglichen Erwerbung (§ 16) auf ein extensiv deutliches Bewusstsein des metaphysischen Begriffsinhalts gerichtet war (sog. Verstandesdeutlichkeit), richtet sich die Deduktion des Begriffs der ursprünglichen Erwerbung (§ 17) auf den Nachweis der möglichen Realität des metaphysischen Begriffsumfangs. Da dies aber – wie sogleich in Auseinandersetzung von § 17 Abs. 1 ausführlich zu erörtern ist – nur durch Aufweis der rein begrifflichen Realbedingung im Begriff der ursprünglichen Erwerbung geleistet werden kann, ist die Deduktion des Begriffs der ursprünglichen Erwerbung zuletzt auf ein intensiv deutliches Bewusstsein des Begriffs der ursprünglichen Erwerbung gerichtet (sog. Vernunftdeutlichkeit).

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§ 17 Abs. 1

Während § 17 Abs. 1 S. 1 in diesem Rahmen zunächst ein Resümee der bisherigen vernunftbegrifflichen Entwicklung der ursprünglichen Erwerbung enthält, referiert § 17 Abs. 1 S. 2 – hierauf aufbauend – die im Folgenden noch zu lösende Aufgabe einer Deduktion des reinen Begriffs der ursprünglichen Erwerbung. Denn der unter ihm konkret mögliche praktische Gegenstandsbezug des reinen Vernunftbegriffs der ursprünglichen Erwerbung kann insofern nicht mehr zweifelhaft sein, als dieser physische Gegenstandsbezug unter der Vorstellung der ursprünglichen Erwerbung bereits zuvor begrifflich erörtert wurde. Da aber im Ausgang von der begrifflich bestimmten Vorstellung des physischen Gegenstandes einer ersten sachenrechtlichen und damit ursprünglichen Erwerbung (§ 12), und zwar mit dem ursprünglichen Gesamtbesitz (§ 13 Abs. 2) sowie der Bemächtigung (§ 14), sowohl der ideale Erwerbstitel (§ 13 Abs. 2) als auch die Art der Erwerbshandlung (§ 14) bereits im begrifflich konkreten Gegenstandsbezug entwickelt wurden (§ 17 Abs. 1 S. 1),622 betrifft die noch verbleibende Unklarheit – und mit ihr die Deduktion – im konkreten Gegenstandsbezug des reinen Begriffs der ursprünglichen Erwerbung lediglich noch die Rechtsbesitzfolge, die aus der auf dem idealen Erwerbstitel basierenden Bemächtigungshandlung unter dem reinen praktischen Begriff der ursprünglichen Erwerbung resultieren soll (§ 17 Abs. 1 S. 2). Wie kann die Deduktion des reinen praktischen Vernunftbegriffs der ursprünglichen Erwerbung, die einen intelligiblen (rein sachenrechtlichen) Besitz des Bodens als einem besonderen äußeren Mein und Dein unter sich zu ihrer begrifflichen Rechtsfolge haben soll, zum jetzigen Punkt der vernunftbegrifflichen Entwicklung noch aussehen? Weil die rein begriffliche Realbedingung im allgemeinen reinen praktischen Vernunftbegriff des äußeren Mein und Dein (§ 5 Abs. 1 S. 2), gemäß den praktischen Erkenntnissen des ersten Hauptstücks der natürlichen Privatrechtslehre, der dort hinreichend deduzierte reine Vernunftbegriff des Rechtsbesitzes (§ 6) überhaupt ist, muss dieser oberste reine praktische Rechtsbesitzbegriff der synthetisch-progressiven Begriffsreihe des äußeren Rechtsbesitzes auch rein begriffliche Realbedingung in den besonderen reinen praktischen Rechtsbegriffen des äußeren Mein und Dein, mithin auch im reinen praktischen Vernunftbegriff des Sachenrechts (§ 11 Abs. 2 S. 1) sein. Dann aber ist der reine Begriff des intelligiblen Besitzes als rein begriffliche Realbedingung auch in allen zwischen ihm selbst und dem reinen Begriff 622 Diese begrifflichen Bezüge innerhalb von § 17 Abs. 1 S. 1 auf die §§ 13 ff. stellt zutreffend auch Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 73 heraus. Allerdings kann ihm nicht in seinem für die Eingriffe in die §§ 10 – 17 mitunter maßgeblichen Urteil gefolgt werden, § 15 Abs. 2 fasse – entgegen §§ 13, 14 und 17 – die dem Titel (ursprünglichen Gesamtbesitz) und der Erwerbsart (Bemächtigung) zugeordneten Bestimmungen unter dem dort angesprochenen empirischen Titel der ursprünglichen Erwerbung zusammen, denn die bloße Apprehension (§ 10 Abs. 4 S. 1 – 2) gründet auch nach § 15 Abs. 2 nicht den ursprünglichen Erwerb, sondern nur die darin nach Vernunfttitel und Erwerbsart begrifflich vorauszusetzende intellektuelle Besitznehmung.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

des Sachenrechts subordiniert liegenden begrifflichen Vermittlungsschritten praktisch, d. h. er ist insbesondere im reinen Begriff des Gesamtbesitzes als unmittelbarer Realbedingung des Sachenrechtsbegriffs (§§ 11 Abs. 2 S. 1, 13 Abs. 2), und mithin auch im reinen Begriff des ursprünglichen Erwerbs (§ 16 Abs. 1) als mittelbarer Realbedingung des Sachenrechtsbegriffs praktisch. Denn die Bemächtigungshandlung (§ 14) einer ursprünglichen Erwerbung verbindet das daraus folgende Sachenrecht (§ 11 Abs. 2 S. 1) mit dem ursprünglichen Gesamtbesitz (§ 13 Abs. 2), der in sich den Vernunfttitel der ursprünglichen Erwerbung enthält. Wenn also der reine praktische Begriff des intelligiblen Besitzes (§ 6) rein begrifflich in allen ihm selbst bis zum reinen Begriff des Sachenrechts (§ 11 Abs. 2 S. 1) subordinierten Begriffen praktisch sein muss, dann muss er insbesondere auch in der rein begrifflichen Rechtsfolge des Begriffs der ursprünglichen Erwerbung praktisch sein, weil diese ein Sachenrecht (ius in re) am Boden zur Folge hat und insofern in dieser rein begrifflichen Rechtsfolge den reinen Sachenrechtsbegriff (ius reale) für sich selbst voraussetzt. Demnach muss die Vorstellung des intelligiblen Besitzes in der sachenrechtlichen Rechtsfolgevorstellung der ursprünglichen Erwerbung enthalten sein, weil es sich beim reinen Begriff der ursprünglichen Erwerbung des Bodens um einen besonderen Fall der Anwendung des Begriffs des intelligiblen Besitzes (§ 7) handelt (vgl. § 7 Abs. 2). Folglich besteht im begrifflich (d. h. akroamatisch) entwickelten Nachweis dieses Sachverhalts, dass nämlich in der rein begrifflichen Rechtsfolgevorstellung der ursprünglichen Erwerbung die allgemeine Vorstellung des intelligiblen Besitzes in einem besonderen einzelnen Fall enthalten ist, die Deduktion des reinen praktischen Begriffs der ursprünglichen Erwerbung (§ 17 Abs. 1 S. 2): „Nun ist noch nöthig die E r w e r b u n g selbst, d. i. das äußere Mein und Dein, was aus beiden gegebenen Stücken folgt, nämlich den intelligibelen Besitz (possessio noumenon) des Gegenstandes, nach dem, was sein Begriff enthält, aus den Principien der reinen rechtlich-praktischen Vernunft zu entwickeln.“623 Denn mit diesem akroamatischen Nachweis (in § 17 Abs. 2) ist der selbst schon hinreichend deduzierte allgemeine Begriff des intelligiblen Besitzes (§ 6), und zwar mit hinreichend deutlichem Bewusstsein davon, als rein begriffliche Realbedingung im besonderen reinen praktischen Begriff der ursprünglichen Erwerbung (§ 16) ausgewiesen, sodass mit dieser allgemeinsten Realbedingung der rein begriffliche Grund der Möglichkeit des besonderen Begriffsgegenstandes einer ursprünglichen Erwerbung mit begrifflicher Notwendigkeit praktisch erkannt wird, und in der Folge klar ist, dass der besondere reine praktische Begriff der ursprünglichen Erwerbung einen im Einzelfall konkret möglichen Gegenstandsbezug in seiner Rechtsfolge haben muss, sodass dieser reine Begriff mit Recht auch praktisch gebraucht werden darf.624 623

RL, AA VI: 268.07-11. Weil mit der rein begrifflich praktischen Realbedingung der reale Grund der Möglichkeit des Begriffsgegenstandes (d. h. der Folge des Begriff) angegeben wird, reicht diese Angabe zur 624

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Auf diese Weise wird sich dann auch die Ankündigung am Ende von § 7, der ja insgesamt von der progressiven Anwendung des Begriffs des intelligiblen Besitzes handelt, beglaubigen, wo es im achten Absatz heißt, dass praktische Vernunft, vermittelst der Abstraktion des Begriffs des intelligiblen Besitzes, „[…] s y n t h e t i s c h e Rechtssätze a priori aufstellen kann, deren Beweis (wie bald gezeigt werden soll) nachher in praktischer Rücksicht auf analytische Art geführt werden kann.“625 Der reine praktische Begriff der ursprünglichen Erwerbung mitsamt seiner Rechtsfolge, einem Sachenrecht am Boden, ist nämlich – neben anderen – ein solcher synthetischer Rechtssatz a priori, der nunmehr in § 17 Abs. 2 durch akroamatischen Aufweis der allgemeinen Vorstellung des intelligiblen Besitzes im besonderen Einzelfall der ursprünglichen Erwerbung, und zwar in praktischer Rücksicht, auf analytische Art bewiesen wird: § 17 Abs. 2626

Soll jetzt rein begrifflich (akroamatisch) aufgewiesen werden, dass in der einzelnen Begriffsfolgevorstellung des reinen Begriffs der ursprünglichen Erwerbung die allgemeine Vorstellung des intelligiblen Besitzes analytisch enthalten und der reine Begriff der ursprünglichen Erwerbung insofern nachweislich praktisch ist, so ist der begriffliche Ausgang des Nachweises vom Begriff der Erwerbsfolgevorstellung einer ursprünglichen Erwerbung zu nehmen. In der Erwerbsfolge einer ursprünglichen Erwerbung aber steht ein Sachenrecht, und folglich ist der Ausgang vom metaphysischen Sachenrechtsbegriff (§ 11 Abs. 2 S. 1) zu nehmen, der bekanntlich einen besonderen Rechtsbegriff unter dem allgemeinen Begriff vom äußeren Mein und Dein (§ 5 Abs. 1 S. 2) vorstellt (§§ 4, 10 Abs. 6 – 8). Satz 1

Eben diesen begrifflichen Anknüpfungspunkt sieht auch § 17 Abs. 2 S. 1 vor: „Der R e c h t s b e g r i f f vom ä u ß e r e n Mein und Dein, so fern es S u b s t a n z ist, […].“ Deduktion des praktischen (d. h. selbst kausalen) Begriffs selbst zu, weil dieser als Mittel den Grund mit der Folge kausal in sich selbst rein begrifflich verbindet. Im Rahmen der Realdefinition (§ 5) des Begriffs des äußeren Mein und Dein (dazu oben unter A. I. 2.) war dieser methodologisch maßgebliche Grundgedanke bereits ausgesprochen worden: „Die S a c h e r k l ä r u n g dieses Begriffs aber, d. i. die, welche auch zur D e d u c t i o n desselben (der Erkenntniß der Möglichkeit des Gegenstandes) zureicht, lautet […].“ (RL, AA VI: 249.03-05). Eine solche Deduktion durch Realdefinition ist nur dort methodologisch nicht möglich, wo ein oberster – selbst nicht weiter begrifflich vermittelter – Begriff deduziert werden soll, denn ein solcher kann – wie in § 6 Abs. 10 gesehen – nur aus einem unmittelbar gewissen Grundsatz (d. h. Postulat) deduziert werden, darin er selbst bereits begrifflich wirklich ist, sodass er selbst auch kraft dieser Wirklichkeit als real möglich vorausgesetzt werden muss, worin dann der Nachweis der realen Möglichkeit seiner eigenen Wirklichkeit (d. h. seines Begriffsgegenstandes) besteht. 625 RL, AA VI: 255.13-21. 626 RL, AA VI: 268.12-30 (alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Absatz).

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Für das zutreffende Verständnis des hierauf aufbauenden akroamatischen Nachweises der allgemeinen Vorstellung des intelligiblen Besitzes in der sachenrechtlichen Begriffsfolgevorstellung der ursprünglichen Erwerbung ist nun nochmals deutlich zum Voraus zu bemerken, dass der Begriff des intelligiblen Besitzes, der als rein begriffliche Realbedingung im allgemeinen Begriff vom äußeren Mein und Dein (§ 5 Abs. 1 S. 2) mit seiner von allen empirischen Bedingungen abstrahierenden Vorstellungskraft praktisch ist, nunmehr auch im besonderen sachenrechtlichen Vorstellungsmerkmal der „Substanz“ in eben dieser Weise praktisch sein muss. Eben hiervon – und nur hiervon – handelt der begriffliche Nachweis in § 17 Abs. 2: Demnach kann der metaphysische Sachenrechtsbegriff in der Begriffsfolgevorstellung des reinen Begriffs der ursprünglichen Erwerbung an sich selbst, d. h. abstrahiert von allen empirischen Bedingungen des Sachenrechtsbesitzes, nicht mehr den empirischen Gegenstand (den Boden) ansprechen, denn auch der metaphysische Sachenrechtsbegriff muss in der Bestimmungsfolge des reinen Begriffs der ursprünglichen Erwerbung von allen Raumes- und Zeitbedingungen abstrahieren: „Der R e c h t s b e g r i f f vom ä u ß e r e n Mein und Dein, so fern es S u b s t a n z ist, kann, was das Wort a u ß e r m i r betrifft, nicht einen anderen O r t , als wo ich bin, bedeuten: denn er ist ein Vernunftbegriff; […].“ Wie bereits in § 7 Abs. 1 ganz allgemein herausgearbeitet wurde, lässt sich ein reiner Vernunftbegriff im Rahmen der Rechtsbesitzvorstellung nämlich nicht unmittelbar auf anschauliche Gegenstandsvorstellungen, sondern lediglich vermittelst reiner Verstandesbegriffe auf solche beziehen, sodass unter einen reinen Vernunftbegriff nur ein reiner Verstandesbegriff subsumiert werden kann. Demnach handelt es sich auch bei der rein sachenrechtlichen und insofern besonderen Besitzvorstellung eines Gegenstandes „ a u ß e r m i r “ nicht um die topologische, sondern um die bloß logische – rein begriffliche und insofern abstrakte – Unterscheidung von Subjekt und Objekt in der Besitzrelation:627 „Der R e c h t s b e g r i f f vom ä u ß e r e n Mein und Dein, so fern es S u b s t a n z ist, kann, was das Wort a u ß e r m i r betrifft, nicht einen anderen O r t , als wo ich bin, bedeuten: denn er ist ein Vernunftbegriff; sondern, da unter diesem nur ein reiner Verstandesbegriff subsumirt werden kann, bloß etwas von mir U n t e r s c h i e d e n e s und den eines nicht empirischen Besitzes (der gleichsam fortdauernden Apprehension628), sondern nur 627

Vgl. dazu § 7 Abs. 1 S. 5. Im Hinblick auf diesen Klammerzusatz ist an diesem Satz von § 17 Abs. 2 – entgegen Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 68 Fn. 38 – kein vermeintlich offensichtlicher Druckfehler zu verbessern, denn der Satz gibt gerade auch ohne jegliche Korrektur einen guten Sinn, weil der Klammerzusatz „der gleichsam fortdauernden Apprehension“ eben nicht notwendig die dann in der Tat unzutreffende Erläuterung des „nicht empirischen Besitzes“ enthalten muss. Vielmehr kommt durch das Wort „gleichsam“ angemessen zum Ausdruck, dass die empirische Inbesitznahme (die Apprehension i.S.v. § 10 Abs. 4 S. 1 – 2) des Bodens, die im Falle der ursprünglichen Erwerbung Teil der Rechtsbegründungshandlung ist, durch die bloß gedankliche Absehung von allen empirischen Bedingungen des Besitzes (im Vorstellungsbewusstsein) in ihrer empirischen Realität nicht selbst aufgehoben wird, sondern „gleichsam“ fortdauert. In 628

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den d e s i n m e i n e r G e w a l t H a b e n s (die Verknüpfung desselben mit mir als subjective Bedingung der Möglichkeit des Gebrauchs) des äußeren Gegenstandes, welcher ein reiner Verstandesbegriff ist, bedeuten.“ Also ist in der besonderen sachenrechtlichen Rechtsbesitzvorstellung – in der begrifflichen Folge des reinen Begriffs der ursprünglichen Erwerbung – rein begrifflich ebendieselbe gedankliche Abstraktion (§§ 4 Abs. 2 – 4, 7 Abs. 1 – 4) gelegen, die auch in der begrifflichen Folge der allgemeinen äußeren Rechtsbesitzvorstellung (§ 5 Abs. 1 S. 2) gelegen ist. Da diese Abstraktion im Vorstellungsbewusstsein ursprünglich jedoch aus der synthetischen Vorstellungskraft des praktischen Begriffs des intelligiblen Besitzes herrührt (vgl. §§ 6 Abs. 4 – 10, 7 Abs. 1), muss die Vorstellung des intelligiblen Besitzes im hier (§ 17 Abs. 2 S. 1) angeknüpften metaphysischen Sachenrechtsbegriff der ursprünglichen Erwerbung analytisch enthalten sein, weil diese Abstraktion nichts anderes als die gedankliche Absehung von allen besonderen Vorstellungsmerkmalen des sachenrechtlichen Rechtsbesitzes und insofern die Freilegung des allgemeinen Vorstellungsmerkmals allen metaphysischen Rechtsbesitzes im begrifflich verfassten Rechtsbewusstsein ist. Satz 2

§ 17 Abs. 2 S. 2 setzt eben diesen – nur diesen – Umstand rein begrifflich auseinander und bringt die Deduktion des reinen Begriffs der ursprünglichen Erwerbung damit zu ihrem gedanklichen Abschluss. In der noch weiter auseinanderzusetzenden Quintessenz besagt die Deduktion dann: „Nun ist die Weglassung oder das Absehen (Abstraction) von diesen sinnlichen Bedingungen des Besitzes als eines Verhältnisses der Person zu G e g e n s t ä n d e n , […], nichts anders als das Verhältniß einer Person zu P e r s o n e n , […] welches also der i n t e l l i g i b e l e B e s i t z derselben, d. i. der durchs bloße Recht, ist, […].“ Wird das empirische Besitzverhältnis zwischen Rechtssubjekt und äußerem Gegenstand durch die gedankliche Abstraktion intrapersonal nämlich zunächst auf das rein verständige Verhältnis von Subjekt und Objekt im reinen Verstandesbegriff des Habens reduziert, so wird damit gleichursprünglich die rein rechtsbegriffliche Bestimmung durch den Vernunftbegriff des Rechtsbesitzes möglich bzw. wirklich, sodass diese verständige Subjekt-Objekt-Relation als vernünftige Subjekt-SubjektRelation rechtlich bestimmt begriffen werden kann bzw. muss. Denn die gedankliche diesem Wortverständnis dauert die empirische Inbesitznehmung (Apprehension) dann aber nicht „gleichwohl“, also trotz der Abstraktion, sondern „sozusagen, gewissermaßen, wie“ die gedankliche Abstraktion und bloß in ihrer Folge selbst fort, weil gerade die gedankliche Abstraktion der Inbesitznehmung des Bodens rein begrifflich ihre rechtliche und insofern dann auch dauerhafte (gegen Angriffe anderer rechtlich geschützte) Qualität verleiht. Aus demselben Grund ist ebenso der von Ludwig (a.a.O.) in der Sache verworfene Konjekturvorschlag Brandts, Eigentumstheorien von Grotius bis Kant (1974), S. 222 Fn. 54 i.V.m. S. 267 zurückzuweisen, der zuletzt etwa von Geismann, Kant und kein Ende III (2012), S. 42 Fn. 145 wiederzubeleben versucht wurde.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Abstraktion hat ihren Grund ursprünglich in der rechtsbegrifflich-synthetischen Bestimmung selbst, die unter dem allgemeinen Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) hier innerlich vom Begriff des intelligiblen Besitzes (§ 6) konkret ausgeht. Da aber der Begriff des intelligiblen Besitzes in seiner progressiv-synthetischen Bestimmung eine allgemeine Gesetzgebung in Ansehung des Besitzes der Gegenstände (§ 7 Abs. 1 S. 6 i.V.m. § 8 Abs. 1) praktisch-notwendig vorstellt, wird das Subjekt-Objekt-Verhältnis der verständigen Besitzrelation nur vermittelst der intelligiblen Vorstellung einer allgemeinen Gesetzgebung rechtlich als interpersonale SubjektSubjekt-Relation bestimmt. Eben eine solche allgemeine Gesetzgebung wird aber im allgemeinen Prinzip des äußeren Erwerbs (§ 10 Abs. 3) rein begrifflich – noch vor der Wirklichkeit einer allgemeinen Gesetzgebung in einer bürgerlichen Verfassung – als Idee des Erwerbswillens gedacht, sodass diese allgemeine Gesetzgebung eines Willens als Idee auch im allgemeinen Begriff der ursprünglichen Erwerbung (§ 10 Abs. 4 S. 4) bestimmend vorgestellt werden muss. Aus diesem Grund wird dann im besonderen und reinen Begriff einer ursprünglichen Erwerbung des Bodens (§ 16 Abs. 1) der ursprünglich und a priori vereinigte Wille aller Rechtssubjekte als die ursprüngliche Erwerbshandlung im Grunde bestimmend vorgestellt, sodass er in der Folge dieser Handlung einen Rechtsbesitz (d. h. intelligiblen Besitz) am Boden zum begrifflichen Resultat hat (§ 17 Abs. 2 S. 2). Im vollständigen Einklang mit den drei Bestimmungsmomenten des allgemeinen Prinzips der äußeren Erwerbung eines Gegenstandes (§ 10 Abs. 3) – rechtsgesetzliche Freiheit/Postulat der rechtlichen Möglichkeit/Idee eines möglichen vereinigten Willens – bestimmt sich demnach auch der Wille des Erwerbssubjekts im reinen Begriff der ursprünglichen Erwerbung, sodass hieraus der intelligible Besitz am Boden rein begrifflich resultiert: „Nun ist die Weglassung oder das Absehen (Abstraction) von diesen sinnlichen Bedingungen des Besitzes als eines Verhältnisses der Person zu G e g e n s t ä n d e n , die keine Verbindlichkeit haben, nichts anders als das Verhältniß einer Person zu P e r s o n e n , diese alle durch den W i l l e n der ersteren, so fern er dem Axiom der äußeren Freiheit, dem P o s t u l a t des Vermögens und der allgemeinen G e s e t z g e b u n g des a priori als vereinigt gedachten Willens gemäß ist, in Ansehung des Gebrauchs der Sachen zu v e r b i n d e n , welches also der i n t e l l i g i b e l e B e s i t z derselben, d. i. der durchs bloße Recht, ist, obgleich der Gegenstand (die Sache, die ich besitze) ein Sinnenobject ist.“ Auf diese Weise ist die rein begriffliche (akroamatische) Entwicklung des ursprünglichen Erwerbs auch in seiner Rechtsfolge zu seinem Abschluss gelangt und die Deduktion des reinen Begriffs der ursprünglichen Erwerbung vollständig geleistet. Denn mit dem in § 17 Abs. 2 S. 2 vollzogenen rein begrifflichen Aufweis des intelligiblen Besitzes (§ 6) in der Folgevorstellung des reinen Begriffs der ursprünglichen Erwerbung (§ 16) steht der seinerseits schon hinreichend deduzierte Begriff des intelligiblen Besitzes als rein begriffliche und praktisch bestimmende

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Realbedingung im Begriff der ursprünglichen Erwerbung fest. Damit aber ist der rein begriffliche Grund der Möglichkeit einer ursprünglichen Erwerbung mit rein begrifflicher Notwendigkeit praktisch erkannt, worin die Deduktion des Begriffs der ursprünglichen Erwerbung mittels einer nachgewiesenen Anwendung des Begriffs des intelligiblen Besitzes (§ 7) zu sehen ist.629 Bernd Ludwig hat für seine Edition der Rechtslehre Immanuel Kants hingegen die Ansicht vertreten, dass die Deduktion des § 17 mit seinem zweiten Absatz noch nicht vollständig ist: „Der Absatz 4 [sc. von § 10] gehört in den Deduktionsparagraphen des Sachenrechts.“630 Denn die drei in § 17 Abs. 2 S. 2 angeknüpften Momente des allgemeinen Prinzips der äußeren Erwerbung (§ 10 Abs. 3) „[…] werden in der Tat nicht etwa im verbleibenden Text des § 17, sondern ausschließlich in § 10 Abs. 4 für den Fall der bis § 17 entwickelten ursprünglichen Erwerbung als erfüllt angesehen: […] Der letzte Satz von § 10 Abs. 4 ist dann in der Tat ein würdiger Abschluß einer Deduktion, welche (so § 17) aus den „empirischen Bedingungen der Besitznehmung“ das äußere Mein und Dein, die possessio noumenon, ableiten will: […]. Erst mit der Anknüpfung des § 10 Absatz 4 wird daher auch der Verweis in Absatz 1 von § 17, daß die possessio noumenon aus den „beiden gegebenen Stücken“: „Titel“ und „Erwerbungsart“ folge, nachvollziehbar. Ohne jenen Abschnitt käme die „Erwerbungsart“ im Haupttext des § 17 gar nicht mehr vor. […] Die Versetzung von § 10 Abs. 4 in den § 17 löst somit zwei Probleme: den unangemessenen Bezug von § 10 Abs. 4 auf das Sachenrecht und das Fehlen eines mehrfach angezeigten Deduktionsschrittes in § 17.“631 Doch liegt Ludwig damit richtig? Immerhin hat er die mit seiner abermaligen Textversetzungsthese an diesem Punkt verbundene Hypothek selbst deutlich bezeichnet: „Daß also gerade wie im Falle der §§ 2 und 6 ein Teil der „Deduktion“ am falschen Ort steht (so die Behauptung), ist […] befremdlich […].“632 Ein unangemessener Bezug des § 10 Abs. 4 auf das Sachenrecht war – um auf das erste Problem zu sprechen zu kommen – im Rahmen einer Auseinandersetzung des § 10 dagegen nicht festzustellen.633 Denn § 10 handelte vom allgemeinen Prinzip der äußeren Erwerbung und alle äußere Erwerbung setzt gedanklich einen ursprüngli629 Diese progressiv-synthetische Anwendung des Begriffs des intelligiblen Besitzes (§ 7) im Falle des ersten Bodenerwerbs war im Rahmen der Abs. 4 – 9 des § 6 bereits vor der eigentlich progressiv-synthetischen Deduktion dieses Begriffs im dortigen zehnten Absatz analysiert worden. Durch rein begrifflichen Nachweis der intelligiblen Besitzvorstellung in der ursprünglichen Erwerbung konnte dann hier (§ 17 Abs. 2) wiederum der Begriff der ursprünglichen Erwerbung progressiv-synthetisch deduziert werden, eben weil der darin rein begrifflich aufgewiesene intelligible Besitz hinsichtlich seines Begriffs bereits hinreichend deduziert ist (§ 6), sodass der synthetische Rechtssatz (im Begriff) der ursprünglichen Erwerbung a priori in praktischer Rücksicht auf analytische Art bewiesen wurde (vgl. § 7 Abs. 8). 630 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 68 (Klammerzusatz des Verf.). 631 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 69 f. 632 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 68 Fn. 37. 633 Vgl. dazu ausführlich oben unter A. II.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

chen Erwerb voraus, da andernfalls gar kein (sodann abgeleiteter) äußerer Erwerb möglich wäre. Im Rahmen von § 10 war es also um den allgemeinen Begriff der ursprünglichen Erwerbung überhaupt zu tun, während es im Sachenrecht – einem besonderen Fall unter dem allgemeinen Prinzip des äußeren Erwerbs – um den besonders auf den Boden (§§ 12 ff.) bezogenen Begriff der ursprünglichen Erwerbung zu tun war. Das durch Versetzung von § 10 Abs. 4 nach § 17 vermeintlich gelöste Problem eines unangemessenen Sachenrechtsbezugs innerhalb des allgemeinen Erwerbsprinzips besteht also überhaupt allenfalls dann, wenn man den allgemeinen Begriff der ursprünglichen Erwerbung gedanklich nicht hinreichend vom sachenrechtlichen Begriff der ursprünglichen Erwerbung trennt. Bleibt – um auf das zweite Problem zu sprechen zu kommen – die Frage, ob in der Originalfassung des § 17 ein angekündigter Deduktionsschritt fehlt, der dann obendrein in dem Gedanken des § 10 Abs. 4 zu erblicken wäre? – Ludwig geht in seiner Deduktionsvorstellung davon aus, dass § 17 „aus den „empirischen Bedingungen der Besitznehmung“ das äußere Mein und Dein, die possessio noumenon, ableiten will“.634 § 17 Abs. 1 S. 2 kündigt dagegen die rein begriffliche Entwicklung des sachenrechtlichen Bodenbesitzes im Falle der ursprünglichen Erwerbung an, und zwar nicht aus den „empirischen Bedingungen der Besitznehmung“, sondern „aus den Principien der reinen rechtlich-praktischen Vernunft“635. Da diese Ankündigung zum Zwecke der Deduktion des Begriffs aber in § 17 Abs. 2 von Immanuel Kant vollständig eingelöst wird, fehlt in der Deduktion auch kein (nur vermeintlich) angekündigter Deduktionschritt. Die Versetzung von § 10 Abs. 4 nach § 17 löst somit jedenfalls kein objektiv bestehendes Problem des Textes. – Welcher Erwartungshorizont ist dagegen mit Bernd Ludwigs Deduktionsvorstellung innerlich verbunden? Die von Ludwig angesprochenen „empirischen Bedingungen der Besitznehmung“ beziehen sich in § 17 Abs. 1 S. 1 auf die Bemächtigung (§ 14), die als „ E r w e r b u n g s a r t […] in den empirischen Bedingungen der Besitznehmung (apprehensio), verbunden mit dem Willen, den äußeren Gegenstand als den seinen zu haben, gefunden“636 wurde. Da Ludwig im originalen Haupttext der Deduktion des § 17 (in Abs. 2) aber Ausführungen zu eben dieser „ E r w e r b u n g s a r t “ (§ 17 Abs. 1 S. 1) vermisst, konfundiert er offenbar die im Rahmen der Deduktion ausweislich § 17 Abs. 1 S. 2 rein begrifflich zu entwickelnde „ E r w e r b u n g selbst“ mit dieser „ E r w e r b u n g s a r t “. Auf diese konfundierende Weise würde dann jedoch – mit der Bemächtigung als Erwerbungsart – die ursprüngliche Erwerbungshandlung selbst wiederum zu einem Teil der rein begrifflich zu leistenden Entwicklung, obwohl doch – entgegen Ludwigs Auffassung – nach den Überle634

Oben Fn. 631. RL, AA VI: 268.07-11: „Nun ist noch nöthig die E r w e r b u n g selbst, d. i. das äußere Mein und Dein, was aus beiden gegebenen Stücken folgt, nämlich den intelligibelen Besitz (possessio noumenon) des Gegenstandes, nach dem, was sein Begriff enthält, aus den Principien der reinen rechtlich-praktischen Vernunft zu entwickeln.“ 636 RL, AA VI: 268.03-07. 635

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gungen der §§ 12 – 16 klar sein müsste, dass der Rechtsbesitz an einer Sache – wie § 17 Abs. 1 S. 2 erinnert – nur aus der auf einem vernünftigen Erwerbstitel (§ 13 Abs. 2) beruhenden ursprünglichen Erwerbshandlung (§ 14) selbst in der Folge resultieren kann. Die ursprüngliche Erwerbshandlung ist also weder gedanklicher Gegenstand der in § 17 angekündigten Deduktion (nämlich ihres bloßen Begriffs), noch gedanklicher Gegenstand der rein begrifflichen Entwicklung des sachenrechtlichen Rechtsbesitzes infolge einer ursprünglichen Erwerbung (§§ 17 Abs. 1 S. 2 i.V.m. Abs. 2) zum Zwecke der in § 17 insgesamt angekündigten Deduktion des Begriffs der ursprünglichen Erwerbung. Demnach beruht die im originalen § 17 enttäuschte Erwartungshaltung Bernd Ludwigs möglicherweise darauf, dass er gelegentlich nicht den bloßen Begriff, sondern die ursprüngliche Erwerbung selbst als das Objekt der Deduktion § 17 ansehen möchte,637 etwa dann, wenn er die Aufgabe der „Deduktion des Begriffs der ursprünglichen Erwerbung“ mit dem „Nachweis des rechtmäßigen Besitzanspruchs auf Grund der occupatio“ identifiziert.638 Doch weil eine ursprüngliche Erwerbung in ihren Resultaten tatsächlich nur durch die Begriffsmerkmale des reinen Begriffs der ursprünglichen Erwerbung praktisch bestimmt gedacht werden kann, muss sich auch die Rechtfertigung (d. h. Deduktion) des Begriffs der ursprünglichen Erwerbung von derjenigen der ursprünglichen Erwerbung selbst unterscheiden. In der gedanklichen Aufhebung dieser für eine rein begriffliche Erkenntnis (Metaphysik) des Rechts maßgeblichen Unterscheidung von Begriff und ursprünglicher Erwerbung durch Bernd Ludwigs Deduktionsvorstellung639 läge dann zugleich die Verwechslung von Begriff und Begriffsgegenstand, wie sie ebenso schon im Rahmen seiner Editionsüberlegungen zur Deduktion des Begriffs des intelligiblen Besitzes (§ 6) zu beobachten war.640 Die Folge einer solchen in diesem Punkt wenig idealistischen Auffassungsweise dürfte die Hypostase des Begriffsgegenstandes im Rechtsdenken sein, von dessen rein begrifflicher Vorstellung – auf die es in einer reinen Begriffserkenntnis maßgeblich ankommt – dann unbewusst abstrahiert werden würde, sodass die metaphysische Ebene des Rechtsdenkens verlassen und ein materielles Naturrecht (z. B. ein naturzuständliches Sachen- oder Eigentumsrecht) inauguriert würde. ***

Da dem (Privat-)Eigentumsbegriff innerhalb der rein begrifflichen Entwicklung des metaphysischen Begriffs des Sachenrechts (§§ 11 – 17) – wie nun gesehen – keinerlei konstitutive oder spezielle Bedeutung zukommt, müsste eine eigentumstheoretische Auffassung der Kantischen Rechtslehre an diesem Punkt des gedank637

Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 73. Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 129. 639 Diese empfindliche Verwechslung dürfte sich durch die gesamte Rezeptionsgeschichte ziehen und findet sich heute (vgl. etwa Kühl, Eigentumsordnung als Freiheitsordnung [1984], S. 219 ff.) wie damals (vgl. etwa Tieftrunk, Philosophische Untersuchungen I [1797], S. 261 – 264) in den Interpretationen. 640 Oben Fn. 151 m.w.N. – Vgl. im Übrigen oben unter A I. 3. b). 638

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

lichen Nachvollzuges als widerlegt gelten dürfen. Vielmehr schließen sich an das metaphysische Sachenrecht besonders noch die – in der eigentumstheoretischen Kantinterpretation freilich weniger diskutierten – Abschnitte über das persönliche (§§ 18 – 21) sowie das dinglich-persönliche Recht (§§ 22 – 30) an, die jedoch beide notwendig mit der rein begrifflichen Auflösung des autonomietheoretischen Problems interpersonaler und gleichwohl autonomer Verpflichtung im Ausgang vom intrapersonal autonomen Rechtssubjekt verbunden sind. Denn der erste Abschnitt des zweiten Hauptstücks der natürlichen Privatrechtslehre enthielt für sich eine die Autonomie der einzelnen Rechtssubjekte im äußeren Verhältnis – vermittelst der Idee eines vereinigten Willens aller in einer bürgerlichen Verfassung – begrifflich wahrende Auflösung nur in Ansehung körperlicher Dinge als Gegenstände der Rechtsbesitzerwerbshandlung. In diese die Autonomie der Privatrechtssubjekte im äußeren Verhältnis begrifflich bewahrende Auflösung müssen sich aber an sich auch die Erwerbshandlungen in Ansehung anderer als körperlicher äußerer Gegenstände begrifflich einfügen. Wie lässt sich also der Erwerb solcher äußerer Gegenstände bereits im Naturzustand rechtlich bestimmt, d. h. im Einklang mit der Autonomie aller möglichen Rechtssubjekte denken?641 Von den drei in § 4 Abs. 1 erstmals und sodann in § 10 Abs. 6 nochmals verstandessystematisch differenzierten Klassen erwerblicher Gegenstände (Substanz/ Kausalität/Gemeinschaft) unter dem als allgemein bestimmend gebrauchten Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) bezog sich der allgemeine Begriff der ursprünglichen Erwerbung (§ 10 Abs. 1 S. 3) in seiner Folge ausschließlich auf die Substanz körperlicher Sachen überhaupt (§ 10 Abs. 5 S. 1) und damit besonders bzw. speziell auf den Boden (§§ 12 ff.). Denn nur körperliche Sachen können vor allem ersten Erwerb als herrenlos vorgestellt werden, sodass daran ein ursprünglicher Erwerb im Einklang mit dem allgemeinen Rechtsgesetz (§ C Abs. 4) nach dem Prioritätsprinzip möglich ist. Im Gegensatz zu bloß körperlichen Sachen besitzt sich das menschliche Rechtsund Willkürsubjekt aber ursprünglich kraft seines angeborenen Rechts der Freiheit als Unabhängigkeit von fremder Willkür stets bereits selbst in seiner körperlichen Erscheinung, sodass sich der Begriff der ursprünglichen Erwerbung (des Bodens) in seinem Gegenstandsbezug nicht auf die menschlichen Rechtssubjekte in ihrer körperlichen Erscheinung auf dem Boden zu erstrecken vermag. Der Mensch ist eben schon ursprünglich nicht herrenlos, denn er ist „sein e i g e n e r H e r r (sui iuris)“642. 641 Da alles äußere Mein und Dein (§ 5 Abs. 1 S. 2) im Naturzustand nur provisorisch rechtlich bestimmt gedacht werden kann (§ 9), kann auch aller Erwerb von äußerem Mein und Dein (§§ 10 ff.) darin nur provisorisch rechtlich bestimmt gedacht werden. – Vgl. dagegen die feinsinnigen, jedoch auf einem empirischen Wortverständnis des provisorischen Besitzes beruhenden Überlegungen Ludwigs, Kants Rechtslehre (1988), S. 179 ff., zu der von ihm im Ergebnis verneinten Frage, ob es im Naturzustand provisorische (dinglich-)persönliche Rechte geben könne; siehe dazu ferner auch Brandt, DZPhil 47 (1999), S. 887 (902). 642 RL, AA VI: 238.01.

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Dementsprechend unterliegt auch die Kausalität der Willkür der menschlichen Rechtssubjekte in ihrem äußeren Verhältnis nicht der ursprünglichen Erwerbung, und erst recht ist der Zustand einer menschlichen Rechtsperson im äußeren Verhältnis zu einer anderen Rechtsperson nicht Gegenstand einer ursprünglichen Erwerbung. Für Immanuel Kant kann es darum – anders als beispielsweise noch für Hugo Grotius – auch keine ursprüngliche Erwerbung einer bürgerlichen Verfassung bzw. der Staatsgewalt geben.643 Wäre es anders, so wäre alle angeborene Freiheit des menschlichen Rechtssubjekts mit der ursprünglichen Erwerbung des Bodens durch einen Okkupanten gründlich vertilgt, weil die Menschen – als Gegenstand des ursprünglichen sachenrechtlichen Erwerbs – als Akzidenzien des Bodens behandelt und somit als Gegenstände des Eigentums des Okkupanten betrachtet werden müssten. Das Obereigentum des Okkupanten wäre dann zugleich identisch mit seinem Privateigentum, da es außer dem Okkupanten keinerlei weitere menschliche Rechtssubjekte, sondern bloß menschliche Rechtsobjekte (Sklaven) gäbe, sodass auch das Problem der Konstitution eines allgemeinen Willens der menschlichen Rechtssubjekte im äußeren Verhältnis obsolet würde.644 Die dem Menschen angeborene Freiheit verlangt somit im Einklang mit § C Abs. 4 im äußeren Verhältnis nicht nur nach einer realbegrifflichen Differenz zwischen Ober- und Privateigentum im Rahmen der ursprünglichen Erwerbung des Bodens, sondern rein begrifflich auch nach anderen Rechtserwerbsformen (als nur die des ursprünglichen Erwerbs), sollen die menschlichen Rechtssubjekte nicht unter die Gegenstände des Sachenrechts gemischt und mithin als bloße Mittel behandelt oder gar versklavt werden.645 643

Vgl. zu Grotius schon oben die Nachweise in Fn. 447, 475. Dass diese notwendig zur Versklavung der menschlichen Rechtssubjekte auf dem Boden führende Eigentumstheorie mit den Kantischen Begriffen, danach alles Privateigentum an körperlichen Sachen vom Obereigentum des Souveräns in der Idee bürgerlicher Verfassung abgeleitet gedacht werden muss, unvereinbar ist, weil aller ursprünglicher Erwerb des Bodens nur vermittelst der Idee des ursprünglichen Vertrages der menschlichen Rechtssubjekte gleichursprünglich denkbar ist, ergibt sich aus den allgemeinen Überlegungen zur Kantischen Okkupationstheorie des Besitzes, vgl. oben unter A. II. m.w.N. Eben eine solche Versklavung müsste aber übrigens auch die eigentlich konsequente Folge eines empirischen Verständnisses des Begriffs des provisorischen Besitzes bzw. Erwerbs sein, der gänzlich unabhängig von einem Allgemeinwillen und nur im Ausgang vom einzelnen Willenssubjekt bereits im Naturzustand im interpersonalen Verhältnis vermeintlich wirklich sein soll; vgl. dazu oben unter A. I. 4. c). Denn in dieser Vorstellung hat der Okkupant alles Recht am Boden, während alle anderen menschlichen Rechtssubjekte lediglich Pflichten in Ansehung desselben haben. Das ist der Begriff der Sklaverei (RL, AA VI: 241.18-25). 645 Es ist bekanntlich eine These Reinhard Brandts, DZPhil 47 (1999), S. 887 (895 ff.), dass Kant das persönliche Recht im ersten Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre irrigerweise unter das Sachenrecht subsumiere und damit die Person verdingliche, sodass die Gedankenführung des ersten Hauptstücks im Widerspruch zu der des zweiten Hauptstück stehe, denn dieses letztere sei frei von diesem irrigen Subsumtionsfehler. Doch in der Tat beruht diese Diagnose einer schwerwiegenden Aporie – wie (oben Fn. 58 und 41) schon gesehen – jedenfalls nicht auf einem Subsumtionsfehler Immanuel Kants, sondern vielmehr auf einer eigen644

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Die Kausalität sowie der Zustand eines menschlichen Willkürsubjekts unterfallen demnach, als äußere Gegenstände des Erwerbs unter dem allgemeinen Begriff der äußeren Erwerbung (§ 10 Abs. 1 S. 1), nicht dem Begriff der ursprünglichen, sondern dem diesem Begriff (§ 10 Abs. 1 S. 3) zugleich verständig entgegengesetzten allgemeinen Begriff der abgeleiteten Erwerbung. Denn sowohl der äußere Erwerb der Willkür eines anderen Rechtssubjekts zu einer kausalen Tat, als auch der äußere Erwerb des Zustandes der Willkür eines anderen Rechtssubjekts, setzen für sich selbst eine Besitzableitung des erwerbenden Rechtssubjekts vom bereits vorausgesetzten Besitzzustand („dem Seinen“) des jeweils anderen Rechtssubjekts voraus. Wie jeder äußere Erwerb muss sich diese Besitzableitung von dem Seinen eines anderen Rechtssubjekts dann vom vereinigten Willen der an diesem Erwerb beteiligten Rechtssubjekte als dem intelligiblen Rechtsgrund ableiten. Im Falle der ursprünglichen Erwerbung wurde dieser intelligible Rechtsgrund innerhalb des Sachenrechts von dem a priori vereinigten Willen aller menschlichen Rechtssubjekte auf dem Erdboden (§ 16) gebildet, da diese ursprünglich im Gesamtbesitz desselben (§ 13) vorgestellt werden müssen. Nur mit dieser inneren begrifflichen Realbedingung lässt sich dann die Absolutheit des Sachenrechts (§ 11 Abs. 1), nach dem reinen praktischen Vernunftbegriff desselben (§ 11 Abs. 2 S. 1), im Naturzustand im Hinblick auf einen erst a priori zu vereinigenden Willen aller menschlichen Rechtssubjekte schon rein begrifflich (provisorisch) rechtlich bestimmt denken (§ 15 Abs. 3). Soll jetzt die Kausalität eines anderen Rechtssubjekts im äußeren Verhältnis zu Besitz abgeleitet erworben werden (§§ 18 – 21), so setzt dies rein begrifflich den im einzelnen Fall besonders vereinigten Willen der am Erwerb beteiligten Rechtssubjekte voraus. Insofern ist dieser äußere Erwerb der Kausalität eines anderen Willkürsubjekts zu einer Leistung im Naturzustand in seiner realen Möglichkeit für sich – relativ selbstständig – unabhängig von dem a priori zu vereinigenden Willen aller menschlichen Rechtssubjekte auf dem Erdboden (§ 15 Abs. 3). Allerdings setzt dieser äußere Erwerb der Kausalität eines Willkürsubjekts außer mir auch im Naturzustand den a priori zu vereinigenden Willen aller menschlichen Rechtssubjekte in zweierlei Hinsicht (provisorisch) indirekt an sich selbst voraus: Zum einen stehen sich die Parteien dieses äußeren Erwerbsgeschäfts einander im Grunde auf dem insofern schon rechtlich gebrauchten und kraft eines a priori zu vereinigenden Willens ursprünglich erworbenen Erdboden gegenüber (§§ 11 – 17); zum anderen bilden die Sachenrechte in der Folge eine wichtige Gegenstandsklasse, darauf der Erwerb der Kausalität eines Willkürsubjekts außer mir zur Leistung (d. h. Übertragung) gerichtet werden kann (§§ 20 – 21). Soll überdies der persönliche Zustand eines anderen Rechtssubjekts im äußeren Verhältnis zu Besitz abgeleitet erworben werden (§§ 22 – 30), so setzt dies rein begrifflich nicht nur den im einzelnen Fall besonders vereinigten Willen der am Erwerb tums- bzw. sachenrechtlichen Lesart des Gegenstandsbegriffs („res corporalis“ anstatt bloß „res“) im ersten Hauptstück.

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konkret beteiligten Rechtssubjekte, sondern den a priori schon zum allgemeinen Gesetz vereinigten Willen aller Rechtssubjekte als intelligiblen Rechtsgrund voraus (§ 22), da kein einzelnes – sich selbst ursprünglich als Rechtspersönlichkeit verpflichtetes – Rechtssubjekt bloß willkürlich über seine eigene oder gar eine andere Person alleine verfügen kann, weil es andernfalls rein begrifflich privater Eigentümer dieser eigenen oder fremden Person nach dem dinglichen Recht sein müsste.646 Insofern ist dieser äußere Erwerb des Zustandes einer anderen Person schon für sich nicht unabhängig von dem a priori vereinigten Willen aller menschlichen Rechtssubjekte auf dem Erdboden denkbar und steht insofern zwecks seiner provisorisch rechtlichen Bestimmung im Naturzustand ebenfalls im Hinblick auf den in einer bürgerlichen Verfassung a priori zu vereinigenden Willen. Im Übrigen stehen sich auch die einander erwerbenden Rechtssubjekte auf dem Erdboden gegenüber, sodass dieser äußere Erwerb ebenso indirekt den zur ursprünglichen Erwerbung notwendigen a priori zu vereinigenden Willen aller Rechtssubjekte an sich voraussetzt. Damit stehen die drei Klassen möglicher metaphysischer Rechtserwerbsformen (Sachenrecht/persönliches Recht/dinglich-persönliches Recht) unter dem eingeteilten Begriff einer äußeren Erwerbung überhaupt (§ 10 Abs. 1 S. 1) in einem durch die Einteilungsglieder der ursprünglichen sowie der abgeleiteten Erwerbung weiter abgestuften Verstandesgegensatz zueinander (§ 10 Abs. 1 S. 2). Soll dieser abgestufte Verstandesgegensatz der drei privatrechtlichen Rechtserwerbsformen jedoch in einer vernünftigen Vorstellungseinheit rein begrifflich aufgehoben werden, dann kann dies nach philosophischer Methode nur durch den Begriff desjenigen abgeleiteten Erwerbs geschehen, der aus dem Prinzip der ursprünglichen Erwerbung schlüssig resultiert. Denn mit dieser begrifflichen Vorstellung würde der zwischen dem ursprünglichen und dem abgeleiteten Erwerb überhaupt bestehende Verstandesgegensatz vernunftschlüssig aufgehoben. Das Prinzip der ursprünglichen Erwerbung ist aber der a priori in einer bürgerlichen Verfassung vereinigte Wille (§ 15 Abs. 3), sodass das dritte Glied einer trichotomischen Einteilung des allgemeinen Begriffs der äußeren Erwerbung (§ 10 Abs. 1 S. 1) der Begriff des in einer bürgerlichen Verfassung abgeleiteten äußeren Erwerbs vorstellt. In diesem allgemeinen Sinne ist nämlich ausnahmslos alles äußere Mein und Dein nur in einem bürgerlichen Zustand real möglich (§ 8 Abs. 1 S. 7) (siehe Abb. 8 auf S. 432). Aller Sachenrechtserwerb, der nicht der erste Bodenerwerb in einer Zeit und damit kein ursprünglicher Erwerb ist, lässt sich dann real nur noch (gesetzlich oder 646 Das aber wäre nicht der Kantische Begriff des Eigentums (RL, AA VI: 270.10-20): „Der äußere Gegenstand, welcher der Substanz nach das Seine von jemanden ist, ist dessen E i g e n t h u m (dominium), welchem alle Rechte in dieser Sache (wie Accidenzen der Substanz) inhäriren, über welche also der Eigenthümer (dominus) nach Belieben verfügen kann (ius disponendi de re sua). Aber hieraus folgt von selbst: daß ein solcher Gegenstand nur eine körperliche Sache (gegen die man keine Verbindlichkeit hat) sein könne, daher ein Mensch sein eigener Herr (sui iuris), aber nicht Eigenthümer v o n s i c h s e l b s t (sui dominus) (über sich nach Belieben disponiren zu können), […] sein kann, weil er der Menschheit in seiner eigenen Person verantwortlich ist; […].“

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Abb. 8: Einteilung des Begriffs der realen äußeren Erwerbung

vertraglich) abgeleitet im Zustand einer bürgerlichen Verfassung wirklich rechtlich bestimmt denken, und zwar, weil nur darin der Idee nach auch das Obereigentum des Souveräns gedacht wird, von dem alles Privateigentum und mithin auch alles private Sachenrecht im Einzelfall abgeleitet vorzustellen ist.647 Insofern setzt ein in der bürgerlichen Verfassung an und für sich selbst vernünftig entwickelter Begriff des Sachenrechts den – gesetzlich oder vertraglich – abgeleiteten Erwerb dann auch für sich selbst voraus, obgleich der Begriff der abgeleiteten Erwerbung dem Begriff der ursprünglichen Erwerbung, der alles Sachenrecht innerlich real gründet, im Naturzustand noch verständig entgegengesetzt ist (§ 10 Abs. 1 S. 3). Um die innere vernunftbegriffliche Entwicklung der beiden denkmöglichen Erwerbsformen einer abgeleiteten äußeren Erwerbung bereits im Naturzustand ist es nun in den folgenden Überlegungen zu tun: 2. Deduktion des Begriffs der Erwerbung durch Vertrag Gemäß den allgemeinen Vorüberlegungen in § 10 Abs. 6 – 8 muss im zweiten Abschnitt des zweiten Hauptstücks der natürlichen Privatrechtslehre (§§ 18 – 21), der „ Vo m p e r s ö n l i c h e n R e c h t “648 handelt, eine Deduktion des reinen praktischen Vernunftbegriffs der Erwerbshandlung (§ 19 Abs. 3) geleistet werden, die das persönliche Recht der Form nach innerlich gründet. Da der reine praktische Vernunftbegriff des intelligiblen Besitzes (§ 6) die oberste rein begriffliche Realbedingung in der synthetisch-progressiven Begriffsreihe des Rechtsbesitzes und mithin Realbedingung alles äußeres Mein und Dein (§ 5 Abs. 1 S. 2) ist, kann diese Deduktion (§ 19 Abs. 3) abermals nur durch einen Aufweis der allgemeinen Vorstellung des intelligiblen Besitzes in der des Begriffs der zu deduzierenden Erwerbshandlung geschehen (vgl. § 7 Abs. 3 i.V.m. Abs. 8).649 Insofern unterscheiden sich die drei 647

RL, AA VI: 323 ff.; 341.15-18. RL, AA VI: 271.02. 649 In § 19 Abs. 4 (RL, AA VI: 273.22-29) heißt es daher rückblickend auch ausdrücklich: „[…] die Lehre der Möglichkeit der Abstraction von jenen Bedingungen, ohne daß dadurch der Besitz desselben aufgehoben wird, ist selbst die Deduction des Begriffs der Erwerbung durch Vertrag; […].“ 648

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

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Abschnitte zum Sachenrecht, persönlichen und dinglich-persönlichen Recht strukturell nicht. Allerdings wird der im persönlichen sowie im dinglich-persönlichen Recht vorzutragende Gedanke von Immanuel Kant jetzt nur noch in aller notwendigen Kürze skizziert, sodass eine Orientierung innerhalb des Gedankens eben dieses methodologische Strukturwissen voraussetzt, da es beispielsweise bereits an aussagekräftigen Paragraphenüberschriften fehlt. a) Der praktische Vernunftbegriff des persönlichen Rechts Soll im Folgenden der reine praktische Vernunftbegriff der das persönliche Recht innerlich gründenden Erwerbshandlungsrechtsform entwickelt, exponiert und deduziert werden, dann bedarf es zunächst einer Realdefinition des metaphysischen Begriffs des persönlichen Rechts. § 18 Abs. 1

Der erste Absatz des § 18 kommt auf diese Realdefinition des metaphysischen Begriffs des persönlichen Rechts ohne Umschweife sogleich zu sprechen. Es ist der (Rechts-)„Besitz der Willkür eines Anderen, als Vermögen sie durch die meine nach Freiheitsgesetzen zu einer gewissen That zu bestimmen“.650 Bei dieser zunächst bloß nominal klingenden Definition des persönlichen Rechts, und zwar als einem subjektiven Recht des einen Rechtssubjekts zur Forderung der Leistung eines anderen Rechtssubjekts, dürfte wohl mit dem Merkmal „nach Freiheitsgesetzen“ stillschweigend die unumgängliche Realbedingung dieses Rechts gesetzt sein, dass sich nämlich jedes an diesem Rechtsverhältnis beteiligte Rechtssubjekt nach seinem angeborenen Recht der Freiheit – als Unabhängigkeit von fremder Willkür – ursprünglich alleine selbst besitzt. Denn nur in dieser ursprünglichen äußeren Unverbundenheit der menschlichen Rechtspersonen lässt sich dann ein äußerer Erwerb ihrer Willkür zu einer Leistung im äußeren Verhältnis denken. Doch ebenso wie das metaphysische Sachenrecht es rein begrifflich nicht bloß mit dem einzelnen subjektiven Sachenrecht (ius in re) zu tun hatte (§ 11 Abs. 3), sondern mit dem Inbegriff der objektiven Gesetze, die das dingliche Mein und Dein betreffen (ius reale), handelt auch der metaphysische Begriff des persönlichen Rechts nicht bloß vom einzelnen subjektiven persönlichen Recht, sondern gleichfalls vom Inbegriff der objektiven Gesetze, nach denen eine Rechtsperson im persönlichen Recht sein kann. b) Der praktische Vernunftbegriff der Erwerbung durch Vertrag Wenn jeder Mensch seine freie Willkür auch im äußeren Verhältnis ursprünglich nur alleine besitzt, dann bedarf es zur Begründung eines persönlichen Rechts einer Erwerbshandlung, durch die das Recht zum Besitz der freien Willkür im äußeren 650

RL, AA VI: 271.04-05.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Verhältnis auf das erwerbende Rechtssubjekt übertragen wird. Der Begriff dieser Übertragungs- bzw. Erwerbshandlung ist der „ Ve r t r a g “651 und eben diesen Begriff der zum persönlichen Recht gehörigen Erwerbshandlung entwickelt § 18 im Folgenden aus der Realdefinition des persönlichen Rechts, nämlich in einem zunächst negativ-ausschließenden (Abs. 2) und in einem sodann positiv-bejahenden Sinne (Abs. 3). § 18 Abs. 2

Da sich ein jedes menschliche Rechts- und Willkürsubjekt ursprünglich alleine selbst besitzt, fällt es hinsichtlich der Kausalität seiner Willkür nicht unter die Klasse der relativ herrenlos vorstellbaren körperlichen Sachen, die infolge ihrer möglichen Herrenlosigkeit Gegenstand einer ersten und eigenmächtigen Inbesitznahme, mithin auch einer ursprünglichen Erwerbung im Einklang mit dem allgemeinen Rechtsgesetz sein können (vgl. dazu § 10 Abs. 4 S. 1, Abs. 5 S. 1). Folglich kann die Erwerbung eines persönlichen Rechts an der Kausalität der Willkür einer Rechtsperson außer dem erwerbenden Rechtssubjekt niemals ursprünglich und eigenmächtig („facto“) erfolgen, weil sie schon nicht unter den allgemeinen Begriff der ursprünglichen Erwerbung passt (§ 18 Abs. 2 S. 1). Die ursprüngliche Erwerbung (Bemächtigung) der Willkür eines sich ursprünglich alleine selbst schon besitzenden Rechtssubjekts wäre schlechterdings unvereinbar mit seinem angeborenen Recht der Freiheit, weil die okkupierte Willkür durch die einseitige Inbesitznahme nicht länger unabhängig von fremder Willkür und mithin nicht länger frei im äußeren Verhältnis wäre. Eine solche Bemächtigung an der Willkür stünde also nicht im Einklang mit dem allgemeinen Rechtsgesetz (§ C Abs. 4), das als Freiheitsgesetz jedoch Realbedingung im metaphysischen Begriff des persönlichen Rechts ist. Folglich muss die zum persönlichen Recht gehörige Erwerbshandlung unter den der ursprünglichen Erwerbung entgegengesetzten Begriff von einer möglichen Erwerbshandlung fallen, sodass es sich beim persönlichen Recht um einen abgeleiteten Erwerb handeln muss (vgl. schon § 10 Abs. 1 S. 3 und sogleich noch § 18 Abs. 3 S. 1). Da die angesprochene Okkupation der Willkür nichts anderes als eine besondere rechtswidrige Tat eines anderen Rechtssubjekts wäre, lässt sich ganz allgemein schließen, dass ein persönliches Recht nicht durch die „ r e c h t s w i d r i g e Tat eines anderen (facto iniusto alterius)“652 erworben werden kann (§ 18 Abs. 2 S. 2). Denn diese rechtswidrige Tat stünde nicht nur schon im Grunde nicht im Einklang mit dem allgemeinen Rechtsgesetz (§ C Abs. 4), wie es die Realdefinition des persönlichen Rechts hingegen fordert, sondern aus ihr resultierte, wie es ihrem Begriff entspricht, auch in der Folge keine Erweiterung der erwerbenden Willkür im äußeren Verhältnis, sondern lediglich die Widerherstellung des bis dato existierenden Besitzzustandes (d. h. Schadensersatz).653 651

RL, AA VI: 271.34. RL, AA VI: 271.14-15. 653 Der metaphysische Begriff des persönlichen Rechts im natürlichen Privatrecht (d. h. rein begrifflich noch vor aller öffentlichen Gesetzgebungsinstanz) ist keineswegs identisch mit 652

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

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§ 18 Abs. 3

Der nächste Absatz knüpft in seiner weiteren Überlegung an den vorangegangenen Absatz an und zieht die sich aus der Realdefinition mit dem Vorstellungsmerkmal „nach Freiheitsgesetzen“ an dieser Stelle ergebende begriffliche Konsequenz, dass es sich beim persönlichen Recht überhaupt um einen rechtmäßig abgeleiteten Erwerb handeln muss: „Erwerbung durch die That eines Anderen, zu der ich diesen nach Rechtsgesetzen bestimme, ist also jederzeit von dem Seinen des Anderen abgeleitet, […].“654 Im Begriff der Ableitung liegt dabei, dass sich der zu erwerbende Besitz von dem existenten Besitzstand eines anderen Rechtssubjekts herleiten muss, sodass auch durch die bloße Aufgabe eines existenten Besitzstandes („ Ve r l a s s u n g “/ „ Ve r z i c h t t h u u n g “) kein persönliches Recht abgeleitet erworben werden kann.655 Vielmehr bedarf es zum abgeleiteten Erwerb einer „ Ü b e r t r a g u n g (translatio)“656 des Besitzstandes vom rechtlich inhabenden Rechtsubjekt auf das erwerbende Rechtssubjekt, sodass die Existenz des Besitzstandes überhaupt in der Zeit nicht unterbrochen wird. Dies aber setzt eine überzeitlich (d. h. metaphysisch) vorzustellende Verbindung der am äußeren Erwerb beteiligten Rechtssubjekte in Ansehung der Übertragung voraus, weil die Übertragung des ununterbrochenen Besitzstandes von dem einen auf das andere Willkürsubjekt schlechterdings nicht als ein Akt im Nacheinander der Zeit und folglich auch nicht ohne Unterbrechung in der Zeit vorstellbar ist. Es bedarf also eines gemeinsamen Willens der beteiligten Willkürsubjekte, darin diese metaphysisch in Ansehung des Besitzerwerbs verbunden sind, sodass die Übertragung des Besitzstandes in dieser metaphysischen Willensverbindung als ein zeitloser Akt gedacht werden kann. Die Ableitung ist als Übertragung somit „nur durch einen gemeinschaftlichen Willen möglich […], vermittelst dessen der Gegenstand immer in die Gewalt des Einen oder des Anderen kommt, alsdann einer seinem Antheile an dieser Gemeinschaft entsagt, und so das

einem positivrechtlichen Begriff des Schuldrechts, darunter nicht bloß vertragliche, sondern auch gesetzliche Schuldverhältnisse der Privatrechtssubjekte einzuteilen sein können. Mit der rein begrifflich aus der Realdefinition des metaphysischen Begriffs des persönlichen Rechts (§ 18 Abs. 1) entwickelten These, dass persönliche Rechte an der Willkür eines anderen Rechtssubjekts im äußeren Verhältnis nicht aus rechtswidriger Tat resultieren können (§ 18 Abs. 2 S. 2), ist also nicht zugleich auch gesagt, dass es vernünftigerweise keine zivilgesetzlichen Schadensersatzansprüche (etwa gemäß § 823 BGB) in einer positivgesetzlichen Rechtsordnung geben könne oder dürfe. Es könnte also die über die vermeintliche Position Immanuel Kants ausgeschüttete Entrüstung nochmals zu überdenken sein, die bei Rühl, Kants Deduktion des Rechts als intelligibler Besitz (2010), S. 114 jedoch genau auf dieser Annahme einer unvermittelten Identität von positivrechtlichem Schuldrecht und metaphysischen persönlichen Recht beruht. Jedenfalls dürfte eine „Begriffsverwirrung“ nicht in § 18 Abs. 2 S. 2 gelegen sein. 654 RL, AA VI: 271.20-22. 655 RL, AA VI: 271.20-26. 656 RL, AA VI: 271.26-27.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Object durch Annahme desselben (mithin einen positiven Act der Willkür) das Seine wird“657. Ein gemeinsamer Wille in Ansehung eines zu erwerbenden persönlichen Rechts ist allerdings nur durch Vereinigung der am Erwerb beteiligten Willkürsubjekte und mithin alleine durch Vertrag denkmöglich, sodass der „ Ve r t r a g “ die allgemeine Rechtserwerbshandlungsrechtsform ist, die allem persönlichen Recht innerlich zugrunde liegen muss; wobei man im Falle der Übertragung des „ E i g e n t u m s “ an einer Sache, d. h. im Falle der Übertragung eines absoluten Rechts, von einer „ Ve r ä u ß e r u n g “ spricht (§ 18 Abs. 3 S. 2).658 aa) Die Exposition und Deduktion des reinen Begriffs der Erwerbung durch Vertrag Gemäß dieser Überlegungen im Anschluss an die Realdefinition des persönlichen Rechts ist nach philosophischer Methode im Folgenden der reine Begriff des Vertrages im Hinblick auf seinen Vorstellungsinhalt verstandesanalytisch zu exponieren und dieser sodann im Hinblick auf seine praktische Realität unter ihm als praktischer Begriff zu deduzieren, wobei in der Sache das Problem einer stetigen Übertragung des Besitzstandes ohne zeitliche Unterbrechungen rein begrifflich aufgelöst werden muss, da ein abgeleiteter Erwerb andernfalls gar nicht denkmöglich ist. Dabei sollte unausgesprochen klar sein, dass dem reinen Begriff des Vertrages, als einem metaphysischen Rechtsbegriff, der Modalität nach praktische Notwendigkeit eignen muss, deren rein begrifflicher Grund in der Begriffsdeduktion (§ 19 Abs. 3) ausgewiesen werden muss, in die die Exposition (§ 19 Abs. 1 – 2) nahtlos übergeht. Die Text gewordene Exposition beschränkt sich insofern auf die verstandesanalytischen Momente der Relation (§ 19 Abs. 1) und Qualität (§ 19 Abs. 2) des zu exponierenden Begriffsinhalts, weil das den reinen Vernunftbegriff innerlich bestimmende Moment der Quantität mit der Deduktion des reinen Begriffs durch Aufweis der Vorstellung des intelligiblen Besitzes zur Sprache kommt. Denn es ist zuletzt immer die reine Größenvorstellung der Vernunft von einem unendlich allgemeinen Willen im Rechtsbegriff (§ B Abs. 3), die hier durch den reinen Begriff des intelligiblen Besitzes praktisch bestimmend ist, weil dieser in seiner synthetisch-progressiven Vorstellungskraft bekanntlich eine „allgemeingeltende[] G e s e t z g e b u n g “659 in Ansehung des Besitzes der Gegenstände vorstellt (§ 7 Abs. 1 S. 6 i.V.m. Abs. 3). § 19 Abs. 1

Nach allgemeinem Wortverständnis liegt im Vertrag die Übereinkunft der an diesem Rechtsverhältnis beteiligten Parteien in Ansehung des Vertragsgegenstandes. Der Begriff des Vertrages bezeichnet somit in der Vorstellung seiner Relation ein interpersonales Rechtsverhältnis der Übereinkunft von Rechtssubjekten, die ein657 658 659

RL, AA VI: 271.26-31. RL, AA VI: 271.31-34. RL, AA VI: 253.27-36.

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

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ander in ihrem äußeren Verhältnis ohne Vertrag ursprünglich mit Blick auf den Vertragsgegenstand unverbunden gegenüber stehen. Diese Rechtssubjekte sind für einander insofern nicht mehr als körperliche Erscheinungen fremder Willkür. Daher muss sich die vertragliche Übereinkunft in ihrer ganzen Realität dann im Ausgang von dieser ursprünglichen Unverbundenheit ereignen. Dieser Umstand dürfte es nun mit sich bringen, dass die Übereinkunft zweier menschlicher Rechtssubjekte in ihrer empirischen Realität, jedenfalls nach den Überlegungen Immanuel Kants in § 19 Abs. 1 S. 1, nicht sofort mit den beiden konstituierenden rechtlichen Willkürakten des eigentlichen Vertragsschlusses anhebt, nämlich „ Ve r s p r e c h e n “ und „ A n n a h m e “ als Akte des Kontrahierens, sondern zuvor noch zwei vorbereitende Willkürakte, und zwar „ A n g e b o t “ sowie „ B i l l i g u n g “ als solche des „ T r a k t i e r e n s “ voraussetzt.660 Mit den beiden den Vertrag vorbereitenden Willkürakten ist demnach nicht mehr als ein Teil der empirischen Inbesitznahme der Willkür des anderen Rechtssubjekts im äußeren Verhältnis bezeichnet, von der im Folgenden dann abstrahiert werden muss, weil es in Exposition und Deduktion um den reinen Begriff des Vertrages zu tun ist, der selbstverständlich – auch nach den Überlegungen Immanuel Kants – „an sich, d. i. o b j e c t i v betrachtet, aus zwei rechtlichen Acten: dem Versprechen und der Annehmung desselben“661 besteht,662 sodass in § 19 Abs. 2 auch nur noch von den beiden konstitutiven Akten gehandelt wird. Das zeitlich vorhergehende Traktieren betrifft also nur die empirische Inbesitznahme, als die sinnliche Reizung der fremden Willkür im äußeren Verhältnis, und zwar insoweit, als sich die beteiligten Parteien über ihr willkürliches Interesse an der einander sinnlich vorgestellten Materie des Vertragsgegenstandes verständigen, sodass die annehmliche Leistung ebenderselben sodann auch rechtlich sinnvoll von der einen Seite versprochen und von der anderen Seite angenommen werden kann. § 19 Abs. 1 S. 2 exponiert eben diesen Gedanken rein begrifflich aus der Relationsvorstellung der Übereinkunft im Begriff des Vertrages: „Denn ein Anerbieten kann nicht eher ein Versprechen heißen, als wenn ich vorher urtheile, das Angebotene (oblatum) sei etwas, was dem Promissar a n g e n e h m sein könne; welches durch die zwei erstern Declarationen angezeigt, durch diese allein aber noch nichts erworben wird.“663 660 In der rechtsphilosophischen Kantliteratur herrscht vor dem Hintergrund eines in der Tendenz empirischen Rechtsbewusstseins über diesen von Immanuel Kant herausgestellten Umstand nicht selten Befremden, vgl. etwa Byrd, in: Timmons (Hrsg.): Kant’s Metaphysics of Morals (2002), S. 111 ff.; Lübbe-Wolff, in: Brandt (Hrsg.): Rechtsphilosophie der Aufklärung (1982), S. 286 (291 ff.); Rühl, Kants Deduktion des Rechts als intelligibler Besitz (2010), S. 115 f. 661 RL, AA VI: 284.17-18. 662 Die rechtliche Erwerbung des Besitzes ist dann nicht mehr Teil, sondern Folge der Annehmung, wie Kant in § 31 notiert (RL, AA VI: 284.17-21). Die Annehmung begründet also den reinen Rechtsbesitz und nicht den empirischen Besitz der fremden Willkür, wie hingegen Scheffel, in: Brandt (Hrsg.): Rechtsphilosophie der Aufklärung (1982), S. 311 (315) annimmt. 663 RL, AA VI: 272.06-10. – Zum hier maßgeblichen Begriff des Angenehmen äußert sich Kant nachdrücklich in § 3 KU, AA V: 205.25-27: „ D a s W o h l g e f a l l e n a m A n g e -

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts § 19 Abs. 2

Soll nunmehr die Qualität der Relation in der Vorstellung des reinen Begriffs des Vertrages exponiert werden, so ist von den vorbereitenden Willkürakten abzusehen und lediglich die Relation der Rechtssubjekte der Übereinkunft in den konstituierenden Willkürakten an sich selbst herauszustellen: In ihrer vertraglichen Übereinkunft und der darin bestehenden Relation bilden die am Vertrag durch Versprechen und Annehmung beteiligten Willkürsubjekte qualitativ nämlich einen „ v e r e i n i g t e n W i l l e n “664. Dabei ist zu bemerken, dass im Rahmen des persönlichen Rechts – wie auch in dem der ursprünglichen Erwerbung des Sachenrechts – der besondere Wille eines einzelnen Rechtssubjekts nicht schon für sich selbst alleine rechtsbegründend im interpersonalen Verhältnis zu wirken vermag, sodass nicht bereits ein einseitiges Versprechen ein persönliches Recht im Naturzustand zur Folge haben kann (§ 19 Abs. 2 S. 1). Denn nur wenn der Wille der am äußeren Erwerb eines persönlichen Rechts beteiligten Willkürsubjekte „ z u g l e i c h “665 erklärt wird, lässt sich die metaphysische Vorstellungseinheit eines gemeinsamen Willens im Sinne von § 18 Abs. 3 S. 1 denken, „vermittelst dessen der Gegenstand immer in die Gewalt des Einen oder des Anderen kommt, alsdann einer seinem Antheile an dieser Gemeinschaft entsagt, und so das Object durch Annahme desselben (mithin einen positiven Act der Willkür) das Seine wird“666. Ohne diesen gemeinschaftlichen Willen der Vertragssubjekte lässt sich der Besitzstand hingegen nicht ununterbrochen übertragen. Es sind somit durchaus nicht – wie jedoch LübbeWolff meint – bloß pragmatische und noch dazu freiheitswidrige Gründe, die Kant für die begründete Behauptung auf seiner Seite hat, dass das einseitige Versprechen nicht die Erwerbshandlungsform des persönlichen Rechts bildet.667 Zwar lässt sich durch eine dementsprechende positivgesetzliche Anordnung möglicherweise ein persönliches Recht auch durch einseitiges Versprechen unter Umständen rechtlich begründet denken; allerdings nur, weil in der positivgesetzlichen Anordnung ein allgemeiner Wille gelegen wäre, durch den die am Erwerb beteiligten Willkürsubjekte miteinander verbunden sind, sodass hierin dann auch die ununterbrochene Übertragung des Besitzstandes denkbar wäre. Da es einen solchen positiven Allgemeinwillen in staatlichen Gesetzen jedoch nur außerhalb des Naturzustandes gibt, kann die natürliche Erwerbshandlungsrechtsform im Naturzustand nicht ein einseitiges Versprechen sein. nehmen ist mit Interesse verbunden. Angenehm ist das, was den Sinnen in der Empfindung gefällt.“ 664 RL, AA VI: 272.13. 665 RL, AA VI: 272.11-14. 666 RL, AA VI: 271.26-31. – Rühl, Kants Deduktion des Rechts als intelligibler Besitz (2010), S. 117 ff. will hierin allerdings lediglich ein selbstgemachtes Scheinproblem erkennen, denn es sei bloß eine nicht von selbst verständliche und lediglich gesetzte Prämisse Kants, dass „ein Erwerb durch Vertrag nur über den vereinigten Willen zustande kommen kann“. 667 Siehe dazu Lübbe-Wolff, in: Brandt (Hrsg.): Rechtsphilosophie der Aufklärung (1982), S. 286 (288 – 291).

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

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In der gleichzeitigen Erklärung des besonderen Willens der beteiligten Willkürsubjekte durch Versprechen und Annehmung im Rahmen des Vertragsschlusses liegt dann das im Rahmen der Deduktion des reinen praktischen Begriffs metaphysisch aufzulösende Problem. Denn ihrem bloßen Begriff nach folgen die beiden willkürlichen Akte der Willenserklärung gedanklich notwendig aufeinander, und unter wirklichen Zeitverhältnissen des Nacheinanders lässt sich nun eben darum keine Gleichzeitigkeit beider Willkürakte denken (§ 19 Abs. 2 S. 2): „Denn wenn ich versprochen habe und der Andere nun acceptiren will, so kann ich während der Zwischenzeit (so kurz sie auch sein mag) es mich gereuen lassen, weil ich vor der Acceptation noch frei bin; so wie anderseits der Acceptant eben darum an seine auf das Versprechen folgende Gegenerklärung auch sich nicht für gebunden halten darf.“668 Es fehlt der empirischen Auffassung des Vertragsschlusses der daran beteiligten Willkürsubjekte in der Zeit somit an derjenigen praktischen Notwendigkeit, die – metaphysisch – nur ein gemeinsamer Wille rein begrifflich in sich schließt. In der Folge einer bloß empirischen Auffassung des Vertragsschlusses ist dann die ununterbrochene Besitzstandsübertragung, nämlich mangels einer metaphysischen Willenseinheit, und anders als dies beispielsweise Ulli F. H. Rühl annimmt, gemäß § 18 Abs. 3 S. 1 nicht möglich.669 § 19 Abs. 2 S. 3 erwähnt in diesem Zusammenhang noch die Verlegenheit der empirischen Vertragsauffassung um die „äußern Förmlichkeiten (solennia)“670 und gibt somit einen Hinweis auf die nunmehr in § 19 Abs. 3 anstehende Deduktion des reinen Begriffs der Erwerbung durch Vertrag. Denn der Vertrag schließt seine praktische Notwendigkeit nicht durch äußere, sondern durch innere Förmlichkeit in sich, wenn und weil der reine Begriff des Vertrages unter dem als allgemein gebrauchten Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) metaphysisch durch die Form eines gesetzlichen Allgemeinwillens innerlich bestimmt ist und folglich der reine Begriff des Vertrages durch diesen Allgemeinwillen schließlich auch seinen Vorstellungsgegenstand unter ihm wiederum selbst praktisch bestimmt. Der im reinen Begriff des Vertrages vereinigt vorgestellte Wille der vertragsschließenden Willkürsubjekte ist also innerlich – der Quantität nach – als ein unendlich allgemeiner Wille bestimmt. Der Vertrag und mit ihm das persönliche Recht stehen somit praktisch real unter der Bedingung von Freiheitsgesetzen (§ 18 Abs. 1 i.V.m. § C Abs. 4); und der besonders vereinigte Wille der vertragsschließenden Willkürsubjekte ist eben darum, begrifflich vermittelt durch den Begriff des intelligiblen Besitzes und seine allgemeingeltende Gesetzgebung (§ 7 Abs. 1 S. 6), nicht bloß willkürlich, sondern praktisch notwendig. Diesen Umstand rein begrifflich aufzuweisen, ist Thema der Deduktion des Begriffs der Erwerbung durch Vertrag. Denn „die transscendentale Deduction

668 669 670

RL, AA VI: 272.16-21. Siehe dafür Rühl, Kants Deduktion des Rechts als intelligibler Besitz (2010), S. 116 ff. RL, AA VI: 272.21-29.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

des Begriffs der Erwerbung durch Vertrag kann allein alle diese Schwierigkeiten heben“671. § 19 Abs. 3 S. 2672

Die sich nur aus einem einzigen Satz speisende Deduktion des reinen Begriffs der Erwerbung durch Vertrag (§ 19 Abs. 2 S. 2) besteht nach ihrer rein begrifflichen (akroamatischen) Struktur in ebenderselben Gedankenführung, die auch schon für die Deduktion des reinen Begriffs der ursprünglichen Erwerbung in § 17 Abs. 2 maßgeblich war, nämlich in einem begrifflichen Aufweis der Abstraktion des Begriffs des intelligiblen Besitzes innerhalb des äußeren Besitzverhältnisses, die ihren praktischen Grund in dem Willen als einem gesetzgebenden Vernunftvermögen hat. Sie lässt sich in drei jeweils durch Doppelpunkt bzw. Semikolon voneinander getrennte Teile gliedern und knüpft zu Beginn an die Rechtsbesitzfolgevorstellung des metaphysischen Begriffs des Vertrages an: „In einem r e c h t l i c h e n äußeren Verhältnisse wird meine Besitznehmung der Willkür eines Anderen (und so wechselseitig), als Bestimmungsgrund desselben zu einer That, zwar erst empirisch durch Erklärung und Gegenerklärung der Willkür eines jeden von beiden in der Zeit, als sinnlicher Bedingung der Apprehension, gedacht, wo beide rechtliche Acte immer nur auf einander folgen: […]“

Unter dem metaphysischen Begriff des Vertrages wird die Besitznehmung der Willkür eines anderen Rechtssubjekts zur Leistung durch Versprechen und Annehmung im zeitlichen Nacheinander dieser beiden Willkürakte gedacht. Insofern lassen sich beide Akte auch nur als Teile einer empirischen Besitznehmung begreifen. Bliebe es bei diesem schon in § 19 Abs. 2 als Problem exponierten Stand, so wäre eine rechtliche Besitznehmung im Falle des Vertrages und mithin beim persönlichen Recht unmöglich. Allerdings ist das Besitznehmungsverhältnis – in Versprechen und Annehmung – als ein Rechtsverhältnis kein empirisches, sondern ein rein intellektuelles Verhältnis. Dementsprechend kann das Nacheinander von Versprechen und Annehmung im rein intellektuellen Verhältnis an sich selbst nicht als ein zeitliches Nacheinander, sondern lediglich als das logische Nacheinander einer denkenden Unterscheidung innerhalb der Vernunftvorstellung eines gemeinsamen Willens der Vertragssubjekte rechtlich bestimmt gedacht werden. Insofern liegt im rein intellektuellen Begriff des Vertrages eine Abstraktion von allen sinnlichen Bedingungen des Vertragsschlusses, sodass in diesem Vertragsschluss lediglich ein einheitlicher Wille der vertragsschließenden Rechtssubjekte unter Freiheitsgesetzen gedacht wird. Dies aber ist der Begriff eines Willens als einem gesetzgebenden Vernunftvermögen, so wie er auch im Begriff des intelligiblen Besitzes als eine allgemeingeltende Gesetzgebung (§ 7 Abs. 1 S. 6) vorzustellen ist. 671

RL, AA VI: 272.30-31. RL, AA VI: 272.31-273.10 (alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Satz; für den Klammerzusatz „aber“ in diesem Satz vgl. AA VI: 533). 672

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

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„[…] weil [aber] jenes Verhältniß (als ein rechtliches) rein intellectuell ist, durch den Willen als ein gesetzgebendes Vernunftvermögen jener Besitz als ein intelligibeler (possessio noumenon) nach Freiheitsbegriffen mit Abstraction von jenen empirischen Bedingungen als das Mein oder Dein vorgestellt; […]“

Der hier in der Abstraktion wirkliche Wille als gesetzgebendes Vermögen ist zugleich der des allgemeinen Prinzips des äußeren Erwerbs (§ 10 Abs. 3), durch das in der Folge ein intelligibler Besitz an einem äußeren Gegenstand – wie hier: an der Kausalität fremder Willkür – begründet wird. Dementsprechend ist auch im rechtlichen Besitzverhältnis des persönlichen Rechts bzw. des Vertrages der reine Begriff des intelligiblen Besitzes (§§ 6, 7) mit seiner synthetisch-progressiven Vorstellungskraft in der Abstraktion von allen sinnlichen Bedingungen rechtlich-praktisch, sodass von der Zeitfolge in den Willkürakten des Vertragsschlusses abgesehen und ein einheitlicher – gemeinsamer – Wille der Vertragsparteien gedacht wird. „[…] wo beide Acte, des Versprechens und der Annehmung, nicht als aufeinander folgend, sondern (gleich als pactum re initum) aus einem einzigen g e m e i n s a m e n Willen hervorgehend (welches durch das Wort z u g l e i c h ausgedrückt wird) und der Gegenstand (promissum) durch Weglassung der empirischen Bedingungen nach dem Gesetz der reinen praktischen Vernunft als erworben vorgestellt wird.“

Auf diese Weise ist auch hier (§ 19 Abs. 3 S. 2) der synthetische Rechtssatz des persönlichen Rechts a priori in praktischer Rücksicht auf analytische Art bewiesen (§ 7 Abs. 8 S. 2 i.V.m. Abs. 3), weil in der Folgevorstellung des metaphysischen Begriffs des Vertrages der intelligible Besitz an der Kausalität fremder Willkür im äußeren Verhältnis gedacht wird und der reine Begriff des Vertrages somit durch den schon hinreichend deduzierten reinen praktischen Begriff des intelligiblen Besitzes in ihm selbst praktisch ist. Da überdies der allgemeine Wille im allgemeinen Prinzip des äußeren Erwerbs (§ 10 Abs. 3) nur in einer bürgerlichen Verfassung auch äußere Realität hat, ist schließlich auch aller vertraglich abgeleiteter Erwerb hinsichtlich seiner Rechtsfolgen nur im bürgerlichen Zustand rechtlich bestimmt denkbar (§ 8 Abs. 1 S. 7), sodass alle vertraglich abgeleitete Erwerbung im Naturzustand lediglich im Hinblick (provisorisch) auf einen bürgerlichen Zustand rechtlich bestimmt denkbar ist, auch wenn der besondere Abschnitt vom persönlichen Recht (§§ 18 – 21) diesen allgemein bekannten Umstand (§§ 8 – 9) nicht eigens nochmals heraushebt. Dagegen findet sich in der Literatur auch an diesem Punkt die gedankliche Verkürzung der „Deduction des Begriffs der Erwerbung durch Vertrag“ auf eine Deduktion des Vertrages selbst, d. h. es findet sich darin die wenig idealistische Verwechselung von Begriff und Gegenstand, durch die sich auch hier die eigentlich metaphysische Ebene reinen Rechtsdenkens in bloßen und dennoch praktischen Begriffen verschließt.673 An den kritisch vorgetragenen Einwänden ihrer Interpreten, 673 Vgl. etwa Brandt, DZPhil 47 (1999), S. 887 (896); dens., in: Gerhardt/Horstmann/ Schumacher (Hrsg.): Kant und die Berliner Aufklärung IV (2001), S. 72 (73); Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (2007), S. 231 – 239, König, in: Höffe (Hrsg.): Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (1999), S. 133 (137); Lübbe-Wolff, in: Brandt (Hrsg.): Rechts-

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

mit denen sich die Deduktion Immanuel Kants im persönlichen Recht mitunter konfrontiert sieht, ließe sich dies im Übrigen möglicherweise recht eindrucksvoll belegen.674 bb) Der Erwerbsgegenstand des persönlichen Rechts und der Übergang eines Sachenrechts Gemäß dem nunmehr deduzierten reinen praktischen Begriff des Vertrages erwirbt ein Rechtssubjekt durch eben diese Rechtserwerbshandlungsrechtsform ein persönliches Recht, d. h. ein subjektives Recht an der Kausalität fremder Willkür im äußeren Verhältnis (§ 20 Abs. 1). Eben deshalb geht ein Sachenrecht dann auch nicht durch bloßen Vertragsschluss von dem einen auf das andere Willkürsubjekt über, weil im Veräußerungsvertrag lediglich ein persönliches Recht an der fremden Willkür auf Leistung des Sachenrechts im äußeren Verhältnis begründet wird, sodass schließlich noch die tatsächliche Übergabe (traditio) der Sache zur dinglich abgeleiteten Rechtsbegründung erforderlich ist (§ 21 Abs. 1). Unter der Geltung entsprechender positiver Gesetze in einer staatlichen Rechtsordnung mag der Veräußerungsvertrag dagegen unmittelbar (durch das Gesetz) mit der dinglichen Rechtsfolge verknüpft sein; im bloßen Naturzustand lässt sich das dingliche Rechtsgeschäft hingegen nur abstrakt und getrennt vom persönlichen Rechtsgeschäft rechtlich bestimmt denken, weil darin lediglich die reinen Begriffe dieser beiden Rechtsgeschäfte praktisch sind.675 Der Begriff eines relativen Rechts bringt dann unter sich nicht schon ohne weitere begriffliche Vermittlung den konkreten Begriff eines absoluten Rechts hervor. 3. Deduktion des Begriffs der Erwerbung durch Gesetz Bisher wurde die rechtliche Verbindung der menschlichen Rechtssubjekte rein begrifflich in Ansehung bloß körperlicher Substanzen (Sachenrecht) sowie im Falle der Kausalität fremder Willkür im äußeren Verhältnis (persönliches Recht) im Naturzustand und mithin lediglich provisorisch im Hinblick auf den Zustand der freien Willkür in einer bürgerlichen Verfassung entwickelt.

philosophie der Aufklärung (1982), S. 286 (293 ff.); Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 135 f.; Rühl, Kants Deduktion des Rechts als intelligibler Besitz (2010), S. 119 f. 674 Beispielsweise soll es sich bei dem Problem dieser Deduktion nach Lübbe-Wolff, in: Brandt (Hrsg.): Rechtsphilosophie der Aufklärung (1982), S. 286 (302 ff.) um eine von Kant selbst erfundene Schwierigkeit handeln: „Zum Glück, denn was wäre aus der Deduktion geworden, wenn ihm dieses Problem nicht eingefallen wäre?“. 675 Rühl, Kants Deduktion des Rechts als intelligibler Besitz (2010), S. 121 kritisiert an diesem Punkt und mit Blick auf das ihm aus dem BGB bekannte Trennungs- und Abstraktionsprinzip, „dass Kant eine rechtliche Konstruktion als vernunftrechtliche notwendig behauptet, von der man mit großer Sicherheit weiß, dass sie kontingent ist“.

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

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Bliebe es nunmehr bei diesem begrifflichen Entwicklungszustand des reinen Rechtsbewusstseins eines menschlichen Willkürsubjekts, so gäbe im einzelnen äußeren Verhältnis des Zustandes seiner freien Willkür zu dem Zustand der freien Willkür von seinesgleichen unter dem als allgemein bestimmend gebrauchten Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) weder eine rechtliche Verbindung (Gemeinschaft) im interpersonalen Rechtsverhältnis des Naturzustandes selbst, noch eine rechtliche Verbindung (Gemeinschaft) im allgemeinen äußeren Verhältnis des Zustandes der einen freien Willkür zu dem einer jeden anderen freien Willkür außerhalb des Naturzustandes, weil es dann unter dem allgemeinen Rechtsbegriff schon begrifflich überhaupt an der rechtsbegrifflich bestimmten Rechtsform eines wechselseitigen Personenbesitzes – völlig gleich, ob nur im einzelnen oder gar auch im allgemeinen Fall – mangelte. Die Menschen könnten sich alsdann, was ihren wechselseitigen Umgang miteinander im äußeren Verhältnis selbst angeht, tatsächlich lediglich als körperliche Gegenstände empirisch besitzen sowie gebrauchen, weil sie einander im Außereinander des Raumes – ohne eine sie in ihrem Zustand gemeinsam verbindende Rechtsbesitzform – in ihrer eigenen Vorstellung von sich selbst lediglich als äußere Gegenstände gegenüberstünden. Im Ergebnis käme dies dem beinahe, nämlich bloß mit Ausnahme des dinglichen sowie des persönlichen Rechts, umfassend auf das menschliche Miteinander im äußeren Verhältnis bezogenen Begriff eines rechtsfreien Raumes gleich. Nun ist aber klar, dass ein solchermaßen unverbindlicher sowie begriffsloser Umgang miteinander im äußeren Verhältnis dem als allgemein bestimmend gebrauchten Rechtsbegriff mit seiner in ihm praktischen Gemeinschaftskategorie (§ B Abs. 3)676 und mithin auch dem rechtlich-moralischen Selbstbewusstsein eines jeden einzelnen menschlichen Rechtssubjekts widerstreiten würde, weil sich die Menschen im äußeren Verhältnis dann wechselseitig lediglich als Mittel, und folglich auch nicht zugleich als Zweck an sich selbst, d. h. als autonome (= selbstgesetzgebende) Wesen behandeln könnten. Vor diesem Hintergrund erweist sich bereits im Naturzustand eine dritte Rechtsbesitzrechtsform als praktisch notwendig, durch die sich die menschlichen Rechtssubjekte im Einzelfall wechselseitig als Personen rechtlich besitzen können und in dieser Hinsicht zugleich auch – d. h. nicht bloß als Mittel – rechtlich gebrauchen dürfen, soll ihr empirischer Gebrauch voneinander nicht bloßer Verbrauch der Persönlichkeit, sondern – im Gegenteil – ihren unbedingt notwendigen Erhalt im äußeren Verhältnis vorstellen. Je mehr man diesen Zusammenhang reflektiert, desto unbegreiflicher wird auch das mitunter nicht selten sogar zur Empörung gesteigerte Unverständnis, das der dritten Rechtsbesitzform der natürlichen Privatrechtslehre – dem auf dingliche Art persönlichen Recht (§§ 22 – 30) – von Beginn an entgegengeschlagen ist und gegenwärtig teilweise noch immer entgegenschlägt. Erinnert sei hier unter den zeitgenössischen Stimmen nur an die aus der Feder Friedrich Bouterweks stammende Rezension in Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen vom 18. 02. 1797, darin 676

Siehe dazu nochmals oben unter B. II. 2. im fünften Kapitel.

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der eigentumstheoretisch interpretierende Rezensent das „auf dingliche Art persönliche Recht“ mit einem „auf persönliche Art dinglichen Rechte“ verwechselte. Da es ein solches Recht allerdings in der Tat gerade eben nicht geben kann, weil dies das Recht einer Sache gegen eine Person sein würde, sah sich Immanuel Kant schon unmittelbar nach Erscheinen seiner Rechtslehre zu einer diskreten Klarstellung in diesem wichtigen Punkt durch den „scharfprüfende[n] Recensent“ herausgefordert, der zuvor mit Blick auf dieses Recht immerhin halb spöttisch von einem „neue[n] Phänomen am juristischen Himmel“ gesprochen hatte.677 Erinnert sei hier in diesem Zusammenhang unter den gegenwärtigen Stimmen der Interpreten dann zugleich aber auch das vernichtende Urteil des Eigentumstheoretikers und Herausgebers der Kantischen Rechtslehre Bernd Ludwig, der sich zu seiner Einschätzung – in Umkehrung einer rhetorisch formulierten Erwiderung Immanuel Kants678 – affirmativ auf das Verdikt Bouterweks stützt: „Der Rechtstitel eines „auf dingliche Art persönlichen Rechts“ hat sich seit Beginn der Diskussion um die Rechtslehre als eine „Sternschnuppe“ erwiesen.“679 Allerdings dürfte es sich bei dieser Perpetuierung der eher abschätzigen Einschätzung einer der ersten Rezensionen um Fluch und Segen zugleich handeln, denn da der dritte Abschnitt des zweiten Hauptstücks der natürlichen Privatrechtslehre nach Einschätzung Bernd Ludwigs in der Sache selbst wohl ohnehin nicht zu retten sein dürfte, finden sich dann bei ihm in dieser Hinsicht ausnahmsweise auch keine weitergehenden editorischen Überlegungen bzw. Eingriffe in die originale Textstruktur. Freilich muss die praktisch-notwendige Bedeutung dieses allerpersönlichsten Rechts in ihrer besonderen Dringlichkeit für das Recht der Menschen ebenso dort gedanklich im Ungewissen verbleiben, wo sich die natürlichen Rechtssubjekte, auch ohne bürgerliche Verfassung ihrer selbst und im offenen Widerspruch mit § 10 Abs. 2 S. 1 1. Hs., zu ihrer eigenen Genugtuung subjektiv immer schon ursprünglich, d. h. ohne positive äußere Selbsttätigkeit in einem wirklichen Rechtszustand synthetisch verbunden mit äußeren Gegenständen dünken wollten. Es ist dann nämlich schon eher ein Leichtes, sich gemeinsam mit einer eigentumstheoretischen Interpretation, welche die Notwendigkeit der bürgerlichen Verfassung der Privatrechtssubjekte als Sicherungsmittel zum Zweck des naturzuständlich vermeinten Eigentums begrifflich noch unter die des bloßen Sachenrechts 677 Siehe einerseits Bouterwek (anonym), in: Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen (1797), S. 265 (270, 272) = abgedruckt in AA XX, S. 445 – 453; und andererseits Kant, RL (Anhang), AA VI: 356 (357 ff., besonders 358.05-08). Wie die Terminologie einer späteren Rezension dieser Erläuternden Anmerkungen Immanuel Kants durch Bouterwek (anonym), in: Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen (1799), S. 1197 – 1200 zeigt, hat der Rezensent, der dort nicht länger vom „auf persönliche Art dinglichen Recht“ handelt, diesen ihm diskret erteilten Wink durchaus verstanden: „Daß Hr. K. die Göttingische Recension im Ganzen eine scharfsinnige und gründliche Recension nennt, ist ein Lob, durch das der Proceß zwischen dem Verf. und dem Rec. nur noch verwickelter wird.“ 678 RL (Anhang), AA VI: 359.02. 679 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 148.

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herabwürdigt, über die fundamentale Bedeutung des Abschnitts „ Vo n d e m a u f d i n g l i c h e A r t p e r s ö n l i c h e n R e c h t “680 für den Gedanken eines autonomen Miteinanders im äußeren Verhältnis einfach hinwegzutäuschen. Dies gilt zumal sich die Darstellung dieser naturrechtshistorischen Neuerung in der Rechtslehre Immanuel Kants nach Auskunft des Autors681 in § 22 darauf beschränkt, auf die Gründe zu diesem Recht bloß hinzuweisen, ohne sie selbst umständlich zu erörtern, sodass daraus nach seinem Geständnis in der Tat ein Mangel an Klarheit resultiert sein mag.682 Da sich die Deduktion des reinen Begriffs der zum dinglich-persönlichen Recht gehörigen Erwerbungshandlung methodologisch jedoch nach Maßgabe der bereits anhand des Sachenrechts sowie des persönlichen Rechts nachgezeichneten Deduktionen (§§ 17 Abs. 2, 19 Abs. 3 S. 2), d. h. vermittelst einer begrifflich nachgewiesenen Vorstellung des intelligiblen Besitzes in der praktischen Folge des reinen Begriffs der betreffenden Erwerbshandlung vollziehen muss (§§ 22 i.V.m. 6 Abs. 10, 7 Abs. 1, 4 und 8, 10 Abs. 3, 8 Abs. 1 S. 7), lässt sich das auf dingliche Art persönliche Recht dennoch gedanklich relativ unschwierig erschließen, wenn man es nach dieser Methode philosophischer Begriffserkenntnis durchleuchtet: a) Der praktische Vernunftbegriff des dinglich-persönlichen Rechts Im „ A n h a n g E r l ä u t e r n d e r B e m e r k u n g e n z u d e n m e t a p h y s i s c h e n A n f a n g s g r ü n d e n d e r R e c h t s l e h r e “683 hat Immanuel Kant, und zwar als Reaktion auf die zuvor schon genannte Göttinger Rezension Friedrich Bouterweks, die Methode logischer bzw. metaphysischer Begriffseinteilung, die allen bis dahin vorkommenden Einteilungen innerhalb der Rechtslehre und mithin ebenso der dritten Rechtsbesitzrechtsform gedanklich zugrunde liegt, auch für die breite Masse seiner Leser explizit gemacht. Unter Nr. 1 findet sich dort die „ L o g i s c h e Vo r b e r e i t u n g z u e i n e m n e u e r d i n g s g e w a g t e n R e c h t s b e g r i f f e “684 : Demnach ist mit dem dinglichen (§§ 11 – 17) sowie dem persönlichen Recht (§§ 18 – 21) in ihrem Gegensatz lediglich die logische Begriffseinteilung alles Privatrechts bedient, nach der für den gemäß dem Widerspruchssatz einteilenden Verstand alles Privatrecht entweder ein dingliches oder ein nicht-dingliches Recht sein muss. Da aber das persönliche Recht als nicht-dingliches Recht für sich selbst auch eine positive rechtliche (daher: vernünftige) Bestimmung in sich hat, durch die es sich als nicht-dingliches Recht in seiner Realität nicht bloß negativ-unendlich vom dinglichen Recht unterscheidet, lassen sich die spezifischen Prädikate der beiden 680

RL, AA VI: 276.17. Siehe dafür den Brief (Nr. 761) an Christian Gottfried Schütz vom 10. 07. 1797, AA XII: 181.16-28. 682 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 138 erachtet die §§ 22 – 23 dagegen sogar als „wenig erhellend“. 683 RL, AA VI: 356 ff. 684 RL, AA VI: 357.09-358.15. 681

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verständig eingeteilten Rechtsbesitzformen auch rein begrifflich (d. h. metaphysisch) miteinander kombinieren, sodass für die Vernunft die Frage nach der praktischen Realität einer solchen synthetischen Begriffsverknüpfung a priori resultiert. Dabei erweist sich die synthetische Verknüpfung eines auf persönliche Art dinglichen Rechts von vornherein als rein begrifflich unschlüssig, weil sich unter dem allgemeinen Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) in der Sphäre seiner Bestimmung kein besonderes Recht einer Sache gegen eine Person denken lässt, sodass diesem allgemein unschlüssigen Begriff auch keine praktische Realität eignen kann. Dagegen erweist sich die synthetische Verknüpfung eines auf dingliche Art persönlichen Rechts unter dem allgemeinen Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) von vornherein jedenfalls als schlüssig, weil sich eine persönlich-rechtliche Verbindung von Rechtssubjekten auf dingliche Art, d. h. mit absoluter Verbindlichkeit im äußeren Verhältnis, als ein allerpersönlichstes Recht widerspruchsfrei denken lässt.685 Die praktische Realität eines solchen reinen Begriffs in seiner Bestimmung muss dann seine Deduktion (d. h. Rechtfertigung) erweisen, von der Immanuel Kant unter Nr. 2 des Anhangs der erläuternden Bemerkungen nochmals handelt: „ R e c h t f e r t i g u n g d e s B e g r i f f s v o n e i n e m a u f d i n g l i c h e A r t p e r s ö n l i c h e n R e c h t “686. Nun kann die Deduktion eines reinen praktischen Begriffs, der nicht der oberste reine praktische Begriff in einer progressiv-synthetischen Begriffsreihe ist, wie etwa in § 5 Abs. 1 S. 1 für den allgemeinen Begriff des äußeren Mein und Dein gesehen, jedenfalls vermittelst seiner Realdefinition geleistet werden.687 Eben hierin besteht auch die Rechtfertigung des Begriffs vom dinglich-persönlichen Recht unter genannter Nr. 2 der erläuternden Anmerkungen: „Die Definition des auf dingliche Art persönlichen Rechts ist nun kurz und gut diese: ,Es ist das Recht des Menschen, eine 685 NB: Der Verstandesgegensatz zwischen dem dinglichen und dem persönlichen Recht ergibt sich aus der Einteilung des noch höheren Begriffs der äußeren Erwerbung, danach alle Erwerbung entweder ursprünglich oder abgeleitet ist (§ 10 Abs. 1 S. 1 und 3). Insofern resultiert die positiv über die negativ-unendliche Bestimmung spezifisch hinausgehende bejahende Bestimmung im Begriff des persönlichen Rechts aus diesem begrifflichen Einteilungsglied der abgeleiteten Erwerbung unter dem höheren Begriff der äußeren Erwerbung. Soll nun dem persönlichen Recht unter dem Begriff der abgeleiteten Erwerbung das auf dingliche Art persönliche Recht als ein nicht-persönliches Recht verständig entgegengesetzt werden, dann kann die positiv über die negativ-unendliche Bestimmung spezifisch hinausgehende Bejahung im Begriff des auf dingliche Art persönlichen Rechts wiederum nur aus dem dingliches und persönliches Recht verbindenden Begriff der äußeren Erwerbung resultieren. Da es sich bei diesem Begriff äußerer Erwerbung (§ 10 Abs. 1 S. 1) mit den beiden Einteilungsgliedern der ursprünglichen sowie der abgeleiteten Erwerbung nur um einen verständig eingeteilten Begriff handelt, muss auch dieser Begriff vernünftig (d. h. metaphysisch/trichotomisch) einteilbar sein, wenn er tatsächlich die praktische Bestimmung in den drei Rechtsbesitzrechtsformen unter sich haben soll. Eben dieses dritte – allumschließende – Glied bildet dann der aus dem Prinzip der ursprünglichen Erwerbung (d. h. der bürgerlichen Verfassung) abgeleitete Erwerb, weshalb alles äußere Mein und Dein letztlich ganz allgemein nur im bürgerlichen Zustand in seiner vernünftigen praktischen Realität denkbar ist (§ 8 Abs. 1 S. 7). 686 RL, AA VI: 358.16-359.03. 687 Vgl. dazu methodologisch oben Fn. 624.

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P e r s o n außer sich als d a s S e i n e zu haben.‘“688 Denn indem hier die in § 22 S. 1 noch lediglich nominal gegebene Definition mit dem Begriff des intelligiblen Besitzes („d a s S e i n e “) versehen wird, ist der intelligible Besitz rein begrifflich zugleich als reale Bedingung in dem Begriff eines besonderen äußeren Mein und Dein, nämlich dem auf dingliche Art persönlichen Recht gesetzt, wie es unter dem allgemeinen Begriff des äußeren Mein und Dein (§ 5 Abs. 1 S. 2) auch gar nicht anders sein kann: „Etwas Äußeres als das Seine haben heißt es rechtlich besitzen; […].“689 Unter dem auf dingliche Art persönlichen Recht (§ 22) muss man sich demnach ein subjektives und/oder objektives Recht vorstellen, eine andere Person – d. h. insofern zugleich auch ein äußerer Gegenstand in der Begrifflichkeit Immanuel Kants – als eine Sache absolut-rechtlich zu besitzen, obgleich sie im Rahmen dieser Rechtbesitzrechtsform nicht wie eine Sache nach Belieben des Eigentümers, sondern lediglich nach Freiheitsgesetzen als Person vom Personenbesitzer gebraucht und behandelt werden darf.690 „Das Seine bedeutet zwar hier nicht das des Eigenthums an der Person eines anderen (denn Eigenthümer kann ein Mensch nicht einmal von sich selbst, viel weniger von einer anderen Person sein), sondern nur das Seine des Nießbrauchs (ius utendi fruendi), unmittelbar von dieser Person g l e i c h a l s von einer Sache, doch ohne Abbruch an ihrer Persönlichkeit, als Mittel zu meinem Zweck Gebrauch zu machen.“691 Das Prädikat „dinglich“ in diesem Begriff des „auf dingliche Art persönlichen Rechts“ kennzeichnet demnach gerade nicht die rechtliche Art des Gebrauchs der Person, sondern lediglich die rechtliche Art des – absoluten – Besitzes der Person. Insoweit muss das in Bezug auf eine andere Person positiv bestehende Herausgabe- bzw. Vindikationsrecht (z. B. der Eltern gegen jeden physischen Besitzer ihrer Kinder692) als ein äußeres „Zeichen“ für ein selbst schon begründetes dinglich-persönliches Recht angesehen werden.693 688 RL, AA VI: 358.19-21 – (diese Deduktion des Begriffs der Rechtsbesitzrechtsform ist wohlgemerkt nicht identisch mit der Deduktion des Begriffs der innerlich dazugehörigen Rechtsbesitzerwerbshandlungsrechtsform). 689 RL, AA VI: 359.06. 690 RL, AA VI: 276.19-20: „Dieses Recht ist das des Besitzes eines äußeren Gegenstandes a l s e i n e r S a c h e und des Gebrauchs desselben a l s e i n e r P e r s o n “; siehe ferner 358.09-15. – Der hier angesprochene äußere Gegenstand für die freie Willkür ist also der Zustand der Person eines anderen Willkürsubjekts. Wenn dagegen Deggau, Die Aporien der Rechtslehre Kants (1983), S. 168 ff. zu Beginn seiner Ausführungen zu der von ihm vermeinten „Aporie der Begründung des Hauses“ konstatiert, dieser äußere Gegenstand sei der menschliche Körper einer anderen Person (ebenso Kuhne, in: Gerhardt/Horstmann/Schumacher [Hrsg.]: Kant und die Berliner Aufklärung IV [2001], S. 189 [190]), wobei diese Personalität ihrer Körperlichkeit – nach Deggau – auch noch subordiniert sein soll, so stellt das den Kantischen Gedanken wohl eher auf den Kopf. 691 RL, AA VI: 359.17-22; vgl. auch oben Fn. 646. – In der Literatur findet sich besonders für das Kantische Eherecht aber die unzutreffende Behauptung, dass danach die jeweils andere Person „als Eigentum“ erworben werde; siehe dafür etwa Heinrichs, KS 86 (1995), S. 41 (46); ferner Horn, Nichtideale Normativität (2014), S. 209. 692 RL, AA VI: 360.13-17.

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Ohne das auf dingliche Art persönliche Recht ließe sich – um hier zu schließen – unter dem allgemeinen Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) also kein einziges absolutes Personenrecht als das „ a l l e r p e r s ö n l i c h s t e “694 Recht rechtlich bestimmt denken. So stünde dann etwa die empirische Rechtspraxis eines positivgesetzlichen Familienrechts in einem Staat bürgerlicher Verfassung, das die Existenz absoluter Personenrechte ausweislich bestimmter Rechtsfolgen in sich selbst (z. B. § 1632 Abs. 1 BGB) dagegen behauptet, vor einem normativen Scherbenhaufen. Der kurzentschlossenen Leugnung einer solchen absoluten Rechtsform bzw. ihrer reinen Begriffe eignet somit, jedenfalls ohne Aufweis der begrifflich notwendigen Alternativen, möglicherweise wohl stets auch ein Moment mangelnder Ernsthaftigkeit in der intellektuellen Auseinandersetzung rechtlich-praktischer Fragen des menschlichen Miteinanders. Man kann die Überlegungen Immanuel Kants zu dem auf dingliche Art persönlichen Recht (§§ 22 – 30) daher vor diesem Hintergrund nur schlecht mit der notwendigen Ernsthaftigkeit wirklich begrifflichen Denkens als lebensfern einstufen. b) Der praktische Vernunftbegriff der Erwerbung durch Gesetz Gemäß den allgemeinen Vorüberlegungen in § 10 Abs. 6 – 8 bedarf es nunmehr noch einer Deduktion des reinen Begriffs der zu dem auf dingliche Art persönlichen Recht innerlich gehörigen Erwerbshandlung, sodass dieser reine Begriff zunächst exponiert werden muss, bevor er hinsichtlich seiner rechtlich bestimmten Rechtsfolge als praktisch erwiesen werden kann. Immanuel Kant hat in seiner Rechtslehre auf eine ausführliche Entwicklung beider methodologisch notwendigen Schritte verzichtet und in § 22 S. 3 lediglich auf die entscheidenden Momente, wie sie sich aus der Realdefinition des reinen praktischen Vernunftbegriffs dieser Rechtsform entwickeln lassen, in ihrem Zusammenhang hingewiesen: „Die Erwerbungsart dieses Zustandes und in demselben geschieht weder durch eigenmächtige That (facto), noch durch bloßen Vertrag (pacto), sondern durchs Gesetz (lege), welches, weil es kein Recht in einer Sache, auch nicht ein bloßes Recht gegen eine Person, sondern auch ein Besitz derselben zugleich ist, ein über alles Sachen- und persönliche hinaus liegendes Recht, nämlich das Recht der Menschheit in unserer eigenen Person sein muß, 693 RL, AA VI: 359.11-16, 278.18-22, 282.09-16, 284.01-05; Brief (Nr. 761) an Schütz vom 10. 07. 1797, AA XII: 182.34-34. – Schon Bouterwek (anonym), in: Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen (1797), S. 265 (272) wollte übrigens in gänzlicher Verkennung des bloßen Zeichencharakters des empirisch stets unterstellten Herausgaberechts einen Zirkelschluss auf die Begründung des dinglich-persönlichen Rechts erkannt haben (ebenso ein weiterer anonymer Rezensent bzw. vermutlich abermals Schütz, in: Allgemeine Literatur-Zeitung [1799/ III], Sp. 201 [204]). Nicht anders urteilt da gegenwärtig auch wieder Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 143/145 Fn. 106, der sich dem irrigen Verdikt Bouterweks insofern ungeprüft angeschlossen hat (siehe dafür ferner Jauch, Immanuel Kant zur Geschlechterdifferenz [19892], S. 170 f.). In der Sache zutreffend gegen diesen Zirkelvorwurf Bouterweks aber bereits Horn, Immanuel Kants ethisch-rechtliche Eheauffassung (1936), S. 32. 694 RL, AA VI: 277.04-05.

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welches ein natürliches Erlaubnißgesetz zur Folge hat, durch dessen Gunst uns eine solche Erwerbung möglich ist.“ (RL, AA VI: 276.26-34).

Doch wie ist dieser Hinweis im Ausgang von der Definition des Begriffs des auf dingliche Art persönlichen Rechts zu verstehen? – Da das auf dingliche Art persönliche Recht ausweislich seiner Realdefinition qualitativ weder ein dingliches, noch ein persönliches Recht ist, kann es auch nicht vermittelst einer solchen Erwerbshandlung erworben werden, die begrifflich innerlich spezifisch zum dinglichen oder zum persönlichen Recht gehört. D. h. die äußere Erwerbung eines auf dingliche Art persönliches Recht kann weder durch Okkupation („facto“), noch durch bloßen Vertrag („pacto“) geschehen, sodass eine Person zwar als Sache besessen und in diesem Besitz als Person gebraucht, nicht aber als Sache erworben werden darf:695 Denn unter dem Begriff der ursprünglichen Erwerbung würde der Mensch als ein bis dato herrenloser äußerer Gegenstand, mithin als bloße Sache behandelt, was seinem angeborenen Recht äußerer Freiheit als Unabhängigkeit von fremder Willkür widerspricht, weil der Mensch nach diesem Recht ursprünglich schon sein eigener Herr ist. Aus diesem Grund bedurfte aber schon die Erwerbung eines persönlichen Rechts der Erwerbshandlungsrechtsform des Vertrages, darin sich die am äußeren Erwerb eines persönlichen Rechts beteiligten Willkürsubjekte durch einen gemeinsamen Willen miteinander verbinden. Die Rechtserwerbshandlungsform des Vertrages ermöglicht in ihrer Rechtsfolge allerdings nur den Erwerb eines relativen persönlichen Rechts, weil Rechtsgrund im Vertrag nur ein gemeinsamer Wille zweier besonderer Willenssubjekte ist, und mithin nicht der gemeinsame Wille aller Willenssubjekte. Im Falle des auf dingliche Art persönlichen Rechts soll nun jedoch gerade kein bloß relatives, sondern ein absolutes persönliches Recht erworben werden, sodass über den gemeinsamen Willen zweier besonderer Willenssubjekte hinaus ein ursprünglich und a priori vereinigter bzw. zu vereinigender Wille aller möglichen Willenssubjekte, d. h. ein gesetzlicher Allgemeinwille erfordert wird, weil nur ein reiner Allgemeinwille die gesetzlich allumfassend wechselseitige Verbindlichkeit zu begründen vermag, die den absoluten Charakter eines auf dingliche Art verfassten Rechts in einem äußeren (dinglichen oder nicht-dinglichen) Gegenstand maßgeblich kennzeichnet. Also kann ein auf dingliche Art persönliches Recht nur durch allgemeines Gesetz erworben werden, sodass hier in Ansehung der Begründung absoluter persönlicher Rechte der Begriff einer Erwerbung durch Gesetz entspringt.

695

Die Einsicht dieses Satzes ist maßgeblich für ein zutreffendes Verständnis des Rechts der Ehe (§§ 24 – 27). Denn wie sich dort noch zeigen wird, beruhen einige abschätzige Urteile der Sekundärliteratur auf der irrigen Vorstellung, Immanuel Kant behaupte in § 25 (S. 3), in der Ehe werde die Person als Sache erworben. Tatsächlich ist aber genau dies nicht die These des Autors der Rechtslehre, sondern die Prämisse des Begriffshorizontes einer eigentumstheoretischen Interpretation, die für sich selbst unterstellt, wechselseitiger Personenerwerb könne seiner Form nach bloß willkürlich (lediglich in Verträgen) stattfinden, d. h. eine Person könne sich so weggeben, wie ein Eigentümer seine Sache veräußert (vgl. § 21).

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Würde man dagegen den bloßen Vertrag („pacto“) in diesem Falle für ausreichend rechtsbegründend erachten, dann müsste eine einzelne Rechtsperson kraft Vertrag wie ein Eigentümer – d. h. bloß willkürlich (beliebig) – über seine eigene Person verfügen können; ein Umstand, der einerseits demjenigen Rechtsbegriff einer sich intrapersonal rechtlich jederzeit selbst schon verpflichteten Person widersprechen würde, der seinerseits Realbedingung des persönlichen Rechts ist; im Übrigen ein Umstand, der eben darum andererseits dem alleine auf körperliche Sachen anwendbaren Rechtsbegriff des Privateigentums zuwiderlaufen müsste. Kombiniert das auf dingliche Art persönliche Recht nämlich in seiner eigenen begrifflichen Bestimmung gerade die beiden Prädikate zu einer an sich neuen Rechtsform, die in ihrer Merkmalsverschiedenheit für sich zu dem begrifflichen Gegensatz von dinglichem und persönlichen Recht führen, so kann sich in der begrifflichen Kombination beider Prädikate an sich nicht schon ein jeweils innerlich spezifisch bestimmendes Merkmal („facto“ oder „pacto“) einseitig durchsetzen. Vielmehr müssen sich beide spezifischen Bestimmungen begrifflich zu einer neuen Bestimmung bedingen, die ihrerseits beide spezifischen Bestimmungen miteinander vereint und insofern in ihrem einzelnen Fall eine allgemeinere Bestimmungsform („lege“) schlüssig vorstellt. Eine solche begrifflich-schlüssige Vorstellung der allgemeinen Bestimmung des auf dingliche Art persönlichen Rechts infolge gesetzlicher Erwerbung steht aber ihrerseits unter der allgemeinen Bedingung des ganzen Schlusses, nämlich dem begrifflichen Prinzip des dinglichen Rechts (§§ 13 Abs. 2, 14 Abs. 2, 15 Abs. 3, 16 Abs. 1), d. h. dem ursprünglich a priori vereinigten bzw. zu vereinigenden Willen aller menschlichen Willenssubjekte, wie er schon im allgemeinen Prinzip des äußeren Erwerbs (§ 10 Abs. 3) und mithin auch im allgemeinen Begriff der ursprünglichen Erwerbung (§ 10 Abs. 4 S. 5) vorgestellt wurde. Demnach ist der gesetzliche Erwerb eines auf dingliche Art persönlichen Rechts real nur im bürgerlichen Zustand unter einem gesetzgebenden Allgemeinwillen möglich (§ 8 Abs. 1 S. 7), und steht im bloßen Naturzustand, darin es mangels eines wirklichen Allgemeinwillens keine öffentlichen Gesetze gibt, rein begrifflich schon immer im Hinblick (provisorisch) auf einen solchen bürgerlichen Zustand, der seine Realbedingung begrifflich vorstellt. Der bloß ideale Rechtsgrund des auf dingliche Art persönlichen Rechts im Naturzustand ist dann der in der bloßen Idee a priori vereinigte Wille aller menschlichen Rechtssubjekte, und zwar so, wie er in dem als allgemein bestimmend gebrauchten Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) innerlich bestimmend vorgestellt wird. Idealgrund des absoluten persönlichen Rechts ist also der a priori vereinigte Wille aller menschlichen Rechtssubjekte als „Recht der Menschheit“.696 Dieses innerlich bestimmende Recht der Menschheit im allgemeinen Begriff des 696

Siehe zum innerlich bestimmenden Recht der Menschheit im Begriff des Rechts der Menschen oben unter A. II. (und dort noch vor 1.) im fünften Kapitel. – Selbstverständlich handelt es sich mit dem Rekurs auf das Recht der Menschheit auch nicht um eine ethische Begründung der Ehe, wie es Steigleder, Kants Moralphilosophie (2002), S. 192 f. vorzuschweben scheint.

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Rechts (§ B Abs. 3) hat jedoch im Naturzustand, und unter eben diesem allgemeinen Begriff des Rechts, das rechtliche Postulat der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Mein und Dein und mithin auch das unmittelbar dazugehörige natürliche „Erlaubnisgesetz“ der praktischen Vernunft (§ 2) zur Folge, demgemäß der Erwerb eines auf dingliche Art persönlichen Rechts mit der Gunst des Gesetzes bereits im Naturzustand rechtlich möglich ist. Nichts anderes besagt nun auch der hiermit hinreichend erläuterte § 22 S. 3.697 Ein auf dingliche Art persönliches Recht, d. h. ein allerpersönlichstes Recht der einen Person am Zustand einer anderen Person, und zwar mit Ausschlusswirkung gegenüber allen anderen menschlichen Rechtspersonen, ist unter dem allgemeinen Rechtsbegriff des Rechts der Menschen (§ B Abs. 3) folglich rechtlich bestimmt als gesetzlich abgeleitet erworben denkbar, weil die Menschheit als absolutes Willenssubjekt alles Rechts überhaupt gedacht wird, von dem sich dann einzelne Rechte der Menschen in Ansehung von ihresgleichen durch gesetzliche Vermittlung ableiten. In der Idee des Rechts der Menschheit ist folglich ein ursprünglicher Gemeinbesitz der Menschheit an sich selbst gedacht, dadurch alles Recht der Menschen erst selbst wiederum rechtlich bestimmt denkbar ist,698 und zwar im Staat bürgerlicher Verfassung, der in seiner Idee, d. h. als absolutes Willenssubjekt alles äußeren Rechts, seinerseits einen – positiv über den angeborenen Selbstbesitz hinausgehenden – absoluten Selbstbesitz der freien Willkürsubjekte auch in ihrem äußeren Verhältnis zueinander vorstellt. aa) Die Exposition des reinen Begriffs der Erwerbung durch Gesetz Würde man den Vorstellungsinhalt des reinen Begriffs der Erwerbung durch Gesetz – der dann übrigens auch in einer bürgerlichen Verfassung gedacht werden muss – nun verstandesanalytisch exponieren, so enthielte dieser reine Begriff – als eine metaphysische Vorstellung – nach seiner Modalität praktische Notwendigkeit, weshalb sogleich seine Deduktion notwendig wird. In der Relation seiner metaphysischen Vorstellung wäre dabei ein allseitiges Willensverhältnis gedacht, und 697 Bei dem in § 22 S. 3 genannten Erlaubnisgesetz handelt es sich um das einzig und allgemein in der natürlichen Privatrechtslehre angeführte Erlaubnisgesetz des § 2, nicht hingegen um ein weiteres und umstandslos eingeführtes Erlaubnisgesetz, wie uns dies jedoch die Vertreter der eigentumstheoretischen Interpretation bzw. Edition glauben machen möchten: Brandt, DZPhil 47 (1999), S. 887 (902); ders., DZPhil 52 (2004), S. 199 (210); Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 142 Fn. 98, S. 146, 148. – Das in § 22 S. 3 in Bezug auf das Gesetz als Erwerbsgrund angeführte Prädikat „natürlich“ steht in der Einteilung des Begriffs der äußeren Gesetze im Verstandesgegensatz zu „positiv“ (MS, AA VI: 224.27-33) und soll anzeigen, dass ein dinglich-persönliches Recht im Naturzustand mangels positiver Gesetze nur infolge eines natürlichen Gesetzes erworben werden kann. Da das Erlaubnisgesetz des § 2 kein positives Gesetz ist, muss es unter dem Begriff der äußeren Gesetze, von denen die Rechtslehre begrifflich ausschließlich handelt (RL, AA VI: 229.05-15), als ein natürliches Gesetz verstanden werden. 698 Siehe dazu auch Honrath, Die Wirklichkeit der Freiheit im Staat bei Kant (2011), S. 256 ff.; ferner Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 242.

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zwar durch Subordination des besonderen Willens der einzelnen Rechtssubjekte unter ihren sie durch sie selbst bestimmenden Allgemeinwillen. Qualitativ bedeutete diese Relation sodann nichts anderes als die Autonomie der einzelnen Rechtssubjekte in ihrem äußeren Verhältnis, weil sie der Quantität nach allesamt bloß durch ihren allgemeinen Willen im äußeren Verhältnis bestimmt wären. bb) Die Deduktion des reinen Begriffs der Erwerbung durch Gesetz Die Deduktion dieses reinen Begriffs der Erwerbung durch Gesetz als eines praktischen Begriffs müsste in dem auf dingliche Art persönlichen Recht, und zwar als der Folgevorstellung des reinen Begriffs der Erwerbung durch Gesetz, rein begrifflich die Vorstellung des intelligiblen Besitzes aufweisen, sodass der schon hinreichend deduzierte Begriff des intelligiblen Besitzes als begrifflich-praktische Realbedingung im reinen und mithin selbst praktischen Begriff der Erwerbung durch Gesetz ausgewiesen wäre (§§ 22 i.V.m. 6 Abs. 10, 7 Abs. 1, 4 und 8, 10 Abs. 3, 8 Abs. 1 S. 7). Da aber bereits der Begriff des dinglich-persönlichen Rechts vermittelst des intelligiblen Besitzes realdefiniert wurde (s. o.), ist klar, dass auch die rein begrifflich innerlich zum dinglich-persönlichen Recht dazugehörige Erwerbshandlung (Gesetz) ihrerseits in der progressiv-synthetischen Begriffsreihe des Rechtsbesitzes durch den reinen praktischen Begriff des intelligiblen Besitzes bestimmt sein muss. Ist also der reine Begriff des intelligiblen Besitzes (§§ 6, 7) rein begrifflich praktische Realbedingung im reinen praktischen Begriff der Erwerbung durch Gesetz (§ 22), so wird möglicherweise auch etwas deutlicher, weshalb durch den reinen praktischen Begriff des intelligiblen Besitzes in seiner progressiv-synthetischen Anwendung eine allgemeingeltende Gesetzgebung (§ 7 Abs. 1 S. 6) gedacht werden muss. cc) Die möglichen Erwerbsgegenstände des auf dingliche Art persönlichen Rechts im Naturzustand Da ein einzelnes menschliches Willkürsubjekt im äußeren Verhältnis ursprünglich (d. h. im Naturzustand) nur die physische Erscheinung seiner selbst in Raum und Zeit unter dem angeborenen Recht der Freiheit als Unabhängigkeit von fremder Willkür rechtlich besitzt und insofern allen anderen menschlichen Willkürsubjekten im äußeren Verhältnis rechtlich tatsächlich noch unverbunden gegenüber steht, ist der erste Erwerb eines auf dingliche Art (d. h. eines absoluten) persönlichen Rechts nur im äußeren Verhältnis von zwei menschlichen Rechtssubjekten denkbar. Denn nur dadurch, dass sich zwei Personen wechselseitig erwerben, hat jede an der jeweils anderen Person ein absolutes persönliches Recht, d. h. ein persönliches Recht an der anderen Person unter gleichzeitigem rechtlichem Ausschluss aller anderen menschlichen Rechtssubjekte im äußeren Verhältnis. Inhaber eines absoluten (d. h. allerpersönlichsten) Rechts kann folglich stets nur ein einheitliches Rechtssubjekt

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sein, sodass vor der ersten Verbindung einzelner Rechtssubjekte zu einer einheitlichen Rechtsperson (Gemeinschaft), die dann wiederum Erwerbssubjekt eines weiteren auf dingliche Art persönlichen Rechts sein kann, nur zwei Personen am wechselseitigen Erwerb eines absoluten persönlichen Rechts beteiligt sein können.699 Vor diesem Hintergrund ist die Gegenstandsbestimmung der Erwerbung durch Gesetz im Falle des auf dingliche Art persönlichen Rechts in § 23 S. 1 zu verstehen: „Der M a n n erwirbt ein W e i b , das P a a r erwirbt K i n d e r und die F a m i l i e G e s i n d e .“700 Doch wieso – so wird ein absehbarer Einwand im ,postmetaphysischen‘ Zeitalter lauten – erwirbt im Naturzustand zuerst nicht die Frau eine andere Frau oder der Mann einen anderen Mann?701 Um sich hierüber begrifflich aufzuklären, ist es in einem ersten Schritt unbedingt erforderlich zu sehen, dass die Rechtsform des auf dingliche Art persönlichen Rechts nicht mit allen beliebig möglichen Zwecken der menschlichen Willkür vereinbar bzw. begründbar ist. Denn der willkürlichen Beliebigkeit unter Freiheitsgesetzen sind nur die beiden Rechtsformen des dinglichen sowie des persönlichen Rechts anheimgegeben: So darf der Eigentümer nach Belieben mit der unzurechnungsfähigen Sache verfahren und so können sich die Privatrechtssubjekte nach Belieben zu allen rechtsgesetzlich überhaupt im Rahmen der wechselseitigen Freiheit möglichen Zwecken vertraglich zusammenschließen. – Dagegen darf der Inhaber eines auf dingliche Art persönlichen Rechts mit der von ihm rechtlich besessenen Person nicht wie mit einer Sache nach willkürlichen Belieben verfahren, und zwar, weil sich eine Person durch ihre Persönlichkeit von einer bloßen Sache qualitativ maßgeblich unterscheidet. Die Persönlichkeit ist es also, durch die eine menschliche Person nach Kantischen Begriffen über alles Sachenrecht erhaben ist, sodass die Rechtserwerbsrechtsform des dinglich-persönlichen Rechts der moralischen Persönlichkeit des Rechtssubjekts, d. h. der praktischen Notwendigkeit eines freien Willens unter einem allgemeinen Gesetz geschuldet ist.702 Dabei ist diese praktische Notwendigkeit 699

Darin, dass nur zwei Personen am ersten absolut-rechtlichen Erwerb menschlicher Gesellschaft beteiligt sein können, dürfte also keine bloß willkürliche Behauptung liegen, wie ein anonymer Rezensent, in: Annalen der Philosophie und des philosophischen Geistes III (1797), Sp. 13 (33 f.) hingegen annahm. 700 RL, AA VI: 277.03-04. – Dass der Mann das Weib erwirbt, gilt hier wechselseitig; d. h. die Frau erwirbt zugleich den Mann (§§ 24 – 27). 701 Etwa so, wie es nunmehr § 1353 Abs. 1 S. 1 BGB in der Fassung des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts. v. 20. 07. 2017 = BGBl. I, Nr. 52, S. 2787 vorsieht: „Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen.“ 702 Dieser im Folgenden exemplarisch noch für das Eherecht (§§ 24 – 27) zu verfolgende Gedanke ist in seiner rein begrifflichen Entwicklung (§§ 22 – 30) nicht nachvollziehbar, solange man die Rechtslehre Immanuel Kants mit einer eigentumsspezifischen Interpretation durch die Brille des modernen liberalen Eigentumsbegriffs (Lockescher Provenienz) aufzufassen sucht (kritisch dazu oben unter A. II. noch vor 1.), weil darin die Persönlichkeit unter den privatrechtlichen Eigentumsbegriff fällt, sodass jede Person nach Vorstellungsmerkmalen des Ei-

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eines freien Willens (Persönlichkeit) unter einem allgemeinen Gesetz jedoch nicht nur maßgeblich für die rechtliche Art des Gebrauchs der dinglich-persönlich schon rechtlich besessenen Person, sondern maßgeblich auch bereits für die erwerbshandelnde Begründung eines dinglich-persönlichen Rechts, und zwar, weil der rechtlich zulässige Gebrauch nichts anderes als das rechtlich schon bestimmte Handlungsmittel zum Zweck der tätigen Verwirklichung des dinglich-persönlichen Rechts ist: „Dieser Zweck aber, als Bedingung der Rechtmäßigkeit des Gebrauchs, muß moralisch nothwendig sein.“703 Die erste und wichtigste Einsicht in die Begründung eines absoluten persönlichen Rechts an einer anderen Person überhaupt besteht hier also darin, dass diese erwerbshandelnde Begründung durch die erwerbende Person in ihrem Begriff nicht einen beliebigen, sondern einen praktisch notwendigen Zweck der menschlichen Willkür im äußeren Verhältnis voraussetzt, d. h. einen solchen Zweck, der rein begrifflich stets mit der menschlichen Willkür als einer freien Willkür verbunden ist, und der eben darum in der Persönlichkeit eines freien Willens unter Gesetzen besteht. Ist diese Seite der Begründung eines absoluten persönlichen Rechts begriffen, so ist es in einem zweiten Schritt erforderlich zu sehen, welcher Zweck rein begrifflich mit einer freien menschlichen Willkür im äußeren Verhältnis praktisch notwendig verbunden ist und in welchen Zweckzusammenhang sich der gesetzlich abgeleitete Erwerb eines auf dingliche Art persönlichen Rechts damit einordnet. – Nun läuft das ganze natürliche Privatrecht provisorisch (d. h. im ursprünglichen Sinne des Wortes) auf das äußere Recht der freien Willkür im Zustand einer bürgerlichen Verfassung hinaus, sodass rein begrifflich der Zustand der freien Willkür unter äußeren Gesetzen einer bürgerlichen Gesellschaft praktisch notwendig mit ihr im äußeren Verhältnis verknüpft sein muss (§ 42 Abs. 1). Denn alleine im Zustand einer bürgerlichen Verfassung hat ein freier Wille (die Persönlichkeit) unter allgemeinen Gesetzen Dasein auch im äußeren Verhältnis, weil er sich darin mit seinesgleichen im äußeren Verhältnis unter ihren allgemeinen Gesetzen selbst vorstellt. Also ist es das gemäß dem Postulat des allgemeinen Rechtsgesetzes (§ C Abs. 4) als Selbstzweck praktischnotwendig vorzustellende Dasein eines freien Willens unter allgemeinen Gesetzen im äußeren Verhältnis, darunter ein absolutes persönliches Recht auch schon im Naturzustand (provisorisch) rechtlich bestimmt und mithin als praktisch-notwendig gedacht werden muss. Im reinen Begriff der Erwerbung eines auf dingliche Art persönlichen Rechts wird folglich – kraft seiner praktisch-notwendigen Zweckbestimmung – ein Übergang zwischen einem bloß natürlichen und dem bürgerlichen Zustand der freien Willkür im äußeren Verhältnis gedacht. Das auf dingliche Art persönliche Recht dient also allgemein dem rechtsgesetzlichen Erwerb bürgerlicher gentumsbegriffs völlig frei über sich verfügen kann und sich das Erwerbsproblem eines auf dingliche Art persönlichen Rechts infolge dieses Relativismus dergestalt gar nicht stellt. Nicht zufällig stößt der dritte Abschnitt des zweiten Hauptstücks darum in der Sache selbst auch auf die Ablehnung der entschiedensten Interpreten einer eigentumstheoretischen Lesart (vgl. oben Fn. 677, 679 m.w.N.). 703 RL, AA VI: 359.23-24.

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Gesellschaft und konkret dem rechtsgesetzlichen Fortbestand der Menschheit als einem intelligiblen Ganzen. Die häusliche Gesellschaft (Familie), als Mein und Dein nach dem auf dingliche Art persönlichen Recht (§§ 22 S. 2, 23 S. 1), bildet im Naturzustand rein begrifflich somit eine praktisch-notwendige Vorstufe zur bürgerlichen Gesellschaft, weil im Begriff der häuslichen Gesellschaft „das Verhältniß […] der Gemeinschaft freier Wesen“704 im natürlichen Zustand gedacht wird, während im Begriff der bürgerlichen Gesellschaft ebendasselbe Verhältnis allumfassend im rechtlichen Zustand gedacht wird. Dient die Rechtserwerbsrechtsform des auf dingliche Art persönlichen Rechts aber überhaupt dem rechtsgesetzlichen Erwerb bürgerlicher Gesellschaft und somit dem rechtsgesetzlichen Fortbestand der Menschheit, dann lässt sich auch die erste Erwerbung eines dinglich-persönlichen Rechts („Der M a n n erwirbt ein W e i b “) nur durch diese praktisch-notwendige Zweckbestimmung rechtlich bestimmt denken, und dann wird zuletzt auch klar, weshalb der erste Personenerwerb die Geschlechterverschiedenheit der beiden am Erwerb beteiligten Personen für sich selbst voraussetzt (§ 23 S. 3). Denn alleine dieser Gegensatz der Geschlechter im ersten Personenerwerb trägt zugleich potentiell seine ihn bewahrende Aufhebung in einer neuen – höheren – Einheit von Gemeinschaft (genannt: Familie) in sich, aus der heraus dann wiederum – in weiterer Vermittlung – der Übergang in den Staat bürgerlicher Verfassung als einer an und für sich selbst praktisch-notwendigen Gemeinschaftsform alles äußeren Rechts denkbar ist: Familie – Staat – Bürgerliche Gesellschaft. In diesem praktisch-notwendigen Zweckzusammenhang der dinglichpersönlichen Rechtsform dürfte schließlich auch ein natürliches Vorrecht der Familie im Staat bürgerlicher Verfassung vor allen anderen privatrechtlichen Personenvereinigungen bestehen. dd) Das allerpersönlichste Recht der ehelichen Gemeinschaft von Mann und Frau Der erste denkbare Personenerwerb im Naturzustand, das auf dingliche Art persönliche Verhältnis von Mann und Frau (d. h. die Ehe), entwickelt sich rein begrifflich (§§ 24 – 27) aus dieser praktisch-notwendigen Zweckbestimmung alles dinglich-persönlichen Rechts: § 24 Abs. 1705

Da der erste rechtsgesetzlich bestimmte Erwerb der Gemeinschaft einer Person mit einer anderen Person im Naturzustand – wie zuvor in Auseinandersetzung von § 23 S. 1 gesehen – die Geschlechterverschiedenheit der beiden am Erwerb des auf dingliche Art persönlichen Rechts beteiligten Personen voraussetzt, enthält § 24 704

RL, AA VI: 276.20-26. RL, AA VI: 277.11-21 (alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Absatz). 705

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Abs. 1 eine rechtsbegrifflich zunächst noch indifferente Nominaldefinition und Verstandeseinteilung des allgemeinen Begriffs der Geschlechtsgemeinschaft überhaupt, denn eine solche soll unter dem hier im Folgenden besonders zu bestimmenden dinglich-persönlichen Rechtsbegriff der Ehe speziell als rechtlich erworben vorgestellt werden. Die „ G e s c h l e c h t s g e m e i n s c h a f t (commercium sexuale) ist der wechselseitige Gebrauch, den ein Mensch von eines anderen Geschlechtsorganen und Vermögen macht (usus membrorum et facultatum sexualium alterius)“. Nach der Art des darin gemachten Gebrauchs teilt sie sich begrifflich ein in einen natürlichen oder unnatürlichen Gebrauch. Während der natürliche Geschlechtsgebrauch, und zwar wegen der in ihm vorgestellten Geschlechterdifferenz, das Potential der Zeugung eines weiteren menschlichen Wesens und mithin die einer neuen Form menschlicher Gemeinschaft (Familie) in sich trägt, geht dem unnatürlichen Geschlechtsgebrauch eben dieses Zeugungspotential ab, weil er entweder im Verhältnis gleichgeschlechtlicher Personen (Homosexualität) oder im Verhältnis einer Person zu einem bloß tierischen Wesen (Sodomie) vorzustellen ist. Die im unnatürlichen Geschlechtsgebrauch praktizierte Geschlechtsgemeinschaft ist demnach eine solche, die ausweislich ihrer Praxis keine neue Form menschlicher Gemeinschaft, nämlich Familie als Vorstufe zur bürgerlichen Gesellschaft im Staat, zur Folge haben kann. Da der allgemeine Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) jedoch nichts anderes als die praktische Relationskategorie der Gemeinschaft mit begrifflicher Notwendigkeit vorstellt, scheidet die im unnatürlichen Geschlechtsgebrauch praktizierte Gemeinschaft zwingend aus der rein begrifflichen Entwicklung des Rechtsbegriffs als praktischer Gemeinschaftskategorie aus, weil sie in der Totalität dieses Begriffs an und für sich selbst keine mögliche begriffliche Entwicklungsstufe, sondern – im Gegenteil – lediglich den notwendigen Abbruch der Möglichkeit rechtsbegrifflicher Entwicklung praktisch-notwendiger Gemeinschaftsformen des menschlichen Miteinanders (Familie – Staat – Bürgerliche Gesellschaft) markiert. Die weitere begriffliche Entwicklung muss somit alleine an die Geschlechtsgemeinschaft im natürlichen Geschlechtsgebrauch anknüpfen: § 24 Abs. 2706

Eben darum enthält § 24 Abs. 2 S. 1 nunmehr die verständige Einteilung des zuvor erörterten Begriffs der natürlichen Geschlechtsgemeinschaft, deren zweites begriffliches Einteilungsglied sich sodann als identisch mit dem in § 24 Abs. 2 S. 2 definierten Begriff der Ehe erweist (siehe Abb. 9). Denn im natürlichen Geschlechtsgebrauch findet ausweislich des Begriffs eine geschlechtliche Verbindung (Geschlechtsgemeinschaft) von Mann und Frau statt, die so beschaffen ist, dass daraus eine neue Form menschlicher Gemeinschaft möglich ist. Nun lässt sich diese geschlechtliche Verbindung von Mann und Frau im Begriff 706 RL, AA VI: 277.22-32 (alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Absatz).

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Abb. 9: Verständige Einteilung des Begriffs der Geschlechtsgemeinschaft

der natürlichen Geschlechtsgemeinschaft nach der Beschaffenheit des menschlichen Vorstellungsvermögens entweder gemäß dem Natur-, oder nach dem Freiheitsbegriff verständig denken, sodass sich der Begriff der natürlichen Geschlechtsgemeinschaft in dieser Hinsicht in die zwei verständig möglichen Arten einer bloß natürlichen sowie einer auch gesetzlichen Verbindung von Mann und Frau im äußeren Verhältnis einteilt. Die rein gesetzliche (wechselseitige) Verbindung der Personen von Mann und Frau zu einer Gemeinschaft im äußeren Verhältnis ist aber nichts anderes als der Begriff von einem auf dingliche Art persönlichen Recht, nach dem ein Mensch durch gesetzlich abgeleitete Erwerbung eine Person außer sich als das Seine rechtlich besitzt. Aus diesem Grund identifiziert Immanuel Kant das zweite Einteilungsglied des Begriffs der natürlichen Geschlechtsgemeinschaft, nämlich die Geschlechtsgemeinschaft „nach dem G e s e t z “, in § 24 Abs. 2 S. 2 sogleich mit dem reinen Rechtsbegriff der Ehe: „Die letztere ist die Ehe (matrimonium), d. i. die Verbindung zweier Personen verschiedenen Geschlechts zum lebenswierigen wechselseitigen Besitz ihrer Geschlechtseigenschaften.“ Der so von Immanuel Kant entwickelte Begriff der Ehe, und zwar als die sich rein begrifflich und damit metaphysisch bzw. überzeitlich in den gesetzlichen Zusammenhang allen äußeren Rechts einordnende Verbindung von Mann und Frau auf Lebenszeit, vereint in sich schließlich die maßgeblichen Momente der ursprünglichen Wortbedeutung des Begriffs der Ehe und sperrt sich auf diese Weise zugleich gegen etwaige willkürliche Anmaßungen moderner Wortkonstrukteure. Denn der neuhochdeutsche Ehebegriff resultiert aus einer Absonderung des westgermanischen Wortes (mittelhochdeutsch) „e¯(we)“ bzw. (althochdeutsch, altfriesisch) „e¯wa“, das in einem umfassenden Sinn für die Bedeutung von „Recht, Gesetz“ und „Sitte“ steht.707 Da der Wortstamm „e¯(we)“ bzw. „e¯wa“ allerdings zugleich auf die Bedeutung von „Ewigkeit“ hinweist, dürfte der klassische Ehebegriff auch so viel wie „seit unbedenklichen Zeiten geltendes Recht“ bedeuten.708 Insofern eignet dem klassischen Ehebegriff ursprünglich nicht nur ein allgemeingesetzlich bezogenes Rechtsmoment, sondern damit zugleich auch ein Ewigkeitsbezug der Verbindung von Mann und Frau im Verhältnis zur Idee des Rechts der Menschheit überhaupt. Denn über die durch sie möglichen Formen menschlicher Gemeinschaft (Familie – Staat – Bür707 Siehe dazu Dudenredaktion (Hrsg.): Duden VII – Etymologie (20145), S. 240; Kluge/ Seebold, Etymologisches Wörterbuch (201125), S. 229. 708 Dudenredaktion (Hrsg.): Duden VII – Etymologie (20145), S. 240.

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gerliche Gesellschaft), die die eheliche Gemeinschaft ursprünglich in sich schließt, dürfte sie rechtsgesetzlich mit der Idee des Rechts der Menschheit nicht nur in ihrem Grunde, sondern auch in ihrer Folge notwendig verbunden sein.709 Dagegen ist mit den Geschlechtsgemeinschaften im unnatürlichen Geschlechtsgebrauch nicht nur keine Familie, sondern auch kein Staat und mithin ebenso keine bürgerliche Gesellschaft zu haben, sodass sich hier der – oben schon zum Voraus ganz allgemein herausgearbeitete – praktisch notwendige und daher an sich ewige Zweck des rechtsgesetzlichen Erwerbs bürgerlicher Gesellschaft bzw. des rechtsgesetzlichen Fortbestands der Menschheit im Kantischen Rechtsbegriff der Ehe in diesem Gegensatz nochmals verdeutlichen dürfte. Diese praktisch-notwendige Zweckbestimmung ist dem Ehebegriff aber kraft seines ihn innerlich bestimmenden rechtsgesetzlichen Vorstellungsmerkmals inhärent, sodass die natürliche Geschlechtsgemeinschaft von Mann und Frau in der Ehe, zu ihrer eigenen Rechtsgültigkeit, weder subjektiv im Vorsatz, noch objektiv im Erfolg, auf den bloßen Naturzweck der Fortpflanzung angewiesen ist, worauf § 24 Abs. 2 S. 3 ausdrücklich zu sprechen kommt: „Der Zweck, Kinder zu erzeugen und zu erziehen, mag immer ein Zweck der Natur sein, zu welchem sie die Neigung der Geschlechter gegeneinander einpflanzte; aber daß der Mensch, der sich verehlicht, diesen Zweck sich vorsetzen m ü s s e , wird zur Rechtmäßigkeit dieser seiner Verbindung nicht erfordert; denn sonst würde, wenn das Kinderzeugen aufhört, die Ehe sich zugleich von selbst auflösen.“ Menschliche Fortpflanzung stellt demnach einen willkürlich zu ergreifenden Zweck der freien menschlichen Willkür vor, der allerdings dort, wo er sich in der Tat vollzieht, die gesetzliche Rechtsform der Ehe für sich selbst praktisch notwendig voraussetzt, soll sich die Fortpflanzung nicht außerhalb des rechtsgesetzlichen Zusammenhangs als bloß empirische Tatsache ereignen. Der Rechtsbegriff der Ehe setzt also für sich selbst nicht den Begriff der Fortpflanzung voraus, wohl aber setzt der Rechtsbegriff der Fortpflanzung in sich selbst den Begriff der Ehe für sich voraus. Vor diesem Hintergrund wird dann übrigens auch ein andernfalls schnell missverständlicher Satz Immanuel Kants zum unehelich geborenen Kind im strafrechtlichen Zusammenhang ohne größere moralische Entrüstung leicht verständlich. Denn von diesem außerhalb des Ehegesetzes und daher mit „Schmach“ geborenen Kind heißt es dort nämlich, es sei „in das gemeine Wesen gleichsam eingeschlichen (wie verbotene Ware)“,710 eben weil es von außerhalb des rechtsgesetzlichen Zusammenhangs überhaupt in das Recht der Menschen hineingeboren wird, und insofern auf einer das menschliche Rechtssubjekt unrechtlich verdinglichenden Handlung beruht. Wenn es dann von diesem Geschöpf ferner heißt, das gemeine Wesen könne „seine Existenz (weil es billig auf diese Art nicht hätte existiren sollen), 709 Auch die lebenswierige Anlage der Ehe dürfte – entgegen der Stimme eines anonymen Rezensenten, in: Annalen der Philosophie und des philosophischen Geistes III (1797), Sp. 13 (33 f.) – also ein rechtlich notwendiges, und nicht ein bloß willkürlich angenommenes Moment des (Kantischen) Begriffs der Ehe sein. 710 RL, AA VI: 336.06-21.

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mithin auch seine Vernichtung ignoriren“711, so liegt hierin gewiss keine Aberkennung des jedem Menschen kraft Geburt rechtlich zukommenden Personenstatus,712 und erst recht keine Aufforderung zum Kindsmord, sondern – ganz im Gegenteil – die strafrechtliche Auflösung eines Problems, nämlich das der „ G e s c h l e c h t s e h r e “713, das sich in dieser Form überhaupt nur dort einstellt, wo sich das Rechtsinstitut der Ehe, damit aber auch die natürliche Geschlechtsgemeinschaft von Mann und Frau, rein begrifflich mit der praktisch-notwendigen Zweckbestimmung des rechtsgesetzlichen (sittlichen) Fortbestands der Menschheit an sich selbst praktisch-notwendig verknüpft weiß. § 24 Abs. 3

Ist die Ehe als ein auf dingliche Art persönliches Recht kraft des Gesetzes, durch das sie ihr Recht in der wechselseitigen Verbindung von Mann und Frau ableitet, im Hinblick auf den rechtsgesetzlichen Erwerb menschlicher Gemeinschaft mit einem allgemeinen Willen praktisch notwendig, dann ist auch der zur Ehe im Besonderen gehörige Vertrag von Mann und Frau, darin beide ihren jeweils besonderen Willen zu einem gemeinsamen Willen vereinigen, selbst mit einem Allgemeinwillen praktisch notwendig. Vor diesem Hintergrund dürfte der Satz des § 24 Abs. 3 zu verstehen sein, an dessen ersten Satzteil schon Hegels Kritik des Kantischen Eherechts entbrannte, und an dessen zweiten Satzteil sich eine liberale Gegenwartsauffassung von Sexualität und Recht gegen den Verfasser der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre sträubt: „Es ist nämlich, auch unter Voraussetzung der Lust zum wechselseitigen Gebrauch ihrer Geschlechtseigenschaften, der Ehevertrag kein beliebiger, sondern durchs Gesetz der Menschheit nothwendiger Vertrag, d. i. wenn Mann und Weib einander ihren Geschlechtseigenschaften nach wechselseitig genießen wollen, so m ü s s e n sie sich nothwendig verehlichen, und dieses ist nach Rechtsgesetzen der reinen Vernunft nothwendig.“ (RL, AA VI: 277.33-278.04).

Während nämlich einerseits Hegel die vermeintliche Gründung des Eherechts auf einem bloßem Vertrag noch für roh und daher nach seinen Begriffen für gänzlich unsittlich erachten wollte, möchte andererseits eine liberale Auffassung von Sexualität und Recht den außerehelichen und daher in Kantischen Begriffen unsittlichen Beischlaf zwischen Mann und Frau nunmehr kurzerhand für rechtmäßig erklärt wissen. Beide damit bezeichneten Richtungen einer Kritik des Kantischen Rechtsgedankens zur Ehe setzen dabei in geradezu entgegengesetzter Weise am Begriff des Vertrages an: Für Hegel – wie auch für Kant (§§ 18 ff.) – ist der vertraglich vereinigte Wille nur ein gemeinsamer Wille, nicht hingegen ein an und für sich allgemeiner Wille, sodass der bloß vertragliche Wille das absolute persönliche Recht der Ehe nicht zu be711 712 713

RL, AA VI: 336.16-21. Wie aber Horn, Nichtideale Normativität (2014), S. 91 f. annimmt. RL, AA VI: 336.02.

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gründen vermag. Auf diesem zutreffenden Gedanken in der Sache selbst und einem fundamentalen Missverständnis des Kantischen Ehebegriffs basiert nun Hegels Abschätzung des Kantischen Eherechts, die dieser bekanntlich in einer Anmerkung zu § 75 seiner Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821) kundgetan hat: „Unter den Begriff vom Vertrag kann daher die Ehe nicht subsumiert werden; diese Subsumtion ist in ihrer – Schändlichkeit, muß man sagen, bei Kant […] aufgestellt.“714 Zur Widerlegung dieser Kritik Hegels dürfte es also ausreichend sein, auf den gegenteiligen Rechtsgedanken Immanuel Kants nur hinzuweisen: „Die E r w e r b u n g einer Gattin oder eines Gatten geschieht also nicht facto (durch die Beiwohnung) ohne vorhergehenden Vertrag, auch nicht pacto (durch den bloßen ehelichen Vertrag ohne nachfolgende Beiwohnung), sondern nur lege : […].“715 Dagegen beruht die aus der Warte eines modernen Verständnisses von Sexualität und Recht am Kantischen Eherecht vorgetragene Kritik auf einem liberalen Privatrechtsverständnis, darin die einzelne Rechtsperson kraft bloßer Einwilligung bzw. kraft bloßem Vertrag wie ein Eigentümer – nämlich beliebig – über sich selbst als Person verfügen, d. h. sich von ihrer eigenen Persönlichkeit lossagen können soll. Der in § 24 Abs. 3 von Kant formulierte Gedanke, dass ein außerehelicher Beischlaf zwischen Mann und Frau gesetzlich unerlaubt und daher unsittlich sei, stößt darum auf die sehr vorhersehbare Kritik eines solchen modernen und liberalen Verständnisses vom natürlichen Selbststand des Privatrechtssubjekts, weil ein solches liberales Verständnis mit seinem Privatrechtsbegriff diejenige Verdinglichung des Rechtssubjekts, die in seinem liberalen Privatrechtsbegriff schon rein begrifflich notwendig angelegt ist, in der Sache selbst nicht mehr als Unrecht einzusehen vermag. Wenn nämlich schon die Persönlichkeit – es sei bewusst oder wohl eher unbewusst – unter einen privatrechtlichen Eigentumsbegriff subsumiert wird, dann ist es eine vermeintlich wohlbegründete Befugnis des Privatrechtssubjekts, gesetzlich völlig ungebunden über sich selbst in Verträgen zu disponieren, sodass die intrapersonal bestehende Verpflichtung zur rechtlichen Ehrbarkeit im äußeren Verhältnis unter die einseitig drehenden Räder des gedanklichen Vehikels einer liberalen Eigentumstheorie gerät, die jedenfalls – wie gesehen – nicht die Eigentumstheorie Immanuel Kants ist. Eine solche eigentumstheoretische Auffassung des natürlichen Selbststandes eines Privatrechtssubjekts wird somit zwangsläufig einer Subsumtion des außerehelichen Beischlafs unter das (Dienstleistungs-)Vertragsrecht das Wort reden. Nicht von ungefähr formuliert also beispielsweise Bernd Ludwig im sachlichen Anschluss an Friedrich Bouterwek: „Solange […] nicht die Differenz zwischen Geschlechtsverkehr und gegenseitiger Inanspruchnahme von Dienstleistungen, […], rechtlich formuliert werden kann, fällt das Eherecht mit dem persönlichen Recht der

714 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, in: Moldenhauer/Michel (Hrsg.): Georg Werke in zwanzig Bänden VII (1986), S. 157 (§ 75), ferner S. 322 (§ 168). 715 RL, AA VI: 280.01-08.

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§§ 18 – 21 zusammen; […].“716 Dass mit einer solchen These jedoch nicht ganz ohne Zufall auch ein vertraglich einklagbarer Anspruch zum Vollzug des Beischlafes verbunden sein müsste, von dem man bislang noch nichts gehört hat, bleibt dabei allerdings völlig unausgemacht. Da § 25 eine eingehende Erörterung des von Seiten einer eigentumstheoretischen Interpretation mit dieser These in Frage gestellten Satzes von § 24 Abs. 3 enthält, wird hierauf in Auseinandersetzung von § 25 zurückzukommen sein. Wenn es zutrifft, was zuvor im Rahmen von § 24 Abs. 2 herausgearbeitet wurde, dass nämlich der Rechtsbegriff der Ehe für sich selbst nicht den Begriff der Fortpflanzung, wohl aber der Rechtsbegriff der Fortpflanzung in sich selbst den Begriff der Ehe für sich voraussetzt, dann ist die rechtliche Möglichkeit (d. h. Erlaubnis) des Beischlafs von Mann und Frau zwar eine rechtliche Folge, nicht aber zugleich auch schon der rechtliche Zweck der Ehe an und für sich selbst. Der Halbsatz von § 24 Abs. 3, „wenn Mann und Weib einander ihren Geschlechtseigenschaften nach wechselseitig genießen wollen, so m ü s s e n sie sich nothwendig verehlichen“, kann dann jedoch nicht utilitär in genau dieser Tendenz verstanden werden. Es ist darum einer insofern mitunter gar affirmativ vorgetragenen Interpretation des Kantischen Eherechts zu widersprechen, die diesen Halbsatz eben mit dieser utilitären Tendenz einer bloßen Zweckmäßigkeit zu einem unbedingten Satz erhebt, sodass der Zweck der Ehe schließlich darin gesetzt sein soll, den menschlichen Beischlaf zu ermöglichen.717 Träfe eine solche Lesart indes zu, so wäre in der konsequent vorgestellten Folge nicht die bürgerliche Gesellschaft im Staat bürgerlicher Verfassung, sondern die sexuelle Lustbefriedigung als „Selbstzweck“ im praktischen Eherechtsdenken anzusehen,718 sodass die Ehe entweder als Rechtsmittel zur Verwirkung des (vermeintlich) rechtlichen Selbstzwecks sexueller Begierde fungierte, oder aber die eigentlich nicht bloß mittelbare praktische Notwendigkeit der Ehe im Hinblick auf die aus ihr folgende rechtliche Erlaubnis stets schon unerlaubt im Rechtsdenken vorausgesetzt und damit intellektuell als Erschleichung anzusehen wäre.719 Dabei bliebe es aber in der Sphäre des Unbewussten, dass der Rechtsbegriff der Ehe, definiert als rechtsgesetzliche und somit subjektiv unauflösbare (lebenswierige) Verbindung von Mann und Frau im natürlichen Geschlechtsgebrauch (§ 24 Abs. 2 S. 2), 716 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 141; Bouterwek (anonym), in: Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen (1797), S. 265 (272 f.); ders. (anonym), in: Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen (1799), S. 1197 (1099 f.). 717 Vgl. dafür Brandt, DZPhil 52 (2004), S. 199 ff.; Ebbinghaus, Über den Grund der Notwendigkeit der Ehe, in: Oberer/Geismann (Hrsg.): GS I (1986), S. 47 (83, 89, 94); sehr deutlich ausgeprägt bei Emge, KS 29 (1924), S. 243 (249 ff./251); Heinrichs, KS 86 (1995), S. 41 (49); Herman, DZPhil 43 (1995), S. 967 (985); Jauch, Immanuel Kant zur Geschlechterdifferenz (19892), S. 169 ff.; König, in: Höffe (Hrsg.): Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (1999), S. 133 (144); Kuster, KS 102 (2011), S. 335 (339); Steigleder, Kants Moralphilosophie (2002), S. 193. 718 Vgl. dafür dann Heinrichs, KS 86 (1995), S. 41 (49); Kühnemund, Eigentum und Freiheit (2008), S. 107. 719 Für letzteres Emge, KS 29 (1924), S. 243 (257).

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mit dem Begriff des Gesetzes in sich selbst die reine praktische Idee wirklicher Rechtsgesetzlichkeit, und nicht den bloßen Naturtrieb sexueller Begierde als praktisch notwendigen Selbstzweck voraussetzt. Es liegt somit richtigerweise die Erlaubnis zum zwischenmenschlichen Beischlaf in dem an sich selbst praktisch notwendigen Gesetzesbegriff der Ehe, sodass aller zwischenmenschliche Beischlaf außer des so verfassten Rechtsbegriffs der Ehe von dieser gesetzlichen Erlaubnis nicht gedeckt ist, mit der begrifflich unausweichlichen Folge, dass aller außereheliche Beischlaf nach dem Kantischen Begriff der Ehe unerlaubt und damit unrechtmäßig (unsittlich) ist, eben weil er ohne die Rechtsbesitzerwerbsrechtsform der Ehe zur bloßen Verdingung der im Geschlechtsakt empirisch besessenen Person führt. Gerade diese unausweichliche Implikation des eben zitierten Halbsatzes von § 24 Abs. 3 bildet dann aber den Stein des Anstoßes für ein modernes liberales und darin subjektivistisches Privatrechtsdenken, das zugestandenermaßen Probleme hat, die im außerehelichen Geschlechtsakt liegende Verdinglichung der Person einzusehen. Bernd Ludwig hat das Verständnisproblem folgendermaßen „[a]uf den Punkt gebracht: Worin unterscheidet sich in rechtlicher Hinsicht der (lustvolle) Gebrauch des Körpers eines Partners im Ringkampf vom Gebrauch des Körpers im Geschlechtsakt, so daß nur der zweite zum Gebrauch der Person wird?“720 § 25721

Die Antwort auf die von Ludwig zugespitzte Frage nach der rechtlichen Differenz von Ringkampf und Geschlechtsakt lässt sich innerhalb des Gedankens der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre wohl nur rein begrifflich geben und wird nach allen bisherigen Überlegungen darin zu sehen sein, dass im Begriff des Geschlechtsakts eine Gemeinschaft und damit eine Einheit von zwei Personen gedacht wird, wohingegen im Begriff des Ringkampfes eine Zweiheit und damit ein Gegensatz von zwei Personen vorgestellt ist. Während sich der Ringkampf zweier Personen nämlich eben darum als lineare Abfolge von jeweils kausalen Handlungen der jeweils betroffenen Personen begreifen lässt, lässt sich der Geschlechtsakt eben darum nicht als lineare Abfolge von jeweils kausalen Handlungen, sondern nur als die Einheit einer kausalen Handlung in der Gemeinschaft von Mann und Frau überhaupt denken. Der Begriff der Gemeinschaft, und mithin auch der einer Geschlechtsgemeinschaft, ist somit nicht als die jeweils einseitig-kausale Hingabe des 720 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 141 Fn. 97. Vgl. dagegen Honrath, Die Wirklichkeit der Freiheit im Staat bei Kant (2011), S. 261 Fn. 638: „Wer den Unterschied zwischen einem Ringkampf und dem Geschlechtsakt nicht weiß, dem wird man ihn auch nicht von außen theoretisch ,andemonstrieren‘ können. Genau dies fordert aber Ludwig (…). Schon aus dieser Kritik erscheint der Versuchs Ludwigs, […] Kants Drucklegung zu ,verbessern‘ […] in keinem guten Licht.“ – Die Sekundärliteratur gefällt sich allerdings in Beispielen dieser Qualität, vgl. ferner etwa Hüning, in: Dörflinger/Hüning/Kruck (Hrsg.): Das Verhältnis von Recht und Ethik in Kants praktischer Philosophie (2017), S. 257 (271 Fn. 49). 721 RL, AA VI: 278.06-22 (alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Absatz).

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einen Teils an den anderen Teil erklärbar, sondern erfordert zu seiner begrifflich angemessenen Erklärung eine wechselseitig-kausale Verbindung beider Teile in einer Einheit, die nur durch sie gemeinsam besteht. Insofern liegt im Begriff der Geschlechtsgemeinschaft eine wechselseitige Personenverbindung nach der Denkform der Gemeinschaft, während im Begriff des Ringkampfes eine einseitige Personenverbindung nach der Denkform bloßer Kausalität besteht. Demnach unterliegt die Geschlechtsgemeinschaft der (dinglich-persönlichen) Rechtsbesitzform der Gemeinschaft und mithin der Erwerbung durch Gesetz, wohingegen der Ringkampf der (persönlichen) Rechtsbesitzform der Kausalität und mithin der Erwerbung durch Vertrag unterliegt. Folglich lässt sich weder durch einseitige Einwilligung, noch durch vertragliche Verpflichtung, die wechselseitige Gemeinschaft beider Geschlechter rechtsförmig denken, auch wenn man einen Ringkampf unter diese Rechtsformen bringen kann. Verhält es sich aber in der Tat auf diese Weise, dann lässt sich auch die gänzliche sittliche Neutralität des Beischlafs in der natürlichen Geschlechtsgemeinschaft jedenfalls dort nur äußerst schlecht behaupten, wo zugleich auch die Behauptung der Rechtsförmigkeit desselben durch Einwilligung bzw. durch Vertrag immerhin noch versucht wird. Außerhalb des Gesetzes der natürlichen Geschlechtsgemeinschaft (Ehe) fehlt es somit an einer Rechtsbesitz(erwerbs)form, durch die die spezifische Wechselseitigkeit einer Geschlechtsgemeinschaft schon in ihrer Erwerbshandlung rechtlich bestimmt werden könnte. Jeder einseitige Zugriff auf die natürliche Geschlechtsgemeinschaft führt somit – ohne Rechtserwerbsrechtsform – notwendig zu einer bloß verdingenden Behandlung der eigenen sowie der anderen menschlichen Person im äußeren Verhältnis, d. h. zur bloßen Hingabe der eigenen und Abwürdigung der anderen Person. Hiervon handeln ausführlich nochmals die im Laufe der Rezeptionsgeschichte bereits mit einigem Spott und nicht selten auch mit Hohn bedachten Überlegungen des § 25:722 Nach § 25 S. 1 besteht im natürlichen Geschlechtsgebrauch, den ein Geschlecht von den Geschlechtsorganen des anderen Geschlechts macht, und der gemäß § 24 Abs. 2 S. 1 entweder bloß auf natürliche (tierische) oder auch auf gesetzliche (eheliche) Art möglich ist, ein „ G e n u ß , zu dem sich ein Theil dem anderen hingiebt.“ Bloß für sich betrachtet liegt im natürlichen Geschlechtsgebrauch also jeweils eine einseitig kausale Hingabe der einen Person an die andere, und insofern kommt der natürliche Geschlechtsgebrauch einer willkürlichen Verfügung über die eigene Person, d. h. einer sachenrechtlichen Veräußerung gleich. Da der Mensch als Rechtsperson, und zwar infolge seiner Persönlichkeit (Zurechnungsfähigkeit), allerdings nicht beliebig – wie ein Eigentümer – über sich selbst als Person verfügen darf, ist eine solche gleichsam sachenrechtliche Verfügung über die eigene Person jedoch grundsätzlich rechtswidrig, weil sich der Mensch auf diese Weise selbst zur 722 Vgl. etwa Nicolai, in: Schwab: Neun Gespräche zwischen Christian Wolff und einem Kantianer (1798), S. 16 ff.; Schwab, Neun Gespräche zwischen Christian Wolff und einem Kantianer (1798), S. 77 ff.

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Sache machte, und sich insofern im rechtlichen Selbstverhältnis bzw. moralischen Selbstverständnis fundamental widersprechen würde. Darum heißt es in § 25 S. 2: „In diesem Act macht sich ein Mensch selbst zur Sache, welches dem Rechte der Menschheit an seiner eigenen Person widerstreitet.“ Freilich ist dieser Satz, sofern man eine solche gleichsam sachenrechtliche Verfügung über die eigene Person in ihrer Konsequenz nicht als Verdinglichung des Menschen selbst begreifen kann, weil man die Persönlichkeit – zumindest unbewusst – immer schon unter einen liberal verstandenen Begriff des Privateigentums subsumiert und damit gründlich herabgewürdigt hat, „durchaus nicht selbstverständlich“723. Darum stößt eine eigentumstheoretische Interpretation, die bekanntlich die praktische Notwendigkeit einer allseitigen Verbindung ursprünglich freier Rechtspersonen zum Staat bürgerlicher Gesellschaft aus der praktischen Notwendigkeit des Sachenrechts abzuleiten gedenkt, an diesem Punkt rein begrifflichen Rechtsdenkens notwendig an die begrifflichen Grenzen des ihr möglichen Rechtsverstandes, denn mit ihrer privatrechtsspezifisch vermeinten Ableitung der praktischen Notwendigkeit des Staates findet sich in einer solchen Interpretationsweise bereits von vornherein eine vollumfängliche Herabwürdigung der Freiheit der Person noch unter das bloße Sachenrecht, mit der misslichen Folge, dass das im außerehelichen Geschlechtsgebrauch metaphysisch liegende Rechtsproblem als solches in seiner besonderen Qualität noch nicht einmal bewusst werden kann. Die Geschlechtsgemeinschaft im natürlichen Geschlechtsgebrauch lässt sich dann nach ihrer vermeintlich bloß willkürlich bestimmten Erwerbs- bzw. Verfügungsform tatsächlich nicht mehr vom Körpergebrauch im Rahmen eines Ringkampfes unterscheiden. Erwägt man aber den natürlichen Geschlechtsgebrauch – wie bis hierher in den ersten beiden Sätzen von § 25 geschehen – als eine nicht gesetzliche Geschlechtsverbindung, dann liegt darin unter rechtlichen Gesichtspunkten in der Tat nichts anderes als ein bloß tierischer Geschlechtsgebrauch. Da aber ein solcher rein tierischer Geschlechtsgebrauch das sinnlich – ohne rechtsbegriffliche Vermittlung – unmittelbar (d. h. begriffslos) empfundene Vergnügen an der bloß tierischen Geschlechtsgemeinschaft bedeutet, ist dieser Geschlechtsgebrauch identisch mit dem bloß sinnlichen Genuß des menschlichen Geschlechtsorgans.724 In diesem rechtlichen Sinne – nämlich infolge bloß willkürlicher Veräußerung der eigenen Person – ist dann der außereheliche Geschlechtsgebrauch im „Grundsatz (wenn gleich nicht immer der Wirkung nach) c a n n i b a l i s c h “725. Denn da sich der Mensch durch 723

Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 139 f. Vgl. begrifflich RL, AA VI: 359.24-26; KU, AA V: 208 f. 725 RL, AA VI: 359.33-34 – Bouterwek (anonym), in: Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen (1797), S. 265 (272 f.) notierte dazu hingegen: „Bey Geschlechtsverbindungen gibt sich ein Theil dem anderen zum Genuß als Sache. (Rec. sollte meinen, zur wechselseitigen Dienstleistung. Das moralische Selbst kann nie Sache werden, und nie genossen werden. Körperliche Dienstleistungen aber, gleichviel von welcher Art, gehören zum persönlichen Rechte.“ 724

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eine bloß willkürliche und darum eigentümergleiche Verfügung über seine Person in seiner Tat effektiv zur bloßen Sache macht, kann er in seiner Tat auch nur als eine solche angesehen werden, sodass er – wie diese – in dieser Tat rein begrifflich als brauchbar und mithin als verbrauchbar betrachtet werden muss. Nur in diesem rein begrifflichen Sinne – dem rechtlichen Grundsatz, nicht immer der empirischen Wirkung nach – stellt dann auch die Berufung Immanuel Kants auf die von Bernd Ludwig als „medizinische Ladenhüter“726 apostrophierten Folgen des Geschlechtsverkehrs, und zwar zur rein begrifflichen Begründung des Verbrauchs bzw. Verzehrs der Persönlichkeit,727 nicht den argumentativen Abfall dar, wie dies hier in dieser Kennzeichnung durch Ludwig möglicherweise suggeriert werden soll. Bereits in seinem Brief an Christian Gottfried Schütz vom 10. Juli 1797 hatte sich Immanuel Kant gegen ein solches Missverständnis seiner Überlegungen in § 25 der Rechtslehre verwahrt: „Es würde sehr schwach von mir gewesen seyn, mich durch das Wort Genuß hinhalten zu lassen. Es mag immer wegfallen, und dafür der G e b r a u c h einer unmittelbar (d. i. durch den Sinn, der hier aber ein von allem anderen specifisch verschiedener Sinn ist) ich sage e i n e r u n m i t t e l b a r v e r n ü g e n d e n S a c h e gesetzt werden. Beim Genusse einer solchen denkt man sich diese zugleich als v e r b r a u c h b a r (res fungibilis), und so ist auch in der That der wechselseitige Gebrauch der Geschlechtsorgane beider Theile unter einander beschaffen.“728 Ohne die gesetzliche Rechtsform der Ehe bedeutet der dann bloß tierische Genuß/ Gebrauch des anderen Geschlechts also den Verzehr der Persönlichkeit, weil sich der Mensch in dieser willkürlichen Verfügung über seine Person zur bloßen Sache herabwürdigt. Folglich ist der natürliche Geschlechtsgebrauch nur unter der rechtlichen Bedingung rechtlich möglich, durch die eine solche Herabwürdigung der eigenen Person in der willkürlichen Verfügung nicht geschieht, eben weil sie mit dieser Bedingung eine nicht bloß willkürliche, sondern eine gesetzliche Verfügung über die eigene Person im Einklang mit einem absoluten Allgemeinwillen enthält. Alleine in diesem Fall wird nämlich mit der willkürlichen Verfügung über die eigene Person zugleich gesetzlich wechselseitig die andere Person mit dinglicher (abso726

Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 141 Fn. 96. RL, AA VI: 359.34-360.07: „Ob mit Maul und Zähnen, oder der weibliche Theil durch Schwängerung und daraus vielleicht erfolgende, für ihn tödtliche Niederkunft, der männliche aber durch von öfteren Ansprüchen des Weibes an das Geschlechtsvermögen des Mannes herrührende Erschöpfungen a u f g e z e h r t wird, ist bloß in der Manier zu genießen unterschieden, und ein Theil ist in Ansehung des anderen bei diesem wechselseitigen Gebrauche der Geschlechtsorganen wirklich eine v e r b r a u c h b a r e S a c h e (res fungibilis), zu welcher also sich vermittelst eines V e r t r a g s zu machen, es ein gesetzwidriger Vertrag (pactum turpe) sein würde.“ 728 Brief (Nr. 761) an Schütz vom 10. 07. 1797, AA XII: 182.12-20. – Gleichwohl ist der auf betreffenden Textstellen bezogene Vorwurf des Fehlschlusses („fallacia“) geläufig geworden, vgl. etwa auch einen anonymen Rezensenten bzw. vermutlich Schütz selbst, in: Allgemeine Literatur-Zeitung (1799/III), Sp. 201 (205). Siehe dagegen allerdings zum richtigen Begriffsgebrauch des Wortes „Genuß“ in diesem Zusammenhang die Erläuterungen Tieftrunks, Philosophische Untersuchungen I (1797), S. 346 – 349; ferner Stangs, Darstellung der reinen Rechtslehre von Kant (1798), S. 64 f. 727

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luter) Rechtswirkung erworben. Vom natürlichen Geschlechtsgebrauch urteilt § 25 S. 3 daher: „Nur unter der einzigen Bedingung ist dieses möglich, daß, indem die eine Person von der anderen g l e i c h a l s S a c h e erworben wird, diese gegenseitig wiederum jene erwerbe; denn so gewinnt sie wiederum sich selbst und stellt ihre Persönlichkeit wieder her.“ Dagegen ließe sich die Persönlichkeit beider am natürlichen Geschlechtsgebrauch beteiligten Personen nicht dadurch erhalten, dass beide jeweils bloß willkürlich – ohne das Gesetz der Ehe – vertraglich über sich verfügten, denn dann machten sich beide immer noch zur bloßen Sache und erwürben einander gerade nicht als Person, sondern vermeintlich als Sache. In der Tat liegt die Annahme der rechtlichen Möglichkeit eines solchen Erwerbs der Person nicht gleich als Sache, sondern kurzerhand als Sache, der Ansicht Friedrich Bouterweks zugrunde, der den natürlichen Geschlechtsgebrauch schon der Erwerbsform nach unter das Dienstleistungsvertragsrecht subsumiert wissen wollte.729 Denn darin läge eine beliebige Verfügung über die eigene Person, gleich der eines Eigentümers über seine Sache, sodass dadurch die Person konsequent auch als Sache erworben vorgestellt würde. Eben deshalb ist aber das Kantische Eherecht, das die Person schon im äußeren Erwerb an sich selbst tatsächlich gerade nicht unter sachenrechtliche Begriffe zu bringen beabsichtigt, gänzlich unverständlich, sofern man mit einem eigentumstheoretischen Verständnishorizont – bewusst oder unbewusst – eine Subsumtion der Person unter das Sachenrecht vornimmt. Es darf daher dann auch nicht verwundern, dass beispielsweise der Eigentumstheoretiker Bernd Ludwig, der zugegebenermaßen nicht unerhebliche Verständnisprobleme im Kantischen Eherecht hat,730 in seiner Interpretation des auf dingliche Art persönlichen Eherechts die Prämisse zugrunde legt, eine Person solle in dieser Rechtsbesitzrechtsform als Sache erworben werden: „Der Verstoß gegen das Recht der Menschheit in unserer Person (d. i. sich in der Geschlechtsgemeinschaft zur Sache machen) kann nur unter der Bedingung, daß der einzelne sich dem anderen als Sache veräußert, welchen er zugleich als Sache erwirbt, womit beide ihre Persönlichkeit wieder herstellen, aufgehoben werden (§ 25). Inwieweit diese Kantische Konstruktion mit den von ihm gelieferten Prämissen zu rechtfertigen ist, mag dahingestellt bleiben.“731 In der Tat würde die von Bernd Ludwig nur irrigerweise Immanuel Kant zugeschriebene Konstruktion des wechselseitigen Erwerbs zweier Personen als Sachen nicht überzeugen können: Zum einen, weil eine Person keine Sache und mithin nicht willkürlich verfügbar ist; zum anderen, weil es eine Metaphysik mit a priori durch die Vernunft gegebenen, und nicht mit willkürlich konstruierten Begriffen zu tun hat. Auf der Basis dieses erheblich verkürzten Verständnishorizontes, demgemäß mit dem auf dingliche Art persönlichen Recht eine Person vermeintlich nicht gleich als 729

Siehe dafür schon oben Fn. 716 m.w.N. Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 139: „Für zentrale […] Behauptungen läßt der Text die von Kant für einschlägig gehaltenen Begründungen nicht einmal erahnen.“ 731 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 143. 730

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Sache (nämlich absolut), sondern als Sache (d. h. von einem Eigentümer) erworben werden solle, hatte darum bereits ein anonymer Rezensent, der hierin jedenfalls einen Widerspruch erkannte, seine Stimme erhoben: „Man setze immer, daß es möglich sey, in gewisser Rücksicht an Personen, als an Sachen, ein Recht zu haben: so würde man sie, in sofern sie Sachen sind, gleich anderen Sachen verkaufen, verschenken, zerstören dürfen; also an einigen ihrer Theile alle Eigentumsrechte ausüben können. Hiervon ist uns aber bis jetzt noch nichts bekannt geworden.“732 Nicht zuletzt auf der falschen Annahme, die Person solle als Sache erworben werden, ließ Johann Christoph Schwab seinen Christian Wolff spotten: „Das begreife ich noch weniger. Das Weib wird durch den Beyschlaf zur Sache; der Mann wirds gleichfalls: und doch soll dadurch, daß beyde einander erwerben, das heißt hier, daß sie einander ausschließlich ihre Geschlechtsorgane zum beständigen Gebrauch einräumen, ihre Persönlichkeit wieder hergestellt werden. Dies sind doch wahrlich nichts als willkürliche Ideenverknüpfungen.“733 Mit Blick auf die in § 22 gegebene Nominaldefinition des auf dingliche Art persönlichen Rechts, es sei das Recht „des Besitzes eines äußeren Gegenstandes a l s e i n e r S a c h e und des Gebrauchs desselben a l s e i n e r P e r s o n “734, ist hier also abschließend nochmals darauf zu insistieren, dass eine Person durch dieses Recht mit dinglicher Wirkung zwar als eine Sache persönlich besessen, nicht aber auch als eine Sache, nämlich durch einseitige Bemächtigung oder vertragliche Verfügung, persönlich erworben wird. Vielmehr muss eine Person gleich als Sache erworben werden, nämlich mit einem absoluten Allgemeinwillen und darum gesetzlich abgeleitet, sodass sie in der persönlich-rechtlichen Folge auch mit dinglicher Ausschlusswirkung als Sache besessen und in diesem Besitz als Person gebraucht werden kann. Würde die Person dagegen als Sache erworben, so würde sie als bloß körperlicher Gegenstand und mithin unter Verlust ihrer Persönlichkeit erworben, d. h. versklavt. Die Person ist aber ausweislich ihres Begriffs eine Einheit, und mithin keine Zweiheit von Persönlichkeit und körperlicher Sache, sodass die Erörterung des letzten Halbsatzes von § 24 Abs. 3 mit § 25 S. 4 zum Abschluss gelangt: „Es ist aber der Erwerb eines Gliedmaßes am Menschen zugleich Erwerbung der ganzen Person, eines Geschlechts zum Genuß des andern nicht allein unter der Bedingung der Ehe zulässig, sondern auch a l l e i n unter derselben möglich.“ § 26 Abs. 1

Zuletzt hatte § 25 S. 5 noch bemerkt, dass das so erworbene „ p e r s ö n l i c h e R e c h t “ ein solches „ a u f d i n g l i c h e A r t “ sein muss, weil es in seiner absoluten Ausschlusswirkung gegenüber jeder dritten Person dazu berechtigt, die zu Recht erworbene Person kraft rechtlicher Handlung (d. h. mit Zwangsbefugnis) wieder in die eigene Verfügungsgewalt zu bringen, sofern dies erforderlich sein 732

Anonym (Bs:), in: Neue allgemeine Deutsche Bibliothek 42 (1799), S. 28 (37 f.). Schwab, Neun Gespräche zwischen Christian Wolff und einem Kantianer (1798), S. 77 (79). 734 RL, AA VI: 276.19-20. 733

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

sollte.735 Positivrechtlich wäre in diesem Zusammenhang etwa an § 1353 (a. F.) des Bürgerlichen Gesetzbuches denken, sodass es sich bei diesem Gedanken um nichts weniger als einen anachronistischen Rechtsgedanken handeln dürfte.736 Der dingliche (d. h. absolute) Rechtscharakter des Rechts der Ehe hat jedoch nicht nur die zuvor genannte Außenwirkung, sondern auch die Innenwirkung der rechtlichen „G l e i c h h e i t des Besitzes, sowohl der Personen, die einander wechselseitig besitzen […], als auch als auch der Glücksgüter“737. Denn der wechselseitige Personenbesitz lässt sich nicht als ein Verhältnis der Ungleichheit denken, da andernfalls eine Person wiederum als bloße Sache besessen würde. Eben darum ist dann auch nur die Einehe (Monogamie) als ein absolutes persönliches (d. h. allerpersönlichstes) Recht denkbar, weil durch die Vielehe (Polygamie) im äußeren Verhältnis keine exklusive Rechtsbefugnis gegenüber jeder dritten Person, und im inneren Verhältnis dementsprechend keine wechselseitige Gleichheit im Personenbesitz bestünde.738 § 27

Nach alledem kommt die Ehe von Mann und Frau weder durch bloß natürlichen Geschlechtsgebrauch (facto), noch durch bloßen Vertrag (pacto), sondern lediglich durch gesetzlich abgeleitete Erwerbung (lege) zustande, sodass der zwischenmenschliche Beischlaf, soweit er empirischer Teil der Inbesitznahme der anderen Person ist, rechtlich als Vollzug der gesetzlich schon begründeten Ehe angesehen werden muss. ***

In der Auseinandersetzung des Eherechts sollte deutlich geworden sein, dass eine eigentumstheoretische Auffassungsweise der Rechtslehre Immanuel Kants nicht nur die begrifflich-praktische Notwendigkeit der ursprünglichen Erwerbung im Rahmen des metaphysischen Begriffs des Sachenrechts, sondern auch die der gesetzlichen Erwerbung im Rahmen des metaphysischen Begriffs des auf dingliche Art persönlichen Rechts nicht zu begreifen vermag, weil sie subjektive äußere Rechte im interpersonalen Verhältnis rechtlich bestimmt denken zu können glaubt, die ohne einen wirklichen Allgemeinwillen schon für sich selbst Subsistenz haben sollen. Während diese Unterstellung im metaphysischen Sachenrecht als Erschleichung auf die wenig metaphysische Existenzbehauptung eines vorstaatlichen Eigentumsrechts hinausläuft, führt sie im metaphysischen Eherecht – umgekehrt – zur Leugnung der von 735

RL, AA VI: 278.18-22. Freilich verfährt die moderne Zivilrechtsdogmatik selbst nicht ohne innere Widersprüche, wenn sie in ihrer allgemeinen Charakterisierung der Familienrechte die von Kant herausgehobene auf dingliche Art persönliche Qualität solcher Rechte leugnet und sodann die Ehe gleichwohl als ein allerpersönlichstes Recht von absoluter Qualität kennzeichnet, vgl. etwa Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht (20106), § 3 Rn. 14 – 27 sowie § 17 Rn. 1 ff. 737 RL, AA VI: 278.24-32. 738 Vgl. dazu auch schon oben unter A. II. 3. b) cc) und dort besonders Fn. 699. 736

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Immanuel Kant exponierten Rechtsform des auf dingliche Art persönlichen Rechts überhaupt, weil ein Privatrechtssubjekt nach dieser liberalen Vorstellung kurzerhand wie ein Eigentümer über sich selbst verfügen können soll, sodass es auf einen gesetzlichen Erwerb eines allerpersönlichsten Rechts überhaupt gar nicht länger ankommt, da eine Person vermeintlich ja schon als Sache erworben werden kann. Dass in der eigentumstheoretisch vermeinten Begründung der praktischen Notwendigkeit des Staates allerdings schon die vollumfängliche Herabwürdigung der Person unter das bloße Sachenrecht gelegen ist, bleibt dabei offenbar völlig außerhalb des eigentumsbegrifflich verengten Vorstellungshorizontes, sodass man mit diesem derart beschränkten Horizont auch bis auf weiteres nicht zu bemerken imstande sein dürfte, dass die bürgerliche Verfassung rein begrifflich die öffentlich-rechtliche Rechtsbesitzrechtsform des Verhältnisses der Gemeinschaft freier Wesen überhaupt, und mithin die Rechtsbesitzrechtsform des absoluten Selbstbesitzes der freien Willkür auch im äußeren Verhältnis vorstellt. Denn nur wenn die bürgerliche Gesellschaft im Staat als eine öffentlich verfasste Gemeinschaft nach dem auf dingliche Art persönlichen Recht (d. h. gesetzlich erworben) gedacht werden muss, lässt sich auch friktionslos erklären, dass die einzelne Person darin nicht länger bloß unabhängig von fremder Willkür vorgestellt wird und das „Recht der obersten Gesetzgebung im gemeinen Wesen“ dementsprechend auch als „das allerpersönlichste Recht“ im Staat gilt.739 Mit diesem begrifflichen Zusammenhang dürfte nunmehr aber eine Ahnung davon vermittelt sein, was Klaus Honrath vor Augen gestanden haben könnte, als er in seiner Auseinandersetzung der Rechtslehre Immanuel Kants mit Blick auf das dinglich-persönliche Recht notierte: „Wieviel Unverständnis für die Kantische Philosophie herrscht, ist gerade auch darin zu sehen, wie dieses besondere Recht auf ein tiefgreifendes Unverständnis stieß und stößt.“740 4. Episode zum idealen Erwerb Die ersten drei Abschnitte des zweiten Hauptstücks der natürlichen Privatrechtslehre hatten insgesamt die vernunftbegriffliche Entwicklung der Verstandesprädikabilie der Handlung im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug zum Gegenstand, sodass darin – in Fortanknüpfung des im ersten Hauptstück vollumfänglich angeknüpften Besitzbegriffes – der reine praktische Vernunftbegriff der äußeren Erwerbung (§ 10 Abs. 1 S. 1 i.V.m Abs. 3) eines Besitzes zur intensiven Vernunftdeutlichkeit des Rechtsbegriffs entwickelt wurde. In den drei Abschnitten des 739

RL, AA VI: 342.05-06. – Möglicherweise wäre es einer genaueren Untersuchung wert, ob sich die behauptete Notwendigkeit einer dinglich und zugleich persönlichen Rechtsform in der des Staates nicht auch bereits im Ansatz bei Rousseau (Brockard [Hrsg.]: Jean-Jacques Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag [2003], S. 25 [I. 9.]) findet, wenn dieser notiert: „Man versteht, wie die vereinigten […] Ländereien der Einzelnen zum Staatsgebiet werden und wie das Souveränitätsrecht, indem es sich über die Untertanen auf das Gebiet erstreckt, das sie besitzen, gleichermaßen dinglich und persönlich wird; […].“ 740 Honrath, Die Wirklichkeit der Freiheit im Staat bei Kant (2011), S. 257; siehe ferner schon Horn, Immanuel Kants ethisch-rechtliche Eheauffassung (1936), S. 30.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

zweiten Hauptstücks teilte sich der allgemeine reine praktische Vernunftbegriff der äußeren Erwerbung dabei gemäß § 10 Abs. 7 nach den drei Gegenstandsklassen eines durch ihn jeweils besonders möglichen äußeren Mein und Dein (Sachenrecht/ persönliches Recht/allerpersönlichstes Recht) ein. Der allgemeine Begriff der äußeren Erwerbung wurde so jeweils auf drei unter ihm durch ihn überhaupt besonders mögliche Besitzgegenstandsklassen bezogen, sodass der jeweilige reine praktische Vernunftbegriff der Erwerbshandlung innerhalb jeder möglichen Gegenstandsklasse einen realen Gegenstandsbezug aufwies, als dessen rein vernunftbegriffliche Bedingung der praktischen Möglichkeit im Rahmen einer Begriffsdeduktion jeweils der reine praktische Vernunftbegriff des intelligiblen Besitzes aufgewiesen wurde (§§ 17 Abs. 2, 19 Abs. 3, 22 S. 3). In diesem realen Gegenstandsbezug des reinen praktischen Vernunftbegriffs der äußeren Erwerbshandlung war also stets eine empirische Erwerbshandlung vorgestellt, die, und zwar vermittelst der Abstraktionswirkung der synthetisch-progressiven Vorstellungskraft des reinen praktischen Vernunftbegriffs des intelligiblen Besitzes (§ 7 Abs. 1), als rechtlich verbindende Handlung im Interpersonalverhältnis überhaupt begriffen werden musste, weil durch den reinen praktischen Vernunftbegriff des intelligiblen Besitzes eine allgemeingeltende Gesetzgebung in Ansehung des Besitzes der Gegenstände gedacht wird (§ 7 Abs. 1 S. 6 i.V.m. § 8 Abs. 1 S. 7). Die Subjekt-Objekt-Relation des Begriffs eines äußeren Mein und Dein wurde also durch den im (jeweiligen) Begriff vom äußeren Mein und Dein praktisch realen Begriff des intelligiblen Besitzes zuletzt stets als Subjekt-SubjektRelation vorgestellt, wobei die privatrechtliche Subjekt-Subjekt-Relation des äußeren Mein und Dein an sich selbst das Subordinationsverhältnis eines besitzenden Einzelwillens unter einen gesetzgebenden Allgemeinwillen repräsentiert. Die somit bekannte Einteilung des reinen praktischen Vernunftbegriffs der äußeren Erwerbung gemäß § 10 Abs. 7 lässt sich also mit ihrem empirischen Gegenstandsbezug insgesamt unter den Begriff einer realen Erwerbung subsumieren, der dann selbst wiederum ein höheres Einteilungsglied des eingeteilten Oberbegriffs der äußeren Erwerbung sein muss. Als ein solches Einteilungsglied ist dem Begriff der realen Erwerbung dabei allerdings der Begriff der idealen Erwerbung entgegengesetzt, der in seiner Begriffsbildung von allem spezifisch empirisch möglichen Gegenstandsbezug und damit von aller empirischen Erwerbshandlung abstrahiert.741 Von diesem Einteilungsglied der idealen Erwerbung handeln für das natürliche Privatrecht an vierter Stelle rein begrifflich die §§ 32 – 35 in einem episodischen Abschnitt. Hat der Begriff der idealen Erwerbung damit aber ein privatrechtliches Einteilungsglied der Subjekt-Subjekt-Relation in Ansehung äußerer Gegenstände unter sich, so muss er auch ein öffentlich-rechtliches Einteilungsglied dieser SubjektSubjekt-Relation unter sich haben, dessen ideale Erwerbshandlung rein begrifflich der ursprüngliche Vertrag der einzelnen Rechtssubjekte zu einem sie a priori verbindenden Allgemeinwillen ist. 741

Vgl. dazu auch VARL, AA XXIII: 260.12-28.

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Abb. 10: Höhere Einteilung des Begriffs der äußeren Erwerbung im natürlichen Zustand (vgl. schon Abb. 8)

Damit aber wird erklärlich, weshalb die im natürlichen Privatrecht befindliche Erwerbslehre an vierter Stelle episodisch vom idealen Erwerb handelt. Denn da das ganze real sowie ideal zu erwerbende Privatrecht der natürlichen Privatrechtslehre rechtlich bestimmt nur im Hinblick auf den urvertraglich in einer bürgerlichen Verfassung a priori zu vereinigenden Willen aller Rechtssubjekte (provisorisch) denkbar ist, weist die natürliche Privatrechtslehre bereits in ihrem Begriff des realen äußeren Erwerbs selbst auf den Begriff eines idealen Erwerbs hin, der sich aber nicht innerhalb der drei Klassen des realen Erwerbs vernunftbegrifflich an sich selbst entwickeln lässt und darum in einer Episode nur gestreift werden kann.742 Die Episode handelt demnach zunächst „ [ v ] o n d e r i d e a l e n E r w e r b u n g e i n e s ä u ß e r e n G e g e n s t a n d e s d e r W i l l k ü r “ 743 (§ 32) und sodann von den drei im Naturzustand denkbaren idealen Erwerbsarten des Privatrechts (§§ 33 – 35). § 32744

In § 32 S. 1 definiert Immanuel Kant die „ i d e a l e “ Erwerbung nominal als eine solche, „die keine Causalität in der Zeit enthält, mithin eine bloße Idee der reinen Vernunft zum Grunde hat“. Sie wird von ihm dabei „nur darum nicht real“, sondern ideal genannt, „weil der Erwerbact nicht empirisch ist“. Umgekehrt heißt die reale Erwerbung, die nach ihrer reinen praktischen Vernunftidee ebenfalls ideal ist, nur darum nicht ideal, sondern real, weil sie nach ihrer Vorstellung zugleich einen empirischen Erwerbsakt in der Zeit hat. So bezeichnet beispielsweise der praktische 742

Die Episode der §§ 32 – 35 von der idealen Erwerbung ist also – neben den drei vorausgegangenen Abschnitten (§§ 11 – 30) – nur mit Blick auf den nicht empirisch real vorgestellten Gegenstandbezug der idealen Erwerbshandlung unbedeutend im ursprünglichen Wortsinne. Dagegen kann die systematische Bedeutung dieser Episode mit Blick auf das begrifflich bestimmte Verhältnis von Natur- und Rechtszustand wohl kaum unterschätzt werden, weshalb dem anders lautenden Urteil Herbs/Ludwigs, JRE 2 (1994), S. 431 (436 f. Fn. 20: „ohne systematischen Belang“) widersprochen werden muss. 743 RL, AA VI: 291.12-13. 744 RL, AA VI: 291.15-30 (alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Absatz).

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Vernunftbegriff der ursprünglichen Erwerbung des Bodens in seinem empirisch bezogenen Teil die erste empirische Inbesitznahme eines bestimmten Bodens in einer Zeit. Reale und ideale Erwerbung stellen somit ausweislich der praktischen Realität ihrer jeweiligen Vernunftbegriffe gleichermaßen eine „ w a h r e “ Erwerbung im Rechtsdenken vor. Denn so wie eine reale Erwerbshandlung nicht darum rechtlich wahr ist, weil sie einen empirischen Gegenstand spezifisch in ihrer Vorstellung hat, sondern weil sie in dieser Relation einen praktisch bestimmenden Rechtsbegriff hat, so ist eine ideale Erwerbshandlung nicht etwa darum rechtlich unwahr, weil sie keinen empirischen Gegenstand, sondern nur eine bloße Rechtsidee spezifisch in ihrer Vorstellung hat. Von der Subjekt-Objekt-Relation im Rechtsbesitzbegriff abstrahiert der Begriff einer idealen Erwerbung folglich, sodass in ihm lediglich die innerlich vorgelagerte Subjekt-Subjekt-Relation des Rechtsbesitzbegriffes noch bestimmbar bleibt. Während diese Subjekt-Subjekt-Relation in der idealen Erwerbshandlung des öffentlichen Rechts begrifflich das Subordinationsverhältnis aller möglichen Einzelwillen unter einen gesetzgebenden Allgemeinwillen vorstellt, stellt sie hier im natürlichen Privatrecht begrifflich das Interpersonalverhältnis möglicher Einzelwillen vor. Da es innerhalb dieses Interpersonalverhältnisses des Begriffs einer idealen Erwerbshandlung allerdings an einer empirisch-real verbindenden Handlung mangelt, kann die Erwerbsrelation zwischen diesen beiden Subjekten stets nur außerhalb der Zeit gedacht werden, und zwar: „indem das Subject von einem Anderen, der entweder n o c h n i c h t ist (von dem man bloß die Möglichkeit annimmt, daß er sei), oder, indem dieser eben a u f h ö r t z u s e i n , oder, wenn er n i c h t m e h r i s t , […], mithin die Gelangung zum Besitz eine bloße praktische Idee der Vernunft ist.“ Wenn dann die ideal bloß gedachte Erwerbshandlung zwischen diesen beiden Rechtssubjekten, von denen eines als Person während des Erwerbsvorganges nicht in der Zeit präsent ist, gleichwohl irgendwann einmal in der Zeit empirische Realität haben können sollte, dann setzte dies eine Repräsentation des nicht in der Zeit stehenden Rechtssubjekts voraus, darin es mit dem in der Zeit stehenden Rechtssubjekt wenigstens der praktischen Idee nach notwendig verbunden vorzustellen wäre. Da alle menschlichen Rechtssubjekte begrifflich notwendig allerdings in der reinen praktischen Idee der bürgerlichen Verfassung verbunden sind, kann die ideale Erwerbung „nur im öffentlichen rechtlichen Zustande ihren Effect haben“. Mit ihrer reinen praktischen Vernunftidee „ g r ü n d e n sich“ ideale Erwerbungen „aber nicht nur auf der Constitution desselben und willkürlichen Statuten, sondern sind auch a priori im Naturzustande und zwar nothwendig zuvor denkbar, um hernach die Gesetze in der bürgerlichen Verfassung darnach einzurichten (sunt iuris naturae)“. Mit einem Wort: Die ideale Erwerbung ist – wie auch die reale Erwerbung – provisorisch im Hinblick auf den Zustand einer bürgerlichen Gesellschaft im Staat bereits vor (bzw. abgesehen von) demselben, d. h. im Naturzustand rein rechtsbegrifflich bestimmt denkbar.745 745

Vgl. dazu VARL, AA XXIII: 260.29-261.05.

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

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§§ 33 – 35

Die folgenden Paragraphen behandeln nun die drei im natürlichen Privatrecht möglichen Subjekt-Subjekt-Relationen der Ersitzung (§ 33), der Beerbung (§ 34) sowie des Nachlasses eines guten Namens (§ 35). Während im Falle der Ersitzung die erwerbende Person noch nicht ist und nur als möglich angenommen wird, hört die Person des Erblassers im Falle der Vererbung eben auf zu sein, und erwirbt damit selbst den Nachlass eines guten Namens, wenn sie nicht mehr ist. Auf die privatrechtsspezifischen Einzelheiten dieser drei Erwerbsarten der idealen Erwerbung des natürlichen Privatrechts soll es hier im Rahmen einer systematischen Erschließung des Gesamtgedankens der Rechtslehre einstweilen nicht ankommen. Vielmehr dürfte das Augenmerk innerhalb einer solchen Herangehensweise zunächst wohl noch eher auf die zunehmend intensivere Verknüpfung des bisher entwickelten Rechtsgedankens des zweiten Hauptstücks mit dem des ersten Hauptstücks in dem sich jetzt anschließenden dritten Hauptstück (§§ 36 ff.) zu richten sein:

III. Rechtskräftiges Zurechnungsurteil im Erwerb eines äußeren Gegenstandes der freien Willkür Das erste Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre hatte die vernunftbegriffliche Entwicklung des reinen Verstandesbegriffs des Habens im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug zu einer intensiven Vernunftdeutlichkeit des Rechtsbegriffs zum Thema. Es handelte in den §§ 1 – 9 darum seiner Quantität nach überhaupt vom äußeren Rechtsbesitz, der gemäß § 8 Abs. 1 S. 7 nur in einem bürgerlichen Zustand äußere Realität haben kann, und der eben deshalb im Naturzustand gemäß § 9 Abs. 1 S. 4 rein begrifflich auch nur im Hinblick auf den bürgerlichen Zustand (d. h. provisorisch) schon rechtlich bestimmt unter dem allgemein bestimmend gebrauchten Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) denkbar ist. Denn der äußere Rechtsbesitz setzt nach Grund und Folge einen in äußeren Verhältnissen der Privatrechtssubjekte wirklichen Allgemeinwillen für sich selbst voraus. Da der reine Verstandesbegriff des Habens allerdings in sich selbst den reinen Verstandesbegriff der Handlung über sich für sich selbst voraussetzt, und dementsprechend auch ein schon als erworben vorgestellter äußerer Rechtsbesitz eine Erwerbshandlung für sich selbst innerlich voraussetzt, hatte das zweite Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre die vernunftbegriffliche Entwicklung des reinen Verstandesbegriffs der Handlung im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug zu einer intensiven Vernunftdeutlichkeit des Rechtsbegriffs zum Thema. Es handelte darum rein begrifflich in den §§ 10-30 von der rechtlichen Qualität der zum jeweiligen Haben eines äußeren Gegenstandes innerlich gehörigen Erwerbshandlung (§ 10 Abs. 1 S. 1, Abs. 3), wobei die sachenrechtliche sowie die dinglich-persönlichrechtliche Erwerbshandlungsrechtsform (facto/lege) den a priori in einer bürgerlichen Verfassung zu vereinigenden Willen aller Rechtssubjekte jeweils schon im Grunde unmittelbar für sich selbst voraussetzten, während die persönlichrechtliche Erwerbshandlungs-

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

rechtsform (pacto) die bürgerliche Verfassung im Grunde nur mittelbar für sich selbst voraussetzte; einesteils, weil sich die Privatrechtssubjekte des Vertrages (pacto) auf dem ursprünglich (facto) erworbenen Boden lokalisieren (§§ 11 – 17) – anderenteils, weil die ursprünglich (facto) erworbenen Sachenrechte einen wichtigen Gegenstand des vertraglichen Leistungsaustauschs (pacto) darstellen (§ 21). Alle drei Erwerbshandlungsrechtsformen des natürlichen Privatrechts sind also im Grunde rein begrifflich nur im Hinblick auf den Zustand einer bürgerlichen Verfassung (d. h. provisorisch) rechtlich schon bestimmt denkbar (§§ 8 Abs. 1 S. 7, 9 Abs. 1 Satz 4, 15 Abs. 3), obgleich der vertraglichen Erwerbsrechtsform bereits im natürlichen Privatrecht in ihrem Grunde eine relative Selbstständigkeit eignet, da sie für sich selbst nur einen gemeinsamen Willen zweier besonderer, und nicht den gemeinschaftlichen Willen aller menschlichen Rechtssubjekte a priori voraussetzt. Für das Verständnis des im Folgenden auseinanderzusetzenden dritten Hauptstücks der natürlichen Privatrechtslehre wird diese relative Selbstständigkeit der vertraglichen Gerechtigkeitsform (§ 36 Abs. 1) noch wichtig werden. Denn da der reine Verstandesbegriff der Handlung für seine Befolgung in sich selbst den reinen Verstandesbegriff der Kraft über sich für sich selbst voraussetzt, und dementsprechend auch eine äußere Erwerbshandlung Rechtskraft in ihrer Rechtsfolge für sich selbst innerlich voraussetzt (§ 10 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 3), wird das dritte Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre die vernunftbegriffliche Entwicklung des reinen Verstandesbegriffs der Kraft im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug zu einer intensiven Vernunftdeutlichkeit des Rechtsbegriffs zum Thema haben. Es handelt darum in den §§ 36-40 von der rechtlichen Relation des Habens eines äußeren Gegenstandes im Begriff der Erwerbshandlung, die ihr die erforderliche Rechtskraft in der Folge innerlich verleiht. Da diese Rechtskraft in einer äußeren Erwerbshandlung (§ 10 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 3) allerdings nur durch einen in äußeren Gesetzen wirklichen Allgemeinwillen gedacht werden kann, behandeln die §§ 36 – 40 den in § 8 Abs. 1 S. 3 formulierten Gedanken der rechtlichen Sicherstellung des Besitzerwerbs – nicht wie die §§ 10 ff. im Grunde, sondern – in der Folge des Erwerbshandlungsbegriffs: 1. Das Rechtsproblem der effektiven Sicherstellung in einer Erwerbshandlung Das rein begrifflich aufzulösende Rechtsproblem der Effektivität einer äußeren Erwerbshandlung eines einzelnen Rechtssubjekts liegt schon im allgemeinen Begriff der Erwerbshandlung (§ 10 Abs. 1 S. 1): „Ich erwerbe etwas, wenn ich mache (efficio), daß etwas m e i n werde.“746 Dementsprechend fand dieses Problem seine 746

RL, AA VI: 258.05. – Im Hinblick auf ebenso so leicht entstehende, wie vermeidliche Missverständnisse sei schon an dieser Stelle bemerkt, dass der hier in dieser Arbeit für sie selbst im ursprünglichen Wortsinn gebrauchte Begriff der rechtlichen Effektivität einer rechtlichen Erwerbshandlung identisch mit dem Begriff der Rechtskraft ist und eben darum auch nicht mit dem modernen Begriff der Effizienz zu verwechseln sein sollte.

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

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Auflösung im Grunde bereits durch das allgemeine Prinzip des äußeren Erwerbs (§ 10 Abs. 3), nach dem eine äußere Erwerbshandlung eines Privatrechtssubjekts als rechtlich bestimmt zu denken ist, wenn sie äußerlich mit dem allgemeinen Rechtsgesetz (§ C Abs. 4) im Einklang steht, zudem auf dem rechtlichen Gebrauchsvermögen der praktischen Vernunft (§ 2 Abs. 1) beruht und schließlich innerlich gemäß der Idee eines möglichen vereinigten Willens vorgenommen wird. Soll das Rechtsproblem der Effektivität einer äußeren Erwerbshandlung nunmehr auch in der Folge und damit zugleich außerhalb des bloßen Begriffs einer äußeren Erwerbshandlung rein begrifflich zur Auflösung gebracht werden, so bedarf es einer intensiven Verdeutlichung des allgemeinen Begriffs der äußeren Erwerbung (§ 10 Abs. 1 S. 1). Dementsprechend muss jetzt die begriffliche Realbedingung im Begriff der äußeren Erwerbung entwickelt werden, die da macht, dass eine äußere Erwerbshandlung eines Privatrechtssubjekts überhaupt auch real Rechtskraft im äußeren Verhältnis zu seinesgleichen entfaltet. Zu diesem Zweck ist das den äußeren Erwerbshandlungsbegriff rechtlich bestimmende Merkmal des allgemeinen Prinzips der äußeren Erwerbung (§ 10 Abs. 3) weiter aufzuklären, sodass zu fragen ist, in welchem Verhältnis die „Idee eines möglichen vereinigten Willens“747 zur rechtlichen Sicherstellung des Besitzerwerbs in der Folge einer Besitzerwerbshandlung steht: Nun setzt ein vereinigter Wille zu seiner eigenen Möglichkeit rein begrifflich einen Vertrag voraus, sodass die Rechtsform des Vertrages in bestimmter Weise mit der Sicherstellung des Besitzerwerbs in § 10 Abs. 3 verknüpft sein muss. Doch kann ein bloßer Vertrag zwischen zwei Privatrechtssubjekten (§§ 18 ff.) die mit dem allgemeinen Begriff der äußeren Erwerbung (§ 10 Abs. 1 S. 1, Abs. 3) innerlich rein begrifflich verbundene Rechtskraft im äußeren Verhältnis garantieren? a) Die relative Sicherstellungsfunktion des privatrechtlichen Vertrages Rechtskraft einer äußeren Erwerbshandlung – wie die des Vertrages – besteht in der rechtlichen Sicherheit, dass die mit der äußeren Erwerbshandlung bezweckte Besitzerwerbsfolge auch tatsächlich eintritt. Der Besitzerwerb ist selbst also nicht Teil, sondern rechtlich notwendige Folge einer vertraglichen Erwerbshandlung. Immanuel Kant hat sich hierüber in § 31 am Ende des dritten Abschnitts des zweiten Hauptstücks der natürlichen Privatrechtslehre ausdrücklich erklärt: „Aller Vertrag besteht an sich, d. i. o b j e c t i v betrachtet, aus zwei rechtlichen Acten: dem Versprechen und der Annehmung desselben; die Erwerbung durch die letztere (…) ist nicht ein T h e i l , sondern die rechtlich nothwendige F o l g e desselben.“748 Mit der objektiven Gewissheit eines Vertragsschlusses im Grunde ist somit nicht notwendig auch schon zugleich die subjektive Gewissheit der tatsächlichen (d. h. effektiven) Vertragserfüllung in der Folge verbunden: „S u b j e c t i v aber erwogen, d. i. als 747 748

RL, AA VI: 258.25-26. RL, AA VI: 284.17-21.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Antwort auf die Frage: ob jene nach der Vernunft nothwendige Folge (welche die Erwerbung sein s o l l t e ) auch wirklich erfolgen (p h y s i s c h e Folge sein) werde, dafür habe ich durch die Annehmung des Versprechens noch keine S i c h e r h e i t .“749 Im Ausgang von einem objektiv bereits geschlossenen Vertrag bildet die tatsächliche Sicherheit der versprochenen Vertragsleistung also ein diesen Vertrag bloß ergänzendes Moment, weil sie nicht bereits im Begriff dieses privatrechtlich geschlossenen Vertrages, sondern außerhalb desselben liegt: „Diese ist also, als äußerlich zur Modalität des Vertrages, nämlich der G e w i ß h e i t der Erwerbung durch denselben, gehörend, ein Ergänzungsstück zur Vollständigkeit der Mittel zur Erreichung der Absicht des Vertrags, nämlich der Erwerbung.“750 Soll ein objektiv geschlossener Vertrag demnach auf privatrechtliche Weise im Sinne des vereinigten Willens von § 10 Abs. 3 subjektiv gesichert werden, dann setzt dies einen weiteren Vertrag, genau zu sprechen einen akzessorischen „ Z u s i c h e r u n g s v e r t r a g (cautio)“ voraus, der etwa in einer „ Ve r p f ä n d u n g und P f a n d n e h m u n g zusammen“, einer „ G u t s a g u n g “ oder in einer „ Ve r b ü r g u n g “ bestehen kann.751 Eine solche vertraglich-akzessorische Sicherstellung der Erwerbsfolgen beinhaltet aber insgesamt nur eine relative Sicherstellung des Besitzerwerbs und vermag über eine solche Relativität alles privaten Vertragsrechts auch nicht hinauszugelangen. Denn obzwar der privatrechtliche Vertragsschluss schon im Naturzustand relativ selbstständig rechtlich bestimmt denkbar ist, lässt er sich darin nicht absolut selbstständig – d. h. hier: unabhängig von einem gesetzlichen Allgemeinwillen – denken, weil er insbesondere die ursprüngliche Erwerbung des Bodens (nach dem Prinzip eines ursprünglichen Vertrages) für sich selbst mittelbar voraussetzt. Dementsprechend kann auch durch den privatrechtlichen Abschluss weiterer akzessorischer Verträge keine absolute Sicherstellung eines Besitzerwerbs erreicht werden. Die dem Vertragsschluss im Grunde eignende Kennzeichnung als eine bloß relativ selbstständig bestimmende Rechtsform überträgt sich somit zusicherungsvertraglich auch auf die Besitzerwerbsfolgen. Der gemeinschaftliche Wille der vertragsschließenden Parteien in Ansehung des Besitzes der Gegenstände gehört somit als Gerechtigkeitsform („iustitia commutativa“) zwar für sich ohne Zweifel auch zum natürlichen Privatrecht und damit auch zum Naturrecht überhaupt (§ 36 Abs. 1); allerdings lässt sich diese vertragliche Gerechtigkeitsform in ihrer bloß relativen Selbstständigkeit nach Grund und Folge offensichtlich nicht völlig unabhängig von einer selbstständigen, und ihr insofern im Grunde ihres Besitzerwerbs vor-, sowie in der Folge desselben nachgeordneten Gerechtigkeitsform denken. Denn da der privatrechtliche Vertrag (§§ 18 ff.) selbst 749 750 751

RL, AA VI: 284.21-25. RL, AA VI: 284.25-28. RL, AA VI: 286.03-06.

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

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nur eine besondere Erwerbshandlungsrechtsform unter dem allgemeinen Begriff der äußeren Erwerbung (§§ 10 Abs. 1 S. 1, Abs. 3) vorstellt, kann der besondere Erwerbshandlungsbegriff des privatrechtlichen Vertrages unter dem allgemeinen Begriff der äußeren Erwerbung nicht zugleich ein allgemeines Vorstellungsmerkmal in diesem allgemeinen Begriff der äußeren Erwerbung vorstellen. b) Die absolute Sicherstellungsfunktion des ursprünglich öffentlich-rechtlichen Vertrages Vermag der vereinigte Wille im allgemeinen Prinzip der äußeren Erwerbung (§ 10 Abs. 3) zum Zwecke der rechtlichen Sicherstellung des Besitzerwerbs in der Folge einer Besitzerwerbshandlung somit nicht allgemein nach dem Begriff des bloß privatrechtlichen Vertragsschlusses (§§ 18 ff.) gedacht werden, so muss er wohl allgemein nach dem Begriff eines ursprünglich öffentlich-rechtlichen Vertragsschlusses gedacht werden, weil aller äußerer Rechtsbesitz gemäß § 8 Abs. 1 bekanntlich nur im Zustand einer bürgerlichen Verfassung peremtorisch vorstellbar ist. Es ist dann der ursprünglich und a priori vereinigte bzw. a priori zu vereinigende Wille aller menschlichen Rechtssubjekte (§§ 14 Abs. 2, 15 Abs. 3, 15 Abs. 7, 16 Abs. 1, 47), der gemäß 10 Abs. 3 die rechtliche Sicherstellung alles äußeren Besitzerwerbs absolut zu gewährleisten vermag. Dieser die rechtliche Sicherstellung umfassend garantierende Allgemeinwille (§ 8 Abs. 1) tritt dabei im Rahmen von § 10 Abs. 3 allerdings nicht erst ergänzend zu dem im Verhältnis zu ihm relativ selbstständigen Vertragswillen der Privatrechtssubjekte (§§ 18 ff.) akzessorisch hinzu,752 sondern dieser gemeinschaftliche Wille der Vertragssubjekte muss jenen unbedingten Allgemeinwillen begrifflich jedenfalls mittelbar in ihrer bürgerlichen Verfassung provisorisch für sich selbst substanziell voraussetzen, sodass der gesetzesförmige Allgemeinwille als öffentliche Gerechtigkeitsform überhaupt (vgl. § 41 Abs. 1) nach Grund und Folge integraler Bestandteil des Begriffs des vertraglichen Gerechtigkeitsprinzips („iustitia commutativa“) ist. Das substanzielle Gerechtigkeitsproblem des natürlichen Privatrechts hebt allerdings auch gar nicht erst mit der vertraglichen Rechtserwerbsform innerhalb des persönlichen Rechts (§§ 18 ff.), sondern bereits zuvor mit der einer ursprünglichen Erwerbung des Bodens innerhalb des Sachenrechts (§§ 11 ff.) an. Die ursprüngliche Erwerbung eines bestimmten Bodens durch ein einzelnes Rechtssubjekt führt nämlich im Verhältnis zu allen anderen Rechtssubjekten zu einem rechtlichen Teilungsproblem in Ansehung der Weltsubstanz, das sich bloß privatvertraglich weder 752 Genau das ist aber in der Sache die These einer eigentumstheoretischen Interpretation des Verhältnisses von Besitz und Staat, danach der Staat bloß noch in der Folge der von ihm vermeintlich gründlich unabhängigen Besitzbegründung als empirisches Sicherungsmittel des schon im Naturzustand erworbenen Privatrechtsbesitzes notwendig sein soll. Vgl. zum empirischen Missverständnis des Begriffs der Sicherstellung innerhalb einer empirischen Auffassung des Begriffs des provisorischen Besitzes oben unter A. I. 4. c) aa) und cc).

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

angemessen begreifen, noch auflösen lässt. Schon die Einteilung (Division) des Bodens kann nämlich gemäß § 10 Abs. 3 nur vermittelst des gesetzlichen Allgemeinwillens rechtlich bestimmt gedacht werden, der im Naturzustand bekanntlich lediglich eine bloße Idee, im Rechtszustand hingegen zugleich auch eine Realität außer der bloßen Begriffs vorstellt. Wenn dann schließlich die gesetzlich sowie vertraglich abgeleitete Einteilung der Weltsubstanz nach der reinen Idee des Obereigentums dieses gesetzlichen Allgemeinwillens im bürgerlichen Zustand als Austeilung im einzelnen Erwerbsfall auch Realität außer des bloßen Begriffs dieses gesetzlichen Allgemeinwillens hätte, so läge hierin die rechtlich-effektive Sicherstellung des privaten Besitzerwerbs auch in der einzelnen Besitzerwerbshandlungsfolge. Der gemeinschaftliche Wille aller Rechtssubjekte auf dem Erdboden in Ansehung des Besitzes der Gegenstände, seinerseits rechtsförmig nach der Idee eines ursprünglichen Vertrages vorgestellt, gehörte somit als im einzelnen Erwerbsfall innerlich gesetzlich bestimmte Gerechtigkeitsform des austeilenden Erwerbs („iustitia distributiva“) ebenfalls zum Naturrecht (vgl. §§ 36 Abs. 1 i.V.m. 41 Abs. 1).753 Da diese naturrechtliche Gerechtigkeitsform in ihrem Grunde allerdings nur durch das Prinzip der ursprünglichen Erwerbung des Bodens denkbar ist, lässt sich das Prinzip der austeilenden Gerechtigkeit, danach diese ihr Urteil im einzelnen Erwerbsfall fällt, bereits im natürlichen Zustand der freien Willkür rechtlich bestimmt denken. Anlässlich von vier besonders gelagerten Fällen, darin der vertragliche Erwerbswille der Privatrechtssubjekte im einzelnen Fall scheinbar in einem Gegensatz zum gesetzlich bestimmten Erwerbswillen aller Privatrechtssubjekte besteht, tritt das Prinzip der austeilenden Gerechtigkeit – der Urteilsgrundsatz des rechtskräftigen Erwerbs – dann schon im natürlichen Privatrecht in das rein begrifflich entwickelte Rechtsbewusstsein, sodass dieses Prinzip im Rahmen einer Metaphysik des Rechts praktisch a priori durch reine Begriffe erkennbar ist.754 2. Das Prinzip der austeilenden Gerechtigkeit als Naturrecht Nach diesen systematischen Vorüberlegungen lässt sich das zu Beginn der Überlegungen des dritten Hauptstücks (§ 36 Abs. 1) inhaltlich noch nicht näher bestimmte Prinzip der austeilenden Gerechtigkeit bereits im natürlichen Privatrecht bestimmen (§ 36 Abs. 3 i.V.m. §§ 37 – 40).755 Denn dass das Prinzip der wechsel753 Der hier (RL, AA VI: 296.16-297.05) und anderwärts gebrauchte Begriff des „Naturrechts“ ist nicht identisch mit dem Begriff des natürlichen Privatrechts, der vielmehr nur ein Einteilungsglied des erstgenannten Begriffs vorstellt (RL, AA VI: 237.15-17, 242.12-19). Die These in § 36 Abs. 1 ist also nicht, dass die distributive Gerechtigkeitsform originär dem natürlichen Privatrecht angehört, sodass in der Folge völlig unerklärlich werden müsste, weshalb sie unter den Begriff der öffentlichen Gerechtigkeit zu subsumieren sein sollte (§ 41 Abs. 1). 754 Siehe dafür beispielsweise besonders deutlich RL, AA VI: 303.09-25. 755 Anders nimmt sich die Gesamteinschätzung des dritten Hauptstücks durch eine eigentumstheoretische Interpretation aus. So urteilen Herb/Ludwig, JRE 2 (1994), S. 431 (436 f.

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

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seitig erwerbenden Gerechtigkeit im interpersonalen Verhältnis durch Vertrag („iustitia commutativa“) weder im Grunde, noch in der Folge des Besitzerwerbs absolut selbstständig rechtlich bestimmt denkbar ist, muss bereits ein einzelnes Rechtssubjekt im bloßen Naturzustand seines Rechtsdenkens einsehen, weil der Vertrag nach seiner relativen Form – wie zuvor gezeigt – nur eine relative Sicherstellung des tatsächlichen Besitzerwerbs in der Folge einer vertraglichen Besitzerwerbshandlung rechtlich zu leisten vermag. Folglich resultiert bereits im naturzuständlichen Vertragsdenken der Gedanke einer rechtlich absoluten Sicherstellung des tatsächlichen Besitzerwerbs in der Folge einer rechtmäßigen Besitzerwerbshandlung, sodass die Notwendigkeit eines absolut rechtskräftigen Erwerbs als Urteilsprinzip einer über die bloß vertragliche Form hinausreichenden Gerechtigkeitsform („iustitia distributiva“) kraft reiner praktischer Vernunftbegriffe des äußeren Besitzerwerbs eingesehen wird. Nichts anderes dürfte § 36 Abs. 1 besagen, wenn er, allerdings ohne aufwendige gedankliche Hinführung, recht unvermittelt erstmals den Begriff der Gerechtigkeit einführt und dabei zugleich (bloß) verständig einteilt: „Wenn unter Naturrecht nur das nicht-statutarische, mithin lediglich das a priori durch jedes Menschen Vernunft erkennbare Recht verstanden wird, so wird nicht bloß die zwischen Personen in ihrem wechselseitigen Verkehr unter einander geltende G e r e c h t i g k e i t (iustitia commutativa), sondern auch die austheilende (iustitia distributiva), so wie sie nach ihrem Gesetze a priori erkannt werden kann, daß sie ihren Spruch (sententia) fällen müsse, gleichfalls zum Naturrecht gehören.“ (RL, AA VI: 296.16-297.05).

3. Die moralische Person des Gerichtshofs als Befugnissubjekt rechtskräftiger Zurechnung § 36 Abs. 2 knüpft an den im vorigen Absatz durch Sperrdruck hervorgehobenen Begriff der „ G e r e c h t i g k e i t “ überhaupt an und benennt mit dem „ G e r i c h t s h o f (forum)“ rein begrifflich – „alles nur nach Rechtsbedingungen a priori gedacht“ – bereits im Naturzustand diejenige „moralische Person“, die der Gerechtigkeit vorsteht und sie insofern repräsentiert.756 Weil der Gerichtshof nach seinem reinen praktischen Begriff allerdings nichts anderes als eine selbstständige Staatsgewalt innerhalb der gesetzlichen Einheit eines Staates vorstellt, repräsentiert die moralische Person des Gerichtshofs zugleich diese Einheit des Staates im einzelnen Rechtsurteil (vgl. §§ 45, 47, 48), sodass der Staat nach der Idee eines wirklichen Allgemeinwillens als die moralische Person bzw. das Subjekt einer öffentlichen Gerechtigkeit überhaupt begriffen werden muss (vgl. § 41 Abs. 1). Da sich diese öffentliche Gerechtigkeit, wie sich in § 41 Abs. 1 zeigen wird, in bestimmter Hinsicht in die beschützende, die wechselseitig erwerbende sowie die Fn. 20), Kant liefere hier keine übergreifende „Prinzipientheorie“, sondern zeige sich darin lediglich an „Unterschieden bestimmter Verfahrensweisen […] interessiert“. 756 RL, AA VI: 297.06-10.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

austeilende Gerechtigkeit (iustitia tutatrix/commutativa/distributiva) begrifflich einteilt, kann nicht nur für die in § 36 Abs. 1 genannte austeilende Gerechtigkeit, sondern auch für die dort angeführte wechselseitig erwerbende Gerechtigkeit zurückgeschlossen werden, dass sie beide nur in einem bürgerlichen Zustand praktische Realität haben können. Wir finden in der Rechtslehre Immanuel Kants demnach keine Naturrechtstheorie der privaten, sondern einzig und alleine eine solche der öffentlichen Gerechtigkeit. Ihre rein begriffliche Erwähnung im natürlichen Privatrecht resultiert daher lediglich aus dem Umstand, dass beide öffentlichen Gerechtigkeitsformen im Hinblick auf den bürgerlichen Zustand bereits im Naturzustand rein begrifflich (provisorisch) rechtlich bestimmt gedacht werden können und müssen. Für die in § 36 Abs. 3 angesprochene Tatsache, dass dann zwei verschiedene und gleichermaßen wahre Beurteilungsstandpunkte in der Beurteilung eines einzelnen Besitzerwerbsfalls schon im Naturzustand denkbar sind, wird dieser Umstand noch wichtig werden. Bevor zu diesem besonderen Gedanken von § 36 Abs. 3 übergangen werden kann, sind hier aber noch die allgemeinen Implikationen zu erinnern, die mit der Exposition des Gerichtshofs als Repräsentant der Gerechtigkeit verbunden sind. Denn gemäß den allgemeinen Vorbegriffen zur Metaphysik der Sitten bezeichnet der „Gerichtshof“ zugleich diejenige moralische Person, „welche rechtskräftig zuzurechnen die Befugniß hat“.757 Unter einer „ Z u r e c h n u n g (imputatio)“ wird dabei bekanntlich überhaupt „das U r t h e i l “ verstanden, „wodurch jemand als Urheber (causa libera) einer Handlung, die alsdann T h a t (factum) heißt und unter Gesetzen steht, angesehen wird“.758 Eine solches einheitliches Zurechnungsurteil über eine Tat eines unter Gesetzen handelnden Subjekts besteht dann dementsprechend wiederum aus zwei einander wechselseitig bedingenden Momenten: Zunächst wird eine Handlung unter Gesetzen dem Grunde nach (prosyllogistisch) zur Tat des die Handlung frei verursachenden Subjekts als Urheber derselben zugerechnet („imputatio facti“); sodann wird die zur Tat zurechenbare Handlung unter Gesetzen (episyllogistisch) mit ihren frei verursachten Folgen verknüpft („imputatio legis“).759 So ist beispielsweise eine Besitzerwerbshandlung unter dem allgemeinen Prinzip des äußeren Erwerbs (§ 10 Abs. 3) im Grunde zur freien Tat des gemäß diesem Prinzip handelnden Rechts757 MS, AA VI: 227.27-29. – Gegen die Interpretation Römpps, Kants Kritik der reinen Freiheit (2006), S. 141 ist hier darauf zu insistieren, dass die Überlegungen Immanuel Kants in den §§ 36 – 40 mit einer freiwilligen Schiedsgerichtsbarkeit nichts zu tun haben. 758 MS, AA VI: 227.21-23. 759 Die explizite Unterscheidung zwischen imputatio facti und imputatio legis findet sich in der Metaphysik der Sitten (1797) nicht, obgleich diese damals geläufige Unterscheidung in den entsprechenden Vorlesungsmitschriften stets anzutreffen ist, siehe etwa aus dem Jahr 1793/ 1794 V-MS/Vigil, AA XXVII 2,1: 558 ff. (besonders § 55). – Siehe weiterführend dazu etwa Stübinger, RW 2 (2011), S. 154 (158 ff., 164 ff.); Hruschka, in: Kaufmann/Renzikowski (Hrsg.): Zurechnung als Operationalisierung von Verantwortung (2004), S. 17 ff., 20 ff.; Heuser, ARSP 106 (2020) [im Erscheinen]; monographisch nunmehr auch Blöser, Zurechnung bei Kant (2014).

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subjekts zurechenbar, sodass in der Folge einer solchen zur Tat zurechenbaren Handlung auch der Besitz prinzipiell zurechenbar als erworben vorgestellt wird. Nun kann eine solche nach Grund und Folge einheitliche Zurechnungsoperation von jedem handelnden Subjekt unter Gesetzen jederzeit gedanklich beurteilend im Selbst- oder Fremdbezug vorgenommen werden, und weil es sich bei dieser bloßen Denkhandlung nicht um eine äußere Handlung handelt, resultiert aus der bloß „ b e u r t h e i l e n d e [ n ] Zurechnung (imputatio diiudicatoria)“760 selbst kein Rechtsproblem im äußeren Verhältnis menschlicher Rechtssubjekte. So könnte dann ein jedes menschliches Rechtssubjekt beispielsweise schon im Naturzustand über gewisse Besitzerwerbsfälle bloß beurteilend nach seinen darin schon entwickelten Rechtsbegriffen urteilen. Führt eine solches Zurechnungsurteil, beispielsweise über einen gewissen Besitzerwerbsfall, dagegen zugleich schon die rechtlichen Folgen aus der zur Tat zurechenbaren Handlung effektiv im äußeren Verhältnis mit sich, so handelt es sich um eine „rechtskräftige [Zurechnung] (imputatio iudiciaria s. valida)“761. Allerdings steht diese Form einer rechtskräftigen Zurechnung zugleich selbst vor einem Rechtsproblem, da sie nicht bloß eine Denkhandlung, sondern eine äußere Handlung vorstellt, und mithin nicht ohne eine subjektivrechtliche Befugnis gegenüber denjenigen Rechtssubjekten vorgenommen werden darf, die durch das Zurechnungsurteil im Interpersonalverhältnis rechtskräftig (d. h. kraft gesetzesförmig verfasster äußerer Zwangsgewalt) mit den Folgen der Tat verbunden werden. Da im Begriff der rechtskräftigen Zurechnung folglich mit dem Vorstellungsmerkmal der Rechtskraft eine Subordination der Rechtssubjekte im interpersonalen Verhältnis unter das zurechnende Rechtssubjekt gedacht wird, kann die rechtliche Befugnis zur rechtskräftigen Zurechnung keinem bloßen Privatrechtssubjekt im interpersonalen Verhältnis zukommen, sodass eine rechtskräftige Zurechnung im Naturzustand der Privatrechtssubjekte keine Realität haben kann.762 Vielmehr kann die Befugnis zur 760

RL, AA VI: 227.21-26. RL, AA VI: 227.21-26 – Siehe zum Begriff der rechtskräftigen Zurechnung erläuternd auch V-Mo/Collins, AA XXVII 1: 295.36-296.12: „Imputatio valida ist eine rechtskräftige Zurechnung, wodurch die effectus a lege determinatio durch das Iudicium imputans mit actuiert werden. Wir können über alle Menschen urtheilen, ein jeder kann urtheilen, aber nicht richten, weil unsere imputatio nicht valida ist, das heißt: mein Urtheil hat nicht die Befugniß, die Folgen al lege determinata zu actuieren. Das Urtheil, welches das consectarium, welches das Gesetz determiniert hat, zu stande zu bringen befugt ist, ist eine rechtskräftige Zurechnung; damit aber das Urtheil die Folgen, die durch das Gesetz determinirt sind, ausführen könne, so muß es Gewalt haben. Es giebt also ohne Gewalt kein rechtskräftiges Urtheil. Derjenige, der die Befugniß rechtskräftig zu urtheilen hat und es auszuführen auch die Gewalt hat, ist ein Richter. Das richterliche Amt hält also 2 Stücke in sich: Die Befugniß rechtskräftig nach dem Gesetz zu urtheilen: ob ein factum certum casus datae legis sey? Aber muß auch valide ein Gesez aufs factum applicieren können, also Macht haben dem Gesetz ein Genüge zu leisten.“ 762 Hierin unterscheidet sich die Naturrechtskonzeption Immanuel Kants maßgeblich von derjenigen John Lockes, nach der die Privatrechtssubjekte im Naturzustand bekanntlich bereits eine sogar mit Strafrechtsbefugnissen versehene und daher weitest mögliche Vollstreckungs761

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rechtskräftigen Zurechnung nach diesem Begriff nur einem den Privatrechtssubjekten in ihrem Interpersonalverhältnis übergeordneten Rechtssubjekt, d. h. dem Staat zukommen. Weil der Staat nach seiner reinen praktischen Idee (als öffentliche Gerechtigkeit) an und für sich selbst aber nur einen in Gesetzen wirklichen Allgemeinwillen mit Blick auf den Besitz äußerer Gegenstände in ihm vorstellt, muss aus seinen äußeren Gesetzen zugleich die Befugnis des Gerichtshofs zur rechtskräftigen Zurechnung im einzelnen Fall resultieren. Dementsprechend würde im rein begrifflich vorgestellten Verhältnis staatlicher Gesetze zur staatlichen Gerichtsbarkeit das naturrechtliche Urteilsprinzip eines rechtskräftigen Erwerbs resultieren, nach dem der Gerichtshof in seinen Urteilen einen rechtskräftigen Erwerb zu garantieren subjektiv zu seiner rechtsgesetzlich objektiv bestimmten Absicht hat.763 Insofern wäre der öffentlichrechtliche Urteilsstandpunkt eines Gerichtshofs von dem eines bloßen Privatrechtssubjekts (im Naturzustand) unterschieden und der rechtskräftige Besitzerwerb im interpersonalen Verhältnis der Privatrechtssubjekte durch einen öffentlichen Gerichtsspruch subjektiv bedingt. Vor diesem Hintergrund erklärt sich dann ganz zwanglos nicht nur die Überschrift des dritten Hauptstücks „ Vo n d e r s u b jektiv-bedingten Erwerbung durch den Ausspruch einer ö f f e n t l i c h e n G e r i c h t s b a r k e i t “764, sondern auch der sich an das dritte Hauptstück anschließende Abschnitt „ Ü b e r g a n g v o n d e m M e i n u n d Dein im Naturzustande zu dem im rechtlichen Zustande ü b e r h a u p t “765. Denn da ein rechtskräftiger Besitzerwerb im Naturzustand keine Realität haben kann, sondern nach Grund und Folge einen staatlichen Zustand bürgerlicher Verfassung für sich selbst voraussetzt, lässt sich schließen, dass vor allem rechtskräftigen Besitzerwerb ein bürgerlicher Zustand an sich selbst praktisch notwendig ist (§§ 8 Abs. 1 S. 7, 42 Abs. 1). 4. Rechtskraft als Naturrechtsprinzip einer distributiven Gerechtigkeit Der öffentlich-rechtliche Urteilsstandpunkt rechtskräftiger Zurechnung geht somit in seinem Prinzip über den bloß beurteilenden Standpunkt eines jeden Rechtssubjekts noch hinaus, obgleich er diesen beschränkten bzw. insofern abstrakten Urteilsstandpunkt in sich selbst und für sich selbst voraussetzt. Eben diese zuvor aus den allgemeinen Vorbegriffen zur Metaphysik der Sitten gewonnene kompetenz zu ihren privaten Habseligkeiten noch dazu besitzen, vgl. dazu schon oben unter A. II. und besonders dortige Fn. 494. 763 Nochmals besonders deutlich in diesem Punkt: RL, AA VI: 303.09-25. 764 RL, AA VI: 269.13-14. – Der Titel des dritten Hauptstücks ist damit nichts weniger als „irreführend“, obgleich Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 150 Fn. 111 dies annimmt. Vgl. ähnlich auch Kiefner, in: Stolleis/u. a. (Hrsg.): Die Bedeutung der Wörter (1991), S. 133 (148/ 150). 765 RL, AA VI: 305.31-32.

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Einsicht bringt nun auch § 36 Abs. 3 S. 1 zur Geltung: „Die Frage ist also hier nicht bloß: was ist a n s i c h r e c h t , wie nämlich hierüber ein jeder Mensch für sich zu urtheilen habe, sondern: was ist vor einem Gerichtshofe recht, d. i. was ist Rechtens?“766 Im bürgerlichen Zustand, darin es eine äußere Gesetzgebung wirklich gibt, bestimmen die positiven Gesetze ganz konkret über die Frage was Rechtens sei (vgl. § B Abs. 1). Da sie in einer bürgerlichen Verfassung allerdings dem Willen eines willkürlichen Gesetzgebers entstammen, gehen sie in ihrer konkreten Bestimmung positiv über die bloßen und insofern immer auch noch abstrakten Rechtsbegriffe des Naturrechts hinaus. Jedoch ist ihre konkrete staatsrechtliche Funktion im Grundsatz bereits naturrechtlich konkret bestimmt, denn in der gesetzlichen Selbstvorstellungstätigkeit eines gesetzlich an sich selbst verfassten Staatswesens richten sich die positiven Gesetze an die staatlichen Rechtsanwendungs- bzw. Rechtsprechungsorgane (Exekutive und Judikative), nicht hingegen unvermittelt an die Privatrechtssubjekte.767 Insofern verleihen die positiven Gesetze der rechtsprechenden Gewalt in ihrer konkreten Bestimmung im Staat zugleich die rechtliche Befugnis zur rechtskräftigen Zurechnung im interpersonalen Verhältnis der Privatrechtssubjekte, die in ihrer ursprünglichen Vereinigung den Staat als eine solche Zurechnungsinstanz kraft gesetzlicher Selbstvorstellungstätigkeit ursprünglich konstituieren. Demnach setzen die positiven Gesetze einerseits für sich selbst eine zutreffende Beurteilung der rein begrifflich und insofern auch abstrakt zu beurteilenden Frage voraus, was im äußeren Verhältnis an sich selbst recht sei, während sie andererseits die Frage, was vor einem Gerichtshof mit Blick auf die von ihm herzustellende Rechtskraft im konkreten Fall als Rechtens zu beurteilen sei, selbst konkret beantworten. In ihnen – und hierin besteht ein erstes wichtiges Zwischenergebnis mit Blick auf die in dieser Arbeit vorgelegte Frage nach der Positivität des Rechts in der kritischen Naturrechtslehre Immanuel Kants – ist somit das naturrechtlich fundierte Prinzip eines rechtskräftigen Erwerbs praktisch. Dabei stellt das naturrechtliche Prinzip des rechtskräftigen Erwerbs diejenige Konkretion bzw. Determination allgemeingesetzlicher Bestimmung auf den empirischen Einzelfall im reinen Rechtsdenken als praktisch notwendig vor, die gleichursprünglich nur mit der in der synthetisch-progressiven Vorstellungswirkung des Begriffs des intelligiblen Besitzes gelegenen Abstraktion von allen empirischen Bedingungen denkmöglich ist. Denn während die begriffliche Reihe des Rechtsbesitzerwerbs vermittelst Abstraktion bis zu den praktisch bestimmenden reinen Rechtsbegriffen des Rechtsbesitzerwerbs im Rechtsbewusstsein aufgestiegen werden kann, weil somit von aller empirischen Bestimmung unter diesen reinen Begriffen abgesehen wird, kann die zu beurteilende Erwerbsrelation sodann, und zwar in dem durch Abstraktion gewonnenen Freiraum reinen Rechtsdenkens, durch die Konkretion der praktisch bestimmenden Begriffe rechtlich konkret bestimmt 766

RL, AA VI: 297.11-13. RL, AA VI: 306.08-16: „Das Gesetz sagt hiebei […] was und wovon der Ausspruch vor einem Gerichtshofe in einem besonderen Falle unter dem gegebenen Gesetze diesem gemäß, d. i. R e c h t e n s ist (lex iustitiae), […].“ 767

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gedacht werden. Dieses in den positiven Gesetzen praktische Prinzip des rechtskräftigen Erwerbs darf dann in seiner Konkretion des einzelnen Erwerbsfalles allerdings nicht kurzerhand mit dem rein begrifflich beurteilten Recht an sich selbst im interpersonalen Verhältnis identifiziert werden (§ 36 Abs. 4), weil dann die privatrechtliche Substanz dieses Rechts, die durch den Gerichtshof nach positiven Gesetzen ja gerade rechtskräftig gesichert werden soll, gedanklich verloren ginge bzw. von Seiten eines positivistischen Rechtsdenkens erschlichen würde.768 Dass diese privatrechtliche Substanz des Rechts im interpersonalen Verhältnis aber relativ selbstständig gegenüber den positiven Gesetzen in einer bürgerlichen Verfassung gedacht werden muss, ist durch die bisherige rein begriffliche Entwicklung des Naturzustandes mit Blick auf den bürgerlichen Zustand klar, nach der ein natürliches Privatrecht mit Blick auf den Zustand der Privatrechtssubjekte in einer bürgerlichen Verfassung schon in ihrem natürlichen Zustand als (provisorisch) rechtlich bestimmt gedacht werden muss. Demnach stehen sich auch schon im Naturzustand der bloß privatrechtliche Beurteilungsstandpunkt einer bloß beurteilenden Zurechnung und der öffentlich-rechtliche Beurteilungsstandpunkt einer auch rechtskräftig urteilenden Zurechnung prinzipiell gegenüber. 5. Die vier Erwerbsfälle einer scheinbaren Divergenz der Urteilsgründe im natürlichen Privatrecht Besonders deutlich wird die Differenz beider Standpunkte also prinzipiell dort, wo die beiden in Wahrheit lediglich subkonträren und darum stets koexistenten Beurteilungsstandpunkte noch nicht in der Vernunfteinheit einer bürgerlichen Verfassung der Privatrechtssubjekte zu einem sie im äußeren Verhältnis absolut verbindenden Allgemeinwillen vorgestellt werden, d. h. im Naturzustand, weil die beiden Beurteilungsstandpunkte darin nämlich für den naturzuständlichen Rechtsverstand noch in einem unaufgehobenen Gegensatz vorliegen.769 Soll diese Differenz aber für diesen Rechtsverstand nicht nur prinzipiell in abstracto, sondern auch in 768 Siehe dazu § 36 Abs. 4 (RL, AA VI: 291.21-29): „Es ist ein gewöhnlicher Fehler der E r s c h l e i c h u n g (vitium subreptionis) der Rechtslehrer, dasjenige rechtliche Princip, was ein Gerichtshof zu seinem eigenen Behuf (also in subjectiver Absicht) anzunehmen befugt, ja sogar verbunden ist, um über jedes Einem zustehende Recht zu sprechen und zu richten, auch objectiv für das, was an sich selbst recht ist, zu halten: da das erstere doch von dem letzteren sehr unterschieden ist. – Es ist daher von nicht geringer Wichtigkeit, diese specifische Verschiedenheit kennbar und darauf aufmerksam zu machen.“ 769 Siehe zum antinomischen Verhältnis beider Beurteilungsstandpunkte wie hier Beck, Commentar über Kants Metaphysik der Sitten I (1798), S. 339 f.; vgl. ferner König, in: Höffe (Hrsg.): Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (1999), S. 133 (152); auf die notwendige Koexistenz beider Beurteilungssprinzipien weist Falcioni, in: Klemme/Ludwig/ Pauen/Stark (Hrsg.): Aufklärung und Interpretation (1999), S. 153 (168) deutlich hin. Dagegen findet sich in der Sekundärliteratur nicht selten ein Hang zur gänzlichen Aufhebung einer der beiden Beurteilungsstandpunkte, vgl. dafür etwa Kiefner, in: Stolleis/u. a. (Hrsg.): Die Bedeutung der Wörter (1991), S. 133 (149); Harke, ARSP 91 (2005), S. 459 (483).

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concreto deutlich werden, dann müsste sie ihm in einer Divergenz beider Beurteilungsstandpunkte in der konkreten Beurteilung eines einzelnen naturrechtlichen Erwerbsfalles vorgestellt werden. Nach der Behauptung Immanuel Kants in § 36 Abs. 3 gibt es nun im natürlichen Privatrecht „ v i e r Fälle, wo beiderlei Urtheile verschieden und entgegengesetzt ausfallen und dennoch neben einander bestehen können: weil sie aus zwei verschiedenen, beiderseits wahren Gesichtspunkten gefällt werden, die eine nach dem Privatrecht, die andere nach der Idee des öffentlichen Rechts; – sie sind: 1) der S c h e n k u n g s v e r t r a g (pactum donationis). 2) Der L e i h e v e r t r a g (commodatum). 3) Die W i e d e r e r l a n g u n g (vindicatio). 4) Die Ve r e i d i g u n g (iuramentum)“770. Allerdings ist er mit dieser nicht weiter explizit begründeten Behauptung im Laufe der Rezeptionsgeschichte auf die vorhersehbaren Zweifel seiner Interpreten gestoßen, die entweder die Vollständigkeit oder aber auch einen inneren Zusammenhang dieser vier Fälle in Frage stellen.771 Lässt sich im Folgenden dagegen zunächst einmal aufzeigen, nach welcher Art und Weise diese vier Fälle einheitlich aus ein und derselben Grundkonstellation eines Gerechtigkeitsformenkonflikts resultieren, so wird man künftig vielleicht auch einmal über die Vollständigkeitsfrage abschließend befinden können, die hier einstweilen jedenfalls nicht explizit beantwortet soll. Warum wird also der Gegensatz der beiden möglichen Beurteilungsstandpunkte in concreto ausgerechnet jedenfalls bei diesen vier Einzelfällen deutlich? – Dieser Frage gelten die folgenden Überlegungen: Der öffentlich-rechtliche Beurteilungsstandpunkt rechtskräftiger Zurechnung ist innerlich bestimmt durch die öffentlichen Gesetzen gemäß austeilende Gerechtigkeit im einzelnen Erwerbsfall (iustitia distributiva). Sieht man von dem spezifisch bestimmenden Moment dieses öffentlich-rechtlichen Beurteilungsstandpunktes rechtskräftiger Zurechnung ab, so reduziert sich der Beurteilungsstandpunkt um die distributive Gerechtigkeitsform und es verbleibt lediglich noch der privatrechtliche Beurteilungsstandpunkt bloß beurteilender Zurechnung nach der vertraglich erwerbenden Gerechtigkeitsform (iustitia commutativa). Die Divergenz der beiden möglichen Beurteilungsstandpunkte besteht also nur in der darin jeweils als bestimmend vorgestellten Gerechtigkeitsform, während der dadurch rechtlich bestimmte Besitzerwerb als Privatrechtsmaterie unverändert ein und eben derselbe bleibt. Soll die Divergenz beider möglichen Beurteilungsstandpunkte nun in einem einzelnen Erwerbsfall des natürlichen Privatrechts deutlich werden, dann muss dieser Erwerbsfall nach seiner privatrechtlichen Erwerbsform materiell derart beschaffen sein, dass die Beurteilung nach der Gerechtigkeitsform eines rechtskräftig bestimmten Erwerbs (iustitia distributiva) notwendig zu einem der Beurteilung nach der Gerechtigkeitsform eines vertraglich bestimmten Erwerbs (iustitia commutativa) 770

RL, AA VI: 297.13-20. Vgl. dafür Beck, Commentar über Kants Metaphysik der Sitten I (1798), S. 340 f.; Brandt, JRE 21 (2013), S. 261 f. Fn. 3; Kiefner, in: Stolleis/u. a. (Hrsg.): Die Bedeutung der Wörter (1991), S. 133 (147 f./150); Stephani, Anmerkungen zu Kants metaphysischen Anfangsgründen (1797), S. 92. 771

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entgegengesetzten Urteil gelangt. Da aber ein solches Auseinandertreten der jeweils gerechtigkeitsspezifischen Bestimmung in der Beurteilung eines Erwerbsfalls in der Regel überhaupt nicht zu erwarten ist, weil es sonst nicht bloß eine sehr eingeschränkte Zahl solcher Fälle gäbe, wird es notwendigerweise nur dort anzutreffen sein, wo die im Privatrechtsverkehr wechselseitig erwerbende Gerechtigkeitsform im einzelnen Erwerbsfall schon nach ihrem eigenen Prinzip eingeschränkt ist. Denn dann bezöge sich in ihrem Beurteilungsstandpunkt nicht nur die öffentlich-rechtliche Gerechtigkeitsform einseitig auf die zu beurteilende Privatrechtsmaterie, sondern zugleich ausnahmsweise auch schon die wechselseitig erwerbende Gerechtigkeitsform selbst. – Wie ist also die spezifische Bestimmung der kommutativen Gerechtigkeitsform verfasst und worin wäre eine Einschränkung derselben nach ihrem eigenen Prinzip zu sehen? Die Gerechtigkeitsform des wechselseitigen Erwerbs der Rechtpersonen bloß untereinander besteht in nichts anderem als in der Rechtsbesitzerwerbsrechtsform des Vertrages (§§ 18 ff.), der relativ selbstständig bereits im Naturzustand rechtlich bestimmt denkbar ist, weil er an sich selbst nicht den gemeinschaftlichen Willen aller möglichen Rechtspersonen, sondern lediglich den gemeinschaftlichen Willen der am Erwerbsgeschäft beteiligten Rechtspersonen voraussetzt, auf deren willkürlicher Bestimmung er materiell beruht. Weil sich die Privatrechtssubjekte dabei im Vertrag mit Blick auf einen Erwerbsgegenstand als gleichgeordnete Rechtssubjekte aus sich selbst heraus in einem gemeinsamen Willen vereinigen, bestimmen sie ihr materielles Recht im Hinblick auf diesen Erwerbsgegenstand durch diese Rechtserwerbsform selbst, und insofern muss der Gegenstandserwerb in ihrem wechselseitigen Verhältnis zugleich auch als materiell gerecht bestimmt gedacht werden.772 Hierin besteht folglich die spezifische Bestimmung der kommutativen Gerechtigkeit. Allerdings ist eben diese wechselseitig materielle Gerechtigkeit auch durch den Vertrag selbst beschränkbar, sofern nämlich der Vertrag für eine Person lediglich einen Wegerwerb des Besitzes bestimmt. In einem solchen Fall eines bloßen Wegerwerbs ist der Erwerb im wechselseitigen Verhältnis an sich nicht materiell, sondern lediglich gemäß seiner vertraglichen Form, d. h. bloß formell gerecht. Hierin besteht folglich die gesuchte Einschränkung der kommutativen Gerechtigkeit nach ihrem 772 NB: Der Vertrag ist die privatrechtliche Rechtsform der Autonomie der Privatrechtssubjekte im äußeren Verhältnis und bereits im Naturzustand relativ selbstständig denkbar, weil er an sich selbst nicht den gemeinschaftlichen Willen aller möglichen Rechtssubjekte voraussetzt, der in der Idee der bürgerlichen Gesellschaft als praktisch notwendig vereinigt vorgestellt wird. Allerdings setzt er diesen gemeinschaftlichen Willen aller möglichen Rechtssubjekte in seinem mittelbaren (sachenrechtlichen) Bodenbezug nach Grund und Folge gleichwohl mittelbar für sich selbst voraus, weshalb er weder im natürlichen, noch im bürgerlichen Zustand absolut selbstständig denkbar ist. Folglich ist auch die Privatautonomie der Privatrechtssubjekte im äußeren Verhältnis des Naturzustandes nicht absolut, sondern lediglich relativ, und zwar im Hinblick auf die Idee bürgerlicher Gesellschaft rechtlich bestimmt denkbar, weil sie im Zustand bürgerlicher Gesellschaft in öffentlichen Gesetzen der Privatrechtssubjekte (bewahrend) aufgehoben ist, da das Gesetz mit dem in ihm verfassten Willen aller Rechtssubjekte die öffentlich-rechtliche und absolute Rechtsform der Autonomie der Privatrechtssubjekte im äußeren Verhältnis vorstellt.

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eigenen Prinzip, durch die sich dann auch die kommutative Gerechtigkeitsform einseitig auf die zu beurteilende Privatrechtsmaterie bezieht. Demnach ist das notwendige Auseinandertreten der beiden möglichen Beurteilungsstandpunkte überhaupt nur in solchen Fallkonstellationen des natürlichen Privatrechts zu erwarten, darin materiell ein einseitiger Wegerwerb eines Besitzgegenstandes durch vertragliche Übereinkunft in einem wechselseitigen Verhältnis bloß formell gerecht verfügt wird. Denn käme es in einem solchen Erwerbsfall zum Rechtsstreit und innerhalb desselben zu einem non-liquet,773 weil über die Bedingungen des Erwerbsfalles infolge der vertraglich angelegten materiellen Einseitigkeit nicht schon anhand der material berechtigten Interessen der beteiligten Rechtssubjekte objektiv entschieden werden könnte, so würde ein Gericht nach dem Prinzip des rechtskräftigen Erwerbs präsumieren müssen, während ein Privatrechtssubjekt seinen vertraglichen Erwerb einseitig nach seiner materialen Interessenlage präsumieren würde. In der Folge wäre abzusehen, dass beide Beurteilungsstandpunkte in derselben bloß formell gerecht vereinbarten Erwerbshandlung hinsichtlich der materiellen Erwerbsfolge zu einer entgegengesetzten Beurteilung kämen.774 Ist der Kreis möglicher Erwerbsfälle des natürlichen Privatrechts, darin sich mit der begrifflichen Notwendigkeit der kommutativen Gerechtigkeitsform überhaupt eine Divergenz der beiden möglichen Beurteilungsstandpunkte zeigen kann, mit der vorstehenden Überlegung auf bloß formell vertragsgerechte Erwerbsfälle eingeschränkt, so resultiert mit der begrifflichen Notwendigkeit der distributiven Gerechtigkeitsform die von Seiten des anderen Beurteilungsstandpunktes sich ergebende Einschränkung dieses Kreises, und zwar im Hinblick auf die möglichen Erwerbsgegenstände eines divergent zu beurteilenden Erwerbfalles. Denn da das Problem der distributiven Gerechtigkeit mit der Teilung (d. h. Division) des Erdbodens durch die sachenrechtliche Erwerbshandlung der Bemächtigung im Naturzustand ursprünglich anhebt, werden sich die bloß formell gerechten Erwerbsfälle mittels der Rechtsform des Vertrages auf körperliche Sachen als Gegenstände des persönlichen Rechts beziehen müssen. In der ursprünglichen Erwerbung des Sachenrechts wird nämlich derjenige a priori vereinigte bzw. zu vereinigende Wille aller Rechtssubjekte als Rechtsgrund gedacht, den das Sachenrecht und mit diesem die distributive Gerechtigkeitsform direkt für sich voraussetzen, während ihn das persönliche Recht und mit diesem die kommutative Gerechtigkeitsform nur indirekt für sich voraussetzen. Insofern ergibt sich der einseitige Bezug der distributiven Gerechtigkeitsform auf die Materie eines vertraglichen Besitzerwerbs im Naturzustand ursprünglich von Seiten des Sachenrechts.

773

Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 149 vermutet eine „enge[] Verbindung“ des Themas des dritten Hauptstücks mit der Frage „quid facti?“. 774 Nach König, in: Höffe (Hrsg.): Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (1999), S. 133 (152) soll das dritte Hauptstück sogar eine „juristische Präsumtionenlehre“ enthalten.

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Mit diesen beiden rein begrifflich notwendigen Einschränkungen reduziert sich der Kreis divergent zu beurteilender Erwerbsfälle im natürlichen Privatrecht auf diejenigen Konstellationen, die – bloß formell vertragsgerecht – einen einseitigen Wegerwerb einer Sache persönlich-rechtlich verfügen, weil nur in solchen Erwerbskonstellationen der Gegensatz zwischen der kommutativen sowie der distributiven Gerechtigkeitsform ursprünglich materiell in concreto enthalten ist. Ist der Gegensatz der beiden Gerechtigkeitsformen ursprünglich aber nur in solchen Konstellationen des natürlichen Privatrechts angelegt, dann kann er auch nur in solchen Erwerbskonstellationen in concreto deutlich werden, worauf schließlich die hier zu erläuternde Vierzahl von Fällen beruht. Denn anhand dieser begrifflichen Bestimmung lassen sich zunächst wohl nur drei Fälle eines einseitigen persönlichrechtlichen Wegerwerbs einer Sache denken, darin das Problem einer effektiven Sicherstellung des Erwerbs ursprünglich in einen Gegensatz zur kommutativen Gerechtigkeitsform tritt (§§ 37 – 39), bevor sich schließlich ein vierter Erwerbsfall nach der kategorialsystematischen Denkstruktur überhaupt (1 – 2 – 3/4) auf den Erwerb einer effektiven Sicherstellung aus der Warte des Gegensatzes beider Gerechtigkeitsformen bezieht (§ 40): Verpflichtet sich eine Rechtsperson durch einen einseitig erwerbenden Vertrag zur Veräußerung des Vollrechts an einer Sache, so liegt ein Schenkungsvertrag (§ 37) vor, bei dem es sich um die dritte reine Vertragsform innerhalb der Klasse der wohltätigen Verträge der dogmatischen Einteilung aller reinen Vertragsarten (§ 31) handelt.775 Der Schenkungsvertrag gehört demnach nicht nur zum natürlichen Privatrecht, sondern es findet in ihm auch der Gegensatz von kommutativer und distributiver Gerechtigkeitsform ursprünglich statt, weil er den einseitigen Wegerwerb einer Sache persönlich-rechtlich verfügt, sodass er zwar formell, obgleich nicht auch materiell vertragsgerecht ist. Verpflichtet sich eine Rechtsperson durch einseitig erwerbenden Vertrag dagegen nicht zur Veräußerung des Vollrechts an einer Sache, sondern lediglich zur vorübergehenden Gebrauchsüberlassung derselben, so liegt ein Leihvertrag (§ 38) vor, bei dem es sich um die zweite reine Vertragsform innerhalb der Klasse der wohltätigen Verträge der dogmatischen Einteilung aller reinen Vertragsarten (§ 31) handelt.776 Auch der Leihvertrag gehört demnach zum natürlichen Privatrecht und es findet in ihm ebenfalls ein bloß formell, nicht auch materiell vertragsgerechter Erwerb statt, sodass sich hier ebenso der Gegensatz beider Gerechtigkeitsformen ursprünglich angelegt findet. Der dritte Divergenzfall hat nun nicht etwa – wie man jedoch nach den vorstehenden Erörterungen vielleicht erwarten könnte – den Aufbewahrungsvertrag zur Grundlage, der die erste reine Vertragsform innerhalb der Klasse der wohltätigen Verträge der dogmatischen Einteilung aller reinen Vertragsarten (§ 31) vorstellt.777 775 776 777

RL, AA VI: 284 ff. (285.12-15). RL, AA VI: 284 ff. (285.12-15). RL, AA VI: 284 ff. (285.12-15).

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Zwar handelt es sich auch bei diesem um einen bloß formell gerechten Vertrag.778 Allerdings wird in ihm kein einseitiger Bezug der distributiven Gerechtigkeitsform auf die vertragliche Erwerbsmaterie von Seiten des Sachenrechts gedacht, weil der Eigentümer – anders als in den vorigen Fällen – durch die unentgeltliche Aufbewahrung der Sache von seinem Sachenrecht nichts einseitig weggibt, während die aufbewahrende Partei – anders als in den vorigen Fällen – nicht etwa einseitig ein Recht an oder zum Gebrauch der Sache, sondern lediglich eine Pflicht zur Aufbewahrung derselben erwirbt. Ein dritter Divergenzfall ist somit nicht mehr notwendig bloß innerhalb der Klasse der wohltätigen Verträge der dogmatischen Einteilung aller reinen Vertragsarten (§ 31) zu denken. Die Konstellation eines persönlichrechtlich einseitigen Wegerwerbs einer Sache lässt sich dann im natürlichen Privatrecht wohl nur noch in solchen Fällen denken, darin ein Nichtberechtigter, etwa mittels eines Veräußerungsvertrages,779 über ihm fremde Sachen vertraglich disponiert, sodass sich für den Eigentümer die Frage stellt, ob er sein Eigentumsrecht dadurch einseitig verliert oder weiterhin gegenüber jedermann mit seinem Herausgabeanspruch absolut geltend machen (d. h. vindizieren) kann. Der dritte Divergenzfall behandelt mithin die Wiedererlangung der verlorenen Sache (§ 39) aus der Warte beider Gerechtigkeitsformen. Mit diesen drei Fällen (§§ 37 – 39) dürften in der Sache selbst alle im natürlichen Privatrecht denkmöglichen Fälle einer notwendigen Beurteilungsdivergenz erschöpft sein, die das rein begrifflich herausgearbeitete Profil eines auf Sachen bloß formell vertragsgerecht bezogenen Erwerbsgeschäftes erfüllen. Der gegen die zumeist bloß abstrakt vorgetragene Existenzbehauptung weiterer Divergenzfälle nicht sehr schwierige Nachweis, dass sich jedenfalls aus § 31 keine weiteren Fälle des natürlichen Privatrechts ergeben, denen das rein begrifflich bestimmte Anforderungsprofil eignet, soll hier gemäß der eingangs gemachten Ankündigung nicht auch noch aufwendig geführt werden. Somit bleibt an dieser Stelle nur noch die systematische Einordnung des vierten Divergenzfalles (§ 40), der nicht den Erwerbsfall einer Sache selbst, sondern den Erwerb von Sicherheit durch Eidesablegung zum Thema hat. Sie ergibt sich aus einem den drei vorigen Fällen insgesamt übergeordneten Gesichtspunkt: Diese drei Divergenzfälle haben nämlich gleichermaßen die durch das gerichtliche Beurteilungsprinzip rechtskräftigen Erwerbs (iustitia distributiva) im Staat mit praktischer Notwendigkeit real mögliche objektive Sicherstellung eines Besitzerwerbs zum Thema ihrer Erörterung. Sie handeln gemäß der Überschrift des dritten Hauptstücks der natürlichen Privatrechtslehre bereits allesamt von der vermittelst dieses Beurteilungsprinzips subjektiv bedingten Besitzerwerbung durch den Rechtsspruch einer öffentlichen Gerichtsbarkeit. Dem gerichtlichen Beurteilungs778 Weshalb er wohl von Beck, Commentar über Kants Metaphysik der Sitten I (1798), S. 340 f. auch als ein weiteres Beispiel über die von Kant vorgegebene Vierzahl hinaus ins Spiel gebracht wird. 779 Der Veräußerungsvertrag bildet die erste Teilklasse innerhalb der zweiten Klasse der reinen Vertragsarten (RL, AA VI: 285.16-22) und gehört damit zum natürlichen Privatrecht.

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prinzip rechtssicheren Erwerbs (iustitia distributiva) hängt nun aber insgesamt zugleich noch selbst subjektiv das Sach- und Rechtsproblem an, durch welche gerichtlichen Handlungen das Gericht innerlich zu seiner tatsächlichen Sicherheit in den von ihm rechtlich zu beurteilenden Erwerbsfällen kommt. Zur Modalität eines äußerlich rechtskräftigen Urteils gehört nämlich innerlich die Gewissheit des rechtskräftig zurechnenden Rechtssubjekts hinsichtlich der entscheidungserheblichen Fakta. Dieses subjektive Moment der Gewissheit lässt sich für das Gericht jedoch nicht in der privatrechtlichen Rechtsform des Vertrages erwerben, etwa indem es sich den wahren Sachverhalt von den Vertragsparteien in einem Zusicherungsvertrag zusichern lässt.780 Denn das Gericht ist den in ihrer gleichgeordneten Relation rechtskräftig zu beurteilenden Vertragsparteien übergeordnet und partizipiert nicht an deren privatrechtlicher Gerechtigkeitsform, die es selbst gerade effektiv garantieren soll. Kraft seiner übergeordneten Rechtsstellung, darüber sich auch für die Parteien keine irdisch-reale Instanz mehr findet, bleibt dem öffentlichen Gerichtshof daher nur das Notmittel des Eides, und zwar als geistiger Rechtszwang zur Vergewisserung der Wahrheit der Fakta. Der vierte Divergenzfall handelt daher im Hinblick auf die Modalität eines rechtskräftigen Urteils von der Erwerbung der Sicherheit durch Eidesablegung (§ 40). a) Die naturrechtlich divergierende Beurteilung im Schenkungsvertrag Der nur aus einem Absatz bestehende Paragraph zum Schenkungsvertrag (§ 37) zerfällt durch einen Spiegelstrich in zwei voneinander getrennte Abschnitte. Während der erste Abschnitt den Schenkungsvertrag im Sinne der vorstehenden Überlegungen als einen bloß formell gerechten Vertrag gemäß §§ 18 ff., 31 charakterisiert, stellt der zweite Abschnitt die im Hinblick auf den Schenkungsvertrag im Naturzustand bestehende Divergenz der beiden Urteilsstandpunkte auf der Grundlage der entsprechend vorzunehmenden Präsumtionen vor. Weil eine Präsumtion hier allerdings nur eine bloße Rechtsvermutung im Hinblick auf die rechtlich relevanten Umstände der Erwerbsbedingungen, und zwar aufgrund der material bestehenden Interessenlage meint, darf die im zweiten Abschnitt vorgestellte Präsumtion aus der Warte des bloß privatrechtlichen Standpunktes nicht dahingehend missverstanden werden, als solle durch sie – im Widerspruch zu allen bisherigen Ausführungen – die rechtliche Unverbindlichkeit des Schenkungsversprechens im Naturzustand dargetan werden.781

780 Zum Zusicherungsvertrag im natürlichen Privatrecht (§ 31) siehe RL, AA VI: 286.03-06. 781 Siehe zum Unterschied der bloß erlaubten Präsumtionen des dritten Hauptstücks von den rechtlich schon an sich verbindlichen Präsumtionen nach Zwangsgesetzen im vierten Abschnitt des zweiten Hauptstücks RL, AA VI: 292.32-293.02.

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Im bloßen Naturrecht ist nämlich mit der angeborenen Freiheit eines jeden menschlichen Rechtssubjekts nicht zu vermuten, d. h. zu präsumieren, dass der Verschenkende zur Einhaltung seines Versprechens des Inhalts materiell einseitiger Rechtsweggabe gezwungen werden kann. Vielmehr ist nach der naturrechtlichen Interessenlage im bloßen Zustand des angeborenen Rechts der Freiheit zu vermuten, der Versprechende habe sein wohltätiges Versprechen bis zur tatsächlichen Erfüllung unter den Vorbehalt gestellt wissen wollen, sich davon jederzeit wieder lösen zu können.782 Auf einen solchen nicht ausdrücklich vereinbarten Vorbehalt kann nun allerdings ein öffentliches Gericht nicht setzen, denn dieses muss mit Blick auf seine originäre Gerechtigkeitsfunktion im Staat bürgerlicher Verfassung eine rechtskräftige Entscheidung treffen und ist daher in seinem Zurechnungsurteil alleine an die objektiven Umstände des Erwerbs verwiesen. Es wird seine Entscheidung deshalb an einem zugestandermaßen beweisbaren Versprechen und der diesem Versprechen beweisbar korrespondierenden Annahme auszurichten haben. Das Gericht muss im vorliegenden Fall daher genau gegenteilig vermuten, d. h. präsumieren, dass sich der Versprechende seinen Vorbehalt ausdrücklich hätte ausbedingen müssen, wollte er sich hierauf auch öffentlich berufen. Andernfalls wäre es jeder die Schenkung versprechenden Partei möglich, sich vor Gericht öffentlich auf ihren inneren Mentalvorbehalt zu berufen. Würde man den – nach dem bloß privatrechtlichen Urteilsstandpunkt kommutativer Gerechtigkeit zulässig einwendbaren – Mentalvorbehalt an dieser Stelle dagegen auch vor einem öffentlichen Gericht zulassen, dann wäre ein wechselseitig gerechter Erwerb im Schenkungsfalle effektiv unmöglich, sodass die dritte reine Vertragsform der Klasse der wohltätigen Verträge (§ 31) im öffentlichen Recht effektiv nicht vorstellbar wäre.783 In der Ergebnisdivergenz der beiden möglichen 782

Die Verbindlichkeit des Schenkungsversprechens im bloßen Naturzustand (siehe dazu besonders § 19 Abs. 4) wird mit dieser Argumentation Immanuel Kants also nicht in Zweifel gezogen, weil ein präsumierter Lösungsvorbehalt die grundsätzliche Verbindlichkeit des Schenkungsversprechens doch wohl offensichtlich für sich selbst voraussetzt. Nur aus einer Verwechslung des hier bloß vermutungsweise und mittelbar vorzunehmenden Schlusses von tatsächlichen Umständen auf rechtliche Verbindlichkeiten (Präsumtion) mit einer unmittelbar rechtsbedingenden Rechtsvermutung lässt sich dann die gegenteilige Auffassung in der Sekundärliteratur erklären. Siehe für die mit §§ 18 ff., 31 unvereinbare These einer Unverbindlichkeitserklärung des Schenkungsversprechens im Naturzustand etwa Buchda, Das Privatrecht Immanuel Kants (1929), S. 88 f.; Harke, ARSP 91 (2005), S. 459; Herb/Ludwig, JRE 2 (1994), S. 431 (436 f. Fn. 20); Vosgerau, Rechtstheorie 30 (1999), S. 227 (235); vgl. zum Ganzen ferner Falcioni, in: Klemme/Ludwig/Pauen/Stark (Hrsg.): Aufklärung und Interpretation (1999), S. 153 (163). 783 Diese eigentliche Konsequenz des bloß privatrechtlichen Urteilsstandpunktes verkennt beispielsweise Rühl, Kants Deduktion des Rechts als intelligibler Besitz (2010), S. 127, wenn er mit einem eher rechtspositiv geprägten Vorverständnis an die metaphysische Rechtslehre Immanuel Kants herantritt und sich kurzerhand auf den Standpunkt stellt, der Gerichtshof könne willkürlich auch einfach nach dem Prinzip des bloß natürlichen Privatrechts entscheiden. Gewiss kann er so verfahren, aber ebenso gewiss würde er auf diese Weise seiner eigenen und

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Beurteilungsstandpunkte ist hier an einem Erwerbsfall des natürlichen Privatrechts also bereits zu sehen, dass ein öffentlicher Gerichtshof sein Prinzip eines rechtskräftigen Erwerbs subjektiv schon darum annehmen muss, „weil ihm sonst das Rechtsprechen unendlich erschwert, oder gar unmöglich gemacht werden würde“784. Nur scheinbar steht das naturrechtliche Beurteilungsprinzip der iustitia distributiva somit in einem Gegensatz zu der kommutativen Gerechtigkeitsform des bloßen Privatrechts; in Wahrheit besorgt erst die austeilende Gerechtigkeit einen wechselseitig gerechten Privatrechtserwerb auch wirklich effektiv in den rechtlichen Erwerbsfolgen. Ohne eine ausdrückliche Vereinbarung eines Versprechensvorbehalts würde ein öffentlicher Gerichtshof den Versprechensgeber darum zur Erfüllung des Schenkungsvertrages verurteilen und ihn folglich auch mit Rechtszwang zur Erfüllung anhalten. b) Die naturrechtlich divergierende Beurteilung im Leihvertrag Der insgesamt aus drei Absätzen bestehende Paragraph zum Leihvertrag (§ 38) enthält zunächst ebenfalls eine Charakterisierung dieses wohltätigen Vertrages im Sinne des rein begrifflich herausgearbeiteten Profils einer notwendigen Divergenz der Urteilsstandpunkte und hebt dabei in Abs. 1 S. 1 auch eigens den gegenständlichen Bezug auf eine Sache hervor. Sodann schließt sich eine ausführliche Erörterung der bloß privatrechtlichen Präsumtionenlage an, bevor diese im zweiten Absatz durch ein suggestives Beispiel unterlegt, und sich schließlich im dritten Absatz mit der öffentlich-rechtlichen Präsumtion eines Gerichtshofs konfrontiert sieht. Der Leihvertrag berechtigt nämlich unentgeltlich zum bloßen Gebrauch einer fremden Sache und verpflichtet insofern zugleich zur späteren Rückgabe eben dieser Sache. Darum stellt sich ihm Rahmen des Leihvertrages die Frage nach der rechtlichen Gefahrtragung für den Fall des Untergangs dieser Stückrückgabeschuld: Ist der Entleiher dem Eigentümer als Verleiher zum Schadensersatz verpflichtet oder trägt der Verleiher als Eigentümer den Schaden selbst? Im bloßen Naturzustand der angeborenen äußeren Freiheit kann der Entleiher nun nicht einfach vermuten, der Verleiher übernehme als Eigentümer der Sache und über die bereits wohltätige Gebrauchsüberlassung hinaus gleich auch noch die Gefahr einer Rückgabeunmöglichkeit hinsichtlich der vertraglich vorübergehend in seine Gebrauchsmöglichkeit kommenden Sache. Denn zu Wohltaten ist rechtlich niemand verpflichtet und insofern bedürfte es im Hinblick auf eine Gefahrübernahme durch den Verleiher als Eigentümer der Sache einer weiteren vertraglichen Übereinkunft. Ohne eine solche Übereinkunft aber ist mit dem bloß privatrechtlichen Beurteilungsgesichtspunkt kommutativer Gerechtigkeit zu vermuten, dass der Entleiher die

objektivgesetzlich bestimmten Absicht der Garantie eines rechtskräftigen Erwerbs zuwiderhandeln. 784 RL, AA VI: 298.14-21.

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

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Gefahr einer Unmöglichkeit hinsichtlich seiner Rückgabeverpflichtung aus dem ihn ohnehin bloß einseitig begünstigenden Vertrag selbst trägt. In Ermangelung einer solchen zusatzvertraglichen Gewissheit wäre aber auch ein Gerichtshof zu einer rechtskräftigen Entscheidung anhand bloßer Präsumtionen gezwungen, und so dürfte er sich nicht einfach auf einen der beiden möglichen Vorträge der Vertragsparteien einlassen, sondern er müsste auf das in diesem Fall objektiv als gewiss Erscheinende abstellen. Da im Falle eines beiderseits unbestrittenermaßen geschlossenen Leihvertrages jedoch das Eigentum des Verleihers an der Sache als substanzielles Vollrecht infolge seines Besitzes daran allseits zugestanden ist, müsste die Gefahrtragung anhand der sicher ermittelten Eigentumslage zu beurteilen sein. Demnach wäre es am Eigentümer, sich Sicherheit über den Untergang der Sache zu verschaffen und indem er dieses ohne zusatzvertragliche Absicherung mit dem Entleiher verabsäumt, trägt er die Gefahr des Unterganges seines zu Eigentum besessenen und gleichwohl freiwillig aus der Hand gegebenen Gegenstandes selbst. Folglich judiziert ein öffentlicher Gerichtshof nach dem distributiven Gerechtigkeitsprinzip rechtskräftiger Zurechnung auch in diesem Erwerbsfall geradewegs entgegengesetzt zum bloß privatrechtlichen Urteilsstandpunkt kommutativer Gerechtigkeit. Somit trägt der Verleiher als Eigentümer hier eine Rechtslast, zu der er nach dem bloß privatrechtlichen Urteilsstandpunkt kommutativer Gerechtigkeit im Naturzustand nur durch eine vertragliche Übereinkunft hätte verpflichtet werden können. Dabei ist allerdings daran zu erinnern, dass alles private Eigentum und mithin auch aller Leihvertrag real nur durch den bürgerlichen Zustand bzw. rein begrifflich schon zuvor nur im Hinblick (provisorisch) auf diesen vorstellbar ist, sodass diese scheinbare Einschränkung des Prinzips einer kommutativen Gerechtigkeitsform im Naturzustand durch das Prinzip der austeilenden Gerechtigkeitsform in Wahrheit erst deren rechtskräftige Vorstellung außerhalb des bloßen Naturzustandes bedeutet. c) Die naturrechtlich divergierende Beurteilung in der Rückbemächtigung Der sich spezifisch mit der Wiedererlangung (d. h. Vindikation) einer verlorenen Sache und nicht etwa mit dem gutgläubigen Erwerb beschäftigende Paragraph (§ 39) zerfällt in sieben Absätze. Sieht man in den dortigen Ausführungen Immanuel Kants dagegen, und zwar trotz der eindeutigen Paragraphenüberschrift sowie der Problemexposition im ersten Absatz, mit einer – aus naheliegenden Gründen – besonders von Rechtswissenschaftlern vertretenen Lesart den gutgläubigen Erwerb einer Sache abgehandelt, so wird der ganze Paragraph spätestens in seinem zweiten Absatz unverständlich und sodann auch konjekturbedürftig.785 785 Schon Buchda, Das Privatrecht Immanuel Kants (1929), S. 91 f., der bekanntlich als erster Interpret auch den vermeintlich falschen Texteinschub in § 6 entdeckte, folgte in seiner

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts § 39 Abs. 1

Aus der vernunftbegrifflichen Entwicklung des Sachenrechts als einer absoluten Rechtsform (§§ 11 – 17) ist klar, dass eine Sache auch ohne empirische Inhabung im Rechtsbesitz des Eigentümers bleibt, solange sich dieser nicht tätig derelinquiert bzw. untätig von der Sache entfremdet (vgl. § 33), und dass ihm insofern auch ein absolutes Herausgaberecht gegen jeden empirischen Besitzer der Sache, nicht bloß ein persönliches Recht gegen eine bestimmte Person (§§ 18 – 21) zusteht. Nach dieser Erinnerung des ersten Satzes von § 39 Abs. 1 folgt im zweiten Satz sogleich die Exposition der in § 39 zu beantwortenden Frage: „Ob aber dieses Recht auch v o n j e d e m A n d e r e n als ein für sich fortdauerndes Eigenthum müsse angesehen werden, wenn ich demselben n u r n i c h t e n t s a g t habe, und die Sache in dem Besitz eines Anderen ist, das ist nun die Frage.“786 Offensichtlich ist damit also die in der Überschrift angekündigte Frage nach dem dinglichen Rechtszustand einer verlorenen Sache angesprochen, denn wenn sich eine Sache im Besitz einer anderen Person befindet, obwohl ihr Eigentümer ihr weder durch Dereliktion, noch durch Entfremdung entsagt hat, dann muss sie ihm zwischenzeitlich wohl auf irgendeine Weise abhandengekommen sein. Dagegen hat beispielsweise Hans Kiefner, der in § 39 spezifisch den gutgläubigen Erwerb einer Sache behandelt wissen will, diesen zweiten Satz des ersten Absatzes – mit diesem seinem Vorurteil: völlig konsequent – kurzerhand für „überflüssig“ erklärt.787 Allerdings musste ihm dadurch in der Folge auch entgehen, dass Immanuel Kant das dingliche Rechtsproblem der verlorenen Sache in § 39 Abs. 2 anhand der Fallkonstellation des ehrlichen Rückerwerbs der Sache durch den Stammeigentümer, und zwar als Rückerwerb von derjenigen Person, die sich gegenwärtig als Eigentümer der Sache führt, entwickelt,788 womit schließlich die vermeinte Konjekturbedürftigkeit des § 39 Abs. 2 beginnt.

Interpretation des § 39 lieber seiner juristischen Eigensinnigkeit, als den eindeutigen Worten des Autors und perpetuierte damit eine bereits durch v. Brünneck, Altpr. Monatsschr. 13 (1876), S. 587 ff. falsch gelegte Fährte, auf der nicht wenige Interpreten bis heute wandeln: „In dem Abschnitt […] kommt im Grunde etwas anders zum Vorschein, als die Überschrift besagt; denn die Betrachtung gilt im weiteren Verlaufe nicht so sehr der rei vindicatio, als dem gutgläubigen Erwerbe. […] Wie leitet nun Kant die rechtliche Notwendigkeit eines gutgläubigen Erwerbs ab?“ Vgl. für eine Lesart in diesem Sinne ferner Harke, ARSP 91 (2005), S. 459; Kiefner, in: Stolleis/u. a. (Hrsg.): Die Bedeutung der Wörter (1991), S. 133 ff.; Rühl, Kants Deduktion des Rechts als intelligibler Besitz (2010), S. 127 f. – Einen zutreffenden Hinweis auf den von Kant dagegen tatsächlich verhandelten Sachverhalt gibt Falcioni, in: Klemme/Ludwig/Pauen/Stark (Hrsg.): Aufklärung und Interpretation (1999), S. 153 (165). 786 RL, AA VI: 300.29-32. 787 Kiefner, in: Stolleis/u. a. (Hrsg.): Die Bedeutung der Wörter (1991), S. 133 (136). 788 Kiefner, in: Stolleis/u. a. (Hrsg.): Die Bedeutung der Wörter (1991), S. 133 (137 Fn. 7): „Den ,Rückerwerb‘ der eigenen Sache hat Kant mit Sicherheit nicht erörtern wollen.“

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

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§ 39 Abs. 2

Weil der aus nur zwei Sätzen bestehende zweite Absatz des § 39, besonders in seinem ersten Satz, tatsächlich einige zunächst nicht wenig diffizile Vorstellungsbezüge im Verständnis ermöglicht, die sich durch einen von der Überschrift des Paragraphen abweichenden Erwartungshorizont nochmals erheblich multiplizieren, und die dann natürlich auch zu allerlei philologischen Problemen sowie entsprechenden Konjekturvorschlägen Anlass geben, sei er hier zum Zwecke einer Interpretation bloß im Sinne der Paragraphenüberschrift vorab vollständig erinnert:789 „Ist die Sache mir abhanden gekommen (res amissa) und so von einem Anderen a u f e h r l i c h e A r t (bona fide), als ein vermeinter Fund, oder durch förmliche Veräußerung des Besitzers, der sich als Eigenthümer führt, an mich gekommen, obgleich dieser nicht Eigenthümer ist, so frägt sich, ob, da ich von einem N i c h t e i g e n t h ü m e r (a non domino) eine Sache nicht erwerben kann, ich durch jenen von allem Recht in dieser Sache ausgeschlossen werde und bloß ein persönliches gegen den unrechtmäßigen Besitzer übrig behalte. – Das letztere ist offenbar der Fall, wenn die Erwerbung bloß nach ihren inneren berechtigenden Gründen (im Naturzustande), nicht nach der Convenienz eines Gerichtshofes beurtheilt wird.“ (RL, AA VI: 300.33-301.08).

Der erste Halbsatz („Ist die Sache mir abhanden gekommen“) knüpft das in Abs. 1 S. 2 exponierte Thema der Überschrift an. Es gibt also im Ausgang des angeknüpften Gedankens einen Eigentümer, dessen Sache abhandengekommen ist, und der sich folglich weder tätig derelinquiert, noch untätig von der Sache entfremdet hat. Sodann nimmt die Sache ihren nicht weiter beschriebenen verkehrsmäßigen Lauf und gelangt in den Besitz „von einem Anderen […], der sich als Eigenthümer führt“. Von dort aus gelangt die Sache „a u f e h r l i c h e A r t […] an mich“ (d. h. den Eigentümer) zurück, wobei zwei ehrliche Arten denkbar sind: Entweder der Eigentümer findet die Sache zufällig irgendwo im Rechtsverkehr nachdem der Besitzer, der sich als Eigentümer führt, sie aus der Hand gegeben hat, oder er gelangt durch dessen Veräußerung an ihn wieder in den Besitz der Sache.790 Für den Eigentümer, dem die Sache zwischenzeitlich abhandengekommen war, stellt sich in dieser Fallkonstellation die gleichsam paradoxe Frage, ob er vom Besitzer, der sich als Eigentümer der abhanden gekommenen Sache lediglich irrig führt, abgeleitet Eigentum an der Sache erworben hat, die ihm ohnehin schon gehört; oder ob er mit dem unrechtmäßigen Besitzer durch den Fund bzw. durch den (nicht er789 Die philologischen Schwierigkeiten, in die sich eine ansonsten sehr exakt vorgehende Wortlautinterpretation verstricken muss, die hier die thematische Ankündigung der Überschrift des § 39 nicht in Rechnung stellt, lassen sich exemplarisch in der im Übrigen sehr verdienstlichen Arbeit Kiefners, in: Stolleis/u. a. (Hrsg.): Die Bedeutung der Wörter (1991), S. 133 (137 – 139) studieren. 790 Es ist also spezifisch nicht so, dass der Besitzer, der sich als Eigentümer führt, die Sache gutgläubig gefunden oder erworben hat. Siehe dafür aber mit den entsprechenden Konsequenzen im Verständnis schon Tieftrunk, Philosophische Untersuchungen I (1797), S. 502 f.; sowie für den Fund auch Kiefner, in: Stolleis/u. a. (Hrsg.): Die Bedeutung der Wörter (1991), S. 133 (136 f.).

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

füllbaren) Veräußerungsvertrag lediglich persönlich-rechtlich verbunden ist, sodass ihm auch nur ein persönliches Recht gegen diesen unrechtmäßigen Besitzer zurückbleibt, der ihn also von allem dinglichen Recht an der Sache ausschließt, obgleich er selbst nicht Eigentümer ist.791 Denn von einem „ N i c h t e i g e n t h ü m e r “ kann ein Eigentumsrecht an einer Sache im Naturzustand vertraglich schon generell und im hier vorliegenden Fall auch ganz besonders nicht übertragen (d. h. abgeleitet) werden, sodass der Erwerb im Verhältnis des Eigentümers vom unrechtmäßigen Besitzer hier im Naturzustand nichts mehr als ein bloß persönlichrechtliches Vertragsgeschäft bedeutet. An dieses gedankliche Zwischenergebnis knüpft die Feststellung des zweiten Satzes innerhalb des zweiten Absatzes von § 39 an, dass der vom unrechtmäßigen Besitzer erwerbende Eigentümer nur ein persönliches Recht gegen diesen zurückbehält und eben dadurch zugleich durch diesen unrechtmäßigen Besitzer von allem Recht an seiner abhanden gekommenen Sache ausgeschlossen wird. Die Situation des Rückerwerbs der verlorenen Sache ist für den erwerbenden Eigentümer paradox und so scheint es, als ob der sich anschließende dritte Absatz, obwohl er sich offenbar schon mit dem ersten Satz anschickt, das in Abs. 2 S. 2 festgehaltene Zwischenergebnis ausführlich zu begründen, eben diesem zu begründenden Zwischenergebnis tatsächlich lediglich widerspricht.792 Um diesen scheinbaren Widerspruch im Textbefund zu heben, muss man allerdings sehen, dass diese paradoxe Situation für den Eigentümer eine naturzuständliche Selbsteinsicht in das Verhältnis kommutativer und distributiver Gerechtigkeit enthält, die nicht nur im folgenden dritten Absatz, sondern, und zwar als Problem zweier im Naturzustand möglicher Präsumtionen des Eigentümers der abhanden gekommenen Sache, in den Abs. 3 – 5 entwickelt wird, bevor sie sodann – nach einer deutlichen optischen Absetzung („* * *“) – im sechsten Absatz mit der Präsumtion eines Gerichtshofs zur Auflösung gelangt. Der Eigentümer der abhanden gekommenen Sache kann im Naturzustand nämlich entweder als Erwerber einer Sache überhaupt (Abs. 3), oder aber als Eigentümer der abhanden gekommenen Sache (Abs. 4) jeweils nach der kommutativen Gerechtigkeitsform präsumieren, sodass auch die Frage des Vindikationsrechts, je nach eingenommenen Standpunkt des Eigentümers, unterschiedlich zu beantworten wäre:793 791 Das Wort „jenen“ kann sich an dieser Stelle nicht auf den „Nichteigentümer“ beziehen, denn dieser wäre an der Stelle des Wortes mit dem Wort „diesen“ angesprochen worden, weil sich das Wort „jener“ stets auf nicht unmittelbar zuvor genannte Subjekte bezieht. Demnach muss sich das Wort „jenen“ an dieser Stelle auf den mittelbar zuvor genannten unrechtmäßigen Besitzer beziehen, was Kiefner, in: Stolleis/u. a. (Hrsg.): Die Bedeutung der Wörter (1991), S. 133 (138 f.) mit seinem Vorverständnis hingegen leugnen muss, weshalb er hier einen tatsächlich nicht existenten „Dritten“ zum Zwecke seines gutgläubigen Erwerbs erfindet. 792 Vgl. dafür Kiefner, in: Stolleis/u. a. (Hrsg.): Die Bedeutung der Wörter (1991), S. 133 (139). 793 Das erkennt insofern zutreffend wiederum Tieftrunk, Philosophische Untersuchungen I (1797), S. 503 f., wohingegen Kiefner, in: Stolleis/u. a. (Hrsg.): Die Bedeutung der Wörter

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

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Der potentielle Erwerber einer abhanden gekommenen Sache wird in seiner Präsumtion auf die möglichen Erwerbsfolgen innerhalb der kommutativen Gerechtigkeitsform hinweisen (Abs. 3), während der Eigentümer der abhanden gekommenen Sache auf die fehlenden Erwerbsgründe innerhalb derselben verweisen wird (Abs. 4). Aus diesen beiden ihm möglichen Präsumtionen ergibt sich für den Eigentümer der abhanden gekommenen Sache (Abs. 2) bereits im Naturzustand eine Einsicht in das Problem des rechtskräftigen Erwerbs (Abs. 5), die ihn schließlich mit dem distributiv gerechten Ausspruch eines öffentlichen Gerichtshofs (Abs. 6) versöhnen muss. Eben darum enthält der siebente und letzte Absatz eine allgemeingültige Aussage zum Gehalt des distributiv gerechten Prinzips eines rechtskräftigen Erwerbs, womit die Entwicklung desselben innerhalb der drei Fälle der §§ 37 – 39 zu einem gewissen Abschluss kommt. Nach dieser Dramaturgie einer möglichen Selbsteinsicht des Eigentümers einer abhanden gekommenen Sache in das Verhältnis kommutativer und distributiver Gerechtigkeit sollte § 39 Abs. 2 schließlich ohne Konjekturen aus sich selbst heraus in seiner originalen Textfassung verständlich sein, wohingegen die auf dem Vorurteil des gutgläubigen Erwerbs beruhenden Konjekturen allesamt diese im zweiten Absatz angelegte Selbsteinsicht des Eigentümers verunmöglichen.794 (1991), S. 133 (140) in § 39 Abs. 3 nun endlich „den Erwerb des Gutgläubigen im bürgerlichen Zustand“ behandelt sieht. 794 Nochmals RL, AA VI: 300.33-301.08: „Ist die Sache mir abhanden gekommen (res amissa) und so von einem Anderen a u f e h r l i c h e A r t (bona fide), als ein vermeinter Fund, oder durch förmliche Veräußerung des Besitzers, der sich als Eigenthümer führt, an mich gekommen, obgleich dieser nicht Eigenthümer ist, so frägt sich, ob, da ich von einem N i c h t e i g e n t h ü m e r (a non domino) eine Sache nicht erwerben kann, ich durch jenen von allem Recht in dieser Sache ausgeschlossen werde und bloß ein persönliches gegen den unrechtmäßigen Besitzer übrig behalte. – Das letztere ist offenbar der Fall, wenn die Erwerbung bloß nach ihren inneren berechtigenden Gründen (im Naturzustande), nicht nach der Convenienz eines Gerichtshofes beurtheilt wird.“ Vorländer (Hrsg.): Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten (19224), S. 121 hat die Ersetzung des Wortes „mir“ durch „jemanden“ vorgeschlagen, jedoch nicht im Druck gesetzt. Doch dass durch diese Konjektur die gedanklichen Schwierigkeiten nicht behoben werden können, hat insofern noch überzeugend Kiefner, in: Stolleis/u. a. (Hrsg.): Die Bedeutung der Wörter (1991), S. 133 (137 f.) gezeigt, weil mit dieser Konjektur die Frage nach den Konsequenzen des verkehrsmäßigen Laufs der Sache nicht mehr sinnvoll gestellt werden kann. Aus diesem Grund und vor dem Hintergrund seines Vorverständnisses hat er (a.a.O., S. 139) hingegen vorgeschlagen, dass die Sache nicht „an mich“ (d. h. den Eigentümer der abhanden gekommenen Sache), sondern „an einen Dritten“ kommt. In der Folge dieser Lesart, die hier einen gutgläubigen Wegerwerb auf seine Konsequenzen für den Eigentümer hin befragt wissen will, ergibt sich im Rahmen dieser Frage eine Entpersonalisierung des einstmaligen Eigentümers dergestalt, dass nicht speziell „ich“, sondern „man“ von einem Nichteigentümer nicht erwerben kann. Nachdem der ganze Absatz damit allerdings gedanklich in eine Fragestellung verkehrt wurde, die darin so ursprünglich niemals angelegt war, erfordert die Lesart Kiefners sodann im zweiten Satz noch eine Negation: „[…] wenn die Erwerbung nicht bloß nach […]“. Schließlich hat Ludwig (Hrsg.): Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (20184), S. 113 den mit überzeugenden Gründen von Kiefner kritisierten Konjekturvorschlag Vorländers auch im Druck seiner Ausgabe gesetzt, nachdem er zuvor in: Kants Rechtslehre (1988), S. 31

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts § 39 Abs. 3

Der dritte Absatz stellt die naturzuständliche Präsumtion des Eigentümers als eines gutgläubigen Erwerbers einer Sache überhaupt nach der kommutativen Gerechtigkeitsform vor und untersucht auf dieser Basis, ob sich der Stammeigentümer per vindicationem an den (Eigentümer als) gutgläubigen Erwerber der Sache wenden kann. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass alles Veräußerliche im vertraglichen Rechtsverkehr von irgendjemanden erworben werden können muss, da die kommutative Gerechtigkeitsform andernfalls bloß eine leere Form wäre. Demnach muss der kommutativ gerechte Besitzerwerb effektiv lediglich auf der vertraglichen Form des Erwerbs beruhen, sodass es auf tatsächlich bestehende materielle Erwerbsgründe nicht ankommt und der gutgläubige Erwerber bereits kraft kommutativer Gerechtigkeitsform im Naturzustand als wahrer Eigentümer der Sache angesehen werden muss, mit der Folge, dass sich der Stammeigentümer nicht mehr per vindicationem an den neuen Eigentümer der Sache halten kann. § 39 Abs. 4

Gegen dieses Ergebnis der Präsumtion des gutgläubigen Erwerbers einer Sache überhaupt wendet sich im Naturzustand aber die Präsumtion des Stammeigentümers nach der kommutativen Gerechtigkeitsform. Denn niemand kann materiell begründet mehr Eigentumsrechte übertragen, als er tatsächlich schon effektiv besitzt (nemo plus iuris transferre potest quam ipse habet). Demnach geht die vertragsförmige Veräußerung eines Nichteigentümers an einen gutgläubigen Erwerber ins Leere und der dadurch von allem Recht in der Sache ausgeschlossene gutgläubige Erwerber behält lediglich ein persönliches Recht gegen den Veräußerer als unrechtmäßigen Besitzer zurück (vgl. § 39 Abs. 2 S. 2). Folglich behält der Stammeigentümer sein Eigentum und kann sich daher auch per vindicationem an den gutgläubigen Erwerber der Sache wenden. § 39 Abs. 5

Wenn nun im Naturzustand nach dem bloß beurteilenden Urteilsstandpunkt kommutativer Gerechtigkeit gefragt wird, was in der Erwerbung äußerer Sachen materiell „ a n s i c h Rechtens“795 ist, dann führt an der Präsumtion des Stammeigentümers (§ 39 Abs. 4) kein Weg vorbei, sodass der Erwerb einer Sache nur innerhalb einer ununterbrochenen Ableitungskette wahrer Eigentumspositionen an der Sache möglich ist (§ 39 Abs. 5 S. 1). Da es in der Veräußerungshistorie aber regelmäßig unmöglich sein dürfte den ersten Stammeigentümer mit Gewissheit auszumachen, wäre jeder rechtssichere Warenverkehr nach der kommutativen Gerechtigkeitsform effektiv unmöglich (§ 39 Abs. 5 S. 2), sodass diese kommutative Gerechtigkeitsform des Vertrages (§§ 18 ff.) in der Beurteilung ihrer Erwerbsfälle mit Blick auf ihre eigene rechtliche Effektivität über sich selbst hinausweist: die möglicherweise noch etwas zu voreilige Behauptung aufgestellt hatte, es handele sich hier in § 39 Abs. 2 um einen von vielen „vor jeder inhaltlichen Interpretation ausmachbaren“ Mängeln. 795 RL, AA VI: 302.05.

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§ 39 Abs. 6

Rechtliche Effektivität (d. h. Rechtskraft) des Erwerbs verheißt aber lediglich die distributive Gerechtigkeitsform, nach deren Rechtsprinzip ein öffentlicher Gerichtshof den ihm vorgelegten Fall einer gutgläubigen Erwerbung einer Sache beurteilen müsste: „Hier tritt nun wiederum die rechtlich-gesetzgebende Vernunft mit dem Grundsatz der d i s t r i b u t i v e n G e r e c h t i g k e i t ein, die Rechtmäßigkeit des Besitzes, nicht wie sie a n s i c h in Beziehung auf den Privatwillen eines jeden (im natürlichen Zustande), sondern nur wie sie vor einem G e r i c h t s h o f e in einem durch den allgemein=vereinigten Willen entstandenen Zustande (in einem bürgerlichen) abgeurtheilt werden würde, zur Richtschnur anzunehmen: […].“796 Da die naturzuständliche Präsumtion des Stammeigentümers einen effektiven Erwerb nach der kommutativen Gerechtigkeitsform allgemein unmöglich, die des gutgläubigen Erwerbers hingegen einen solchen allgemein erst möglich machen würde, würde ein öffentlicher Gerichtshof der Präsumtion des gutgläubigen Erwerbers aus seinem distributiv gerechten Beurteilungsstandpunkt heraus den Vorzug einräumen müssen,797 sodass im konkreten Fall „alsdann die Übereinstimmung mit den formalen Bedingungen der Erwerbung, die an sich nur ein persönliches Recht begründen, zu Ersetzung der materialen Gründe (welche die Ableitung von dem Seinen eines vorhergehenden prätendirenden Eigenthümers begründen) als hinreichend postulirt wird, und ein a n s i c h persönliches Recht, v o r e i n e n G e r i c h t s h o f g e z o g e n , als ein Sachenrecht gilt, z. B. daß das Pferd, was auf öffentlichem, durchs Polizeigesetz geordnetem Markt jedermann feil steht, wenn alle Regeln des Kaufs und Verkaufs genau beobachtet worden, mein Eigenthum werde (so doch, daß dem wahren Eigenthümer das Recht bleibt, den Verkäufer wegen seines ältern, unverwirkten Besitzes in Anspruch zu nehmen), und mein sonst persönliches Recht in ein Sachenrecht, nach welchem ich das Meine, wo ich es finde, nehmen (vindiciren) darf, verwandelt wird, ohne mich auf die Art, wie der Verkäufer dazu gekommen, einzulassen“798. Der hiermit im Falle der Vindikation nach gutgläubiger Erwerbung in concreto besonders deutlich werdende Unterschied zwischen dem bloß privatrechtlichen und dem öffentlich-rechtlichen Urteilsstandpunkt lässt dann in abstracto wohl die folgenden – von Immanuel Kant erst sogleich in § 41 Abs. 1 gezogenen – Schlüsse zum Verhältnis kommutativer und distributiver Gerechtigkeit zu: Die kommutative Gerechtigkeitsform des Vertrages hat in ihrem privatrechtlichen Grundsatz eine materielle Tauschgerechtigkeit zwischen den gleichgeordneten 796

RL, AA VI: 302.24-30. Diese Dimension des naturrechtlichen Beurteilungs- und Gerechtigkeitsproblems dürfte Rühl, Kants Deduktion des Rechts als intelligibler Besitz (2010), S. 127 f. übersehen haben, wenn er den Gerichtshof in der Beurteilung des „gutgläubigen Erwerbs“ stets bloß mit einer kontingenten Risikoverteilung konfrontiert sehen möchte, nach der dann nun einmal entweder der gutgläubige Erwerber, oder aber der wahre Eigentümer „der Dumme“ sein müsse. 798 RL, AA VI: 302.30-303.08. 797

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Privatrechtssubjekten zu ihrem rechtlich bestimmten Zweck. Dagegen hat die distributive Gerechtigkeitsform in ihrem öffentlich-rechtlichen Grundsatz einen materiell rechtskräftigen Erwerb zu ihrer durch öffentliche Gesetze rechtlich bestimmten Absicht. Um diese ihre Rechtsabsicht eines rechtskräftigen Erwerbs zu gewährleisten, bezieht sich die distributive Gerechtigkeitsform in der Beurteilung eines materiellen Erwerbsgeschäfts zweier Privatrechtssubjekte für ihre Zurechnungsschlüsse allerdings lediglich auf die kommutative Form dieses Erwerbsgeschäfts, sodass die Beurteilung der materiellen Gerechtigkeit eines vertraglichen Erwerbsgeschäfts nicht dem öffentlichen Gerichtshof, sondern alleine den daran beteiligten Privatrechtssubjekten anheim gegeben ist. Hierin besteht schließlich ihre private Autonomie (d. h. Freiheit) im äußeren Verhältnis, die durch öffentliche Gesetze zu garantieren ist, die wiederum einen öffentlichen Gerichtshof im Staat bürgerlicher Verfassung genau hierauf, und nicht etwa eine materielle Verteilungsgerechtigkeit nach willkürlichem Gutdünken des gesetzgebenden Organs verpflichten (vgl. § 46 Abs. 4 S. 3). Die beiden im natürlichen Privatrecht bereits rein begrifflich rechtlich bestimmt denkbaren Gerechtigkeitsformen (iustitia commutativa und distributiva) setzen somit eine gesetzlich beschützende Gerechtigkeitsform (iustitia tutatrix) noch über sich selbst und für sich selbst an sich selbst voraus (§ 41 Abs. 1). Denn nur, wenn sich die einzelnen Rechtssubjekte ursprünglich zu einem allgemeinen und daher gesetzgebenden Willen in ihrem äußeren Verhältnis vereinigen, kann ihre (gemäß §§ 7, 8 KpV) durch grundgesetzliche Selbstvorstellungstätigkeit begründete Autonomie (d. h. Selbstgesetzgebung) ihrer Form nach auch im äußeren Verhältnis überhaupt ein Dasein haben. Unter der – dieser Autonomie eines freien Willens verpflichteten – beschützenden Gerechtigkeitsform eines gesetzgebenden Allgemeinwillens der Privatrechtssubjekte als Staatsbürgern ist dann kraft öffentlicher Gesetze dieses allgemein vereinigten Willens ein rechtlich geordneter Markt zu gewährleisten, sodass die Privatautonomie der Rechtssubjekte nach der vertraglichen Gerechtigkeitsform kommutativer Gerechtigkeit auch materielles Dasein im äußeren Verhältnis haben kann. Hierin dürfte schließlich für Immanuel Kant in nuce die naturrechtlich begründete Theorie einer insgesamt öffentlichen Gerechtigkeit bestehen. § 39 Abs. 7

§ 39 Abs. 7 S. 1 zieht angesichts der Zurechnungsüberlegungen des § 39 ein allgemeines Resümee und leitet somit von den konkreten Fallüberlegungen zurück zum grundsätzlichen Naturrechtsdenken: „Es geschieht also nur zum Behuf des Rechtsspruchs vor einem Gerichtshofe (in favorem iustitiae distributivae), daß das Recht in Ansehung einer Sache nicht, w i e e s a n s i c h i s t (als ein persönliches), sondern wie es a m l e i c h t e s t e n und sichersten a b g e u r t h e i l t werden kann (als Sachenrecht), doch nach einem reinen Princip a priori angenommen und behandelt werde.“799 799

RL, AA VI: 303.09-14.

A. Der Naturzustand als bloße Vernunftidee allen möglichen äußeren Rechts

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Sodann schließt sich im zweiten und letzten Satz dieses Absatzes ein allgemeiner Hinweis an, der die wichtigste Zweckbestimmung positiver Gesetze in sich enthält, weil er diese nach ihrem Zweck im reinen Rechtsdenken mit der distributiven Gerechtigkeitsform verknüpft, sodass die hier in dieser Arbeit subjektiv vorgesetzte Frage nach der Positivität des Rechts in der kritischen Naturrechtslehre Immanuel Kants nur unter Berücksichtigung seiner Gerechtigkeitstheorie (§ 41 Abs. 1) – von der soeben erstmals die Rede war – zu beantworten sein dürfte. Aus diesem Grund war auch die aufwendige Interpretation des dritten Hauptstücks, wie sich systematisch wohl nur aus dem Gesamtzusammenhang der natürlichen Privatrechtslehre nach ihrer rein begrifflichen Struktur erschließt, in der hier vorgelegten Studie unerlässlich. Die positiven Gesetze stehen nämlich laut § 39 Abs. 7 S. 2 im Staat bürgerlicher Verfassung im Dienst der rechtskräftigen Zurechnung nach der distributiven Gerechtigkeitsform (iustitia distributiva), sodass ihnen im Rahmen der nachfolgenden Interpretation800 jedenfalls eine Zurechnungs- bzw. Gerechtigkeitsfunktion im autonomen Gesamtgefüge bürgerlicher Verfassung zuzusprechen sein wird: „Auf diesem [reinen Princip a priori] gründen sich nun nachher verschiedene statutarische Gesetze (Verordnungen), die vorzüglich zur Absicht haben, die Bedingungen, unter denen allein eine Erwerbungsart rechtskräftig sein soll, so zu stellen, daß der Richter das Seine einem jeden a m l e i c h t e s t e n u n d u n b e d e n k l i c h s t e n zuerkennen könne: z. B. in dem Satz: Kauf bricht Miethe, wo, was der Natur des Vertrags nach, d. i. an sich, ein Sachenrecht ist, (die Miethe) für ein bloß persönliches und umgekehrt, wie in dem obigen Fall, was an sich bloß ein persönliches Recht ist, für ein Sachenrecht gilt; wenn die Frage ist, auf welche Principien ein Gerichtshof im bürgerlichen Zustande anzuweisen sei, um in seinen Aussprüchen wegen des einem jeden zustehenden Rechts am sichersten zu gehen.“801 d) Die naturrechtlich divergierende Beurteilung in der Erwerbung der Sicherheit durch Eidesablegung Die Beeidigung zur rechtlichen Beglaubigung einer rechtserheblichen Aussage kann ihren praktischen Zweck überhaupt nur dort haben, wo eine richterliche Instanz besteht, d. h. im bürgerlichen Zustand. Mithin rechtfertigt sie sich alleine aus dem naturrechtlichen Rechtsprinzip rechtskräftigen (distributiv gerechten) Erwerbs, denn ohne dieses gerichtliche Zwangsmittel wäre „der G e r i c h t s h o f nicht genugsam im Stande […], geheim gehaltene Facta auszumitteln und recht zu sprechen. Ein Gesetz, das hiezu verbindet, ist also offenbar nur zum Behuf der richtenden Gewalt 800

Siehe dazu unten im achten Kapitel. RL, AA VI: 303.14-25 (Klammerzusatz des Verf.). – Der hier in diesem Satz erwähnte Fall „Kauf bricht Miethe“ ist ein empirisch beliebiger Fall unter einer positiven Rechtsordnung, denn der Mietvertrag gehört nicht zu den reinen Vertragsarten im Sinne des § 31. Für die naturrechtliche Systematik der vier alleinigen Fälle der §§ 37 – 40 erlaubt dieses Beispiel daher keinerlei Rückschlüsse, wie aber hingegen Kiefner, in: Stolleis/u. a. (Hrsg.): Die Bedeutung der Wörter (1991), S. 133 (147 f.) offenbar ohne weiteres unterstellt. 801

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

gegeben“802. Ohne richterliche Instanz, d. h. im bloß natürlichen Zustand der Willkür, hat der Eid dagegen bereits keinen praktisch zulässigen Zweck und folglich ist der darin liegende Zwang auf das den Eid ablegende Rechtssubjekt im Naturzustand „an sich unrecht“803. Glaubensfragen unterliegen an sich nämlich nicht der Rechtsgesetzlichkeit äußerer Handlungen. Die Beeidigungsforderung ist mithin keine schon im natürlichen Zustand an sich selbst objektiv rechtmäßige Handlung des bloßen Privatrechtsverhältnisses der Willkürsubjekte, wie etwa die Gewährleistung einer subjektiven Sicherheit im privatrechtlichen Zusicherungsvertrag (§ 31). Sie kann daher auch im bürgerlichen Zustand der freien und gleichen Willkürsubjekte nicht als eine solche Handlung im wechselseitigen Rechtsverkehr dieser gleichgeordneten Privatrechtssubjekte nach dem Prinzip kommutativer Gerechtigkeit gerechtfertigt werden.804 Die Beeidigungsforderung steht, ihrer praktischen Zweckbestimmung gemäß, vielmehr alleine nur der den Privatrechtsparteien zur rechtskräftigen Beurteilung ihres kommutativ gerechten Erwerbs übergeordneten moralischen Person des Staates im Rahmen ihres naturrechtlichen Gerechtigkeitsprinzips zu, sofern es keine anderen Mittel der Wahrheitserforschung gibt. Insofern eignet der Eidesforderung der Charakter eines rechtlichen „Notmittel[s]“805, das sich alleine aus der gesetzgeberischen Subordinationshandlung des Staates im Verhältnis zu seinen Bürgern als seinen Gliedern, im Übrigen jedoch nicht auch zwischen diesen Privatrechtssubjekten im privatrechtlichen Gleichordnungsverhältnis als rechtlich bestimmt denken lässt. Mit Blick auf dieses privatrechtliche Gleichordnungsverhältnis der Rechtssubjekte lässt sich das Gebrauchmachen von der staatlichen Befugnis also nicht rechtfertigen, sondern nur entschuldigen. So erklärt sich der den dritten Absatz und somit zugleich den Haupttext von § 40 beschließende Satz, in dem einige Interpreten bereits eine – aus vermeintlicher Zensurangst – in sich widersprüchlich verklausulierte, jedoch aus moderner Sicht vermeintlich begrüßenswerte Absage Kants an jegliche Eidesforderung haben erblicken wollen: „Die gesetzgebende Gewalt handelt aber im Grunde unrecht, diese Befugniß der richterlichen zu ertheilen: weil selbst im bürgerlichen Zustande ein Zwang zu Eidesleistungen der unverlierbaren menschlichen Freiheit

802

RL, AA VI: 304.15-20. RL, AA VI: 304.21-27. – Das dürfte Kiefner, in: Stolleis/u. a. (Hrsg.): Die Bedeutung der Wörter (1991), S. 133 (150) übersehen haben, wenn er zugleich zutreffend bemerkt, dass es einen Eid im bloßen Naturzustand nicht geben könne, daraus jedoch folgert, dass es sich dann gar nicht um einen Divergenzfall handeln dürfe. Ebenso dürfte dies für Vosgerau, Rechtstheorie 30 (1999), S. 227 (236) gelten, wenn sich ihm der vierte Divergenzfall als „durchaus paradox“ darstellt. 804 Vgl. in diesem Zusammenhang den Hinweis Buchdas, Das Privatrecht Immanuel Kants (1929), S. 93: „Den Eid im Naturrecht zu behandeln, war seit Hugo Grotius üblich. Er galt […] als vornehmste Bekräftigung der Verträge, weshalb man sich mit ihm auch im Anschluß an die Lehre von den Verträgen befasste.“ 805 RL, AA VI: 304.28-36. 803

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zuwider ist.“806 Doch alle bloß öffentlich-rechtlichen Handlungsverhältnisse des Staates können schon nicht „an sich recht“ sein, sondern sie müssen kraft ihres positiv gesetzten Ursprungs vor dem Hintergrund der distributiven Gerechtigkeitsform lediglich und immerhin als „Rechtens“ angesehen werden. Der „Geisteszwang (tortura spiritualis)“807 in Form des Eides ist allerdings eine solche positive Rechtshandlung des Staates und ohne ihn bliebe eine rechtskräftige Entscheidung, die das Staatsrechtssubjekt im Verhältnis der Privatrechtssubjekte zu garantieren hat, nicht selten unmöglich.

IV. Praktische Notwendigkeit einer rechtskräftigen Willenssubstanz im Erwerb eines äußeren Gegenstandes Die natürliche Privatrechtslehre Immanuel Kants hat im Ausgang vom reinen Verstandesbegriff des Habens bis hierher die in dieser Prädikabilie des Kausalitätsbegriffs rein begrifflich real vorausgesetzten reinen Verstandesbegriffe der Handlung sowie der Kraft im rechtsgesetzlichen Vernunftbezug unter dem allgemeinen Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) entwickelt. Aus diesem Grund war im ersten Hauptstück rein begrifflich vom äußeren Rechtsbesitz, im zweiten Hauptstück von den darin rein begrifflich vorausgesetzten Rechtsbesitzerwerbshandlungen, und im dritten Hauptstück schließlich von der in den Rechtsbesitzerwerbshandlungen wiederum rein begrifflich vorausgesetzten Rechtskraft als distributiver Gerechtigkeitsform die Rede.808 806 RL, AA VI: 304.36-305.02. – Vgl. etwa Annen, Das Problem der Wahrhaftigkeit in der Philosophie der Deutschen Aufklärung (1997), S. 215 ff.; Geismann, Kant und kein Ende III (2012), S. 44 f. Fn. 158; Hüning, in: Friedrich/Schneider (Hrsg.): Fatale Sprachen (2009), S. 227 (232, 235, 241 ff., insb. 247 – 251); Tieftrunk, Philosophische Untersuchungen I (1797), S. 513 – 516. – An der vermeintlichen Widersprüchlichkeit der Position Kants in Fragen des Eides meinte bereits Schwab, Bemerkungen über den kantischen Begriff von dem gerichtlichen Eyd (1797), S. 15 ff., ders., Noch etwas über den kantischen Begriff vom gerichtlichen Eyd (1797), passim, seine Kritik anzusetzen. 807 RL, AA VI: 304.33-34. – Die geistige Tortur der Beeidigung stellt einen Geisteszwang in geistiger Angelegenheit, nämlich in Sachen der Wahrheit vor. Dieses intelligible Verhältnis ist jedoch nicht durch körperlichen Zwang ansprechbar, sondern im Gegenteil. Deshalb lässt sich weder gegen die im Staat bestehende Rechtsmöglichkeit zur Beeidigung ein Argument aus einem absoluten Verbot körperlicher Tortur gewinnen, noch ist es umgekehrt möglich, aus der rechtlichen Möglichkeit der Beeidigung im Staat ein Argument für die Aufweichung des Verbots körperlicher Tortur heraus zu destillieren. Genau dies ist aber das in durchaus kritischer Absicht vorgetragene argumentative Ansinnen einiger neuerer Interpretationen. Siehe dafür etwa Falcioni, in: Klemme/Ludwig/Pauen/Stark (Hrsg.): Aufklärung und Interpretation (1999), S. 153 (167): „[…] wo ist da der grundsätzliche Unterschied?“; affirmativ dazu Hüning, in: Friedrich/Schneider (Hrsg.): Fatale Sprachen (2009), S. 227 (243 Fn. 42). 808 Siehe für das rein verstandesbegriffliche Gerüst der natürlichen Privatrechtslehre schon unter B. II. 2. a) im vierten Kapitel.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Gemäß dieser rein verstandesbegrifflich vorgegebenen Entwicklung des allgemeinen Rechtsbegriffs (§ B Abs. 3) zu intensiver Vernunftdeutlichkeit verdeutlichte sich innerhalb seines privatrechtlichen Einteilungsgliedes zugleich synthetisch-kategorial zunächst die rechtliche Quantität des Habens, sodann die rechtliche Qualität im Haben und schließlich die rechtliche Relation in der Qualität des Habens unter dem allgemeinen Rechtsbegriff.809 Nun setzt aber die Kausalitätsprädikabilie der Kraft für sich selbst noch den reinen Verstandesbegriff der Substanz als absolutes Subjekt der Kausalität im Kraftbegriff voraus, sodass an vierter Stelle innerhalb der natürlichen Privatrechtslehre noch die begriffliche Notwendigkeit eines absoluten Subjekts der rein begrifflich bereits entwickelten Rechtskraft zu entwickeln ist. Auf diese Weise kommt zuletzt synthetisch-kategorial die rechtliche Modalität (Möglichkeit – Wirklichkeit – Notwendigkeit) in der rechtlichen Relation der rechtlichen Qualität des rechtlichen Habens unter dem allgemeinen Rechtsbegriff zu einem deutlichen Bewusstsein. Beruht die bereits im dritten Hauptstück im Begriff der distributiven Gerechtigkeit im Einzelfall als praktisch-notwendig vorgestellte Rechtskraft (§§ 36 – 40) nämlich ihrerseits rein begrifflich – d. h. allgemein vorgestellt – auf einem absoluten Rechtssubjekt allen äußeren Rechts der Menschen, dann resultiert auch die praktische Notwendigkeit einer rechtskräftigen Rechtsbesitzerwerbshandlung rein begrifflich nur aus eben diesem absoluten Willenssubjekt allen äußeren Rechts (vgl. nur § 10 Abs. 3). Für die Modalität des rechtlich bestimmten Habens bedeutet diese rein begriffliche Einsicht in die Totalität des allgemeinen Rechtsbegriffs, dass sich die rechtliche Wirklichkeit (d. h. Effektivität = Rechtskraft) einer Rechtsbesitzerwerbshandlung nach der praktischen Notwendigkeit eines rein begrifflich außerhalb des bloßen Naturzustandes der Privatrechtssubjekte gelegenen absoluten Rechtssubjekts bestimmt, sodass eine Rechtsbesitzerwerbshandlung im Naturzustand nur im Hinblick auf dieses absolute Willenssubjekt schon (provisorisch) rechtlich bestimmt denkbar ist (§ 15 Abs. 3). Der Naturzustand enthält seiner Modalität nach in seinen besonderen Rechtsbegriffen also nichts mehr als die bloße Möglichkeit alles äußeren Rechtsbesitzes, und so ergibt sich aus dem begrifflich bereits entwickelten privatrechtlichen Einteilungsglied des allgemeinen Rechtsbegriffs (§§ 1 – 40) die begriffliche Notwendigkeit, in das diesem insofern verständig entgegengesetzte öffentlich-rechtliche Einteilungsglied des allgemeinen Rechtsbegriffs begrifflich (d. h. rein gedanklich) überzugehen (§§ 41 – 42). An vierter Stelle behandelt die natürliche Privatrechtslehre Immanuel Kants somit den „ Ü b e r g a n g v o n d e m M e i n und Dein im Naturzustande zu dem im rechtlichen Zustande ü b e r h a u p t “810. Der hier rein begrifflich zu entwickelnde Gedanke zerfällt dann in zwei Teile, weil durch die Vorstellung eines absoluten Rechtssubjekts der Rechts809 Siehe für die synthetisch-kategoriale Architektonik der natürlichen Privatrechtslehre schon unter B. II. 2. b) im vierten Kapitel. 810 RL, AA VI: 305.31-32.

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kraft einer äußeren Rechtsbesitzerwerbshandlung zunächst der im dritten Hauptstück aufgemachte Verstandesgegensatz zwischen den beiden Gerechtigkeitsformen gehoben werden wird (§ 41), sodass aus dieser begrifflichen Entwicklung wiederum die begriffliche Notwendigkeit des Übergangs in den Zustand distributiver Gerechtigkeit analytisch bewusst wird (§ 42).811 Mit dieser rein begrifflich (d. h. metaphysisch) bestimmten Auffassung der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre ist allerdings eine eigentumstheoretische bzw. privatrechtsspezifische Interpretation unvereinbar, die aus der zum Voraus schon für sich selbst behaupteten praktischen Notwendigkeit des äußeren Rechtsbesitzes (Eigentum) im bloßen Naturzustand wiederum akzessorisch erst die praktische Notwendigkeit des Übergangs in einen bürgerlichen Zustand begründet wissen will. Denn auf diese Weise verkehrt sich rein begrifflich nicht nur die im Naturzustand bereits bestimmte bzw. bestimmbare Modalität des äußeren Rechtsbesitzes, sondern auch schon das gesamte im Rechtsbesitzbegriff rechtlich angelegte Begründungsverhältnis fundamental, weil der im äußeren Verhältnis der Menschen durch Erwerbshandlungen jederzeit veränderliche Rechtsbesitz tatsächlich nur akzidentielle Bestimmung, und nicht beharrlich bestimmende Substanz alles äußeren Rechts im reinen Rechtsdenken ist. Mit dieser eigentumstheoretischen Verkehrung im reinen Rechtsdenken soll also zuletzt der Rechtsbegriff eines souveränen Staates unter den privatrechtlichen Eigentumsbegriff subsumiert werden, sodass sich – um nur ein gravierendes Beispiel zu nennen – in der weithin konsentierten Gegenwartsbehauptung der staatsrechtlichen Möglichkeit einer vertraglichen Veräußerung von staatlichen Souveränitätsrechten vermutlich die über einige Jahrhunderte hinweg sich entfaltende Wirkmächtigkeit eines solchen substanziell verkehrten Privatrechtsdenkens begriffsgeschichtlich gut studieren lassen sollte. Mit dem Kantischen Rechtsdenken sind solche eigentumstheoretisch notwendigen Konsequenzen hingegen schlechterdings unvereinbar, denn: „Das Recht der obersten Gesetzgebung im gemeinen Wesen ist kein veräußerliches, sondern das allerpersönlichste Recht.“812 § 41

Nach der bisherigen rein begrifflichen Entwicklung lässt sich das natürliche Privatrecht einzig im Hinblick auf das absolute Rechts- bzw. Willenssubjekt allen 811 Nach Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 78 f. Fn. 53 haben die §§ 41 – 42 „[i]n den drei Hauptstücken des Privatrechts […] jedenfalls keinen systematischen Ort“. Dies ist auch nach der hier vertretenen metaphysischen Auffassung der Rechtslehre Immanuel Kants eine zutreffende Feststellung, weshalb der „Übergang“ dann für sich selbst im Anschluss an das dritte Hauptstück und an vierter Stelle insgesamt steht. Unvereinbar mit dieser metaphysischen Auffassung ist aber die Schlussfolgerung Bernd Ludwigs, nämlich die Übergangsparagraphen kurzerhand ins öffentliche Recht selbst zu versetzen, d. h. ausgerechnet dorthin, wo der gedankliche Übergang bereits stattgefunden haben muss, wenn er dann gedanklich erst stattfinden soll. Auch der von Kräft, Apriorität und Positivität des Rechts nach Kant (2011), S. 40 behauptete Bruch liegt zwischen den §§ 40 – 41 mit der hier vertretenen metaphysischen Lesart tatsächlich nicht vor. 812 RL, AA VI: 342.05-06.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

äußeren Rechts der Menschen bereits im natürlichen Zustand der menschlichen Rechtssubjekte (provisorisch) rechtlich bestimmt denken. Der in § 41 zu entwickelnde Begriff des rechtlichen Zustandes der menschlichen Rechtssubjekte muss also in seiner Bestimmung lediglich dieses absolute Rechts- bzw. Willenssubjekt als Realbedingung noch zusätzlich begrifflich in sich setzen. Denn dadurch unterscheidet sich der rechtliche Zustand begrifflich verständig vom natürlichen Zustand, wobei der damit resultierende Verstandesgegensatz die begriffliche Bestimmung des natürlichen Privatrechts nicht negiert, sondern vernünftig bewahrend in sich aufhebt, weil der Vernunftbegriff des rechtlichen Zustandes – im Vergleich mit dem Begriff des natürlichen Zustandes – lediglich das rechtlich im äußeren Verhältnis der Menschen allgemein bestimmende Moment zusätzlich in (nicht länger: außer) sich enthält. Allerdings handelt es sich vergleichsweise um ein zusätzliches Merkmal nur innerhalb der methodologischen Begriffsentwicklung zu intensiver Deutlichkeit des Rechtsbegriffs, wohingegen die Verhältnisse in der ursprünglich synthetischen Begriffsvorstellung des rechtlichen Zustandes umgekehrt liegen. Aus dieser ursprünglich synthetischen Begriffsvorstellung heraus lässt sich nämlich, und zwar durch gedankliche Abstraktion von dieser rechtlich allgemein und synthetisch bestimmenden Merkmalsvorstellung im äußeren Verhältnis, die bloße Naturzustandsvorstellung der menschlichen Rechtssubjekte im äußeren Verhältnis völlig rein denken, und zwar so, wie es zu Beginn der natürlichen Privatrechtslehre geschehen ist.813 An der Gleichordnung der menschlichen Rechtssubjekte im äußeren Verhältnis wird sich durch den Übergang in den rechtlichen Zustand also lediglich die rechtliche Qualität ändern, denn sie wird im rechtlichen Zustand nicht länger durch die Natur, sondern durch das Gesetz bewirkt, eben weil dieses in seiner rechtlichen Bestimmung eine allgemeine Subordination der Privatrechtssubjekte unter einen gesetzlichen Allgemeinwillen als praktisch notwendig vorstellt. Die begriffliche Vorstellung des natürlichen Zustandes ist demnach alleine durch ein im Hinblick auf dieses rechtlich bestimmende Subordinationsverhältnis abstraktes Rechtsdenken begründet und es sollte darum eigentlich ohne weiteres klar sein, dass ein vernünftiges Rechtsdenken bei dieser Abstraktion nicht stehen bleiben kann, weshalb die begriffliche Vorstellung des natürlichen Zustandes der menschlichen Rechtssubjekte in ihrem äußeren Verhältnis (§§ 1 – 40) auch jeder – eigentumstheoretischen – Verabsolutierung für sich selbst widersteht. Der erste Satzteil des § 41 Abs. 1 S. 1 definiert nun den Begriff des rechtlichen Zustandes gemäß vorstehender Überlegung als ein „Verhältniß der Menschen unter einander“814. Dabei verweist er in der angesprochenen Rechtsbesitzvorstellung interpersonaler Gleichordnung auf das darin gleichursprünglich angelegte Verhältnis gesetzlicher Subordination, in dem die allgemeine Rechtsbestimmung des äußeren Verhältnisses im rechtlichen Zustand gedacht wird, wenn er fortfährt, dass dieses äußere Verhältnis der Menschen untereinander „die Bedingungen enthält, unter 813 814

Siehe dazu bereits oben direkt unter A. noch vor I. RL, AA VI: 305.34-35.

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denen allein jeder seines Rechts t h e i l h a f t i g werden kann“815. Im zweiten Satzteil findet sich sodann mit dem Begriff der öffentlichen Gerechtigkeit eine Erörterung der „Bedingungen“, die für den rechtlichen Zustand ausweislich seines Begriffs als rechtlich bestimmend anzusehen sind, denn diese öffentliche Gerechtigkeit übernimmt als formale und eben darum bestimmende Bedingung die rechtliche Garantie dafür, dass ein jedes Privatrechtssubjekt, das – entgegen den naturzuständlichen Anmaßungen einer privatrechtsspezifischen Interpretation – seines Rechts bis hierher noch nicht teilhaftig ist, desselben nunmehr jedenfalls aber teilhaftig werden kann. Die übrigen Ausführungen des § 41 dienen bloß noch der weiteren Erörterung von Abs. 1 S. 1 sowie des darin gesetzten Bedingungsbegriffs. Im Einzelnen: 1. Der rechtliche Zustand nach dem formalen Prinzip der öffentlichen Gerechtigkeit § 41 Abs. 1 S. 1 führt im Hinblick auf den zuvor definierten rechtlichen Zustand aus, „das formale Princip der Möglichkeit desselben, nach der Idee eines allgemein gesetzgebenden Willens betrachtet, heißt die öffentliche Gerechtigkeit“816. Die nach der Idee eines allgemein gesetzgebenden Willens, und zwar als dem absoluten Rechtssubjekt allen äußeren Rechts der Menschen gedachte öffentliche Gerechtigkeit fungiert demnach als innerlich bestimmende Realbedingung des rechtlichen Zustandes, indem sie nämlich die Bedingungen real in sich enthält, unter denen subordiniert ein jedes Privatrechtssubjekt seines Rechts im interpersonalen Gleichordnungsverhältnis teilhaftig werden kann. Folglich liegt hier eine Realdefinition des reinen praktischen Vernunftbegriffs des rechtlichen Zustandes der freien Willkür menschlicher Rechtssubjekte vor. Innerhalb dieser Realdefinition wird der Begriff der öffentlichen Gerechtigkeit als das bestimmende Formmoment, und das äußere Verhältnis der Menschen untereinander als die bestimmbare Materie gedacht, sodass in diesem begrifflichen Bestimmungsverhältnis insgesamt die rein begriffliche Vorstellung des rechtlichen Zustandes einer gerecht bestimmbaren (nicht notwendig schon gerecht bestimmten) Gesellschaft unter einem gesetzgebenden Allgemeinwillen resultiert.817 Da die subjektiv-rechtliche Teilhaftigkeit eines jeden einzelnen Privatrechtssubjekts am äußeren Rechtsbesitz im interpersonalen Verhältnis begrifflich einen rechtskräftigen (d. h. rechtlich effektiven) Erwerb voraussetzt, dessen Bedingung seiner realen Möglichkeit mit den begrifflichen Einsichten des dritten Hauptstücks in der distributiven Gerechtigkeitsform gelegen ist (§§ 36 – 40), ist mit der Realdefi815

RL, AA VI: 305.34-306.01. RL, AA VI: 306.01-03. 817 Zum Verständnis des ersten Satzes von § 41 Abs. 1 sei auch hier nochmals auf die beiden Reflexionsbegriffe von Form und Materie hingewiesen, die aller Reflexion zugrunde liegen, wobei Materie immer das Bestimmbare überhaupt und Form dessen Bestimmung bedeutet (KrV, A 260 ff./B 316 ff.). 816

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

nition des reinen praktischen Vernunftbegriffs des rechtlichen Zustandes der reine praktische Vernunftbegriff distributiver Gerechtigkeit maßgeblich verknüpft (§ 41 Abs. 1). Dieser Begriff distributiver Gerechtigkeit setzt neben sich aber, wie ebenfalls im dritten Hauptstück bereits gesehen, zugleich den Begriff kommutativer Gerechtigkeit für sich selbst voraus, sodass im weiteren Fortgang zu erwarten ist, dass sich der scheinbare und Wahrheit bloß subkonträre Gegensatz beider im Naturzustand schon provisorisch rechtlich bestimmt gedachten Gerechtigkeitsformen (§ 36) unter dem den rechtlichen Zustand innerlich real bestimmenden Begriff der öffentlichen Gerechtigkeit (§ 41 Abs. 1) zu einer schlüssig vermittelten Begriffseinheit aufhebt. Mit dem Kantischen Begriff des rechtlichen Zustandes wäre dann eine in sich schlüssige Theorie der öffentlichen Gerechtigkeit verknüpft, an der weder eine Interpretation des rechtlichen, noch des natürlichen Zustandes einfach vorbeigehen könnte. Denn da der rechtliche Zustand die äußeren Rechtsbesitzverhältnisse der Privatrechtssubjekte unter der bestimmenden Bedingung dieser öffentlichen Gerechtigkeit vorstellt, die dem natürlichen Zustand der Menschen untereinander wegen der darin begrifflich liegenden Abstraktion von dieser bestimmenden Bedingung gerade noch abgeht, unterscheiden sich beide Zustände nur in ihrer Modalität der rechtlichen Bestimmung des äußeren Rechtsbesitzes, nicht aber auch in der darin bloß provisorisch bzw. sodann peremtorisch rechtlich bestimmt vorzustellenden Privatrechtsmaterie: Während der im natürlichen Zustand der Menschen provisorisch alleine im begrifflichen Hinblick auf einen allgemein gesetzgebenden Willen schon rechtlich bestimmte Rechtsbesitz (§ 15 Abs. 3 i.V.m. § 2 Abs. 1) seiner Modalität nach lediglich die rechtliche Möglichkeit eines äußeren Rechtsbesitzes verheißt, wäre der nach der Idee eines allgemein gesetzgebenden Willens durch die öffentliche Gerechtigkeit im Einzelfall rechtskräftig bestimmte Rechtsbesitz seiner Modalität nach als eine praktische Notwendigkeit anzusehen (§ 41 Abs. 1). Dementsprechend sind sowohl die rechtliche Möglichkeit, als auch die rechtliche Notwendigkeit des äußeren Rechtsbesitzes ursprünglich in der Idee des allgemein gesetzgebenden Willens (§§ 8 Abs. 1 S. 5, 10 Abs. 3, 14 Abs. 2 S. 2, 15 Abs. 3, 16 Abs. 1 S. 2, 41 Abs. 1 S. 1) rein begrifflich aufgehoben, nach dem – als dem absoluten Subjekt alles äußeren Rechts – dann also im rechtlichen Zustand die gesamte öffentliche Gerechtigkeit rechtlich bestimmend in Bezug auf den äußeren Rechtsbesitz gedacht werden muss. Folglich ist eine vollständige Einteilung des Begriffs der öffentlichen Gerechtigkeit, und zwar als das Verhältnis eines allgemein gesetzgebenden Willens zum äußeren Rechtsbesitz der Privatrechtssubjekte im rechtszuständlichen Einzelfall, unter dem Gesichtspunkt der rechtlichen Modalität (Möglichkeit – Wirklichkeit – Notwendigkeit) des Besitzes der Gegenstände möglich. Da innerhalb der natürlichen Privatrechtslehre nach synthetisch-kategorialer Methode an vierter Stelle aber ohnehin die rechtliche Modalität des Habens rein begrifflich verdeutlicht werden muss (s. o.), ist eben diese trichotomische Einteilung des den äußeren Rechtsbesitz im rechtlichen Zustand praktisch bestimmenden Vernunftbegriffs der öffentlichen Gerechtigkeit in Bezug auf die rechtliche Modalität des Besitzes in § 41 Abs. 1 auch

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methodologisch erforderlich, weshalb sie sich in Abs. 1 S. 1 tatsächlich findet: „[…] die öffentliche Gerechtigkeit, welche in Beziehung entweder auf die Möglichkeit, oder Wirklichkeit, oder Nothwendigkeit des Besitzes der Gegenstände (als der Materie der Willkür) nach Gesetzen in die b e s c h ü t z e n d e (iustitia tutatrix), die w e c h s e l s e i t i g e r w e r b e n d e (iustitia commutativa) und die a u s t h e i l e n d e G e r e c h t i g k e i t (iustitia distributiva) eingetheilt werden kann“818. Im Ausgang von einem allgemein gesetzgebenden Willen im bürgerlichen Zustand, der nach der Idee des ursprünglichen Kontrakts (§ 47) als ein durch die einzelnen Rechtssubjekte in ihrem äußeren Verhältnis an sich selbst autonom verfasster Wille gedacht werden muss, sodass sich der begriffliche Verstandesgegensatz zwischen Privatrechts- und Staatsrechtssubjekt vernünftig aufhebt, sind demnach drei modale Momente rechtsgesetzlicher Bestimmung in Bezug auf den äußeren Besitz dieser einzelnen Rechtssubjekte zu denken: a) Gesetzlich beschützende Gerechtigkeit (iustitia tutatrix) Die öffentliche Gerechtigkeit als rechtlich bestimmendes Prinzip der Möglichkeit des rechtlichen Zustandes nach der Idee eines allgemein gesetzgebenden Willens teilt sich in Bezug auf die Möglichkeit des Besitzes der Gegenstände nach öffentlichen Gesetzen zunächst in die gesetzlich beschützende Gerechtigkeit ein. Denn die rechtliche Möglichkeit des Besitzes der Gegenstände nach Gesetzen beruht ur818 RL, AA VI: 306.03-08. – Mit dieser Einteilung des den äußeren Rechtsbesitz im rechtlichen Zustand praktisch bestimmenden Begriffs der öffentlichen Gerechtigkeit (§ 41 Abs. 1 S. 1) lässt sich also die Wirklichkeit des Besitzes der Gegenstände nach der kommutativen Gerechtigkeitsform nur innerhalb, nicht aber außerhalb des rechtlichen Zustandes, d. h. nicht schon im natürlichen Zustand ohne jeden begrifflichen Bezug auf den rechtlichen Zustand rechtlich bestimmt denken. Gleichwohl erhebt sich eben diese (eigentumstheoretische) Behauptung der vom Rechtszustand unabhängigen Wirklichkeit des äußeren Rechtsbesitzes bereits im natürlichen Zustand aus einem empirischen Wortverständnis des Begriffs des provisorischen Besitzes (§ 9 Abs. 1 S. 4). Denn insofern eine privatrechtsspezifische Interpretation dem metaphysischen Begriff des provisorischen Besitzes unzulässiger Weise ein Zeitschema im Denken unterlegt, stellt sie den äußeren Rechtsbesitz nicht bloß rein begrifflich abstrakt, sondern in einer zeitlichen Wirklichkeit und mithin darin auch konkret an sich als wirklich vor, sodass die im Naturzustand alleine rechtbegrifflich bestimmt denkbare Möglichkeit (§§ 2 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 3, 41 Abs. 1 S. 1) eines äußeren Rechtsbesitzes zu einer rechtlichen Wirklichkeit im Interpretenverstand hypostasiert wird, obgleich es an der Realität der Realbedingung eines wirklichen Rechtsbesitzes – d. h. einer öffentlichen Gerechtigkeit – im Naturzustand noch gänzlich fehlt (kritisch dazu schon oben unter A. I. 4. c) aa)). Damit aber dürfte abzusehen sein, dass sich auch die von Immanuel Kant in § 41 Abs. 1 niedergelegte Theorie einer öffentlichen Gerechtigkeit diesem empirischen Verständnishorizont in ihrem metaphysischen Gehalt verschließt; schlechterdings darum, weil es einem solchen empirischen Worthorizont an einem rein begrifflichen Verständnishorizont fehlt. So würde dann auch die Schlussfolgerung sehr vorhersehbar auf Widerspruch des privatrechtsspezifischen Verstandes stoßen, dass es im Naturzustand gar keine wirkliche Gerechtigkeit gibt und auch nicht geben kann (siehe auch Köhler, ARSP 79 [1993], S. 457 [463]), obgleich der natürliche Zustand der Menschen im äußeren Verhältnis unter dem allgemeinen Rechtsbegriff darum noch nicht als ein Zustand der Ungerechtigkeit zu kennzeichnen ist (vgl. §§ 41 Abs. 2, 44 Abs. 2).

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sprünglich auf der Idee eines allgemein gesetzgebenden Willens, wie in der rein begrifflichen Entwicklung des natürlichen Privatrechts deutlich geworden sein sollte (§§ 8 Abs. 1 S. 5, 10 Abs. 3, 14 Abs. 2 S. 2, 15 Abs. 3, 16 Abs. 1 S. 2, etc.). Demnach wird durch einen autonomen Gesetzgebungsakt die rechtliche Möglichkeit eines äußeren Rechtsbesitzes der Privatrechtssubjekte, so wie sie bereits im natürlichen Zustand im Hinblick auf diesen gesetzgebenden Allgemeinwillen im bürgerlichen Zustand gedacht werden musste, gesetzlich beschützt. Diese rechtliche Möglichkeit eines äußeren Rechtsbesitzes der Privatrechtssubjekte als Schutzgegenstand der gesetzlichen Bestimmung, wie er analytisch im Begriff der gesetzlich beschützenden Gerechtigkeit gelegen ist, setzt aber neben dem angeborenen Recht der Freiheit als Unabhängigkeit von fremder Willkür, wie bereits (§ 10) gesehen, noch eine über die Sphäre des angeborenen Rechts der Freiheit positiv hinausgehende Erwerbshandlung des Privatrechtssubjekts voraus, sodass sich der gesetzliche Schutz der rechtlichen Möglichkeit eines äußeren Rechtsbesitzes auf die rechtliche Ermöglichung solcher privatautonomer Erwerbshandlungen im äußeren Verhältnis der Privatrechtssubjekte bezieht.819 Der gesetzliche Schutz muss demnach in einer öffentlich gesetzlichen Anerkennung der privatautonomen Selbstständigkeit der einzelnen Rechtssubjekte bestehen (vgl. auch § 46). Ein öffentliches Gesetz der beschützenden Gerechtigkeit schreibt den Privatrechtssubjekten folglich nicht einzelne Handlungen – etwa nach einem von ihm willkürlich gefassten Glückseligkeitskonzept – materiell und heteronom übergriffig vor, sondern es überlässt die materiale Handlungsbestimmung innerhalb des Rahmens der allgemeinen Freiheit der freien Willkür der einzelnen Privatrechtssubjekte: „Das Gesetz sagt hiebei e r s t e n s bloß, welches Verhalten innerlich der Form nach r e c h t ist (lex iusti); […].“820 Die beschützende Gerechtigkeit insistiert gegenüber dem Privatrechtssubjekt somit lediglich auf einem rechtsförmigen Handeln überhaupt und geht diesem gegenüber insofern materiell nicht über den Gehalt des allgemeinen Rechtsgesetzes (§ C Abs. 4) hinaus. Mit dieser Exposition des Begriffsgehaltes dürfte sich der Begriff der beschützenden Gerechtigkeit, unter dem Gesichtspunkt des privatautonomen Verhältnisses des angeborenen Rechts der Freiheit zu den tätig zu erwerbenden Rechten eines Privatrechtssubjekts, in ein negativ-bewahrendes sowie ein positiv-erweiterndes Moment verständig einteilen, sodass eine rein abwehrrechtlich fokussierte Rekonstruktion der beschützenden Gerechtigkeit ihrem gesetzlichen Gehalt in der Kantischen Gerechtigkeitstheorie noch nicht vollständig gerecht werden sollte.821 In dem autonomen Gesetzgebungsakt der gesetzlich beschützenden Gerechtigkeit liegt nämlich nach der Idee gesetzlicher Erwerbung zugleich die mit absoluter Rechts819

Siehe zu den notwendigen Momenten des Begriffs der Privatautonomie auch schon oben unter B. II. im sechsten Kapitel. 820 RL, AA VI: 306.08-09. 821 Siehe dafür in der Tendenz aber noch Köhler, ARSP 79 (1993), S. 457 (463 f.); ders., in: Casper/u. a. (Hrsg.): FS Köndgen (2016), S. 353 (361 f.).

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wirkung überhaupt ausgestattete Verfügung aller möglichen Rechtssubjekte über ihre eigene Person sowie über alle möglichen äußeren Besitzgegenstände. Denn der autonome Gesetzgebungsakt aktualisiert in seiner gesetzlichen Form gleichursprünglich einesteils den absoluten Selbstbesitz der freien Willkür auch im äußeren Verhältnis nach der öffentlich-rechtlichen Rechtsbesitzform des dinglich-persönlichen Rechts,822 und dadurch anderenteils die rechtliche Möglichkeit eines vom Obereigentum des Souveräns gerecht abgeleiteten Eigentumserwerbs.823 Ein autonomer Gesetzgebungsakt enthält insofern in seiner gesetzlichen Form die rechtliche Möglichkeit einer distributiv teilhabegerechten Auflösung des mit der ursprünglichen Erwerbung gedanklich anhebenden Rechtsproblems einer gerechten Division des Erdbodens sowie der Gegenstände auf ihm in sich.824 b) Gesetzlich garantierte Vertragsgerechtigkeit (iustitia commutativa) Die öffentliche Gerechtigkeit als rechtlich bestimmendes Prinzip der Möglichkeit des rechtlichen Zustandes nach der Idee eines allgemein gesetzgebenden Willens teilt sich in Bezug auf die Wirklichkeit des Besitzes der Gegenstände nach öffentlichen Gesetzen sodann in die gesetzlich garantierte und durch Vertrag wechselseitig erwerbende Gerechtigkeit ein. Denn unter öffentlichen Gesetzen beruht die Wirklichkeit des äußeren Rechtsbesitzes auf den nach willkürlichem Gutdünken im Rahmen des allgemeinen Rechtsgesetzes (§ C Abs. 4) privatautonom vorgenommenen Rechtsbesitzerwerbshandlungen (§ 10) der Privatrechtsubjekte, deren rechtliche Form der Vertrag ist (§§ 18 ff.), weil darin ein gemeinsamer Wille der Privatrechtssubjekte im äußeren Verhältnis mit Blick auf die betreffenden Besitzgegenstände tatsächlich besteht. Die materielle Gerechtigkeit des privatrechtlichen Besitzerwerbs ist damit durch das öffentliche Gesetz der willkürlichen Beurteilung der vertragschließenden Privatrechtssubjekte anheim gegeben, sodass dieses öf822 Vgl. dafür diejenigen Textstellen, darin sich die gesetzgebende Gewalt als Besitz oder als ein allerpersönlichstes Recht angesprochen findet, etwa RL, AA VI: 342.05-06; 371.16-23. 823 Vgl. dafür etwa die folgenden Textstellen RL, AA VI: 323.21 ff; 341.15-18; 372.26-29; siehe im Übrigen die Auseinandersetzung der Kantischen Okkupationstheorie oben unter II. 824 Innerhalb der beschützenden Gerechtigkeitsform dürfte somit im Rahmen des Kantischen Begriffs der öffentlichen Gerechtigkeit (§ 41 Abs. 1) das von Michael Köhler in einer Vielzahl von Publikationen in der Sache wohl zu Recht, begrifflich allerdings noch aus der Warte eines privatrechtsspezifischen Rechtsdenkens („Recht auf ursprünglichen Erwerb“) stark gemachte Moment einer ursprünglichen Dimension der austeilenden Gerechtigkeit als Teilhabegerechtigkeit zu verorten sein. Siehe dazu Köhler, ARSP 79 (1993), S. 457 ff.; ders., Rechtstheorie 27 (1995), S. 387 ff.; ders., in: Immenga (Hrsg.): FS Mestmäcker (1996), S. 211 ff.; ders., in: Zaczyk/Köhler/Kahlo (Hrsg.): FS E.A. Wolff (1998), S. 247 ff.; ders., in: Landwehr (Hrsg.): Freiheit, Gleichheit, Selbstständigkeit (1999), S. 103 ff.; ders., in: Schmücker/Steinvorth (Hrsg.): Gerechtigkeit und Politik (2002), S. 25 ff.; ders., in: Klesczewski/Müller/Neuhaus (Hrsg.): Die Idee des Sozialstaates (2006), S. 19 ff.; ders., in: Engel/ Möschel (Hrsg.): Recht und spontane Ordnung (2006), S. 315 ff.; ders., in: Casper/u. a. (Hrsg.): FS Köndgen (2016), S. 353 ff. – Neuerdings umfassend Köhler, Recht und Gerechtigkeit (2017).

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fentliche Gesetz in Bezug auf die Wirklichkeit des äußeren Rechtsbesitzes spezifisch lediglich die rechtlichen Bedingungen der Möglichkeit eines wechselseitig gerechten Erwerbs durch Vertrag garantiert. Wenn nämlich die Privatrechtssubjekte bereits durch ihren bloßen Rechtsbegriff unter dem allgemeinen Rechtsgesetz zu beurteilen in der Lage sind, ob eine äußere Handlung materiell an sich recht oder unrecht ist, wie im dritten Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre zu konzedieren war, dann kann sich das öffentliche Gesetz in seiner gesetzlichen Bestimmung mit Blick auf die Wirklichkeit des äußeren Rechtsbesitzes materiell nicht unmittelbar, sondern allenfalls vermittelst der staatlichen Organe mittelbar an die einzelnen Privatrechtssubjekte richten. Insofern hatte Immanuel Kant bereits in den §§ 36 Abs. 4, 39 Abs. 7 herauszustellen für nötig befunden, dass die öffentlichen Gesetze als staatliche Zurechnungsbestimmungen sich in ihrer materiellen Bestimmung unmittelbar lediglich an die staatlichen Organe, und besonders an den staatlichen Gerichtshof wenden. An diesem eindeutigen Textbefund ändert sich dann auch mit dem Begriff der öffentlichen Gerechtigkeit in § 41 Abs. 1 nichts. Denn im Hinblick auf die kommutative Gerechtigkeitsform sagt das öffentliche Gesetz, „was als Materie noch auch äußerlich gesetzfähig, d. i. dessen Besitzstand r e c h t l i c h ist (lex iuridica)“, während es mit Blick auf die distributive Gerechtigkeitsform bestimmt, „was und wovon der Ausspruch vor einem Gerichtshofe in einem besonderen Falle unter dem gegebenen Gesetze diesem gemäß, d. i. R e c h t e n s ist (lex iustitiae)“.825 Würde sich das öffentliche Gesetz dagegen in seiner materiellen Bestimmung unmittelbar an das einzelne Privatrechtssubjekt wenden, so würde die Freiheit seiner Willkür im äußeren Verhältnis durch einen solchen Gesetzesdespotismus darin gründlich vertilgt.826 Für das Privatrechtssubjekt bestimmt sich also anhand der gesetzlichen Form des öffentlichen Gesetzes mittelbar auch, welche materiellen Zwecksetzungen seiner freien Willkür in äußeren Erwerbshandlungen allgemeingesetzlich mit der Freiheit von seinesgleichen bestehen können, d. h. welcher durch äußere Erwerbshandlungen zu wirkende Besitzstand gesetzfähig ist.827 825

RL, AA VI: 306.08-13. In der ursprünglichen Einheit des öffentlichen Gesetzes ist aller Gegensatz zwischen Staatsrechts- und Privatrechtssubjekt aufgehoben, denn das Staatsrechtssubjekt wird nach der Idee des ursprünglichen Vertrages (§ 47) durch die allseitige Vereinigung der Privatrechtssubjekte konstituiert gedacht. Wenn diese ursprüngliche Einheit von Privatrechts- und Staatsrechtssubjekt im Begriff des Gesetzes jedoch in Bezug auf den privaten Rechtsbesitz der Privatrechtssubjekte in ihrem äußeren Verhältnis begrifflich eingeteilt werden soll (wie in § 41 Abs. 1), dann schlägt sich diese ursprüngliche Einheit begrifflich in ihre schlüssig zueinander gehörigen Glieder auseinander, und dann tritt unter dem Gesichtspunkt der Wirklichkeit des gesetzlich garantierten Privatbesitzes zugleich auch das Privatrechtssubjekt wieder in einen begrifflichen Gegensatz zum Staatsrechtssubjekt, sodass zwischen beiden Rechtssubjekten als möglichen Gesetzesadressaten in der Art und Weise der gesetzlichen Adressierung zu differenzieren ist, und zwar dergestalt, dass die Autonomie des Staatsrechtssubjekts nicht diejenige des Privatrechtssubjekts negiert. 827 Das Wort „gesetzfähig“ (RL, AA VI: 306.10) muss mit dieser Interpretation nicht durch das Wort „gesetzmäßig“ ersetzt werden. Siehe dafür aber beispielsweise Geismann, Kant und 826

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Auf diese Weise besorgen die Privatrechtssubjekte das mit dem metaphysischen Gedanken des ursprünglichen Bodenerwerbs (§§ 11 – 17) in ihrem äußeren Verhältnis beginnende Divisionsproblem zunächst – nämlich bis zu einem gegebenenfalls auftretenden Rechtskonflikt – auf privatautonome Weise nach der kommutativen Gerechtigkeitsform. Dabei beruht die staatsrechtliche Kompetenz zur rechtlichen Garantie der entsprechenden Bedingungen einer wechselseitig erwerbenden Gerechtigkeit im äußeren Verhältnis auf der mit dem Gedanken der Bodenbemächtigung verbundenen Idee des Obereigentums des Souveräns. Denn aus dieser praktischen Idee resultiert unter anderem die staatsrechtliche Befugnis des Rechts der Polizei,828 nach dem ein durch Verordnungen829 geordneter Markt als Forum der Tauschgerechtigkeit gesetzlich zu gewährleisten ist.830 Unvereinbar mit dieser spezifischen Funktion des öffentlichen Gesetzes im Hinblick auf die gerecht auszugestaltende Wirklichkeit des äußeren Rechtsbesitzes ist dann der Gedanke einer durch allgemeine Gesetze materiell zu besorgenden Verteilungsgerechtigkeit im Staat. Denn hiernach wäre in den öffentlichen Gesetzen eine Wohlfahrts- und mithin Glückseligkeitsveranstaltung angelegt, die alle Autonomie der Privatrechtssubjekte im äußeren Verhältnis aufheben würde (vgl. § 49 Abs. 4), weil solche öffentlichen Gesetze die Privatrechtssubjekte in ihrer willkürlichen Bestimmung materiell eben nicht frei lassen würden. Allerdings muss sich ein solches materielles Missverständnis des Begriffs der öffentlichen Gerechtigkeit mit der auf einem empirischen Wortverstand des Begriffs des provisorischen Besitzes beruhenden Existenzbehauptung subjektiver äußerer Rechte im Naturzustand ebenfalls notwendig einstellen. Denn wenn die spezifische Aufgabe des Staates – mit einer eigentumstheoretischen bzw. lockesianisierenden Interpretation – darin gesetzt sein soll, die naturzuständlich in ihrer vermeintlichen rechtlichen Wirklichkeit bereits vorgefundenen Privatrechtsverhältnisse gleichsam nachträglich nur noch effektiv zu sichern, dann kann der Staat in seiner dienend (nicht: autonom) vorgestellten staatsrechtlichen Funktion gar nicht anders, als diese vermeinten subjektiven Naturrechte in seiner Handlungsform tätig anzuerkennen, und mithin eine material entsprechend konservierende Rechtsordnung in öffentlichen Gesetzen zu erlassen, womit jedoch bereits alle rechtliche Selbstständigkeit

kein Ende III (2012), S. 66 Fn. 122. Vgl. zu einer weiteren Interpretation des Wortes „gesetzfähig“ auch Byrd/Hruschka, ARSP 91 (2005), S. 484 (492). 828 RL, AA VI: 325.18-24. 829 RL, AA VI: 316.24-29. 830 RL, AA VI: 301.19-21, 302.35-303.02. – Zutreffender Hinweis hierauf etwa bei Hruschka, in: ders.: Kant und der Rechtsstaat (2015), S. 13 (30 ff.). Es geht darum übrigens auch der etwa von Haensel, Kants Lehre vom Widerstandsrecht (1926), S. 5 oder Lisser, Der Begriff des Rechts bei Kant (1922), S. 5, 14 an Kant gerichtete Vorwurf fehl, das Gebiet der Wirtschaft falle für ihn aus dem praktischen Zusammenhang völlig heraus.

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(d. h. Autonomie) der Privatrechtssubjekte in ihren äußeren Besitzverhältnissen gründlich negiert wird.831 c) Gesetzlich austeilende Gerechtigkeit durch rechtskräftiges Urteil (iustitia distributiva) Bis hierher (§ 41 Abs. 1 S. 1) stehen die gesetzlich beschützende sowie die wechselseitig erwerbende Gerechtigkeitsform unter dem Begriff der öffentlichen Gerechtigkeit noch in einem unaufgehobenen Verstandesgegensatz zueinander. Denn die gesetzlich beschützende Gerechtigkeit ist selbst nicht wechselseitig erwerbende Gerechtigkeit und diese ist selbst wiederum nicht als jene bestimmt. So ist also mit diesem Verstandesgegensatz beider Gerechtigkeitsformen zwar ein äußerer Rechtsbesitz im Allgemeinen durch Gesetze rechtlich möglich und im Besonderen durch vertraglichen Austausch auch rechtlich wirklich, allerdings noch nicht in jedem Einzelfall auch rechtlich notwendig bestimmt denkbar, weil es in diesem bloßen Gegensatz an einer im Konfliktfall der Vertragsparteien in ihrem äußeren Vertragsverhältnis nach Gesetzen notwendig mit Rechtskraft urteilenden Gerechtigkeitsform noch fehlt. Die durch Vertrag wechselseitig erwerbende Gerechtigkeitsform wird aber im Einzelfall mit der begrifflich-praktischen Notwendigkeit des Prinzips der beschützenden Gerechtigkeit im Begriff der distributiven Gerechtigkeit vorgestellt, weil unter dieser Gerechtigkeitsform das im Einzelfall (Urteil) rechtskräftig bestimmende Verhältnis des allgemein gesetzgebenden Willens zu den am Rechtsbesitzerwerb beteiligten Privatrechtssubjekten gedacht wird (vgl. auch schon §§ 36-40). Die öffentliche Gerechtigkeit als rechtlich bestimmendes Prinzip der Möglichkeit des rechtlichen Zustandes nach der Idee eines allgemein gesetzgebenden Willens teilt sich in Bezug auf die Notwendigkeit des Besitzes der Gegenstände nach öffentlichen Gesetzen schließlich also noch in die unter Gesetzen rechtskräftig (d. h. rechtlich effektiv) austeilende Gerechtigkeit ein (§ 41 Abs. 1 S. 1). Dabei enthalten die öffentlichen Gesetze – als materielle Handlungsregeln – insofern die im staatlichen Gewaltengefüge an öffentliche Gerichte adressierten Zurechnungsbestimmungen in sich, nach denen ein Rechtsbesitzerwerbsfall im äußeren Verhältnis der Privat831 Dass aus der eigentumstheoretischen Behauptung eines vorstaatlich-materiellen Eigentumsrechts ein materielles Gerechtigkeitsproblem resultiert, das sodann im Staat wiederum materiell aufzulösen ist, sieht beispielsweise ganz zutreffend Langer, Reform nach Prinzipien (1986), S. 158 ff. (167)/168 ff., die den eigentumstheoretisch herbeiinterpretierten Gesetzesdespotismus, den sie begrifflich als eine „rechtsverändernde Funktion“ des Gesetzgebers einführt, als „sozialen Beruf“ (170) desselben zu kaschieren sucht, wobei die praktische Idee des den abgeleiteten Privatrechtsbesitz ermöglichenden Obereigentums des Souveräns – begrifflich nur konsequent – zu einem „Enteignungsrecht“ (174) verkommt. Hierin besteht für Langer dann das „sozial gerechte“ Programm einer „Reform nach Prinzipien“, und zwar als einer „Reform von oben“ (176), die die Kantische Gerechtigkeitstheorie auf eine Theorie des vertraglichen Konsenses (189) der empirisch reduziert vorgestellten Rechtssubjekte zurücksetzt.

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rechtssubjekte rechtskräftig beurteilt werden soll (§ 41 Abs. 1 S. 2).832 – Zur weiteren Kennzeichnung der distributiven Gerechtigkeitsform, vor allem in ihrem Verhältnis zur kommutativen Gerechtigkeitsform im interpersonalen Privatrechtsverkehr, kann hier auf die entsprechenden Ausführungen zum dritten Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre verwiesen werden.833 Ist im Verhältnis der Menschen untereinander nach dieser begrifflichen Einteilung also eine distributive Gerechtigkeit durch öffentliche Gerichtshöfe da, dann muss zugleich auch das gesamte rechtliche Bedingungsgefüge einer öffentlichen Gerechtigkeit da sein, sodass die „Bedingungen“ eines rechtlichen Zustandes Realität haben, nach denen jeder seines Rechts im äußeren Verhältnis teilhaftig werden kann (§ 41 Abs. 1 S. 1). In diesem Sinne ist die distributive Gerechtigkeitsform als hinreichendes Begriffsmerkmal des rechtlichen Zustandes anzusehen, weshalb „man denn auch jenen Gerichtshof selbst die G e r e c h t i g k e i t eines Landes nennt, und, ob eine solche sei oder nicht sei, als die wichtigste unter allen rechtlichen Angelegenheiten gefragt werden kann“834. 2. Der rechtliche Zustand als Gerechtigkeitszustand bürgerlicher Gesellschaft Besteht das begrifflich hinreichende Kriterium für einen rechtlichen Zustand nach der bisherigen begrifflichen Entwicklung des natürlichen Privatrechts im Vorstellungsmerkmal der distributiven Gerechtigkeit, dann lässt sich der rechtliche Zustand über dieses Vorstellungsmerkmal vom nicht-rechtlichen und mithin vom natürlichen Zustand hinreichend unterscheiden: „Der nicht-rechtliche Zustand, d. i. derjenige, in welchem keine austheilende Gerechtigkeit ist, heißt der natürliche Zustand (status naturalis).“835 Der nach dem Widerspruch im Verstandesgegensatz zum rechtlichen Zustand begriffene natürliche Zustand enthält also im verständigen Vergleich lediglich eine abstrakte Rechtsvorstellung, und zwar derart abstrakt, dass alle im 832

Siehe schon oben Fn. 825. Die eigentliche Gerechtigkeitsdimension der nach öffentlichen Gesetzen austeilenden und somit rechtskräftig zurechnenden Gerechtigkeitsform (iustitia distributiva) liegt mit der Begriffsbildung Immanuel Kants also auf Seiten der Rechtserwerbsfolgen begründet. Die mit dem Totalitätsproblem des ursprünglichen Bodenerwerbs (§§ 11 – 17) im Grunde anhebende Sachdimension ursprünglicher Erwerbsgerechtigkeit, wie sie Köhler, ARSP 79 (1993), S. 457 (467 ff./475 ff.) für den Begriff der austeilenden Gerechtigkeit dagegen betont, liegt unter dem Kantischen Begriff der öffentlichen Gerechtigkeit – vermittelt durch den Vernunftbegriff des ursprünglichen Kontrakts (§ 47) – schon in der beschützenden Gerechtigkeit, die Köhler (oben Fn. 821) mit seinem privatrechtsspezifischen Vorverständnis allerdings auf eine bloß ausgleichende Gerechtigkeit reduziert, weil er in seiner begrifflichen Vorstellung der austeilenden Gerechtigkeit zu der Existenzannahme vorpositiver und mithin vorstaatlicher (d. h. naturzuständlicher) Grundrechte des Privatrechtssubjekts mit Blick auf den Gegenstandsbesitz im Staat tendiert (a.a.O., S. 475 ff.). 834 RL, AA VI: 306.13-16. 835 RL, AA 306.17-18. 833

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natürlichen Zustand rein rechtsbegrifflich bereits bestimmten Rechtsbegriffe den Begriff des rechtlichen Zustandes für ihre eigene konkrete Bestimmung provisorisch voraussetzen. Ohne diese rein begriffliche Voraussetzung würden sich im natürlichen Zustand dagegen gar keine äußeren Rechte rechtsbegrifflich bestimmt denken lassen, weshalb sich vom natürlichen Zustand auch keine positive rechtsbegriffliche Definition, sondern lediglich die in § 41 Abs. 2 S. 1 gegebene negative Definition geben lässt. Wollte man den rechtlichen Zustand gedanklich gegen den natürlichen Zustand vermittelst des Begriffs der „ G e s e l l s c h a f t “836 absetzen (§ 41 Abs. 2 S. 2), dann müsste für den rechtlichen Zustand begrifflich diejenige Gesellschaftsform als exklusives Kriterium angeführt werden, die spezifisch lediglich durch die distributive Gerechtigkeitsform real möglich ist: Denn da eine Gesellschaft bekanntlich nichts anderes als eine Vereinigung einzelner Rechtssubjekte zu einem gemeinsamen Zweck in ihrem äußeren Verhältnis vorstellt, und materiale Zwecksetzungen der freien Willkürsubjekte unter dem allgemeinen Rechtsgesetz (§ C Abs. 4) mit dem rechtlichen Postulat der praktischen Vernunft (§ 2 Abs. 1) bereits im natürlichen Zustand rechtlich möglich sind, kann es alle möglichen material zweckbestimmten Gesellschaften rein begrifflich bereits im natürlichen Zustand mit Blick auf den rechtlichen Zustand geben. Insofern handelt es sich bei dem noch nicht näher spezifizierten Begriff der Gesellschaft nicht um einen exklusiv abgrenzenden, sondern um einen allgemein verbindenden Begriff im Verhältnis von natürlichem und rechtlichem Zustand.837 Soll der Begriff der Gesellschaft gleichwohl zum Abgrenzungskriterium dienen, dann muss er in seiner Bezeichnung eben auf diejenige Gesellschaftsform eingeschränkt werden, die sich von allen material zweckbestimmten und bereits im Naturzustand rechtlich möglichen Gesellschaften so wesentlich unterscheidet, dass sie alleine im rechtlichen Zustand rechtlich möglich ist. Da der Zweck dieser Gesellschaft folglich kein material bestimmter Zweck sein kann, bleibt nur noch, dass er formal bestimmt und dadurch für ein jedes Rechtssubjekt nicht bloß rechtlich möglich, sondern rechtlich notwendig ist. Diese rechtlich notwendige Gesellschaft einzelner Rechtssubjekte müsste also das Recht bzw. das Rechtsgesetz selbst zum Zweck ihrer Vereinigung haben, sodass der rechtliche Zustand als ein solcher zu definieren wäre, in dem es eine rechtlich notwendige Gesellschaft menschlicher Rechtssubjekte gibt, die das Recht der Menschen in ihren äußeren Verhältnissen selbst zu ihrem Zweck hat. Nun besteht im Recht eine im äußeren Verhältnis mit praktischer Notwendigkeit gemeinschaftlich verbindende Vorstellung der Menschen überhaupt (§§ B Abs. 3, C Abs. 4), sodass die praktisch-notwendige Gesellschaft der Menschen ihre rechtliche Gemeinschaft im äußeren Verhältnis überhaupt zum Zweck 836

RL, AA VI: 306.19. Dementsprechend gibt es für Kant auch keinen spezifischen gesellschaftlichen Zustand neben dem natürlichen und dem rechtlichen Zustand; vgl. dazu auch Byrd/Hruschka, ARSP 91 (2005), S. 484 (486 ff.). 837

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ihrer gesellschaftlichen Vereinigung hat. Da eine Zwecksetzung aber nichts anderes als eine Willensbestimmung ist, besteht der Zweck der praktisch-notwendigen Gesellschaft der Menschen in ihrem äußeren Verhältnis in einer gemeinschaftlichen Willensbestimmung, durch die sie sich selbst praktisch notwendig bestimmt, sodass hier die Rede von der gesellschaftlichen Vereinigung zu einem praktisch notwendig bestimmenden Allgemeinwillen zwecks ihrer eigenen Bestimmung ist, und die folglich nichts anderes als Selbstbestimmung (Autonomie) im äußeren Verhältnis bedeutet. Weil eine solche praktisch-notwendige Vereinigung zu einem Allgemeinwillen aber Staat (civitas) heißt, handelt es sich bei der in ihm mit seiner rechtlichen Zweckbestimmung unter ihm möglichen Gesellschaft um eine solche von Staatsbürgern (cives), d. h. um eine bürgerliche Gesellschaft (societas civilis), sodass der rechtliche Zustand demnach auch als der einer bürgerlichen Gesellschaft zu kennzeichnen wäre, wollte man ihn über den Gesellschaftsbegriff definieren. Verknüpft man diese gesellschaftsbegriffliche Definition überdies mit der gerechtigkeitsbegrifflichen Definition des rechtlichen Zustandes (§ 41 Abs. 1 S. 1), so ist dem natürlichen Zustand der „ b ü r g e r l i c h e (status civilis) einer unter einer distributiven Gerechtigkeit stehenden Gesellschaft entgegen gesetzt“838. Weil die bürgerliche Gesellschaft also die Verwirklichung der Form des allgemeinen Rechtsgesetzes bzw. des Rechts der Menschen im äußeren Verhältnis zu ihrem sie praktisch-notwendig bestimmenden Zweck hat, ist sie selbst durch das allgemeine Rechtsgesetz (§ C Abs. 4) als praktisch-notwendig bestimmt. In diesem Sinne ist es unter dem allgemeinen Rechtsgesetz ein in seiner praktischen Notwendigkeit unmittelbar bewusstes Gesetz (d. h. Postulat) des natürlichen Rechts, in den bürgerlichen Zustand zu treten, wohingegen von den material bestimmten Gesellschaften im natürlichen Zustand kein solches Gesetz gilt, da sie im äußeren Verhältnis der Menschen allesamt nicht unmittelbar rechtlich notwendig, sondern lediglich rechtlich möglich sind: „[…] denn es kann auch im Naturzustande rechtmäßige Gesellschaften (z. B. eheliche, väterliche, häusliche überhaupt und andere beliebige mehr) geben, von denen kein Gesetz a priori gilt: ”Du sollst in diesen Zustand treten”, wie es wohl vom r e c h t l i c h e n Zustande gesagt werden kann, daß alle Menschen, die mit einander (auch unwillkürlich) in Rechtsverhältnisse kommen können, in diesen Zustand treten s o l l e n .“839 Es ist demnach insbesondere die Schaffung von Eigentumsverhältnissen kein kategorischer Imperativ des Naturrechts, denn die materiale Zwecksetzung der Schaffung von äußeren Besitzverhältnissen ist im natürlichen Zustand zwar rechtlich möglich, sie ist aber nicht – wie hingegen die Schaffung einer bürgerlichen Gesellschaft – unmittelbar auch an sich selbst schon praktisch-notwendig. Aus diesem Grund muss eine eigentumstheoretische Interpretation des Verhältnisses von natürlichem und rechtlichem Zustand in diesem Zusammenhang zugleich den Kanti-

838 839

RL, AA VI: 306.17-22. RL, AA VI: 306.22-28.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

schen Gesellschaftsbegriff gründlich verfehlen.840 Denn eine bürgerliche Gesellschaft im Staat lässt sich nicht als eine Eigentümergesellschaft begreifen, da diese mit ihrer materialen Zweckbestimmung, Eigentumsverhältnisse zu schaffen und zu schützen, bereits im Naturzustand als rechtlich möglich denkbar ist, und folglich nicht als exklusives Kennzeichen des rechtlichen Zustandes gelten kann.841 Wenn der Staat bürgerlicher Gesellschaft nach der eigentumstheoretischen Interpretation aber gleichwohl nur zum Schutz des Eigentums praktisch notwendig sein soll, dann liegt darin seine Herabwürdigung zu einer bloßen Eigentümergesellschaft und zugleich eine fundamentale Verkennung der durch ihn in ihm möglichen Selbstbestimmung der Privatrechtssubjekte in ihrem äußeren Verhältnis. Denn diese sind selbstständige Bürger eines staatlichen Gemeinwesens nicht darum, weil sie die Schaffung und Bewahrung ihrer Eigentumsverhältnisse, sondern darum, weil sie die Verwirklichung des Rechts im äußeren Verhältnis der Menschen überhaupt zu ihrem gesellschaftlichen Zweck in äußeren Handlungen haben. 3. Einheit und Differenz des äußeren Rechts im natürlichen und im rechtlichen Zustand Der natürliche Zustand der Menschen untereinander lässt sich im Hinblick auf den Rechtszustand schon provisorisch rechtlich bestimmt als ein Zustand des „ P r i v a t r e c h t s “ begreifen, wohingegen der rechtliche Zustand der Menschen untereinander mit dem darin äußerlich gesetzgebenden und mithin rechtsgesetzlich bestimmenden Allgemeinwillen spezifisch ein Zustand des „ ö f f e n t l i c h e n R e c h t s “ ist (§ 41 Abs. 3 S. 1).842 Allerdings wird das im natürlichen Zustand mit Blick auf den rechtlichen Zustand provisorisch schon rechtlich bestimmt gedachte Privatrecht im rechtlichen Zustand des öffentlichen Rechts nicht negiert, sondern mit dem darin gesetzlich bestimmenden Allgemeinwillen erst gründlich verwirklicht. Die Privatrechtsmaterie im äußeren Verhältnis der Menschen untereinander ist folglich in beiden Zuständen ein und ebendieselbe, wobei sie im natürlichen Zustand modal nur als rechtlich möglich, und im rechtlichen Zustand als rechtlich wirklich gedacht wird (§ 41 Abs. 3 S. 2). Mit dem Übergang vom natürlichen in den rechtlichen Zustand ist demnach keine Vermehrung oder Verminderung privatrechtlicher Rechte oder Pflichten im interpersonalen Gleichordnungsverhältnis verbunden: 840 Siehe kritisch zur eigentumstheoretischen Interpretation des Verhältnisses von natürlichem und rechtlichen Zustand bereits oben unter A. I. 4. c) cc) m.w.N. zu den Vertretern dieser Lesart. 841 So beruht beispielsweise die eigentumstheoretische Interpretation der Rechtslehre Immanuel Kants durch Richard Saage, Eigentum, Staat und Gesellschaft bei Immanuel Kant 2 (1994 ), S. 43, 73, 90 ganz maßgeblich auf der Verkennung dieses Zusammenhangs. Denn nach seiner besitzindividualistischen Auffassung ist der Naturzustand mit dem darin von ihm bereits als wirklich vermeinten Eigentum schon selbst ein Gesellschaftszustand der besitzindividualistischen Eigentümer, sodass sich der Staat (der Besitzindividualisten) nur reaktiv auf (diese natürliche) Gesellschaft beziehen könne. 842 RL, AA VI: 306.29-30.

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„Dieses enthält nicht mehr oder andere Pflichten der Menschen unter sich, als in jenem gedacht werden können; die Materie des Privatrechts ist eben dieselbe in beiden.“843 Die Differenz des natürlichen Zustandes des Privatrechts vom rechtlichen Zustande des öffentlichen Rechts betrifft nämlich an und für sich selbst nicht das interpersonale Gleichordnungsverhältnis, sondern nur das innergemeinschaftliche Subordinationsverhältnis, dadurch sich die Gesellschaft der Privatrechtssubjekte unter einem gesetzgebenden Allgemeinwillen im äußeren Verhältnis rechtlich zu einer bürgerlich verfassten Gesellschaft formt (§ 41 Abs. 3 S. 3): „Die Gesetze des letzteren betreffen also nur die rechtliche Form ihres Beisammenseins (Verfassung), in Ansehung deren diese Gesetze nothwendig als öffentliche gedacht werden müssen.“844 Der ununterbrochene Zusammenhang der gleichbleibenden Privatrechtsmaterie in beiden durch die Form des öffentlichen Rechts spezifisch voneinander unterschiedenen Zuständen wird dabei durch den beide Zustände gemeinsam verbindenden Begriff der Gesellschaft gewährleistet. Denn die Privatrechtsmaterie des natürlichen Privatrechts wird im öffentlichen Recht im Verhältnis der bürgerlichen Gesellschaft gleichgeordneter Privatrechtssubjekte vorgestellt, während das natürliche Privatrecht nach seiner rechtsbegrifflichen Vorstellung zugleich alle material möglichen Gesellschaften im Verhältnis der Menschen zueinander in sich enthält. Auf diese Weise lässt sich nicht nur das Privatrecht überhaupt rechtlich bestimmt im öffentlichen Recht vernünftig aufgehoben vorstellen, sondern ist auch der gesellschaftliche Zustand, nämlich sowohl im natürlichen, als auch im rechtlichen Zustand, ein solcher des „ P r i v a t r e c h t s “845 (§ 41 Abs. 3 S. 1). Insofern im zweiten Teil der Rechtslehre das öffentliche Recht (§§ 43 ff.) dann allerdings in einem Verstandesgegensatz zum Privatrecht (§§ 1 – 40) zur intensiven Deutlichkeit des allgemeinen Rechtsbegriffs (§ B Abs. 3) in reinen Rechtsbegriffen entwickelt werden wird, liegt hierin wohlverstanden eine rein begriffliche Abstraktion von der durch das innergemeinschaftliche Subordinationsverhältnis des öffentlichen Rechts erst darunter rechtlich bestimmt möglichen Privatrechtsmaterie im interpersonalen Gleichordnungsverhältnis, nicht aber ihre kurzschlüssige Negation. Folglich lässt sich zwischen der natürlichen Privatrechtsmaterie im interpersonalen Gleichordungsverhältnis und den Rechtsbestimmungen des öffentlichen Rechts einer innergemeinschaftlichen Subordination mithin auch kein materieller Widerspruch vernünftig denken, sodass sich die etwaige Frage, ob materiell privatrechtswidrigen Rechtsbestimmungen eines öffentlichen Rechts mit subjektivem Recht widerstanden werden darf, schon nicht vernünftig stellt. Denn eine solche materielle Naturrechtswidrigkeit lässt sich gar nicht innerhalb, sondern alleine außerhalb der reinen praktischen Idee eines öffentlichen Rechts, damit für den Kant der

843 844 845

RL, AA VI: 306.31-33. RL, AA VI: 306.33-35. RL, AA VI: 306.29-30.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

natürlichen Privatrechtslehre aber überhaupt gar nicht rechtlich bestimmt denken.846 – Dagegen wird eine eigentumstheoretische Interpretation, die in ihrer subjektivistischen Tendenz schon das natürliche Privatrecht in ihrem empirischen Wortverständnis des provisorischen Besitzes nicht vernünftig durch einen gesetzgebenden Allgemeinwillen im äußeren Verhältnis bestimmt wissen kann, eben diese von ihr nur vernünftig vermeinte Frage eines subjektiven Widerstandsrechts zugunsten ihres Eigentümer- bzw. Privatrechtssubjekts beantwortet wissen wollen. In dem dann rechtsbegrifflich beanspruchten Widerstandsrecht des einzelnen Privatrechtssubjekts gegen das rechtlich alleine absolut bestimmende Staatsrechtsubjekt liegt sodann allerdings nicht länger nur eine gedankliche Abstraktion von allem öffentlichen Recht, sondern nunmehr sogar seine gänzliche Negation, denn ein solches Widerstandsrecht bedeutet in seiner Konsequenz nichts anderes, als den von aller rechtlichen Bestimmung gründlich befreiten Naturzustand. Kassiert am Ende der eigentumstheoretischen Rechtsgeschichtsschreibung also stets der Privateigentümer den ihm zwangsläufig aus dem Ruder seines Eigentumsbegriffs laufenden Staat wieder ein, und zwar nach seinem willkürlichen Eigentümergutdünken, so perpetuiert eine jede nur konsequent nach dem Privateigentumsbegriff durchdachte Interpretation zuletzt immer bloß den von aller rechtlichen Bestimmung gründlich eskamotierten und daher nach Eigentumsbegriffen ewig dauernden Naturzustand, sodass sich eine solche Interpretation in dieser begrifflichen Wendung schließlich selbst (freilich: bloß negierend) aufheben muss. In diesem Umstand dürfte zum Schluss die unter Rechtsbegriffen notwendige Dialektik der eigentumsbegrifflichen Verkehrung aller Rechtsverhältnisse beschlossen liegen. Denn wenn der im Staat gesetzgebende Allgemeinwille nicht schon zur interpersonalen Eigentumsbegründung im Grunde, sondern erst zur interpersonalen Eigentumsbewahrung in der Folge praktisch notwendig sein soll, dann müssen Privatrechts- und Staatsrechtssubjekt in ihrem äußeren Verhältnis auf ewig in einem gründlich unaufhebbaren Verstandesgegensatz zueinander befangen bleiben.

4. Bürgerlich gleichgeordnete Gesellschaft als rechtliche Wirkung subordinativer Staatstätigkeit Nach den vorstehenden Überlegungen wird alles Privatrecht rechtlich bestimmt (im Hinblick auf den rechtlichen Zustand) in der bürgerlichen Gesellschaft gedacht. 846

So wie ein Verbrechen sich nicht rechtlich, sondern alleine unrechtlich bestimmt denken lässt, so lässt sich auch die Tyrannei nicht rechtlich, sondern bloß unrechtlich bestimmt denken. Aber genau so, wie das Verbrechen nicht eine privatrechtlich, sondern öffentlich-rechtlich bestimmte Aufhebung durch das staatlich begründete Rechtsinstitut der Strafe notwendig macht, so macht auch die Tyrannei nicht eine privatrechtlich, sondern öffentlich-rechtlich bestimmte Aufhebung durch ein staatlich begründetes Herrschaftsverhältnis notwendig. Das öffentlich-rechtlich bestimmte Rechtsmittel gegen die Tyrannei ist demnach nicht die Revolution, sondern die öffentlich-rechtliche Reform, wohingegen Selbstjustiz im Falle des Verbrechens, und Revolution im Falle der Tyrannei, gleichermaßen zwangsläufig in den blanken Naturzustand zurückführen.

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Der gesellschaftliche Zustand ist demnach an sich selbst sowohl im natürlichen, als auch im rechtlichen Zustand ein solcher des Privatrechts, nicht aber des öffentlichen Rechts. Also kann die Rechtsform des öffentlichen Rechts in ihrer spezifischen Bestimmung nicht als gesellschaftlicher Zustand angesprochen werden. Nun besteht die Rechtsform des öffentlichen Rechts nach der Idee des ursprünglichen Vertrages aber in einer praktisch notwendigen Vereinigung aller Rechtssubjekte zu einem Staat bürgerlicher Gesellschaft, und folglich kann die staatliche Vereinigung, d. h. der „ b ü r g e r l i c h e Ve r e i n (unio civilis)“ selbst nicht als „ G e s e l l s c h a f t “, sondern nur als bestimmende Rechtsform einer (bürgerlichen) Gesellschaft begriffen werden (§ 41 Abs. 4 S. 1).847 Staatsrechtssubjekt und Privatrechtssubjekt stehen im bürgerlichen Verein nämlich nicht im Rechtsverhältnis der interpersonalen Gleichordnung, sondern im Rechtsverhältnis der innergemeinschaftlichen Subordination einheitlich zueinander: „[…] denn zwischen dem B e f e h l s h a b e r (imperans) und dem U n t e r t h a n (subditus) ist keine Mitgenossenschaft; sie sind nicht Gesellen, sondern einander u n t e r g e o r d n e t , nicht b e i g e o r d n e t , und die sich einander beiordnen, müssen sich eben deshalb untereinander als gleich ansehen, so fern sie unter gemeinsamen Gesetzen stehen.“848 Im bürgerlichen Verein (d. h. im Staat) findet folglich durch rechtsgesetzlich bestimmte Subordination unter einen gesetzgebend bestimmenden Allgemeinwillen eine rechtlich bestimmte Koordination der Privatrechtssubjekte zur bürgerlichen Gesellschaft statt. Die bürgerliche Gesellschaft ist mithin nicht das Subjekt, sondern lediglich das Objekt der bürgerlichen Vereinigung in ihrer Vereinigungstätigkeit (§ 41 Abs. 4 S. 2): „Jener Verein ist also nicht sowohl als m a c h t vielmehr eine Gesellschaft.“849 Aus dieser begrifflichen Bestimmung Immanuel Kants ist dann auch zu ersehen, weshalb der gesellschaftliche Zustand zuvor in § 41 Abs. 2 S. 2 als ein „künstlicher Zustand (status artificialis)“850 bezeichnet wurde. Denn ein gesellschaftlicher Zu847 RL, AA VI: 306.36-37. – Ebenso wie der Staat nicht als Eigentümergesellschaft bürgerlichen Rechts begriffen werden kann, ist der Begriff des bürgerlichen Vereins hier in § 41 Abs. 4 S. 1 nicht als Verein bürgerlichen Rechts misszuverstehen. Andernfalls handelte die Allgemeine Anmerkung A.–E. (RL, AA VI: 318.15-17) nach § 49 nicht von den rechtlichen Wirkungen aus der Natur einer staatlichen Vereinigung, sondern von den rechtlichen Wirkungen aus der Natur des Vereins bürgerlichen Rechts. 848 RL, AA VI: 306.37-307.04. 849 RL, AA VI: 307.05-06. – Auf einer Verkennung dieses Satzes beruht etwa der unaufhebbare Gegensatz zwischen Privatrechts- und Staatsrechtssubjekt in der soziologisierenden Interpretation Saages, Eigentum, Staat und Gesellschaft bei Immanuel Kant (19942), S. 43, 73, 90, nach der sich der Staat nur reaktionär auf die Gesellschaft der Eigentümer beziehen soll. – Nichts anderes gilt auch für die Kritik Schottkys, Fichte-Studien 1 (1990), S. 242 (249 f.), der den Kantischen Gedanken, dass der Staat selbst nicht schon eine Gesellschaft ist, für unvereinbar mit dem Kantischen Gedanken der Selbstherrschaft des Volkes in einer Republik erachten will. Unter Hinweis auf ein mögliches Missverständnis erübrigt sich aber wohl auch sein nach Ludwigschen Editionskriterien gemachter Vorschlag, § 41 Abs. 4 („als nur versehentlich in den Text geraten“) zu streichen. 850 RL, AA VI: 306.19-20.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

stand ist stets die gemachte Wirkung (d. h. das Werk) einer zweckmäßigen Vereinigung von einzelnen Rechtssubjekten in äußeren Handlungen, die diesen gesellschaftlichen Zustand durch ihre spontane Vereinigungstätigkeit nach ihrem Zweck künstlich formt.851 Die Gesellschaft ist somit Objekt, die Vereinigung ist Subjekt der zweckmäßigen Vereinigungstätigkeit. Die bürgerliche Gesellschaft der Privatrechtssubjekte kann demnach als das künstliche Werk (d. h. Kunstprodukt) einer zur allgemeinen Gesetzgebung praktisch zweckmäßig vereinigten Menge von Rechtssubjekten angesehen werden. Da die zur Gesetzgebung im äußeren Verhältnis zweckmäßige Vereinigung dabei allerdings bloß Subjekt, und nicht zugleich auch Objekt der Vereinigungstätigkeit ist, kann die bürgerliche Vereinigung (Staat) in ihrer Vereinigungstätigkeit an sich selbst ihrerseits nicht als ein zweckmäßig hervorgebrachtes Kunstprodukt angesehen werden. Denn der Staat wird in seiner reinen Begriffsvorstellung in seiner spontanen Vereinigungstätigkeit an sich selbst nach der reinen praktischen Idee eines ursprünglichen Vertrages der ihn ursprünglich konstituierenden Rechtssubjekte gedacht (§ 47), und eine solche bloß ideale Konstitutionsvorstellung entzieht sich an sich selbst aller zeitwirklichen Zweckmäßigkeitsvorstellung. Die nach der metaphysischen Idee des ursprünglichen Vertrages an sich selbst konstituiert vorgestellte moralische Person des Staates kann somit nicht als künstliche Person angesprochen werden, auch wenn ein jedes empirisches Staatsrechtssubjekt unter dieser reinen praktischen Idee von einem Staat überhaupt zugleich immer auch als eine durch Menschenhand willkürlich hervorgebrachte künstliche Person betrachtet werden kann.852 Dabei ist für eine dezidiert metaphysische Lesart aber klar, dass Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (§§ 43 ff.) rein begrifflich alleine von der moralischen, nicht unvermittelt auch von einer künstlichen Person des Staates handeln werden.853 Der Staat ist also weder das Kunstprodukt der bürgerlichen Gesellschaft, noch das Kunstprodukt einer naturzuständlich schon vereinigten Gesellschaft von vermeint851 Siehe zum Begriff der Kunst KU, AA V: 303.07-10: „K u n s t wird von der N a t u r , wie Thun (facere) vom Handeln oder Wirken überhaupt (agere) und das Product, oder die Folge der erstern, als Werk (opus) von der letztern als Wirkung (effectus) unterschieden.“ 852 Nochmals KU, AA V: 303.11-13: „Von Rechtswegen sollte man nur die Hervorbringung durch Freiheit, d. i. durch eine Willkür, die ihren Handlungen Vernunft zum Grunde legt, Kunst nennen.“ 853 Vgl. dazu auch MS, AA VI: 217.32-218.08: „Alles Praktische, was nach Naturgesetzen möglich sein soll (die eigentliche Beschäftigung der Kunst), hängt seiner Vorschrift nach gänzlich von der Theorie der Natur ab; nur das Praktische nach Freiheitsgesetzen kann Principien haben, die von keiner Theorie abhängig sind; denn über die Naturbestimmungen hinaus giebt es keine Theorie. Also kann die Philosophie unter dem praktischen Theile (neben ihrem theoretischen) keine t e c h n i s c h - , sondern blos m o r a l i s c h - p r a k t i s c h e Lehre verstehen, und wenn die Fertigkeit der Willkür nach Freiheitsgesetzen im Gegensatze der Natur hier auch K u n s t genannt werden sollte, so würde darunter eine solche Kunst verstanden werden müssen, welche ein System der Freiheit gleich einem System der Natur möglich macht; fürwahr eine göttliche Kunst, wenn wir im Stande wären, das, was uns die Vernunft vorschreibt, vermittelst ihrer auch völlig auszuführen und die Idee davon ins Werk zu richten.“

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lichen Eigentümern. Allerdings müsste der Staat an und für sich selbst als ein solches Kunstprodukt bzw. eine solche künstliche Person angesehen werden, wenn er tatsächlich lediglich aus der vermeinten Notwendigkeit der sich unabhängig vom Staat schon als Eigentümer dünkenden Naturzustandsbewohner hervorgehen würde, ihr schon naturzuständlich begründetes Eigentum auch in der Folge im rechtlichen Zustand noch eben zweckmäßig abzusichern. Denn dann wäre er den bloßen Privatrechtssubjekten in ihrem äußeren Verhältnis mit seiner praktischen Notwendigkeit nicht vor-, sondern lediglich zweckmäßig nachgelagert, und folglich in seiner Existenz nach seinem Begriff gänzlich von ihrem willkürlichem Eigentümerbelieben abhängig. In der künstlichen Hervorbringung eines eigentümerstaatlichen Rechtssubjekts, und zwar zur eigentumszweckmäßigen Sicherung der bereits in der natürlichen Person der jeweiligen Eigentümer begründeten Eigentumsrechte, läge dann allerdings jedenfalls eine partielle Anerkennung autonomer staatrechtlicher Subjektivität, sodass der Staat als künstliche Person, wenn auch nicht ursprünglich über, so doch immerhin für ein Moment neben die sich ursprünglich subordinationslos dünkenden Eigentümer treten würde. Die von Menschenhand bloß künstlich geschaffene Person des Staates wäre dann nach dieser Vorstellung insoweit ein dem Eigentumsprivatrecht horizontal verpflichtetes Rechtssubjekt, sodass man als Privatrechtssubjekt gegen ihn seine naturzuständlich vermeinten Eigentümergrundrechte geltend machen wollen würde. § 42

§ 41 hatte – im Anschluss an einen begrifflich-systematischen Durchgang (§§ 1 – 40) des im natürlichen Zustand möglichen äußeren Rechts – die Realdefinition des rechtlichen Zustandes sowie eine Verdeutlichung ihrer Implikationen zu seinem thematischen Gegenstand. Begrifflich unterscheidet sich der rechtliche Zustand des äußeren Verhältnisses der Menschen zueinander von ihrem natürlichen Zustand demnach durch das Dasein einer dieses äußere Verhältnis gesetzlich real bestimmenden öffentlichen Gerechtigkeitsform. Mangels des Daseins dieser gesetzlich real bestimmenden Gerechtigkeitsform im natürlichen Zustand der Menschen zueinander war unter dem als allgemein bestimmend gebrauchten Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) alles Privatrecht im natürlichen Zustand allerdings rein begrifflich bereits im Hinblick auf den rechtlichen Zustand (provisorisch) als rechtlich möglich bestimmbar. Das ganze natürliche Privatrecht (§§ 1 – 40) setzt demnach für sich selbst in seiner synthetischen Rechtsbestimmung unter dem als allgemein bestimmend gebrauchten Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) a priori den realen Bestimmungsgrund des rechtlichen Zustandes rein begrifflich für sich selbst im reinen praktischen Vernunftbegriff des Habens eines äußeren Gegenstandes notwendig voraus (§ 8 Abs. 1 S. 7). Aus der bis hierher insoweit zur intensiven Vernunftdeutlichkeit des allgemeinen Rechtsbegriffs (§ B Abs. 3) rein begrifflich und synthetisch entwickelten Privatrechtsvorstellung a priori (§§ 1 – 40) lässt sich also abnehmen, dass der reale Bestimmungsgrund der praktischen Notwendigkeit dieses natürlichen Privatrechts

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

nicht innerhalb, sondern außerhalb des natürlichen Zustandes, nämlich im rechtlichen Zustand begriffen liegt (§§ 43 – 62). Wenn es demnach ein äußeres Recht im Verhältnis der Menschen – so wie es rein begrifflich in den §§ 1 – 40 unter dem als allgemein bestimmend gebrauchten Rechtsbegriff entwickelt wurde – wirklich geben soll, und hieran kann mit dem unmittelbaren Bewusstsein des allgemeinen Rechtsgesetzes (§ C Abs. 4) kein Zweifel sein, weil nach eben diesem alle äußeren Handlungen der Menschen rechtlich bestimmt sein sollen, dann ist ein rechtlicher Zustand ihres äußeren Verhältnisses unter dem allgemeinen Rechtsbegriff rein begrifflich schon zum Voraus unmittelbar an sich selbst praktisch notwendig. Für die sich im natürlichen Zustand selbst noch lediglich unter dem allgemeinen Begriff des Rechts stehend denkenden Rechtssubjekte bedeutet dies, dass es ein natürliches Gesetz gibt, nach dem sie gemeinsam mit ihresgleichen unbedingt in einen rechtlichen Zustand unter einer äußeren Gesetzgebung treten sollen. Im natürlichen Erlaubnisgesetz der praktischen Vernunft (§ 2) ist also schon ein natürliches Gebotsgesetz der praktischen Vernunft (§ 42) gleichursprünglich aus ihrer Freiheit gesetzt:854 5. Das unmittelbar gewisse Postulat des öffentlichen Rechts als begrifflicher Anfangsgrundsatz Das natürliche Gebotsgesetz der praktischen Notwendigkeit eines rechtlichen Zustandes ist also kraft reiner und an sich selbst praktischer Vernunft unmittelbar mit dem allgemeinen Rechtsgesetz gewiss und muss eben darum als ein praktisches Postulat der praktischen Vernunft angesprochen werden.855 In diesem Sinne führt es Immanuel Kant auch in § 42 Abs. 1 S. 1 erstmals explizit ein:856 „Aus dem Privatrecht im natürlichen Zustande geht nun das Postulat des öffentlichen Rechts hervor: du sollst im Verhältnisse eines unvermeidlichen Nebeneinanderseins mit allen anderen aus jenem heraus in einen rechtlichen Zustand, d. i. den einer austheilenden Gerechtigkeit übergehen.“857

854 Verhält es sich auf diese Weise, dann nimmt das natürliche Erlaubnisgesetz des § 2 seinen gedanklichen Ausgang nicht bloß negativ von einer an sich verbotenen Handlung, wie uns dies eine eigentumstheoretische Lesart glauben machen möchte (siehe dazu oben unter A. I. 1. zu § 2 Abs. 3 und besonders dortige Fn. 86, 100 m.w.N.), sondern vielmehr positiv von einer an sich gebotenen Handlung, nämlich der einer ursprünglichen Vereinigung zu einem staatlichen Gemeinwesen. Das natürliche Erlaubnisgesetz enthält insoweit in sich schon ein absolutes Gebot der Herrschaftsbegründung (über Personen und Sachen) im äußeren Verhältnis. 855 Zur Erinnerung des Postulatbegriffs als eines unmittelbar gewissen Grundsatzes siehe an dieser Stelle die allgemeinen Vorüberlegungen unter A. im vierten Kapitel, sowie zum Postulat des allgemeinen Rechtsgesetzes und dem des öffentlichen Rechts unter B. I. bzw. B. III. ebendort. 856 Siehe nämlich auch schon § 15 Abs. 1 sowie zuvor § 8 Abs. 2. 857 RL, AA VI: 307.08-11.

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Das Postulat des öffentlichen Rechts geht ausweislich der Textgrundlage in § 42 Abs. 1 also gedanklich weder aus dem naturzuständlichen Sachen- bzw. Eigentumsrecht, noch aus einer anthropologischen Tatsache, sondern schlicht aus dem Privatrecht im natürlichen Zustand hervor, und zwar, weil dieses Privatrecht das Recht der Menschen in ihrem äußeren Verhältnis überhaupt betrifft, und als solches lediglich im Hinblick auf ein öffentliches Recht schon selbst rechtlich bestimmt denkbar ist. Demnach muss sich jede Interpretation, die äußere Rechte der Privatrechtssubjekte im natürlichen Privatrecht schon im Grunde unabhängig vom öffentlich-rechtlichen Realbestimmungsgrund als existent denkt, nicht unerhebliche Interpretationsprobleme im Hinblick auf § 42 einhandeln. Denn in diesem Paragraphen ist nirgendwo die Rede davon, dass das öffentliche Recht lediglich als Mittel zur bloßen Sicherung des naturzuständlich bereits existenten Eigentumsgrundrechts akzessorisch notwendig ist. Wäre das öffentliche Recht aber nur in diesem akzessorischen Sinne notwendig, dann müsste diese mittelbare praktische Notwendigkeit des öffentlichen Rechts aus einem an und für sich schon unmittelbar gewissen und daher nicht weiter beweisbaren Postulat des Eigentumsrechts mittelbar beweisbar sein. Da aber die praktische Notwendigkeit des öffentlichen Rechts selbst unmittelbar in einem Postulat als gewiss angeführt wird, lässt sich von ihr richtigerweise auch kein weiterer Beweis führen, sodass sich die von einer eigentumstheoretischen Interpretation zweckmittelbar im Hinblick auf ein naturzuständlich existentes Eigentumsrecht als beweisbar behauptete Notwendigkeit des öffentlichen Rechts gerade unter diesem methodologischen Gesichtspunkt zwangsläufig als irrig erweisen und verraten muss. Wäre das Postulat des öffentlichen Rechts mit seinem praktischen Satz nämlich überhaupt einem Beweis zugänglich, so könnte es selbst nicht als metaphysischer (rein begrifflicher) Anfangsgrundsatz des öffentlichen Rechts fungieren. Durch eine solche eigentumstheoretische Auffassung des Postulats des öffentlichen Rechts wird jedoch zugleich auch § 42 Abs. 1 S. 2 unverständlich: „Der Grund davon läßt sich analytisch aus dem Begriffe des R e c h t s im äußeren Verhältniß im Gegensatz der G e w a l t (violentia) entwickeln.“858 Denn mit diesem Satz kündigt sich hier gewiss kein ohnehin unmöglicher Beweis, sondern nur eine begrifflich-analytische Verdeutlichung der unmittelbaren Gewissheit des praktischen Satzes des Postulats des öffentlichen Rechts an, dass es notwendig sei, in einen rechtlichen Zustande zu treten.859 Gerade weil dieser praktische Satz die unbedingte Notwendigkeit der Wirklichkeit eines äußeren Rechts im äußeren Verhältnis der Menschen untereinander postuliert, lässt er sich in dieser seiner unmittelbaren Gewissheit aber nur durch eine gedankliche Absetzung von 858

RL, AA VI: 307.12-13. Entgegen Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 78 findet sich in § 42 Abs. 1 S. 2 nicht die Ankündigung, die „Behauptung, daß im Naturzustand niemand vor Gewalttätigkeiten sicher sei, […] „analytisch aus dem Begriffe des Rechts“ zu entwickeln“. Für seine Texteingriffe an dieser Stelle ist diese These allerdings maßgeblich, weil diese von ihm nur vermeinte Ankündigung im folgenden Text des § 42 in der Tat keine Einlösung findet. 859

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

seinem direkten Gegenteil begrifflich extensiv verdeutlichen. Aus diesem Grund sind die Worte „ R e c h t “ und „ G e w a l t “ in § 42 Abs. 1 S. 2 durch Sperrdruck hervorgehoben. Stellt man sich nämlich das „äußere Verhältnis“ der Menschen unter „dem Begriffe des R e c h t s “ bestimmt vor, dann resultiert für dieses äußere Verhältnis der Menschen unter dem Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) die natürliche Privatrechtsvorstellung der §§ 1 – 40, und zwar rein begrifflich im Hinblick auf ein öffentliches Recht. Abstrahiert man dagegen von der rein begrifflichen Bestimmung des Rechtsbegriffs, so stellt sich das äußere Verhältnis der Menschen lediglich noch als ein rechtloses Gewaltverhältnis dar. In diesem Sinne lässt sich also die unmittelbare Gewissheit eines öffentlichen Rechts im äußeren Verhältnis der Menschen unter dem Begriff des Rechts im Gegensatz zur bloßen Gewalt analytisch verdeutlichen, sodass sich „der Grund davon“, dass nämlich das Postulat des öffentlichen Rechts in seiner unmittelbaren Gewissheit gedanklich aus dem natürlichen Privatrecht hervorgeht, analytisch aus der natürlichen Privatrechtsvorstellung im Gegensatz zum Gewaltbegriff zu einem deutlichen Bewusstsein entwickeln lässt. Eben diese analytische Verdeutlichung der unmittelbaren Gewissheit des Postulats des öffentlichen Rechts findet sich sodann in den beiden übrigen Absätzen des § 42:860 Die analytische Verdeutlichung des praktischen Satzes des Postulats des öffentlichen Rechts beginnt in § 42 Abs. 2 S. 1 mit der begrifflichen Einsicht des § 8 Abs. 1 S. 3, dass niemand verbunden ist, sich des Eingriffs in den Besitz eines anderen Rechtssubjekts zu enthalten, wenn ihm dieses andere Rechtssubjekt nicht dieselbe Sicherheit wechselseitig einräumt. Allerdings wird diese wechselseitige Sicherstellung, gemäß der rechtsbegrifflichen Einsicht des § 8 Abs. 1 S. 3, nicht durch einen zusätzlich zur Besitzausübung besonders vorgestellten rechtlichen Akt gewährt (z. B. einen Zusicherungsvertrag), sondern sie liegt analytisch „schon im Begriffe einer äußeren rechtlichen Verpflichtung“,861 d. h. im Begriff eines äußeren Rechtsbesitzes. Denn alle äußere Verpflichtung im interpersonalen Verhältnis der Menschen setzt gemäß § 8 Abs. 1 S. 5 einen jeden anderen gleichermaßen verbindenden Willen wirklich für sich selbst voraus, der dann eben diese rechtliche Sicherstellung durch seine Verbindlichkeit im äußeren Verhältnis tatsächlich gründlich garantiert. Denkt man sich also einen äußeren Rechtsbesitz, so denkt man sich tat860

Das Postulat des öffentlichen Rechts geht damit allerdings nicht schon analytisch bloß aus dem allgemeinen Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) hervor, denn dann wäre es ein Begriffsmerkmal der Rechtsvorstellung im Begriff des Rechts (§ B Abs. 2) und nicht erst ein solches der Rechtsvorstellung unter dem Begriff des Rechts (§§ 1 – 62). Gleichwohl behauptet sich die gegenteilige und mit dem Textbefund von § 42 Abs. 1 S. 2 durchaus unvereinbare Behauptung in großen Teilen der Sekundärliteratur. Vgl dafür etwa Bartuschat, in: Zaczyk/Köhler/Kahlo (Hrsg.): FS E.A. Wolff (1998), S. 17 (18/21 ff.); Hirsch, Freiheit und Staatlichkeit bei Kant (2017), S. 217/301 u. ö.; Kühl, Eigentumsordnung als Freiheitsordnung (1984), S. 164; May, Kants Theorie des Staatsrechts (2002), S. 59; Metzger, Untersuchungen zur Sitten- und Rechtslehre Kants und Fichtes (1912), S. 86; Niebling, Das Staatsrecht in der Rechtslehre Kants (2005), S. 73/84; Pinzani, in: Dörflinger/Hüning/Kruck (Hrsg.): Das Verhältnis von Recht und Ethik in Kants praktischer Philosophie (2017), S. 171 (187 – 189); Unruh, Die Herrschaft der Vernunft (20162), S. 157/161. 861 RL, AA VI: 256.03.

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sächlich auch diesen rechtsbesitzbegründenden Willen wirklich im äußeren Verhältnis der Menschen untereinander. Sieht man von diesem alle Rechtsverbindlichkeit im äußeren Verhältnis begründenden Willen dagegen vollständig ab, und unterbricht man damit die begriffliche Aussicht (Pro-vision) auf ein öffentliches Recht, so resultiert wiederum die blanke Naturzustandsvorstellung des Verhältnisses der Menschen untereinander, darin dann aber nicht das Recht eines allgemeinen Willens, sondern die Gewalt eines jeden einzelnen Rechtssubjekts tatsächlich herrschend ist. Hieran knüpft nun die weitere Überlegung in § 42 Abs. 2 S. 2 an. Ohne diesen im äußeren Verhältnis allseitig rechtskräftig verbindenden Willen ist nämlich tatsächlich niemand verbunden, sich des Eingriffs in den Besitz eines anderen Rechtssubjekts zu enthalten, da ohne ihn keine wechselseitige Sicherstellung rechtlich existiert. In der Konsequenz drohen nach der Logik des blanken Naturzustandes überall Angriffe auf den möglicherweise auch über äußere Gegenstände empirisch erstreckten Selbstbesitz der einzelnen Rechtsperson. Unter der intrapersonalen Rechtspflicht rechtlicher Selbstbehauptung im äußeren Verhältnis muss das einzelne Rechtssubjekt nun aber nicht nur nicht, sondern „darf“862 es sogar nicht zuwarten, bis es von einem anderen Rechtssubjekt tätlich angegriffen wird. Nach seinem allgemeinen Rechtbegriff im subjektiven Gebrauch (§ D) ist ein einzelnes Rechtssubjekt im blanken Naturzustand nämlich selbst schon präventiv „[…] zu einem Zwange gegen den befugt, der ihm schon seiner Natur nach damit droht. (quilibet praesumitur malus, donec securitatem dederit oppositi.)“863 Auf diese Weise ist aber, worauf § 42 Abs. 3 in seinem ersten Teil hinweist, lediglich ein allseitiger Kriegszustand permanenter Gewalttätigkeit denkbar, darin die einzelnen Rechtssubjekte „ e i n a n d e r “864 materiell kein Unrecht tun, wenn und weil sie wechselseitig von der im Begriff des Rechts analytisch gelegenen Zwangsbefugnis (§ D) gegen ungesetzliche Freiheitshindernisse subjektiven Gebrauch machen. Allerdings ist diese materielle Rechtmäßigkeit wechselseitiger Gewalttätigkeit zum Zwecke eines präventiven Selbstschutzes nur deshalb nach dem bloßen Begriff des Rechts derart bestimmt denkbar, weil sich diese Rechtssubjekte – mit dem bis hierher im vollständigen Gegensatz zum Rechtsbegriff entwickelten Naturzustandsgedanken – bereits nach der Form ihres äußeren Verhältnisses nicht in einem rechtlichen Zustand befinden und auch keine Aussicht auf einen solchen hegen. Denn nur außerhalb des Naturzustandes kann die Form eines allgemeinen Gesetzes der Freiheit im Sinne des allgemeinen Rechtsbegriffs (§ B Abs. 3) auch Realität im äußeren Verhältnis der Menschen haben, sodass der blanke Naturzustand nach seiner Form des äußeren Verhältnisses der Menschen schon an sich ein ungesetzlicher Zustand ist. Der in äußeren Handlungen nicht auf Begründung, sondern Vermeidung rechtlich allgemeingesetzlich geformter Verhältnisse angelegte Na862 863 864

RL, AA VI: 307.16-18. RL, AA VI: 307.24-26. RL, AA VI: 307.28.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

turzustand der Menschen ist demnach bereits an und für sich selbst quantitativ im höchsten Maße unrechtlich, weil er der im allgemeinen Rechtsbegriff als bestimmend vorgestellten Form der Allgemeingesetzlichkeit bereits im Ansatz jede Gültigkeit nimmt, da die wechselseitige Präventivbefehdung – anders als der provisorische Besitz eines äußeren Gegenstandes (§ 9 Abs. 1) – keine begriffliche Aussicht auf einen rechtlichen Zustand hat. Mithin ist der blanke Naturzustand der gesetzlichbestimmenden Form allen äußeren Rechts in seinem Grundsatze zuwider. Durch diesen Gedanken schließt die Überlegung in § 42 Abs. 3 ohne weiteres ab, weil sie die mit dem allgemeinen Rechtsbegriff im äußeren Verhältnis unmittelbar schon gegebene Gewissheit hinreichend verdeutlicht, dass ein wirklich gesetzlich bestimmter und daher rechtlicher Zustand im äußeren Verhältnis der Menschen schon im Grundsatz praktisch-notwendig ist. Mehr aber kann eine begrifflich-analytische Verdeutlichung der unmittelbaren – weil unmittelbar bewussten – Gewissheit des Postulats des öffentlichen Rechts, so wie sie sich in § 42 Abs. 1 S. 2 ankündigt, gar nicht leisten.865 Setzt man nämlich den im Hinblick auf den rechtlichen Zustand schon provisorisch rechtlich bestimmten Naturzustand (§§ 1 – 40) gedanklich in den Gegensatz zu einem rechtlich völlig unbestimmten und darum blanken Naturzustand (§ 42 Abs. 2 – 3), so setzt man den Begriff des Rechts gegen den Begriff der bloßen Gewalt im äußeren Verhältnis der Menschen (§ 42 Abs. 1 S. 2), und dann wird deutlich, dass ein rechtlicher Zustand stets schon im natürlichen Zustand grundsätzlich als praktisch notwendig vorausgesetzt ist, weil dieser andernfalls nicht schon provisorisch rechtlich bestimmt hätte gedacht werden können. Allerdings ist diese anhand der gedanklichen Differenz von provisorischem und blankem Naturzustand im reinen Rechtsbewusstsein bewirkte Verdeutlichung mit einem empirischen Wortverständnis des provisorischen Besitzes gar nicht denkbar. Denn wenn das einzelne Privatrechtssubjekt subjektive Rechte bereits im natürlichen Zustand auch unabhängig von einem gesetzgebenden Allgemeinwillen im rechtlichen Zustand wirklich hat, dann kann die für die rechtliche Bestimmung im Naturzustand begrifflich stets schon provisorisch praktisch vorausgesetzte unmittelbare Notwendigkeit eines rechtlichen Zustandes (§ 8 Abs. 1 S. 7) durch den gedanklichen Gegensatz eines davon gründlich befreiten und darum blanken Naturzustandes überhaupt gar nicht deutlich werden, weil ja gerade der blanke Naturzustand im empirischen Wortverständnis des provisorischen Besitzes an sich bereits wirklich als ein rechtlicher Zustand gilt. 865

Man wird die in § 42 begriffsanalytisch geleistete Verdeutlichung des unmittelbaren Bewusstseins des natürlichen Gebotsgesetzes des öffentlichen Rechts, das für ein menschliches Rechtssubjekt unter diesem natürlichen Gebotsgesetz eine natürliche Pflicht zur bürgerlichen Verfassung in äußeren Handlungen statuiert, hoffentlich nicht ernsthaft mit einer Pflicht dieses Rechtssubjekts zur bloß verdeutlichenden Bewusstmachung dieses Gesetzes verwechseln. Denn die bloße Bewusstmachung der praktischen Notwendigkeit des öffentlichen Rechts stellt lediglich eine innere Denkhandlung und folglich nicht eine äußere Handlung als Gegenstand eines äußeren Gesetzes vor, wohingegen die kraft eines natürlichen Gebotsgesetzes geforderte Verfassungstätigkeit durchaus eine, und zwar eine jede äußere Handlung im Grundsatz (mithin auch nicht bloß als individuelle, sondern als allgemeine) betrifft.

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Mit einer solchermaßen empirisch verkürzenden bzw. begrifflich indifferenten Auffassung des natürlichen Privatrechts kann aber ein öffentliches Recht dann nicht mehr unmittelbar, sondern lediglich noch mittelbar, nämlich als Mittel zum Zweck des naturzuständlich schon wirklichen Privatrechts praktisch notwendig gedacht werden. Mithin trübt diese privatrechtsspezifisch schon vermeinte Ableitung der praktischen Notwendigkeit öffentlichen Rechts offensichtlich das methodologische Bewusstsein dafür, dass der erst später explizit gemachte praktische Satz des Postulats des öffentlichen Rechts bereits ausweislich seiner Form gar keines Beweises fähig und eines solchen auch nicht bedürftig ist. Aus diesem Grund resultiert für eine privatrechtsspezifische bzw. eigentumstheoretische Interpretation an diesem Punkt die nicht unerhebliche gedankliche Schwierigkeit, den in § 42 Abs. 2 – 3 nur vermeintlich für die praktische Notwendigkeit des öffentlichen Rechts gegebenen Beweis mit der ebenso nur vermeintlich schon zuvor eigentumstheoretisch gegebenen Begründung (§§ 1 – 9) zu vereinbaren.866 Hans Georg Deggau hat für sein Verständnis an diesem Punkt beispielsweise die folgende Vereinbarung gefunden: „Der Naturzustand und der Rechtszustand sind damit in der gleichen Weise als Zustände des Eigentums bestimmt. […]. Dennoch erscheint das eben dargelegte Argument, das sich nur auf den Rechtsbegriff und den des Eigentums stützt, bei Kant in dieser Weise nicht. […]. Der Grund dafür liegt in dem zwieschlächtigen Charakter des Naturzustandes, der nunmehr in seinem abstrakt-anthropologischen Argument bedeutsam wird. […].“867 Nach einer konsequent-eigentumstheoretisch vorgehenden Les- und Editionsart musste dagegen zwangsläufig die These zweifacher Begründung der praktischen

866

NB: Die gedankliche Schwierigkeit ergibt sich notwendig, wenn und weil das Privatrecht mit seiner rechtlichen Bestimmung in einem empirischen Wortverständnis des Begriffs des provisorischen Besitzes (§ 9 Abs. 1 S. 4) im Naturzustand schon gründlich außerhalb der Bestimmungssphäre des Staats bürgerlicher Gesellschaft (§ 8 Abs. 1 S. 7) gesetzt ist, sodass die rechtliche Bestimmung des Staats bürgerlicher Gesellschaft später hinzutritt und dann zwangsläufig die Frage aufkommt, wie dieses akzessorische Hinzutreten rechtlicher Bestimmung noch einheitlich als rechtliche Bestimmung überhaupt verstanden werden kann. – Setzt man das Privatrecht im Naturzustand mit einem dezidiert metaphysischen Begriffsverständnis des provisorischen Besitzes dagegen stets schon gründlich in die rechtliche Bestimmungssphäre des Staats bürgerlicher Gesellschaft, dann ist in der rechtlichen Bestimmung ursprünglich keine Zweiheit, sondern eine substanzielle Einheit von öffentlichem Recht und Privatrecht gedacht, sodass sich die gedankliche Schwierigkeit nachträglicher Vermittlung gar nicht stellt, weil alles Privatrecht im natürlichen Zustand bereits nur im Hinblick auf das öffentliche Recht rechtlich bestimmt denkbar ist. Die Privatrechtsmaterie ist dann aus öffentlich-rechtlicher Perspektive rechtlich bestimmbares Akzidenz der rechtlichen Bestimmung einer gesetzesförmig bestimmenden Willenssubstanz im äußeren Verhältnis. Weil sich die rechtliche Bestimmung der gesetzesförmig bestimmenden Willenssubstanz aber ursprünglich aus der verfassungstätigen Vereinigung der einzelnen Rechtssubjekte konstituiert, wird die relativ selbstständige rechtliche Bestimmung des natürlichen Privatrechts im Naturzustand durch die absolut selbstständige Bestimmung des öffentlichen Rechts nicht negiert, sondern bewahrend aufgehoben. 867 Deggau, Die Aporien der Rechtslehre Kants (1983), S. 239.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

Notwendigkeit des Staates behauptet werden.868 Weil dabei jedoch durchaus zu bemerken war, dass sich die von Immanuel Kant zuletzt skizzierte Vorstellung des Naturzustandes (§ 42 Abs. 2 – 3) erheblich von der schon zuvor dargereichten Naturzustandsvorstellung (§§ 1 – 40) unterscheidet, musste man überdies den in § 42 – mitunter in einer anthropologisierenden Skizze des äußeren Verhältnisses der Menschen zueinander869 – angenommenen Beweis für die praktische Notwendigkeit des Staates in der Sache für unzureichend erachten.870 Da Immanuel Kant in § 44 fernerhin allerdings nochmals aus der gedanklichen Warte beider rechtsbegrifflich möglichen Vorstellungen des (provisorischen bzw. blanken) Naturzustandes rückblickend auf das Verhältnis von Natur- und Rechtszustand zu sprechen kommt, konnte man mit einem rechtsbegrifflich ohnehin indifferenten Naturzustandsdenken schließlich meinen, der in § 42 nur unzureichend geführte „Beweis“ käme „kurioserweise“ erst in § 44 zu seinem entscheidenden Abschluss:871 „Die Unterstellung, daß Kant den Staat aus anthropologischen Prämissen ableitet (…), gelingt nur, wenn man § 42 Abs. 2 als vollständiges und abschließendes Argument ansieht. Dazu ist man in der Tat gezwungen, wenn man übersieht, daß der ursprüngliche § 43 (…) den Argumentationsgang § 42/§ 44 (…) unterbricht und letzten nicht auf § 42 Abs. 1 zurückbezieht.“872 In der Folge dieser sehr konsequent gegen den Originaltext geleisteten Gedankenverknüpfung durfte man zum guten Schluss jedenfalls subjektiv allen Grund zu 868 Siehe dafür Herb/Ludwig, KS 83 (1993), S. 283 ff.; Kersting, Kant über Recht (2004), S. 109 ff., ders., PrimaPhilos 1 (1988), S. 107 (110 f.); Kräft, Apriorität und Positivität des Rechts nach Kant (2011), S. 25, 47, 52. – Kritisch dagegen bereits Fulda, JRE 5 (1997), S. 267 (285); im Übrigen oben unter B. III. 1. im vierten Kapitel sowie unter A. I. 4. b) in diesem Kapitel. 869 Vgl. dafür Deggau, Die Aporien der Rechtslehre Kants (1983), S. 239 ff.; Herb/Ludwig, KS 83 (1993), S. 283 (299); Jacob, Das Individuum im Spannungsverhältnis (2010), S. 56; Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 256 ff.; anders wohl ders., Kant über Recht (2004), S. 109; Kräft, Apriorität und Positivität des Rechts nach Kant (2011), S. 46 f.; Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 78/158 Fn. 124; May, Kants Theorie des Staatsrechts (2002), S. 60 f.; Niebling, Das Staatsrecht in der Rechtslehre Kants (2005), S. 75; Saage, Eigentum, Staat und Gesellschaft bei Immanuel Kant (19942), S. 73; Unruh, Die Herrschaft der Vernunft (20162), S. 144 ff.; Zotta, Legitimität und Recht (2000), S. 85 ff. 870 Vgl. dafür Deggau, Die Aporien der Rechtslehre Kants (1983), S. 239 ff.; Friedrich, Eigentum und Staatsbegründung (2004), S. 171 ff.; Geismann, Kant und kein Ende III (2012), S. 53/59; Herb/Ludwig, KS 83 (1993), S. 283 (297 ff.); Hespe, in: Hüning/Tuschling (Hrsg.): Recht, Staat und Völkerrecht bei Immanuel Kant (1998), S. 293 (315 ff.); Hirsch, Freiheit und Staatlichkeit bei Kant (2017), S. 302 ff.; Jacob, Das Individuum im Spannungsverhältnis (2010), S. 54 ff.; Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 256 ff.; Kräft, Apriorität und Positivität des Rechts nach Kant (2011), S. 48 ff.; Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 78, 155 ff.; May, Kants Theorie des Staatsrechts (2002), S. 60 ff.; Niebling, Das Staatsrecht in der Rechtslehre Kants (2005), S. 71 ff.; Unruh, Die Herrschaft der Vernunft (20162), S. 128 ff., 144 ff. 871 So Herb/Ludwig, KS 83 (1993), S. 283 (298); kritisch dagegen Fulda, JRE 5 (1997), S. 267 (282 f. Fn. 12): „Die Kuriosität liegt bei einer Fehlinterpretation der Autoren“. 872 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 158 Fn. 124.

B. Der Rechtszustand als praktische Vernunftidee allen äußeren Rechts

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der Annahme auf seiner Seite wähnen, dass der durch eine eigentumstheoretische Interpretation zur gedanklichen Einheit verschmolzene Block der §§ 41 – 44 seinen richtigen Platz wohl vollständig im öffentlichen Recht habe, sodass Bernd Ludwig die §§ 41 – 42 für seine Edition kurzerhand aus dem Privatrecht herauslöste und in das öffentliche Recht versetzte: „Was soll § 43 zwischen den §§ 42 und 44? Letztere gehören unmittelbar zusammen: Der erste der beiden endet mit der Behauptung, daß im Naturzustand niemand vor Gewalttätigkeiten sicher sei, eine Aussage, die am Anfang dieses Paragraphen als „analytisch aus dem Begriffe des Rechts“ zu entwickeln angekündigt wurde. § 42 enthält aber eine solche Ableitung selbst nicht; in ihm wird nur, gleichsam heuristisch, eine eher anthropologische denn rechtstheoretische Bemerkung angeführt (…). Die eigentlich rechtstheoretische Begründung (…) liefert erst der § 44. […] Es ergibt sich demgemäß mit den §§ 41, 42, 44; 43 eine stimmige Einleitung – nebst Einteilung (§ 43) – in das öffentliche Recht, welche dessen drei Abschnitten in der angegebenen Reihenfolge vorangestellt werden muß. Der Abdruck von § 41 und § 42 vor dem öffentlichen Recht sowie von § 43 und § 44 im Staatsrecht kann, genau wie die interne Anordnung des Staatsrechts selbst, wohl kaum Kant zugeschrieben werden.“873 Seither findet also der Gedanke der Verdeutlichung der unmittelbar bewussten praktischen Notwendigkeit des Übergangs des äußeren Rechtsbesitzes im natürlichen Zustand zu dem in einem rechtlichen Zustand überhaupt, jedenfalls nach der von Bernd Ludwig in seiner Edition Immanuel Kant angedichteten Textfassung, erst dort statt, wo er schon stattgefunden haben müsste, wenn man sich bereits darin befindet.

B. Der Rechtszustand als praktische Vernunftidee allen äußeren Rechts Es ist bis hierher unter ihm der als allgemein bestimmend gebrauchte Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) in seinem naturrechtlichen Einteilungsglied des Privatrechts vom äußeren Rechtsbesitz (§§ 1 – 42) vollständig zu intensiver Vernunftdeutlichkeit der darin synthetisch a priori verknüpften Rechtsbesitzbegriffe entwickelt worden. Dabei war zu bemerken, dass alle besondere rechtliche Bestimmung des äußeren Rechts im natürlichen Zustande der Menschen untereinander rein begrifflich lediglich im Hinblick auf das rechtsbegrifflich-naturrechtliche Einteilungsglied eines öffentlichen Rechts schon (provisorisch) rechtlich allgemein bestimmt gedacht werden konnte. Zwischen der rein rechtsbegrifflichen Bestimmung des als allgemein bestimmend gebrauchten Rechtsbegriffs (§ B Abs. 3) und der besonderen rechtlichen Bestimmtheit des natürlichen Privatrechts (§§ 1 – 42) vermittelt demnach rein be873 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 78 (vgl. zu der Prämisse in diesem Satz kritisch schon oben Fn. 859). – Kritisch dazu im Übrigen Kiefner, in: Stolleis/u. a. (Hrsg.): Die Bedeutung der Wörter (1991), S. 133 (151).

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

grifflich die Rechtsform des öffentlichen Rechts eine allgemeine Rechtsbestimmung (§§ 8 Abs. 1 S. 7, 9 Abs. 1, 15 Abs. 3). Im weiteren Fortgang kann es unter dem als allgemein bestimmend gebrauchten Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) folglich nur noch um die rein begriffliche Entwicklung dieser allgemeinen Bestimmung der Rechtsform eines öffentlichen Rechts zu tun sein, d. h. um eine rein begriffliche Entwicklung der im naturrechtlichen Einteilungsglied des öffentlichen Rechts (§§ 43 – 62) einander subordiniert vorausgesetzten Rechtsbegriffe zu intensiver Vernunftdeutlichkeit des als allgemein gebrauchten Rechtsbegriffs. Weil dieses Einteilungsglied des allgemeinen Rechtsbegriffs in dieser naturrechtlichen Einteilung jedoch in einem Verstandesgegensatz zum Einteilungsglied des Privatrechts gesetzt ist, wird die begriffliche Entwicklung spezifisch nur des öffentlichen Rechts von den Bestimmungen des Privatrechts absehen, um den zu entwickelnden Begriff des öffentlichen Rechts völlig rein zu haben. Eine solche Abstraktion vom natürlichen Privatrecht ist aber wohlverstanden nicht als Negation des privatrechtlichen Zusammenhangs zu begreifen, der im öffentlichen Recht vielmehr in der bürgerlichen Gesellschaft vernünftig bewahrt aufgehoben und dadurch zugleich rechtlich bestimmt gedacht werden muss. Denn ohne die vernünftig zu begreifende Privatrechtsmaterie wäre die rechtlich allgemein bestimmende Rechtsform des öffentlichen Rechts selbst völlig gegenstandslos und nicht mehr als ein leerer Gedanke, d. h. kein praktischer Begriff.874 Der reine praktische Vernunftbegriff des öffentlichen Rechts (§§ 43 ff.) handelt folglich spezifisch nicht von der privatrechtlichen Gleichordnung (Koordination) der Privatrechtssubjekte, die diese etwa mittelst der kommutativen Gerechtigkeitsform des Vertrages schon völlig selbstständig und mithin privatautonom unter dem gesetzlichen Schutz einer öffentlichen Gerechtigkeit besorgen; er handelt vielmehr spezifisch von der durch öffentliche Gesetze selbstständig und global bewirkten Unterordnung (Subordination) der erst dadurch rechtlich mit Notwendigkeit bestimmt koordinierten Glieder eines rechtlichen Zustandes unter ein allgemein gesetzgebendes Ganzes des gemeinen Wesens. Das globale Ganze des gemeinen Wesens teilt sich dabei nach den reinen Verstandesbegriffen von Substanz, Kausalität und Gemeinschaft im rein rechtsgesetzlichen Vernunftbezug zunächst ein in das Staatsrecht, aus dem heraus sodann das Völkerrecht, und schließlich das beide Rechtsformen vernünftig in sich aufhebende Völkerstaatsrecht/Weltbürgerrecht begrifflich entwickelbar sind (§ 43).875 874

Siehe dazu auch RL, AA VI: 312.34-313.01-08 (§ 44 Abs. 3). Siehe zur rein begrifflichen Architektonik und Verfassung des öffentlichen Rechts im Ausgang von § 43 bereits die systematischen Überlegungen unter B. III. 2. im vierten Kapitel. – Freilich behauptet sich von Seiten einer eigentumstheoretischen Lesart auch für das öffentliche Recht gegenwärtig noch immer die These, dass der Zustand des Textes „ein Verständnis der gedanklichen Struktur, besonders des Staats und seiner Institutionen, fast ausschließt“ (so jedenfalls Brandt, in: Göhler/Lenk/Münkler/Walther [Hrsg.]: Politische Institutionen im gesellschaftlichen Umbruch [1990], S. 335 [339] im Anschluss an Ludwig, Kants Rechtslehre [1988], S. 75 ff./166 Fn. 141, wobei selbstredend schon Schwab, Neun Gespräche zwischen 875

B. Der Rechtszustand als praktische Vernunftidee allen äußeren Rechts

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Nun verfolgt die hier beabsichtigte Interpretationsarbeit subjektiv lediglich eine Aufklärung der Frage nach der Positivität des Rechts in der kritischen Naturrechtslehre Immanuel Kants. In diesem Rahmen war bereits zuvor deutlich geworden, dass jedenfalls die positiven Gesetze im Staat – sich in ein System der öffentlichen Gerechtigkeit begrifflich einordnend – besonders an die rechtsprechenden Organe adressiert sind, und in dieser Adressierung materiell gewisse Zurechnungsregeln, nämlich zu dem praktischen Rechtszweck der effektiven Garantie eines rechtskräftigen Erwerbs im Privatrechtsverkehr (iustitia distributiva) enthalten. Die zu einer verlässlichen Beantwortung der subjektiv vorgesetzten Frage nach der Positivität des Rechts noch notwendige Interpretationsarbeit kann sich mit diesem Vorwissen folglich im Grunde auf das metaphysische Staatsrecht (§§ 43 – 52) beschränken. Dabei ist hier zur Vermeidung andernfalls leicht möglicher Missverständnisse vorab zu bedenken, dass und wie sich das metaphysische Staatsrecht rein begrifflich mit der Autonomie (d. h. Selbstgesetzgebung) des Staatsrechtssubjekts – als dem absoluten Subjekt alles äußeren Rechts – beschäftigen wird. Zu diesem Zweck bedarf es hier zunächst einer Erinnerung des Begriffs der Autonomie überhaupt: Der freie Wille hat seine Autonomie an sich in seiner grundgesetzlichen Selbstvorstellungstätigkeit, d. h. in seiner spontanen Vorstellung des ihn frei bestimmenden moralischen Gesetzes (§§ 7, 8 KpV). Denn nur in dieser spontanen Selbstvorstellungstätigkeit bringt der Wille das ihn kausal bestimmende Gesetz seines freien Willens gleichursprünglich mit seiner eigenen Bestimmung frei hervor, sodass diese gesetzliche Selbstvorstellungstätigkeit (d. h. Autonomie) als freie Selbstbestimmung des Willens begriffen werden muss. Da sich die freie Bestimmung in dieser spontanen Selbstvorstellungstätigkeit allerdings lediglich aus der darin bestimmend vorgestellten Allgemeinheit der bloßen Form eines Gesetzes, mithin aus der bloßen Vorstellung eines Allgemeinwillens ergibt, hat der Wille ein reines praktisches Selbstbewusstsein seiner Freiheit nur in der Selbstvorstellung unter einem Allgemeinwillen. Da ein allgemeiner Wille begrifflich aber nichts anderes als die allgemeine Vorstellung des freien Willens ist, und zwar, weil eine allgemeine Vorstellung ein Begriff ist, ist der freie Wille an sich nur ein solcher, der sich in seiner spontanen Selbstvorstellungstätigkeit praktisch selbst begreift. Der Allgemeinwille ist also der reine praktische Begriff des an sich selbst freien Willens. In diesem Sinne ist der reine praktische Begriff des freien Willens (d. h. der praktische Begriff der Freiheit) zugleich im Rechtsbegriff überhaupt bestimmend, Christian Wolff und einem Kantianer [1798], S. 103 ff. seinen Christian Wolff über die vermeintlichen Textschwächen des öffentlichen Rechts spotten ließ). Allerdings hat jüngst Michael Wolff, in: Euler/Tuschling (Hrsg.): Kants „Metaphysik der Sitten“ in der Diskussion (2013), S. 57 ff. mit beachtlichen Gründen durchaus überzeugend dargetan, dass die von Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 75 ff. vorgenommenen Eingriffe in die Textstruktur des Staatsrechts von philologisch sowie philosophisch bezweifelbarer Qualität sind. Beifall haben die Überlegungen Wolffs darum etwa bereits durch Geismann, Kant und kein Ende III (2012), S. 105 ff. Fn. 357 erfahren.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

denn alle rechtliche Bestimmung resultiert aus der bloßen Form eines allgemeinen Gesetzes. Unter dem freiheitsbegrifflich bestimmten Rechtsbegriff hat der freie Einzelwille seine Autonomie dann aber nicht bloß an sich, sondern zugleich spezifisch außer sich, nämlich in der Gemeinschaft mit seinesgleichen. Unter dem in der Rechtslehre Immanuel Kants als allgemein bestimmend gebrauchten Rechtsbegriff der Menschen (§ B Abs. 3) stellt sich diese an und außer sich selbst freiheitliche Bestimmung auch für das einzelne menschliche Willenssubjekt ein, das sich unter seinem Rechtsbegriff im äußeren Verhältnis seiner Willkür nämlich nicht nur an sich, sondern in Gemeinschaft mit seinesgleichen zugleich auch außer sich als frei begreift.876 Allerdings ist diese rechtsgesetzliche Gemeinschaft dem menschlichen Willenssubjekt im äußeren Verhältnis seiner Willkür nicht schon von Natur aus vor aller Willkürtätigkeit gegeben, d. h. angeboren. Vielmehr findet sich das menschliche Willenssubjekt von Natur aus – im Zustand des angeborenen Rechts der Freiheit der Willkür – lediglich als an sich im äußeren Verhältnis frei bestimmbar, nicht auch schon zugleich darin als frei bestimmt: der Begriff der Privatautonomie im negativen Verstande des Begriffs. Die tatsächlich freie Bestimmung des menschlichen Willenssubjekts im äußeren Verhältnis setzt also noch mehr, nämlich einen gemeinschaftlichen Willen aller menschlichen Willenssubjekte in der Rechtsform des Gesetzes im äußeren Verhältnis wirklich für sich selbst voraus, sodass sich ein solches Willenssubjekt unter dem allgemeinen Rechtsbegriff (§ B Abs 3) mit seinem angeborenen Recht der Freiheit der Willkür zugleich auch als frei außer sich selbst, und zwar als frei in der Person aller anderen menschlichen Willenssubjekte begreifen kann: der Begriff der Privatautonomie im positiven Verstande des Begriffs.877 Der positiv verstandene Begriff der Autonomie eines menschlichen Willenssubjekts im äußeren Verhältnis seiner Willkür setzt folglich eine äußere Gesetzgebung tatsächlich für sich selbst voraus, sodass die rein begriffliche Entwicklung des reinen praktischen Begriffs dieser äußeren Gesetzgebung (genannt: Staat) im metaphysischen Staatsrecht die Autonomie aller menschlichen Rechtssubjekte einesteils zur Voraussetzung, andernteils aber noch vielmehr positiv zum Zweck an sich selbst hat. Als diese notwendige Voraussetzung und dieser unbedingte Selbstzweck einer jeden äußeren Gesetzgebung wird die (Privat-)Autonomie der einzelnen menschlichen Willenssubjekte im äußeren Verhältnis jedoch nicht spezifischer Gegenstand der rein staatsrechtsbegrifflichen Entwicklung dieser äußeren Gesetzgebung(stätigkeit) sein. Denn diese Privatautonomie der menschlichen Willenssubjekte im äußeren Verhältnis zueinander ist im Staat in Verhältnissen der durch ihn möglichen bürgerlichen Gesellschaft begrifflich bewahrend aufgehoben: „Dieser Zustand der Einzelnen im Volke in Verhältniß untereinander heißt der b ü r g e r l i c h e (status civilis) und das Ganze derselben in Beziehung auf seine eigene 876 Dagegen begreift sich das menschliche Willenssubjekt unter dem allgemeinen Begriff der Tugend als an und für sich selbst frei im inneren Verhältnis (Moralität). 877 Siehe zu dieser begrifflichen Differenz schon oben unter B. II. im sechsten Kapitel.

B. Der Rechtszustand als praktische Vernunftidee allen äußeren Rechts

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Glieder der S t a a t (civitas), welcher seiner Form wegen, als verbunden durch das gemeinsame Interesse Aller, im rechtlichen Zustande zu sein, das g e m e i n e W e s e n (res publica latius sic dicta) genannt wird, […].“878 Innerhalb des metaphysischen Staatsrechts ist es dann spezifisch vielmehr rein begrifflich um die autonome Verfassung einer äußeren Gesetzgebung durch die einzelnen menschlichen Willenssubjekte an sich selbst zu tun. Eine solche autonome Verfassung eines gesetzgebenden Willens im äußeren Verhältnis lässt sich aber an sich selbst überhaupt nicht als ein Objekt, sondern alleine als ein sich selbst gesetzgebendes und darin sich selbst tätig verfassendes Willenssubjekt im äußeren Verhältnis begreifen. Das metaphysische Staatsrecht handelt demnach im Grunde rein begrifflich von der Autonomie (d. h. Selbstgesetzgebung) eines gesetzgebenden Allgemeinwillens an sich selbst. Weil die Autonomie eines freien Willens aber überhaupt lediglich in der spontanen Selbstvorstellungstätigkeit seines ihn selbst bestimmendes Gesetzes bestehen kann, wird auch die Autonomie eines gesetzgebenden Allgemeinwillens an sich selbst begrifflich in seiner spontanen Selbstvorstellungstätigkeit des ihn bestimmendes Gesetzes bestehen (§§ 45 – 47). Insofern dabei dasjenige Moment, dadurch sich ein gesetzgebender Allgemeinwille als ein freier Wille in seiner gesetzlichen Selbstvorstellungstätigkeit selbst frei bestimmt, und zwar wie in jeder freien Bestimmung, in der bloßen Form eines Allgemeinwillens besteht, ist der gesetzgebende Allgemeinwille in dieser spontanen Selbstvorstellungstätigkeit ganz bei sich selbst. Der sich selbst durch gesetzliche Selbstvorstellungstätigkeit (Autonomie) praktisch bestimmende Allgemeinwille ist mithin an sich vollkommen identisch mit sich selbst.879 Er ist demnach das absolute Subjekt gesetzlicher Selbstbestimmung und begreift sich somit im reinen praktischen Begriff seiner Gesetzgebungstätigkeit selbst. Als absolutes Subjekt oder selbstbewusste Substanz des freien Willens überhaupt ist der sich selbst durch sich selbst bestimmende Allgemeinwille nun nicht bloß der Begriff eines einzelnen freien Willens, sondern er ist vielmehr der Inbegriff eines jeden freien Willens überhaupt. Eben darum stellt sich ein einzelnes freies Willenssubjekt unter dem sich selbst bestimmenden Allgemeinwillen sich selbst nicht nur an sich, sondern sich selbst zugleich auch außer sich, nämlich in dem Willenssubjekt eines jeden anderen freien Willenssubjekts gemeinschaftlich als frei bestimmt vor. Folglich muss sich ein menschliches Willenssubjekt im äußeren Verhältnis seiner freien Willkür zu seinesgleichen unter dem reinen praktischen Begriff einer äußeren Gesetzgebung, die an sich nur als Selbstgesetzgebung absolut begriffen werden kann, d. h. im bürgerlichen Zustand eines staatlichen Gemein878

RL, AA VI: 311.12-18. Aus diesem Grund würde man wohl auch sagen dürfen, dass ein sich nach seiner reinen praktischen Idee selbst in gesetzlicher Selbstvorstellungstätigkeit spontan bestimmender Allgemeinwille die Sittlichkeit tätig an sich selbst ist, weil in dieser reinen praktischen Idee aller Gegensatz zwischen den einzelnen Willenssubjekten vernünftig aufgehoben ist. Um an dieser Stelle aber keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, ist im Folgenden lediglich die Rede von der Autonomie bzw. der Selbstvorstellungstätigkeit eines Allgemeinwillens. 879

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

wesens, nicht nur an sich, sondern zugleich auch außer sich als frei bestimmt begreifen. In diesem Sinne ist der im metaphysischen Staatsrecht zu entwickelnde reine praktische Begriff des absoluten Subjekts einer äußeren Gesetzgebung unbedingte Voraussetzung der positiv verstandenen Privatautonomie eines jeden menschlichen Willenssubjekts im äußeren Verhältnis, wobei jener diese in sich selbst als Zweck voraussetzt. Der reine praktische Begriff des Staates (§ 45 Abs 1), wie er im metaphysischen Staatsrecht zu entwickeln sein wird, ist somit zugleich der Begriff der positiv verstandenen Autonomie eines einzelnen freien Willens im äußeren Gemeinschaftsverhältnis. Also setzt die rein begriffliche Entwicklung der Autonomie des Staatsrechtssubjekts an sich selbst im metaphysischen Staatsrecht, die zu ihrem Zweck vom natürlichen Privatrecht – wie oben herausgestellt – gedanklich abstrahieren muss, diesen schon im reinen praktischen Begriff unaufgebbaren Zusammenhang menschlicher Freiheit stillschweigend voraus. Eine umstandslose Negation der Freiheit des menschlichen Rechtssubjekts wäre in dieser für ein notwendiges Moment in der begrifflichen Entwicklung des Rechtsbegriffs erforderlichen Abstraktion wohl hingegen nur dann zu erblicken, wenn man die Freiheit des einzelnen Willenssubjekts überhaupt ohne einen bestimmenden Allgemeinwillen bestimmt zu denken können glaubte. Die damit angesprochene Abstraktion vom natürlichen Privatrecht (§§ 1 – 40) beruht zuletzt auf dem begrifflichen Gegensatz, darin das Privatrecht im natürlichen Zustand sowie das öffentliche Recht im rechtlichen Zustand unter dem als allgemein bestimmend gebrauchten Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) in seiner naturrechtlichen Verstandeseinteilung noch stehen. Aus diesem Einteilungsgegensatz von naturrechtlichen Zuständen unter dem allgemeinen Begriff des Rechts resultiert nun allerdings zugleich eine für das Verständnis des öffentlichen Rechts im Verhältnis zum Privatrecht wichtige Implikation: Denn sowohl das natürliche Privatrecht als auch das öffentliche Recht sind ursprünglich nur durch die reine praktische Idee des ursprünglichen Vertrages aller menschlichen Rechtssubjekte zu einem sie absolut vereinigenden und somit gesetzgebenden Allgemeinwillen begreiflich, da diese reine praktische Idee beiden Zuständen gleichermaßen innerlich zugrunde liegt (§ 15 Abs. 3, 7/§ 47). Insofern muss der Übergang vom natürlichen in den rechtlichen Zustand vermittelst dieser reinen praktischen Idee von der Verfassungstätigkeit (d. h. Konstitution) der menschlichen Rechtssubjekte zu einem gemeinen Wesen begriffen werden. Allerdings wird dieser Übergang als solcher in seiner Übergangstätigkeit an der entsprechenden Stelle im Text (§§ 41 – 42) nicht weiter erörtert, wie man dies möglicherweise erwarten würde. Vielmehr findet er dann erst in § 47 rein begriffliche Erwähnung, wobei der Grund dieses Befundes tatsächlich notwendig auf der begrifflichen Einteilung des Naturrechtsbegriffs in den natürlichen sowie den rechtlichen Zustand beruht. Denn der Übergang hebt nach seinem beide Zustände gemeinsam verbindenden (Handlungs-)Begriff vom ursprünglichen Vertrag gerade den begrifflich in der Einteilung bestehenden Gegensatz zwischen den beiden Zuständen auf. Da aber gemäß dieser Einteilung in der begrifflichen Entwicklung des einge-

B. Der Rechtszustand als praktische Vernunftidee allen äußeren Rechts

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teilten Begriffs im Grunde nur zwei Zustände entwickelt werden können, kann es folglich auch keinen gesonderten Abschnitt geben, der sich lediglich mit dem reinen praktischen (Handungs-)Begriff dieser Übergangstätigkeit befasst. So wie das natürliche Privatrecht also mit dem schon gewirkten Zustand des Habens noch vor dem handelnden Erwerben rein begrifflich anheben muss (§§ 1 – 9), so muss eben darum auch das öffentliche Recht mit dem schon gewirkten rechtlichen Zustand im Staatsrecht (§§ 43 – 52) rein begrifflich anheben. Möglicherweise war dieser methodologisch notwendige Umstand in seiner Verkennung dann eine Ursache dafür, weshalb in der privatrechtsspezifischen und insofern lockesianisierenden Interpretation der Rechtslehre Immanuel Kants der weithin unwidersprochene Eindruck entstehen konnte, es fände in dieser Rechtslehre der Sache nach eine „Verabschiedung der Vertragstheorie“ statt.880 Es wäre aber im höchsten Maße befremdlich, wenn Immanuel Kant in der Sache selbst erfolgreich ohne Vertragstheorie ausgekommen wäre, obwohl er im kritischen Anschluss an Hugo Grotius eine Okkupationstheorie vertritt, die von ihrem Typus her bereits traditionell kontraktualistisch zu denken ist. Freilich suggeriert ein empirisches Wortverständnis des Begriffs des provisorischen Besitzes, als käme es zur Rechtsbegründung im natürlichen Zustand auf die praktische Idee eines gesetzgebenden Allgemeinwillens, damit aber auch auf die eines ursprünglichen Vertrages begrifflich nicht konstitutiv an, wenn darunter der rechtliche Besitz eines vom gesetzgebenden Allgemeinwillen im Grunde unabhängigen einzelnen menschlichen Willenssubjekts im Naturzustand verstanden sein soll. Doch wäre es mit der Frage der Rechtsbegründung im äußeren Verhältnis der Menschen so einfach bestellt, dann wären wohl auch einige Jahrhunderte des kontraktualistischen Okkupationsdenkens als gänzliche Verirrung des menschlichen Geistes anzusehen, weil es auf einen gemeinschaftlichen Willen zur Rechtsbegründung im Grunde alsdann gar nicht ankäme; ein von den Kontraktualisten offenbar kurzerhand übersehener Umstand. Da es sich so einfach in der Tat allerdings gewiss nicht verhält, musste Immanuel Kant seine Okkupationstheorie, damit aber zugleich auch sein gesamtes natürliches Privatrecht, rein begrifflich notwendig an die Idee des ursprünglichen Vertrages knüpfen, weshalb diese Idee an maßgeblicher Stelle in der Rechtslehre Immanuel Kants (§ 15) auch eigentlich unmissverständliche Erwähnung gefunden hat.

I. Die Sanktion eines öffentlichen Gesetzes als Unterschied zwischen natürlichem Zustand und öffentlichem Recht Eingangs des öffentlichen Rechts bzw. des Staatsrechts handelt § 44 nochmals von der besonderen rechtlichen Qualität des rechtlichen Zustandes der Menschen 880 Siehe für diese These nur die Hauptexponenten einer solchen Interpretationsrichtung: Ludwig, JRE 1 (1993), S. 221 ff.; Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 269 ff.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

untereinander überhaupt, und zwar anhand eines auf den Naturzustand schon zurückblickenden Vergleichs. Weil man diesen Paragraphen mit einer eigentumstheoretischen Interpretation für den in § 42 Abs. 1 vermeintlich angekündigten, tatsächlich jedoch gänzlich unmöglichen und darum auch § 42 Abs. 2 – 3 nicht gelieferten Beweis für die praktische Notwendigkeit des öffentlichen Rechts gehalten hat, mag es hilfreich sein, ihn vor dem hier eigentlich interessierenden Begriff des Staates (§ 45) im Folgenden nochmals eigens auseinanderzusetzen. Dies dürfte zumal gelten, da der am Ende von § 44 Abs. 2 als maßgeblich für alles öffentliche Recht ausgewiesene Begriff der „Sanction eines öffentlichen Gesetzes“881 noch sehr entscheidend für die rein begriffliche (d. h. metaphysische) Auffassung einer staatlichen Wirklichkeit in äußeren Verhältnissen werden wird, sodass auf diesen Begriff in der Beantwortung der Frage nach der Positivität des Rechts zurückzukommen ist. § 44 Abs. 1882

In § 42 Abs. 2 – 3 war zu einem extensiv deutlichen Bewusstsein gekommen, dass ein jedes menschliche Rechtssubjekt im blanken Naturzustand, ohne Aussicht auf einen gesetzgebenden Allgemeinwillen im äußeren Verhältnis, d. h. außerhalb der Sphäre des Begriffs des provisorischen Besitzes (§ 9 Abs. 1 S. 4), unter dem allgemeinen Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) im subjektiven Gebrauch (§ D) kraft seiner intrapersonalen Rechtsverpflichtung zu rechtlicher Selbstbehauptung im äußeren Verhältnis in all seinen äußeren Handlungen permanent zu einem präventiven Rechtszwang gegenüber jedem anderen Rechtssubjekt befugt wäre, weil es sich in dieser Naturzustandsvorstellung mit seinesgleichen bereits ausweislich seiner äußeren ungesetzlichen Form in einem nicht rechtlichen Zustand befindet. An diese naturzuständliche Vorstellung permanenter Gewalttätigkeit infolge rein rechtsbegrifflicher Zwangsbefugnis knüpft Immanuel Kant nun im ersten Halbsatz von § 44 Abs. 1 an, wenn er konstatiert, dass es nicht „die Erfahrung“ einer unrechtlichen äußeren Handlung als „Factum“883 sei, die den „den öffentlich gesetzlichen Zwang nothwendig macht“, sondern es „a priori in der Vernunftidee eines solchen (nichtrechtlichen) Zustandes“ liege, „daß, […] vereinzelte Menschen, Völker und Staaten niemals vor Gewaltthätigkeit gegen einander sicher sein können, und zwar aus jedes seinem eigenen Recht zu thun, w a s i h m r e c h t u n d g u t d ü n k t , und hierin von der Meinung des Anderen nicht abzuhängen“.884 881

RL, AA VI: 312.31. RL, AA VI: 312.02-21 (alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Absatz). 883 Der Factumbegriff hat auch an dieser Stelle (RL, AA VI: 312.05) nicht die moderne umgangssprachliche Bedeutung einer bloßen empirischen Tatsache, sondern die zurechnungstheoretische Bedeutung (MS, AA VI: 227.21-23) einer zum freien (hier: bösen) Willen zurechenbaren äußeren Handlung in Raum und Zeit. 884 Also nur, wenn man in § 42 Abs. 2 dagegen eine auf anthropologischen Fakten beruhende Naturzustandsskizze erblickt, kann man überhaupt meinen, in § 44 Abs. 1 werde diese Berufung auf empirische Fakten wieder aufgegeben, und der rein metaphysische Beweis der 882

B. Der Rechtszustand als praktische Vernunftidee allen äußeren Rechts

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Unter dem allgemeinen Rechtsgesetz, das eine äußerlich gesetzmäßige Bestimmung aller möglichen menschlichen Handlungen als praktisch notwendig vorstellt (§ C Abs. 4), darf es demnach keinen nicht-rechtlichen Zustand geben, sodass mit dem Postulat des allgemeinen Rechtsgesetzes a priori zugleich die praktische Notwendigkeit eines öffentlichen Rechts anzunehmen ist. In diesem Sinne kommt Immanuel Kant im zweiten Halbsatz des § 44 Abs. 1 nochmals auf den notwendigen Übergang vom natürlichen in den rechtlichen Zustand, und mithin in der Sache selbst auch auf den ursprünglichen Vertrag zu sprechen, wenn er von einer notwendigen Vereinigung notiert: „mithin das Erste, was ihm zu beschließen obliegt, wenn er nicht allen Rechtsbegriffen entsagen will, der Grundsatz sei: man müsse aus dem Naturzustande, […], herausgehen und sich mit allen anderen (…) dahin vereinigen, sich einem öffentlich gesetzlichen äußeren Zwange zu unterwerfen, also in einen Zustand treten, darin jedem das, was für das Seine anerkannt werden soll, g e s e t z l i c h bestimmt und durch hinreichende M a c h t (die nicht die seinige, sondern eine äußere ist) zu Theil wird, d. i. er solle vor allen Dingen in einen bürgerlichen Zustand treten.“ Der rechtliche Zustand entsteht somit seiner reinen praktischen Idee nach durch die Vereinigung aller Rechtssubjekte zu einem öffentlich gesetzlichen äußeren Zwang, und zeichnet sich auf diese Weise – worauf der Sperrdruck hinweist – selbst qualitativ durch eine gesetzliche Bestimmung im äußeren Verhältnis der Menschen zueinander aus, die von einer für jedes menschliche Privatrechtssubjekt äußeren gesetzlichen Macht begleitet wird. – Weil diese beiden Momente dieser insgesamt effektiven Sanktion einer gesetzlichen Bestimmung im Begriff der distributiven Gerechtigkeit ursprünglich vereinigt sind, enthält § 44 Abs. 2 mit eben dieser Begrifflichkeit wohl eine extensive Verdeutlichung dieser Einsicht in die rechtliche Qualität des rechtlichen Zustandes, die dann im metaphysischen Staatsrecht (§§ 45 ff.) rein begrifflich weiter systematisch in sich, d. h. zu intensiver Vernunftdeutlichkeit zu entfalten ist: § 44 Abs. 2885

Denn es resultiert die im vorhergehenden Absatz angesprochene Vernunftidee des nicht-rechtlichen Zustandes aus der begrifflich noch nicht weiter bestimmten Naturzustandsvorstellung des äußeren Verhältnisses der Menschen zueinander unter dem bloßen allgemeinen Rechtsbegriff (§ B Abs. 3). Damit aber steht der natürliche Zustand des äußeren Verhältnisses der Menschen untereinander überhaupt in der Bestimmungssphäre des allgemeinen Rechtsbegriffs und insofern konnte er zuvor praktischen Notwendigkeit des Staates wieder aufgenommen (vgl. dazu oben unter A. IV. 5.). Da es einen Beweis für den bereits unmittelbar gewissen Satz des Postulates des öffentlichen Rechts methodologisch jedoch tatsächlich ohnehin nicht geben kann, kann man in dieser vermeinten Änderung der Argumentationsstrategie allerdings auch nur schwerlich den vermeinten Beweis gefunden haben. 885 RL, AA VI: 312.22-33 (alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Absatz).

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(§§ 1 – 42) auch nicht, und zwar in keiner seiner beiden im Hinblick auf eine äußere Gesetzgebung möglichen Vorstellungen, als „ein Zustand der U n g e r e c h t i g k e i t (iniustus)“ betrachtet werden, obwohl ihm die rechtlich im äußeren Verhältnis real bestimmende Rechtsform einer öffentlichen Gerechtigkeit selbst in jedem Fall noch abgeht. Denn unter dem allgemeinen Rechtsbegriff lässt sich der natürliche Zustand im Hinblick auf ein öffentliches Recht jedenfalls bereits provisorisch rechtlich bestimmt als ein möglicher Rechtszustand und mithin als ein möglicher Gerechtigkeitszustand denken. Aber auch der solchermaßen „nur p r o v i s o r i s c h “ rechtlich bestimmte Naturzustand „war doch ein Zustand der R e c h t l o s i g k e i t (status iustitia vacuus)“, weil es die darin im Hinblick auf die real bestimmende Rechtsform einer öffentlichen Gerechtigkeit im Staat „nach jedes seinen R e c h t s b e g r i f f e n “ als rechtlich möglich bestimmte Privatrechtsmaterie ohne das Dasein dieser real bestimmenden Rechtsform, das wiederum nur im öffentlichen Recht rein begrifflich denkbar ist, tatsächlich eben gerade nicht auch schon wirklich geben kann. Denn die Wirklichkeit der rechtlich tatsächlich bestimmten Privatrechtsmaterie setzt schließlich die Rechtskraft dieser Privatrechtsmaterie für sich selbst voraus, welche es im Privatrechtsverhältnis der Menschen zueinander nur durch einen staatlichen Richterspruch unter öffentlichen Gesetzen (iustitia distributiva) geben kann, weil ihnen darin im einzelnen Erwerbsfall eine mit praktischer Notwendigkeit gesetzlich bestimmte und insofern übermächtige Zwangsgewalt im äußeren Verhältnis begegnet. Mithin war der natürliche Zustand der Menschen untereinander, darin schon rein begrifflich noch keine gesetzliche Subordination im äußeren Verhältnis tatsächlich stattfand, auch ein solcher, in dem, „wenn das Recht s t r e i t i g (ius controversum) war, sich kein kompetenter Richter fand, rechtskräftig den Ausspruch zu thun“. Die besondere rechtliche Qualität des rechtlichen Zustandes der besitzenden Privatrechtssubjekte untereinander besteht demnach mit der Einsicht des zweiten Absatzes in dem Dasein der durch eine distributive Gerechtigkeitsinstanz unter Gesetzen geleisteten Garantie einer rechtskräftigen Zurechnung in jedem einzelnen Erwerbsfall, d. h. in der „Sanction eines öffentlichen Gesetzes“, die in der gesetzlichen Bestimmung des Erwerbs durch eine öffentliche Gerechtigkeit und einer Sicherung dieser rechtlichen Bestimmung durch eine ausübende Zwangsgewalt gesetzt ist.886 886 An den zweiten Absatz von § 44 schließt sich eine weitere durch Einrückung des Textes gekennzeichnete Anmerkung im dritten Absatz (RL, AA VI: 312.34-313.08) an, die das öffentliche Recht im rechtlichen Zustand (§§ 43 – 62) nochmals ins Verhältnis zu dem Begriff des provisorischen Besitzes im natürlichen Zustand (§ 9 Abs. 1 S. 4) setzt und dabei verdeutlicht, dass das öffentliche Recht die natürliche Privatrechtsmaterie, von der im Folgenden (§§ 45 ff.) abstrahiert werden wird, rein begrifflich für sich selbst unter sich voraussetzt. Auch diese anmerkungsweise ergänzende Textstelle lässt sich also kaum mit einem empirischen Wortverständnis des Begriffs des provisorischen Besitzes (dazu oben unter A. I. 4. c) aa)) erklären, ohne sich sofort in nicht unerhebliche Widersprüchlichkeiten mit dem kurz zuvor im vorherigen Absatz vorausgeschickten Text zu verstricken. Denn wenn der Besitz im natürlichen Zustand im Hinblick auf das öffentliche Recht „nach jedes seinen R e c h t s b e g r i f f e n “ rein begrifflich

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II. Der praktische Vernunftbegriff des Staates als gesetzliche Selbstvorstellungstätigkeit (d. h. Autonomie) Die beiden bereits in § 44 Abs. 1 ausgemachten Momente der rechtlichen Qualität des rechtlichen Zustandes vereinigen sich mit der Einsicht des § 44 Abs. 2 offenbar in der Einheit des Begriffs einer distributiven Gerechtigkeit, und zwar, weil dieser in sich die exekutive Zwangsgewalt einer öffentlichen Gerechtigkeit im einzelnen Erwerbsfall mit der praktischen Notwendigkeit des Begriffs der öffentlichen Gerechtigkeit unter die gesetzliche Bestimmungsgewalt einer öffentlichen Gerechtigkeit subordiniert. Durch diese begrifflich-schlüssige Subordination, die offensichtlich auf die Einheit der drei Gewalten im Staat vorausblickt (§ 45 Abs. 2), lässt sich dann unter dem Begriff der distributiven Gerechtigkeit die den rechtlichen Zustand kennzeichnende Sanktion eines öffentlichen Gesetzes rechtlich bestimmt denken. Insofern unter diesem Begriff der Sanktion eines öffentlichen Gesetzes schließlich auch der Begriff eines positiven Gesetzes eingeteilt in seiner rechtlichen Bestimmung zu denken sein wird, ist der reine praktische Begriff des Staates, so wie er im metaphysischen Staatsrecht (§§ 43 – 52) entwickelt wird, auch ganz maßgeblich für die Beantwortung der Frage nach der Positivität des Rechts in der kritischen Naturrechtslehre Immanuel Kants (siehe dazu das 8. Kapitel). Aus diesem Grund bedarf es hier nun einer Auseinandersetzung dieses metaphysischen Staatsrechts. Allerdings sieht sich jede Interpretation des metaphysischen Staatsrechts zunächst einmal vor das Problem gestellt, dass dieser Abschnitt mit zu denjenigen Passagen der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre gehört, von denen Immanuel Kant in der Vorrede notiert hatte, sie nur „mit minderer Ausführlichkeit“ nicht bloß „provisorisch für rechtlich [zu] erkennen“ ist, sondern darüber hinaus darin auch schon unabhängig vom Staat bürgerlicher Gesellschaft (§ 8 Abs. 1 S. 7) Wirklichkeit haben soll, dann bliebe unerklärlich, weshalb der natürliche Zustand ein solcher der „ R e c h t l o s i g k e i t “ gewesen sein sollte, wenn doch das natürliche Privatrecht nach diesem empirischen Wortverständnis darin schon außerhalb des bloßen Gedankens existierte. Insbesondere ist der letzte Satz dieses dritten Absatzes von § 44 deshalb nicht ohne Friktionen im Sinne einer realen Existenzbehauptung so lesbar, als gäbe es im natürlichen Zustand einen vorläufig einstweilen tatsächlich subsistierenden Rechtsbesitz: „Es würde also, wenn es im Naturzustande auch nicht p r o v i s o r i s c h ein äußeres Mein und Dein gäbe, auch keine Rechtspflichten in Ansehung desselben, mithin auch kein Gebot geben, aus jenem Zustande herauszugehen.“ Denn die einzige naturzuständliche Rechtspflicht des exeundum e statu naturali besteht im natürlichen Zustand nur „in Ansehung“ des im Hinblick auf das öffentliche Recht provisorisch für rechtlich und mithin als rechtlich möglich (aber nicht schon als rechtlich wirklich) erkannten Rechtsbesitzes. Es ist folglich nicht die Existenz natürlicher Privatrechte im natürlichen Zustand, die das öffentliche Recht im rechtlichen Zustand notwendig macht, sondern es ist die unmittelbare praktische Notwendigkeit eines öffentlichen Rechts im rechtlichen Zustand, die natürliche Privatrechte schon im Naturzustand rechtlich bestimmt denkmöglich macht. Mehr als diese rechtliche Möglichkeit eines äußeren Rechtsbesitzes lässt sich unter dem rechtlichen Postulat der praktischen Vernunft des § 2 Abs. 1 dann im natürlichen Zustand rein begrifflich gar nicht rechtlich bestimmt denken, wenn dieses Postulat als rechtsbegrifflicher Anfangsgrundsatz des natürlichen Privatrechts gilt.

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bearbeitet zu haben, mitunter weil sie aus den vorhergehenden Abschnitten „leicht“ zu folgern sein müsste.887 Eine im metaphysischen Staatsrecht methodologisch strenge Entwicklung des reinen praktischen Vernunftbegriffs des Staates (§ 45 Abs. 1) mitsamt dem zu ihm innerlich gehörigen reinen praktischen Vernunftbegriff der idealen Erwerbung eines staatlichen Zustandes (§ 47), vergleichbar etwa der begrifflichen Entwicklung des metaphysischen Sachenrechts (§§ 11 – 17), geht diesem Abschnitt daher ab. Auch einschlägige Paragraphenüberschriften, die auf die entsprechenden methodologischen Schritte der Begriffsentwicklung verweisen würden, fehlen im metaphysischen Staatsrecht beinahe völlig. Demnach bedarf es zum Verständnis der betreffenden Ausführungen vorab einer Vergewisserung der darin überhaupt rein begrifflich zu leistenden Aufgabe, um die entsprechende Struktur einer Auflösung dieser Aufgabe im originalen Text erst zu erkennen, wobei sich die begrifflich zu leistende Aufgabe aus dem Postulat des öffentlichen Rechts (§ 42 Abs. 1 S. 1) heraus bestimmen lassen muss, da dieses als rein begrifflicher Anfangsgrundsatz des öffentlichen Rechts fungiert: Wie jedes Postulat bestimmt auch das Postulat des öffentlichen Rechts in seinem unmittelbar gewissen praktischen Satz eine Handlung, von der vorausgesetzt wird, dass die Art ihrer Ausführung unmittelbar gewiss sei. Denn das Postulat des öffentlichen Rechts stellt in seinem praktischen Satz, in einen rechtlichen Zustand distributiver Gerechtigkeit unter öffentlichen Gesetzen zu treten, das rechtszuständliche Haben einer rechtlich absolut bestimmenden Substanz des Willens im äußeren Verhältnis für ein menschliches Rechtssubjekt als Handlung praktisch notwendig vor. Hierbei ist als unmittelbar gewiss vorausgesetzt, dass diese Konstitution eines öffentlich-rechtlichen Willenssubjekts im äußeren Verhältnis vermittelst eines ursprünglichen Vertrages aller Rechtssubjekte als Konstitutionshandlung rechtlich bestimmt ausgeführt werden kann. Wenn dann infolge dieser rechtlich bestimmten Ausführung der im Postulat als praktisch notwendig bestimmten Konstitutionshandlung das Haben einer absoluten Substanz rechtlicher Bestimmung im äußeren Verhältnis als rechtlich gewirkt und das Verhältnis der Menschen untereinander mithin als rechtlicher Zustand im äußeren Verhältnis auch effektiv vorgestellt wird, so resultiert aus dem Postulat des öffentlichen Rechts auf diese Weise der Begriff des Staates (§ 45 Abs. 1), denn unter ihm wird in der bürgerlichen Gesellschaft ein rechtlicher Zustand der einzelnen Menschen zueinander im Volk vorgestellt. Dieser reine praktische Begriff des Staates setzt mit dieser Wirkung der ursprünglichen Konstitutionshandlung aber zugleich in sich selbst offensichtlich den Begriff der Kausalität einer Handlung voraus, sodass in einer synthetischen Entwicklung des Begriffs des Staates die im Staat gesetzestätig stattfindende Kausalität rein begrifflich zu entwickeln ist.888 Die auf § 45 Abs. 1 nachfolgenden Paragraphen 887

MS, AA VI: 209.08-14. Zu dieser verstandesbegrifflichen Architektonik des öffentlichen Rechts siehe nochmals unter B. III. 2. a) im vierten Kapitel. 888

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(§§ 46 – 49) handeln darum in ihren Begriffen von der inneren Staatstätigkeit bzw. ihrer Verfassung im Ausgang von dem reinen praktischen Begriff der zum Staat innerlich gehörigen Konstitutionshandlung, sodass in der Folge innerhalb einer nicht mehr selbst zum reinen Begriffssystem gehörigen allgemeinen Anmerkung (A.–E.) von den „rechtlichen Wirkungen aus der Natur“ des Staates gehandelt werden kann. Weil aber diese kausale Staatstätigkeit innerhalb des absoluten Staatsrechtssubjekts, das sich subjektiv ursprünglich aus der Vereinigungstätigkeit aller menschlichen Rechtssubjekte konstituiert und in seiner kausalen Bestimmungstätigkeit folglich auch nur auf diese menschlichen Rechtssubjekte in ihrer gemeinschaftlichen Vereinigung objektiv wirken kann, offensichtlich nur als Wechselwirkung in einer Gemeinschaft von menschlichen Rechtssubjekten denken lässt, setzt der entwickelte Begriff dieser Staatstätigkeit offenbar den Begriff einer Wechselwirkung in Gemeinschaft voraus, sodass die §§ 50 – 52 begrifflich mit eben dieser Wechselwirkung zu tun haben. Aus diesem Grund wird dort besonders von „dem rechtlichen Verhältnisse des Bürgers zum Vaterlande“ gehandelt, und in diesem Zusammenhang die rechtliche Form der Staatstätigkeit des Staatsrechtssubjekts durch die Repräsentationstätigkeit der Staatsbürger als Staatsgliedern erklärt. Die gesetzliche Selbstvorstellungstätigkeit (Autonomie) des Staates (§§ 45 – 52) beruht demnach wesentlich auf der gesetzlich (autonom) bestimmten Repräsentations- bzw. Staatsvorstellungstätigkeit einer bürgerlichen Gesellschaft von freien, gleichen und selbstständigen Privatrechtssubjekten. Da der reine praktische Substanz- bzw. Staatsbegriff auf diese Weise aber innerlich durch den reinen praktischen Gemeinschaftsbegriff wesentlich bestimmt ist, kommt die rein rechtsbegriffliche und in sich autonome Bestimmung des Staatsbegriffs damit zu ihrem Ende, denn der auch hier in besonderen Staatsrechtsbegriffen (§§ 45 – 52) als allgemein bestimmend gebrauchte Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) stellt nichts anderes als die reine praktische Bestimmung der praktischen Gemeinschaftskategorie vor. Mit diesem rein begrifflich strukturierten Abriss der allgemeinen Struktur des metaphysischen Staatsrechts dürfte es zum Zweck einer verlässlichen Beantwortung der hier subjektiv vorgesetzten Erkenntnisfrage nach der Positivität des Rechts in der kritischen Naturrechtslehre Immanuel Kants im Folgenden ausreichend sein, den zuvor in seinem Umriss exponierten Gedanken mit einer Auseinandersetzung lediglich der §§ 45 – 49 einstweilen hinreichend zu beglaubigen. Denn in einer kausalen und daher letztlich wirklichen Gesetzgebung liegt zugleich stets auch eine positive Rechtssetzung, sodass die für das Verständnis der Positivität entscheidenden Begriffsbestimmungen schon in der rein begrifflichen Entwicklung der kausalen Staatstätigkeit, nicht erst in der ihrer innerlich wechselwirksam verfassten praktischen Vorstellungsstruktur zu erwarten sind.

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1. Realdefinition des reinen praktischen Vernunftbegriffs des Staates Mit § 45 setzt der Teil des Staatsrechts (§§ 43 – 52) ein, der sich spezifisch mit dem metaphysischen Begriff des Staates und seiner synthetischen Begriffsentwicklung beschäftigt, nachdem die §§ 43 – 44 noch allgemein zugleich auch vom öffentlichen Recht überhaupt im Ausgang vom Staatsrecht handelten, weil dieses in sich die ursprünglichste Vorstellungseinheit des öffentlichen Rechts vorstellt. In § 45 Abs. 1 findet sich nun zu Beginn der spezifisch staatsrechtlichen Ausführungen insgesamt eine Realdefinition des metaphysischen Staatsbegriffs, genau so, wie sich eingangs des metaphysischen Sachenrechts (§§ 11 – 17) eine Realdefinition des Sachenrechts (§ 11 Abs. 2) fand. Ebenso wie dort eine zunächst angenommene Nominaldefinition (§ 11 Abs. 1 S. 1) eines Sachenrechts eingeführt und sodann zur Realdefinition entwickelt wurde, findet sich jetzt auch hier in § 45 Abs. 1 S. 1 zunächst eine bloße Nominaldefinition, die sodann in § 45 Abs. 1 S. 2 zur Realdefinition des Staates wird. Die zwischen Nominaldefinition und Realdefinition methodologisch notwendig liegende verstandesanalytische Exposition der Merkmalsvorstellungen des zu definierenden Begriffs fehlt im metaphysischen Staatsrecht gleichermaßen wie im metaphysischen Sachenrecht. Eine methodologisch vorgehende Interpretation muss sich folglich die Exposition des Begriffs des Staates selbst denken, um gedanklich zu größerer Klarheit in der Frage dessen zu gelangen, welche allgemeine Vorstellung im reinen praktischen Begriff des Staates inhaltlich real bestimmend gelegen ist. In diesem Sinne ist die Begriffsvorstellung des § 45 Abs. 1 darum im Folgenden zu erörtern: a) Nominaldefinition des Staatsbegriffs Der Begriff des Staates (civitas) wird von Immanuel Kant in § 45 Abs. 1 S. 1 nominal als „die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen“889 erklärt. Es gibt mit dieser Begriffserklärung also im Staat objektiv eine Vereinigung von Menschen zu einer Einheit, die subordiniert unter Gesetzen ihre subjektive Existenz hat. Die staatliche Vereinigung unter Gesetzen besteht demnach in ihrer subjektiven Existenz objektiv weder durch rohe Gewalt (facto), noch durch bloßen Vertrag (pacto), sondern eben durch Gesetz (lege). Die objektiv im Staat bestehende Vereinigung von Menschen setzt demnach eine Rechtsform als ihren eigenen Wirklichkeitsgrund voraus, der ihrem bloßen Privatrecht im natürlichen Zustand nach seinem Vernunftbegriff noch zwingend abgeht. Nominal ist das im Begriff des Staates allgemein vorstellte Verhältnis also durch eine Subordination von Menschen unter Rechtsgesetze gekennzeichnet, dadurch diese objektiv als Vereinigung zu verstehen sind. Bei dieser bloß beschreibenden Begriffserklärung kann ein metaphysisches Staatsrecht nun allerdings nicht stehen bleiben, denn in einer Metaphysik des 889

RL, AA VI: 313.10-11.

B. Der Rechtszustand als praktische Vernunftidee allen äußeren Rechts

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Staatsrechts ist es um den reinen Begriff des Staates zu tun. Demnach bedarf es einer Realdefinition seines Begriffs, die einesteils die hinreichende Realbedingung eines staatlichen Wesens in diesem Begriff als solche setzt, dabei aber anderenteils diese zuvor erläuterte Nominaldefinition für sich selbst voraussetzt, wenn und weil es sich bei ihr um eine richtige Nominaldefinition handelt, wovon Immanuel Kant auszugehen scheint, wenn er im nächsten Satz die hierauf bezogene Bedingung einer Realdefinition des Staatsbegriffs angibt. Ein wesentliches Kennzeichen eines jeden – reinen oder empirischen – Staates, dadurch diese Rechtsverbindung in Abgrenzung zu allen anderen Rechtsformen des privaten oder öffentlichen Rechts schon rein äußerlich von jedermann hinreichend verständig unterschieden werden kann, ist und bleibt demnach die in ihm durch den Nominalbegriff gedachte Subordination von Menschen unter Rechtsgesetze. Also wird man die im Staat bereits rein äußerlich gedachte Subordination als ein wesentliches Vorstellungsmerkmal desselben nicht unverständig leugnen, und mithin in dieser Subordination auch nicht die Gleichberechtigung des Staatsrechtssubjekts mit den in ihm zu einer Vereinigung subordinierten Menschen unter Rechtsgesetzen behaupten können, insofern man diese Nominaldefinition als richtig anerkennt und sich zugleich nicht selbst widersprechen will. Auch die Verkehrung des Subordinationsverhältnisses derart, dass die in ihm zur Vereinigung subordinierten Menschen das Staatsrechtssubjekt unter sich subordinieren, d. h. die Behauptung eines subjektiven Widerstandsrechts einzelner Menschen gegen das Staatsrechtssubjekt, lässt sich schon durch diese Nominaldefinition des Staatsbegriffs nicht begründet denken; die staatsrechtsbegriffliche Undenkbarkeit eines solchen Widerstandsrechts ist demnach eine Wirkung des Staatsbegriffs (Allg. Anm. A.). Die im Folgenden zu entwickelnde Frage nach der Realdefinition des reinen praktischen Rechtsbegriffs des Staates ist aber – über diese bloß nominale Kennzeichnung zur äußerlichen Unterscheidung hinaus – die rein begrifflich zu beantwortende Frage nach dem eigentlichen Wesen eines Staates, d. h. nach dem praktisch vernünftig bestimmenden Vorstellungsmerkmal, das einen jeden Staat innerlich als solchen qualitativ erst praktisch real ausmacht. Es muss somit in einer Realdefinition der rein begriffliche Rechtsgrund für die in einem Staat nach seinem Nominalbegriff schon äußerlich erkennbare Subordination angegeben werden, wobei eine verstandesanalytische Exposition seines Begriffs auf diesen inneren Grund systematisch hinleitet: b) Verstandesanalytische Exposition des Staatsbegriffs Exponiert man die zuvor nominal gegebene Definition des Staates systematisch zu größerer extensiver Verstandesdeutlichkeit, so ist sie methodologisch unter allen

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

vier wesentlichen Momenten des Verstehens in ihrer analytischen Reihenfolge zu betrachten:890 Unter dem Verstandesmoment der Modalität muss der Staat nach diesem nominalen Rechtsbegriff praktische Notwendigkeit in sich haben. Denn die Vereinigung von Menschen in ihm steht in ihrer Einheit unter Rechtsgesetzen. Eben deshalb lässt sich ein Staat auch nicht als ein bloß empirischer Gewaltakt, sondern an sich lediglich als ein metaphysischer Freiheitsakt begreifen, da praktische Notwendigkeit stets die reale Bestimmung des praktischen Begriffs der Freiheit anzeigt. Der Begriff des Staates ist demnach kein empirischer, sondern ein metaphysischer Begriff, und eine Realdefinition des metaphysischen Staatsbegriffs muss eben darum angeben, wie der metaphysische Begriff der Freiheit des Willens darin praktisch bestimmend ist. Bevor diese Aufgabe einer Realdefinition zur Auflösung gebracht wird, ist die zuvor nach dem Verstandesmoment der Modalität erörterte Staatsvorstellung jedoch noch weiter nach wesentlichen Verstandesmomenten zum Zwecke noch größerer extensiver Deutlichkeit der Staatsvorstellung zu analysieren: Unter dem Verstandesmoment der Relation wird in der praktisch notwendigen Begriffsvorstellung des Staates dann eine Vielzahl von Menschen als Einheit im Staat gedacht. In der Relation des Staatsbegriffs stehen sich also ein Staatsrechtssubjekt sowie eine Gesellschaft von Menschen als Staatsrechtsobjekt gegenüber, und zwar dergestalt, dass das Staatsrechtssubjekt diese durch seine Gesetze unter sich und dadurch zugleich in sich hat. Zwischen dem Staatsrechtsobjekt und dem Staatsrechtssubjekt findet demnach ein Verhältnis von Inhärenz und Subsistenz statt, sodass der Staat in seinem Begriff als Substanz und die vereinigten Glieder als Akzidenz dieses praktisch notwendigen Verhältnisses einer Subordination anzusehen sind.891 890 Zur Methode verstandesanalytischer Exposition eines gegebenen Begriffs zur größerer extensiver Deutlichkeit siehe an dieser Stelle nochmals die Erörterungen unter C. I. im dritten Kapitel und das entsprechende methodologische Vorgehen beispielsweise bereits bei der Exposition des allgemeinen Rechtsbegriffs unter B. II. im fünften Kapitel. Insbesondere ist eine solche verstandesanalytische Exposition eines gegebenen Begriffs – hier: des metaphysischen Staatsbegriffs – nicht durch die praktischen Kategorien der Freiheit (des Willens) zu leisten, wie sie sich in KpV, AA V: 66 niedergelegt finden. Denn die intellektuelle Verdeutlichung eines gegebenen Begriffs ist eine logische Handlung des denkenden Verstandessubjekts, nicht aber eine praktische Begriffsbestimmung des freien Willenssubjekts, und zwar auch dann, wenn es bei ihr um die Verdeutlichung eines praktischen Begriffs zu tun ist. 891 Wenn der Staat in seinem Begriff als Substanz und die einzelnen Menschen in ihrer Vereinigung als Akzidenz angesehen werden müssen, schließt das nicht aus, dass der Mensch in seinem reinen praktischen Begriff der Persönlichkeit nicht auch selbst als Substanz angesehen werden muss. Da der Staatsbegriff diese Betrachtung des Menschen als Persönlichkeit bzw. Substanz – als ein praktischer Freiheitsbegriff – sogar für sich selbst voraussetzt, kann man nicht sagen, dass durch diesen Staatsbegriff die substanzielle Freiheit des Menschen negiert wird, nur weil der Begriff des Staates in dieser stillschweigenden Voraussetzung der Persönlichkeit des Menschen als einem freien Willen zugleich davon abstrahiert. Mit einem Wort: Der einzelne Mensch ist mit seiner Persönlichkeit jederzeit selbst auch als Substanz eines freien Willens zu betrachten, allerdings nicht im Begriff des Staates, sondern im Begriff der Per-

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Betrachtet man die bis hierhin analysierte Staatsvorstellung nunmehr weiter unter dem Verstandesmoment der Qualität, so ist zu bemerken, dass in der praktisch notwendigen Relation des Staates eine reale Rechtsbestimmung gedacht wird. Denn durch die Subordination des Staatsrechtsobjekts unter das Staatsrechtssubjekt hat die gesetzliche Bestimmung des Staatsrechtssubjekts im Staatsrechtsobjekt ihre objektive Realität. Durch die Rechtsgesetze bestimmt der Staat demnach seine in ihm gesetzlich subordinierten Glieder rechtlich mit praktischer Notwendigkeit. Schließlich ist die bis hierher analysierte praktisch notwendige Rechtsbestimmung des Staates an seinen Gliedern, die aus einer Subordination dieser Glieder unter Rechtsgesetze in ihrer objektiven Realität resultiert, noch unter dem Verstandesmoment der Quantität zu erörtern, womit sich der Kreis schließt. Denn wenn die praktische notwendige Rechtsbestimmung im Staat aus einer Subordination unter Rechtsgesetze objektiv real resultiert, dann enthält die Merkmalsvorstellung von Rechtsgesetzen in sich die praktische Notwendigkeit des Staatsbegriffs. Weil sich alle praktische Notwendigkeit (d. h. Freiheit) aber ihrerseits real bestimmt nur durch und unter einem reinen Allgemeinwillen in praktischen Gesetzen überhaupt denken lässt (§§ 1 – 8 KpV), wird in den Rechtsgesetzen des Staatsbegriffs ein reiner Allgemeinwille als praktisch notwendig real bestimmend vorgestellt. Die Einheit eines reinen (d. h. unendlich) allgemeinen Willens in Rechtsgesetzen ist demnach als real bestimmende Größenvorstellung in der reinen Allgemeinvorstellung (d. h. dem reinen Begriff) des Staates anzusehen und insofern folgerichtig auch als praktische Realbedingung im metaphysischen Begriff des Staates rein begrifflich zu setzen: c) Realdefinition des Staatsbegriffs Ganz im vorstehenden Sinne ist § 45 Abs. 1 S. 2 als begriffliche Setzung der praktisch bestimmenden Realbedingung im metaphysischen, d. h. reinen und praktischen Begriff (= Idee) des Staates zu verstehen: „So fern diese als Gesetze a priori nothwendig, d. i. aus Begriffen des äußeren Rechts überhaupt von selbst folgend, (nicht statutarisch) sind, ist seine Form die Form eines Staats überhaupt, d. i. der Staat i n d e r I d e e , wie er nach reinen Rechtsprincipien sein soll, welche jeder wirklichen Vereinigung zu einem gemeinen Wesen (also im Inneren) zur Richtschnur (norma) dient.“ (RL, AA VI: 313.11-16).

Denn wenn die in der Nominaldefinition angesprochenen Rechtsgesetze nicht als positive, sondern als natürliche Gesetze, und als solche in der Realdefinition des Staates innerlich als praktisch real bestimmend im Staat rein begrifflich gesetzt sönlichkeit bzw. der Person. Es würde sich also lediglich ein abstraktes Denken in der durchaus unzutreffenden Behauptung manifestieren, dass aus dem hier exponierten Gegensatz von Staatsrechtssubjekt und Staatsrechtsobjekt im Begriff des Staates zugleich eine negatorische Aufhebung der Freiheit des menschlichen Subjekts resultieren kann oder muss. Das menschliche Rechtssubjekt kommt schließlich in seinem Begriff seiner Persönlichkeit zu seinem Recht, wohingegen der Staat in seinem Begriff des Staates zu seinem Recht (genannt: Staatsrecht) kommt.

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werden, dann ist in ihnen – durch reine praktische Begriffe des äußeren Rechts vermittelt (namentlich: ursprünglicher Vertrag, intelligibler Besitz, Recht der Menschen) – zugleich auch ein reiner Allgemeinwille als innerlich bestimmend gesetzt. Der reine praktische Begriff des Staates enthält damit aber in sich nicht die Vorstellung eines endlich allgemeinen Willens, denn dann wäre er tatsächlich ein empirischer Begriff, sondern die eines unendlich allgemeinen Willens, dadurch die allgemeine Vorstellung im Begriff des Staates zugleich selbst eine unendlich und darum unbedingt allgemeine Vorstellung, mithin eine reine Idee ist. Denn eine Idee enthält als ein reiner Vernunftbegriff, geschlossen aus reinen Verstandesbegriffen, stets eine unbedingte Größenvorstellung (Maximum) von einem vollkommenen Ding als Urbild dieses Dinges begrifflich bestimmend in sich selbst, weshalb sie alle bloß endliche Bestimmung auch notwendig übersteigt.892 Während eine theoretische Idee mit dieser reinen Größenvorstellung qualitativ jedoch keine reale Bestimmung (d. h. theoretische Erkenntnis) außerhalb des bloßen Begriffs auch in empirischen Anschauungen von möglichen Gegenständen wirkt, weil eine unendliche Größe nicht in der empirisch und darum endlich bedingt bestimmten Vorstellung von Raum und Zeit angetroffen werden kann, verhält es sich bei praktischen Ideen anders, weil es zur praktischen Bestimmung (d. h. einer solchen aus Freiheit) auf die subjektiven Vorstellungsformen von Raum und Zeit im Grunde der Bestimmung gerade nicht ankommt. So wirkt innerhalb einer praktischen Idee schon die reine Größenvorstellung von einem unbedingt allgemeinen Willen qualitativ real bestimmend, weil sich der Wille, als metaphysische Substanz und absolutes Subjekt dieser Vorstellung, durch seine bloße (Größen-)Vorstellung eines solchen unbedingt allgemeinen Willens in praktischen Gesetzen im Grunde tätig an sich selbst real bestimmt. In diesem praktischen Sinne bestimmt sich auch ein Staatsrechtssubjekt mit diesem seinem reinen Begriff durch die bloße Selbstvorstellung eines reinen Allgemeinwillens qualitativ real an seinen Gliedern selbst, und in eben diesem Sinne muss die reine Größenvorstellung eines unendlich allgemeinen Willens im metaphysischen Staatsbegriff nicht nur für ein jedes Staatsrechtssubjekt, sondern auch von einem jeden anderen Vernunftsubjekt (z. B. einem Menschen) unter diesem Begriff als praktisch, d. h. als handlungsbestimmend begriffen werden. Daher hat der reine praktische Begriff des Staates – als Idee und Urbild von einem Staat überhaupt – dann auch erst den in § 45 Abs. 1 S. 2 angesprochenen Charakter einer praktisch bestimmenden „Richtschnur“ in äußeren Handlungen; und aus eben diesem Grund fungiert diese Idee eines Staates als natürliches Gesetz des öffentlichen Rechts („norma“) im reinen und zugleich praktisch vernünftigen Rechtsdenken. Die im Staat tätig bewirkte Subordination der Glieder unter die Rechtsgesetze des Staates hat demnach ihren rechtlichen Wirklichkeitsgrund in der reinen praktischen 892 Siehe zum Ideenbegriff allgemein KrV, A 310 f./B 366 ff. sowie A 312 ff./B 368 ff. und im hiesigen Begriffszusammenhang besonders auch die Ausführungen Tieftrunks, Philosophische Untersuchungen II (1798), S. 110 ff.

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Selbstbestimmung des Staatsrechtssubjekts, die zugleich stets auch die reine praktische Selbstbestimmung des einzelnen Rechtssubjekts in seinen äußeren Handlungen ist. Wenn somit der reine praktische Begriff des Staates an sich selbst frei von empirischen Bestimmungen ist, so lassen sich doch durch ihn und unter ihm zugleich auch empirisch bestimmte Staaten – durch empirische Rechtsbegriffe vermittelt – überhaupt als Staaten praktisch begreifen. Insofern bestimmt der Begriff der respublica noumenon den Begriff der respublica phaenomenon,893 unter dem dann jede empirisch wirkliche Vereinigung von Menschen zu einem gemeinen Wesen als Staat praktisch begriffen wird. d) Die Aufgabe vernunftbegrifflicher Entwicklung eines metaphysischen Staatsrechts Nachdem mit den vorstehenden Überlegungen der reine praktische Begriff des Staates realdefiniert wurde, kann es im Folgenden (§§ 45 Abs. 2, 46 – 49) nur noch um die reinen staatsrechtlichen Rechtsbegriffe zu tun sein, die nicht schon in ihm, sondern erst unter ihm in ihrer synthetischen Verknüpfung a priori als praktisch notwendig erkannt werden. Aus diesem Umstand leitet sich dann aber auch die methodologische Struktur der folgenden Überlegungen im Staatsrecht her, nach der zunächst eine metaphysische Einteilung des metaphysischen Staatsbegriffs (§ 45 Abs. 2), und sodann eine begriffliche Entwicklung seiner Einteilungsglieder (§§ 46 – 49) in ihrem inneren und sich wechselseitig zur Einheit des Staats bestimmenden Zusammenhang notwendig werden wird. In der Sache selbst wird dabei ein Rechtsproblem zur rein begrifflichen Auflösung kommen, das ursprünglich bereits im realdefinierten Begriff des Staates aufgehoben ist, wenn es bereits zuvor hieß, dass die im Staat bewirkte Subordination seiner Glieder unter Rechtsgesetze ihren rechtlichen Wirklichkeitsgrund in der gesetzlichen Selbstbestimmung (d. h. Autonomie) des Staatsrechtssubjekts hat, die zugleich die Selbstbestimmung (d. h. Autonomie) der einzelnen Rechtssubjekte in äußeren Handlungen ist: Denn im Begriff des Staates stehen das Staatsrechtssubjekt und die in ihm zu einer Einheit vereinigten Menschen als Staatsrechtsobjekt nach der objektiven Seite des Begriffs in einem scheinbaren Gegensatz zueinander. Insofern der Staat in seinem Begriff nämlich selbst als ein objektiv schon gewirkter Zustand begriffen wird, zeigt der Begriff der „Vereinigung einer Menge von Menschen“ in ihm das Objekt der schon gewirkten gesetzlichen Bestimmung an. Wäre nun im Staatsbegriff aber der freiheitsbegriffliche Bestimmungsgrund dieser auf die Vereinigung als Objekt der staatlichen Bestimmungstätigkeit gehenden gesetzlichen Bestimmung im Staat nicht bereits ursprünglich reflektiert und in höheren reinen praktischen Begriffen (namentlich: ursprünglicher Vertrag, intelligibler Besitz, Recht der Menschen) schlüssig vermittelt vorausgesetzt, so müsste diese Vereinigung von Menschen im Staat durch 893

SF, AA VII: 91.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

ihren alsdann in der Tat manifesten Gegensatz zum Staatsrechtsrechtssubjekt als heteronom bestimmt angesehen werden. Denkt man den Staat dagegen als Ganzes rein begrifflich an sich selbst lediglich als Staatsrechtssubjekt und mithin im Ursprung als reine Selbsttätigkeit gesetzlicher Bestimmung, so ist der Begriff der „Vereinigung einer Menge von Menschen“ im Staatsbegriff nicht Objekt, sondern Subjekt der staatlichen Bestimmung, und mithin subjektiv als die Vereinigungstätigkeit der Menschen an sich selbst anzusehen, sodass das dadurch in seiner Form objektiv gewirkte Staatsrechtssubjekt des Staatsbegriffs als Objekt dieser reinen Selbsttätigkeit begriffen werden muss. Der Staat ist somit Subjekt und Objekt gesetzlicher Bestimmung zugleich, denn er ist an sich selbst das absolute Subjekt gesetzlicher Bestimmung. Nach der subjektiven Seite seines Begriffs hebt sich der scheinbare Gegensatz zwischen dem Staatsrechtssubjekt und den in ihm zu einer Einheit vereinigten Menschen als Staatsrechtsobjekt also zu einer positiven gesetzlichen Bestimmung im Staat auf, worin dann übrigens zugleich auch der staatsbegriffliche Anfang einer Positivität des Rechts in öffentlichen Gesetzen besteht. Unter dem reinen praktischen Begriff des Staates (§ 45 Abs. 1) wird demnach im Folgenden (§§ 46 – 49) seine objektive gesetzliche Bestimmungswirklichkeit durch den reinen praktischen Begriff seiner subjektiven gesetzlichen Selbstvorstellungstätigkeit rein begrifflich zu entwickeln und somit praktisch zu erkennen sein, sodass sich auch erklärt, weshalb der reine praktische Begriff des ursprünglichen Kontrakts (§ 47) lediglich innerhalb der begrifflichen Entwicklung der staatsrechtlich zu verfassenden objektiven Bestimmungswirklichkeit eines Staates, und so scheinbar nur als eine nicht weiter bedeutsame Reminiszenz an eine von lockesianisierenden Interpreten längst überwunden geglaubte Tradition naturrechtlichen Denkens zur Sprache kommt. Denn im Begriff des ursprünglichen Vertrages wird gerade derjenige subjektiv vereinigende Zusammenschluss der einzelnen Menschen zu einem staatlichen Allgemeinwillen in Gesetzen gedacht, dadurch die gesetzliche Subordinationstätigkeit im Staat in ihrer objektiven Wirklichkeit als autonome Bestimmung nicht nur des Staates an sich selbst, sondern auch und gerade der einzelnen Rechtssubjekte an sich selbst in ihrem äußeren Verhältnis begriffen werden muss. Ohne diesen reinen praktischen Begriff würde der Staat diesen einzelnen Rechtssubjekten, die sich im äußeren Verhältnis ursprünglich alleine selbst besitzen (§ 10 Abs. 2 S. 1), in seinem Bestimmungsakt als ein heteronomer Gewaltakt erscheinen. Denn indem der Staat die einzelnen Rechtspersonen durch seine gesetzliche Bestimmung äußerlich in den Besitz seiner Bestimmung brächte, handelte er ohne die dafür erforderliche Rechtsbesitzrechtsform eines allerpersönlichsten Staatsrechts, wenn er diese nicht logisch zuvor durch die rein ideale Rechtsbesitzerwerbsrechtsform eines ursprünglichen Vertrages erworben hätte, sodass mit dieser ideal als erworben vorzustellenden staatsrechtlichen Rechtsform in ihm tatsächlich nicht ein empirischer Übergriff auf die menschliche Rechtsperson, sondern ihr ab-

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soluter Selbstbesitz auch in ihrem äußeren Verhältnis, d. h. ein positiver Begriff ihrer Autonomie darin gedacht werden muss.894 So wie im metaphysischen Sachenrecht (§§ 11 – 17) ein solches selbst mit seiner begrifflichen Realbedingung durch den verbindenden Begriff der zum metaphysischen Sachenrecht innerlich spezifisch gehörenden Erwerbshandlung (§§ 16 – 17) 894

Bei der hier aufgestellten These, das metaphysische Staatsrecht stelle eine öffentlichrechtliche Rechtbesitzrechtsform allerpersönlichster Rechtsqualität vor, wird sich sehr voraussehbar der Widerspruch einer privatrechtsspezifischen Interpretation erheben, die den intelligiblen Besitzbegriff auf das natürliche Privatrecht beschränkt wissen will, und in der hier behaupteten Erstreckung des reinen Besitzbegriffs auf das metaphysische Staatsrecht darum eine dieser öffentlichen Rechtsform begrifflich ganz inadäquate Behandlung erblicken muss. Tatsächlich leistet der Besitzbegriff dagegen – ganz im Gegensatz zum Begriff des Privateigentums – allerdings eine rein begriffliche Verbindung von natürlichem Privatrecht und der Rechtsform des öffentlichen Rechts, sodass sich das öffentliche Recht in sich selbst überhaupt erst auf das natürliche Privatrecht begrifflich zu beziehen vermag. Denn ohne den reinen Rechtsbesitzbegriff gäbe es zwischen der Privatrechtsmaterie und der sie innerlich rechtlich bestimmenden öffentlichen Rechtsform keinen sie innerlich gemeinsam verbindenden Rechtsbegriff. Darum handelt es sich bei der hier vertretenen These auch nur um eine konsequente Fortbestimmung der bereits im ersten und zweiten Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre ausführlich entwickelten Begrifflichkeit vom provisorischen Besitz (§§ 9 Abs. 1 S. 4, 15 Abs. 3), bei der nämlich deutlich geworden war, dass der reine praktische Privatrechtsbegriff des äußeren Rechtsbesitzes (§ 5 Abs. 1 S. 2) nur vermittelt durch den reinen praktischen Begriff einer bürgerlichen Verfassung (§ 8 Abs. 1 S. 7) unter dem reinen Rechtsbesitzbegriff (§§ 6, 7) stehend gedacht werden kann, der mithin seinerseits unter sich eine allgemeingeltende Gesetzgebung in Ansehung des Besitzes der Gegenstände real denkmöglich macht (§ 7 Abs. 1 S. 6 i.V.m. § 8 Abs. 1 S. 7), sodass der öffentlich-rechtliche Rechtsbegriff einer bürgerlichen Verfassung schon im natürlichen Privatrecht unter den damit offensichtlich nicht privatrechtsspezifischen Begriff des reinen Rechtsbesitzes subsumiert werden musste. Der Rechtsbegriff des intelligiblen Besitzes, darunter übrigens auch der innere Rechtsbesitz erst rechtlich bestimmt in seinem Begriff gedacht werden kann, ist also, im Gegensatz zum Begriff des äußeren Rechtsbesitzes, selbst kein originär privatrechtlicher Begriff, auch wenn seine praktische Wirklichkeit im natürlichen Privatrecht gewiss eine maßgebliche Bedeutung für dieses hat. Da eine privatrechtsspezifische Interpretation mit ihrem empirischen Wortverständnis des Begriffs vom provisorischen Besitz aber schon genau dieses begriffliche Subordinationsverhältnis im natürlichen Privatrecht nicht zu begreifen im Stande ist, ist sie zugleich auch nicht in der Lage, den im öffentlichen Recht mit Blick auf das Recht zur Gesetzgebung von Immanuel Kant gebrauchten Besitzbegriff (Nachweise dazu in Fn. 822) zu erklären bzw. seine Erklärungsbedürftigkeit überhaupt auch nur zu erkennen. Denn als absoluter Eigentümer verfügt eine jede Rechtsperson nach der Logik eines privatrechtsspezifischen Rechtsdenkens schon willkürlich über sich selbst sowie alle anderen Rechtssubjekte, und so muss der vermeinte Rechtstitel des Staates zur Verfügung über die einzelne Person in einem solchen Rechtsdenken wohl stillschweigend aus dem Eigentumsrecht geschlossen werden. In Wahrheit ist also nicht der reine Besitzbegriff, sondern die eigentumstheoretische Begriffsbildung einer privatrechtsspezifischen Interpretation der Rechtsform des Staatsrechts gänzlich unangemessen, wenn und weil sie den Staat damit als bloßes Mittel zum Zweck eines falsch verstandenen subjektiven Privatrechts (Privateigentum), folglich zugleich aber auch die Freiheit der Person im äußeren Verhältnis unter das letztere herabwürdigt, weil sie sich unter dem absolut gebrauchten Eigentumsbegriff durch willkürliche Verfügung über sich selbst notwendig selbst veräußert, und zwar ausgerechnet an den Staat.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

rein begrifflich zu verknüpfen war, so ist folglich auch im metaphysischen Staatsrecht (§§ 45 – 49) ein solches selbst mit seiner begrifflichen Realbedingung durch den verbindenden Begriff der zum metaphysischen Staatsrecht innerlich spezifisch gehörigen Erwerbshandlung rein begrifflich zu verknüpfen. In diesem Sinne wird dann die objektive Bestimmungswirklichkeit eines metaphysischen Staatsrechts durch den reinen praktischen Vernunftbegriff der idealen Erwerbung eines staatlichen Zustandes durch ursprünglichen Vertrag insgesamt erklärt, da dieser reine praktische Vernunftbegriff des ursprünglichen Vertrages (§ 47) den reinen Gesetzesbegriff als Realbedingung im Staatsbegriff (§ 45 Abs. 1 S. 2) mit dieser objektiven Bestimmungswirklichkeit notwendig verknüpft. Mit einem Wort: Die drei im Staat verfassten Staatsgewalten (§ 45 Abs. 2) werden im Folgenden durch das praktisch notwendige Verhältnis im Begriff des ursprünglichen Vertrages (§ 47) in ihrer subordinativen Einheit im Staat zu erklären sein (§§ 48 – 49). 2. Metaphysische Einteilung des reinen praktischen Vernunftbegriffs des Staates Das Bindeglied zwischen dieser aus dem reinen praktischen Begriff des Staates unter ihm zu bestimmenden Entwicklung seines Begriffs (§§ 46 – 49) und dem reinen praktischen Begriff des Staates selbst (§ 45 Abs. 1) bildet die metaphysisch vollständige Einteilung seines Begriffs (§ 45 Abs. 2). Denn durch diese trichotomische Teilung der Sphäre seiner praktischen Bestimmung ergeben sich unter dem reinen praktischen Begriff des Staates rein begrifflich die drei sich notwendig schlüssig zueinander verhaltenden Momente seiner praktischen Bestimmung, die im Folgenden (§§ 46 – 49) aus der subjektiven Seite des Begriffs in ihm nach der objektiven Seite desselben unter ihm rein begrifflich entwickelt werden soll. a) Der rein begriffliche Gesichtspunkt der metaphysischen Einteilung Dabei ergibt sich der begriffliche Gesichtspunkt, aus dem die schlüssig zu leistende Einteilung des reinen praktischen Begriffs des Staates vorzunehmen ist, notwendig aus dem reinen praktischen Begriff des Staates von selbst. Denn da die Sphäre seiner rein begrifflichen Bestimmung unter ihm eingeteilt werden soll, und die Bestimmung im reinen Begriff des Staates nach seiner Realdefinition innerlich eine rein gesetzliche ist, so ist der reine praktische Begriff des Staates nach den drei schlüssigen Momenten gesetzlicher Bestimmung unter ihm rein begrifflich einzuteilen. Mit einem Wort: Der rein praktische Begriff des Staates ist in § 45 Abs. 2 nach dem Gesichtspunkt der durch ihn praktisch notwendig begriffenen Staatstätigkeit einzuteilen,895 die als gesetzliche Bestimmung in ihm zugleich autonome Selbstbestimmung und mithin an und für sich selbst reine Selbsttätigkeit ist.

895

Siehe auch Stang, Darstellung der reinen Rechtslehre von Kant (1798), S. 96.

B. Der Rechtszustand als praktische Vernunftidee allen äußeren Rechts

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Da Tätigkeit aber rein begrifflich nichts anders als eine im Ursprung freie Handlung, und mithin an sich also das Verhältnis eines sich selbst bestimmenden Subjekts der Kausalität zur Wirkung seiner kausalen Bestimmung bedeutet, betrifft die vorzunehmende Begriffseinteilung nach dem Gesichtspunkt der Staatstätigkeit in der Sache selbst die im Staat praktische Kausalität aus Freiheit. Weil sich diese Kausalität als gesetzliche Bestimmungswirklichkeit im Staat jedoch nach seinem reinen praktischen Begriff in einem Subordinationsverhältnis des substanziellen Staatsrechtssubjekts zum akzidentiellen Staatsrechtsobjekt vollzieht, müssen auch die drei jeweils notwendigen Momente dieser kausalen Bestimmung in diesem Subordinationsverhältnis stehen, sodass das eine nach seinem eingeteilten Begriff für sich selbstständige Moment über bzw. unter dem jeweils anderen nach seinem eingeteilten Begriff für sich selbstständigen Moment stehen muss, obwohl alle drei Momente der insgesamt einheitlichen Staatstätigkeit an sich in der rein begrifflichen bzw. rein gesetzlichen Einheit des Staates ihren Ursprung haben. Die jeweilige Selbstständigkeit eines der drei Momente für sich selbst resultiert also rein begrifflich nicht mit Blick auf den an sich freien Ursprung der Staatstätigkeit, der immer derselbe, nämlich Freiheit (Autonomie) ist, sondern lediglich mit Blick auf die begrifflich für sich zu unterscheidenden Momente der Wirklichkeit dieser Staatstätigkeit. Mithin ergeben sich unter dem Staatsbegriff drei für sich begrifflich selbstständig zu unterscheidende und einander subordinierte Wirkungen der Staatstätigkeit in der begrifflichen Einheit des Staates selbst. Jede der drei für sich begrifflich relativ selbstständigen Wirkungen staatlicher Selbsttätigkeit in der Einheit des Staates bezeichnet demnach ein für sich besonderes Vermögen gesetzlicher Bestimmung, wobei Bestimmung hier als gesetzlich gewirkte Bestimmung zu verstehen ist, sodass es in der Einteilung des reinen praktischen Begriffs des Staates begrifflich um für sich relativ selbstständige Kräfte im Staat zu tun ist, die allesamt die Verwirklichung der gesetzlichen Bestimmung im Staat zum Gegenstand ihrer Staatstätigkeit haben. Wenn sie die gesetzliche Bestimmung im Staat aber tatsächlich verwirklichen sollen, dann müssen sie als relativ selbstständige Kräfte im Staat einer ungesetzlichen Bestimmung des Staatsrechtsobjekts als Hindernis ihrer Bestimmung überlegen sein.896 Folglich können die drei relativ selbstständigen Kräfte gesetzlicher Bestimmung im Staat, und zwar im Subordinationsverhältnis zu der darin insgesamt staatstätig zu vereinigenden Menge von Menschen als dem Staatsrechtsobjekt, jeweils auch als Mächte angesprochen werden, da eine Macht „ein Vermögen [ist], welches großen Hindernissen überlegen ist.“897 In ihrer eigenen Subordination innerhalb der Einheit des Staates als dem bloßen Staatsrechtssubjekt wird man die drei relativ selbstständigen Mächte dagegen noch präziser als Gewalten bezeichnen müssen, weil eine Macht für Immanuel Kant 896 Das Hindernis gesetzlicher Bestimmung besteht darin, dass ein jedes menschliche Rechtssubjekt in sich selbst dem natürlichen Zustand seiner freien Willkür ausgeliefert ist, „über andere den Meister zu spielen“ (RL, AA VI: 307.16-26); mit einem Wort: Das Hindernis gesetzlicher Bestimmung besteht im natürlichen Zustand der freien Willkür. 897 KU, AA V: 260.12.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

immer dann Gewalt heißt, „wenn sie auch dem Widerstande dessen, was selbst Macht besitzt, überlegen ist“.898 So ist die dritte relativ selbstständige Macht im Staat der Macht einer ungesetzlichen Bestimmung des Staatsrechtsobjekts überhaupt überlegen,899 und so ist die zweite über die dritte Gewalt, sowie schließlich die erste wiederum über die zweite Gewalt in der Einheit des Staates erhaben. Die metaphysische Einteilung des reinen praktischen Begriffs des Staates – als Einteilung seiner Staatstätigkeit – wird demnach in § 45 Abs. 2 drei Gewalten in ihrer schlüssigen Einheit gesetzlicher Bestimmung im Staat rein begrifflich zu unterscheiden haben. Eben deshalb beginnt sie mit dem Satz: „Ein jeder Staat enthält drei G e w a l t e n in sich, d. i. den allgemein vereinigten Willen in dreifacher Person (trias politica): […].“900 b) Die metaphysische Einteilung der staatlichen Selbsttätigkeit Soll die reine praktische Selbsttätigkeit gesetzlicher Selbstvorstellung im Staat unter dem staatsrechtlichen Gesichtspunkt der im Staat nach der objektiven Seite seines Begriff rein begrifflich aufgehobenen Gewalt eingeteilt werden, dann ist an dieser kausalen Selbsttätigkeit zunächst ein inneres Moment der Bestimmung festzuhalten. Denn alle gesetzliche Bestimmung setzt im Grunde die freie Kausalität eines allgemein gesetzgebenden Willens, mithin die eines Gesetzgebers innerlich an und für sich selbst voraus. An sich selbst enthält die reine praktische Staatstätigkeit in ihrem praktischen Grundsatz also zunächst die freiheitskausale Bestimmung eines gesetzgebenden Allgemeinwillens, der im Verhältnis zu allen anderen Mächten unter ihm als eine gesetzgebende Gewalt im Staat zu begreifen ist. In dem gesetzlichen Bestimmungsmoment der „ H e r r s c h e r g e w a l t (Souveränität)“ der moralischen Person „des Gesetzgebers“ ist der „allgemein vereinigte[] Wille[]“ im Staat demnach noch ganz an und bei sich selbst.901 Er ist in diesem inneren Moment der 898 KU, AA V: 260.13-14. – Nach Zaczyk, Selbstsein und Recht (2014), S. 84 spricht man dagegen wohl generell besser stets von „Rechtsmächten“ und nicht von „Staatsgewalten“ (vermutlich, weil sich im Begriff der Rechtsmacht eine begriffliche Gleichstellung des einzelnen Rechtssubjekts mit der Staatsgewalt suggerieren lässt, wenn man vom Subordinationsverhältnis beider abstrahiert). 899 Durch den Begriff der dritten Gewalt im Staat (iustitia distributiva) wird demnach sehr exakt die rein begriffliche Trennlinie der Unterscheidung des rechtlichen Zustandes vom natürlichen Zustand gezogen (RL, AA VI: 306.17-18, 312.02-32). Denn im natürlichen Zustand sind die äußeren Verhältnisse der Menschen untereinander ohne ein wirkliches Gesetz nicht einer staatlichen Gewalt, sondern noch gänzlich „der wilden Gewalt“ (RL, AA VI: 308.05) überantwortet. 900 RL, AA VI: 313.17-18. – NB: Die Worte „d. i. den allgemein vereinigten Willen“ in diesem Satz zeigen hier nochmals an, dass der Staat, begriffen als Einheit, in einem Zustand schon gewirkter Konstitution gedacht wird, sodass dieser Einheitsgedanke die ursprüngliche Vereinigungstätigkeit der im Staat vereinigten Menge von Menschen innerlich bereits rein begrifflich für sich selbst voraussetzt, weshalb diese Voraussetzung später – dort wo sie in der Entwicklung des Begriffs relevant ist (§ 47) – auch zur Sprache kommen muss. 901 RL, AA VI: 313.17-19.

B. Der Rechtszustand als praktische Vernunftidee allen äußeren Rechts

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Bestimmung die reine gesetzliche Selbstvorstellungstätigkeit oder Autonomie eines an sich selbst gesetzgebend tätigen Allgemeinwillens und § 46 wird den reinen praktischen Begriff der gesetzgebenden Gewalt daher in diesem Sinne entwickeln. Bei diesem bloß inneren Bestimmungsmoment an sich selbst kann die staatliche Selbsttätigkeit in Gesetzen allerdings nicht stehen bleiben, wenn sie im Grunde eine praktische Kausalität aus Freiheit in sich hat, die gemäß ihrem Begriff folglich auch außer des bloß an sich gesetzgebenden Allgemeinwillens in seinen Handlungen praktisch wirksam sein soll. Dementsprechend ist im verständigen Gegensatz zu diesem inneren Bestimmungsmoment ein bloß äußeres Moment der Bestimmung kausaler Selbsttätigkeit des Staates begrifflich festzuhalten. Denn alle gesetzliche Bestimmung setzt in der Folge die freie Kausalität eines allgemein gesetzlich bestimmten Willens in Handlungen unter praktischen Grundsätzen für sich selbst voraus. Für sich selbst enthält die reine praktische Staatstätigkeit mithin eine den allgemeinen Willen in Gesetzen durch praktische Handlungen gemäß praktischen Handlungsregeln vollziehende Gewalt. In dem gesetzlichen Bestimmungsmoment der „ v o l l z i e h e n d e [ n ] G e w a l t “ in der moralischen Person „des Regierers (zu Folge dem Gesetz)“ ist der „allgemein vereinigte[] Wille[]“ im Staat demnach nicht im Grunde an und bei sich selbst, sondern in seiner Folge für sich selbst.902 Er ist in diesem äußeren Moment der Bestimmung also die reine gesetzliche Selbstvorstellungstätigkeit oder Autonomie eines an sich selbst vollziehend tätigen Allgemeinwillens und § 49 wird den reinen praktischen Begriff der exekutiven Gewalt daher in diesem Sinne entwickeln. Mit dieser zunächst logischen Einteilung des reinen praktischen Begriffs des Staates stehen die gesetzgebende sowie die vollziehende Gewalt im Staat rein begrifflich allerdings in einem noch unaufgehobenen Verstandeswiderspruch zueinander: gesetzgebende Gewalt ist nicht vollziehende Gewalt und diese ist nicht jene. Gleichwohl setzen beide begrifflichen Einteilungsglieder einander in der Einheit des staatsrechtlichen Begriffs gesetzlicher Bestimmung wechselseitig nach Grund und Folge vernünftigerweise voraus, weil eine praktische Gesetzgebungstätigkeit ohne eine ihr subordinierte Gesetzesvollzugstätigkeit in der Folge im Einzelnen ebenso wenig praktisch denkbar ist, wie eine Gesetzesvollzugstätigkeit ohne eine ihr übergeordnete Gesetzgebungstätigkeit im Grunde praktisch denkbar ist. Unter dem reinen praktischen Vernunftbegriff des Staates gibt es demnach in der Sphäre seiner praktischen Bestimmung eine dritte rein begriffliche (metaphysische) Vorstellung gesetzlicher Bestimmungsselbsttätigkeit, darin das äußere Moment gesetzlicher Bestimmung mit der praktischen Notwendigkeit des Begriffs schlüssig unter dem inneren Moment gesetzlicher Bestimmung subordiniert vorgestellt werden muss, sodass dieses innere im äußeren Moment schon notwendig aufgehoben ist. In der metaphysischen Einheit des reinen praktischen Vernunftbegriffs des Staates hat folglich die äußere Gesetzesvollzugstätigkeit unter der inneren Gesetzgebungstätigkeit eines Allgemeinwillens im reinen praktischen Begriff einer Gesetzesur902

RL, AA VI: 313.17-20.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

teilstätigkeit desselben ihr begrifflich notwendiges Dasein, wenn und weil die gesetzliche Bestimmung der ausführenden Gewalt im praktischen Urteil des Staatsrechtssubjekts mit der begrifflichen Notwendigkeit des reinen praktischen Begriffs des Staates in jedem möglichen Einzelfall unter die gesetzliche Bestimmung der gesetzgebenden Gewalt subsumiert und somit subordiniert wird. Das praktische Urteil des Staatsrechtssubjekts enthält dann nach innen im Verhältnis zu den beiden anderen Staatsgewalten eine bloß beurteilende und nach außen im Verhältnis zum Staatsrechtsobjekt eine rechtskräftig zurechnende Beurteilung eines gesetzlich bestimmten Einzelfalls. An und für sich selbst enthält die reine praktische Staatstätigkeit in ihrem praktischen Urteil also in jedem Einzelfall die freiheitskausale Bestimmung eines allgemeinen Willens in Gesetzen. In dem gesetzlichen Bestimmungsmoment der „ r e c h t s p r e c h e n d e [ n ] G e w a l t (als Zuerkennung des Seinen eines jeden nach dem Gesetz) in der Person des Richters“ ist der „allgemein vereinigte[] Wille[]“ im Staat demnach weder bloß im Grunde an und bei sich selbst, noch bloß in seiner Folge auch zufällig für sich selbst, sondern jederzeit nach Grund und Folge notwendig an und für sich selbst praktisch.903 Er ist in diesem absoluten Moment der Bestimmung die reine gesetzliche Selbstvorstellungstätigkeit oder Autonomie eines an und für sich selbst urteilend tätigen Allgemeinwillens und wird mit dem reinen praktischen Begriff der rechtsprechenden Gewalt in § 49 Abs. 3 in diesem Sinne entwickelt werden. An und für sich selbst ist der Staat in seiner Einheit demnach das absolute Rechtsund Urteilssubjekt gesetzlicher Bestimmung, während er für ein menschliches Rechtssubjekt in seiner in sich subordinativ verfassten Einheit zugleich auch das absolute Rechts- und Urteilssubjekt rechtskräftiger Zurechnung in seinem äußeren Verhältnis vorstellt. Weil der Staat in seiner in sich subordinativ verfassten Einheit somit an und für sich selbst aber nur als eine absolute Selbsttätigkeit praktischer Gesetzesbestimmung begriffen werden kann, darf die metaphysische Einteilung des Staatsbegriffs (§ 45 Abs. 2) darum nicht so verstanden werden, als setze sich der Staat in seiner Einheit aus den drei – sodann in einer Koordination bloß aggregiert vorgestellten – Gewalten ursprünglich erst zusammen. Genau dies, nämlich die mehr oder weniger zufällige Koordination der Teile zu (nicht aber: notwendige Subordination in) einem Ganzen des Staates, ist jedoch die These einer konsequent privatrechtsspezifischen Interpretation der Rechtslehre Immanuel Kants, die diese drei Staatsgewalten eines bürgerlichen Zustandes in den drei Hauptstücken des natürlichen Privatrechts vorstrukturiert erkannt haben will, und die trichotomische Gewaltengliederung darum als Ausdruck sowie Novum einer privatrechtsspezifischen Ableitung des Staates aus dem Privatrecht im natürlichen Zustand betrachten möchte: „Der Staat teilt sich nicht in drei Gewalten, sondern wird durch deren „Vereinigung“ (§ 49) konstituiert. Gemäß der Entwicklung des Staates aus dem Privatrecht sind die drei Gewalten logisch vorgeordnet.“904 Richtigerweise setzt die 903

RL, AA VI: 313.17-22. Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 160, 164 f. Fn. 138; Herb/Ludwig, JRE 2 (1994), S. 431 (441 Fn. 42). – In § 49 Abs. 4 (RL, AA VI: 318.04-14) heißt es entgegen der Behauptung 904

B. Der Rechtszustand als praktische Vernunftidee allen äußeren Rechts

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metaphysische Einteilung des reinen praktischen Vernunftbegriffs des Staates diesen vielmehr als ein konstituiertes Ganzes jedoch ursprünglich schon für sich selbst voraus, weil es sonst schlechterdings gar nichts einzuteilen gäbe, sodass in der weiteren vernunftbegrifflichen Entwicklung des ersten metaphysischen Einteilungsgliedes des Staatsbegriffs auch diejenige ursprüngliche Verfassungsidee (§ 47) eines jeden Staates zur Sprache kommen muss, die eine konsequent privatrechtsspezifische Interpretation mit ihrer Aggregationsvorstellung der Staatskonstitution als solche leugnet.905 Deswegen heißt es zu Beginn von § 45 Abs. 2 schließlich auch nicht, dass sich ein jeder Staat aus drei ursprünglich voneinander unterschiedenen Gewalten zusammensetzt, sondern dass er drei Gewalten in sich enthält; und eben deswegen beschränkt sich das metaphysische Staatsrecht in seiner vernunftbegrifflichen Entwicklung (§§ 46 – 49) auch a priori auf diese drei Gewalten. Bevor jedoch diese vernunftbegriffliche Entwicklung des reinen praktischen Begriffs des Staates betrachtet werden kann, ist hier noch eine Anmerkung zur vernunftschlüssigen Verfassung derjenigen Autonomie (d. h. Selbstgesetzgebung) bzw. gesetzlichen Selbstvorstellungstätigkeit zu machen, die in diesem reinen praktischen Vernunftbegriff des Staates (§ 45 Abs. 1) unter dem als allgemein gebrauchten Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) ursprünglich aufgehoben ist: c) Staatliche Selbstbestimmung (Autonomie) kraft praktischem Vernunftschluss In dem als allgemein bestimmend gebrauchten Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) ist der reine praktische Vernunftbegriff der Freiheit des Willens (d. h. der Persönlichkeit) praktisch, und zwar so wie er in der Kritik der praktischen Vernunft (§§ 1 – 8) entwickelt wurde.906 Demnach weiß sich der freie Wille im Urteil seiner praktischen Bestimmung an und für sich selbst kraft seiner spontanen grundgesetzlichen Selbstvorstellungstätigkeit als praktisch frei in einem positiven Verstande des reinen Begriffs der Kausalität (§ 8 KpV). In diesem positiven Verstande des Freiheitsbegriffs des Willens als einer reinen Kausalität war sein von ihm an ihm selbst gewirktes Gesetzesbewusstsein als ein ihm selbst praktisch zurechenbares Factum (§§ 6, 7 KpV) bezeichnet worden. Das praktische Urteil der Selbstbestimmung beruht also im Grunde an sich selbst ursprünglich auf einer spontanen Vorstellung eines praktischen Grundsatzes (d. h. Gesetzes) des Willens, darunter sodann praktische Handlungsregeln für denselben objektiv praktisch bestimmt vorzustellen sind (§ 1 KpV), sodass sich ein Wille im praktischen Urteil unter seiner praktischen Handlungsregel in ihrer gesetzlichen Form grundsätzlich als frei bestimmt beurteilen

Bernd Ludwigs (a.a.O.) übrigens nicht, dass sich der Staat aus der Vereinigung der drei Gewalten konstituiert, sondern dass in ihrer Vereinigung sein Heil besteht. 905 Vgl. schon oben Fn. 880. 906 Siehe für diese These bereits oben unter B. I. im vierten Kapitel sowie unter B. II. im fünften Kapitel.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

muss.907 Ein praktisches Urteil der Selbstbestimmung eines freien Willens hat insofern notwendig die logische Form eines kategorischen Vernunftschlusses,908 weil die praktisch erkannte Notwendigkeit der Freiheit des Willens unter einem allgemeinen Gesetz der Freiheit im Schlusssatz dieses praktischen Urteils durch die Subsumtion der praktischen Handlungsregel eines Willens unter die allgemeine Regel der gesetzlich unbedingten Willensbestimmung des praktischen Grundsatzes vermittelt wird, sodass sich der Wille mit seiner praktischen Handlungsregel als allgemein bzw. notwendig enthalten im frei bestimmenden Allgemeinwillen seines praktischen Grundsatzes erkennt. Wenn nun ferner der reine praktische Vernunftbegriff des Staates (§ 45 Abs. 1) als ein durch zusätzliche metaphysische Merkmalsvorstellungen besonders bestimmter Rechtsbegriff a priori notwendig unter dem als allgemein bestimmend gebrauchten Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) steht,909 so ist in ihm ebenfalls der reine praktische Vernunftbegriff der Freiheit des Willens (d. h. der Persönlichkeit) praktisch, und zwar so wie er in der Kritik der praktischen Vernunft (§§ 1 – 8) entwickelt wurde. Dementsprechend weist auch das praktische Urteil der gesetzlichen Selbstbestimmung eines reinen Allgemeinwillens im Staat an und für sich selbst notwendig die logische Struktur eines kategorischen Vernunftschlusses auf, weil sich derselbe in seinem einzelnen praktischen Urteil durch seine Subsumtion seiner praktischen Handlungsregel unter seine gesetzlich unbedingte Bedingung seiner Willensbestimmung im praktischen Grundsatz mit Notwendigkeit als frei bestimmt erkennt. Im Sinne einer unmittelbaren Hervorhebung der notwendigen logischen und darum auch tatsächlichen Form eines jeden praktischen Urteils der Selbstbestimmung eines (einzelnen oder allgemein vereinigten) freien Willens heißt es in § 45 Abs. 2 schließlich: „Ein jeder Staat enthält drei G e w a l t e n in sich, d. i. den allgemein vereinigten Willen in dreifacher Person (trias politica): […] (potestas legislatoria, rectoria et iudiciaria) gleich den drei Sätzen in einem praktischen Vernunftschluß: dem Obersatz, der das G e s e t z jenes Willens, dem Untersatz, der das G e b o t des Verfahrens nach dem Gesetz, d. i. das Princip der Subsumtion unter 907

Zur nicht unerheblichen begrifflichen und daher auch sachlichen Differenz von praktischer Handlungsregel (hypothetischer oder kategorischer Imperativ) sowie praktischem Grundsatz (Maxime oder Gesetz) siehe bereits oben das zweite Kapitel. 908 Siehe dazu Log, AA IX: 114 f. (§§ 41 – 44), 120 ff. (§§ 56 – 64). 909 Der allgemeine Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) stellt ganz abstrakt den Inbegriff der Bedingungen mit praktischer Notwendigkeit vor, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit bestehen kann; der reine praktische Staatsbegriff (§ 45 Abs. 1) stellt dagegen mit seiner gesetzlichen Bestimmung im äußeren Verhältnis ganz abstrakt die Wirklichkeit des Inbegriffs der Bedingungen des allgemeinen Rechtsbegriffs mit praktischer Notwendigkeit vor (siehe auch TP, AA VIII: 292.27-36). Der Staat repräsentiert insofern die Wirklichkeit des allgemeinen Rechtsbegriffs, weshalb im Begriff des Staates auch die gesetzliche Zwangsgewalt (Exekutive) und die gesetzliche Bestimmungsmacht (Legislative) ursprünglich so vereinigt sind (§ 45 Abs. 2), wie die objektive Rechtsverbindlichkeit und die subjektive Zwangsbefugnis ursprünglich im Begriff des strikten Rechts (§ E Abs. 1 S. 1) vereinigt sind.

B. Der Rechtszustand als praktische Vernunftidee allen äußeren Rechts

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denselben, und dem Schlußsatz, der den R e c h t s s p r u c h (die Sentenz) enthält, was im vorkommenden Falle Rechtens ist.“910 Das Wort „gleich“ in § 45 Abs. 2 ist also – wohlverstanden – durchaus nicht als der Vergleich zweier sich bloß ähnelnder Verhältnisse des Willens in qualitativer Hinsicht, nämlich des individuellen freien Einzelwillens sowie des staatlichen Allgemeinwillens zu lesen,911 sondern vielmehr im Sinne einer Identität ihrer logischen Form.912 Ohnehin wäre eine solche hier nicht angezeigte Analogie auch viel besser – wie andernorts (z. B. § E Abs. 2 S. 1) – durch die Wendung „gleichsam“ ausgedrückt worden. Allerdings soll der Passus gemäß der entsprechenden Sekundärliteratur tatsächlich – teils kritisch-verwerfend, teils durchaus auch affirmativbejahend – ganz überwiegend im Sinne einer bloßen Analogie aufzufassen sein. So ließ schon Johann Christoph Schwab seinen Christian Wolff spotten: „Ich übergehe, daß diese Vergleichung mehr witzig als streng richtig ist, wie so vieles in der Kantischen Philosophie.“913 Sieht man von solchen gänzlich verwerfenden Urteilen, wie sie etwa vor einiger Zeit auch noch von Ernst-Wolfgang Böckenförde oder Richard Schottky über Kant gefällt wurden, die an diesem Punkt des Kantischen Staatsdenkens nämlich einen „Purismus der Vernunft“ oder gar eine „Pseudosystematik“ erkannt haben wollen,914 allerdings einmal ab, dann bleibt in der Sache nicht selten der an Kant gerichtete Vorwurf einer methodologisch zweifelhaften oder jedenfalls unnötigen Vorgehensweise. So notiert beispielsweise Wolfgang Kersting, und zwar in einem gegen Böckenfördes kritischen Einwand gerichteten Rettungsversuch, die „Syllogismusanalogie“ zeuge „nur von der bekannten Neigung des Philosophen, auch dort zu analogisieren, wo dieses Verfahren keinen nennenswerten Erkenntnisgewinn mit sich führen kann“.915 Verbindet sich mit der Ansicht einer Analogie dagegen keine solche Methodenkritik, so herrscht nicht selten aufrichtiges Staunen über den gewaltengliedrigen Hinweis Immanuel Kants auf den praktischen Vernunftschluss, sodass man hierin – und das aus ein und demselben Grund – ei-

910

RL, AA VI: 313.17-27; siehe auch schon ZeF, AA VIII: 352.24-28. Wie hier wohl auch schon Tieftrunk, Philosophische Untersuchungen II (1798), S. 118 ff.; neuerdings auch Geismann, Kant und kein Ende III (2012), S. 102. 912 Aus diesem Grund vermag Joerden, JRE 1 (1993), S. 207 (211 ff.) „eine Parallele zwischen der Konstitution eines Staates und der einer moralisch handelnden Person“ zu ziehen und die Trennung der drei Gewalten in der Folge als „Bedingung der Möglichkeit eines sich als freiheitlich verstehenden Staatswesens“ zu interpretieren. 913 Schwab, Neun Gespräche zwischen Christian Wolff und einem Kantianer (1798), S. 103 (111). 914 Siehe für das zuerst Genannte Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt (1958), S. 94 ff.; für das zuletzt Genannte Schottky, Fichte-Studien 1 (1990), S. 242 (247); siehe im Übrigen beispielsweise auch Shell, The Rights of Reason (1980), S. 162 f. 915 Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 311. 911

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

nerseits schon ein „gewagtes Unterfangen“916 oder andererseits gar eine „geniale Parallele“917 hat erblicken wollen.918 Doch wer so spricht, und in dem Hinweis auf den praktischen Vernunftschluss bestenfalls nur eine Analogie zu erkennen vermag, der gibt damit unweigerlich zu erkennen, dass er das einzelne sowie das allgemeine Willenssubjekt moralischer Selbsttätigkeit ursprünglich nicht in der Einheit und Identität des reinen praktischen Vernunftbegriffs eines freien Willens, d. h. im reinen Allgemeinwillen, sondern in einer an sich unbegriffenen Zweiheit und damit in dem unaufgehobenen Gegensatz befangen denken will. Als Subjekt praktischer Bestimmung gilt solchem Rechtsdenken daher nicht eigentlich der freie Wille in seiner allgemeingesetzlichen Selbstvorstellungstätigkeit an und für sich selbst, sondern das bloße menschliche Willkürsubjekt, womit dieses Rechtsdenken allerdings einer Verwechslung von Subjekt und Objekt im Begriff rechtgesetzlicher Bestimmung aufsitzt. Der Staat ist einem solchen Rechtsdenken im Ausgang vom individuellen Willens- und Vernunftsubjekt daher auch in seiner reinen praktischen Idee im Grunde etwas völlig Äußeres, ein bloßer Gegenstand des von unbedingt allgemeiner und rein begrifflicher Bestimmung freien Einzelwillens, der folglich nicht schon durch seinen reinen praktischen Begriff an und für sich selbst vollkommen vernünftig, sondern lediglich als Mittel zu dem ihm von außen durch das einzelne Willenssubjekt vorgesetzten Zweck eines subjektivistisch aufgefassten Privatrechts halbwegs verständlich sein soll; nicht eine moralische, sondern eine künstliche Person, die durch das empirisch vereinigte Subjekt menschlicher Vernunftkünstler bloß äußerlich und damit allenfalls notdürftig zum Zwecke ihrer gesellschaftlich verfassten Bedürfnisbefriedigung zusammengehalten wird. All solchen Urteilen, die in § 45 Abs. 2 letztlich eine leidige Analogie oder eine bloße Parallele erblicken wollen, dürfte darum eine privatrechtsspezifische Ableitungsauffassung des metaphysischen Staatsrechts Immanuel Kants gemein sein, die seinerzeit Bernd Ludwig auch an diesem Punkt abermals bis auf Weiteres am konsequentesten unter allen eigentumstheoretischen Interpreten, und an dieser Stelle seines Gedankens bloß in einer Randbemerkung, zu dem Ausdruck gebracht hat: „Der Kantische Versuch, die „Gewaltenteilung“ (dieses Wort kommt in den Kantischen Druckschriften nicht vor!) – mittels der Struktur des Vernunftschlusses – im Privatrecht zu fundieren und dadurch die gesamte Rechts916 So beispielsweise Gierhake, Begründung des Völkerstrafrechts (2005), S. 83 ff., weil moralische Selbstbestimmung des menschlichen Subjekts und die Gesamtorganisation einer freiheitlichen Rechtsgemeinschaft nicht ohne Schwierigkeiten parallel zu denken seien. 917 Siehe dafür etwa Zaczyk, in: Kugelstadt (Hrsg.): Kant-Lektionen, Würzburg 2008, S. 241 (247), weil Kant offenbar die „Identität zwischen subjektiver Vernunft und rechtlichverbindender Vernunft“ habe denken wollen. 918 Vgl. ferner im Sinne einer Analogie etwa Byrd/Hruschka, Kant’s Doctrine of Right (2010), S. 157 ff.; Jacob, Das Individuum im Spannungsverhältnis (2010), S. 75; Joerden, JRE 1 (1993), S. 207 (217); Niebling, Das Staatsrecht in der Rechtslehre Kants (2005), S. 115; Noltenius, Die Europäische Idee der Freiheit (2017), S. 279 ff.; Unruh, Die Herrschaft der Vernunft (20162), S. 264 ff.; Wawrzinek, Die „wahre Republik“ (2009), S. 322; Zaczyk, ARSPBeiheft 56 (1994), S. 105 (121); ders., Selbstsein und Recht (2014), S. 84.

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lehre zu prägen, dieses wohl bemerkenswerteste Novum in der Rechtslehre des späten 18. Jahrhunderts, ist der Kant-Literatur bisher entgangen.“919 3. Begriffliche Entwicklung der sich in sich metaphysisch verfassenden Staatstätigkeit Doch dass der Staat als ein notwendiger Allgemeinwille im praktischen Ursprung seiner rechtsgesetzlichen Übermacht (d. h. Staatsgewalt) über das für sich bloß einzelne Rechts- und Willenssubjekt im Grunde seines reinen praktischen Begriffs an sich selbst nicht unvernünftig, sondern durch und durch vernünftig verfasst ist, geht unzweideutig aus der vernunftbegrifflichen Entwicklung dieses seines reinen praktischen Begriffs hervor, die sich im Anschluss an § 45 in den §§ 46 – 49 findet, und die darum zum Zwecke einer intensiven Verdeutlichung der reinen praktischen Staatsidee (respublica noumenon) nun noch weiter auseinanderzusetzen ist: a) Exposition des vereinigten Volkswillens (Souverän) als gesetzgebende Gewalt Das erste begriffliche Einteilungsglied der metaphysischen Einteilung des reinen praktischen Vernunftbegriffs des Staates (§ 45 Abs. 2) bildet der reine praktische Vernunftbegriff der gesetzgebenden Gewalt. § 46 Abs. 1 S. 1 enthält nun die in § 46 Abs. 1 S. 2 – 4 aus eben diesem Vernunftbegriff und damit direkt aus ihrem begrifflichen Grund akroamatisch bewiesene These, dass Subjekt der gesetzgebenden Gewalt an sich selbst – nicht etwa ein Fürst oder gar schon ein Parlament, sondern – nur der vereinigte Volkswille sein kann. Insofern stützt sich der begrifflich geführte Beweis für diese das Subjekt der gesetzgebenden Gewalt exponierende These innerlich auf den Inhalt der allgemeinen Vernunftvorstellung der gesetzgebenden Gewalt und setzt insoweit auch die in den §§ 46 ff. nicht mehr explizit ausgeführte Exposition dieses reinen praktischen Vernunftbegriffs für sich selbst voraus. Dabei sollte für den zu führenden Beweis ohne Weiteres als einleuchtend vorausgesetzt werden dürfen, dass der reine praktische Vernunftbegriff der gesetzgebenden Gewalt im Staat nach seiner Modalität praktische Notwendigkeit in sich enthält, da von ihr alles äußere Recht seinen wirklichen Ausgang nimmt (§ 46 Abs. 1 S. 2). Folglich muss das in der These des § 46 Abs. 1 S. 1 gesetzte Subjekt der gesetzgebenden Gewalt, das den Grund der praktischen Notwendigkeit alles äußeren Rechts ursprünglich in sich aufhebt, in der in diesem metaphysischen Vernunftbegriff der gesetzgebenden Gewalt mit praktischer Notwendigkeit vorgestellten Relation enthalten sein: Welche reine praktische Relation der Menschen untereinander enthält 919

Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 159 f. Fn. 127 (vgl. auch schon oben Fn. 904); im Anschluss hieran nun auch Noltenius, Die Europäische Idee der Freiheit (2017), S. 280 ff. sowie teils kritisch ebenso Hirsch, Freiheit und Staatlichkeit bei Kant (2017), S. 321 Fn. 273; mit deutlichen Worten dagegen insgesamt kritisch verwerfend allerdings Geismann, Kant und kein Ende III (2012), S. 103 Fn. 351 („kaum haltbar“).

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also die reine praktische Notwendigkeit ihres äußeren Rechts, und zwar im direkten Gegensatz zur praktischen Zufälligkeit bzw. zum äußeren Unrecht in sich? Beschließt ein menschliches Rechtssubjekt über ein anderes menschliches Rechtssubjekt, so kann das eine Rechtssubjekt dem anderen Rechtssubjekt in dieser asymmetrischen Subordination sehr leicht ein Unrecht antun, da es auf den Willen des anderen Rechtssubjekts in diesem Beschluss nicht notwendig ankommt. Das einseitige Verhältnis von Rechtssubjekten zueinander (facto) enthält somit für sich keine praktische Notwendigkeit, sondern lediglich praktische Zufälligkeit in sich. Im bloß natürlichen Zustand der Menschen zueinander, darin es an einem gesetzgebenden Allgemeinwillen im äußeren Verhältnis mangelt, war eben darum ihr Besitz äußerer Gegenstände rein begrifflich (d. h. metaphysisch) nur im Hinblick auf einen gesetzgebenden Allgemeinwillen schon provisorisch rechtlich bestimmt als ein intelligibler Besitz denkbar (§§ 8, 9, 15), und ein im Hinblick auf den gesetzgebenden Allgemeinwillen abstraktes sowie daher auch nicht metaphysisches, sondern empirisches Wortverständnis des Begriffs des provisorischen Besitzes nachhaltig zu kritisieren.920 Beschließen zwei oder mehrere menschliche Rechtssubjekte in einem Privatvertrag übereinander, so tun sie einander im Grundsatz dagegen schon kein Unrecht, da sie in der Rechtsform des Vertrages in einem gemeinschaftlichen Willen miteinander vereinigt sind. Allerdings kommt es auch in diesem zweiseitigen Verhältnis nicht auf den Willen aller vom Vertrag (pacto) ausgeschlossenen Rechtssubjekte an, sodass der zweiseitige Vertrag (§§ 18 ff.) zwar praktische Notwendigkeit nach innen, wohl aber nur praktische Zufälligkeit nach außen hin in sich enthält. Auch der bloße Privatvertrag enthält darum nicht das Verhältnis der Menschen zueinander, danach die praktische Notwendigkeit all ihres äußeren Rechts im reinen praktischen Begriff der gesetzgebenden Gewalt gedacht werden kann. Ließe sich dagegen ein Vertragsverhältnis so allumfassend denken, dass es keine von diesem Vertragsverhältnis ausgeschlossenen Personen gibt, dann enthielte dieser allseitige Vertrag nach innen hin die praktische Notwendigkeit eines Beschließens nur über sich selbst und wirkte damit in seinem Außenverhältnis zugleich allseitig absolut, da es nur einen allumfassend gemeinschaftlichen Willen der Rechtssubjekte in ihrem äußeren Verhältnis gäbe. Ein solcher nicht bloß zweiseitiger und darum privatrechtlicher, sondern allseitiger und daher öffentlich-rechtlicher Vertrag enthielte – nämlich unter Aufhebung aller praktischen Zufälligkeit – also lediglich noch praktische Notwendigkeit in sich und wäre darum als der Grund der praktischen Notwendigkeit alles äußeren Rechts der Menschen anzusehen, sodass in seinem metaphysischen Verhältnis der Menschen untereinander die praktisch notwendige Relation der gesetzgebenden Gewalt im Staat ursprünglich aufgehoben wäre. Der allseitig vereinigte und darum nicht bloß gemeinschaftliche, sondern substanziell allgemeine Wille aller Rechtssubjekte im Volk eines Staates stellt nach 920

Siehe dazu nochmals oben unter A. I. 4. c).

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diesem Rechtsgedanken also die praktisch-notwendige Relation im reinen praktischen Vernunftbegriff der gesetzgebenden Gewalt (lege) vor: „Die gesetzgebende Gewalt kann nur dem vereinigten Willen des Volkes zukommen.“921 Da es sich hierbei um eine praktisch-notwendige und darum nicht empirische, sondern metaphysische Vorstellung von einer gesetzgebenden Gewalt im Staat handelt, ist zugleich auch klar, dass es auf die empirische Vereinigung oder gar Vereinigungstätigkeit aller einzelnen Glieder des Volkes zur praktisch-notwendigen Bestimmung dieser reinen praktischen Idee von einer vernünftigen Gesetzgebung in ihrem rein begrifflichen Grunde in keiner Weise ankommt (dazu auch noch § 46 Abs. 2 – 4). Vielmehr wird das Volk im reinen praktischen Vernunftbegriff der gesetzgebenden Gewalt bereits mit praktischer Notwendigkeit als objektiv vereinigt vorgestellt und eben darum kann der ganze akroamatische Beweis für die These, dass Subjekt der gesetzgebenden Gewalt der vereinigte Volkswille ist, auch direkt aus dem reinen praktischen Vernunftbegriff der gesetzgebenden Gewalt geführt werden (§ 46 Abs. 1 S. 2 – 4). Der Beweis beruht somit letztlich auf dem in diesem reinen praktischen Vernunftbegriff der gesetzgebenden Gewalt gelegenen Gedanken, dass der gesetzgebende Wille, von dem als Substanz alles äußere Recht ausgeht, notwendig kein Unrecht tun kann (§ 46 Abs. 1 S. 2). Da aber immer dann Unrecht geschehen kann, wenn ein Wille bloß über den anderen Willen beschließt, so enthält ein einzelner Wille für sich selbst noch keinen allgemeinen Willen als gesetzgebende Gewalt in sich. Vielmehr ist die reale Möglichkeit einer Rechtsverletzung nur dort notwendig ausgeschlossen, wo ein jeder Wille notwendig über sich selbst beschließt, „denn volenti non fit iniuria“922 (§ 46 Abs. 1 S. 3). Folglich beschließt in einem gesetzgebenden Willen ein jeder Wille über alle Willenssubjekte und alle Willenssubjekte über einen Willen, d. h. alle Willenssubjekte beschließen wechselseitig übereinander, sodass – was zu beweisen war – nur der objektiv zur Gesetzgebung vereinigte Allgemeinwille aller Willenssubjekte eines Volkes gesetzgebende Gewalt im Staat kann (§ 46 Abs. 1 S. 4).923 Der substanzielle Wille der gesetzgebenden Gewalt im 921

RL, AA VI: 313.29-30. RL, AA VI: 313.34 – Als „psychologistisch“ aufgefasst (wie etwa von Haensel, Kants Lehre vom Widerstandsrecht [1926], S. 48), dürfte dieser wichtige Satz Immanuel Kants im Herzen seines metaphysischen Staatsrechts rein begrifflich noch nicht vollständig erfasst sein. Aus eben diesem Grund ist auch gegen die Vertreter eines als prozedural aufgefassten Naturrechts (vgl. dazu beispielsweise auch Unruh, Die Herrschaft der Vernunft [20162], S. 266 ff.) zu bemerken, dass dieser allgemeine Wille des vereinigten Volkes in der reinen praktischen Idee der gesetzgebenden Gewalt als „faktische Zustimmung aller“ (so Maus, Zur Aufklärung der Demokratietheorie [1992], S. 156 ff.) wohl noch eher in der Sphäre des begrifflich Unbestimmten verharrt (kritisch zu solchen Verkürzungen auch Geismann, Kant und kein Ende III [2012], S. 116 – 122). Gleichermaßen gilt dies, sofern man (mit Joung, Volkssouveränität, Repräsentation und Republik [2006], S. 51) den ursprünglichen Allgemeinwillen, wegen seines ideellen Charakters, für einen „hypothetischen Willen“ erachten wollte. 923 NB: Da dieser reine Allgemeinwille im reinen praktischen Vernunftbegriff der gesetzgebenden Gewalt im Staat also ausweislich seines Vernunftbegriffs niemanden Unrecht tun kann, wird er von Immanuel Kant auch noch als „heilig“ und „unwiderstehlich“ angesehen 922

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Staat enthält also in sich schon die Gemeinschaft der für sich in der bürgerlichen Gesellschaft unter einer staatlichen Gesetzgebung subsistierenden Einzelwillen. Dieser objektive Zustand der Vereinigung des Volkes in der gesetzgebenden Gewalt (§ 46 Abs. 1) ist damit rein begrifflich von dem objektiven Zustand der Vereinigung des Volkes unter der gesetzgebenden Gewalt des Staates (§ 45 Abs. 1) zu unterscheiden. Im ersten Fall wird das Volk nämlich an und für sich selbst als Staatsrechtssubjekt, im zweiten Fall dagegen nur für sich selbst als Staatsrechtsobjekt rechtlich bestimmt gedacht. Es macht demnach für das metaphysische Verständnis des metaphysischen Staatsrechts einen erheblichen Unterschied, ob rein begrifflich vom Volk als einer bürgerlichen Gesellschaft im Staat oder von demselben als der obersten Gewalt (Souverän) des Staates die Rede ist, wobei beiden reinen Begrifflichkeiten gleichermaßen die reine praktische Vernunftidee von einer ursprünglichen Vereinigungstätigkeit der menschlichen Rechtssubjekte zu einem Volk im Staat innerlich zugrunde liegt, weshalb die rechtlich bestimmte Einheit der bürgerlichen Gesellschaft im Staat, d. h. des Volkes unter der rechtlichen Bestimmung der gesetzgebenden Gewalt, nur durch die reine praktische Idee des ursprünglichen Kontrakts (§ 47) vernünftig gedacht werden kann. Sowohl das Staatsrechtsobjekt, als auch das Staatsrechtssubjekt setzen somit in ihrem rechtlich schon an und für sich selbst bestimmten Vernunftbegriff also den reinen praktischen Vernunftbegriff einer rechtlichen Bestimmungstätigkeit des Volkes subjektiv bestimmend an und für sich selbst voraus. Der Staatsbürger als aktives Glied der gesetzgebenden Gewalt, und folglich im Staat zugleich an und für sich selbst auch als Staatsrechtssubjekt vorgestellt, ist mithin von dem Staatsbürger als einem bloß passiven Teil des gemeinen Wesens zu unterscheiden, der in seinem Begriff für sich selbst nämlich lediglich als Staatsrechtsobjekt im Staat vorgestellt wird (aa)), wobei unter der Staatsrechtsobjekt und -subjekt rein begrifflich verbindenden praktischen Idee des ursprünglichen Vertrages immer ein gesetzlicher Übergang vom Zustand des Staatsbürgers als einem bloß passiven Teil des gemeinen Wesens zu dem Zustand desselben als einem aktiven Glied im Staat rechtlich möglich ist und eben darum positivgesetzlich auch möglich sein muss (bb)): aa) Der Staatsbürger als gesetzgebendes Glied der bürgerlichen Gesellschaft Wenn die gesetzgebende Gewalt dem dazu in seinem reinen praktischen Begriff schon vereinigten Volkswillen zukommt (§ 46 Abs. 1), dann stellen die einzelnen Glieder des Volkes in ihrer logisch vorhergehenden Vereinigung zur gesetzgebenden werden, sodass sich ein Widerstand des einzelnen Rechtssubjekts gegen die Staatstätigkeit in bzw. unter öffentlichen Gesetzen rein begrifflich verbietet. Hierauf ist im Rahmen der Auseinandersetzung der Positivität des Rechts in öffentlichen Gesetzen alsdann im achten Kapitel nochmals zurückzukommen.

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Gewalt den allgemeinen Willen des Volkes vor. Die staatliche Selbstvorstellungstätigkeit in allgemeinen Gesetzen (§ 45 Abs. 2) ist demnach in ihrem begrifflichen Grunde zugleich eine gesetzliche Selbstvorstellungstätigkeit der einzelnen Glieder des Volkes in ihrem äußeren Verhältnis (§ 46 Abs. 2); und diese gesetzliche Selbstvorstellungstätigkeit der einzelnen Glieder des Volkes in ihrem äußeren Verhältnis ist in ihrer Folge zugleich die staatliche Selbstvorstellungstätigkeit in allgemeinen Gesetzen.924 Auf diese in sich geschlossene Weise lässt sich das absolute Staatsrechtssubjekt nach Grund und Folge seiner Selbsttätigkeit an und für sich selbst völlig rein sowie rechtlich bestimmt denken, sodass vom Staatsrechtsobjekt für sich in dieser rein begrifflichen Rechtsvorstellung des Staatsrechtssubjekts an sich selbst insoweit abstrahiert wird. Insofern der Bürger einer bürgerlichen Gesellschaft im Staat dabei in seinem reinen praktischen Begriff als ein aktives Glied des zur Gesetzgebung vereinigten Volkswillens vorgestellt wird, ist er an und für sich selbst „ S t a a t s b ü r g e r “925 des gemeinen Wesens (§ 46 Abs. 2); insofern er dagegen in seinem reinen praktischen Begriff nicht als aktives Glied des zur Gesetzgebung vereinigten Volkswillens, sondern bloß als passiver Teil des gemeinen Wesens vorgestellt wird, ist er noch lediglich an sich und darum nicht auch schon für sich selbst selbstständiger sowie aktiver, sondern bloß passiver Staatsbürger des gemeinen Wesens (§ 46 Abs. 3). Der aktive Staatsbürger ist demnach Teil des Staatsrechtsobjekts sowie zugleich auch Glied des Staatsrechtssubjekts; der passive Staatsbürger ist hingegen nur Teil des Staatsrechtsobjekts. Folglich findet nur durch den reinen praktischen Begriff des aktiven Staatsbürgers schon an und für sich selbst ein positiver Begriff von Autonomie (d. h. Selbstgesetzgebung) desselben im äußeren Verhältnis statt; wohingegen für den passiven Staatsbürger ein solchermaßen positiv bestimmter Begriff von Autonomie (d. h. Selbstgesetzgebung) an sich erst nur ein durch den reinen praktischen Begriff des aktiven Staatsbürgers vermitteltes Dasein hat.926 924 Vgl. dazu auch Tieftrunk, Philosophische Untersuchungen II (1798), S. 157: „In dem vereinigten Willen ist jeder Einzelne Objekt und Subjekt des Beschlusses zugleich; […].“ 925 RL, AA VI: 314.05. 926 NB: Es ist genau dieses positive Moment der Freiheit als Autonomie (d. h. Selbstgesetzgebung) im äußeren Verhältnis, das dem angeborenen Recht der Freiheit als Unabhängigkeit von fremder Willkür im äußeren Verhältnis für sich selbst noch abgeht, und das in der Rechtsvorstellung des erwerblichen Rechts im natürlichen Zustand provisorisch in seinem reinen praktischen Begriff stets schon an sich selbst vorauszusetzen ist, soll der äußere Besitz im Naturzustand überhaupt schon an sich rechtlich bestimmt gedacht werden können (§§ 8, 9, 15). Da es eine Selbstgesetzgebung im äußeren Verhältnis im natürlichen Zustand aber nicht schon wirklich geben kann, weil es darin überhaupt gar keine wirkliche äußere Gesetzgebung gibt, beruht die hiervon unabhängig vorgestellte und doch positive Rechtsbehauptung im Naturzustand, die im empirischen Wortverständnis des Begriffs des provisorischen Besitzes zum Ausdruck gelangt (oben unter A. I. 4. c) aa)), auf einer gedanklichen Erschleichung dieses dabei offensichtlich durchaus unbewusst vorausgesetzten positiven Moments der Freiheit als Autonomie im äußeren Verhältnis, woraus alsdann jedoch notwendig die Unauflösbarkeit des für die Naturzustandsvorstellung (oben unter A. I. 4. a)) diagnostizierten autonomietheoretischen Problems interpersonaler Rechtsverpflichtung resultiert.

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„ [ A ] l s M e n s c h e n “ sind der aktive und der passive Staatsbürger somit gleichermaßen durch die begrifflichen Attribute der „natürlichen Freiheit und Gleichheit“ miteinander verbunden (§ 46 Abs. 4);927 als „ S t a a t s b ü r g e r “ sind beide hingegen durch die Art ihrer „bürgerlichen S e l b s t s t ä n d i g k e i t “ begrifflich voneinander unterschieden (§ 46 Abs. 2).928 Während der aktive Staatsbürger seine bürgerliche Existenz in der bürgerlichen Gesellschaft, als dem Staatsrechtsobjekt, nämlich durch diejenige bürgerliche Selbstständigkeit im äußeren Verhältnis ableitet, die ihn als Substanz im gemeinen Wesen zugleich erst zum aktiven Staatsbürger des Staatsrechtssubjekts qualifiziert, leitet der passive Staatsbürger seine bürgerliche Existenz in der bürgerlichen Gesellschaft unmittelbar von der bürgerlichen Selbstständigkeit eines anderen und selbst aktiven Staatsbürgers, damit aber zugleich – wie zuvor ausgeführt – als Inhärenz im gemeinem Wesen mittelbar von der Substanz des Staatsrechtssubjekts selbst ab. Die rein begriffliche Unterscheidung des aktiven Staatsbürgers vom passiven Staatsbürger beruht also auf der rein begrifflichen Unterscheidung von Substanz und Akzidenz der Teile des gemeinen Wesens einer bürgerlichen Gesellschaft. bb) Die Verpflichtung positiver Gesetze auf die Selbstständigkeit der Glieder bürgerlicher Gesellschaft Durch die gesetzliche Vereinigungstätigkeit der aktiven Staatsbürger aktualisiert sich in staatlichen Gesetzgebungsakten stets die rechtliche Bestimmung der bürgerlichen Gesellschaft aller Staatsbürger als dem Staatsrechtsobjekt im gemeinen Wesen und damit stets auch der nach reinen praktischen Begriffen notwendige Übergang vom natürlichen in den bürgerlichen Zustand im äußeren Verhältnis der Menschen zueinander. Aus diesem sich gedanklich aktualisierenden Übergang vom natürlichen in den bürgerlichen Zustand resultiert nun zunächst die gedankliche Schwierigkeit in der ursprünglichen Bestimmung der Stimmrechtsfähigkeit eines Staatsbürgers als Glied des Staatsrechtssubjekts (§ 46 Abs. 3), da man besonders aus der Warte des Gegenwartsbewusstseins leicht geneigt sein dürfte, die zivilisatorischen Errungenschaften der Verlaufsgeschichte einer bürgerlicher Gesellschaft (z. B. die trotz ihrer natürlich-tatsächlichen Ungleichheit existierende rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau) schon für natürliche Rechtsgegebenheiten zu betrachten, sodass für unsere heutigen Ohren möglicherweise unverständlich zu werden droht, weshalb die Stimmrechtsfähigkeit im reinen praktischen Begriff des aktiven Staatsbürgers – d. h. in ihrer völlig abstrakten Vorstellung – in ihrer ersten konkreten Vermittlung an eine natürliche oder unmittelbare Selbstständigkeit geknüpft sein muss.929 Immerhin wird 927

RL, AA VI: 315.06-22. RL, AA VI: 314.04-16. 929 Kritisch hierzu allerdings schon Bergk, Briefe über Immanuel Kant’s Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (1797), S. 176 – 188 in seinem 22. Brief. 928

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man nicht schon als im äußeren Verhältnis effektiv selbstständige Person geboren930 und aus der Vereinigungstätigkeit von in ihrem äußeren Verhältnis bloß unselbstständigen Personen (Akzidenzen) kann schlechterdings nicht urplötzlich eine einzige selbstständige Person von absoluter Willenssubstanz in ihrem äußeren Verhältnis hervorgehen, denn mit lauter Knechten alleine ist – ebenso wenig wie mit lauter selbstständigen Herrschaften (respektive: Privateigentümern) – eben für sich noch kein Staat zu machen, sodass es dafür vielmehr stets der Gemeinschaft von selbstständigen und unselbstständigen Personen bedarf:931 „Diese Abhängigkeit von dem Willen Anderer und Ungleichheit ist gleichwohl keinesweges der Freiheit und Gleichheit derselben a l s M e n s c h e n , die zusammen ein Volk ausmachen, entgegen: vielmehr kann bloß den Bedingungen derselben gemäß dieses Volk ein Staat werden und in eine bürgerliche Verfassung eintreten.“932 Wenn damit aber aus der bloß natürlichen Gleichheit des angeborenen Rechts der Freiheit als Unabhängigkeit von fremder Willkür im äußeren Verhältnis für sich 930 Das gestehen selbst Kritiker Kants an dieser Stelle zumindest implizit zu (etwa Ludwig, Kants Rechtslehre [1988], S. 163). 931 Es ist doch besonders merkwürdig, dass der Staat in der Konsequenz einer eigentumstheoretischen Interpretation eigentlich als eine Rechtsgemeinschaft der Eigentümer und der Habenichtse gedacht werden müsste, sodass die aktive Staatsbürgerschaft in dieser vorgeblichen „Selbstschutzgemeinschaft der Handlungsmächtigen“ (Kersting, Wohlgeordnete Freiheit [20073], S. 80) konsequent auch ein naturrechtliches Privileg der Eigentümer sein müsste. Doch ausgerechnet an der vermeintlich unrechtlich bestimmten Privilegierung der Selbstständigen im Kantischen Staatsrecht bricht sich gegenwärtig der Widerspruch einer eigentumstheoretischen Interpretation. So will beispielsweise Wolfgang Kersting, a.a.O., S. 297 ff. im Begriff des passiven Staatsbürgers „eine schlichte contradictio in adjecto“ und im Begriff des aktiven Staatsbürgers dementsprechend eine „Tautologie“ ausgemacht wissen, wobei sich hinter dem Begriff der bürgerlichen Selbstständigkeit unzulässigerweise ein empirisches Kriterium verbergen soll (vgl. zu einem solchen Vorwurf in einem rein begrifflich ähnlichen Zusammenhang auch schon oben etwa Fn. 560). Doch der scheinbare Widerspruch bzw. die Tautologie innerhalb des Begriffs des passiven bzw. des aktiven Staatsbürgers besteht wohl nur dann, wenn man – wie Kersting – den Staatsbürgerbegriff in seiner Sphäre stets schon nur auf das Staatsrechtssubjekt und nicht auch bloß auf das Staatsrechtsobjekt bezogen denkt. Entfiele die tatsächlich bestehende Differenz zwischen aktivem und passiven Staatsbürger dagegen infolge dieser Einseitigkeit gänzlich, sodass es in der Folge nur aktive Staatsbürger geben könnte, dann dürfte damit zugleich auch unerklärlich werden, weshalb der allgemein vereinigte Wille im reinen praktischen Begriff der gesetzgebenden Gewalt (§ 46 Abs. 1) in seiner empirischen Realisation nicht als „faktische Zustimmung aller“ zu begreifen ist (siehe dazu schon oben Fn. 922). 932 RL, AA VI: 315.06-10; siehe ferner TP, AA VIII: 290.16-296.36. – Die von nicht wenigen Interpreten monierte Anstößigkeit des Kantischen Selbstständigkeitskriteriums im Rahmen der Stimmrechtsfähigkeit zur gesetzgebenden Gewalt (siehe nur Ludwig, Kants Rechtslehre [1988], S. 161 ff. m.w.N.: „nicht mit der Fundierung des Staates vereinbar“, „ein Fremdkörper“) dürfte möglicherweise entfallen, insofern man die Totalität des reinen praktischen Vernunftgedankens eines Übergangs vom natürlichen in den rechtlichen Zustand ein wenig mehr reflektiert. Der bloße Hinweis hierauf mag an dieser Stelle einstweilen genügen (vgl. zur Interpretation der Trias aus neuerer Zeit vorläufig etwa Bartuschat, in: Landwehr [Hrsg.]: Freiheit, Gleichheit, Selbstständigkeit [1999], S. 19 ff., oder aus älterer Zeit etwa Tieftrunk, Philosophische Untersuchungen II [1798], S. 194 – 264).

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selbst noch nicht zwangsläufig schon die Stimmrechtsfähigkeit im Staat bürgerlicher Verfassung folgt, weil hierfür die selbsttätige Leistung einer selbstständigen Existenz im äußeren Verhältnis vorauszusetzen ist, so dürfen doch die durch die Staatstätigkeit der aktiven Staatsbürger sich aktualisierenden Rechtsgesetze im äußeren Verhältnis der angeborenen Freiheit eines jeden als Unabhängigkeit vom fremder Willkür nicht zuwider sein, sodass sich ein jeder Staatsbürger unter öffentlichen Gesetzen in den aktiven Status selbsttätig einsetzen und sich darin erhalten können muss. Im Begriff der gesetzgebenden Gewalt ist darum gelegen, „daß, welcherlei Art die positiven Gesetze, wozu sie stimmen, auch sein möchten, sie doch den natürlichen der Freiheit und der dieser angemessenen Gleichheit Aller im Volk, sich nämlich aus diesem passiven Zustande zu dem activen empor arbeiten zu können, nicht zuwider sein müssen“933. Die hier in dieser Arbeit subjektiv interessierenden positiven Gesetze eines staatlichen Gemeinwesens werden demnach in ihrer rechtlichen Folgebestimmung materiell nicht nur als staatsrechtlich unmittelbar an die eine gesetzliche Bestimmung ausführenden Staatsorgane adressierte Zurechnungsbestimmungen eines rechtskräftigen Erwerbs (§ 37 Abs. 7), sondern in ihrer rechtlichen Grundbestimmung innerlich zugleich an sich auch als mittelbar an die Staatsbürger selbst adressierte Funktionen ihrer Selbstständigkeit in ihrem äußeren Verhältnis zu begreifen sein (§ 46 Abs. 4). Auf diese begrifflich vermittelte Weise lässt sich schließlich das System einer in der Folge zuletzt distributiven Gerechtigkeitsform des rechtskräftigen Erwerbs auch im inneren Grunde als teilhabegerecht verfasst verstehen. Der Staat der öffentlichen Gerechtigkeit (§ 41 Abs. 1) garantiert in der Rechtsform seiner positiven Gesetze nämlich letztlich die Rechtsbedingungen der Möglichkeit einer selbstständigen bürgerlichen Existenz im äußeren Verhältnis der Menschen zueinander. b) Deduktion des allgemeinen Verhältnisses in den drei Staatsgewalten Die gesetzgebende Gewalt (§ 46 Abs. 1) enthält mit dem schon vereinigten Volkswillen in sich subjektiv ursprünglich den rechtlich bestimmenden Grund zur objektiven gesetzlichen Bestimmung im Staat. Mithin geht unter dem reinen praktischen Staatsbegriff (§ 45) alle gesetzlich-progressive Bestimmung im Staat ursprünglich vom schon vereinigten Volkswillen in der gesetzgebenden Gewalt aus, wenn und weil gesetzliche Bestimmung die Subordination jeder für sich einzelnen Macht unter die gesetzgebende Gewalt im Staat bedeutet. Demnach muss alle gesetzlich-progressive Bestimmung im Staat ursprünglich – regressiv aufsteigend – in der Vereinigungsidee des Volkswillens – d. h. in seiner Konstitutionsidee – aufgehoben sein. Im gedanklichen Anschluss an die Exposition des Begriffs der gesetzgebenden Gewalt (§ 46) handelt § 47 nunmehr von der rein begrifflichen Rückführung der drei Gewalten im Staat (§ 45 Abs. 2) auf die im reinen praktischen Begriff des Staates 933

RL, AA VI: 315.18-22.

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(§ 45 Abs. 1) diesem selbst gedanklich noch als bestimmend vorausgesetzte Idee des ursprünglichen Vertrages, und zwar als der reinen praktischen Konstitutions- bzw. Verfassungsvorstellung eines jeden Staates, sodass sich die folgende progressivsynthetische Begriffsreihe staatsrechtlicher Bestimmung zu intensiv deutlichen Bewusstsein im metaphysischen Staatsrecht erschließt: - Begriff des ursprünglichen Vertrages (§ 47) - Begriff des Staates (§ 45 Abs. 1) - Begriff der gesetzgebenden Gewalt (§ 46 Abs. 1) - Begriff der gesetzesausführenden Gewalt (§ 49 Abs. 1 – 2) - Begriff der gesetzesrechtsprechenden Gewalt (§ 49 Abs. 3)

Weil aber der schon vereinigte Volkswille als der rechtlich ursprünglich bestimmende Grund im reinen praktischen Begriff der gesetzgebenden Gewalt erst in § 46 mit begrifflicher Notwendigkeit bewiesen wurde, folgt der Gedanke des § 47 einerseits notwendig erst auf die Ausführungen des § 46.934 Da der in § 47 aus der ursprünglich praktischen Konstitutionsidee des Staates entwickelte Gedanke des in den drei Staatsgewalten jeweils aufgehobenen Subordinationsverhältnisses jedoch maßgeblich für die im Folgenden sodann hieraus wiederum mit begrifflicher Notwendigkeit entwickelbare Verhältnisbestimmung der drei Gewalten zueinander in der Einheit des Staates ist (§§ 48 – 49), geht der Gedanke des § 47 dieser begrifflichen Fortentwicklung andererseits auch notwendig voraus. Mit einem Wort: § 47 steht in der originalen Textfassung schon an seinem ganz richtigen Ort und es nicht nötig, ihn hinter § 49 als einen neuen § 50 zu setzen, so wie Bernd Ludwig den Text dem Leser seiner Edition der Rechtslehre Immanuel Kants gleichwohl gerne vorstellen würde.935 Die folgende Interpretation von § 47 wird nämlich beglaubigen, dass Ludwigs Eingriff in die originale Textstruktur an dieser Stelle auf einer schlichten Bedeutungsverkennung des in § 47 S. 1 verwendeten Demonstrativpronomens „jene“ basiert, da er dieses tatsächlich irrig mit der Bedeutung des Demonstrativpronomens „diese“ identifiziert, und so den von Immanuel Kant mit jenem Demonstrativpronomen in seinem Textverweis objektiv zum Ausdruck gebrachten Entfernungsgrad in seinem Text subjektiv schlicht verkennt: aa) Die drei Staatsgewalten als Staatswürden nach dem Begriff des Staates Denn § 47 knüpft mit dem Demonstrativpronomen „jene“ in seinem ersten Satz begrifflich an die drei in § 45 Abs. 2 im Rahmen der metaphysischen Einteilung des

934

Es trifft also schlechterdings nicht zu, wie jedoch Bernd Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 76 zum Zwecke seiner Edition behauptet, dass „wir – ganz unvermittelt – (in § 47) etwas über die Gründung des Staatswesens erfahren“. 935 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 76 ff.

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reinen praktischen Begriffs des Staates zuvor erstmals explizit eingeführten drei Staatsgewalten an: „Alle jene drei Gewalten im Staate sind Würden und als wesentliche aus der Idee eines Staats überhaupt zur Gründung desselben (Constitution) nothwendig hervorgehend, S t a a t s w ü r d e n .“ (RL, AA VI: 315.24-26).

Hätte mit jenem Demonstrativpronomen dagegen an eine unmittelbar vorstehende Nennung der drei Gewalten angeknüpft werden sollen, so ginge der Textverweis des § 47 S. 1 kurzerhand ins Leere, denn „diese“ drei Gewalten finden in § 46 schlechterdings keine Erwähnung. Im Originaltext der Rechtslehre Immanuel Kants kann sich der Verweis „all jene Gewalten“ also schlechterdings nur auf die mittelbar zuvor in § 45 Abs. 2 eingeführten Gewalten beziehen, da das Demonstrativ „jene“ allgemein überhaupt auf Etwas, und besonders auf etwas Entferntes verweist, während das Demonstrativ „diese“ stets auf etwas Nahes hinweist.936 An dieser sprachlichen Tatsache hat sich seit Kants Zeiten wohl auch nichts verändert: „Jener, jene, jenes, pronon. demonstrat. relat. welches […] sich auf eine entferntere Sache bezieht, und dieselbe so genau bestimmet, als wenn man gleichsam mit den Fingern darauf wiese.“937 Es ist daher überaus merkwürdig und wohl schlechterdings unverständlich, dass und wie Bernd Ludwig das Demonstrativ „jene“ zum Zwecke seiner eigenen Edition der Rechtslehre Immanuel Kants bislang weitgehend unwidersprochen938 in der Bedeutung des Demonstrativpronomens „diese“ deuten konnte: „Warum jener § 47 mit der Formel „All jene drei Gewalten“ beginnt, ist […] nicht einzusehen, da im vorherigen § 46 nur von einer Gewalt gehandelt wurde.“939 Ludwig vermochte mit seinem gänzlich unorthodoxen Wortverständnis also subjektiv gutgläubig meinen, er habe durch die Versetzung des § 47 hinter § 49 den von ihm in Wahrheit wider allen Sprachgebrauch nur irrig vermeinten „Defekt des in der Luft hängenden Anschlusses des ersten Satzes von § 47 repariert: „All jene drei Gewalten“ werden in der Tat im letzten Absatz von § 49 (hinter dem § 47 nun steht) zusammenfassend gewürdigt.“940 Das ihm sich abschließend durch sich selbst beschiedene Urteil, der Anschluss „jene drei Gewalten“ in § 47 sei „nur in der angegebenen Weise zu rechtfertigen“941, hat demnach den ganz gewöhnlichen Wortgebrauch des in Rede stehenden Demonstrativpronomens also noch nicht einmal für sich erwogen. Auch die editorischen Eingriffe Bernd Ludwigs in das metaphysische Staatsrecht Immanuel Kants stehen somit auf durchaus tönernen Füßen. 936 Siehe dafür Dudenredaktion (Hrsg.): Duden IX – Richtiges und gutes Deutsch (20076), S. 234 f., 492 f. 937 Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch II (17962), Sp. 1432 f. 938 Die einzige dem Verf. bekannt gewordene Ausnahme bildet da Wolff, in: Euler/Tuschling (Hrsg.): Kants „Metaphysik der Sitten“ in der Diskussion (2013), S. 57 (61 Fn. 7). 939 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 76 (übrigens ist zu bemerken, dass Ludwig hier in diesem seinem eigenen Satz mit der Wendung „jener § 47“ selbst wohl tatsächlich „dieser § 47“ meint, weil er von diesem Paragraphen unmittelbar zuvor handelte). 940 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 77. 941 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 79.

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Wenn es mit Blick auf § 45 Abs. 2 nun von den drei Staatsgewalten heißt, sie seien „Würden“, so ist damit lediglich angemessen auf den Begriff gebracht, dass es sich bei ihnen jeweils um notwendige Funktionen autonomer Selbstbestimmung (d. h. selbstgesetzlicher Bestimmung) des Staates handelt, und zwar so, wie es bereits oben in der begrifflichen Auseinandersetzung von § 45 Abs. 2 deutlich geworden war. Denn der Würdebegriff bezieht sich in praktischen Philosophie Immanuel Kants stets auf die unendliche Erhabenheit einer moralischen Person, die alleine darum notwendig unter praktischen Gesetzen steht, weil sie sich diese Gesetze ursprünglich selbst gibt, d. h. sie sich selbst ursprünglich vorstellt und in dieser spontanen Selbstvorstellungstätigkeit die positive Bestimmung ihrer Freiheit hat:942 „ A u t o n o m i e ist also der Grund der Würde der menschlichen und jeder vernünftigen Natur.“943 Interessant an § 47 S. 1 ist jetzt die weitere Einführung der drei „Würden“ als „ S t a a t s w ü r d e n “. Denn insofern sie „als wesentliche“ zur vernünftigen (d. h. autonom verfassten) Natur eines jeden Staates gehören, müssen sie in der innerlich bestimmenden Realbedingung des reinen praktischen Begriffs des Staates (§ 45 Abs. 1) überhaupt als solche gesetzt sein, denn der Realbegriff eines Dinges enthält stets das Realwesen der Sache selbst. Nun ist in § 45 Abs. 1 S. 2 ein reiner Allgemeinwille in natürlichen Gesetzen a priori als begriffliche Realbedingung im reinen praktischen Vernunftbegriff des Staates gesetzt,944 sodass die drei Gewalten bzw. Würden „als wesentliche“ im Vernunftbegriff eines reinen Allgemeinwillens in natürlichen Rechtsgesetzen bereits enthalten sein müssen. Weil ein solcher reiner Allgemeinwille in praktischen Gesetzen aber die Verfassung bzw. Konstitution seiner selbst unmittelbar, nämlich kraft seiner spontanen gesetzlichen Selbstvorstellung an sich selbst gewiss hat, ist es nunmehr begreiflich, dass die in ihm – als notwendige Funktionen seiner selbstgesetzlichen Bestimmung – gesetzten Würden aus „der Idee eines Staates überhaupt“ (= § 45 Abs. 1) als „zur Gründung desselben 942

GMS, AA IV: 439 f. GMS, AA IV: 436.06-07. – NB: Wäre der Staat in seiner reinen praktischen Idee dagegen nicht eine moralische Person, sondern als lediglich menschliches Machwerk bloß eine künstliche Person, so wäre er in seiner sodann technisch-praktischen Bestimmung vom menschlichen Vernunftkünstler abhängig und nicht selbst schon ganz als sich selbst praktisch bestimmend (d. h. autonom) anzusehen, sodass ihm eine an den Begriff der Autonomie gekoppelte Würde durchaus abzusprechen wäre. Die etwaige Behauptung, der Kantische Staat sei an sich schon als künstliche Person zu begreifen, ist folglich mit dem tatsächlichen Textbefund unvereinbar. – Als moralische Person ist der Staat dagegen in seiner gesetzlichen Selbstvorstellungstätigkeit über jeden relativen Wert bzw. Preis erhaben und damit an sich selbst notwendig auch „unveräußerlich“. Ein real existierender Staat, der sich selbst – beispielsweise in willkürlichen Verträgen – glaubt veräußern zu können, wäre vor dem Hintergrund seines reinen praktischen Begriffs also als ein im Hinblick auf sich selbst bloß bewusstloser Haufen von Menschen zu betrachten, die gleichwohl eine staatliche Verfassung dringend nötig haben, auch wenn und gerade obwohl sie es nicht glauben mögen; so unwillkürlich notwendig bestimmt der reine praktische Begriff des Staates in der Rechtslehre Immanuel Kants. 944 Siehe dazu die Auseinandersetzung des metaphysischen Staatsbegriffs oben unter B. II. 1. c). 943

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

(Konstitution) nothwendig hervorgehend“ begriffen werden und insofern aus einem inneren Grund heraus „ S t a a t s w ü r d e n “ heißen müssen. Damit ist allerdings – um diesem möglichen Missverständnis vorzubeugen – keineswegs gesagt, dass der Staat aus der aggregierten Vereinigung der von ihm vermeintlich unabhängig schon vorher (im natürlichen Zustand) subsistierenden drei Gewalten als deren Vereinigungsprodukt resultiert,945 sondern, dass der Staat die drei Gewalten in seiner Einheit gleichursprünglich mit seiner autonomen Konstitutionsidee in sich selbst hat und sie folglich ursprünglich in sich selbst setzt. Denn der reine praktische Begriff des Staates ist der praktische Begriff der Einheit eines absoluten Willenssubjekts, dass sich durch seinen reinen praktischen Begriff von sich selbst ursprünglich selbst praktisch bestimmt. Es ist demnach auch nicht als ein bloßer Zufall anzusehen, dass auf die begriffliche Einführung der drei Gewalten als drei wesentlich zur inneren Verfassung eines jeden Staates gehörigen Staatswürden (§ 47 S. 1) alsbald auch die reine praktische Konstitutionsidee eines jeden Staates (§ 47 S. 3) zur Sprache kommen wird. Ist nämlich in den drei für sich besonders voneinander unterschiedenen Staatswürden an sich stets ein und ebendasselbe staatsrechtliche Verhältnis verfasst (§ 47 S. 2), so ist in ihnen jeweils die allgemeine Verfassungs- bzw. Konstitutionsidee als die bestimmende Form eines jeden Staates überhaupt praktisch wirksam, d. h. praktisch bestimmend (§ 47 S. 3). Der reine praktische Begriff des Staates (§ 45 Abs. 1) setzt demnach die reine praktische Idee seiner Konstitution (§ 47 S. 3) realbegrifflich bestimmend in sich selbst voraus: bb) Das in den drei Staatswürden begrifflich jeweils aufgehobene Subordinationsverhältnis In der gesetzlichen Einheit des Staates enthalten die drei Staatswürden – als notwendige Glieder des Staatsrechtssubjekts – in sich jeweils das Verhältnis des gesetzlich bestimmenden Staatsrechtssubjekts zu dem durch dieses gesetzlich bestimmten Staatsrechtsobjekt, d. h. das staatliche Subordinationsverhältnis. Denn alle progressiv gesetzliche Bestimmung besteht überhaupt und besonders im Staat in einer gesetzlich-notwendigen Subordination des zu bestimmenden Einzelwillens unter den gesetzlich bestimmenden Allgemeinwillen als der notwendig bestimmenden Rechtsform eines notwendig allgemeingesetzlich bestimmten Einzelwillens. Also enthalten die drei Staatswürden in sich jeweils das Subordinationsverhältnis der für sich einzelnen menschlichen Rechtssubjekte unter das absolute Rechtssubjekt der gesetzlichen Bestimmung. Dementsprechend heißt es in § 47 S. 2: „Sie enthalten das Verhältniß eines allgemeinen O b e r h a u p t s (…) zu der vereinzelten Menge ebendesselben als U n t e r t h a n s , d. i. des G e b i e t e n d e n (imperans) gegen den G e h o r s a m e n d e n (subditus).“946

945 946

Siehe dazu kritisch schon oben Fn. 904. RL, AA VI: 315.26-30.

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Weil in der gesetzlichen Einheit des vernünftigen Staatsbegriffs aber nur ein logischer (d. h. begrifflicher bzw. verständiger) Unterschied zwischen dem gesetzlich gebietenden Staatsrechtssubjekt und dem gesetzlich gehorsamenden Staatsrechtsobjekt besteht, handelt es sich bei vernünftiger Betrachtung in der Tat (gesetzlicher Bestimmung) an und für sich selbst nur um ein und ebendasselbe Rechtssubjekt, das sich gesetzlich selbst bestimmt, sodass in dem gesetzlichen Subordinationsverhältnis im Staat an und für sich selbst gar kein Moment von Heteronomie für das Staatsrechtsobjekt gelegen ist, eben weil es sich beim Staat um die reine Vernunftvorstellung von einer autonomen Bestimmung des Staatsrechtsobjekts handelt. Ein solchermaßen einheitlicher Vernunftbegriff des Staates, dem die Heteronomie einer gesetzlichen Bestimmung kraft seiner vernünftigen Natur notwendig nur das Fremdwort eines abstrakten Rechtsverstandes ist, setzt aber unmittelbar das Bewusstsein der vernünftigen Einheit von Staatsrechtssubjekt und Staatsrechtsobjekt in ihrer bloß verständigen Unterscheidung bereits voraus. Denn für den verständigen Einzelwillen liegt in der Subordination unter einen gesetzlichen Allgemeinwillen solange eine ihm zwangsläufig als Heteronomie erscheinende Einseitigkeit, wie er es sich nicht zu Bewusstsein bringt, dass die gesetzliche Subordination unter den gesetzlich bestimmenden Allgemeinwillen ursprünglich in ihrem Grunde auf seiner ureigenen gesetzlichen Selbstvorstellungstätigkeit beruht, wie sie im Vernunftbegriff des Staates gelegen ist. Mit dem einheitlichen Vernunftbegriff des Staates, der als autonome Bestimmung begriffen werden muss, ist nämlich innerlich stets schon der praktische Vernunftbegriff von einer gesetzlichen Selbstvorstellungstätigkeit des im Staat eben erst dadurch gesetzesunterworfenen Rechtssubjekts verbunden, sodass gesetzliche Bestimmung – regressiv betrachtet – die notwendige Subordination unter einen Allgemeinwillen durch die jeweils eigene Tat bedeutet. In § 47 S. 3 wird diese gesetzliche Selbstvorstellungstätigkeit eines jeden im Staat gesetzesunterworfenen Rechtssubjekts mit dem Begriff des ursprünglichen Kontrakts (aller einzelnen Rechtssubjekte eines Volkes zum absoluten Rechtssubjekt des Staates) behandelt werden und § 47 S. 2 enthält in seinem erläuternden Klammerzusatz hinter dem Begriff „eines allgemeinen O b e r h a u p t s (der, nach Freiheitsgesetzen betrachtet, kein Anderer als das vereinigte Volk selbst sein kann)“947, bereits den entscheidenden Hinweis darauf, dass gesetzliche Bestimmung im Staat niemals etwas anderes als Autonomie des einzelnen Rechtssubjekts im äußeren Verhältnis mit seinesgleichen sein kann. Insofern liegt in diesem Satz die Verknüpfung des § 47 mit der in § 46 Abs. 1 akroamatisch bewiesenen These, dass die gesetzgebende und oberste Gewalt im Staat notwendig nur dem vereinigten Volkswillen zukommen kann.948

947

RL, AA VI: 315.27-28. Siehe auch Wolff, in: Euler/Tuschling (Hrsg.): Kants „Metaphysik der Sitten“ in der Diskussion (2013), S. 57 (61). 948

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

cc) Die durch den Urvertrag rein begrifflich betätigte Subordination unter den vereinigten Volkswillen Es ist im Rahmen der Auseinandersetzung des reinen praktischen Begriffs des Staates (§ 45 Abs. 1) bereits darauf hingewiesen worden, dass die darin rechtlich bestimmte Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen als Objekt der staatsrechtlichen Bestimmung begriffen werden muss. Allerdings ist diese Vereinigung – als Staatsrechtsobjekt – durch den reinen praktischen Begriff des Staates rechtlich bestimmt, sodass diese Vereinigung einer Menge von Menschen unter Gesetzen im reinen praktischen Begriff des Staates (§ 45 Abs. 1) an sich zugleich auch Subjekt der staatsrechtlichen Bestimmung sein muss, da sie – durch das Staatsrechtssubjekt – andernfalls gänzlich heteronom und nicht freiheitlich (d. h. rechtlich) bestimmt sein würde. Der reine praktische Vernunftbegriff des Staates (§ 45 Abs. 1) setzt also – als ein reiner praktischer Rechtsbegriff – den reinen praktischen Vernunftbegriff der Vereinigung einer Menge von Menschen unter Gesetzen praktisch bestimmend in sich selbst voraus, nach dem sich diese selbst subjektiv als sich selbst tätig zu einer staatsrechtlichen Vereinigung verfassend begreifen müssen. Denn nur in dieser sich selbst verfassenden Tätigkeit liegt eine autonome Subordination unter den gesetzgebenden Allgemeinwillen im Staat, der darin nach dem reinen praktischen Begriff des Staates die rechtlich bestimmende Funktion des Staatsrechtssubjekts ausübt. Also ist der reine praktische Begriff des Staates in seiner autonomen Bestimmung an und für sich selbst nur vernünftig zu begreifen, wenn und weil er den reinen praktischen Vernunftbegriff einer ursprünglichen Vereinigungstätigkeit der Menschen zu ihrem gesetzgebenden Allgemeinwillen im Staat als die ihn innerlich bestimmende Form – d. h. als seine Konstitutionsvorstellung – in sich enthält. Nur in diesem Sinne und nur aus diesem Grund autonomer Bestimmung alles äußeren Rechts führt § 47 S. 3 nun den reinen praktischen Vernunftbegriff des ursprünglichen Vertrages als rechtlich bestimmende Konstitutionsidee des Staates, damit aber auch des äußeren Rechts überhaupt (vgl. §§ 8 Abs. 1, 9 Abs. 1, 10 Abs. 3, 14 Abs. 2 S. 2, 15 Abs. 3, 15 Abs. 7, 16 Abs. 1 S. 2) in die metaphysische Rechtslehre ein: „Der Act, wodurch sich das Volk selbst zu einem Staat constituirt, eigentlich aber nur die Idee desselben, nach der die Rechtmäßigkeit desselben allein gedacht werden kann, ist der u r s p r ü n g l i c h e C o n t r a c t “ (RL, AA VI: 315.30-33).

Doch dieser das gesamte öffentliche Recht urhebende und somit dieses selbst zugleich mit dem natürlichen Privatrecht verbindende Satz von § 47 ist in der privatrechtsspezifisch interpretierenden Sekundärliteratur einem zwar völlig konsequenten, jedoch in der Sache selbst sehr erheblichen und darum hier mit deutlichen Worten zu kritisierenden Missverständnis unterworfen; mitunter wohl auch darum, weil er durch die zweimalige Verwendung des Wortes „desselben“ selbst die gedankliche Herstellung vielerlei möglicher Wortbezüge in einem damit zweifelhaft werdenden Gesamtverständnis des Satzes provoziert. Denn bereits die Wendung „nur die Idee desselben“ lässt sich theoretisch auf den „Act“, das „Volk“ sowie den

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„Staat“ beziehen, bevor die folgende Wendung „die Rechtmäßigkeit desselben“ theoretisch nicht mehr nur diese drei möglichen Bezüge der ersten Wendung jeweils entsprechend, sondern auch im Gegensatz zur ersten Wendung ermöglicht. Allerdings wäre diesem Satz ein bestimmter Sinn dann überhaupt nur noch schwerlich zu entnehmen, sodass einstweilen zu untersuchen bleibt, welches Verständnis sich jeweils einstellen muss, wenn das Wort „desselben“ in beiden Fällen auf ein und denselben der drei möglichen Anknüpfungspunkte bezogen wird: 1. Möglichkeit: Bezieht man das Wort „desselben“ auf den „Act, wodurch sich das Volk selbst zu einem Staat constituirt“, dann ist der ursprüngliche Kontrakt zunächst „die Idee“ dieses Konstitutionsaktes des Volkes zu einem Staate, nach der sodann „die Rechtmäßigkeit“ dieses Konstitutionsaktes des Volkes zu einem Staat alleine gedacht gedacht werden kann. 2. Möglichkeit: Bezieht man das Wort „desselben“ auf das „Volk“, dann ist der ursprüngliche Kontrakt zunächst „die Idee“ des Volkes, nach der sodann „die Rechtmäßigkeit“ dieses Volkes allein gedacht werden kann. 3. Möglichkeit: Bezieht man das Wort „desselben“ auf den „Staat“, dann ist der ursprüngliche Kontrakt zunächst „die Idee“ des Staates, nach der sodann „die Rechtmäßigkeit“ des Staates allein gedacht werden kann. Die beiden letzten Möglichkeiten, nach denen letztlich die Rechtmäßigkeit des Volkes oder eines Staates gedacht werden sollen, lassen offensichtlich den „Act“ der Konstitution, um den es in diesem Satz eigentlich zu tun ist, außen vor und ergeben in dieser Hinsicht also keinen Sinn. Es wäre auch merkwürdig, nicht die Rechtmäßigkeit einer Handlung, sondern die eines Volkes oder eines Staates beurteilen zu wollen; wenn überhaupt wäre es in letztgenannter Hinsicht richtigerweise um die Rechtmäßigkeit der Akte des Staates, nämlich um die seiner Gesetze zu tun. Etwa mit Bernd Ludwig ist darum nach der Syntax des Satzes der ursprüngliche Vertrag als die Idee des Konstitutionsaktes zum Staat anzusehen,949 sodass es in § 47 S. 3 richtigerweise primär auch nur um dessen Rechtmäßigkeit zu tun sein kann.950 Insofern man das Wort „desselben“ nämlich auf den „Act, wodurch sich das Volk selbst zu einem Staat constituirt“ bezieht, ist der ursprüngliche Kontrakt „die Idee“ dieses Konstitutionsaktes, nach der sodann „die Rechtmäßigkeit“ dieses Konstitutionsaktes des Volkes zu einem Staat alleine gedacht werden kann. Der ursprüngliche Kontrakt findet sich in § 47 S. 3 mithin nicht als eine empirische Tatsache, sondern als die Idee einer rechtmäßigen Konstitutionshandlung angesprochen, die einem jedem staatlichen Gemeinwesen zugrunde liegt.951 Ist der eigentlich nur ideale Konstitutionsakt zu einem Staat demnach allerdings durch die reine praktische Idee von sich selbst durch sich selbst rechtmäßig, so muss er auf dem freien Willen des 949 Insoweit zutreffend Herb/Ludwig, JRE 2 (1994), S. 431 (456); ferner auch Geismann, Kant und kein Ende III (2012), S. 72 f. Fn. 167. 950 Insoweit zutreffend Herb/Ludwig, JRE 2 (1994), S. 431 (442). 951 Zutreffend dazu Beck, Commentar über Kants Metaphysik der Sitten I (1798), S. 392 ff.

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durch diesen ursprünglichen Vertrag in einem staatlichen Gemeinwesen gesetzesunterworfenen Rechtssubjekts im äußeren Verhältnis beruhend angesehen werden, weil er andernfalls nicht mit dessen angeborenen Recht der Freiheit als Unabhängigkeit von fremder Willkür vereinbar ist. Ausschließlich in diesem Sinne autonomer Selbstverpflichtung zu sowie in einem gemeinen Staatswesen wurde und wird der ursprüngliche Vertrag darum auch in der hier herausgearbeiteten Interpretation aufgefasst. Mit einem Wort: Der ursprüngliche Vertrag hat durch die darin nach seiner reinen praktischen Idee begriffene Autonomie bzw. selbstgesetzliche Subordination des einzelnen Rechtssubjekts eminent herrschaftskonstitutiven Charakter.952 Doch obgleich die vorstehende Interpretation an diesem Punkt im Satzverständnis dieselben Bezüge zugrunde legt, die auch die Vertreter der privatrechtsspezifischen Interpretation ihrer Auffassung des Satzes zugrunde zu legen scheinen, gelangen diese am Ende zu einem diametral entgegengesetzten Verständnis der staatsrechtlichen Bedeutung des ursprünglichen Vertrages. Demnach soll der ursprüngliche Vertrag gerade keine „herrschaftskonstitutive Bedeutung“ haben,953 sondern eine bloße Beurteilungsidee sein, nach der „die existierenden Staatswesen“954 bzw. die staatlichen Gesetze955 im Hinblick auf ihre Rechtmäßigkeit zu betrachten seien.956 Offenbar gelangt eine privatrechtsspezifische Interpretation mittelst der begrifflichen Bezüge im Sinne der ersten Verständnismöglichkeit von § 47 S. 3 also zum Ergebnis der begrifflichen Bezüge im Sinne der dritten Verständnismöglichkeit dieses Satzes; konfundiert mithin zwei mögliche Begriffsbezüge miteinander in einer Weise, die diesem Satz keinen vernünftigen Sinn mehr belässt.957 Da nun § 47 S. 3 für sich jedoch unzweideutig die herrschaftskonstitutive Bedeutung des ursprünglichen Vertrages als eines Konstitutionsaktes zum Ausdruck bringt („Der Act, wodurch sich das Volk selbst zu einem Staat constituirt, […] ist der u r s p r ü n g -

952

So wohl auch Tieftrunk, Philosophische Untersuchungen II (1798), S. 272 ff. Herb/Ludwig, JRE 2 (1994), S. 431 (442); ebenso Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 282; ferner Luf, Freiheit und Gleichheit (1978), S. 139 Fn. 16; Niebling, Das Staatsrecht in der Rechtslehre Kants (2005), S. 94, 135 ff.; Unruh, Die Herrschaft der Vernunft (20162), S. 172 f. 954 Herb/Ludwig, JRE 2 (1994), S. 431 (456); Ludwig, JRE 1 (1993), S. 221 (222). 955 Ludwig, JRE 1 (1993), S. 221 (229). 956 Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 272 ff. spricht ebenso ganz in diesem Sinne von einer „vernunftrechtlichen Organisationsnorm“, nach der die positiven Gesetze zu beurteilen seien. Siehe in diesem Sinne ferner auch Joung, Volkssouveränität, Repräsentation und Republik (2006), S. 88; Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 167 ff.; Niebling, Das Staatsrecht in der Rechtslehre Kants (2005), S. 135 ff.; Unruh, Die Herrschaft der Vernunft (20162), S. 162 ff./167 ff./172 f.; Winkler, Die Freiheit im und vom Staate bei Immanuel Kant (2011), S. 43 ff. – kritisch zu einigen der herrschenden Verkürzungen dagegen etwa Maus, Zur Aufklärung der Demokratietheorie (1992), S. 43 ff. 957 Kritisch dazu auch Geismann, Kant und kein Ende III (2012), S. 72 f. Fn. 167. 953

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l i c h e C o n t r a c t “),958 wird sich diese Begriffsverschiebung im Interpretationsergebnis eines privatrechtsspezifischen Zugriffshorizontes aus der Leugnung eben dieser herrschaftskonstitutiven Bedeutung des ursprünglichen Vertrages und damit aus der dreisten Verkehrung des Satzinhaltes von § 47 S. 3 erklären. Wie erklärt sich aber eine solche Leugnung der herrschaftskonstitutiven Bedeutung des ursprünglichen Vertrages in der privatrechtsspezifischen Interpretation? (1) Macht das Privatrecht im natürlichen Zustand eine autonome Selbstverpflichtung „überflüssig“? Es ist in der Tat die nur völlig konsequent vorgetragene These der eigentumstheoretischen bzw. privatrechtsspezifischen Interpretation, dass der vermittelst des ursprünglichen Vertrages traditionell verfolgte Gedanke autonomer Selbstverpflichtung durch die von dieser Interpretation behauptete Begründungsanlage des natürliches Privatrechts obsolet wird. Denn wenn sich die praktische Notwendigkeit des Staates sowie die darin aufgehobene Rechtspflicht des einzelnen Rechtssubjekts zum Staat schon vollständig aus der von dieser Interpretation im natürlichen Zustand vermeinten Notwendigkeit des Eigentums- und Privatrechtsschutzes ableiten, dann bedarf es keiner weiteren Selbstverpflichtung des einzelnen Rechtssubjekts auf den Staat und folglich wird der ursprüngliche Vertrag selbst „überflüssig“959. Die privatrechtspezifische Interpretation betrachtet es demnach als ein besonderes Verdienst Immanuel Kants, den tradierten Gedanken einer autonomen Selbstverpflichtung zum Staat mittels eines im empirischen Sinne provisorischen Privatrechts kurzerhand ein für alle Mal aus der naturrechtlichen Welt (eines okkupativen Rechtsdenkens) geschafft zu haben: „Bedeutsamer noch als bei der Gewaltenteilung und Volkssouveränität erweist sich die Verankerung des Staatsrechts im Privatrecht hinsichtlich des Gesellschaftsvertrages. Er läßt sich in der spezifischen Neufassung, die er bei Kant erfährt, nur begreifen, wenn er in seinem privatrechtlichen Begründungskontext eingeordnet wird. Es ist angesichts des notorischen Bekenntnisses Kants zum Kontraktualismus bemerkenswert, daß der Vertragsgedanke im Staatsrecht geradezu marginal abgehandelt wird – sein Inhalt läßt sich für Kant in einem einzigen Satz […] (§ 47) […] ausdrücken: [„…“]. Bereits in dieser Formulierung wird deutlich, daß dem Vertrag in der Rechtslehre keine herrschaftskonstitutive Bedeutung zukommt: Es ist nicht etwa die Rede von einer Verpflichtung der Bürger durch den Vertrag, sondern von der „Rechtmäßigkeit“ des Konstitutionsaktes der Staatsverfassung, welcher nur vermittelst der Vertragsfigur „gedacht werden kann“. Damit deutet sich an, daß der Vertrag herangezogen wird, um ein Kompatibilitätsproblem zu lösen. […]. Die Vertragsfigur […] löst die vorgebliche Paradoxie auf, daß der Mensch frei und dennoch zugleich den Eigentumsansprüchen anderer unterworfen ist. Nur durch den ursprünglichen Vertrag kann eine rechtliche Vereinigung von Personen unter einer Gesetzgebung des äußeren, mithin zufälligen Mein und Dein als eine solche „gedacht werden“, die den Person-Charakter des 958 Herb/Ludwig, JRE 2 (1994), S. 431 (442) sprechen sogar von einem notorischen Bekenntnis Kants zum Kontraktualismus. 959 So die Formulierung Kerstings, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 271.

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sich Unterwerfenden bewahrt, indem sie ihn Staatsbürger werden lässt: Die normative Kraft des Vertrages ist somit in erster Linie eine restriktive für das Oberhaupt, denn die Staatsverfassung geht idealiter aus einem multilateralen Vertrag der Untertanen hervor und letztere müssen somit „in der Idee“ der Verfassung zugestimmt haben können. Die Verpflichtung hingegen, sich einer solchen Ordnung des Mein und Dein zu unterwerfen, geht diesem gedachten Vertrag voran.“960

Im Grunde erscheint in dieser Marginalisierung des ursprünglichen Vertrages also nur das von einer eigentumstheoretischen Interpretation ungelöste autonomietheoretische Problem interpersonaler Rechtsverpflichtung im natürlichen Zustand:961 Mit einem empirischen Wortverständnis des Begriffs des provisorischen Besitzes962 resultiert eine äußere Verpflichtung im natürlichen Zustand nämlich einseitig und damit heteronom schon gänzlich aus dem solitären Willen des sich als solchen dünkenden Eigentümers, der sein für sich von ihm bereits an sich als existent vermeintes Eigentumsrecht provisorisch unabhängig von einem gesetzgebenden Allgemeinwillen im Staat begründet (nur in der Folge noch nicht hinreichend geschützt) wissen will. Die von Herb/Ludwig im vorstehenden Zitat zuletzt angesprochene und dem ursprünglichen Vertrag damit vermeintlich vorausgehende Verpflichtung, sich aus Gründen des Eigentumsschutzes einer staatlichen Ordnung zu unterwerfen, beruht also in der von Bernd Ludwig auch gar nicht verleugneten Wahrheit auf einer „Fremdverpflichtung“,963 die von den gegen ihre eigene Begriffsbildung wenig 960 Herb/Ludwig, JRE 2 (1994), S. 431 (442 – 444). – Bei Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 271 heißt es ganz in diesem Sinne schon: „Mit der unmittelbaren Begründung der „exeundum“-Pflicht durch das Rechtsprinzip selbst nimmt Kant von der für den staatsphilosophischen Kontraktualismus wesentlichen Entscheidung Abstand, die Verbindlichkeit staatlicher Anordnungen in der Selbstverpflichtung der Vertragspartner zu verankern. Dieser legitimationstheoretische Rekurs auf die sich selbst bindende individuelle Freiheit ist genau dann überflüssig, wenn ohnehin alle a priori hinsichtlich des äußeren Gebrauchs ihrer Freiheit auf die Bedingungen ihrer Übereinstimmung mit einem möglichen allgemeinen Gesetz verpflichtet sind […]. Mit der Einsicht in die rechtliche Notwendigkeit des Staates kann auf eine vertragliche Begründung staatlicher Herrschaft verzichtet werden.“ 961 Siehe zur Exposition des autonomietheoretischen Problems oben unter A. I. 4. a). – Wenn Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 278 f. einesteils zutreffend auf die gedankliche Bedeutung des ursprünglichen Vertrages für das natürliche Privatrecht hinweist, so zieht er darum anderenteils noch längst nicht die notwendigen Konsequenzen hieraus, da er den Staat andernfalls nicht akzessorisch aus dem Privatrecht, sondern das Privatrecht gleichursprünglich mit dem ursprünglichen Vertrag aus dem substanziellen Staat hervorgehen lassen würde. 962 Siehe dazu kritisch oben unter A. I. 4. c). 963 So notiert Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 168 Fn. 148: „Die Vertragsvorstellung selbst ist die Rechtsform, Fremdverpflichtung über den Umweg der Selbstverpflichtung mit Freiheit und Gleichheit kompatibel zu machen […].“ – Doch offenbart sich hierin nicht ein völlig abstraktes und in der Sache auch unangemessenes Verständnis von praktischer Freiheit? Immerhin sollten Selbstverpflichtung und Freiheit in der Kantischen Philosophie doch Synonyme sein, sodass es eine Fremdverpflichtung im Sinne mangelnder Selbstverpflichtung gar nicht geben dürfte und sich das so formulierte Kompatibilitätsproblem dergestalt gar nicht stellt, weil Freiheit und Selbstverpflichtung im metaphysischen Wortverständnis des Begriffs des provisorischen Besitzes gar nicht auseinanderfallen, wenn und weil das Prädikat „provisorisch“

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misstrauischen Vertretern einer eigentumsspezifischen Interpretation mitunter – begrifflich insofern völlig zutreffend – auch schon als eine „Freiheitsberaubung“ im natürlichen Zustand angesprochen wurde.964 Die eigentumstheoretische Behauptung zum ursprünglichen Vertrag besteht also im Grunde darin, dass die in diesem Akt gedachte autonome Selbstverpflichtung des einzelnen Rechtssubjekts zu einem gesetzgebenden Allgemeinwillen im Staat gerade darum obsolet ist, weil der naturzuständlich im Privatrecht gründende Staat des Privatrechts schon an sich auf dem heteronomen Gewaltakt eines eigentumsbehauptenden Einzelwillens im Naturzustand beruht. Der ursprüngliche Vertrag dient dann zugegebenermaßen nur noch dazu, diesen – im Hinblick auf die Freiheit des einzelnen Rechtssubjekts an sich recht eigentlich zynisch zu nennenden – Sachverhalt zu kaschieren und ist somit in der Tat überflüssig. Denn die eigentumsspezifische Interpretation enthält in ihrer naturzuständlichen Eigentumsverpflichtung einen originär heteronomen Akt, der durch den ursprünglichen Vertrag erst nachträglich noch im Staat als autonom bloß gedacht werden soll, und mithin an und für sich selbst keineswegs praktisch als autonom begriffen werden kann. Wenn sich auf diese bloß intellektualisierende und an sich gewiss unpraktische Weise die durchaus konsequente Leugnung des herrschaftskonstitutiven Charakters des ursprünglichen Vertrages in der eigentumstheoretischen bzw. privatrechtsspezifischen Interpretation erklärt, so ist nunmehr noch die darin liegende Begriffsverschiebung aufzuklären, nach der gemäß der Idee des ursprünglichen Vertrages nicht länger primär der Konstitutionsakt zum Staat im Sinne der ersten Verständnismöglichkeit von § 47 S. 3 (s. o.) auf seine, sondern die staatlichen Gesetze im Sinne der dritten Verständnismöglichkeit auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu beurteilen sein sollen:965 Praktische Bedeutung hat der ursprüngliche Vertrag demnach als gesetzliche Beurteilungsidee nämlich nicht länger primär für das einzelne Rechtssubjekt, sondern bloß noch für das Staatsrechtssubjekt. Genau diese Subjektsverschiebung liegt aber in einem begrifflich falsch hergestellten Bezug in den vorstehend zitierten Ausführungen Herbs/Ludwigs, nach denen in § 47 S. 3 „nicht etwa die Rede von einer Verpflichtung der Bürger durch den Vertrag, sondern von der ,Rechtmäßigkeit‘ des Konstitutionsaktes der Staatsverfassung“ sei, „welcher nur vermittelst der Verrein begrifflich das Verhältnis der äußeren Rechtspflicht im natürlichen Zustand durch die im Staat bzw. im ursprünglichem Vertrag zu demselben liegende Selbstverpflichtung eines jeden Rechtssubjekts rechtlich bestimmt. 964 Oben Fn. 296. – Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 168 zieht sich hier im Hinblick auf die Freiheit auf den Maßstab des „als ob“ zurück. 965 Damit soll nicht gesagt werden, dass der reine praktische Begriff des ursprünglichen Vertrages eine solche Beurteilungsfunktion nicht auch hat, sondern nur, dass er sich in dieser Funktion nicht erschöpft. Denn er verpflichtet den Gesetzgeber auf rechtmäßige Gesetze (TP, AA VIII: 297.15-20) eben darum, weil hierin ursprünglich die autonome Selbstverpflichtung eines jeden Staatsbürgers zu rechtmäßigen Gesetzen liegt. Es handelt sich nicht um eine bloße und rein intellektuelle, sondern um eine rein intellektuelle und doch gerade dadurch praktische Idee.

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tragsfigur ,gedacht werden kann‘. Nun ist es zwar richtig, dass in § 47 S. 3 die Rede von der Rechtmäßigkeit des Konstitutionsaktes ist, und dass dieser Konstitutionsakt nur vermittelst der reinen praktischen Idee des ursprünglichen Vertrages denkbar ist. Allerdings wird nach § 47 S. 3 eben dadurch spezifisch die Rechtmäßigkeit dieses Konstitutionsaktes gedacht, welche sich folglich an und für sich nach der Autonomie bzw. Selbstverpflichtung des einzelnen Rechtssubjekts bestimmt.966 Gerade davon abstrahieren Herb/Ludwig jedoch im Folgenden sehr gründlich, wenn und weil sie den Vertrag nicht für herrschaftskonstitutiv erachten wollen, sodass alleine das Staatsrechtssubjekt nach der Idee des ursprünglichen Vertrages noch gedacht werden muss, und folglich auch alleine der Staat durch diese Idee verpflichtet wird,967 mithin bloß dessen Gesetzgebungsakte noch anhand dieser Idee zu beurteilen sind.968 Hierauf ist die „normative Kraft“ der reinen praktischen Idee des ursprünglichen Vertrages sodann beschränkt und insofern ist diese Idee nicht zugleich auch als die reine praktische (d. h. normativ kräftige) Idee autonomer Selbstverpflichtung des einzelnen Rechtssubjekts zu begreifen. Privatrechtssubjekt und Staatsrechtssubjekt bleiben demnach in einem gründlichen Gegensatz ihrer jeweils spezifischen Autonomie (bzw. alsdann bloß: Heteronomie) befangen, weil die im reinen praktischen Begriff des ursprünglichen Vertrages gelegene Selbstvorstellungstätigkeit des einzelnen Rechtssubjekts in Gesetzen nicht an und für sich selbst als praktisch erkannt wird; der ursprüngliche Vertrag sinkt hiernach zur „Fiktion“969 herab. Die solipsis966 Zutreffender Hinweis hierauf dagegen von Geismann, Kant und kein Ende III (2012), S. 72 f. Fn. 167. 967 Herb/Ludwig, JRE 2 (1994), S. 431 (454 f.) gehen sogar nur von einer „Tugendpflicht“ des staatlichen Gesetzgebers aus und in einem ganz ähnlich unverbindlich sprechenden Sinne stellt auch Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 282 dem Gesetzgeber einen Arbeitsauftrag aus: „Der Souverän ist gehalten, sich um die Rechtmäßigkeit seiner wie auch immer erlangten Herrschaft zu bemühen.“ 968 Nun sind staatliche Gesetze aber bereits anhand des allgemeinen Begriffs des Rechts (§ B Abs. 3) bzw. anhand des allgemeinen Kriteriums allen Rechts (§ C Abs. 1) auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu beurteilen und insofern macht eine solche reduzierte Funktionsbestimmung des ursprünglichen Vertrages diesen selbst gänzlich überflüssig, was etwa Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 276 f. selbst ausdrücklich bemerkt: „Daraus folgt, daß das Vertragskriterium keine Erkenntnis gestattet, die nicht auch ohne es zu gewinnen wäre. […] Die Anwendung des Vertragskriteriums als Erkenntnismittel rechtmäßiger […] Gesetze wird keine Rechtmäßigkeitserkennntnis vermitteln können, die nicht auch unter Zuhilfenahme der Prinzipien der Freiheit und Gleichheit allein hätte gewonnen werden können. Wo sollte auch […] der Zuwachs an normativem Gehalt kommen (sic!), der es gestattete, das Vertragskriterium als ein im Vergleich zu den Fundamentalprinzipien des Rechtszustandes informativeres und auszeichnungsstärkeres Erkenntnismittel zu benutzen? Es scheint, daß der geringe Raum, den die ,Rechtslehre‘ der Darstellung des Vertragsthemas einräumt, genau dessen systematische Bedeutung im Rahmen der Kantischen Rechtsphilosophie widerspiegelt. Ohnehin schon wegen der Ablösung des kontraktualistischen Legitimationskonzepts […] legitimationstheoretisch entbehrlich, scheint der Vertrag mit der dargelegten Ersetzbarkeit […] vollends überflüssig zu werden: Der Kontraktualismus der naturrechtlichen Theorie schrumpft in der Rechtsphilosophie zu einem systematisch belanglosen Zitat.“ 969 Herb/Ludwig, JRE 2 (1994), S. 431 (446). – Überhaupt ist die im Hinblick auf eine reine praktische Idee unangemessene Rede von einer bloßen „Fiktion“ keine Seltenheit, siehe ferner

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tisch vermeinte Autonomie des Privatrechtssubjekts ist dann in Wahrheit die blanke Heteronomie für das Staatsrechtssubjekt, und die nicht weniger solipsistisch vermeinte Autonomie des Staatsrechtssubjekts ist umgekehrt die nackte Heteronomie für das Privatrechtssubjekt. Tatsächlich hat Immanuel Kant den Vernunftbegriff des ursprünglichen Vertrages aber als reinen praktischen Begriff sowohl im natürlichen Privatrecht (§§ 10 Abs. 3, 15 Abs. 3 und 7) als auch im öffentlichen Recht (§ 47) verstanden wissen wollen, und folglich auch nicht den sich selbst und insofern praktischen bzw. verpflichtenden Charakter des ursprünglichen Vertrages für ein jedes einzelne Rechtssubjekt negiert, sondern bloß den bis anhin traditionell konstitutiven Rekurs auf ein empirisches Faktum desselben negierend abgeschnitten, weil es sich um einen reinen Begriff von einer bloß idealen Erwerbshandlung staatlicher Willenssubstanz durch eben solche Rechtssubjekte handelt. Der reine praktische Vernunftbegriff des ursprünglichen Vertrages ist also, ebenso wie der reine praktische Vernunftbegriff des Staates, gleichursprünglich nicht nur für das staatliche, sondern auch für das private Willenssubjekt normativ verbindlich, weil in beiden reinen praktischen Begriffen in ihrem Grunde ein und ebendieselbe Autonomie eines freien Willens praktisch begriffen wird. Tatsächlich erbt die eigentumstheoretisch abgesicherte These des nicht herrschaftskonstitutiven Charakters des ursprünglichen Vertrages auch nur ein altes neukantianisches Vorurteil fort. So hatte etwa bereits Werner Haensel aufgrund eines empirischen Wortverständnisses des Begriffs des provisorischen Besitzes behauptet, ein Moment vernünftigen Selbstzwangs sei dem ursprünglichen Vertrag zum Staat nicht zu entnehmen, da der Staat bereits durch die Sicherungsfunktion des schon für sich begründeten natürlichen Rechts bestimmt sei, sodass der Gedanke des ursprünglichen Vertrages lediglich noch ein heuristisches Beurteilungskriterium für die staatlichen Gesetze vorstelle, worin ihm schließlich wenig später beispielsweise auch Gerhard Dulckeit in seiner Studie Naturrecht und positives Recht bei Kant gefolgt ist.970 Möglicherweise ist es aber mittlerweile einmal an der Zeit, die alten neukantianischen Zöpfe im Rechtsdenken sowie in der Interpretation und Edition der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre gründlich abzuschneiden. Andernfalls, insofern der ursprüngliche Vertrag nämlich lediglich als das Staatsrechtssubjekt praktisch verpflichtend und mithin in einem noch bleibenden Gegensatz zum einbeispielsweise auch Hirsch, Freiheit und Staatlichkeit bei Kant (2017), S. 313 oder May, Kants Theorie des Staatsrechts (2002), S. 109. – Ebenso wird der Gedanke einer „Konstruktion“ dem Kantischen Sozialvertragsdenken nicht gerecht und führt letztlich in Aporien, siehe dafür nämlich Riedel, in: Prauss (Hrsg.): Kant – Zur Deutung seiner Theorie von Erkennen und Handeln (1973), S. 337 (342 ff.); ferner Brehmer, Rawls’ „Original Position“ oder Kants „Ursprünglicher Kontrakt“ (1980), S. 129 ff. – In der Formulierung Schattenmanns, Wohlgeordnete Welt (2006), S. 167 ff., es liege ein „hypothetischer Vertrag […] in unseren Köpfen“ vor, dürfte schließlich wohl sogar nur noch mehr eine Verlegenheit, als eine begriffliche Bestimmung zum Ausdruck gelangen. 970 Haensel, Kants Lehre vom Widerstandsrecht (1926), S. 43, 45 f./46 – 53; Dulckeit, Naturrecht und positives Recht bei Kant (1932), S. 41; siehe ferner auch schon Metzger, Untersuchungen zur Sitten- und Rechtslehre Kants und Fichtes (1912), S. 102.

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zelnen Rechtssubjekt angesehen wird, mag der in der reinen praktischen Idee alleine ideal rechtlich bestimmt gedachte ursprüngliche Vertragsschluss für das jeweils einzelne Rechtssubjekt irrig auch als ein „Verzicht“ auf seine „angeborene äußere Freiheit“ erscheinen,971 womit sich seine metaphysische Intention allerdings gründlich verkehrt. Eine solche in Auseinandersetzung mit der Rousseauschen „aliénation totale“972 für Immanuel Kant vertretene These des Verzichts auf das angeborene Recht der äußeren Freiheit ist jedoch schon mit dem Wortlaut des § 47 S. 3 unvereinbar, der da vollständig lautet: „Der Act, wodurch sich das Volk selbst zu einem Staat constituirt, eigentlich aber nur die Idee desselben, nach der die Rechtmäßigkeit desselben allein gedacht werden kann, ist der u r s p r ü n g l i c h e C o n t r a c t , nach welchem alle (omnes et singuli) im Vo l k ihre äußere Freiheit aufgeben, um sie als Glieder eines gemeinen Wesens, d. i. des Volks als Staat betrachtet (universi), sofort wieder aufzunehmen, und man kann nicht sagen: der Mensch im Staate habe einen T h e i l seiner angebornen äußeren Freiheit einem Zwecke aufgeopfert, sondern er hat die wilde, gesetzlose Freiheit gänzlich verlassen, um seine Freiheit überhaupt in einer gesetzlichen Abhängigkeit, d. i. in einem rechtlichen Zustande, unvermindert wieder zu finden, weil diese Abhängigkeit aus seinem eigenen gesetzgebenden Willen entspringt.“ (RL, AA VI: 315.30-316.06).

Denn zwar geben nach der Kantischen Vertragsvorstellung alle einzelnen Rechtsubjekte ihre äußere Freiheit für ein Moment des Vertragsgedankens auf, allerdings nur, um sie im gleichen Moment des intelligiblen Vertragsgedankens, nämlich in der darin liegenden Willensübereinkunft,973 wieder aufzunehmen. Eben darum kann man mit Blick auf die äußere Freiheit bzw. das angeborene Recht der äußeren Freiheit auch nicht von einer Aufopferung oder von einem Verlust974 bzw. gar von einem Verzicht sprechen, weil lediglich der gesetzlose Zustand des angeborenen Rechts der äußeren Freiheit im abstrakt gedachten Naturzustand rein begrifflich verloren geht, und zwar zugunsten eines konkret gesetzlich verfassten und daher rechtlich erst positiv begriffenen Rechtzustandes dieser äußeren Freiheit. Das angeborene Recht der äußeren Freiheit eines jeden einzelnen Rechtssubjekts (als Unabhängigkeit von fremder Willkür) ist insofern die stets schon notwendig vorausgesetzte und notwendig fortwährende Grundlage der äußeren Freiheit im rechtlichen Zustande, weil sie sich durch den ursprünglichen Vertrag bzw. durch die darin ursprünglich liegende Gesetzgebung im äußeren Verhältnis erst synthetisch a priori erweitert. Die gesetzliche Abhängigkeit von einer äußeren Gesetzgebung – d. h. das staatliche Subordinationsverhältnis – entspringt dann dem jeweils „ei971 972

(I. 6.). 973

Dafür Herb/Ludwig, JRE 2 (1994), S. 431 (449). Brockard (Hrsg.): Jean-Jacques Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag (2003), S. 17 f.

Insofern gilt für den ursprünglichen Vertrag das in § 18 Abs. 3 S. 1 zum rechtlichen Wesen eines Vertrages überhaupt Gesagte. 974 Dafür aber beispielsweise Oberer, in: ders. (Hrsg.): Kant: Analysen – Probleme – Kritik III (1997), S. 157 (191 ff.); ders., in: Doyé/Heinz/Rameil (Hrsg.): FS Baum (2004), S. 203 (207 f.), um Kant wegen seiner Verwerfung eines Widerstandsrechts kritisieren zu können.

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genen gesetzgebenden Willen“ und eben darum liegt im reinen praktischen Vernunftbegriff des ursprünglichen Vertrages auch ein positiv verstandener Begriff von Autonomie (d. h. Selbstgesetzgebung) des einzelnen Rechtssubjekts im äußeren Verhältnis,975 der da macht, dass der ursprüngliche Vertrag in einer metaphysischen Rechtslehre der Freiheit als eine dezidiert herrschaftskonstitutive Idee praktisch begriffen werden muss. Läge im ursprünglichen Vertrag dagegen ein Verzicht auf die angeborene äußere Freiheit, dann läge darin auch eine bloß willkürliche Verfügung über die eigene Person, d. h. ihre gänzliche Veräußerung. Eine Veräußerung der eigenen Persönlichkeit bzw. Freiheit ist aber nach a priori durch die Vernunft gegebenen Rechtsbegriffen der Freiheit, gewiss anders als nach willkürlich konstruierten Begriffen des Privateigentums, niemals rechtlich möglich, weil die Freiheit die Grundlage jeder beliebigen Verfügung und somit Subjekt, nicht Objekt derselben ist.976 Das einzelne Rechtssubjekt wird mithin auch nicht erst durch den Staat zum Rechtssubjekt selbst, sondern es geht diesem mit seiner im reinen praktischen Selbstbewusstsein gegründeten Fähigkeit zur Selbstgesetzgebung im äußeren Verhältnis in seiner subjektiven Einzelnheit notwendig voraus, weshalb der Staat auch in der Gemeinschaftsleistung des ursprünglichen Vertrages metaphysisch erst als von den einzelnen Rechtssubjekten in einer gesetzlich notwendigen Verfügung an und für sich selbst abgeleitet erworben begriffen werden muss. Allerdings muss dieser Erwerbsgedanke in seiner metaphysischen Qualität schließlich wohl auch dort wesentlich unbegriffen bleiben, wo das einzelne Rechtssubjekt – entgegen § 10 Abs. 2 S. 1 („Nichts Äußeres ist ursprünglich mein“) – ursprünglich immer schon unmittelbar mit äußeren Rechten bereits im natürlichen Zustand synthetisch verbunden, folglich im natürlichen Zustand aber auch immer schon unmittelbar in einem rechtlichen Zustand, nämlich synthetisch verbunden mit seinesgleichen in rechtlicher Gemeinschaft lebend vorgestellt werden soll, sodass der rechtliche Fundamentalgedanke der praktischen Notwendigkeit einer den rechtlichen Zustand erst ideal vermittelnden Erwerbstätigkeit des einzelnen Rechtssubjekts sogar als ein Mangel im Begriff des 975 Siehe zu diesem metaphysischen Gedanken des Begriffs der Autonomie im positiven Verstande des Begriffs der Freiheit im äußeren Verhältnis bereits oben die Überlegungen in der Einteilung des Rechtsbegriff unter B. II. im sechsten Kapitel. 976 Vgl. für die gedanklichen Schwierigkeiten der eigentumstheoretischen Interpretation mit dem freiheitlichen Gedanken einer unmöglichen Selbstveräußerung der einzelnen Person die Auseinandersetzung des dinglich-persönlichen Rechts, das beispielsweise von dem Privatrechtstheoretiker Bernd Ludwig irrig so aufgefasst wird, als könne und müsse eine Person beispielsweise in der Ehe nicht bloß gleich, sondern als Sache erworben werden (oben Fn. 731). Doch eine Person kann niemals bloß willkürlich – wie ein Eigentümer über eine Sache – über sich selbst verfügen, weil sie sich in ihrer Freiheit alsdann veräußern, d. h. versklaven würde. In der eigentumstheoretischen Interpretation liegt dagegen allerdings – obgleich weitgehend unbewusst – schon im begrifflichen Grundsatz eine bloß willkürliche Verfügung der Person über sich selbst, weil die einzelne Person in der eigentumsakzessorischen Staatsbegründung unter den Begriff des Privateigentums subsumiert werden muss. Die Rede von einem Verzicht auf die äußere Freiheit im ursprünglichen Vertrag ist dann nur konsequent.

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ursprünglichen Vertrags erscheinen muss.977 Der Rechtsphilosoph Immanuel Kant ist aber nicht nur ein Vertragstheoretiker, sondern in dieser – und nur dieser – Eigenschaft (§§ 8 Abs. 1, 9 Abs. 1, 10 Abs. 3, 14 Abs. 2 S. 2, 15 Abs. 3, 15 Abs. 7, 16 Abs. 1 S. 2, 47 S. 3) zugleich auch ein Erwerbshandlungstheoretiker des privaten sowie des öffentlichen Rechts:978 (2) Der praktische Vernunftbegriff der idealen Erwerbshandlung eines metaphysischen Staatsrechts Dass ein rechtlicher bzw. staatlicher Zustand bürgerlicher Gesellschaft erworben werden muss, geht aus den Ausführungen Immanuel Kants zum allgemeinen Prinzip des äußeren Erwerbs (§ 10) unzweideutig hervor. Denn wenn das einzelne Rechtssubjekt ursprünglich nichts außer sich selbst besitzt (§ 10 Abs. 2 S. 1), dann muss in seinem äußeren Weltverhältnis der öffentliche Rechtszustand der Gemeinschaft mit seinesgleichen ebenso überhaupt erwerbshandelnd erworben werden, wie auch eine körperliche Sache oder die Kausalität eines anderen Rechtssubjekts zur Leistung sowie der privatrechtliche Zustand der Gemeinschaft mit seinesgleichen vom einzelnen Rechtssubjekt erworben werden müssen. Allerdings liegt dem urvertraglichen Erwerb eines öffentlichen Rechtszustandes der Gemeinschaft bürgerlicher Gesellschaft dabei kein realer Erwerbsakt mit Kausalität in der Zeit, sondern ein bloß idealer Erwerbsakt schon vor aller Erwerbskausalität in der Zeit zugrunde. Von den in den §§ 32 ff. behandelten Rechtsbegriffen

977

Siehe dafür wohl Zaczyk, Selbstsein und Recht (2014), S. 71, 77 ff. – Dass ein solches Rechtsdenken in subjektiven Unmittelbarkeiten sich aber schon in der gedanklichen Abstraktion von allem wirklich Praktischen gefällt, geht beispielsweise auch aus den weiteren Ausführungen hervor, wenn Zaczyk (S. 78) schreibt: „Dass der Einzelne also immer schon in einer bestehenden Gemeinschaft lebt, schließt weder ein Nachdenken über das Verhältnis von ihr zu ihm (oder von ihm zu ihr) aus noch führt es zur Unmöglichkeit, die Kraft seines Selbstseins (…) gegen sie in Stellung zu bringen. Denn er hat das eine, wie er das andere hat. Mit einer solchen Konzeption des Rechts wird eine mit jedem Selbstsein verbundene Gemeinschaftlichkeit überhaupt erst in bestimmter Weise gedacht und damit ins Wissen gehoben.“ Demnach muss die mit dem Selbstsein verbundene Gemeinschaftlichkeit vor dem subjektiven Wissen und Denken derselben nämlich schon objektiv unbestimmt praktisch (d. h. bestimmend bzw. bestimmt) sein, sodass hier einer freiheitlichen Praxis das Wort geredet wird, die sich jedenfalls nicht durch reine Begriffe von ihr selbst durch ihr reines Denken selbst praktisch bestimmt, sondern sich in der einstweilen vorausgesetzten intellektuellen Unbestimmtheit immer gleichwohl schon irgendwie als praktisch bestimmt vorausgesetzt findet. Mit einem Wort: Ein solches unmittelbares Rechtsdenken reflektiert nicht auf die praktische Kausalität aus Freiheit in seinen reinen praktischen Begriffen (z. B. dem des ursprünglichen Vertrages) und muss sich möglicherweise darum in bloßen Abstraktionen von praktischer Bestimmung genügen (vgl. auch Fn. 405). 978 Es dürfte darum eine auf falscher Disjunktion beruhende Einseitigkeit darin gelegen sein, in dem Rechtsphilosophen Immanuel Kant keinen Vertragstheoretiker, sondern bloß einen Handlungstheoretiker des natürlichen Privatrechts sehen zu wollen, vgl. dafür Zaczyk, in: Hoffmann (Hrsg.): Das Recht als Form der „Gemeinschaft freier Wesen als solcher“ (2014), S. 25 (36 f.).

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des idealen Erwerbs im natürlichen Zustand979 unterscheidet sich der Begriff des idealen Erwerbs eines rechtlichen Zustandes selbst dann dadurch, dass hier nicht ein am idealen Erwerb beteiligtes Rechtssubjekt im interpersonalen Verhältnis, sondern – mit dem ideal erst zu erwerbenden Staatsrechtssubjekt – ein solches im allseitigpersonalen Subordinationsverhältnis gedanklich außerhalb und damit noch vor der Zeit steht, wenn und weil im reinen praktischen Begriff des zu erwerbenden Staatsrechtssubjekts mit dem darin ideal vorzustellenden gesetzgebenden Allgemeinwillen an und für sich eine reine Kausalität aus Freiheit im äußeren Verhältnis der einzelnen Rechtssubjekte zueinander abgeleitet von ihnen selbst erworben werden soll. Diese allseitig abgeleitete Freiheitskausalität im äußeren Verhältnis der Menschen zueinander ist es dann aber, die rein begrifflich bereits zur praktischen Bestimmung im natürlichen Privatrecht selbst und dort insbesondere zur kontraktualistischen Begründung der ursprünglichen Erwerbung einer körperlichen Sache vorausgesetzt werden muss (§ 15 Abs. 3 und 7), mit der Folge, dass alles natürliche Privatrecht nur in der begrifflichen Einheit der rechtlichen Bestimmung des reinen praktischen Begriffs des ursprünglichen Vertrages, d. h. der Bestimmung des Staates bürgerlicher Gesellschaft schon im Naturzustand provisorisch als rechtlich erkannt und mithin insofern praktisch bestimmt gedacht werden kann.980 Aus diesem Grund findet die praktische Notwendigkeit einer tätig ableitenden Erwerbung eines rechtlichen Zustandes im äußeren Verhältnis der Menschen zueinander in der originalen Textfassung auch mit dem Rechtsgedanken der ursprünglichen Erwerbung einer körperlichen Sache verknüpft, und zwar in dem vom Bernd Ludwig kurzerhand aus der Rechtslehre Immanuel Kants getilgten § 10 Abs. 5981 seine erstmalige Erwähnung (Satz 6).982 Eben darum aber ist klar, dass der an und für sich vernünftige Rechtsgedanke des ursprünglichen Vertrages zur Konstitution eines Staates ebendenselben Verständnisschwierigkeiten unterworfen ist, denen auch der vernünftig begriffene Rechtsgedanke der ursprünglichen Erwerbung unterworfen ist (§ 10 Abs. 5 S. 4), und dass ein jeder Interpret, der den ursprünglichen Erwerb mit einem empirischen Wortverständnis des Begriffs des provisorischen 979 Siehe dazu oben unter A. II. 4. – Freilich halten Herb/Ludwig, JRE 2 (1994), S. 431 (436 f. Fn. 20) die §§ 32 ff. zum idealen Erwerb dagegen für einen Hort „abseitige[r] Themen […], der für die Rechtslehre ohne systematischen Belang“ sein soll. 980 Im empirischen Wortverständnis des Begriffs des provisorischen Besitzes im Naturzustand (oben unter A. I. 4. c) (2)) liegt dagegen, und zwar durch die darin vorgestellte empirische Existenz eines Rechtsbesitzes schon im Naturzustand, die Leugnung dieses rein metaphysischen Zusammenhangs der Rechtsbegriffe vom öffentlichen und privaten Recht im reinen praktischen Vernunftbegriff des ursprünglichen Vertrages. 981 Siehe zu Ludwigs editorischer Behandlung von § 10 Abs. 5 oben Fn. 408, 446, 449. 982 „Indessen ist die e r s t e Erwerbung doch darum sofort nicht die u r s p r ü n g l i c h e . Denn die Erwerbung eines öffentlichen rechtlichen Zustandes durch Vereinigung des Willens Aller zu einer allgemeinen Gesetzgebung wäre eine solche, vor der keine vorhergehen darf, und doch wäre sie von dem besonderen Willen eines jeden abgeleitet und a l l s e i t i g : da eine ursprüngliche Erwerbung nur aus dem einseitigen Willen hervorgehen kann.“ (RL, AA VI: 259.22-28).

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Besitzes im Grunde unabhängig vom reinen praktischen Begriff des ursprünglichen Vertrages denkt, auch etwas völlig anderes unter dem ursprünglichen Vertrag sowie dem Staat bürgerlicher Gesellschaft verstehen muss, als dies in der Rechtslehre Immanuel Kants mit einem metaphysischen Wortverständnis des Begriffs des provisorischen Besitzes rein begrifflich angelegt ist. Wird im Begriff des provisorischen Besitzes (§§ 8 Abs. 1, 9 Abs. 1, 15 Abs. 3) aber tatsächlich eine rein rechtsbegriffliche Verbindung des ursprünglichen Erwerbs des Bodens mit dem ihn demnach innerlich praktisch bestimmenden ursprünglichen Vertrag zum Staat bürgerlicher Gesellschaft gedacht (§ 15 Abs. 7 S. 4), dann erklärt sich völlig widerspruchsfrei, dass die unbedingte Unterwerfung des einzelnen Rechtssubjekts unter einen gesetzgebenden Allgemeinwillen im Staat bürgerlicher Gesellschaft im Grunde einesteils schon mit der Okkupation des Bodens als der Tat eines einzelnen Rechtssubjekt anhebt, dadurch die Sache rein begrifflich zur res publica wird, und dass die gesetzlich gerechte Distribution des Bodens in der Folge anderenteils nur unter der reinen praktischen Idee des Obereigentums des Souveräns im Staat seine von diesem abgeleitete Rechtswirklichkeit haben kann:983 „Unbedingte Unterwerfung des Volkswillens (der an sich unvereinigt, mithin gesetzlos ist) unter einem s o u v e r ä n e n (alle durch Ein Gesetz vereinigenden) Willen ist T h a t , die nur durch Bemächtigung der obersten Gewalt anheben kann und so zuerst ein öffentliches R e c h t begründet.“ (RL, AA VI: 372.26-29). „Da der Boden die oberste Bedingung ist, unter der allein es möglich ist, äußere Sachen als das Seine zu haben, deren möglicher Besitz und Gebrauch das erste erwerbliche Recht ausmacht, so wird von dem Souverän, als L a n d e s h e r r e n , besser als Obereigenthümer (dominus territorii), alles solche Recht abgeleitet werden müssen. Das Volk, als die Menge der Unterthanen, gehört ihm auch zu (es ist sein Volk), aber nicht ihm als Eigenthümer (nach dem dinglichen), sondern als Oberbefehlshaber (nach dem persönlichen Recht). – Dieses Obereigenthum ist aber nur eine Idee des bürgerlichen Vereins, um die nothwendige Vereinigung des Privateigenthums aller im Volk unter einem öffentlichen allgemeinen Besitzer zu Bestimmung des besonderen Eigenthums nicht nach Grundsätzen der A g g r e g a t i o n (die von den Theilen zum Ganzen empirisch fortschreitet), sondern dem nothwendigen formalen Princip der E i n t h e i l u n g (Division des Bodens) nach Rechtsbegriffen vorstellig zu machen. Nach diesen kann der Obereigenthümer kein Privateigenthum an irgend einem Boden haben (denn sonst machte er sich zu einer Privatperson), sondern dieses gehört nur dem Volk (und zwar nicht collectiv, sondern distributiv genommen) zu; […].“ (RL, AA VI: 323.24-324.07).

Die einseitige Bemächtigung eines einzelnen Rechtssubjekts am Boden enthält in sich also rein intelligibel die ursprüngliche Vereinigungstätigkeit aller einzelnen Rechtssubjekte eines Volkes zu einem Staat, und ebenso wie eine ursprüngliche Erwerbung in ihrer Idealität an sich selbst nicht schon in Zeitverhältnissen vorstellbar ist, sondern nur die empirische Apprehension des Bodens, so ist dabei auch der 983 Siehe zu dieser begrifflichen Verfassung der Okkupationstheorie Immanuel Kants im Übrigen schon die Überlegungen oben unmittelbar unter A. II. in Auseinandersetzung von § 10 Abs. 5.

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ursprüngliche Vertrag in seiner Idealität an sich nicht in Zeitverhältnissen vorstellbar, sondern lediglich der in der empirischen Apprehension des Bodens gelegene Gewaltakt einer einzelnen Rechtsperson. Der ursprüngliche Vertrag ist in seiner Idealität – seinem reinen praktischen Begriff – nämlich vielmehr die reine praktische Idee eines a priori vereinigten Willens und damit der praktisch ideal bestimmende Rechtsgrund im allgemeinen Prinzip des äußeren Erwerbs (§ 10 Abs. 3). Folglich aber enthält er in sich die praktische Bestimmung des reinen Begriffs des intelligiblen Besitzes (§§ 6, 7), da durch ihn eine „allgemeingeltende[] G e s e t z g e b u n g “ in Ansehung des Besitzes der Gegenstände (§ 7 Abs. 1 S. 6) und mithin die rechtlich bestimmte bzw. bestimmende Abstraktion von allen empirischen Erwerbsbedingungen konkret geleistet wird, sodass der reine praktische Begriff des ursprünglichen Vertrages in seiner konkreten praktischen Bestimmung selbst nur durch den reinen praktischen Begriff des intelligiblen Besitzes denkbar ist. In dem Aufweis der praktischen Bestimmung des intelligiblen Besitzes (= der Abstraktion von allen empirischen Erwerbsbedingungen) in der Erwerbsrechtsfolge des reinen praktischen Begriffs des ursprünglichen Vertrages (§ 47 S. 3) wäre somit die – von Immanuel Kant nicht mehr explizit gemachte, jedoch leicht selbst zu folgernde – Deduktion dieses reinen praktischen Begriffs des ursprünglichen Vertrages gelegen:984 Denn die begriffliche Folge des idealen Erwerbsbegriffs des ursprünglichen Vertrages besteht im reinen praktischen Begriff einer gesetzgebenden Gewalt im Staat (§ 46 Abs. 1) und folglich muss die praktische Bestimmung des Begriffs des intelligiblen Besitzes hierin gesetzt sein. Da aber im reinen praktischen Begriff der gesetzgebenden Gewalt eine „allgemeingeltende[] G e s e t z g e b u n g “ im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 6 vorgestellt wird, darunter sodann aller Privatrechtsbesitz im Staat – und zwar als dem souveränen Obereigentümer – rechtlich abgeleitet bestimmt vorstellbar ist, liegt nicht nur in den rechtsbegrifflichen Folgen des reinen praktischen Begriffs der gesetzgebenden Gewalt (§ 46 Abs. 1), sondern auch schon im reinen praktischen Begriff des ursprünglichen Vertrages (§ 47 S. 3) die praktische Bestimmung des Begriffs des intelligiblen Besitzes, weil darin schon selbst rein ideal ein allseitig abgeleitet erworbener gesetzgebender Allgemeinwille vereinigend tätig an sich selbst rechtlich bestimmt gedacht wird, der mithin in der begrifflichen Vorstellung seiner Vereinigungstätigkeit nach Grund und Folge eine Abstraktion von allen empirischen Restriktionen für sich selbst in seiner eigenen konkreten praktischen Bestimmung voraussetzt. Der reine praktische Begriff des intelligiblen Besitzes (§§ 6, 7) ist somit der rein begriffliche Grund, weshalb im reinen praktischen Begriff des ursprünglichen Vertrages (§ 47 S. 3) der ideale Erwerb eines gesetzlichen Zustandes vorgestellt wird, der als Erwerbshandlungsbegriff folglich für sich selbst nicht die tätige Vereinigung der empirischen Rechtssubjekte verlangt, und zwar als eine diesen Rechtssubjekten zurechenbare Handlung („Factum“) in den empirischen Verhältnissen von Raum und Zeit: 984 Deggau, Die Aporien der Rechtslehre Kants (1983), S. 252 beispielsweise vermisst die Deduktion des (Begriffs der Erwerbung eines gesetzlichen Zustandes vermittelst eines) ursprünglichen Vertrages.

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„Allein dieser Vertrag (contractus originarius oder pactum sociale genannt), als Coalition jedes besondern und Privatwillens in einem Volk zu einem gemeinschaftlichen und öffentlichen Willen (zum Behuf einer bloß rechtlichen Gesetzgebung), ist keinesweges als ein F a c t u m vorauszusetzen nöthig (ja als ein solches gar nicht möglich); gleichsam als ob allererst aus der Geschichte vorher bewiesen werden müßte, daß ein Volk […] einmal wirklich einen solchen Actus verrichtet und eine sichere Nachricht oder ein Instrument davon uns mündlich oder schriftlich hinterlassen haben müsse, um sich an eine schon bestehende bürgerliche Verfassung für gebunden zu achten.“ (TP, AA VIII: 297.04-14).

Vielmehr nimmt ein jeder staatlicher Zustand nach seiner begrifflichen Verknüpfung mit dem reinen praktischen Begriff der ursprünglichen Erwerbung, nämlich aufgrund der für sie erforderlichen einseitigen Okkupation des Bodens, seinen zeitlichen Anfang in einem einseitigen Gewaltakt, der jedoch – so unmöglich dies auch für den bloßen Verstand ist – gleichursprünglich als ideale Vereinigungstätigkeit zu einem Staat bürgerlicher Gesellschaft praktisch begriffen werden muss: „Der G e s c h i c h t s u r k u n d e dieses Mechanismus nachzuspüren, ist v e r g e b l i c h , d. i. man kann zum Zeitpunkt des Anfangs der bürgerlichen Gesellschaft nicht herauslangen (denn die Wilden errichten kein Instrument ihrer Unterwerfung unter das Gesetz, und es ist auch schon aus der Natur roher Menschen abzunehmen, daß sie es mit der Gewalt angefangen haben werden).“ (RL, AA VI: 339.27-32).

Der Begriff des intelligiblen Besitzes leistet demnach durch den Begriff des ursprünglichen Vertrages die rein begriffliche Verbindung des natürlichen Privatrechts und des öffentlichen Rechts, und zwar als Subordination des natürlichen Privatrechts unter das öffentliche Recht, sodass jenes nur in der begrifflichen Sphäre von diesem rechtlich bestimmt gedacht werden kann. Im vernünftig (metaphysisch) begriffenen Begriff des provisorischen Besitzes (§ 9 Abs. 1 S. 4) kommt genau dieses praktische Bestimmungsverhältnis zum Ausdruck. Der hiergegen leicht zu antizipierende Einwand einer privatrechtsspezifischen Interpretation, der – nur vermeintlich privatrechtsspezifische – Begriff des intelligiblen Besitzes (§§ 6, 7) sei den staatsrechtlichen Verhältnissen des Zustandes einer allgemeinen Gesetzgebung (§§ 45 ff.) gänzlich unangemessen und inadäquat, kann nunmehr unter Hinweis auf eine intensiv deutlich gemachte Vorstellung der im Begriff des intelligiblen Besitzes gelegenen „allgemeingeltenden G e s e t z g e b u n g “ (§ 7 Abs. 1 S. 6) abgewiesen werden. Im Übrigen sollte im bisherigen Verlauf der Untersuchung auch deutlich geworden sein, dass nicht der neutrale Begriff des reinen Rechtsbesitzes, sondern der privatrechtspezifische Begriff des Privateigentums den staatsrechtlichen Verhältnissen in Wahrheit unangemessen ist, weil er – als Grundbegriff im Rechtsdenken gebraucht – zur völligen Verkehrung aller rechtlichen Bestimmung führt, und sich ein solches privatrechtsspezifisches Rechtsdenken – konsequent zu Ende gedacht – in der eigentumsbegrifflich möglichen Veräußerung der Staatsgewalt selbst aufhebt.985 985

Siehe zum Ganzen auch schon oben Fn. 894.

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In die Reihe der hier einzuordnenden Einwände aus privatrechtsspezifischer Perspektive gehört dann auch der von Hegel gegen die Vertragstheorien insgesamt vorgetragene und an sich gar nicht unzutreffende Einwand, das Vertragsdenken sei den staatlichen Verhältnissen insgesamt unangemessen, da im Vertrag bloß ein gemeinsamer Wille der Vertragsparteien und damit etwas Willkürliches gelegen ist, das dem Staat und seinem Allgemeinwillen begrifflich nicht gerecht wird.986 Doch da der ursprüngliche Vertrag in der Kantischen Begriffsbestimmung nicht als ein empirisches Faktum eines ohnehin unmöglichen Vertrages aller mit allen – d. h. als realer Erwerb im beschränkten Sinne dieses Begriffs (vgl. § 32) – gedacht werden darf, stellt das in ihm rein begrifflich vorgestellte Willensverhältnis auch nicht einen bloß gemeinsamen Willen der vertragsschließenden Parteien nach dem Privatrecht und damit etwas Willkürliches, sondern an und für sich selbst einen unendlichen Allgemeinwillen vereinigend tätig an sich selbst nach dem öffentlichen Recht und damit etwas praktisch Notwendiges rechtlich bestimmt vor. Dieser Umstand hat seinen Grund schließlich in der materiell unbedingten und daher formell selbstzweckhaften Zweckbestimmung und Verfassung des ursprünglichen Vertrages, nämlich als dem Gesellschaftsvertrag einer bürgerlichen Gesellschaft im Staat: (3) Der praktische Vernunftbegriff des ursprünglichen Vertrages als bürgerlicher Gesellschaftsvertrag Der ursprüngliche Vertrag (§ 47 S. 3) stellt die reine praktische Konstitutionsbzw. Verfassungsidee eines jeden staatlichen Gemeinwesens, damit aber zugleich die „ Ve r f a s s u n g “ bzw. das „Grundgesetz“ einer bürgerlichen Gesellschaft im Staat, folglich in dieser Eigenschaft auch den Gesellschaftsvertrag der bürgerlichen Gesellschaft („pactum unionis civilis“) vor.987 Da die bürgerliche Gesellschaft wegen des in ihr als gesetzgebend vorausgesetzten Allgemeinwillens jedoch nicht als Gesellschaft des natürlichen Privatrechts denkbar ist, weil es im natürlichen Zustand keinen gesetzgebenden Allgemeinwillen gibt, sondern spezifisch lediglich als eine Gesellschaft des öffentlichen Rechts gedacht werden muss, unterscheidet sie sich in ihrer eigenen praktischen Bestimmung bzw. Zwecksetzung auch von allen privatrechtlich möglichen Bestimmungen bzw. Zwecksetzungen. Nun bildet das natürliche Privatrecht mit seinem Begriff aber die Sphäre aller rechtlich möglichen – materiell bestimmten – Zwecksetzungen, während das öffentliche Recht nach seinem Begriff die Sphäre aller rechtlich notwendigen – formell bestimmenden – Zwecksetzungen in sich begreift. Also liegt dem Gesellschaftsvertrag der bürgerlichen Gesellschaft (§ 47 S. 3) keine materielle Zweckbestimmung des natürlichen Privatrechts, sondern die formelle Zweckbestimmung des öffentlichen Rechts als bestimmend zugrunde. Demnach kann als rechtlich bestimmter bzw. bestimmender Zweck des Gesellschaftsvertrages der bürgerlichen Gesellschaft nicht etwa der Schutz des Privatei986 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, in: Moldenhauer/Michel (Hrsg.): Georg Werke in zwanzig Bänden VII (1986), S. 157 ff. (§ 75). 987 TP, AA VIII: 289.09-16, 295.09-11.

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gentums der Privatrechtssubjekte angesehen werden, denn diese materielle Zweckbestimmung des Privatrechts machte aus der bürgerlichen Gesellschaft lediglich eine Eigentümergesellschaft bürgerlichen Rechts und setzte daher die bürgerliche Gesellschaft, mithin aber auch ihren Gesellschaftsvertrag mit seiner formellen Zweckbestimmung schon für sich selbst voraus. In der eigentumstheoretischen Behauptung dieses materiellen Zwecks als dem praktisch bestimmenden Zweck einer bürgerlichen Gesellschaft liegt also lediglich eine Subreption der eigentlichen Rechtsverfassung bürgerlicher Gesellschaft. Diese hat mit ihrem gesetzgebenden Allgemeinwillen über sich zu ihrem eigenen praktischen Zweck nämlich vielmehr die Garantie alles äußeren Rechts der Menschen überhaupt,988 sodass die bürgerliche Gesellschaft nur um des äußeren Rechts willen überhaupt ihr zweckhaftes Dasein hat, und dieses Dasein des äußeren Rechts als Zweck und Wille der bürgerlichen Gesellschaft gelten muss. Das Dasein des äußeren Rechts ist demnach rechtlicher Selbstzweck, weil der gesetzgebende Allgemeinwille im Staat einer bürgerlichen Gesellschaft bzw. die urvertragliche Verbindung zu demselben Staatsrechtssubjekt rechtlicher Selbstzweck (Substanz) alles äußeren Rechts ist:989, 990 „Unter allen Verträgen, wodurch eine Menge von Menschen sich zu einer Gesellschaft verbindet (pactum sociale), ist der Vertrag der Errichtung einer b ü r g e r l i c h e n V e r f a s s u n g unter ihnen (pactum unionis civilis) von so eigenthümlicher Art, daß, ob er zwar in Ansehung der A u s f ü h r u n g vieles mit jedem anderen (der eben sowohl auf irgend einen beliebigen gemeinschaftlich zu befördernden Zweck gerichtet ist) gemein hat, er sich doch im Princip seiner Stiftung (constitutionis civilis) von allen anderen wesentlich unterscheidet. Verbindung Vieler zu irgend einem (gemeinsamen) Zwecke (den Alle h a b e n ) ist in allen Gesellschaftsverträgen anzutreffen; aber Verbindung derselben, die an sich selbst Zweck ist (den ein jeder h a b e n s o l l ), mithin die in einem jeden äußeren Verhältnisse der Menschen überhaupt, welche nicht umhin können in wechselseitigen Einfluß auf einander zu gerathen, unbedingte und erste Pflicht ist: eine solche ist nur in einer 988 Insofern zutreffend herausgestellt von Dörpinghaus, Der Begriff der Gesellschaft bei Kant (1959), S. 65 ff. 989 Zutreffender Hinweis hierauf bereits bei Tieftrunk, Philosophische Untersuchungen II (1798), S. 75; siehe im Übrigen auch Honrath, Die Wirklichkeit der Freiheit im Staat bei Kant (2011), S. 393 ff./360. – Dagegen resultiert aus der in jeder privatrechtsspezifischen Interpretation bzw. Instrumentalisierung gelegenen Leugnung des selbstzweckhaften Charakters des Staates notwendig auch seine begriffliche Denaturierung, sodass man einen dermaßen denaturierten Staat auch leicht noch mit einem Widerstandsrechts der einzelnen Privatrechtssubjekte konfrontieren kann. Siehe dafür beispielsweise Niebling, Das Staatsrecht in der Rechtslehre Kants (2005), S. 174. 990 Mit dem gesetzgebenden Allgemeinwillen als Selbstzweck des ursprünglichen Vertrages der einzelnen Rechtssubjekte entsteht infolge des Vertragsschlusses der aus Staatsrechtssubjekt und -objekt in seiner Einheit gleichermaßen bestehende Staat, und zwar als eine an sich selbst bestimmend tätige moralische Person. Allerdings harrt der staatsrechtliche Begriff der moralischen Person in der Rechtslehre Immanuel Kants, trotz einiger beiläufiger Hinweise in der Sekundärliteratur (Byrd, in: Hoke [Hrsg.]: Proceedings of the Eight International Kant-Congress I [1995], S. 171 ff.; Thiele, Repräsentation und Autonomieprinzip [2003], S. 51), gegenwärtig noch einer genaueren begrifflichen Bestimmung, worauf Aichele, JRE 16 (2008), S. 3 (15 Fn. 57) hingewiesen hat.

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Gesellschaft, so fern sie sich im bürgerlichen Zustande befindet, d. i. ein gemeines Wesen ausmacht, anzutreffen. Der Zweck nun, der in solchem äußern Verhältniß an sich selbst Pflicht und selbst die oberste formale Bedingung (conditio sine qua non) aller übrigen äußeren Pflicht ist, ist das R e c h t der Menschen u n t e r ö f f e n t l i c h e n Z w a n g s g e s e t z e n , durch welche jedem das Seine bestimmt und gegen jedes Anderen Eingriff gesichert werden kann.“ (TP, AA VIII: 289.09-28).

(4) Die drei Willensmomente in der urvertraglichen Konstitution des gesetzgebenden Allgemeinwillens In der idealen Vereinigungstätigkeit des ursprünglichen Vertrages der einzelnen Rechtssubjekte zum Staat bürgerlicher Gesellschaft (§ 47 S. 3) liegen nun drei Verhältnisse des freien Willens beschlossen, die in der Einheit des urvertraglich verfassten Staates als drei Staatsgewalten bzw. Staatswürden ihr gesetzlich-notwendiges Dasein haben (§ 48). Denn in der idealen Vereinigungstätigkeit liegt zunächst die tätige Subordination eines jeden einzelnen Rechtssubjekts unter den gemeinsamen Zweck dieses ursprünglichen Vertrages. Dieser gemeinsame Zweck des ursprünglichen Vertrages aber besteht in Koordination der für sich einzelnen Rechtssubjekte in einem sie an und für sich gesetzlich bestimmenden Allgemeinwillen im Staat, sodass schließlich in der Einheit der gesetzlichen Bestimmung der idealen Vereinigungstätigkeit zuletzt die durch selbstgesetzliche Subordination an sich selbst gesetzlich bewirkte Bestimmung eines jeden einzelnen Rechtssubjekts zu sehen ist. c) Exposition des urvertraglichen Einheitsverhältnisses der drei Staatswürden Das Verhältnis der drei (§ 47 S. 1) aus dem ursprünglichen Kontrakt hervorgehenden Staatswürden zueinander, die in sich allesamt jeweils eine besondere Bestimmung der gesetzlichen Subordination in sich enthalten (§ 47 S. 2), folgt in der urvertraglich verfassten Einheit des Staates dieser urvertraglich vorgegebenen Bestimmung des staatlichen Gemeinwesens (§ 47 S. 3), weshalb § 48 Abs. 1 mit dem auf die drei Staatswürden bezogenen Wort „also“ zu seinem Beginn an die urvertragliche Konstitutionsvorstellung von § 47 anknüpft und eben darum hinter diesem Paragraphen seinen vollkommen richtigen Platz im Originaltext des metaphysischen Staatsrechts hat. Leugnet man dagegen den konstitutiven Charakter des ursprünglichen Vertrages als der praktischen Konstitutionsidee eines jeden verfassten Staates, weil man das natürliche Privatrecht mit der substanziellen Verkehrtheit einer privatrechtsspezifischen Interpretation als das öffentliche Recht bestimmend setzt,991 dann resultieren die drei Staatsgewalten dagegen nicht aus dem ursprünglichen Vertrag, sondern aus dem davon unabhängig vorgestellten natürlichen Privatrecht 991 Herb/Ludwig, JRE 2 (1994), S. 431 (442) – kritisch dazu vorstehend unter B. II. 3. b) cc) (1).

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(§§ 1 – 9),992 und dann lässt sich das auf die drei Staatsgewalten bezogene Wort „also“ in § 48 Abs. 1 nicht mehr vernünftig in seinem Zusammenhang verstehen. Aus diesem Grund musste dann auch Bernd Ludwig der Gedanke des § 48 Abs. 1 im Anschluss an § 47 „durch ein völlig unmotiviertes „also“ eingeleitet“ erscheinen, wobei er in § 48 obendrein in der Sache selbst lediglich „erneut eine Analyse des Verhältnisses der drei Gewalten“ zu erblicken vermochte, sodass Ludwig hier abermals einen sachlich unberechtigten Anschluss im Text der Rechtslehre Immanuel Kants gefunden zu haben glaubte.993 Vielmehr sei § 48 hinter § 45 zu setzen, da das in § 48 herausgestellte Verhältnis der drei Gewalten zueinander in der in § 45 Abs. 2 (vermeintlich) bemühten „Analogie zum praktischen Vernunftschluss“ beruhe.994 Doch dieser von Bernd Ludwig kurzerhand mit einem neuen § 46 editorisch hergestellte Anschluss übersieht unter anderem bereits, dass es sich beim praktischen Vernunftschluss im Verhältnis der drei Gewalten untereinander nicht um eine bloße Analogie zur praktischen Selbstbestimmungstätigkeit des einzelnen Rechtssubjekts handelt, sondern dass die drei Gewalten mit der praktischen Selbstbestimmung des einzelnen Rechtssubjekts im reinen praktischen Begriff des ursprünglichen Vertrages (§ 47 S. 3) tatsächlich auf dem praktischen Vernunftschluss desjenigen einzelnen Rechtssubjekts beruhen, das sich ursprünglich selbst tätig in seinen reinen praktischen Begriffen unter den gesetzgebenden Allgemeinwillen subordiniert.995 Eben deshalb geht das in § 48 Abs. 1 exponierte Verhältnis der drei Staatswürden in Wahrheit „also“ vollkommen zutreffend motiviert aus dem Gedanken des § 47 hervor, worauf vor wenigen Jahren mit Recht erstmals Michael Wolff gegen die editorischen Anmaßungen Bernd Ludwigs im öffentlichen Recht insistiert hat.996 aa) Die drei objektiven Verhältnisse der drei Staatswürden zueinander Entsprechend der drei subjektiv im ursprünglichen Vertrag angelegten Verhältnisse eines freien Willens stehen die drei Staatswürden in der urvertraglich schon verfassten Einheit des Staates objektiv zunächst im Verhältnis der Koordination zueinander und ergänzen einander insofern zur Vollständigkeit gesetzlicher Bestimmung. Denn wenn durch die urvertragliche Koordination der einzelnen Rechtspersonen in einem gesetzgebenden Allgemeinwillen die gesetzgebende Gewalt im Staat bewirkt (§ 46 Abs. 1), alle drei Staatswürden aber gleichermaßen ein besonderes Moment der gesetzlichen Bestimmung in sich enthalten (§ 47 S. 2), dann 992

Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 159 ff. – kritisch dazu vorstehend unter B. II. 2. Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 76 ff. 994 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 77. 995 Siehe kritisch zur bloß abstrakten Vorstellung eines zum praktischen Vernunftschluss analogen Verhältnisses der drei Gewalten oben unter B. II. 2. c) sowie zur abstrakten Vorstellung eines nicht herrschaftskonstitutiven Charakters der urvertraglichen Konstitutionsidee oben unter B. II. 3. b) cc). 996 Wolff, in: Euler/Tuschling (Hrsg.): Kants „Metaphysik der Sitten“ in der Diskussion (2013), S. 57 ff. 993

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stehen alle drei Gewalten im Staat zunächst eben auch im besagten Koordinationsverhältnis nebeneinander. Die in den drei Staatswürden enthaltene gesetzliche Bestimmung ist aber nichts anderes als das Subordinationsverhältnis des einzelnen Rechtssubjekts im Volk unter den gesetzgebenden Allgemeinwillen, sodass die drei Staatswürden durch das in ihnen jeweils mit einem besonderen Moment vorgestellte Subordinationsverhältnis gesetzlicher Bestimmung auch untereinander selbst im Verhältnis der Subordination im Staat stehen. Durch das in dieser ihrer Subordination jeweils besonders liegende Moment gesetzlicher Bestimmung sind die drei Staatswürden dann voneinander als relativ selbstständige Funktionen gesetzlicher Bestimmung in der Einheit des Staates voneinander unterschieden für sich begreiflich, woraus die in § 48 Abs. 2 sogleich gefolgerten Attribute ihrer spezifischen Würde (d. h. ihrer Selbsttätigkeit bzw. Selbstständigkeit bzw. Autonomie) folgen, und weshalb auch nur dieses eine Verhältnis von den drei Verhältnissen der drei Staatswürden zueinander in § 48 Abs. 1 für den weiteren Fortgang des Gedankens in § 48 Abs. 2 bzw. § 49 durch Sperrdruck hervorgehoben ist. In der jeweils besonderen Selbstständigkeit einer Staatswürde liegt dann rein begrifflich beschlossen, dass die eine Staatsgewalt die staatsrechtliche Funktion der jeweils anderen Staatsgewalt schon nicht mit ihrer Staatsgewalt an sich reißen, d. h. rechtmäßig usurpieren kann und eben deshalb tatsächlich auch nicht usurpieren darf: der moderne Begriff der Gewaltenteilung im kontradiktorischen Gegensatz zum modernen Begriff der Despotie.997 Durch die schlüssige Vereinigung der beiden in der Einheit des Staates urvertraglich gesetzten Verhältnisse von Koordination und Subordination resultiert schließlich die rechtliche Bestimmung eines jeden einzelnen Rechtssubjekts im Staat, weil die gesetzliche Bestimmung im staatlichen Subordinationsverhältnis praktisch nichts anderes als eine bestimmte Koordination der einzelnen Rechtssubjekte in der bürgerlichen Gesellschaft durch ihre staatstätige Subordination bedeutet. Die drei Staatswürden stehen darum zugleich im urvertraglich-gesetzlichen Verhältnis der Einheit zueinander, womit § 48 Abs. 1 zum Ende seiner Überlegung gelangt. bb) Die drei subjektiven Verhältnisse der drei Staatswürden an sich selbst § 48 Abs. 2 stellt nun im Anschluss noch jeweils diejenige Eigenschaft gesetzlicher Bestimmung an einer jeden Staatswürde besonders heraus, dadurch sich die 997 Für § 49 Abs. 1 S. 4 wird diese auf § 47 S. 3 beruhende begriffliche Bestimmung des § 48 Abs. 1 noch maßgeblich werden. Allerdings scheint dieser Umstand in der Sekundärliteratur weitgehend unbemerkt geblieben zu sein. Anders ist es zum Beispiel nicht erklärlich, dass sich manche Interpreten erst in der sich schon aus ihrem Grund entfaltenden Staatswürdentheorie des § 49 nach dem Grund für die „Gewaltenteilung“ oder die „Subordination“ der Staatsgewalten umsehen (vgl. dafür etwa Kersting, Wohlgeordnete Freiheit [20073], S. 318 ff. oder Joerden, JRE 1 [1993], S. 207 [208 ff.]).

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drei Staatswürden in ihrer Subordination im Staat, d. h. in ihrer besonderen Würde gesetzlicher Bestimmung betrachtet, objektiv als selbstständige Würden voneinander unterscheiden. Dabei resultieren auch hier die damit exponierten Prädikate der drei Staatswürden aus den drei objektiven Verhältnissen des Willens der subjektiv im ursprünglichen Vertrag gelegenen Vereinigungstätigkeit der einzelnen Rechtssubjekte zum Staat. Denn die urvertraglich vorgestellte Koordination der einzelnen Rechtssubjekte zu einem gesetzgebenden Allgemeinwillen in der moralischen Person der gesetzgebenden Gewalt hat zu ihrer praktischen Bestimmung, dass sich die einzelnen Rechtssubjekte einander in ihrem äußeren Verhältnis des Mein und Dein kein Unrecht tun können, weil sie im gesetzgebenden Allgemeinwillen wechselseitig nur über sich selbst beschließen (§ 46 Abs. 1). Die Würde der gesetzgebenden Gewalt besteht nämlich in ihrer rechtsgesetzlich überhaupt bestimmten Unfehlbarkeit, sodass „der Wille des G e s e t z g e b e r s (legislatoris) in Ansehung dessen, was das äußere Mein und Dein betrifft, […] u n t a d e l i g (irreprehensibel) [ist]“998. – Für ein zutreffendes Verständnis der praktisch notwendigen Positivität des Rechts in der kritischen Naturrechtslehre Immanuel Kants wird die autonome Bestimmung dieser Staatswürde noch entscheidend werden, da in ihr die reine praktische Vernunftvorstellung der „Heiligkeit“ des gesetzgebenden Willens gelegen ist, aus der wiederum die „Sanction“ des öffentlichen Gesetzes (§ 44 Abs. 2) in ihrer praktischen Bestimmung rein begrifflich erklärlich wird. Sodann liegt in der urvertraglich vorgestellten Subordination der einzelnen Rechtssubjekte unter einen gesetzgebenden Allgemeinwillen zugleich die gesetzestätige Subordination der drei Staatswürden untereinander, sodass die unter der gesetzgebenden Gewalt staatsrechtlich bestimmte Staatswürde der ausführenden Gewalt eine unwiderstehliche Zwangsgewalt in sich enthält, weil sie nach ihrem reinen praktischen Begriff die oberste Gesetzeszwangsmacht im Staat, und mithin eine solche gesetzliche Zwangsmacht vorstellt, die auch dem Widerstand dessen, was selbst Macht besitzt, d. h. dem einzelnen Rechtssubjekt in seiner gesetzlichen Selbstvorstellung bloß für sich selbst überlegen ist. Die Würde der ausführenden Gewalt im Staat als „des O b e r b e f e h l s h a b e r s (summi rectoris)“ ist darum als „ u n w i d e r s t e h l i c h (irresistibel)“ anzusprechen;999 ein Umstand, der wiederum für ein zutreffendes Verständnis der rigorosen Absage Immanuel Kants an jegliches Widerstandsrecht der einzelnen Rechtspersonen im Staat gegen die Staatsgewalt von entscheidender Bedeutung sein wird. Schließlich besteht die besondere Würde der rechtsprechenden Gewalt in der Einheit des Staates darin, dass sie in ihrer rechtsgesetzlichen Bestimmung eine Koordination der einzelnen Rechtssubjekte der bürgerlichen Gesellschaft durch 998

RL, AA VI: 316.17-19. – Siehe dazu auch Tieftrunk, Philosophische Untersuchungen II (1798), S. 285 ff. 999 RL, AA VI: 316.17-21. – Siehe dazu auch Tieftrunk, Philosophische Untersuchungen II (1798), S. 291 ff.

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gesetzliche Subordination derselben mit praktischer Notwendigkeit im Einzelfall wirkt. Diese durch rechtsgesetzliche Subordination mit praktischer Notwendigkeit bewirkte Koordination der einzelnen Rechtssubjekte in der Vereinigung bürgerlicher Gesellschaft hat dabei einheitlich in dem rechtskräftigen Urteilsspruch des somit letztinstanzlichen Richters ihr Dasein. Die Würde der rechtsprechenden Gewalt ist also darin zu sehen, dass „der Rechtsspruch des obersten R i c h t e r s (supremi iudicis) u n a b ä n d e r l i c h (inappellabel)“1000 ist. d) Exposition der subordinativen Vereinigung der drei Staatswürden in der Einheit des Staates Nachdem nun im Rahmen der vernunftbegrifflichen Entwicklung (§§ 46 – 49) des metaphysisch eingeteilten Vernunftbegriffs des Staates (§ 45 Abs. 2) zunächst der reine praktische Vernunftbegriff der gesetzgebenden Gewalt im Staat (§ 46) exponiert, dieser sodann auf den reinen praktischen Vernunftbegriff des ursprünglichen Vertrages (§ 47) zurückgeführt wurde, und schließlich das urvertragliche Verhältnis der drei Staatsgewalten (§ 48) näher bestimmt werden konnte, exponiert § 49 nunmehr die drei Staatswürden zuletzt noch in ihrem subordinativen Einheitsverhältnis im Staat, wobei die bereits an ihrem Ort erörterte gesetzgebende Gewalt (§ 46) nicht mehr eigens, sondern lediglich noch zur wechselseitigen Bestimmung der beiden übrigen Gewalten zur Sprache kommen wird. In dieser Subordination (§ 48 Abs. 1) der drei Staatswürden untereinander wird jede für sich jedoch als selbstständige Würde im Staat betrachtet werden müssen (§ 49 Abs. 1 und 3), sodass die durch urvertragliche Subordination begründete Selbstständigkeit einer jeden Staatswürde zugleich die Unterscheidung und damit die Trennung von den beiden anderen Staatswürden, d. h. einen vernünftig begründeten Begriff der Gewaltenteilung im Staat bedeutet. Dort wo hingegen keine Subordination, mithin aber auch keine urvertraglich begründete Trennung der drei Staatsgewalten im Staat, sondern ihre unmittelbare Einheit stattfindet, da findet unter dem Begriff der Despotie das kontradiktorische Gegenteil von einem in der Autonomie eines freien Willens urvertraglich begründeten Staatswesen, nämlich eine bloße Gewaltherrschaft statt. Nur die vernünftig begriffene Gewaltenteilung im Staat verhindert also das dialektische Umschlagen der nach ihrem urvertraglichen Vernunftbegriff im Staat insgesamt zur Herrschaft über das einzelne Rechtssubjekt verfassten Gewalt in eine bloße Gewaltherrschaft. Eben deshalb findet mit der in § 49 insgesamt geleisteten Exposition der subordinativen Vereinigung der drei Staatswürden in der Einheit des Staates in der Sache selbst zugleich eine gedankliche Absatzbewegung gegen den Begriff der Despotie statt.1001 1000 RL, AA VI: 316.17-22. – Siehe dazu auch Tieftrunk, Philosophische Untersuchungen II (1798), S. 295 ff. 1001 Wie hier Tieftrunk, Philosophische Untersuchungen II (1798), S. 302 ff. (308 – 322). Erwartet man dagegen von § 49 eine auf die Staatsgewalten bzw. ihre Organe bezogene Aufgabenbeschreibung, dann wird man vom diesbezüglichen Gehalt notwendig enttäuscht

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aa) Die ausübende Gewalt im Gewaltengefüge § 49 hebt in Abs. 1 mit dem reinen praktischen Begriff der ausübenden Staatsgewalt als einer moralischen Person (im Sinne von § 45 Abs. 2) an und betrachtet im Anschluss hieran in Abs. 2 das Verhältnis der von ihr im Staat unterschiedenen gesetzgebenden Staatsgewalt zu eben dieser ausübenden Gewalt. (1) Der reine praktische Begriff der Regierung § 49 Abs. 11002 entwickelt demnach den reinen praktischen Begriff der Regierung, und weil ein jeder reiner praktischer Begriff mittelbar auch auf empirische Begriffe seines Vorstellungsgegenstandes anwendbar sein muss, beginnt die begriffliche Entwicklung des reinen praktischen Begriffs der Regierung in Satz 1 mit einer nominalen Erklärung des Regierungsbegriffs. Dementsprechend benennt sie zunächst den „ R e g e n t [ e n ] “ des Staates als diejenige moralische oder physische Person, der die ausübende Gewalt im Staat innehat, und gibt sodann eine nominale Vorstellung seiner Tätigkeit. Dabei ist der Regent als ausführende Gewalt im Staat das Handlungsvermögen desselben und mithin im ursprünglichen Wortsinn dieses Begriffs als „ A g e n t “ des Staates anzusprechen. Einesteils obliegt es ihm, alle übrigen Amtsträger der ausübenden Gewalt unter ihm einzusetzen, anderenteils schreibt er dem Volk die Regeln vor, nach denen jede einzelne Rechtsperson im Privatrechtsverkehr auf dem polizeirechtlich geordneten Markt selbstständig etwas erwerben oder etwas schon Erworbenes durch den Ausspruch eines öffentlichen Gerichtshofes rechtskräftig als das Seine erhalten kann. Die besondere rechtliche Qualität dieser Regeln des Regenten an die ihm untergebenen Rechtssubjekte lässt sich allerdings erst in Auseinandersetzung (§ 49 Abs. 1 S. 3) der auf den Realbegriff der Regierung gerichteten Erklärung des Regenten (§ 49 Abs. 1 S. 2) ermessen: Die realbegriffliche Erklärung des reinen praktischen Begriffs der Regierung als der obersten Zwangsgewalt im Staat und als die mithin für den Einzelnen unwiderstehliche Staatswürde abstrahiert nämlich von einer physischen Person des Regenten und beschränkt sich ganz auf die moralische Person, sodass der Regent in dieser Eigenschaft gemäß Satz 2 lediglich noch als „das D i r e c t o r i u m , die Regierung“ angesprochen wird. Diese Regierung ist aber identisch mit der vollziehenden Gewalt in der moralischen Person des Regierers, so wie die ausführende Staatsgewalt rein begrifflich erstmals in der metaphysischen Einteilung des reinen praktischen Vernunftbegriffs des Staates (§ 45 Abs. 2) eingeführt wurde, sodass die Regierungstätigkeit auch nach der dort herausgehobenen Form praktischer Staatstätigkeit überhaupt rechtlich näher qualifiziert werden kann. Da sich die Staatstätigkeit als Ganze aber nach der logischen Form eines praktischen Vernunftschlusses werden, vgl. etwa Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 314 ff.; Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 163 ff. 1002 RL, AA VI: 316.24-317.08 (alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Absatz).

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einteilt, weil sie an und für sich selbst nichts anderes als die praktische Selbstbestimmung des Staates vorstellt, nimmt die in § 49 Abs. 1 Satz nominal bezeichnete Regierungstätigkeit die in § 45 Abs. 2 logisch exakt bezeichnete Stelle im Ganzen der Staatstätigkeit ein, sodass sich hiernach auch die rechtliche Qualität der Regierungstätigkeit genauer bestimmen lässt:1003 Die in § 49 Abs. 1 Satz 1 erwähnten Erwerbsregeln des Regenten an das Volk können demnach keine allgemeinen Regeln der Willensbestimmung sein, denn diese Willensbestimmung ist nur in Gesetzen und damit in den Akten der gesetzgebenden Staatsgewalt anzutreffen, weil sich der Volkswille und die gesetzgebende Gewalt nur im reinen praktischen Begriff der gesetzgebenden Gewalt nach der reinen praktischen Idee des ursprünglichen Vertrages selbst gleich, d. h. an und für sich selbst identisch sind. Vielmehr müssen die Erwerbsregeln des Regenten für das Volk als solche unter den allgemeinen Gesetzen staatlicher Willensbestimmung stehen, sodass sie, an der logischen Stelle des Untersatzes in einem praktischen Vernunftschluss stehend, „das G e b o t des Verfahrens nach dem Gesetz“1004 enthalten. Damit aber stellen sie im Gesamtakt der staatlichen Selbstbestimmung eines freien Willens praktische Handlungsregeln unter praktischen Gesetzen der Willensbestimmung im Sinne von § 1 KpV, und mithin allgemeine Regeln der Handlungsbestimmung im Staat vor.1005 Insofern diese praktischen Handlungsregeln der Regierung unter staatlichen Gesetzen nun notwendig das staatliche Subordinationsverhältnis in sich enthalten (§ 47 S. 2), sind sie als kategorische Imperative1006 und mithin gemäß § 49 Abs. 1 S. 3 1003 Die folgende Interpretation sieht den Staat in seiner Einheit nicht nur analog einem praktischen Vernunftschluss, sondern durch einen praktischen Vernunftschluss als praktisch selbstbestimmt an, sodass sie das unter B. II. 2. c) gegen die Verkürzungen einer privatrechtsspezifischen Interpretation geltend gemachte Verständnis der in § 45 Abs. 2 bemühten Wendung „gleich den drei Sätzen in einem praktischen Vernunftschluß“ für sich selbst voraussetzt. 1004 RL, AA VI: 313.24-25. 1005 KpV, AA V: 19.07-12. – Man wird in dem hier erinnerten Rekurs auf begriffliche Grundbestimmungen der Willens- und Handlungsbestimmung eines freien Willenssubjekts, wie sie sich in der Kritik der praktischen Vernunft niedergelegt finden, nur dann einen nicht nachvollziehbaren und unfruchtbaren Gedanken zur Interpretation der Rechtslehre zu finden glauben, wenn man den reinen praktischen Begriff der Autonomie eines freien Willens im reinen praktischen Begriff des ursprünglichen Vertrages (§ 47 S. 3) nicht erkennt und eben darum in dem Kantischen Hinweis auf die logische Form der praktischen Selbstbestimmung im Staatsrecht auch nur eine leidige Analogie zu erkennen vermag. Denn dann denkt man den Staat, damit aber auch das äußere Recht, in Wahrheit nicht in einer Einheit mit dem praktischen Begriff der Freiheit des Willens (§§ 7, 8 KpV), sondern in einer unaufgelösten Zweiheit, d. h. in einem unaufgehobenen Gegensatz, womit sich das weite Feld der in der Tradition des Neukantianismus für das Kantische Rechtsdenken vertretenen Unabhängigkeitsthesen durch die Hintertür des Staatsrechts erneut für den Interpretenverstand eröffnet. 1006 Und zwar im Sinne der begrifflichen Bestimmung von KpV, AA V: 20.06-29. – Zu der in der Kantforschung mit fatalen Verständnisfolgen weithin verkannten Einheit und Differenz von praktischen Gesetz und kategorischem Imperativ siehe bereits das zweite Kapitel.

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als unbedingt geltende „ B e f e h l e “ anzusehen. Da sie in sich auf das Besondere der empirischen Vielfalt des Rechtsverkehrs im Einzelfall gehende allgemeine Regeln enthalten, die gleichwohl keine Gesetze vorstellen, weil sie keine Willensbestimmung, sondern eine Handlungsbestimmung in sich enthalten, handelt es sich bei diesen Regeln der Regierung um „Verordnungen, D e c r e t e (nicht Gesetze)“. In der Würde der ausführenden Gewalt sind sie allerdings weder als untadelig, noch als unabänderlich anzusehen (vgl. § 48 Abs. 2), weshalb sie tatsächlich auch „als abänderlich“ gegeben werden. Denn der besondere Wille der Regierung stellt, auch wenn diese eben darum selbst notwendig unter staatlichen Gesetzen steht, an und für sich selbst keinen unfehlbaren und darum heiligen Willen für das einzelne Rechtssubjekt vor. Weil die Regierungstätigkeit ferner die gesetzgebende Gewalt mit jedem einzelnen Rechtssubjekt im Volk vermittelt, erstrecken sich die praktischen Handlungsregeln der Regierung schließlich über die gesamte „ S t a a t s v e r w a l t u n g (gubernatio)“ auf das Volk. Der reine praktische Begriff der Regierung teilt sich demnach ein in den Begriff des Regenten sowie der Staatsverwaltung, und dieser letztgenannte wiederum in die Minister sowie die Magisträte, sodass sich für den reinen praktischen Begriff der Regierung eine Subordination der Magisträte unter die Minister, und dieser unter den Regenten ergibt. Nun ist die Regierungstätigkeit vorstehend (§ 49 Abs. 1 S. 3) nach dem reinen praktischen Begriff der Regierung im staatlichen Subordinationsverhältnis und mithin nach dem darin aufgehobenen Gedanken der urvertraglich gründenden Gewaltenteilung (§§ 47, 48) vernünftig bestimmt. Der reine praktische Begriff der Regierung als einer moralischen Person stimmt also mit der rechtlichen Art dieser so gewaltenteilig verfassten Regierungstätigkeit vollkommen überein. Allerdings hebt sich diese rechtliche Art der gewaltenteilig verfassten Regierungstätigkeit gedanklich zu seinem kontradiktorischen Gegenteil auf, wenn man von der gewaltenteiligen Bestimmung abstrahiert, sodass an ihre Stelle eine ununterschiedene Einheit der Gewalten tritt, und eine unrechtliche Art der Regierungstätigkeit die notwendige Folge ist. Insofern lässt sich die Art der Regierungstätigkeit unter dem reinen praktischen Begriff der Regierung rein verständig in eine gewaltenteilig und rechtlich sowie eine nicht gewaltenteilig und unrechtlich verfasste Art der Regierung des Volkes einteilen (§ 49 Abs. 1 S. 4). In der gewaltenteilig und rechtlich verfassten Art der Regierungstätigkeit übt die Regierung durch praktische Handlungsregeln (Dekrete) – wie vorstehend erörtert – alleine die staatsrechtliche Funktion der gesetzesausführenden Staatsgewalt aus, während sie in der nicht gewaltenteilig und darum unrechtlich verfassten Art der Regierungstätigkeit vermittels ihrer praktischen Handlungsregeln zugleich die willensbestimmende Funktion der gesetzgebenden Gewalt durch ihren bloß besonderen Willen ausübt, d. h. den allgemeinen Willen des Volkes in Gesetzen durch ihren bloß besonderen Willen usurpiert. In den Verordnungen und Dekreten der Regierung liegt dann nicht nur eine praktische Handlungsbestimmung, sondern stets auch eine Willensbestimmung für die einzelnen im Staat subordinierten Rechtssubjekte im Volk. Allerdings stimmt diese besondere Willensbestimmung der Re-

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gierung für die einzelnen Rechtssubjekte im Volk schon darum notwendig nicht mit dem jeweils besonderen Willen der einzelnen Rechtssubjekte im Volk überein, weil sie in der staatsrechtlich bestimmenden Handlungsform der Regierung (Verordnung/ Dekret) nicht die einen jeden freien Willen unbedingt bestimmende Form eines allgemeinen Willens (Gesetz) hat. Da ein einzelnes Willenssubjekte im Volk demnach in seinen äußeren Handlungen im Grunde gerade nicht durch seinen allgemein vereinigten Volkswillen gesetzlich bestimmt ist, bedeutet diese nicht gewaltenteilig und daher unrechtlich verfasste Art der Regierungstätigkeit für dieses also im Grunde eine heteronome Bestimmung seines – zwar immer noch an sich, jedoch nicht länger auch für sich – freien Willens. Die nicht gewaltenteilige Verfassung der Regierungstätigkeit vertilgt somit notwendig die praktische Selbstbestimmung (d. h. Autonomie) des einzelnen Rechtssubjekts im urvertraglich gewaltenteilig zu verfassenden Staat, und behandelt den Staatsbürger auf diese Weise bloß als eine unselbstständige Person, d. h. als unmündiges Kind oder schlimmstenfalls sogar als Sklaven. Denn indem sich der Regent in seiner staatsrechtlichen Bestimmung selbst über das Gesetz stellt, stellt er sich selbst zugleich auch frei vom allgemeinen Willen im staatlichen Gesetz, damit aber zugleich auch frei vom Willen der einzelnen im Staat zur bürgerlichen Gesellschaft vereinigten Rechtspersonen. Folglich vermag er seinem ihm untertänigen Volk gegenüber als ein gänzlich unumschränkter und in einem schlechten Sinne absoluter Herrscher aufzutreten, sodass dieses ihm rechtlich völlig schutzlos in seiner Willkür und Güte ausgeliefert ist, und der rechtliche Zweck des urvertraglich gewaltenteilig zu verfassenden Staates – die autonome Bestimmung des einzelnen Rechtssubjekts im äußeren Verhältnis – zwangsläufig verfehlt werden muss. Das Volk hat mit seinem unumschränkten Herrscher über ihm im äußeren Verhältnis sodann nämlich lauter Pflichten, in Wahrheit aber keinerlei gesetzlich begründete Rechte, sodass es schon rein begrifflich als Sklave1007 des unumschränkten Herrschers im eigenen Hause erscheinen muss. Genau dies ist jedoch bekanntlich der klassisch-aristotelische Begriff der Despotie in seiner kritisch-modernen Konnotation.1008 Denn der Staat ist in seinem allgemeinen begrifflichen Wesen (res publica) an und für sich selbst kein durch ein unumschränktes Oberhaupt beherrschtes Hauswesen von für sich selbst rechtlich unselbstständigen Gliedern desselben (vgl. § 45 Abs. 1). Vor diesem begrifflichen Hintergrund erklärt sich nunmehr auch die von Immanuel Kant in § 49 Abs. 1 S. 4 unter dem reinen praktischen Begriff der Regierung vorgestellte Verstandeseinteilung der Art der Regierungstätigkeit. Denn nach dieser Verstandeseinteilung steht die „ d e s p o t i s c h “ zu nennende Regierung mangels urvertraglich begründeter Gewaltenteilung begrifflich im kontradiktorischen Gegensatz zur „ p a t r i o t i s c h e n “, die auch als „ v a t e r l ä n d i s c h e “ Regierung

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Zu diesem dergestalt verfassten Begriff siehe RL, AA VI: 241.18-25. Siehe dazu Bien/Dierse, in: Ritter (Hrsg.): HWPh II (1972), Sp. 132 ff.

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bezeichnet werden könnte, während die „ v ä t e r l i c h e “ Regierung „als die am meisten despotische unter allen“ gelten muss.1009 * Zu Immanuel Kants republikanischer Staatsidee *

Diese begriffliche Einteilung der rechtlichen bzw. unrechtlichen Art der Regierungstätigkeit (§ 49 Abs. 1 S. 4) unter dem reinen praktischen Begriff der Regierung (§ 49 Abs. 1), der seinerseits in der urvertraglich gegründeten Idee des gewaltenteilig zu verfassenden Staates (§§ 45 Abs. 1, 47, 48) seinen Ursprung hat, liegt auch der von Immanuel Kant bereits in der Friedensschrift (1795) vorgestellten Einteilung der Staatsformen „nach der R e g i e r u n g s a r t des Volks durch sein Oberhaupt“1010 zugrunde. Denn diese – neben der Einteilung nach der „Form der B e h e r r s c h u n g (forma imperii)“1011 – zweite Einteilung der Staatsformen beruht gleichfalls auf der urvertraglichen Konstitutionsidee (§ 47) des Staates in der Idee (§ 45), der nichts anderes als die reine Republik (§ 52) ist: „Die zweite [Form eines Staates] ist die Form der Regierung (forma regiminis) und betrifft die auf die Constitution (den Act des allgemeinen Willens, wodurch die Menge ein Volk wird) gegründete Art, wie der Staat von seiner Machtvollkommenheit Gebrauch macht: und ist in dieser Beziehung entweder r e p u b l i k a n i s c h oder d e s p o t i s c h . Der R e 1009 Der Gedanke des § 49 Abs. 1 S. 4, der auch noch aus einem weiterem Grund bemerkenswert ist, lautet vollständig: „Eine Regierung, die zugleich gesetzgebend wäre, würde d e s p o t i s c h zu nennen sein im Gegensatz mit der p a t r i o t i s c h e n , unter welcher aber nicht eine v ä t e r l i c h e (regimen paternale), als die am meisten despotische unter allen (Bürger als Kinder zu behandeln), sondern v a t e r l ä n d i s c h e (regimen civitatis et patriae) verstanden wird, wo der Staat selbst (civitas) seine Unterthanen zwar gleichsam als Glieder einer Familie, doch zugleich als Staatsbürger, d. i. nach Gesetzen ihrer eigenen Selbstständigkeit, behandelt, jeder sich selbst besitzt und nicht vom absoluten Willen eines Anderen neben oder über ihm abhängt.“ (RL, AA VI: 316.34-317.08). Diese Textstelle ist nämlich darum bemerkenswert, weil sie in sich den Gedanken enthält, dass im Staat ein jedes einzelnes Rechtssubjekt sich im äußeren Verhältnis zu seinesgleichen selbst besitzt, wodurch es seine Unabhängigkeit und Selbstbestimmung im äußeren Verhältnis positiv hat. Nun ist es aber eine These der hier stark gemachten Interpretation, dass der über den angeborenen Selbstbesitz im äußeren Verhältnis noch hinausgehende Selbstbesitz des einzelnen Rechtssubjekts im Staat einer dinglich-persönlichen Rechtsbesitzrechtsform in der allgemeinen Gesetzgebung selbst bedarf, nämlich der des urvertraglich zu erwerbenden Staates. Wenn die Staatsbürger in § 49 Abs. 1 S. 4 daher „gleichsam als Glieder einer Familie“ angesprochen werden, dann beruht diese Analogie also darauf, dass die öffentliche Rechtsbesitzrechtsform des Staates analog dem auf dingliche Art persönlichen Privatrecht des Hauswesens verfasst ist. Das gemeine staatliche Wesen (res publica) ist nämlich tatsächlich die außerhäusliche Rechtsform des in allseitiger Wechselseitigkeit absolut verfassten Selbstbesitzes der freien Willkür im äußeren Verhältnis. Vgl. ferner dazu auch Honrath, Die Wirklichkeit der Freiheit im Staat bei Kant (2011), S. 352 ff. 1010 ZeF, AA VIII: 352.01-04. 1011 ZeF, AA VIII: 352.01-09. – Diese erste Einteilung der Staatsformen (in Autokratie, Aristokratie, Demokratie bzw. Fürstengewalt, Adelsgewalt, Volksgewalt) nach der Form der Beherrschung in der Person des Staatsoberhaupts von 1795 ist offensichtlich identisch mit der in § 51 der Rechtslehre 1797 gegebenen Einteilung der Staatsformen. Sie ist an sich lediglich bezogen auf das an sich einfache Subordinationsverhältnis von Staatsoberhaupt und Staatsvolk.

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p u b l i k a n i s m ist das Staatsprincip der Absonderung der ausführenden Gewalt (der Regierung) von der gesetzgebenden; der Despotism ist das der eigenmächtigen Vollziehung des Staats von Gesetzen, die er selbst gegeben hat, mithin der öffentliche Wille, sofern er von dem Regenten als sein Privatwille gehandhabt wird.“ (ZeF, AA VIII: 392.09-18).

Die in § 49 Abs. 1 S. 4 vorgestellte Einteilung der Regierungsart in die patriotische und die despotische Regierung ist also mit der in der Friedensschrift vorgenommenen Einteilung der Staatsformen in die republikanische und die despotische Staatsform1012 nicht unmittelbar, sondern bloß mittelbar identisch, weil die spezifisch bestimmende Sphäre des eingeteilten Begriffs der Staatsform eine andere als die des eingeteilten Begriffs der Regierung ist. Wohl aber liegt jene Einteilung dieser zugrunde, weil der Begriff der Regierung in die Sphäre des Begriffs des Staates fällt und damit als Einteilungsgesichtspunkt für den Begriff der Staatsform zu fungieren vermag, sodass die republikanische Regierungsform einer republikanischen Staatsform mit der vaterländischen Regierungsart des urvertraglich gewaltenteiligen Staatsform der reinen Staatsidee (§ 45) identisch ist.1013 Da nun der urvertraglich (§ 47) zu verfassende Staat in der Idee (§ 45 Abs. 1) nicht zufällig, sondern notwendig gewaltenteilig (§§ 45 Abs. 2, 48, 49) zu verfassen ist, so ist er in sich zugleich notwendig auch repräsentativ zu verfassen. Denn jede der drei Gewalten repräsentiert als eine für sich in einem besonderen Moment der Staatstätigkeit selbstständige moralische Person zugleich die ganze Einheit der moralischen Person des Staates, sodass die urvertraglich gewaltenteilig verfasste Staatsform schon darum begrifflich notwendig ein Repräsentationssystem vorstellt.1014 Mit 1012 Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 328 ff. meint in der vorstehend zitierten Wendung Immanuel Kants eine empfindliche Unterbestimmung des Republikanismus sowie eine dementsprechende Verharmlosung der Despotie gefunden zu haben, wenn er im Gestus der Entrüstung notiert: „Das Gewaltenteilungsprinzip als ein organisatorisches und ,politisch funktionales‘ Prinzip sagt nichts darüber aus, ob die Gesetze, mit deren Anwendung und Durchführung ihm zufolge eine vom Gesetzgeber verschiedene Instanz zu betrauen ist, den Prinzipien der Freiheit und Gleichheit angemessen sind.“ – Obwohl man einer solchen Feststellung in der Sache selbst wohl eine uneingeschränkte Zustimmung wird erteilen können, trifft doch die hieraus gefolgerte Kritik den Kantischen Gedanken noch nicht einmal im Ansatz. Denn das Prinzip der Gewaltenteilung ist nicht eine bloße staatsrechtliche Organisationsnorm von „politisch-funktionaler“ Qualität, deren es viele geben kann, sondern es ist die urvertragliche Konstitutionsidee eines jeden Staates überhaupt, und insofern ist mit dem urvertraglichen Prinzip der Gewaltenteilung auch eine vernünftige Bestimmung der gesetzgebenden Gewalt (§ 46 Abs. 1) gegeben sowie im Rahmen der Abgrenzung von Republik und Despotie stillschweigend vorausgesetzt. Hiervon aber abstrahiert Kersting in seiner abstrakten Kritik, denn das Gewaltenteilungsprinzip sagt als profane Organisationsnorm in politisch-funktionaler Absicht beispielsweise auch nichts über die bürgerliche Selbstständigkeit der aktiven Staatsbürger (§ 46 Abs. 2) und noch viel weniger über vieles andere etwas Substanzielles aus, worauf es allerdings tatsächlich auch in keiner Weise ankommt. 1013 Zweifelnd und letztlich unentschieden an diesem Punkt etwa Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 169. 1014 Das verkennen Herb/Ludwig, JRE 2 (1994), S. 431 (465) mit ihrer eher schillernden These: „Die ,reine Republik‘ ist nicht repräsentativ – sie ist Selbstherrschaft des Volkes sensu stricto […].“ Denn dann wäre die reine Republik als unmittelbare Demokratie verfasst, die nach

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dem reinen praktischen Vernunftbegriff des Staates (§ 45 Abs. 1), der in sich eine vaterländische Regierungsart nach der republikanischen Staats- bzw. Regierungsform ermöglicht, ist folglich identisch auch der reine praktische Vernunftbegriff der wahren Republik als einem repräsentativen System (§ 52 Abs. 3) gegeben.1015 Jede nicht repräsentative Staatsform ist dagegen in dieser Hinsicht zugleich eine nicht gewaltenteilige und folglich auch nicht rechtlich verfasste Staatsform; mithin mit der reinen Staatsidee (res publica) unvereinbar: „Alle Regierungsform nämlich, die nicht r e p r ä s e n t a t i v ist, ist eigentlich eine Unform, weil der Gesetzgeber in einer und derselben Person zugleich Vollstrecker seines Willens (so wenig wie das Allgemeine des Obersatzes in einem Vernunftschlusse zugleich die Subsumtion des Besondern unter jenem im Untersatze) sein kann; […].“ (ZeF, AA VIII: 352.24-28).

Demnach enthält die urvertraglich gründende und gewaltenteilig zu verfassende Staatsform der reinen Staatsidee (res publica) die praktisch notwendige und an das Staatsrechtssubjekt gerichtete Forderung positiv in sich, den Staat von innen her aus sich selbst heraus – d. h. durch eine republikanische Form der Regierungstätigkeit – als eine repräsentative Republik auszuformen (§ 52 Abs. 1 – 2). Vor diesem begrifflich zusammenhängenden Hintergrund erklärt sich dann auch zwanglos die nur scheinbar schwankende Beurteilung der drei – und dies ist für ein angemessenes Gesamtverständnis wichtig: an sich lediglich auf das einfache Subordinationsverhältnis des Staatsoberhaupts zum Volk – bezogenen Herrschaftsformen eines Staates (Autokratie/Aristokratie/Demokratie) im Hinblick auf ihr republikanisches Potential durch Immanuel Kant, wenn man die Friedensschrift von 1795 mit der Rechtslehre von 1797 vergleicht.1016 Besonders augenscheinlich lässt sich dies anhand der Staatsform der Demokratie (Volksgewalt) belegen, denn in einer Volksherrschaft (im ursprünglichen Sinne des Begriffs) ist das Volk als Staatsoberhaupt im Subordinationsverhältnis zum Volk als Staatsuntertan begrifflich notwendig nicht nur Vollstrecker der Gesetze, sondern zugleich auch der Gesetzgeber, und zwar alles in einer Person. Insofern ist diese unmittelbare und an sich noch nicht repräsentativ verfasste Staatsform der Demoden im Folgenden auseinanderzusetzenden Überlegungen Immanuel Kants (ZeF, AA VI: 352.18-23) gerade das kontradiktorische Gegenteil der reinen Republik, nämlich Despotie bedeutet. Der dem Autor aufgrund dieser These (a.a.O., 465 Fn. 138) kurzerhand in schulmeisterlicher Manier unterstellte Selbstwiderspruch in der Bestimmung des reinen praktischen Begriffs der rechtsprechenden Gewalt der reinen Republik (§ 49 Abs. 3) hätte ein Anlass sein können, sich über das Fehlerhafte dieser These klar zu werden. 1015 Vgl. Thiele, Repräsentation und Autonomieprinzip (2003), S. 39; mit bloßen Zweckmäßigkeitserwägungen (wie wohl Maus, Zur Aufklärung der Demokratietheorie [1992], S. 198 dafürhalten will) lässt sich die Einführung des Repräsentationsgedankens in den §§ 51 – 52 dagegen kaum erklären. 1016 Diese nur vermeintliche Schwanken staffieren Herb/Ludwig, JRE 2 (1994), S. 431 (457 ff.) dagegen (wie so oft) zu einer selbstkritischen Revision Kantischen Rechtsdenkens im Progress von der Friedensschrift (1795) hin zur Rechtslehre (1797) aus (vgl. dazu auch schon das zuvor in Fn. 1014 Gesagte).

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kratie keine Republik, sondern zwangsläufig ihr kontradiktorisches Gegenteil, nämlich eine Despotie.1017 Nur in diesem unmittelbaren Verständnis ist von der Demokratie innerhalb der Friedensschrift die Rede,1018 wenn es darin heißt: „Unter den drei Staatsformen ist die der D e m o k r a t i e im eigentlichen Verstande des Worts nothwendig ein D e s p o t i s m , weil sie eine exekutive Gewalt gründet, da alle über und allenfalls auch wider Einen (der also nicht mit einstimmt), mithin Alle, die doch nicht Alle sind, beschließen; welches ein Widerspruch des allgemeinen Willens mit sich selbst und mit der Freiheit ist.“ (ZeF, AA VIII: 352.18-23).

Wenn Immanuel Kant in der Rechtslehre dagegen die größte Gefahr einer Despotie nunmehr allerdings nicht länger in der Demokratie, sondern in der Autokratie verortet (§ 51), dann liegt das gewiss nicht an einem vermeintlichen „Sinneswandel“1019, sondern ganz einfach daran, dass sich die Demokratie hier nicht länger bloß als das an sich einfache Herrschaftsverhältnis einer unmittelbaren Volksgewalt im ausgeführten Sinne, sondern schon als eine mittelbare und somit in sich nach ihren Verhältnissen repräsentierte Volksherrschaft angesprochen findet: „Man wird leicht gewahr, daß die autokratische Staatsform die e i n f a c h s t e sei, nämlich von Einem (dem Könige) zum Volke, mithin wo nur Einer der Gesetzgeber ist. Die aristokratische ist schon aus zwei Verhältnissen z u s a m m e n g e s e t z t : nämlich dem der Vornehmen (als Gesetzgeber) zu einander, um den Souverän zu machen, und dann das dieses Souveräns zum Volk; die demokratische aber die allerzusammengesetzteste, nämlich den Willen Aller zuerst zu vereinigen, um daraus ein Volk, dann den der Staatsbürger, um ein gemeines Wesen zu bilden, und dann diesem gemeinen Wesen den Souverän, der dieser vereinigte Wille selbst ist, vorzusetzen. Was die H a n d h a b u n g des Rechts im Staat betrifft, so ist freilich die einfachste auch zugleich die beste, aber, was das Recht selbst anlangt, die gefährlichste fürs Volk in Betracht des Despotismus, zu dem sie so sehr einladet. Das Simplificiren ist zwar im Maschinenwerk der Vereinigung des Volks durch Zwangsgesetze die vernünftige Maxime: wenn nämlich alle im Volk passiv sind und Einem, der über sie ist, gehorchen; aber das giebt keine Unterthanen als S t a a t s b ü r g e r .“ (RL, AA VI: 339.03-18).

Umgekehrt beruht die im Hinblick auf ihr republikanisches Potential – im Gegensatz zur Staatsform der Demokratie – optimistische Einschätzung der Herrschafts- bzw. Staatsform der Autokratie in der Friedensschrift darauf, dass der hier alleine auf die moralische Person des Staatsoberhaupts im Subordinationsverhältnis zum Staatsvolk bezogene Begriff der Fürstengewalt – anders als der unmittelbare Begriff der Volksgewalt – nicht zugleich notwendig auch Anspruch auf eine per-

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Man darf diese Despotie der unmittelbaren Demokratie aber gewiss nicht mit dem Republik- und Staatsbegriff der Rechtslehre (§§ 45, 46) gleichsetzen, wie Herb/Ludwig, JRE 2 (1994), S. 431 (465) dies in der Begründung ihrer Revisionsthese unternehmen (oben Fn. 1014). 1018 Vgl. dazu auch Thiele, Repräsentation und Autonomieprinzip (2003), S. 32 ff./39 ff. 1019 So aber Herb/Ludwig, JRE 2 (1994), S. 431 (457 ff., 468).

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sonale Einheit von Gesetzgebung und Exekutive macht, mithin an sich schon danach eine Repräsentation erlaubt.1020 Nach alledem stellt der praktische Vernunftbegriff einer reinen Republik (§ 52) den Endpunkt des urvertraglich gründenden (§ 47), gewaltenteilig zu verfassenden (§ 48) sowie vaterländisch zu regierenden (§ 49 Abs. 1) Staates der reinen und absolut in sich geschlossenen praktischen Staatsidee (§ 45), mithin aber zugleich auch deren Anfangspunkt (res publica) vor. Nach der Art der darin verfassten Regierungstätigkeit ist die reine Staatsidee bzw. Republik dann in allen drei Herrschaftsformen im an sich einfachen Subordinationsverhältnis des Staatsoberhaupts zum Volk (Autokratie/Aristokratie/Demokratie) gleichermaßen möglich, wenn sich die Person des Staatsoberhaupts seinerseits durch eine Volksvertretung repräsentieren lässt (§ 52 Abs. 3), denn dann ist die Herrschaftsform im einfachen Subordinationsverhältnis des Staatsoberhauptes zu seinem Volk zugleich notwendig in sich selbst repräsentativ verfasst, sodass in diesem Verhältnis wiederum der in der Friedensschrift zur Repräsentationsgröße im staatlichen Subordinationsverhältnis geäußerte Gedanke seine Gültigkeit behält: „Man kann […] sagen: je kleiner das Personale der Staatsgewalt (die Zahl der Herrscher), je größer dagegen die Repräsentation derselben, desto mehr stimmt die Staatsverfassung zur Möglichkeit des Republikanism, und sie kann hoffen, durch allmähliche Reformen sich dazu endlich zu erheben.“1021 (2) Das Verhältnis von Gesetzgebung und Regierung zueinander Nachdem in § 49 Abs. 1 der reine praktische Begriff der Regierung eingeführt und in einer gedanklichen Absatzbewegung gegen den kritisch konnotierten Begriff der Despotie auch ansatzweise entwickelt wurde, behandelt § 49 Abs. 2 das Verhältnis der gesetzgebenden Gewalt (§ 46 Abs. 1) zur ausführenden Gewalt. Da der Regent im staatlichen Subordinationsverhältnis als moralische Person der ausführenden Staatsgewalt unter den Gesetzen der gesetzgebenden Gewalt steht, wäre es unter der Würde der gesetzgebenden Gewalt, zugleich die Regierung des Staates für sich behaupten zu wollen, denn die Regierung wird durch die gesetzgebende Gewalt im Staat als solche erst verpflichtet (Satz 1). Eben darum aber konnte gemäß § 49 Abs. 1 S. 4 die Regierung unter dem reinen praktischen Begriff des Staates (§ 45) andererseits auch nicht selbst schon als 1020

ZeF, AA VIII: 352.24-353.08. – Bedenkt man überdies, dass die Fürstengewalt (Autokratie) wegen des in ihrer Staatsform alleine enthaltenen Subordinationsverhältnisses von Staatsoberhaupt und Volk als die einfachste Staatsform gilt (RL, AA VI: 339.03-05), die gleichwohl die absolute Selbstbestimmung eines staatlichen Wesens in sich fasst, so erklärt sich möglicherweise auch, weshalb die Fürstengewalt in der Rechtsphilosophie Hegels eine so herausgehobene Stellung inne hat (siehe dafür Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, in: Moldenhauer/Michel [Hrsg.]: Georg Werke in zwanzig Bänden VII [1986], S. 441 ff., besonders § 275 mitsamt Zusatz). 1021 RL, AA VI: 353.01-05.

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Herrscher im Staat, d. h. als „Beherrscher des Volkes (der Gesetzgeber)“1022 bzw. als „ H e r r s c h e r g e w a l t (Souveränität)“1023 angesehen werden. Der Begriff des Herrschers ist somit alleine der gesetzgebenden Gewalt im Staat vorbehalten,1024 die deshalb vermittelst ihrer Handlungsform (dem Gesetz) den Regenten auch absetzen oder ihm seine Staatsverwaltung reformieren kann, dabei aber nach ihrer eigenen Würde selbst keine gesetzesvollziehenden Handlungen am Regenten vorzunehmen befugt ist (Satz 2). Die Bestrafung des Regenten eines Staates für die in seiner Eigenschaft als Amtsträger vorgenommenen Handlungen ist somit bereits aus staatsrechtlichen Gründen zwingend ausgeschlossen und tatsächlich – gemessen am Begriff der Souveränität einer gesetzgebenden Gewalt – auch durchaus unwürdig.1025 Könnte der Regent als oberste gesetzliche Zwangsgewalt im Staat dagegen rechtskräftig vom Gesetzgeber oder gar von einer außer- bzw. überstaatlichen Zwangsmacht im Staat gestraft werden, dann wäre der Regent nicht die höchste gesetzliche Zwangsgewalt im Staat, d. h. er wäre nicht er selbst (damit aber ebenfalls nicht für die Handlungen des Regenten zu bestrafen).1026 bb) Die rechtsprechende Gewalt im Gewaltengefüge § 49 Abs. 31027 hat abschließend den reinen praktischen Begriff der rechtsprechenden Gewalt im subordinativen Gewaltengefüge des reinen Staates der res publica zum Gegenstand. Die gedrungenen Aussagen dieses wichtigen Textstücks erschließen sich demnach im Gesamtverständnis, wenn man die gewaltengliedrige Stellung der rechtsprechenden Gewalt im Staat nur hinreichend bedenkt, die einer despotischen Vereinigung der gesamten Staatsgewalt auf nur eine Person kontradiktorisch entgegengesetzt ist. Denn bei der besonderen Staatstätigkeit der rechtsprechenden Gewalt handelt es sich nicht um einen unmittelbaren, sondern um einen mittelbaren Einzelakt der moralischen Person des Staatsvolkes an und für sich selbst. Sie steht nämlich in der logischen Form eines praktischen Vernunftschlusses gesetzlicher Selbstbestimmung1028 an der logischen Stelle der Konklusion und enthält in sich (d. h. in ihrer 1022

RL, AA VI: 317.09. RL, AA VI: 313.18-19. 1024 Zutreffender Hinweis hierauf bei Wolff, in: Euler/Tuschling (Hrsg.): Kants „Metaphysik der Sitten“ in der Diskussion (2013), S. 57 (65); teilweise anders an diesem Punkt offenbar Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 166 Fn. 141. 1025 Siehe dazu auch RL, AA VI: 320.35-322.39; ferner Tieftrunk, Philosophische Untersuchungen II (1798), S. 314 ff. 1026 Vgl. dazu in der Sache selbst aber etwa besonders Art. 27 des Gesetzes zum Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 (IStGH-Statutgesetz) v. 04. 12. 2000 = BGBl. II, Nr. 35, S. 1393 (1414). 1027 RL, AA VI: 317.19-318.03 (alle nicht weiter gekennzeichneten Zitate beziehen sich auf diesen Absatz). 1028 Siehe an dieser Stelle nochmals den Hinweis oben in Fn. 1003. 1023

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Synthesis) daher ein mittelbares praktisches Vernunfturteil, das mithin nicht schon als bloßes Verstandesurteil unmittelbar (analytisch) in dem praktischen Grundsatz (d. h. Gesetz) der Willensbestimmung an der logischen Stelle des Obersatzes eines praktischen Vernunftschlusses enthalten ist. Das praktische Vernunfturteil der rechtsprechenden Gewalt – als ihre Staatstätigkeit – ist somit nicht schon für sich selbst in der gesetzlichen Selbstvorstellungstätigkeit der moralischen Person des vereinigten Volkswillens als der gesetzgebenden Gewalt (§ 46 Abs. 1) gesetzt. Wäre sie dagegen bereits für sich selbst darin gesetzt, so wäre die rechtsprechende Gewalt mit dieser einen moralischen Person des vereinigten Volkswillens als der gesetzgebenden Gewalt im Staat identisch und dieser so nicht gewaltenteilig verfasste Staat in der Folge an sich selbst als despotisch anzusehen. Die praktisch notwendige Gewaltenteilung im Staat seines reinen praktischen Begriffs beruht aber konstitutiv auf der logischen Form des praktischen Vernunftschlusses der praktischen Selbstbestimmung (§ 45 Abs. 2), wie er im ursprünglichen Vertrag der einzelnen Rechtssubjekte zum Staat verfassend an sich selbst praktisch ist (§ 47). Demnach muss die moralische Person der rechtsprechenden Gewalt für sich selbst von der moralischen Person der gesetzgebenden Gewalt an sich selbst verschieden sein, obgleich sie beide in der moralischen Person des ursprünglichen Vertrages an sich selbst im Grunde noch vereinigt und deshalb in der Folge schon identisch miteinander sind. Es kann also nicht der vereinigte Volkswille, wie er in der gesetzgebenden Gewalt an und für sich selbst praktisch ist, sondern lediglich der vereinzelte Volkswille, wie er in dem gesetzlich bestimmten Willen einer jeden einzelnen Person im Volk allgemein vorgestellt bzw. begrifflich repräsentiert ist, die rechtsprechende Gewalt für sich beanspruchen. Nur dann ist das praktische Vernunfturteil der rechtsprechenden Gewalt in der Konklusion eines praktischen Vernunftschlusses überhaupt mittelbar aus dem gesetzgebenden Allgemeinwillen im Obersatz geschlossen vorstellbar. Mit einem Wort: Während die Vereinigung aller einzelnen Willenssubjekte im Volk in Gesetzen den Gesetzgeber als moralische Person repräsentiert, repräsentiert ein einzelnes Willenssubjekt aus dem Volk als Richter unter dem Gesetz die moralische Person des ganzen Volkes, sodass die vom Volk in Gesetzen ausgehende Staatsgewalt durch den richterlichen Urteilsspruch im einzelnen Fall auch wieder ins Volk zurückläuft. Dies ist der im Folgenden beglaubigte Grundgedanke von § 49 Abs. 3, dadurch sich die in drei Staatswürden besonders verfasste Staatstätigkeit bzw. praktische Selbstbestimmung als Ganze in sich geschlossen (d. h. als absolut) erweist. (1) Der reine praktische Begriff der Rechtsprechung Nach den Überlegungen der §§ 48 Abs. 1, 49 Abs. 1 – 2 ist klar, dass die rechtsprechende Gewalt im gewaltenteilig zu verfassenden Staat von den beiden übrigen Staatsgewalten verschieden sein muss, wenn sie ihre gemäß § 48 Abs. 2 bestimmte Würde der Unabänderlichkeit des Rechtsspruchs des obersten Richters im Staat

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haben soll; es also eine rechtskräftige Entscheidung – iustitia distributiva – im Staat geben muss. Deshalb können weder der Gesetzgeber als Beherrscher des Volkes, noch der Regent als oberste gesetzliche Zwangsmacht im Staat selbst „ r i c h t e n “ (Satz 1). Weil jedoch die Bestimmung der moralischen Person des Richters als rechtsprechender Gewalt im Staat nicht von außerhalb des Staates her kommen kann, muss sie im Grunde durch den Gesetzgeber, vermittelt durch den Regenten, im staatlichen Subordinationsverhältnis geleistet werden. So wie der Gesetzgeber durch Gesetze schon die moralische Person des Regenten bestimmt (§ 49 Abs. 2), so bestimmt er also auch die moralische Person des Richters, indem er ein gesetzliches Verfahren ihrer Inauguration bestimmt, nach dem die moralische Person des Regenten „Richter“ als „Magisträte“ einsetzt. Das Richteramt ist auf diese Weise der Staatsverwaltung (§ 49 Abs. 1 S. 3) zwar einesteils inkorporiert und hat insofern ein es selbst an sich mit der ausführenden Staatsgewalt verbindendes Moment, allerdings ist es durch die gesetzliche Bestimmung anderenteils und wesentlich auch unabhängig von den Befehlen (Dekreten) des Regenten, mithin unter Gesetzen insofern als eine für sich selbstständige Staatsgewalt unter der ausführenden Staatsgewalt anzusehen.1029 Hinter einer rechtskräftigen Entscheidung der rechtsprechenden Gewalt (iustitia distributiva) unter Gesetzen steht damit zugleich die rechtsgesetzliche Garantie einer effektiven Rechtsdurchsetzung vermittelst der obersten gesetzlichen Zwangsmacht im Staat. Doch nicht nur die Bestimmung der moralischen, sondern auch die der physischen Person des Richters kann und muss alleine aus dem Staat selbst und mithin ursprünglich aus dem Staatsvolk selbst hervorgehen. Deshalb enthält die gesetzliche Bestimmung der Inauguration der moralischen Person des Richters durch die gesetzgebende Gewalt in sich die Vorsehung eines Wahlverfahrens, nach dem in jedem Einzelfall eine physische Person aus dem Volk durch den Regenten zum Richteramt zu berufen ist (Satz 2): „Das Volk richtet sich selbst durch diejenigen ihrer Mitbürger, welche durch freie Wahl, als Repräsentanten desselben, und zwar für jeden Act besonders dazu ernannt werden.“ Denn nur in dieser mittelbaren Weise ist a priori zu gewährleisten, dass die vom Staatsvolk unmittelbar in praktischen Gesetzen ausgehende Staatsgewalt im Einzelfall in praktischen Urteilen auch durch das Volk mittelbar selbst wieder in das Volk zurückläuft, ohne also zugleich in die Despotie sowie das daraus notwendig folgende Unrecht einer an und für sich selbst unmittelbaren Volksherrschaft zu verfallen.1030 1029 Vgl. auch Wolff, in: Euler/Tuschling (Hrsg.): Kants „Metaphysik der Sitten“ in der Diskussion (2013), S. 57 (65). 1030 Der gewaltenteilige Staat der reinen praktischen Idee eines Staates überhaupt (§§ 45 Abs. 2, 46 – 49) ist also das gerade Gegenteil einer unmittelbaren Demokratie und mithin notwendig in sich auch repräsentativ verfasst. Deswegen geht die Behauptung Herbs/Ludwigs, JRE 2 (1994), S. 431 (465 Fn. 138), es liege eine Inkonsequenz Immanuel Kants darin, im Rahmen der rechtsprechenden Gewalt (§ 49 Abs. 3) bereits auf die Repräsentation zu sprechen zu kommen, am Kantischen Staatsdenken geradewegs vorbei. Denn diese Behauptung eines Selbstwiderspruchs beruht auf einer irrigen Identifikation des gewaltenteiliges Staates mit der von Immanuel Kant als Despotie verurteilten unmittelbaren Demokratie, wenn das Autorenduo

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Die Sätze 3 – 5 des § 49 Abs. 3 leisten nun gleichsam nachträglich noch die eigentliche und aus der logischen Form des praktischen Vernunftschlusses resultierende Begründung („Denn […]. Da nun […]. Also […]“) für den vorstehend tenorierten Rechtsgedanken eines in der rechtsprechenden Gewalt gewaltenteilig zu verfassenden Verhältnisses des Staatsvolks als einem Allgemeinen zu sich selbst als einem Einzelnen. Die rechtsprechende Gewalt im Staat ist also wesentlich als ein mittelbares praktisches Selbstverhältnis des Staatsvolks in seinem staatlichen Subordinationsverhältnis zu begreifen: Denn der Rechtsspruch als Staatstätigkeit der rechtsprechenden Gewalt ist ein einzelner Akt des Staates an sich selbst, und unter der allgemeinen Vorstellung des Staates in Gesetzen, d. h. unter dem Begriff des Staates (§ 45 Abs. 1), als ein praktisches Urteil des Staates anzusehen, das, in seinem reinen praktischen Begriff der rechtsprechenden Gewalt, die in der Sphäre des reinen praktischen Begriffs des Staates voneinander verschiedenen Staatsgewalten der Legislative sowie der Exekutive in einer Einheit des Bewusstseins dieser Vorstellungen der Staatsgewalten vereinigt. Dementsprechend setzt der Rechtsspruch im reinen praktischen Begriff der rechtsprechenden Gewalt ein begriffliches Vorstellungsmerkmal der ausführenden Staatsgewalt an und in sich selbst voraus, dadurch er schlüssig subordiniert unter dieser ausübenden Staatsgewalt mit der gesetzgebenden Staatsgewalt verbunden ist. Dieses die rechtsprechende mit der gesetzgebenden Staatsgewalt verbindende Merkmal besteht darin, dass der Richter nach seinem reinen praktischen Begriff als Magistrat ein Teil der Staatsverwaltung ist, sodass der Rechtsspruch insoweit selbst ein Akt der Staatsverwaltung ist. Insofern findet im Begriff des auf eine einzelne Person im Volk bezogenen Rechtsspruchs der rechtsprechenden Staatsgewalt das Subordinationsverhältnis einer einzelnen Person im Volk unter die oberste gesetzliche Zwangsmacht im Staat statt (Satz 3). Da nun in diesem staatlichen Subordinationsverhältnis, nämlich einer einzelnen Person im Volk unter die gesetzesausführende Staatsgewalt, diese einzelne Person nicht unmittelbar aktiv als sich selbst im gesetzlichen Allgemeinwillen der gesetzgebenden Gewalt bestimmende Person, sondern bloß als passiver Staatsbürger vorgestellt wird, stehen das (gesetzgebende bzw. gesetzesausführende) Staatsrechtssubjekt und das (gesetzesunterworfene) Staatsrechtsobjekt in dieser Einseitigkeit des staatsrechtlichen Subordinationsverhältnisses unmittelbar in einem gedanklich noch unaufgehobenen Gegensatz zu einander. In der Folge dieser einseitigen und noch unaufgehobenen Subordination könnte die jeweilige moralische Person der Staatsgewalt der jeweiligen Person des passiven Staatsbürgers Unrecht tun, wenn nicht die rechtsprechende Staatsgewalt in sich ein solches diese gegensätzliche Einseitigkeit aufhebendes und mithin in sich vermittelndes Einheitsvera.a.O. notiert: „Die „reine Republik“ ist nicht repräsentativ – sie ist Selbstherrschaft des Volkes sensu stricto […].“ Gleichwohl hat diese sowohl mit dem Text der Rechtslehre, als auch mit dem der Friedensschrift in Widerspruch stehende These in der Vergangenheit bereitwillige Gefolgschaft gefunden, vgl. etwa Hirsch, Freiheit und Staatlichkeit bei Kant (2017), S. 327 ff.; Niebling, Das Staatsrecht in der Rechtslehre Kants (2005), S. 157 Fn. 477.

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hältnis enthielte (Satz 4), demgemäß die gesetzesausführende Staatsgewalt im Einzelfall – nun ihrerseits passiv – zugleich mittelbar notwendig unter die gesetzgebende Staatsgewalt subsumiert wird, wenn und weil diese aktiv geleistete Subordination wiederum in der moralischen Person einer dritten Staatsgewalt stattfindet, die ihrerseits, unter der gesetzesausführenden Staatsgewalt stehend, mit einer einzelnen Person aus dem Volk selbst aktiv besetzt ist, sodass diese für sie insofern passive Subsumtion der ausführenden Staatstätigkeit des vereinigten Volkswillens unter sein Gesetz von einem einzelnen Willenssubjekt im Volk aktiv geleistet wird. Nur vermittelst einer solchen Repräsentation richtet „das Vo l k “ nämlich tatsächlich über sich selbst; und nur auf diese repräsentativ in sich verfasste Weise geht nicht bloß ursprünglich alle Staatsgewalt ganz allgemein vom Volke in Gesetzen aus, sondern zugleich auch besonders mittelbar durch dieses in seiner Tätigkeit hindurch in jedem einzelnen Fall letztgründlich ebenso wieder in Urteilen in dieses zurück (Satz 5). Denn da das Volk in dieser gewaltenteiligen Vermittlung der Staatsgewalt an und für sich selbst nämlich notwendig einerseits Staatsrechtssubjekt und zugleich andererseits auch Staatsrechtsobjekt ist, ist es als Staat das absolute Subjekt alles äußeren Rechts der Menschen und kann sich selbst im Verhältnis seiner Allgemeinheit zu seiner Einzelnheit nicht Unrecht tun. Dass das Volk alleine sich selbst in einem Rechtsspruch der rechtsprechenden Staatsgewalt nicht Unrecht tun kann, ist also das wesentliche Argument in § 49 Abs. 3 S. 4 für die zuvor in § 49 Abs. 3 S. 1 – 2 vorgetragene These, dass es nach der Bestimmung der gesetzgebenden Gewalt im Staat über sich selbst richten muss, da ihm andernfalls Unrecht geschehen würde, „weil es nicht das Volk selbst thäte“.1031 Allerdings betrifft die Sphäre des möglichen Unrechts, das die beiden anderen Staatsgewalten hier verüben könnten, und das darum gerade durch die vorstehend bestimmte Staatswürde der rechtsprechenden Gewalt ausgeschlossen werden muss, nicht etwa die der gesetzlichen Bestimmung, unter die der Richter seinerseits nämlich selbst subsumiert, weil er in seiner Würde notwendig unter Gesetzen steht. Die besondere Würde der rechtsprechenden Gewalt besteht dementsprechend auch nicht in der Bestimmung der abstrakten Frage „was recht/rechtens ist“ (quid iuris), denn hierin besteht bereits die besondere Würde der gesetzgebenden Gewalt. – Vielmehr betrifft jene Sphäre des möglichen Unrechts, das die beiden übrigen Staatsgewalten in der Usurpation der rechtsprechenden Gewalt verüben würden, die der tatsächlichen Bestimmung in einem konkreten Rechtsfall, auf deren festgestellter Basis der Richter nämlich erst unter die gesetzliche Bestimmung zu subsumieren imstande ist. Die besondere Würde der rechtsprechenden Gewalt besteht demnach in der endgültigen Bestimmung der konkreten Tatsachenfrage (quid facti) unter dem Gesetz sowie der rechtskräftigen Entscheidung durch Subsumtion des im Einzelfall tatsächlich festgestellten Erwerbshandels unter das Gesetz, weshalb es in § 49 Abs. 3 S. 4 heißt: „[…] auf welche Ausmittelung der That in der Klagsache nun der Gerichtshof das Gesetz anzuwenden und vermittelst der ausführenden Gewalt einem 1031

Vgl. dazu auch Tieftrunk, Philosophische Untersuchungen II (1798), S. 316 ff.

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jeden das Seine zu Theil werden zu lassen die richterliche Gewalt hat“. Insofern die Tatsachenfrage eines Erwerbsgeschäfts unter Rechtsgesetzen nämlich auf der empirischen Unendlichkeit der menschlichen Handlungszusammenhänge beruht, bedarf es zwingend einer endgültigen Tatsachenfeststellung, um überhaupt ein Urteil im einzelnen Erwerbsfall vernünftigerweise fällen zu können. Dass dies notwendig ein dezisionistisches Moment in sich birgt, dürfte mithin im reinen praktischen Begriff einer richterlichen Entscheidung liegen und gerade die besondere Würde der rechtsprechenden Gewalt im Staat ausmachen, wenn der Rechtsspruch des obersten Richters im Staat, und zwar im öffentlich-rechtlichen Interesse des Staatsvolks an einer rechtskräftigen Entscheidung (iustitia distributiva), als unabänderlich anzusehen sein soll (§ 48 Abs. 2). Im Grunde ist dieser Gedanke der Notwendigkeit einer endgültigen Entscheidung aber bereits im dritten Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre sowie der dort behandelten Präsumtionenlehre in naturrechtlichen Divergenzfällen deutlich bewusst geworden, denn das Dasein einer distributiven Gerechtigkeit unterscheidet den rechtlichen wesentlich vom natürlichen Zustand. Vor diesem Hintergrund der gewaltenteiligen Staatswürdentheorie sind die betreffenden Gedankengänge Immanuel Kants in § 49 Abs. 3 S. 4 Hs. 2 – 3, Satz 5 zu verstehen, darin sich die vom Volk selbst zur rechtsprechenden Gewalt abgeordneten Stellvertreter als „die Jury“ angesprochen finden. Hiermit dürfte nämlich nicht speziell der Institution des Geschworenengerichts im bloß strafprozessualen Verständnissinne dieses Begriffs das Wort geredet sein, wie man sie traditionell aus dem englischen bzw. angloamerikanischen Rechtsraum kennt:1032 Denn einesteils betrifft die Würde der rechtsprechenden Gewalt mit der rechtsgültigen Ausermittlung der Tatsachenfrage nach der bisherigen Entwicklung der Rechtslehre nicht primär das bürgerliche Strafrecht, sondern das bürgerliche Privatrecht. Das Strafrecht stellt in der entwickelten Rechtsordnung des Staates bürgerlicher Gesellschaft nämlich lediglich eine rechtliche Wirkung aus der Rechtsnatur des Staates vor, der in seiner Staatswürde eine staatsrechtliche Kompetenz zur Bestrafung in sich hat,1033 und zwar in den Fällen, in denen ein Untertan das bürgerliche Recht des Staates mit bösen Willen in seiner Handlung zurechenbar verletzt,1034 sodass für das Strafrecht im Staat bürgerlicher Gesellschaft schon ein positiv begründeter Privat- und Staatsrechtszusammenhang, um den hier in § 49 gerade noch 1032 Siehe dafür in der Tendenz jedoch Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 316 ff.; Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 164/166; Niebling, Das Staatsrecht in der Rechtslehre Kants (2005), S. 132 f.; Wawrzinek, Die „wahre Republik“ (2009), S. 329 f. 1033 „Das Recht des obersten Befehlshabers im Staat geht auch 1) auf Vertheilung der Ä m t e r , […]; 2) der W ü r d e n , die […] bloß auf Ehre fundirt sind – und 3) außer diesem (respectiv-wohlthätigen) Recht auch aufs S t r a f r e c h t .“ (RL, AA VI: 328.07-14). In dieser (nicht privatrechtlich, auch nicht völkerrechtlich, sondern alleine) staatsrechtlich gegründeten Kompetenz zum Strafrecht des Staatsoberhaupts dürfte auch der begriffliche Zusammenhang (wohltätig: Staatswürde – Amt – Ehre) begründet sein, der im Falle seiner böswilligen Verkehrung, d. h. im Falle des Verbrechens zum Verlust der (aktiven/passiven) Staatsbürgerwürde des übeltätigen Individuums führt (RL, AA VI: 329.36-330.37, 331.07-10). 1034 RL, AA VI: 321.27-322.21, 329.36-330.37, 331 ff.

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zu tun ist, schon voraussetzt wird. Dementsprechend betrifft der Passus in § 49 Abs. 1 S. 4, nach dem das Volk in seiner Funktion als Richter über das einzelne Rechtssubjekt, „ob s c h u l d i g oder n i c h t s c h u l d i g “ richten muss, nicht schon primär nur das Strafrecht, sondern zunächst einmal das Privatrecht. Immanuel Kant verwendet die Urteilsprädikate „ s c h u l d i g oder n i c h t s c h u l d i g “ an dieser Stelle des Gedankens nämlich nicht in ihrer strafrechtsspezifischen, sondern in ihrer allgemeinen zurechnungstheoretischen Bedeutung,1035 sodass derjenige in einem Erwerbsgeschäft nichtschuldig ist, der seine privatrechtlich begründete Schuldigkeit erfüllt, wohingegen derjenige in einem Erwerbsgeschäft etwas schuldig bleibt, der seine privatrechtlich begründete Schuldigkeit nicht erfüllt hat, und darum nunmehr durch die distributive Gerechtigkeit im Staat mit der Sanktion des Gesetzes dazu angehalten wird. Iustitita distributiva geht im System der öffentlichen Gerechtigkeit mit ihrer Sanktionierung also primär auf das bürgerliche Privatrecht, und – als iustitia punitiva1036 – erst sekundär auf das Strafrecht im Staat der bürgerlichen Gesellschaft. Außerdem betrifft die Würde der rechtsprechenden Gewalt mit der rechtsgültigen Ausermittlung der Tatsachenfrage anderenteils auch gar nicht abstrakte, sondern konkrete Rechtsfragen, sodass man sich den staatlichen Gerichtshof mit der Jury ebenfalls nicht als aus vom Volk unabhängigen Berufsrichtern sowie von diesem abhängigen Laienrichtern in einem Schwurgericht zusammengesetzt denken darf, wobei der Berufsrichter für die Subsumtion der von der Jury lediglich festgestellten Tatsachen unter das Gesetz zuständig sein soll. Denn die Ausermittlung der den einzelnen Fall betreffenden Tatsachen ist nur unter dem Gesetz und insofern lediglich in Kenntnis des Gesetzesrechts in der Person der Jury denkbar,1037 weshalb sich in § 49 Abs. 3 auch nirgendwo der Gedanke einer solchen zugleich expertokratischen sowie laienhaften Aufteilung der rechtsprechenden Gewalt in der Person des Richters findet. Eben eine solche Aufteilung hätte nämlich wiederum zur Folge, dass mit dem vom Volk unabhängigen Berufsrichtertum einesteils ein wesentlicher Teil der Staatsgewalt gesetzlich unabgeleitet und mithin heteronom bestimmt sein würde, 1035 MS, AA VI: 227.03-228.02. (NB: Der allgemeine zurechnungstheoretische Begriff der „Strafe“ ist also mit dem staatsrechtlichen Begriff der „Strafe“ nicht identisch, obgleich dieser besondere Begriff jenen allgemeinen Begriff in sich selbst voraussetzt). 1036 RL, AA VI: 363.31: „Die S t r a f g e r e c h t i g k e i t (iustitia punitiva) […].“ 1037 „Das Gesetz hat also immer ein gewisses factum zum Grunde gelegt; ist nun hier ein solches factum vorhanden, so wird das Gesetz angewandt. Hieraus folgt, daß, […], ausgemacht werden muß, ob der Fall des Gesetzes vorhanden sey; […] wobey geprüft wird 1. ob eine Handlung existire, welche als ein eventus causae liberae angesehen werden soll. 2. Ob, wenn eine Handlung vorhanden, solche ein factum sey, oder causalität habe. 3. Ob diese Person autor des facti sey. Hieraus ergiebt sich, daß zum Behuf der Imputation hierbey nur solche circumstantiae Rücksicht verdienen, welche, es sey als Haupt-, oder begleitende Ursache und zwar als effectus causae liberae mit der Handlung in Verbindung stehen. – Dies sind die varia attendenda in facto, welche man momenta in facto nennt. […] Bey Ausmittelung der circumstantiarium in facto ist es, um die momenta in facto zu finden, schon nöthig, auf das Gesetz Rücksicht zu nehmen, da, wenngleich hier das Gesetz noch nicht imputirt wird, es doch zur völligeren Bestimmung des facti selbst beyträgt, […].“ (V-MS/Vigil, AA XXVII 2,1: 562.19-563.21).

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während dem Volk (d. h. dem Träger der Souveränität) anderenteils die Kenntnis seines eigenen Gesetzesrechts offenbar nicht zuzutrauen sein sollte. Doch im Text (§ 49 Abs. 3 S. 5) heißt es dagegen richtigerweise nicht, dass die Jury bloß mittelbar durch einen Berufsrichter, sondern das Volk mittelbar durch die Jury selbst richtet. (2) Das Verhältnis von Gesetzgebung bzw. Regierung und Rechtsprechung zueinander Nach den vorstehenden Überlegungen der §§ 48, 49 ist es also unter der Würde sowohl der gesetzgebenden, als auch der gesetzesausführenden Staatsgewalt, die rechtsprechende Gewalt für sich zu behaupten (§ 49 Abs. 3 S. 6). Denn da das Staatsrechtssubjekt in diesen beiden Staatswürden im staatlichen Subordinationsverhältnis zur einzelnen Rechtsperson im Volk als dem Staatsrechtsobjekt, und zwar für ihr jeweils besonderes Moment der praktischen Bestimmung, rein begrifflich mitunter in einem noch unvermittelten Gegensatz gedacht wird, bestünde für beide Staatswürden die Möglichkeit, der einzelnen Rechtsperson in der Ausermittlung der ihren Erwerbsfall betreffenden Tatsachen unrecht zu tun; und mithin, nämlich sowohl für den an sich untadeligen Gesetzgeber, als auch für den an sich unwiderstehlichen Gesetzesvollzieher (§ 48 Abs. 2) unwürdig genug, „in den Fall der Appellation (…) zu gerathen“. Denn die Würde der gesetzgebenden Gewalt besteht in der an sich untadeligen Bestimmung der abstrakten praktischen Frage „quid iuris“, während die Würde der gesetzesvollziehenden Gewalt, als der obersten gesetzlichen Zwangsmacht im Staat, in der eben darum an sich unwiderstehlichen Ausführung dieser gesetzlichen Bestimmung besteht, sodass beide Staatswürden mit der durch eine rechtsprechende Gewalt alleine an sich würdig konkret zu bestimmenden Frage „quid facti“ nichts zu schaffen haben. Der an sich am staatlichen Subordinationsverhältnis (§ 47 S. 2) beteiligte Begriff des Staatsoberhauptes bezieht sich nämlich (nicht nur) in § 49 Abs. 3 S. 6 auf den Gesetzgeber sowie den Regenten gleichermaßen,1038 wenn es dort sinnfällig heißt: „Es wäre auch unter der Würde des Staatsoberhaupts, den Richter zu spielen, d. i. sich in die Möglichkeit zu versetzen, Unrecht zu thun und so in den Fall der Appellation (a rege male informato ad regem melius informandum) zu gerathen.“1039 1038 Weshalb diese allgemeine Begriffsbildung (RL, AA VI: 315.27, 317.37, 328.19, 338.22-26, 341.12, 318.26, 369.35) sodann auch die besondere Unterscheidung des Oberhaupts „in der Regierung“ (RL, AA VI: 322.14) von „dem gesetzgebenden Oberhaupte“ (RL, AA VI: 372.15) in einem staatlichen Wesen erlaubt. 1039 Da der ganze Verfassungsgedanke zur rechtsprechenden Gewalt (§ 49 Abs. 3) aus der reinen praktischen Idee des urvertraglich gründenden und gewaltenteilig zu verfassenden Staates (§§ 45 ff.) resultiert, ist in dieser Feststellung von § 49 Abs. 3 S. 6 kein zusätzliches Argument zu dem in § 49 Abs. 3 S. 4 vertretenen Argument gelegen, dass nur das Volk sich in der Würde der rechtsprechenden Gewalt kein Unrecht tun kann. Wenn Joerden, JRE 1 (1993), S. 207 (211) hier nun gleichwohl ein zusätzliches und ihn zugleich nicht überzeugendes Argument gefunden haben will, dann liegt dies möglicherweise an einer Verkennung dieses in sich geschlossenen Gedankens der Gewaltenteilung, wie die Begründung seiner mangelnden

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Aus dem reinen praktischen Begriff der Gewaltenteilung der Kantischen Staatswürdentheorie folgt aber umgekehrt auch der von Kant an dieser Stelle bloß nicht mehr explizit gemachte Gedanke ohne Weiteres, dass die rechtsprechende Gewalt nicht über der gesetzgebenden Gewalt im Staat stehen kann, und sie eben darum auch nicht usurpieren darf. Denn die Würde der rechtsprechenden Gewalt besteht einerseits nicht in der praktischen Bestimmung der abstrakten Frage „quid iuris“, während der diese praktische Bestimmung nach seiner besonderen Würde untadelig leistende Gesetzgeber nicht er selbst wäre, wenn er für seine Gesetzgebungsakte von einem obersten staatlichen Gerichtshof, und das obendrein mit dessen besonderer Würde, nämlich der Unabänderlichkeit, getadelt werden könnte. Es ist also nicht als Zufall oder gar als eine im Hinblick auf moderne Verhältnisse zu kritisierende Rückständigkeit im Kantischen Staatsrechtsdenken anzusehen, dass diesem metaphysischen Staatsrechtsdenken eine verfassungsgerichtliche Normenkontrollinstanz durchaus fremd ist, weil es – so hart dies auch gegenwärtig klingen mag – den Begriff der verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle, und zwar wegen der darin gesetzten Negation des gewaltenteiligen Staates, mit dem Begriff der Despotie zu einem deutlichen Bewusstsein ihres realen Wesens übersetzen würde.1040 Nach welchem gesetzlichen Maßstab sollten einzelne Personen aus dem Volk als Richter auch über den vereinigten Volkswillen als dem Gesetzgeber im Staat zu Gericht sitzen, wenn das urvertragliche Grundgesetz des Staates eine vernunftschlüssige Subordination der drei nur insofern selbstständigen Staatsgewalten im Staat aus notwendigen Rechtsgründen vorsieht? „Könnte auch die Gesetzgebung des gesammten Volkes getadelt werden, so müßte über das Volk noch ein Princip vorhanden sein: alsdann wäre es aber kein Volk, das sich durch vereinigten Willen Gesetze gäbe, sondern bloßer Unterthan, der von einem Willen außer sich abhinge.“1041

Überzeugungsbildung im Hinblick auf dieses vermeintliche Zusatzargument zeigt: „Denn die von Kant genannte Gefahr, ,in den Fall der Appellation zu gerathen‘ wäre ja gebannt, wenn das Staatsoberhaupt die Position des obersten Richters einnähme.“ Dieser Satz läuft bei Lichte besehen nämlich auf das zweifelhafte Argument hinaus, eine Gewaltenteilung zwischen gesetzgebender und rechtsprechender Gewalt sei rechtlich jedenfalls darum nicht notwendig, weil faktisch überhaupt auch eine despotische Vereinigung beider Gewalten vorstellbar ist, sodass die so vermeinte Ablehnung des Kantischen Argumentes vielmehr die Notwendigkeit des dadurch begründeten Gedankens nochmals beweisen dürfte. 1040 Dies verkennen die anderslautenden Urteile in der Sekundärliteratur durchwegs sehr gründlich, vgl. dafür etwa Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 352 f.; v. d. Pfordten, in: ders.: Menschenwürde, Recht und Staat bei Kant (2009), S. 81 (90); Unruh, Die Herrschaft der Vernunft (1993), S. 214; zutreffend dagegen schon im Grundansatz Köhler, in: Dreckrath/ Willoweit (Hrsg.): Rechtsprechung und Justizhoheit (2015), S. 393 (411 ff.). 1041 Tieftrunk, Philosophische Untersuchungen II (1798), S. 286.

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cc) Die Autonomie des Staates in der subordinativen Vereinigung der drei Staatsgewalten Das urvertraglich (§ 47) sich konstituierende Staatsrechtssubjekt des reinen praktischen Begriffs eines Staates überhaupt (§ 45) teilt sich in seiner in ihm subordinativ auf sein Staatsrechtsobjekt gehenden Staatstätigkeit an sich in drei Staatsgewalten ein, die vermittelst gesetzlicher Subordination (§ 48 Abs. 1) als drei jeweils für sich selbstständige Staatswürden in ihm (§§ 48 Abs. 2, 49 Abs. 1 – 3) ihre praktische Bestimmung haben. (1) Die subordinative Gewaltenteilung als Autonomie des Staates sowie des Einzelnen Da diese derart in der Einheit des Staates gewaltenteilig verfasste Staatstätigkeit aber nichts anderes als gesetzliche Bestimmung und mithin gesetzliche Selbstvorstellungstätigkeit (d. h. Autonomie) des Staates selbst bzw. die seiner Staatsbürger im Staat ist (§§ 46, 47), hat der Staat nur durch seine gewaltenteilige Verfassung auch seine Autonomie an und für sich selbst. Eben dies ist das Resümee der Exposition des subordinativen Einheitsverhältnisses der drei Staatswürden in § 49 Abs. 4 S. 1: „Also sind es drei verschiedene Gewalten (potestas legislatoria, executoria, iudiciaria), wodurch der Staat (civitas) seine Autonomie hat, d. i. sich selbst nach Freiheitsgesetzen bildet und erhält.“1042 Der Kantische Staat ist demnach an und für sich selbst als Autonomie (Selbstgesetzgebung) zu begreifen, und bedeutet eben deshalb auch für ein einzelnes Rechtssubjekt der bürgerlichen Gesellschaft im Staat für sich keine heteronome, sondern eine dezidiert autonome Bestimmung in seinem äußeren Verhältnis zu seinesgleichen. Denn die für sich einzelnen Rechtssubjekte haben einen positiven Begriff ihrer Autonomie (Selbstgesetzgebung) im äußeren Verhältnis für sich selbst nur als Glieder des vereinigten Volkswillens in der gesetzgebenden Staatsgewalt (§§ 46 Abs. 1, 47 S. 3), weshalb es abgesehen von einem gesetzgebenden Allgemeinwillen im Staat auch gar kein äußeres Recht im interpersonalen Verhältnis dieser einzelnen Rechtssubjekte zueinander geben kann. Autonomie des einzelnen Rechtssubjekts in seinem äußeren Verhältnis ist diesem mithin nur durch gesetzliche Subordination unter einen staatlichen Allgemeinwillen in Gesetzen real möglich; und in der gegenteiligen Behauptung eines empirischen Wortverständnisses des metaphysischen Begriffs des provisorischen Besitzes manifestiert sich demnach nur ein – im Hinblick auf den rechtgesetzlich real bestimmenden Grund der Autonomie im äußeren Verhältnis – abstraktes Rechtsdenken, das seine Autonomie für sich selbst gerne bereits herrlich subordinationslos im äußeren Verhältnis real existent wüsste. Aus eben diesem Grund störten sich aber bereits die zeitgenössischen Vorboten der gegenwärtigen eigentumstheoretischen Interpretation an der von Immanuel Kant in der Rechtslehre beharrlich behaupteten Subordination des einzelnen Willens unter den gesetzgebenden Allgemeinwillen. So notierte bei1042

RL, AA VI: 318.04-06.

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spielsweise ebenderselbe Heinrich Stephani, der zuvor auch schon den Rechtsbegriff des Staates, und zwar in konsequenter Folge seines eigentumstheoretischen Rechtsdenkens, für obsolet erklärt hatte, in seiner Interpretation des metaphysischen Staatsrechts Immanuel Kants und mit deutlich anklingendem Widerwillen gegen jegliche Subordination:1043 „immer erscheint diese fatale Unterwürfigkeit wieder!“1044 Doch gerade diese – wohlverstanden – selbsttätige Subordination des Einzelnen unter die Gesetze eines gesetzgebenden Allgemeinwillens bewirkt, dass die bürgerlichen (positiven) Gesetze im Folgenden (d. h. im 8. Kapitel) als unmittelbare Funktionen der staatlichen, damit mittelbar jedoch zugleich auch der individuellen Willensbestimmung zu erklären sind. (2) Das Heil des Staates in der subordinativen Vereinigung der drei Gewalten Da sich die Staatstätigkeit als Ganze in die drei Gewalten einteilt, besteht sie in ihrer eingeteilten Einheit nach Grund und Folge der Staatstätigkeit auch nur aus dem Ganzen dieser drei Staatsgewalten, und eben dieses Ganze der Staatstätigkeit verbürgt dann die zuvor herausgehobene Autonomie des Staates, damit aber auch die der Staatsbürger in ihrem äußeren Verhältnis zueinander. Diese Ganzheit des allseitig Autonomie verbürgenden Staates steht aber in einem kontradiktorischen Gegensatz zur Partikularität der praktischen Bestimmung des subjektiven Prinzips der Glückseligkeit, das seinerseits für eine allseitige Heteronomie und mithin für eine umfassende Despotie der Willkür steht.1045 Der vernünftig begriffene Staat kann eben darum nicht als eine groß angelegte Glückseligkeitsveranstaltung verstanden werden, denn dann wäre er identisch mit der heteronomen Bestimmung einer Despotie der Willkür, die ihre materiale Handlungsbestimmung im Untersatz nach diesem Prinzip nämlich kurzerhand als praktische Willensbestimmung im Obersatz eines praktischen Vernunftschlusses setzt, und sich auf diese alles verkehrende Weise gründlich selbst korrumpiert, weil sie den praktischen Unterschied zwischen einer reinen Willensbestimmung (Gesetzgebung) und einer bloßen Handlungsbestimmung (Gesetzesausführung) negiert. Unter dem Begriff der Autonomie stehen sich also die Begriffe vom „Ganzen“ des Staates sowie dem „Glück“ eines Einzelnen zunächst einmal entgegen und machen damit für sich die einander mitunter entgegengesetzten Bedeutungsgehalte des darüber stehenden Begriffs des „Heils“ aus.1046 1043

Oben Fn. 380. Stephani, Anmerkungen zu Kants metaphysischen Anfangsgründen (1797), S. 118. 1045 Siehe zu dem begrifflichen Gegensatz von Autonomie und Heteronomie (Glückseligkeit) im Begriff der praktischen Bestimmung §§ 1 – 8 (besonders §§ 2 – 4, 8) KpV. 1046 Das Wort „Heil“ bedeutet in der Gegenwartsprache so viel wie „Glück, glücklicher Zufall, Gesundheit, Heilung, Rettung“ wobei die Verwandtschaft mit dem Adjektiv „heil“, das wiederum so viel wie „ganz, gesund, unversehrt, gerettet“ bedeutet, gegenwärtig als nicht ganz sicher geklärt angesehen wird (siehe Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache III [19993], S. 1714; Kluge/Seebold, Etymologisches Wörterbuch [201125], S. 404 f.). Der eigentliche Bedeutungsgehalt „ganz, unzertheilt, unzertrennt“ des Adjektivs weicht allerdings bereits zu Lebzeiten Kants dem besonderen Bedeutungsgehalt „unverwundet, wieder geheilet“, wie Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch II (17962), Sp. 1067 zu berichten weiß, der 1044

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Dieser Umstand befähigte Immanuel Kant nunmehr in § 49 Abs. 4 S. 2 allerdings zu einer Deutung des bis in die Antike zurückreichenden Salus-publica-Satzes,1047 nach der die Vereinigung der drei Staatsgewalten in der Einheit des gewaltenteiligen Staates, und zwar im Sinne seiner Ganzheit, auch als das „ H e i l “ desselben zu begreifen ist, nicht aber unvermittelt für sich selbst auch schon das subjektive „ W o h l “ bzw. die „ G l ü c k s e l i g k e i t “ der in ihm lebenden und ihn innerlich verfassenden Staatsbürger,1048 denn ihr Glück steht begrifflich unter der unbedingten Bedingung der Form eines staatlichen Gesetzes:1049 „In ihrer Vereinigung besteht das H e i l des Staats (salus reipublicae suprema lex est); worunter man nicht das W o h l der Staatsbürger und ihre G l ü c k s e l i g k e i t verstehen muß; denn die kann vielleicht (wie auch Rousseau behauptet) im Naturzustande, oder auch unter einer despotischen Regierung viel behaglicher und erwünschter ausfallen: sondern den Zustand der größten Übereinstimmung der Verfassung mit Rechtsprincipien versteht, als nach welchem zu streben uns die Vernunft d u r c h einen k a t e g o r i s c h e n I m p e r a t i v verbindlich macht.“ (RL, AA VI: 318.06-14).

Es ist also nicht die praktische Handlungsregel (= Imperativ) unter einem subjektiven praktischen Grundsatz (= Maxime) der Willensbestimmung nach dem Prinzip der Glückseligkeit (§§ 2, 3 KpV), die den Staat für ein menschliches Rechtssubjekt zur Beförderung seines eigenen Wohls bloß hypothetisch notwendig macht, sondern es ist die praktische Handlungsregel (= Imperativ) des objektiven praktischen Grundsatzes (= Gesetz) einer freien Willensbestimmung (§§ 5 – 8 KpV), die den Staat für ein menschliches Rechtssubjekt unter Gesetzen unbedingt und daher kategorisch in seinen äußeren Handlungen notwendig macht.1050 Denn der gesetzlich bestimmende Allgemeinwille in staatlichen Gesetzen (§ 46 Abs. 1) ist in seiner unendlichen Reinheit, durch die er selbst niemanden Unrecht tun kann, und durch die er in seiner Würde mithin als untadelig begriffen werden muss, an und für sich selbst schon in sich selbst die bestimmende Form eines objektiven praktischen Grund(a.a.O., Sp. 1067, 1073) hingegen davon auszugehen scheint, dass dieses Adjektiv dem Substantiv zugrunde liegt. 1047 Siehe dafür Nickel (Hrsg.): Cicero, De Legibus (20043), S. 154 (= III, 3, 8). 1048 Zu diesem figürlichen Bedeutungsgebrauch des Substantivs „Heil“ notiert Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch II (17962), Sp. 1067 f.: „Durch den übertriebenen Gebrauch, oder vielmehr Mißbrauch, welchen die Dichter der vorigen Zeiten von diesem Worte machten, hat es viel von seiner Würde verloren, daher man es jetzt in der höhern und edlern Schreibart immer sparsamer antrifft.“ 1049 Siehe auch TP, AA VIII: 298.13-20: „Der Satz: salus publica suprema civitatis lex est, bleibt in seinem unverminderten Werth und Ansehen; aber das öffentliche Heil, welches z u e r s t in Betrachtung zu ziehen steht, ist gerade diejenige gesetzliche Verfassung, die jedem seine Freiheit durch Gesetze sichert: wobei es ihm unbenommen bleibt, seine Glückseligkeit auf jedem Wege, welcher ihm der beste dünkt, zu suchen, wenn er nur nicht jener allgemeinen gesetzmäßigen Freiheit, mithin dem Rechte anderer Mitunterthanen Abbruch thut.“; ferner in diesem Sinne bereits der Brief (Nr. 347) an Jung-Stilling vom 01. 03. 1789, AA XI: 10.31-36. 1050 Siehe zur subordinativen Einheit und Differenz von praktischem Grundsatz und Imperativ nach den begrifflichen Bestimmungen Immanuel Kants (§ 1 KpV) nochmals die diesbezügliche Auseinandersetzung im zweiten Kapitel.

B. Der Rechtszustand als praktische Vernunftidee allen äußeren Rechts

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satzes. Alleine aus diesem in sich selbst unbedingten Grund ist die einheitliche Verfassung eines Staates an und für sich selbst für ein jedes menschliches Rechtssubjekt unter dem rechtgesetzlichen Postulat des öffentlichen Rechts (§ 42 Abs. 1) eine kategorisch gebotene Rechtspflicht, sodass sich für § 49 Abs. 4 S. 2 auch erklärt, weshalb ein jedes menschliches Rechtssubjekt kraft dieses kategorischen Imperativs nach dem Heil des Staates in seinen äußeren Handlungen zu streben durch die praktische Vernunft bzw. ihr Rechtsgesetz verpflichtet ist. Das Postulat der praktischen Notwendigkeit eines öffentlichen Rechts enthält an sich rein begrifflich nämlich die urvertragliche Konstitutionsidee eines jeden Staates (§ 47 S. 3) als praktisch bestimmend in sich. Wäre ein einzelnes Rechtssubjekt dagegen unabhängig von einem staatlichen Allgemeinwillen in Gesetzen bereits für sich selbst in seinem äußeren Verhältnis zu seinesgleichen an sich effektiv selbstgesetzgebend, dann wäre seine Willensbestimmung nicht notwendig als objektiv nach praktischen Grundsätzen, sondern lediglich notwendig als subjektiv nach Maximen bestimmt anzusehen, und dann bedeutete seine subjektive Willensbestimmung nach Maximen als Selbstgesetzgebung im äußeren Verhältnis zugleich eine heteronome und despotische Gesetzgebung für alle anderen Willenssubjekte, sodass eine wirklich allgemeine Gesetzgebung dieser Rechtssubjekte nach einem an sich reinen und daher untadeligen Allgemeinwillen in ihrem äußeren Verhältnis unmöglich, und dieses äußere Verhältnis darum vollkommen der gesetzlich ungebundenen Willkür, d. h. der Despotie des nach subjektiven Prinzipen seiner Willkür gesetzgebenden Einzelwillens überantwortet wäre. Man hätte in der Folge sodann subjektiv auch allen Grund dazu, den reinen Vernunftbegriff der Heiligkeit eines gesetzgebenden Allgemeinwillens als oberster Staatswürde im Staat – und zwar im ursprünglichen Wortsinne seiner in sich absoluten Ganzheitlichkeit – spöttelnd zu verwerfen, wenn man mit dieser – im ebenso ursprünglichen Wortsinne – profanen Vorstellung von praktischer Bestimmung durch den bloßen Einzelwillen im äußeren Verhältnis Ernst machen wollte. Allerdings täte man dann wohl auch gut daran, den reinen praktischen Vernunftbegriff des urvertraglich gründenden und darum gewaltenteilig zu verfassenden Staates (§ 45 Abs. 1) gründlich zu verabschieden. – In der Kantischen Bezeichnung des staatlichen Allgemeinwillens in Gesetzen als „heilig“ liegt jedoch gar nicht die in einem solchen Abwehrreflex wahrscheinlich befürchtete theologische Aufladung oder gar mystische Verklärung des reinen praktischen Vernunftbegriffs des Staates, sondern bloß eine rein begriffliche Erklärung seines an und für sich selbst vernünftigen Realwesens.1051 Eben deshalb kommt schließlich auch eine moderne privatrechtsspezi-

1051 Siehe hierfür beispielsweise RL, AA VI: 319.02-11 (Allg. Anm. A.) oder MS, AA VI: 227.14-20. – Vgl. zur Ableitung dieser Wortbedeutung des Adjektivs „heilig“, womit „die ganze, unzertrennte Beschaffenheit eines Dinges“ bezeichnet werden soll: Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch II (17962), Sp. 1071 f.; ferner auch Grimm/Grimm, Deutsches Wörterbuch IV/2 (1877), Sp. 827 (835) sub. 8) und 9) unter Hinweis auf den Kantischen Wortgebrauch.

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7. Kap.: Metaphysische Vernunfterkenntnis unter dem Begriff des Rechts

fische Interpretation nicht ohne den Staat aus, wenngleich sie sein reales Wesen in ihrer eigentumstheoretischen Profanisierung recht gründlich verkennt. (3) Die Verkehrung des gewaltenteiligen Subordinationsverhältnisses als Despotie und Unheil Liegt die Autonomie als Heil des Staates somit notwendig in der subordinativen Vereinigung der drei Staatswürden in der Einheit des Staates, dann liegt sie damit zugleich notwendig nicht außer dieser subordinativen Vereinigung der drei Gewalten im Staat. Vielmehr liegt außerhalb dieser subordinativen Vereinigung der drei Gewalten im Staat schon rein begrifflich die Despotie der Willkür und damit sein gänzliches Unheil, nämlich der fortgesetzte Naturzustand. Denn außerhalb dieser subordinativen Vereinigung der drei Gewalten findet nicht die notwendige Teilung, sondern notwendig eine Akkumulation dieser Gewalten in nur einer (moralischen oder physischen) Person statt, womit sich das staatliche Subordinationsverhältnis zumindest teilweise aufhebt oder schlimmstenfalls sogar gänzlich verkehrt. Geht sie nämlich von einer einzelnen Rechtsperson im Volk als einem bloßem Privatrechtssubjekt aus, so verkehrt sich das staatliche Subordinationsverhältnis des Einzelnen im Volk unter ein Oberhaupt im Staat (§ 47 S. 2) gänzlich, sodass in dieser Verkehrung der Quantität nach das größtmögliche Unrecht in einem Staat bürgerlicher Verfassung geschieht: der Unbegriff des Widerstandsrechts. Nicht zufällig folgt im Originaltext der Rechtslehre direkt auf den Gedanken des § 49 Abs. 4 in der Allgemeinen Anmerkung A. (von den rechtlichen Wirkungen der Natur des bürgerlichen Vereins) nunmehr eine abschlägige Beurteilung der zwar immerhin überhaupt rechtsbegrifflich konkret, dabei jedoch staatsrechtsbegrifflich völlig abstrakt gedachten Problematik eines Widerstandsrechts, in dessen Begriff in Wahrheit folglich nicht das zumeist mit viel subjektivem Wohlwollen beschworene konkrete Werden eines Rechtszustandes, sondern das eines Naturzustandes, damit aber die in sich widersprüchliche Auflösung des vermeinten Rechtsbegriffs eines Widerstandsrechts im Staat beschlossen liegt.1052 – Im Rahmen der sich in dieser Arbeit im achten und letzten Kapitel anschließenden Erörterung der Positivität des Rechts in der kritischen Naturrechtslehre Immanuel Kants, die lediglich noch die diesbezüglichen Folgerungen aus der bisherigen Interpretation zieht, wird somit auf diese staatsrechtsbegriffliche Undenkbarkeit eines solchen Widerstandsrechts des im verfassten Staat bürgerlicher Gesellschaft subordinierten Privatrechtssubjekts gegen das superiore Staatsrechtssubjekt zurückzukommen sein.

1052 Für Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 76 ff. folgt der Textabschnitt der Allg. Anm. erst auf § 52, sodass sich in seiner Edition auch dieser gedankliche Zusammenhang mit § 49 Abs. 4 zerrissen findet.

8. Kapitel

Die vernunftbegrifflich-notwendige Positivität alles wirklichen äußeren Rechts Erst jetzt dürfte es mit den begrifflichen Anstrengungen des vorstehenden Kapitels möglich sein, die in der hier betriebenen Interpretationsarbeit subjektiv vorgesetzte Frage nach der Positivität des Rechts in der kritischen Naturrechtslehre Immanuel Kants selbst einer begrifflichen Aufklärung und zufriedenstellenden Beantwortung zuzuführen. Denn der reine praktische Begriff eines „öffentlichen Gesetzes“, das mit seiner „Sanction“ einerseits den entscheidenden Unterschied zum bloß natürlichen Zustand des im Hinblick hierauf provisorischen Privatrechts in sich enthält (§ 44 Abs. 2), und darunter andererseits die positiv gesetzten Gesetze eines wirklichen Staatswesens als solche notwendig begriffen werden müssen, ist unter der praktischen Bestimmung des allgemeinen Rechtsbegriffs (§ B Abs. 3) erst mit dem metaphysischen Staatsrecht (§§ 43 ff.) gegeben, weil in ihm mit dem reinen praktischen Begriff der Staatstätigkeit (§§ 45 ff.) überhaupt der reine praktische Begriff einer Gesetzesselbsttätigkeit für das äußere Verhältnis der Menschen untereinander gegeben ist. Der urvertraglich an sich selbst gesetzlich verfasste Staat der reinen Republik ist nämlich nach seiner praktischen Idee „die einzige bleibende Staatsverfassung, wo das G e s e t z selbstherrschend ist und an keiner besonderen Person hängt; der letzte Zweck alles öffentlichen Rechts, der Zustand, in welchem allein jedem das Seine p e r e m t o r i s c h zugetheilt werden kann“1. Somit ist der staatsrechtliche Gesetzesbegriff als ein solcher gesetzlicher Selbstbestimmungstätigkeit im Grunde konstitutiv nicht nur für das im Hinblick auf ihn provisorisch als rechtlich schon zum Voraus bestimmte natürliche Privatrecht (§§ 8, 9, 15), sondern auch für das durch ihn unter ihm im Staat rechtskräftig und mithin peremtorisch zu bestimmende Privatrecht in seiner Folge. Der staatsrechtliche Gesetzesbegriff verknüpft daher das im Staat bürgerlicher Gesellschaft durch die Staatsbürger nunmehr nicht bloß rechtlich, sondern vor allem auch rechtskräftig zu bestimmende Privatrecht der Menschen untereinander mit dem öffentlichen Recht ihres rechtlich verfassten Zustandes. Umgekehrt würde aus der tätigen Negation eines öffentlichen Gesetzes durch einzelne Rechtssubjekte wiederum der durch seine positive Bestimmung bereits überwundene Naturzustand der an sich freien und für sich äußerlich gesetzlosen, d. h. der noch nicht in einm positiven Verstande des Begriffs freien Willkür resultieren. Das positiv gesetzte Gesetzesrecht eines Staates, das die Freiheit der Willkür positiv in sich aufhebt, ist insofern mit der begrifflichen Not1

RL, AA VI: 341.01-04.

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8. Kap.: Die vernunftbegrifflich-notwendige Positivität äußeren Rechts

wendigkeit des reinen praktischen Staatsbegriffs als Negation des äußerlich gesetzlosen Naturzustandes zu begreifen.

A. Der Vernunftbegriff des öffentlichen Gesetzes und die Positivität äußeren Rechts Der mit Blick auf den gesetzgebenden Allgemeinwillen im Staat bürgerlicher Verfassung metaphysisch verstandene Begriff eines provisorischen Privatrechtsbesitzes bereits im natürlichen Zustand der freien Willkür (§§ 8, 9, 15) bildet somit die in sich rechtsbegrifflich unbedingte Verständnisgrundlage für ein metaphysisches Verständnis des reinen praktischen Vernunftbegriffs eines öffentlichen Gesetzes, das den möglichen Privatrechtsbesitz der einzelnen Privatrechtssubjekte in einer bürgerlichen Gesellschaft im Staat zum Gegenstand seiner allgemeinen und daher zugleich auch auf einen rechtskräftigen Erwerb gerichteten Willensbestimmung, damit aber zum Gegenstand von bloßen Zurechnungsbestimmungen im öffentlichen Rechtsinteresse einer iustitia distributiva hat. Eben deshalb war der dezidiert metaphysisch aufgefasste Begriff des provisorischen Privatrechtbesitzes, und zwar im diametralen Gegensatz zu seinem landläufig empirischen Verständnishorizont, als gedanklicher Dreh- und Angelpunkt der ganzen bisherigen Interpretation der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre zu würdigen. In der jetzt noch folgenden Fortbestimmung des staatsrechtlichen Gesetzesbegriffs kann darum auch an die bereits aufgrund dieses rein begrifflichen Verständnishorizontes gewonnen Einsichten der natürlichen Privatrechtslehre angeknüpft werden:

I. Das öffentliche Gesetz als staatliche Selbstbestimmungsfunktion rechtskräftiger Zurechnung Im dritten Hauptstück der natürlichen Privatrechtslehre (§§ 36, 39 Abs. 7 S. 2) war nämlich bereits zur intensiven Vernunftdeutlichkeit des allgemeinen Rechtsbegriffs (§ B Abs. 3) bewusst geworden, dass die positiven Gesetze eines staatlichen Gemeinwesens, und zwar als autonome Selbstbestimmungsfunktionen unmittelbar nur des Staatsrechtssubjekts, primär an die staatlichen Organe adressiert sind, und in dieser staatsrechtlichen Adressierung praktische Handlungsregeln für eine rechtskräftige Zurechnung (iustitia distributiva) im Privatrechtsverhältnis materiell in sich enthalten: „Auf diesem [naturrechtlichen Prinzip distributiver Gerechtigkeit] gründen sich nun nachher verschiedene statutarische Gesetze (Verordnungen), die vorzüglich zur Absicht haben, die Bedingungen, unter denen allein eine Erwerbungsart rechtskräftig sein soll, so zu stellen, daß der Richter das Seine einem jeden a m l e i c h t e s t e n u n d u n b e d e n k l i c h s t e n zuerkennen könne: […] wenn die Frage ist, auf welche Principien ein

A. Der Vernunftbegriff des öffentlichen Gesetzes

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Gerichtshof im bürgerlichen Zustande anzuweisen sei, um in seinen Aussprüchen wegen des einem jeden zustehenden Rechts am sichersten zu gehen.“ (RL, AA VI: 303.14-25).

Da sich das positivgesetzlich also unmittelbar nur selbstbestimmende Staatsrechtssubjekt an sich selbst jedoch bekanntlich aus der urvertraglichen Einheit des Volkswillens konstituiert (§§ 47 S. 3, 46 Abs. 1), bedeutet diese unmittelbare Selbstbestimmung ihrer praktischen Idee nach zugleich stets auch die mittelbare Selbstbestimmung eines jeden einzelnen Rechtssubjekts im Volk. Aus diesem Grund der rechtlichen Möglichkeit autonomer Bestimmung des einzelnen Rechtssubjekts im Staat sind die staatlichen Gesetze ihrer allgemeinwillentlichen Form nach auch auf die mögliche bürgerliche Selbstständigkeit eines jeden Privatrechtssubjekts rechtlich verpflichtet (§ 46 Abs. 4 S. 3). Gerade diese Verpflichtung auf die mögliche Selbstständigkeit eines jeden Privatrechtssubjekts unter öffentlichen Gesetzen erfordert aber, dass diese Gesetze materiell letztendlich nicht mehr als bloße Zurechnungsregeln für die rechtsprechende Bestimmung eines rechtskräftigen Erwerbs im Privatrechtsverhältnis der Menschen zueinander in sich enthalten (§ 41 Abs. 1 S. 2): „Das Gesetz sagt hiebei […] bloß, was und wovon der Ausspruch vor einem Gerichtshofe in einem besonderen Falle unter dem gegebenen Gesetze diesem gemäß, d. i. R e c h t e n s ist (lex iustitiae), […].“2 Denn enthielten die öffentlichen Gesetze materiell eine unmittelbar an die im Staat gesetzlich subordinierten Privatrechtssubjekte adressierte Willensbestimmung, so würde diese Unmittelbarkeit eine privatautonome Handlungsbestimmung des Privatrechtssubjekts in seinem äußeren Verhältnis unmöglich machen. Vielmehr sind durch die öffentlichen Gesetze ein rechtlich geordnetes Forum der privatautonomen Betätigung der Privatrechtssubjekte (genannt: öffentlicher Markt) mittelbar sowie ein rechtskräftiger Erwerb durch das Dasein einer öffentlichen Gerichtsbarkeit unmittelbar zu garantieren.3 Auf diese Weise hat beispielsweise der im Staat zwischen zwei Privatrechtssubjekten geschlossene Kaufvertrag4 unter der Form eines öffentlichen Gesetzes überhaupt seinen privatrechtlichen Verbindlichkeitsgrund in sich selbst. Dass ich als Verkäufer einer Sache diese zum Zwecke der Eigentumsübertragung an den Käufer übergeben muss, und dass ich als Käufer den Kaufpreis zu zahlen sowie die Sache abzunehmen vertraglich verpflichtet bin (§§ 18 ff.), weiß ich als zurechnungsfähige Rechtsperson schon praktisch selbst. Dieses im Hinblick auf eine positive Rechtslage abstrakte praktische Wissen ist aber nichts anderes, als der Schluss einer bloß beurteilenden Zurechnung, die für sich selbst noch keine nur gesetzlich mögliche Rechtskraft bei sich führt (vgl. § 36 Abs. 3 S. 1). Wenn ein positives Gesetz – z. B. § 433 des Bürgerlichen Gesetzbuches – nun genau dies jedoch aus der rechtlichen Natur eines Kaufvertrages heraus zum Gegenstand seiner allgemeinen Regel macht, 2

RL, AA VI: 306.08-16. Siehe zu diesem gesetzlich verfassten Gerechtigkeitssystem im Staat schon oben unter A. IV. 1. im siebenten Kapitel. 4 Der Kaufvertrag stellt nach der dogmatischen Einteilung des § 31 eine reine Vertragsform der belästigten Verträge und speziell eine Art in der Gattung der Veräußerungsverträge vor (RL, AA VI: 285.19). 3

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8. Kap.: Die vernunftbegrifflich-notwendige Positivität äußeren Rechts

so liegt darin keine gesetzliche Bestimmung des Vertragsverhältnisses an sich selbst, ohne die das Vertragsverhältnis als solches vermeintlich nicht schon rechtlich bestimmt bloß gedacht werden könnte, sondern eine an die staatlichen Gerichte adressierte Zurechnungsregel, nach der ein möglicher Rechtsstreit zwischen den Privatrechtsparteien rechtskräftig zu beurteilen ist (iustitia distributiva). So erklärt es sich, dass die im natürlichen Zustand der freien Willkür bloß provisorisch im Hinblick auf das staatliche Gesetz schon vorgestellten Gesetze über das Mein und Dein, ihrer Form nach, „ebendasselbe“ enthalten, „was die [Gesetze] im bürgerlichen [Zustand] vorschreiben, so fern dieser bloß nach reinen Vernunftbegriffen gedacht wird: nur daß im letzteren die Bedingungen angegeben werden, unter denen jene zur Ausübung (der distributiven Gerechtigkeit gemäß) gelangen“.5 Nicht anders verhält es sich mit den strafrechtlichen Gesetzen im Staat einer bürgerlichen Gesellschaft. Dass ich beispielsweise als Rechtsperson kein Recht der Welt dazu besitze, eine andere mir gegenüberstehende Rechtsperson kurzerhand totzuschlagen, weiß ich ebenfalls als zurechnungsfähige Rechtsperson schon praktisch selbst, ohne hierüber einer positivgesetzlichen Belehrung bedürftig zu sein. Die diesem Unrechtssachverhalt entsprechende Gesetzesnorm eines staatlichen Strafrechts – § 212 des Strafgesetzbuchs – enthält dementsprechend ebenfalls nicht etwa eine materielle Unrechtsbestimmung konstitutiv in sich, ohne die das Unrecht des Totschlages vermeintlich nicht schon bestimmt gedacht werden könnte, sondern sie enthält abermals lediglich eine an den staatlichen Gerichtshof adressierte Zurechnungsregel, nach der ein Totschläger im Staat bürgerlicher Gesellschaft rechtskräftig zur Strafe zu verurteilen ist (iustitia punitiva).6 Enthielte das positive Gesetz dagegen die materielle Rechts- bzw. Unrechtsbestimmung erst konstitutiv in sich, dann wäre damit auch die kritisch zu stellende Frage nach dem vorpositiven Rechts- bzw. Unrechtstatbestand einer positiven Gesetzesnorm, etwa des Strafrechts unmöglich oder jedenfalls sinnlos. Dass diese kritische Frage nach der inneren Begründetheit einer positiven Rechtsnorm, und zwar ohne durch diese Fragestellung einerseits bereits in einen Widerspruch zur positiven Rechtsordnung einzutreten, und ohne zugleich mit dieser Fragestellung andererseits in einem ohnmächtigen Sollensanspruch bloß begrifflichen Denkens zu verharren, jedoch jedem vernünftigen Rechtsdenken im Ausgang vom allgemeinen Begriff des Rechts möglich sein muss,

5

RL, AA VI: 312.36-313.05 (Klammerzusatz des Verf.). Eine solche positivgesetzliche Zurechnungsregel für den abstrakt bestimmten Fall eines bestimmten materiellen Unrechtstatbestandes setzt freilich einen auf dem allgemeinen Begriff der freien Handlung (factum) aufbauenden Begriff der Zurechnung (imputatio) bereits für sich selbst voraus. So ist dann jeder besondere Straftatbestand nur in der allgemeinen Form einer Handlung überhaupt zurechenbar, woran es beispielsweise im Falle eines mit Blick auf eine bestimmte Wirkung per se untauglichen Tuns schon fehlt, da ein solches Tun im Hinblick auf einen bestimmten Gesetzestatbestand bereits nicht als Handlung zu begreifen ist, wenn und weil Handlung unter dem reinen Verstandesbegriff der Kausalität (vorpositiv von jedem auch nur verständigen Subjekt) als das Verhältnis des Subjekts der Kausalität zur Wirkung begriffen werden muss. 6

A. Der Vernunftbegriff des öffentlichen Gesetzes

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das ist eine in der vorstehenden Theorie des öffentlichen Gesetzes begründete und an sich wohl auch hinreichend bekannte These Immanuel Kants (§ B Abs. 1): „ W a s i s t R e c h t ? Diese Frage möchte wohl den R e c h t s g e l e h r t e n , wenn er nicht in Tautologie verfallen, oder statt einer allgemeinen Auflösung auf das, was in irgend einem Lande die Gesetze zu irgend einer Zeit wollen, verweisen will, eben so in Verlegenheit setzen, als die berufene Aufforderung: W a s i s t W a h r h e i t ? den Logiker. Was Rechtens sei (quid sit iuris), d. i. was die Gesetze an einem gewissen Ort und zu einer gewissen Zeit sagen oder gesagt haben, kann er noch wohl angeben: aber ob das, was sie wollten, auch recht sei, […] bleibt ihm wohl verborgen, wenn er nicht eine Zeit lang jene empirischen Principien verläßt, die Quellen jener Urtheile in der bloßen Vernunft sucht (…), um zu einer möglichen positiven Gesetzgebung die Grundlage zu errichten.“ (RL, AA VI: 229.18-230.04).

Nur wenn die positiven Gesetze eines Staates materiell als rechtskräftige Zurechnungsregeln für ein staatliches Rechtssprechungsorgan im staatlichen Selbstbestimmungszusammenhang begriffen werden müssen, lässt sich sodann begründet auch ein bloß rechtspositivistischer Anspruch an eben diese Gesetzesnormen abweisen, da ihnen ein praktisch bestimmter Rechts- bzw. Unrechtstatbestand im verfassten Staat bürgerlicher Gesellschaft (nicht aber: im bloßen Naturzustand) konstitutiv bereits vorangeht. Vor diesem Hintergrund erklärt sich die prinzipielle Kritik Immanuel Kants an einem solchen rein positivistischen Rechtsdenken, wie es auch 220 Jahre nach Erscheinen der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre selbstredend noch immer ungebrochen wirkmächtig ist: „Es ist ein gewöhnlicher Fehler der E r s c h l e i c h u n g (vitium subreptionis) der Rechtslehrer, dasjenige rechtliche Princip, was ein Gerichtshof zu seinem eigenen Behuf (also in subjectiver Absicht) anzunehmen befugt, ja sogar verbunden ist, um über jedes Einem zustehende Recht zu sprechen und zu richten, auch objectiv für das, was an sich selbst recht ist, zu halten: da das erstere doch von dem letzteren sehr unterschieden ist.“ (RL, AA VI: 297.21-27).

Eine solche rechtspositivistische Erschleichung geht jedoch notwendig mit einer scheinbaren Vertilgung der Freiheit des gesetzesunterworfenen Rechtssubjekts einher, da die rechtliche Bestimmung nach solchem Rechtsdenken materiell an und für sich selbst ja erst aus der gesetzlichen Zurechnungsregel an den staatlichen Gerichtshof resultiert, die über dem gesetzesunterworfenen Rechtssubjekt steht, und für dieses folglich notwendig als heteronome Bestimmung in seinen äußeren Handlungen erscheinen muss. Verhielte es sich allerdings in der Tat auf diese heteronom bestimmende Weise, dann wäre eine äußere Gesetzgebung tatsächlich lediglich als die Despotie einer über den gesetzessubordinierten Privatrechtssubjekten nur zufällig stehenden Willkür zu begreifen, denn die Gesetze einer solchen Willkür enthielten mithin praktische Handlungsregeln (Imperative) nicht bloß für staatliche Organe, sondern für jedes einzelne Rechtssubjekt selbst. Subjektive Rechte der einzelnen Rechtsperson würden sich bloß mittelbar aus der positivgesetzlich be-

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8. Kap.: Die vernunftbegrifflich-notwendige Positivität äußeren Rechts

stimmten Pflichtenlage heraus konstituieren.7 Etwa in der sogenannten Imperativentheorie8 des Rechts dürfte ein solches positivistisch-heteronomes Rechtsdenken überwiegend präsent sein. Der Staat verkommt in seiner ihm so zugeschriebenen Übermacht gegenüber dem einzelnen Rechtssubjekt alsdann selbstredend im Ganzen zu einer heteronomen Bestimmungsinstanz, sodass ein solches einseitig-objektivistisches Rechtsdenken mit dem bis hierher nachgezeichneten metaphysischen Rechtdenken Immanuel Kants unvereinbar sein dürfte, weil es in seinem theoretischgegenständlichen Ansatz die für das äußere Recht der Menschen in der reinen praktischen Idee des Staates konstitutiv-praktische Rolle des einzelnen Rechtssubjekts (§§ 46, 47) gründlich ausblendet. Doch auch das gegenteilige und mit einer privatrechtsspezifischen Interpretation der Kantischen Rechtslehre verbundene Extrem im sodann einseitig-subjektivistischen Verständnis des Begriffs der bürgerlichen Gesetze im Staat ist mit dem metaphysischen Rechtsdenken Immanuel Kants, jedenfalls in der Auffassung der vorstehenden Interpretation, die ihren Ausgang von der Identität des freien Willens mit dem allgemeinen Willen im reinen praktischen Begriff der Freiheit des Willens nimmt, schlechterdings unvereinbar. Denn nach einem solchen lockesianisierenden Rechtsdenken hat der Staat in seinen Gesetzesakten nichts weiter zu tun, als das von ihm mit einem empirischen Wortverständnis des provisorischen Besitzes unabhängige naturzuständliche Privatrecht in seiner so vorstaatlich vermeinten Existenz grundrechtlich-anerkennend zu positivieren,9 um einige der ehemaligen Naturzustandsbewohner in ihrer glücklichen Wohlstandslage zu erhalten. Doch dieses Rechtsdenken verfährt in seiner Einseitigkeit derart subjektivistisch, dass es dem einzelnen Rechtsubjekt im äußeren Verhältnis rechtsbegründende Kraft auch schon vor und damit unabhängig von dem urvertraglich konstituierten Allgemeinwillen in staatlichen Gesetzen zuspricht, sodass hieraus das missliche Problem resultiert, ob sich im Falle einer materiellen Divergenz beider vermeinten Rechtsquellen, d. h. im Falle der „Naturrechtswidrigkeit“ des positiven Gesetzes, einseitig das Privatrechts-, oder aber nicht weniger einseitig das Staatsrechtssubjekt durchsetzt. Ein solchermaßen lockesianisierendes Rechtsdenken führt also infolge der darin ursprünglich schon im Grunde gesetzten und darum schließlich auch nicht vernünftig aufhebbaren Zweiheit von freiem und allgemeinem Willen notwendig auf den verteilungsgerechtigkeitstheoretischen Gedanken eines naturprivatrechtlich fundierten Widerstandsrechts des Privatrechtssubjekts gegenüber dem Staatsrechtssubjekt; und handelt sich damit natürlich nicht unerhebliche Verständnisprobleme im Hinblick auf die abschlägige Beurteilung der Widerstandsfrage durch Immanuel Kant ein.10 7

u. ö. 8

Vgl. dafür beispielsweise Thon, Rechtsnorm und subjektives Recht (1878), S. 11, 143 f.

Vgl. dafür m.w.N. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre (20083), S. 230 ff. Siehe dafür statt aller nur Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 263 f. 10 Wie hier zu erinnern ist, resultiert aus der überragend einseitigen Stellung des Einzelnen im subjektivistischen Rechtsdenkens John Lockes bekanntlich mit einiger Konsequenz ein 9

A. Der Vernunftbegriff des öffentlichen Gesetzes

625

Im Rahmen der Auseinandersetzung zum Begriff des Widerstandsrechts wird auf die naturprivatrechtliche (Interpreten-)Behauptung eines Widerstandsrechts noch zurückzukommen sein. Es ist aber schon jetzt deutlich zu bemerken, dass sowohl eine objektivistische, als auch eine subjektivistische Einseitigkeit im Verständnis des Begriffs eines staatlichen Gesetzes in dem Verstandesgegensatz der rechtsbegrifflichen Einteilungsglieder des Naturrechts einerseits sowie des positiven Rechts andererseits in Wahrheit verharren,11 und zwar, indem sie diesen Widerspruch bloß für den Verstand nicht zur schlüssigen Vernunfteinheit beider Glieder, sondern bloß einseitig zur Verstandeseinheit nur eines Gliedes aufzuheben suchen: Während ein einseitig-objektivistisches Rechtsdenken dem positivgesetzlichen Despotismus einer gänzlich unabgeleiteten gesetzgeberischen Willkür und damit einem rechtsbegrifflich abgelösten Rechtspositivismus das Wort redet, versteift sich ein einseitigsubjektivistisches Rechtsdenken in seiner spezifischen Einseitigkeit auf einen naturechtsgesetzlichen Despotismus der gesetzlich im äußeren Verhältnis noch ungebundenen Willkür des einzelnen Willenssubjekts. Auf diese Weise behaupten sich also zwei einander gleichsam antinomisch entgegengesetzte Pole im Verständnis des praktischen Vernunftbegriffs eines staatlichen Gesetzes, die sich in ihrer jeweiligen Einseitigkeit allerdings gleichermaßen genau in dem Maße als nichtig erweisen, wie die rechtsbegrifflich bestimmte Wahrheit mit einer dezidiert metaphysischen Auffassung des Begriffs des provisorischen Privatrechtsbesitzes bereits im natürlichen Zustand genau in ihrer Mitte liegt. Wie sich im Folgenden noch weiter zeigen lässt, beherrscht eben diese bislang nach ihren inneren Gründen noch unzureichend durchschaute Antinomie natürlich auch die interpretatorische Auseinandersetzung der Kantischen Behandlung der Positivität des Rechts in seiner kritischen Naturrechtslehre. Sind die staatlichen Gesetze im staatlichen Selbstbestimmungszusammenhang materiell primär also richtigerweise als an die rechtsprechenden Organe adressierte Zurechnungsbestimmungen im öffentlichen Interesse einer rechtskräftigen Erwerbsund damit Teilhabemöglichkeit des einzelnen Privatrechtssubjekts zu begreifen (iustitia distributiva), dann liegt das Hauptaugenmerk ihrer materiellen Bestimmung nicht auf der praktischen Frage, wie, sondern vielmehr auf der praktischen Tatsache, dass der privatrechtliche Erwerbsfall zwischen den Erwerbsparteien mit gesetzeskräftiger Endgültigkeit entschieden wird, da andernfalls gar keine rechtssichere Teilhabemöglichkeit real möglich ist. Denn die positiv gesetzten Gesetzesrechte eines Staates schließen besonders die mögliche Anwendung ihrer praktischen Bestimmung auf den einzelnen Fall innerhalb der unendlichen Endlichkeit des menschlichen Miteinanders unter sich, damit aber ein Moment der Willkür der praktischen Bestimmung notwendig in sich ein. Mit welcher rechtlichen Überlegung lässt sich also dieser gedankliche Übergang von der rein gesetzlichen RechtsbeWiderstandsrecht: Euchner (Hrsg.): John Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung (1977), S. 325 ff. (§§ 202 ff.). 11 RL, AA VI: 237.13-17. – Siehe zur Auseinandersetzung dieser für sich bloß verständigen Einteilung des Rechtsbegriffs oben unter B. I. im sechsten Kapitel.

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8. Kap.: Die vernunftbegrifflich-notwendige Positivität äußeren Rechts

gründung im Ausgang vom staatlichen Gesetzgeber nach seiner reinen praktischen Idee noch vor jeglicher Willkür zur tatsächlichen Gesetzesbefolgung durch einen positivgesetzlich angewiesenen Richter in der Einheit des staatlichen Gesetzesbegriffs rechtlich bestimmt denken? Wie ist der bloß zurechnende Urteilsstandpunkt des einzelnen Rechtssubjekts (imputatio diiudicatoria) gesetzlich mit dem davon unterschiedenen rechtskräftig zurechnenden Urteilsstandpunkt des staatlichen Richters unter öffentlichen Gesetzen (imputatio iudicaria sive valida) vereinbar?

II. Die Sanktion (d. h. Heiligung) des öffentlichen Gesetzes als distributive Gerechtigkeitsfunktion Der Übergang von der praktischen Vorstellung eines reinen Allgemeinwillens im Grunde der staatlichen Gesetze zur positiven Rechtsbefolgung in staatlichen Gesetzen liegt in der reinen praktischen Idee eines staatlichen Wesens überhaupt (§ 45 Abs. 1) und damit in dem bereits erörterten metaphysischen Staatsrecht (§§ 43 – 49) schon begründet, sodass sein Gedanke hier an dieser Stelle nunmehr durch eine bloße Analyse der dort in ihrem Zusammenhang entwickelten Vernunftbegriffe zu größerer (extensiver) Verstandesdeutlichkeit gebracht werden kann: Das staatliche Gesetz hat als praktische Staatstätigkeit in sich maßgeblich eine rechtliche Zurechnungsfunktion, da es sich in seiner Rechtsfolge zum Zwecke eines rechtskräftigen Erwerbs im Privatrechtsverkehr materiell primär an ein staatliches Rechtsanwendungs- bzw. Rechtsprechungsorgan wendet (iustitia distributiva). Es schließt also im Grunde die positivgesetzliche Rechtsfolge (d. h. Sanktion) eines rechtskräftigen Privatrechtserwerbs einzelner Rechtssubjekte unter Gesetzen in sich. Als Rechtsfolge beruht diese Sanktion eines öffentlichen Gesetzes allerdings auf der praktischen Bestimmung der gesetzgebenden Gewalt im Staat (§ 46 Abs. 1). Demnach stellt die rechtskräftige Sanktion eines öffentlichen Gesetzes in ihrem Grunde nichts anderes als die rechtliche Folge der Gesetzgebungstätigkeit im Staat vor, sodass diese Gesetzgebungstätigkeit auch als Sanktionsbegründungstätigkeit oder in eben diesem Sinne als Sanktionierung begriffen werden könnte. Die positivgesetzlichen Rechtsfolgen haben ihre praktische Rechtfertigung somit in der reinen praktischen Idee eines gesetzgebenden Allgemeinwillens im Staat, der in seiner Würde bekanntlich als „ u n t a d e l i g “ gilt (§ 48 Abs. 2), da er niemanden Unrecht tun kann (§ 46 Abs. 1). Auch heute ist dieser Wortgebrauch des Begriffs der Sanktion – obzwar veraltet – in der Rechtssprache der Gegenwart noch präsent. So spricht man in der Rechtswissenschaft ganz allgemein von einer Sanktion im Hinblick auf die mit einer rechtlichen Regelung verbundene Rechtsfolge, die jener rechtlichen Regelung zur rechtskräftigen Geltung verhelfen soll, besonders durch Erlass eines Gesetzesbefehls mit entsprechender Zwangsandrohung zur Bestätigung eines Rechtssatzes.12 Der 12

Creifelds, Rechtswörterbuch (201421), S. 1091.

A. Der Vernunftbegriff des öffentlichen Gesetzes

627

Begriff der Sanktionierung hat also auch im Gegenwartverständnis die Bedeutung, einer bestimmten Norm Gesetzeskraft zu verleihen.13 An diesem für sich wenig bemerkenswerten Befund fällt aber doch eines besonders ins Auge. Denn da der deutsche Begriff der Sanktion zu Anfang des 16. Jahrhunderts aus dem französischen „sanction“ entlehnt wurde, verweist er ursprünglich auf das lateinsche „sanctio“, dem Abstraktum zu „sancire (sanctum)“, das so viel wie „weihen, unverletzlich machen“ bedeutet, und sich seinerseits vom lateinischen „sacer“, also von „heilig“ ableitet.14 Erst demnach hat das Verb „sanktionieren“ zum Ende des 18. Jahrhunderts – also ziemlich genau zu Zeiten der Rechtslehre Immanuel Kants – die gegenwärtig noch immer geläufige, wenngleich veraltete Bedeutung der Erteilung von Gesetzeskraft erhalten.15 Wenn man nun mit dem Geschichtswissen des 20. Jahrhunderts subjektiv allerdings kaum geneigt sein dürfte, der willkürlichen Erscheinung eines empirisch gesetzgebenden Willens in positiven Gesetzen irgendeines Staates für sich schon ohne Weiteres einen heiligen Willen zu attestieren, so macht ein solcher rechtssprachlicher Gebrauch des Begriffs der Sanktion doch objektiv wohl überhaupt nur einen vernünftigen Sinn, wenn man diesem empirisch gesetzgebenden Willen wenigstens in seiner reinen praktischen Idee von sich selbst, damit zugleich jedoch auch an sich selbst, einen reinen untadeligen Willen unterstellt, sodass dieser reine Allgemeinwille jenen willkürlichen Allgemeinwillen unter sich in sich begreift. Eben dies ist nach der reinen praktischen Idee des Staates (§ 45 Abs. 1) in der Rechtslehre Immanuel Kants der Fall, die den gesetzgebenden Allgemeinwillen im Staat, da dieser nach seiner reinen praktischen Idee (§§ 46 Abs. 1, 47 S. 3) niemanden Unrecht tun kann, und zwar in Auseinandersetzung der abschlägig beurteilten Widerstandsproblematik, auch als „heilig“16 apostrophiert. Liegt es also in der Würde der gesetzgebenden Gewalt im Staat begründet, dass diese in ihrer besonderen Staatstätigkeit die Rechtskraft zur effektiven Sanktionierung der positivgesetzlichen Rechtsfolgen in sich schließt, so erklärt sich hieraus schon analytisch auch die Unmöglichkeit eines Widerstandsrechts des einzelnen und in seinem äußeren Verhältnis für sich selbst bloß profanen Rechtssubjekts gegen die durch öffentliche Gesetze sanktionierte Staatstätigkeit. Mit Johann Heinrich Tieftrunk hat diesen wichtigen Zusammenhang bereits ein zeitgenössischer Kommen-

13

Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache VII (19993), S. 3286. Kluge/Seebold, Etymologisches Wörterbuch (201125), S. 787. 15 Dudenredaktion (Hrsg.): Duden VII – Etymologie (20145), S. 718; siehe zum staatsrechtlichen Sanktionsbegriff sodann auch Kuchenbuch, in: Ritter/Gründer (Hrsg.): HWPh VIII (1992), Sp. 1167 f.; Kindhäuser, in: Görresgesellschaft (Hrsg.): Staatslexikon IV (19887), Sp. 998 – 1000; für eine aufschlussreichere Aufgliederung der neueren Begriffsgeschichte siehe Schulz/Basler, Deutsches Fremdwörterbuch IV (1978), S. 41 – 44 m.z.w.N., wo es von der Bedeutung des Wortes Sanktion als einem juristischen Fachausdruck heißt: „im Zusammenhang mit der Rechtsphilosophie der Aufklärung bes. ,Festlegung von Normen, die nicht vom Naturrecht oder Sittengesetz bestimmt sind, durch das positive Recht‘“. 16 RL, AA VI: 319.02-11. – Zu diesem Wortgebrauch von „heilig“ siehe schon oben Fn. 1051 im siebenten Kapitel. 14

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8. Kap.: Die vernunftbegrifflich-notwendige Positivität äußeren Rechts

tator der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre Immanuel Kants im Ausgang von den drei Staatswürdenprädikaten des § 48 Abs. 2 zutreffend erörtert: „Das Ausführungsvermögen des Oberbefehlshabers ist unwiderstehlich (…). Der Oberbefehlshaber gebietet unter der Bedingung eines oberen Willens, nämlich des Volkswillens, und seine Funktion besteht darin, daß er das Gesetz geltend mache. Aber weil er das Gesetz geltend machen soll, hat seine Funktion die Sanktion des Gesetzes für sich. Da nun im Staate nichts über das Gesetz geht, so ist auch nichts zu denken möglich, was auf eine rechtliche Weise der Geltung des Gesetzes entgegen gestellt werden dürfte; die vollziehende Gewalt muß daher, eben weil sie das Gesetz vollzieht, unwiderstehlich seyn. Ist also das Gesetz untadelig, so ist auch damit auf der einen Seite die Befugniß, zu zwingen, und auf der anderen Seite das Verbot, sich dem Willen des Gesetzgebers ja nicht thätig zu widersetzen, nothendig verbunden; denn die zwingende Gewalt ist ein Glied und ein Ergänzungsstück zur Machtvollkommenheit des allgemeinen Volkswillens. Wie also das Gesetz unverletzlich ist, so ist die Macht im Staate, die dem Gesetze Effekt giebt, auch unwiderstehlich; und es existirt kein rechtlich-bestehendes Gemeinwesen ohne eine solche Gewalt, die allen inneren Widerstand niederschlägt. […] Die Unwiderstehlichkeit des öffentlichen Zwanges ist folglich unbedingt; denn die Befugniß, zu zwingen, ist mit dem Recht innerlich verknüpft. Nun ist die Gesetzgebung das Princip alles Rechts, und vor ihrer Funktion giebt es kein Recht im Staate; mit ihren Gesetzen entspringt also eigentlich erst das öffentliche Recht, folglich mit ihnen auch, und nur aus ihnen, der öffentliche Zwang. Dieser ist also durch nichts als sein Princip, dessen positive Bestimmung er ist, bedingt; in Ansehung alles anderen aber, was seinem Princip heterogen ist, unbedingt. Es ist folglich alle Widersetzlichkeit gegen die oberste zwingende Gewalt zugleich eine Widersetzlicheit gegen die oberste gesetzgebende Gewalt, hierdurch eine Auflehnung gegen den allgemeinen Volkswillen selbst, welcher nur durch die Gesetzgebung und durch die Ausführung derselben von seiner Machtvollkommenheit Gebrauch macht: folglich alle Widersetzlichkeit gegen den Oberbefehlshaber, aller Aufstand und alle Auflehnung eigentlich Rebellion (und Wiedereinführung des Krieges aller gegen Alle), und, als solche, das höchste und strafbarste Verbrechen im Gemeinwesen, weil es die Grundfeste derselben zerstört.“17 Der von Tieftrunk in dieser Passage ganz zutreffend exponierte Widerspruch des einzelnen Rechtssubjekts im Volk mit dem allgemeinen Volkswillen ist aber gemäß § 46 Abs. 1 nichts anderes, als ein Widerspruch dieses einzelnen Rechtssubjekts mit sich selbst, sodass sich der profane Gedanke eines subjektiven Widerstandsrechts gegen den an sich heiligen Staatswillen zwar nicht „um Gottes willen“, wohl aber um des reinen praktischen Vernunftbegriffs des Staates willen (§§ 45 ff.) für ein jedes einzelne Rechtssubjekt im Staat erledigt, denn dieser Begriff ist der seiner gesetzlichen Selbstvorstellungstätigkeit im äußeren Verhältnis. Mit dem reinen praktischen Begriff des Staates (§ 45 Abs. 1) kann es nämlich kein Widerstandsrecht im Staat geben, weil darin die negtorische Aufhebung des Staates selbst beschlossen liegt, 17

Tieftrunk, Philosophische Untersuchungen II (1798), S. 291 ff., 303.

A. Der Vernunftbegriff des öffentlichen Gesetzes

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sodass die von einigen Interpreten gegen den eindeutigen Textbefund in den Raum gestellte Behauptung eines Widerstandsrechts in Wahrheit auch das ganze metaphysische Staatsrecht (§§ 43 – 52) mit den darin vernunftbegrifflich begründeten Staatswürden der Unabänderlichkeit, der Unwiderstehlichkeit sowie der Unaufhebbarkeit gesetzestätiger Staatstätigkeit (§ 48 Abs. 2) ersatzlos streicht. Auf den staatsrechtsbegrifflichen Widerspruch im Begriff des Widerstandsrechts im Staat ist somit nach einer Einteilung des Begriffs des öffentlichen Gesetzes, dessen Staatstätigkeit vermeintlich widerstanden werden soll, nochmals ausführlich zurückzukommen:

III. Die Einteilung des Begriffs des öffentlichen Gesetzes und der Begriff des positiven Gesetzes Das allgemein bekannt gemachte und damit öffentliche Gesetz ist die innerlich bestimmende Größe des öffentlichen Rechts, das als „Inbegriff“ oder „System“ derjenigen Gesetze fungiert, die einer allgemeinen Bekanntmachung im Grunde bedürfen, um einen rechtlichen Zustand in ihrer Folge hervorzubringen (§ 43). Dabei unterliegt die Vorstellungseinheit des reinen praktischen Vernunftbegriffs eines „öffentlichen Gesetzes“ (§ 44 Abs. 2), das zur Hervorbringung eines rechtlichen Zustandes allgemeiner Bekanntmachung bedarf, der weiteren begrifflichen Einteilung, und zwar im Ausgang von seinem gesetzlichen Ursprungsmoment im allgemein gesetzgebenden Willen der reinen praktischen Idee des Staates (§ 45). Die hier im Folgenden explizit zu machende Einteilung ist in § 45 Abs. 1 von Immanuel Kant allerdings nicht mehr zur vollständigen Deutlichkeit selbst ausgeführt, sondern lediglich noch angedeutet, wenn und weil die Rechtsgesetze des Staates „ i n d e r I d e e “ dort als „a priori nothwendig“ und mithin als „nicht statutarisch“ bezeichnet werden.18 Das öffentliche Recht, das neben dem natürlichen Privatrecht selbst noch Naturrecht ist, kennt nach diesem reinen praktischen Begriff des Staates also natürliche öffentliche Gesetze, die gleichsam das erste Einteilungsglied in der bloß logischen Verstandeseinteilung des Begriffs des öffentlichen Gesetzes ausmachen, weil sie eben gerade „nicht statutarisch“ sind. Diese natürlichen öffentlichen Gesetze stehen damit unter dem Begriff des öffentlichen Gesetzes aber nach ihrem logischen Einteilungskriterium („nicht statutarisch)“ verstandesnotwendig in einem logischen Gegensatz zu den „statutarischen“ öffentlichen Gesetzen, die hier als positive Gesetze gleichsam das zweite Einteilungsglied bilden.19 Indem diese positiven Gesetze den natürlichen Gesetzen unter dem Naturrechtsbegriff des öffentlichen Gesetzes nunmehr aber verständig entgegenzusetzen sind, gehört zwar der Begriff ihrer all18

RL, AA VI: 313.10-16. Siehe dazu bereits die Einteilungen in RL, AA VI: 237.15-17 sowie MS, AA VI: 224.27-33, 227.10-14. 19

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8. Kap.: Die vernunftbegrifflich-notwendige Positivität äußeren Rechts

gemeinen Form, nicht aber die vielfältig mögliche Materie positiver Gesetze in ihrer Einzelnheit selbst noch zum Naturrecht. Denn infolge ihrer willkürlichen Bestimmung ist die Materie positiver Gesetze mit dem Moment der Zufälligkeit notwendig behaftet, und erfüllt somit nicht das begriffliche Kriterium des Naturrechts, aus bloßen Vernunftbegriffen praktisch notwendig erkennbar zu sein.20 Dagegen ist die Notwendigkeit der Gesetzesform positiver Gesetze als praktischer Zurechnungsregeln eines rechtskräftigen Privatrechtserwerbs im Staat mit dem Vernunftbegriff der distributiven Gerechtigkeit rein begrifflich erkennbar. Der Begriff des „positiven Gesetzes“21 markiert demnach einen naturrechtlichen und insofern übergeordneten Grenzbegriff an der Peripherie zur insoweit mit Notwendigkeit vernunftbegrifflich subordinierten positiven Rechtslehre. Dementsprechend findet im bzw. durch den Oberbegriff eines öffentlichen Gesetzes im Staat ein Übergang vom natürlichen zum positiven Recht im vernünftigen und nicht bloß verständigen Rechtsdenken statt.22 Denn da der Vernunftbegriff des öffentlichen Gesetzes (§ 44 Abs. 2) in seiner Einheitsfunktion seinerseits auf der innerlich realen vernunftbegrifflichen Verknüpfung mit der Idee des Staates (§ 45 Abs. 1) sowie der noch davor liegenden Idee des ursprünglichen Kontrakts (§ 47 S. 3) beruht, die ihrerseits im naturrechtlichen Postulat des öffentlichen Rechts (§ 42 Abs. 1) gründet, ist im Vernunftbegriff eines öffentlichen Gesetzes zugleich der Übergang ins öffentliche Recht und somit schließlich auch der ins positive Recht mit naturrechtlicher Notwendigkeit reiner praktischer Rechtsbegriffe aufgehoben. Das Postulat des öffentlichen Rechts mit seiner natürlichen Rechtspflicht zur tätigen Verwirklichung eines Zustandes des öffentlichen Rechts in öffentlichen Gesetzen stellt mit dem darin notwendig gebotenen Übergang mithin zugleich das in einer Metaphysik des Rechts gesuchte natürliche Gesetz vor, „welches die Autorität des Gesetzgebers (d. i. die Befugniß, durch seine bloße Willkür andere zu verbinden) begründet[]“23, und somit die staatsrechtliche Rechtsbefugnis zu einer positiven Gesetzgebung in sich schließt.24 20

MS, AA VI: 224.27-32. MS, AA VI: 224.33-34, 227.14; RL, AA VI: 229.05-230.15/18-26/01-06, 237.15-17, 256.22-25, 303.15. 22 Siehe dazu auch Kaulbach, in: ders.: Studien zur späten Rechtsphilosophie Kants und ihrer transzendentalen Methode (1982), S. 135 (142). 23 MS, AA VI: 224.33-36. 24 Darin dürfte der Sache nach die von Hoffmann, in: Hogrebe (Hrsg.): Grenzen und Grenzüberschreitungen (2002), S. 63 (64 f.) so bezeichnete „transzendentale Deduktion des besonderen Rechtssatzes“ bestehen; vgl. auch Kaehler, JRE 1 (1993), S. 103 (107 ff.). – Dagegen meinte schon Larenz, in: ders. (Hrsg.): Reich und Recht in der deutschen Philosophie I (1943), S. 289 an diesem Punkt des Kantischen Rechtsdenkens allenfalls eine „Blankovollmacht“ zur staatlichen Heteronomie erkennen zu können. Für Vosgerau, Rechtstheorie 30 (1999), S. 227 (238 ff.) bleibt dieser Sachzusammenhang natürlicher und positiver Gesetze, im Anschluss an Dulckeit, Naturrecht und positives Recht bei Kant (1932), S. 53 ff., der allerdings das Postulat des öffentlichen Rechts von vornherein schon nicht in Ansatz bringt, dagegen „völlig unerfindlich“ und so glaubt er folgern zu können, dass es für Kant „zwei konkurrierende Rechtsbegriffe“ gebe. 21

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Als wesentliches Ergebnis der Untersuchung zur Positivität des Rechts in der kritischen Naturrechtslehre Immanuel Kants ist an dieser Stelle also festzuhalten, dass sich die Positivität des Rechts in öffentlichen Gesetzen überhaupt, unter dem naturrechtlichen Begründungsgang der Rechtslehre, wie schon an früherer Stelle abzusehen war, rein vernunftbegrifflich (d. h. metaphysisch) als praktisch-notwendig im Recht der Menschen behauptet. Freilich ist mit dieser an sich sehr einfachen Auskunft in der Sache selbst natürlich kein Anspruch auf Originalität zu verbinden, denn einesteils hat der sich im allgemeinen Willen selbst begreifende menschliche Einzelwille von diesem in der Rechtslehre nach philosophischer Methode bloß intensiv verdeutlichten Umstand stets schon ein klares Bewusstsein, anderenteils sollte sich der aufgewiesene Zusammenhang für jedermann aus nichts anderem als dem Originaltext der Metaphysische Rechtslehre der Anfangsgründe gedanklich erschließen. – Indessen blickt der hier erreichte Standpunkt einer dezidiert metaphysischen Interpretation der Rechtslehre Immanuel Kants zugleich aber auch auf eine unglückliche Verkettung von fundamentalen Schwierigkeiten im Umgang mit eben diesem Text zurück, die in einer nicht autorisierten Edition der Rechtslehre symptomatisch sein, und ihre Ursache weitgehend in einem empirischen Wortverständnis des für alles Verständnis zentralen Begriffs des provisorischen Privatrechtsbesitzes im Naturzustand haben dürften, sodass es möglicherweise doch einen nicht ganz zu vernachlässigenden Unterschied in der Sache selbst ausmachen dürfte, ob die metaphysische Notwendigkeit der positiven Setzung des äußeren Rechts in staatlichen Gesetzen aus einem empirischen oder einem metaphysischen Wortverständnis eben dieses Begriffes geschlossen werden soll. Denn dass dieses oder jenes für ein menschliches Rechtssubjekt praktisch notwendig ist, bedeutet nichts anderes, als dass es durch die praktische Freiheit seines eigenen Willens notwendig ist, und ein empirisches Wortverständnis des Begriffs des provisorischen Besitzes beruht im Grunde – wie im Rahmen einer ausführlichen Kritik zu bemerken war – nicht auf einer autonomen, sondern heteronomen Bestimmung des an sich freien Willens im äußeren Verhältnis zu seinesgleichen. Mit einem dezidiert metaphysischen Verständnis der Kantischen Rechtslehre ist dann im Vernunftbegriff eines öffentlichen Gesetzes (§ 44) dagegen auch das ganze System des aus natürlichen und positiven Gesetzen sich in sich vernunftschlüssigsubordinativ zur Einheit des vernünftigen Rechtsbewusstseins verfassenden öffentlichen Rechts ursprünglich aufgehoben, sodass durch den reinen praktischen Vernunftbegriff des öffentlichen Rechts (§ 43) schließlich der für ein bloß rechtsbegrifflich-abstraktes Rechtsdenken notwendig ewige Verstandesgegensatz von Naturrecht und positivem Recht in einer höheren – weil vernünftigen – Vorstellungseinheit unter dem allgemeinen Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) gehoben ist.25 25

Zutreffend, wenngleich möglicherweise auch noch nicht ganz präzise Höffe, MERKUR 37 (1983), S. 613 (615): „Die Antithese ,Naturrecht – positives Recht‘ ist keine Alternative, sondern eine notwendige Spannung, die für jede vernünftige Rechtsentwicklung konstitutiv ist. Ein Naturrecht ohne positives Recht wäre Schwärmerei, ein positives Recht ohne Naturrecht bzw. die Gerechtigkeitsidee Zynismus.“; Hoffmann, ARSP 87 (2001), S. 449

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Diese vernunftbegriffliche Aufhebung des insofern für alles rechtsbegriffliche Rechtsdenken notwendigen Gegensatzes bildet aber notwendig den Endpunkt einer Metaphysik des Rechts, die eben diese Einteilung zum Voraus in der systematischen Idee des Ganzen ihrer Wissenschaft (§ A)26 als eine zentrale Differenz innerhalb der Rechtsidee angibt.27 1. Zum Vernunftbegriff eines natürlichen öffentlichen Gesetzes Die natürlichen Gesetze des öffentlichen Rechts leiten sich aus dem reinen praktischen Vernunftbegriff des Staates und mithin „aus Begriffen des äußeren Rechts überhaupt“ ab (§ 45 Abs. 1). Sie sind demnach – wie auch die natürlichen Gesetze des Privatrechts – im Grunde aus reinen Rechtsbegriffen und mithin durch reine praktische Vernunft auch ohne eine schon wirkliche äußere Gesetzgebung im interpersonalen Verhältnis a priori als solche praktisch erkennbar.28 Denn sie gehen in ihrer praktischen Bestimmung nicht schon unmittelbar auf die mit einem Moment der Willkür behaftete Verteilung des Privatrechtsbesitzes an äußeren Gegenständen, sondern lediglich auf die allem Privatrechtsbesitz überhaupt vorgängige öffentliche Rechtsform des bürgerlichen Miteinanders der Rechtssubjekte im Hinblick auf allen erst durch eben diese Rechtsform wirklich möglichen Privatrechtsbesitz im Staat. Allerdings bedürfen sie demnach – anders als die natürlichen Gesetze des bloßen Privatrechts – einer tätigen Verwirklichung und mithin einer allgemeinen Bekanntmachung im Grunde, um einen rechtlichen Zustand der freien Willkür unter öffentlichen Gesetzen in der Folge auch wirklich hervorzubringen (§ 43 S. 1). Mit Blick auf ihre Rechtsfolgen machen die natürlichen Gesetze des öffentlichen Rechts also ihre Publizität, damit aber eine staatlicherseits gesetzte Bekanntmachung und schließlich auch ihre Positivität erforderlich.

(457 f.) spricht im Verhältnis von Naturrecht und positivem Recht noch präziser von einer „produktive[n] Distanz“ in einem Gefälle zwischen der autonomen „Rechtsidee“ und „den empirischen Momenten ihrer Realisation“; Kaehler, JRE 1 (1993), S. 103 (104/107) kennzeichnet das Verhältnis als ein solches der „Asymmetrie“; nur eine „prekäre Gleichsetzung von Recht mit jedem positiven Gesetz“ (so vorerst Kühl, ARSP-Beiheft 37 [1990], S. 75) liegt hierin nicht, sondern eine gewisse „Vorrangstellung des Naturrechts“, die „auch dem positiven Recht einen nicht unbedeutenden, ja sogar unersetzbaren Platz“ einräumt (so zutreffend sodann Kühl, a.a.O., S. 85 ff.). 26 Siehe dazu oben unter A. im fünften Kapitel. 27 Dagegen will Vosgerau, Rechtstheorie 30 (1999), S. 227 ff. eine genaue Verhältnisbestimmung der beiden Glieder in diesem Verstandesgegensatz für prinzipiell unmöglich erklären, worin er sodann den eigentlichen Gehalt der Kantischen Rechtslehre gefunden zu haben glaubt. In ähnlicher Weise meinte Larenz, in: ders. (Hrsg.): Reich und Recht in der deutschen Philosophie I (1943), S. 289 ff., im positiven Recht nur die blanke Heteronomie zu erkennen und erachtete eine vernünftige Auflösung der Relationsbestimmung auf Basis des Kantischen Rechtsdenkens darum ebenfalls für unmöglich – erst Hegel sei dies gelungen. Vgl. ferner Dulckeit, Naturrecht und positives Recht bei Kant (1932), S. 53 ff. 28 RL, AA VI: 224.27-31.

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Indem die natürlichen öffentlichen Gesetze gemäß ihrem reinen praktischen Vernunftbegriff innerlich im Grunde auf einem zu keinem Unrecht fähigen und daher an sich als heilig vorzustellenden gesetzgebenden Allgemeinwillen im Staat beruhen, eignet ihrer vernünftigen Gesetzesform die Bestimmung unendlicher Allgemeinheit. Diese reine Vernunftgröße bestimmt hier nämlich im Ursprung praktisch die vernünftige Qualität der natürlichen Gesetze des öffentlichen Rechts an und für sich selbst. Unter dem Begriff eines öffentlichen Gesetzes stehend, machen die natürlichen öffentlichen Gesetze in der Totalität dieses reinen praktischen Vernunftbegriffs daher das anfangsgründliche und ursprüngliche Gerechtigkeitsmoment der Sanktion eines jeden öffentlichen Gesetzes (§ 44 Abs. 2) aus, denn der reine Allgemeinwille in der praktischen Idee des Staates verleiht ihnen im Grunde die Dignität der Untadeligkeit (§§ 45 Abs. 1, 46 Abs. 1, 47 S. 1, 48 Abs. 2).29 Erst in der unbedingt bedingten Rechtsfolge sind unter den natürlichen Gesetzen des öffentlichen Rechts sodann auch positive Gesetze des öffentlichen Rechts an sich mit eben dieser Dignität vermittelt vorstellbar, insofern die letzteren nicht bloß nach einer verständigen Einteilung im Gegensatz zu den natürlichen Gesetzen befangen, sondern, und zwar durch vernünftige Aufhebung dieses Verstandesgegensatzes, auch unter diesen in der Einheit des reinen praktischen Vernunftbegriffs eines öffentlichen Gesetzes schlüssig subordiniert begriffen werden müssen, weil dieser beiden begrifflichen Einteilungsgliedern gemeinsame Oberbegriff eines öffentlichen bzw. bürgerlichen30 Gesetzes den permanent gebotenen Übergang vom bloß natürlichen Privatrecht in ein wirkliches öffentliches Recht stets schon real in sich voraussetzt. Deshalb wird beispielsweise Ralf Dreiers Verhältnisbestimmung der Kantischen Rechtsidee noch nicht gerecht, wenn er über Kants „Theorie des positiven Rechts“ urteilt, sie sei „in dem Sinne entschieden positivistisch […], daß sie dem positiven Recht den unbedingten Vorrang gegenüber dem Vernunftrecht“ einräume.31 2. Zum Vernunftbegriff eines positiven öffentlichen Gesetzes Es ist im Fortgang des Gedankens zwar einsichtig geworden, dass es unter dem reinen praktischen Vernunftbegriff eines öffentlichen Gesetzes auch positive Gesetze überhaupt vernunftnotwendig geben muss, doch diese leiten sich in ihrer materiellen Bestimmung nicht schon „aus Begriffen des äußeren Rechts überhaupt“ (vgl. § 45 Abs. 1), namentlich etwa dem reinen praktischen Vernunftbegriff des intelligiblen Besitzes, des ursprünglichen Kontrakts sowie des Staates ab. Denn sie gehen in ihrer praktischen Bestimmung auf die empirische Vielfalt möglicher Privatrechtsver29 „Das Gesetz, was uns a priori und unbedingt durch unsere eigene Vernunft verbindet, kann auch als aus dem Willen eines höchsten Gesetzgebers, d. i. eines solchen, der lauter Rechte und keine Pflichten hat, (mithin dem göttlichen Willen) hervorgehend ausgedrückt werden, welches aber nur die Idee von einem moralischen Wesen bedeutet, dessen Wille für alle Gesetz ist, ohne ihn doch als Urheber desselben zu denken.“ (MS, AA VI: 227.14-20). 30 RL, AA VI: 318.31-32. 31 Dreier, Rechtstheorie-Beiheft 1 (1979), S. 89 (93).

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8. Kap.: Die vernunftbegrifflich-notwendige Positivität äußeren Rechts

hältnisse in ihrer Materialität, und schließen somit nach ihrem reinen praktischen Begriff ein notwendiges Moment willkürlicher Setzung in sich. Die positiven Gesetze eines Staates bürgerlicher Gesellschaft transformieren also nicht einfach ein materielles und vorstaatlich vermeintlich schon real existentes Naturprivatrecht, wie man infolge eines empirischen Wortverständnisses des Begriffs des provisorischen Besitzes im Naturzustand jedoch anzunehmen geneigt sein könnte. Sie setzen vielmehr einen willkürlichen Ursprung für sich selbst voraus, da sie ausweislich ihres Begriffs von einem empirisch gesetzgebenden Allgemeinwillen im äußeren Verhältnis der Menschen zueinander herrühren, der aber nichts anderes als ein kraft seiner Willkür im äußeren Verhältnis verbindender Gesetzgeber ist,32 sodass seine gesetzliche Zurechnungsbestimmung im Hinblick auf den Privatrechtsbesitz für sich materiell als zufällig anzusehen ist. Die willkürliche Setzung einer gewissen Bestimmung durch einen äußeren Gesetzgeber als Recht im äußeren Verhältnis der Menschen macht ein öffentliches Gesetz also erst spezifisch zu einem „positiven“ Gesetz:33 „G e s e t z (ein moralisch praktisches) ist ein Satz, der einen kategorischen Imperativ (Gebot) enthält. Der Gebietende (imperans) durch ein Gesetz ist der G e s e t z g e b e r (legislator). Er ist Urheber (autor) der Verbindlichkeit nach dem Gesetze, aber nicht immer Urheber des Gesetzes. Im letzteren Fall würde das Gesetz positiv (zufällig) und willkürlich sein.“ (MS, AA VI: 227.10-14).

Beruhen die positiven Gesetze demnach im Grunde auf einem Gesetzgebungsakt eines willkürlichen Gesetzgebers, so handelt dieser willkürliche Gesetzgeber in seiner Gesetzgebungstätigkeit gleichwohl nicht als ein privatrechtlich gleichgeordnetes Willkürsubjekt in Ansehung des Besitzes der Gegenstände. Vielmehr ist er diesen, durch ihn selbst unter ihm notwendig gleichgeordneten Privatrechtssubjekten nach der reinen praktischen Idee ihrer über sich selbst beschließenden gesetzgebenden Gewalt im Staat gesetzlich als die Repräsentation ihrer moralische Person des Staates übergeordnet, und ermöglicht durch seine positive Gesetzgebung allererst einen wirklichen Privatrechtsbesitz derselben nach öffentlichen Gesetzen. Seine Gesetze statuieren deshalb unmittelbar weder einen Privatrechtsbesitzerwerb des Willkürsubjekts in der Person des positiven Gesetzgebers, noch statuieren diese in unmittelbarer Weise einen Privatrechtsbesitz in den Personen der ihm untergeordneten Willkürsubjekte, da die positive Gesetzgebung ansonsten in beiden Fällen (dazu sogleich) despotisch sein würde. Die positiven Gesetze eines willkürlichen Gesetzgebers enthalten vielmehr unmittelbar lediglich an die Staatsorgane adressierte Zurechnungsregeln in Ansehung des möglichen Privatrechtsbesitzes der Gegenstände, und insofern schließen sie jeweils auch einen praktischen Satz in sich, der materiell zunächst einem solchen Staatsorgan einen kategorischen Imperativ der Pflicht vorstellt.

32 33

Oben Fn. 23. Siehe dazu auch das bereits in Fn. 70 des sechsten Kapitels Gesagte.

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Dabei gehen von der Willkür – als dem sinnlichen und unteren Begehrungsvermögen eines menschlichen Rechtssubjekts – allerdings nicht in direkter Weise die Gesetze, sondern lediglich die Maximen als subjektive praktische Grundsätze aus.34 Insofern diese subjektiven Maximen des willkürlichen und mithin für sich selbst in seiner empirischen Erscheinung nicht auch schon heiligen Gesetzgebers hier jedoch gerade positiv als Recht in der objektiven Form des Gesetzes zu setzen, d. h. im rein begrifflichen Verständnissinne der vorstehenden Überlegungen mit Verleihung von Gesetzeskraft zu „heiligen“ sind, stehen sie unter dem moralisch-unbedingten Anspruch des rein gesetzlichen Bestimmungsvermögens reiner praktischer Vernunft: Eignet der Rechtsform eines positiven Gesetzes kraft seines Ursprungs in der Person eines willkürlichen Gesetzgebers, der durch seine positiven Gesetze alle anderen Willkürsubjekte unter sich mit praktischer Notwendigkeit im Staat bürgerlicher Gesellschaft subordiniert, nämlich für sich lediglich die praktische Bestimmung endlicher Allgemeinheit (gleich subjektiven Maximen), so setzt diese endlich-allgemeine Rechtsform positiver Gesetze an sich selbst vielmehr noch ein unendlichallgemeines und mithin natürliches Gesetz vernunftbegrifflich stets schon für sich selbst voraus, daraus sich die Verpflichtungsbefugnis der willkürlich positiv gesetzgebenden Person naturrechtlich begründet. Dieses natürliche Gesetz ist das Postulat des öffentlichen Rechts (§ 42 Abs. 1) mit seiner für alle menschlichen Rechtssubjektive verbindlichen Rechtspflicht zum öffentlichen Recht, daraus sich sowohl der reine praktische Vernunftbegriff eines öffentlichen Gesetzes und mithin darunter auch der eines positiven Gesetzes mit praktischer Notwendigkeit ergeben. Die Positivität des Rechts in staatlichen Gesetzen ist somit nach ihrer Form als praktisch notwendig rein begrifflich erkennbar – die Materie positiver Gesetze resultiert allerdings aus einer willkürlichen Setzung, sodass sich die positiven Gesetze einer staatlichen Gemeinschaft in ihrem Realwesen weder durch eine rein rechtbegriffliche (metaphysische) Rechtserkenntnis, noch durch eine bloß willkürliche (rechtspositivistische) Rechtssetzung vernünftig begreifen lassen, sondern beide Momente schlüssig auf sich vereinigen, indem sie eine gesetzlich notwendig willkürliche Bestimmung praktisch in sich enthalten. Nach dem Postulat des öffentlichen Rechts setzt ein positives Gesetz die Publizität für sich selbst nicht – wie hingegen jedoch ein natürliches Gesetz des öffentlichen Rechts – nur in seinen Folgen, nämlich zur Hervorbringung eines rechtlichen Zustandes, sondern auch schon in seinem vernunftbegrifflichen Grunde an sich selbst voraus, und zwar zur rein staatsrechtsbegrifflich vermittelten Sanktionierung seines willkürlichen Ursprungs. Ein positives Gesetz lässt sich demnach, eben weil es die natürlichen Gesetze des öffentlichen Rechts in sich selbst über sich selbst für sich selbst voraussetzt, überhaupt nicht – wie hingegen jedoch ein natürliches Gesetz des Privatrechts – ohne die ihm notwendig eignende Publizität als solches vorstellen. Gleichwohl reicht das damit insgesamt notwendige Vorstellungsmerkmal der Publizität nicht schon alleine aus, um die Positivität der Gesetze begrifflich hinreichend 34

MS, AA VI: 226.04-05.

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8. Kap.: Die vernunftbegrifflich-notwendige Positivität äußeren Rechts

zu kennzeichnen, da sich die positiven Gesetze erst durch ihre willkürliche Setzung von den natürlichen Gesetzen des öffentlichen Rechts maßgeblich unterscheiden. Die Publizität des Rechts (§ 43 S. 1) ist nämlich kein staatsrechtsbegriffliches Vorstellungsmerkmal, darunter positive und natürliche öffentliche Gesetze voneinander unterschieden, sondern ein solches, darunter diese gemeinsam miteinander verbunden vorzustellen sind. Auf diese staatsrechtsbegriffliche Vorstellungsweise ist unter dem reinen praktischen Vernunftbegriff des öffentlichen Gesetzes (§ 44 Abs. 2) in seiner Totalität schließlich auch das besonders durch den reinen praktischen Vernunftbegriff eines positiven Gesetzes vorzustellende endgründliche Gerechtigkeitsmoment der Sanktion eines jeden öffentlichen Gesetzes (iustitia distributiva) mit praktischer Notwendigkeit rechtlich bestimmt zu denken möglich.35 3. Zur Antinomie natürlicher und positiver Gesetze Unter der Einheit des reinen praktischen Vernunftbegriffs öffentlicher Gesetze sind nun im Grunde natürliche (unendlich-allgemeine) Gesetze sowie in der Folge zugleich auch positive (endlich-allgemeine) Gesetze notwendig zu denken. Abstrahiert man innerhalb dieser für sich verständigen Einteilung des reinen praktischen Vernunftbegriffs öffentlicher Gesetze aber von eben dieser Vernunfteinheit beider begrifflichen Einteilungsglieder im eingeteilten Begriff, dann abstrahiert man vom gemeinsam verbindenden Vorstellungsmerkmal der Publizität im Begriff des öffentlichen Gesetzes, sodass natürliche und positive Gesetze in einem derart abstrakten Rechtsbewusstsein zwangsläufig in einem unaufgehobenen und darum unvermittelten Gegensatz zum Stehen kommen. Der vermeintlich ewige Gegensatz von Naturrecht und Rechtspositivismus beruht also im Grunde lediglich auf einer Abstraktion innerhalb der praktischen Bestimmung der Rechtsidee, infolge derer ein bloß verständiges Rechtsdenken einseitig entweder dem Standpunkt des natürlichen Rechts oder aber dem des positiven Rechts den Vorrang für sich selbst einräumen muss, sodass hieraus der Schein einer Antinomie im Rechtsdenken resultiert. Denn da beide Glieder des eingeteilten Begriffs für den Verstand nach dem logischen Verstandesprinzip des Widerspruchs voneinander verschieden sind, kann sich ein bloß verständiges Rechtsdenken nicht in beiden eingeteilten Gliedern zugleich selbst erhalten, und so folgt hieraus notwendig auch die unverständige Verabsolutierung einer der beiden möglichen Verstandespunkte. Allerdings erweist sich damit sowohl die eine als auch die andere Einseitigkeit eines bloß verständigen Rechtsdenkens wiederum in dem Maße als nichtig, als die in ihm liegende Abstraktion von der zuvor schlüssig vorausgesetzten Vernunfteinheit des eingeteilten Begriffs in der Sphäre seiner begrifflich-praktischen Bestimmung bloß für sich selbst nichtig ist, wenn und 35

Dieses wichtige Moment geht beispielsweise in der Vorstellung der Positivität der öffentlichen Gesetze bei Kühl, ARSP-Beiheft 37 (1990), S. 75 (86) verloren, wenn er die positiven Gesetze bzw. einen Teilbereich derselben, die eben begrifflich nicht schon selbst öffentliches Naturrecht sind, unter ausdrücklichem Ausschluss von dieser Gerechtigkeitsfunktion begreifen zu können glaubt.

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weil sie in ihrer fortgesetzten Konsequenz die Auflösung der begrifflichen Einteilung und damit das Verschwinden der beiden Einteilungsglieder selbst zur Folge hat.36 a) Der abstrakte Verstand des positiven Rechts Abstrahiert das Rechtsdenken im Ausgang von einem positiven Gesetz unter dem reinen praktischen Vernunftbegriff des öffentlichen Gesetzes von der praktischen Bestimmung dieses Vernunftbegriffs, so reduziert sich die Vorstellung des positiven Gesetzes im Rechtsbewusstsein um das in dieser praktischen Bestimmung praktisch verbindende Moment der Publizität und es verbleibt darin sodann für sich lediglich noch der öffentlich-rechtlich unvermittelte, mithin positiv bloß willkürlich gesetzt erscheinende äußere Zwang durch eine gewaltige Übermacht. Eine solche Verstandesabstraktion negiert also für sich die vernunftbegrifflich zuvor bereits a priori gegebene Verbindung des positiven Gesetzes mit dem darüberstehenden natürlichen Gesetzen, damit aber die begriffliche Verbindung mit dem wiederum noch darüberstehenden allgemeinen Begriff des Rechts überhaupt (§ B Abs. 3). In der somit rechtsbegriffslosen Folge dieser nunmehr unverständig werdenden Abstraktion soll das positive Gesetzesrecht vermeintlich für sich selbst schon ohne allen Bezug auf eine vernünftige Rechtsidee an sich subsistieren können, sodass sich mit dem allgemeinen Rechtsbegriff zugleich auch jeglicher rechtsbegrifflicher Maßstab (§ C Abs. 1) als Kriterium der materiellen Bestimmung positiver Gesetze verliert. In der Konsequenz dieses mithin per se unkritischen Gesetzes- bzw. Rechtspositivismus liegt folglich auch die Behauptung, jeder beliebige Inhalt sei positiv gesetzesfähig.37 Also öffnet diese rechtsbegriffliche Maßlosigkeit, die zugleich auch eine solche staatsrechtsbegrifflicher Art ist, der Despotie der gesetzgeberischen Willkür Tür und Tor, weil der willkürliche Gesetzgeber, und zwar infolge seiner sich selbst gegenüber beschiedenen Freisprechung von jedem gesetzlichen Maßstab über ihm, nunmehr notwendig seinen bloßen Privatwillen zum positiven Gesetz erhebt. Dabei stellt sich die Frage eines Widerstandsrechts der in einem solchermaßen despotischen Staat subordinierten Rechtssubjekte schon von vornherein darum nicht, weil es infolge der vorausliegenden Abstraktion noch nicht einmal mehr ein rechtsbegriffliches Kriterium für die Gesetzestätigkeit des positiven Gesetzgebers, damit aber auch keinen Maßstab für eine Kritik des positiven Rechts im Staat gibt. Doch mit dieser abstrakten Verleugnung des allgemeinen Rechtsbegriffs überhaupt schließt ein solches rechtspositivistisches Rechtsdenken die es selbst zum Verschwinden bringende Negation seiner selbst schon in sich selbst. Denn aus welchem rechtsbegrifflichen Grund sollte sodann ausgerechnet die willkürliche 36

Zur produktiven Seite dieser Antinomie siehe Hoffmann, ARSP 87 (2001), S. 449 (458 ff.); ferner auch Kaehler, JRE 1 (1993), S. 103 (104 ff.). 37 Siehe für eine solche neukantianische Vorstellung des Rechtsdenkens etwa Kelsen, Reine Rechtslehre (19602).

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Gesetzestätigkeit der positiv gesetzgebenden Person im despotischen Staat noch nach den begrifflichen Vorstellungsmerkmalen von Recht und Unrecht selbst als Rechtssetzungstätigkeit bestimmbar sein? In Wahrheit sind die positiven Gesetze eines solchen despotischen Staates mit dieser Abstraktion nämlich überhaupt gar nicht mehr als „Rechtsgesetze“, sondern allenfalls noch als despotische Zwangsakte ansprechbar, weil die Abstraktion natürlich auch die ursprüngliche Verbindung von Recht und Zwangsbefugnis im allgemeinen Begriff des Rechts mit diesem selbst aufhebt (§§ D, E Abs. 1 S. 1), sodass sich der Zwang begrifflich von der Rechtsbefugnis ablöst und ein bloßer Zwang begrifflich zurückbleibt.38 Ein abstraktes Rechtsdenken bloß in positiven Gesetzen befestigt demnach rein äußerlich lediglich den blanken Naturzustand und führt somit nicht zum positiven Recht hin, sondern von diesem weg. Dass diese abstrakte Art eines Rechtsdenkens in positiven Gesetzen mit dem Kantischen Rechtsdenken unvereinbar ist, bedarf nach dem Vorstehenden keiner weiteren Erörterung. Dies zeigt sich nicht nur darin, dass die Widerstandsproblematik dort unter dem allgemeinen Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) jedenfalls überhaupt einmal aufgeworfen werden kann, sondern auch darin, dass unter dem Gedanken der Öffentlichkeit des Rechts in der Rechtslehre Immanuel Kants ein Übergang vom natürlichen zum rechtlichen Zustand einer bürgerlichen Gesellschaft im rechtlich verfassten Staat gedacht werden muss. Denn die Publizität ist als Realbedingung der rechtlichen Möglichkeit eines wirklichen öffentlichen Rechts die transzendentale Form alles öffentlichen und mithin auch alles positiven Gesetzesrechts, sodass alles positiv gesetzte und somit zugleich auch öffentlich bekannt gemachte Gesetzesrecht den Anspruch hat, darum auch an sich Recht (nicht Unrecht) zu sein, weil es mit der für sich selbst vorausgesetzten Publizität zu erkennen gibt, einen rechtlichen Zustand hervorzubringen, zur willkürlichen Absicht seiner gesetzlichen Form zu haben: „Alle Maximen, die der Publicität b e d ü r f e n (um ihren Zweck nicht zu verfehlen), stimmen mit Recht und Politik vereinigt zusammen.“39 38 Siehe dazu zusammenfassend Köhler, in: Orsi/Seelmann/Smid/Steinvorth (Hrsg.): Rechtsphilosophische Hefte I, (1993), S. 79 (80 f.). Zutreffend auch Oberer, in: Bärthlein/ Wolandt (Hrsg.): Lehrstücke der praktischen Philosophie und der Ästhetik (1977), S. 87 (98 f.): „Die Antwort des Positivismus (und mit ihm auch aller relativistischen Pseudoerklärung der Gegenwart) auf die Frage nach dem letzten Grund möglicher inhaltlicher Rechtsgeltung lautet: es gibt keine. Nun ist die Auskunft, daß es keine Auskunft gebe, sicher die billigste; die beste ist sie nicht. Denn die Frage nach den unbedingten Bedingungen aller möglichen Geltung der Inhalte von positiven Rechtsgesetzen bleibt bestehen, – unreflektiert in jedem Vernunftwesen, besonders wenn es Unrecht (womöglich positiv gesetzliches staatliches Unrecht) erlebt; reflektiert in jeder vernünftigen Rechtsphilosophie.“ 39 Siehe zu dieser Publizität als „ t r a n s z e n d e n t a l e F o r m e l des öffentlichen Rechts“ ZeF, AA VIII: 381 – 386. Die Herausarbeitung der Bedeutung einer Öffentlichkeit der Rechtssubjekte als ihrer praktisch bestimmenden Vernunftgröße all ihres wirklichen Rechts wäre einer monographischen Befassung würdig und kann hier nicht geleistet werden. Vgl. dazu einstweilen Keienburg, Immanuel Kant und die Öffentlichkeit der Vernunft (2011), S. 15 ff., 78 ff., 110 ff., 165 ff.; ergänzend sodann etwa Blesenkemper, Publice age (1987); Gerhardt, Immanuel Kants Entwurf ,Zum ewigen Frieden‘ (1995), S. 186 ff.; ders., in: Bacin/Ferrarin/

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b) Der abstrakte Verstand des natürlichen Rechts Abstrahiert das Rechtsdenken dagegen im Ausgang von einem natürlichen öffentlichen Gesetz unter dem reinen praktischen Vernunftbegriff des öffentlichen Gesetzes von der praktischen Bestimmung dieses Vernunftbegriffs, so reduziert sich die Vorstellung des natürlichen Gesetzes im Rechtsbewusstsein um das in dieser praktischen Bestimmung liegende Moment der Publizität und es verbleibt darin sodann lediglich noch der öffentlich-rechtlich unvermittelte, mithin bloß noch privatrechtliche Gedanke eines natürlichen Gesetzes für sich bestehen. Eine solche Verstandesabstraktion negiert also für sich die vernunftbegrifflich zuvor bereits a priori gegebene Verbindung des natürlichen Gesetzes des Privatrechts mit der praktischen Bestimmung des natürlichen Gesetzes des öffentlichen Rechts, in dessen Sphäre es selbst steht, da alles Privatrecht nur im öffentlichen Recht praktisch bestimmt denkbar ist. In der somit staatsrechtsbegriffslosen Folge dieser nunmehr unverständig werdenden Abstraktion soll das natürliche Privatrecht vermeintlich für sich selbst wieder ohne allen Bezug auf die praktische Bestimmung des Staates bürgerlicher Gesellschaft an sich selbst subsistieren können, sodass diese Abstraktion zu einer Hypostasierung des natürlichen Privatrechts führt, die mit der bereits kritisierten Hypostase des natürlichen Privatrechts im empirischen Wortverständnis des Begriffs des provisorischen Besitzes vollkommen identisch ist.40 Da es mit dieser Abstraktion nun jedoch keinen gesetzgebenden Allgemeinwillen im äußeren Verhältnis mehr gibt, sich dabei aber gleichwohl die vermeinte Existenz eines natürlichen Privatrechts behauptet, muss die gesetzgebende Funktion im äußeren Verhältnis dem bloßen Einzelwillen für sich selbst zugeschrieben werden, womit diese Abstraktion für alle anderen Einzelwillenssubjekte die Heteronomie des gesetzgebenden Einzelwillens im äußeren Verhältnis des natürlichen Privatrechts positiv setzt, und mithin die Negation des natürlichen Privatrechts als Recht, da alles Recht nur von einem Allgemeinwillen ausgehen kann, damit aber zugleich die Negation des abstrakten Naturrechtsdenkens, d. h. die seiner selbst ebenso schon in sich selbst schließt. Denn indem diese Abstraktion im Rechtsdenken den im äußeren Verhältnis gesetzgebenden Einzelwillen vom gesetzgebenden Allgemeinwillen freispricht, setzt sie nicht nur das höchste Unrecht, sondern, da der allgemeine Wille der Begriff des freien Willens ist, auch die höchste Begriffslosigkeit eines freien Willens ins natürliche Recht, sodass sich dieser von der Gesetzgebung eines allgemeinen Willens gründlich befreite Einzelwille mit seiner Begriffslosigkeit bereits im Naturzustand als Despot gegenüber allen anderen Willenssubjekten positiv selbst setzt. Damit aber setzt er sich wiederum notwendig dem Widerstand dieser sich durch den reinen praktischen Begriff ihres freien Willens an sich selbst als frei wissenden WillensLa Rocca/Ruffing (Hrsg.): Kant und die Philosophie in weltbürgerlicher Absicht IV (2013), S. 659 ff.; Habermas, in: Batscha (Hrsg.): Materialien zu Kants Rechtsphilosophie (1976), S. 175 ff.; Liesegang, Öffentlichkeit und öffentliche Meinung (2004), S. 53 ff. 40 Zur Kritik hieran siehe oben unter A. I. 4. im siebenten Kapitel.

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subjekte aus, die im Naturzustand unter dem allgemeinen Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) ein allgemeines Kriterium (§ C Abs. 1) zur rechtlichen Beurteilung der Gesetzgebungstätigkeit des despotischen Einzelwillens besitzen. Da ihnen der despotische Einzelwille unter dem allgemeinen Begriff des Rechts jedoch mit Recht als ein Widerstand ihrer Freiheit erscheint, wenn seine Gesetzgebung materiell nicht mit dem Begriff des Rechts im Einklang steht, resultiert aus diesem rein rechtsbegrifflichen (nicht: staatsrechtbegrifflichen) Rechtsdenken die subjektive Zwangsbefugnis des bloßen Rechtsbegriffs (§ D) als ein Recht zum Widerstand gegen diesen gesetzgebenden Despoten eines abstrakten Naturrechtsdenkens. Damit aber setzt sich in der Konsequenz dieses rein rechtsbegrifflichen Naturrechtsdenkens lediglich der blanke Naturzustand in seiner schlechten Unendlichkeit fort (§ 42 Abs. 2 – 3), denn derjenige, der dem Zwang des despotischen Einzelwillens widersteht, setzt sich durch seine Übermacht im natürlichen Zustand selbst lediglich als ein neuer Despot für alle anderen Willenssubjekte darin. Das abstrakte Naturrechtsdenken benimmt dem öffentlichen und mithin auch positiven Gesetz also jegliche Eigenbedeutung. Der Gesetzgeber hat in diesem bloß rechtsbegrifflichen und darum abstrakten Rechtsdenken nämlich allenfalls noch die Funktion, das durch den bloßen Rechtsbegriff vermeinte Naturprivatrecht der einzelnen Willenssubjekte klarstellend positiv zu setzen,41 sodass ihm widerstanden werden kann, wenn er dies nicht leistet. Dass er dies aber nicht leistet, liegt notwendig in seinem abstrakten Begriff, denn er ist als übermächtiges Willenssubjekt der selbst gemachte Despot im Naturzustand. Der Geltungsgrund aller öffentlichen und mithin auch positiven Gesetze ist dagegen nach einem auch staatsrechtsbegrifflich vernünftig in sich entwickelten Begriff des Rechts nicht etwa ihre in Wahrheit unausdenkliche materielle Naturprivatrechtsmäßigkeit, sondern die im naturrechtlichen Postulat des öffentlichen Rechts (§ 42 Abs. 1) aufgehobene und permanent aktuelle Rechtspflicht eines jeden Rechtssubjekts zum öffentlichen Recht.42 Die positiven Gesetze stehen demnach deshalb für sich in Geltung, weil sie die Form des öffentlichen Rechts, nämlich die Form eines öffentlichen Gesetzes an sich haben. Nun ist alle Gesetzesform praktisch aber nur durch die Vernunft vorstellbar,43 und folglich stehen die positiven Gesetze als wirkliche Rechtsgesetze eines existenten Staates für sich in Geltung, da sie jedenfalls schon ihrer bloßen Form nach, und mithin ohne Rücksicht auf ihre für sich zufällige Materie, an sich vernünftig sind. Denn in der bloßen Gesetzesvorstellung ist die Vernunft bereits jederzeit praktisch wirklich, und was in der Form eines Gesetzes 41

Vgl. dafür etwa Kühl, ARSP-Beiheft 37 (1990), S. 75 (83); Larenz, in: ders. (Hrsg.): Reich und Recht in der deutschen Philosophie I (1943), S. 290. 42 Auch wenn Maus, Zur Aufklärung der Demokratietheorie (1992), S. 148 ff. zutreffend sieht, dass Geltungsgrund des positiven Gesetzesrechts nicht einfach ein natürliches Privatrecht in seiner vermeintlichen Materialität sein kann, so irrt sie doch, wenn sie (155 ff.) diesen Grund in ein prozedurales Verfahren der Rechtssetzung setzt, das seinerseits vermeintlich naturrechtlich geboten sei (nämlich die repräsentative Demokratie in einem empirisch missverstandenen Sinne). 43 KpV, AA V: 28.34-35: „die bloße Form des Gesetzes lediglich von der Vernunft vorgestellt werden kann und mithin kein Gegenstand der Sinne ist“.

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wirklich ist, das ist folglich auch vernünftig. Hätte ein nachkantischer Philosoph diese Selbstverständlichkeit nicht schon wortmächtig für seinen Namen reklamiert, dürfte man sie der Sache nach also ohne weiteres mit dem Immanuel Kants verbinden. In der These eines Widerstandsrechts des Einzelnen gegen das Subjekt des gesetzgebenden Willens manifestiert sich demnach ersichtlich lediglich ein abstraktes Naturrechtsdenken, das von seiner eigentlichen staatsrechtlichen Bestimmung gründlich abstrahiert, sich dadurch aber auf ein bloß rechtsbegrifflich bestimmendes Rechtsdenken des Naturzustandes zurückwirft, und diesen unbemerkten Rückschritt der Abstraktion im Rechtsdenken völlig unvermittelt als einen naturprivatrechtlichen Gesetzesmaßstab im Gegensatz zu einer wirklichen Gesetzestätigkeit setzt. Es nimmt somit kaum Wunder, dass sich ausgerechnet von Seiten einer eigentumstheoretischen und daher privatrechtsspezifischen Interpretation der Kantischen Rechtslehre Widerspruch gegen die darin sich findende Ablehnung jeglichen Widerstandsrechts regt, weil sie einen materiellen Gerechtigkeitsmaßstab (des natürlichen Privatrechts) vor allem positiven und darum wirklichen öffentlichen Recht behauptet, den es in dieser Form, jedenfalls mit einem metaphysischen Wortverständnis des Begriffs des alleine im Hinblick auf das öffentliche Recht provisorischen Besitzes, im Kantischen Naturrechtsdenken überhaupt gar nicht gibt:44

IV. Die Unwiderstehlichkeit der Staatstätigkeit in bürgerlichen Gesetzen Die ganze gedankliche Schwierigkeit der Interpretation mit der staatsrechtsbegrifflich entschiedenen Ablehnung jeglichen Widerstandsrechts durch Immanuel Kant resultiert nur dann im Denken, wenn man das allgemein gesetzgebende Staatsrechtssubjekt (§ 45), das an und für sich selbst ein gesetzgebender Allgemeinwille ist (§ 46), mit der privatrechtsspezifischen Abstraktion eines gesetzgebenden Einzelwillens aus der staatsrechtsbegrifflichen Bestimmung herauslöst, somit allerdings staatsrechtsbegrifflich unvermittelt unter das allgemeine Kriterium allen Rechts (§ C Abs. 1) zieht, und das in dieser abstrakten Vorstellung liegende Unrecht eines im äußeren Gleichordnungsverhältnis der einzelnen Willenssubjekte gesetzgebenden Einzelwillens rein rechtsbegrifflich als Widerstand ihrer Freiheit begreift, sodass hiergegen wiederum konsequent der rein rechtsbegrifflich erlaubte Widerstand (§ D) der einzelnen Willenssubjekte zu setzen ist. Doch hierin liegt kein staatsrechtsbegrifflich praktisch real bestimmtes, sondern ein rechtsbegrifflich bloß 44 Der Zusammenhang zwischen einer naturrechtsmaterialen Auffassung des Rechts und einem Widerstandsrecht sieht auch schon insoweit zutreffend Larenz, in: ders. (Hrsg.): Reich und Recht in der deutschen Philosophie I (1943), S. 290. Siehe ferner die Vorstellung Kühls, Eigentumsordnung als Freiheitsordnung (1984), S. 169. Kritisch zu einem solchen materialen Naturrechtsverständnis dagegen Hoffmann, in: Hogrebe (Hrsg.): Grenzen und Grenzüberschreitungen (2002), S. 63 f.

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8. Kap.: Die vernunftbegrifflich-notwendige Positivität äußeren Rechts

abstrakt gedachtes Recht zum Widerstand, das mit seiner ihm eignenden Erschleichung auf der falschen Prämisse beruht, ein gesetzgebender Wille – es sei der willkürliche Gesetzgeber in einem rechtlichen oder der gesetzgebende Einzelwille im natürlichen Zustand – könne real überhaupt auch schon als ein bloßer Einzelwille begriffen werden. Um sich hierüber nunmehr noch weiter anhand der Textgrundlage der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre zu vergewissern, ist zunächst zu erinnern, dass sich die einschlägige thematische Auseinandersetzung der Frage des Widerstandsrechts unmittelbar nach der Erörterung der urvertraglich im freien Willen eines jeden einzelnen Rechtssubjekts gegründeten Staatswürdentheorie (§§ 45 – 49), nämlich in der „ A l l g e m e i n e n A n m e r k u n g v o n d e n r e c h t l i c h e n W i r k u n g e n a u s d e r N a t u r d e s b ü r g e r l i c h e n Ve r e i n s “ unter „A.“ findet.45 Sollte sich die von Immanuel Kant behauptete Ablehnung eines Widerstandsrechts also konsequent aus der ihr vorausgehenden Staatswürdentheorie ergeben, so wäre die mitunter dagegengesetzte Behauptung eines Widerstandsrechts gut beraten, sich auch von dem staatsrechtlichen Gedanken dieser Staatswürdentheorie zu verabschieden.46 Denn das schlagende und deshalb auch einzige Argument Immanuel Kants gegen ein vermeintliches Widerstandsrecht resultiert analytisch aus dem metaphysischen Begriff des Staates (§ 45 Abs. 1) bzw. den reinen praktischen Begriffen des metaphysischen Staatsrechts (§§ 45 – 49): „Der Ursprung der obersten Gewalt ist für das Volk, das unter derselben steht, in praktischer Absicht u n e r f o r s c h l i c h : d. i. der Unterthan soll nicht über diesen Ursprung, als ein noch in Ansehung des ihr schuldigen Gehorsams zu bezweifelndes Recht (ius controversum), werkthätig v e r n ü n f t e l n . Denn da das Volk, um rechtskräftig über die oberste Staatsgewalt (summum imperium) zu urtheilen, schon als unter einem allgemein gesetzgebenden Willen vereint angesehen werden muß, so kann und darf es nicht anders urtheilen, als das gegenwärtige Staatsoberhaupt (summus imperans) es will.“ (RL, AA VI: 318.19-27).

45 RL, AA VI: 318.18-323.20. – Zu der in der Literatur wohl erstmals seit Henrich, in: ders.: Kant – Gentz – Rehberg: Über Theorie und Praxis (1967), S. 7 (27) sowie ders., in: Batscha (Hrsg.): Materialien zu Kants Rechtsphilosophie (1976), S. 359 (360) unter Verweis auf die Reflexionen Nrn. 8043, 8044, 8046, 8051 (AA XIX) vertretenen Behauptung, es habe im Kantischen Denken hinsichtlich der Widerstandsfrage einen Umbruch gegeben, ist zu bemerken, dass diese These den Reflexionszusammenhang der bemühten Ausführungen verkennt, worauf bereits Maus, Zur Aufklärung der Demokratietheorie (1992), S. 141 f. hingewiesen hat. Denn es handelt sich bei diesen Reflexionen lediglich um Folgeüberlegungen zur Widerstandsfrage im Zusammenhang mit einer gemäßigten Verfassung, die Kant als „Unding“ überhaupt gänzlich ablehnt (RL, AA VI: 319.19-320.10). 46 Ein solcher Abschied ist wohl bereits dort eingeläutet, wo man sich in fortgesetzter Abstraktion davon überzeugen wollte, dass mit der Anmerkung A. eine „Annäherung an die Wirklichkeit“ einhergeht, „die mit der respublica noumenon nicht recht verträglich ist“, vgl. Jacob, Das Individuum im Spannungsverhältnis (2010), S. 92. Denn eine rechtliche Wirklichkeit im Staat (respublica phaenomenon) ist gewiss nur innerhalb, nicht aber außerhalb der der praktischen Vernunftidee des Staates (respublica noumenon) überhaupt rechtlich bestimmt denkbar.

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1. Zur rechtsbegrifflichen Denkmöglichkeit der Frage des Widerstandsrechts Anders als in einem bloß rechtspositivistischen Rechtsdenken, verfügt das einzelne Rechtssubjekt im Naturrechtsdenken Immanuel Kants mit dem allgemeinen Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) jederzeit notwendig über ein allgemeines Kriterium des Rechts überhaupt (§ C Abs. 1), sodass ihm unter diesem rechtsbegrifflichen Kriterium auch eine rechtliche Beurteilung staatlicher Gesetzgebungsakte intellektuell ohne weiteres möglich ist.47 Gelangt das einzelne Rechtssubjekt auf diese Weise aber im einzelnen Fall zur materiellen Unrechtseinsicht in die an sich gesetzesförmige Staatstätigkeit, so stellt sich notwendig auch die Frage, welche praktischen Rechtsfolgen sich an ein materiell rechtswidriges Staatshandeln unter dem allgemeinen Begriff des Rechts anschließen. Folgt aus der rein rechtsbegrifflich intellektuell erlangten Unrechtseinsicht praktisch ein subjektives Staats- oder Privatrecht zum Widerstand des einzelnen Rechtssubjekts im Staat? Der erste Satz der Allgemeinen Anmerkung A. gesteht also jedem einzelnen Rechtssubjekt eine intellektuelle Einsicht in das mögliche materielle Unrecht empirischen Staatshandelns ohne weiteres kraft seiner rechtsbegrifflichen Vernunftbegabung zu. Allerdings folgt aus der rechtsbegrifflich intellektuellen Einsicht in ein solches materielles Unrecht unter dem allgemeinen Rechtsbegriff selbst kein subjektives Recht zum Widerstand im Staat, denn die subjektive Existenz eines äußeren Rechts in der Person eines einzelnen Rechtssubjekts im Staat setzt über eine intellektuelle Rechtseinsicht hinaus auch einen praktisch real (nicht bloß rechtsbegrifflich abstrakt) bestimmenden Rechtsgrund eines wirklichen Allgemeinwillens für sich selbst voraus. Dieser subjektive Rechte im äußeren Verhältnis der Menschen zueinander real bestimmende Rechtsgrund ist aber nach seinem reinen praktischen Begriff der Staat selbst, und folglich verleiht die bloße intellektuelle Unrechtseinsicht in das materielle Staatshandeln kein Recht zum Widerstand. Das einzelne Rechtssubjekt im Staat darf mithin nach seinem allgemeinen Rechtsbegriff zwar für sich selbst „vernünfteln“ so viel es will, allerdings resultiert daraus keine subjektive Befugnis, auch im äußeren Verhältnis „werkthätig“ zu „vernünfteln“. Die vorstehende Begründung für die Verneinung jedes Widerstandsrechts im Staat ergibt sich aus dem zweiten Satz der Allgemeinen Anmerkung A:

47

In der Literatur trifft man hier auf ungenaue Bestimmungen. So spricht Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 356 in dieser Hinsicht von der Existenz einer „gesetzgebungsethischen Norm“, die Haensel, Kants Lehre vom Widerstandsrecht (1926), S. 57 in der Sache wiederum aus einer kriteriellen Funktion des ursprünglichen Vertrages gewonnen haben will.

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2. Zur staatsrechtsbegrifflich unmöglichen Denkbarkeit eines Widerstandsrechts Der bloße Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) verleiht für sich selbst kein wirkliches subjektives Recht, weil im allgemeinen Begriff bloß die abstrakte Vorstellung eines subjektiven Rechts überhaupt gelegen ist (§ D). Ein wirkliches subjektives Recht ist also erst in einem besonderen Rechtsbegriff von einem solchen subjektiven Recht unter dem allgemeinen Begriff des Rechts konkret rechtlich bestimmt denkbar.48 Nun lassen sich zwei Klassen subjektiver Rechte denken, die beide gleichermaßen im Staat ihre Wirklichkeit haben, wobei die Klasse des angeborenen Rechts der Freiheit als Unabhängigkeit von fremder Willkür bereits vor dem Staat und unabhängig von ihm rechtlich konkret bestimmt denkbar ist, weil ich als ein freier Wille bloß für mich selbst schon ein wirklicher Allgemeinwille bin, während die Klasse des erworbenen Rechts der Freiheit als wechselseitiger Abhängigkeit von fremder Willkür in Rechtsgesetzen nur durch den Staat rechtlich konkret bestimmt denkbar ist, weil ich als ein freier Wille außer mir selbst nicht schon bloß für mich selbst ein wirklicher Allgemeinwille bin. Lässt sich ein subjektives Widerstandsrecht gegen den Staat aber nicht als ein angeborenes Recht der Freiheit rechtlich bestimmt denken (dazu a)), dann bleibt an der Widerstandsbehauptung zu prüfen, ob ein subjektives Widerstandsrecht gegen den Staat im äußeren Verhältnis erworben wird (dazu b)). Weil der Staat nach seinem reinen praktischen Begriff allerdings das absolute Rechtssubjekt alles wirklichen äußeren Rechts ist, im Begriff des subjektiven Widerstandsrechts aber die gänzliche Verkehrung des staatlichen Subordinationsverhältnisses behauptet wird, lässt sich das subjektive Widerstandsrecht gegen den Staat als Objekt desselben auch nicht als erworbenes Recht im äußeren Verhältnis denken, denn es ist die alleinig vernünftige Bestimmung des einzelnen Rechtssubjekts, im und nicht außer des staatlichen Subordinationsverhältnisses zu sein. a) Das subjektive Widerstandsrecht gegen den Staat als angeborenes Recht? „ F r e i h e i t (Unabhängigkeit von eines Anderen nöthigender Willkür), […] ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen kraft seiner Menschheit zustehende Recht.“49 Mit diesem angeborenen Recht der Freiheit als bloßer Unabhängigkeit im äußeren Verhältnis hat ein jedes menschliche Rechtssubjekt unter seinem allgemeinen Begriff des Rechts (§§ B Abs. 3, D) ein Widerstandsrecht gegen ungesetzlichen Zwang. Nun kann eine ungesetzliche Nötigung im äußeren Verhältnis der Menschen zueinander im natürlichen und daher noch nicht staatlichen Zustand ihrer freien 48 49

Siehe dazu nochmals den methodologischen Hinweis zu § D unter D. im fünften Kapitel. RL, AA VI: 237.29-32.

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Willkür aber lediglich von einzelnen menschlichen Rechtssubjekten, nicht jedoch von einem Staatsrechtssubjekt ausgehen, denn die Naturzustandsvorstellung abstrahiert zunächst einmal von aller staatsrechtlichen Bestimmung, solange darin noch keine erworbenen Rechte provisorisch im Hinblick auf ihre staatsrechtliche Bestimmung gedacht werden. Im Naturzustand stellt sich die Widerstandsfrage also nicht im Verhältnis von Privatrechts- und Staatsrechtssubjekt, sondern lediglich im Verhältnis einzelner Rechtssubjekte zueinander, und in diesem letzteren Verhältnis hat ein jedes menschliches Rechtssubjekt mit seinem angeborenen Recht der Freiheit ein Widerstandsrecht gegen ungesetzlichen Zwang. Wollte man ein subjektives Widerstandsrecht gegen den Staat dagegen in einem staatlichen Zustand aus dem angeborenen Recht der Freiheit als Unabhängigkeit von fremder Willkür ableiten, dann wäre zu bedenken, dass das einzelne Rechtssubjekt im ursprünglichen Vertrag in die Gesetzestätigkeit des Staates einwilligt, weil es nach der reinen praktischen Idee des ursprünglichen Vertrages eine Konstituente des Staates selbst ist, sodass es seine angeborene Unabhängigkeit von fremder Willkür im Staat selbst bewahrend aufhebt. Die ihm demnach durch das staatliche Rechtssubjekt widerfahrende Nötigung ist also nach der vernunftbegrifflich schon zur Wirklichkeit im äußeren Verhältnis entwickelten Autonomie im Grunde seine eigene, und nicht irgendeine rechtlich unvermittelte Heteronomie einer sonst bloß übermächtigen Gewaltinstanz. Also liegt in dem im staatlichen Zustand positiv ausgeübten Gesetzeszwang keine ungesetzliche Nötigung fremder Willkür im Sinne des angeborenen Rechts der Freiheit. Damit gilt für die Klasse des angeborenen Rechts uneingeschränkt der zweite Satz des vorstehenden Zitats der Allgemeinen Anmerkung A., dass nämlich das Volk schon wirklich als unter einem allgemeinen Willen stehend angesehen werden muss, wenn es sich anmaßt, mit Rechtskraft über den allgemein gesetzgebenden Willen im Staat zu urteilen, d. h. ihm zu widerstehen. Dementsprechend kann ein einzelnes Rechtssubjekt im Staat nach seiner reinen praktischen Idee des Staates in der existenten Rechtsform eines Staates gar nicht anders urteilen, als es der wirklich gesetzgebende Allgemeinwille als Staatsoberhaupt will, und in der Folge ist ein angeborenes Widerstandsrecht im staatlichen Zustand nicht real denkmöglich. b) Das subjektive Widerstandsrecht gegen den Staat als erworbenes Recht? Ist dem einzelnen Rechtssubjekt ein subjektives Widerstandsrecht gegen den Staat nicht schon ursprünglich angeboren, dann kann es sich bei seiner Widerstandsrechtsbehauptung nur um ein solches subjektives Recht der Klasse erworbener Rechte handeln. Aller realer Rechtsbesitzerwerb im äußeren Verhältnis ist dem einzelnen Rechtssubjekt mit einem metaphysischen Wortverständnis des Begriffs des provisorischen Besitzes (§§ 8, 9, 15) aber nur durch den und damit im Staat möglich, sodass das subjektive Widerstandsrecht des einzelnen Rechtssubjekts selbst ausgerechnet von demjenigen Rechtssubjekt rechtlich abgeleitet erworben vorge-

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stellt werden müsste, dem da mit Recht widerstanden werden soll. Also bewahrheitet sich auch hier der zweite Satz des eingangs zitierten Gedankens der Allgemeinen Anmerkung A., danach das Volk bereits als unter einem allgemein gesetzgebenden Willen im Staat wirklich stehend begriffen werden muss, wenn es sich in seiner „Widerspenstigkeit“50 gegen den Staat – der es nach dem ursprünglichen Vertrag gleichursprünglich ja selbst ist – anmaßt, mit Rechtskraft als einzelnes Rechtssubjekt über diesen gesetzgebenden Allgemeinwillen im Staat urteilen zu wollen. Ein subjektives Widerstandsrecht ist damit lediglich in der Rechtserwerbshandlungsrechtsform des staatlichen Gesetzes als erworben vorstellbar, sodass die Widerstandsrechtsbehauptung bei Lichte besehen auf die offensichtlich einen unaufgehobenen Widerspruch in sich bergende Frage hinausläuft, ob es durch ein staatliches Gesetz einen wirklichen staatlichen Allgemeinwillen in der Form eines subjektiven Rechts geben kann, der sich gegen den wirklichen staatlichen Allgemeinwillen in der Form des staatlichen Gesetzes richtet? Denn da das subjektive Widerstandsrecht gegen den wirklichen Allgemeinwillen ausgerechnet von diesem zuvor objektiv abgeleitet sein müsste, enthält der staatrechtliche Begriff eines subjektiven Widerstandsrechts des Staatsrechtsobjekts gegen das Staatsrechtssubjekt den fundamentalen Widerspruch in sich, dass das Staatsrechtssubjekt in der praktischen Bestimmung seiner eigenen Staatstätigkeit (Subjektivität) bloßes Objekt seiner praktischen Bestimmung sein soll, sodass der Begriff des subjektiven Widerstandsrechts, und zwar infolge dieses Widerspruchs, im Staat real nicht denkmöglich ist: Entweder bestimmt der Staat das einzelne Rechtssubjekt durch gesetzliche Subordination in sich, und dann widersteht dieses jenem gerade nicht, oder das einzelne Rechtssubjekt subordiniert den Staat in seiner Widerstandstätigkeit unter sich, doch dann bestimmt der Staat gerade dieses einzelne Rechtssubjekt nicht durch gesetzliche Subordination in sich. Das subjektive Widerstandsrecht wäre demnach ein rechtzuständlich begründetes Recht gegen das den rechtlichen Zustand absolut begründende Rechtssubjekt, nämlich des Inhalts, gar keinen Rechtszustand zu haben. Es wäre also ein abgeleitetes Recht auf den ursprünglichen Naturzustand, darin es gar keine rechtliche Instanz wirklich abgeleiteten Erwerbs geben kann. Mithin führt die mitunter subjektiv vielleicht wohlmeinende Behauptung eines Widerstandsrechts gegen den Staat nicht zum äußeren Recht in seiner Form des öffentlichen Gesetzes hin, sondern – ganz im Gegenteil – von der gesetzlichen Form eines rechtlichen Zustandes im äußeren Verhältnis der Menschen weg bzw. sogar noch weit hinter diese zurück. Also bewahrheitet sich auch in der kritischen Prüfung der Behauptung eines zu erwerbenden Widerstandsrechts gegen den Staat der zweite Satz des eingangs stehenden Zitats der Allgemeinen Anmerkung A., dass nämlich das Volk in einem verfassten Staat rechtkräftig gar nicht anders urteilen kann, als es das gesetzliche Staatsoberhaupt schon tut, denn Rechtskraft geht nur von einem wirklichen Allgemeinwillen aus. Wollte ein einzelnes Rechtssubjekt dagegen auf seinem vermeintlich 50

TP, AA VIII: 300.13.

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rechtskräftigen Privaturteil über den allgemein gesetzgebenden Willen im Staat in einseitiger Tätigkeit gegen ihn beharren, so müsste es sich in seinem unvernünftigen Größenwahn anmaßen, alle drei Staatsgrößen – Legislative, Exekutive und Judikative – unter Negation aller rechtlichen Repräsentationsverhältnisse despotisch auf sich selbst zu vereinigen. Die individualistische Behauptung eines Widerstandsrechts läuft also in letzter Instanz auf eine nicht erst der Materie, sondern bereits der rechtlichen Form nach unrechtliche Despotie eines Einzelwillens über den alle Einzelwillen – allheitlich in sich subordinierend – erst rechtlich verfassenden Allgemeinwillen hinaus, und stellt daher in Wahrheit sogar ein weitaus größeres Übel dar, als ein bloß der Gesetzesmaterie nach unrechtlich gesetzgebender Allgemeinwille als ein Übel erscheinen mag. Denn dieser letztere hat mit der öffentlichen Form des positiven Gesetzes wenigstens noch die Präsumtion der Staatsrechtlichkeit seiner Bestimmungstätigkeit auf seiner Seite. c) Zur weiteren Verdeutlichung der unmöglichen Denkbarkeit eines Widerstandsrechts Die nunmehr hinreichend auseinandergesetzte Begründung der nach reinen Begriffen des Staatsrechts nicht grundlos rigorosen Ablehnung jeglichen Widerstandsrechts im zweiten Satz des genannten Zitats der Allgemeinen Anmerkung A. kommt dann identisch auch nochmals in folgender Passage zum Ausdruck, die gegen die despotischen Anmaßungen eines widerständlerischen Einzelwillens darauf insistiert, dass es über der obersten Gewalt im Staat schon rein begrifflich keine noch höhere rechtliche Zwangsgewalt geben kann, weil jene sonst nicht sie selbst, nämlich die oberste Gewalt im Staat wäre. „Der Grund der Pflicht des Volks einen, selbst den für unerträglich ausgegebenen Mißbrauch der obersten Gewalt dennoch zu ertragen liegt darin: daß sein Widerstand wider die höchste Gesetzgebung selbst niemals anders als gesetzwidrig, ja als die ganze gesetzliche Verfassung zernichtend gedacht werden muß. Denn um zu demselben befugt zu sein, müßte ein öffentliches Gesetz vorhanden sein, welches diesen Widerstand des Volks erlaubte, d. i. die oberste Gesetzgebung enthielte eine Bestimmung in sich, nicht die oberste zu sein und das Volk als Unterthan in einem und demselben Urtheile zum Souverän über den zu machen, dem es unterthänig ist; welches sich widerspricht und wovon der Widerspruch durch die Frage alsbald in die Augen fällt: wer denn in diesem Streit zwischen Volk und Souverän Richter sein sollte (denn es sind rechtlich betrachtet doch immer zwei verschiedene moralische Personen); wo sich dann zeigt, daß das erstere es in seiner eigenen Sache sein will.“ (RL, AA VI: 320.21-34).51

51 Der kritische Einwand Köhlers, Die Lehre vom Widerstandsrecht (1973), S. 42 f., in diesem Argument liege eine Einseitigkeit begründet, insofern nämlich dem historischen Subjekt des Monarchen gleichwohl die Stellung eines Richters in eigener Sache zukomme, dürfte auf einem verzeitlichten Verständnis des Staatsoberhaupts der Idee bestehen, sodass eine vermeintliche Inkonsequenz jedenfalls den idealistischen Rechtsgedanken nicht an sich selbst betrifft.

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8. Kap.: Die vernunftbegrifflich-notwendige Positivität äußeren Rechts

Die weitere nunmehr auf das Eingangszitat der Allgemeinen Anmerkung A. hin folgende Erörterung der Widerstandsproblematik wendet dieses mit dem praktischen Vernunftbegriff des Staates (§ 45) bzw. des ursprünglichen Kontrakts (§ 47) unmittelbar gegebene staatsrechtliche Argument gegen ein naturprivat- oder -staatsrechtlich vermeintes Widerstandsrecht lediglich noch erläuternd hin und her.52 Deshalb folgt dort zunächst auch eine Erinnerung, dass es bei dem reinen praktischen Vernunftbegriff der idealen Erwerbung eines staatlichen Zustandes unter öffentlichen Gesetzen durch ursprünglichen Vertrag auf das geschichtliche Faktum eines solchen vermeintlichen Vertragsschlusses nicht ankommt, sodass man sich auf diese Weise einer ohnehin unzulänglichen Uranfangsspekulation hinsichtlich der bestehenden Herrschaftsordnung zeitlich nicht vor diese mit ihren bürgerlichen Gesetzen und mithin aus dieser heraus zu spekulieren vermag.53 Nach der reinen praktischen Idee des ursprünglichen Vertrages ist der gesetzgebende Wille im Staat allerdings an und für sich als untadelig zu begreifen, sodass die unter der Staatsidee bereits existenten öffentlichen Gesetze eines wirklichen Staatswesens mit dieser praktischen Bestimmung gleichermaßen unbedingt und ausnahmslos54 als „heilig“, d. h. als durch keine praktische äußere Handlung antastbar anzusehen sind, mag auch das individuelle Erkenntnisurteil darüber in materieller Hinsicht ein anderes sein:55 „Ein Gesetz, das so heilig (unverletzlich) ist, daß es p r a k t i s c h auch nur in Zweifel zu ziehen, mithin seinen Effect einen Augenblick zu suspendiren schon ein Verbrechen ist, wird so vorgestellt, als ob es nicht von Menschen, aber doch von irgend einem höchsten, tadelfreien Gesetzgeber herkommen müsse, und das ist die Bedeutung des Satzes: ,Alle Obrigkeit ist von Gott‘, welcher nicht einen G e s c h i c h t s g r u n d der bürgerlichen Verfassung, sondern eine Idee als praktisches Vernunftprincip aussagt: der jetzt bestehenden gesetzgebenden Gewalt gehorchen zu sollen, ihr Ursprung mag sein, welcher er wolle.“ (RL, AA VI: 319.02-11).

52 Vgl. in diesem Sinne auch ZeF, AA VIII: 382.21-30; TP, AA VIII: 297-305.28. – Wenn die Interpreten (Deggau, Die Aporien der Rechtslehre Kants [1983], S. 268; Kräft, Apriorität und Positivität des Rechts nach Kant [2011], S. 63 f.; Mandt, Tyrannislehre und Widerstandsrecht [1974], S. 148; Steigleder, Kants Moralphilosophie [2002], S. 212; Unruh, Die Herrschaft der Vernunft [1993], S. 194, 197 ff.; Winkler, Die Freiheit im und vom Staate bei Immanuel Kant [2011], S. 156 ff.), dagegen eine Vielzahl von Argumenten ausgemacht wissen wollen, dann dürfte ihnen nicht nur der einheitliche Kern der staatsrechtlichen Begründung Immanuel Kants, sondern auch der mit ihr verbundene methodologische Anspruch begrifflichen Denkens entgangen sein. 53 RL, AA VI: 318.27-319.02. – Hier liegt also nochmals ein Hinweis auf die Idealität des Erwerbs eines staatlichen Zustandes durch den Vernunftbegriff des ursprünglichen Vertrages, und nicht sein Gegenteil, nämlich der Hinweis auf die vermeintliche Bedeutungslosigkeit des Vertragsgedankens insgesamt, wie aber etwa Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 366 ff. annimmt. 54 „Und dieses Verbot [sc. der Widersetzlichkeit] ist u n b e d i n g t “ (TP, AA VIII: 299.26). 55 Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 355 ff. behauptet sogar gegen diesen ursprünglichen Vertragsgedanken die in sich schlüssige Begründung der Kantischen Theorie des verbindlichen Gehorsams.

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Erscheint ein willkürlich positiv gesetzgebender Wille in einem wirklich existenten Staat vor dem Hintergrund der reinen praktischen Vernunftidee eines allgemein gesetzgebenden Willens im Staat (§ 45 Abs. 1) sodann in einem subjektiven Urteil hierüber materiellrechtlich auch noch so unzulänglich, so ist doch nach der reinen praktischen Staatsidee ein rechtlicher Zustand der einzelnen Rechtssubjekte in einer bürgerlichen Gesellschaft unter einem allgemein gesetzgebenden Willen im Staat alleine durch wirkliche Subordination unter diesen, und nicht durch individuelle Ausnehmung bzw. tätige Unterjochung desselben, d. h. durch tätige Verkehrung des an und für sich einzig vernünftigen Prinzips der Subordination wirklich möglich. Im Unbegriff eines Widerstandsrechts gegen die subordinative Staatstätigkeit in positiven Gesetzen liegt dagegen geradezu die völlige Umkehrung des vernünftigen Subordinationsverhältnisses eines Einzelwillens unter den Allgemeinwillen, und mithin stellt der tätige Versuch der Verkehrung dieses an und für sich vernünftigen Subordinationsverhältnisses, und zwar nach Form und Materie, das größtmögliche56 Unrecht dar: „Was die Revolutionäre tun, ist nicht besser als was jeder kriegführende Tyrann tut, ja schlimmer.“57 Durch die Aufhebung der praktischen Vernunftform des positiven und mithin öffentlichen Gesetzes findet nämlich zugleich die Aufhebung der praktischen Vernunftform alles öffentlichen Rechts statt, sodass der tätige Widerstand nichts anderes als den reinen Naturzustand der einzelnen für sich (im negativen Verstande) freien, jedoch im interpersonalen Verhältnis positiv allseitig despotischen Willkür bedeutet. Auf diese Weise ist also überhaupt gar kein Rechtszustand zu haben,58 und so kann man mit dem staatsrechtlichen Abfall eines vermeinten Widerstandsrechts auf der Basis des naturrechtlichen Postulats des öffentlichen Rechts, in seiner kontinuierlichen Permanenz zu einem rechtlichen Zustand, nicht ernstlich ein „vorpositiv-naturrechtliches Widerstandsrecht der 56 Siehe dazu neben RL, AA VI: 308.04-06 auch ZeF, AA VIII: 382.04-14: „Die Rechte des Volks sind gekränkt, und ihm (dem Tyrannen) geschieht kein Unrecht durch die Entthronung; daran ist kein Zweifel. Nichts desto weniger ist es doch von den Unterthanen im höchsten Grade unrecht, auf diese Art ihr Recht zu suchen, […].“ 57 So Spaemann, in: Batscha (Hrsg.): Materialien zu Kants Rechtsphilosophie (1976), S. 347 (351): „Sie beseitigen eine bereits bestehende Basis vernünftigen Handelns.“ – Zutreffend hat auch Römpp, ARSP 74 (1988), S. 460 dieses „Grundproblem des modernen rechtsphilosophischen Denkens“ auf den Begriff gebracht: „In der Sprache des Alltags wird der Ausdruck ,mein Recht‘ üblicherweise verwendet, um Ansprüche gegen andere Menschen oder den Staat […] mit dem Bewusstsein gesicherter Legitimität erheben zu können. Diese Redeweise ist jedoch in sich ambivalent. Zum einen bewahrt sie das Wissen auf, daß staatlich gesetztes Recht nicht schon als solches eine vernünftige […] Begründung besitzt. […]. Zum anderen beansprucht es [das Subjekt, M.H.] jedoch damit, eine private Kenntnis dessen, was rechtens ist, dem öffentlich bekannten und mit Sanktionen unterstützten Recht entgegensetzen zu dürfen und hebt auf diese Weise zwar nicht die Macht-, aber doch die Geltungsgrundlage des letzteren auf. Indem ein solches Bewusstsein apriorisch zu wissen glaubt, was sein Recht ist, dementiert es die Allgemeinverbindlichkeit der positiven Gesetze und negiert damit gerade das, worauf es doch Anspruch erhebt, wenn es nicht nur seine Interessen vertreten, sondern auf seinem Recht insistieren will.“ 58 Das erinnert zutreffend Spaemann, in: Batscha (Hrsg.): Materialien zu Kants Rechtsphilosophie (1976), S. 347 (348).

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Bürger“ für ein Kantisches Rechtsdenken ausgeben, denn im Naturzustand gibt es überhaupt gar keinen bürgerlichen Zustand und folglich auch keinen Bürger als vermeinten Rechtsträger des vermeintlich „überlegene[n] Naturrecht[s] zu selbstbeurteilt maßvollem Rechtszwang“.59 „Wider das gesetzgebende Oberhaupt des Staats giebt es also keinen rechtmäßigen Widerstand des Volks; denn nur durch Unterwerfung unter seinen allgemein-gesetzgebenden Willen ist ein rechtlicher Zustand möglich; also kein Recht des A u f s t a n d e s (seditio), noch weniger des A u f r u h r s (rebellio), am allerwenigsten gegen ihn als einzelne Person (Monarch) unter dem Vorwande des Mißbrauchs seiner Gewalt (tyrannis) V e r g r e i f u n g an seiner Person, ja an seinem Leben (monarchomachismus sub specie tyrannicidii).“ (RL, AA VI: 320.11-18).60

Innerhalb der praktischen Vernunftidee des Staates gelten die vorstehenden Überlegungen besonders im Verhältnis der einzelnen Rechtsperson zu der ihrer Würde nach unwiderstehlichen Staatsgewalt im Vollzug der staatlichen Gesetze.61 Denn wenn die ausführende Staatsgewalt den ihr übergeordneten öffentlichen Gesetzen zuwider verfährt, ist das dem einzelnen Rechtssubjekt subjektiv verfügbare Rechtsmittel in einem rechtgesetzlich geordneten Staatswesen (res publica) nicht ein vermeintliches Widerstandsrecht, sondern die „ B e s c h w e r d e “.62 3. Der Begriff der unmöglichen Denkbarkeit eines Widerstandsrechts Nach alledem läuft die Vorstellung eines subjektiven Widerstandsrechts gegen die gesetzliche Staatstätigkeit auf einen unaufhebbaren Widerspruch im staatsrechtlichen Begriff dieses Gedankens heraus, sodass der durch den Begriff staatsrechtlich zu begreifende Begriffsgegenstand, nämlich das vermeinte Widerstandsrecht, ausnahmslos ein staatsrechtliches Nichts ist, weil schon der in sich widersprüchliche

59 So neuerdings aber Köhler, Recht und Gerechtigkeit (2017), S. 298 Fn. 218 und S. 691 f.; vgl. in der Sache ähnlich auch Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 377 ff. mit Fn. 250 und 254; Geismann, Kant und kein Ende III (2012), S. 143 – 157. 60 Sachgleich ausnahmslos auch TP, AA VIII: 299.22-32. – Die scheinbar einschränkende Formulierung im Anhang zur RL, AA VI: 371.21-23: „Gehorchet der Obrigkeit (in allem, was nicht dem inneren Moralischen widerstreitet)“ nimmt nicht etwa bestimmte äußere Handlungen unter positiven Gesetzen vom Verbot des Widerstandes aus, sondern zeigt nur die Sphäre der Bestimmung möglicher äußerer Gesetzgebung präzise an, danach das Recht für innere Handlungen der (tugendhaften) Zwecksetzung nicht zuständig ist (siehe dazu auch Kersting, Wohlgeordnete Freiheit [20073], S. 371 ff.). Ein Beispiel für ein nicht dem „Recht“, sondern dem „Zweck der Menschheit“ widerstreitendes Gesetz findet sich in TP, AA VIII: 304.36-305.15. Diese Differenz zwischen „Recht“ und „Zweck“ der Menschheit hebt Geismann, Kant und kein Ende III (2012), S. 143 ff. dagegen kurzerhand auf, wenn er gar eine Ungehorsamspflicht im Falle positivgesetzlicher Verstöße gegen das „Recht der Menschheit“ aus der Kantischen Rechtslehre herausbringen zu können glaubt. 61 Siehe dazu auch schon oben zu Fn. 17. 62 RL, AA VI: 319.12-18.

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Begriff ein staatsrechtliches Nichts ist.63 Man kann also mit Blick auf das subjektive Widerstandsrecht insofern von einem leeren Begriff des Staatsrechts ohne Gegenstand („nihil negativum“) sprechen.64 Allerdings ist diese in sich widersprüchliche praktische Bestimmung des Begriffs eines subjektiven Widerstandsrechts an sich auch nicht gar Nichts, sondern sie enthält positiv in sich das abermalige Werden des Naturzustandes, damit aber die Auflösung ihres Begriffs, der sich so im begrifflichen Rechtsdenken selbst auch wieder zum Verschwinden bringt. Doch diese verschwindende Bestimmung des Begriffs eines subjektiven Widerstandsrechts im Staat wird auch bereits im Staat selbst sichtbar, wenn man nur bedenkt, dass sich diese Rechtsbehauptung zum Widerstand im Staat ausgerechnet gegen das Rechtssubjekt derjenigen Staatsgewalt richtet, die den vermeinten Widerstand zuvor durch ihr Gesetz gewährt und rechtlich erlaubt haben soll.65 Denn ein im subjektivrechtlichen Einklang mit der staatlichen Gesetzesordnung geübter „Widerstand“ wäre ein von der Staatsgewalt erlaubter und darum rechtmäßiger Befugnisgebrauch, damit jedoch offensichtlich alles andere als ein echter Widerstand gegen diese Staatsgewalt. Der echte Begriff des Widerstandes lebt nämlich von dem harten Widerspruch zur geltenden Rechtsordnung der Staatsgewalt, der dann tatsächlich staatsrechtswidrig auch widerstanden wird, sodass ein wahrhafter Begriff des Widerstandes gerade eines nicht verträgt, nämlich die süße Schmeichelei einer subjektiven Rechtsgewährung durch das zu widerstehende Staatsrechtssubjekt. Wer seinem inneren Drang, der Staatsgewalt zu widerstehen, also nicht selbst widerstehen möchte, mag dies tun, nur muss er dies – will er sich nach seinen Begriffen von Staat und Widerstand nicht selbst widersprechen – ohne jeglichen Rechtsgrund tun.66 Alle rechtlich bzw. sittlich-konstante Formung eines Zustandes des öffentlichen Rechts der freien Willkür ist daher überhaupt nicht auf dem Weg der Revolution, sondern alleine auf dem permanent-evolutiven und von Revolutionen deshalb ununterbrochenen Weg der Reform möglich: „ I n w e l c h e r O r d n u n g a l l e i n k a n n d e r F o r t s c h r i t t z u m B e s s e r e n e r w a r t e t w e r d e n ? Die 63

RL-Anhang, AA VI: 327.26-37: „[…] Gegen diese Machtvollkommenheit noch einen Widerstand zu erlauben (der jene oberste Gewalt einschränkte), heißt sich selbst widersprechen; denn alsdann wäre jene (welcher widerstanden werden darf) nicht die gesetzliche oberste Gewalt, die zuerst bestimmt, was öffentlich recht sein soll oder nicht – und dieses Princip liegt schon a priori in der I d e e einer Staatsverfassung überhaupt, d. i. in einem Begriffe der praktischen Vernunft, dem zwar a d ä q u a t kein Beispiel in der Erfahrung untergelegt werden kann, dem aber auch als Norm keine widersprechen muß.“ 64 A 291/B 348. 65 Siehe auch Geismann, Kant und kein Ende III (2012), S. 138 f. 66 „Übrigens hat man angesichts der von manchen (meist nach 1945 geborenen) Kritikern zur Schau getragenen Entrüstung den Eindruck, daß sie, den Dolch im Gewande, keinen Augenblick gezögert hätten, bei der ersten Gelegenheit Deutschland vom Tyrannen zu befreien. Besonders im Kontrast zum dem Verhalten der meisten zwischen 1933 und 1945 in Deutschland gebliebenen Philosophen erinnert die plötzliche Schwemme an potentiellen hartgesottenen Widerständlern an die wundersame Brotvermehrung.“ (Geismann, Kant und kein Ende III [2012], S. 147 Fn. 631).

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Antwort ist: nicht durch den Gang der Dinge v o n u n t e n h i n a u f , sondern den v o n o b e n h e r a b .“67 Insofern eignet der Antinomie des scheinbaren Gegensatzes von Naturrecht und positivem Recht ein originär rechtskonstitutives und insofern freiheitlich-produktives Moment im gemeinschaftlichen Leben der Rechtssubjekte,68 das in einer vorschnellen Verurteilung der Kantischen Beurteilung der Widerstandsfrage nicht selten nur unzureichend bedacht sein dürfte. Denn die Annahme eines Widerstandsrechts verunmöglicht letztlich die vernunftbegriffliche Entfaltung eines sittlichen Zusammenhangs im Recht der Menschen und folglich liegt ihr eine durchaus unpraktische Idee des Rechts zugrunde. Es gilt darum auf der Basis der Kantischen Rechtslehre noch immer das an Klarheit jedenfalls nichts zu wünschen übrig lassende Diktum Immanuel Kants aus dem Jahr 1798: „Es wäre lächerlich, sich dem Gehorsam gegen einen äußern und obersten Willen darum, weil dieser angeblich nicht mit der Vernunft übereinstimmt, entziehen zu wollen. Denn darin besteht eben das Ansehen der Regierung, daß sie den Unterthanen nicht die Freiheit läßt, nach ihren eigenen Begriffen, sondern nach Vorschrift der gesetzgebenden Gewalt über Recht und Unrecht zu urtheilen.“69 4. Zur in sich widersprüchlichen Behauptung eines naturprivatrechtlichen Widerstandsrechts Leidet die naturrechtliche Behauptung eines subjektiven Widerstandsrechts gegen die Staatsgewalt an einem notwendigen Widerspruch in ihrem Begriff, und ist ein Widerstandsrecht folglich für ein staatsrechtsbegrifflich aufgeklärtes Naturrechtsbewusstsein bereits real nicht denkmöglich, so lässt sich gegen die Kantische Ablehnung desselben insoweit schlechterdings nichts Schlüssiges vorbringen.70 Bei

67

SF, AA VII: 92.12-15; siehe auch RL, AA VI: 355.21-30. Siehe dazu Hoffmann, ARSP 87 (2001), S. 449 (457 ff.). 69 SF, AA VII: 25.06-12. 70 Aus diesem Grund konnte bereits Spaemann, in: Batscha (Hrsg.): Materialien zu Kants Rechtsphilosophie (1976), S. 347 mit Recht urteilen, dass gegen die Kantische Rechtslehre in diesem Punkt bislang noch kein schlagender Einwand formuliert wurde. – Die in sich widerspruchsfreie Folgerichtigkeit der Ablehnung eines – jedoch mitunter sehr unterschiedlich aufgefassten – Widerstandsrechts konstatieren zudem auch Deggau, Die Aporien der Rechtslehre Kants (1983), S. 267 ff.; Geismann, Kant und kein Ende III (2012), S. 136 ff.; Hirsch, Freiheit und Staatlichkeit bei Kant (2017), S. 337 ff. (419); Kersting, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 354 ff.; ders., Kant über Recht (2004), S. 141 ff.; Kräft, Apriorität und Positivität des Rechts nach Kant (2011), S. 69; insoweit auch Kühl, ARSP-Beiheft 37 (1990), S. 75 (91 – 93): widerspruchsfrei, jedoch mängelbehaftet und korrekturfähig; Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 171 ff.; ders., in: Höffe (Hrsg.): Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (1999), S. 173 (189 ff.); Scheffel, in: Brandt (Hrsg.): Rechtsphilosophie der Aufklärung (1982), S. 178 ff.; Unruh, Die Herrschaft der Vernunft (1993), S. 212 (obgleich zwar nicht die Theorie, sondern die Praktikabilität bezweifelnd); Winkler, Die Freiheit im und vom Staate bei Immanuel Kant (2011), S. 168 ff.; ausführlich schon Tieftrunk, Philosophische Untersuchungen II (1798), S. 324 ff. (347). 68

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Lichte besehen handelt es sich im Widerstandsfalle also um einen außergesetzlichen Fall der Gewaltanwendung. Von diesem aber ist hier zu konstatieren, was Robert Spaemann mit Blick auf die Kantische Widerstandslehre bis auf Weiteres gültig formuliert hat: „Alle Versuche, außergesetzliche Gewalt moralisch zu rechtfertigen, laufen darauf hinaus, die Einmaligkeit und Unvergleichlichkeit des Falles zu behaupten, den Fall in einen unvermittelten Bezug zur Totalität zu setzen.“71 Nichts anderes geschieht allerdings, wollte man aus der bloß intellektuellen Einsicht in ein materiell rechtswidriges Staatshandeln unter dem bloßen allgemeinen Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) kurzschlüssig auch schon ein subjektives Recht gegen den Staat auf Widerstand gegen ihn abgeleitet wissen. Gleichwohl besteht an solchen hinter alle aufgeklärten Rechtsbegriffe zurückgehenden Behauptungen – gerade auf vorgeblicher Basis des Kantischen Rechtsdenkens selbst – in der Sekundärliteratur bekanntlich kein Mangel. Typischerweise beruhen solche den fremden Autor besser als dieser sich selbst kennenden Widerstandsrechtsthesen stets auf der Existenzsannahme eines auf irgend eine Art materialen Naturrechts, über dessen vermeintlichen Geltungsvorrang sich sodann das vorpositiv angelegte Widerstandsrecht begründen soll, wenn positives Gesetzesrecht materiell in einem Widerspruch zu diesem vorstaatlichen Naturrecht gesetzt ist. Insofern dabei als Bedingung eines zulässigen Widerstandes – in Radbruchscher Tendenz – ein Höchstmaß an materiellem Unrecht der Quantität nach vorausgesetzt sein soll, sodass qualitativ von einem staatlichen Zustand der Form nach vermeintlich schon gar nicht mehr die Rede sein könne, behauptet sich in solchen Theorien stets auch die unvermittelte Existenz des bloßen Naturzustandes an sich selbst in der Zeit, obgleich der Naturzustand lediglich ein bloßer Vernunftgedanke des aufgeklärten Naturrechtsdenkens ist und an sich selbst freilich auch niemals im wirklichen Dasein freier Rechtssubjekte existiert hat.72 Weil sich mit dieser, das Kantische Naturrechtsdenken Zuweilen wird der Kantischen Position aber auch eine in sich völlig widersprüchliche Begründung zugeschrieben: So will etwa Westphal, in: Hüning/Tuschling (Hrsg.): Recht, Staat und Völkerrecht bei Immanuel Kant (1998), S. 171 (185 ff.) herausgefunden haben, dass durch die Kantische Rechtfertigung einer unbedingten Gehorsamspflicht eine „despotische Verschmelzung von gesetzgebender und ausführender Gewalt“ resultiere und die Ablehnung jeglichen Widerstandes außerdem weitgehenden Einschränkungen unterliege. Diese letzte Annahme teilen auch Byrd/Hruschka, Kant’s Doctrine of Right (2010), S. 182 ff. Geradezu zu einem Vorkämpfer eines Widerstandsrechts scheint Kant in der Interpretation von v. d. Pfordten, in: ders.: Menschenwürde, Recht und Staat bei Kant (2009), S. 81 (82 ff.) zu avancieren, danach ein Widerstand nur gegen ein „gesetzgebendes politisches System der Volksrepräsentation, sei es in Form einer parlamentarischen Republik im heutigen Sinne“, verboten, im Übrigen aber erlaubt sei. Vgl. ferner ähnlich auch Maus, Zur Aufklärung der Demokratietheorie (1992), S. 91 ff., 107 ff. 71 Spaemann, in: Batscha (Hrsg.): Materialien zu Kants Rechtsphilosophie (1976), S. 347 (357). 72 „[…] der status naturalis existiert an sich gar nicht, und hat nie existirt, es ist eine bloße Idee […]“ (V-MS/Vigil, AA XXVII 2,1: 589.24-25). Damit ist freilich nicht gesagt, dass sich in einer jeden rechtlichen Wirklichkeit (dem Dasein der Freiheit) nicht notwendig auch naturzuständliche Momente finden (wie hier daher Hoffmann, ARSP 87 [2001], S. 449 [466 f.]).

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weit hinter einen aufgeklärten Geistesstandpunkt zurückwerfenden Vorgehensweise73 die Kantische Ablehnung des Widerstandsrechts in ihrer Eindeutigkeit aber zuletzt nicht einfach wegreden lässt, bleiben Naturrecht und positives Recht in solchen Interpretationen folglich zwangsläufig in der zuvor bereits skizzierten Antinomie befangen. Da sich der Schein dieser Antinomie allerdings weder mit einem rechtspositivistischen Rechtsdenken, noch mit einem materialen Naturrechtsdenken aufklären lässt, bedeutet sie für ein solches Rechtsdenken letztlich einen unaufhebbaren Gegensatz von Naturrecht und positivem Recht,74 sodass es schließlich auch so scheinen muss, als habe der sich offenbar zwischen diesen Gliedern der Einteilung positionierende Autor der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre sich wohl selbst nicht so ganz recht verstanden. Es ist nun besonders bemerkenswert, dass die vermeintlich eigentumstheoretische Staatsbegründung Immanuel Kants von neukantianischer Seite der Interpretation als ein kritikwürdiger Rückfall in ein essentialistisches Naturrechtsdenken voraufgeklärter Art empfunden wurde, sodass die von ihm zugleich ausgesprochene und aus rechtspositivistischer Sichtweise an sich begrüßenswerte Ablehnung des Widerstandsrechts als eine Inkonsequenz dieses schon an sich falschen Naturrechtsdenkens von neukantianischer Seite zu kritisieren war (dazu a)). – Dagegen wird die vermeintlich eigentumstheoretische Staatsbegründung Immanuel Kants von moderner eigentumstheoretischer Seite der Interpretation gegenwärtig durchaus nicht als ein an sich kritikwürdiger Rückfall in ein essentialistisches Naturrechtsdenken voraufgeklärter Art empfunden, sondern als ein aufgeklärter Fortschritt eines subjektivistischen Naturrechtsdechtsdenkens (Lockescher Provenienz) gerühmt, sodass die von Kant gleichwohl ausgesprochene und aus naturrechtsmaterieler Sichtweise an sich kritikwürdige Ablehnung des Widerstandsrechts als eine Inkonsequenz dieses vermeintlich schon an sich richtigen Naturrechtsdenkens von eigentumstheoretischer Seite kritisiert wird (dazu b)). – Die neukantianische als auch die moderne Interpretation stimmen also darin überein, dass sie eine eigentumstheoretische Staatsbegründung in Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre vorgefunden haben wollen, mit der sich die rigorose Ablehnung eines subjektiven Widerstandsrechts nicht so recht vertragen will. Allerdings ziehen beide Standpunkte, und zwar nach ihrem je subjektiv verschiedenen Verständnishorizont im Rechtsdenken überhaupt, diamentral entgegengesetzte Folgerungen aus dieser Inkonsequenz: Der neukantianische Rechtspositivist verwirft kurzerhand das gesamte metaphysische Rechtsdenken Immanuel Kants, während der moderne Eigentumstheoretiker lediglich die Geringschätzung des Widerstandsrechts gerne aus dem metaphysischen Rechtsdenken Immanuel Kants verbannen würde:

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Vgl. etwa Kühl, ARSP-Beiheft 37 (1990), S. 75 (83 f./85 f./87 f.). Vosgerau, Rechtstheorie 30 (1999), S. 227 ff. gilt dieser unüberwindliche Gegensatz beispielsweise von vornherein als ausgemacht. 74

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a) Die neukantianische Widerstandsrechtsbehauptung als rechtspositivistische Kritik an Kant Die Widerstandsrechtsbehauptung für das Kantische Rechtsdenken in der Vorstellungsform des neukantianischen Typus stammt mit einer monographischen Untersuchung von Werner Haensel aus dem Jahr 1926.75 Indem Haensel darin – wohl zur Kennzeichnung seines eigenen neukantianischen und durchaus rechtspositivistischen Standpunktes – gleich zu Anfang und ohne jegliche inhaltliche Auseinandersetzung Immanuel Kant in seinem Rechtsdenken einen Rückfall „in die naturrechtliche Betrachtungsweise der älteren Zeit, der er selbst das Fundament weggezogen hatte“, attestierte,76 verschaffte er sich selbst kurzerhand ein materialistisches Vorverständnis der Rechtslehre. Auf diese Weise glaubte Haensel eine „logische Überordnung natürlichen Rechts über das bürgerliche zweifelsfrei erwiesen zu haben“ und so verstand sich nach seiner Auffassung sodann der eigentumstheoretische Satz: „Der Staat findet seine Rechtfertigung in dem Sicherungsbedürfnis des natürlichen Rechts.“77 Folgerichtig galt für ihn ein „Paradoxon“: „[W]enn der bürgerliche Zustand nur damit zu rechtfertigen ist, daß er das natürliche Recht zu sichern hat, so darf er keine diesem widersprechende Bestimmungen enthalten; […]. Infolge dieser Verknüpfung ist aber auch das positive staatliche Recht […] nur insoweit legitimiert, als es dem natürlichen Recht und den zu dessen Sicherung hinzutretenden apriorischen Verfassungsnormen, mit einem Worte dem Naturrecht entspricht. Dabei müßte […] diese Legitimation dahin verstanden werden, daß ein dem Naturrechte widerstreitendes positives Recht keine Verbindlichkeit besitze; denn sonst würde gegen die Idee der Vernunftgesetzgebung verstoßen. […] Somit ist bei Kant die Bahn für ein Widerstandsrecht auf vernunftrechtlicher Grundlage […] grundsätzlich frei. Dieses Widerstandsrecht würde unmittelbar auf die „heiligen Rechte der Menschheit“ zu gründen sein, […], ohne Vermittlung des Vertragsgedankens. […] Für Kant aber scheidet der Gesellschaftsvertrag als Ausgangspunkt eines Widerstandsrechtes grundsätzlich aus, […] weil Kant den Gesellschaftsvertrag nur bei Prüfung der Rechtsrichtigkeit, nicht zur Rechtfertigung des Seins des Staates verwendet; ein natürliches Widerstandsrecht kann für Kant nur auf der Grundlage der Souveränität der Vernunft, nicht der des Volkes in Frage kommen […]. […] Wir erleben hier das Paradoxon, daß gerade der objektivistische Zug des Kantischen Moralsystems, demzufolge Recht und Staat nicht von der Einwilligung der zu Bindenden abhängen, durch die Aufhebung der staatsbegründenden Funktion des Gesellschaftsvertrages auch die Möglichkeit einer Ausschließung des Widerstandsrechtes durch diesen (Hobbes!) beseitigt 75 Zum Folgenden Haensel, Kants Lehre vom Widerstandsrecht (1926), S. 37 ff., 54 ff. (kritisch dazu Kersting, Wohlgeordnete Freiheit [20073], S. 380 ff.). Haensel nahm seinen Ausgang in seiner Untersuchung dabei von einer widersprüchlichen Beurteilung der Kantischen Behandlung der Widerstandsfrage: Jellinek, in: ders.: Ausgewählte Schriften und Reden II (1911), S. 23 (34) hatte die Kantische Ablehnung zuvor als inkonsequent bezeichnet, während sie Wolzendorff, Staatsrecht und Naturrecht (1916), S. 421 für durchaus folgerichtig hatte erachten wollen, weil Kant nur das positive Recht habe anerkennen wollen. 76 Haensel, Kants Lehre vom Widerstandsrecht (1926), S. 1 f. 77 Haensel, Kants Lehre vom Widerstandsrecht (1926), S. 54, wobei das „natürliche“ Recht hier das natürliche Privatrecht bezeichnet, während das „bürgerliche“ Recht das öffentliche Recht meint.

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und damit dem Subjekte die Möglichkeit eines uneingeschränkten Widerstandsrechts wahrt.“78

Doch an diesem, und zwar mittelst einer theoretischen Unterbestimmung der durchaus praktischen Konstitutionsidee des ursprünglichen Vertrages (§ 47), selbstgemachten Paradoxon lässt sich exemplarisch studieren, wie ein vermeintlich autonomes Naturprivatrecht sowie ein vermeintlich heteronomer Staat in einen vermeintlich unaufhebbaren Gegensatz zueinander treten,79 der mit der Kantischen Rechtslehre schlechterdings unvereinbar ist, weil nach dieser Rechtslehre weder ein natürliches Privatrecht für sich selbst schon zu subsistieren vermag, noch der Staat als willensgelöste Fremdzwangsveranstaltung zutreffend begriffen ist. Deshalb musste „Kants tatsächliche Stellung“80 von Werner Haensel auch als ein gänzlicher Widerspruch zu seiner (d. h. Kants) eigenen Naturrechtslehre verstanden werden, sodass ihm dieser vermeintlich tatsächliche Kant unter der Hand – so wie es ihm selbst nämlich nach seinem eigenen rechtspositivistischen Rechtsdenken subjektiv gerade entgegenkam – zu einem Rechtspositivisten par excellence avancierte: „Der Grund der Ablehnung eines natürlichen Widerstandsrechtes durch Kant liegt darin, daß Kant die alleinige reale Geltung des positiven Rechtes vertreten hat.“81 Doch gegen eine solche Verkürzung ist – wie gesehen – richtigerweise bereits alles positive Recht im Kantischen Rechtsdenken ohne einen ursprünglichen Kontrakt als solches nicht bruchlos vorstellbar und dies scheint undeutlich – wie seine Ausführungen zu „Kants Begründung seiner Stellung“ zeigen – auch Werner Haensel geahnt zu haben, als er über Kants vermeintliche Haltung, und in Wahrheit lediglich über seine subjektiv eigene Interpretation zum positiven Recht in der Kantischen Rechtslehre, abschließend urteilte: „Der Standpunkt selbst aber ist durch einen Bruch in der Gedankenführung, den Rollenwechsel der Idee des vereinigten Willens, erkauft worden.“82 b) Die eigentumstheoretische Widerstandsrechtsbehauptung als naturrechtsmateriale Kritik an Kant Die bei Werner Haensel zum Zwecke einer Affirmation der Kantischen Ablehnung des Widerstandsrechts83 wesentlich zu konstatierende Marginalisierung der reinen praktischen Idee des ursprünglichen Kontrakts (§ 47) findet sich gegenwärtig 78 79

53. 80

Haensel, Kants Lehre vom Widerstandsrecht (1926), S. 55 – 57. Siehe besonders Haensel, Kants Lehre vom Widerstandsrecht (1926), S. 40 f., 42 ff., 46 –

Dazu Haensel, Kants Lehre vom Widerstandsrecht (1926), S. 58 ff. Dazu Haensel, Kants Lehre vom Widerstandsrecht (1926), S. 61 f. 82 Siehe Haensel, Kants Lehre vom Widerstandsrecht (1926), S. 64 ff. (67), 68 ff., der sich (S. 73) scheinbar genügsam dahin äußert, dass die notwendige „Positivität allen Rechts […] auf rationalem Wege eben nicht abzuleiten“ sei. In der gedanklichen Nachfolge auch Dulckeit, Naturrecht und positives Recht bei Kant (1932), S. 53 ff. 83 Siehe Haensel, Kants Lehre vom Widerstandsrecht (1926), S. 68, 73. 81

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vornehmlich auch bei den eigentumsspezifisch und mithin naturrechtsmaterial interpretierenden Autoren.84 Da nun nach dieser praktischen Vernunftidee aber die Konstitution des Staates ideal gedacht werden muss, und aus dieser praktischen Idee somit zugleich die Untadeligkeit des allgemein gesetzgebenden Willens im Staat, mithin auch die Unwiderstehlichkeit gesetzestätiger Staatsgewalt folgt,85 muss sich eine eigentumstheoretische Auffassung der Kantischen Rechtslehre zwingend auch in Schwierigkeiten mit der Kantischen Position zum Widerstandsrecht verstricken. Weil ferner aber selbst die zutreffende Einsicht in die Rolle der praktischen Idee des ursprünglichen Kontrakts das einmal angeeignete materialistische Vorverständnis vom natürlichen ,Eigentumsprivatrecht‘ nicht mehr zu erschüttern vermag, lassen sich diese selbstgemachten Schwierigkeiten, und zwar nicht selten mit einer unübersehbaren Tendenz zur Selbstüberredung,86 exemplarisch etwa auch bei Kristian Kühl sehr gut studieren, der mit seiner Schrift „Eigentumsordnung als Freiheitsordnung“ (1984) als ein ganz vorzüglicher Exponent dieser Interpretationsrichtung gelten muss. Dabei ist allerdings zu bemerken, dass das für Kant materialistisch vermeinte Naturrecht von Werner Haensel wenigstens noch als ein kritikwürdiger Rückfall Kants in ein voraufgeklärtes Naturrechtsdenken gegen diesen in Ansatz gebracht wurde, während die modernen Eigentumstheoretiker ihren eigenen interpretatorischen Abfall für die vermeinte Position Immanuel Kants noch nicht einmal zu bemerken scheinen, weshalb sie die Kantische Ablehnung jeglichen Widerstandsrechts im Ergebnis dann auch nicht begrüßen, sondern umgekehrt verurteilen: „Die Bedingung, an die sich die Legitimation des Staates knüpft, ist also die Sicherung des Rechts. Und Recht sind solche Gesetze, die die äußere Freiheit des einen mit der aller anderen kompatibel machen. Die Folgerung, nur dementsprechendes (Natur- bzw. Vernunft-)Recht habe Geltungskraft für den Einzelnen scheint nahe zu liegen. Dem positiven Recht käme dann nur noch die technische Rolle des möglichst genauen Übernehmens dieser Naturrechtssätze in öffentliche Gesetze zu. Auch hätte das positive Recht nur dann verpflichtende Kraft, wenn es dem Naturrecht folgt und dieses in die empirische Wirklichkeit überträgt. Die zu erwartende Konsequenz wäre ein Widerstandsrecht für solche Fälle, in denen jemand durch ein dem Naturrecht nicht entsprechendes Rechtsgesetz zur Einschränkung seiner äußeren Freiheit gezwungen wird: […]. Kant aber lehnt ein Widerstandsrecht gegen den Staat aus Rechtsgründen ab. Diese Ablehnung betrifft auch die Eigentumsproblematik, da mit ihr die Beachtung auch solcher positiven Gesetze verlangt wird, die eine noch so ungerechte Eigentumsordnung aufrecht erhalten. […] Diese Ablehnung jeglichen Widerstandsrechts konnte Kant nur dadurch gelingen, daß er den Urvertrag als

84

Siehe dazu kritisch oben unter B. II. 3. b) cc) (1) im siebenten Kapitel. Trefflich zu diesem Zusammenhang Dreier, in: ders.: Recht – Moral – Ideologie (1981), S. 286 (299 Fn. 77). 86 Siehe auch das aufrichtig eingestandene Unbehagen mit Blick auf die Widerstandsfrage bei Kühl, ARSP-Beiheft 37 (1990), S. 75. 85

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8. Kap.: Die vernunftbegrifflich-notwendige Positivität äußeren Rechts

bloße Idee konzipierte und die aus ihm entspringende Idee des allgemeinen Willens jedem empirischen Gesetzgeber zuschlug.“87

Obzwar hier nämlich die systemimmanente Widerspruchslosigkeit der Kantischen Verneinung eines Widerstandsrechts aus dem Gedanken des ursprünglichen Kontrakts anerkannt wird, verbleibt in einem solchen materialistischen Naturprivatrechtsverständnis doch noch immer die begrifflich unterkomplexe Annahme zum Voraus gesetzt, das positive Recht habe das natürliche Privatrecht klarstellend lediglich materiell zu positivieren und könne in seiner diesbezüglichen „Erfüllungsfunktion“ natürlich auch fehlgehen.88 Damit aber bleibt das materiellrechtlich aufgeladene Bedürfnis zum tätigen Widerspruch gegen den allgemein gesetzgebenden Willen im Staat bestehen, denn man dünkt sich ja bereits bloß für sich selbst im wirklichen Besitz eines natürlichen Privatrechts und mithin vor dem Staat im Besitz eines wirklichen Allgemeinwillens bloß für sich selbst auch außer sich selbst.89 Dementsprechend stellt sich für die Kantische Rechtslehre dann vermeintlich die prekäre Frage nach der „Geltung des positiven Rechts auch bei Naturrechtswidrigkeit“,90 obgleich die für positive Gesetze richtigerweise alleine feststellbare materielle Rechtswidrigkeit nach dieser Rechtslehre zunächst einmal bloß eine solche gemessen am allgemeinen Rechtsbegriff (§ B Abs. 3) und Prinzip des Rechts (§ C Abs. 1) ist, d. h. eine materielle Rechtswidrigkeit sogar noch vor allem natürlichen Privatrecht. Auf diese den Rechtsbegriff in seiner Intensität drastisch verkürzende Weise aber, nämlich unter konfuser Behauptung eines materiellen Naturrechtsmaßstabes, avanciert die intellektuelle Einsicht in eine etwaig rechtsbegrifflich feststellbare materielle Rechtswidrigkeit eines positiven Gesetzes zu einem handfesten Naturrechtsproblem, für das die Kantische Rechtslehre mit ihrer Verneinung jeglichen Widerstandsrechts sodann selbstredend keine befriedigende Lösung bereithält.91 Da es nun darin zwar eine unbedingte Gehorsamsforderung gegenüber dem positiven Recht gibt, die sich allerdings nicht auch gegenüber einem im materialistischen Sinne aufgeladenen und daher falsch verstandenen Naturrecht behauptet, gibt es allerdings jedenfalls auch den von Kristian Kühl ausgemachten „Vorrang des positiven Rechts vor dem Naturrecht“92 schlechterdings gar nicht, und

87 Kühl, Eigentumsordnung als Freiheitsordnung (1984), S. 169 insoweit im ausdrücklichen Anschluss an Haensel, Kants Lehre vom Widerstandsrecht (1926), S. 54; siehe ferner Kühl, ARSP-Beiheft 37 (1990), S. 75 (85 ff.). 88 Kühl, ARSP-Beiheft 37 (1990), S. 75 (86 ff.). 89 Übrigens knüpft an dieses Missverständnis auch Habermas, KJ 20 (1987), S. 1 (7) seine Kant-Kritik, der gemäß das positive Recht nach Kant aus dem moralischen Recht gewonnen werden solle, sodass das Recht seine Positivität verliere und zu einem „defizienten Modus der Moral“ verkomme. 90 Kühl, ARSP-Beiheft 37 (1990), S. 75 (88 – 90). 91 So urteilt dann abschließend, sich über die Kantische Behandlung der Widerstandsfrage entrüstend, auch Niebling, Das Staatsrecht in der Rechtslehre Kants (2005), S. 173. 92 Kühl, ARSP-Beiheft 37 (1990), S. 75 (89).

A. Der Vernunftbegriff des öffentlichen Gesetzes

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so lässt sich das Kantische Rechtsdenken aus einer solchen Warte auch nicht begründet für einen einseitigen Rechtspositivismus in Anspruch nehmen.93 Das demnach dennoch subjektiv verbleibende Unbehagen soll sich nach Wunsch solcher Autoren sodann regelmäßig über nicht näher bestimmbare Quantitätsüberlegungen Radbruchscher Art hinsichtlich der verwirklichten Naturrechtswidrigkeit auflösen lassen, wobei man durchaus diffus bemerkt, dass sich über einen solchen Gedanken der qualitative Sprung in dem bereits in sich widersprüchlich verfassten Begriff eines absoluten Unrechtszustandes im Staat (d. h. im Rechtszustand der Form nach) nicht denken lässt, sodass es bei Kühl mit Blick auf den behaupteten Geltungsvorrang des positiven Rechts schließlich eingestandenermaßen heißt: „Und – so würde man Kant gern ergänzen –: dieser Geltungsvorrang entfällt bei grob ungerechten Gesetzen; […] mit anderen Worten: Widerstand wird möglich. Diese Ergänzungen als Kantische Thesen auszugeben, bereitet freilich Schwierigkeiten.“94 Schließlich soll gemäß dem jetzt subjektiv alleine noch zurückbleibenden Vorwurf „ein Mangel der Kantischen Rechtslehre“ darin bestehen, dass sie „keine inhaltlichen Kriterien für die Abgrenzung des Rechtszustandes vom Unrechtszustand benennt“ und so „scheint Kants Ablehnung des eigentlichen Widerstandsrechts auf der Grundlage seiner Rechtsphilosophie korrekturfähig“.95 Doch damit suggeriert eine solche Kritik, dass sich die objektive Denkunmöglichkeit im Unbegriff eines absoluten Unrechtszustandes bzw. im Begriff eines Minimums von verwirklichtem Naturrecht mit naturrechtsmaterialen Unrechtskriterien ausräumen ließe, obgleich es aus demselben vernunftbegrifflichen Grund, weshalb dies unmöglich ist, schon keine naturrechtsmaterialen Privatrechtskriterien geben kann. Man wird nach alledem das gegenwärtig weithin sich entrüstende Unverständnis im interpretatorischen Umgang mit der Kantischen Ablehnung des vermeinten Widerstandsrechts als einen verlässlichen Indikator für eine materialistisch aufgeladene Auffassung des Naturrechts und mithin für ein noch nicht überwundenes Verständnisdefizit im Hinblick bereits auf die metaphysische Privatrechtslehre Immanuel Kants ansehen müssen.

93

Siehe zu Nachweisen einer solchen Inanspruchnahme die Verteidigung Kants gegen den „Vorwurf des Rechtspositivismus“ bei Kühl, ARSP-Beiheft 37 (1990), S. 75 (89). 94 Kühl, ARSP-Beiheft 37 (1990), S. 75 (89 f.); siehe dazu auch Niebling, Das Staatsrecht in der Rechtslehre Kants (2005), S. 171 ff.; Dreier, Rechtsbegriff und Rechtsidee (1986), S. 24, 34. 95 Kühl, ARSP-Beiheft 37 (1990), S. 75 (92 f.); Niebling, Das Staatsrecht in der Rechtslehre Kants (2005), S. 173. – Im Übrigen ist das Kantische Abgrenzungskriterium des rechtlichen vom unrechtlichen Zustand das Dasein einer öffentlichen Gerichtsbarkeit (§ 41), während ein absoluter Unrechtszustand unter Menschen gar nicht denkmöglich ist, weil dies die absolute Negation ihres reinen praktischen Selbstbewusstseins voraussetzen würde.

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8. Kap.: Die vernunftbegrifflich-notwendige Positivität äußeren Rechts

B. Zur antinomischen Interpretation der Positivität des äußeren Rechts Vorstehend wurde die aus einem abstrakten Rechtsdenken notwendig resultierende Antinomie in der für sich bloß verständigen Einteilung der an und für sich selbst schon vernünftigen Rechtsidee (§ A) in positives und natürliches Recht nach ihren begrifflichen Gründen sowie Folgen erörtert. Wenn diese Antinomie für den abstrakten Verstand aber verstandesnotwendig in der Einteilung der vernünftigen Rechtsidee schon angelegt ist, dann muss sie sich auch in der verständigen Interpretation speziell der Frage nach der Positivität des Rechts in der kritischen Naturrechtslehre Immanuel Kants aufzeigen lassen. Aus diesem Grund konnte beispielsweise Ralf Dreier die von ihm für die Interpretation der Positivitätsfrage nämlich zutreffend beobachtete „wirkungsgeschichtliche Ambivalenz“ konstatieren, die er in die thesenartige Verfassung kleidete: „vom Vernunftrecht zum Positivismus und zurück“.96 Nun lässt sich der Schein der Antinomie aber heben, insofern die positiven Gesetze unter dem reinen praktischen Vernunftbegriff des öffentlichen Gesetzes notwendig als unter den natürlichen Gesetzen des öffentlichen Rechts stehend begriffen werden, sodass die staatsrechtlichen Bestimmungen Immanuel Kants mit ihrer „Theorie der Verbindlichkeit positiven Rechts […] zwischen der Scylla des Naturrechts und der Charybdis des Rechtspositivismus“ in der Tat „einen mittleren Kurs“ wahren.97 In der für den abstrakten Rechtsverstand notwendigen Antinomie von Naturrecht und Rechtspositivismus wiederholt sich allerdings lediglich, und zwar auf einer höheren Entwicklungsstufe des vernünftigen Rechtsbewusstseins, die bereits vertraute Besitzantinomie des natürlichen Privatrechts.98 So wie diese Besitzantinomie (§ 7 Abs. 5 – 8) nämlich durch den beiderseits möglichen Vorstellungsbezug in der reinen Verstandesprädikabilie des Habens, d. h. in Bezug sowohl auf die theoretische Vielheit sinnlicher Vorstellungen, als auch auf die praktische Einheit übersinnlicher Vernunftvorstellungen, mit dem Begriff des äußeren Mein und Dein ihren Weg ins Rechtsbewusstsein fand, resultiert die Gesetzesantinomie aus eben diesem beiderseits möglichen Vorstellungsbezug im reinen Verstandesbegriff der Substanz, den die Verstandesprädikabilie des Habens ihrerseits schon real in und für sich selbst über sich selbst voraussetzt: Denn der reine praktische Begriff des äußeren Rechtsbesitzes (§ 5 Abs. 1 S. 2) enthält in sich die begrifflichen Glieder eines reinen Rechtsbesitzes sowie eines empirischen Besitzes eines äußeren Gegenstandes, die beide wiederum gleichermaßen nur durch begriffliche Subordination des letzteren unter den ersteren 96 Dreier, in: ders.: Recht – Moral – Ideologie (1981), S. 286 f.; siehe dazu auch Kühl, ARSP-Beiheft 37 (1990), S. 75 (76 – 79). 97 So die scheinbar mehr schillernde als erklärende Formulierung Kerstings, Wohlgeordnete Freiheit (20073), S. 390. 98 Vgl. dazu auch Rodin, in: Hüning/Tuschling (Hrsg.): Recht, Staat und Völkerrecht bei Immanuel Kant (1998), S. 157 (161) sowie Baumanns, PhJ 100 (1993), S. 282 (299 f.).

B. Zur antinomischen Interpretation der Positivität des äußeren Rechts

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in der Einheit des reinen praktischen Begriffs des äußeren Rechtsbesitzes vernünftig aufgehoben zu begreifen sind. Ebenso enthält der reine praktische Begriff eines öffentlichen Gesetzes (§ 44 Abs. 2) unter sich die begrifflichen Glieder eines natürlichen sowie eines positiven Gesetzes verständig eingeteilt, wobei beide begrifflichen Glieder ebenfalls nur durch begriffliche Subordination des letzten unter das erste in der Einheit des reinen praktischen Begriffs des öffentlichen Gesetzes vernünftig aufgehoben begriffen werden können. Nicht zu Unrecht hat also Thomas Sören Hoffmann dieser Antinomie des Rechts daher eine weit über das Privatrecht hinausgehende Bedeutung zugesprochen.99 Die Erkenntnis des Schein-Charakters dieser Antinomie ist schließlich von Peter Baumanns als „die vollendete Einnahme des Rechtsstandpunktes“ bezeichnet worden.100 Es bleibt daher an dieser Stelle einer Studie zur Positivität des Rechts in der kritischen Naturrechtslehre Immanuel Kants nur noch zu untersuchen, ob sich die diesbezüglich bereits existenten monographischen Interpretationen bereits vollumfänglich auf den Rechtsstandpunkt gestellt haben, womit es einer weiteren monographischen Befassung mit dieser Thematik alsdann nicht bedürfte, oder ob sie mit einem abstrakten Verstand möglicherweise in einem Moment der Totalität der an und für sich vernünftigen Rechtsidee noch einseitig befangen geblieben sind:

I. Gerhard Dulckeit: Die „Verneinung allen positiven Rechts“ Die Überlegungen Gerhard Dulckeits (1932) zum Verhältnis des Naturrechts zum positiven Recht in der Kantischen Rechtslehre bewegen sich weitgehend in den durch Werner Haensel (1926) bereits gebahnten Wegen der neukantianischen Interpretation und setzen seiner neukantianisch-rechtpositivistischen Verzeichnung des Kantischen Rechtsdenkens lediglich noch die Krone auf.101 In ihrem Ausgang beruhen sie nämlich ebenfalls auf einer theoretisierenden Unterbestimmung der praktischen Vernunftidee des ursprünglichen Vertrages (§ 47)102 und begreifen daher auch nicht den Interpreten, sondern das Kantische Rechtsdenken selbst in einer unaufgeklärten Antinomie befangen: Dementsprechend stellt das „Recht im Naturzustande“ in Gerhard Dulckeits Kantverständnis „ohne Zweifel das logische Prius gegenüber dem Recht einer

99 Hoffmann, ARSP 87 (2001), S. 449 (458); vgl. auch Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien (1990), S. 67 ff. 100 Baumanns, PhJ 100 (1993), S. 282 (300). 101 Zu Haensel, Kants Lehre vom Widerstandsrecht (1926) siehe schon oben unter A. IV. 4. a). 102 Dulckeit, Naturrecht und positives Recht bei Kant (1932), S. 40 – 44/60 (allerdings in seiner Reduktion der praktischen Idee auf S. 41 f. nicht konsequent).

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8. Kap.: Die vernunftbegrifflich-notwendige Positivität äußeren Rechts

bürgerlichen Verfassung“ dar103 und so soll „ein positiver Rechtssatz“ folgerichtig „ Ve r b i n d l i c h k e i t “ alleine beanspruchen können, wenn er in seiner Materialität „bedingungslos dem N a t u r r e c h t folgend, dieses in die empirische Wirklichkeit nur überträgt“.104 Von einer relativ selbstständigen Verbindlichkeit positiver Gesetze kann dann also nicht eigentlich die Rede sein105 und so müsse man gegen Kant auch zu dem „Schluß kommen, daß sich aus seinem System ein Widerstandsrecht gegen den empirischen Gesetzgeber mit geradezu zwingender Notwendigkeit ergibt“106. Das demgegenüber von Kant zur Ablehnung jeglichen Widerstandsrechts herausgestellte Gehorsamsgebot im Hinblick auf die positiven Gesetze ergebe sich – wie bereits Haensel richtig gesehen habe – dagegen alleine aus einem untergeschobenen „Bedeutungswechsel“ der Idee des vereinigten Willens im ursprünglichen Kontrakt.107 Anders als Haensel, der mit dieser Verdrehung der praktischen Vernunftidee des ursprünglichen Vertrages der Kantischen Rechtslehre die Behauptung der alleinigen Geltung des positiven Rechts unterstellen zu können glaubte, meinte Dulckeit nun in seiner besonderen Originalität aber gezeigt zu haben, „daß die kantische Rechtslehre zu einer Ve r n e i n u n g a l l e n p o s i t i v e n R e c h t s hätte führen müssen“108. Träfe diese neukantianische Interpretation indes zu, so wäre mit der behaupteten Sinnlosigkeit alles positiven Rechts allerdings nicht nur die Denkmöglichkeit eines Widerstandsrechts gegen positive Gesetze und damit der gedankliche Ausgangspunkt dieser verzeichnenden Interpretation selbst aufgehoben, sondern durch die Kantische Rechtslehre auf höchst widerspruchsvolle Weise auch eine durchaus unpraktische Idee des Rechts ins Werk gesetzt. Gerhard Dulckeit hat in seiner Interpretation des Positivitätsaspekts in der Kantischen Rechtslehre also in Wahrheit nur sehr eindrucksvoll gezeigt, dass sich die oben herausgearbeitete Antinomie des Rechts, und zwar im gedanklichen Ausgang von einem für sich verabsolutierten Standpunkt einer ihrer Momente, in ihrer Einseitigkeit selbst zur völligen Undenkbarkeit aufhebt, sodass sich insofern auch ein einseitiger Standpunkt allen Rechts als nichtig erweist.109 So ist dann letztlich auch seiner eigenen Einschätzung des Kantischen Rechtsdenkens das Urteil gesprochen: „Kants bleibendes Verdienst besteht für uns gerade darin, daß er das Naturrecht seiner Zeit nicht nur vertieft und eigentlich überhaupt erst zu Ende gedacht hat, sondern, ohne sich dessen bewußt zu sein, zugleich auch vernichtet hat. Denn sein System zeigt deutlich, daß […] jedes I d e a l r e c h t (als verbindlich geltende Rechtsordnung) den W i d e r s p r u c h i n s i c h s e l b s t t r ä g t . So weist denn Kant letztlich über sich selbst hinaus, indem er 103

Dulckeit, Naturrecht und positives Recht bei Kant (1932), S. 36. Dulckeit, Naturrecht und positives Recht bei Kant (1932), S. 53, 43. 105 Dulckeit, Naturrecht und positives Recht bei Kant (1932), S. 53 ff. 106 Dulckeit, Naturrecht und positives Recht bei Kant (1932), S. 56. 107 Dulckeit, Naturrecht und positives Recht bei Kant (1932), S. 57 – 61. 108 Dulckeit, Naturrecht und positives Recht bei Kant (1932), S. 62. 109 Siehe Dulckeit, Naturrecht und positives Recht bei Kant (1932), S. 61 f. für den Standpunkt des Rechtspositivismus. 104

B. Zur antinomischen Interpretation der Positivität des äußeren Rechts

663

seinen Nachfolgern in der Philosophie des deutschen Idealismus auch hier die Wege bereitet hat.“110

II. David Kräft: „Ein dezidierter Rechtspositivismus“ Gleichsam gänzlich entgegengesetzt zur These Gerhard Dulckeits behauptet David Kräft in einer Untersuchung jüngeren Datums (2011) für die Kantische Rechtslehre, und zwar in der ihr von Bernd Ludwig gegebenen Gestalt,111 ihre Pointe bestehe gerade in einem a priori vernunftnotwendig begründeten „dezidierte[n] Rechtspositivismus“,112 der eine „tiefe Kluft“ zur ursprünglichen „Vernunftrechtsgeltung“ hinterlasse.113 Jedoch schlössen „Rechtsapriorismus und Rechtspositivismus“ einander nicht aus, insofern die apriorische Rechtslehre in einer „rechtspositivistischen Rechtsgeltungslehre“ kulminiere.114 Im Ergebnis scheint die so bezeichnete Auffassung David Kräfts auf einen ersten Blick also dem in der hier vorgelegten Untersuchung zur Positivität des Rechts in der kritischen Naturrechtslehre Immanuel Kants herausgearbeiteten, und Rechtsgeltung vermittelnden, vernunftbegrifflichen Subordinationsverhältnis positiver Gesetze unter die natürlichen öffentliche Gesetze angeglichen zu sein. Doch auch wenn Kräfts Einschätzung in der Sache zuzustimmen sein dürfte, dass Kants diesbezüglich „subtile Konstruktion“, sofern hierunter ein vernunftbegriffliches Verhältnis gemeint ist, in den bislang gegenwärtigen Interpretationen „nicht hinreichend tiefenscharf begrifflich aufgelöst“ wird,115 zeigt sein eigener Begründungsgang gleichwohl eine erheblich abweichende Auffassung der Positivität des Rechts im Verhältnis zu der hier vertretenen Position sehr deutlich auf. Obgleich die Untersuchung David Kräfts zutreffend darum bemüht ist, das Urteil über die gewiss vernunftnotwendige Positivität des Rechts aus dem begrifflichen Zusammenhang heraus zu entwickeln, mangelt es ihr mit Blick auf Inhalt und Umfang des Rechtsbegriffs an trennscharfen Unterscheidungen der verschiedenen 110

Dulckeit, Naturrecht und positives Recht bei Kant (1932), S. 62. Kräft, Apriorität und Positivität des Rechts nach Kant (2011), S. 19 f. bezieht sich in seiner Arbeit unkritisch auf die Textedition Bernd Ludwigs (siehe schon oben Fn. 135 im dritten Kapitel). Im Übrigen ist seine Untersuchung maßgeblich durch das Kantverständnis seines akademischen Lehrers Gerold Prauss geprägt (siehe dafür a.a.O., S. 30 f./33 ff./87 ff.), der Immanuel Kant bekanntlich sowohl in der Grundlegung als auch in der Ausführung seiner praktischen Philosophie für grandios gescheitert erachtet (siehe für ersteres den Nachweis in Fn. 18 des ersten Kapitels und für letzteres Prauss, in: Kugelstadt [Hrsg.]: Kant Lektionen [2008], S. 69 – 79; ders., Moral und Recht im Staat nach Kant und Hegel [2008], passim). 112 Kräft, Apriorität und Positivität des Rechts nach Kant (2011), S. 56, 18, 78, 116. 113 Kräft, Apriorität und Positivität des Rechts nach Kant (2011), S. 104. 114 Kräft, Apriorität und Positivität des Rechts nach Kant (2011), S. 116. 115 Kräft, Apriorität und Positivität des Rechts nach Kant (2011), S. 75. 111

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8. Kap.: Die vernunftbegrifflich-notwendige Positivität äußeren Rechts

Ebenen begrifflichen Denkens. So werden dann die den allgemeinen Begriff des Rechts inhaltlich bestimmenden Merkmalsvorstellungen (§§ B/C) einerseits, sowie die durch diesen allgemeinen Rechtsbegriff erst in der Folge unter ihm praktisch bestimmbaren und mithin rein rechtsbegrifflich erst erkennbaren Vorstellungen (§§ 1 – 62) andererseits, auf undeutliche Art miteinander vermischt: Kräft sucht nämlich nicht nur unter dem insoweit wohl unbewusst schon vorausgesetzten allgemeinen Begriff des Rechts (§ B Abs. 3) im natürlichen Privatrecht sowie dem dort vernunftbegrifflich zu entwickelnden Besitzproblem (§§ 1 ff.) nach einer von ihm in den §§ A ff. vermissten Herleitung116 dieses allgemeinen Rechtsbegriffs als dem allgemeinen Kriterium allen Rechts selbst;117 vielmehr will er im Rahmen dieser seiner Untersuchung unter dem allgemeinen Rechtsbegriff auch zu der Einschätzung gelangt sein, der Gesichtspunkt der „Effektivität“ des Rechts, der im Entwicklungszusammenhang des Rechtsbegriffs – und mithin unter diesem – eine wesentliche Bedeutung habe,118 sei bereits „Begriffsmerkmal“ des Rechts selbst, und mithin wohl schon im Begriff enthalten:119 Als Hauptargument für seine Rechtspositivismusthese dient David Kräft damit das Moment der „Effektivität“ des Rechts.120 Dieses von Immanuel Kant als „iustitia distributiva“ in Ansatz gebrachte Moment liege insbesondere in Kants Definition des Rechtszustandes vor, darin jeder seines Rechts gesichert teilhaftig werden könne (§ 41).121 Die staatliche Verfassung sei dann insofern als instrumentelle Ausübungsbedingung allen Rechts anzusehen.122 Allerdings sei diese instrumentelle Ausübungsbedingung der Effektivität bereits „konstitutiver Bestandteil von Recht“.123 In diesem Sinne müsse ein positives Recht der Form nach – unangesehen seines materiellen Inhalts – schlechthin wesentlich für einen rechtlichen Zustand angesehen werden und die Pointe davon sei eben jener behauptete Rechtspositivismus in dezidierter Form.124 Anders als Gerhard Dulckeit und Werner Haensel, mit denen er eine materialistische Naturrechtsauffassung für das Rechtsdenken Immanuel Kants zu teilen scheint, schließt Kräft also aus der Sicherungsfunktion des öffentlichen Rechts für das natürliche Privatrecht nicht auf einen materiellen Vorrang eben dieses naturzuständlichen Naturrechts, sondern – ganz im Gegenteil – auf den Vorrang der wirklichen Form des öffentlichen Rechts. Die Idee des Staates fordere 116

Kräft, Apriorität und Positivität des Rechts nach Kant (2011), S. 30 f. Kräft, Apriorität und Positivität des Rechts nach Kant (2011), S. 14, 23 f./48. 118 Kräft, Apriorität und Positivität des Rechts nach Kant (2011), S. 15, 41, 43, 54 ff. 119 Kräft, Apriorität und Positivität des Rechts nach Kant (2011), S. 50, 60, 80, 116. 120 Kräft, Apriorität und Positivität des Rechts nach Kant (2011), S. 18. 121 Kräft, Apriorität und Positivität des Rechts nach Kant (2011), S. 40 ff. 122 Kräft, Apriorität und Positivität des Rechts nach Kant (2011), S. 44 ff. (siehe zum Hintergrund dieser Verkürzung der Kantischen Staatsbegründung auf ein Moment instrumenteller Vernunft kritisch bereits oben Fn. 312 im siebenten Kapitel, soweit sie in Zusammenhang mit der Edition Bernd Ludwigs steht). 123 Kräft, Apriorität und Positivität des Rechts nach Kant (2011), S. 52/54. 124 Kräft, Apriorität und Positivität des Rechts nach Kant (2011), S. 55 f. 117

B. Zur antinomischen Interpretation der Positivität des äußeren Rechts

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daher eine „Positivierung“ des privatrechtlichen Naturrechts vor allem in prozeduraler, und weniger, nichtsdestotrotz aber auch, in materieller Hinsicht.125 Schließlich resultiere aus der abschlägigen Beurteilung der Widerstandsrechtsfrage durch Immanuel Kant das entscheidende Argument für einen gänzlichen und vernunftrechtlich begründeten Vorrang des positiven Rechts vor allem inhaltlich damit wohl eher gleichgültigen Naturrecht.126 Nun ist die abschlägige Beurteilung der Widerstandsfrage in der Allgemeinen Anmerkung A. aber tatsächlich bereits eine begriffliche Folge der vernunftbegrifflichen Verhältnisbestimmung von Naturrecht und positivem Recht im metaphysischen Staatsrecht (§§ 43 – 49), sodass hieraus schon methodologisch nicht das entscheidende Argument im Sinne eines inneren Grundes für eben diese Verhältnisbestimmung und den vermeintlichen Vorrang des positiven Rechts vor allem materialen Naturrecht folgen kann. Bei Lichte besehen wird vielmehr deutlich, dass auch Kräft mit seinem der Rechtslehre äußerlich bleibenden Interpretationsansatz ein naturrechtsmateriales Vorverständnis der Kantischen Rechtslehre nicht zu überwinden vermag, und sich eben deshalb zu einer der beiden dann nur noch möglichen Einseitigkeiten in der vorzunehmenden Verhältnisbestimmung von Naturrecht und Rechtspositivismus gezwungen sieht. Unter dem eher schillernden und nicht hinreichend genau in den rein begrifflichen Gedankengang der Rechtslehre eingeordneten Begriff der „Effektivität“ des Rechts meint er Kant daher einen instrumentell-prozeduralistischen Rechtspositivismus unterstellen zu können. Es ist darum an dieser Stelle die These zu kritisieren, „Effektivität“ sei an sich bereits ein Vorstellungsmerkmal des allgemeinen Rechtsbegriffs. Gewiss ist zwar die letztlich nur im staatsrechtlichen Zusammenhang positiv zu gewährleistende Rechtskräftigkeit ein notwendig zu erkennendes Rechtsmoment unter dem allgemeinen Begriff des Rechts (§ B Abs. 3), und insofern auch ein wesentliches Moment in der begrifflichen Entwicklung der Rechtsidee. Allerdings ist Effektivität ebenso gewiss nicht bereits ein Vorstellungsmerkmal des rechtsbegrifflichen Kriteriums allen Rechts (§ C Abs. 1), denn in diesem Fall wäre sie als solches nicht nur in der verstandesanalytischen Verdeutlichung des allgemeinen Rechtsbegriffs (§ B Abs. 2) bewusst geworden, sondern auch rechtsbegriffliches Erkenntnismerkmal rechtmäßiger Handlungen, sodass die Rechtmäßigkeit einer äußeren Handlung von der Effektivität ihrer Folgen abhängig wäre. Ein solchermaßen rechtsbegrifflicher Konsequentialismus ist dann allerdings richtigerweise wohl auch nicht die Auffassung David Kräfts.127 Gleichwohl tendiert seine auf dem Effektivitätsmoment beruhende These eines vernunftnotwendigen Rechtspositivismus, und zwar infolge der ihr im Fundament eignenden rechtsbegrifflichen Ungenauigkeiten, zu einer Auflösung des in der hiesigen Untersuchung herausgearbeiteten vernunftbegrifflichen Zusammenhangs, 125 126 127

Kräft, Apriorität und Positivität des Rechts nach Kant (2011), S. 57 f. Kräft, Apriorität und Positivität des Rechts nach Kant (2011), S. 60 ff. Vgl. insoweit aber Kräft, Apriorität und Positivität des Rechts nach Kant (2011), S. 43.

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8. Kap.: Die vernunftbegrifflich-notwendige Positivität äußeren Rechts

dadurch das positive Recht in der Sache vernunftgrundlos zu werden droht. Denn in der Kantischen Rechtslehre ist das Moment der Effektivität (= Rechtskraft) nach der reinen praktischen Idee des ursprünglichen Vertrages im souveränen Allgemeinwillen und mithin im Vernunftbegriff der Autonomie des Willens ursprünglich aufgehoben. Die Kantische Position ist daher sicherlich nicht in dem entschiedenen Sinne als rechtspositivistisch zu bezeichnen, als dass das faktische Moment einer rechtsbegrifflich nicht weiter bestimmten Wirksamkeit bereits im Grunde alleine für sich ein hinreichendes Moment des Rechts sei.128 Eine solche Einschätzung würde nicht nur die bereits im natürlichen Privatrecht existente Verpflichtung des Postulats des öffentlichen Rechts, sondern auch die allem positiven Recht noch vorgängige reine praktische Idee des urvertraglich an sich selbst verfassten Allgemeinwillens im öffentlichen Recht zu einem alsdann bedeutungslosen Gedankenspiel vor der eigentlich schon für sich selbst bestehenden harten Faktizität des Rechts heruntersetzen. Dass dies aber, nämlich die Ausblendung der Gründung alles Rechts in der Autonomie der Rechtssubjekte, die „rechtspositivistische[] Pointe des vernünftigen Privatrechts“129 nach David Kräft sein muss, ist daraus ersichtlich, dass er die staatliche Bestimmungstätigkeit in positiven Gesetzen als eine durch Vernunft gerechtfertigte „Heteronomie“130, und nicht als Autonomie des allgemeinen Willens an und für sich selbst begreift, wie es der reinen praktischen Idee des Staates und der Untadeligkeit seines Allgemeinwillens alleine angemessen wäre. Damit aber verbleibt das positiv gesetzte Recht im Verhältnis zu den im Staat gesetzlich subordinierten Rechtssubjekten in einem bloß gegenständlichen – eben positivistischen – Vorverständnis befangen, und so wird die Antinomie des Rechts mit der einseitigen Festlegung auf einen solchermaßen rechtspositivistischen Standpunkt vernunftbegrifflich unaufhebbar, sodass die Interpretation David Kräfts der vernunftbegrifflichen Leistung der Rechtslehre Immanuel Kants, jedenfalls nach der hier herausgearbeiteten Auffassung, letztlich ebenfalls noch nicht gerecht wird.

128

Die Aussagen Kräfts, Apriorität und Positivität des Rechts nach Kant (2011), S. 17/74 ff. deuten aber auf diese Unterstellung hin. Den hiesigen Einwand merkt insofern zutreffend etwa auch Pawlik, ZStW 124 (2012), S. 778 (783 f.) in seiner Rezension des Gedankens an. 129 Kräft, Apriorität und Positivität des Rechts nach Kant (2011), S. 68. 130 Kräft, Apriorität und Positivität des Rechts nach Kant (2011), S. 76.

Zusammenfassung Die hier vorgelegte Untersuchung löst das antinomische Verhältnis von natürlichem und positivem Recht in der Rechtslehre Immanuel Kants mit ihrer Interpretation weder einseitig zugunsten eines subjektivistischen Naturrechts, noch einseitig zugunsten eines subjektsgelösten Rechtspositivismus auf, sondern zeigt die Nichtigkeit beider extrem scheinender Positionen auf, indem sie den metaphysischen Rechtsgedanken Immanuel Kants aus der begrifflich notwendigen Identität eines freien Willens mit seinem gesetzgebenden Allgemeinwillen aufzufassen sucht: Denn der allgemeine Wille in praktischen Gesetzen ist in der Tat nichts anderes, als die allgemeine Vorstellung des freien Willens, und als solche mithin der Begriff des freien Willens schlechthin, der sich durch seine spontane gesetzliche Selbstvorstellungstätigkeit eben dieses seines Allgemeinwillens an und für sich selbst, und zwar in einem positiven Verstande des reinen Verstandesbegriffs der Kausalität, ursprünglich vernünftig als frei begreift. In der Folge dieser seiner reinen praktischen Identität mit sich selbst kann auch nur dieser freie Wille – als ein Allgemeinwille – Rechtsquelle im äußeren Verhältnis der Menschen zueinander sein, weshalb ihr interpersonales Privatrecht in ihrem natürlichen Zustand, darin es rein rechtsbegrifflich an einem wirklichen Allgemeinwillen in ihrem äußeren Verhältnis noch fehlt, auch schon im Hinblick auf diesen wirklichen Allgemeinwillen in ihrem äußeren Verhältnis (genannt: Staat) rein rechtsbegrifflich als rechtlich bestimmt denkbar ist. Ein in diesem Sinne ausschließlich metaphysisches Wortverständnis des Begriffs des im Hinblick (pro-videre) auf den Staat provisorisch-rechtlichen Privatrechtsbesitzes im natürlichen Zustand (§§ 8, 9, 15, 44) setzt in sich selbst somit die begrifflich-praktische Notwendigkeit eines Staatsrechtssubjekts voraus, von dem alle rechtliche Bestimmung im äußeren Verhältnis der Menschen zueinander ausgeht, und das eben darum als absolutes Subjekt alles äußeren Rechts der Menschen begriffen werden muss. In dieser Funktion ist es im vernünftigen Rechtsdenken aber nicht Mittel zu einem ihm bereits anderweitig vorausgesetzten Zweck (z. B. Privateigentum), sondern an und für sich selbst reiner praktischer Selbstzweck alles äußeren Rechts. In der rechtsbegrifflich notwendigen Einheit seiner rechtlichen Bestimmung lässt sich dann allerdings weder ein von ihm einstweilen noch gründlich unabhängiges Naturprivatrecht der einzelnen Rechtssubjekte schon bloß für sich selbst, noch ein von ihm bzw. ihnen gründlich unabhängiges positives Recht eines empirischen Staatsrechtssubjekts denken, sodass mit diesem absoluten Rechtssubjekt alles äußeren Rechts, nach dem Begriff eines freien Willens schlechthin, insbesondere weder einseitig ein subjektivistisches Naturrecht (Lockescher Provenienz), noch ein rechtssubjektsloser Rechtspositivismus (Kelsenscher Provenienz) rein rechtsbegrifflich begründet denkbar sind.

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Die hier geltend zu machende dezidiert metaphysische Interpretation der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre zeigt also den notwendigen Schein der Antinomie von Naturrecht und Rechtspositivismus nach inneren Gründen auf, indem sie zugleich darzulegen vermag, wie beide Glieder dieses verständigen Gegensatzes im unvernünftigen Schein ihrer Einseitigkeit aus einem seiner Identität nach unbegriffenen Verhältnis eines freien Willens hervorgehen. Denn sowohl ein subjektivistisches Naturrecht, als auch ein rechtssubjektloser Rechtspositivismus beruhen innerlich auf einem begrifflichen Gegensatz des freien Willens gegen den gesetzgebenden Allgemeinwillen, damit aber nicht auf ihrer notwendigen Einheit und Identität, sondern auf ihrer unbegriffenen Einheit in ihrer Identität und daher schließlich auch auf einer für sich tatsächlich unverständigen Zweiheit beider. Während ein rechtssubjektsloser Rechtspositivismus den gesetzgebenden Allgemeinwillen im Staat nämlich nicht durch die reine praktische Idee des ursprünglichen Vertrages der einzelnen Rechtssubjekte zum Staat verfasst begreift, auf diese Weise den freien Willen der einzelnen Rechtssubjekte aber in einem Gegensatz zu diesem in sich alsdann willensgelösten Allgemeinwillen in staatlichen Gesetzen setzt, und damit den freien Willen an und für sich selbst verleugnen muss, setzt ein subjektivistisches Naturrecht den freien Willen für sich selbst im äußeren Verhältnis der Menschen zueinander auch schon unabhängig vom Allgemeinwillen in Gesetzen als gesetzgebend, sodass die naturprivatrechtliche Gesetzgebung eines Einzelwillens in einen gründlichen und schließlich auch unaufhebbaren Gegensatz zu der Gesetzgebung eines Allgemeinwillens im Staat bürgerlicher Gesellschaft tritt. Für den rechtssubjektlosen Rechtspositivismus existiert demnach nur positiv gesetztes Recht, und so führt dieser Standpunkt zur gänzlichen Leugnung des vorpositiven Naturrechtsgedankens, damit allerdings auch zu der des allgemeinen Rechtsbegriffs, sodass dieses einseitige Rechtsdenken sich als solches selbst negierend aufhebt, weil hiernach gerade das positiv gesetzte Recht nicht länger rechtsbegrifflich als Recht begriffen werden kann, sondern dem einzelnen Rechtssubjekt als rechtsbegriffsloser Zwang erscheinen muss. In einem subjektivistischen Naturrechtsdenken existiert dagegen unabhängig vom staatlichen Gesetzgeber bereits ein vorpositives natürliches Privatrecht, sodass sich in dieses einseitige Rechtsdenken der dieses selbst negierend aufhebende Gedanke eines subjektiven Widerstandsrechts einbildet, wenn das staatliche Gesetzesrecht, wie es mit dieser unpraktischen Bestimmung eines freien Willens gar nicht anders sein kann, in einen Widerspruch zu diesem natürlichen Privatrecht tritt. Zu seinem höchsten Ausdruck kommt ein solches subjektivistisches Naturrechtsdenken (Lockescher Provenienz) für die Interpretation der Rechtslehre Immanuel Kants damit in einem empirischen Wortverständnis des Begriffs des einstweilen schon vor dem Staat für sich selbst existenten und daher provisorischen Privatrechtsbesitzes bereits im natürlichen Zustand der Menschen zueinander (§§ 8, 9, 15, 44). Ein von der begrifflich-notwendigen Identität des freien Willens mit seinem gesetzgebenden Allgemeinwillen absehendes und insofern bloß abstraktes Rechtsdenken gelangt somit notwendig zu einem empirischen Wortverständnis des Begriffs

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des provisorisch(-rechtlich)en Privatrechtsbesitzes im natürlichen Zustand, während ein von dieser begrifflich-notwendigen Identität ausgehendes und insofern in seiner begrifflichen Determination konkretes Rechtsdenken notwendig zu einem ausschließlich metaphysischen Wortverständnis dieses Begriffs gelangt. An diesem Umstand aber dürfte zweifelsfrei ersichtlich sein, dass ein bloß abstraktes Rechtsdenken dem Kantischen Naturrechtsdenken in Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre notwendig nicht gerecht zu werden vermag, sondern dieses mit geradezu dialektischer Zwangsläufigkeit in sein begriffliches Gegenteil verkehrt. Denn eine rechtsbegrifflich aufgeklärte Rechtsmetaphysik wird unabhängig von der eigentlich metaphysischen Rechtsquelle kaum eine empirisch-materielle Naturrechtsbehauptung eingebildet in sich schließen dürfen. Gleichwohl macht sich in der modernen Interpretation der Kantischen Rechtslehre bis in die jetzige Gegenwart hinein eine eigentumstheoretische bzw. privatrechtsspezifische Auffassung geltend, die eben diese materielle Naturrechtsbehauptung mit einem empirischen Wortverständnis des Begriffs des provisorischen Privatrechtsbesitzes weithin unbemerkt in sich schließt, und auf eben dieser höchsten Begriffslosigkeit gegen den freien Willen im metaphysischen Rechtsdenken beruht. Doch diese Begriffslosigkeit, die zugleich natürlich auch das fundamentalste Unrecht gegen den sich in seiner Freiheit selbst begreifenden Willen bedeutet,1 führt in ihrer Konsequenz nicht nur zu einer privatrechtsakzessorischen Staatsrechtsbehauptung, und damit zu einer empfindlichen Profanisierung des metaphysischen Staatsrechtssubjekts, sondern auch in unüberwindliche Verständnisschwierigkeiten mit dem Originaltext der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre Immanuel Kants selbst, weshalb sich mit dem breiten Konsens der privatrechtsspezifischen Interpretation gegenwärtig im Grunde völlig unwidersprochen und ganz konsequent auch eine privatrechtsspezifische Edition dieser Rechtslehre Immanuel Kants behaupten kann, die auf der sie selbst negierenden und bloß besonderen Meinung beruht, der Text dieser Rechtslehre sei in seiner originalen Gestalt nicht allzu ernst zu nehmen und bedürfe vielmehr einer Reparatur von eigentumstheoretischer Hand. So vergeht sich diese alles Recht gründlich verkehrende Begriffslosigkeit gegen den freien Willen schließlich auch ohne Unrechtsbewusstsein an der autorisierten Textfassung der Rechtslehre Immanuel Kants, sodass ihr gegenwärtiges Verständnis unter dem sie in Wahrheit verleugnenden Wahlspruch steht: „Die Philosophen haben die Rechtslehre nur verschieden i n t e r p r e t i e r t , es kömmt darauf an sie zu v e r ä n d e r n “2. Eine gründliche Bekanntschaft mit dem metaphysischen Wortverständnis des für die Gesamtauffassung der Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre maßgeblichen Begriffs des provisorisch-rechtlichen Besitzes würde dieses privatrechtsspezifische Missverständnis sowie die daran kurzerhand geknüpfte Rabulistik 1 In der eigentumstheoretischen Interpretation ist deshalb ganz unverhohlen auch von einer „Freiheitsberaubung“ die Rede. 2 Ludwig, Kants Rechtslehre (1988), S. 1.

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dagegen allerdings von vornherein abgehalten haben, sodass die hier vorgelegte Untersuchung „Zur Positivität des Rechts in der kritischen Naturrechtslehre Immanuel Kants“, und zwar mit ihrem beharrlichen Insistieren auf eben diesem metaphysischen Wortverständnis, nicht nur im Gegensatz zu einem diesbezüglich empirischen Wortverständnis, sondern vor allem auch aus dem methodologisch zuvor aufgeklärten Gedanken der philosophischen Methode einer metaphysischen Rechtserkenntnis aus reinen praktischen Rechtsbegriffen a priori zu entwickeln war. Denn reine praktische Begriffe der reinen praktischen Vernunft enthalten in sich selbst gewiss keine unvermittelt empirischen Vorstellungsrelationen und mithin ebenso gewiss auch keine durch den Begriff eines freien Willens noch unvermittelte empirische Rechtsbesitzbehauptung. Der reine praktische Vernunftbegriff des – alleine im Hinblick auf den gesetzgebenden Allgemeinwillen im Staat bürgerlicher Verfassung – provisorisch-rechtlichen Privatrechtsbesitzes im natürlichen Zustand der Menschen untereinander kämpft somit auch mehr als 220 Jahre nach dem erstmaligen Erscheinen der Rechtslehre Immanuel Kants noch immer mit seinem abstrakten Verstand.

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Die ursprünglich anonym erschiene Rezension stammt von demselben unten in Fn. 3 nachgewiesenen Verfasser. 3 Die ursprünglich anonym erschiene Rezension stammt gemäß der Auskunft Fichtes in seinem Brief an Kant (Nr. 794) vom 01. 01. 1798, AA XII: 230.25-27 vom genannten Verfasser.

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Der in Fn. 6 nachgewiesene Verfasser des dort genannten Sendschreibens bekennt sich darin (S. 5) auch zur Autorenschaft der hier nachgewiesenen Bemerkungen über den Kantischen Begriff von dem gerichtlichen Eyd. 6 Der anonyme Verfasser, Sendschreiben an einen Recensenten in der Gotahischen gelehrten Zeitung über den gerichtlichen Eyd, Frankfurt/Leipzig 1800, S. 6 bekannte sich zur Autorenschaft dieser Schrift. Nach Hamberger/Meusel, Das gelehrte Teutschland, Bd. VII, 5. Aufl., Lemgo 1798, S. 394 handelte es sich dabei um Johann Christoph Schwab. 7 Da die Schrift ursprünglich anonym erschien, ist die Verfasserschaft letztlich nicht genau geklärt. Gewöhnlich wird Johann Christoph Schwab ohne weiteres als Verfasser genannt (siehe etwa schon Hamberger/Meusel, Das gelehrte Teutschland, Bd. X, 5. Aufl., Lemgo 1803, S. 644; ferner Kayser, Vollständiges Bücher-Lexicon, 5. Theil, Leipzig 1835, S. 192). Der Verleger der anonymen Schrift, Friedrich Nicolai, sprach in: Ueber meine gelehrte Bildung, über meine Kenntnis der critischen Philosophie und meine Schriften dieselbe betreffend, und über die Herren Kant, J. B. Erhard und Fichte, Eine Beylage zu den neun Gesprächen zwischen Christian Wolf und einem Kantianer, Berlin/Stettin 1799, S. 103 hingegen von mehreren

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Sachwortregister Abstraktion/abstrahieren 22, 34, 41, 50, 57, 83, 87, 99, 123 ff., 137, 152, 157, 176, 179 f., 192, 195, 197, 198 f., 222, 224, 230, 233, 235, 256, 258, 264 f., 270 f., 277, 287 ff., 304, 309, 313, 317 f., 320, 323, 334, 336, 352, 367, 380, 410 f., 416, 418, 421 f., 423, 427, 437, 440 ff., 470, 472, 483, 506, 508, 519 f., 526, 532, 536, 565, 580, 587, 596, 598, 636, 637 ff., 641 Akroam 61, 62 Allgemeinheit – ~ des Gesetzes (siehe Gesetzesallgemeinheit) – ~ des Willens (siehe Willensallgemeinheit) Analogie 143, 152 ff., 559 f., 592 Analyse 42, 49, 54 ff., 88 f., 100, 143, 258, 272, 288, 307 f., 592, 626 Analytik – ~ der reinen praktischen Vernunft 21, 24 – transzendentale 246 Anerkennung 81, 138, 141, 172, 299, 510, 523 Anfang 20, 24, 27 f., 37, 48 f., 59, 61, 68, 79, 139, 202, 271, 550, 588 Anfangsgrundsatz (siehe Grundsatz) Anschauung 22, 35, 38, 41 f., 47, 76, 239 f., 253, 293 – ~ der Zeit 22, 35, 209, 269, 392 – ~ des Raumes 22, 35, 153, 209, 269, 392 – empirische 41, 59, 548 – intellektuelle 164 – logischer Begriff der ~ 33 – reine 35 f., 40, 53, 55, 59, 143, 154, 269 Anthropologie 31, 3824, 97, 130, 153 Architektonik 71 ff., 100 ff., 102 ff., 116, 142, 169, 193, 215, 305, 339 Ariadne-Mythos 127 Aristoteles 91 Ästhetik, transzendentale 55, 210 Aufgabe 23, 254, 280, 353, 410

Autonomie (siehe auch Freiheit) 23 ff., 30, 109, 118, 122, 161, 164, 165 f., 168 f., 172, 174, 180 ff., 183 ff., 188 ff., 193 f., 200, 211, 217, 226, 230 f., 298 ff., 300 ff., 319, 406, 415 f., 428, 452, 500, 513 f., 517, 533 ff., 541 ff., 543, 549, 551, 553, 555, 556, 557, 565, 571, 576, 578, 580 f., 583, 593, 595, 599, 614 ff., 645, 666 Axiom 51, 58 f., 61, 62, 253, 414 f., 424 Baumanns, Peter 661 Begehren – Form des ~ 22 – Materie des ~ 22 Begehrungsvermögen (siehe Wille bzw. Willkür) Begriff – abgeleiteter reiner Verstandes~ (Prädikabilie) 38, 65, 71, 75 f., 89 f., 91, 93, 98, 104, 200, 290, 339, 469, 503 f., 660 – a priori gegebener ~ 42, 51 ff., 242, 637, 639 – Art~ 47, 96 ff., 120, 163, 167, 342 – begreifen durch einen ~ 24 – ~ als allgemeine Vorstellung von Etwas 24, 33, 85, 122, 144 f., 149, 159, 170, 194, 241 f., 377, 412, 420 f., 533, 544, 548, 667 – ~ als Erkenntnisgrund 33, 59, 85, 139, 157, 197 ff., 274 – ~gebrauch (siehe Begriffsgebrauch) – ~inhalt 33, 42, 44, 54, 67 ff., 147, 150 ff., 176, 197, 204, 214, 237, 346, 403, 418, 436 – ~reihe 43 ff., 48, 97, 126, 258, 271, 288 f., 292, 297, 303, 309, 338, 353, 381, 389, 410, 419, 432, 446, 452, 469 – ~sphäre 43 ff., 56, 76, 81, 88, 137, 140, 157 f., 160, 167, 171 f., 175, 177, 179, 184, 205, 215 f., 223, 227, 299, 338, 343, 368, 388, 538, 601, 608 – ~umfang 33, 56, 67 ff., 116 f., 138, 150 ff., 156 f., 164, 172, 197, 663

Sachwortregister – – – – – – – – –

Definition eines ~ (siehe Definition) empirischer 35, 37, 52, 546, 548 Erklärung eines ~ (siehe Erklärung) Exposition eines ~ (siehe Exposition) Gattungs~ 47, 97, 121, 123, 167, 272, 309 Konstruktion eines ~ (siehe Konstruktion) logische Bestimmung eines ~ 43 ff. logische Prüfung eines ~ 144 ff. Merkmales eines ~ 33, 54, 123, 126, 130 f., 142, 153, 186, 195, 427, 515, 664 – Merkmalsverschiedenheit von ~ 42 ff. – reiner 34, 35 ff., 58, 89 ff., 235, 260, 342, 351, 418 ff., 436, 439, 441, 448, 451 f., 478 – Stamm~ (Prädikament) 38, 65, 71, 75, 89, 201 – willkürlicher 50, 53 Begriffsgebrauch – abstrakter 50, 57, 123, 125 ff., 129 – konkreter/allgemein bestimmender 50, 57, 126 ff., 192, 195, 197, 200, 202 f., 205, 207, 210 ff., 215 f., 221, 231, 247, 251 f., 257 ff., 260, 263, 265, 285 ff., 295, 298, 301, 304, 308, 323, 334, 338, 371, 381, 389, 392, 409 f., 418, 428, 439, 443, 450, 523 f., 531 f., 534, 536, 543, 557 f. – praktischer 36 ff., 48, 73, 89, 97, 149, 186, 210, 238, 243, 250, 254, 274, 344, 390, 411, 418, 420 – theoretischer 36, 40, 64, 73, 268 Besitz – äußerer 28, 45 ff., 95, 97, 100, 101, 102, 105, 125, 169, 190, 191, 192, 203 ff., 211 ff., 217, 232 ff., 258, 272, 284, 295 ff., 301 ff., 309, 313, 315, 316 ff., 346, 349, 351 ff., 364, 371, 374 ff., 378, 387, 391, 397 f., 405, 407, 409, 419, 423, 473, 477, 503 ff., 514, 526, 531, 661 – empirischer 46, 97, 191, 207, 210, 233, 242, 254 f., 258, 270, 289, 291, 294, 316, 320, 323, 334, 382, 383, 408, 442, 660 – intelligibler 45 ff., 69, 97, 191, 210, 233, 235 ff., 244 ff., 247 ff., 295 ff., 303, 309, 314, 316 f., 323, 334, 338 ff., 344, 347, 350, 352 f., 363, 379 ff., 389 ff., 410, 416, 419 ff., 427, 432, 436, 439 ff., 445, 447, 452, 470, 483, 548 f., 562, 587 f, 633

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– peremtorischer 57, 101, 309, 314, 328, 333 f., 407, 418, 508 – provisorisch-rechtlicher 50, 57, 68, 81, 87, 91, 101, 128, 138, 157, 170, 176, 180, 186, 195, 198, 200, 227, 231, 291, 304, 309, 310, 314, 315 ff., 320 ff., 324 ff., 334, 372, 382, 387, 390, 402 f., 409, 471, 473, 506, 508, 513, 518, 520, 523, 528, 531, 537, 538, 540886, 562, 578, 581, 585 f., 588, 614, 619 f., 624 f., 631, 639, 641, 645, 667 ff. Besitzantinomie 191, 203, 207, 234, 293 f., 323 Besitzerwerb – ~handlung 93 f., 212, 215, 219, 223, 226 f., 259 f., 290, 293, 350, 428, 475, 477, 479 f., 503 – ~rechtsform 462, 486, 550 – erster 93, 226, 402, – provisorisch-rechtlicher 227, 290, 347, 356, 357, 372, 373, 376, 380, 385, 389, 404 ff., 411, 417, 441, 450, 472, 504 ff., 511, – ursprünglicher (siehe ursprüngliche Erwerbung) Beweis 61 f. – akroamatischer 62 f., 78, 106, 391 f., 397, 420 ff., 561, 563, 573 – apagogischer 63, 218 f.52, 224, 395 Bewusstsein 33 f., 42, 58, 78, 117, 131, 146, 181, 197, 244 – ~ der Freiheit 21 ff., 30 f., 306 – ~ des Gesetzes 21 ff., 30, 37, 59, 63, 80 f., 86, 557, 566 – deutliches 19, 21 ff., 31 f., 42, 49, 53, 55, 64, 88, 97, 99 f., 104 f., 131, 139, 152 f., 197, 210, 220, 237 f., 295, 336, 411, 420, 504, 526, 538, 569, 610, 613, 620 – dunkles 21 – klares 21 ff., 157, 631 – moralisches 20, 24, 27 f., 59, 83, 129, 182, 202 – Pflicht~ 29, 32, 63, 105 – Rechts~ 49 f., 57, 68, 112, 123 f., 126, 180, 186, 188, 203, 210 f., 214 ff., 226, 232, 247, 249, 254, 257, 263 f., 267, 270 f., 277, 288 ff., 292, 304, 309, 311, 316 f., 334, 337 f., 352, 387, 411, 417, 423, 443, 478, 483, 528, 631, 636 f., 639, 652, 660

696

Sachwortregister

– reines praktisches Selbst~ eines freien Willens 24 ff., 74, 139, 163 f., 165, 178, 182, 186, 198, 202, 216, 221, 443, 533, 583 – reines praktisches Selbst~ eines Staatsrechtssubjekts 110 – Tätigkeit des ~ 34 – Tatsache des ~ (gen. obj.) 25 f. – Tatsache des ~ (gen. subj.) 21 ff., 53, 59 – unmittelbares 48, 93, 106, 145, 149, 215 f., 227, 245, 255, 261, 402, 406, 517, 524, 528, 531 – Unrechts~ 669 Billigkeit 52, 155 Bouterwek, Friedrich 443 ff., 460, 466 Brandt, Reinhard 173, 227 ff., 279 ff., 322, 324 Brocker, Manfred 364 Buchda, Gerhard 256, 277 ff.

Dasein – Begriff des ~ 28, 7714 – ~ der Freiheit 28, 76 f., 98, 109 – ~ des freien Willens 28, 79, 454 Deduktion – Begriff der ~ 58 – ~ der reinen Verstandesbegriffe/Kategorien 35 f., 20927 – ~ des Begriffs der Erwerbung durch Gesetz 442 ff. – ~ des Begriffs der Erwerbung durch Vertrag 432 ff. – ~ des Begriffs der ursprünglichen Erwerbung 69, 98, 250, 256, 341 f., 357 ff., 418 ff. – ~ des Begriffs des äußeren Mein und Dein 234, 243, 244, 249 – ~ des Begriffs des intelligiblen Besitzes 69, 97, 210, 228, 245, 247 ff. – ~ des kategorischen Imperativs 61 f. – ~ des obersten moralischen Prinzips 61 Definition 51 f., 143 ff. – analytische 54 f. – Methode der ~ 51 ff., 143 ff. – Nominal~ 56, 140 ff., 206 ff., 232, 234, 241, 243 ff., 381 f., 456, 467, 544 f. – Real~ 49, 51 ff., 5687, 123, 131, 140 ff., 210, 232, 233, 234, 242 ff., 245, 247, 385,

388 ff., 433 ff., 446, 448 f., 507, 523, 544, 547 ff. – synthetische 54 Deggau, Hans-Georg 336, 529 Deklaration (siehe willkürliche Erklärung) Demonstration 51, 62 f., 78 Denken – abstraktes 50, 12741, 128, 137 ff., 141, 167, 204, 230 f., 292, 304, 323, 506, 614, 631, 638, 641, 668 f. – bloßes/reines 23 f., 28, 37, 74, 164 – ~ als ein Urteilen durch Begriffe 33 – konkretes 87, 128, 138, 669 Descartes, René 327 Despotie 593, 595, 599, 603 f., 607, 613, 615, 617 f., 623, 637, 647 Deutlichkeit (siehe auch deutliches Bewusstsein) – extensive 42, 4962, 106, 131, 147 f.100, 156, 216, 232, 240, 295, 411, 418621, 526, 538 f., 545 f., 626 – intensive 4962, 104 f., 147100, 156, 158 f., 167, 192, 197, 202, 211, 226, 232, 295, 305 f., 338, 381, 401, 418621, 469, 473 ff., 504, 506, 519, 523, 531 f., 539, 561, 569, 588, 620, 631 Dichotomie (siehe dichotomische Einteilung) Dreier, Ralf 633, 660 Dulckeit, Gerhard 581, 661 ff. Ebbinghaus, Julius 278 Ehe 455 ff. Eid 501 ff. Eigentum 27, 67 ff., 88, 92, 105, 125, 134, 151, 165, 204, 213 ff., 220, 273, 301 f., 304, 306 f., 311, 313 f., 320, 322 ff., 325, 329 ff., 335 ff., 341, 355 f., 357 ff., 380 ff., 387 f., 393 f., 398, 405, 407 ff., 417, 427, 429, 431 f., 444, 450, 460, 464, 466 f., 468 f., 489, 492 ff., 505, 518, 520, 523, 525, 529, 567, 577 ff., 583, 588, 621, 657, 667 – altständig-hoheitsrechtliches 70, 357 – 378 – Arbeitstheorie des ~ 355, 364 ff. – Begriff des ~ 67 f.127, 204, 21340, 357 ff., 460, 505, 520 – kategorischer Imperativ des ~ 66, 107, 517

Sachwortregister – liberal-privatrechtliches 70, 357 – 378, 460, 464 – Ober~ 358, 360, 363, 373, 375, 378, 383 f., 429, 431, 478, 511, 513, 586 f. – Okkupationstheorie des ~ 354 f., 363 f. Eigentümergesellschaft 134, 196, 304, 373, 518, 590 Einteilung 49, 56 f.91 – ~ der Idee der Rechtswissenschaft 116 ff. – ~ der Staatsformen 600 ff. – ~ des allgemeinen Begriffs des Rechts 43 ff., 156 ff., 160 ff., 177 ff., 182 ff. – ~ des Begriffs der Erwerbshandlung 342 f., 378, 431, 432, 470 f. – ~ des Begriffs der Geschlechtsgemeinschaft 456 f. – ~ des Begriffs der öffentlichen Gerechtigkeit 508 – ~ des Begriffs des Habens eines Gegenstandes 45 f. – ~ des Begriffs des öffentlichen Gesetzes 629 ff. – ~ des Begriffs des Postulats 73 ff. – ~ des Begriffs des Staats 549, 552 ff. – ~ des Begriffs einer willkürlichen Handlung überhaupt 32, 82 – ~ des Kantischen Naturrechtsdenkens 193 – ~ des Naturrechts 194 ff. – dichotomische 43 ff., 74 f., 118, 158 f., 177 ff., 182 ff. – trichotomische 46 ff., 74 f., 121, 158 f., 160 ff., 342, 378, 431, 508 Erkenntnis – empirische Natur~ 35, 64, 711, 246, 268 – ~ aus reinen Begriffen 33 ff., 38 ff., 57, 60, 63 f., 69 f., 711, 79, 85, 96 f., 150, 153, 156, 159, 187, 192, 197, 251, 275, 278, 390, 417, 670 – Ideen~ 64 ff. – mathematische 40 ff., 51, 62 f., 153 – metaphysische 30, 38 ff., 67, 114, 183, 192, 195 – philosophische 28, 38 ff., 46, 48, 51, 63 ff., 153 – praktische 27, 38 ff., 63 ff., 90, 269, 417 – Rechts~ 33 ff., 39, 50, 57, 85, 126, 150, 156, 187, 192 f., 197, 635, 670 – synthetische ~ a priori 46, 159

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– theoretische 64, 90, 548 Erklärung, willkürliche 224, 24, 29 f., 51, 53 Erlaubnisgesetz 97, 222, 226 ff., 260, 267 f., 270 f., 273, 298, 305, 307, 311 f., 324, 391, 396 f., 402, 417, 451, 524 Erörterung (siehe Exposition) Erwerbung – abgeleitete 343, 347, 356, 361 f., 409 f., 425, 430 ff., 435, 441, 457, 468, 585 – erste 219, 226, 255, 267, 347, 356, 362, 368, 391 f., 396, 401, 455 – ideale 470 ff., 511, 542, 552, 648 – peremtorische 409 – provisorische 409, 411, 417 – reale 470 ff. – ursprüngliche 69, 226, 256 f., 260, 266, 278, 288, 337, 340, 343 f., 347 f., 350 ff., 357, 361 f., 371, 373, 375 ff., 379 – 432, 434, 438, 440, 449 f., 468, 472, 476 ff., 487, 511, 585 f., 588 Evidenz (siehe intuitive Gewissheit) Ewiger Frieden 91, 111 f., 128, 171, 333 Explikation 224, 52 Exposition – ~ der objektiven Grundsätze reiner praktischer Vernunft 22, 24, 52 – ~ des Begriffs des äußeren Mein und Dein/ äußeren Rechtsbesitzes 210, 232 ff., 274 f., 293, 378 – ~ des Begriffs des Sachenrechts – ~ des Rechtsbegriffs 32, 53, 55, 107, 123, 129 ff., 140, 142 – ~ des reinen Begriffs der ursprünglichen Erwerbung des Bodens 389, 411 ff. – ~ des reinen Begriffs der vertraglichen Erwerbung 436 ff. – ~ des reinen Begriffs des Staates 544, 545 ff. – Methode der ~ 51 ff.

Factum – ~ der Vernunft 20, 21 ff., 53, 61, 62 f., 139, 274 f., 310, 557 – zurechnungstheoretischer Begriff des ~ 132, 206, 225, 480, 538, 587 Faktizität – Begriff der ~ 26, 300

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Sachwortregister

– ~ der Verbindlichkeit/Verpflichtung 28, 173, 299 – ~ der Vernunft 63, 275, 310 – ~ des Sittengesetzes 26 f. Fichte, Johann Gottlieb 25, 137 Freiheit (siehe auch Autonomie) – angeborenes Recht der ~ 182 ff., 188, 190 f., 198, 203 f., 205, 211, 217, 227, 251 f., 257, 262 f., 295 f., 304, 321, 344 f., 354, 398, 428 f., 433 f., 452, 491 f., 510, 534, 567 f., 576, 582 f., 644 f. – äußere 86 ff., 140, 150, 152 f., 188, 191, 193, 211, 218, 222, 242, 252, 265, 289, 311 f., 349, 414, 424, 449, 500, 582 f. – ~ als Tatsache des Bewusstseins 21, 23 ff., 59 – ~ als Unabhängigkeit 151, 167, 184, 188, 252, 262, 304, 321, 344 f., 397 f., 428, 433, 449, 452, 510, 567 f., 576, 644 f. – ~ der Willkür 37, 81, 86 f., 146, 148, 182, 186, 510, 512, 534, 620 – ~ des Willens/der reinen praktischen Vernunft 21, 23 ff., 30, 36 ff., 53, 59, 82, 86 f., 98, 129, 183, 202, 299, 309, 322, ~ im negativen Verstande des Begriffs der Kausalität 23, 184 – ~ im positiven Verstande des Begriffs der Kausalität 23 ff., 36 f., 82 f., 184, 221, 275, 312, 557 – 536, 546, 557 f., 624, 631, 669 – ~beraubung 230 f., 322, 324, 579 – Idee der ~ 20, 24, 36 f., 64, 76, 80 – Kategorien der ~ 131 ff. – praktische 71 f.1, 131, 257, 275, 299 f., 631 – reiner praktischer Begriff der ~ des Willens (siehe auch Autonomie) 20, 21 ff., 36 ff., 48, 54, 56, 59 f., 63, 74, 76, 82 f., 84, 105, 116, 126, 129, 153, 161, 164, 178 f., 182, 202, 215, 270, 274, 287, 310, 457, 546, 557 f., 624 – transzendentale 22, 76 f. Freiheitsbewusstsein (siehe Bewusstsein) Fremdverpflichtung 119, 122, 165, 180, 230, 298 ff., 319, 322, 578 Friedrich, Rainer 276 Fulda, Hans Friedrich 39, 42, 47, 275 f., 284

Geismann, Georg 210 Gemeinschaft – Begriff der ~ 37, 49, 102, 110 ff., 132, 194 f., 239 ff., 428, 443, 456, 543 – uranfängliche 263 f., 346 f. – ursprüngliche 261 ff., 345 ff., 361, 397, 400 f. Gerechtigkeit – austeilende/distributive 99, 103, 154, 198, 375, 478 f., 479 f., 482, 485 ff., 492 f., 496 ff., 503 ff., 507 ff., 514 ff., 517, 524, 539 f., 541 f., 568, 610 f., 620, 622, 626, 630 – beschützende 479 f., 500, 509 ff., 514 – die ~ überhaupt als Person (siehe auch Gerichtshof) 479 f. – öffentliche 48, 126, 154, 171, 195, 335, 374, 477, 479 f., 482, 507 ff., 523, 532, 533, 540, 541, 568, 611 – punitiva 6111036, 622 – Tausch~ 513 – Teilhabe~ 333 – Verteilungs~ 313, 500, 513, 624 – wechselseitig erwerbende 474, 476 f., 478 f., 479 f., 485 ff., 491 ff., 496 ff., 502, 508, 511 ff., 514 f., 532 Gerichtshof 98, 154, 479 ff., 490, 492 f., 495 ff., 499 ff., 512, 515, 596, 609, 611, 613, 621, 622, 623 Gesamtbesitz – gestifteter 384 f., 389 – ursprünglicher 261, 345, 384 f., 389, 395, 397, 399 ff., 405, 410, 412 ff., 419 f., 430 Gesellschaft – Begriff der ~ 195, 516, 518 – bürgerliche 66, 134, 170, 194 ff., 200, 217, 302, 305 ff., 311 f., 319, 322 f., 329 f., 354, 364, 368 ff., 373, 375 ff., 454 ff., 458, 464, 469, 472, 515, 517 ff., 520 ff., 532, 534, 542 f., 546, 564 ff., 584 ff., 588 ff., 593 ff., 599, 610 f., 614, 618 ff., 622 f., 634 f., 638 f., 649, 668 – häusliche 377, 455, 517 – menschliche 166 – privatrechtliche 196, 517 Gesetz – Erlaubnis~ (siehe Erlaubnisgesetz)

Sachwortregister – ~ als objektiver praktischer Grundsatz 37, 129, 557, 606, 616 f. – göttliches 82 – Grund~ (siehe Grundgesetz) – natürliches 65, 118 ff., 123, 155, 178 ff., 321, 365, 386 ff., 524, 547 f., 571, 629 ff., 632 ff., 635 f., 636 ff., 660 f., 663 – positives 64, 87 f., 118 ff., 123 ff., 129, 141 f., 146, 157, 179, 311, 387 f., 416, 483 f., 501, 533, 541, 547, 568, 615, 620 f., 623 f., 627, 629 ff., 633 ff., 636 ff., 640, 647, 649, 658, 660 f., 662, 663, 666 – praktisches (siehe auch objektiver praktischer Grundsatz) 22, 24, 29 ff., 37, 84, 298 – Rechts~ (siehe Rechtsgesetz) – Sitten~ (siehe Sittengesetz) – Tugend~ (siehe Tugendgesetz) Gesetzesallgemeinheit 22, 24, 29, 38 Gesetzesbewusstsein (siehe Bewusstsein) Gesetzgebung – allgemeine 59, 65, 87, 148, 171, 237, 291 f., 295 ff., 303, 349, 356, 424, 439 f., 452, 470, 522, 563, 565, 588, 604 ff., 612 ff., 617, 639, 647, 668 – äußere 88, 106 f., 117 ff., 122, 137, 173, 180, 182 f., 198, 227, 242, 265, 290 f., 298, 306, 320, 352, 409, 415, 483, 522, 524, 534 ff., 540, 582, 623, 632 – despotische 617 – fremdpersonale 118 f. – intrapersonale 118 f. – Mit~ 119 – positive 65, 118 ff., 125, 137, 155, 179, 183, 188, 623, 630, 634 – staatliche 198, 564, 604 ff., 612 ff. – willkürliche 65 Gewissheit – anschauliche 62 – apodiktische 62 f. – diskursive 62 f., 395 – empirische 63 – intuitive 62 f. – mittelbare 62 ff. – praktische 37, 106, 256, 270, 274 – unmittelbare 58, 60, 77 f.15, 93, 95, 106 f., 173, 186, 212, 216 f., 221, 247, 254 ff., 257 f., 270 f., 273 f., 281, 305, 337, 395, 525 f., 528

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Grotius, Hugo 70, 354, 358, 359 ff., 364, 370, 400, 429, 537 Grundgesetz – ~ der reinen praktischen Vernunft/des Willens/der Willensbestimmung 23 ff., 30 f., 36, 56, 59 f., 61, 63, 73 f., 77, 82, 86, 116, 118 f., 125, 129 f., 143, 145, 148, 161 ff., 166, 178 f., 182, 186, 274, 589 – ~ eines Staatswesens (siehe auch ursprünglicher Vertrag) 613 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten 61, 129 Grundsatz – Anfangs~ 45, 48, 62, 69 f., 97, 193, 210, 211 ff., 216, 227, 232, 237 f., 243, 245, 250, 254 ff., 271, 273 f., 275, 281, 305, 524 f., 542 – ~ des ausschließenden Dritten 44 – ~ des natürlichen Rechts 267 ff., 278, 311, 396 – ~ i.S.v. Postulat 48, 59 f., 71, 72 f., 253 – logischer Begriff des ~ 60, 78 – metaphysischer 48, 65, 69, 71, 100, 149, 227, 237, 245, 253, 273 f., 275, 281, 305, 396 – oberster 31, 61 f., 63, 83, 129, 159 – praktischer 22 ff., 29 f., 36 ff., 56, 59 f., 63 f., 71, 72, 82, 84 f., 95, 118, 122, 129, 156, 159, 160, 178, 227, 254, 268 ff., 271 f., 274 ff., 276 f., 554 f., 557 f., 606, 616 f. – - objektiver (siehe auch praktisches Gesetz) 22, 29, 616 f. – - subjektiver (siehe auch Maxime) 22, 29, 34, 616, 635 – Vernunft~ 24, 36, 49, 68 – Verstandes~ 35, 5897, 268 f., 274 Haben – Begriff des ~ 38, 43 ff., 91, 93, 96 f., 194, 198, 200 ff., 209, 212, 269 f., 274, 286, 290, 294, 305, 338, 342, 423, 473, 503, 660 – Rechtsbegriff des ~ (siehe Besitz) Haensel, Werner 581, 655 ff., 661 ff., 664 Handlung – äußere 32, 74, 79, 81 f., 83, 85 ff., 89 ff., 92 ff., 103 f., 107, 108, 111 f., 116 f., 126, 130, 132, 136 f., 140, 146, 147 f., 152 f.,

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Sachwortregister

161 ff., 166, 172 ff., 178, 182, 183 ff., 188, 193, 211, 218, 223 ff., 227, 234, 289 f., 301, 345, 349, 413, 474 f., 481, 502, 505, 512, 518, 522, 524, 527, 538, 548 f., 605, 616 f., 623, 648, 665 – Begriff der ~ 32, 345, 38, 49, 75 ff., 79, 81, 89 ff., 93, 96 ff., 104, 108 ff., 201, 215, 268, 338 f., 340, 342, 469, 473 f., 503 – Denk~ 73 f., 76, 230, 416, 481 – Erwerbs~ 93 f., 97 f., 102, 182, 186, 188, 212, 215, 219, 223, 227, 259 f., 290, 293, 338, 342 ff., 347 ff., 355 f., 379, 385 f., 396 f., 401, 405, 411 f., 416, 419, 424, 426 f., 432 ff., 436, 438, 442, 445, 448 f., 452, 463, 470, 472 ff., 477 ff., 487, 503 ff., 510 ff., 551 f., 581, 584, 587, 646 – innere 32, 74, 79 f., 82, 83, 86, 108, 109 ff., 130, 147 f., 162, 174 – postulierte 85 ff., 103 ff., 226 – Willens~ 73, 76, 79 – willentliche 82 – willkürliche 30, 32, 82, 141 – zurechenbare 25, 480 f., 587 Handlungsregel, praktische (siehe auch Imperativ) 29 ff., 34, 64, 84, 104, 130, 514, 555, 557 f., 597 f., 616, 620, 623 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 28, 47, 79 f., 459 f., 589 Heiligkeit/heilig 306, 110, 129, 594, 598, 617, 626 ff., 633, 635, 648, 655 Henrich, Dieter 26 ff., 173, 325 Herb, Karlfriedrich 107, 307, 578 ff. Heteronomie 119, 173 f., 180, 200, 230, 298 f., 301, 304, 309, 573, 580 f., 615, 639, 645, 666 Hirsch, Philipp-Alexander 298 f., 319 Höffe, Otfried 121, 131, 173 Hoffmann, Thomas Sören 661 Honrath, Klaus 469 Hypostase/hypostasieren 92, 150 ff., 170, 171, 195 f., 199 f., 212, 296, 309, 311, 318, 366, 371, 410, 427, 639 Idealgrund 23, 48, 149, 151, 271, 274, 450 Idealität, transzendentale 33, 210 Idee – Begriff der ~ 37, 45 f. – ~ der Freiheit des Willens (siehe Freiheit)

– ~ der Rechtslehre 116 ff. – ~ des Staates (siehe Staat) – ~ des ursprünglichen Vertrages (siehe ursprünglicher Vertrag) Imperativ – hypothetischer 29 f. – kategorischer 29 ff., 34, 61, 63 ff., 84, 104 f., 120, 122, 125, 130, 163, 166, 173, 213, 230, 314, 417, 517, 597, 616 f., 623, 634 Inhärenz und Subsistenz 55, 90, 202, 246, 392, 546, 566 Interpersonalverhältnis 87, 133, 136 ff., 161, 164 f., 172, 179 f., 186, 192, 198, 200, 226, 236, 298 f., 304, 309, 368, 408, 470, 472, 481 f. Interpretation – eigentumstheoretische/privatrechtsspezifische 27, 67 ff., 92 f., 107, 133 f., 152, 157, 165 f., 168 ff., 196, 204, 214, 231, 241, 287, 299, 304, 306 f., 310, 312, 314, 322, 324, 329 f., 332, 334, 336 f., 342, 348, 350, 356, 364, 372 ff., 377, 383, 385, 387 f., 390, 393 ff., 398, 403, 405, 407 f., 411, 416 f., 427 f., 444, 460 f., 464, 466, 468 f., 473, 505 ff., 513, 517 f., 520, 525, 529, 531, 537 f., 556 f., 560, 574, 576, 577 ff., 588 f., 591, 614 f., 618, 624, 641, 654, 655, 656 f., 669 – metaphysische 28, 68, 70, 84, 104, 114, 150 ff., 187, 207, 231, 299, 383, 522, 620, 625, 631, 668 intrapersonal 32, 87, 99, 118 f., 122, 129, 171 f., 174 f., 178, 181 f., 299, 301, 406, 413 ff., 423, 428, 450, 460, 527, 538 Intrapersonalverhältnis 163, 172, 218 Kausalität – absolute 25 – Begriff der ~ 23 f., 37, 49, 75 ff., 89 ff., 102, 108 f., 111., 239 f., 268, 274 f., 342, 378, 428, 503 f., 532, 542, 557, 667 – Freiheits~ 98, 339, 585 – ~ aus Freiheit 89, 553, 555, 585 – ~ der Willkür 428, 430, 434, 441 f. – Natur~ 22 – Willens~ 22 f., 37, 82 f., 91, 96, 111, 554 f., 557

Sachwortregister Kelsen, Hans 667 Kersting, Wolfgang 27, 72, 84, 133 f., 168 f., 173, 187, 206, 215, 217, 275, 321, 335, 405, 559 Kiefner, Hans 494 Klarheit (siehe klares Bewusstsein) Konkretion/konkretisieren 50, 126 ff., 192, 197, 211, 230, 261, 265, 284, 291 f., 295, 297, 300, 314, 334, 357, 410, 483 f. Konstruktion 35, 40 ff., 53, 58, 73, 143, 153 ff., 466 Kontrakt, ursprünglicher (siehe ursprünglicher Vertrag) Kraft, Begriff der ~ 38, 49, 89 ff., 96, 98, 108, 201 f., 305, 474, 503 f. Kräft, David 663 ff. Kritik – ~ der praktischen Vernunft 20, 36, 59, 129, 557 f. – ~ der reinen Vernunft 36, 164, 209, 269 – ~ der Urteilskraft 47 Kühl, Kristian 385, 393, 407, 657 ff. Kühnemund, Burkhard 385 Legalität 82 Lehmann, Gerhard 279 lex – ~ iuridica 164, 166, 412 f., 415, 512 – ~ iusti 161, 163, 218, 412 f., 415, 510 – ~ iustitae 166, 170, 412, 414 f., 512, 621 Lisser, Kurt 336 Locke, John 27, 70, 177, 310, 355, 358, 361, 364 ff., 371 ff., 383, 400, 513, 537, 550, 624, 654, 667 f. Logik, transzendentale 4960, 124 Lübbe-Wolff, Gertrude 438 Ludwig, Bernd 27, 68 ff., 107, 110 f., 117, 187, 206, 211, 213, 219 ff., 227 ff., 234, 244, 246, 253 ff., 256, 268, 279 ff., 302, 307, 322, 336, 341 f., 348, 350 f., 388 ff., 405, 411, 425 ff., 444, 460, 462, 465 f., 531, 560, 569 f., 575, 578 ff., 585, 592, 663 Luf, Gerhard 321 Mautner, Thomas 279, 284 Maxime (siehe auch subjektiver praktischer Grundsatz) 34, 148, 616 f., 635

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Mein und Dein 99, 111, 154, 171, 187, 189 ff., 194, 198, 200, 203, 205, 232, 287, 331, 369, 395, 622 – äußeres 44, 46, 68, 92 f., 96, 110, 167, 169 f., 188, 190 ff., 193 f., 201, 203 f., 206 f, 210, 215 f., 225 f., 228, 230, 232 ff., 247, 249 ff., 253 ff., 260 f., 267 f., 270 ff., 277, 281, 285, 288 ff., 292 f., 296 f., 300 ff., 308 f., 311 ff., 316 ff., 321 ff., 328 f., 333, 338, 340, 345 ff., 352 f., 361, 363, 378 ff., 383, 388 ff., 392, 403, 406, 410, 419 ff., 425 f., 431 f., 446 f., 451, 470, 577, 594, 660 – inneres 167 f., 169 f., 188, 190 f., 193, 201, 296, 322 Mellin, Georg Samuel Albert 328 Metaphysik – Begriff der ~ 34, 35 ff., 103, 278, 466 – ~ der Natur 35 f., 117 – ~ der Sitten 19, 24, 30 ff., 33 f., 35 ff., 38 ff., 53, 60 f., 63, 64 ff., 71 ff., 84, 114, 129 f., 159, 177, 199, 480, 482 – ~ des Rechts 28, 50, 65, 71, 96, 100 f., 104, 107 f., 109, 114, 122, 151, 156, 160, 169, 192, 208 ff., 210, 213, 219, 227, 248, 281, 286, 296, 309, 320, 342, 351, 381, 390, 393, 417, 427, 478, 544 f., 630, 632, 669 – Methode der ~ 38 ff., 337 – praktische 90 – Problem der ~ 7613, 98, 109, 111 Metaphysische Anfangsgründe – ~ der Naturwissenschaft 35, 154 – ~ der Rechtslehre 19, 39, 56, 60, 64, 68 f., 71, 79, 85, 114, 116 f., 122, 128, 150, 176, 181, 188, 198, 202, 246, 281, 283, 310, 327, 333, 341, 372, 383, 388, 406, 459, 462, 505, 522, 541, 581, 620, 623, 628, 642, 654, 668, 669 Methode, philosophische 33 ff., 38 ff., 50, 51 ff., 69, 192, 276 Modalität (siehe Verstand) Moralität 82 f., 161 Müller, Christian 393

Naturkausalität (siehe Kausalität) Naturrecht 65, 67, 92, 128, 155, 178, 183, 194, 311, 327, 357, 427, 476, 478 f., 491,

702

Sachwortregister

581, 629 ff., 636, 650, 652 ff., 657 ff., 660, 662, 665, 667 f. Naturzustand 27 f., 57, 68, 87, 92, 98 ff., 107, 128, 141, 151 f., 165, 169, 171, 176, 180, 182, 195, 198 ff., 211 f., 214, 216, 227, 230 f., 265 ff., 290, 296 ff., 311, 313 ff., 330 ff., 334 f., 352, 356, 359, 364 ff., 378, 380, 382 ff., 393, 402, 404 ff., 428, 430 ff., 438, 441 ff., 450 f., 452 ff., 471 ff., 476, 478 ff., 484, 486 f., 490, 492 f., 495 ff., 502, 504 ff., 508, 513, 516 ff., 520, 523, 527 ff., 537 ff., 579, 582, 585, 616, 618 f., 623 f., 631, 634, 638 ff., 645 f., 649 ff., 653, 661, 664 Nötigung – praktische 30 f., 131 – ungesetzliche 644 f. Notion (siehe reiner Begriff) Notrecht 155 Notwendigkeit, praktische (siehe Freiheit) Okkupationstheorie – ~ des Bodenbesitzes 70, 355, 357 ff., 364, 371 ff., 384, 404, 537 – ~ des Eigentums (siehe Eigentum) peremtorisch (Adj.) 325, 334 Persönlichkeit 117 f., 11912, 13972, 161 f., 179, 182, 365, 371, 431, 443, 447, 453 , 460, 463 ff., 557 f., 583 Pflicht 130, 152, 229, 336, 519 – äußere 32, 150, 158 – Begriff der ~ 31 f., 54, 83, 85 f., 131 f., 145, 159, 160 ff., 177, 181, 299 – Bewusstsein der ~ (siehe Bewusstsein) – innere 32 – vollkommene 132, 192 Positivität des Rechts 19, 120, 155, 180, 483, 501, 533, 538, 541, 543, 550, 594, 618, 619 ff., 625, 631 f., 635, 660 f., 663 ff., 670 Postulat (siehe auch Anfangsgrundsatz) 56, 58 ff., 71, 72 ff., 79 ff. – logischer Begriff des ~ 59, 72 ff., 75 ff., 78 f., 81, 86, 92, 104, 114, 116, 226, 281 – ~ rechtsgesetzlicher Beschränkung der Willkür 80 ff., 94, 99 ff., 149, 198, 211, 216, 225, 454, 539

– praktisches ~ der praktischen Vernunft 59 f., 72 ff., 77, 79, 82, 84 ff., 116, 142, 193, 211 f. – rechtliches ~ der praktischen Vernunft 44 ff., 69, 79, 87, 92 ff., 103 ff., 211, 216, 220, 253 f., 258, 272 ff., 280 f., 293, 305, 380, 402 ff., 417, 516, 524 – rechtliches ~ des natürlichen Privatrechts 81, 91, 92 ff., 107, 211 ff., 216, 220 f., 226 ff., 245, 249, 253 ff., 267 f., 270, 272 ff., 277, 280 f., 293, 305, 330, 344, 349, 351 f., 380, 391, 396 f., 402 ff., 451, 516 – rechtliches ~ des öffentlichen Rechts 81, 88, 91, 99, 100, 102 ff., 169, 305 ff., 311, 336 f., 352, 406, 416 f., 517, 524 ff., 542, 617, 630, 635, 640, 649, 666 – theoretisches ~ der praktischen Vernunft 5999, 60104, 73 ff., 76 – theoretisches ~ der theoretischen Vernunft 73 ff., 76 Prädikabilie (siehe Begriff) Prädikament (siehe Begriff) Prauss, Gerold 26 Prinzip (siehe Anfangsgrundsatz) Privatautonomie 183 ff., 188, 193, 211, 217, 226, 304, 306, 311 f., 406, 500, 534, 536 provisorisch (Adj.) 50, 310, 324 ff. Publizität des Rechts 632, 635 ff. Qualität (siehe Verstand) Quantität (siehe Verstand) ratio – ~ cognoscendi (siehe Idealgrund) – ~ essendi (siehe Realgrund) Realgrund 23, 48, 149, 271, 274 Recht – abstraktes 87 – allerpersönlichstes 373, 377, 444, 446, 451 f., 455, 468 ff., 505, 550 – angeborenes 27, 151, 167 ff., 182 ff., 193, 198, 203 ff., 208, 211, 217, 227, 230, 251 f., 262 f., 295, 304, 321, 335, 344 f., 354, 360, 397 f., 428, 433 f., 449, 452, 491 f., 510, 534, 567, 576, 582, 644 f. – Begriff des ~ 32, 50, 57, 85 ff., 88 f., 95, 106 f., 112, 116 ff., 123 ff., 129 ff.,

Sachwortregister 140 ff., 143 ff., 149 f., 152 ff., 156 ff., 197 ff., 222, 227, 230, 252, 273, 338, 404, 451, 524, 536, 538, 622, 631, 637 f., 640, 643 f., 653, 664 f. – dingliches 373 ff., 382, 387, 431, 442 f., 445, 496, 586 – dinglich-persönliches 293, 374, 376 ff., 428, 431 f., 443 f., 445 ff., 448 ff., 457, 459, 466 ff., 511 – erworbenes 182 f., 186, 188, 193, 296, 332, 644 f. – Kriterium allen ~ 85 f., 95, 125 ff., 141, 145 f., 178 f., 640 f., 643, 658, 664 f. – persönliches 293, 373 f., 377 ff., 387, 431, 433 ff., 438, 440 ff., 449 f., 460, 463, 470, 477, 487, 494, 496, 498 f., 501 – striktes 152 ff., 173, 175 – subjektives 27, 68, 81, 85, 87, 134, 151, 177, 182, 188 f., 190 ff., 200, 203, 225, 229, 232, 247, 310, 361, 366, 398, 408, 433, 442, 643 ff., 653 Recht der Menschen 110, 129 f., 152 ff., 161, 168, 183, 188, 252, 258, 260, 395, 444, 451, 458, 516, 525, 548 f., 624, 631, 652 Recht der Menschheit 129 f., 155, 166, 168, 182, 186 f., 448, 450, 466 Rechtsantinomie 177 ff., 18175, 625, 636 ff., 652, 654, 660 ff., 667 ff. Rechtsgelehrter 121 f., 124 f. Rechtsgesetz 32, 74, 79, 81 ff., 90 ff., 94 ff., 98, 100, 103 ff., 110 f., 116, 126, 130, 134, 141 f., 148 ff., 154, 161, 166, 169, 174, 211, 214 ff., 221 ff., 227 f., 234, 259, 287, 289, 300, 349, 351, 400 f., 403 f., 406, 413 f., 428, 434, 454, 475, 510 ff., 516 f., 524, 539, 617 Rechtsidee 89, 122, 142, 145, 153 ff., 171, 176, 195, 197, 334, 401, 451, 457 f., 472, 632 f., 636 f., 652, 660 ff., 665 Rechtskraft/rechtskräftig 57, 96, 98 f., 102, 141, 154, 215, 473 ff., 478 ff., 489 ff., 497, 499, 500 ff., 507 f., 514 f., 527, 533, 540, 556, 568, 595 f., 605, 607, 609 f., 619 ff., 626 ff., 630, 642, 645 ff., 665 f. Rechtskundiger 121 f. Rechtslehrer 122, 623

703

Rechtspflicht 68, 86, 92, 120, 130, 133, 155, 159 f., 160 ff., 172, 213, 273, 383, 406 f., 413 f., 416 f., 577, 617, 630, 635, 640 – allseitige 166 ff., 174 – äußere 165 f., 172, 174 ff., 408, 413 f. – innere 163, 166, 171 ff., 187, 413 f., 527, 538 Rechtspositivismus/rechtspositivistisch 180, 623, 625, 635 ff., 643, 654 ff., 659 f., 663 ff., 667 f. Rechtsprechung 365, 483, 606, 612, 626 Rechtswissenschaft – Idee der ~ 116 ff., 123, 142 – positive/empirische 64, 66, 118, 121, 124 f., 128, 142, 382, 626 – reine/bloße/natürliche 120 ff., 142 Rechtszustand 28, 57, 68, 87, 99, 100, 171, 213, 260, 296, 303, 308, 316, 319, 330, 368, 373, 399, 407, 413, 444, 478, 494, 518, 529 ff., 540, 584, 618, 646, 649, 659, 664 Regierung 364, 366, 370, 375, 596 ff., 604, 612, 616, 652 Relation (siehe Verstand) Republik 168, 187, 377, 600, 602 ff., 619 res publica 358, 377, 535, 586, 599, 602, 604 f., 650 Rühl, Ulli F. H. 394, 439

Sachenrecht 204, 217, 256, 293, 337, 340 f., 350, 357, 371, 376, 378 ff., 396, 399 ff., 410 f., 417, 419 ff., 425 ff., 438, 442, 444 f., 453, 464, 466, 468 ff., 474, 477, 487, 489, 494, 499 ff., 542, 544, 551 Sanktion 537, 539, 541, 611, 626 ff., 633, 635 f. Sattelzeit 26, 325 Schopenhauer, Arthur 252, 355 Schwab, Dieter 358, 360, 374 Schwab, Johann Christoph 467, 559 Selbstaufklärung 21 ff., 381 Selbstbesitz 50, 190, 203 ff., 218, 220, 242, 252 f., 374, 376, 451, 469, 511, 527, 551 Selbstbewusstsein, reines praktisches (siehe Bewusstsein) Selbstgesetzgebung (siehe auch Autonomie) 23, 110, 181, 184, 211, 217 f., 226, 230,

704

Sachwortregister

298 ff., 319, 406, 500, 533, 535, 557, 565, 583, 614, 617 Selbstständigkeit 191, 308 f., 313, 369, 510, 513, 553, 566, 568, 593, 595, 621 Selbstverfügung 463 ff., 511, 583 Selbstverhältnis – ~ der reinen praktischen Vernunft (siehe auch Selbstbewusstsein) 58, 74, 77 – ~ des Staates 109, 608 – ~ eines freien Willkürsubjekts 32, 162 f., 171, 178, 464 Selbstverpflichtung (siehe Autonomie) 28, 181 f., 299 ff., 319 f., 322, 576 f., 579 f. Selbstvorstellung, gesetzliche (siehe Autonomie) 23 f., 109, 129, 202, 533, 548, 554, 571, 594 Selbstvorstellungstätigkeit, gesetzliche (siehe Autonomie) 24 f., 27 f., 59, 109 f., 168, 182, 246, 374, 483, 500, 533, 535, 541, 543, 550, 555 ff., 560, 565, 571, 573, 580, 606, 614, 628, 667 Sittengesetz 26 f., 31 f., 34, 36 ff., 60, 74, 79, 80 ff., 116, 129 f., 132, 145, 148 f., 153, 160 ff., 173, 182 Sittlichkeit 82 f., 535879 Souveränität 177, 373 ff., 384, 432, 505, 511, 513, 554, 561, 564, 577, 586 f., 603, 605, 612, 647, 655, 666 Spaemann, Robert 327, 653 Spontanität 23 f., 33 f., 73, 76 f., 118, 392 Staat – Begriff des ~ 88, 91, 105, 126, 303, 357, 370, 536, 538, 541 ff., 552 f., 556 f., 568 f., 572 ff., 604, 608, 620, 628 f., 642 – Idee des ~ 27, 81, 88, 91, 99, 108, 109, 375, 547, 561, 575, 600 ff., 604, 624, 627, 629 f., 633, 645, 648 f., 664, 666 – Selbsttätigkeit des ~ 28, 109, 550, 552 ff., 560, 565, 593, 619 – ~ als absolutes Subjekt äußeren Rechts 28, 90, 99, 105, 109, 237, 304, 406, 504, 508, 533, 535 f., 548, 550, 609, 667 Staatsgewalt 28, 109, 359, 362 ff., 370 f., 429, 479, 552, 556, 561, 568 ff., 588, 591 ff., 596 ff., 604 ff., 608 ff, 611 ff., 614 ff., 642, 650 ff., 657 Staatsrecht 68, 105, 109 ff., 167, 311, 377, 531 ff., 539, 541 f., 544 f., 549 f., 552,

557, 564, 569 f., 577, 584, 591, 615, 619, 626, 629, 642, 647, 651, 665 Staatsrechtssubjekt 85, 89, 99, 103, 108 ff., 199, 231, 302 f., 312 f., 407, 503, 509, 520 ff., 533, 536, 543, 545 ff., 553, 556, 564 ff., 572 ff., 579 ff., 585, 590, 602, 608 f., 612, 614, 618, 620 f., 624, 641, 645 f., 651, 667, 669 Staatswürden 110, 569, 572, 591 ff., 609 f., 612 ff., 617 f., 628 f., 642 Stephani, Heinrich 331 f., 615 Strafrecht 66, 125, 17565, 365, 366, 373, 458 f., 6101033, 611, 622 Subjekt – absolutes ~ äußeren Rechts (siehe Staat) – absolutes ~ eines Urteils (siehe Substanz) – ~ der Kausalität 76 f., 109, 201, 342, 504, 553 Subordination – ~ unter allgemeines Gesetz 27, 29, 59, 80 f., 87, 120, 134, 137 f., 141, 161, 199 f., 260, 368, 452, 470, 472, 481, 519, 521, 532, 540, 544 f., 546 ff., 568, 572 f., 574, 576, 582, 585, 591, 593 ff., 595, 597, 598, 602, 608 f., 612, 614 f., 618, 644, 646, 649 – ~ von Begriffen 43, 47 f., 68, 74, 85, 97, 99, 123, 137, 158, 176, 202, 212, 271, 363, 416, 541, 553, 660 f. Subordinationstätigkeit 59 f., 502, 506, 550 Substanz, Begriff der 37 f., 49, 52, 89 ff., 96, 99, 102, 105, 108 f., 201 f., 239 f., 246, 268, 395, 400, 504, 532, 660 Synthesis der Einbildungskraft, transzendentale 35, 55, 209, 269 Tat der Vernunft (siehe Factum der Vernunft) Tathandlung 25 Tatsache – anthropologische 105, 107, 525 – Begriff der ~ 25, 2720 – empirische 27, 34, 206, 225, 315, 355 f., 361, 364, 368, 372, 377, 393, 408, 458, 575 – ~ des Bewusstseins (siehe Bewusstsein) – ~frage 609 ff. Tenbruck, Friedrich 256, 268, 278 ff., 294 f. Textgestalt der Rechtslehre 40, 67 ff., 114, 13565, 160, 168 f., 176 f., 202, 210 f., 234 f., 239, 246, 248 f., 254 f., 256, 268,

Sachwortregister 277 ff., 294 f., 342, 348, 350 f., 388, 390 f., 405, 422628, 425 ff., 497794, 530 f., 569 f., 592, 618 Tieftrunk, Johann Heinrich 39, 627 f. Totalität 41, 89, 91, 99, 111, 116, 142, 145, 150, 167, 169, 171, 176, 193, 195, 197, 211, 256, 456, 504, 633, 636, 653, 661 Trichotomie (siehe trichotomische Einteilung) Tugend, Begriff der 54 Tugendgesetz 32, 74, 79 f., 83, 86, 174 Unabhängigkeitsthese 83 f., 153, 173, 210, 5971005 Urteil – analytisches 39, 131 – disjunktives 43 ff. – praktisches 556 ff., 607 f. – problematisches 43 – synthetisches ~ a priori 39, 42 ff., 58 – zurechnendes (siehe Zurechnung bzw. Zurechnungsurteil/-schluss) Verbindlichkeit 28, 86, 94, 130, 149, 152 f., 175, 227, 267, 292, 297, 299 ff., 318, 382 f., 386 f., 396, 403, 408, 424, 446, 449, 526 f., 634, 655, 660, 662 – Begriff der ~ 31, 140 Verein, bürgerlicher 332, 521 Vereinigungstätigkeit 405, 521 f., 543, 550, 563 f., 566 f., 574, 586 ff., 591, 594 Verfassungstätigkeit 87, 105 f., 108, 185, 312, 536 Vernunftgebrauch (siehe Begriffsgebrauch) Vernunftrecht 154 f., 180, 310, 323, 633, 660 Vernunftschluss 58, 159 – disjunktiver 44 ff. – praktischer 557 ff., 592, 596 f., 605 f., 608, 615 Verpflichtung 63, 118 f., 173, 365 – Fremd~ (siehe Fremdverpflichtung) – rechtliche 28, 118 ff., 162, 165, 172 ff., 182, 188, 225 ff., 232, 292, 298 ff., 305 f., 319, 322, 330, 361, 382, 415 f., 428, 460, 463, 493, 526, 538, 566, 578, 621 – Selbst~ (siehe Selbstverpflichtung) Verpflichtungsvermögen 177, 182 f., 189, 257

705

Verstand 36 – abstrakter 319, 637, 639, 660 f., 670 – Momente des ~ (Modalität, Relation, Qualität, Quantität) 55, 100 ff., 109 f., 111, 131 ff., 238, 412, 436, 451 f., 508, 546 f. Verstandesbegriff, reiner (siehe Notion) Vertrag – Aufbewahrungs~ 488 – Dienstleistungs~ 387, 460, 466 – Ehe~ 459 f. – Gesellschafts~ 577, 589 f., 655 – Leih~ 488, 492 f. – Rechtsform des ~ 104, 361, 366, 432 f., 436 ff., 448 ff., 463, 468, 474 f., 486, 487 f., 511, 514, 532, 544, 562 – Schenkungs~ 488, 490 ff. – Sicherungs~ 475 ff., 490, 502, 526 – Sozial~ 364 – ursprünglicher 28, 57, 99, 104 f., 107 f., 262, 300, 353, 356, 363, 370 ff., 376 f., 384 f., 404 f., 407, 409 f., 470, 521 f., 536 f., 539, 542, 548 ff., 552, 564, 569, 574 ff., 594 f., 597 ff., 606, 613, 614, 617, 619, 621, 624, 642, 645 f., 648, 656, 661 f., 666, 668 – Veräußerungs~ 442, 489, 496 Vindikation, vindizieren 382, 447, 485, 489, 493 ff.

Widerstandsrecht 273, 302, 337, 363, 520, 594, 618, 624 f., 627 ff., 637, 640, 641 – 659, 662, 665, 668 Wille – Allgemein~ 24, 27 ff., 57, 67 f., 81, 87, 90, 98 f., 104, 109, 129, 133 f., 136, 138 f., 141, 161, 174, 180, 195, 198 ff., 202 f., 212, 214, 227, 231 f., 242, 246, 258 ff., 267, 271, 287 ff., 298, 300, 302, 304, 312, 315 f., 318 ff., 323, 326, 335, 345, 347, 349 f., 352, 354, 364, 366 ff., 371 ff., 378, 380, 382, 385, 387 f., 397 f., 400 ff., 408 f., 414 ff., 438 f., 449 f., 452, 459, 465, 467 f., 470, 472 ff., 476 ff., 482, 484, 500, 506 f., 510, 517 ff., 528, 533, 535 ff., 547 f., 550, 554 ff., 558 ff., 571 ff., 578 f., 585 ff., 589 ff., 606, 608, 614 ff., 621, 624,

706

Sachwortregister

626 f., 633 f., 639, 641, 643 ff., 649, 658, 660, 668 ff. – Begriff des freien ~ (siehe Freiheit) – Einzelwille 27, 67 f., 119, 161, 168, 200, 232, 289 ff., 295, 297 ff., 304, 309, 318 f., 321 f., 351 f., 387 f., 403, 405, 414, 470, 472, 534, 559 f., 564, 572 f., 579, 617, 631, 639 ff., 647, 649, 668 – freier (siehe Freiheit) – Identität eines freien ~ (siehe reines praktisches Selbstbewusstsein) – Volks~ 376, 561, 563 ff., 568 f., 573 f., 586, 597, 599, 606, 609, 613 f., 621, 628 – ~ als oberes Begehrungsvermögen 36 Willensallgemeinheit 22, 24, 27, 56, 178 Willensbestimmung 22 ff., 29 f., 59, 80, 517, 558, 597 f., 606, 615 ff., 620 f. Willenssubjekt 21 ff., 29 ff., 36 f. 59, 80, 87, 90, 95, 98 f., 102, 119, 129, 163, 178, 203, 290, 292, 298, 301, 304 f. 309 f., 319, 322, 376, 388, 408, 412, 415 f., 449, 535, 542, 560 f., 561, 581, 599, 606, 609, 617, 625, 639 f., 641 – absolutes 451, 504 ff., 572 – heiliges 30 – unheiliges/menschliches 29 ff., 30, 60, 74, 139, 450, 534 ff. Willkür – Gegenstand der ~ 92, 95, 212, 221 f., 224 f., 270, 311, 331

– Freiheit der ~ (siehe Freiheit) – ~ als unteres Begehrungsvermögen 79, 136, 635 Willkürsubjekt 31 f., 38, 64, 83, 86 f., 91, 93, 95, 99, 104 ff., 117 ff., 124, 128, 133 f., 136, 139 f., 142, 148 f., 161, 165, 168, 174, 180, 182, 184, 188, 191, 198, 205 ff., 210 f., 217 ff., 221 f., 224, 239 f., 258, 260, 302, 306, 428, 430, 434 ff., 438 f., 442 f., 449, 451 f., 502, 516, 560, 634 f. Wolff, Michael 592 Wunsch 132 f., 224 Zaczyk, Rainer 80, 127, 136 ff., 322, Zotta, Franco 335 Zurechnung 479 – beurteilende 481, 484 f., 621 – praktische (siehe auch Factum der Vernunft) 25 – rechtskräftige 481 ff., 485, 493, 501, 540, 556, 620 Zurechnungsbestimmungen 512, 514, 533, 568, 620 ff., 625, 630, 634 Zurechnungsfähigkeit 463, 621 f. Zurechnungsurteil/-schluss 98, 102, 261, 352, 473, 480 f., 491, 500 Zwangsbefugnis 84, 87, 149 f., 151, 155, 476, 527, 538, 638, 640