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German Pages 175 [204] Year 1968
Gisela Hopp • Edouard Manet, Farbe und Bildgestalt
Beiträge zur Kunstgeschichte Herausgegeben von Günter Bandmann, Erich Hubala, Wolfgang Schöne
Band i
Walter de Gruyter & Co. Berlin 1968
Edouard Manet Farbe und Bildgestalt von Gisela Hopp
Walter de Gruyter & Co. Berlin 1968
Gedruckt mit Unterstützung der Joadlim Jungius-Gesellsdiaft der Wissenschaften e. V., Hamburg.
Archiv-Nr. 3$ 70 681 © 1968 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung - J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer - Karl J . Trübner - Veit & Comp., Berlin 30, Genthiner Straße 13 (Printed in Germany) Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: H . Heenemann K G , 1 Berlin 31 Herstellung der Vierfarbklischees: Klischee*Union, Ernst Dummer, Berlin Umschlaggestaltung: Barbara Proksch, Frankfurt am Main
Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand als Dissertation. Sie wurde 1966 unter dem Titel „Untersuchungen zur Bildgestaltung bei Edouard Manet - Rang und Aufgaben der Farbe" an der Universität Hamburg eingereicht und für den Druck nur geringfügig geändert. Voraussetzung war eine gründliche Schulung in methodischen Fragen der Farbuntersuchung bei meinem verehrten Lehrer Herrn Professor Dr. Wolfgang Schöne. Entscheidende Anregungen erhielt ich außerdem von Herrn Professor Dr. Hans Jantzen, der mir den Blick für die Kunst Manets zuerst öffnete. - Ich danke allen, die mir auf meinen Reisen behilflich waren, Werke von Manet zu studieren, insbesondere Lady Aberconway in London, Mme la baronne Rothschild und Mme Ernest Rouart in Paris, die mir ihren Privatbesitz zugänglich machten. Bilder aus Privatbesitz sind in der Arbeit zwar mit Rücksicht auf den Leser, der sie nicht im Original kennt, unerwähnt geblieben. Die Erfahrungen, die ich bei ihnen gewinnen durfte, sind aber in den Beschreibungen der wenigen zitierten Werke enthalten. - Durch Kritik oder Zustimmung haben viele die Arbeit gefördert, die ich hier nicht einzeln nennen kann. Namentlich danken möchte ich Herrn Professor Dr. Christian Adolf Isermeyer, Herrn Professor Dr. Max Imdahl und Herrn Dr. Fritz Jacobs. Die Veröffentlichung der Arbeit innerhalb der Reihe „Beiträge zur Kunstgeschichte" wurde von Herrn Professor Dr. Wolfgang Schöne mit Nachdruck in die Wege geleitet; Herrn Professor Dr. Erich Hubala und Herrn Professor Dr. Günter Bandmann danke ich für die Zustimmung. Der Hamburger JoachimJungius-Gesellschaft bin ich für einen Druckkostenzuschuß verpflichtet. Bei den Museen, denen die abgebildeten Werke gehören, fand ich großes Entgegenkommen, als ich um Bildvorlagen und um Reproduktionsgenehmigung bat. Dem Verlag Walter de Gruyter ist die außerordentlich sorgfältige Gestaltung des Textes sowie des Abbildungsteiles zu danken.
München, Juli 1968
Gisela Hopp
Inhaltsverzeichnis
Vorwort Einleitung (Aufgabe und Methode)
V i
Teil I Genaue Beschreibung einzelner Werke Bilder aus dem ersten Schaffensjahrzehnt Manets (1860-1870) „Le Déjeuner
dans l'atelier"
„Le Déjeuner sur l'herbe"
1868/69
7
1863
ij
Bilder aus dem Umkreis des „Déjeuner sur l'herbe": „Olympia"
26
1863
„Le Portrait de Zacharie Astruc"
i86j
33
Bilder aus dem Umkreis des „Déjeuner dans l'atelier": „Le Portrait
de Zola"
40
1868
„L'Exécution
de l'Empereur
„Le Balcon"
1869
Maximilien"
1867/68
45 54
Bilder aus dem zweiten Schaffensjahrzehnt Manets (1873-1883) Drei Bilder mit der Darstellung eines Paares: „Argenteuil"
59
1874
„Chez le Père Lathuille"
1879
65 73
„Dans la Serre" 1878 „Le Portrait „Nana"
de Stéphane
Mallarmé"
1876
1877
„ Un Bar aux Folies-Bergère"
77 8°
1881
Anhang zu Teil I: Vergleich der einzelnen Bilddeutungen mit den in der Literatur vertretenen Auffassungen
8j
93
vm
Inhaltsverzeichnis
Teil II Ergebnisse der Beschreibungen und Folgerungen für den Einsatz der Farben im Bildzusammenhang Art und Sinn des Bildzusammenhanges
107
Wahl und Einteilung der Farben
116
Farbe und Form
122
Farbe und Gegenstand
124
Farbe und Raum
129
Bedeutung der Farbe für den Bildgehalt
133
Teil III Zur historischen Stellung Manets Anregung: Delacroix Wirkung:
141
Courbet
145
Symbolisten
151
Monet
152
Cezanne
154
Literaturverzeichnis
159
Namenverzeichnis
163
Sachverzeichnis
16 j
Bilderverzeichnis
166
Bildnachweis
168 13 farbige Bildtafeln
Einleitung (Aufgabe und Methode) Immer wieder wird betont, daß Manet bei der Gestaltung seiner Bilder die Farbe in hohem Maße eingesetzt und zur Entfaltung gebracht habe. Ja, farbige Gestaltung als wesentlichen Bildsinn empfinden diejenigen, die in Verbindung mit Manet den Begriff der „reinen Malerei" gebrauchen. Sie meinen damit eine Darstellungsweise, die den Gegenstand nur zum Vorwand nimmt, um den Zauber und Reichtum der Farben als solchen zu entfalten. René Huyghe z. B. formuliert so: „ . . . Le miracle, c'est que lignes et couleurs seront comme l'acteur revêtu d'un rôle . . . ils joignent à l'objet dont ils sont l'illusion, des sensations, des plaisirs qui ne viennent que de leur nature propre." . . . ; nicht nur die Bildinhalte der Romantik seien beiseitegeschoben, sondern überhaupt jeder Sinngehalt . . . „[Sa peinture] n'est pas une allusion à autre chose, un langage, mais une forme d'activité, où passent l'allégresse et la jeunesse du plaisir qu'on eut à la pratiquer . . . La grandeur de Manet réside moins dans ce qu'il exprime que dans la manière dont il s'exprime. Et voici la différence: entre le ,peindre' de jadis et le ,peindre' de Manet, il y a la même marge qu'entre,exprimer' et,s'exprimer', il y a le passage de la forme transitive à l'intransitive du verbe peindre'." 1 Es handelt sich hier nicht darum zu erörtern, wieweit solche Vorstellungen die Werke Manets und die Art ihrer Farbigkeit erfassen. Die Voraussetzungen dazu müssen erst geschaffen werden. Es wird in ihnen nur eine Bestätigung gesucht für den hohen Rang der Farbe in den Bildern Manets; denn er muß schon beträchtlich sein, wenn er zu soldien allgemein anerkannten und oft wiederholten Äußerungen führt. Der Rang der Farbe aber rechtfertigt die folgende Untersuchung, die sidi mit der Art ihres Einsatzes im Bildzusammenhang beschäftigen wird. Darüber hinaus geben die oben zitierten Meinungen zu Fragen Anlaß, die der Untersuchung den Weg weisen können. Zunächst und vor allem gerät das Verhältnis der Farbe zum Gegenständlichen als Problem ins Blickfeld. Diese Frage nach dem Verhältnis zwischen „Eigenwert und Darstellungswert" der Farbe, die bei jeder abbildenden Malerei angebracht ist,2 erscheint hier deshalb von beson1 2
1
René Huyghe, Manet, peintre. In: L'Amour de l'Art, XIII, No. j , 1932, S. 165. Vgl. Hans Jantzen in einem Vortrag: Über Prinzipien der Farbengebung in der Malerei, Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, Berlin 1913, Bericht Stuttgart 1914, S. 322 bis 327; wiedergedruckt in: Hans Jantzen, Über den gotischen Kirchenraum und andere Aufsätze, Berlin 1951, S. 61-67. Hopp, Manet
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Einleitung
derem Interesse, weil nach der oben zitierten Darstellung der Gegenstand so wenig Bedeutung mehr hat, daß die Farbe ein ziemlich ungebundenes Spiel treibt und damit den Grund für jene Malerei legt, für die der Begriff der „reinen Malerei" geprägt wurde. In den folgenden Untersuchungen nimmt denn auch das Verhältnis der Farbe zu gegenständlichen Wirkungen — zur stofflichen und körperlichen Erscheinung der Bilddinge, zu den räumlichen Verhältnissen und zum gegenständlich-inhaltlichen Zusammenhang — einen breiten Raum ein. Doch werden neben der Farbe auch die anderen Gestaltungsmittel, wie sie sich jeweils in den Bildern zeigen, herangezogen, damit sich am Ende das ganze Wirkungsgewebe der Bilder offenbare. Das Bildgefüge wiederum wird in seiner Eigenart zu verstehen gesucht, weil es die einzelnen Gestaltungselemente und deren Ineinanderwirken in ihrem Sinn erst zu erkennen gibt. - Diese Methode richtet sich nach den von Erich von der Bercken aufgestellten Grundforderungen für eine systematische Behandlung von Farbproblemen in der Malerei.3 Sie bot sich aber auch zwangsläufig durch das Ziel der Arbeit: das Verhältnis der Farbe im Bildzusammenhang zu klären. Der Zusammenhang muß in seiner Art erkannt und charakterisiert sein, wenn der Einsatz der Farbe gewertet werden soll. So hat die Arbeit als notwendiges Begleitziel die Charakterisierung des Bildgefüges bei Manet ins Auge zu fassen. Diese Aufgabe ist ihr auch weitgehend vorbehalten. Es gibt kaum Äußerungen dazu, die nicht negativ formuliert sind. Ein an früherer Malerei gebildeter Begriff von Komposition wird meistens an die Bilder Manets herangetragen und die Bindung aller Bildgegenstände in einer geschlossenen formalen Figuration - im „Bildornament" - vermißt.4 Die Frage nach dem positiven Wert des Gefüges steht noch offen. Um das Ineinanderwirken der verschiedenen Gestaltungselemente, das Kompositionsgewebe möglichst angemessen darzustellen, gehe ich von der genauen Beschreibung einzelner Bilder aus. Es werden also nicht — wie vielfach üblich — unter einzelnen Gesichtspunkten verschiedene Querschnitte durch das ganze Oeuvre gelegt. Das verbot sich schon deshalb, weil ein großer Teil der Bilder Manets sich in Amerika befindet und darum für mich unzugänglich war, das Oeuvre also nur in Ausschnitten erfaßt werden konnte. - Die Bilder in ihrer jeweiligen Kompositionseinheit zu beschreiben, ergab sich aber vor allem aus ihrem Wesen selbst: Die verschiedenen Gestaltungselemente und ihre Wirkungen sind so eng ineinander verwachsen, daß sie nidit voneinander gelöst besprochen werden konnten, sondern eins sich unmittelbar im Zusammenhang mit dem 3
4
Erich von der Bercken, Über einige Grundprobleme der Geschichte des Kolorismus in der M a lerei. - In: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, N F . V , 1928, S. 3 1 1 - 3 2 6 . Vgl. z . B . René Huyghe, 1 9 3 2 , p. 1 6 9 / 1 7 1 . Weitere Beispiele siehe bei Alan Bowness, A Note on „Manet's Compositional Difficulties" ; in: The Burlington Magazine, C H I , 699, 1 9 6 1 , p. 276 bis 277. A . Bowness wendet sich entschieden gegen die negativen Urteile über die Kompositionseigenarten bei Manet. E r sieht den Schlüssel der Bildordnung in der Bindung aller Teile an die Fläche. Doch kann dieser Zug - so wichtig er ist - nidit allein das Wesen der Bildordnung ausmachen.
Einleitung
3
anderen ergibt und erklärt. Außerdem hat jedes Werk farbig ein so starkes individuelles Gepräge, daß es sidi Querschnittvergleichen widersetzt. Bei früherer Malerei bot die ornamentale Bindung der Farben die Möglichkeit, allein von der Farbwahl und -Zusammenstellung her Bilder zu gruppieren.5 Da eine Bildgeschlossenheit dieser Art bei Manet nicht mehr besteht, kann die Methode, die unter ihrer Voraussetzung entwickelt wurde, keine Ergebnisse bringen. Die neue Gestaltungsweise läßt farbige Gebilde von völlig verschiedenem Charakter nebeneinander zu: Man vergegenwärtige sich nur das „Déjeuner sur l'herbe" neben der noch im gleichen Jahr entstandenen „Olympia" oder den „Balcon" neben dem kurz zuvor gemalten „Déjeuner dans l'atelier". Ein Vergleich ist überhaupt nur möglich, wenn man von den Verhältnissen aller Bildkräfte ausgeht.4 Auch die Entwicklung, die sich aus dem Vergleich der Bilder herauslesen läßt, wird die Verschiebung der Kräfteverhältnisse im Kompositionsgewebe betreffen. (Eine Entwicklung der Farbgebung, wie sie Theodor Hetzer in seinem Buch über Tizian beschrieben hat, kann also nicht geboten werden.) Ganz zwangsläufig ergeben sich bei dieser Art der Betrachtung auch einige Andeutungen zum Sinngehalt der Bilder. Ihnen muß besondere Aufmerksamkeit entgegengebracht werden, weil sie eine strittige Frage berühren.7 Nicht zuletzt um dieser Frage willen werden die Bilder ziemlich ausführlich beschrieben, da im Rahmen dieser Arbeit allein die Konsequenz des künstlerischen Bildzusammenhangs (der die Bildanalyse nachspüren möchte) für die angenommenen Deutungen sprechen muß. So wird in den Beschreibungen von den Einzelheiten her das Ganze des Bildgefüges zu erfassen gesucht. Daran anschließend kann in der Zusammenfassung der Ergebnisse die Charakterisierung des Bildgefüges als Ausgangspunkt genommen werden, um den Einsatz der Farben in Art und Sinn zu bestimmen. 5
6
7
1*
Wie es z. B. Hans Jantzen getan hat in: Farbenwahl und Farbengebung in der holländischen Malerei des 1 7 . Jahrhunderts, Pardiim 19 iz, - und in der Folge manch anderer bis hin zu Lorenz Dittmann (Die Farbe bei Grünewald, Dissertation München 1 9 5 $ ) und Jutta Held (Farbe und Lidit in Goyas Malerei, Berlin 1964). Tschudi (Edouard Manet, Berlin 1902, S. 33) hat eine entsprechende Beobachtung an den späten Bildnissen gemacht und erklärt: „ . . . Räumliche Anordnung, Lichtführung, Kolorit ergeben sich ihm jedesmal ungezwungen aber zwingend aus dem Charakter des Vorwurfs. Jedes seiner Bildnisse ist auch malerisch ein ganz neues individuelles Kunstwerk . . W i e weit und in welcher Weise sich eine solche Erkenntnis auf die Mehrfigurenbilder ohne Bildnisabsicht übertragen läßt, muß die Untersuchung ergeben. Eine ausführliche Stellungnahme zu den verschiedenen Meinungen siehe im Abschnitt „Farbe und Gehalt" (S. 1 3 3 ) .
Teil I Genaue Beschreibung einzelner Werke
Bilder aus dem ersten SchafFensjahrzehnt Manets 1860-1870
„Le Déjeuner dans f atelier"
1868/69
(Taf. 1)
Einführende
Beschreibung
Die frontale Gestalt des Jungen zieht spontan den Blick auf sich. Betont hebt sie sich von allen übrigen Gestalten und Dingen ab, die das Bild dicht füllen. Indem sie allein fast über die ganze Höhe des querrechteckigen Bildfeldes aufgerichtet sichtbar ist, gewinnt sie die Stellung einer Achse, an der sich alle übrigen Gestalten und Dinge orientieren. Diese zeigen demgemäß auf beiden Seiten eine einander entsprechende Anordnung: Hinter den Geräten des Vordergrundes taucht auf jeder Seite eine Gestalt auf; jede Gruppe ist flädiig hinterfangen, rechts von einer Landkarte, links von einem Fenster. Von der Bildmitte ist die Gestalt des Jungen ein wenig, aber deutlich nach rechts hin verrückt. Dadurch bekommen die beiden Bildteile neben ihm ein verschiedenes Gewicht, auf das der Rhythmus der Gegenstände in umgekehrt wirkender Richtung reagiert. Redits, in der schmaleren „leichteren" Hälfte, sind die Dinge - zwar entsprechend kleinteilig - aber von drängenderer Vielfalt als links: Dort läßt die lockere Anordnung sie leichter erscheinen, obwohl sich die Dinge „breiter machen" können. Auch die Gestalten sind dem jeweiligen Rhythmus einbezogen. Zur Bildwelt der rechten Seite besitzt die Gestalt des Jungen einen engeren Kontakt. Schon durch ihre Verrückung dorthin und durch eine leichte Wendung in der Haltung wird dieser Kontakt spürbar. Er wird aber vor allem mittels des Tisches erreicht, an dessen Kante die Gestalt mit aufgestützter Hand ruhend lehnt; motivisch wird die Verbindung durdi den Tisch ermöglicht und formal, da der Streifen des Tisches mitsamt den Dingen und die Gestalt des Jungen als Horizontale und Vertikale aufeinander bezogen sind. Sie wirkt sich für das enge Verhältnis des Jungen zu allen Gegenständen dieser Bildhälfte aus. Auch die Gestalt des Mannes ist davon erfaßt und kommt selber mit ihrer Hinwendung zur „Bildmitte" dem Kontakt entgegen. Das Verhältnis des Jungen zur anderen Bildhälfte erscheint zunächst loser; mit geschlossener Silhouette wendet er sich von der Frauengestalt und den sie umgebenden Geräten ab. Dennoch ist auch hier ein Kontakt vorhanden. Die Frau,
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Beschreibung einiger W e r k e aus den J a h r e n 1 8 6 0 - 1 8 7 0
die Katze und der Helm auf dem Sessel sowie der Blumentopf nehmen mit der frontalen, runden Geschlossenheit ihrer Erscheinung echohaft Bezug auf diejenige des Jungen, die Frau und die Pflanze zugleidi auf die Senkredite seiner Gestalt. Audi suchen Gestalt und Dinge — wie diejenigen rechts — mit einer Hinwendung zur „Bildmitte" den Kontakt zu verengen8 und nimmt die Gestalt des Jungen diese Wendung auf; nur setzt der Junge sie selber in der gleichen Richtung fort, so daß er den Beziehungen - bei aller Nähe besonders zur Frau - wieder zu entgleiten scheint, während rechts eine Begegnung, ja Durchdringung stattfindet. So unterschiedlich das Verhältnis der beiden Bildseiten zur Gestalt des Jungen ist und damit auch das der entspredienden Gegenstände und Gestalten zu ihr, bleibt doch der Beziehungspunkt - der Junge - ein und derselbe. Deshalb können sie über ihn Zusammenhang finden. Sie haben aber auch nur über ihn Kontakt miteinander, können nicht unmittelbar verbunden gesehen werden. Zwar reicht der Tisch in die linke Seite hinüber, so daß der Sessel mit den Waffen und der Katze darauf und die Frau mit der Kaifeekanne in der Hand links in gleicher Weise wie der rauchende Mann redits um ihn versammelt erscheinen; ebenso eint der gemeinsame Grund die beiden Seiten. Beide Momente vermitteln aber zugleich am stärksten die Bindung an den Jungen. Wie der Tisdi durch die formale Verzahnung mit seiner Gestalt, so betont ihn der Grund durch seine konzentrische „Leere" als die Sciilüsselfigur des Bildes. Die „Anziehungskraft" des Jungen auf die Dinge daneben ist insofern eigentümlich, als deren bildparallele Wendung zur Bildmitte hin nicht eigentlich ihn, der sich ja räumlich davor befindet, betreffen könnte; er ist wie losgelöst von den Dingen, mit abwesendem Blick sich von ihnen wegwendend. Und doch übt er gerade durch seine Abgelöstheit jene „Anziehungskraft" aus. Das wird vor allem durch die Farbverhältnisse spürbar.
Die Farben Das Schwarz der Jacke betont die gesonderte Stellung des Jungen. Es übertrifft an Tiefe und ungebrochener Ausdehnung in der Fläche alle anderen Farben des Bildes, von deren Vielfalt es sich mit ruhig geschlossener Silhouette abhebt. Auch vor dem Grau des Grundes, das dem Schwarz im Ton9 und in seiner undiffe8
G e w i ß ist diese ihre Wendung zurückhaltender als die der D i n g e in der anderen Bildhälfte, weil sie eingefangen bleibt in die frontale Geschlossenheit ihrer Erscheinung. T r o t z d e m setzt sie sich durch.
9
D e r Begriff » T o n " f a n d in dieser Arbeit nach Möglichkeit so Verwendung, wie er von Dittmann (Die Farbe bei G r ü n e w a l d , München 1 9 5 j , A n m . 9) definiert worden ist: „ . . . den durch leichte A b w a n d l u n g . . . von der vollfarbigen, gesättigten Erscheinung unterschiedenen B u n t f a r b w e r t . " Doch w i r d er später auch in einem erweiterten Sinn gebraucht: nämlich als Buntwert einer Farbe schlechthin, um v o n ihm die K r a f t der pastos gesetzten Farbmaterie unterscheiden zu können.
Le Déjeuner dans l'atelier
9
renzierten Flächigkeit nahe verwandt ist, läßt die Kontrastierung der Gestalt nicht nach, da sie in umgekehrter Weise von den hellen und differenzierten Farben des Kopfes erneuert wird. Mit dem Weiß des Kragens im Sdiwarz der Jacke verankert, ist die Wirkung der hellen Farben mit der des Schwarz zur Hervorhebung der Gestalt zusammengefaßt. Zudem verknüpfen die Gelbakzente von Krawatte, Hut und Hose 1 0 die verschiedenartigen Teile der Gestalt, deren Stellung als Achse im Bild betonend. Gleichzeitig wirkt das Schwarz der Jacke aber auch bindend. D a es als äußerste Intensivierung des Grautons empfunden wird, welcher von der Mitte des Grundes ausgehend die farbige Haltung des ganzen Bildes bestimmt, kann es die Umgebung beherrschen. Dem Graugrund farbig nahe sind vor allem die Dinge, die sich unmittelbar bei der Wand befinden: Etwas liditer das Fenster links und die Landkarte rechts; dann die schattenhaft zurückhaltenden Gestalten des Mädchens links und des rauchenden Mannes auf der anderen Seite, denen der Ton des Grundes sogar entgegenzukommen scheint, zur dunklen Gestalt des Mannes hin sich vertiefend, zur lichteren der Frau hin sich aufhellend. Graugebunden bleiben auch das Tiefgrün der Pflanze hinter dem Mädchen und das Tiefrot des Sessels vor ihnen; grau sind die Waffen, die im Vordergrund auf dem Sessel liegen, und die Katze, deren tiefer Ton in der flächigen Silhouette dem Schwarz der Jacke echohaft ähnlich sieht. Doch kommen die Dinge, indem sie sich farbig aus dem Graugrund entwickeln, dem Schwarz nicht unmittelbar näher. Indem sich das Grau in ihnen zu vielfältigem Nuancenreichtum verzweigt, gerät es sogar in Gegensatz zum gleichförmig flächigen Schwarz. Farbig gruppieren sich diese Dinge vielmehr um den Blumentopf einerseits und den gedeckten Tisch andererseits, deren weiße, bunt bewegte Felder den Gegensatz zum Schwarz bis zum Kontrast treiben. Durch die fordernde K r a f t des Schwarz/Weiß-Kontrastes begegnen die Felder wiederum dem Schwarz. Zugleich erneuern sie die Beziehung zur Gestalt des Jungen durch ihre Verwandtschaft mit den ebenso hellen und reich wechselnden Farben des Kopfes. Zwar beruht die Verwandtschaft lediglich auf der Helligkeit der Felder - die Zusammenstellung der Farben ist jeweils verschieden.11 Mit um so größerem Nachdruck kommt aber die Verspannung einzelner Gelbakzente mit 10
11
Das violettgestreifte Gelb der Krawatte ist mit dem Weiß des Kragens durch gleichartige Streifen verknüpft. Gemeinsam mit ihm entwickelt es die nötige Intensität, um das leuchtendere Gelb des Strohhutes zu binden und mit dem der Hose zu verspannen. Dieses blasse Graugelb der Hose, farbig weniger konzentriert - dafür breiter in der Masse - , bildet die Basis der Achse, die im Gelbakzent des Hutes über dem isolierenden tiefgrauen Hutband gipfelt. Sie ist in den beiden seitlichen Feldern bunter als in dem des Kopfes, in welchem nur die bebeschriebenen Gelbakzente neben den Inkarnattönen, Grau und Weiß eine Rolle spielen. Links wird in der Blütenbemalung des Topfes das Rot und Grün der Umgebung mit größerer Leichtigkeit wieder aufgenommen neben den leuchtenden Ockerflecken und Blau in den Vögeln. Im rechten Feld wechseln über dem bläulichgrau gesprenkelten Tischtuch verschiedenartige
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Beschreibung einiger W e r k e aus den Jahren 1 8 6 0 - 1 8 7 0
dem des Strohhuts zur Geltung, durch welche die Beziehung auf wieder neue Weise befestigt wird: die Spannung vom Gelb der Zitrone auf dem Tisch rechts und vom leuchtenden Elfenbein im Kopf der Degenscheide in der linken unteren Bildecke, dem sich der schwächere Akzent des Säbelgriffes zugesellt. Die Verspannung dieser Akzente mit dem des Strohhuts (der zugleich diejenigen der Achse auffängt) verknüpft die seitlich ausgebreiteten Gegenstände mit der Gestalt des Jungen. Durch die Steilheit des Spannungsdreiecks wird dabei seine hervorragende Erscheinung zugleich als überragend betont. Das Verhältnis der beiden seitlichen Gruppen von Gegenständen zum Jungen ist jedoch nicht so gleichartig wie zunächst beschrieben. Es muß noch differenziert werden. Schon in der verschiedenen Art der Spannung zwischen den Gelbakzenten macht sich der Unterschied bemerkbar. Mit fast blitzhafter Heftigkeit leuchtet das Elfenbein des Degenscheidenkopfes aus dem dunkel funkelnden Gewirr der Waffen heraus; seine Spannung zum Gelb des Strohhuts über die Weite eines großen Abstandes hinweg beweist eine durchdringende Kraft. - Rechts hingegen bleibt das Gelb der Zitrone bei aller vordringenden Schärfe im hellen, bunten Feld des gedeckten Tisches eingefangen, das einen Teil seiner Intensität für sich in Anspruch nimmt. Seine Spannung zum Hauptakzent ist darum schwächer als die des Degengriffs. Das Feld des Tisches hält sich statt dessen als ungeteiltes Gewicht in der Waagschale. Es unterstützt die Spannung des Akzents auch nicht mit eigenem Bezug zum Kopf des Jungen. Vielmehr antwortet es dem Schwarz der Jacke, an dessen Feld es unmittelbar angrenzt, ihm ungefähr gleich im Flächenumfang. Beider Auseinandersetzung ist besonders eindringlich durch feine farbige Verknüpfungen von der Gestalt zum Tisch: durch den Knotenpunkt der Hand, welche sich mit den zwischen Violett- und Ockergrau wechselnden Inkarnattönen zu den buntwechselnden Farben des Eßgeschirrs gesellt, und durch die komplementäre Verbindung des Graugelb der Hose zum ähnlich hellen und mit Weiß vibrierenden bläulichen Grau der Tischdecke. Diesem Gewicht des Tischfeldes hat die Spannung des Degengriffes zum Akzent des Strohhuts die Waage zu halten. Das Feld des Blumentopfes entwickelt nicht den gleichen Anspruch wie das vergleichbare Feld des Tisches auf der anderen Seite. Auch sucht es weniger die Begegnung mit dem Schwarz der Jacke als die Beziehung zum Feld des Kopfes, dem es an Flächenumfang ähnlich ist. So wirkt es in die gleiche Richtung wie der Akzent des Degengriffs, dessen Spannung zum Strohhut unterstützend. Ockertöne, bräunlich bis rötlich im Getränk, grau in den Austern, an die das scharfe Gelb der Zitrone anschließt (mit der scharfen Gerade des Messers winklig daneben); und in einer zweiten Gerätegruppe am rechten Bildrand kommt das gesprenkelte Blau der K a n n e ebenfalls mit einer gewissen Schärfe v o r - das kühlstumpfe R o t und G r ü n in der Flasche dahinter zurücklassend. Scharfes Blau und Gelb haben demnach rechts die Führung, G r ü n und R o t links.
Le Déjeuner dans l'atelier
II
Links sammelt sich also das farbige Beziehungsgewebe - bewirkt von der starken Spannkraft der Gelbakzente - vorwiegend im Kopf des Jungen; das Schwarz der Jacke ist mit seiner K r a f t dagegen vor allem nach rechts gewendet, wo es vom Gewicht des hellen Feldes mit dem Eßgeschirr gefordert wird.
Die Darstellungsweise
der
Bilddinge
Das beschriebene Spannungsgewebe entsteht nun nidit allein durch ineinanderwirkende Farbkontraste einerseits und Farbbeziehungen bzw. -Verknüpfungen andererseits. Die verschiedene Art und Intensität des Farbauftrags greift bestärkend oder vermindernd ein. Der Farbauftrag seinerseits ist keine freie Form, sondern zur Darstellung und Hervorhebung der Dinge in ihrer Stofflichkeit eingesetzt. Beider Wirkungen sind darum nidit voneinander zu trennen. So haben auch die Unterschiede im Realitätswert der Dinge, in ihrem stofflichen Charakter und in ihrer dinglichen Intensität, einen Anteil an den Spannungen. Das zeigt sich vor allem in der Gestalt des Jungen selbst und in ihrem Verhältnis zur Umgebung. Das Schwarz der Jadíe wirkt in seiner gleichförmig flächigen Erscheinungsweise unstofflich, wenn nicht ungreifbar vor der farbig und stofflich reich differenzierten Umgebung. Der Kontrast, der die Gestalt von den seitlich gebreiteten Dingen ablöst, kommt damit erst zu voller Kraft, ebenso wie die Verwandtschaft des Schwarz mit dem Graugrund, 12 mit dem verglichen es nur durch die größere Intensität des Tons und die runde Geschlossenheit der Fläche dinglich greifbarer wird. Umgekehrt erhält die Helligkeit des Kopfes den Nadidruck pastosen Farbauftrags, der zudem modellierend die Intensität des Gegenstandes aufruft. So bekommt ihr Kontrast zum Grund wie zum Schwarz der Jacke eine entsprechende Schärfe. Der Kopf ist dadurch isoliert und betont gegenüber den seitlich sich breitenden Dingen, in denen pastoser Farbauftrag und Dinglichkeit zu ähnlich vordringender Intensität verwachsen sind. Gleichwohl setzt sich über den Abstand hinweg auch die verwandtschaftliche Beziehung durch, diejenige vom Schwarz der Jacke zum Grau des Grundes überkreuzend. Unterschiedlicher Farbauftrag und entsprechend differenzierte dingliche Festigkeit vertiefen also die Farbkontraste und -Verwandtschaften, durch welche die Gestalt des Jungen selbst und ihr Verhältnis zur Umgebung bestimmt ist. Manche Beziehung erhält eine Betonung, überkreuzt sidi aber mit einer anderen - andersartigen - , so daß beide einander unterbrechen und im gleichen Vorgang die Sonderung der Gestalt Nachdruck findet. Dieses zwischen Sonderung und Kontaktnahme schwingende Verhältnis des Jungen zu seiner Umgebung wird noch dadurch bestärkt und bereichert, daß es ähnlich auch unter den seitlich gebreiteten Dingen herrscht. Seine Schwingungen 12
Der Graugrund wird als Wand nur durch das Fenster und die Landkarte, zwischen die sie eingespannt ist, überhaupt erkennbar.
12
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greifen hier nur nicht so weit aus. Indem die hellen Felder des gedeckten Tisches rechts und des Blumentopfes links - intensiviert von ihrer in dichtem Stridi und wechselnden Tönen gezeichneten Dinglichkeit - vordrängen, lösen sie sich von den unmittelbar daneben schattenhaft ungreifbar bleibenden Gestalten ab, die in ihrer unfesten Erscheinung dem Graugrund nahestehen und doch andererseits mit der Lebendigkeit pastosen Strichs zur dinglichen Vielfalt der seitlichen Gruppen rechnen. Dabei führen leichte Unterschiede in den Intensitätsgraden rechts und links zu verschiedenartigen Schwingungen im Verhältnis der Dinge untereinander und zum Jungen. Im Feld des Tisches rechts mit dem Frühstücksgeschirr sammeln sich alle Kräfte zu besonderer Fülle und Dichte. Hier vereinigen Farbhelligkeit, pastoser Farbauftrag und dingliche Stofflichkeit vieler Dinge ihre verschiedenartige Intensität zu gemeinsamer Wirkung: z. B. sind die Tasse, das Glas und die Austern in Farbton, pastosem Strich und dinglich-stofflichem Charakter verschieden und werden trotzdem nicht einzeln empfunden, sondern in ihrer einander drängenden Fülle; ähnlich die schärfer nuancierten Farben der gelben Zitrone, des Messers und der blau gesprenkelten Kanne. Die Gestalt des Mannes bleibt dagegen buchstäblich „im Schatten" dieser aktiv sich vordrängenden Dinge. Nur in der Art, wie Hand, Hut und Gesicht dicht beieinander - der Flaschengruppe ähnlich - am Bildrand auftauchen, schließt sie sich diesen an; ebenso in der Schärfe des zwischen Hutrand und Hand konzentrierten und vom Zigarrenrauch ins Bild hineingetragenen Blickes, die zur Schärfe des Messers Bezug hat. Links wird die Helligkeit des Blumentopfes nicht in gleichem Maße von dinglicher Intensität vorgetrieben wie das Feld des Tisches. Zwar ist auch hier mit festem Strich der besondere Stoff- und Dingcharakter des Topfes aufgerufen, seine Festigkeit aber durch die buntfleckige Bemalung gelockert. Um so mehr erscheinen die umgebenden Dinge trotz aller graubefangenen Zurückhaltung, die sie nicht zu körperlicher Festigkeit kommen läßt, in lebendig wechselnder Stofflichkeit. Jedes Ding bekommt durch eine eigene charakterisierende Darstellungsweise sogar einen gewissen Nachdruck. Das Gewächs mit seinen fleischigen Blättern wird durch entsprechend dichten Farbauftrag beschrieben. Die Kanne in der Hand der Frau hebt sich metallblitzend von dem weichgestrichenen Stoff des Kleides ab, ähnlich wie der Helm links unten vom tiefroten Sessel. Die hell herausleuchtenden Akzente der Griffe erscheinen wieder eigentümlich abstrakt, obwohl ihre dingliche Stofflichkeit ausdrücklich bezeichnet ist, vor allem diejenige des elfenbeinernen Kopfes der Degenscheide am unteren Bildrand. Dadurch, daß die grauverschatteten Dinge mit einem gewissen Nachdruck vorkommen, das helle Feld des Blumentopfes hingegen nur in beschränktem Maße eine vordrängende K r a f t entfaltet, bleiben sie einander relativ nahe. Alle haben sie zueinander ungefähr das gleiche locker schwingende Verhältnis zwischen Sonderung und Kontakt. - Rechts ist alle Intensität im hellen Feld des Tisches gesammelt.
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Dieser Unterschied zwischen redits und links wirkt sich vor allem für das Verhältnis zum Jungen aus, wird hier überhaupt erst in seinem Ausmaß deutlich. Links bleiben die Dinge in ihrer Zurückhaltung eigentümlich entfernt von ihm, während der Junge zu dem rechts mit allen Kräften vortreibenden Feld des Tisches engen Kontakt hat, und zwar im Kontrast, der durch den Knotenpunkt der Hand zu naher Auseinandersetzung zusammengezogen ist. So wird die stoffliche Eigenart der Bilddinge vom pastosen Farbauftrag mehr oder weniger aufgerufen, um das zwischen Gebundenheit und Sonderung schwingende farbige Verhältnis der Dinge untereinander und zur Gestalt des Jungen zu bestärken und zu differenzieren. Die soeben gewonnene reale Greifbarkeit geht den Dingen dabei wieder verloren, wird im Wechsel der Intensitätsgrade relativiert. Da wo der Wechsel in den Intensitätsgraden nicht einmal dem räumlichen Kontinuum der Dinge entspricht, entsteht sogar ein Eindruck von Irrealität. Das zeigt sich im folgenden Abschnitt, in welchem die Raumverhältnisse beschrieben werden, noch deutlicher.
Die
Raumverhältnisse
Die Gestalten und Dinge befinden sich sehr nahe beieinander. D a sie alle in flächig frontaler Wirkung wiedergegeben sind, kommt dies auch anschaulich zur Geltung. Sie überschneiden sich jedoch derart, daß sie für den Blick des Betrachters einander den Zugang verstellen. Deshalb bleiben die Abstände unbestimmt. Hier greifen die Farben mit ihren Wirkungen ein. Die Abstände werden durch den schroffen Wechsel in Ton und Auftrag betont, und zwar schärfer betont, als das nahe Beieinander der Gegenstände und Gestalten es an sidi rechtfertigen würde. Das Unbestimmte in deren gegenseitigem Verhältnis wird dadurch so mäditig, daß es als wesentlicher Zug des Bildraumes überhaupt empfunden wird. Es steigert sich bis an die Grenze des Irrealen da, wo die Farben über das der jeweiligen Raumschicht entsprechende Maß hinaus intensiviert erscheinen. Das ist vor allem im linken Teil des Bildes der Fall. Hier gehören Blumentopf, Bock und Pflanze einer Raumsdiicht an, die durdi Überschneidungen in bezug auf das Fenster als eindeutig davor, in bezug auf die Frau als eindeutig dahinter befindlich gekennzeichnet ist. Bock und Pflanze entsprechen der Raumschicht auch farblich. Das Feld des Blumentopfes überspringt jedoch kraft seiner pastosen Helligkeit nidit nur die Frau, die sich vor den Bock schiebt, sodern auch die Kaffeekanne, welche sich metallblitzend so von dieser Gestalt abhebt, daß sie vor ihr zu schweben scheint. Auch die ähnlich blitzenden Waffen auf dem Sessel scheinen hinter ihm zurückzubleiben und in den Vordergrund nur durch den in den Rahmen gespannten Säbel und die Akzente der Griffe verankert zu sein. Erst im Vergleich mit dem Kopf des Jungen zeigt sich die vordrängende K r a f t auch dieses Feldes beherrscht und beschränkt.13
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Beschreibung einiger W e r k e aus den J a h r e n 1 8 6 0 - 1 8 7 0
Rechts hingegen entwickelt sich das helle, farbig reiche Feld des Tisches mit der dinglichen Vielfalt der Geräte vor der Gestalt des Mannes, also ihrer räumlichen Staffelung entsprechend. Zudem zieht es die Aufmerksamkeit so nachdrücklich auf sich, daß jede Tiefenanweisung an Bedeutung verliert. Zwar hebt es sich etwas unvermittelt von der Gestalt des Mannes ab, so daß auch hier das räumliche Verhältnis etwas Unbestimmtes bekommt. Diese Wirkung bleibt aber hinter der „vordergründigen" Fülle der Dinge im Stilleben zurück, deren drängende K r a f t sich um so mehr bemerkbar macht, als die schroff abschneidende immaterielle Fläche der schwarzen Jadke sie in Bedrängnis bringt. Das am weitesten zwischen Nähe und Distanz schwingende Verhältnis des Bildes ergibt sich zwischen dem Jungen und dem Wandgrund. Zwischen ihnen herrscht der weiteste Abstand, da die Wand noch die Gegenstände, die der Junge seitlich zurückläßt, hinterfängt. Auch durdi den Kontrast des hell vom Grund abstehenden Kopfes wird der Abstand vollzogen. Andererseits gibt es keine nähere Verwandtschaft als diejenige zwischen dem ungreifbaren, flächigen Schwarz der Jacke und dem gleichartigen Grau des Grundes. Die enge, in die Fläche ziehende Beziehung zwischen dem Schwarz und Grau hebt die Raumschwingungen zwischen den seitlichen Dingen in Verhältnis zum Jungen nicht auf, da der Abstand des Jungen zur Wand gleichfalls seine Geltung bewahrt. Durch die zusammenfassende K r a f t im Verhältnis des Jungen zum Grund kommen die beiden Bildseiten vielmehr räumlich zur Einheit. In die Schwingungstiefe dieses Verhältnisses münden alle übrigen Raumschwingungen, während sie an den vollgestellten Bildrändern ersticken. Audi die beschriebenen Unterschiede der beiden Seiten in K r a f t und Einsatz der Raumschwingungen erweisen sich nur als Nuancen innerhalb des schwebend-unbestimmten Raumzusammenhangs und geben selber wieder zu einem schwingenden Verhältnis der beiden Seiten zueinander Anlaß.
Der Bildgehalt Die Steigerung der Raumschwingungen zur Bildmitte bezieht sich auf die Gestalt des Jungen. Nur von dieser her ist der Bildraum, sind die Bilddinge in ihrem schwebenden Spannungsverband zu erfassen. So muß der Sinn des Dargestellten in dessen Bezogenheit auf den Jungen gesucht werden. Er ergibt sich, wenn man die beschriebene Bildwelt wie aus der Vorstellung des Jungen gespiegelt empfindet, mit seinem abwesend träumenden Blick sieht.14 13
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E s entspricht z w a r einer realen E r f a h r u n g , daß helle, entfernte Objekte eindringlicher w a h r genommen werden als graue, unscheinbare in der N ä h e . S o unvermittelt im Bild eingesetzt, haben solche Phänomene aber gleichwohl eine idealisierende Wirkung. Indem sich der K o p f durch seine Helligkeit v o m Schwarz der Jacke abhebt, w i r d formal der Ausdruck des abwesenden Blickes bestärkt: der Junge ist „wie von sidi selber gelöst".
Le Déjeuner dans l'atelier
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Dann erklärt sich auch die Darstellungsweise im einzelnen: die Sonderung der Gestalt des Jungen von allem übrigen, die Anziehungskraft, die sie gerade dadurch ausübt, das unfest Schwingende der Raumverhältnisse, das Ungreifbare der Dinge innerhalb dieser schwingenden Verhältnisse. Auch das Eindringliche der einzelnen Dinge wird sinnvoll in einem solchen Zusammenhang: Suggestiv verbindet sich dadurch ein Vorstellungsgehalt mit den Dingen, der nach ihrer verschieden charakterisierten Art und je nach dem Realitätsgrad variiert. Das Waffengerät z. B. ruft - im Gegensatz zu dem greifbaren, auf Alltägliches sich beziehenden Frühstücksgeschirr - einen Bereich dichterischer Phantasie auf, dem sich ein anderer - heller und heiterer - zugesellt, angeregt durch das mit Blumen und Vögeln bemalte Feld des Blumentopfes. Die Frauengestalt stimmt wieder einen anderen Ton an, läßt etwas von umsorgender Häuslichkeit anklingen. Der Mann rechts dagegen schließt sich im Ausdruck dem des Eßgeschirrs an. In Gebärde und Blick liegt etwas verhalten Drängendes, das in der drängenden Dingfülle des Frühstücksgeschirrs nur zu größerer Greifbarkeit gesteigert ist, ins „Sachliche" verwandelt. Auf beiden Seiten des Vorstellungsraumes bilden sich also im Zusammenwirken der Dinge verschieden geartete Empfindungskomplexe. Während links Bereiche der träumerischen Phantasie aufgerufen werden, führen Gestalt und Dinge der anderen Seite eine aktivere, realere Sprache. Zwischen beiden - beide auf sich beziehend - hält sich die Gestalt des Jungen, den Ausdruck des Gesichts und den Blidk im Einklang vor allem mit der Phantasiewelt links, jedoch nach rechts gewendet, wo die Hand unmittelbaren Kontakt mit dem Stilleben aufnimmt. So werden von ihr aus die verschiedenen Vorstellungsgehalte simultan erfaßt und gewinnt die Situation des Jungen zwischen den beiden Empfindungskomplexen einen gespannten Charakter: gespannt zwischen dem, was man früher „vita contemplativa" und „vita activa" genannt hätte, — im engeren Sinn auch den Charakter einer Wendung von der Welt der Kindheit zu der des Mannes, die der Junge vor sich hat. Eindeutig läßt sidi der Gehalt allerdings nicht bestimmen. Seine Unfaßbarkeit gehört vielmehr mit zum Wesen der wie träumerisch gesehenen Bildwelt.
„Le
Déjeuner sur l'herbe"
i86ß
(Taf. 2)
Einführende Beschreibung der Bildeinteilung Laub und Gras erfüllt leicht bewegt das breite Bildfeld, hier zu dichterem Buschwerk zusammengezogen, da lockerer und vom Grau der Stämme durchsetzt. Aus dieser Laubumgebung löst sich in der Bildmitte eine Gruppe von vier Gestalten. Drei von ihnen sitzen im Vordergrund beieinander, ein Paar links und diesem gegenüber ein einzelner Mann. Die Frau ist im Unterschied zu den Gefährten
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Beschreibung einiger Werke aus den Jahren 1860-1870
nackt. Ihre Kleider liegen neben ihr und bilden zusammen mit einem Früditekorb in der linken unteren Bildecke ein kompaktes Stilleben. Eine zweite Frau wird entfernt in einem Bach watend zwischen den beiden Männern siditbar. Obwohl Hintergrundfigur, ist sie doch formal so eng mit den anderen Gestalten verknüpft, daß sie sich gemeinsam mit diesen als Figureneinheit aus der Laubumgebung heraushebt: Das helle Feld des Hemdes antwortet den Feldern der dunklen Männerjacken wie der Elfenbeinton der nackten Frauengestalt vorn und ergänzt das gegenseitige Verhältnis zu einem fast schachbrettartigen Hell/Dunkel-Wechsel. 15 Außerdem vervollständigt der Umriß ihres Rückens den der übrigen Figuren zu einem lagernden Dreieck, dessen abgerundete, nach innen gekehrte Form der Gruppe kernhafte Geschlossenheit vermittelt. Auch das Stilleben der Kleider löst sich aus der Laubumgebung heraus, mit wieder anderen Mitteln, die es gesondert von der Gestaltengruppe in einem eigenen Bezirk entfaltet. Die Bildwelt ist also in drei Bezirke geschieden: den Laubwald, die Gestalten in der Mitte und das Stilleben im Vordergrund. Der Laubwald wirkt - bei aller Zurückhaltung seines lockeren Blattgewebes am mächtigsten, weil er die breite Dehnung des Blickfeldes sich zu eigen und der Ruhe seiner gleichmäßig bewegten Erscheinung dienstbar macht. Dagegen entwickeln die anderen Bezirke eine aktivere Sprache. Das Dreieck der Gestaltengruppe entspricht in seiner breit gelagerten Form wohl der Ruhe des Laubgrundes. Jedoch führt die Betonung des linken Paares zu einer asymmetrischen Gewichtsverteilung innerhalb des Dreiecks, welche die Ruhe mit Spannung erfüllt. U m das Übergewicht auszugleichen, wird das Paar zur Mitte des Bildes hingezogen, die ganze Gruppe dadurch aber nach rechts verrückt und die Symmetrie der Form noch mehr beunruhigt. Die Spannung greift nun sogar über den engeren Bezirk der Gruppe hinaus. Der Durchbruch einer hellen Ebene im Laubgewebe trägt sie weiter. Genau über der Spitze des Dreiecks und mit der Watenden verknüpft, macht er die Mittelachse der Gruppe in deren Verschiebung nach rechts zu der des Bildes (die bis zu den Pilzen am unteren Bildrand durchgeführt ist). Vollends hebt das Stilleben die Wirkung der Symmetrie auf, indem es sein Gewicht an das ohnehin betonte linke Paar der Gruppe anschließt. Es ist der
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Der Querstrich zwischen »Hell" und „Dunkel" wird hier und im folgenden eingesetzt, um ihr Kontrastverhältnis zu bezeichnen. In der üblichen, zu einem Wort zusammengezogenen Schreibweise ist das »Helldunkel" zu einem Begriff für ein Bildgestaltungsmittel geworden, das besonders im 17. Jh. seine Ausprägung findet. Hell und Dunkel stellen dort gleichzeitig Licht und Schatten dar, die zusammen mit den Farben ein dynamisches Gefüge bilden, in welchem der Kontrast als nur eine besonders gesteigerte Form des Verhältnisses unter vielen erscheint (vgl. Ernst Strauss, Zu den Anfängen des Helldunkels. In: Hefte des Kunsthistorischen Seminars der Universität München j , 1959, S. 1-19). Bei Manet sind Hell und Dunkel nicht mit den Wirkungen von Licht und Schatten verknüpft, sondern in ihrem rein formalen Kontrastwert eingesetzt. Welche Rolle sie bei ihm spielen, soll sich genauer nodi in den kommenden Beschreibungen zeigen. Vorerst genügt die Feststellung, daß der Begriff des Helldunkels in der üblichen Form nicht angewendet werden kann.
Le Déjeuner sur l'herbe
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entscheidende Faktor der Spannung, so wie der Waldbezirk Hauptquelle der Wirkung von Ruhe ist. Spannung und Ruhe verbinden sich in der Gestaltengruppe. Schon die oberflächliche Beschreibung der Bildeinteilung ergibt, daß die drei verschiedenen Bildbezirke in ihrer Wirkungsweise aufeinander abgestimmt sind und in ihrem gegenseitigen Verhältnis Wesen und Sinn der Bildgestaltung gesucht werden müssen. Verteilung und Proportionierung der Farben In den Bezirken des Laubwaldes und des Stillebens herrscht jeweils ein Farbton, Grün im einen, helles eindringliches Blau im anderen, - beide zwischen helleren und dunkleren Flecken vibrierend bewegt, in der Gesamtersdieinung aber geschlossen. Alle übrigen Farben haben nur begleitenden Wert. Selbst im Stilleben begleiten sie nur, so sehr sie sich durch Reichtum und Dichte auszeichnen,16 verwachsen zu einander treibender Wirksamkeit, die das Blau mit besonderer Schärfe vorkommen läßt. Blau prägt also seinen Bezirk wie Grün den Laubwald. In der Gestaltengruppe treffen dagegen Hell und Dunkel so scharf aufeinander, daß mehr als ihre Farbigkeit die Kontrastsprache als solche Geltung hat. Die hellen Flächen der Frauengestalten wechseln kontrastierend mit denen der dunkelgekleideten Männer in gleichmäßigen Rhythmus. Zwar werden durch leichte farbige Nuancierung der Felder zwei Kontrastpaare unterschieden: Zum Elfenbeinton im Inkarnat der links sitzenden Frau gehört das relativ warme Graubraun des Mannes neben ihr; dem tiefen Schwarz der Jacke des lagernden Mannes rechts antwortet das entsprechend kühle Weiß der im Bach watenden Frau. 17 Aber diese Unterschiede der Paare erscheinen eben nur als Nuancen. Das Gleichmaß und die Entschiedenheit im Wechsel der Felder bleiben erhalten und lassen sich auch nicht durch die zahlreichen Hell- und Dunkelstücke beeinträchtigen, welche die Felder durchsetzen oder umspielen, die Tonnuancen und Kontraste variierend. Mit der aktiven K r a f t des Hell/Dunkel wirkt die Mittelgruppe auf die umgebenden Bezirke ein. Bezugnehmend auf den Rhythmus ihrer Felder verdichten oder lösen sich die Laubflecken zu Gruppierungen, ballen sich links kräftiger, fließen rechts lockerer ineinander - dem verschiedenen Gewicht der Hell/DunkelPaare entsprechend. 16 Neben dem W e i ß eines Tuches greifen besonders die verschiedenen blaßgelben Töne des Hutes, des Korbes und des Semmels ein; am kräftigsten leuchtet der Semmel vor, getragen v o n tiefgraubraunem Grund, den das Grüngewebe hier freiläßt, während das Blau daneben blasser erscheint als links neben dem K o r b . D e r H u t hält sidi dagegen stumpf zurück, sein schwarzes Band vermischt sidi mit dem tiefen Schatten des Rasens. 17
Beim linken Paar treffen H e l l und Dunkel besonders hart aufeinander; rechts ist der Kontrast von geringerer Sdiärfe, weil die Felder nicht so unmittelbar a n e i n a n d e r s t i e ß e n und außerdem das W e i ß der Watenden - der Entfernung der Gestalt gemäß - loser im Pinselstridi, in der Flächendidite, erscheint als das helle Feld der anderen Frau. N u r über die Brücke der Arme, die im Flächenzusammenhang der Gruppe z u einem Bogen aneinandergeführt sind, bleibt die Abruptheit des Wedisels bewahrt.
2 Hopp, Manet
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Beschreibung einiger W e r k e aus den Jahren 1 8 6 0 - 1 8 7 0
Vor allem ist in der Mitte die Hellgigkeit des blauweißen Wolkenhimmels und der lichtgrünen Ebene dem hellen Feld der Watenden angeschlossen, so wie der Bezirk des Stillebens an die Gestalt der Nackten geknüpft ist. Ja, durch die Bindung an die Watende löst sich dieser Weitedurchbruch aus dem Grüngewebe 18 und bezieht sich auf das Stilleben, dem farbigen Verwandtschaftsverhältnis der Frauengestalten entsprechend. Und nur über die Bindung an die Frauengestalten lassen sich beide verspannen, so selbständig sie auch eigene Beziehungsmittel entwickeln, besonders farbig; (das lidite Blau im Kleid links unten nimmt das des Himmels verdichtet auf, das weiße Tuch hinter dem Korb wiederholt das Wolkenweiß). So kann das Verhältnis der Frauengestalten zueinander über diese hinausgreifen, weitet sich in der Beziehung zwischen Stilleben und Weitedurchbruch in eine neue Dimension. 1 9 Durch die enge Verbindung mit den Frauenfiguren der Gruppe haben Stilleben und Weitedurchbruch unmittelbaren Anteil an deren Kontrastverhältnis zu den Männergestalten. Sie stehen im Ausstrahlungsbereich der Kontraste und werden durch deren fordernde Kraft gebunden. Dementsprechend wird das Grüngewebe zusammenhängend mit den dunklen Feldern der Männer empfunden. Als die passivere Verbindung wird sie zwar nicht so spontan vollzogen, findet aber ein deutliches Zeugnis in dem Grün, das um den erhobenen Arm des rechts Lagernden in den Umriß der Gestaltengruppe eindringt wie das Blau des Stillebens mit dem Tuch, das um den Fuß der Sitzenden geschlagen ist. So übt die Mittelgruppe durch das Hell/Dunkel eine zwingende K r a f t auf die Umgebung aus. Gleichwohl bleibt ihre Wirksamkeit zurückhaltend. Die umgebenden Bezirke büßen nichts von ihrem eigenständigen Wert ein. Das breite, gedehnte Grün des Laubgewebes und das scharf durchgreifende Blau des Stilllebens bleiben bestimmend für den Farbcharakter des Bildes.
Der
Farbauftrag
Die Wirkungen der Farbtöne sind mit denen des Farbauftrages so eng verwachsen, daß eine gesonderte Betrachtung eigentlich nicht möglich ist. Erst in Verbindung mit der relativ flächigen, sdiarf konturierten Formung der Felder entwikkeln die Hell/Dunkel-Kontraste in der Mitte ihre volle Spannkraft; kurze Flek18
S o sehr reißt die Helligkeit das Grüngewebe auf, daß über der Spitze des Weitedurdibruchs die komplementäre K r a f t eines kleinen Rotflecks - eines Vogels - eingesetzt w i r d , um das oben sich wieder schließende G r ü n zu stützen. - Seit der Neuhängung des Bildes ( 1 9 5 8 ) scheint der Rotfleck allerdings nicht mehr notwendig, da der neue Rahmen von rötlichem H o l z das G r ü n komplementär einfaßt.
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D i e doppelte V e r k n ü p f u n g ist so eng, daß im Stilleben zusammen mit den Farben, die sich auf den Weitedurchbruch beziehen, auch Hinweise auf die watende Frau auftauchen. Z u m Beispiel hat das O v a l des umgekippten Korbes die gleiche N e i g u n g und Größe wie das der F r a u e n gestalt; und nimmt daneben die Parfümflasche das G r a u des Wassers auf.
Le Déjeuner sur l'herbe
J9
ken, die locker und unverbunden zusammentreffen, ergeben das Vibrieren im Laubgrün; und schwellend pastos ineinandergreifende Pinselzüge lassen die reichwechselnden Farbtöne im Stilleben zur beschriebenen drängenden Energie verwachsen, durch welche sich der Bezirk von dem lose schwingenden Grün abhebt. (Man vergleiche nur die dünn materielosen Pilze, die sich neben dem Stilleben ins Grüngewebe einfügen.) Die Gestalt der Sitzenden erfährt durch den Farbauftrag eine besondere Intensitätssteigerung, eine Verschärfung im gespannten Ausdruck, die selbst innerhalb der Kontrastsprache der Mittelgruppe ungewöhnlich ist. Sie erhält sie aufgrund ihres sdieibenhaft flächigen, dichten Sdimelzes, der die Umrißlinien ihres Gliedergitters scharf - fast abstrakt - abspringen läßt. K r a f t dieser Eigenschaften übt sie eine Anziehung aus - auf die Gruppe wie auf das Stilleben. N u r im Verein mit dem fest gespannten Farbauftrag vermag die Elfenbeinhelligkeit das schwere farbige Gewicht des Stillebens zu halten.
Die Darstellungsweise
der
Bilddinge
Jeder der drei in Farbton und -auftrag unterschiedenen Bezirke ist auch dinglich eine Einheit - Laubwald, Stilleben, Gestalten - , die durch die farbige D a r stellungsweise als solche mit bestimmten Eigenschaften versehen ist. Im Wald regieren die Laub- und Grasflecken. Auch die Stämme sind in deren vibrierendes Gewebe einbezogen - wie die Blätter mit lose getupften Flecken wiedergegeben. So gelangen sie nicht zu körperlicher Rundung und Festigkeit. Der ganze Wald scheint darum ungreifbar, unwirklich. Die Gegenstände des Stillebens drängen dagegen alle mit fester Dinglichkeit vor. Auch ist jeder von ihnen in seiner individuellen Stofflichkeit charakterisiert, nicht nur in der figürlichen Erscheinung. D o d i drängen sich die verschiedenen Dinge so dicht, daß sie ihre individuell-stofflichen Züge nicht wirklich zur Geltung bringen, sondern in die Fülle ihrer Gesamterscheinung eintauchen lassen. Die Eigenheiten der einzelnen Gegenstände sind gleichsam nur Nuancen in einem Zusammenhang, der quellende Dingfülle schlechthin zum Ausdruck bringt. Ebenso wie in den übrigen Bezirken passen sich also die einzelnen Dinge dem übergeordneten Wesenszug des Bezirks ein. In der Gestaltengruppe sind die Spannungen zwischen den Hell- und Dunkelfeldern wesensbestimmend. Sie erlauben den Gestalten keine körperliche Schwere, bestärken aber um so mehr die geistige Angespanntheit, die sich beim Manne rechts in der Gebärde, beim linken Paar in Haltung und Mienenspiel äußert. 20
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2»
M a n vergleiche nur die Gestalten der motivischen Vorlage, der Flußgöttergruppe im Parisurteil, einem Stich von Marc Anton (abgebildet z. B. bei Jedlicka, Edouard Manet, 1941, gegenüber S. 5 7 ) :
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B e s c h r e i b u n g e i n i g e r W e r k e aus d e n J a h r e n 1 8 6 0 - 1 8 7 0
Dabei bewahren die Gestalten durchaus die körperliche Festigkeit, die ihnen dichter (wenn auch flächiger) Farbauftrag vermittelt und sind stoffliche Differenzierungen in der Kleidung nicht ausgeschlossen. Sie bleiben aber in der Wirkung ähnlich zurückhaltend wie die farbigen Nuancierungen im Hell/Dunkel-Rhythmus der Gestalten. N u r an einzelnen Stellen nimmt die körperliche Festigkeit zu, um den dort konzentrierten formalen Spannungen Nachdruck zu verleihen, z. B. in der weisenden Hand des Lagernden und vor allem in der Gestalt der Sitzenden links: durch die Art, wie der Kontrast der nackten Gestalt zum bekleideten Partner den des Hell/Dunkels verschärft, wie der nackte Körper die Gespanntheit des eigenen Schmelzes und diejenige der Umrißlinien gleichsam als Bekleidung aktiviert. Die dadurch gesteigerte formale Sprache steht aber wieder in Ubereinstimmung mit Gebärde und Blick, dient ihnen, indem sie gleiches zum Ausdruck bringt. Auch für die zentrierend bannende K r a f t der Mittelgruppe in bezug auf die Umgebung ist die gemeinsame Intensität von formaler Sprache, Gebärde, Haltung und Blick entscheidend. Zu den beschriebenen Spannungsfaktoren der Sitzenden gehört die hochgerichtete, dem Gewicht des Stillebens entgegenziehende Haltung des Gliedergitters, mit dem Blick als dem Ziel- und Sammelpunkt der Kräfte. In entsprechender Weise holt die Gebärde der Watenden den Weitedurchbruch heran, ohne Rücksicht auf ihre andersgerichtete gegenständliche Sinngebung. 21 Ebenso bringt die Gebärde des lagernden Mannes — wie die der Partnerin im Hinblick auf den Himmel — etwas zum Ausdruck, das über ihren gegenständlichen Sinn hinausreicht. Mit ihr dringt das Grün des Grundes in den Mittelbezirk und sammelt sich hinterfangend um den Akzent der Hand, ähnlidi wie die Landschaft des Laubwaldes um die Gestaltengruppe, so daß die Hand etwas von der Macht des ganzen Grüngrundes „ergreift". Sammelnd nimmt schließlich auch der Blick des linken Mannes darauf Bezug. Ähnlich eindringlich im Ausdruck wie der Blick
Diese lagern im Unterschied z u denen bei Manet mit schwerlastenden Gliedern auf d e m B o d e n . D a g e g e n erscheint die rechte M ä n n e r g e s t a l t im „ D e j e u n e r sur l ' h e r b e " schwerelos, o b w o h l sie durch das M o t i v des L a g e r n s noch a m meisten G e w i c h t beansprucht. A m deutlichsten z e i g t sich der Unterschied z u r V o r l a g e bei der G e s t a l t der F r a u l i n k s . D i e N y m p h e bei M a r c A n t o n s t ü t z t den E l l e n b o g e n auf das K n i e , - die F r a u bei M a n e t lehnt ihn seitlich d a g e g e n , so d a ß O b e r k ö r p e r u n d K o p f keine S t ü t z e f i n d e n k ö n n e n , diese bei ihrer aufrecht g e s p a n n t e n H a l t u n g auch nicht suchen ( J e d l i k a - E d o u a r d M a n e t 1 9 4 1 , S. 57 e r k l ä r t diese U m w a n d l u n g als f o r m a l n o t w e n d i g , M a n e t h a b e d a m i t der G e s t a l t eine geschlossene f o r m a l e u n d f a r b i g e W i r k u n g gesichert, sie so erst z u künstlerischem R a n g erhoben, w ä h r e n d bei der G e s t a l t M a r c A n t o n s durch den a u f g e s t ü t z t e n A r m eine E i n s c h n ü r u n g entstehe, die ein empfindsames A u g e v e r l e t z e . D i e E i n s c h n ü r u n g bei der G e s t a l t M a r c A n t o n s h a t a b e r auch einen S i n n - f ü r die H a l t u n g der G e s t a l t u n d f o r m a l - u n d ist deshalb sogar b e t o n t durch die linke H a n d , die d o r t auf einen K r u g gelegt z u m Vorschein k o m m t ; m a n k a n n also die V e r ä n d e r u n g e n nicht allein als künstlerische Verbesserungen w e r t e n , in erster Linie z e i g e n sie eine v e r w a n d e l t e A u f f a s s u n g in d e r W i e d e r g a b e der Gestalt.) 21
D i e F r a u streckt - sich bückend - den A r m aus, u m die H a n d gegen die S t r ö m u n g des Baches z u halten.
L e Déjeuner sur l'herbe
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der sitzenden Frau, bekommt er eine entsprechend bannende Gewalt über den Laubbezirk, so wie der der Frau über das Stilleben. 22
Zum Bildgehalt Die Blicke des linken Paares haben nun nicht allein aufgrund ihrer Eindringlichkeit so weitgreifende Gewalt. Vielmehr beruht der bannende Kontakt zur Umgebung auch auf einer Ausdrucksverwandtschaft. Vorgreifend wie das Stillleben in seiner drängenden Fülle ist der Blick der Sitzenden, zugleich von derselben kühlen Distanziertheit, mit welcher der herrschende Farbton des Kleides - Lichtblau - der vordrängenden Qualität des Stillebens einen Zug von aggressiver Schärfe vermittelt. Auch erfaßt er diese Ausdruckseigenheiten in der ganzen Tiefe, die mit der Spannung zum Weitedurchbrudi für den drängenden wie für den distanzierenden Zug gewonnen wird. - Weit und ruhig entrückt fängt dagegen der Blick des Mannes die ruhig gedehnte, ungreifbare Qualität des Laubgrundes ein. So werden die Bezirke des Laubwaldes und des Stillebens durch ihre Bindung an den Blick einer Gestalt zu Aussageträgern. Alle Gestaltungsfaktoren - Farbe, Farbauftrag und dargestellter Gegenstand — vereinigen ihre Aussagewerte zu dem des jeweiligen Bezirks, diesen im Ineinanderwirken spezifizierend, differenzierend. Im Laubgrund z. B. verwächst die Empfindung von Ruhe im grünen Farbton mit der der Abgeschiedenheit des Ortes, der durch die ungreifbare Erscheinungsweise der Dinge im Fledkengewebe darüber hinaus wie entrückt ist, zu dem beschriebenen unteilbaren Aussagewert. Die Aufgabe der Gestaltengruppe dagegen erfüllt sich in der zentrierenden, sammelnden Funktion. Die Sprache des Hell/Dunkel, der Gebärden bleibt empfindungsneutral. N u r reflektierend nehmen die Blicke des linken Paares die Empfindungsgehalte der umgebenden Bezirke - in ihre eigene Sprache übersetzt - auf. Durch die gehaltzentrierende K r a f t der Blicke bilden die auch formal betonteren linken Gestalten den engeren Kern im Kernbezirk des Bildes. Die beiden rechten sind nur Assistenzfiguren, die eine Zentrierung der umgebenden Bezirke in deren ganzer Tiefen- bzw. Weitedehnung und Verschränkung möglich machen. Ihre Gebärden sind Intensitätsfaktoren ohne Ausdrucksanspruch, überlassen alle Beredsamkeit den linken Figuren. Von diesen wiederum ist besonders die Frau reich an Ausdruck. Nicht nur das Gesicht, sondern der ganze Körper ist beredt. E r wirkt durch seine helle Nacktheit vor wie das Stilleben durch dessen drängende
22
Jedlicka (Edouard Manet, Zürich 1 9 4 1 , S. 6 1 ) hat schon auf das „ Ü b e r h ö h t e " im Ausdruck der Gesiditer hingewiesen. E r sieht darin etwas Unbewältigtes, weil er den Sinn nidit erkennt und v o n der Voraussetzung ausgeht, daß die organische Einheit von H a l t u n g und Gesichtsausdruck gewahrt bleiben müsse.
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Beschreibung einiger Werke aus den Jahren 1860-1870
Fülle und w i e dieses zugleich kühl distanziert durch die A r t , w i e die K ö r p e r formen - in die Fläche gestrafft - leidit abstrahiert sind und die Glieder a b w e i send ein G i t t e r bilden. S o nimmt der K ö r p e r die Aussage des Stillebens in seine Sprache übersetzt auf
und
lenkt sie z u m
Blick hin, der sie
konzentrierend
beherrscht. D i e Gestalt der F r a u ist damit audi gegenüber dem Partner ausgezeichnet. Jedoch hat ihre G e b ä r d e noch Z u s a m m e n h a n g mit denen der rechten G e s t a l ten, w ä h r e n d der M a n n seinerseits ausgezeichnet ist durch die S a m m l u n g
allen
Ausdrucks, aller Intensität einzig in seinem Gesicht. Sein Blick ist erst der endgültige K e r n p u n k t des Bildes, nicht zu lösen v o n dem der F r a u , aber auch f ü r diesen A u s g a n g s - und Anziehungspunkt. 2 3 In den Blicken der beiden linken Gestalten w i r d das zusammengezogen, w a s sich in den Bezirken
getrennt ausbreitet und im H e l l / D u n k e l - V e r h ä l t n i s
des
Paares sogar als kontrastierend angesprochen w u r d e . D i e Blicke sind einander so nahe, daß sie einen einzigen Ausdruck zu variieren scheinen: a k t i v e und passive Distanziertheit. In ihnen und durch sie k o m m t das Gegensätzliche z u m spannungsgeladenen Miteinander, z u r Einheit. 2 4
Der Bildraum D i e einzelnen Bezirke sind so verschiedenartig und in sich geschlossen, daß die in ihnen zusammengefaßten Bilddinge sich nicht zu einem übergreifenden einheitlichen R a u m verbinden können. D i e Gestalten sitzen nicht im L a u b w a l d , sondern heben sich — zu geschlossener Flächenfigur zusammengefaßt - v o n ihm ab, u n d dieser hinterfängt sie folienartig, statt sie zu umgeben. D a s w i r d häufig am B i l d kritisiert und M a n e t als jugendliche Ungeschicklichkeit angeredinet. 2 5 D o c h
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In der Literatur wird immer nur die Gestalt der Sitzenden als Hauptfigur des Bildes angesprochen, weil sie mit der Intensität ihrer hellen Erscheinung und mit ihrem dem Betrachter entgegengewendeten Blick diesem als erste und vorrangig begegnet. Sind solche Eigenschaften aber wirklich allein ausschlaggebend, um die Hauptfigur eines Bildes zu bezeichnen? Mir ist von verschiedener Seite (mündlich) der Einwand begegnet, das schwere Stilleben mit dem scharfen Blau lasse das Bild nicht zur Einheit kommen. Dieser Eindruck ist verständlich, beruht aber z. T. auf der unglücklichen Rahmung des Bildes in rötlichem Holz, die das vornehmlich grün bestimmte Bildfeld komplementär einfaßt. Dadurch ist das Grün in seiner Madit eingeschränkt, wie eingeschnürt, zugleich von der Auseinandersetzung mit dem Blau abgelenkt, das deshalb viel zu kraß und eigenständig zur Geltung kommt. Das Bild ist also in seinen Gewichts- und Spannungsverhältnissen empfindlich beeinträchtigt. Allerdings wirkt das Blau sehr scharf, auch wenn man diesen Mangel in Rechnung zieht. Sucht man es aber vom Kern des Bildes, also vom Bildinnern her, zu erfassen, fällt es nicht aus dem Rahmen. Denn von hier aus kann auch das Grün in seiner ganzen Dehnung gesammelt empfunden werden, offenbaren sich beide Farben in ihrer Spannungseinheit. Vgl. z. B. Max Deri, Die Malerei im 19. Jh., Berlin 1920, S. 135/136; Gotthard Jedlicka, Edouard Manet, Zürich 1941, S. 57/58. Beide nehmen die Darstellungsweise einer späteren Stilstufe als Wertmaßstab. Darum sehen sie in diesem Bild nur eine mißlungene Bemühung, Figuren in Landschaft zu setzen, und halten sie nur als Vorstufe späterer Lösungen für wichtig.
Le Déjeuner sur l'herbe
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ist die Geschlossenheit der Bezirke derart betont, daß es naheliegt, eine künstlerische Absicht darin zu sehen. Im vorigen Abschnitt wurde die Absicht zu erkennen gesucht. Von ihr ausgehend erklärt sich auch die Art der Raumgestaltung: Jeder Bezirk hat seiner Aussage gemäß auch einen eigenen Raumcharakter. In die vibrierende Bewegtheit der Laubflecken26 ist eine unbestimmte atmosphärische Raumhaftigkeit eingefangen, die dem traumhaft entrückten Charakter der Landschaft entspricht. Das Stilleben spannt sich mit seiner vordrängenden, „greifbaren" Gegenständlichkeit gegen die Ferne des Durchbruchs, mit kühl distanziertem Ausdruck seiner Farbigkeit darauf Bezug nehmend. Trotzdem ist ein bildumfassender Raumzusammenhang vorhanden: durch die zentrierende K r a f t der Mittelgruppe. Durch sie werden die verschiedenartigen, in den Bezirken vereinzelten Raumanweisungen versdiränkt und in ein Verhältnis gesetzt, ohne daß sie den Nachdruck und den eigenen Charakter aufgeben, die sie in ihrer Vereinzelung gewinnen. Über die Mittelgruppe verspannt sich das Stillleben mit dem Weitedurchbruch, Nähe und Ferne in ähnlich gegensätzlichem Verhältnis wie Hell und Dunkel im Mittelbezirk, zugleich über die beiden Frauengestalten einander nahegebracht. Das Laubgewebe schließt sich dagegen mit seiner in flächiger Dehnung entfalteten Wirkung ganz anderer Art an die Flächenfigur der Mittelgruppe an. Ein besonders wichtiges Verbindungsglied zwischen den beiden verschiedenen Raumanweisungen bildet die Watende. Obschon sich ihre in den Hintergrund gerückte Stellung vorwiegend auf den Weitedurdibruch bezieht, bleibt sie doch umgeben von Stämmen - im Tiefenrahmen des Laubgewebes. So ermöglicht sie gleichzeitig dessen Kontinuität über den Weitedurchbruch hinweg, ihrer Zugehörigkeit zum Flächenbild der Gruppe gemäß. (Zumal ihre Stellung durch die doppelte Bindung zur Tiefe wie in die Fläche ebenso unfest ist wie die der Stämme.) Die Verbindung der gesamten Tiefenspannung des Weitedurchbruchs zum Stilleben mit dem Laubwald aber bleibt dem Gesicht des Mannes vorbehalten. Es steht zwischen Ferne und Nähe wie in deren Nullpunkt. Indem es an dieser Stelle mit seiner Ausdrucksintensität den Laubbezirk sammelt, verknotet es buchstäblich dessen flächig sich breitende Schwingungen mit der Tiefenspannung des anderen Bezirks und läßt beide sich durchdringen.
Verhältnis des gegenständlichen Bildinhalts zum Bildgehalt Es bleibt noch nachzutragen, wie sich die beschriebene, vom Ausdrucksgehalt der Gesichter erreichte Bildeinheit zum gegenständlich vorgegebenen Bildinhalt 26
D i e Stämme entbehren darin mit der Körperlichkeit auch die Standfestigkeit und können darum keinen Anhalt für bestimmte Tiefenabmessungen bieten; im Gegenteil bereichern sie das unbestimmte Vibrieren mit ihren Akzentuierungen und ihrem V o r - und Hintereinander, das durdi Überschneidungen und leichte Größenunterschiede kenntlich wird.
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Beschreibung einiger W e r k e aus den J a h r e n 1 8 6 0 - 1 8 7 0
verhält. Der Ausdrucksgehalt verwandelt und übersteigt den Bildinhalt so sehr, daß es nach dem bisher Gesagten nötig ist, diesen zu rekonstruieren: Eine Gruppe von vier Städtern - als solche an der Kleidung der Männer kenntlich - rastet im Freien unter Laubbäumen. Die beiden Frauen haben ihre Kleider samt einem Korb mit Erfrischungen neben dem Lagerplatz liegen; eine von ihnen watet mit hochgeschürztem Hemd im nahefließenden Bach, während die andere nackt bei den Männern im Grase sitzt. Durch die strenge Einteilung in Bezirke werden diese gegenständlichen Gegebenheiten auseinandergelöst und irrealisiert. Die Gestalten können nicht aufstehen und zwischen den Bäumen umhergehen. Der Wald ist für sie ebenso unzugänglich wie für den Blick des Betrachters, der keinen Halt in ihm findet. Schon durch die Einteilung in Bezirke wird dieser Zug von Irrealität gewonnen, der sich im Laubwald durch die besondere Art der Darstellung vertieft. Darum durchdringt er die ganze Bildwelt und ergreift auch das Stilleben, zu dessen Wesenseigenheiten doch die nah gegenwärtige Dinglichkeit gehört. So wird der Gehalt, den Stilleben und Wald über ihre Zugehörigkeit zu den Gesichtern verschieden entwickeln, als Vorstellungsgehalt anschaulich vollziehbar. Alles was von der Realität der dargestellten Gegenstände her gesehen merkwürdig oder befremdet wirkt, hat im traumhaften Vorstellungszusammenhang einen Sinn. Dazu gehört vor allem die nackte Frau neben den bekleideten Männern: eine 1863 undenkbare Situation! Manet hat dieses Motiv auch nicht dem realen Leben seiner Zeit entnommen, sondern sich von Giorgiones „Concert champêtre" anregen lassen und bei der Übersetzung intuitiv mehr von dem Vorbild erfaßt, als seinen Zeitgenossen verständlich war. 27 Der ideale Sinn der Nacktheit - der Darstellung überhaupt — wurde von ihm begriffen und auf neue Weise zu erreichen gesucht durch eine „Vergeistigung" mit Hilfe der Färb- und Formensprache und durch die beschriebene Transposition aller realen Gegebenheiten in eine subjektiv empfundene, traumhaft erdichtete Wirklichkeit. Schließlich wird durch die strenge formale Einteilung alles Erzählerische um des zuständlichen Gehalts willen gedrosselt. Wo es in Rudimenten erhalten bleibt, bekommt es einen neuen Sinn - vor allem das der Gebärden und Blicke innerhalb der Kernfiguration der Gestalten. So verliert die wie im Gespräch erhobene Hand des rechts Lagernden das Flüchtige der ursprünglichen Motivierung, erfährt eine Steigerung ins Bedeutungsschwere und verwertet das Momentane der Bewegung nur akzentuierend, spannungsteigernd. So werden die gegenständlich-inhaltlichen Gegebenheiten von den verwandelnden Ansprüchen der Bildaussage aufgesogen. Erst durch die Macht der formalen und farbigen Darstellungsweise entwickelt sich die Sprache, welche die eigentliche Bildaussage enthält.
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D e r allegorische Sinn der Darstellung wurde erst kürzlich entdeckt und bewiesen (siehe: P. E g a n , Poesia and the Fête Champêtre, in: T h e A r t Bulletin, X L I , 1 9 5 9 , S . 3 0 3 - 3 1 3 ) .
Le Déjeuner sur l'herbe
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Vergleich des Bildes mit dem „Déjeuner dans l'atelier" Beide Bildwelten erschließen sich von der Bildmitte her als Vorstellungseinheit. In dem späteren Bild werden die beiden verschiedenen gestalteten Bildseiten im Ausdruck einer einzigen Kerngestalt zusammengefaßt; dagegen hat jeder Ausdrucksbezirk im „Dejeuner sur l'herbe" seine eigene Kerngestalt. Trotzdem ergibt sich ihre Zusammenfassung zu einer Ausdruckseinheit fast noch leichter als im späteren Bild, weil die Gesichter der Kerngestalten einander sehr nahekommen und buchstäblich kernhaft die Aussage der rund sie umgebenden Bezirke zentrieren, während die Gestalt des Jungen im „Déjeuner dans l'atelier" die Bildseiten nicht nur zusammenfaßt, sondern zugleich als Achse voneinander scheidet. Der Unterschied berührt nicht die grundsätzlich gleiche Art der Bildauffassung, sondern hängt mit den Wandlungen in der formalen Verwirklichung der Vorstellungseinheit zusammen. Im früheren Bild ist die strenge Einteilung der Bildgegenstände in große Bezirke, die jeder eine andere Gestaltungseinheit darstellen, wesensbestimmend. Diese strenge Einteilung gibt es im Mündiener Bild nicht mehr. Zwar sind auch hier noch manche Dinge bezirksweise zusammengefaßt von anderen unterschieden, z. B. die grauen Waffen links mit den aufglänzenden und aufblitzenden Lichtern gegenüber dem weißen Feld des Blumentopfes mit dessen bunter Bemalung. Sie sind aber nicht so scharf voneinander abgesetzt und greifen nicht so weit aus, wechseln vielmehr häufig. Dadurch ist die Möglichkeit gewonnen, die Dinge reicher zu differenzieren - in ihrer stofflichen Erscheinungsweise und in ihrem Aussagegehalt - und gleichzeitig zu größerer Dichte und Einheitlichkeit zusammenzufassen. Diese Einheit wird durch die entsprechend vielfältigen Verspannungen erreicht, welche die Dinge zu einem zwischen Beziehung und Kontrast schwingenden Verhältnisgewebe verketten. Auch die Gestalt des Jungen, in welcher sich alle Verspannungen sammeln, ist eng in das Gewebe einbezogen, obwohl sie stärker hervorzutreten scheint als die Mittelgruppe im „Déjeuner sur l'herbe". Zugunsten der Gewebeeinheit ist aber die Macht und Ausdehnung der einzelnen Bezirke beschränkt. Im früheren Bild, wo auf diese mehr Wert gelegt wird, kommt die Einheit dagegen nur fast gewaltsam zustande und behält einen sperrigen Charakter. Der Geschlossenheit und Betonung der einzelnen Bezirke gemäß ist im „Déjeuner sur l'herbe" für jeden eine eigene Zentralgestalt eingesetzt, deren Gesichtsausdruck unmittelbar mit dem des Bezirks korrespondiert. Ein so unmittelbarer Ausdruckskontakt ist im Münchner Bild wegen der Verschiedenartigkeit der Aussagen, die alle von der gleichen Zentralgestalt erfaßt werden, nicht mehr möglich. Statt dessen übernehmen die farbigen Verspannungen in verstärktem Maße die Verknüpfung mit der Gestalt des Jungen. Der Vergleich soll nun durch weitere Bilder aus dem Umkreis der beiden Werke erweitert und differenziert werden. Leider befindet sich unter den in Europa
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Beschreibung einiger W e r k e aus den Jahren 1 8 6 0 - 1 8 7 0
erreichbaren Bildern nur eines aus der Nachbarschaft des „Dejeuners sur l'herbe", das den gleichen Anspruch erhebt: die „Olympia", wenig später entstanden.
Bilder aus dem Umkreis des „Déjeuner sur 1' herbe" (Taf.j)
„lOlympia" Einführende
1863
Beschreibung
Die nackte Gestalt der „Olympia" liegt lang ausgestreckt auf einem Lager, auf diesem so hoch erhoben, daß der Betrachter sie im Profil gegen den Hintergrund dunkler Vorhänge und den über hochgetürmten Kissen frontal hochgerichteten Kopf auf sich herabblicken sieht. Rechts hinter dem Lager steht eine Negerdienerin und hält dem Mädchen ein großes entfaltetes Blumenbukett entgegen. Beide Gestalten sind hell vom dunklen Grund abgehoben und scheinen mitsamt dem Lager einem einzigen, geschlossenen hellen Komplex anzugehören. Die Dienerin ist jedoch auf mancherlei Weise - vor allem durch die Flächeneinteilung und die Farbgebung - derart mit dem Grund verbunden, daß sie auch an dessen Kontrast zum hellen Bezirk des Lagers mit der „Olympia" teil hat. Sie ist nur gleichsam aus dem Dunkel des Grundes zum Hellrelief der Hauptfigur vorgerückt, um ihr das Bukett entgegenzuhalten. Das Bild ist also in zwei Bezirke geschieden, einen hellen und einen dunklen, die sich jeder einer Gestalt anschließen. Wie das Verhältnis im einzelnen farbig und formal gestaltet ist, sollen die folgenden beschreibenden Abschnitte zeigen. Dann wird es selber näher zu charakterisieren sein.
Die
Flächeneinteilung
Dominierend ist der Bezirk des Mädchens durch die Macht seiner geschlossenen Helligkeit, die er in horizontalen Bahnen über die ganze Breite des Bildes hinstreckt,28 das längliche Bildformat seiner formalen Sprache dienstbar machend. Mit dem Umriß des Mädchens hebt sich der Komplex profilhaft gegen den Dunkelgrund, der die obere horizontale Bildhälfte einnimmt. Dieser Bildeinteilung folgend hat auch der Dunkelbezirk einen horizontal gebreiteten Ausdehnungsbereich, ist aber senkrecht in frontal nach vorn wirkende Flächen gegliedert, deren sperriger Charakter durch dreieckbildende Schrägüberschneidungen noch gefördert wird. Die Gestalt der Negerdienerin schließt sich 28
In den Bahnen des weißen, blaugrau schattierten Bettzeugs, eines sandgrauen Tuches und der Mädchengestalt mit ihrem elfenbeinernfahlen Inkarnat.
Olympia
27
mit ihrer blockhaften, dreieckförmigen Erscheinung dem Rhythmus der dunklen Grundflächen an. Als einzige positive, nicht durch Überschneidungen gebildete Form bringt sie die frontale Wirkung der Flächen überhaupt erst aktiv zur Geltung und steigert sie noch durch die vortretende Helligkeit. Korrespondierend mit der Gestalt der Dienerin wendet auch das Mädchen seinen Oberkörper ins Frontale, wie jene in die obere Bildhälfte hochgerichtet, den ganzen Komplex der hochgetürmten Kissen mit sich ziehend. (Das vom gerafften Laken freigegebene dunkle Dreiedi. des Divans macht dies sinnfällig. J a , es stützt insgeheim die Empfindung, daß die aktive Gespanntheit in der hochgereckten Haltung des Mädchens als Antwort auf die Erscheinung der Negerin zu verstehen ist. Denn als dunkle dreieckförmige Fläche bezieht es sich auf diejenigen des Dunkelgrundes und ist besonders der Flächenform der Negerin verwandt, weldie nur aus der lagernden Stellung wie angehoben ist, der weisenden Geste folgend.) - Die frontal und vertikal ansetzende Bewegung des Mädchens fließt aber alsbald in den vornehmlich horizontal gestreckten und profilgerichteten Zug des Komplexes über, gibt ihm nur eine entschiedene Richtung nach rechts hin. Andererseits bleibt die in der Gegenrichtung antwortende Profilwendung der Dienerin durch die frontale Hauptwirkung der Gestalt zögernd und befangen. Der verschiedene Flächenrhythmus der beiden Bezirke verschränkt sich also in den Gestalten. Verteilung
und Proportionierung
der
Farben
Verschiedenfarbiger Charakter vertieft die Besonderheit eines jeden Bezirks: Weißliches Blaugrau und Graugelb verbinden sich im hellen Teil zu einem Klang kühler Distanziertheit. Im dunklen Bezirk herrscht dagegen schweres Grün. Das Grün des Grundes erscheint in den beiden Vorhängen rechts wie im gerafften links gleichmäßig tief und gleich im Ton und bekommt dadurch seine grundlegende Macht, von der die verschiedenartigen, warmfarbig ergänzenden Felder ausgehen: das Graubraun der Stellwand hinter dem Mädchen, das tiefe Rot des Divandreiecks und auch noch die Gestalt der Negerin mit ihrem kaffeebraunen Inkarnat und rosa Kleid. Stufenweise lösen sich diese Farben vom bindenden Grün, dem hellen Bezirk entgegenkommend. Das Graubraun der Stellwand bleibt dem Grün am nächsten verbunden, weil es sich, unmittelbar flächig anschließend, zwischen die Blöcke der Vorhänge schiebt; nur mit der etwas größeren Leichtigkeit des Tons, der zudem feiner zwischen den helleren und dunkleren Teilen der Musterung vibriert, löst es sich aus dem schweren Grün. - Das rote Divandreieck hebt sich entschiedener ab, buchstäblich vom Grund abgetrennt durch die ganze Breite des Lagers und diesem dinglich zugehörig. Doch ist auch der Bezug des tiefen Rot zum ebenso tiefen Grün entschieden, da ihre komplementäre Entsprechung ohne Konkurrenz ist. Am weitesten entfernt sich die Gestalt der Negerin, obwohl sie von den zwei
28
Beschreibung einiger W e r k e aus den J a h r e n 1 8 6 0 - 1 8 7 0
grünen Vorhängen rechts fast symmetrisch hinterfangen wird und ihr tiefbraunes Gesicht in deren Mitte so eingelassen ist, daß es ohne die Betonung durch den senkrechten Schlitz zwischen den Vorhängen kaum erkannt werden könnte. Im Rosa des Kleides ist jedodi der Rotgehalt so sehr mit Weiß erhellt, daß eine komplementäre Verbindung zum Grün kaum mehr vollzogen wird. Vielmehr möchte sich das Rosa mit dem gleichartig weißlichen Blaugrau und Graugelb im Lager zu einem Dreiklang zusammenschließen. Trotzdem bleibt eine Verknüpfung mit dem Grün der Vorhänge bestehen. Von dem blutroten Farbtropfen des Ohrrings geht eine solche Intensität aus, daß das braune Gesicht davon erfüllt K r a f t gewinnt, die ganze Gestalt am Grün festzuhalten. Dieser feine Zusammenhang behält schon deshalb seine Wirksamkeit, weil auch die Annäherung an den anderen Bezirk nur dazu dient, einen neuen Kontrast hervorzuheben: denjenigen zwischen dem vielfarbig und in pastosen Flecken vibrierenden Bukett und dem Inkarnatschmelz des Mädchens. Im Bukett erneuern sich die Farben des Grünbezirks in helleren und kräftigeren Tönen, mit Weiß und stumpfem Blau zu einem kurzfleckigen Gewebe verwoben.29 Sie scheinen damit den großflächigen Rhythmus der Farben zu durchbrechen, wahren aber im Gesamtbild des Gewebes eine entsprechend abgerundete Geschlossenheit und frontale Wirkung und erfüllen diese nur mit einem neuen Impuls durch die von der Mitte her ausstrahlende und zugleidi zentrisch gebundene Spannung im Gewebe. Dementgegen sind die Farben des hellen Bezirkes im elfenbein-gelblichen Inkarnat der „Olympia" zu differenziert verriebenem Schmelz gesteigert, eingespannt zwischen zwei Akzente, in denen die weißlich blassen Töne des Bezirks zu intensiven Farbflecken gesammelt sind: zwischen den goldgelb aufleuchtenden Armreif mit tiefblauem herabhängenden Stein und auf der anderen Seite den blaßgelben Pantoffeln mit lichtblauem Besatz. - Zahlreiche verstreut umgebende Farbtupfen - die Blüten und Blätter in der Musterung des Schals - lassen den Schmelz nur um so konzentrierter erscheinen und geben darüber hinaus seine Energie als eine Antwort auf diejenige im Farbtupfengewebe des Buketts zu erkennen, indem sie sich darauf beziehen.30 So erneuern sich zwischen dem Bukett und dem Inkarnat des Mädchens die farbigen Unterschiede der Bezirke. Zu diesem Ziel werden auch die differenzierenden Möglichkeiten des Farbauftrags hinzugezogen. Der Pinselstrich, der in den übrigen Bildteilen fast gleich29
Eingefaßt v o m weißen Papier gruppieren sich konzentrisch um die Mitte einer großen gelblich weißen D o l d e zunächst ein geschlossener Kreis abwechselnd stumpfblauer Blüten und t i e f grüner Blätter, dann in lockerer Verteilung zwischen gelblichweißen Flecken und ausstrahlenden, loser gestrichenen Blättern vier zinnoberrote Blüten.
30
Sie stimmen mit denen im Bukett nicht ganz überein, ihre Zeichnung ist präziser, künstlicher und die Zusammenstellung der T ö n e etwas anders (neben R o t und G r ü n auch Violett und Gelb). Trotzdem w i r d der Bezug spontan empfunden. D i e Farbflecken, die dort geballt sind, erscheinen hier einzeln, leicht und ohne Regel hingestreut, besonders in den beiden Enden des Schals im Anschluß an die A k z e n t e des Armreifens und der Pantoffeln, - wenige nur im linken
Olympia
29
mäßig breit und flüssig zeichnend eingesetzt ist, gewinnt hier mit größerer Dichte an Spannkraft, ob er sich zu einem Gewebe pastoser Farbflecken ballt, oder zu dichtem Schmelz zusammenzieht. Damit ist das Gegeneinander der Gestalten farbig betont und in ihm das der Bezirke konzentriert, so wie es mit der Verschränkung der Hell/Dunkel- und Flächeneinteilung bereits angelegt war.
Die
Bilddinge
Mit der gesteigerten Differenziertheit und inneren Spannung entwickelt die Farbe in den Gestalten zugleich eine besondere darstellende Kraft. Der dichte farbige Schmelz im Inkarnat des Mädchens beschreibt ihre feste kühle Haut und gibt in reliefhaft schmaler Modellierung die gespannte Formung der Gestalt wieder. So erscheint die Gestalt in der dinglichen Intensität gesteigert verglichen mit dem Bettzeug, das in großen Pinselzügen summarischer gestrichen ist. Auch das Tuch, das die Gestalt in verwandtem Ton begleitet, ist in der Charakterisierung durch den Farbauftrag wenig vom Laken unterschieden; die Blütenmusterung und die Fransen verleihen ihm zwar eine gewisse Kostbarkeit; diese soll aber diejenige der Gestalt nur noch mehr hervorheben - ähnlich wie der pastos betonte Schmuck des Armreifens und der Pantoffeln. In entsprechender Weise wächst auch im anderen Bezirk mit größerer Differenziertheit im Farbauftrag die dingliche Intensität. Die Vorhänge bleiben stofflich indifferent, sind nur mit grobem Strich in ihrem schweren Faltenwurf angedeutet. Selbst zur Charakterisierung der Dienerin wird der großformig zeichnende Strich beibehalten, der lediglich mit der K r a f t pastosen Strichs der Gestalt eine gewisse Daseinsintensität verleiht. Erst im Fleckengewebe des Buketts wird diese Intensität zu sprühender Lebendigkeit gesteigert. Sie ist anderer Art als diejenige, die in der Gestalt des Mädchens zum Ausdruck kommt. In ihrem Unterschied wird der Gegensatz, der bisher nur in seinen formalen Äußerungen betrachtet wurde, auch gegenständlich deutlidi, das Kontrastverhältnis gerade da erneuernd, wo es sich durch die zentrierende Verschränkung der Bezirke aufzuheben trachtet. Dieser Gegensatz wird noch verschärft und zugespitzt durch die Sprache der Gebärden. Auch sie wirken im Zusammenhang mit der Aktivität des Hell/Dunkel und der Flächenformung zentrierend. Wie die Dienerin die Frontalität der Grundflächen in ihre vorweisende Gebärde aufnimmt, gesteigert von dem Kontrast ihrer hellen Erscheinung vor dem dunklen Grün, und wie jene Frontalität im Bukett sich mit erneuter Energie füllt, wurde in den vorigen Abschnitten bereits angedeutet. Zipfel, den die „Olympia" hält (die dominierende Anspannung in der Gestalt im Kontrast steigernd), reichlich rechts (als ob sich die Anspannung in ihnen löse). A n beiden Enden werden sie zusammengefaßt von den goldgelb auflichtenden Fransen, die wie flüssig ausgeschüttet sind.
3°
Beschreibung einiger Werke aus den Jahren 1860-1870
Blick und Hand geben der Gebärde zwar auch eine seitliche Wendung. Diese Wendung umspielt aber nur die frontale Energie des Buketts und bezieht sie auf die ins Profil gerichtete Energie der „Olympia". In entsprechend umgekehrter Weise ist die frontale Wendung der „Olympia" zu verstehen, mit welcher ihre Gebärde ansetzt. Auch dies kam bei der Beschreibung der Flächeneinteilung schon zur Sprache. Hier ist aber nachzutragen, wie die Gestalt mit ihrer Gebärde den Bewegungszügen der Flächen den Nachdruck lebendiger Aktivität verleiht: Die „Olympia" hat ihren ausgestreckten Ellenbogen derart in die Kissen gelehnt, daß er mit seinem rechten Winkel die parallelwinklige Kissenfläche zentrierend zusammenfaßt. Davon ausgehend nimmt der Kopf mit seiner senkrecht über dem scharfen horizontalen Halsband sich hochreckenden Haltung die hochstrebende Bewegung in den frontal getürmten Kissen bei aller Gelassenheit so beherrschend auf, daß diese von ihrer Aktivität wie mitgezogen ist. Audhi die vom anderen Ende des Ellenbogenwinkels abfallende Bewegung von der Hand in die Fransen des Tuches hinein bestärkt nur die entgegengesetzte des Kopfes. Diese Anspannung ist aber nicht Ziel der Gebärde, sondern entwickelt eine Energie, die von hier aus in die ganze gestreckte Gestalt hineinströmt, deren rhythmisch variierend fallender Zug durch sie eine abweisende Note bekommt. Zunächst gleitet die Bewegungsenergie in den steil (steiler als die Erhebung des Lagers) abwärtsgestreckten Arm zur gespreizten Hand im Schoß, die sie als Mittelakzent der Gestalt in deren Horizontale ausstrahlt - auch auf die begleitende Bewegung des Sdials bezugnehmend. Durch den Nachdruck der Hand erneuert sich der Bewegungszug zum angewinkelten Knie hin - scheinbar von der Gebärde der Dienerin angezogen - , um nun aber endgültig und so entschieden abzugleiten, daß der Umriß des Buketts dem der „Olympia" folgen muß. Noch bis in den herabhängenden Zipfel des Schals reicht die Bewegungsenergie des Mädchens, dort locker ausklingend, von dem hochgereckten Buckel der Katze ähnlich betont wie umgekehrt links die Kopfhaltung der „Olympia" von dem fallenden Zug des anderen Schalzipfels. Die Katze wurde bisher der Einfachheit der Darstellung zuliebe unterschlagen. Bei flüchtiger Betrachtung fällt sie auch kaum auf, da sie mit ihrem Schwarz in den dunklen Grund eintaucht. Beschäftigt man sich jedoch länger mit dem Bild, setzt sich ihre Wirkung eindringlich durch, vor allem durch die glühend schimmernden Augen, deren frontaler Blick mit dem der „Olympia" korrespondierend empfunden wird. Die Katze gehört auch in ihrem ganzen Ausdruck zum Bezirk des Mädchens. Ihr Schwarz ist nicht schwer wie das tiefe Grün des Vorhangs, sondern kühl und schattenhaft leicht und verbindet sich mit der gereckten Bewegung des Tieres zu derselben Aussage, wie sie für die farbige Haltung im hellen Bezirk und die Anspannung in der Gebärde charakteristisch ist.
Olympia
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Der Bildgehalt Der Ausdruck der Gebärden, der Gestalten überhaupt, entwickelt sidi - wie gesagt - aus der farbigen und formalen Sprache des jeweiligen ganzen Bezirks. Auf dieser Grundlage kann er sich erst zu vollkommener Intensität entfalten. Andererseits wird die Sprache der Formen und Farben unter der Einwirkung und Führung der Gestalten erst wirklich lebendig. So bilden die Bezirke in einem gegenseitig sich erneuernden Antrieb der Kräfte eine Aussageeinheit. Die Gebärde der „Olympia" ist in ihrem Ausdruck nicht aus dem Zusammenhang des Komplexes zu lösen. Dessen zum Profil hin gerichtete Flächeneinteilung und fahlgebrochener Blau-Gelb-Klang enthalten bereits die kühle Distanziertheit, die in der Gestalt - durch die gesteigerte Spannung im Inkarnatschmelz - nur eine größere Strenge und in der Gebärde eine abweisende Schärfe bekommt. Dabei stellt die Gebärde nicht nur eine Intensivierung des Ausdrucks dar, sondern erfährt sie auch - derart, daß sie eine unberührbare Hoheit annimmt. Audi der andere Bezirk ist eine Aussageeinheit, obwohl er formal kein geschlossenes Feld bildet. Aber „Aussageeinheit" ist auch nicht gleichbedeutend mit formaler Geschlossenheit. Die Geschlossenheit des Hellkomplexes gehört zu den besonderen Eigenarten, die zu einer spezifischen Aussage führen: Sie betont die Unzugänglichkeit im Ausdruck des Mädchens. Dementsprechend deuten auch die Maßnahmen, die den anderen Bezirk „zerrissen" erscheinen lassen (vor allem das helle Hervortreten der Gestalt), auf die hier verbindliche Aussage: die zum Mädchen hin vordrängende Werbung. Beziehungen, welche eine gemeinsame Aussage garantieren, sind gleidiwohl vorhanden. Die Gestalt der Dienerin entfaltet sich mit der gleichen drängenden Schwere, mit welcher die Grundflächen - durch das tiefe Grün bestimmt - erfüllt sind, und mit der gleichen frontalen Intensität. Auch die Spannung, die mit der Loslösung der Gestalt vom Grund unter Wahrung der Bindung entsteht, ist vorbereitet: in dem Verhältnis des Divandreiecks zum Grüngrund, von welchem das Dreieck abgetrennt ist, mit dem es aber trotzdem durch die komplementäre Kraft seines tiefen Rot eng verknüpft bleibt. — So werden die Aussagekräfte des Bezirks auf die Gestalt hin bezogen, von dieser gesammelt, um sie im Bukett neu „aufblühen" zu lassen. Indem die Aussage der Gestalten wie beschrieben in dem jeweils angeschlossenen Bezirk sidi vorbereitet, kommt auch das gegenseitige Verhältnis, wie es sidi zwischen der „Olympia" und der Negerin zuspitzt, sdion in der Umgebung der Art nach zum Ausdruck. Mit scharf voneinander abgesetztem Hell und Dunkel wird ihr Gegeneinander bezeichnet, durch die verschiedene Weise der Flächeneinteilung und Farbgebung differenziert. So ist der helle, von Natur aus vorwirkende Teil der „Olympia" von kühler Distanziertheit erfüllt, der dunkel befangene Grund von schwer vordrängender Kraft. Die kontrastierenden Teile werden dadurch mit einer gegenseitig annähernden Spannung erfüllt, die den Gegensatz der Aussage aber vertieft. Dieses Verhältnis wird in demjenigen der
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Beschreibung einiger W e r k e aus den J a h r e n 1 8 6 0 - 1 8 7 0
Gestalten nur aktiv: in der Art, wie die zum Bukett hin vorgetragene Werbung doch gehemmt bleibt und abgleitet an der unberührbaren Kühle, die das Mädchen ihr mit angespannter Gebärde entgegensetzt.
Vergleich des Bildes mit dem „Déjeuner sur l'herbe"
Wie das frühere Bild ist auch dieses in große Bezirke eingeteilt, jeder von einer Gestalt beherrscht und zentriert. Von der jeweiligen Gestalt ausgehend kann jeder Bezirk als Aussageeinheit erschlossen werden. In beiden Bildern stehen zwei solche Bezirke in einem Spannungsverhältnis zueinander. Die Unterschiede werden durch den anderen Einsatz der farbigen und formalen Kräfte deutlich: auf diese soll darum die Aufmerksamkeit zunächst gerichtet werden. Das Hell/Dunkel, das im „Déjeuner sur l'herbe" nur die Kerngruppe der Gestalten hervorhebt und formt, greift hier über das ganze Bildfeld - derart, daß im wesentlichen der eine Bezirk hell, der andere dunkel erscheint. Seine aktive K r a f t wird so für das gegenseitige Verhältnis der Bezirke in Anspruch genommen, während sie im anderen Bild nur indirekt über den zentrierenden Bezug der Gestalten auf die Umgebung Einfluß hat. In der „Olympia" übernimmt die Energie verdichteten Farbauftrags diese zentrierende Aufgabe, mit der zentrierenden Aktivität der Gestalten sidi verbindend. Sie erfüllt diese Aufgabe, ohne den Zusammenhang der Bezirke zu durchbrechen. Die Gestalten sind also in ganz anderem Maße als im „Déjeuner sur l'herbe" mit dem anschließenden Bezirk verwachsen, während sie dort abgelöst und durch das Hell/Dunkel zu einem eigenen Kernbezirk zusammengefaßt sind. Die strenge formale Geschlossenheit der Aussagebezirke im früheren Bild ist dafür aufgegeben. Zwar beherrschen auch hier bestimmende Formelemente den ganzen Bezirk, fassen ihn zusammen und setzen ihn vom anderen ab. Durch die in den Gestalten besonders angespannten Kräfte ergeben sich aber Betonungen und Steigerungen. Alle diese Unterschiede sind bedingt durch das andere Thema. Die Form- und Farbelemente haben ihre Rollen vertauscht, um dem Thema entsprechend ihre Wirkungen anders zur Geltung zu bringen. Sie sind alle darauf abgestimmt, die beiden verschiedenartigen Bezirke in einer sich zuspitzenden Aktivität gegeneinander zu führen. Der vom Hell/Dunkel ausgehende und von den Farben und dem Flächenrhythmus vertiefte Kontrast bestimmt das Verhältnis der beiden Bezirke und bezieht auch die Gestalten mit ein. Da diese mit dem Bezirk eine Einheit bilden, wird ihre zentrierende Anspannung in den Aussagegehalt aufgenommen. Das Gegeneinander bekommt eine verschärfende Aktivität. Im „Déjeuner sur l'herbe" bestehen dagegen die Bezirke mehr nebeneinander der zuständlichen Intensität ihrer Aussage gemäß. Dieser zuliebe wird die relativ gleichmäßige Geschlossenheit der Bezirke in der Gestaltungseinheit gesudit, liegt
Olympia
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hier der Schwerpunkt der Aussage, während die in der Mitte herausgehobenen Gestalten ihre Anspannung nur dazu aufwenden, sie zu binden und zu bestätigen. Uber die Gestalten kommen die Bezirke zwar auch hier zu einem gegenseitigen Verhältnis, das wegen der unterschiedlichen Art ihrer Kräfte angespannt ist. Sie werden aber nicht zu einem Gegeneinander, sondern zu einem Miteinander geführt, so vereint, wie die Gestalten im Bildkern. Wieweit die genannten formalen Verschiedenheiten nur mit der Wahl des Themas zusammenhängen und nicht auch eine stilistische Weiterentwicklung bedeuten, läßt sich nach den wenigen in Europa erreichbaren Bildern Manets nicht entscheiden. Die Wahrscheinlichkeit spricht für das letztere, wenn man das Portrait des Dichters Astruc in Bremen zum Vergleich heranzieht. In diesem bilden die Bezirke wie im „Dejeuner sur l'herbe" eine Gestaltungseinheit und sind zugleich wie in der „Olympia" durch einen übergreifenden Hell/Dunkel-Kontrast mit gegenseitig fordernder Spannung erfüllt. 1863 datiert,31 mag das Bildnis zwischen den beiden Hauptwerken entstanden sein.
„Le Portrait de Zacharie Astruc" 1863 ( T a f . 4)
Die einzelnen Bezirke Schon die grobe Bildeinteilung gibt deutlich drei Bezirke zu erkennen: Die eigentliche Bildnisgestalt ist durch einen eigenen Hintergrund wie zu einem Bild im Bilde von den anderen Teilen abgetrennt. Die Bücher, die auf einem Tisch links neben dem Dichter gehäuft liegen, sind außerhalb des Bildnisfeldes zu einem Bezirk anderer Art versammelt und greifen nur Verbindung suchend hinüber. Als dritter Bezirk ergibt sich im Winkel zwischen den Büchern und dem Bildnisfeld ein Durchblick in einen anderen Raum, in dem eine ferne Gruppe von Gegenständen mit einer Frauenerscheinung sichtbar wird. - Diese drei Bezirke in ihrer verschieden gestalteten Art zu kennzeichnen, ist die Absicht der folgenden Beschreibung. Den größten Teil des Bildes beansprucht das Bildnisfeld rechts. Der Dichter sitzt auf einem Lehnstuhl fast frontal vor der bildparallelen Fläche einer Stellwand, in halber Figur wiedergegeben. Die Wirkung seiner Gestalt bleibt zurückhaltend, da seine schwarze Kleidung kaum vom tiefbraunen Grund zu sondern ist. Die etwas heller nuancierte braune Lehne des Sessels hebt den Umriß der Schultern nur wenig hervor; sie unterbricht den dunklen Zusammenhang kaum. Alle Farbintensität ist auf die hell vorleuchtenden Flächen von Gesicht und Händen 31
3
Bei Jamot-Wildenstein, 1 9 3 2 , N o t . 103 wie bei Tabarant, 1 9 4 7 , N o . 7 7 ist 1 8 6 4 angegeben. D a r u m w i r d auch in der übrigen Literatur dieses D a t u m häufig wiederholt. Doch ist die Jahreszahl 1 8 6 3 neben der W i d m u n g links deutlidi zu erkennen und in den Katalogen der Bremer Kunsthalle entsprechend vermerkt. Hopp, Manet
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Beschreibung der Werke aus den Jahren 1 8 6 0 - 1 8 7 0
konzentriert. Ihre vordrängende Helle hat so viel Kraft, daß die ganze Gestalt mitgezogen und trotz der farbigen Verwandtschaft mit dem Grund von diesem abgehoben scheint. Dabei bleibt aller Ausdruck auf Gesicht und Hände gesammelt. Besonders eindringlich wirkt das Gesidit. Schon der dunkle Rahmen von Haar und Bart hebt es mit dem leisen Nachdruck pastos modellierenden Strichs vor den flächigen Grund. Vor allem aber die Augen geben ihm eine beherrschende Macht. Mit ihrem Blick übertreffen sie noch die vordrängende Wirkung des hellen Inkarnats und lassen, indem sie das dunkle Braun wiederaufnehmen, zugleich die Tiefe gesammelt empfinden, die im Verhältnis des Gesichts zum Grund gewonnen wurde. Die Hände sind dem Gesicht zugeordnet. Die senkrechte Beziehung der - in die Weste gesteckten - Rechten zum Gesidit macht die Achse der Gestalt spürbar. Allerdings befindet sich die Hand nicht streng vertikal unterhalb des Gesichts, sondern etwas nach links gerückt. Diese Verschiebung wird noch dazu betont durch die Schrägbeziehung zwischen Kragen und Manschette, welche mit ihrem kreideweißen Ton den elfenbeinernen des Inkarnats begleiten. Sie wird deutlich auch im Vergleich mit dem warmrot leuchtenden Fleck der Leibbinde zwischen den Zipfeln der Weste, der wieder genau in der Gestaltachse sitzt. Dadurch macht die Hand - zwischen Rotfleck und Gesicht gleichwohl an die Achse gebunden diese labil. 32 Die andere Hand ist nur flüchtig skizziert. Ihre Helligkeit hat daher nicht die gleiche Eindringlichkeit wie die der beiden anderen Heil-Flächen. 33 Trotzdem erfüllt sie ihre Aufgabe als Akzent. Sie spricht die Senkrechte, die links nur mittelbar angeregt ist, nachdrücklich aus. K r a f t dieser Eigenschaft geht ihre Aufgabe über die bloße Partnerschaft mit der anderen Hand hinaus, bezieht sich vielmehr auf die ganze Gestaltachse. Die Gestaltachse ist - wie aus ihrer Vertikalen die rechte Hand — selber aus der Mitte des Feldes nach links verschoben. Motiviert wird dies durch die leichte Schrägstellung des Stuhles und die entsprechende Haltung der Gestalt. Da diese Schrägsicht - im Dunkel kaum bemerkbar - die frontale Wirkung der Gestalt nicht beeinträchtigt, wird die Konsequenz für die Flächeneinteilung des Feldes um so mehr empfunden: Gesicht und Hand der Gestaltachse bekommen eine Schwere, welche die Intensität ihrer vordrängenden Helligkeit noch steigert. Ihr Gewicht wird durch die Hand in der rechten unteren Bildecke festgehalten, aber nicht ausgeglichen. So gewinnen sie eine Anspannung, deren Forderung über die Grenzen des Bildnisfeldes hinausreicht. Wie beschrieben, wird von Gesicht und Händen ausgehend die Gestalt des Mannes in Haltung und Ausdruck lebendig. Dennoch bleibt sie der körperlichen 32
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So kommt die Vorstellung auf, der Mann sitze in einem Schaukelstuhl, ähnlich demjenigen, S. 34, der im angrenzenden Raum zu sehen ist. D a sie farbig nur angelegt ist, wird das Bild in den Katalogen mit Recht als unfertig bezeichnet.
Le Portrait de Zacharie Astruc
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Greifbarkeit entzogen. Die leuchtende Erscheinungsweise der Hellflächen entwikkelt in der dunklen Umgebung eine entrückende Kraft. Auch das Rot, das als einzige Buntfarbe daneben auftaucht, hat jenen leuchtenden Charakter, der die gegenständliche Greifbarkeit aufhebt. Im Stilleben zeigt dagegen das gleiche Rot unter den kontrastreich und vielfältig wechselnden Farben eine Vitalität anderer Art und bildet mit ihnen einen didit erfüllten Farbklang. Sdion im tragenden Verhältnis seines warmen Tons in der Tischdecke zum komplementären tiefkühlen Grün des Buchdeckels (mit der Widmung) kommt der andere Klang zum Ausdruck und entwickelt zusammen mit den zahlreichen übrigen Farben eine drängende Lebhaftigkeit. Das gelbumstreifte Zinnober des Tablettrandes und das kühle Gelb der Zitrone bringen sogar eine gewisse Schärfe hinein, die aber mit der nur zwischen Braun und Graugelb variierenden Farbigkeit des Bücherstoßes dahinter wieder abgefangen wird. Im Unterschied zum benachbarten Bezirk bleibt die Wirkung der Farben auch mehr von der Körperlichkeit der dargestellten Dinge erfüllt. Die Vitalität der Töne, des Farbauftrags und der von ihnen greifbar gestalteten Dinge steigern sich gegenseitig. Ebenso ist die lebhafte Vielfalt der Farben mit der der Dinge zu einer Wirkung verwachsen. Der farbige und gegenständliche Reichtum des Stillebens kommt deshalb so stark zur Geltung, weil er sich von einem schlichten Grund abhebt, dem lichtgraugelben Boden des dahinter sichtbaren Raumes.34 Auch im Vergleich mit den dortigen Gegenständen beweist das Stilleben seine drängende Dichte. Die Büdier erscheinen nicht nur im pastosen Strich von besonderer Festigkeit, sondern sind außerdem mit ihren vielfältigen Farben eng am Rahmen zusammengepreßt, während die hinteren Gegenstände vom Grund luftig umgeben sind und ihn in ihrer eigenen lose gezeichneten Konsistenz spüren lassen. Gegenständlich ist hier mit helleren und schattigeren Teilen in der Wand am Ende des Raumes eine Fensteröffnung angedeutet, durch welche die Frau sich hinausbeugt. In der diffusen Malweise bilden aber das oben einströmende Lidit und der beleuchtete Boden
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Tabarant beschreibt 1947, S. 92, den Durchblidk als einen Spiegel, von dem rechts der Rahmen zu sehen sei. Tatsächlich sind die Gegenstände im Durchblick so unbestimmt im Verhältnis zu denen des Vordergrundes, daß der Eindruck entstehen kann, sie seien gespiegelt. Sicherlich ist dieser Eindruck auch beabsichtigt und hat seinen künstlerischen Sinn! Trotzdem ist gegenständlich wohl kein Spiegel dargestellt. Der „Rahmen" wird vielmehr die Kante einer Stellwand sein, deren Bemalung sich neben der betonten Senkrechten nach innen leichter und lockerer fortsetzt. Ein Vergleich mit der „Olympia" stützt diese Ansicht; denn dort läßt sich eine ähnlich gemalte Kante unzweideutig als solche erkennen. Zudem ist in dem Werk, das beiden Bildern als Anregung gedient hat, in der „Venus von Urbino" von Tizian, ein ähnlicher Durchblick in einen anschließenden Raum wiedergegeben - und noch verwandter in Velazquez' „Christus bei Maria und Martha", so daß man erfahren möchte, ob Manet eine graphische Reproduktion dieses Bildes gekannt hat. Schließlich findet sich auch in anderen Bildern Manets der gleichen Epoche (z. B. in „Victorine Meurend als Espada") das unbestimmt abgesetzte Verhältnis zwischen Vordergrundfigur und Hintergrundszene mit entsprechendem Sinn, ohne daß ein Spiegel angedeutet wird.
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Beschreibung einiger W e r k e aus den Jahren 1 8 6 0 - 1 8 7 0
eine einzige luftig ungreifbare und doch dichte Fläche, welche die Gegenstände licht - zwischen warmgelblichem und kühlem Grau variierend - hinterfängt. Von diesen Gegenständen hat der kühlgrüne Vorhang als einziger eine ausgesprochene Buntfarbigkeit. In der Mitte des hochrechteckigen Feldes fällt er als senkrechtes Faltenbündel herab. Die übrigen Dinge gruppieren sich um ihn und halten sich an ihm wie an einem Rückgrat. 35
Das gegenseitige Verhältnis der Bezirke
Die beschriebenen Bezirke sind durch ihre verschiedene Gestaltungsweise deutlich voneinander gesondert. Dennoch sind sie nicht selbständig. So nachdrücklich sie alle ihre eigene Sprache führen, so haben sie diese doch in einem bestimmten gegenseitigen Spannungsverhältnis der Kräfte und im Hinblick aufeinander entwickelt. Das wird vom Bildnisfeld ausgehend besonders deutlich. Im Erscheinungsbild bewahrt es seine in sich geschlossene Eigenart. Die Form- und Ausdruckskräfte sind aber derart nach links hin angesammelt, daß sie innerhalb des Feldes keinen Ausgleich finden können (wie in der Beschreibung schon angedeutet wurde). Darum werden die Kräfte der anderen Bezirke links herausgefordert und der Bildnisgestalt zugeordnet. Der Blick des Mannes, der schon im Bildnisfeld regiert, bekommt dadurch auch über jene eine bindende Gewalt. Dabei sind die aufgerufenen Kräfte nicht gering. Obwohl beide Bezirke gemeinsam die schmalere Bildhälfte einnehmen, übertreffen sie mit der gesammelten Intensität ihrer Farbigkeit und Helligkeit diejenige des überwiegend dunkel gestalteten rechten Bildteils. Die Bildnisgestalt erreicht nur deshalb ihre bindende Gewalt, weil ihr die Kräfte der beiden anderen Bezirke nicht vereint gegenüberstehen. Sie sind vielmehr in so verschiedener Weise auf die Gestalt bezogen, daß sie einander in ihrem Verhältnis zur Gestalt ausschließen. Zunächst wird die Verbindung des Stillebens mit der Gestalt des Mannes gesehen. Durch die gegenständliche Nähe der Partner wirkt sie unmittelbar. Außerdem machen übergreifende Horizontalzüge sie auch formal deutlich, gegen die Senkrechte der Stellwandkante sich durchsetzend, welche die Gestalt des Mannes scharf vom Durchblick scheidet. Vor allem die vom Tischtuch wie hinübergedrungenen Rotflecken bezeugen die Verbindung. Indem das Stilleben dieses Rot mit dem Grün verknüpft, das im Durchblick ebenso vereinzelt unter neutralen Tönen auftritt, scheint es sogar, als ob nur über diese verknotende Stelle die Dinge des 35
Links die Frau, deren Gestalt fast nur durdi den gelbockerfarbenen A k z e n t des H a a r e s und die graubetonten Borten des Kleides deutlich w i r d , im übrigen die Töne des Grundes zu lebhafterem Wechsel gesteigert aufnimmt: rechts ein Schaukelstuhl und dahinter ein Cello, beide nur in braunen Umrissen gezeichnet, dazu eine lichtblaue Vase, deren grauer Schatten kompakter erscheint als sie selber.
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angrenzenden Raumes auf die Gestalt bezogen werden könnten. Die Trennung des Mannes vom Durchblick ist also betont, wenn man die Verbindung zum Stillleben betrachtet. Andererseits werden aber durch die Art, wie sich das Stilleben von beiden anderen Bezirken sondert, die gemeinsamen, verwandten Züge zwischen Bildnisfeld und Raumteil lebendig. Verglichen mit seinem dichten und gewichtigen Farbreichtum haben beide anderen Bezirke einen gleicherweise locker gestalteten farbigen Aufbau, für den bezeichnend ist, daß im einen Bezirk Rot, im anderen Grün als einzelne Buntfarben auftreten. In jedem Feld dehnt sich der helle, bzw. dunkle Grund gleichförmig — nur zart zwischen kühlen und wärmeren Tönen nuanciert und bewegt - um wenige hervorgehobene Teile, zu denen jene Buntfarben gehören. Wohl stoßen die hellen Flächen von Gesicht und Händen im Bildnisteil mit unvermittelt starker Intensität aus dem Dunkelgrund vor, während die Gruppe von Gegenständen im Nachbarbezirk dem Grund farbig näher verwachsen bleibt. Doch ist hier auf andere Weise eine ähnlich unvermittelte Wirkung durch die ruckhafte Entferntheit der Gegenstände erreicht. Und diese Verwandtschaft in der Wirkung führt zur eigentlichen wesentlichen Verbindung im Ausdruck. Indem sich nämlich alle Intensität des Bildnisfeldes in den sternhaft konzentriert vorleuchtenden Flächen von Gesicht und Händen sammelt, die Körperlichkeit des Mannes im Dunkel des Feldes zurücktritt, gewinnt der entrückte Ausdruck der Gestalt an Eindringlichkeit - besonders einprägsam durch den Gegensatz zum nahen Stilleben, dessen reicher, greifbarer Dingfülle. Damit ist die Möglichkeit zur Verbindung mit den „entrückten" Gegenständen des benachbarten Bezirks gegeben. Das Unbestimmte, das sich im Blick des Mannes fängt, scheint in ihnen, die in gleicher Höhe auftauchen, konkretisiert. Doch hängt die Beziehung nicht allein am Blick. In dem Maße, wie dieser nur die formale Aussage des ganzen Bezirks krönt, ist auch das Feld in seiner Gesamtheit beteiligt. So kann sich die Verbindung auch an anderer Stelle äußern, in einzelnen formalen Verspannungen. Sie zeigt sich in der Beziehung der Senkrechten des Vorhangs, die der Gruppe des Raumbezirks als Rückgrat dient, zur herabhängenden Hand rechts. Beide sind wiederum an der Gestaltachse zwischen ihnen ausgerichtet, die sich mit der Senkrechten der Stellwandkante verbündet, so daß sich deren trennende Funktion in eine verknüpfende verwandelt. Diese Verknüpfungen durchspannen mit solchem Nachdruck die Bilddiagonale, daß die Bücher dieser in schräger Anordnung zu folgen scheinen - gleichsam ausgespart und in die Bildecke gedrängt. Die Verbindungen vom Raumbezirk zur Bildnisgestalt sind also vielfältiger und reichen weiter als diejenigen vom Stilleben; sie liegen nicht so offen da, greifen aber tiefer. Alle diese Wirkungen - Verbindungen und Trennungen - werden simultan empfunden. Beziehung und Kontrast betreffen immer nur einzelne Züge der jeweiligen Bezirke. Diese bleiben aber in die Gestaltungseinheit aller Eigenheiten eingelassen. Deshalb kann keine Wirkung von den anderen gelöst gesehen werden.
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So ist jedes Verhältnis zwischen den Bezirken gespannt zwischen Beziehung und Kontrast. Die Spannung von Raumbezirk zum Bildnisfeld übertrifft die andere. Ihre Intensität gleicht das aus, was im Stilleben an größerem farbigen und dinglichen Gewicht angesammelt ist. Durch die beschriebenen Spannungsverhältnisse sind die beiden linken Bezirke der Gestalt rechts zugeordnet. Die im Raumdurchblick ungreifbar auftauchenden Gegenstände haben besonderen Kontakt mit dem Blick des Mannes; erst über den Bezug zur herabhängenden Hand ergibt sich auch ein Kontakt mit der Gestalt selber. Primär an diese sind dagegen die Bücher angeschlossen. Uber die Horizontale des eingewinkelten Armes sind sie mit der Gestaltachse verknüpft; auch sie werden aber vom Blick beherrscht. In ihrer Zuordnung zur Gestalt des Dichters haben die Bezirke der linken Bildseite auch ihren Sinn. Sie stellen Ausschnitte aus seiner Umgebung dar, die sich unter der bannenden K r a f t des Blicks als Bereiche seiner Vorstellungswelt offenbaren. In der entfernt gesehenen Gruppe sind Gegenstände der Muße versammelt, ein Schaukelstuhl, das Cello - der Frau des Künstlers zugeordnet. Vorne befinden sich dagegen nah und voll drängender Intensität die Attribute der Arbeit, die Bücher. Im simultan empfundenen Spannungsnetz werden beide gleichzeitig und in einem ausponderierten Kräfteverhältnis aufgenommen. So entsteht der Eindruck, es bestehe über die Gestalt hinweg auch ein Sinnzusammenhang zwischen ihnen, als ob die Gegenstände der Muße zugleich der Inspiration zur Arbeit dienten. Vergleich mit den bisher beschriebenen Bildern Die Beschreibung bestätigt die im Voraus aufgestellte Behauptung, die Bezirke im Bremer Bildnis seien so geschlossene Gestaltungseinheiten wie im „Dejeuner sur l'herbe". In beiden Bildern tritt darum die Aussage der jeweiligen Bezirke mit ruhigem Nachdruck auf und bewahrt ihre Ruhe auch im gespannten gegenseitigen Verhältnis; denn die Spannungen dienen nur der gegenseitigen Bindung. In der „Olympia" liegt ein großer Teil des Aussagegewichts dagegen auf dieser Spannung selber. Um sie zu steigern, wird die Ausdrucksintensität innerhalb der Bezirke gegeneinander verschärft. Darum sind die Bezirke nicht mehr so gleichmäßig in sich ruhend geschlossen. Der Forderung eines anderen Darstellungsgehaltes wird mit einer anderen Darstellungsweise entsprochen. Ob auch die Entwicklung für die Unterschiede zwischen den Bildern verantwortlich gemacht werden kann, läßt sich darum immer noch nicht eindeutig feststellen. Man kommt der Beantwortung dieser Frage nur nahe, wenn im Bremer Bild Eigenschaften gefunden werden, die es - trotz der Verwandtschaft mit dem „Déjeuner sur l'herbe" - davon distanzieren und mit der „Olympia" verbinden. Eine solche Eigenschaft ist das bildübergreifende Hell/Dunkel mitsamt den Konsequenzen f ü r das Verhältnis der Bezirke zueinander. Z w a r wird wie im
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früheren Bild das Hell/Dunkel auch zentrierend zur Steigerung der Intensität im Ausdruck der Zentralgestalt eingesetzt, aber nicht wie dort mit der Schärfe des Kontrastes, sondern mit der Leuchtkraft der hellen Flächen von Gesicht und Händen im dunklen Grund. Der seitliche Kontrast findet dagegen wie in der „Olympia" für das abgesonderte Verhältnis zweier Bezirke Verwendung, die vom Hell oder Dunkel jeweils ganz erfaßt werden. Dadurch wird eine schärfere Sonderung der einzelnen Bezirke erreicht, zugleich aber auch durch die fordernde K r a f t des Kontrastes eine engere Bindung. Mit dem gleichen Ziel wird eine rechteckige Formung für alle Bezirke durchgesetzt: Sie verleiht ihnen eine bildhafte Selbständigkeit, welche die Geschlossenheit der entsprechenden Bezirke im „Déjeuner sur l'herbe" noch übertrifft; gleichzeitig gestalten sich die Verknüpfungen und Beziehungen über die erhöhte Flächenbezogenheit drängender, unmittelbarer. Beides wird in der „Olympia" nur gesteigert, die Sonderung zum Gegeneinander, die Verknüpfung zur Verschränkung der Bezirke, welche die Sonderung wieder aufzuheben trachtet. Mit einem wesentlichen Zug unterscheidet sich das Bildnis von beiden anderen Bildern: Bezieht sich in diesen jeder Bezirk auf eine eigene Gestalt, so werden nun zwei verschiedene Bezirke an eine einzige Gestalt angeschlossen. Damit weist das Bild auf das „Déjeuner dans l'atelier" in München voraus. Wie dort ist das Verhältnis der Bezirke zur Gestalt schon gespannt zwischen Sonderung und Beziehung, simultan wirksam. Wie dort erschließt sich der eine Bezirk mehr über den Blick des Mannes, der andere über eine Hand. Die Verwandtschaft geht so weit, daß die Frage auftaucht, ob Manet den früheren Bildgedanken im „Déjeuner dans l'atelier" nicht wiederaufgenommen und weiterentwickelt habe. Das Stilleben ist nur an die andere Seite der Gestalt versetzt und die Gruppe des Raumbezirks näher gerückt, ohne ihre Ungreifbarkeit und den Unterschied zum Stilleben aufzugeben. Vielleicht ist Manet bei der Arbeit an dem Bildnis Zolas - das vor dem Münchner Bild 1868 entstanden ist - die Erinnerung an das frühere Portrait aufgetaucht und noch bei der Konzeption des „Déjeuner dans l'atelier" lebendig geblieben. Es liegt also nahe, das Portrait Zolas zu beschreiben, bevor der Vergleich mit dem Münchner Bild weitergetrieben wird.
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Beschreibung einiger W e r k e aus den Jahren 1 8 6 0 - 1 8 7 0
Bilder aus dem Umkreis des „Déjeuner dans l'atelier"
"Le Portrait de Zola" 1868 ( T a f . 5)
Einführende
Beschreibung
Zola sitzt, im Profil gesehen, mit bildeinwärts übergeschlagenem Bein auf einem Stuhl. Die rechte Hand ruht auf dem Oberschenkel. In der Linken hält er ein aufgeschlagenes Buch, gegen die Kante des Schreibtisches gestützt. Weitere Bücher sind dahinter und daneben auf dem Schreibtisch versammelt, der parallel zur Gestalt rechts hinter ihr sichtbar wird. Farbig ausgezeichnet sind einige Broschüren, die fächerförmig in einem Behälter stecken. Das vorderste Heft trägt die Aufschrift „ M A N E T " ; es ist die Streitschrift Zolas für Manet, der zum Dank das Bild gemalt wurde. Übei den Büchern sind in der rechten oberen Bildecke in einem großen Rahmen drei Bilder zusammengefaßt: ein japanischer Holzschnitt, eine graphische Reproduktion der „Borrachos" von Velazquez und - beide überschneidend - eine Wiedergabe der „Olympia". Sie weisen auf verschiedene Interessensgebiete des Dichters hin. Ein Bereich der japanischen Kunst wird auch mit der Malerei des Wandschirms angesprochen, von dem ein Feld am linken Bildrand hinter der Stuhllehne hochragt. Der Rahmen eines weiteren Bildes am oberen Bildrand stellt eine horizontale Brücke vom Wandschirm zum Bild rechts her.
Die Darstellungsweise im Vergleich mit dem Bildnis des Dichters Astruc Wie im früheren Portrait leuchtet das Gesicht des Dargestellten hell aus dunkler Umgebung - vor riefgrauem Grund und über dem schwarzen Jackett konzentriert hervor und beherrscht das Bild. Zwar kommt die Gestalt Zolas als solche zu größerer Greifbarkeit, selbst mit dem Schwarz des Jacketts zu kompakterer Erscheinung, da sie sich von dem stumpfbunten Bezug des Stuhls abhebt und sich im Mausgrau der Hose ihre Haltung abzeichnet. Ihre Wirkung bleibt aber von der des Gesichts überstrahlt. Auch im Verhältnis der Felder zueinander und zur Gestalt zeigen sich verwandte Züge mit dem früheren Bild. Wie dort ist der reale Arbeitsplatz durch farbige Vielfalt und die ungeregelte Fülle der Bücher und Schreibutensilien unterschieden von den in zarteren Tönen gestalteten und rechtwinklig abstrahierten Feldern, in denen die eigentlichen Vorstellungsbereiche des Künstlers wiedergegeben sind. Wie bei „Astruc" haben diese Felder in Augenhöhe des Dargestellten unmittelbaren Kontakt zum Gesicht, während die Bücher über die Berührung mit der Gestalt, den Händen, dem Blick Untertan sind. Beide Formen der Beziehung schließen auch einander auf ähnliche Art wie im Bremer Bildnis aus, die Gestalt auf zwiefache Weise beanspruchend, vor allem
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das beherrschende Gesicht. Durch die Beziehung zu den Bildfeldern ist das Gesicht der vergleichsweise regellosen Fülle der Dinge auf dem Schreibtisch wie enthoben. Andererseits zieht der enge Kontakt der Gestalt mit dem Stilleben auch das Gesicht aus dem Zusammenhang mit den Bildern, den der Kopf durch die plastische Wirkung seines Halbprofils selber verläßt. Doch entwickelt das Gesicht - wie das Astrucs - durch die Leuchtkraft seines Inkarnats genau diejenige Betontheit in Art und Maß, die nötig ist, um beiden verschiedenen Belastungen gleichzeitig zu entsprechen. Diese können darum simultan empfunden werden. So sind die verschiedenen Bereiche des Bildes vom Gesicht wie von einem Knotenpunkt zusammengefaßt und in einen Sinnzusammenhang gebracht. Ähnlich wie im Bildnis Astrucs scheinen die in den Bildern angedeuteten Vorstellungsbereiche als Inspiratoren dessen dargestellt, was in den Büchern eine reale Form gefunden hat. Bei so weitgehenden Ubereinstimmungen zwischen den Werken drängen sich die Unterschiede jedoch um so deutlicher auf. Statt seitlich abgesetzt - wie die Gestalt Astrucs — ist diejenige Zolas räumlich von dem Schreibtisch und den Bildern abgehoben. Diese wiederum haben den gegenseitigen räumlichen Kontrast aufgegeben, der sie im früheren Bild schied, um sich in der gleichen hinteren Schicht parallel zur Figur Zolas auszubreiten, zu gemeinsamer Wirkung verknüpft. In dem Maße, wie das Stilleben „entrückt" erscheint, sind die Bilder als Gegenstände faßbar geworden. Nur ihre streng rechtwinklige Flächigkeit, die auch innerhalb der Rahmen immer wieder betont wird, enthebt sie gradweise mehr der Greifbarkeit, verglichen mit den zum Teil körperlich rund dargestellten Dingen des Stillebens. Audi kommen beide auf verwandte Art zur Begegnung mit der Gestalt Zolas: indem sie, die Tiefe der hinteren Schicht überwindend, durch ihre Helligkeit vorwirken. Im früheren Bild blieb diese Art des Kontaktes allein dem „gespiegelten" Raumdurchblick vorbehalten. Der irrationale Charakter der Begegnung sollte auf den Raumdurchblick beschränkt bleiben, damit das Stilleben im Kontrast dazu seine greifbare Nähe steigere. Nun ist auch das Stilleben in den Bereich der irrationalen Begegnungen gerückt. Erst die „eingreifenden" Hände des Künstlers machen den Unterschied zum Bezirk der Bilder anschaulich. Voraussetzung dieser Wandlungen ist die Aufgabe der strengen Bezirkseinteilung. Die Aussageeinheiten gruppieren sich nur noch in Feldern, die sich alle gleicherweise von einem gemeinsamen dunklen Grund abheben. Sie sind nicht mehr unmittelbar gegeneinandergesetzt, nur mehr voneinander gesondert. Nicht mehr im Kontrast, sondern in der Vereinzelung entwickeln sie ihre Eigenart. Zu ihrer Intensivierung wird die Wirkung des Kontrastes beibehalten - nun aber nicht gegeneinander, sondern gegen den gemeinsamen Dunkelgrund. So entwickeln die Felder ihre Besonderheit alle in ähnlicher Art - hell und farbig vortretend. Beim gemeinsamen Vortreten zu Helligkeit und Form zeigen sich in den verschiedenen Feldern sogar einzelne Züge, die über die Sonderung hinweg unmittelbare Beziehungen herstellen. Vor allem wiederholt sich - verknüpfend - ein Färb-
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Beschreibung einiger Werke aus den Jahren 1860-1870
ton, ein stumpflichtes Blau. Zwar bildet es mit den umgebenden Tönen jedesmal einen Klang von besonderem Charakter, je nach der Eigenart des jeweiligen Feldes.36 Trotzdem setzt das Blau seine verknüpfende Kraft durch. Wird es doch als einzige Farbe mit Bestimmtheit und im gleichen Ton wiederholt und nimmt dazu in jedem Fall eine exponierte Stellung ein, die rechtwinklige Flächigkeit betonend. Es zieht nur jeweils das ganze Feld in dessen Besonderheit spontan mit sich. Dem verwandten Verhältnis der Aussagefelder zueinander entspricht der engere Kontakt zur Gestalt. Konnte im früheren Bild die Gestalt des Dichters - im eigenen Bezirk abgesondert - zu den Aussagefeldern nur im Kräftespiel der verschiedenen, farbig und formal verschiedenartig charakterisierten Eigenschaften ein Verhältnis gewinnen, so begegnet sie ihnen jetzt unmittelbarer. Indem das Stillleben mit der Intensität heller und pastos gestrichener Farbe vortritt, die Gestalt in deren dunkel sich zurückhaltender Erscheinung überkreuzend, hebt sidi der Tiefenunterschied auf und entsteht der Eindruck, als ob der Dichter nicht — wie gegenständlich dargestellt - parallel neben dem Schreibtisch sitze, sondern ihn vor sich habe. Der Kontakt wird so „greifbar" nahe, daß die Hände wie zum Stillleben gehören, und steigert sich noch in dem unmittelbaren Schwarz/Weiß-Kontrast der hellen Seiten des in die Hand gestützten Buches zum Jackett, der in dieser Schärfe einzig ist im Bild. Hierhin ist die nach rechts gewendete Gestalt orientiert. Von hier geht der Reichtum des Stillebens aus, festgehalten von der zusammenfassenden Kraft der weißen Buchseiten.37 Die „Büd" feider gestalten den Kontakt mit dem Gesicht enger, indem sie es mit ihren Rahmenleisten umfassen. So befindet sich das Gesicht zwischen ihnen selber wie in einem Bild. Der Darstellungsgedanke des früheren Portraits, mit der Stellwandkante die Bezirke zu beiden Seiten bildhaft zu rahmen, ist gesteigert und weiterentwickelt zu größerer Konzentration auf das Gesicht hin. Der engere Kontakt der Aussagefelder untereinander und zur Gestalt fördert die Sinneinheit aller Teile. Doch wird ihr zuliebe nicht deren jeweilige Besonderheit aufgegeben. Die Gestalt selber hat durch die engere Verbindung mit der Umgebung die Möglichkeit, differenzierend einzugreifen, und nutzt sie. Indem Zola 36
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In der Malerei des Wandschirms links verbindet sich das Blau (das des breiten Rahmens und das kräftigere des Wasserstücks) mit ebenso stumpfem Graugelb (des Grundes) und versdiiedenem Grün (dem bläulidien des Zweiges, dem mit Gelb aufgehellten der Küste) zu einem lyrisch melodischen Klang einander nahestehender Töne. Das gleiche Blau im Hintergrund der Holzschnittfigur hat ein härteres Verhältnis zum Violettbraun in der Kleidung der Gestalt (dunkel, fast schwarz im Mantel, hell im Gewand), besonders da in kleinen Flecken audi Zinnober auftritt. Im Stilleben schließlich treten zu dem Blau (in der rechten vorderen Broschüre) wieder vor allem Gelb und Grün, die hier aber als lebhafte Farbstücke unter den anderen, schwächer getönten der Broschüren und Bücher hervorstechen, nur übertroffen von der zusammenfassenden weiß-hellen Fläche des aufgeschlagenen Buches. Kontrastierend faßt dieses Feld des aufgeschlagenen Buches die vielfältig geformten und reichfarbigen Bücher der hinteren Reihe zusammen, durch Parallelbezüge die fächerförmig gesteckten Broschüren.
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eines der Bücher ergreift, wird die Greifbarkeit auch der übrigen Dinge des Stilllebens anschaulich gemacht. Dagegen bleibt die Begegnung zwischen den Bildern und dem Gesicht abstrakt. Zieht man nun das „Dejeuner dans l'atelier" hinzu, so zeigt sich, daß die Unterschiede zum „Astruc" im wesentlichen die gleichen sind. Die Aussagebereidie erscheinen im Münchner Bild nur reicher differenziert. Dinge von verschieden gestaltetem Charakter gruppieren sich zu einer Aussageeinheit. Um deren Geschlossenheit zu wahren, sind sie zu beiden Seiten der Zentralgestalt voneinander geschieden, während sie sich im Bildnis Zolas noch durch geschlossene Gestaltungsweise nebeneinander behaupten. (Der Bereich der Bilder bewahrt seine Einheitlichkeit sogar über das Gesicht der Zentralgestalt hinweg, um dieses bildhaft einzufassen.) Indem sich aber die Aussagebereidie im Münchner Bild so eindeutig in zwei Gruppen zu Seiten des Jungen trennen, ist auf neue Weise ihre Zweiheit betont, die eben mit Aufhebung der unmittelbaren Kontraste im Bildnis Zolas an Nachdruck verloren hatte. Um die reicher differenzierten Bereiche rechts und links aufzufangen, ist die Gestalt des Jungen noch mehr hervorgehoben als die Zolas. Ihre räumliche Sonderung erreicht eine Betonung, die wieder das Bildnis Astrucs in Erinnerung ruft, an die schroffe Art, mit welcher seine Gestalt in der Flächeneinteilung von den übrigen Bezirken abgehoben ist. Andererseits haben sich auch die Möglichkeiten der Verknüpfung im Verhältnis der Gestalt zu den seitlichen Bezirken entwickelt. Bleibt im „Zola" das Mittel verknotender farbiger Akzente auf die Aussagefelder untereinander besdiränkt, so ist jetzt die Zentralgestalt einbezogen. Diese verknüpfenden Akzente üben mit ihrem Spannungsverhältnis eine ähnlich zwingende Funktion aus wie die Hände und das Gesicht Astrucs, mit der gleichen sternhaft konzentrierenden Kraft. Sie greift nun nur unmittelbar über das ganze Bild. J a , die ganze Art der Bildgestaltung wird von dieser Möglichkeit, wie sie im Bildnisteil des „Zacharie Astruc" vorgebildet ist, erfaßt. Auch die größeren Komplexe haben eine abgerundet konzentrierte Form, welche hell aus dunklem Grund vorleuchtet. Im „Zola" bleiben dagegen die hell vortretenden Aussagefelder bezirkhaft ausgebreitet, hat nur das Gesidit jene kernhaft leuchtende Kraft. Das Münchner Bild hat also die Züge, die das Bildnis Zolas von dem Astrucs unterschieden, weiterentwickelt, doch in einer Art, daß die Erinnerung an das frühere Bild eher neu wachgerufen wird als nachläßt. Die Verwandtschaft betrifft - wie am Anfang des Vergleichs schon gesagt wurde - selbst den Gehalt, wenngleich die Veränderungen in der Wahl der Motive auf einen anderen Sinn hindeuten. Audi in diesem Punkt wird die Art der Verwandtschaft durch den Vergleich mit dem Portrait Zolas deutlicher. Wie im früheren Bild handelt es sich im „Portrait Zolas" um die Darstellung einer „Inspiration des Dichters". Die inspirierenden Vorstellungsbereiche sind aber greifbarer geworden, nicht nur in der dinglichen Darstellungsweise, sondern
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Beschreibung einiger W e r k e aus den Jahren 1 8 6 0 - 1 8 7 0
auch im inhaltlichen Sinn. Sie beziehen sich auf bestimmte Interessensgebiete des Dichters. Vor allem ist die japanische Kunst angesprochen, daneben mit der Reproduktion der „Borrachos" die Malerei des Velazquez und mit der Wiedergabe der „Olympia" diejenige Manets. Damit sind diejenigen Vorstellungsgebiete ausgewählt, die Zola mit Manet verbinden. Indirekt bezieht sich der ganze Bereich der Bilder auf Manets Malerei. 38 Zola ist also als Verteidiger Manets dargestellt. Seine Verteidigungsschrift ist unter den anderen Büchern und Broschüren blau herausgehoben, in dem Farbton, der - wie gesagt - alle Bereiche verknüpft. Im „Zacharie Astruc" sind die Vorstellungen nicht so programmatisch erkennbar. Zwar liegt ein Buch mit japanischen Holzschnitten auf dem Tisch und weist das Cello im Hintergrund auf die musikalischen Neigungen des Dichters hin. Sie sind aber mit den anderen Dingen ihres Bezirks zurückhaltender wirksam und weisen eben deshalb über sich hinaus auf eine Welt von Vorstellungen. Dies wird im „Dejeuner dans l'atelier" erneut angestrebt. Die Dinge bleiben anonym, um der angeregten Empfindung desto reicheren Spielraum zu lassen, so sehr sie mehr noch als im „Zola" einzeln betont und verschiedenartig charakterisiert sind. Gewiß ist auch im „Zola" der Bereich der Bilder durch die Kraft der Darstellung als Vorstellungsbereich sinnlich erfahrbar. Im „Astruc" wie im „Dejeuner dans l'atelier" wird man aber stärker angeregt, über das Dargestellte hinauszuträumen. D a die Vorstellungsgebiete im „Zola" so genau faßbar sind, ist es erwiesen, daß es sich um solche handelt, für die verglichenen Werke ebenso wie für das Zola-Portrait selber. Für die übrigen Werke erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer ähnlichen Interpretation, wenn man einen zweiten Gesichtspunkt hinzuzieht: die Art, wie Manet im „Zola" jene bestimmbaren Vorstellungen als Bilder wiedergegeben hat. „Bilder" und Vorstellungen werden eins. Es bedeutet nur einen kleinen Schritt, diesen Zusammenhang auf das Ganze der Bilder Manets zu übertragen. Mit dem Vergleich der beiden Bildnisse ist derjenige zwischen dem „Dejeuner dans l'atelier" und dem „Dejeuner sur l'herbe" eingeengt. Leider ist es nicht möglich, die Entwicklung lückenlos darzustellen. Die wesentlichen Bilder der Zwischenzeit (z. B. die beiden Christusdarstellungen oder „Le Combat du ,Kearsage' et de 1',Alabama'") sind in Europa nicht erreichbar. Das nächste anspruchsvolle Werk finden wir erst in der „Erschießung Maximilians", welches - wie das Portrait Zolas - in der zeitlichen Nähe des Münchner Frühstücks entstanden sein muß. Während das Portrait durch seine Verwandtschaft mit dem „Déjeuner dans l'atelier" dessen Interpretation unterstützte, wird mit der „Erschießung" wie mit dem späteren „Balcon" die Verschiedenartigkeit der Gestaltungsmöglichkeiten in dieser Epoche deutlich. 38
Ich teile diese A u f f a s s u n g des Bildes mit Sandblad (Three Studies in Artistic Conception, L u n d 1 9 5 4 , S. 1 0 7 ) , der sie als erster formuliert hat. Eine genauere Stellungnahme zu S a n d b l a d wie zu weiteren Äußerungen über die beiden Portraits v o n Z o l a und Astruc siehe im A n h a n g S. 98.
L'Exécution de l'Empereur Maximilien
„UExécution
de l'Empereur
Maximilien"
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186y\i
868m
(Taf. 6)
Einführende
Beschreibung
Dunkel heben sich die fast lebensgroßen Gestalten — die Soldaten des Erschießungskommandos und die drei Verurteilten - von einem fahlen Grund ab. Alle formale und farbige Intensität ist in ihnen als den Trägern des dargestellten Geschehens konzentriert. Der Grund dehnt sich dagegen einförmig hinter ihnen, gegliedert in breite horizontale Streifen, den Boden und eine Mauer. In dem dritten, schmaleren Streifen über der Mauer befinden sich vor dem ansteigenden Gelände weitere figurale Gruppen von leichterer farbiger und formaler Prägung: ein Haufen von Zuschauern und in der linken oberen Bildecke die Zypressen eines Friedhofs. Die Hauptfiguren stehen in zwei Gruppen einander gegenüber. Den größten Teil der Bildbreite - etwa zwei Drittel - nehmen redits die feuernden Soldaten des Exekutionskommandos ein. Sie sind Rücken an Rücken zu einer Traube verwachsen, aus welcher die erhobenen Gewehre keilartig zugespitzt vorstoßen. Nur ein Mann ist am rechten Bildrand frontal sich wendend von den übrigen abgesondert: Es ist der Unteroffizier, der den Hahn des Gewehres zum Gnadenschuß spannt. Der Soldat, der sich auf der anderen Seite der Gruppe von deren Kern löst, treibt die Zäsur nicht bis zur Sonderung seiner Gestalt. Er setzt die Rückenreihe fort und nimmt auch teil am Schieß Vorgang; sein Gewehr bildet die Spitze im Keil der übrigen Gewehre. In nur geringem Abstand von den Soldaten befindet sich, etwas in die Tiefe gerückt und vom Pulverrauch überzogen, die Gruppe der Verurteilten. Der Kaiser steht starr aufgerichtet in der Mitte, flankiert von seinen Generälen, die sich um Fußesbreite hinter ihm zurückhalten. Er ist dadurch in seinem höheren Rang gekennzeichnet. Da er als einziger einen Rock trägt und einen Strohhut, dessen zurückgeschobener Rand seinen Kopf umkreist, scheint er die Generäle auch in der Höhe zu überragen. Der Verurteilte zur Rechten des Kaisers bäumt sich getroffen zurück. Der andere tritt gefaßt auf Maximilian zu, der ihm die Hand reicht. Die beiden Gruppen stehen so nahe beieinander, daß der Keil der Gewehrläufe die Verurteilten überschneidet. Trotzdem wird der Abstand mit Kachdruck 39
Das Bild ist datiert: Manet 19 juin 1 8 6 7 . Dieses Datum bezieht sich jedoch auf den Zeitpunkt der dargestellten Erschießung, nicht auf die Entstehungszeit des Bildes (vgl. den Titel des Bildes „ E l tres de M a y o " von G o y a ) . V o n der Entstehung ist lediglich bekannt, daß Manet bald, nachdem sich die ersten Nachrichten vom Ereignis verbreiteten, die Wiedergabe in Arbeit nahm. D a aber das besprochene Bild die letzte Fassung einer langen Reihe von Bemühungen um die Darstellung dieses Themas ist, wird es kaum noch 1 8 6 7 gemalt sein. Z u einer genaueren Datierung können nur stilistische Erwägungen führen. Manche glauben, im Datum der Kopenhagener Skizze ( 1 8 6 7 ) , die eindeutig die letzte Fassung vorbereitet, einen Anhaltspunkt zu haben (zuletzt Sandblad, 1 9 5 4 ) . Es erscheint mir jedoch keineswegs als sicher, daß hier im Unterschied zum ausgeführten Werk die Entstehungszeit gemeint ist.
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Beschreibung einiger Werke aus den Jahren 1 8 6 0 - 1 8 7 0
empfunden - eben durch die Gewehrläufe, die als trennende Barriere auftreten. Zudem legt sich der Pulverrauch absondernd um den Kaiser und die Generäle. Andererseits ist der Abstand nicht so groß, daß die nahe Bezogenheit beider Gruppen aufgehoben würde. Die Gewehre wirken ebenso „verkeilend" wie trennend. Die Art der farbigen und formalen Gestaltung trägt entscheidend zu dieser Spannung zwischen gegensätzlichem und trotzdem aneinander gebundenem Verhältnis der Gruppen bei. Der folgende Abschnitt wird das Phänomen also erst wirklich deutlich madien können.
Farbgebung
und formaler
Bau
Gemeinsam heben sich die Gruppen dunkel vom helleren Grund ab, zudem im Flächenbild einander zugewendet, so daß sie zu einer einzigen in sidi gerundeten Gruppe verwachsen könnten, wären sie nicht im farbigen und formalen Bau unterschiedlich gestaltet. Diese ihre Verschiedenheit gilt es zunächst festzustellen. Das tiefe gleichförmige Nachtblau der Uniformröcke bestimmt einheitlich die ganze Gruppe der Soldaten. Nur in der Mitte blitzt das Weiß der Gürtel und Säbelgehänge in hartem Kontrast aus dem Blau hervor und setzt sich mit solcher K r a f t durch, daß die Gürtelreihe gleichsam als horizontales „Rückgrat" den blauen Komplex beherrscht.40 Um diese beherrschende Intensität zu erreichen, verbindet sich die K r a f t des im Kontrast gestärkten Tons mit dem harten formalen Rhythmus, der durch den rudiartig, wie im Hammerschlag, sich wiederholenden rechten Winkel der Gürtel und Säbelgehänge entsteht.41 So gewinnt die Reihe eine führende Aktivität in bezug auf die übrigen ähnlich abgehackt sich wiederholenden Rhythmen der Gruppe. Ihr folgend liest man Rückenrundung auf Rückenrundung, Bein auf Bein und - in kleinerem, farbig und formal unruhigerem Takt begleitend - die Reihe der behelmten Köpfe und gamaschenbezogenen Schuhe (in welchen ebenfalls Weiß Verwendung findet, vor dem fahlgelben Grund aber mit geringerer Strahlkraft). - Die Rhythmen beginnen neben der spannenden Hand des Unteroffiziers rechts und steigern und vergrößern sich nach links hin. Sie ergreifen selbst den etwas abgelöst stehenden Soldaten, erreichen durch die Sonderung ihrer Glieder in ihm nur eine erneute Steigerung und finden Raum für eine Erneuerung durch den Takt der gewinkelten Arme, der die bis hierhin entwickelten Formenergien in den Keil der Gewehre lenkt.
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Das Rückgrat der einzelnen Soldaten aufhebend. Gewiß werden auch Vertikalen wirksam. Sie dienen aber nur dazu, die im folgenden beschriebenen horizontal geführten Rhythmen zu skandieren. Das Weiß füllt die Formen nicht mit gleichbleibender Intensität aus. Es bricht vielmehr nur an wenigen Stellen zu reinem Ton durdi und bekommt dadurch seine blitzende Wirkung. Dennoch erfüllt es die Formen.
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Der Unteroffizier rechts scheint sich auszuschließen. D a er als einziger in Haltung und Kleidung, farbig und formal anders ist, werden alle seine Eigenheiten betont empfunden. So erhält das Rot der silbrig bebänderten Mütze den Wert eines auszeichnenden Akzents. Ganz besonders aber wird die Aufmerksamkeit auf die Hände konzentriert, zumal die Farbgebung der Gestalt in den übrigen Teilen gedämpft ist, 42 - vor allem auf die Hand, die den Hahn des Gewehres spannt und dabei in übermäßiger Streckung die Linienzüge des Gewehres und der Beine zu einem Winkel zusammenfaßt. Das daneben im Blau der Jacke kurz aufleuchtende Weiß des Gürtels steigert noch die Intensität und bewirkt durch die ausnahmsweise auftretende Verwandschaft mit den Farben der übrigen Gruppe eine folgenschwere Verknüpfung: Durch das Weiß gerät die Hand in den beginnenden Rhythmus der Gürtelreihe, als ob die in ihr gestaute Energie erst den entscheidenden Anstoß dazu gebe, die Rhythmen auslöse. So ist die Gestalt des Unteroffiziers trotz ihrer Sonderung von der Gruppe mit den übrigen Soldaten verknüpft. Welchen Sinn diese Art der Darstellung hat, soll später erörtert werden. Die Gruppe der Verurteilten ist zurückhaltender und grauer in ihrer Farbhaltung. Jede Gestalt hat ihren eigenen Farbton in der Kleidung (Grauviolett der Kaiser, stumpfes Grün der rechte, Stumpfblau der linke, sich aufbäumende General), im Unterschied zu den Soldaten, die alle von dem gleichen schroffen Kontrast ergriffen sind. Wenn trotz der wechselnden Farbtöne die Verurteilten ebenso wie die Soldaten eine streng geschlossene Gruppe bilden, so haben die Farben keinen aktiven Anteil daran. Diese fügen sich nur ein, indem sie einander in Ton und Dunkelgrad so nahekommen, daß sie sich leicht - gleichsam „freiwillig" - im geschlossenen Komplex vereinen, dessen strengen Bau sie aber eher auflockern als unterstreichen. Der formale Bau der Gruppe ist vertikal ausgerichtet, im Gegensatz zu den horizontal geführten Rhythmen der Soldatengruppe. Die Gestalt des Kaisers bildet mit ihrer starr stehenden Haltung die Achse, die von den begleitenden Generälen mit gespreizten Beinen über der Schlagschattenlinie zwischen den Füßen zu einem leichten, gitterhaften Bau verstrebt wird. In ihrer Stellung als Achse ist die Kaisergestalt besonders betont. Sie kragt über die gemeinsame Standlinie vor und strebt als einzige mit ihrem dunklen Rock unbeirrt gleichförmig hoch, während die Farbe der weißgrauen Hemden daneben sich mit dem verwandten Ton des Pulverrauches vermählt. Vollends erreicht sie beherrschende K r a f t durch den Bogen des Hutes, der - das helle Gesicht des Kaisers unter den dunkler gezeichneten der Generäle hervorhebend - die Senkrechte der Gestalt über die Horizontale der Gewehre und Pulverwolken hinweg auffängt und krönend den ganzen Bau der Gruppe überdacht. 42
Die Hose ist grau, nicht blau wie die Uniformen der anderen Soldaten, und nidit durdi weiße Gamaschen verlebendigt.
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Der Hutakzent erhält seine krönende Macht wiederum nicht allein durch die Spannung des doppelt gezogenen Bogens im Verhältnis zum übrigen Bau der Gruppe, sondern zugleich kraft der kernhaft sammelnden farbigen Beziehung zum Grund. Das Gelb der Randlinie nimmt das des Bodens erneut auf und zieht es über das komplementäre Grauviolett der Kaisergestalt ebenso auf sich wie das Violettgrau der Mauer. Zugleich umfaßt es das violettgetönte Schattengrau der breiten Krempe, dieses von der gleichgestimmten Farbe der Mauer sondernd, zu entsprechender Konzentration, welche die eigene bestärkt. Damit ist das Verhältnis der Gestalten zum Grund bereits angeschnitten. Es ist verschieden, je nach dem besonderen Charakter in Farbe und Form. Audi der Grund wirkt dementsprechend differenziert, so einheitlich er sich zunächst hinter den verschiedenen Gruppen hinzuziehen scheint. Die Horizontalen der Grundstreifen unterstreichen die Rhythmen der Soldatengruppe, die sie konzentriert und richtunggebend aufnehmen. So bildet die Gürtelreihe nicht nur die Mitte der Gruppe selbst, sondern zugleich die der Grundstreifen - vor allem des Bodens und der Mauer, auf deren Scheidelinie sie sich bezieht. Die Farben beider Grundstreifen um die Soldaten sind so vertieft - zu einem harten Grau in der Mauer und einem nur wenig helleren fahlen Gelbgrau im Boden daß ihr Verhältnis zu dem dunklen Blau der Uniformen keine Konkurrenz für das aufblitzende Weiß der Gürtel bildet. Alle Intensität ist hier so stark konzentriert, daß die Grundstreifen verengt wirken. Um die entfernter stehende Kaisergruppe werden die gleichen Grundstreifen dagegen in größerer Flädiendehnung gesehen, die - im Zusammenwirken mit der vertikalen Ausrichtung der Gruppe - die Horizontalbewegung im Moment der größten Beschleunigung stagnieren läßt. Eine hellere Nuancierung in der Farbgebung steigert den Eindruck der „Weite". (Insbesondere der Bodenstreifen hat an fahlleuditender gelblicher Helligkeit gewonnen, während das Grau des Mauerstreifens sich nur in einen wärmeren Ton mit violettem Hauch verwandelt.) So nimmt kraft seiner Komplementärbeziehung zum Grund der Hutbogen auch dessen „Weite" auf und konzentriert sie zur Gestalt des Kaisers hin. An ihr bewährt er seine Spannkraft, so daß er nicht nur den engeren Umkreis beherrscht, sondern die Dehnung des ganzen Bildfeldes in seinen Bann zieht, - einschließlich des Streifens über der Mauer. So erhält die verschiedene farbige und formale Gestaltungsweise der beiden Gruppen erst im Verhältnis zum Grund ihre volle Wirksamkeit. In der Soldatengruppe gewinnt das rhythmische Geschehen an konzentrierter Wucht, indem es von weither ausholt. Die feingliedrige Kaisergruppe aber erwirbt sich einen Machtzuwachs, mit dem sie den Angriff auffängt. Die Spannung des Hutbogens erfaßt mit ihrer Strahlkraft den Geländestreifen, obwohl dieser sich über dem blaßrosafarbenen Ziegelabschluß der Mauer farbig vom Hauptteil abhebt; (nur die fahle Brechung der Töne wird beibehalten). Die ragenden Zypressen bieten ihr Stütze und der Horizontalzug der Mauerkrönung
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kein entscheidendes Hindernis, da er - zur Zuschauergruppe hin und mit dieser auf das Exekutionskommando bezogen - dem Keil der Gewehre alle vorstoßende Kraft überläßt. Auf diese Weise werden die Nebenfiguren auf feine und doch machtvolle Weise vom Zentrum des Hauptgeschehens her diesem einbeschlossen. Durch die Art ihrer Reaktionen erneuern und differenzieren sie ihr Teilnahmeverhältnis. Ihrer Stellung nach beziehen sie sich senkrecht auf die Hauptgruppen. Breitlagernd überfaßt die Zuschauergruppe die Soldaten des Exekutionskommandos; hochstrebend nimmt die Gruppe der Zypressen links den ragenden Zug der Kaisergruppe wieder auf. Mit ihrer verschiedenartigen farbig-formalen Gestaltung knüpfen sie jedoch eher an die schräg zu ihnen stehenden Gruppen an. Die Köpfe der Zuschauer sind in ihrer zurückhaltend grauen, aber sprühend skizzenhaften Erscheinung, in deren brodelndem Gemenge sich hier eine weiße Binde, da ein dunkler Hut durchsetzt, den ähnlich lebendig skizzierten Köpfen der Verurteilten näher als den mit zähem Strich fest geformten Soldaten. An diese erinnern dagegen die Zypressen: in ihrer unpersönlich starr ragenden Form, in der Härte ihres tiefen Grün vor den starken Blaustücken des Himmels, mit dem aufblitzenden Weiß eines Grabmals dazwischen, und in der drängenden Sprache der eng in die Bildecke gepreßten Farben und Formen. Diese einander überkreuzenden Schrägbeziehungen fördern das aktiv aufeinander zugerichtete Verhältnis der beiden Hauptgruppen. Die Teilnahme der Nebengruppen läßt die Soldaten und Verurteilten also nicht nur in ihrer Besonderheit gesteigert erkennen, sondern auch im eng verwachsenen Bezug. Auf den Zusammenhang der beiden Hauptgruppen wurde schon am Beginn der Beschreibung hingewiesen. Die Einheit der Silhouette, auf die angespielt wurde, ist aber nur eine Begleiterscheinung engerer Verknüpfungen. Mit der ganzen Wucht der Rhythmen, die von der gestreckten Hand des Sergeanten ausgehend sich steigern, dringt der Keil der Gewehre über die Gegengruppe, deren Vertikale sich mit der entgegenkommenden Horizontalbewegung verspannt. Beide Bewegungen fängt der Hutbogen auf, die Vertikale in sich aufnehmend, den Horizontalrhythmen entgegenwirkend - hinter sich den ganzen Machtbereich, der seiner Bannkraft Untertan ist. Indem der Hutbogen aber den Horizontalrhythmen antwortet, scheint er sie auch auf sich zu ziehen. Wiederum antwortend lenkt das Rot der Sergeantenkappe als Gegenakzent zum Ansatz der Rhythmen zurück. So sind beide Gruppen zu einem unaufhörlich sich erneuernden Kreislauf von Ursache und Wirkung gespannt und vereint, in welchem die beiden Akzente wie zwei Brennpunkte in einer Ellipse - d. h. eines einzigen gemeinsamen Kraftfeldes - stehen.43
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So nahe wirken die beiden Gruppen aufeinander, daß jede ediohaft Eigenheiten der anderen aufnimmt: Die H ä n d e der Verurteilten führen - ohne Rücksicht auf den um die Adise sich verjüngenden Bau der Gruppe - den Takt der Gürtel abgeschwächt weiter, bis zur geballten Hopp, Manet
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Raumwirkungen Der Zusammenhalt beider Gruppen in gegenseitiger Herausforderung entsteht über die Brücke gemeinsamer flächiger Bezogenheit der Gestalten und wird getragen von der starken Flächenbindung aller Bildteile überhaupt. Die Flächenbindung hebt die Raumwirkungen aber nicht auf; trägt doch die bildparallele Schichtung der verschieden intensiv gestalteten Bildteile beiden Rechnung. Die Soldatengruppe hebt sich mit besonders ausgezeichneter Farbintensität vor. Schon das tiefe Blau der Uniformen ist von kompakter K r a f t , da die Intensität dichten Farbauftrags diejenige des Farbtons unterstützt. Um so leuchtender bricht das Weiß der Gürtel daraus hervor. Die Gestalten treten auf diese Weise mit einem Anspruch auf, der keinen Vergleich duldet, auch räumlich nicht. Ganz in sich selber konzentriert, sind sie in den Bodenstreifen eingelassen, der sich ihnen mit verwandter Intensität des Strichs anschließt. Der Abstand zur Mauer bleibt irrelevant, vor allem redits, wo Boden und Mauer kaum unterschieden sind. Selbst zur gegenüberstehenden Gruppe der Verurteilten suchen die Soldaten kein räumliches Verhältnis. Sie „schießen an ihnen vorbei". 44 Der Kaiser und die Generäle befinden sich mit ihren stumpfen Farben in einer anderen Schicht. Sie stehen zwar auf dem gleichen Bodenstreifen wie die Soldaten, aber nicht mit so tief sich hineinsenkender Kurve. Sie heben sich vielmehr über ihrer schräggespannten Standlinie wie federnd — fast ohne Spuren zu hinterlassen - ab. So erzeugen sie sich einen Raum, der einzig an ihre Erscheinung gebunden ist. Er wird vom Hutbogen konzentriert und mit der ebenfalls dort gesammelten flächigen Weite des Grundes zu einer Wirkung verschmolzen. Um die Kaisergruppe bildet sich auf diese Weise ein Hoheitsbereich, der aktiv von ihr ausgehend entsteht, so daß der Zug der Pulverwolken ihm zu gehorchen scheint, dem Hutbogen antwortend. Wie die Soldaten bleiben die Verurteilten mit ihrem Raumbereich für sich. Die Schrägspannung der Standlinie wirkt so aktiv, eben weil sie nicht auf eine entsprechende Schrägrichtung der Soldatengruppe Rücksicht nimmt. Gewiß ist die gegenständliche Ausgangsposition ein Gegenüber. Doch werden alle entsprechenden
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Faust des sich aufbäumenden Generals als Schlußpunkt, die darum mit dem Beginn der Reihe in der spannenden Hand des Sergeanten verknüpft werden kann. Die Soldaten hingegen spiegeln in der Anordnung der Gestalten den vertikal ausgerichteten Dreitakt der Gegengruppe wider. Doch machen sie ihn der Rhythmik in der horizontalen Bewegung dienstbar. Die Hände der Verurteilten wiederum verwandeln den gleichförmig harten Takt der Gürtelwinkel in individuelle Äußerungen der drei Männer. Die Gruppen geben also nichts von ihrer Eigenart preis, wenn sie sich gegenseitig beeinflussen lassen. Diese Eigentümlichkeit des Bildes wird häufig zitiert, um zu zeigen, daß Manet der flächigen Darstellungsweise zuliebe auch offensichtliche Ungeschicklichkeiten in der räumlichen Wiedergabe in Kauf nahm. Das ist unpräzise gesehen. Die räumliche Darstellungsweise in bildparalleler Schichtung führte zu jener Eigentümlichkeit. Ungeschickt könnte man die Konsequenz ohnehin nur nennen, wenn sie im Bildgefüge sinnlos und unbewältigt bliebe. Sie hat hier aber einen Sinn. Spätere Ausführungen werden es deutlich zu madien versuchen.
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Tiefenandeutungen der Soldatengruppe - wie die Staffelung der Rücken im Hintereinander - durch die abgesondert stehenden Soldaten, welche die Gruppe in die Fläche dehnen, wieder unwirksam gemacht. Es handelt sich also bei dem gesonderten Verhältnis der beiden Gruppen nicht um einen einfadien räumlichen Abstand, sondern um zwei spezifisch verschiedene Wirkungen der Figuren zum Grund, die Vergleiche ausschließen. Sie sind charakteristisch f ü r die besondere Eigenart einer jeden Gruppe und steigern den von Farbe und Form angelegten verschiedenen Aussagegehalt. Trotzdem lassen sich die heterogenen Raumwirkungen nicht voneinander lösen. Die Einheit der Grundstreifen wie die der Gestalten in der Fläche zieht sie zu gegenseitiger Bedingtheit zusammen - als „Raumkern und Raumschale".
Inhalt und Gehalt des Bildes Wie in den früheren Bildern charakterisieren Farben und Formen die Gegenstände und lassen die Aussage der hervorgehobenen Eigenschaften mit der eigenen verwachsen. Dabei bleibt der stoffliche Charakter der Dinge diesmal jedoch unberücksichtigt. Selbst die nahe und farbkräftig wiedergegebenen Soldaten kommen nur zu einer derb greifbaren Daseinsintensität. Stoffliche Differenzierungen werden eingeschränkt zugunsten einer größeren Einheitlichkeit und Schlagkraft im formalen Rhythmus der ganzen Gruppe. Unmittelbar bringen die Formen und Farben den verschiedenen Charakter der dargestellten Personen und ihr Verhalten im dargestellten Geschehen zur Sprache. Wiedergegeben ist ein Ereignis, das zur Zeit der Bildentstehung die Gemüter heftig erregt und mit Empörung erfüllt hat: die Erschießung Kaiser Maximilians von Mexiko mit seinen beiden Generälen Miramon und Mejia durch mexikanische Republikaner nach dem gescheiterten Versuch, in Mexiko eine Monarchie aufzurichten.45 Manet hat in mehreren großformatigen Fassungen eine adaequate Darstellung der Szene zu erreichen gesucht, wobei er nicht nur um eine künstlerische Vervollkommnung bemüht war, sondern mit wachsender Kenntnis der historischen Einzelheiten auch eine größere Genauigkeit in der Wiedergabe des Ereignisses anstrebte,46 dessen einmalige Besonderheit mit dem Datum in der linken unteren Ecke der letzten Fassung betont wird. Schon daraus läßt sich folgern, wie wichtig Manet den Inhalt nahm. Uber die äußeren Gegebenheiten hinaus
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Eine gute, kurze Darstellung der politischen Hintergründe findet man bei Kurt Martin, Die Erschießung Kaiser Maximilians von Mexiko von Edouard Manet, Kunstbrief 1948, S. 3 - 9 . Nils Gösta Sandblad hat dies überzeugend nachgewiesen (in: Three Studies in Artistic Conception, Lund 1954, p. 1 0 9 - 1 5 8 ) . E r ist als erster auf den Gedanken gekommen, zeitgenössische Berichte mit den verschiedenen Bildfassungen zu vergleichen. Martin Da vies (in: The Burlington Magazine, X C V I I I , 1956, p. 1 6 9 - 1 7 1 ) hat seine Ergebnisse korrigiert und erweitert, sie dabei im wesentlichen aber nur bestätigt.
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wird das Geschehen durch die formal-farbige Gestaltungsweise aber auch in Art und Bedeutung lebendig. Die Soldaten sind ganz und gar vom Schießvorgang ergriffen, der sich nicht erst im Feuerstrahl der Gewehre äußert, sondern schon im formalen Rhythmus der Uniformteile spürbar wird: in jenem unaufhaltsam horizontal von rechts nach links drängend sich steigernden Takt, den die Gürtelreihe mit aufblitzendem Weiß und hart sich wiederholendem Winkel anführt, und der im Keil der Gewehre nur seinen letzten Höhepunkt findet. Die Soldaten sind als Träger dieses Taktes vollkommen von ihm aufgesogen und können nidit als einzelne Personen angesprochen werden. Sie setzen weder individuelle Eigenart durch noch menschliche Züge überhaupt. Beides wird im Gegenteil betont negiert. Die vordergründig konzentrierte Wirksamkeit der Farben und Formen bringt die Rücken so eindringlich zur Geltung, daß Gesichter nicht mehr vorstellbar sind. Über die Negation des Persönlichen aber gewinnt der Schießvorgang an Härte. Auch der abseits stehende Unteroffizier wird nicht davon ausgenommen; auch seine Person ist vollkommen von der Funktion, die sie im gleichen Vorgang zu erfüllen hat, in Anspruch genommen. Nur insofern sie sich aktiv - mit eigenem konzentrierten Ausdruck — dafür einsetzt, unterscheidet sie sich von der übrigen Gruppe. Damit gewinnt das Unpersönliche des Vorgangs aber nur eine betonte Ausprägung. Selbst die spezielle Funktion des Sergeanten ist mit der der Soldaten durch die formalen und farbigen Verknüpfungen der Figuren in der Wirkung zu einer einzigen zusammengezogen, - als ob die Hand des Unteroffiziers den gerade fallenden Schuß auslöse, anstelle des zeichengebenden Offiziers, der von den Soldaten verdeckt wird. 47 So kommt der Vorgang zu einheitlicher Wucht, welche die ganze unerbittliche, unaufhaltsame Macht der Militärmaschinerie enthält. Die Verurteilten dagegen haben Gesichter und jeder eine eigene Haltung. Die Kaisergestalt dominiert mit ihrer gleichförmigen, fast starren Ruhe und zieht auch die Begleiter in ihren Bann. Doch hebt sie deren individuelle Eigenart nidit auf. Vor allem in den Gesichtern und Händen ist der verschiedene Ausdruck eindringlich gezeichnet. Er bleibt aber auch in der Haltung und Erscheinung der Gestalten lebendig, so sehr diese von der Mitte geprägt sind. In den differenzierten Tönen z. B. wird die Besonderheit der Gestalten bewahrt. Audi bleibt innerhalb der symmetrischen Ordnung im Gitterbau der Gruppe Raum für eine verschiedene Deutung der verstrebenden Schrittstellungen der Generäle. Deshalb ist die zusammenfassende und beherrschende Kraft, die von der Kaisergestalt ausgeht, jedoch nicht geringer als diejenige, die in der Soldatengruppe wirksam ist. Sie beweist damit nur ihre andere Art. Außerdem wird eine Steigerung und Zentrierung des Ausdrucks auf die Kaisergestalt erreicht. Ausschließlich auf sie bleibt der Ausdruck gespannter Ruhe bezogen - so sehr er die
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N u r seine Kopfbedeckung ist rot unter den blaugrauen Helmen der Soldaten auszumachen.
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ganze Gruppe bestimmt - als Auszeichnung, die dem Hoheitsmerkmal des Hutbogens die innere Berechtigung gibt. Diese ragende Ruhe des Kaisers bildet die Gegenmacht zum scharf andrängenden Takt der Militärmaschinerie. Ihr dient die im Hutbogen gesammelte Weite des Grundes und räumliche Dehnung derart, daß der Schuß den vom Pulverrauch umkreisten Hoheitsbereich der Gruppe nicht zu durchdringen scheint. Der Kaiser ist durch die Macht seiner Ruhe wie unantastbar entrückt.48 Dennoch zieht der Kaiser mit der gleichen Kraft, welche die Weite des Grundes sammelt, auch den entgegenkommenden Vorgang auf sich. Und über den Kaiser wird die Wucht des Geschehens auf die ganze Gruppe zugleich gelenkt, statt nur den sich aufbäumenden General zu treffen. So wird der Vorgang hier auf ähnliche Weise gerafft wie rechts, wo der für den Gnadenschuß sich bereithaltende Unteroffizier die Aktion auszulösen scheint. Alles Erzählerische ist zusammengefaßt und das dargestellte Ereignis in einen einzigen Moment eingespannt. Durch dieselbe zusammenfassende Maßnahme wird auch eine blockhafte Monumentalität der beiden Gruppen erreicht, die über die momentane Bedeutung des dargestellten Ereignisses hinweg eine zeitlose Gesetzmäßigkeit enthält. Besonders die Soldatengruppe fördert durch ihre betonte Anonymität den Zug zum Allgemeingültigen. Aber auch die Kaisergruppe weist über sich hinaus. Der Hutbogen ruft mit seinem unmateriellen, heiligenscheinartigen Charakter ein anderes, ähnlich geartetes Ereignis - die Kreuzigung - in Erinnerung.49 An diesem Ereignis wird als an einem Symbol das dargestellte besondere - mit einem Datum bezeichnete - Geschehen gemessen. Aufs äußerste momentan zugespitzt gestaltet es sich zum Blickpunkt für zeitlos Gültiges, - ähnlich wie formal das riesige Bildfeld von einem einzigen Akzent gebannt wird.
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Hier liegt der Sinn der Maßnahmen, die den Schuß scheinbar an der Gruppe vorbeiführen (siehe Anm. 44). Der Kaiser wird nicht zum Heiligen. N u r sein entrückt ruhiger Ausdruck erfährt eine Steigerung, ähnlich wie die „Olympia" für den Ausdruck ihrer kühlen Unnahbarkeit die Dimension des Göttlichen über das Vorbild der Venus heranzieht, ohne selber Göttlichkeit zu beanspruchen. Man darf den Strohhut des Kaisers also nur unter Vorbehalt mit ähnlichen profanen Zeichen der Erhöhung im 1 5 . Jahrhundert vergleichen. Der Karminschirm hinter der Salting-Madonna von Robert Campin etwa hat einen anderen Sinn, bezeichnet die Heiligkeit der Person Mariae (bei gleichzeitigem Hinweis auf die „Humilitas"). Wesensverwandter ist die Art, mit welcher in Goyas »El tres de M a y o " einer der Verurteilten unter den anderen hervorgehoben ist. Mit dem vorblendenden Weiß und Gelbocker seiner Kleidung sammelt dieser das Lidit der gleichfarbigen Laterne, welche die Nachtszene erhellt. Die ausfahrende Gebärde seiner hochgebreiteten Arme läßt das reflektierende Licht sogar aktiver ausstrahlend erscheinen als das der Laterne (vgl. Jutta Held, Farbe und Licht in Goyas Malerei, Berlin 1964, S. 1 1 8 ) . Das aktivierte Licht aber steigert wieder die Gebärde - in Maß und Sinn. Und der Ausdruck der gesteigerten Gebärde gipfelt nochmals in den Stigmata der ausgebreiteten Hände. So wird die leidenschaftlich verzweifelte Hingabebereitschaft des Mannes über das beschworene Bild des Gekreuzigten in fast übermenschliche Dimension getragen.
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„Le Balcon" 1869 (Taf. 7)
Einführende Beschreibung Drei Gestalten heben sich in der Türöffnung eines Balkons von dem Dunkelgrund eines Zimmers ab. Besonders zwei Frauen (die eine sitzt links am Gitter, einen Arm auf das Geländer gelehnt, die andere steht rechts daneben, nur wenig sich zurückhaltend) breiten sich mit ihren weißen Kleidern ganz über die Türöffnung, so daß die Dunkelheit des Zimmers in der unteren Bildhälfte fast verdrängt ist, in der oberen Bildhälfte um so geschlossener erscheint. Die dritte Gestalt - ein Mann - bleibt mit dem Sdiwarz des Jacketts diesem tiefgrauen Dunkel verhaftet, das allein die Hände und das Gesidbit über dem Vorhemd hell sich herausheben läßt. Die Einrichtung des Zimmers ist nur schattenhaft angedeutet, belebt - kaum bemerkt — das Dunkel: rechts ein Bild, links ein Schrank mit Spiegeltür, darauf Vasen und Teller, davor ein Junge, der ein Tablett mit Kanne trägt. Rings ist die ganze Szene eingefaßt von den Türläden und dem Gitter des Balkons.
Farbige und formale Gestaltung Das Grün der Läden und des Gitters hat unbestritten die farbige Herrschaft, bläulich kühl in den Läden, scharf und giftig im Gitter. Dichter Farbauftrag und rechtwinklige Formung steigern noch seine Härte, geben ihm Mächtigkeit in den seitlichen Kolumnen der Türläden, schneidende Schärfe in dem winkligen Netz gerader Stangen des Gitters. Mit ihm verglichen bleibt das Hell/Dunkel des Bildinneren in der weichgestridienen Formung der Farbtöne zart und zurückhaltend. Darum wirkt das allseitig ungreifende Grün bedrängend. Vertikal engen die hohen Grünkolumnen der Läden seitlich das ohnehin hochformatige Bild ein, mit den sich wiederholenden kurzen Horizontalen der Lüftungsklappen nach innen stoßend. Horizontal zieht das Gitter sein Netz über die weißen Kleider der Frauen, die Einfassung in der Fläche gemeinsam mit dem Türsturz am oberen Bildrand vollendend und zugleich das Bildinnere räumlich abschneidend. Mit linearer Schärfe ist die Horizontale zwar nur in den beiden Abschlußleisten ausgesprochen, hier aber so unaufhaltsam machtvoll, daß die hochrediteckigen (auf das gestreckte Format des Bildinneren anspielenden) Teilabschnitte des Gitters von ihr angezogen Hier wie später bei Manet gilt die Auszeichnung nicht der Person, sondern der menschlichen Haltung, die dadurch eine Ausdrudessteigerung erfährt. Lediglich die A r t des Ausdrucks ist verschieden. Statt leidenschaftlicher Opferbereitschaft hat Manet unantastbare Ruhe ausgezeichnet. Gewiß entspricht er damit dem besonderen Rang Maximilians als Kaiser. Doch bringt er auch den Rang erst über den ruhig beherrschenden Adel in der Haltung des Mannes zur Sprache. Maximilian ist Kaiser kraft seiner kaiserlichen Haltung und Gesinnung. Darauf bezieht sich die Auszeichnung des Strohhuts.
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und beherrscht werden.50 So viel Kraft enthalten die beiden Horizontalen, daß sie - über die Vermittlung der Lüftungsklappen - selbst die seitlichen Vertikalen der Läden auffangen (zumal die Läden in der Wirkung nicht über sie hinwegreichen, da sie unten überschnitten sind) und mit denen des Gitters verknüpfen. Sie scheinen die verschiedenen Senkrechten zur Bildmitte hin zu treiben, wo sie mit zwei Vertikalstangen eine Knotenstelle bilden. An dieser vom dynamischen Bau des Gitters erstrebten Bildmitte befindet sich die Hauptgestalt, die Sitzende. In ihrer reichen Erscheinung steigern sich die zartlebendigen Farben des Bildinneren zu größtem Gegensatz im Verhältnis zum starren Grün der Rahmung. Selbst im Vergleich mit der anderen Frauengestalt, mit der sie doch zur Toneinheit verbunden ist, zeichnet sie sich aus. Bleibt die bläulichschattende Helligkeit der Stehenden mit ihren wolkig gleitenden Tonverhältnissen recht gleichförmig flächig, so ist die der Sitzenden reich belebt, von weißen Streifen wie von Schaumkronen durchzogen. Noch weniger hat die Hauptgestalt mit der des Mannes gemeinsam. Denn die Farben des Mannes verwandeln sich in entgegengesetzter Weise aus dem lebendig bewegten Zusammenhang des Bildinnern heraus: Mit dem starr geformten Weiß des Vorhemdes und dessen harten Kontrast zum Schwarz des Jacketts entwickeln sie eine Sprache, die sich der des Grün im Gitter annähert. Mit seiner Verwandtschaft in der Formen- und Farbsprache zum Grün taucht der Mann etwas unvermittelt im Bildinneren auf, da seine Gestalt nicht direkt vom Gitter betroffen ist wie die der Frauen. Mit desto größerem Nachdruck wirkt jedoch die farbige Verknüpfung über den kräftigen Akzent der blauen Krawatte. - Nun wird jede der drei Gestalten von einem solchen Akzent erfaßt: die Stehende vom rötlichen Gelb der Handschuhe über das Grün des Schirms; die Hauptgestalt vom Zinnober des Fächers. Obschon farbig unterschieden, sind diese Akzente allein durch die Intensität des Tons und des Strichs dem Grün verwandt. Wie starke Splitter strahlen sie von der Magnetmitte des Grün aus, das Gitter insgeheim fortsetzend, um die Gestalten ausdrücklich zu binden - jede in der Mitte ihrer Erscheinung. Seinen gesteigerten Nachdruck erreicht der Blauakzent des Mannes innerhalb dieses erweiterten Gitters durch seine besondere Stellung in der Mitte des Quadrats, das oberhalb der Gitterbrüstung vom Bildinneren bleibt; (denn dadurch bekommt er eine den verknotenden Scheiben im Kreuzungspunkt der Gitterstäbe ähnliche Wirksamkeit). Da die Farben des Mannes außerdem mit ihrer eigenen Sprache dem Akzent entgegenkommen, ihn über das Weiß des Vorhemdes als einen artgemäßen Kern selber hervorbringen, ergibt sich der genannte enge Kontakt zum Grün. Die Akzente der Frauengestalten stehen viel sperriger in der zartgebildeten Umgebung, bringen Fremdes aneinander. In dieser anderen Art besonders wirksam ist der Rotakzent der Sitzenden. Dem vom Gitter erstrebten
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Da sowohl die untere wie die seitliche Kante des Gitters fehlen, können die Verstrebungen der Stäbe nidit statisch verspannt wirken.
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Knotenpunkt unmittelbar nahe, scheint er durdi sein Komplementärverhältnis zum Grün die magnetische K r a f t auszulösen, die das ganze Bildfeld hierhin bannend ausrichtet. Farbe, Form und Gegenstand Die Sprache der Farben und Formen verbindet sich in der gleichen Art wie in den anderen Bildern mit der der dargestellten Gegenstände. D a das Ergebnis hier sehr eindringlich ist, soll es noch einmal beschrieben werden. Im Gitter wird durch die Härte des giftiggrünen Farbtons, durch festen Strich und winklige Formung diejenige des dargestellten Materials, der Eisenstäbe, spürbar gemacht. Alle Faktoren steigern sich gegenseitig im Ausdruck. Die gegenständliche Funktion des Gitters und ihr Einsatz im Bild erreidien auf diese Weise eine kaum überbietbare Intensität im Ausdruckswert, die durch den Kontrast zu den Frauengestalten nur noch erhöht wird. Die weichgestrichene Farbigkeit im Bildinneren verlebendigt dagegen den Zauber der Gestalten und erfüllt sich mit ihrem Leben. Uber die Art, wie das bauschige, mit Rüschen besetzte Kleid der Sitzenden zugleich üppig und flockig gezeichnet ist, wird etwas von der Person der Dargestellten erfaßt, wie sie sich auch im Gesichtsausdruck und in der Haltung äußert 51 , in der sich von rechts nach links drehenden Wendung ihres Körpers, die im Vergleich mit der starr aufrechten Haltung der anderen Figuren in ihrer Eigenart sich besonders bemerkbar macht. Farbig gleichförmigere, flächigere Darstellungsweise läßt die andere Frau auch im persönlichen Charakter farbloser erscheinen. N u r mit der Lebendigkeit eines gewisses Charmes, den zartschwingende Färb- und Formmodellierung hervorrufen, schließt sich die Gestalt der Bildpartnerin an und bleibt mit dem ebenso bewegten Dunkel des Zimmers im Kontrastzusammenhang verbunden. Hartes Schwarz/Weiß verbindet sich dagegen mit starrer Haltung und eckigleerem Gesichtsausdruck zu so unpersönlichem Wesen im Mann, daß dieser sich sowohl von dem Dunkel des Zimmers wie von den Frauengestalten abkristallisiert. Als Gestalt nimmt er auf diese Weise eine Stellung im Bildinneren ein, die der der kernhaften Farbakzente innerhalb der einzelnen Gestalten entspricht. Zur Bildaussage Es gilt nun nur noch, die beschriebenen Sprachelemente des Bildes in ihrem Zusammenwirken und gegenseitigen Verhältnis zu betrachten, um zur Bildaussage zu gelangen. 51
Noch die umgebenden Gegenstände vermehren den Reichtum ihrer Erscheinung. Die T o p f pflanze am linken Bildrand wiederholt und erweitert in der eigenen üppigen Fülle das reiche Wesen der Frau. Das Hündchen zu ihren Füßen gibt echohaft ihre Haltung in umgekehrter Form wieder.
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Das grüne Gitter und die Läden führen das Wort mit ihrer Härte, umdrängen damit das lebendige Leben im Bildinneren, die Gestalten. Über die Akzente lassen sich die Gestalten zudem, jede einzeln, dem Gitter verknüpfen, beziehen die andrängende Härte seiner Sprache auf sich. Besonders die Sitzende ist ihr ausgesetzt. Denn sie befindet sich dem Spannungskern der Grünvertikalen und -horizontalen am nächsten, erregt mit dem Rot ihres Akzents geradezu dessen Anziehungskraft. Sie spricht als einzige mit ihrer Haltung auf die Formen des Gitters an; (mit der Schrägwendung ihres Körpers, die in den aufgelehnten Unterarm und den darüber weggleitenden Blick mündet, bezieht sie sich auf die Kreuzstäbe des Gitters und die zusammenfassende Horizontale der Abschlußleiste). Die anderen beiden Gestalten richten sich - aufrecht stehend - nur nach den Vertikalen. Allein die Sitzende empfängt darum die Aussage, die ihr in den Grünvertikalen und -horizontalen entgegendringt, in voller Gewalt. Sie allein empfängt sie zudem kontrastierend, als etwas Fremdes, das ihr in ihrer Andersartigkeit „weh" tun muß. Die anderen Gestalten gleichen sich der andrängenden Härte an und fangen sie dadurch auf. Besonders der Mann kommt zu fast adäquater Starrheit - noch dazu an so zentraler Stelle im Bildinnern, daß dieses ganz ausgeliefert wirkt. Um so verlorener muß die Kerngestalt ihre Lage empfinden. Das im motivischen Ursprung leichte, ja heitere Thema ist somit durch die Art der farbigen und formalen Gestaltung zu einem ernsten verwandelt - von so schwerem inneren Format, daß die Erinnerung an die „Erschießung Maximilians" wach wird. Nur die Verbindung mit dem bestimmten dargestellten Ereignis gibt dem Erlebniskomplex des letzteren Bildes noch mehr Schärfe. Die Empfindung der Sitzenden im „Balcon" bleibt mehr im Unfaßlichen, stellt ein allgemeines Lebensgefühl dar, das von den Dingen der Umgebung nur ausgelöst, nicht inhaltlich getragen wird. Jede genauere Formulierung (etwa: die Bedrängnis eines reichbegabten und temperamentvollen Menschen durch die leere Etikette und Gleichgültigkeit der menschlichen Gesellschaft, durch eine ungemäße Umgebung) scheint sie schon zu sehr festzulegen. Als unfaßliche Empfindung ist die Aussage aber fast noch härter und grausamer wiedergegeben als diejenige in der „Erschießung Maximilians", da sie allseitig ausweglos die Kerngestalt umdrängt.
Vergleich
mit den besprochenen
Werken
der gleichen
Epoche
Vom großen Erschießungsbild zum „Balcon" vollzieht sich also eine ähnliche Wandlung von relativ greifbarer Aussage zum Ungreifbaren, wie sie schon vom Porträt Zolas zum „Déjeuner dans l'atelier" festgestellt wurde. Auch die übrigen Unterschiede können parallel gesetzt werden. In beiden Bildpaaren beobachtet man ein Streben, von der bezirksweisen Einteilung der Bildaussagen zu größerer Einheitlichkeit des Ganzen zu gelangen. Im „Balcon" kommen die verschie-
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Beschreibung einiger W e r k e aus den Jahren 1860-1870
denen Bildaussagen sogar zu so durchgreifendem Ineinanderwirken wie in keinem der bisher besprochenen Werke. Die Gestaltengruppe des Bildinneren wird derart vom Grün, das die Gegenaussage enthält, umgriffen und überzogen, daß nicht mehr ein Gegen- oder Nebeneinander von selbständigen Partnern erblickt wird. Mit seiner außerordentlichen K r a f t überwältigt der Grünbereich den anderen zur Einheit. Dabei gibt er selber viel mehr als der Mittelbereich die bezirkhafte Geschlossenheit auf, erreicht seine K r a f t nicht mehr durch das Bezirkgewicht — wie die Aussagen der früheren Bilder —, sondern allein durch die einheitliche Eindringlichkeit seiner Färb- und Formensprache, die sich über das ganze Bildfeld breitet. Gewiß ist diese Darstellungsweise auch durch die besondere A r t der Bildaussage bedingt. Doch hängt die Möglichkeit der Aussage wieder von der Situation innerhalb der angedeuteten Entwicklung ab. Schon in der „Erschießung Maximilians" zeichnet sich diese Möglichkeit ab, ist die Entwicklungstendenz zu spüren. Die Macht, welche dort die beiden gegnerischen Gruppen zusammenzog, sie im Raumverhältnis von „Schale und Kern" verband, ist hier aber wesentlich gesteigert. Die zuletzt besprochenen Werke haben aber auch etwas gemeinsam gegenüber dem Münchner Bild und dem „Zola": Sie lassen in einer etwas anderen A r t und Weise den subjektiven Charakter ihres Aussagegehalts lebendig werden. Wird dort der Vorstellungsgehalt der Dinge durch irrealisierende Raumverhältnisse geweckt, so ist hier mehr die Aussagekraft der Farben und Formen unmittelbar wirksam. Gewiß sind die Raumverhältnisse im „Balcon" genauso unfest wie in den anderen Bildern. Das Gitter schneidet jede Möglichkeit einer Abmessung von vornherein ab, da keine Verankerung im Boden zu sehen ist. Das Unfeste ist aber nicht durch irritierende Farbverhältnisse bis zum Irrealen gesteigert. Die Farben setzen sich nicht über die räumliche Folge der Gegenstände hinweg, wie sie durch Überschneidungen gegeben ist, betonen sie eher. Die Raumverhältnisse der Farben sind also nicht im gleichen Grad verwandelnd eingesetzt wie im „Déjeuner dans l'atelier". Andererseits haben die Farben in dem Münchner Bild wohl das gleiche gestaltende Verhältnis zu den Gegenständen, erwecken deren Aussagekräfte, um die eigenen mit ihnen zu vereinen. Sie kommen dabei aber nicht zu der scharfen Steigerung wie im „Balcon". Die Gestaltungsmöglichkeiten haben sich also in ihrer Proportionierung verschoben. Erreicht wird dadurch eine Differenzierung im subjektiven Aussagewert der Bilder. Entfalten sich die Gegenstände des „Déjeuner dans l'atelier" als Vorstellungsbilder, verzaubernd und reich, aber fast ohne innere Anteilnahme, so wird im „Balcon" ein Empfindungszustand mit überwältigender Eindringlichkeit lebendig.
Bilder aus dem zweiten Schaffensjahrzehnt Manets 1873-1883
Drei Bilder mit der Darstellung eines Paares „Argenteuil"
1874
(Taf. 8)
Einführende
Beschreibung
Die Gestalten eines Paares bilden den Kern des Bildes. Beide sitzen ruhig nebeneinander im Vordergrund auf dem Bord eines Bollwerkes - der Mann leicht nach links der Partnerin zugewendet hinter sich eine weite Flußlandschaft. Zwei Boote liegen so nahe dabei, daß sie die Gestalten an den Bildseiten zu flankieren scheinen. Weitere Boote sieht man links hinter der Frau über die ganze Breite des Flusses gestreut. Der Fluß ist so breit wiedergegeben, daß seine Flädie die Figuren in deren ganzer Höhe hinterfängt und der Himmel sich erst über der ungebrochenen Horizontalen des jenseitigen Uferstreifens erhebt. Die Farben Die farbige Erscheinung des Bildes ist lebendig und kontrastreich bewegt. Zahlreiche verschiedenartige Farben wirken mit gleichwertiger Intensität - in kurzen Flecken wechselnd - ineinander. Ein farbiger Grundnenner ist nur im Grauweiß gegeben, das in verschiedenen Nuancierungen das ganze Bild durchweht. Ständig mit ihm kontrastierend geraten die Farben in die anfangs genannte Bewegtheit und sind gleichzeitig an seiner Helligkeit - als an einer für alle verbindlichen Kraft — ausgerichtet und durch sie gebunden. Unter den Buntfarben, die mit Weiß kontrastieren, spielt klares Blau eine besondere Rolle. Vor allem im breiten Band des Flusses kommt es stark und ungebrochen - zwischen helleren und dunkleren Tönen vibrierend - zur Geltung. Als Hintergrund der Gestalten und Boote tritt es zwar nur stückweise in Erscheinung. Aber so intensiv ist seine Sprache, daß es trotzdem geschlossen wirkt, allen Farben, die sich von ihm abheben, überlegen. Außerdem hat es das Blau des Himmels in ungehemmter Dehnung einigend über sich (so zart und mit dem Grauweiß der Wolken durchzogen dieses auch auftritt). Unter den Vordergrunddingen enthält nur die Gestalt der Frau das Blau. Deshalb wirkt es in ihr konzentriert und zu ihr hin konzentrierend. Wohl ist es blaß
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Besdireibung einiger Werke aus den Jahren 1873-1883
und neigt dazu, sich dem kräftigeren des Flusses anzuschließen, mit dem gleichartigen und ebenso mit Weiß durchzogenen Blau des Himmels Verbindung suchend. Dennoch setzt es sich in seiner sammelnden Funktion spürbar durch, befähigt durch die Vibrationskraft der Kontraste, welche sich im Farbgewebe des Kleides zwischen den blauen, weißen und graurosa Streifen ergeben. Die Farben des Mannes stehen fremder vor dem Blaugrund. Durch die K r a f t und Art von Farbton und -kontrast bleiben die stumpfrot-weißen Streifen des Hemdes dem Blau gegenüber selbständig. Noch mehr läßt das kraß sich abhebende Gelb des Strohhuts - verschärft von dem Zinnober des Bandes - die ganze Gestalt aktiv vortreten, vor allem im Vergleich mit dem Schwarz/Weiß im Strohhut der Frau, das sich noch in der Variationsfolge der Blau-Weiß-Kontraste hält. Außerdem zieht das Zinnober das komplementäre Grün der jenseitigen Uferböschung auf sich und die Gestalt, deren auf Rot hin gestimmte farbige Eigenart dadurch Betonung findet. Trotz aller farbigen Verschiedenheit, welche die Figuren im Verhältnis zum Blaugrund beweisen, kommen sie jedoch auch zu einer gemeinsamen farbigen Wirkung. Beide zeigen sich verbunden durch die Art, mit welcher die Farben der Kleidung in engem Wechsel mit grauweißen Streifen kontrastierend bewegt sind. J a , manche Töne im Gewebe der Frau scheinen unmittelbar vom Bereich des Mannes hinübergedrungen zu sein, das blasse Graurosa neben den blauen Streifen von den tiefroten des Hemdes - und noch deutlicher das Zinnober der Feldblumen im Schoß der Frau, vereinigt mit Grün. Dadurch teilt sich der Frau etwas von der Art des Mannes mit. Gleichzeitig gerät der Mann seinerseits in den Bann dessen, was sich mit dem Blau des Grundes als Macht in ihr versammelt. Wie sich das Zinnober und Grün der Blumen fremd aus den zarten Farben des Kleides hervorheben, aber von ihnen umfangen und beherrscht sind, so stehen die Farben des Mannes insgesamt im Blau des Bildes. Lebhaft sind auch die Farben der seitlichen Boote. Doch tragen sie wenig Neues zum Farbbild bei. Sie erweitern nur die Kontrastverhältnisse bis zu hartem Schwarz/Weiß. Dabei überwiegen links schwarze und dunkle Farben, rechts weiße — derart, daß die Boote über die ganze Bildbreite hinweg farbig verspannt sind, die Kontraste der Bildmitte zusammendrängend. Schwarz hebt sich links der SchifFsrumpf von der hell dahinter vorleuchtenden Brüstung ab. Umgekehrt hat rechts der weiße Rumpf schwarze Kanten. Der Großbaum - von der Persenning umwickelt - steht wieder hell vor dem tiefen Blau des Flusses, während der Mast links sich dunkel vor dem hellen Himmel hochrichtet. - Gleichzeitig werden die Kontraste durch verschiedenartige kräftige Gelbstücke - in rötlichem Ton rechts im Verdedc, sandfarben in der Brüstung links - farbig bereichert und vervielfältigt. So verdeutlicht sich der Bezug zum Blau/Weiß der Bildmitte und steigert sich die Unruhe der Kontraste, da die Komplementäre nur angesprochen, an keiner Stelle aber verwirklicht wird.
Argenteuil
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Die Formen Die Farben sind mit kurzem Strich in sehr pastosem Auftrag kleinteilig wiedergegeben. Alle treten sie auf diese Weise mit einer ruckartigen Energie in Erscheinung, die zarten wie die starken Töne, und sind dadurch auch in den ständig wechselnden Kontrastverhältnissen gesteigert. Das gilt besonders für die Streifen in der Kleidung, da hier mit fast jedem Strich auch der Farbton wechselt, erst durch die mehrfache Wiederholung derselben kontrastierenden Farben ein geschlossenes Farbfeld entsteht. Aber auch in den zusammenhängender gestalteten Farbfeldern finden die einzelnen Nuancen den gleichen Nachdruck. Jeder hellere und dunklere Blauton der Wasserfläche z. B. betont durch die Intensität des Strichs seinen eigenen Wert. Von den Farbzellen ausgehend wird auf diese Weise das Bild mit Formintensität erfüllt. Selbst wenn die Formintensität diejenige der Farbe überspielt (wie in den Booten rechts und links, in denen die Schärfe der Kontrastverhältnisse die linearen Werte vordringen läßt), bleibt die Farbe als der ursprüngliche Gestaltungsfaktor wirksam. Von ihrer A r t sind auch die größeren Formen in K r a f t und Spradie bestimmt. Ja, in deren stückhaft gegeneinander versetztem Verhältnis scheint sich dasjenige der Farbflecken in unmittelbarem Bezug nur zu erweitern. Die Vertikale des Mastbaumes links und die Horizontale des jenseitigen Ufers z. B. übersetzen einzeln und im gegenseitigen Verhältnis die entsprechenden Striche des Farbgewebes ins Große. So ergeben sich vielerlei Möglichkeiten, mit formalen Beziehungen die farbigen zu bestärken und zu ergänzen. Die bilddurchquerende Vertikale des linken Mastbaumes wird von den senkrechten Streifen in der Kleidung der Frau aufgenommen und unterstützt deren farbigen Bezug zum Himmel über das Blau des Flusses. Ebenso wird der beschriebene Kontakt des Mannes zum Uferstreifen durch den Gleichklang der Horizontalen im Hemd unterstrichen und weitergeführt, verklammert durch den Winkel, der sich zwischen dem Großbaum und dem von einem Schirm verlängerten Unterarm bildet. So weit geht die Korrespondenz, daß sich im gegenseitigen Verhältnis der verschiedenartigen Horizontalen und Vertikalen eine Beeinflussung geltend macht: Die dicht zusammenstehenden Streifen der Gestalten haben Anteil am weit gespannten Verhältnis zwischen Mastbaum und Uferstreifen. Andererseits werden unter ihrem Einfluß die in weitem Verhältnis kontrastierenden Kräfte verdichtend aneinandergezogen.
Die
Gegenstände
Mit vitaler Pinselführung werden die Gegenstände gezeichnet und zu einem entsprechend vitalen Dasein geweckt. Dieser Eindruck von Vitalität steigert sidi noch durch die kleinteilig kontrastierende Farbgebung. Die Dinge werden mit einer inneren Bewegtheit, Gespanntheit erfüllt, die sie lebendig macht.
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Beschreibung einiger Werke aus den Jahren 1 8 7 3 - 1 8 8 3
Die gleichen Maßnahmen der Farbgestaltung treiben die Dinge aber auch über ihr Einzeldasein hinaus in einen Zusammenhang, der ihr individuelles Dasein absorbiert. Zwar sucht der Strich im Duktus die spezifische Form und stoffliche Erscheinung der Gegenstände zu erfassen. Seine Differenzierungen bleiben aber nur Abwandlungen einer Ur-Materie, aus der alles entsteht. Das Wasser hat die gleiche handfeste Intensität wie die Boote darauf, ja selbst wie die Gestalten im Vordergrund, deren Erscheinung umgekehrt fließend bewegt wirkt. So scheint alles miteinander verwandt. Die kontrastierend bewegte Farbgebung treibt zur Verwandtschaft, indem sie die Geschlossenheit der einzelnen Dinge aufreißt, deren Erscheinung für den Gesamtzusammenhang gleichsam öffnet. Mit um so größerem Nachdruck werden die zahlreichen Farbbeziehungen und -Verknüpfungen empfunden, die - von einem Gegenstand zum anderen springend - die Dinge in ihr vibrierendes Gewebe binden. Daß viele Dinge nur stückweise sichtbar werden, kommt diesem Vorgang entgegen. Besonders die Boote lassen zwischen Gestalten und Bildrand nur Teile sehen, die zudem farbig kontrastiert auseinanderklaffen und deshalb leicht eine Verknüpfung mit gleichartigen „Stücken" anderer Dinge eingehen. Aber auch die fast in ganzer Figur unbeschnitten wiedergegebenen Gestalten erscheinen durch die kleinteilig kontrastierende Farbgebung ähnlich stückhaft, werden zur Auflösung und Verbindung mit der Umgebung gebracht.52 Nur um eine Nuance sind die Gestalten durch ihre relativ abgerundete Geschlossenheit ausgezeichnet. Diese Nuance ist allerdings von Bedeutung: Die Farben der Gestalten erhalten dadurch eine besondere Fülle, die ihnen bei jeder Verknüpfung die anziehende K r a f t verleiht. Selbst stärkeren Farben und Formen gegenüber setzen sie diese K r a f t durch. Das Blau im Kleid der Frau z. B. ist blasser als das des Flusses, und die senkrechten Streifen fallen weicher und leichter als die strenge Vertikale des Mastes. Dennoch liegt bei den Farben und Formen der Frau die zentrierende Priorität.
Der Raum Ein breiter Fluß dehnt sich hinter den nahen Gestalten und Booten, die den Vordergrund dicht verstellen. Ziemlich unvermittelt greift der Blick von diesen zum jenseitigen fernen Ufer. Doch läßt die Art der farbigen und formalen Gestaltung einen schroffen, unausgeglichenen Eindruck nicht aufkommen. Der zwischen Nähe und Ferne gespannte Kontrast scheint die farbigen Kontraste, welche zusammengezogen in den Gestalten, Tiefe schaffend in den Booten auftreten, nur 52
Die „zerstückelnde" Absicht in der Darstellungsweise erlaubt selbst einen Wechsel der Mittel. So greift der linke A r m des Mannes ganz unvermittelt rund modelliert vor, während die Körperlichkeit der übrigen Gestalt nur wie üblich durch die Intensität des Farbstrichs verlebendigt wird.
Argenteuil
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zu erweitern. Die gleiche Kraft, die den Raum erzeugt, ist auch innerhalb der Gestalten wirksam. Raum und Körper können darum einander durchdringen. Die Gestalten sind aufgeschlossen für den Raum, der sie hinterfängt, und erfüllt von ihm, den sie formal durch die Kontraste auf sich ziehen. Andererseits strahlt in den Raum etwas von ihrer Daseinsintensität, als deren Ausdruck die Kontraste - im Zusammenwirken mit dem körpergestaltenden Farbstrich - entstanden scheinen. Diese durchdringende Verbindung von Vordergrunddingen und Hintergrundraum wird zudem dadurch gefördert, daß die Gegenstände der Tiefe unmittelbar auf die Flädie und damit auf die Vordergrunddinge farbig und formal bezogen bleiben. Das Blau des Flusses greift mit aggressiver Schärfe vor, statt mit den zurückweichenden Qualitäten seines Tons den gegenständlich vorgegebenen Raum zu verlebendigen. Der Uferstreifen, dessen Entfernung sich schon eindeutiger zeigt, ist als Horizontale ebenso eindeutig mit den Streifen des Hemdes verknüpft (außerdem buchstäblich nach vorn gezogen vom herabhängenden Tauende am Großbaum, das wie eine Spiegelung des Schornsteins in der Mitte des jenseitigen Ufers wirkt). Selbst der Himmel, dessen Ferne durch den dunkel sich abhebenden Mast links besonders deutlich wird, bleibt der Frauengestalt farbig nahe, über die Brücke des gleichen Mastbaumes hinweg. - Die ganze Raumtiefe ist in ihrer Bindung an die Gestalten in die Fläche übersetzt von dem Winkel der Bootstaue, welcher von weiter Öffnung - dem Himmel die ganze Bildbreite überlassend - zu den Gestalten hin sich verengt und von diesen zu abrundendem Schluß aufgenommen wird.
Der
Bildgebalt
Die Gestalten sind in jeder Weise - farbig und formal - derart in den Hintergrund eingebunden, daß dieser zur Umgebung wird, mit der sie verwachsen. Weder durch Farbintensität noch durch besondere Farbgebung werden sie hervorgehoben. Ja, manche Teile des Hintergrundes erscheinen farbig und formal intensiver als sie selbst. Auch die Art der stofflichen und räumlichen Darstellung zeigt sich von diesem Ziel bestimmt. Gleichwohl bewahren die Gestalten eine zentrale Stellung. Die gleichmäßig wechselnden Kontraste der Kleiderstreifen erfüllen sie mit einer ruhigen Anspannung, deren dichte, verhaltene Intensität sie auszeichnet. Mit dieser Intensität - in Vereinigung mit der K r a f t ihres Daseins als empfindungsbegabte Menschen binden die Gestalten die Umgebung an sich. Sie binden sie ebenso eng, wie sie sich zunächst daran aufzugeben scheinen. Alles was sie zugunsten ihrer Einfügung in das Farbgewebe des Ganzen an Eigenständigkeit preisgeben, gewinnen sie darum für den Ausdruck ihrer Person, ihres Wesens zurück. J a , sie gewinnen es vielfach zurück - vermehrt um den Aussagereichtum der Umgebung.
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Beschreibung einiger Werke aus den Jahren 1 8 7 3 - 1 8 8 3
Die Gestalten nehmen gemeinsam die Bildmitte ein, durch das Motiv der kontrastierenden Streifen zusammengeschlossen. Auf beide bezieht sich die Bildumgebung; hinter beiden erstreckt sidi die Flußlandschaft und erscheint mit den Formen der flankierenden Boote zu ihnen hin zusammengezogen (z. B. über den Winkel der Bootstaue, der sich erst in den Gestalten schließt, und die SchwarzWeiß-Verspannung der Bootsrümpfe, die zur Schließung des Winkels in den Gestalten drängt). Gleichwohl reagieren Mann und Frau auf verschiedene Weise und finden in verschiedenen Dingen der Umgebung Resonanz und Vervollkommnung für den eigenen Ausdruck ihrer Person. Die Frau hat besonders enge Verbindung zum Fluß und zum Himmel. Was in ihnen zur Sprache kommt, wird darum vorwiegend als Eigentum ihres Wesens empfunden. Der Frau gehört die distanzierte Reinheit und ruhige K r a f t in der Wirkung der blauen Farbe. Ebenso wird die Weite der Landschaft für den entrückt-gelösten Ausdruck und die leise Macht ihrer Person gewonnen. Die Weite, die sidi mit der Beziehung zum jenseitigen Uferstreifen für den Mann erschließt, ist meßbarer, „diesseitiger". Sie hat für ihn auch nicht die gleiche bedeutungsvolle Rolle. Für den Ausdruck seiner Art ist das sperrig geformte Bootsgestänge neben ihm wichtiger (während links der Mast die Frau in ihrer Beziehung zum blauen Fluß und Himmel nur unterstützt). Indem es formal gemeinsam mit dem aufgestützten Arm einen Winkel bildet, den senkrecht gleitenden der Taue durchkreuzend, steigert es die aktive Hinwendung des Mannes zur Frau, die unter der nachlässigen Haltung nur lose verdeckt ist, - steigert die entsprechende Wirkung der rotbestimmten Farben und der Horizontalen. Die verschiedenartigen Ausdrucksformen der Gestalten in der Umgebung lassen sich aber nidit wie oben beschrieben voneinander trennen. In ständigem Wechsel greifen sie ineinander - dem aus zahlreichen Kontrasten gewobenen äußeren Farbbild entsprechend — und bilden so die Atmosphäre, welche die Gestalten zusammenführt. Von dem Manne ausgehend, werden alle Bildaussagen — die eigenen wie die der Frau — mit einer gewissen Anspannung erfüllt. Andererseits bleibt die latente Aktivität des Mannes beherrscht von der ruhigen Macht, die von der Frau in deren Beziehung zur Weite ausgeht und den verhaltenen Charakter seiner Gebärde bestimmt. So kommen die Gestalten zu einem gemeinsamen Empfinden. Ihre Gemeinsamkeit und deren Art zum Ausdruck zu bringen, ist Ziel der Darstellung.
Vergleich mit besprochenen
Werken
Damit zeigen sich neue Möglichkeiten in der Kunst Manets. Die Gemeinsamkeit der Gestalten geht weit über diejenige hinaus, die im „Balcon" erstrebt wurde. Dort erfuhr man den Empfindungsgehalt des Bildes, wie er mit dem Giftgrün und den harten Formen der Balkonläden die Gestalten des Bildinnern umdrängt, allein
Argenteuil
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über die Sitzende. Die Gestalten, die mit ihr vom Grün umgeben werden, sind keine Gefährten, sondern personifizieren nur die andrängende Macht, die darum von der Sitzenden mit doppelter Gewalt und mit um so größerer Einsamkeit aufgefaßt wird. Im zuletzt besprochenen Werk ergibt sich jedoch eine Kommunikation zwischen den Gestalten. Erst in der Verbindung dessen, was jede Gestalt gleichwertig auf ihre besondere Weise beiträgt, erfüllt sich der Empfindungsgehalt des Bildes. V o r allem in der Umgebung, in der beide Gestalten sich ausgedrückt finden, durchdringen sich die Aussagen so weitreichend, die Kommunikation so häufig erneuernd, daß beide nicht mehr voneinander zu trennen sind. Es entsteht jene „Atmosphäre", die Mann und Frau vereint. Die durchgreifenden Wandlungen in der formalen und farbigen Gestaltungsweise hängen mit diesem neuen inhaltlichen Ziel zusammen. Alles ist darauf abgestimmt, jenen „atmosphärischen" Zusammenhang herzustellen. Das dicht ineinandergreifende Gewebe vieler verschiedener Farben läßt nichts mehr als etwas Einzelnes bestehen. Dabei löst es - kleinteilig kontrastierend - die Geschlossenheit der Gegenstände auf, die sich im „Balcon" bei aller Einheitsbestrebung sogar betont erhalten hatte. Gleichzeitig werden stoffliche Differenzierungen unterdrückt, die Gegenstände alle mit gleichgeartet energischem Farbstrich zu gemeinsamer Intensität ins Leben gerufen, so daß die festen Dinge mit den unfesten, die nahen mit den fernen verwachsen. So wird die Aufmerksamkeit von den einzelnen Gegenständen w e g auf den Raumzusammenhang gelenkt. Dieser Raum ist also gegenüber demjenigen im „Balcon" bildbestimmender, verdichtet durch seinen veränderten Charakter: Nicht mehr als Zwischen- und Umgebungsraum der Dinge erscheint er, sondern erfüllt sich unmittelbar mit dem Leben, das die Gegenstände an ihn aufgeben. In ihm berühren und durchdringen sich die Dinge. So ist es möglich, daß ein Thema darstellbar wird, das von Manet bisher nicht angegriffen wurde: die Begegnung zweier Menschen. Nicht zufällig taucht es von nun an immer wieder auf und wird uns auch in den folgenden Bildern beschäftigen.
„Chez
le Pfre
Lathuille"
(Taf.
Einführende
1879
9)
Beschreibung
Wieder ist ein Paar dargestellt. Mann und Frau sitzen aber nicht ruhig verhalten nebeneinander, sondern sind einander mit erregt gespannter Gebärde zugewendet. A u f die fordernde Werbung in der Gebärde des Mannes antwortet die Frau mit starr hochgerichteter Haltung, rechtwinklig die Hände auf dem Tisch vorgestreckt, an dessen Ecke gerückt sie sitzt. Zum abgewendeten Profil des Gesichtes hinstrebend wirkt diese Haltung abwehrend distanziert. 53 Scheinbar 53
5
D e r Betrachter überträgt die W i r k u n g des verlorenen Profils auf den Ausdruck der F r a u im Hinblick auf den gegenübersitzenden M a n n , o b w o h l er sie nur auf sich beziehen d ü r f t e . Hopp, Manet
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Beschreibung einiger W e r k e aus den J a h r e n 1 8 7 3 - 1 8 8 3
gewinnt die Frau damit sogar die Oberhand, da sie den Mann, der sich geduckt hält, überragt und seitlich nach links abdrängt, selber hart an der Mittellinie des Bildes hochgereckt. Desto konzentrierter ist jedoch die fordernde K r a f t des Mannes, die explosiv die ausladende Gebärde erzeugt. Über die ganze Breite des breitformatigen Bildes greifen die Arme aus, in weitem Bogen die Gestalt der Frau umfassend, die eine Hand auf dem Tisch ihren Händen gegenüber, die andere hinter ihrem Rücken auf der Stuhllehne. Mit der ganzen Wucht frontaler Wirkung drängt die Gebärde vor und engt die Frau räumlich zwischen sidi und der bildparallel laufenden Tischkante ein. Der Hintergrund - ein Wirtshausgarten - ist durch diese Gebärde ganz zurückgewiesen. Dennoch trägt er einen beträchtlichen Teil zur Erfüllung des Bildes bei. Besonders rechts hinter dem Rücken der Frau kann er sich ausbreiten. An einer Wegbiegung steht dort zwischen Rabatten und Büschen ein Kellner als Zeuge der Szene. Der Weg biegt nach links ab, offenbar um am Haus entlang zu einer Terrasse zu führen, die links hinter einer gläsernen Trennwand mit weiteren Tischen in der Bildtiefe auftaucht. Doch wirkt die direkte Verbindung dorthin von den Gegenständen der Bildmitte, die eng verflochten gesehen werden, verstellt. Ein dicker Baum mit seinen Ästen und sich ausbreitendem Laub vermischt sich unlöslich mit Teilen der zurückliegenden Hauswand. Vollends schneidet der Pfosten der Trennwand mit seinen scharfen Senkrechten den linken Hintergrundteil ab. Außerdem wird eine so enge formale Verknüpfung mit den Gestalten gesucht (die Senkrechte des Pfostens stößt zum Ausgangspunkt der Gebärde des Mannes nieder, der Baumstamm führt die aufstrebende Richtung in der Haltung der Frau weiter), daß alle seitlichen Verbindungen hier endigen.
Die Farben Der Hintergrund erhält eine bedeutende Rolle im Bild durch die K r a f t seiner tonangebenden Farben (wie im „Argenteuil" durch das Blau des Flusses). Das verschiedenartige Grün des Laubes, der Büsche, der Rabatten erfüllt - durchspannt von dem bläulichen Grün des Pfostens - den Grund so beherrschend, daß die zahlreichen mit ihm verwobenen Farben seiner Nuancierung dienstbar, jedenfalls ihm untergeordnet erscheinen. Mit dieser seiner reich irisierenden, in sich stark bewegten Art erhebt es einen Führungsanspruch im Bild, erregt einen Klang von silbriger Schärfe, der durch die wenigen warmen Töne nur angefacht wird. 54 Auch die Farben der Gestalten bleiben ihm angeschlossen. Sie haben nicht die gleiche Tonfülle, sind entweder sehr hell oder sehr dunkel gebrochen und ihm im Tonabstand zu nahe, um Selbständigkeit zu entwickeln. Erst durch ihre Kontrastverhältnisse 54
Die wenigen Zinnobertupfen links bestärken nur das G r ü n ; die meist graugebrochenen Gelbtöne wiederum sind durch tiefes Blau gebunden, das die Kühle der Grünwerte steigert.
Chez le P£re Lathuille
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gewinnen sie auf andere Art eigene K r a f t , bringen in die vom Grün erregte Kühle eine fahl aufbrechende Heftigkeit. Die Farben des Mannes dominieren in der Figurengruppe: das auf H a a r und Krawatte konzentrierte Schwarzblau und das mit der Gebärde ausstrahlende Sandgelb des Sommerjacketts. Sie sind bis zum Hell/Dunkel-Kontrast auseinandergetrieben und bewahren doch so viel Farbintensität, daß ihr Komplementärverhältnis ebenfalls wirksam bleibt. Darum sind sie sehr entschieden. Sie sind es um so mehr, als sie in allen Qualitäten Förderung erhalten von den lichtkühl variierenden Tönen der Tischdecke, deren Weiß sich in den gelblich lichten Teil der Tischplatte und den bläulichen Sdiattenteil der herabhängenden Kante bricht: Das Gelb des Jacketts läßt seine Helligkeit von der des Tischtuches erweitern und steigert an dieser zugleich seine Farbintensität. Das Schwarzblau von H a a r und Krawatte gewinnt an Konzentration und Tiefe im Vergleich mit der breiten zartgetönten Fläche der vorderen Tischkante. Und damit findet auch ihr Kontrastverhältnis in seiner Eigenart Nachdruck. Die Gestalt der Frau ist mit der Dunkelheit ihres Kleides in dieses Kontrastspiel einbezogen, gibt erst den Widerpart zu den großen Hellflädien des Tisches und des Mannes. Durch die Art der Farbgebung ist sie ihnen aber wieder entzogen. Zahlreiche verschiedenartige Farbstreifen durchqueren einander, wirr und in der Gesamterscheinung unbestimmbar, so daß sie den entschiedenen Farben des Mannes nicht begegnen können. Tiefviolettgrau und Oliv überwiegen. Aber auch Tiefblau (besonders zu den Ärmeln hin), Kupfergrün und selbst Rot tauchen auf. D a sie keinen H a l t in sidi oder bei den Farben der Gruppe haben, neigen sie dazu, sich zu denen des Grundes zu flüditen. Was in ihnen unlöslich verworren geballt ist, scheint sich in der irisierend reich wechselnden Farbigkeit des Grundes nur bewegter und freier zu entfalten. Besonders der Stamm hinter dem Kopf der Frau nimmt mit der Gebärde auch das tiefe Violettgrau der Frauengestalt auf und trägt es in das Laubgrün hinein, mit dem die Gestalt über das Bukett am H u t auch unmittelbar Kontakt aufnimmt. N u n werden alle Farben der Gruppe echohaft zwischen denen des Grundes wiederholt, auch diejenigen des Mannes. Diese sind in der Gestalt des Kellners in der Zusammenstellung variiert, wie auch in der linken Hintergrundgruppe. Eine Verbindung zum Manne lassen sie besonders im Mittelteil entstehen, wo sie in heftig wechselnder Folge senkrechter Striche unmittelbar an das Violettgrau des Stammes anschließen: Tiefblau, Weiß und Ocker, das sich hier bis zu Orange erhitzt (Fensteröffnung, Fensterrahmen, Laden). In noch engerem Komplementärverhältnis als das Sandgelb des Jacketts zum Tiefblau des Schopfes steigert dieses Orangeocker dessen Konzentration, didit beim Schopf herniederstoßend. Doch vermischen sich die Farben der Frau viel weitgehender mit denen des Grundes, die in der gleichen eng vibrierenden Folge ihre Bewegtheit fortsetzen. In entsprechender Weise ist nur der Pfosten durch die H ä r t e seines bläulidien Grün und die Heftigkeit der Linien mit den entschiedenen Farben des Mannes 5*
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Beschreibung einiger W e r k e aus den Jahren 1873-1883
verbunden, greift k r a f t dieser Verwandtschaft in ihr Verhältnis verschärfend ein, ja bringt es zu schriller Wirkung, wenn man in der gleichen Richtung das Orangeocker auf der anderen Seite des Kopfes zudringen sieht.
Die
Formen
Das bleiche Blaugrün des Pfostens erhält seine Härte erst in Verbindung mit der Schärfe der Linien und der Glätte des Farbauftrags. Wie ein Pfeilbündel stoßen die Linien genau senkrecht zum Ausgangspunkt der Gebärde des Mannes. Ihr Grün wird dadurch entschieden von dem des Laubes getrennt. Der nur geringe Unterschied im Ton vertieft und spannt sich. Er vertieft sich um so mehr, als das Grün des Laubes in entgegengesetzter Weise formal geprägt ist. Kurze, heftig hingespritzte Tupfen lassen es dicht vibrieren und geben ihm Gelegenheit zu dem beschriebenen brillierenden Wechsel der Töne, in den auch die fremden Farben der eingestreuten Gegenstände einbezogen sind. Durch diese A r t der Formung erreichen die Farben des Grundes ebensosehr bildbestimmende K r a f t wie durch die Intensität der Töne und des Tonwechsels. Die scharfen Senkrechten des Pfostens scheinen andere Formen auszulösen: den großen Bogen der Arme und den begleitenden, nach rechts stoßenden spitzen Winkel der Tischecke. - A b e r auch das Laubgrün hat einen beträchtlichen Einfluß durch die geballte und zugleich ausgebreitete Formenenergie der Flecken, die sich mit jedem Tupfen erneuert und zuspitzt. Denn diese ihre Energie überträgt sich auf die verdeckter, gebändigter bewegte Farbstruktur der Gruppe. V o n ihr angefacht verlebendigt sich das Gewebe innerhalb der Gestalten, erfüllt mit ihrer Vitalität diejenige der größeren Formen. V o r allem die Frauengestalt wird davon beherrscht. Sperrig gerade Linienzüge durchqueren ihre Erscheinung, einander spitzwinklig durchstoßend und so drängend, daß die Formgeschlossenheit der Gestalt nur mühsam bewahrt erscheint. In den Händen schießt dieses Gewebe dann gleichsam über, wirr und zitternd erregt wie dasjenige des Laubgrundes. — Jedoch enthält auch die Erscheinung des Mannes jene innere Bewegtheit, die von einzelnen Pinselzügen ausgeht. Die K r a f t entschiedener Striche trägt die große Form der Gebärde und ballt sich in der Hand, die den wirren Flecken in den Händen der Frau herausfordernd entgegengerichtet ist. So ist das ganze Bild mehr oder weniger von der Bewegtheit der Farbflecken durchdrungen, wie sie sich im Grund am offensten zeigt, und davon bestimmt. Andererseits geht von der Gruppe durch die K r a f t der großen Formung eine rhythmisierend zusammenfassende Wirkung aus, von welcher auch der Grund ergriffen wird. D a w o die hellen und dunklen Felder von Mann und Frau am engsten ineinander verschränkt zusammentreffen, ist auch das Laub des Grundes
Chez le Pere Lathuille
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am dichtesten geballt in scharfer Spannung zur andersgerichteten Formung des Pfostens, hochgetürmt bis zur oberen Bildkante, während das Gewebe an den Seiten mit flacherer Spannung horizontal ausläuft, von den horizontalen Linien - der Terrasse links, der Hauswand rechts - niedrig gehalten.
Die
Gegenstände
Die Gestalten beanspruchen die K r a f t der weitausholenden Formen, um sich als Personen aus der Fleckenumgebung hervorzuheben. Andererseits lassen sie sich jedoch so sehr von der gleichen Farbenbewegtheit durchdringen, daß sie auch an der entsprechend aufgebrochenen Erscheinungsweise der Gegenstände teilhaben. Wie im „Argenteuil" ist besonders im Grund der Gewebezusammenhang stärker als die individuelle Geschlossenheit und das Einzeldasein der Dinge. Das Laub vibriert so stark, daß nicht allein die Unterschiede in der Formung der Pflanzen in seine Bewegtheit eintauchen, sondern auch diejenigen der festeren Gegenstände. Alle Differenzierungen in der Kennzeichnung der Gegenstände erhöhen nur die Bewegtheit des Gewebes, ohne den einzelnen Gegenstand greifbar festzuhalten. Der Stamm in der Mitte ist zwar aus zäheren Strichen dichter geformt als das leichte Laub; die mit jedem Flecken neu ansetzende Ton- und Formgebung läßt aber seine zerklüftete Erscheinung sich mit dem Laubgewebe verbinden und vermischen. Allein der Pfosten hebt sich mit seiner scharfkantigen Formung auch gegenständlich aus dem Laub hervor. Doch ist er kaum greifbarer. Die Linien der Kanten sind so scharf gezogen - im Hell/Dunkel-Kontrast voneinander gesondert daß sie vom Gegenstand abzuspringen, ihn zu sprengen scheinen. So greift auch dieser so prägnant gezeichnete Gegenstand in der Wirkung über sich selber hinaus, bereit zur Fortpflanzung der in ihm erzeugten Spannungen. Ebensowenig kommen nun auch die Gestalten zu greifbarer Festigkeit, obwohl der Farbanstrich seine charakterisierenden Qualitäten deutlich zur Geltung bringt. Das bauschige Halstuch der Frau ist durch wolkigen Strich- und Nuancenwechsel gekennzeichnet und von dem gröberen Stoff des Jacketts abgesetzt, sowie vom straffgespannten Tuch des Kleides. Die gleichen Striche bewirken jedoch durch ihre zugespitzte Verve und die fein oder scharf bewegte Art des Spannungsgefüges ein immaterialisierendes Vibrieren. Ob sie - in losen Schrägen übereinanderlagernd im Schattenteil der Tischdecke ein schwebendes Gewebe bilden, oder ob einzelne kräftige Pinselzüge den dichteren Farbzusammenhang in der Gestalt des Mannes durchstoßen; in jedem Fall ist mit der Verlebendigung des Gegenstandes seine Erscheinung gleichsam aufgebrochen, um seine innere Bewegtheit mit der der Umgebung zu vereinen.
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Beschreibung einiger Werke aus den Jahren 1873-1883
Der Raum Durch diese Art der Gegenstandsdarstellung sind die lebensgroßen Gestalten mit dem Hintergrund zu einem geschlossenen Raumbild verwadisen. In ihrer ungreifbaren Erscheinungsweise lassen sie eine Vorstellung von der Distanz zu den ferneren Dingen, die ihrerseits durch farbige und formale Intensität vorwirken, gar nicht aufkommen. Vollends schließt sich der Abstand im Wechselspiel der farbigen und formalen Einwirkungen, zwischen der Hingabe der Gestalten an die Macht und den Einfluß des Grüngewebes einerseits und andererseits der zentrierenden, aneignenden K r a f t der Gestalten - wie im früheren Bild, nur noch aktiver, noch ausgeprägter. Besonders dicht verwachsen Grund und Gestalten in der Mitte. Im geballten Gewebe der Laubfledken verlieren sich die Abstände der Hintergrundgegenstände vollkommen, sowohl untereinander als auch im Verhältnis zu den Gesichtern. Die Flecken, die den Baumstamm darstellen, begleiten das Profil der Frau; und neben dem Gesicht des Mannes stoßen die ockerfarbenen und weißen Senkrechten hernieder, die als Laden und Fenster der fernen Hauswand kaum mehr erkennbar sind, so unmittelbar sind sie in der Wirkung mit dem Gesicht verbunden, ebenso nahe wie der Pfosten, mit den Laubflecken sich vermischend. Die Raumwirkung des Farbgewebes wird dadurch jedoch nicht beeinträchtigt. Im Gegenteil: Durch die Ballung der Flecken wird die von ihnen erzeugte „Atmosphäre" in hohem Maß verdichtet. Gerade die gesteigerte „atmosphärische" Dichte scheint jede Vorstellung von gegenständlichen Körper- und Raumverhältnissen zu ersticken. Erst mit nachlassender Gewebespannung an den Seiten finden gegenständliche Abstände Platz. Hier beweisen sie auch durchaus raumerzeugende Kraft. Durch das Verhältnis der seitlichen Hintergrundteile zu den Gestalten kommt eine gewisse Weite in das Raumbild. Doch haben sie bei weitem nicht die Spannkraft wie die verdichtete Raumintensität in der Mitte. Die in der Mitte geballte Raumenergie ist so groß, daß sie eine bestimmende Macht ausübt. Von ihr scheinen die seitlichen Raumteile abhängig zu sein, im Zusammenhang mit der Gebärde des Mannes sich weitend. Rückblickend bestärken diese wiederum die Gewebeschwingungen der Mitte im Raumgehalt. Doch bleiben die letzteren von bestimmender Macht - derart, daß z. B. die Fluchtlinien des Hauses rechts, statt in die Tiefe zu führen, den Blickwinkel des Mannes anschaulich machen.
Der Gehalt In der heftig vibrierenden Bewegtheit des Farbgewebes äußert sich eine starke Erregung, insbesondere zwischen den irisierenden Farben des Laubes, untereinander und im Verhältnis zum kalten, scharfgebildeten Blaugrün des Pfostens. Ihr sind die Gestalten ausgesetzt, wenn sie die farbigen und formalen Kräfte des Grundes auf sich wirken lassen.
Chez le Pere Lathuille
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Andererseits werden die Aussagen aber auch als Eigentum ihres Empfindens deutlich. In dem gespannten Verhältnis der beiden Menschen kommt die gleiche Erregung gesteigert zum Ausdrudk. Indem die Gestalten aber im Zuge der atmosphärischen Verschmelzung aller Dinge die Erregung nach außen projizieren, verwandelt diese sich zu jener umfassenden, außerpersönlichen Macht, von welcher sich die Gestalten ergreifen lassen. In den Senkrechten des Pfostens - in der Härte der gebündelten Geraden, in der Schärfe der blaugrünen, glattgestrichenen Farbe, die im Verhältnis zu den umgebenden Farben einen stechenden Charakter annimmt, ist der Angriffsgeist des Mannes ausgedrückt. Er findet in ihnen aber eine abstrakt-unpersönliche Prägung von so unwiderstehlicher Gewalt, daß Blick und Gebärde - an der Wurzel getroffen und entzündet - überhaupt erst zum Ausbruch kommen. Eine entsprechende Verwandlung erfährt auch der Ausdruck zitternder Unruhe im Laubgewebe. Deutlich gibt er seinen Zusammenhang mit dem inneren Aufruhr der Frau zu erkennen. Ja, er tritt hier ungehemmter und offener zutage als in der Gestalt selbst, in welcher die gleichen Farben — zu einem wirren Knäuel verfilzt - eine scheinbare Festigkeit aufrechterhalten. Es scheint so, als ob die Frau ihre mühsam beherrschte Erregung verflüchtigen möchte, indem sie sie nach außen abgibt. Statt dessen verfängt sie sich nur von neuem darin, wie in einem Netz. Auch der Mann ist ein Gefangener dieses Netzes, so sehr er der Angreifende zu sein scheint. Zwar sucht er es mit seiner Aktivität in die Gewalt zu bekommen; die im Pfosten konzentrierte formale und farbige Schärfe mißt sich nicht mit einzelnen Gewebeflecken seiner Umgebung, sondern mit allen in ihrer Gesamtheit. Aber je weiter der Mann mit seiner Gebärde ausgreift, desto mehr wird auch seine Gestalt vom Gewebe aufgesogen. Umgekehrt zeigt sich in entsprechender Weise die Frau von der Macht geprägt, die sich im Pfosten ausdrückt. Abwehrend sucht sie eine ähnliche Starre zu erreichen, sowohl in der streng hochgestreckten Haltung (die von den Laternenpfählen im Hintergrund echohaft aufgenommen wird), als audi in den sperrigen Streifen des Kleides. So durchdringen sich in den Gestalten die beiden Varianten der Erregung, die als verschiedene Reaktionsweisen von Mann und Frau verstanden werden. Nur in den Händen auf dem Tisch scheiden sich die Aussagen in nochmaliger Zuspitzung des Verhältnisses: einerseits die kompakte Hand des Mannes, der präzise Umriß unberührt zwischen Glas und Birne, andererseits das zitternd aufgelöste farbige Bild der Hände der Frau, das die Frucht auf dem Teller zwischen ihnen kaum erkennen läßt. Alle Äußerungen - so verschiedenartig und kontrastreich sie sein mögen haben den gleichen Ausdrucksantrieb. Durch ihn kommen sie zu einer Gemeinschaft, die über die Einheit ständig sich erneuernden Kreislaufs der Kontraste zwischen den Partnern hinausgeht. Es ist die Erregung, die aus der Begegnung der Gestalten entsteht, von hier ausgehend alle Verhältnisse im Bild durchdringt,
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um als unpersönliche Macht die Gestalten von neuem zu erfassen. Sie bildet den Sinn und den Gehalt der „Atmosphäre". Die „Atmosphäre" als überpersönliche, neu zur Erregung treibende Madit wird vornehmlich von den abstrakten formalen und farbigen Kräften des Grundes getragen. Doch wirkt auch der dargestellte Gegenstand, der Wirtshausgarten, ein. Der öffentliche Charakter des Ortes - personifiziert durch den gleichgültig zuschauenden Kellner rechts - läßt durch den Kontrast eine Spannung in der Erregtheit des Paares entstehen, die steigernd eindringt. Nur in der Mitte wird die formale Äußerung so heftig, daß sie den Gegenstand nicht mehr zu Wort kommen läßt. Vergleich mit
„Argenteuil"
Die Begegnung der beiden Menschen wird auf ähnliche Art gestaltet wie im früheren Bild. Wie dort sind die Gestalten mit den Dingen der Umgebung in der schwingenden Atmosphäre des Farbgewebes verwoben, die sie als Ausdruck ihres gemeinsamen Erlebens zusammenführt. Alles was die Gestalten an verschiedenartigen Charakterzügen beizutragen haben, erfährt in der „Atmosphäre" eine Prägung, so daß selbst konstrastierende Züge den gemeinsamen Ausdrucksgehalt nur zu variieren scheinen. Dieser Erlebnisgehalt ist allerdings in beiden Bildern sehr verschieden: statt gespannter Ruhe äußerste Erregung — und entsprechend verschieden die Gestaltung der Bilder im einzelnen. So ist das Gewebe des „Chez le Pere Lathuille" von einer schärferen, heftigeren und zugleich dichteren Bewegtheit erfüllt. Es ist stärker bewegt, obwohl die Farbkontraste in der Weite eher reduziert sind, sich einreihen unter die nuancierter und differenzierter gewählten Tonabstände, die sie nur zu gelegentlichen Betonungen aufnehmen. Denn gerade auf dieser neuen differenzierteren Verwendung der Tonabstände beruht die größere Bewegtheit des Gewebes. Es entsteht eine neue Vielfalt in der Art, die Farben in ihren gegenseitigen Verhältnissen zu variieren. Und diese Vielfalt wird so stark empfunden, weil die geprägtere, zugespitztere Formung der einzelnen Gewebepartikel auch die gegenseitigen Abstände - selbst die nahen - geprägter erscheinen läßt. Die bewegte Vielfalt des Gewebes wird dadurch bestärkt, ebenso wie die Heftigkeit im Charakter des Gewebes. Statt der sinnlich erfüllten Energie des breitlagernden Strichs — wie im frühen Bild - wird pointierte Schärfe in zitternd unruhiger Bewegtheit gesucht, welche die Erregung der Begegnung miterleben läßt. Auch die Unterschiede in der Gewebekomposition werden von der viel heftigeren Art des dargestellten Erlebnisses bestimmt. Die zur Mitte hin nicht nur zentrierte, sondern gesteigerte Spannung macht das zugespitzte Verhältnis der Gestalten lebendig. Alle diese vom Gehalt her erklärbaren Unterschiede verdecken diejenigen, welche durch die fortschreitende Entwicklung des Malers bedingt sind. Sucht man
Chez le Pere Lathuille
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die letzteren zu erkennen, stößt man deshalb auf Schwierigkeiten. Erst ein drittes Bild wird die Möglichkeiten des Vergleichs erweitern. Bevor der Vergleich also fortgeführt wird, soll das Berliner Bild „Dans la Serre" besprochen werden, in dem wieder ein ähnliches Thema dargestellt ist: ein Paar in der Begegnung.
„Dans
la Serre" (Taf. 10)
Einführende
1S/8
Beschreibung
Vor dem dichten Laubwerk eines Treibhausgartens - abgeschlossen von der Außenwelt - befinden sich die beiden Mensdien dieses Bildes, aus in sich gekehrter, gelassener Haltung einander wie unabsichtlich, jedoch desto feiner und bedeutungsvoller zugewendet. Jedem von ihnen ist eine Hälfte des länglich breiten Bildfeldes zugemessen. Die Frau sitzt genau in der Mitte der linken Hälfte in die Ecke einer Bank gelehnt, die von der rechten Seite her in bildparalleler Richtung herübergreift. Gleichmäßig vom Laub des Grundes hinterfangen, bleibt sie dort für sich, selbständig. Auch ihre nach rechts hin sich öffnende Haltung gilt nicht eindeutig dem Manne, bewahrt einen unbestimmten, zufälligen Charakter, zumal ihre Gestalt nicht in die jenseitige Bildhälfte eindringt. Nur mit einer Hand gerät sie über deren Rand - mit der linken, die sie über die Banklehne hängen läßt. Allerdings greift — von der anderen Hand ausgehend, die scheinbar zurückhaltend auf dem Schoß einen Schirm hält, - die Spitze dieses Schirms noch weiter hinüber, unterstützt von dem Fächer der Rockfalten, welche über die Bank gebreitet liegen. Der Mann steht frontal gesehen hinter der Bank, die Unterarme auf die Lehne gestützt. Da er gebückt steht und nur der Oberkörper über der Lehne deutlich wahrgenommen wird, wirkt seine Erscheinung abgerundet, in sich geschlossen. Nur in einer leichten Drehung des Kopfes und in der nach links weisenden Haltung des Unterarmes macht sich eine Wendung nadhi außen bemerkbar. Diese Wendung zur Frau hin ist jedoch desto konzentrierter und macht sich außerdem den scharfen Nachdruck der Bankhorizontalen zu eigen. J a , die geschlossen^ Erscheinung des Mannes selber bildet eine Betonung über der Hand und deren Gebärde, mit ihr nach links bis an die Grenze der Bildhälfte gerückt, damit sie dort der Frauenhand begegne. Zum Zeigefinger zugespitzt trifft die Hand des Mannes auf die andere, so daß ein Funke überzuspringen scheint, obwohl immer nodi durch das Motiv der Zigarre der Schein des Unabsichtlichen gewahrt bleibt. So sind die beiden einzelnen Gestalten zum Paar aneinandergezogen. Der Bann, der vom Manne ausgeht und durch die Konzentration in die Hand eine gezielte Kraft bekommt, trifft nicht nur die begegnungsbereite Hand der Frau, sondern ergreift darüber hinaus deren ganze Gestalt. Sinnfällig macht es die Bank, deren Horizontalen durch den Zeigefinger des Mannes eine Richtung, einen Anstoß
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bekommen, die Frau zu umfangen. Andererseits kommt die Frau mit ihrer Haltung so zufällig diese scheint - der Begegnung entgegen. J a , auch sie übt einen Einfluß aus, wenn auch mehr in verströmender Art. Sie übt ihn in Zusammenhang mit dem Laubdickicht aus, das umgekehrt wie die Bank in Übereinstimmung mit ihrer Haltung sich von größter Fülle links nach rechts hin ausdehnt. Beide - das Laub und die Bank - durchkreuzen mit ihrer entschiedenen horizontalen Bildeinteilung jene in zwei senkrechte Bildhälften, so daß die senkrechten Bildhälften zu gegenseitiger Durchdringung eng miteinander verbunden erscheinen.
Die Farben und Formen Wieder sind die Farben der Umgebung von bestimmender K r a f t , der sich die Farben der Gestalten zuordnen. Auch hat ähnlich wie im „Chez le Pere Lathuille" reich bewegtes Laubgrün in Verspannung mit blaukühlem, starrgeformtem Grün - hier der Bank — das führende Wort. Die Unterschiede in der Nuancierung sind allerdings charakteristisch für die besondere Art dieses Bildes: Das Grün der Bank ist dunkler als das des Pfostens und wirkt deshalb ruhiger, die Härte seiner Formung weniger heftig durch die regelmäßige Wiederholung der Geraden im Gitter der Lehne und des Sitzes. Es ist mehr Partner das Laubgrün, nicht so konzentriert aggressiv; statt dessen wird durch die Wiederholung der Geraden und den starken Blaugehalt eine durchdringende Hartnäckigkeit bewiesen. Auch das Laubgrün ist ruhiger, dichter bewegt: Die großgeformten, scharfgezeichneten Blätter greifen enger ineinander, so daß ihr Gewebe nahezu einem Teppich gleicht. Fremde Farben - die im anderen Bild das Grün aufreißend in Bewegung brachten — haben keinen Platz. N u r wenig lockern die rosafarbenen Blüten links dieses Gewebe; und die graurosaforbenen Töpfe unten schließen es eher rahmend ab. Um so schärfer wird die einzige kräftig eingreifende Farbe empfunden: das krasse Blau der Delfter Vase am Bildrand links. Es trägt eine Unruhe in das sonst so gleichmäßig gebreitete dichte Laubgrün, die sich auch auf dessen Verhältnis zum Grünblau der Bank anspannend auswirkt. In den Gestalten finden die Brechungsfarben des Grün - Blau und Gelb, beide in zurückhaltender, grauer Nuancierung - zusammen, machen die Figuren gemeinsam farbig selbständig, ohne sie aus der Nähe zum Grün zu entlassen. Reich bewegt - dem Laubgewebe verwandt, nur zarter, blütenhaft, strukturiert - variieren sie in der Kleidung der Frau. Das in sich schon fein bewegte Blaugrau des Kostüms wird akzentuiert durch tiefgraublauen Besatz, Gürtel und Schleife, mit denen wiederum verschiedenartige Gelbtöne korrespondieren: mit dem Blau der Kleidschleife das kühlglänzende Gelb des Hutbandes und die graueren Flocken der Federn, mit dem Streifen des Gürtels der Sandton der Handschuhe und die lichten Farben des in leichten Strichen gezeichneten Schirms.
Dans la Serre
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Die Farbigkeit des Mannes bleibt dagegen zurückhaltend, konzentriert auf das nahezu undifferenzierte, blockhaft geschlossene Graublau des Jacketts (dem sich das Gesicht mit den variierenden Brauntönen der Haare und das Gelbgrau der Hose anschließen). Um so akzentuierter treten die hellen Farben der H a n d hervor: das harte Weiß des scharf gezeichneten Manschettenstreifens und der Inkarnatton der H a n d in der zum Zeigefinger zustoßenden Formung. Durch die akzentuierte Form aber gewinnen sie die nötige Spannkraft, um das Grün der Bank auf sich zu ziehen, dessen H ä r t e in ihnen eine Zuspitzung erfährt. Mit so gesammeltem Nachdruck ist die H a n d gegen diejenige der Frau gewendet. Diese läßt sich dadurch ebenfalls zentrierenden Charakter mitteilen. Sie antwortet der H a n d des Mannes gemäß den übrigen Farben und Formen der Frau, zitternd vibrierend mit der weißen Spitzenmanschette und blütenhaft weich mit den daraus fallenden Fingern, zum Feinen und Kostbaren hin gesteigert. Sie antwortet in scheinbar passiver und selbstgenügsamer Entfaltung - entsprechend der Art der Frau, ruhig den Reichtum ihrer Erscheinung auszubreiten, auch auf das ähnlich gleichmäßig vibrierende Blattgewebe sich beziehend. Doch enthält die H a n d mit den übrigen Aussagen der Frau und des Gewebes auch die beunruhigende Ausstrahlung, die vom Blau des Topfes ausgeht, kaum bemerkt, aber desto wirksamer. Auf diese leise Beunruhigung scheint die H a n d des Mannes ihrerseits zu antworten. So wiederholen beide Hände im Bildkern, was sich farbig und formal zwischen dem Blattgewebe und dem Bankgitter, wie zwischen den Gestalten abspielt. Sie wiederholen es mit der zentrierenden K r a f t ihrer konzentrierten Form, jene K r a f t der Gestalten zuspitzend, welche sich in den farbigen und formalen Aussagen der Umgebung als ihre menschliche Empfindung und an sie gebunden offenbart.
Die Gegenstände, Raum und Gehalt Alle Gegenstände sind sehr nahe gesehen, mit großer Feinheit in der Form gezeichnet und in der stofflichen Art charakterisiert. Dabei bewahren sie allerdings den engen Gewebezusammenhang, der kein Ding zu individuellem Einzeldasein freigibt. Das Blattgewebe des Grundes ist so dicht, daß keine einzelne Pflanze herausgelöst gesehen werden kann. N u r mit Mühe erkennt man z. B., zu welcher Pflanze die Blüten links gehören. Ebenso bleiben die Gestalten dem Gewebe verhaftet. Das Gesicht der Frau ist in die Blätter gebettet wie die Blüten links daneben und diesen farbig verwandt. Selbst die Bank in ihrer sperrigen Form ist als Gitter offen, bereit zur Verknüpfung in das Gewebe. Innerhalb des Gewebezusammenhanges sind die dinglichen Einzelheiten jedoch außerordentlich vielfältig und präzise gestaltet. Jedes einzelne Blatt des Laubgewebes gibt seine besondere Formung und stoffliche Dichte zu erkennen, ebenso wie jedes Raffinement an der Kleidung der Frau. In viel größerem Maße noch
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Beschreibung einiger W e r k e aus den Jahren 1 8 7 3 - 1 8 8 3
als im „Chez le Pere Lathuille" tragen also die Dinge mit ihrem verschiedenartigen stofflichen Reiz und ihrer formalen Gestalt zur Bildsprache bei. Die vielfältig differenzierten Feinheiten in der Kleidung der Frau sowie die reichen Formen der Blätter geben die zarten, sich verströmenden Regungen im Wesen der Frau zu erkennen. Als beherrscht und entschieden wird dagegen der Mann empfunden durch die Aussagekraft der starr geformten Bank in deren harter, unnachgiebiger Stofflichkeit, die der konzentrierten Willenskraft, wie sie in der Hand zum Ausdrude kommt, dienstbar erscheint. Diese größere Genauigkeit entspricht dem besonderen Aussagegehalt, der sich aus der Summe aller Spannungsverhältnisse als „Atmosphäre" ergibt. Die zarte Gelassenheit, die im Bilde herrscht, läßt den Strich jede Möglichkeit, charakterisierend zu zeichnen, auskosten, während im „Chez le Pere Lathuille" der Duktus bei der Zeichnung der Gegenstände in der Erregtheit häufig heftig überschießt. Die Atmosphäre ruhiger Gelassenheit wiederum läßt sich erfüllen von der Empfindung kostbaren Reichtums, die von den vielfältigen feinziseliert dargestellten Dingen ausgeht. Audi der besondere Charakter des Bildraumes ist vom Gehalt geprägt und prägt ihn. Die große Nähe aller Dinge, ihre einander drängende Ansammlung im Vordergrund, läßt ihr gegenseitiges Verhältnis besonders dicht erscheinen auch im Wesen: Die Gestalten sind durch den Blatteppich nicht nur von einer weiteren Umwelt abgeschlossen, sondern darüber hinaus auch eng aneinandergewiesen. Um diesen Eindruck zu erzielen, wird der Hintergrund nahe gehalten und auf diese andere Weise seine Verschmelzung mit den Gestalten im Farbgewebe gesucht, während in den bisher besprochenen Bildern die nahen Gestalten in der Struktur des Farbgewebes derjenigen der weiteren Umgebung angeglichen schienen. Dabei bleibt der atmosphärisch raumhafte Charakter der Schwingungen im Farbgewebe erhalten. Diese Schwingungen sind nur der engen Gewebestruktur entsprechend schmal und werden nicht mit Vorstellungen gegenständlicher Tiefe oder Weite verbunden. Deshalb wirken sie verfeinert - dem fein und scharf gezeichneten Charakter in der Formung der Dinge gemäß. Ganz besonders zwischen den beiden Händen werden sie spürbar. Doch spitzt sich hier nur aufs Äußerste zu, was im ganzen Bildgewebe enthalten ist.
Vergleich des Bildes mit „Chez le Pere Lathuille" und
„Argenteuil"
Das Berliner Bild zeigt die gleichen wesentlichen Gestaltungseigenschaften wie die beiden Werke in Tournai. Die lebensgroß dargestellten Gestalten sind in der gleichen engen Weise mit der Umwelt verwachsen: Sie lassen sich von der Macht dessen einfangen, was in dem reichen dichten Blattgewebe einerseits und dem harten Bankgitter andererseits sowie in deren gespanntem Verhältnis farbig und formal zur Sprache kommt, und geben gleichzeitig diese Sprache, indem sie sie
Dans la Serre
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zentrierend auf sich beziehen, als Ausdruck ihres eigenen Wesens und gemeinsamen Erlebens zu erkennen. Innerhalb dieses Rahmens aber bietet das Bild starke individuelle Züge, die es auch vom wenig später entstandenen „Chez le Père Lathuille" unterscheiden. Um so sicherer wird man annehmen können, daß diejenigen Eigenschaften, die beide Bilder gemeinsam vom „Argenteuil" trennen, entwicklungsbedingt sind. Nach ihnen gilt es zu suchen, wenn der Vergleich der beiden zuerst besprochenen Werke mit Hilfe des „Dans la Serre" abgeschlossen werden soll. Verwandt sind die beiden späteren Bilder durch die scharf prononcierte Art, mit welcher sich im reich differenzierten Gewebe einander nahestehender Farben die „Atmosphäre" bildet und im Bildkern zuspitzt. Die gleichen Mittel erfahren nur eine verschiedene - dem individuellen Gehalt entsprechende - Ausgestaltung und Interpretation. Die Schärfe in der Formung der einzelnen Farbpartikel, die im „Chez le Père Lathuille" zur erregten Bewegtheit des Gewebes führt, wird im Berliner Bild ausgenutzt, um die Bildeinzelheiten als sehr nahe und feingestaltet zur Empfindung zu bringen und als verhalten ruhig, da sie so präzise wahrgenommen werden können. Audi die reich differenzierte Vielfalt in der Formung der Partikel hat im „Dans la Serre" einen eigenen Sinn: Weniger ihre Bewegtheit als ihre Dichte und Fülle sind betont. Dabei wirken die Abstände durchaus wie im anderen Bild scharf gespannt - der zugespitzten Prägung der Farbpartikel entsprechend. Doch „stehen" sie mehr, lassen das Gewebe nicht in die Tiefe vibrieren, sondern erfüllen es nur, den Eindruck von Dichte eher steigernd. Demgemäß wird auch ihr Charakter statt heftig feingeschärft empfunden. Ebenso erscheint in der Gesamtkomposition bei der gelassenen Ruhe der gleichmäßig gebreiteten, nebeneinander bestehenden Bereiche deren Begegnung in den Händen feiner angespannt. Im Vergleich mit „Argenteuil" schrumpfen jedoch alle diese Unterschiede der späteren Bilder zusammen. Gemessen an der kontrastreich bewegten, vitalerfüllten „Atmosphäre" des 1874 entstandenen Bildes zeigen sie beide den gleichen Wandel zu differenziert vibrierendem und scharf pointiertem Spannungsgewebe. Auch die beiden folgenden Bilder werden sich mit ähnlichen Merkmalen erschließen. Sie bereichern die Ergebnisse, weil sie neben den drei thematisch verwandten Bildern einen weiteren Einblick geben in die Ausdrucksmöglichkeiten Manets im zweiten Schaffensjahrzehnt.
„Le Portrait de Stéphane Mallarmé" 1876 (Taf. 1 1 ) Einführende
Beschreibung
Die Gestalt des Dichters bleibt ganz in der rechten Hälfte des querrechteckigen Bildfeldes. In schräg hochstrebender Haltung berührt der leicht in Kissen gelehnte schmale Oberkörper die Mittellinie. Erst das Gesicht dringt als Höhepunkt der Bewegung ein wenig über diese hinaus. Und nur der rechte Arm greift hinüber,
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Beschreibung einiger W e r k e aus den Jahren 1 8 7 3 - 1 8 8 3
im stützenden Ellenbogen eingewinkelt. Der von redits fallenden Diagonalen folgend führt der Arm, vom Blick des Dichters begleitet, zum Papier hin, das weiß in der linken unteren Bildecke aufleuchtet. Die Finger ruhen mit den Kuppen auf dem Papier, gleichzeitig eine rauchende Zigarre haltend. Über der Hand dehnt sich freier Raum, der durch die Andeutungen eines Wandbehanges eher einen Ausdruck als eine Begrenzung erfährt. Er beansprucht den linken Teil des Bildes ebenso wie den rechten die Gestalt.
Die Farben und Formen Das Grauocker des linken Raumteiles und das tiefe Graublau der Gestalt bilden den Grundakkord im nuancenreichen Farbgewebe. Beide Farben sind zartstumpf in ihren feindifferenzierten Tönungen und zurückhaltend, leicht im A u f trag, lassen den vielfältigen übrigen Farben ein hohes Maß an Freiheit - den lebhaft wechselnden der Divankissen wie denen, die schwebend zart über den Grund gestreut sind. Dabei bewahren sie aber mit Ruhe den grundlegenden Platz im Farbgewebe. Der Zusammenklang von Graublau und Grauocker läßt die Gestalt des Dichters mit dem Raum links sich begegnen und wird seinerseits von der hochstrebenden Haltung der Gestalt gefördert. Das wird eindringlich empfunden, da jede andere Beziehungsrichtung für das Graublau ausgeschlossen ist durch das fremd abschirmende Farbgeflecht der Kissen, und da im Höhepunkt der Bewegung - im Gesicht — beide Hauptfarben sich verschränkend im Zusammenwirken mit dem rötlichen Inkarnat zu neuer Betonung gelangen: Greift mit dem Violettgrau der Haare die Farbe der Gestalt — ausgehend vom hell unterbrechenden Intensitätsfeld des Gesichts - weit in den Grund hinein, so wird andererseits dessen Ockerton im Bart zu einem kräftigen Akzent gesteigert aufgenommen. Diese Beziehungen werden mit so ruhigem Nachdruck hergestellt, daß die emaillehaft zwischen Grün, Violett und Weiß wechselnden Farben der Kissen zunächst rahmend zurückzustehen scheinen. Die letzteren beweisen ihre K r ä f t e jedoch als Begleitung der Armgebärde, welche schwingend die Haltungsrichtung der Gestalt durchkreuzt, entfalten die Energie pastosen Strichs, die Intensität der Helligkeit und die Bewegtheit des Tonwedisels, die einzelne Grün- und Violetttupfen stark hervorleuchten läßt. Den Kontakt vom Gesicht zur Hand fördernd, verknüpfen sie sich von redits, wo sie die Gestalt des Mannes hinterfangen, diagonal über die Brücke der Gebärde nach links zum leuchtenden Weiß des Papiers auf der tiefvioletten Unterlage - beide über ebenfalls weiß-grün-violett vibrierenden Kissen. Die Farben, die im linken Teil des Bildes - von der Darstellung des Wandbehangs motiviert - die Fläche raumhaft beleben, werden als solche kaum wahrgenommen. Die leichtgestrichelte Borte ist als Grüngrau mit Gelbgrau verwoben
Le Portrait de Stéphane Mallarmé
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nodi eben erkennbar. Die zarten Striche der diffusen Blattzeichnung aber erregen nur noch eine zartzitternde grünsilbrige Bewegtheit, die sich mit der des aufsteigenden Zigarrenrauches vermischt.
Gegenstand und Raum Nicht nur im Farbklang, sondern auch in der Erscheinungsweise ist die Gestalt dem Ockergrund verwandt. Wohl wird dieser im Unterschied zu ihr durch die feinen schwebenden Farbtupfen raumhaft bewegt. Aber auch die Gestalt wirkt beinahe körperlos bei dem flachen, dünnen Farbauftrag, der sie in schmächtiger Zurückhaltung läßt, so daß kein Gewicht ihre Hinwendung nach außen hemmt. Nur passiv läßt sie sich durch die pastose, farbig und dadurch dinglich greifbare Intensität der Kissen hervorheben, welche die Figur - deren Umriß betonend — zu relativer Geschlossenheit gegenüber dem Grund konzentriert. Durch diese Geschlossenheit in der Erscheinung ist dann die Gestalt selbst gegenüber den Kissen ausgezeichnet, während deren Farbgeflecht durch einzelne betonte Farbtupfen in einer dem Grund verwandten Art gelockert erscheint. So sind die verschieden - räumlich oder dinglich - intensiv gestalteten Teile des Bildes fluktuierend ineinander bewegt. Besonders in Gesicht und Hand des Dichters, die durch kraftvoll und zugleich locker gesetzte Farben mit ähnlicher Intensität wie die Kissen verlebendigt sind, kommen beide zur Begegnung. J a , von der Hand ausgehend scheint sich mit dem aufsteigenden Zigarrenrauch die atmosphärische Bewegtheit zwischen den feinen Farbflecken auszudehnen, um von der Konzentrationskraft des Gesichtes wieder aufgefangen zu werden.
Der Gehalt Die enge Verschmelzung aller Bildteile zu einem atmosphärisch fluktuierenden Zusammenhang ist wie in den übrigen Bildern der gleichen Epoche auch für den Sinn maßgebend. Die Gestalt verströmt sich an die Umgebung, um von der Macht der von ihr geprägten Atmosphäre wieder eingefangen zu werden. So wird das Thema der „Inspiration des Dichters", das schon in den 6oer Jahren in den Bildnissen von Astruc und Zola Gestaltung fand, neu aufgenommen: Der Dichter strahlt sein Wesen, seine Vorstellungen aus, um sich den Schwingungen seiner eigenen Gedankenwelt hinzugeben, die er über den Blick konzentriert der Hand auf dem Papier mitzuteilen scheint. Diese Gedankenwelt ist nur nicht mehr so bildhaft geprägt wie im „Zola". Auf ganz neue Weise wird gerade der unfaßbare Bereich der noch ungeformten Vorstellungen darzustellen gesucht und darstellbar. Die von den Farbpartikeln des linken Raumteils erzeugte „Atmosphäre" läßt die ungreifbar schwebenden Qualitäten geistiger Vorstellungen unmittelbar lebendig
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Beschreibung einiger W e r k e aus den Jahren 1873-1883
werden, während die Gegenstände des „Zola-Portraits" erst im schwingenden Verhältnis untereinander und zur Gestalt ihre Eigenschaft als Vorstellungsbilder erahnen lassen. A u d i für das Verhältnis der Gestalt zu ihren Vorstellungen w i r k t sich die neue Qualität des Ungreifbaren aus: Als Eigenschaft der geprägten Bilderwelt, die Zola repräsentativ umgibt, bleibt sie relativ zurückhaltend - zuständlich wirksam. Dagegen wird sie bei Mallarmé unmittelbar zum Objekt der Auseinandersetzung, dem der Dichter sich hingibt, um es im Schöpfungsprozeß zu bannen. Noch deutlicher wird die besondere, neue A r t des Bildgehalts im Vergleich mit dem Portrait Astrucs, gerade weil beide Bilder auch Gemeinsamkeiten im Bildaufbau haben (Gestalt, Stilleben und Raumteil stehen in einem ähnlichen Verhältnis zueinander). D a die Felder des Stillebens und des Raumteils im früheren Bild streng in sich geschlossen neben den ebenso geschlossenen Bildnisfeld bleiben, kann ihr gegenseitiges Verhältnis nur zuständlicher A r t sein, während die Gestalt Maliarmes in die Bereidie seiner Vorstellung zu aktiver gegenseitiger Verschmelzung eintaucht. Dabei wandelt sich dieses Verhältnis bei gleichbleibender Intensität nicht nur in der A r t , sondern auch im Ausdruck. Einen stark angespannten, „magischen" Charakter hat es im „Astruc", da die Verbindung verschiedenartig real gestalteter Felder als sonderbar und entrückend empfunden wird. M i t der größten Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit ist dagegen „Mallarme" mit Ungreifbarem verbunden; in dem Maße, wie die Gegenstände ihre faßbare Geschlossenheit aufgeben, die Gestalt mit der umgebenden Atmosphäre - der Welt ihrer Vorstellungen - verwächst, nimmt das Unfaßbare als das auflösende und verbindende Ferment einen fast real anmutenden Wert an.
„Nana"
1877
(Taf. 12)
Einführende
Beschreibung
In der Mittelachse des hochformatigen Bildes steht die lebensgroße Gestalt der „ N a n a " - im Unterrock sich zurechtmachend - , nachdrücklich als Zentralfigur dem Betrachter vorgestellt. Eine zweite Figur - ein Mann im Gehrock und Zylinder, der offensichtlich auf sie wartet, - ist dagegen buchstäblich noch über den rechten Bildrand hinweg und zu den übrigen Objekten des Zimmers geschoben. 55 Die „ N a n a " kehrt ihr als einem gleichgültigen Objekt auch den Rücken zu, vielmehr sich schminkend zum Spiegel links hingewendet, dessen 55
Bazire (Manet, Paris 1884, p. 100-102) versichert, gehört zu haben, daß die Gestalt Mannes erst nachträglich angefügt worden sei. Doch ist diese „Randfigur" so sicher bedeutungsvoll in die Komposition eingeplant - wie die Beschreibung ergeben wird - , man das Gerücht nicht ernst zu nehmen braucht. Jamot (1932, p. 60/61) sieht in der Bildidee der randübersdinittenen Figur einen Einfluß Degas. Das wäre einleuchtend, wenn Manet diese Idee nicht schon in einem Frühwerk vieux Musicien", Washington) verwendet hätte - hier sidier nicht von Degas beeinflußt.
des und daß von („Le
Nana
8l
Gestänge auf feine gespenstische Weise mit ihrer Gestalt korrespondiert. Der hochragenden Haltung des Mädchens antwortet der Ständer mit entsprechend gereckter Form - bis hin zu den armförmig vorgestreckten Kerzenhaltern, deren Kerzen wie „Nanas" kleiner Finger mit zugespitzten Dochten hochweisen, - und bis hin zum Oval der Spiegelscheibe, das sich wie der Mädchenkopf zurückneigt. Der Spiegel drückt die Senkrechte sogar starrer und aktiver gespannt aus als die Zentralfigur selber und ist als Senkrechte auch vor den übrigen Gegenständen ausgezeichnet, die alle mehr horizontal betont sind. Auf diese Weise erhält der Spiegel eine bedeutende Rolle im Bild, obwohl er auf den ersten Blick kaum ins Auge fällt. Besonders gegenüber den mächtigen Feldern des Sofas und des Wandbehangs im Hintergrund beweist seine Senkrechte ihre Durchsetzungskraft. Sie wirkt als eine geheime Macht, welche die durchgehend entgegenstrebenden Horizontalen auffängt und reflektiert: Die großen Kurven der Sofaeinfassung schwingen zurück, bevor sie sich mit der Senkrechten überschneiden; und die horizontale Abschlußkante des Wandbehangs bildet am Begegnungspunkt einen rechten Winkel, die Vertikale nach oben hin ergänzend. Die Gegenstände, welche links neben dem Spiegel noch zu finden sind, zeigen nur noch kurze Horizontalstücke, gleichsam gebrochen, die Kommode in leicht geschwungener Weise, denen des Sofas entsprechend, starr linear der Blumentopf darüber - wie die Kante des Wandbehangs. Durch die Korrespondenz mit den Horizontalen erhält der Spiegel einen unmittelbaren Kontakt mit der Figur des Mannes, die ähnlich starr an der entgegengesetzten Seite hochragt, in der starren Steilheit ihrer Erscheinung durch den überschneidenden Bildrand noch gesteigert. Von der Figur scheinen die Horizontalen auszugehen, vom Blick ins Innere des Bildes gewiesen und vom Spiegel zurückgeschickt zu werden. Die formale Entsprechung der beiden Vertikalen von Spiegel und Mann kommt über jene Brücke erst wirklich zum Ausdruck. Von diesem Gerüst aus Horizontalen und Vertikalen wird die „ N a n a " umfangen. Sie beherrsdit es durch ihre Stellung in der Adise und die überragende Höhe ihrer Gestalt. Faktisch hebt sie sich zwar nur gering über den Mann und den Spiegel. Diese Erhöhung wird aber als bedeutend empfunden, da die Gestalt im Unterschied zu den seitlichen Vertikalen die bilddurdiquerenden Horizontalen hinter sich läßt, frei darüber hinauswächst. Dies wird durch die Art der Farbgebung aber erst voll wirksam und soll darum im folgenden Abschnitt wieder aufgenommen werden.
Die Farben in Ton und Auftrag Unter den reich differenzierten und wechselnden Farben des Bildes hat lichtes, mit Weiß vibrierendes Blau einen bestimmenden Rang. Besonders eindringlich kommt es in der „ N a n a " zur Sprache (über dem breiten Weiß des Unterrodts die 6
Hopp, Manet
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kräftigen Blaustriche des Mieders) und wird deshalb als Eigenheit der Zentralgestalt empfunden. Der links am Bildrand über den Hocker geworfene Rock wiederholt Weiß mit Blau, bekundet aber gerade dadurch seine Zugehörigkeit zur Gestalt. Audi die nahverwandten Farben des Wandbehangs bleiben unmittelbar abhängig von denen der Gestalt. Diffuser zu einem zarteren Gewebe vermischt, schließen sie sich den kräftigeren der Figur an, festgehalten von der komplementär bindenden Kraft des tiefen, rötlichen Gelb der Haare. So kann die Gestalt die Wirkungen dieses Feldes für sich in Anspruch nehmen. Indem sie dem eigenen Blau-Weiß, das schon durch ihre Stellung in der Bildachse hervorgehoben erscheint, die zarteren, aber breit sich dehnenden Töne des Wandbehangs anschließt, gewinnt sie ihm die Vormacht im Farbgewebe. Zudem findet sich ihre schon im vorigen Abschnitt bemerkte Erhöhung entschieden bestärkt. Im streng nach unten abgesetzten und nach oben hin offenen Feld des Behangs kommt die Leichtigkeit der hellen Farben besonders zur Geltung und hebt die Gestalt über alles andere hinweg. Unter den übrigen Farben des Bildes sind die tiefkühlen Rottöne des Sofas am ausgeprägtesten und bei aller Zurückhaltung - im Vibrieren mit Nachtblau noch verdunkelt und gekühlt - von drängender Intensität. Fußboden und Wand treten mit neutraleren Graubrauntönen hinter ihnen zurück. Selbst die goldgelb aufblitzenden Bänder der Sofakanten lassen dem Rotkomplex die Führung, begleiten ihn mit pastosem Strich in mehr linear sich entwickelnden Energien, die aus seiner farbig drängenden Kraft hervorgesteigert wirken. Audi die Gestalt des Mannes schließt sich diesem Rot an, hinter dessen Farbintensität ihr unbewegtes Schwarz so sehr zurücksteht, daß es durch den Kontrast zum Weiß des Vorhemdes überhaupt erst bemerkt wird. Deshalb scheint die geheime Energie ihrer Gebärde wie aus dem Hinterhalt zu kommen, die insbesondere von der farbig dicht vibrierenden Faust und dem Farbballen des Stockknotens daneben ausgeht und den Rotkomplex treibt, mit der Rahmung die helle Gestalt in der Mitte zu umgreifen. Das Bestreben, die Zentralgestalt in den horizontalen dunklen Bereich einzufangen, sie mindestens zu erreichen, kommt farbig und formal stark zum Ausdruck, so versteckt ihr Ausgangspunkt in der Gebärde des Mannes auch bleibt. Die goldgelb aufblitzenden Bänder der Sofaeinfassung umschlingen den Umriß der Figur in deren Komplementärfarbe; und die hell und dicht zur Gestalt hin vorstrebenden Farben der Sofakissen (das rechte mit grünen Strichen noch dem Rot angeschlossen, das linke hell/grau vibrierend) wollen sie in den horizontalen Bereich binden. Dennoch bleibt die Gestalt in ihrem eigenständigen Farbcharakter eigentümlich unberührt davon. Sie läßt sich von der Helligkeit der Kissen eher abschirmen als einfangen und beschweren. Auch die Möglichkeit zu farbiger Verbindung über das Goldgelb der Sofabänder entfaltet sich nicht. Zu eng bleibt das Goldgelb im Ausdruck mit dem Blaurot gepaart. Und zu nahe steht das Blau des Mieders dem
Nana
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des Wandbehangs, das abgeschirmt ist durch das zartgewobene Grün der rechtwinklig rahmenden Borte, in seiner Distanziertheit und Unzugänglichkeit gesteigert. Um so strahlender und sicherer wirkt dann der einzige feste Komplementärklang des Bildes: der des gelben Haarsdiopfes vor dem blauen Feld des Wandbehangs, der die Gestalt nach oben streben läßt. Durch ihn gewinnt die Gestalt jene beschriebene unbekümmerte Freiheit. Diese Ordnung der Farben erstreckt sich bis zur Senkrechten des Spiegelständers. Von dort an erscheinen die Farben wie die Horizontalzüge in vielfältigen Stücken. Die Kommode nimmt die Horizontale des Sofafeldes auf, aber schmaler und farbig ins unauffällige Braun und die Bänder ins Zierliche versetzt, so daß andere Farbstücke bedeutender hervortreten, vor allem das Weiß mit Blau des über den Hocker geworfenen Rockes und das eisbläuliche Grün des Blumentopfes in seiner dichten Glätte und scharfen Randung. Besonders der Grünakzent bringt eine ganz neue Note in die Farbigkeit des Bildes. Schon im Farbcharakter an sich, darüber hinaus aber auch im Verhältnis zu jeder anderen Farbe des Bildes und zu allen insgesamt erregt er einen nachhaltigen Eindruck von Schärfe. Mit dieser Eigenschaft bildet er einen unruhestiftenden Knotenpunkt: genau dort, wo die Vertikale des Spiegels die entgegenkommenden Horizontalen auffängt und bricht. So kann er seine Wirkung mit der des Spiegels vereinen. In seiner kühlen Härte übernimmt der Grünakzent farbig prononciert die Starre des Spiegelständers und verdichtet damit das Farbgewebe hinter der Spiegelscheibe derart, daß deren reflektierende Kraft fühlbar wird. Zum Gehalt Die formal ausgezeichnete Stellung der „Nana" in der Achse eines Bildfeldes, das wie für sie zugeschnitten ist, erhält durch die Art der Farbgebung Bestätigung und besondere Ausdrucksnuancen für den inhaltlichen Sinn: Die Gestalt scheint durch das lichte Blau und dessen Erweiterung im Wandbehang erhoben und der Umgebung entrückt, 56 von deren Farben sie fremd absteht. Das R o t des Sofas mit seiner energiebergenden Tiefe und die leidenschaftliche Bewegung der Rahmenleisten haben ihren Ursprung dagegen beim Mann. Mit ihnen dringt das Begehren des Mannes tief ins Bildinnere zur „Nana" vor, macht sich mit der Kraft der Farben und des Stridis auf hintergründige Weise geltend, während die Gestalt selbst scheinbar starr und ausdruckslos sich am Bildrand zurückhält, auch den Blick leer und gleichgültig an der „Nana" vorbeistreifen läßt. 56 D a s lichte Blau setzt die Erfahrungen der Freilichtmalerei voraus. E s zieht etwas von der Weite und Vitalität durdisonnter Landschaften ins Bild und bezieht es in übertragener Bedeutung auf das M ä d c h e n . D a r a u f weist Meier-Graefe, Mündien 1 9 1 2 , S. 2 5 6 , h i n . (Genaueres hierzu siehe im Rahmen der allgemeinen Literaturbesprediung zur „ N a n a " im A n h a n g von Teil I, S . 1 0 3 ) . 6»
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So weitreichend durdidringt die Aussage des Mannes mit den Farben des. Sofas das von der „Nana" bestimmte Bildfeld, daß dieses Streben und der Entzug der Frau unauflöslich eng verwachsen. Die verschiedenen Bildströmungen kommen auf ähnliche Weise zur Einheit wie etwa im „Dans la Serre" die verschiedenen einander durchkreuzenden Bereiche der Gestalten. Nur vereinen sie sich. nicht wie dort im gemeinsamen Erleben der verschiedenen Menschen. Die „ N a n a " bleibt allein als die zentrale Gestalt in der Bildachse das Beziehungszentrum für den Bildsinn. Zu ihrem Lebens- und Wesensbild summieren sich die verschiedenen Aussagen. Auch die Gestalt des Mannes gehört dazu. Von ihrem Begehren läßt sich die „Nana" umgeben. Wenn sie gleichzeitig fremd davon absteht, so ist damit ein gewisser Dualismus in ihrem Lebensbild angedeutet. Durch die Beschäftigung mit sich selber, mit der eigenen Schönheit, gewinnt das Mädchen eine Unberührbarkeit, die jedes Streben des Mannes vergeblich macht und ihn an den Rand ihres Gesichtskreises schiebt, so sehr die Beschäftigung mit dieser Schönheit auch das Begehren des Mannes voraussetzt. Von besonderer Bedeutung für die Vereinigung der verschiedenartigen Bereiche in bezug auf die Zentralgestalt ist der Spiegel. Mit der Wandbehangrahmung zum rechten Winkel verknüpft, überträgt er deren strenge Feldeinteilung, welche die Büste der „Nana" hervorhebt, auch auf den unteren Teil des Bildes. J a , er erfüllt sie mit jener aktiven Spannkraft, welche den weiten Schwung des Sofas auffängt und zum Ausgangspunkt in der Gestalt des Mannes zurückschickt. Gleichzeitig besteht aber zwischen der starren Figur des Mannes und dem Gestell des Spiegels, zwischen dem Akzent des Blumentopfes und dem Gesidit des Mannes eine Ausdruckskorrespondenz, die beide Seiten verknüpft: Indem sich die „ N a n a " auf den Spiegel bezieht, nimmt sie indirekt also auch Verbindung mit dem Manne auf und läßt sich gleichzeitig in ihrer Selbstherrlichkeit von der abweisenden Spannkraft des Spiegels bestärken. Dodi wird nicht allein durch den Spiegel dieses zwischen Fremdheit und Vereinigung, zwischen Berührung und unnahbarer Entrücktheit schwingende Verhältnis der Bereiche hervorgerufen, sondern hat dort nur einen Knotenpunkt. Angelegt ist es in jeder Faser des Bildgewebes — in der Art, wie sich jeder Farbstrich einzeln entfaltet und doch einer vom anderen entzündet wird in fortzeugender Vibration. Ebenso ist die Darstellungsweise der Gegenstände davon geprägt: wie diese durdi den pastosen Strich intensiv zur Vorstellung gebracht, sich gleichzeitig aber im vibrierenden Gewebe der Farben der Greifbarkeit entziehen, um ihre Intensität der „Bildatmosphäre" mitzuteilen.
Un Bar aux Folies-Bergère
„Un Bar aux Folies-Bergbe"
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(Taf. 13)
Einführende Beschreibung In der „Bar" sind die Hauptmotive der „Nana" wieder aufgenommen: das Mäddien in der Bildachse, der Spiegel, der an den Bildrand geschobene Mann. Doch ist alles zu monumentalem Ernst verwandelt und das Thema in seinem Sinn dadurch geändert. In sehr viel strengerer Weise nimmt das Barmädchen die Bildachse ein: frontal vor dem Betrachter, symmetrisch die Arme gegen den Bartisch gestützt, hinter dem ihr Oberkörper steil hochragt. Querrechteckig gebreitet hängt die Bildwelt an dieser Achse wie an einer Waage. Insbesondere die beiden Flaschengruppen rechts und links auf dem Bartisch haben den Charakter von Gewichten. Und ihr Gewicht ist um so schwerer spürbar, als es - verschieden groß - sich labil schwebend von der auffangenden und ausgleichenden K r a f t der Achse abhängig zeigt. Auch die beiden weiß rotierenden Kreise der Lampen, die - wie Augen neben denen des Mädchens aus dem Hintergrund hervortretend - mit entgegengesetzt verschobener Symmetrie die unregelmäßige Gewichtsverteilung der Flaschengruppen ausgleichen, setzen einen Wägpunkt in der Zentralgestalt voraus. Auch der Spiegel ist als Motiv und in seiner Bildfunktion ins Mächtige gesteigert. Mit der Gestalt ins Frontale gewendet, dehnt er sich hinter ihrem Rücken unbegrenzt über die ganze Bildfläche, die Umwelt des Mädchens aufnehmend: links den Rang des Theaters mit dem Gewimmel von Menschen und Leuchtkronen, den Bartisdi mit den Flaschen und rechts sie selbst im Gespräch mit einem Mann. Mit dem flimmernden Leben dieser Theaterwelt erfüllt der Spiegel üppig das Bild, während er selber als Gegenstand kaum erkennbar ist (nur der sudiende Blick entdeckt die untere Rahmenleiste in den Lücken zwischen den Flaschengruppen und der Gestalt, hinter denen sie sidi verbirgt). An der Verwandlung der Dinge ins Ungreifbare, Unwirkliche wird der Spiegel erspürt, taucht jedoch als Urheber der Verwandlung sofort wieder unter, um die gespiegelten Dinge selber in ihrer Ungreifbarkeit bestehen zu lassen. Die Eigenbedeutung der gespiegelten Gegenstände in ihrer Unwirklichkeit wird um so betonter empfunden, als die meisten von ihnen ohne Relation zu einem realen Urbild wiedergegeben und die wenigen realen Dinge an der Spiegelung behindert sind. Selbst das deutlich ausgeprägte Spiegelbild der Zentralgestalt wirkt ungreifbar, ist dem Urbild buchstäblich entrückt und einer Begegnung zugewendet, an der die Realgestalt keinen offenen Anteil nimmt, ist hingewendet zum Mann, dessen schattenartige Erscheinung drängend in der Enge zwischen dem überschneidenden Bildrahmen und dem Mädchen auftaucht. Die streng frontal gesehene Haltung der Zentralgestalt vor der parallelen Spiegelebene ist unvereinbar mit der Schrägsicht bei der Spiegelung und entwirklicht diese, wie auch die entsprechend schräg beobachtete der Flaschengruppe links. Die Gestalt ist also eigentümlich distanziert von dem Paar im
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Spiegel, ja von der Theaterwelt überhaupt, als ob nicht eine gerade sich vollziehende Szene, sondern eine träumend erblickte gespiegelt sei.57 Um so enger bildet sich eine Verbindung über diese subjektive Auffassungsmöglichkeit. Deutlich ist zu spüren, wie die Zentralgestalt das Bedrängende der Begegnung des Spiegelpaares auf sich bezieht. Vermittelnd wirken hierbei die Lampenkreise, dieselben, die durch ihren steigernden Bezug auf die Symmetrie und Frontalität der Gestalt dazu beitragen, die reale Szeneneinheit zu sprengen. Das Drängen des Mannes verbindet sich mit der Forderung, die sie als „Augen" der Menschenmenge auf dem Rang stellen. Wie schwer das Mädchen an diesen Anforderungen trägt, lassen die „Gewichte" der Flaschengruppen erahnen.
Die Farben und Formen Die Farben des Bildes sind im Tonwechsel und in der Art des Auftrags überaus reich und glitzernd bewegt und lassen dadurch die Vielfalt der dargestellten Welt von Menschen und Dingen gesteigert erscheinen. Wesentlich für den Eindruck sind jedoch auch einige ruhige Töne, die wolkig großflächig die bewegte Farbigkeit durchziehen. Tonangebend unter ihnen ist das Nachtblau der Jacke des Mädchens. Ohne besonders hervorzutreten, überzeugt es in seiner führenden Rolle allein durch seinen Ernst, der sich mit der Strenge in der symmetrischen Erscheinung der frontalen Gestalt verbindet. J a , es erscheint bestimmend für den Farbcharakter des Bildes überhaupt, da es außerdem wie keine andere Farbe verbreitet vorkommt - von den ungreifbaren schwarzblauen Tiefen des hier und da sichtbaren Grundes in der Gestalt wie konkretisiert gesammelt und in deren Spiegelbild graugedämpft und wolkig in Erscheinungsweise und Formung wieder entlassen. Unter seiner Führung wirkt der Farbcharakter tief und „nächtlich", obschon stark erhellt durch die unzähligen weißen und bunten Glanzlichter. - Das grauverhangene Karminrosa der gespiegelten Theaterarchitektur schließt sich diesem Blau besonders nahe an: Es fügt dem zurückhaltenden Ernst der führenden Farbe eine zarte schwermütige Note hinzu, sich in gleicher Weise mit der unbeirrbaren Ruhe starrer Formung durchsetzend - in großen horizontalen und vertikalen Bändern. Als zugehörig empfindet man auch das lichte Grau der marmornen Bartischplatte, da es großflächig - mit dem horizontalen Band des Theaterranges korrespondierend - der Gestaltpyramide in der Mitte 57
Diese A u f f a s s u n g des Bildes hat zuerst H a n s Jantzen vertreten und formuliert in : E d o u a r d Manets „ U n Bar aux Folies-Bergère", in: Über den gotisdien Kirchenraum und andere A u f sätze, Berlin 1 9 5 1 , S. 7 3 - 7 8 . Sie ist v o n Günter Busdi (Manet, un bar aux Folies-Bergère, Stuttgart 1 9 5 6 ) so vertieft worden, daß das Bild in seiner Bedeutung keine angemessenere Würdigung finden konnte. Im Zusammenhang mit der monumentalen Formung der Z e n t r a l gestalt w i r d audi das Verhältnis zur träumerisch erfaßten Bildwelt mit ewiggültigem Ernst erfüllt gesehen. In dem Sinnen des Mäddiens findet Busch die F r a g e nach der Vergänglichkeit des Lebens überhaupt.
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als Basis dient. Doch hat das Grau nicht den gleichen hintergründigen Charakter, greift vielmehr mit lebhaft wechselnden und pastos sich äußernden Farbtönen über in die glitzernd bewegten Teile des Farbgewebes. So ist am Grau besonders leicht zu erkennen, daß die großgestaltigen „Grundtöne" nicht streng von den kurzaufblitzenden, vielfältig vibrierenden „Obertönen" zu trennen sind. Ihr großatmiger Rhythmus bildet mit demjenigen der sprühenden Farbflecken eine so eng ineinanderdringende Einheit, daß die Ubergänge hier und da verfließen. Aber auch dort, wo sie sich deutlich scheiden, sind sie zu gemeinsamer Wirkung ineinander verwoben, die sich in der gemeinsamen Bindung an die Zentralgestalt erschließt: Z. B. nimmt mit der Formung des Kleidausschnittes in rechtwinklig gefügten Spitzenbändern die Gestalt diejenige der Theaterarchitektur verengend auf, spricht damit auch die farbige Verwandtschaft zwischen dem Rosa des Ranges und dem Blau des Kleides an und läßt gleichzeitig in der locker vibrierenden Bewegtheit des silbrig weißen Spitzengewebes diejenige der glitzernden Kronen Wiederaufleben, die wiederum mit derjenigen der Menschenmenge zusammenhängt. Vollends wird das Beziehungsnetz verdichtet durch die Akzente der weißen Lampenkreise in deren Verspannung zum schwarzen Halsband des Mädchens, das die weißen Akzente im weiten Winkel auf die Gestaltachse ausrichtet. In der absolut runden Form der Lampen steigert sich die strenge, abstrakte Aussage der horizontalen und vertikalen Architekturbänder, Zugleich ist in dem gleißenden Weiß das erregt Blitzende enthalten, wie es sich in den Farben der Menschenmenge (die überall zwischen schwarzgrau bewegten Farben helle Flecken aufblinken läßt) und der Lampen darüber äußert. In Verbindung mit der starren, unwandelbaren Kreisform erhält das Hektische nur einen fast unerträglich grellen Charakter. So verschmilzt das, was im Verhältnis zur Gestalt sich verknüpft und verwoben zeigte, in den Lichtkreisen zu einem einzigen Ausdruck, um sich dem Mädchen in der Konzentration schmerzhaft gesteigert mitzuteilen. Ebenso sind die reich irisierenden Farben der Flaschengruppen mit den großformig ruhigen „Grundtönen" im einander bedingenden Kräftespiel verbunden. Unabhängig von der konzentrierend vereinenden Kraft der Lampenkreise bilden sie selber geschlossene Komplexe, deren geballte Energien sich parallel zu den Lampenkreisen unmittelbar mit der gespannten Ruhe der Gestaltpyramide messen. Vor allem die reich wechselnden Farben der rechten Flaschengruppe erhalten im Kontrast zum gleichmäßig dunstigen Blau der gespiegelten Mädchenersdieinung eine geschlossene Gewichtigkeit. Sie wirken geballt, so daß sie trotz der überaus vielfältig und scharf gespannten Verhältnisse zu einem einzigen Ausdruckskomplex gesammelt erscheinen, der als solcher ebenfalls im Vergleich mit der ruhigen Zurückhaltung im Charakter des Blau eine Steigerung erfährt. Dem hitzigen Orange der Früchte im Kristallglas werden die giftigen Grüntöne in der Absinthflasche daneben zu heftiger Auseinandersetzung gesellt, in die noch dazu das kühle Gelb des Goldrahmens aus dem Hintergrund beißend eingreift. Und
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die Farben der Flaschen fangen die heftigen Spannungen zwar mit stumpferen Nuancen ab, verdichten sie aber gleichzeitig mit vielfältigen neu gespannten Farbverhältnissen, u. a. mit verschiedenen Rot-Grün-Varianten, die durch einander irritierende Komplementärverhältnisse das Giftgrün in seiner erregenden Wirkung steigern.58 Die Flaschengruppe links kommt nicht zu der gleichen gesdilossenen Intensität. Die Farben bleiben in ihrer blitzend vibrierenden Bewegtheit59 enger mit denen des Spiegelgrundes verwoben (besonders mit den im Spiegelbild variiert aufgenommenen Tönen). Sie sind zwar zu größerer Didite konzentriert, aber nicht kontrastiert, um die eigene Einheit zu betonen. Den Höhepunkt bilden farbig und formal die vier dicht aneinandergedrängt stehenden Sektflaschen mit dem blinkenden Gelb der Hauben. Doch bilden auch sie keine Konkurrenz für das hitzige Orange rechts in dessen beißendem Verhältnis zum Giftgrün. Diesem verschiedenen Gewidit im farbigen Charakter der Gruppen entspricht ihr Verhältnis zur Gestalt. Ohne Mühe wird die leichte Gruppe links „getragen" und hält sich demgemäß locker-distanziert; auch farbig bewahrt selbst das Gelb der Sekthauben eine kühle Distanz zum Blau. Dagegen ist der Anspruch der Spannungen rechts eindringlich - über das Verhältnis der Orangen zum Blau60 - der Gestalt nahegebracht. Das Blau wird herausgefordert mitsamt der Strebekraft im symmetrisch hochgerichteten Erscheinungsbild des Mädchens. Und die ganze Macht und Ruhe dieses Erscheinungsbildes muß die Gestalt auch einsetzen, um die schwere Ansammlung heftiger Farbverhältnisse zu tragen, während links die Flaschengruppe bei aller Distanz so mitgezogen wird von jener Strebekraft, daß sie bei der Spiegelung der pyramidalen Form zu folgen scheint. - So gebieterisch setzt sich die Gestaltpyramide allerdings auch rechts durch, daß das Glas mit den Rosen wie abgelöst von der Obstschale und den Flaschen ist. Dicht neben dem hitzigen Orange entwickeln die beiden Blüten unberührt davon einen zarten Klang von weißlichem Gelb und Graublauviolett, der das ernste Blau in feine Schwingungen versetzt und die Strenge der Symmetrie mildert, ohne beider K r a f t zu beeinträchtigen. Das verschiedene Verhältnis der Flaschengruppen zur symmetriebetonenden Gestalt fordert die übrigen Bildkräfte zur Herstellung eines latenten Gleichgewichts heraus - wie es im einleitenden Abschnitt schon beschrieben wurde. Da58
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Z . B. steht das tiefe R o t der Weinflasche beunruhigend nahe zum G i f t g r ü n , ohne die ausgleichende Spanne des Komplementärverhältnisses zu erreichen, während diese v o m aggressiven Zinnober auf dem weißen Etikett der bräunlidi-grünen Bierflasche wieder überspitzt w i r d , durch die scharfe Dreieckform darin bestärkt. Auch die Grünvariationen der Sektflaschen wirken irritierend ein, bleiben aber zurückhaltend, damit um so blinkender die Goldgelbnuancen der Staniolhauben hervortreten, die das beißende Verhältnis zwischen G r ü n und Orange erneut ansprechen und variierend aufregen. V o n den in dunklen Farben - Smaragdgrün, Braungrün und Weinrot - tiefglänzenden Flaschenleibern heben sich die Etiketten weiß aufleuchtend hervor, wie auch die gelb vibrierenden Töne der Sekthauben. Welchem das Orange in der Kristallschale geradezu entgegengehoben w i r d .
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durch entstehen auch farbig wieder neue Möglichkeiten der Verknüpfung und Durchdringung über die Gestalt hinweg. Insbesondere zu den Lampenkreisen ergibt sich eine scharf gespannte Korrespondenz. Nicht daß die Kreise ihre zentrierend beherrschende Macht nun doch über die Flaschengruppen ausdehnten. Vielmehr bildet sich ein Austausch zwischen gleichrangigen Kräften, die ponderierend aufeinander abgestimmt sind. Die Farbspannungen der rechten Flaschengruppe verknüpfen sich mit dem linken Weißkreis. Von der Achse weiter entfernt und größer als der andere erreicht dieser Akzent eine unvergleichbar gesteigerte Schärfe, die unter der Einwirkung eines weiteren Kreises, der halb hinter dem Pfeilerband hervorleuchtet, und den giftgrünen Schuhflecken auf einer Trapezstange einen unheimlidi irritierenden Charakter bekommt. Es sammelt sich hier also eine Unruhe, von deren Verwandtschaft mit der Flaschengruppe das Giftgrün der Schuhe ein feines Zeugnis gibt. Mit dem vergleichsweise ruhigen Akzent des rechten Kreises dagegen sucht die linke Flaschengruppe Kontakt, in Richtung dorthin sich spiegelnd. Durch die zentrierende K r a f t der Kreisakzente in bezug auf die umgebende Spiegelwelt erweitert sich nun auch auf diese die Korrespondenz der Flaschengruppen. Die Verwandtschaft der verwirrend reich und scharf ineinandergreifenden Farbspannungen rechts mit dem hektischen Gewirr von Menschen- und Lampenflecken auf dem Rang macht sich geltend. Sie ist durch die gemeinsame Einstellung auf den linken Kreisakzent enger als diejenige der nahestehenden Flasdiengruppe. Diese wird zwar von einer ähnlich blinkend bewegten Farbigkeit geprägt, enthält aber zugleich in ihrer hochstrebend der Gestalt sich anpassenden Form — besonders in der Paarung mit dem Spiegelbild - einen Hinweis auf die beiden am rechten Bildrand gespiegelten Menschen, w o sich die prägnanteste Farbe der Flaschen, das Gelb der Sekthauben, in dem silbrigen Blond des Mädchens wiederholt. So ist die brodelnde, hier und da scharf aufbrechende Unruhe der Farben an den großen, farbig ruhigen und formal starren Grundzügen orientiert und über diese ineinander verschränkt und in zahlreichen Bezügen verwoben. Insbesondere der starre Ernst der Gestalt in der Mitte hat eine zügelnde Kraft, die ihn gleichzeitig als „Orgelpunkt" das umgebende Stimmengewirr durchdringen läßt - samt der feinen melancholischen Schwingung, in welche ihn der zarte Farbklang der Blüten versetzt hat. Gegenstand und Kaum Die Irrealisierung des Gegenständlichen innerhalb des raumhaften Zusammenhangs der vielfältig verwobenen Farben ist in diesem Bild ganz unvergleichlich gesteigert. Die vibrierende Bewegtheit des Farbgewebes wird zur Wiedergabe des ungreifbar im Spiegel auftauchenden Lebens verwendet und seine irrealisie-
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rende Qualität seinerseits gefördert durdi das Motiv des Spiegels, welcher einer unsichtbaren Welt zu einem unwirklichen Dasein verhilft. Die Empfindung, das Dargestellte sei ungreifbar gemeint, erhöht die irrealisierende Wirkung des Farbgewebes. Außerdem verwirren irrlichterhafte Doppelreflexionen und schattenhafte Verschwommenheiten das ohnehin bewegte Bild der Gegenstände. Besonders im Vergleich mit dem Mädchen und den Flaschen auf dem Bartisch empfindet man die Ungreifbarkeit der dahinter gespiegelten Welt. Die Gestalt des Mädchens ist durch die Festigkeit der formalen - in der Bildachse verankerten Gesamterscheinung auch in der gegenständlichen Festigkeit hervorgehoben, mit der verglichen die Spiegelfiguren Schattencharakter haben. Und die Flaschen zeichnen sich durch eine größere Intensität und Dichte der Farben aus; die Farben erzeugen, indem sie optisch rechts und links „Gewichte" bilden, entsprechende Vorstellungen von den dargestellten Gegenständen. Doch sind die realen und die gespiegelten Dinge nicht kontrastiert, vielmehr in gegenseitiger Beeinflussung und Durchdringung nicht nur farbig, sondern auch in der gegenständlichen Auffassung miteinander verwoben, - da der Spiegelrahmen verdeckt ist, ohne dessen Schranke. Die raumerzeugende K r a f t des Farbgewebes, welche die dargestellten Gegenstände der Greifbarkeit entzieht und für die Spiegelwelt so überzeugend eingesetzt werden konnte, bestimmt auch die Flaschengruppen. In ihnen ist das Gewebe nur enger zusammengezogen, nicht wesentlich gewandelt, und läßt bei aller Intensität und Dichte die Dinge nicht zu körperlich homogener Faßbarkeit kommen. So werden die Flaschen auch von der verzaubernden K r a f t des Gewebes ergriffen, der unwirklichen Spiegelwelt eher verbunden als von ihr abgesetzt. Lichtwirkungen funkensprühender Art entwickeln sich außerdem aus der vibrierenden Bewegtheit des Farbgewebes und steigern noch den verzaubernden Einfluß. Sie entstehen durch häufig aufblitzende Helligkeiten und überraschende Farbnuancen im Gewebe, die durch pointiert gesetzten Pinselstrich mit fein zustoßender Heftigkeit erfüllt werden. Auf diese Weise scheinen alle Bildgegenstände Licht als Ausdruck der eigenen Bewegtheit glitzernd auszuteilen, ob sie vom Motiv her leuchtend oder beleuchtet gemeint sind: die gespiegelten Kristallkronen wie die Menschen darunter (beide mehr als die „Lampen", die das Licht eher in ihre konzentrische Kreisform einsaugen als strahlend von sich geben). Und ebenso tragen die Farben der Flaschen das verzaubernde Licht weiter und lassen sich in ihrer entwirklichenden K r a f t von den glänzenden stofflichen Eigenschaften der Gegenstände auf dem Bartisch nur bestärken.41 61
Jedlicka ( 1 9 4 1 , S. 3 1 7 ) unterscheidet zwei A r t e n von L i d i t in diesem B i l d : das künstliche Licht im R a u m selber und das der Spiegelung. Tatsächlich sind die Lichtreflexe verschieden geformt, je nach dem stofflichen Charakter des Gegenstandes, an welchem sie erscheinen: diffus in die Spiegelerscheinungen verwoben, körnig die vorderen Gegenstände durchsprengend. Doch entwickeln sie sich immer in der gleichen A r t mit idealisierender K r a f t aus der irisierenden Bewegtheit des Farbgewebes und üben dadurch den beschriebenen vereinheitlichenden Zauber aus.
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Auch die Zentralgestalt ist in diese blitzend vibrierende Umwelt hineingezogen. Mit den sprühend bewegten Farbpartikeln des Spitzenausschnittes nimmt sie so engen Anteil daran, daß die Gestaltsilhouette samt dem ruhigen Blau nicht abgehoben, sondern zurücktretend eingetaucht scheint. Gleichwohl ist die Festigkeit ihrer formalen Erscheinung in der Auswirkung für die gegenständliche Greifbarkeit so stark, daß die Gestalt damit ihrerseits einen Einfluß ausübt. Die Flaschen lassen sich trotz aller Neigung, sich in die Spiegelwelt zu mischen, auf der realen Seite ihrer schwankenden Wirkungstendenzen festhalten; und selbst die Gegenstände der Spiegelwelt werden — wenn auch nicht zur Greifbarkeit - so doch zur Gegenwärtigkeit gezwungen.
Zum
Gehalt
Mit der gesteigerten Irrealisierung der Gegenstände wird auch der imaginäre Charakter der Bildwelt betont aufgefaßt. Die gespiegelten Dinge haben die Entrücktheit und Eindringlichkeit traumhaft empfundener Vorstellungen, die - von der Zentralgestalt gebannt - ihrerseits die Gestalt in ihren Bann ziehen mitsamt dem Gefühlsgehalt ihrer farbigen und formalen Erscheinung. Besonders die Lampenkreise sind von alpdruckartig starrer Unwirklichkeit und Heftigkeit. Wie zu einem einzigen ziehenden Schmerz zusammengefaßt dringen über sie die hektische Unruhe der Menschen und Lampen und die drängend große Erscheinung des Mannes in der Nähe zum eigenen Spiegelbild auf das Mädchen ein. Aber auch die lastende Schwere der spannungballenden Flaschengruppen gewinnt eine traumhafte Qualität, zu der selbst die Vorstellung vom gegenständlichen Gewicht seinen Beitrag leistet. Beide Empfindungskomplexe werden simultan von der Kerngestalt aus aufgefaßt. Ja, sie sind - dem diagonal ponderierenden Verhältnis der formalen und farbigen Kräfte entsprechend - auch im Ausdruck aufeinander abgestimmt und so eng aneinandergebunden, daß sie sich gegenseitig beeinflussen. Der sachliche, gläsern kühle Charakter der nahen Dinge wirkt auf das bewegte Leben des Spiegelgrundes ein, derart, daß die Menschenmenge in ihrer irrealen Distanz von einer sachlichen Distanziertheit erfüllt scheint, die etwas Feindseliges ausstrahlt. Umgekehrt werden die Flaschen unter dem Einfluß der Spiegelwelt von einem Leben durchdrungen, das verbunden mit ihrer gläsern sachlichen Gegenständlichkeit unheimlich ist. Die beißenden Farbspannungen der rechten Flaschengruppe geben in ihrer Giftigkeit, Hitzigkeit und Schärfe ein lebhafteres Zeugnis von dem, was in der Menschenmenge aufeinanderprallt, als diese selbst. Und die verhalteneren Farben der Flaschen links scheinen das, was zwischen dem Paar angedeutet ist, interpretierend weiterzugestalten. Im Kreuzfeuer dieser unnennbar vielfältig und heftig bewegten Kräfte mit entsprechend lebhaft gespannten Empfindungsgehalten bildet in deren Mitte nun
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die Zentralgestalt gleidisam als Reaktion jene tiefe Melancholie, wie sie sich im Blau ihrer Jacke ausdrückt. Mit stiller Macht setzt diese sich als Stimmungsgrundlage in dem Gewirr von Erlebnisempfindungen durch und vermischt sich mit ihnen.
Vergleich mit früheren Werken Gegenüber allen besprochenen Bildern zeichnet sich die „ B a r " durch ihren Lichtzauber aus. Durch ihn ergibt sich noch einmal ein Wandel im Bildcharakter. Aus der Bewegtheit der Farben entwickelt steigern die funkelnden und aufblitzenden Lichter alle Wirkungen, die das atmosphärisch raumhafte Gewebe hervorruft. Der ungreifbare - nur mitschwingender Empfindung zugängliche Charakter der Bildwelt erfährt einen Nachdruck und eine Erweiterug zum traumhaft Entrückten hin. Zugleich bekommt die vereinheitlichende K r a f t des Gewebes einen neuen Impuls, schritthaltend mit der überwältigend gesteigerten, schillernden Vielfalt der Farben. Damit blüht eine Gestaltungsmöglichkeit auf, die seit langem vorbereitet war. Schon im „Argenteuil" wurde Licht als eine bedeutende Wirkungskraft der Farben in die Bildwelt aufgenommen. Angeregt von den revolutionären Versuchen Monets läßt auch Manet durch die allgemeine Helligkeit der Farben Tageshelligkeit entstehen, die von der vibrierenden Bewegtheit des Gewebes zum Lichten hin getrieben wird und ihrerseits mit ihrer Vitalität die Raumkräfte des Gewebes aktiviert. Doch bleibt dieses Licht in der Schwere der Farbpartikel eigentümlich befangen. Es ist mit ihnen stark, erscheint aber nüchtern und ohne Glanz - besonders im Vergleich mit dem späten Werk. Alle verwandelnden K r ä f t e sind den atmosphäreerzeugenden Wirkungen des Farbgewebes vorbehalten. Auch im „Chez le Père Lathuille" behält die Raumkraft des Gewebes den Vorrang, obwohl die Farben in ihrer feineren pointierten Differenziertheit einen silbrigen Schimmer annehmen. Das Lichtgefunkel, das an manchen Stellen daraus entsteht (besonders im Baumlaub mit Bezug auf die schillernde Bewegtheit in den Empfindungen der Frau), bleibt vereinzelt als eine besondere Ausdrucksmöglichkeit des Farbgewebes unter zahlreichen anderen. Erst in der „ B a r " wächst der Einfluß des Lichtes mit bilddurchdringender Macht und eigener Prägung über das Maß dessen hinaus, was die Schwingungen des Farbgewebes bewirken. Es steigert nicht nur die Verwandlung der Bildgegenstände ins Ungreifbare, sondern verleiht ihnen darüber hinaus den Charakter des Flüchtigen und Vergänglichen, der ihm eigen ist.
Anhang zu Teil 1
Vergleich der gewonnenen Bilddeutungen mit den in der Literatur vertretenen Auffassungen „Le
Déjeuner dans
Vatelier"
Kataloge Jamot-Wildenstein, 1932, Not. 149 Tabarant, 1947, no. 139
Literatur61 Tschudi, Hugo von: Manet, Berlin 1902, S. 19/20 Waldmann, Emil: Edouard Manet in der Sammlung Pellerin. In: Kunst und Künstler, V I I I , 1909/10, S. 391 Meier-Graefe, Julius: Edouard Manet, München 1 9 1 2 , S. 202 Jedlicka, Gotthard: Edouard Manet, Zürich 1 9 4 1 , S. 1 5 5 - 1 6 0 Reifenberg, Benno: Edouard Manet, Lausanne 1947, S. 2 9 - 3 1 Jantzen, Hans: Edouard Manets ,Bar aux Folies-Bergère'. In: Über den gotischen Kirchenraum und andere Aufsätze, Berlin 1 9 5 1 , S. 73-78 (über das Münchner Bild S. 75-76) Martin, Kurt: Edouard Manet. Le Déjeuner. Das Frühstück. In: Kunstwerke der Welt aus dem öffentlichen bayerischen Kunstbesitz. Bd. I, München 1961, N r . 36
Vergleich Schon Tschudi und Waldmann betonen die ausgezeichnete Stellung des Jungen im Bildgefüge und teilen ihm deshalb auch im Bildsinn die Hauptrolle zu. „Um ein Portrait von ihm handelt es sich audi im wesentlichen, trotz der reichen Komposition. Alles übrige ist in zweite Linie gerückt." (Tschudi, S. 19.) Doch wird das besondere Verhältnis der Zentralgestalt zur Hintergrundumgebung nicht näher definiert. Offenbar fühlt sich keiner der Autoren zu Assoziationen angeregt. Die Bilddinge werden als real gesehen gewertet, die Farben bewundert, aber nicht als gegenstandsverwandelnde und -interpretierende K r ä f t e empfunden. Jedlidea will nicht einmal aus der formalen Hervorhebung der Gestalt inhaltliche Schlüsse ziehen : „ . . . E r [Manet] hat drei Menschen zu einem Gruppenbildnis vereinigt. Die Figur des Jungen tritt nicht mehr aus dem Bild heraus, als es durch ihre äußerliche Stellung im Räume bedingt ist . . Für Jedlicka erfüllt sich der Bildsinn ganz in der gegenständlichen Situation „nach dem Frühstück", an der alle Bilddinge gleichmäßig teilhaben, die Gestalt des Jungen nur ein wenig intensiver als die anderen. Dementsprechend sieht Jedlicka audi die Aufgaben der Farben. Die Farben stehen nach ihm ganz im Dienst der real-räumlichen Klärung: » . . . Der farbige Gegensatz 62
Es sind nur solche Autoren zitiert, bei denen das Bild so ausführlich zur Sprache kommt, daß eine bestimmte Auffassung erkennbar wird. Eine katalogmäßige Aufzählung ist nidit angestrebt. Das gilt audi für die folgenden Zusammenstellungen.
Anhang zu Teil I
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zwischen Gelb u n d Schwarz, der den stärksten Farbengegensatz darstellt u n d in der Figur des Jungen mit dem S t r o h h u t von unten nach oben reich abgewandelt ist, wird im grauen Kleid des Mädchens mit der Kaffeekanne u n d dem Serviertuch in eine Folge m a t t e r grauer Töne aufgelöst . . . Zwischen der einen u n d der anderen farbigen Gestaltung (. . .) liegt die Farbengebung des Mannes mit dem Zylinder u n d der Zigarre. Seine Figur schafft in jeder Beziehung die farbige Vermittlung zwischen den beiden anderen . . ." Nach der oben entwickelten Besdireibung kann jedoch die Figur des Mannes eine solche raumabstufende Vermittlung zwischen den beiden anderen Gestalten nicht übernehmen, da alle Verhältnisse unmittelbar an der Zentralfigur gemessen werden. Es gibt kein R a u m k o n t i n u u m von einer Seitenfigur zur anderen. Z u d e m läßt Jedlicka die Einwirkung der hell vortretenden Dingbezirke überhaupt außer acht. Zwei jüngere Beschreibungen bei Reifenberg u n d Jantzen k o m m e n in einigen Andeutungen der oben entwickelten Auffassung des Bildes näher. Reifenberg formuliert so: „ . . . Man k e n n t den Lebensroman des Jungen, . . . u n d doch, wieviel mehr ist mit ihm gemeint, als alles Wissen über das Modell zu dieser Gestalt vermitteln könnte . . . Das Frühstück wird immer aufrufen, über das Geheimnis des Gegenwärtigen nachzusinnen, über den Sinn, den ein von Empfindungen erfüllter Augenblick der wegrinnenden Zeit entringen kann. Wird sich der Mensch eines solchen Augenblicks bewußt, dann erreicht er eine der höchsten Stufen des irdischen Seins. An diesen hohen Stufen sind die Bilder von Manet ans Licht getreten. Eine bürgerliche Szene an irgendeinem Tag des Jahres 1868 wird in dem „Frühstück" z u m schwermütig f u n k e l n d e n Kristall verdichtet, er birgt ungezählte Gegenwärtigkeiten in sich, vielleicht die Perle von Chardin, vielleicht einen f r e m d e n D u f t , wie er in Skizzenbüchern lebt, die Delacroix in M a r o k k o auf dem Sattelknauf füllte, vielleicht die E r i n n e r u n g eines jungen Menschen, der einmal als Seekadett nach Brasilien gefahren ist, ehe ihm das Malen erlaubt war. Die Menschen schweigen, aber in den Farben regt es sich, sie laufen zueinander, fliehen u n d finden sich, zu dem unfaßlichen Gewebe, das wir Leben nennen . . Jantzen läßt die D e u t u n g der Bildwelt als Vorstellungswelt des Jungen n u r erahnen durch den Vergleich mit der „Bar aux Folies-Bergère" ; er spricht sie für das Münchner Bild nicht aus. Martin schließt sich im ganzen Jedlicka an, bewundert das unmittelbar und selbstverständlich Gegenwärtige der Darstellung, einer nüchtern gesehenen und erlebten Szene des alltäglichen Lebens. I m Zuge der Vergegenwärtigung wirklichen - zeitgenössischen Lebens sieht er auch die Einsamkeit des Großstadtmenschen durch die Isoliertheit der Personen wiedergegeben (hierin Jantzen folgend).
„Le Dejeuner sur l'herbe" Kataloge Jamot-Wildenstein, 1932, N o t . 79 Tabarant, 1947, no. 66
Literatur Tschudi, Hugo von: Manet, Berlin 1902, S. 17 Proust, A n t o n i n : Edouard Manet, Souvenirs, Paris 1913 (éd. par A. Barthélémy) Pauli, Gustav: Raffael und Manet. I n : Monatshefte für Kunstwissenschaft, I, i . H a l b b d . , 1908, S- J3-55 Meier-Graefe, Julius: Edouard Manet, München 1912, S. 115-132 Blandie, Jacques-Emile: Manet, Paris 1924, p. 28-30 Deri, M a x : Die Malerei im 19. Jahrhundert, Berlin 1930, Bd. I, S. 1 3 5 - 1 3 8 Fierens, Paul: Edouard Manet. I n : L'Art et les Artistes, N o . 110, oct. 1930, p. 7/8 Jaloux, E d m o n d : Le Tragique de Manet. I n : Formes, avril 1932, p. 156 Mesnil, Giacomo: „Le Déjeuner sur l'herbe" di Manet e il „Concerto campestre" di Giorgione. I n : L'Arte, X X X V I I , 1934, p. 250-257 Jedlicka, G o t t h a r d : Edouard Manet, Zürich 1941, S. 49-65 Florisoone, Michel: Manet, Monaco 1947, p. X X I I I
Stellungnahme zur Literatur
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Bex, Maurice: Manet, Paris 1948, p. 8/9 Alazard, Jean: Manet, Lausanne 1949, p. 15 Hamann, Richard: Original und Kopie. In: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft, X V , 1949/50, S. 141-142 Sandblad, Nils Gösta: Manet, Three Studies in Artistic Conception, Lund 1954, p. 87-94 Bataille, Georges: Manet, études biographique et critique, Skira-Verlag 1955, p. 71-74 Farwell Beatrice: A Manet Masterpiece Reconsidered. In: Apollo, L X X V I I I , 1963, p. 45-51 Vergleich Viele der Beobachtungen, die zu der oben entwickelten Interpretation des Bildes geführt haben, sind in der zitierten Literatur enthalten. Sie werden aber zum großen Teil negativ gewertet. Ja, es hat sich geradezu eine traditionelle Voreingenommenheit gegen das Werk gebildet. Sie ist zu verstehen, solange man von der Voraussetzung ausgeht, nur ein im realistischen und ornamentalen Sinn einheitliches Bild sei vollkommen, und Manet habe eine solche Einheit gesucht und erst in späteren Werken erreicht. Tatsächlich lassen fast alle Einwände gegen das Bild eine solche Haltung erkennen. Die Erklärungen bekommen dann einen entschuldigenden Charakter. Deri z. B. meint, Manet habe bei seinem revolutionären Vorgehen - bei der Erneuerung der Bildtiefe und dem Durchbruch zu farbiger Helligkeit im Stilleben - die Stücke in der Hand behalten. Meier-Graefe und Jedlicka glauben, eine sukzessive Entstehung des Bildes habe die bezirkhafte Einteilung mit sidi gebracht. Versuche, diese Züge des Bildes als Stil zu werten, gibt es nur in Ansätzen. Sandblad erklärt sich die flächige Geschlossenheit der Gruppe vor dem teppichartigen Landschaftsgrund mit einem Streben nach monumentaler Komposition „with all the timelessness and finality of such a work". Zu diesem Ziel habe Manet den zeitgenössischen Bildgegenstand in der vom japanischen Holzschnitt angeregten flächigen Darstellungsweise und mit Hilfe des Vorbildes von Marc Anton auf die Ebene klassischer Kunst erheben wollen. - Damit beschränkt Sandblad aber seinen Blick auf die Figurengruppe, beschreibt nicht die Komposition in ihrer Gesamtheit. Dies war dagegen die oben gestellte Aufgabe. Die Auffassung des Bildes, die sich dabei ergab, ist allerdings hier und da schon ähnlich empfunden und angedeutet worden. Jedlicka beschreibt S. 62 die distanzierte Ruhe des Bildes und Jamot sagt S. 26: „Mais l'important, ce n'est pas de savoir pourquoi tel personnage est là et pourquoi il fait tel geste: c'est qu'il y ait entre les diverses figures ainsi qu'entre elles et le décor qui les entoure un lien de nécessité plastique, signifié tant par les lignes que par la couleur. Quand une telle condition est remplie, ces tableaux de symboles à la fois très vagues et très généraux . . . nous touchent peutêtre plus que d'autres en ouvrant d'infinies perspectives à notre rêverie." - Vor allem ist hier Farwell zu nennen, die mit einer ganz neuen Aufmerksamkeit für das Inhaltliche den Sinngehalt des Bildes zu deuten versucht: als Vergegenwärtigung des verlorenen Paradieses (nach W. Hofmann) - in Anlehnung an die arkadischen Darstellungen von Giorgione, Tizian, Poussin etc. Solche Bemühungen sind aber nicht mit einem Verständnis der Komposition verbunden. Deshalb bleiben auch die Ergebnisse entsprechend undifferenziert, die Auswirkungen der Spannungen zwischen den verschiedenartigen Bezirken unbeachtet. Dabei liegt es nahe, einen Sinn in der bezirkshaften Gestaltungsweise zu suchen, da diese ähnlich auch in anderen Werken der gleichen Epoche zu beobachten ist. Aber auch unter den Besprechungen der gleichzeitigen Werke gibt es meines Wissens nur einen einzigen Versuch, der in die gleiche Richtung vorstößt wie die obige Interpretation: von Theodore Reff, The Symbolism of Manets Frontispiece Etchings (in: The Burlington Magazine, may 1962, p. 182-196). Er ist aufschlußreich und stützt die für das „Déjeuner sur l'herbe" vorgenommene Untersuchung, auch wenn man Reff nicht in jeder Einzelheit zustimmen mag.
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Anhang zu Teil I
„Olympia" Kataloge Jamot-Wildenstein, 1932, Not. 82 Tabarant, 1947, no. 68
Literatur Zola, Emile: Edouard Manet, Etude biographique et critique, Paris 1867. Wiedergedruckt in: Mes Haines, Paris 1902 Tsdiudi, Hugo von: Manet, Berlin 1902, S. 17/18 Meier-Graefe, Julius: Edouard Manet, Mündien 1912, S. 133-149 (Kapitel VII) Blanche, Jacques-Emile: Manet, Paris 1924, p. 33-36 Jamot, Paul: Manet and the Olympia. In: The Burglington Magazine, L, jan. 1927, p. 27-35 Bodkin, Thomas: Manet, Dumas, Goya and Titian (Letter). In: The Burlington Magazine, L, march 1927, p. 166-167 Fierens, Paul: Edouard Manet. In: L'Art et les Artistes, No. n o , oct. 1930, p. 10-12 Jaloux, Edmond: Le Tragique de Manet. In: Formes, avril 1932, p. 255-257 Valéry, Paul: Triomphe de Manet. Vorwort zum Katalog der Ausstellung von 1932 in Paris. Wiedergedruckt in: Pièces sur l'art. Jamot, Paul (-Wildenstein): Manet, catalogue critique, Tome I, Paris 1932, p. 27-31 Amsler, R.: Trois nus: La Vénus du Titien, la Maya de Goya, l'Olympia de Manet. In: Aesculape, 1937, p. 181-184 (über „Olympia" p. 183-184) Jedlidta, Gotthard: Edouard Manet, Zürich 1941, S. 71-79 (5. Kap.) Florisoone, Michel: Manet, Monaco 1947, p. X V I I I und p. X X I V Reifenberg, Benno: Manet, Bern 1947, S. 1 2 - 1 7 Alazard, Jean: Manet, Lausanne 1948, p. 1 5 - 1 6 Bex, Maurice: Manet, Paris 1948, p. 8 und 12 Mathey, François: Olympia, Paris 1948 Sandblad, Nils Gösta: Manet, Three Studies in Artistic Conception, Lund 1954, p. 94-100 Bataille, Georges: Manet, études biographique et critique, Skira-Verlag 1955, p. 60-75 Venturi, Lionello: Four Steps toward Modern Art, Giorgione, Caravaggio, Manet, Cézanne, New York 1956, p. 53 Reff, Theodore: The Meaning of Manet's Olympia. In: Gazette des Beaux-Arts, 6, L X I I I , 1964, p.110-122
Vergleich Es gibt wohl kein Bild von Manet, das so uneingeschränkt in seiner künstlerischen und entwicklungsgesdiichtlichen Bedeutung anerkannt ist wie die „Olympia" - jedenfalls seit sidi die Anerkennung Manets überhaupt durchgesetzt hat. Äußerungen über das Bild sind entsprechend häufig und in den verschiedensten Zusammenhängen zu finden. Die zusammengestellten Zitate bilden nur eine Auswahl. Doch lassen nur ganz wenige von ihnen eine Auffassung erkennen, die der oben entwickelten auch nur ähnelt. Unter diesen ist die ausführliche Beschreibung MeierGraefes hervorzuheben. Wie kein anderer hat Meier-Graefe Gehalt und Darstellungsweise in ihrer Einheit zu erfassen gesucht. Als Beispiel sei eine Stelle zitiert: „Das Neue [verglichen mit der „Venus von Urbino" Tizians] ist das Aktive einer viel weniger unbewußten Weiblichkeit. Das kommt nicht nur in der Haltung der Gestalt zum Vorschein, sondern auch in der Art der Darstellung, in dem energischen Auftrag, in den unverhohlenen Farbenkontrasten, in der Straffheit aller Mittel der Form . . . Die Negerin rückt als handelnder Partner unmittelbar hinter die Hauptperson, erweitert die Differenz zwischen Hell und Dunkel zu einem großartigen Farbenspiel und erhöht das Wirksame des Symbols." In den dreißiger Jahren begann man, allein im vollkommenen Gleichgewicht aller Formen und Farben den Sinn und die Bedeutung des Bildes zu sehen. Jamot spricht es unvermittelt aus: „Pour
Stellungnahme zur Literatur
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l'équilibre de sa composition, il avait besoin d'une seconde figure et de quelques accessoires. Mais il tenait à ce que tout l'éclat, toute luminosité du tableau fussent concentrés sur le jeune corps étendu, ainsi que sur les linges blancs et les soies pâles couvrant le lit. Voilà pourquoi la servante tient un large bouquet, c'est que ces fleurs multicolores dans leur papier blanc étaient nécessaires pour mettre en valeur la subtile harmonie, ton sur ton, de la chair et du linge. Toutes ces choses ont un sens pictural et plastique, mais rien de plus . . . " Dieser Auffassung folgen z . B . Bex 1948, Mathey 1948 und noch Venturi 1955; selbst Sandblad, der es sich in seiner Abhandlung zum Ziel gesetzt hat, bisher übersehene Gefühlsmomente in Manets Kunst herauszustellen, hält bei diesem Bild daran fest, „that the work on the canvas is the matter of prime importance . . . " , gefördert durch den Einfluß japanisdier Farbholzschnitte. Nun ist die Eroberung der Fläche mit ihren betonten Wirkungsmöglichkeiten für die Farben und Formen ganz gewiß ein besonderes Verdienst dieses Bildes, erschöpft aber nicht seine Bedeutung 6 3 - weder als Einzelkunstwerk noch entwicklungsgeschichtlich. Alle diejenigen, die sich von dem Rhythmus der Farben und Formen wirklich lenken lassen, können nicht bei der zitierten Auffassung stehen bleiben. Aber es gibt diesbezüglich nur wenige Ansätze in der neueren Literatur. Florisoone sagt z . B . : „Mais par son pouvoir l'art élévera l'anecdote originale à un niveau de gravité et de fierté qui rejoindra celui des mythologies et égalera une fille du X I X e siècle aux déesses des légendes." Die Negerin wird allerdings unterschlagen. Auch Reifenberg hat die Sprache des Bildes ähnlich verstanden, wie sie oben angedeutet wurde, nur zuweilen darüber hinwegschießend. E r erfaßt vieles intuitiv, was oben als Ergebnis der Analyse entstand. Reff wendet sich als einziger ausdrücklich gegen die verbreitete formalistische Auffassung. Es ist ihm aber so sehr daran, gelegen, den Bildinhalt als Kurtisanenszene zu deuten, daß ihm wiederum die verwandelnden K r ä f t e der Farben und Formen entgehen. In der abweisenden Geste der „Olympia" Gesellschaftskritik lesen zu wollen, scheint mir etwas vordergründig interpretiert. Leider war es mir nicht möglich, vor der Drucklegung die bisher unveröffentlichte Dissertation von Beatrice Farwell („A Study in the Early Work of Edouard Manet." N e w Y o r k University, 1965) in die Hand zu bekommen. Sicherlich ist dort die „Olympia" besprochen.
„Zacharie
Astruc"
Kataloge Jamot-Wildenstein, 1932, Not. 103 Tabarant, 1947, no. 77 (zur Literatur siehe folgende Besprechung)
„Emile
Zola"
Kataloge Jamot-Wildenstein, 1932, Not. 146 Tabarant, 1947, no. 137
Literatur Meier-Graefe, Julius: Edouard Manet, München 1 9 1 2 , S. 1 6 4 - 1 6 7 Jamot, Paul (-Wildenstein): Manet, catalogue critique, Tome I, Paris 1932, p. 39-41 Jedlicka, Gotthard: Edouard Manet, Zürich 1 9 4 1 , S. 96-100 Faison, S. Laue: Manet's Portrait of Zola. In: Magazine of Art, X L I I , may 1949, p. 163-168 Sandblad, Nils Gösta: Manet, Three Studies in Artistic Conception, Lund 1954, p. 1 0 5 - 1 0 7
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Uber die Bedeutung flächiger Gestaltungsweise bei Manet siehe S. 1 3 2 / 1 3 3 . Hopp, Manet
Anhang zu Teil I
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Vergleich Sandblad entwickelt seine Interpretation des Bildnisses von Zola im Gegensatz zu Faison, die zu beweisen sucht, daß Manet mehr sich selber dargestellt habe als Zola, dessen Züge zu zart und zurückhaltend gezeichnet seien. Er erklärt dagegen, Manet habe das Gewicht der Darstellung auf das gemeinsame künstlerische Programm konzentriert und eine Charakterisierung der Person Zolas gar nicht beabsichtigt. Variierend möchte idi sagen, daß die Person des Dichters mehr in den bildhaft vorgestellten Gedankenbereichen als durch charakteristische Gesichtszüge zum Ausdruck gebracht werden sollte. So formuliert läßt die Auslegung auch jene traditionelle Theorie bestehen, die Sandblad erschüttert glaubt: das Bildnis Zolas leite die Gattung des Milieuportraits ein. Das „Milieu" darf nur nicht so realistisch wie bisher aufgefaßt werden. Die einzige mir bekannte ausführliche Beschreibung des „Zacharie Astruc" von Gotthard Jedlicka (S. 96/97) endigt S. 100 in einem Vergleich mit dem Bildnis Zolas, der ganz zugunsten des späteren Bildes ausfällt. Das frühere Bild wird also vom späteren her gewertet. Bezeichnenderweise kommt Jedlicka dabei zu ähnlichen Vorwürfen, wie sie immer wieder gegen das „Déjeuner sur l'herbe" erhoben worden sind, daß nämlich die einzelnen Teile nicht zu einem Ganzen verschmelzen. Wörtlich heißt es: „Das Bildnis von Astruc wirkt schön, aber der Betrachter kommt vor ihm zu keinem einheitlichen künstlerischen und menschlichen Eindruck . . . Das von Zola hingegen scheint aus einer verhaltenen festlichen Stimmung heraus entstanden zu sein . . . Im einen liegen die verschiedenen Bildelemente (das skizzierte Interieur, das prachtvolle Stilleben, das Bildnis), getrennt nebeneinander, und jeder Teil ist mit seiner besonderen Spannung beseelt." Die obige Beschreibung suchte dagegen zu zeigen, daß die Bezirke gerade durch die betonte Verschiedenheit diejenigen Spannungen hervorrufen, die ihre gegenseitige Bindung bewirken. Die Annäherung aller Teile zu größerer Einheitlichkeit des Ganzen im „Zola" bedeutet nur eine Wandlung des Stils, keine Steigerung in der Qualität. Lediglich in der reicheren und aufwendigeren Anlage, die dem Bild von vornherein einen größeren Anspruch sichert, kann ich eine Steigerung erkennen. „L'Exécution
de l'Empereur
Maximilien"
Kataloge Jamot-Wildenstein, 1932, Not. 140 Tabarant, 1947, no. 135 Literatur Scbeffler, Karl: Berliner Sezession. In: Kunst und Künstler, VIII, 1909/10, S.439-443 Liebermann, Max: Ein Beitrag zur Arbeitsweise Manets. In: Kunst und Künstler, VIII, 1909/10, S. 483-488 (über die Verwendung von fotografischen Dokumenten und Modellen) Meier-Graefe, Julius: Edouard Manet, München 1912, S. 182-193 George, Waldemar: Manet et la carence du spirituel, Paris o. J. (1932), p. 18/19 (Das Bild wird als Beispiel für den „Mangel an geistigem Ausdruck in den Werken Manets" herangezogen) Huyghe, René: Manet, peintre. In: L'Amour de l'Art, X I I I , No. 5, 1932, p. 175, 179 (Das Bild wird als Beispiel für Manets Kompositionsweise in flächenparallelen „Kulissen" zitiert) Jedlicka, Gotthard: Edouard Manet, Zürich 1941, S. 139-150 (10. Kap.) Reifenberg, Benno: Manet, Bern 1947, S. 19-22 Florisoone, Michel: Manet, Monaco 1947, p. X X und X X V Martin, Kurt: Die Erschießung Kaiser Maximilians von Mexiko, Kunstbrief, Berlin 1948, S. 9-18 Sloane, Joseph C.: Manet and History. In: The Art Quarterly, X I V , 1951, p. 95-100 Bauch, Kurt: Abendländische Kunst, Düsseldorf 1952, S. 320 Sandblad, Nils Gösta: Manet, Three Studies in Artistic Conception, Lund 1954, S. 109-158 Bataille, Georges: Manet, études biographique et critique, Skira-Verlag 1955, p. 50-55 Davies, Martin: Recent Manet Literature. In: The Burlington Magazine, X C V I I I , 638, 1956, p. 170-171 (Besprechung von Sandblad 1954)
Stellungnahme zur Literatur
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Vergleich Die hier beschriebene Art Manets, den vorgegebenen Inhalt des Bildes zu bewältigen und zu gestalten, wird in der Literatur meist nicht so verstanden. Viele empfinden eine Diskrepanz zwischen der dramatischen Szene und der zu „stillebenhafter" Ruhe gebannten Darstellung - vor allem im Vergleich mit dem von leidenschaftlicher Erregung erfüllten Erschießungsbild Goyas. Manche gehen so weit zu glauben, daß Manet sich nur für malerische Probleme interessiert und den Inhalt überhaupt außer acht gelassen habe (z. B. Sloane 1952). Man hat sich diese Diskrepanz aus der Zwitterstellung des Bildes in der Entwicklung der Malerei erklärt: Manet habe sich von der damals herrschenden Hochschätzung des großformatigen Historienbildes verleiten lassen, noch eine solche Szene zu malen, sich aber mit der stillebenhaften Darstellungsweise schon nach anderen - malerischen - Maßstäben gerichtet, welche die Gattung des Historienbildes mit deren thematischen Interessen verdrängen sollten (vgl. Bauch 1952). Allein Sandblad wendet sidi entschieden gegen die übliche Auffassung des Bildes. Er weist nach, daß Manet versucht hat, den Vorgang genau nach den Berichten, die ihm zur Verfügung standen, zu rekonstruieren und diesen gegebenen Inhalt audi formal zu interpretieren. Wörtlich heißt es in der Beschreibung der Mannheimer Fassung: „Has the event itself really been allowed to recede into the background in this painting? Is it not true to say, instead, that Manet's great labour in the simplification and cultivation of the motif had for aim to make the content of the painting more striking, and to give it a wider scale of reference? Does not the drama remain in this calm, restful composition because of an inner tension brought out by the very form? Has not the painting an undertone of dignified, elevated, one is tempted to say courtly seriousness, closely linked with that which, according to the newspaper, marked the person of the Emperor during the executions themselves, and spread out from him over the scene as a whole? The lively figure of the officer with his sword . . . has vanished from the Mannheim painting . . . But a consequence of this has been that the original balance of the composition has been restored, and the two key-figures in the event, the Emperor and the sergeant, once more control the picture, eadi from his own endpoint on the compositional axis. This, for a start, is one item of proof showing that the drama has not been forgotten; it has merely been raised above the purely temporal character of the event." (p. 14J-146) Die obige Analyse des Bildes brachte, von den Farben und Formen ausgehend, die gleichen Ergebnisse. Deshalb wende ich mich mit Sandblad gegen diejenigen, die eine Diskrepanz zwischen den Forderungen des Inhalts und dessen Gestaltungsweise sehen. Manet bleibt mit seinen Farben und Formen nicht gleichgültig gegenüber dem Inhalt (wie Bataille noch 1955 behauptet: „Manet peignit la mort du condamné avec la même indifférence que s'il avait élu pour objet de son travail une fleur, ou un poisson", p. 52). Zwar muß der Betrachter enttäuscht sein, der den Vorgang über erregte farbige und formale Darstellungsweise als entsetzlich beschrieben haben möchte. Für denjenigen aber, der von der Kerngetalt des Kaisers aus teilnehmend die harten Rhythmen der Militärmaschinerie auf sich zustoßen sieht, ist der Vorgang grausam genug dargestellt. Die Härte des Vorgangs wird empfunden und zugleich als Gegenmacht die hoheitsvolle Gelassenheit, die vom Kaiser ausstrahlend alle Momente der Erregung und des Entsetzens bei den übrigen Verurteilten und den Zuschauern einfängt. Farbige und formale Gestaltung machen diesen Gehalt - die durchaus dramatisch zugespitzte Verspannung beider Mächte - erlebbar. Da eine Diskrepanz zwischen Form und Inhalt nicht erkennbar ist, braucht sie auch nicht entwicklungsgeschichtlich erklärt zu werden. Bezeichnend ist gleichwohl die Auffassung und Darstellungsweise des Inhalts für die Zwitterstellung des Werkes als Historienbild an der Wende der Malerei zu einer neuen Thematik: Die Handlung entfaltet sich nicht erzählend, sondern ist zusammengefaßt und zuständlich gesehen. Wenn dieser Charakterzug des Bildes als „stillebenhaft" bezeichnet wird, ist nichts dagegen einzuwenden. Kurt Martin z. B. muß das Bild so verstanden haben, wenn er mit Goyas „Erschießung" vergleichend sagt: „Daneben bei Manet Geräuschlosigkeit und Reglosigkeit, Kälte und Distanz, die den Vergleich mit einem Stilleben nahelegen. Die Anekdote . . . ,es knallt nicht' . . . bezeichnet die genau entgegengesetzte Möglichkeit, um die Wahrheit eines Vorganges und die Unerbittlichkeit eines Schicksals ganz als Zuständi g k e i t auszudrücken . . . " . Und noch eindeutiger und kürzer formuliert Karl Seheff1er schon 1910: „Es ist die Dramatik des Augenblicks vollständig in Malerei, d.h. in Zuständlichkeitsanschauung übersetzt . . . " . 7»
Anhang zu Teil I
IOO
„Le
Balcon"
Kataloge Jamot-Wildenstein, 1932, N o t . 150 Tabarant, 1947, no. 141
Literatur Meier-Graeje, Julius: Edouard Manet, München 1 9 1 2 , S. 194-199 Jedlicka, Gotthard: Edouard Manet, Zürich 1 9 4 1 , S. 1 5 1 - 1 5 5 Florisoone, Michel: Manet, Monaco 1947, p. X I X Alazard, Jean: Manet, Lausanne 1948, p. 18 Leonhard, K u r t : Augenschein und Inbegriff, Stuttgart 1953, S. 73 Sandblad, Nils Gösta: Manet, Three Studies in Artistic Conception, Lund 1954, S. 1 0 4 - 1 0 5 Bataille, Georges: Manet, etudes biographique et critique, Skira-Verlag 1955, p-95, 120/121
Vergleich Die Beobachtungen, auf denen die Deutung des Bildes in dieser Arbeit beruht, stimmt mit denen in der Literatur überein. D a dort jedoch der Sinn der farbigen und formalen Härten nicht in gleicher Weise gesehen oder erspürt wird, bleiben die Beurteilungen des Bildes o f t unsicher, mindestens zurückhaltend. Selbst Meier-Graefe, der so leidenschaftlich um Verständnis bemüht ist, findet hier keinen Ansatz (wie schon Jedlicka 1941 bemerkt). Das scharfe Grün scheint ihm zu unproportioniert: „Eine partielle Verwendung starker Farben innerhalb eines auf unklare Tonwerte angelegten Ensembles mußte zu rohen Effekten führen . . . " (S. 199). Auch die unterschiedliche Behandlung der Personen in A r t und Intensität irritiert ihn. Erst Jedlicka unternimmt eine - wenn auch leicht eingeschränkte - Ehrenrettung des Bildes. E r zeigt durch genaue Beschreibung, daß die formale Bildrechnung aufgeht, daß die Gestalten einen genau bezeichneten Platz im Bau des Bildes haben. Damit scheint ihm aber auch der Sinn der Gestalten erfüllt, vor allem der der beiden stehenden Figuren. E r erkennt keine verwandelnd interpretierende K r a f t in der farbigen und formalen Gestaltungsweise. Die später Genannten (Florisoone, Alazard, Sandblad, Bataille) beschäftigen sich überhaupt fast nur mit den Figuren, lassen das heftige Grün, welches den Eindruck und die Aussage des Bildes bestimmt, außer acht. Immerhin wird das Bild manchmal als Beispiel genannt, wenn auf zukunftsträchtige Züge aufmerksam gemacht werden soll, z. B. bei Leonhard: „ . . . Aber alle diese genannten Wesenseigentümlichkeiten, also die Architektur der Fläche, die Ausdruckskraft der schwarzen, grauen und weißen Töne, und schließlich jene Entkörperlichung, die Courbet zum Vergleich mit der Spielkarte anregte - es sind offenbar schon „expressionistische" Stilmerkmale." (S. 73. Seltsamerweise nennt auch er nicht die übermächtige K r a f t des Giftgrün, auch in der vorangegangenen Beschreibung nur beiläufig).
„Argenteuil" Kataloge Jamot-Wildenstein, 1932, N o t . 241 Tabarant, 1947, no. 225
Literatur Jedlicka,
Gotthard: Edouard Manet, Zürich 1 9 4 1 , S. 1 7 5 - 1 8 0
Stellungnahme zur Literatur
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Vergleich „Argenteuil" wird häufig als Hauptwerk der Bilder genannt, in denen sich die erste Auseinandersetzung mit der impressionistischen Maltedinik und Sehweise auswirkt. Gleichwohl sind kaum eingehendere Äußerungen zu finden. Nur auf Jedlicka muß verwiesen werden. Seine ausführliche Beschreibung geht in die gleiche Richtung wie die oben entwickelte. Die Auffassung des Bildes bleibt nur anekdotischer, da die Sprache der Farben und Formen nicht in gleichem Maße mitempfunden wird. Aus dem gleichen Grund gibt es in einigen Nuancen auch Divergenzen (z. B. kann ich nicht erkennen, daß sich die Hände des Paares im Schoß der Frau verbinden. Der Daumen, der sich über die linke Hand der Frau legt, gehört ihrer eigenen Rechten an. Wo der Mann seinen rechten Arm hinter dem Rücken der Frau hinführt, ob er ihn etwa auf die Bordkante stützt, bleibt ungewiß. Nach meinem Empfinden ist eine „reale" Vereinigung auch nidit beabsichtigt und würde den schwebenden Charakter der vielfältig verwobenen farbigen und formalen Hindeutungen nur stören). „Chez
le Pere
Lathuille"
Kataloge Jamot-Wildenstein, 1932, Not. 325 Tabarant, 1947, no. 317 Literatur Tschudi, Hugo von: Edouard Manet, Berlin 1902, S. 28/29 Meier-Graefe, Julius: Edouard Manet, München 1912, S. 268-270 Jamot, Paul (-Wildenstein): Manet, catalogue critique, Tome I, Paris 1932, p. 61-62 Jedlicka, Gotthard: Edouard Manet, Zürich 1941, S. 256-265 Alazard, Jean: Manet, Lausanne 1948, p. 26-27 Bauch, Kurt: Abendländische Kunst, Düsseldorf 1952, S. 320 Uhde, W.: Edouard Manet, Gemälde und Zeichnungen, Köln, Phaidon-Verlag, 1959, S. 24 Vergleich Jedlicka stellt das Bildgeschehen recht harmlos dar. Zwar beschreibt er die werbende Gebärde des Mannes in ihrer ganzen draufgängerischen Stoßkraft, spricht von dem Eroberungswillen, „der die Arme des Mannes in Griffe einer lebendigen Zange verwandelt" (S. 258) und von einer halb freiwillig, halb unfreiwillig gefangenen Bezogenheit in der Haltung der Frau. Gleichzeitig aber verwendet er Ausdrücke wie „reizvolle Unterhaltung" und „angeregtes Geplauder". Eher trifft Bauch mit wenigen Worten den Charakter des Bildgehalts: „ . . . Kein Himmel, keine Erde, nur Anlagen, der Kellner, Laternen, Fenster - in einer solchen Welt finden sich diese Menschen, deren Erscheinung ihr Schicksal ausspricht . . . " In allen anderen Beschreibungen des Bildes sind kaum Ansätze einer ähnlichen Auffassung zu finden, obwohl sich in der Wertschätzung alle einig sind. „Dans
la
Serre"
Kataloge Jamot-Wildenstein, 1932, Not. 296 Tabarant, 1947, no. 312 Literatur Tschudi, Hugo von: Edouard Manet, Berlin 1902, S. 25-27 Meier-Graefe, Julius: Edouard Manet, München 1912, S. 264-265 Jedlicka, Gotthard: Edouard Manet, Zürich 1941, S. 254-256
102
Anhang zu Teil I
Vergleich Schon Tschudi und Meier-Graefe bringen treffende Beobachtungen. Bei Tschudi ist insbesondere die Darstellung der stoffschildernden Fähigkeiten des Farbpigments zu beachten (S. 26). MeierGraefes Beschreibung enthält charakteristische Einzelheiten, z. B. die blütenhafte Form des Frauenmundes und dessen farbige Verwandtschaft mit den Blüten des Pflanzenhintergrundes. Jedlicka berücksichtigt keine dieser Beobachtungen. Das Gewicht seiner Darstellung liegt bei der Beschreibung der „Stimmung", die auch gut empfunden ist. Doch kommen die farbigen und formalen Voraussetzungen zu kurz. Z. B. ist das Spiel der Hände im Zentrum des Bildes und, wie in ihm das Verhältnis des Paares deutlich wird, der Wichtigkeit entsprechend beschrieben; doch findet man seine formale und farbige Vorbereitung in dem Spannungsverhältnis zwischen dem harten Blaugrün der Bank und dem lebendig variierenden Pflanzengrün nicht einmal angedeutet. Jedlicka erwähnt wohl die Spannung zwischen den verschieden gestimmten Grüntönen, bringt aber die Auffassung ihrer Art in Verwirrung durch den Vergleich mit dem Grün des „Balcon". (Die Spannung im letztgenannten Bild ist eben eine andere, so richtig betont wird, daß dort auftretende farbige Möglichkeiten im Berliner Bild fortgeführt sind). In Einzelheiten findet die Analyse dieser Arbeit also Übereinstimmungen mit jeder dieser Beschreibungen. Das Verhältnis der verschiedenen Bildkräfte zueinander zu suchen und aus ihm die besondere Bildaussage in ihrer Geschlossenheit zu entwickeln, blieb ihr aber vorbehalten.
„Stéphane
Mallarmé"
Kataloge Jamot-Wildenstein, 1932, Not. 265 Tabarant, 1947, no. 265
Literatur Tschudi, Hugo von: Edouard Manet, Berlin 1902, S. 33/34 Jamot, Paul (-Wildenstein): Manet, catalogue critique, Tome I, Paris 1932, p. 43-46 Jedlicka, Gotthard: Edouard Manet, Zürich 1941, S. 283-284 Reifenberg, Benno: Manet, Bern 1947, S. 27 Alazard, Jean: Manet, Lausanne 1948, p. 19 Bataille, Georges: Manet, études biographique et critique, Skira-Verlag 1955, p. 1 1 6 - 1 1 8
Vergleich Mit einer seltenen Einmütigkeit ist dieses kleine Bild nicht nur in seinem Wert, sondern auch in seiner A r t erkannt und beschrieben worden. Die obige Darstellung kann sich also in ihren wesentlichen Beobachtungen und Deutungen auf Äußerungen in der Literatur stützen und braucht keinen andersgerichteten Behauptungen entgegenzutreten. Selbst Bataille, dessen ganze Untersuchung darauf hinzielt, die „Sinnentleerung" der Werke Manets darzustellen, macht bei diesem Bild eine Ausnahme.
„Nafta" Kataloge Jamot-Wildenstein, 1932, N o t . 275 Tabarant, 1947, no. 270
Stellungnahme zur Literatur Literatur Waldmann, Emil: Edouard Manet in der Sammlung Pellerin. In: Kunst und Künstler, VIII,
1909/10, s. 393/394
Niemeyer, Wilhelm: Denkschrift des Sonderbundes auf die Ausstellung MCMX, Düsseldorf 1911, S. 132-138 Meier-Graefe, Julius: Edouard Manet, München 1912, S. 256-259 Jamot, Paul (-Wildenstein): Manet, catalogue critique, Paris 1932, Tome I, p. 60-61 Jedlicka, Gotthard: Edouard Manet, Zürich 1941, S. 187-192 Roskamp, Diedridi: Gereinigte Bilder in der Hamburger Kunsthalle. In: Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen, II, 1952, S. 189-190 Bataille, Georges: Manet, etudes biographique et critique, Skira-Verlag 1955, p. 110
Vergleich Niemeyer beschreibt eingehend und schön die Farbordnung des Bildes. Da er sie aber abgelöst von den Gegenständen, als „reine Malerei" sieht, ergeben sich andere Verhältnisse als in der Analyse dieser Arbeit. Es werden mehr die Stufungen vom tiefen Rot über Grün und Gelb von mittlerer Helligkeit zu lichtem Blau beobachtet als die Spannungen. Erst die „Steigerung der malerischen Form" zu „höchster Geistigkeit" um den Kopf des Mädchens lenkt Niemeyer zur Frage nadi der Bedeutung der Farben für die Darstellung des Gegenstandes. Gemäß der angenommenen Spaltung empfindet er aber - anders als die obige Beschreibung - eine Ironie in dem „feinen Widerspruch zwischen dieser Mathematik optischer Kunst und diesem Ensemble von billigem Gußeisen bis zu deplacierter Japanstickerei" etc. (S. 137). Einen ähnlich eindringlichen Beitrag liefert Meier-Graefe, wenn er die Verwendung der FreilichtFarben in diesem Bild deutet (siehe Anm. 56). Nur entgeht ihm offenbar die strenge Bindung des lichten Blau an die Figur des Mädchens. Seine Ausführungen beziehen sich immer auf die Gesamtersdieinung des Werkes: „Die ,Nana' ist die Übertragung der Freilichtfarben auf das Interieur. Die Skala der hellblauen Töne hatte Manet im Freien gewonnen. Die Sonne wird zum Dekor der Szene benutzt. Die Farbe scheint auf zauberische Weise kristallisiert und strahlt vervielfacht aus geschliffenen Flächen. Sie hat die nicht leichte Aufgabe, das Illustrative des Motivs, die weitgetriebene Destillierung eines nicht eben unbegrenzten coin de la nature zu überwinden. . . " (S. 256). Keine der späteren Darstellungen hat so wesentliche Einsichten zu bieten. Auch die folgenden zweifelnden Überlegungen Meier-Graefes zur Qualität des Bildes übertreffen ähnliche Betrachtungen von Waldmann und Jedlicka. Bei der Frage nämlich, ob nicht die Virtuosität in der reichen Ausgestaltung der Einzelheiten dem Symbolhaften abträglich sei, kommt er zu dem Schluß, daß gerade die Vielzahl nichtiger Einzelheiten sich zum Typischen sammle. Von den zahlreichen Einzelbeobadiungen, die Jedlicka zusammenträgt, sind einige in der obigen Beschreibung übereinstimmend wiederaufgenommen worden: z.B. das Verhältnis der Senkrechten und Waagerechten und sein Ausdrucksgewinn für die Zentralgestalt. Doch wird gerade an solchen Einzelheiten deutlich, wie wenig sie zu bedeuten haben, wenn sie nicht im Zusammenwirken mit den übrigen Aussagen gesehen sind, vornehmlich mit denen der Farben. Die Gliederung und Sprache der Farben aber bleiben von Jedlicka unerkannt. Ja, der Versuch, Freilichtfarben im Innenraum zu verwenden, scheint ihm der Grund für eine gewisse Unsicherheit des Malers und die geringere Vollkommenheit der Komposition zu sein.
„Uft Bar aux Folies-Bergère" Kataloge Jamot-Wildenstein, 1932, Not. 467 Tabarant, 1947, no. 396
Anhang zu Teil I
Literatur Meier-Graefe, Julius: Edouard Manet, München 1912, S. 279-280 Waldmann, Emil: Edouard Manet in der Sammlung Pellerin. In: Kunst und Künstler, VIII, 1909/10, S. 397-3S 8 Hausenstein, Wilhelm: Meister und Werke, München 1930, S. 185-189 Jamot, Paul (-Wildenstein): Manet, catalogue critique, Tome I, Paris 1932, p. 64-65 Rutter, F.: Manet's „Bar aux Folies-Bergère". In: Apollo, X I X , 1934, p. 244-247 Jedlicka, Gotthard: Edouard Manet, Zürich 1941, S. 315-324 Mortimer, Raymond: Edouard Manet, Un Bar aux Folies-Bergère in the National Gallery, London, The Gallery Books No. 3, 1944 Bex, Maurice: Manet, Paris 1948, p. 17-18 Jantzen, Hans: Edouard Manets ,Bar aux Folies-Bergère'. In: Beiträge für Georg Swarzenski zum i i . Januar 1951, Berlin 1951, wiedergedruckt in: Über den gotischen Kirchenraum und andere Aufsätze, Berlin 1951, S. 73-78 Vaudoyer, Jean Louis: E. Manet, Paris 1955 Hager, Werner: Ein Spiegelmotiv bei Jan van Eyck. In: Studien zur Kunstform, Münster-Köln 1955, S. 70 Busch, Günter: Manet, un bar aux Folies-Bergère, Reclams Werkmonographien, Nr. B 9004, Stuttgart 1956 Martin, Kurt: Edouard Manet, Aquarelle und Pastelle, Basel 1958, S. 21
Vergleich Die Aufsätze von Jantzen und Busch vermitteln in so vollendeter Weise einen Zugang zur Aussage des Bildes, daß schon unmittelbar im Zusammenhang mit dem Text darauf hingewiesen werden mußte (siehe Anm. 57). Es blieben hier nur die Farben in ihrer Stellung zum Bildganzen zu befragen - im Hinblick auf die Hauptaufgabe dieser Arbeit. Eine Besprechung der früheren Literatur erübrigt sich, da sie in bezug auf die Farben und Formen des Bildes kaum etwas enthält, was mit der obigen Beschreibung verglidien werden könnte. Soweit die Auffassung des Bildes betroffen ist, kann auf Büschs eingehende Besprechung verwiesen werden.
Schlußbemerkung Schon an der unterschiedlichen Ausführlichkeit der Literaturbesprechungen zeigt sich, wo Probleme versammelt liegen: bei den frühen Werken. Bei allen Bildern des ersten Jahrzehnts mußte mit dem farbigen Aufbau auch die Deutung gefunden und mehr oder weniger gegen andere Meinungen verteidigt werden. Die späten Werke scheinen leichter zugänglich und brauchten in der Auffassung nicht von Grund auf neu interpretiert zu werden. Gleichwohl ergab sich auch bei ihnen - ausgehend von der Beschreibung der Farben - zwangsläufig eine Vertiefung des Gehalts oder eine Erweiterung ins Bedeutungsvolle.
Teil II
Ergebnisse der Beschreibungen und Folgerungen für den Einsatz der Farben im Bildzusammenhang
Art und Sinn des Bildzusammenhangs Die in der Einleitung aufgestellte Behauptung, die Bilder Manets seien in besonderem Maß farbig individuell geprägt, hat sich in den Beschreibungen bestätigt Jedes Bild mußte mit neuem Ansatz beschrieben werden. Es gab keine Brücke zwischen ihnen über eine bevorzugte Farbe oder Farbzusammenstellung. Erst vom Bildganzen her gesehen fanden sich Vergleichsmöglichkeiten allgemeiner Art. Es soll nun versucht werden, auch einige Gesetzmäßigkeiten in der Farbgebung zu finden. Lenkt man die Aufmerksamkeit darauf, welchen Beitrag die Besonderheiten in der Farbgebung der verschiedenen Werke zur künstlerischen Einheit leisten, welchen Platz sie darin einnehmen, werden sie Gemeinsamkeiten preisgeben - bei Manet wie bei jedem Künstler. Voraussetzung ist nur, daß die Werke einander in A r t und Sinn ihrer künstlerischen Einheit verwandt sind. Um einen Ausgangspunkt für die Betrachtungen zur Farbe zu gewinnen, ist es also nötig, vorerst eine gemeinsame Art des Bildzusammenhangs in den Werken Manets festzustellen und sie zu charakterisieren. Gemeinsam ist allen Bildern die Art, wie sich ihre eigene Welt von einem Bildkern aus erschließt, der sie - wie ein Magnet die Dinge im Bereich seines Kraftfeldes - auf sich zieht. Der Kern ist in eine Gestalt, in einen Menschen verschmolzen, so daß auf diesen die Umwelt des Bildes bezogen wird. Von der Kerngestalt her können die verschiedenen Bildäußerungen begriffen werden als Äußerungen ihres subjektiven Lebens oder Erlebens. Sie haben je nach der Eigenart und Situation des im Bildkern dargestellten Menschen in jedem Bild einen anderen Charakter. Im „Déjeuner sur l'herbe" konkretisieren die Bildkomplexe, welche die Mittelgruppe umgeben, Empfindungen; als Geistesbereiche sind diejenigen, die sich auf Zola beziehen, zu verstehen; und in der „Nana" gehört die Bildwelt unmittelbar zum Lebensbereich der Kerngestalt als deren Wesenssphäre. In jedem Fall ist aber die Bildwelt von der Kerngestalt abhängig und kann deshalb auch nur von ihr her begriffen werden. Um diese Schlüsselstellung auszufüllen, braucht die Kerngestalt nicht formal herausgestellt oder betont zu sein. Es ist sogar bezeichnend für ihre jeweilige Art und Situation, ob sie den Aussagebereichen gegenüber mit einer gewissen Freiheit auftritt - wie im „Déjeuner dans l'atelier" der Junge - , ob sie sie fast ganz in sich selber versammelt (Lola de Valence) oder vollkommen von ihnen beherrscht wird wie im „Balcon". 64 Manchmal ist eine andere Gestalt (wie die nackte Frau 64
Es gibt auch Bilder, in denen sie überhaupt fehlt (vgl. die Berliner Landschaft „Maison de Rueil"). D a n n sind jedoch - ebenso wie in den besprochenen repräsentativen W e r k e n -
io8
Ergebnisse und Folgerungen
im „Déjeuner sur l'herbe" oder der Unteroffizier in der „Erschießung Maximilians") stärker betont als sie selber. Allein durch ihre Stellung im Magnetpunkt der Bildkonstellation bezieht die Kerngestalt alle Bildkräfte auf sich. Wie dies zu verstehen sei, wird ein Vergleich mit einem scheinbar ähnlich gestalteten Bild früherer Zeit verdeutlichen. In den „Meninas" von Velazquez z. B. steht eine Gestalt - die Prinzessin - im Zentrum des Bildes wie der Junge im „Déjeuner dans l'atelier". Die umgebende Bildwelt ist auf sie hingerichtet und bekommt durch sie ihren Sinn. Der Sinn ist aber anderer Art und entsprechend verschieden die Art des Bezugs. Nicht eine subjektive Fähigkeit der Prinzessin bestimmt das Verhältnis zur Umgebung, sondern die Person des Kindes in ihrem gesellschaftlichen Rang. Sie ist unter den Personen, die in ihrem Dienst stehen, dargestellt, damit ihr Rang sinnfällig werde. Hofdamen sind um sie bemüht, ihre Zwerge stehen rechts am Bildeingang, zwei führende Personen des Gefolges im Mittelgrund, und links hat der Hofmaler ein repräsentatives Bild in Arbeit. Wie ein Wappen wird der Spiegel mit dem Königspaar im Hintergrund sichtbar.65 Diesem Bildsinn entspricht die zur Prinzessin hin kulminierende Bildordnung. Schon mit den seitlich stehenden Figuren wird eine Konzentration von den hohen Vertikalen der Leinwand links und der senkrecht gegliederten Fensterwand rechts zu ihr hin erreicht. Die beiden Hofdamen steigern sie mit ihrer sich beugenden Hinwendung zum Kind. Und die Gestalt der Prinzessin bildet selber die letzte Stufe innerhalb dieser konzentrierenden Ordnung, indem sie sich durch ihre helle Erscheinung, als einzige vom rechts einfallenden Licht voll getroffen, hervorhebt. So steht die Prinzessin in ihrer Umgebung wie auf einem Sockel, der sie trägt und ihrer Hoheit dient. Auch die baldachinartig darübergespannte Architektur des Raumes bezieht sich auf das Herrscherkind: in ihrer Höhe über die zentrierend sich senkende Stufung der Begleitpersonen, in ihrer Tiefe über die Hinter-
65
die verschiedenen Bildelemente und -teile auf einen Kern hingerichtet, als ob dort die bindende Kraft einer Gestalt wirksam wäre. An deren Stelle tritt die unmittelbar eingreifende Empfindungskraft des Betrachters. Vielleicht bedarf diese Spiegelerscheinung ebensowenig einer realen Erklärung wie der Raumdurchblick mit Christus bei Maria und Martha im frühen Londoner Küchenbild. Jedenfalls ist sie ihrer realen Bedeutung entrückt, da die Personen, die gespiegelt sind, nicht unter den übrigen des Bildzusammenhangs auftreten. Die Stellung des Königspaares läßt sich zwar rekonstruieren: von der anderen Seite des dargestellten Raumes herzukommend, so daß sich König und Königin im Spiegel erblicken. Auch scheinen einige der dargestellten Personen auf ihr Erscheinen zu reagieren - unter ihnen die Prinzessin selber. Trotzdem wird die persönliche Anwesenheit des Paares nicht bildevident. Da der König und die Königin nicht wirklich Gestalt annehmen, scheinen sie nur ideal gegenwärtig. In diesem Sinn gewinnt ihre Gegenwart im Spiegel sogar die konkreteste F o r m . Die Menschen im Vordergrund sind zu sehr - formal und im Bildsinn - auf die Prinzessin bezogen; ihr Kreis ist mit der Gestalt der Prinzessin zu geschlossen, als daß sie einen Vorgang, der das Königspaar miteinbezieht, lebendig machen könnten. Die Blicke sind auf die Eltern des Kindes als die Betrachter des Bildes gerichtet in der gleichen A r t , mit welcher auch in anderen gleichzeitigen Bildnissen häufig der Betrachter angesprochen wird. Die Spiegelerscheinung ist jedoch so sehr vom Urheber abgehoben, daß ein anderer Betrachter an die Stelle des Königspaares treten kann, ohne sich mit ihm identifiziert zu fühlen oder eine Änderung im Bildsinn zu bewirken.
Art und Sinn des Bildzusammenhangs
grunderscheinungen des Spiegels mit dem Königspaar und dem Mann im Türrahmen, die beide - der Bildachse angeschlossen - der Prinzessin als Repräsentantin der Bildachse eng verbunden sind. Bei Manet ist die Zentralgestalt hingegen nicht Ziel-, sondern Knotenpunkt im Bildgefüge. Die Gegenstände steigern sich nicht in folgerichtiger, „organisch" zusammenhängender Reihung auf die Mittelfigur zu. Jeder sucht vielmehr einzeln, mit eigener, verschieden vom anderen entwickelter Art und Intensität, unmittelbar Verknüpfung mit der Kerngestalt, die den Bezug aus einer ebenso isolierten Stellung aufnimmt. Der Junge des Münchner Bildes ist sogar derart von der übrigen Bildwelt abgerückt, daß diese einer anderen Realitätsschicht überlassen scheint. In Velazquez' „Meninas" dagegen bleibt die Prinzessin bei aller krönenden Distanz zur Umgebung in deren Bau eingelassen. Dementsprechend haben die Verknüpfungen bei Manet einen anderen Charakter. Sie sind gespannt, weil sie sich über die isolierte Stellung der Partner hinwegsetzen müssen. Gewiß gibt es schon im Velazquez-Bild gespannte Verhältnisse, sogar an wesentlicher Stelle und in wichtiger Funktion (etwa im Verhältnis des Spiegels mit dem Königspaar und des Türrahmens mit der Männergestalt im Hintergrund zum Kind vorn). Doch werden sie von den zahlreichen engeren Stufungen der übrigen Verhältnisse im Bild vorbereitet und getragen. Manet hingegen hat nichts getan, um die Spannungsverhältnisse zwischen den Gegenständen aufzufangen. Im Gegenteil: Sie durchkreuzen einander und bestärken sich dadurch. Das was unsichtbar zwischen den Gegenständen besteht, ist gleichsam bloßgelegt und bekommt einen konkreten Wert, der die getrennten Bildpartner in einem unrealen Sinn doch wieder bindet. Die Spannungen entstehen aus der Betontheit, welche die Gegenstände in ihrer isolierten Stellung annehmen. Die Dinge strahlen sie mit dem Nachdruck ihres einzelnen Daseins aus. Dieses Dasein wird deshalb im Verhältnis zum Jungen besonders nachhaltig empfunden, - einzeln und insgesamt, da die Bilddinge alle gleich unmittelbar gegenwärtig sind. Sie sind wie „Gewichte", denen der Junge ausgesetzt und nur gewachsen ist, weil er sie - durch seine Stellung im Knotenpunkt der Kräfte - schwebend labil in der Waage hält. Die Prinzessin wird dagegen von der hierarchischen Ordnung der umgebenden Gestalten getragen. Alle Figuren und Gegenstände sind hierin eingefügt und entfalten ihren einzelnen Wert nur im Rahmen der Stellung, die sie innerhalb dieser Ordnung einnehmen. Um den Bau zu befestigen, sind außerdem die Ordnungswerte der Bildfläche ausgenutzt. Von den Seiten zur Achse des Feldes reihen sich die Personen, fest an ihrer Stelle verankert. 66 Im „Déjeuner dans l'atelier" wird dagegen jeder Zug, der die Gegenstände festlegen könnte, vermieden oder durch 66
Die Achse des dargestellten Raumes, die sich auf den Spiegel mit dem Königspaar bezieht, konkurriert nicht mit der des Bildfeldes. Ihre Wirkung wird ausgeglichen durch diejenige der Fluchtlinien, die sich im Türausschnitt begegnen. Beide sammeln gemeinsam den Raum zur Bildachse hin, konzentrieren ihn zur Gestalt der Prinzessin.
no
Ergebnisse und Folgerungen
einen anderen wieder aufgehoben, weil er ihren selbständigen Wert vermindern würde. Die Gestalt des Jungen macht es besonders deutlich. Sie nimmt die Mitte des Bildfeldes ein, aber nicht in dessen A dise wie die Prinzessin: Sie überwindet vielmehr den Anspruch dieser Achse, um das eigene Dasein aktiv zur Geltung zu bringen. Damit ist das ganze Kraftgefüge, das in der Gestalt des Jungen seine Achse hat, wie „aus der Angel gehoben" und auf sich selber gewiesen. Dabei rechnen die Gegenstände einzeln und in den gegenseitigen Verhältnissen durchaus mit den Gesetzen der Bildfläche; hängt doch ihr besonderer Charakter - ihr spezifisches Gewicht, ja ihr Ausdrucksgehalt - von der jeweiligen Stellung im Bildfeld ab. In dieser Weise - als Kraftfeld - wird die Bildfläche empfunden und genutzt. In den „Meninas" sind aber die ordnenden Werte maßgebend, denen sich die gleichfalls innewohnenden Ausdruckskräfte und Spannungen einfügen, wenn nicht dienstbar zeigen. Die Unterschiede im formalen Gefüge enthalten diejenigen im Bildsinn. Im spanischen Bild konzentriert sich das Interesse steigernd auf die Prinzessin. Die umgebenden Dinge und die Gestalten erfüllen ihren Sinn im Hinweis auf den königlichen Rang des Kindes und bleiben diesem darum „Untertan". Anders diejenigen um den Jungen: Dem größeren Eigenanspruch der Dinge bei engerer Verknüpfung mit der Kerngestalt entspricht ein subjektiver „persönlicher" Sinn. Die Dinge haben die Eindringlichkeit subjektiver Vorstellungen oder Empfindungen, die sie durch die Betontheit ihrer schwebend isolierten Erscheinung erwecken. Nur geht durch die gleiche Maßnahme - eigentümlicherweise - der Bildsinn über das Persönliche wieder hinaus. Obwohl der Junge die Umwelt als Ausstrahlung seines eigensten Wesens offenbart, bleibt er seltsam anonym, da die Dinge ihren Anspruch zu so machtvollem Eigenleben treiben, daß der Junge (bei aller formalen Betontheit) darin aufgeht. Auf diesem Wege bekommt der subjektive Bildgehalt einen allgemeinen, von jedem nachvollziehbaren Wert, mit dem verglichen die „objektive" Darstellung der Prinzessin persönlicher erscheint. Der Vergleich zwischen den beiden Bildern hatte zum Ziel, das in Art und Sinn grundlegend andere Bildgefüge des „Déjeuner dans l'atelier" deutlich zu machen. Die Unterschiede sind charakteristisch und können von anderen Bildern bestätigt werden. Eines soll noch herangezogen werden: das Bildnis Zolas. Denn es schließt so eng an einen Bildtyp älterer Malerei an, daß es die getroffenen Feststellungen verwirren könnte, wenn diese nicht ausdrücklich an ihm erneuert würden. Wurde das Bildnis im Abschnitt der Beschreibungen herangezogen, um die Interpretation des Münchner Bildes zu stützen, 67 so kann diese nun umgekehrt dazu dienen, es von den Werken der Vergangenheit, denen es motivisch so ähnlich sieht, zu distanzieren. 67
Es ist bezeichnend für die Schlüsselstellung des Jungen im „Dejeuner dans l'atelier", daß ein Portrait ihre Deutung stützte, und daß im Vergleich mit einem Portrait älterer Malerei ihre besondere Art präzisiert werden konnte. Damit soll aber nicht audi das Münchner Bild als ein Bildnis hingestellt werden (wie es in der Literatur häufig vorkommt, siehe Anhang
A r t und Sinn des Bildzusammenhangs
III
Das Vorbild, das sich so deutlich im „Zola" verrät, ist der traditionelle Portraittyp, in welchem dem Dargestellten die Attribute seiner Stellung und Tätigkeit zugeordnet sind. Auch die „Meninas" gehören zum weiteren Kreis dieser Bildgattung. Dennoch soll der Vergleich nicht mit ihnen fortgeführt werden. Es gibt andere Bildnisse, in denen die Person des Dargestellten der „Zolas" näher steht, die Beziehungspunkte darum schon vom „sujet" her greifbarer sind. Bei dem Selbstportrait Poussins (Louvre) z. B. handelt es sich wie beim „Zola" um das Portrait eines Künstlers, dessen Halbfigur von Requisiten seiner Tätigkeit ähnlich dicht umgeben ist. Dieses Bild ist also geeigneter für den Vergleich.68 Der pyramidal hochgerichtete Oberkörper Poussins wird von den Bildern, die den Dargestellten als Maler charakterisieren, hinterfangend getragen (wie die Prinzessin von ihrem Hofstaat). Die Bilder sind derart übereinandergesdiichtet gegen die Hintergrundwand gelehnt, daß kaum Darstellungen sichtbar werden. Sie treten gemeinsam als „Bilder" schlechthin auf. Die Figur, welche als einzige links auf dem zweiten, von einer leeren Leinwand verdeckten Bild sichtbar wird, drückt das gleiche aus: Sie ist eine Personifikation der „Peinture". 69 Mit diesem Sinngehalt beziehen sich die Bilder auf die Gestalt des Malers. Sie sind zentrierend ihr zugeordnet, von rechts und links hinter ihr ineinandergeschoben, die Rahmenleisten in Augenhöhe des Malers. Ein senkrecht hochstehendes Bild läßt zudem die Rahmenleisten genau hinter dem Gesicht des Mannes - in der Mittelachse des Bildes - kreuzförmig zusammentreffen. Das Gesicht des Dargestellten nimmt diese Züge des Bildes aktiv beherrschend auf. Es ist - besonders durch den Blick - so sehr betont, daß es die zentrierende Ordnung herauszufordern scheint. Unter seiner zusammenfassenden Kraft verbinden sich erst die Bilder zu dem beschriebenen gemeinsamen Sinn. Andererseits bleibt die Gestalt den ordnenden Kräften zu Teil I, S. 9 3 ) . W i r d der Begriff „ P o r t r a i t " als Darstellung eines bestimmten Menschen mit der Absicht, bestimmte Qualitäten seiner Person zum Ausdruck zu bringen, verstanden, so kann er für den Jungen nicht ohne weiteres V e r w e n d u n g finden. D a s Modell ist z w a r bekannt und sicher getreu wiedergegeben. E s ist aber nidit sidier, ob der ganze träumerische, auf den Jungen bezogene Bildgehalt durdi die Person des Modells bestimmt w u r d e und, um diese darzustellen, Gestaltung fand. Z w e i f e l h a f t w i r d es, wenn man in Rechnung zieht, daß Manet in einem Bild mit ähnlich hervorragender Zentralgestalt, der „ B a r aux Folies-Bergere", das Modell gewechselt hat, nachdem die Bildidee bereits feststand (siehe die Skizze in Amsterdam). O f f e n b a r w a r die Darstellung des Vorstellungszusammenhangs das eigentliche Bildziel und konnte eine relativ beliebige Person als Modell für die erdichtete des Bildes dienen. N u r so erklärt sich auch der Umstand, daß Manet ein- und dasselbe Modell für Bildgestalten v o n völlig verschiedenem Charakter verwendete, e t w a Victorine Meurend für die „ O l y m p i a " und die „Femme au perroquet" von 1 8 6 6 . A u d i wenn in manchen Bildern einzelne Wesenszüge des Modells aufgenommen werden, m u ß nicht n o t w e n d i g eine Portraitabsidit vorgelegen haben (ebensowenig w i e Flaubert im „ F r e d e r i c " der „Education sentimentale" ein Selbstportrait gestalten wollte). 68
Z u d e m hat sidi Manet vielleicht sogar unmittelbar v o m Poussin-Portrait anregen lassen. D a s M o t i v der Rahmenleisten kehrt bei ihm wieder, und v e r w a n d t scheint audi das zwingende Verhältnis von K o p f und H a n d des Dargestellten zu den umgebenden Dingen, insbesondere z u m schmal hochragenden, blau u n d gelb leuditenden Bildaussschnitt links.
69
Z u r Deutung der Figur siehe G e o r g K a u f f m a n n , Poussin-Studien, Berlin i 9 6 0 , S. 9 2 - 9 5 (über das ganze Bild S. 8 2 - 9 8 ) .
112
Ergebnisse und Folgerungen
des Bildfeldes verpflichtet. Sie fügt sich ihnen und den Gesetzen der Fläche, die sie auszeichnen. Zola ist wie Poussin von Zeugnissen seines Berufs hinterfangend umgeben, und mit zentrierender K r a f t bezieht er sie auf sich. Doch bewahren die Felder mit den Attributen viel mehr - ähnlich den Gegenständen und Gestalten des „Déjeuner dans l'atelier" - jedes sein spezifisches Gewicht und eine entsprechende Distanz. Demgemäß ist auch das Rahmenmotiv umgedeutet: Die Rahmenleisten laufen nicht mehr auf das Gesicht zu, sondern fassen es ein, machen es zu einem „Bild" unter „Bildern". Das andere Verhältnis des Dargestellten zu den attributiven Gegenständen bringt eher noch frühere Zeugnisse des besprochenen Portraittyps in Erinnerung, beispielsweise Tintorettos Bildnis eines Unbekannten, dessen Persönlichkeit durch eine Skulptur des David, eine Uhr und einen Ausblick auf die Engelsburg charakterisiert ist69*. Hier sind rechts neben dem Dargestellten die aussagenden Gegenstände vergleichbar selbständig wiedergegeben und hinter diesen hell vorleuchtend neben dem Gesicht der Ausbiidt auf die Engelsburg — den Bildern neben Zola ähnlich. Nur bleiben sie der Gestalt koordiniert, während Zola sich von Bildern und Gegenständen umgeben läßt. Manet verschmilzt das koordinierende mit dem zentrierenden Prinzip und schafft daraus ein neues. Indem er den einzelnen Feldern im zentrierenden Gefüge ihr selbständiges Gewicht bewahrt, vermittelt er ihnen jene gesteigerte Betontheit und erregt jenes gespannte Verhältnis zur Zentralgestalt, wie sie schon im „Déjeuner dans l'atelier" beobachtet wurden. Dieser neuen Art entsprechend ändert sich das Verhältnis der Attribute zum Dargestellten auch in seinem Sinn. Da die umgebenden Bilder mit dem ganzen Gewicht ihrer jeweiligen eigenen Erscheinung den engen Bezug eingehen, den das zentrierende Gefüge schafft, verlieren sie ganz den attributiven Charakter. Zolas Persönlichkeit äußert sich vorwiegend in ihnen, während die Bilder bei Poussin in dienender Funktion bleiben, die Person des Künstlers als solche nur unterstreichen. J a , Zola steht ganz im Bann der verschiedenen Geistesbereiche seines Berufs, auf welche die Bilder hinweisen. Er bewahrt dabei - wie Poussin — die Herrschaft in seiner Umgebung. Doch beweist er sie auf neue Art: In der Art nämlich, wie Zola die „Gewichte" der Bildfelder in schwebender Abhängigkeit hält, aus ebenso ungebundener Stellung her ihren Zauber entfalten läßt, wird in latenter Aktivität seine freie, individuelle Wahl spürbar. Diese „Aktivität" und der Bann, der von den „Gewichten" der Bildfelder ausgeht, bilden zwei ständig spannungerneuernde Gegenpole. So ist der Künstler auf ganz neue Weise in der schöpferischen Begegnung mit den SchafFensbereichen seines Berufs wiedergegeben.70
70
Im italienischen Kunsthandel. Vgl. E . v. d. Bercken, Die Gemälde des Jacopo Tintoretto, Mündien o. J . (1942), Abb. 3 3 3 . Manet leitet damit eine ganze Reihe von Portraits ähnlicher A r t ein. Paul Jamot nennt als Beispiele das „Portrait de Duranty" von Degas und das „Portrait de Gustave Geffroy" von Cezanne (Paul Jamot, Manet, catalogue critique, Tome I, Paris 1932, p. 4 0 - 4 1 ) . Das V e r hältnis zur Tradition sieht Jamot schon ähnlidi wie hier beschrieben: „ . . . En 1868, l'idie
Art und Sinn des Bildzusammenhangs
1X3
Im organisdi gebauten Gefüge des Poussin-Selbstbildnisses hat das Verhältnis der Attribute zur Bildnisgestalt einen anderen Sinn. Die Gipfelstellung der Gestalt in der formalen Komposition 71 wird von den Attributen getragen, hervorgetrieben. D. h. im Bildsinn: Der gesellschaftliche Rang Poussins wird von den Bildern in deren allgemeiner Bedeutung unterbaut, präzisiert und beglaubigt (in ähnlicher Weise wie der des Kindes in den „Meninas" durch die Personen des Hofstaates). Von dieser „gesellschaftlichen", repräsentativen Haltung des Vorbildes bleibt bei Zola lediglich ein eigentümlich offizieller Zug in der Art, wie Zolas Ideen in den umgebenden Dingen programmartig entfaltet werden. Die Betrachtung des Bildnisses von Zola brachte für die Frage nach dem Bildzusammenhang im wesentlichen die gleichen Ergebnisse wie diejenigen des „Déjeuner dans l'atelier" und bestätigte sie. Stichwortartig wiederholt ergaben sich folgende Merkmale: 1. Direkter Bezug der verschiedenartigen, isolierten Bildteile zur Kerngestalt über ein gesondertes Verhältnis hinweg. 2. Gespannte Verhältnisse, in denen Sonderung und Bezug einander zugleich aufheben und antreiben. 3. Betonte Erscheinung der verschiedenartigen Bildteile, so daß diese wie Gewichte wirken. 4. Schwebend labil vom Kern her ausponderiertes Gefüge der Bild-„Gewichte". Es bleibt nun noch zu klären, wie sich das Bildgefüge bei Manet entwickelt. Schon in den besprochenen frühen Werken aus dem Jahre 1863 zeigen sich die herausgearbeiteten Merkmale. N u r sind die Bildteile, welche die verschiedenen Aussagen der Kerngestalt enthalten, nicht so konzentriert betont, sondern entwickeln ihre spezifischen Eigenarten in gedehnteren Bezirken. Die Bedeutungsschwere jeder Aussage wird dadurch erreicht, daß ein ganzer Komplex von Gegenständen eine gemeinsame Sprache führt. Auch steigern die Bezirke ihre Eigenart in unmitelbarem Gegeneinander, nicht durch die Konzentration, zu welcher ihre isolierte Stellung auffordert. Das Gefüge ist also großformiger. Die wenigen Bezirke können ihre Aussage jeweils breit zur Sprache bringen. Ihr gegenseitiges Verhältnis wirkt manchmal sperrig, enthält aber Spannungen von einer Intensität, wie sie später nicht wieder erreicht noch gesucht werden. (Das Span-
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était neuve. Certainement il est bien naturel de représenter près d'un homme de lettres la table où il écrit et les livres qu'il a lus ou lira; et cela s'est fait de tout temps. Mais ce qui est nouveau, c'est l'importance, l'éclat et la vie donnés à ce décor du cabinet de t r a v a i l . . Aber erst bei Degas glaubt er den Dargestellten im Sdiafiensprozeß wiedergegeben, beeindruckt von der neuen - zur Auseinandersetzung getriebenen - Intensität im Verhältnis der Gestalt zur Umgebung. Wie in den „Meninas" in der Bildachse! Im Zola-Bildnis dagegen scheidet die vertikale Mittellinie, genau an der Grenze zwischen dem schwarzen Jackett Zolas und dem weißen Feld der Buchseiten, das Stilleben von der Gestalt. H o p p , Manet
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Ergebnisse und Folgerungen
nungsverhältnis zwischen dem Stilleben und dem Waldbezirk im „Déjeuner sur l'herbe" z. B. ist einzigartig im Oeuvre Manets). Jeder Bezirk gewinnt noch an lapidarer Bedeutungsschwere durch die enge Verbindung mit einer Gestalt, 72 die seine Aussage mit dem Nachdruck einer „allegorischen" Figur verkörpert. 73 Die Gestalten sind ihrerseits den Bezirken eng verbunden - ob sie sie unmittelbar teilnehmend mitgestalten, wie in der „Olympia", oder zentrierend gemeinsam einen eigenen Bereich bilden („Déjeuner sur l'herbe"). In beiden Fällen ordnen sie sich der Einteilung des Bildes in verschiedenartige Aussagebezirke als einer Grundgegebenheit des Gefüges ein, die auch für sie verbindlich ist. Sie bilden, indem sie den Aussagegehalt der Bezirke aufnehmen und ihm mit ihrer Person Nachdruck verleihen, ein Intensitätszentrum, über welches die verschiedenartigen Bezirke zu gegenseitigem Verhältnis finden. In diesem Intensitätszentrum liegt der Kern, der Wägpunkt des Gefüges. Er ist nicht eigens farbig oder formal gekennzeichnet (wie später etwa durch den Strohhut des Kaisers in der „Erschießung Maximilians"), aber als K r a f t welche die verschiedenen Bezirke in der Schwebe hält, deutlich spürbar. Durch diese K r a f t befähigt er die Kerngestalt, die Aussagen der Bezirke auf sich zu ziehen, diejenige des eigenen Bezirks mit dem einer anderen Gestalt konfrontierend. In den Werken der späteren sechziger Jahre wird die Geschlossenheit der Bezirke und die entsprechend großformige Einteilung des Gefüges aufgegeben, um reicher differenzierten und vielfältig wechselnden Bildäußerungen Raum zu schaffen. Die „Erschießung Maximilians" ist das letzte Bild, in welchem große, einheitlich gestaltete Komplexe das Wort führen. 74 In der Verbindung des alten Prinzips mit der neuentwickelten Möglichkeit, jeder Bildaussage durch Selbstkonzentration Intensität zu geben, erreichen die geschlossenen Komplexe sogar eine besondere Mächtigkeit der Aussage (jedenfalls in der besprochenen Mannheimer Fassung). Dieser Weg wird jedoch nicht weiterverfolgt. Im „Déjeuner dans l'atelier" hat das neue Prinzip vielmehr den Sinn, Gegenständen mit verschieden beschriebenem Charakter nebeneinander das gleiche Aussagerecht zu bieten. Wohl sammeln sich die Gegenstände rechts und links zur Seite des Jungen zu Aussagegemeinschaften. Aber erst die zusammenfassende K r a f t des Jungen als Kerngestalt nötigt sie dazu. Auch leisten sie ihren Beitrag jeder mit eigenem Gepräge. Der größere Reichtum an verschiedenartigen Aussagen macht eine dichtere Einheit des Gefüges möglich. Denn mit steigendem Eigenwert vieler Dinge verliert deren einzelne Aussage an Schwere. Auch der „allegorische" Bedeutungsakzent, den ausdrucksammelnde Figuren in die Aussagekomplexe der früheren 72 73
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Allerdings nicht im Bildnis Astrucs. Vgl. S. 39. ohne eine allegorische Figur zu sein. Letztere stellt einen bestimmt formulierbaren - wenn auch abstrakten - Begriff dar, während es hier darum geht, einen begrifflich unfaßbaren Empfindungsgehalt spürbar zu machen. Die Komposition ist schon in der Londoner (zerstörten) Fassung angelegt, welche bereits 1867 entstand. (Zur Datierung vgl. Martin Davies, Recent Manet Literature; in: The Burlington Magazine, X C V I I I , 638, 1956, p. 1 6 9 - 1 7 1 . )
Art und Sinn des Bildzusammenhangs
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Bilder trugen, verschwindet. Jetzt haben die Gestalten — mit Ausnahme der Kernfigur - keinen anderen Wert mehr als jeder übrige Bildgegenstand. 75 Der Mangel an Gewicht im einzelnen kommt aber dem einheitlichen Aspekt des Ganzen zugute. Die reich unterschiedenen Kräfte haben ein leichteres schwingenderes Verhältnis im Spannungsgefüge, das sich zu einem N e t z verdichtet. In den siebziger Jahren findet derselbe Entwicklungsprozeß eine nochmalige Steigerung: vom Netz zum vibrierenden Gewebe. Träger des Gefüges sind pastose Farbpartikel, wie sie früher - etwa im „Déjeuner sur l'herbe" - zur inneren Rhythmisierung der Bezirke Verwendung fanden. Nun übernehmen sie die Führung und lassen umgekehrt durch Gruppierungen in der Art und Dichte des Farbstrichs Bezirke entstehen, zeichnen sie Gegenstände, die das Gewebe rhythmisieren und pulsierend bewegen, ohne sich im Anspruch darüber zu erheben. Zunächst bleiben allerdings dem einheitlichen Aspekt zuliebe selbst solche Gruppierungen eingeschränkt. Erst später entwickeln sidi mit einer Verfeinerung des Gewebes wieder kräftigere Differenzierungen, zuweilen von einem unerhört bewegten Reichtum. Das Gefüge zeigt in der neuen Prägung im wesentlichen die gleichen Eigenschaften wie das der Bezirke in den früheren Bildern. Nach wie vor werden eigenständige Kräftepaare von einem Kern aus in der Schwebe gehalten. Doch ergeben sich Modifikationen: Im dichten Gewebe der Farbkräfte bleibt die Wirksamkeit des Kerns mehr im Verborgenen. Die Gewebeteile geben die Spannungen in so enger Verflechtung weiter, daß sie sich gegenseitig selber zu tragen scheinen. Der Kern ist nicht mehr vor allem Wägpunkt verschiedenartiger Gewichte, deren Schwere sich erst über die Bindung an ihn aufhebt, sondern „Schwebe"-Punkt in einem fortzeugend gespannten Gefüge, das die einzelnen Glieder gar nicht erst zu eigenem Gewicht kommen läßt. N u r in der „Bar" gibt es im Gewebe Ballungen und Akzente von so großer Eindringlichkeit, daß sie die ponderierende K r a f t der Kerngestalt wieder in Anspruch nehmen. Die stark wechselnde Dichte und Differenziertheit der Farbpartikel läßt Kompositions- und Ausdrucksmöglichkeiten der 6oer Jahre wieder aufleben. Die gleiche Eigenheit des Gewebes, welche sie hervorruft, enthält aber auch den umgestaltenden Wert: Durch die starke Bewegtheit der Farben erscheinen die Ballungen unbeständig und ständig zur Verwandlung bereit. Der schwebend labile Charakter des Gefüges bezieht sich nicht mehr allein auf das Verhältnis der Bildeinzelheiten zum Kern, sondern darüber hinaus auf die Art ihres Daseins, ihres Bestandes überhaupt. Die Geschlossenheit im Farbgewebe der Bilder der 70er Jahre ist Ausdruck einer neuen homogenen Art der Sinneinheit, die - nicht mehr aus verschiedenen selbständigen Äußerungen, sondern aus unzähligen differenzierenden Gliedern zusammenwächst. Aus dem Ineinanderwirken der Glieder ergibt sich eine „Atmo-
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z. B. die Frau mit der Kaffeekanne des »Déjeuner dans l'atelier" neben dem Blumentopf
Ergebnisse und Folgerungen
Sphäre", die sich ihrerseits prägend auswirkt. A l l e Einzelheiten scheinen dem gleichen geheimen Grundzug Untertan. Selbst gegensätzliche Aussagen gehen von einem gemeinsamen Nenner aus, der sie eint. Im „ C h e z le Pere Lathuille" z. B. sind beide Menschen von der gleichen erregten Atmosphäre ergriffen, so verschieden sie reagieren.
Wahl und Einteilung der Farben Die individuelle farbige Besonderheit eines jeden Bildes hängt mit dem subjektiven Sinn des Bildgefüges zusammen. Die Farbgebung richtet sich nicht nach objektiv-ornamentalen Gesetzmäßigkeiten, die vielen verschiedenen Bildern ein verwandtes Gepräge geben können. Maßgeblich sind vielmehr der Empfindungszusammenhang des einzelnen Bildes und der Aussagewert der Gegenstände, welche durch die Farben charakterisiert werden. Wiederholungen des gleichen Tons in verschiedenen Bildern ähnlicher Entstehungszeit sind nicht ausgeschlossen; (auffällig ist vor allem das helle „impressionistische" Blau in Bildern der 70er Jahre - vom „Argenteuil" bis zur „ N a n a " - , das sich in den Spätwerken in Nachtblau verwandelt). Sie geben Zeugnis von einer ähnlichen Empfindungsgestimmtheit verschiedener Werke. Doch entwickeln auch diese gleichartigen Farben in jedem Bild - dem jeweiligen Zusammenhang entsprechend - andere Aussagenuancen. Keineswegs sind sie mit gesetzmäßiger Sicherheit in allen Bildern der gleichen Entstehungszeit zu finden. Das gleiche gilt für die Zusammenstellung der Farben. Grundsätzlich ist jedes Farbverhältnis möglich, wenn es nur seinen Platz im Vorstellungsverband des Bildes ausfüllt. 76 Gerade ungewöhnliche - besonders nahe oder übermäßige Intervalle finden um ihrer erregenden Wirkung willen häufig Verwendung. Bezeichnend für eine solche Farbgebung ist z. B. im „Dans la Serre" das nahe Verhältnis zwischen dem Laubgrün der Pflanzen und dem fast blauen Grün der Bank, in welches das Ultramarin des Blumentopfes von links her noch verschärfend eingreift. Mit Vorliebe werden Kontraste eingesetzt, insbesondere im Komplementärverhältnis, weil diese die Eigenart der Kontrastpartner gegenseitig zu steigern vermögen. 77 In zahllosen Variationen wird diese Möglichkeit immer neu ausge7i
Nur der Rahmen, den die Eigenart, die Sdiöpfungskraft und die Empfindungsfähigkeit des Künstlers bieten, setzt auch der Farbgebung Grenzen. Ihn abzutasten und zu kennzeichnen, ist hier leider nicht möglich, da die Bildauswahl zu gering ist. Die Komplementärfarben stehen also nicht repräsentativ für die Ganzheit des Farbenkreises. (Wie es grundsätzlich möglich wäre, da die Komplementäre zu einer Grundfarbe aus der Mischung der beiden anderen Grundfarben entsteht). Darin unterscheidet sich ihre Anwendung wesentlich etwa von derjenigen im „Concert diampetre" von Giorgione, in welchem Grün und R o t in ausgeglichenem Verhältnis vorherrschen. In der auf subjektive Regungen ausgerichteten Farbwelt Manets sind eher die physiologichen Gesetzmäßigkeiten in Rechnung gezogen: die besondere Fähigkeit des Auges, auf eine bestimmte Farbe mit dem komplementären Ton zu reagieren.
Wahl und Einteilung der Farben
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schöpft. Das Blau im Stilleben des „Déjeuner sur l'herbe" hat im sanften Graugelb von Hut und Brötchen eine Begleitung, die seiner Schärfe treibend dient und ihr einen kompakteren Wert verleiht. Das unbeschreiblich harte Grün des „Balcon" duldet keinen Partner, auch keinen dienenden; ihm gegenüber kann das Rot des Fächers kaum seinen eigenen Farbwert durchsetzen; aber es zieht das Grün auf die Kerngestalt hin. In der „Nana" wiederum entwickelt das Goldgelb des Haaraufbaus, das auf ähnliche Weise das bildbestimmende Blau sammelt, gerade daher seine krönende Kraft. In Erweiterung der Kontrastverhältnisse werden oft sogar zwei Kontrastpartner gegeneinandergesetzt. In der „Olympia" charakterisieren sie die beiden Bezirke: einerseits in zerrissenem Verhältnis das tiefe schwere Grün der Vorhänge und das hell daraus hervortretende Rosa der Dienerin (so hell, daß es der Vermittlung des ebenso abgespaltenen, aber tiefroten Divandreiecks bedarf); andererseits, einander gleichgewichtig und zu gemeinsamer Helligkeit vereint, das kühle bläuliche Grau der Laken und der graugelbe Inkarnatton des Mädchens mitsamt dem Sandton des Seidentuches. - Im „Déjeuner dans l'atelier" treten die Komplementärpaare für die Aussageeinheit der Komplexe zu beiden Seiten des Jungen ein: stumpf zurückhaltend, dafür wolkig zwischen Sessel und Pflanze ausgreifend Rot und Grün links, im bemalten Topf verknüpft, - scharf akzentuiert und im Stilleben konzentriert Gelb und Blau rechts. - Wieder anders wird die Möglichkeit der doppelten Komplementäre in der „Erschießung Maximilians" genutzt: Die ganz auf Blau-Weiß und Violett-Gelb gestellte Farbigkeit der Hauptstreifen ist in ihrer Fahlheit gesteigert durch das Rot und Grün im Landschaftsstreifen, da diese beide ihre eigene vitale Art nicht durchsetzen, sondern in der fahlen Umgebung ersticken. - Von unwiederholt kühner Art ist der Gebrauch zweier Farbpaare in der „Bar aux Folies-Bergère". Hier sind sie derart inanander verschränkt und verwoben, daß sich weniger die Komplementärfarben (Blau und Orange, Karmin und Grün) als die einander nahestehenden Töne begegnen. So kommen auf der einen Seite tiefes Blau und Karminrosa zu zarttraurigem Klang zusammen. Auf der anderen Seite geraten erhitztes Orange und giftiges Blaugrün mit fast schreiender Heftigkeit aneinander, die nur erträglich ist, weil die Komplementärbeziehungen sich ebenfalls durchsetzen (insbesondere Blau-Orange). Die beschriebene Verschränkung der Komplementärpaare in der „Bar" setzt das eng vibrierende Farbgefüge der Spätwerke voraus. Die strenge Einteilung der frühen Bilder in Bezirke hätte sie nicht erlaubt. Mit jedem Wandel des Gefüges entwickeln sich also neue Möglichkeiten, die Farben und Farbverhältnisse für die Bildaussage zu aktivieren. In den frühen Bildern bleiben die Farbkräfte zunächst in den Bezirk gebunden, den sie als Einheit charakterisieren, ob eine einzige Farbe führend den Ton angibt (Grün im Laubwald des „Déjeuner sur l'herbe" oder Blau im Stilleben) oder eine besondere Haltung in der Farbzusammenstellung die Eigenart des Be-
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Ergebnisse und Folgerungen
zirks lebendig macht. Ein so zerspaltener Bezirk wie der der Negerin in der „Olympia" gewinnt durch die Kraft der Farben erst einen Zusammenhalt: durch die genannten Komplementärverhältnisse zwischen Grüngrund, rotem Divandreieck und Rosa der Negerin. Der Farbzusammenhang der einzelnen Bezirke ist so didit, daß jedes darüber hinaus reichende Verhältnis einzelner Farben mitziehend das der Bezirke zueinander anspricht. In dieser Weise sind z. B. die Farbverknüpfungen zwischen den Bezirken des „Astruc" zu lesen. Das Grün des Vorhangs im Raumdurdiblick, das Rot im Bildnisteil und das zusammengefaßte Grün und Rot im Stilleben können sich zwar zu gegenseitigem Kontakt durchsetzen. An ihnen hängt aber jeweils der Bezirk, zu welchem sie gehören, in seiner ganzen Besonderheit, so daß durch den Kontakt der Rot- und Grünfarben die Gegensätze der Bezirke nur nachhaltiger und unausweidilich nahe empfunden werden. Im gespannt kontrastierenden Verhältnis der Farbeinheiten zueinander entsteht die farbige Gesamterscheinung des Bildes. In der Art, wie die Farbeinheiten mit ihren verschiedenen Charakterzügen aufeinandertreffen oder zueinander stehen, wird der Vorstellungs- oder Empfindungsaustausch lebendig, wie er konzentriert in den Gebärden und Blicken der Gestalten zum Ausdruck kommt. Besonders einfach ist dies im „Déjeuner sur l'herbe" zu fassen, da jeder Bezirk wesentlich von einer Farbe repräsentiert wird. In dem scheinbar nahen, doch scharf gespannten Verhältnis zwischen dem ruhig gedehnten Grün und dem gesammelten, sachlich-hellen Blau ist das der Bezirke zueinander beschlossen. Noch in der „Erschießung Maximilians" wurde eine bezirkhafte Einteilung der Farben gefunden. Im gegenseitigen Verhältnis der Bezirke machen sich jedoch Änderungen bemerkbar. Die Bezirke - hier die Figurengruppen - kontrastieren nicht mehr, sondern sind nur in charakteristischer Weise farbig differenziert (scharfes Tiefblau-Weiß rechts, ruhig ausgeglichenes Violett-Gelb links). So können sich Gemeinsamkeiten ebenfalls durchsetzen : Beide Gruppen entwickeln ihre spezifischen Qualitäten vor dem gleichen helleren Grund, dunkel sidi abhebend zu gemeinsamer Silhouette verbunden. Gemeinsam unterstehen sie der fahlen Graubrechung aller Farben überhaupt, die eine gewisse „Stimmung" erzeugt. - Neu sind auch die farbigen Akzente, welche die Gruppen verknüpfend verspannen. Sie übernehmen die Funktion, die früher von den Blicken und Gebärden ausgeübt wurde. Der Farbgebung werden also mehr Aufgaben übertragen: Sie hat nicht allein die Aussagebereiche zu charakterisieren, sondern darüber hinaus auch deren Gesamtbild als Einheit anschaulich zu machen und auf die Kerngestalt zu zentrieren. Da diese Art der Farbkomposition im „Déjeuner dans l'atelier" weiterentwickelt ist, zeigt sich ihre Bedeutung hier noch deutlicher. Die gewichtige Aussageform über die Farbeinheiten der Bezirke ist ganz aufgegeben, um zweierlei zu erreichen: Zunächst wird eine größere Vielfalt und Verschiedenartigkeit in den farbigen Ausdrucksnuancen erstrebt, die in Gruppierungen und Akzenten mit
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verschiedenem Nachdruck, aber alle mit ihrem eigenen Wert auftreten. Gleichzeitig entsteht ein engeres Ineinanderwirken dieser Akzente und Farbengruppierungen, von reich gestuften Grautönen getragen. Es bildet sich eine schwebend ausgeglichene Spannung zwischen dem individuellen Anspruch mehrerer einzelner Farbaussagen und den Forderungen des Gesamtzusammenhanges. In den Bildern der 70er Jahre gewinnt der Gewebezusammenhang so sehr an prägender Kraft, daß die Farben bei gesteigerter Vielfalt jenen einzelnen Wert verlieren. Die unzähligen Töne bilden gemeinsam eine „Gestimmtheit", welcher sie wiederum eingestimmt sind. Dabei können eine oder zwei Farben die Führung übernehmen (etwa das Nachtblau und Karminrosa in der „Bar"). Sie treten dann meistens an verschiedenen Stellen des Bildes gleichzeitig auf, das Farbgewebe als einen Grundnenner durchziehend. Auch ihr Wert ergibt sich jedoch erst aus dem Wirkungszusammenhang aller Farben. Dieser ist zuweilen so dicht, daß die einzelnen Farben nicht einmal mehr wahrgenommen werden. Die vielfach ineinandergreifenden verschiedenartigen Töne im Kleid der Dame des „Chez le Pere Lathuille" z. B. verwachsen zu einem unbenennbaren, zitternd wirren Komplex, der nur deshalb nicht unklar wirkt, weil die gleichen Farben in der Bildumgebung deutlicher wiederkehren. In dem Maße, wie die einzelne Farbe sich an das Ganze des Farbgewebes aufgibt, wächst der Wert der Farbverhältnisse für den Aussagegehalt des Bildes. Vorwiegend kontrastierend ist das Verhältnis der Farben in den früheren Bildern des Jahrzehnts. Jeder Farbpartikel des „Argenteuil" hebt sich mehr oder minder scharf gegen einen anderen ab. Farbbeziehungen und -Verwandtschaften müssen solche „Gräben" kontrastierender Farben überspringen. H a t auch diese Kontrastfarbe Verwandte in der Umgebung, bildet sich ein alternierend fortlaufendes Gewebe. Dadurch ist das Farbbild von starken Spannungen erfüllt und bewegt, je nach der Intensität der einzelnen Farben und dem Maß der Kontrastabstände. Diese schwingenden Spannungen entfalten ihre besondere Sprache; sie sind zart oder scharf, heftig oder mäßig. Im Zusammenhang mit ihnen ergibt sich erst die Eigenart der Farbaussagen. In dem unnennbaren Reichtum an Farbnuancen der Spätwerke verfeinert sich diese Möglichkeit. Zugleich entwickelt sidi eine neue: Das Farbbild ist nicht mehr nur nach Tiefe und A r t der Kontraste bewegt und charakterisiert, sondern auch nach unterschiedlicher Dichte im Wechsel der Farben. Fließen diese hier locker und wolkig ineinander, geraten sie an anderer Stelle zu flirrend intensiver Ballung, bewegen sich emaillehaft irisierend um eine Dominante oder verwachsen zu verwirrender Fülle (wie in dem oben zitierten Beispiel des „ C h e z le Pere Lathuille"). Jedesmal werden andere „Saiten" in Schwingung versetzt. Besondere Beachtung verdient das Hell/Dunkel. Deshalb spielte es schon bei den Bildvergleichen eine wichtige Rolle. In diesem Abschnitt wurde es bisher beiseite gelassen, weil es nicht in den engeren Kreis der farbigen Wirkungen gehört.
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Ergebnisse und Folgerungen
Es hat seine eigenen Ausdrucksmöglichkeiten,78 die sich mit denen der Farben verbinden, sie beeinflussen, aber zunächst nicht mit ihnen verschmelzen. Scharf kontrastierend entscheiden Hell und Dunkel in den frühen Bildern um 1863 über das gegeneinander abgesetzte Verhältnis der Bezirke. Indem die Farben in dem einen Bereich dunkel, im anderen hell erscheinen, sind sie innerhalb der Bereiche zu gemeinsamer Wirkung zusammengefaßt, gegen diejenigen der anderen kontrastierend gespannt. Besonders im Bremer Portrait stehen der eigentliche Bildnisteil rechts und der Raumdurchblick links einfach und entschieden dunkel und hell gegeneinander, so bestimmend in der Kontrastsprache, daß auch das Verhältnis zum dritten, farbig bunten Stillebenbezirk davon geprägt ist. Auch für das Verhältnis der beiden Bezirke in der „Olympia" ist das Hell/ Dunkel grundlegend, obwohl nur der Bezirk des Mädchens durch seine Helligkeit geschlossen ist. Denn im dunklen Gegenbezirk wird - indem die Gestalt der Dienerin hell vortritt - das Kontrastverhältnis nicht aufgegeben, sondern nur verwandelt: gegen den Inkarnatschmelz des Mädchens die reich vibrierende Farbigkeit des Buketts gesetzt. Der Einsatz des Hell/Dunkel reicht auf diese Art sogar noch weiter als im vorigen Bild, bestimmt nicht nur das gegenseitige Verhältnis der Bezirke, sondern hat darüber hinaus einen Anteil am jeweiligen Aussagegehalt: Die Art, wie die Gestalt den Dunkelbezirk durch helles Vortreten aufspaltet, kommt ihrem drängenden Begehren zugute; auf der anderen Seite gewinnt der Gegenbezirk durch die Geschlossenheit seiner hellen Erscheinung an Unberührbarkeit. Im „Déjeuner sur l'herbe" scheint das Hell/Dunkel zunächst nur auf einen einzigen Bezirk beschränkt zu sein, auf die Gestaltengruppe in der Mitte. Seine Kontraste bestimmen nicht unmittelbar das Verhältnis der Bezirke, lösen nur den Mittelteil durch die ihnen eigene angespannte Sprachweise der Art nach von den farbig charakterisierten eigentlichen Aussagebezirken. Mittelbar bewahren sie jedoch auch hier ihre durchdringend gestaltende Wirksamkeit. Indem sie nämlich innerhalb der Mittelgruppe die Gestalten voneinander sondern, treiben sie diese andererseits einzeln zur Verbindung mit den anschließenden Bezirken. So greift die Wirkung der Kontraste zwischen den Gestalten auf die Umgebung über und beeinflußt auch das Verhältnis zwischen den Farbbezirken. In den späteren Bildern des gleichen Jahrzehnts wandelt sich der Charakter des Hell/Dunkel. Die scharfe Sprache des Kontrastes wird nur noch ausnahms78
Wenngleich es kein Darstellungsmittel mehr für Licht und Schatten ist, wie das Helldunkel, von welchem es entwicklungsgesdiiditlidi stammt (wie schon einmal betont. Siehe Anm. 15). In der Form, in weither Manet das Hell/Dunkel einsetzt, ist es sidier von der Graphik übernommen und von derjenigen Goyas angeregt. Gerade in der frühen Epoche, in weither das Hell/Dunkel eine besondere Ausprägung erfährt, bezeugen Manets Graphiken einen entschiedenen Einfluß von denen Goyas. Die späten Gemälde Goyas, in denen das Helldunkel zu reinem Kontrastverhältnis reduziert und verschärft wird, können Manet 1863 noch nicht im Original bekannt gewesen sein.
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weise angewandt und hat dann einen besonders ausgezeichneten Ausdruckswert (wenn etwa die schwarze Fläche der Gestalt Zolas mit dem weißen Feld des aufgeschlagenen Buches zusammentrifft, oder die des Jungen im „Déjeuner dans l'atelier" mit dem Stilleben daneben). Nach wie vor spielen Hell und Dunkel eine wesentliche Rolle, aber nidit mehr im seitlichen, sondern im Tiefenkontrast, durch welchen die Bezirke entweder hell vor dunklem Grund („Zola", „Déjeuner dans l'atelier") oder dunkel vor hellerem Grund („L'Exécution de l'Empereur Maximilien") isoliert und vorgetrieben werden. Dadurch bekommt die Kontrastwirkung einen anderen Sinn. Sie bringt die Bezirke oder bezirkhaften Gegenstandsgruppen in eine Partnerschaft, stellt sie nidit mehr gegen-, sondern nebeneinander, Beziehungen ermöglichend. Im Zusammenhang mit den Einheitsbestrebungen verwachsen auch die Gestaltungsmittel des Hell/Dunkel und der Farbe enger als bisher, besonders in dem späteren „Déjeuner dans l'atelier", in welchem eine Differenzierung des Hell/ Dunkel mit der der farbigen Bezirke Hand in Hand geht. Hell und Dunkel bewegen sich nun innerhalb einer zwischen Schwarz und Weiß vibrierenden reichen Grauskala, deren Töne als Farben mit anderen Farben durchsetzt und verbunden werden. Schwarz und Gelb treten in der Gestalt des Jungen als Farbpartner zusammen, bilden sozusagen einen farbigen Stamm, der die bunten und unbunten Verzweigungen des Bildes zusammenzieht. Läßt sich im Münchener Bild das Hell/Dunkel über die Farbqualitäten von Grau, Schwarz und Weiß mit den übrigen Farben verbinden, so geht in anderen Bildern der Verschmelzungsprozeß umgekehrt von den spezifischen Hell- oder Dunkelqualitäten der Farben aus, etwa in der „Erschießung Maximilians": In fahlem Graugelb umscheint der helle Grund die dunkle Gruppe der Verurteilten, über den gelben Akzent des Hutrandes auf die grauviolette Gestalt des Kaisers bezogen; und in der Soldatengruppe redits blitzt das Weiß der Gürtelreihe aus dem tiefen Blau der Uniformen. Zugleich entwickelt das Hell/Dunkel eine neue Lichtqualität. Indem die „Attribute" Zolas hell aus dunklerem Grund vortreten, erfüllen sie das Bild mit einem leisen, aber zwingenden Lichtzauber, nächtlichen Lichtersdieinungen nidit unähnlich.79 Es bildet sich auf diese Weise - und im „Déjeuner dans l'atelier" nodi reicher und eindringlicher80 - eine Lichtwirkung von gleicher Art, wie sie in den Bildern der 70er Jahre durch Farbhelligkeit gesucht wird; unabhängig von einer Beleuchtung, der Bildwelt verzaubernd immanent. Sie ist sogar geheimnisvoller, lebendiger als diejenige der ersten „impressionistischen" Bilder. Erst die irisierenden Farben der ganz späten Werke erzeugen einen ähnlich lebendigen Lichtzauber
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Wohl nidit zufällig entstand um diese Zeit die einzige Nachtlandschaft Manets: „Le Port de Boulogne au clair de lune" (Louvre). Durdi konsequente Schattengebung ist eine von rechts einfallende Beleuchtung rekonstruierbar. Doch wird diese Beleuchtung nicht als der Urheber des Bildliditzaubers empfunden. Sie scheint sogar weitgehend neutralisiert.
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Ergebnisse und Folgerungen
(wie es sich bei der Beschreibung der „Bar aux Folies-Bergère" ergab). Bezeichnenderweise tauchen nun in einzelnen Bildern auch Hell/Dunkel-Kontraste wieder auf. Man denke nur an den „Fliederstrauß" in Berlin. Im allgemeinen hat das Hell/Dunkel im vibrierenden einheitlichen Farbgewebe der späten Bilder jedoch keine wesentlich bildgestaltende Rolle mehr. Schwarz und Weiß werden zu Farben unter anderen Farben, wie diese kontrastiert (siehe den Mann in der „Nana"). Farbe und Form Die Farben sind pastos aufgetragen. Die materielle Struktur gehört ebenso zu ihrem Wesensbestand wie der Farbton. Erst in der stofflichen Erscheinungsweise eröffnen sie ganz ihre besondere Eigenart, erfüllen sie sich mit spezifischer Energie. Sie sind im Auftrag auch ebenso vielfältig differenziert wie im Ton; daher der unbeschreiblich große farbige Reichtum der Bilder. Einander gleiche oder ähnliche Töne gelangen durch verschiedene Struktur zu vollkommen fremden, wenn nicht gegensätzlichen Aussagen. Das Grün des „Balcon" z. B. führt in der zähen Festigkeit der Farbstreifen und deren winkelig aufeinandertreffend starren Form eine eindringliche, fast gewaltsame Sprache und hat dadurch nichts Vergleichbares mit dem Laubgrün des „Déjeuner sur l'herbe", das in leichten, unverbundenen Flecken vibrierend auftritt. Im „Chez le Père Lathuille" sind sogar ähnlidi verschieden gestaltete Grüntöne im gleichen Bild in Gegensatz gebracht: einerseits die mit starrer Heftigkeit senkrecht herabstoßenden Streifen des Pfostens in bläulichem, z. T. weißlich „erhitztem" Grün, andererseits die nervig stoßend um das konzentrierte Streifenbündel sich ausbreitenden kurzen Flecken des Laubes. - Umgekehrt können verschiedene Farbtöne durch gleichartigen Auftrag in einen Färb- und Sinnzusammenhang gebracht werden. So gehen die grünen Laubflecken des zuletzt genannten Bildes eher mit dazwischengreifenden tiefen Blau- und Grauviolettflecken Verbindung ein als mit dem Grün des Pfostens. Uber diese ihre „stoffliche" Eigenschaft haben die Farben ursächlichen Wesenszusammenhang mit den Formen. Durch die Energie des Pinselstrichs scheint die Farbe sich die Form zu schaffen, die ihre Aussage vollendet. Beide sind unlöslich verwachsen. Besonders in den späten Bildern, deren Gefüge aus gegenseitig verspannten Farbflecken gewoben wird, ist der Farbfleck Urzelle allen formalen Geschehens. Aber schon in den frühen Werken hat er ein bedeutendes Mitspracherecht. Er erfüllt die übergreifenden Formen mit verschiedener Intensität, in Art und Didite des Strichgefüges variierend. Jeder Bezirk des „Déjeuner sur l'herbe" erhält auf diese Weise seine eigene innere Gespanntheit, die sich wieder auf das gegenseitige gespannte Verhältnis auswirkt - , ebenso im Bildnis Astrucs. Auch in der „Olympia" besteht das gleiche Verhältnis zwischen Farbstrich und Formeinteilung des Bildes. Nur sind die Bezirke rhythmisch unterteilt und beziehen sich die Färb-
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striche auf diese Teilfelder. So ergeben sich Differenzierungsmöglichkeiten schon innerhalb der Bezirke. Gegenüber Feldern geringerer innerer Gespanntheit wirken das vibrierende Bukett einerseits und der Inkarnatsdimelz des Mädchens andererseits zu äußerster Dichte gesteigert. Die Intensität des Farbstrichs wird dazu genutzt, die Gestalten innerhalb der Bezirke - deren Gegensatz verschärfend auszuzeichnen. Mit wachsender Bewegtheit im formalen Gefüge verfeinert und vervielfältigt sich im „Déjeuner dans l'atelier" auch das Strichgefüge. Jeder einzelne Bildgegenstand erhält nun durch die K r a f t des gestaltenden Farbstrichs seine spezifische Intensität, mit der vorher ganze Bezirke erfüllt waren. Indirekt ist ihr schwebend schwingendes Verhältnis davon abhängig, wie vorher das Gegeneinander der Bezirke. Der Einsatz des Farbstrichs im formalen Bildgefüge ist also der Art nach das gleiche geblieben, hat sich nur mit ihm gewandelt. Doch sind beide im Maß einander näher gekommen und erhält der Einfluß des Farbstrichs dadurch eine drängendere Macht und größere Reichweite: Der verschiedene formale Rhythmus im gegenseitigen Verhältnis der Gegenstände zur Seite des Jungen - links großformig und locker, rechts kleinteilig und gedrängt - ist wie eine Ubersetzung der im Strichgefüge erprobten Möglichkeiten. Aber erst in den 70er Jahren steigert sich der Farbstrich zum formalen Maß des Bildgewebes. Er bezieht sich jetzt nicht mehr nur auf Teile, sondern immer zugleich auf das Ganze des Gewebes. Besonders im „Argenteuil" wird seine selbständige K r a f t deutlich, da er mit der Übernahme einer neuen formalen Aufgabe eine bisher ungewöhnliche Intensität und Großformigkeit annimmt. Auch Farbzellen, die gemeinsam eine Teileinheit bilden, behaupten einzeln ihren Anteil am Gewebegefüge und greifen von sich aus in ihren Bezügen über die Teileinheit hinaus. Jeder horizontale und vertikale Streifen in der Kleidung der beiden Gestalten erneuert die Korrespondenz mit der Horizontalen des fernen Ufers, bzw. mit der Senkrechten des Mastbaumes links (wozu sie sidi allerdings durdi die Wiederholung gegenseitig antreiben); und die Farbzellen des Mastbaumes und des Uferstreifens sind wiederum nicht allein ihnen, sondern zahllosen anderen korrespondierenden Farbstrichen verpflichtet. Auch später bewahrt der Strich seinen eroberten formalen Eigenwert in übergreifender Bezogenheit, obwohl er sich zugunsten einer - zuweilen sprühend reichen Differenziertheit verfeinert und nicht einmal immer einzeln wahrgenommen wird, sondern nur seine gestaltende Energie spüren läßt. Den nötigen Nachdruck dazu verschafft er sich durch eine zugespitzte Verve des Auftrags. Dadurch wird eine von Strich zu Strich fortzeugende Bewegtheit erreicht, deren Rhythmus sich je nach der Art und Dichte der Farbstriche wandelt. Die größeren Formen bilden sich innerhalb und aus dieser Farbrhythmik und behalten einen eigentümlich unbeständigen Charakter, selbst wenn sie - wie vor allem in den späten Bildern zu geprägtem Ausdruck kommen.
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Ergebnisse und Folgerungen
Farbe und Gegenstand Die Farben bezeichnen Gegenstände. Die Energie pastosen Strichs erweckt die Bilddinge zu vitaler Daseinsdichte und belebt die spärlichen Modulationsangaben, so daß die Gegenstände trotz flächiger Erscheinungsweise körperlich erfüllt wirken. Zudem sind die differenziert zeichnenden Fähigkeiten des Strichs darstellend eingesetzt. Die stoffliche Struktur der Dinge - die Glätte eines Anstrichs, das Geflecht eines Strohhuts, der weiche Fall eines Kleiderstoffes - wird durch entsprechenden Farbauftrag zu charakterisieren gesucht, präzisiert durch die Wirkung mehr oder weniger lebhafter Nuancierung im Farbton. Innerhalb der Spannungen des Bildgefüges erfährt der Realitätswert der einzelnen Dinge jedoch sofort wieder eine Einschränkung. Die Dinge verlieren ihr Gewicht im schwebenden Verhältnis der Bildelemente. Alle Energien, die zur Verlebendigung körperlicher und stofflicher Intensität eingesetzt sind - vor allem die der Farben - werden je nach der Art der darstellend eingegangenen Verbindung frei für einen neuen Sinn. Dieser Sinn ergibt sich durch die zentrale Bindung an die Kerngestalt. Durch sie verwandeln sidi die dargestellten objektiven Eigenheiten der Dinge in subjektive Empfindungswerte. Da dieser Verwandlungsprozeß das schwebende Verhältnis der Bildobjekte im zentral gebundenen Gefüge voraussetzt, wird er selber von der gleichen Entwicklung betroffen, welche das Bildgefüge durchmacht. So wie der dargestellte Gegenstand mit jeder Wandlung des Bildgefüges auf neue Weise verzaubert erscheint, ändert sich auch die Art, mit welcher sich die darstellende Energie der Farbe mit neuem Sinn erfüllt. Hier hat die differenzierende Beobachtung also einzusetzen. In der frühen Bildergruppe um 1863 sind mehrere Gegenstände zu den Darstellungsgemeinschaften der Bezirke zusammengefaßt, alle von den Farben mit gleichen oder ähnlichen Eigenschaften gekennzeichnet. Sie erheben keine individuellen Ansprüche. Die spezifischen Eigenheiten, die sie im gegebenen Rahmen entfalten, summieren sich zu denen des Bezirks. Leicht vollzieht sich unter solchen Bedingungen die Verwandlung der Darstellungs- in Aussagekräfte. Wird die Darstellungsenergie der Farben durch die Summierung der Dinge eingeengt und gefangen, so findet der Aussagewert durch die gleiche Maßnahme Nachdruck. Vollends entwickelt sich der Aussagewert unter der gegenstandsverzaubernden K r a f t der Kontrastverhältnisse zwischen den Bezirken. Denn diese K r a f t wertet den Anspruch um, mit dem die Bezirke als Dinggruppen auftreten. Zwar bilden sich aus der Summe der Gegenstände Dingeinheiten, die mit der Prägnanz einzelner Dinge auftreten können (wie das Stilleben und die Laublandschaft im „Déjeuner sur l'herbe"). Aber die irrealisierende Wirkung der gegenseitigen Kontraste - die sogar Maßstabsunterschiede zuläßt (die „riesigen" Gestalten des „Déjeuner sur l'herbe" im Vergleich zur Laublandschaft) - macht die dingliche Prägnanz wieder dem Aussagewert dienstbar.
Farbe und Gegenstand
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Alle diese Ausführungen gelten vornehmlich für das „Déjeuner sur l'herbe" und das Portrait Astrucs. In der „Olympia" sind die Bezirke nicht so offensichtlich eine Darstellungseinheit. Der Inkarnatschmelz des Mädchens und das sprühend reiche Bukett der Negerin sind aus einer Umgebung, die gegenständlich zurückhaltender gestaltet ist, hervorgehoben. Doch sind sie nur der Intensität nach gesteigert - in der Intensität der farbigen Struktur, der stofflichen Präzision und des Aussagegehalts - , nicht der Art nach aus ihrem Bezirk gesondert. Nur die Verwandlungsspanne zwischen darstellender und aussageträchtiger Farbe erweitert sich in den Gestalten. Der verwandelnde Faktor ist nach wie vor die summierende K r a f t des Bezirks. Reicher gestaltete stoffliche Differenziertheit findet man erst im „Déjeuner dans l'atelier". Nur kleinere Gegenstandsgruppen von leichterer Art erinnern noch an die summierend verallgemeinernden Kräfte der Bezirke. Neben ihnen entfalten mit dem gleichen Nachdruck verschiedene Gegenstände und Figuren einzeln ihre individuellen Eigenschaften. Auch der Bildzusammenhang nimmt an Realität zu, da er nicht mehr so scharf gespalten ist. Maßstabsunterschiede sind nunmehr undenkbar. Doch ist diese realere Bildwelt auf neue, feinere Weise verzaubert, damit ihr Vorstellungscharakter und Empfindungsgehalt lebendig werde. Die Realität, die von jedem Gegenstand einzeln gesucht wird, verliert in deren gegenseitigem Verhältnis wieder an Wert, da sie in allzu unterschiedlichen Graden aufgesudit wird. Die Gegenstände dringen mit so verschiedenem Nachdruck zu gegenständlicher Faßbarkeit vor, daß sie am Ende alle unfaßbar erscheinen. So wirkt die Eindringlichkeit ihrer individuellen Erscheinung über den Realwert hinaus und mündet in den Aussagewert. Die gleichen Farbkräfte, die anfänglich der gegenständlichen Darstellung dienen, lassen darum einen Empfindungsgehalt von entsprechendem Charakter lebendig werden. Damit ist die Möglichkeit weiterentwickelt, die sich in der „Olympia" schon anbahnte: durch die gezielte Intensität eines einzelnen Gegenstandes die Aussagerichtung anzugeben. Dort holte die zielende Intensität des Gegenstandes nur weiter aus, hatte noch die übergreifende Aussage des Bezirks zur Grundlage. Jetzt wird der übergreifende Sinn der Aussage erst durch die zielende Intensität des Gegenstandes selbst aufgerufen, bei jedem Gegenstand neu und anders. Die Aussagen scheinen dadurch konzentrierter, suggestiver. Selbst die bezirkhaften Gegenstandsgruppen bekommen einen konzentrierteren Charakter. - Andererseits werden die Aussagen vielfältiger. Gleichzeitig verknüpfen sich die Aussagen dieser vielfältigen einzelnen Objekte leichter und ungezwungener zur Vorstellungseinheit. Da sie nicht mehr kontrastierend gegeneinanderstehen, setzt sich nicht nur ein farbiges und formales Verknüpfungs- und Verhältnissystem durch, sondern - trotz der isolierenden Betontheit jedes einzelnen Gegenstandes — auch deren realer Zusammenhang. Die Intensitätsschwankungen heben diesen Zusammenhang nicht auf, versetzen ihn nur
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Ergebnisse und Folgerungen
in verzaubernde Schwingungen. So kann der reale Zusammenhang die Vorstellungseinheit unterstützen. Besonders nachdrücklich macht er sich im „Balcon" bemerkbar, da das gegenständliche Thema - verschiedene Menschen im engen Raum eines Balkons — auch den Aussagesinn des Ganzen unterstreicht. In den 70er Jahren gewinnt das Bemühen um einen einheitlichen Aspekt des Bildgefüges so sehr die Oberhand, daß Manet die stoffliche Differenzierung der einzelnen Dinge zunächst aufgibt. Alle Gegenstände werden durch verwandten energisch-pastosen Strich als Angehörige eines gemeinsamen Zusammenhanges gekennzeichnet. Dieser Strich charakterisiert und verlebendigt sie - nach wie vor. Alle Unterschiede ergeben aber nur Variationen im einheitlichen Farbgewebe. Im „Argenteuil" z. B. sind die Strohhüte der beiden Gestalten differenziert. Beider Strichgefüge findet jedoch Resonanz und Weiterführung in demjenigen der hinterfangenden Umgebung und hat über diese auch untereinander Kontakt. Der Strich kennzeichnet die Gegenstände auch mit einer bisher unbekannten Energie, vermittelt ihnen eine starke sinnliche Intensität. Durch die gleiche Energie wirkt der Strich aber auch auflösend. Er beansprucht eine solche Eigenmacht und steigert sie noch im kontrastierenden Verhältnis der ständig wechselnden Töne, daß er die körperliche Homogenität der Dinge zu sprengen scheint, um die wachgerufene Dingintensität in das Gewebeganze überströmen zu lassen. So entsteht jene „Atmosphäre", die als gegenstandsverzaubernder Kraftüberschuß der gestaltenden Farben die Bildaussage enthält. Die Aussage hat zwar nicht mehr die Prägnanz und den Nachdruck bestimmt charakterisierender Gegenstände hinter sich. Um so mehr können aber auch die verschiedenen Aussagevariationen ineinandergreifen und sich vermischen. Mit der Verfeinerung des Farbgefüges in den Spätwerken verliert die Dingwelt wieder diese Vitalität. Die Farbe sucht nicht mehr die sinnlich materielle Substanz der Bilddinge und setzt dementsprechend auch nicht mehr die vitale K r a f t breiten Auftrags ein, sondern die Energie zugespitzten Strichs, die nichts mehr von der materiellen Schwere des Farbstoffs enthält. Die gestalteten Dinge erhalten dadurch eine Schwerelosigkeit, die ihrer Vereinigung in der „Atmosphäre" und dem atmosphärehaften Charakter des Ganzen zugute kommt. Dabei werden sie durchaus verlebendigt, sogar erneut reich differenziert ins Spiel gezogen, zuweilen mit allem Reiz des Stofflichen. Ihre Eigenheiten scheinen aber durch die Verve des zugespitzten Farbstrichs schon im Gestaltungsprozeß vergeistigt. Die Tendenz zum Imaginären gibt sich auf diese Weise bereits im Erscheinungsbild der Gegenstände zu erkennen (besonders im „Mallarme" und in der „Bar"). Der beschriebene Verwandlungsprozeß der gegenständlichen Werte im labil schwebenden Bildgefüge erfaßt - wie betont - auch die Farben, läßt sie über die Darstellung hinweg sich selber wiederfinden. Auf diese Weise werden die Farben weder in ihrer darstellenden K r a f t noch in ihren eigenen Wert beeinträchtigt. Darstellend lassen sie sich nur ihrerseits durch die von ihnen bewirkte dingliche Inten-
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sität im eigenen Wert steigern. So verlieren sie ihre K r a f t nicht in den Gegenständen - erblühen im Gegenteil über ihnen. Es besteht kein Spannungszustand zwischen „Eigenwert" und „Darstellungswert" der Farben, wie Jantzen 81 ihn für eine darstellende Malerei, die gleichzeitig ornamentale Aufgaben erfüllen soll, beschrieben hat. Erich von der Bercken82 hat für dieses Phänomen der Zeugungskraft der Farbe den treffenden Begriff „Gestaltungswert" eingeführt. Allerdings will er ihn nicht schon für Manet gelten lassen, sondern erst für Cézanne; Form und Farbe seien bei Manet noch parallelgerichtet. Dodi lassen beide Künstler die Farben nur in verschiedener Weise „gestalten". Im Prinzip besteht kein Unterschied.83 Ein gemeinsamer Faktor bringt Farbe und Gegenstand zu gemeinsamer Intensität: der Empfindungswert. Auf ihn bezieht sich die Steigerung der Farben durch den tragenden Gegenstand - , nicht auf den einfach ornamentalen Buntwert. Ein spezifischer, der Farbe eigener Ausdrucksgehalt wird durch die aufgerufenen Charakterzüge des von ihr dargestellten Gegenstandes bestärkt, präzisiert, ergänzt. Farbige Schönheit ist deshalb nidit ausgeschlossen. Sie wird nur nicht mehr durch besondere Berücksichtigung und Ausgestaltung des ornamentalen Buntwertes erreicht. Ausdruckserfüllte Lebendigkeit läßt die Farben jetzt „schön" wirken. Um sie zu gewinnen, braudien die Farben nicht immer dem idealen Schönheitsprinzip zu entsprechen, wie Jantzen es für den Buntwert der Farben formuliert hat: „ . . . reine und starke Werte als Komposition nach Gesetzen des Kontrastes oder der Harmonie in der Fläche auszubreiten."84 Im empfindungsbestimmten Farbgefüge können z. B. auch zarte Töne „schön" sein (wie das milchiggraue Karminrosa in der „Bar") und irisierende Farbballungen, die keinen ihrer Töne einzeln zur Geltung kommen lassen. Aus den gleichen Gründen gelten auch die übrigen grundsätzlichen Beobachtungen Jantzens für das Verhältnis der Farben zu den Gegenständen nur bedingt. Da die Gegenstandsdarstellung nicht diejenigen Schönheiten im Eigenwert der Farben beeinträchtigt, die Manet aufsuchte, brauchte Manet bei der Komposition der Farben hohe Ansprüche der Gegenstände nicht zu meiden. Gerade an wichtigen Stellen der Farbkomposition vereint sich die Farbe mit dem dargestellten Gegenstand 81
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Hans Jantzen, Uber Prinzipien der Farbengebung in der Malerei, Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, Berlin 1 9 1 3 , Bericht Stuttgart 1 9 1 4 , S. 3 2 2 - 3 2 7 ; wiedergedruckt in: Uber den gotischen Kirchenraum und andere Aufsätze, Berlin 1 9 5 1 , S. 6 1 - 6 7 . Eridi von der Bercken, Uber einige Grundprobleme der Geschichte des Kolorismus in der Malerei. In: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, N F . V , 1928, S. 3 1 1 - 3 2 6 . Wolfgang Schöne, Uber das Licht in der Malerei, Berlin I9J4> S. 2 1 1 / 2 1 2 , stellt sogar die Frage, ob sich nicht der Gestaltungswert der Farbe schon um 1800 zu bilden beginne. Spontan spürbar ist er jedenfalls schon bei Delacroix, wenn - besonders in den späten Bildern Farben und Formen in leidenschaftlicher Ausdrucksbewegung verwachsen. (Genaueres hierzu siehe im Schlußkapitel, wo die „Lola de Valence" von Manet mit einem Bild von Delacroix verglichen wird.) Hans Jantzen 1 9 5 1 , S. 62/63.
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Ergebnisse und Folgerungen
oft zu gemeinsamer Intensität der Sprache. In der „Olympia" z. B. entfaltet die Farbe ihren Buntwert im Grün der Vorhänge unter günstigsten Bedingungen: von der Darstellung des groben Tuches kaum beansprucht, als reiner und starker Ton sich großflächig ausbreitend. Dennoch liegt der Schwerpunkt der farbigen Komposition dort, wo sich auch gegenständlich das Interesse konzentriert: beim Bukett und dem Mädchenkörper. Die feinere und bewegtere Differenziertheit im Verhältnis der Farben, die von der Darstellung auf Kosten der breitflächigen Buntwerte gefordert wird, erzeugt eine gesteigerte Gespanntheit und führt jene beredte Sprache, die dem einfachen Buntwert versagt bleibt. So ist es nicht verwunderlich, daß gerade dann, wenn sich Manet um die Darstellungswerte bemüht, auch die Farbsprache seiner Bilder an Reichtum zunimmt (vor allem gegen Ende der 6oer Jahre). Die enge Verbindung der Farbe mit dem Gegenstand ist für beider Stellung im Bildgefüge von hoher Bedeutung. Sie ist Voraussetzung für die strenge Geschlossenheit der Bezirke in den frühen Bildern, so wie umgekehrt das abgesetzte Verhältnis der Bezirke voneinander die Verschmelzung aller Bezirkselemente fördert. In der Durchdringung und Potenzierung der Kräfte von Farbe und Gegenstand bildet sich erst das spezifische Gewicht eines jeden Bezirks, das im gegenseitigen Verhältnis ausponderiert wird. - So erklärt sich die schon früher (S. 1 1 8 ) berichtete Beobachtung, daß jede weiterreichende Farbbeziehung — etwa diejenige zwischen den Rotflecken im Stilleben und Bildnisteil des Bremer Portraits - das Verhältnis der verschiedenartigen Bezirke zueinander nur gespannter macht. Farbe und Gegenstand bilden eine so unlösliche Einheit der Sprache und der Kräfte, daß jedes Rot zu einer anderen Erscheinungsweise kommt. Darum setzt sich ihre Verknüpfung erst in einer zweiten Empfindungsschicht durch und läßt die Verschiedenheiten der Bezirke nur um so schärfer spüren. Noch in der „Olympia" haben die Bezirke die beschriebene Art von Geschlossenheit, obwohl sie nur in der Steigerung die vereinte K r a f t von Farbe und Gegenstand gegeneinander einsetzen. Denn diese bezieht sich jeweils auf den ganzen Bezirk, der den Kontrast zum anderen auch in den gegenständlich zurückhaltenden Teilen aufrechterhällt. Erst in der „Erschießung Maximilians" ändern sich die Verhältnisse. Die beiden verschiedenen Figurengruppen haben einen gemeinsamen gegenständlich und farbig neutraleren Grund, zu welchem sie beide je nach ihrer Art farbig Kontakt aufnehmen. Uber ihn entsteht also ein bilddurchgreifender farbiger Zusammenhang, der eine Kontrastierung von Bezirken in der Art der früheren Bilder nicht mehr zuläßt. Nicht im Gegeneinander von Bezirken vollzieht sich der Verschmelzungsprozeß der gestaltenden Farbe mit dem Gegenstand, sondern in einem Akt der Konzentration, der Gruppen isoliert. Die Gruppen wirken dadurch gesammelter als früher die Bezirke, zugleich „ergreifender", da die ohnehin einander steigernden Kräfte (der Farbe, des Farbauftrags, des Gegenstandes, des erweckten
Farbe und Gegenstand
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Ausdrucks) in der Konzentration einen Antrieb in frontale Richtung erhalten. Im gegenseitigen Verhältnis ist die Sonderung ausgeprägter als vorher. Die Gruppen entwickeln ihre Eigenheiten in größerer Freiheit, in schwingend beweglicher Stellung. Gleichzeitig kommen sie über die bindende Gegenkraft des gemeinsamen Grundes aber auch zu besonders naher Auseinandersetzung. Im „Déjeuner dans l'atelier" treten alle diese Züge noch deutlicher hervor. D a die Farben ihre K r a f t nicht mehr in großen Figurengruppen verbreiten, sondern bei verschiedenen Gegenständen einzeln ansetzen, nimmt beider gesammelt vorgreifende Wirkung zu und zeigt sich auch der isoliert „schwebende" Charakter im gegenseitigen Verhältnis noch deutlicher, zumal sie sich eindeutig parallel geschichtet entwickeln (während die Gruppen der „Erschießung" in ihrer Gegenüberstellung noch an die Kontrastierung der Bezirke erinnerten). - Ebenso gesteigert scheint aber auch die zusammenfassende Wirksamkeit des neutralen Grundes, dessen Grau die vielfältigen Gegenstände in einer reichen, zwischen Schwarz und Weiß pendelnden Skala verbunden bleiben. In den Bildern des zweiten Jahrzehnts bekommen die Farben durch ihre mit jedem Strich neu ansetzende Gestaltungsenergie ihre über den einzelnen Gegenstand hinaustreibende Kraft. Es ist die gleiche Energie, welche vorher jeden Gegenstand einzeln hervorhob und isolierte. Nun aber durchdringt sie ihn mit so heftigen Strichlagen, daß zwischen diesen sich Spannungen bilden, die den Gegenstand - dessen geschlossene Erscheinung - sprengen und zur Kommunikation mit der gleicherart bewegten Umgebung drängen. Die trennenden Fähigkeiten der vereinigten Energien von Farbe und Gegenstand werden zahllos vervielfältigt eingesetzt, um in fortzeugenden Spannungen die positiv geschaffenen Eigenarten aller Gegenstände und Farben miteinander zu verweben.
Farbe und Raum Im Gewebe, zu dem sich die zahllos wechselnden Farben in den späten Bildern vereinen, ist Raum enthalten. Er variiert gemäß den jeweiligen Tonabständen und den Spannungen, wie sie sich je nach Formung und Stoffintensität zwischen den einzelnen Partikeln bilden. Immer aber entstammt er dicht ineinandergreifenden Verhältnissen, die - weil sie sich gegenseitig beeinflussen - bewegt erscheinen. Mit diesen Wirkungen bestimmen die Farben den Charakter des Bildraumes, entscheiden über die Raumverhältnisse der Gegenstände. Von jedem Farbpartikel neu erfaßt, erscheinen die Gegenstände in deren Gewebe eigentümlich raumdurchdrungen und schwerelos und bilden darum gar keinen körperlichen Halt für einen Raum, der an ihnen abgemessen werden könnte. So lassen sie sich, ohne einen eigenen Anspruch entgegenzusetzen, von den fortwirkenden Farben zu Verhältnissen von großer Dichte vereinen, die zugleich durch die leichte Bewegtheit im 9
Hopp, Manet
Ergebnisse und Folgerungen
Gewebe und eine entsprechende Unbestimmtheit von einer gewissen Weitequalität erfüllt sind. Innerhalb dieser Weitemöglichkeit machen sich auch gegenständliche Distanzverhältnisse bemerkbar, diejenigen der Farben bereichernd, — insbesondere wenn sie von Maßunterschieden bekräftigt sind. Manchmal geben sie sogar Gelegenheit zu Betonungen oder räumlichen Rhythmisierungen, wie etwa das Verhältnis der Kellnerfigur rechts im „Chez le Père Lathuille" zu den Hauptgestalten. Die Farben bleiben aber führend und lassen die gegenständlichen Raumandeutungen auch nicht alle im gleichen Maß gelten. Im erregt gesteigerten Gewebezentrum des „Chez le Père Lathuille" z. B. haben die gegenständlichen Tiefenhinweise, die an den Bildseiten ausholen können, keinen Platz mehr. Sie sind gleichsam im verdichteten Gewebe zu gesteigerter Raumqualität zusammengezogen. Umgekehrt entwickeln die Farbschwingungen manchmal mit besonderer Freiheit und Leichtigkeit Weite, wo gegenständlich ein flächiger Abschluß erwartet wird (wie im Wandbehang der „Nana"). Die Raumverhältnisse der Gegenstände scheinen selber schwingend bewegt je nach der Art, wie das Farbgewebe Einfluß nimmt. Die Farben bilden also einen Raum von übergegenständlicher Macht. Sie erfüllen die Bildwelt mit ihren vibrierenden Schwingungen, die Gegenstände durchdringend und miteinander bewegend. Andererseits erfüllt sich dieser Raum aber auch mit den Dingen. So wie die Kräfte der Dinge von den Farben mit jedem Partikel geweckt werden, nehmen sie Einfluß auf die Tiefe und Dichte der Farbschwingungen, gemeinsam mit den Tonabständen und der Formintensität der Partikel. Und sie regen die Schwingungen nicht nur an, sondern — selber schwingend bewegt - teilen sie sich ihnen in ihrer ganzen Fülle mit. So ist der umfassende Raum der Farbschwingungen ebenso durchdrungen von den Dingen, wie er diese durchdringt, wird von ihnen, ihrer Art und Intensität, geprägt. Die Gegenstände wiederum scheinen innerhalb der durchgreifenden, vibrierenden Bewegtheit der Farben in eine Welt traumhafter Unfaßbarkeit und Schwerelosigkeit verwoben. Die Raumwirkungen der frühen Bilder um 1863 sind ganz anderer Art. Ein einheitlich durchgreifender Zusammenhang wird gar nicht erstrebt, da alle Qualitäten der Farben darauf konzentriert sind, eine dichte Geschlossenheit der Bezirke herzustellen. Doch ergeben sich im Verhältnis der Bezirke zueinander Raumspannungen, welche in manchen ihrer Auswirkungen für die Bildwelt mit denen des Farbgewebes in den späten Bildern verwandt sind. Deutlich in ihrer Art zeigen sie sich im „Zacharie Astruc". Die Bezirke sind streng geschlossen in paralleler Schichtung gegeneinander versetzt und haben auch das unmeßbare Verhältnis parallel hintereinander gesehener frontaler Flächen, das als weit und nahe zugleich empfunden wird. Selbst relative Stufungen, wie sie sich zwischen Schichten gleicher Art ergeben können, sind ausgeschlossen, da innerhalb eines jeden Bezirks mit der spezifischen Art der farbigen, formalen und gegenständlichen Gestaltung auch eine besondere Haltung zum Raum eingenommen,
Farbe und Raum
bzw. Raumschwingungen von eigener Qualität eingefangen werden. 85 Darüber hinaus entwickeln sich Spannungen von eigentümlich berührender Heftigkeit zwischen diesen verschiedenartigen Raumäußerungen, die jedem Verhältnis in seiner Unmeßbarkeit ein eigenes Gepräge geben. Auf diese Weise führen die disparaten Raumverhältnisse ebenfalls zu einer Entwirklichung der Gegenstands weit eines Bildes. J a , sie übertreffen darin noch das Farbgewebe der späten Bilder. Machen sich schon innerhalb der Bezirke, in denen die Gegenstände durch die gemeinsame Art des Raumverhaltens einander nahestehen, schwingend unfeste Verhältnisse bemerkbar - vor allem wenn die Gegenstände ungreifbar flächig gestaltet sind - , so stockt im Spannungsgrat zwischen den Bezirken überhaupt jeder gegenständliche Vergleich. Unterschiede im Maßstab der Dinge betonen diesen Spannungsgrat sogar im „Dejeuner sur l'herbe". Deshalb können auch die Stilleben der beiden genannten Bilder mit ihrer Dichte keine Orientierung geben; sie lassen vielmehr als eine Art verstellendes „Repoussoir" die anderen Bezirke in ihrer unfaßbaren Distanziertheit lebendig werden. Wenn mit fortschreitender Entwicklung eine Koordinierung der verschiedenartig gestalteten Bildteile statt der Kontrastierung gesucht wird, nehmen auch die Raumspannungen einen feiner schwingenden Charakter an, verlieren an Heftigkeit. In der „Erschießung Maximilians" hat die Soldatengruppe zwar noch jene verstellende Dichte wie die Stilleben der beiden früheren Bilder und bildet sich dagegen um die Kaisergruppe ein weiteträchtiger Hoheitsraum; andererseits aber verwachsen die Bereiche beider Gruppen trotz ihrer auseinandertreibenden Raumkräfte durch die vereinende Gegenwirkung des gemeinsamen Grundes und der farbigen und formalen Korrespondenzen zwischen den Gruppen. Vor allem aber in den darauffolgenden Bildern, in denen die Farben in verschiedenen Gegenständen und Gegenstandsgruppen jedesmal neu ansetzen, zeigt sich der veränderte Charakter des Bildraumes. Raum entsteht nun im Verhältnis dieser einzelnen Gegenstände und Figuren zueinander, ihrer dichtgestuften gegenständlichen Folge einerseits und der verschieden vordringenden Farbintensität andererseits. J e nachdem wie diese Kräfte vor dem gemeinsamen Grund differieren, geraten die Verhältnisse ins Schwingen. Die Unmeßbarkeit der Verhältnisse wird also aufrechterhalten, obwohl die Bestrebungen bei der Auflösung der Bezirke und Verteilung der Betonung auf verschiedenartige Gegenstände ganz offensichtlich gleichzeitig dahingehen, diesen einen einheitlichen „realeren" Raumzusammenhang zu schaffen. Die irritierenden Mittel sind auch verfeinert und lassen die unmeßbare Dimension nur noch ver-
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Zur Erinnerung: Im Stilleben sammeln sich die verschiedenen Gegenstände zu einer körperintensiven Gemeinschaft, die einen R a u m eher verdrängt als fordert. Von schwebender Leichtigkeit in der Weite eines atmosphärehaften Grundes erscheinen dagegen die Gegenstände der hinteren Schicht. Die Gestalt des Mannes schließlich mit ihrer in die Dunkelfläche zurückweichenden Figur und dem hell vorleuchtenden Gesicht zeigt einen H a n g zu ungreifbarer Tiefe.
Ergebnisse und Folgerungen
halten spüren. Jedoch durchdringen sie desto nachhaltiger und vielfältig eingreifend die Bildwelt. Nicht nur die Differenzen zwischen farbigen und gegenständlichen Relationen wirken irrealisierend, sondern mit ihnen erlangen auch alte erprobte Mittel eine neue Art der Geltung: Betonter als zuvor innerhalb der Bezirke zeigen sich die einzelnen Gegenstände bei aller Intensität allein durch flächige Erscheinungsweise in ungreifbarer Distanz; gleichzeitig steigert sich mit der Häufung der Parallelverhältnisse die Unfaßbarkeit ihrer Stellung. Bei allen Unterschieden in der Raumgestaltung ist somit eine gleichbleibende Tendenz zum Unfaßlichen zu beobachten und um ihretwillen eine gewisse Kontinuität mancher formaler und farbiger Mittel. Unter diesen ist eine Neigung zu flächiger Gestaltungsweise so auffallend, daß sie eine kurze Betrachtung wert erscheint,86 um so mehr als sie auch von anderen Autoren immer wieder als eine besondere Eigenart von Manets Kunst empfunden und herausgestellt worden ist. Die Fläche mit den ihr eigenen Bildwerten ist jedoch nicht Gestaltungsziel, wie die meisten anzunehmen scheinen, - auch nicht die Kraft der Farben, die sich in der Fläche am reinsten entfalten kann und bei Manet auch eine entschiedene Förderung findet. Vielmehr erregen verschiedengesdiichtete Flächen - in der schwebenden Art der Schichtung von den Farben bestärkt - Wirkungen, die zum Gestaltungsziel erst hinführen. Ausgehend von der ungreifbaren Distanziertheit der Figuren in ihrer flachen Unkörperlichkeit und der unmeßbaren Distanz in den gegenseitigen parallelen Verhältnissen bildet sich ein Raum der traumhaft subjektiven Maßstäbe - dem Sinn des schwebend ponderierten Bildgefüges entsprechend. Deshalb darf die Fläche hier auch nicht als Gegenkraft des Raumes verstanden werden. Gewiß sind alle tiefeausmessenden Linien und körperlichen Rundungen vermieden oder gehemmt - aber nicht letztlich der Flächenkonzeption zuliebe, sondern um jenem unmeßbaren Raum der schwingenden Distanzen das Feld zu überlassen.87 Selbst in der „Olympia", wo alle Flächen einander sehr nahe kommen und das Bildfeld dicht füllen, sammelt sich jene Raumqualität im gleichwohl unüberwindlich gespaltenen Hell/Dunkel-Verhältnis der Bezirke, das in der Wirkung ergänzt wird von der Divergenz im Ausdruckscharakter der Flächen: zwischen der aktiven Distanziertheit im Ausdruck des unantastbar 86
Sie hat sich - wie bekannt - unter dem Einfluß der japanischen Holzschnittkunst entwickelt. Ein Vergleich, um genauer festzustellen, was Manet übernommen hat und wie er es seiner Kunst eingeschmolzen hat, wäre aufschlußreich, würde hier aber zu weit führen. Vorerst muß die Kunst, die sich daraus ergeben hat, beschrieben werden. Wenn René Huyghe (Manet, peintre; in: L'Amour de l'Art, XIII, No. 5, 1932, p. 177, 179) meint, um der flächigen Konzeption willen blieben die Raumprobleme unbewältigt, so hat er den besonderen Raumcharakter dieser Bilder nicht erkannt. Er geht von der Voraussetzung aus, Manet habe den realen Erfahrungsraum darstellen wollen. Auch Alan Bowness (A Note on Manet's .Compositional Difficulties'; in: The Burlington Magazine, CIII, 699, 1961, p. 276-277) sucht das Phänomen der „unbewältigten" Distanzen zwar positiv zu deuten und durch die große Zahl der Beispiele als Gestaltungsabsicht zu belegen (und verteidigt Manet damit gegen Richardson, Manet, Phaidon), achtet aber nicht auf den positiven Raumgewinn, sondern erklärt alle Eigentümlichkeiten mit dem starken Zug zur Flädienkomposition.
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machtvollen Bezirk des Mädchens in dessen profilhaft sich dehnender Flächigkeit und der zurückweichenden Distanziertheit der Dunkelflächen, die alle frontal vordrängenden Kräfte - bis hin zum Bukett der Dienerin - gefangen hält. Wie eng der spezifische Raumcharakter in den Bildern Manets mit der flächigen Gestaltungsweise zusammenhängt, zeigt schließlich die Entwicklung im zweiten Jahrzehnt. In dem vibrierenden Gewebe der Farbpartikel wird das schwingende Verhältnis der Flächen zueinander (wie es am Ende der 60er Jahre ausgeprägt war) aufgenommen und unendlich vervielfältigt. Der Bildraum gewinnt dadurch an atmosphärischem Gehalt, der die Gegenstände durchdringend einverleibt; im unmeßbaren Charakter aber ist er der gleiche. Auch bleibt Fläche als Ausdruck des Unkörperlichen latent in ihm wirksam. Besonders wenn der Charakter des Unfaßlichen gesteigert erscheinen soll, ist sie zu spüren, wie etwa im Wandbehang der „Nana" und - als Krönung im Verschmelzungsprozeß von Fläche und Raum — im Spiegel der „Bar". Als Sinn der gleichbleibenden Tendenz zum Unfaßlichen wurde die träumerisch subjektive Auffassung der Bildwelt gefunden, mit dem schwebend ponderierenden Charakter des formalen Bildgefüges einig im Wirkungsziel. Demgemäß korrespondiert der Raum auch mit der Bindung des Gefüges an einen Kern. Um diesen Kern intensivieren oder verdichten sich häufig die zwischen verschiedenen Tiefenkräften gespannten Raumschwingungen, während sie nach den Seiten hin abflachen. In der Kernfigur des „Déjeuner sur l'herbe" durchkreuzt die heftige Raumspannung zwischen dem Stilleben und dem Weitedurchbruch den Laubwaldbezirk mit dessen sanften Schwingungen, so daß beide Raumäußerungen zu ihr hin konzentriert erscheinen. Das Verhältnis des Jungen im „Déjeuner dans l'atelier" zum Grund enthält die größte Distanz und zugleich die entschiedenste Tendenz zur Fläche und schließt alle anderen Schwingungen des Bildes ein. Doch verbindet sich diese Intensivierung der Raumspannung nicht in allen Bildern mit einer gesteigerten Tiefenausmessung. Wie im „Chez le Père Lathuille" in der Gewebeballung der Mitte der Raum geradezu zusammengezogen wird, ist schon einmal angedeutet worden. Auch im „Dans la Serre" wird eine solche Intensivierung gesucht, nur kommt sie sehr verhalten zum Ausdruck. Die feine bildparallele Distanz zwischen den beiden Händen, die einen Funken zu übermitteln scheint, bedeutet die äußerste Anspannung eines in nahen und subtilen Schwingungen sich bewegenden dichten Geweberaumes.
Bedeutung der Farbe für den Bildgehalt Indem die Farben die Bildgegenstände darstellen, zugleich aber die dargestellten Eigenschaften über den Realwert hinaus als Aussagekräfte aktivieren und mit den eigenen verschmelzen, erzeugen sie einen Empfindungsgehalt. Je nach der Art der Verbindung von Farbe und Gegenstand im Bildgefüge wandelt sich des-
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Ergebnisse und Folgerungen
halb auch der Charakter des Bildgehalts - im einzelnen wie in der Gesamthaltung. In den frühen Bildern erlangen die Aussagen durch die bezirkhafte Darstellungsweise allgemeine Bedeutsamkeit. Uber den gemeinsamen farbig-formalen Zusammenhang mehrerer Gegenstände wird ein übergreifender Sinn und dieser Sinn durch das Gewicht des jeweiligen Bezirks als bedeutend angesprochen. - Die vordringende Fülle des Stillebens im „Dejeuner sur l'herbe" erreicht unter diesen Bedingungen ein solches inneres Format, daß die Distanz des fernen Himmels ohne Zögern mit ihr verspannt und im maßgebenden Blau ebenso erspürt wird wie die aggressive Qualität der vordringenden Kräfte. Und im t r a u m h a f t ungreifbaren, über die ganze Weite des Bildfeldes gedehnten Laubgewebe kommt das Numinose zu entsprechender Geltung. So wird die Empfindung zwiefach gespannt auf Bedeutendes ahnend ausgerichtet und das riesige Format des Bildes damit auch gehaltlich erfüllt. Auch die Gestalten der „Olympia" erreichen auf diese Weise eine Macht der Aussage, die ihnen vom Gegenständlichen her an sich nicht zukommt. Das dargestellte Mädchen auf dem Lager ist keine Venus wie die Gestalt Tizians, die zum Vorbild diente. Dennoch nimmt ihr frontal gerichteter distanzierter Blick und die abweisende Gebärde als Krönung des hell vorgreifenden, aber kühlfarbigen Bereichs eine Hoheit an, die als fast göttliche Unnahbarkeit empfunden wird. Diese Hoheit wird sogar um so mehr empfunden, je weniger sie von der „Olympia" als Person in Anspruch genommen wird, - als gestaltlose Macht der Empfindung gleichsam, die von dem Mädchen nur vertreten wird, so wie die Dienerin das Verlangen, das sich im Bukett äußert, nur weitergibt. Auch dieser Ausdruck des Verlangens erhält - weitausholend aus dem tiefgrünen Grund - etwas von der Gewalt des Allgemeingültigen. Mit fortschreitender farbiger Differenzierung und Auflösung der Bezirke in den späten 6oer Jahren verlieren die Aussagen ihre allgemeine Bedeutsamkeit. D a f ü r gewinnen sie den Nachdruck des Individuellen. In der „Erschießung Maximilians" macht sich die neue Tendenz zuerst bemerkbar. Zwar wird noch durch die farbig und formal zusammengefaßte Darstellungsweise der Gruppen deren Ausdrudcssinn ins Allgemeingültige erhoben. Gleichzeitig enthält er aber schon die ganze Schärfe seiner konkreten Bedeutung im augenblicklichen Ereignis welcher die konzentriert aus dem Grund vortretende Form der Gruppen entspricht, mit dem Akzent des Hutbogens auf neue Weise ins Uberpersönliche zielend. Im Münchener „Frühstück" steigert sich die Individualisierung noch. Jede Gestalt und jeder Gegenstand trägt einzeln seine eigene Aussage vor und füllt sie mit seinem Leben. Durch die Betonung des isolierten Daseins greift die Aussage nun über den Gegenstand hinaus und dringt ins Zeitlose der traumhaft empfundenen Wirklichkeit, welche die Gegenstände im schwingenden Gefüge annehmen.
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Audi in den Bildern der 70er Jahre bewahrt das Dargestellte einen individuellen Charakter, obwohl es in Erscheinung und Aussagesinn wieder von einem übergreifenden Zusammenhang aufgenommen wird. Denn die Gegenstände lassen diesen Zusammenhang überhaupt erst entstehen. Die Atmosphäre, zu welcher die Gegenstände im Farbgewebe verwachsen, ist in ihrer Sprache genauso individuell und unwiederholbar einmalig wie die Dinge selber. Doch nimmt sie die Gewalt einer überpersönlichen, zuweilen auch übersinnlichen Macht an, die sich ihrerseits prägend auswirkt und den Wert des Individuellen relativiert. Die gespannte Erregung, welche im Farbgewebe des „Chez le Pére Lathuille" herrscht, ist diejenige der beiden einander begegnenden Gestalten. Von diesen ausgehend scheint sie auch die Umgebung zu erfassen, bleibt also Ausdruck der besonderen dargestellten Personen in deren besonderer Situation. Nur erreicht sie, indem sie sich über das ganze Bild ausbreitet und gerade in der Umgebung an gegenständlich unwichtigen Objekten farbig und formal einen besonders zwingenden Ausdruck findet, Macht und Weite, so daß die Gestalten, von denen sie urprünglich ausging, andererseits unwiderstehlich von ihr ergriffen scheinen. Diese Ergebnisse der Arbeit stehen im Widerspruch zu der im allgemeinen vertretenen Auffassung vom Einsatz der Farben bei Manet. Immer wieder findet man die Behauptung, der Gegenstand diene Manet nur als Vorwand, um die autonome Schönheit der Farben auszubreiten. Man rufe sich nur die in der Einleitung dieser Arbeit zitierten Sätze von René Huyghe 88 in Erinnerung. Sie können repräsentativ für viele gelten. In einer neueren Veröffentlichung hat Kurt Badt ähnliches geäußert.®9 Ganz folgerichtig vermögen die Vertreter dieser Auffassung in den Bildern Manets auch keinen Sinngehalt zu erkennen und leugnen ihn schledithin. Wird doch der Sinngehalt, so wie er oben beschrieben wurde, erst durch die Verschmelzung der Kräfte von Farbe und Gegenstand ins Leben gerufen. So knüpft sich an die Frage nach dem Einsatz der Farben bei Manet diejenige nach dem Bildgehalt überhaupt. Nun findet diese Arbeit in dem letzten Punkt in der neueren Literatur Unterstützung. Es mehren sich die Stimmen, die nach dem Sinngehalt der Bilder Manets fragen und die von René Huyghe vertretene Betrachtungsweise als „formalistisch" und überholt zurückweisen. Nils Gösta Sandblad90 vor allem hat sich eingehend damit beschäftigt, angeregt von der Tatsache, daß sich alle nordischen Symbolisten auf Manet berufen und dessen Einfluß bekunden. Da er jedoch nur die fest greifbaren und beweisbaren Inhalte im Auge hat, konnte er nicht weit kommen.91 88 89
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René Huyghe, Manet, peintre; in: L'Amour de l'Art, X I I I , N o . 5, 1932, p. 1 6 j . „ Z w a r entnahm sie [Manets Malerei] ihre Gegenstände der Gegenwart und dem wirklichen Leben, aber sie verstand sie dodi als bloße Vorwände für die Schönheit des im Kunstwerk auszubreitenden Materials und die Vollkommenheit der Arbeit . . ( K u r t Badt, Die Kunst Cézannes, München 1956, S. 195). Nils Gösta Sandblad, Three Studies in Artistic Conception, Lund 1954. Lediglich die „Erschießung Maximilians" erweist sich als ergebnisreiches Objekt. Es wird dargestellt, wie Manet in den verschiedenen Fassungen den voneinander abweichenden Berichten
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Ergebnisse und Folgerungen
Denn Ungreifbarkeit gehört geradezu zum Wesen der Bildgehalte bei Manet. Deshalb konnte ja der Eindruck entstehen, der Gegenstand spiele bei Manet keine Rolle. Die sinnerzeugende K r a f t der Farben richtet sich nicht nach vorgegebenen bestimmbaren Inhalten, sondern entwickelt sich überhaupt erst in einem Intensitätsüberschuß, erhält durch die dargestellten Werte nur eine Richtung. Lediglich in den früheren Werken gibt es - als Erbe der Romantik - inhaltgeladene Metaphern, wie die Katze in der „Olympia". Doch zielen auch sie ins Rätselhafte, Geheimnisvolle. Der Zug zum Ungreifbaren bei Manet ist in der Literatur - besonders in den einschlägigen französischen Arbeiten - immer wieder beobachtet und auch als wesentlich für Manets Kunst empfunden worden, und zwar in wachsendem Maße. Schon bei Jacques-Emile Blanche92 gibt es Äußerungen, die einen solchen Eindruck spüren lassen. Eindeutiger drückte sich schon Paul Jamot aus „ . . . ces grands fonds unis, qui, ne situant la scène ni dans le temps ni dans le lieu, évoquent le ,nulle part' d'un Baudelaire, ces grands fonds irréels relèvent le sujet en apparance banal ou trivial, lui font une vaste résonance mystérieuse, indéfinie et poétique.. ,". 93 Und Michel Florisoone94 widmet dem „Irrealismus" Manets sogar ein ganzes Kapitel und sucht das Phänomen auch zu deuten: als eine Verwandlung des Realen, Individuellen ins Unpersönliche - zum Material für den „reinen Maler". Seine Formulierungen lassen erkennen, daß er etwas von dem „Gehalt" gespürt hat, der durch die Verwandlung des Gegenständlichen entsteht (besonders in seiner Beschreibung der „Olympia"). Dennoch sträubt er sich, den „Symbolismus" Manets anzuerkennen. Am Rande des Symbols halte Manet an, die „Lola de Valence" z. B. sei keine Synthese Spaniens. In so eng gefaßter Auffassung des „Symbolismus" besteht die Einschränkung auch zu Recht. Aber bei den bedeutenderen Werken der „Symbolisten" (etwa bei Gauguin) läßt sich der Sinngehalt ebensowenig eindeutig definieren, hat den gleichen offenen, letztlich nicht faßbaren und nur ahnungsvoller Empfindung zugänglichen Charakter wie schon bei Manet. Auch wird er schon bei Manet im wesentlichen auf dem gleichen Weg gesucht und durch die Art der farbigen und formalen Darstellung verlebendigt. „Lola de Valence" verkörpert nicht Spanien, aber sie ruft eine Vorstellung von Spanien wach, indem sie das Vital-Ursprüngliche und zugleich Nobel-Distanzierte eines spanischen Menschen vergegenwärtigt. Die „Olympia" ist keine Darstellung dei „Beauté", läßt aber die unzugänglich kühle, ja abweisende Göttlichkeit der „Beauté" spüren, wie sie vor Manet Baudelaire schon dargestellt hat und wenig
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in den Zeitungen nachzukommen sucht, durchaus daran interessiert, das Geschehen getreu wiederzugeben. Die „Olympia" hingegen findet Sandblad ganz und gar von den Bestrebungen, flächig zu gestalten, diktiert (er sieht sie also „formalistisch"). Jacques-Emile Blanche, Manet 1924. Paul Jamot, Manet, catalogue critique, Tome I, Paris 1932, p. 48. Jamot widerspricht hier seiner eigenen, am Beginn der Abhandlung aufgestellten These vom „reinen Maler" Manet, dem jedes Geheimnisvolle, Poetische fremd sei. Michel Florisoone, Manet, Monaco 1947.
Bedeutung der Farbe für den Bildgehalt
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später — unabhängig von Manet - auch Mallarmé (in der „Hérodiade"). Gewiß ist Manets Kunst weder „baudelairisch" nodi „mallarméisch".'95 Konnte Manet aber nicht auf eigene Weise künstlerischen Tendenzen folgen, die sich in seiner engeren Umgebung entwickelten? Mit keiner der oben zitierten Auffassungen von der Kunst Manets stimmen die Ergebnisse der Beschreibungen also genau überein.96 Die Beobachtungen werden zwar oft wiederaufgenommen, aber unter einem anderen Blickpunkt neu zusammengefaßt und in eine neue Richtung gewiesen. Der neue Blickwinkel wurde von der Farbe ausgehend gewonnen. Durch die K r a f t der Farben werden die Empfindungen geweckt, die den beschriebenen Bildgehalt ausmadien. Als wesentlich wurde dabei die gestaltende Energie gefunden, die verlebendigenden und charakterisierenden Fähigkeiten von Ton und pastosem Stridi. Im Gestaltungsprozeß entzünden die Farben dann auch ihre eigenen Empfindungswerte an den Aussagen, die mit den Gegenständen zum Leben erweckt wurden, von ihnen präzisiert und intensiviert. Die Farben entfalten ihren subjektiven Gehalt also nicht spontan. Sie sind nicht unmittelbar expressiv wirksam, gefühlsgeladen.97 Dementsprechend werden auch keine Leidenschaften oder Gefühle verlebendigt, sondern Empfindungen, „Bilder". Diese zu erregen, suchen die Farben mit ihren Kräften die Bildgegenstände darstellend zu durdhdringen. Die Potenzierung des Gehalts, die dabei erreicht wird, gilt der Intensivierung der Vorstellung, nicht der Expression. Selbst das überwältigend zugreifende Giftgrün des „Balcon" ist nicht Ausdruck eines aktiven Gefühls. Gemeinsam mit den anderen Gestaltungsmitteln lenkt es nur kraft seines „sinnlich-sittlichen" Gehalts auf eine entsprechende Daseinsempfindung, bzw. Vorstellung hin, die passiv erlebt wird.
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W i e es Florisoone, 1 9 4 7 , formuliert. Lediglich die A u f s ä t z e v o n Jantzen und Busch über die „ B a r aux Folies-Bergère" und einzelne Bemerkungen über das Bildnis Mailarmes enthalten ein Verständnis f ü r die K u n s t Manets, das als wegweisend gelten kann. Deshalb ist der subjektive Gehalt für viele w o h l so schwer erkennbar.
Teil III
Zur historischen Stellung Manets
Delacroix Die Empfindungswerte der Farben sind von Delacroix f ü r eine gefühlsbestimmte Bildwelt in einem bis dahin ungekannten Reichtum erschlossen worden. 98 Indem Manet sie als wesentliches Bildgestaltungsmittel einsetzt, zeigt er sich diesem Erbe verpflichtet. In welcher Weise Manet es aufnimmt, soll ein Vergleich zweier Werke anschaulich machen, zugleich aber auch Manets eigene A r t und Leistung erkennen lassen. Zum Vergleich eignen sich besonders gut die späte Fassung der „Medee furieuse" von Delacroix und die „Lola de Valence" von Manet, da beide Bilder im Format und im Verhältnis der dargestellten Figur zum Bildfeld einen ähnlichen Anspruch erheben" und beide sich in Paris befinden. Außerdem enthält die „Medea" als ein Spätwerk vieles von den Erfahrungen des Lebenswerkes, das in seiner Ganzheit Manet mehr zu geben hatte als ein einzelnes Bild. Dieses Lebenswerk soll sie bei dem Vergleich repräsentieren, während die noch im gleichen J a h r - 1862 - entstandene „Lola de Valence" den zu eigener Sicherheit gelangten jungen Meister zeigt, der das Erbe seines Vorgängers seiner A r t gemäß zu nutzen weiß. Z w a r gehört die „Lola de Valence" nicht in die Reihe der bereits beschriebenen Werke. Sie kommt aber wie keines von diesen Delacroix in der Leidenschaftlichkeit der Bildäußerungen nahe. Darum soll sie nachträglich hinzugezogen werden: Von dem neutralfarbigen Grund einer Theaterkulisse hebt sich die Gestalt einer Tänzerin mit üppig gebauschter Kleidung ab. Sie steht streng profilgerichtet und wendet sich nur leicht mit dem Oberkörper und dem im Tanzschritt vorgestreckten Bein nach vorn. Die Kleidung in ihrer Fülle und starken Farbigkeit nimmt diese Wendung auf und erreicht eine fast aggressive Frontalität. V o r allem die Farben der Rockmusterung sind vor dem tiefdunklen Grund des Stoffes von glühender Intensität: das Zinnober der Pompons und großen Blüten, von orangefarbenen und gelben Flecken zum Hitzigen hin getrieben und bewegt und von grünen Flecken komplementär gesteigert. Ganz unmittelbar spricht sich in ihnen das vitale Lebensgefühl der Südländerin aus.
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Siehe hierzu Alexander Battes (Die Farbe bei Delacroix, Dissertation Frankfurt 1940) und Ernst Strauss (Zur Frage des Helldunkels bei Delacroix. In: Hefte, 9 - 1 0 , 1964, S. 22-24). Vgl. auch René Huyghe, Delacroix ou le combat solitaire, Paris 1964 (vor allem p. 3 9 2 - 3 9 7 ) , und Kurt Badt, Eugène Delacroix, Werke und Ideale, Köln 196$. „Lola de Valence", 123 X 92 cm; „Médée furieuse", 1 2 2 X 84,5 cm.
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Zur historischen Stellung Manets
Dagegen haben in der Umgebung des weißen Spitzenschals, der Kopf und Oberkörper einhüllt, gleichartige Zinnoberpompons neben dem Lichtblau einer Schärpe einen nüchternen Charakter, der Zügelung und bewußte Steuerung der Vitalität bedeutet. So ist die Gestalt von einem starken Dualismus erfüllt. Beide Ausdruckstendenzen sind jedoch eng verwachsen als die Wesenskräfte ein- und desselben Menschen. Besonders nachdrücklich bezeugt es der Arm, indem er nicht nur mit äußerlich formaler Wirkung beide Gestaltteile verbindet, sondern auch im Ausdruck beide vereint aufnimmt: Einerseits wird er als Schranke empfunden, die sich aus dem weißen Spitzenschal heraus über den dunklen Rode legt - bis hin zum Fächer mit dem lichtblauen Akzent der Troddel, der sich mit kühler Eigenwilligkeit zwischen den vitalen Farben des Rockes durchsetzt; andererseits gibt er mit seiner festen Körperlichkeit die Vitalität der Frau selber auf neue Weise zu erkennen, zumal er die Gebärde in der Haltung der Frau - ihre Wendung aus der Profilhaltung ins Frontale - einheitlich wirken läßt, indem er formal den Oberkörper mit dem Schrittbein verbindet. In der gleichen Weise wird nun auch die Gestalt von beiden Ausdruckstendenzen ganz und gar erfüllt empfunden - vom Gesicht bekrönt - : Ausgehend von dem Impuls der glühenden Rockfarben wirkt die ganze Erscheinung vital expansiv, gleichzeitig aber konzentriert und gesammelt durch die kühle K r a f t der anderen Farbengruppe. Der Grund läßt zunächst die konzentrierende Wirkung der Gestalt besonders zur Geltung kommen, da er alle farbige Intensität ihr überläßt, - lenkt sogar aktiv auf sie hin mit den sich kreuzenden Leisten der Kulissenrückseite. Jedoch wird in den lebhaft ausbuchtend sich hodischwingenden Umrißbändern zweier Kulissen auch die sinnlich vital ausströmende Energie der Spanierin aufgenommen. In so engem Bezug zum Umriß der Gestalt wird sie wiedergegeben, daß die vordere Kulisse wie ein monumentalisierter Schatten anmutet und die Linie der hinteren den angrenzend sichtbaren Theaterraum - mit den sprühend und unvermittelt der Gestalt antwortenden Farben - wie ein Echo wirken läßt. Auch bei Delacroix steht eine Frauengestalt vor neutralem Grund: Es ist Medea, die — ein Kind mit dem rechten Ellenbogen gegen die Hüfte geklemmt im Begriff ist, das andere zu erstechen. Doch - voll getroffen von einem Lichtstrahl, der von links oben in die Felsenhöhle dringt, hält sie - wie vom Gewissen erhellt inne100 und blickt zurück, das Kind einstweilen mit der dolchbewaffneten Linken gegen den vorgestellten Schenkel pressend. Besonders deutlich wird diese Wirkung am Gesicht, da das Licht hier grell mit dem Schatten zusammenstößt, der sich wie eine Maske über die Augen legt: So zeigt sich das Gesicht plötzlich und heftig in 100 J n einigen Zeichnungen zur frühen Fassung von 1838 sind auch verfolgende Menschen in der Bildtiefe angedeutet. Wird in der Ausführung die Verfolgung jedodi allein dem Licht überlassen, bekommt sie einen übertragenen Sinn. (Über die sinnlich-sittlichen Wirkungen des Helldunkels bei Delacroix siehe den bereits zitierten Aufsatz von Strauss, Anm. 98).
Delacroix
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seiner dunklen Absicht offenbart. Gleichzeitig aber scheint die Gestalt flüchtend erneut zur Tat getrieben zu werden: Die weite Schrittspanne zwischen den Füßen tief in die Höhle hinein und der in gleicher Richtung in der Mitte des Lichtkegels zupackende Unterarm lenken dem Lichteinfall folgend nur wieder zum Dolch hin, der blau neben dem bläulichweißen Hemd des Kindes aufblitzt, in der gleichen Farbe wie der Himmel, von dem das Licht ausgeht. Ein entsprechend zwiespältiges Bild bieten nun auch die Farben und der formale Bau der Gruppe. Die elfenbeinfarbene Helligkeit des nackten Oberkörpers der Frau hebt sich heftig mit der der Kinder gegen die Dunkelheit des purpurgrauen Rockes ab - in einem Kontrast, der denjenigen des einfallenden Lichtes im Dunkel der Felsenhöhle sammelnd und konkretisierend aufnimmt. Darüber hinaus verzweigt sich das Elfenbein des Inkarnats vor dem tiefdunklen Rock: in die Brüste (die durch ein purpurnes Gewandstück auseinandergetrieben scheinen) und über die Arme zu den Kindern hin, um diese aber mit den eingewinkelten Unterarmen wie mit einer Zange zu ergreifen. Verzweifelt krümmen sich die Glieder der Kinder dagegen, im Ausdruck der Verwirrung noch gesteigert durch die bleichroten und bleichblauen Farbfetzen einiger Tuchstücke. Jedoch vergeblich: Das rechte Kind ist schon mit dem ganzen Oberkörper in die verderbenbringende Richtung des zupackenden Unterarmes gezwungen und von dem senkrecht herabstoßenden anderen Arm mit dem Dolch wie festgenagelt. Und das andere, das sidti noch mit dem ganzen Körperchen entgegenstemmt, wird von der geschlossenen Dunkelheit des Rockes eingefangen. Zwar erneuert der Rock gleichzeitig die zwiegespannte Ausbreitung der Gestalt, die das Zögern enthält, bis hin zu den weit voneinander gespreizten Füßen. Zusammenfassend zieht aber mit nur gesteigerter Wucht der feuerrote Streifen des am Saum hervorgekippten Futters - zwischen das Grün zweier Pflanzen gespannt - mit leidenschaftlicher Triebkraft in die Tiefe. 101 Der Armzange parallelgerichtet und in einem entsprechenden Winkel um das niedersteigende Bein geschlagen treibt er die mörderische Gebärde an. Für die ganze Gestalt wirkt sich diese Entschiedenheit im Ausdruck des Rotstreifens aus, mit um so größerer Uberzeugungskraft, als über den formalen Gleichklang mit der Armzange hinweg auch eine farbige Verknüpfung - kaum bewußt bemerkt, doch eindringlich - zu den Rotpunkten der Steine im Diadem besteht, die magisch den Ausdruck der Augen im Schatten begleiten. Delacroix' Bild ist also wie das von Manet in seiner farbigen und formalen Erscheinung von der dargestellten Frau geprägt, ist von Emotionen erfüllt, die von der Gestalt ausgehen. Wesentliche, für beide Maler typische Unterschiede bestehen jedoch im Charakter des emotionellen Bildgehalts und entsprechend auch in der Art der farbigen und formalen Verlebendigung.
101 Der Schritt bekommt auf diese Weise Nachdruck und wird mit Ausdruck erfüllt. Man beachte, wie durch ihn die Basis der Dreieckgruppe - welche sicher an Madonnenbilder der Renaissance erinnern soll - winklig in die Höhlung des Bodens abgeglitten erscheint.
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Zur historischen Stellung Manets
Medea ist von Leidenschaften durchdrungen, die von einer inhaltlich vorgegebenen besonderen Situation erregt und dramatisch einem Höhepunkt zu entwickelt sind. Demgemäß ist alles im Bild in Bewegung. Bei Manet dagegen wird die Leidenschaft mit kühler Beherrschung gepaart; beides gehört zum Wesen und Leben der Dargestellten - ist nicht situationsgebunden - und wird darum mit frontaler, in sich ruhender Intensität, zuständlich, von den Farben und Formen präsentiert. Besonders deutlich macht sich die andere Auffassung im Verhältnis der Gestalt zum Durchblick in den Theaterraum bemerkbar. Sie wird besonders deutlich, weil das Motiv in mancher Hinsicht dem entsprechenden bei Delacroix auch vergleichbar ist: Unvermittelt, wie in der „Medea" durch die gebogene Randung der Felsenhöhle die Weite des Gebirges und ein Stück Himmel ins Dunkel des Verstecks einbrechen und auf die Frau als eine plötzliche Bewußtseinserhellung ihres turbulenten Inneren eindringen, so tritt bei Manet ein Stück des Theaters in den geschwungenen Umriß der Kulissen, als ein Hinweis auf den Lebens- und Vorstellungsbereich der Tänzerin farbig unmittelbar auf diese bezogen. Manets Raumeinbruch hat jedoch nicht die aktiv zur Gestalt hinstoßende Kraft, mit welcher bei Delacroix die Helligkeit als Lichtstrahl auf Medea einwirkt und in dieser neue Bewegtheit auslöst. Vielmehr variiert er die farbige Erscheinung der Gestalt in echohafter Distanz und Parallelität. Bezeichnend hierfür ist, daß statt des zielgerichteten Lichtstrahls einander antwortende Farbkomplexe die Beziehung herstellen. Bei Delacroix wiederum bleibt der farbige Bezug auf den Zielpunkt des vom Licht erzeugten Aufruhrs - den Dolch - beschränkt und wird dadurch eine Zuspitzung der Bildbewegung herbeigeführt. 102 Der verschiedengearteten Auffassung beider Bilder ist nun auch das Verhältnis der Farben zueinander und zu den anderen Bildkräften angemessen. Bei Delacroix sind die Farben mit den Formen und Gegenständen, aus der inhaltlich bestimmten Ausdrucksintention hervorgetrieben, von einer entsprechenden Bewegtheit erfüllt. Eine Farbe löst die andere aus, bzw. drängen die verschiedenen Kräfte von formbewegter Farbe, Licht und Figurengebärde einander hervor. So gedrängt, verschmelzen Farbe und Form und beide wieder mit dem Gegenstand in wechselnder Art, um die Triebkräfte differenzierend zum Ausdruck zu bringen. Diesen innerhalb der Bewegung vollzogenen Gestaltungsakt überträgt Manet nun auf die zuständlich wirkenden Farben seiner Darstellung. 103 Dabei muß jede 102 Wenn die Bewegtheit des einen Bildes durch die Kraft des Lichtes angetrieben, im anderen die zuständlidie Ruhe durch frontal wirkende Farben verwirklicht wird, so dürfen daraus jedoch keine verallgemeinernden Schlüsse gezogen werden. Delacroix wechselt die Mittel, Bewegung zu erzeugen, je nach dem Sinn- und Gefühlsgehalt des Werkes. Manet seinerseits hat nur den gerichteten Lichtstrahl für immer aus seinem Werk ausgeschlossen, nicht aber Lichtwirkungen schlechthin (siehe S. 121/122). 103 Eigentümlicherweise übernimmt Manet in diesem frühen Werk auch den Wechsel von einer Ausdrucksmöglichkeit zur anderen, der ebensosehr aus der Bewegung erwachsen ist. Ähnlich wie der zupackende Arm Medeas die leidenschaftliche Äußerung des roten Rocksaumes auf-
Delacroix
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einzelne F a r b e den Gestaltungsakt (die Verschmelzung mit der F o r m , die stofflichkörperliche E r f a s s u n g des Gegenstandes und die Durchdringung mit dem E m p f i n dungswert) neu und ohne inhaltgebundenen Ausdrucksantrieb vollziehen. eigener A k t i v i t ä t erzeugen die F a r b e n darstellend den Ausdruck, um sich -
Aus in
simultanem Verhältnis einander treibend und messend - zu einem reichdifferenzierten A u s s a g e k o m p l e x zu summieren.
Courbet Manche Z ü g e , die M a n e t v o n D e l a c r o i x unterscheiden, verbinden ihn mit C o u r b e t . E s liegt nahe, solche V e r w a n d t s c h a f t e n an einem B i l d zu demonstrieren, das M a n e t motivisch und im farbigen A u s d r u c k bei der K o n z e p t i o n der „ L o l a de V a l e n c e " angeregt haben könnte: das Bildnis der T ä n z e r i n A d e l a
Guerrero. 1 0 4
Doch zeigt es nicht in besonderem M a ß e die Eigenschaften, auf die angespielt w u r d e . Z w a r kein vorgegebener Inhalt, aber die G e b ä r d e der T ä n z e r i n bleibt f ü h r e n d bei der Gestaltung des Ausdrucks. D i e F a r b e n entfalten sich gleichsam nur in ihrer Begleitung. W a s M a n e t bei C o u r b e t gewinnen konnte, ergibt sich eher bei einer genaueren Betrachtung des großen „ A t e l i e r " - B i l d e s , 1 0 s mit welchem C o u r b e t dem P u b l i k u m der Weltausstellung v o n 1 8 5 5 seine künstlerische Ideen- u n d Schaffenswelt, w i e sie sich in den letzten sieben J a h r e n entwickelt hatte, darlegen wollte.
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nimmt, so übersetzt der lässig hängende Arm der Tänzerin die Vitalität der Rockfarben in diejenige seiner körperlichen Rundung und latenten Gebärdenaktivität. Vollzog sich der Wechsel aber innerhalb der Bewegung dynamisch, so erhält er bei Manet eine klaffende Prägnanz. 158 X 158 cm, Brüssel, Musées des Beaux-Arts de Belgique; sign, dat.: G. Courbet. Bruxelles 1851. Vor allem in, Kleidung und Haltung - im Tanzschritt sogar wörtlich entsprechend - schließt sich Manets Figur der von Courbet an (geändert nach dem Modell eines zweiten Vorbildes: nach dem Bildnis Philipps IV. als Jäger von Velasquez, das Manet in einer eigenen Radierung vorliegen hatte). Aber audi durch einige Eigenheiten der Farbgebung bringt Manets Tänzerin diejenige von Courbet in Erinnerung: Wie die „Lola de Valence" ist schon „Adela Guerrero" durch erregendes Schwarz-Rot, gegen das Weiß der Bluse gesteigert, charakterisiert. (Allerdings sind bei Courbet Schwarz und Rot dichter und düsterer ineinander verwoben, während Manet das Rot mit anderen Farben bereichert sich vom Schwarz zu vitalglühender Äußerung abheben läßt). Manet kann das Bild von Courbet während einer Reise in Brüssel gesehen haben, wo es sich seit der Entstehung - gemalt für den König von Belgien - befindet. Vielleicht bewahrte Courbet aber auch eine kleinere Fassung oder Skizze in seinem Atelier und hat Manet diese gekannt? Jedenfalls nennt Courbet in der Liste der 1871 während seiner H a f t aus dem Atelier gestohlenen Bilder „Une Danseuse Easpagnole" (Charles Léger, Courbet, Paris 1929, p. 172).
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359 X 598 cm, Paris, Louvre; sign, dat.: 1855, G. Courbet. Alle nötigen Informationen findet man in der ausführlichen Veröffentlichung von René Huyghe, Germain Bazin und Hélène Jean Adhémar: Courbet. L'Atelier du peintre. Allégorie réelle I8JJ, Monographies de peintures du Musée du Louvre. III, Paris 1944. Einige zusätzliche Beobachtungen zur formalen Bewältigung des Bildthemas siehe bei Bert Schug, Gustave Courbet, Das Atelier, Reclams Werkmonographien zur bildenden Kunst N r . 9073, Stuttgart 1962.
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H o p p , Manee
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Kurz seien die Bildgegenstände mit Hilfe von Courbets eigener Erklärung 106 vorgestellt: In der Mitte der Maler selber an einer Landschaft arbeitend; hinter sich ein nacktes Frauenmodell (das immer als eine allegorische Verkörperung der „Vérité" und in dieser Bedeutung als „Muse" verstanden worden ist). Rechts befinden sich Freunde und Bewunderer des Künstlers, die durch Anteilnahme das Werk fördern. In ihrer Mitte sitzt Champfleury, Haltung und Blick ruhig und besonnen in der gleichen Richtung wie die aktive Gebärde des Malers. A m Boden bäuchlings ein Junge, der dem Maler nachzueifern sucht. Hinter dem Rücken wird Champfleury - zu Seiten eines großen Fensters - von zwei Paaren flankiert, zum Hintergrund hin „deux amoureux", nach vorn „une femme du monde avec son mari". Courbet erklärt sie nicht näher. Aber als die einzigen namenlosen Personen der rechten Seite haben sie vielleicht eine vertiefte allegorische Bedeutung, sind als „Kenner" und „Liebhaber" einander gegenübergestellt und ihnen entsprechend auch die übrigen Figuren gruppiert? Neben den „Liebhabern" im Hintergrund bilden jedenfalls fünf Freunde Courbets (Buchon, Cuénot, Proudhon, Bruyas und Promayet) eine Gruppe, während rechts hinter dem mondänen Paar am Bildrand Baudelaire (als „Kenner"?) lesend abgesondert ist, einzeln, wie vor dem Paar Champfleury. Links eine Gruppe von Menschen, die zur Vorstellungsund Bildwelt des Malers gehören ( „ . . . l'autre monde de la vie triviale, le peuple, la misère, la pauvreté, la richesse, les exploités, les exploiteurs; les gens qui vivent de la m o r t . . . " ) . Vor allen anderen sitzt ein Jäger mit zwei Hunden, hinter seinem Rücken die lang am Bildrand hochgerichtete Figur eines Juden. Auch die hintere Figurenreihe beginnt links mit Stehenden: mit einem Dorfpfarrer und einem Veteranen; es folgen verschiedene Landarbeiter, umdrängen eine hockende Gruppe von drei Menschen, die durch besonders differierende A r t auffallen: einen Tuchhändler, einen Gaukler und einen Totengräber, der neben sich einen Schädel liegen hat. Beide Figurenreihen räumlich verknüpfend kauert unmittelbar neben der Leinwand der Mittelgruppe auf dem Boden die zerlumpte Figur einer Mutter. Im Schatten der Leinwand nur als Schatten erkennbar - nicht zufällig hinter dem Totenschädel — greift ein Gipsmodell in die Höhe, mit einer Gebärde, welche diejenige der „Vérité" auf eine jammervolle Weise paraphrasiert. Dagegen steht in vollem Licht ein kleiner Junge dem Maler zuschauend so nahe vor der linken Ecke der Landschaft, daß er fast einbezogen scheint. Hinter diesen Menschen sieht man an der bildparallel verlaufenden Atelierwand Bilder in die Höhe ragen, verschwimmend diffus, als die fiktive Gestaltungswelt der vor ihnen versammelten Personen. Sie sind symmetrisch geordnet — zwei breite Streifen von zwei schmalen flankiert - und wirken dadurch zusammenfassend, vereinigen mit dem schaffenden Maler in der Mitte die Figuren seiner Vorstellungswelt; (wie diese zwischen den beiden Rücken des schräg gestellten Staffeleibildes einerseits und einer gegen die Wand gelehnten Leinwand anderer104
Bei Huyghe, Bazin, Adhémar, 1944, p. 23/24 ungekürzt wiedergegeben.
Courbet
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seits eingeschlossen sind, wurde von Schug, S. 12, beschrieben). Bis zur Gestalt der „Vérité" reicht der zusammenfassende Rhythmus der Bilder, deren rechter schmaler Streifen sie mit seiner Senkrechten streng vom Bereich der Freunde absondert. In entsprechender Weise wird die Gruppe der Freunde in der oberen Bildzone von dem Fenster der rechten Wand zusammengefaßt, konzentrierter und mit um so größerer Betonung, genau zwischen den beiden Symbolpaaren, die sich zurückbeugen, wie um ihm Raum zu geben. Die Zuordnung der übrigen Personen wird durch den riesigen Vorhang gefördert, der die Gruppe auch in der Breitenausdehnung erfaßt (bis hin zur Gestalt Promayets, über die Vermittlung eines kleineren, über die Raumecke hinweggreifenden Tuches). Doch lenkt auch er nur zum Fenster hin, daß er in der Höhe zwar beschränkt, in der Konzentrationskraft aber gesteigert wirken läßt. Die Bilder an der linken Wand und das Fenster beziehen sich eng auf das Staffelbild - jedoch in grundsätzlich verschiedenem Verhältnis. Zwischen den verschwommen sich ausbreitenden Landschaften des Grundes und der leuchtend vom Maler konkretisierten bleibt eine nahe sich berührende Verwandtschaft. Dagegen begegnen sich Fenster und Bild im Gegenüber, beide winklig einander zugewendet und ihre Helligkeit gegenseitig zu frontaler Ausstrahlung auffangend. Dabei beweist das Bild eine überlegen anziehende Spannkraft. In der gestalteten Form innerhalb der leuchtenden Farben der Landschaft scheint das Licht des Himmels strahlender als das Licht, welches vom Fenster her als künstlerische Triebkraft in die Schaffenswelt des Malers eindringt. 107 Umgekehrt bekommt die Landschaft durch die Kommunikation mit dem Licht ihre anziehend konzentrierende K r a f t im Verhältnis zu den dämmrig diffusen Bildern an der Wand, so weit und selbständig in ihrer symmetrischen Ordnung diese sich auch dehnen. So bildet die Landschaft in der Mitte einen Knoten zwischen den verschiedenen rechts und links gebreiteten Bildteilen. Auch die Figurengruppen werden von diesen Verhältnissen betroffen: Alle Personen, die von der Symmetrie der Wandbilder zusammengefaßt sind, scheinen der Welt einverleibt, welche in der Landschaft der Mitte exemplarisch gestaltet wird; die Gruppe der Freunde bleibt dagegen im Gegenüberverhältnis reserviert. Auch sind sie beide über die Mittelgruppe verknotet - indirekt über die Landschaft, unmittelbarer aber von den drei Zentralfiguren des Malers mit der „Muse" und dem kleinen Jungen. Diese befinden sich alle drei dem Bild gegenüber wie die Freunde, sind ihm aber gleichzeitig enger verbunden als die Motivfiguren links (der kleine Junge durch die Farben seines strohigen Schopfes, die „Muse" durch die geneigte Haltung des Kopfes, die von den Bäumen parallelgerichtet wiederauf107
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Die Liditwirkung des Fensters ist durch den schlechten Erhaltungszustand des Bildes erheblich beeinträchtigt. Die ganze Komposition ist aber derart auf eine Hervorhebung der Mittelgruppe hin angelegt, daß man geneigt ist, das Verhältnis im Liditaustausch für beabsiditigt zu halten, wenn es jetzt auch im Effekt sicher übersteigert ist.
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genommen wird). Besonders die Gestalt des Malers ist in ihrer Haltung von redits her entwickelt, nimmt den Rhythmus der Sitzfiguren von Baudelaire und Champfleury auf, um sich wie keine andere Figur mit der Landschaft zu vereinen, in die sie vollständig eintaucht, farbig eingebunden, die Komposition beherrschend mit dem in der horizontalen Mittellinie des Feldes ausgestreckten Arm. Der Unterschied im Verhältnis der Bildseiten zum Feld der Landschaft - der Unterschied von Gegenüber und Verwachsensein - wird vom Maler aufgehoben und der Knoten dadurch befestigt. Eine solche Komposition, in der eine imaginäre Welt von einer Kernfigur beherrscht und erschlossen wird, muß Manet stark beeindruckt haben. Alan Bowness wies bereits auf die Bedeutung des „Atelier" für Manet hin und nannte als Zeugnis „Le vieux Musicien".108 In der Tat sind die lebensgroßen Gestalten Manets in ihrem träumerisch verschlossenen Fürsichsein ähnlich wie diejenigen Courbets 109 zu Trägern eines Vorstellungsgehaltes gemadit, den sie für die Kerngestalt — den alten Straßenmusikanten — verkörpern (vielleicht verschiedene Stationen und Bilder seines Lebens, links aus der Kindheit, rechts aus der Manneszeit). Sicher spielt bei Courbet die Gebärde eine größere Rolle. Doch lassen die Figuren sie innerhalb ihrer strengen Selbstbezogenheit ruhen oder zum Stillstand kommen. Sie wird kein Mittel zur Verbindung und Mitteilung (nur bei den Liebenden, die beide aber auch im „allegorischen" Sinn eine Einheit bilden). Selbst die Gebärde der Kerngestalt, welche durch die Aktivität des Malaktes ausgezeichnet ist, wird - eingebunden in die geschlossene Komposition der Landschaft - in zuständliche Kraft überführt. In Courbets Bild greift also nicht mehr wie bei Delacroix eine Ausdrucksbewegung über das ganze Feld. Statt dessen entsteht eine neue Rhythmik zwischen den verschiedenen Einzelfiguren - je nach ihrer Bedeutung und Aussage. Auch dies hat Manet von Courbet übernommen und stärker ausgeprägt, verbunden mit einer gesteigerten Vereinzelung der Figuren. Welche Rolle nun bei solchen Einflüssen die Farben spielen, muß leider offen bleiben, da mir das Washingtoner Bild nicht im Original bekannt ist. Aber auch
108 188 X 247 cm, Washington, National Gallery, 1861-1862 entstanden. Alan Bowness (A Note on 'Manet's Compositional Difficulties'; in: The Burlington Magazine, CIII, 699, 1961, p. 276) scheint mir allerdings über das Ziel hinauszuschießen, wenn er im gleichen Zusammenhang auch „La Musique aux Tuileries" (76 X 119 cm, London, National Gallery, 1862) nennt. Er meint, nicht zufällig habe Manet hier seine Freunde, dort seine Modelle dargestellt. Doch bilden weder im einen Werk die Freunde (wie Bowness auch bemerkt), noch im anderen die Modelle das Bildthema. Auch sind sie in keiner Weise weder formal noch inhaltlich - aufeinander bezogen. Der wesentliche Einfluß Courbets beginnt erst in einer tieferen Schidit künstlerischen Gestaltens. Bowness berührt diese Schicht auch, wenn er auf das selbstbezogene Dasein der Figuren bei Manet's „Le vieux Musicien" wie bei Courbet hinweist. Ein Verständnis für die ähnliche Art des subjektiv allegorischen Sinngehaltes, den die Figuren in bezug auf die Kerngestalt anschaulich machen, gibt er aber nidit zu erkennen. 109 Bert Schug beschreibt dieses Phänomen S. 17 seiner Monographie (Reclam 9073, 1962).
Courbet
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ein anderes Bild von Manet heranzuziehen (etwa „Le Déjeuner dans l'atelier" in München, mit den verschiedenartig gestalteten Bildseiten im Verhältnis zur Kernfigur, oder „Le Portrait de Zola", mit den Bildern in der oberen Zone und den greifbaren Dingen neben der Figur) hat wenig Sinn. Denn das „Atelier" läßt wegen seines überaus s dllechten Erhaltungszustandes kaum Aussagen über die Farben zu, wenigstens nicht über deren ursprüngliche Erscheinungsweise. Nur über die Färb wähl sei unter Vorbehalt einiges bemerkt: Es scheint so, als seien die Farben der Landschaft, wie sie sich in der Mitte leuchtend hervorheben,110 maßgebend für das ganze Bild und erfüllten alles mit ihrem ideellen Wert. Verschiedene Grau- und Braunstufungen sowie tiefes Grün (die Landschaften im Hintergrund und der Vorhang!) beherrschen den Farbeneindruck. Die wenigen Buntfarben werden von ihnen getragen - diejenigen z. B., die in der Mitte einer jeden Seitengruppe auftreten: links mit warmleuchtenden Farben gleichsam eine Bresche zur Wandlandschaft und deren Abenddämmerfarben hin bilden (ausgehend von dem Jäger über das glänzend tiefgelb ausgebreitete Tuch des hockenden Händlers zum gelb-rot gemusterten Kostüm des Gauklers), rechts die beiden Frauen der Symbolpaare auszeichnen. Wie sehr sich auch diese Buntfarben in Art und Maß nach dem Thema „Landschaft" richten, wird besonders redits deutlich. Das lichtblaue Kleid der „Liebenden" - so unmittelbar neben dem Fenster - spielt unmißverständlich auf den Himmel an, das große Umschlagetuch der „mondänen" Frau mit seiner prächtigbunten Blumen- und Blattmusterung auf die Vegetation (in ihrer stilisierten, „künstlichen" Form wohl nidit ohne Bedeutung für die Charakterisierung der „Kenner"). Trifft dieser Eindruck zu, so ist audi bei Courbet die Farbgebung noch von einer vorgegebenen inhaltlichen Konzeption bestimmt. Manet löst sich also von seinem Vorbild, wenn er die Aussage einer Figur erst mit den Farben lebendig werden läßt. Dabei setzt er eine an Delacroix geschulte Vielfalt und Kraft der farbigen Empfindungswerte ein. So erhält die von Courbet angeregte Bildform mit der zuständlidien Aussagewirkung der Figuren bei Manet eine neue Intensität und Richtung. Doch sei noch ein drittes Bild von Courbet herangezogen, um das Anregungsverhältnis zu Manet in seinem Reichtum wenigstens anzudeuten: „Les Demoiselles au bord de la Seine". 111 Zwei Mädchen ruhen ausgestreckt im Gras, überschattet vom dichten Laub einer Baumgruppe, deren Stämme hinter ihren Köpfen kurz und dick aufragen. Zwischen den Stämmen wird in Teilen von wachsender Ausdehnung der Fluß sichtbar,
110 Gegen das lichte Blau des Himmels und des Meeres erhebt sich rechts ein lichtgrauer Felsen u n d v o n diesem aus eine B a u m g r u p p e mit nadi links hin sidi beugendem u n d sidi vergoldendem L a u b . V o r dem Felsen dehnt sich W a l d in schattig strahlendem G r ü n , in welches die Gestalt des Malers steingrau eingebettet ist. Links neben dem See, aus dem sidi silbrig ein Bach entwickelt, sind Wiesen in gelblidierem G r ü n wiedergegeben. 111
1 7 4 X 206 cm, Paris, Musée du Petit Palais, 1 8 5 6 / 1 8 5 7 entstanden.
Zur historischen Stellung Manets
bis ihn das Laub am linken Bildrand (neben einem Boot am Ufer) in seiner ganzen Breite freigibt, mitsamt dem Himmel darüber. Die ganze Komposition ist darauf abgestimmt, die Schwere des Ruhens wiederzugeben. Die Mädchen lagern mit der ganzen Last ihrer Schlafbefangenheit und mit der Fülle ihrer reichen Kleidung in der unteren horizontalen Bildhälfte, so daß ihre Sdiwere mit Nachdruck zur Geltung kommen kann. Und mit ähnlich geschlossenem Gewicht lagert die Laubdecke darüber, mit besonderem Bezug auf die hingestreckt schlafende vordere Gestalt. Dazwischen drängen sich Formen von vertikal aufbrechender Rhythmik und tragen eine gewisse Anspannung hinein: Von der aufgerichtet sich stützenden Gebärde des hinteren Mädchens ausgehend streben die drei Baumstämme hoch, nach links hin schmaler werdend, während der Fluß mit jedem Durchblick breiter zu sehen ist. Dadurch wird der Eindruck erweckt, der Fluß ströme nach links, so wie es der Blick des aufgestützten Kopfes anzeigt. Auch hier bleibt also die Horizontale wirksam, mit nach links hin sich senkendem Zug, dem die Gewichte der Laubdecke und der Schlafenden in der Form ihrer Ausbreitung entsprechen. Damit verdichten und schließen sich die Bildkräfte zu einem Kreislauf - dort, wo sie am weitesten auseinanderzutreiben scheinen. Die Farben unterstreichen diese Bildeinteilung: Die in hellfarbenen Kleidern aus dem Grün des Grases vorleuchtende Erscheinung der Schlafenden und das tiefe - vom silbrighellen Fluß sich abhebende - Laubgrün bilden geschlossene Farbkomplexe, die ihrerseits im gleichen Hell-Dunkel-Verhältnis aufeinander Bezug nehmen. Durch die sich verschränkenden Farbverhältnisse sind sie jeder im eigenen Gewicht betont und beide gleichzeitig eng aufeinander gewiesen.112 Vergleichsweise zurückhaltend bleiben die Farben des raumgebenden Zwischenteils. Das stumpfe Violettbraun des hinteren Mädchens und die graubraunen Farben der Stämme verbinden sich in einfachem Zusammenklang des Tons und Dunkelgrades, lassen den formalen „Kontrapost" der Bäume sprechen, ohne ihm einen Eigenanspruch neben den Hauptkomplexen zu sichern. Die Farbkomplexe sind durch einen reich bewegten, kleinteiligen Wechsel der pastos gesetzten Töne von einer starken inneren Spannung und drängenden Rhythmik erfüllt und je nach der Art der Rhythmik in ihrem unterschiedlichen Charakter vertieft. Das Grün des Laubes wechselt von Blatt zu Blatt in kräftig stoßender Formung seine Helligkeit oder auch den Ton. Dagegen erscheinen die Farben der Schlafenden blütenhaft zart, dabei in verschwenderischem Reichtum mit der lichtblauen Spitzenmusterung des Rockes und den buntdurchsetzten violettbraunen Blütenstreifen des gelblich-weißen Schals wie hingeschüttet. 112
Das Grün des Grases, von welchem sich die Schlafende abhebt, ist durdi einen heruntergebogenen Ast eng mit dem des Laubes vereint und durch die Komplementärkraft eines zinnoberroten Hutbandes in der Mitte des rechten Bildrandes mit ihm v e r k n ü p f t ; andererseits steht das silbrige Grau des Flusses, das den Laubkomplex hervorhebt, dem bläulichsdiattierenden Weiß des Kleides nahe.
Courbet
Hier schließt Manet nun an, wenn er im „Dejeuner sur l'herbe" jedem Bezirk durch eine spezifische Spannung im Farbgewebe seinen eigenen Aussagewert verleiht. Nur treibt er diese Möglichkeit weiter bis zu einer entschiedenen Trennung, um die Bezirke erst in gegenseitiger Ponderierung über die Kerngestalt zu verknüpfen. So weit geht Courbet nicht. Bei allem Eigengewicht der Komplexe bleibt eine gemeinsame Ausdrucksorientierung verbindlich. Pflanzenhaftes wird sowohl in der Laubkrone wie in der blütenreichen Erscheinung der Schlafenden angesprochen und durdi die lagernde Schwere beider Komplexe als erdverbundene Macht erlebbar. Auch die hochdrängenden Stämme stellen keine Gegenkraft dar, bringen vielmehr gemeinsam mit der Strömung des Flusses einen untergründig verbindenden Bewegungskreislauf hinein, in welchem sich das aufgestützte Gesicht des hinteren Mädchens einem Angelpunkt gleich verhält. Wie in den früheren Bildern von Courbet lassen sich also auch hier die Farben in ihrer formalen Rhythmik von einer vorgegebenen Idee führen, um diese als das durchdringende Lebensmark der Bildwelt in den verschiedenen Prägungen der Gegenstände lebendig werden zu lassen. Bei Manet dagegen vollzieht sich dieser Vorgang in jedem Bezirk neu und verändert unter der Einwirkung der Kontrastverhältnisse seinen Charakter: Farbe, Form, Gegenstand und Aussage verwachsen in jedem Bezirk zu neuer, einander treibender Intensität und bekommen dadurch in der zuständlichen Form einen suggestiven Wert, wie er vor Manet nur bei Delacroix und in Verbindung mit einer Gebärde erreicht wurde: Durch diese Intensität der einzelnen Aussagen wiederum vertieft sich — wie beschrieben - der Spannungsgraben zwischen den Bezirken, der alle Verhältnisse durchschneidet und die ohnehin flächig ungreifbar dargestellte Bildwelt zum Imaginären hin verwandelt. 113
Symbolisten Damit sind der Malerei Möglichkeiten eröffnet, die sich als außerordentlich fruchtbar erweisen sollten. 114 J a , es scheint so, als ob diese tiefste Intention von Manets farbiger Gestaltungsweise nicht unmittelbar, sondern erst nach seinem Tode eine breitere Nachfolge findet: als unter dem begeisternden Eindruck der Dichtung Mallarmes (der Manets engster Freund gewesen ist) auch die Maler sich mehren, die Erlebnisse einer inneren Schau mit ihrer Bildwelt auszulösen suchen; als Odilon Redon sich die Farben als Ausdrucksmittel für seine Traumbilder aneignet; und als Gauguin sich in der Bretagne seinen reifen Stil voller subjektiver Symbolik erobert. Gewiß steigern diese Maler ihre Gegenstände ins traumhaft Ver113
D i e Unterschiede, die von hier aus weitergreifend den ganzen Bildcharakter betreffen, sind beträchtlich. U n t e r diesem Eindruck schloß Jedlicka ( 1 9 4 1 , S. 6 3 - 6 5 ) bei einem Vergleich derselben Bilder jede Verwandtschaft überhaupt aus.
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D i e Auswirkungen von Manets Kunst sind so vielfältig und dabei so schwer zu fassen, daß sie eine eigene Untersuchung lohnen w ü r d e n , ebenso w i e die Quellen seiner Malerei. H i e r können nur A n d e u t u n g e n gegeben werden.
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fremdete und distanzieren sich dabei erheblich von Manet, der die Imagination an Gegenständen seiner täglichen Umwelt sich entzünden ließ, - distanzieren sich auch von seinen Frühwerken, die mit ihren spanischen Motiven schon eine ähnliche Sehnsucht nach dem Ursprünglichen, Vitalen, Einfachen mit der Faszination des Fremden verbinden wie Gauguins Südseedarstellungen. Doch entwickeln sie sich dabei im wesentlichen in einer von Manet schon beschrittenen Richtung weiter und lassen sich - mehr oder minder bewußt und direkt 115 - auch in ihren künstlerischen Maßnahmen von Manet anregen. Vor allem die flächige Gestaltungsweise in allen Konsequenzen für die Ungreifbarkeit der Gegenstände in einem Raum unmeßbarer Verhältnisse wird in der verschiedensten Weise fortgebildet. Odilon Redon z. B. läßt den traumhaften Charakter seiner Blumenstilleben durch flächige Erscheinungsweise lebendig werden. Uber Manet hinausgehend wird nur jeder der unzähligen Farbtöne flächig schwebend wiedergegeben und durch zart-immateriellen Auftrag in seiner irrealisierenden Qualität gesteigert. Farben solcher Art lassen die dargestellten Dinge nicht zu der Daseinsintensität kommen, die ihnen Manet durch verlebendigenden, charakterisierenden Farbstrich - selbst noch in den Spätwerken — verleiht. Vielmehr durchdringen sie die körperlos aufgerufenen gegenständlichen Erscheinungen mit ihrem magischen Wesen, das sich schon in jedem einzelnen Ton kundtut und in der Farbenbewegtheit des Bildes nur vollendet. Bei Manet dagegen wird erst durch die Schwebungen innerhalb des Farbgewebes oder im Verhältnis verschiedener flächiger Komplexe zueinander die Verwandlung entschieden, dabei das verlebendigte Leben der Dinge umwertend bewahrt. Monet Von diesen verlebendigenden Qualitäten der pastos gesetzten, energieerfüllten Farben läßt sich Claude Monet anregen. Doch verbindet er sie wiederum nicht mit dem gleichen suggestiv aussageerfüllten Wert innerhalb des schwebend irrealisierenden Bildgefüges, distanziert sich nach einer anderen Richtung ebenso von Manet wie Redon. Gerade an einem Frühwerk wie den „Femmes au jardin", 116 das sich auch noch in anderer Hinsicht - z. B. in der Flächentendenz - von Manet beeinflußt zeigt, werden die Unterschiede in den wesentlichen Bildzielen deutlich. Wichtig ist Monet vor allem die bildumfassende ungebrochene Einheit aller Gegenstände im Landschaftsraum. Um ihretwillen ist alles von der gleichen vibrierenden Bewegtheit pastos verlebendigender Farbpartikel erfüllt. Den charakteri-
115 Vielleicht bewußter als man heute anzunehmen geneigt ist. Wenn sich die nordischen Symbolisten auf Manet berufen (wie Sandblad 1954 in seinem V o r w o r t berichtet), werden sie nicht allein gestanden haben. - Immerhin wurde 1889, also in der zur Frage stehenden Zeit, die Subskription für die Schenkung der „ O l y m p i a " an den Staat durchgeführt, die Manet sehr ins Bewußtsein auch der Jüngeren rückte. 116
256 X 208 cm, Paris, Louvre; sign., 1866 gemalt.
Monet
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sierenden Fähigkeiten des Strichs wird darum kaum eine Entfaltung erlaubt und den einzelnen Farben der Zugang zur Aussage verschlossen, der Manet soviel bedeutet. Erst im Gesamtrhythmus des Farbgewebes bildet sich verhalten ein Klang, der mit demjenigen des angeschlagenen Themas harmoniert: Das Zentrum im vibrierenden Gewebe bilden die weißen und roten Blüten eines Rosengebüschs, ausgezeichnet durch den lebhaftesten Wechsel ihrer körnig hervorbrechenden Farben mit denen der tiefgrünen Blätter. Um sie bewegen sich im Halbkreis die vier Frauengestalten: Wie die Rosen zwischen den Blättern treten sie mit der zartgetönten, einander verwandten Helligkeit ihrer Kleider aus dem Laubgrün hervor, breitflächig betont vor allem gegen das Laubdach abgehoben, ihm gleichzeitig jedoch verbunden durch den fortgesetzt vibrierenden Rhythmus im Verhältnis der hellen Kleidfarben zu den dunkleren der Musterung. Im Einklang damit beschäftigen sich alle vier Frauen auch mit Blumen, jede für sich, aber in so nahem Flächenverhältnis der figuralen Erscheinung, daß ihre Gebärden in tänzerischer Weise aufeinander abgestimmt wirken. Vor allem die drei linken Frauen bilden eine zusammenhängende Gruppe, derart, daß von den Stehenden zur Hockenden mit ihrem ausgebreiteten, lichtfangenden Rock eine gleitend sich niederlassende Gebärde empfunden wird, in einer von Blumenstrauß zu Blumenstrauß hinzielenden Bewegung. Aber auch die Frau, die rechts - vom Sockel des Weges leicht weggehoben - zum Rosengebüsch hinübergreift, bleibt den anderen zugesellt. Die Gebärde ihres ausgestreckten Armes wird durch den korrespondierenden Lichteinfall zur Hockenden hingetragen - mit dem ganzen Nachdruck, den der farbige Bezug des goldbraun aufleuchtenden Haares über dem graugemusterten Kleid zum blaßblau eindringenden Himmel bewirkt. So sammeln sich in der Sitzenden die leisen Bewegungstendenzen im Rhythmus der Figuren und lassen auch das Rosengebüsch ihr vor allem zugeordnet erscheinen. Allein der schmale Baumstamm strebt entgegengesetzt gerichtet den Rosenbusch überquerend von der Hockenden aus hoch - farbig ohne Anspruch, aber mit formal zwingender Durchsetzungskraft - und gibt den stehenden Figuren an der Mittelsenkrechten des Bildfeldes Halt. Doch verzweigt er sich dann breit in das Laub hinein zu erneutem Bezug auf die Hockende, der alle anderen Hinweise zusammenfaßt. Solcherart ist im Rhythmus der Farben, Formen und Gebärden ein ständig sich erneuernder Bewegungskreislauf zu spüren, ein Atmen, das von der Sitzenden ausgeht und zu ihr zurückkehrt. Courbet wird dadurch in Erinnerung gerufen viel mehr als Manet - , insbesondere das Bild „Demoiselles au bord de la Seine". Monets Darstellung ist eine Variation des gleichen Themas, mit verwandten Mitteln ausgeführt. N u r um der leichteren, beschwingteren Auffassung gerecht zu werden, sind Anregungen von Manet aufgenommen. So mag die lebhafter und raumhaltiger bewegte Art des Farbgewebes bei größerer Weichheit im einzelnen Strich und die flächige Erscheinung der Figuren unter dem Eindruck des „Déjeuner sur l'herbe" entwickelt sein. Allerdings wird die unfaßbare Raumqualität zwischen parallel schwebenden Flächen, die Manet heftig verwandelnd neue Maß-
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Stäbe in die Gegenstandswelt hineintragen läßt, von Monet nur so weit berührt, daß die in realen Raumverhältnissen empfundenen Dinge schwerelos wirken. Die Gegenstände sind auf diese Weise der Verschmelzung in Atmosphäre und Lidit zugänglich gemacht, statt der erdhaft vegetativen Kraft Untertan zu sein, die bei Courbet den Beziehungsfaktor ausmacht. Ebensowenig ist die gegenstanddurchdringende Aussagekraft der Farben dem Beispiel von Manet entsprechend aktiviert. Die Farben ziehen die Dinge mit pastos verlebendigendem Strich in ihren pulsierenden Rhythmus, drängen dabei aber die Einzelheiten eher in anonyme Zurückhaltung. Mit ihrer Intensität und Bewegtheit lassen sie vielmehr die Kräfte erleben, die bei der Berührung mit dem Sonnenlicht in Menschen und Dingen gleicherweise frei werden. In diesem Sinn werden die Farben später noch intensiviert: in den kleinformatigen Werken, in welchen sie sich zu einem simultan erfaßbaren Klang verspannen oder verweben und dadurch eine neue suggestive Kraft erreichen. Damit entsprechen sie einer gesteigerten Macht der Atmosphäre und des Lichts gegenüber einer entfernter gesehenen Dingwelt. Indem sich diese Dingwelt mit der Eindringlichkeit vibrierender Farben erfüllt, wird ihre Begegnung mit dem Licht und dessen lebenerregendem Einfluß anschaulich.117 In allen wesentlichen Bildzielen bleibt Monet also dem befreundeten und bewunderten älteren Meister fremd. Auch als Manet sich seinerseits im Sommer 1874 von Monet befruchten läßt, erhält sich jene Fremdheit.118 Zwar bemüht sich Manet nach dem Vorbild des Jüngeren um eine einheitlich das Bild erfüllende Farbenbewegtheit, die das Licht und den atmosphäredurchdrungenen Raum der freien Landschaft enthält; aber er sucht sie mit den bewahrten Grundzügen seiner eigenen Gestaltungsweise zu vereinen. Aus beider Verschmelzung gewinnt er die persönliche Atmosphäre, läßt sie aus dem farbig erregten Leben und Wesen der Menschen und Dinge entstehen, um sie dann in eine überpersönlich einfangende Macht umzuwerten. Cézanne Von allen denen, die Manet in den 60er Jahren umgeben, nimmt gerade derjenige die wesentlichsten Anregungen auf, der Manet am kritischsten gegenübersteht und von diesem am wenigsten beachtet wird: Cézanne. Die Phantasien nach dem „Déjeuner sur l'herbe" und der „Olympia" bezeugen eine anhaltende Beschäftigung mit Manet bis in die 70er Jahre hinein und zeigen, wie die Imagina-
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Die täuschend verwandelnden K r ä f t e des Lichts, unter deren E i n w i r k u n g das Vergängliche der Gegenstände in der Zeit spürbar w i r d (Badt beschreibt sie als typisdi für Monet in: Die Kunst Cezannes, München 1 9 5 6 , S. 1 0 4 / 1 0 5 ) , finden sich erst in einer späteren Entwicklungsstufe.
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Es haben sicher nicht nur äußere oder äußerliche Gründe Manet dazu bewogen, den Separatausstellungen seiner Freunde fernzubleiben.
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tionskraft der beiden Vorbilder diejenige Cézannes hat bewegen können. Das Ergebnis dieser Beschäftigung macht sich eindringlicher aber in der Art von Cézannes Entwicklung selber geltend: in dem Wandel von der leidenschaftlichen Gebärdensprache mit den flammenden Farbenbewegungen seiner frühen Bilder (von denen die meisten auch noch themenbestimmt sind) zur gebändigten Energie der Stilleben um 1870. Es ist ein ähnlicher Wandel in der Bildauffassung und einem entsprechenden Einsatz der Farben, wie er von Delacroix' „Medea" zur „Lola de Valence" gefunden wurde. Auch Cézanne läßt nun die gesammelte Energie der Farben eine zuständlich gesehene Gegenstandswelt mit einem allein aus ihrer K r a f t erregten Ausdrucksleben durchdringen. Das Stilleben aus der Sammlung Bernheim z. B. (63 X 80 cm) - jetzt unter dem Titel „Nature morte à la bouilloire d'étain" im Louvre, Paris - ist von einem solchen Leben erfüllt. Auf einem von links über die ganze Bildbreite hinüberreichenden Brett von bleichem Ocker 119 befinden sich einige rustikale Geräte, von dichtgrauem Grund abgehoben. Besonders der redite „schwebende" Teil des Brettes ist dicht mit verschiedenen Dingen gefüllt, beherrscht von zwei gedrungenen nebeneinander ragenden Gefäßen: einer grau aus dem Grau des Grundes hervormodellierten Zinnkanne (deren leuditend ockerfarbener Henkel sie nach links hin zu drängen scheint) und einem gerade hochgerichteten Tontopf von tiefglänzendem Grün mit breiter, heller Mündung. Auf der linken Seite dagegen, wo das Brett im Rahmen verankert wirkt, sind nur zwei geringe Akzente zu finden: eine Zinndose und ein Apfel von fahlkühlem Gelb (abgehoben vom bleichen Ocker des Brettes durch den Zinnoberanflug der Backe und den Schatten auf der anderen Seite). Doch werden Dose und Apfel ebensowenig als „leicht" empfunden wie die Dinge rechts als „schwer". Während diese empordrängend im Ausdruck ihrem Gewicht entgegenwirken und nur den der Dichte und Fülle gelten lassen, ziehen die Akzente links den Druck der umgebenden weiten Flächen auf sich. Der Apfel ist als einziger Gegenstand ganz von der Fläche des Brettes eingefangen und der lagernden Schwere des horizontalen Bandes unterworfen, das seinerseits die ungebrochene, lastende Weite der Graugrundfläche - vom Akzent der Zinndose angezogen - über sich hat. Die Macht solcher Aussagen ist in den Akzenten enthalten, wenn sie farbig alternierend den großen Gefäßen rechts entsprechen. Alle diese einzelnen Gegenstände sind von einem kalkweißen Tuch zusammengefaßt, das - mit schwärzlichen Schatten gebauscht und gefaltet - nach jeder Seite einen Zipfel ausschickt und einen dritten breit in der Mitte des Brettes frontal 119
Ohne statische Befestigung, wie das Gitter des „ B a l c o n " v o n Manet. Z w a r lassen einige Andeutungen erkennen, daß ein B o r d gemeint sei. Die Schatten des Brettes und einer herabhängenden Tuchecke zeichnen sidi schwärzlich auf einem zweiten ockergrauen Brett ab. Redits sind die Konturen des senkrecht abgrenzenden Brettes wiedergegeben. A b e r selbst v o n diesen Senkrechten geht keine stützende W i r k u n g aus. D a bei solchen Andeutungen v o r allem die Gelegenheit zu tiefen Sdiatten wahrgenommen w i r d , ist vielmehr der Eindruck des Sdiwebenden, Ortlosen gesteigert.
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über die Kante hängen läßt, die schwärzliche Schattenzone des Brettes durchstoßend. So kommt durch das Tuch eine zentrierende Note in die Komposition. Die Zweiheit im Rhythmus der gereihten Gegenstände wird jedoch nicht aufgehoben, im Gegenteil durch das schwarze Messer - indem es schräg über das Tuch zur senkrechten Grenzlinie der rechten Gerätegruppe hinstößt - zur Zweiteilung hin verschärft. Der rechte Teil des Tuches ist wie abgeschnitten und mit zwei Zwiebeln in lebhaften Farben (die rechte rotbraun, violettbraun mit grünen Blättern die andere) und zwei bleichweißen Eiern vor den beiden ragenden Gefäßen und mit diesen zusammengedrängt. Der größere Teil wird dagegen der linken Bildseite zugewiesen, wo sich über bleichem Ocker sein noch bleicheres Weiß — vom fahlgelben Akzent des Apfels ausgehend und von dem der Zinndose erneut angetrieben - zur herabstoßenden Ecke hin entfaltet. So sind die beiden ursprünglich eng verwadisenen Bildseiten mit verschieden gearteten Kräften gegeneinandergesetzt, für deren Verhältnis sich die bewahrten verbindenden Momente (das Brett und das konzentrierende Tuch) nur spannungsteigernd auswirken. Rechts ist drängende Fülle wesentlich für den Eindruck, links Weite. Mit der Weite verbindet sich lastende Schwere, die in den Akzenten gesammelt wird und in dem Tuch eine mit fahlhell aufbrechenden Farben in die Tiefe treibende Richtung annimmt. Auch redits bleiben die fahlen Farben wirksam, dringen mit dem Brett, dem Tuch und dem Grund hinüber; aber ihre Macht ist gebrochen und ihr Ausdruck verwandelt durch die schwellend hochdrängende Kraft der Dinge. Schon die graue Kanne mit den bleichen Eiern zu Füßen setzt sich mit diesem anderen Ausdruck durch, vollends der Tontopf mit seinem starken Grün über den braunrötlichen Zwiebeln und der helleuchtenden Mündung. Beide Bereiche steigern sich in der Kraft des verschiedenen Ausdrucks zur Mitte, zum scheidenden Messer hin - derart, daß zwischen der herabstoßenden Tuchecke und dem hochstrebenden Topf eine strenge, einander fordernde Gegnerschaft der Formgebärden entsteht, beide - in gleicher Nähe zur Bildachse - an dieser ausgerichtet. Alle Kräfte, die mit den Gegenständen auf dem Brett in horizontaler Ausbreitung gegeneinandergesetzt sind, scheinen damit hier - an der Bildadise - zu kreuzförmiger Ausstrahlung aneinanderzuprallen. Die beschriebenen Dinge sind mit pastosen, dicht ineinandergreifenden Farbstrichen verlebendigt. Ein Strich drängt den anderen hervor, je nach dem Volumen des Gegenstandes auch im Ton variierend. In verfeinerter Art ist es die gleiche Farbenbewegtheit, wie sie in früheren Bildern vom themabestimmten, leidenschaftlichen Ausdruck hervorgetrieben wurde. Innerhalb der sachlichen Welt ruhig geordneter Dinge erzeugt sie nun aber aus eigener Kraft ansetzend - nach dem Beispiel von Manet - gegenstandbildend ein geheimes Empfindungsleben. Stoffliche Eigenheiten, aus denen Manet einen so großen Reichtum an Empfindungsdifferenzierungen schöpft, läßt Cézanne allerdings nur wenig zur Entfaltung kommen. Es überwiegt der Eindruck einer kompakten Materialität, an welcher sich die Kraft der Farbformung beweisen muß. So vergegenwärtigen sich die ver-
Cézanne
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schiedenen Ausdrucksintentionen der Farben in den Gegenständen in verwandter intensiver Art. Gleichwohl entsteht auch bei Cézanne ein Eindruck von Reichtum. Er beruht aber mehr auf der K r a f t und Erfülltheit der Aussagen als auf wechselnder Vielfalt. Das in den Dingen erzeugte Leben wirkt sich auch auf die gegenseitigen Verhältnisse, den Rhythmus in der Komposition aus und erweitert sich in diesem. Was die Gegenstände an Aussagegehalt erfüllt, bekommt je nach der Art der Verhältnisse im Bildfeld Bedeutung und Sinn. Das Prinzip der Paarung wird in den beiden Gefäßen rechts mit so betonter Gewichtigkeit und mit den Zwiebeln und Eiern in so drängender Fülle angesprochen, daß in diesem Teil des Bildes Vorstellungen von Zeugung und Leben schlechthin entstehen, am lebhaftesten im tiefgrün ausgezeichneten Tontopf. Die entgegengesetzt mit bleichem Weiß aus bleichem Ocker in Schattentiefe hineinstoßende Tuchecke dagegen scheint Todeshinweise zu enthalten und vom Apfel als einem Zeichen des Herbstes auszugehen. Das schwarze Messer kennzeichnet eindringlich die scharfe Scheide zwischen beiden Bereichen. Dennodi bleibt der „Bereich des Lebens" dem anderen eng verwachsen (durch das von links hinüberreichende Brett und den in gleicher Richtung unter dem Messer hinwegdrängenden Zipfel des weißen Tuches), als ob seine Wurzeln im Jenseitigen zu suchen seien. Dementsprechend ist sein Verhältnis zu ihm auch nicht einfach im Gegensatz zu verstehen. Beide Mächte scheinen der gleichen Urkraft zu entstammen und lassen diese selbst beim kontrastierenden Aufeinanderprallen im einander bedingenden Verhältnis noch erkennen. So wird in den „sachlichen" Gegenständen des Stillebens durch die gestaltende K r a f t der Farben ein Sinngehalt von einer Bedeutungsschwere und einem Ernst lebendig, wie Manet ihn nur in großen Figurenkompositionen zu erreichen sucht, an überkommenen Gattungsbegriffen festhaltend. Der Art nach unterscheiden sich Manets Stilleben zwar nicht von seinen großen Kompositionen. Für sich genommen erregen sie in entsprechender Weise Empfindungen und Imaginationen wie innerhalb der Figurendarstellungen (etwa wie im „Déjeuner dans l'atelier" oder im „Déjeuner sur l'herbe"). Sie sind in der Regel aber nicht mit so schwerem, schicksalhaftem Vorstellungsgut belastet. Erst Cézanne hebt die Rangunterschiede zwischen den Bildgattungen ganz auf. 120 120 M a n w i r d also dem Einfluß, der sich in dem besprochenen Bild wirksam zeigt, und Cézannes eigener Leistung nicht ganz gerecht, wenn man nur Manets Stilleben in Betracht zieht, w i e es z. B. M e y e r Schapiro f ü r das gleichzeitige Stilleben mit der schwarzen U h r v o n Cézanne getan hat (in: Paul Cézanne, deutschsprachige Ausgabe K ö l n 1 9 5 7 , S. 36). Hinter beiden Bildern steht die Auseinandersetzung mit dem O e u v r e Manets überhaupt. M e y e r Schapiro würdigt auch an anderer Stelle die Breite des Einflusses und nennt als bedeutendstes Beispiel das Doppelportrait v o n A l e x i s und Z o l a in S a o Paulo (S. 26). Doch faßt er Manets Oeuvre nach überkommener Weise als „reine Malerei" auf und sieht in diesem Sinne keinen U n t e r schied zwischen Figurendarstellungen und Stilleben. Reine Malerei, wie M e y e r Schapiro sie definiert, hätte Cézanne aber nicht ernsthaft anregen können („Reine Malerei bedeutete, sich dem Sichtbaren als einer vollendeten Welt, die als ein G e f ü g e von Farbtönen begriffen wird,
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Die Beschreibungen dieses Kapitels versuchten ansdiaulidi zu machen, aus welch verschiedenen Richtungen Manet Einflüsse verarbeitet, um sich seine besondere A r t der farbigen Bildgestaltung zu schaffen, und in welch verschiedene Richtungen diese ihrerseits ihre Wirkung ausübt. Die Spannweite und die Strahlkraft seiner Kunst kommen darin zum Ausdruck. Mit dieser K r a f t erreichen Manets Werke als Impuls f ü r die Entwicklung der Malerei im 19. Jahrhundert ebenso große Bedeutung wie als Kunst schlechthin.
hinzugeben, ohne eigene Ideen oder Gefühle über die dargestellten Dinge einzumischen", S . 2 j ) . K u r t Badt, der ebenfalls diese A u f f a s s u n g v o n Manets Bildwelt teilt, leugnet auch ganz folgerichtig jeden wesentlidien Einfluß (in: D i e Kunst Cezannes, München 1 9 5 6 , S . 1 9 4 - 1 9 8 ) . Allein als Herausforderung habe die Kunst Manets auf Cezanne belebend gewirkt.
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Es werden nur Autoren zitiert, die für diese Arbeit von Wichtigkeit waren. Ausführliche Literaturangaben siehe bei Jamot-Wildenstein 1932, Florisoone 1947 und im Katalog der Manet-Ausstellung, Philadelphia-Chicago 1966/1967.
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Farbprobleme
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Namenverzeichnis Adhémar, Hélène Jean
145, 146
Badt, Kurt 135,141,154,158 Bataille, Georges 99 Battes, Alexander 141 Bauch, Kurt 99, 101 Baudelaire, Charles 136 Bazin, Germain 145, 146 Bazire, Edmond 80 Bercken, Erich von der 2, 127 Blanche, Jacques-Emile 136 Bowness, Alan 2, 132, 148 Busch, Günter 86, 104, 137 Campin, Robert 53 (Salting-Madonna - „The Virgin and Child before a Fire-Screen" London, National Gallery) Cézanne, Paul 1 1 2 / 1 1 3 („Portrait de Gustave G e f f r o y " , Paris, R . Lecomte), 155-157 („Nature morte à la bouilloire d'étain", Paris, Louvre) Courbet, Gustave 145 (Bildnis der Tänzerin Adela Guerrero, Brüssel, Musée des BeauxArts), 1 4 5 - 1 4 9 („L'Atelier", Paris, Louvre), 1 4 9 - 1 5 1 , 153 („Les Demoiselles au bord de la Seine", Paris, Musée du Petit Palais) Davies, Martin 51, 1 1 4 Degas, Edgar 8 0 , 1 1 2 / 1 1 3 („Portrait de Duranty", Glasgow, Art Gallery and Museum) Delacroix, Eugène 1 2 7 ; 1 4 1 / 1 4 5 , 155 („Médée furieuse", Paris, Louvre); 1 5 1 Deri, Max 22, 95 Dittmann, Lorenz 8 Egan, P.
24
Faison, S. Lane 98 Farwell, Beatrice 95, 97 Florisoone, Michel 97, 136, 137
Gauguin, Paul 136,151/152 Giorgione 24, 1 1 6 („Le Concert champêtre", Paris, Louvre) Goya, Francisco de 4 5 , 5 3 , 9 9 („El très de Mayo", Madrid Prado) ; 120 Held, Jutta 5 3 Huyghe, René 1, 2, 132, 135, 1 4 1 , 145, 146 Jantzen, Hans 1, 3, 86, 94, 104, 127, 137 Jamot, Paul 80,95,96/97, 1 1 2 , 1 1 3 Jamot, Paul - Wildenstein, Georges 33 Jedlicka, Gotthard 20, 21, 22, 90, 93, 95, 98, 100, 1 0 1 , 1 0 2 , 103, 1 5 1 Kaufîmann, Georg
m
Léger, Charles 145 Leonhard, Kurt 100 Mallarmé, Stéphane 137, 1 5 1 Manet, Edouard (nicht im Inhaltsverzeichnis enthaltene zitierte Werke): 35 („Victorine Meurend en costume d'espada", N e w Y o r k , Métropolitain Museum of Art), 80, 148 („Le vieux Musicien", Washington, National Gallery), 107 („Maison de Rueil", Berlin, Staatliche Museen), 1 2 1 („Le Port de Boulogne au clair de lune", Paris, Louvre), 1 4 1 - 1 4 5 , 1 5 5 („Lola de Valence", Paris, Louvre), 122 (Fliederstrauß - „Lilas blancs dans un case de verre", Berlin, Staatliche Museen) Marc Anton - siehe Raimondi Martin, Kurt 5 1 , 94, 99 Meier-Graefe, Julius 83, 95, 96, 100, 102, 103 Monet, Claude 1 5 2 - 1 5 4 („Femmes au jardin", Paris, Louvre)
Namenverzeichnis
164 Niemeyer, Wilhelm
103
Poussin, Nicolas 1 1 1 - 1 1 3 (Selbstportrait, Paris, Louvre) Raimondi, Marcantonio 19/20 („Urteil des Paris", Stidi nadi einer Antikenstudie Raffaels) Reff, Theodor 95, 97 Redon, Odilon 1 5 1 , 152 Reifenberg, Benno 94,97 Sandblad, Nils Gösta 44,45, j i , 95, 97, 98, 99, 135» 15z Sdiapiro, Meyer 157 Sdieffler, Karl 99 Schöne, Wolfgang 127 Schug, Bert 145, 147, 148
Sloane, Joseph C. 99 Strauss, Ernst 16, 141, 142 Tabarant, Adolphe 33,35 Tintoretto, Jacopo 1 1 2 (Bildnis eines Unbekannten, ital. Kunsthandel) Tizian 35,96,134 („Venus von Urbino", Florenz, Uffizien) Tschudi, Hugo von 3, 93, 102 Velazquez, Diego de 35, 108 („Christus bei Maria und Martha", London, National Gallery), 108-110 („Las Meninas", Madrid, Prado), 145 (Bildnis Philipps IV. als Jäger, Madrid, Prado) Waldmann, Emil
93
Sachverzeichnis (Es wird nur auf Stellen verwiesen, an denen die angeführten Stichwörter ausdrücklich zitiert oder erörtert werden.)
Bildatmosphäre 1 1 5 / 1 1 6 , 126, 135 Bildgefüge 1 1 3 - 1 1 6 Bildornament 2, 3
Fläche, flädienbetonende Bildgestaltung 2; 50, 132/133 (in ihrer Bedeutung für den Bildraum) Freilichtmalerei 83
Darstellungswert der Farben - siehe Farben Gestaltungswert der Farben - siehe Farben Eigenwert der Farben - siehe Farben Empfindungswert der Farben - siehe Farben Farben Farbton 8 Farben Verhältnisse 1 1 6 (nahe und übermäßige Intervalle), 1 1 6 / 1 1 7 (Komplementärkontrast), 1 1 7 - 1 1 9 (Möglichkeiten im Wandel des Bildgefüges) Farbauftrag, Farbformung, Farbstruktur 122/123 Gestaltungswert der Farben 124, 127, 137 Empfindungs- bzw. Aussagewert der Farben 124, 127, 137, 141 Eigenwert und Darstellungswert der Farben 1 , 127 Sdiönheitswert der Farben 127/128
Hell/Dunkel 16, 1 1 9 - 1 2 2 Helldunkel 16, 120 Japanischer Farbholzsdinitt
132
Kerngestalt 107/108; i i o / m Portraitwert der Kerngestalt) Komplementärkontrast - siehe Farben, Farbenverhältnisse Licht
92,144,154
Reine Malerei Stilleben 157
1, 103, 136, 157/158
Symbolismus 136 (im Werk Manets) Symbolisten 135, 136, 1 5 1 / 1 5 2
Bilderverzeichnis (nach Aufbewahrungssorten)
BERLIN, STAATLICHE MUSEEN
Manet, Edouard: „Dans la Serre" 7 3 - 7 7 , 101/102 „Maison de Rueil" 107 „Fliederstrauß (Lilas blancs dans un vase de verre)" BREMEN,
122
KUNSTHALLE
Manet, Edouard: „Le Portrait de Zacharie Astruc"
33-39, 97/98
B R Ü S S E L , M U S É E DES B E A U X - A R T S
Courbet, Gustave: Bildnis der Tänzerin Adela Guerrero FLORENZ,
14j
UFFIZIEN
Tizian: „Venus von Urbino"
3$, 96, 134
GLASGOW, A R T G A L L E R Y AND MUSEUM
Degas, Edgar: „Portrait de Duranty"
112/113
HAMBURG, KUNSTHALLE
Manet, Edouard: „ N a n a " ITALIEN,
80-84, 102/103
KUNSTHANDEL
Tintoretto, Jacopo : Bildnis eines Unbekannten LONDON, COURTAULD INSTITUTE
GALLERIES
Manet, Edouard: „Un Bar aux Folies-Bergère" LONDON, NATIONAL
112
85-92, 103/104
GALLERY
Campin, Robert: „Salting-Madonna (The Virgin and Child before a Fire-Screen)" Velazquez, Diego de: „Christus bei Maria und Martha" 35, 108 MADRID,
PRADO
Goya, Francisco de: „El très de Mayo" 45, 53, 99 Velazquez, Diego de: „Las Meninas" 108-110 Bildnis Philippis IV. als Jäger 145 MANNHEIM,
KUNSTHALLE
Manet, Edouard: „L'Exécution de l'Empereur Maximilien"
45—54, 98/99
53
167
Bilderverzeidinis M Ü N C H E N , BAYERISCHE STAATSGEMÄLDESAMMLUNGEN
Manet, Edouard: „Le Déjeuner dans l'atelier"
7 - 1 5 . 93/94
N E W Y O R K , MÉTROPOLITAIN MUSEUM OF A R T
Manet, Edouard: „Victorine Meurend en costume d'espada"
35
PARIS, R . LECOMTE
Cézanne, Paul: „Portrait de Gustave G e f f r o y "
112/113
PARIS, LOUVRE
Cézanne, Paul: „Nature morte à la bouilloire d'étain" Courbet, Gustave: „L'Atelier" 145-149 Delacroix, Eugène: „Médée furieuse" 1 4 1 - 1 4 5 , 155 Giorgione: „Le Concert diampêtre" 24, 1 1 6 Manet, Edouard: «Lola de Valence" 1 4 1 - 1 4 5 , 155 „Le Déjeuner sur l'herbe" 1 5 - 2 6 , 94/95 „Olympia" 26-33, 9 ^ 9 7 „Le Portrait de Zola" 40-44, 97/98 „Le Balcon" 54-58, 100 „Le Port de Boulogne au clair de lune" 121 „ L e Portrait de Stéphane Mallarmé" 77-80, 102 Monet, Claude: „Femmes au jardin" 152-154 Poussin, Nicolas: Selbstportrait m-113
155-157
PARIS, M U S É E DU P E T I T PALAIS
Courbet, Gustave: „Les Demoiselles au bord de la Seine" TOURNAI, M U S É E DES B E A U X - A R T S
Manet, Edouard: „Argenteuil" $9-65, 100/101 „Chez le Père Lathuille" 65-73, 1 0 1 WASHINGTON, N A T I O N A L G A L L E R Y
Manet, Edouard: „Le vieux Musicien"
80, 148
1 4 9 - 1 5 1 , 153
Bildnachweis Berlin, Nationalgalerie 10 Bremen, Kunsthalle 4 Hamburg, Kunsthalle 12 London, Courtauld Institute Galleries 13 München, Foto Blauel 1, 6 Tournai, Foto J . Messiaen 8, 9 Versailles, Service Photographique des Musées Nationaux 2, 3, 5, 7, 1 1
Bildtafeln
5- Le Portrait de Zola, 145 X 1 1 4 cm, Paris - Louvre
7- Le Balcon, 169 ,< 125 cm, Paris - Louvre
8. Argenteuil, 149 X 1 3 1 cm, Tournai - Musée des Beaux Arts
1 1 . Le Portrait de Stéphane Mallarmé, 26 X 34 cm, Paris - Louvre
12. N a n a , 154 X 1 1 6 cm, H a m b u r g - Kunsthalle