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German Pages 275 [282] Year 2022
Zwischen Skepsis und Staatskult Neue Perspektiven auf Ciceros De natura deorum Herausgegeben von Christopher Diez und Christoph Schubert
Klassische Philologie Franz Steiner Verlag
Palingenesia | 134
Palingenesia Schriftenreihe für Klassische Altertumswissenschaft Begründet von Rudolf Stark Herausgegeben von Christoph Schubert Band 134
Zwischen Skepsis und Staatskult Neue Perspektiven auf Ciceros De natura deorum
Herausgegeben von Christopher Diez und Christoph Schubert
Franz Steiner Verlag
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung
Coverabbildung: Phönix aus einem byzantinischen Mosaik aus Antiochia am Orontes, jetzt im Louvre (Paris) © akg-images / Erich Lessing Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2022 Druck: Memminger MedienCentrum, Memmingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-13326-5 (Print) ISBN 978-3-515-13327-2 (E-Book)
INHALTSVERZEICHNIS
Christopher Diez / Christoph Schubert Einleitung ................................................................................................................. 7
I.
RELIGIONSGESCHICHTLICHE UND RELIGIONSWISSENSCHAFTLICHE PERSPEKTIVEN AUF DE NATURA DEORUM
Wilfried Stroh Cicero und die römische Religion ......................................................................... 15 Jörg Rüpke Cicero’s philosophy of piety seen through the lens of urban religion ................... 41 Elisabeth Begemann Was haben die Götter mit Gerechtigkeit zu tun? Ciceros Theorie zwischen ratio und Resonanz ................................................................................................ 55
II.
DE NATURA DEORUM UND DIE QUELLENFORSCHUNG: CHANCEN UND GRENZEN EINES PROMINENTEN FORSCHUNGSANSATZES
Holger Essler Epikurs theologische Aussagen bei Cicero und Philodem ................................... 79 Christopher Diez Ciceros De natura deorum und die deutsche Quellenforschung. Wissenschaftsgeschichtliche Überlegungen zu einer problematischen Verbindung ........ 95
III.
DIALOG UND RHETORIK: ZUR LITERARISCHEN GESTALT DES WERKES
Clara Auvray-Assayas Stratégies auctoriales dans la construction du De natura deorum: Le philosophe Cicéron et le personnage muet ..................................................... 117 Raphael Woolf Cicero’s Academy Award.................................................................................... 129
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Inhaltsverzeichnis
Gernot-Michael Müller Perlegi tuum paulo ante tertium de natura deorum [librum]. Zur inhaltlichen und kommunikativen Beziehung zwischen Ciceros De natura deorum und De divinatione ................................................................ 147
IV.
CICEROS RELIGIONSPHILOSOPHISCHES PROJEKT IM SPIEGEL SEINER REZEPTION
Jochen Sauer Die Schule des Gaius Aurelius Cotta in De natura deorum. Die akademische Kritik an Balbus’ Argumentation im Spiegel ihrer Rezeption in De legibus und bei Minucius Felix ........................................................................................ 173 Dagmar Kiesel Cicero als Kronzeuge im Streit zwischen Iulian und Augustin oder: Was dachten Cicero und die Stoa wirklich über die sexuelle Begierlichkeit? .... 201 Jörn Müller Portrait of the skeptic as a young man. Ciceros De natura deorum im Lichte von David Hume .................................................................................................. 233
INDEX RERUM ET NOMINUM NOTABILIORUM ....................................... 267
STELLENREGISTER ......................................................................................... 271
EINLEITUNG Christopher Diez / Christoph Schubert Der vorliegende Sammelband geht auf eine Tagung zurück, die im Januar 2018 vom Lehrstuhl für Klassische Philologie (Latein) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) ausgerichtet wurde. Kolleginnen und Kollegen aus nah und fern trugen zwei Tage lang aus unterschiedlichen Fachrichtungen und Forschungstraditionen über Ciceros De natura deorum vor und fragten nach neuen Perspektiven auf Ciceros religionsphilosophisches Hauptwerk. Die Herausgeber des Sammelbandes freut es ganz besonders, dass Kollegen, die terminbedingt nicht nach Erlangen kommen konnten, ihre Überlegungen im Nachgang zur Tagung dennoch zur Veröffentlichung eingereicht haben und sich das Tagungsgespräch auf diese Weise in bester ciceronischer Dialogtradition weiterspinnen konnte. Dass die Tagung überhaupt stattfinden konnte, ist allen voran der großzügigen Förderung durch die Fritz Thyssen-Stiftung zu verdanken, die das Erscheinen des Bandes zudem durch die Übernahme der Druckkosten ermöglicht hat. Darüber hinaus trugen Tanja Dippold, Dr. Maria Jennifer Falcone, Ines Kindervater und Wolfgang Srb vor Ort zum Erfolg der Tagung bei; ihnen allen sei an dieser Stelle nochmals herzlich gedankt. Ein großer Dank geht auch an Herrn Prof. Dr. Peter Dabrock, der sich am Abend des ersten Konferenztages als Keynotespeaker für eine öffentliche Podiumsdiskussion zur Verfügung stellte. Als Vorsitzender des Deutschen Ethikrates und zugleich Professor für Systematische Theologie in Erlangen griff er in einem Impulsvortrag das Tagungsthema auf und tastete das Spannungsfeld von Religion, Politik und Philosophie aus einer aktuellen Perspektive ab. Im anschließenden Podiumsgespräch mit Prof. Dr. Gernot Michael Müller, Prof. Dr. Jörg Rüpke und Prof. Dr. Christoph Schubert fragte er danach, worin sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem heutigen Diskurs und Ciceros Religionsphilosophie auftun und welche Rolle (religions-)philosophische Überlegungen für heutige Entscheidungsprozesse innerhalb der Politik und der Zivilgesellschaft spielen können. Schließlich sei auch dem Franz Steiner-Verlag herzlich gedankt, der die Drucklegung des Tagungsbands in professioneller Weise begleitet und ermöglicht hat. Ein besonderes Verdienst kommt dabei Tanja Dippold zu, die in gewohnt verlässlicher Weise die Druckvorlage erstellt hat. *** Die einzelnen Beiträge zeigen in der Vielfalt der gewählten Themen und Fragestellungen, dass die Beobachtung, die C. Lévy bereits vor knapp dreißig Jahren zur
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Christopher Diez / Christoph Schubert
Erforschung von De natura deorum machte, immer noch nichts von ihrer Gültigkeit verloren hat: „Le De natura deorum est certainement, de tout le corpus philo-sophique cicéronien, le traité dont l’exploration, malgré tout le travail déjà entrepris, offre, pour de très longues années encore, le plus de possibilités à la recherche.“1 Auch wenn die hier versammelten Forschungsperspektiven von der Editionsphilologie und Quellenforschung über die Religionswissenschaft und rhetorisch-philologische Einzelanalyse bis hin zur Rezeptionsgeschichte reichen und Forschungstraditionen verschiedener Länder und Fächer vereinen, zeigen sich in der Gesamtschau doch übergreifende Forschungsdesiderate, die in ganz unterschiedlichen Beiträgen auftauchen und diskutiert werden. Dazu zählen allen voran der erklärungsbedürftige Schlusssatz des Werkes und Ciceros Verzicht auf die Übernahme der skeptischen Widerlegungen zugunsten einer weitgehend stummen Beobachterrolle. Dass sich gerade in diesen hermeneutisch grundlegenden Fragen keine communis opinio herausbilden konnte, lässt sich wohl am ehesten so deuten, dass das Gesamtverständnis und die Zielsetzung der Schrift immer noch nicht zufriedenstellend geklärt sind. Wenn der vorliegende Sammelband einen Beitrag dazu leistet, diese Fragen wieder deutlicher in den Diskurs zu rücken und weitere Forschungen zu De natura deorum anzuregen, hätte er bereits ein wichtiges Ziel erreicht. *** Die erste von insgesamt vier Sektionen des Bandes geht der Frage nach, welche Rolle die römische Religion in De natura deorum spielt. Dabei ist zunächst danach zu fragen, wo und auf welche Weise die römische religio innerhalb des Dialogs überhaupt zur Sprache kommt, da sich die einzelnen Reden hauptsächlich um die Vorzüge und Schwächen der epikureischen und stoischen Götterbilder drehen, nicht jedoch um die Eigenheiten der römischen Religion. Cicero selbst scheint diesen Umstand bemerkt zu haben, da er im Proömium gerade der hellenistischen Religionsphilosophie eine große Bedeutung für die kultische Praxis Roms beimisst.2 So beeinflusse die Wahl eines religionsphilosophischen Ansatzes laut Cicero nicht nur die konkrete religiöse Praxis, sondern wirke sich auch auf das soziale Miteinander und die Stabilität des Staates aus. Je nachdem für welches religionsphilosophische Modell sich die gebildete römische Oberschicht entscheide, könne sie somit einen Beitrag zur Stabilisierung von Kult und Staat oder zu dessen Schwächung und weiterer Zerrüttung leisten. Die einzelnen Beiträge stellen sich daher die Frage, inwieweit Cicero diesem Anspruch gerecht wird und wo bzw. auf welche Weise die römische Religion innerhalb des Werkes erscheint. Einen grundlegenden Überblick über das Thema dieser ersten Sektion liefert der Beitrag von Wilfried Stroh,3 der sicherlich zu den profiliertesten Cicero1 2 3
Lévy, Carlos, Recherches sur les „Académiques“ et sur la philosophie cicéronienne, Rom 1992, 557. Vgl. Cic. nat. deor. 1,1-4. Leicht modifizierte Version eines bereits als Sonderdruck (Memorabilia 6, herausgegen von den Freunden des Riemenschneider-Gymnasiums, Würzburg 2010) veröffentlichten Vortrags.
Einleitung
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Kennern im deutschsprachigen Raum zählt. Am Beispiel von Cicero fragt Stroh danach, welche Rolle die Religion im Leben eines gebildeten Römers der Oberschicht gegen Ende der Republik tatsächlich spielte. Auch wenn Cicero laut Stroh nicht als ein besonders religiöser Mensch gelten kann, spielten die Besonderheiten der römischen Religion eine wichtige Rolle bei seiner Verbannung nach Griechenland und bei den anschließenden Versuchen, sein altes Haus in Rom zurückzubekommen. Anhand ausgewählter Passagen aus Ciceros Reden aus dieser Zeit zeigt Stroh, wie kundig Cicero in kultischen Fragen argumentieren konnte und wie wichtig es ihm war, sich als religionsfrommen Staatsbürger zu inszenieren. Kenntnis und Achtung der römischen Religion spielten für den Staatsmann und Redner Cicero demnach eine wichtige Rolle. Im zweiten Teil seines Beitrags widmet sich Stroh nicht so sehr dem Politiker, als vielmehr dem Philosophen Cicero, indem er herausarbeitet, wo und auf welche Weise Cicero innerhalb seiner philosophischen Dialoge auf die Religion zu sprechen kommt. Bei dem Durchgang durch De re publica, De legibus, De natura deorum, De divinatione und De fato wird deutlich, wie sehr sich Cicero zeitlebens für eine philosophische Betrachtung der Frage nach den Göttern interessierte und wie viel ihm an der philosophischen Unterfütterung der römischen Religion lag. Allen Ansätzen, die Cicero mit Blick auf De natura deorum mangelnde Expertise oder fehlendes Interesse an der Religionsphilosophie unterstellen, entzieht Strohs Beitrag die Grundlage. Jörg Rüpke zeigt in seinem Beitrag, welch große Rolle die stadtrömische Realität für den religionsphilosophischen Diskurs in De natura deorum spielt. Dies weist er nicht nur mit Blick auf die vor allem von Balbus und Cotta verwendeten, römisch gefärbten exempla nach, sondern auch anhand der dialogischen Gesamtstruktur des Werkes, deren intellektuelles und kommunikatives Setting auf den Mechanismen und Prinzipien der stadtrömischen Elite und ihrer Diskurspraxis fußt. Rüpke kommt zu dem Schluss, dass die römische Religion in De natura deorum, und das heißt hier vor allem ihre Praktiken, Glaubensvorstellungen und Einrichtungen, als „urban religion“ untrennbar mit dem städtischen Lebensraum und dessen Lebensbedingungen verbunden ist. Durch die Fokussierung auf das städtische Milieu weist Rüpke einen neuen Weg, die Frage nach der Rolle der Religion innerhalb von De natura deorum zu beantworten. Elisabeth Begemann hält am Beginn ihres Beitrags fest, dass das römische Religionsverständnis, wie Cicero es unter anderem im Proömium von De natura deorum entfaltet, von einem wechselseitigen Kommunikationsprozess zwischen den Göttern und den Menschen (do, ut des) geprägt ist. Davon ausgehend fragt Begemann, wie sich dieser Kommunikationsprozess in den drei theologischen Entwürfen, die die Hauptredner des Dialogs jeweils vertreten, im Konkreten gestaltet. Für die Analyse greift sie auf Hartmut Rosas Resonanztheorie zurück, mit deren Hilfe sie untersucht, welche Beziehung zwischen Gott und Mensch Velleius, Balbus und Cotta in ihren Reden jeweils implizieren. Während sie im Fall von Velleius und Balbus zu dem Ergebnis kommt, dass weder die epikureische noch die stoische Vorstellung eine wirkliche Gott-Mensch-Beziehung ermöglichen und letztlich lediglich eindimensionale, nur ihren eigenen Dogmen verpflichtete Kommunikationsversuche („stumme Welt- bzw. Gottesbeziehungen“) darstellen, sieht sie in
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Cottas Entwurf das Potenzial für eine solche Beziehung angelegt. Auch wenn dessen theologischer Ansatz auf dem mos maiorum fußt und somit in Opposition zur rein rational begründeten Philosophie steht, ist er dennoch als einziger in der Lage, eine echte und auf kommunikativen Austauschprozessen beruhende Beziehung zwischen Gott und Mensch zu etablieren und Ciceros Idee einer geeigneten Religion für die ideale res publica zu verwirklichen. Gerade im deutschsprachigen Forschungsraum zählte ab dem 19. Jahrhundert die Quellenforschung bei der Untersuchung von Ciceros De natura deorum zu den wirkmächtigsten und mittlerweile stark umstrittenen Ansätzen. Ihr ist daher die zweite Sektion des Sammelbandes gewidmet. Christopher Diez stellt in seinem Beitrag die Frage, wieso unter Ciceros Werken gerade De natura deorum das Interesse der Quellenforscher derart anzog und wieso es gerade in Deutschland zu einer Hochblüte der Quellenforschung kam. Die erste Frage beantwortet er mit Blick auf die besondere Textgestalt des Dialogs. Da sowohl die Gliederungen der Einzelreden als auch das Verhältnis von Rede und Gegenrede in vielerlei Hinsicht erklärungsbedürftig sind und scheinbar Brüche, Doppelungen oder Auslassungen enthalten, musste De natura deorum die Quellenforscher zur Suche nach Ciceros Prätexten einladen. Um die zweite Frage zu beantworten, unternimmt Diez einen wissenschaftsgeschichtlichen Streifzug durch die Begründungslinien der älteren Quellenforschung. Er arbeitet heraus, dass die Quellenforschung zwar im Zuge der historisch-kritischen Methode aufkam, sich jedoch bald von deren Zielsetzungen löste und sich stattdessen mit dem Neuhumanismus verband, der sich der Quellenforschung bediente, um so einen möglichst breiten Blick auf die als vorbildlich empfundenen Gedanken der hellenistischen Zeit zu erhaschen. Dass die neuhumanistisch ausgerichtete Quellenforschung in Deutschland auch politisch auf fruchtbaren Boden fiel, zeigt Diez am Beispiel von Theodor Mommsen, bevor er abschließend einen alternativen Erklärungsansatz für die besondere Textgestaltung von De natura deorum bietet. Dass eine moderne Quellenforschung die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen muss und auf methodisch soliderem Weg zu validen Forschungsergebnissen kommen kann, zeigt Holger Essler in seinem Beitrag. Er untersucht, auf welche Weise Philodem und Cicero auf Epikurs theologische Schriften rekurrieren, wobei er sich exemplarisch auf die Frage nach der physikalischen Beschaffenheit der epikureischen Götter konzentriert. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Philodem und Cicero formal darin übereinstimmen, des Öfteren auf die Schriften des Schulgründers zu verweisen. Während Philodem jedoch kundig und mit wechselnden Zielsetzungen auf unterschiedliche Werke Epikurs rekurriert, bezieht sich Cicero in De natura deorum lediglich auf den ersten Satz der Kyriai Doxai, der ohne vertiefte inhaltliche Diskussion geradezu gebetsmühlenartig und teils mit parodistischer Absicht wiederholt wird. In der dritten Sektion des Tagungsbandes sind Beiträge versammelt, welche, ausgehend von der besonderen dialogisch-rhetorischen Gestalt des Werkes, nach möglichen Deutungen fragen und dabei die literarische Gestalt des Dialogs mit dessen philosophischem Gehalt in Verbindung bringen.
Einleitung
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Clara Auvray-Assayas stellt die Frage, wieso Cicero in De natura deorum als nahezu stummer Dialogteilnehmer auftritt. Durch eine Untersuchung vor allem des dialogischen Auftaktes und Abschlusses des Werkes zeigt sie, dass der Autor Cicero seine religionsphilosophische Grundfrage bewusst als eine offene Frage akzentuiert, die nicht innerhalb enger philosophischer Fachgrenzen, sondern von einer breiten Öffentlichkeit diskutiert werden müsse. In diesem Sinn erscheint ihr auch Ciceros abschließende vorsichtige Zustimmung zu Balbus’ Konzept als eine geschickte Form der Urteilsenthaltung, die sie durch eine Neubestimmung der Wendung similitudo veri näher erklärt. Indem sie nicht nur dem Rekurs auf Platon, sondern auch der Verbindung von De natura deorum zu Ciceros anderen Dialogen und der zum Teil verworrenen Überlieferungsgeschichte des Werkes nachgeht, zeichnet Clara Auvray-Assayas Ciceros komplexes und vielschichtiges Spiel mit dem bewussten Wechsel von Präsenz und Absenz des Autors innerhalb des Werkes nach und verortet es innerhalb von Ciceros skeptischer Philosophie, die die Rezipienten intentional mit dem hohen Anspruch der eigenen Urteilsbildung konfrontiert. Raphael Woolfs Beitrag nimmt seinen Ausgangspunkt bei der Beobachtung, dass die akademische Skepsis innerhalb von De natura deorum doppelt vertreten ist. Er fragt deshalb nach dem Grund für das Auftreten Ciceros und Cottas als skeptische Dialogteilnehmer und stellt die These auf, dass sich Cicero gerade in Abgrenzung zu Cotta als der überlegene Philosoph inszenieren möchte; den Rezipienten würden dadurch zwei unterschiedliche Ausprägungen der akademischen Skepsis präsentiert. Cotta vertritt Woolf zufolge nämlich die Rolle des radikalen Skeptikers, der vor allem das dicere contra pflegt. Dadurch, dass Cotta keinen eigenen, positiven Gegenvorschlag unterbreitet, macht er gerade durch seine Doppelrolle als akademischer Skeptiker und römischer pontifex deutlich, dass die traditionelle römische Religion für ihn eine Sphäre eigenen Rechts darstellt, die der philosophischrationalen Durchdringung nicht zugänglich ist. Cicero hingegen stilisiere sich am Ende des Dialogs als derjenige Skeptiker, der es vermag, den skeptischen Ansatz auch ins Positive zu wenden und tatsächlich zu einem verantworteten, abwägenden Urteil zu gelangen. Auch im Aufsatz von Gernot Michael Müller spielt der umstrittene Schlusssatz des Werkes eine wichtige Rolle. Müller fragt nämlich nach dem Grund für die eigentümliche Gestaltung der Rolle Ciceros innerhalb des Dialogs als hauptsächlich stummer Gesprächsteilnehmer, der sich am Ende des Gesprächs dann doch noch zu Wort meldet und sich überraschenderweise zugunsten von Balbus’ stoischem Ansatz äußert: Wieso schreibt sich Cicero überhaupt in den Dialog hinein, obwohl er doch Cotta die Rolle des akademischen Gegenredners zuweist, und wieso kehrt er von seinem ursprünglichen Vorhaben, lediglich ein stummer Zuhörer sein zu wollen, schließlich doch ab? Um diese Fragen zu beantworten, zieht Müller den sich anschließenden Dialog De divinatione zurate, der nicht nur sachlich als Ergänzung zu De natura deorum verstanden werden kann, sondern auch innerdialogisch auf De natura deorum verweist. So wird zu Beginn des Dialogs explizit auf Ciceros erklärungsbedürftiges Abschlussvotum aus De natura deorum eingegangen und Cottas problematisch wirkende Schärfe gegen die stoische Position erläutert. Cicero erscheint dabei, wie Müller argumentiert, nicht nur in De natura deorum und De
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divinatione als ein Philosoph, der sich darum bemüht, stoische und akademische Ansätze zu einer großen Synthese zu verbinden. So entdeckt er in Cicero eine affirmative Haltung gegenüber der stoischen Theologie; dennoch folge er ihr nicht blindlings, sondern nutze die skeptische Kritik an der Götterlehre der Stoa dazu, um die stoische Lehre von neuralgischen Aspekten zu befreien, die, wenn man sie ernst nähme, dazu führen müssten, den Götterglauben in Rom zu gefährden. In der Etablierung einer durch die akademische Skepsis bereinigten, stoischen Religionsphilosophie, die dezidiert auf die römischen Besonderheiten abziele, liegt laut Müller also Ciceros philosophische Eigenleistung. Die vierte Sektion bietet drei Beiträge, die sich der Rezeptionsgeschichte von De natura deorum verschrieben haben. Auch wenn sie dabei ganz unterschiedliche Zeiten und Bereiche abdecken, ist ihnen doch gemeinsam, dass die rezeptionsgeschichtliche Fragestellung nirgends eine Einbahnstraße darstellt. Vielmehr werden Erkenntnisse aus der Auslegungsgeschichte für die Deutung des Werkes selbst fruchtbar gemacht, sodass die rezeptionsgeschichtlichen Beobachtungen ihrerseits einen Beitrag zum besseren Verständnis manch problematischer Stelle aus De natura deorum leisten können. Jochen Sauer sieht in seinem Aufsatz eine bemerkenswerte Besonderheit von De natura deorum vor allem darin, dass Cicero in diesem Dialog eine Lehrsituation entwirft, die die Rezipienten dazu anregen soll, gerade Balbus’ stoischen Entwurf selbsttätig zu verbessern. Die Leser sollen sich dafür der Einsichten und Erkenntnisse bedienen, die sie durch die Lektüre von Ciceros vorausgehenden Dialogen, allen voran De re publica, gewonnen haben. Diese Lesart der Balbus-Rede plausibilisiert Sauer mit Verweis auf ein prominentes Rezeptionszeugnis von De natura deorum, nämlich Minucius Felix’ Octavius, den er als den „besseren Balbus“ erklärt, da dort gezielt diejenigen argumentativen Schwächen vermieden werden, die Cotta im dritten Buch von De natura deorum bemängelt hatte. Dagmar Kiesel zeigt in ihrem Beitrag, dass Iulian von Aeclanum und Augustinus in ihrer Auseinandersetzung darum, ob sexuelle Begierde ein Gut oder ein Übel ist, die stoische Philosophie jeweils für sich als argumentative Stütze in Anspruch nehmen. Ausgangspunkt des Streites bildet die Frage nach dem rechten Verständnis eines Satzes aus der Balbus-Rede im zweiten Buch von De natura deorum, den Iulian als Autoritätsargument für seine These von der sexuellen Begierde als Gut heranzieht. Indem Kiesel nicht nur den gesamten innerstoischen Sexualdiskurs rekonstruiert, sondern auch Augustinus‘ und Ciceros Position zur sexuellen Begierde beleuchtet, kann sie nachweisen, dass sich Augustinus mit Recht gegen eine solche Vereinnahmung des ciceronischen Balbus durch Iulian ausspricht – zumindest, wenn man die altstoische Position zur Begierde ausblendet. Zugleich bringt sie den Nachweis, dass Ciceros Position in vielerlei Hinsicht tatsächlich näher an Iulians pelagianischem Ansatz liegt als Augustinus’ radikale Betonung der göttlichen Gnade und der unverfügbaren Jenseitigkeit des Glücks, sodass sich die Fragen nach dem rechten Cicero-Verständnis als mehrdimensional erweist. Jörn Müller wirft in seinem Aufsatz einen Blick auf ein prominentes Beispiel der modernen Rezeptionsgeschichte von De natura deorum, und zwar auf Humes Dialogues concerning Natural Religion. Er weist dabei einerseits die unterschied-
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lichen Ebenen der Cicero-Rezeption durch Hume nach: Ähnlich wie Cicero greift Hume nämlich gerade für die als ausgesprochen schwierig empfundene Frage nach dem Wesen Gottes auf die Dialogform zurück; dabei verzichtet er – wie auch Cicero in De natura deorum – auf eine Diskussion der Frage nach der Existenz Gottes, da diese seinen Lesern ohnehin klar sei, im Dialog jedoch trotzdem auf anregende und sozusagen beiläufige Weise immer wieder versichert werden könne. Die CiceroImitation Humes bezieht sich allerdings nicht nur auf Ciceros gemäßigten Skeptizismus und die Dialogform, sondern auch auf die Dialogteilnehmer und partiell auch auf deren Argumentationsstruktur und die Inhalte ihrer Reden. Müller versäumt es dabei nicht, auch auf die Grenzen von Humes Cicero-Imitation und die Art und Weise seiner aktualisierenden aemulatio hinzuweisen. Andererseits interessiert sich Jörn Müller insbesondere für die beiden parallel gestalteten und in beiden Fällen überraschenden Schlusssätze der Werke. Indem er den Versuch unternimmt, beide Sätze sich wechselseitig deuten zu lassen, legt er eine beachtenswerte neue Deutung dieser vieldiskutierten Schlusssätze vor, die ihren Ausgangspunkt bei dem in beiden Werken zu beobachtenden Spannungsverhältnis von erzähltem Ich und erzählendem Ich nimmt.
CICERO UND DIE RÖMISCHE RELIGION* Wilfried Stroh Was hat Rom groß gemacht? Was hat bewirkt, dass aus einer kleinen Stadt in Latium die Herrin eines Weltreichs wurde? Wenn wir danach heutige Historiker fragen, werden sie die Antwort wohl entweder im Machtinstinkt der Römer suchen oder auch in der ererbten römischen Moral, die den Einzelnen verpflichtet habe, seine Privatinteressen dem Gemeinwohl, der res publica, stets unterzuordnen.1 Die Römer selbst dachten ein wenig anders: Nach ihrer Meinung war es die einzigartige Frömmigkeit ihres Volks, die es groß und zum Herrn der Welt gemacht hat. Ich zitiere Cicero (De haruspicum responso 19):2 Durch Frömmigkeit (pietas) und Religion (religio)3 und durch diese einzige Weisheit, die uns erkennen ließ, dass alles durch den Willen der Götter regiert, gelenkt und gesteuert wird, haben wir alle Völker und Nationen überwunden.
FRÖMMIGKEIT ALS RÖMISCHE NATIONALTUGEND So also Cicero in einer Rede des Jahres 56 v. Chr. (über die noch zu sprechen sein wird) – und mit dieser Äußerung gibt er nur eine allgemeine Ansicht wieder.4 Schon der griechische Historiker Polybios im 2. Jahrhundert v. Chr. hatte die unglaubliche Gottesfurcht (deisidaimonia) als die vorherrschende Eigenschaft der Römer bezeichnet (6,56,6); der römische Historiker Sallust hielt zumindest die alten Römer * 1
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Dieser Beitrag stellt die leicht modifizierte Version eines bereits als Sonderdruck (Memorabilia 6, herausgegen von den Freunden des Riemenschneider-Gymnasiums, Würzburg 2010) veröffentlichten Vortrags dar. Ein Klassiker zu der besonders seit Montesquieu, Considérations sur les causes de la grandeur des Romains et de leur décadence (1734) gern diskutierten Frage bleibt seit nun schon fast hundert Jahren Richard Heinzes Rektoratsrede, „Von den Ursachen der Größe Roms“ (Heinze 1921). [...] pietate ac religione atque hac una sapientia, quod deorum numine omnia regi gubernarique perspeximus, omnis gentis nationesque superavimus. Die oben gegebene Übersetzung von superare ist etwas einseitig: Cicero meint damit auch, dass die Römer an Frömmigkeit alle Völker übertroffen hätten. Religio ist, wie die ältesten Belege zeigen, von Hause aus die „Hemmung“, etwas zu tun (wenn das Wort also wohl etymologisch mit religare zusammenhängt, hat dies nichts eigentlich mit der „Bindung“ an ein höheres Wesen zu schaffen). Aus speziell der religiösen Hemmung scheint dann der allgemeine Begriff entstanden zu sein. Vgl. hierzu besonders das instruktive Büchlein von Antonie Wlosok (1970a), 53–67: „Die Rolle der religio im Staatsleben und Selbstverständnis der Römer“; vgl. auch Wlosok (1970b).
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Wilfried Stroh
für die religiösesten aller Sterblichen (religiosissumi mortales, Cat. 12,3); als Kaiser Augustus das nach hundert Jahren Bürgerkrieg heruntergekommene Rom wieder moralisch aufrüsten wollte, tat er das zunächst vor allem durch eine Restauration von Tempeln und Kulten; und der Lyriker Horaz dichtete in seinem Sinn (carm. 3,6,1-8): 5 Unverdient, Römer, wirst du für die Untaten deiner Väter büßen müssen, bis du die Tempel wiederhergestellt hast und die zerfallenen Gotteshäuser und die Götterbilder, die hässlich entstellt sind vom schwarzen Rauch. Deine Herrschaft verdankst du deiner Unterordnung unter die Götter (dis te minorem quod geris imperas): Aller Anfang, alles Ende hängt von ihnen ab. Weil die Götter vernachlässigt wurden, haben sie viel Schlimmes über das trauervolle Hesperien (Italien) gebracht.
Horaz meint mit diesem Schlimmen die Bedrohung durch äußere Feinde und vor allem auch den Niedergang der römischen Sexualmoral – über den der heutige Kinogänger und Illustriertenleser freilich weit besser informiert ist als über die römische Religion (wenn einer von Römern hört, denkt er ja meist nicht an Priester und Opfer,6 schon gar nicht an Recht oder Literatur, sondern an Legionärstiefel, Gladiatoren und Sexorgien).7 Auch Roms größter Dichter, Vergil, ein Bewunderer des Augustus, machte zum Nationalhelden Roms einen Mann, der vor allem durch Frömmigkeit ausgezeichnet ist: Aeneas, mit stehendem Epitheton pius, der Fromme, genannt.8 Er ist weniger dazu bestimmt, spektakuläre Heldentaten zu vollbringen und individuellen Ruhm zu gewinnen, als vielmehr nach dem Willen der Götter und besonders des Jupiter sein Volk von Troja nach Latium zu bringen und damit die Gründung Roms zu ermöglichen.9 In der Weltliteratur kann man ihn nur noch mit dem frommen Moses vergleichen, der sein Israel aus Ägypten ins gelobte Land führt.10 Vielleicht war auch nur noch bei den alten Juden das Leben so von Religion bestimmt wie bei den Römern. Man kann sie jedenfalls nicht verstehen, wenn man sich nicht auch mit ihrer Religion befasst. Und es ist vielleicht auch mehr als ein Zufall, dass so viele Wörter noch unserer religiösen Sprache aus dem Lateinischen stammen: Religion selbst von religio, Pietät von pietas, das Numinose von numen, Hostie, Altar, Messe, Sakrament, Pontifikat … Obwohl das Christentum nach aramäischen 5
Delicta maiorum inmeritus lues, / Romane, donec templa refeceris / aedisque labentis deorum et / foeda nigro simulacra fumo. / Dis te minorem quod geris, imperas: / hinc omne principium, huc refer exitum. / Di multa neglecti dederunt / Hesperiae mala luctuosae. 6 Ein verbreitetes Fehlurteil besagt, das bei den Griechen religiös fundierte Bühnentheater sei durch die Römer säkularisiert worden und zum Amüsement herabgesunken. 7 Vgl. beispielhalber „Das Leben im alten Rom“ = P.M. Perspektive Heft 69, 2002, nach Kapiteln über „Die fiesen Kaiser“ und „Töte, Gladiator!“ gipfelnd in „Sex, Suff und Völlerei“. Auch in seriöseren Darstellungen erfährt man, sofern sie auf ein breites Publikum berechnet sind, kaum etwas über römische Schulbildung, Musik, Drama und Rechtswesen, ganz zu schweigen von den Römertugenden (die heute sogar in der Wissenschaft fast verpönt sind). So bleiben trotz fast allabendlichen Sandalenfilmen im Fernsehen die Römer ein fast unbekanntes Volk. 8 Vgl. dazu die populär informative Einführung von Suerbaum (1999), 207–209. 9 Klassisch auch hierzu Heinze (1908), 297ff. 10 Vgl. Stroh (2007), 74–76; zur möglichen Vertrautheit der Römer mit dem Buch Exodus Stroh (1993), 319f.
Cicero und die römische Religion
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Anfängen zunächst vor allem griechisch war, hat diese Sprache längst nicht so viele Spuren hinterlassen. Viele Bücher und Handbücher belehren uns über die religiösen Gebräuche und Vorstellungen der Römer,11 beginnend mit Ovids dichterischem Festkalender, den Fasti.12 Einen lebendigeren Eindruck von römischer Religion und dem Ausmaß, in dem sie das Dasein bestimmt hat, erhalten wir aber wohl, wenn wir ein Fallbeispiel aus dem römischen Leben studieren. Ich erzähle zu diesem Zweck die Vorgeschichte zu dem eingangs gegebenen Zitat (über die Religiosität der Römer): ein paar Jahre (62–56 v. Chr.) aus dem Leben von Marcus Tullius Cicero. Um ihn soll es uns vor allem gehen, weniger weil er selbst ein besonders religiöser Mensch gewesen wäre (manche würden seine Religiosität sogar geradeswegs bestreiten, ja Augustin, wie noch zu hören sein wird, hielt ihn für einen verkappten Atheisten), vielmehr vor allem, weil er uns dank der Fülle seiner Schriften weitaus besser bekannt ist als irgendein anderer Römer – ja es dürfte überhaupt bis ins 16. nachchristliche Jahrhundert, bis zu Erasmus und Luther, keinen Menschen geben, der uns so lebendig vor Augen steht wie dieser Cicero, dessen Erlebnisse, Gedanken und Gefühle wir dank seinen Briefen oft von Tag zu Tag verfolgen können.13 RÖMISCHE RELIGION IM LEBEN CICEROS: CICERO GEHT INS „EXIL“ Meine Geschichte beginnt also im Dezember des Jahres 62, und zwar mit einem der berühmtesten Religionsskandale der römischen Geschichte. Im Hause des römischen Oberpriesters, pontifex maximus – ein Titel, den ja noch der heutige Papst führt, sozusagen als Amtsnachfolger – also im Hause des pontifex maximus feierten vornehme römische Frauen zusammen mit der Frau des Oberpriesters, der zugleich Prätor war, nächtens das Fest der Bona Dea, der „Guten Göttin“ – von der wir nicht sehr viel wissen, weil ihr Fest nur Frauen vorbehalten war, die offenbar darauf achteten, dass nicht viel davon bekannt wurde.14 Anders an diesem Tag. Ein junger vornehmer Patrizier aus dem Geschlecht der Claudii, P. Clodius Pulcher – noch in späteren Jahren als Skandalnudel bekannt15 – hatte sich in Frauenkleidern Zutritt zu dem Fest verschafft, und zwar, heißt es, um mit der Hausherrin selbst intim zu werden. Der Skandal flog auf, der Übeltäter Clodius entfloh, und die Sache wurde natürlich dem Hausherrn, dem pontifex maximus, gemeldet: Dieser war ein Mann, der sich sonst aus Religion nicht allzu viel machte, aber durch große Bestechungs11 Das heute noch nicht ganz entbehrliche Handbuch von Wissowa (1912) wurde ergänzt durch die stärker entwicklungsgeschichtlich ausgerichtete Darstellung von Latte (1960). Neuere Literatur erschließt das populär einführende Buch des deutschen Spezialisten Rüpke (2001); vgl. auch Rüpke (2007). Einen willkommenen, wenn auch nur partiellen Zugang bietet deutschen Lesern auch Simon (1990). 12 Seinem Schema folgt das lebendig geschriebene Buch von Scullard (1985). 13 Zu seiner Biographie zuletzt Bringmann (2010); Stroh (2008). An älterer Literatur bes. wichtig: Gelzer (1969); Habicht (1990). 14 Vgl. dazu etwa Scullard (1985), 280–282. 15 Zu seinem Charakter vgl. bes. Meier (1982), 66f. Wichtigste Monographie ist Benner (1987).
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summen auf diesen Posten eines Oberherrn der römischen Religion gekommen war: Julius Caesar.16 Der ließ nicht lange recherchieren: Auf Caesars Gattin, sagte er, dürfe auch nicht der Schatten eines Verdachts fallen; und so leitete er augenblicklich die Scheidung ein und überließ die Nachforschungen einem Sondergerichtshof, der über den wegen Religionsfrevels angeklagten Clodius zu befinden hatte.17 Dieser leugnete, je im Hause Caesars gewesen zu sein, da er sich damals in der Stadt Interamna aufgehalten habe. Aber Cicero, den die Anklage als Zeugen aufgeboten hatte und der als solcher durch Eid verpflichtet war, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen, zerstörte dieses Alibi: Clodius war am fraglichen Tag bei ihm, Cicero, in Rom gewesen. Dank massiver Richterbestechung wurde der Überführte dennoch freigesprochen.18 Aber Cicero hatte nun einen Todfeind, der ihm neun Jahre lang das Leben schwer machen sollte (bis er von einem Freund Ciceros umgebracht wurde). Vor allem im Amt eines Volkstribuns gedachte Clodius, seinem Feind Cicero schaden zu können. Aber zu diesem Amt hatten nur Plebeier, nicht Patrizier wie Clodius, Zutritt. Seine Zugehörigkeit zum alten Geburtsadel war ihm also hier einmal schädlich. Aber der pontifex maximus, Caesar, schuf Abhilfe, nachdem Cicero ihn in seinem Consulatsjahr 59 durch missliebige Äußerungen erzürnt hatte. Er setzte sich über die Vorschriften des Pontifikalrechts hinweg – diese sollten dafür sorgen, dass nicht durch leichtsinnigen Wechsel von Patrizier- zum Plebeierstand bestimmte notwendige Familienkulte verwaisten –, und ließ im Hauruckverfahren den vierzigjährigen Clodius durch einen gerade halb so alten Plebeier adoptieren – und dann gleich auch wieder emanzipieren: ein mutwilliges Spiel mit Recht und Religion, nur darauf berechnet Cicero zu kränken.19 Der bekam die Folgen bald zu spüren.20 Als der frischgebackene Plebeier Clodius, zum Volkstribun gewählt, im Dezember 59 sein Amt angetreten hatte, veröffentlichte er alsbald einen Gesetzesentwurf, wonach derjenige geächtet sein sollte, der römische Bürger ohne Gerichtsurteil getötet hätte. Das ging, wie alle Welt wusste, gegen Cicero, der gut vier Jahre zuvor (im November 63) einige Anhänger des Putschisten Catilina als geständige Landesverräter hatte hinrichten lassen. Als sich nun Cicero von seinem Freund Pompeius und anderen verraten sah und Clodius sogar noch mit dem Heer Caesars, das vor den Stadtmauern lag, drohte, beschloss er, um seinem Häscher zu entkommen bzw. einen kleinen Bürgerkrieg zu vermeiden, bevor das Gesetz gültig wurde, freiwillig ins Ausland zu gehen (wo die Ächtung nicht wirksam war).
16 Vgl. dazu etwa das Kapitel „Pontifex Maximus“ bei Canfora (2001), 36–38. 17 Der Bericht Plutarchs (Caesar 10), unserer Hauptquelle, ist in Übersetzung abgedruckt bei Canfora (2001), 92f. 18 Der Prozess und Ciceros Verhalten dabei ist sorgfältig dokumentiert bei Gelzer (1969), 110–112. 19 Dokumentiert bei Gelzer (1969), 124f. Die Illegalität der Adoption erläutert Cicero sehr instruktiv in De domo sua 34–42 (ohne die Gesamtargumentation seiner Rede darauf zu gründen); vgl. Stroh (2004), 346–350. 20 Das Folgende ist dokumentiert bei Gelzer (1969), 135ff.; vgl. Habicht (1990), 62ff.; neuere Lit. bei Stroh (2004), 316f. Anm. 17.
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Als guter Römer vergaß er auch hier nicht die Götter. In seinem Haus war ein Bildnis der Minerva; dieses weihte er ihr nun als „Schutzherrin der Stadt“, custos urbis, auf dem Capitol (wo Minerva als Teil der „capitolinischen Trias“, Jupiter, Juno, Minerva, verehrt wurde), bevor er nachts die Stadt verließ – angeblich, so sagt er später, um dieses Heiligtum nicht den Plünderern seines Hauses zu überlassen (leg. 2,42). Zu Minerva, die ja auch die Göttin der Stückeschreiber, Schauspieler und Schullehrer ist,21 scheint er in der Tat ein gewisses Naheverhältnis gehabt zu haben. Später nennt er sie „die ständige Helferin bei seinen Planungen und die Zeugin seiner Mühsale“ (dom. 144); und angeblich soll er einmal in einem Gedicht behauptet haben, sie habe ihn alle Künste gelehrt.22 Für einen sehr frommen Menschen hielt er sich dabei aber nicht. In einem Brief aus dem „Exil“ an seine Frau beklagt er sich: „Weder die Götter, die du so keusch verehrt hast, noch die Menschen, denen ich immer gedient habe, haben es uns gedankt“ (fam. 14,4,1) Auch hier galt also schon die „moderne“ Arbeitsteilung, nach der für die Politik die Männer, für das Religiöse besonders die Frauen zuständig sind (Kinder, Küche, Kirche). Vielleicht dürfen wir in diesem Zusammenhang auch daran denken, dass die Vestalinnen, deren Kult Roms Staatswohl garantiert, lebenslange Jungfrauen sind, wie christliche Nonnen. Einen vergleichbaren Orden zölibatärer Mönche hat es in Rom nicht gegeben. DER STREIT UM DIE WEIHUNG VON CICEROS HAUS Aber weiter in Ciceros Leben. Er musste nicht ewig in der Fremde bleiben. Ein gutes Jahr später holte man ihn durch ein Gesetz, d.h. durch Volksbeschluss, nach Rom zurück. Und wieder führte ihn sein erster Weg aufs Capitol, um den unsterblichen Göttern seinen Dank zu sagen (erst danach hielt er auch Dankreden im Senat und vor dem Volk).23 Mit der ehrenvollen Rückberufung verbunden war auch die Wiedereinsetzung in seinen früheren Besitz, zumal in sein geliebtes, mittlerweile zerstörtes Haus auf dem Palatin. Aber just da hatte Clodius mit diabolischer List einen Riegel vorgeschoben. Kaum nämlich, dass Cicero seinerzeit ins Ausland gegangen war, ließ Clodius sich vom Volk dazu ermächtigen, auf einem Teil von Ciceros Grundstück ein Heiligtum der Libertas, also der Göttin der Freiheit, zu errichten – ein doppelter Affront gegen Cicero: Dieser habe ja, so sollte man implizit verstehen, die römische Bürgerfreiheit durch seinen umstrittenen Hinrichtungsakt mit Füßen getreten.24 (Die für dieses Heiligtum erforderliche Statue der Freiheit sah wohl etwas anders aus als die Freiheitsstatue an der Einfahrt nach New York: Laut Cicero stammte das Fräulein vom Grabmal einer griechischen Prostituierten – aber das tat ihrer Heiligkeit keinen Abbruch.)
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Latte (1960), 165f. Sallust (?), In Ciceronem 7; vgl. dazu Soubiran (ed. 1972), 37–40. Vgl. Gelzer (1969), 149ff. Vgl. Stroh (2004), 320 mit Lit.
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Der Libertas-Tempel wurde erbaut und eingeweiht nach allen Regeln der Kunst. Ein junger Priester aus dem römischen Priesterkolleg, collegium pontificum, vollzog nach gültigem Sakralrecht die Weihung, d.h. er sprach, wahrscheinlich mit einer Schriftrolle bewaffnet, dem formell Einweihenden, Clodius, die notwendige Formel vor, wobei dieser die Pfosten der Tür zu halten hatte.25 Bei solchen römischen Ritualen kam es vor allem darauf an, dass kein Formfehler gemacht wurde, da die Götter Anspruch auf völlige Korrektheit hatten. Gab es also etwa einen Versprecher, so wurde die Zeremonie ungültig26 und musste von vorne wiederholt werden.27 Zurück nach Rom. Als Cicero sein ihm zurückerstattetes Haus bzw. das Grundstück wieder in Besitz nehmen wollte, erhob Clodius Einspruch: Das von ihm geweihte Heiligtum der Libertas müsse bleiben, denn – und hier kommen wir auf eine bezeichnende Feinheit der römischen Religion – was einmal geweiht ist, bleibt es für ewig. Eine Weihung, lat. consecratio oder (bei Gebäuden meist) dedicatio, bedeutet ja, dass ein Gegenstand von menschlichem in göttliches Eigentum überführt wird, dass er lateinisch gesprochen zur res sacra wird. Ein solcher Vorgang ist grundsätzlich irreversibel. Es ist also anders als bei unseren geweihten Kirchen, die im Falle des Bedarfs ohne weiteres profaniert, d.h. entweiht werden können (in besonders pietätlosen Ländern wie den Niederlanden sogar zu Diskotheken und Nachtbars). Die römischen Götter denken hier egoistischer: Was sie einmal bekommen haben, geben sie nicht wieder her. (So kann ja auch etwa eine katholische Ehe nicht geschieden, sondern nur gegebenenfalls annulliert, d.h. für von vornherein ungültig erklärt werden.) Als Cicero im Senat, gestützt auf den Volksbeschluss, sein Grundstück bzw. den betroffenen Teil seines Grundstücks reklamiert (also die Ungültigkeit der Weihung behauptet), wagt der Senat keine Entscheidung, sondern ersucht das Priesterkollegium um ein Gutachten. Und was tut das Kollegium? Statt, wie zu erwarten, in eigener Regie und nach pontifikalem Sachverstand über dieses sakralrechtliche Problem zu gutachten, laden sich die Priester die beiden Streithähne vor – die ja gar keine Spezialisten im Sakralrecht sein können – um ihre Kontroverse vor dem Kollegium vorzutragen. So sehr sind in Rom Religion und Politik miteinander verzahnt, dass auch eine solche Frage letztlich fast nach politischen Gesichtspunkten entschieden wird. Die Priester, pontifices, sind ja auch 25 Vgl. Wissowa (1912), 472f. 26 Vgl. Wissowa (1912), 397; anschaulich ist Cicero, dom. 139f., s. unten. 27 Gerade in diesen Zeremonien kenne ich mich persönlich gut aus, da ich vor knapp zwei Jahrzehnten (1992) selber im württembergischen Rottweil eine altrömische Museumseinweihung in der Rolle eines pontifex durchzuführen hatte. Als einweihender und die Pfosten haltender Beamter war damals der amtierende baden-württembergische Ministerpräsident Teufel vorgesehen. Da nun aber beide christlichen Kirchen kurz vor Beginn gegen die „heidnische“ Veranstaltung protestierten und mit dem Boykott der für den vorausgehenden Festgottesdienst bestimmten Kirchenchöre drohten, musste der christliche und im Wahlkampf befindliche Teufel zurücktreten und seine Aufgabe dem harmloseren Museumsdirektor Filtzinger überlassen – der das dann auch zur völligsten Zufriedenheit erledigte. Dank dem Skandälchen waren immerhin, auch von weither, gegen 10.000 Leute als Zuschauer zusammengekommen – denen ich versicherte, dass ich weder daran dächte, durch meine Opfer das Heidentum wiedereinzuführen noch mit den zur Dekoration engagierten Legionären die Bundeswehr zu ersetzen.
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selber keine Berufsgeistlichen – einen eigenen Priesterstand hat es in Rom nie gegeben, so wenig wie eine theologische Ausbildung –, es handelt sich vielmehr um angesehene römische Politiker; im Falle des Prozesses um Ciceros Grundstück können wir sie sogar noch namentlich rekonstruieren (har. resp. 12). CICERO SPRICHT PRO DOMO Cicero hebt sofort darauf ab, wenn er am Anfang seiner Rede De domo sua (heute meist zitiert als Pro domo28) an die politische Verantwortung der Priester appelliert. Dabei nennt er diese wichtige Eigenart der römischen Religion sogleich beim Namen (dom. 1):29 Zwar haben unsere Vorfahren, ihr Priester, vieles wie nach göttlicher Eingebung erfunden und eingerichtet, nichts aber ist doch herrlicher als dieses: dass nach ihrem Willen dieselben Männer für die Kulte der unsterblichen Götter und für die oberste Staatsführung zuständig sein sollten. So sollten die besten und ausgezeichnetsten Bürger durch ihre gute Staatsführung die Religion bewahren, durch kluge Interpretation der Religion den Staat sichern.
Klar, warum Cicero das sagt: Sein Interesse bei dieser Verhandlung muss darauf gehen, die Priester dazu zu bringen, hier ohne kleinliche sakralrechtliche Bedenken im politischen Interesse Roms bzw. der maßgebenden Senatorenschicht, als deren Feind Clodius gelten konnte, zu entscheiden. Und so heißt es ein paar Sätze später (dom. 2): Am heutigen Tag müsst ihr darüber entscheiden, ob hinkünftig wahnwitzige und verkommene Beamte auf den Schutz durch böse und verbrecherische Bürger verzichten müssen oder ob ihr sie auch noch mit der Religion der unsterblichen Götter bewaffnen wollt.30
Wenn Clodius, der sich ja auf die Heiligkeit der Religion beruft, hier den Sieg davontrüge, dann wäre die Religion zum Werkzeug des Bösen funktionalisiert und pervertiert. Cicero sagt das so: Denn wenn dieser Unhold und Brandstifter des Staats seinen verderblichen und verhängnisvollen Tribunat, den er nach menschlicher Gerechtigkeit nicht behaupten kann, durch die göttliche Religion verteidigt, dann brauchen wir neue Zeremonien, neue Priester der unsterblichen Götter, neue Fachleute zur Auslegung der Religionsbräuche [also die ganze traditionelle Religionsausübung müsste als unzweckmäßig durch eine neue ersetzt werden]; wenn aber durch eure Autorität und Weisheit, ihr Priester, das wieder aufgehoben wird, was durch den Wahnsinn der Bösen im Staat geschehen ist [...], dann werden wir den besten und schönsten Grund haben, die
28 Zur Erfolgsgeschichte dieser Formel vgl. Stroh (2007), 12. 29 Cum multa divinitus, pontifices, a maioribus nostris inventa atque instituta sunt, tum nihil praeclarius quam quod eosdem et religionibus deorum immortalium et summae rei publicae praeesse voluerunt, ut amplissimi et clarissimi cives rem publicam bene gerendo religiones, religiones sapienter interpretando rem publicam conservarent. 30 Vobis hodierno die constituendum est, utrum posthac amentis ac perditos magistratus improborum ac sceleratorum civium praesidio nudare, an etiam deorum immortalium religione armare malitis.
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Wilfried Stroh weise Planung unserer Vorfahren zu rühmen, die zur Auswahl für die Priesterämter gerade die angesehensten Männer bestimmt haben.31
Also: In diesem Prozess steht die ganze römische Religionspraxis auf dem Prüfstand. Es geht nicht nur darum, ob Cicero auf seinem alten Grundstück wieder bauen kann oder nicht, sondern ob sich die für die römische Religion konstitutive Personalunion von Politikern und Priestern bewährt. Cicero ermuntert die Priester, kaum bemäntelt, dazu, ein politisches Urteil abzugeben – und dem haben sie ja schon selbst Vorschub geleistet, indem sie Cicero und Clodius überhaupt vorgeladen haben. Ciceros Rechtslage in diesem Verfahren war sonst ziemlich verzweifelt. Clodius war, wie die neuere Forschung nachgewiesen hat,32 durch Volksbeschluss zu der umstrittenen Weihung ermächtigt gewesen, und Formfehler waren nicht nachzuweisen, obwohl Cicero sie zu suggerieren versucht (vor allem im Hinblick auf die Jugendlichkeit des noch unerfahrenen pontifex, der damals assistierte) (dom. 140f.):33 Ihr habt es ja erfahren, ihr Priester, und nachher hat alle Welt darüber gesprochen, wie er [Clodius bei der Weihung] die Wörter durcheinanderbrachte, böse Vorzeichen verursachte, immer wieder sich selbst zurückrief, zögerte, fürchtete, hängen blieb und alles ganz anders, als es in euren Aufzeichnungen steht, aussprach und machte. [...] Es kann gar nicht anders sein [...], als dass er bei seinem Vorgehen hinstürzte und öfter Fehler machte, zumal bei der Anleitung durch einen Priester, der ihn etwas lehren musste, bevor er es auch nur selbst gelernt hatte. [Der hier apostrophierte pontifex, ein gewisser Pinarius Natta, war bei der Verhandlung nicht zugegen, so dass Cicero relativ frei erfinden konnte.] Mächtig ist die Kraft sowohl im Willen der unsterblichen Götter als auch im Staate selbst. Als die unsterblichen Götter sahen, dass der Schirmherr und Beschützer ihrer Tempel [Cicero meint natürlich sich selbst] durch ein ruchloses Verbrechen vertrieben wurde, da wollten sie aus ihren Tempeln in sein Gebäude nicht einziehen, und so schreckten sie mit Sorge und Furcht den Geist dieses Wahnwitzigen. [...] Was Wunder also, dass er, eine Beute der Angst und des Wahnsinns und besinnungslos vom eigenen
31 Nam si illa labes ac flamma rei publicae suum illum pestiferum et funestum tribunatum, quem aequitate humana tueri non potest, divina religione defenderit, aliae caerimoniae nobis erunt, alii antistites deorum immortalium, alii interpretes religionum requirendi; sin autem vestra auctoritate sapientiaque, pontifices, ea quae furore improborum in re publica [...] gesta sunt rescinduntur, erit causa, cur consilium maiorum in amplissimis viris ad sacerdotia deligendis iure ac merito laudare possimus. 32 In meinem Aufsatz Stroh (2004) hoffe ich, die Rechtslage endgültig geklärt zu haben. Der von Platschek (2008), 874f. erhobene Einwand betrifft, wie Platschek selbst sieht, nur die Formulierung, nicht die Sache, über die wir einig sind. 33 Delata tum sunt ad vos, pontifices, et post omnium sermone celebrata, quem ad modum iste praeposteris verbis, ominibus obscenis, identidem se ipse revocans, dubitans, timens, haesitans omnia aliter ac vos in monumentis habetis et pronuntiarit et fecerit. [...] Non potuit ullo modo [...] non in agendo ruere ac saepe peccare, praesertim illo pontifice et magistro qui cogeretur docere ante quam ipse didicisset. Magna vis est cum in deorum immortalium numine tum vero in ipsa re publica. Di immortales, suorum templorum custodem ac praesidem sceleratissime pulsum cum viderent, ex suis templis in eius aedis immigrare nolebant, itaque istius vaecordissimi mentem cura metuque terrebant. [...] Qua re quid est mirum si iste metu, furore instinctus, scelere praeceps, neque institutas caerimonias persequi neque verbum ullum sollemne potuit effari?
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Verbrechen, weder die fälligen Zeremonien vollziehen noch auch nur ein rituelles Wort richtig aussprechen konnte.
Cicero tut hier so, als wären diese schweren Formfehler, die eine Weihung in der Tat hätten in Frage stellen müssen, allgemein bekannt gewesen; aber bei ruhiger Lektüre sieht man, dass er keinerlei Indiz oder Zeugen dafür hat. Seine Berufung auf die unsterblichen Götter, die nicht in das Haus des Frevlers einziehen wollen, ist eine recht durchsichtige Stimmungsmache (pro domo eben), schwerlich Ausdruck einer tieferen religiösen Überzeugung. Das gilt vielleicht nicht ebenso für das pompöse Schlussgebet, in dem er die Götter der kapitolinischen Trias, Iupiter, Iuno, Minerva, dazu seine Hausgötter, die Penaten, und Göttin Vesta, die Hüterin des ewigen Feuers, anruft. Ihnen habe er sich geweiht, als er damals zum Wohle ihrer Tempel und seiner Mitbürger die Stadt verließ; von ihnen erhoffe er nun die Wiedereinsetzung in sein Haus (dom. 144f.). Im Übrigen versucht Cicero dem Anspruch des Clodius durch eine vielschichtige, weitausladende Argumentation zu entgegnen – was jetzt nicht im Einzelnen nachgezeichnet werden kann. Er bestritt mit guten Gründen die Rechtmäßigkeit der seinerzeitigen Adoption des Clodius (mit der sich aber längst jedermann abgefunden hatte), er bestritt die Legalität des Gesetzes, auf das sich Clodius berief; und er versuchte schließlich, ohne Zweifel beraten von einem guten Freund im Priesterkollegium, Präzedenzfälle für die Ungültigkeitserklärung einer Weihung beizubringen. Die Priester zeigten sich beeindruckt, vor allem auch von der ungeheuren Leidenschaftlichkeit, mit der Cicero in dieser Meisterrede den Schmerz über seine Verbannung beschrieb und überhaupt seiner tiefen Empörung über Clodius Ausdruck gab34 – auch dessen früheren Religionsfrevel beim Fest der Bona Dea, an den Cicero geflissentlich erinnerte, hatte man ja nicht vergessen: War es nicht doch ein wenig lächerlich, wenn gerade dieser Mann sich nun als Gralshüter der römischen Religion und der Heiligkeit der dedicatio aufspielte? Kurz und gut, das Kollegium erstellte ein zwar windelweich vorsichtiges, aber insgesamt für Cicero doch günstiges Gutachten, dem sich dann auch der Senat anschloss: Cicero durfte sein Grundstück wieder in Besitz nehmen und bauen. Und die unsterblichen Götter, die er zweifellos um ihr Eigentum gebracht hatte, schienen ein Auge zudrücken zu wollen.
34 Cicero, Att. 4,2,2: „Wenn ich je etwas im Reden vermocht habe oder wenn ich auch sonst noch nie etwas vermocht habe, so gab mir jedenfalls damals die Größe meines Schmerzes geradezu eine Gewalt der Rede; darum darf man die Rede der Jugend nicht länger schuldig bleiben“, d.h. er will sie sofort zum Zweck der rhetorischen Bildung veröffentlichen. Wegen ihrer sachlichen Schwierigkeiten hat sich diese Meisterrede bis heute allerdings nie als Schullektüre durchgesetzt.
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DIE HARUSPICES UND CICEROS GRUNDSATZERKLÄRUNG ZUR RELIGION Aber nur vorläufig. Ein Jahr später kam Ciceros Haus noch einmal in Gefahr und zwar folgendermaßen.35 In Latium war ein unterirdisches Erdgrollen zu hören gewesen. Das war nach römischer Auffassung ein prodigium bzw. ostentum (Wunderzeichen), das nicht naturwissenschaftlich zu erklären, sondern als Ausdruck eines Götterzorns zu interpretieren war, d.h. eines Zeichens dafür, dass das gute Einvernehmen mit den Göttern (die pax deorum) gestört war. Zuständig dafür waren nicht die römischen pontifices, sondern ein streng genommen ausländisches Gremium, die etruskischen haruspices, die sich auch auf die Eingeweideschau und die Blitzdeutung verstanden; zusammenfassend sprach man von der Etrusca disciplina.36 In unserem Fall legten die aus Etrurien geholten haruspices ein Gutachten (responsum) vor, natürlich in lateinischer Sprache: In einem solchen wurden zunächst die Götter genannt, denen Sühneopfer zu leisten seien. Dann wurden die Vergehen bezeichnet, wegen derer die Götter erzürnt seien. Schließlich als dritten Punkt gaben die haruspices auch Hinweise für das richtige Verhalten in der Zukunft. Brisant war vor allem ein Punkt im zweiten Teil, worin (als einer der Gründe für den Götterzorn) genannt wurde, es seien „heilige und geweihte Örter als profan behandelt worden“ (LOCA SACRA RELIGIOSA PROFANA HABERI). Das schien natürlich nur allzu gut auf Ciceros Haus bzw. Grundstück zu passen; und Clodius, der damals gerade Aedil war, versäumte es nicht, auf einer Volksversammlung das Gutachten in diesem Sinn zu deuten, also wieder gegen Cicero zu agitieren. So kam es bald darauf im Senat zu einem heftigen Wortwechsel zwischen Clodius und Cicero, der dann, wiederum einen Tag später, Gelegenheit erhielt, sich über die Sache in einer ausführlicheren Senatsrede, De haruspicum responso, zu äußern. Dabei versucht er natürlich, zunächst negativ, allen Bezug auf sich und sein Haus abzuwenden – dieses sei durch Priester- und Senatsbeschluss vor jedem Verdacht einer Religionsverletzung geschützt (har. resp. 11ff.) – und dann, positiv, eine Alternativdeutung des gesamten Gutachtens zu geben, bei dem alle Schatten auf Clodius als den eigentlichen Störenfried im Verhältnis zu den Göttern fallen sollen (20ff.). Bevor aber Cicero zu diesem positiven Teil seiner Rede kommt, fühlt er sich veranlasst, grundsätzlich seine Einstellung zur römischen Religion zu klären. (Es ist die Partie, aus der ich schon eingangs zitiert habe.) Seine Absicht dabei ist es offenbar, der Meinung entgegenzuwirken, als bedeute ihm als aufgeklärtem, literarisch und philosophisch versiertem Menschen die traditionelle Religion überhaupt nichts – denn dann müsste man ja auch seine nachfolgende Interpretation des Gutachtens für ein bloßes Spiel des Geistes oder ein Produkt der Heuchelei halten.
35 Vgl. Gelzer (1969), 174–176. Der genaue Zeitpunkt der Ereignisse und der Rede Ciceros (sowie deren politische Implikationen) sind umstritten. Sicher ist, dass sie im Jahr 56 v. Chr. nach dem 9. April gehalten worden ist. 36 Dazu Wissowa (1912), 543–549.
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Cicero sagt also (har. resp. 18f.)37: Ich bekenne nämlich, dass mich die Größe des Götterzeichens und der Ernst des Gutachtens sowie die einstimmige und ausgewogene Verlautbarung der Haruspices mächtig erschüttert haben; und falls jemand etwa den Eindruck hat, dass ich mehr als die andern, die ebenso beschäftigt sind wie ich, mich literarisch-geistigen Studien hingebe, so bin ich doch nicht einer, der Freude hätte oder überhaupt nur vertraut wäre mit Schriften, die unseren Geist von der Religion abschrecken oder abspenstig machen. [Gemeint sind natürlich religionskritische Schriften bestimmter griechischer Philosophen, vor allem der Epikureer.] Zunächst einmal gilt, dass ich unsere Vorfahren für die richtigen Gewährsleute und Lehrer in Sachen der Religionsausübung halte, denn ihre Weisheit scheint mir so groß gewesen zu sein, dass diejenigen Leute klug, ja mehr als klug sind, die deren Klugheit – ich sage nicht erreichen, sondern auch nur in ihrer vollen Größe ermessen können. Sie haben bestimmt, dass die festen und heiligen Zeremonien auf dem Pontifikat beruhen [die pontifices sind vor allem für Feste und Opfer zuständig], dass die Bürgschaft für ein gutes Gelingen von Unternehmungen im Augurium gründet [die Auguren haben die Aufgabe, sich des guten Einvernehmens mit den Göttern durch die Einholung der Auspizien zu vergewissern], dass die alten Schicksalsvorhersagungen in den Büchern der Priester des Apoll zu finden sind [gemeint sind die sibyllinischen Bücher] und dass die Sühnung von Götterzeichen der etruskischen Disziplin zuzuweisen ist38 [für deren Bedeutung nun einige Beispiele aus der jüngeren Zeitgeschichte gegeben werden]. Ferner habe ich, wenn ich einmal etwas Muße hatte, zur Kenntnis genommen, dass gelehrte und weise Leute [gemeint sind jetzt wieder griechische Philosophen, besonders die Stoiker und natürlich der von Cicero stets bewunderte Platon] vieles über den Willen der unsterblichen Götter gesagt und in schriftlicher Form hinterlassen haben [Cicero schränkt also seine Vertrautheit mit der griechischen Philosophie auf diejenigen Philosophen ein, die der Religion ehrfurchtsvoll gegenüber standen]. Dabei sind diese Schriften zwar göttlich genial, aber sie sind doch von einer Art, dass man den Eindruck hat, unsere Vorfahren hätten jene Männer belehrt, nicht etwa sie hätten von ihnen gelernt. [Also, die in der römischen Religionstradition
37 Ego enim fateor me et magnitudine ostenti et gravitate responsi et una atque constanti haruspicum voce vehementer esse commotum; neque is sum qui, si cui forte videor plus quam ceteri qui aeque atque ego sunt occupati versari in studio litterarum, his delecter aut utar omnino litteris quae nostros animos deterrent atque avocant a religione. Ego vero primum habeo auctores ac magistros religionum colendarum maiores nostros, quorum mihi tanta fuisse sapientia videtur ut satis superque prudentes sint qui illorum prudentiam non dicam adsequi, sed quanta fuerit perspicere possint; qui statas sollemnisque caerimonias pontificatu, rerum bene gerundarum auctoritates augurio, fatorum veteres praedictiones Apollinis vatum libris, portentorum expiationes Etruscorum disciplina contineri putaverunt. [...] Deinde, si quid habui oti, etiam cognovi multa homines doctos sapientisque et dixisse et scripta de deorum immortalium numine reliquisse; quae quamquam divinitus perscripta video, tamen eius modi sunt ut ea maiores nostri docuisse illos, non ab illis didicisse videantur. Etenim quis est tam vaecors qui aut, cum suspexit in caelum, deos esse non sentiat, et ea quae tanta mente fiunt ut vix quisquam arte ulla ordinem rerum ac necessitudinem persequi possit casu fieri putet, aut, cum deos esse intellexerit, non intellegat eorum numine hoc tantum imperium esse natum et auctum et retentum? Quam volumus licet, patres conscripti, ipsi nos amemus, tamen nec numero Hispanos nec robore Gallos nec calliditate Poenos nec artibus Graecos nec denique hoc ipso huius gentis ac terrae domestico nativoque sensu Italos ipsos ac Latinos, sed pietate ac religione atque hac una sapientia, quod deorum numine omnia regi gubernarique perspeximus, omnis gentis nationesque superavimus. 38 Dies ist übrigens eine treffende Einteilung der römischen Staatsreligion.
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Wilfried Stroh enthaltene Weisheit ist größer als alle griechische Religionsphilosophie!]39 Denn wer ist so wahnwitzig, dass er, wenn er zum Himmel emporblickt, nicht wahrnimmt, dass es Götter gibt, sondern etwa glaubt, dass die Geschehnisse, die so sehr einen Geist voraussetzen, dass kaum jemand sie in ihrer Ordnung und Notwendigkeit mit irgend einer Kunst erfassen kann, dass diese Dinge dem Zufall zuzuschreiben wären ... [damit ist der Gottesbeweis skizziert, der allen Menschen immer am meisten eingeleuchtet hat: der sog. physikotheologische, der Schluss aus der Ordnung des Weltalls auf den intelligent designer, wie die christlichen Fundamentalisten heute sagen. So weit war das griechisch gedacht, aber nun folgt ein echt römischer Gottesbeweis:] ... und der, wenn er einmal eingesehen hat, dass es Götter gibt, dann nicht auch einsieht, dass nach deren Willen dieses große Reich entstanden, vermehrt und erhalten worden ist. [Aber warum haben die Götter gerade den Römern ein solches Reich geschenkt? Nun folgt der Satz, den wir zum Teil schon gehört haben:] Denn, Senatoren, wenn wir uns auch noch so sehr lieben, weder können wir es an Bevölkerungszahl mit den Spaniern aufnehmen, noch an Körperkraft mit den Galliern, noch an Schlauheit mit den Puniern, noch an Kunst und Wissenschaft mit den Griechen, noch an dem ursprünglichen Mutterwitz, der dieses Volk und Land auszeichnet, mit den Italern selbst und den Latinern [Rom liegt zwar in Latium, aber Römer und Latiner sind immer noch etwas Verschiedenes], aber durch Frömmigkeit und Religion und durch diese einzige Weisheit, die uns erkennen ließ, dass alles durch den Willen der Götter regiert, gelenkt und gesteuert wird, haben wir alle Völker und Nationen überwunden.
Religiosität ist die Nationaltugend der Römer, durch die sie ihre sonstigen Schwächen kompensieren und der sie ihr Weltreich verdanken. So redet Cicero im Senat als ein gläubiger, der Staatsreligion fromm ergebener Römer, und er hat allen Grund dazu: Würde er auch nur einen Verdacht aufkommen lassen, dass er das Gutachten der Haruspices nicht ernst nähme, hätte er wohl keine Chance mit seiner Deutung des Gutachtens und der Verteidigung seines Hausbaus, um den es ihm ja letztlich geht. Interessant ist dabei vor allem, dass er den Gedanken, das Gutachten könne irgendwie politisch manipuliert sein, überhaupt nicht erst aufkommen lässt – obwohl es uns so nahe zu liegen scheint. Die modernen Althistoriker sind ja durchweg der Ansicht, dass hinter dem fromm klingenden responsum politische Motive steckten, d.h. dass die Haruspices irgendwie bestochen waren – was mir mitnichten sicher scheint –; aber Cicero streitet so etwas nicht einmal ab (obwohl es Wasser auch auf seine Mühle sein könnte). Er riskiert kein Missverständnis seiner Rechtgläubigkeit und gibt sich völlig überzeugt von der Autorität der etruskischen Sachverständigen. Und nicht nur hier spricht Cicero so: Überall in seinen Reden tritt er auf als zutiefst frommer Staatsbürger,40 der in seinem Einsatz für die res publica die Götter auf seiner Seite weiß, der umgekehrt seine Feinde, Verres, Catilina, Clodius, Antonius, der Rache der Götter überantwortet, der streng darauf hält, dass, wie hier, Vorzeichen bzw. Götterzeichen beachtet werden und dass man die Auspizien, die Zeichen durch Vogelflug, ordentlich einholt und berücksichtigt. Und das praktiziert er auch: Als nach dem Tod des Crassus im Jahr 53 v. Chr. die Stelle eines Auguren 39 Ähnlich haben später Juden und Christen versucht nachzuweisen, die Griechen hätte ihre Weisheit von Moses bezogen – der ja auch viel älter ist. Soweit kann geht Cicero nicht gehen, schon aus chronologischen Gründen. 40 Dazu und zum ganzen Themenkreis die materialreiche Untersuchung von Goar (1972); vgl. auch Latte (1960), 285f.
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vakant wurde, ließ er sich selbst ins Augurenkollegium nachwählen41 – wobei nichts davon bekannt ist, dass er dabei ein Augurenlächeln42 gezeigt hätte. Vor allem am Ende seiner Reden findet sich häufig ein religiöser Appell, der Eindruck machen und Ciceros Überredungsabsicht eine höhere Weihe geben soll. So schärft er gerade etwa in unserer Rede am Ende ein, um seine Mahnung zur Eintracht im Staat zu unterstützen, dass die Stimme der Vorzeichen die Stimme der Götter sei (har. resp. 62): Glaubt doch nicht, dass es so gehen könne, wie ihr es oft in den Bühnendramen seht, dass irgendein Gott vom Himmel kommt [gedacht ist besonders an den sprichwörtlichen deus ex machina], um sich in die Gesellschaft der Menschen zu begeben, auf Erden zu weilen und mit den Menschen zu reden. Stellt euch stattdessen vor die Art des Getöses, wie es die Latiner gemeldet haben und denkt auch an das gleichzeitige, noch nicht registrierte schreckliche Erdbeben in Potentia [...]. Ja, das ist die Stimme der unsterblichen Götter, das muss man fast schon als ihre Rede ansehen, wenn der ganze Kosmos, wenn Himmel und Erde, von einem ganz neuen Beben erschüttert werden und mit ungewohntem und unglaublichem Ton Prophezeiungen machen.43
CICERO ALS PHILOSOPH UND DIE DREIGETEILTE THEOLOGIE DER RÖMER Aber dieser religionsfromme Staatsbürger ist nur der eine Cicero. Neben dem Politiker gibt es ja, wie er soeben nebenbei eingestanden hat, auch den Philosophen Cicero, dem bewusst ist, dass das, was die Religion praktiziert, nicht immer identisch ist mit dem, was die Vernunft lehrt und was in den Schriften der Philosophen zu lesen ist. Sehen wir ganz ab von den Epikureern, die ihre Götter in Zwischenwelten lokalisieren, ohne sich um die Menschen zu kümmern – Ciceros Zeitgenosse Lucrez gab im Rahmen eines naturwissenschaftlichen Gedichts eine eindrucksvolle Darstellung dieser Lehre – ,44 auch die Götterlehre der Stoiker machte Schwierigkeiten: Wenn diese im Grunde nur ein Göttliches ansetzten, das in Form eines 41 Belege bei Gelzer (1969), 206. 42 Unter Augurenlächeln versteht man heute das zwinkernde Einverständnis der Eingeweihten, die sich bewusst sind, mit religiösen oder anderen Mittel eine leichtgläubige Menge hinters Licht zu führen. Dies geht zurück auf eine (bei Cicero, div. 2,51 referierte) Äußerung des älteren Cato, der aber von einem Lächeln der Haruspices gesprochen hatte: „Er wundere sich, warum ein Haruspex nicht lache, wenn er einen anderen Haruspex sehe“. 43 Nolite enim id putare accidere posse quod in fabulis saepe videtis fieri, ut deus aliqui delapsus de caelo coetus hominum adeat, versetur in terris, cum hominibus conloquatur. Cogitate genus sonitus eius quem Latinienses nuntiarunt, recordamini illud etiam quod nondum est relatum, quod eodem fere tempore factus in agro Piceno Potentiae nuntiatur terrae motus horribilis [...] Etenim haec deorum immortalium vox, haec paene oratio iudicanda est, cum ipse mundus, cum maria atque terrae motu quodam novo contremiscunt et inusitato aliquid sono incredibilique praedicunt. 44 Lucrez sieht es als seine Hauptaufgabe an, die Menschen von religio, wie er sie versteht, d.h. von falschen Vorstellungen über die Götter, zu befreien, polemisiert dabei aber interessanterweise nirgendwo eigentlich gegen die Einrichtungen der römischen Staatsreligion. Immerhin war ja der Adressat seines Lehrgedichts, Memmius, ein führender Staatsmann.
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feurigen Äthers die ganze Welt gestaltend durchdrang und zugleich Natur, Schicksal, Kausalgesetz und Vorsehung war,45 wie vertrug sich das mit dem römischen, in tausend Spezialgötter zerfächerten Polytheismus? War dieser stoische Zeus so ganz identisch auch nur mit dem Jupiter der Staatsreligion, dem Cicero etwa als neugewählter Konsul am 1. Januar 63 auf dem Kapitol weiße Stiere opferte? Ja konnte man einem solchen stoischen Gott überhaupt sinnvollerweise ein Opfer darbringen? Dazu kam, dass Cicero durch sein persönliches philosophisches Glaubensbekenntnis dazu angehalten war, überhaupt keine sicheren, untrüglichen Aussagen zu machen. Sein Lehrer Philon, der den Achtzehnjährigen zuerst mit griechischer Philosophie, vor allem mit Platon, bekannt machte, vertrat ja die Richtung der akademischen Skepsis, der Cicero ein Leben lang treu bleiben wollte: Danach gab es keine sichere Wahrheit, sondern alle Aussagen konnten nur für mehr oder minder wahrscheinlich gelten.46 Eine solche Einstellung kam zwar insofern nicht in Konflikt mit der römischen Staatsreligion, als diese keine verbindlichen Dogmen kannte – so etwas brachten ja erst die Christen – , aber den Zweifel an der Zweckmäßigkeit bestimmter religiöser Einrichtungen wie gerade der Eingeweideschau konnte sie durchaus nähren. Cicero war nicht der Einzige, der solche Probleme hatte. Der große Gelehrte Varro, sein Zeitgenosse und Freund, ein unübertroffener Kenner der römischen Religions- und Staatsaltertümer, hatte, um Schwierigkeiten vorzubeugen, die ganze Religion bzw. Theologie in drei getrennte Gebiete zerteilt (die sog. theologia tripertita):47 Das ist 1. die theologia poetarum: also was die Dichter von den Göttern wissen, 2. die theologia civilis: die bürgerliche Religionspraxis in Staat und Familie, 3. die theologia philosophorum bzw. theologia physica: was die Philosophen über die Götter lehren. Was die Dichtertheologie angeht, so weiß alle Welt seit Hesiod,48 dass die Dichter lügen und von Dingen fabeln, die es nie gegeben hat. Zwar dass Herakles gelebt hat, wird man wohl nicht gerade bestreiten; aber dass er seine Zeugung einer durch Spätaufgang der Sonne verdoppelten Liebesnacht des Zeus mit Alkmene verdanke, glaubt kein Mensch, so wenig wie das, was Cicero an der zitierten Stelle leugnet: dass die Götter persönlich vom Himmel herabsteigen und mit den Menschen sprechen. So etwas ist ein Stück „dichterischer Freiheit“,49 die man allenfalls spielerisch ernst nimmt, wenn man gerade selber Dichter ist. So hat Cicero in dem von ihm selbst verfassten Epos über sein Konsulat (De consulatu
45 Klassische Darstellung bei Pohlenz (1970), 93ff. 46 Vgl. Gawlick/Görler (1994) (umfassendste moderne Gesamtdarstellung von Ciceros philosophischen Schriften). Zu Ciceros Skeptizismus vgl. seitdem bes. Leonhardt (1999). 47 So in seinen 16 Büchern Antiquitates divinarum rerum, die uns in diesem Punkt erst bekannt sind durch Augustins De civitate Dei 6,5, dort: genus mythicon, g. physicon, g. civile (in dieser Reihenfolge). Dabei scheint sich Varro auf den Pontifex Q. Mucius Scaevola berufen zu haben, der von drei Arten von Göttern sprach (Aug. civ. 4,27). Dass es sich um eine schon hellenistische Denkform handle, sucht nachzuweisen Lieberg (1982). – Vgl. jetzt etwa Rüpke (2001), 121ff. Zum Verhältnis von Ciceros und Varros Gottesvorstellung vgl. Baier (1997), 42–65. 48 Theogonie 27: „Wir (Musen) wissen viele Lügen zu sagen, die der Wahrheit ähnlich sind ...“. 49 Vgl. Kroll (1924), 52–54.
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suo) diverse Musen persönlich auftreten und ihm, Cicero, gute Ratschläge geben lassen. (Was aber auch schon die Zeitgenossen ziemlich albern fanden.) Von diesem dichterischen Schnickschnack zu trennen ist die sehr ernsthafte bürgerliche Theologie, die Summe aller überlieferten religiösen Einrichtungen und Bräuche. Mit ihr beschäftigt sich Cicero, wie gezeigt, vor allem in den Reden, gelegentlich auch in seinen Briefen: Sie erhebt zwar keinen Anspruch auf Wahrheit – wie die Römer überhaupt ihre Religion nie für „wahrer“ als irgend eine andere gehalten haben – , wohl aber auf buchstäbliche Berücksichtigung: Kein Mensch verstand mehr den Text des urtümlichen Salierlieds, dennoch wurde es von den frommen Priestern gesungen und getanzt50 (ähnlich dem lateinunkundigen Priester, von dem Bonifatius erzählt, er habe getauft in nomine patria et filia). Dieser rigorose Traditionalismus konnte sogar unangenehme Folgen haben: Als P. Scipio sein Heer im Jahr 190 v. Chr. gegen Antiochos über den Hellespont führen wollte, kamen die heiligen Tage des Mars, bei denen er als Salierpriester sich nicht rühren durfte; so blieb er dreißig Tage lang von seinen Truppen getrennt.51 Selbst Caesar, der sich gelegentlich über sakrale Vorschriften hinwegsetzte, wie im Falle der umstrittenen Adoption des Clodius, hält sich in der Regel an religiöse Gepflogenheiten: Vor der für sein Leben entscheidenden Schlacht bei Pharsalos betete er und gelobte der Venus einen Tempel. Ihm, Caesar, widmet auch Varro sein großes theologisches Werk, die Antiquitates divinae, sicherlich in der Hoffnung, dass der Dictator Caesar zur Erhaltung und Erneuerung der altrömischen Religion beitragen könne. Caesar und Cicero, die beiden Antipoden, sind hier nicht so sehr verschieden. Bleibt als drittes: die Theologie der Philosophen.52 Diese sind schon früh, seit Xenophanes (im 6./5. Jahrhundert), auf Konfrontation zu den Dichtern gegangen. Bekannt ist, dass Platon aus seinem Idealstaat den Homer gerade auch wegen seiner Götterdarstellung verbannen wollte. Andere, wie vor allem die Stoiker, wollten auch frivolen Göttermythen durch allegorische Auslegung einen erträglichen physikalischen oder moralischen Sinn abgewinnen. Dem Staatskult standen gerade sie meist freundlicher gegenüber. So konnten die Stoiker den in Rom so wichtigen Formen der Weissagung – die Haruspizin war ja nur eine Form davon – eine Art wissenschaftliches Fundament geben: Ein Band der Sympathie (des „Mitempfindens“) verbinde alles in der Welt zu mannigfachen Entsprechungen; so ließen sich, wie die Gezeiten des Meers, auch die Voraussagen etwa der Astrologie und Eingeweideschau erklären. Diese philosophische Theologie war den Römern vor Cicero, wie alle Philosophie, nur aus griechischen Schriften bekannt. Erst Cicero selbst hat die Kühnheit besessen, diese ganze Welt des griechischen Denkens in der eigenen, lateinischen Sprache seinen Landsleuten zu erschließen. Wir verlassen nun also den Cicero der Reden und fragen nach dem, was Cicero in diesen philosophischen Schriften, die er in den Jahren 55 bis 51 und dann wieder 46 bis 44 verfasst hat, 50 Quintilian, inst. 1,6,40. 51 Polybios 21,13,10-14; Livius 37,33,6f. 52 Eine repräsentative Gesamtdarstellung wüsste ich nicht zu nennen. Für die Anfänge gilt immer noch als klassisches Werk Jaeger (1947); lesbar und informativ ist Nestle (1941). So ist man naturgemäß verwiesen auf die neueren Philosophiegeschichten; hervorgehoben sei als monumentale Gesamtdarstellung Flashar (1983–2007) (noch unvollständig).
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über Götter und Religion zu sagen weiß: Wie verhält es sich zu seiner politischen Einstellung? DIE RELIGION IN CICEROS ERSTEN DIALOGEN Ein erstes Zeugnis bieten schon die im Jahr 54–52 v. Chr. verfassten Bücher vom Staat (De re publica), wo Cicero auch auf die geschichtliche Entstehung der römischen Religion zu sprechen kommt. Er schreibt sie nach älterer Tradition vor allem König Numa zu (rep. 2,26f.), wobei er diesen aber nicht etwa nach göttlicher Eingebung verfahren lässt, sondern nach rein vernünftigen Überlegungen: Es sei ihm darum gegangen, die durch viele Kriege verrohten Römer wieder etwas zu zivilisieren. Dabei wurde von ihm auch die Ökonomie berücksichtigt: Das Opferwesen sollte zwar kompliziert sein, um die Leute zu beschäftigen, es sollte aber nur geringe Unkosten machen. Ein aufgeklärter, nicht gerade bigotter Moses. Näher kommen wir der römischen Religion in den bald darauf begonnenen Büchern von den Gesetzen (De legibus). Zwar liegt das, was Cicero im ersten Buch über ein Menschen und Götter umfassendes Naturrecht (ius naturae) spekuliert, weit ab von allem Römischen; dann aber, als er im zweiten Buch daran geht, sein positives Gesetzeswerk zu errichten, ein großes Corpus Iuris, das sowohl für den römischen Staat gelten als auch möglichst in allen übrigen Staaten eingeführt werden soll, man denke, beginnt er in gut römischer Weise mit den Sakralgesetzen. Ihnen voraus geht eine Partie, die Cicero in Anlehnung an Platon, „Lob des Gesetzes“ oder „Vorspruch zum Gesetz“ nennt. Sie beginnt so (leg. 2,15f.)53: Von Anfang müssen also die Bürger der Überzeugung sein, dass die Götter Herren und Lenker aller Dinge sind und dass alles, was geschieht, nach ihrem Urteil und Willen geschieht und dass sie sich auch auf das Beste um das Menschengeschlecht verdient machen und dass sie Acht darauf haben, was für ein Mensch ein jeder ist, was er tut, was er sich zu Schulden kommen lässt, mit welcher Gesinnung und Frömmigkeit er seine religiösen Pflichten erfüllt, und dass sie auf Fromme und Unfromme aufmerken.
Dies immerhin ist ein partiell neuer Ton: Es kommt nicht nur darauf an, dass man formell das Richtige tut, sondern auch, dass man es in der richtigen Gesinnung tut. Weiter: „Sind nämlich ihre Gedanken durchtränkt von diesen Vorstellungen, dann werden sie nicht weit von der Meinung abweichen, die nützlich und wahr ist.“ Nützlich und wahr. Dass der Götterglaube wahr ist, zeigt Cicero dann auf Grund des uns schon bekannten physikotheologischen Beweises (der ihm offenbar den größten Eindruck gemacht hat). Aber ebenso wichtig ist die Nützlichkeit des
53 Sit igitur hoc iam a principio persuasum civibus, dominos esse omnium rerum ac moderatores deos, eaque quae gerantur eorum geri iudicio ac numine, eosdemque optime de genere hominum mereri, et qualis quisque sit, quid agat, quid in se admittat, qua mente, qua pietate colat religiones, intueri, piorumque et impiorum habere rationem. His enim rebus imbutae mentes haud sane abhorrebunt ab utili aut a uera sententia.
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Götterglaubens: Sie beruht auf dessen Unentbehrlichkeit für das menschliche Zusammenleben:54 Wer kann aber leugnen, dass solche Meinungen nützlich sind, wenn er sieht, wie viele Dinge durch Eid bekräftigt werden, wie existenzwichtig heilige Verträge sind [Cicero denkt an internationale Abkommen], wie viele schon die Furcht vor göttlicher Strafe von einem Verbrechen abgehalten hat, wie heilig auch der Zusammenschluss von Bürgern untereinander ist, wenn man die unsterblichen Götter als Richter und auch als Zeugen eingesetzt hat.
Man sagt manchmal, die Religion der Griechen und Römer habe mit Moral nichts zu tun gehabt. Das ist so pauschal nicht richtig. Die Götter der Römer verlangen zwar nicht eine kleinliche Einhaltung moralischer Vorschriften in Art auch nur der Zehn Gebote, aber sie verstehen keinen Spaß an den Stellen, wo sie selber ins Spiel kommen: beim Eid, wo der Schwörende die Rache des Gottes im Falle eines Meineids auf sich herabruft, und bei internationalen Verträgen, die durch Opfer besiegelt werden. Und die Götter rächen spontan, wie man sieht, besonders große Verbrechen – oder zumindest sollen das die präsumtiven Verbrecher glauben. Denn es geht ja an dieser Stelle nicht um Wahrheit, sondern nur um den gesellschaftlichen Nutzen. Ovid hat an einer berühmten Stelle seiner Liebeskunst (Ars amatoria) denselben Gedanken ausgesprochen, wo er nämlich zeigt, dass nur in der Liebe, d.h. gegenüber den Mädchen bzw. Frauen, der sonst verbotene Meineid erlaubt sei (ars 1,637-642), und der erste Vers davon ist bis heute sprichwörtlich geworden: EXPEDIT ESSE DEOS, ET, UT EXPEDIT, ESSE PUTEMUS ... Ich übersetze das Ganze in Versen:55 Götter sind nützlich, sofern es sie gibt – drum seien wir gläubig! Weihrauch auf altem Altar spende man ihnen und Wein. Keine beschauliche Ruh, kein schläfriger Friede umfängt sie: Schuldlos lebet: Es ist stets eine Gottheit zur Stell. Gebet Vertrautes zurück; fromm wahret das heilige Bündnis! Trug sei ferne und rein bleibe vom Blute die Hand. Seid ihr schlau, so betrügt allein eure Mädchen (erlaubt ist’s!) Hier nur wäre die Treu schmählicher noch als der Trug.
54 Utilis esse autem has opiniones quis neget, quom intellegat quam multa firmentur iure iurando, quantae saluti sint foederum religiones, quam multos divini supplicii metus a scelere revocarit, quamque sancta sit societas civium inter ipsos, diis inmortalibus interpositis tum iudicibus testibus? 55 Expedit esse deos, et, ut expedit, esse putemus; / Dentur in antiquos tura merumque focos; / Nec secura quies illos similisque sopori / Detinet; innocue vivite: numen adest; / Reddite depositum; pietas sua foedera servet: / Fraus absit; vacuas caedis habete manus. / Ludite, si sapitis, solas impune puellas: / Hac minus est una fraude pudenda fides (zur Interpretation dieses umstrittenen Verses s. Stroh (1976/2000), 176f.).
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Diese kecke Botschaft56 enthält in ihrem ersten Teil, den man oft als irreligiös bezeichnet hat, nichts anderes als Ciceros Überzeugung von der Nützlichkeit und Unentbehrlichkeit des Götterglaubens – für die es auch sonst viele römische Zeugnisse gibt.57 Von den Sakralgesetzen, die Cicero sodann aufstellt und die sich meist lose an römischen Gegebenheiten orientieren, sei nur kurz das erste zitiert, weil Cicero hier aus philosophischem Geist eine gewisse Neuerung versucht:58 Sie (die Bürger) sollen keusch (caste) an die Götter herantreten, Frömmigkeit walten lassen, Aufwand fernhalten. Wenn einer zuwiderhandelt, wird der Gott selbst Rächer sein.
Unter der geforderten Keuschheit bzw. Reinheit ist, wie Cicero erläutert, nicht nur die übliche kultische Reinheit des Körpers zu verstehen, sondern mehr noch die des Geistes, also etwa das, was Horaz und auch Jesus als die „Reinheit des Herzens“ bezeichnen.59 Denn die Befleckung des Körpers könne mit Wasser abgewaschen werden, nicht die des Gemüts. Wie schön und christlich! Und ebenso schön ist die an König Numa erinnernde Mahnung, dass dem Gott mehr an der Gesinnung als an dem Aufwand beim Opfer gelegen ist. Schließlich ist ein feiner Zug auch, dass gegen die Verfehlung keine Kirchenstrafen verhängt werden, sondern der Gott selbst sich rächen soll: „Mein ist die Rache, spricht der Herr.“ (Wobei hier, wie im Alten Testament, nicht an jenseitige Strafen zu denken ist.) Cicero ist nicht nur ein profunder Kenner der römischen Religion, er wüsste sie sogar behutsam zu reformieren – wie ein neuer Numa. Aber seine Vorschläge sind nur Papier geblieben. Das große Werk De legibus blieb unvollendet, und die Reste wurden wohl erst postum herausgegeben. DIE RELIGION IN CICEROS DE NATURA DEORUM Erhalten ist dafür ein anderes, rein theologisches Werk, das man zu Ciceros Meisterschriften rechnet. Etwa zehn Jahre später behandelte er im Rahmen einer großen philosophischen Enzyklopädie auch den Bereich der Physik, zu der – für uns sonderbar zu hören – nach antikem Verständnis besonders auch die Theologie gehört.60 Drei Bücher behandeln das Wesen der Götter (De natura deorum), zwei Bücher die Weissagung bzw. Prophetie (De divinatione), ein letztes das Schicksal (De fato). Nach Ansicht der Stoiker, mit denen sich Cicero hier vor allem auseinandersetzt, 56 Zur genaueren Interpretation (im Hinblick auch auf die augusteische Religionspolitik) vgl. Stroh (1978), 180–183. 57 Einiges bei Stroh (1978), 181 (mit Lit.). Eindrucksvoll bes. Augustin, civ. 4,27 über den Pontifex Scaevola: Expedire igitur existimat falli in religione civitates. 58 Leg. 2,19: Ad divos adeunto caste, pietatem adhibento, opes amovento. Qui secus faxit, deus ipse vindex erit. 59 Horaz, sat. 1,6,64 u.ö.; Matth. 5,8. 60 Da der Gott in der Regel nicht als Weltschöpfer gedacht wird, ist er Teil der Natur, physis, und als solcher in der „Physik“ zu behandeln. Für Juden und Christen dagegen ist die scharfe Trennung zwischen Schöpfer und Geschöpf konstitutiv; die Verwechslung von beidem ist seit Adam und Eva die Ursünde.
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hängen die drei Themen miteinander notwendig zusammen: Wenn es Götter gibt, die die Welt regieren und sich auch um die Menschen kümmern (natura deorum), dann ist anzunehmen, dass sie die Menschen auch an ihrem Zukunftswissen teilhaben lassen (divinatio); dies aber setzt voraus, dass die Zukunft überhaupt schicksalhaft (durch fatum) determiniert ist. Ciceros Einstellung zu diesen drei Punkten ist überraschenderweise nicht dieselbe: Während er bezüglich des Wesens der Götter die stoische Auffassung zumindest für plausibel hält, wendet er sich strikt gegen jede Art von Weissagung und Schicksalsglauben. Er bleibt also insgesamt ein bestenfalls halbherziger Stoiker – was ihn sogar in Konflikt mit der römischen Staatsreligion bringt. Die einschlägigen Partien gehören zum Interessantesten und Packendsten, was Cicero über Religion gesagt hat, geben sie uns doch einen einzigartigen Einblick in die Konflikte eines gebildeten Römers, der die traditionelle einheimische Religion seiner Väter mit seiner modernen, griechischen Bildung in Einklang zu bringen versucht.61 In dem Dialog De natura deorum62 vertritt ein gewisser C. Aurelius Cotta, ein römischer Politiker der älteren Generation, die Position Ciceros, d.h. des skeptischen Akademikers, der alle positiven Dogmen der philosophischen Schulen als unsicher und höchstens plausibel erweist. Das geht so vor sich. Zunächst, in Buch I, verficht ein römischer Epikureer, C. Velleius, die Lehre seines Meisters: Die seligen und ewigen Götter – die aber dennoch aus materiellen Atomen bestehen –, leben in Zwischenwelten und kümmern sich nicht um die Menschen. Es ist leicht für Cotta, diese Ansicht, die ihm wie uns etwas albern scheint, zu widerlegen. Schwieriger ist es mit der stoischen Lehre fertig zu werden, die, in Buch II, ein gewisser Q. Lucilius Balbus ausführlich vorträgt. Mit einer Reihe von Gottesbeweisen demonstriert er zunächst die Existenz der Götter, dann ihre Natur, die vielfältig ist – sowohl die Welt selbst ist göttlich als auch die Gestirne und einzelne große Heroen wie Hercules und Romulus – ; drittens zeigt er in detaillierter Weise, wie alles in der Welt zweckmäßig eingerichtet ist – der Schwan braucht seinen langen Hals ebenso notwendig wie der Elefant den Rüssel – ; aber letztlich sind sämtliche Dinge um des Menschen willen geschaffen: Das Schaf soll uns Wolle liefern, das Schwein Schinken, die Rinder gehören unters Joch und der Hund vors Haus zum Hüten und Bellen … Balbus begeistert sich förmlich für die Schönheit und Großartigkeit seiner stoischen Theologie. Und er meint, dass sie und nur sie im Einklang stehe mit der römischen Götterverehrung. Darum fordert er Cotta auf, er solle diesmal die Kunst seiner Rede nicht einsetzen, um ihn, wie vorher den Epikureer Velleius, zu widerlegen, sondern im Gegenteil, um seine, die stoische Auffassung zu bekräftigen. Und er packt ihn bei seiner Verantwortung als vornehmer Politiker und als Priester – Cotta war pontifex: im Staatsinteresse gehe es doch nicht an, auch nur dem Scheine nach, als advocatus diaboli gegen Existenz und Fürsorge der Götter zu argumentieren. 61 Vgl. Brunt (1996). 62 Eine bequeme zweisprachige Ausgabe bieten Gigon/Straume-Zimmermann (1996). Grandios materialreich ist der Kommentar von Pease (1955–1958).
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Aber mit diesem moralisch betulichen Appell kommt er bei Cotta an den Falschen; denn der denkt gar nicht daran, sich die Freiheit des Denkens durch seine politischreligiösen Pflichten abkaufen zu lassen. Römische Religion und philosophische Theologie sind zwei Paar Stiefel (nat. deor. 3,5f.)63: Deine Autorität, Balbus, beeindruckt mich nicht wenig, ich meine den Appell am Schluss deiner Rede, wo du sagtest, ich solle doch daran denken, dass ich ein Cotta sei und ein Priester; und damit meintest du doch wohl, ich solle die von den Vorfahren ererbten Ansichten über die unsterblichen Götter, Opfer, Zeremonien, Religionsbräuche verteidigen. Ja, die werde ich immer verteidigen und habe sie immer verteidigt; und von der Meinung, die ich von den Vorfahren über die Verehrung der unsterblichen Götter übernommen habe, wird mich nie die Rede irgend eines Gebildeten oder Ungebildeten abbringen. Vielmehr, wenn es sich um Religion handelt, folge ich Tiberius Coruncanius, Publius Scipio und Publius Scaevola, den Oberpriestern, nicht einem Zenon oder Kleanthes oder Chrysipp [den drei prominentesten stoischen Schulhäuptern]. [Es folgt die ciceronische Dreiteilung der römischen Religion in Opfer, Auspizien, Weissagung.] Von diesen religiösen Institutionen habe ich keine je geringgeschätzt und bin immer der Überzeugung gewesen, dass Romulus durch die Einrichtung der Auspizien und Numa durch die der Opfer die Grundlagen für unseren Staat gelegt haben. Denn ohne die völlige Besänftigung der Götter hätte unser Staat in der Tat nie so groß werden können. [Wiederum Ciceros echt römischer Gottesbeweis.] Nun weißt du, Balbus, was die Meinung eines Cotta und die eines Priesters ist. Jetzt lass mich aber auch verstehen, was deine Meinung ist. Denn von dir als Philosoph muss ich eine rationale Begründung der Religion bekommen, unseren Vorfahren aber muss ich auch ohne vernünftige Rechenschaft glauben.
Eine großartige oder, wenn man will, unheimliche Bewusstseinsspaltung: Cotta ist zugleich frommer Römer, der alles brav akzeptieren will, und aufgeklärter Philosoph, der alles in Zweifel ziehen darf. Das tut er denn auch im dritten Buch mit großartigem Schwung und sarkastischem Witz – nicht, wie er vorsichtigerweise sagt, um den Götterglauben aufzuheben, wohl aber um zu zeigen, wie schwer es sei, in diesen Dingen zur Sicherheit zu kommen. Überraschend ist dann aber der Schluss. Während der Epikureer Velleius mit den Darlegungen des Cotta zufrieden ist, stellt Cicero, der dem Dialog als Zuhörer beigewohnt hat, fest, dass ihm die stoische Ansicht des Balbus doch eher plausibel geschienen habe (3,95). Selbstverständlich hat er ja auch als akademischer Skeptiker das Recht, eine dogmatische Ansicht für immerhin wahrscheinlich zu halten. Kaum ein Zweifel: Trotz aller Bedenken glaubt Cicero letztlich an die Götter, an ihre Fürsorge für die Menschen und besonders für den römischen Staat. Der Kirchenvater Augustin hat ihm das 63 Non enim mediocriter moveor auctoritate tua, Balbe, orationeque ea, quae me in perorando cohortabatur, ut meminissem me et Cottam esse et pontificem; quod eo, credo, valebat, ut opiniones, quas a maioribus accepimus de dis immortalibus, sacra, caerimonias religionesque defenderem. Ego vero eas defendam semper semperque defendi nec me ex ea opinione, quam a maioribus accepi de cultu deorum inmortalium, ullius umquam oratio aut docti aut indocti movebit. Sed cum de religione agitur, Ti. Coruncanium, P. Scipionem, P. Scaevolam pontifices maximos, non Zenonem aut Cleanthen aut Chrysippum sequor [...]. [...] harum ego religionum nullam umquam contemnendam putavi mihique ita persuasi, Romulum auspiciis, Numam sacris constitutis fundamenta iecisse nostrae civitatis, quae numquam profecto sine summa placatione deorum inmortalium tanta esse potuisset. Habes, Balbe, quid Cotta, quid pontifex sentiat; fac nunc ego intellegam, tu quid sentias; a te enim philosopho rationem accipere debeo religionis, maioribus autem nostris etiam nulla ratione reddita credere.
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allerdings nicht abgenommen: Cicero sei im Grunde seines Herzens Atheist gewesen und habe das nur aus gesellschaftlichen Rücksichten nicht zuzugeben gewagt (de civ. dei 3,9). Aber hier dürfte Augustin einmal irren – wie sich bald noch deutlich zeigen wird. CICERO IM KONFLIKT ZWISCHEN PRIESTERAMT UND PHILOSOPHIE Noch aufregender ist Ciceros zweite religionsphilosophische Schrift „Über die Weissagung“ (De divinatione),64 denn hier kommt er mit seinem eigenen Priesteramt als römischer Augur in Konflikt. Das Werk besteht aus einem Dialog zwischen seinem Bruder Quintus und ihm selbst. Problem: Gibt es überhaupt ein Vorauswissen der Zukunft? Während Bruder Quintus, ein bekennender Stoiker, die Frage mit Leidenschaft bejaht – die Weissagung in ihrer institutionalisierten Form ist ihm sogar eine echte, auf Jahrtausende alter Erfahrung beruhende Wissenschaft – , zerpflückt unser Marcus Cicero mit Witz und Scharfsinn alle vorgelegten Beweise für die Existenz einer Kunst, die es gar nicht gibt oder die, wenn es sie gäbe, nutzlos wäre: Denn wenn die Zukunft nicht vorherbestimmt ist, gibt es keine divinatio; ist sie aber vorherbestimmt, hilft die divinatio nichts. Brisanter noch als diese Grundsatzüberlegungen ist die detaillierte Kritik, die Cicero dann an den einzelnen Einrichtungen der Staatsreligion äußert. Das betrifft zunächst (2,28ff.) die Eingeweideschau (haruspicina) – zu der er sich ja doch zwölf Jahre zuvor (in der Rede De haruspicum responso) mit Leidenschaft bekannt hatte. Wie soll es möglich sein, heißt es jetzt, dass der Zustand der Eingeweide eines Opfertiers mit irgendwelchen zukünftigen Ereignissen in Zusammenhang steht? Die Stoiker erklären das, wie gesagt, mit einer Sympathie, die alle Teile des Kosmos aufeinander abstimmt und sie untereinander irgendwie korrespondieren lässt. Aber wie soll man sich das konkret vorstellen: Ändert etwa ein Opfertier vor der Opferung seine Eingeweide je nach der Person des Opfernden, der seine eigene Zukunft durch Opferschau ergründen will? „Das glauben doch nicht einmal die alten Weiber,“ sagt Cicero wörtlich (div. 2,36). Dann kommen auch die Auspizien dran (2,70ff.), also das Gebiet, für das Ciceros als einer der Auguren zuständig ist. Sie bestehen darin, dass man sich vor wichtigen Handlungen des Einvernehmens der Götter vergewissert, vor allem durch die Beobachtung des Vogelflugs, der Blitze und des Fressverhaltens der Hühner. Cicero stellt zunächst sehr richtig fest, dass dies eigentlich gar keine Form der Prophezeiung ist; dann aber meint er, die schon von Romulus nicht ganz korrekt eingerichteten Auspizien seien im Lauf der Zeit so heruntergekommen, dass man überhaupt keine wirklichen Auspizien habe. Sollte man sie also abschaffen? O nein! Sie sind strikt aufrecht zu erhalten, weil das Volk daran glaubt und weil sie großen Nutzen für den Staat haben, genau so wie die Eingeweideschau (2,28). Durch die Auspizien, besonders die Blitzbeobachtung, hat man ja vor allem die Möglichkeit, 64 Auch hier bietet die Tusculumbücherei eine zweisprachige Ausgabe von Schäublin (1991); wieder stammt der fundamentale wissenschaftliche Kommentar von Pease (1920/1923).
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im Interesse des Staats unzweckmäßige Volksbeschlüsse zu verhindern bzw. zu annullieren. Damit hat Cicero den Standpunkt des Cotta fast noch radikalisiert. Cotta ließ einen Konflikt zwischen seiner religiösen Praxis und seiner philosophischen Überzeugung gar nicht erst aufkommen. Cicero ist nunmehr offenbar bereit, hier sogar einen glatten Widerspruch hinzunehmen. Aber die Haupttendenz seiner Schrift geht dann nicht etwa auf die Erhaltung der Weissagungspraktiken im römischen Staatskult, sondern im Gegenteil auf die Zerstörung des Glaubens an Weissagung, die er zumindest grundsätzlich für eine gefährliche Form des Aberglaubens (superstitio) hält. Wie sein Zeitgenosse, der Epikureer Lucrez, die Religion (religio) insgesamt bekämpft, so sieht er sich als Aufklärer im Krieg gegen die superstitio. Der Schluss seiner Schrift ist seine letzte Grundsatzerklärung zur Religion (2,148-150):65 Um die Wahrheit zu sagen: Aberglaube (superstitio) hat sich über die Völker ergossen, hat das Denken fast aller unterworfen und sich der Schwäche der Menschen bemächtigt. [...] Ich meinte, sowohl mir selber als auch anderen am meisten nützen zu können, wenn ich ihn (den Aberglauben) von Grund auf beseitigt hätte. Das heißt freilich nicht (dies möchte ich nämlich genau verstanden wissen), dass durch Aufhebung des Aberglaubens (superstitio) auch die Religion (religio) aufgehoben wird.66 [Worin beruht der Unterschied? Ist die Eingeweideschau nun ein Aberglaube, nachdem sie mit Vernunftgründen widerlegt wurde? Cicero zieht eine andere Trennlinie:] Denn die Einrichtungen der Vorfahren zu erhalten, indem man ihre Opfer und Zeremonien bewahrt, ist weise; und dass es ein überragendes und ewiges Wesen geben muss, zu dem das Menschengeschlecht aufzublicken und das es zu bewundern hat, zu diesem Eingeständnis zwingt uns die Schönheit des Kosmos und die Geordnetheit der himmlischen Dinge [Zwei Dinge gehören also zu echter Religion: 1. die religiöse Tradition der Römer, 2. die philosophische Gottesverehrung der Griechen, zu der sich Cicero aller Skepsis zum Trotz gerade in dieser religionskritischsten Schrift bekennt – aber wo bleibt dann der Aberglaube? Cicero schiebt noch einen Satz ein, bevor er ihn nicht definiert, aber beschreibt.] Wie man darum die Religion sogar noch propagieren muss, die mit der Naturerkenntnis verbunden ist, so muss man den Aberglauben mit sämtlichen Wurzeln entfernen. Er setzt dir zu und bedrängt und verfolgt dich, wohin du dich auch wendest, ob du nun einen Propheten67 oder ein Vorzeichen hörst, ob
65 Nam, ut vere loquamur, superstitio fusa per gentis oppressit omnium fere animos atque hominum imbecillitatem occupavit. [...] Multum enim et nobismet ipsis et nostris profuturi videbamur si eam funditus sustulissemus. Nec vero (id enim diligenter intellegi volo) superstitione tollenda religio tollitur. Nam et maiorum instituta tueri sacris caerimoniisque retinendis sapientis est, et esse praestantem aliquam aeternamque naturam, et eam suspiciendam admirandamque hominum generi pulchritudo mundi ordoque rerum caelestium cogit confiteri. Quam ob rem, ut religio propaganda etiam est quae est iuncta cum cognitione naturae, sic superstitionis stirpes omnes eligendae. Instat enim et urget et, quo te cumque verteris, persequitur, sive tu vatem sive tu omen audieris, sive immolaris sive avem adspexeris, si Chaldaeum, si haruspicem videris, si fulserit, si tonuerit, si tactum aliquid erit de caelo, si ostenti simile natum factumve quippiam; quorum necesse est plerumque aliquid eveniat, ut numquam liceat quieta mente consistere. Perfugium videtur omnium laborum et sollicitudinum esse somnus. At ex eo ipso plurumae curae metusque nascuntur. 66 Die Gegenüberstellung der beiden Begriffe, auf die unser Gegensatzpaar „Glaube – Aberglaube“ zurückgehen dürfte, ist häufig bei Cicero (s. Pease (1920/1923), z.St.), vor ihm aber, soweit ich sehe, nicht nachzuweisen. 67 Gemeint sind privat praktizierende vates, Wahrsager, von denen auch Lucrez mit Verachtung spricht; vgl. zu der meist abwertenden Vokabel Dahlmann (1970), bes. 41–43.
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du opferst68 oder einen Vogel erblickst, ob du einen Chaldäer (d.h. Astrologen) oder Eingeweideschauer69 siehst, ob es blitzt oder donnert, ob es vom Himmel irgendwo eingeschlagen hat oder etwas in Art eines Götterzeichens entstanden ist oder sich ereignet hat (und irgend etwas davon muss ja ganz häufig geschehen), so dass du nie mit beruhigtem Gemüt zur Ruhe kommst. Zuflucht vor allen Leiden und Kümmernissen scheint der Schlaf zu bieten; aber gerade aus ihm entstehen die meisten Sorgen und Ängste. [Cicero meint hier, wie er dann ausführt, die Träume, die ja viele Menschen bis heute zur Zukunftsprognose verwenden.]
Zum Aberglauben rechnen bei Cicero also, wie man sieht, alle die Formen der Weissagung und Zeichendeutung, die nicht von den staatlich anerkannten Religionspraktiken erfasst werden: Astrologie, Befragung von Wahrsagern, Beobachtung von Omina und Prodigien auf eigene Faust, Traumdeuterei.70 Das und nur das ist also die superstitio, die den Menschen ängstigt, nicht die traditionelle Religion und die philosophische Gottesverehrung. Ein vorsichtiges und sehr konservatives Schlusswort. Es darf uns aber nicht übersehen lassen, dass Ciceros Kritik an der divinatio vorher weit kühner und gründlicher war: Dort hat er überhaupt keinen Zweifel daran gelassen, dass auch die staatlich approbierten Formen der Erforschung von Zukunft und Götterwillen, wie er sie als Politiker und Priester vertrat, vor dem Richterstuhl der Vernunft nicht bestehen können. Seine Unterscheidung zwischen Religion und Aberglaube kann den Widerspruch zwischen traditioneller Religionspraxis und philosophischer Religionstheorie nicht aufheben. Wie konnte Cicero mit solcher Überzeugung sein Augurenamt ausüben? Interessant ist immerhin, dass er nicht zu allen Zeiten so radikal gedacht hat. Noch in seiner Schrift De legibus (Ende der 50er Jahre), wo er auch für die Auguren Gesetze gibt, erklärt er, dass die Existenz der divinatio, wenn man nur die Fürsorge der Götter für die Menschen zugebe, nicht geleugnet werden sollte (leg. 2,32). Denn wenn die Götter die Fähigkeit hätten, die Zukunft durch Zeichen zu offenbaren, warum sollten sie es nicht tun? So könnte auch Ciceros Bekenntnis zur Eingeweideschau in De haruspicum responso (56 v. Chr.) durchaus seinem damaligen Glauben entsprechen. Am Ende seines Lebens ist er aber offenbar zu einer anderen Überzeugung gekommen. Es gibt für ihn nun keine Weissagung, denn – und das ist der Inhalt seiner letzten, scharfsinnigsten, wenn auch wohl nicht überzeugendsten philosophischen Schrift (De fato) – die Zukunft ist überhaupt nicht vorherbestimmt: Sie wird vom freien Willen des Menschen gestaltet. Den Konflikt mit der römischen Staatsreligion, in den er damit geriet, konnte er nicht lösen, auch kein anderer Römer, soweit wir wissen.
68 Das Opfern als solches kann natürlich so wenig als superstitio gelten wie etwa das Erblicken eines Vogels; gedacht sein muss an die ängstlich auf Vorzeichen ausgerichtete Beobachtung der geopferten Eingeweide, vgl. Wissowa (1912), 418f. und folgende Anm. 69 Bei diesem Haruspex ist nicht an eine offizielle Befragung im Rahmen des Staatskults zu denken, sondern an die „Divinationkunst [...] vermittels herumziehender Winkelharuspices“ (Wissowa (1912), 547). 70 Ciceros Emphase lässt keinen Zweifel daran, dass diese Dinge auch in seinen aufgeklärten Zeiten eine große Rolle im täglichen Leben gespielt haben müssen. Was speziell die Träume angeht, bietet Plutarch in seinen Römerbiographien einiges Anschauungsmaterial.
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Es waren wohl erst die Christen, die ihre religiöse Überzeugung, den Glauben an ihren einen Gott, so ernst nahmen, dass sie sich dem Staatskult verweigerten, ja, dafür sogar zum Martyrium bereit waren. Ihr Glaube war ein zutiefst philosophischer, in dem Sinn, dass er Dogmen hatte und beanspruchte, wahr zu sein; aber im Gegensatz zu Cicero und seinen gebildeten heidnischen Zeitgenossen ließen sie kein Nebeneinander von theologia philosophorum und theologia civilis zu. Das war der Grund, warum sie von den Römern verständnislos verfolgt wurden; es war vielleicht aber auch ein Hauptgrund ihres Welterfolgs – der ja kaum weniger rätselhaft ist als der von Roms Weltherrschaft. LITERATURVERZEICHNIS Baier, Thomas, Werk und Wirkung Varros im Spiegel seiner Zeitgenossen von Cicero bis Ovid, Stuttgart 1997. Benner, Herbert, Die Politik des P. Clodius Pulcher, Stuttgart 1987. Bringmann, Klaus, Cicero, Darmstadt 2010. Brunt, Peter Astburg, Philosophy and religion in the late republic, in: Jonathan Barnes / Miriam Griffin (Hg.), Philosophia togata: Essays on philosophy and Roman society, Oxford 21996, 174–198. Canfora, Luciano, Caesar der demokratische Diktator, München 2001 (ital. Orig. 1999). Dahlmann, Hellfried, Vates, Philologus 97, 1948, 337–353 (erneut abgedruckt in: ders., Kleine Schriften, Hildesheim / New York 1970, 35–51). Flashar, Hellmut (Hg.), Die Philosophie der Antike, 5 Bde., Basel 1983–2007. Gawlick, Günter / Görler, Woldemar, Cicero, in: Hellmut Flashar (Hg.), Die hellenistische Philosophie, Basel 1994, Bd. 2, 991–1168. Gelzer, Matthias, Cicero, ein biographischer Versuch, Wiesbaden 1969. Gigon, Olof / Straume-Zimmermann, Laila (Hg.), M. Tullius Cicero, De natura deorum / Vom Wesen der Götter, München 1996. Goar, Robert Jefferson, Cicero and the state religion, Amsterdam 1972. Habicht, Christian, Cicero der Politiker, München 1990. Heinze, Richard, Virgils epische Technik, Leipzig ²1908. Heinze, Richard, Von den Ursachen der Größe Roms. Rede, gehalten beim Antritt des Rektorats an der Universität Leipzig am 31. Oktober 1921, Leipzig 1925 (erneut abgedruckt in: ders., Vom Geist des Römertums, Darmstadt ³1960, 9–27). Jaeger, Werner, The theology of the early Greek philosophers, Oxford 1947. Kroll, Wilhelm, Studien zum Verständnis der römischen Literatur, Stuttgart 1924 (ND 1964). Latte, Kurt, Römische Religionsgeschichte, München 1960. Leonhardt, Jürgen, Ciceros Kritik der Philosophenschulen, München 1999. Lieberg, Godo, Die theologia tripertita als Formprinzip antiken Denkens, RhM 125, 1982, 25–53. Meier, Christian, Caesar, Berlin 1982 (ND 2004). Nestle, Walter, Vom Mythos zum Logos, Stuttgart ²1941 (ND 1975). Pease, Arthur S. (Hg.), M. Tulli Ciceronis De divinatione libri II, Urbana 1920/1923 (ND Darmstadt 1963). Pease, Arthur S. (Hg.), M. Tullius Cicero De natura deorum libri III, Cambridge (Mass.) 1955– 1958 (ND Darmstadt 1968). Platschek, Johannes, Rezension zu: J. Powell / J. Paterson (Hg.), Cicero, the Advocate, Oxford 2004, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abt. 125, 2008, 869– 876, hier 874f. Pohlenz, Max, Die Stoa: Geschichte einer geistigen Bewegung, Göttingen 41970.
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CICERO’S PHILOSOPHY OF PIETY SEEN THROUGH THE LENS OF URBAN RELIGION Jörg Rüpke ABSTRACT Cicero’s political and philosophical reflections are reacting not only to the social and political conditions of the late Roman republic and the imperial expansion, but specifically also to changes in the social and spatial fabric of the city of Rome. It is the latter aspect that is focused upon in this chapter, on the level of contents – arguments, choice of examples – as well as on the meta-level of the intellectual and communicative enterprise of the dialogue De natura deorum as such. 1. URBAN LITERATURE In her book on ‘Tarpeia’, Tara Welch has characterised the rise of Latin literature as ‘a phenomenon that emerged to give voice to the evolving Roman elite class’.1 Although late in terms of history of Latin literature, Cicero’s project of making Greek philosophy accessible to Latin-speaking Romans can be regarded as part of this process, which also had a spatial dimension, that is, to write the city into existence, as Catherine Edwards had suggested two decades before.2 It was Cicero who praised Varro’s Antiquitates rerum divinarum, published in 47 BCE, before the death of Caesar, as a work that helped Romans to feel at home in their city.3 It should not be forgotten that Varro’s work was far more than some local antiquarian account or local historical account. The focus on the city of Rome and its institutions went together with a universalistic philosophical framework and a wide comparative horizon aiming at building bridges towards other religious practices in Italy, Greece or beyond.4 Without any doubt, Cicero’s philosophical work lacks the clear focus on the city of Rome that is on display in Varro’s Antiquitates rerum humanarum et divinarum. Cicero’s On laws, which does have such a local focus, even if also arguing within a larger universalistic framework, is not included in the review of philosophical works by Cicero himself at the beginning of the second book of On 1 2 3 4
Welch (2015), 285. Edwards (1996), 7. Cic. acad. post. 1.9. Rüpke (2012), 172–185, and 185 in particular; bridging: Rüpke (2014).
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divination.5 Clearly, Greek philosophy (in the same manner as Greek rhetoric) is in principle a universalistic enterprise, religious topics even more so.6 Their very attraction derives from that fact. Therefore, it is also a resource for Rome and its citizens. The audience is captured by the term res publica, for which Cicero tries to offer services (even when not in a political role), and ‘my citizens’ (meis civibus)7 or ‘Romans’ (Romanisque hominibus).8 This need not be and cannot be restricted to the cityscape of Rome. The locations of some of the dialogues – in Tusculano, in Puteolano, that is in villas in the suburban surroundings of Rome or even far from Rome – demonstrate that the social and political elite Cicero has in mind when thinking of educating the ‘youth’ (iuventus)9 is conceiving of Rome and these properties as a unified communicative space, dominated by urban political functionaries and their offspring. And yet, these treatises are not firmly grounded in a communicative space centred around the city. The firm and institutional belief in divination at Rome is the starting point of De divinatione.10 This seems less evident for the three books of the dialogue De natura deorum, published in 45 BCE, two years after Varro’s massive work. In this paper I am claiming that Cicero’s way of dealing with religion here is likewise informed by an urban framework. More precisely, I will argue that – there is an urban horizon to his argument: the city is presupposed as the ideal place for a good life; the discussion is thus developed in urban perspectives (section 2); – overwhelmingly the individual religious practices named in the course of the interlocutors’ arguments are practices shaped by the cityscape or, more loosely, by urban contexts (section 3); and finally – that the very manner in which religion is discussed, is a performance of urbanity; here we touch a meta-level, reaching from the style of discussion to the fact that the publication of such discussions about religious beliefs, practices, and resulting norms, the continuation of an argument in the form of a book is part of specifically urban religion in Antiquity (section 4). It is this concept of ‘urban religion’ that I will try to develop in my concluding section 5. 2. THE CITY AS THE IDEAL PLACE FOR GOOD LIFE In several passages, across the speakers, the city is invoked or presupposed as the Lebenswelt (world lived) that serves as measure rod or comparison. 5 6
Cic. div. 2.1–7. For that reason, I have argued, Cicero has opened his discussion of laws in De legibus with religious issues (book 2) rather than the magistrates treated in book 3: Rüpke (2016), 24. Cf. Rexine (1968). 7 Cic. div. 2.1 and fat. 1.6–7. 8 Cic. div. 2.5; also fat. 1.4. 9 Cic. fat. 1.4. 10 Cic. div. 1.1, 3.
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Quid autem erat, quod concupisceret deus mundum signis et luminibus tamquam aedilis ornare? (1,22)11 Also, why should god take a fancy to decorate the firmament with figures and illuminations, like an aedile?
Here constellations and stars are due to the double meanings of the words used compared to the statues and illumination put up by that Roman magistrate who is responsible for the city proper, an office Cicero himself held in 69 BCE.12 quaeritur primum in ea quaestione, quae est de natura deorum, sintne dei necne sint. ‘difficile est negare.’ credo, si in contione quaeratur. sed in huius modi sermone et in consessu facillimum (1,61). In an inquiry as to the nature of the gods, the first question that we ask is, do the gods exist or do they not? ‘It is difficult to deny their existence.’ No doubt it would be if the question were to be asked in an assembly, but in this type of conversation and in sitting together it is perfectly easy.
It is the most public figure, the pontiff Cotta, who thus opens his own arguments. He insists that the question whether gods exists must be seriously dealt with in a philosophical inquiry and cannot be simply pushed aside with reference to widespread consent or the like. The textual transmission at the end of the sentence is distorted, transmitted consensu hard to keep, because it is this very consent that is questioned by Cotta. Evidently he is distinguishing between public and private discussion, but instead of simply repeating the widespread topos of the uneducated public and expert talk,13 he is adding a spatial (and maybe even temporal) component, contrasting the standing assembly in an open space with a spatially confined seated assembly as exemplified by theatres or the jurors’ meeting in the context of courts – or the interlocutors sitting down in an exedra (1.15). Contio as well as consessus evoke urban institutions and locations. It should be spelled out that the city thus imagined is a city of diverse and different publics and opinions. The space of open political assemblies, which gives a limited, but important voice to the crowd,14 is rivalled by lesser, but valuable publics. At the same time, the city simply presupposed by the speakers as their shared world of phenomena at hand is characterised by a manifold, but basically coherent order: Ut, si quis in domum aliquam aut in gymnasium aut in forum venerit, cum videat omnium rerum rationem, modum, disciplinam, non possit ea sine causa fieri iudicare, sed esse aliquem intellegat, qui praesit et cui pareatur, multo magis … (2.15). When a man goes into a house, a wrestling-school or a public assembly and observes in all that goes on arrangement, regularity and system, he cannot possibly suppose that these things come
11 I basically, but not always follow the text of Wolfgang Gerlach and Karl Baier, Tusculum. The translation is by Harris Rackham: Rackham (1933). 12 See Pease (1955), 193 ad loc. 13 Fully documented ibid., 351. 14 See Millar (1998); Jehne (2006).
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Jörg Rüpke about without a cause: he realizes that there is someone who presides and controls. Far more …
The argument is an argument a minore ad maiorem, from the type of order in the city to the type of order in the universe of circulating sun, moon and stars. It is the reasoning of a visitor imagined as coming from outside this ordered world of cities that is developed here. Rural life is not inspiring the same sense of order; meadows, fields and herds are loved for their utility and the gain they generate (1.122). In terms of civilisation, the form of human hands affords dealing with the necessities of life, from protection of the body to agriculture. On these fundaments are built the refineries of urban life: Ex quo intellegitur ad inventa animo percepta sensibus adhibitis opificum manibus omnia nos consecutos, ut tecti, ut vestiti, ut salvi esse possemus, urbes, muros, domicilia, delubra haberemus (2.150). Hence we realize that it was by applying the hand of the artificer to the discoveries of thought and observations of the senses that all our conveniences were attained, and we were enabled to have shelter, clothing and protection, and possessed cities, fortifications, houses and temples.
This does not imply that rural life is backward. In the strong developmental and teleological perspective offered by the Stoic speaker15 the natural world of flat land and mountains, lakes and rivers is in the end radically transformed into ‘another nature’ (altera natura, 2.152).16 Cities must be seen as a prominent part of this transformed nature. Single houses and whole cities give islands and beaches their distinct, cultivated appearance according to Balbus (2.99) and Cotta presents the exchange on the quality of the ‘world’: ‘Nihil est mundo melius in rerum natura.’ – Ne in terris quidem urbe nostra (3.21). ‘There is nothing in the universe superior to the world.’ No more is there anything on earth superior to our city.
Other, less important, but nevertheless telling textual observation corroborate the image of a text that simply presupposes an urban Lebenswelt. Cotta and Balbus share the idea that houses are necessarily built on the plans of architects (1.72; 2.141). In order to encounter examples for vice and crimes, Balbus invites his small audience to move from the theatre and the comedies performed therein to the forum and the criminal courts working there (2.72, 74). The ideal of the city clashes with its complex and ambivalent reality. By and large, Cicero shares implicitly or let his speakers share explicitly a widespread positive view of cities in Antiquity, without denying the presence of problems and strife. Economically, the city is dependent on the exploitation of the countryside, which is above all property of the town-dwellers – here Cicero shares the 15 See more generally Cancik (1979), repr. in Cancik (1998), 55–80. The notion of ‘progress’ is lacking here, see Altini (2015); in rerum natura suggests an evolutionary perspective leading towards a final stage (denique). 16 The reference is not fully clear. Denique at the beginning of the sentence suggests a further step, not just a summing up. Cicero might think of artificial landscapes as exemplified by contemporary gardens in cities, see Giesecke (2007); Stackelberg (2009); Neudecker (2015).
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perspective of what is later seen as the consumer-city. However, his emphasis on the inventiveness and productivity of artisans beyond agriculture is notable.17 3. THE RELIGIOUS PHENOMENA OF DE NATURA DEORUM AS PHENOMENA IN A CITY What is the place of religion in the world delineated on and between the lines of the dialogue? As could be imagined, it is the exchange between the Stoic, Balbus, and the Academic sceptic, Cotta, that produces relevant material. The Stoic cites evidence of tangible religious practice in order to bolster his overarching theoretical claims about the gods. The sceptic comes back to such concrete ‘proofs’ in order to point to limits of insights and validity on such a basis. Mostly, the evidence is presented and discussed without any spatial marker, it is about what the Greeks or Romans do in general or what can be read in literature. An urban character is never designated as such. Evidently, Cicero is not thinking on the lines of urban or nonurban religion. Thus, it is the more telling that crucial arguments are built on urban practices and institutions. The urban character of that religion is taken for granted in a way that never applies to the non-urban space. Methodologically, I am not claiming that the author (or his characters) argues himself that some religious phenomenon would be specifically urban. Instead, I am observing where religious phenomena are associated with urban space, thus pointing to deep-rooted assumptions that need not be spelled out in theories of origin or other causal relationships. The short list consists of temples, calendar and individual gods. First, temples. The Stoic Balbus ridicules Velleius’ Epicurean atomistic physics by a rhetorical question: Quod si mundum efficere potest concursus atomorum, cur porticum, cur templum, cur domum, cur urbem non potest, quae sunt minus operosa et multo quidem faciliora? (2.94) Yet if the clash of atoms can create a world, why can it not produce a colonnade, a temple, a house, a city, which are less and indeed much less difficult things to make?
As the leading portico indicates, the sequence does not list architectural features and in the end cities, but urban architecture in a sequence of growing complexity – architects of houses have even to think about issues like how to keep the smell of wastewater and sewerage away from the owners (2.141, not from his slaves, obviously). Temples or architecturally articulated sanctuaries (delubra)18 are associated with cities throughout. Such temples, now, are basic for the recognition of gods. Balbus draws a list of powers regarded as gods that have received a temple at Rome (2.61), arguing that these powers could not be as powerful if they are not directed by a god:
17 For the discussion about Max Weber’s consumer city and Moses Finley’s analysis of the lack of capitalist developments see summarily Zuiderhoek (2017), 43–49. 18 See e.g. 1.14; 2.150; 3.49f., 52, 59, 84, 88, 94.
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Jörg Rüpke Tum autem res ipsa, in qua vis inest maior aliqua, sic appellatur ut ea ipsa vis nominetur deus, ut Fides ut Mens, quas in Capitolio dedicatas videmus proxume a M. Aemilio Scauro, ante autem ab Atilio Calatino erat Fides consecrata. vides Virtutis templum vides Honoris a M. Marcello renovatum, quod multis ante annis erat bello Ligustico a Q. Maxumo dedicatum. quid Opis quid Salutis quid Concordiae Libertatis Victoriae; quarum omnium rerum quia vis erat tanta ut sine deo regi non posset, ipsa res deorum nomen optinuit. quo ex genere Cupidinis et Voluptatis et Lubentinae Veneris vocabula consecrata sunt ... (2.61). In other cases some exceptionally potent force is itself designated by a title of divinity, for example Faith and Mind; we see the shrines on the Capitol lately dedicated to them both by Marcus Aemilius Scaurus, and Faith had previously been deified by Aulus Atilius Calatinus. You see the temple of Virtue, restored as the temple of Honour by Marcus Marcellus, but founded many years before by Quintus Maximus in the time of the Ligurian war. Again, there are the temples of Wealth, Safety, Concord, Liberty and Victory, all of which things, being so powerful as necessarily to imply divine governance, were themselves designated as gods. In the same class the names of Desire, Pleasure and Venus Lubentina have been deified …
In Balbus’ argument such deities supplement astral deities and are further supplemented by deified human benefactors and physical powers in great numbers. Balbus admits the problem involved with this multiplication (2.70f.) without questioning the validity of the principles. Cotta does not only point to the problem of the multiplication of gods (3.40). He engages with the argument even more directly. Nobody among the audience would address the candid sky rather than the concrete Iuppiter Capitolinus (3.11). Lucilius, the host, interrupts Cotta’s critique of the power of unbelievable narratives by pointing to the physical evidence of the temple of Castor and Pollux on the forum (3.13). Unwillingly, he strengthens Cotta’s point: It is the existence of approachable, urban temples that render all these gods plausible to the public (also 3.59) without producing any philosophical argument for the existence of gods. This part of the argument is summarised somewhat later in a reductio ad absurdum: Si di sunt, suntne etiam Nymphae deae? si Nymphae, Panisci etiam et Satyri; hi autem non sunt; ne Nymphae [deae] quidem igitur. at earum templa sunt publice vota et dedicata. ne ceteri quidem ergo di, quorum templa sunt dedicata? (3.43). If gods exist, are the nymphs also goddesses? if the nymphs are, the Pans and Satyrs also are gods; but they are not gods; therefore the nymphs also are not. Yet they possess temples vowed and dedicated to them by the nation; are the other gods also therefore who have had temples dedicated to them not gods either?
I will not sketch the lengthy argument in detail, but point to its culmination in the critique of the institution of sanctuaries (fanum, ara) even for pernicious powers like Fever and Bad Luck: Qui tantus error fuit, ut perniciosis etiam rebus non modo nomen deorum tribueretur sed etiam sacra constituerentur. Febris enim fanum in Palatio et Orbonae ad aedem Larum et aram Malae Fortunae Exquiliis consecratam videmus (3.63). So far did this sort of error go, that even harmful things were not only given the names of gods but actually had forms of worship instituted in their honour: witness the temple to Fever on the Palatine, that of Orbona the goddess of bereavement close to the shrine of the Lares, and the altar consecrated to Misfortune on the Esquiline.
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The critical large number and the many implausibilities of traditional gods are stabilised by religious practices and above all architecturally articulated spaces that can be seen in the city. I must admit from the outset that my second point, the calendar, is weaker with regard to the explicit embeddedness in cities. The passage I have in mind is part of the Stoic praise of the teleological nature of humans as indicator of divine providence and directly following upon the notion of altera natura. Quid vero hominum ratio non in caelum usque penetravit? soli enim ex animantibus nos astrorum ortus obitus cursusque cognovimus, ab hominum genere finitus est dies mensis annus, defectiones solis et lunae cognitae praedictaeque in omne posterum tempus, quae quantae quando futurae sint. Quae contuens animus accipit [ad] cognitionem deorum, e qua oritur pietas, cui coniuncta iustitia est reliquaeque virtutes, e quibus vita beata existit par et similis deorum, nulla alia re nisi immortalitate, quae nihil ad bene vivendum pertinet, cedens caelestibus (2.153). Then moreover has not man’s reason penetrated even to the sky? We alone of living creatures know the risings and settings and the courses of the stars, the human race has set limits to the day, the month and the year, and has learnt the eclipses of the sun and moon and foretold for all future time their occurrence, their extent and their dates. And contemplating the heavenly bodies the mind receives knowledge of the gods, from which arises piety, with its comrades justice and the rest of the virtues, the sources of a life of happiness that vies with and resembles the divine existence and leaves us inferior to the celestial beings in nothing else save immortality, which is immaterial for happiness.
The previous passage had built on the form of the hands and the manual ingenuity of the human race. Now focus is on the mind, ratio. It is this mind only that is capable to get to know the mechanisms of the celestial bodies. Cognoscere stresses the perception, the mastery of a given fact. This resonates with the lengthy description of the celestial order (ordo, ratio) that was given by the same Balbus earlier (2.49–56), arguing the existence of a divine agency behind or implicit in these ordered movements. But it is not the same focus here. ‘Rising’ and ‘setting’ as well as ‘courses’ denote the perspective of the human observers, not the perfect ‘orbits’ and ‘circles’ as seen from the celestial pole. This perspective is immediately made explicit by giving agency to humans to ‘define’ the day, month and year. This – I presume consciously – clashes with Varro’s probably slightly earlier dealing with the language of time in De lingua latina, where these three terms are accorded to the ‘natural discrimination’ as opposed to the civilia vocabula dierum.19 But it is the train of thought of Varro that helps to understand the further progress of Balbus’ argument. When Varro simply moves from natural units of time to human institutions, he starts off with days that are instituted deorum causa.20 Balbus develops a cogent argument here. In order to find a plausible argument for moving from astronomic observation to recognise gods he inserts eclipses of sun and moon, classic examples for the rise of religious fear and ritual action for supporting benevolent (sun, moon) and averting threatening (shadow as demon) divine forces.21 19 Varro, ling. 6.12. 20 Ibid. 21 Briefly with evidence from pre-Ciceronian traditions Rüpke (1995), 219.
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This is a forced transition as could be seen from the fact that ratio is leading to the human ability to calculate such eclipses, celebrated as an antidote to religious interpretation; the next sentence, however, does not build on these calculations, but takes up the observations of the eclipses to motivate the recognition of gods. Such recognition necessarily leads to pietas and religious cult as has been made clear in the introduction of the whole dialogue.22 Balbus’ argument now moves on from piety to other virtues, but mine stops here. The whole argument is hold together by an external, contemporary referent, the Roman calendar and Caesar’s reform of it. The reform was brought into practice on January 1st, 45 BCE and had been prepared in the period before. It brought in line the civic and religious calendar in the form of the fasti (it should be pointed out that there was no concept of ‘calendar’ in contemporary Latin, but only its graphic form, the fasti, or the abstract annus Romanus) with the astronomic capturing of the solar and stellar year and aligned both. Only against this background the phrase ab hominum genere finitus est dies made sense, as already Pease in his commentary on De natura deorum had pointed out.23 Thus again, a very urban, if not the urban religious instrument is declared central for metaphysical recognition and practical piety. If the fasti are an expectable element, but feature somewhat hidden, the last element is as explicit as surprising. Nec vero universo generi hominum solum sed etiam singulis a dis inmortalibus consuli et provideri solet. Licet enim contrahere universitatem generis humani eamque gradatim ad pauciores postremo deducere ad singulos. nam si omnibus hominibus, qui ubique sunt quacumque in ora ac parte terrarum ab huiusce terrae quam nos incolimus continuatione distantium, deos consulere censemus ob has causas quas ante diximus, his quoque hominibus consulunt qui has nobiscum terras ab oriente ad occidentem colunt. (165) sin autem consulunt qui quasi magnam quandam insulam incolunt quam nos orbem terrae vocamus, etiam illis consulunt qui partes eius insulae tenent, Europam Asiam Africam. ergo et earum partes diligunt, ut Romam Athenas Spartam Rhodum, et earum urbium separatim ab universis singulos diligunt, ut Pyrrhi bello Curium Fabricium Coruncanium, primo Punico Calatinum Duellium Metellum Lutatium, secundo Maxumum Marcellum Africanum, post hos Paulum Gracchum Catonem, patrumve memoria Scipionem Laelium; multosque praeterea et nostra civitas et Graecia tulit singulares viros, quorum neminem nisi iuvante deo talem fuisse credendum est. (166) quae ratio poetas maxumeque Homerum inpulit ut principibus heroum Ulixi Diomedi Agamemnoni Achilli certos deos discriminum et periculorum comites adiungeret. praeterea ipsorum deorum saepe praesentiae, quales supra commemoravi, declarant ab is et [in] civitatibus et singulis hominibus consuli (2.164-6). Nor is the care and providence of the immortal gods bestowed only upon the human race in its entirety, but it is also wont to be extended to individuals. We may narrow down the entirety of the human race and bring it gradually down to smaller and smaller groups, and finally to single individuals. For if we believe, for the reasons that we have spoken of before, that the gods care for all human beings everywhere in every coast and region of the lands remote from this continent in which we dwell, then they care also for the men who inhabit with us these lands between the sunrise and the sunset. But if they care for these who inhabit that sort of vast island which we call the round earth, they also care for those who occupy the divisions of that island, Europe, 22 1.3, see Rüpke (2007). 23 Pease (1955), 946 ad loc.
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Asia and Africa. Therefore they also cherish the divisions of those divisions, for instance Rome, Athens, Sparta and Rhodes; and they cherish the individual citizens of those cities regarded separately from the whole body collectively, for example, Curius, Fabricius and Coruncanius in the war with Pyrrhus, Calatinus, Duellius, Metellus and Lutatius in the First Punic War, and Maximus, Marcellus and Africanus in the Second, and at a later date Paulus, Gracchus and Cato, or in our fathers’ time Scipio and Laelius; and many remarkable men besides both our own country and Greece have given birth to, none of whom could conceivably have been what he was save by god’s aid. It was this reason which drove the poets, and especially Homer, to attach to their chief heroes, Ulysses, Diomede, Agamemnon or Achilles, certain gods as the companions of their perils and adventures; moreover the gods have often appeared to men in person, as in the cases which I have mentioned above, so testifying that they care both for communities and for individuals.
The lengthy passage is somehow straightforward. It is the final argument of Balbus’ speech, the care even for individuals, at least for important business and persons: Theodicy is ascertained by the claim that the gods care for the big issues and neglect the small (magna di curant, parva neglegunt, 2.167). The gods, hence, care for everybody, not only humankind as such, but also smaller portions and even (some) individuals. These levels are defined as ‘world’, ‘continents’, ‘cities’ (urbes) and singuli, big men such as Curius, Fabricius etc. Balbus’ examples form a chronological sequence, moving from the early third century BCE to the second half of the second, without excluding unnamed later cases: Big men claiming the support of specific deities were a contemporary phenomenon, exemplified by Sulla as well as Pompey and Caesar in Cicero’s lifetime. We need not forget that the dialogue is set into the mid-80s, hence the latter being examples of the future rather than a past that might be narrated. Far from being just religious figures of speech, these close relationships were amply communicated not only in anecdotes, legends, and nicknames, but in material form, in coins, dedications, temples or complex urban architectural forms like Pompey’s temple-theatre or Caesar’s forum. To sum up, main characteristics of the contemporary religious reality that serves as a basis to argue with or against are considered, mostly implicitly, at times explicitly as features peculiar to cities. This image of a complex urban religious reality, characterised by an incoherent and even contradictory plurality of religious agents and of gods, is plausibilised by temples, images (3.61) or narratives (3.62). Cotta – anachronistically against the background of the fictitious date of the dialogue – shares Marcus’ position in the earlier dialogue On laws when Cicero has the latter (his own persona) arguing against the proliferation of gods by individual invention or import. Whereas Marcus regards the threat of confusio religionum on account of such behaviour,24 Cotta asks for resistance against the consequences of Balbus’ uncritical support of the proliferation of gods in cult, stories and Stoic philosophical arguing in order to avoid such a state: ne perturbentur religiones (3.60). The solution of both will be the adherence to tradition under the surveillance of ‘public priests’ (see 1.5-10).
24 Cic. leg. 2.25.
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4. PHILOSOPHICAL DEBATE AS AN INDICATOR OF URBANITY The realities of contemporary religion as encountered in the city of Rome (and certainly other cities as well) are threatening. This is the starting point of De natura deorum as the very first sentence makes clear: Cum multae res in philosophia nequaquam satis adhuc explicatae sint, tum perdifficilis, Brute, quod tu minime ignoras, et perobscura quaestio est de natura deorum, quae et ad cognitionem animi pulcherrima est et ad moderandam religionem necessaria (1.1). There are a number of branches of philosophy that have not as yet been by any means adequately explored; but the inquiry into the nature of the gods, which is both highly interesting in relation to the theory of the soul, and fundamentally important for the regulation of religion, is one of special difficulty and obscurity, as you, Brutus, are well aware.
As is evident from the dialogue as a whole, such control (not to speak of sanctions, hardly ever mentioned even in De legibus) is one among other options only, proposed by one speaker in the dialogue: habes, Balbe, quid (sc. ego) Cotta, quid pontifex sentiat (3.5). The solution, or rather, the way to deal with the problem, is different. It is an intellectual one. It is philosophical enquiry. Religious practices are made the object of intellectual reflection and discussion. If religious diversity – fundamental contradictions and incoherences rather than some colourful plurality – is part of the urban condition, the urban way to deal with this is philosophical debate. For this debate, urbanitas is a meta-norm, accorded to one’s direct opponent as to one another (see 2.74, nostrorum hominum urbanitate). It is the city that is the highest form of artisanship and rationality, as can be seen from painting and architecture (see 2.35); it is the city that is the best comparison for the rationality of the cosmos (unum mundum ut communem rem publicam atque urbem aliquam, 2.78). And it is the power of speech that, at the end of the development from savage nature, has enabled this societal form: Haec nos iuris, legum, urbium societate devinxit, haec a vita inmani et fera segregavit (2.148). It is this that has united us in the bonds of justice, law and civil order, this that has separated us from savagery and barbarism.
Such urbanity is performed in De natural deorum. The performance is self-reflexive. It is not by chance that the preceding quotations all are taken from the Stoic’s speech, which fills the second book. It is he who does not accord the necessary qualities of rationality to his opponents: Esse igitur deos ita perspicuum est, ut, id qui neget, vix eum sanae mentis existimem (2.44). Therefore the existence of the gods is so manifest that I can scarcely deem one who denies it to be of sound mind.
It is he who is reprimanded in the sharpest form by his opponent Cotta: Fac nunc ego intellegam, tu quid sentias; a te enim philosopho rationem accipere debeo religionis, maioribus autem nostris etiam nulla ratione reddita credere (3.6).
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Now oblige me by letting me know yours. You are a philosopher, and I ought to receive from you a proof of your religion, whereas I must believe the word of our ancestors even without proof.
It is he who himself needs to adhere to the norms of a philosophical debate by offering cogent arguments rather than invoking common sense. After all, intellectuals are part and parcel of the urban perturbation of religion. The so-called ‘theologians’ already start from three instead of one Jupiter (3.53). Philosophical inquiry as undertaken by communicating Romans is, as Cicero, the author, demonstrates, to follow certain norms of discourse.25 For the performance of such debate the social position of the participants is not without importance.26 If we neglect (as Cicero himself invites us to do by the shortness of the exposition) the Epicurean arguments voiced in De natura deorum, the most critical position is given to those of highest standing and known religious engagement in the two related dialogues On the nature of gods and On divination. In the earlier work it is given to the pontiff Cotta, and to the augur Marcus Tullius Cicero in the later. The authority thus given to their statements ensures that their critical arguments are taken seriously and that their stance is judged sincere. This does not mean one has to endorse their position, as the authorial voice demonstrated by opting against Cotta, the host and senior, at the end of De natura deorum: Haec cum essent dicta, ita discessimus, ut Velleio Cottae disputatio verior, mihi Balbi ad veritatis similitudinem esse propensior (3.95). Here the conversation ended, and we parted, Velleius thinking Cotta’s discourse to be the truer, while I felt that that of Balbus approximated more nearly to a semblance of the truth.
The characters are enacting norms of philosophical discussion at Rome.27 The performative aspect is highly important – the use of otium offered by festivals as the impetus to pursue such discussions, the decorum exercised in addressing each other and in finding consensus about further proceedings, dignitas, gravitas, constantia.28 To philosophize is as honorable as to act in the Forum, and it follows similar norms. This is of course important for a Cicero, out of political office in the 40s just as earlier in the 50s,29 but it is a norm that applies universally. We have to remember that the whole project started with a protreptikos. Hortensius is an invitation to philosophy, for ‘the Roman man’ who is ‘only timidly tackling this type of discussion’.30 If philosophy leads to a good life, a vita beata, as all schools claimed, the practice of philosophizing itself must adhere to the norms of such a life.31 If philosophy is able to deal with the complexities of urban religion, it must itself display the qualities of urbanity.
25 26 27 28 29 30 31
For the concept of ‘norms of discourse’ see Baumhauer (1997). The following is taken from Rüpke (2012), 202. Henderson (2006). See ibid., 177; Krostenko (2000), 357. See Cic. leg. 1.9–10. Cic. fat. 1.4: ut Romanum hominem, ut timide ingredientem ad hoc genus disputandi. Henderson 2006.
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5. CONCLUSION: URBAN RELIGION The positive and critical remarks of the main character and pontiff Cotta as well as the author’s introductory remarks underline the fact that rational reflection on religion is not an activity separate from and above religion, but intimately intertwined. Mary Beard and John Scheid have us taught to see the literary form of such discourse as part and parcel of late Republican Roman religion.32 The exemplary analysis of Cicero’s dialogue De natura deorum in this paper has added a further dimension. This literary discourse is a reflection of the complexities of a specifically urban religion – and part and parcel of the latter. ‘Urban religion’ here is a term that catches the interaction of urban space and urban conditions of life with the shape of religious practices, beliefs and institutions. It focuses on how religious practices, imaginaries (ideas, discourses, ‘beliefs’) and institutions (taken broadly) are impacted by their urban environments and how they appropriate and shape urban space. The thesis underlying this term is the intuition that city-space engineered the major changes that revolutionised Mediterranean religions, where this space is understood as the array of urban spatial and structural forms, forces, processes, and agents. Cicero’s De natura deorum offers confirmation of this view. BIBLIOGRAPHY Altini, Carlo (2015), Progresso – definitivo, Pisa. Baumhauer, Otto A. (1997), Diskursnormen, DNP 3, 695–6. Beard, Mary (1985), Writing and Ritual: A Study of Diversity and Expansion in the Arval Acta, PBSR 53, 114-62. – (1991), Writing and religion: Ancient Literacy and the function of the written word in Roman religion, in: ead. et al. (eds.), Literacy in the Roman world, Ann Arbor, Mi. (Journal of Roman Archaeology Suppl. 3), 35–58. Cancik, Hubert (1979), Römische Rationalität: Religions- und kulturgeschichtliche Bemerkungen zu einer Frühform des technischen Bewußtseins, in: Peter Eicher (ed.), Gottesvorstellung und Gesellschaftsentwicklung, München (Forum Religionswissenschaft 1), 67–92. – (1998), Antik – modern: Beiträge zur römischen und deutschen Kulturgeschichte, Stuttgart. Edwards, Catharine 1996, Writing Rome: Textual approaches to the city, Cambridge. Feeney, Denis 1998, Literature and Religion at Rome: Cultures, Contexts, and Beliefs, Cambridge. – (2007), On Not Forgetting the “Literatur” in “Literatur und Religion”: Representing the Mythic and the Divine in Roman Historiography, in: Anton Bierl, Rebecca Lämmle and Katharina Wesselmann (eds.), Literatur und Religion 2: Wege zu einer mythisch-rituellen Poetik bei den Griechen, Berlin, 173–202. Giesecke, Annette Lucia (2007), The epic city: Urbanism, utopia, and the garden in ancient Greece and Rome (Hellenic studies), Washington, DC/Cambridge, Mass. Henderson, John (2006), From ΦΙΛΟΣΟΦΙΛ into Philosophia: Classicism and Ciceronianism, in: James I. Porter (ed.), Classical pasts: the classical traditions of Greece and Rome, Princeton, NJ, 173–203.
32 Beard (1985), (1991); Scheid (1990); Feeney (1998), (2007); Rüpke (1994), (1997), (1998), (2001), (2003).
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WAS HABEN DIE GÖTTER MIT GERECHTIGKEIT ZU TUN? Ciceros Theologie zwischen ratio und Resonanz Elisabeth Begemann 1. EINLEITUNG In seiner Einleitung in die Schrift De natura deorum formuliert Cicero, dass die menschliche Gemeinschaft in direkter Abhängigkeit von der (gelungenen) Interaktion mit dem Göttlichen steht, und stellt gleichzeitig die Frage nach den Bedingungen, unter welchen eine solche Abhängigkeit menschlicherseits als gerecht empfunden werden kann:1 Haec enim omnia pure atque caste tribuenda deorum numini ita sunt, si animadvertuntur ab is et si est aliquid a deis inmortalibus hominum generi tributum; sin autem dei neque possunt nos iuvare nec volunt nec omnino curant nec, quid agamus, animadvertunt nec est, quod ab is ad hominum vitam permanare possit, quid est, quod ullos deis inmortalibus cultus, honores, preces adhibeamus? In specie autem fictae simulationis sicut reliquae virtutes item pietas inesse non potest; cum qua simul sanctitatem et religionem tolli necesse est, quibus sublatis perturbatio vitae sequitur et magna confusio; atque haut scio, an pietate adversus deos sublata fides etiam et societas generis humani et una excellentissuma virtus iustitia tollatur. Dies alles [pietas, sanctitas und religio] ist den Göttern ehrlich und rein darzubringen, wenn es von ihnen wahrgenommen wird und wenn es irgendwas gibt, was den Menschen von den unsterblichen Göttern zukommt; wenn aber die Götter uns weder helfen können noch wollen noch überhaupt sich kümmern, wenn, was wir tun, von ihnen nicht beachtet wird noch irgendwas von ihnen zum Leben der Menschen durchdringen kann, aus welchem Grund sollen wir dann den unsterblichen Göttern Kulte, Ehren und Gebete darbringen? Im äußeren Schein oder falscher Heuchelei kann keine Tugend und damit auch keine pietas liegen; mit ihr wird notwendigerweise gleichzeitig sanctitas und religio vernichtet, was zu Aufruhr des Lebens und großer Unordnung führt; und ich weiß nicht, ob, wenn die pietas gegen die Götter aufgehoben ist, nicht auch fides und die Gemeinschaft unter den Menschen und diese eine höchste Tugend, die Gerechtigkeit, aufgehoben wird.2
Diese Stelle richtet sich gegen die Position der Epikureer, die eine solche Interaktionsmöglichkeit zwischen Göttern und Menschen nicht annehmen, sodass gelingendes Kultgeschehen im Sinne von göttlicher Teilhabe an menschlicher Gemeinschaft überflüssig wird.3 Doch auch mit Blick auf die darauffolgende Kritik an der stoischen Schule wird deutlich, dass es Cicero nicht nur um grundsätzliches 1 2 3
Vgl. Gildenhard (2011), 181. Cic. nat. deor. 1,3-4. Die meisten der nachfolgenden Übersetzungen orientieren sich an den Ausgaben von Gigon/Straume-Zimmermann bzw. Nickel, wobei jedoch an etlichen Stellen eigene Übersetzungsvorschläge und Modifikationen eingebracht werden. Vgl. Rüpke (2006).
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Kultgeschehen geht, sondern um die richtige Art von Kult: nicht specie autem fictae simulationis, sondern vielmehr mit pietas als der gebührenden Ehrfurcht gegenüber hierarchisch Höherstehenden.4 Kult und Kultausübung darf sich in seinen Augen nicht auf die korrekte oder korrekt ausgeführte äußere Form beziehen, sondern muss zugleich auch mit der richtigen inneren Haltung angegangen werden. Darauf verweist Cicero nicht nur an dieser Stelle im Rahmen der Philosophie, sondern auch (wiederholt) als Redner im öffentlichen Raum, so z.B. in dom. 107: Nec est ulla erga deos pietas honesta de numine eorum ac mente opinio, ut expeti nihil ab iis, quod sit iniustum atque inhonestum, arbitrere. Auch gibt es keine pietas gegenüber den Göttern ohne eine würdige Meinung von ihrer Macht und ihrem Willen, indem man für gerecht und ehrenhaft hält, nichts von ihnen zu verlangen, was ungerecht oder unehrenhaft sei.
Nicht so sehr auf den rituellen Akt also kommt es an, sondern auf die innere Haltung und Einstellung, wie man sich diesem rituellen Akt nähert und warum. Denn wenn es nur an den Akten und ihrem Vollzug selbst hängt, wenn religio nichts ist als (leere) Praxis, dann stehen virtus und pietas auf dem Spiel; an ihnen aber hängen sanctitas und religio, und sind diese nicht mehr, kann keine Rede mehr sein von einem geordneten Zusammenleben, denn an ihnen hängt fides und damit iustitia. Fides ist hier sehr konkret gefasst als „Vertragstreue“:5 Wenn man sich innerhalb einer Gemeinschaft nicht mehr darauf verlassen kann, dass geschlossene Verträge eingehalten werden, wenn nicht mehr „geschieht, was gesagt wird“,6 dann zerbricht der innere Halt und Zusammenhang dieser Gemeinschaft und wird das Leben zur Unsicherheit, was Ciceros Publikum mit Blick auf zeitgenössische Verhältnisse bewusst gewesen sein wird.7 Iustitia, „die einem jedem zuteilt, was ihm zukommt“,8 ist unter diesen Bedingungen nicht zu erwarten. Sie bildet aber die Grundvoraussetzung für menschliche Gemeinschaft, wie der Autor in rep. 2,69 formuliert: Et quae harmonia a musicis dicitur in cantu, ea est in civitate concordia, artissimum atque optimum omni in re publica vinculum incolumitatis eaque sine iustitia nullo pacto potest esse.
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Vgl. Rüpke (2016), 188; ebenso Norenzayan (2013), 59ff.: „religious fervor […] communicates a hard-to-fake commitment to the beliefs of the religious group”. Somit wird, laut Norenzayan, religiös ernsthaften Menschen, entsprechend ihres Verhaltens im religiösen Raum, größeres Vertrauen entgegengebracht. Vgl. Cic. leg. 2,16. Cic. rep. 3,10. Vgl. Norenzayan (2013), 171, auch gültig für vorindustrielle Kulturen: „In this mostly religious world, what keeps the world going is the ties of blood, honor, and ethnic solidarity. Any cooperation beyond these immediate ties, when it happens, is of a religious nature.” Zur Rolle von Religion im Handel (und damit in der internationalen Kooperation, für den Zusammenhalt des Imperium Romanum von Relevanz), vgl. Rauh (1993). Cic. nat. deor. 3,38. Iustitia als „the cardinal virtue” (Schofield 2012, 182) wird auch in fin. 5,65-67 betont. Vgl. Arist. Nik. Eth. 1160a11.
Was haben die Götter mit Gerechtigkeit zu tun?
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Und was die Musiker bei einem Musikstück als Harmonie bezeichnen, das ist im Staat die Eintracht, die in jedem Gemeinwesen das engste und beste Band ist, das es unangreifbar macht; aber diese Eintracht ist auf keinen Fall ohne Gerechtigkeit möglich.
Die Götter aber sind Teil des Gemeinwesens: quae cum sit lex, lege quoque consociati homines cum dis putandi sumus. […] ut iam universus hic mundus una civitas communis deorum atque hominum existimanda. Da diese [ratio] das Gesetz ist, muss man davon ausgehen, dass wir Menschen auch durch das Gesetz mit den Göttern verbunden sind. … so dass nunmehr die gesamte Welt als ein gemeinsamer Staat der Götter und Menschen anzusehen ist.9
Als Teil des Gemeinwesens ist also auch ihnen, um der Gerechtigkeit willen („jedem das Seine“), Ehre als den Besseren und Dankbarkeit für erwiesene Wohltaten entgegenzubringen. Und das nicht nur irgendwie, sondern mit der gebührenden pietas, der Ehrfurcht, die man hierarchisch Höherstehenden schuldet, Menschen oder Göttern.10 Doch auch diese Teilnahme an der Gemeinschaft ist Voraussetzungen unterworfen, von denen eine schon genannt ist: die Götter müssen tatsächlich teilnehmen können, sie müssen in der Lage sein, sich um die Belange der Menschen zu kümmern. Bringt ein Mensch einer Gottheit die gebührende Ehre in Form von Gebeten, Gaben und Opfern dar, muss die Gottheit auch ihrerseits in der Lage sein, auf das einzugehen, was der Mensch von ihr erwartet, sie muss das angebotene Vertragsverhältnis auch ihrerseits einhalten.11 So heißt es in nat. deor. 1,116: est enim pietas iustitia adversum deos; cum quibus quid potest nobis esse iuris, cum homini nulla cum deo sit communitas? Denn pietas ist Gerechtigkeit gegenüber den Göttern; aber was kann unser Rechtsverhältnis mit ihnen sein, wenn die Menschen mit den Göttern keine Gemeinschaft haben?
Ebenso wie Menschen also kommunikativ an die Götter herantreten, müssen auch die Götter auf das Gesprächsangebot eingehen können. Für eine funktionierende Beziehung zwischen Gott und Mensch muss es also nach Cicero zwei Voraussetzungen geben: erstens, die Götter müssen existieren; zweitens, sie müssen interaktionsfähig sein. Die Frage, ob die Götter existieren, wird jedoch in De natura deorum nicht diskutiert: Wenn sie auch angeführt wird, ziehen sich Epikureer und Stoiker jeweils auf die Meinung der Masse zurück, woran der Akademiker seinerseits nur die nicht-wissenschaftliche Vorgehensweise kritisiert, dass es sich also dabei um Behauptungen, nicht Beweise handle.12 Er hält seinerseits aber ebenso daran fest, dass es Götter geben müsse. Die Frage in De natura deorum ist also nicht: „gibt es Götter?“, sondern vielmehr „welcher Art sind diese Götter?“ und „in welchem Verhältnis stehen sie zu den Menschen?“, bzw. auf die Absicht der ciceronischen Philosophie zugespitzt: 9 10 11 12
Cic. leg. 1,23; vgl. auch 2,26. Vgl. leg. 2,19; 22; 24f.; 41; 3,37. Vgl. Wissowa (1902), 318ff. Vgl. Cic. nat. deor. 1,62; 3,10.
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Welches sind die passenden Götter für die ideale res publica, die Rom einmal war und zu der Rom sich wieder wandeln soll, und wie hat ihnen der Römer zu begegnen? Im Folgenden möchte ich ein Experiment versuchen: Die Betrachtung des Entwurfs der passenden Götter für Ciceros ideales (verklärtes römisches) Gemeinwesen soll unter Heranziehung eines Ansatzes aus der Soziologie geschehen, nämlich Hartmut Rosas Resonanztheorie.13 Ich nähere mich dem antiken philosophischen Text mit der Terminologie eines modernen Forschungsansatzes, um die emotionale Ebene der Schrift in den Fokus zu nehmen und dabei insbesondere die emotional aufgeladene Frage der Gerechtigkeit in Zeiten caesarischer Alleinherrschaft zu betrachten.14 Dies ist die Ebene, die über das Rational-Philosophische hinaus den Leser ansprechen und Ciceros Darstellung der idealen religio für seine res publica plausibilisieren soll. Mit Hilfe der Resonanztheorie lässt sich diese Ebene beschreiben, indem dargestellt werden kann, was in der Beziehung zwischen Mensch und Gott dazu beiträgt, dass die Beziehung als relevant und funktionierend empfunden und allen augenscheinlichen Widersprüchen zum Trotz aufrecht erhalten wird.15 Die Resonanztheorie soll zunächst kurz vorgestellt werden, bevor die Positionen des Epikureers Velleius und des Stoikers Balbus in der Schrift unter Heranziehung der Resonanztheorie betrachtet werden und zum Schluss mit Blick auf den Akademiker Cotta ein Ausblick gewagt werden soll auf die Art Götter, die Cicero für „seine“ res publica brauchte. 2. ZUR RESONANZTHEORIE Rosas Resonanztheorie behandelt u. a. die Frage, wie der Mensch in die Welt gestellt ist bzw. sich zu der Welt stellt: Steht er ihr offen, positiv gegenüber? Oder ist die Welt eine feindliche, der gegenüber es sich zu verschließen gilt?16 Ebenso ist nach dem Wirken des Menschen zu fragen: Verfügt der Mensch über Erfahrung der Selbstwirksamkeit in der Welt, d.h. fühlt er oder sie sich fähig bzw. hat sich als fähig erfahren, Einfluss auf die Welt, auf seine oder ihre Umwelt zu nehmen, oder fehlt diese Selbstwirksamkeitserfahrung, wird die Welt als starr und unnachgiebig, feindlich sogar erfahren, fühlt man sich der Welt ausgeliefert? In Rosas Worten wird Welt passiv erfahren (das Gefühl des Ausgeliefertseins) oder aktiv anverwandelt (also Erfahrungen von Selbstwirksamkeit, von Einflussnahme auf die Welt).17 Er definiert Resonanz als Antwortbeziehung: „sie setzt voraus, daß beide Seiten mit eigener Stimme sprechen, und dies ist nur dort möglich, wo starke Wertungen berührt werden. Resonanz impliziert ein Moment konstitutiver Unverfügbarkeit. [… Sie ist] kein emotionaler Zustand, sondern ein Bezie13 14 15 16 17
Rosa (2016). Vgl. Gildenhard (2011), 351. Vgl. Rosa (2016), 54. Vgl. Rosa (2016), 25. Rosa (2016), 53.
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hungsmodus. Dieser ist gegenüber dem emotionalen Inhalt neutral. Daher können wir traurige Geschichten lieben.“18 Rosa unterscheidet zwischen resonanten und stummen Weltbeziehungen und mit Blick auf letztere zwischen indifferenten und repulsiven. Resonant ist die Weltbeziehung dann, wenn eine Antwortbeziehung etabliert werden kann, wenn der Mensch das Gefühl hat, dass er nicht nur gibt, sondern dass durch das Geben auch zurückgegeben wird – so etwa in der Arbeit, im Ehrenamt oder im Freundeskreis, ebenso aber auch in der Musik, der Kunst, der Natur oder der Religion, z.B. im Kultvollzug. Beziehung setzt dabei voraus, dass beide Seiten als beteiligt empfunden werden. Stumme Weltbeziehungen können eine solche Resonanz nicht herstellen. Rosa benutzt hierfür das Bild zweier Stimmgabeln:19 Schlägt man die eine an, so wird auch die zweite diese Schwingungen aufnehmen und verstärken, es bildet sich ein „Resonanzeffekt“. Steht jedoch zwischen den Stimmgabeln – oder Subjekt und Welt – etwas, das die Resonanz verhindert (wird die zweite Stimmgabel z.B. in der Faust festgehalten oder kann keine Beziehung hergestellt werden zwischen dieser Welt und den intermundia Epikurs), so kann keine Aufnahme der Schwingungen stattfinden. Die zweite Stimmgabel bleibt stumm und es tritt keine Resonanz ein. In einer indifferenten Weltbeziehung tritt die Welt dem Subjekt gleichgültig gegenüber, in einer repulsiven Weltbeziehung wird sie als feindlich erfahren. In beiden ist das Subjekt von der Welt entfremdet. Wieder Rosa: Entfremdung bezeichnet damit eine Form der Welterfahrung, in der das Subjekt den eigenen Körper, die eigenen Gefühle, die dingliche und natürliche Umwelt oder aber die sozialen Interaktionskontexte als äußerlich, unverbunden und nichtresponsiv beziehungsweise als stumm erfährt. […] Entfremdung [wird] immer dann und dort überwunden, wo Subjekte in der Interaktion die Erfahrung machen, dass sie von anderen oder anderem berührt werden, dass sie aber auch selbst die Fähigkeit haben, andere(s) zu berühren.20
Entfremdung ist dabei laut Rosa nicht das Gegenteil von Resonanz, sondern steht zu dieser in Beziehung: „Resonanz entsteht […] niemals dort, wo alles ‚reine Harmonie‘ ist, und auch nicht aus der Abwesenheit von Entfremdung, sondern sie ist vielmehr gerade umgekehrt das Aufblitzen der Hoffnung auf Anverwandlung in einer schweigenden Welt.“21 So etwa, wenn Cicero während seines Exils träumt, dass Marius ihn in den Honos-et-Virtus-Tempel geleitet habe, um ihn auf das Ende seiner nicht ganz freiwilligen Abwesenheit von Rom vorzubereiten22 – gehen wir einmal davon aus, dass Cicero diese Episode nicht gänzlich erfunden hat. Rosa sieht den Menschen in erster Linie als ein resonanz-, nicht ein vernunftfähiges Wesen.23 Die ersten Beziehungen jedes Menschen entstehen über die Haut
18 19 20 21 22 23
Rosa (2016), 298. Rosa (2016), 211. Rosa (2016), 306. Rosa (2016), 321. Vgl. Cic. div. 1,59. Vgl. Rosa (2016), 88.
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im Berührtwerden,24 durch die Stimme und durch Blicke,25 in denen das Kind die Erfahrung macht, dass das Gegenüber auf das Selbst reagiert und zu ihm in Beziehung tritt. Ebenso kommt vor der Vernunft die Weltaufnahme in der Atmung und Ernährung, in der Welt (in Form von Sauerstoff/Kohlendioxid und Nahrung) ganz konkret aufgenommen und abgegeben wird und der Körper mit diesen Vorgängen interagiert. Hier entstehen Weltbeziehungen.26 Die Philosophie ist diesbezüglich klar im Nachteil, denn Erfahrungen von Resonanz haben in erster Linie nichts mit ratio zu tun. Philosophie muss aber, wie Cotta in De natura deorum beständig einfordert, der ratio unterworfen sein. Kann es also eine vernunftbasierte, philosophisch begründete Theologie geben, die dennoch das Gemüt des Menschen anspricht? Das ist in meinen Augen das, was Cicero in De natura deorum untersucht und was im Folgenden mit Hilfe der Resonanztheorie diskutiert werden soll. Rosa stellt fest, dass Resonanz nicht nur aus einmaligen Momenten besteht, sondern sich in Resonanzachsen oder -beziehungen verfestigen kann.27 Diese treten dort auf, wo Resonanzerfahrungen mehr als einmalig sind. So z.B. beim Schwimmen, zu dem man auch um 6 Uhr morgens gerne geht, weil man diesem eine starke Wertung zuschreibt, also ein „es ist wichtig, dass ich dies tue“, nicht nur ein „ich hätte oder würde gern“, und bei dem man das Gefühl des Erfüllt- oder Berührtseins oder des Ganz-bei-sich-Selbst-Seins erfährt.28 Andererseits können Resonanzachsen auch verstummen: Würde man z.B. durch Umberto Giordanos Arie „La Mamma Morta“29 in besonderer Weise berührt, d.h. riefe die Arie Resonanz hervor und versuchte man nun, dieses Resonanzerlebnis zum Zweck der Lebensqualitätssteigerung30 zu wiederholen und verstetigen, indem man das Stück wieder und wieder hört, wird man bald feststellen, dass diese Resonanz nicht erzwingbar ist, dass das Stück im schlimmsten Fall eines Tages „nichts mehr zu sagen“ hat.31 In diesem Zusammenhang spricht Rosa von „Verdinglichung“: ein Resonanzerlebnis wird zum Objekt oder zum Instrumentarium, um Berührtheit herzustellen. Dadurch wird jedoch dem Gegenüber (dem Musikstück, dem Bild, der Atmosphäre im Fußballstadion) die eigene Stimme genommen und mithin eine Echokammer32 geschaffen. Wir wollen, dass Resonanz eintritt und tun das unsere dafür, also hat das Gegenüber bitte entsprechend zu antworten – und uns zu berühren.
24 25 26 27 28 29 30 31 32
Vgl. Rosa (2016), 87. Vgl. Rosa (2016), 109ff. Vgl. Rosa (2016), 92ff. Obwohl das Verhältnis zwischen Resonanzmoment und Resonanzachse noch der Klärung bedarf. Zu den Resonanzachsen oder -beziehungen, vgl. Rosa (2016), Kap. VI. Vgl. Kubiak (2017). Umberto Giordano, „La Mamma Morta“, Arie aus dem 3. Akt der Oper Andrea Chénier (1896). Gemäß der Einordnung der Untersuchung Rosas in seinen größeren Forschungszusammenhang der Soziologie des Guten Lebens, vgl. Rosa (2016), 19. Vgl. Rosa (2016), 497. Vgl. Rosa (2016), 495.
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Resonanzerfahrungen und -beziehungen sind jedoch eine Verflüssigung von Welt.33 Wenn das Andere uns starr und abgeschlossen gegenübersteht, als Ding, als Gegenteil des porous self,34 dann ist keine Beziehung möglich; das Gegenüber kann als Ding nicht flüssig sein und muss stumm bleiben. Ist Resonanz jedoch Antwortbeziehung, schließt das auch mit ein, dass das Gegenüber (Subjekt oder Welt) sich einer Antwort entziehen kann, dass es sich unverfügbar macht oder in einer Weise antwortet, die unangenehm ist. Womit ich nun bei Ciceros De natura deorum angekommen bin. 3. DER STANDPUNKT DES EPIKUREERS Hier soll zunächst die Position des Epikureers diskutiert werden, dessen Vorstellung von Göttlichkeit bekanntlich sehr schnell abgehakt ist: Velleius braucht nur zehn Paragraphen (1,43-53), um die epikureische Theologie darzulegen.35 Denn wichtiger als eine positive Theologie ist dem ciceronischen Velleius die Widerlegung anderer Positionen: die der Stoa (1,18-24), die anderer griechischer Philosophen (1,24-41) und die der Dichter (1,42-43).36 Bei seiner Darstellung der epikureischen Götterlehre möchte ich mich auf drei Aspekte konzentrieren, nämlich den Atomismus, die perfekte Gestalt der epikureischen Götter und die Glückseligkeit derselben. 3.1. Atomismus Bezüglich des Wesens der epikureischen Götter lässt Cicero Velleius von Wesen mit quasi corpus und quasi sanguinis sprechen,37 also leib- und blutähnlich, 33 Rosa (2016), 53. 34 Taylor (2007), 36. 35 Zu den epikureischen Göttern vgl. Mansfeld (1993); Purinton (2001); Long/Sedley (2006), 162–174. 36 Was bemerkenswert ist, wenn man zu Beginn der Schrift in Ciceros Verteidigung seiner Positionierung als skeptischer Akademiker liest, dass eine Kenntnis aller philosophischen Schulen kaum noch von einem zeitgenössischen Philosophen geleistet wird (bzw. werden kann). Nun legt er, der erklärte Gegner der Epikureer, jedoch den philosophischen Überblick gerade einem solchen in den Mund. Dies dient weniger der Darstellung der Gelehrsamkeit des Velleius (vgl. nat. deor. 1,59) als der Reduzierung des Anteils der positiven Darlegung der epikureischen Position in der Gesamtschrift und der Einarbeitung des Gesamtüberblicks über die Philosophie: Cicero der Autor weist nach, dass er einen Überblick über die verschiedenen Lehrmeinungen und ihre Gegenpositionen durchaus hat; durch die Zuordnung dieses Dialogteils an den Epikureer muss weder Stoiker noch Akademiker Zeit darauf verschwenden, einen solchen Überblick oder Bezüge auf diese Lehrpositionen ihrerseits zu leisten und somit die eigene Position weniger gründlich darzulegen. Vielmehr kann man die Stelle durchaus derart lesen, dass beim Leser der Eindruck entstehen möge, der Epikureer habe so wenig zu seiner eigenen Schule und ihrer Lehrmeinung bzgl. des Wesens der Götter zu sagen, dass er sich in Darlegungen anderer Schulen flüchtet und lieber bei anderen kritisiert, was er für die eigene Schule nicht leisten kann. 37 Cic. nat. deor. 1,49; vgl. Sanders (2004).
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letztlich jedoch nicht in Besitz dessen, was man tatsächlich als „Leib“ oder als „Blut“ bezeichnen könnte. Die Götter Epikurs sind nicht dreidimensional gedacht: sie sind Bilder in den intermundia.38 Diese Götter können von den Menschen auch nur rein geistig erfasst werden.39 So heißt es in nat. deor. 1,49: Epicurus autem, […] docet eam esse vim et naturam deorum, ut primum non sensu, sed mente cernatur, nec soliditate quadam nec ad numerum, ut ea, quae ille propter firmitatem steremnia appellat, sed imaginibus similitudine et transitione perceptis, cum infinita simillumarum imaginum species ex innumerabilibus individuis existat et ad nos adfluat. Epikur aber […] lehrt, dass das Wesen und die Natur der Götter darin bestehe, erstens dass sie nicht mit den Sinnesorganen, sondern nur mit dem Geist erblickt werden kann, und zweitens, dass es an ihnen keine zahlenmäßig fixierte Festigkeit gibt, wie an den Dingen, die er wegen ihrer Festigkeit steremnia [das Harte] nennt, sondern dass der menschliche Geist eine Abfolge von untereinander ähnlichen und ununterbrochen vorüberziehenden Bildern aufnimmt, da es eine unbegrenzte Menge von einander völlig ähnlichen Bildern gibt, die aus unbegrenzt vielen Atomen entstehen und zu uns hinüberfließen.
Im Wortlaut Ciceros kann man Göttern dieser Art keine Beständigkeit zuschreiben: Sie fließen vorbei, haben keine Festigkeit, keine Zuordnung, keine Begrenzung. constantia aber ist den Göttern, ebenso wie den Mitgliedern der Oberschicht, aus römischer Perspektive unbedingt zuzuschreiben, sie verkörpert deren Verlässlichkeit.40 Resonanztheoretisch gesprochen kommt noch ein Zweites hinzu: Mit Blick auf Riemann und Durkheim macht Rosa den Kontrast auf zwischen dem starren und dem konturlosen Selbst sowie der starren und der konturlosen Welt. Das starre Selbst ist ganz auf sich selbst bezogen, es nimmt die Welt (und andere Subjekte) als feindlich wahr und versteht es nicht, sich dieser (oder diesen) gegenüber zu öffnen. Das Selbst ist umgeben mit harten, undurchdringbaren Grenzen. Das konturlose Selbst ist entsprechend so weit gegenüber der Welt (und anderen Subjekten) geöffnet, dass die notwendige Abgrenzung, um noch Selbst zu sein, fehlt: die notwendigen Grenzen sind aufgelöst. Gleiches gilt auch für die Welt: Einerseits die starre Welt, die durch ein „Zuviel“ an Ordnung, Regulierung und Festlegung geprägt ist, andererseits die konturlose Welt, beherrscht von der Angst vor Chaos, Unordnung und Kontrollverlust.41 Resonanz ist nur dort möglich, wo das Subjekt gegenüber der Welt (und anderen Subjekten) sich geöffnet hat, aber dennoch die eigene, klare Abgrenzung als Selbst nicht aufgegeben hat und auch die Welt als „offen genug für eine Beziehung und stabil beziehungsweise geschlossen genug für die Ausbildung einer Eigenfrequenz“ ist.42 Auf die Formulierung, die Cicero nun für die epikureischen Götter wählt, ist Rosas Schema sehr gut anwendbar:43 Es gibt an ihnen „nichts Festes“ und „nichts
38 39 40 41 42 43
Was Cicero hier jedoch unterschlägt. Zu den intermundia s. Dyck (2003), 76. Epik. ep. ad Herod. 76-77; vgl. Long/Sedley (2006), 169f. Krostenko (2000), 357. Vgl. Rosa (2016), 195. Rosa (2016), 192. Indem Epikur die Götter aus Atomen bestehen lässt und somit ganz dem naturwissenschaftlichen Verständnis der Welt unterordnet, trägt er auch dazu bei, was Weber „Entzauberung“ der
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Zählbares“ (nec soliditate quadam nec ad numerum), der menschliche Geist ist vielmehr einer beständigen Flut von untereinander vollkommen ähnlichen und ununterbrochen vorbeiziehenden Bildern ausgesetzt.44 Die epikureischen Götter sind kein Subjekt, denn es gibt an ihnen keine für das Subjekt notwendige Festigkeit, keine Grenzen des Selbst.45 Der Mensch kann ihnen somit nicht in einem Resonanzverhältnis gegenübertreten, weil das Gegenüber nicht fassbar ist: Es ist, erstens, innumerabilis und, zweitens, beständig im Fluss. Die Götter Epikurs befinden sich also schon aufgrund ihrer Gestalt in einer beständigen Unverfügbarkeit, was Resonanz unmöglich macht und zu einer stummen Welt- oder Gottesbeziehung führen muss. 3.2. Die perfekte Gestalt der epikureischen Götter Bezüglich der perfekten Gestalt der epikureischen Götter möchte ich Cotta anstelle von Velleius zu Wort kommen lassen:46 Num etiam una est omnium facies? Nam si plures, aliam esse alia pulchriorem necesse est, igitur aliquis non pulcherrimus deus; si una omnium facies est, florere in caelo Academiam necesse est: si enim nihil inter deum et deum differt, nulla est apud deos cognitio, nulla perceptio. Soll dies bedeuten, dass sie alle genau gleich aussehen? Sehen sie nämlich verschieden aus, so ist notwendigerweise der eine schöner als der andere; folglich gibt es auch einen nicht vollkommen schönen Gott. Sehen sie jedoch alle genau gleich aus, dann behält im Himmel notwendigerweise abermals die Akademie recht; wenn unter den Göttern nämlich überhaupt kein Unterschied besteht, so ist bei den Göttern kein sicheres Wissen und kein Begreifen möglich.
Welt nennt, ihre Rationalisierung durch Wissenschaft, vgl. Weber (1992 [1917]), 87; jedoch Joas 2017. 44 Vgl. auch Cic. nat. deor. 1,75: illud video pugnare te, species ut quaedam sit deorum, quae nihil concreti habeat, nihil solidi, nihil expressi, nihil eminentis, sitque pura, levis, perlucida – „Ich sehe ein, dass du die These verteidigen willst, dass die Götter eine Art von Gestalt haben, die nichts Konkretes, nichts Greifbares, nichts Bestimmtes, nichts Hervorragendes hat, sondern rein und leicht und völlig durchsichtig ist.“ 1,114 nimmt Cotta dies noch einmal auf: Nec tamen video, quo modo non vereatur iste deus beatus, ne intereat, cum sine ulla intermissione pulsetur agiteturque atomorum incursione sempiterna, cumque ex ipso imagines semper afluant – „Davon abgesehen verstehe ich nicht, wie ein solcher glückseliger Gott nicht fürchten muss, dass er einmal zugrunde geht, da er ohne Unterbrechung dem ewigen Andringen der Atome ausgesetzt ist, von ihnen geschlagen und gequält wird, und gleichzeitig sich ständig Bilder von ihm ablösen.“ Ebenso auch Velleius’ eigene Kritik an Demokrit und dessen Unbeständigkeit der Gottheit, die der von Cotta vorgebrachten Formulierung der epikureischen Position sehr nahekommt, nat. deor. 1,29; s. nat. deor. 1,73. 45 Dass Cicero damit in Kontrast zum epikureischen Verständnis der Bilder in den intermundia steht, ist deutlich. Mir kommt es hier nur auf die gewählte Formulierung an: geschlagene und gequälte Götter können nicht „glückselig“ sein, durch den beständigen Zu- und Abfluss auch nicht fest. Zum Atomismus Epikurs s. Purinton (1999), Purinton (2001). 46 Cic. nat. deor. 1,80.
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Ebenso wie mit Blick auf die rein aus Atomen bestehende Bildabfolge der Götter ist auch hier die Frage: Wer ist das Gegenüber? Zu wem soll das Subjekt in eine Resonanzbeziehung treten? Mit wem eine Resonanzerfahrung machen? Wenn es mit Bezug auf die Götter beliebig ist, ob man Jupiter, Artemis oder Bes anbetet, weil sowieso alle gleich aussehen und gleich sind, dann muss es folglich auch gleich sein, ob eine Resonanzerfahrung durch Mozart, Miles Davis oder Metallica hervorgerufen wurde: Hauptsache Musik! Das dem nicht so ist, ist sofort ersichtlich. Das Gegenüber muss also nicht nur ein bezugs- und beziehungsfähiges Subjekt sein, es muss auch als solches eindeutig identifizierbar sein, es muss eine eindeutige Zuschreibung erlauben können.47 Wenn ich beim Abendmahl, nicht beim Holi-Fest Resonanz empfinde, dann besteht die Resonanzbeziehung zu einer bestimmten Form eines religiösen Rituals, nicht zu religiösen Ritualen im Allgemeinen. Gleiches gilt auch für die Götter: dem Gegenüber muss eine Identität zweifelsfrei zugesprochen werden können.48 3.3 Die Glückseligkeit der epikureischen Götter Et quaerere a nobis, Balbe, soletis, quae vita deorum sit quaeque ab is degatur aetas. [51] Ea videlicet, qua nihil beatius, nihil omnibus bonis affluentius cogitari potest. Nihil enim agit, nullis occupationibus est inplicatus, nulla opera molitur, sua sapientia et virtute gaudet, habet exploratum fore se semper cum in maximis tum in aeternis voluptatibus. Ihr fragt uns für gewöhnlich, Balbus, wie das Leben der Götter beschaffen sei und wie sie ihre Zeit zubringen. Es ist klar, dass sie so leben, wie man sich nichts Glückseligeres und nichts an Gütern Reicheres vorstellen kann. Denn die Gottheit tut nichts, ist in keine Beschäftigung verwickelt, setzt keine Werke in Gang, sie freut sich ihrer Weisheit und Tugend, in der festen Gewissheit, dass sie allezeit in größter und ewiger Lust verbleiben werde.49
Der Einwand ist offensichtlich und schnell gemacht, Cicero übernimmt dies selbst:50 Bei einer solchen Gottheit kann keine Beziehung zwischen Gott und Welt, zwischen Gott und Mensch möglich sein, da jede Einmischung in die Belange der Welt eine Veränderung bedeuten muss. Da sich die Götter aber bereits im Zustand der höchsten Glückseligkeit befinden,51 ist jede Veränderung notwendig eine Verschlechterung. Der Mensch kann seinerseits zwar die Gottheit ansprechen – Velleius bzw. Epikur fordert dies sogar, als Verehrung des allein Verehrungswürdigen, weil Perfekten52 –, die Gottheit ist ihrerseits aber nicht in der Lage, zu antworten. Sie verfügt über keine eigene Stimme, die zu einer Antwort fähig wäre. Jede Dialogofferte (z.B. im Kult) würde ins Leere laufen, weil die Gottheit nicht antworten kann, ohne ihre Glückseligkeit, also die Bedingung ihres Seins als Gottheit,53 zu 47 48 49 50 51 52 53
Vgl. Merleau-Ponty (²1994), 210. Vgl. Cic. div. 1,101; 2,69. Cic. nat. deor. 1,51. Cic. nat. deor. 1,123f. Cic. nat. deor. 1,51. Cic. nat. deor. 1,45. Vgl. FitzGerald (1951); Summers (1995). Cic. nat. deor. 1,52 (Velleius). 114 (Cotta).
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riskieren. Sie ist nicht resonanzfähig und bleibt stumm und somit dem Menschen entfremdet. Eine Beziehung zwischen den Göttern einerseits und den Menschen andererseits kann nicht entstehen, Gott bleibt das ganz andere, das in beständiger Unverfügbarkeit dem Menschen indifferent gegenüberstehen muss. Das aber hat Konsequenzen auf den Alltag der Menschen, die Cicero sieht: Quid est enim, cur deos ab hominibus colendos dicas, cum dei non modo homines non colant, sed omnino nihil curent, nihil agant? Warum also verlangst Du von den Menschen, dass sie die Götter verehren, wenn die Götter ihrerseits nicht nur die Menschen gar nicht beachten, sondern sich tatsächlich um nichts kümmern und nichts tun?54
Wenn der Mensch keinen Nutzen von der Beziehung zum Göttlichen hat, ist nicht ersichtlich, warum er zum Göttlichen überhaupt in Beziehung treten soll. Wenn Resonanz die Hoffnung auf Anverwandlung ist, dann muss diese Hoffnung in Bezug auf die Götter immer enttäuscht werden, da Anverwandlung, Gegenseitigkeit oder Beziehung mit Blick auf die epikureischen Götter nicht möglich ist. Sie stehen dem Menschen immer als das ganz Andere, als das nicht-Anverwandelbare, das Beziehungslose gegenüber. 4. DER STANDPUNKT DES STOIKERS Beim Stoiker kann natürlich von einer nicht zur Welt in Beziehung stehenden Gottheit keine Rede sein, vielmehr ist die Welt von Gott geschaffen,55 durchwirkt56 und selbst Gott. Der Stoiker beginnt somit seine Rede auch mit der Darlegung der Göttlichkeit der Welt (2,13-38), bevor er zur Göttlichkeit der Gestirne kommt (2,39-58) und sich dann dem Wesen der einzelnen Götter zuwendet (2,59-72). Ich möchte einen anderen Aspekt in den Mittelpunkt stellen: die Rede des Stoikers von der Schönheit der Welt. 4.1. Die Schönheit der Welt Balbus widmet gut ein Drittel seiner Rede (2,98-153) dem Nachweis, dass die Welt schön gestaltet ist, was nur durch das Wirken der providentia so geschehen konnte: Licet enim iam remota subtilitate disputandi oculis quodam modo contemplari pulchritudinem rerum earum, quas divina providentia dicimus constitutas. Doch wollen wir nun die (philosophische) Disputation loslassen und gleichsam mit den Augen die ganze Schönheit der Dinge betrachten, von denen wir sagen, dass die Vorsehung sie geschaffen hat.57 54 55 56 57
Cic. nat. deor. 1,115. Cic. nat. deor. 2,15. Cic. nat. deor. 2,81-90. Cic. nat. deor. 2,98.
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Der primäre Punkt des Stoikers ist dabei die gute Ordnung der Natur. Aiste Celkyte verweist darauf, dass laut stoischer Definition mit „Schönheit“ tatsächlich „Ordnung“ gemeint ist: symmetria.58 Es ist hier natürlich ebenso zu bedenken, dass sich Städter im Gespräch befinden,59 die ein ganz anderes Naturverhältnis und Naturverständnis haben als solche, die der Natur ihr tägliches Überleben abringen müssen. In den Augen des Stoikers offenbart sich jedoch in der Wohlgeordnetheit des Kosmos die Gottdurchwirktheit der Welt: Er betrachtet Erde, Himmel, Gestirne, Pflanzen, Tiere, den menschlichen Körper und schließlich – gleichermaßen als Krönung – Sinne und Vernunft und kommt zu dem Schluss, dass nichts davon zufällig entstanden und eingerichtet sein kann, sondern dass alles von einer höheren Macht geplant gewesen und umgesetzt worden sein muss: Nulla igitur in caelo nec fortuna nec temeritas nec erratio nec vanitas inest contraque omnis ordo veritas ratio constantia, quaeque his vacant ementita et falsa plenaque erroris, ea circum terras infra lunam, quae omnium ultima est, in terrisque versantur. caelestem ergo admirabilem ordinem incredibilemque constantiam, ex qua conservatio et salus omnium omnis oritur, qui vacare mente putat is ipse mentis expers habendus est. So gibt es denn am Himmel keinen Zufall, keine Beliebigkeit, kein Irren und keine Sinnlosigkeit, sondern da ist im Gegenteil alles Ordnung, Wahrheit, Vernunft, Gleichmäßigkeit, und wo dies fehlt und alles trügerisch und falsch und voll Irrtum ist, das bewegt sich dies um die Erde herum und unter dem Mond, der [von allen Gestirnen] das niedrigste ist, und auf der Erde. Wer aber meint, dass die bewundernswerte Ordnung des Himmels und die unglaubliche Gleichmäßigkeit, auf der alle Erhaltung und das ganze Heil beruht, ohne Verstand besteht, dem muss man selbst den Verstand absprechen.60
Dass es sich bei dieser planenden Macht mit Verstand (mens) um Gott, d.h. um die Welt handelt, hatte Balbus schon in 2,46 gesagt: mundo autem certe nihil est melius; nec dubium, quin, quod animans sit habeatque sensum et rationem et mentem, id sit melius quam id, quod is careat. [47] ita efficitur animantem, sensus mentis rationis mundum esse compotem; qua ratione deum esse mundum concluditur. Nun ist sicherlich nichts besser als die Welt. Ebenso kann nicht daran gezweifelt werden, dass das, was Leben, Bewusstsein, Vernunft und Geist besitzt, besser ist als das, was dies nicht besitzt. Daraus folgt, dass die Welt in vollem Besitz von Leben, Bewusstsein, Vernunft und Geist ist; und daraus ist zu folgern, dass die Welt Gott ist.
Die Welt ist also auf die beste Weise geordnet und verwaltet, und man muss an dieser Stelle nicht mit Rosa soweit gehen, Ordnung als Vorstufe von Entfremdung zu verstehen;61 halten wir uns lieber an Cicero, der die Weltdurchwirktheit der 58 Celkyte (2017). 59 S. Rüpke in diesem Band. Zur räumlichen Darstellung philosophischer Gespräche in Cicero, O’Sullivan (2006). 60 Cic. nat. deor. 2,56. 61 Vgl. Rosa (2016), 316: „Blütenweiße Wände, Blumen auf dem Tisch, perfekte Ordnung, makellose Sauberkeit, leise Musik: Solche Wohnverhältnisse sind nicht unbedingt charakteristische Indikatoren für intakte, resonante Weltbeziehungen […] – sie können, ganz im Gegenteil […] das (verzweifelte) Bemühen zum Ausdruck bringen, die Welt beziehungsweise die Umwelt rein, harmonisch, störungsfrei zu halten – was dann freilich oft unbeabsichtigt dazu führt, dass sie steril wird.“
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Stoiker als Determinismus versteht.62 Wenn alles durch Gott gemacht ist und alles in Gott und durch Gott ist; wenn darüber hinaus auch die Vorsehung für alle und für alles auf das Beste gesorgt hat,63 wo ist dann noch der Resonanzraum für den Menschen? Ist Resonanz Antwortbeziehung zwischen zwei gleichberechtigten Subjekten, so muss es, soll es denn zu Resonanz kommen können, auch die Möglichkeit geben, nicht zu antworten, stumm zu bleiben64 oder zu widersprechen. Ein Dialog besteht schließlich nicht nur aus Rede und Gegenrede, sondern ebenso aus Widerrede und aus Schweigen. Bringt Epikur in Ciceros Augen also die Götter zum Verstummen, so tut die Stoa das Gleiche mit den Subjekten, den Menschen. Wenn für alles bereits gesorgt ist, wenn die Gottheit alles schon längst bedacht hat, im Großen wie im Kleinen,65 dann schafft sie damit keinen Resonanzraum, sie schafft einen Echoraum.66 Die Stimme des Menschen kann dann nur wiedergeben, was die Gottheit bereits bestimmt hat. Mithin hört die Gottheit nur sich selbst, der Mensch jedoch hat die Möglichkeit zur Resonanz verloren. Im stoischen Weltbild verfügt das Subjekt über keine eigene Stimme. 4.2. Haltung als In-die-Welt-Gestelltsein Einen zweiten Punkt möchte ich mit Blick auf die Stoa kurz andenken, bevor ich zur Figur Cottas komme: die Haltung des Menschen als Gottesbeweis der Stoiker bzw. sein In-die-Welt-gestellt-Sein. „Die naheliegendste und grundlegendste Antwort auf die Frage, wie wir in die Welt gestellt sind, lautet: Mit den Füßen.“67 Vergleiche hierzu den Stoiker, der sagt: Ad hanc providentiam naturae tam diligentem tamque sollertem adiungi multa possunt, e quibus intellegatur, quantae res hominibus a dis quamque eximiae tributae sint. Qui primum eos humo excitatos, celsos et erectos constituerunt, ut deorum cognitionem caelum intuentes capere possent. Sunt enim ex terra homines non ut incolae atque habitatores, sed quasi spectatores superarum rerum atque caelestium, quarum spectaculum ad nullum aliud genus animantium pertinet.
62 Vgl. Begemann (2012). 63 Vgl. 2,132: Sic undique omni ratione concluditur mente consilioque divino omnia in hoc mundo ad salutem omnium conservationemque admirabiliter administrari. – „So ergibt sich von allen Seiten her und auf jede Weise die zwingende Schlussfolgerung, dass durch göttlichen Geist und Beschluss alle Dinge in dieser Welt zum Wohl aller und zur Bewahrung auf das wunderbarste geleitet werden.” 64 Im Sinne eines vielsagenden oder eines rezeptiven Schweigens. Ein Schweigen des „nichts mehr zu sagen Habens“ wäre eine Form der Entfremdung, vgl. Rosa (2016), 306. 65 Vgl. Cic. nat. deor. 2,164. 167; 3,93. S. auch Merleau-Ponty (²1994), 127 mit Bezug auf Hegel: „[Indem] Gott, als Abgrund oder als absolute Subjektivität definiert, sich selbst negiert, damit die Welt sei, das heißt, damit es eine Sicht von sich gebe, die nicht seine eigene ist […].“ 66 Vgl. Rosa (2016), 260. 67 Rosa (2016), 83.
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Elisabeth Begemann Zu dieser sorgfältigen und so kunstvollen Vorsorge der Natur ließe sich noch vieles hinzufügen, aus dem man begreift, was für wichtige und großartige Einrichtungen den Menschen von den Göttern verliehen worden sind. Denn sie haben die Menschen zunächst einmal vom Erdboden aufgerichtet und ihnen eine aufrechte Haltung gegeben, damit sie beim Anblick des Himmels zu der Erkenntnis der Götter gelangen können. Denn die Menschen, die der Erde entstammen, sind nicht nur als deren Bewohner und Bebauer anzusehen, sondern gleichsam als Betrachter der überirdischen und himmlischen Erscheinungen, deren erhabenen Anblick zu erfassen keiner anderen Gattung lebender Wesen möglich ist.68
Sowohl Rosa als auch Balbus bzw. Cicero betrachten den Menschen als ein grundsätzlich vertikal ausgerichtetes Wesen. Beide vermerken auch die Beziehungsmäßigkeit, mit der der Mensch in der Welt steht. Sie ist Rosas Untersuchungsgegenstand, während Cicero ihr – und der Haltung des Menschen – in diesem Zusammenhang einen eindeutigen Zweck zuschreibt: um zur Erkenntnis Gottes zu kommen. Dabei unterwirft Balbus den Menschen einmal mehr der ratio: Der Zweck des menschlichen Körperbaus ist der Blick nach oben; der Blick nach oben offenbart die Wohlgeordnetheit des Kosmos; von der Wohlgeordnetheit des Kosmos muss man – wenn man Verstand hat, s. Cic. nat. deor. 2,56 – darauf rückschließen, dass ein vernunftbegabtes Wesen, eine planende Kraft hinter dieser Ordnung steht, dass sie nicht auf Zufall, sondern auf Berechnung und somit auf ratio beruht. An dieser ratio hat der Mensch zwar Anteil69 bzw. er strebt nach ihr,70 er tut dies jedoch nicht aus eigenem Antrieb; er sucht die Beziehung zum Göttlichen nicht aus der Sehnsucht nach Resonanz heraus, vielmehr ist sie ihm schon von den Göttern so eingegeben: Er kann nicht anders. Er ist der göttliche Echoraum. 5. DER AKADEMIKER COTTA Bezüglich der bemerkenswerten und vieldiskutierten Person Cotta im Dialog De natura deorum möchte ich mich auf zwei Fragen konzentrieren, um mich der Frage zu nähern, welche Götter Cicero für sein Ideal eines Gemeinwesens vorschwebten: die Frage nach der Rolle des Skeptikers Cotta, der am Glauben an die Götter jenseits aller Beweise festhält; und die Frage nach dem Verhältnis der Figur Cottas zum im Dialog ebenfalls anwesenden, aber schweigenden Cicero. Diese beiden Fragen sollen unter zwei Aspekten betrachtet werden: erstens, die Selbstwirksamkeitserfahrungen; zweitens, die Frage der Gerechtigkeit, die Ausgangpunkt dieses Beitrags ist und zu der ich zum Ende wieder zurückkehre.
68 Cic. nat. deor. 2,140; s. auch leg. 1,26. 69 Cic. nat. deor. 2,16; vgl. amic. 13. 70 Cic. nat. deor. 2,153; leg. 1,23.
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5.1. Selbstwirksamkeitserfahrungen Was Cicero in De natura deorum anstrebt, ist die Darstellung der passenden religio für sein Ideal einer res publica. Diese religio ist genauso wenig Utopie, wie seine ideale res publica oder die Gesetze hierfür Utopien sind. Sie haben einen Raum: das Rom der verklärten Vergangenheit.71 Cicero verfolgt die Darlegung dieser religio in philosophischer Form:72 rational lässt sich aber nicht nachweisen, dass es Götter gibt oder dass es Götter nicht gibt.73 Dies formuliert auch Cotta so: a te enim philosopho rationem accipere debeo religionis, maioribus autem nostris etiam nulla ratione reddita credere. – „Denn von dir als Philosophen muss ich eine rationale Begründung für religio einfordern, den Vorfahren aber kann ich auch ohne ratio Glauben schenken.“74 Rational ist jedoch nicht emotional, denn auch das Emotionale spielt eine Rolle im Dialog, was von Cicero wiederholt betont wird:75 In bloßer Fiktion kann keine echte pietas liegen; mit ihr fallen die anderen Tugenden. Tugenden, virtutes, sind starke Wertungen: nicht, „was man gern möchte“, sondern „was wichtig ist, zu tun“.76 Bezüglich der starken Wertungen führt Rosa ein Beispiel an: Der Wunsch, am Sonntagmorgen zur Kirche zu gehen, sei mit einer starken Wertung verbunden – es ist mir wichtig. Nun kann es aber sein, dass ich in der letzten Nacht wenig geschlafen habe, weil meine Nachbarn eine laute und lange Party gefeiert haben. Rational wäre es also besser, im Bett zu bleiben und sich auszuruhen. Emotional kann mir der Gang zur Kirche aber wichtiger sein. Ein weiteres Beispiel, von Cicero gern angeführt:77 Rational macht es sicher keinen Sinn, sich in voller Rüstung in die Linie der Gegner zu werfen, in der Hoffnung, dass es Götter gibt, dass sie den Opferakt anerkennen und dass sie den Römern (daraufhin) zum Sieg in der Schlacht verhelfen. Rational nicht, denn Decius Mus verlor dadurch sein Leben.78 Emotional aber scheint es ihm (und, glaubt man der römischen Tradition, zwei weiteren Decii Mures)79 so wichtig gewesen zu sein, dass er diesen Einsatz gern in Kauf nahm. Er stellte Tugend, virtus im Wortsinn, höher als sein Leben. Virtutes liegen somit nicht nur in der Vernunft des Menschen begründet, sie sind darüber hinaus stark emotional aufgeladen.80 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80
Vgl. Cic. rep. 1,34; leg. 2,23; 3,12; Rosa (2016), 323. Vgl. Cic. leg. 2,17. Vgl. auch Sauer in diesem Band. Cic. nat. deor. 3,6. Vgl. Cic. nat. deor. 1,3; 2,71. Ebenso leg. 1,43. Vgl. Rosa (2016), 226 sowie Cic. rep. 1,2 sowie off. 1,19 mit Plat. Pol. 353b-d, Arist. Nik. Eth. 1106a15-24. Cic. nat. deor. 2,10; 3,15. S. auch Cic. fin. 2,61; Tusc. 1,89. Entgegen Cic. div. 1,51. Cotta rationalisiert dies in nat. deor. 3,15: der Opferakt sei aus reinem Kalkül vorgenommen worden, um die Truppen zum Kampf bis zum Sieg anzuspornen. Vgl. Champion (2017), 96. Vgl. Cic. amic. 48. Earl (1967), 21: virtus ist the „winning of personal preeminence and glory by the commission of great deeds in the service of the Roman state”. Virtus ist dabei ebenso der Familie geschuldet, wie der Gemeinschaft, vgl. CIL 1² 15: […] virtutes generis mieis moribus accumulavi / progeniem genui facta patris petiei / maiorum optenui laudem ut sibei me
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Somit geht es in der Unterhaltung De natura deorum nicht nur um das, was rational bewiesen werden kann, sondern auch darum, was das Gemüt anspricht, damit Kult mit der notwendigen Ehrfurcht, der Demut gegenüber dem Göttlichen, mit Dankbarkeit und auch mit Anerkennung, dass das Gegenüber mächtiger ist (oder mächtiger sein kann), vollzogen wird. Gerade ein Gegenstand wie die Vorstellung von den Göttern und ihr Verhältnis zum Menschen, ein Gegenstand, der letztlich nicht rational begründbar ist und somit immer auch den Moment des Nicht-Wissens, des Vermutens und des Vertrauen-Müssens umfasst, kommt ohne die emotionale Ebene nicht aus.81 Somit geht es in De natura deorum auch um ein Resonanzbegehren, der Sehnsucht nach Teilhabe am Göttlichen, der Möglichkeit, zum Göttlichen ein Resonanzverhältnis herzustellen, in welchem die Gottheit als Subjekt, als Gegenüber reden kann, aber auch schweigen kann oder anders antwortet, als man dies wünscht – siehe zum Beispiel den wohl sehr unglücklichen P. Claudius, der nach einem misslungenen tripudium, durch welches die Götter eben nicht ihre Beistandsbekundung zu seinem Vorhaben gaben, kurzerhand frustriert die Hühner über Bord warf.82 Dieses Resonanzbegehren kommt auch im Epilog der Schrift zum Ausdruck, wenn Cotta sagt, ego vero et opto redargui me, Balbe – „Ich wahrlich wünsche auch, dass Du mich widerlegst, Balbus“,83 dass Cottas vermeintliche Widerlegung, esse creatum / laetentur stirpem nobilitavit honor. Was genau virtus oder virtutes sind, leitet sich dabei u. a. aus den exempla der maiores ab, die zusammengenommen die mores maiorum konstituieren. Ihnen gilt es nachzueifern und sie, wenn möglich, zu übertreffen. Das Streben nach persönlicher gloria ist dabei Teil der virtus, vgl. CIL 1² 10; Cic. fin. 5,69. Dass dies den Mitgliedern der Aristokratie schon früh mitgegeben wurde, legt eine von Polybios überlieferte Episode aus Scipios Leben nahe, Pol. 31,23ff. Unter diesen Umständen werden Tugenden als Handlungsmaximen nicht nur verinnerlicht, sondern emotional aufgeladen und verbleiben nicht mehr nur im Bereich des Rationalen, in dem Cicero sie verortet; vgl. auch Gildenhard (2007), 142, der auf die Allgegenwärtigkeit der exempla in der Sozialisierung der Römer, u. a. in den atria der Oberschicht und den pompae funebres verweist: „[v]irtually from birth, young Roman aristocrats soaked up the lessons on politics and warfare that the past had to offer and grew up in an environment of strong normative expectations that they would imitate and emulate the achievements of their ancestors“. Die dermaßen von Kindheit an bekannten und glorifizierten Vorbilder – vor allem der eigenen Familie – und mit ihnen verbundenen Ansprüche und Erwartungen gehen weit über das Rationale hinaus; durch die ständige Präsenz und ihre Vertrautheit berühren sie notwendig auch die emotionale Ebene, vgl. Barton (2001); Gildenhard (2007), 186. Zum Tugendbegriff Ciceros als auf die Gemeinschaft gerichtet, vgl. fin. 5,66: qualis est igitur omnis haec, quam dico, conspiratio consensusque virtutum, tale est illud ipsum honestum, quandoquidem honestum aut ipsa virtus est aut res gesta virtute; quibus rebus vita consentiens virtutibusque respondens recta et honesta et constans et naturae congruens existimari potest; vgl. Barton (2001); Smethurst (1955); Konstan (2005); Schofield (2012a). 81 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Cic. nat. deor. 3,6: habes, Balbe, quid Cotta, quid pontifex sentiat; fac nunc ego intellegam, tu quid sentias – Cotta fragt hier nicht nach dem Denken, sondern nach dem Empfinden. Zum Verhältnis der ratio zu Emotionen, s. Gal. de plac. Hippocr. et Plat. 5,2,49; 5,3,1 (SVF 2,841) mit Long/Sedley (2006), 380–385. Anders Norenzayan (2013), 181: „apologetics is doomed to failure as a philosophical enterprise because it fails to capture how our minds accept the plausibility of religious belief.“ 82 Vgl. Cic. nat. deor. 2,7. 83 Cic. nat. deor. 3,95.
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dass sich die Götter nicht um die Menschen kümmern, nicht so stehen bleibt, dass auch rational nachgewiesen werden kann, dass die Götter sich der Belange der Menschen annehmen. Denn würde seine Position so stehen bleiben, so wäre das gleiche erreicht wie bei der Widerlegung des Epikureers. Wenn auch die stoische providentia bzw. die vielfältigen Götter der Stoiker letztlich dem Menschen nicht zur Hilfe kommen können – weil sie sich vielleicht kümmern, gegenüber einem alles determinierenden Schicksal jedoch nicht machtvoll genug sind – wo ist dann für den Menschen noch Hoffnung auf Hilfe? Hier komme ich auf die Selbstwirksamkeitserfahrungen zurück, mit einem Blick auf die Dialogfigur Cotta. In Bezug auf die Spannung, die durch den Dialog aufgemacht wird, erweist sich eine mit unumstrittener Autorität (als pontifex) ausgestattete Figur wie Cotta als gleichzeitig hilfreich (römisch-traditionell) und hinderlich (griechisch-rational). Denn Cotta ist gleichwohl pontifex als auch Skeptiker, er muss als römischer nobilis dem Vorbild der Vorfahren folgen und als von griechischer Philosophie beeinflusster Skeptiker alles in Frage stellen.84 Diese spannungsreiche Figur erlaubt es der Dialogfigur „Cicero“ zuzugeben, dass die stoische Position der Vorstellung von passender religio für die ideale res publica in manchen Belangen sehr entgegenkommt – „Cicero“ kann die Darlegung des Stoikers für der Wahrscheinlichkeit der Wahrheit näherkommender halten und (als Autor) für annähernde ἐποχή sorgen, durch die der Leser zum Weiterdenken angeregt wird.85 Er betont damit das Gefühl in der Beziehung zum Göttlichen,86 was bei Cotta nicht der Fall ist: Dieser unterwirft alles der ratio. Das ist dem Weisen zwar durchaus würdig (nat. deor. 1,1), doch geht es hier nicht um Erkenntnis des Einzelnen, es geht um Gemeinschaft und res publica (nat. deor. 1,4). Die Meinungen der Masse zählen zwar nicht als philosophisches Argument (nat. deor. 1,62; 3,11), gleichwohl ist Aufrechterhaltung der pietas, sanctitas und religio Angelegenheit aller Menschen (si est aliquid a deis inmortalibus hominum generi tributum, 1,3), denn mit ihnen steht und fällt menschliche Gemeinschaft und politische Ordnung. Aus Cotta mag also der Skeptiker sprechen, aus Cicero spricht der Politiker. So erlaubt es Cottas Berufung darauf, dass er als pontifex den Vorfahren auch ohne jegliche Beweise glaubt, die Romanitas des Dialogs herauszustreichen: Es geht nicht um abstraktes Philosophieren, es ist kein reiner Zeitvertreib – es geht um einen „schwierigen und überaus dunklen Gegenstand“, der gerade mit Blick auf das Zusammenleben in politischer 84 Äußert Cicero damit Kritik an seinen Zeitgenossen, die das Vorbild der Vorfahren nicht ernst genug nehmen und sich zu sehr von Fremden beeinflussen lassen, wodurch die res publica den Bach runtergeht? Vgl. Cic. nat. deor. 1,8. Zu Cottas Versagen als Skeptiker, vgl. Fott (2012). 85 Man beachte in diesem Zusammenhang auch den stoisierenden Ton des zweiten Buches de legibus sowie verschiedener Reden Ciceros. Dies macht noch einmal deutlich, wie weit der stoische Blick auf die Welt nützlich ist und in welchen Zusammenhängen er für römische Verhältnisse nicht mehr nachvollzogen werden kann. Vgl. Fott (2012), 158. 86 Vgl. Cic. nat. deor. 1,1 Quid est enim temeritate turpius aut quid tam temerarium tamque indignum sapientis gravitate atque constantia quam aut falsum sentire – das ist dem nobilis unwürdig; 1,4: contra quos Carneades ita multa disseruit, ut excitaret homines non socordes ad veri investigandi cupiditatem – der Gegenstand stachelt in besonderer Weise zur Suche nach Wahrheit an, nicht nur „gerne mehr erfahren“, sondern mit Leidenschaft danach suchen.
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Gemeinschaft von höchster Bedeutung ist.87 Indem Cicero somit Cotta als den skeptischen Gesprächsteilnehmer einführt, stellt er sich selbst nicht in Widerrede zu vorher bereits von ihm selbst Gesagten;88 er darf seinen Stoa-freundlichen Standpunkt beibehalten, kann sich aber jedoch zugleich in die skeptische Tradition stellen und mit dieser auf all die Positionen verweisen, die an der stoischen Position für Römer untragbar sind, von denen die Stoa jedoch voll ist. Denn einerseits, wie Cicero selbst zugibt, sollte ihm die stoische Vorstellung des Göttlichen entgegenkommen im Entwurf seiner idealen römischen religio. Rational lässt sich das aber nicht aufrechterhalten, weil zwingende Beweise nicht erbracht werden können (weshalb die Unterhaltung auch in den abgeschlossenen, öffentlichkeitsfernen Raum gehört). Andererseits zeigt Cicero in De natura deorum ein Problem auf, das Schleiermacher fast 1800 Jahre später folgendermaßen umschreibt: Was tut Euere Metaphysik – oder […] Euere Transzendentalphilosophie? sie klassifiziert ein Universum und teilt es ab in solche Wesen und solche, sie geht den Gründen dessen was da ist nach, und dediziert die Notwendigkeit des Wirklichen, sie entspinnet aus sich selbst die Realität der Welt und ihre Gesetze. […]. Und was tut Euere Moral? Sie entwickelt aus der Natur des Menschen und seines Verhältnisses gegen das Universum ein System von Pflichten, sie gebietet und untersagt Handlungen mit unumschränkter Gewalt.89
Philosophie systematisiert und ordnet zu, sie nähert sich dem Gegenstand rein rational, wo mit Bezug auf das Göttliche jedoch das Emotionale genauso wichtig ist. Diesen Fehler machen Velleius und Balbus: Beider Positionen sind dogmen-gebunden und starr und lassen keine Resonanz zwischen Mensch und Gott zu. Velleius akzeptiert epikureische Lehre als richtig, bevor er sie kennt,90 Balbus will für seinen Gottesbeweis nur die perfekt gestaltete Welt sehen und ignoriert dabei den tatsächlichen Zustand der Welt.91 Beider Welt bleibt, mit Rosa, stumm.92 87 Vgl. Cic. nat. deor. 1,1-4; O’Sullivan (2006). 88 S. Anm. 85. Vgl. Görler (2004). 89 Schleiermacher (1798), ed. Albrecht (2008), 38f. Vgl. Rosa (2016), 437. Anders als Cicero besteht Schleiermacher darauf, dass Religion nicht dazu dient, Ethik zu begründen (39; vgl. 53: „Alles eigentliche Handeln soll moralisch sein und kann es auch, aber die religiösen Gefühle sollen wie eine heilige Musik alles Tun des Menschen begleiten; er soll alles mit Religion tun, nichts aus Religion“). Doch ist dabei anzumerken, dass er von einem gänzlich anderen Religionsbegriff ausgeht: „alle wenigstens welche Religion haben, glauben nur an Eine“ (34) [meine Betonung]. Ethik (Moral) sieht er ebenso wie Philosophie (Metaphysik) als untergeordnete Kategorien der Religion. Sein Religionsbegriff ist stark vom Gefühl geprägt; Denken und Handeln verbindet er dagegen nicht mit Religion, sondern bereits schon wieder mit dem Versuch einer Systematisierung und Erklärbarkeit von Religion, die jedoch, wenn sie systematisiert und erklärt ist, zum „toten Buchstaben“ wird (84); Religion dagegen versteht er als „Anschauung und Gefühl“ (43). Zu Schleiermachers Religionsbegriff s. Kvist (1993). 90 Cic. nat. deor. 1,66; 72; vgl. Fr. 199 Usener; Poteat (1945); de Lacy (1957). 91 Cic. nat. deor. 2,91-153; ausgeblendet werden z.B. gänzlich Naturkatastrophen oder unfruchtbares Land. S. auch Henry (1927): „The [Stoic] system does not touch the heart, even when it convinces the mind.“ 92 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Max Webers Plädoyer für die Rolle der Dozenten in den Universitäten als „Lehrer“, nicht als „Führer“: Ihre Rolle ist es nicht, ihren Schülern durch die
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Für Cicero gab es in seiner Zeit genügend Beispiele stummer Welt- bzw. Gottesbeziehungen, in welchen religio und sacra verdinglicht, rein zum Instrument politischer Maßnahmen wurden, oder religio gleich gänzlich beiseitegeschoben wurde.93 Dass dabei das Gemeinwesen Schaden nehmen würde, war ihm offensichtlich.94 Denn auch dies ist zu bedenken: Cicero betont sowohl in De natura deorum als auch an anderen Stellen in seinen philosophischen Werken ebenso wie in seinen Reden, dass die Römer allein aufgrund ihrer Frömmigkeit groß geworden sind, und sieht nur im richtigen Verhalten und in der richtigen Einstellung gegenüber den Göttern den Erfolg der politischen Gemeinschaft begründet, so z.B. in leg. 2,23, nach Darlegung der Sakralgesetze durch die Figur Marcus im Dialog:95 ATTICUS. Conclusa quidem est a te magna lex sane quam brevi! Sed ut mihi quidem videtur, non multum discrepat ista constitutio religionum a legibus Numae nostrisque moribus. MARCUS. An censes, quom in illis de re publica libris persuadere videatur Africanus, omnium rerum publicarum nostram veterem illam fuisse optumam, non necesse esse optumae rei publicae leges dare consentaneas? ATTICUS: Wie schnell und zugleich umfassend hast du uns jetzt wirklich ein bedeutendes Gesetzeswerk vorgestellt. Aber wie mir scheint, unterscheidet sich diese religiöse Ordnung nicht so sehr von den Gesetzen des Numa und unseren Gepflogenheiten. MARCUS: Meinst du etwa, obwohl uns Africanus in den schon mehrfach erwähnten Büchern über den Staat davon zu überzeugen scheint, dass unter allen Staaten unser eigener Staat in der Frühzeit der beste war, es sei nicht notwendig, dem besten Staat entsprechende Gesetze zu geben?
Er propagiert römischen Erfolg als direkt abhängig von göttlichem Beistand: Nur wenn die Römer den Göttern im Kult begegnen (und dies mit der gebührenden pietas tun, s.o.), kann die Überlegenheit der Römer und ihre Herrschaft über andere Völkerschaften Bestand haben. Fällt das eine, ist das andere notwendig in Gefahr. Wenn die Römer nun die Erfahrung der göttlichen Antwort auf die menschliche Dialogofferte machen oder gemacht haben – Decius Mus weniger, aber die, die von seiner devotio profitierten –, dass das Resonanzbegehren nicht ins Leere läuft, dass eine Resonanzachse oder -beziehung durchaus etabliert werden kann, dann stellen sich Selbstwirksamkeitserfahrungen ein. Das eigene Tun hat ein Resultat in der Welt herbeigeführt, die Gottheit hat geantwortet (und im Idealfall für die eigene Person oder eigene Seite interveniert). Somit ist der Mensch eher geneigt, weiter eigenen, v. a. politischen Überzeugungen zu prägen, sondern Kenntnisse, Methoden des Denkens zu vermitteln und damit zur Klarheit zu verhelfen, nicht als „Propheten“ aufzutreten; vgl. Weber (1992 [1917]), 103; 105. Der Schüler bzw. das Gegenüber muss immer in der Lage sein, zu widersprechen oder Kritik zu üben, vgl. Weber (1992 [1917]), 95. In dogmengebundenen Schulen ist dies jedoch, wenn überhaupt, so nur eingeschränkt möglich, vgl. Cic. nat. deor. 1,18. In diesem Zusammenhang auch Joas (2017), 232. 93 Vgl. Cic. leg. 2,33. 94 Ebenso auch Octavian, dem späteren Augustus, der durch die Förderung von Kult hieraus die ihm notwendig erscheinenden Schlüsse zog. Vgl. Beard, North, Price (1998), 1.182–192; Kienast (2009), 220–227. 95 Vgl. auch har. resp. 19.
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selbst in die Welt hineinzuwirken, tätig zu sein, in der Erwartung, dass man etwas bewirkt, dass das eigene Tun und Lassen von Bedeutung ist, als wenn man diese Erfahrung oder Erwartung nicht hat. Mit anderen Worten: Wenn man einmal die Erfahrung gemacht hat, dass ein Gesprächsangebot (z.B. die devotio) von den Göttern gehört und angenommen wurde und sie ihrerseits die Dialogofferte aufnehmen (und den Sieg in der Schlacht schenken), dann ist die Bereitschaft, ähnliche Gesprächsangebote zu wiederholen (in der Erwartung der entsprechenden Gegenleistung) höher und man eher gewillt, selbst tätig zu werden, in die Welt hineinzuwirken, um diesen Dialog herbeizuführen (darum auch die Tradition der wiederholten devotio dreier Generationen von Decii Mures, auch wenn es diese sicherlich nicht jedes Mal sein muss). Ebenso ist mit Blick auf Cotta zu beachten, was auch bereits wiederholt angemerkt wurde,96 dass er das Rationale im Dialog betont und es beständig einfordert, während er für sich selbst in Anspruch nimmt, den Vorfahren auch nulla ratione zu glauben. Genau das aber ist rational. Denn die Vorfahren haben schließlich, wie die römische Tradition und Geschichte ausweisen, diese Selbstwirksamkeitserfahrungen gemacht und Erfahrungen sind rational oder können als rational wahrgenommen werden.97 Legt man einmal seine Hand auf die heiße Herdplatte, weiß man danach (wenn man es nicht schon vorher wusste), dass das sehr weh tut. Rational wird man das also kein zweites Mal tun: Die Erfahrung ist gemacht, die Konsequenzen werden gezogen. Somit sind wir durchaus bei einer vernunftbasierten Theologie angekommen, allerdings wohl eher in Abgrenzung zur Philosophie,98 als durch diese begründet, da sie keine belastbaren Beweise für oder wider die Existenz der Götter und ihr Wesen liefern kann, an dem Sein der Götter und ihrem Wohlwollen gegenüber der Welt und der Gemeinschaft aber festgehalten werden muss. 5.2. Gerechtigkeit Ich kehre nun, zum Schluss meiner Überlegungen, zur Frage der Gerechtigkeit zurück und möchte diese hier mit dem Aspekt der Freundschaft verbinden. Was Epikur fordert, ist nicht, dass die Menschen den Kultvollzug aufgeben99 oder ihn weniger ehrfürchtig hinter sich bringen im Wissen, dass ihr Tun und Lassen sowieso keinen Unterschied macht. Er fordert vielmehr, den Göttern als den höchsten und besten, den perfekten Wesen Verehrung darzubringen, weil nur sie es wert sind, verehrt zu werden. Das entspricht dem Gedanken der wahren Freundschaft, wie ihn Cicero z.B. in De amicitia äußert: Freundschaft um der Freundschaft willen, nicht
96 Vgl. Burriss (1927); Levine (1957), (1958); Giomini (1971); Momigliano (1984); Bringmann (1985); Tarán (1987); Leonhardt (1999); deFilippo (2000); Mora (2003); Begemann (2012). 97 Vgl. Arist. Nik. Eth. 1143b12-14. 98 Vgl. auch Girardet (1983), 175. 99 S. Cic. nat. deor. 1,54, entgegen Cottas Äußerung in nat. deor. 1,115.
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Freundschaft um eines tatsächlichen oder vermeintlichen Nutzens willen, den die eine oder andere Seite an dieser Freundschaft haben könnte.100 In De natura deorum scheint Cicero nun für etwas ganz Anderes zu plädieren: nicht die Verehrung der Götter um der Götter willen, sondern eher Verehrung um des Nutzens willen, wenn er z.B. in nat. deor. 1,116 als Ausgangspunkt der Beziehung zwischen Gott und Mensch das Rechtverhältnis, ius, sieht. Ganz ähnlich ist auch das Proömium zu lesen: Die Götter verdienen sich Kult nur, wenn die Menschen davon auch Nutzen haben. Ist es aber ein Rechtsverhältnis, steht wieder die iustitia im Mittelpunkt, denn das Rechtsverhältnis (oder der Vertrag) begründet, was jedem zukommt. Der Gottheit gegenüber muss der Mensch aber anerkennen, dass er der schwächere, der hierarchisch niedriger stehende Vertragspartner ist, sozusagen der cliens zum göttlichen patronus. Gott und Mensch stehen sich nicht gleichberechtigt gegenüber, sie können sich nicht gleichberechtigt gegenüberstehen.101 Deshalb ist Freundschaft um des Nutzens willen auch angebracht, da es nicht Freundschaft zwischen Gleichen sein kann. Dies wäre menschliche Anmaßung und steht dem Menschen nicht zu.102 Doch sucht der Mensch dennoch die Beziehung zum Göttlichen, er tritt an die Gottheit heran und sucht nach ihrer Stimme, er versucht, durch die erfolgreiche Resonanzerfahrung in die Welt, in seine Umwelt hineinzuwirken und sich Welt anzuverwandeln. Im besten Fall werden so Resonanzachsen etabliert (Aelius Aristides ist hierfür ein sehr gutes Beispiel), es kommt also zu einem dauerhaften Resonanzverhältnis, in dem sich der Mensch in beständigem Kontakt mit der oder einer Gottheit erfährt. Auf jeden Fall aber muss Gott die eigene Stimme zuerkannt werden, muss er oder sie antwortfähig sein. Das heißt auch und gerade mit Blick auf die Gerechtigkeit: Gott soll und darf mit eigener Stimme antworten, solange er nur antwortet. Antworten dürfen auch (eine Zeitlang) ausbleiben oder anders ausfallen als gedacht, solange die Gottheit nur irgendwie auf das Gesprächsangebot der Menschen eingeht und die Beziehung oder Resonanz bestätigt. Doch muss Gott Selbst bleiben und darf nicht Ding werden, darf die Reaktion keine automatische und unhinterfragbare sein. Cottas Einwand, dass sich die (stoischen) Götter scheinbar nicht um Gerechtigkeit kümmern, da es den Schlechten gut und den Guten schlecht geht und Unrecht und Willkür ungestraft bleiben, geht von einem solchen „GottAutomat“ aus. Was er aber verteidigt, worauf Cicero hinauswill, ist die Beziehung zur Gottheit, zu einer Gottheit als Gegenüber, einer Gottheit, der genauso wie der Mensch in erster Linie ein resonanzfähiges Wesen ist. Nach diesem Verständnis mag Gerechtigkeit flüchtig sein, mag die Strafe für Fehlverhalten verspätet kommen oder ausbleiben und die Theodizee-Frage gestellt, aber nicht beantwortet sein. Es ist jedoch ein realistischer Blick auf machbare 100 Cic. amic. 26.30ff.; 71; vgl. auch leg. 1,49; fin. 2,78; amicitia als Grundlage politischer Gemeinschaft s. amic. 23; den politischen und damit auch (aristokratisch-herrschaftlichen) Genderaspekt stellt Fogel (2009) heraus. Zum Freundschaftsbegriff der Epikureer s. Cic. fin. 1,65-70 mit Rist (1980); Merklin (2005); Hanchey (2013). 101 Vgl. Cic. amic. 22. 102 Cic. Phil. 2,110.
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politische Gemeinschaft statt einer Utopie, eine Gemeinschaft, an der die Götter Anteil haben, aus dem Bedürfnis oder Wunsch nach Beziehung heraus.103 Stehen sie nun für die Aufrechterhaltung von fides ein und ist Rom durch ihren Beistand groß geworden, dann sind ihnen ihre Wohltaten mit echter pietas zu vergelten, dann sind sie, als die „besseren boni“,104 ein ebenso reelles Gegenüber wie jeder am Alltag teilnehmende Römer und sprechen mit eigener Stimme, wann und wie sie dies wollen. Auch wenn es nach menschlichem Dafürhalten vielleicht nicht immer ganz gerecht zugehen mag.105 LITERATURVERZEICHNIS Barton, Carlin A. (2001), Roman Honor: The Fire in the Bones. Berkeley, Calif. Beard, Mary; North, John; Price, Simon (1998), Religions of Rome. Vol. 1: A History. Cambridge. Begemann, Elisabeth (2012), Schicksal als Argument: Ciceros Rede vom fatum in der späten Republik (PawB 37), Stuttgart. Bringmann, Klaus (1971), Untersuchungen zum späten Cicero. Göttingen. Burriss, Eli Edward (1927), Cicero and the Religion of his Day, CJ 21, 524–532. de Lacy, Philipp (1957), Process and Value: An Epicurean Dilemma, TAPhA 88, 114–126. DeFilippo, Joseph G. (2000), Cicero vs. Cotta in De Natura Deorum, APH 20, 169–187. Dyck, Andrew R. (ed.) (2003), Cicero: De Natura Deorum, Liber I. Cambridge. Earl, Donald (1967), The Moral and Political Tradition of Rome. London. FitzGerald, William H. (1951), Pietas Epicurea, CJ 46, 195–199. Fogel, Jerise (2009), Can Girls Be Friends? Talking about Gender in Cicero’s de Amicitia, CW 103, 77–87. Fott, David (2012), The Politico-Philosophical Character of Cicero’s Verdict in De Natura Deorum, in: Walter Nicgorski (ed.), Cicero’s Practical Philosophy, Notre Dame, Ind., 152–180. Gigon, Olof / Straume-Zimmermann, Laila (eds.) (1996), Marcus Tullius Cicero. Vom Wesen der Götter. Lateinisch-deutsch. Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von O.G. und L. S.-Z. (Sammlung Tusculum), Zürich/Düsseldorf. Gildenhard, Ingo (2007), Paideia Romana: Cicero’s Tusculan Disputations (Cambridge Classical Journal Suppl. 30), Cambridge. Gildenhard, Ingo (2011), Creative Eloquence: The Construction of Reality in Cicero’s Speeches. Oxford. Giomini, Remo (1971), Problemi Cronologici e Compositivi del De Divinatione Ciceroniano. Roma. Girardet, Klaus M. (1983), Die Ordnung der Welt: Ein Beitrag zur philosophischen und politischen Interpretation von Ciceros Schrift De legibus, Wiesbaden. Görler, Woldemar (1974), Untersuchungen zu Ciceros Philosophie. Heidelberg. Görler, Woldemar (2004), Review: Cicero and Epicurus on Gods, CR 54, 364–365. Hanchey, Dan (2013), Cicero, Exchange, and the Epicureans, Phoenix 67, 119–134. Henry, Margaret Y. (1927), The Faith of a Humanistic Philosopher, CW 20, 75–80. Joas, Hans (2017), Die Macht des Heiligen. Eine Alternative zur Geschichte der Entzauberung. Berlin. Kienast, Dietmar (2009), Augustus: Prinzeps und Monarch. Darmstadt. 103 Vgl. nat. deor. 2,78 sowie leg. 1,23. Vgl. Henry (1927), 76: „Cicero was not interested in creating a few [wise men]; he aimed at an ideal the common man might at least hope to attain.” Vgl. auch Gildenhard (2011), 44. 104 Begemann (2012), 348. 105 Vgl. Cic. leg. 2,43.
Was haben die Götter mit Gerechtigkeit zu tun?
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Elisabeth Begemann
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EPIKURS THEOLOGISCHE AUSSAGEN BEI CICERO UND PHILODEM Holger Essler 1. VORBEMERKUNGEN Die vorliegende Untersuchung soll durch einen Vergleich zwischen den theologischen Aussagen Epikurs in Philodems De pietate und De dis auf der einen und in Ciceros De natura deorum auf der anderen Seite die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Autoren im Umgang mit den Schriften des Schulgründers herausarbeiten. Von Epikurs theologischen Schriften kommen dabei Über die Götter (De dis) und Über die Heiligkeit (De sanctitate) in Betracht. Die Bezüge darauf sollen jeweils nach drei verschiedenen Aspekten bei den beiden bezeugenden Autoren untersucht werden: 1) dem Quellenwert des Zitates oder Verweises auf Epikurs Werk, 2) dem Eingehen auf die Aussage und 3) der Funktion des Zitates im Zusammenhang. Unter „Eingehen auf die Aussage“ in Nr. 2 ist dabei nicht Zustimmung oder Ablehnung zu verstehen – diese liegt bei Philodem und bei Ciceros jeweiligem Sprecher fest –, sondern die Frage, ob die Aussage lediglich summarisch Epikur oder einem spezifischen Werk zugewiesen, ob sie wörtlich zitiert oder gar analysiert und interpretiert wird. Der Vergleich zwischen Cicero und Philodem liegt deshalb nahe, weil die beiden die einzigen Zeugen für den Inhalt dieser Schriften Epikurs sind, während andere Quellen lediglich die Titel erwähnen (Diog. Laert. 1,27, Plut. mor. 1102B). Nach allem, was wir über diese Werke sagen können, wurde darin das Hauptproblem diskutiert, mit dem sich auch die moderne Forschung zur epikureischen Theologie auseinandersetzt: Die Frage nach der physikalischen Beschaffenheit der Götter.1 2. EPIKURS THEOLOGISCHE SCHRIFTEN BEI PHILODEM Da im Folgenden nicht der theologische, sondern der literarische Aspekt im Mittelpunkt stehen soll, werden die Fragen nach Inhalt und Rekonstruktion von Epikurs 1
Einen Überblick über den Inhalt der Werke gibt Erler 1994, 89–91, vgl. Essler 2011a, 13–15. Die Forschungsdiskussion über die Frage nach der körperlichen Beschaffenheit der Götter ist referiert in Essler 2011b, 18–24.
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Holger Essler
Schriften nur am Rande berührt. Für die Textgestalt stütze ich mich auf die Editionen der Quellentexte von Philodems De pietate und Philodems De dis III.2 Zwar ist bei De pietate der Papyrus sehr zerstört und an mehreren Stellen kann der Text nicht als gesichert gelten, doch ist der Text des Herausgebers übernommen, soweit Unterschiede in der Auffassung die Argumentation nicht berühren. Die einfachsten Beispiele sind Textstellen, in denen auf eine ausführlichere oder weiterführende Behandlung bei Epikur verwiesen wird.3 Im folgenden Beispiel halte ich den Textbestand nicht für gesichert, bin aber mit Obbink einer Meinung, dass hier von der physikalischen Beschaffenheit der Götter die Rede ist. Der abgedruckte Text ist daher an einigen Stellen anders ergänzt und die Übersetzung entsprechend angepasst. T1 Philod., Piet. col. 8 205 … γράψαϲ δὲ] καὶ Περὶ ὁϲιότητοϲ ἄλλο βυβλίον (5) κἀν τούτωι διαϲαφεῖ τὸ μὴ μόνον ἄ210 φθαρτο͙ν͙, ἀλλὰ κ[αὶ κα]τ̣ὰ ϲυντέλ͙ε[ιαν ὡ̣[ϲ ἓν] καὶ ταὐ[τὸν ϲυν- (10) εχῶ͙[ϲ προπῖπτον καθ᾿ ὁμειλ̣[ίαν θεὸν δεῖν 215 προϲαγορεύε[ιν, οὗ τὰϲ μὲν ἐν̣[νοίαϲ ἐκ τῶν ατῶ[ν ἀποτε(15) λεῖ͙ϲθ͙ αι, τὰ[ϲ δ᾿ ἐκ τῶν ὁμοίων [ 205–11 Bücheler 209-10 ἄ|φθαρτο͙ν͙ correxi: –τωϲ N 212f. ὡ̣[ϲ ἕν] καὶ Obbink ταὐ[τὸν ϲυν]|εχῶ͙[ϲ] Philippson 213-214 [ὑπάρχον καθ᾿ ὁ]|μειλ̣[ίαν] Philippson: [ὂν πρέπειν] Purinton brevius: προπῖπτον proposui 214 possis ἡ]|μεῖν̣ [θεὸν δεῖν proposui: [ἑνότηταϲ Philippson: [ἑνότητα Arr.2 brevius: [φύϲειϲ Philippson 1918 215 προϲαγορεύε[ιν, οὗ scripsi: προϲαγορεύε[ϲθαι Obbink: -[ϲθαι καὶ Philippson longius: -ε[ιν Purinton brevius 216 scripsi: ἐκ̣ [τῶν ὄντων Obbink: 2 3
Er schrieb aber ein weiteres Buch „Über die Heiligkeit“ und macht auch darin deutlich, dass nicht nur das, welches als unvergänglich, sondern auch das, welches beständig in Perfektion als ein und dasselbe erscheint, nach allgemeinem Sprachgebrauch als „Gott“ bezeichnet werden muss. Einige unserer Vorstellungen davon werden aus denselben Eidola (?) gebildet, einige aus ähnlichen. And having written another book “On Holiness”, in it too he (sc. Epicurus) makes clear that not only what appears indestructible, but also (that which) continually appears in perfection as one and the same, has to be termed in common usage “god”. And some of its conceptions are formed out of the same and others from similar (images?)
Obbink 1996, Essler 2011a. Ein weiteres Beispiel ist Philod., Piet. col. 36-37, 1043-1049: ἔν τε γὰρ τ[ῶι Περὶ] | θεῶν ποία [τίϲ ἐσ]||τιν αἰτία ν[εμέσεως] | καὶ σωτηρία[ς ἀνθρώ]ποις διὰ τοῦ θε[οῦ κα]|ταλειπτέον ὑπ[ογρά]|φει διὰ πλειό[νων]. And in “On Gods” what kind of || source of retribution and preservation for humans through the deity must be accepted he (sc. Epicurus) outlines in some detail. Allerdings scheint nach Kühner/Gerth 1904, 447f. die Konstruktion mit dem persönlichen Fragesatz problematisch.
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[εἰδώλων D. Delattre: [μερῶν Purinton brevius: εἶ[ναι ἐκ Philippson 217 ἀπο- vel ϲυντε]|- Obbink: καὶ κα]Philippson: δεῖν κα]- Purinton 218 Philippson: τὰ[ϲ δ᾿ ἐξ| Purinton
Die Übersetzung geht von der Annahme aus, dass am Ende zu ἐκ τῶν ατῶ[ν und ἐκ τῶν ὁμοίων ein εἰδώλων zu ergänzen ist, sei es in der folgenden Lücke, sei es aus dem Zusammenhang. Möglich ist aber auch ein anderes Substantiv, etwa ἀτόμων, wodurch dann auch ἐν̣[νοίαϲ in Z. 216 anders gelesen werden müsste. Unabhängig von der Lösung dieser Frage ist das Schlüsselwort διαϲα|φεῖ in Zeile 208/209 entscheidend, mit dem Philodem gerne die Deutung einer Aussage der Gründerväter – kathegemones – einführt.4 Hier bedient sich Philodem also eines summarischen Verweises auf Epikurs Buch „Über die Heiligkeit“, um seine vorherige Argumentation mit einer im folgenden verlorenen Teil wohl näher erläuterten Aussage aus einem weiteren Werk des Schulgründers zu stützen. Eine weitergehende Auseinandersetzung mit Epikur beginnt, sobald beim Verweis Wert darauf gelegt wird, dass die vorgetragenen Äußerungen nicht im Widerspruch zu Epikurs Worten stehen. T2 Philod., Piet. col. 44 1260
... [οὐδ[ὲ κ]ωλυόμε[νόν τι ταῦτα πράτ[τειν ἐν τῶι Περὶ θεῶν [φηϲιν· (15)
noch sagt er (sc. Epikur) in „Über die Götter“ irgendetwas, was dem widerspricht, dass man dies tut.
1259-60 [οὐ]|δ[ὲ Us.: 1260 κ]ωλυόμε[νον Quaranta: τι addidi: κ]ωλυομέ[νουϲ Us. 1261-2 Us., tit. iam Quaranta, Bücheler
An einer anderen Stelle scheint die Auseinandersetzung mit Epikur eingehender zu sein. Dort führt Philodem zuerst eine Aussage aus Epikur zur Begründung an und entwickelt dann anscheinend seine weiteren Ausführungen in Auseinandersetzung mit diesem Zitat und seiner Deutung.
4
Zum Begriff vgl. Essler 2009, 197 zu col. 9, 37.
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T3 Philod., Piet. col. 13 φαίνο̣[ιτ᾿] ἂ[ν ἑν]ότηϲ· 350 δύναται γὰρ ἐκ τῆϲ ὁμοιότητοϲ ὑπάρ(5) χουϲα͙ δι᾿αἰώνω͙ν ἔχειν τὴν τελείαν εὐδαιμονίαν, ἐ355 πειδήπερ οὐχ ἧττον ἐκ τῶν αὐτῶν (10) ἢ τῶν ὁμοίων ϲτοιχείων ἑνό̣τ̣ητεϲ {ι} ὑποτελεῖϲθαι δύ̣360 ν̣α ̀ν΄ται καὶ ὑπὸ τοῦ ᾿Επικούρου καταλεί- (15) πονται καθάπερ ἐν τῶι Περὶ ὁϲιότητοϲ αὐτότατα· τ[ὸ δ]ὲ 365 μηδεμίαν ὑπε̣[ναντιολογίαν εἶναι πα(20) ρατέον ὑποδεικνύειν. εἴωθε τοίνυν πά]ν̣θ᾿ ὁμῶϲ ταῦτα φύ370 ϲι]ν̣ ἀποτελεῖϲθαι λέγειν· ... (25)
… wäre offensichtlich eine Einheit. Denn es ist möglich, dass eine aus Ähnlichkeit bestehende Einheit in Ewigkeit vollkommene Glückseligkeit hat, da ja Einheiten genauso aus den ähnlichen wie aus denselben Elementen gebildet werden können und von Epikur anerkannt werden wie eben genau in seinem Werk „Über die Heiligkeit“. Den Beweis, dass dies kein Widerspruch ist, muss man sich verbitten. Er (sc. Epikur) pflegte jedenfalls zu sagen, dass die Natur alles dies gleichermaßen vollendete.
349 Philippson 350–64 Bücheler 351–2 ὑπάρ|χουϲα͙ Gomperz: - χουϲι deff. Diano, Woodward 352 διʼαἰώνω͙ν correxi: διαιώνιον Bücheler 356–7 αὐτῶν, ὁμοίων transp. Scott 1883 232: def. Woodward 359 ἀ͙ποτ- Gomperz 364-365 Us.: ὑπα͙[ι]|τιο- dub. Gomperz 366–7 πα|ρατέον vel πα|ρι͙τέον Holford– Strevens: πε͙ι͙|ρατέον Gomperz 369 Anon. A: ο]ὐ͙θα͙μῶϲ Gomperz: ϲυ]ν̣τ͙όμωϲ Philippson 370 Gomperz
In Zeile 351/352 übernehme ich dabei die auf Gomperz zurückgehende Textänderung in ὑπάρ|χουϲα͙, das sich dann auf ἑνότηϲ im vorhergehenden Satz bezieht, während Diano, Woodward und Obbink mit der Abschrift ὑπάρ|χουϲι lesen. Bereits der Eingang δύναται γὰρ zeigt, dass hier darauf abgezielt wird, eine vorhergehende Behauptung als möglich und plausibel darzustellen, wofür im Folgenden dann Epikur als Gewährsmann angeführt wird. In der Tat scheint in der stärker zerstörten vorhergehenden Kolumne die Rede zu sein von Verbindungen aus den gleichen und ähnlichen Elementen. Auch an dieser Stelle erwähnt Philodem das Problem eines möglichen Widerspruchs zu anderen Lehrsätzen (ὑπεναντιολογία, Z. 365f.) jedoch nur, um es gleich zu übergehen und sich weiteren Aussagen – aller Wahrscheinlichkeit nach Epikurs selbst – zu diesem Themenkomplex zu widmen, etwa der
Epikurs theologische Aussagen bei Cicero und Philodem
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Frage nach der Atomzusammensetzung der Götter. Die folgenden Zeilen sind zu zerstört, um noch einen zusammenhängenden Text herstellen zu können, so dass die Einzelheiten der Behandlung unklar bleiben, doch genügt wohl bereits dieser Anfang, um zu zeigen, dass Philodem die Aussagen Epikurs zu seiner eigenen Argumentation in Beziehung setzt und sie genau mit ihm abstimmt. Noch deutlicher wird diese Herangehensweise in den zwei Fragmenten, die aus dem dritten Buch von Philodems De dis überliefert sind. Die beiden Epikurzitate aus dieser Rolle sind jeweils nach Arrighettis Zählung das erste Fragment von Epikurs De dis und De sanctitate.5 Nach meiner Rekonstruktion der Papyrusrolle standen sie in unmittelbarem Zusammenhang.6 Im Folgenden sind die dazwischen ausgefallenen beziehungsweise stark zerstörten 12 Zeilen weggelassen. T4 Philod., Di 3, frg. 8 et 6 ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣] ̣ ἐϲτι δεκτικὸν, τὸ (5) δὲ τ]αύ̣τηϲ οὐδαμῶϲ̣. διαϲτέλλεται δὲ κ[αὶ] 30 πε]ρ̣ὶ̣ τούτων ὁ Ἐπίκουροϲ ἐν τῶι Περὶ θεῶ̣ν. διόπερ καὶ ἐν οἷϲ τὸ ϲάρκινον φθο̣ρᾶϲ εἶναι δεκτικὸν λέγει, τὸ δ᾿ αἰϲ̣θανόμ⌈ε⌉νον || desunt versus fere xii γομένοιϲ εἶνα[ι δι]αφω̣νίαν. [οὐ]κ̣ ἔϲτι δ]ὲ μαχόμενον οὐδὲν οὐδ’ ἐν τῶι Περὶ [ὁϲι(5) 15 ό]τητοϲ ἀποφα̣ινομένου τὸ θεῖο̣ν μήτε ϲά]ρ̣[κ]ι̣νον εἶ⌈ν⌉αι̣ [μ]ήτ’ ἀναλογίαν ἔχ⌈ον⌉ π̣ρὸ̣ ϲ̣ ̣ ϲάρκα]. τὴν γὰ̣ρ [ἀ]ναλογ[ίαν ( ̣)]⌈ ̣ν⌉τ̣[( ̣)]υ[ ̣]π̣[ ̣]ρι ̣] ̣ν τὴ̣ν πρὸϲ τὸ ϲάρκιν[ον ̣ ̣ ̣]ξενο̣[( ̣)] ̣⌈η⌉ Fr. 8, 28 φθορᾶϲ] Janko: ϲυϲτάϲεωϲ] Hammerstaedt: ϲυγκρίϲεωϲ] temptavi 29 scripsi; et τὸ | [δ᾿ ἐφ᾿] αὑτῆϲ possis: το|[ιαύ]τηϲ Scott 30 πε]ρὶ Scott Fr. 6, 13-14 scripsi 14 οὐδὲν [[οὐδέν]] Scott ad loc. 1415 [ὁ|ϲιό]τητοϲ Scott 16 [ϲάρκι]νον Scott [μ]ή̣τ᾿ Sanders: [κα]τ᾿ Scott 16-17 π̣ρ(̣ ὸ̣ϲ)̣ | [ϲάρκα] scripsi: τ⌈ῆ̣⌉[ι] | [ϲαρκὶ] Hammerstaedt: τι|[νὰ αἵματι] Sanders spatio longius: [ϲῶμ’ ὅπερ] ἡγ̣ε̣ῖ̣τ̣αι Diels [ἀ]ναλογ[ίαν Sanders fort. ὑπ̣[ε]ρι|[δ]ε̣[ῖ]ν vel τ̣[ο]ῦ π̣[ε]ρί 18 ἔλε]ξεν ὅ̣[π]ε̣ρ vel ξένο̣[ϲ] φ̣η|[ϲί possis
[...] anfällig, für diese andererseits keineswegs. Es handelt aber auch über diese Dinge ausführlich Epikur in „Über die Götter“. Deswegen [ausgefallenes Verb] auch an den Stellen, an denen er sagt, das Fleischliche sei in der Lage, Vergehen anzunehmen, das Wahrnehmende aber [sei fleischlich?] [12 Zeilen fehlen], [das kann man denen vorhalten, die behaupten] es sei ein Widerspruch. Und auch in „Über die Heiligkeit“ gibt es nichts Widerstreitendes, wenn er (sc. Epikur) aufzeigt, dass das Göttliche weder fleischlich ist noch etwas, das eine Analogie zum Fleisch hat. Denn die Analogie ... zum Fleischlichen …
Offenbar am Ende von eigenen Ausführungen will Philodem den Nachweis erbringen, dass diese – τούτων in Zeile 30 – nicht im Widerspruch zu bestimmten Äußerungen des Schulgründers stehen. Der zu erschließende Zusammenhang ist wieder die Frage nach der Beschaffenheit der Götterkörper. Dabei scheint Epikur, wie
5 6
Arrighetti 1973, 169 [17.1] und 172 [19.1]. Für die Rekonstruktion siehe Essler 2011a, 15–16, für die Deutung ebd., 20–24.
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gleich noch weiter auszuführen sein wird, dem Göttlichen die Eigenschaft des Fleisches ϲάρξ im analogen Verständnis beigelegt zu haben. Aus der Analogie zum Fleisch ergibt sich nun leicht die Frage nach der Unsterblichkeit. An unserer Stelle setzt sich Philodem wohl mit dem Problem auseinander, wie die Unvergänglichkeit der Götter zu garantieren sei. Vor der Lücke (Z. 29-32) geht es speziell um die Vergänglichkeit – φθορά – des Fleischlichen, das damit im Gegensatz zur Unvergänglichkeit der Götter (ἄφθαρτοι) steht. Aus Philodems Worten geht zunächst hervor, dass Epikur über die von ihm hier berührte Frage ebenfalls gehandelt hat und zwar an der Stelle, an der eine solche Behandlung am meisten zu erwarten wäre, in seinem Werk Über die Götter. Entscheidend ist die folgende Aussage. Zwar ist das Verb verloren, doch scheint es unzweifelhaft, dass er sich anschickt, aufgrund dieser Ausführungen in Epikurs Über die Götter auch andere Stellen aus Epikurs Werk (καὶ ἐν οἷϲ, Z. 31), die auf den ersten Blick der maßgeblichen Darstellung zu widersprechen schienen, in diesem Sinne zu deuten. Es ist anzunehmen, dass Philodem in den verlorenen Zeilen solche Stellen zitierte und versuchte, sie in Einklang mit seiner These zu bringen. Dafür spricht wohl auch das Fragment aus De sanctitate, welches am Ende oder wenigstens im späteren Teil dieses angenommenen Zitatennestes steht (Z. 14-17). Der unmittelbare Zusammenhang des Fragments ist zwar verloren, jedoch ist klar, dass sich Philodem mitten in der Zurückweisung von Widerspruchsvorwürfen befindet. Die Ergänzung von [ϲά]ρ̣[κ]ι̣νον in Zeile 16 kann durch die anschließende Begründung (γάρ in Zeile 17) und weitere Parallelen als gesichert gelten. Das [ϲαρκί / ϲάρκα] am Beginn der Zeile 17 ist dann eine Folge daraus. Es gibt kein äußeres Kriterium, um das Ende des Zitats festzustellen. Nach Philodems sonstiger Gewohnheit, nach dem Zusammenhang und aus Vorsicht scheint es geraten, die mit τ̣ὴν γ̣ὰρ̣ [ἀ]ναλογ[ίαν eingeleitete Begründung nicht mehr zum Epikurzitat zu rechnen, sondern Philodem zuzuschreiben. Der Inhalt von Epikurs Ausführungen kann der Tendenz nach aufgrund der beiden Fragmente aus Philodems De dis erschlossen werden.7 Philodem führt zwei Aussagen aus Epikur an, um für sie seine eigene Deutung zu reklamieren: 1. Das Fleischliche ist anfällig für Vergänglichkeit. 2. Das Göttliche ist weder fleischlich noch hat es eine Analogie dazu. Die erste Aussage stammt aus unbestimmter Stelle in Epikur, zitiert nach Frg. 8, Zeile 31f., die zweite aus dem Fragment aus Epikurs De sanctitate. Die beiden Aussagen scheinen in sich konsequent, wenn man hinzunimmt, dass die Götter für die Epikureer per definitionem unvergänglich – ἄφθαρτοι – sind. Es sind also alle Eigenschaften abzulehnen, die mit dieser ihrer grundlegenden Beschaffenheit im Widerspruch stehen, wie die eines Körpers aus Fleisch und Blut. Die richtige Auffassung zu dieser Frage wird jedoch nach Philodem in Epikurs De dis gegeben und nach dieser sind dann die übrigen Stellen zu deuten. Diese Lehrmeinung Epikurs, der sich Philodem anschließt, ist also von den zwei genannten Aussagen verschieden, vielmehr im Kontrast dazu zu rekonstruieren. Offensichtlich sucht Philodem Epikurs Ablehnung der Analogie zum Fleischlichen in De 7
Diese Deutung lehnt sich eng an die Ausführungen in Essler 2011a, 22–23 an.
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sanctitate so zu verstehen, dass sie nicht als Widerspruch zu seiner Lehre von der körperlichen Beschaffenheit der Götter erscheint, will also die in Piet. col. 13, 365366 genannte ὑπεναντιολογία vermeiden. Aus Philodems Zeugnis können wir rückschließen, dass Epikur an mehreren Stellen seines Werkes auf die körperliche Beschaffenheit der Götter eingegangen ist. Um die verstreuten Bemerkungen zu harmonisieren, hält sich Philodem als Richtschnur an die einschlägige Darstellung in Epikurs De dis. Seine Argumentation erscheint als philologisch, in der Tradition der epikureischen philologia philosophica.8 Dies gilt, soweit wir sehen konnten, auch für seine Sammlung und Auslegung der Epikurstellen in De pietate. Zusammenfassend können wir konstatieren, dass Philodem auf Epikur aus folgenden Gründen verweist 1. für eine genauere Behandlung des Themas (T1 Piet., col. 8), 2. für die Versicherung der Orthodoxie, also die Betonung, dass die hier vorgetragene Lehre nicht im Widerspruch zu Äußerungen Epikurs steht (T2 Piet. col. 44, T3 Piet., col. 13; T4 Di 3, frg. 8 et 6), 3. als Stütze für die eigene Argumentation und als Ausgangspunkt für weitere Überlegungen (T3 Piet., col. 13, 364-367; T4 Di 3, frg. 8 et 6). An einigen Stellen (T3 und T4) greift er auf eingehende und komplexe philologische Argumentation zurück, um die richtige Aussage Epikurs festzustellen. 3. EPIKURS THEOLOGISCHE SCHRIFTEN IN CICEROS DE NATURA DEORUM Vergleicht man diese Verwendung von Epikurzitaten bei Philodem mit Ciceros De natura deorum, so findet sich im Teil von Velleius‘ Darstellung der epikureischen Ansicht der Verweis auf genauere Behandlung des Themas wieder (1), während vor allem in der Widerlegung durch Cotta – mutatis mutandis – die Epikurzitate als Ausgangspunkt für eigene Argumentation dienen (3). Ja einmal steigert sich der polemische Verweis auf Epikurs Werke bei Cotta sogar zu einer Art exegetischen Behandlung, die man als Parodie auf die epikureische Praxis ansehen mag (T12). Dass die Sicherstellung der Orthodoxie (2) bei Cicero fehlt, mag nicht weiter verwundern, weil dieser Aspekt für Außenstehende nicht von Bedeutung war; sie findet vielleicht ihre Entsprechung in den Passagen, in denen Epikur ein Widerspruch zu seinen eigenen Prinzipien oder absurde Auffassungen vorgeworfen werden. Ein Aspekt, der bei Cicero nat. deor. I in die Augen fällt und sich bei Philodem aufgrund der Überlieferungslage nicht nachweisen lässt, ist die Gliederungsfunktion der Epikurzitate. Sie stehen alle prominent am Beginn oder Ende größerer Abschnitte und nehmen gegen Ende des Buches zu. Die hier gegebene Übersicht orientiert sich an A. Dyck, mit Abweichungen.9 Die im Folgenden diskutierten Textstellen sind darin mit Fettdruck hervorgehoben.
8 9
Vgl. den Überblick bei Puglia 1988, 99–104; Erler 1993, 288–294 und Erler 1994, 212–214. Dyck 2003, 54–55, 74, 135–139.
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Gliederung Cic., nat. deor. I 1-17 Einleitung 18-56 Rede des Velleius 18-24 Irrtümliche Auffassungen Platons und der Stoiker über die Erschaffung der Welt 25-43a Doxographie falscher Lehren
57-124 Cottas Widerlegung 57-61a Einleitende Bemerkungen
61-75 Existenz der Götter Gegen den consensus omnium 43b-56 Abriss der epikureischen Theologie (Atheisten, Agnostiker, Frevler) (61-64) Prolepse, angeborene Vorstellungen (43b-45 T9): Ewige Existenz widerspricht epikureischer Physik, Zitat aus Velleius (65-75) Unsterblichkeit und Glückseligkeit 46-50 Göttergestalt 76-102 Gegen Anthropomorphismus Anthropomorphismus (46-48) a) Prolepse (76) Gegenargumente (80-84) primae notiones (46) Exkurs: Epikur behauptet die Götterexistenz nur zum Schein (85-86, T12) b) Einwände gegen Analogieschlüsse: ratio (47-48) Einzigartiges (87-88), ungültige Schlüsse (89-90), gegen Unvorstellbarkeit (91b-92) Exkurs: Epikurs Polemik gegen andere Philosophen (93-94a) c) Argumente gegen Analogie (94b-102, T10) Wahrnehmung von den Göttern (49-50, T5) 103-114 Epistemologie und Leben der Götter 115-124 Epikureische Lehre und Religion Epikurs Leben (115, T7) Religion ist unmöglich (116-117) Exkurs: andere Lehren, die Religion aufhe50-56 Leben der Götter (50b) ben (118-121a) Vergleich mit dem stoischen laboriGötter ohne gratia (121b-122, T11) osissimus deus (52-56a) Schluss: Epikur behauptet die Existenz der Götter nur zum Schein (123-124, T8) nur mit Epikur ist richtige Religion möglich (56b)
Ein Verweis des Velleius auf genauere Behandlung einer Frage durch Epikur kann in Zusammenhang mit dem gerade besprochenen Text aus Philodems De dis III gebracht werden. Sind die obigen Überlegungen richtig, dass dort die authentische Lehre auf der Basis von Epikurs De dis festgestellt wird, so lässt sich daraus vielleicht auch ein Hinweis auf den Kenntnisstand Ciceros über epikureische Theologie gewinnen. Denn auch Velleius beruft sich, als er auf die Körperlichkeit der Götter zu sprechen kommt, in einer Art Praeteritio auf eine eingehende Behandlung durch Epikur, ohne freilich das Werk anzugeben.
Epikurs theologische Aussagen bei Cicero und Philodem
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T5 Nec tamen ea species corpus est sed quasi corpus, nec habet sanguinem sed quasi sanguinem. Haec quamquam et inventa sunt acutius et dicta subtilius ab Epicuro quam ut quivis ea possit agnoscere, tamen fretus intellegentia vestra dissero brevius quam causa desiderat (Cic., nat. deor. I 49). Und dennoch ist seine (des Gottes) Gestalt kein Leib, sondern ein Quasi-Leib, und hat sie kein Blut, sondern Quasi-Blut. Obwohl diese Einsichten Epikurs scharfsinniger und seine Darlegungen subtiler sind, als dass es jeder beliebige begreifen könnte, behandle ich es dennoch im Vertrauen auf eure Einsicht kürzer als es die Sache erfordert.
Mit der Lehre von der Analogie des Leibes und Blutes befindet sich Cicero/Velleius im Einklang mit der von Epikur in De dis vertretenen Lehre von der Analogie des Fleischlichen. So greift auch Cicero in seiner Darstellung gegen mögliche anderslautende Zeugnisse auf die nach Philodem maßgebliche Lehre des Schulgründers zurück. Über die Gründe, warum Cicero den Velleius über die genaue Erklärung hinweggehen lässt, wurde des Öfteren spekuliert.10 Für unsere Fragestellung ist lediglich das summarische Herangehen zu betonen, bei dem Cicero sich auf die Nennung der Schlüsselbegriffe des quasi corpus und quasi sanguis beschränkt, ohne weiter auf Titel und Inhalt der Schrift einzugehen. Anders verhält es sich bei den beiden anderen – nun expliziten – Verweisen auf Epikurs theologische Schriften, die im Abschnitt Cottas nur als Ausgangspunkt für allgemeine Polemik gegen die Epikureische Theologie dienen, ohne dass auf Einzelheiten eingegangen würde. Das in vielfachen Variationen wiederholte Standardargument ist dabei stets der Vorwurf, dass alle Religion aufgehoben wird, wenn sich die Götter, wie es Epikur prominent in seinem ersten Lehrsatz (KD 1) vertritt, nicht um die Belange der Menschen kümmern. So beziehen sich bei Cicero die meisten der folgenden Zitate auf diesen sicherlich weiter bekannten Lehrsatz Epikurs, nicht auf die einschlägigen, aber spezialisierten Abhandlungen „Über die Götter“ oder „Über die Heiligkeit“. T6 Τὸ μακάριον καὶ ἄφθαρτον οὔτε αὐτὸ πράγματα ἔχει οὔτε ἄλλῳ παρέχει, ὥστε οὔτε ὀργαῖς οὔτε χάρισι συνέχεται· ἐν ἀσθενεῖ γὰρ πᾶν τὸ τοιοῦτον (Epic., KD 1). Das Glückselige und unvergängliche Wesen hat weder selbst Sorgen noch bereitet es sie einem anderen, so dass es weder von Zorn noch von Gunst ergriffen wird. Denn alles Derartige beruht auf Schwäche.11
Die Gefahr dieser Auffassung für Religion und Ethik hatte Cicero bereits in seiner Einleitung betont;12 Cotta wird das Argument dann weiter aufgreifen und durchspielen. In den folgenden Stellen sind jeweils die Anklänge an den ersten Lehrsatz im lateinischen Text durch Fettdruck hervorgehoben. 10 Vgl. Dyck 2003, 125 ad loc. Man hat die Auslassung seiner Quelle oder mangelndem Verständnis dieser Theorie zugeschrieben. Am wahrscheinlichsten ist mir Dycks Ansicht, wonach Cicero die Epikureische Auffassung für zu kompliziert und unverständlich hielt, als dass er seine Darstellung damit belasten wollte. 11 Übersetzung nach Jürß/Müller/Schmidt 1991. 12 Nat. deor. I 3: Sunt enim philosophi et fuerunt qui omnino nullam habere censerent rerum humanarum procurationem deos. quorum si vera sententia est, quae potest esse pietas quae sanctitas quae religio? haec enim omnia pure atque caste tribuenda deorum numini ita sunt, si
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Implizit ist der Vorwurf der Unbeteiligtheit der Götter noch am Ende der ersten ausdrücklichen Erwähnung von Epikurs theologischen Schriften in nat. deor., die wie die folgende mit einem imaginären Zitat des Gegners beginnt: T7 „At etiam de sanctitate de pietate adversus deos libros scripsit Epicurus.” At quo modo in his loquitur: ut Coruncanium aut P. Scaevolam pontifices maximos te audire dicas, non eum qui sustulerit omnem funditus religionem nec manibus ut Xerses sed rationibus deorum inmortalium templa et aras everterit. quid est enim cur deos ab hominibus colendos dicas, cum dei non modo homines non colant sed omnino nihil curent nihil agant? (Cic., nat. deor. I 115). „Epikur hat aber doch Bücher über Heiligkeit und Frömmigkeit gegenüber den Göttern geschrieben.“ Und welche Sprache führt er darin? Man könnte glauben, die Hohenpriester Tiberius Coruncanius oder Publius Scaevola zu hören und nicht etwa den Mann, der jede Religion von Grund auf beseitigt hat und der – nicht wie Xerxes mit Gewalt – sondern mit Vernunftgründen Tempel und Altäre vernichtet hat. Denn aus welchem Grund könnte man behaupten, dass die Menschen den Göttern Verehrung schulden, wenn die Götter sich gar nicht um die Menschen kümmern, ja sich um nichts sorgen und überhaupt nichts tun?
Ganz ähnlich aufgebaut ist auch der folgende Text, der ebenfalls von dem imaginären Zitat und dem Verweis auf KD 1 eingerahmt ist. Dazwischen findet sich diesmal mit Verweis auf Posidonios das Argument, dass Epikur die Götter nur zum Schein in sein System aufgenommen habe, um Vorwürfen zu entgehen, sie aber de facto abschaffe, weil sie keinen Einfluss auf die Menschen haben. Es ist das emotionale Schlusswort von Cottas Plädoyer und des ganzen Buches. T8 „At etiam liber est Epicuri de sanctitate.” (123) Ludimur ab homine non tam faceto quam ad scribendi licentiam libero. quae enim potest esse sanctitas si dii humana non curant, quae autem animans natura nihil curans? Verius est igitur nimirum illud quod familiaris omnium nostrum Posidonius disseruit in libro quinto de natura deorum, nullos esse deos Epicuro videri, quaeque is de deis inmortalibus dixerit invidiae detestandae gratia dixisse; neque enim tam desipiens fuisset ut homunculi similem deum fingeret, liniamentis dumtaxat extremis non habitu solido, membris hominis praeditum omnibus usu membrorum ne minimo quidem, exilem quendam atque perlucidum, nihil cuiquam tribuentem nihil gratificantem, omnino nihil curantem nihil agentem. quae natura primum nulla esse potest, idque videns Epicurus re tollit oratione relinquit deos. (124) deinde si maxime talis est deus ut nulla gratia nulla hominum caritate teneatur valeat – quid enim dicam “propitius sit”; esse enim propitius potest nemini, quoniam ut dicitis omnis in inbecillitate est et gratia et caritas (Cic., nat. deor. I 122-124). „Es gibt doch ein Buch Epikurs Über die Heiligkeit“. Wir werden auf den Arm genommen von einem Manne, der nicht gerade witzig, aber frech genug zum Schreiben ist. Denn was für eine Heiligkeit kann es geben, wenn die Götter sich um die menschlichen Belange nicht sorgen? Was für ein Lebewesen kann es geben, das sich um nichts sorgt? Wahrhafter ist da zweifellos das, was unser aller Freund Posidonios im fünften Buch seiner Schrift Über die Götter ausgeführt hat. Er sagt, dass Epikur nicht an Götter glaubt, und dass alles, was er über die unsterblichen Götter geäußert habe, nur dazu diente, sich gegen Angriffe zu verwahren. Er wäre sicher nicht so unklug gewesen, einen Gott darzustellen, der einem schwachen Erdenkind gleiche, animadvertuntur ab is et si est aliquid a deis inmortalibus hominum generi tributum; sin autem dei neque possunt nos iuvare nec volunt nec omnino curant nec quid agamus animadvertunt nec est quod ab is ad hominum vitam permanare possit, quid est quod ullos deis inmortalibus cultus honores preces adhibeamus?
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wenn auch nur in den äußeren Umrissen, ohne feste Gestalt, der zwar im Besitz aller menschlichen Glieder ist, aber ohne sie auch nur im Geringsten gebrauchen zu können. Das wäre ein kümmerliches, durchsichtiges Wesen, das niemandem etwas bietet, niemandem gefällig ist, ja sich um überhaupt nichts sorgt, überhaupt nichts tut. Ein solches Wesen kann es ja von vornherein gar nicht geben. Und weil Epikur das erkannte, schaffte er de facto die Götter ab, ließ sie aber in seinen Worten weiter bestehen. Und wenn nun die Gottheit wirklich so beschaffen sein soll, dass sie von keiner Güte und keiner Liebe zu den Menschen ergriffen werden kann, dann sage ich ihr „adieu“. Denn warum soll ich sagen „sei mir gnädig!“. Sie kann doch gegen niemanden gnädig sein, da ja alle Güte und Liebe nach euren Worten auf Schwäche gründet.
Man ist versucht, in den Anspielungen auf Epikurs theologische Werke nur schmückendes Beiwerk zu sehen, das die einschlägigen Titel zur Vorspiegelung einer tieferen Auseinandersetzung anführt, hinter der aber – wenigstens im polemischen Teil – keinerlei tiefere Kenntnis dieser Werke oder gar einzelner Aussagen daraus zu stecken braucht. Als sicher kann gelten, dass eine solche Kenntnis beim Leser nicht vorausgesetzt wird. Anders verhält es sich möglicherweise mit den Schlüsselbegriffen des quasi corpus und quasi sanguis, die Velleius an der oben zitierten Stelle (nat. deor. I 49) verwendet, doch ist auch hier die Behandlung des Themas zu summarisch, als dass Weiteres zu entnehmen wäre. Waren bei Philodem also jeweils die Spezialabhandlungen Epikurs zum jeweiligen Thema der Bezugspunkt, so ist es bei Cicero regelmäßig die allgemein bekannte Kyria Doxa 1. Diese wird neben zahlreichen Anspielungen auf andere Werke und Aussagen im ganzen ersten Buch von De natura deorum auch als einzige von Epikurs Aussagen wörtlich und mit Quellenangabe zitiert und zwar sowohl von Velleius als auch von Cotta.13 Die Version des Velleius steht am Schluss des Abschnittes über die richtige Götterverehrung: T9 quae enim nobis natura informationem ipsorum deorum dedit, eadem insculpsit in mentibus ut eos aeternos et beatos haberemus. Quod si ita est, vere exposita illa sententia est ab Epicuro, quod beatum aeternumque sit id nec habere ipsum negotii quicquam nec exhibere alteri, itaque neque ira neque gratia teneri, quod quae talia essent inbecilla essent omnia (Cic., nat. deor. I 45). Dieselbe Natur, die uns die Kenntnis von den Göttern gab, prägte uns auch ein, sie für ewig und glückselig zu halten. Wenn das richtig ist, hat Epikur auch den bekannten Lehrsatz der Wahrheit gemäß aufgestellt, wonach das, was glückselig und ewig ist, weder selbst Unannehmlichkeiten kenne noch sie einem anderen bereite. Daher werde es weder von Zorn noch von Gunst ergriffen, weil alles Derartige nur Ausdruck von Schwäche wäre.
Besonders zwei Aspekte dieser Stelle verdienen größere Aufmerksamkeit: 1) Das Zitat von Kyria Doxa 1 dient hier als gliederndes Element, um einen größeren Abschnitt abzuschließen. 2) Es ist nur formal durch Quod si ita est, nicht aber inhaltlich mit dem Vorhergehenden verknüpft. Denn der Schluss, dass eine ewige und glückselige Gottheit sich nicht um die Menschen kümmert, folgt ja aus eben diesen Eigenschaften und nicht daraus, dass wir von Natur aus Vorstellungen von Göttern haben, welche diese Eigenschaften besitzen. 13 Vgl. den Index bei Ax 1933, 226 s.v. Epicurus.
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Eine ähnliche Situation findet sich bei Cotta, der den ersten Lehrsatz am Ende eines langen Abschnittes mit Polemik gegen die Menschengestalt der Götter (nat. deor. I 76-102) zitiert: T10 ipsi qui inridentur Aegyptii nullam beluam nisi ob aliquam utilitatem quam ex ea caperent consecraverunt … ita concludam, tamen beluas a barbaris propter beneficium consecratas, vestrorum deorum non modo beneficium nullum extare, sed ne factum quidem omnino. (102) “Nihil habet” inquit “negotii” (KD 1). Profecto Epicurus quasi pueri delicati nihil cessatione melius existimat. at ipsi tamen pueri etiam cum cessant exercitatione aliqua ludicra delectantur: deum sic feriatum volumus cessatione torpere, ut, si se commoverit, vereamur ne beatus esse non possit? haec oratio non modo deos spoliat motu et actione divina, sed etiam homines inertis efficit, si quidem agens aliquid ne deus quidem esse beatus potest (Cic., nat. deor. I 101102). Sogar die Ägypter, über die man sonst spottet, sollen kein Tier vergöttert haben, wenn es nicht einen Vorteil gab, den sie aus ihm zogen. … So will ich nur den Schluss ziehen, dass die Tiere von den Barbaren wenigstens wegen einer guten Leistung vergöttert wurden, dass es aber von euren Göttern keine gute Leistung gibt, ja dass überhaupt noch nie eine von ihnen vollbracht wurde. „Sie haben ja keine Unannehmlichkeiten“, sagt Epikur. Er denkt wirklich wie verwöhnte Kinder, dass nichts über das Nichtstun geht. Trotzdem haben selbst Kinder, wenn sie ihre Übungen aufhören, nur Freude an kurzweiliger Beschäftigung. Den müßiggehenden Gott aber will man in seiner Tatenlosigkeit so erstarren lassen, dass man Angst haben muss, er könne nicht mehr glückselig sein, wenn er sich bewegt. Diese Auffassung nimmt nicht nur den Göttern jegliche Art von Tätigkeit und Bewegung, sondern sie macht auch die Menschen faul. Denn nicht einmal Gott kann ja glückselig sein, wenn er etwas tut.
Auch hier ist der Abschluss des Argumentes über den Nutzen der Götter eher abrupt und assoziativ. Da die Götter nach KD 1 keinen Einfluss auf die Menschen nehmen, haben sie für diese auch keinen Nutzen. Dieser Schluss wird am Ende von § 101 implizit gezogen, doch gibt die Assoziation mit dem Lehrsatz Anlass zu einer weiteren Polemik, die auf das negotium, die Tätigkeit oder Beschäftigung zielt, welche Epikur den Göttern nach der lateinischen Übersetzung abspricht. Die Steigerung zu einer völligen Bewegungslosigkeit ist freilich eine hinzugefügte Übertreibung, die durch andere Belege zu stützen wäre. Auch hier bildet also der Lehrsatz zusammen mit einer kurzen, vom Zusammenhang getrennten Polemik den gliedernden Abschluss. Die zwei noch ausstehenden Zitate dieses Satzes finden sich jeweils am Anfang eines Abschnittes. Mit dem ersten hier zu behandelnden Zitat beginnt die Peroratio Cottas, die, wie wir oben sahen, auch mit einem solchen endet (T8). So ist also dieser zusammenfassende Abschnitt von den Verweisen auf Epikurs ersten Lehrsatz eingerahmt: T11 Epicurus vero ex animis hominum extraxit radicitus religionem, cum dis inmortalibus et opem et gratiam sustulit. cum enim optimam et praestantissumam naturam dei dicat esse, negat idem esse in deo gratiam: tollit id quod maxime proprium est optimae praestantissimaeque naturae. quid enim melius aut quid praestantius bonitate et beneficentia; qua cum carere deum vultis, neminem deo nec deum nec hominem carum, neminem ab eo amari neminem diligi vultis: ita fit ut non modo homines a deis sed ipsi dei inter se ab aliis alii neglegantur. Quanto Stoici melius … (122) Vos autem quid mali datis, cum inbecillitate gratificationem et benivolentiam ponitis. ut enim omittam vim et naturam deorum, ne homines quidem censetis, nisi
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inbecilli essent, futuros beneficos et benignos fuisse? nulla est caritas naturalis inter bonos? (Cic., nat. deor. I 121-122) Epikur hat die Religion aus den Herzen der Menschen mit der Wurzel herausgerissen, indem er den Göttern Hilfe und Gunst absprach. Während er nämlich Gott als das beste und hervorragendste Wesen bezeichnet, leugnet er gleichzeitig Gunst bei ihm. Damit hebt er gerade das Hauptmerkmal des besten und hervorragendsten Wesens auf. Denn was ist besser und wertvoller als Güte und Wohltätigkeit? Wenn ihr diese Eigenschaften Gott absprechen wollt, dann liegt es auch in eurer Absicht, dass niemand Gott lieb ist, weder Gott noch Mensch, dass niemand wirklich von ihm geliebt wird. Folglich bleiben nicht nur die Menschen von den Göttern unbeachtet, sondern die Götter kümmern sich auch nicht umeinander. Wieviel besser sind da doch die Stoiker … (122) Was stiftet ihr aber für Unheil, indem ihr Gefälligkeit und Wohltätigkeit als Schwäche hinstellt. Glaubt ihr – ganz abgesehen von der Macht und dem Wesen der Götter –, dass die Menschen nur aus Schwäche wohltätig und gütig sein würden? Gibt es denn unter den Guten keine natürliche Wertschätzung?
Aus der Flut der sich anschließenden rhetorischen Fragen hebt sich hier ein zweifacher Anlauf gegen die Aussage aus Kyria Doxa 1 mit dem Argument hervor, dass damit die Götter keine χάριϲ/gratia haben. Die Bezüge sind vielleicht durch die Zweiteilung etwas weniger deutlich, doch scheint mir die zweite Anspielung mit imbecillitas unzweifelhaft. Das letzte Beispiel bringt noch einmal ein wörtliches Zitat. Es steht am Beginn der zweiten Hälfte des Kapitels über die Menschengestalt der Götter: In der ersten Hälfte war von der Prolepse ausgegangen worden, nun folgen die Vernunftargumente. Am Ende des gesamten Abschnittes steht T10. Hier finden wir, wenn auch in polemischer Absicht, die einzige „philologische“ Auseinandersetzung mit Epikurs Worten in Ciceros De natura deorum. T12 Quamquam video non nullis (e.g. Posidonio, cf. T8) videri Epicurum, ne in offensionem Atheniensium caderet, verbis reliquisse deos re sustulisse. itaque in illis selectis eius brevibusque sententiis, quas appellatis κυρίας δόξας, haec ut opinor prima sententia est: “quod beatum et inmortale est id nec habet nec exhibet cuiquam negotium”; in hac ita exposita sententia sunt qui existiment, quod ille inscitia plane loquendi fecerit, fecisse consulto: de homine minime vafro male existimant. (86) dubium est enim utrum dicat aliquid esse beatum et inmortale an si quod sit id esse tale. non animadvertunt hic eum ambigue locutum esse, sed multis aliis locis et illum et Metrodorum tam aperte quam paulo ante te. Ille vero deos esse putat (Cic., nat. deor. I 85-86). Freilich weiß ich wohl, dass einige Leute annehmen, Epikur habe, um bei den Athenern nicht in Ungnade zu fallen, die Götter zwar dem Namen nach beibehalten, de facto aber ihre Existenz geleugnet. Unter seinen ausgewählten, komprimierten Lehrsätzen, die ihr Kyriai Doxai nennt, lautet meines Wissens der erste Satz:14 „Was glückselig und unsterblich ist, hat weder selbst eine Unannehmlichkeit noch bereitet es andern eine.“ Bei diesem derart formulierten Satz vermuten einige, dass er das, was offensichtlich aus Unbeholfenheit im Ausdruck geschah, mit Absicht so schrieb. Das ist aber nur eine schlechte Meinung über einen Mann, der nichts weniger als verschmitzt war. Es ist nämlich nicht klar, ob er damit sagt, dass es etwas gibt, das glückselig und unsterblich sei, oder aber, wenn es etwas gäbe, es solche Eigenschaften haben müsste. Diese Leute übersehen, dass er sich hier zwar nicht eindeutig ausdrückt, dass aber er
14 Dyck 2003, 168 ad loc. findet es „odd“, dass Cotta sich nicht daran zu erinnern scheint, dass Velleius bereits in I 45 die KD 1 zitiert hatte.
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Holger Essler und Metrodor sich an vielen anderen Stellen ganz klar geäußert haben, so wie du gerade. Er glaubt wirklich an die Existenz der Götter.
Neben der persönlichen Invektive auf Epikur ist erneut die lose Anbindung des Zitats an den Kontext festzustellen. Auch hier fällt der bereits aus T8 bekannte und dort Posidonios zugeschriebene Vorwurf, Epikur habe die Existenz der Götter nur aus Furcht vor den Athenern nicht offen bestritten. Als scheinbarer Beleg wird wieder KD 1 angeführt, eine Stelle, die freilich, wie Cotta selbst zugibt, bezüglich der Existenz der Götter keine klare Aussage enthält, sodass der Nachweis über andere, namentlich nicht weiter genannte Schriften geführt wird. Man könnte nun fragen, warum diese Stellen nicht gleich zitiert wurden, doch genügt bereits der Zweifel an der Zweckmäßigkeit des Zitats für das hier gesteckte Ziel.15 4. SCHLUSS Die Einzelergebnisse des Durchgangs durch die Epikurbelege im ersten Buch von Ciceros De natura deorum und des Vergleichs mit Philodem lassen sich in folgende fünf Thesen zusammenfassen: 1. Eine direkte Kenntnis der theologischen Werke Epikurs, De dis und De sanctitate, ist bei Cicero nirgends sicher festzustellen. Die Zitate gehen nicht über die Erwähnung des Titels hinaus. 2. Die Auseinandersetzung mit Epikurzitaten theologischen Inhalts findet allein mit KD 1 statt. 3. Die Argumente gegen KD 1 sind vielfältig, doch nicht in den Zusammenhang der jeweiligen Stelle eingebettet. 4. Die Zitate von KD 1 stehen regelmäßig an Gliederungspunkten im Werk. 5. Daraus ergibt sich ihr kompositorischer Charakter. Mit anderen Worten: Die Zitate von KD 1 und die jeweils zugehörige Diskussion sind nicht so sehr als Teil der inhaltlichen Argumentation zu betrachten, sondern vielmehr als formales Gestaltungsmittel. Sind diese Thesen richtig, so hätte Cicero den bei Philodem belegten und für epikureische Abhandlungen konstituierenden Apparat von ständigen Verweisen und Bezügen auf die einschlägigen Schriften des Schulgründers formal übernommen, ihn jedoch inhaltlich zu einer bloßen Staffage, vielleicht mit parodistischen Zügen, umfunktioniert. LITERATURVERZEICHNIS Arrighetti, G. (Hg.), Epicuro. Opere, Torino 21973. Ax, W. (Hg.), M. Tulli Ciceronis scripta quae manserunt omnia. Fasc. 45. De natura deorum, Leipzig ²1933. 15 Eine ähnlich konstruierte Kompilation von Standardargumenten findet sich auch in nat. deor. I, 69-71. Vgl. dazu die anderen Stellen bei Usener 1887, Frg. 281, 376, 251.
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Dyck, A.R. (Hg.), Cicero. De natura deorum book I, Cambridge 2003. Erler, M., Philologia medicans. Wie die Epikureer die Schriften ihres Meisters lasen, in: W. Kullmann (Hg.), Vermittlung und Tradierung von Wissen in der griechischen Kultur, Tübingen 1993, 288–294. Erler, M., Epikur – Die Schule Epikurs – Lukrez, in: H. Flashar (Hg.), Grundriss der Geschichte der Philosophie. Begründet von Friedrich Ueberweg. Völlig neu bearbeitete Ausgabe. Die Philosophie der Antike, 4. Die hellenistische Philosophie, Band 4.1, Basel 1994. Essler, H., Falsche Götter bei Philodem (Di III Kol. 8, 5 – Kol. 10, 6), CErc. 39, 2009, 161–205. Essler, H., Eine Auslegung Epikurs theologischer Schriften, CErc. 41, 2011a, 13–25. Essler, H., Glückselig und unsterblich. Epikureische Theologie bei Cicero und Philodem, Basel 2011b. Jürß, F. / Müller, R. / Schmidt, E.G., Griechische Atomisten. Texte und Kommentare zum materialistischen Denken der Antike, Leipzig 1991. Kühner, R. / Gerth, B., Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache. 2. Teil, Satzlehre II, Hannover und Leipzig 1904. Obbink, D., Philodemus. On Piety. Part I, Oxford 1996. Puglia, E. (Hg.), Demetrio Lacone, Aporie testuali ed esegetiche in Epicuro, Napoli 1988. Usener, H. (Hg.), Epicurea, Leipzig 1887.
CICEROS DE NATURA DEORUM UND DIE DEUTSCHE QUELLENFORSCHUNG Wissenschaftsgeschichtliche Überlegungen zu einer problematischen Verbindung Christopher Diez 1. FRAGESTELLUNG Ciceros religionsphilosophisches Hauptwerk De natura deorum ist wie kaum ein anderer ciceronischer Dialog mit Quellenstudien bedacht worden, die in der Mehrzahl von deutschen Philologen verfasst worden sind. Fragt man nach einer Erklärung für diesen Befund, so lässt sich der quellenkritische Ansatz zunächst mit der auffälligen Textgestalt von De natura deorum rechtfertigen.1 Untersucht man nämlich die Gliederungen der einzelnen Reden in De natura deorum, lässt sich einerseits innerhalb der einzelnen Reden, andererseits zwischen Rede und Gegenrede eine Vielzahl von konzeptionellen Spannungen und vermeintlichen kompositorischen Brüchen entdecken, die eine quellenkritische Untersuchung der Schrift nahezulegen scheint.2 Zu den Auffälligkeiten innerhalb der dogmatischen Reden zählt etwa die Kürze, mit der Velleius die epikureische Theologie in nur wenigen Paragraphen entfaltet.3 Stand Cicero vielleicht keine ausführlichere griechische Darstellung zur Verfügung,4 sodass er die Velleius-Rede notgedrungen mit einem polemischen Abriss über die antike Religionsphilosophie auffüllen musste und dabei nicht einmal
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Vgl. dazu auch Diez (2021), 17–24. Neben den kompositorischen Besonderheiten rechtfertigt die ältere Quellenforschung ihren Ansatz meistens auch mit der Annahme, dass De natura deorum in vielerlei Hinsicht unvollendet sei und sich die ciceronischen Prätexte daher umso leichter erkennen lassen würden. Dabei wird meistens auf die divergierenden Zeitkonzepte verwiesen. Während nämlich die dialogischen Rahmenpartien nahelegen, dass das Gespräch in De natura deorum an einem einzigen Tag stattgefunden hat, weisen zwei Passagen (Cic. nat. deor. 2,73 und 3,18) auf ein anderes, mehrtätiges Zeitkonzept hin. Vgl. Gawlik (1994), 1043 für weitere Argumente wie die Annahme einer postumen Veröffentlichung. Innerhalb der ohnehin kurzen Rede des Velleius (Cic. nat. deor. 1,18b-56), die sich mit Cottas Widerlegung ein Buch teilen muss, nimmt die eigentliche Lehrentfaltung am Ende der Rede nur wenige Paragraphen (1,43b-56b) ein. Noch radikaler formuliert Hoyer (1898), 50, der damit rechnet, dass Cicero für den Lehrteil überhaupt keine Quelle zur Verfügung stand und er ihn deshalb kurz und relativ allgemein selbst schreiben musste.
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Doppelungen zwischen Velleius’ Polemik und Velleius’ Lehrentfaltung glättete?5 Im Fall von Balbus’ stoischer Rede fällt hingegen gleich bei seinem ersten Gliederungspunkt, mit dem er nachweisen möchte, dass es Götter gibt,6 die Länge seiner Ausführungen auf. Obwohl Balbus selbst zu Beginn seiner Rede betont, dass die Frage nach dem esse deos eigentlich nicht vieler Worte bedürfe,7 setzt er immer wieder zu einem neuen Beweisgang an und nimmt dabei auch Argumente vorweg, die eigentlich besser zu den drei übrigen Teilen seiner Rede passen würden. Die Besonderheiten im Falle von Cottas Widerlegungsreden erklärte sich die ältere Quellenforschung unter anderem damit, dass Cicero nicht überall passende skeptische Widerlegungen vorgelegen haben können.8 Wenn Cotta gegen den Epikureer Velleius im hinteren Teil seiner Rede also stoisch gefärbte Gegenargumente verwendet,9 ließe sich dieser Befund am ehesten damit erklären, dass Cicero in Ermangelung einer passenden akademischen Quelle gegen die epikureische Theologie auf eine stoische Schrift zurückgegriffen habe. Darüber hinaus wollte man die fehlende Passung von Rede und Gegenrede auch daran erkennen, dass Cotta sich mit Aspekten beschäftigt, die vom jeweiligen dogmatischen Vorredner gar nicht entfaltet worden waren. So zielt Cotta etwa auf den epikureischen Atomismus oder das Theorem der Intermundien ab,10 ohne dass diese Aspekte von Velleius überhaupt (näher) entfaltet worden sind. Die polemischen Passagen, in denen Cotta scharfe ad personamAngriffe gegen Epikur fährt11 oder Balbus in ein sokratisches Zwiegespräch verwickeln möchte,12 galten manchem Quellenforscher schließlich als Improvisation des Redners Cicero, mit der er das Fehlen passender Quellen wettmachen wollte. Während diese Textbeobachtungen erklären, wieso gerade De natura deorum ins Zentrum der Quellenforschung rückte, bleibt die Frage offen, wieso quellenkritische Studien in ihrer Mehrzahl ausgerechnet von deutschsprachigen Philologen vorgelegt worden sind. Anhand einer wissenschaftsgeschichtlichen Kontextualisierung soll deshalb im Folgenden gezeigt werden, dass die Quellenforschung eine 5
So erscheint etwa die Kritik an der Stoa nicht nur zweifach im Widerlegungsteil des Velleius, nämlich in der Anfangspolemik (bspw. in 1,20 mit der Kritik an der stoischen Providentia) und in der Mitteldoxographie (mit der Kritik an Zenon und wichtigen Stoikern nach ihm ab 1,36), sondern auch nochmals im Lehrteil (vgl. v. a. 1,54b-55 mit der Kritik am stoischen Tyrannengott, dem stoischen fatum und der sich daraus ergebenden divinatio). 6 Vgl. Cic. nat. deor. 2,4-44. 7 Vgl. Cic. nat. deor. 2,4: Ne egere quidem videtur, inquit, oratione prima pars. Quid enim potest esse tam apertum tamque perspicuum […]? 8 Vgl. Philippson (1940), 21f. für eine quellenkritische Erklärung der fehlenden Passung von Rede und Gegenrede. 9 Vgl. bspw. Hoyer (1898), 48, der spätestens ab 1,96 und mit besonderem Blick auf 1,102.116.121 Cottas zunehmend dogmatische Haltung zugunsten der Stoa bemerkt, und vor ihm bereits Hirzel (1877), 33 mit Blick auf 1,100.121. 10 Vgl. Cic. nat. deor. 1,65-75 für Cottas Grundsatzkritik am epikureischen Atomismus und 1,103110a für die Frage nach dem Wohnsitz der epikureischen Götter. 11 Vgl. dafür vor allem Cic. nat. deor. 1,72-73a gegen Epikur als Autodidakt, 1,85-87a gegen Epikur als abergläubischen Menschen und 1,93-94a gegen Epikurs Streitsucht. 12 Vgl. Cic. nat. deor. 3,4b-19; Balbus selbst enttarnt diese Methode jedoch als Scheindialog und wünscht sich die Rückkehr zu den orationes perpetuae (vgl. 3,19).
Ciceros De natura deorum und die deutsche Quellenforschung
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enge Verbindung mit unterschiedlichen politischen Strömungen und geistesgeschichtlichen Bewegungen im deutschsprachigen Raum einging. Anhand von Mommsens Cicerobild soll dabei exemplarisch gezeigt werden, wie benachbarte Disziplinen und spätere Forscher die Ansätze und Ergebnisse der Quellenforschung aufgegriffen haben und warum gerade Ciceros Werk nicht nur mit quellenkritischen Studien bedacht, sondern von der (Quellen-)Forschung zum Teil aufs Heftigste kritisiert worden ist. Nach einer kritischen Würdigung dieser Ansätze soll schließlich ein alternatives Erklärungsmodell für die beobachteten Besonderheiten am Cicerotext vorgeschlagen werden. 2. DER GEISTESGESCHICHTLICHE HINTERGRUND DER QUELLENFORSCHUNG Die häufige Bezeichnung der Prätexte als „Quellen“ oder „Quellentexte“ gibt einen Hinweis auf die Zeit, in der diese Forschungsrichtung der deutschsprachigen Philologie entstanden ist, und auf die dort vorherrschenden geistesgeschichtlichen Strömungen, mit denen sie verbunden geblieben ist.13 Ursprünglich hatte sich die Quellenforschung in ihrer bekannten Form am Ende des 18. Jahrhunderts als wichtiger Methodenschritt innerhalb der historisch-kritischen Untersuchung klassisch antiker und biblischer Texte etabliert. Gemeinsam mit den anderen Analyseschritten hatte sie es sich zum Ziel gesetzt, literarische Texte aus ihrem historischen Kontext heraus zu verstehen und methodisch kontrolliert zu analysieren.14 Mit diesem Ziel trat sie in Konkurrenz zu klassizistischen, humanistischen und idealistischen Ansätzen, die einen interessensgebundenen Umgang mit antiken Texten pflegten und sie vornehmlich als Texte lasen, mit deren Hilfe sie sich der Antike als einer auf verschiedenen Ebenen als vorbildlich und nachahmenswert empfundenen Epoche näherten und aus denen sie sowohl in praktischer wie in ästhetischer Hinsicht15 handlungsleitende Richtlinien gewinnen wollten.16 Im Gegensatz dazu legt der historisch-kritische Ansatz Wert darauf, einen literarischen Text nicht im Lichte der partikularen Interessen der eigenen Zeit zu verzwecken, sondern ihn als
13 Vgl. zu den Prämissen der älteren Quellenforschung auch Diez (2021), 30–35. 14 Vgl. Rebenich (2000), 469–485 für eine Verortung dieses Zugriffs innerhalb des Historismus. Mit Recht betont Muhlack (1988), 155–157, dass die Wurzeln der historisch-kritischen Methode bis in die Zeit des Humanismus zurückreicht, wo man begonnen hatte, die als fremd und fern wahrgenommenen antiken Zeugnisse durch neue Texteditionen und Kommentare wieder verständlich werden zu lassen, dabei jedoch weiterhin eine dezidiert normative Zielsetzung verfolgte und die Antike selbst nicht als historischen Gegenstand, sondern ideales Vorbild beurteilte. 15 Vgl. Gehrke (2000), 454 für eine kurze Charakterisierung dieses Zugriffs auf die Antike. 16 Während klassizistische und humanistische Ansätze dieses Ziel auf eine unmittelbarere Weise erreichen wollten (vgl. dafür den paradigmatischen Titel des Buches von Georg Voigt, der seine Untersuchungen zum Humanismus „Wiederbelebung des classischen Alterthums“ nannte), vollzog sich die Orientierung an der Antike im Idealismus bereits im Bewusstsein der Differenz zwischen Antike und Gegenwart (vgl. bspw. Hager 1999, 512f.).
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historischen Text zu seinem eigenen Recht kommen zu lassen und ein möglichst vorurteilsfreies Verstehen des Textes aus seiner Zeit heraus zu ermöglichen. Gerade beim Methodenschritt der Quellenforschung lässt sich allerdings beobachten, dass die quellenkritischen Einzeluntersuchungen zwar auf das Instrumentarium der historisch-kritischen Methode zurückgreifen, ohne dabei jedoch im gleichen Maß deren Zielsetzung zu übernehmen. Dadurch blieb die Methoden der Quellenforschung oftmals hinter ihrem ursprünglich historisch-objektiven Anspruch zurück, um sich stattdessen vielerorts von zeitbedingten, normativen Werturteilen leiten zu lassen17 und sich, was ihre Zielsetzung und ihr Erkenntnisinteresse angeht, mit anderen geistesgeschichtlichen Strömungen zu vermengen. Dies lässt sich im Fall der Ciceroforschung vor allem daran beobachten, dass man meist nicht deshalb auf die Quellenforschung zurückgriff, um den Cicerotext als solchen besser zu verstehen, sondern um mit ihrer Hilfe mehr über die verlorenen griechischen Primärtexte zu erfahren, die man hinter dem Cicerotext vermutete, und um deren Gedankengänge, teilweise sogar deren griechischen Wortlaut aus dem lateinischen Text heraus rekonstruieren zu können. Durch die Zielsetzung, mithilfe der Quellenforschung vornehmlich Erkenntnisse über die Schriften der hellenistischen Philosophenschulen zu gewinnen, deren überlieferungsbedingten, weitflächigen Verlust man seit langem beklagt hatte, kam es zu einer problematischen Neuausrichtung der Quellenforschung. Sie sah in vielen Fällen den Cicero-Text lediglich als Trägertext an, aus dem heraus man die als wertvoller beurteilten griechischen Vorgängertexte wiedergewinnen wollte. Geistesgeschichtlich lässt sich der verstärkte Einsatz der Quellenforschung zur Wiedergewinnung der vermeintlichen griechischen Prätexte damit erklären, dass es spätestens im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert zu einer partiellen Verquickung der historisch-kritischen Methode mit den Vorstellungen und Idealen des Neuhumanismus gekommen ist, dessen „Forschungsparadigma von der Höherwertigkeit der Griechen vor den Römern“18 die philologische Forschung maßgeblich prägte. Die neuhumanistische Abwertung der römischen Literatur und die daraus resultierende Aufwertung der vermeintlichen griechischen Originaltexte resultierte unter anderem aus einer Neubewertung imitativer Literatur und des sie auszeichnenden Kunstprinzips der imitatio auctorum.19 Während die imitatio auctorum lange Zeit als ernstzunehmender Akt der „schöpferisch[en] Nachahmung“20 17 Vgl. prägnant Muhlack (1988) für diese Spannung zwischen Methodik und Zielsetzung. 18 Kuhlmann/Schneider (2012), XXVI. 19 Vgl. Kaminski (1998) zur imitatio auctorum. Überzeugend führen Kuhlmann/Schneider (2012), XXVf. an, dass die philhellenische Tendenz in Deutschland auch politisch bedingt war und durch die seinerzeit vorherrschende antifranzösische Stimmung befördert wurde, da die Franzosen damals als die eigentlichen Nachfolger der Römer galten und eine Beschäftigung mit der römischen Literatur als Sympathiebekundung mit dem Gegner des Deutschen Reiches aufgefasst werden konnte. Bezeichnenderweise bewegt sich die Cicerorezeption zur selben Zeit in Frankreich in anderen Bahnen und ist (bspw. mit dem großen Werk von G. Boissier 1865, vgl. dazu Harich-Schwarzbauer 2010) fern von einer solch fundamentalen Kritik, wie sie sich bis zum Kulminationspunkt bei Th. Mommsen in Deutschland entwickelt (vgl. dazu Boyancé 1970, 22f.). 20 Kaminski (1998), 236.
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gegolten hatte, deren Innovation gerade in der geistreichen und kunstfertigen Bezugnahme auf andere Texte und deren Regelwerk gesehen worden ist, wurde, beginnend mit dem 17. Jahrhundert,21 der Rekurs auf Prätexte zunehmend als „unoriginell, sklavisch, epigonal“ beurteilt und die so entstandenen Texte als bloße „Kopie“22 abgewertet. Während die römische Literatur den Charakter kunstloser Imitation erhielt, galten die vorausgehenden griechischen Texte der klassischen Epoche in ästhetischer Hinsicht als die Ergebnisse der eigentlichen Erschaffung und Erfindung.23 Mit der Etablierung eines scharfen Dualismus zwischen imitatio und creatio24 führte der Neuhumanismus eine Denkrichtung weiter, die sich in der Neuzeit am deutlichsten in der Formulierung der englischen Genieästhetik gezeigt hatte25 und über deren Rezeption während des Sturm und Drangs, der Romantik und des Idealismus auch in Deutschland eine unterschiedlich nuancierte, im Gesamten aber breite Wirkung entfalten konnte.26 Einen Anspruch auf künstlerischen Wert darf in dieser Geisteshaltung nur das Originalgenie für sich beanspruchen, das in der Begegnung „mit der Natur und seinen eigenen Emotionen“27 aus sich selbst heraus 21 Vgl. Penzelstadler (2000) für eine geistesgeschichtliche Einordnung der imitatio-Debatte ab dem 17. Jahrhundert. 22 Kaminski (1998), 236. 23 Tatsächlich scheint es, als ob der Geniebegriff der griechischen Literatur nähersteht als der römischen Literatur; vgl. dafür Murray (1989), 9, die die Ansätze eines „poetic genius“ innerhalb der Antike untersucht und gerade für die griechische Literaturtheorie zu dem Ergebnis kommt, dass man dort häufig von einer nicht erlernbaren „natural ability“ eines Dichters ausgehen konnte. Vgl. zu den antiken Wurzeln des Geniebegriffs auch Zilsel (1926), 9–105, der vor allem zwei Aspekte als antike Vorläufer des modernen Geniebegriffs hervorhebt, nämlich den Aspekt des enthusiasmierten Dichters und (wie Murray) den der angeborenen Begabung. Dennoch bleibt darauf hinzuweisen, dass die moderne Genieästhetik auch der griechischen Antike fremd ist und sich der entscheidende Schritt von der Nachahmung der Natur hin zur „Hervorbringung von Welt“ (Fuhrmann 2003, 18) erst in der Moderne vollzieht. Zudem weist Zintzen (1986), 16 mit Recht darauf hin, dass auch die griechische Literatur nicht ohne Nachahmung und Aufnahme von Prätexten auskommt und sich die im Falle der römischen Literatur kritisierten Prozesse auch dort finden. 24 Vgl. Peters (1996), 739 für den Gegensatz von imitatio und creatio. 25 Anders Thüme (1927), 1–27, der die noch weiter zurückreichenden Wurzeln des Geniebegriffs in der italienischen Renaissance herausarbeitet, auch wenn er betont, dass die Renaissance „nicht zu einer geschlossenen Anschauung vom Genie vorgedrungen“ ist (Thüme 1927, 2). Dass es hingegen in England (und Frankreich) des 18. Jahrhunderts zu einer völligen Neubestimmung des Geniebegriffs gerade hinsichtlich seiner Bedeutung für die literarische Produktion gekommen ist, zeigt überzeugend Wolf (1923), 16–76. 26 Vgl. dazu Kuhlmann/Schneider (2012), XXVf. sowie ergänzend Kaminski (1998), 235–241 für die Prägung der historisch-kritischen Forschung durch den Neuhumanismus und Mancal (1982), 7–37, der die Quellenforschung in einen engen Zusammenhang mit der Rezeption des deutschen Idealismus aufseiten der Philologie sieht. Nur am Rande sei erwähnt, dass sich die Suche nach dem griechischen Ideal und die Abwertung des Römischen nicht auf die Beurteilung antiker Literatur beschränkte, sondern sich bspw. auch auf den Bereich der antiken Kunst erstreckte; vgl. bspw. zum „Griechenstreit“ in der Kunstgeschichte Baumgartner (2000). Dass im Sturm und Drang mithilfe des Naturbegriffs (natura naturans) der Übergang vom Prinzip der Nachahmung und Nachbildung hin zur Neuschöpfung und Erschaffung vollzogen ist, zeigt Schmidt (1985), 13. 27 Schmitz (2015), 530.
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und, ohne externe Setzungen und vorausgehende literarische Vorbilder zu beachten, ein originäres Kunstwerk schafft.28 Die Vorbildhaftigkeit der griechischen Antike bezog sich allerdings nicht nur auf die literarisch-ästhetische Qualität ihrer Erzeugnisse, sondern vor allem auch auf die Inhalte ihrer Schriften. So nahm man an, dass man anhand des Studiums der griechischen Antike die ursprünglichen Mechanismen und eigentlichen Prinzipien, die allen geistigen Tätigkeiten und geschichtlichen Prozessen zugrunde liegen, besonders klar herausarbeiten könne. Die neuhumanistische Bewegung hin zum Griechischen bediente sich damit einer spätestens mit Melanchthon wieder greifbaren Fragerichtung, die nach dem frühestmöglichen Punkt einer Überlieferung fragte, da man den griechischen Prätexten eine größere Originalität und einen höheren ideengeschichtlichen Wert zusprach. Die oft verwendete Metapher der Quelle („Quelltext“) wird dabei in dem Sinne ernstgenommen, dass das zeitlich am Anfang Stehende auch als das sachlich Erste und Unverfälschte begriffen wird, während den darauf rekurrierenden und reagierenden Texten der Charakter einer Ableitung und – damit verbunden – einer Verwässerung, Verdünnung oder Verunreinigung des Ursprünglichen zugesprochen wird.29 Neuhumanistisch geprägte Ansätze beschränkten sich meist jedoch nicht darauf, die Vorbildhaftigkeit des klassischen Griechisch zu entdecken, sondern gingen auch dazu über, sie für viele Lebensbereiche fruchtbar zu machen und aus den als vorbildlich erkannten Texten und Gedanken praktische Erkenntnisse abzuleiten. So kam es dazu, dass der Neuhumanismus heute vor allem als eine neuzeitliche „Konzeption von Allgemeinbildung“ bekannt ist, „die primär an der griech[ischen] Kultur des 5. und 4. Jh. v. Chr. orientiert“30 war. Neuhumanistisch geprägte Erziehungs- und Bildungskonzepte rekurrierten auf die als vorbildhaft empfundene Anthropologie des klassischen Griechenlands, die aus der Analyse der antiken Texte rekonstruiert worden ist und dabei wichtige Impulse für die eigene Gegenwart setzen sollte: Der Neuhumanismus entdeckt im Kontrast zur abstrakten Anthropologie der Aufklärung die konkrete Mannigfaltigkeit individuellen menschlichen Lebens, das eigene Recht der jeweiligen Individualität, sich selbst zu bilden, sich selbst zu bestimmen, ihr Dasein in Freiheit zu gestalten. Die Antike, zumal die griechische Antike, wird ihm wichtig, weil ihm in ihr Realisationen vollendeter individueller, sei es persönlicher oder nationaler, Bildung begegnen, von denen er sich mächtige Antriebe zur Verwirklichung menschlicher Bildung in der Gegenwart erhofft.31
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Frage nach dem historischen Ausgangspunkt eines Textes oder eines Gedankens in einer neuhumanistisch inspirier28 Vgl. Schmidt (1985), 1–10 zum politischen und geistesgeschichtlichen Hintergrund des deutschen Geniegedankens. 29 Auch Berndt/Tonger-Erk (2013), 65 rekurrieren auf den metaphorischen Gehalt des Quellenbegriffs und werten ihn dahingehend aus, dass mit ihm „eine asymmetrische und zeitlich nachgeordnete Kausalbeziehung zwischen dem Einflussspender [...] und dem Beeinflussten“ bezeichnet wird. 30 Landfester (2001), 918. 31 Muhlack (1988), 170f. Vgl. darüber hinaus Hager (1999), 511f. zur Rolle Wilhelm von Humboldts in einer vornehmlich pädagogisch orientierten Ausrichtung des Neuhumanismus.
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ten Quellenforschung somit vor allem als Frage nach dem ästhetisch Originalen, dem ontologisch Eigentlichen und dem pädagogisch Vorbildlichen aktualisiert und dadurch von einem normativen, nicht-historischen Erkenntnisinteresse gesteuert wird. Dass dieser Dualismus nicht nur während, sondern auch nach einer dezidiert neuhumanistisch ausgerichteten Philologie Bestand hat, zeigt etwa Th. Schmitz auf, der am Beispiel von Vergil die paradoxe „Verbindung von Romantik und Positivismus“ in der philologischen Forschung vor allem des 19. Jahrhunderts beleuchtet: Nach dem Modell positivistischer Geschichtsforschung sind für die Philologen die Vorbildtexte, mit denen Vergils Werke in einen Dialog treten, ‚Quellen‘, und sie verwenden großen Scharfsinn darauf zu eruieren, was etwa Vergil gelesen hat, woher er einzelne Verse, Episoden oder Figuren bezieht. Andererseits wird eben dieser Dialog mit Vorgängern nach der romantischen Auffassung als Mangel an Originalität und Inspiration empfunden und im Grunde verurteilt.32
In einer wissenschaftsgeschichtlichen Perspektive ist daher festzuhalten, dass der Methodenschritt der Quellenforschung durch die Verquickung mit bestimmten geschichtsphilosophischen Prämissen und anderen geistesgeschichtlichen Strömungen aus seiner Verortung innerhalb der historisch-kritischen Methode gelöst und paradoxerweise zum Erreichen eines normativen Zieles eingesetzt wird, welches seinem eigenen Entstehungskontext diametral entgegensteht. Auch die zunehmende Professionalisierung und Rationalisierung der darauffolgenden historischen Forschung, die sich im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts beobachten lässt, führte nicht zur Aufgabe einer solchen normativen Zielsetzung. Mit Recht spricht U. Muhlack daher von einem bleibenden „Dualismus zwischen Methode und Ziel“33 der historischen Forschung, den sie trotz ihres gesteigerten Methodenbewusstseins lange Zeit nicht ablegen konnte. Auch wenn die neuhumanistisch und die spätere historistisch-positivistisch geprägte Forschung die Antike als einen historischen Gegenstand begriff und nicht mehr danach strebte, in humanistischer Manier die eigene Gegenwart unmittelbar der als Idealbild beurteilten Antike anzupassen,34 verband sie mit der griechischen Antike dennoch die
32 Schmitz (2015), 531. Auch wenn Schmitz der Sache nach zuzustimmen ist, ist doch zu fragen, ob seine Zuordnung der Genieästhetik zur Romantik durchgehend angemessen ist. Obwohl die Romantik den Geniegedanken aufgreift und stark prägt, so ist sie doch nur eine von mehreren geistesgeschichtlichen Bewegungen, die für diese ästhetische Theorie empfänglich ist, und keinesfalls die erste. 33 Muhlack (1988), 166. 34 Vgl. Muhlack (1988), 166 für diese Zielsetzung des Humanismus: „Sie [d.h. die humanistische Philologie, erg. C.D.] gebraucht eine historische Methode, aber sie gebraucht sie mit dem Ziel, die Dokumente einer Epoche wiederherzustellen, die durch ihre normative Geltung wiederum jenseits der Geschichte liegt, eine über- oder außergeschichtliche Existenz hat, sich gegen eine eigentliche Historisierung sperrt. [...] der historisch gereinigte und kommentierte Text erhebt sich über die Sphäre geschichtlicher Bedingtheit und erstrahlt in einem zeitlosen Glanz.“ Ebenso Muhlack (1988), 165f.: „Die historisch-kritische Aufbereitung der antiken Dokumente geschieht zu dem einzigen Zweck, aus ihnen die Prinzipien der eigenen Lebensgestaltung abzuleiten.“
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„Vorstellung einer vorbildlichen Historizität“35, aus der man Inspiration für die eigene Bildung und Impulse für das zeitgenössische Bestreben nach Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung und Individualisierung gewinnen wollte. Die Verquickung der historisch-kritischen Methode der Quellenforschung mit einem normativ geprägten Erkenntnisinteresse erscheint aus heutiger Sicht dabei aus mehreren Gründen problematisch. So resultiert aus der Setzung, im zeitlich Vorausgehenden auch das Eigentliche, Ursprüngliche und Vorbildhafte sehen zu wollen, ein Degenerationsmodell der Literatur- und Geistesgeschichte, dessen philosophiehistorische Postulate heute mit Recht nicht mehr vertreten werden. Die Grenzen solcher Ansätze lassen sich verdeutlichen, wenn man das Degenerationsmodell etwa mit dessen Gegenstück, dem Entwicklungsmodell, konfrontiert. Das Entwicklungsmodell stellt seinerseits nämlich die Frage, ob es sich nicht genau andersherum verhält und sich die Literatur- und Geistesgeschichte nicht auch mit entgegengesetzten Vorzeichen beschreiben lässt. In einer solchen Betrachtungsweise erscheint sie als eine Entwicklungsbewegung, die von bescheidenden Anfängen her kommend als ein Prozess zunehmender Ausdifferenzierung und Weiterentwicklung verstanden wird, die der Komplexität der Welt in steigendem Maß begrifflich und ästhetisch gerecht zu werden vermag.36 Die Integration von Primärtexten in ein neues Werk würde in diesem Ansatz als Aufgreifen und gleichzeitiges Überwinden und Erweitern der Quellen verstanden werden, denen lediglich die Funktion der auszubauenden und weiterzuentwickelnden Grundlagen, jedoch kein eigener Wert zukäme.37 Sowohl beim Entwicklungs- als auch beim Depravationsmodell besteht die Gefahr, den tatsächlichen Entwicklungen und Abhängigkeitsverhältnissen nicht gerecht zu werden und komplexe Geneseprozesse in das starre Prokrustesbett einer steigenden oder fallenden, in jedem Fall aber linearen Entwicklung zu pressen. Da es fraglich ist, ob sich literatur- oder geistesgeschichtliche Prozesse tatsächlich in ein solches eindimensionales Modell einpassen lassen, das entweder den Anfang oder das Ende eines Prozesses als dessen Vollendung festgelegt hat, gehen all 35 Muhlack (1988), 171. 36 Vgl. bspw. Thyssen (1954), 60–86 (v.a. 81ff. für Hegels Stufenmodell) für solche teleologischen Modelle der Geschichtsphilosophie, die sich vor allem in der deutschen Philosophie bis Hegel finden lassen. Für einen Einblick vor allem in Hegels Geschichtsphilosophie bietet immer noch Leese (1922) wichtige Anregungen. 37 Gall (1999), 15f. weist darauf hin, dass sich die antike Literaturtheorie nicht an linearen Konzepten wie dem Entwicklungs- oder Depravationsmodell orientiert, sondern beide Bewegungen vereint und dabei vielmehr von einem zyklischen Modell ausgeht. Wie in einem Menschenleben erreicht auch eine literarische Gattung nach ersten Gehversuchen zu einem bestimmten Zeitpunkt ihre Reife und Vollendung, ohne dass darauffolgende Werke diesen Anspruch wieder erreichen können, sondern hinter den als vollendet beurteilten Werken zurückfallen, womit die Literaturentwicklung – um im Bild zu bleiben – ins „Greisenalter“ übergeht. Dass allerdings auch das Entwicklungsmodell zur Abwertung römischer Philosophica genutzt werden kann, deutet Maso (2015), 9 an. Er macht den zunehmenden Einfluss von Hegels Geschichtsphilosophie dafür verantwortlich, dass Cicero als Philosoph nicht ernst genommen worden ist, da gerade sein vermeintlicher Rückgriff auf die Griechen als Pausieren der geschichtlichen Entwicklung und Cicero dadurch als zu vernachlässigender Beitrag erscheinen konnte.
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diejenigen Ansätze, die sich von derartigen apriorischen Setzungen leiten lassen, die Gefahr ein, ihrem Gegenstand und dessen historischer Verortung nicht gerecht zu werden. Darüber hinaus harmoniert eine am modernen Geniegedanken orientierte Quellensuche und die hinter ihr stehende Aufwertung des vermeintlich autonom schaffenden Künstlers bzw. Abwertung des mit Prätexten arbeitenden Schriftstellers nicht mit den Vorstellungen antiker Autoren, die ihre eigene Literaturproduktion als Teil eines „literarische[n] Kontinuum[s]“38 begriffen und den modernen Gegensatz von imitatio und creatio in dieser Form nicht kannten. Gerade römische Autoren sahen ihre eigene Innovation nicht jenseits der Prätexte, sondern gerade im kunstvollen Umgang mit ihnen.39 Mit Recht betont D. Gall daher, dass die Einsichten der postmodernen Intertextualitätstheorie den antiken Texten in vielen Fällen näherkommen als die vom Geniegedanken beeinflusste Quellenforschung.40 So ermöglicht spätestens der postmoderne Intertextualitätsdiskurs eine wertungsfreie Neuentdeckung der Prätexte eines Autors, indem er die Grenzen des Geniebegriffs und der Forderung nach einer ingeniösen creatio ex nihilo aufzeigt und betont, dass im Grunde jeder literarische Text auf Prätexte rekurriert und sie in gewissem Umfang aufnimmt, verarbeitet und auf deren Grundlage einen neuen, eigenständigen Text erschafft. Wenn der Rekurs auf Prätexte also ein zentrales Charakteristikum römischer Literatur darstellt, liegt es nahe, sich vonseiten der philologischen Forschung um seiner selbst willen mit diesem Rekurs, soweit dies aufgrund des überlieferungsbedingten Fehlens der Prätexte möglich ist, zu beschäftigen und dabei zu berücksichtigen, dass sowohl der Autor als auch dessen Rezipienten der Art und Weise dieses Rekurses große Aufmerksamkeit schenkten und dass die Autoren gerade darin ihre literarische Innovation zu entfalten suchten. 38 Gall (1999), 15 Anm. 7. 39 Vgl. Heusch (2011), 125f. (Anm. 251f.) für Literaturhinweise zum imitatio-Charakter antiker Literatur und zum Anspruch gerade der römischen Literatur, mithilfe der Aufnahme von Prätexten einen Originalitätsanspruch zu behaupten. Besonders hervorgehoben sei an dieser Stelle Leo (1899), dessen Aufsatz „Die Originalität der römischen Literatur“ mit seiner geistreichen Unterscheidung zwischen „original“ und „originell“ ein Gegenmodell zur herkömmlichen pejorativen Sicht auf die römische Literatur anbietet, sowie Zintzen (1987), der den Forschungsdiskurs sichtet und die römische Rezeption griechischer Literatur als genuin römisches Streben nach Originalität bestimmt. 40 Vgl. Gall (1999), 15 (Anm. 7). Kritisch muss hingegen bemerkt werden, dass zwar sowohl der antike imitatio-Diskurs als auch die postmoderne Intertextualität den Rekurs eines Textes auf andere Texte zum Normalfall erheben, ohne dabei jedoch vom selben Autorkonzept auszugehen. Während die Begrifflichkeiten von imitatio und aemulatio sowohl auf der Produktionsals auch auf der Rezeptionsseite einen intentionalen Prätextrekurs beschreiben, kommt die postmoderne Intertextualität z.T. auch ohne den Aspekt der Intentionalität aus und bestimmt den Verweis eines Textes auf andere Texte als genuines Kriterium jedes (nicht nur literarischen) Textes; vgl. Böhn (2007), 204 für die intertextuelle Bestimmung eines Textes als „Rekombination von Elementen aus anderen Texten“ auch jenseits eines Autorwillens; vgl. darüber hinaus instruktiv Zittel (2011), 27–35 für eine neuphilologische Unterscheidungsmöglichkeit zwischen „Quelle“ und „Prätext“ am Beispiel der Nietzsche-Forschung.
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3. „ER WAR IN DER TAT SO DURCHAUS PFUSCHER...“ – MOMMSENS FUNDAMENTALKRITIK ALS PROMINENTES BEISPIEL FÜR DIE REZEPTION DER QUELLENFORSCHUNG 3.1 Mommsens Position als Weiterführung philologischer Ergebnisse in anderem Kontext Eine radikale, die Forschung auf viele Jahrzehnte prägende Position formulierte Th. Mommsen im dritten Teil seiner „Römischen Geschichte“, in dem er Cicero mit Blick auf dessen Persönlichkeit, Politik und philosophische Ambitionen41 ein Scheitern auf allen Ebenen attestiert. Cicero ereilt dabei ein ähnliches Schicksal wie manch andere Persönlichkeit der ausgehenden Republik, die Mommsen in seinem Werk porträtiert. Auch Cato und Pompeius werden von ihm in sprachgewaltigen Gemälden, in denen selbst vordergründige Lobesäußerungen zu einer im Gesamtbild umso schärferen Kritik umgewandelt werden, nachgerade vernichtet.42 Eine Analyse von Mommsens Position an dieser Stelle ist deshalb gewinnbringend, da er zum einen die damals vorherrschende communis opinio zu den ciceronischen Produktionsbedingungen und Ciceros mechanistischem Quellengebrauch prägnant zusammenfasst und zu einem harmonischen Gesamtbild vereinigt. Zum anderen handelt es sich bei Mommsens Cicero-Darstellung nicht um einen dezidiert philologischen, sondern vielmehr um einen geschichtspolitischen Ansatz avant la lettre, welcher die philologischen Prämissen, die seit Ende des 18. Jahrhunderts vorherrschten, mit einer anderen Zielsetzung und vor einem anderen politischen Hintergrund übernommen hatte.43 Ihm ging es nicht darum, mithilfe mikrophilologischer Beobachtungen hellenistische Philosophentexte zu rekonstruieren, sondern darum, Cicero in die Geschichte der ausgehenden römischen Republik einzuordnen. Auch wenn er also weder die quellenkritische Methode noch das neuhellenistischidealistische Interesse früherer und manch späterer Philologen teilte, kam er auf anderem Wege und vor dem Hintergrund eines anderen geschichtsphilosophischen Ansatzes dennoch zu einem ähnlich pejorativen Gesamturteil, welches seinerseits die auf Mommsen folgende, philologische Forschungstendenz bekräftigte und das allgemeine Cicerobild über Jahrzehnte hin in einer problematischen Gestalt festigte.
41 Vgl. Gawlick (2014), 150 für die Trias „Person – Politik – Philosophie“ und für die Beobachtung, dass die Beurteilung Ciceros im Laufe seiner breiten Rezeptionsgeschichte stark schwankt und dass die drei Gewichte auch unterschiedlich hoch hängen können: Eine Abwertung des Philosophen Cicero musste bspw. nicht mit einer Abwertung des Politikers Cicero einhergehen. 42 Vgl. Mommsen (1904), III 10–13.106.156f. für Pompeius, Mommsen (1904), III 165–168 für Cato. 43 Dabei ist Mommsens Urteil, wie Boyancé (1970), 21 am Beispiel von W. Drumann zeigt, durchaus symptomatisch für die Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, wenngleich er mit Blick auf seine dualistische Schärfe gegenüber anderen Vertretern hervorsticht.
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3.2 Mommsens Cäsarbild und sein geschichtsphilosophischer Ausgangspunkt Der Grund für Mommsens einseitige und scharfzüngige Polemik gegen Roms republikanische Führungsschicht liegt auf einer politischen Ebene zunächst darin begründet, dass sie in seinen Augen mit ihrem Festhalten an der alten res publica die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat,44 an einem dem Untergang geweihten Staat festhielt und ohne politische Weitsicht dessen Überleben dadurch nur unnatürlich verlängerte. Der vor dem Hintergrund der Bürgerkriege von Mommsen als gescheitert beurteilten Republik stellt er die im hegelschen Sinne45 notwendige Rückkehr zu einer „demokratischen Monarchie“46 gegenüber, an deren Spitze die zentrale Lichtgestalt des ersten Jahrhunderts vor Christus stehen sollte: Cäsar. Für Mommsen verkörpert er den idealen Politiker, der die geschichtliche Notwendigkeit nicht nur wie kein anderer erkannt hatte, sondern sie handelnd mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln auch durchsetzen wollte.47 Mommsens Bewunderung beschränkt sich dabei nicht auf den Staatsmann Cäsar, sondern nimmt auf nachgerade alle Bereiche ausgreifende Züge an und erstreckt sich auch auf den Redner, Schriftsteller und Feldherrn Cäsar:48 Aus einer solchen Anlage konnte nur ein Staatsmann hervorgehen. Von früher Jugend an war denn auch Caesar ein Staatsmann im tiefsten Sinne des Wortes und sein Ziel das höchste, das dem Menschen gestattet ist sich zu stecken: die politische, militärische, geistige und sittliche Wiedergeburt der tiefgesunkenen eigenen und der noch tiefer gesunkenen, mit der seinen innig verschwisterten hellenischen Nation.49
Deutlicher als andernorts lässt sich an diesen bipolaren Charakterisierungen erkennen, wie stark Mommsens historiographische Darstellung nicht nur von einem geschichtsteleologischen Ansatz,50 sondern vor allem von seinen eigenen politischen 44 Vgl. Fest (1992), 37f. 45 Vgl. Heuss (1956), 78ff., Christ (1976), 28.44, Harich-Schwarzbauer (2010), 184f. und Merolle (2015), 36ff. für die Frage, inwieweit man eine (zumindest weitläufige) Prägung Mommsens durch Hegels Philosophie annehmen kann. Boyancé (1970), 22 spricht sich dafür aus, Mommsens hegelsche Prägung an dessen Vorwurf festzumachen, dass Cicero die in Mommsens Augen geschichtsnotwendige Entwicklung der alten römischen Republik hin zu einer von Cäsar geführten republikanischen Monarchie nicht erkannt und sich gegen diese Entwicklung gesperrt habe. 46 Für Mommsen bilden die Begriffe „Demokratie“ und „Monarchie“ keinen Gegensatz, sondern eine natürliche Einheit, welche den Monarchen nicht als tyrannischen Willkürherrscher, sondern als obersten Repräsentanten und „höchsten und unumschränkten Vertrauensmann“ (Mommsen 1904, III 476) des Volkes versteht. 47 Vgl. Wucher (1968), 100, der Cäsar als das von Mommsen gewünschte politische Genie beschreibt, dem Cato und Cicero als schwärmerische Helden der alten Ordnung gegenübergestellt werden. 48 Vgl. Mommsen (1904), III 461–469. Vgl. darüber hinaus Rebenich (2002), 92f. für eine Beschreibung und Analyse von Mommsens Cäsarbild. 49 Mommsen (1904), III 463. 50 Vgl. Wickert (1969), 3: „[...] der Historiker [beurteilt] das geschichtliche Individuum danach, ob es den Geist seiner Zeit in sich trägt und sich dem vielleicht nur von ihm erkannten notwendigen Gang der Geschichte dienend einfügt.“
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Überzeugungen und Erfahrungen geprägt ist.51 So reflektiert das Lob des „demokratischen Monarchen“ Cäsar, der die territoriale Einheit des römischen Nationalstaates gesichert und als exponierter Vertreter des römischen Volkes zwar nicht von selbigem zum Alleinherrscher gewählt, aber dessen unbeschadet doch ganz in dessen Sinne regiert habe, Mommsens eigenes Votum für eine konstitutionelle Monarchie im Deutschland des 19. Jahrhunderts. Eine solche konstitutionelle Monarchie sah er als eine gelungene Synthese zwischen König und Parlament52 und als notwendige Grundlage an, um die territoriale Einheit eines seines Erachtens zusammengehörenden deutschen Nationalstaates dauerhaft herzustellen.53 Da Mommsen (spätestens nach den Ereignissen von 1848/49) als moderater Liberaler54 nicht an den Erfolg einer „Bewegung von unten“ glaubte, setzte er seine Hoffnung auf eine starke Führungsfigur, die das Notwendige (und das heißt für ihn: die Einigung Deutschlands unter Preußens Führung)55 erkennt und diese mit starker Hand im Interesse des Volkes auch durchsetzt. Es überrascht daher nicht, in Mommsens Privatkorrespondenz56 seine Enttäuschung über die Entscheidung Friedrich Wilhelms IV. zu entdecken, die deutsche Kaiserkrone 1849 abzulehnen, sowie von seiner sehnsüchtigen Bewunderung für den französischen Kaiser Napoleon III. zu lesen, den er 1863 in Paris sogar persönlich traf. Auch wenn er sich gegen eine typologische Gleichsetzung Cäsars mit Napoleon III. später ausdrücklich verwahrt,57 ist eine gewisse Nähe seiner Darstellung zum Konzept des Cäsarismus weder zeitlich 51 Berechtigterweise heben Kuhlmann/Schneider (2012), XXXI deshalb hervor, dass Mommsens historische Bewertungen maßgeblich „von den politischen und sozialen Problemen der Gegenwart“ Mommsens geprägt worden sind. Darüber hinaus wäre es jedoch reizvoll zu untersuchen, inwiefern Mommsen nicht nur von den Fragestellungen seiner eigenen Zeit geprägt ist, sondern in gewissem Umfang auch das Geschichtsmodell seiner antiken Quellen übernimmt und transformiert. Ideengeschichtliche Übereinstimmungen lassen sich gerade beim Vergleich mit den späteren Historikern erkennen. So betont etwa Cassius Dio für den Übergang zum Prinzipat, dass es sich dabei um einen notwendigen Schritt handelt, dessen Notwendigkeit die Cäsarmörder nicht erkannt hätten (vgl. Manuwald 1979 für die Augustus-Darstellung des Cassius Dio). 52 Vgl. Rebenich (2002), 56; Jansen (2005), 97. 53 Vgl. Rebenich (2002), 92f. 54 Die persönlich gehaltene Suada des selbst aus Arpinum stammenden V. Merolle (2015), Mommsens Cicero-Kritik weniger mit einer sachlichen Analyse als vielmehr mit einer offen zur Schau gestellten Cicero-Bewunderung und Mommsen-Ablehnung zu begegnen, bringt wenig Substantielles ans Licht. Sein Plädoyer, Mommsen nicht mehr als Liberalen zu bezeichnen, da er – ganz im Gegensatz zu Cicero – einem „democratic despotism“(ebd. 37) zugeneigt war und als Akteur der Geschichte nicht das gesellschaftlich Ganze im Blick hatte (ebd. 47ff.), überzeugt kaum, da sich Merolle nicht darum bemüht, Mommsens politische Position aus ihrer Zeit heraus zu verstehen, dadurch stark anachronistisch anmutet und sich den Vorwurf einer selektiven Cicero-Lektüre gefallen lassen muss: Auch Cicero war der Monarchie zumindest partiell nicht abgeneigt und stand nicht als Beobachter außerhalb des Geschehens. 55 Vgl. Jansen (2005), 117f. 56 Vgl. Jansen (2005), der Mommsens Korrespondenz unter der Leitfrage auswertet, welche Erkenntnisse sich daraus über Mommsen politische Haltung gewinnen lassen. 57 „[…] und wenn die Völker, denen die Welt gehört, noch heute mit seinem Namen die höchsten ihrer Monarchen nennen, so liegt darin eine tiefsinnige, leider auch eine beschämende Mahnung.“ (Mommsen 1904, III 468f.) Vgl. Mommsen (1904), III 476ff. darüber hinaus noch ausführlicher.
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noch der Sache nach zu leugnen.58 Das Cäsarbild der „Römischen Geschichte“ ist von Mommsens nach hinten projizierten, politischen Idealvorstellungen geprägt, an deren Verwirklichung in seiner eigenen Gegenwart er nicht (mehr) glaubte, sondern sie lediglich in nuce in der römischen Vergangenheit verwirklicht sah. Nur in einer anachronistisch-modernistischen Sichtweise ließe sich also behaupten, dass er diesem Cäsarbild seine demokratischen und liberalen Grundüberzeugungen geopfert habe;59 es trifft den Sachverhalt besser, wenn man stattdessen von einer synkretistischen und mit Blick auf Mommsens intellektuellen und politischen Standpunkt stimmigen Position ausgeht. 3.3 Cicero als Gegenbild zum Politiker Cäsar Mommsens radikale Cicero-Kritik steht in einem komplementären Verhältnis zu seiner Cäsarapotheose.60 Je strahlender ihm Cäsar erschien, desto dunklere Schatten mussten auf dessen konkurrierende Zeitgenossen fallen. Erst das geschichtsphilosophisch notwendige Scheitern eines Pompeius, Cicero oder Cato lässt die exzeptionelle Bedeutung von Cäsars Person und Handeln in aller Deutlichkeit hervortreten. Neben dieser strukturell-kompositorischen Erklärung tragen außerdem Mommsens politische Haltung und seine eigenen Erfahrungen zur Eintrübung seiner Cicero-Darstellung bei. Für ihn verkörpert Cicero genau denjenigen Typus Politiker, der keine feste Überzeugung aufweist, sich nicht zu einer klaren Parteinahme durchringen kann61 und, anstatt entschieden und ohne Rücksicht auf eigene Risiken für die richtige Sache einzutreten, letztlich nur seine eigenen Interessen vertritt62 und die eigene Unsicherheit durch Reden verbirgt, die letztendlich wirkungslos bleiben und von ihm selbst in ihrer Bedeutung und Reichweite maßlos überschätzt werden: Der Führer der gehorsamen Majorität blieb Marcus Cicero. Er war brauchbar wegen seines Advokatentalents, für alles Gründe oder doch Worte zu finden, und es lag eine echt Caesarische Ironie darin, den Mann, mittels dessen vorzugsweise die Aristokratie ihre Demonstrationen gegen die Machthaber aufgeführt hatte, als Mundstück des Servilismus zu verwenden.63
58 Vgl. Rebenich (2002), 94 für das Verhältnis Mommsen zu A. Romieu, dessen Buch über den Cäsarismus 1851 in deutscher Übersetzung erschienen ist. 59 Vgl. dazu Fest (1992), 48. 60 Der Begriff der „Cäsarapotheose“ findet sich bei Christ (1976), 44f.; vgl. außerdem Heuss (1956), 71.86, der das antithetisches Charakterisierungsverfahren als typische Inszenierungstechnik Mommsens bestimmt. 61 Gerade die Lektüre von Ciceros Briefen, die Mommsen später für die Arbeit an seinen rechtshistorischen Studien in größerem Rahmen auswertet, wird einen entscheidenden Beitrag zu diesem negativen Urteil geleistet haben. 62 Vgl. dazu die Charakterisierung bei Boyancé (1970), 21, der Mommsens Beurteilung des Politikers Ciceros als „égoïste à courte vue“ zusammenfasst. 63 Mommsen (1904), III 326f. Als Druckmittel Cäsars gegen Cicero verweist Mommsen im weiteren Verlauf auf die Stellung seines Bruders in Cäsars Heer („um als Geisel zu haften“, ebd.
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Christopher Diez Als Staatsmann ohne Einsicht, Ansicht und Absicht, hat er nacheinander als Demokrat, als Aristokrat und als Werkzeug der Monarchen figuriert und ist nie mehr gewesen als ein kurzsichtiger Egoist. Wo er zu handeln schien, waren die Fragen, auf die es ankam, regelmäßig eben abgetan: so trat er im Prozeß des Verres gegen die Senatsgerichte auf, als sie bereits beseitigt waren; so schwieg er bei der Verhandlung über das Gabinische und verfocht das Manilische Gesetz; so polterte er gegen Catilina, als dessen Abgang bereits feststand, und so weiter. Gegen Scheinangriffe war er gewaltig und Mauern von Pappe hat er viele mit Geprassel eingerannt; eine ernstliche Sache ist nie, weder im guten noch im bösen, durch ihn entschieden worden und vor allem die Hinrichtung der Catilinarier hat er weit mehr geschehen lassen als selber bewirkt.64
Eine Schlüsselepisode stellt für den Staatsrechtler Mommsen Ciceros Umgang mit der catilinarischen Verschwörung dar.65 Ciceros politisches Handeln in dieser Krisensituation versteht er nicht als ein beherztes Eintreten des Konsuls zum Schutze des römischen Staates, sondern als unfreiwillige Entblößung von Ciceros Schwäche und Unsicherheit im Umgang mit politischen Gegnern und komplexeren Gefahrensituationen, da er im Angesicht eines unsicheren Bedrohungsszenarios selbst vor rechtlich nicht gedeckten, reaktionär anmutenden Beschlüssen nicht zurückschreckte.66 Mommsen sah in Cicero eine politische Unfähigkeit verkörpert, die er in den deutschen Revolutionsjahren selbst erlebt hatte und der er einen hohen Anteil am Scheitern der von ihm herbeigesehnten nationalen Erneuerung beimaß. 3.4 Mommsens Kritikpunkte an Ciceros philosophischen Werken Diese Faktoren, die zu Mommsens Ablehnung des Politikers Cicero führten, erlaubten ihm keine getrennte Bewertung des Schriftstellers Cicero. Oberflächlichkeit in der Durchdringung des Gegenstandes und Wankelmütigkeit im Urteil, d.h. diejenigen Charaktereigenschaften, die er am Politiker Cicero kritisierte, entdeckte er mit Ausnahme der staatsphilosophischen und rhetorischen Schriften der 50er Jahre67 mutatis mutandis auch beim philosophischen Schriftsteller Cicero.68 Damit
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326), Ciceros eigene Position als Unterfeldherr des Pompeius und Ciceros finanzielle Angewiesenheit auf Cäsar. Vgl. weiterführend Wucher (1968), 92. Mommsen (1904), III 619. Vgl. Cole (2012), 338 resümierend: „Mommsen presented Cicero as a vacillating coward, whose character-flaws were most evident as the fate of the Catilinarians was being decided.“ Vgl. v. a. Mommsen (1904), III 191; dort gelten ihm die Catilinarier als „politische Gefangene“ (ebd. 191), deren Hinrichtung als „Akt der brutalsten Tyrannei“. Vgl. Mommsen (1904), III 622f. Auf der Basis von Wucher (1968), 140, der Mommsens Unverständnis gegenüber der antiken (und d.h. hier vor allem der sokratisch geprägten) Philosophie damit begründet, dass Mommsen ihrem Abstraktionsstreben, ihrem Pochen auf Zurückhaltung eines klaren Urteils und ihrer Bevorzugung des Denkens vor dem Handeln misstraut, lässt sich seine positive Bewertung von Ciceros Frühschriften damit erklären, dass sich diese Elemente dort kaum finden. Ihrem Gehalt und ihrer Intention nach staatstheoretische Werke, ist ihnen mehr an der praktischen Vermittlung staatsbürgerlicher Kompetenzen gelegen als den skeptischen Spätschriften. Vgl. Fuhrmann (1989), 44, der Mommsens Urteil über Ciceros vermeintliche Oberflächlichkeit und Standpunktlosigkeit auch als den die Einzelkritiken verbindenden Kern erkannt hat. Seine
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übernimmt Mommsen einen Vorwurf, den (wenn auch als Minderheitenmeinung) bereits die Antike kennt und der sich zum ersten Mal in der (pseudo-)sallustischen Invektive gegen Cicero nachweisen lässt, weitet ihn dabei jedoch auf alle Bereiche von Ciceros Person aus. Während sich nämlich der Vorwurf der Wankelmütigkeit im Sinne der levitas69 in der antiken Polemik ausschließlich auf den zwischenmenschlichen Bereich bezog und dort auf Cicero als einen unberechenbaren und unzuverlässigen Politiker abzielt, der seine politische Position und persönliche Zuund Abneigung je nach politischer Großwetterlage rasch ändern konnte, übertrug Mommsen den Vorwurf auch auf die intellektuelle Sphäre bzw. übertrug ihn, um die Begrifflichkeiten Th. Zielinskis zu gebrauchen,70 von Ciceros Leben auf seinen literarischen Nachlass, um damit dessen literarische wie philosophische Arbeit zu desavouieren. „Als Schriftsteller dagegen steht er vollkommen ebenso tief wie als Staatsmann.“71 So spricht Mommsen den ciceronischen Philosophica erstens ihre gedankliche Originalität ab.72 Er apostrophiert Cicero als einen „Kompilator“73, der lediglich die Überlegungen griechischer Philosophen wiedergibt und deren Schriften dafür in hohem Umfang kopiert. Auch wenn der Grad der ciceronischen Abhängigkeit mitunter schwanken mag und er seine Vorlage nur manchmal direkt übersetzt, schafft Cicero in Mommsens Augen nichts, was man als dessen gedankliche Eigenleistung bezeichnen könnte. Gerade für Ciceros philosophisches Spätwerk, das innerhalb eines kurzen Zeitraums entstanden ist, veranschlagt Mommsen Ciceros Eigenleistung als äußerst gering.74 Die römischen exempla und Exkurse, die auf den kulturellen und intellektuellen Horizont des Publikums wie des Autors schließen lassen, gelten Mommsen als inadäquate Vereinfachungen des Stoffes und retardierende Verwässerung der ursprünglich luziden Gedankenführung der griechischen Vorlagen.75 Darüber hinaus wirft er Cicero vor, die Gedanken- und Beweisgänge der griechischen Philosophen mancherorts missverstanden und nicht nur vereinfacht, sondern nachgerade fehlerhaft dargestellt zu haben.76 Konkretisierungen und Einzelnachweise gerade für diese letzte These bleibt Mommsen allerdings schuldig.
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Einschätzung, dass dies für Mommsen aus Ciceros Anwaltstätigkeit resultiert, scheint jedoch Wirkung und Ursache zu vertauschen. Für Mommsen tritt diese Charaktereigenschaft an Ciceros Rhetorik am deutlichsten zutage, sie gilt ihm aber nirgends als deren Quelle. Vgl. Ps.-Sall. in Tull. 3f., wo Cicero als homo levissimus bzw. sogar als levissime transfuga apostrophiert wird. Der Vorwurf der Charakterlosigkeit und Wankelmütigkeit bestimmt den zweiten Hauptteil der Invektive ab § 3, wird jedoch in § 1–3 ergänzt durch den Vorwurf der faktischen Alleinherrschaft Ciceros, seiner moralisch-sexuellen Verkommenheit während seiner Lernjahre und in seinem Haus und seiner illegitimen und übermäßigen Bereicherung an von ihm Abhängigen, v. a. im Zuge der catilinarischen Verschwörung. Vgl. Zielinski (1908), 11. Mommsen (1904), III 619. Vgl. Mommsen (1904), III 619–623 für das Folgende. Mommsen (1904), III 623. Vgl. Mommsen (1904), III 622f. Vgl. Mommsen (1904), III 623. Mommsen charakterisiert Ciceros Verfehlungen in diesem Zusammenhang als „Popularisierung“, „[A]bschweif[ung]“ und „Verhunzung“; vgl. dazu Mommsen (1904), III 623.
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Zweitens spricht Mommsen Ciceros philosophischem Œuvre auch die literarische Qualität ab. Die Wahl des aristotelisch-herakleidischen Dialogs als maßgebliche Form seines philosophischen Spätwerks erfülle keine hermeneutische Funktion, sondern sei von Cicero nur deshalb herangezogen worden, weil er mit ihrer Hilfe seine jeweiligen Quellen stoischer, epikureischer, peripatetischer oder akademischer Provenienz am leichtesten „[i]n roher Nachahmung“77 in ein neues Buch fließen lassen könne, ohne sie dafür in größerem Umfang ändern oder gar einem eigenen Konzept anpassen zu müssen. Dass manche Lehrstücke bei Cicero nicht exakt aufeinander abgestimmt zu sein scheinen,78 lässt sich mit diesem Modell mit Leichtigkeit erklären, da sich Cicero in der schnellen und oberflächlichen Verfertigung seiner Schriften79 nicht mehr um einen minutiösen Abgleich bemühen wollte und konnte. Auch bei Mommsens Bewertung der eindeutig nicht auf griechische Vorlagen, sondern auf Cicero selbst zurückgehenden Einleitungen zu den einzelnen philosophischen Büchern kann man den Vorwurf literarischer Nachlässigkeit entdecken. So wiesen diese Proömien keinen engeren Konnex zum nachfolgenden Gedankengang auf, sondern seien nichts als letztlich austauschbare, allgemein gehaltene Vorworte, die Cicero mechanistisch aus einer eigens dafür schon im Vorfeld angelegten Sammlung herauszieht.80 Nur das Verdienst, der lateinischen Prosa bleibende Kontur verliehen zu haben, konnte er Cicero mit Blick auf dessen immense stilistische Wirkmächtigkeit nicht absprechen.81 So wurde Cicero der Schöpfer der modernen klassischen lateinischen Prosa und knüpfte der römische Klassizismus durchaus und überall an Cicero als Stilisten an; dem Stilisten Cicero, nicht dem Schriftsteller, geschweige denn dem Staatsmanne, galten die überschwänglichen und doch nicht ganz phrasenhaften Lobsprüche, mit denen die begabtesten Vertreter des Klassizismus, namentlich Caesar und Catullus, ihn überhäuften.82
77 Mommsen (1904), III 623. 78 Interessanterweise spricht Mommsen selbst (vgl. Mommsen 1904, III 623) nur von den positiven Lehrstücken, ohne auf die jeweiligen Widerlegungsbemühungen durch andere Gesprächsteilnehmer einzugehen. Denkt man seine Ausführungen zu Ende, so muss er davon ausgehen, dass Cicero verschiedene Lehrstücke und jeweils davon zu unterscheidende (akademische) Widerlegungen, welche per se ja nicht aufeinander abgestimmt sein müssen, zusammenschreibt. Ob in diesem Fall die Menge der Inkongruenzen nicht weit größer wäre, bleibt zu fragen. Wenn man an einer mechanischen Quellenabhängigkeit Ciceros festhalten möchte, so wäre es doch wohl plausibler anzunehmen, dass Cicero seinerseits schon auf griechische Handbücher zurückgreift, die eine derartige Gegenüberstellung der verschiedenen Schulpositionen für je einen Themenkomplex vornehmen. 79 „[…] gab es kein Fach, worin er nicht mit Hilfe weniger Bücher rasch einen lesbaren Aufsatz übersetzend oder kompilierend hergestellt hätte.“ (Mommsen 1904, III 619) „[…] als er […] mit ebenso großer Verdrießlichkeit wie Eilfertigkeit in ein paar Monaten eine philosophische Bibliothek zusammenschrieb.“ (Mommsen 1904, III 623) 80 Vgl. Mommsen (1904), III 623. 81 Vgl. Gawlick (2014), 150, der feststellt, dass das Lob für Ciceros Redekunst auch von Ciceros schärfsten Kritikern im Laufe einer vielschichtigen Rezeptionsgeschichte in den meisten Fällen nicht in Abrede gestellt wird. 82 Mommsen (1904), III 580.
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„[…] auf seiner Stilistik ruht seine Bedeutung, und allein als Stilist auch zeigt er ein sicheres Selbstgefühl.“83Auch dieses Lob für Ciceros stilistische Verdienste entpuppt sich jedoch – drittens – unter der Hand als weiterer Kritikpunkt, da die ciceronischen Worte in dieser Lesart ja letztlich nur die Funktion erfüllen, einen längst bekannten Sachverhalt auf immer neue Weise auszuschmücken. Die Stilistik stehe in keinem kohärenten Bezug zum Inhalt, sondern solle vielmehr als glänzende Verpackung über die inhaltlichen Mängel und fehlende geistige Tiefe hinwegtäuschen. Cicero galt ihm deshalb als „[e]ine Journalistennatur im schlechtesten Sinne des Wortes“84, dessen bearbeitende Hand von großer Oberflächlichkeit zeuge und den Leser über die intellektuelle Mediokrität der Philosophica hinwegtäuschen solle. Zur Beglaubigung seiner Thesen lässt Mommsen, nicht anders als die Philologen seiner eigenen und späteren Zeit, Cicero selbst zu Worte kommen, indem er mal direkt,85 mal indirekt86 aus Ciceros Briefwechsel zitiert und mithilfe dieser dicta probantia Cicero sich gewissermaßen selbst als lediglich griechische Vorlagen übersetzenden, wortreichen Kopisten überführen lässt. Die zusammengestückelten und ihres jeweiligen situativen Kontextes beraubten Briefpassagen erhalten dadurch den Charakter eines unfreiwilligen Geständnisses aus Ciceros Feder. Mit Blick auf dessen Zustandekommen muss sich Mommsen allerdings denselben Vorwurf der Kompilation gefallen lassen, den er seinerseits Cicero gemacht hat. Die zurückliegenden Ausführungen zeigen, dass sich anhand von Mommsens Position Einsichten gewinnen lassen, denen jenseits ihrer Stellung als wirkmächtige Einzelstimme paradigmatische Bedeutung zukommt. So zeigt sich an Mommsens Untersuchungen, dass die Cicero-Bewertung auch in der historischen Forschung im hohem Maß von den soziokulturellen Umständen, dem politischen Standpunkt und den wissenschaftlichen wie literarischen Zielsetzungen des Bewertenden abhängt.87 Mommsens politischer Standpunkt und seine Verstrickung in die Revolutionsbemühungen des 19. Jahrhunderts erlaubten ihm keine ausgewogene Bewertung Ciceros, obwohl es durchaus Parallelen zwischen ihm und Cicero gegeben hätte, die Mommsen den Weg zu einer gerechteren Beurteilung hätten ebnen können. Beide galten in ihrer Zeit nämlich als stilistische Meister,88 denen es gelang, mit ihren außergewöhnlichen Ausdrucksfähigkeiten ein an sich trockenes und komplexes Thema für ein breiteres Publikum zu erschließen. Beide stellten ihre literarischen Hauptwerke in beachtlicher Schnelligkeit, Kunstfertigkeit und mit außergewöhnlichem Fleiß in einer Zeit fertig, in der ihnen andere Tätigkeiten verschlossen
83 Mommsen (1904), III 619. 84 Mommsen (1904), III 619. 85 Vgl. Cic. Att. 12,52 (Stichwort: sprachlich-stilistischer Reichtum, gedankliche „Armut“) bei Mommsen 1904, III 619 (indirekt) und 623 (direkt, in Übersetzung). 86 Vgl. Cic. Att. 16,6 (Stichwort: volumen prohoemiorum) bei Mommsen (1904), III 623. 87 Vgl. Gawlick (2014), 150. 88 Vgl. Wucher (1968), 60f. und Fest (1992), 36f. für eine konzise Beschreibung und Würdigung von Mommsens stilistischem Können.
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blieben.89 Und beide taten dies mit einem gewissen Konnex zum politischen Diskurs ihrer Zeit.90 Und dennoch erwiesen sich die eben analysierten Gründe für Mommsens vernichtendes Urteil als schlagender. Mommsen untersuchte Ciceros Schriften nicht mit einer heutigen wissenschaftlichen Maßstäben genügenden Methode um ihrer selbst willen, sondern ließ sich von seinen eigenen politischen Überzeugungen und (philosophie-)historischen Prämissen derart leiten, dass er Ciceros Schriften ohne die nötige methodisch-reflexive Distanz analysierte und sie vor allem als Kontrastfolie für seine Cäsar-Darstellung und als Beispiel für den unumkehrbar zerrütteten Zustand der ausgehenden römischen Republik und ihrer senatorischen Führungsschicht gebrauchte. Mommsens Verdikt führte gemeinsam mit seiner tendenziösen Cicero-Zeichnung im Bereich der klassischen Philologie in der zweiten Hälfe des 19. Jahrhunderts dazu, dass sich die quellenkritische Forschungsrichtung weiter etablieren konnte und sich Philologen jahrzehntelang weiterhin darum bemühten, Ciceros Tätigkeit des Übersetzens und Kompilierens umzukehren und mithilfe von Ciceros Werken die verloren gegangenen Quellen der als bedeutender beurteilten griechischen Denker zu rekonstruieren. 4. AUSBLICK Die besondere Textgestalt von De natura deorum hat dazu geführt, dass gerade dieses Werk lange Zeit vornehmlich quellenkritisch untersucht worden ist und bei weitem noch nicht in dem Umfang von dem neuen Cicero-Bild profitieren konnte wie etwa Ciceros individualethische Schriften.91 Dabei scheint es möglich, die anfangs beschriebenen Besonderheiten der Schrift nicht als Hinweis auf Ciceros wenig souveränen Umgang mit griechischen Prätexten zu verstehen, sondern als 89 So entstanden Band I und II der „Römischen Geschichte“, 1849 aus dem Wunsch der Verleger K. Reimer und S. Hirzel nach einem Vortrag Mommsens über die Gracchen geboren, größtenteils zwischen seiner Entlassung in Leipzig (1851) und seinem Ruf nach Zürich (1852), als seine CIL-Vorhaben stagnierten; die Veröffentlichung der Bände I–III erstreckte sich von Juni 1854 bis ins Frühjahr 1856; vgl. für die Hintergründe Christ (1976), 9–14 und Rebenich (2002), 96. 90 Unmittelbar vor seiner Arbeit an der „Römischen Geschichte“ war Mommsen als Redakteur der Schleswig-Holsteinischen Zeitung tätig; mit seinen dort veröffentlichten Artikeln und Kommentaren mischte er sich wortgewaltig in die politischen Debatten um 1848 ein (vgl. dazu Wickert 1969, 4–31). Inwieweit Mommsens politische Ansichten Einzug in sein Geschichtswerk gefunden haben, wurde bereits anhand seiner Cäsar-Konzeption dargestellt. Dass Mommsen auch jenseits seiner redaktionellen Tätigkeit ein politisches Engagement zeitlebens wichtig blieb, betont vor allem Christ (1976), 22f. Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass es sich bei der mommsenschen Verquickung von politischem Engagement und wissenschaftlicher Untersuchung der Vergangenheit nicht um einen Sonderfall handelt. Mit Recht weist McGlew (1986), 424f. darauf hin, dass sich bspw. liberale Historiker der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch eine historische Untersuchung antiker Revolutionsbestrebungen eine perspektivische Orientierung für ihre eigene Zeit erhofften. 91 So auch Lévy (1992), 557, der mit Recht hervorhebt, dass gerade die philologische Erschließung von De natura deorum noch lange nicht abgeschlossen sein wird.
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dialogische Umsetzung eines Konzepts, das Cicero selbst im Proömium von De natura deorum entworfen hat.92 Nimmt man Ciceros proömiale Aussagen ernst, denen zufolge Cicero seinen Rezipienten eine selbstständige Prüfung der einzelnen Reden anempfiehlt,93 so lassen sich die anfangs aufgezeigten Auffälligkeiten als bewusste ciceronische Inszenierung verstehen, die die Rezipienten bei ihrer Suche nach dem epistemologisch und politisch verantworteten probabile unterstützen soll und die die einzelnen Reden nicht als philosophiehistorische Überblicksdarstellungen, sondern als Werbeschriften der einzelnen Redner für ihre Ansätze versteht. Velleius’ Fokussierung auf den Kernbestand der epikureischen Theologie und seine Widerlegung anderer Philosophenschulen können dabei als dialogische Umsetzung des Anspruchs gelesen werden, Epikurs Lehre als singuläre Heilslehre zu verstehen, die den befreienden Charakter der epikureischen Botschaft in den Mittelpunkt stellt. Komplementär dazu kann Balbus’ synkretistische Rede als dialogische Umsetzung des stoischen Anspruchs gesehen werden, eine Universaltheorie zu präsentieren, die philosophische, historische und mythologische Ansätze gleichermaßen zu einer großen Gesamterklärung der Welt zusammenspannt und dezidiert den Schulterschluss mit römischer Kultur sucht. Und wenn Cotta vom Konzept seiner Vorredner abrückt und seine Widerlegungen mit anderen Schwerpunkten und einer abweichenden Gliederung präsentiert, so kann dies als dessen Weigerung verstanden werden, die dogmatischen Prämissen seiner Vorredner zu übernehmen und stattdessen ein alternatives Konzept zu präsentieren, das die jeweilige Lehre aus einer distanziert-neutraleren Warte beurteilt. Ein solches Verständnis von De natura deorum steht seinerseits nicht im Widerspruch zu der Beobachtung, dass Cicero in größerem Umfang auf verschiedene Prätexte zurückgegriffen hat und mit deren Hilfe seinen Dialog gestaltet hat. Anders als die ältere Quellenforschung nimmt dieser Forschungsansatz jedoch nicht an, dass Cicero seine Prätexte in großer Hast und mit wenig Verstand zusammengeschrieben hat,94 sondern dass er sie modifiziert und kunstvoll zur Modellierung der einzelnen Reden einsetzt. Auch die feinen Textbeobachtungen der älteren Quellenforschung erweisen sich für diesen Ansatz als hilfreich, da sie den Blick für die Besonderheiten der jeweiligen Rede schärfen und zeigen, wo innerhalb einer Rede stilistische oder argumentative Wechsel zu finden sind. Dabei wird deutlich, dass Cicero innerhalb der einzelnen Reden Argumentationen mit unterschiedlichen Plausibilitätsgraden gestaltet hat, um seinen Rezipienten die eigenständige Prüfung der Reden zu ermöglichen. Der Abschied von den Prämissen der älteren, deutschsprachigen95 Quellenforschung, die sich vor allem durch den Einfluss anderer 92 Vgl. Diez (2021), 24–28 für eine Entfaltung des nachstehend skizzierten Ansatzes. 93 Vgl. Cic. nat. deor. 1,10-12. 94 Görler (1994), 1028 ist zuzustimmen, wenn er hervorhebt, dass Ciceros Quellenrekurs im Einzelnen nicht mehr methodisch valide nachgewiesen werden kann, da er auf unterschiedliche Quellentypen zurückgreift und seine Prätexte in größerem Umfang bearbeitet hat. 95 Dass es sich dabei um ein dezidiert deutschsprachiges Phänomen handelt, wird einerseits durch die Einwände der französischen Philologie deutlich, wie sie sich pointiert bereits bei Boissier (1865) und dann vor allem bei Boyancé (1936) und Boyancé (1970) finden. Andererseits hat sich mit den Arbeiten von Lévy (1992) und Auvray-Assayas (1991), (1993) und (2006) (um
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geistesgeschichtlicher Strömungen erklären lassen, ermöglicht es also, auch in De natura deorum noch deutlicher nach Ciceros literarischer und philosophischer Eigenleistung zu fragen, ohne dabei aus Cicero gleich einen zweiten Platon zu machen. LITERATURVERZEICHNIS Auvray-Assayas, Clara, Le livre I du De natura deorum et le traité De signis de Philodème. Problèmes de théologie et de logique, REL 69, 1991, 51–62. –, Modèles anthropologiques romains dans le De natura deorum, Lalies 14, 1993, 207–219. –, Cicéron, Paris 2006. Baumgartner, Marcel, Art. Griechen-Römer-Antithese, DNP (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte) 14, 2000, 253–266. Berndt, Frauke/Tonger-Erk, Lily, Intertextualität. Eine Einführung (Grundlagen der Germanistik 53), Berlin 2013. Böhn, Andreas, Intertextualitätsanalyse, in: Anz, Thomas (Hg.), Handbuch Literaturwissenschaften. Band 2. Methoden und Theorien, Stuttgart/Weimar 2007, 204–216. Boissier, Gaston, Cicéron et ses amis. Étude sur la société Romaine du temps de César [1865], Paris 12 1902. Boyancé, Pierre, Les méthodes de l’histoire littéraire. Cicéron et son œuvre philosophique, REL 14, 1936, 288–309. –, Le problème de Cicéron, in: ders., Études sur l’humanisme cicéronien, Brüssel 1970, 19–35. Christ, Karl, Von Gibbon zu Rostovtzeff: Leben und Werk führender Althistoriker der Neuzeit, Darmstadt 1972. Cole, Nicholas P., Nineteenth-century Ciceros, in: Steel, Catherine (Hg.), The Cambridge Companion to Cicero, New York 22012, 337–349. Diez, Christopher, Ciceros emanzipatorische Leserführung. Studien zum Verhältnis von dialogischrhetorischer Inszenierung und skeptischer Philosophie in De natura deorum (Palingenesia 128), Stuttgart 2021. Fest, Joachim, Wege zur Geschichte. Über Theodor Mommsen, Jacob Burckhardt und Golo Mann, Zürich 1992. Fuhrmann, Manfred, Die Tradition der Rhetorik-Verachtung und das deutsche Bild vom „Advokaten“ Cicero, Jahrbuch Rhetorik 8, 1989, 43–55. – , Cicero im 19. Jahrhundert, in: Ferrari, Michele Camillo (Hg.), Gegen Unwissenheit und Finsternis. Johann Caspar von Orelli (1787–1849) und die Kultur seiner Zeit, Zürich 2000, 101–117. –, Die Dichtungstheorie der Antike. Aristoteles – Horaz – „Longin“. Eine Einführung, Düsseldorf/Zürich 2003. Gall, Dorothee, Zur Technik von Anspielung und Zitat in der römischen Dichtung. Vergil, Gallus und die Ciris (Zetemata 100), München 1999. Gawlick, Günter, Zwei Stimmen aus der Renaissancedebatte um die Person Ciceros, Bochumer Philosophisches Jahrbuch für Antike und Mittelalter 17, 2014, 150–165. Gehrke, Hans-Joachim, Art. Historische Methoden, DNP (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte) 14, 2000, 453–463. Görler, Woldemar / Gawlick, Günther, Cicero, in: Flashar, Hellmut (Hg.): Die Philosophie der Antike. Band 4. Die hellenistische Philosophie (Grundriss der Geschichte der Philosophie), Basel 1994, 991–1168. Hager, Fritz-Peter, Art. Bildung, DNP 13, 1999, 506–515. nur drei zentralere Arbeiten von ihr zu nennen) gerade die französische Philologie um eine Neubewertung dieser Schrift bemüht.
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STRATÉGIES AUCTORIALES DANS LA CONSTRUCTION DU DE NATURA DEORUM Le philosophe Cicéron et le personnage muet Clara Auvray-Assayas La réflexion menée par Cicéron dans le De natura deorum ne se limite pas à ce que le titre donné au dialogue annonce : il ne s’agit pas seulement de s’interroger sur la nature des dieux, leur forme et leur mode d’action, mais de comprendre par quels processus l’homme conçoit les dieux et se les représente. L’enquête philosophique a pour but clairement affirmé de trouver les explications rationnelles susceptibles d’éclairer les pratiques cultuelles transmises par la tradition1 : sont donc soumises à l’examen les doctrines épicurienne et stoïcienne pour évaluer la pertinence de leurs propositions. Le lecteur cherchera en vain, pourtant, la trace d’une conclusion sans ambiguïté2: à l’issue de l’investigation conduite par un représentant de la Nouvelle Académie, qui feint l’ignorance pour mieux contraindre les philosophes à reprendre et à consolider leur argumentation, les différents aspects de la question sont clarifiés mais aucun des éléments discutés ne suscite une ferme approbation. A l’inverse, l’engagement de Cicéron dans la vie politique, la transcription de cet engagement dans la philosophie politique qu’il esquisse depuis le dialogue De oratore, la réflexion sur les lois religieuses amorcée dans le De legibus3 invitent à rechercher des réponses sans se satisfaire d’une prudence sceptique ou de la suspension du jugement. Mais on ne saurait pour autant forcer l’interprétation du texte en attribuant à Cicéron une position prédéterminée par son affiliation à la Nouvelle Académie ou par son respect des institutions et des doctrines qui assurent la pérennité de celles-ci. Il convient plutôt de s’interroger sur les raisons qui ont poussé Cicéron à se présenter dans ce dialogue sous les traits d’un personnage muet, qui n’intervient qu’une seule fois à la fin du dialogue, alors qu’il est un interlocuteur de premier plan dans les deux œuvres étroitement liées au De natura deorum que sont le De diuinatione et le De fato. Comment interpréter cette « mise en scène » de la voix auctoriale de Cicéron ? Ces questions de poétique ne sont pas accessoires pour qui ne se contente pas de lire le dialogue pour sa valeur documentaire exceptionnelle mais s’intéresse au 1 2 3
Voir successivement les formulations de l’auteur Cicéron en 1, 1 ; 3 ; 14 et leurs échos au cours du dialogue : 1, 61 ; 77 ; 2, 2 ; 168 ; 3, 6 ; 13 ; 64 ; 93. Les interprétations très nombreuses et très divergentes de la dernière phrase du dialogue sont recensées, après Pease (1955), 33–36, par Dyck (2003) et Fott (2012). Sur le statut de ce texte non diffusé du vivant de Cicéron voir Dyck (2004), 5–12.
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projet philosophique de Cicéron. On verra ici comment la construction littéraire de l’œuvre fournit des repères précis à l’interprétation : en se donnant le rôle d’un personnage muet, Cicéron crée le dispositif le plus efficace pour « représenter » en acte la méthode académicienne et s’interroger sur son statut d’auteur et son autorité. Grâce à ce choix de mise en scène qui permet de faire réfléchir le lecteur aux conditions suivant lesquelles le texte peut être interprété, on doit mieux comprendre pourquoi la seule opinion attribuée au personnage muet est formulée dans un lexique qui n’est pas celui que le philosophe utilise dans ses autres œuvres pour exprimer un jugement mais qui, en revanche, prend tout son sens si on le rapporte aux problématiques soulevées dans le dialogue Timaeus, dont la conception est sans doute contemporaine de la rédaction du De natura deorum4. La dernière phrase du dialogue laisse apparaître le point de vue du personnage Cicéron qui a assisté au débat sans intervenir : A ces mots, nous nous sommes séparés : pour Velleius la réfutation de Cotta était la plus vraie, pour moi, l’exposé de Balbus était le plus proche de la vraisemblance5.
Pourquoi le personnage sort-il de son mutisme seulement à la fin du troisième livre et non pas aussi à la fin du premier livre, après la réfutation que le néo-académicien a faite de l’exposé épicurien ? Pourquoi prononce-t-il un jugement sur le stoïcien Balbus et non pas sur les arguments du néo-académicien Cotta ? Pourquoi, enfin, se met-il sur le même plan que l’épicurien Velléius en usant d’une parfaite symétrie syntaxique6? Ces questions ne trouvent aucune réponse dans l’œuvre conçue pour faire suite et parachever la discussion, le De diuinatione : lorsque, en effet, Quintus commente la dernière phrase du dialogue qu’il vient de lire il modifie la position de son frère Marcus, au point de lui prêter une affirmation qui n’est ni corrigée ni même reprise par l’intéressé : « la religion est suffisamment défendue au livre II par Lucilius dont l’exposé t’a paru à toi-même, comme tu l’écris à la fin du livre III, plus proche de la vérité »7. Où est-donc l’auteur derrière ces silences et ces prises de parole incomplètes ? La préface et l’installation de la mise en scène du De natura deorum ont ceci de particulier qu’elles présentent successivement une ferme défense de la méthode philosophique choisie par Cicéron et une esquisse de scénographie dans laquelle 4 5
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Une mise au point récente sur la date de rédaction de ce dialogue inachevé est faite par Sedley (2013), 187–190. Le texte latin du De natura deorum et sa traduction sont cités d’après l’édition critique en ligne publiée aux Presses Universitaires de Caen (Auvray-Assayas 2019) : 3, 95 : Haec cum essent dicta ita discessimus ut Velleio Cottae disputatio uerior, mihi Balbi ad ueritatis similitudinem uideretur esse propensior. Cette symétrie remarquable est complètement négligée par Altman (2016), 162 qui traduit ainsi sans donner la moindre justification de la construction syntaxique qu’il adopte : « When these things had been said, on these terms we departed : that just as the discourse of Cotta was seeming to me more true than Velleius’s, so too did Balbus’s seem more inclined to the similitude of truth ». Diu. 1, 9 : satis enim defensa religio est in secundo libro a Lucilio, cuius disputatio tibi ipsi, ut in extremo tertio scribis, ad ueritatem est uisa propensior. (trad. Freyburger/Scheid (1992) du texte latin édité par Pease (1920–1923).
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l’arrivée du personnage Cicéron va interrompre puis faire recommencer la discussion entreprise : de la préface de l’auteur à la mise en scène qui le transforme en simple auditeur, les liens sont cependant subtilement tissés. Ainsi, alors même qu’il justifie devant des adversaires anonymes son soutien à une pratique de l’enquête philosophique jugée infructueuse, Cicéron exploite un réseau lexical très cohérent fait d’oppositions et d’oxymores qui permettent de dessiner la position paradoxale d’un auteur qui refuse l’autorité. Cicéron donne en effet son approbation à une méthode qui ôte toute clarté aux choses et les enveloppe d’obscurité, et, tel un patronus au forum, il se charge de défendre et d’apporter ses lumières à ce qui a besoin d’un garant et d’un père8. Le choix d’un tel vocabulaire, dont la pleine signification est donnée et garantie par les institutions romaines, suffit à confirmer l’engagement de Cicéron : or ce soutien est apporté à une méthode, non pas à un contenu doctrinal, et à une méthode qui consiste à argumenter contre toutes les thèses sans formuler de jugement explicite. Comment dans ces conditions se définir comme auctor ? Cicéron suggère une réponse en prenant le contre-exemple des Pythagoriciens, qui acceptent de se soumettre à l’auctoritas de leur maître sans examen critique et rationnel. Cicéron se présente au contraire comme un auctor qui défend et protège sans imposer son autorité puisque ce dont il veut se porter garant, c’est d’un usage libre de la raison et d’un libre exercice du jugement9. Mais comment transposer dans l’écriture les modalités d’un débat Carneadeo more alors que Carnéade précisément n’a rien écrit ? Comment faire pour que l’écrit ne transforme pas en figure et en argument d’« autorité » l’incessante mise à l’épreuve de toutes les argumentations ? La lecture de la préface suscite ces questions parce que la récurrence des termes auctor/auctoritas engage une réflexion sur la transmission écrite. En interprète profond et subtil de Platon, Cicéron tire ici un remarquable parti des interrogations soulevées par le mythe de Teuth rapporté par Socrate dans le Phèdre (274c-275b): de quel discours peut-on revendiquer la paternité ? De quel savoir peut-on se porter garant et assurer la défense ? En choisissant un vocabulaire qui fait la part belle aux
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Nat. 1, 6 : Multis etiam sensi mirabile uideri eam nobis potissimum probatam esse philosophiam quae lucem eriperet et quasi noctem quandam rebus offunderet desertaeque disciplinae et iam pridem relictae patrocinium necopinatum a nobis esse susceptum. Ibid. 1, 11 : Nec uero desertarum relictarumque rerum patrocinium suscepimus ; non enim hominum interitu sententiae quoque occidunt sed lucem auctoris fortasse desiderant. Vt haec in philosophia ratio contra omnia disserendi nullamque rem aperte iudicandi, profecta a Socrate, repetita ab Arcesila, confirmata a Carneade, usque ad nostram uiguit aetatem ; quam nunc prope modum orbam esse in ipsa Graecia intellego. Ibid. 1, 10 : non enim tam auctoritatis in disputando quam rationis momenta quaerenda sunt. Quin etiam obest plerumque iis qui discere uolunt auctoritas eorum qui se docere profitentur ; desinunt enim suum iudicium adhibere, id habent ratum quod ab eo quem probant iudicatum uident. Nec uero probare soleo id quod de Pythagoreis accepimus quos ferunt, si quid adfirmarent in disputando, cum ex iis quaereretur quare ita esset, respondere solitos : « ipse dixit » ; ipse autem erat Pythagoras. Tantum opinio praeiudicata poterat ut etiam sine ratione ualeret auctoritas.
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métaphores de la relation père/fils (patrocinium/orbam)10, Cicéron renvoie un écho discret au thème de la filiation utilisé par Socrate quand il explicite le mythe : le vrai savoir a pour auteur ou père non l’écrit qui en assure seulement le dépôt mais le discours vivant, celui que la mémoire active renouvelle sans cesse parce qu’il a été écrit dans l’âme11. Tel est le paradigme que Cicéron choisit pour fixer les critères de l’écriture philosophique : il ne s’agit pas de consigner et de figer par l’écrit des autorités philosophiques mais de faire entendre une méthode que chaque dialogue doit réactiver. C’est donc dans cet incessant recommencement, qui génère à chaque fois des mises en scène différentes, que doit s’entendre la « paternité » de Cicéron et sa voix auctoriale. Il faut donc pour cela que la propre position de Cicéron dans la mise en scène incarne une « suspension » du jugement et que le dispositif même de la mise en scène fasse ressortir les conditions indispensables au questionnement philosophique : on ne s’étonnera pas, dès lors, que Cicéron ne commente ni ne corrige l’opinion que lui attribue son frère puisque l’enquête du De diuinatione s’inscrit dans une tout autre scénographie qui ouvre un nouvel espace de discussion. Le personnage Cicéron apparaît dans le lieu choisi pour le dialogue De natura deorum en faisant d’emblée remarquer l’absence du représentant de l’école péripatéticienne : le constat a pour but évident de susciter un débat entre le stoïcien et le néo-académicien à partir de la thèse exprimée par Antiochus d’Ascalon selon laquelle Péripatéticiens et Stoïciens s’accordent sur le fond12. Personne ne tranche la question de sorte que tout le dialogue est comme surplombé par ces réflexions laissées en suspens : l’enquête sur les dieux peut-elle se passer d’Aristote ? Les Stoïciens ont-ils vraiment assimilé l’héritage aristotélicien ? La conception de l’histoire de la philosophie défendue par Antiochus est-elle pertinente ?
10 Les liens étymologiques entre patronus-patrocinium et pater sont ici renforcés par la présence de l’adjectif orbus qui signifie « privé de père » autant que « privé de descendance ». 11 Phdr. 275 e-276a : « lorsque, une fois pour toutes, il a été écrit, chaque discours s’en va rouler sans distinction, aussi bien auprès de ceux qui le comprennent qu’auprès de ceux auxquels il ne convient pas : il ne sait pas dire auprès de qui il doit ou non aller. Lorsqu’il est injustement méprisé et insulté, il a toujours besoin du secours de son père car il n’est pas capable de se défendre ni de se porter secours à lui-même ». A l’opposé, mais « frère de celui-ci », « le discours écrit dans l’âme de celui qui apprend » est un discours « qui s’accompagne de science, qui est capable de se défendre lui-même et qui sait devant qui il doit parler ou se taire ». Trad. Mouze (2007). 12 Ibid. 1, 16 : « Atqui mihi quoque uideor, inquam, uenisse, ut dicis, oportune. Tres enim trium disciplinarum principes conuenistis. M. enim Piso si adesset, nullius philosophiae, earum quidem quae in honore sunt, uacaret locus ». Tum Cotta : « Si, inquit, liber Antiochi nostri qui ab eo nuper ad hunc Balbum missus est uera loquitur, nihil est quod Pisonem, familiarem tuum, desideres : Antiocho enim Stoici cum peripateticis re concinere uidentur, uerbis discrepare ; quo de libro, Balbe, uelim scire quid sentias ». « Egone, inquit ille, miror Antiochum, hominem in primis acutum, non uidisse interesse plurimum inter Stoicos, qui honesta a commodis non nomine sed genere toto diiungerent, et Peripateticos, qui honesta commiscerent cum commodis, ut ea inter se magnitudine et quasi gradibus, non genere, differrent. Haec enim est non uerborum parua sed rerum permagna dissensio.
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Le personnage Cicéron refuse ensuite de se prononcer sur l’enseignement qu’il a reçu de Philon et il se dissocie du néo-académicien Cotta auquel Velleius veut le lier: tous deux en effet, dit-il en souriant, vous avez appris du même Philon à ne rien savoir. » Je répondis : « À Cotta de voir ce que nous avons appris13.
Après ce bref échange, la simple présence de Cicéron « mis en scène » comme auditeur qui a explicitement récusé la possibilité d’être dans le dialogue un double ou du moins un soutien de Cotta14, suffit à « incarner », au sens strict, la liberté de jugement à l’égard de toute opinion qu’il a revendiquée dans sa préface d’auteur et dans la conclusion du De diuinatione15. On mesure alors combien le dispositif de la mise en scène, même réduit à une esquisse, est conçu pour entretenir la dynamique du questionnement philosophique. A ces éléments essentiels à l’interprétation du dialogue il faut ajouter deux références qui ouvrent la scène sur un arrière-plan riche en significations. La première est fournie par Cicéron, en tant qu’auteur de la préface, et introduit précisément la mise en scène : sous l’apparence d’un personnage de comédie, et alors même qu’il mentionne sa fonction d’augure, Cicéron en appelle à venir débattre de la grave question des dieux16 : Mais maintenant, pour échapper à toute critique malveillante, je vais exposer publiquement les opinions des philosophes sur les dieux. À ce sujet, je crois qu’il faut convoquer tous les hommes pour qu’ils jugent quelle est l’opinion vraie : et c’est seulement s’ils tombent tous d’accord ou s’il se trouve quelqu’un qui ait découvert la vérité que l’Académie me paraîtra effrontée. Voilà pourquoi je me plais à crier, comme ce personnage des Synéphèbes :
13 Ibid. 1, 17 : ambo enim, inquit adridens, ab eodem Philone nihil scire didicistis ». Tum ego : « Quid didicerimus Cotta uiderit. 14 Ibid. 1, 17 : tu autem nolo existimes me adiutorem huic uenisse sed auditorem, et quidem aequum, libero iudicio, nulla eius modi adstrictum necessitate, ut mihi uelim nolim sit certa quaedam tuenda sententia. 15 Ibid. 1, 11 (texte cité note 8) et Diu. 2, 150 : Cum autem proprium sit Academiae iudicium suum nullum interponere, ea probare quae simillima ueri uideantur, conferre causas et quid in quamque sententiam dici possit expromere, nulla adhibita sua auctoritate iudicium audientum relinquere integrum ac liberum, tenebimus hanc consuetudinem, a Socrate traditam eaque inter nos, si tibi, Quinte frater, placebit, quam saepissime utemur. (Pease 1920–1923). 16 Ibid. 1,13-14 : Sed iam, ut omni me inuidia liberem, ponam in medio sententias philosophorum de natura deorum. Quo quidem loco conuocandi omnes uidentur qui quae sit earum uera iudicent ; tum demum mihi procax Academia uidebitur si aut consenserint omnes aut erit inuentus aliquis qui quid uerum sit inuenerit. Itaque mihi libet exclamare ut in Synephebis : « pro deum, popularium omnium, adulescentium clamo, postulo, obsecro, oro, ploro atque inploro fidem » non leuissuma de re ut queritur ille in ciuitate fieri facinora capitalia : « ab amico amante argentum accipere meretrix non uult » 14 sed ut adsint, cognoscant, animaduertant quid de religione, pietate, sanctitate, caerimoniis, fide, iure iurando, quid de templis, delubris sacrificiisque sollemnibus, quid de ipsis auspiciis, quibus nos praesumus, existimandum sit : haec enim omnia ad hanc de dis inmortalibus quaestionem referenda sunt. Profecto eos ipsos qui se aliquid certi habere arbitrantur, addubitare coget doctissimorum hominum de maxuma re tanta dissensio.
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Clara Auvray-Assayas « J’en appelle à vous, dieux, à vous tous (…) » Et ce n’est pas pour une bagatelle (…) Non il faut qu’ils viennent siéger, connaître et juger ce qu’il faut penser de la religion, de la piété, des liens religieux, des cultes, de la bonne foi, du serment et aussi des temples, des sanctuaires, des sacrifices solennels et encore des auspices mêmes, auxquels nous présidons.17
C’est donc dans un espace herméneutique très complexe que Cicéron installe le patrocinium qu’il veut assumer : en usant de toutes les ressources qu’offre l’écriture littéraire, Cicéron donne pour scénographie à l’exercice du jugement un tribunal formé de toutes les personnes usant de ratio, comme l’est le public du théâtre. Il ouvre ainsi l’espace de la discussion et, grâce à cette comparaison, les enjeux de l’enquête dépassent les limites étroites de l’échange entre savants. La seconde référence confirme l’importance accordée à l’art de l’allusion pour faire vibrer dans le texte une sorte de contrepoint : en guise de préambule méthodologique à sa réfutation de l’exposé épicurien, le néo-académicien Cotta rapporte l’anecdote selon laquelle Simonide, pourtant savant et sage, fut incapable de trancher la question de la nature des dieux malgré le temps qu’il y consacra18. Le recours à Simonide comme « autorité » pour donner à l’aveu d’ignorance de Cotta sa légitimité ne peut pas ne pas faire allusion à l’usage qui est fait des vers de ce poète dans le Protagoras de Platon: la joute herméneutique à laquelle se livrent Protagoras et Socrate sur le sens qu’il convient de donner aux vers de Simonide et sur l’autorité qu’on peut accorder au poète quand il s’agit d’éthique est l’occasion d’une réflexion profonde sur les discours qu’on emprunte aux autres, en faisant parler une voix étrangère, et ceux qu’on trouve en soi19. La référence que Cotta fait
17 Cicéron fait allusion à son appartenance au collège des augures dont il fut membre à partir de 53. 18 Ibid. 1, 60-61 : Roges me quid aut quale sit deus, auctore utar Simonide, de quo cum quaesiuisset hoc idem tyrannus Hiero, deliberandi sibi unum diem postulauit ; cum idem ex eo postridie quaereret, biduum petiuit ; cum saepius duplicaret numerum dierum admiransque Hiero requireret cur ita faceret, « quia quanto diutius considero, inquit, tanto mihi spes uidetur obscurior. » Sed Simoniden arbitror (non enim poeta solum suauis uerum etiam ceteroqui doctus sapiensque traditur) quia multa uenirent in mentem acuta atque subtilia, dubitantem quid eorum esset uerissimum desperasse omnem ueritatem. 61 Epicurus uero tuus (nam cum illo malo disserere quam tecum) quid dicit quod non modo philosophia dignum esset sed mediocri prudentia ? Quaeritur primum in ea quaestione quae est de natura deorum sintne dei necne sint. « Difficile est negare ». Credo, si in contione quaeratur, sed in huius modi sermone et in consessu facillimum. Itaque ego ipse pontifex qui caerimonias religionesque publicas sanctissime tuendas arbitror, is hoc quod primum est, esse deos, persuaderi mihi non opinione solum sed etiam ad ueritatem plane uelim. Multa enim occurrunt quae conturbent ut interdum nulli esse uideantur. 19 Prot. 347e-348a : « Des réunions comme la nôtre aujourd’hui, qui rassemblent des hommes tels que la plupart d’entre nous se flattent d’être, n’ont nul besoin de recourir à une voix étrangère, ou aux poètes, qu’il n’est pas possible d’interroger sur ce qu’ils veulent dire ; quand on les cite dans la discussion, les uns prétendent que le poète voulait dire une chose, et les autres une autre, et on discute de points qu’on est incapable de prouver. Non, les gens cultivés envoient promener ce genre de compagnie, ils s’entretiennent sans personne d’autre, avec leurs propres ressources,
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à Simonide doit alors s’entendre dans toute sa complexité : emprunter à un autre sa voix pour dire son ignorance, laisser à un autre la charge d’être l’auctor de la réfutation qui va suivre tout en évoquant, dans un même mouvement, sa fonction de pontife, c’est se livrer à une remarquable variation « à la manière de Socrate » sur la notion d’autorité. Toutes ces indications doivent inciter le lecteur à conserver jusqu’au bout la suspension méthodique de son jugement : dans aucune autre œuvre Cicéron ne joue autant sur la présence et l’absence, la parole et le silence, l’évidence et l’obscurité, le respect et le refus de l’autorité, comme si précisément l’importance des enjeux du débat imposait une « poétique » particulière faite d’oxymores et de formules paradoxales. Dans ce dispositif herméneutique savamment construit, la dernière phrase du dialogue ne peut être réduite à ce qu’une lecture littérale permet de comprendre. L’opinion du personnage Cicéron est formulée en rapport étroit avec celle du personnage Velléius, représentant l’épicurisme. Pour ce dernier l’argumentation de Cotta est la plus vraie tandis que pour le personnage Cicéron celle du stoïcien Balbus est la plus proche de la vraisemblance. Comment comprendre ici cet emploi de ueri similitudo ? De quelle vérité l’exposé du stoïcien a-t-il pu atteindre la ressemblance ? A première vue, la distinction entre vérité et vraisemblable maintient avec une grande cohérence la position épistémologique de la Nouvelle Académie : l’homme ne pouvant connaître la vérité, au mieux peut-il accéder au vraisemblable et s’en contenter20. Le discours de Balbus devrait donc susciter l’approbation suivant la formule par laquelle Cicéron conclut le dialogue De diuinatione , « approuver (probare) ce qui paraît le plus vraisemblable »21. Or ce vocabulaire n’apparaît pas bien que, dans la préface au De fato, Cicéron rappelle qu’il a privilégié pour ses deux dialogues précédents des exposés continus afin de faciliter à chacun « l’approbation de ce qui lui paraissait le plus probable »22. Peut-on dans ces conditions considérer qu’il existe une sorte d’équivalence entre le vraisemblable et ce qui peut entraîner l’approbation ? C’est ce que Lucullus, dans le dialogue éponyme, attribue aux Académiciens23 : mais il serait bien imprudent de suivre un détracteur de l’Académie dans cette voie et plus encore quand on prend en considération les choix de traduction qu’a fait Cicéron pour son dialogue inachevé Timaeus.
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en se mettant à l’épreuve les uns les autres et en se rendant des comptes mutuels dans leurs propos. » (Trad. Trédé-Demont, 1993). Voir en particulier Luc. 7 ; 66 ; 127 et Tusc. 1, 8 ; 2, 9 ; 4, 47 ; 5, 11. Diu. 2, 150 : Cum autem proprium sit Academiae iudicium suum nullum interponere, ea probare quae simillima ueri uideantur. De fato 1 : Quod autem in aliis libris feci qui sunt de natura deorum itemque in iis quos de diuinatione edidi, ut in utramque partem perpetua explicaretur oratio, quo facilius id a quoque probaretur quod cuique maxime probabile uideretur, id in hac disputatione de fato casus quidam ne facerem impediuit. (Ax 1938). Luc. 32 : Volunt enim (et hoc quidem uel maxime uos animaduertebam moueri) probabile aliquid esse et quasi ueri simile eaque se uti regula et in agenda uita et in quaerendo ac disserendo. (Plasberg 1922).
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Dans la transposition que Cicéron a faite d’une partie du Timée24, le statut ontologique du monde fabriqué par le démiurge est décrit en termes rigoureusement platoniciens, suivant la distinction entre modèle et copie25. Cette distinction, dans le texte de Platon, vaut également au niveau du discours ; or la parfaite « parenté » établie par Platon entre l’objet du discours et le discours n’apparaît pas dans les choix de vocabulaire alors même que Cicéron met en relief cette parenté26. On constate en effet que, dans le texte latin de Cicéron, le discours sur les simulacra peut au mieux tendre vers la similitudo ueri mais l’homme, parce qu’il est homme, doit se contenter de dire et de juger des propos qualifiés de probabilia27. Pourquoi n’avoir pas maintenu jusqu’au bout l’emploi de similitudo ueri ? Il est impossible de considérer, dans le contexte précis de cette restitution du texte platonicien, que probabile est un équivalent de similitudo ueri 28: Cicéron opte au contraire pour un radical changement sémantique qui fait disparaître la relation de ressemblance au profit de la notion très riche de « mise à l’épreuve/preuve/ approbation ». En présentant ce qu’il va dire comme un discours dont les limites sont le probabile, le personnage du dialogue cicéronien Timaeus introduit dans le texte platonicien un concept qui lui est étranger mais qui, en revanche, est au cœur de l’engagement de Cicéron29. Le probabile recoupe à la fois ce sur quoi on peut se fonder pour conduire sa vie30 et ce que vise la discussion31. Si l’on donne toute sa portée à ce choix de lexique, qui laisse de côté l’ontologie platonicienne puisqu’il ne restitue pas la relation établie entre la vérité et ce qui en est l’image, on comprend que le discours de Timée change de statut dans la traduction de Cicéron : le récit de la fabrication démiur24 27d-47b. 25 Pour une comparaison avec les traductions de Sénèque, Apulée et Calcidius voir Auvray-Assayas (1999). 26 Timaeus 8 : omni orationi cum is rebus, de quibus explicat, uidetur esse cognatio. (Ax 1938). Le recours au substantif cognatio souligne plus fortement la relation suggérée par Platon avec l’adjectif συγγενής (29b). 27 Timaeus 8 : itaque cum de re stabili et inmutabili disputat oratio talis fit qualis illa : neque redargui neque conuinci potest ; cum autem ingressa est imitata et efficta simulacra, bene agi putat si similitudinem ueri consequatur : quantum enim ad id quod ortum est aeternitas ualet, tantum ad fidem ueritas quocirca si forte de deorum natura ortuque mundi disserentes minus id quod auemus animo consequimur ut tota dilucide et plane exornata oratio sibi constet et ex omni parte secum ipsa consentiat, haut sane erit mirum, contentique esse debebitis si probabilia dicentur ; aequum est enim meminisse et me qui disseram hominem esse et uos qui iudicetis, ut si probabilia dicentur ne quid ultra requiratis. (Ax 1938). 28 Glucker (1995), 129 considère les deux expressions interchangeables en attribuant la confusion à Cicéron et il est repris par Hoenig (2018) 63, qui pourtant analyse en détail le texte du Timaeus. 29 Sur la fonction structurante du concept de probabile dans la philosophie de Cicéron voir Auvray-Assayas (2006). 30 Nat. 1, 12 : Non enim sumus ii quibus nihil uerum esse uideatur sed ii qui omnibus ueris falsa quaedam adiuncta esse dicamus tanta similitudine ut in iis nulla insit certa iudicandi et adsentiendi nota. Ex quo exsistit et illud, multa esse probabilia quae, quamquam non perciperentur, tamen, quia uisum quendam haberent insignem et illustrem, his sapientis uita regeretur. 31 Voir le texte du De fato 1 cité note 22.
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gique du monde et des hommes n’est pas « l’image du vrai » mais ce qui est susceptible d’être mis à l’épreuve dans la discussion et ce qui peut éventuellement recevoir une approbation, fût-elle provisoire. Est-ce là le signe que Cicéron s’intéresse moins au niveau ontologique du discours sur le monde qu’à sa fonction, qui serait de fournir matière à exercer un jugement critique et libre, contra physicos32 ? Si tel est le cas, on peut mieux interpréter ce que le personnage Cicéron dit du discours de Balbus dans le De natura deorum : il lui semble « incliner du côté de l’image du vrai » mais que vaut celle-ci ? Le vrai étant laissé à l’appréciation du dogmatique épicurien Velléius, l’image du vrai, dans ce contexte, ne peut qu’être dégradée plus encore qu’ontologiquement seconde : on comprend dans ces conditions que ni le personnage Cicéron ni l’auteur ne fassent mention de leur approbation alors pourtant que la discussion qui était engagée visait précisément à faciliter une forme d’approbation. Il reste néanmoins à comprendre pourquoi le personnage Cicéron sort de son mutisme. Il faut pour cela prendre en considération l’ensemble des œuvres écrites « sur la physique » et la place accordée à la critique des thèses stoïciennes dans le De diuinatione et dans le De fato : les titres suffisent à indiquer que Cicéron a choisi de traiter distinctement ce qui, dans le système stoïcien, est indissociablement lié à la question des dieux. Dans ces deux textes, le statut auctorial de Cicéron est plus fermement dessiné et les enjeux philosophiques très clairs : il s’agit de contester l’usage que font les stoïciens des pratiques divinatoires pour prouver que les dieux existent, se soucient des hommes et peuvent prédire l’avenir parce que tout est soumis à l’ordre infrangible et connaissable du destin ; il s’agit enfin d’opposer à la conception stoïcienne du destin différents niveaux de causalité qui permettent de penser et de conserver la liberté de l’homme. Par contraste, le personnage Cicéron du dialogue De natura deorum ne formule aucune critique, ni en son nom propre ni en donnant son soutien à la réfutation de Cotta : pourquoi l’auteur Cicéron a-t-il conçu ainsi le personnage qu’il joue dans ce dialogue, à la différence des deux autres ? On peut sans doute suggérer une réponse en précisant d’abord un point qui n’a pas été pris en compte : de quelle disputatio en effet parle-t-il ? La question mérite d’être posée si l’on tient compte de ce que la transmission manuscrite du texte met en évidence33 : le discours de Balbus ainsi que sa réfutation par Cotta sont en cours de modification et ce qui constitue la seconde version de l’exposé fait ressortir tout ce que la théologie stoïcienne doit à ses prédécesseurs, et non pas ce qui la caractérise en propre. Une large place est en effet accordée à l’expression de l’émotion 32 C’est en effet l’expression utilisée dans l’ébauche de préface du Timaeus : Multa sunt a nobis et in Academicis conscripta contra physicos et saepe cum P. Nigidio Carneadeo more et modo disputata. (Ax 1938). 33 Le texte transmis par tous les manuscrits fait apparaître que l’ensemble formé par les paragraphes 86-156 est une greffe sur la première version de l’exposé stoïcien au niveau des paragraphes 15 ou 16, c’est-à-dire quand sont détaillés les modes de formation de la notion des dieux : les humanistes florentins ont ajusté cet ensemble pour en faire le troisième point de l’exposé sur la Providence et le texte est lu selon l’ordre qu’ils ont créé depuis l’édition de 1507. Sur l’histoire du texte et sur la lecture des deux versions voir Auvray-Assayas (2019).
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esthétique devant la beauté du monde : il n’est sans doute pas indifférent que le stoïcien fasse appel à la traduction que Cicéron a donnée des vers d’Aratos, donnant ainsi au personnage muet un autre statut qui le fait participer, comme traducteur, à la célébration du dessin des constellations34. Ce mouvement d’ekphrasis déploie longuement dans le texte ce que la citation d’Aristote avait permis d’initier35 : le spectacle de l’ordre splendide du monde incite les hommes à penser que les dieux existent et sont les auteurs de cette œuvre. C’est donc vers une sorte d’anthropologie de la croyance que tend l’exposé du stoïcien dans sa version remaniée : en faisant naître le « soupçon » du divin de l’émotion que suscite la contemplation de ce qui dépasse l’homme, il décrit un phénomène que tous les philosophes, épicuriens compris, ont observé et admis36. C’est donc grâce à une observation rigoureusement conduite qu’on peut donner une justification rationnelle aux cultes civiques : tous les hommes, quelles que soient leur origine ou leur culture, ont en eux de quoi donner un sens à leurs pratiques cultuelles. Ni le personnage Cicéron ni l’auteur Cicéron ne veulent aller plus loin que ce constat, qui n’engage ni une physique ni, moins encore, une théologie : ce qui peut s’approcher d’une ressemblance avec la vérité est cette célébration de la beauté du monde et de l’homme qui l’habite. L’examen critique et contradictoire de la cosmologie de Platon est dissocié de cette enquête et réservé à un autre dialogue: c’est que le culte des dieux peut se passer d’un « système du monde »37. Ainsi se trouvent préservés les cultes des ancêtres tout autant que les conditions d’une libre discussion sur la manière dont les hommes pensent le divin, les deux objectifs fixés par Cicéron à la discussion de natura deorum38.
34 Ibid. 2, 104 : Quo spectaculo nihil potest admirabilius esse, nihil pulchrius. Sequitur stellarum inerrantium maxima multitudo quarum ita descripta distinctio est ut ex notarum figurarum similitudine nomina inuenerint. » XLI Atque hoc loco me intuens, « Vtar, inquit, carminibus Arati eis quae a te admodum adulescentulo conuersa ita me delectant quia Latina sunt, ut multa ex iis memoria teneam. » 35 Ibid. 2, 95 Praeclare ergo Aristoteles : « Si essent, inquit, qui sub terra semper habitauissent bonis et inlustribus domiciliis quae essent ornata signis atque picturis instructaque rebus his omnibus quibus abundant ii qui beati putantur nec tamen exissent umquam supra terram, accepissent autem fama et auditione esse quoddam numen et uim deorum, deinde aliquo tempore patefactis terrae faucibus ex illis abditis sedibus euadere in haec loca quae nos incolimus atque exire potuissent ; cum repente terram et maria caelumque uidissent, nubium magnitudinem uentorumque uim cognouissent aspexissentque solem eiusque cum magnitudinem pulchritudinemque tum etiam efficientiam cognouissent, quod is diem efficeret, toto caelo luce diffusa, cum autem terras nox opacasset tum caelum totum cernerent astris distinctum et ornatum lunaeque luminum uarietatem, tum crescentis, tum senescentis, eorumque omnium ortus et occasus atque in omni aeternitate ratos inmutabilesque cursus, quae cum uiderent, profecto et esse deos et haec tanta opera deorum esse arbitrarentur. » 36 Voir en particulier Nat. 1, 45 ; 49 ; 56 ; 96 ; 100 ; 2, 4 et Diu. 2, 148. 37 Sur la répartition des questions entre les différentes œuvres traitant de « physique » voir Auvray-Assayas (2022). 38 1, 1 : (quaestio) quae et ad cognitionem animi pulcherrima est et ad moderandam religionem necessaria.
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CICERO’S ACADEMY AWARD Raphael Woolf I The De Natura Deorum (hereafter ND) is unusual among Cicero’s philosophical works in apparently featuring the participation not of one representative of Academic scepticism but two.1 In the conversation about the nature of the gods that the work depicts, Velleius and Balbus make the case, respectively, for the Epicurean and Stoic view of the gods, with Cotta serving in each case as chief critic from a sceptical standpoint. However, Cicero also inserts himself as a character present at the conversation, albeit one who is rather young and says very little;2 this character I shall refer to as ‘Young Cicero’, to distinguish him from the mature Cicero who writes the ND, narrating to his dedicatee Brutus the conversation which Young Cicero attends and to which he makes brief contribution near the start, at I.16 and I.17.3 In the latter passage Young Cicero reassures Velleius, who had just suggested that Cicero’s presence would mean that Cotta had an ally, that he is present not as ally of Cotta but as a ‘fair-minded listener’ (auditorem … aequum), not bound in advance by any fixed opinion.4 This need for reassurance itself seems a little odd, and it is perhaps relevant to note that Velleius is said to make his complaint ‘with a smile’ (adridens). It might indeed be thought that there is at least one good reason not to take such a complaint seriously. If Young Cicero and Cotta are both proponents of a sceptical outlook, 1
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In De Finibus I–II Triarius acts as a kind of junior partner to Cicero in the critique of Epicureanism and when Cicero proposes him at II.119 as a fair judge of Cicero’s debate with the Epicurean spokesman Torquatus, the latter replies that Triarius would on the contrary cause him trouble ‘in the manner of the Stoics’ (Stoicorum more), which while not outright implying that Triarius is a follower of the Stoic school (an Academic sceptic might for dialectical purposes be free to criticise one dogmatic school from the perspective of another) suggests, in the absence of evidence to the contrary, Stoicism as his probable allegiance. The dramatic date of the ND can be narrowed with some probability to within 77–76 BCE (see Dyck 2003, 7), around thirty years prior to its date of composition. Cicero would thus be around thirty in the depicted conversation. These paragraphs contain the only words of Young Cicero reported in direct speech. At the end of the work (III.95), Cicero narrates that his younger self preferred Balbus’s exposition of Stoic theology over Cotta’s critique of it, a passage I shall return to below. Cicero’s way of putting things at III.95, that Balbus’s exposition ‘seemed to me (mihi … videretur)’ preferable, does not imply that his young counterpart breached the letter of his pledge at I.17 to be a listener, since of course (within the dramatic conceit) Cicero is privy to his younger self’s view without needing the latter to have expressed it to the assembled company.
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and Young Cicero’s description of his attitude can be taken as a summary of that outlook, then there is no particular reason to think that either he or Cotta will find the Epicurean view of the gods untenable. If each is, in Young Cicero’s words about himself, ‘free to judge’ (libero iudicio, I.17) on the merits of the case, then the very idea of treating the pair as allies, insofar as that would mean their being settled opponents of any given position, seems misguided on Velleius’s part. That assumes, however, that Cotta does share the outlook that Young Cicero ascribes to himself. In fact, the latter seeks to distance himself from Cotta, and this perhaps explains why he takes Velleius’s complaint seriously and feels the need to respond to it by insisting on his own freedom to judge. At I.17 Velleius presents, as grounds for his complaint, the charge that Young Cicero and Cotta have both learned from the same person, Philo of Larissa, ‘to know nothing’ (nihil scire). Young Cicero responds with ‘What we have learned will be a matter for Cotta’ (quid didicerimus Cotta viderit) before proclaiming, as we just saw, his own independence of mind. Given that he smiles as he makes it, we do not have to see Velleius’s charge as even an attempt at a serious summary of what Philo may have taught.5 Indeed Cicero as authorial narrator of the discussion will shortly go on to describe Velleius as having a typically Epicurean over-confidence in his own pronouncements (I.18). Nonetheless, Velleius’s remark implies that he takes both Young Cicero and Cotta to have roughly the view, allegedly picked up from Philo, that there is no knowledge to be had, from which it would naturally follow that he may regard them as being in the business of refuting any claims to truth, in this instance concerning the gods. Given this, it is unsurprising that Velleius should regard Cotta and Young Cicero as potentially engaged in a joint enterprise to attack his positive theoretical pronouncements on the topic. In saying he will leave the matter of Philo’s teaching to Cotta, while declaring his own commitment to fair-minded assessment, Young Cicero looks very much as if he is seeking, modestly but pointedly, to distinguish his approach from that of Cotta. While Cotta may be on a mission to refute any positive claims, Young Cicero will take each argument as he finds it and form his judgement on that basis. My purpose in this paper is to flesh out an account of the difference between Cicero and Cotta along these lines and try to explain why it is there. I shall argue that in the ND Cicero uses both his character Cotta and his own relationship to his young counterpart as a foil against which to establish his superiority as a philosophical enquirer aligned with the sceptical Academy.
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Of course part of the humour is the implication that lessons with Philo result, contrary to what one might consider the normal purpose of teaching, in the instillation of ignorance in his pupils (Piso is allowed a similar joke at the Academy’s expense at fin. V.76). On Philo’s teachings as an Academic sceptic see in particular Brittain (2001). Cicero’s own Academica, which he refers to in the preface of the ND (I.11), is an important source on Philonian scepticism.
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II A certain distancing from Cotta had already been indicated in Young Cicero’s first remarks at I.16. There he describes the gathering of Cotta, Velleius and Balbus as comprising ‘three leaders of three philosophical schools’ (tres … trium disciplinarum principes); and while both age and modesty no doubt preclude Young Cicero from describing himself as a ‘leader’ of any school, it is interesting to note the way he ranks the three protagonists together. It was open to him to draw a contrast between, say, Velleius and Balbus on the one hand as leading exponents of positive philosophical doctrine, Epicurean and Stoic respectively (in line with the glowing description of them at I.15); and Cotta on the other hand as taking a stance of critical judgment towards them while having no fixed view of his own. Instead, Cotta is spoken of as if he were a member of a school on the same footing as the Stoic and Epicurean, its core doctrine then implicitly supplied by Velleius’s jocular remark as ‘nothing can be known’. If that is right, then we can start to fill out the difference in the way Young Cicero and Cotta are portrayed. Cotta, who unlike Young Cicero does not respond to Velleius’s barb about Philo, instead allowing Velleius to resume his main exposition, aims to refute any positive doctrine put forward about the nature of the gods; Young Cicero’s task is to treat any such doctrine with an open mind, persuadable if the arguments are strong, and at least prepared to give them a fair hearing rather than adopt at the outset the attitude that they are to be refuted. Now even if we take Velleius’s imputation to Cotta of the view that there is no knowledge to be had as fair, that view is still consistent with, for example, the idea that one can take a stance weaker than knowledge, but still positive, towards a proposed thesis. In his preface to ND Cicero seems to present such an idea as part of his own outlook as an adherent of the sceptical Academy. At I.12 he says that ‘We are not the sort of people to whom nothing seems to be true’ (non … sumus ii quibus nihil verum esse videatur); rather, their position is that there is no certain way of distinguishing truths from falsehoods. There are, however, many things that are plausible (probabilia), and these can guide the life of the wise. If that is so, then perhaps Cotta, as a student of the Academy, takes the view that not every philosophical doctrine is false; some might be plausible (even if not certainly true) and can be accepted as such. This would, however, make Young Cicero’s restriction of open-mindedness to himself as opposed to Cotta rather puzzling. Given that Cicero describes Cotta at the end of his preface as his friend (familarem meum, I.15) who had expressly invited him to his house, where the depicted conversation about the gods takes place, it seems unlikely that Young Cicero fails to include Cotta in his description of his own outlook through ignorance of what Cotta’s stance might be. Cotta’s own opening words to Young Cicero upon the latter’s arrival were to note that he had arrived at an opportune moment given that those already present were engaged in a discussion that he would find to his taste given his own interests (pro tuo studio, I.15); so it seems clear that the two are already familiar with one another’s intellectual outlook.
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That being so, Young Cicero’s denial that he has come as an ally of Cotta’s looks to be based on a reasonable grasp of some difference in their approach, at least as it pertains to engagement with positive philosophical doctrine. It seems, then, that the Cotta of the ND may not be ready to concede that the philosophical positions he encounters could be plausible and to that extent worthy of acceptance.6 Young Cicero’s disavowal of Cotta as ally instead indicates a view of Cotta as disinclined to consider positive theory, when put to him, as fit for anything other than refutation. We do not in any event have to look far to see that Cotta himself thinks of his outlook in that sort of way. When Young Cicero arrives, Cotta describes a discussion he says he has already just been having with Velleius (which turns out to have been on the nature of the gods) as an ‘altercation’ (altercatio, I.15), Cotta using a term that suggests a sharp adversarial exchange of a rather different tenor from the open-minded approach that Young Cicero will attribute to himself. Velleius will indeed go on to offer in the first part of his main exposition (I.18-41) a lengthy and notably caustic critique of views about the gods other than the Epicurean one. So he is clearly capable of giving as good as he gets when it comes to engaging the opposition. But the fact that altercatio is Cotta’s choice of term would seem to indicate an equal propensity on the latter’s part for attack rather than fair-minded engagement. III Talk of this ‘altercation’ highlights a further unusual aspect of ND as a Ciceronian philosophical work: its discussion is depicted as having already got underway before the main narrative starts. And while Young Cicero could not of course have been aware of what had happened in that prior discussion, except for what the other characters tell him, Cicero as author gives us, I think, a few extra clues to help us piece its content together, and thus help explain why he writes the discussion as ongoing in this way rather than have it start cleanly from the beginning. Cotta says that the question of the nature of the gods had always seemed to him a very obscure one and that he had therefore, before Cicero’s arrival, been seeking from Velleius an account of the views of Epicurus on the matter; he then bids Velleius to continue what he had begun (I.17). Cotta’s picture of himself as an earnest seeker after enlightenment – who nonetheless is not above indulging in an ‘altercation’ – may not, however, be the whole story. He is consistently portrayed also as a master of the subtle arts of deflection. At I.16, Young Cicero had appended to his remark that he was in the presence of three leaders of three schools the comment that were Piso the Peripatetic there as well they would have all the significant schools represented. Instead, at that point, of telling Young Cicero what the 6
In the ND Cotta never in fact applies the adjectives probabile or veri simile, or the verb probare (or its cognates), to any aspect of the Stoic or Epicurean positions that he discusses. He uses the terms either to deny their applicability (I.69, 77, 107, 109, III.28, 44, 47, 49, 52) or to suggest they may be more applicable to an alternative (I.66, III.12, 36).
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discussion that accords with the latter’s interests has been about, Cotta takes time out to remind the assembled company that Antiochus had recently sent a book to Balbus in which he argued that the Stoic view differs only in terminology, not in substance, from that of the Peripatetics, so that there is nothing missing in Piso’s absence. He then asks Balbus what he thinks of Antiochus’s book. Balbus rather brusquely repudiates Antiochus’s claim about the relationship between Stoic and Peripatetic doctrine, and while indicating it as a subject for possible future discussion, asks Cotta that they get back to ‘what we have begun’ (coepimus, I.17), whereupon Cotta informs Young Cicero of the topic, says he had asked Velleius as to Epicurus’s view, and requests that Velleius resume ‘what you [Velleius] had begun’ (coeperas, I.17). We thus have, in effect, a double deflection by Cotta: first, he seeks to divert the argument away from a discussion of the gods onto an exposition by Balbus of the latter’s view of Antiochus’s book - not, it is true, an irrelevant question given Cicero’s remark about Piso, but certainly a move away from the primary topic. Secondly, while Balbus’s first-person plural exhortation to resume ‘what we have begun’ suggests a shared enterprise, Cotta’s subsequent request that Velleius resume what he had begun betrays once more an eagerness to place the burden of speaking onto someone else’s shoulders. How do we reconcile the idea that Cotta seems to see himself as a vigorous participant in the debate about the gods – not for him the role of listener that Young Cicero adopts – with his efforts to transfer the role of speaker to others? The deflection looks very much like an attempt to avoid making positive pronouncements himself, whether by enlisting Balbus to engage with Antiochus’s view of Stoicism or having Velleius expound the view of Epicurus on the gods. Let us move forward briefly to the end of Velleius’s upcoming speech outlining Epicurean theology. He says that his ‘business ought to have been not so much speaking as listening’ (non tam dicendi ratio mihi habenda fuit quam audiendi, I.56). Why should Velleius take his proper role to be that of listener? After all, Cotta, as we have seen, had said he had been asking Velleius about the Epicurean view given that he himself found the question of the nature of the gods an obscure one. In response to Velleius’s closing remark, Cotta declares that, had Velleius not spoken, the latter ‘could have heard absolutely nothing from me’ (nihil sane ex me quidem audire potuisses), since points to falsify a thesis usually come more easily to him than points to verify one (I.57).7 We can make sense of Velleius’s pronouncement by assuming that Cotta would in some way have been more appropriately asked for his view on the nature of the gods than Velleius. Why might that be the case? Because Cotta, as he tells us himself at I.61, is a pontifex, a Roman priest - a fact that gives extra point to Cicero choosing to set the conversation at Cotta’s house during the Roman religious 7
Wynne (2014), 261 claims that Cotta ‘does not say he finds it impossible to find the arguments in favour of a proposition’ [Wynne’s emphasis]; but Cotta’s forceful denial that Velleius could have heard anything from him had he not put forth a positive case for Cotta to oppose suggests something more like that position. I suspect it is Cotta’s noted suaveness (I.57) rather than any open-mindedness that leads him to state the position not quite explicitly.
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festival known as the feriae Latinae (I.15). That being so, it is plausible that Cotta might first have been asked, in virtue of his office, about his views on the nature of the gods and would, presumably, have been expected to say something of substance in reply. Although Velleius is the authority on Epicureanism, it is Cotta who ought to be the real specialist when it comes to the topic of the gods. My hypothesis, then, is that we are to take Velleius to have first asked Cotta for his view about the gods, and that Cotta, pleading the obscurity of the subject, deflected the question back onto Velleius, with perhaps some choice remarks – hence the ‘altercation’ – about how difficult it is to understand the Epicurean view, a point no doubt rebutted in equally stringent terms by Velleius, given, as we noted above, that his resumed exposition starts with a long and often savage attack on alternative philosophical theologies. Cotta, as if to confirm that as far as he is concerned Velleius has done the best he could, then takes time at the start of his subsequent response to congratulate Velleius on the lucid way that he expounded the Epicurean view, making sure to note that Velleius’s exposition had more style than is customary with the Epicureans (I.58). IV This further piece of deflection by Cotta, flattering Velleius in his role as expositor while maintaining his own preference for attacking a thesis, reinforces a sense of dissatisfaction subtly nurtured by Cicero at Cotta’s refusal to offer any positive view of his own. Well may we sympathise with Balbus’s eagerness at II.2 (cf. II.168) to hear Cotta’s view on who the ‘true’ gods are, and with his claim that ‘a philosopher, a priest and a Cotta’ should have a ‘firm and definite’ view of them, as the Stoics do, rather than the ‘wandering’ outlook of the Academics. Certainly, one might expect a priest to have some settled opinion about the nature of the gods; and Cotta in fact offers a robust defence of himself in that regard, proclaiming his unalterable commitment to the whole apparatus of ancestral Roman religion (III.5). It is notable, however, that Cotta describes this as pertaining to himself as ‘a Cotta and a priest’ (III.5, III.6) and in another act of deflection tells Balbus that it is the latter who is the philosopher and one should therefore expect from him reasoned argument rather than, as Cotta says is appropriate for himself, mere belief in ancestral custom (III.6). It seems implausible that Cicero would wish his readers to accept uncritically Cotta’s self-defence. We can see this in something that comes out of Cotta’s own mouth. In the course of his critique of Epicurean theology he complains that if the Epicurean view that the gods do not intervene in human life were correct, then we would have to ask why we worship and pray to them at all, and why we have priests and augurs presiding over religious ceremonies (I.122). Now Cotta of course is a priest; and at the time of writing the ND Cicero is an augur, as he reminds us in his preface (I.14), where he also anticipates Cotta’s concern that if gods are non-
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interventionist then religion itself will be subverted, and with it, he fears, human society too (I.3-4). This seeming similarity between Cicero and his character Cotta, heightened by their apparent shared adherence to Academic scepticism, in fact marks a significant difference. While Cicero sees the idea of non-interventionist gods and the resultant potential tension with meaningful religious practice as a reason to investigate the nature of the gods carefully (I.2, I.14), Cotta seems to regard a statement of that tension as itself amounting to something like a debunking of the Epicurean position. At any rate Cotta surely does not expect (or get) from his fellow Roman discussants a response to his question about priests and augurs along the lines of ‘Maybe we shouldn’t have any’.8 This part of Cotta’s critique, then, amounts to little more than an assertion, unlikely to be challenged by the assembled company, of commitment to ancestral religious tradition.9 Yet in making vivid what is at stake with regard to his own standing as a priest, Cotta’s rhetorical questions encourage us to reread Cicero’s preface and realise that while Cotta may take himself to be immune from the challenges of philosophical theory, we the readers should not expect to exempt ourselves in similar fashion. This is not to deny that Cotta may take his questions to form a genuine element in the refutation of Epicurean theology, a kind of reductio ad absurdum of a position about the gods which, in having as an alleged consequence the undermining of all that religious tradition had consisted in, refutes itself. But to judge by the words of Cicero’s preface, a more considered approach is preferable. Cotta’s dismissal of non-interventionism represents a wider problem with his outlook, namely that it aims to attack an opponent’s position rather than fairly assess its strengths and weaknesses. If this is right, then we have further grounds to see a deliberate distancing by Cicero of his approach from that of Cotta. Cicero presents himself, both in his authorial preface and in the words he puts into the mouth of his young counterpart, as one who will assess each argument fair-mindedly. Cotta by contrast is portrayed as oriented simply towards refutation. We can see another illustration of this in the way that Cicero’s and Cotta’s respective attitude towards their philosophical education is portrayed. At I.6 Cicero mentions by name, as philosophers who had taught him, two Stoics (Diodotus and Posidonius), as well as Philo the Academic sceptic 8
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Velleius is himself a senator (I.15) and so unlikely to be in the business of upending Roman religion despite his Epicurean sympathies. He in fact deploys a rather cunning piece of dialectic at I.55 in claiming that upholding Stoic divination would make us so superstitious that soothsayers, augurs and other religious functionaries ‘would have to be worshipped by us’ (nobis essent colendi), an assertion not that these officials should not exist or perform their function but that the Stoic attitude actually implies an impious misdirection of worship towards them, the Epicurean objective being ‘to worship the gods piously and be freed from superstition’ (ut deos pie coleremus et ut superstitione liberaremur, I.45). Despite his project of accounting in rational terms, from the perspective of Stoic theory, for myths and legends about the gods, including provision of a rationalising etymology, Balbus is clear that that the gods are to be worshipped under the names that custom has bestowed on them (II.71).
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and Antiochus the upholder of the ‘Old’ Academy, all in respectful terms. Now it is true that he does not mention an Epicurean here, though we know from De Finibus I.16 that he went with Atticus to hear the Epicureans Phaedrus and Zeno of Sidon; and while he says there that he was unconvinced, the way he describes his daily discussion of the lectures with Atticus, his understanding of them apparently not in question, makes it clear that he sees his stance as arising from thoughtful engagement rather than a predisposition to oppose.10 Cicero, in short, seems to have been sincere in a desire to learn by exposing himself to as wide a range of philosophical views as possible. Contrast now how Cotta relates his attendance at the lectures of Zeno of Sidon. He tells us that this was in fact at Philo’s suggestion and adds ‘I believe in order that I more easily judge how well those [Epicurean doctrines] may be refuted by having heard how they are articulated by the head of the Epicurean school’ (I.59).11 Note that this is presented by Cotta as his view of Philo’s motivation in sending him to Zeno, not as the reason that Philo himself gave him. If so, that seems to reflect a view on Cotta’s part that the right approach, at least in regard to Epicureanism, is to refute rather than assess in a more open-minded way. We are invited to infer that Philo’s motive need not have been what Cotta speculates it was, perhaps being instead more in line with how Cicero describes the purpose of learning as comprehensively as possible about philosophy, which is that it affords the best chance of discovering the truth by allowing one to make the case both for and against the various positions that have been propounded (I.11).12 V Having presented some evidence for a difference between Cicero and Cotta in their approach to the treatment of philosophical doctrine, despite their both being presented as Academic sceptics (and in particular, by Velleius, as students of Philo), I would like in the remainder of this paper to explore why Cotta is portrayed by Cicero as having adopted the more negative stance. We have seen that Cotta dissociates himself from any obligation to offer positive arguments about the nature of the gods, claiming that this was the task for a philosopher such as Balbus. And it is, I think, fairly straightforward to account for that attitude. Any such arguments would enter the space of rational assessment and as such would be open to rational critique. If Cotta were to offer a philosophical theory in support of traditional Roman religion, for example, he would thereby make that very tradition vulnerable by having agreed 10 Zeno is praised as “most acute” of the Epicureans at Tusc. III.38. At fin. II.119 Cicero also speaks in warm and respectful tones of the Epicureans, contemporaries of his, Siro and Philodemus; cf. Sedley (1997), 103 n.18). 11 Credo ut facilius iudicarem quam illa bene refellerentur cum a principe Epicureorum accepissem quem ad modum dicerentur. 12 We can also see in light of this how the difference between Cicero and Cotta in the ND is marked by their respective attitudes towards Antiochus: Cicero treats him as a respected teacher, Cotta as a stick with which to beat Balbus.
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to subject it to the claims of reason. In undermining the alternative theories put forth by Velleius and Balbus, he is able to reinforce the idea that, while they have made themselves subject to rational critique by upholding a particular set of philosophical doctrines about god, tradition occupies its own autonomous domain that is sustainable precisely because it refuses to enter the space of reasoned argument.13 The point is vividly illustrated at the start of Cotta’s critique of the Epicurean position expounded by Velleius. Cotta confesses that ‘many disturbing things occur to me that make me think from time to time that there are no gods’ (I.61); he would therefore, as a priest responsible for upholding religion, like to be persuaded of the existence of the gods ‘not just in opinion but as regards the truth’ (I.61).14 In a move that bears out Cicero’s authorial comment that Cotta replied to Velleius ‘with his usual suaveness’ (I.57), Cotta then deflects once more by, as he puts it, ‘generously’ not challenging Velleius on the view that there are gods, given that ‘pretty much everyone, I myself foremost among them, accepts that there are gods’ (I.62).15 It is striking that Cotta seems able to pivot seamlessly from the confession that he is assailed by worries about the non-existence of gods to a declaration that he stoutly accepts their existence. These two aspects can be explained if we take Cotta to hold that while some ‘disturbing’ reasons for doubting the existence of gods may have occurred to him, that has, for him, no bearing on the authority provided by tradition for accepting their existence. While being supplied with a philosophical proof would be welcome insofar as it would rationally address the doubts, the weight of (near) universal tradition provides an independent basis sufficient in itself for acceptance. This approach, it seems to me, is the fulcrum around which the difference constructed by Cicero between Cotta and himself revolves. While Cotta is in general keen to keep the tenets of religious tradition insulated from philosophical theory, on pain of those tenets being threatened by entry into the space of argument, and thus devotes his efforts to undercutting the philosophical theories of others rather than making positive arguments of his own, Cicero insists, as we have seen, that the possible tension between theory and religious tradition must be tackled head-on by investigation, as comprehensive and open-minded as possible, of the available philosophical theories about the nature of the gods.16 13 Cotta’s position would thus be ‘philosophically unassailable’ as DeFilippo (2000), 178 nicely puts it, though he seems to me mistaken in taking Cotta to be ‘prepared to argue both sides of a question in the Academic fashion’ (ibid.). That, as I have argued, describes Cicero’s position and represents therein a crucial difference from Cotta’s approach. 14 non opinione solum sed etiam ad veritatem. Cf. III.95 where, in the wake of his attack on Stoic theology as expounded by Balbus, Cotta insists that ‘I truly desire to be refuted’. The grammatical passives (persuaderi, redargui) seem to emphasise his disinclination to actively pursue discovery of the truth. 15 Cotta here suavely counts on Velleius’s assent given that the Epicurean position that the latter expounded includes the thesis (theorised via the Epicurean notion of preconception or prolepsis) that an opinion that commands universal assent must be true (I.43–4). 16 Insofar as assessment of philosophical positions is thus held by Cicero to have a bearing on the tenability of religious tradition, that tradition will itself fall under the purview of rational scrutiny (DeFilippo 2000, 182).
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It is notable in this regard that while Cicero in his preface describes this approach as undertaken ‘for the sake of discovering the truth’ (veri reperiendi causa, I.11),17 Cotta recounts at the start of his reply to Velleius an anecdote about the poet Simonides who, asked to pronounce on the nature of the gods by the tyrant Hiero, asked for ever more time to consider the question, telling Hiero that the matter seemed more obscure the longer he considered it. The moral Cotta draws from this is that so many ideas about the gods came to the mind of one as learned and wise as Simonides that the latter ‘despaired of the truth altogether’ (desperasse omnem veritatem, I.60). While this might not directly contradict Cicero’s claim that enquiry of this sort is undertaken for the sake of discovering the truth, it is certainly sharply at variance with it in sentiment, Cotta’s anecdote indicating that he has now determined that such a route leads to no truth, while Cicero recommends it as truthdiscovering.18 Why, then, does Cicero set up such a difference between Cotta and himself? I would like to suggest two reasons, the first connected with Cicero’s own position, the second concerning his view of the nature of philosophy. The ND is not the only work of Cicero in which Cotta features as a character. In Cicero’s great earlier work on oratory De Oratore, a younger Cotta plays a role not dissimilar to the one that Young Cicero plays in the ND. Cotta serves as narrator of the main conversation in De Oratore, just as Cicero does in the ND. In fact the former work, set in 91BCE, is constructed as a conversation at which Cotta was present, listening to a debate about the nature of oratory conducted mainly between two senior figures, Antonius and Crassus. Now Cotta, together with another younger participant Sulpicius, is presented in De Oratore as the leading rhetorical talent of his generation.19 In addition, Cotta is presented as already showing enthusiasm for the teachings of the sceptical Academy, pledging in particular that he will be indefatigable in grasping its method ‘of arguing both for and against every position’ (et pro omnibus et contra omnia disputandi, Or. III.145). This of course sounds remarkably like what Cicero advocates in his preface to ND at I.11. Moreover in De Oratore we see Cotta apparently involving himself in the method: both Sulpicius and Cotta ‘seemed in doubt’ (dubitare visus est, I.262) as to which of the two positions put forth by Crassus and Antonius respectively on the tools required to be an orator ‘seemed to approach more closely to the truth’ (propius ad veritatem videretur accedere, I.262), a phrase 17 See also ac. II.7. 18 Wynne (2014), 253 seems to me correct in suggesting that we do not necessarily have warrant to take Cotta’s attitude towards truth here as generalisable beyond the vexed question of the nature of the gods. That, however, still leaves him at substantial odds with Cicero on the issue. Moreover when Wynne seeks to defend the view that Cotta may wish, while being a radical sceptic, to discover truth, he appeals to Cicero’s view on the matter with a citation from Academica II.65-6 (2014), 265. This seems to me rather to beg the question of the relationship between Cicero and Cotta in the ND, though Wynne does briefly distinguish their outlook at 271-2; cf. Wynne (2019), 165–7. 19 In Cicero’s later work Brutus, Cotta, who died in 73BCE, is also frequently mentioned as having been amongst the foremost orators of his generation (e.g. 183, 189, 201, 204, 207, 317).
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echoed at the end of the ND where Cicero reports that, while Velleius considered Cotta’s critique of Balbus’s speech to be truer, for Young Cicero the speech of Balbus ‘seemed to be closer to a likeness of the truth’ (ad veritatis similitudinem videretur esse propensior, III.95). While the resonance between the two passages is striking,20 they differ in at least one important respect: Cotta was left in doubt as to which of two positions was more likely to be true, whereas Young Cicero is able to state a more determinate view. It seems plausible, then, that the ND picks up on the way that Cotta ends in doubt in the De Oratore to show the mature Cotta as having rejected any notion that assessing a position both for and against can lead one towards truth, adopting instead the conclusion, reinforced by the specific circumstance of a confrontation between philosophical theology and religious tradition, that truth is impossible to establish and one must therefore look to refute philosophical theories that claim the truth.21 Despite, then, the similarities between Cotta’s role in De Oratore and Young Cicero’s in ND, the juxtaposition of the two, together with Cotta’s leading role in the latter work, is, I think, intended to show that as Cotta represented the promise of the younger generation in De Oratore, so Cicero’s younger self represents that same promise a generation later, the crucial difference being that while the ND reveals the older Cotta to have given up on using argument to discover truth, the older Cicero of the preface has lost none of his drive to do just that. Cicero shows that he has not just taken over as Academic standard-bearer (as perhaps Cotta was depicted promising to be at De Oratore III.145) but has surpassed Cotta in upholding Academic method as a vehicle for finding truth rather than retreating into dogmatic doubt.22 Cicero thus pays Cotta the tribute of promoting him to a leading role in the ND from the smaller part he had played in the De Oratore while at the same time communicating unmistakably who should really be considered the star Roman proponent of Academic method.23
20 See Görler (1995), 98. 21 Interestingly, Crassus had earlier in De Oratore III characterised the method of Arcesilaus, complete with Socratic origins, as ‘to not reveal his own opinion but to argue against whatever anyone stated as theirs’ (non quid ipse sentiret ostendere sed contra id quod quisque se sentire dixisset disputare, III.67). The second half of this seems to be the stance to which Cotta will eventually pledge his allegiance (while being happy to reveal his commitment to the religious tradition) and is also part of Cicero’s description of Academic practice at ND I.11. 22 Note in this regard how Cotta characterises the Stoic arguments for the existence of the gods retailed by Balbus as ‘rendering doubtful by argument a matter that in my view is not doubtful at all’ (remque mea sententia minime dubiam argumentando dubiam facis, III.10). Positive arguments for a thesis, by entering the realm of reason, merely open themselves up to to doubt over the thesis in question. 23 Cicero evinces no undue modesty in the ND about the ambition of his philosophical project in general, claiming at I.7 that his putting philosophy into Latin will contribute greatly to the honour and glory of Rome.
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VI In light of this we can return to the much-debated finale of the ND,24 where Young Cicero pointedly sides with Balbus rather than Cotta.25 Given the difference between Cicero and Cotta, it should be no surprise that they end up on different sides. Indeed, given Young Cicero’s stated aim of being a fair-minded assessor, there is no particular reason to expect him to favour Cotta’s attack on the Stoic position over Balbus’s defence. We can, however, be a little more specific. When Balbus finishes his exposition of Stoic theology, he pleads with Cotta (as if knowing full well that this will not be the latter’s stance) to use, in conjunction with his rhetorical abilities, the method that is ‘allowed’ him by his adherence to the Academy, of arguing on either side of a position (in utramque partem … disputare), to support Balbus’s case (II.168). Cotta, however, tells Balbus that it is ‘too late’ since he has already, during Balbus’s exposition, been thinking up what to say against it (III.1). This seems to confirm, given that he wasn’t even waiting for the end of the exposition,26 that Cotta has the settled objective of arguing against positions rather than considering them dispassionately on their merits.27 Balbus, moreover, seems here to lend support (albeit for his own purposes) both to the outlook espoused by Young Cicero at I.17 of open-minded assessment, and to the method of arguing for and against a position commended by Cicero in his preface as the means to discover the truth. From this perspective, it may be that Young Cicero’s preferment of Balbus over Cotta at the end of the ND signals support not just for the content of Balbus’s speech but for the method that Balbus had pleaded, unsuccessfully, for Cotta to use, as against Cotta’s actual insistence on a purely negative approach. I would, however, also like to suggest that there is more to Cicero’s attitude towards these questions of method than a simple favouring of one approach over another. We must not after all forget that Cotta too is characterised as an adherent of the sceptical Academy. It may be tempting to see Cicero as portraying Cotta as in some way a defective adherent of Academic method. I have indeed argued that Cicero wishes to show himself as espousing a better approach to method than does Cotta. Yet Balbus’s plea to Cotta that the latter is ‘allowed’ (licet, II.168) to argue on either side reminds us that there is a conceptually distinct question of which 24 See among others Pease (1913), Levine (1957), Glucker (1992), DeFilippo (2000), Tarán (2001), Fott (2012), Diez (2021), 147–62. 25 One puzzle sometimes discerned in this ending seems to me rather superficial: the alleged inconsistency between Cicero’s taking to task, in his preface, those who seek his own views, and his mention of his favouring of Balbus’s position at the close. It seems to me that dissolution is effected by due regard for separation between Cicero the author and his younger self. Even aside from the fact that the latter is a dramatic construct, who expresses his inclination towards Balbus tentatively enough, Cicero seems to me as entitled as any of us (perhaps as an Academic sceptic even more so) to resist the implication that an opinion one may have held thirty years ago is thereby an opinion one currently holds. 26 Cotta had spoken similarly at I.57 regarding his response to Velleius’s exposition. 27 This is not to deny that Cotta’s ability to think on his feet revealed here shows a high level of memory and skill (see Wynne 2014, 259).
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method or methods it is legitimate for one who claims to be an Academic sceptic to use. Here, interestingly, Cicero seems rather less decided, and here I think we can see him make a point about the doing of philosophy itself. In his preface to ND Cicero seeks to defend his adherence to the sceptical Academy and in so doing denies that what he calls ‘the method of arguing against everything and revealing no positive judgement’ (ratio contra omnia disserendi nullamque rem aperte iudicandi, I.11), which he says was founded by Socrates, then revived by Arcesilaus and strengthened by Carneades,28 has died out. But when Cicero turns to what he himself is aiming at in the ND in the interests of discovering the truth, he appears to describe something rather different, namely, as we have seen, ‘speaking both for and against every position’ (et contra omnes philosophos et pro omnibus dicere, I.11).29 Cicero does not explicitly indicate whether he takes himself to be describing two distinct approaches here.30 But the two aspects that he picks out – the purely refutatory and the one that seeks to argue on both sides – maps nicely onto the respective ways that Cotta’s and Young Cicero’s attitude towards method is presented in the ND: the former concerned simply with refutation, the latter evincing a more open-minded view. I suggest that we are to take Cicero as implying that either can count as legitimately Academic, even if (in his view) one is to be preferred over the other. His talk of a certain method passing from Socrates to (be revived by) Arcesilaus to (be strengthened by) Carneades encourages the thought that philosophical methods and ideas are espoused by individuals,31 and that in 28 Carneades was also associated with a negative function at I.4 (cf. III.44), in relation to positions which argue that the world is such as to have been constructed by the gods for humans, though it is notable that Cicero characterises this as done in such a way as to arouse a desire in people to seek out the truth. 29 Pease (1955), 152 speaks cautiously of contra omnia disserendi being ‘expanded’ by Cicero as contra omnes philosophos et pro omnibus dicere. But the expansion seems to mark, at least, a sharp difference of emphasis: speaking both for and against every position entails speaking against every position, but the converse does not hold. At off. II.8 Cicero explains the Academic procedure of arguing against all positions in terms of the impossibility of establishing what is plausible unless argument is given on either side, the thought evidently being that if only arguments in favour of a position are offered, one cannot adequately judge how deserving of acceptance that position is. Merely presenting arguments against a position, without those in favour, would by implication be equally unsatisfactory. 30 Brittain (2001), 336, n.75 cites ND I.11 as evidence for a supposed Ciceronian ‘conflation of Arcesilaos’ method of Socratic questioning with the Carneadian practice of argument on either side’. But Cicero’s characterisation of the respective roles of Socrates, Arcesilaus and Carneades (profecta … repetita … confirmata) suggests not a conflation but a carefully signposted developmental picture; see Glucker (1997), 81–2. While I am not directly concerned with the historical question of what the varieties of Academic scepticism were, part of what I shall argue is that Cicero means in the ND to discourage us from regarding the positions of any philosophical school as fixed and determinate rather than continuously evolving. 31 Dyck (2003), 68 points out how personalisation is emphasised by Cicero’s use of orbam (‘orphaned’) at I.11 to describe the contemporary state of Academic scepticism in Greece. At fin. V.10 Cicero explicitly contrasts the practice, whose origin he there attributes to Aristotle, of
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carrying any such method or idea forward each individual will inevitably leave their own mark on it and contribute to its development, even if, as I have argued, Cicero suggests that he himself represents the current state of the art regarding the method of the Academy. It may be significant in this regard that at I.11, having first mentioned the magnitude of understanding all philosophical systems (disciplinas), Cicero in fact goes on to speak not of defending and attacking philosophical schools or positions, but philosophers (philosophos). And it is of course individual exponents of Epicureanism and Stoicism, rather than featureless summaries of school doctrine, that are presented by Cicero in the main body of the work. It is notable that the status of both Velleius and Balbus as decidedly individual representatives of their respective schools is emphasised.32 We saw earlier how Cotta praised Velleius’s sense of style as unusual in an Epicurean; he goes on to bracket Velleius with Zeno of Sidon as possessing a clarity, depth and style that contrasts with most Epicureans (I.59). This contrast with supposedly more typical Epicurean obscurity invites the question whether change of style necessarily leaves substance untouched. It is striking that at I.61 Cotta says that he prefers to debate with Epicurus than with Velleius, which might further suggest that Velleius’s version of Epicureanism is (for better or worse) not quite the same as that of the founder. Balbus in turn speaks of the advantages of his own full and rich style over the more compressed argumentative method one finds deployed by the Stoic theoreticians, in particular Zeno;33 and he does so in a way calculated to raise our suspicions about how faithful a representation of the Stoic founder his exposition will be: my style of presentation, says Balbus, flows like a river; and just as flowing rivers avoid pollution much better than do enclosed pools, so too my stream of eloquence will dilute a critic’s protestations, while a closely reasoned argument cannot so easily protect itself (II.20). Whatever the merits of this – and it is surely intended by Cicero to strike us on some level as disquieting – it adds to the thought that positions notionally representative of a given school or system are liable to adapt and change in the hands of the individuals who propound them.34 As if to illustrate this, Balbus does give a brief list of some of Zeno’s succinct deductive arguments in favour of the universe speaking on either side of a question, with Arcesilaus’s manner of always speaking against every position. At tusc. II.9 Cicero attributes to both Peripatetics and the Academy the habit of arguing on both sides, while at tusc. V.11 Cicero says he follows Carneades in seeking what has most likelihood (quid esset simillimum veri). Given what he says about Arcesilaus, Cicero thus seems to regard Carneades as the main Academic proponent of arguing both for and against a position. 32 I have discussed this point in Woolf (2015), 43–4 and 50–1. 33 See here Schofield (1983). 34 For a salutary reading of Stoicism along these lines, which invokes De Finibus in support, see Inwood (2012), though note disciplina at Fin. IV.53 which suggests Cicero may have in mind more systematicity there than Inwood allows (241). In the ND it is worth noting that Velleius’s opening critique treats the first three Stoic scholarchs (Zeno, Cleanthes and Chrysippus), as well as other early Stoics, as each having individual positions on the gods (I.36-41). Theological development within the early Stoa is also implied by Balbus at II.63.
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being intelligent, wise, happy and eternal, and therefore divine (II.21). So even as he tells us that a more flowing presentation has a better chance of evading the ‘calumnies’ of the Academic critics (II.20), we are given the opportunity, as readers, of critically comparing the two approaches. It turns out, then, that the two proponents of positive theological doctrine in the ND have a curious relation to the founders of their respective schools. As Velleius was the anti-Epicurus in his clarity and elegance, so Balbus proves to be the antiZeno in his fullness and rhetorical flow. If we place this side by side with the differences between the two Academic sceptics, then it seems to me that a consistent picture emerges. What Cicero propounds as an Academic sceptic may not be the same as what Cotta (or for that matter Carneades) does or did under the same banner. The same goes for Velleius in relation to Epicurus, and for Balbus in relation to Zeno of Citium.35 But Cicero’s message, I think, is that it would be wrong-headed to regard any of these approaches as in some sense illegitimate just because they are adaptations rather than simple reiterations of some supposed original method or doctrine. After all it is we the readers to whom Cicero is reaching out in composing the ND, and we the readers whom he encourages to follow him in engaging critically and open-mindedly with the arguments he presents.36 If this approach represents, in his view, the best of the Academic tradition, it is so in virtue of its permitting the individual to treat philosophy as a living discipline, not one to be reverentially adhered to on the authority of a founder (cf. I.10 on Pythagoras).37 VII That philosophy evolves, and philosophies evolve, is inevitable just because those who do philosophy are individuals, their identity formed from a complex web of attributes and influences that helps determine how each approaches a particular philosophical issue. We see this vividly in the case of Cotta himself: his ancestry, his membership of the priesthood, his philosophical allegiance and his rhetorical talent are all highlighted and all contribute to the way he deals with the question of the nature of the gods. We have seen too how both Velleius and Balbus are characterised as distinct in their approach from their respective school founders. In the case of Balbus, his Roman identity seems particularly important in accounting for the way his argument is constructed, with Roman myth and history frequently
35 Balbus himself mentions the dissenting position of Panaetius within Stoicism on the question of the conflagration at II.118; see Tarán (2001), 474. 36 See here Schofield (2008), 73. Cicero’s ‘emancipatory’ objective in the ND in regard to his readers is the central theme of Diez (2021). 37 Cicero also takes the opportunity in this paragraph to chide those who seek to know his own view on various topics for an excess of curiosity, emphasising that it is force of argument rather than authority of speaker that should count. Cicero presumably intends to ward off from the curious his views on first-order issues (such as the nature of the gods) rather than questions of method, since he is perfectly open about his preference regarding the latter.
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invoked either to support or to be explained in terms of Stoic theory (e.g. II.6–12, II.64–9, II.165). The illustration of philosophy’s evolution in the hands of its individual proponents operates, I think, on two levels in the ND. First, it serves to encourage us, Cicero’s readers, to see philosophy as a living subject and therefore one that we too are able to engage in actively rather than passively absorb from supposed authorities. In this way we can see how it is the doing of philosophy that Cicero intends to uphold.38 But secondly, we may regard the ND as a vehicle for showcasing Cicero’s own evolution. Return to Young Cicero’s favouring of Balbus at the end of ND. I suggested above that one reason for this may be that he sees Balbus, despite his Stoic adherence, as a supporter of the method of arguing for as well as against a position,39 one that the ND as a whole of course exemplifies. But another and perhaps slightly less creditable reason also suggests itself: Balbus had deployed, in support of Stoic ideas about the providence of the gods, copious excerpts from Cicero’s youthful translations of Aratus’s astronomical poems (II.104-114). And it is hard to escape the conclusion that a still relatively youthful Cicero may have had his head turned by such flattery. Now in itself there may be nothing wrong with this. After all, those translations are a case of Cicero putting Greek thought into the Latin language, and that project, as pertaining to philosophy, he proclaims in his preface as one of his proudest boasts (I.7). Yet the young Cicero of the discussion of the ND has the role not of poetic translator, but open-minded assessor of philosophical positions, in accordance with his favoured mode of Academic procedure. So we have an evolution from the versifier of Greek to the engaged, albeit mostly silent, philosopher. But the evolution doesn’t stop there. While Balbus, as we saw above, is disappointed in his hope that Cotta’s Academic allegiance and rhetorical gifts will be channelled into supporting as well attacking a position, the mature Cicero, as author of the ND, has surely stepped in to oblige, now no longer taciturn but in his authorial role full-fledged presenter of arguments both for and against two of the leading positions of his day on the nature of the gods.40 In thus marking his philosophical surpassing of Cotta, Cicero records his own evolution,41 leaving his readers to take the next steps in philosophy’s onward journey. 38 At ND I.8 he claims that his writings have stimulated many not only to learn but to write themselves. 39 At off. III.89 Cicero tells us that the Stoic Hecato ‘argues on either side (in utramque partem disputat)’ of a question and implies that the latter reached a determinate conclusion (albeit one that Cicero dissents from). 40 In the preface of De Divinatione Cicero describes his achievement in the ND as having ‘again and again carefully compared argument with argument’ (diligenter etiam atque etiam argumenta cum argumentis comparemus’, div. I.7). See also De Fato 1 where he describes his objective in ND as facilitating, by presentation of the case on either side, identification by his readers of what seemed to each most plausible. 41 It seems to me therefore that Schofield’s claim (2008), 82 that Cicero makes himself a ‘bit-part player’ in the ND with a ‘minor role’, in favour of Cotta as leading critic of the dogmatic schools, because ‘he does not wish to be associated with the sceptical case’ [Schofield’s emphasis] under-estimates what Cicero’s use of the dialogue form is able to achieve in terms of
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If that is right we can, in closing, address a residual puzzle about Cicero’s preface that suggests there is still plenty of work for his readers to do, even if we confine ourselves to the question of the nature of the gods. As we have seen, at I.11 Cicero puts forth the objective of speaking for and against ‘all’ the philosophers and goes on to say (I.12) that while he may not have mastered such an enormous undertaking, he has at least attempted it. But where does this attempt take place? Does the ND not focus chiefly on the Stoic and Epicurean positions and their rebuttals? The answer seems to lie in Velleius’s rather breathless invective, preceding his positive account of the Epicurean position, against an impressively long list of other views on the gods, ranging from the Presocratics to Plato, Aristotle and their successors, including also the Stoics who will of course later receive their own advocacy. Cicero, I think, manages here to have his cake and eat it too. While generating not undeserved admiration for the comprehensiveness of his setting out (in Velleius’s mouth) of the breadth of theological positions on offer, he surely intends us to notice that (with the exception of the Stoics) it comprises attack without defence – Velleius if anything showing an excessive lack of deference to authority. We need not doubt that Cicero considered the Stoic and Epicurean positions to be the most significant of his age, especially given that they jointly encapsulate what he tells us is the nub of the issue where the gods are concerned, namely whether they intervene in the workings of the universe or not (I.2). But, in the end, those two positions represent a mere fragment of the vast array of views about the gods that are out there – whether the Peripatetics represent a distinct philosophy from the Stoics or not. In challenging us to continue philosophy’s work, Cicero leaves us to ponder whether it may be even more of an accomplishment for us to surpass Cicero than it was for Cicero to surpass Cotta.42 BIBLIOGRAPHY Brittain, C. (2001), Philo of Larissa: The Last of the Academic Sceptics, Oxford. DeFilippo, J. (2000), Cicero vs. Cotta in De natura deorum, Ancient Philosophy 20, 169–187. Diez, C. (2021), Ciceros emanzipatorische Leserführung: Studien zum Verhältnis von dialogischrhetorischer Inszenierung und skeptischer Philosophie in De natura deorum, Stuttgart. Dyck, A. (2003), Cicero De Natura Deorum Book I, Cambridge. Fott, D. (2012), The Politico-Philosophical Character of Cicero’s Verdict in De Natura Deorum, in W. Nicgorski (ed.), Cicero’s Practical Philosophy, Notre Dame, Ind., 152–180. Glucker, J. (1992), Cicero’s Philosophical Affiliations Again, Liverpool Classical Monthly 17, 134– 138. – (1997), Socrates in the Academic books and other Ciceronian works, in: B. Inwood and J. Mansfeld (eds.), Assent and Argument: Studies in Cicero’s Academic Books, Leiden, 58–88. his self-presentation as a paradigm of the sceptical approach, beside which Cotta is found wanting. For a reading of the ND which interprets, on grounds rather different from my own, Cicero as showing Cotta falling short as an Academic spokesperson, see Fott (2012), who rests his case in substantial part on a comparison of Cotta’s performance in the ND with Cicero’s in the De Divinatione. On these two works as a joint Ciceronian project, see Wynne (2019). 42 I would like to thank Sol Tor for helpful discussion.
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PERLEGI TUUM PAULO ANTE TERTIUM DE NATURA DEORUM [LIBRUM] Zur inhaltlichen und kommunikativen Beziehung zwischen Ciceros De natura deorum und De divinatione Gernot Michael Müller I Themenbehandlung und deren Zuordnung auf die dafür ausgewählten Sprecher in Ciceros De natura deorum haben die Forschung stets irritiert. Da ist zum einen eine Cicero-Figur, die sich eigentümlich zurücknimmt und nur zu Beginn und abschließend kurz das Wort ergreift, obwohl sich der Autor Cicero erstmals in De legibus, dem letzten Werk der ersten Schaffensphase in den 50er Jahren des 1. Jahrhunderts v. Chr., und sodann in den ab 46 v. Chr. entstandenen Werken als prominente und in der Regel führende Gesprächsinstanz in die Dialoghandlungen seiner philosophischen Schriften integriert hat.1 Hiermit korrespondiert, dass die Cicero-Figur von De natura deorum,2 die sich zugleich als Erzähler des Dialogs zu erkennen gibt, am Ende eine auffallend zurückhaltende Bewertung über die dort entwickelte und von ihm lediglich mitverfolgte Diskussion abgibt und mithin nur ganz verhalten eine gewisse Sympathie für die von der Dialogfigur Balbus vorgetragene stoische Götterlehre artikuliert.3 1 2 3
Einen konzisen Überblick über Ciceros philosophisches Œuvre mit Inhaltsangaben der einzelnen Werke bieten Gawlick/Görler (1994). Grundsätzlich zur Figurengestaltung in Ciceros Dialogen s. Becker (1938) und Sedlmeyr (2021). Zur Datierung von De natura deorum s. etwa Bringmann (1971), 171 Anm. 1; Schofield (1986), 48; Taran (1987), 2 und Dyck (2003), 2. Cic. nat. deor. 3,40,95: Haec cum essent dicta, ita discessimus, ut Velleio Cottae disputatio verior, mihi Balbi ad veritatis similitudinem videretur esse propensior („Nachdem dies gesagt worden war, trennten wir uns in dem Sinne, dass dem Velleius der Vortrag Cottas der Wahrheit näher zu kommen schien, ich dagegen der Meinung war, die Rede des Balbus habe eher die Neigung, der Wahrheit ähnlich zu sein“); Zitate aus De natura deorum entstammen der Ausgabe von Plasberg/Ax. Die Übersetzungen folgen mit Modifikationen und orthographischen Anpassungen der Ausgabe von Olof Gigon und Laila Straume-Zimmermann. Die ältere Forschung ging davon aus, dass Cicero aus Vorsicht dezidiert vermeiden wollte, von seinen Rezipienten in die Nähe Cottas gestellt zu werden; vgl. Levine (1957), 7–36; Beard (1986), 33–46 sowie den Überblick über die älteren Forschungspositionen bei Bringmann (1971), 266–268; Gawlick/Görler (1994), 1043 vermuten, Cicero habe sich die Rolle Cottas zunächst selbst geben wollen. S. dagegen Taran (1978), 17f. sowie Leonhardt (1999), 61f., der die Sympathie der Cicero-Figur für die Position des Balbus hervorhebt; für eine Rekapitulation der
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Demgegenüber geben die in dichter Folge zuvor entstandenen Werke wo nicht gänzlich eindeutige, so zumindest deutlichere Hinweise – zum Teil in Kombination mit kompositorischen Fingerzeigen – auf die Positionen der Cicero-Figur in den dort inszenierten Meinungswechseln. So legt sie beispielsweise am Ende des fünften Buches von De finibus bonorum et malorum durchaus begründet dar, dass sie Pisos peripatetische Ansichten insgesamt für recht überzeugend hält, und sie spricht dabei auch deutlich aus, welche Schwachpunkte es in diesen ihrer Ansicht nach noch zu klären gelte, damit sie diese voll und ganz billigen könne.4 Freilich ist einzuräumen, dass sich in den Schlusspartien von De finibus bonorum et malorum und von De natura deorum dieselbe skeptische Grundeinstellung artikuliert, die Cicero grundsätzlich für sich reklamiert.5 Ein Hinweis darauf, dass Cicero diese in De natura deorum ganz bewusst stärker profilieren wollte,6 liefert die eigentümliche Altersstruktur seines Gesprächspersonals, vor deren Hintergrund die Zurückhaltung der Cicero-Figur in Gesprächsteilnahme und Urteil als Ausweis korrekten römischen Generationenverhaltens bewertet werden kann.7 Denn während er sich in den anderen Werken der Spätphase seines philosophischen Œuvres – eine Ausnahme ist das auch vom Schauplatz her für sich stehende Gespräch im fünften Buch von De finibus bonorum et malorum – als bereits älterer und politisch verdienter Konsular auftreten lässt,8 hat er das dramatische Datum der Unterredung von De natura deorum in die Mitte der 70er Jahre des 1. Jahrhunderts v. Chr.
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Forschungsmeinungen s. Sedlmeyr (2021), 327–330 und Diez (2021), 147–162, der zu Recht den Unterschied zwischen dem Proömiensprecher und der Dialogfigur Cicero betont. Cic. fin. 5,25,95: „Atqui iste locus est, Piso, tibi etiam atque etiam confirmandus“, inquam, „quem si tenueris, non modo meum Ciceronem [gemeint ist Ciceros an der Diskussion ebenfalls teilnehmender Cousin Lucius], sed etiam me ipsum abducas licebit.“ („Das, lieber Piso, ist ein Satz, den du immer wieder erhärten musst. Wenn du ihn halten kannst, so wirst du meinen Cicero nicht nur, nein auch mich bekehren“). Zitate aus De finibus folgen der Ausgabe von Schiche. Die Übersetzung ist jene Karl Atzerts. Zur Cicero-Figur in De finibus, Buch 5 s. Sedlmeyr (2021), 275–280, zum hier zitierten Satz ebd., 279–280. Zu Ciceros Affinität zur akademischen Skepsis s. grundlegend Görler (1974); Lévy (1992) sowie als Überblick Gawlick/Görler (1994), 1089–1118. Dass Cicero in De natura deorum einen dogmatischen Schluss vermeiden wollte, seine Offenheit somit intendiert war, betonen in unterschiedlicher Nuancierung Pease (1955), 36; De Filippo (2000), 185; Fox (2007), 4–7 und Schofield (2008), 73. Im Übrigen betont Cicero bereits im Proömium des Dialogs, dass seine Rezipienten gut daran täten, in diesem nicht nach seiner Auffassung zu suchen, sondern der Argumentation folgen sollten: Cic. nat. deor. 1,5,10: qui autem requirunt quid quaque de re ipsi sentiamus, curiosius id faciunt quam necesse est; non enim tam auctoritatis in disputando quam rationis momenta quaerenda sunt („Diejenigen aber, die wissen möchten, was ich selber über jeden einzelnen Punkt denke, sind neugieriger, als es sich schickt. Bei Diskussionen muss man ja nicht so sehr nach dem Gewicht der Person als vielmehr nach den Beweisgründen fragen“). Hieraus folgert Mora (2003), 8, darin sicherlich zu weit gehend, dass Cicero in seinen theologischen Schriften einen radikalen Skeptizismus verwirklicht habe (vgl. hierzu auch unten Anm. 64 mit Hinweisen zum Verhältnis von Cotta und Cicero in De natura deorum). Grundsätzlich zur Figurengestaltung in Ciceros Dialogen s. Becker (1938). Vgl. Müller (2015).
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zurückverlegt,9 so dass seine passive und insgesamt defensive Rolle in gewisser Analogie zum Personengefüge der frühen Dialoge mit einem korrekten, römischen Normen entsprechenden Verhalten gegenüber den allesamt älteren Hauptsprechern verrechnet werden kann.10 Dessen ungeachtet irritierte sodann auch die wie vorsichtig auch immer formulierte Präferenz der Cicero-Figur für den Stoiker Balbus, wo sich der Autor doch selbst regelmäßig als Vertreter der Akademie präsentiert.11 Letzterer Befund gab wiederum Anlass, den Fokus auf die Figur des Cotta zu richten, der in De natura deorum als alle Positionen kritisch hinterfragender Akademiker auftritt12 und zu dem sich Cicero in seinen Werken eine gewisse Nähe zuweist.13 Er ist es ja auch, von dem Cicero das in De oratore wiedergegebene Gespräch erfahren haben will.14 Allerdings provozierte in seinem Fall die Vereinbarkeit seiner skeptischen Positionen mit seiner Rolle als amtierender pontifex maximus gewisse Anfragen, so dass eine Verortung der Autormeinung bei Cotta als ebenso problematisch, weil eben inkonsistent angesehen wurde.15 All diese angedeuteten Anfragen an De natura 9
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Das dramatische Datum von De natura deorum sind die feriae Latinae zwischen 77 und 75 v. Chr., als Marcus Cicero zwischen 29 und 31 Jahre alt war; s. hierzu Pease (1955), 137; Süß (1966), 97; Taran (1987), 3; Dyck (2003), 2; Bringmann (2010), 48 und Steel (2013), 225 und Sedlmeyr (2021), 296–297. Dass De natura deorum von seiner Figurenkonstellation her somit eine Zwischenstellung zwischen aristotelischem und herakleidischem Dialogmodell einnimmt, betont Taran (1987), 3f.; vgl. auch Pease (1955), 24–25. Grundsätzlich zur Altersstruktur in Ciceros Dialogen vgl. die Anmerkungen in Müller (2011), zu De natura deorum ebd., 48–51. Auch Begemann (2012), 24 erkennt die Cicero-Figur als entscheidende Brücke in die Vergangenheit der Dialoghandlung. S. aber Ciceros letztes philosophisches Werk De officiis, in dem er der stoischen Ethik des Panaitios folgt. Zur Bedeutung des Panaitios im Denken Ciceros s. unten Kapitel III des Beitrags. Über die historische Figur des Balbus ist wenig bekannt; vgl. über ihn beispielsweise Syme (1955), 65 und Gruen (1974), 519 und Sedlmeyr (2021), 318. Die Kirchenväter (z.B. Aug. civ. 5,9) betrachteten die Sympathie der Cicero-Figur für die Position des Balbus als Dissimulationstrategie des Autors, der damit verschleiert habe, dass er die skeptische Ansicht Cottas teile, die von ihnen entgegen seinen verschiedenen Bekundungen im Dialog (s. unten Anm. 21, 51und 64) als Infragestellung der Existenz der Götter verstanden wurde. Sein Ziel sei dabei gewesen, den Vorwurf des Atheismus zu vermeiden; vgl. Leonhardt (1999), 61. Die ältere Forschung hat sich dieser Auffassung hin und wieder angeschlossen und in Cicero auf der Grundlage von De natura deorum einen Atheisten gesehen; s. Hirzel (1895), 532 sowie Philippson (1939), 1156. Dass Cotta tatsächlich gewisse Affinitäten zur Akademie besaß, betonen Hirzel (1895), 521; Meyer (1970), 186f.; Lefèvre (1988), 112 und Sedlmeyr (2021), 298–299. Diese Ansicht stützt sich u. a. auf Ciceros Bemerkung gegenüber Atticus in Cic. Att. 13,19,3, er habe überlegt, Cotta in den Academici libri als Sprecher auftreten zu lassen; vgl. dazu Hirzel (1895), 521 und Lefèvre (1988), 112. Zu Cottas Selbstbeschreibung als Vertreter der akademischen Skepsis s. Cic. nat. deor. 1,21,60; vgl. Görler (1974), 139 und Sedlmeyr (2021), 299. Affinitäten zwischen Cicero und seiner Cotta-Figur ergeben sich dadurch, dass beide die Frage nach der Existenz der Götter in beinahe wörtlicher Entsprechung als eine ebenso schwierige wie dunkle beurteilen: vgl. Cic. nat. deor. 1,1,1 mit 1,7,17. Vgl. Cic. de orat. 1,7,28; s. Gawlick/Görler (1994), 1022 und Fantham (2004), 54. Auf dieses Spannungsverhältnis weist die Figur Balbus in nat. deor. 2,67,168 explizit hin; vgl. Süß (1971), 169 sowie ausführlich Sedlmeyr (2021), 300–304.
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deorum entspringen einem Dialogverständnis, das gewohnt ist, die Position des Autors aus einer der Figurenreden auf der Basis greifbarer Affinitäten zu destillieren, und damit, wie gesehen, in der Regel zu keinem befriedigenden Ergebnis gelangt. In der Tat verorten neuere Ansätze in der Dialogforschung die Aussageabsicht von Dialogen im Gesprächsgeschehen selbst und warnen vor diesem Hintergrund davor, einer figuralen Präsenz des Autors in diesem zu hohe Evidenz beizumessen.16 Indes scheint sich gerade im Falle von Ciceros religionsphilosophischem Dialog eine Möglichkeit zu eröffnen, dessen Intention sowie der eigentümlichen Positionierung der Cicero-Figur an seinem Ende genauer auf die Spur zu kommen, nämlich über eine vergleichende Lektüre des im Anschluss an diesen entstandenen Werks De divinatione, und dies nicht allein deswegen, weil die beiden Schriften zusammen mit De fato einen inhaltlichen Zusammenhang bilden,17 sondern weil De divinatione seinen Ausgang bei einem Kommentar des Quintus Cicero über die Position Cottas in De natura deorum nimmt, über den die Kontroverse der beiden Brüder über Bedeutung und Glaubwürdigkeit der Weissagung angestoßen wird.18 Vor dem Hintergrund dieser markanten Interdependenz der beiden Werke auf der Ebene der Gesprächshandlung soll im Folgenden ausgelotet werden, inwieweit eine Lektüre von De divinatione das Verständnis von De natura deorum und insbesondere der skeptischen Position eines Cotta sowie der Präferenz der Cicero-Figur für den Stoiker Balbus zu befördern vermag. Hierzu gehen die anschließenden Ausführungen folgendermaßen vor: Nach einer kurzen Rekapitulation der Kritik, die Quintus an der Rede Cottas zu Beginn von De divinatione übt, soll anhand einiger aussagekräftiger Passagen nahelegt werden, dass sich die Kontroverse der beiden Cicero-Brüder nicht nur um die Frage der Glaubwürdigkeit von Weissagungen dreht, sondern in dieser auch die Legitimität eines skeptischen Zugangs zum Themenfeld Religion und Götterglaube verhandelt wird.19 Vor dem Hintergrund, dass Marcus Cicero diesen, wie zu erwarten ist, zwar rechtfertigt, aber dezidiert nicht auf die Frage der Existenz der Götter ausdehnt, gilt es sodann darzulegen, dass er sich 16 Vgl. hierzu einführend zum Dialog in der Antike Föllinger/Müller (2013), 1–7 sowie grundlegend Häsner (2004). Die Eigenständigkeit der Cotta-Figur gegenüber ihrem Autor betont ganz zu Recht die detaillierte Analyse ihrer Reden von Diez (2021), 297–357. 17 Den Zusammenhang der drei Schriften betont Cicero selbst in seiner Werkübersicht im Proömium des zweiten Buches von De divinatione; s. div. 2,1,3. 18 Zur Entstehung von De divinatione gleichzeitig mit bzw. kurz nach De natura deorum s. Pease (1963), 13–15 und Wardle (2006), 37–43, jeweils mit ausführlicher Begründung und Diskussion der älteren Literatur sowie knapp Gawlick/Görler (1994), 1044. Überlegungen, nach denen das Werk möglicherweise nicht mehr zu Ciceros Lebzeiten veröffentlicht worden sei, stellt Levine (1957) an; für eine solche überzeugend: Bringmann (1971), 266–268, Taran (1987), 4– 6 und ferner Gawlick/Görler (1994), 1043; für einen Überblick über die ältere Forschung zu De divinatione und den unterschiedlichen Positionen zu seinen möglichen Aussageabsichten s. Vielberg (2019), 50–52. 19 Für einen Überblick über die generellen Forschungspositionen im Hinblick auf Wesen und Funktion der römischen Religion s. Linke (2000) sowie speziell zur republikanischen Zeit Rüpke (2014); für eine umfassende Einführung in Praktiken und Akteure der divinatio im republikanischen Rom s. Rosenberger (2007); vgl. auch Rüpke (2013) mit einem konzisen Überblick über die jüngere Forschungsdiskussion.
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hierfür durchaus auf stoische Positionen beziehen kann, er also einen Weg findet, akademische Skepsis und stoischen Götterglauben miteinander zu verbinden. Insofern er diesen im modifizierten Stoizismus des Panaitios vorgeprägt sieht, wird der Schluss dieses Beitrags einen thesenhaften Ausblick auf dessen Bedeutung im philosophischen Œuvre Ciceros anstrengen, welche darüber hinauszugehen scheint, lediglich die Hauptquelle für das ethische Spätwerk De officiis zu markieren. II Anders als De natura deorum berichtet De divinatione von einer Unterredung, die zeitlich nicht weit vor Abfassung des Werks stattgefunden haben soll. Neulich, so berichtet der Erzähler Marcus Cicero, habe er zusammen mit seinem Bruder Quintus einen Spaziergang auf seinem Landgut in Tusculum unternommen.20 Während sie sich dabei unterhalten hätten, sei letzterer auf seine Lektüre des dritten Buches von De natura deorum zu sprechen gekommen, die er soeben abgeschlossen haben will, dabei die Ausführungen Cottas ins Visier nehmend. Diese hätten, so habe er zugestanden, seine Position, wenngleich nicht umzustürzen vermocht, dennoch durchaus ins Wanken gebracht. Dies liegt wohl daran, dass er Cottas Positionen radikaler verstanden hat als von diesem gedacht, indem er ihm vorwirft, in seiner Auseinandersetzung mit Balbus, den Götterglauben gänzlich abgeschafft zu haben.21 An seiner Meinung vermag auch die korrgierende Entgegnung seines Bruders Marcus nichts zu ändern, wonach Cotta nicht den Götterglauben habe entkräften, sondern nur die Argumente der Stoa auf den Prüfstand stellen wollen.22 Denn hinter entsprechenden Andeutungen Cottas, die auch Quintus nicht entgangen 20 Cic. div. 1,5,8: Quibus de rebus et alias saepe et paulo accuratius nuper, cum essemus cum Q. fratre in Tusculano, disputatum est („Um diese Fragen drehte sich die Unterhaltung häufig auch sonst, etwas einlässlicher freilich jüngst, als ich zusammen mit meinem Bruder Quintus auf dem Landgut bei Tusculum weilte“). Die Zitate aus De divinatione entstammen der Ausgabe von Plasberg/Ax. Die Übersetzungen folgen Christoph Schäublin. Philippson (1939), 1157 erschließt Ciceros letzten Aufenthalt in Tusculum für Dezember 45 v. Chr. Zur Figurenkonstellation von De divinatione s. ausführlich Sedlmeyr (2021), 548–564. Dass Cicero De divinatione implizit seinem Bruder gewidmet habe, indem er ihn zu seinem textinternen Gesprächspartner gemacht hat, vermuten Hirzel (1895), 536; Philippson (1939), 1157 und Pease (1963), 16. 21 Dabei stellt Cotta in nat deor. 3,39,93 eindeutig klar, dass er nicht den Glauben an die Götter aufheben, sondern nur darauf hinweisen wolle, wie schwer es sei, deren Existenz zu beweisen. Entsprechend hat er zu Beginn seiner Rede darauf aufmerksam gemacht, dass es ihm allein um die Prüfung von Argumenten, nicht um die Infragestellung der Religion ginge. Vor diesem Hintergrund erkennt er in nat. deor. 3,2,5–6 die auf dem mos maiorum beruhende römische Religion ausdrücklich an. Dennoch deutet Beard (1986), 42–43 den Cotta von De natura deorum als ambivalente Figur. Auch Cicero äußert sich in den Proömien beider Schriften affirmativ zur Bedeutung der Religion und er weist in diesem Zusammenhang auf die Gefahren hin, die sich aus einer Schwächung der Religion für Staat und Zusammenleben ergäben (s. nat. deor. 1,2,3f. und div. 1,5,8). 22 Vgl. Bringmann (1971), 173f. und Görler (1974), 133–136. Dass Cotta positiv auf die Rede des Balbus reagiert habe, legt Gorman (2005), 142–162 dar. Spahlinger (2005), 83 arbeitet die durchaus überzeugende Strukturierung der Balbus-Rede heraus.
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zu sein scheinen, erkennt er allein ein strategisches Interesse, mit dem Cotta darauf gezielt habe, sich nicht allzu sehr dem Verdacht einer Übertretung des allgemeinen Rechts auszusetzen:23 „Perlegi“, inquit [sc. Quintus], „tuum paulo ante tertium de natura deorum, in quo disputatio Cottae quamquam labefactavit sententiam meam, non funditus tamen sustulit.“ – „Optime vero“, inquam [sc. Marcus]; „etenim ipse Cotta sic disputat, ut Stoicorum magis argumenta confutet quam hominum deleat religionem.“ tum Quintus: „Dicitur quidem istuc“, inquit, „a Cotta, et vero saepius, credo, ne communia iura migrare videatur; sed studio contra Stoicos disserendi deos mihi videtur funditus tollere.“ „Eben habe ich das dritte Buch deines Werks ‚Über das Wesen der Götter‘ zu Ende gelesen; der Vortrag Cottas darin brachte zwar meine Auffassung ins Wanken, vermochte sie aber nicht gänzlich umzustürzen.“ – „Vortrefflich in der Tat“, sagte ich, „denn Cotta selbst legt seinen Vortrag doch darauf an, eher die Argumente der Stoiker zu entkräften als die Gottesverehrung der Menschen zu zerstören.“ – Darauf sagte Quintus: „Gewiss, eben das behauptet Cotta, ja sogar mehrfach, wie ich glaube, um dem Verdacht vorzubeugen, er übertrete allgemeingültiges Recht. In seinem Bemühen freilich, sich mit den Stoikern auseinanderzusetzen, schafft er die Götter, scheint mir, gänzlich ab.“
Doch anstatt auf die Argumente Cottas, die er offensichtlich nachgerade für gefährlich erachtet, im Folgenden näher einzugehen und sich zu bemühen, diese zu entkräften, macht es sich Quintus recht einfach. Seiner Ansicht nach habe Balbus das Nötige gesagt, um den Götterglauben zu bestätigen – eine freilich nicht unanfechtbare Auffassung, hatte er doch zunächst zugegeben, Cottas Rede habe ihn zumindest verunsichert. Zudem meint er sich auf seinen Bruder stützen zu können, der am Ende von De natura deorum bekanntlich eine gewisse Präferenz für Balbus geäußert habe, ohne es allerdings als Infragestellung seiner eigenen Position zu begreifen, dass dieser eine erheblich defensivere Zustimmung gegeben hat als er selbst:24 Eius orationi non sane desidero quid respondeam; satis enim defensa religio est in secundo libro a Lucilio [sc. Balbo], cuius disputatio tibi ipsi, ut in extremo tertio scribis, ad veritatem est visa propensior. Trotzdem beschäftigt mich nicht übermäßig, was ich auf seine Rede erwidern soll; denn hinlänglich wurde die Gottesverehrung im zweiten Buch von Lucilius verteidigt, und du selbst schreibst am Ende des dritten Buches, sein Vortrag habe nach deiner Meinung die stärkere Neigung zur Wahrheit hin.
Vor dem Hintergrund solcher Selbstsicherheit ist es wahrscheinlich nicht erstaunlich, dass Quintus im Folgenden keinen Anlass sieht, Balbus’ Argumentation aus De natura deorum neu aufzurollen, sondern diese lediglich zu ergänzen, insofern er eingesteht, dass jener einen wichtigen Aspekt der stoischen Götterlehre unbeachtet gelassen habe, nämlich die divinatio.25 Hierüber bittet Quintus seinen Bruder im 23 Cic. div. 1,5,8; vgl. Gawlick/Görler (1994), 1044. 24 Cic. div. 1,5,9. 25 Freilich war die divinatio, wenn auch jeweils kurz, bereits Gegenstand von De natura deorum, indem alle drei dortigen Redner ihre Haltung dieser gegenüber zum Ausdruck gebracht haben: Velleius hat sie als Epikureer naturgemäß abgelehnt, Balbus steht ihr als Stoiker positiv gegenüber, während Cotta ihr gegenüber skeptisch eingestellt war; vgl. Süß (1966), 120.
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Folgenden zu sprechen, nicht ohne sogleich deutlich seine These zu verkünden, wonach die Weissagung die Existenz der Götter anzeige und dass umgekehrt, wenn sie existieren, es auch Menschen gäbe, die deren Willen entbergen könnten:26 Sed, quod praetermissum est in illis libris (credo, quia commodius arbitratus es separatim id quaeri deque eo disseri, id est de divinatione, quae est earum rerum, quae fortuitae putantur, praedictio atque praesensio), id, si placet, videamus quam habeat vim et quale sit. ego enim sic existimo, si sint ea genera divinandi vera, de quibus accepimus quaeque colimus, esse deos, vicissimque, si di sint esse qui divinent. Allerdings blieb in jenen Büchern ein Bereich ausgespart – doch wohl deshalb, weil du es für angemessener hieltest, ihn getrennt zu untersuchen und von ihm zu handeln, nämlich die Wahrsagung, unter der wir die Verkündigung und Vorahnung der Dinge verstehen, die man dem Zufall zuschreibt: diesen Bereich wollen wir uns, bitte, auf sein Wesen und seine Beschaffenheit hin anschauen. Nach meiner Ansicht verhält es sich nämlich so: Wenn die Formen der Wahrsagung, von denen wir Kunde haben und die wir pflegen, in der Wirklichkeit begründet sind, dann gibt es auch Götter; und umgekehrt: wenn es Götter gibt, gibt es Menschen, die über die Fähigkeit verfügen, wahrzusagen.
Es zeugt von der Breite seiner philosophischen Bildung sowie der Konzilianz des Marcus gegenüber seinem Bruder, dass er diesem, damit seine Zustimmung einleitend, zugesteht, mit diesem Thema einen zentralen Aspekt stoischer Theologie anzusprechen,27 um dann allerdings sogleich einmal mehr zur argumentativen Vorsicht zu mahnen. So könne doch auch das Gegenteil der Fall sein, nämlich dass es einerseits natürliche Wege einer Erkenntnis der Zukunft gebe und die Götter andererseits dem Menschen diese bewusst vorenthalten wollten:28 „Arcem tu quidem Stoicorum“, inquam, „Quinte, defendis, siquidem ista sic reciprocantur, ut et, si divinatio sit, di sint et, si di sint, sit divinatio. quorum neutrum tam facile, quam tu arbitraris, conceditur. nam et natura significari futura sine deo possunt et, ut sint di, potest fieri, ut nulla ab iis divinatio generi humano tributa sit.“ „Unstreitig, Quintus“, sagte ich, „verteidigst du das entscheidende Bollwerk der Stoiker, wenn denn diese Dinge in der Weise voneinander abhängen, dass es Götter gibt, wenn es Wahrsagung gibt, und dass es Wahrsagung gibt, wenn es Götter gibt. Freilich gesteht man dir keinen der beiden Sätze so leicht zu, wie du meinst. Wäre es doch immerhin möglich, dass die Zukunft auf natürlichem Weg – ohne göttliche Einwirkung – angezeigt würde; und andererseits ließe sich denken, dass die Götter – ihre Existenz einmal vorausgesetzt – dem Menschengeschlecht keinerlei Wahrsagung vermacht hätten.“
Doch auch diese Mahnung verhallt bei Quintus ungehört, wiegt sich dieser doch weiterhin in der Sicherheit, dass es die Weissagung gibt, und also reicht ihm diese 26 Cic. div. 1,5,9. 27 Die möglichen Quellen von De divinatione diskutieren mit Rückgriff auf die jeweils ältere Literatur Pfeffer (1976), 44–53 sowie Wardle (2006), 28–36. Für eine Einordnung des Werks in die Religionsgeschichte der römischen Republik s. Rüpke (2014), 199–202. 28 Cic. div. 1,6,10. Neben der Frage nach den Göttern und der Weissagung kommt im stoischen System noch der Gegenstand Περὶ εἱμαρμένης hinzu, welchen Cicero sodann mit De fato abgehandelt hat. Die dadurch entstandene Trias an Schriften reflektiert den stoischen Usus, die drei Themen separat zu behandeln, worauf Balbus in nat. deor. 3,8,19 anspielt; vgl. Bringmann (1971), 171f.
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Überzeugung als Argument aus, dass es Götter gebe, die sich nach stoischer Auffassung um die Belange der Menschen kümmerten:29 „Mihi vero“, inquit, „satis est argumenti et esse deos et eos consulere rebus humanis, quod esse clara et perspicua divinationis genera iudico.“ Darauf jener: „Mir genügt als Argument dafür, dass es Götter gibt und dass sie sich um die Geschicke der Menschen kümmern, meine Überzeugung, dass es klare und deutlich erkennbare Formen der Wahrsagung gibt.“
Bevor Quintus im Folgenden von seinem Bruder die Erlaubnis einholt, seine Überzeugung ausführlich zu begründen, präsentiert er sich ziemlich klar als dogmatische und wenig kritikfähige Figur, die scheinbar nur im Rahmen der eigenen Überzeugungen zu argumentieren versteht und dabei keinen Anlass sieht, dieses selbst gegenüber allfälligen Anfragen besser abzusichern.30 Dieser Eindruck ist keine 29 Cic. div. 1,6,10. 30 Diese Haltung des Quintus wird dadurch weiter unterstrichen, dass er im Laufe seiner Ausführungen den entsprechenden stoischen Lehrsatz mehrmals wiederholt. Trotz seiner dazwischenliegenden ausführlichen Darlegungen zugunsten der Weissagung scheint er somit keinen wirklichen Bedarf einer Begründung dieser Lehre bzw. von deren Verteidigung gegenüber den kritischen Anfragen seines Bruders zu sehen; vgl. div. 1,38,82–84: Quam [sc. divinationem] quidem esse re vera hac Stoicorum ratione concluditur: „si sunt di neque ante declarant hominibus quae futura sint, aut non diligunt homines, aut quod eventurum sit ignorant, aut existumant nihil interesse hominum scire quid sit futurum, aut non censent esse suae maiestatis praesignificare hominibus quae sunt futura, aut ea ne ipsi quidem di significare possunt. At neque non diligunt nos: sunt enim benefici generis hominum amici: neque ignorant ea quae ab ipsis constituta et designata sunt; neque nostra nihil interest scire ea quae eventura sint: erimus enim cautiores si sciemus; neque hoc alienum ducunt maiestate sua: nihil est enim beneficentia praestantius; neque non possunt futura praenoscere. Non igitur sunt di nec significant futura. Sunt autem di; significant ergo, et non, si significant, nullas vias dant nobis ad significationis scientiam: frustra enim significarent. Nec, si dant vias, non est divinatio. Est igitur divinatio.“ Hac ratione et Chrysippus et Diogenes et Antipater utitur („Dass es eine solche tatsächlich gibt, lässt sich mit folgender Argumentation der Stoiker beweisen: ‚Wenn es Götter gibt und sie den Menschen die Zukunft nicht im voraus eröffnen, dann kümmern sie sich entweder nicht um die Menschen, oder sie wissen nicht, was eintreten wird, oder sie glauben, es komme für die Menschen nicht darauf an, die Zukunft zu kennen, oder sie sind der Meinung, es entspreche nicht ihrer Würde, im voraus den Menschen die Zukunft zu bezeichnen, oder nicht einmal sie selbst, die Götter, verfügen über die Macht, Zeichen zu geben. Das genaue Gegenteil ist wahr: sie kümmern sich um uns – denn sie sind wohltätig und Freunde des Menschengeschlechts –, und sie kennen genau, was sie selbst geordnet und eingerichtet haben, und es kommt für uns darauf an, die Zukunft zu kennen – wir werden uns nämlich besser vorsehen, wenn wir sie kennen –, und sie halten etwas Derartiges nicht für unvereinbar mit ihrer Würde – denn nichts ist hervorragender als Wohltun –, und sie verfügen sehr wohl über die Macht, die Zukunft im voraus zu erkennen. Also kann es nicht sein, dass es Götter gibt und dass sie die Zukunft nicht bezeichnen; es gibt aber Götter: also bezeichnen sie. Und wenn sie sie bezeichnen, so kann es nicht sein, dass sie uns keine Wege zu einer Wissenschaft der Zeichengebung vermitteln – sonst würden sie die Zukunft nämlich zwecklos bezeichnen –; und wenn sie denn Wege vermitteln, so kann es nicht sein, dass es kein Wahrsagevermögen gibt: es gibt also ein Wahrsagevermögen!‘ Dieser Argumentation bedienen sich Chrysipp, Diogenes und Antipater“), und div. 1,51,117: Continet enim totam hanc quaestionem ea ratio quae est de natura deorum, quae a te secundo libro est explicata dilucide. Quas si obtinemus, stabit illud, quod hunc locum continet de quo agimus,
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Momentaufnahme, sondern er wird von Quintus’ Ausführungen umgehend bestätigt. Denn in ihnen artikuliert sich eine Figur, die offensichtlich jedes Infragestellen grundsätzlich missbilligt und vor diesem Hintergrund die Vertreter der akademischen Skepsis als gewissermaßen ärgerliche Störenfriede abqualifiziert. So formuliert er gleich nach seinem einleitenden Argument, dass die Weissagung bei praktisch allen Völkern geübte Praxis sei,31 wie aus heiterem Himmel einen durchaus scharfen Seitenhieb auf Karneades, freilich ohne diesen zu begründen oder die Veranlassung zu verspüren, seinen Hinweis auf die Ubiquität der divinatio zuvor zu einem überzeugenden Argument auszubauen, sagt diese allein doch erst einmal wenig darüber aus, ob die Praxis selbst wirklich gerechtfertigt ist:32 Quare omittat urguere Carneades […] requirens, Iuppiterne cornicem a laeva, corvum ab dextera canere iussisset. Darum soll Karneades mit seinen Belästigungen aufhören […] und nicht mehr fragen, ob es Jupiter gewesen sei, der die Krähe von links, den Raben von rechts sich habe vernehmen lassen.
Diese Schmähung gegenüber Karneades bleibt keine Episode.33 Mehr noch: Sie erfährt im Folgenden sogar manche Steigerung, etwa wenn Quintus im Kontext seiner esse deos et eorum providentia mundum administrari eosdemque consulere rebus humanis nec solum universis verum etiam singulis. Haec si tenemus, quae mihi quidem non videntur posse convelli, profecto hominibus a dis futura significari necesse est („Denn unser ganzes Problem ist ein Teil der Lehre über das Wesen der Götter, die du im zweiten Buch von De natura deorum ganz deutlich entwickelt hast. Wenn diese Lehre uns nicht entgleitet, dann wird der Rahmen feststehen, in den dieser ganze Fragenbereich hineingehört, mit dem wir uns hier beschäftigen. Ihr zufolge gibt es Götter; mit ihrer Vorsehung lenkten sie den Kosmos, und ebenso kümmerten sie sich um die Angelegenheiten der Menschen, nicht nur insgesamt, sondern auch um die jedes einzelnen: Wenn wir dies festhalten – und nach meiner Meinung jedenfalls lässt es sich nicht erschüttern –, dann kann es in der Tat gar nicht anders sein, als dass die Götter den Menschen die Zukunft durch Zeichen mitteilen“). Damit greift Quintus ein Argument auf, das bereits Balbus in nat. deor. 2,3,7–4,12 gebraucht hat, als er divinatio und die Existenz der Götter miteinander verknüpft hat; vgl. Süß (1966), 12. 31 In der Tat beginnt Cicero selbst das Proömium von De divinatione mit dem ausführlichen Hinweis darauf, dass die divinatio seit alters her bei nachgerade allen Völkern Verbreitung findet (div. 1,1,1–1,2,4), bevor er kurz die verschiedenen philosophischen Auffassungen – darunter natürlich vorrangig die stoische – skizziert (div. 1,3,5–6). Allerdings zieht er daraus bereits dort eine andere Konsequenz als sein Bruder Quintus in der nachfolgenden Gesprächshandlung, indem er sich trotzdem berechtigt fühlt, ihr nicht voreilig Vertrauen zu schenken und die Glaubwürdigkeit der Weissagung einer kritischen Überprüfung zu unterziehen (vgl. div. 1,4,7). Einen Überblick über die mantischen Praktiken speziell in Rom gewährt Blänsdorf (1991), 46–52 mit Auswertung älterer Literatur. 32 Cic. div. 1,7,12; zur Bedeutung der Stelle s. Pease (1963), 74–77; Wardle (2006), 130–131 und Schultz (2014), 72–73 jeweils ad loc. Vgl. auch div. 1,52,118 zur stoischen Begründung dieses von Karneades ironisch infrage gestellten Zeichens. 33 Vgl. etwa div. 1,13,23, wo Quintus das kritische Hinterfragen eines Karneades dort für unnötig hält, wo ihm die Evidenz genug Beleg für die Existenz auch solcher Phänomene ist, die er nicht erklären kann: Quid, quaeris, Carneades, cur haec ita fiant aut qua arte perspici possint? Nescire me fateor, evenire autem te ipsum dico videre („Wie? Du fragst, Karneades, warum diese Dinge so ablaufen, oder mit welcher Wissenschaft sie sich erklären lassen? Ich gestehe: ich weiß es nicht; ihr Eintreffen indes, behaupte ich, bemerkst selbst du“). Die hier formulierte
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Ausführungen über die Weissagung in Träumen den Akademiker in eine Reihe mit dem schon in De natura deorum wenig ernstgenommenen Epikur stellt und als Negativbeispiele gegen Platon und Sokrates anführt. Während Epikur zwar eindeutig ausdrücke, was er meine, dies aber nie angemessen sei, verhalte sich Karneades gleich einem Fähnchen im Wind, indem er bald dies, bald das behaupte, und damit eine Wankelmütigkeit an den Tag lege, in der er allein eine Neigung zum Widerspruch erblicken könne:34 Epicurum igitur audiemus potius? namque Carneades concertationis studio modo ait hoc, modo illud; at ille, quod sentit: sentit autem nihil umquam elegans, nihil decorum. hunc ergo antepones Platoni et Socrati? qui ut rationem non redderent, auctoritate tamen hos minutos philosophos vincerent. Sollen wir angesichts dessen eher auf Epikur hören? Denn Karneades, der stets auf Widerspruch erpicht ist, sagt bald dies, bald das – jener dagegen, was er wirklich denkt: er denkt allerdings nie etwas, das treffend, das passend wäre. Ihn also willst du einem Platon, einem Karneades-Kritik steht im Kontext von Quintus’ grundsätzlicher Auffassung, dass die Beobachtbarkeit von Phänomenen ausreichender Nachweis für deren Vorhandensein sei; s. hierzu die Belege in Anm. 38. An anderer Stelle behauptet Quintus, dass es göttlicher Wille gewesen sei, sich der divinatio zu bedienen, ohne sie verstehen zu müssen (div. 1,18,35): Quae est igitur ista calliditas res vetustate robustas calumniando velle pervertere? „Non reperio causam.“ Latet fortasse obscuritate involuta naturae; non enim me deus ista scire sed his tantum modo uti voluit („Was ist das also für eine verfehlte Art von Klugheit, mit böswilliger Kritik Teile der Wirklichkeit beseitigen zu wollen, die ihre Kraft aus dem Alter beziehen? ‚Ich kann keine Ursache finden.‘ Vielleicht liegt sie verborgen, eingehüllt ins Dunkel der Natur. Denn Gott wollte nicht, dass ich solches verstehe, sondern lediglich, dass ich mich dieser Erscheinung bediene“). Dass eine wissenschaftliche Erklärung für die divinatio unnötig sei, begründet er schließlich auch damit, dass diese bereits vor Entstehung eines philosophischen Diskurses erfolgreich gepflegt wurde, weshalb er zuvor noch einmal betont, dass es nicht darum ginge zu klären, warum die divinatio, sondern ob sie funktioniere (div. 1,39,86): Cur fiat quidque, quaeris; recte omnino, sed non nunc id agitur: fiat necne fiat, id quaeritur […] Neque ante philosophiam patefactam, quae nuper inventa est, hac de re communis vita dubitavit, et posteaquam philosophia processit, nemo aliter philosophus sensit in quo modo esset auctoritas („Warum dies alles so ist, willst du wissen. Ganz recht: aber darum geht es jetzt nicht. Ob es so ist oder nicht, darin liegt unser Problem. Dabei hatte man, bevor die Philosophie – eine junge Erfindung – sich entfaltete, im alltäglichen Leben niemals Zweifel an diesem Phänomen, und nachdem die Philosophie schließlich ans Licht getreten war, hegte auch kein Philosoph eine andere Meinung, keiner jedenfalls, der über Gewicht verfügte“). Quintus bemüht also auch wiederholt das Alter als Argument (vgl. gleich danach auch div. 1,40,87 sowie div. 1,49,109). Freilich steht sein erneutes entschiedenes Plädoyer dafür, dass die Glaubwürdigkeit der divinatio allein durch ihren kontinuierlichen Gebrauch seit alters her erwiesen sei, im Gegensatz zu seinem mehrfachen Eingeständnis, dass sie tatsächlich nicht unfehlbar ist (s. hierzu auch Anm. 43). Nichtsdestoweniger meint er durch ihre schiere Existenz Karneades genügend geantwortet zu haben, den er in diesem Zusammenhang in einem Atemzug mit Epikur erwähnt (ebd.): Si nihil queam disputare quam ob rem quidque fiat, et tantum modo fieri ea quae commemoravi doceam, parumne Epicuro Carneadive respondeam? („Wenn ich nichts vorzubringen vermöchte, weswegen dies alles je zustandekommt, und nur lehrte, dass die Dinge zustandekommen, die ich erwähnte, gäbe ich da einem Epikur oder einem Karneades nicht hinlänglich Bescheid?“); vgl. zur Engführung von Karneades und Epikur auch das Zitat oben im Haupttext auf S. 155. 34 Cic. div. 1,30,62.
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Sokrates vorziehen, die – obwohl sie keine Begründung für ihre Ansicht gaben – solche leichtgewichtigen Philosophen allein dank ihrer Bedeutung trotzdem in den Schatten stellten.
In den Augen des Quintus erweist sich Karneades folglich als ebenso unglaubwürdig wie Epikur, mehr noch: Dessen spezifische Methode des in utramque partem disserere liest er in bewusster Missachtung ihres erkenntnistheoretischen Anliegens als Ausdruck eines polemischen Charakters, spricht ihr somit philosophische Berechtigung und Ernsthaftigkeit ab. Kritisches Hinterfragen besitzt für Quintus folglich keinen Erkenntniswert, wird vielmehr allein als sich selbst gefallende Neigung zur Widerrede oder Nörgelei wahrgenommen und dementsprechend abqualifiziert. Es ist vor diesem Hintergrund nicht verwunderlich, dass Marcus Cicero seine Entgegnung auf die Ausführungen seines Bruders im zweiten Buch von De divinatione zunächst mit einem programmatischen Bekenntnis zur akademischen Methode anheben lässt:35 Dicendum est mihi igitur ad ea, quae sunt a te dicta, sed ita, nihil ut affirmem, quaeram omnia, dubitans plerumque et mihi ipse diffidens. si enim aliquid certi haberem, quod dicerem, ego ipse divinarem, qui esse divinationem nego. Also muss ich mich jetzt zu dem äußern, was von dir vorgebracht worden ist, freilich so, dass ich mir keine Behauptungen erlaube, vielmehr alles in Frage stelle, indem ich zumeist Zweifel anmelde und mir selbst misstraue. Wenn ich nämlich irgendetwas Gewisses vorzuweisen hätte, dann würde ich selbst wahrsagen – ich, der ich bestreite, dass es ein Wahrsagevermögen gibt.
Dies steht nicht nur in deutlichem Gegensatz zum Auftakt der vorangehenden Rede des Quintus, sondern leitet eine Hinführung zu seiner Kritik am Glauben an die Weissagung ein, die sich gleichermaßen ostentativ von den sich weitgehend nur historischer Beispiele bedienenden Ausführungen seines Bruders absetzt.36 Zwar schickt Marcus Cicero, wie gerade gesehen, in seinem Bruder vergleichbarer Eindeutigkeit voraus, dass er die Möglichkeit der Weissagung leugne. Allerdings ist er
35 Ebd., 2,3,8. 36 Zur Verwendung historischer exempla in den Reden von De divinatione insgesamt s. Fox (2007), 211. Tatsächlich ist es erst Marcus Cicero, der die Auffassungen seines Bruders explizit in die Nähe der stoischen Lehre rückt (zu den Passagen, in denen Quintus’ Argumentation als stoisch bezeichnet werden kann, s. Krostenko 2000, 354, Anm. 6; die grundsätzliche Nähe der römischen divinatio zu stoischen Vorstellungen betonen Linderski 1982, 14 und Repici 1995, 175–184). Gleichzeitig nimmt er zunächst aber auch erfreut wahr, dass dieser seine Ausführungen auf zahlreiche exempla aus der römischen Geschichte gestützt habe (div. 2,3,8): Atque ego „Adcurate tu quidem“ inquam „Quinte et stoice Stoicorum sententiam defendisti, quodque me maxime delectat, plurimis nostris exemplis usus es, et iis quidem claris et inlustribus („Ich aber sagte: ‚Sorgfältig, mein Quintus, und auf echt stoische Weise hast du die Ansicht der Stoiker vertreten; und was mich besonders freut: du hast dich sehr vieler Beispiele aus der römischen Geschichte bedient“). Später (in div. 2,11,27) wirft Marcus Cicero seinem Bruder freilich vor, ausschließlich mit Beispielen argumentiert zu haben, was einem Philosophen nicht entspreche. Vgl. Krostenko (2000), 368–373, der die Fülle an Beispielen, derer Quintus sich bedient, als Ursache für die mangelnde Kohärenz seiner Rede deutet, von der sich Marcus Cicero mit einer betonten Strukturiertheit seiner Ausführungen bewusst absetzt; zur Verwendung von Zitaten aus Ciceros Dichtungen durch Quintus und Marcus’ Reaktion darauf, die hier nicht Gegenstand sein können, s. ebd. 355 und 383; vgl. ähnlich Schofield (1986), 52.
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daraufhin bemüht, diese Haltung erkenntnistheoretisch zu begründen,37 sich in seinem Vorgehen dabei am vielfach gescholtenen Karneades orientierend und damit die Konstruktivität seines Verfahrens unter Beweis stellend.38 Denn sein Anliegen ist es zunächst nicht, vorschnell zu entscheiden, ob es die Weissagung gibt oder nicht, sondern ihren Gegenstandsbereich zu erfassen, dies freilich, um nachzuweisen, dass es diesen letztlich nicht gebe.39 Denn weder läge dieser bei den Dingen, die sich mit den Sinnen erfassen, noch bei denjenigen, die sich durch eine ars 37 In diesem Zusammenhang legt er einen betont rationalen Zugriff auf die von Quintus angeführten Beispiele divinatorischer Praktiken an, bei dem er unter anderem auch auf Philosophen zurückgreift, die ansonsten seiner Kritik unterliegen (vgl. div. 2,26,57): Democritus quidem optumis verbis causam explicat, cur ante lucem galli canant; depulso enim de pectore et in omne corpus diviso et mitificato cibo cantus edere quiete satiatos; qui quidem silentio noctis, ut ait Ennius, „favent faucibus russis | cantu plausuque premunt alas“. Cum igitur hoc animal tam sit canorum sua sponte quid in mentem venit Callistheni dicere deos gallis signum dedisse cantandi, cum id vel natura vel casus efficere potuisset? („Demokrit jedenfalls gibt in vorzüglichen Darlegungen den Grund an, weswegen Hähne vor Tagesanbruch krähten: wenn sie die Nahrung in der Mitte abtragen und im ganzen Körper verteilt und aufgelöst hätten, dann erhöben sie, ruhegesättigt, ihr Gekrähe. In der Stille der Nacht, sagt Ennius, ‚frönen sie mit roten Kehlen | dem Gesang, und klatschend schlagen sie die Flügel.‘ Dieses Tier ist also ganz von sich aus so ‚sangesfreudig‘: wie durfte da Kallisthenes auf die Behauptung verfallen, die Götter hätten die Hähne angewiesen zu krähen, wo es sich doch um ein Ergebnis natürlichen Verhaltens oder des Zufalls handeln konnte!“). Als Ausweis einer Verwissenschaftlichung der Reflexion über Religion liest Blänsdorf (1991), 59 die Argumentation von Marcus Cicero in De divinatione; vgl. auch Momigliano (1984). Beard (1986), 38–41 sieht hierin eine produktive Engführung von traditioneller römischer Praxis und griechischem wissenschaftlichem Denken, die im Horizont von Ciceros Konzeption einer Philosophie römischer Prägung zu verstehen ist. Für einen Überblick über jene älteren Forschungspositionen, die Ciceros Kritik an der philosophischen Begründbarkeit der divinatio als Ausdruck eines programmatischen Rationalismus gedeutet haben, s. Guillaumont (2006), 327. 38 Demgegenüber hatte Quintus zu Beginn seiner Ausführungen die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Begründung seiner Behauptungen negiert und dies mit Blick auf die Praxis der Ärzte, welche Pflanzen und Wurzeln erfolgreich gegen die verschiedensten Leiden anwendeten, ohne deren Wirksamkeit wissenschaftlich begründen zu können (div. 1,7,13): Mirari licet quae sint animadversa a medicis herbarum genera, quae radicum ad morsus bestiarum ad oculorum morbos ad vulnera, quorum vim atque naturam ratio numquam explicavit, utilitate et ars est et inventor probatus („So mag man darüber staunen, welche Arten von Pflanzen die Ärzte erfasst haben, welche von Wurzeln: gegen Tierbisse, gegen Augenkrankheiten, gegen Wunden – und niemals gelang es, ihre natürliche Wirkungskraft theoretisch zu erklären: allein aus dem Nutzen der Sache beruht vielmehr die Geltung der Wissenschaft und des Erfinders“); vgl. des Weiteren in dieselbe Richtung gehend div. 1,9,16: Ne hoc quidem quaero, cur haec arbor una ter floreat aut cur arandi maturitatem ad signum floris accommodet; hoc sum contentus, quod etiamsi quod quidque fiat ignorem, quid fiat intellego. Pro omni igitur divinatione idem quod pro rebus iis quas commemoravi respondebo […] („Ich frage auch nicht, warum allein dieser Baum dreimal blüht oder warum er die Zeit zum Pflügen nach den Zeichen der Blüte richtet: damit bin ich zufrieden, dass ich erkenne, was geschieht, auch wenn ich nicht weiß, warum alles so geschieht. Zugunsten der Wahrsagung in allen ihren Formen werde ich demnach die gleiche Antwort geben wie zugunsten der Erscheinungen, die ich eben erwähnte […]“). 39 Vgl. Blänsdorf (1991), 59–60; für eine Nachzeichnung von Marcus’ Argumentation s. ebd., 59–64 sowie Pfeffer (1976), 105–109, der ebd., 104 auch die Quellenfrage diskutiert.
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erschließen ließen, und schon gar nicht bei jenen, für die die Philosophie zuständig sei.40 Wenn jemand eine Aussage über die Zukunft im Sinne einer verlässlichen Vorhersage über den Verlauf eines Ereignisses machen könne, dann ein Fachmann auf einem Gebiet, wie etwa Seeleute Aussagen über die Wetterentwicklung oder ein Arzt den Verlauf einer Krankheit im Vorhinein beurteilen könne. Sei für eine Entwicklung indes überhaupt kein Grund ausfindig zu machen, sei eine Vorannahme schlichtweg unmöglich; dann handle es sich um Zufall, den Quintus ja negiere. Folglich muss er ihn auf eine konzeptionelle Schwäche seiner Ausführungen aufmerksam machen, wenn er die divinatio als Vorahnung der zufälligen Dinge bezeichnet.41 Diese kritische Einlassung gegenüber seinem Bruder bringt ihn daraufhin zur Behauptung, dass die divinatio keinen Sinn habe, ja sogar schädlich und für den Menschen von Nachteil sei, wenn, wie die Stoiker meinten, alles vom Schicksal vorherbestimmt sei und der Mensch somit allenfalls Einsicht in eine Zukunft erhalten könne, die ohnehin nicht mehr zu ändern sei. Wenn divinatio in Quintus’ Sicht aber die Vorhersagung zufälliger Dinge sei, dann hätte sie vor dem Hintergrund der stoischen Auffassung von der Existenz einer Vorsehung ebenfalls keinen Ort.42 Nach dieser argumentativen Kritik an der Möglichkeit der divinatio setzt sich Marcus Cicero schließlich mit deren Praxis auseinander und zeigt zahlreiche Fehlurteile, Widersprüche und Inkonsistenzen auf,43 die diese letztlich in die Nähe des 40 Cic. div. 2,3,9–4,11. Cicero lässt seine Figur hier auf Quintus antworten, der in div. 1,18,34 die divinatio in zwei Abteilungen gliedert, deren eine sich einer Kunstlehre und deren andere sich keiner bediene; vgl. auch div. 1,33,72. 41 Vgl. Cic. div. 2,6,15. 42 Vgl. die konzise Kritik in div. 2,7,19–2,8,21. 43 Marcus Cicero lässt sich in seiner Erwiderung somit durchaus auf die spezifische historische Herangehensweise seines Bruders ein, freilich um klarzustellen, dass eine Kritik der divinatio nicht erst auf eine philosophische Perspektive angewiesen ist, weil sich deren Inkonsistenzen bereits im Moment ihres Vollzugs aufzeigen ließen (s. div. 2,23,50–51). In der Tat führt er seinerseits exempla der Vergangenheit an, die seiner skeptischen Sicht das Wort reden, so etwa der in seinen Schriften grundsätzlich mit höchster auctoritas versehene Cato d.Ä. (s. div. 2,24,51–52): Vetus autem illud Catonis admodum scitum est, qui mirari se aiebat, quod non rideret haruspex haruspicem cum vidisset. Quota enim quaeque res evenit praedicta ab istis? Aut si evenit quippiam, quid adferri potest cur non casu id evenerit? („Jener alte Ausspruch Catos dagegen trifft die Sache genau; er pflegte zu sagen, er wundere sich, dass ein Beschauer nicht lachen müsse, wenn er einen Beschauer sehe. Denn jede wievielte ihrer Voraussagen geht in Erfüllung? Oder wenn etwas in Erfüllung geht: womit lässt sich erhärten, weswegen es nicht zufällig in Erfüllung gegangen sei?“). Marcus Cicero legt hiermit auch offen, dass es in Rom bereits eine längere Tradition der Kritik an der divinatio gibt (vgl. hierzu Guillaumont 2006, 339–345). Zudem legt er die mangelnde Überzeugungskraft einer Argumentation, die sich auf exempla der divinatio stützt, dar, indem er darauf hinweist, dass die divinatorische Praxis bei den verschiedenen Völkern unterschiedlich und dabei teilweise sogar widersprüchlich sei (vgl. div. 2,36,76): solebat ex me Deiotarus percontari nostri augurii disciplinam, ego ex illo sui. Di inmortales, quantum differebat; ut quaedam essent etiam contraria („Deiotarus pflegte sich bei mir nach der Lehre unserer Vogelschau zu erkundigen, ich mich bei ihm nach der seinen. Ihr unsterblichen Götter, was für ein Unterschied! Ja, gewisse Regeln waren sich geradezu entgegengesetzt“). Tatsächlich gestand auch Quintus in seinen Ausführungen einige Male ein, dass die divinatio durchaus nicht immer zu sich daraufhin bewahrheitenden Voraussagen gelange.
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Aberglaubens rücken.44 In seinem letzten Schritt beschäftigt er sich mit dem weiten Feld der Träume, dies allerdings auch nur, um nachzuweisen, dass in diesen definitiv keine Disposition zur Weissagung zu greifen sei.45 Seine Ausführungen schließt Marcus Cicero dann allerdings erneut betont defensiv ab,46 darauf verweisend, dass es lediglich Anliegen der Akademie sei, Doch diese wischt er nach seiner Art schnell beiseite, indem er auf die Fehlerquote jeglicher Wissenschaft verweist (div. 1,14,24): „At non numquam ea quae praedicta sunt minus eveniunt.“ Quae tandem id ars non habet, earum dico artium, quae coniectura continentur et sunt opinabiles. An medicina ars non putanda est? quam tamen multa fallunt („‚Aber manchmal trifft das, was vorausgesagt wurde, nicht ganz ein.‘ Du meine Güte, welcher Wissenschaft ist dies nicht eigen? – die Wissenschaften meine ich, die auf Deutungen gründen und mit Annahmen arbeiten. Oder soll die Medizin nicht als Wissenschaft gelten? Trotzdem geht sie vielfach in die Irre“). Gegen Ende seiner Ausführungen begründet er fehlerhafte divinatio dann mit der Möglichkeit, dass sich deren Interpreten bei der Analyse des Phänomens irren könnten, ein Argument, das – von ihm freilich unbemerkt – recht eigentlich der erkenntniskritischen Skepsis seines Bruders zuarbeitet (div. 1,55,124–125): Equidem sic arbitror, etiamsi multa fallant eos qui aut arte aut coniectura divinare videantur, esse tamen divinationem; homines autem ut in ceteris artibus sic in hac posse falli. potest accidere ut aliquod signum dubie datum pro certo sit acceptum, potest aliquod latuisse aut ipsum aut quod esset illi contrarium. Mihi autem ad hoc de quo disputo probandum satis est non modo plura sed etiam pauciora divine praesensa et praedicta reperiri. Quin etiam hoc non dubitans dixerim, si unum aliquid ita sit praedictum praesensumque ut cum evenerit ita cadat ut praedictum sit neque in eo quicquam casu et fortuito factum esse appareat, esse certe divinationem, idque esse omnibus confitendum („Ich jedenfalls denke so über diese Dinge: Auch wenn denen vielfach Irrtümer unterlaufen, die man mittels einer Kunstlehre oder einer Deutung wahrsagen sieht, gibt es dennoch ein Wahrsagevermögen. Die Menschen aber können sich, wie in den übrigen Wissenschaften, so auch in dieser irren. Dabei mag es sich dann um den Fall handeln, dass irgendein unbestimmt gegebenes Zeichen für bestimmt genommen worden ist; oder es mag ein Zeichen unentdeckt geblieben sein: sei es das betreffende selbst, sei es ein anderes, das diesem entgegengesetzt war. Mir freilich genügt für den Beweis dessen, worüber ich spreche, jeder Befund: ob die Belege für göttliche Vorahnungen und Voraussagen nun die Mehrheit bilden oder auch nur die Minderheit. Ja, ohne Zögern möchte ich sogar folgendes behaupten: Selbst wenn nur ein Ereignis einmal so vorausgesagt und vorgeahnt worden ist, dass es bei seinem Eintritt so ausfällt, wie man es vorausgesagt hat, und wenn es sich erweist, dass dabei nichts zufällig und von ungefähr abgelaufen ist, dann gibt es gewiss ein Wahrsagevermögen, und alle müssen dies bekennen“). 44 In diesem Zusammenhang bedient sich Marcus Cicero auch der Mythenkritik (div. 2,18,42– 43); vgl. Goar (1968), 246–247 und Blänsdorf (1991), 59. Daraus ist allerdings nicht mit Goar zu folgern, dass Cicero die divinatio habe abschaffen wollen. Denn seine Dialogfigur betont in De divinatione durchaus deren gesellschaftliche Bedeutung (s. hierzu Anm. 54). 45 Cic. div. 2,58,119–71,147. Freilich räumte Quintus auch in Bezug auf Träume bereits die potentielle Gefahr ein, dass sich diese als trügerisch erweisen können (div. 1,29,60): „At multa falsa.“ Immo obscura fortasse nobis. Sed sint falsa quaedam; contra vera quidem dicimus? („‚Aber viele Träume sind trügerisch.‘ Nein, eher wohl für uns dunkel. Immerhin: einige mögen trügerisch sein; was aber bringen wir gegen die vor, die sich bewähren?“); zur Auseinandersetzung zwischen den beiden Brüdern um die Möglichkeit, in Träumen der Zukunft gewahr zu werden, s. Altman (2007/08), 108–116. 46 Vorsichtigkeit im Hinblick auf das eigene Urteil markiert Marcus Cicero wiederholt auch während seiner Ausführungen (vgl. etwa div. 2,21,48). Vor diesem Hintergrund ist die ältere Forschung von einer grundsätzlichen Skepsis Ciceros gegenüber der divinatio ausgegangen, welche das 1. Jh. v. Chr. insgesamt geprägt habe; vgl. Beard (1986), 33 und Anm. 1 mit Auflistung
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Argumente zu vergleichen und vor diesem Hintergrund das abschließende Urteil den Zuhörern zu überlassen:47 Cum autem proprium sit Academiae iudicium suum nullum interponere, ea probare, quae simillima veri videantur, conferre causas et, quid in quamque sententiam dici possit, expromere, nulla adhibita sua auctoritate iudicium audientium relinquere integrum ac liberum, tenebimus hanc consuetudinem a Socrate traditam […]. Nun zeichnet aber folgendes die Akademie aus: Sie bringt kein eigenes Urteil ins Spiel, anerkennt das, was ihr am wahrscheinlichsten vorkommt, vergleicht Argumente und klärt, was man gegen jede Auffassung vorbringen kann, und verzichtet schließlich auf jeden Druck und lässt das Urteil der Hörer unangetastet und frei. An diesem Vorgehen, wie es uns von Sokrates vermacht wurde, wollen wir festhalten […].
Am Ende der Unterredung von De divinatione enthält sich die Cicero-Figur somit noch deutlicher eines Urteils als zum Abschluss von De natura deorum.48 Anders als dort verfügt der Rezipient, an den er im programmatischen Rückgriff auf die Akademie die Entscheidung abgibt, aber immerhin über ihre ausführliche Stellungnahme. Auf diese Weise wieder auf die Auseinandersetzung der Cicero-Figur mit ihrem Bruder zurückverwiesen, wird indes nicht nur klar, dass jene keine hinreichenden Argumente für die Möglichkeit auffinden kann, durch Weissagung die Zukunft und geschweige denn den Willen der Götter zu eruieren, sondern dass Quintus’ Position letztlich einer Negierung, dass die Götter existieren, stärker das Wort redet als der akademische Skeptiker. Denn lässt sich die divinatio weder philosophisch noch über ihre Praxis begründen, vermag Quintus’ dogmatische Position vom Anfang der Unterhaltung, wonach ihm die Existenz der divinatio als Argument für die Existenz der Götter ausreiche, letztere beträchtlich ins Wanken zu bringen.49 Auf diese Weise taugt sie auch nicht dazu, die Balbus-Rede gegen Cottas Kritik in De natura deorum abzusichern, worauf Quintus’ Ausführungen eigentlich
entsprechender Literatur. Schofield (1986), 49 weist auf eine Reihe von Werken im zeitgeschichtlichen Kontext hin, die sich mit der divinatio beschäftigen. Diesen Befund deutet er als Beleg dafür, dass diese in der späten Republik grundsätzlich diskussionswürdig geworden sei. Zu Recht betont Guillaumont (2006), 328–329 indes mit Verweis auf Cic. ac. 2 (=Luc.),7–8 gegen Beard, dass Ciceros Bekenntnis zur akademischen Skepsis wie auch anderswo nicht auf Urteilsenthaltung zielt, sondern als Strategie einer Annäherung an die Wahrheit verstanden werden will. Dass Cicero durchaus eine eigene Position habe formulieren wollen, gehe daraus hervor, dass er sich in De divinatione selbst als Dialogfigur in das Gespräch einbringt; grundsätzlich zu einer Theorie auktorialer Präsenz in antiken Dialogen und deren Möglichkeitsspektrum s. von Möllendorff (2013), 393–418. Vielberg (2019), 65 schreibt dem Dialog eine aporetische Offenheit zu, da es Marcus Cicero in ihm nicht gelinge, Quintus’ Argumente und insbesondere jene, die sich auf Ciceros Dichtungen und die dort angesprochenen Augurien beziehen, gänzlich zu widerlegen. Darum scheint es Cicero mit seiner Dialogfigur, wie im Folgenden nahegelegt werden soll, aber auch nicht zu gehen, sondern nur darum, die Schwierigkeit offenzulegen, die divinatio als Beleg für die Existenz der Götter heranzuziehen. 47 Cic. div. 2,72,150. 48 S. Beard (1986), 34–35 mit Verweis auf einen entsprechenden Kommentar in fat. 1,1. 49 S. nochmals das Zitat auf S. 153 sowie Anm. 30; vgl. ähnlich Süß (1966), 125f.
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abzielten, sondern im Gegenteil eher dazu, sie zu schwächen.50 Es ist die skeptische Position der Cicero-Figur, die offenlegt, wie gefährlich es ist, auf die Weissagung eine philosophische Begründung der Existenz der Götter aufzubauen.51 Vor diesem Hintergrund erweist sich die Rede der Cicero-Figur in De divinatione gleichzeitig auch als entlastender Kommentar zu den Ausführungen der Cotta-Figur von De natura deorum gegenüber dem Vorwurf des Quintus, hinter der sich auch Kritik aus dem Kreis der zeitgenössischen Rezipienten bündeln mag.52 Die skeptische Hinterfragung der philosophischen Anschauungen zielt nicht darauf, den Götterglauben ins Wanken zu bringen oder gar abzuschaffen, sondern jene Lehren und Argumente bloßzustellen, die aufgrund mangelnder Überzeugungskraft ihrerseits die Gefahr in sich bergen, die Existenz der Götter in Zweifel zu ziehen.53 Akademische Skepsis
50 Entsprechend richtete sich Cottas Kritik an Balbus in De natura deorum nicht gegen die religio an sich, sondern gegen dessen Optimismus, dass die Existenz der Götter mit Vernunftargumenten bewiesen werden könne; vgl. dazu die Anm. 21, 22 und 61. 51 Dies bringt Marcus Cicero in div. 2,17,40–41 klar auf den Punkt: Vester [sc. Stoicorum] autem deus potest non inpertire, ut nihilo minus mundum regat et hominibus consulat. Cur igitur vos induitis in eas captiones quas numquam explicetis? Ita enim, cum magis properant, concludere solent „si di sunt, est divinatio; sunt autem di; est ergo divinatio.“ multo est probabilius „non est autem divinatio; non sunt ergo di.“ vide quam temere committant ut si nulla sit divinatio nulli sint di. divinatio enim perspicue tollitur, deos esse retinendum est („Euer Gott wäre aber durchaus in der Lage, nichts zu vermitteln und trotzdem den Kosmos zu lenken und sich um die Menschen zu kümmern. Warum verwickelt ihr Euch also in solche Verfänglichkeiten, die ihr niemals zu entwirren vermögt? Denn folgendermaßen pflegen die Stoiker zu schließen, wenn sie es besonders eilig haben: ‚Wenn es Götter gibt, gibt es Wahrsagung; es gibt aber Götter, also gibt es Wahrsagung.‘ Viel wahrscheinlicher wäre: ‚Es gibt aber keine Wahrsagung; also gibt es keine Götter.‘ Halte dir vor Augen, wie unbedacht sie es soweit kommen lassen, dass es keine Götter gibt, wenn es keine Wahrsagung gibt. Die Wahrsagung nämlich lässt sich ganz klar beseitigen; an der Existenz der Götter dagegen gilt es festzuhalten“); vgl. Bringmann (1971), 173 und 180. 52 Vgl. Süß (1966), 113f. Quintus lässt sich somit auch als Repräsentant eines Lesers von De natura deorum deuten, der Cotta in dem von ihm angedeuteten Sinne falsch versteht. Zum Verständnis von Ciceros Dialogfiguren als idealtypische Rezipienten seiner Werke s. Sauer (2013). 53 Vgl. ähnlich Süß (1966), 114; Blänsdorf (1991), 60–61 und Guillaumont (2006), 330. Vgl. in diesem Zusammenhang auch den zutreffenden Hinweis in Leonhardt (1999), 64, wonach es Cicero nicht um die Aufstellung fester Thesen, sondern um den Nachweis gradueller Abstufungen der Probabilität von Thesen ginge. Dementsprechend verbittet sich der Cicero des Proömiums von De natura deorum auch Nachfragen nach seiner eigenen Meinung, weil es ihm darauf ankomme, dass seine Leserschaft ihre Aufmerksamkeit allein auf die Überzeugungskraft der jeweiligen Lehre bzw. ihrer Präsentation richtet (vgl. das Zitat oben in Anm. 6). Dass philosophische Kritik an der divinatio und das Festhalten am Götterglauben keine unvereinbaren Gegensätze sein müssen, legt Cicero im übrigen bereits im Proömium von De divinatione am Beispiel des Xenophanes von Kolophon nahe, den er dort als prominentesten Vertreter einer philosophischen Infragestellung der Weissagung anführt (div. 1,3,5): e quibus, ut de antiquissumis loquar, Colophonius Xenophanes unus qui deos esse diceret divinationem funditus sustulit, […] („Was die ältesten anbelangt, so hat von ihnen nur gerade Xenophanes von Kolophon die Wahrsagung restlos verworfen – er, der doch an der Existenz der Götter festhielt“).
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wird somit als Methode profiliert, die diese letztendlich zu stützen und nicht abzuschaffen trachtet, wie es Quintus’ Auffassung war.54 54 Vgl. ähnlich Rüpke (2014), 200. Marcus Ciceros Rede erweist sich somit keinesfalls als ineffiziente und damit wirkungslose Kritik an der stoischen divinatio, wie Denyer (1985) wenig überzeugend nahelegen will, sondern sie legt präzise die Schwächen ihrer Begründung offen, die sich ihrem eigentlichen Anliegen als kontraproduktiv erweist. Diesem Ziel korrespondiert, dass Marcus Cicero analog zum Cotta von De natura deorum einen Unterschied zwischen der divinatio als religiöser Praxis, die es aus politischen Gründen unbedingt zu achten gilt, und der Frage ihrer wissenschaftlichen Begründbarkeit macht, welche allein Gegenstand privater Überlegungen bleiben sollte (div. 2,12,28): Ut ordiar ab haruspicia, quam ego rei p. causa communisque religionis colendam censeo – sed soli sumus: licet verum exquirere sine invidia, mihi praesertim de plerisque dubitanti („Um mit der Kunst der Beschauer anzufangen: ich trete dafür ein, dass man sie pflegen muss, um des Staates und der allgemeinen Religiosität willen – aber wir sind ja allein; da sollte es möglich sein, der Wahrheit auf den Grund zu gehen, ohne Anstoß zu erregen, vor allem mir, der ich hinsichtlich der meisten Dinge meine Zweifel hege“). Sogar noch ein weiteres Mal lässt Marcus Cicero keinen Zweifel aufkommen, dass aus seiner Sicht an der Praxis der divinatio aus gesellschaftlichen Gründen unbedingt festzuhalten sei und diejenigen zu strafen seien, die diese missachteten (vgl. div. 2,33,70–71): retinetur autem et ad opinionem vulgi et ad magnas utilitates rei publicae mos religio disciplina ius augurium collegi auctoritas. Nec vero non omni supplicio digni P. Clodius L. Iunius cos. qui contra auspicia navigaverunt; parendum enim religioni fuit nec patrius mos tam contumaciter repudiandus („Aber wir halten – unter Berücksichtigung der Volksmeinung und gewichtiger Vorteile für den Staat – an dem Brauch fest, an der frommen Pflicht, an der Lehre, am Augurenrecht und am Ansehen des Kollegiums. Und zweifellos verdienten die Konsuln P. Claudius und L. Iunius jegliche Strafe, sie, die wider die Auspizien in See stachen; sie hätten nämlich der frommen Pflicht gehorchen und nicht den Väterbrauch so eigensinnig missachten sollen“). Entsprechend formuliert er gegen Ende seiner Ausführungen auch einen Kompromiss zwischen kulturell ererbter Religionsausübung und kritischer Philosophie (div. 2,72,148): multum enim et nobismet ipsis et nostris profuturi videbamur si eam funditus sustulissemus. Nec vero (id enim diligenter intellegi volo) superstitione tollenda religio tollitur. Nam et maiorum instituta tueri sacris caerimoniisque retinendis sapientis est, et esse praestantem aliquam aeternamque naturam et eam suspiciendam admirandamque hominum generi pulchritudo mundi ordoque rerum caelestium cogit confiteri („Ich meine nämlich, ich würde uns selbst und unseren Mitbürgern einen großen Dienst erweisen, wenn es mir gelänge, den Aberglauben restlos auszurotten. Freilich – dass dies richtig verstanden werde! –: indem man den Aberglauben ausrottet, rottet man keineswegs auch die Religionsausübung aus. Vielmehr ist gerade der Philosoph darauf bedacht, die Einrichtungen der Ahnen zu bewahren, indem er an heiligen Handlungen und Bräuchen festhält; und die Schönheit des Alls und die Ordnung der Dinge am Himmel nötigen ihn zum Bekenntnis, es gebe eine überragende und ewige Natur und das Menschengeschlecht sei gehalten, zu ihr aufzublicken und sie zu bewundern“). In diesem Zusammenhang ist die Beobachtung Linkes (2000), 289 wichtig, dass die römische Religion vor allem der Stützung des gesellschaftlichen Zusammenhalts galt; s. darüber hinaus Krostenko (2000), 379, der darauf verweist, dass Religion in Rom der Aufrechterhaltung des consensus omnium bonorum dienen sollte; vgl. dazu auch Linderski (1982), 26–27; entsprechend äußert sich Cicero auch im Proömium in div. 1,1,1–3,5; vgl. Schäublin (1985), 160–161; s. schließlich auch Linderski (1982), 15–16 sowie 17–18 mit Verweis auf Varro, der der Religion zugestehe, dass sie hin und wieder zu falschen Ergebnissen gelange, weil sie für den Staat entsprechend wichtig sei. Dem entspreche, dass Polybios die hohe Bedeutung der Religion für den Zusammenhalt der römischen Gesellschaft betont hat. Zu Varros ebenso antiquarischem wie systematisierendem Blick auf die römische Religion und ihre Praktiken s. einführend und erhellend Rüpke (2014), 173–185.
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In der Tat zieht Marcus Cicero an keiner Stelle seiner Argumentation die Existenz der Götter in Zweifel. Vielmehr scheint er gerade für die stoische Göttervorstellung, wonach diese sich um die Menschen kümmern, im Sinne seiner vorsichtigen Zustimmung am Ende von De natura deorum Sympathie zu hegen.55 Mehr noch: Bei seiner Kritik an den üblichen Auffassungen der divinatio vermag er sich eines stoischen Gewährsmanns zu bedienen. Denn etwa zur Hälfte seiner Ausführungen lässt er durchblicken, dass er sich nicht der Meinungen eines Karneades bediene, den sein Bruder zu einer Art Feindbild seiner Darlegungen aufgebaut hat, sondern jener des Panaitios, mithin also eines Stoikers, der die Existenz der Weissagung ebenso rundweg abgelehnt hat:56 Videsne me non ea dicere, quae Carneades, sed ea, quae princeps Stoicorum Panaetius dixerit? Du siehst hoffentlich, dass ich mich nicht der Argumente bediene, die Karneades, sondern derjenigen, die Panaitios, das Schulhaupt der Stoiker, vorgebracht hat.
Tatsächlich hatte bereits Quintus in seiner ersten Invektive gegen Karneades zu Beginn seines Vortrags neben diesem auch Panaitios erwähnt, weil er die divinatio ebenso in Zweifel gezogen habe, und ihn auf diese Weise zu einer Art Abtrünnigem seiner Lehre gemacht.57 Was Quintus gegen Panaitios Stellung zu beziehen zwingt, gibt Marcus Cicero Gelegenheit, seine skeptische Position im Hinblick auf die divinatio und die Anerkenntnis der Existenz der Götter auf stoischer Basis miteinander zu verbinden.58 Und in der Tat erreicht Marcus Cicero mit seinem Verweis auf 55 Vor diesem Hintergrund ist es durchaus zutreffend, wenn Leonhardt (1999), 62 in der abschließenden Stellungnahme der Cicero-Figur in De natura deorum, in der diese ihre Präferenz für die Position des Balbus andeutet, Ciceros „wirkliches Bekenntnis“ erkennen will. Guillaumont (2006), 353–354 sieht den innovativen Charakter Ciceros darin, dass er trotz seiner Kritik an der divinatio an der stoischen Vorstellung der göttlichen Providenz festhält, während philosophische Infragestellungen der divinatio diese in der Regel mit einer entsprechenden Haltung gegenüber der Vorhersehung verbinden. Mit dieser gleichsam mittleren Position scheint Cicero, wie im Folgenden auch ausgeführt wird, Panaitios zu folgen; vgl. Vimercati (2004), 71– 73. 56 Cic. div. 2,47,97. 57 Ebd., 1,6,12: Quare omittat urguere Carneades, quod faciebat etiam Panaetius, requirens, Iuppiterne cornicem a laeva, corvum ab dextera canere iussit („Darum soll Karneades mit seinen Belästigungen aufhören – auch Panaitios machte sie sich zu eigen – und nicht mehr fragen, ob es Iuppiter gewesen sei, der die Krähe von links, den Raben von rechts sich habe vernehmen lassen.“) Quintus bedient sich nach seinen Angaben hingegen Poseidonius‘ als Quelle; vgl. Süß (1966), 121f. und 126. 58 Dabei kann Marcus Cicero darauf verweisen, dass Panaitios mit seiner Kritik an der divinatio nicht alleine stand (div. 2,42,88): nominat etiam Panaetius, qui unus e Stoicis astrologorum praedicta reiecit, Anchialum et Cassandrum summos astrologos illius aetatis qua erat ipse, cum in ceteris astrologiae partibus excellerent, hoc praedictionis genere non usos. Scylax Halicarnassius familiaris Panaetii excellens in astrologia idemque in regenda sua civitate princeps totum hoc Chaldaeicum praedicendi genus repudiavit („Ferner erwähnt Panaitios, der als einziger von den Stoikern die Voraussagen der Astrologen verwarf, namentlich Anchialus und Kassandros, die angesehensten Sternkundigen der Zeit, der er selbst angehörte: während sie in den übrigen Bereichen der Sternkunde hervorragten, hätten sie sich diese Form der Voraussage nicht zu eigen gemacht. Schließlich Skylax aus Halikarnassos, ein Freund des Panaitios,
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Panaitios, dass Quintus ihm erstmals beipflichtet und durchblicken lässt, dass ihn die Ausführungen des Bruders überzeugten.59 Vor diesem Hintergrund wird die Auseinandersetzung in De divinatione letztlich zu einer innerstoischen Angelegenheit, in der Marcus Cicero auf der Basis seiner skeptischen Herangehensweise für Panaitios gegen dessen stoische Vorgänger Partei ergreift und damit die Grundrisse einer stoischen Theologie skizziert, die in ihrem Kern bestätigt, aber von ihren unglaubwürigen Aspekten, die nicht weniger als die Existenz der Götter zu negieren das Potential haben, befreit wird.60 Folglich lässt sich seine Rede in De divinatione als Versuch deuten, auf der Grundlage
hervorragend in der Sternkunde und ebenso ein führender Mann in der Lenkung seiner Mitbürger; er lehnte diese Form des Voraussagens insgesamt ab“); vgl. Schäublin (1985), 158 sowie Blänsdorf (1991), 52–54, der darlegt, dass Cicero bereits in einer langen Tradition philosophischer Kritik an der Mantik steht; zu Panaitios’ Position in Bezug auf divinatio und Vorsehung im Horizont der Stoa s. Vimercati (2004), 71–73 sowie allgemein einführend zu seiner Theologie Steinmetz (1994), 652–654. 59 Cic. div. 2,48,100: „mihi vero“, inquit, „placet; his enim, quae adhuc disputasti, prorsus adsentior, et, vere ut loquar, quamquam tua me oratio confirmavit, tamen etiam mea sponte nimis superstitiosam de divinatione Stoicorum sententiam iudicabam“ („Ich bin ganz einverstanden; dem nämlich, was du bisher ausgeführt hast, stimme ich völlig zu; und um die Wahrheit zu sagen: obwohl deine Rede mich darin bestärkt hat, so pflege ich doch schon von mir aus die Ansicht der Stoiker über die Weissagung als allzu abergläubisch einzustufen“). 60 Entsprechend hatte sich Cicero bereits im Proömium der Schrift geäußert und Panaitios dabei zum Kronzeugen für die Angemessenheit der skeptischen Methode erhoben (div. 1,4,6–7): Sed a Stoicis vel princeps eius disciplinae, Posidoni doctor, discipulus Antipatri degeneravit Panaetius nec tamen ausus est negare vim esse divinandi, sed dubitare se dixit. Quod illi in aliqua re invitissumis Stoicis Stoico facere licuit, id nos ut in reliquis rebus faciamus a Stoicis nonne concedetur? praesertim cum id, de quo Panaetio non liquet, reliquis eiusdem disciplinae solis luce videatur clarius. sed haec quidem laus Academiae praestantissumi philosophi iudicio et testimonio conprobata est („Von der Lehre der Stoiker fiel freilich sogar eines ihrer Schulhäupter ab: Panaitios, der Lehrer des Poseidonios und Schüler des Antipater; trotzdem wagte er es nicht, der Wahrsagung jede Erfolgsmöglichkeit und -tüchtigkeit rundweg abzusprechen, wenn er behauptete, dass er seine Zweifel hege. Was aber jenem, einem Stoiker, gegen den stärksten Widerstand der Stoiker zumindest in einem Punkt zu tun freistand: dies auch hinsichtlich der übrigen Punkte zu tun, soll uns von den Stoikern nicht zugebilligt werden? – und zwar allein deshalb, weil das, was Panaitios in Frage stellt, den restlichen Anhängern seiner Schule vollkommen einleuchtet. Immerhin, wenigstens in diesem Fall wurde das preiswürdige Vorgehen der Akademie durch das Urteil und Zeugnis eines hervorragenden Philosophen gutgeheißen“); vgl. Badalì (1976), 29 und Schäublin (1985), 160. Panaitios erscheint hier als Identifikationsfigur für eine vorsichtige Kritik an der Mantik, indem Cicero von ihm lediglich bezeugt, er habe Zweifel an deren Glaubwürdigkeit gehegt; vgl. Alesse (1994), 230–239. Bereits hier deutet sich folglich an, dass Ciceros Anliegen nicht die Widerlegung der divinatio ist, sondern der Nachweis, dass sich diese nicht zweifelsfrei begründen lasse und daher als Beweismittel für die Existenz der Götter nicht geeignet sei. Entsprechend versichert Marcus Cicero seinem Bruder gegen Ende seiner Entgegnung auf diesen auch, dass er sich nicht der Argumente des Karneades, sondern jener des Panaitios und damit eines prominenten Stoikers bedient habe; s. das Zitat oben S. 164.
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skeptischer Methodik die stoische Theologie ihrer unglaubwürdigen Aspekte zu entledigen, um sie auf diese Weise umso mehr zu bestätigen.61 Somit lässt sich zwischen dem Marcus Cicero von De divinatione und jenem aus De natura deorum durchaus eine Linie ziehen, indem sich beide einer kritisch affirmativen Haltung gegenüber dem stoischen Götterglauben befleißigen.62 In den beiden Werken stehen sich somit keine zwei unterschiedlichen Cicero-Figuren gegenüber, die bald ausnahmsweise für die Stoa votieren und dann wieder in den Modus des Skeptikers zurückfallen, sondern eine kohärente, die eine Präferenz für eine ihrer unglaubwürdigen Aspekte entledigte stoische Theologie hegt und hierfür den Stoiker Panaitios als Gewährsmann benennen kann.63 III Ciceros De divinatione erweist sich nicht nur als Kontroverse zwischen den Brüdern Quintus und Marcus Cicero über die Befähigung der Weissagung, Einblick in die Zukunft zu geben. Durch die einleitende Verbindung zum Vorgängerwerk De natura deorum stellt es darüber hinaus auch eine Art Erläuterung zu dieser Schrift dar: Dies zum einen, indem es möglicher Kritik an der skeptischen Position des Cotta entgegentritt und am Beispiel der divinatio darlegt, dass die skeptische Methode keinesfalls an einer Entthronung der Götter arbeiten muss, sondern vielmehr das gefährliche Potential dogmatischer Positionen wie jener des Quintus zu entlarven vermag. Ciceros Rede in De divinatione will folglich klarstellen, dass sein Ansatz und damit auch jener Cottas nicht auf die Abschaffung der Götter 61 Entsprechend nahm die Marcus-Figur zu Beginn von De divinatione den Cotta von De natura deorum gegenüber seinem Bruder in Schutz, indem er betonte, dieser habe nur die stoische Argumentation kritisieren wollen (vgl. div. 1,5,8); vgl. ähnlich Repici (1995), 175, 190–191. 62 Dass die Sorge, sich vorschnell auf ein nicht beweisbares Argument für die Existenz der Götter einzulassen, als Begründung für eine skeptisch-abwägende Herangehensweise an den Gegenstand die beiden Werke De natura deorum und De divinatione verbindet, deutet Cicero bereits gegen Ende des Proömiums der letzteren Schrift an (div. 1,4,7): Etenim nobismet ipsis quaerentibus, quid sit de divinatione iudicandum, quod a Carneade multa acute et copiose contra Stoicos disputata sint, verentibusque ne temere vel falsae rei vel non satis cognitae adsentiamur, faciendum videtur ut diligenter etiam atque etiam argumenta cum argumentis comparemus, ut fecimus in iis tribus libris quos de natura deorum scripsimus („Denn tatsächlich, bei unserer eigenen Untersuchung, wie über das Wahrsagevermögen im Hinblick auf das viele zu befinden sei, das Karneades scharfsinnig und ausführlich gegen die Stoiker vorgebracht hat, tragen auch wir Bedenken, wir könnten vorschnell einer nicht in der Wirklichkeit begründeten oder ungenügend abgeklärten Erscheinung beipflichten; und darum halten wir es für richtig, so vorzugehen, dass wir gewissenhaft noch und noch Argumente abwägen, wie wir in jenen drei Büchern verfahren sind, die wir dem ‚Wesen der Götter‘ widmeten“). Für eine kommentierende Lektüre des Proömiums von De divinatione s. Badalì (1976). 63 Entsprechend hält auch die Cotta-Figur aus De natura deorum, wie bereits hervorgehoben, trotz ihrer skeptischen Position innerhalb des Gesprächs dezidiert am Götterglauben und deren überlieferter Verehrung fest; vgl. nat. deor. 3,2,5 und 3,3,7. Entsprechend kritisiert Cotta nicht den Götterglauben der Stoa, sondern deren Meinung, diesen durch Vernunftargumente beweisen zu können; vgl. Bringmann (1971), 173f. und Görler (1974), 133–136.
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ziele,64 sondern gleichsam eine Stufe darunter auf die Entkräftung solcher Auffassungen, die aufgrund ihrer Inkonsistenz daran arbeiten, ohne es recht eigentlich selbst zu wollen.65 Auf diese Weise erscheint die skeptische Methode auch als ein 64 Freilich muss dies nicht bedeuten, dass Cicero seine persona in De divinatione ganz in eine Linie mit dem Cotta von De natura deorum stellen will. Vielmehr scheint die dort am Ende hergestellte Differenz zwischen den beiden (vgl. nochmals nat. deor. 3,40,95; Zitat oben in Anm. 3) in De divinatione bei aller Verteidigung Cottas durch Marcus Cicero zu Beginn von dessen Dialoghandlung implizit bestätigt zu werden. Denn die abschließende Präferenz des Epikureers Velleius für die Position Cottas in der Auseinandersetzung um die stoische Theologie könnte sich als Hinweis darauf lesen lassen, dass eine ausschließlich skeptische Herangehensweise an die Frage nach der Existenz der Götter tatsächlich Positionen wie jene der Epikureer zu bestärken vermag, welche letztlich das Potential in sich bergen, die auch von Cotta in ihrer Bedeutung eigentlich nicht in Zweifel gezogene öffentliche Religionsausübung infrage zu stellen. Insofern bereitet der Schluss von De natura deorum in gewisser Weise eine missverständliche Engführung von epikureischer Göttervorstellung und akademischer Skepsis vor, wie sie Quintus in seinen Invektiven gegen Karneades im ersten Buch von De divinatione herstellt (s. nochmals das Zitat am Ende von Anm. 33). Wie der Stoiker Balbus und in seiner Folge Ciceros Bruder Quintus im Hinblick auf seine dogmatische Engführung von divinatio und Götterbeweis zu kritisieren sind, weil sie ihr Plädoyer für die Existenz fürsorgender Götter auf Argumenten aufbauen, die einer Überprüfung weder theoretisch noch praktisch standhalten, so scheint der implizite Vorwurf gegenüber Cotta darin zu bestehen, dass er mit seiner sich allein auf die kritische Überprüfung von Argumenten beschränkenden Herangehensweise genau besehen in Widerspruch zu seinem entschiedenen Bekenntnis zur römischen Religion gerät. Marcus Cicero versucht dem Angriff seines Bruders Quintus auf diesen denn auch nur dahingehend entgegenzutreten, dass er dessen Anliegen hervorhebt, die Schwachstellen in der Beweisführung der Stoiker offenzulegen (s. nochmals das Zitat oben auf S. 152). Der Unterschied zwischen Cotta und Marcus Cicero besteht somit darin, dass es jener bei einer, wie angedeutet, letztlich gefährlichen reinen Infragestellung von Argumenten und anschließender Urteilsenthaltung belässt, während dieser auf eine Sicherung stoischer Göttervorstellung durch Eliminierung der fragwürdigen Anteile ihrer Begründung abzielt, und sich damit eines – Cottas Vorgehen überlegenen – konstruktiven Skeptizismus befleißigt, der dezidiert keinen Gegensatz zwischen philosophischer Kritik und den religiösen Praktiken in Rom provozieren will; vgl. in ähnliche Richtung gehend De Filippo (2000), 176–186, der in der Cicero- und der Cotta-Figur von De natura deorum ebenso ein jeweils eigenständiges Profil im Hinblick auf ihre skeptische Herangehensweise erkennt. 65 Dem entspricht, dass Cicero die divinatio nicht wirklich ablehnt, sondern wie Panaitios nur in Zweifel zieht. In der Tat äußert er sich andernorts positiv zur Weissagung, etwa in leg. 2,33 (vgl. Beard 1986, 33–34; Guillaumont 2006, 337–338; freilich sieht Goar 1968, 245 bereits dort eine skeptische Haltung gegenüber der divinatio; vgl. aber auch ebd., 247–248; einen allgemeinen Überblick über die religionsphilosophische Ebene von De legibus gewährt Rüpke 2014, 187–192). Es muss also nicht wie in der älteren Forschung davon ausgegangen werden, dass Cicero seine Meinung geändert habe. Vielmehr bestätigt er auch in De divinatione die gesellschaftliche Relevanz der divinatio: Ihm geht es also nur um deren Infragestellung als Beweismittel für die Existenz der Götter; vgl. Leonhardt (1999), 68–72 mit Diskussion der älteren Literatur. Gleichwohl betont Fox (2007), 240 zu Recht, dass Cicero in De divinatione auch darauf gezielt habe, Bedeutung und Grenzen traditioneller Praktiken auszuloten. Dass sich Cicero von der divinatio auf Grund ihres Missbrauchs in der Zeit des Bürgerkriegs abgewandt habe, nachdem er sich ihrer zuvor als Anwalt durchaus gekonnt bedient habe, behauptet Blänsdorf (1991), 54–57; zur Geschichte dieser These in der Forschung s. Beard (1986), 34 sowie ausführlicher Krostenko (2000), 353–354 und 383–389 zur Verwendung religiöser
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ausschließlich positives Verfahren, als das sie Cicero stets verstanden und angewendet hat, nämlich als Entbergung des Wahrscheinlichen auf der Basis der Kritik nicht überzeugender Annahmen.66 Zum anderen bestätigt das Werk eine Affinität Ciceros zu stoischen Positionen in der Götterlehre, wie sie seine dramatis persona am Ende von De natura deorum bereits hat durchscheinen lassen.67 Gewährsmann hierfür ist ihm Panaitios, der, obgleich Stoiker, das Potential der divinatio negiert hat und den Cicero in seiner Argumentation gegen seinen Bruder deswegen auch mehrfach ins Feld führt.68 Auf diese Weise legt er schließlich nicht nur offen, dass die divinatio für eine Begründung stoischer Theologie nicht tauglich ist, sondern auch, dass die Bruchlinie nicht zwischen Stoikern und Akademikern, sondern bereits innerhalb der Stoa verläuft. In Panaitios erkennt Cicero folglich einen Stoiker, der im Hinblick auf die stoische Götterlehre eine modifizierte Position einnimmt und aufgrund einer gleichsam skeptischen Formulierung seiner Kritik an der divinatio gewissermaßen als skeptischer Stoiker angesprochen werden könnte.69 Machte ihn dies in den Augen des Quintus zunächst verdächtig und gleichsam zu einem Nestbeschmutzer des stoischen Lehrgebäudes, schlägt diese Qualität für Marcus Cicero eine Brücke zu einer Annäherung an die stoische Philosophie. Dabei ist De divinatione nicht der erste Fall in Ciceros Œuvre, in dem Panaitios ihm als Gewährsmann für eine
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Argumentation durch Caesar für dessen Selbstrepräsentation. Guillaumont (2006), 338–353 deutet die Unterschiede zwischen De legibus und De divinatione mit einer Entwicklung Ciceros von der Alten zur Neuen Akademie, die sich zwischen dem Früh- und dem Spätwerk vollzogen habe; Linderski (1982), 22, 24–26 begründet sie mit zwei unterschiedlichen Sichtweisen: In De legibus habe sich Cicero der Sichtweise der theologia civilis und in De divinatione jener der Philosophen bedient, welche jeweils zu unterschiedlichen Bewertungen der Religion und ihrer Praktiken führen. Dennoch vertritt auch er die These, dass Ciceros Ablehnung der divinatio in De divinatione mit deren Instrumentalisierung durch Caesar zu tun habe. S. auch Vielberg (2019), 47–50, der davon ausgeht, dass De divinatione mit seinen Anspielungen auf Caesar auch auf Diskussionen im zeitlichen Umfeld von dessen Ermordung über Bedeutung und Glaubwürdigkeit der divinatio reagiere. Für eine umfassende Auseinandersetzung mit Ciceros Positionen zur divinatio in seinem Gesamtwerk, die hier nicht angestrengt werden kann, s. grundlegend Guillaumont (1984). Entsprechend programmatisch endet Marcus Cicero auch seine Ausführungen am Ende des zweiten Buchs (div. 2,72,150); s. das Zitat oben auf S.161. An dieser Stelle zeigt sich schließlich auch Quintus von dieser Methode überzeugt. Ähnlich Leonhardt (1999), 62f., der zu Recht betont, dass Cicero auf der einen Seite einem Götterverständnis wie jenem der Stoa nahestand, dieses auf der anderen Seite aber nicht für beweisbar hielt. Vgl. Leonhardt (1999), 67–68. In Att. 13,8 vom 8. Juni 45 – also im Vorfeld seiner Arbeit an De divinatione – bittet Cicero Atticus, ihm Panaitios’ Schrift Περὶ προνοίας zu besorgen und zuzuschicken; vgl. Süß (1966), 94; Vimercati (2004), 56–58 plädiert freilich mit guten Argumenten dafür, dass sich Cicero für die Argumentation seiner Dialogfigur einer Reihe von Quellen bedient habe, unter denen Panaitios nur eine gewesen sei. Vgl. das Zitat oben in Anm. 60 aus dem Proömium von De divinatione sowie Cic. ac. 2 (= Luc.), 107, wo Panaitios als Beispiel für einen Stoiker erwähnt wird, der sich eines Urteils zu enthalten wusste; s. hierzu Alesse (1994), 231 sowie Vimercati (2004), 72. Demgegenüber erscheint Balbus in De natura deorum als orthodoxer Stoiker; vgl. Spahlinger (2005), 87.
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stoische Philosophie dient, die sich ihrer dogmatischen Extreme entledigt und für ihn infolgedessen an Überzeugungskraft gewinnt. So führt ihn Cicero im vierten Buch von De finibus bonorum et malorum, in dem er auf die Rede des Stoikers Cato antwortet, wiederholt als Gewährsmann für seine Kritik an den zu rigorosen Aspekten der stoischen Ethik an und verweist dabei stets auch darauf, dass er als Argument gegen die gleichsam orthodoxe Stoa deshalb so geeignet ist, weil er selbst Stoiker war.70 Panaitios erscheint hier als stoischer Philosoph, der auf der einen Seite die Blutleere und Weltfremdheit stoischer Definitionen hinter sich zu lassen vermochte und sich stattdessen eines kritischen Eklektizismus befleißigte, wodurch sich Cicero offensichtlich mit ihm verwandt fühlt. Noch bevor er in seinem letzten Werk De officiis eine Ethik entwarf, die er wesentlich auf dessen Schrift Περὶ καθήκοντος gründen ließ,71 wird über De finibus und De divinatione eine allmähliche Annäherung an Panaitios und damit an eine für Cicero akzeptable Stoa erkennbar.72 De divinatione hilft somit nicht nur, Anliegen und Position Ciceros in De natura deorum zu klären, sondern wird darüber hinaus auch als Meilenstein auf dem Weg einer Annäherung von akademischer Skepsis und Stoa im Denken Ciceros erkennbar, welche seine letzte ethische Schrift vorbereitet. In De divinatione hat diese ihre wichtige Funktion darin, eine skeptische Herangehensweise an die Frage nach der Existenz der Götter des Vorwurfs, deren Negation zuarbeiten zu wollen, zu entledigen und jene stattdessen als Möglichkeit zu profilieren, die an sich billigenswerte stoische Götterlehre davor zu bewahren, durch allzu dogmatische
70 Vgl. Cic. fin. 4,28,79: quam illorum tristitiam atque asperitatem fugiens Panaetius nec acerbitatem sententiarum nec disserendi spinas probavit fuitque in altero genere mitior, in altero illustrior semperque habuit in ore Platonem, Aristotelem, Xenocratem, Theophrastum, Dicaearchum, ut ipsius scripta declarant („Diese ihre rauhe Schale, ihr ganzes herbes Wesen suchte Panaitius zu vermeiden. Er konnte sich nicht einverstanden fühlen mit ihren rigorosen Formulierungen und den Spitzfindigkeiten ihrer Dialektik und war in der Lehre ebensowohl milder, wie zugleich im Ausdruck klarer. Immer berief er sich auf Plato, Aristoteles, Xenokrates, Theophrast, Dikaiarch, wie es seine Schriften ausweisen“); s. zur Stelle Tieleman (2007), 111–112; für ein entsprechendes Verständnis des Panaitios vgl. auch Cic. fin. 4,9,23. 71 Vgl. Tieleman (2007), 116–130 sowie ausführlich mit Diskussion der Quellenfrage Lefèvre (2001). 72 Diese philosophische Annäherung an Panaitios wird in Ciceros Frühwerk De re publica vorbereitet, indem dort dessen enge Beziehung zu Scipio Africanus d.J. hervorgehoben wird; vgl. Cic. rep. 1,10,15 (die Freundschaft zwischen Panaitios und Scipio sowie Laelius hebt Cicero auch in fin. 4,9,23 hervor); s. Steinmetz (1994), 647 sowie Hayne (1996). Diese Betonung dient Cicero freilich vor allem der Konstruktion einer philosophisch gebildeten Elite in Rom mit Scipio Africanus d. J. als ihrem Haupt bereits in der zweiten Hälfte des 2. Jh.s v. Chr., die in der Forschung als „Scipionenkreis“ apostrophiert wird (zur Kontroverse um dessen Realität s. immer noch einschlägig Strasburger 1966). Umgekehrt lässt sich diese indes auch so verstehen, dass Cicero jenen für ihn akzeptablen Stoizismus des Panaitios seinerseits als Ergebnis von dessen Austausch mit dem von ihm gewissermaßen zum Ahnen seines Ideals des philosophisch gebildeten und entsprechend aktiven Politikers modellierten Scipio verstanden wissen will; vgl. Vimercati (2000), 386–390, für einen möglichen Einfluss von Panaitios bereits auf De re publica selbst ebd., 391–397.
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Fixierung auf nicht beweisbare Lehren und Praktiken wie die divinatio ihrem eigenen Anliegen entgegenzuarbeiten. LITERATURVERZEICHNIS Kommentare Dyck, Andrew R.: Cicero, De natura deorum, liber 1, Cambridge 2003. Pease, Arthur Stanley: M. Tulli Ciceronis De natura deorum, New York 1955. Pease, Arthur Stanley: M. Tulli Ciceronis De divinatione libri II, Darmstadt 1963 (Nachdruck der Ausgabe Urbana 1920–1923). Schultz, Celia E.: Commentary on Cicero, De Divinatione I, Ann Arbor 2014. Wardle, David: Cicero: On Divination, Book 1, Translated with Introduction and Historical Commentary, Oxford 2006.
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DIE SCHULE DES GAIUS AURELIUS COTTA IN DE NATURA DEORUM Die akademische Kritik an Balbus’ Argumentation im Spiegel ihrer Rezeption in De legibus und bei Minucius Felix Jochen Sauer Ciceros Schrift De natura deorum sticht in mehrfacher Hinsicht unter seinen anderen Dialogen heraus: Anstelle von Persönlichkeiten aus der senatorischen Führungselite, die als Hauptgesprächspartner auftreten, gruppieren sich in De natura deorum um die Leitfigur Cotta zwei historisch eher blasse Figuren:1 der Epikureer Velleius und der Stoiker Balbus. Wir erfahren über Velleius zwar immerhin, er sei Senator,2 doch sind uns weder er noch Balbus aus weiteren historischen Kontexten bekannt. Und während die meisten ciceronischen Dialogfiguren in ihrem senatorischen Rollenmodell einen urban-gebildeten Habitus entfalten und dabei regelmäßig Distanz von fachphilosophischem Expertentum zeigen,3 werden ganz im Gegensatz dazu in De natura deorum mit Velleius und Balbus die, so Cicero, führenden Köpfe des Epikureismus und der Stoa in Rom präsentiert.4 Die beiden befinden sich auf dem Anwesen des römischen Senators Gaius Aurelius Cotta. Es ist derselbe Cotta, den Cicero in seinem Dialog De oratore (dramatisches Datum: 91 v. Chr.)5 als jungen Gesprächsteilnehmer auftreten lässt und von dem Cicero, so die literarische Fiktion in De oratore, das Gespräch der drei Bücher erfahren habe. Das Gespräch von De natura deorum ist in das Jahr 76 oder 75 v. Chr. situiert, als Cotta mit seiner Wahl zum Konsul auf dem Höhepunkt seiner Karriere stand, die bald darauf mit seinem plötzlichen Tod 74 oder 73 v. Chr. jäh beendet wurde. Cotta lässt den etwa
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Cicero wählt hier ganz offensichtlich bewusst römische ‚Fachphilosophen‘ als Gesprächspartner für Cotta. Er verfasste die Schrift im Jahre 44 v. Chr. über 30 Jahre nach dem dramatischen Datum (79 v. Chr.), sodass es für den Leser offensichtlich ist, dass sie keine politische Prominenz erreicht haben. Cic. nat. deor. 1,15. Vgl. für Ciceros ersten Dialog De oratore Müller (2011). Cicero porträtiert diese in ihrem Stil wie einen ‚typischen‘ Epikureer und einen ‚typischen‘ Stoiker. Basis sowohl der dramatischen Datierung als auch der Datierung der tatsächlichen Abfassungszeit ist hier und im Folgenden MacKendrick (1989). Die einschlägige Dissertation von J. Sedlmeyer (2021) lag bei Abfassung dieses Beitrags noch nicht vor.
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dreißigjährigen Cicero, der wie die jungen Gesprächsteilnehmer in De oratore im Quästorenalter ist,6 zu dem Gespräch hinzurufen. Im Gegensatz zu den homogenen, eher konsensuell argumentierenden Gesprächsgemeinschaften von De re publica (dramatisches Datum: 129 v. Chr.) und De oratore (91 v. Chr.), die in Ciceros Chronologie römischen Philosophierens vorangehen, lädt Cotta in De natura deorum (76/75 v. Chr.) also philosophische Experten widerstreitender Philosophenschulen in sein Haus7 ein und stellt als rhetorisch gebildeter Akademiker ihre Positionen auf den Prüfstand. Mit dem Dialog De natura deorum lässt Cicero somit 76/75 v. Chr. die römische Philosophie, wie er sie in De re publica (129 v. Chr.) und De oratore (91 v. Chr.) inszeniert hatte,8 in den Streit der Philosophenschulen eintreten. Während die Szenerien in Ciceros Schriften De oratore und De re publica das Kolorit der alten Akademie oder des Peripatos9 tragen, stellt die Exedra, in der man in De natura deorum sitzend das Gespräch führt, ein Symbol der skeptischen Akademie dar.10 In den drei Büchern De natura deorum führt Cotta, den Cicero in De oratore als Hörer jener ‚römischen‘ Theoretiker Crassus und Antonius präsentiert hatte, gewissermaßen den Führungsanspruch dieser ‚römischen‘ Philosophietradition gegenüber Vertretern hellenistischer Philosophenschulen vor Augen, zumal weder der Epikureer noch der Stoiker Cottas Ansprüchen gerecht werden kann. Vielmehr macht Cotta in den Ausführungen der beiden anwesenden Schulhäupter Velleius (Epikureismus) und Balbus (Stoa) gravierende Schwachstellen transparent. Am Ende der Schrift tritt der junge Cicero aus dem Schatten bloßer Zuhörerschaft heraus und urteilt überraschend nicht für Cottas Seite, obgleich er sich zu 6
Der etwa 124 v. Chr. geborene Cotta war 91 v. Chr. Anfang dreißig. Auch in De re publica sind die jüngeren Gesprächsteilnehmer gerade im Quästorenalter: Cic. rep. 1,18 (aetate quaestorios). Cicero bekleidete seine Quästur in Sizilien im Jahre 75 v. Chr., also offenbar recht bald nach dem Gespräch von De natura deorum auf Cottas Landgut. Seit Sulla war das Mindestalter für die Quästur auf 30 Jahre festgelegt. 7 Ob es sich um sein Land- oder Stadthaus handelt, ist nicht klar. 8 Zum Zeitpunkt der Abfassung von De natura deorum gibt es in Ciceros fiktiver Gesprächschronologie drei Dialoge, deren dramatisches Datum zeitlich vorangeht: Dies sind zum einen De re publica (129 v. Chr.) und De oratore (91 v. Chr.), die jeweils geschlossene Gesprächsgemeinschaften der senatorischen Führungselite porträtieren, zum anderen das fünfte Buch von De finibus, in dem der 27-jährige Cicero mit dem jungen Piso während eines Studienaufenthalts in Athen (79 v. Chr.), so die literarische Fiktion, einen Disput über die peripatetische Lehre des Antiochus von Askalon führt. 9 Vgl. Leeman/Pinkster (1985), 183: „Die einzelnen disputationes erhalten also mehr oder weniger den Charakter eines aristotelischen Lehrvortrags …, während die Gespräche in Buch I eher ein platonisches Gepräge zeigen. Damit hängt vielleicht zusammen, dass sich die Diskussion in Buch II nicht mehr unter der ‚platonischen‘ Platane, sondern beim Auf- und Abgehen in der Porticus, also ‚peripatetisch‘, abspielt.“ 10 Die Exedra ist der Ort, der in Ciceros Philosophica an nur einer anderen Stelle zu finden ist, nämlich im fünften Buch von De finibus bei der Beschreibung der Exedra des Karneades (Cic. fin. 5,4) in Athen. Man mag die Exedra in De natura deorum als ein unwichtiges Detail empfinden, die Tatsache aber, dass wir ansonsten nichts über die Szenerie erfahren (nicht einmal die ansonsten stets präsente Information, dass das Gespräch auf einem Landgut geführt würde), exponiert diese Information.
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Beginn des Dialogs wie Cotta als Anhänger der akademischen Skepsis gezeigt hatte. Er habe vielmehr den Eindruck gehabt, dass die Ausführungen des Stoikers am nächsten zum ‚Wahrscheinlichen‘ gewesen seien.11 Und auch Cotta hatte zuvor betont, dass Balbus’ Argumente deutlich mehr Potential hätten, als Balbus es zu erschließen in der Lage war.12 Dem Leser muss es so erscheinen, als sei ein ‚besserer‘ Balbus gefordert, der erneut in den Ring der Debatte steigt. Doch ohne Fortsetzung endet die Schrift – ganz nach ciceronischer Manier unabgeschlossen und fortsetzungsoffen – nach dem dritten Buch. Tatsächlich haben spätere Rezipienten die an ihrem Ende unvollkommen erscheinende Schrift De natura deorum weitergeführt. So lässt Minucius Felix in seinem christlichen Dialog Octavius den Christen mit ähnlichen Argumenten wie Balbus, nur strategisch deutlich besser argumentieren, wie noch gezeigt werden soll. Ein weiteres Beispiel findet sich im Supplement des protestantischen Pfarrers und Schullehrers D. Hermann Heimart, der in diesem quasi ‚vierten‘ Buch von De natura deorum versuchte, eine christliche Gotteslehre zu entwickeln.13 Ich möchte in einem ersten Schritt zeigen, dass Cicero weitaus stärker als in seinen übrigen Dialogen in De natura deorum eine Art ‚Lehrsituation‘ inszeniert und er die Hauptfigur Cotta das Rollenmuster eines strengen, aber wertschätzenden und fördernden Lehrers gegenüber seinen Gesprächspartnern einnehmen lässt. Der Schluss von De natura deorum motiviert dazu, so soll gezeigt werden, die Argumentation der Dialogfigur Balbus zu verbessern und zu stärken, ohne auf eine skeptizistische Haltung zu verzichten. In einem zweiten Schritt möchte ich plausibel machen, dass Cicero dem Leser Hinweise gibt, zur Lösung des Problems argumentative Ressourcen aus seinen anderen Dialogen, insbesondere aus dem Dialog De re publica, heranzuziehen. In einem dritten Schritt soll deutlich gemacht werden, dass auch Minucius Felix, christlicher Autor des 3. Jahrhunderts, Ciceros Dialog De natura deorum genau in dieser Weise rezipiert haben dürfte, dass er nämlich seine Hauptdialogfigur Octavius in den Grundargumenten zwar Balbus’ Argumentation folgen, sie aber die Fehler vermeiden lässt, die Ciceros Dialogfigur Cotta seinem Gesprächspartner Balbus im dritten Buch von De natura deorum attestiert, kurzum: er seine Dialogfigur Octavius gewissermaßen als einen ‚besseren‘ Balbus gestaltet. Parallel dazu soll für die These argumentiert werden, dass bereits Cicero jemanden vorstellt, der die Cottasche Kritik umsetzt: sich selbst im Dialog De legibus. So entfaltet er in dieser Schrift als Hauptsprecher in seiner Argumentation für die Existenz einer Naturgesetzlichkeit implizit eine Götterlehre und stützt sich dabei auf stoische Philosopheme, vermeidet allerdings die Fehler, die Cotta dem Stoiker Balbus attestiert hatte. Auf dieser Basis will ich in einem letzten Schritt Überlegungen anstellen, inwiefern sich aus Minucius Felix’ Rezeption der Balbus-Rede und Ciceros Schrift De legibus Rückschlüsse auf die Intention der Schrift ableiten lassen können. 11 Cic. nat. deor. 3,95. 12 Ebd. 13 Glei (2008).
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1. DIE „SCHULE“ COTTAS UND DER OFFENE AUSGANG DER DEBATTE IN DE NATURA DEORUM ALS PROTREPTIKUM Cotta zeigt sich die gesamte Schrift hindurch als die dominante Figur, die das Geschehen lenkt. Dies wird etwa vor Beginn der Balbus-Rede am Anfang des zweiten Buchs deutlich: Cotta widerspricht zwei von Balbus vorgebrachten Vorschlägen, nämlich dass zunächst er, Cotta, seine eigene Position offenlegen solle und dass er selbst, Balbus, nur die ersten beiden der vier Punkte umfassenden stoischen Götterlehre behandele. Beides wird von Cotta abgelehnt: Balbus spricht zuerst und folgt Cottas Wunsch, die stoische Götterlehre in ihrer Gesamtheit zu entfalten. Gleichwohl mildert Cotta die Durchsetzung dieses Rahmens mittels einer Rechtfertigung gegenüber Balbus ab: Es falle ihm nicht so leicht, etwas als wahr zu erkennen denn als falsch. Zudem habe er schon viel geredet (nat. deor. 2,2f.): Tum Balbus: „Eundem equidem mallem audire Cottam …“ – „An“ inquit „oblitus es quid initio dixerim, facilius me, talibus praesertim rebus, quid non sentirem quam quid sentirem posse dicere? quod si haberem aliquid quod liqueret, tamen te vicissim audire vellem, cum ipse tam multa dixissem.“ „Ich hätte lieber den Cotta noch einmal gehört,“ erwiderte Balbus darauf […]. – „Hast du etwa vergessen“, erwiderte dieser, „was ich gleich zu Anfang sagte: Ich könnte, besonders wenn es um solche Probleme geht, leichter sagen, was nicht meine Ansicht wäre, als was ich persönlich meinte? Doch selbst wenn ich eine klare Meinung hätte, möchte ich jetzt zur Abwechslung einmal dich reden hören, weil ich selbst schon so vieles vorgebracht habe.“14
Auf Balbus’ zweiten Wunsch antwortet er, man hätte ja genug Zeit, und außerdem sei die Sache so wichtig, dass man ihr sogar die gewöhnlichen Verpflichtungen hintanstellen müsse (nat. deor. 2,3): (Balbus:) „[…] Nos autem hoc sermone quae priora duo sunt sumamus; tertium et quartum, quia maiora sunt, puto esse in aliud tempus differenda.“ – „Minime vero“ inquit Cotta; „nam et otiosi sumus et his de rebus agimus, quae sunt etiam negotiis anteponenda.“ (Balbus:) „[…] In unserem Gespräch hier will ich aber nur die beiden ersten Punkte behandeln; der dritte und vierte dagegen sollte meiner Meinung nach auf einen anderen Zeitpunkt verschoben werden, weil sie zu umfangreich sind.“ – „Keineswegs!“ rief Cotta; „wir haben ja Zeit genug, und es geht hier um Fragen, die sogar wichtigen Geschäften vorgezogen werden müssten.“
Ohne Widerrede akzeptiert Balbus beide Einsprüche: Er spricht als nächster und entfaltet die vier Punkte der stoischen Götterlehre in ihrer Gesamtheit. Es ist somit die Dialogfigur Cotta, welche der Dramaturg Cicero die Rahmenvorgaben für Balbus’ Rede setzen lässt. Die Dialogfigur Cotta stattet er mit Deutungsmacht aus, während die Reden der Dialogfiguren Velleius und Balbus (und ebenso ihre Person selbst) Gegenstand von Cottas Bewertung werden. Sucht man nach Rezeptionssignalen, mit denen Cicero das Leseverständnis der längeren Reden
14 Übers. Gerlach/Bayer (1978).
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in De natura deorum steuert,15 so lassen sich diese vorwiegend in den Partien Cottas finden. Nach Balbus’ Rede ergreift erneut Cotta das Wort und verleiht seiner Skepsis gegenüber Balbus’ Ausführungen Ausdruck. Während Velleius ankündigt, sich auf Cottas Erwiderung zu freuen (nat. deor. 3,2), weist er ihm implizit die Aufgabe zu, über Balbus’ Rede, ähnlich wie im ersten Buch über seine eigene Rede, eine kritische Bewertung vorzunehmen. Cotta nimmt diese Rolle an, jedoch nicht ohne klarzustellen, dass Balbus’ Rede im Grundsatz anders, offenbar positiver, zu bewerten sei (nat. deor. 3,3): Tum Cotta „Sic mehercule“ inquit „Vellei: neque enim mihi par ratio cum Lucilio est ac tecum fuit. […]“ Darauf erwiderte Cotta: „Allerdings, mein lieber Velleius; denn dem Lucilius stehe ich nicht so gegenüber wie vorhin dir. […]“
Im Folgenden begründet Cotta sein Urteil gegenüber Velleius (nat. deor. 3,4): A Balbo autem animadvertisti credo quam multa dicta sint quamque etiam si minus vera tamen apta inter se et cohaerentia. Was für eine Menge aber von Balbus gesagt wurde, hast du, denke ich, mitbekommen, und auch wenn dies weniger wahr gewesen ist, ist es doch in sich passend und konsistent.
Balbus’ Rede habe erstens einen umfangreichen Stoff (quam multa) entfaltet – was Cotta positiv sieht. Und auch wenn manches nicht der Wahrheit entsprochen habe (etiam si minus vera), so weist er auf zwei Vorzüge hin: Sie sei vom Redestil angemessen gewesen (apta meint hier offenbar die vierte virtus elocutionis der hellenistischen Rhetorik, das aptum, griechisch: prepon), und inhaltlich konsistent gewesen (cohaerentia). Cotta tritt dabei nicht als Gegner auf, sondern scheint am ehesten das Rollenmuster eines fördernden Lehrers zu erfüllen, da er bei seinen Bewertungen stets freundlich und sympathisch (comiter und adridens) auftritt: Tum Cotta comiter, ut solebat, […] (nat. deor. 1,57) Hierauf erwiderte Cotta in seiner gewohnten Freundlichkeit, […]. Quae cum Balbus dixisset, tum adridens Cotta […] (nat. deor. 3,1) Als Balbus das gesagt hatte, sprach darauf Cotta lächelnd […].
Dabei bemüht sich Cotta, Kritik an der Sache von der Kritik an der Person zu trennen. Die Freundlichkeit ist übrigens auch in Crassus’ Gesprächskreis (De oratore) präsent, in dem sich Cotta, so Ciceros literarische Fiktion, als junger Mann aufgehalten und gelernt habe.16 15 Der Leser erhält das Angebot, sich mit Cotta zu identifizieren, während in Schriften wie De oratore, De re publica oder De legibus dem Leser mehrere Rezeptionsangebote unterbreitet werden. Vgl. Fox (2007), speziell zu De re publica Powell (1996), zu De legibus und De oratore Sauer (2012). 16 Crassus wendet sich gleich zu Beginn der dialogischen Handlung mit aufmunternden Worten an Cotta (und Sulpicius) und lobt, welch große Fortschritte sie bereits in der Rhetorik erzielt hätten (Cic. de orat. 1,30). Dieses Lob initiiert die weitere dialogische Handlung.
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Cottas Deutungsmacht, seine von Velleius und Balbus akzeptierte Schiedsrichterrolle und sein freundliches und sympathisches, beiden Gesprächspartnern gegenüber wertschätzendes Verhalten zeigen ihn in der Rolle eines freundlichen Lehrers oder Mentors, der versucht, die beiden anderen zu fördern. Diesem Rollenmuster entspricht, dass Cotta vor Balbus eine hypothetische Schülerrolle einnimmt, um eine Übungssituation zu imaginieren (nat. deor. 3,7): Tum Cotta: „Quia sic aggredior“ inquit „ad hanc disputationem, quasi nihil umquam audierim de dis immortalibus nihil cogitaverim; rudem me et integrum discipulum accipe et ea quae requiro doce.“ „Weil ich an unsere Untersuchung so herantreten will,“ entgegnete Cotta, „als hätte ich noch nie etwas von den unsterblichen Göttern gehört, noch nie darüber nachgedacht; nimm mich als einen unwissenden Neuling in deine Lehre auf und unterrichte mich auf meine Fragen!“
Dass Balbus tatsächlich auch außerhalb der Dialogsituation Cotta wie einen Mentor zu betrachten scheint, wird an folgender Stelle deutlich (nat. deor. 3,8, Sprecher ist Balbus): „Quia te quoque“ inquit „animadverti Cotta saepe cum in foro diceres quam plurimis posses argumentis onerare iudicem, si modo eam facultatem tibi daret causa.“ „Weil ich Dich oftmals“ sagte er, „beobachtet habe, wie auch du, Cotta, selbst, wenn du auf dem Forum ein Plädoyer zu halten hattest, den Richter mit so vielen Beweisgründen als nur möglich überschüttetest, sobald die Angelegenheit dir die Gelegenheit dazu gab.“17
Cotta belehrt daraufhin Balbus, dass diese Technik der Argumenthäufung nur dann anzuwenden sei, wenn die Sache strittig ist. Ist sie es nicht, sei der Einsatz dieser Technik kontraproduktiv (nat. deor. 3,9f., Sprecher ist Cotta): Nam ego neque in causis, si quid est evidens de quo inter omnis conveniat, argumentari soleo (perspicuitas enim argumentatione elevatur) […] remque mea sententia minime dubiam argumentando dubiam facis. Ich jedenfalls pflege auch in Prozessen dort, wo ein Punkt evident ist und worüber alle einig sind, keine Beweise anzuführen (die Evidenz wird ja durch das Argumentieren gerade aufgehoben) […]. Du stellst eine meiner Meinung nach keinesfalls zweifelhafte Sache durch dein Argumentieren in Zweifel.
An dieser Stelle deutet Cotta bereits einen ersten Korrekturvorschlag an Balbus’ Rede an, der sich auf Balbus’ lange Argumentation für die These bezieht, die Götter existierten, und mit der Balbus seine Argumentation beginnt. Wir werden sehen, dass Minucius Felix diesen von Cotta konstatierten Fehler vermeiden wird, wenn er seine christliche Dialogfigur Octavius ähnlich argumentieren lässt. Dass Cotta Balbus’ Rede in ihrer Struktur akribisch analysiert, wird auch im Folgenden deutlich (nat. deor. 3,10, Sprecher ist Cotta): Mandavi enim memoriae non numerum solum sed etiam ordinem argumentorum tuorum. Ich habe mir nämlich nicht nur die Zahl, sondern auch die Reihenfolge deiner Beweisgründe gut gemerkt.
17 Übers. Gigon/Straume-Zimmermann (2011).
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Indem Cotta darauf hinweist, er habe die Argumente genau mitgezählt und die Reihenfolge verfolgt, wirkt er auch hier wie ein rhetorischer ‚Ausbilder‘. Tatsächlich lenkt Cotta auch in seiner Rede im dritten Buch immer wieder auf die rhetorische Technik, ebenso wie in seinen Ausführungen zur Velleius-Rede in der zweiten Hälfte des ersten Buchs. Cicero definiert damit das Verhältnis zwischen Cotta und Balbus als die eines Mentors zu seinem Protegé, der diesen in seinem argumentativen Können zu fördern beabsichtigt. Und er lenkt den Blick des Lesers mittels der Dialogfigur Cotta auf die argumentative Technik des Balbus. Cottas Urteil verdeutlicht, dass Balbus nicht nur inhaltlich, sondern auch technisch hinter seinen Möglichkeiten zurückgeblieben sei, und motiviert den Leser, die Rolle eines aufmerksamen Kritikers einzunehmen und Balbus’ Rede – wie zuvor bereits Velleius’ Rede – in ihrer Struktur zu analysieren und zu bewerten. Zudem motiviert Cotta seine Gesprächspartner – inklusive Balbus –, eine bessere Rede für seinen Standpunkt zu gestalten. Hierfür ruft Cicero im gesamten dritten Buch mittels der Dialogfigur Cotta dem Leser Punkt für Punkt Balbus’ Rede in Erinnerung und verhandelt zentrale Aspekte technischer und inhaltlicher Art. Der Dialog transformiert zumindest ein kleines Stück weit die Situation einer Rhetorenschule, aber einer intellektuell anspruchsvollen und philosophisch reflektierten, in die Welt von Cottas Villa. Zwei jüngere Personen ‚deklamieren‘ eine philosophische Weltsicht und erfahren danach die Kritik eines sachkundigen Lehrers, der jeden einzelnen Punkt mit akribischer Schärfe diskutiert.18 Cotta erweist sich dabei mit seiner wertschätzenden und ermunternden, aber auch scharf wertenden Art als ein fähiger und sympathischer, dennoch strenger Lehrer. Was ihn aber darüber hinaus von einem Rhetoriklehrer unterscheidet, ist seine philosophische Bildung und sein theoretisches Interesse, das an zahlreichen Stellen zum Vorschein kommt. So sei er auch in Athen gewesen und habe dort – ähnlich wie Crassus im Dialog De oratore – führende Philosophen seiner Zeit gehört (nat. deor. 1,59). Auch die Verbindung von Rhetorik und Philosophie verweist auf Ciceros Dialog De oratore (siehe Abbildung 1), dessen Gesprächsinhalte Cicero von eben diesem Cotta, der als junger Mann an dem Treffen auf Crassus’ Landgut teilgenommen habe, sogar erfahren zu haben vorgibt. Das Postulat einer wissensbasierten und intellektuell reflektierten Rhetorik lässt Cicero bereits in De oratore seine zentrale Dialogfigur, Crassus, formulieren und gegen die älteste Dialogfigur, Scaevola, ausführlich verteidigen (de orat. 1,30-34.45-73). Cicero macht zu Beginn von Crassus’ Rede deutlich, dass Cotta ihm davon oft erzählt habe: […] solebat Cotta narrare Crassum sermonem quendam de studio dicendi intulisse (de orat. 1,29). Man möchte meinen, dass Cotta, der philosophische Reflexion mit rhetorischem Können verbindet, genau dieses Konzept aus De oratore, das Crassus gleich zu Beginn von De oratore entfaltet und die Gesprächsgemeinschaft auf Crassus’ Landgut theoretisch
18 Zur Argumentationstechnik im Einzelnen vgl. allgemein zusammenfassend Opelt (1966), 142– 146, mit einer Detailanalyse Schäublin (1990), rhetorisch strukturierend MacKendrick (1989), 169–184.
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erarbeitet, in eine professionelle unterrichtliche Praxis umsetzt und dabei die besten Philosophen griechischer Doktrin in Rom gewissermaßen ‚lehrt‘ und bildet. Das Thema Götterlehre scheint für dieses Vorhaben bestens geeignet. Denn wir wissen, dass in der römischen Ausbildung eines Redners über mythologische und philosophische Themen gesprochen wurde, und Cicero verwendet in seiner Schrift De inventione selbst ein Beispiel aus dem Bereich der Kosmologie für die Erläuterung einer fünfstufigen Ratiocinatio einer quaestio infinita (inv. 1,58f.; Thema ist das Schlussverfahren der ratiocinatio). [58] Qui putant in quinque tribui partes oportere, aiunt primum convenire exponere summam argumentationis, ad hunc modum: „Melius accurantur, quae consilio geruntur, quam quae sine consilio administrantur.” Hanc primam partem numerant; eam deinceps rationibus variis et quam copiosissimis verbis adprobari putant oportere, hoc modo: „Domus ea, quae ratione regitur, omnibus est instructior rebus et apparatior, quam ea, quae temere et nullo consilio administratur. Exercitus is, cui praepositus est sapiens et callidus imperator, omnibus partibus commodius regitur, quam is, qui stultitia et temeritate alicuius administratur. Eadem navigii ratio est. Nam navis optime cursum conficit ea, quae scientissimo gubernatore utitur.” [59] Cum propositio sit hoc pacto adprobata et duae partes transierint ratiocinationis, tertia in parte aiunt, quod ostendere velis, id ex vi propositionis oportere assumere, hoc pacto: „Nihil autem omnium rerum melius quam omnis mundus administratur.” Huius assumptionis quarto in loco aliam porro inducunt adprobationem, hoc modo: „Nam et signorum ortus et obitus definitum quendam ordinem servant et annuae commutationes non modo quaedam ex necessitudine semper eodem modo fiunt, verum ad utilitates quoque rerum omnium sunt accommodatae, et diurnae nocturnaeque vicissitudines nulla in re umquam mutatae quicquam nocuerunt.” Quae signo sunt omnia non mediocri quodam consilio naturam mundi administrari. Quinto inducunt loco conplexionem eam, quae aut id infert solum, quod ex omnibus partibus cogitur, hoc modo: „Consilio igitur mundus administrator”; aut unum in locum cum conduxerit breviter propositionem et adsumptionem, adiungit, quid ex his conficiatur, ad hunc modum: „Quodsi melius geruntur ea, quae consilio, quam quae sine consilio administrantur, nihil autem omnium rerum melius administratur, quam omnis mundus, consilio igitur mundus administratur.” Quinquepertitam igitur hoc pacto putant esse argumentationem. [58] Diejenigen, welche meinen, man solle sie in fünf Teile einteilen, sagen, es sei angemessen, zuerst das Ganze der Beweisführung vorzutragen, z.B. auf folgende Weise: „Besser wird das besorgt, was mit einem Plan durchgeführt wird, als das, was ohne Plan gehandhabt wird.“ Dies zählen sie als den ersten Teil; dieser solle, so glauben sie, der Reihe nach durch verschiedene Begründungen und durch möglichst wortreiche Ausführungen bewiesen werden, z.B. auf folgende Art: „Das Haus, das mit Vernunft geführt wird, ist mit allen Dingen besser ausgestattet und eingerichtet als das, welches aufs Geratewohl und ohne Plan verwaltet wird. Das Heer, an dessen Spitze ein weiser und kluger Feldherr steht, wird in allen Teilen zweckmäßiger gelenkt als das, welches durch irgendjemandes Torheit und Unbesonnenheit geleitet wird. Derselbe Gesichtspunkt gilt für die Schifffahrt. Denn am besten hält das Schiff seinen Kurs ein, welches den kenntnisreichsten Steuermann besitzt.“ [59] Ist nun der Vordersatz in dieser Art bewiesen und sind zwei Teile der Schlussfolgerung durchgeführt, so soll man im dritten Teil, sagen sie, das, was man zeigen will, aus der Bedeutung des Vordersatzes hinzunehmen, z.B. in folgender Art: „Nichts aber von allen Dingen wird besser als das gesamte Weltall geleitet.“ Für diesen Untersatz führen sie an vierter Stelle weiterhin einen Beweis ein, z. B. auf folgende Art: „Denn der Aufgang und Untergang der Himmelskörper hält eine bestimmte feste Ordnung ein, und die jährlichen Veränderungen geschehen nicht nur aus einem gewissen Zwang heraus immer auf dieselbe Art und Weise, sondern auch an den Nutzen aller Dinge angepasst, und der Wechsel von Tag und Nacht, der sich
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niemals irgendwie geändert hat, hat keinerlei Schaden zugefügt.“ Dies alles ist ein Zeichen dafür, dass die Natur des Weltalls nach einem nicht nur mittelmäßigen Plan geleitet wird. An fünfter Stelle führen sie die Zusammenfassung ein, die entweder nur das vorbringt, was aus allen Teilen zusammengefasst wird, z.B. auf folgende Art: „Nach einem Plan also wird das Weltall geleitet“, oder wenn sie kurz Vordersatz und Untersatz an einen Punkt zusammengeführt hat, fügt sie an, welches Ergebnis man daraus gewinnt, zum Beispiel auf folgende Weise: „Wenn das besser durchgeführt wird, was nach einem Plane, als das, was ohne Plan geleitet wird, nichts aber von allen Dingen besser geleitet wird als das gesamte Weltall, wird also das Weltall durch einen Plan geleitet.“ Fünfteilig also ist, wie sie meinen, eine Beweisführung in dieser Art.
Die Argumentation lässt sich graphisch im sogenannten Toulmin-Schema leicht veranschaulichen:
Abbildung 1: Fünfstufige Ratiocinatio nach Cic. inv. 1,58f. im Toulmin-Schema
Inwieweit in der rhetorischen Ausbildung junger Römer Übungen dieser Art gängige Praxis waren oder ob Cicero in De inventione mit seinem Beispiel ein neues Thema erst zum Gegenstand rhetorischer Bildung macht, lässt sich schwer entscheiden. Zu der fördernden Rolle Cottas passt es, dass er nach seiner ausführlichen Kritik an Balbus’ Rede, gegen die sich Balbus nicht überzeugend verteidigen konnte, abschließend bemerkt, dass Balbus’ Ausführungen gleichwohl Potential hätten und Balbus gegen ihn, Cotta, leicht hätte siegen können (nat. deor. 3,95):
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Jochen Sauer Tum Cotta: „Ego vero et opto redargui me, Balbe, et ea quae disputavi disserere malui quam iudicare, et facile me a te vinci posse certo scio.” Darauf erwiderte Cotta: „Ich meinerseits wünsche es, Balbus, widerlegt zu werden, und was ich vorgetragen habe, war eher ein Vorschlag gewesen als ein Urteil; ich bin völlig überzeugt, dass du mich leicht wirst besiegen können.“
Dieser Zuversicht, dass von Balbus’ Position eine überzeugendere Argumentation möglich ist, wird auch in den Schlussworten Ausdruck verliehen, in denen sich zeigt, dass auch der junge Cicero die Balbus-Rede näher am ‚Wahrscheinlichen‘ sieht (Cic. nat. deor. 3,95; es spricht der ciceronische Erzähler): Haec cum essent dicta, ita discessimus, ut Velleio Cottae disputatio verior, mihi Balbi ad veritatis similitudinem videretur esse propensior. Nachdem dies gesagt worden war, trennten wir uns in dem Sinne, dass dem Velleius der Vortrag Cottas der Wahrheit näher zu kommen schien, ich dagegen der Meinung war, die Rede des Balbus habe eher die Neigung, der Wahrheit ähnlich zu sein.
Somit legt Cicero die Diskussion auf Fortsetzbarkeit an, da eine befriedigende Lösung der Frage nicht erzielt wurde, eine bessere Lösung jedoch – zumindest von Cotta – als möglich erachtet wird. Dass selbst Cicero Potential in Balbus’ Position sieht, sollte einen ambitionierten Leser erst recht herausfordern, diejenige Aufgabe besser zu lösen, der sich Balbus gestellt hatte, nämlich eine für den römischen Staat passende Religionsphilosophie überzeugend zu entfalten. Eine Weiterführung der Diskussion von De natura deorum stellt Cicero dem Leser vor Augen, indem er Balbus gegenüber Cotta sagen lässt (Cic. nat. deor. 3,94): (Balbus:) „[…] Sed quoniam advesperascit, dabis nobis diem aliquem ut contra ista dicamus. Est enim mihi tecum pro aris et focis certamen et pro deorum templis atque delubris proque urbis muris, quos vos pontifices sanctos esse dicitis diligentiusque urbem religione quam ipsis moenibus cingitis; quae deseri a me, dum quidem spirare potero, nefas iudico.” „Doch da es nun Abend wird, wirst du mir einen Termin setzen, an dem ich meine Einwände werde vorbringen können. Denn es ist nun meine Pflicht, mit dir zu kämpfen um die Altäre des Staates und der Familien, um die Tempel der Götter und ihre Heiligtümer und um die Mauern der Stadt, die ihr Pontifices als heilig betrachtet, ihr, die ihr die Stadt noch gewissenhafter mit der Religion als mit den Stadtmauern verteidigt. So lange ich zu atmen vermag, werde ich es für eine Gottlosigkeit halten, dies alles im Stiche zu lassen.“
Es ist vermutlich Ciceros Intention, plausibel zu machen, dass gerade er selbst als junger Zuhörer durch das unbefriedigende Ergebnis der Diskussion motiviert wurde, die Bemühungen Cottas, mit dem erstmalig, so Ciceros Suggestion, ein römischer Senator als akademischer Skeptiker aufgetreten war, fortzuführen.19 Dabei schwingt der Motivation möglicherweise eine unheilvolle Drohung mit, die dreißig 19 DeFilippo (2000) legt eine sorgfältige Analyse der Differenz zwischen dem radikalen Skeptizismus Cottas und dem abgemilderten Skeptizismus Ciceros in De natura deorum vor. Cicero folge darin konsequent dem Standpunkt des Karneades, indem er, wie er in nat. deor. 1,12 formuliert, auch wahrscheinliche Erscheinungen (probabilia) als Basis für das Handeln des Weisen akzeptiere, selbst wenn sie nicht ausreichend kognitiv durchdrungen sind. Zum Skeptizismus Ciceros im Allgemeinen Woolf (2015).
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Jahre später zum Zeitpunkt der Abfassung von De natura deorum 45 v. Chr. prekäre Aktualität erhalten hat.20 Caesars Alleinherrschaft könnte die mögliche Konsequenz des allzu radikalen Skeptizismus sein.21 Die Rezeptionsgeschichte zeigt, dass darüber hinaus auch mancher Leser dazu motiviert wurde, die Debatte um die Götterlehre fortzuführen: Durch den offenen Ausgang und die Erwartung einer Fortsetzung dürfte mancher Leser gerade vor dem Hintergrund der detaillierten Kritik Cottas an Balbus’ Rede und seiner Zuversicht, in der Debatte weiter zu kommen, geradezu motiviert werden, Cottas Kritik umzusetzen und eine noch bessere Balbus-Rede zu schreiben. Arnob berichtet zudem von der Angst einiger Leute, dass Ciceros theologische Traktate sogar die christliche Religion wirksam unterstützten und die alte Religion gefährdeten.22 Kurzum: Die Lektüre von De natura deorum fordert den Leser nahezu auf, gewissermaßen in Cottas ‚Schule‘ einzutreten und die gestellte Aufgabe, eine römische Götterlehre theoretisch zu begründen, besser als Balbus zu lösen. 2. DE RE PUBLICA ALS RESSOURCE FÜR EINE BESSERE GÖTTERLEHRE UND ANSÄTZE FÜR EINE UMSETZUNG IN DE LEGIBUS Zur Lösung der Aufgabe, für die römische Religion überzeugend und theoretisch fundiert zu argumentieren, wird der Leser in De natura deorum eingeladen, andere Schriften Ciceros heranzuziehen, insbesondere De re publica. So weist Cotta im 20 Hermann Strasburger (1999), 63, sieht in Cottas Überlegung, dass die Tatsache, dass Tyrannen und Despoten keine gerechte Strafe erhielten, ein Argument gegen die von den Stoikern behauptete Vorsehung sei (Cic. nat. deor. 3,80-85), und in Cottas Auswahl der für diese Überlegung angeführten Beispiele, eine direkte Anspielung auf Caesar: „Die Frage des akademischen Sprechers hatte … gelautet, ob angesichts der geschichtlichen Erfahrung, dass so viele und große Freveltaten mächtiger Männer ungesühnt bleiben, der Glaube der Stoiker an die Lenkung der menschlichen Geschichte durch göttliche Vorsehung im Sinne sittlicher Gerechtigkeit … aufrecht erhalten werden könne. Dieser fundamentale Zweifel bleibt am Schluss des Werkes unbehoben im Raume stehen, lediglich gemildert durch Ciceros abschließende Bemerkung, dass er für seine Person doch etwas stärker dem Gottvertrauen der Stoiker zuneige.“ Strasburger folgert, dass „wir den im zweiten Buch dem Stoiker in den Mund gelegten Hymnus auf die Schönheit und Sinnerfülltheit der Natur … und auch die Gemeinschaft von Göttern und Menschen auch für Ciceros eigene Anschauung halten dürfen“ (ebd.). Demnach würde das in Cic. nat. deor. 3,80-85 gebotene Argument Cottas antitreptisch vor Augen stellen, wohin ein fundamentaler Zweifel an der Wirksamkeit göttlichen Willens in der Welt führte. Die von Strasburger postulierte Bezugnahme auf Caesar und die Antitreptik wird in ihrer Wirksamkeit dadurch intensiviert, dass Gaius Aurelius Cotta Caesars unmittelbarer Vorgänger im Amt des Pontifex Maximus war. 21 Strasburger (1999), 63, sieht die Anspielung auf Caesar insbesondere in der Tatsache, dass Cicero – wie bereits im fünften Buch der Tusculanen – eine Insinuationstaktik anwendet, „auf römische Exempla, unter denen die Untaten von Marius und Cinna wiederum hervorragen, Sulla aber wieder fehlt, eine besonders lange Erzählung von Dionys dem Tyrannen folgen zu lassen, der diesmal … als zynischer, straflos gebliebener Tempelräuber vorgeführt wird. Eben diesen Ruf hatte Caesar auch bei seinen Gegnern.“ 22 Arnob. 3,7. Vgl. Opelt (1966), 141.
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dritten Buch zu Beginn seiner Erwiderung auf Balbus’ Ausführungen darauf hin, dass er sich bei der Götterlehre eher an römische als an griechische Autoritäten halten wolle, und stellt dafür exemplarisch drei römische Pontifices maximi den drei großen Schulgründern der Stoa voran, bevor er auf einen Hauptunterredner aus De re publica, Laelius, zu sprechen kommt (Cic. nat. deor. 3,5; Sprecher ist Cotta). Sed cum de religione agitur, Ti. Coruncanium P. Scipionem P. Scaevolam pontifices maximos, non Zenonem aut Cleanthen aut Chrysippum sequor, habeo C. Laelium augurem eundemque sapientem quem potius audiam dicentem de religione in illa oratione nobili quam quemquam principem Stoicorum. Wenn aber über die Religion gesprochen wird, so folge ich Titus Coruncanius, Publius Scipio, Publius Scaevola, den Pontifices Maximi, und nicht Zenon oder Kleanthes oder Chrysipp. Ich halte mich an C. Laelius, der gleichzeitig Augur war und Sapiens genannt wurde; lieber höre ich ihn an, wenn er in jener berühmten Rede über den Dienst der Götter spricht als irgendeinen der großen Stoiker.
Zwar mögen auch die Namen Scipio und Scaevola an zwei Dialogfiguren in De re publica denken lassen; da diese jedoch nicht Pontifices maximi waren, können sie nicht gemeint sein. Immerhin ist der letztgenannte Pontifex, P. Mucius Scaevola (pontifex maximus 133–ca. 115 v. Chr.), Vater der Dialogfigur Q. Mucius Scaevola in De re publica.23 Der von Cotta im Anschluss daran besonders hervorgehobene Laelius ist dagegen eine zentrale Dialogfigur in De re publica und begründet im dritten Buch in einer langen Rede die Naturgemäßheit der Gerechtigkeit mit Rekurs auf die göttliche Weltordnung.24 Leider sind Laelius’ Ausführungen über eine metaphysische Fundierung der Gerechtigkeit in Buch 3 von De re publica nur in Fragmenten erhalten. Bedeutsam ist ein bei Laktanz überliefertes Fragment dieser Rede, in dem eine natürliche Gesetzlichkeit postuliert wird, über deren Geltung der höchste Gott wache und die einer Art innerer Sittlichkeit im Menschen entspreche (Cic. rep. 3 frg. 27 Powell [=Lact. inst. 6,8,6-9]).25 Dieser Grundgedanke stoischer Naturrechtlichkeit erinnert an einschlägige Passagen in Ciceros Schrift De legibus, in der Cicero im ersten Buch und zu Beginn des zweiten in seinen Überlegungen zur Naturgesetzlichkeit implizit auch eine Götterlehre entfaltet. Das Verhältnis von Laelius’ Rede im dritten Buch von De re publica zu Ciceros eigener Argumentation in dem Dialog De legibus ist aufgrund des fragmentarischen Zustands von Laelius’ Rede nicht abschließend geklärt, doch vermutet die Forschung, dass Cicero das Argument in De legibus zwar unter Verwendung ähnlicher Philosopheme, jedoch vorsichtiger und vor allem
23 Mit P. Scipio ist wohl P. Scipio Nasica Corculum (pontifex maximus 150–141 v. Chr.) gemeint (vgl. Pease 1955, 508, ad loc.). 24 Wenngleich es bei der von Cotta genannten Rede (in illa oratione nobili), in der Laelius über die Religion gehandelt habe, nicht um die fiktive Rede in De re publica 3 handeln kann, so wird durch den Hinweis unzweideutig Laelius’ Deutungsmacht im Bereich der Religion postuliert, so dass auch Laelius’ Darlegungen im dritten Buch von De re publica bezüglich der Religion eine Nobilitierung erfahren. 25 Zur naturrechtsphilosophischen Einordnung dieser Stelle Horn (2017), 149f., außerdem Atkins (2013), 36–42.
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mit akademischem Duktus führt.26 Die entsprechenden Passagen in De re publica und De legibus sollen im folgenden Kapitel vergleichend mit den Passagen in De natura deorum betrachtet werden. Bezüglich De legibus ist natürlich einschränkend darauf hinzuweisen, dass dieses Ende der fünfziger Jahre v. Chr. abgefasste (und wohl unvollendet gebliebene) Schrift weder zum Zeitpunkt der Abfassung von De natura deorum in Umlauf war noch in der uns vorliegenden Form in Umlauf gebracht werden sollte. Aus beiden Schriften lassen sich jedoch Umrisse erkennen, wie eine überzeugendere Argumentation für die römische Götterlehre, als Balbus sie gegeben hatte, entwickelt werden könnte. Die Schrift De natura deorum im Kontext anderer Schriften Ciceros zu lesen, wird durch zahlreiche Verbindungen der Vergangenheitsdialoge untereinander nahegelegt. So befand sich Cotta selbst etwa unter den jugendlichen Zuhörern des Gesprächs auf Crassus’ Landgut (De oratore) und ist derjenige, der Cicero überhaupt von dem Gespräch berichtet habe. Wie oben erwähnt, scheint es so, als habe er als junger Mann in diesem Kreis das Konzept einer wissensbasierten und reflektierten Rhetorik (De oratore) kennengelernt. Er war Zeuge, wie Crassus dieses Konzept entfaltet und den greisen Scaevola davon überzeugt habe (Cic. de orat. 1,30-34.45-73). Hiervon habe Cotta oft berichtet (Cic. de orat. 1,29). Scaevola wiederum hatte als junger Mann dem Gespräch in Scipios Gärten (De re publica) beigewohnt und stellt so die Verbindung zum Kreis um Scipio (De re publica) her. Gegenüber dem Gesprächskreis von De oratore ist in De natura deorum neu, dass sich die Hauptdialogfigur im Streit der hellenistischen Philosophenschulen positioniert und in ihrer Affinität zu einer philosophisch fundierten Rhetorik konsequent der akademischen Skepsis folgt. Die Abbildung 2 zeigt schematisch die von Cicero konstruierte Chronologie seiner dramatisch vor 75 v. Chr. verorteten Dialoge. (Die Schriften Cato maior de senectute und Laelius de amicitia verfasste Cicero erst nach De natura deorum.)27
26 Einschlägig sind Gotter (2003) und Atkins (2013), 38–46. Beide gehen davon aus, dass die Dialogfigur Cicero im ersten Buch von De legibus eine deutlich differenziertere Position entfaltet als Laelius im dritten Buch von De re publica. Aufgrund des Überlieferungszustands der Rede des Laelius muss es bei der auf der Basis von Indizien begründeten Vermutung bleiben. 27 Zur vergleichenden Datierung der Abfassungszeit und der dramatischen Zeit der einzelnen ciceronischen Dialoge vgl. MacKendrick (1989).
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Abbildung 2: Dramatische Chronologie der vor 75 v. Chr. situierten Werke Ciceros
3. ÜBERLEGUNGEN ZUR REZEPTION DER CICERONISCHEN BALBUS-FIGUR DURCH MINUCIUS FELIX Sollte sich ein Rezipient von De natura deorum eingeladen fühlen, in Fortsetzung des Gesprächs über die Natur der Götter eine Argumentation zu verfassen mit der Absicht, Balbus’ Ausführungen zu übertreffen, so könnte ihm insbesondere Cottas Verweis auf seine Vorbilder einen Hinweis auf einschlägige argumentative Ressourcen geben, und da Cicero diese Personen insbesondere in De re publica nicht zuletzt philosophisch-doxographisch porträtiert, läge es nahe, sich an den Argumenten zu orientieren, welche Cicero in De legibus und gegebenenfalls in De re publica verwendet, um auf diese Weise gegen die Kritik von Ciceros Cotta-Figur Bestand zu haben.
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Eine spezielle Motivation für einen christlichen Schriftsteller, Argumente aus De natura deorum zur Basis einer christlichen Darstellung zu machen, dürfte in weiteren zwei Gründen liegen: Zum einen bot die stoische Tendenz zu einem henotheistischen Gottesbegriff gute Anschlussmöglichkeiten für den christlichen Monotheismus, zum anderen lassen sich die beständigen Hinweise, dass der Gegenstand dunkel sei, geradezu als Einladung für einen christlichen Schriftsteller verstehen, das Thema zu erhellen und die Unabgeschlossenheit des ciceronischen Diskurses abzuschließen. So stellt zunächst Cicero als Vorredensprecher fest, dass die Frage der Religion schwierig (difficilis) und sehr dunkel (obscura) sei (Cic. nat. deor. 1,1), dann in der Mitte von Buch 1 die Dialogfigur Cotta in Anschluss an Velleius’ Rede (Cic. nat. deor. 1,58), und schließlich erneut die Dialogfigur Cotta am Ende von Buch 3 (Cic. nat. deor. 3,93): Cum multae res in philosophia nequaquam satis adhuc explicatae sint, tum perdifficilis, Brute, quod tu minime ignoras, et perobscura quaestio est de natura deorum … (Cic. nat. deor. 1,1; Sprecher ist Cicero als Prologsprecher). Ego autem, etsi vereor laudare praesentem, iudico tamen de re obscura atque difficili a te dictum esse perlucide, neque sententiis solum copiose sed verbis etiam ornatius quam solent vestri (Cic. nat. deor. 1,58, Sprecher ist Cotta). Haec fere dicere habui de natura deorum, non ut eam tollerem sed ut intellegeretis quam esset obscura et quam difficiles explicatus haberet (Cic. nat. deor. 3,93; Sprecher ist Cotta).
Auch die Tatsache, dass die Licht-Dunkel-Metapher in den Schriften gerade der christlichen Apologeten eine große Rolle spielt, dürfte einen christlichen Autor zusätzlich motiviert haben, eine christliche, verbesserte ‚Balbus-Rede‘ zu verfassen. Er dürfte sich geradezu eingeladen fühlen, ‚Licht ins Dunkel‘ zu bringen, zumal Cicero in der Person von Balbus eine Fortsetzung des Gesprächs ankündigt und in der Person von Cotta und sich selbst auf das Potential der Balbus-Rede hinweist.28 Nun gibt es eine Schrift, in der dieses ‚Projekt‘ umgesetzt worden zu sein scheint: Minucius Felix’ Dialog Octavius, der wohl Anfang des dritten Jahrhunderts vor Christus entstand und der formal in der Tradition der ciceronischen Vergangenheitsdialoge steht. Minucius ruft als Vorredensprecher zunächst einen besonderen Menschen, Octavius, in Erinnerung, der einst ein denkwürdiges Gespräch geführt habe, das im Folgenden erzählt wird. Ort des Gesprächs ist der Strand von Ostia, wo der Autor als Dialogfigur Minucius gemeinsam mit einem Vertrauten Caecilius seinen alten Freund Octavius trifft. Minucius und Octavius sind beide Christen, und nachdem Caecilius einer Statue des Gottes Serapis als Zeichen seiner Verehrung seine Kusshand zugeworfen hat, entbrennt ein Streit: Der Christ Octavius ist entrüstet und beschwert sich bei Minucius, dass er Caecilius, einen Menschen, mit dem er so engen Umgang pflege, im Ungewissen über die Wahrheit lasse. Darüber ist wiederum Caecilius erzürnt und fordert den Christen Octavius zu einem 28 Der wichtigste Subtext für die Rede des Christen Octavius ist neben dem Apologeticum Tertullians die Balbus-Rede in De natura deorum. Darüber hinaus sind die Dialogi Senecas von großer Bedeutung.
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argumentativen Duell, gewissermaßen einem rhetorisch-doxastischen Zweikampf heraus. Minucius soll als Schiedsrichter fungieren. Als erster spricht als Herausforderer der Nicht-Christ Caecilius, der eine Position einnimmt, die sich auf der einen Seite durch resignative Skepsis gegenüber jeglicher Wahrheitserkenntnis, auf der anderen Seite durch das Eintreten für eine materialistische Weltauffassung in demokriteisch-epikureischer Tradition auszeichnet und der gegen die Christen eine harte Invektive führt. Es scheint also fast so, als hätte Minucius Felix mit seiner nicht-christlichen Dialogfigur Caecilius den bei Cicero polemisch und abwertend auftretenden Epikureer Velleius mit einer skeptizistisch-resignativen Haltung versehen. Meine Hypothese, für die ich im dritten Schritt argumentieren möchte, ist, dass Minucius mit seiner Dialogfigur Octavius nichts weniger als den Anspruch formuliert, die von Cotta eingeforderte und für möglich gehaltene Verbesserung der Balbus-Rede umzusetzen, kurzum: Ich möchte vorschlagen, die Rede des Octavius als eine Verbesserung der Balbus-Rede zu lesen, die Cottas Kritik berücksichtigt. Dass Minucius Felix zahlreiche Elemente aus anderen Texten Ciceros heranzieht, steht nicht im Widerspruch zu dieser These, zumal Cotta ja selbst, wie bereits erläutert, die Spur auf andere Werke Ciceros, vor allem auf De re publica lenkt. Auch die Tatsache, dass Minucius Felix strategisch im Kontext einer ciceronisch-quintilianisch geprägten Bildungskultur bestrebt sein musste, die Rede des Octavius dadurch stark zu machen, dass er sich an die gängigen philosophischen Wissensbestände anschloss, mag ein wichtiger Anlass gewesen sein, sich anderer Schriften Ciceros nicht nur zu bedienen, sondern die Referenzen auf diese Schriften dem Leser deutlich werden zu lassen. Man denke bezüglich der Wichtigkeit Ciceros nur an die Bemerkung der augustinischen Dialogfigur Licentius in Contra Academicos auch noch mehr als 150 Jahre später (Aug. Acad. 1,3,8, Sprecher ist Augustinus’ Schüler Alypius gegenüber dem Schüler Licentius): Ergone Cicero sapiens non fuit, a quo in Latina lingua philosophia incohata est et perfecta? War also Cicero kein Weiser, von dem die Philosophie in lateinischer Sprache sowohl begonnen als auch vollendet wurde?
Zudem bot die Tatsache, dass bei Cicero Gedankengänge und Philosopheme mehrfach, wenngleich in Variation, verwendet werden, dass diese somit ein zumindest lose zusammenhängendes Denkgebäude aufbauen und dass die einzelnen Philosopheme oft in rhetorisch-topischer Form entfaltet werden, für den christlichen Schriftsteller das Angebot, sich dieser Topoi wie aus einem Reservoir zu bedienen. Den ersten Teil der Octavius-Rede im Octavius des Minucius Felix werde ich im Folgenden entlang des Textes betrachten. Dass es Minucius Felix mit der Octavius-Rede um eine wirkungsstarke Klärung der Frage nach der Natur des Göttlichen geht, macht er explizit, indem er die Figur des Christen, Octavius, betonen lässt, er wolle mit einer einzigen unumstößlichen und allgemein anerkannten Wahrheit die Ausführungen des Caecilius entkräften (Min. Fel. 16,4; Sprecher ist Octavius):
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Nullum itaque miraculum est, si Caecilius identidem in contrariis ac repugnantibus iactetur aestu et fluctuetur. Quod ne fiat ulterius, convincam et redarguam quamvis diversa, quae dicta sunt, una veritate confirmata probataque; sic nec dubitandum ei de cetero est nec vagandum. Daher ist es kein Wunder, wenn Caecilius immer wieder wie in einem Meer von Gegensätzen und Widersprüchen hin und her treibt, auf und nieder schaukelt und schwankt. Damit das nicht so weitergeht, will ich das, was vorgebracht wurde, mag es auch noch so disparat sein, mit sicher erwiesener Wahrheit, die eine ist, unwiderlegbar zurückweisen. So wird er im Übrigen nicht mehr zweifeln und sich nicht mehr bald hierhin, bald dorthin drehen müssen.
Octavius beginnt seine Darlegungen – ähnlich wie Balbus – mit einer metaphysischen Grundlegung, strukturiert und ponderiert diese jedoch ganz anders als Balbus. Zuvor liefert Octavius jedoch eine Antwort auf Caecilius’ Vorwurf, die Christen seien von einfacher Art, niedrigem sozialen Stand und überhaupt der Abschaum der Gesellschaft. Er bedient sich einer retorsio, indem er den Gegenstand des Angriffs als Qualitätsmerkmal umdeutet, und gerade die Einfachheit und Schlichtheit als einen Vorteil preist. Dieses Argument wird rhetorisch amplifiziert und mündet in die Aussage: Je einfacher die Rede, umso einleuchtender die Argumentation (ratio); es kommt, so die Dialogfigur Octavius unter Veränderung einer Formulierung aus De natura deorum,29 nicht auf die Autorität des Disputierenden an, sondern auf die Wahrheit der Aussage (Min. Fel. 16,6; Sprecher ist Octavius): Nihil itaque indignandum vel dolendum, si quicumque de divinis quaerat sentiat proferat, cum non disputantis auctoritas, sed disputationis ipsius veritas requiratur. Atque enim, quo inperitior sermo, hoc inlustrior ratio est … Einen Anlass für Empörung oder Schmerz gibt es daher nicht, wenn ganz gleich, wer es sei, hinsichtlich des Göttlichen Fragen aufwirft, Ansichten formt und sich äußert, da es nicht auf die Autorität des Denkers, sondern die Wahrheit der Gedanken ankommt. Und es leuchtet die Argumentation umso heller, je unbeholfener die Redeweise ist, …
Im Weiteren vermeidet die Dialogfigur Octavius gleich einen ersten Fehler, den Balbus nach Cottas Meinung begangen habe. Anstatt in großer Breite für die Existenz Gottes (bei Balbus: der Götter) oder allgemein des Göttlichen zu argumentieren und damit eine Angriffsfläche zu bieten,30 lenkt Octavius die Aufmerksamkeit zunächst auf die Beschaffenheit des Menschen und entwickelt eine philosophischtheologische Anthropologie, um auf dieser Basis auf die These zu schließen, die Welt werde durch eine Ordnung gelenkt. Tatsächlich hatte auch Cicero im ersten Buch der Schrift De legibus, in der er dafür argumentiert, dass das Recht göttlich und in der Natur verankert sei, in ähnlicher Weise begonnen, indem er in drei Argumentationsgängen die Anthropologie zur Basis seiner Überlegungen zur Natürlichkeit des Rechts und der Rechtsgemeinschaft zwischen Göttern und Menschen 29 Die Formulierung: cum non disputantis auctoritas, sed disputationis ipsius veritas requiratur, erinnert in Wortwahl und Inhalt stark an eine Stelle in Ciceros Prooemium zum ersten Buch von De natura deorum (Cic. nat. deor. 1,10: non enim tam auctoritatis in disputando quam rationis momenta quaerenda sunt. Vgl. Beaujeu (1964), 98. Während es für den Skeptiker Cicero nur rationis momenta gibt, geht der Christ Octavius von einer erkennbaren veritas aus. 30 Vgl. Cic. nat. deor. 3,9f.: remque mea sententia minime dubiam argumentando dubiam facis; siehe oben.
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macht. Diesen Argumentationsweg beschreibt Cicero gleich zu Beginn der Ausführungen (Cic. leg. 1,17; Sprecher ist Cicero als Dialogfigur): Natura enim iuris explicanda nobis est, eaque ab hominis repetenda natura […]. Wir müssen nämlich das Wesen des Rechts klären und dieses aus dem Wesen des Menschen herleiten.31
Ein Beleg aus De legibus zeigt uns, dass nicht nur Cicero in De legibus, sondern auch Ciceros Dialogfigur Scipio Africanus in De re publica einen anthropologischen Diskurs führte (Cic. leg. 1,26f.; Sprecher ist Cicero als Dialogfigur):32 Figuramque corporis habilem et aptam ingenio humano dedit; nam cum ceteras animantes abiecisset ad pastum, solum hominem erexit et ad caeli quasi cognationis domiciliique pristini conspectum excitavit. […] neque enim omnia sunt huius disputationis ac temporis, et hunc locum satis, ut mihi videtur, in eis libris quos legistis expressit Scipio. [Dieselbe Natur] verlieh ihm eine praktische und dem menschlichen Geist entsprechende körperliche Gestalt. Denn während die Natur die übrigen Lebewesen zur Aufnahme von Nahrung niedergebeugt hatte, gab sie allein dem Menschen eine aufrechte Haltung und regte ihn zur Betrachtung des Himmels […] an. […] Denn es paßt nicht alles in den Rahmen dieser Erörterung und der uns zur Verfügung stehenden Zeit, und Scipio hat dieses Thema, wie mir scheint, in den Büchern, die ihr gelesen habt, hinreichend behandelt.
Leider ist uns diese Stelle, in der Scipio für die besondere Ausstattung des Menschen argumentiert, nicht erhalten, jedoch wird aus der De legibus-Stelle deutlich, dass Scipio anthropologische Eigenschaften jenseits der ratio aufführt, also offenbar nicht allein auf die ratio setzt, wenn er das Potential des Menschen beschreibt. In De legibus sieht die Dialogfigur Cicero die ratio als das wesentliche Merkmal des Menschen an, das ihn mit dem Göttlichen verbindet, fügt aber in der folgenden Aufzählung weitere wichtige Ausstattungsmerkmale auf, die sich nicht vollständig auf die ratio zurückführen lassen. Tatsächlich hatte Cotta Balbus auch in diesem Punkt kritisiert, dass er allein auf die rationale Natur des Menschen setzte. Schließlich könne man die ratio auch zu schlimmen Verbrechen gebrauchen. Cicero meidet diesen Fehler in De legibus, ebenso aller Wahrscheinlichkeit nach Scipio in De re publica, und auch, wie wir sehen werden, Minucius Felix. Er beginnt seine Anthropologie mit etwas Unverfänglichem, nämlich dem Topos des aufrechten Gangs als Basis für die Himmelsschau. Hatte Cicero in De legibus dieses Argument gleich nach dem Postulat der Vernunftnatur des Menschen gesetzt, die ihn mit Gott verbinde (Cic. leg. 1,26f., s.o.), so fehlt bei Octavius jede Fokussierung auf die ratio als wesentliche Natur des Menschen, so dass die von Cotta geäußerten Bedenken berücksichtigt werden.
31 Übers. Nickel (2004). 32 Der Kontext stellt sich folgendermaßen dar: Cicero argumentiert dafür, dass der Mensch mit einer besonderen Ausstattung in die Welt gesetzt wurde. Zunächst sei er zu vernünftigem Denken fähig. Dann habe er aber darüber hinaus weitere Dinge erhalten, die zeigten, dass Gott wollte, dass der Mensch die oberste Stellung über alle anderen Dinge einnehme.
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Dass Octavius mit einer philosophischen Anthropologie beginnt, legt Minucius Felix bereits durch die Vorrede des Caecilius an, der postuliert, es sei erstens wichtig, zunächst einmal im Kleinen den Menschen besser zu verstehen. Hierauf kann Octavius mit der Entfaltung einer philosophischen Anthropologie passgenau antworten (Min. Fel. 17,1, Sprecher ist Octavius): Nec recuso, quod Caecilius adserere inter praecipua conisus est, hominem nosse se et circumspicere debere, quid sit, unde sit, quare sit: utrum elementis concretus an concinnatus atomis an potius a deo factus formatus animatus. Aber ich erhebe durchaus keinen Einspruch gegen das, worauf Caecilius als eines der wichtigsten Vorrechte (des Menschen) mit aller Kraft Anspruch zu erheben versucht hat, nämlich dass der Mensch sich kennen und mit Umsicht bedenken müsse, was er ist, woher er kommt und warum er da ist, ob er sich aus Elementen verdichtet, aus Atomen zusammengesetzt hat oder vielmehr von Gott gemacht, gebildet und beseelt worden ist.33
Octavius kann Caecilius auch in einem weiteren Punkt zustimmen, nämlich dass es besser sei, sich mit dem Menschen als mit dem Weltenbau zu beschäftigen. Letzteres hatte Balbus in De natura deorum getan, während sich Cicero in De legibus zunächst ebenfalls mit dem Menschen beschäftigt hatte. Mit der Frage nach der physischen Beschaffenheit des Menschen lenkt Octavius seine Argumentation auf das Weltganze, indem er ein stoisches Philosophem anschließt, das Anthropologie und Kosmologie verbindet und das bei Cicero in De re publica bereits von Bedeutung war, so etwa Cic. rep. 1,19:34 Man könne auch das Gemeinwesen nicht gut führen, wenn man die gemeinsame Organisationsform (civitas) aller nicht kenne (Min. Fel. 17,2, Sprecher ist Octavius): Quod ipsum explorare et eruere sine universitatis inquisitione non possumus, cum ita cohaerentia conexa concatenata sint, ut, nisi divinitatis rationem diligenter excusseris, nescias humanitatis, nec possis pulchre gerere rem civilem, nisi cognoveris hanc communem omnium mundi civitatem. Eben dies können wir ohne die Untersuchung der Gesamtheit aller Dinge nicht herausfinden und ergründen, weil alles so eng zusammenhängt, miteinander verknüpft und verkettet ist, dass man ohne die sorgfältige Untersuchung der Kategorie göttlichen Wesens vom menschlichen Wesen nichts wissen kann, noch auch das Gemeinwesen trefflich zu lenken in der Lage ist, wenn man jenen allen gemeinsamen Weltenstaat nicht kennt.
Da alles miteinander zusammenhänge, müsse zunächst das Göttliche untersucht werden, um das Wesen des Menschen zu verstehen. Dann entfaltet Minucius die
33 Übers. Chr. Schubert (2014). 34 Philus antwortet in Cic. rep. 1,19 auf Laelius’ Frage, ob man denn schon erforscht habe, was das Gemeinwesen betreffe, da die Gesprächsgemeinschaft offenbar bereits erforschen wolle, was im Himmel vor sich geht, mit dem Hinweis, dass das Haus des Menschen nach dem Willen der Götter die ganze Welt sei: An tu ad domos nostras non censes pertinere, scire quid agatur et quit fiat domi – quae non ea est quam parietes nostri cingunt, sed mundus hic totus, quod domicilium quamque patriam di nobis communem secum dederunt – cum praesertim, si haec ignoremus, multa nobis et magna ignoranda sint?
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rectus-status-These,35 leitet aus ihr die natürliche Gotteserkenntnis ab und postuliert sofort gegen den epikureischen Materialismus die These, es gebe eine göttliche Sachwaltung im Kosmos. In seiner Formulierung vermeidet er es zu behaupten, Gott habe die Welt geschaffen, sondern formuliert (Min. Fel. 17,3, Sprecher ist Octavius): Quo magis mihi videntur, qui hunc mundi totius ornatum non divina ratione perfectum volunt, sed frustis quibusdam temere cohaerentibus conglobatum, mentem sensum oculos denique ipsos non habere. Umso mehr kommt es mir so vor, als hätten die keinen Verstand, kein Gefühl, ja letztlich keine Augen im Kopf, die diese Zier, den Kosmos, nicht durch göttlichen Plan vollendet, sondern aus irgendwelchen zufällig aneinander hängengebliebenen Brocken zusammengeballt sein lassen wollen.
Danach formuliert Octavius in enger Anlehnung an Cic. nat. deor. 2,4,36 dieses göttliche Wesen bewege, erhalte und lenke die ganze Natur (Min. Fel. 17,4): Quid enim potest esse tam apertum, tam confessum tamque perspicuum, … quam esse aliquod numen praestantissimae mentis, quo omnis natura inspiretur, moveatur alatur gubernatur? Denn was kann so offenkundig, so unbestreitbar klar und unmittelbar einsichtig sein, […] als dass es ein göttliches Wesen von überragender Geisteskraft geben muss, durch das die ganze Natur belebt, bewegt, erhalten wird?
Octavius führt in 17,3f. – ähnlich wie Cicero in De legibus – keine Argumentation für die Existenz des Göttlichen, sondern nimmt die Evidenz der sinnlichen Erfahrung zur Grundlage. Die These formuliert er in der Form einer rhetorischen Frage. Er vermeidet sowohl tunlichst ein Consensus-omnium-Argument, wie es Velleius entfaltet hatte, als auch Balbus’ Argument, dass sich die menschlichen Überzeugungen im Laufe der Zeit in die richtige Richtung entwickelten. Hieran hatte Cotta kritisiert, dass sich damit die Beweisführung auf die Meinung des Volkes, die ‚Toren‘ bezöge, wie er die stoische Terminologie ironisierend erklärt (Cic. nat. deor. 3,11). So wählt Minucius den Weg über die Behauptung einer unmittelbaren natürlichen Gotteserkenntnis und begründet diese in einer Anthropologie. Ähnlich vermeidet Cicero in De legibus Balbus’ oder Velleius’ Fehler, scheint aber keinen überzeugenderen Weg zu finden, als seinem Gesprächspartner Atticus, der bekanntermaßen mit der Lehre Epikurs sympathisierte, in der Form einer Stipulatio zu
35 Die rectus-status-These besagt, dass erstens der Mensch anders als die übrigen Lebewesen zum aufrechten Gang fähig ist und den Blick zum Himmel richten kann. Daraus folgt, dass zweitens der Mensch zu einer natürlichen Gotteserkenntnis fähig ist. Zur Geschichte dieser Denkfigur vgl. die Monographie Bayertz (2012); hier einschlägig 85–95 (Kap. 8: Import eines heidnischen Topos). 36 Tatsächlich beginnt Balbus seine Rede mit dem Hinweis auf die natürliche Gotteserkenntnis (Cic. nat. deor. 2,4), um dann aber mit weiteren Beweisgängen eine unstrittige Sache, wie Cotta formuliert (Cic. nat. deor. 3,10), durch Argumente strittig zu machen. Zu den Unterschieden zwischen der ciceronischen Formulierung (2,4) und der Umgestaltung durch Minucius Felix vgl. Ingremeau (1999), 8f.
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Beginn der Argumentation die These consilio deorum mundum regi abzuringen37 (Cic. leg. 1,21, Sprecher ist Cicero als Dialogfigur). (Marcus:) Dasne igitur hoc nobis, Pomponi (nam Quinti novi sententiam), deorum immortalium vi, natura, ratione, potestate, mente, numine, sive quod est aliud verbum quo planius significem quod volo, naturam omnem regi? (Atticus:) Do sane, si postulas. […] nam id quod tibi concessi quorsus pertineat exspecto. [Marcus:] Stimmst du, Pomponius, uns also darin zu – denn die Auffassung des Quintus kenne ich bereits –, dass die ganze Natur gelenkt wird durch die Wirksamkeit der unsterblichen Götter, durch ihr Wesen, ihre Vernunft, ihre Macht, ihren Geist, ihr Walten oder durch sonst etwas, falls es noch ein anderes Wort gibt, mit dem ich noch deutlicher machen kann, was ich sagen will? Denn wenn du dies nicht anerkennst, müssen wir unsere Auseinandersetzung zunächst einmal an diesem Punkt beginnen. [Atticus:] Ich stimme selbstverständlich zu, wenn du es verlangst. […] Denn ich bin gespannt, wohin mein Zugeständnis führt.
Cicero kommt in De legibus nach Atticus’ vorläufigem Zugeständnis nicht mehr auf sie zurück. Inwieweit sich auch die Gesprächsgemeinschaft in De re publica auf eine solche Voraussetzung einigte, ist nicht mehr zu beantworten. Jedenfalls scheint Laelius diese Voraussetzung zu akzeptieren, wenn er von Gott als Lehrer und Gebieter einer allumfassenden Gesetzlichkeit ausgeht (Cic. rep. 3 frg. 27 Powell [=Lact. inst. 6,8,6-9], Sprecher ist Laelius): […] nec erit alia lex Romae, alia Athenis, alia nunc, alia posthac, sed et omnes gentes et omni tempore una lex et sempiterna et immutabilis continebit, unusque erit communis quasi magister et imperator omnium deus; ille legis huius inventor, disceptator, lator, cui qui non parebit ipse se fugiet, ac naturam hominis aspernatus hoc ipso luet maximas poenas, etiamsi cetera supplicia quae putantur effugerit. […] und nicht wird es in Rom das eine Gesetz geben, in Athen ein anderes, das eine jetzt, ein anderes später, sondern das eine Gesetz bindet alle Völker zu jeder Zeit ewig und unveränderlich, und einer ist sozusagen der gemeinsame Meister und Herr über alles: Gott, der Erfinder dieses Gesetzes, sein Schiedsrichter, sein Antragsteller. Wer ihm nicht gehorcht, wird vor sich selbst fliehen und die Natur des Menschen verleugnen und darum schwerste Strafen verbüßen, auch wenn er den sonstigen Strafen, die als solche gelten, entgeht.
Es folgt bei Minucius Felix eine lange Aufzählung (congeries) von Naturphänomenen, in denen sich zeige, dass der Natur eine Ordnung und Regelmäßigkeit zugrunde liege. Wesentlich scheint mir zu sein, dass Octavius’ Argumentation erklärtermaßen zunächst das Ziel verfolgt, das Wesen des Menschen zu erklären, tatsächlich aber dann für die These argumentiert, consilio mundum regi, also dass die Welt nach einer Ordnung und Regelmäßigkeit strukturiert sei. Hier werden letztlich die von Cicero in De inventione 1,58f. beispielhaft angeführten Argumente erweitert oder amplifiziert. Die Hypothese, dass für diese Ordnung jemand verantwortlich sein müsse, wird dem Rezipienten quasi – wie in Ciceros Schrift De legibus – untergeschoben, und es wird sehr allgemein von einem deus (Gott) gesprochen. In 37 Minucius Felix kann anders als Cicero seinem christlichen Gesprächspartner den Weg frei machen, (in 16 und 17,1f.) „den erkenntnistheoretischen Rahmen des Skeptizismus verlassen und einen verbindlichen, auf Wahrheit und nicht mehr auf Wahrscheinlichkeit zielenden Beweis führen zu können“ (Schubert 2014, 314).
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dieser Ordnung sei alles auf den Nutzen der Lebewesen, insbesondere des Menschen ausgerichtet (Min. Fel. 18,1, Sprecher ist Octavius):38 Nihil in homine membrorum est, quo non et necessitatis causa sit et decoris, et, quod magis mirum est, eadem figura omnibus, sed unicuique lineamenta deflexa; sic et similes universi videmur et inter se singuli dissimiles invenimur. Keinen Teil des menschlichen Körpers gibt es ja, der nicht deswegen vorhanden wäre, weil er nötig und zugleich schön ist. Und, was noch wunderbarer ist: Alle haben die gleiche Gestalt, aber jeder für sich bestimmte abweichende Züge; so kommt es, dass wir uns insgesamt alle ähnlich sehen und zugleich doch untereinander individuell verschieden erscheinen.
Am Ende wird als das Argumentationsziel nicht die Existenz Gottes, sondern die Existenz der Vorsehung bezeichnet (vgl. innerhalb der Balbus-Rede Cic. nat. deor. 2,73-75), obwohl indirekt gleichwohl für die Existenz einer lenkenden Macht argumentiert wird. Der letzte Beweisgang dieses ersten metaphysisch orientierten Abschnitts diskutiert „mit leiser Ironie“39 die Frage, ob es eine oder mehrere Personen sind, die das himmlische Reich (regnum caeleste) lenken (Min. Fel. 18,5, Sprecher ist Octavius): … inquirendum putas, utrum unius imperio an arbitrio plurimorum caeleste imperium gubernetur. … meinst du vielleicht, man müsse noch untersuchen, ob das Himmelreich von der Herrschaftsgewalt eines einzigen oder der Laune ganz vieler gelenkt werde.
Recht bald geht die Darlegung von der Beantwortung dieser Problemfrage allmählich in die Beschreibung wesentlicher Eigenschaften dieser einen Gottheit über (Min. Fel. 18,7-10; vgl. die Balbus-Rede in nat. deor. 2,45-71). Es schließt sich daraufhin ein Consensus-omnium-Argument der Dichter und – ausführlicher – der Philosophen an, mit dem verdeutlicht werden soll, dass auch diese beiden Gruppen von Intellektuellen von der Existenz eines Gottes ausgingen. Wesentlich ist, dass die Zeugnisse der Dichter und Philosophen nur für die These, dass es einen Gott gibt, nicht aber für die schwierig zu beweisende These, dass es überhaupt Gott gibt, herangezogen werden (vgl. nat. deor. 2,73: Dieser gewichtige Punkt sei gerade von den Philosophen der akademischen Skepsis angegriffen worden). Vergleichen wir den ersten Teil der Balbus-Rede mit diesem metaphysischen Abschnitt der Octavius-Rede, so zeigt sich, dass Balbus zwar für die Vorsehung argumentiert, aber in dieser Argumentation dezidiert als Argumentationsziel vorgibt zu beweisen, dass es Götter gibt. Danach wird in 2,13f. auf Kleanthes verwiesen und eröffnet, die bisherige Argumentation habe Kleanthes’ erstes Argument entfaltet, er stütze sich jedoch auf drei weitere. Diese drei Argumente entfaltet Balbus dann im Folgenden. Dass hierin eine Art Autoritätsargument liegt, suggeriert die Reaktion Cottas, der darauf hinweist, dass er von den römischen Autoritäten, wie Scipio oder Laelius, besser überzeugt werde als von den drei stoischen. 38 Die Formulierung dieser Stelle folgt Cic. nat. deor. 1,47 (Sprecher ist Velleius); vgl. Schubert (2014), 330; Beaujeu (1964), 102f. 39 Schubert (2014), 337.
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Betrachtet man, wie Octavius mit den Philosophen argumentiert, so zeigt sich, dass ihre Nennung der Absicherung der logisch deduzierten Argumente für den Monotheismus (18,5-18,10) durch Konsensualargumente der Dichter und Philosophen (18,11-20,1) dient. Der Philosophenkatalog ist dabei übrigens dem Katalog in der Velleius-Rede nachgebildet. Jedoch lässt sich bei Balbus’ Referenz auf Kleanthes nicht in derselben Weise von einem Autoritätsargument sprechen, da Balbus hier und später lediglich beschreibt, wie die Philosophen argumentierten, das heißt, er sich weniger für die Doxographie als eher für die argumentative Absicherung der Lehrsätze interessiert. Die philosophischen Autoritäten werden somit als Gewährsmänner für die argumentative Absicherung zentraler Thesen herangeführt. Dies trifft auch für alle weiteren Nennungen stoischer Philosophen zu. Hieraus resultieren letztlich zahlreiche Redundanzen, da Balbus für jede der vier Einzelthesen seiner Argumentation ab ovo argumentiert. So geht es beispielsweise um den ornatus mundi nicht nur in nat. deor. 2,17, sondern auch in nat. deor. 2,115, und auch dort wird der Topos noch einmal neu entfaltet, wenn auch in Variation. Bei Minucius Felix wird jeder Topos nur einmal entfaltet, was sehr zum Eindruck strenger Kohärenz beiträgt. Die Octavius-Rede folgt in keiner Weise den Argumentationswegen der von Balbus genannten stoischen Philosophen, sondern beschreitet eher die Argumentationswege von Ciceros Dialogfiguren, allen voran Laelius, Scipio und Cicero selbst. Dass Balbus’ Entscheidung, den griechischen Philosophen gerade in den Argumentationssträngen zu folgen, in die Irre führt und die Rede im Ganzen schwach macht, hat Minucius Felix offenbar verstanden und ebenso, dass Cotta empfiehlt, hinsichtlich der Argumentationsstrategie die Wege zu beschreiten, die Laelius, Scipio und Cicero beschritten haben. Sind diese Überlegungen korrekt, so hat Cotta im Sinn, neben einigen inhaltlichen Fehlern Balbus’ Argumentation vor allem rhetorisch bzw. argumentationsstrategisch zu verbessern, und deutet an, dass sich Balbus dabei nur an andere Schriften Ciceros halten muss, allen voran De re publica. Vor diesem Hintergrund dürfte eine wesentliche Intention Ciceros bei der Gestaltung der Balbus-Rede gewesen sein zu zeigen, was für eine strategisch unkluge und ungeschickte Argumentation resultiert, wenn man den Argumentationswegen der stoischen Philosophen folgt. Geschickter seien schon die Wege der ‚römischen‘ Philosophen. Doch nicht nur auf der Ebene der Argumentationswege, sondern auch auf der Inhaltsebene entfaltet die Schrift De re publica Positionen, die in Übereinstimmung mit Cottas Kritik an Balbus’ Positionen stehen. Cotta bemerkt etwa, dass vermeintlich vergöttlichte Menschen lediglich in der Erinnerung Göttern gleich schienen, denn nach ihrer Verbrennung könnten Sie mitnichten weiterexistieren. Auch diese Position Cottas hat bereits in der Laelius-Rede ihre Entsprechung (Cic. rep. 3 frg. 32 Powell [=Aug. civ. Dei 22,4,1-9], Sprecher ist Laelius): Herculem et Romulum ex hominibus deos esse factos … quorum non corpora sunt in caelum elata (neque enim natura pateretur ut id quod esset e terra nisi in terra maneret) … Herkules und Romulus sollen aus Menschen zu Göttern geworden sein … Ihre Körper sind aber nicht in den Himmel gefahren (denn die Natur würde nicht dulden, dass das, was aus Erde ist, nicht auf der Erde bliebe) …
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Balbus geht dagegen davon aus, dass diese Menschen tatsächlich Götter geworden seien, Cotta korrigiert. Dass Cotta somit auch in Inhaltsaussagen auf Ressourcen von De re publica zurückgreift, lädt dazu ein, Balbus’ Argumentation ebenso inhaltlich vor dem Hintergrund der anderen ciceronischen Schriften zu prüfen und jene anderen Schriften Ciceros zur Basis einer neuen, besseren Balbus-Rede zu machen. Will man benennen, welchen wesentlichen Fehler Cicero seiner Dialogfigur Balbus durch die Urteile Cottas zuweist, dann den, dass er sich zu unkritisch den Wissensressourcen der Tradition (vgl. Wundergeschichten, Vergöttlichungen von Menschen) und den Wissens- und Argumentationsressourcen der Philosophen (vgl. breite Argumentation für die Existenz von Göttern) anvertraut hat. Cicero lässt seine Dialogfigur Balbus diese Fehler begehen und unterzieht ihn darauf einer Kritik durch die Dialogfigur Cotta. Die Octavius-Rede, die Cottas Kritik weitgehend umsetzt, vermag im Vergleich mit der Balbus-Rede die von Cicero analysierten Defizite der Balbus-Rede deutlicher zu machen, als es ohne sie möglich wäre. Cicero spricht den griechischen Philosophen zahlreiche Fehler zu und konstatiert eine rednerisch ungünstige Rhetorik, während die in seinen eigenen Schriften porträtierten philosophierenden Römer diese Fehler meiden. Cotta kritisiert Balbus zudem, Ammenmärchen und unwahre Berichte in der Erzählung der göttlichen Wundergeschichten zu präsentieren. In der Konsequenz macht Octavius diese Wundergeschichten in dem folgenden Teil seiner Rede zur Basis, indem er – gewissermaßen als refutatio – die traditionellen Göttervorstellungen ad absurdum führt. Auch hier wird ein Autoritätsargument geführt, nämlich dass die Zeugnisse der Historiker und Gelehrten darauf hinwiesen, dass zahlreiche ‚Götter‘ in Wirklichkeit Menschen gewesen seien, denen besondere Ehre zuteilgeworden sei. 4. KONSEQUENZEN FÜR DIE DEUTUNG VON DE NATURA DEORUM Mit dem Dialog De natura deorum konstruiert Cicero eine Verbindung zwischen den ‚älteren‘ senatorischen Gelehrtenkreisen, den Gesprächsgemeinschaften von De re publica (129 v. Chr.) und De oratore (91 v. Chr.), und den eigenen Gesprächskreisen seiner Gegenwartsdialoge (bzw. denen der jüngeren Vergangenheit). Die Bindefigur ist Gaius Aurelius Cotta. Er hatte am Gespräch auf Crassus’ Tusculanum (De oratore) als junger Mann teilgenommen und tritt in De natura deorum als versierter Rhetoriker und Philosoph auf, der in der akademischen Skepsis seine ‚philosophische‘ Heimat gefunden hat. In seinem ausgefeilten Urteilsvermögen zeigt er sich nicht nur den herausragenden Vertretern der Schulen Epikurs und der Stoa in Rom, Velleius und Balbus, überlegen, sondern nimmt ihnen gegenüber das Rollenmodell eines wertschätzenden, aber auch strengen Lehrers ein. Diesem Rollenmodell entsprechend bleibt er bis zum Schluss der Schrift bei seiner Weigerung, eine eigene Lehre zu formulieren. Er deutet jedoch an, dass auf der Basis der Ansätze des Stoikers Balbus eine überzeugende Argumentation möglich sei. Die Lektüre der Schrift scheint somit am Ende dazu aufzufordern, nicht in der
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Position von Cottas Skeptizismus zu verharren, sondern die Aufgabe, die römische Religion zu begründen, besser als Balbus zu lösen, jedoch unter der Berücksichtigung der Kritik Cottas. Cottas Wertschätzung gegenüber Cicero findet nicht zuletzt in der Tatsache ihren Ausdruck, dass Cicero auf Cottas eindringliche Bitte hin kommt (Cic. nat. deor. 1,15: ipsius rogatu arcessituque), während die jungen Zuhörer in den Dialogen De re publica oder De oratore wie selbstverständlich ‚mit dabei‘ sind. Außerdem kennt der Leser ciceronischer Schriften den jungen Cicero bereits aus dem fünften Buch von De finibus, der sich in dieser drei bis vier Jahre vor De natura deorum verorteten Schrift (79 v. Chr.) mit dem peripatetisch argumentierenden jungen Piso scharf urteilend auseinandersetzt. Mit der Position des jungen Cicero, für ihn sei die Rede des Balbus näher am Wahrscheinlichen (Cic. nat. deor. 3,95), tritt er aus dem Schatten seines Mentors Cotta heraus. Vermutlich soll die Schlusspartie von De natura deorum dem Leser plausibel machen, wie Cicero als junger Mann motiviert wurde, an das denkwürdige Gespräch auf Cottas Landgut anzuknüpfen und (im Gegensatz zu Cotta in seiner Urteilsenthaltung) für das römische Gemeinwesen und seine religiösen Institutionen zu argumentieren, allerdings besser als Balbus. Cotta demonstriert gegenüber den Vertretern des Epikureismus und der Stoa, Velleius und Balbus, die Überlegenheit eines ‚römischen‘, senatorischen Philosophierens, das in der Tradition der Gesprächskreise um Scipio und Laelius (De re publica) sowie Crassus und Antonius (De oratore) steht, aus deren Mitte Cottas eigene Lehrer stammen.40 In der 51 v. Chr. situierten Schrift De legibus, also dem dramatischen Datum nach 25 Jahre später als das Gespräch in De natura deorum, argumentiert Cicero nun als reifer Mann souverän für eine Naturgesetzlichkeit, in dessen Rahmen auch Umrisse einer von stoischem Gedankengut durchdrungenen Götterlehre sichtbar werden, ohne dass Cicero dabei seine skeptisch-akademische Herangehensweise41 aufgibt. Anders als Cotta, der in seinem skeptizistischen Habitus selbst keine Lehre entwickeln zu können vorgibt, werden bei Cicero nun die Umrisse einer Theologie sichtbar.42 Cicero setzt in seiner Argumentation für das Naturrecht offenbar das um, was Cotta für eine Verbesserung der Rede des Balbus einzufordern scheint: Er verbindet eine skeptizistische Grundhaltung mit stoischen Denkfiguren: „De legibus … contains an account of how the use of Stoicism may be compatible with skepticism.“43 Und Cicero überträgt dabei Denkfiguren, die er in dem 129 v. Chr. 40 Vgl. zu Ciceros Ziel der Überbietung griechischen Philosophierens Müller (2015). 41 Hierzu überzeugend Görler (1995). Glucker (1988) und Steinmetz (1989) sehen dagegen Ciceros akademische Arbeitsweise aufgegeben und berufen sich auch auf Ciceros temporäre Distanzierung von dieser Schule in leg. 1,39. Eine vermittelnde Position nimmt Long (1995), 41f., ein. 42 Einer akademisch-skeptischen Grundhaltung entsprechend enthält die Darstellung gleichwohl an zahlreichen Stellen Unschärfen. So tut sich die Forschung bis heute schwer, die Naturrechtstheorie exakt zu deuten. Zum komplexen, bisher nicht abschließend gelösten Problem der Deutung vgl. Girardet (1983), Blänsdorf (1987), Asmis (2008a), Annas (2013), Atkins (2013), Sauer (2013), Straumann (2016), zuletzt Horn (2017), insb. 149f. 43 Atkins (2013), 179.
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situierten Dialog De re publica entfaltet hatte, so beispielsweise das Naturrechtsphilosophem, das Laelius im dritten Buch von De re publica entfaltet hatte (Cic. rep. 3, frg. 27 Powell). Somit folgt er Cottas in Cic. nat. deor. 3,5 geforderter Orientierung an der römischen Tradition, allen voran an Laelius. Doch ist De legibus offenbar nie publiziert worden. Außerdem bliebe auch mit De legibus ein Desiderat bestehen, da die dort implizit erkennbare Götterlehre nicht an die Ausführlichkeit der Darstellungen in De natura deorum heranreicht. Insofern mag man sich fragen, ob Cicero mit dem offenen Ende der Debatte und Cottas Zuversicht, dass auf der Basis von Balbus’ Rede eine bessere Lösung gefunden werden kann, auch den Leser motivieren möchte, in Richtung einer solchen Lösung weiterzudenken. In jedem Fall scheint er mit Cottas Schlussworten davon abgebracht zu werden, die Position des konsequenten Skeptizismus zu verfolgen, da es darum gehe, den Staat zu erhalten (Cic. nat. deor. 3,94). Dass der Leser die von Cotta gestellte Aufgabe als Herausforderung betrachtet (und betrachten sollte), mag eine durchweg plausible Hypothese sein. Jedenfalls erscheint angesichts der Rezeptionsgeschichte eine solche Intention nicht abwegig. So ging nicht nur die Dialogfigur Cicero in De legibus, sondern auch ein christlicher Schriftsteller des 3. Jahrhunderts offenbar bei Cotta in die Schule: Die Argumentation des Octavius in Minucius Felix’ gleichnamigem Dialog macht deutlich, dass der Verfasser offenbar aus der Cotta-Kritik an der Balbus-Rede ‚gelernt‘ hat und die Fehler vermeidet, die Balbus unterliefen. Rezeptionsästhetisch betrachtet, hat die ciceronische Schrift Minucius Felix offenbar ermutigt, nach Cottas Zuversicht, auf der Basis der Balbus-Rede eine verbesserte Argumentation führen zu können, dieses Vorhaben unter christlichen Vorzeichen (und der Integration weiterer literarischer Vorlagen) umzusetzen. Schließlich nahm sich Anfang des 19. Jahrhunderts der protestantische Pfarrer und Schullehrer D. Hermann Heimart einer ähnlichen Herausforderung an. Er fasste zu den drei Büchern von De natura deorum ein viertes Buch ab,44 in dem er versuchte, Stil und Gedankenwelt Ciceros zu imitieren. Teil der literarischen Fiktion war, dass er darlegte, ein Franziskanerpater mit dem Namen Seraphimus habe dieses Buch in einer alten Handschrift gefunden. Es handle sich um Ciceros verlorene Götterlehre. In dem Werk selbst entfaltet Heimart im Anschluss an Velleius’ und Balbus’ Ausführungen der epikureischen und stoischen Götterlehre und ihre Kritik durch Cotta, wie sich Cicero selbst die Natur der Götter vorgestellt habe. Dass Heimart offenbar bemüht war, Ciceros Stil und seine Gedankenfiguren, wie sie in anderen philosophischen Schriften Ciceros vorkamen, zu integrieren, legt nahe, dass es sich um eine gelehrte Übung auf hohem Niveau handelte, die möglicherweise bei der Lektüre von De natura deorum in der ‚Schule Cottas‘ angeregt wurde.
44 Vgl. zu dieser Schrift ausführlich Glei 2008.
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LITERATURVERZEICHNIS Primärliteratur und Kommentare Aurelius Augustinus, Contra Academicos, De vita beata, De ordine, ed. Simone Adam, Therese Fuhrer, Berlin/Boston 2017. M. Tullius Cicero De re publica, De legibus, Cato Maior, De Senectute Laelius, De Amicitia, ed. J.G.F. Powell, Oxford 2006. M. Tullius Cicero Rhetorica, Tomus I: Libros de oratore tres continens, ed. A.S. Wilkins, Oxford 1902. M. Tullius Cicero, De natura deorum, ed. W. Ax, Stuttgart 1961. M. Tullius Cicero, Rhetorici libri duo de inventione, ed. E. Stroebel, Stuttgart 1965. Minucius Felix, Octavius, ed. B. Kytzler, Leipzig 1992. Beaujeu, Jean, Minucius Felix. Octavius, Paris 1964. Dyck, Andrew, A Commentary on Cicero, De legibus, Ann Arbor 2004. Gerlach, Wolfgang; Bayer Karl (übers.), M. Tullius Cicero, Vom Wesen der Götter, München 1978. Gigon, Olof; Straume-Zimmermann, Laila (übers.), M. Tullius Cicero, De natura deorum / Vom Wesen der Götter, Zürich 2011. Leeman, Anton D.; Pinkster, Harm; Nelson Hein L., M.T. Cicero, De oratore libri 3, Bd. 2, Heidelberg 1985. Nickel, Rainer (übers.), De legibus, Paradoxa Stoicorum / Über die Gesetze, Stoische Paradoxien, Zürich 2004. Pease, Arthur S., M. Tullius Cicero De natura deorum libri III, Cambridge, Mass., 1955–1958. Schubert, Christoph, Minucius Felix, Octavius (KfA), Freiburg/Basel/Wien 2014.
Sekundärliteratur Annas, Julia E., Plato’s Laws and Cicero’s De legibus, in: Schofield, Malcolm (ed.), Aristotle, Plato and the Pythagoreism in the First Century BC: New Directions for Philosophy, Cambridge 2016, 73–95. Atkins, Jed W., Cicero on Politics and the Limits of Reason, Cambridge 2003. Bayertz, Kurt, Der aufrechte Gang. Eine Geschichte des anthropologischen Denkens, München 2012. Behr, Ernst, Der Octavius des Minucius Felix in seinem Verhältnis zu Ciceros Büchern De natura deorum, Diss. Jena 1870. Blänsdorf, Jürgen, Das Naturrecht in der Verfassung. Von Ciceros Staatstheorie zum modernen Naturrechtsdenken, in: Glücklich, Hans-Joachim (Hg.), Lateinische Literatur, heute wirkend, Bd. 2, Göttingen 1987, 30–59. DeFilippo, Joseph G., Cicero vs. Cotta in De natura deorum, in: Ancient philosophy 20, 2000, 169– 188. Fox, Matthew, Cicero’s Philosophy of History, Oxford 2007. Girardet, Klaus M., Die Ordnung der Welt. Ein Beitrag zur philosophischen und politischen Interpretation von Ciceros Schrift De legibus, Wiesbaden 1983. Glei, Reinhold F., Ciceros verlorene Götterlehre: Das vierte Buch De natura deorum. Einleitung, Edition, Übersetzung mit Erläuterungen (BAC 76), Trier 2008. Glucker, John, Cicero’s philosophical affiliations, in: Dillon, J.M.; Long, Anthony A. (Hg.), The Question of ‘Eclecticism’. Studies in Later Greek Philosophy, Berkeley 1988, 34–69.
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CICERO ALS KRONZEUGE IM STREIT ZWISCHEN IULIAN UND AUGUSTIN ODER: WAS DACHTEN CICERO UND DIE STOA WIRKLICH ÜBER DIE SEXUELLE BEGIERLICHKEIT? Dagmar Kiesel „Die Liebe zur Weisheit aber heißt auf Griechisch ‚Philosophie‘, sie war es, zu der jene Schrift meine Begeisterung entzündete“1 (conf. 3,4,8), schreibt Augustin im Rückblick auf seine Leseerfahrungen als 19-jähriger Rhetorikstudent mit Ciceros Hortensius und würdigt so das Gelingen des in protreptischer Absicht verfassten Werkes. Augustin hat sich nicht erst und schon gar nicht ausschließlich während des Studiums mit Cicero befasst: Die Cicero-Lektüre beginnt während seiner Schulzeit und endet mit seinem Tod.2 Zeit seines Lebens hat sich der Kirchenvater von Cicero, mit dessen gesamtem Werkcorpus er vertraut gewesen ist, belehren und bilden lassen, dessen Gedanken zur eigenen philosophisch-theologischen Inspiration genutzt und im christlichen Sinne ebenso weiterentwickelt wie umgedeutet, aber er hat sich auch an ihm gerieben. Das bereits beim Bekanntwerden mit dem Hortensius genannte Manko ciceronischen Philosophierens, „dass der Name ‚Christus‘ […] fehlte“ (conf. 3,4,8), ist ihm insbesondere nach seiner Bekehrung ein heidnischer Dorn im frommen Auge. Weil sowohl Augustin wie auch Cicero als Denker facettenreich und vielseitig interessiert sind, gilt dies in gleicher Weise für die Gegenstände der Rezeption und christlichen Adaption Ciceros durch den Kirchenvater, die allesamt recht gut untersucht sind. Einschlägige Forschungsthemen sind Augustins Aufnahme und Kritik der politischen Philosophie Ciceros (De re publica), dessen Rhetorikkonzeption (De oratore, Orator, De inventione) und Bildungsideal (Orator) ebenso wie sein Verständnis der Philosophie als Lebenskunst und der Ethik (Hortensius, Tusculanen, De finibus, De officiis). Die augustinische Diskussion von Ciceros Überlegungen zur Vorsehung (De fato, De divinatione, De natura deorum) und zum Naturrecht (De legibus), seine Auseinandersetzung mit der Akademischen Skepsis (Academici) sowie seine Christianisierung des ciceronischen Freundschaftsideals (Laelius) und der Emotionstheorie (Tusculanae disputationes, De finibus) sind Themen der Forschung. Auch philologische Fragen wie der Einfluss Ciceros auf
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Zu den von mir auch im Folgenden herangezogenen Übersetzungen vgl. das Literaturverzeichnis. Zu einem Überblick über Augustins Auseinandersetzung mit Cicero vgl. Hübner (2007), 50-53; Curley (1999) und MacCormack (2013), 274-280.
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Augustins Sprache, Stil und die formale Gestaltung seiner Werke und Predigten werden diskutiert. Dagegen fristet das Thema, mit dem ich mich im Folgenden befassen werde, ein Nischendasein, und das nicht ohne Grund: Die sexuelle Begierde (concupiscentia carnis oder carnalis) ist aufgrund ihrer systematischen Verbindung mit den augustinischen Schlüsselkonzepten Erbsünde, Gnade, Wille und Affekte zwar eines der großen Themen des Kirchenvaters, doch Ciceros Ausführungen zum Thema sind eher sporadisch und systematisch weniger fundamental. Tatsächlich ist es auch nicht Augustin selbst, der die Schriften des Redners als Referenz zur Frage der fleischlich-erotischen Begierlichkeit heranzieht, sondern sein pelagianischer Gegner Iulian von Aeclanum. Im Unterschied zum Bischof von Hippo, der die sexuelle Begierde entschieden als Übel bewertet, vertritt Iulian die gegenteilige Auffassung: Die sexuelle Begierlichkeit ist ein Gut. In der Absicht, seine Position mit einem Autoritätsbeweis zu untermauern, zitiert Iulian aus der Rede des Stoikers Balbus in Ciceros De natura deorum: „[…] und beim Männchen ebenso wie beim Weibchen gibt es ein erstaunliches Verlangen nach körperlicher Vereinigung (et in mari et in femina commiscendorum corporum mirae libidines)“ (nat. deor. 2,128). Augustin nimmt dazu in Contra Iulianum Stellung, wobei er im Bemühen um eine Zurückweisung Iulians argumentiert, dass erstens das vorgebrachte Zitat die Auffassung der Stoiker zur Sexualität verzerrt darstelle, und dass zweitens Cicero selbst nicht für die Position Iulians vereinnahmt werden könne. Wie ich zeigen möchte, liegt Augustin mit seiner erstgenannten Behauptung hinsichtlich der frühen Stoa falsch, jedoch mit Bezug auf die jüngere Stoa weitgehend richtig, während die zweite (mit Einschränkungen) korrekt ist. Meine Ausführungen beginnen mit einem kurzen Blick auf die systematischen und historischen Grundlagen des Streits zwischen Augustin und Iulian, diskutieren das Diktum des Balbus im Rahmen des altstoischen Erosbegriffs und analysieren ferner Ciceros Bewertung der geschlechtlichen Begierde gemeinsam mit dem Verständnis der menschlichen Sexualität in der mittleren und jüngeren Stoa. Ein Kapitel über die Kontextualisierung von Sexualität und Religion, insbesondere aus der Perspektive Augustins und Ciceros, schließt den Beitrag ab. 1. DIE AUGUSTINISCHE LEHRE VON GNADE UND ERBSÜNDE UND DER DISPUT MIT DEN PELAGIANERN Augustin arbeitet seine berühmt-berüchtigte Gnaden- und Erbsündenlehre erstmals in der Schrift De diversis quaestionibus ad Simplicianum 1,2 aus dem Jahr 396/7 aus, die als Kommentar zu Röm 9,9–29 konzipiert ist und in späteren Werken genauer ausgeführt wird. In der endgültigen Elaboration vertritt Augustin die Auffassung, dass gemäß Röm 5,12 alle Menschen in Adam gesündigt haben und somit an der Ursünde (peccatum originale) partizipieren. Für die vorliegende Fragestellung relevant ist die augustinische Überzeugung, dass die Erbsünde mittels der sexuellen Begierde beim Zeugungsakt an das Kind übertragen wird. Ebendeshalb sind schon ungeborene Kinder im Mutterleib schuldig, woraus sich die Notwendigkeit der
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Kindertaufe ergibt: Ungetauft verstorbene Kinder können nicht der ewigen Seligkeit teilhaftig werden. Zu den Straffolgen der Ursünde zählt Augustin nicht nur Krankheit und Tod, die Leiden und Mühen des irdischen Daseins sowie alle aversiven Affekte, sondern darüber hinaus – und ungleich gewichtiger – eine Veränderung der menschlichen Natur, die sich als sittliche Schwäche manifestiert und den Verlust der ursprünglichen Fähigkeit, nicht zu sündigen (posse non peccare), mit sich bringt. Dieses non posse non peccare hat zwei Wurzeln: zum einen die Unwissenheit über das Gute (ignorantia), und zum anderen das Unvermögen, das bisweilen eben doch als das Gute Erkannte zu tun (difficultas).3 Mit dem Terminus technicus der difficultas bezeichnet Augustin ein Phänomen, das alltagssprachlich ebenso wie in der philosophischen Tradition als „Willensschwäche“ bekannt ist. Entscheidend im Kontext unseres Themas ist die augustinische Überzeugung, dass die sittliche Gebrechlichkeit des postlapsarisch akratischen Menschen in der Dominanz der verwerflichen Begierde (concupiscentia) gründet, die im unerlösten Menschen stets ausgeprägter ist als sein Streben nach dem Guten und die sich auch im Falle besseren Wissens im Verein mit dem pervertierten Willen (perversa voluntas) im Handeln durchsetzt.4 Concupiscentia meint in diesem Sinne nicht nur die sexuelle, sondern jegliche in sittlicher Hinsicht verkehrte Begierde.5 Dass die sexuelle Begierlichkeit dennoch das Paradigma eines sündhaften Begehrens schlechthin darstellt und als dessen wirkmächtigste Form gilt, demonstriert ebenso wie die bereits vermerkte augustinische These der Übertragung der Erbsünde durch die Konkupiszenz die entschiedene Abwertung der Sexualität durch den Kirchenvater. Der Prämisse des non posse non peccare folgend kann der Mensch sich nicht aus eigener Kraft von der Übermacht der concupiscentia – egal, in welcher Gestalt – befreien. Dazu bedarf es der Gnade Gottes, die die pervertierte Begierlichkeit und den bösen Willen (mala voluntas) durch die Gottesliebe (amor dei bzw. caritas) ersetzt.6 Dass Augustins Lehre von Gnade und Erbsünde ebenso wie das darin implizierte pessimistische Menschenbild nicht unumstritten blieb, ist wenig verwunderlich. Ihren Hauptgegner findet sie im Pelagianismus, benannt nach dem britannischen, Ende des 4. Jahrhunderts nach Rom kommenden Mönch Pelagius. Im Jahr 410 flüchtet Pelagius kurz vor dem Einfall der Westgoten in Rom unter Alarich gemeinsam mit seinem Schüler Coelestius nach Karthago, und Augustin wird durch Coelestius’ Schrift Definitiones mit der pelagianischen Lehre bekannt. Während Augustin glaubt, die menschliche Natur sei als Folge des peccatum originale derart pervertiert, dass der Mensch ohne die Gnade Gottes zu keinerlei Gutem mehr befähigt sei, leugnet Pelagius die Erbsünde, betont die menschliche Freiheit und vertritt die Auffassung, die Gnade bewirke, dass der Mensch das Gute leichter tue (ad
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Augustin nennt ignorantia und difficultas als Erbsündenstrafen schon in lib. arb. 3,50–54. Vgl. Kiesel (2011), 382-386. Vgl. die augustinischen Ausführungen zur triplex cupiditas in conf. 10,29,40-37,60. Vgl. conf. 9,2,3: „Du hattest unsere Herzen mit deiner Liebe (caritate tua) wie mit einem Pfeil durchbohrt.“
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facilius faciendum), im Unterschied zu Augustin, dem zufolge die Gnade ermögliche, dass der Mensch das Gute überhaupt tue (ad faciendum). Im Jahr 411 verurteilt ein Konzil in Karthago die Irrlehren des Coelestius, wohingegen beim Konzil von Diospolis 415 sein Meister Pelagius freigesprochen wird. Das Konzil von Mileve 417 verurteilt sowohl Pelagius als auch Coelestius; beide werden von Papst Innozenz I. exkommuniziert, um wenig später von Papst Zosimos zunächst rehabilitiert und 418 abermals aus der Kirchengemeinschaft ausgeschlossen zu werden.7 Im selben Jahr betritt Iulian von Aeclanum (386–455 n. Chr.) die pelagianische Bühne: Gemeinsam mit 17 weiteren Bischöfen weigert er sich, die Verurteilung von Pelagius und Coelestius zu unterschreiben, und wird in der Folge selbst zusammen mit seinen Mitstreitern exkommuniziert. Iulian legt Einspruch ein bei dem kaiserlichen Beamten in Ravenna, Valerius, der nun seinerseits gemeinsam mit Papst Bonifatius I. bei Augustin dessen Stellungnahme erbittet. Der Bischof liest die einschlägigen Schriften Iulians und es kommt zu einem sehr agonalen, polemischen und persönlich gefärbten verbalen Schlagabtausch8 zwischen beiden theologischen Denkern, der sich in verschiedenen Kampfschriften niederschlägt. Gegenstand der Debatte sind vor allem die Themen Ehe und Sexualität; das in den Jahren 419-421 entstandene De nuptiis et concupiscentia ad Valerium ist als Verteidigung Augustins gegen den Vorwurf Iulians intendiert, die Erbsündenlehre impliziere eine Verunglimpfung der Ehe und der leiblichen Nachkommenschaft, und wird von Iulian postwendend mit vier Büchern Ad Turbantium beantwortet. In Anbetracht der Gewichtigkeit und Brisanz des Themas verfasst auch Augustin unverzüglich seine sechs Bücher umfassende Gegenschrift Contra Iulianum, die er schon 421 vollendet.9 2. FÜR UND WIDER DIE SEXUELLE BEGIERLICHKEIT DIE DEBATTE IN CONTRA IULIANUM 2.1 Balbus und die frühe Stoa Die „Begierlichkeit des Fleisches (concupiscentia carnis)“ (c. Iulian. 3,49,1) qualifiziert Augustin als Übel, während Iulian sie als Gut anerkennt. Beide sind sich darin einig, dass sie als Gut bzw. Übel sowohl in rechter wie in schlechter Weise gebraucht werden kann: Ich sage: Dieses Übel (malo) benutzen keusche Ehegatten (coniuges castos) in guter Weise, Ehebrecher in schlechter. Du sagst dagegen: Dieses Gut (bono) benutzen Ehebrecher in schlechter Weise, keusche Ehegatten in guter. Die Enthaltsamkeit (continentiam) benutzt es in 7 8
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Zur Geschichte sowie zu den Inhalten des pelagianischen Streits vgl. Fuhrer (2004), 44-49. So bezeichnet Iulian die Mutter Augustins als „kleine Säuferin (meribibula)“ (c. Iulian. op. imperf. 1,68). Auch Augustin ist nicht zimperlich und schreibt, er habe Iulian in dessen Büchern „nicht trunken von nächtlichem Gelage, sondern tobend von wahnsinnstollem Geschimpfe“ (c. Iulian. 1,12,3) kennengelernt. Zur Person Iulians von Aeclanum sowie zur Auseinandersetzung mit Augustin vgl. Lössl (2007).
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besserer Weise gar nicht, sagen wir beide; aber ich sage: dieses Übel, du sagst: dieses Gut. (c. Iulian. 3,49,2)
Die gute Weise des Gebrauchs ist gemäß dem Kirchenvater der mit der Absicht, Kinder zu zeugen, vollzogene Geschlechtsverkehr, der – anders als die ihn notwendig begleitende Konkupiszenz – als Gut zu gelten hat: „Denn ich nenne die eheliche Vermischung, d.h. die um der Kinderzeugung willen (liberorum procreandorum causa), nicht nur nicht schlecht, sondern nenne sie im Gegenteil gut (bonam).“ (c. Iulian. 3,16,1) Augustins Disqualifizierung der sexuellen Begierlichkeit gründet in seinen bereits genannten erbsündentheologischen Auffassungen, dass die generisch verstandene concupiscentia als Hang zur Sünde eine Strafe für die Ursünde darstellt10 und dass letztere durch die spezifische concupiscentia carnalis im Zeugungsakt übertragen wird.11 Diese Lehren sind auch der Grund für den Vorwurf des Rückfalls in den Manichäismus,12 den Iulian an Augustin richtet.13 Sie suggerierten nämlich, so Iulian, Augustin würde im Verein mit diversen, den Manichäern nahestehenden häretischen Positionen behaupten, der Teufel habe den menschlichen Leib geschaffen.14 Als Gegenperspektive zur augustinischen Auffassung verweist Iulian nun auf die Stoiker, die gemäß dem Zeugnis Ciceros in De natura deorum überzeugend dargelegt hätten, dass der Leib einschließlich der Genitalien und der diesbezüglichen Lüste ein Geschenk der wohlmeinenden göttlichen Natur sei. Du […] zitierst die Worte des Balbus aus Ciceros Buch, um uns damit zu belehren, was die Stoiker über die männlichen und weiblichen Unterschiedsmerkmale der stummen Tiere (animalium mutorum), über die Geschlechtsteile des Leibes und über die erstaunlichen Lüste der Körpervereinigungen (miris commiscendorum corporum libidinibus) gedacht haben. (c. Iulian. 4,58,2)
Der Bischof von Hippo kontert den Einwand Iulians, indem er darauf verweist, dass Balbus nicht von menschlichem, sondern von tierischem Sex gesprochen habe: „Schließlich zogen [die Stoiker] es vor, die Lustempfindungen (libidines) eher bei den Tieren (in pecoribus) als bei den Menschen, wie du es tust, zu loben.“ (c. Iulian. 4,59,2) Dass dies nicht nur stoische Lehre sei, sondern auch Cicero selbst so denke, belegt Augustin mit impliziter Referenz auf das aristotelische ergon-Argument15 10 C. Iulian. 4,1,2. 11 C. Iulian. 3,48,3: „[…] dass der Mensch, der aus der Lust der Begierlichkeit entsteht (concupiscentiae voluptate concretus), der Ansteckung der Vergehen unterliegt (subeat contagia delictorum), noch ehe er geboren wird.“ 12 Augustin war bekanntlich vor seiner Bekehrung neun Jahre lang (373-382 n. Chr.) Anhänger des Manichäismus. Vgl. conf. 3,6,10 und 5,7,12. 13 C. Iulian. 1,12,5. Augustin weist den Vorwurf zurück und deutet im Gegenzug Iulians Position, wonach aus dem „Beilager (nuptias)“ bzw. der „Natur der Menschen (natura)“ (c. Iulian. 1,39,2), die als Werke Gottes gut sind, kein Übel entstehen könne, als manichäisch inspiriert. Vgl. c. Iulian. 1,36,1-46,1. 14 C. Iulian. 2,2,1 und ebd. 3,17-19. Augustin hält dagegen, er vertrete die Auffassung, dass Gott die menschliche Natur mit Leib und Seele gut erschaffen hat; der Teufel aber habe die menschliche Natur durch die erfolgreiche Verführung zur Sünde verdorben. Vgl. c. Iulian. 5,26,2. 15 Arist. eth. Nic. I 6.
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durch folgenden Verweis: „Im Einklang mit deren Meinung sagt Tullius an irgendeiner Stelle, er glaube nicht, das Gut eines Schafbockes (arietis […] bonum) und des Publius Africanus sei das gleiche (idem).“ (c. Iulian. 4,59,2) Das augustinische Argument, Balbus habe beim Lobpreis der Geschlechtslust ausdrücklich von nicht-menschlichen Lebewesen gesprochen, lässt sich mit einem Blick in De natura deorum eindeutig verifizieren. Balbus führt seinen Lobpreis der göttlichen Weltverwaltung, die allerlei fürsorgende und weitschauende Maßnahmen zum Erhalt der „Schönheit des Weltalls auf Dauer“ (nat. deor. 2,127) unternommen habe, mit folgendem rhetorischen Ausruf ein: „Was soll ich erst von der großen Umsicht (quanta ratio) sagen, die bei den Tieren (in bestiis) zur ständigen Erhaltung ihrer Gattung zutage tritt?“ (nat. deor. 2,128) Mit dieser Ansicht erklärt sich Augustin im Übrigen völlig einverstanden. An anderer Stelle – und außerhalb der Debatte um die Balbusrede – schreibt er: „Diese Geschlechtslust (libido) ist aber kein Übel bei den Tieren (in belluis), und zwar deswegen, da sie nicht der Vernunft widerstreitet (non repugnat rationi), die ihnen fehlt.“ (c. Iulian. 4,35,2; vgl. ebd. 4,74,1, hier: in pecoribus) Dennoch: Auch wenn Balbus tatsächlich nur das sexuelle Begehren im Tierreich würdigt, steht weiterhin die generelle Behauptung Augustins zur Debatte, die Stoiker, und nicht nur Balbus bei Cicero, „zögen es vor, die Lustempfindungen eher bei den Tieren als bei den Menschen, wie du es tust, zu loben.“ (s.o.) Vielmehr seien „die Stoiker […] ganz entschiedene Feinde der Lust (Stoici maxime inimicissimi voluptatis)“. (c. Iulian. 4,76,2) Tatsächlich liegt Augustin mit dieser Charakterisierung der Stoiker richtig: Die vier generischen Affekte, unter die sich alle übrigen affektiven Stimmungen und Verstimmungen subsumieren lassen16 und zu denen neben Kummer (lypê bzw. aegritudo) und Furcht (phobos bzw. metus) auch die von Augustin referenzierte Lust (hêdonê bzw. voluptas/laetitia) sowie die Begierde (epithymia bzw. libido)17 gehören, sollen gemäß stoischen Empfehlungen ausgemerzt werden mit dem Ziel, einen idealen Zustand der Affektfreiheit (apatheia bzw. omni animi perturbatione vacare18) und seelischen Ausgeglichenheit herzustellen. Das Ergebnis seiner Argumentation zusammenfassend schreibt Augustin: Vergeblich hast du gemeint, mit dem Zeugnis der Stoiker deine vorgefasste Meinung stützen zu müssen, die allerdings jenen [den Stoikern] nicht lieb ist, die auch nicht den geringsten Teil des menschlichen Gutes in die Körperlust verlegen (qui nullam particulam boni humani in corporis voluptate posuerunt). (c. Iulian. 4,59,2)
16 Vgl. Cic. Tusc. 4,16: „Den einzelnen Leidenschaften aber werden mehrere Teile derselben Art untergeordnet, wie dem Kummer das Neiden […], die Eifersucht, die Missgunst, das Mitleid, die Beklemmung, die Trauer, der Gram, das Grübeln, der Schmerz, das Jammern, die Aufregung, der Ärger, die Niedergeschlagenheit, die Verzweiflung und was es noch von dieser Art gibt.“ 17 Die von Cicero stammende lateinische Begrifflichkeit übernimmt auch Augustin. Allerdings ersetzt er das ciceronische aegritudo durch tristitia und verwendet statt des von Cicero gebrauchten Ausdrucks libido bevorzugt cupiditas. Vgl. O’Daly (1986sqq.), 167 sowie zur Rezeption und Transformation der Affektenlehre Ciceros durch Augustin sehr erhellend Brachtendorf (1997). 18 So die Formulierung bei Cicero in Tusc. 4,8.
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Tatsächlich referiert Augustin auch an diesem Punkt die stoische Lehre korrekt: Die Tugend (aretê bzw. virtus), die ihren Sitz in der Seele, genauer: in deren Leitungsinstanz (hêgemonikon bzw. principatus) hat,19 ist nach stoischer Auffassung das einzige glücksrelevante Gut des Menschen, ebenso wie das Laster (kakon bzw. malum) das einzige Übel darstellt. Alle übrigen äußeren oder leiblichen Vorteile gelten als für das menschliche Glück gleichgültig (adiaphora bzw. indifferentia).20 Dass die Sachlage hinsichtlich der erotischen Lust bei den Stoikern dennoch komplizierter ist, als es zunächst den Anschein hat, zeigt ein Blick auf die nähere Bestimmung des stoischen Tugendbegriffs: Ein tugendhaftes Leben erfüllt sich demgemäß in einem Leben gemäß der Natur (en tô kata physin zên21 bzw. secundum naturam vivere22). Diese Losung ist von den Kynikern, den Vorläufern des stoischen Denkens,23 inspiriert. Sie plädierten für ein Leben in entschiedener und bisweilen provozierender Abgrenzung von gesellschaftlichen Konventionen, das sich vollständig am Maßstab der Natur orientiert. Vorbild für diese Lebensweise waren die Tiere, die sich nach ihren natürlichen Bedürfnissen und Instinkten richten und auf soziale Regeln keinen Wert legen. Dies betraf auch das Sexualleben: Wie Hunde sich nicht ein Leben lang in Treue miteinander verbinden, sondern bei Bedarf mit einem verfügbaren Partner und ohne Anzeichen von Scham kopulieren, so war es auch für einige kynische Philosophen keine ungewöhnliche Praxis, in der Öffentlichkeit Sex zu haben. Galen berichtet von dem Protokyniker Diogenes, dass dieser sich über die lange Wartezeit auf eine Prostituierte hinweghalf, indem er sich selbst befriedigte.24 Der Stoiker Chrysipp äußert sich nach dem Zeugnis bei Plutarch zustimmend über die Gewohnheit des Diogenes, in der Öffentlichkeit zu masturbieren, und lässt seinen utopischen Wunsch verlautbaren: „Könnte ich nur auch den Hunger so leicht aus meinem Magen reiben“. (Stoic. rep. 1044b) Chrysipps pragmatische Einstellung zeigt, dass die frühe Stoa das menschliche Sexualverlangen keineswegs als anstößiges oder einem hohen Maß an Regularien und Kontrolle zu unterwerfendes Phänomen betrachtet hat. Darüber hinaus gibt das Plutarchzitat Auskunft über die Vereinbarkeit eines positiven Zugangs zur Sexualität und den sie begleitenden Bedürfnissen mit der stoischen Forderung der Affektfreiheit. Chrysipp vergleicht nämlich das sexuelle Verlangen mit dem physiologischen Phänomen des Hungers, der schon deshalb nicht zu den Affekten zählen kann, weil er sich vegetativ einstellt und anders als Affekte nicht erst durch die fehlgeleitete Zustimmung der Vernunft zu einem falschen Werturteil initiiert wird.25 Die erotische Lust und die sexuelle Begierlichkeit werden also zunächst als natürliche Triebe aufgefasst, denen nachzukommen ebenso selbstverständlich angeraten wird wie dem Bedürfnis nach Nahrung, Wasser oder Wärme.
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Vgl. Plut. virt. mor. 2/3, 440e-441d = LS 61B. Zu Ciceros Kritik am stoischen Konzept der indifferentia vgl. fin. 4,40-48. Stob. 2,77. Vgl. Forschner (2018), 178. Vgl. Cic. fin. 4,14: „convenienter naturae vivere”. Der Schulgründer Zenon von Kition studierte bei dem Kyniker Krates. Vgl. Sedley (2003), 9. Loc. affect. 6,15 = frg. 197 Giannantoni. Vgl. Inwood (1997), 68. Zur stoischen Affektenlehre vgl. Halbig (2004) und Vogt (2004).
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Doch diese Überlegungen sind nur ein erster Schritt zu einer differenzierteren Analyse des erotischen Begehrens in der Stoa. Die frühen Stoiker thematisieren die Sexualität auch im Rahmen komplexer ethischer und vor allem politischer Überlegungen und verhandeln dabei den Eros nicht mehr als bloßes Trieb- und Grundbedürfnis, sondern als hochdifferenziertes und wohl auch ambivalentes Phänomen. Bedeutsam ist hier die (bis auf Zeugnisse jüngerer Autoren) nicht erhaltene Schrift des stoischen Schulgründers Zenon, der seine „spekulative Theorie über die Form der weder zeitlich noch örtlich fixierten politischen Gemeinschaft von Weisen“ (Forschner 2018, 247) mit Referenz auf Platon Politeia betitelt hat. Gemäß Zenons Weisung soll in dem idealen Staat ein von konventionellen Normen unbelastetes Sexualleben gepflegt werden: Sie sollen nicht mehr und nicht minder mit einem Geliebten (paidika) als mit einem NichtGeliebten und mit einem Mädchen als mit einem Knaben schlafen (diamêrizein26). Denn es unterscheidet sich nicht bei einem Geliebten oder Nichtgeliebten und bei Mädchen oder Knaben, sondern dasselbe ist ziemlich und ziemt sich (prepei kai preponta). (Sext. Emp. PH 3,245)
Die alten Stoiker greifen darüber hinaus den Gedanken einer Frauen- und Kindergemeinschaft auf, wie sie schon Platon in seiner Politeia vorgeschlagen hatte:27 Es findet sich bei ihnen auch die Lehre von der Gemeinschaft der Frauen bei den Weisen, so dass jeder Mann sich mit jeder Frau zusammentun kann, wie Zenon im Staat und Chrysipp in seinem Buch Über den Staat sagt. (Außerdem auch die Kyniker Diogenes und Platon.) (Diog. Laert. 7,131; Übers. O. Apelt leicht modifiziert)
Neben der Frauen- und Kindergemeinschaft vertreten Zenon und Chrysipp mit der Aufhebung des Inzestverbots eine weitere als anstößig empfundene Position:28 In einem seiner Bücher […] [sagt Chrysipp], dass Geschlechtsverkehr mit Müttern, Schwestern oder Töchtern […] ohne Grund in Misskredit gebracht wurde[.]. Weiter sagt er, dass wir auf die Tiere achten und aus ihrem Verhalten entnehmen sollten, dass von solchen Dingen nichts abwegig oder wider die Natur ist. (Plut. Stoic. rep. 22, 1044–1045a = teilw. SVF 3,753 = LS 67F)
Schon bei Zenon finden wir in diesem Sinne eine Neubewertung des Ödipusmythos: Und wenn sie an einem anderen Körperteil erkrankt war und er durch Reiben mit den Händen half, dann war es nichts Unschickliches. Wenn er sie aber erfreute und ihre Not beendete, indem er andere Teile rieb und rechtmäßige Kinder mit der Mutter zeugte, dann soll es unschicklich gewesen sein? (Sext. Emp. PH 3,246)
26 Gemeint ist der Schenkelverkehr, der keine rein homoerotische Praxis gewesen ist. Vgl. Gaca (2000), 228. 27 Vgl. Plat. rep. 5, 449d-466d. Aufgrund der Herausforderungen, die damit verbunden sind, bezeichnet Platon die Erziehungsgemeinschaft von Frauen und Männern und die Auflösung der Familienstrukturen ebenso wie die Philosophenherrschaft als „Woge“ (rep. 5, 457b), die bewältigt werden muss. 28 Wie Forschner (2018), 246 mit Verweis auf den Epikureer Philodem (De Stoicis col. 11,10f.; col. 14,23f. Dorandi) belegt, wurde die Schrift Zenons von vielen als „scham- und pietätlos“ bezeichnet.
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Beide Zeugnisse verweisen nicht nur durch die sachliche Konformität mit der sehr liberalen kynischen Sexualpraxis in mehrfacher Hinsicht auf das kynische Erbe: Plutarch nennt als Begründung Zenons für die Legitimität des Inzests das Vorbild im Tierreich, auf das bereits der Kynismus verwiesen hatte, und Zenon gebraucht mit der Phrase vom ‚Reiben eines Körperteils‘ (in diesem Fall Iokastes Vagina) eine Wendung, die wir schon bei Chrysipp kennengelernt haben, wenn er Diogenes’ sexuelle Selbstbefriedigung mit der (unmöglichen, aber wünschenswerten) Stillung des Hungers durch das Reiben des Magens vergleicht.29 Neben diesen – in ihrer Unkonventionalität radikal zugespitzten – Thesen findet sich im altstoischen politischen Ethos auch ein moderateres Eroskonzept, das an die gängige Praxis der griechischen paiderastia anknüpfen kann. Gemäß der platonischen Auffassung ist Eros ein Dämon, weil er in Ermangelung desselben nach dem andauernden Besitz des Guten und Schönen strebt, während die Götter das Gute und Schöne seit jeher und für immer ihr eigen nennen.30 Die frühe Stoa hebt dagegen den Eros wieder auf den Thron des Göttlichen: Pontianos sagte, Zenon von Kition nehme an, dass Eros der Gott der Freundschaft (philia) und Freiheit (eleutheria) sei und dass er überdies für Einmütigkeit (homonoia) sorge, aber für nichts sonst. In seinem Werk Der Staat sagte er daher auch: ‚Eros ist ein Gott, der zur Erhaltung der Stadt beiträgt.‘ (Athenaeus 561c = teilw. SVF 1,263 = LS 67D)
Die Rede von Eros als Gott darf jedoch nicht wörtlich verstanden werden.31 Streng genommen kennt die Stoa nur eine universelle Gottheit, die als aktives und vernünftiges (logos) Prinzip bzw. als Atemstrom (pneuma) die passive Materie (hylê) durchdringt und vorausschauend den gesamten Weltenlauf teleologisch durchstrukturiert. In diesem Sinne ist auch die bei Cicero von dem Epikureer Velleius referierte Auffassung Chrysipps zu verstehen, Gott sei „die Welt selbst (ipsumque mundum)“ (nat. deor. 1,39). Dabei impliziere, so Balbus, die „Göttlichkeit des Weltalls“ (nat. deor. 2,39) auch die Göttlichkeit der Gestirne, die aufgrund ihrer „feurige[n] Beschaffenheit“ (ebd.) der Gottheit gleichen. Wie Velleius korrekt 29 In der Forschung wird die Ernsthaftigkeit dieser und vergleichbarer progressiver Thesen der frühen Stoa sowie deren Deutung als generelle Empfehlungen bisweilen kritisch gesehen. Während Price (2002), 191 schreibt: „[…] the early Stoics inherited a Cynic preference für impropriety”, deutet Forschner (2018), 259 die Liste der von Zenon und Chrysipp vertretenen Provokationen als Spiegelung der „vielfach an paradoxen bzw. monströsen Beispielen orientierte[n] agonale[n] Diskussionspraxis mit den Skeptikern […], in der die Stoa die Lebenskunst des Weisen gegen die Skepsis verteidigte; eines Weisen, der unter allen möglichen, eben auch unter extremen Umständen weiß, was zu tun passend ist; und der sich, als Weiser, natürlich vom Tun des situativ Richtigen auch dann nicht abbringen lässt, wenn dies als skandalös empfunden wird.“ Darüber hinaus verweist er (ebd.) auf die epikureische Herkunft einschlägiger Attacken, die einen offensiven Gegenschlag als Reaktion auf die harte stoische Kritik darstellten. Cicero bestätigt diese Deutung und notiert gleichzeitig die diesbezügliche innerstoische Heterogenität: „Was aber die Lebensweise der Kyniker betrifft, so sagen die einen, sie passe zu einem Weisen, wenn zufällig ein solcher Fall eintrete, dass er sich entsprechend verhalten müsse, für andere kommt sie auf keinen Fall in Frage.“ (fin. 3,68) 30 Symp. 202b-202e. 31 Schofield (1999), 35 spricht in diesem Sinne von einer „demythologization“ der Ansicht Zenons.
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wiedergibt, gilt nach stoischer Lehre, „Gott sei […] Feuer“ (nat. deor. 1,39), und Aëtios berichtet von der Charakterisierung Gottes seitens der Stoiker als schöpferisches und „kunstverständiges Feuer (pyr technikon)“ (1,7,33 = SVF 2,1027 = LS 46A), die sich bis auf Zenon zurückführen lässt. Zugleich vertreten die Stoiker die Auffassung, der Geist des Menschen sei aufgrund der Vernunft dem göttlichen logos wesensähnlich. Mit dieser Verwandtschaft zwischen Göttern und Menschen verbunden ist die an den Menschen gerichtete Forderung, die in der Menschennatur angelegte Ähnlichkeit mit dem Göttlichen durch ein naturgemäßes Leben und die Ausrichtung des Geistes an der „wahre[n] Vernunft, die alles durchdringt und wesenseins ist mit Zeus, dem Ordner und Leiter des Weltalls“ (Diog. Laert. 7,88), zur höchsten Vollkommenheit auszubilden. Wenn Velleius die stoische Lehre ridikülisiert, dass Gott „sogar die Menschen [genannt werden], denen Unsterblichkeit zuteilgeworden sei“32 (nat. deor. 1,39), so spielt er auf diese weitestmögliche Gottähnlichkeit des Weisen an. Ist bei den Stoikern neben all diesen Erscheinungsformen des Göttlichen schließlich die Rede von den Göttern des Pantheons – und nun sind wir wieder bei dem ‚Gott‘ Eros –, so gibt sich darin kein polytheistisches stoisches Gottesbild kund. Vielmehr werden die griechischen und römischen Gottheiten allegorisch als Figuren gedeutet, die den göttlichen logos in seinen diversen Aspekten symbolisieren.33 Balbus beschließt seine Ausführungen zu den traditionellen Gottesvorstellungen daher mit der Mahnung, dass die „Gottheit, die das Wesen einer jeden Naturerscheinung durchdringt – wie Ceres die Erde, Neptun das Meer“ (nat. deor. 2,71), angebetet und verehrt werden müsse (venerari et colere debemus).34 Deutet man das obige Athenaeus-Zitat im Sinne einer allegorischen Interpretation des Eros, dann steht der Gott für die erotisch inspirierte Freundschaft, die durch ihre einheitsstiftende Wirkung staatserhaltende Kraft zeigt.35 Dass Liebe und Freundschaft sowohl in sozialen als auch in kosmischen Zusammenhängen ein harmonisches Miteinander und eine wohlgefügte Ordnung schaffen, ist ein Gedanke, den die antike Philosophie seit jeher starkmacht. Schon der vorsokratische Naturphilosoph Empedokles (5. Jahrhundert v. Chr.) vertritt die Auffassung, dass die Liebe – von ihm Aphrodite, Kypris, harmonia, philotês oder philia genannt – als Antagonistin zum trennenden Streit (neikos) die vier Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde miteinander verbindet.36 Platon greift diesen Gedanken auf, wenn er davon spricht, dass „der Körper des Kosmos [aus den vier 32 Nach dem Zeugnis bei Eus. pr. ev. 15,20,6 = SVF 2,809 = LS 53W geht die menschliche Seele nach der Trennung vom Körper „nicht sofort zugrunde, sondern lebt für bestimmte Zeiten für sich allein, die Seele der Rechtschaffenen bis zur Auflösung des Alls in Feuer, die Seele der Toren dagegen nur bestimmte begrenzte Zeiten lang.“ 33 Zu Cottas Kritik an den stoischen Überlegungen vgl. nat. deor. 3,39-64. 34 Zu den „vielen Namen Gottes“ (Wildberger (2006), 21) in der Stoa vgl. ebd., 21-48. 35 Die freiheitsstiftende Wirkung der Freundschaft scheint damit zusammenzuhängen, dass in einer politischen Gemeinschaft, in der alle Bürger freundschaftlich miteinander verbunden sind, keine Gesetze nötig sind. Vgl. in diesem Sinne schon Arist. eth. Nic. VIII 1, 1154b: „Und wenn Menschen Freunde sind, bedarf es nicht der Gerechtigkeit; hingegen bedarf es, wenn sie gerecht sind, zusätzlich der Freundschaft, und als das Gerechteste innerhalb des Gerechten gilt das Freundschaftliche.“ 36 Zu Empedokles vgl. Mansfeld/Primavesi (2001), 392-563.
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Elementen] durch eine Proportion in Einklang gebracht“ wurde und auf diese Weise „freundschaftlichen (philian) Zusammenhang“ (Tim. 32c) gewann, sodass die Selbstidentität und Einheit des Alls hergestellt wurde. Nach dem Arzt Eryximachos im platonischen Symposion sorgt die himmlische Liebe (erôs ouranios) für den geordneten Wechsel der Jahreszeiten ebenso wie für die harmonische und gesundheitsfördernde Mischung der gegensätzlichen Elementarqualitäten des Körpers (kalt-warm, bitter-süß, trocken-feucht). Auch im Sport, in der Landwirtschaft sowie in der Musik gewährleistet der erôs ouranios in verschiedener Hinsicht Harmonie. In der Seherkunst wacht er über die Gemeinschaft der Götter und Menschen.37 Die Stoa fasst die göttliche Liebe in den Begriff der Sympathie (sympatheia),38 und bezeichnet damit das Wirken der göttlichen Vernunft, die als Atemstrom das gesamte All durchdringt, dieses als organische Einheit gestaltet und für die wechselseitige Verbundenheit, Interaktion und Kommunikation aller Teile sorgt – Balbus bei Cicero spricht in diesem Sinne zwar nicht von Liebe oder Freundschaft, wohl aber von der Verwandtschaft (cognatio) aller Dinge.39 Auf diese Weise bewerkstelligt die sympatheia die vollendete Harmonie des Weltganzen und leistet somit auf der kosmischen Ebene das, was der Eros in der sozialen Gemeinschaft verwirklichen soll. Für die vorliegende Fragestellung bedeutsam ist die Tatsache, dass auch das kosmologische sympatheia-Konzept ergänzt wird durch eine Referenz auf das sexualisierte Erosmotiv. Gemäß dem Zeugnis bei Origenes vergleicht Chrysipp, inspiriert durch ein Gemälde, das Hera beim Akt der Fellatio mit Zeus darstellt, die Durchdringung der Materie mit dem göttlichen logos mit der sexuellen Vereinigung des Zeus mit seiner Gattin Hera: „Der würdige Philosoph sagt nämlich […], die Materie empfange die Zeugungskräfte des Gottes und bewahre sie in sich für die Ordnung des Weltalls.“ (c. Cels. 4,48) Dion Chrysostomus schildert die Erneuerung der Welt nach deren Auflösung im Weltenbrand (ekpyrôsis) allegorisch als hochzeitliches Beisammensein des Götterpaars: Es drängt ihn zu zeugen, alles zu ordnen und die jetzige Welt zu erneuern […]. Er sendet dann einen vollen Blitz […] und in Gedankenschnelle wechselt er leicht seine Gestalt. […] Nachdem er einen großen Teil des Lichts gelöscht hat, wandelt er sich in feurige Luft von milder Glut. Dann verbindet er sich mit Hera, und im vollkommensten Liebesgenuss entlässt er ruhend den ganzen Samen für das neue Weltall. Das ist die glückselige Hochzeit von Hera und Zeus. (orat. 36,55f.)
Auch im politisch-sozialen Kontext von Zenons Politeia spielt der Eros hinsichtlich der empfundenen und gelebten Einheit aller Bürger die zentrale Rolle.40 Bereits genannte, prima facie anstößig erscheinende Regeln des geschlechtlichen und familiären Umgangs erfahren unter der Prämisse eines ungetrübten gemeinschaftlichen Miteinanders ihre Rechtfertigung. So nennt Diogenes Laertius als Grund für die im altstoischen Idealstaat vorgesehene Frauen- und Kindergemeinschaft: „Wir werden allen Kindern die gleiche väterliche Liebe zuteilwerden lassen, und aller 37 38 39 40
Zur Rede des Eryximachos vgl. Plat. symp. 185c–188e. Zur stoischen sympatheia-Lehre vgl. Brouwer (2015). Vgl. nat. deor. 2,19. Vgl. dazu sehr erhellend Wildberger (2018), 111.
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Eifersucht wegen Ehebruchs wäre damit das Ende bereitet.“ (Diog. Laert. 7,131) Freilich ist auch eine derart großzügige Bereitschaft zum Teilen ein Charakterzug, der nur dem Weisen zu eigen ist. Ob der von Zenon konzipierte Staat, zumindest als Bewohner ohne Bürgerstatus, auch Menschen einschließen sollte, die den sittlichen Habitus des stoischen Weisen nicht erreichen konnten, ist aufgrund fehlender Zeugnisse in der Forschung umstritten. Unumstritten ist jedoch die entscheidende Funktion des Eros bei der Heranziehung und Bildung kommender Weiser. Laut Forschner sprechen gewichtige Zeugnisse dafür, dass Zenons Politeia auch und primär Aspekte einer idealen Gemeinschaft beschreibt, die nur aus (männlichen ebenso wie weiblichen) Weisen besteht, dies allerdings im Verein mit einer nachwachsenden Generation, die erst (mit Hilfe des Eros) zur Weisheit herangeführt wird. (Forschner 2018, 250)
Dies geschieht, wie u. a. Diogenes Laertius bezeugt, gemäß den Vorstellungen bei Zenon und Chrysipp unter Einbeziehung der griechischen Praxis der paiderastia: Übrigens werde der Weise auch seine Liebe den Jünglingen zuwenden, die durch ihre äußere Erscheinung ihre innere Verwandtschaft und natürliche Anlage zur Tugend zu erkennen geben, wie Zenon in seinem Staate sagt und Chrysipp im ersten Buch Von den Lebensweisen und Apollodor in der Ethik. (Diog. Laert. 7,130)
Indem die erotische Begleitung sich auf diejenigen beschränkt, die hinsichtlich einer künftigen Persönlichkeitsformung zum tugendgelenkten Weisen vielversprechende Anlagen zeigen, wird die konventionelle paiderastia einerseits restriktiver, andererseits aber durch die wahrscheinliche Einbeziehung der Mädchenliebe41 offener gehandhabt. Zunächst erstaunlich erscheint die Bemerkung, dass die genannten Anlagen anhand des äußeren Erscheinungsbilds des bzw. der Jugendlichen erkennbar seien. Während in der platonischen Tradition die Vorstellung selbstverständlich ist, dass ein schöner Leib durchaus eine hässliche Seele beherbergen kann42 – und umgekehrt: man denke an Alkibiades und Sokrates –, nimmt die alte Stoa aufgrund ihrer materialistischen Position sowie der damit verbundenen Lehre einer engen Interaktion von Körper und Seele an, dass die Persönlichkeit eines Menschen äußerlich wahrnehmbar sei: „Als er [scil. Kleanthes] einmal im Sinne Zenons die Bemerkung machte, man könne den Charakter schon aus dem Äußeren erkennen […]“. (Diog. Laert. 7,173) Auch Cicero legt in De natura deorum Balbus diesen Konnex in den Mund: Unsere Augen „erkennen ja Vorzüge und Fehler, sie nehmen wahr, ob jemand zornig oder gütig, fröhlich oder leidend, tapfer oder feige, kühn oder furchtsam ist.“ (nat. deor. 2,145) In der Forschung kontrovers diskutiert wird die Frage, ob der zunächst sich auch geschlechtlich manifestierende Eros nach einer gewissen Zeit und im Zuge des sittlichen und geistigen Fortschritts des erotisch Umsorgten in eine nicht41 Siehe das bereits referenzierte Zeugnis bei Sext. Emp. PH 3,245. Da der stoische Idealstaat auch Frauen zur Weisheit heranzog (vgl. die nicht überlieferte Schrift des Kleanthes Von der Einerleiheit der männlichen und weiblichen Tugend, Diog. Laert. 7,175), ist die Einbeziehung von Mädchen in die paiderastia nicht unwahrscheinlich. 42 Vgl. den Schlussmythos bei Plat. Gorg. 523a-527e.
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sexuelle Form der Freundschaft sublimiert. Die wichtigsten Zeugnisse dazu sind folgende:43 Sie sagen, dass die erotische Liebe eine Bemühung ist, Freundschaft zu stiften […]. Das ist der Grund, weshalb der Weise sexuelle Avancen macht (erôtikos) und Geschlechtsverkehr haben wird (eran) mit denen, die erotischer Liebe würdig sind, d.h. denen, die guter Herkunft und begabt mit natürlichen Fähigkeiten sind. (Stob. 2,115) Die Liebe (erôs) sei also eine Sache der Freundschaft, wie auch Chrysipp im ersten Buch Über die Liebe sagt, und sie verdiene keinen Tadel. Es sei auch die Schönheit eine Blüte der Tugend (anthos aretês). (Diog. Laert. 7,130) Es sei aber die Liebe (erôs) ein Versuch der Befreundung auf Grund der sich kundgebenden Schönheit; sie sei keine Sache des (leiblichen) Beisammenseins (synousia), sondern der Freundschaft (philia). Denn Thrasonides, obschon in der Lage, über seine Geliebte nach Gutdünken zu verfügen, habe sich ihrer gleichwohl enthalten, weil er sich von ihr gehasst wusste. (Diog. Laert. 7,130)
Stobaios nennt die zwei wesentlichen Aspekte des Eros, die wir schon bei Diogenes Laertius kennengelernt haben: Der Eros steht erstens im Dienst der Freundschaft und richtet sich zweitens auf junge Menschen mit vielversprechenden Anlagen. Ein dritter Punkt ist insofern bedeutsam, weil er ausdrücklich und nicht nur implizit vermerkt wird: Auch der stoische Weise ist im Rahmen der erotischen Fürsorge sexuell aktiv. Das geschlechtliche Moment wird auch im zweiten Zitat angesprochen, allerdings nur indirekt. Wenn Chrysipp sich gegen die Verachtung der erotischen Liebe ausspricht, so kann damit nur eine Befürwortung der sexuellen Komponente gemeint sein. Rein geistige Freundschaften sind der von Chrysipp angesprochenen Kritik wohl kaum ausgesetzt. Darüber hinaus wiederholt Diogenes Laertius die stoische Überzeugung, dass innere und äußere Schönheit miteinander verbunden sind. Das letzte Zitat wird von Autoren, die sich für eine sukzessive Sublimierung des stoischen Eros aussprechen, zur Stützung ihrer Deutung herangezogen.44 Tatsächlich scheint es zunächst, als wäre hier die Verneinung des geschlechtlichen Umgangs (synousia) explizit. Doch ein genauerer Blick auf den Textzusammenhang ebenso wie auf den historischen, sprachlichen und den philosophiehistorischen Kontext zeigt meines Erachtens das Gegenteil. Zum einen findet sich das Zitat in demselben Abschnitt, in dem Diogenes Laertius wider die Verachtung der erotischen Liebe argumentiert, und setzt damit die Kenntnis des Lesers über den sexuellen Aspekt derselben voraus. Zweitens ist die Konkurrenz und Gegenläufigkeit von geschlechtlichem Eros und Freundschaft, welche die Kontrastierung bei Diogenes Laertius suggeriert (Eros ist keine Sache der synousia, sondern der philia), in der griechischen und insbesondere in der philosophischen Tradition so nicht gegeben. Der griechische Begriff philia ist in vielerlei Hinsicht weiter als
43 Vgl. auch Gill (2013), 144. 44 Die Sublimierungsthese findet sich prominent bei Schofield (1999), 34: „Friendship consummates love – and replaces it.“
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der deutsche Ausdruck ‚Freundschaft‘45 und kann auch zur Bezeichnung von sexuell mitbestimmten Beziehungen gebraucht werden. Platon verwendet schon in seinem Frühdialog Lysis die Termini erôs und philia nahezu deckungsgleich.46 Im Symposion präsentiert Pausanias, einer der Vorredner des Sokrates, das Ideal einer himmlischen Liebe (erôs ouranios), die eine langdauernde Freundschaft im Sinne hat47 und den Schwerpunkt auf die Liebe zur Seele des erômenos legt,48 aber dennoch klar für die sexuelle Erfüllung dieser Liebe plädiert.49 Philia und synousia schließen sich so verstanden nicht aus, sondern bedingen einander. Relevant ist aus der Perspektive der frühen Stoiker nur, dass das Motiv und der leitende Gedanke beim Eingang einer erotischen Beziehung in der Erziehung zur Tugend liegen und der Vollzug des Geschlechtsakts sekundär ist. Erhellend ist schließlich das Beispiel, anhand dessen Diogenes Laertius das Erosideal der frühen Stoiker veranschaulicht. Thrasonides enthält sich eben nicht grundsätzlich des Verkehrs mit seiner Geliebten, sondern nur unter der Voraussetzung, dass er den Hass der Frau zu spüren bekommt: Ist die Freundschaft als Ziel und wesentlicher Inhalt der Beziehung nicht mehr gegeben, dann verbietet sich auch die sexuelle Annäherung. Sehr überzeugend erscheinen mir darüber hinaus die Argumente, die Kathy L. Gaca gegen die These einer schrittweisen Sublimierung des Eros vorbringt.50 Erstens wäre im Falle einer Desexualisierung des Eros, die diesem, so könnte man ihr Argument erweitern, den spezifischen, ihn von der Freundschaft unterscheidenden Wesenszug nimmt, nicht plausibel, warum die alten Stoiker einen derart immensen Reichtum an Schriften über den Eros verfasst haben.51 Wäre es zweitens der Fall, dass die sexuelle Komponente bei der Wandlung des erôs zur philia verschwinden würde und demzufolge der Weise nur mit Fortschreitenden (prokoptontes) Sex hätte, dann impliziert dies, dass Weise untereinander keine geschlechtlichen Beziehungen mehr eingehen. Wie das bereits zitierte Zeugnis bei Diog. Laert. 7,131 über die Frauengemeinschaft in der idealen Polis zeigt, ist dies jedoch keineswegs der Fall. Drittens könnte die Sublimierungsthese zu stark an platonische Überlegungen andocken: Der Dialog zwischen Diotima und Sokrates im Symposion sowie die zweite Rede (die Palinodie) des Sokrates im Phaidros idealisieren die Vergeistigung der 45 So diskutiert Aristoteles in Buch VIII der Nikomachischen Ethik sowohl die Freundschaft zwischen Familienangehörigen (Vater und Sohn, Geschwister, Mann und Frau) als auch die zwischen Herrschenden und Untertanen. 46 Zum Verhältnis von philia und erôs bei Platon vgl. den Überblick bei Ricken (2009). 47 Symp. 181d. 48 Symp. 183e. 49 Symp. 185b. 50 Gaca (2000), 212-214. 51 Vgl. die Liste bei Schofield (1999), 28: „But all the leading figures among them [scil. the Stoics] wrote on erotic love. D. L. VII 33 refers to Zeno’s Art of Love, and tells us that his Conversations contained similar material. Other titles are: Persaeus, On loves (VII 36); Ariston, Erotic conversations (VII 163); Cleanthes, On Love and Art of Love (VII 175) […]; and […] Sphaerus, Dialogues on Love (II 178). There were also at least two works on the subject in Chrysippus’ huge corpus: On Love (VII 129) and Letters on Love (Clem. Rom. homil. V 18, SVF II 1072)“. Inwood (1997), 55 verweist darüber hinaus auf den Traktat des späteren Stoikers Diogenes von Babylon über die Musik, wo auch der erôs ausführlich diskutiert wird.
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erotischen Liebesbeziehung52 – nicht von ungefähr referenziert die Rede von einer ‚platonischen Liebe‘ auf nicht-sexuelle Beziehungen. Angebliche Parallelen des stoischen Ideals mit platonischen Vorstellungen sieht Gaca schon deshalb kritisch, weil der metaphysische Hintergrund der beiden philosophischen Traditionen inkompatibel ist: „The Stoics […] reject Plato’s metaphysical dualism. They support a holistic conception of the human soul, body, and the cosmos at large.“ (Gaca 2000, 213) Gacas Einwand zielt ins Schwarze: Der philosophische Eros Platons strebt nach der Ideenwelt und einem damit verbundenen Absterben vom Leib (zumindest in der mittleren Schaffensphase), wo allein epistemische Gewissheit53 und Erfüllung im Sinne höchster eudaimonia möglich sind. Eine Philosophie, die den Leib (sôma) als Grab (sêma) der Seele betrachtet,54 wird auch in der Liebe den Schritt zur Vergeistigung hin begrüßen; bei einer materialistischen Schule wie der Stoa, die „sämtliche Akte menschlichen Erkennens als physikalische Ereignisse“ (Forschner 2018, 78) versteht, stellt sich dies anders dar. Schließlich verweist Gaca viertens auf die Anstößigkeit, die antike Rezipienten im altstoischen Eros sahen und die mit der Reaktion auf das platonische Erosverständnis in keiner Weise vergleichbar ist. Auch diese harschen Zurückweisungen sind nur dann verständlich, wenn der stoische Eros anders als der platonische nicht auf eine Sublimierung abzielt. Weil der geschlechtliche Umgang jedoch sowohl von Weisen wie von Nichtweisen gepflegt wird, ist er nicht per se sittlich wertvoll, sondern gilt wie alle Dinge, Sachverhalte und Praktiken, die sowohl gut als auch schlecht gebraucht werden können, als indifferent (adiaphoron): […] der Erotiker wird in zweifachem Sinne so genannt: Der eine ist tugendhaft und erhält seine Qualität durch die Tugend, und der andere wird beschuldigt und erhält seine Eigenschaft durch das Laster – eine Art Sexbesessener (erôtomanês). […] Deshalb sagen sie, dass der vernünftige Mann sexuell aktiv sein wird. Und sexuelle Aktivität ist ein adiaphoron, denn manchmal kommt sie auch unter niederträchtigen Menschen vor. Aber sexuelle Liebe ist weder ein Begehren (epithymia) noch ist sie auf ein niederes Objekt gerichtet, sondern sie ist ein Bemühen um Freundschaft, das aus der Erscheinung von Schönheit resultiert. (Stob. 2,65f.)55
Der Gedanke, dass die Handlung (praxis) des Liebens als solche weder schön (kalon) noch hässlich (aischron) gelten kann, sondern dass es die Art der Ausführung dieser Handlung ist, die über die Schönheit der Liebe entscheidet, findet sich bereits bei dem oben schon referenzierten Pausanias im platonischen Symposion, der in diesem Sinne zwischen einem gewöhnlichen (erôs pandemos) und einem himmlischen Eros (erôs ouranios) differenziert.56 Während der gewöhnliche Eros als unbedacht, unstet und treulos charakterisiert wird, ist der himmlische Eros überlegt
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Phaidr. 256c-d. Phaid. 65a-d. Gorg. 493a. Auf die Dualität im stoischen Eroskonzept verweisen auch Inwood (1997), 59; Nussbaum (1998), 289; Price (2002), 183 und Gill (2013), 144. 56 Symp. 180c–185c. Die Ähnlichkeit des stoischen Erosideals mit dem erôs ouranios bei Pausanias vermerken auch Inwood (1997), 56-58; Nussbaum (1998), 289; Gaca (2000), 214; Price (2002), 188 und Gill (2013), 146.
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und treu.57 Jener richtet sich auf den Körper des Geliebten, dieser auf dessen Seele,58 wobei er ein Kriterium erfüllt, das wir für den stoischen Eros bereits kennengelernt haben. Im Unterschied zum erôs pandemos, der Unvernünftige und Kinder begehrt, zielt der erôs ouranios auf Starke und Verständige, auf edelste und beste Charaktere sowie ausschließlich auf Jugendliche, die bereits deutlichen Bartwuchs aufweisen.59 Als schnödes Motiv des ersteren gilt die körperliche Befriedigung, das edle Motiv des letzteren ist bei Pausanias wie bei den Stoikern die Erziehung zur Tugend60 und die Ausbildung einer dauerhaften Freundschaft.61 Auch die Charakterisierung der Anhänger des gewöhnlichen Eros als vulgäre Menschen (phauloi)62 spricht hinsichtlich der Parallelen zu stoischen Vorstellungen Bände: Mit dem Ausdruck phauloi bezeichnen die griechischen Stoiker den Nichtweisen, den Toren, der im Lateinischen später stultus genannt werden wird.63 Ein gewichtiger Unterschied zwischen dem Ideal bei Pausanias und bei den Stoikern verbleibt jedoch: Nach Pausanias liebt der himmlische Eros ausschließlich Knaben, die unterschiedslose Männer- und Frauenliebe ist ihm zufolge dem gewöhnlichen Eros vorbehalten und wird entsprechend abgewertet.64 Neben den genannten Charakteristika des stoischen Eros ist bemerkenswert, dass Stobaios dessen Natur als „Begehren“ (epithymia) negiert (s.o.). Dies ist insofern für die Kohärenz des stoischen Erosbegriffs mit dem Ideal der Affektfreiheit unabdingbar, als die Begierde einen der vier generischen Affekte darstellt. Andererseits scheint die Leugnung jeglicher Begierlichkeit dem Phänomen des Eros nicht wirklich gerecht zu werden: Der Eros schließt zweifellos eine emotionale Komponente mit ein. Doch anders als es prima facie den Anschein hat, können die Stoiker dieses emotionale erotische Moment durchaus anerkennen und im Rahmen ihrer Affektenlehre plausibilisieren. Wie Cicero berichtet, plädieren die Stoiker für die Substitution der Affekte (pathê bzw. perturbationes65) durch gute Gefühle (eupatheiai bzw. constantiae), die auch von den Weisen ausgebildet werden. Um die Differenz zwischen Affekten (oder Leidenschaften) und guten Gefühlen zu verstehen, müssen wir auf die oben angeführte stoische Lehre zurückkommen, wonach nur die Tugend gut und glücksrelevant und nur das Laster schlecht und im Höchstmaß abträglich für das menschliche Glück sei. Alle übrigen Dinge (Gesundheit – Krankheit, Besitz – Armut, Anerkennung – Ehrverlust etc.) werden als indifferent qualifiziert. Dennoch gelten Gesundheit, Besitz und soziale Anerkennung als 57 Symp. 183e. 58 Symp. 183d-e. 59 Symp. 181d. Wie Nussbaum (1998), 293 darlegt, ist dies auch das stoische Kriterium: Gemäß Athenaeus 564a soll Chrysipp gefordert haben, der erômenos müsse sein Kinn rasieren. 60 Symp. 184c-e. 61 Symp. 181d: „[…] um das ganze Leben zusammen zu sein“. Nach dem Zeugnis bei Athenaeus 563e habe Zenon als Ende der päderastischen Beziehung das Erreichen des 28. Lebensjahrs des Geliebten empfohlen. Vgl. Nussbaum (1998), 293; Price (2002), 188 und Gill (2013), 146. 62 Symp. 181b. 63 Vgl. Inwood (1997), 57. 64 Symp. 181c. 65 Cic. Tusc. 4,10.
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naturgemäße leibliche oder äußere Vorteile, die auch von dem Weisen verfolgt werden dürfen, während ihr Gegenteil vernünftigerweise gemieden wird. Anders als der Nichtweise erstrebt der Weise diese Dinge jedoch mit Vorbehalt (meth’ hypexhaireseôs bzw. nisi si quid intervenerit66) sowie im Wissen um ihre Gleichgültigkeit für seine eudaimonia, sodass er nicht affektiv betroffen ist, wenn er sie nicht erreicht. Diese Differenz zwischen dem vollkommen vernünftigen Umgang des Weisen mit den außermoralischen Vor- und Nachteilen und dem vorbehaltlosen Streben des Nichtweisen manifestiert sich auch in deren jeweiliger emotionalen Verfasstheit. Die schädlichen Affekte des Nichtweisen gründen in der Zustimmung zu falschen Werturteilen, die den indifferentia fälschlicherweise zuschreiben, wahre Güter bzw. wahre Übel zu sein. Cicero schreibt: Sie lehren aber, dass die verschiedenen Formen der Leidenschaften aus zwei vermeintlichen Gütern und aus zwei vermeintlichen Übeln entstehen (ex duobus opinatis bonis nasci et ex duobus opinatis malis); so gebe es vier, aus den Gütern entständen die Begierde (libidinem) und die Lust (laetitiam), so dass die Lust es zu tun habe mit gegenwärtigen Gütern, die Begierde mit zukünftigen, aus den Übeln, so meinen sie, entständen Furcht (metum) und Kummer (aegritudinem), Furcht vor zukünftigen, Kummer über gegenwärtige; was man nämlich, wenn es kommt, fürchtet, das erzeugt Kummer, wenn es gegenwärtig ist. (Tusc. 4,11f.)
Der Affekt wird in diesem Sinne gemäß der „Definition Zenons“ als „eine von der richtigen Vernunft (a recta ratione) abgewandte naturwidrige Bewegung der Seele“ bzw. von anderen Stoikern kürzer als „ein allzu heftiges Verlangen (adpetitum vehementiorem) […], das sich zu weit von der Beständigkeit der Natur (a naturae constantia) entfernt hat“ (Tusc. 4,11), beschrieben. Insbesondere die zweite Definition impliziert, dass es neben einem „allzu heftige[n] Verlangen“ auch ein angemessenes Verlangen geben muss, das dem Kriterium der naturgemäßen „Beständigkeit“ gerecht wird. Diese naturgemäßen Seelenbewegungen fasst die griechische Stoa in den Begriff der eupatheiai und Cicero ebendeshalb als constantiae.67 Da „ja dem Kummer kein beständiger Zustand gegenübersteht“ (Tusc. 4,14), gibt es zu den vier Affekten nur drei gute Gefühle. Das im Griechischen boulêsis genannte kluge, beherrschte und vernunftgeleitete Streben nennt Cicero Wille (voluntas); sie ist das positive Pendant zur libido (oder cupiditas).68 Freude (gaudium)69 als sanfte und durch die Vernunft beherrschte Seelenbewegung steht als gutes Gefühl der Lust gegenüber und Vorsicht (cautio)70 als „Ausweichen, das mit Vernunft geschieht“ (Tusc. 4,13), der Furcht. Dieses von Cicero referierte stoische Konzept der guten Gefühle lässt sich kohärent auf die Analyse des zweifältigen Eros durch die Stoiker und deren Parallelen zum dualen Eros bei Pausanias applizieren: Während der primär auf physische Lusterfüllung abzielende, exzessiv-ungebändigte und in der Wahl des Partners wenig 66 So die Formulierung bei Sen. tranqu. an. 13,2. 67 Tusc. 6,14. Für diesen Stellenbeleg sowie für zahlreiche Einsichten, die ich beim Besuch der Vorlesung Cicero als Philosoph im Sommersemester 2019 an der JMU Würzburg gewinnen durfte, danke ich herzlich Jörn Müller. 68 Tusc. 6,12. 69 Griechisch: chara. 70 Griechisch: eulabeia.
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skrupulöse Eros des schlechten Menschen die Seelenruhe des erotisch Besessenen massiv verstört und bei Nichterfüllung seines Begehrens ein starkes Leidenspotenzial in sich birgt, ist der auf Freundschaft und Tugend abzielende und von der Vernunft ebenso geleitete wie gemäßigte Eros des Weisen völlig im Einklang mit seiner Seelenruhe. Ebendeshalb gilt er nicht als Begierde (epithymia), sondern als gutes Gefühl, als boulêsis bzw. voluntas. 2.2 Cicero und die mittlere und jüngere Stoa Die Differenz zwischen Affekt und gutem Gefühl führt uns unmittelbar auf die Spur einer Antwort auf die zweite Frage dieses Beitrags, die die Berechtigung der Inanspruchnahme Ciceros für das Gutheißen (Iulian) bzw. die Abwertung (Augustin) der sexuellen Begierlichkeit verhandelt. Wenn Cicero mit Blick auf eine philosophische Erörterung der Leidenschaften dafür plädiert, die „Definitionen und Unterteilungen der Stoiker [zu] benutzen, die mir in dieser Frage am scharfsinnigsten (acutissime) vorzugehen scheinen“ (Tusc. 4,11), spricht daraus seine Hochschätzung der stoischen Lehre über die Affekte. Mit dem stoischen Konzept der Leidenschaften besitzt Cicero theoretisch das begriffliche und systematische Instrumentarium, im Einklang mit den alten Stoikern die verwerfliche sexuelle Begierde als libido von einem natur- und vernunftgemäßen Willen (voluntas) zum Sexualakt zu differenzieren. Er tut dies auch, aber nur äußerst widerwillig und mit einer gehörigen Portion an ausdrücklichem Zweifel: Die Stoiker aber sagen, dass auch der Weise lieben werde, und definieren die Liebe (amorem) selbst als ‚Versuch, Freundschaft zu schließen aufgrund des Anblicks der Schönheit‘. Wenn es in der Natur eine Liebe ohne Unruhe, ohne Begehren, ohne Sorge und ohne Seufzen (sine sollicitudine, sine desiderio, sine cura, sine suspirio) gibt, so mag das sein; denn dann ist sie frei von jeder Begierde (libidine); hier ist aber von der Begierde die Rede. Wenn es aber eine Liebe (amor) gibt, wie es sie sicher gibt, die nicht oder nicht weit vom Wahnsinn (insania) entfernt ist […], [w]ahrlich, alle Götter hätten sich darum kümmern sollen […]. (Tusc. 4,72)
Zustimmend zitiert Cicero aus dem Eunuchus (1,1,14ff.) des Terenz, wo es mit Blick auf die sexuell motivierte Liebe heißt: „Wenn du verlangst, diese schwankenden Dinge mit Vernunft zu regeln, dürftest du nicht mehr erreichen, als wenn du dir Mühe gäbest, mit Vernunft wahnsinnig zu sein (ut cum ratione insanias).“71 (Tusc. 4,76) Ohne Frage ist Cicero skeptisch, ob es zur sexuellen Begierlichkeit ein sittlich gutes Pendant geben kann. Stattdessen rechnet er den „Liebhaber“ (amator) (Tusc. 4,65) unter diejenigen, die hinsichtlich ihrer Leidenschaft behandlungsbedürftig sind, und betont den exzessiven Charakter der sexuellen Liebe:
71 Andere „Dichter“ werden kritisiert, „in deren Werken wir Iuppiter selbst in diese Schändlichkeit [scil. der Liebe] verstrickt sehen“. (Tusc. 4,70) Zu Augustins Kritik an der dichterischen Bearbeitung des Liebesverlangens vgl. seinen Rückblick auf die schulische Lektüre über den „Tod der Dido […], die aus Liebe Selbstmord beging“. (conf. 1,13,20) Vgl. auch Aug. civ. 2,14.
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Und wie die schändlich (turpes) sind, die sich in Ausgelassenheit gehenlassen dann, wenn sie die Freuden der Liebe genießen (cum fruuntur Veneriis voluptatibus), so sind die verwerflich (flagitiosi), die dieselben mit glühendem Herzen begehren (inflammato animo concupiscunt72). (Tusc. 4,68)
Die sexuelle Leidenschaft, die als „Liebe“ (amor) zu charakterisieren sich Cicero erkennbar unwohl fühlt („ich finde wahrhaftig keinen Begriff, mit dem man es anders bezeichnen könnte“, Tusc. 4,68), ist für ihn der mit nichts anderem vergleichbare Inbegriff der „Leichtfertigkeit“ (levitatis) (ebd.), dessen zerstörerische Kraft sich am monströsen Exempel der Medea zeige. Anders als andere römische Autoren – so dramatisiert Seneca in seiner Medea in erster Linie die Destruktivität des Zorns – lässt er das sexuelle Begehren hinsichtlich der Verwandtschaft mit dem „Wahnsinn“ (furor) (Tusc. 4,75) noch vor dem Zorn rangieren, den er in den Tusculanen folglich erst nach den Ausführungen zur Liebe diskutiert: Denn unter allen Leidenschaften der Seele gibt es in der Tat keine, die heftiger (vehementior) ist, so dass, wenn man schon diese Dinge nicht selbst anklagen will, ich meine Unzucht, Verführung, Ehebruch und schließlich Inzeste, allesamt anklagenswürdige Schändlichkeiten – aber um davon nicht zu sprechen, die Verwirrung des Geistes (perturbatio […] mentis) in der Liebe ist an sich scheußlich. (Tusc. 4,75)
Die Schlusspassage der ciceronischen Philippika gegen die geschlechtliche Liebe scheint eine Antithese zur Position des Balbus in De natura deorum zu sein – sofern man diese nicht nur auf das Reich der Tiere, sondern gleichermaßen auf die Menschheit bezieht: Denn wenn die Liebe naturgegeben wäre (si naturalis amor esset), würden alle lieben […], und den einen würde nicht die Scham (pudor), den anderen nicht das Nachdenken (cogitatio) und wieder einen anderen nicht die Sättigung (satietias) davon abhalten. (Tusc. 4,76)
Ein vergleichbarer Gedanke findet sich im Übrigen bei Augustin, wenn er spekuliert, dass die Zeugung im Paradies vor dem Sündenfall als natur- bzw. gottgegebener Ur- und Idealzustand entweder gänzlich ohne Geschlechtslust (sine ulla libidine, c. Iulian. 4,35,3) vonstattengegangen wäre oder alternativ die sexuelle Lust sich ausschließlich auf den „Befehl des Willens (voluntatis imperio)“ (c. Iulian. 5,29,1) hin geregt hätte.73 Vor allem bei der ersten Option wäre dann die Geschlechtslust keine Gabe der menschlichen Ursprungsnatur vor dem Sündenfall gewesen. Dies wäre dann im Einklang mit Cicero. Auch wenn Augustin vermerkt, dass die Tugend der Enthaltsamkeit, die auch Iulian anerkennt, die sexuelle Begierlichkeit als Übel erweist,74 spricht er wohl im Geiste Ciceros. Cicero stellt ja fest, 72 Begrifflich erscheint hier die augustinische concupiscentia. 73 Auch dies käme dem ciceronischen Ideal entgegen: Die Formulierung voluntatis imperio verweist auf die voluntas als gutes Gefühl (constantia), das sich durch Vernunftgemäßheit und Kontrolliertheit auszeichnet. Dass sich das auf diese Weise regulierte Liebesverlangen im Paradies als gutes Gefühl deuten lässt, zeigt auch Augustins nähere Charakterisierung: Die geschlechtliche Liebe wäre ohne „den ganz offenbaren Kampf, der abläuft, wenn der Geist sich ihrer Regung widersetzt“, gewesen (c. Iulian. 5,29,1). Dies entspricht Ciceros Übersetzung der eupatheia als constantia: „His Latin terms adverts to the lack of conflict“. (Woolf 2001, 133) 74 C. Iulian. 3,49,3.
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dass manche sich der sexuellen Liebe aufgrund ihres Nachdenkens enthalten. Dies ist nichts anderes als die christliche Tugend der Enthaltsamkeit, eine Tugend, die Cicero in Anbetracht seiner Invektive gegen die geschlechtliche Liebe gewiss mit Wohlwollen betrachtet hätte. Es ist keine Frage: Augustin kennt einschlägige Cicerozitate, und er nutzt sie. So schreibt er: Deswegen sagt […] [Cicero] in der Erörterung über die Lust ganz vortrefflich: ‚Wie deren Regung gerade die heftigste ist, so ist sie auch der Philosophie am meisten feind (inimicissimus philosophiae). Denn große Lust des Leibes kann nicht mit Gedanken(arbeit) gleichzeitig geschehen. Wer kann denn, während er sich der Lust hingibt (cum utatur voluptate)‘, so sagt er, ‚die die größte ist, die es gibt, mit dem Geist aufmerken, Überlegungen anstellen, überhaupt etwas denken?‘ (c. Iulian. 5,42,1; vgl. Cic. Hort. frg. 48)
Beim weiteren Graben in seiner Kiste mit Ciceroreferenzen findet Augustin Folgendes: So stehen die Befehlsgewalten der Könige […] den Bürgern […] vor wie der Geist den Körpern; die Herren aber bezähmen die Sklaven in gleicher Weise wie der beste Teil des Geistes (optima pars animi), d.h. die Weisheit (sapientia), die fehlerhaften (vitiosas) und schwächlichen Teile des gleichen Geistes, wie z.B. die Geschlechtsbegierden (libidines), die Neigungen zu Zorn und die übrigen ungeordneten Leidenschaften (perturbationes). (c. Iulian. 4,61,2; vgl. Cic. rep. 3,37)
Anstatt mit Balbus die libidines corporum als mirae zu preisen – auch wenn Cicero der persona in De natura deorum wohl bewusst nur die Achtung vor den geschlechtlichen Begierden der tierischen, d.h. nicht-rationalen Lebewesen in den Mund legt –, kennzeichnet er selbst diese als vitiosae und gebraucht damit einen Ausdruck, der mit seiner Referenz auf das Laster (vitium) eine Prämoralisierung im Menschen angelegter Triebe suggeriert: Cicero vertritt hier nicht die Auffassung, dass der Geschlechtstrieb eine grundsätzlich positive Einrichtung sei, die – obgleich sie gut oder schlecht gebraucht werden kann – das Fortbestehen der Menschheit sichert; vielmehr charakterisiert er ihn als Anlage, die als solche bereits fehlerhaft ist, und nähert sich damit deutlich der augustinischen Position an. Von da aus und in Verbindung mit dem Faktum, dass Cicero die sexuelle Begierlichkeit ausschließlich zu den schädlichen Affekten und nicht auch zu den (potenziell) guten Gefühlen zählt, ist es nicht mehr weit zur augustinischen Auffassung, wonach aversive Affekte ebenso wie die nur durch die Gnade zu heilende Übermacht der concupiscentia carnalis eine Strafe für die Ursünde sind. Augustin zitiert in diesem Sinne Cicero: Von diesen Irrtümern und Mühsalen (erroribus75 et aerumnis) des menschlichen Lebens kommt es, dass zuweilen der Eindruck entsteht, jene Alten […], die erklärten, wir seien zur Strafe für irgendwelche im früheren Leben begangenen Freveltaten geboren worden, irgendetwas erkannt hätten. (c. Iulian. 4,78,2; vgl. Cic. Hort. frg. 99)
Auch in einigen kleineren Punkten scheint sich Augustin mit Recht auf Cicero berufen zu können. Hinsichtlich der Aussage des Balbus, dass die „Fürsorge der 75 Hier fühlt sich Augustin gewiss an seine Lehre von der ignorantia als Ursündenstrafe erinnert.
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Natur“ (nat. deor. 2,141) die zu Verdauung und Notdurft eingerichteten und ekelhaft anzuschauenden Organe vor dem eigenen Blick verborgen habe, stellt Iulian fest, dass Balbus kein Wort über den Ort oder die Bedeckung der menschlichen Geschlechtsorgane verloren habe, und schließt daraus auf deren Integrität.76 Augustin kontert dies mit der Feststellung, dass der Blick auf die eigenen Ausscheidungsbzw. Sexualorgane unterschiedliche affektive Reaktionen mit sich bringe: Der Anblick ersterer errege Ekel und wirke abstoßend, während der Anblick letzterer nach dem Sündenfall Ergötzen (delectatio) hervorrufe. Da die menschliche Ursprungsnatur jedoch unschuldig war, konnten sie zunächst offen zur Schau getragen werden. Erst nach dem Biss in die verbotene Frucht, so deutet der Kirchenvater Gen 3,7, habe sich die Begierlichkeit geregt, deren schuldhafter Charakter Scham (pudor) hervorrufe, sowie das Bedürfnis, die anstößigen Körperteile zu bedecken.77 Diese augustinische Auffassung wird von Cicero im Wesentlichen geteilt. Er teilt mit Balbus und dem Bischof von Hippo die Ansicht, dass die Natur „die Körperteile […], die zur natürlichen Notdurft gegeben, […] verdeckte und verbarg“ und bestätigt im Sinne Augustins, dass dieses „so sorgsame Walten der Natur […] der Anstand der Menschen nachgeahmt“ (off. 1,126) und auf die Geschlechtsglieder übertragen hat.78 Allerdings beschränkt sich diese Nachahmung nicht nur auf die Kleiderordnung, sondern auch auf das schamhafte Verbergen entsprechender Handlungen: „Deshalb ist weder das offene Ausüben jener Handlungen frei von Zügellosigkeit noch die Anzüglichkeit der Rede. Gleich gar nicht darf man auf die Kyniker hören oder – falls es solche Leute gegeben hat – beinahe kynische Stoiker“. (off. 1,127f.) Dass sich dies nicht nur auf die Ausscheidungsorgane und deren öffentliche Nutzung, sondern auch auf die Genitalien und deren Gebrauch und Benennung in der Öffentlichkeit bezieht, zeigt die Fortsetzung des Zitats: „Kinder zu zeugen ist […] ehrenvoll (honestum), dies beim Namen zu nennen anzüglich (obscenum).“ (off. 1,128) In einem weiteren Punkt sind sich Augustin und Cicero in Abgrenzung zu den alten Stoikern ebenso wie zu Platon einig: Sie teilen die Missbilligung homoerotischer Praktiken und die griechische (wie auch platonische und altstoische) Einrichtung der paiderastia.79 Cicero schreibt: [K]ommen wir zu den Lehrern der Tugend, den Philosophen,80 die sagen, die Liebe habe nichts mit Unzucht zu tun (qui amorem negant stupri esse), und die mit dieser Aussage mit Epikur, 76 C. Iulian. 5,33,1. 77 C. Iulian. 5,33,2. 78 Seine Ausführungen in off. 1,129 referenzieren wohl auf das Gesäß und die Geschlechtsglieder („gewisse Körperteile“). 79 Allerdings muss man davon ausgehen, dass Iulian derselben Ansicht gewesen ist. Zu Augustins Ablehnung der Homosexualität (mit Verweis auf Röm 1,26f.) vgl. c. Iulian. 5,10,3. 80 Cicero bezieht sich hier nicht nur auf die Stoiker, sondern ausdrücklich auch auf Platon: „Und wir sehen, dass die Liebesverhältnisse all dieser Männer voll Begierde sind (lubidinosos esse amores): Wir sind Philosophen geworden, und zwar solche, dass wir der Liebe Anerkennung zollen, besonders auf Betreiben unseres Platon, den Dikaiarch nicht zu Unrecht tadelt.“ (Tusc. 4,71) Augustin selbst betont in c. Iulian. 4,76,4 Ciceros Wertschätzung Platons, auch und gerade mit Blick auf dessen Sicht der fleischlichen Begierlichkeit: „Plato […], den Cicero
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Dagmar Kiesel der meiner Meinung nach von der Wahrheit nicht weit entfernt ist, im Streit liegen.81 Denn was ist ihre Freundschaftsliebe? Warum liebt niemand einen missgestalteten jungen Mann oder einen schönen Greis? Mir jedenfalls scheint das eine in den Gymnasien der Griechen entstandene Gewohnheit zu sein. […] Treffend also sagt Ennius: ‚Der Anfang der Schandtat ist es, unter seinen Mitbürgern sich zu entblößen.‘ (Tusc. 4,70)
Die im Vergleich mit der platonischen und erst recht der altstoischen Auffassung durchaus restriktive Haltung Ciceros bezüglich der Sexualität und ihren vielfältigen Erscheinungsweisen entspricht in vielerlei Hinsicht traditionellen römischen Vorstellungen. Für unsere Fragestellung bedeutsam ist darüber hinaus die Tatsache, dass sich vor allem unter deren Einfluss auch die Position der römischen Stoiker zur Sexualität signifikant verändert hat.82 Allerdings beginnt die allmähliche Beschränkung der zunächst freien und gleichermaßen homo- wie heterosexuellen Liebe auf die geschlechtliche Verbindung zwischen Mann und Frau schon in der griechischen Stoa nach Chrysipp.83 Antipater84 zählt die Ehe zu den wichtigsten kathêkonta,85 zeichnet deren Funktion analog zu den klassischen stoischen Erosdefinitionen als geeigneten Ort moralischen Fortschritts für junge Männer, die mit diesbezüglichen natürlichen Gaben vorzüglich ausgestattet sind,86 und fokussiert auf die Ehe als gemeinschaftsbildende Kraft und Keimzelle des Staates: Die Befürwortung der Frauen- und Kindergemeinschaft wird mit der Betonung der tiefen persönlichen Bindung des gemischt-geschlechtlichen Paars durch gemeinsamen Besitzstand, die Liebe zum Nachwuchs, die Gemeinsamkeit des spirituellen Lebens
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geradezu den Gott der Philosophen (philosophorum deum, vgl. nat. deor. 2,32) zu nennen nicht zögerte. […] Von ihm wird gesagt, er habe die Lüste des Leibes ernstlich und nachdrücklich als Anreiz und Nahrung für die Bösen bezeichnet.“ Die Phrase deum philosophorum findet sich in der Rede des Balbus; Augustin unterscheidet hier also nicht zwischen der literarischen persona Balbus und dem Autor Cicero. Brittain (2011) interpretiert die Bezugnahmen Augustins auf nat. deor. in epist. 118 (410 n. Chr.) c. Iulian. (421 n. Chr.), und civ. 4–5 sowie 19–22 (ca. 415–427 n. Chr.) im Sinne von dessen Deutung Ciceros als „Platonist“ (ebd., 84). Es ist bemerkenswert, dass Cicero, der ansonsten den Epikureismus vehement ablehnt (zu den politischen Hintergründen dieser Ablehnung vgl. Leonhardt 2000, 61), ausgerechnet hinsichtlich der sexuellen Begierlichkeit positiv auf diese Schultradition Bezug nimmt. Prominent findet sich die Klage über das Liebesleid im römischen Epikureismus bei Lucr. rer. nat. 4,1141– 1191. Augustin selbst verweist in c. Iulian. mehrfach und zumeist mit Referenz auf dessen (angeblichen) Lobpreis der körperlichen Lüste (vgl. 3,48,1; 4,21,2; 4,76,3; 5,29,4 und 6,44,3). Zum römischen Einfluss auf die stoische Sexualethik vgl. Jope (2013), 426-430 und zur Frage der Eheschließung bei den Stoikern Schofield (1999), 119. Vgl. zum Folgenden Gaca (2003), 82-86. Laut Gaca (2003), 82 ist es unklar, ob es sich um Antipater von Tarsus (2. Jahrhundert v. Chr.) oder Antipater von Tyrus (1. Jahrhundert v. Chr.) handelt. Stob. 4,508,2f. Auch Hierokles sieht später (2. Jahrhundert) eine natürliche Disposition des Menschen zur dauerhaften heterosexuellen Paarung (Stob. 4,502,15-19). Kathêkon, das von Cicero mit officium übersetzt wird, ist ein „Verhalten, das, aufbauend auf naturgegebenen Trieben und Bestrebungen, einer (beim Menschen) über Vernunft vermittelten Verwirklichung der menschlichen Natur im Einklang mit der Allnatur entspricht.“ (Forschner 2018, 208) Stob. 4,507,7; 16-20; 4,508,4.
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und die Teilhabe am geschlechtlichen Leib des bzw. der Anderen obsolet.87 Auch Cicero gibt davon Zeugnis: Weil aber offensichtlich der Mensch dazu geboren ist, andere Menschen zu schützen und zu retten, entspricht es seiner Natur, dass der Weise den Wunsch hat, […] um naturgemäß zu leben (ut e natura vivat), sich eine Frau zu nehmen und sich Kinder von ihr zu wünschen. (fin. 3,68)
Der römische Stoiker Gaius Musonius Rufus (1. Jahrhundert) deutet bei seiner Diskussion der Frage „Ist die Ehe ein Hindernis bei der Verfolgung der Philosophie?“88 in Aufnahme des Mythos der Kugelmenschen aus der Rede des Aristophanes im platonischen Symposion89 die Ehe als Institution der göttlichen Weltenlenkung: Denn zu welchem anderen Zweck teilte der Schöpfer der Menschheit unsere Gattung zunächst in zwei Geschlechter, männlich und weiblich, setzte ihnen dann ein starkes Begehren (epithymian90) nach Gemeinschaft und Vereinigung mit dem anderen ein und flößte beiden ein machtvolles Verlangen nacheinander ein […]? Geht daraus nicht klar sein Wille hervor, dass die zwei vereint sein und zusammenleben sollten in der gemeinsamen Anstrengung um ein Leben in Gemeinschaft und Kinder zeugen und aufziehen sollten, damit unsere Gattung niemals ausstirbt? (Musonius, ed. Lutz 92,8-17)91
Dieses Zeugnis ist für die Frage, ob Iulian mit dem Verweis auf die Rede des Balbus die stoische Position zur sexuellen Begierlichkeit korrekt wiedergibt, entscheidend. Als eines der wenigen, wenn nicht gar als einziges Zeugnis der römischen Stoa spricht sich Musonius Rufus an dieser Stelle ausdrücklich wertschätzend zum (in der Ehe genutzten) geschlechtlichen Verlangen aus92 und betont dabei exakt die drei Punkte, die auch bei Balbus zentral sind: Erstens ist es die göttliche Vorsehung selbst, die das Verlangen nach sexueller Vereinigung in die Lebewesen gesetzt hat, weshalb dieses, zweitens, als gut zu bewerten ist, und drittens besteht die Intention der göttlichen Einrichtung in der Sicherstellung des Fortbestands der Gattung. Was seine Ausführungen allerdings von denen des Balbus unterscheidet, ist, dass er ausdrücklich den Menschen einbezieht und sich nicht auf die tierische Lebenswelt beschränkt. Dass diese Erweiterung keine Nebensächlichkeit, sondern hinsichtlich der ethischen Relevanz des Geschlechtstriebs entscheidend ist, zeigt die Fortsetzung seiner Überlegungen, die die Ehe im Kontext des Sich-Kümmerns um die Belange des Nächsten und der Stadt reflektiert. Die Perspektive der frühen griechischen Stoa auf die sexuelle Liebe als philosophisch motiviertes gutes Gefühl, an die Musonius andockt, wird ansonsten in der mittleren und jüngeren Stoa kritisch hinterfragt. Seneca zitiert in diesem Sinne Panaitios von Rhodos, den für Ciceros Rezeption wohl bedeutendsten Stoiker:93 87 88 89 90
Stob. 4,508,16f. So der Titel des Traktats 14. Symp. 189a–193e. Musonius scheut sich nicht, mit epithymia einen Terminus zu gebrauchen und umzudeuten, der in der stoischen Tradition negativ besetzt ist. 91 Unmittelbar im Anschluss an die zitierte Passage thematisiert Musonius den Einsatz für den Nächsten und das Wohl des Staates und führt damit die Kontextualisierung des Eros mit dem Prosperieren der sozialen und politischen Gemeinschaft weiter. 92 Gegen diese Deutung spricht sich Gaca (2000), 209 aus. 93 Ciceros De officiis beruht in weiten Teilen auf Panaitios’ Schrift Peri tou kathêkontos.
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Dagmar Kiesel Treffend scheint mir Panaitios auf die Frage eines jungen Mannes, ob sich der Weise verlieben würde (an sapiens amaturus esset), geantwortet zu haben: ,Was den Weisen angeht, werden wir später sehen. Du und ich, die wir vom Weisen bis jetzt noch weit entfernt sind, dürfen es nicht dahin kommen lassen, dass wir in eine stürmische, unkontrollierbare (inpotentem), in der Verfügung eines anderen stehende und für uns selbst klägliche Situation geraten.‘ (epist. 116,5)
In der jüngeren Stoa wird die sexuelle Liebe zunehmend als Bedrohung der seelischen Ruhe gesehen. Mit dieser kritischen Perspektive verbunden ist eine ausdrückliche Abgrenzung gegenüber den Kynikern, deren Lebensweise auch und gerade im Blick auf die Sexualität als ungebührlich empfunden wird.94 Der freigelassene Sklave Epiktet (1./2. Jahrhundert) vertritt bezüglich der Sexualität eine konventionelle, wenngleich moderat formulierte Auffassung: Verzichte vor der Ehe möglichst auf geschlechtliche Beziehungen; wenn du dich aber darauf einlässt, so tue es im Rahmen des gesetzlich Erlaubten. Denen, die sich sexuell betätigen, falle jedoch nicht mit Vorwürfen zur Last. Erwähne auch nicht überall deine Enthaltsamkeit. (enchir. 33)
Mark Aurel (121-180 n. Chr.), der stoische Philosoph auf dem Kaiserthron, findet entschieden deutlichere Worte, die als Heilmittel gegen den stürmischen Drang der sexuellen Begierlichkeit intendiert sind. Zur Frage, was man beim Sex denken soll, empfiehlt er die Kontemplation der desillusionierenden Feststellung: „Er ist die Reibung eines Eingeweides und Ausscheidung von Schleim, mit Zuckungen verbunden“. (med. 6,13) Von der Wertschätzung des Eros durch die frühen Stoiker ist hier nichts mehr geblieben. 3. CICERO, BALBUS, AUGUSTIN UND IULIAN ODER: SEXUALITÄT UND RELIGION Das Thema der sexuellen Begierlichkeit, so klein es auch scheinen mag, hat in De natura deorum sowohl in der Rede des Balbus als auch hinsichtlich Ciceros Intentionen seinen wohlgefügten, noch genauer zu bestimmenden Platz. Schon im Vorwort wird deutlich, dass die Frage nach den Göttern eminent politischen Charakter hat95 und gegebenenfalls einer pragmatischen Antwort bedarf: Die feste Überzeugung eines Eingreifens der Götter in die menschlichen Belange hat insofern immense praktische Relevanz, als „nach dem Verlust der Bindung an die Götter auch Ehrlichkeit und Treue ebenso wie das soziale Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen und die eine, alles überragende Tugend, die Gerechtigkeit, aufhören zu
94 Vgl. Epikt. diatr. 3,22. 95 So auch Woolf (2001), 202.
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existieren.“ (nat. deor. 1,4)96 Auch war das Bewusstsein der göttlichen Vorsehung gemäß Cicero der Grund für den Aufstieg Roms:97 [D]urch unsere Frömmigkeit und Religiosität (pietate ac religione) und durch die einzigartige Weisheit (sapientia), die uns befähigt hat zu erkennen, dass der Wille der Götter alles steuert und lenkt, [haben wir] alle Völker und Stämme überwunden.98 (har. resp. 19)
Wenn die literarische persona Cicero am Ende von De natura deorum nicht dem Skeptiker Cotta, sondern dem Stoiker Balbus zugesteht, dessen „Äußerungen“ schienen ihm „mehr Ähnlichkeit mit der Wahrheit zu haben“ (nat. deor. 3,95), so gründet dies – neben der von Christopher Diez in diesem Band überzeugend vorgetragenen Einsicht, dass Cicero hier seine skeptische Unparteilichkeit auch in Bezug auf die eigene Schule vermitteln will – auch in dem Fakt, dass die Stoa unter den in nat. deor. zu Wort kommenden philosophischen Schulen diejenige ist, die ebendiese göttliche Weltenlenkung wie keine andere betont:99 Balbus’ Ausführungen zur fürsorgenden Leitung des Kosmos bzw. der Menschen umfassen die Abschnitte 2,73-153 sowie 154-167, und einer der Aspekte, an denen diese Fürsorge deutlich wird, ist das im Tierreich wirkende Verlangen nach physischer Vereinigung. Obwohl die stoische Auffassung zur menschlichen Sexualität in nat. deor. nicht weiter thematisiert wird, sollte aus den obigen Erläuterungen klar geworden sein, dass der Eros in der stoischen Philosophie von Beginn an mit der Funktionsfähigkeit der politischen Sozialität verbunden ist – nicht umsonst diskutiert Zenon den Eros in seiner Politeia – und als gemeinschaftsbildende Kraft gesehen wird. Damit leistet der stoische Eros sowohl mit Blick auf die Freundschaft, welche die philosophische paiderastia und die Frauen- und Kindergemeinschaft in der Staatsutopie der alten Stoa bewirken soll, als auch die späteren Vorstellungen von Ehe und Familie als soziale Keimzelle genau das, was Cicero als wesentliche Wirkung der Frömmigkeit erachtet, nämlich „das soziale Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen“ (nat. 96 Pol. hist. 4,56 nennt in diesem Sinne als „größte[n] Vorzug des römischen Gemeinwesens […] eine beinahe abergläubische Götterfurcht“ und begründet dies u. a. damit, dass Beamte, die an einen Eid gebunden sind, weniger leicht korrumpiert werden. Augustin wendet sich in civ. 4 ausdrücklich gegen die Vorstellung, dass den römischen Göttern der Aufstieg Roms zu verdanken sei. Vielmehr habe der eine christliche Gott aus pädagogischen Gründen das Wachsen des Reichs befördert (civ. 5). 97 Sall. Catil. 12 würdigt daher „unsere Ahnen“ als „tiefreligiöse[.] Menschen (religiosissumi mortales)“. 98 Ciceros Aussagen zur göttlichen Weltenlenkung an dieser Stelle sind in mehrfacher Hinsicht mit Vorsicht zu genießen. Zum einen ist Ciceros Rede eine Antwort auf ein Gutachten der Opferschauer, das mysteriöse Geräusche auf Ciceros Anwesen auf dem Palatin auf die Entweihung des vorher der Göttin Libertas gewidmeten Grundstücks zurückgeführt hatte. Cicero hatte also ein genuines Interesse daran, seine Frömmigkeit unter Beweis zu stellen. Zum anderen ist seine Ablehnung der göttlichen Schicksalslenkung ebenso wie des „Vorherwissen[s] des Künftigen“ (Aug. civ. 5,9) in De divinatione einschlägig. Dies hindert ihn jedoch nicht daran, eine allgemeine göttliche Ordnung des Kosmos anzunehmen und den Glauben daran als förderlich für die Gemeinschaft zu werten. 99 Auch wenn Cicero in De fato gegen den harten Universaldeterminismus der Stoiker argumentiert (vgl. Müller 2019), kann er sich dem Gedanken einer göttlichen Fürsorge durchaus anschließen.
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deor. 1,4) zu befördern. Wenn Cicero in De finibus Cato die stoische „Einsicht“ verkünden lässt, „dass die Natur bewirkt (natura fieri), dass die Kinder von ihren Eltern geliebt werden“ (fin. 3,62), dann verweist er auf genau dies. Cato referiert weiter (mit deutlichen Parallelen zur Balbusrede): Diese Erkenntnis muss zunächst schon aus der Bildung der Körper und ihrer Glieder gewonnen werden, die selbst zeigen, dass die Natur auf Fortpflanzung bedacht war. Es könnte aber nicht zusammenpassen, dass die Natur einerseits Fortpflanzung wünschte, und andererseits nicht dafür sorgte, dass die von ihr hervorgebrachten Wesen auch geliebt würden. […] so treibt uns deshalb die Natur selbst offenkundig, die zu lieben, die wir gezeugt haben. Daher rührt auch ein natürliches Gefühl der Zusammengehörigkeit, das die Menschen miteinander verbindet. (fin. 3,62f.)
Sexualität und Familienbildung sind in der Stoa nicht nur durch ihre göttliche Einsetzung mit der Religion verbunden: Vielmehr gilt bei einigen Stoikern auch der mit Zeugungsabsicht verbundene Sexualakt selbst als gottesdienstlicher Akt.100 Antipater verweist darauf, dass nur der durch Zeugung von Nachkommen gesicherte Fortbestand der Menschheit Opferdienste für die Götter gewährleiste,101 und Musonius spricht davon, dass Hera, Eros und Aphrodite das zum Zwecke der Kinderzeugung vollzogene Beisammensein von Mann und Frau begleiten,102 und schlussfolgert, dieses sei auch eine für Philosophen würdige Praxis. Die Verbindung von geschlechtlicher Liebe und Religion ist nicht nur im stoischen Denken, sondern auch in den für Cicero relevanten römischen Kulten präsent: Schon im griechischen Kulturraum werden Aphrodite und Eros als göttliche Kräfte personifiziert, die von den Römern in Gestalt von Venus und Amor bzw. Cupido übernommen werden,103 und viele Feste in der römischen Kultpraxis implizieren Aspekte der Fruchtbarkeit, des erotischen Begehrens oder geschlechtsspezifischer Differenzen; manche Kulte sind ekstatischer oder gar orgiastischer Natur.104 Für Cicero dagegen, dessen pessimistische Sicht des geschlechtlichen Verlangens bereits erörtert wurde, ist die Ziemlichkeit in Sachen Sexualität sowohl eine Sache des Anstands als auch der Frömmigkeit. Gerade weil die Vorfahren angeordnet haben, „denselben Männern sowohl den Kult der unsterblichen Götter als auch alle wichtigen politischen Entscheidungen in die Hand zu geben“ (dom. 1), muss die Moral der führenden Männer streng begutachtet werden. Die Kritik Ciceros am sittlichen respektive unsittlichen Habitus von Männern aus der politischen Führungsriege verbindet in diesem Sinne sexuelle Ausschweifungen unmittelbar mit einem Verstoß gegen die religiöse Ordnung. So habe Publius Clodius während seiner Quästur 100 101 102 103
Vgl. dazu Gaca (2003), 86. Stob. 4,508,7f. Ed. Lutz 94,25-27. Allerdings kommt Venus in Abgrenzung zur griechischen Aphrodite nach Larson (2013), 222 insofern „a distinct character of her own“ zu, als „the early cults of Venus were concerned to a surprising degree with the regulation of the sexual behavior of the city’s matronae.“ 104 Die wichtigsten Feste und Kulte diesbezüglich sind das Dezemberfest der Bona Dea (vgl. die griechischen Thesmophorien), der Kult um Priapus und die Feier des Gottes Liber (vgl. die griechische Gottheit Dionysos) oder die Kultpraxis um Kybele, die römische magna mater. Vgl. Larson (2013).
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„Götter und Menschen, Anstand und Scham, das Ansehen des Senats, das menschliche und göttliche Recht, die Gesetze und die Gerichte gröblich beleidigt“ (har. resp. 43), indem er beispielsweise in Frauenkleidern die Bona Dea infiltriert habe.105 Verres wirft er einen „verworfenen und schmutzigen Charakter“ vor und berichtet, wie dieser „sich anschickte, nackt (nudus) beim Mahle zu tanzen.“ (Verr. II 3,23) Er habe „die kurzen Tage mit Gelagen, die langen Nächte mit Unzucht und schändlichem Treiben (stupris et flagitiis) verbracht“ (Verr. II 5,26), glaubte frech, seine freie „Zeit der Venus und dem Liber schuldig zu sein“ (Verr. II 5,27), und schwelgte in „Weibergelagen (in conviviis muliebribus)“ (Verr. II 5,31), ganz abgesehen davon, „wie viele und wie stark verschanzte Festungen der Keuschheit und Schamhaftigkeit (pudoris et pudicitiae) er mit frecher Gewalt genommen hat“. (Verr. II 5,34) Auch nachdem er „die Gelübde für seinen Oberbefehl und für das allgemeine Wohl des Staates dargebracht hatte“, frönte er „wider das heilige Recht, wider die Kultpflichten seines Feldherrnamtes, wider alle göttlichen und menschlichen Satzungen (contra omnis divinas atque humanas religiones)“ (Verr. II 5,34) der Unzucht (stupri). Cicero klagt ihn an, seine militärischen Pflichten versäumt zu haben, wenn er „um [der] Sinnenlust willen (propter amorem libidinemque tuam) den Oberbefehl über die Schiffe einem Legaten des römischen Volkes entzogen und einem Syrakusaner anvertraut“ (Verr. II 5,137) hat. Auch bei seinen Invektiven gegen Marcus Antonius geht der Vorwurf der „Missachtung religiöser Vorschriften“ (Phil. 2,103) Hand in Hand mit Anklagen sexueller Liederlichkeit.106 Der politische Gegner habe sich „ruiniert durch den Besuch von Kneipen und Bordellen“ (Phil. 2,6), und Cicero spekuliert, kaum ein „gekaufter Lustknabe [sei] seinem Herrn so hörig gewesen wie du dem Curio.“107 (Phil. 2,45) Bei seinen Reisen als Volkstribun präsentierte er seine Geliebte, eine „Schmierenkomödiantin“, in der offenen Sänfte, während die eigene Mutter, noch hinter dem „Reisewagen mit Kupplern (lenonibus)“, an das Ende des Gefolges verwiesen wurde (Phil. 2,58). Schamlos und aus Gründen politischer Intrige habe er seine Gattin, „die sittsamste Frau auf der Welt [,] des Ehebruchs beschuldigt“ (Phil. 2,99) und das Landgut des Marcus Varro, von diesem als „Stätte seiner wissenschaftlichen Studien“ gedacht, als „Lasterhöhle (libidinum deversorium)“ (Phil. 2,104) missbraucht: „[F]reigeborene Knaben trieben sich mit feilen Kerlen, Huren unter verheirateten Frauen herum.“ (Phil. 2,105) Bei der Übergabe eines Diadems sei er nackt (nudus) gewesen.108
105 Har. resp. 44. Cicero moniert häufig die griechischen und effeminisierenden Bekleidungsgepflogenheiten seiner politischen Gegner. Vgl. dazu ausführlich Heskel (1994). 106 Fertik (2017), 67 vertritt diesbezüglich die These „that Antony rejects and reworks Cicero’s model of the statesman and that Antony offers a distinct perspective on the role of the leader: his sex appeal and sexual activity allow him to secure a privileged bond with different groups in the Roman community.“ 107 Cicero nutzt hier die Gelegenheit, seine eigene Rolle als Retter Curios zu betonen: „Den Vater habe ich überredet, die Schulden seines Sohnes zu bezahlen. Er sollte den hoffnungsvollen und begabten jungen Mann […] freikaufen und ihm aufgrund väterlichen Rechts und väterlicher Gewalt die Freundschaft, ja jeglichen Umgang mit dir verbieten.“ (Phil. 2,46) 108 Phil. 3,12 und 31. Nudus meint nach Heskel (1994), 137 hier „barbrüstig“.
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Während Cicero Frömmigkeit und Sittsamkeit zusammendenkt, sieht Augustin im römischen Staat das gegenteilige Phänomen verwirklicht: Das zweite Buch von De civitate dei ist eine Schmährede gegen die römischen Götter, die den Sittenverfall ihres Volkes nicht nur nicht verhindert, sondern durch Veranlassung der Bühnenspiele und anstößiges rituelles Kultpraktiken, wo „in Götzentempeln Kybelepriester sich entmannen, Buhlknaben sich weihen, Rasende sich verstümmeln“ (civ. 2,7), aktiv befördert hätten. Augustin schließt sich der platonischen Dichterkritik in rep. II, 376e-383c an, wonach den Göttern kein ausschweifendes Treiben unterstellt werden dürfe, und fordert, die „Erdichter solcher Fabeln“ müssten „wie die Schauspieler als unehrlich gelten“. (civ. 2,14) Cicero, dessen Rüge unziemlicher Dichtungen in rep. 6,9,9 er zitiert, wird angeklagt, aus Gründen politischen Kalküls selbst liederliche Bühnenspiele zu Ehren der Götter veranlasst zu haben: Als Tullius, der bedeutende109 Mann, aber schwache Philosoph (vir gravis et philosophaster110), Ädil werden sollte, machte er der Bürgerschaft mit lauter Stimme bekannt, dass es zu den Obliegenheiten seines Amtes gehöre, Mutter Flora durch Veranstaltung festlicher Spiele zu versöhnen. Das aber sind Spiele, von denen es heißen kann: je schändlicher, umso frommer.111 (civ. 2,27; vgl. Cic. Verr. II 5,36)
Doch auch wenn bei Cicero häufig pragmatische und nicht selten auch machtpolitische Überlegungen gesiegt haben: Die grundsätzliche Einstimmigkeit Augustins und Ciceros über die Schändlichkeit der sexuellen Begierlichkeit bleibt – und eröffnet doch zugleich eine wesentliche Diskordanz, die ihrerseits theologische Bezüge aufweist: Die Heilsbringerin, die den von schädlichen Affekten und damit auch von der Gewalt der geschlechtlichen Begierde gebeutelten Menschen zur Seelenruhe ebenso wie zu einem sittlich hochstehenden Leben führen kann, ist bei Cicero die Philosophie: Es gibt in der Tat ein Heilmittel für die Seele (animi medicina), die Philosophie; man kann ihre Hilfe nicht wie bei körperlichen Krankheiten von außen herbeiholen, wir müssen uns vielmehr mit aller Macht und allen Kräften anstrengen, uns selbst heilen zu können. (Tusc. 3,6)
Ebendiesen Selbsterlösungsanspruch des Menschen entlarvt die Gnadentheologie Augustins als Ausdruck menschlichen Hochmuts. Der gefallenen Menschennatur genügen zur Gesundung nicht die Lehren und Mahnung der Philosophie;112 sie bedarf einer viel grundsätzlicheren und von außen (von oben) kommenden Heilung, die allein die göttliche Gnade erbringen kann: „Diese in so große, deutlich erkennbare Mühsale gefallene Natur hat Christus als Retter, Befreier, Reiniger und Erlöser (saluatorem, liberatorem, mundatorem, redemptorem) nötig“. (c. Iulian. 3,9,3) Das 109 Thimme übersetzt: „ernste“. Für den Vorschlag zur Modifizierung der Übersetzung danke ich Christopher Diez. 110 Vgl. zu philosophaster auch die Belegstellen bei c. Iulian. op. imperf. 6,18 und ebd. 5,11 (vgl. TLL 10/1, 2024 s.v. philosophaster). Für diesen Hinweis danke ich Christopher Diez und Christoph Schubert. 111 Ein andermal ließ Cicero als Konsul anlässlich einer feindlichen Bedrohung zur Versöhnung der Götter zehntägige Spiele abhalten, über die Augustin urteilt: „Diese leichtfertige, unsaubere, schamlose, abscheuliche, schmutzige Versöhnungsfeier“. (civ. 2,27) 112 Zur förderlichen Rolle der Philosophie bei Augustin vgl. Köckert (2016).
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pelagianische Vertrauen in die sittliche Kraft des Menschen vergleicht Augustin kritisch mit der stoischen Philosophie113 und wendet sich damit gegen eine philosophische Schule, der Cicero vor allem in den Tusculanen hinsichtlich ihrer therapeutischen Kompetenz ein hohes Maß an Effektivität zugesteht. Insbesondere gilt das Angewiesensein auf das göttliche Erbarmen für die Heilung der sexuellen Begierlichkeit als charakteristischstes Phänomen der grundsätzlichen Neigung zur Konkupiszenz.114 Die berühmte Gartenszene in conf. 8,12,28-30, in der Augustin sein Gnadenerlebnis illustriert, macht ihn zu einem zölibatären Leben bereit und ersetzt die sexuelle Begierlichkeit durch eine spirituelle Freude, die „süßer als alle Wollust (omni voluptate dulcior)“ (conf. 9,1,1) ist, und auch die im zehnten Buch vollzogene pädagogische Selbstentblößung Augustins, in der er über seinen verbliebenden Rest der triplex cupiditas („Fleischeslust, Augenlust und Hoffart dieser Welt“, conf. 10,30,41) reflektiert, kennt nur einen Weg des Heils: „Gib, was du befiehlst, und befiehl, was du willst!“ (conf. 10,29,40) Darüber hinaus vertritt der Kirchenvater die Auffassung, dass Keuschheit und Enthaltsamkeit wie alle übrigen sittlichen Exzellenzen nur dann als Tugenden gelten können, wenn ihr Träger sie als unverdientes und unverdienbares Geschenk der göttlichen Gnade betrachtet:115 „Denn wenn man die Gaben Gottes nicht auf ihren Urheber bezieht, werden gerade dadurch die Bösen, welche diese Gaben gebrauchen, zu Ungerechten. Und deshalb sind weder Enthaltsamkeit (continentia) noch Schamhaftigkeit (pudicitia) eine wahre Tugend der Ungläubigen.“116 (c. Iulian. 4,17,5) So gesehen ist es auch nicht verwunderlich, dass Augustin in Contra Iulianum nur dann auf philosophische Autoritäten verweist, wenn die Anwürfe Iulians und dessen Referenzen auf die Philosophie (und eben auch auf Cicero sowie die literarische persona des Balbus) bezugnehmen. Die Präferenzen Augustins sind eindeutig: [I]ch habe heilige und in der heiligen Kirche berühmte, keine in platonischen, aristotelischen, zenonischen und ähnlichen, ob griechischen oder lateinischen […], vielmehr allesamt in den Heiligen Schriften gebildete Bischöfe Gottes, wie es sich gehört (sicut oportebat), namentlich zu Wort kommen lassen. (c. Iulian. 2,34,3)
Doch das ist noch nicht alles: Entschiedene Differenzen gibt es auch hinsichtlich der Frage nach der Erreichbarkeit des Glücks, die mit dem Problem der Realisier113 „[…] die Widersinnigkeiten pelagianischer Häretiker, erstaunlicher als die stoischen Philosophen.“ (c. Iulian 3,8,2). Vgl. auch c. Iulian. 3,48,5: „Wir vertrauen auf das wahre Erbarmen Gottes, ihr vertraut auf eure vermeintliche Kraft.“ 114 In conf. 8,7,17 spricht Augustin von der „Krankheit der Begierde (morbo concupiscentiae)“, wobei er nochmals auf seine viele Jahre zurückliegende Bekanntschaft mit Ciceros Hortensius zurückblickt, der ihm schon damals (erfolglos) den Weg fern „üppiger Lüste des Körpers“ (ebd.) gewiesen hat. 115 Zum Tugendverständnis Augustins vgl. Kiesel (2016). 116 In diesem Sinne nimmt Augustin auch die Staatsdefinition Ciceros als „Volkssache“, wobei unter Volk „eine Ansammlung“ zu verstehen ist, „die durch Rechtsgleichheit und gemeinsamen Wohlfahrtszweck verbunden ist“ (civ. 1,21), zwar positiv auf, ergänzt sie aber durch den Hinweis: „Jedoch wahre Gerechtigkeit gibt es nur in dem Gemeinwesen, dessen Gründer und Herrscher Christus ist“.
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barkeit der Tugenden eng verbunden ist.117 Augustin verlegt die vollkommene Glückseligkeit nach seiner gnadentheologischen Wende118 in die jenseitige Existenz,119 im irdischen Dasein ist sie aufgrund des menschlichen Unvermögens, auch nach Empfang der Gnade ein vollkommen sündenfreies Leben zu führen, bloßer Gegenstand der Hoffnung: Der Kampf gegen den Ansturm der Konkupiszenz ist eine lebenslange Last. Cicero freilich denkt darüber anders: „So wird das Leben des Weisen immer glücklich“ (Tusc. 5,82), und vermittelt somit eine Sicht der Dinge, die der pelagianischen Perspektive in mehrfacher Hinsicht entschieden näher ist als der Auffassung Augustins. LITERATURVERZEICHNIS Primärliteratur Augustinus: Confessiones – Bekenntnisse (Lat./Dt.), übersetzt, herausgegeben und kommentiert von Kurt Flasch / Burkhard Mojsisch, Stuttgart 2009. -: Gegen Julian VI Bücher, Text und Übersetzung, übertragen von Rochus Habitzky, bearbeitet und herausgegeben von Thomas Gerhard Ring OSA, Würzburg 2005. -: Vom Gottesstaat – De civitate dei, 2 Bde., aus dem Lateinischen übertragen von Wilhelm Thimme, eingeleitet und kommentiert von Carl Andresen, München 19974. Marcus Tullius Cicero: De finibus bonorum et malorum – Über das höchste Gut und das größte Übel (Lat./Dt.), übersetzt und herausgegeben von Harald Merklin, Stuttgart 2007. -: De natura deorum – Über das Wesen der Götter (Lat./Dt.), übersetzt und herausgegeben von Ursula Blank-Sangmeister, Nachwort von Klaus Thraede, Stuttgart 2011. -: De officiis – Vom pflichtgemäßen Handeln (Lat./Dt.), übersetzt, kommentiert und herausgegeben von Heinz Gunermann, Stuttgart 2005. -: Philippische Reden gegen M. Antonius. Erste und zweite Rede (Lat./Dt.), übersetzt und herausgegeben von Marion Giebel, Stuttgart 2016. -: Sämtliche Reden, Ausgabe in sieben Bänden, eingeleitet, übersetzt und erläutert von Manfred Fuhrmann, Zürich 1970-1982. -: Tusculanae disputationes – Gespräche in Tusculum (Lat./Dt.), übersetzt und herausgegeben von Ernst Alfred Kirfel, Stuttgart 2008. Dion Chrysostomus: Sämtliche Reden, eingeleitet, übersetzt und erläutert von Winfried Elliger, Zürich/Stuttgart 1967. Epiktet: Handbüchlein der Moral (Gr./Dt.), übersetzt und herausgegeben von Kurt Steinmann, Stuttgart 1992. Long, Anthony A. / Sedley, David N.: Die hellenistischen Philosophen. Texte und Kommentare, übersetzt von Karlheinz Hülser, Stuttgart/Weimar 2006. (Sigle: LS) Lutz, Cora: Musonius Rufus. The Roman Socrates, New Haven 1947 (Yale Classical Studies 10). Mansfeld, Jaap / Primavesi, Oliver: Die Vorsokratiker (Gr./Dt.), Stuttgart 2011. Marcus Aurelius Antoninus: Selbstbetrachtungen, Übersetzung, Einleitung und Anmerkungen von Albert Wittstock, Stuttgart 2007.
117 Cicero ist in dieser Hinsicht wie die Stoiker ein Vertreter der Suffizienzthese, wonach die Tugend notwendig und hinreichend für das Glück ist. Vgl. Woolf (2001), 245. 118 In retract. 1,2 (426/7 n. Chr.) kritisiert Augustin ausdrücklich, dass er in De beata vita (386 n. Chr.) das Glück als in diesem Leben realisierbar angesehen habe. 119 Vgl. epist. 130,9,18.
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Origenes: Acht Bücher gegen Celsus. I. Teil (Buch I–IV), übersetzt von Paul Koetschau, München 1926 (Bibliothek der Kirchenväter). Platon: Der Staat – Politeia, übersetzt und herausgegeben von Karl Vretska, Stuttgart 2004. -: Symposion (Gr./Dt.), übersetzt und herausgegeben von Thomas Paulsen / Rudolf Rehn. Stuttgart 2009. -: Timaios (Gr./Dt.), Übersetzung, Anmerkungen und Nachwort von Thomas Paulsen / Rudolf Rehn. Stuttgart 2003. Polybios: Geschichte, Gesamtausgabe in zwei Bänden, eingeleitet und übertragen von Hans Drexler, Zürich 1963. Sallust: Werke (Lat./Dt.), herausgegeben und übersetzt von Werner Eisenhut und Josef Lindauer, Zürich 1994. Lucius Annaeus Seneca: Briefe an Lucilius, aus dem Lateinischen übersetzt von Heinz Gunermann / Franz Loretto / Rainer Rauthe, herausgegeben, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Marion Giebel, Stuttgart 2014. -: De tranquillitate animi – Über die Ausgeglichenheit der Seele (Lat./Dt.), übersetzt und herausgegeben von Heinz Gunermann, Stuttgart 2012. Sextus Empiricus: Grundriß der pyrrhonischen Skepsis. Eingeleitet und übersetzt von Malte Hossenfelder, Frankfurt am Main 1986. Johannes Stobaios: Eclogae physicae et ethicae – florilegium, recensuerunt Curtius Wachsmuth et Otto Hense, 5 Bde., Berlin 1884-1912 (Nachdruck 1974). Stoicorum Veterum Fragmenta, 3 Bde., collegit Joannes ab Arnim, Leipzig 1903-1905, Register (Bd. 4) erstellt von Maximilian Adler, Leipzig 1924 (Nachdruck der 4 Bde. Stuttgart 1968). (Sigle: SVF)
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PORTRAIT OF THE SKEPTIC AS A YOUNG MAN Ciceros De natura deorum im Lichte von David Hume Jörn Müller David Humes Dialogues concerning Natural Religion (ab hier: DNR) sind eines der eindrucksvollsten Zeugnisse der Rezeptions- und Wirkungsgeschichte Ciceros in der neuzeitlichen Philosophie. Schon den gebildeten Zeitgenossen im 18. Jahrhundert ist kaum verborgen geblieben, was die moderne Hume-Forschung mittlerweile nahezu unisono konstatiert: Ciceros Werk De natura deorum (ab hier: nat. deor.) ist das literarische Modell, an dem sich Hume in seinen Dialogen orientiert hat.1 Ein kurzer erster Blick macht das schon deutlich. In DNR lässt Hume drei Protagonisten mit antikisierten – allerdings nicht römischen, sondern griechischen – Namen über die zentrale Frage der sog. natürlichen Religion oder Theologie diskutieren: Was können wir mittels der natürlichen, d.h. nicht durch Offenbarung unterstützten oder angeleiteten Vernunft über die Existenz und das Wesen Gottes wissen?2 Cleanthes und Demea vertreten dabei ganz verschieden akzentuierte Formen des Theismus, während Philo sich als skeptischer Kritiker der (natürlichen) Religion gibt und die unterschiedlichen Argumente seiner beiden Mitunterredner immer wieder attackiert bzw. zu unterminieren versucht. Jede Leserin, die mit der Gesprächskonstellation bei Cicero auch nur vage vertraut ist, wird hier unweigerlich ein Déjà-vu-Erlebnis haben. Denn auch in nat. deor. duellieren sich zwei philosophische Dogmatiker, der Epikureer Velleius und der Stoiker Balbus, mit Cotta als einem Vertreter der neuen, und d.h. skeptischen Akademie über die Eigenschaften der Götter und deren rationale Erkennbarkeit.3 Die offensichtlichste Parallele zwischen den zwei Schriften findet sich dann jeweils im letzten Satz, in dem in beiden Werken eine Bewertung der Debatten abgegeben wird. Bei Hume lautet dieses Schlussurteil wie folgt: „[N]ach einem ernsthaften Rückblick auf das Ganze muss ich gestehen, dass ich nicht umhin kann zu denken, dass Philos Grundsätze wahrscheinlicher sind als die von Demea vertretenen, dass aber diejenigen des Cleanthes der Wahrheit noch näher kommen.“ (DNR 1
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Vgl. Jones (1982), 29: „Every educated reader could discern at the time of its posthumous publication, that Hume’s Dialogues concerning Natural Religion was modelled on Cicero’s De Natura Deorum.“ Vgl. auch Gaskin (1993), xxi: „De natura Deorum is Hume’s philosophical and literary model.“ Zur äußerst positiven Rezeption von Ciceros nat. deor. in der Aufklärung (z.B. bei Rousseau, Diderot und Montesquieu) vgl. Battersby (1979), 239. Zum Verständnis von natürlicher Religion, das hier im Spiel ist, vgl. Kreimendahl (2012), 9– 11. Zu den vier Themenfeldern der Diskussion, die an die Peri-theôn-Traktate der hellenistischen Zeit angelehnt sind, vgl. nat. deor. 2,3.
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12 [35]; Übers. Kreimendahl)4 Das ist zwar nicht – wie manchmal zu lesen ist – eine wörtliche Übersetzung des Schlusses von nat. deor.,5 aber zumindest ein sehr laut klingendes Echo dieser Passage: „Nachdem dies gesagt worden war, trennten wir uns in dem Sinne, dass Velleius der Vortrag Cottas der Wahrheit näher zu kommen schien, ich dagegen der Meinung war, die Rede des Balbus habe eher die Neigung, der Wahrheit ähnlich zu sein.“ (nat. deor. 3,95; Übers. Gigon)6 Eine wesentliche Gemeinsamkeit zwischen beiden Schriften bzw. ihrer Rezeption liegt nun in der – gelinde formuliert – etwas verwunderten Reaktion vieler späterer Interpreten auf dieses abschließende Urteil. Denn sowohl Cicero als auch Hume gelten, bei allen hier erforderlichen Differenzierungen und Schattierungen, in ihrer philosophischen Grundhaltung als Skeptiker. Wie kann es dann aber sein, dass in ihren beiden Schriften in einer so zentralen Frage letztlich doch jeweils einer ‚dogmatischen‘ Position (Balbus bei Cicero, Cleanthes bei Hume) die Siegespalme für die dargestellte Unterredung überreicht wird – und nicht dem Skeptiker (also Cotta bzw. Philo)? Zudem schätzen viele (moderne) Leser den Verlauf der vorhergehenden Debatte ganz anders ein: So wie Cotta sowohl die epikureische als auch die stoische Theologie letztlich sturmreif geschossen habe, sei es auch Philo gelungen, die theistischen Positionen seiner Mitunterredner – und dabei v. a. das von Cleanthes vertretene argument from design der natürlichen Theologie – zu widerlegen. Nicht ganz überraschend ist nun, dass sich in beiden Fällen auch die Antwortstrategien in der modernen Forschung für diese in der Tat nicht leicht zu durchschauende Problematik ähneln.7 Grundsätzlich lässt sich erst einmal zwischen literalen und nicht-literalen Lesarten unterscheiden:8 Letztere halten das abschließende 4
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Hume DNR 12 [35] (ed. Price, p. 261): „so, I confess, that, upon a serious Review of the Whole, I cannot but think, that Philo’s Principles are more probable than Demea’s; but that those of Cleanthes approach still nearer to the Truth.“ Ich zitiere das englische Original jeweils nach der hier genannten Edition, die auch die Grundlage für die neueste deutsche Übersetzung von Lothar Kreimendahl in der Philosophischen Bibliothek ist, welche ich hier und im Folgenden in leicht modifizierter Form verwende. Kreimendahl führt eine in den englischen Editionen nicht vorhandene Paragraphen-Zählung ein, die aber für eine schnelle Auffindbarkeit der jeweiligen Stellen hilfreich ist und deshalb auch von mir bei den Zitationen übernommen wird. Vgl. etwa Carabelli (1968), 109 („traduzione letterale dell’ultima frase del De natura deorum“). Eine genauere Analyse der Abweichungen im Wortlaut und ihrer inhaltlichen Signifikanz erfolgt unten, in Teil 4. Cicero, nat. deor. 3,95: Haec cum essent dicta, ita discessimus, ut Velleio Cottae disputatio verior, mihi Balbi ad veritatis similitudinem videretur esse propensior. Im Folgenden verwende ich auch weiterhin die schon im Text zitierte Übersetzung von O. Gigon aus der Sammlung Tusculum, ggf. mit leichten Veränderungen. Gute Überblicke zu den prinzipiellen Deutungsmöglichkeiten des Schlusses bieten für Cicero: Pease (1913) und (1955), 33–36; Taran (1987); DeFilippo (2000); für Hume vgl. Dancy (1995). Daneben gibt es noch eine Reihe von anders gelagerten Erklärungen, wie z.B. die von Levine (1958), 149–151, der von einer massiven Umarbeitung des Dialogs durch Cicero ausgeht, die letztlich einige Widersprüche im revidierten Text übriggelassen habe. Pease (1913) meint, Cicero sei es in nat. deor. primär an einer deskriptiven Darlegung der Theologie-Entwürfe der verschiedenen Schulen gelegen und weniger an einer normativ intendierten Entscheidung der Polemik zwischen ihnen. Keine dieser alternativen Deutungen hat sich aber nachhaltig in der
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Urteil in beiden Fällen für ein „Ablenkungsmanöver“9 bzw. eine bloße Nebelkerze, mit dem die Autoren ihre wahren Auffassungen vor dem Publikum verschleiern wollen, um sich nicht dem Vorwurf der Asebie oder Irreligiosität ausgesetzt zu sehen, der ja in Sokrates schon ein prominentes philosophisches Opfer gefordert hatte.10 Der Satz wäre dann reine Camouflage, die man als bloße Schutzbehauptung inhaltlich nicht ernst nehmen sollte. Der Nachteil dieser prima facie zumindest psychologisch plausibel wirkenden Lesart ist aber, dass sie in beiden Fällen nicht richtig zu greifen scheint: Im Falle Ciceros lässt sich z.B. ins Feld führen, dass er in der nachfolgenden Schrift De divinatione eine nachhaltige Kritik an der Mantik übt, also an einer für die römische Religion zentralen Praktik (z.B. in Form von Auspizien und Haruspizien) – und das auch noch in persona und nicht im Munde eines anderen Protagonisten wie in nat. deor. Das spricht nicht für eine übermäßig große Furcht seinerseits vor einem odium theologicum in der Phase der Abfassung der beiden Schriften (45/44 v. Chr.). Bei Hume ist nicht zuletzt die recht komplexe Abfassungs- bzw. Editionsgeschichte von DNR zu bedenken:11 Nach einer in den frühen 1750er Jahren abgeschlossenen Fassung hat er seine Schrift noch zweimal überarbeitet, nämlich Anfang der 1760er Jahre und endgültig im Jahr 1776, wenige Wochen vor seinem Tod, und zwar schon im Blick auf die posthume Publikation (1779), die ihm sehr am Herzen lag. Bei dieser letzten Redaktion, die durchaus einige signifikante Änderungen und Erweiterungen beinhaltete, hätte Hume also zumindest keinen unmittelbaren persönlichen Schaden mehr zu fürchten gehabt, wenn er den wohl schon von Anfang an so im Manuskript stehenden Schlusssatz gestrichen oder sogar zu Gunsten der von ihm eigentlich favorisierten Richtung des Skeptizismus abgewandelt hätte. Die Waage hat sich deshalb in der Forschung immer stärker auf die Seite einer literalen Lesart geneigt, sowohl bei Cicero als auch bei Hume: Man solle den Satz so nehmen und interpretieren, wie er sich in der Vorlage findet, anstatt ihn als unaufrichtiges Manöver zu identifizieren und somit inhaltlich zu neutralisieren. Eine in jüngster Zeit oft gewählte Strategie besteht z.B. darin, doch einen Keil zwischen den Autor und den skeptischen Protagonisten des Dialogs zu treiben. Cotta spreche nicht oder zumindest nicht in allen Punkten für Cicero,12 und Philo stehe nicht
Cicero-Forschung etablieren können. Eine originelle Deutung von Humes Schluss abseits der Unterscheidung von literalen und nicht-literalen bzw. ironischen Interpretationen findet sich etwa bei Dancy (1995): Hume konstruiere DNR bewusst als nicht-interpretierbaren Dialog, bei dem es viele Stimmen gebe, von denen aber keine für Hume spreche. Sein an der postmodernen Literaturtheorie und der These vom ‚Tod des Autors‘ geschultes Fazit lautet dann konsequenterweise: „the message of the Dialogues is that no author can be constructed; the message of the world is that no God can be constructed.“ (ebd., 50). 9 Craig (1979), 123. 10 Diese Lesart findet sich z.B. schon bei Augustinus, civ. 4,30 und 5,9, der meint, dass Cicero lediglich seinen Atheismus verschleiern wollte. 11 Vgl. hierzu Smith (1935), 110–121, und Price (1976), 105–128. 12 Ein gutes Beispiel für eine Lesart, die Cicero von Cotta dissoziiert und dadurch das Schlussurteil zu Gunsten der Stoa plausibilisiert, liefert DeFilippo (2000).
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einfach für Hume, wie es lange Zeit angenommen worden ist.13 Mit dem Schlussurteil vollziehe der jeweilige Autor eine Distanzierung von seiner, die aber keineswegs mit einer grundsätzlichen Relativierung oder gar einer Aufgabe des skeptischen Standpunktes gleichzusetzen sei. Ansätze dieser Art konzentrieren sich im Allgemeinen auf den Versuch einer Rekonstruktion der ‚wirklichen‘ Autorenintention hinter dem dialogisch inszenierten Geschehen, wobei dann sehr häufig ‚externe‘ Evidenzen aus anderen Schriften der beiden Autoren herangezogen werden, um den scheinbaren Meinungswandel am Ende der Werke zu deuten. Dies möge als grob skizzierte Problem- und Ausgangslage, die im Laufe des Textes noch punktuell weiter verfeinert und angereichert wird, erst einmal genügen. Mein Ansatz zum Verständnis dieser enigmatischen Schlusspassagen unterscheidet sich von der Mehrzahl der vorangehenden Deutungen dadurch, dass er einen Erklärungsweg beschreitet, der möglichst dialogintern bleibt. Aus meiner Sicht gibt es in beiden Dialogen einige literarische und auch dramaturgische Fingerzeige, wie man diesen Schluss verstehen kann, ohne gleich auf das Gesamtwerk der beiden Autoren auszugreifen. Meine methodische Vorgehensweise mag dabei auf den ersten Blick überraschen: Denn ich werde versuchen, Ciceros Text quasi im Spiegel von Humes DNR zu lesen. Beide Texte verbindet nämlich ein bisher in der Forschung nicht hinreichend gewürdigtes Grundmotiv, und zwar das spannungsreiche Verhältnis zwischen einem erzählten Ich im Dialog, das jeweils ein junger Mann ist, und einem erzählenden Ich, das auf das dargestellte Dialoggeschehen – inklusive der eigenen Person – mit einem bestimmten zeitlichen Abstand zurückschaut. Nimmt man dieses Motiv hermeneutisch ernst, dann eröffnen sich in beiden Werken neue Deutungsmöglichkeiten für den jeweiligen Schluss. Da mir dieses Grundmotiv in der literarischen Gestaltung der DNR etwas deutlicher zu werden scheint als in nat. deor., wird sich meine Analyse insgesamt auf Humes Text fokussieren und von da aus wieder zu Cicero ‚überblenden‘. Dieses intertextuelle Verfahren geht zurück auf eine aus intensiver ‚paarweiser‘ Lektüre der beiden Schriften gereifte Grundintuition: Ich denke, dass Hume in seinen Dialogues unter der Hand sogar einen originellen Interpretationsweg für den von ihm ‚übernommenen‘ Schluss Ciceros eröffnet hat, der für letzteren in hohem Maße bedenkenswert ist. Um diese Grundintuition zu konkretisieren und zu plausibilisieren, gehe ich folgendermaßen vor: Zuerst werde ich holzschnittartig den Rahmen abstecken, in dem die Rezeption von Ciceros nat. deor. bei Hume angesiedelt ist (Teil 1). Hierauf folgt ein Vergleich der beiden Werke im Blick auf ihre literarische Anlage, und 13 In der Hume-Forschung wurde interessanterweise sogar früher eine briefliche Äußerung von Hume (10. März 1751 an Gilbert Elliot, abgedruckt bei Gaskin 1993, 25–28), dass Cleanthes der Held des Dialogs („Hero of the Dialogue“: ebd., 25) sei, in Kombination mit dem Schlussurteil für bare Münze genommen; vgl. hierzu Smith (1935), 73–76, der gemeinsam mit Mossner (1936) die dann bis in die jüngere Zeit alternative kanonische Deutung etabliert hat, dass Philo das Sprachrohr für Hume ist. Neuere Forschungen, die auch zunehmend den dialogischen Charakter des Werks in Anschlag gebracht haben, sind wesentlich vorsichtiger mit solchen direkten Identifikationen; vgl. etwa die jüngste Studie von Fogelin (2017), der resümiert: „the entire dialectical structure of the Dialogues speaks for Hume“ (ebd., 101). Dann erscheint aber auch der Schluss von DNR in einem ganz anderen Licht.
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zwar mit besonderem Fokus auf der Figurenkonstellation (Teil 2). Hieraus ergeben sich schon einige Weichenstellungen für die inhaltliche Analyse, die sich in zwei größeren Blöcken gestaltet: Zuerst wird es um die Vorreden und den Anfang der jeweiligen Unterredungen gehen (Teil 3); von da aus lässt sich in Form einer angedeuteten Ringstruktur direkt zum Ende der Gespräche und zum Schluss der Dialoge überleiten (Teil 4). Wie oben schon verdeutlicht, nimmt die Analyse jeweils bei Hume ihren Ausgang und arbeitet auf Parallelen in nat. deor. hin; in meinen abschließenden Überlegungen wird der Fokus dann aber auf Cicero liegen: Wie kann man den zitierten Schluss von nat. deor. unter den Prämissen dieser intertextuell konfigurierten Lesart deuten (Teil 5)? Im Ergebnis wird sich zeigen, dass sowohl in Ciceros als auch – daran angelehnt – in Humes Dialogen eine bewusst gestaltete ‚Entwicklungsgeschichte‘ versteckt ist, deren Verständnis einige der Rätsel auflösen könnte. 1. HUME UND CICERO: SKEPTISCHES UND DIALOGISCHES ERBE IN DER RELIGIONSPHILOSOPHIE Die massive Präsenz von Cicero im Schrifttum des schottischen Philosophen ist ein nicht zu bestreitendes Faktum. Bereits in Humes frühen Notizen (Early Memoranda), die der Publikation seiner philosophischen Erstlingsschrift (Treatise of Human Nature, 1739/40) vorangehen, finden sich allein zehn namentliche Erwähnungen Ciceros.14 Das ist schon wegweisend für die späteren Hauptwerke Humes, in denen Cicero mehr als fünfzig Mal explizit erwähnt wird, und zwar in einer Breite, die auf die Kenntnis aller seiner damals verfügbaren Werke schließen lässt.15 Die moderne Hume-Forschung ist sich daher auch cum grano salis einig, dass Cicero abseits dieser positivistisch abzählbaren Rezeption einen nachhaltigen philosophischen Einfluss auf Hume ausgeübt hat, u. a. in zwei Bereichen, die für eine intertextuelle Lektüre von nat. deor. und DNR eine zentrale Rolle spielen: Humes eigene philosophische Haltung weist insgesamt große Ähnlichkeiten mit der Form des akademischen Skeptizismus auf, wie sie Cicero in seinen Academica und in nat. deor. propagiert.16 Hume unterscheidet im 11. Teil seines Enquiry concerning Human Understanding zwei Varianten des Skeptizismus: „Pyrrhonism, or excessive scepticism“, der alles grundsätzlich in Frage stellt und deshalb nicht ohne weiteres lebbar ist, und eine gemäßigte Form des Skeptizismus („a more mitigated scepticism or academical philosophy“).17 Er entscheidet sich dabei für 14 Vgl. Mossner (1948), no. II,11.17; III,89-91.111.116.123.133.209. Eine davon (II.11) ist direkt auf nat. deor. bezogen, hat aber einen kritischen Unterton: Hume sieht eine Inkonsistenz im Referat der antiken Theologien in der Velleius-Rede. 15 Vgl. Jones (1982), 29–43. 16 Vgl. Gaskin (1993), xx-xxi, und Fosl (1994), bes. 103–106. 17 Vgl. hierzu Humes Enquiry concerning Human Understanding, sect. XII, part 3 (ed. SelbyBigge, p. 161f.). Für Humes „mitigated scepticism“ vgl. auch Gaskin (1988), Kap. 5–7. Contra: Popkin (1980), 103: „Hume himself, actually maintained the only ‘consistent’ Pyrrhonian point of view.“
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letzteren, der dann im Übrigen auch die Form des Skeptizismus ist, die sich Philo in DNR gegen die Kritik von Cleanthes zu eigen macht (vgl. DNR 1 [9-10]). Die Hume-Forschung der letzten Jahre hat mit immer größerer Feinkörnigkeit die ciceronianischen Anleihen und Einflüsse herausgearbeitet, die im Bereich der religionsphilosophischen Ausführungen und Auffassungen Humes nachweisbar sind.18 Hier betritt man allerdings ein hermeneutisches Minenfeld, denn worin genau diese Überzeugungen bei Hume bestehen, ist in der Literatur höchst umstritten:19 Der Stilisierung Humes als eines (bestenfalls mühsam camouflierten) Atheisten steht v. a. die These eines ‚abgeschwächten Deismus’ (attenuated Deism)20 entgegen, der sich auch in Philos Schlusserklärung im Teil 12 von DNR zeigen soll – eine scheinbare Wendung oder Umkehr gegenüber seiner religionskritischen Haltung in den vorherigen Teilen des Dialogs, die den modernen Interpreten mindestens ebenso viele Rätsel aufgegeben hat wie die Schlussworte des Werks.21 Nun gibt es auch außerhalb von DNR einige Passagen in den Briefen und Werken Humes, die einen blanken Atheismus eher unplausibel erscheinen lassen;22 aber die Rekonstruktion des präzisen Gehalts dieser Position beruht oft genug primär auf einer Analyse von Passagen aus DNR und setzt so – in etwas zirkelhafter Manier – die Identifikation Humes mit Philo voraus,23 die in der Forschung ja ihrerseits nicht mehr als unumstritten gelten kann. Hinzu kommt, dass eben auch die religionsphilosophische Haltung Ciceros – nicht zuletzt mit Blick auf die Schlussformel von nat. deor. – alles andere als eindeutig ist. Vor dem Hintergrund des soeben beschriebenen Dilemmas liegt es nahe, sich zuerst einmal anzusehen, wie Hume selbst sich explizit zu Ciceros religionsphilosophischen Auffassungen im Allgemeinen und zu nat. deor. im Besonderen geäußert hat. Folgende Passagen springen dabei ins Auge: In seiner 1757 publizierten Natural History of Religion (ab hier: NHR) charakterisiert Hume zunächst Ciceros Haltung in Sachen Religion als eine etwas widersprüchliche Angelegenheit: Während er sich in seinen Schriften und philosophischen Gesprächen durchaus einige skeptische Freiheiten herausgenommen habe, sei er im familiären Kontext stets bemüht gewesen, als „frommer Religionsanhänger“ (devout religionist [ed. Colver, p. 73]) zu erscheinen und jeden Anschein eines bloß weltlich orientierten Vernunftglaubens (imputation of deism and profaneness, ebd.) zu vermeiden. Diesen zur Schau getragenen Fideismus hält Hume
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Vgl. Battersby (1979); Jones (1982), Kap. 2; Fosl (1994); Eva (2013). Vgl. O’Connor (2001), 14–19. Vgl. Gaskin (1983). In der englischsprachigen Literatur wird hier meist von „Philo’s turn“ gesprochen. Vgl. etwa folgende Äußerung aus der „Introduction“ von Humes Natural History of Religion: „The whole frame of nature bespeaks an intelligent author; and no rational enquirer can, after serious reflection, suspend his belief a moment with regard to the primary principles of genuine Theism and Religion.“ (ed. Colver, p. 25) Eine Sammlung einschlägiger Stellen für die Annahme einer Existenz Gottes in Humes Œuvre bietet Gaskin (1983), 164. 23 Vgl. z.B. Eva (2013).
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allerdings für eine Fassade.24 Das klingt zwar auf den ersten Blick eher kritisch – nämlich nach dem Vorwurf der scheinheiligen Heuchelei –, aber insgesamt beurteilt Hume das Verhältnis Ciceros zur Religion positiv, und zwar vielleicht gerade wegen dieser etwas schwankenden Uneindeutigkeit.25 In religionsphilosophischer Hinsicht schreibt Hume Cicero allerdings eine klar skeptische Haltung zu. Letzterer sei selbst nicht geneigt, die antiken theologischen Schulstreitigkeiten in diesem Bereich zu entscheiden; und diese Haltung manifestiere sich regelrecht in der Inszenierung von nat. deor., wo er stattdessen seine Freunde über die Existenz und das Wesen Gottes disputieren lasse.26 Dabei äußert Hume sich v. a. explizit zur Rolle Cottas, den er als einen aufklärerischen Mythenzerstörer im Blick auf die in Rom angesiedelten religiösen Praktiken charakterisiert: And it was the chief business of the sceptical philosophers to show that there was no more foundation for one [scil. religious practice; J.M.] than the other. This is the artifice of Cotta in the dialogues concerning the nature of the gods. He refutes the whole system of mythology by leading the orthodox gradually, from the more momentous stories, which were believed, to the more frivolous, which every one ridiculed (…). His master, Carneades, had employed the same method of reasoning.27
Aus diesen etwas fragmentarischen Bemerkungen lässt sich zumindest ein Punkt in wünschenswerter Deutlichkeit etablieren: Die religionsphilosophische Haltung Ciceros sieht Hume als eine der skeptischen Reserve, sodass er auch den Schluss von nat. deor. nicht als ein ‚dogmatisches‘ Bekenntnis Ciceros zur Theologie der Stoa gewertet hat (der gegenüber Hume – wie gleich noch deutlicher wird – auch selbst eine kritisch-distanzierte Haltung pflegte). Die Wahl der spezifischen Dialogform in nat. deor., bei der Cicero selbst nicht an den eigentlichen Disputationen teilnimmt, wird von Hume explizit als Ausdruck dieser skeptischen Haltung ausgelegt.
24 Vgl. Hume, NHR 12 (ed. Colver, p. 79): „The same Cicero, who affected, in his own family, to appear a devout religionist, makes no scruple, in a public court of judication, of treating the doctrine of a future state as a ridiculous fable, to which no body could give any attention.“ 25 Zu diesem Resultat kommt auch die Analyse von Jones (1982), 86: „Hume pointedly commends Cicero for his attitude towards religion.“ 26 Hume, Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences, in: Philosophical Works, ed. Green/Grose, vol. 3, p. 188: „Cicero being a great sceptic in matters of religion, and unwilling to determinate anything on that head among the different sects of philosophy, introduces his friends disputing concerning the being and nature of the gods, while he is only a hearer.“ Die Rolle als Hörer habe sich Cicero absichtlich zugeteilt, weil er ansonsten im Stile seiner sonstigen Dialoge „something decisive on the subject“ hätte äußern müssen. Den Schluss von nat. deor. sieht Hume also offensichtlich nicht als grundlegende Stellungnahme Ciceros. Dieser Absatz hat eine sehr wechselhafte Geschichte in den verschiedenen Ausgaben von Humes Essays erfahren, in denen er nicht immer enthalten ist; vgl. hierzu Carabelli (1968), 109, nt. 2, sowie Fosl (1994), 116, nt. 12. 27 NHR 12 (ed. Colver, p. 80). Hume rekurriert hier auf Sextus Empiricus. Morrisroe (1969) zeigt am Beispiel dieser Stelle sehr instruktiv, wie Hume die rhetorische Strategie Ciceros aus nat. deor. übernimmt und für seine Zwecke umarbeitet. Eine weitere direkte Referenz aus nat. deor. findet sich in NHR 12 (ed. Colver, p. 71), wo Hume die Kritik von Cotta an anthropomorphen Götterbildern aufgreift.
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Hume unterscheidet dabei offensichtlich auch zwischen der Dialogfigur Cotta und dem Autor Cicero. Dieser Befund ist insofern bemerkenswert, als er sich mit Humes eigener literarischer Praxis in Sachen Religionsphilosophie deckt. Hume schreibt – wie so viele neuzeitliche und moderne Philosophen – überwiegend in Gestalt von Abhandlungen (also treatises bzw. enquiries). Aber in drei Schriften verwendet er gezielt die Dialogform,28 und davon sind zwei religionsphilosophischer Natur: Neben DNR rekurriert er nämlich auch im 11. Teil seines Enquiry concerning Human Understanding auf eine dialogische Gestaltung. Dort übernimmt ein ungenannter Gesprächspartner Humes die Rolle Epikurs und argumentiert im Gespräch mit der – durch Hume selbst repräsentierten – Bevölkerung Athens in skeptischer Absicht gegen eine Überdehnung des argument from design in der natürlichen Theologie.29 Offensichtlich gibt es also eine Tendenz bei Hume, religionsphilosophische Fragen im antikisierenden Gewand zu thematisieren und dafür die Dialogform zu verwenden. Für diese Darstellungsweise findet sich dann auch im ‚Prolog‘ zu DNR eine explizite Begründung: Sie sei dem zu verhandelnden Gegenstand in besonderem Maße angemessen.30 Denn die Dialogform eigne sich in der Philosophie grundsätzlich für zwei Arten von Gegenständen: (a) für solche Lehren, deren Richtigkeit so offenkundig ist, dass man kaum über sie streiten kann, die aber zugleich so wichtig sind, dass man sie dem Leser gar nicht oft genug einschärfen kann; (b) für philosophische Fragen, die in sich so unklar und schwierig sind, dass die Vernunft an ihre Grenzen kommt.31 Denn gerade in unentscheidbaren Fragen sei das Austragen von Meinungsdifferenzen in dialogischer Form auch unter sozialen Gesichtspunkten die richtige Herangehensweise. Das Problem der natürlichen Religion vereint – so die Überlegung in der Vorrede – auf glücklichste Weise diese beiden Charakteristika: Denn die Existenz Gottes genügt dem Kriterium (a), die Frage nach seinem Wesen
28 Vgl. zur Verwendung der Dialogform bei Hume die Analysen bei Gräfrath (1990). Müller (1980), 15, meint, dass schon die vier „Philosophen-Essays“ (s.u., Anm. 56) eine Art Einübung in die Dialogform bilden. 29 Der Teil XI des Enquiry concerning Human Understanding: „Of a Particular Providence and a Future State“ hieß 1748 in der ersten Auflage des Werks noch „Of the Practical Consequences of Natural Religion“; vgl. hierzu Gräfrath (1990), 129–131. 30 Angemerkt sei bereits hier, dass ich diese Begründung letztlich für eine Überlegung des Autors Hume halte, auch wenn er sie seinem Erzähler (und offiziell auch Schreiber) des Dialogs, also Pamphilus, übereignet. Das ist nicht unstrittig; vgl. z.B. Dancy (1995), 30, der meint, dass man alles, was Pamphilus sagt, nicht ernst nehmen dürfe, erst recht nicht die Begründung für die Dialogform. Für meine Überlegungen dazu, warum Hume gerade Pamphilus diese Überlegungen in den Mund legt, vgl. unten, Teil 4. 31 Vgl. DNR, praef. [4] (ed. Price, p. 144): „Any Question of Philosophy, on the other hand which is so obscure and uncertain, that human Reason can reach no fixed Determination with regard to it; if it should be treated at all; seems to lead us naturally into the Style of Dialogue and Conversation.“
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dem Kriterium (b).32 Deshalb sei hier der Dialog die angemessene Form der Behandlung dieser religionsphilosophischen Thematik. Diese metatheoretische Reflexion hat ihren Anker bei Cicero: In nat. deor wird mehrfach betont, dass die Frage nach der Existenz Gottes sich nicht als eigentliches Problem stellt; denn diese wird ohnehin von den Diskutanden unisono bejaht (nat. deor. 1,43f.; 2,4; 3,7) und wird gerade deshalb von Cicero selbst in seinem Proömium als „in höchstem Maße wahrscheinlich“ (maxime verisimile: 1,2) deklariert; trotzdem wird dieses Thema keineswegs ausgespart, sondern recht ausführlich behandelt (cf. 2,4-44; 3,7-64). Die wahren Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Philosophenschulen richten sich dennoch auf die schon im Titel des Werks invozierte „Natur der Götter“, näherhin auf deren Eigenschaften33 und insbesondere auf ihr Verhältnis zur Welt34 – hier liegt der eigentliche dissensus philosophorum und der Problemkern, der sich als ebenso perobscura wie auch als wichtig für das menschliche Erkennen und den richtigen Umgang mit der Religion darstellt (nat. deor. 1,1.17). Cicero präfiguriert hier die in der späteren Scholastik und ihren Überlegungen zur Reichweite der menschlichen Vernunft für theologische Probleme zentrale Unterscheidung von Existenz und Essenz Gottes.35 In der Vorrede von DNR verarbeitet Hume diese Differenzierung zu einer zugleich paradox und originell wirkenden Begründung dafür, dass religionsphilosophische Probleme besser nicht als Traktat, sondern im Dialog behandelt werden sollten. Dabei wird freilich davor gewarnt, dass diese Darstellungsform durchaus in der Gefahr steht, in einen zu belehrenden Duktus überzugehen (DNR, praef. [1]) – ein Problem, das Hume im Übrigen auch des Öfteren in der Gesprächsführung Ciceros sieht, wenn die Asymmetrie der Gesprächspartner zu offensichtlich ist.36 Hier wird bereits ein Leitmotiv angespielt, das im weiteren Verlauf eine zentrale Rolle spielt (s.u., Teil 3), nämlich das Verhältnis von Schülern und Lehrern in seinen pädagogischen Dimensionen. Als Zwischenresultat lässt sich zumindest schon einmal festhalten, dass Humes Verständnis von Cicero als Religionsskeptiker und von nat. deor. als Ausdruck 32 Vgl. DNR, praef. [5] (ed. Price, p. 144f.): „What Truth so obvious, so certain, as the Being of a God, which the most ignorant Ages have acknowledged; […] But in treating of this obvious and important Truth; what obscure Questions occur, concerning the Nature of that divine Being; his Attributes, his Decrees, his Plan of Providence?” 33 Damit sind primär ihre Gestalt, ihr Aufenthaltsort und ihre Lebensweise gemeint; vgl. nat. deor. 1,3. 34 Hier geht es um die v. a. zwischen den Epikureern und den Stoikern anhängigen Fragen, ob die Götter die Welt geschaffen haben, ob sie diese speziell für die Menschen eingerichtet haben und ob sie sich um das Schicksal der Menschen kümmern (πρόνοια bzw. providentia); vgl. nat. deor. 1,2-5. 35 Contra: Gawlick (1956), 3f., der diese Unterscheidung für Cicero als anachronistisch sieht. Aber schon in den stoischen Peri-theôn-Traktaten wird zwischen der Existenz der Götter und anderen Bestimmungen unterschieden; vgl. auch die von Balbus vorgenommene partitio in nat. deor. 2,3: Er behandle nachfolgend (a) Existenz; (b) Eigenschaften (quales); (c) Verwaltung der Welt; (d) Sorge für die Menschen. 36 Zur Kritik Humes am Umgang von Cicero mit anderen Dialogfiguren, die oft eher als Schüler behandelt werden, vgl. Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences, in: Selected Essays, ed. Copley/Edgar, p. 79f.
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dieser Haltung plausibilisiert, weshalb er dieses Werk als eine Art Modell für seine eigenen Ausführungen wählt. Dabei ist er auch an der richtigen Adresse, denn schon im Proömium dieses Werks sind „alle Motive des ciceronianischen Denkens wie in einem Brennpunkt zusammengefaßt“37. Wie weit reicht nun diese Anlehnung Humes in DNR an nat. deor. bei einem näheren Blick auf die Texte? 2. HUMES DIALOGUES UND CICEROS DE NATURA DEORUM: KREATIVE AEMULATION STATT BLOßER IMITATION In der Forschung herrscht weitgehender Konsens darüber, dass sich die Anknüpfung von Humes DNR an Ciceros nat. deor. keineswegs auf die Dialogform beschränkt, sondern auch die äußere und innere Struktur des gesamten Dialoggeschehens einschließt.38 Mit Blick auf die zwölf Teile der Hume’schen Unterredung, die meist im Mittelpunkt der Analyse stehen, werden dabei v. a. zwei Argumentationslinien sichtbar: (a) Fast alle Interpreten sehen schon in der Anordnung des dramatischen Personals überdeutliche Fingerzeige, dass Hume sein Werk nach Cicero modelliert hat. So wie Cicero zwei Dogmatiker (den Epikureer Velleius und den Stoiker Balbus) mit einem akademischen Skeptiker (Cotta) disputieren lässt, so treffen bei Hume zwei Theisten (Demea und Cleanthes) auf einen Skeptiker. Die Orientierung an Ciceros Vorbild kann man auch unmittelbar an der Namensgebung bei Hume festmachen:39 Denn Humes ‚Philo‘ klingt natürlich unüberhörbar nach Philon von Larissa (159/8–84/3 v. Chr.), dem Lehrer Ciceros und letzten Vertreter der skeptischen Akademie, auf deren zwischenzeitliches ‚Ableben‘ in seiner Lebenszeit Cicero in nat. deor. 1,11 anspielt.40 Noch offensichtlicher erscheint die Sache bei Cleanthes, dessen Name mit dem zweiten Schuloberhaupt der Stoa, Kleanthes von Assos (331–232 v. Chr.), identisch ist. Damit sind schon zwei der drei bei Cicero vertretenen Philosophenschulen namentlich bei Hume präsent. (b) Auch durch die inhaltliche Gestaltung der Diskussion seitens der Protagonisten sehen sich viele Interpreten in den soeben markierten Identifikationen bestätigt. John Valdimir Price hat in zwei Aufsätzen die evidenten Parallelen zwischen der Argumentation der beiden Stoiker41 sowie der beiden Skeptiker42 bei Cicero und Hume herausgearbeitet, und im Fahrwasser dieser Deutungslinie sind nicht wenige nachfolgende Autoren mitgeschwommen. Bei manchen verknüpft sich dann damit das weitergehende Anliegen, auch noch eine Identifikation von Philo mit Hume zu vollziehen, um damit den durch Hume’s enigma geschürzten gordischen 37 Gawlick (1956), ii. 38 Vgl. exemplarisch Smith (1935), 77–80. 39 Zu den einzelnen Figuren und den verschiedenen Möglichkeiten in der Interpretation ihrer Namensgebung vgl. Gaskin (1993), xx-xxiii, sowie Kreimendahl (2016), 141–147. 40 Die alternative Option, damit werde auf Philon von Alexandria angespielt, erfreut sich keiner großen Beliebtheit. 41 Vgl. Price (1963). 42 Vgl. Price (1964).
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Knoten gleich mit einem einzigen Schwertstreich zu zerschlagen. Aber dieser weitere Identifikationsschritt ist nicht zwingend, zumal diese – meist auf dem Abgleich von Stellen aus DNR mit Humes anderen Schriften beruhenden – Forschungsbemühungen oft genug eher gezeigt haben, dass Überlegungen und Auffassungen Humes sich letztlich sogar bei allen drei Charakteren nachweisen lassen.43 Insbesondere bei Philo und Cleanthes gewinnt man oft den Eindruck, dass sie sehr gut mit dem sonstigen Schrifttum Humes vertraut sind.44 Obwohl sich solche Abgleiche mit Blickrichtung auf die vermutete Autorenintention somit eher als Sackgasse erwiesen haben, sind sie zumindest im Blick auf stoische Argumentationsmuster bei Cleanthes und akademisch-skeptische Strategien bei Philo nicht von der Hand zu weisen: In der Tat rekurriert Cleanthes auf die stoische Idee der συμπάθεια, die auch in nat. deor. dargestellt wird;45 ebenso stützt er sein physikotheologisches argument from design auf zahlreiche Beispiele, für die Parallelen oder Vorläufer bei Cicero offensichtlich zu finden sind. So findet sich in beiden Schriften das bis in die heutige intelligent design-Debatte hinein prominente Beispiel der Perfektion des Auges, das kein Zufallsprodukt sein könne, sondern sich einem planvollen Schöpfer verdanken müsse.46 Für Philo lässt sich zeigen, dass nicht nur die Stoßrichtung seiner Argumente, sondern auch ihre formale Struktur einige Ähnlichkeiten mit Cottas Skeptizismus aufweisen.47 Obwohl Cicero selbst in DNR nur an wenigen Stellen explizit ins Feld geführt wird,48 lässt sich also kaum leugnen, dass Hume sich in der Argumentation seiner Charaktere des Öfteren in nat. deor. bedient hat und seine philosophischen Protagonisten zumindest amalgamartige Züge mit ciceronianischen Vorbildern aufweisen.49 Allerdings ist dieser Zugriff bei genauerem Hinsehen eklektischer, als es die angeführten Deutungen suggerieren. Betrachtet man z.B. die Partien von Cleanthes in toto, so fällt auf, dass er mit Ciceros Balbus in erster Linie das oben schon angesprochene Prinzip der natürlichen Theologie teilt: Die wunderbare Ordnung der Welt im Ganzen und in ihren Teilen kann kein Zufall sein, sondern muss sich dem Wirken einer intelligenten Ursache verdanken. Die weitergehenden stoischen kosmologischen und theologischen Theoreme, wie etwa die anthropozentrische 43 Vgl. in diesem Sinne schon Smith (1935), 74: „Hume’s own teaching is not presented through any one of the characters; it is developed in and through the argument as a whole, something of his own beliefs being put into the mouth of all three.“ 44 Vgl. z.B. die Widerlegung des apriorischen Gottesbeweises von Demea durch Cleanthes in DNR 9, bei der sich letzterer wiederholt auf Argumente und begriffliche Unterscheidungen aus Humes Hauptwerken stützt. 45 Vgl. DNR 2 [5] (ed. Price, p. 161) im Vergleich mit nat. deor. 2,19. 46 Vgl. DNR 3 [7] (ed. Price, p. 176f.) im Vergleich mit nat. deor. 2,145. 47 Vgl. Fosl (1994) und Eva (2013). 48 In DNR 5 [2] (ed. Price, p. 189) beruft sich Philo in Form eines direkten Zitats auf die Kritik von Velleius an der platonischen Demiurgie (vgl. nat. deor. 1,18-23); in DNR 5 [12] (ed. Price, p. 193f.) findet sich ein unspezifischer Hinweis auf die Ridikülisierung des Anthropomorphismus in der epikureischen Theologie von nat. deor. 1. 49 Vgl. z. B. Price (1963), 264: „In the character of Cleanthes, Hume has fused the best elements of classical and contemporary ‘natural religion’.“ Auch Philo sieht Price (1964), 106, als „skillful blend of Ciceronian structure and Humean philosophy“.
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Einrichtung der Welt und die göttliche Fürsorge (providentia/πρόνοια), nehmen bei Cleanthes keinen so prominenten Platz ein wie bei Ciceros Balbus. Stattdessen kommen bei Humes Cleanthes auch in den physikotheologischen Teilen der Argumentation viele Ideen ins Spiel, die erkennbar erst der Debatte des 18. Jahrhunderts entstammen und keinen stoischen Hintergrund haben.50 Die Fiktion einer antiken Schuldebatte wird spätestens dann gesprengt, wenn neuzeitliche Philosophen wie Bacon (DNR 1 [18]), Malebranche (2 [2]) oder Leibniz (10 [6]) namentlich im Text erwähnt werden. Dass man mit der einfachen Identifikation von Cleanthes als Vertreter des Stoizismus insgesamt lieber vorsichtig sein sollte, wird in DNR im Übrigen selbst explizit textintern markiert. Denn Cleanthes wettert schon direkt zu Beginn der Unterredung nicht nur über den exzessiven Skeptizismus der Pyrrhoniker, sondern auch über den Rigorismus der Stoiker wie folgt: „Denn beide scheinen auf das irrige Prinzip gegründet zu sein, dass ein Mensch das, was er manchmal und unter bestimmten Umständen ausführen kann, immer und unter allen Umständen ausführen könne“ (DNR 1 [7]). Ironischerweise fällt es dann Philo zu, die Prinzipientreue der Stoiker gegen Cleanthes zu verteidigen (DNR 1 [8]). Dieser allgemeinen Distanzierung der Dialogfigur Cleanthes vom Stoizismus korrespondiert bis zu einem gewissen Grad die äußerst kritische Haltung, die Hume in NHR gegenüber den religiösen Vorstellungen der Stoiker einnimmt: Vor allem am stoischen argumentum ex divinatione, also am Nachweis der Existenz und der Fürsorge Gottes über die Mantik, macht er fest, dass der Stoizismus in religiösen Fragen eher in Richtung Aberglauben tendiert und damit der Orthodoxie der Masse recht nahe kommt.51 Gerade diesen Mythenglauben sieht er aber, wie der oben in Teil 1 zitierte Text Humes schon verdeutlicht hat, im Wesentlichen als durch Cottas Kritik an Balbus in nat deor. 3 in seiner Lächerlichkeit überführt und widerlegt an.52 Cleanthes wird in DNR aber als ein durchweg rational argumentierender, philosophisch durchaus flexibler – und keineswegs bloß rigoristischer – Befürworter der natürlichen Theologie charakterisiert, dem man wirklich keine Neigung zum Aberglauben nachsagen kann. Kurzum: Cleanthes ist bei näherem Hinsehen gar nicht so sehr als „stand-in“ (und auch nicht als „update“) des Stoizismus à la Balbus geeignet. Hinzu kommt, dass Demea mit Blick auf die Figurenkonstellation von Ciceros nat. deor. letztlich ein „odd man out“ bleibt.53 Inhaltliche Bezüge zum Epikureis50 So sieht Mossner (1936) in Cleanthes in erster Linie Bishop Butler. 51 Vgl. Hume, NHR 12 (ed. Colver, p. 77), wo er erst einmal summarisch im Blick auf die Stoa konstatiert: „For surely nothing can be more pitiful than the sentiments, which that sect entertained with regard to all popular superstition.“ Dann folgt eine ridikülisierende Invektive auf das Augurenwesen, unter Verweis auf Ciceros De divinatione, bevor Hume konkludiert (ebd.): „Thus the Stoics join a philosophical enthusiasm to a religious superstition. The force of their mind, being all turned to the side of morals, unbent itself in that of religion.“ 52 Vgl. oben, Anm. 27. 53 Der Name Demea könnte auf eine Art „Volkstümlichkeit“ (von dêmos), also auf eine populäre Haltung hinweisen. Kreimendahl (2016), 146f., macht auf eine mögliche Namenspatronage in den Adelphoe von Terenz aufmerksam. Mossner (1936) identifiziert Demea mit Humes Zeitgenossen Samuel Clarke.
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mus, für den er ja bei konsequenter ‚Nachahmung‘ der ciceronianischen Struktur bei Hume firmieren müsste, lassen sich im Blick auf seine seltsame Mischung von religiösem Fideismus und apriorischer Beweisführung für die Existenz Gottes kaum finden. Sein unhinterfragter Theismus ist im Übrigen auch kaum mit Humes Epikur-Bild kompatibel, denn Hume lässt andernorts keinen Zweifel daran, dass er Epikur letztlich doch für einen Atheisten hält54 – eine Auffassung, die auch in nat. deor. mehrfach ventiliert wird.55 Humes berühmt-berüchtigte Ironie mag für vieles herhalten, aber einen Atheisten in einen orthodoxen Religiösen zu verwandeln, um dadurch irgendwie den Epikureismus in DNR zu repräsentieren, könnte selbst seine literarische Imagination überstiegen haben. Kurzum: Die Modellierung von DNR nach dem antiken Vorbild von nat. deor. hat deutlichere Grenzen, als oft vermutet worden ist, und zwar vor allem im Blick auf die beiden dogmatischen Schulen des Epikureismus und der Stoa, die bei Cicero eine zentrale Rolle spielen, während sie bei Hume eher in argumentativen Spurenelementen präsent sind. Hume geht es definitiv nicht um eine Nachahmung oder ‚zeitgemäße‘ Aktualisierung der antiken philosophischen Schulen bzw. Debatten. Er gestaltet seine DNR dementsprechend auch nicht so makrologisch wie Cicero seinen Dialog, in dem die beiden Dogmatiker ihr jeweiliges Lehrgebäude zusammenhängend am Stück entwickeln dürfen, worauf dann jeweils eine ebenso ausführliche kritische Replik durch Cotta folgt. Bei Hume gibt es zwar auch längere Redepartien der einzelnen Sprecher (und wenig sokratische Brachylogie), aber hier wird der argumentative Ball wesentlich dynamischer hin- und hergespielt. Cicero lässt seine Protagonisten von ihrer Schulrichtung her geprägte disputationes als Grundsatzreden halten, während es bei Hume um die wechselseitige Prüfung von Prinzipien (principles) im Dialog geht – ein Unterschied, der nicht zuletzt beim Wortlaut der letzten Sätze in beiden Werken von Bedeutung ist (s.u., Teil 4). Warum hat Hume trotz der von ihm zweifelsfrei bewusst so gestalteten, äußerlich durchaus ähnlichen Gewandung und Modellierung seiner DNR nun das antike ‚Vorbild‘ doch nicht so weit nachgeahmt, wie teilweise angenommen worden ist? Mindestens zwei Gründe kann man dafür ins Feld führen: (a) Humes Interesse an den antiken Philosophenschulen gilt weniger ihren theoretischen Lehren als ihren Einstellungen zur Welt und zum Leben. Das zeigt seine typisierende Behandlung ‚des‘ Epikureers, ‚des‘ Stoikers, ‚des‘ Platonikers und ‚des‘ Skeptikers in seinen vier Philosophen-Essays.56 Antike Philosophien sind für ihn primär interessant als Lebensformen bzw. – wie Nietzsche es genannt hat – als „Möglichkeiten des Lebens“ und weniger als theoretische Entwürfe bzw. Lehrgebäude.57 An einer Stelle äußert er sich deutlich in dem Sinne, dass die antiken Schuldoktrinen für ihn längst passé sind, insofern diese letztlich das Produkt einer
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Vgl. Hume, Enquiry concerning Human Understanding, sect. XI (ed. Selby-Bigge, p. 133f.). Vgl. nat. deor. 1,85.123. Vgl. Hume, Selected Essays, ed. Copley/Edgar, p. 77–113. Vgl. hierzu Müller (1980). Zum näheren Verständnis von Nietzsche in diesem Punkt vgl. Müller (2016).
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geistigen Stalaktierung sind;58 auch Ciceros Philosophie wird gelegentlich eher als „out of date“ bezeichnet.59 Dementsprechend möchte Hume in DNR auch nicht eine schon zu Asche erkaltete antike Debatte noch einmal aufwärmen, sondern eine Diskussion über das zentrale religionsphilosophische Problemfeld der Aufklärung – eben die natürliche Religion – auf dem Stand der eigenen Zeit führen. Dafür kann er gezielt einzelne Argumente und philosophische Prinzipien aus Ciceros nat. deor. entnehmen und sie in einem angemessenen literarischen Gewand präsentieren, ohne sich damit das Korsett der alten Schulmeinungen und -streitigkeiten anlegen zu müssen. Ganz in diesem Sinne findet eine Charakterisierung der drei Gesprächsteilnehmer in DNR auch über ihre philosophische bzw. religiöse Haltung – und nicht über eine Schulzugehörigkeit – statt.60 (b) In seinem Essay „Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences“ äußert Hume unverhohlen seine Bewunderung (admiration) für die modellhafte Art und Weise, in der schon in der Antike die verschiedenen literarischen Genres ausgestaltet worden sind.61 Aber seine eigentliche Botschaft in diesem Text lautet: Man soll die Alten nicht bloß passiv in ihrer Kunstfertigkeit bewundern, sondern mit ihnen aktiv in Konkurrenz treten und dadurch die jeweiligen Formen wieder wirklich beleben. Es geht ihm erkennbar um eine aemulatio und nicht um eine reine Imitation,62 und d.h. im konkreten Fall: Er will Ciceros nat. deor. nicht so sehr kunstvoll nachahmen als überbieten, aber eben in einer Weise, die den Vergleich mit dem ‚Original‘ noch erlaubt. Die spielerische Weise, in der Hume einzelne Elemente und Strukturen aus der antiken ‚Vorlage‘ aufgreift und in transformierter Form in seine DNR einfließen lässt, zeugt von der literarischen und philosophischen Kreativität, mit der Hume ein solches Unterfangen angeht.63 Hume beabsichtigt in seinen 58 Vgl. Hume, Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences, in: Selected Essays, ed. Copley/ Edgar, p. 66: „Consider that blind submission of the ancient philosophers to the several masters in each school, and you will be convinced, that little good could be expected from a hundred centuries of such servile philosophy.“ 59 Vgl. Hume, Of the Standard of Taste, in: Selected Essays, ed. Copley/Edgar, p. 143: „The abstract philosophy of Cicero has lost its credit: the vehemence of his oratory is still the object of our admiration.“ 60 Vgl. DNR, praef. [6] (ed. Price, p. 145), zum „remarkable Contrast in their Characters“: „accurate philosophical Turn of Cleanthes“; „careless Scepticism of Philo“; „rigid inflexible Orthodoxy of Demea“. 61 Hume, Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences, in: Selected Essays, ed. Copley/Edgar, p. 76f. 62 Vgl. ebd., p. 76: „A noble emulation is the source of every excellence. Admiration and modesty naturally extinguish this emulation.“ 63 Die Annahme einer solchen philosophisch-literarischen Motivation bei Hume für die Anlehnung von DNR an nat. deor. ist zugegebenermaßen etwas konjektural, insofern eindeutige Stellungnahmen von ihm selbst zu dieser Frage schlicht fehlen. Aber sie scheint mir zumindest etwas origineller als die immer wieder anzutreffende, m.E. auch etwas naive Annahme, Hume habe durch das antikisierte Gewand des Dialogs der zeitgenössischen Leserschaft bloß Sand in die Augen streuen wollen, um religiös motivierter Nachstellung zu entgehen. Eine solche exogene Erklärung greift nach meinem Dafürhalten auch hinsichtlich der von Hume für religionsphilosophische Themen bevorzugten Wahl der Dialogform zu kurz; vgl. in diesem Sinne auch Gräfrath (1990), 121f.
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Dialogues also eine „original imitation“ seiner antiken Vorlage.64 Dies wird auch in der Gestaltung der beiden narrativ rahmenden Passagen deutlich, in der die Anlehnung an Ciceros nat. deor. regelrecht ins Auge springt, nämlich am Anfang und am Schluss des Dialogs. 3. DIE NARRATIVE RAHMUNG UND IHRE PÄDAGOGISCHEN KONNOTATIONEN Ungeachtet aller literarischen und philosophischen Vexierspiele Humes in DNR lässt sich mit Lothar Kreimendahl (2016, 145) unstrittig festhalten: „Der einleitende Bericht des Pamphilus weist insgesamt große Nähe zum Proömium des Werks Ciceros auf. Entsprechendes gilt für den Schluss des Werks.“ Für eine intertextuelle Lektüre der beiden Dialoge ist deshalb die Figur des Pamphilus der hermeneutisch fruchtbarste Vergleichspunkt. Die für DNR gerne betriebene ‚Namensforschung‘ trägt zum Verständnis der Figur allerdings wenig bei: Sucht man nach realen Namenspatronen, stößt man etwa auf den christlichen Gelehrten Pamphilos von Caesarea (240–309 n. Chr.), sowie auf einen von Cicero selbst in nat. deor. (1,72f.) erwähnten Schüler Platons namens Pamphilus, der ein – später von seinem früheren Schüler verfemter – Lehrer Epikurs gewesen sein soll. Keine der beiden Varianten wirft für ein vertieftes Verständnis dieser Figur allerdings substantielle Einsichten ab;65 ebenso wenig hilft die Übersetzung des Namens als „jedermanns Freund“ dabei weiter, diese Figur richtig einzuordnen. Eine alternative Lesart, der in der Forschung noch keine gebührende Aufmerksamkeit zuteilgeworden ist, überträgt die von Kreimendahl konstatierte Nähe der Textpassagen am Anfang und am Schluss des Textes von nat. deor. und DNR direkt auf die Figur, die für sie zentral ist: Pamphilus steht in Humes Neugestaltung für Cicero! Für eine solche ‚Identifikation‘ sprechen die analogen Rollen, die beide spielen. Zur Erinnerung: Cicero schreibt in literarisch gestalteter Retrospektive in nat. deor. einen Dialog, den er seinem Freund Brutus widmet und in dem er sich selbst auftreten lässt. Seine Rolle im Dialog ist dabei im Wesentlichen die eines
64 Vgl. Battersby (1979), die u. a. herausarbeitet, dass Hume an einer besseren Ausbalancierung der verschiedenen Personen und ihrer Gesprächsanteile im Vergleich zu Ciceros nat. deor. gelegen ist. 65 Kreimendahl (2016), 141, tendiert zu Pamphilos von Caesarea, der die Bibliothek von Alexandria ausbaute: Pamphilus fungiere in DNR sozusagen als „Informationsquelle“ für seinen Freund Hermippus. Die Einführung eines Platonikers in DNR, die man als philosophisches Vexierspiel durchaus goutieren könnte, wäre dann aber vor dem Hintergrund der Kennzeichnung von Pamphilus als Schüler von Cleanthes (s.u.) entweder ironisch zu deuten – so Gräfrath (1990), 137 – oder würde – wie Battersby (1979), 244, annimmt – auf die Verwandtschaft von altakademischer (i.e.: platonischer und peripatetischer) und stoischer Kosmologie hinweisen – ein Motiv, auf das Cicero in nat. deor. 1,16 und auch andernorts im Rekurs auf Antiochos von Askalon anspielt.
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Berichterstatters und schweigenden Zuhörers,66 denn nach der präludierenden Rahmenerzählung tritt er nicht mehr aktiv in Erscheinung; das abschließende Urteil über das Gehörte in 3,95, das der Forschung so viele Rätsel aufgegeben hat, stammt dann aber wieder von ihm. Hume übernimmt diese Konstruktion nun kompositorisch nahezu komplett: DNR wird mit einem Bericht von Pamphilus an seinen Freund Hermippus eingeleitet, in dem er sich als getreuer Erzähler einer Konversation darstellt, an der er im Wesentlichen als Zuhörer teilgenommen hat. Zwar kommentiert er – im Gegensatz zu Cicero in nat. deor. – das Geschehen an einigen wenigen Stellen zwischendurch noch einmal (z.B. in DNR 3 [10]), aber er verlässt seine passive Rolle letztlich nicht. Ihm ist es lediglich abschließend vorbehalten, seinen Eindruck vom Verlauf bzw. Ausgang des Gesprächs wiederzugeben (DNR 12 [35]). Strukturell liegt dann aber in beiden Fällen folgende bemerkenswerte Doppelung vor: Sowohl bei Cicero als auch bei Pamphilus haben wir es ebenso mit einem erzählenden Ich wie auch mit einem erzählten Ich zu tun. Denn Pamphilus wird von Hume zugleich als Schreiber des Dialogs stilisiert,67 ganz analog zur Autorschaft Ciceros, die sich ja nicht zuletzt in dem dialogexternen Proömium von nat. deor. (1,1-14) zeigt, dem der ebenfalls dialogexterne einleitende Bericht des Pamphilus korrespondiert. Insofern ist es passend, dass die metatheoretischen Erwägungen zur Geeignetheit des Dialogs für die Behandlung religionsphilosophischer Fragen (vgl. oben, Teil 1) just in diesem Bericht des Pamphilus zu finden sind. In beiden Fällen blicken die Autoren aber in der oben dargestellten Konstellation zugleich nicht nur auf ein vergangenes Geschehen, sondern auch auf ein früheres (erzähltes) Ich zurück. Diese Doppelung der beiden Identitäten von Cicero und Pamphilus ist m.E. ein wichtiger Schlüssel für die Hermeneutik der beiden Dialoge, wie nachfolgend herausgearbeitet werden soll. Erst einmal ist festzuhalten, dass die Konstellation im Falle von DNR noch um eine Ebene komplexer ist als in nat. deor.: Denn natürlich wissen wir alle, dass nicht Pamphilus, sondern David Hume dieses Werk verfasst hat. Hier wäre also noch einmal ein weiterer Unterschied einzuziehen zwischen dem realem und dem fiktiven Autor, wobei letzterer als erzählendes Ich auftritt. Das hat natürlich zur Konsequenz, dass man vorsichtig damit sein sollte, das abschließende Urteil von Pamphilus über den Ausgang des Gesprächs automatisch als Meinungsäußerung von Hume selbst aufzufassen. Der Sinn des Manövers von Hume, zwar die geschilderte Doppelungsstruktur von Cicero beizubehalten, sie aber auf einen nicht mit ihm persönlich identischen Charakter zu verlagern, könnte gerade ein solcher Distanzierungseffekt sein. Vereinzelt ist in der Forschung der diametral entgegengesetzte Versuch unternommen worden, Pamphilus als das wirkliche Sprachrohr Humes in DNR zu 66 Zu dieser für Ciceros Dialoge außergewöhnlichen Rolle vgl. Hirzel (1895), Bd. 1, 529f., Pease (1955), 29, Taran (1987), 21f., De Giorgio (2015), 112–114 sowie den Beitrag von Clara Auvray-Assayas in diesem Band. 67 Vgl. Wieand (1985), 35: „Pamphilus, then, should be regarded not only as the reporter of a conversation, but also as its author. The Dialogues present the views of Pamphilus on natural religion.“ Zu den verschiedenen Rollen von Pamphilus bei Hume vgl. auch Carabelli (1968), 92f.
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etablieren.68 Die meisten Interpreten halten dies jedoch aufgrund der überaus ironischen Zeichnung, die Hume der Figur des Pamphilus streckenweise zuteilwerden lässt, für eine interpretatorische mission impossible.69 Ich komme später noch einmal kurz auf diesen Punkt zurück, aber meine Lesart hängt insgesamt in keiner Weise von der Identifikation oder Dissoziierung von Hume und Pamphilus ab. Entscheidend ist nur, dass die literarischen Identitäten von Pamphilus und Cicero in ihrer Doppelung die aufgezeigten Parallelen aufweisen. Doch mindestens ein gravierender inhaltlicher Einwand gegen diese Identifikation liegt auf der Hand, nämlich die philosophische Ausrichtung, für die beide jeweils stehen. Im Falle Ciceros scheint der Fall ganz eindeutig: In seinem dialogexternen Proömium gibt der erzählende Autor Cicero geradezu ein Glaubensbekenntnis zu Gunsten der skeptischen Akademie ab (vgl. nat. deor. 1,11f.). Und auch das erzählte Ich wird damit in der Rahmenerzählung in enge Verbindung gebracht: Das Gespräch findet im Haus des Skeptikers Cotta statt, der von Cicero als familiaris (1,15) gekennzeichnet wird und der ihn während der Latinischen Feiertage eingeladen hat. Bei seinem Eintreffen wird er von Velleius nicht als neutraler Zaungast, sondern als potenzieller Unterstützer der skeptischen Argumentation von Cotta charakterisiert, „denn ihr beide […] habt ja bei demselben Philon gelernt, nichts zu wissen“ (1,17). Das Setting legt somit insgesamt nahe, dass der junge Cicero schon der akademischen Skepsis zuzurechnen ist, für die er sich bereits in seiner Erstlingsschrift De inventione – deren Erscheinen noch vor dem dramatischen Datum von nat. deor. liegt – programmatisch ausgesprochen hatte.70 Cicero reagiert zwar auf diesen Vorwurf der ‚Parteilichkeit‘ in signifikant differenzierter Weise (s.u.), aber dennoch ist in Anbetracht der oben in Teil 2 präsentierten Evidenzen zumindest kein Zweifel daran möglich, dass Hume in Cicero einen akademischen Skeptiker sah, in nat. deor. und andernorts. Dann scheint aber die oben vorgeschlagene Identifikation von Pamphilus und Cicero massiv ins Wanken zu geraten. Denn der junge Pamphilus wird in DNR recht eindeutig als ein Parteigänger des natürlichen Theologen Cleanthes ausgewiesen. Hume verkehrt literarisch nahezu alle skeptischen Vorzeichen des Settings von nat. deor. in ihr dogmatisches Gegenteil: Die Unterredung findet in der Bibliothek des Cleanthes71 statt, bei dem Pamphilus „wie gewöhnlich einen Teil des Sommers“ (DNR, praef. [6]) verbringt. Den Bericht adressiert Pamphilus an seinen Freund Hermippus, der in einer indirekt wiedergegebenen Personencharakterisierung unter den drei Disputanden eindeutig „die exakte philosophische Denkweise des Cleanthes dem unbekümmerten Skeptizismus Philos“ sowie der „strengen unbeugsamen Rechtgläubigkeit Demeas“ vorzuziehen scheint (ebd.).72 In Analogie zur 68 Vgl. Hendel (1925), 306-309 und Wieand (1985). 69 Zur Verwendung von Ironie in DNR vgl. Hurlbutt (1988), der sich u. a. gegen Mossners einflussreiche, rein ironische Deutung von Pamphilus wendet. 70 Vgl. De inv. 2,9-10. 71 Hier liegt möglicherweise eine Anspielung auf fin. 3-4 vor, wo Cicero just den Stoiker Cato in der Bibliothek antrifft. 72 Hermippus entspricht in der literarischen Konstruktion von DNR dem Adressaten von nat. deor., also Brutus. Das passt auch in dogmatischer Sicht, denn Hume hält Brutus für einen
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Kennzeichnung des jungen Cicero in nat. deor. als Unterstützer von Cotta wird Pamphilus von Demea als „Zögling“ (pupil) bzw. als Adoptivsohn des Cleanthes bezeichnet, der ihm jeden nützlichen Zweig der Literatur und Wissenschaft nahebringt (DNR 1 [1]). Zwischen beiden besteht also sogar ein direktes Lehrer-Schüler-Verhältnis, während der jüngere Cicero und der ältere Cotta nur beim selben Lehrer in die Schule gegangen sind. Die Eindrücke des jungen Pamphilus, mit denen das Gesprächsgeschehen kommentiert wird, deuten ebenfalls in Richtung einer Parteinahme für Cleanthes (z.B. in DNR 3 [10]). Hier liegt also eine nicht zu übersehende ‚Umdeutung‘ (oder besser: ‚Neugestaltung‘) seitens Humes vor. Wie lässt sich diese Transformation dialogintern in DNR verstehen? Dafür bietet sich eine einfache Lesart an: Durch Humes Umgestaltung passen Anfang und Schluss des Dialogs auf einmal prima facie bruchlos zusammen. Die Schwierigkeiten in der Deutung von nat. deor. liegen nicht zuletzt in der Inkongruenz des Proömiums sowie des Settings mit dem Schlussurteil begründet: Sowohl das erzählende Ich (der Autor Cicero) als auch das erzählte Ich (der junge Zuhörer Cicero) treten ja als akademische Skeptiker auf – wie kann dann aber aus dem Munde Ciceros eine abschließende Stellungnahme zu Gunsten der disputatio des Dogmatikers Balbus (und damit gegen die skeptische Widerrede von Cotta) erfolgen? In Humes DNR ist dieses Problem quasi aufgelöst: Der ab ovo unter dogmatischem Einfluss stehende junge Pamphilus votiert eben auch am Schluss noch zu Gunsten seines Lehrers. Das wäre psychologisch alles andere als überraschend oder spektakulär, und zwar auch ganz unabhängig davon, wie man als Leser(in) selbst schlussendlich die Qualität der zuvor präsentierten Argumente beurteilen möchte.73 Das ist dann natürlich Wasser auf die Mühlen derjenigen Interpreten, die in DNR eine groß angelegte Camouflage des Autors Hume sehen.74 Dialogintern hätte dieser Schluss aber auch eine etwas subtilere pädagogische Botschaft, die sich durchaus mit Überlegungen Ciceros vermitteln lässt. Denn Cicero betont des Öfteren, dass die eigene philosophische Entwicklung durch eine frühe dogmatische Schulzugehörigkeit – bzw. die ‚blinde‘ Orientierung an einem Lehrer – eher behindert als gefördert wird: In einem Alter, in dem man noch gar keine ausgebildete Urteilskraft besitzen kann, um sich zwischen den verschiedenen Schulen zu entscheiden, wird man bereits in ein dogmatisches Zwangskorsett gesteckt, das auf bestimmte doktrinale Lehrgehalte zwingend verpflichtet.75 Das führt dann gegebenenfalls zur blinden Urteilsübernahme des Schülers von den Autoritäten – eine Stoiker (vgl. die Widmung seiner Four Dissertations, darunter NHR, in: Colver/Price 1986, p. 19), was eine Allianz von Hermippus mit Cleanthes natürlich zusätzlich nahelegen würde. 73 Erklärungsbedürftig bleibt auch dann noch „Philo’s turn“ in DNR 12, also das etwas plötzliche und überraschende Einschwenken des Skeptikers auf eine zumindest partielle Anerkennung des argument from design sowie eine sich daraus ergebende Variante des Deismus. Aber das ist eine andere Frage, die man zumindest aus dialoginterner Sicht nicht mit der Interpretation des Schlusses von DNR vermischen sollte. 74 Vgl. z.B. Hösle (2006), 149 und 180–186, der letztlich meint, dass Hume Pamphilus nur einsetze, um dem Leser Sand in die Augen zu streuen. 75 Vgl. z.B. Cicero, Luc. 7-9.
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Gefahr, die sowohl Cicero als auch Hume deutlich vor Augen führen.76 Gerade deshalb betont der Autor Cicero in seinem Proömium auch, dass es nicht so sehr um seine eigenen Meinungen gehen sollte, durch die er als auctoritas erscheint, sondern um die Schlagkraft der jeweiligen Argumente (nat. deor. 1,10) – zweifelsfrei auch ein Appell an die Leserschaft zum Einsatz der eigenen Urteilskraft.77 So autoritätshörig wie bei den Pythagoreern sollte es jedenfalls nicht zugehen. Insofern ist die oben schon angedeutete Reaktion von Cicero in nat. deor. auf den spielerischen Vorwurf des Velleius, die Unterstützung des jungen Mannes für den befreundeten Skeptiker Cotta sei bereits vorgezeichnet,78 äußerst bezeichnend: „Von Dir aber will ich nicht, dass du mich als einen Helfer für diesen da verstehst, sondern als einen Hörer, der sich die Freiheit des Urteils vorbehält und durch keinen Zwang solcher Art verpflichtet ist, unter allen Umständen irgendeine bestimmte Ansicht zu verteidigen.“79 Eine ähnliche Einstellung würde man sich aus Sicht des Skeptikers auch vom jungen Pamphilus erhoffen, was aber seine bisherige Ausbildung wohl nicht unbedingt gefördert hat. Damit ist nun ein äußerst wichtiges – und in der wissenschaftlichen Deutung der beiden Dialoge m.E. bisher noch nicht hinreichend gewürdigtes – Grundmotiv angesprochen, nämlich das der philosophischen Erziehung bzw. Bildung. Bei Cicero ist dieses Motiv etwas latenter, aber dennoch klar nachweisbar: Der Autor Cicero kommt in seinem Proömium (1,6) zunächst darauf zu sprechen, dass er schon seit frühester Jugend viel Mühe und Sorgfalt auf sein Studium verwendet hat, und zählt seine Lehrer Diodotos, Philon, Antiochos und Poseidonios auf. Das dient an dieser Stelle v. a. dem Nachweis seiner bereits früh erworbenen und später noch vertieften Fachkompetenz in Sachen Philosophie. Es konterkariert aber zugleich bis zu einem gewissen Grade ex ante den späteren Hinweis von Velleius auf die Schülerschaft des jungen Cicero bei Philon: Denn hier werden nicht zuletzt zwei Stoiker und ein der Stoa nahe stehender dogmatischer Akademiker genannt. Den Einfluss von Diodotos, der im Hause Ciceros lebte, hat Cicero auch andernorts akzentuiert.80 Die philosophische Orientierung an der akademischen Skepsis resultiert also auch schon beim jungen Cicero keineswegs aus einer erzieherischen Monokultur.
76 Für Hume vgl. das Zitat aus Anm. 58; für Cicero siehe nat. deor. 1,10: [Cicero:] quin etiam obest plerumque iis qui discere volunt auctoritas eorum qui se docere profitentur; desinunt enim suum iudicium adhibere, id habent ratum quod ab eo quem probant iudicatum vident. 77 Vgl. hierzu den Beitrag von Christopher Diez in diesem Band. 78 Gernot Michael Müller hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass es sicher kein Zufall ist, wenn gerade der Epikureer diese dogmatische Observanz bei Cicero voraussetzt: Denn Epikur galt in seiner Schule als eine so überragende Autorität, dass auch nach seinem Tod keine wirklichen „Schismen“ vorkamen. 79 nat. deor. 1,17: tu autem nolo existimes me adiutorem huic venisse sed auditorem, et quidem aecum, libero iudicio, nulla eiusmodi adstrictum necessitate, ut mihi velim nolim sit certa quaedam tuenda sententia. 80 Vgl. Luc. 115, wo Cicero ein kleines Loblied auf Diodotos anstimmt, „dessen Schüler ich von jung auf gewesen bin, mit dem ich schon so viele Jahre Umgang pflege, der in meinem Haus wohnt, den ich bewundere und schätze“. Zum Einfluss von Diodotos vgl. auch van den Bruwaene (1937), 30–37.
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Dieser Bildungsgang ist auch zum dramatischen Zeitpunkt von nat. deor. (ca. 77– 75 v. Chr.), als das erzählte Ich Ciceros etwa 30 Jahre ist, noch keineswegs abgeschlossen. Auch hierfür liefert das Setting des Dialogs einige deutliche Fingerzeige. Als Cicero vor Ort eintrifft, ist die Disputation über das Wesen der Götter eigentlich schon im Gang. Cotta meint nun, dass Cicero zum rechten Zeitpunkt kommt, insofern es „für dein Studium nicht fern läge, dabei anwesend zu sein“.81 Mit anderen Worten: Hier kann der junge Cicero noch etwas lernen, denn schließlich handelt es sich bei den anwesenden Diskutanden um die als solche auch von ihm selbst explizit anerkannten führenden Vertreter (principes) dreier Schulen. Dass Cicero also als jüngerer Mann den älteren Experten begierig zuhört, anstatt selbst aktiv auf den Plan zu treten, ist somit wohl nicht nur den Gesprächsusancen der römischen Nobilität zuzuschreiben,82 sondern auch dem von Cotta etablierten pädagogischen Rahmen.83 In Humes DNR ist diese pädagogische Grundmotivik noch um einiges manifester und zwar am Anfang und am Ende des Werks: „The dialogue is in an important sense about education – the education of Pamphilus, which is both the first and the last subject discussed by the participants.“84 In der Tat: Bevor die drei Protagonisten das Thema der natürlichen Theologie in Angriff nehmen, fokussiert sich die Diskussion in DNR 1 erst einmal auf Erziehungsfragen. So wird etwa diskutiert, wann den Zöglingen am besten die Grundsätze der Frömmigkeit zu vermitteln sind: erst am Schluss (so wie es bei Cleanthes der Fall zu sein scheint) oder schon am Anfang, wie es Philo vorschlägt. Insgesamt klärt Philo über die pädagogischen Prinzipien auf, denen er sich verpflichtet fühlt: Der Skeptiker erzieht grundsätzlich zu einem kritischen Verhältnis zu den menschlichen Wissensbemühungen, bei dem eher die Grenzen menschlicher Vernunfterkenntnis betont werden, um eine „hochmütige Anmaßung der Philosophie“ gegenüber den Geheimnissen der Religion einzudämmen (DNR 1 [2]); Philo betont dabei konsequent die Schwäche, Blindheit und Beschränktheit der menschlichen Vernunft (1 [3]). Cleanthes hält das offensichtlich für ein ironisches Manöver, dessen Gehalt er seinerseits mit dem Unterton der Ungläubigkeit wie folgt charakterisiert: „Du, Philo, schlägst also vor, den religiösen Glauben auf dem philosophischen Skeptizismus zu errichten.“ (1 [5])85 Die Diskussion zwischen den beiden geht dann erst einmal über zur Frage der Aufrichtigkeit, Tragweite und Lebbarkeit des Skeptizismus als Lebensform, sodass die 81 cui pro tuo studio non est alienum te interesse. Die Übersetzungen von Gigon (1996), 19 und Blank-Sangmeister (2006), 21 scheinen mir diesen Sinn nicht zu treffen. 82 Dass Cicero sich auch in diesem Alter durchaus schon zum Führen philosophischer Diskussionen geeignet fühlte, zeigt seine aktive Rolle in fin. 5 (dramatisches Datum: 79–77 v. Chr.), wo er es freilich eher mit gleichaltrigen Gesprächspartnern zu tun hat. Mehr hierzu unten in Teil 5. 83 Cotta selbst fordert im Übrigen in ironischer Manier später Balbus auf: rudem me et integrum discipulum accipe et ea quae requiro doce. – „Nimm mich also als einen ungebildeten und unvoreingenommenen Schüler, und lehre mich, was ich wissen will.“ (nat. deor. 3,7) 84 Wieand (1985), 37. 85 DNR 1 [5] (ed. Price, p. 148): „You propose then, Philo, said Cleanthes, to erect religious Faith on philosophical Scepticism.“
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pädagogische Grundmotivik erst einmal in den Hintergrund tritt.86 Es ist schließlich Philo, der diese Thematik in seinem letzten Redebeitrag wieder aufgreift, mit der berühmt-berüchtigten Formulierung: „Philosophischer Skeptiker zu sein, ist für einen gebildeten Menschen der erste und wichtigste Schritt zu einem echten, gläubigen Christen.“87 In der Forschung herrscht die Auffassung vor, dieses Bekenntnis zum Fideismus als eine weitere ironische Pointe Philos (bzw. Humes) zu werten.88 Das mag hier auf sich beruhen.89 Wichtiger für unsere Zwecke ist, dass Philo hiermit zugleich explizit einen protreptischen Impuls in Richtung von Pamphilus aussendet: „Diesen Satz möchte ich der Aufmerksamkeit des Pamphilus gerne empfehlen, und ich hoffe, Cleanthes wird mir verzeihen, dass ich mich insoweit in die Erziehung und Unterrichtung seines Zöglings einmische.“ (DNR 12 [34]) Die pädagogische Aufforderung liegt klar zu Tage: Pamphilus möge sich doch jetzt einmal näher mit dem Skeptizismus befassen, als er es bisher unter der dogmatischen Kuratel von Cleanthes getan hat. Man könnte auch sagen: Philo will Pamphilus abwerben. Mit dieser Äußerung, die – wie der gesamte Paragraph zuvor – erst in der letzten Revision Humes im Jahr 1776 hinzugekommen ist, erhält der Text von DNR abschließend seine pädagogische Ringstruktur. Lässt sich hieraus nun etwas für die Interpretation des unmittelbar folgenden Schlusssatzes gewinnen? 4. DIE SCHLUSSURTEILE DER BEIDEN WERKE IM VERGLEICH Vergleicht man den ‚Originalton‘ von Cicero (nat. deor. 3,95): ut Velleio Cottae disputatio verior, mihi Balbi ad veritatis similitudinem videretur esse propensior mit seinem offensichtlichen ‚Echo‘ bei Hume (DNR 12 [35], ed. Price, p. 261): „upon a serious Review of the Whole, I cannot but think that Philo’s Principles are more probable than Demea’s; but that those of Cleanthes approach still nearer to the Truth“, dann fallen bei aller verbalen Nähe doch folgende Unterschiede ins Auge: (a) Bewertungsstandort: Cicero gibt den Eindruck wieder, der bei ihm als erzähltem Ich (also als Zuhörer) sowie auch bei Velleius – im ersten Satzteil – am Ende der Unterredung vorherrschte: So erschien (videretur) es ihm bzw. ihnen damals. Das schließt bei genauer Betrachtung m.E. nicht automatisch die Stellungnahme des jetzigen Autors, also des erzählenden Ichs von Cicero, ein. Dieser Unterschied wird v. a. beim Vergleich mit Humes Text deutlich: Denn dort handelt es 86 In DNR 1 [19] finden sich dann noch einige Reflexionen zum Einfluss der Erziehung, insbesondere bei religiösen Fragen, in verschiedenen Zeiten. 87 DNR 12 [34] (ed. Price, 261): „To be a philosophical Sceptic is, in a man of Letters, the first and most essential Step towards being a sound, believing Christian.“ 88 Vgl. Szczekalla (1988). 89 Szczekalla (1988), 86, sieht Philos „feigned fideism“ als „homage to Cicero“ bzw. in Cotta „a priest who is a sceptic with regard to philosophical religion but devoutly accepts the established forms of worship. Philo defers to Christian revelation as Cotta submits to the authority of the majores“.
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sich um ein Urteil, das der Erzähler bzw. Autor Pamphilus „nach einem ernsthaften Rückblick auf das Ganze“ spricht.90 (b) Skopos des Urteils: Bei Cicero geht es eigentlich nur um die Bewertung der Kontroverse zwischen dem Stoiker Balbus und dem Skeptiker Cotta, die von Velleius und dem jungen Cicero unterschiedlich gesehen wird: Velleius ist – nicht ganz überraschend – für die skeptische (und damit v. a. gegen die stoische) disputatio positioniert,91 Cicero für die disputatio des Balbus. Die epikureische Lehre in Sachen Theologie ist damit gar nicht ‚auf dem Treppchen‘. Bei Hume ist es hingegen ein komparatives Urteil, das alle drei präsentierten Positionen gegeneinander abwägt und dann in ein Ranking bringt.92 Obwohl Demea das Gespräch bereits zum Ende von Teil XI verlassen hat, steht seine Lehre also durchaus noch zur Bewertung.93 Eine weitere Abweichung im Skopos liegt darin, dass es bei Cicero um die disputationes, also um die Streitreden im Ganzen geht, während Hume primär auf die zu Grunde liegenden Prinzipien (principles) derselben abhebt (vgl. hierzu oben, Teil 2). Gerade in Bezug auf letztere hat aber im XII. Teil von DNR ein zunehmendes Rapprochement von Philons Seite aus stattgefunden, womit die ‚Abwertung‘ der skeptischen Position im Urteil letztlich gar nicht so nachhaltig wirkt. (c) Epistemische Gradualisierung: Das Urteil in nat. deor. ist in Struktur und Wortlaut äußerst feinkörnig differenziert: Velleius erscheint die Rede von Cotta ‚wahrer‘ (verior) als die von Balbus. Dies deutet den dogmatischen Standpunkt des Urteilenden an, der Wahrheit für erreichbar hält: Wahr ist für Velleius natürlich weiterhin die eigene epikureische Position, aber die skeptische Widerlegung kann zumindest einen höheren Wahrheitsanspruch für sich reklamieren als die stoische Lehre. Das Urteil des jungen Cicero ist hingegen in der Form das eines akademischen Skeptikers, der nicht mehr in Kategorien von „Wahrheit“, sondern nur noch in denen von „Wahrscheinlichkeit“ (similitudo veritatis) spricht. Seine Präferenz für die disputatio des Balbus wird dabei epistemisch sogar noch ein weiteres Mal abgeschwächt: Diese konstituiert nicht ihrerseits das Wahrscheinliche (verisimile),
90 Das wird auch durch folgendes Detail deutlich: Ursprünglich hatte Hume in seinem Schlussurteil zwei Verbformen im Präteritum („were“ und „approached“), die erst in der letzten Version von 1776 ins Präsens gesetzt wurden; vgl. hierzu die Anmerkung im Apparat von Price, p. 261, nt. 19. Durch diese Änderung im Tempus wird aber gerade die fortgesetzte Zuschreibung an den gegenwärtigen Autor gestärkt. 91 Für den skeptischen Angriff auf die Stoa hatte Velleius sich schon in nat. deor. 3,2 als aufmerksamer Zuhörer (und damit in einer Art ‚Schüler-Haltung‘) positioniert. 92 Die Umgestaltung bei Hume liest sich so, als ob er Velleio in Ciceros Text in einen ablativus comparationis zu verior verwandelt, womit natürlich dann syntaktisch einiges in der Luft hängt: So fehlt ein korrespondierender Dativ zu mihi und auch ein weiterer ablativus comparationis für propensior (es sei denn, man zieht hierfür erneut Velleio heran, was aber dann keinen Vergleich mehr zwischen der skeptischen und der stoischen Position mehr ermöglichen würde, um die es auch Hume geht). Das ist aber wohl kein grammatischer Lapsus von Hume. 93 Bei Cicero ist es genau umgekehrt: Velleius ist zum Schluss persönlich anwesend und äußert sich in nat. deor. 3,95 auch noch einmal explizit, aber seine Lehre erscheint – trotz seiner Versicherung in nat. deor. 2,1, hierzu ein andermal (alias) noch etwas zu sagen – widerlegt.
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sondern kommt diesem bloß näher (propensior).94 Bei Hume wird im vergleichenden Vokabular sowohl von „more probable“ als auch von „nearer to the truth“ gesprochen, was hier eher synonym wirkt: Auf der von Pamphilus in Anschlag gebrachten Wertungsskala des „Wahrscheinlichen“ erzielt die Position von Cleanthes den höchsten Wert vor – in dieser Reihenfolge – der Philo und der Demea. Damit ist sie aber nicht einfach „wahr“ – und die beiden konkurrierenden Positionen schlicht „falsch“, insofern sie ihr widersprechen – sondern eben bloß das „Wahrscheinlichste“. Die epistemische Gradualisierung ist also bei Pamphilus etwas einfacher gestrickt als bei Cicero, aber – und darauf kommt es hier an – in der Form könnte das Urteil in DNR auch von einem etwas weniger präzise sprechenden Skeptiker stammen. Und genau das ist der in der Hume-Forschung meist übersehene Punkt: Ebenso wie der junge Cicero spricht sich Pamphilus zwar inhaltlich bzw. in der Sache für die größere Überzeugungskraft der dogmatischen Prinzipien aus, aber in einer skeptischen Ausdrucksweise: Denn es war Philo, der nur wenige Zeilen zuvor seine – bei näherem Hinsehen wirklich sehr limitierte – Annäherung an die natürliche Theologie komprimiert hat auf „den etwas dunklen, jedenfalls unbestimmten Satz (…), dass die Ursache oder die Ursachen der Ordnung im Universum wahrscheinlich (probably) irgendeine entfernte Ähnlichkeit mit menschlicher Intelligenz besitzen.“95 Diese Rede vom probabile lässt sich auch im Proömium von nat. deor. (1,12) und an vielen anderen Stellen bei Cicero finden. Pamphilus, der scheinbar hoffnungslos dogmatisch indoktrinierte Schüler des Cleanthes, reicht somit keineswegs – wie zu erwarten gewesen wäre – seinem Lehrer die Siegespalme der unwiderleglichen Wahrheit in dieser Diskussion, sondern übernimmt stattdesse von Philo eine probabilistische Ausdrucksweise bzw. Bewertungsskala für sein abschließendes Urteil, das er „upon serious Review of the Whole“ – also nicht überhastet und in situ – fällt. Näher kann man als Dogmatiker der skeptischen Urteilsenthaltung wohl nicht kommen – und schließlich weist dieser Schlusssatz cum grano salis auch in die Richtung des Urteils, das der skeptische Autor Cicero sein erzähltes Ich zum Ende der Disputation hin fällen lässt. Damit kommt aber bei Humes Pamphilus erneut die oben in Teil 3 entfaltete pädagogische Dimension zum Tragen: Er hat etwas vom Skeptiker übernommen bzw. gelernt, obwohl ihm das vielleicht selbst noch gar nicht so bewusst ist.96 Er hat einen Schritt zum Skeptizismus hin vollzogen und ist damit letztlich der protreptischen Einladung von Philo (s.o.) gefolgt. Ein Beleg für 94 Auf diese weitere epistemische Differenzierung weisen auch Görler (1974), 48 und Leonhardt (1999), 63 hin. Allerdings geht sie beim Rückbezug in div. 1,9 verloren: ad veritatem est visa propensior. Das sagt aber nicht Cicero, sondern sein Bruder Quintus, der die dogmatische Fahne des Stoizismus hochhält und deshalb in den ähnlichen epistemischen Kategorien denkt und urteilt wie Velleius in nat. deor. 95 DNR 12 [34] (ed. Price, p. 260). Ein paar Zeilen danach bringt Philo dann erneut die „Appearance of Probability“ (ebd.) in Anschlag. 96 Vgl. ganz in diesem Sinne die auf Cicero gemünzte, aber auf Hume übertragbare Idee von Gawlick (1956), 110: „Cicero hat sein Ziel erreicht, wenn der Stoiker seine Lehre mit Distanz betrachtet, sie als nur wahrscheinlich ansieht.“
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diese Entwicklung ist im Übrigen bereits seine einleitende Rede, die er ja – ebenso wie sein Schlussurteil – auch schon aus der Retrospektive des Autors bzw. Erzählers verfasst. Man denke hier v. a. an seine Begründung für die Wahl der Dialogform (s.o., Teil 1): Das Problem der natürlichen Religion gehört zu den Themen, „die so dunkel und ungewiss (obscure and uncertain) sind, dass die menschliche Vernunft sie nicht mit Gewissheit zu entscheiden weiß“ (DNR, praef. [4]). Die „dunklen Fragen“ (obscure Questions) bezüglich des Wesens Gottes – im Unterschied zu seiner offensichtlichen Existenz (s.o, Teil 2) – „sind unter den Menschen seit jeher umstritten gewesen“, und „die menschliche Vernunft hat sie nicht mit Sicherheit entscheiden können“ (ebd., [5]). Für diese Einschätzung ist Pamphilus der Applaus jedes (akademischen) Skeptikers sicher: (1) Ein Leitmotiv in Ciceros nat. deor. ist die gleich mehrfach an Schlüsselstellen des Dialogs getroffene Aussage, dass die Frage nach dem Wesen der Götter „in höchstem Maße dunkel“ (perobscura) ist97 – die direkte Resonanz bei Hume ist hier unüberhörbar. Der von Pamphilus ins Feld geführte Meinungsstreit unter den gelehrten Männern ist nach Cicero schon nahezu ein Argument für die skeptische These, dass der Grund und der Ursprung der Philosophie im Nichtwissen liegt – und ein Indiz für die Vernünftigkeit der Haltung der akademischen Skeptiker, „ungewissen Sachverhalten ihre Zustimmung zu versagen (a rebus incertis adsensionem cohibuisse)“ (nat. deor. 1,1). Cicero will durch die Darlegung der unterschiedlichen Auffassungen erst einmal grundsätzliche Zweifel bei den Dogmatikern säen.98 Das ist auch das erklärte Ziel der Ausführungen Cottas: Dies in etwa hätte ich über das Wesen der Götter zu sagen, nicht um es für null und nichtig zu erklären, sondern um euch klar zu machen, wie dunkel die Frage ist und welche Schwierigkeiten alle Erörterungen mit sich bringen.99
(2) Ganz im eben zitierten Sinne äußert und verhält sich auch Philo bei Hume. Seine Kritik am physikotheologischen Argument der natürlichen Theologie ist aus philosophischer Sicht messerscharf, aber er überzieht sie auch nicht in die Gegenrichtung einer möglichen Leugnung Gottes; er bietet letztlich sogar eine Art Kompromiss an, indem er die Möglichkeit ins Spiel bringt, dass zwischen ihm und Cleanthes eher ein Streit um Worte (verbal dispute) vorliegt (vgl. DNR 12 [6-9]). So wie Cotta bei Cicero einen eher urbanen Skeptizismus pflegt, der sich auch für weitere dogmatische Widerlegungsversuche und Diskussionen offen zeigt (nat. deor. 3,95), signalisiert auch Philo weitere Gesprächsbereitschaft – im Gegensatz zum diskursverweigernden Abgang des Fideisten Demea –, und zwar am pädagogisch gestalteten Schluss (DNR 12 [34]) gerade in Richtung von Pamphilus. Die skeptische Botschaft des Dialogs ist also keineswegs, dass man sich weitere
97 Vgl. nat. deor. I,1. 17. 58; 3,93. Vgl. zur skeptischen Prägung der Formel: Gawlick (1956), 18– 26 (perdifficilis et perobscura quaestio). 98 Vgl. nat. deor. 1,14: profecto eos ipsos, qui se aliquid certi habere arbitrantur, addubitare coget doctissimorum hominum de maxuma re tanta dissensio. 99 Nat. deor. 3,93: Haec fere dicere habui de natura deorum, non ut eam tollerem sed ut intellegeretis quam esset obscura et quam difficiles explicatus haberet.
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Überlegungen zu dieser Thematik lieber schenken sollte,100 sondern dass man sich bei weiteren Untersuchungen der grundsätzlichen Grenzen dieses Unterfangens stets bewusst sein muss. Hierfür bietet sich gerade die methodisch präzise Vorgehensweise der akademischen Skepsis an, die allerdings nicht zur ultimativen Wahrheit vorzudringen verspricht (DNR 1 [9]). Insofern empfiehlt sich auch im Sinne der eigenen Seelenruhe ein gelassener Umgang in der Diskussion solcher Fragen anstelle einer fanatischen Wahrheitssuche.101 Pamphilus hat das durchaus verstanden, wie seine einleitende Rede zeigt. Die Fragen der natürlichen Theologie drängen sich uns immer wieder auf, selbst wenn unsere bisherigen Forschungen zu ihnen „nichts als Zweifel, Ungewissheit und Widerspruch (‚nothing but Doubt, Uncertainty and Contradiction‘)“ (DNR praef. [5]) zu Tage gefördert haben102 – ein Resultat, dass er in der Retrospektive auch durch die von ihm nachfolgend geschilderten Dialoge exemplifiziert sieht (ebd., [6]), was im Verbund mit der Schlussbewertung in DNR 12 [36] ein weiteres Indiz für die bei ihm zunehmend aufkeimende Saat des Skeptizismus ist. Aber diese Entwicklung ist zum Zeitpunkt der Abfassung des Textes noch nicht unbedingt abgeschlossen.103 Führt man sich diese hier für Pamphilus in seiner Doppelung als frühere Dialogfigur und als späterer Erzähler/Autor nur angedeutete ‚Entwicklungsgeschichte‘ vor Augen, lassen sich durchaus einige Querverbindungen zum eigentlichen Autor, David Hume, herstellen. Lothar Kreimendahl hat in seinen Arbeiten überzeugend nachgewiesen, dass die Religionsphilosophie Hume schon sehr früh beschäftigt und sich dann aber – durchaus nicht linear – in seinem Œuvre immer wieder verändert hat.104 Interessant für eine Parallele mit Pamphilus ist, dass Hume von sich selbst in einem Brief berichtet, dass er als Jugendlicher bzw. junger Mann wohl v. a. versucht hat, im Stile der natürlichen Theologie Argumente für den Theismus zu entwickeln;105 ebenso weist er darauf hin, dass es eine Art Neigung (propensity) des
100 So die jüngste Deutung von Fogelin (2017), 97f. und 130–136. 101 Vgl. Gräfrath (1990), 136f. 102 Vgl. in diesem Sinne auch Hume, NHR 15 (ed. Colver, p. 95): „The whole is a riddle, an aenigma, an inexplicable mystery. Doubt, uncertainty, suspence of judgment appear the only result of our most accurate scrutiny, concerning this subject.“ 103 Contra: Wieand (1985), 38: „The education of Pamphilus is completed by Philo.“ In die richtige Richtung weist allerdings seine Einschätzung: „What is at stake, then, is really Hume’s own education.“ (ebd., 41) 104 Vgl. die bei Kreimendahl (2012) versammelten Aufsätze, bes. 9–22 u. 201–205. Seine Sicht in nuce: „Humes Religionsphilosophie erweist sich – anders als weithin angenommen – in diachroner Sicht de facto nicht als ein sich gleichbleibendes System bestimmter Lehrsätze“ (ebd., 87). 105 Vgl. den Brief von Hume zu DNR an Gilbert Elliot (s.o., Anm. 12), wo er ihn um Hilfe bei der argumentativen Stärkung von Cleanthes bittet: „And tis not long ago that I burn’d an old Manuscript Book, wrote before I was twenty; which contain’d Page after Page, the gradual Progress of my Thoughts on that head. It begun with an anxious Search after Arguments, to confirm the common Opinion […]“ (ed. Gaskin, p. 25).
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menschlichen Geistes zum intelligent-design-Prinzip des Cleanthes gibt,106 an der er sich dann in seinen späteren religionsphilosophischen Schriften skeptisch abarbeitet. Insofern die Entwicklung von Pamphilus in DNR also zumindest embryonale Züge einer chiffrierten intellektuellen Autobiographie des Autors in jungen Jahren trägt, haben wir am Anfang und am Schluss von DNR – in Anlehnung an den Titel eines autobiographischen Romans von James Joyce – ein Portrait of the skeptic as a young man vor uns. 5. DAS SELBSTPORTRÄT DES SKEPTIKERS: EIN ENTWICKLUNGSGESCHICHTLICHER BLICK AUF CICERO Welche Perspektive auf den Schluss von Ciceros nat. deor. wird nun durch diese intertextuelle Lektüre eröffnet? Bei Hume, so haben wir gesehen, ist die Unterscheidung des erzählenden und des erzählten Ichs sowie die damit verbundene Möglichkeit einer Entwicklung zwischen beiden von grundlegender Bedeutung für das Verständnis des Dialogs im Allgemeinen und der Schlusspassage im Besonderen. Nun ist der zeitliche Abstand zwischen diesen beiden personae im Falle von DNR nicht allzu groß: In seinem einleitenden Bericht erwähnt Pamphilus, dass die berichteten Gespräche „neulich“ (lately) stattgefunden hätten (DNR 1 [5]). Er ist also auch als Dialogautor noch ein junger Mann,107 wenn auch einer, der schon einen deutlichen Schritt in Richtung eines ihn peu à peu emanzipierenden Skeptizismus absolviert hat.108 Bei Ciceros nat. deor. ist die Altersdifferenz zwischen dem erzählenden Autor und der Dialogfigur wesentlich größer und auffallender: Das Dialoggeschehen der 45 v. Chr. verfassten Schrift ist in den Jahren 77–75 v. Chr., nach der Rückkehr Ciceros von seiner Bildungsreise in den Osten, angesiedelt.109 Damit gibt Cicero in nat. deor. 3,95 aber ein Urteil wieder, das er einem ca. 30 Jahre jüngeren Selbst zuschreibt. Zu beachten ist dabei, dass das Proömium, in dem Cicero sich als Autor eindeutig zur skeptischen Akademie bekennt, dialogextern positioniert ist, und somit die gegenwärtige Haltung des Schreibers ausdrückt; der Schlusssatz mit seiner Tendenz zum Stoizismus hin beschreibt hingegen, wie oben in Teil 4 schon gesehen, die Wahrnehmung des jungen Cicero zum Ende des Gesprächs hin. Nicht zuletzt wegen der evidenten Spannung zwischen beiden Textteilen erscheint nun „die Deutung verführerisch, der Autor Cicero identifiziere sich nicht mit dem Eindruck, den der stumme Gesprächspartner gleichen Namens seinerzeit gehabt habe“.110 Wäre das nicht z.B. ein plausibler Grund dafür, dass Cicero dieses Gespräch so weit in der Zeit zurückverlegt und sich damit in der internen 106 Vgl. ebd., p. 26. Auch Humes „Letter from a Gentleman to His Friend in Edinburgh“ aus dem Mai 1745 liest sich fast schon wie eine Apologie der Physikotheologie; vgl. hierzu Kreimendahl (2012), 83f. 107 Contra Hendel (1925), 398: Pamphilus habe seine „prime of life“ erreicht. 108 Vgl. Wieand (1985), 37: „The Pamphilus who is the author of the Dialogues is capable of thinking for himself.“ 109 Vgl. Pease (1955), Bd. 1, 25. 110 Hösle (2006), 145f., der diese Option allerdings inhaltlich nicht weiterverfolgt.
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Chronologie seiner Dialoge die Tür für eine spätere Weiterentwicklung seiner Auffassungen sehr weit offen hält? Die zeitliche Distanzierung der Dramaturgie könnte dann als Fingerzeig des Autors in Richtung einer ex post erfolgten inhaltlichen Relativierung (oder gar Änderung) des Schlussurteils aufgefasst werden. Das hieße nicht, dass man den Schluss nicht wörtlich – also im Sinne der Camouflage-Deutung – verstehen sollte, sondern dass ‚Cicero‘ in nat. deor. einfach stärker unter Berücksichtigung seiner oben beschriebenen Doppelidentität gesehen werden sollte. Man müsste sich dann natürlich von dem von Hirzel (1895, 511f.) ex cathedra verkündeten Grundsatz verabschieden, Cicero nehme „regelmäßig in seinen Dialogen, sie mögen in eine Zeit versetzt sein, in welche sie wollen, als Gesprächsperson genau denselben Standpunkt ein, den er zur Zeit des Schreibens inne hat“. Das erscheint mir zu apodiktisch: Ist es nicht auch möglich, dass Cicero in nat. deor. de facto einen früheren Standpunkt darstellt, auf den diese Regel dann nicht zutrifft? Eine solche Überlegung könnte prima facie als Wasser auf die Mühlen der These eines dogmatischen ‚Rückfalls‘ von Cicero nach 79 verstanden werden. Glucker (1988) und Steinmetz (1989) haben bekanntlich die – in der Forschung letztlich Mindermeinung gebliebene – These vertreten, dass Cicero nach seinem programmatischen Bekenntnis zur Skepsis in der frühen Schrift De inventione unter dem Einfluss seiner Bildungsreise zur dogmatischen Position von Antiochos von Askalon, also einer Mixtur aus Platonismus und Peripatetismus mit Affinitäten zur Stoa hin, konvertiert sei. Dass der junge Cicero in nat. deor. 3,95 dann die stoische Theologie approbiert, ließe sich im Sinne dieser Lesart aus dem Text heraus wie folgt interpretieren:111 Im kurzen Vorgespräch wird explizit thematisiert, ob nicht noch ein Vertreter der peripatetischen Theologie fehlt, um die ,Schuldiskussion‘ zu komplettieren.112 Cotta verweist auf die Auffassung von Antiochos, dass sich die Peripatetiker von den Stoikern nicht der Sache, sondern nur dem Wortlaut nach unterscheiden, womit er impliziert, dass Balbus hier die Position der Peripatetiker (und auch von Antiochos) mitübernehmen könne. Balbus wehrt sich zwar gegen diese Vereinnahmung, da er in der Ethik (nota bene: nicht in der Theologie) massive Differenzen zwischen den Richtungen sieht. Aber wenn (1) Antiochos mit seiner Konvergenzthese recht hat und (2) der junge Cicero gerade zu dessen Position konvertiert ist, dann ist es nicht verwunderlich, dass er am Schluss die Rede von Balbus für die überzeugendste hält – denn diese würde seinen eigenen philosophischen Affinitäten zum dramatischen Zeitpunkt des Dialogs am nächsten kommen. Diese Deutung ist allerdings mit zwei Problemen behaftet: Zum einen passt sie nicht recht mit der Charakterisierung des jungen Cicero in nat. deor. 1,15-17 zusammen.113 Zwar bezeichnet er sich nicht selbst als skeptischen Akademiker – das haben bloß viele Interpreten aufgrund des vorherigen Proömiums des Autors Cicero 111 Vgl. zum Folgenden Glucker (1988) und (1992), bes. 138, der sich insgesamt mit der späteren Selbstdarstellung Ciceros befasst. 112 Vgl. nat. deor. 1,16, wo der junge Cicero auf Marcus Piso hinweist, der in fin. 5 die Ethik des Antiochos vertritt. 113 Vgl. hierzu auch DeFilippo (2000), 169f.
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stillschweigend angenommen –, aber er wird, wie oben in Teil 3 gesehen, persönlich und philosophisch deutlich zum Skeptiker Cotta hin gruppiert. Zudem betont er selbst seine Urteilsfreiheit (nat. deor. 1,17), was seine Pointe am Schluss dadurch gewinnt, dass er sich nicht – wie von Velleius vorhergesagt – gänzlich auf die Seite Cottas schlägt. Wäre er ein Parteigänger von Antiochos, dann würde sein Votum für Balbus (und damit indirekt für die peripatetische Theologie des Antiochos) letztlich der Fürsprache von Pamphilus für Cleanthes am Ende von DNR entsprechen: Ein dogmatisch ausgerichteter junger Mann unterstützt die Linie seines Lehrers. Dialogintern wäre die Figur damit aber quasi diskreditiert, weil sie im Ergebnis doch nur einer Autorität folgt. Zum anderen ist zu beachten, dass die epistemische Gradualisierung in nat. deor. 3,95 der Form nach weiterhin das Urteil eines Skeptikers markiert (s.o., Teil 3): Der junge Cicero gibt der Position von Balbus nicht einfach seine Zustimmung, wodurch er sie für wahr und gewiss erklären würde (was er als echter Konvertit ja eigentlich tun sollte), sondern operiert mit einer sehr niedrigschwelligen Unterstützung in Kategorien der ‚Nähe zur Wahrscheinlichkeit‘. Ein vollkommener Abfall vom Skeptizismus zum Dogmatismus würde sich auch im Wortlaut wesentlich dramatischer gestalten, als es der Schlusssatz insinuiert. Dass das Votum der Struktur nach weiterhin formvollendet das eines akademischen Skeptikers sein könnte, ändert aber nichts an seiner inhaltlichen Stoßrichtung: „Es bleibt dabei, daß sich Cicero bewußt als Philosoph am Ende des Dialogs mehr auf die Seite des Balbus stellt.“114 Auch als sein Bruder Quintus in div. 1,9 auf das Schlussurteil von nat. deor. zurückkommt, um sozusagen ad hominem zu legitimieren, warum er nicht mehr die stoische Theologie in toto verteidigen müsse, widerspricht der mittlerweile gealterte und in diesem Dialog erkennbar als akademischer Skeptiker agierende Cicero nicht. Das ist sicherlich ein Fingerzeig, wie Cicero nat. deor. 3,95 verstanden wissen möchte: als Ausdruck einer durchaus authentischen Präferenz für die stoische disputatio im Ganzen gegenüber der skeptischen Gegenrede. Aber in div. wird sogleich etwas nachgereicht, das uns in der intendierten ‚entwicklungsgeschichtlichen‘ Betrachtung von Cicero weiterhilft: Quintus verweist darauf, dass in nat. deor. ein Bereich ausgespart geblieben ist, der für die Frage der Religion und auch der stoischen Theologie eine wichtige Rolle spielt, nämlich die Weissagung (divinatio). In der Tat ist die Mantik in nat. deor. nur gestreift worden, ebenso wie auch das Thema des Schicksals (fatum);115 diese Aussparungen werden damit in Verbindung gebracht, dass die Stoiker diesen Problemen in separaten Abhandlungen nachgegangen seien (nat. deor. 3,19), ebenso wie dann ja auch Cicero selbst in seinem Œuvre. Nun ist gerade die Mantik ein Thema, bei dem man einen Meinungswechsel bei Cicero diagnostizieren kann. In seiner in den 50er Jahren entstandenen Schrift De legibus (1,32-34) gibt er eine recht eindeutige persönliche Stellungnahme zur Mantik im Rahmen seiner Ausführungen zur Sakralgesetzgebung ab: Die divinatio wird von ihm, der selbst Augur ist, nicht nur als politisches Instrument in seiner 114 Leonhardt (1999), 63. 115 Zur Mantik vgl. nat. deor. 2,7-12 und 3,14f.; zum fatum siehe 1,55 sowie 3,14.19.
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Nützlichkeit anerkannt, sondern es wird ihr auch unzweideutig ein Wahrheitsgehalt in Bezug auf ihre Voraussagen zugebilligt, der dem stoischen Verständnis der Mantik entspricht. In seiner letzten Werkphase kommt Cicero dann auf verschiedene Themen der stoischen Theologie explizit und ausführlicher zurück. Dabei tritt an die Stelle der Affirmation eine zunehmend kritische und skeptische Haltung: Bereits im Lucullus (126), der dramatisch in den Jahren 63–60 v. Chr. angesiedelt ist, positioniert sich Cicero in persona propria, wenn auch mit der angebrachten skeptischen Reserve, gegen die Mantik, die fatum-Lehre und die Idee eines göttlichen Weltplans, mithin gegen drei absolute dogmatische Grundpfeiler der Stoa. Und in div. zerlegt er systematisch das argumentum ex divinatione, das als „Bollwerk der Stoiker“ (arx Stoicorum, div. 1,10) beschrieben wird.116 Diese Kritik an der Mantik wird am Anfang von De fato (§ 11-17) aufgegriffen. Insofern auch der Schicksalsbegriff einen Grundpfeiler der stoischen Kosmologie darstellt, kann die damit vorbereitete Widerlegung des Prinzips „Omnia fato fiunt“ in dieser Schrift natürlich auch in der Beurteilung der stoischen Theologie nicht folgenlos bleiben. Man gewinnt somit insgesamt den Eindruck, dass Cicero der Stoa in Fragen der Physik immer kritischer zu Leibe rückt – was zumindest eine Art Kurskorrektur gegenüber der in nat. deor. globalen Approbation der disputatio des Balbus gegenüber der skeptischen Kritik von Cotta wäre. Cicero selbst hat die Möglichkeit von persönlichen Meinungsänderungen in einzelnen Fragen jedenfalls keineswegs von sich gewiesen: „Möglicherweise habe ich ja nicht nur einen anderen Eindruck als du, sondern komme selbst bald zu dieser, bald zu jener Meinung.“117 Damit sähe dann die entwicklungsgeschichtliche Deutung des Schlusses von nat. deor. im Kontext der Schriftengruppe mit De divinatione und De fato wie folgt aus: Im ersten Werk fällt der junge Cicero ein zwar epistemisch angemessen formuliertes, aber inhaltlich noch nicht hinreichend ausdifferenziertes Urteil – das durchaus einer realen Affinität zu Antiochos bzw. zur Stoa in den Jahren 77–75 v. Chr. entsprochen haben kann, aber wohl kaum eine dogmatische Schulgefolgschaft ausdrückt. Dem philosophisch gereiften Cicero, der in puncto Weissagung gegenüber seinen früheren Schriften selbst einen Meinungswandel vollzogen hat, ist es dann vorbehalten, in den beiden späteren Werken die Richtschnur der akademischen Skepsis konsequent an die stoische Theologie anzulegen und sowohl die Mantik als auch den Schicksalsbegriff kritisch aufs Korn zu nehmen.118 Damit wird 116 Schofield, der diese Thematik sehr sorgfältig aufrollt, kommt zu dem Urteil, dass man in Sachen Mantik bei Cicero wohl einen „Meinungswechsel“ („change of mind“: Schofield (1986), 63, nt. 39) annehmen müsse. Auch Leonhardt (1999) räumt im Blick auf De legibus und De divinatione „die zwingende Notwendigkeit, eine gewisse Veränderung von Ciceros Standpunkt in den Jahren zwischen der Abfassung beider Schriften anzunehmen“ (71), ein, sieht aber hier zumindest „keinen radikalen Sinneswandel“ (73), weil er div. nicht als Widerlegung, sondern nur als Kritik an der Mantik deutet. Vgl. auch die Überlegungen von Gernot Michael Müller in diesem Band. 117 Orat. 237: potest enim non solum aliud mihi ac tibi, sed mihimet ipsi aliud alias videri. 118 In diesem Sinne, wenn auch mit anderer inhaltlicher Stoßrichtung, auch Leonhardt (1999), 66: „Das überaus vorsichtige Schlußbekenntnis Ciceros in De natura deorum, das von skeptischer ἐποχή so weit nicht entfernt ist, wäre dann nicht Ciceros letztes Wort in der Theologie gewesen.“
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das Urteil des jungen Cicero über die stoische Theologie in toto nicht komplett außer Kraft gesetzt, aber es wird in der Sache relativiert. Die Inszenierung des Schlusses von nat. deor. hat dann aber folgende implizite Botschaft: Der junge Skeptiker hat noch nicht ausgelernt, sondern muss sich in seiner kritischen Auseinandersetzung mit der stoischen Theologie noch weiterentwickeln – in nat. deor. ist er schließlich auch nur ein Zuhörer (auditor) gewesen. Aus dem ‚Schüler‘ wird dann in den beiden späteren Werken ein ‚Meister‘, der sich philosophisch gegenüber seinem früheren Selbst noch einmal signifikant weitergebildet hat. Die Entwicklung der drei Schriften zu Physik und Theologie119 würde damit nicht nur einer inneren Sachlogik in der Auseinandersetzung mit der Stoa folgen, sondern diese würde von Cicero auch in seiner eigenen Figur gespiegelt werden. Auch in nat. deor. haben wir also, ähnlich wie bei Hume, das (Selbst-)Porträt eines Skeptikers in jüngeren Jahren vor uns. Ein für diese literarische Konstruktion im Œuvre Ciceros höchst relevanter Bezugspunkt ist das fünfte Buch von De finibus, dessen dramatisches Datum in den Bildungsaufenthalt der Jahre 79–77 v. Chr. fällt und damit kurz vor nat. deor. platziert ist. Gerade im Blick auf die obigen Überlegungen zu Humes DNR fällt auch hier der pädagogische Rahmen ins Auge, der explizit etabliert wird: Lucius Cicero, der Vetter von Marcus und Quintus Tullius, soll auf die Bahn der philosophischen Studien gebracht werden. Er hört gerade Antiochos, aber Cicero hat als philosophische Alternative den Skeptiker Karneades ins Spiel gebracht, sodass Lucius nun zwischen den Stühlen sitzt: rapior illuc, revocat autem Antiochus (fin. 5,6). Marcus Piso, der Anhänger von Antiochos, versucht, „ihn zum Übergang von dieser Neueren Akademie zu jener Alten zu bewegen“ (5,7), indem er deren Auffassungen vom höchsten Gut darlegt. Sein Gegenspieler ist Cicero höchstselbst, der die Position des Antiochos einer skeptischen Prüfung unterzieht. Hier geht es also um die Erziehung bzw. die künftige Entwicklung von Lucius, und Cicero tritt nicht – wie in nat. deor. – als noch Lernender, sondern selbst schon als eine Art Pädagoge auf. Auffällig ist nun, dass Cicero trotz seiner skeptischen Argumentation immer wieder mögliche Affinitäten in Richtung der dogmatischen Position des Antiochos signalisiert. Als Piso in einem scherzhaften Intermezzo droht, Cicero seinen Schüler abspenstig zu machen, reagiert Cicero gelassen: „Du kannst ihn ruhig auf Deine Seite ziehen, […] wenn er mit dir geht; er wird es nämlich auch mit mir halten, wenn er auf deiner Seite steht.“120 Ciceros abschließender Kommentar weist in die gleiche Richtung: Wenn Piso an dem Grundsatz, dass alle Weisen immer glücklich sind, festhält, „dann darfst du nicht nur meinen Cicero, sondern auch mich selbst auf deine Seite ziehen“.121 Cicero zeigt sich somit durchaus geneigt, den Gründen Pisos weiteres Gehör zu geben. Mit anderen Worten: Die Diskussion über die Ethik – und auch die Meinungsbildung des jungen Cicero selbst – steht erst am Anfang 119 Zum Zusammenhang von nat. deor., div. und fat. vgl. auch die Überlegungen bei Schofield (1986), 49–51. 120 Fin. 5,86: [Cicero:] Tu vero, […] ducas licet, si sequetur; erit enim mecum, si tecum erit. (Übers. Merklin) 121 Fin. 5,95: [Cicero:] non modo meum Ciceronem, sed etiam me ipsum abducas licebit. (Übers. Merklin)
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und bedarf der Fortführung. Die weitere Entfaltung der ciceronianischen Auffassungen zur Ethik ist eine eigene Entwicklungsgeschichte, die hier natürlich nur holzschnittartig angedeutet werden kann: Im Lucullus – hier ist Cicero dann auf dramatischer Ebene über 40 Jahre alt – bekennt er zwar, dass er im Blick auf das summum bonum über nichts Wahrscheinlicheres (probabilius: Luc. 138) verfüge als über die Auffassungen der Peripatetiker und von Antiochos; aber die Einwände der Stoiker gegen deren Drei-Güter-Lehre, die auf die Autarkie des Glücks des Weisen abzielen, lassen ihn nicht ungerührt: Er gerät in einen Zustand der Oszillation zwischen den Stoikern und den Peripatetikern: „Ich bin hin- und hergerissen. Bald kommt mir dieses, bald jenes glaubhafter vor (distrahor, tum hoc mihi probabilius tum illud videtur).“ (Luc. 134) Diese Debatte wird dann in Tusc. V fortgesetzt, mit dem salomonischen Ergebnis, dass als probabile beider Auffassungen festgehalten werden kann, dass der Weise immer glücklich ist (Tusc. 5,120). Auch in Sachen Ethik sehen wir somit ein über die Schriften entwickeltes Selbstporträt, das ab ovo im skeptischen Rahmen angesiedelt ist, dessen nicht unbedingt linear zu nennende Entwicklung aber von der kontinuierlichen Auseinandersetzung mit den dogmatischen Schulen geprägt ist. Die Deutung dieses literarischen self-fashioning von Cicero als Entwicklungsgeschichte eines anfänglich jungen Skeptikers in den verschiedenen Bereichen seines Denkens lohnt m.E. eine weitere Vertiefung. Sie bietet möglicherweise eine hermeneutische Ressource zur Lösung verschiedener Probleme im philosophischen Schrifttum Ciceros, die bisher nicht hinreichend wahrgenommen oder ausgeschöpft wurde. Im Falle des höchst umstrittenen Schlusses von nat. deor. ermöglicht sie zumindest eine neue Interpretation. Dass schon Hume die ihr zugrunde liegende Idee eines Portrait of the skeptic as a young man in seiner Transformation von Ciceros Dialog indirekt sichtbar gemacht hat, spricht für die Fruchtbarkeit einer intertextuellen Lektüre dieser beiden skeptischen Denker. LITERATURVERZEICHNIS Primärliteratur David Hume, Dialoge über natürliche Religion, übers. u. hg. v. L. Kreimendahl, Hamburg 2016 (Philosophische Bibliothek, 658). [= Kreimendahl (2016)] David Hume, Enquiries concerning Human Understanding and concerning the Principles of Morals, ed. L.-A. Selby-Bigge, Oxford 31975. David Hume, The Natural History of Religion, ed. A.W. Colver / Dialogues concerning Natural Religion, ed. J.V. Price, Oxford 1976. [= Price (1976)] David Hume, Principal Writings on Religion, including Dialogues Concerning Natural Religion and The Natural History of Religion, ed. J.C.A. Gaskin, Oxford 1993. [= Gaskin (1993)] David Hume, Selected Essays, ed. S. Copley / A. Edgar, Oxford 1996. David Hume, Philosophical Works, ed. T.H. Green / T.H. Grose, 4 Bde., London 1882 [ND Aalen 1964]. Marcus Tullius Cicero, Akademische Abhandlungen / Lucullus (lat.-dt.), übers. v. C. Schäublin, komm. v. A. Bächli / A. Graeser, Hamburg 1995 (Philosophische Bibliothek, 479). Marcus Tullius Cicero, De divinatione / De fato / Timaeus, ed. O. Plasberg / W. Ax, Stuttgart 1969.
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Jörn Müller
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INDEX RERUM ET NOMINUM NOTABILIORUM Aberglaube: 36f., 96, 135, 160–165, 244 Akademie s. Platon Akademische Skepsis s. Skeptizismus amicitia s. Freundschaft amor s. Liebe Anthropologie: 100, 126, 189–192, 203, 243f. Augurium/augures: 25–27, 35, 37, 51, 121f., 134f., 159, 161, 163, 184, 244, 260 Auslegung: 21, 29f., 85 Autor: 45, 51, 61, 71, 103, 109, 117–121, 125f., 132, 140, 144, 147–150, 235f., 240, 243, 248, 250f., 253, 255–259 Autorität/auctoritas: 34, 71, 118f., 122, 134, 143–145, 159, 189, 194–196, 202, 229, 250f., 260 Balbus: 33f., 44–49, 51, 58, 64–66, 68, 70, 96, 113, 118, 123, 125, 129, 131, 133– 140, 142–144, 147, 149–153, 155, 161f., 164, 167f., 173–179, 181–183, 185–192, 194–198, 202, 205f., 209– 212, 219–226, 229, 233f., 241–244, 250, 252, 254, 259–261 Caesar, Gaius Iulius: 18, 29, 41, 48f., 58, 105–108, 110, 112, 168, 183, 247 care by s. Fürsorge (göttlich) Chrysipp: 34, 142, 154, 184, 207–214, 216, 222 Cicero, Quintus Tullius: 35, 118, 121, 150– 168, 180, 193, 255, 260, 262 city s. Stadt Cleanthes (von Assos) s. Kleanthes Cleanthes (aus Hume, „Dialogues concerning Natural Religion“): 233–236, 238, 242–244, 246f., 249f., 252–260 concupiscentia s. Konkupiszenz consecratio: 20, 23, 46, 49, 129 Cotta, Gaius Aurelius: 33–36, 43–46, 50–52, 58, 60, 63, 68–75, 85–92, 96, 113, 118f., 121–123, 129–145, 147, 149– 152, 161–167, 173–198, 225, 233–235, 239–245, 249–256, 259–261
Debatte (philosophisch): 50f., 118–123, 129, 133, 138, 142, 175f., 183, 198, 204, 206, 233f., 243–246, 263 dedicatio s. consecratio Deismus: 238, 250 Demea (aus Hume, „Dialogues concerning Natural Religion“): 233, 242–246, 249f., 253–256 divinatio s. Weissagung Epikur: 59, 62–64, 67, 74, 79–92, 96, 113, 156f., 192, 196, 221f., 240, 245, 247, 251 De dis: 79f., 83–87, 92 De sanctitate: 79, 83–85, 92 Kyriai Doxai: 87–92 Epikureismus: 27, 45, 55–57, 61–65, 72, 79, 84–87, 92, 95f., 113, 129–137, 142, 145, 167, 173, 188, 192, 209, 222, 234, 241–245, 251, 254 epoché s. Urteilsenthaltung Erbsünde: 202–205 erôs s. Liebe Exegese s. Auslegung Familie: 18, 28, 69f., 182, 208, 211, 225f., 238 Fideismus: 238, 245, 253 fides s. Götterglaube Freundschaft: 74f., 178, 201, 210–218, 225 Frömmigkeit: 15f., 25f., 30–32, 47f., 55–57, 69, 71–73, 76, 87f., 121, 208, 225f., 228, 252 Fürsorge (göttlich): 33f., 37, 47, 49, 65–67, 71, 96, 125, 144, 155, 164, 167, 206, 220f., 225, 241, 244 Genieästhetik s. Originalität Gerechtigkeit: 21, 47, 50, 55–58, 69, 74–76, 126, 183f., 210, 224f., 229 Glückseligkeit: 42–45, 51, 61, 63–65, 82, 86f., 89–91, 230 Göttergestalt s. Schönheit Götterglaube: 26, 30–34, 36–38, 46, 55f., 68, 76, 91f., 151f., 162, 166, 224, 252
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Index rerum et nominum notabiliorum
Gnade: 202–204, 220, 228–230 haruspices: 24–27, 35–37, 159, 163 Heimart, Hermann: 175, 198 historisch-kritische Forschung: 95–104, 112 Hume, David: 233–263 Iulianus von Aeclanum: 202, 204–206, 218– 221, 223, 228f. iustitia s. Gerechtigkeit Joyce, James: 258 Kleanthes (von Assos): 34, 142, 184, 194f., 212, 214, 242 Konkupiszenz: 202–205, 219f., 229f. Kynismus: 207–209, 221, 224 Land(-leben): 44, 48, 151, 174, 179, 185, 197 Liebe: 31, 89, 202f., 208–226 mise en scène s. Szenerie Mommsen, Theodor: 97f., 104–112 Naturrecht: 30, 184, 197f., 201 Neuhumanismus: 98–101 Octavius (Minucius Felix): 175, 178, 187f., 190–193, 195, 198 Originalität: 98–103, 105, 109, 143, 241, 246f. Pamphilus (aus Hume, „Dialogues concerning Natural Religion“): 240, 247–258, 260 Panaitios: 149, 151, 164–169, 223f. patrocinium/patronus: 75, 119f., 122 Philodemos: 79–89, 92, 135, 208 Platon: 25, 28–30, 86, 114, 119, 122, 124, 126, 146, 156, 169, 174, 208–215, 221– 223, 228f., 243, 245, 247, 259 Philo (aus Hume, „Dialogues concerning Natural Religion“): 233–238, 242–244, 252–257 Philon von Alexandria: 242 Philon von Larissa: 28, 121, 130f., 135f., 242, 249, 251, 254 Philosophie und römische Tradition: 21, 24– 26, 29, 33, 36–38, 71, 135–139, 158, 174, 196 pietas s. Frömmigkeit
pontifex s. Priester Priester: 17f., 20–25, 28f., 32–35, 37, 43, 49–52, 70f., 88, 122f., 133–135, 137, 143, 149, 182–184, 228, 253 probabile/probability s. Wahrscheinlichkeit providentia s. Fürsorge quasi corpus / quasi sanguis: 61f., 87–89 Quellenforschung: 95–104, 113 ratio s. Vernunft refutatio s. Widerlegung Religion als Frauensache: 17–19 Religion (natürliche): 245f. Religionsphilosophie: 25f., 35, 95f., 167, 182f., 237–247, 257f. Resonanztheorie: 58–62, 66–69, 72 Rosa, Hartmut s. Resonanztheorie rural life s. Land(-leben) Schönheit: 33, 36, 65f., 86, 163, 183, 206, 213 Skeptizismus: 28, 45, 61, 72, 96, 135f., 140– 143, 148–151, 155, 161–169, 174f., 185, 196, 225, 233, 236, 238–243, 249– 251, 249–251, 254–262 Stadt (Rom): 15, 19, 41–52, 66, 223 Stoa: 45–51, 61, 65–68, 118–120, 125f., 130, 133, 135, 142–145, 166–169, 174, 184, 202, 204–226, 239, 242, 251, 259, 261f. superstitio s. Aberglaube suspension du jugement s. Urteilsenthaltung Szenerie: 113, 117–121, 174, 239, 262 theologia tripertita: 27–30 Tradition: 74, 117, 135–139, 196–198, 210 Tugend: 16, 46–48, 55f., 59, 64, 69f., 134, 143, 177, 207, 212–220, 229f. Tusculum: 42, 151, 196 urban religion s. Stadt urbanity s. Stadt Urteilsenthaltung: 117, 120, 123, 130, 161, 167, 197, 255 Velleius: 34, 45, 58, 61–65, 72, 85–89, 95f., 113, 118, 121–125, 129–134, 137–139, 143–145, 173f., 177–179, 187f., 192, 195, 209f., 233f., 242, 249, 251, 253f., 260
Index rerum et nominum notabiliorum
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Vernunft: 27, 36f., 47, 60, 66, 74, 88, 91, 119, 162, 190, 206–211, 217f., 233, 238, 240f., 256 virtus s. Tugend vita beata s. Glückseligkeit
Weissagung: 33, 35, 37, 42, 96, 126, 135, 150, 152–168, 170, 244, 260f. Widerlegung: 33, 36, 61, 70f., 85f., 96, 113, 118, 122f., 130–136, 141, 182, 196, 234, 254–256, 261
Wahrheit: 28, 71, 123–126, 130f., 136–141, 152, 177, 188f., 225, 233f., 254–257 Wahrscheinlichkeit: 71, 113, 123f., 131f., 161f., 168, 175, 182, 197, 241, 254f., 260, 263
Zitat: 79–92, 220, 243
STELLENREGISTER Aristoteles Nikomachische Ethik 1143b12-14: 74 1154b: 210 1160a11: 56 1160a15-24: 69 Augustinus Confessiones 1,13,20: 218 3,4,8: 201 3,6,10: 205 5,7,12: 205 8,7,17: 229 8,12,28-30: 229 9,1,1: 229 9,2,3: 203 10,29,40: 203, 229 10,30,41: 229 Contra Iulianum 1,12,3: 204 1,12,5: 205 1,39,2: 205 2,2,1: 205 2,34,3: 229 3,8,2. 229 3,9,3: 228 3,16,1: 205 3,17-19: 205 3,48,3: 205 3,48,5: 229 3,49,1: 204 3,49,2: 205 3,49,3: 219 4,1,2: 205 4,17,5: 229 4,35,2: 206 4,35,3: 219 4,58,2: 205 4,59,2: 205f. 4,74,1: 206 4,76,2: 206 4,76,4: 221
4,78,2: 220 5,10,3: 221 5,29,1: 219 5,33,1: 221 5,33,2: 221 5,42,1: 220 Contra Iulianum (op. imperf.) 1,68: 204 5,11: 228 6,18: 228 De civitate Dei 1,21: 229 2,7: 228 2,14: 218, 228 2,27: 228 3,9: 35 4,27: 28, 32 4,30: 235 5,9: 149, 225, 235 6,5: 28 Contra Academicos 1,3,8: 188 De libero arbitrio 3,50-54: 203 Epistulae 130,9,18: 230 Retractationes 1,2: 230 Cicero Academica 2,7: 123, 138, 161 2,7-9: 250 2,8: 161 2,32: 123 2,65f.: 138 2,66: 123 2,107: 168
272
Stellenregister 2,115: 251 2,126: 261 2,127: 123 2,134: 263 2,138: 263
Brutus 183: 138 189: 138 201: 138 204: 138 207: 138 317: 138 De amicitia 13: 68 22: 75 23: 75 26: 75 30ff.: 75 48: 69 71: 75 De divinatione 1,1: 42 1,1-4: 155 1,1-5: 163 1,3: 42 1,5: 162 1,5-6: 155 1,6-7: 165 1,7: 144, 155, 166 1,8: 151f., 166 1,9: 118, 152f., 255, 260 1,10: 152-154, 261 1,12: 155, 164 1,13: 158 1,16: 158 1,23: 155 1,24: 160 1,34: 159 1,35: 156 1,51: 69 1,59: 59 1,60: 160 1,62: 156 1,72: 159 1,82-84: 154 1,86: 156 1,87: 156 1,101: 64 1,109: 156
1,117: 154f. 1,118: 155 1,124-125: 160 2,1: 42 2,1-7: 42 2,3: 150 2,5: 42 2,8: 157 2,9-11: 159 2,15: 159 2,19-21: 159 2,27: 157 2,28: 35, 163 2,36: 35 2,40-41: 162 2,42-43: 160 2,48: 160 2,50: 159 2,51: 27, 159 2,52: 159 2,57: 158 2,69: 64 2,70-71: 163 2,76: 159 2,88: 164 2,97: 164 2,100: 165 2,119-147: 160 2,148: 126, 163 2,148-150: 36 2,150: 121, 123, 168 De domo sua 1: 21, 226 2: 21f. 34-42: 18 107: 56 140f.: 22f. 144f.: 19, 23 De fato 1: 123, 161 11-17: 261 De finibus bonorum et malorum 1,16: 136 1,65-70: 75 2,61: 69 2,78: 75 2,119: 129, 136 3,62: 226 3,68: 209, 223
Stellenregister 4,14: 207 4,23: 169 4,40-48: 207 4,53: 142 4,79: 169 5,4: 174 5,6: 262 5,7: 262 5,10: 141 5,65-67: 56, 70 5,69: 70 5,76: 130 5,86: 262 5,95: 148, 262 De haruspicum responso 12: 21, 24 18: 25 19: 15, 25, 73, 225 43f.: 227 62: 27 De inventione 1,58f.: 180, 193 2,9-10: 249 De legibus 1,9f.: 51 1,17: 190 1,21: 193 1,23: 57, 68, 76 1,26: 68 1,26f.: 190 1,32-34: 260 1,39: 197 1,43: 69 1,49: 75 2,15: 30f. 2,16: 30f., 56 2,17: 69 2,19: 32, 57 2,22: 57 2,23: 69, 73 2,24: 57 2,25: 49, 57 2,32: 37 2,33: 73, 167 2,41: 57 2,42: 19 2,43: 76 3,12: 69 3,37: 57
273
De natura deorum 1,1: 50, 71, 117, 126, 149, 187, 241, 256 1,1-4: 8, 72 1,1-14: 248 1,2: 135, 145, 241 1,2-5: 241 1,3: 69, 71, 87f., 117, 241 1,3-4: 55, 135, 151 1,4: 71, 141, 225f. 1,5-10: 49 1,6: 119, 135, 251 1,7: 139, 144 1,8: 71, 144 1,10: 119, 143, 189, 251 1,10-12: 113 1,11: 119, 121, 130, 136, 138f., 141f., 145, 242 1,11f.: 249 1,12: 124, 131, 145, 182, 255 1,13-14: 121 1,14: 45, 117, 134f., 256 1,15: 43, 131f., 134f., 173, 197, 249 1,15-17: 259 1,16: 120, 129, 131f., 247, 259 1,17: 121, 129, 130-133, 140, 149, 241, 249, 251, 256, 260 1,18: 130 1,18-23: 243 1,18-24: 61 1,18-41: 132 1,18-56: 95 1,20: 96 1,22: 43 1,24-41: 61 1,29: 63 1,36-41: 142 1,39: 209f. 1,42f.: 61 1,43f.: 137, 241 1,43-53: 61, 95 1,45: 64, 89, 126, 135 1,47: 194 1,49: 61f., 87, 89, 126 1,51: 64 1,52: 64 1,54: 74, 96 1,55: 135, 260 1,56: 126, 133 1,57: 133, 137, 140, 177 1,58: 134, 187, 256 1,59: 61, 136, 142, 179
274
Stellenregister 1,60: 122, 138, 149 1,61: 43, 117, 122, 133, 137, 142 1,62: 57, 71, 137 1,65-75: 96 1,66: 72, 132 1,69: 132 1,72: 44, 72, 96 1,73: 63, 96 1,75: 63 1,77: 117, 132 1,80: 63 1,85: 91f., 96, 245 1,93f.: 96 1,96: 96, 126 1,100: 96, 126 1,101f.: 90, 96 1,103-110: 96 1,107: 132 1,109: 132 1,112: 44 1,114: 63f. 1,115: 65, 74, 88 1,116: 57, 75, 96 1,121f.: 90f., 96 1,122: 134 1,122-124: 64, 88f. 1,123: 245 2,1: 254 2,2: 117, 134, 176 2,3: 176, 233, 241 2,4: 96, 126, 192, 241 2,4-44: 96, 241 2,6-12: 144 2,7: 70 2,7-12: 155, 260 2,10: 69 2,13f.: 194 2,13-38: 65 2,15: 43, 65 2,16: 69 2,17: 195 2,19: 211, 243 2,20: 142f. 2,21: 143 2,32: 222 2,35: 50 2,39: 209 2,39-58: 65 2,44: 50 2,45-71: 194 2,46: 66 2,49-56: 47
2,56: 66, 68 2,59-72: 65 2,61: 45f. 2,63: 142 2,64-69: 144 2,70: 46 2,71: 46, 69, 135, 210 2,72: 44 2,73: 95, 193 2,73-75: 194 2,73-153: 225 2,74: 44, 50 2,78: 50, 76 2,81-90: 65 2,91-152: 72 2,94: 45 2,95: 126 2,98: 65 2,98-153: 65 2,99: 44 2,104: 126 2,104-114: 144 2,115: 195 2,118: 143 2,127: 206 2,128: 202, 206 2,132: 67 2,140: 68 2,141: 44f., 221 2,145: 212, 243 2,148: 50 2,150: 45 2,152: 44 2,153: 47, 68 2,154-167: 225 2,164: 67 2,164-166: 48 2,165: 144 2,167: 49, 67 2,168: 117, 134, 140, 149 3,1: 140, 177 3,2: 177, 254 3,3: 177 3,4: 177 3,4-19: 96 3,5: 34, 50, 134, 151, 166, 184, 198 3,6: 34, 50f., 69f., 117, 134, 151 3,7: 166, 178, 241, 252 3,7-64: 241 3,8: 178 3,9f.: 178, 189 3,10: 57, 139, 178, 192
Stellenregister 3,11: 46, 71, 192 3,12: 132 3,13: 46, 117 3,14: 260 3,14f.: 260 3,15: 69 3,18: 95 3,19: 260 3,21: 44 3,28: 132 3,36: 132 3,38: 56 3,39-64: 210 3,40: 46 3,43: 46 3,44: 132, 141 3,47: 132 3,49: 132 3,49f.: 45 3,52: 45, 132 3,53: 51 3,59: 45f. 3,60: 49 3,61f.: 49 3,63: 46 3,64: 117 3,80-85: 183 3,84: 45 3,88: 45 3,93: 67, 117, 151, 187, 256 3,94: 45, 182, 198 3,95: 34, 51, 70, 118, 129, 137, 139, 147, 167, 175, 181f., 197, 225, 234, 248, 253-260
De re publica 1,2: 69 1,15: 169 1,18: 174 1,19: 191 1,34: 69 2,26f.: 30 2,69: 56 3,10: 56 3 frg. 27 Powell: 184, 193, 198 3 frg. 32 Powell: 195 6,9,9: 228 Epistulae ad Atticum 4,2,2: 23 12,52: 111 13,8: 168 13,19,3: 149 16,6: 111 Epistulae ad familiares 14,4,1: 19 Hortensius (fr.) 48: 220 99: 220 In Verrem 2,3,23: 227 2,5,26f.: 227 2,5,31: 227 2,5,34: 227 2,5,36: 228 2,5,137: 227
De officiis 1,19: 69 1,126: 221 1,127f.: 221 1,129: 221 2,8: 141 3,89: 144
Philippicae orationes 2,6: 227 2,45: 227 2,58: 227 2,99: 227 2,103-105: 227 2,110: 75
De oratore 1,28: 149 1,29: 179, 185 1,30: 177 1,30-34: 179, 185 1,45-73: 179, 185 1,262: 138 3,67: 139 3,145: 138f.
Timaeus 8: 124 Tusculanae disputationes 1,8: 123 1,89: 69 2,9: 123, 142 3,6: 228 3,38: 136
275
276
Stellenregister 4,8: 206 4,10: 216 4,11: 218 4,11-14: 217 4,16: 206 4,47: 123 4,65: 218 4,68: 219 4,70: 218, 222 4,71: 221 4,72: 218 4,75: 219 4,76: 218f. 5,11: 123 5,82: 230 5,120: 263
Diogenes Laertios 1,27: 79 7,88: 210 7,130: 212f. 7,131: 208, 212, 214 7,173: 212 7,175: 212 Dion Chrysostomus 36,55f.: 211 Epikur Epistula ad Herodotum 76f.: 62 Kyriai doxai 1: 87f., 92 Epiktet Dissertationes 3,22: 224 Encheiridion 33: 224 Hesiod Theogonie 27: 28 Horaz carmina 3,6,1-8: 16 sermones 1,6,64: 32
Livius 37,33,6f.: 29 Lukrez 4,1141-1191: 222 Minucius Felix 16: 193 16,4: 188 16,6: 189 17,1: 191 17,1f.: 193 17,2: 191 17,3: 192 17,4: 192 18,1: 194 18,5: 194 18,5-10: 195 18,7-10: 194 18,11-20,1: 195 Origenes Contra Celsum 4,48: 211 Ovid Ars amatoria 1,637-642: 31 Philodem De dis 3 fr. 8 et 6: 83-85 De pietate col. 8, 205-219: 80f., 85 col. 13, 349-371: 82, 85 col. 36f., 1043-1049: 80 col. 44, 1259-1262: 81, 85 De Stoicis col. 11,10f.: 208 col. 14,23f.: 208 Platon Gorgias 493a: 215 523a-527e: 212 Phaidon 65a-d: 215
Stellenregister Phaidros 256c-d: 215 274c-275b: 119 275e-276a: 120 Politeia 353b-d: 69 376e-383c: 228 449d-466d: 208 457b: 208 Protagoras 347e-348a: 122 Symposion 180c-185c: 215 181b: 216 181c: 216 181d: 214, 216 183d: 216 183e: 214, 216 184c-e: 216 185b: 214 185c-188e: 211 189a-193e: 223 202b-202e: 209 Timaios 27d-47b: 124 32c: 211 Plutarch Caesar 10: 18 Moralia 1102B: 79 Polybios 6,56,6: 15 21,13,10-14: 29 31,23ff.: 70 Quintilian Institutio oratoria 1,6,40: 29 Sallust De coniuratione Catilinae 12,3: 16, 225
In Ciceronem 3f.: 109 7: 19 Seneca De tranquillitate animi 13,2: 217 Epistulae morales 116,5: 224 Sextus Empiricus PH 3,245: 208, 212 PH 3,246: 208 Stobaios 2,65f.: 215 2,115: 213 4,502: 222 4,507f.: 222f., 226 Terenz Eunuchus 1,1,14ff.: 218 Varro De lingua Latina 6,12: 47
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pa l i ng e n e s i a Schriftenreihe für Klassische Altertumswissenschaft
Begründet von Rudolf Stark, herausgegeben von Christoph Schubert.
Franz Steiner Verlag
ISSN 0552–9638
83. Mirena Slavova Phonology of the Greek inscriptions in Bulgaria 2004. 149 S., geb. ISBN 978-3-515-08598-4 84. Annette Kledt Die Entführung Kores Studien zur athenisch-eleusinischen Demeterreligion 2004. 204 S., geb. ISBN 978-3-515-08615-8 85. Marietta Horster / Christiane Reitz (Hg.) Wissensvermittlung in dichterischer Gestalt 2005. 348 S., geb. ISBN 978-3-515-08698-1 86. Robert Gorman The Socratic Method in the Dialogues of Cicero 2005. 205 S., geb. ISBN 978-3-515-08749-0 87. Burkhard Scherer Mythos, Katalog und Prophezeiung Studien zu den Argonautika des Apollonios Rhodios 2006. VI, 232 S., geb. ISBN 978-3-515-08808-4 88. Mechthild Baar dolor und ingenium Untersuchungen zur römischen Liebeselegie 2006. 267 S., geb. ISBN 978-3-515-08813-8 89. Evanthia Tsitsibakou-Vasalos Ancient Poetic Etymology The Pelopids: Fathers and Sons 2007. 257 S., geb. ISBN 978-3-515-08939-5 90. Bernhard Koch Philosophie als Medizin für die Seele Untersuchungen zu Ciceros Tusculanae Disputationes 2007. 218 S., geb. ISBN 978-3-515-08951-7
91. Antonina Kalinina Der Horazkommentar des Pomponius Porphyrio Untersuchungen zu seiner Terminologie und Textgeschichte 2007. 154 S., geb. ISBN 978-3-515-09102-2 92. Efstratios Sarischoulis Schicksal, Götter und Handlungs freiheit in den Epen Homers 2008. 312 S., geb. ISBN 978-3-515-09168-8 93. Ugo Martorelli Redeat verum Studi sulla tecnica poetica dell’Alethia di Mario Claudio Vittorio 2008. 240 S., geb. ISBN 978-3-515-09197-8 94. Adam Drozdek In the beginning was the apeiron Infinity in Greek philosophy 2008. 176 S. mit 11 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09258-6 95. Eckart Schütrumpf Praxis und Lexis Ausgewählte Schriften zur Philosophie von Handeln und Reden in der klassischen Antike 2009. 368 S., geb. ISBN 978-3-515-09147-3 96. Theokritos Kouremenos Heavenly Stuff The constitution of the celestial objects and the theory of homocentric spheres in Aristotle’s cosmology 2010. 150 S., geb. ISBN 978-3-515-09733-8 97. Bruno Vancamp Untersuchungen zur hand schriftlichen Überlieferung von Platons „Menon“ 2010. 115 S., geb. ISBN 978-3-515-09811-3 98. Marietta Horster / Christiane Reitz (Hg.) Condensing texts – condensed texts
2010. 776 S., geb. ISBN 978-3-515-09395-8 99. Severin Koster Ciceros Rosciana Amerina Im Prosarhythmus rekonstruiert 2011. 178 S., geb. ISBN 978-3-515-09868-7 100. Theokritos Kouremenos Aristotle’s de Caelo Γ Introduction, Translation and Commentary 2013. 121 S., geb. ISBN 978-3-515-10336-7 101. Hendrik Obsieger Plutarch: De E apud Delphos / Über das Epsilon am Apolltempel in Delphi Einführung, Ausgabe und Kommentar 2013. 417 S., geb. ISBN 978-3-515-10606-1 102. Theokritos Kouremenos The Unity of Mathematics in Plato’s Republic 2015. 141 S. mit 8 Abb., geb. ISBN 978-3-515-11076-1 103. Stefan Freund / Meike Rühl / Christoph Schubert (Hg.) Von Zeitenwenden und Zeitenenden Reflexion und Konstruktion von Endzeiten und Epochenwenden im Spannungsfeld von Antike und Christentum 2015. 219 S., geb. ISBN 978-3-515-11174-4 104. Sonja Nadolny Die severischen Kaiserfrauen 2016. 257 S. mit 10 Abb., geb. ISBN 978-3-515-11311-3 105. Michael Müller Tod und Auferstehung Jesu Christi bei Iuvencus (IV 570–812) Untersuchungen zu Dichtkunst, Theologie und Zweck der Evangeliorum Libri Quattuor 2016. 413 S., geb. ISBN 978-3-515-11340-3 106. Hedwig Schmalzgruber Studien zum Bibelepos des sogenannten Cyprianus Gallus Mit einem Kommentar zu gen. 1–362 2016. 601 S. mit 1 Abb. und 8 Tab., geb. ISBN 978-3-515-11596-4 107. Stefan Weise (Hg.) HELLENISTI! Altgriechisch als Literatursprache im neuzeitlichen Europa
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2017. 389 S. mit 5 Abb., geb. ISBN 978-3-515-11622-0 Armin Eich / Stefan Freund / Meike Rühl / Christoph Schubert (Hg.) Das dritte Jahrhundert Kontinuitäten, Brüche, Übergänge 2017. 286 S. mit 30 Abb., geb. ISBN 978-3-515-11841-5 Antje Junghanß Zur Bedeutung von Wohltaten für das Gedeihen von Gemeinschaft Cicero, Seneca und Laktanz über beneficia 2017. 277 S., geb. ISBN 978-3-515-11857-6 Georgios P. Tsomis Quintus Smyrnaeus Kommentar zum siebten Buch der Posthomerica 2018. 456 S., geb. ISBN 978-3-515-11882-8 Silvio Bär Herakles im griechischen Epos Studien zur Narrativität und Poetizität eines Helden 2018. 184 S., geb. ISBN 978-3-515-12206-1 Christian Rivoletti / Stefan Seeber (Hg.) Heliodorus redivivus Vernetzung und interkultureller Kontext in der europäischen Aithiopika-Rezeption 2018. 229 S., geb. ISBN 978-3-515-12222-1 Friedrich Meins Paradigmatische Geschichte Wahrheit, Theorie und Methode in den Antiquitates Romanae des Dionysios von Halikarnassos 2019. 169 S., geb. ISBN 978-3-515-12250-4 Katharina Pohl Dracontius: De raptu Helenae Einleitung, Edition, Übersetzung und Kommentar 2019. 571 S. mit 14 Abb., geb. ISBN 978-3-515-12216-0 Gregor Bitto / Anna Ginestí Rosell (Hg.) Philologie auf zweiter Stufe Literarische Rezeptionen und Inszenierungen hellenistischer Gelehrsamkeit 2019. 280 S. mit 2 Abb., geb. ISBN 978-3-515-12357-0 Antje Junghanß / Bernhard Kaiser / Dennis Pausch (Hg.) Zeitmontagen
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Formen und Funktionen gezielter Anachronismen 2019. 235 S. mit 3 Abb., geb. ISBN 978-3-515-12366-2 Stefan Weise Der Arion des Lorenz Rhodoman Ein altgriechisches Epyllion der Renaissance 2019. 321 S., geb. ISBN 978-3-515-12412-6 Katharina Pohl Dichtung zwischen Römern und Vandalen Tradition, Transformation und Innovation in den Werken des Dracontius 2019. 302 S., geb. ISBN 978-3-515-12089-0 Bernd Bader Josephus Latinus: De Bello Iudaico Buch 1 Edition und Kommentar 2019. 256 S., geb. ISBN 978-3-515-12430-0 Marco Palone Le Etiopiche di Eliodoro Approcci narratologici e nuove prospettive 2020. 240 S., geb. ISBN 978-3-515-12612-0 Klaus Meister Studien zur griechischen Geschichtsschreibung Von der Klassik bis zur Spätantike 2020. 346 S., geb. ISBN 978-3-515-12591-8 Anne-Elisabeth Beron / Stefan Weise (Hg.) Hyblaea avena Theokrit in römischer Kaiserzeit und Früher Neuzeit 2020. 216 S., geb. ISBN 978-3-515-12708-0 Donato De Gianni Iuvencus: Evangeliorum Liber Quartus Introduzione, testo criticamente riveduto, traduzione e commento 2020. 509 S., geb. ISBN 978-3-515-12844-5 Anne-Elisabeth Beron Calpurnius Siculus: Erste Ekloge Einleitung, Edition, Übersetzung und Kommentar 2021. 346 S. mit 12 Tab., geb. ISBN 978-3-515-12843-8
125. Bernhard Kaiser Streit und Kampf Die verbalen Angriffe gegen Sokrates in Platons Gorgias 2021. 256 S., geb. ISBN 978-3-515-12859-9 126. Gernot Michael Müller (Hg.) Figurengestaltung und Gesprächs interaktion im antiken Dialog 2021. 315 S., geb. ISBN 978-3-515-12906-0 127. Wolfgang Hübner Disiecti membra poetae Neue Spuren des astrologischen Lehrdichters Dorotheos von Sidon 2021. 115 S. mit 15 Abb., geb. ISBN 978-3-515-12924-4 128. Christopher Diez Ciceros emanzipatorische Leserführung Studien zum Verhältnis von dialogischrhetorischer Inszenierung und skeptischer Philosophie in De natura deorum 2021. 406 S. mit 1 Tab., geb. 129. Bernd Lorenz (Hg.) Gregor von Nazianz: Threnos über die Leiden seiner Seele (Carmen II, 1, 45) 2021. 112 S., geb. ISBN 978-3-515-13035-6 130. Georgios P. Tsomis Das hellenistische Gedicht Megara Ein Kommentar 2022. 236 S., geb. ISBN 978-3-515-13108-7 131. Friedemann Drews Hermeneutik und kritische Bibelexegese in Augustins De Genesi ad litteram 2022. XIV, 390 S., geb. ISBN 978-3-515-13110-0 132. Walter Kißel Personen und persona in den Epigrammen Martials 2022. 233 S., geb. ISBN 978-3-515-13128-5 133. Peter von Möllendorff / Gernot Michael Müller (Hg.) Gespräch und Erzählung Strategien und Funktionen des Narrativen im antiken Dialog 2022. 298 S., geb. ISBN 978-3-515-13245-9
Ciceros religionsphilosophisches Hauptwerk De natura deorum nimmt in vielerlei Hinsicht eine Sonderrolle in nerhalb seines Dialogschaffens ein. Wohl auch deshalb sind selbst grundle gende Fragen in der Forschung nach wie vor nicht konsensuell beantwortet. Die Autorinnen und Autoren des Bandes nä hern sich der Schrift aus ganz unter schiedlichen Perspektiven, indem sie den Dialog unter anderem mit den In strumentarien der Quellenforschung, Religionswissenschaft, rhetorischphilo logischen Detailanalyse und Rezepti onsforschung untersuchen. In der Ge
samtschau, zu der auch die Einbezie hung der Forschungstraditionen ver schiedener Länder beiträgt, erweist sich die Tendenz der neueren Forschung als fruchtbar, Cicero als Philosophen eige nen Rechts ernst zu nehmen. Doch es werden auch bleibende Probleme sicht bar: so die Erklärung des schwierigen Schlusssatzes des Werks, Ciceros Ver zicht auf die Übernahme der skepti schen Widerlegungen zugunsten einer weitgehend stummen Beobachterrolle oder die Frage nach der grundsätzlichen Zielsetzung der Schrift.
ISBN 978-3-515-13326-5
www.steiner-verlag.de
9 783515 133265
Franz Steiner Verlag