Zwischen »Ghetto« und »Normalität«: Deutungskämpfe um stigmatisierte Stadtteile in Frankreich 9783839442913

A conceptual and empirical study about the battle over the assessment of space and space-related identities.

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German Pages 258 Year 2018

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Table of contents :
Inhalt
Abbildungen und Tabellen
Einleitung
Erklärungsansätze zur Entstehung von stigmatisierten Stadtteilen
Diskurs- und hegemonietheoretische Perspektive
Operationalisierung
Muster diskursiver Praktiken auf »großen Oberflächen«
Gegenhegemoniale Raumdiskurse zwischen Makro und Mikro
Rap in actu: Darbietungs- und Vermittlungsformen
Normalisierungsstrategien und die Denunziation des »Ghettos«
Literaturverzeichnis
Anhang: Rap-Korpus
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Zwischen »Ghetto« und »Normalität«: Deutungskämpfe um stigmatisierte Stadtteile in Frankreich
 9783839442913

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Andreas Tijé-Dra Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

Urban Studies

Andreas Tijé-Dra, Geograph, promovierte an der Universität Erlangen-Nürnberg. Seine Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Stadtgeographie, Kulturgeographie und Politische Geographie.

Andreas Tijé-Dra

Zwischen »Ghetto« und »Normalität« Deutungskämpfe um stigmatisierte Stadtteile in Frankreich

Zugl. Dissertation, Universität Erlangen-Nürnberg, 2017. Die Publikation ist im Rahmen des von der DFG geförderten Sachmittelprojekts ›Gegenhegemoniale Diskurse zu stigmatisierten Stadtvierteln in Frankreich und Deutschland‹ entstanden. Die Publikation wurde aus Projektmitteln unterstützt.

© 2018 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: © David Monniaux, Le quartier de la Fauconnire et la ligne de Paris-Nord Lille, Gonesse, Val-d’Oise, France, wikipedia.org (Detail, bearbeitet), https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Banlieue_nord_ P1190008.jpg, Creative Commens Attribuition-Share Alike 3.0 Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4291-9 PDF-ISBN 978-3-8394-4291-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Abbildungen und Tabellen | 9 Einleitung | 11

»banlieues«, stigmatisierte Stadtteile und Rap in Frankreich: Deutungskämpfe um sedimentierte Perspektiven | 11 Aufbau der Arbeit | 20 Erklärungsansätze zur Entstehung von stigmatisierten Stadtteilen | 23

Effekte und Wandel der Stigmatisierung von Stadtteilen in Frankreich | 24 Versicherheitlichung und Kulturalisierung der Vorstadtkrise | 24 Postkoloniale Effekte der Stigmatisierung | 26 Territoriale Stigmatisierung und Urban Advanced Marginality | 29 Merkmale fortgeschrittener urbaner Marginalität | 29 »Ghettos« oder »Anti-Ghettos« in Frankreich? | 31 Zwischen Internalisierung und Anfechtung | 34 Rap als Gegenstand der Stadtforschung und als Ausdrucksform in, aus oder zu stigmatisierten Stadtteilen | 35 Hip-Hop und Rap – »Ursprünge« und Anfänge | 35 Rap »glokal« – Globale Zirkulation, lokalen Aneignungen | 38 Rap in Frankreich | 40 Verortung des vorgeschlagenen Ansatzes | 44 Diskurs- und hegemonietheoretische Perspektive | 47

Konzeptionelle Grundlagen | 48 Diskursive Formationen und Praktiken | 52 Performativität diskursiver Praktiken | 55 Hegemonietheorie diskursiver Praktiken | 58 Diskurs als artikulatorische Praxis | 59 Identitäten im Kampf um Hegemonie | 62 Gegenhegemoniale Diskurse | 68

Operationalisierung | 75

Diskursanalyse als In-Beziehung-Setzen von Konzepten und Praktiken | 75 Lexikometrische Exploration von diskursiven Makrostrukturen | 78 Kodierende Verfahren in der Diskursanalyse | 87 Aussagenanalysen | 89 Ethnographisch-informierte Methoden | 93 Ablauf der Analyse | 96 Muster diskursiver Praktiken auf »großen Oberflächen« | 101 »Hegemoniale« Konstitution von Rap | 101 Grundzüge des Le Monde-Korpus | 102 Diachrone Betrachtung der hegemonialen Konstitution von Rap | 106 Gegenüberstellung hegemonialer banlieue- und Rap-Diskurse | 111 Diskursive Muster in Rap: Raumdiskurse auf der Makro-Ebene | 115 Grundstrukturen des Korpus | 116 Rap und stigmatisierte Viertel in einer zeitlichen und regionalen Betrachtung | 122 Gegenhegemoniale Raumdiskurse zwischen Makro und Mikro | 135

Ergebnisse der Kodierung | 136 Diskursive Strategien im Umgang mit territorialer Stigmatisierung | 144 Das Viertel als Ausdruck der Ungleichbehandlung und »rechtsfreier« Raum | 144 Ortsbindungen | 159 Territoriale Stigmatisierung zwischen (Post-)Migration, »Integration« und Postkolonialität | 169 Rap in actu: Darbietungs- und Vermittlungsformen | 185 Rap-Konzerte | 189 Unintendierte Effekte diskursiver Praktiken: Zwischen partiellem Scheitern und Selbstevidenz | 191 Artikulation unterschiedlicher gegenhegemonialer Diskurse | 196 Rap-Ateliers | 202 Deutungen der Praktiker | 205

Normalisierungsstrategien und die Denunziation des »Ghettos« | 213 Literaturverzeichnis | 225 Anhang: Rap-Korpus | 253

Abbildungen und Tabellen

ABBILDUNGEN Abb. 1: Verteilung der »sensiblen urbanen Zonen« in Frankreich 2006 | 15 Abb. 2: Äquivalenz und leere Signifikanten | 64 Abb. 3: Flottierender Signifikant | 73 Abb. 4: Konkordanzliste in der Software »TXM« | 82 Abb. 5: Ergebnisse einer Korrespondenzanalyse | 83 Abb. 6: Ausgewählte Kookkurrenzpartner zu »Raum« | 86 Abb. 7: Häufigkeitsverteilungen der Artikel im Le Monde-Korpus | 103 Abb. 8: Die 100 häufigsten Lemmata im Le Monde-Korpus | 104 Abb. 9: Korrespondenzanalyse der Jahrgänge im Le Monde-Korpus | 107 Abb. 10: Lexikometrischer Zirkel für das »banlieue«-Korpus | 112 Abb. 11 Lexikometrischer Zirkel für das Le Monde-Korpus | 113 Abb. 12: Die 250 häufigsten Nomen und Eigennamen im Rap-Korpus | 118 Abb. 13: Chronologische Verteilung des Vokabulars im Rap-Korpus | 119 Abb. 14: Korrespondenzanalyse der Zeitintervalle im Rap-Korpus | 120 Abb. 15: Spezifische Nomen 1994-1997 und 2011-2013 | 121 Abb. 16: Spezifizitäten ausgewählter Raumkonzepte im zeitlichen Verlauf | 123 Abb. 17: Kookkurrenzpartner von »cité« | 125 Abb. 18: Kookkurrenzpartner von »ghetto« | 126 Abb. 19: Kookkurrenzpartner von »rue« | 127 Abb. 20: Kookkurrenzpartner von »banlieue« | 127 Abb. 21: Kookkurrenzpartner von »quartier« | 128 Abb. 22: Zusammenschau der Kookkurrenzen | 129 Abb. 23: Die 30 spezifischsten Wörter je »Region« | 131 Abb. 24: Kodenetzwerk | 137 Abb. 25: Rue de la République (Marseille) 2004 und 2015 | 165 Abb. 26: Ekoué und Hamé von La Rumeur | 170 Abb. 27: Petition zur Unterstützung von Saïd Bouamama und Saïdou | 180 Abb. 28: Besuchte Orte in der Region Paris | 187

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Abb. 29: Konzert von La Rumeur (Juni 2011) | 189 Abb. 30: Rap-Konzert in Clichy-sous-Bois | 194 Abb. 31: Flyer für ein Solidaritätskonzert mit ZEP | 199 Abb. 32: ZEP auf der Bühne | 200

TABELLEN Tab. Tab. Tab. Tab. Tab.

1: Forschungsdesign | 97 2: Liste der besuchten Veranstaltungen | 99 3: Konkordanzen des Lemmas »cité« im Le Monde-Korpus | 105 4: Spezifisches Vokabular nach Clustern | 109 5: Wörter, Interpreten und Titel des Rap-Korpus nach Region | 122

Einleitung

»BANLIEUES«, STIGMATISIERTE STADTTEILE UND RAP IN FRANKREICH: DEUTUNGSKÄMPFE UM SEDIMENTIERTE PERSPEKTIVEN Seit nunmehr vier Dekaden bilden randstädtische Großwohnsiedlungen in Frankreich – zumeist mit »banlieues«, gelegentlich mit »Ghettos« gleichgesetzt – den privilegierten Gegenstand von Diskussionen über die Folgen von räumlicher Segregation. Davon zeugen die kaum mehr zu überblickenden medialen, wissenschaftlichen und politischen Debatten sowie die zahlreichen Interventionen des französischen Staates.1 Im zeitlichen Verlauf haben sich bestimmte Praktiken erfolgreich durchgesetzt, die solche Stadträume und ihre Bewohnerschaft diskursiv als »hochgradig problematisch« konstituieren. Im Fokus dieser Arbeit stehen diskursive Praktiken2, die von diesem hegemonial gewordenen Konsens abweichen oder ihn infrage stellen. 1

Der mehrdeutige Begriff »banlieue« hat im engeren Sinne zwei Bedeutungen: Etymologisch entstammt er dem Begriff »bannileuga« (hochmittelalterliches Latein für »Bannmeile«). Die Bannmeilen unterlagen dem Recht ihrer städtischen Herrscher, entrichteten ihnen Tribute und standen unter deren Schutz. Neben der juristischen Bedeutung bezeichnet der Begriff administrativ die eine Großstadt umgebenden Vororte (Rey 1992: 173).

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Die Vielfalt der Diskursbegriffe in den Sozialwissenschaften und im alltäglichen Sprachgebrauch erzeugt schnell Unklarheiten bezüglich der Frage, inwiefern »Diskurs« mehr als nur etwas Sprachliches sei. In Anschluss an Foucault (1981) bzw. Laclau und Mouffe (2006) werden Diskurse in dieser Arbeit als sprachliche und nichtsprachliche Praktiken der Herstellung von sozialem Sinn verstanden. Die Praktiken können sich ähneln, konvergieren, aber auch miteinander konkurrieren und sich gegenseitig ausschließen.

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Eine funktionalistische Bauweise machte die als cités (»Stadt«, »Siedlung«) bezeichneten Großwohnsiedlungen in banlieues zum Zeitpunkt ihrer Fertigstellung in den 1950er und 1960er Jahren noch zu einem erstrebenswerten Wohnort. Ihre architektonische Form drückte einen avantgardistischen Urbanismus aus und symbolisierte Fortschritt; ihre immensen Wohnkapazitäten entschärften die Wohnungsnot der prosperierenden Nachkriegsgesellschaft. Kurz darauf setzten bis heute andauernde, sich gegenseitig verstärkende Prozesse ein. Sie sollten »die« banlieues, cités dauerhaft als »sensible Quartiere« (quartiers sensibles) stigmatisieren (Mengin 1999). Die ab den 1970er Jahren einsetzende De-Industrialisierung traf besonders (Arbeiter-)Vorstädte in den Industriegürteln der französischen Metropolen. Viele Bewohner stammten aus Südeuropa und den ehemaligen Kolonien Frankreichs. Parallel zur wachsenden Arbeitslosigkeit erfolgte ein sukzessiver Wegzug der bisher noch verbliebenen Bewohnerschaft aus der Mittelschicht. Dadurch konzentrierten sich in bestimmten, mittlerweile auch baulich degradierten Großwohnsiedlungen ökonomisch schwache Bevölkerungsgruppen mit überproportionalem Zuwandereranteil. Deren geringen Beschäftigungsmöglichkeiten aus Qualifikations- oder Konjunkturgründen erschwerten über Generationen hinweg soziale Teilhabe. In manchen Vierteln entstanden daher Schattenökonomien erheblichen Umfangs. Sie stützen bis heute das Bild von »gefährlichen« banlieues, obwohl viele der verbundenen Stereotypen nur auf einen geringen Teil aller Viertel in den Vorstädten zutreffen (vgl. auch Paquot 2008a; Vieillard-Baron 2001, 2016). Internationale, länger anhaltende Aufmerksamkeit erhielt die »banlieue-Krise« schließlich infolge der Vorort-Revolten im November 2005. Die beschriebenen Entwicklungen lassen sich jedoch kaum auf deutsche Großwohnsiedlungen übertragen. Zwar gelten Großwohnsiedlungen wie in Neuperlach oder Marzahn ebenfalls als stigmatisiert (für Ostdeutschland vgl. auch Glasze et al. 2012). Aufgrund der abweichenden Leitbilder des bundesdeutschen Städtebaus sowie der deutlich geringeren Anzahl und Größe von (westdeutschen) Großwohnsiedlungen, erreichten die städtebaulichen Schieflagen und gesellschaftlichen Diskussionen keine vergleichbare Intensität wie in Frankreich. Seit November 2005 nehmen in Deutschland die Verweise auf die Lage »der« banlieues in Frankreich dennoch zu; bevorzugt in Kontexten des sozialen Wohnbaus und der (Post-)Migration3 in bestehenden oder vermeintlichen deut-

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Die Begriffe »Postmigration«, »Postmigrantin«, »Postmigrant« und »postmigrantisch« umschreiben in dieser Arbeit mehr als den Zustand einer abgeschlossenen oder noch anhaltenden Wanderung von unterschiedlichen Gruppen. Sie verweisen jenseits des raumüberwindenden Aspekts von Migration auch auf die Aushandlungsprozesse,

Einleitung | 13

schen Problemvierteln. Autoren in überregionalen Medien wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Berliner Zeitung oder dem Spiegel fragen seit den Vorort-Unruhen von 2005, ob ostdeutsche bzw. Hamburger Großwohnsiedlungen (Ehrhardt 2005; Willisch 2005), oder Kreuzberger bzw. Neuköllner Viertel (Schwägerl/Wild 2006; Wensierski 2011) mit banlieues vergleichbar seien. Aufgrund der angespannten Lage am Münchner Wohnungsmarkt und den Diskussionen um »Mietpreisbremsen« in Großstädten, warnte die Bundestagsfraktion der SPD im Jahre 2013 gar vor dem Entstehen von »bayerischen banlieues« (Steinmetz 2013). Forschungsarbeiten haben viele Konsequenzen benannt, die mit der Subsumption von sozialen und städtebaulichen Problemen unter einem bevorzugten Begriff einhergehen. Die Subsumption hat reduktionistische Effekte, wird wirkmächtig im Alltag von politischen Entscheidern und beeinflusst die soziale bzw. geographische Mobilität der Betroffenen (Begag 2002; Revel 2008): • Der sinngemäße Rekurs auf banlieues als »soziale Brennpunkte« erzeugt eine

Analogie zwischen einer gesellschaftlichen und einer stadträumlichen Randlage. Dem widerspricht das Bestehen vieler »normaler« banlieue-Viertel mit Einfamilienhaus-Bebauung und »schicker banlieues« der französischen Oberschicht (Pinçon/Pinçon-Charlot 2010). Historisch wurzelt diese etablierte Analogie in der frühindustriellen Periode, in der die »gefährlichen Klassen« am Stadtrand die »roten (Arbeiter-) banlieues« bewohnten (Fourcaut 2000). • Die widersprüchlichen und exkludierenden Wirkungen des Begriffs finden ihre Fortsetzung in der selektiven Wahrnehmung von zentral bzw. diesseits der Stadtgrenze gelegenen stigmatisierten Vierteln. So gelten alltagssprachlich etwa die zentralen und nördlichen Viertel von Marseille – bekannt für hohe Bau-

sozialen Hierarchien und Konflikte, in die (post-)migrantische Identitäten innerhalb von Gesellschaften eingelassen sind. Spielhaus (2012: 96f.) betont: »Die postmigrantische Gesellschaft ist keine Gesellschaft, die sich mit Einwanderung – häufig verschämt als Migration bezeichnet – und der darauf zurückgehenden Pluralisierung der Gesellschaft abgefunden hat und diese als normal, als selbstverständlich und unproblematisch betrachtet. Im Gegenteil: Als postmigrantisch sind Gesellschaften zu charakterisieren, die mit den Effekten der vormals stattgefunden und möglicherweise auch noch anhaltenden Migration, mit der Pluralisierung ihrer Bevölkerung, ihren gesellschaftlichen Milieus und Lebensstilen hadern. Gesellschaften, in denen sich eine Vielzahl von Debatten und Problemerklärungen auf die zum Teil vor langem – im Fall von Deutschland vor einem halben Jahrhundert – stattgefundene Migration konzentriert.«

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ten, Zuwandereranteile, Arbeitslosen- und Kriminalitätsraten – als banlieues (Gresillon 2012; Leroux 2012); Gleiches gilt für kernstädtische Großwohnsiedlungen entlang von Ausfallstraßen (beispielsweise in Nîmes, vgl. Kirkness 2014). • Es kann bezweifelt werden, ob ein solches Raumverständnis, das letztlich auch staatlichen Handlungsbedarf legitimiert, zielführend ist. Die raumorientierten Zugriffe der ab den 1970er Jahren entwickelten Politique de la Ville konnten die bestehenden Probleme noch nicht lösen. Dies zeigen ihre vielen auf Zonierungen beruhenden, z.T. konkurrierenden und inzwischen gebündelten Programme.4 Kartographische Darstellungen verdeutlichen eindrücklich das Ausmaß der »sensiblen urbanen Zonen« im Umkreis von französischen Ballungszentren (vgl. Abbildung 1 für 2006: Kreisgrößen beschreiben die absolute Zahl der Wohnbevölkerung in den Interventionsgebieten einer selbstverwalteten Kommune [bis zu mehr als 200.000 Einwohner], dunkle Kreisfärbungen hohe Anteile der betroffenen Wohnbevölkerung an der Gesamtbevölkerung [bis zu 56%]; je dunkler die Fläche einer administrativen Region gefärbt ist, desto mehr Interventionsgebiete bestanden 2006 dort [bis zu 157]). Die Stadtforschung nennt unterschiedliche Gründe für das Scheitern der umfangreichen Interventionen. Viele Interventionen beruhen auf homogenisierenden Annahmen über die Bewohner der Viertel. Sie trafen bei Weitem nicht auf alle Bewohner zu und konnten daher kaum Effekte zeitigen. Denn neben wenigen punktuellen Besserungen verstetigten die Zonierungen das »banlieue«-Stigma. Die räumliche Definition und Verwaltung von »Hilfsbedürftigkeit« kann zudem Beziehungen zwischen Anwohnern und Repräsentanten von staatlichen Institutionen festigen, die vorrangig als paternalistisch empfunden werden (Avenel 2007: 143; 2009: 44f.). Auch haben die städtebaulichen Eingriffe – z.B. der Abriss

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Das Dekret 2014-1750 vom 30.12.2014 verdeutlicht das Ausmaß der bisherigen Interventionsbemühungen. Es ordnete den Neuzuschnitt der in den 1990er Jahren definierten, sich teilweise überlappenden Interventionsgebiete der zentralstaatlichen Stadtpolitik an. Die »sensiblen städtischen Zonen« (zones urbaines sensibles), »abgabefreien Zonen« (zones franches urbaines), »Viertel der Stadterneuerung« (quartiers de la rénovation urbaine) sowie andere raumbezogene Steuerungsinstrumente werden seit 2015 in »prioritären Vierteln« (quartiers prioritaires) zusammengefasst, von denen rund 50 Prozent administrativ in einer banlieue liegen (Darriau et al. 2014: 156). In den ehemals über 2300, nunmehr auf 1300 »verkleinerten« Zonierungen sollen Programme der Ressorts Wohnen, Soziales und Lokalökonomie konzertiert durchgeführt werden (www.gouvernement.fr/action/la-nouvelle-geographie-prioritaire, zuletzt aufgerufen am 15.01.2016).

Einleitung | 15

oder Rückbau großer Wohnbauten und der Neubau von Sozialwohnungen – kaum messbaren Einfluss auf die lokalen Konzentrationen von Minderheiten und verarmten Bevölkerungsschichten (Kokoreff/Lapeyronnie 2013: 88). Abbildung 1: Verteilung der »sensiblen urbanen Zonen« in Frankreich 2006

Quelle: Dajoux 2010: 14.

• Der Begriff »banlieue« wird häufig, wie die Konzepte »benachteiligte Viertel«

oder »stigmatisierte Viertel«, mit Fragen der Migration verbunden. Er fungiert als räumlicher Beweis einer »gescheiterten Integration«. Ein Großteil der heute überproportional ansässigen Minderheiten migrierte als »Gastarbeiter« während des Nachkriegsaufschwungs und der Dekolonisierung aus dem Maghreb bzw. West-, Zentralafrika und den französischen Antillen nach Frankreich. Der beschriebene Strukturwandel marginalisierte sie mehrheitlich, sowohl ökono-

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misch als auch gesellschaftlich. Er verschränkt zugleich eine räumliche mit einer kulturalistischen Kompetente der Stigmatisierung (Germes/Glasze 2010). Die »banlieue-Problematik« verweist also auf ein komplexes Gefüge von Schieflagen und identitätsbezogenen Fragen. Trotz aller Widersprüchlichkeiten und Mehrdeutigkeiten des Begriffs haben die beschriebenen Orte gemein, regelmäßig als stigmatisierte Stadtteile von hegemonialen Diskursen hervorgebracht zu werden. Gleichzeitig verweisen sie auf die zentrale Rolle von räumlichen Differenzierungen bei der Herstellung von gesellschaftlichen Beziehungen (Glasze/Pütz 2007; Glasze/Mattissek 2009b: 15) sowie der im selben Zuge einhergehenden Verräumlichung von sozialen Problemen (Tissot/Poupeau 2005). Hierin schließt die vorliegende Studie an jüngere geographische Studien zur diskursiven Konstitution des Städtischen im Allgemeinen (z.B. Mattissek 2008), bzw. städtischer Großwohnsiedlungen im Besonderen (z.B. Germes et al. 2010) an. Sie fokussiert aber auch andere stigmatisierte Viertel von urbanen Agglomerationen in Frankreich, die keine randstädtischen Großwohnsiedlungen sind. Diese möglicherweise umständlich erscheinende Festlegung trägt der umgangssprachlichen Unschärfe des Wortes »banlieue« Rechnung, sowie dem Umstand, dass infrage stehende Viertel unabhängig von ihrer exakten stadtgeographischen Lage eine vermeintlich soziale Randständigkeit symbolisieren. Im Gegensatz zu bisherigen Arbeiten rücken hier nicht ausschließlich die hegemonialen Strategien der diskursiven Konstitution des Städtischen in den Analysefokus. Denn auch hegemoniale Raumdiskurse, so wird im Folgenden betont, sind nie total oder bringen ihre Gegenstände als Abbild einer »objektiven Wirklichkeit« hervor. Es gibt stets diskursive Praktiken, die hegemoniale Diskurse kritisieren bzw. gleiche Gegenstände des Sozialen abweichend konstituieren. Diese Diskurse als »gegenhegemonial« zu konzeptualisieren und empirisch zu untersuchen steht im Mittelpunkt der Arbeit. Neben dem konzeptionellen Bestreben, so gedachte Deutungskämpfe um Räume und Identitäten analytisch zu fassen, sollen aktuell »weniger erfolgreiche«, aber dennoch relevante Erklärungsansätze für stigmatisierte Stadtteile in Frankreich zum Vorschein kommen, und hegemonialen Diskursen gegenübergestellt werden. Dass die hegemonialen Deutungen zur Situation der Stadtteile immer schon hinterfragt wurden, zeigen bereits die traditionsreichen sozialen Bewegungen in den Vierteln (vgl. Tijé-Dra 2014). Eine neue Betrachtungsweise ermöglichen die in der geographischen Stadtforschung bislang kaum beachteten Diskurse in der französischen Rap-Musik. Diese eignen sich in besonderem Maße für die Analyse von Deutungskämpfen, da sie häufig besagte Viertel themati-

Einleitung | 17

sieren. Aufgrund seiner weiten Verbreitung inner- und außerhalb der Viertel, erhält Rap zudem mediale und politische Aufmerksamkeit (Barrio 2007: 96). Nach fast drei Dekaden hat sich Rap in Frankreich als urbane Kultur etabliert, und in Teilen musikökonomisch integriert. Ungleich zum deutschen Pendant – dem »Deutschrap« (vgl. auch Mager 2007) – wurden die Diskurse der Rap-Musik von Beginn an mit »schwierigen Vierteln«, banlieues oder cités assoziiert und unausweichlich in ein politisierbares Feld von raumbezogenen und stigmatisierenden Diskursen gerückt. Hammou (2014) belegt dies anhand der Debatten über das zum Ende der 1980er Jahre neue (Vorstadt-)Phänomen »Rap«. Dessen Akteure mit oftmals afrikanischen, antillischen oder maghrebinischen Wurzeln galten jenseits ihres Sprechgesangs als »Symptome öffentlicher Probleme« (ebd.: 70). Sie wurden wahlweise in die Nähe von Vandalismus (Graffitis) oder von kriminellen Vorstadt-Banden gerückt und bereits damals als Vertreter einer »gefährlichen« und »gefährdeten« Großstadtjugend angerufen (ebd.: 71ff.). Solche starken Bezüge zu stigmatisierten Stadtteilen werden der Rap-Bewegung aber nicht nur »von außen« zugeschrieben. Ebenso nehmen innerhalb der Rap-Musik die Bezüge zum Urbanen sowie das Repräsentieren der sozialen und geographischen Herkunft eine konstitutive Rolle ein (Forman 2000). Die Beziehung zwischen dem aus den USA »importierten« Rap und stigmatisierten Vierteln in Frankreich ist also weder »naturwüchsig«, noch ist sie zufällig. Eine wachsende Popularität ermöglichte Rapperinnen und Rapper, von einem gesellschaftlich zugewiesenen Ort aus Sozialkritik zu formulieren. Umgekehrt wurde es möglich, exotisierende Bilder der »Straße«, von »harten Jungs« oder »der« banlieue (im Singular) zu vermarkten (Hammou 2014: 201ff.). Einen weiteren Hinweis darauf, dass Rap über (bzw. aus) stigmatisierte(n) Viertel(n) gesellschaftlich als politisch oder transgressiv wahrgenommen werden kann, geben die vielen Polemiken und bemühten Strafverfolgungen gegen Rapperinnen und Rapper. Seit der sogenannten »Affäre NTM5« 1995 folgten viele Kontroversen um den vermeintlich schlechten Einfluss von Rap und um die Frage, ob bestimmte Äußerungen noch zur künstlerischen Meinungsfreiheit gehören oder bereits Formen der Verhetzung bzw. Diffamation seien. Seit den 2000er Jahren hat Rap zusätzlich das Interesse von Parteipolitikern geweckt, die in ihren Äußerungen ebenfalls Bezüge zwischen Rap und stigmatisierten Vierteln her-

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Bei einem Auftritt in Toulon verglichen die beiden Rapper von NTM aus St. Denis die staatlichen Ordnungskräfte mit Faschisten. Nach den Anzeigen mehrerer Polizeigewerkschaften wurden sie zunächst zu mehrmonatigen Freiheitsstrafen verurteilt (Médioni et al. 1996).

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stellen. Im Archiv der französischen Nationalversammlung6 finden sich für die letzten vier Legislaturperioden dutzende an das Justiz- oder Kulturministerium gerichtete Anfragen zu Rap-Musik. Einerseits forderten Parlamentarier Rechtfertigungen für staatlich subventionierte Kulturveranstaltungen mit der Beteiligung von kontroversen Rap-Gruppen, andererseits die strafrechtliche Verfolgung von bestimmten Rappern (besonders im Nachgang der Vorort-Unruhen von 2005, aber auch schon lange vorher). Der UMP-Abgeordnete Jaques Myard etwa verlangte in seiner schriftlichen Anfrage an das Justizministerium vom 16.09.2002 die Aufnahme von Ermittlungen gegen die Mitglieder der Gruppe »Sniper«. Seine Eingabe begründete er mit der »Gewalt in den Texten von bestimmten Rap-Liedern, die zurzeit in Frankreich verkauft werden, und die sich ausdrücklich gegen den Staat und die republikanischen Werte richten. So hört man auf dem neuen Album der Gruppe ›die Snipers‹ Aussagen wie z.B. ›Der Hass fließt durch unsere Adern […] Frankreich ist eine Schlampe und wir haben uns betrügen lassen […] man müsste die Gesetze ändern und bald Schwarze und Araber im Elysée an der Macht sehen können […] Frankreich den Franzosen, solange ich da bin wird das unmöglich sein […].‹ Diese Ausdrucksweisen, die keines Kommentars bedürfen, sind ein indiskutabler Aufruf zur Gewalt und zum Rassenhass. Sie zerstören alle Anstrengungen, die Kriminalität in den banlieues zu bekämpfen.«7,8

Das Beispiel dieser Lesart, die Rap-Texte nicht als künstlerische Artikulationen betrachtet und wörtlich auslegt, reproduziert abermals Stereotype über »vor allem kriminelle« banlieues. Die Interpretation gibt Rappern wie Sniper indirekt

6

www.assemblee-nationale.fr

7

Alle französischsprachigen Zitate in dieser Arbeit wurden, sofern nicht anders kenntlich gemacht, vom Autor übersetzt.

8

»[M. Jacques Myard appelle l’attention de M. le garde des Sceaux, ministre de la justice,] sur la violence des paroles de certaines chansons de rap actuellement distribuées en France, qui sont explicitement dirigées contre l’Etat et les valeurs républicaines. Ainsi dans le dernier album du groupe les Snipers entend-on des propos tels que ›La haine coule dans nos artères [...] la France est une garce et on s’est fait trahir [...] faudrait changer les lois et pouvoir voir bientôt à l’Elysée des Arabes et des Noirs au pouvoir [...] la France aux Français, tant que j’y serai ce sera impossible [...]‹. Ces modes d’expression, qui se passent de tout commentaire, sont un appel inadmissible à la violence et à la haine raciale. Ils ruinent tous les efforts consacrés à la lutte contre la délinquance dans les banlieues.« http://questions.assemblee-nationale.fr/q12/12-261 8QE.htm (zuletzt aufgerufen am 10.01.2016).

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eine Mitschuld an Kriminalität, unabhängig von der Bewertung eines künstlerischen, aber auch situierten Werkes. Interessanterweise wurde und wird Rap – was seine gesellschaftliche Stellung noch ambivalenter macht – nicht nur als Symptom einer Krise bewertet. Trotz des ständigen Hinterfragens von Rap durch unterschiedliche gesellschaftliche Akteure, macht sich die Stadtteilpolitik die lokale Popularität der andernorts wegen ihres vermeintlich schlechten Einfluss denunzierten Praktiken längst zu Nutze. Neben den sozialpädagogischen Stadtteilprogrammen für Jugendliche »profitiert« Rap von weiteren institutionellen Multiplikatoren wie der staatlichen Kulturförderung von »zeitgenössischen Jugendkulturen« und den in den 1990er Jahren eingeführten Quoten für französischsprachige Musik im Rundfunkprogramm (Lafargue de Grangeneuve 2008). Auf Basis der dargelegten Beobachtungen und der eingenommen Perspektive zeigt sich, wie vielseitig französischer Rap in der öffentlichen Wahrnehmung mit stigmatisierten Vierteln assoziiert wird und auch seine Diskurse mit den Vierteln koppelt. Solche Diskurse auf die von ihnen erzeugten Praktiken, Deutungs- und Identitätsangebote bezüglich stigmatisierter Viertel zu befragen, ermöglicht es, gesellschaftliche Widersprüche und Aushandlungsprozesse aufzuzeigen, für die Raumbezüge von zentraler Bedeutung sind. Sie erlauben, das Verhältnis hegemonialer, gegenhegemonialer und raumbezogener Diskurse in den vielen Kontexten genrespezifischer Praktiken – wie dem häufigen Rappen über stigmatisierte Stadtteile — zu beleuchten. Entsprechend lassen sich am Beispiel von französischem Rap folgende Leitfragen zur Untersuchung von gegenhegemonialen Raumdiskursen formulieren, die versuchen, sowohl die Merkmale der Rap-Texte als auch deren Zirkulation zu berücksichtigen: • Wie lassen sich gegenhegemoniale Diskurse als Modi der Raumherstellung

konzeptualisieren? • Welche Muster von raumbezogenen gegenhegemonialen Diskursen werden

durch französischen Rap hervorgebracht? • Wie konstituieren die Akteure in ihren Texten die stigmatisierten Viertel der

französischen Agglomerationen? Auf welche Themen, Gegenstände, Akteure und soziale Beziehungen rekurrieren sie hierbei wiederholt? • Wie zirkulieren diese (Be-)Deutungen von Raum, d.h. wie vollziehen sich deren kontextuellen Aneignungen und somit Aktualisierungen im Rahmen von sozialen Praktiken, wie werden sie sozial reproduziert und bei RapVeranstaltungen »geteilt«? Dabei soll auch thematisiert werden, ob beim Einsatz von Rap bei »Schreibwerkstätten« in den Vierteln gegenhegemoniale Dis-

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kurse Eingang in institutionelle, pädagogisch geprägte Kontexte finden können oder dann bereits als kooptiert bewertet werden?

AUFBAU DER ARBEIT Der Aufbau der Arbeit orientiert sich an der Reihenfolge der abgeleiteten Fragestellungen. Ein nuancierter Überblick der stadtgeographischen und sozialwissenschaftlichen Erklärungsansätze zu den Forschungsgegenständen »Rap« bzw. »stigmatisierte Viertel« skizziert anfänglich mehrere aktuell diskutierte Modi von Raumproduktionen; neben diskursanalytischen Arbeiten und postkolonialen Kritiken wird hierbei auch das erklärungsstarke Konzept der »territorialen Stigmatisierung« kritisch adaptiert. Anschließend sensibilisiert der Überblick der sozial- und kulturwissenschaftlichen Forschungen zu Rap für dessen enge Verknüpfung mit dem Urbanen und bestimmten städtischen Vierteln. Die tendenziellen Leerstellen der vorgestellten Ansätze dienen dann einer Verortung des verfolgten Ansatzes und einer Verfeinerung der Fragestellung. Das dritte Kapitel bildet das konzeptionelle Gerüst dieser Arbeit. Dort wird für einen breiten Diskursbegriff optiert. Auf Basis der Hegemonie- und Diskurstheorie von Laclau und Mouffe und den Überlegungen Foucaults erfolgt ein Zugang zur Produktivität von diskursiven Praktiken, der das Diskursive nicht auf rein sprachliche Praktiken verengt: mithilfe der Konzepte der Performativität und Artikulation bildet das Diskursive einen Mittler zwischen situativen Praktiken und etablierten Ordnungen. Dass diese Situationen und Ordnungen niemals garantiert sind und Ziel von Kritik, Umdeutungen oder Forderungen werden können, verdeutlichen abschließende Überlegungen zu gegenhegemonialen Diskursen. Das vierte Kapitel zur Operationalisierung des vorgeschlagenen Ansatzes schlägt einen mixedmethods-approach vor. Um sich der Komplexität des vorher entwickelten Diskursverständnisses von unterschiedlichen Blickwinkeln und Materialien her anzunähern, verfolgt die gewählte Strategie eine Relationierung der sprachlichen Materialen sowie deren Relationierung mit beobachtbaren oder rekonstruierbaren Formen von sozialer Interaktion. Konkret ermöglichen dies lexikometrische, kodierende, aussagenanalytische und ethnographisch-informierte Zugänge. Der zweite Teil der Arbeit erarbeitet zunächst lexikometrisch die Verknüpfung von Rap mit stigmatisierten Vierteln »aus hegemonialer Perspektive« und anhand von Rap-Texten. In Analysen werden aus dem Material heraus Anhaltspunkte für relevante Konzepte und Akteure zu stigmatisierten Vierteln bestimmt. Basis der Berechnungen bilden ein Zeitungskorpus aus 14 Jahrgängen sowie mehrere Tausend kompilierte Rap-Titel. Das anschließende »diskursanalytische

Einleitung | 21

Kodieren« eines unter qualitativen Gesichtspunkten erstellten Korpus soll weitere Hinweise auf relevante Konzepte liefern und eine erste Relationierung mit dem lexikometrischen Material erlauben. Das Korpus wird dann auf Basis des erworbenen Kontextwissens einer Mikroanalyse unterzogen, um die unterschiedlichen Strategien zu beschreiben, mit denen Künstler die identifizierten Raumbezüge in Wert setzen. Das Augenmerk gilt dabei dem Umstand, dass die Sprecherinnen und Sprecher stets eigene und fremde, diskursiv auf Distanz gehaltene Standpunkte aushandeln müssen. Der dritte Teil der Analyse soll anhand von ethnographisch-informierten Methoden die Vermengung von sprachlichen und nicht-sprachlichen Praktiken untersuchen. Als empirisches Material dienen hierfür unterschiedliche Konzertbesuche. Ziel war hierbei der Versuch, in öffentlichen Kontexten nachzuspüren, wie und ob sich die gegenhegemonialen Raumdiskurse in Rap in actu erfolgreich reproduzieren, z.B. im Kontext der erwähnten Schreibwerkstätten bei der Jugendarbeit. Während den Forschungsaufenthalten befragte Akteure erläutern hier ihre Einschätzungen, ob der Anspruch von Rapperinnen und Rappern, die ein kritisch-distanziertes Verhältnis zu Institutionen aufweisen, im Rahmen dieser Form von Jugendarbeit (überhaupt) zur Geltung kommen kann? Insgesamt wird sich andeuten, dass die gegenhegemonialen Raumdiskurse in den Forschungskorpora stets um bestimmte semantische Achsen kreisen. Sie liefern z.T. Erklärungsansätze, die deutlich von hegemonialen Diskursen abweichen. Das letzte Kapitel diskutiert nochmals die unterschiedlichen Analysen und relationiert sie zueinander.

Erklärungsansätze zur Entstehung von stigmatisierten Stadtteilen

Das Ziel, diskursive Deutungskämpfe am Beispiel stigmatisierter Stadtteile zu analysieren, schließt im Wesentlichen an die Arbeiten zweier Forschungsfelder an. Erste zentrale Bezugspunkte bietet das weitläufige Feld der geographischen und sozialwissenschaftlichen Stadtforschung zu segregierten Vierteln. Hier dominieren bislang die tradierten Zugänge sozialökologischer, sozialstatistischer oder (besonders in den USA) marxistischer Prägung. Praxeologische oder poststrukturalistische Zugänge bleiben vergleichsweise unterrepräsentiert (Dangschat 1997; Lindner 2004; Deffner/Haferburg 2012; Glasze/Haferburg 2013). Im französischen Kontext produziert(e) die fortwährende Aktualität der Problematik zudem ein unüberschaubares Korpus mit Forschungsliteratur (vgl. die Anthologie von Paquot 2008b). Da die vorliegende Arbeit einem konstruktivistischen Grundverständnis folgt, werden hier nur jene aktuelleren Forschungen aufgegriffen und Forschungsstränge verbunden, die unterschiedliche Akteure und Modi der sozialen Herstellung von stigmatisierten Vierteln analysieren. Dies umfasst die hegemoniale Konstitution stigmatisierter Stadtteile durch politische Interventionen, Medien sowie aktuelle Debatten zu den Funktionsweisen von territorialer Stigmatisierung. Denn die später zu untersuchenden Diskurse im Rap beziehen sich – so eine zentrale Hypothese – ebenfalls auf hegemoniale Akteure und Bedeutungen, um sich zu den Vierteln positionieren zu können. Die Erklärungsansätze der Stadtforschung werden in einem zweiten Schritt durch Ansätze der sozialwissenschaftlichen Erforschung von Rap ergänzt. Eingangs werden die für das Verständnis von Rap unabdingbaren US-amerikanischen Ursprünge und globalen Diffusionsmuster erläutert. Darauf aufbauend werden die Arbeiten über die Hauptmerkmale der lokalen Aneignung von Rap in Frankreich und dessen Bezüge zu stigmatisierten Vierteln skizziert. Abschließend wird der Mehrwert einer Zusammenführung von konstruktivistischen Strängen der Stadtforschung mit Forschungen zu Rap aufgezeigt, der durch die

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Analyse politisierbarer Praktiken vor allem in einer Erweiterung der bisherigen Perspektiven auf ein sozial umkämpftes geographisches Phänomen liegt.

EFFEKTE UND WANDEL DER STIGMATISIERUNG VON STADTTEILEN IN FRANKREICH Ein Teil der neueren Forschungsarbeiten untersucht die Herstellungsmechanismen von stigmatisierten Stadtteilen in Frankreich jenseits etablierter sozialstatistischer oder gruppenspezifischer Fallstudien. In den neueren Arbeiten gilt das Interesse besonders der Verstetigung von Segregation und Stigmatisierung, ihren unterschiedlichen Ausprägungen und den historischen Bedingungen ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz. Es wird deutlich, wie sehr die betreffenden Viertel inzwischen als gesellschaftlich randständig gelten und über kulturalistische Kategorien wahrgenommen werden. Gründe liegen laut einigen Autoren in der Versicherheitlichung eines urbanen Problems und dessen postkolonialer Dimension. Hinzu kommen Debatten über mögliche Ghettoisierungstendenzen und über die Internalisierung von territorialer Stigmatisierung. Versicherheitlichung und Kulturalisierung der Vorstadtkrise In seinen Arbeiten zu den politischen Antworten auf die »Krise der Vorstädte« untersucht Dikeç (2007b, 2007a, 2013) die Interventionslogiken der Politique de la Ville. Letztere galt dem deutschen Programm »Soziale Stadt« als Vorbild (Weber 2013: 16). Dikeç legt den erheblichen Wandel der politischen Wahrnehmung von bestimmten banlieues dar, der mit ihrem sozio-ökonomischen Abstieg, steigender Kriminalität und einer zunehmenden residentiellen Segregation einherging (2007a). Die betroffenen Gebiete unterlagen in den 1980er Jahren noch wohlfahrtsstaatlich geprägten Zugriffen, welche jedoch keine hinreichenden Effekte auf die anhaltenden Vorstadt- und Wirtschaftskrisen hatten. Es entstanden »Viertel der Verbannung« (Dubet/Lapeyronnie 1992). Rechtskonservative Regierungen rahmten vorherrschende Probleme ab den 1990er immer mehr als Sicherheitsprobleme. Dieser Gemeinplatz machte vor allem die Wahrnehmung männlicher, »fremd aussehender« banlieue-Bewohner als »potentiell gefährlich« nach und nach gesellschaftsfähig (Dikeç 2013). Aus »gefährdeten« Orten wurden »gefährliche« Orte. Gleichzeitig legitimierten wechselnde Innenminister mit diesem Narrativ angestrebte Verschärfungen des Strafrechts, restriktive Sicherheitspolitiken sowie präventive Ansätze. Sozialstaatliche Politikfelder verloren zunehmend an Rele-

Erklärungsansätze zur Entstehung von stigmatisierten Stadtteilen | 25

vanz (Mucchielli 2007). Wacquant sieht hierin eine zunehmende Verdrängung des Sozialstaats durch einen »bestrafenden« Staat (2009a). Banlieues symbolisierten fortan »badlands [Ödland] of the republic« (Dikeç 2007a), welche es »wiederzugewinnen« galt. Vor diesem Hintergrund forderte etwa der damalige Staatspräsident Jaques Chirac im Jahre 2003 bei einem öffentlichen Auftritt »die Rückeroberung dessen, was man die verlorenen Territorien der Republik nennen konnte«.1 Im zeitlichen Verlauf wurden die Territorien nicht nur über Kennziffern der Segregation und Unsicherheit definiert. Analysen von medialen und politischen Äußerungen (Glasze et al. 2012; Germes/Glasze 2010) konstatieren neben der sukzessiven Verknüpfung von bestimmten banlieues mit Unsicherheitsdiskursen eine zunehmende Ethnisierung bei ihrer diskursiven Hervorbringung. Die Ethnisierungen erfolgen über die Zuordnung unterschiedlicher (ehemaliger) Einwanderergruppen (z.B. »Schwarze«, »Afrikaner«, »Maghrebiner«, »beurs« 2 ). Boubeker (2013) beobachtet einen ab Anfang der 2000er Jahre erfolgten Wiederanstieg xenophober Einstellungen. Die vermeintliche »kulturelle Fremdheit« eines Teiles der Bevölkerung ergänzt auf paradoxe Weise die sozialpathologische Repräsentation bestimmter banlieues als den verräumlichten Ausdruck eines gesellschaftlichen »Außen«. Der symbolische Ausschluss ermöglicht ex negativo die Bestimmung einer französisch-republikanischen Identität, deren vollständige Einheit durch die »verlorenen Territorien« blockiert ist. Die dem Außen Zugehörigen werden jeweils in »blockierende« und (meist weibliche) »hilfsbedürftige Andere« unterteilt, ihre geographische Zugehörigkeit in Differenz zur Republik gesetzt (Germes/Glasze 2010; Hancock 2015). Feministische Autorinnen ergänzen aus intersektionaler Perspektive die Debatte durch die Betonung der Rolle von Geschlechterverhältnissen bei der Konstitution stigmatisierter Stadtteile. Viele Repräsentationen von Frauen in banlieues kreisen um eine Kopftuch-Debatte, bei der teilweise auch feministische Bewegungen und hegemoniale Sprecher unisono das Kopftuch als Symbol der paternalistischen Unterdrückung bestimmen (Hancock 2008). Diese enge Verknüpfung von Geschlechteridentitäten mit banlieues ist mehrfach problematisch. Neben dem reduktionistischen Bild »passiver« Frauen, wird die grundsätzlichere Frage nach der freien Wahl zum Tragen eines bestimmten Kleidungsstücks kaum thematisiert. Stattdessen reproduziert die Fokussierung auf die religiösen

1

»[L]a reconquête de ce que l’on a pu appeler les ›territoires perdus de la République‹.« http://discours.vie-publique.fr/notices/037000328.html (zuletzt aufgerufen am 20.12.2015).

2

Ausdruck der Personen nordafrikanischer Herkunft bezeichnet.

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Aspekte des Kopftuches kulturalistische und genderisierte Stereotype über (Post-) Migrantinnen und Migranten. Der weibliche Körper wird bei Diskussionen um das Kopftuch oder den islamischen Ganzkörperschleier zur Projektionsfläche von ungleichen Machtverhältnissen zwischen »kulturell fremden« Männern und Frauen, sowie einer »progressiven Republik« und einer »fragwürdigen« Minderheit in den stigmatisierten Stadtteilen (Hancock 2015). Postkoloniale Effekte der Stigmatisierung Seit den 2000er Jahren verweisen Autoren verstärkt auf die Kontinuität von bestimmten Argumentations- und Handlungsmustern aus der französischen Kolonialzeit bei der hegemonialen Konstitution von stigmatisierten Stadtteilen und ihrer Bewohner. Solche postkolonialen Effekte beruhen auf einer staatlich verklärten und zivilgesellschaftlich nur in Teilen aufgearbeiteten Kolonialvergangenheit (Liauzu 2002). Die Einordnung dieses folgenreichen Kapitels der französischen Geschichte bleibt bis heute heftig umkämpft. Zentral ist hierbei die Bewertung von Frankreichs »zivilisatorischer Kolonisation« in Afrika, und die für viele Franzosen und Algerier schmerzhaften Erfahrungen des algerischen Befreiungskrieges von 1954 bis 1962.3 Ebenso folgenreich erweisen sich die mit der De-Kolonialisierung und dem Nachkriegswachstum zunehmenden Migrati-

3

Ein Beispiel liefert die Debatte um das Gesetz Nummer 2005-158 vom 23.02.2005 (Meynier 2005), das u.a. für den staatlichen Bildungsbetrieb eine Betonung der positiven Rolle der »früheren französischen Präsenz in Übersee« vorsah (Art. 4, Abs. 2). Der zitierte Absatz wurde per Dekret 2006-160 vom 16.02.2006 aufgehoben. Ebenso kontrovers war die Rede des Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy vom 26.07.2007 in Dakar. Sarkozy relativierte den französischen Kolonialismus in Afrika mit einem von vielen überkommen geglaubten Afrikabild, das auf Essentialismus und Rückständigkeit fußt (Chrétien 2007). Diese »primitivistische« Rhetorik (Amselle 2011: I) zur Legitimation einer vermeintlich zivilisatorischen Kolonisation wurde bereits in den 1930er Jahren durch Autoren der anti-kolonialen Négritude-Bewegung kritisiert (z.B. Césaire 1955). Stein des Anstoßes waren Äußerungen Sarkozys wie die folgende: »Im Guten wie im Schlechten hat die Kolonisation den afrikanischen und den europäischen Menschen verändert. […] Afrikas Tragödie ist, dass der afrikanische Mensch nicht genug in die Geschichte eingetreten ist.« Frz. Originalzitat: »Pour le meilleur comme pour le pire, la colonisation a transformé l’homme africain et l’homme européen. […] Le drame de l’Afrique, c’est que l’homme africain n’est pas assez entré dans l’Histoire.« http://discours.vie-publique.fr/notices/077002371.html (zuletzt aufgerufen am 23.03.2016).

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onsbewegungen von ehemals verfeindeten Siedlern und Einheimischen aus den Kolonien nach Frankreich (Lacoste 2006; Bancel et al. 2010). Gerade Einwanderer fanden damals trotz anfänglicher Vollbeschäftigung im industriellen Sektor keinen wirklichen Anschluss an Gewerkschaften oder Parteien. Daraufhin blieben sie politisch unterrepräsentiert (Amselle 2011: 236ff.). Erst ab den 1990er Jahren, nach der enttäuschten Abwendung von linken Bewegungen, gründeten sie neue politische Bewegungen entlang eines postkolonialen Fluchtpunkts. Berühmte Beispiele sind die 1995 gegründete »Bewegung der Einwanderung und der banlieues« (Mouvement de l’immigration et des banlieues) oder die 2005 gegründete »Bewegung der Indigenen der Republik« (Mouvement des Indigènes de la République).4 Die Bewegungen beklagen eine fortwährende Diskriminierung in allen Lebensbereichen aufgrund von Herkunft und Hautfarbe. Dies umfasst gesellschaftlichen Rassismus, institutionellen Rassismus in Verwaltung und Sicherheitskräften oder Benachteiligungen auf dem Arbeits- und Wohnmarkt gegenüber (vermeintlichen) »Nicht-Franzosen« (Simon 2000; Robine 2006). Nicht ohne Grund verknüpfen die Bewegungen ihre Identität dabei mit räumlichen Konzepten, denn banlieues gelten als primäre Orte der (Post-)Migration in Frankreich. Die »Indigenen« hingegen propagieren einen von der politischen Linken losgelösten »postkolonialen Antikolonialismus« (Kipfer 2011: 1162). Sie legen Wert auf ihre Abstammung von den »Eingeborenen« der ehemaligen französischen Kolonialgesellschaften, deren Rechte im Vergleich zu denen der »Kolonialherren« sowohl in den Kolonien als auch in Kontinentalfrankreich per Dekret eingeschränkt waren (vgl. den Gründungsaufruf der Indigenen in Robine 2006). Der Name der Bewegung verweist auf eine erzwungene räumliche Abgeschlossenheit in »heimischen« Territorien (Kipfer 2011: 1165; Wacquant 2014: 94). Die desintegrativen Effekte der kolonialen Vergangenheit manifestieren sich bei der politischen Steuerung bestimmter banlieues oder stigmatisierter Stadtteile in unterschiedlichen Interventionsfeldern. Während den Vorstadt-Revolten von 2005 fand das 1955 für den Algerienkrieg geschaffene Gesetz 55-385 zur Ausrufung des Ausnahmezustands erstmals in Kontinentalfrankreich Anwendung.5 Es ermöglicht das Verhängen von Ausgangssperren und räumt den Exe-

4

Die »Indigenen der Republik« haben 2010 eine gleichnamige Partei gegründet. http://indigenes-republique.fr (zuletzt aufgerufen am 29.09.2016).

5

Nach den verheerenden terroristischen Attentaten vom 13.11.2015 in Paris ist der Ausnahmezustand erneut ausgerufen worden. Vorher fand er im kolonialen Algerien, im Übersee-Departement Neu-Kaledonien bei der Niederschlagung eines IndigenenAufstandes 1985 und bei den Vorstadt-Revolten 2005 Anwendung.

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kutivorganen weitreichende Befugnisse ein. Silverstein und Tetrault (2006) sehen in den Geschehnissen und staatlichen Reaktionen den Ausdruck einer »postkolonialen urbanen Apartheid«, einer Aktualisierung von bewährten territorialen Techniken aus vergangenen Epochen. Entstehen konnte die »postkoloniale urbane Apartheid« durch Segregation, Perspektivlosigkeit und den Abbau von sozialstaatlichen Leistungen. Das Resultat bilden »duale«, krisenanfällige Städte. Ergänzend bedarf es wie im kolonialen Krisenfall eines militärischen Regierens der »gefährlichen« Stadtteile und Bevölkerungsgruppen, das im französischen Kontext auf Erfahrungen in Nordafrika fußt, und laut Silverstein und Tetrault seit den Revolten von 2005 durch hochgerüstete Sicherheitskräfte gewährleistet wird (ebd.). Graham (2011) umschreibt diesen Aspekt eines globalen »new urban militarism« in Anlehnung an Foucault als Transfer von staatlichen Kontrolltaktiken der Kolonialzeit in die Städte des globalen Nordens. Auch städtebauliche Interventionen bergen unter Umständen post- bzw. neokoloniale Aspekte. Oft betrifft dies den Rückbau von Großwohnsiedlungen, der meist mit einer erheblichen Anzahl von Umquartierungen einhergeht. Die Ziele der Interventionen liegen in der städtebaulichen Aufwertung und »sozialen Durchmischung« (»mixité sociale«), ferner in der Umsetzung von Architekturen zur Erhöhung der Sicherheit im öffentlichen Raum (Belmessous 2013). Kipfer (2016) beschreibt am Beispiel einer Stadterneuerung in einer Pariser banlieue, inwiefern »regenerative« Programme des zentralstaatlichen Städtebaus nicht ausschließlich zur Gentrifizierung oder zu einer Steigerung von Bodenrenten führen. Sie beinhalten auch eine Dimension der sozialen Kontrolle von Nachbarschaften mit hohem Anteil von (Post-)Migranten, in denen sich soziale Unruhe durch Gewalt, aber auch in Form von z.B. lokalen anti-rassistischen Bewegungen manifestiert. Stadterneuerung soll präventiv Unruhe unterbinden. Vor diesem Hintergrund interpretiert Kipfer den Austausch von Wohnbevölkerungen als neokoloniale Stadtpolitik. Er ermöglicht die Steuerung von »problematischen« Bevölkerungen über einen räumlichen Zugriff. Im Zuge ihrer Umquartierung wird die ehemalige Bewohnerschaft oft in unterschiedliche, aber ähnlich stigmatisierte Viertel verteilt und wiederum segregiert (ebd.) bzw. im obigen Sinne »indigenisiert«.

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TERRITORIALE STIGMATISIERUNG UND URBAN ADVANCED MARGINALITY Einen in der Stadtforschung vielbeachteten Erklärungsansatz zu den Prozessen der »territorialen Stigmatisierung« liefern die Arbeiten des französischen Soziologen Loïc Wacquant. Er verknüpft die Habitus- und Kapitalsorten-Theorien von Bourdieu mit den Überlegungen Erving Goffmans zu den unterschiedlichen Arten der Stigmatisierung. Goffman (1963) identifiziert drei Arten der Stigmatisierung: (1) den sozialen Ausschluss aufgrund von körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen, (2) das individuelle Abweichen von einer Norm bzw. Versagen, oder (3) die Zugehörigkeit zu einer bestimmten »Rasse«, Nation, und Religion (»the tribal stigma of race, nation and religion«, ebd.:14). Wacquant erweitert die drei Formen des Ausschlusses mit dem Konzept der territorialen Stigmatisierung um eine explizit räumliche Betrachtungsweise (Wacquant 2007, 2008, 2014; Wacquant/Slater/Pereira 2014). Auf Basis seiner ethnographischen Forschungserfahrungen in den USA (besonders in der Chicagoer South Side) und Frankreich (in La Courneuve nördlich der Pariser Stadtgrenze), generalisiert Wacquant in einem komparatistischen Ansatz die Charakteristika der territorialen Stigmatisierung von bestimmten Stadtteilen in westlichen Großstädten. Aus der beobachteten Verschneidung mehrerer Formen des sozialen Ausschlusses mit territorialer Stigmatisierung folgert er das Phänomen einer »fortgeschrittenen urbanen Marginalität« (»advanced urban marginality«) bzw. einer »neuen städtischen Armut«. Ihre Verkörperung findet die Marginalität in den »urban outcasts« (im Sinne von Ausgestoßenen), dem entstandenen urbanen »Prekariat postindustrieller Gesellschaften« (Wacquant 2007: 72). In gegebener Kürze folgen nun die Hauptmerkmale der territorialen Stigmatisierung. Anschließend werden für den vorliegenden Kontext relevante Kritikpunkte der Rezeption skizziert; hier nehmen Fragen nach der Existenz von Ghettos in Frankreich und die Möglichkeiten der Anfechtung von territorialer Stigmatisierung eine zentrale Rolle ein. Merkmale fortgeschrittener urbaner Marginalität Sinnbildlich für die urbane Marginalität stehen die städtebaulich, sozial- sowie migrationspolitisch »gescheiterten« Stadtteile. Als Beispiele nennt Wacquant neben La Courneuve und den extrem segregierten black hyperghettos wie die Chicagoer South Side auch Berlin-Neukölln oder Duisburg-Marxloh (Wacquant 2007). Im Sinne der Habitustheorie Bourdieus werden die territorialen Stigmati-

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sierungsprozesse sowohl »bottom-up« als auch »top-down« reproduziert (vgl. auch Donzelot 2006), woher auch ihre Persistenz und Wirkmächtigkeit rühren. Die stigmatisierenden Bewertungen solcher Stadtteile als »ethnische Enklaven«, »soziale Brennprunkte« oder »Ghettos« finden gleichermaßen Eingang in die habituellen Dispositionen von Bewohnern und politischen Entscheidungsträgern. Letzteren ermöglichen sie die Durchsetzung der unter normalen Umständen schwierig vermittelbaren Sicherheits- oder Umquartierungspolitiken (s. vorheriger Abschnitt). Andererseits internalisieren viele Bewohner eine »Schande des Wohnortes« (»blemish of place«, Wacquant 2007: 67). Sie bestimmt Alltagssituationen und lässt die Betroffenen unterschiedliche Bewältigungsstrategien entwickeln. Hierzu gehören das Beschuldigen der »Anderen« für den schlechten Ruf der eigenen Nachbarschaft, das Betonen der Differenzen zu den »Anderen«, das Vermeiden von Besuch sowie die Angabe falscher Adressen bei Korrespondenzen (Wacquant 2009b: 118). Die starke Internalisierung der territorialen Stigmatisierung fördert Desintegrationsprozesse innerhalb der Bewohnerschaft der Stadtteile. Dies bedeute oftmals die Abnahme von sozialen Beziehungen zwischen den Bewohnern, sowie den Verlust von emotionalen Bindungen zum Wohnort und der Identifikation mit dem Wohnumfeld. Laut Wacquant wurden durch den sektoralen Wandel bestimmte französische banlieues und US-amerikanische Ghettos bis zur Jahrtausendwende zu indifferenten Räumen des Überlebens und des harten Wettbewerbs um prekäre Lohnarbeit. Dem standen die besonders in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch ausgeprägten und funktionierenden sozialen Netze in stigmatisierten Stadtteilen entgegen. Im ethnisch segregierten black ghetto der 1960er Jahre bestanden relativ viele Möglichkeiten, sozialen Rückhalt in einem »institutionellen Parallelismus« aus unterschiedlichen Organisationen zu finden. Der Parallelismus nahm mit der Durchsetzung der Ziele des civil rights movement und dem damit zusammenhängenden Wegzug einer afroamerikanischen Mittelschicht ab. Es entstand das ethnisch-ökonomisch segregierte und desolidarisierte hyperghetto (Wacquant 2006). Als Gegenpart zum »black belt« der US-amerikanischen Großstädte wie Chicago führt Wacquant den »red belt« um Paris an (auch »ceinture rouge« oder »banlieue rouge«). Der red belt setzt sich aus Kommunen mit (ehemals) hoher Arbeiter-Wohnbevölkerung zusammen. Dort konnten die Einwohner trotz ihrer residentiellen Segregation auf solidarische Netzwerke oder eine Interessenvertretung in partei- und gewerkschaftsnahen Organisationen setzen. Mit dem Wegzug der Mittelklasse und dem wohlfahrtsstaatlichen Wandel in Frankreich wurden diese Strukturen destabilisiert. Viele Kommunen der banlieue rouge wurden fortan als »Einwandererghettos« diffamiert, obwohl ihre ethnische Zusammen-

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setzung und soziostatistischen Kennziffern eine größere Heterogenität als in USamerikanischen Ghettos nahelegen würden (Wacquant 2014). Eine generelle Folge des Rückgangs der sozialen Absicherung und Assistenz besteht in der Hinwendung zu informellen Sektoren. Der Verbund aus territorialer Stigmatisierung, Informalität und sozio-ökonomischer Schwäche erschwert gerade Jüngeren den Eintritt in regularisierte Arbeitsverhältnisse erheblich. Umgekehrt verstärkt eine wachsende Schattenwirtschaft die Unsicherheit im öffentlichen Raum und befeuert die Stigmatisierung aufs Neue. Gerade hier lassen sich Konvergenzen zwischen stigmatisierten Stadtteilen in (West-)Europa und den USA feststellen (ebd.). Wacquant folgert für die 2000er Jahre, dass die De-Solidarisierung in den französischen Stadtteilen aufgrund von sozialstaatlichen Interventionen nicht die gleiche Intensität erreicht wie im black hyperghetto. Allerdings entzog das Verschwinden der »Arbeiterklasse« vielen Bewohnern die Grundlage einer kollektiven Identität. Somit sei eine Emanzipation der französischen urban outcasts der 2000er Jahre nahezu unmöglich, oder bedürfe einer noch zu erbringenden Anstrengung, da die urban outcasts über zu wenige Gemeinsamkeiten für eine wirksame politische Teilhabe verfügen würden: »The very proliferation of labels supposed to designate the dispersed and disparate populations caught in the pincer of social and spatial marginalization – ›new poor‹, ›zonards‹, ›the excluded‹, ›underclass‹, ›banlieues youth‹, ›racailles‹ [frz., ›Gesindel‹, A.T.] or ›yobs‹ [brit., ›Halbstarke‹, A.T.], and the trinity of ›sans‹ recently canonized in the French political debate (the job-less, home-less, and paper-less migrants) – speaks volumes on the state of symbolic derangement afflicting the fringes and fissures of the recomposed social and urban structure. The absence of a common idiom around and by which to unify themselves accentuates the objective fragmentation of today’s urban poor.« (Wacquant 2007: 72)

»Ghettos« oder »Anti-Ghettos« in Frankreich? Neben den Konvergenzen seiner Fallbeispiele identifiziert Wacquant die Ethnizität der Bewohner von stigmatisierten Stadtteilen als konstitutive Differenz zwischen Frankreich und den USA. Wiederkehrend bemüht er sein Credo, banlieues seien keine US-Ghettos à la française. Er greift in seiner Meinung nach alarmistische Debatten ein, die seit den 1990er Jahren Parallelen zwischen Ghettos und banlieues ziehen (für einen deutsch-französischen Vergleich siehe Best/Gebhardt 2001). Den Gedanken an »französische Ghettos« nennt er eine »soziologische Absurdität« (Wacquant 2008: 160f.): historisch beruhe der Begriff auf den venezianischen Juden-Ghettos, und sei im US-Kontext eigentlich unzulässig. Gründe für die erfolgreiche Etablierung des Ghetto-Begriffs lägen auch in der zentralen

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Rolle des Konzeptes für die Stadtforscher der Chicago School. Ferner bestehe im Ghetto bzw. hyperghetto (als Extremform des Ghettos) eine hohe Homogenität der Bewohnerschaft. Seine Bewohner teilen viele Merkmale, vor allem aber ihre ethnische – hier afroamerikanische – Abstammung (Wacquant 2006: 141). Wacquant hält Vertretern der französischen Ghettoisierungs-These entgegen, unpassende Vergleiche zu ziehen. Erstens, sei die banlieue rouge ethnisch bei Weitem nicht so homogen wie US-Ghettos; das beträfe auch ihre angeblichen »maghrebinischen« oder »afrikanischen Enklaven«. Neben den außereuropäischen Einwanderergruppen wiesen die Stadtteile hohe Anteile von europäischen Einwanderern und gebürtigen Franzosen auf. Zweitens – und für Wacquant entscheidend – interveniere der Staat in sehr unterschiedlichem Ausmaß auf beiden Seiten des Atlantiks. Einer gewissen Ineffizienz durch aufgeblähte und redundante Instrumentarien in Frankreich stehe die Quasi-Abwesenheit staatlicher Institutionen in den USA entgegen: »Genauer gesagt deutet alles darauf hin, daß La Courneuve an einem Zuviel an staatlichen Agenturen und öffentlichen Organisationen leidet, die dazu tendieren, ihre Nutzer zu atomisieren und zu isolieren, während die South Side den Rückzug und den fast völligen Zusammenbruch öffentlicher Institutionen erlebt hat.« (Wacquant 2004: 176)

Gerade das Mindestmaß an sozialer Absicherung, die sozio-ökonomische Ähnlichkeit (Wacquant spricht häufig von »Klassenzugehörigkeit«), aber auch die ethnische Heterogenität der Wohnbevölkerung von stigmatisierten Stadtteilen in Frankreich verunmöglichten eine Ghetto-Analogie.6 Das zeige sich, drittens, an der vergleichsweise höheren sozialen Mobilität der Bewohner. Verglichen mit dem hyperghetto blieben die Grenzen des »Anti-Ghettos« porös (Wacquant 2014: 96). In dieser Hinsicht

6

In jüngeren Arbeiten formalisiert Wacquant die Divergenzen zwischen Frankreich und den USA: »Diese Dynamik lässt sich mit der folgenden algebraischen Formel zusammenfassen: (E > K) × S. Das bedeutet, dass sozioräumliche Abschließung durch eine Kombination determiniert ist, in der Klasse von Ethnizität übertrumpft und durch den Staat verstärkt wird. Im Gegensatz dazu geht in Frankreich/Westeuropa die Klasse der Ethnizität bei der Verbannung voraus. Ferner wird die Marginalisierung vom Staat stark abgefedert und durch eine Kombination aus universalistischem Sozialschutz und zielgerichteter Interventionen gemildert, deren Zweck in einer Kontrolle städtischer Devolution liegt. Jene Erkenntnis liefert uns die folgende Formel: (K>E)/S.« (Wacquant 2014: 96)

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»gehorchen sie [die Arbeiterviertel, A.T.] einer genau entgegengesetzten sozioräumlichen Dynamik zu jener, die das Ghetto produziert. Deshalb sollten sie als Anti-Ghettos bezeichnet werden, eine Provokation, die an die Advokaten der modischen ›Amerikanisierungsthese‹ der europäischen Stadt adressiert ist.« (Hervorh. i. O., ebd.)

Ob der daraus gefolgerte Begriff des »Anti-Ghettos« jenseits der provokanten Hervorhebung von nationalen Unterschieden einen analytischen Mehrwert für die Debatte bereithält, bleibt streitbar. Insgesamt gilt Wacquants Ansatz als wertvoller Beitrag zu den aktuellen Themenfeldern der Stadtforschung, besonders seine Analysen zur Neoliberalisierung von Stadtpolitiken (Musterd 2008; Slater 2010). Nicht zuletzt bestätigen dies die zahlreichen Beiträge zu seinen Schriften in Sonderausgaben von wissenschaftlichen Zeitschriften wie Environment and Planning A, Urban Geography, City oder in Sammelbänden (z.B. Kirkness/Tijé-Dra 2017b). Allerdings liefern seine Fokussierung auf die GhettoDebatte in Frankreich und das methodische Vorgehen breite Angriffsflächen. Mehrere Beiträge stellen die Validität der empirischen Datengrundlage von Wacquants pointierten Thesen infrage. Von unterschiedlicher Seite wurde auf die Inkonsistenzen seines komparatistischen Ansatzes hingewiesen, da diesem zwei Extremfälle der territorialen Stigmatisierung zur Verallgemeinerung dienen. Sowohl im nationalen als auch internationalen Vergleich verdränge Wacquant auf eklatante Weise die Spezifizität seiner Fallstudien (Patillo 2009; Agnew 2010; Gilbert 2010). Tissot (2007) identifiziert zwei Hauptwidersprüche in Wacquants dennoch anregenden Thesen. Einerseits unterminiere dessen zutreffende Beobachtung des Verschwindens einer Arbeiterklasse den für ihn zentralen Stellenwert des red belts. Dieser existiere schon lange nicht mehr und stehe nicht stellvertretend für alle stigmatisierte Viertel in Frankreich (ebd.: 368). Zudem versperre Wacquants Überbewertung der Klassenposition den Blick auf die Bedeutung von Ethnizität und Rassismus in Frankreich. Würde man die angenommene Heterogenität der Wohnbevölkerung nach der Hautfarbe neu aufschlüsseln, entstände schnell ein homogeneres Bild. Die feststellbare »nichtweiße« Mehrheit wäre plötzlich ein wichtiger Faktor bei der Betrachtung von stigmatisierten banlieues (ebd.: 366f.). Lapeyronnie und Kokoreff plädieren in Abgrenzung zu Wacquant für eine Rehabilitierung des Ghetto(isierungs)-Begriffs in der französischen Debatte (Lapeyronnie 2008; Kokoreff 2009; Kokoreff/Lapeyronnie 2013). Beide beobachteten im Zuge von ethnographischen Studien die zunehmende Isolation der Bevölkerung in den Vierteln. »Ghetto« verweist für sie auf eine Gesamtheit von bestimmten sozialen Organisations- und Verhaltensformen. Ebenso betrifft die Ghettoisierung nicht alle Bewohner in gleichem Maße, vielmehr findet die Or-

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ganisation des sozialen Lebens entlang ethnischer oder religiöser Exklusionslinien parallel zueinander statt. Resultat sind geringe Beziehungen außerhalb des Quartiers, dafür umso intensivere und selektivere innerhalb der Quartiere (ebd.: 31). Die Ghettoisierung forciert die sozialräumliche Abschließung und Atomisierung der Stadtteile nach »innen«, vor allem aber die symbolische Abschließung sichtbarer und somit »rassisierbarer« Minderheiten nach Außen (Tissot 2007; Kokoreff 2009: 569). Zwischen Internalisierung und Anfechtung Weitere tendenzielle Leerstellen im Konzept der territorialen Stigmatisierung betreffen die Fragen ihrer Anfechtung sowie der Gleichzeitigkeit ihrer widersprüchlichen Aspekte. Dabei bleibt zumeist verborgen, dass »[d]iscursive struggles over representation are as fiercely fought and as fundamental to the activities of place construction as bricks and mortar. And there is much that is negative as well as positive here. The denigration of others’ places provides a way to assert the viability and incipient power of one’s own. The fierce contest over images and counter-images of places is an arena of action in which the cultural politics of places, the politicaleconomy of their development and the accumulation of a sense of social power in place frequently fuse in indistinguishable ways.« (Harvey 1996: 322)

In Wacquants Ausführungen überwiegt die dualistische Annahme, Betroffene hätten ihr Stigma so stark internalisiert, dass sie entweder handlungsunfähig blieben, oder so schnell wie möglich ihr Viertel verlassen wollten. Jenen von Harvey benannten »cultural politics of places« und »counter-images of places«, die Akteuren in Deutungskämpfen eine gewisse Handlungsfähigkeit verleihen könnten, wird im Konzept der fortgeschrittenen territorialen Stigmatisierung zu wenig Platz eingeräumt (Gilbert 2010; Kirkness/Tijé-Dra 2017a, 2017c). Zwischenzeitlich entstanden neuere Arbeiten an dieser Schnittstelle. Sie zeigen den vielfältigen Umgang mit territorialer Stigmatisierung jenseits ihrer ausschließlichen Internalisierung auf, und lenken die Debatte auf Fragen der Ortsverbundenheit (vgl. die Mehrzahl der Beiträge in Kirkness/Tijé-Dra 2017b). Slater und Anderson (2012) verdeutlichen am Beispiel des als black ghetto stigmatisierten Stadtteils St. Paul in Bristol (England) die mögliche Diskrepanz zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung: die Alltagserfahrungen befragter Bewohner korrespondierten kaum mit dem außerhalb des Stadtteils wirkmächtigen Stigma, ebenso fühlten sie sich nicht segregiert. Ähnliche Einstellungen der Bewohner zum Ruf des norddänischen Ortes Aalborg-Øst konnten Jensen und

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Christensen (2012) feststellen. Dies verweist gleichsam auf die Möglichkeiten eines starken Zugehörigkeitsgefühls jenseits Wacquants idealtypischer Beschreibungen der Paradoxien des alten black ghettos. Ähnliche Aspekte einer so gedachten Produktivität der territorialen Stigmatisierung betont auch Kirkness (2014). Er zeigt anhand zweier Interventionsgebiete der Stadtpolitik in Nîmes, wie Ortsansässige einen z.T. spielerischen Umgang mit ihrer Stigmatisierung entwickeln. Neben der Betonung der starken Ortsbindung von verbliebenen Bewohnern aus einer besser situierten Mittelschicht, belegt Kirkness dies anhand der »taktischen Aneignungen« von öffentlichen Räumen durch Jugendliche. Sie erlangen eine gewisse Handlungsfähigkeit, indem sie öffentliche Räume »transgressiv« aneignen, zeitlich begrenzt besetzen und symbolisch transformieren (ebd.: 1290).

RAP ALS GEGENSTAND DER STADTFORSCHUNG UND ALS AUSDRUCKSFORM IN, AUS ODER ZU STIGMATISIERTEN STADTTEILEN »Rap« und »Hip-Hop« werden häufig gleichgesetzt oder verwechselt. Rap gilt in Alltagsgesprächen oder »fachfremden« Forschungen oft als »Hip-Hop-Musik«. Beide Begriffe bedürfen einer knappen Einordnung, die gleichsam die Zentralität von räumlichen Bezügen in Rap und seinen kulturellen Einflüssen offenlegt. Eine Klärung der Begriffe und »Mythen« ist auch deshalb relevant, da die Szeneakteure sie nach wie vor als konstitutiv für ihre praktizierte Kultur erachten. Hip-Hop und Rap – »Ursprünge« und Anfänge »Szeneintern«, sowie in medialen und wissenschaftlichen Beiträgen wird die südliche New Yorker Bronx der 1970er Jahre mythenhaft als Ursprungsort von Hip-Hop lokalisiert (Mager 2007: 77f.). In der damaligen South Bronx – von Chang (2005: 7-19) als »Necropolis« umschrieben – konzentrierten sich aufgrund der ausgeprägten Segregationsmuster in New York City vor allem ethnische Minderheiten. Es herrschten städtebaulicher Zerfall, Armut, Arbeitslosigkeit und Bandenkriminalität (ebd.). Das Aufkommen von »Hip-Hop« in diesen Stadtteilen wird in der Regel als kreative Transformation von sozialen Spannungen und Bandenrivalitäten in USGhettos interpretiert (Forman 2000: 67). Viele Jugendliche mit afroamerikanischer, karibischer oder hispanischer Abstammung suchten verstärkt die Nähe zu

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der neuen kulturellen Bewegung. Sie setzt sich bis heute aus vier teilweise verwobenen »Disziplinen« zusammen, für die Hip-Hop den Überbegriff bildet: • Rap (»to rap«: plaudern, schwatzen) als rhythmisches, versartiges Sprechen

über unterschiedlichste Themen • DJ-ing (»disc jockeying«), das Plattenauflegen mit zwei Plattenspielern um un-

terschiedliche Tonquellen durch Sampling-Techniken rhythmisch zu vermischen oder um Rap/Breakdance musikalisch zu begleiten • Breakdance als akrobatischer Tanzstil zu (damals neuartigen) elektronischen Breakbeats • Graffitimalerei als künstlerische Aneignung des öffentlichen Raums, die seit jeher in einem Spannungsfeld zwischen Ästhetik und Vandalismus steht. Die Praktiken weisen mehrere Gemeinsamkeiten auf. Dies betrifft ihre Ausrichtung auf Unterhaltung, Kreativität und Wettbewerb, vor allem aber ihre identitätsstiftenden und territorialisierenden Effekte. Mehrere Protagonisten der ersten Stunde waren ehemalige Mitglieder von extrem gewalttätigen Straßenbanden, wie der medial und wissenschaftlich viel beachtete Afrika Bambataa. Er gründete 1975 die heute international verbreitete New Yorker Hip-Hop-Organisation »Zulu Nation«. Deren Mitglieder verpflichteten sich dem Wohle ihrer Gemeinschaft bzw. Nachbarschaft in einem eklektischen Ansatz aus panafrikanischen und pazifistischen Überzeugungen, die sie mit asketischen und pädagogischen Praktiken vermengten. Die »Zulus« nutzten die »Hip-Hop-Disziplinen« zur Kanalisation von Konflikten und zur Gemeinschaftsbildung bei block parties im öffentlichen Raum (Lamotte 2014). Aufgrund der Verbindungen zu einem von Straßengangs geprägten Umfeld, differenzierte sich die entstehende Szene in unterschiedliche Territorien von »rivalisierenden« Akteuren aus. Für das Graffiti-Malen ist die temporäre Aneignung der begrenzt vorhandenen Flächen im öffentlichen Raum nach wie vor von zentraler Bedeutung (van Treeck 2003; Steinat 2007). Selbst die Durchführung der block parties folgte einer territorialen Logik, wie der Hip-Hop-Pionier, Dj und Rapper Grandmaster Flash beschreibt: »We had territories. It was like, Kool Herc had the west side. Bam[bataa, A.T.] had Bronx River. DJ Break-out had way uptown past Gun Hill. Myself, my area was like 138th Street, Cypress Avenue, up to Gun Hill, so that we all had our territories and we all had to respect each other.« (Grandmaster Flash, zitiert in Forman 2000: 66)

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An der »territorialen Tradition« partizipierten im Laufe der 1980er Jahre schließlich Rapperinnen und Rapper mit konstanten Text-Bezügen zu ihren Stadtteilen, welche es beim Rappen zu »repräsentieren« gilt (Forman 2000: 68f.). Rap in seiner heute bekanntesten Form entstand während jenen block parties der 1970er Jahre. Block party-DJs (discjockeys) wie Kool Herc gehörten oft der jamaikanischen Diaspora an. Sie »importierten« den Darbietungsstil der DJs von jamaikanischen »sound systems« (mobile Diskotheken). Als charakteristisch galt hierbei ihr versförmiges, unterhaltsames »toasting« (»plaudern«) über Instrumentalversionen zeitgenössischer Musik. Bei den New Yorker block parties erfreute sich das animierende toasting jamaikanischer Art zunehmender Beliebtheit, und führte zur eigenständigen, später professionalisierten Praktik des Rappen über Musik (Krims 2000: 152ff.; Augustyn 2015). Deshalb oszillierten die ersten marktgängigen Rap-Produktionen Ende der 1970er und Anfang 1980er zwischen festiven bis prahlerischen (z.B. das berühmte »Rapper’s Delight« der Sugar Hill Gang, 1979) und sozialkritischen Texten, die ihr urbanes Umfeld reflektieren (z.B. »The Message« von Grandmaster Flash and the Furious Five, 1982). Keyes (2002) erweitert die historische Perspektive auf Rap. Beginnend bei den mittelalterlichen Barden in Westafrika, die als Dichter und Sänger kulturelle Erzählungen vermittelten, über die mündliche Kultur der afroamerikanischen Sklaven, hin zu den (Straßen-)Slangs des signifying bzw. playing the dozens (s. unten) oder jive talk, verfolgt Keyes die Spuren des Raps.7 Viele dieser traditionellen Sprachpraktiken hatten unterschiedliche soziale Funktionen. Neben ihrem vordergründig kompetitiven, vulgären und idiosynkratrischen Charakter (Kelley 2012), der bis heute auch populäre Rap-Genres kennzeichnet, galten sie gleichzeitig als Stilmittel für politische Artikulationen (Keyes 2002: 19-27). Ein bekanntes Beispiel für Letzteres ist Hubert »Rap« Brown (heute: Jamil Abdullah Al-Amin). Der aufgrund seiner rhythmisch-schlagfertigen Redeweise bekannte Black Power-Aktivisit der 1960er Jahre war ehemaliger Vorsitzender des Student Nonviolent Coordinating Comittee und »Justizminister« der Black Panthers. In seiner Autobiographie führt Brown (1969), dessen Redeweise ihm den Spitznamen »Rap« einbrachte, das Rappen auf afroamerikanische Mundarten zurück. Sie dienten neben dem reinen Zeitvertreib auch dem Erwerb kompetitiver und ermächtigender rhetorischer Fähigkeiten:

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Ähnlich wie Keyes sieht auch Gilroy (1993) in Rap, bzw. »hip hop music« (ebd.), einen zeitgenössischen Ausdruck des Black Atlantic, den er als Kreuzungspunkt von geographischen, kulturellen und historischen Beziehungen zwischen den afrikanischen, amerikanischen und europäischen Kontinenten und der afrikanischen Diaspora umschreibt.

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»In many ways, though, [playing, A.T.] the Dozens is a mean game because what you try to do is totally destroy somebody else with words. […] There’d be sometimes 40 or 50 dudes standing around and the winner was determined by the way they responded to what was said. If you fell all over each other laughing, then you knew you’d scored. It was a bad scene for the dude that was getting humiliated. I seldom was. That’s why they call me Rap, ’cause I could rap […]. We learned what the white folks call verbal skills. […] Signifying allowed you a choice — you could either make a cat feel good or bad. If you had just destroyed someone or if they were just down already, signifying could help them over. Signifying was also a way of expressing your own feelings.« (Ebd.: o. S.)

Rap »glokal« – Globale Zirkulation, lokalen Aneignungen Seit vielen Dekaden verbreitet sich Rap in und außerhalb den USA über soziale Grenzen hinweg. Die kommerzialisierte Amateur- oder »Straßen«-Kultur (ehemals) afro-amerikanischer Prägung besitzt inzwischen viele Genres, rangierend zwischen festiven, poetischen, kompetitiven oder politischen Inhalten. Zu den bekanntesten zählt der kontrovers diskutierte »Gangsta-Rap«, der aufgrund z.T. misogyner oder konsumeristischer Diskurse auch seit Langem im hiesigen Feuilleton besprochen wird. Während US-Kritiker solche Diskurse seit jeher als Indiz für den reaktionären Charakter des Rap ansehen (Wershler-Henry 1995: 254), verweisen andere auf die kalkulierten Transgressionen aus kommerziellen oder künstlerischen Abwägungen, sowie auf die komplexe Frage, inwiefern solche Texte gesellschaftlich weitverbreitete Vorurteile reproduzieren (Rose 1994). Folglich lässt sich problemlos eine Vielgestaltigkeit von Rap konstatieren, darstellbar in unauflösbaren Widersprüchen zwischen kommerziellen, künstlerischen und emanzipativen Momenten als auch einer starken Akzentuierung von urbanen Identitäten und Orten (Beer 2014; Black 2014; Lamotte 2014; Parker 2014). Seine Merkmale machen Rap für die Stadtforschung zu einer »alternative voice from which we might gain insider perspectives, pick up things that perhaps are not easy to identify with established methods and to ›enact‹ […] the urban in different ways to that made possible by academic research practices« (Beer 2014: 683). In vielen europäischen Gesellschaften wurden Hip-Hop und Rap erst ab Ende der 1980er Jahre wahrgenommen. Ihre wissenschaftliche Rezeption setzte gegen Ende der 1990er Jahre ein. Im Folgenden werden nur die für diese Arbeit relevanten Aspekte der Rap-Forschung angeschnitten: die globale Verfügbarkeit von Rap, sowie dessen lokalen Aneignungen und Identitätsangebote. Für kulturwissenschaftliche Abhandlungen sei auf die etablierten Sammelbände verwiesen (Durand 2002; Bock/Meier/Süß 2007a; Androutsopoulos 2003b; Forman/Neal 2012).

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Ein Großteil der Studien betrachtet Rap als ein globalisiertes Kulturphänomen, das an unterschiedlichsten Orten »hybridisiert« wird. Es kann darum als »glokal« gelten (Bock/Meier/Süß 2007b:13). Für Europa sehen Autoren keine exklusive Schicht- oder Klassenzugehörigkeit der Rap-Produzenten und RapRezipienten (Hoyler/Mager 2007; Molinero 2009). Androutsopoulos (2003a) versteht den Hip-Hop der frühen 2000er Jahre »als paradigmatisch für die Dialektik der kulturellen Globalisierung und Lokalisierung« (ebd.: 11), da sich im Zuge der Verbreitung von Rap-Musik viele nationale Szenen (und Märkte) ausdifferenzierten. Friedrich und Klein (2003) folgern: »Hip-Hop transportiert den Gedanken des Lokalen, des Dialektes und der Differenz - alles Prinzipien, die im wissenschaftlichen Diskurs mit der Postmoderne in Verbindung gebracht werden – global. Dies zeigt sich nicht nur in den lokalen Bezügen und Problematiken, die im Rap thematisiert werden, sondern ebenso in der symbolischen Aneignung des urbanen Raumes durch Graffiti und in der Umfunktionierung von Straßen und Plätzen zu Tanzflächen. Auf diese Weise wird nicht nur die ›Heimat‹ als abstrakte Lokalität, sondern auch der urbane Raum als konkreter Ort lokaler Identifikation mit Bedeutung aufgeladen und zu einem Knotenpunkt im globalen Netzwerk erklärt.« (Ebd.: 95)

Gleichsam betonen Friedrich und Klein (2003), dass die Ökonomisierung von Rap nicht zwingend einer Vereinnahmung von kulturellen Praktiken gleichkäme: »Die erneute lokale Verankerung des Hip-Hop widerlegt die typische Verlaufskurve des ›Ausverkaufs‹, die Jugendkulturtheorien von der Entwicklung jugendlicher Subkulturen zeichnen, wenn sie im Anschluss an die Kulturindustriethesen Horkheimers und Adornos die These der Standardisierung und Vereinnahmung lokaler Stile vertreten.« (Ebd.: 95)

Mit diesen Prämissen untersuchen viele der vorgefundenen Arbeiten vergleichend die unterschiedlichen lokalen Aneignungen von Rap und seine räumlichen Bezüge. Beispielsweise bestimmt Dubus (2009) als typische Formen der Regionalisierungen in Rap-Texten für tansanischen Rap die Rolle Afrikas in der globalisierten Welt, für US-amerikanischen Rap die Situation der Afroamerikaner im Ghetto und für französischen Rap »die banlieue«. Ähnlich analysieren Friedrich und Klein (2003), Guillard (2012) und Diehl (2014) die Inszenierungen von Urbanität als kulturelle Authenzitätsstrategien im deutschen, französischen und USamerikanischen Rap. Traïni (2005) hingegen macht beim Vergleich zwischen Marseille und Neapel eine Wiederbelebung von Regionalismen und Lokalsprachen mithilfe von Rap aus. Kimball (2013) betont bei seiner Betrachtung der tunesischen Adaption von Rap dessen wichtige Rolle für die städtische Jugend

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beim Kampf um Meinungsfreiheit während des »arabischen Frühlings« 2011. Forschungen zu Deutschland lokalisieren die Hip-Hop-Kultur sowohl in bürgerlich geprägten Vorstädten als auch in stigmatisierten Quartieren (Bennett 2003; Güngor/Loh 2003; Hoyler/Mager 2007; Mager 2007). Dementsprechend artikuliert(e) deutscher Rap von Beginn an auch unpolitische »Mittelschicht«-Diskurse neben den stadtteilbezogenen Diskursen oftmals türkisch- oder arabischstämmiger Jugendlicher (Dufresne 1997; Pennay 2001), die medial zu einem »Oriental Hip-Hop aus Deutschland« exotisiert wurden (Kaya 2003). Rap stellt über kulturelle Praktiken, wie Musik im Allgemeinen, raumbezogene Identitäten her (Hudson 2006). Rap-Diskurse sind insofern Raumdiskurse, weil sie wiederkehrend – auch jenseits der oben skizzierten Territorialität – soziale Gegebenheiten mit räumlichen Gegebenheiten verbinden (z.B. bei der Rede von »unserem Block«). Hieraus leiten die Akteure auch ihre Ansprüche ab, »authentisch« und eine »Stimme aus dem Quartier« zu sein. Die in Rap entworfenen Identitätsangebote können vielfältig sein, wie Arbeiten zu den ethnisch heterogenen Hip-Hop-Szenen unterschiedlicher Berliner Quartiere illustrieren (Greve/Kaya 2004; Templeton 2006). Mithilfe des »Repräsentierens« öffnet Rap dabei den Jugendlichen aus den Quartieren symbolische Räume für eine »Mikropolitik der Identität« (Krims 2000; Menrath 2003), beispielsweise wenn türkisch(stämmig)e Jugendliche aus Berlin bei ihrer Aneignung von Rap-Musik die Konnotation des umgangssprachlich pejorativen Begriffs »Kanake« ins Positive verkehren (Greve/Kaya 2004: 172). Rap in Frankreich Innerhalb der Forschungsliteratur lässt sich ein Schwerpunkt zu Frankreich ausmachen. Obwohl Rap nicht per se als »widerständig« eingestuft werden darf, betonen (inter)nationale Beobachter des französischen Rap stets dessen kontroversen bis politischen Charakter und die kritischen Positionierungen der Rapperinnen und Rapper.8 Seltener in den Fokus rücken z.B. die linguistischen Besonder-

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Ob gewollt oder ungewollt wird Rap in Frankreich mit stigmatisierten Vorstädten und jugendlichen Quartiersbevölkerungen gleichgesetzt. Aufgrund der US-amerikanischen Entstehungsgeschichte und globalen Diffusion liegt der Schluss nicht allzu fern. Allerdings neigen manche Autoren dazu diese Beziehung überschwänglich zu naturalisieren. Die starke Verbindung trifft bei einer »globaleren« Betrachtung von unterschiedlichen Rap-Arten und der Themen von Rap-Texten nicht immer zu (Hammou 2014); vorliegende Arbeit fokussiert bewusst auf Rap zu stigmatisierten Vierteln, ohne diese Verbindung zu universalisieren. Die Publikumsforschung betont Ähnliches.

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heiten von Rap wie der Gebrauch des verlans9 (Duchêne 2002). Als global verfügbare Kultur, die »Genre-inhärent« urbane und soziale Zusammenhänge aufgreift, stünde der frankophone Rap laut Krims (2002) für eine besondere »Colonial Urban Geography«: »And even those […] who had have only seen La Haine[10] and heard MC Solaar […] seem to realize that they are witnessing the tip of a social iceberg, the power of a social movement that, like so much vernacular art in France and its sometimes former colonies, is felt intensely throughout the society, opposed as vigorously as it is loved.« (Hervorh. i. O., Ebd.: vii)

Die Frage ob Rap politisch sei, kann wegen seiner verschiedensten Ausprägungen und der vielen unterschiedlichen Auslegungen des Politischen nie abschließend beantwortet werden. Streng genommen ist das Werk vieler Rapperinnen

Generell ist eine Untersuchung der Publika der französischen Rap-Musik aufgrund der spärlichen Datenlage und schwierigen Entscheidungen bei der Kategorienbildung herausfordernd. Bislang legte nur Molinero (2009) eine Studie vor. Sie analysiert mithilfe aggregierter Umfragedaten und eigener Erhebungen die demographischen sowie sozioökonomischen Merkmale und Einstellungen der Rap-Hörerschaft in Frankreich. Es entsteht ein heterogenes Bild der sozialen Reichweite von Rap, welches das geläufige Image einer »musique populaire« für Jugendliche relativiert (im Sinne einer Musik der breiten, »einfachen« Massen, die als Antithese zu einer vermeintlich »bürgerlichen Hochkultur« gilt; ebd.: 243). Erhebungen ergaben, dass 43 Prozent der Befragten älter als 25 Jahre waren, und nahezu die Hälfte aller Befragten studieren oder studiert haben. Insgesamt zwei Drittel der Befragten waren männlich, drei Viertel wohnten in Städten (ebd.: 15). Zusammenfassend lassen sich folgende Publikumstypen ableiten: Ein erster Publikumstyp konsumiert regelmäßig kommerziell erfolgreichen Rap (der oft auf »banlieues« rekurriert), und ist überproportional in einkommensschwächeren Schichten repräsentiert. Ein zweiter, majoritärer und sozio-ökonomisch nicht spezifizierbarer Typ konsumiert Rap ebenfalls massenmedial, dafür eher gelegentlich, aber mit breiter gefächerten Präferenzen als der erste Typus. Beiden steht ein »Amateur«Typ gegenüber, der sozialkritischere oder ästhetisch-technische Aspekte weniger kommerzieller Rap-Musik favorisiert. Er ist oftmals älter und männlich (ebd.: 239). 9

Ein vor allem bei Jugendlichen beliebter Slang, bei dem Wortsilben verdreht werden: »[mettre à] l’envers« (umdrehen)  »ver-lan«.

10 La Haine (Regie: Mathieu Kassovitz, dt. Fassung: »Hass«) ist ein bekanntes französisches Spielfilm-Drama aus dem Jahre 1995, das den Alltag von Jugendlichen in einer banlieue porträtiert.

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und Rapper, aufgrund ihrer künstlerischen Freiheit zwar nicht »durchgehend politisch« (Marquet 2013). Allerdings schreiben sich viele von ihnen seit den Anfängen der französischen Rap-Musik einer bestimmten Strömung zu, die unter den Labeln »rap hardcore« (»ungeschminkter, harter Rap«) oder »rap engagé« (»kritischer, engagierter Rap«) firmiert und quartiersspezifische Themen artikuliert (Reinders 2006; Béru 2009). Wechselweise werden ihre Vertreter aufgrund ihrer Rap-Texte als Repräsentanten jener »urban outcasts« im Sinne Wacquants (2008) bezeichnet (Black 2014: 704), als »Lautsprecher der banlieues« (Hüser 1999) tituliert oder mit den bekannten Chansonniers der 1960er Jahre verglichen (Rubin 2004; Lafargue de Grangeneuve 2008:147).11 Allgemeines Interesse erregen häufig Äußerungen zu Themen wie Immigration oder Staatsbürgerschaft. Innerhalb dieses Spannungsfeldes weisen die Arbeiten Rap die Rolle eines Repräsentanten dominierter Gesellschaftsteile in Frankreich zu (Hüser 1997, Dotson-Renta 2015). Kimminich (2007, 2004) sieht hierin eine Art nation (re)building. Hüser konstatiert ebenfalls eine Aktualisierung des französischen Republikanismus. Rap symbolisiere deshalb eine »RAPublikanischen Synthese« (Hüser 2004). In der öffentlichen Wahrnehmung – gerade jenseits initiierter Fan-Kreise – besitzen die manchmal zugespitzten Darstellungen und Botschaften in RapTexten eine besondere Anziehungskraft. Bei ihrer Rezeption unterteilen Massenmedien die Rapperinnen und Rapper vereinfacht ausgedrückt in zwei Typen. Einerseits in »Gute«, »Kultivierte«, die gekonnt mit der »Sprache Molières« umgehen. Sofern dieser Typus nicht zu sehr aneckt, gilt er gesellschaftlich sogar als Verkörperung einer »modernen Republik« (Denis 2008). Das markanteste Beispiel liefert der Rapper und Autor Abd al-Malik: als dunkelhäutiger Muslim und ehemaliger Kleinkrimineller aus einer Straßburger Vorstadt verfasst dieser (inzwischen) »republikbejahende« Rap-Texte bzw. Bücher, und wird von bürgerlichen Eliten als Vorzeige-Künstler aus »der banlieue« hofiert (Bourderionnet

11 Den Vergleich mit den Chansonniers bejahen bei Weitem nicht alle Rapper. Eine Sondersendung des Fernsehsenders ARTE (2006) zu den Vorort-Unruhen von 2005 macht dies besonders deutlich, www.youtube.com/watch?v=AY4V6ZbFh5o (zuletzt aufgerufen am 17.12.2015). In Reminiszenz an einen berühmten runden Tisch von 1969 mit den drei Chansonniers Léo Ferré, Jacques Brel und George Brassens, lud ARTE zum Gespräch zwischen den Rappern Joey Starr, Disiz und Ekoué. Die drei Rapper, die jeweils unterschiedliche Formen eines rap hardcore vertreten, kommen im Laufe der Debatte schnell auf diesen rahmenden Vergleich zu sprechen. Sie stellen fest, die Chansonniers z.T. gar nicht zu kennen, keine fundierte Kenntnis über deren Werk und auch kein Interesse daran zu haben, mit diesen identifiziert zu werden.

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2011). Andererseits werden Akteure des rap hardcore seit den 2000er Jahren von konservativen Öffentlichkeiten als vermeintliche Mitverantwortliche der Krise der Vorstädte dämonisiert. Kritiker meinen in Rap vor allem den Ausdruck von Sexismus, »anti-weißem« Rassismus, eine Abschottung der Vorstadt-Jugend oder gar eine Relativierung von Islamismus zu erkennen (Pecqueux 2009: 99ff). Aus musiksoziologischer Perspektive erörtert Pecqueux (2004, 2007), inwiefern die Darstellung von Gewalt in Rap-Texten und deren politischer Gehalt Ausdruck einer kathartischen Praxis sind. Ihr Vollzug ermögliche den Rappern und ihrem Publikum eine »Verarbeitung« der bestehenden sozialen Verhältnisse. Solche Interpretationen der Katharsis im Rap, gleichsam von Befürwortern und Gegnern hervorgebracht, träfen jedoch nicht immer zu. Die Interpretationen laufen Gefahr, das Phänomen mentalistisch zu reduzieren (Pecqueux 2004: 57f.). Eine typische Form der Reduktion ist etwa die Interpretation von Rap als Ausdruck einer »Opferrolle« der Vorstadtjugend (z.B. Mucchielli 2003). Pecqueux verweist stattdessen auf den problematischen »Äußerungsapparat« von RapMusik (»régime énonciatif«; ebd.: 61), d.h. ihren sozial geteilten und spezifisch kulturellen Sprachgebrauch. Dieser ist durchzogen von Äußerungsmomenten, die einen Dualismus zwischen Liebe und Hass skizzieren, der mit einem »Wir« gegen »Sie« (nous/eux) einhergeht. In Konsequenz entstehen moralische Ökonomien des »Wir«. Die umgangssprachlichen, direkten und teilweise überspitzten Äußerungsformen sind also »an sich« auf Kontroversität und Mehrdeutigkeit angelegt. Ihre anrufenden Arten erlauben Rapperinnen und Rapper, Zuhörer schnell auf »ihre« Seite zu ziehen. Für Pecqueux ermöglicht die kathartische Dimension von Rap-Texten, ein aus den Fugen geratenes Zusammenleben zwischen dem »Wir« und »Sie« immer wieder zu thematisieren (2007: 177ff.; 229ff.). Trotz des insgesamt zweifelhaften Rufs von Rap in Frankreich bzw. aufgrund seines kreativen und »kathartischen« Potenzials, macht sich die Stadtteilarbeit dessen Popularität seit Ende der 1990er Jahre bei der sozialpädagogischen Animation von Jugendlichen aus stigmatisierten Stadtteile zunutze. Die RapProjekte sollen helfen, der Krise der Vorstädte auf lokaler Ebene entgegenzutreten (Auclair 2006). Durch die Bereitstellung von Räumlichkeiten mit technischer Ausstattung, von sozialpädagogischem Personal und dem Engagement von Rapperinnen und Rappern werden Workshops organisiert. Hier erhalten Jugendliche Möglichkeiten, sich kreativ zu artikulieren. Die vorliegenden Forschungen für Frankreich unterstreichen die mediatisierende Wirkung, Akzeptanz und intensive Nutzung der Angebote (Bordès 2003). Sie konstatieren aber eine latente Instrumentalisierung dieser »urbanen Kultur« durch politische Institutionen. Der Vorwurf der Kritiker lautet, die Institutionen reproduzierten durch die gezielte An-

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sprache von Jugendlichen aus jenen Quartieren deren Stigmatisierung. Letztlich setzten die Institutionen die Kultur- und Sozialpolitik zur Steuerung einer verortbaren »gefährlichen Bevölkerungsgruppe« ein. Sie nutzten Rap zur Konstruktion eines positiveren Images der Vorstadtjugendlichen, als eine subtile Form der Kriminalitätsprävention (statt dessen kulturelle Eigenständigkeit anzuerkennen) und verzichteten auf die Behebung struktureller Defizite in den Stadtvierteln (Barrio 2007: 216ff.; Boucher 2003). Auch die an den Maßnahmen beteiligten Rapperinnen und Rapper üben punktuelle Kritik: die Stadtteilarbeit verkläre Rap unter Missachtung seiner politischen Forderungen zu einem de-politisierten Integrationsmodell für Vorstädte. Erschwerend kämen auch die bürokratischen Hürden bei der Förderung stadtteilbezogener Jugendarbeit hinzu (Lafargue de Grangeneuve 2008: 168ff.). Anders formuliert entstehe in der Stadtteilarbeit ein Spannungsfeld zwischen hegemonialen und gegenhegemonialen Diskursen, dass auf die Frage verweise, ob HipHop bzw. Rap institutionell vereinnahmt werden können (Murard 2000).

VERORTUNG DES VORGESCHLAGENEN ANSATZES Die vorgestellten Erklärungsansätze zu stigmatisierten Stadtteilen in Frankreich betonen die Gemachtheit und die unterschiedlichen Bedeutungen von Räumen durch sozial geteilte Symboliken und Praktiken. Ebenso weisen Beiträge aus der Geographie implizit darauf hin, dass diese Bedeutungen nie fixiert und eindeutig bleiben. Sie sind – wie im folgenden Kapitel präzisiert wird – diskursiv wandelbar und ermöglichen somit gegenhegemoniale Diskurse. Dennoch sind gegenhegemoniale Diskurse, die symbolische Deutungskämpfe um jene Quartiersräume führen, bislang wenig erforscht. Gründe liegen in • der Bevorzugung der Analyse von hegemonialen Diskursen und mit ihnen ver-

bundener Sprecher (z.B. Politiker, Beamte, Kommentatoren). Das Gros der vorgestellten Arbeiten untersucht den zeitlichen Wandel der medialen und institutionellen Diskurse, die stigmatisierte Viertel herstellen. Die mehrheitlich makrostrukturellen Ansätze zur hegemonialen Herstellung der Stadtteile sind relevant, um Stigmatisierungsmechanismen benennen, generalisieren und hinterfragen zu können. Diese Mechanismen sind inzwischen durch unterschiedlichste methodische Zugriffe erforscht (quantitative und qualitative Textanalysen, Ethnographien). Zum Verständnis gegenhegemonialer Raumdiskurse hingegen besteht Forschungsbedarf. Die Ausarbeitung eines systematischen Zugangs steht noch aus. Punktuelle Ausnahmen bilden Beiträge zu postkolonialen

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Aspekten der Stigmatisierung, wie das Beispiel der Forschungen zu den »Indigenen der Republik« zeigt. • einer tendenziellen Verengung des Blicks aufgrund der Wirkmächtigkeit der »Internalisierungsthese« von räumlicher Stigmatisierung in der Stadtforschung. Multiplikatoren wie Wacquant – der hierfür auch kritisiert wurde – tendieren dazu, die Verinnerlichung der Stigmatisierung bei Bewohnern so stark in den Vordergrund zu rücken, dass nur noch ein Verlassen der Nachbarschaft als rationale Option vorstellbar wird, um dem Stigma zu entfliehen. Mit dieser Setzung geraten die Möglichkeiten der Anfechtung von Stigmatisierung leichtfertig zur Randnotiz. Die Perspektive läuft Gefahr, gegenhegemoniale Diskurse analytisch nur als »diskursives Rauschen« erklären zu können. Zwar soll der vorliegende Ansatz die Internalisierungsthese nicht vollständig zurückweisen oder ins Gegenteil verkehren, jedoch modifizieren. Die Positionen, die in Rap-Texten eingenommen werden, erlauben es, Aspekte der territorialen Stigmatisierung und Diskussionen um Ghettoisierungstendenzen in bestimmten Vierteln in einem neuen Kontext zu erforschen. • einem Mangel an geographisch-konzeptionellen Ansätzen zu Deutungskämpfen um Räume. Dies erstaunt angesichts der starken und viel diskutierten territorialen Stigmatisierung umso mehr. Selbiges gilt für die Erforschung kultureller Praktiken mit offenkundigen Raum-, Gesellschafts- und Quartiersbezügen wie in Rap-Diskursen in Frankreich. Wie dargelegt, weisen die sozial- und kulturwissenschaftlichen Nachbardisziplinen der Geographie konsequent auf die u.a. geographischen und sozialkritischen Bezüge der Rap-Diskurse hin, bevorzugen aber exklusiv identitätstheoretische Ansätze. Von einer gekreuzten Lektüre der unterschiedlichen Ansätze kann auch die geographische Konzeptionalisierung von gegenhegemonialen Diskursen profitieren, da viele komplementäre Anknüpfungspunkte zwischen den dargelegten Forschungssträngen bestehen. Daher gilt Rap dem verfolgten Ansatz als empirischer Zugang. Der Mehrwert dieses Ansatzes liegt im Vergleich zu ausschließlich sozial- und identitätstheoretischen Ansätzen in der Erfassung geographischer und gesellschaftlicher Kontexte der beschriebenen diskursiven Praktiken. Nachdem die relevanten Aspekte des Forschungsgegenstandes und tendenziellen Leerstellen der zugehörigen Forschungsstände identifiziert wurden, liefert der folgende Schritt ein Instrumentarium zur Bearbeitung der anfänglich formulierten Leitfragen. Die diskurs- und hegemonietheoretische Forschungsperspektive gewährleistet dabei eine Konzeptionalisierung von Praktiken und Ordnungen der räumlichen Zuschreibung, sowie eine Analyse ihrer statischen und dynamischen Momente.

Diskurs- und hegemonietheoretische Perspektive

Die vorrangegangenen Ausführungen verdeutlichten den historischen und konstruierten Charakter der Stigmatisierung von bestimmten Stadtteilen in Frankreich. Jedoch verweisen die vorgestellten Bewertungen und Praktiken zu bzw. in den Vierteln nicht auf unveränderliche »Wesenszüge« von Orten und ihren Bewohnern. Sie unterliegen einer Wandelbarkeit und widerstreitenden Mehrdeutigkeiten. Bereits die hegemonialen Diskurse zeigen wie wandelbar die Problematisierung 1 bestimmter Stadtteile ist. Beispiele hierfür bildeten die Paradigmenwechsel der Politique de la Ville oder die ambivalenten Haltungen gegenüber Rapperinnen und Rapper als »Repräsentanten« von stigmatisierten Vierteln. Dieses Kapitel wirft einen spezifischen Blick auf Diskurstheorien, um die Beschreibung der Herstellung von Räumen konzeptionell zu rahmen. In den Mittelpunkt rücken dabei die Stabilität und Instabilität diskursiver Praktiken bei der Aushandlung von sozialen Beziehungen. Hierzu wird in mehreren Schritten verfahren. Nach der Positionierung des vorliegenden Ansatzes im Feld sozialwissenschaftlicher und geographischer Diskursforschung werden Michel Foucaults Diskursbegriff und Judith Butlers Performativitätsbegriff als Fluchtpunkte für das Verständnis diskursiver Praktiken eingeführt. Darauf aufbauend erfolgt eine Erweiterung der Konzeptionen mit der Diskurs- und Hegemonietheorie von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe. Das besondere theoretische Augenmerk gilt abschließend den Kontexten, in denen Identitäten und Räume politisch umkämpft werden sowie dem Verhältnis zwischen gegenhegemonialen Diskursen und Raumdiskursen. 1

Das »Problematisieren« bzw. die »Problematisierung« – für Foucault gleichzeitig als analytischer Begriff oder Modus der Kritik einsetzbar – beschreibt die »Ausarbeitung eines Bereichs von Tatsachen, Praktiken und Denkweisen, die der Politik Probleme zu stellen scheinen« (Foucault 2005: 727).

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KONZEPTIONELLE GRUNDLAGEN Der Begriff »Diskurs« ist im deutschen Sprachgebrauch fest etabliert (lat. discursus, »Auseinanderlaufen«, »Umherlaufen«, »Hin- und Herlaufen«; frz. discours, »Rede«, »Abhandlung« ferner auch »Denkweise«; vgl. Angermuller 2014a). Die ausufernden Gebrauchsweisen des Begriffs und das Nebeneinander der vielen Ansätze der Diskursforschung verdeutlichen die unterschiedlichen Vorstellungen von »Diskurs«. Sie erfordern eine kurze Einordnung. Die vielen Bedeutungen der als Diskurs benannten Praktiken eint zunächst ihr »durch Äußerungen produzierte[r] soziale[r] Sinn- und Kommunikationszusammenhang« (Angermuller 2014a: 75). Der Begriff gilt bildungssprachlich als Synonym für ein Streitgespräch, einen Dialog zwischen mehreren Teilnehmern (»einen Diskurs führen«, »diskursfähig sein«) oder eine öffentliche Debatte (»der öffentliche/gesellschaftliche Diskurs zu x«). Diese Gebrauchsarten verweisen auf die im deutschsprachigen Raum wohl prominenteste Diskurstheorie, die Theorie des »kommunikativen Handelns« von Jürgen Habermas (2004). Habermas’ normatives Konzept der deliberativen Demokratie erhebt den Diskurs zu einem idealtypischen Verfahren des Austausches und der Wahrheitsfindung in der öffentlichen Sphäre. Der Diskurs gilt als Garant der Verständigung über die geteilten Normen und Wahrheitsbegriffe einer Gesellschaft (Fraser 1992; Nonhoff 2004: 65). Der Konzeption von Habermas stehen heute viele Diskursverständnisse in den Sprach-, Sozial- Geistes- und Kulturwissenschaften gegenüber. Sie orientieren sich am Werk Michel Foucaults und haben eigenständige Diskurstheorien und Analyseverfahren hervorgebracht.2 Den Diskurstheorien gilt Diskurs als eine heuristische und methodologische Perspektive zur Theoretisierung und Analyse der historisch situierten Herstellungsprozesse von sozialer Bedeutung (siehe Exkurs I) in unterschiedlichsten Gesellschaftsbereichen: »Während ›der‹ Diskurs schlechthin auf die symbolische bzw. semiotische Dimension sozialer und kultureller Ordnungsbildung verweist, steht ›ein‹ spezifischer Diskurs für einen soziohistorischen Kommunikationszusammenhang.« (Angermuller 2014a: 75) Die unterschiedlichen Ebenen des Diskursiven erklären das Nebeneinander der vielen Diskursanalysen und Diskurstheorien unter dem Sammelbegriff einer sozialwissenschaftlichen Diskursforschung (Angermuller 2014b). Ihr gemeinsa-

2

Für einen Überblick der linguistischen, soziologischen und politikwissenschaftlichen Rezeptionen siehe Fairclough (1995), Williams (1999), Bublitz (2003) und Nonhoff (2006); für die deutschsprachige sozialwissenschaftliche Diskursforschung siehe Angermuller (2005).

Diskurs- und hegemonietheoretische Perspektive | 49

mer, weitläufiger Gegenstand wurde an unterschiedlichste Fach- und Denktraditionen gekoppelt.3 Der im Folgenden vorgestellte Ansatz bezieht sich auf die Foucault-inspirierte Diskursforschung, die gemeinhin dem »Poststrukturalismus« zugerechnet wird (siehe Exkurs I). Ein zentraler Unterschied zwischen den hier vertretenen Auffassungen von Diskurstheorie und Diskursanalyse liegt darin, dass Erstere die Strukturen, Bedingungen und Möglichkeiten von sozialer Realität erkenntnistheoretisch abstrahiert, während Letztere versucht, konkretisierte Teilaspekte einer Theorie empirisch zu untersuchen: »[D]iscourse theory corresponds to the ontological level, where the concept of discourse specifies the necessary presuppositions of any inquiry into the nature of objects and social relations, while discourse analysis operates at the ontical level, and is concerned to analyze the particular objects specified by one’s ontological presuppositions.« (Howarth 2005: 336)

Diese starken Akzentuierungen von Differenz, der Gemachtheit des Sozialen und der Infragestellung eines objektiven Weltzugangs (siehe Exkurs I) liefern zahlreiche Anknüpfungspunkte für konstruktivistische Theoriegebäude und Methodologien (Angermuller 2014d: 305). Das Verweisen auf Instabilität und Kontingenz soll nicht bedeuten – so der häufige Vorwurf in Theoriedebatten — dass »alles ginge«, alles Diskurs sei, und es eigentlich keinen Sinn oder keine Materialität mehr gäbe (vgl. Mattissek 2007: 85). Sinn, soziale Beziehungen, Räumlichkeit und Materialität sind nach wie vor existent; nur sind ihre Bedeutungen nicht determiniert und bleiben stets relational (Glasze/Mattissek 2009b).

3

Eine verstärkte Rezeption erfahren poststrukturalistische Diskurstheorien seit den 2000er Jahren im Umfeld der Neuen Kulturgeographie (Gebhardt et al. 2007).

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Exkurs I: »Poststrukturalismus« als Kritik und Weiterentwicklung des Strukturalismus Der Begriff »Poststrukturalismus« – im anglophonen Raum auch French Theory (Angermuller 2004) – umschreibt den linguistic turn in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Ex post wurde der turn einem recht diffusen Feld linguistischer, semiotischer, diskursorientierter, psychoanalytischer, phänomenologischer und marxistischer Strömungen im intellektuellen Frankreich der 1960er Jahre zugeordnet. Einschlägige Autoren, wie die wohl bekanntesten »Vertreter« Michel Foucault, Jacques Derrida und Jacques Lacan, verwenden den hingegen Terminus nie in diesem Sinne und beziehen sich nicht zwingend aufeinander (Angermuller 2007a). Konzeptionell eint die Autoren der kritischer Bezug auf die Zeichen- und Differenztheorie des Linguisten Ferdinand de Saussure (1916). Ausgehend von einem dyadischen Zeichenbegriff definiert Saussure Sprache formalistisch als ein System, das Bedeutung aus den arbiträren Differenzen seiner Zeichen produziert. Mit dem französischen Wort langue beschreibt Saussure das Sprachsystem einer bestimmten Sprache, mit langage die Sprachfähigkeit und mit parole den Gebrauch der langue. Saussure definiert ein Zeichen als die Einheit eines Signifikanten (das Bezeichnende) mit seinem Signifikat (das Bezeichnete). Signifikanten verweisen in Form g bzw. gesprochener Lautbilder auf sozial geteilte Konzepte (g 2000: 19). Da Zeichen keinen Gnen vorgängigen Sinn besitzen, entsteht Sinn durch sprachinterne Differenzen. Differenzbeziehungen machen Zeichen identifizierbar, und geben jedem Zeichen im abgeschlossenen System der Sprache einen »eindeutigen« Sinn. Die Einheit zwischen Signifikant und Signifikat bleibt trotz ihrer Arbitrarität für Saussure eindeutig. Saussure konzipiert Sprache als eine universelle und stabile Struktur (Laclau 1993: 432). Erste modifizierende Transfers von Saussures strukturaler Linguistik in andere Wissenschaftsbereiche erfolgen etwa durch den Anthropologen LéviStrauss (1949, 1971), der Kultur als Produkt stabiler Zeichensysteme erforscht. Roland Barthes überträgt das Modell Saussures auf Bedeutungssysteme wie die Mode (1985). Die Grundannahmen Saussures werden im Frankreich der 1960er Jahre von strukturalistisch beeinflussten Autoren aufgenommen, radikalisiert und teilweise verworfen. Sie prägen bis heute Diskurstheorien bzw. zeichentheoretische Denkströmungen. Viele Rezipienten Saussures betonen, dass sozial geteilte Bedeutungen nur temporär als gesichert gelten können. Dies hat mindestens drei wichtige Folgen für das Verständnis von Zeichen, Wissen und Subjekten:

Diskurs- und hegemonietheoretische Perspektive | 51

• Mehrdeutigkeit und Sinnaufschub: Derridas Radikalisierung des Zeichenbe-

griffs in seinen Abhandlungen zu Saussure und zum Sprechakttheoretiker John Austin (1979) zeigt, dass sprachliche Sinnproduktion aufgrund des ihr inhärenten Bedeutungsüberschusses unkontrollierbar bleibt. Es gibt keine Garantie für die unmittelbare Zugänglichkeit von Bedeutung. Die Differenzbildung zwischen den Signifikanten erzeugt eine unendliche Verweislogik – ähnlich der eines Wörterbuches. Da Signifikanten ihren Sinn aus dem erhalten, was sie nicht bezeichnen, entsteht ein immer wiederkehrender Aufschub von »unmittelbarem« Sinn im Verweisspiel der Signifikanten, dem sich die Signifikate unterordnen (Derrida 1983: 17f.). Ebenso muss jedes Zeichen mit seinem Kontext brechen können, um als solches »zitathaft« wiedererkannt zu werden. Äußerungen können ihre Bedeutung nicht identisch reproduzieren, jeder neue Gebrauchskontext kann Sinnverschiebungen zeitigen. Sinn und das System Sprache bleiben brüchig und nur temporär fixierbar (Derrida 2001). • Historizität der Sprache und des Wissens: Saussures Vorstellung von Sprache ist tendenziell ahistorisch und starr. Foucault widerlegt die Universalität von Bedeutungssystemen anhand seiner Überlegungen zu Diskurs, Macht, Biopolitik und Gouvernementalität. Sein Werk konturiert den Wandel von historisch situierten Strukturregeln, die das Sprechen und Wissen bezüglich ihrer Gegenstandsbereiche und zugehöriger Subjekte regulieren. Bei Foucault gelten Wissen, Macht und gesellschaftliche Wahrheiten (oder besser: »Sagbarkeiten«) als nicht determiniert. Die genealogische Perspektive auf größere Strukturen des Handelns und Denkens offenbart deren Produktivität und Kontingenz, d.h. »dass die Dinge in einem gegebenen historischen Zeitraum in ihrem So-Sein auch anders denkbar wären« (Bublitz 2003: 46). • Dezentrierung des intentional handelnden Subjekts: Eine weitere Radikalisierung und Abkehr von transzendentalphilosophischen Grundsätzen bildet die Ablehnung eines zeitlos-universellen und autonomen Subjekts, das unabhängig von den ihn umgebenden Strukturen intentional agiert. Gerade die »poststrukturalistischen« Autoren unterstreichen die komplexen Wechselwirkungen zwischen symbolischen Strukturen, sozialen Kontexten und dem einzelnen Individuum. Um Subjektivität zu erlangen, müssen Individuen an verfügbaren Sagbarkeiten und bestehenden symbolischen Ordnungen partizipieren. Sie werden dabei zum Kreuzungspunkt von historischen Wissensvorräten und Machtbeziehungen, sie handeln in diesem Sinne nicht autonom (Foucault 2007; Strüver 2009).

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Diskursive Formationen und Praktiken Die zentralen Referenzen für viele diskurstheoretische Ansätze inner- und außerhalb Frankreichs bilden die Arbeiten Foucaults (Angermuller/Maingueneau 2007). In dessen Werk gilt die methodologische Abhandlung »Archäologie des Wissens« (1981) als Versuch einer Systematisierung der Diskursanalyse. Die »Archäologie« ist hierbei keine Form der linearen Geschichtsschreibung oder Suche nach verborgenen Gesetzen »der« Geschichte. Stattdessen setzt sie an der ereignisreichen »Oberfläche« der Diskurse an (Foucault 1981: 17; 1994b: 772). Foucault fokussiert die historischen Möglichkeitsbedingungen sowie die Produktivität von Äußerungen und in ihnen enthaltener Aussagen. Seine Forschungen aus den frühen 1960er Jahren zeigen, wie die wissenschaftliche Wiederentdeckung des Menschen in der Neuzeit die Humanwissenschaften hervorbringen konnte, und dabei ein neues, in viele Gesellschaftsbereiche streuendes Feld von Wissen und Praktiken entstehen ließ. Solche abgrenzbaren, sich aber auch gegenseitig informierenden »Wissensbündel« (wie die Biologie, Medizin, Ökonomik, Sprachwissenschaft etc.), sowie zugehörige Denk- und Handlungsweisen, die sie hervorbringen und im Vollzug »wahrsprechen«, nennt Foucault Diskurse. Sie bilden »eine Menge von Aussagen, die einem gleichen Formationssystem zugehören« (Foucault 1981: 156). Diskurse – gedacht als Formationen – etablieren einen strukturähnlichen Zusammenhang von historisch situierten und auf eine bestimmte Weise miteinander verbundenen Aussagen (Nonhoff 2004: 71). Die Diskursanalyse ist »eine Aufgabe, die darin besteht, nicht – nicht mehr – die Diskurse als Gesamtheit von Zeichen (von bedeutungstragenden Elementen, die auf Inhalte oder Repräsentationen verweisen), sondern als Praktiken zu behandeln, die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen. Zwar bestehen Diskurse aus Zeichen; aber sie benutzen diese Zeichen für mehr als nur zur Bezeichnung der Sachen. Dieses mehr macht sie irreduzibel auf das Sprechen [parole] und die Sprache [langue]. Dieses mehr muss man ans Licht bringen.« (Hervorh. i. O., Foucault 1981: 74)

Hierdurch grenzt Foucault seinen Diskursbegriff von der »unentschiedenste[n] Weise« der allgemeinen Verwendung ab, welche in der Regel auf »eine Menge von sprachlichen Performanzen« abzielt (Foucault 1981: 156). Die für Foucault zentrale Analysekategorie der »Aussage« (énoncé) umschreibt die verstreuten, elementaren Einheiten des Diskurses (ebd.: 117). Diese zunächst exotisch anmutende Festlegung definiert eine Aussage weder als singulären oder bewusst wiederholbaren Sprechakt, noch als formallogische Proposition oder als Ereignis auf

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einer isolierbaren, grammatikalischen Satzebene. Aussagen haben vielmehr eine Funktion (fonction énonciative) bzw. Verweisfunktion für eine diskursive Formation (Foucault 1981: 126, 169). Ihr zeichenförmiges Vorliegen4 lässt auf ihre Entstehungsbedingungen schließen. Da bestimmte Aussagen problemlos in unterschiedlichen diskursiven Formationen erscheinen können, ist ihr Sinn zunächst sekundär. Erst die Analyse der Äußerungskontexte ermöglicht eine Zuordnung ihrer spezifischen Verwendungsweisen. Infolgedessen zielt die Analyse von diskursiven Formationen und derer verstreuten Regelmäßigkeiten auf vier unterschiedliche Ebenen, denen eine »Irreduzibilität auf das Sprechen« innewohnt (ebd.: 61-103; vgl. auch: Keller 2005: 132; Langer 2007: 54; Ott und Wrana 2010: 166; Schäfer 2013: 125). Konkret umfassen die Ebenen: • die Formation der Gegenstände auf die sich eine diskursive Formation bezieht

(Nach welchen Regeln werden die zentralen Gegenstände erzeugt?); • die spezifischen Äußerungsmodalitäten einer Formation (Wer äußert sich wie

an bestimmten Orten, von welcher Position aus, um als »legitimes« Subjekt im Diskurs zu sprechen?); • die Formation der Begriffe und die Ausprägung ihrer Beziehungen zueinander, die jeder situative Vollzug zeitigt und dabei ein semantisches Netz (re-) produziert; • die diskursiven Strategien, mit denen Diskurse und die Formation ihrer Gegenstände zu anderen abgrenzbar werden oder Anschluss herstellen.5

4

Neben der Materialität geschriebener und gesprochener Sprache nennt Foucault auch klassifikatorische Tabellen, genealogische Bäume, Handelsbilanzen oder Graphiken als Beispiele für Aussagen (1981: 119-120).

5

Hier einige Beispiele aus Foucaults Arbeiten: Mit der Entstehung der Humanmedizin und der Psychiatrie wurde auch der Wahnsinn »neu begriffen«. Früher hatte er noch als »akzeptabel« und dann als »gefährlich« gegolten, nun als pathologisierbar und behandelbar. In eigens auf diesem Feld geschaffenen Institutionen konsolidierten sich spezifische Praktiken. Sie wiesen den Beteiligten Positionen mit unterschiedlicher struktureller Macht innerhalb der »praktizierten« Wissensordnungen zu (z.B. arbeitsteilige Kliniken, Anamnesen, die unterschiedlichen Subjektpositionen im medizinischen Diskurs zwischen Arzt und Patienten etc.). Ebenso schuf die neuzeitliche Verwissenschaftlichung des Menschen beispielsweise ein neues Wissen zu Praktiken des Bestrafens als eine Durchsetzung »normierten Verhaltens«, welche die gängigen repressiven körperlichen Bestrafungen von devianten Subjekten zunehmend ersetzten. Durch die entstandenen Wissensfelder wurde deviantes Verhalten mithilfe arbeitsteiliger Institutionen kategorisierbar, überwachbar und disziplinierbar. Ein berühmtes

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An dieser Stelle wird der heuristische Charakter des Diskursbegriffs ersichtlich: Diskurse existieren nicht »real«. Sie sind ein analytisches Konstrukt, das das Auftauchen und die Existenzmöglichkeiten von Objekten, Praktiken und Ordnungen betrachtet. Diskursanalyse zu praktizieren, bedeutet demnach immer, auch Diskurse herzustellen (Wrana 2014a). Das in Formationen wirksame Geflecht von Beziehungen, die entlang wiederkehrender Regelmäßigkeiten »schemenhaft« intelligibel werden, umschreiben dann die diskursiven Praktiken. Foucault nuanciert die Produktivität von Diskursen. Diskursive Strukturen entstehen durch Praktiken, und nicht auf Grundlage einer rein intellektuellen Verfügbarkeit: »Diese Beziehungen charakterisieren nicht die Sprache, die der Diskurs benutzt, nicht die Umstände, unter denen er sich entfaltet, sondern den Diskurs selbst als Praxis.« (Foucault 1981: 70) Die unterschiedlichen Praktiken und ihre Kontexte reproduzieren Diskurse nicht identisch, sondern erzeugen sie »aufs Neue«. Diskursive Praktiken umschreiben daher auch keine rein linguistische Tätigkeit.6 Sie können nicht außersprachlichen Praktiken gegenübergestellt werden und nur ideell bzw. »programmatisch« existieren, vielmehr laufen beide Aspekte in diskursiven Praktiken zusammen. Diese »breite« Diskurskonzeption reflektiert nur einen von mehreren Standpunkten zu den Fragen, ob das Diskursive die Grenze zwischen Sprachlichem und Nicht-Sprachlichem darstellt, und ob das Nicht-Diskursive aus dem NichtSprachlichem besteht. Selbst Foucault vermag hier keine endgültige Antwort geben zu wollen und macht seine Konzeption dadurch angreifbar (vgl. Laclau/Mouffe 2006: 143). Solche Dichotomien sind zwar denkbar, aber aus diskursanalytischer Sicht nicht zielführend. Diskurse sind nur entlang aufgefundener Formationsmodi definierbar. Jeder Versuch, das Nicht-Diskursive auf ontologischer Ebene festzuschreiben, scheitert, da er wiederum Diskurs erzeugt:

Beispiel ist laut Foucault die in hohem Maße selbstdisziplinierend wirkende Überwachungsarchitektur von Benthams »Panopticon« (im Zentrum des kreisrunden Bauwerks befindet sich ein Überwacher mit freier Sicht auf die entlang der Kreislinie angeordneten Überwachten). Die Idee des »Panoptismus« fand nicht nur im Strafwesen Anwendung, sondern »streute« auch in andere Disziplinarinstitutionen (Foucault 1971, 1976a, 1976b). 6

Der Diskursbegriff erhält dadurch eine pragmatische Dimension, die äußerungslinguistisch und praktikentheoretisch adaptierbar wird (Johansson/Suomela-Salmi 2011: 80; Schäfer 2010). Die diesbezüglich in der sozialwissenschaftlichen Diskursforschung vertretenen (und divergierenden) Standpunkte skizzieren beispielsweise Keller (2005, 2010) und Angermuller (2014b).

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»Bei der Suche nach nicht-diskursiven Praktiken wird man immer wieder auf das Diskursive stoßen, und gleichzeitig wird man im Sprechen über das Nicht-Diskursive nicht umhinkommen, Diskurs zu produzieren, weil alles, ob es sprachlich ist oder nicht, nur in der Sprache theoretisch begriffen und kommuniziert werden kann.« (Wrana/Langer 2007: 14)

In diesem Kapitel wird ein Standpunkt vertreten, der die gegenseitige Durchdringung sprachlicher und nicht-sprachlicher Praktiken in Diskursen berücksichtigt. Er misst der Frage nach dem Nicht-Diskursiven keine entscheidende Bedeutung bei. Nicht alles ist Diskurs. Andernfalls könnte der erkenntnistheoretisch problematische Eindruck entstehen, Diskurse bildeten eine der Wirklichkeit vorgängige oder entkoppelte Sphäre, die materielle Praktiken vor allem anleite (Wrana 2012: 188ff.). Die Stärken von Foucaults aussagen- und praktikenbezogenen Diskursbegriff liegen somit in der Betonung der stabilisierenden Wirkung von Praktiken – allerdings zum Preis eines trotz seiner Situiertheit fast autonom wirkenden Diskurses, der Subjektivität auf ein erzwungenes Strukturmerkmal reduziert (Schäfer 2013: 135ff.). Performativität diskursiver Praktiken In der »Archäologie des Wissens« definiert Foucault diskursive Praktiken mit einem Interesse, das mehr auf die Konsolidierung sozialer Phänomene als auf deren Unberechenbarkeiten abzielt. Für Letzteres bieten poststrukturalistische Performativitätstheorien Erklärungsmöglichkeiten. Das Konzept der »Performativität« ist an dieser Stelle aus zwei Gründen relevant: Das Auftauchen und Zirkulieren diskursiver Praktiken (gewissermaßen der Vollzug eines Diskurses) wird hinsichtlich der eigentlichen Situativität von Praktiken und ihrem Verhältnis zu einer übersituativen Struktur begrifflich präzisiert. Der Neologismus »performativ« geht auf Austins (1979) Entdeckung der »performativen Sprechakte« zurück (How to do things with words im englischen Original). Demnach besitzen Sprechakte keine ausschließliche Abbildfunktion der sozialen Welt, sondern entfalten »performativ« eine über ihren Vollzug hinausgehende Wirkung. Sie vollziehen zugleich das von ihnen Benannte. Sprachhandlungen wie Versprechen, Drohungen, oder die Anwendung konventionell geteilter, ritualisierter Formeln durch eine autorisierte Person (»Hiermit erkläre ich x für/als/zu y«), dienen Austin als Beispiele performativer Akte. Sein Versuch einer Systematisierung der performativen Sprechakte erweist sich ebenso als performativ und demonstriert die aufschiebenden und über eine Äußerungssituation hinausreichenden Wirkungen von Sprechakten: Ohne zu einer endgültigen Festlegung zu gelangen, verwirft Austin mehrmals seine eigenes Katego-

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riensystem zur Beschreibung des Performativen (performativ/konstativ bzw. lokutionär/illokutionär/perlokutionär). Er tritt den unfreiwilligen Beweis dafür an, »how words do unexpected things« (Norris 2010: 41). Derrida greift den Aspekt des Scheiterns prominent auf, radikalisiert Austins Thesen und verlegt den Analysefokus auf die Möglichkeitsbedingungen von Sprechakten (Seier 2005: 54). Für den Kontext der vorliegenden Arbeit ist hiervon hervorzuheben, dass jeder kommunikative Sprechakt in gewisser Weise performativ ist – anstelle nur bestimmter. Das gilt auch jenseits des potentiellen Scheiterns aufgrund der fehlenden Autorität (z.B. kann nicht jeder eine kirchliche Taufe durchführen). Um erkennbar zu werden, muss ein Sprechakt an vorangegangene, strukturell ähnlich gelagerte Ereignisse anschließen. Der vermeintlichen Singularität des Sprechaktes wohnt ein Moment der zitatähnlichen Wiederholung bei, den Derrida »Iteration« nennt. Der Begriff umschreibt als wichtiger Baustein seines differenztheoretischen Vokabulars den Umstand der »mit Andersheit verknüpften Wiederholung« (Derrida 2001: 24). Judith Butler (1997; 2006) nutzt die Austin-Rezeption Derridas, um die Konstitution von geschlechtlichen Identitäten zu analysieren. Die Begriffe Performativität und Performanz dienen ihr dabei als Mittler zwischen Ereignis und Struktur. Während Performativität den wirklichkeitskonstituierenden und zitathaften Charakter von diskursiven Praktiken durch die Iteration betont, beschreibt Performanz den eigentlichen Akt der Aufführung, dem durch seinen Zitationscharakter ein theatralisches Moment innewohnt (Wirth 2002: 40f.). Wie bei Foucault, ist der Akt der Benennung und Anrufung von Individuen, die dadurch eine Position erhalten, nur eine temporäre Performanz. Die Zitathaftigkeit des Anrufens/Benennens/Durchführens ruft, je nach Umstand und Erfolg der Darbietung, eine Performativität hervor, die (de-)stabilisierend auf einen Diskurs wirkt (Butler 2006: 30). Diskursive Praktiken schließen in Butlers Überlegungen immer aufs Neue »performativ« an vorgängige sprachliche und körperliche Praktiken an. Unter Bezugnahme auf Foucault theoretisiert Butler die Schnittstelle materieller Praktiken, diskursiver Formationen und der Handlungsfähigkeit von Subjekten. Ihre bis heute kontrovers diskutierten Thesen aus den 1990er Jahren zielen darauf ab, dass neben sozial konstruierten Identitäten (wie dem sozialen Geschlecht) auch Körper (wie das biologische Geschlecht) einen materiellen Kreuzungspunkt von diskursivierten Machtbeziehungen bilden (Müller 2009: 26). Die hegemoniale sex/gender-Unterscheidung verdeutlicht die Performativität der Geschlechter-Diskurse: wenn ein Individuum beispielsweise den als weiblich kodierten biologischen Körper inszeniert (z.B. Bewegungen, Aussehen, Kleidung oder sexuelle Präferenz), um als Frau zu gelten bzw. gelten zu wollen, ist es aus

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konzeptioneller Perspektive weit von ausschließlich intentionalem Handeln entfernt. Der performative Äußerungsakt sowie die Anrufung durch Andere (»bei einem Namen gerufen werden«) sind ein diskursives »Platzieren und Platziertwerden entlang gesellschaftlich definierter Subjektpositionen« (Boeckler/Strüver 2011: 665), die ein Feld von Konventionen mobilisieren. Um Erfolg zu haben, muss die Performanz ihre Gegenwart übersteigen. Sie muss an sozial geteilte, bereits erfolgte Inszenierungen (z.B. des Frau-Seins) anschließen. Damit ermöglicht sie, dass zukünftige Performanzen wiedererkannt werden (Wucherpfennig/Strüver 2009, 2014). Die Iteration von Geschlechternormen lässt die diskursivierten Körper dadurch als vermeintlich »natürlich« erscheinen. Trotz der Macht von performativen Sprechakten sieht Butler die Möglichkeit des Scheiterns der Sprechakte als konstitutiv an, damit sie überhaupt mit ihrem Kontexten brechen können. Ferner erfolgt die Subjektivierung nicht nur aus dem »Adressiertwerden« in einer bestimmten Situation. Genauso entscheidend ist der individuelle, darauf antwortende, und nie vollständig vorhersehbare Akt, der den Kontext diskursiver Praktiken noch produktiver macht (Ott/Wrana 2010: 164). Diskursive Praktiken sind als iterative Praktiken in dieser Hinsicht anfällig für Leerstellen, Irritationen oder Subversion (Gregson/Rose 2000: 437; Reckwitz 2004). Die Komplexität, das Nebeneinander und die potentielle Instabilität von sozialer Praxis bewirken, »dass diskursive Praktiken gerade aufgrund der Verschiebung produktiv sind. Sie bringen etwas Neues hervor, jedoch nicht unabhängig vom Bestehenden, sondern innerhalb eines Rahmens des Denkbaren und Möglichen. Zugleich ist das Subjekt in jeder Situation mit einer Fülle von Diskursen, Regeln, Normen usw. konfrontiert, die durchaus widersprüchlich zueinander sein können, die nicht unabhängig von der jeweils eigenen sozialen Position, Geschichte, Erfahrung und dem historischen Moment zu verstehen sind.« (Langer 2007: 62)

Die emanzipativen Potenziale der Instabilität von Diskursen erkundet Butler immer wieder im Hinblick auf die Identitätspolitik von diskriminierten Gruppen (z.B. Butler/Spivak 2007). Butler illustriert die konstitutive Unkontrollierbarkeit des Performativen am Beispiel der berühmten US-Frauenrechtlerin Rosa Parks: »Als Rosa Parks im vorderen Abteil des Busses saß, hatte sie kein vorgängiges Recht, das irgendeine Rassentrennungskonvention der Südstaaten garantiert hätte. Und trotzdem verlieh sie, indem sie ohne vorgängige Autorisierung Anspruch auf dieses Recht erhob, ebendieser Handlung eine gewisse Autorität und leitete den Umsturz der bestehenden Legitimitätscodes ein.« (Butler 2006: 230)

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Festzuhalten bleibt Butlers spezifische Erweiterung von Foucaults Konzepten hinsichtlich der Situativität und strukturinhärenten Instabilität von diskursiven Praktiken. Neben ihrer Historizität, relationalen Bestimmbarkeit, Multimodalität und ihren Regelmäßigkeiten sind diskursive Praktiken auch iterativ und unvorhersehbar. Diskurse müssen als produktiv und brüchig zugleich gelten.

HEGEMONIETHEORIE DISKURSIVER PRAKTIKEN Die Politikwissenschaftler Ernesto Laclau und Chantal Mouffe schlagen eine Diskurstheorie vor, die den Iterationscharakter von diskursiven Praktiken im Kontext des Politischen aufgreift. Seit dem Erscheinen ihres Buches Hegemony and Socialist Strategy (1985) [dt. Fassung Hegemonie und radikale Demokratie – Zur Dekonstruktion des Marxismus, 2006] entwickelten beide unterschiedliche Schwerpunkte ihrer gemeinsamen Theorie in den 1990er und 2000er Jahren weiter. Ihre Arbeiten kombinieren die kritischen Ergänzungen des französischen Strukturalismus (vgl. Exkurs 1) mit der Theorie kultureller Hegemonie von Antonio Gramsci zu einer politischen Theorie des Sozialen. 7 Der politische Anspruch ihres Werkes liegt in der Formulierung einer anti-essentialistischen Gesellschaftstheorie. Mit einer ideengeschichtlichen tour de force kritisieren sie die teleologischen, ökonomistischen sowie essentialistischen Prämissen der linken Projekte des 19. und 20. Jahrhunderts. Den von ihnen kritisierten Ansätzen stellen sie ein Modell gegenüber, das mithilfe des Hegemoniebegriffs die Entstehung von Identitäten in politischen Kämpfen analysiert, ohne auf historische oder klassenbezogene Letztbegründungen zurückzugreifen (Stäheli 1999: 145 f.; Marttila 2015). Hierbei ergeben sich zentrale Anknüpfungspunkte zum Verständnis der Stigmatisierung von Stadtteilen. Die Theoretisierung der politischen Dimension diskursiver Praktiken soll verdeutlichen, wie gleiche oder ähnliche geographische Sachverhalte in hegemonialen und gegenhegemonialen Diskursen unterschiedlichen Bedeutungen und Hervorbringungsstrategien unterliegen.

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Die vorliegende Arbeit verfolgt eine nuancierte Lesart von Diskursanalyse mithilfe der in diesem Abschnitt vorgestellten Theorie. Die Arbeit hat nicht den Anspruch, alle Gesichtspunkte der Hegemonie- und Diskurstheorie abzuhandeln und anzuwenden (ausführliche Überblicksdarstellungen bieten u.a. Stäheli 1999, Torfing 1999, Jørgensen/Philips 2002, Glasze/Mattissek 2009a und Marttila 2015).

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Diskurs als artikulatorische Praxis Den Ausgangspunkt der Hegemonie- und Diskurstheorie bildet das vom französischen Marxisten Althusser formulierte Konzept der Überdeterminierung von Gesellschaft(en). »Gesellschaft« im Singular erscheint Laclau und Mouffe unmöglich. Davon zeugen bereits die vielen Interpretationsmöglichkeiten und divergierenden politischen Kämpfe um die Ziele und Werte von Gesellschaften. Historisch betrachtet ist das Soziale daher ein Feld »unzähmbarer Differenzen«: Beziehungen und Identitäten bleiben prekär, da ihnen kein transzendentales Wesen, keine »letzte Buchstäblichkeit« immanent ist (Laclau/Mouffe 2006: 130f.). An dieser Stelle wird die konzeptionelle Nähe zu Derridas Thesen des Sinnaufschubs und Foucaults »archäologische« Blickweise auf Diskurse evident. Die Überdeterminierung von Gesellschaft bedeutet somit, dass Praktiken der Aushandlung von sozialen Identitäten stets Operationen der temporären Fixierung bedürfen. Hegemoniale – d.h. besonders erfolgreiche – Akte verleihen Diskursen und sozialen Identitäten dabei Stabilität. Durch die spezifische Verbindung von unterschiedlichen Bedeutungen oder politischen Forderungen wird der Sinn des Sozialen zuungunsten anderer Möglichkeiten der Fixierung verknappt. Gesellschaften sind somit latent politisierbar. Die diskursiven Praktiken des Zusammenführens und Verknappens bezeichnen Laclau und Mouffe als Artikulation8 von Elementen zu Momenten: »[A]ls Artikulation [bezeichnen wir, A.T.] jede Praxis, die eine Beziehung zwischen Elementen so etabliert, daß ihre Identität als Resultat einer artikulatorischen Praxis modifiziert wird. Die aus der artikulatorischen Praxis hervorgehende Totalität nennen wir Diskurs. Die differentiellen Positionen, insofern sie innerhalb eines Diskurses artikuliert erscheinen, nennen wir Momente. Demgegenüber bezeichnen wir jede Differenz, die nicht diskursiv artikuliert ist, als Element.« (Hervorh. i. O.; Laclau/Mouffe 2006: 141)

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Abweichend von seiner rein sprachtätigkeitsbezogenen Konnotation im Deutschen bedeutet der Begriff »Artikulation« im Englischen sowie in romanischen Sprachen auch »verbinden«, »zusammenfügen«. Er impliziert die Möglichkeit, eine erzeugte Verbindung wieder zu lösen, wie Stuart Hall veranschaulicht: »Eine Artikulation ist demzufolge eine Verknüpfungsform, die unter bestimmten Umständen aus zwei verschiedenen Elementen eine Einheit herstellen kann. Es ist eine Verbindung, die nicht für alle Zeiten notwendig, determiniert, absolut oder wesentlich ist. Man kann sich fragen, unter welchen Bedingungen kann eine Verbindung hergestellt werden oder geschmiedet werden?« (Hervorh. i. O.; Hall 2000: 65)

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Diskurs wird, ähnlich wie bei Foucault, zu einer strukturierenden, »sinnarretierenden« Praxis. Die Verstreuung von Praktiken gemäß bestimmter Regelhaftigkeiten markiert dabei den Umfang eines Diskurses. In den Momenten der Äußerlichkeit eines Diskurses, seines Vollzuges mittels artikulatorischer Praxis, manifestiert sich »Diskurs« heuristisch als »meaningful totality« (Laclau 1990: 102; Laclau/Mouffe 2006: 142). Gemeint ist der Augenblick, ab dem man abstrahieren kann: ein Diskurs ermöglicht es (eventuell im Unterschied zu einem anderen), die Gegenstände ax (usw.) über die Praktiken bx, nach den Mustern mx zu artikulieren und dabei die Positionen px und Repräsentationen rx zu erzeugen. Den »breiten« Diskursbegriff präzisieren Laclau und Mouffe auch hinsichtlich seiner Materialität, da artikulatorische Praktiken nicht ausschließlich intellektuell ablaufen. Jede diskursive Formation hat einen dezidiert materiellen Charakter (ebd.: 145). Genau genommen verfügen »rein« materielle Phänomene, wie beispielsweise Naturereignisse, über einen außerdiskursiven Status. Sie benötigen keinen Diskurs für ihre Existenz. Sie werden allerdings erst im Rahmen diskursiver Artikulation intelligibel (ebd.:144). Ebenso verhält es sich mit den »stummen Aktivitäten« (Wrana 2012: 186f.) einer routinierten körperlichen Praxis oder sozialer Interaktion, für die praxeologische Ansätze Konzepte wie »implizites Wissen« oder »knowing to« bereithalten (Reckwitz 2003; Wrana/Langer 2007: 48ff.). Auch wenn diese Wissensarten im strengsten Sinne unzugänglich bleiben, sind sie durch »Praktiker« bzw. Beobachter beschreibbar, und somit »diskursivierbar«. Laclau und Mouffe betonen dementsprechend die Verwobenheit von symbolischen Ordnungen und Materialität im Rahmen diskursiver Praktiken. Folglich sollten Leitdichotomien sozialwissenschaftlichen Denkens wie »Zeichen vs. Handlung«, »linguistisch vs. behavioristisch«, »idealistisch vs. realistisch« oder »ideell vs. materiell« nicht neben-, sondern miteinander gedacht werden (Laclau/Mouffe 2006:143). Die aufgezählten Kategorien wirken gleichzeitig und in unterschiedlicher Weise an der sozialen Sinnproduktion mit: »[D]ie Preisgabe des Gegensatzes von Denken und Wirklichkeit […] muss mit einem Überdenken und der wechselseitigen Durchdringung der bisher nur als sich gegenseitig ausschließend betrachteten Kategorien einhergehen.« (ebd.: 147) Zur Illustration des materiellen Charakters einer artikulatorischen Praxis im Diskurs bemühen Laclau und Mouffe in ihren Schriften wiederkehrend Wittgensteins berühmtes »Sprachspiel« aus dessen 1953 posthum veröffentlichten Philosophischen Untersuchungen. Das Beispiel (siehe z.B. Laclau/Mouffe 2006: 145ff.) verdeutlicht rasch, dass sich soziale Praxis nicht ausschließlich intellektuell vollziehen kann:

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»A führt einen Bau auf aus Bausteinen: es sind Würfel, Säulen, Platten und Balken vorhanden. B hat ihm die Bausteine zuzureichen, und zwar nach der Reihe, wie A sie braucht. Zu dem Zweck bedienen sie sich einer Sprache, bestehend aus den Wörtern ›Würfel‹, ›Säule‹, ›Platte‹ und ›Balken‹. A ruft sie aus; B bringt den Stein, den er gelernt hat, auf diesen Ruf zu bringen.« (Wittgenstein 2008: §2)

Der Clou des Sprachspiels liegt nun darin, dass weder einzelne gedankliche, sprachliche, materielle bzw. körperlich stumme Praktiken sozialen Sinn garantieren können. Erst deren Zusammenführen (artikulieren) im Moment des Gebrauchs, der sozial vermittelt wurde, schafft Sinn: »Ich werde auch das Ganze: der Sprache und der Tätigkeiten, mit denen sie verwoben ist, das ›Sprachspiel‹ nennen.« (Wittgenstein 2008:§7) Wittgensteins Spätwerk dient prominenten Diskurs- und Praktikentheorien als Fluchtpunkt, um die Kontingenz und Intelligibilität von sozialer Praxis zu konzipieren (Reckwitz 2003: 283; Feustel/Schochow 2010; Schatzki 1997, 2002, 2012; Hillebrandt 2014: 36ff.; Baumann/Tijé-Dra/Winkler 2015). Kennzeichnend für soziale Praxis ist bei Wittgenstein die Vielfalt der Sprachspiele, die gesellschaftlich als routiniertes und sanktionierbares Regelfolgen funktionieren. Das Regelfolgen wiederum basiert selbst auf erlernten Gebrauchsregeln zur »geeigneten« Anwendung einer Regel in einer bestimmten Situation (Wittgenstein 2008: §6; Kemmerling 1975). Ab einem gewissen Grad wird dieses Folgen nicht mehr hinterfragbar und nur durch den Gebrauch garantiert.9 Das Reichen oder Anbringen eines Bausteins im obigen Beispiel gehört zur selben diskursiven Formation des »Hausbaus« wie die zugehörigen Zurufe in ähnlichen, als »analog« zueinander erkennbaren Kontexten. Umgekehrt ist das Befolgen von (historisch nichtdeterminierten) Regeln nicht jeder Situation beliebig anpassbar. Ein Beispiel: Das Werfen mit Bausteinen und Ausrufen von »Würfel!« durch Fahrgäste in einem Linienbus könnte kaum als legitime Performanz (etwa des Hausbaus) mit zugehörigem Regelfolgen wiedererkannt, sinnhaft gemacht und kommuniziert werden. Das Werfen der Bausteine stieße an Grenzen. Genauso wie das hypothetische Verhalten des Bauarbeiters im obigen Zitat, der sich nach dem Wurf eines Bausteins einfach wegducken würde; es fiele ihm schwer, sein Verhalten mit den Regeln des Hausbaus durch eine wie auch

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»›Wie kann ich einer Regel folgen?‹ – wenn das nicht eine Frage nach den Ursachen ist, so ist es eine nach der Rechtfertigung dafür, daß ich so nach ihr handle. Habe ich die Begründungen erschöpft, so bin ich nun auf dem harten Felsen angelangt, und mein Spaten biegt sich zurück. Ich bin dann geneigt zu sagen: ›So handle ich eben.‹« (Hervorh. i. O.; Wittgenstein 2008: §217)

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immer ersonnene Gebrauchsregel in Einklang zu bringen. Jener Hauptgedanke des Sprachspiels nach Wittgenstein, nachdem Sinn nur in der Praxis erkannt und in der »abweichenden Wiederholung« (Schäfer 2013) erzeugt werden kann, durchzieht auch das begriffliche Instrumentarium der Hegemonie- und Diskurstheorie (Laclau 1990: 100ff.; 2004: 303; Mouffe 2008a: 69). An dieser Stelle ließe sich folgender Einwand gegenüber der hier verfolgten Lesart von Diskurstheorie formulieren: Erlaubt die Gleichsetzung von Diskursen mit der Aneinanderreihung strukturierter aber ergebnisoffener, sozial geteilter Praktiken eine Beibehaltung des Diskursbegriffs? Wäre die Verwendung einer expliziten Praktikentheorie nicht angebrachter? Mit Laclau soll geantwortet werden, dass der Diskursbegriff über den »zeichen- und differenztheoretischen Umweg« erlaubt, die Vermengung der linguistischen, nicht-sprachlichen und performativen Aspekte von Praktiken integrativ zu beschreiben:

»The notion of discourse could, if you prefer, be replaced by that of practice. I myself prefer to speak of discourse […]. [B]y arriving at this point in which practice and discourse become almost synonymous, through the whole set of steps involving the linguistic derivation, we reveal some aspects of these practical discursive structures which would not be evident otherwise.« (Laclau/Bhaskar 2015: 9)

Identitäten im Kampf um Hegemonie In Ergänzung zu Wittgensteins Sprachspielkonzeption zielen Laclau und Mouffe auf die Entstehung von sozialen Identitäten ab. Dabei geht es ihnen um die Frage, wie trotz des Fehlens letzter Gewissheiten politische Handlungsfähigkeit und das Politische erklärbar bleiben. »Gesellschaft« und Identitäten als überdeterminiert Ähnlich wie im Sprachspiel werden in der Diskurs- und Hegemonietheorie die kleinsten Einheiten der diskursiven Formationen, die Elemente, artikulatorisch zu Momenten eines Diskurses überführt. Sie erhalten aufgrund ihrer Abgrenzung zu ihrem »Außen«, d.h. den Elementen außerhalb des Diskurses, und zu Elementen innerhalb des Diskurses, eine temporärere Identität. Momente von artikulatorischen Praktiken verursachen ein Spiel der Differenz und Äquivalenz. Ihre Differenz zu anderen Momenten des Diskurses macht sie zeitweilig eindeutig identifizierbar. Brüche und Aufschübe werden temporär »vernäht«. Gleichzeitig setzt die Zugehörigkeit von unterschiedlichen Bedeutungen (bzw. politischen Forde-

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rungen 10 ) zu einer diskursiven Formation diese in ein Äquivalenzverhältnis (Laclau/Mouffe 2006: 170). Die unauflösbare Spannung zwischen Differenz und Äquivalenz, der eigenen und kollektiven Identität der Elemente im Diskurs, verkörpern privilegierte »Knotenpunkte« im Verhältnis der Signifikanten zueinander. Diese von Laclau (2002) auch als leere bzw. flottierende bezeichneten Signifikanten sind deshalb so zentral, da sie ihre spezifische Bedeutung entleeren, um eine Äquivalenzkette zu repräsentieren (ebd., vgl. Abbildung 2). Sie sind nicht mehr an ein eindeutiges Bezeichnetes artikuliert und übersteigen ihre eigene Identität. Ein Beispiel: Als Knotenpunkte des modernen demokratischen Diskurses können Begriffe bzw. Forderungen wie »Freiheit« oder »Gleichheit« gelten, da sie selbst wiederum historische Überbegriffe für eine Vielzahl unterschiedlichster (Über-)Begriffe sind (Selbstbestimmung, Eigentumsrecht, freie und gleiche Wahlmöglichkeiten etc.). Die Äquivalenz der Begriffe »Freiheit« und »Gleichheit« durch den zeitgenössischen Demokratiebegriff verdeckt deren kontingente Artikulation. Bei ihrem Auftauchen in der antiken Polis wurde Demokratie abweichend vom heutigen Verständnis viel exklusiver ausgelegt; auch Denkströmungen des Liberalismus wurden relativ spät mit Demokratietheorien artikuliert (Jörke 2004). Nach außen hin wird Demokratie nun ex negativo abgrenzbar zu anderen Herrschaftsformen, die abweichende Knotenpunkte bei der Organisation eines politischen Systems privilegieren. Die Abgrenzung zu anderen Artikulationsmöglichkeiten im überdeterminierten Feld der Diskursivität ruft eine »antagonistische Grenze« hervor (Laclau/ Mouffe 2006:161). Diesseits des Diskurses (in Abbildung 2 links der schwarzen Linie) gewährleistet die antagonistische Grenze eine Unterscheidung zwischen den zu seiner Identität zugehörigen und nicht-zugehörigen Elementen. Das antagonistische Verhältnis fungiert als Grenze jeglicher Objektivität, es birgt aber ein Paradoxon in sich. Die Totalität der Identität eines Diskurses, d.h. deren Universalität in Form einer endgültigen, »vollkommenen« Schließung, ist theoretisch unmöglich. Jenseits ihrer eigenen Grenze wird eine Identität von ihrem konstitutiven Außen bedroht. Eine vollkommene Schließung wäre undenkbar, da sie die konstitutive Unterscheidung zwischen Innen und Außen als Bedingung der Identität aufheben würde. Der Antagonismus wird zur (Un-)Möglichkeit jeder (vollständigen) individuellen, kollektiven und politischen Identität (ebd.:165ff.).

10 Angermuller (2007b) identifiziert in Laclaus und Mouffes Betonung von politischen Forderungen, die analytisch noch schwieriger als Aussagen zu greifen sind, eine konzeptionelle Schwachstelle der ansonsten stark auf der foucaultschen Diskursanalyse basierenden Hegemonietheorie.

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Abbildung 2: Äquivalenz und leere Signifikanten

Quelle: Glasze 2008:67 (verändert).

In Rekurs auf Althussers Ideologietheorie erweitern Laclau und Mouffe ihren Identitätsbegriff um das Konzept der Subjektpositionen. Für Althusser funktioniert Ideologie als Anrufung durch unterschiedlich gelagerte ideologische (Staats-)Apparate, im Sinne eines »angesprochen werden« und sich gleichzeitig »angesprochen fühlen«.11 Die Anrufung bewirke die Verschleierung der »wah-

11 »Wir behaupten außerdem, daß die Ideologie in einer Weise ›handelt‹ oder ›funktioniert‹, daß sie durch einen ganz bestimmten Vorgang, den wir Anrufung (interpellation) nennen, aus der Masse der Individuen Subjekte ›rekrutiert‹ (sie rekrutiert sie alle) oder diese Individuen in Subjekte ›transformiert‹ (sie transformiert sie alle). Man kann sich diese Anrufung nach dem Muster der einfachen und alltäglichen Anrufung durch einen Polizisten vorstellen: ›He, Sie da!‹ […] Wenn wir einmal annehmen, daß die vorgestellte theoretische Szene sich auf der Straße abspielt, so wendet sich das angerufene Individuum um. Durch diese einfache physische Wendung um 180 Grad wird es zum Subjekt. Warum? Weil es damit anerkennt, daß der Anruf ›genau‹ ihm galt und daß es ›gerade es war, das angerufen wurde‹ (und niemand anderes). Wie die Erfahrung zeigt, verfehlen die praktischen Telekommunikationen der Anrufung praktisch niemals ihren

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ren« materiellen (bzw. Produktions-)Verhältnisse und gebe Subjekten eine Illusion der Autonomie (Althusser 1977). Laclau und Mouffe verwerfen die marxistisch-ökonomistischen Aspekte der Anrufung bei Althusser, integrieren aber die Funktionsweise der Anrufung in ihre Theorie. Individuen und Kollektive werden durch sozial vermittelte symbolische Ordnungen »in den Diskurs gerufen«. Er stattet sie ihrer Subjektposition entsprechend mit Handlungsoptionen aus (Nentwich 2009; Spies 2009) und wird dadurch performativ. Subjektivität erscheint in diesem Lichte weder determiniert, noch autonom. Individuen gelten analog zu den Knotenpunkten einer Formation als Kreuzungspunkt mehrerer Elemente, d.h. sie werden nicht durch ausschließlich einen Diskurs angerufen. So stellt es in modernen westlichen Gesellschaften keinen unauflösbaren Widerspruch dar, seine Identität z.B. als »Veganer«, »Niedersachse«, »Mann«, »Sozialdemokrat« und gleichzeitig als Fan eines ProfiFußballverein, der Fleischwaren bewirbt, zu artikulieren (vgl. auch Glasze/Mattissek 2009a: 162). Das Subjekt ist überdeterminiert und artikuliert seine Identität ständig mit unterschiedlichen Subjektpositionen, was Widersprüche und Unberechenbarkeiten birgt. Der Ausgang der Anrufungsprozesse ist wie bei Butler und entgegen der Annahme Althussers, nie komplett vorhersehbar. Jener Bezug von unterschiedlichen diskursiven Elementen auf einen gemeinsamen Knotenpunkt zur Identitätsbildung erklärt die Mehrdeutigkeit und den Aufschub von Bedeutung vornehmlich linguistisch (d.h. anhand der sprachlichen Eigenheiten von sozialem Sinn). In späteren Publikationen ergänzt Laclau die Erklärungen zur konstitutiven Offenheit von Identitäten um psychoanalytische Konzepte von Jaques Lacan. Neben dem Fehlen der unmittelbaren Zugänglichkeit zum Unterbewussten manifestiert sich die Spaltung eines Subjekts als »Subjekt des Mangels« durch seinen Eintritt in symbolische Ordnungen. Lacans berühmtes »Spiegelstadium« beschreibt mit dem jubalitorischen Sich-selbstErkennen des Kleinkindes im Spiegel den Eintritt des Subjektes in das Symbolische (Glasze 2008: 65). Dies ist zugleich die erste Erfahrung einer Unvollständigkeit: Es erkennt eine distanzierte, vollständige und zugleich unerreichbare Repräsentation des »Ichs«, mit der es nicht identisch ist. Den nie wieder erreichbaren Zustand der (vorherigen Illusion von) Vollständigkeit, versucht das Subjekt fortan durch die Aneignung unterschiedlicher Symbole mit substitutiver Funktion für diese Vollständigkeit wiederzuerlangen (Glynos/Stavrakakis 2004:

Mann: Ob durch mündlichen Zuruf oder durch ein Pfeifen, der Angerufene erkennt immer genau, daß gerade er es war, der gerufen wurde. Dies ist jedenfalls ein merkwürdiges Phänomen, das nicht allein durch ein ›Schuldgefühl‹ erklärt werden kann, trotz der Vielzahl der Leute, die ›sich etwas vorzuwerfen haben‹.« (Hevorh. i. O., Althusser 1977: 141f.)

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206f.). Das Scheitern der Schließung der eigenen Identität wird zum Antrieb, Subjektpositionen zu besetzen, die eine Überwindung des Mangels und der Überdeterminierung verheißen. Laclau umschreibt solche affektiven Momente jeder diskursiven Struktur als »radical investment« (Laclau 2004: 302). Das Begehren von bestimmten Objekten geht mit einer affektiven Energie einher, welche bereits aus ökonomischen Gründen nicht alle Signifikanten gleichermaßen betreffen kann. Gerade im politischen Kontext geben emotionale Anrufungen als affizierende Artikulationen dem Bezeichneten erst eine bestimmte Bedeutung und verleihen ihm Nachdruck (ebd.). Gleiches gilt auch für die (wahnhafte) Fixierung einer Subjektposition bzw. eines Diskurses auf »blockierende« Identitäten oder Signifikanten jenseits des Eigenen, die es anzueignen oder zu tilgen gilt. Laclau beschreibt diese Umstände, die beispielsweise auf Phänomene wie Hass zutreffen, mit der Freud’schen Kathexis, der psychisch-energetischen Objektbelegung von Dingen oder Personen (ebd.; Laclau 2005: 110). Je stärker ein Objekt überdeterminiert ist, desto mehr investment bedarf dessen Belegung: »So we have in language an essential unevenness: each term, as an analogical centre, will have a higher or lower degree of irradiation. Or, to say the same thing with other words, it will be more or less overdetermined. As this means that it will be more or less cathected, the clear consequence is that its centrality will not be simply structural or merely semiotic – let alone cognitive – but it will be essentially affective.« (Laclau 2004:302)

Universalisierung In einem letzten Schritt formulieren Laclau und Mouffe die Logik12 der Äquivalenz und Differenz, die Etablierung von leeren Signifikanten, sowie die Überdeterminierung von Identitäten als zentrale Mechanismen bei der Aushandlung des Sozialen auf dem Terrain des Politischen. Der konstitutive Antagonismus, der die Universalität jeder Identität denkbar und unerreichbar macht, lässt Diskurse bei der Konstitution des Sozialen konkurrieren. Dabei setzt sich häufig eine Artikulation als hegemoniales Verhältnis durch und unterbricht zeitweilig bestimmte Unentscheidbarkeiten auf dem Feld der Diskursivität. Den Begriff Hegemonie entlehnen Laclau und Mouffe dem Konzept der »kulturellen Hegemonie«, das der italienische Marxist Antonio Gramsci während seiner Gefangenschaft im faschistischen Italien der 1920er und 1930er Jahre als Staatstheorie formulierte (Gramsci 1991).

12 Der Logik-Begriff in Laclaus und Mouffes Theorie verweist nicht auf formallogische Schlussregeln, sondern auf die internen Strukturierungsregeln einer diskursiven Totalität (Howarth 2005: 323).

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Für Gramsci umfasst Hegemonie ein klassenübergreifendes Herrschaftsverhältnis, in dem die herrschende Klasse ihre – hier noch »wesensbedingten« – partikularen Überzeugungen als kollektiven Willen erfolgreich und dauerhaft zu artikulieren vermag (Marchart 2007: 180f.). Hegemonie beschreibt ein historisches Gesellschafts- und Führungsverhältnis, das kein Zentrum besitzt (Laclau/Mouffe 2006: 181). Sie resultiert aus dem Verfügen von Deutungshoheit und latenten Zwangsmitteln, das bei Gramsci den Staat stabilisiert: »Staat = politische Gesellschaft und Zivilgesellschaft, das heißt Hegemonie, gepanzert mit Zwang« (Gramsci 1991: Heft 6, §88). Dieser Konsens ist vielfältig mit alltäglichen Gesellschaftsbereichen verwoben. Nicht nur auf einem polit-ökonomischen Terrain, sondern auch auf der ethischen und kulturellen Ebene der Zivilgesellschaft (Merkens 2007; Sternfeld 2009: 60ff.; Opratko 2012: 37ff.). Diskursiven Formationen gelingt es, bei ihrem Hegemonialwerden dauerhaft Orientierung zu geben. Sie lösen zu einem gegebenen Zeitpunkt als erfolgversprechendste Erklärungs- oder Lösungsansätze des Politischen – im Sinne der Aushandlung von sozialen Beziehungen – vorgängige Ansätze ab. Hegemonie wird zum unüberwindbaren Horizont des Handelns, zur »expansion of a discourse, or set of discourses, into a dominant horizon of social orientation and action by means of articulating unfixed elements into partially fixed moments in a context crisscrossed by antagonistic forces« (Torfing 1999: 101). Der hegemonialen Praxis gelingt es zeitweilig, die »Spur des Politischen« durch objektivierende Effekte zu verwischen.13 Für Laclau und Mouffe repräsentieren leere Signifikanten, die erfolgreich eine Vielzahl von politischen Forderungen um sich scharen und durchsetzen können, das zentrale Mittel zur Etablierung von hegemonialen Projekten. Abstrakter formuliert gelingt es partikularen Interessen mithilfe von leeren Signifikanten und ihren materiellen bzw. affizierenden Wirkungen als universale, verbindliche Interessen zu gelten (Laclau 2000, 2002). Hegemoniale Diskurse verstetigen sich aufgrund ihres breiten gesellschaftlichen Erfolgs vor allem in politischen und anderen sozialen Institutionen14; sie kreuzen daher eine Vielzahl von alltäglichen Praktiken. Diskurse »sedimentieren«, gelten als »wahr« und werden zu zählebigen »material-zeichenhaften Entitäten« (van Dyk et al. 2014:354). Im Ringen um Hegemonie ist das Politische

13 Foucault beschreibt diese machtvollen Effekte in Bezug auf Regierungs- und Selbstführungskünste sinngemäß als das »Spiel, das man die Politik der Wahrheit nennen könnte« (Foucault 1992: 15). 14 Ein historisches Beispiel für ein hegemoniales Projekt in Deutschland ist die politische Verankerung und gesellschaftliche Akzeptanz der »sozialen Marktwirtschaft« während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Nonhoff 2006).

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somit eine Aushandlung von gesellschaftlichen Ordnungen, die ohne historische oder klassenbezogene Letztbegründungen funktioniert: »Einerseits ist es notwendig, die Dimension des Politischen als immer gegenwärtige Möglichkeit des Antagonismus anzuerkennen; dies verlangt andererseits, das Fehlen eines letzten Grundes ebenso zu akzeptieren wie die Unentscheidbarkeit, die jede Ordnung durchdringt. Es bedeutet, den hegemonialen Charakter einer jeden gesellschaftlichen Ordnung zu erkennen und die Gesellschaft als Produkt einer Reihe von Praxen ins Auge zu fassen, deren Ziel es ist, eine Ordnung in einem Kontext der Kontingenz zu errichten. Die Praxen der Artikulation, durch die eine gegebene Ordnung geschaffen und die Bedeutung gesellschaftlicher Institutionen fixiert wird, nennen wir ›hegemoniale Praxen‹. Jede Ordnung ist die vorübergehende und prekäre Artikulation kontingenter Praxen.« (Mouffe 2008b: o.S.)

Gegenhegemoniale Diskurse Hegemoniale Konstellationen bleiben trotz ihrer Stabilität umkämpft. Sie benötigen, wie gezeigt wurde, Antagonismen zur Bestimmung der eigenen Identität und der Hervorbringung von diskursiven Strategien nach außen. Andernfalls käme das Politische zum Stillstand, Artikulationen und Identitäten wären determiniert. Gegenhegemonialen Diskursen kommen im Folgenden zwei relationale Bedeutungen zu: als analytische Kategorie, die eine strukturelle Instabilität von erfolgreichen Diskursen wieder nach außen kehrt, sowie als strategische Handlungsoption im antagonistischen Feld des Politischen. Das potentiell widerständige Re-Artikulieren wird im Rahmen vorliegender Arbeit jenseits gewaltsamer Widerstände gefasst. Dem Begriff »gegenhegemonial« wird als konzeptionelle Klammer deshalb der Vorzug gewährt, da er pointierter als die nach wie vor zentralen und eng mit ihm verknüpften Konzepte des »Widerstands« oder der »Kritik« ist (s. unten). Der Begriff zielt auf die von hegemonialen Formationen abweichenden Positionierungspraktiken innerhalb eines umkämpften gesellschaftlichen Feldes. Gleichsam gilt es, die Fallstricke einer Theoretisierung widerständiger Praktiken zu berücksichtigen. Das Verhältnis zwischen dem Dominierten und dem Dominierenden sollte nicht zur Romantisierung von Marginalität führen, die einem starren Machtblock entgegengesetzt wird (Massey 2000; Rose 2002). Stattdessen bieten gegen hegemoniale Konsense gerichtete Praktiken die Möglichkeit, ihre gesellschaftlichen Bedingungen zu analysieren (Creswell 2000). Die unterschiedlichen Möglichkeiten der Des- und Re-Artikulation von hegemonial gewordenen Bedeutungen und Praktiken betonen sowohl Foucault, po-

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litikwissenschaftliche Beiträge zur Hegemonietheorie sowie die britischen cultural studies. Dieses Hinterfragen von hegemonialen Grenzziehungen (Nonhoff 2006: 240) und die Relation zwischen gegenhegemonialen Diskursen und Raum werden nun skizziert. Die vorgestellten Überlegungen, die gegenhegemoniale Diskurse als Ausdeuten der Widersprüche hegemonialer Diskurse sowie als diskursive Strategien im Politischen unterschiedlich konkretisieren, liefern erste Orientierungsmarken für die spätere empirische Analyse. Widerstand und Kritik Foucault gibt grundlegende Hinweise auf die Bedingungen und Möglichkeiten »widerständiger« diskursiver Praktiken: »Wo es Macht gibt, gibt es Widerstand. Und doch oder vielmehr gerade deswegen liegt der Widerstand niemals außerhalb der Macht. Soll man nun sagen, daß man notwendig ›innerhalb‹ der Macht ist[…]? Oder muß man sagen, daß die Macht die immer obsiegende List der Geschichte ist[…]? Das hieße den strikt relationalen Charakter der Machtverhältnisse verkennen. Diese können nur kraft einer Vielfalt von Widerstandspunkten existieren, die in den Machtbeziehungen die Rolle von Gegnern, Zielscheiben, Stützpunkten, Einfallstoren spielen. Diese Widerstandspunkte sind überall im Machtnetz präsent. Darum gibt es im Verhältnis zur Macht nicht den einen Ort der Großen Weigerung […] [s]ondern […] einzelne Widerstände: mögliche, notwendige, unwahrscheinliche, spontane, wilde, einsame, abgestimmte, kriecherische, gewalttätige, unversöhnliche, kompromißbereite, interessierte oder opferbereite Widerstände, die nur im strategischen Feld der Machtbeziehungen existieren können.« (Foucault 1983: 116f.)

Praktiken gehören nicht per se einem hegemonialen oder gegenhegemonialen Diskurs an. Vielmehr können sie mit jeweiligen Diskursen artikuliert sein. Sie bilden verfügbare Elemente eines strategischen Feldes im »Kampf der Diskurse« (»la bataille des discours«; Foucault 1994a: 123). Dessen Teilnehmer verfügen von asymmetrischen Subjektpositionen aus mit verschiedenen Strategien über eine »Vielfältigkeit von diskursiven Elementen« (ebd.; Foucault 1983: 122). Die Relationalität jeder Identität oder Bedeutung, bedingt durch abweichende Wiederholung oder Beanspruchung durch einen anderen Diskurs, erzeugt jene von Foucault betonten »Einfallstore«. Eine bestimmte Form von widerständigen Momenten unterstreichen Foucaults Überlegungen zur Frage »Was ist Kritik?« (Foucault 1992). Kritik ist nur allgemein definierbar, sie subsumiert sowohl »kleine polemische Aktivitäten« als auch die »erhabene Unternehmung Kants [zur Beantwortung der Frage ›Was ist Aufklärung?’, A.T.]« (ebd.: 8). Dennoch wohnt ihr nicht nur ein »Impe-

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rativ« inne, »Irrtümer auszumerzen«, »[e]s gibt etwas in der Kritik, das sich mit der Tugend verschwägert« und sie somit zur Haltung macht (ebd.: 9). Anhand einer Genealogie der Kritik kreist Foucault ihre Funktion ein. Seit Anbeginn der antiken Bibelkritik, der geistlichen und weltlichen Regierungskünste sowie den sie seit jeher begleitenden Widerständen, über die Aufklärung bis hin zur Kritischen Theorie, liegt das verbindende Tugendhafte von Kritik in der »Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden« (ebd.: 12). Kommt es an den Reibungspunkten zwischen dem Bündel wirksamer Machtbeziehungen, geltender Wahrheiten sowie dem Subjekt zu Konflikten, entsteht Kritik als positionierende Praktik im Rahmen einer gegebenen Struktur, »die Macht auf ihre Wahrheitsdiskurse hin« befragt (ebd.:15). Mithilfe des Bezugs auf Kants Frage »Was ist Aufklärung?« (ausführlicher: Foucault 1994c) besteht der zentrale Wert der Kritik für Foucault in einem Hinterfragen der »Erkenntnis der Erkenntnis«. Er besteht im Hinterfragen der Grenzen und Kategorien eines vorherrschenden Wissens, bei dem das Subjekt sich gleichzeitig den Grenzen seiner eigenen – diskursiv konstituierten – Erkenntnis und Subjektpositionen gewahr werden muss (Foucault 1992: 18ff.; Butler 2001). Somit betont Foucault die Grenzverschiebung durch gegenhegemoniale Praktiken, welche zugleich emanzipativ und eingrenzend sein müssen. Demokratische Gegenprojekte Politikwissenschaftliche Beiträge postulieren hingegen den notwendig strategischen Charakter eines gegenhegemonialen Diskurses, dessen »Ziel« in der Hegemonialwerdung seiner Forderungen liegen sollte. Marchart konkretisiert in Anschluss an die Arbeiten von Laclau, Mouffe und Gramsci das Konzept einer »radikalen Demokratie« (Marchart 2006, 2007): Gegenhegemoniale Projekte müssen ihre politischen Forderungen an den unhinterfragbaren demokratischen Horizont von Freiheit und Gleichheit artikulieren, um dadurch den bestehenden demokratischen Konsens radikal auszuweiten (Marchart 2006: 114; Hagemann 2014). Mouffe stellt fest, dass die Anschlussfähigkeit gegenhegemonialer Diskurse daher besonders von deren Möglichkeiten abhängt, etablierte Momente (verbundene Elemente) eines hegemonialen Diskurses mit neuen Elementen zu artikulieren: »Darum braucht es eine Strategie, die durch eine Reihe gegenhegemonialer Interventionen auf die Desartikulation der bestehenden Hegemonie abzielt, sowie darauf, dank eines Prozesses der Reartikulation von neuen und alten Elementen in einer Machtkonfiguration eine progressivere Hegemonie zu errichten.« (Mouffe 2008b: o. S.)

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Empirische Beiträge fokussieren in Rekurs auf Gramsci, Laclau und Mouffe bevorzugt globalisierungskritische Bewegungen. Gerade dort versammeln NGOs und Sozialforen eine Vielzahl von emanzipatorischen Forderungen um Kristallisationspunkte wie »Klimagerechtigkeit« oder einem »gerechten Welthandel«, die mühsam als gegenhegemoniale Alternativen zu einer bestehenden hegemonialen Wirtschafts- und Sozialordnung in Stellung gebracht werden müssen (Brand 2005, 2008; Habermann 2006; Bedall 2014). Allerdings bemängeln gramscianische Autoren den paradoxen demokratischen Effekt der »radikalen Demokratie« aufgrund des zugrundeliegenden Gesellschaftsverständnisses. Dem Konzept wohne nach wie vor ein exkludierendes Moment inne, gelte es doch, nur gesellschaftliche Demarkationslinien zu verschieben statt sie völlig zu überwinden. Eine Integration aller emanzipativen Kämpfe wird schwer denkbar (Demirović 2007). Transkodieren Die im vorliegenden Kontext interessierenden diskursiven Praktiken zu Rap können zweifelslos auch als kulturelle Praktiken eingeordnet werden. Gerade die britischen cultural studies um die Birmingham School untersuchen seit den 1970er Jahren zeitgenössische Subkulturen aus einer diskurs- und hegemonietheoretisch informierten Perspektive. Im Zentrum der Kulturanalysen steht die Herstellung von Identitäten (z.B. »race«, »class«, »gender«) über kulturelle Praktiken innerhalb gesellschaftlicher Antagonismen (Marchart 2008: 169f.). Stuart Halls Überlegungen zum Verhältnis kultureller und hegemonialer Praktiken ergänzen die wichtigen Hinweise zum möglichen kulturellen Umgang mit Antagonismen – trotz einer gewissen theoretischen Distanz, aber nicht Inkompatibilität zu Laclau und Mouffe, deren Theoriegebäude Hall zu abstrakt bleibt (Hall 2000: 71). Davonausgehend, dass Kommunikations- und Interpretationsprozesse medientheoretisch nie vom »Sender« einer Botschaft kontrolliert werden (Hall 2004), skizziert Hall die Umrisse einer Politik der Repräsentation von Identitäten, die in hegemonialen Diskursen das »Andere« repräsentieren. Als Beispiele dienen ihm die kulturellen Praktiken der afroamerikanischen Emanzipationsbewegungen in den 1960er und 1970er Jahren. Hall beobachtet drei Transkodier-Strategien zur Re-Artikulation von Repräsentationen hegemonial stigmatisierter Identitäten: das positive Verkehren von negativen Stereotypen als eine Form der »Revanche«, eine Betonung positiv konnotierter Repräsentationen zuungunsten der negativen Repräsentationen, sowie den spielerischen Umgang mit Stereotypen, der sie aus ungewohnter Perspektive wieder aufgreift (Hall 1997: 270ff.).

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Gegenhegemoniale Diskurse als Gegenstand geographischer Betrachtung Leere Signifikanten bzw. deren »strategische Entleerung« bestimmen die »Einfallstore« für gegenhegemoniale Praktiken im Sinne der in diesem Kapitel vorgestellten (a) Modi der Performativität und Offenheit diskursiver Praktiken, (b) Möglichkeiten der Positionierung und daraus ableitbaren Kritik, (c) demokratischen Gegenhegemonie oder des (d) Transkodierens. Aufgrund ihrer integrativen Funktion besitzen leere Signifikanten in den jeweiligen Diskursen keine klare, kontextunabhängige Identität. Hierzu zählen neben politischen Identitätskonzepten auch räumliche Konzepte bzw. die Zuschreibung der »Eigenheiten« bestimmter Räume, die aber nie gegeben oder »wesenhaft« sind, sondern »im Fluss« bleiben: • Toponyme oder Regionalisierungen sind zwar räumlich eindeutig bestimmbar,

mit ihnen verbundene Attribute und »Images« hingegen vielfältig, was sich im Zuge von Praktiken des place branding an vorherrschenden Städteimages oder deren Neu-Aushandlung über das Stadtmarketing demonstrieren lässt (Mattissek 2008). • Mehr noch gilt dies für abstrakte Raumbezeichnungen mit physischmateriellem Signifikat wie einem »Stadtteil«, »Vorort« oder »Viertel«, die auf unzählige Kontexte in abweichender Wiederholung übertragbar und abweichend sein müssen. Solche Bezeichnungen haben nicht nur einen informativen, sondern auch performativen Aspekt: räumliche Differenzierungen (z.B. »Frankreich vs. banlieues«) korrespondieren mit sozialen Grenzziehungen. Räume sind somit bei der Konstitution sozialer Identitäten wirksam, die wie im Kontext der vorliegenden Arbeit auch stigmatisierte Identitäten mitkonstituieren. • Wie in Forschungsstand dargestellt, kristallisieren sich diese Mechanismen in der stadtgeographisch zentralen und für Rap typischen, aber auch politisch relevanten Frage, ob bestimmte Orte in den französischen Agglomerationen als stigmatisierte Enklaven, banlieues, oder Ghettos gelten, die der République und ihren Werten gegenüberstehen, oder möglicherweise auch »normale« Orte sein könnten. Gegenhegemoniale Diskurse entstehen daher nie selbstreferentiell, sondern machen die Spuren sozialer Widersprüche sowie die Umkämpftheit des Sozialen (wieder) sichtbar. Gleiches betrifft die sozialen Herstellungsweisen von Räumen, sobald sie abweichend durchgeführt oder kontrovers werden (Glasze 2012, 2015). Ein raumbezogener leerer Signifikant wird von mehreren differierenden

Diskurs- und hegemonietheoretische Perspektive | 73

und antagonistisch zueinander stehenden Artikulationsweisen vereinnahmt, wie das Beispiel der stigmatisierten Stadtteile nachweisen soll. Er bildet diskursive Grenzbereiche. Diese Grenzbereiche hegemonialer und gegenhegemonialer Diskurse sind durch einen leeren bzw. flottierenden (»ins Schwimmen geratenen«) Signifikanten symbolisiert (Abbildung 3): Zwei ungleich wirkmächtige Diskurse konkurrieren um die Bedeutung des leeren Signifikanten. Raumkonstitutive Praktiken oder Forderungen der hegemonialen Diskurse können daher infrage gestellt, verschoben oder neu artikuliert werden. Abbildung 3: Flottierender Signifikant

Quelle Weber 2013: 59.

Vor dem Hintergrund der gewählten Diskurstheorie und der Beschreibung von hegemonialen und gegenhegemonialen Artikulationstypen lassen sich die eingangs gestellten Fragen re-formulieren. Die Anfechtung der Stigmatisierung von bestimmten Vierteln kann nun entlang zweier sich gegenseitig bedingender Teilaspekte hinterfragt werden:

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• Welches raumbezogene Wissen wird innerhalb der gegenhegemonialen Dis-

kurse von Rap, in Abgrenzung zu hegemonialen, stigmatisierenden Diskursen überindividuell geteilt, welches hierbei des- und re-artikuliert, welches reproduziert? In welchen Modi werden Subjektpositionen verteilt und gesellschaftliche durch räumliche Zusammenhänge aufgezeigt? • Welche Performativität haben gegenhegemoniale Diskurse im Rahmen von analytisch zugänglichen Praktiken? Werden die Diskurse bei öffentlichen RapVeranstaltungen wie Konzerten oder in der aktivierenden Stadtteilarbeit gemäß den ihnen unterstellbaren Regelmäßigkeiten (bezüglich ihrer Raumproduktionen) ähnlich akzentuiert, verschoben oder getilgt? Welchen Sinn geben »kritische« Akteure der Rap-Musik ihrer Tätigkeit bei einer potentiell instrumentalisierbaren Re-Kontextualisierung von Rap wie der Stadtteilarbeit mit Jugendlichen in stigmatisierten Vierteln?

Operationalisierung

Ausgehend von einer diskursiven Umkämpftheit von Identitäten und Räumen fokussiert die folgende Analyse auf die Konstitution von stigmatisierten Stadtteilen in Differenz zu hegemonialen Diskursen am Beispiel von Rap. Diskursive Praktiken im Rap können nach einer konzeptionellen Rahmung nun als heterogene Artikulationen sprachlicher und nicht-sprachlicher Art gelten. Zur Performativität der gegenhegemonialen Bezugnahmen auf stigmatisierte Stadtteile zählen etablierte Arten der sprachlichen und körperlichen Darbietung vor Publikum, der Privatkonsum, die Verwicklungen von Rap in Kontroversen zu banlieues sowie eine Integration von Rap in die Stadtteilarbeit. Rap ist in unterschiedlichsten Kontexten verfügbar, in denen auch gegenhegemoniale Diskurse Eingang finden können. Um den Gegenstandsbereichen und empirischen Daten analytisch beizukommen, wird eine Diskursanalyse als Triangulation von vier Methoden vorgeschlagen. Die Analyse der gegenhegemonialen Diskurse in Rap soll als In-Beziehung-Setzen von unterschiedlichen diskursiven Praktiken zueinander verlaufen und mit dem formulierten theoretischen Standpunkt reflektiert werden. Nach Erläuterung der Stärken und Fallstricke der gewählten Perspektive wird die Triangulation der lexikometrischen, kodierenden, aussagenanalytischen und ethnographisch-informierten Methoden konkretisiert. Abschließend erfolgt eine Darstellung der Vorgehensweise bei der Materialzusammenstellung und des Ablaufs der Analyse.

DISKURSANALYSE ALS IN-BEZIEHUNG-SETZEN VON KONZEPTEN UND PRAKTIKEN Obwohl die Diskursforschung in den deutschsprachigen Sozialwissenschaften und der Geographie inzwischen eine feste Position mit einem etablierten Methodenkanon einnimmt (Glasze/Mattissek 2009c; Angermuller et al. 2014), ist sie

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weit davon entfernt, eine einheitliche Forschungsstrategie zu besitzen (wie beispielsweise das qualitativ-interpretative oder das kritisch-rationalistische Paradigma). Das Fehlen eines »bewährten Rezepts« für jegliche Art von Diskursanalyse liegt an der methodologischen Vagheit vieler Referenzautoren. Deren Überlegungen verbinden zumeist einen sozialtheoretisch abstrahierenden und zeitdiagnostischen Anspruch, und lassen einen großen Interpretationsspielraum. Ebenso bewirken unterschiedliche Schwerpunktsetzungen der Referenzautoren eine breite Rezeption, die mit der Entwicklung divergierender Forschungsstränge und Erkenntnisinteressen einhergeht.1 Diskursforschung versammelt und verschneidet eine Pluralität von geistes-, sozial- und kulturwissenschaftlichen Blickwinkeln. Sie mobilisiert dementsprechend unterschiedliche disziplinäre Methodensets zur Operationalisierung ihrer Fragestellungen. Letztlich muss jedes Forschungsdesign innerhalb der Fülle möglicher Optionen eine kohärente Strategie für den empirischen Zugang und den Forschungsverlauf entwickeln.2 Als verallgemeinerbare Gütekriterien kommen hierbei die Konsistenz, Transparenz und Nachvollziehbarkeit aller Analyseschritte zum Tragen (Angermuller/Schwab 2014: 649). Der vorgelegte Zugang orientiert sich an jener Notwendigkeit, das Forschungsdesign durch den Gegenstand zu strukturieren und in einem Spannungsverhältnis mit den eingeführten Konzepten zu halten. Diskursanalyse wird, wie das von ihr Beobachtete, zur »artikulatorischen Praxis« im Rahmen einer »problemorientierten« Perspektive (Howarth 2005). Ihr liegen instrumentelle Theorie- und Methodenverständnisse zugrunde, um konzeptionell mit gängigen bzw. alltäglichen Perspektiven der empirischen Beschreibung zu brechen (Wrana 2014b: 620ff.). Die thematische Festlegung dieser Arbeit und die daraus abgeleiteten Fragestellungen sind Artikulationen, um unterschiedliche Problematisierungsarten von urbanen Räumen vergleichen zu können. Ein In-Beziehung-Setzen der konzeptionell unterlegten Ausgangsbeobachtungen führt somit zur Konstruktion eines Gegenstandes mit bestimmten Merkmalen; diese gilt es am empirischen Material

1

Dies gilt bereits für die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen der Foucaultinspirierten Forschungsperspektiven, wie der Wissenssoziologischen Diskursanalyse (Keller 2005), der Kritischen Diskursanalyse (Jäger 2004), der Historischen Semantik (Busse 1987), den Gouvernementalitätsstudien (Bröckling/Krasmann/Lemke 2000), der Dispositivanalyse (Bührmann/ Schneider 2008) oder der Diskurs- und Hegemonietheorie (Dzudzek/Kunze/Wullweber 2012).

2

Oft kommt an dieser Stelle das Prinzip trial and error bei der Formulierung möglicher empirischer Zugänge zum Tragen, jedoch unter Wahrung der abgesteckten theoretischen Prämissen (vgl. Großkopf 2012).

Operationalisierung | 77

zu untersuchen. Der empirische Zugang erzeugt Reibungspunkte mit dem theoretischen Konstrukt, um es zu präzisieren oder zu modifizieren, und um den Gegenstand mithilfe der Beobachtung von diskursiven Praktiken und ihrer Relationierung genauer erklären zu können (Wrana 2014a) – eine weitere Brechung der Perspektive im Zuge von Diskursanalysen. So gewonnene Erklärungen können denen des Forschungsstands gegenübergestellt werden oder diese erweitern. Konkret betrifft Letzteres das Verhältnis der erfolgreichen diskursiven Praktiken zu den von ihnen abweichenden Praktiken bei der Konstitution von Räumen, sowie eine geographische Perspektive auf die in Forschung und Medien betonte Beziehung zwischen Rap und stigmatisierten Stadtteilen. Als herausfordernd gilt der adäquate Umgang mit dem »breiten« Diskursbegriff, den jüngere geographische Arbeiten nicht nur konzeptionell, sondern auch methodisch vollziehen (z.B. Dzudzek 2014). Die Betonung der Stabilisierung und Destabilisierung von diskursiven Praktiken – die rein linguistische Phänomene übersteigen — muss in methodische Zugänge übersetzt und anwendbar gemacht werden. Damit bilden die Materialzusammenstellung und Methodenauswahl vor und während der Analyse weitere zentrale Momente der artikulatorischen Praxis. Für das empirische Material muss reflektiert werden, wie bestimmte Teile des Diskursiven zu welchem Zweck analysiert werden sollen und können. Aufgrund der eigenen Positionalität und der Kontingenz der gewählten Strategien erhebt die Materialzusammenstellung keinen Anspruch auf Repräsentativität. Anstatt »den« Diskurs aus einer vermeintlichen Vogelperspektive zu betrachten (Angermuller 2007a: 102), geht es vielmehr um das Verbinden bestimmter – aber auch anders denkbarer – Ausschnitte des Diskursiven. Die vielen Modi, in denen Diskurse zirkulieren und beobachtbar sind, werden hier in Anlehnung an Wrana (2012: 192) als distinkte »Materialsorten« bezeichnet. Neben der evidentesten Materialsorte, den eigentlichen Rap-Titeln, schließt diese Festlegung aber auch Modi der Zirkulation gegenhegemonialer Diskurse ein, bei denen nicht-sprachliche Praktiken und andere diskursive Logiken an Gewicht gewinnen. Aus praktischen Gründen werden als weitere Quellen Rap-bezogene öffentliche Veranstaltungen und die Stadtteilarbeit mit Jugendlichen identifiziert. Den Untersuchungsgegenstand könnten neben den Texten aber genauso ihre Zirkulationen in sozialen Netzwerken, (Online-) Medien oder ihr (schwer zugänglicher) Privatkonsum bilden. Nach der Festlegung der Materialsorten müssen durch abermaliges InBezug-Setzen ihr Verhältnis zueinander und ihre Analyse reflektiert werden. Entscheidend ist, welcher konzeptionelle Wert den jeweiligen Materialsorten beigemessen wird, um geeignete Methoden für ihre Analyse zu bestimmen. Im vorliegenden Fall werden die Materialsorten gleichberechtigt entlang mehrerer

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Ebenen aufgeteilt, die mit der sozialwissenschaftlich gängigen Makro-MesoMikro-Unterscheidung zusammenfallen. Die Unterscheidung erlaubt es, unterschiedliche »Aggregatsebenen« von Diskursen zu relationieren (Angermuller 2014c: 116). Während die Makro-und Meso-Ebenen auf überindividuell geteilte Muster der Sinnproduktion verweisen, betont die Mikro-Ebene deren konkreten Vollzug. Diskursanalytisch wird lediglich eine heuristische Trennung zwischen den (abstrahierten) Strukturen und den sie bildenden Praktiken geschaffen. Im Einklang mit dieser konzeptionellen Trennung liegt dem Forschungsdesign eine Triangulation zugrunde, die sowohl großflächige Strukturen als auch die Situativität von diskursiven Praktiken miteinbezieht. Mit ihrer Funktion, unterschiedliche Methoden innerhalb eines Methodenbündels gegenseitig zu validieren, erhöht die Triangulation die Heterogenität des Materials und diversifiziert die »Granularitäten« des analytischen Blicks (Wrana 2014a: 639). Dennoch darf die Triangulation nicht in eine Beliebigkeit verfallen oder ihre theoretischen Prämissen während des Forschungsprozess aufgeben, wie beispielsweise durch die Wiedereinführung völlig intentional handelnder Subjekte im empirischen Material (Angermuller 2007a: 101; Mattissek 2007: 97). Sie muss klären, was durch den Einsatz welcher Methode beobachtet werden kann, und inwiefern dies mit den konzeptionellen Prämissen und Forschungsfragen korrespondiert: »Kritisch angemerkt wird immer wieder, dass diese Position in Gefahr stehe, einem Eklektizismus zu verfallen. Dieser Gefahr kann etwa durch einen erhöhten Theorieaufwand begegnet werden, wenn in Mehr-Ebenen-Analysen oder auch in der Mixed-MethodsDebatte der Anspruch formuliert wird, die mehrperspektivische Beobachtung des Gegenstands in einer komplexen Gegenstandskonstitution theoretisch zu reintegrieren.« (Wrana 2014b: 622)

Im Folgenden werden die Möglichkeiten lexikometrischer, kodierender, aussageanalytischer und ethnographisch-informierter Zugänge für die Beantwortung der vorliegenden Fragestellungen reflektiert, um die Optionen des In-BezugSetzens von Konzepten und Praktiken schärfer zu konturieren. Lexikometrische Exploration von diskursiven Makrostrukturen Rap-Texte sind eine flexibel handhabbare Materialsorte. Sie lassen sich sowohl einzeln als auch nach unterschiedlichsten Merkmalen und Größenordnungen gruppiert untersuchen. Das Gruppieren von Texten, die für einen längeren Zeitraum und/oder in relativ großer Anzahl vorliegen, erlaubt es, persistente oder wechselnde Muster der Raumkonstitution durch Rapperinnen und Rapper zu

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entdecken. Um große diskursive Strukturen zu untersuchen, wurden lexikometrische Methoden herangezogen. Die Lexikometrie gilt als diskurstheoretisch etablierter Strang der französischen Korpuslinguistik, der den Sprachgebrauch in Textsammlungen durch die Messung von lexikalischen Verteilungen fokussiert (Williams 1999: 229ff.; für den deutschen Kontext siehe z.B. Bubenhofer/Scharloth 2013). Sie besitzt viele Gemeinsamkeiten mit den neueren Ansätzen des sozialwissenschaftlichen text mining (Lemke/Wiedemann 2016). Bestimmte lexikometrische Methoden haben sich auch in der geographischen Diskursforschung etabliert (Brailich et al. 2008; Glasze 2008; Mattissek 2008; Dzudzek 2013; Linnemann 2014). Im Unterschied zur Lexikometrie vollziehen quantitative Inhaltsanalysen in der Sozialforschung eine der Untersuchung vorgängige Kategorienbildung (Dzudzek et al. 2009: 237). Es erfolgt eine »abbildtheoretische« Annäherung3 an ihr Material: »In der Inhaltsanalyse werden lexikalische Elemente wie einzelne Wörter nicht wie in der Lexikometrie als Bausteine der Konstitution von Bedeutung, sondern unmittelbar als Indikatoren für die soziale Wirklichkeit interpretiert, indem ihnen eine denotative Standardbedeutung zugeschrieben wird.« (Ebd.)

Grundideen der Lexikometrie Grundlage der Exploration von Texten bildet ein Korpus, das während der eigentlichen Untersuchung nicht mehr modifiziert wird. Als Plausibilitätskriterien für die Korpus-Erstellung gelten die Kohärenz und die Größe des Korpus. Ein

3

Gerade dieses Verhältnis zur vermeintlichen Selbstevidenz von sprachlichen Repräsentationen kritisiert der französische Linguist Michel Pêcheux mit seinen Versuchen einer »automatischen Diskursanalyse«, der analyse automatique du discours (AAD) – der »AAD69«, »AAD75« und »AAD80« (Pêcheux et al. 1982; Helsloot/Hak 2007). Pêcheux vermutet im Sprachgebrauch diskursive Strukturen, die auf einer »unterbewussten« Ebene Ideologie reproduzieren und formal-syntaktisch nachweisbar sind. Bedeutungen sind nicht »neutral« interpretierbar, sondern von der Subjektposition abhängig (Pêcheux 1982). Da auch das forschende Subjekt nicht frei von Ideologie ist, bedarf es eines intermediären, automatisierten Schritts zur Identifizierung der strukturierenden Merkmale von Aussagenbündeln in Textsammlungen. Pêcheux und seine Mitstreiter programmierten hierfür Algorithmen, welche einer finalen Interpretation des Materials durch Forschende vorgeschaltet sind (Pêcheux et al. 1982; Williams 1999: 231f.). Zusammen mit Foucaults Diskurstheorie haben Pêcheuxs Überlegungen einen zentralen Einfluss auf die Entwicklung der Lexikometrie in Frankreich (Guilhaumou 2002; Angermuller/Maingueneau 2007).

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Korpus ist »groß genug«, wenn die Textmengen nicht mehr in angemessener Weise persönlich zu bewältigen sind (Angermuller 2014c: 117). Die Kohärenz der im Material versammelten Textserien gewährleisten ein oder mehrere homogenisierende Merkmale: das Genre (z.B. Literatur, politische Reden, ein spezifisches Thema), die Sprecherpositionen (z.B. Institutionen, Künstler, Journalisten) sowie das Vorkommen von ausgewählten Schlüsselbegriffen. Zentral und abhängig von der Ausgangsfrage ist auch, ob mehrere Zeitreihen oder Sprecherpositionen verglichen werden sollen. Dafür wird das Ausgangsmaterial für spätere Partitionierungen annotiert, d.h. mit Metadaten wie zeitlichen Angaben oder Informationen zum Verfasser versehen. Verfügbare Partitionen erlauben dann eine Kontrastierung des Vokabulars von unterschiedlichen Sprecherpositionen im Korpus. Ferner ermöglicht die Lexikometrie syn- und diachrone Analysen, um Brüchen in Diskursen distributionalistisch nachzuspüren (Scholz/Mattissek 2014: 89f.). Das Korpus wird durch eine Software4 segmentiert, d.h. alle Texte des Korpus werden durch vordefinierte Trennzeichen in Wörter bzw. Lexeme »zerlegt«. Im Rahmen der Segmentierung besteht die Möglichkeit der Lemmatisierung und der Annotierung von Wortarten (part-of-speech-tagging). Beim Lemmatisieren werden die Flexionsformen einzelner Wörter auf ihre Grundform, ihr Lemma, zurückgeführt. Die Wörter »Jahre«, »Jahres«, und »Jahren« beispielsweise werden lemmatisiert nur mit der Form »Jahr« dargestellt. Beim Annotieren der Wortarten werden die Sequenzen als Abfolge grammatischer Einheiten dargestellt (der Satz »Der Baum ist groß.« z.B. in der Form: Artikel, Nomen, Verb[Präsens], Adjektiv, Interpunktion). Je nach Fragestellung kann die gezielte Suche nach Wort- bzw. Wortartgruppen einen analytischen Mehrwert haben, etwa wenn sich im Laufe der Untersuchung alle Flexionsformen von bestimmten Wörtern oder spezifische Wortarten als relevant erweisen (Bubenhofer 2008: 289f.; Dzudzek et al. 2009: 240f.).

4

Inzwischen existieren viele Software-Projekte, die lexikometrische bzw. korpuslinguistische Software für annotiertes Material bereitstellen. Aus dem Umfeld der französischen Lexikometrie sind dies Lexico3, Le Trameur und das in dieser Arbeit verwendete TXM (vgl. die Einführung von Pincemin/Heiden 2008). Eine leichte Handhabung bietet auch AntConc. Alle genannten Programme sind kostenlos online beziehbar. Bis mit den eigentlichen Programmen gearbeitet werden kann, bedarf es der Verfügbarkeit großer Textmengen und der Fertigkeit diese für jeweilige Programmformate aufzubereiten. Alternativen für den direkten Einstieg mit bereits vorformatiertem Material bieten Online-Plattformen wie Cosmas II. https://cosmas2.ids-mannheim.de/cosmas2web/ (zuletzt aufgerufen am: 20.01.2016).

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Die Untersuchung der Korpora kann dann zwei idealtypische Strategien verfolgen, eine korpusbasierte (corpus-based) oder eine korpusgeleitete (corpusdriven) Arbeitsweise. Corpus-based bezeichnet ein deduktives Vorgehen am Material zum Testen von vorher aufgestellten Hypothesen; Corpus-driven Ansätze hingegen arbeiten induktiv ohne viele Vorannahmen, um mithilfe statistischer Methoden Muster des Sprachgebrauchs zu identifizieren. 5 Innerhalb der Lexikometrie ermöglichen unterschiedliche Verfahren, Textserien nach häufigen und »typischen« Phänomenen abzusuchen. Die Verfahren können mit der im dritten Kapitel vorgestellten Perspektive relationiert werden, da sie sowohl das Erscheinen von diskursiven Elementen, als auch deren Beziehungen innerhalb größerer Datenmengen messen. Frequenzorientierte Strategien Frequenzorientierte Verfahren haben vornehmlich kontextualisierende Funktionen: Wortfrequenzlisten erlauben erste Rückschlüsse auf das Material durch die Darstellung der Häufigkeitsverteilungen von Wörtern/Lemmata/Wortarten im gesamten Korpus oder innerhalb ausgewählter Partitionen (z.B. nach Jahrgängen). Eine erweiterte Form der Frequenzanalyse ist die Berechnung von Mehrwortfolgen, sogenannten N-Grammen oder segments répétés. Die Darstellungen von zwei- oder dreigliedrigen Mehrworteinheiten (z.B. »vor allem«, »in der Regel«, »auf jeden Fall«, etc.) geben Hinweise auf häufige Sprachgebrauchsmuster im Material, jedoch nicht, ob diese für einen Text oder eine Partition charakteristisch sind. Das alleinige Vorliegen von Frequenzen ist nur bedingt aussagekräftig. Eine Kontextualisierung von Wortformen gewähren Konkordanzlisten. Sie visualisieren die Textumgebung links und rechts eines ausgewählten Wortes/Lemmas gemäß vordefinierter Kriterien (x Wörter vor und nach dem Wort, die Satzumgebung des Wortes, der Paragraph etc.). Die Methode vermengt quantitative und qualitative Blickweisen auf Diskurse (Mattissek 2007: 106f.). Mit einer Konkordanzliste lassen sich dann beispielsweise die verschiedenen Gebrauchsarten der Lemmata »China« bzw. »chinesisch« im journalistischen Globalisierungsdiskurs überblicken (vgl. Abbildung 4; das Korpus und die Liste entstanden im Rahmen einer Lehrveranstaltung 2014 an der FAU Erlangen, bei der mit Studierenden die Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung zwischen 1994 und 2005 lexikometrisch untersucht wurde). Gerade ab den 2000er Jahren, so zeigen die Konkordanzen, wird China im Diskursausschnitt als zentraler Akteur

5

Streng genommen gehen jeglicher Materialzusammenstellung bereits bestimmte Annahmen voraus (Scholz/Mattissek 2014: 90).

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und zunehmend als Konkurrent der EU in der Globalisierung ökonomischer Beziehungen konstituiert. Abbildung 4: Konkordanzliste in der Software »TXM«

Quelle: Eigene Darstellung.

»Induktive« Strategien Die corpus-driven-Ansätze erlauben, Diskursausschnitte mithilfe etablierter statistischer Verfahren induktiv zu explorieren. Sie strukturieren große Datenmengen und identifizieren signifikante Phänomene. Ein in der französischen Lexikometrie etabliertes Vorgehen zur Datenreduktion ist die Korrespondenzanalyse bzw. analyse factorielle des correspondances (AFC). Sie ähnelt der Faktorenanalyse bzw. der Hauptkomponentenanalyse. Durch die Korrespondenzanalyse lassen sich Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Partitionen eines Korpus visualisieren (z.B. Jahrgänge). Auf Basis der Differenzen zwischen den tatsächlichen und statistisch erwarteten Häufigkeitsverteilungen des Vokabulars innerhalb der Subkorpora werden die errechneten Abweichungen in ein zweidimensionales Koordinatensystem übertragen. 6

6

Dafür wird das Korpus zunächst als Kontingenztabelle dargestellt. In der Kontingenztabelle bilden die Partitionen Spalten, die korrespondierenden Häufigkeiten jedes Wortes einzelne Zeilen (vgl. Backhaus et al. 2016). Anschließend werden die relativen Häufigkeiten der Wörter im gesamten Korpus und pro Partition in Bezug zu ihren statistisch erwarteten Häufigkeiten (nach Chi-Quadrat) gesetzt, so dass sich über die Standardisierung der Daten eine Zusammenschau der Informationsstreuung für die Zeilen- und Spaltenprofile ergibt. Die Streuungsmaße werden in abstrakte Dimensionen reduziert, die einen spezifischen Anteil (»Eigenwert«) an der Erklärung der Gesamtstreuung der Zeilen und Spalten aufweisen. Jedes Zeilen- und Spaltenelement besitzt einen spezifischen Wert in der jeweiligen Dimension. Die Zeilen und Spalten müssen in einem letzten Schritt normalisiert auf ein Koordinatensystem mit gemeinsamen Ursprungspunkt aufgetragen werden. Alle Werte der x- und y-Achse des Koordinatensystems basieren auf den zwei erklärungsstärksten Dimensionen des Rechenverfahrens. Es entsteht eine Punktwolke, in der die statistische Nähe und Distanz der

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Die Interpretation der abstrakten Dimensionen erfolgt meist mit bereits erworbenen Kenntnissen über die dargestellten Partitionen oder der Berechnung ihres spezifischen Vokabulars (s. unten). Den dargestellten Dimensionen kann jedoch nicht immer ein sozialwissenschaftlich befriedigender »kategorialer Sinn« beigemessen werden. Für die Interpretation der Plots gilt, dass die relative Nähe von Partitionen auf statistisch wenig voneinander abweichenden Sprachgebrauch verweist, und somit Cluster andeutet. Je weiter entfernt eine Partition zum Mittelpunkt des Koordinatensystems liegt, desto mehr weicht ihr Sprachgebrauch von einem abstrakten Mittelwert ab, und desto mehr Erklärungswert besitzt sie für die jeweilige Koordinatenachse und das Gesamtmaterial (Lebart/Salem 1994: 87f.; Scholz/Mattissek 2014: 94). So unterscheiden sich z.B. die Vokabulare im (oben erwähnten) Globalisierungsdiskurs zwischen den mittleren 1990er Jahren, der Jahrtausendwende und dem Jahr 2005 klar voneinander (vgl. deren Lage im Koordinatensystem in Abbildung 5). Abbildung 5: Ergebnisse einer Korrespondenzanalyse

Quelle: Eigene Darstellung.

repräsentierten Spalten-Elemente oder der Zeilen-Elemente zueinander geometrisch nur gering verzerrt ist; dies gilt jedoch nicht für die Beziehung zwischen visualisierten Spalten- und Zeilenelementen (Lebart/Salem 1994: 82ff.). Aus Übersichtsgründen werden oft nur die Spaltenprofile im relationalen Raum dargestellt, zumal sie eine gröbere Strukturierung des untersuchten Diskursausschnitts schaffen. Aufgetragene Zeilenprofile hingegen verursachen bei lexikometrischen Berechnungen häufig unübersichtliche Punktwolken.

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Es ist eine zeitliche Entwicklung im Diskursausschnitt beobachtbar, dessen Vokabular sich über eine Dekade hinweg deutlich wandelt. Die x-Achse erklärt hierbei mehr als die Hälfte der Streuung (55%), ihre Werte streuen stärker als die der y-Achse. Inhaltlich konnte der Wandel anhand der spezifischen Vokabulare (s. unten) der gruppierten Partitionen nachvollzogen werden. Im Ergebnis überwiegt in den 1990er Jahren der spezifische Sprachgebrauch zu Aspekten der kulturellen Globalisierung, daher die »Ausschläge« weit rechts. Ab den 2000er Jahren wird die Berichterstattung von ökonomischen, sozial- und sicherheitspolitischen Aspekten der Globalisierung geprägt. Die Partition 2005 »reißt« nach oben aus, da das damals mit Fragen der Globalisierung in Verbindung gebrachte Referendum über eine europäische Verfassung eine zentrale Rolle in der Berichterstattung von 2005 einnimmt, und das Vokabular dieses Jahrgangs hierdurch von dem der anderen Partitionen abweicht. Die Berechnung der »Spezifizitäten« bzw. »Charakteristika eines Teilkorpus« gibt Aufschluss über dessen typische Worteinheiten. Das Spezifizitätsmaß (spécificité) verweist auf die Wahrscheinlichkeit der beobachteten Ereignisse im Vergleich zu deren statistischen Erwartbarkeit. Die Spezifizität errechnet sich aus dem Verhältnis des Vorkommens eines Wortes innerhalb eines Teilkorpus (z.B. ein einzelner Jahrgang) und seines Vorkommens im Gesamtkorpus. Dafür wird die Funktion der hypergeometrischen Verteilung 7 auf alle Elemente der Partition angewendet (Mattissek 2007: 109). Das Spezifizitätsmaß gibt als Betrag des negativen Exponenten einer Zehnerpotenz die Wahrscheinlichkeit an, inwiefern das beobachtete Vorkommen einer Wortform innerhalb einer bestimmten Partition noch als zufällig gelten kann (Dzudzek 2013: 75f.). Eine Spezifizität von 3 bezeichnet die Wahrscheinlichkeit von 10-3, dass ein Wort in der vorliegenden oder in einer größeren Häufigkeit in einer betrachteten Partition vorkommt.8 In diesem Fall liegt keine zufällige Verteilung mehr vor. Anders ge-

7

In der Lexikometrie hat sich die Funktion der hypergeometrischen Verteilung als Maß zur Wahrscheinlichkeitsangabe etabliert, während deutsch- und englischsprachige Ansätze die log-likelihood-Funktion auf Basis einer Normalverteilung verwenden. Der hypergeometrischen Verteilung wird in der französischen Lexikometrie der Vorzug gegeben, da diese bei kleineren Fallzahlen zu weniger verzerrten Maßen tendiert (Lafon 1980).

8

Ein plakatives Beispiel aus dem SZ-Globalisierungskorpus: Das Wort »Referendum« (bzgl. der nationalen Referenden zum EU-Vertrag) wird im Jahrgang 2005 (263.495 Wörter) insgesamt 17-mal verwendet, im gesamten Korpus (2.648.183 Wörter) 30mal. Zwar lässt sich bereits bei Betrachtung der Relation »intuitiv« eine Überrepräsentation erahnen, aber noch nicht so quantifizieren, wie es die Spezifizität erlaubt

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sagt wäre bei einer hypergeometrischen Verteilung in über 99,99 % der Fälle die Häufigkeit des Wortes geringer. Daher kann es im betreffenden Teil des Korpus als überrepräsentiert gelten. Auf diesem Weg lassen sich auch Schlüsselbegriffe für mehrere Partitionen gleichzeitig ermitteln und kontrastieren. Umgekehrt können Werte weit unterhalb der erwarteten Häufigkeit eines Wortes signifikant für dessen Unterrepräsentation in der Partition sein; hierfür wird der Spezifizitätswert negativ wiedergegeben. Ferner kann dieses Verfahren ein statistisches Grundvokabular des Korpus ermitteln. Wortformen die in allen Partitionen keine hohe Spezifizität besitzen – beispielsweise bei Werten die gegen Null tendieren – können als »unauffällig« verteilt gelten (Lafon 1980). Die Suche nach überrepräsentierten Elementen kann auch zum Vergleich des gemeinsamen Vokabulars zweier unterschiedlicher Korpora herangezogen werden; d.h. der Verteilungen von Wortformen, die in beiden Korpora auftreten. Hierbei gelten Wörter mit hohen Spezifizitätsmaßen als charakteristische Schlüsselwörter des jeweiligen Korpus (Bubenhofer 2013). Alternativ gewähren die schätzstatistischen Operationen mit Texten die Identifizierung von Kookkurrenzen. Kookkurrenzen beschreiben das überzufällige gemeinsame Auftreten von zwei oder mehreren Wörtern. Die Artikulation diskursiver Elemente, welche auch stets semantische Inhalte verknüpft, wird somit an der lexikalischen »Oberfläche« nachvollziehbar. Hierfür wird ein Teilkorpus aus der Textumgebung eines Suchworts gebildet (z.B. fünf Wörter vor und nach dem Wort). Das Teilkorpus wird mit dem Gesamtkorpus verglichen. Dabei werden spezifische Wörter des Teilkorpus bestimmt. Wörter, deren spécificité in der festgelegten Umgebung eines Schlüsselwortes auf ein überzufällig hohes Vorkommen deutet, werden im gesamten Korpus oder innerhalb von Subkorpora als Kookkurrenzpartner identifizierbar (Scholz und Mattissek 2014: 97). Die Ergebnisse lassen sich als selektive Liste oder netzwerkähnliche Graphik darstellen. Das Wort »Raum« eignet sich gut zur Illustration eines KookkurrenzenNetzes. Zum besseren Verständnis von Kookkurrenzen wurden ausgewählte, lemmatisierte Kookkurrenzpartner ersten und zweiten Grades (gemeinsame Partner zweier Partner) dargestellt (vgl. Abbildung 6). Im Korpus der Gesamtberichterstattung der Süddeutschen Zeitung zwischen 1992 und 2015 werden geographische Räume mit bestimmten Konzepten verbunden (z.B. »das Wachstum

(hier lautet der Wert 9,5). In diesem Fall liegt die Wahrscheinlichkeit der vorliegenden Verteilung in der Partition, ausgehend von einer hypergeometrischen Verteilung, bei 10-9,5. Schwieriger wäre die Schätzung hingegen bei undeutlicheren Verteilungsunterschieden über viele Partitionen hinweg.

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im asiatischen Raum«, »als führend im deutschsprachigen Raum gelten« oder »die Verdichtung im ländlichen Raum«). Ebenso binden etablierte Redewendungen die Kookkurrenzpartner von »Raum«, wie »den vorhandenen Raum nutzen« oder »Raum für Spekulationen lassen«. Die Beispiele verdeutlichen, dass das gemeinsame Auftreten von Wörtern nicht als normalverteilt gedacht werden kann. »Raum« tritt nicht mit jedem Wort, aber mit vielen für ihn »typischen« Partnern auf. In jedem Korpus finden sich Kookkurrenzen, die über die charakteristische Umgebung von forschungsrelevanten Begriffen Aufschluss geben können. Abbildung 6: Ausgewählte Kookkurrenzpartner zu »Raum«

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis einer Abfrage im Textarchiv der Süddeutschen Zeitung (Jahrgänge 1992-2015), bereitgestellt und berechnet durch das Online-Modul »COSMAS II« des Deutschen Instituts für Sprache, www.ids-mannheim.de/cosmas2/ (zuletzt aufgerufen am 15.03.2016).

Zusammengefasst liegen die Stärken der vorgestellten Verfahren in ihren kombinierbaren Überblicks- und Explorationsinstrumenten. Weitere Nähe zu poststrukturalistischen Diskurstheorien entsteht durch das Aufspüren von Differenzen, Äquivalenzen, großflächigen Artikulationen von Sinn und der analytischen Relevanz von Sprecherpositionen. Hierfür liefern lexikometrische Verfahren eine konkretisierte Methodologie. Die Qualität der festgestellten Verbindungen muss stets von den Forschenden evaluiert werden, da nach wie vor nicht alle sprachlichen Phänomene maschinell fassbar sind und der analysierte Diskursausschnitt zwangsläufig konstruierter Natur bleibt (Dzudzek et al. 2009: 254).

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Kodierende Verfahren in der Diskursanalyse Im Gegensatz zur Lexikometrie sind kodierende Verfahren in der sozialwissenschaftlichen Forschung fest etabliert. Dies gilt für den Ansatz der »Qualitativen Inhaltsanalyse« (Mayring 1988), und besonders für die sozialkonstruktivistisch geprägte grounded theory (Glaser/Strauss 1967), welche heute in unterschiedlichen Software-Programmen zur Durchführung von qualitativen Datenanalysen umgesetzt ist (z.B. MaxQDA oder Atlas.ti). Die kanonisierte Arbeitsweise der grounded theory strukturiert empirisches Material mithilfe von zirkulären Kodierdurchläufen. Über ein anfänglich induktives, hin zu einem axialen und selektiven Kodiersystem werden die Merkmale von Textsammlungen (z.B. InterviewSerien) sukzessive verdichtet, um die mit einer Forschungsfrage verbundenen zentralen Themen und Akteure festzustellen. Das Ziel liegt in einer empirischen Sättigung: hinzukommende Fallbeispiele werden beim Erreichen der Sättigung im zirkulären Forschungsprozess durch bereits aufgefundene erklärbar. Es entsteht eine im Material »verankerte« Theorie mittlerer Reichweite zur Erklärung von sozialen Phänomenen (Böhm 2003; Pfaffenbach/Reuber 2005: 169). Der zentrale Unterschied zur diskursanalytischen Herangehensweise liegt im theoretischen Stellenwert der Kodierungen. Die grounded theory zielt auf »die Handlungsorientierung gebenden pragmatischen Wahrheitskonzepte der Handelnden« (Gasteiger/Schneider 2014: 144) in der Tradition des symbolischen Interaktionismus (ebd.: 142). Der hier vorgestellte Ansatz hingegen privilegiert (wie viele andere Ansätze der Diskursforschung) die Regelmäßigkeiten artikulatorischer Praktiken. Daher ist eine unkritische Übernahme kodierender Verfahren konzeptionell nicht zielführend. Sie können eher nuanciert adaptiert werden (Diaz-Bone/Schneider 2003: 500; Glasze et al. 2009: 295). Aus diskursanalytischer Perspektive sind Kodierstrategien dennoch gewinnbringend für die Rekonstruktion von diskursiver Praxis. Im Forschungsdesign lenken sie die analytische Aufmerksamkeit zurück auf weniger frequente bzw. hochsignifikanten Artikulationen bei der Konstitution von Praktiken und Ordnungen. Die Kodierung »am Material« gestattet feinere Aussagen über die Verknüpfungen der einzelnen diskursiven Elemente. So können entweder Auszüge des lexikometrischen Korpus »manuell« exploriert, oder ergänzend weitere Texte des Genres zur kontrastiven Lektüre hinzugezogen werden. Es bietet sich die Gelegenheit, die vorher aufgestellten Hypothesen nachzuvollziehen oder zu erweitern. Hierfür muss festgelegt werden, was aus der eigenen Perspektive wie kodiert werden soll:

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»So gesehen muss ein diskursanalytisches ›Codieren‹ seine diskurstheoretisch begründete ›Ausbuchstabierung‹ erfahren, indem aufgezeigt wird, auf was sich im Rahmen der eigenen diskurstheoretischen Prämissen ›Codierungen‹ beziehen und worauf sie zielen.« (Diaz-Bone/Schneider 2003: 500; Hervorh. i. O.)

An dieser Stelle werden Forschende mit den analytischen Grundeinheiten der von ihnen verwendeten Diskurstheorien konfrontiert. Im konzeptionellen Kapitel galten mit Foucault, sowie Laclau und Mouffe, Aussagen bzw. Forderungen als kleinste Einheiten von Diskursen, die in gewisser Regelmäßigkeit Beziehungen zwischen Objekten, Subjekten und Bedeutungen hervorbringen. Mit dem Kodieren können nun wiederkehrende oder einfordernde Verknüpfungen von Themen, Gegenständen und Subjekten bei der Lektüre gegenhegemonialer Raumdiskurse zunächst markiert und dann in einer Zusammenschau auf Verbindendes überprüft werden. Welche konkreten Elemente und Akteure Kodes erhalten, geht aus dem Korpus hervor. Ansatzpunkte sollen in der vorliegenden Arbeit die textuellen Umgebungen von räumlichen Bezügen in den Rap-Titel liefern. Das Kodieren beinhaltet die Kombination deduktiver und induktiver Verfahrensschritte, die auf zirkuläre Weise die theoretischen Annahmen mit dem empirischen Material relationieren. Die Aufgabe besteht nun darin, diskursive Muster auf mesoanalytischer Ebene zu identifizieren und abstrahieren, um qualitative Aussagen über Diskurse treffen zu können. Dafür müssen die Kodierungen »(als Verweise auf die in den Daten materialisierte Diskursordnung als ›Realität sui generis‹) entsprechend ihrer empirischen rekonstruierbaren ›Verwendungsweisen‹ zu empirisch begründeten, diskurstheoretischen Aussagen über die Strukturiertheit, Regelhaftigkeiten dieser Ordnung zusammengefügt werden« (Diaz-Bone/Schneider 2003: 508). Nach dem Setzen der eigentlichen Kodes besteht das weitere Vorgehen in der Betrachtung ihrer Verteilungen. Es ermöglicht, je nach Unterteilung des Materials, zeitliche oder thematische Schwerpunkte des Diskursausschnitts ausfindig zu machen. Entscheidend können neben den eigentlichen Themen und Akteuren auch kookkurrente Kodes sein, die eine Typenbildung »aus dem Material heraus« erleichtern, und zudem mehr Detailwissen als die Lexikometrie freilegen. Die Ergebnisdarstellung erfolgt dann in einer systematischen Beschreibung der gefundenen Schwerpunkte und Kookkurrenzen. Trotz aller Vorzüge der Inventarisierung von Diskursausschnitten mithilfe kodierender Verfahren, deren Anwendung ohnehin schon eine Umdeutung der grounded theory darstellt, liegt die potentielle Schwachstelle des Vorgehens in der Erzeugung von »interpretativen black boxes« (Angermuller 2014c: 123): Letztlich bestimmen die Forschenden die relevanten Ausdrücke und Textstellen

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auf subjektivere Weise als die textstatistischen Verfahren. Mit Letzteren verbindet kodierende Verfahren der hohe Abstraktionsgrad nach der Untersuchung von Korpora; allerdings zum Preis abermals Feinheiten und Interpretationsmöglichkeiten des Materials verknappen (Glasze et al. 2009: 300). Aussagenanalysen Die pragmatisch-kommunikativen Feinheiten des Diskurses in der Äußerungssituation bilden den Fokus unterschiedlicher Methoden, die in der deutschsprachigen Diskursforschung unter der Sammelbezeichnung Aussagenanalyse bekannt sind. Aussagenanalysen sind geprägt von einem Zugang an der Schnittstelle zwischen der abstrakten Struktur der Sprache und ihrem konkreten Gebrauch. Sie untersuchen die Organisation von Aussagen entlang der materiellen Oberfläche des Sprachgebrauchs, und verneinen »poststrukturalistisch« die Unmittelbarkeit von Sinn. Was also bei einer Äußerung exakt gesagt wird – dies zeigen bereits alltägliche Konversationen – kann möglicherweise im Unklaren bleiben. Je komplexer und opaker Äußerungen sind, die einer sozialwissenschaftlichen Analyse zugeführt werden, desto mehr läuft der Versuch ihrer intuitiven Interpretation Gefahr, qualitative Analysen in einer nur Eingeweihten zugänglichen »Dunkelkammer interpretativ-hermeneutischer Kunstlehren« (Angermuller 2014c: 117) durchzuführen. Daher sollte auch das orientierende Moment von Äußerungen Berücksichtigung finden (d.h. ihr »wie«), mit dem Sinnhaftigkeit zumindest auf formaler Ebene durch die geteilten Regeln einer Sprachgemeinschaft abgesichert wird: »Wie Texte tatsächlich verstanden werden, kann und will dieser Ansatz nicht bestimmen. Aber Texte können auch nicht beliebig verstanden werden. So geben die Formen, mit denen Texte operieren, den Lesern Instruktionen über die relevanten Ko- und Kontexte. Diese unterspezifizierten Formen organisieren den Diskurs, indem sie ihre Leser auf die Suche nach den Kontexten schicken, in denen sie geäußert werden«. (Angermuller 2007a: 140)

Somit fragt die Analyse detailliert, wie Aussagen in Äußerungen von Äußerungsparametern durchzogen sind (Angermuller 2007b: 167). 9 Eine Interpretati-

9

Foucaults Privilegierung der Aussage (énoncé) als funktionale Einheit des Diskurses findet ihre methodologische Übersetzung in der französischen pragmatique énonciative, welche die strukturellen Aspekte der konkreten Äußerungssituation (énonciation) problematisiert (bekannte Vertreter sind Benveniste 1974; Ducrot 1984; Maingueneau

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on erfolgt dann auf Basis der durch die Formen abgesteckten Sinnangebote. Die Interpretierenden – ob im Alltag oder in der Wissenschaft – müssen mit ihrem verfügbaren Kontextwissen (»Allgemeinwissen«, Forschungsstände, Analysen) dann immer wieder die ihnen von Aussagen gemachten Sinnangebote deuten, um die Überschüsse des »widerspenstigen Sinn« zu verknappen (Angermuller 2008: 202; 2010). Diskursive Praktiken wie das Sprechen werden in der diskurspragmatischen Lesart zu in- und exkludierenden Artikulationen von verfügbaren Sinnmöglichkeiten, die textuelle und kontextuelle »Abdrücke« hinterlassen. Eine Betrachtung der formalen Spuren der Äußerung macht deutlich, wie heterogen und kontingent Subjekte situativ Diskurs produzieren, und dabei sozial verfügbare Wissensbestände mobilisieren (Maeße 2010: 111). Eine Identifizierung der wichtigsten »unterspezifizierten« Formen zur Interpretation der – gerade bei politisierbaren Sachverhalten – überdeterminierten Signifikanten ermöglichen die deiktischen und polyphonen Referenzen in Texten. Deiktika Deiktika (»Deixis«, altgriechisch für »zeigen«) sind indexikalische Wörter, die Sprecherinnen und Sprechern erlauben, ihre Äußerung mit räumlichen, zeitlichen, personellen oder subjektiven Hinweisen zu versehen (z.B. Zeigewörter10 wie »hier«, »jetzt«, »ich«), und als Subjekte im Diskurs zu erscheinen bzw. andere Individuen anzurufen (»wir«, »du«): »[O]hne sprachlichen Kontext gibt es keine Gruppe von Gegenständen, die man als ICH bezeichnen könnte. Letzten Endes ist ICH derjenige, der in einer konkreten Aussage […] ICH sagt […]. Eine Definition der deiktischen Ausdrücke kann daher stets nur zirkulär und selbstbezüglich sein.« (Hervorh. i. O., Maingueneau 2000: 19)

Personelle Zeigewörter umfassen neben Eigennamen die Pronomen der ersten und zweiten Person. Pronomen der dritten Person verweisen hingegen auf eingeführte Eigennamen oder Personen. Das sprechende Subjekt hinterlässt weitere

2000). Der Unterschied zwischen der énonciation – als Akt des »etwas sagen«, des »sich äußern« – und dem verbundenen énoncé – als Ergebnis des Aktes – wird vom deutschen Begriffspaar »Äußerung«/»Aussage« tendenziell verdeckt (Williams 1999: 173f.; Angermuller 2007a:125). 10 Der Linguist Bühler (1934) beschreibt diese Funktion der Sprache als »Hier-Jetzt-IchOrigo«, als ein » Zeigefeld«, das »Augenblicksmarken«, »Ortsmarken« oder »Sendermarken« setzt (ebd.: 102ff.).

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formale Abdrücke durch den Gebrauch von axiologischen Partikeln wie Verben des Urteilens, der Haltung oder wertende Adjektive (Angermuller 2007a: 143). Temporale Deiktika haben als Ausgangspunkt den Äußerungszeitpunkt T0 (die »Jetzt-Zeit«). Von diesem deuten sie auf vergangene oder zukünftige Zeitpunkte. Dabei nehmen sie unterschiedliche grammatische Formen an, sei es als absolute Zeitangaben, Adverbien (z.B. »gerade [eben]«), Adjektive (z.B. »gegenwärtig«) oder Präpositionen (z.B. »seit [gestern]«); ferner können bestimmte grammatische Zeitformen vorgängige oder zukünftige Ereignisse mit dem konkreten Äußerungszeitpunkt verknüpfen (Maingueneau 2000: 39ff.). Zu den räumlich verweisenden Deiktika zählen relationale Distanzbeziehungen, die durch Adverbien wie »nah«, »fern«, »da drüben«, »dahinter«, Toponyme, aber auch durch Bewegungsverben (z.B. »auf jemanden zukommen«) entstehen (Maingueneau 2000: 33f.). Eine Berücksichtigung von Deiktika erlaubt, die zumeist aus »interpretationsökonomischen Gründen« unbewusst wahrgenommenen indexikalischen Orientierungsmarken von Diskursteilnehmern in die Analyse zu integrieren. Sie gewährt die Betrachtung von Äußerungen über die zugespitzte Frage: »Wer spricht gerade, über wen/was, von welcher Position aus?« (Angermuller 2008; Maeße 2010: 114f.). Im Lichte des diskurs- und hegemonietheoretischen Ansatzes gilt der deiktische Apparat der Sprache als zentrale Schnittstelle bei der diskursiven Konstitution von Identitäten und Räumen, die »Aufteilungen der Welt in Bereiche des Eigenen und des Fremden, der Nähe und der Ferne [bewirkt, A.T.] […]. Dies geschieht, indem räumliche Deiktika diskursiv mit bestimmten ›Raumcontainern‹ verknüpft werden und somit immer wieder aufs Neue Grenzziehungsprozesse performativ vollzogen werden.« (Mattissek 2009: 284 )

Polyphonie Das Konzept der Polyphonie verkompliziert die Frage »Wer spricht?« mit einer Betrachtung der Vielstimmigkeit von Äußerungen durch die in ihnen verschachtelten Aussagen.11 Der Linguist Oswald Ducrot (1984) entwirft zur Sichtbarmachung der Mehrstimmigkeit eine diskursive Szenographie, deren Inventar mehrere »diskursive Wesen« (Angermuller 2007a: 129) umfassen kann. Neben dem

11 Das Werk des russischen Literaturwissenschaftlers Bachtin aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beeinflusste die späteren strukturalistischen Linguisten. Als wegweisend galten ihnen bei der Untersuchung der polyphonen Strukturen von Aussagen Bachtins Arbeiten zum Dialogismus und der Intertextualität, d.h. dem gegenseitigen Verweisen von Texten aufeinander (vgl. auch Weber 2013: 69).

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»Lokutor« als Urheber einer Äußerung bzw. sprechendes »Ich«, kann eine Vielzahl weiterer, aber nicht immer spezifizierter »mitsprechender« Enunziatoren in Erscheinung treten (nur selten durch direkte Rede). Der Lokutor relationiert die versammelten Stimmen durch die Herstellung von Äquivalenz- und/oder Distanzbeziehungen, um »eigene«, oder die Standpunkte Anderer zu vermitteln (Gévaudan 2008; Roulet 2011: 209ff.). Das sprechende Subjekt bleibt auf andere Stimmen bei der Bewertung von Sachverhalten oder Ereignissen angewiesen: »Während der Lokutor gleichsam im Hintergrund als ›externer‹ Strippenzieher oder Regisseur des von der Aussage aufgeführten Schauspiels wirkt, sind die ›internen‹ Äußerungspositionen bzw. Sprecher die Figuren, die der Lokutor auf der diskursiven Bühne der Aussage auftreten lässt. Der Lokutor tritt in der Aussage nie selbst auf; er muss alles, was er sagen will, von seinen Sprechern sagen lassen.« (Angermuller 2008:195)

Mit Mainguenaus (2000: 95-101) und Angermullers Übersicht (2007: 146ff.) der Weiterentwicklungen im Feld der Polyphonie-Theorie, können relevante Wörter und Modi des Sprachgebrauchs an der »Oberfläche des Diskurses« wie folgt gegliedert werden (vgl. auch Mattissek 2009): • Negationen durch Partikel (»nicht«), Adverbien (»niemals«), Adjektive

(»zweifelhaft«), Verben (»verneinen«) oder Pronomen (»keine«) zeigen die Abweisung mindestens eines weiteren anwesenden Standpunkts an und somit eine Positionierung. Bereits einfache Negationen wie »x gefällt mir nicht« fächern eine Aussage in drei Perspektiven: der Lokutor (L) weist mit der Aussage eines Enunziators, der für ihn spricht [E0] und mit ihm zusammenfällt, die Aussage (E1) eines weiteren Enunziators zurück12, der meine, x könne L gefallen (L:E0≠E1). • Neben Negationen bestimmen argumentative Konnektoren wie »jedoch«, »aber«, vielleicht« das Verhältnis der vielen Stimmen und Aussagen, die Sprecher in ihrer Äußerung hierarchisch ordnen müssen. Bei den Positionierungen entstehen Distanz und unterschiedliche Formen der Äquivalenz (bzw. Mischtypen). Mit der Äußerung »Es stimmt zwar, dass x zutrifft, aber y und z sind wichtiger« stellt der Lokutor seine Affinität zu den Aussagen x, y und z heraus. Dennoch privilegiert er zwei von drei Enunziatoren, deren Aussagen die Leserinnen und Leser identifizieren und mit Kontextwissen befüllen müssen, um »Sinn zu erhalten«.

12 Eine streng formalisierte und übersichtliche Notation polyphoner Strukturen legt die skandinavische Forschungsgruppe »ScaPoLine« vor (Nølke/Fløttum/Norén 2004).

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• Sonderformen der Polyphonie sind Ironie und Parodie. Sie zeichnet aus, dass

der geäußerte Standpunkt keinesfalls der des Äußernden ist, auch wenn die Ironie nicht selten Gefahr läuft, als solche nicht identifiziert zu werden. Das Geäußerte erscheint mehr oder weniger absurd. Der Lokutor lässt distanziert jemand anderes »für sich sprechen«. Bei der Parodie führt der Lokutor einen in der Regel identifizierbaren Enunziator durch übertriebene Imitation vor, um diesem gegenüber überlegen zu wirken. • Ferner kündigen modale Wechsel polyphone Perspektiven an: ein Imperativ schließt als Disziplinierung andere Standpunkte aus, ein Konjunktiv verschafft Enunziatoren ebenfalls Abstand. Aufgrund der vielen Merkmale die Äußerungsumstände markieren, eignet sich die Aussagenanalyse zur Bearbeitung von kleinen Textausschnitten. Bereits die Mikroebene versammelt, wie oben gezeigt, viele verschachtelte Positionen auf kleinem Raum. Eine Betrachtung der Rap-Textausschnitte im Rahmen der Fragestellung verweist auf unterschiedliche, auch hegemoniale Raumkonzepte zu stigmatisierten Vierteln und zeigt, wie diese nach diskursiven Regeln des Genres erneut verhandelt werden. Die Relationierung von Aussagen, Sprecherpositionen und ihrer Äußerungskontexte skizziert ein diskursives Tableau von sozialen Beziehungen (vgl. Angermuller 2010), das auch Aufschluss über die Praktiken gegenhegemonialer Raumdiskurse geben kann. Ethnographisch-informierte Methoden Um nicht nur den textuellen Niederschlag der Praktiken von gegenhegemonialen Diskursen, sondern auch das »doing discourse« in actu zu untersuchen, können ethnographisch-informierte Methoden herangezogen werden. Ethnographie ist die Beschreibung der Herstellung von sozialer Wirklichkeit innerhalb bestimmter, den Forschenden anfänglich »fremder« Gruppen. Die Forschenden nehmen eine teilnehmende Perspektive ein, aus der sie die »situativ eingesetzten Mittel zur Konstitution sozialer Phänomene« seitens der Erforschten fokussieren (Lüders 2000: 390). Da der ethnographische Zugang jedoch nicht die bevorzugte, sondern eine von mehreren in dieser Arbeit angewandtem Methoden ist, wird nicht der Anspruch erhoben, eine Ethnographie vorzulegen. Die Analyse profitiert diskursanalytisch von den Angeboten ethnographisch-informierter Methoden. Ethnographisch erhobene Daten werden in der Regel durch eine »teilnehmende Beobachtung« generiert, die nach wie vor eine zentrale Rolle im Methodenset der Ethnographie einnimmt (vgl. auch Breitbart 2010). Die Grundzüge

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der teilnehmenden Beobachtung haben sich seit dem Entstehen einer systematischen Ethnographie mit Malinowskis »Argonauten im westlichen Pazifik« nicht grundlegend verändert (Malinowski 2004 [das Original erschien 1922]). 13 Sie bleiben im Wesentlichen in zwei Formen unterteilbar: Einerseits in die nichtstandardisierbare Teilnahme und Beobachtung von sozialer Praxis wie bei ungeplanten Gesprächen oder zufälligen Entdeckungen. Andererseits systematisieren halbstrukturierte Interviews, standardisierte Frage- und Beobachtungsbögen oder regelmäßige Feldtagebucheintrage die Beobachtung (zur Reflexion der Methoden vgl. Beer/Fischer 2003). Ziel der Arbeitsweise ist es in der Regel, durch Teilhabe und dem umfangreichen Sammeln von Material (was auch Artefakte oder Statistiken einschließt), ein detailliertes Bild von sozialer (Alltags-)Praxis und Bedeutungsherstellung zu zeichnen. Das erhaltene Bild muss dann aufgrund seiner eigentlichen, aber schwer darstellbaren Komplexität, für die Verschriftlichung »geglättet« werden (Flick 2007: 297ff.; Müller 2009: 69; Watson/Till 2010). Der Reiz des Methodensets für die Humangeographie liegt in der Möglichkeit, den Praktiken und Kontexten der Raumproduktionen von Akteuren »vor Ort« nachzuspüren (Herbert 2000). Umgekehrt fragen multi-sited ethnographies, wie ähnliche Praktiken an unterschiedlichen institutionellen Orten divergierende Effekte zeitigen (z.B. Praktiken des Assessment für unterschiedliche Zielgruppen) oder an unterschiedlichen Orten wie in Diaspora-Netzwerken verfügbar werden (Nadai/Maeder 2005; Weißköppel 2005; Ott/Wrana 2010). Im Gegensatz zu den Erhebungstechniken, haben sich im Zeitablauf die mit Ethnographien verbunden Erkenntnisinteressen geändert. Die Vorstellungen über »fremde Kulturen« und die Reflexion der ethnographischen Praxis unterlagen einem erheblichen Wandel. Drei prominente Paradigmen verdeutlichen dies: • Malinowskis Ansatz aus den 1920er Jahren geht noch davon aus, den Stand-

punkt des »Eingeborenen« mehr oder weniger zu durchdringen, »to grasp the native’s point of view, his relation to life, to realise his vision of his world« (Hervorh. i. O., Malinowski 2004: 19). Problematisch an der Herangehensweise ist jedoch die Unmöglichkeit eines holistischen Blickwinkels. • Eine vielbeachtete hermeneutische Antwort auf objektivistische Ansätze schlägt Geertz mit der »dichten Beschreibung« (1973) vor. Die teilnehmende

13 Neben Malinowskis Studie sind besonders die vielen ethnographischen Mikrostudien der stadtsoziologischen Chicago School in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts zu nennen, ebenso die frühen journalistischen und sozialreformistischen Studien zu verarmten Gruppen im viktorianischen England (vgl. Lindner 2004).

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Beobachtung fragt hier nach den zentralen symbolischen Ordnungen von sozialen Gruppen, und gibt Forschenden den Auftrag, diese in einer sowohl deskriptiven als auch »analytisch dichten Beschreibung« offenzulegen (Wolff 1992). • Eine Kritik der beiden kulturanthropologischen Ansätze erfolgt während der writing culture-Debatte in den 1980er Jahren (Clifford/Marcus 1986). Analog zur Mehrdeutigkeit von Sinn, können die unterschiedlichen Standpunkte der Forschenden und Erforschten (des »globalen Südens«) nie konvergieren, denn ihr Verhältnis zueinander kann in Machtbeziehungen postkolonialer Art eingelassen sein. Ebenso verknappen Autoren das Beobachtete zwangsläufig. Im Resultat ähnelt das Verfassen von ethnographischen Monographien einem möglichst überzeugenden Erzählen, das seine Situiertheit, seine Entstehungsbedingungen sowie fiktionale Aspekte der Textproduktion mitreflektieren muss (Müller 2012: 181). In diesem Lichte muss der ethnographische Zugang mit diskursanalytischen Prämissen konfrontiert werden, um das Verhältnis von Theorie und Empirie bestimmen zu können. Wie lässt sich das »Feld« eingrenzen, welche Aspekte des Diskursiven rücken in den Fokus? Hierbei wird den vorgestellten diskursanalytischen Ansätzen gefolgt, die einen gegenstandsbezogenen anstelle eines holistischen Zugangs wählen. Sie fragen problematisierend, wie Bedeutungen durch Praktiken hergestellt werden, und somit nach der Performativität von diskursiven Praktiken an ausgewählten Orten – z.B. nach »Körperpraktiken in schulischen Interaktionen« aus pädagogischer Perspektive (Langer 2007), nach alltäglichen Praktiken der Konstitution von geopolitischen Weltbildern bei der Ausbildung russischer Elitediplomaten (Müller 2009), oder nach der lokalpolitischen Umsetzung von aktuellen Leitbilder der »kreativen Stadt« (Dzudzek 2014). Das Untersuchungsfeld entsteht als Konstruktionsleistung eines partiellen Blicks, der die Annahmen zum Forschungsgegenstand mit der Kontingenz von sozialen Praktiken »reibt«, um weitere Erklärungen zu gewinnen. In Anschluss an Praktikentheorien kann das diskurstheoretisch eingegrenzte Feld auf das Zusammenspiel von körperlichen, materiellen bzw. symbolischen Praktiken in ihren Produktionskontexten untersucht werden. Dort mobilisieren Akteure performativ Diskurse, jedoch mit offenem Ausgang (vgl. Schäfer 2013). Die Produktionskontexte sind dabei häufig von verschachtelten Abfolgen zielgerichteter, (häufig) intelligibler Praktiken des Redens und des Tuns geprägt. Diese zielgerichteten Aktivitäten können aber auch mit anderen Abläufen und Deutungen kollidieren oder scheitern. Soziale Praxis wird in dieser Perspektive durch eine konstitutive Offenheit gekennzeichnet (Schatzki 2002). Es geht also, mit einer

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methodologischen Wendung von Laclaus vielzitierter Frage »How do empty signifiers matter?« (1996), darum, wann bestimmte Signifikanten im Rahmen von diskursiven Praktiken zentral werden oder affizieren (vgl. auch den Sprachspielgedanken im Kapitel zur diskurs- und hegemonietheoretischen Perspektive): »Diese Frage betont die praktische Dimension der durch leere Signifikanten strukturierten symbolischen Ordnungen. Es geht darum, zu fragen, wie sie praktisch Bedeutung erlangen, insofern sie sich materialisieren (dass ›matter‹ im Sinne von ›Materie‹ übersetzt werden kann ist durchaus gewollt). Durch welche Praktiken und aus welchen praktischen Kontexten heraus drückt sich eine bestimmte Materialität leerer Signifikanten aus?« (Hervorh. i. O., Baumann/Tijé-Dra/Winkler 2015: 232)

Welche Praktiken und Bedeutungen sich für die Beobachtung als zentral erweisen, geben dann das »Feld«, ein dort entwickeltes Gespür für die beobachteten Praktiken, die Fragestellung und ergänzend hinzugezogene Analyseverfahren vor (Winkler/Tijé-Dra 2018). Für die vorliegende Fragestellung heißt das, dass auch jene Momente der Praktiken rund um das Rappen in actu für die teilnehmende Beobachtung relevant werden, in denen Bezüge zu stigmatisierten Vierteln und gegenhegemonialen Diskursen auftauchen.

ABLAUF DER ANALYSE Nachdem die Methoden zum kohärenten In-Beziehung-Setzen der unterschiedlichen Perspektiven auf gegenhegemoniale Raumdiskurse am Beispiel von Rap bestimmt wurden, verfolgte die durchgeführte Analyse ein eher zirkuläres denn sequentielles Muster. Bereits aufgrund der notwendigen »Eingewöhnung« in die sprachlichen und gesellschaftlichen Spezifika des Forschungsgegenstandes (vgl. das zweite Kapitel), erschien eine sequentielle Bearbeitung des Forschungsdesigns in klar voneinander abgegrenzten Arbeitsphasen impraktikabel. Das Nebeneinander von Textanalysen und Feldaufenthalten erschloss nach und nach die vielen Nuancen französischer Argots, insbesondere des verlan, und erweiterte fortlaufend das Hintergrundwissen über die Orte der diskursiven Praktiken (vgl. das Forschungsdesign in Tabelle 1). Gleichzeitig erlaubte das Nebeneinander eine Erprobung der vorgeschlagenen Methoden anstelle einer planmäßigen Abarbeitung. Die Umsetzung erfolgte in komplementären Schritten. Zunächst wurden charakteristische Repräsentationen und deren Vermittlungsstrategien in gegenhegemonialen Raumdiskursen der Rap-Musik zu »benachteiligten Stadtteilen« text-

Operationalisierung | 97

analytisch herausgearbeitet. Gleichzeitig erweiterten ethnographisch-informierte Methoden den diskursanalytischen Blick auf die Deutungskämpfe um Stadtteile. Die erhobenen Materialsorten wurden auf die in ihnen hervorgebrachten Gegenstände, Bedeutungen, Subjektpositionen und Strategien befragt und verglichen. Tabelle 1: Forschungsdesign Ebene

Material

Methoden

Ziele

Makro

Zeitungstexte zu Rap, Korpus mit Rap-Texten Rap-Texte aus dem Korpus und weitere

Lexikometrie

Exploration häufiger und »typischer« Wörter

Kodierende Verfahren

Inventarisierung diskursiver Elemente

Passagen der Rap-Texte

Aussagenanalyse Aufzeigen der diskursiven Verknüpfungsmuster

Meso Mikro

Beobachtungs- und ethnographischGesprächsprotokolle informierte Verfahren

Kontextuelles Nachspüren der Performativität

Für die quantitativ-lexikometrischen Verfahren wurden unterschiedliche Korpora erschlossen, und die Ergebnisse der Berechnungen mit Visualisierungen aufbereitet. 14 Um die »hegemonialen Repräsentationen« zu Rap in den französischen Medien vergleichend analysieren zu können, wurde zudem auf ein Korpus der Berichterstattung der französischen »Referenztageszeitung« Le Monde zurückgegriffen (zwar gibt es die hegemoniale Stimme nicht, durchaus aber Zeitungen mit mehrheitsfähigen Standpunkten). Zur Korpus-Erstellung wurde ein kommerzielles DVD-Archiv genutzt (»Le Monde sur Cedrom«). Mithilfe eines Abfrage-Assistenten wurden 1243 Artikel als Textdateien exportiert und annotiert (zunächst nach Autor, Datum und Artikeltyp). Nach Bereinigung (von Konzertankündigungen, Plattenkritiken und Dubletten 15 ) blieben 740 Artikel aus dem Zeitraum zwischen 1995 und 2008, in denen die Schlüsselwörter auftraten. Das Korpus sollte klären, mit welchen Räumen, Praktiken und Bedeutungen Rap im zeitlichen Verlauf aus einer »externen« Perspektive verbunden wurde. 14 Ohne die computerlinguistischen Tutorien auf Noah Bubenhofers Internet-Blog wäre die Materialgewinnung und Manipulation in dieser Form nicht möglich gewesen. www.bubenhofer.com/korpuslinguistik/kurs/ (zuletzt aufgerufen am: 07.07.2015). 15 Mithilfe der Darstellung der Metadaten des Korpus in einem Tabellenkalkulationsprogramm konnten diese Elemente schnell visuell identifiziert und bereinigt werden.

98 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

Das zweite »Rap-Korpus« entstand durch das Auslesen einer öffentlich zugänglichen Online-Sammlung von französischen Rap-Titeln (www.13or-du-HipHop.fr; Stand: Dezember 2013), die in ein Korpus mit Informationen zur »Herkunftsregion« der Interpreten (Paris, Marseille, Havre, »restliches Frankreich«) und dem Zeitraum der Veröffentlichung eines Titels umgewandelt wurden. Das Korpus umfasst 5522 französische Rap-Texte (nach Bereinigung von Dubletten) und deckt zwei Dekaden ab (1994 bis 2013). Es versammelt überproportional viele Texte aus den Regionen Paris und Marseille. Die Indizierung und Annotierung der Veröffentlichungszeitpunkte der Titel und der Herkunft der Künstler erwies sich als problematisch, da diese nirgendwo offiziell, verbindlich oder autoritativ festgehalten werden. Durch die zu diesem Zeitpunkt wohl umfangsreichste Internetseite16 mit einer systematisierten Dokumentation vieler bekannter sowie unbekannter Künstler des französischen Raps und deren Werke, konnten alle Titel und Künstler identifiziert werden. Für die qualitative Untersuchung wurde ein Korpus von 100 Rap-Texten erstellt (Veröffentlichung zwischen 1998 und 2013; vgl. auch den Anhang nach dem Literaturverzeichnis). Es besteht aus Gründen der methodischen Kontrastierung zur Hälfte aus Titeln des Lexikometrie-Korpus, zur anderen Hälfte aus teilweise eigens transkribierten Fundstücken17, die im lexikometrischen Korpus nicht vorkommen. Die Häufigkeiten und Kookkurrenzen der vergebenen Kodierungen wurden graphisch veranschaulicht. Auch die Aussagenanalysen beruhten auf relevanten Auszügen aus dem kodierten Korpus. Sie ermöglichten, die inventarisierten Subjektpositionen, Gegenstände und Bedeutungen der (analytisch konstruierten) diskursiven Oberflächen in Beziehung zu setzen. Die Feldforschungsaufenthalte fanden aus mehreren Gründen hauptsächlich in der Region Paris (vgl. Tabelle 2) statt: Die Auswahl der Region Paris erklärt sich mit der hohen Anzahl inner- und randstädtischer stigmatisierter Viertel (gerade bestimmte Quartiere der Kommunen nördlich von Paris im Département Seine-Saint-Denis), die häufig stadtpolitische Interventionsgebiete aufweisen. Zudem existieren in den Vierteln stadtteilbezogene sozial- und kulturpolitische Angebote für Jugendliche zur Eigenproduktion von Rap. Zwar wurde auch das Stadtgebiet Marseilles für die Fragestellung exploriert, allerdings sprachen das

16 www.banlieue-connexion.com (zuletzt aufgerufen am: 29.03.2016). 17 Bei der Transkription der Texte wurde versucht, deren Versform grob abzubilden und weitestgehend auf Interpunktion zu verzichten, da es sich bei Rap häufig um verkürzte Redensarten handelt, bei denen die Betonung sich variierender Reimschemata im Vordergrund steht.

Operationalisierung | 99

ungleich größere Angebot an öffentlichen Rap-Veranstaltungen in Paris und Umgebung gegen eine Fallstudie in Marseille. Tabelle 2: Liste der besuchten Veranstaltungen Künstler/Anlass

Ort

Datum

La Rumeur

La Cigalle

27.06.2011 Paris

Bboy Konsian Soundsystem & Session Freestyle Zoxea & Chico Correa

ZAK BAR

20.01.2012 Paris

Maison des Métallos Bellevilloise

25.06.2012 Paris

Chat Noir

27.06.2012 Paris

Espace Renaudi Les 3 baudets

27.06.2012 Aubervilliers

Les 3 baudets

29.06.2012 Paris

CNT Paris

30.06.2012 Paris

La Fouine & Kamelanc’

Mairie

04.07.2012 Clichy-sous-Bois

Flynt/Nemir/Dandyguel

Glazart

04.07.2013 Paris

End of the Weak Drowning Dog/Première Ligne/Dirty Zoo Rim-K Podiumsdiskussion »Paris Hip Hop Campus: Rappeurs Vs Police« Podiumsdiskussion »Paris Hip Hop Campus: Hip Hop & Éducation« Zone d’Expression Populaire

Stadt

26.06.2012 Paris

28.06.2012 Paris

Im Rahmen von elf besuchten Veranstaltungen (oftmals Konzerte mit mehreren Gruppen im Vorprogramm) im Pariser Norden oder in Vororten nördlich von Paris wurden vereinzelt Fotos sowie Beobachtungen und informelle Gespräche in Notizform zusammengetragenen. Die rund sechs Wochen umfassenden Forschungsaufenthalte in der Region Paris gaben Gelegenheit für informelle Gespräche mit Forschern und anderen Beobachtern sowie für Interviews mit Rappern und Experten auf dem Feld der Stadtteilarbeit (oftmals fallen beide Rollen zusammen). Als Betreuer von Maßnahmen, die aktivierend durch Rap-Musik auf Jugendliche aus »benachteiligten Stadtteilen« abzielen, wurden vier Rapper oder in der Sozialarbeit tätige Szeneakteure identifiziert. Die Interviews erfragten, inwiefern die Akteure Rap als Ausdruck und Deutung raumbezogener Stigmatisierung interpretieren. Interviewt wurden:

100 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

• Skalpel (Rapper), Le Blanc-Mesnil (Rap-Ateliers in diversen Jugendhäusern),

30.06.2012 • 2spee (Rapper), St. Denis (Rap-Ateliers in diversen Jugendhäuser) und • Baba Ali Show (Rapper), St. Denis (Rap-Ateliers in diversen Jugendhäusern),

beide 04.07.2013 • Yaya Bagayoko (Koordinator für Hip-Hop in der Jugendarbeit), St. Denis

(kommunales Haus der Jugend), 03.07.2013 Zur übersichtlicheren Darstellung der Ergebnisse der Analyse diskursiver Praktiken mit den vorgestellten Methoden werden die Textanalysen und anschließend die Feldanalysen in einem immer feiner werdenden Betrachtungsraster zueinander relationiert.

Muster diskursiver Praktiken auf »großen Oberflächen«

Rap konstituiert stigmatisierte Stadtteile entlang regelähnlicher Artikulationsmuster, die in explizitem oder implizitem Kontrast zu gängigen Deutungen stehen können. Auf Basis seiner geteilten Praktiken entstehen überindividuell zirkulierende Ordnungen. Sie stehen den Diskursteilnehmern zur Verfügung, aber unterliegen einem zeitlichen Wandel oder performativen Abweichungen bei ihrer Reproduktion. Diese Muster sollen im folgenden Kapitel aus einem quantitativen Blickwinkel – sinngemäß als verrechenbare Artefakte diskursiver Praktiken – analysiert werden. Die Muster auf den großen Diskursoberflächen sollen auf ihre Verteilung und Herstellung von Bedeutung hin befragt werden. Dabei gilt es zu klären, inwiefern Rap von hegemonialen Stimmen als gegenhegemonial konstituiert wird. Genauso sollen die Muster Aufschluss darüber geben, welche raumbezogenen Konzepte in gegenhegemonialen Rap-Diskursen im weiteren Verlauf der Analyse zentral sein könnten. Für die zwei Erkenntnisinteressen wurden unterschiedliche Korpora aus Zeitungsmaterial und Rap-Texten erstellt. Im Material zeichnen sich klare Tendenzen in der Fremdwahrnehmung von Rap als Musik stigmatisierter Viertel mit politischem Bezug ab. Mit den Rap-Texten lassen sich Bezeichnungen für stigmatisierte Viertel sowie die diskursiven Verknüpfungen dieser Konzepte untereinander und zu anderen Signifikanten ermitteln.

»HEGEMONIALE« KONSTITUTION VON RAP Das konstitutive Außen der Identität von Diskursen, auf das sie Bezug nehmen müssen, ist auch für die vorliegende Fragestellung erklärungskräftig. Um die durch Rap-Diskurse vorgenommenen Grenzziehungen bei der Aushandlung von Identitäten und Räumen besser einzuordnen, werden neben den gut erforschten

102 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

Stigmatisierungsmechanismen von Stadtteilen in Politik und Medien ebenso die Fremdzuschreibungen der Artikulation von »Rap« mit stigmatisierte Stadtteilen relevant. Wie wird das als gegenhegemonial interpretierbare Phänomen hegemonial hervorgebracht? Welche Aspekte und Bedeutungen zu Rap verfangen diskursiv zum Vor- oder Nachteil seiner Akteure? Hegemonial beschreibt hier keinen festen Ort, sondern das Sprechen aus einer mehrheitsfähigen, und bezüglich der Gegenstände wenig kontroversen und konsensfähigen Perspektive. Viele dieser Eigenschaften können zu einem gewissen Grad überregionalen Tageszeitungen unterstellt werden; dortige diskursive Praktiken können mithilfe von lexikometrischen Verfahren zeitlich und thematisch exploriert werden. Aus Gründen der Materialverfügbarkeit erfolgte die Analyse am Beispiel der Berichterstattung der Zeitung Le Monde zu Rap in Frankreich zwischen 1995 und 2008.1 Grundzüge des Le Monde-Korpus Das aus 775.960 Wörtern bestehende Korpus basiert auf den Resultaten einer Suchanfrage im Volltext-Archiv von Le Monde. Sie lieferte nach einer Bereinigung der Resultate insgesamt 740 Artikel, in denen die Schlüsselwörter »rap« sowie »français« bzw. »France« gemeinsam auftraten. Erste Annäherungen an das Material über Häufigkeitsverteilungen von Wörtern und Artikeln pro Jahrgang helfen festzustellen, ob die Berichterstattung zeitlich ähnlich gelagert ist. In Le Monde verteilen sich die Artikel chronologisch relativ gleich bei durchschnittlich ca. 50 Artikeln pro Jahrgang, d.h. einem Anteil von rund sieben Prozent eines Jahrgangs am Gesamtkorpus (vgl. Abbildung 7). Für die Ausreißer nach oben (1998) sowie den wenigen Artikeln für das Jahr 2008 (3,4% Anteil am Gesamtkorpus) liefern die Häufigkeiten aber keine Erklärung. Doch lag der durchgeführten Lexikometrie auch die Annahme zugrunde, den Verlauf zwischen dem »Aufstieg« von Rap in Frankreich und seiner Etablierung und Professionalisierung abzubilden. Dieser deutet sich für die späten 1990er Jahre an (vgl. den Kurvenverlauf in Abbildung 7). Mögliche Erklärungen für den steilen Anstieg der Kurve ab der Mitte bis zum Ende der 1990er Jahre liefern die wachsende Sichtbarkeit von Rap-Musik aufgrund ihrer rasanten Kommerzialisierung durch große Plattenlabel sowie die ersten medienwirksamen Kontroversen um Rapper aus der Pariser banlieue nord (vgl. die Einleitung). Die abfallende Arti-

1

Als national etablierter Akteur in der öffentlichen Meinungsbildung lässt sich Le Monde, zwischen auflagestarken Tageszeitungen wie dem konservativen Le Figaro und der linken Libération, politisch in der liberalen Mitte verorten. Diese Stellung macht Le Monde mit der Süddeutschen Zeitung in Deutschland vergleichbar.

Muster diskursiver Praktiken auf »großen Oberflächen« | 103

kel-Anzahl in den 2000er Jahren lässt sich mit der medialen Etablierung von Rap erklären (vgl. Hammou 2014). Abbildung 7: Häufigkeitsverteilungen der Artikel im Le Monde-Korpus

Quelle: Eigene Darstellung.

Bei der Betrachtung der hochfrequenten Elemente im Korpus ergibt sich ein erstes Bild der möglicherweise relevanten Inhalte. An dieser Stelle kann auch eine sozialwissenschaftliche Analyse von den Möglichkeiten der Manipulation des Korpus nach Wortarten profitieren: Anstatt eine Wortliste aller Wortarten auszugeben, bei der entsprechend der Natur des schriftlichen Sprachgebrauchs Satzzeichen und Funktionswörter dominieren, kann die Software TXM ihre Ausgabe auch nach vordefinierten Formen filtern (z.B. Nomen, Verben, Adjektive, Zahlen, Satzzeichen etc.). Somit werden die für die Makroanalyse zunächst uninteressanten Wortarten wie Artikel, Präpositionen oder Ziffern ausgeblendet. Eine Wortwolke2 (vgl. Abbildung 8) mit den 100 häufigsten Verben, Adjektiven und Nomen verschafft einen ersten Überblick. Je größer seine Schriftgröße in der Wortwolke ist bzw. je zentraler ein Lemma liegt, desto häufiger kommt es vor: wenig überraschend kommen die Formen des Verbs »sein« (être) fast 12000-mal vor, mehr als 70 Prozent der dargestellten Lemmata bewegen sich in einem Bereich von 300 bis 500 Vorkommen. 3 Noch interessanter sind die äuße-

2

Die in dieser Arbeit abgebildeten Wortwolken wurden mit der Software »R-Studio«

3

Am Beispiel der Wortwolke werden die Grenzen der Lemmatisierung schnell ersicht-

geplottet. www.rstudio.com (zuletzt aufgerufen am 14.03.2016). lich. Durch einen Unterstrich (»_«) verbundene Wortpaare symbolisieren die Unentschiedenheit des Algorithmus, der die Lemmatisierung durchführt. Die Kombination

104 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

ren Bereiche des Plots mit den hervorgehobenen Lemmata. Sie ergänzen die im Forschungsstand beobachteten Artikulationen mit Rap-Musik. Das Lemma »jeune« (»jugendlich/e/r«, »Jugendlich/e/r«, 1436 Vorkommen) deutet auf die Wahrnehmung einer Jugendkultur hin, das Lemma »américain« (»amerikanisch/e/r« etc., 383) verweist gemäß Konkordanzlisten häufig auf die Ursprünge dieser Kultur. Das Querlesen der Wortumgebungen des Lemmas »politique« (»politisch/e/r« etc., »Politik«, 562 Vorkommen) bestätigte die in der Berichterstattung wiederkehrende Beurteilung von Rap-Künstlern als »engagiert« und politisch; nicht selten aufgrund ihrer Bezugnahmen zur Tagespolitik. Abbildung 8: Die 100 häufigsten Lemmata im Le Monde-Korpus

Quelle: Eigene Darstellung.

Kennzeichnend für die Wortliste sind desweiteren die relativ häufig vorkommenden Ortsbezeichnungen, die zugleich eine spezifische Verbindung von Urbanität mit Rap implizieren. Die Lemmata »banlieue« (372) , »cité« (402), »quartier« (469) »rue« (338) und »ville« (449) verweisen häufig auf stigmatisierte Viertel (insgesamt 2030 Vorkommen). Entweder entstammen die zum jeweiligen Zeitpunkt diskutierten Künstler den Vierteln, oder es handelt sich um und Darstellung von »suivre_être« (»folgen_sein«, oberer Bereich) beispielsweise erklärt sich mit der identischen Konjugation beider Verben (»je suis« [»ich bin«, »ich folge«]) in der ersten Person Singular des Präsens.

Muster diskursiver Praktiken auf »großen Oberflächen« | 105

Jugendliche von dort, die Rap hören. Die Straße (»rue«) wird den Konkordanzen nach weniger als konkrete Ortsangabe benutzt, sondern als ein negativ konnotierter, und für bestimmte Viertel prägender Sozialraum. Bezeichnenderweise treten manche der Ortsbezeichnungen kombiniert in textlicher Nähe, und ferner auch äquivalent zueinander auf. Ein Auszug von 9 der 402 Konkordanzen des Lemmas »cité« (vgl. Tabelle 3) aus vier unterschiedlichen Artikeln (»Ref«, linke Spalte) verdeutlicht dies. Die grau unterlegten Auszüge aus den Artikeln 125 und 130 (beide aus dem Jahr 2005) artikulieren stigmatisierte Viertel, das Politische, Rap und Jugendliche. Der gesamte Auszug zu 125 lautet: »Rap drückt die Gewalt der banlieues aus. Er erlaubt den Jugendlichen in den cités mit ihren Worten und ihrer Wut gegen eine Gesellschaft anzuschreien, die sie links liegen lässt.«4 Ähnlich lautet der Auszug zu Artikel 130: »Als Medium und ›Lautsprecher‹ der cités ist Rap seit einigen Jahren das Symptom der Entnervung der banlieue-Jugendlichen.«5 Tabelle 3: Konkordanzen des Lemmas »cité« im Le Monde-Korpus Ref 123 125 125 125 129 129 130 130 130

Left Context et praticiens des danses sociales (mais aussi jeunes de fabe, salif et monsieur r de propager dans des mais aussi des attentes et des impatiences des jeunes des la violence des banlieues. Il permet aux jeunes des politiques ne se l’imaginent, les enfants des années 1950-1960 contre les nationalistes algériens et les images des média et »haut-parleur« des toujours justice, ils décrivent les us et coutumes des les couilles, moi.« »Hautparleurs« des

Key cités cités cités cités cités cités cités cités cités

Right Context , devenus danseurs) du monde entier ont étudié les , où ils jouent souvent le rôle de haut-parleur, . il y a dix ans, la chanson de de hurler, avec leurs mots, leur rage contre ont amené nicolas sarkozy à endosser l’habit qu’il où vivent leurs enfants et petitsenfants. c’est renvoyer , le rap est depuis quelques années le symptôme de . et reflètent les contradictions d’une jeunesse élevée dans selon l’expression de suprême ntm, les rappeurs ne

Bereits die ersten deskriptiven Explorationen machen deutlich, wie Rap von externen Sprecherpositionen in hohem Maße mit stigmatisierten Vierteln artikuliert 4

»Le rap exprime la violence des banlieues. Il permet aux jeunes des cités de hurler, avec leurs mots, leur rage contre une société qui les laisse en marge.«

5

»›Haut-parleur‹ des cités, le rap est depuis quelques années le symptôme de l’énervement des jeunes de banlieue.«

106 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

wird. Um Aussagen darüber treffen zu können, ob sich das Material, und somit die »Konstitution von Rap«, nach weiteren zeitlichen Merkmalen sinnvoll strukturieren lässt, verfährt der Folgeschritt auch data-driven (vgl. Kapitel »Operationalisierung«). Diachrone Betrachtung der hegemonialen Konstitution von Rap Um die zeitliche Struktur des diachronen Korpus näher zu explorieren, reichen bloße Verteilungen oder Peaks nicht aus. Zur Analyse »typischer« Strukturen bedarf es mehrerer Schritte, denen eine Korrespondenzanalyse der 14 Jahrgänge vorangeht. Letztere hat den Vorteil, die Komplexität und den Zusammenhang von rund 770.000 Wörtern als auch deren Partitionierung graphisch auf ein Koordinatensystem mit zwei Achsen zu reduzieren. Die Korrespondenzanalyse erlaubt, die Vorannahmen des Forschenden – gewonnen aus den Häufigkeitsverteilungen der Artikel – durch weitere statistische Zugänge zu kontrastieren. Zunächst liefern die erhaltenen Ergebnisse ein vermeintlich klares Bild (vgl. Abbildung 9 für die Un-/Ähnlichkeit der Vokabulare der vierzehn Jahrgänge). Die im Koordinatensystem eng beieinander gelegenen, statistisch ähnlichen Jahrgänge, deren Vokabulare vergleichbare Abweichungen vom Nullpunkt aufweisen, lassen sich nach der Berechnung relativ klar gruppieren und differenzieren. Sofort fällt die große Distanz zwischen den beiden Punktwolken auf, die die x-Achse links und rechts des Ursprungs schneiden. Unter Einbezug der Distanzen auf der y-Achse bilden die Jahrgänge 2000 und 2001 ein eigenes Cluster, neben den Jahrgängen 1995-1999 mit 2002 und den Jahrgängen 2003-2008. Der Plot reproduziert durch die Anordnung einen Zeitstrahl, der von links nach rechts in aufsteigender Reihenfolge verläuft (vgl. Abbildung 9). Insgesamt besitzt die x-Achse mit nahezu 70% einen deutlich höheren (abstrakten) Erklärungswert für die vorliegende Merkmalsverteilung als die y-Achse (rund 7%). Dies kann dahingehend interpretiert werden, dass die Berichterstattung bis kurz nach der Jahrtausendwende relativ deutlich von der in der restlichen Korpushälfte abweicht; auch weil die Verteilung der dargestellten Punkte auf der x-Achse eine größere Streuung als auf der y-Achse aufweist.

Muster diskursiver Praktiken auf »großen Oberflächen« | 107

Abbildung 9: Korrespondenzanalyse der Jahrgänge im Le Monde-Korpus

Quelle: Eigene Darstellung.

Die gewonnen Anhaltspunkte zur zeitlichen Gliederung des Materials müssen in einem zweiten Schritt mit lexikalischen Elementen verbunden werden. Welche Elemente sind spezifisch für die identifizierten Cluster links und rechts des Koordinatenursprungs? Eine dreigliedrige Re-Partitionierung des Korpus, korrespondierend mit den grob konturierten Clustern 1(1995-1999/2002), 2 (20002001) und 3 (2003-2008), lässt das »typische« Vokabular der jeweiligen Teile durch die Messung der spécificité-Werte aller Lemmata ermitteln. Eine angemessene Ergebnisübersicht verschafft in diesem Falle eine Tabelle mit den für alle drei Partitionen 50 spezifischsten Lemmata (vgl. Tabelle 4). Deren Frequenz beträgt mindestens zehn Vorkommen, der geringste Spezifizitätswert liegt bei 6 (die Wahrscheinlichkeit eines zufälligen Auftretens der Verteilung der beobachteten Lemmata in der jeweiligen Partition liegt also bei »höchstens« 10-6). Die Spezifizitäten verleihen – mitsamt der Lektüre ihrer Konkordanzen und dem vorhandenen Kontextwissen zu Rap – den Partitionen eine klarere Kontur. Für die 1990er Jahre und 2002 sind im ersten Cluster neben dem abermaligen Auftauchen von »jeunes« ([J/j]ugendlich/e/r etc.) auch Wörter des politischen Diskurses auffällig. Rap wird in dieser Zeitspanne der Berichterstattung mit dem Aufstieg des rechtsgerichteten Front national (FN) und den zivilgesellschaftlichen Reaktionen auf diese Entwicklungen artikuliert (siehe die hervorgehobenen Lemmata in der Mitte wie »front«, »national«, »extrême«, »droit|droite« [[R/r]echt/e/s etc.]). Zwei Episoden fallen besonders auf: das breite Entsetzen 1997 über den ersten Sieg des FN bei einer Bürgermeisterwahl in einer französischen Kleinstadt (Catherine [M]égret in Vitrolles, Südfrankreich), der auch von

108 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

Rappern scharf angeprangert wurde. Ebenso der »Schock« der Präsidentschaftswahlen von 2002, bei denen die Wähler sich in einer Stichwahl zwischen dem FN-Kandidat Le Pen und dem Amtsinhaber Chirac entscheiden mussten. Auch dies bewirkte ein künstlerisches Engagement »gegen Rechts« und gegen den Kandidaten Le Pen (Pecqueux 2009). Das relativ kleine Cluster 2 (2000-2001) enthält auffallend viele musikjournalistische Bezüge und Einordnungen von Rap. Neben Eigennamen von rezipierten zeitgenössischen Rap-Künstlern aus Frankreich, dem frankophonen Algerien oder den USA (wie »[D]isiz«, »[I]ntik« oder »[G]uru«), bestimmen Bezüge zu artverwandten Genres des Rap (»reggae« oder »funk«) das spezifische Vokabular der zwei Jahrgänge. Auch auf musikökonomische Strukturen verweisende Lemmata nehmen in dem Cluster eine hervorgehobene Stellung ein (z.B. die große Musikmesse »[M]idem«, der Musikmarkt [»marché«] oder Musiklabels wie »[W]arner«). Cluster 3 hingegen bildet wieder Kontroversen um französische Rap-Musik im engeren Sinne ab. Hochspezifisch erscheinen hier Nicolas »[S]arkozy« und dessen Partei »UMP« (mit extremen spécificité-Werten von jeweils 38 und 19). Sarkozy zielte in seiner Zeit als Innenminister, wie einige seiner Partei- und Parlamentskollegen (v.a. François Grosdidier, UMP), mit politischen Reden auf die Texte von Rapper. Er leitete mehrfach rechtliche Schritte wegen der Diffamierung von staatlichen Organen und strafrechtlich relevanten Überschreitungen der Meinungsfreiheit ein. Zu den Adressaten zählten wiederum die Gruppe Sniper (vgl. Einleitung), die sich Rassismus- und Antisemitismus-Vorwürfen ausgesetzt sah. Erwähnenswert ist der Fall des Rappers Hamé von der Gruppe La Rumeur, gegen den das Innenministerium zwischen 2002 bis 2010 eine letztlich erfolglose Verleumdungsklage durch die Instanzen bemühte.

Muster diskursiver Praktiken auf »großen Oberflächen« | 109

Tabelle 4: Spezifisches Vokabular nach Clustern Cluster 1 (95-99/02)

Cluster 2 (00-01)

Cluster 3 (03-08)

pen

jacques

tva

photo

euro

haïti

fn

brel

mylène

barthez

sarkozy

alloula

front

dessin

farmer

marché

véronique

samira

national

paquet

ismaël

motivé-e-s

diam’

dia

rpr

espéranto

nike

taxer

stéphane

hamé

jean-marie

boishue

cci

gravage

odile

fr

toulon

préfet

mtv

normand

plas

hip-hop

mégret

veronique

peste

reggae

ump

malade

séguin

subvention

tricky

moby

myspace

kelman

chirac

régional

bamako

graveur

slam

mokobé

militant

techno

flirt

move

téléphone

booba

nous

claude

warner

coopérative

camille

com

hop

jeune

disiz

spooky

www

kémi

droit|droite

chevallier

intik

havane

électro

séba

juppé

vitrolles

dop

midem

estonien

fabre

maire

jeanne

soul

bercy

champagne

clip

franc

ntm

hains

électronique

kamini

monsieur

doc

gauche

stax

liste

bouna

sniper

hip

extrême

funk

day

blogs

jonasz

élection

piccoli

broadcast

music

son

gazer

stephane

marchiani

dupain

guru

corps

alger

politique

jospin

stone

musique

sonnerie

musulman

ibrahim

secrétaire

free

dollar

dada

site

parti

debré

cubain

shox

rappeur

royal

châteauvallon

philippe

davos

anatoli

cognac

intermittent

Anlass für die langwierigen Prozesse gaben folgende Ausführungen des algerischstämmigen Rappers Hamés in einem selbstverlegten Printmagazin der Gruppe La Rumeur:

110 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

»Die Berichte des Innenministeriums werden niemals die Hunderte unserer Brüder erwähnen, die von den Polizeikräften getötet wurden, ohne dass einer der Mörder jemals angeklagt wurde. […] [H]eute in unseren Vierteln zu leben bedeutet, keine Chance mehr zu haben, Mittellosigkeit, psychische Labilität, Benachteiligungen bei der Arbeitssuche, prekäre Wohnverhältnisse, regelmäßige polizeiliche Demütigungen, schlechte Ausbildung, Hafterfahrung, Orientierungslosigkeit, individualistischer, verschlossener Rückzug, von der Versuchung hin zum illegalen Improvisieren…man nähert sich dem Gefängnis oder dem Tod ein bisschen schneller als Andere.«6 (Hamé 2002)

Ein weiteres Merkmal von Cluster 3 ist die Verbindung von Rap mit unterschiedlichen Formen des islamischen Glaubens, der im Lichte des gewandelten Zeitgeists und in Debatten um den zunehmenden Terrorismus ab den 2000er Jahren von öffentlichen Kommentatoren immer stärker hinterfragt wird. Viele Rapper aus den Vierteln distanzierten sich in dieser Epoche vom islamistischen Terrorismus und dessen Unterstützung in bestimmten Vorstädten, um gleichsam öffentlich für ihren islamischen Glauben einzustehen (Dotson-Renta 2015). Das dritte Cluster macht die beobachteten Verteilungen der Korrespondenzanalyse (Abbildung 9) somit greifbarer und den Trend auf der x-Achse qualifizierbarer. Während Cluster 1 noch auf eine allgemeinere Politisierbarkeit von bzw. durch Rap deutet, wohl auch wegen der relativen »Neuheit« von Rap (die meisten Artikel erschienen 1998), zeugt Cluster 3 textstatistisch von den spezifischen Verschiebungen der politischen Kontroversen um Rap, die besonders von einem konservativen Teil des politischen Spektrums vorangetrieben wurden. Nachdem eine grobe Konturierung der Berichterstattung zu Rap und ihrer diskursiven Kontexte erfolgte, werden in einem letzten Schritt die vorliegenden Daten mit den Resultaten bereits verfügbarer lexikometrischer Analysen zu den Vierteln kontrastiert.

6

»Les rapports du ministère de l’intérieur ne feront jamais état des centaines de nos frères abattus par les forces de police sans qu’aucun des assassins n’ait été inquiété. […] [V]ivre aujourd’hui dans nos quartiers c’est avoir plus de chance de vivre des situations d’abandon économique, de fragilisation psychologique, de discrimination à l’embauche, de précarité du logement, d’humiliations policières régulières, d’instruction bâclée, d’expérience carcérale, d’absence d’horizon, de repli individualiste cadenassé, de tentation à la débrouille illicite... c’est se rapprocher de la prison ou de la mort un peu plus vite que les autres.«

Muster diskursiver Praktiken auf »großen Oberflächen« | 111

Gegenüberstellung hegemonialer banlieue- und Rap-Diskurse Eine Kontrastierung des »Le Monde-Rap-Korpus« mit anderen Arten des Sprachgebrauchs bietet weitere Möglichkeiten, Hinweise auf dessen typische Merkmale zu gewinnen. Hierbei wird Brailich et al. (2008) gefolgt, und das eigene Forschungskorpus mit einer Volltextausgabe von Le Monde in Beziehung gesetzt. Der »gemittelte«, wenn auch nach wie vor journalistische Sprachgebrauch in der Volltextausgabe vereint unterschiedlichste Sprachregister. Auf diesem Weg lässt sich fragen, welche Wörter für das untersuchte Korpus im Vergleich zu einem verallgemeinerbaren Referenzkorpus »typischer« sind. Die zum Einsatz kommende Methode besitzt Ähnlichkeiten mit der Berechnung von spécificité-Werten, stützt sich jedoch auf ein anderes statistisches Maß, dem loglikelihood-Score bzw. dem »keyness«-Score.7 Letzterer drückt im computerlinguistischen Kontext aus, ob das Vorkommen eines Wortes innerhalb einer Partition noch als zufällig oder bereits als signifikant gelten kann (vgl. auch Bubenhofer 2008: 119ff.). Der »lexikometrische Zirkel« von Brailich et al. (2008: 117, vgl. Abbildung 10) visualisiert konzentrisch die »Schlüsselwörter« eines aus der Le MondeBerichterstattung extrahierten »banlieue-Korpus«. Das Korpus wurde mit der Abfrage nach den gemeinsam in einem Artikel auftretenden Lemmata »banlieue« und »France« bzw. »français« erstellt und mit der Volltextausgabe des Zeitraums 1995 bis 2006 verglichen. Je zentraler die Lage im Zirkel ist, desto höher ist der keyness-Score eines Wortes, je größer seine Schriftgröße ist, desto häufiger ist sein Vorkommen (Abbildung 10). Alle Wörter liegen bereits im hochsignifikanten Bereich.8 Zur Übersicht und Erhöhung der Informationsdichte wurden die Wörter nach ihrer Berechnung semantischen Feldern zugeordnet. Die von Brailich et al. (2008) vorgefundenen Schlüsselwörter kreisen um ethnische, kulturalistische, integrationsbezogene, sicherheitspolitische und städtebauliche Aspekte zu banlieues im dargestellten Diskursausschnitt. Im Sprachgebrauch zu banlieues hochsignifikant sind etwa Muslime (»Islam«, »musulman«), das Spannungsfeld »Immigration – Integration« (siehe Mitte links), Arbeitslo-

7

Zur Berechnung der keyness-Werte für Abbildung 11 wurde die Software AntConc herangezogen. www.laurenceanthony.net/software/antconc/ (zuletzt aufgerufen am 14.05.2016).

8

Die keyness-Werte in den Abbildungen 10 und 11 haben hohe log-likelihood-Scores (≥ 20). Ab einem Score von ca. 11 wird (im vorliegenden Kontext) die Nullhypothese verworfen, dass es sich bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 0,1% noch um zufällige Verteilungen handelt.

112 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

sigkeit (»chômage«) sowie Wohn- und Bildungsfragen (»habitants« [Bewohner], »logement« [Wohnen/Wohnung], »école« [Schule], »élève« [Schüler]). Abbildung 10: Lexikometrischer Zirkel für das »banlieue«-Korpus

IfL 2008 Entwurf: A. Brailich, M. Germes, H. Schirmel Grafik: K. Samstag editiert: A. Müller

30 000 10 000

11 000 8 000 4 500 2 000 1 300 800

5 000 1 000 50

Quelle: Brailich et al. 2008: 117.

390

170

Muster diskursiver Praktiken auf »großen Oberflächen« | 113

Die beschriebenen Orte (»quartier«, »banlieue«, »cité«) erscheinen dabei zugleich bedrohlich und bedroht. Im Wort »Jugendliche« (»jeunes«), als sehr zentralem Element im Diskurs, kreuzen sich die aufgezählten Problematisierungen. Abbildung 11: Lexikometrischer Zirkel für das Le Monde-Korpus PARIS

RUMEUR

MAFIA OP ASSSASSIN IPH MARRONS TTC H D SNIPER MOKOBÉ UN CASQUETTE

P RA BASKETS BREAK

KERY VERLAN

DISIZ

ATELIERS

PLATINES

STOMY

MÉDIAS

SLAM

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BOOBA SAIAN

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JOEY

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VILLE

TE OR

GANGSTA

HARDCORE

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DENIS

VITROLLES MANTES PO JAMAÏCAN BRÉSIL N YM BRONX YORKAIS CHÂTEAUVALLON URBAIN GHETTOS HEXAGONE HALL HLM

MARSEILLAIS TOULON GHETTO AFRIQUE CITÉ KABYLE SÉNÉGALAIS CITÉS ALGÉRIE BANLIEUES BANLIEUE

KAMINI

FONKY RIMES

RAPPERS

COURNEUVE

E, M ÄU

BLING

MARSEILLE

HAMÉ

DIAM

PAROLES

BERCY

RUE

LUNATIC

AMER

AUBERVILLIERS

R E,

ÉCRITURE

ARSENIK

PARISIENS

SARCELLES

MAGHREB

QUARTIER AFRICAINE MALI IVORIEN QUARTIERS

BOURGES SKYROCK MC FRANCOPHONIE RAPPEURS CLIP CHANT MÉLODIES IDENTÉ BEURS SOLAAR MARKETING RADIO FANS IMMIGRÉS NTM IAM NOIR RAGGA TUBE SOUL COMMUNAUTIRE BEUR ÉVÉNEMENT ARABE HOUSE BLACK CULTURE HIPDJHOP BLACKS MÉTISSAGE CONCERT TITRES SOIRÉES CHANTEUSE AFRO NOIRS BLANCS NÈGRE KASSOVITZ FESTIVE FUNK REGGAE ROCK CRÉOLE VEDETTES GROUPE BLUES JAZZ POP ALBUM BLANC ÉMISSION CHANSON VARIÉTÉ RYTHMES PUNK FESTIVAL DISQUE MÉLANGE SUCCÈS FILLE TECHNO RAÏ BATTERIE PIONNIERS JEUNESSE GAMIN MUSICIENS GENRE JEUNES ARTISTES JEUNE AFFICHE SONS GAINSBOURG GAMINS AÎNÉS LABEL GARCONS SCÈNE PROGRAMMATION MODE FRÈRES FILLES ENFANTS TOURNÉE SPECTACLE FILM BEAT GÉNÉRATION MÈRE DANSEURS PARENTS AMBIANCE

METAL

ALTE R

K KULTUR MUSI

ISIERUNGEN ETHN

FÊTE

ALTERNATIF

ON

PHÉNOMÈNE

TU

TOI

PARLER

EXPLIQUE

DIT

ÄU ßER UN G

RACONTE

Frequenz eines Wortes ≥ 1000

RAP FRANCAIS

≥ 500

RAP FRANCAIS

≥ 100

RAP FRANCAIS

≥ 20

RAP FRANCAIS

Quelle: Eigene Darstellung.

J

FILS HAINE

JE

RACAILLE

FRONT

ISLAM MILITANTISME

MON

RAGE

RACISTES GALÈRE INTÉGRATION

BOUNA TRAORÉ FLICS

PEN MOI

PÈRE

ADOLESCENTS

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DI SK

TA TE

MA

ADOS

RACISME

LITISCHES E PO HEIT HER SIC UN

PUBLIC

NG RU IE M RI

STYLE

EFFERVESCENCE

EXTRÊME

Keyness eines Wortes (mit AntConc berechnet) 00

50

00

30

00

20

00 600

10

0

40

UN D FA MI LIE

OEUVRE

0

20

0

10

20

114 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

Welche Wörter sind nun (im Gegensatz zu allen anderen Zeitungsartikeln in Le Monde) für jene Artikel typisch, die Rap thematisieren? Das Referenzkorpus, die Gesamtausgabe von Le Monde zwischen 1995 und 2008, umfasst 424.674.738 Wörter, das »Rap-Korpus« etwas mehr als 770.000. Aus Platzgründen ließen sich nur die 170 signifikantesten Wörter der Berechnung visualisieren (vgl. Abbildung 11, die Darstellung orientiert sich an Abbildung 10). Die erhaltenen Wörter lassen sich nur teilweise mit den Kategorien der Abbildung 10 ordnen. Besonders die Personalpronomen der Kategorien »Äußerung«/»énonciation« überlappen sich aufgrund der hohen Anzahl von direkten Zitaten in beiden Korpora im Vergleich zu normalen Pressetexten. Materialbedingt erscheinen in Abbildung 11 viele musik- und rap-spezifische Wörter (linke und oberer Zirkelhälfte), überraschenderweise auch sehr viele signifikante Raum- und Ortsbezeichnungen. Elemente der linken Zirkelhälfte überschneiden sich in Teilen mit dem spezifischen Vokabular des Cluster 2 für 2000/2001 aus der Korrespondenzanalyse im vorigen Abschnitt, das als von klassischer musikjournalistischer Berichtserstattung geprägtes Cluster gelten kann. Neben den kontroversesten und erfolgreichsten französischen Rappern (wie IAM, NTM, MC Solar, Booba, Kery James, La Rumeur) und Rapperinnen (wie Diam[s]) figurieren in diesem Kreissegment mit »hardcore«, »gangsta«(-Rap) und dem (poetry) »slam« Bezeichnungen für populäre Rap-Genres. Das Image, dass Rap »rau« sei oder »rauen Gegenden« entstamme, vermittelt auch die Verteilung von Toponymen und Raumbezügen.9 Auffällig für die geographischen Bezüge und Konzepte ist das signifikante sowie hochfrequente Vorkommen der Wörter »banlieue(s)«, »quartier(s)«, »rue« (Straße), »ghetto« und »cités«, mit denen Rap konstituiert und verortet wird. Ihrer zentralen Rolle und Produktivität in der französischen Rap-Szene entsprechend (vgl. auch Lafargue de Grangeneuve 2006), werden die Städte Marseille und Paris immer wieder erwähnt. An den Rändern des Segments rechts oben verfeinern sich nochmals die Ortsangaben mit den Namen von Vororten nördlich von Paris, wie »[La] Courneuve«, »Aubervilliers«, »[Saint] Denis« oder »Sarcelles«, die häufig von Großwohnsiedlungen geprägt sind Eine weitere Kategorie bilden Wörter, die regionalisierbare oder sonstige Ethnisierungen vollziehen und Rap-Akteuren zugschrieben werden. Von hoher

9

Das hochsignifikante »Bourges« ist ein Ort in Zentralfrankreich, in dem jährlich mit dem »Printemps de Bourges« ein renommiertes Musikfestival stattfindet. Dort treten auch Rap-Interpreten auf. Die Rezeption ihrer Auftritte bildet einen festen Bestandteil der Berichterstattung im Korpus. Die Nennung der Stadt Toulon ist ebenfalls signifikant für den Korpus, da sich dort die »Affäre NTM« (vgl. Einleitung) ereignete.

Muster diskursiver Praktiken auf »großen Oberflächen« | 115

Signifikanz für den Diskursausschnitt sind dabei Konzepte wie »africain« (afrikanisch), »noir« (schwarz), »beur« (Verlan für »Araber«), »blanc« (weiß) oder darauf aufbauende Konzepte wie »métissage« (in 50 % der Konkordanzen als kulturelle »Mischform« im weiteren Sinne, sonst auch als musikalische Kreuzung gemeint). Ebenso nehmen der Begriff »Rassismus« und die Erwähnung der politischen Rechten (s. oben) in diesem Kontext eine wichtige Rolle ein. Die im Korpus signifikanten Subjektpositionen besetzen wie im hegemonialen banlieueDiskurs (Abbildung 10) vor allem Jugendlichen (»jeune«, »jeunes«). Ferner suggeriert der Vergleich mit dem Referenzkorpus ein überproportionales Bezugnehmen auf die Revolten von 2005 seitens der Rapperinnen, Rapper und Musikjournalisten; dargestellt durch den Namen eines der tödlich verunglückten Jugendlichen (Bouna Traoré) und die darauffolgenden »émeutes« (Unruhen). Die Exploration der 14 Jahrgänge mit Artikeln über Rap in Frankreich liefert ein spezifisches Bild zu dessen Stellenwert. Insgesamt fällt die Berichterstattung vor der Jahrtausendwende etwas umfangreicher aus. Inhaltlich betont sie, außer in 2000 bis 2001, das Engagement der Künstler »gegen Rechts« und die Polemiken der konservativen Akteure des politischen Feldes gegenüber Rapperinnen und Rappern. Der Vergleich mit dem hegemonialen »banlieue-Diskurs« konkretisiert die gewissen Überlappungen des Sprachgebrauchs zu banlieues und zu Rap. Dies wird deutlich durch die häufige Nennung von Jugendlichen, von konkreten stigmatisierten Vorstädten und durch den stellenweisen Gebrauch eines ethnisierenden Vokabulars.

DISKURSIVE MUSTER IN RAP: RAUMDISKURSE AUF DER MAKRO-EBENE Inwiefern die Rap-Texte eines mehr oder weniger aus »crowd-sourcing« gewonnenen Korpus durch Nutzer einer Internetseite als repräsentativ gelten können, muss trotz hoher Fallzahlen offen bleiben (über 6000 Texte vor, und 5522 nach einer ersten Bereinigung). 10 Die Texte im Korpus werden lediglich durch die Sprecherpositionen »Rapperin« bzw. »Rapper« homogenisiert. Das Korpus stellt in diesem Sinne aber auch eine zufällige Auswahl dar, der keine weiteren Vorannahmen zugrunde liegen. Die Frage nach der Anzahl und Qualität der Bezüge

10 So ließe sich bezüglich der großen Anzahl von verfügbaren Rap-Texten entgegnen, dass diese vor allem beliebte oder erfolgreiche Rap-Titel repräsentieren, aber bei Weitem keine »ausgewogene Auswahl« aller Rap-Texte.

116 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

zu stigmatisierten Vierteln kann somit nur durch das Material beantwortet werden. Nach Erläuterungen zur Struktur des Korpus werden die dort aufgefundenen raumbezogenen Konzepte näher auf ihre Bedeutungen und Verbindungen untersucht. Grundstrukturen des Korpus Bevor lexikometrische Verfahren das Rap-Korpus (mit zunächst 3.428.111 Wörtern, 5522 Titeln von 336 Künstlern aus den Jahren 1994 bis 2013) strukturieren, muss überprüft werden, inwiefern es belastbare Bezüge zu Raumdiskursen bzw. gegenhegemonialen Diskursen aufweist. Eine noch grundlegendere und vor allem »rap-spezifische« Herausforderung liefert die Form des Materials. Im Gegensatz zu lektorierten Presseartikeln oder redigierten Reden von institutionellen Akteuren sind Rap-Texte in einem viel geringeren Maße orthographischen und syntaktischen Konventionen unterworfen. Sie dienen der mündlichen Darbietung. Diese Ungebundenheit verkompliziert ihre Transkription. Es gibt keine redaktionellen Prüfungen der eingestellten Texte auf der konsultierten Website, und (im Gegensatz zu anderen Websites 11 ) keine Verifizierungen durch die Künstler. Folglich variiert die Rechtschreibung der Beitragenden. Ebenso stehen alle Beitragenden vor der Herausforderung »verlanisierte« Begriffe, Neologismen der Künstler oder fremdsprachige (wie arabische) Begriffe »konventionell« darzustellen. Um die orthographische Qualität des großen Samples von Rap-Texten besser beurteilen zu können, wurde Dzudzeks Vorschlag zur Durchführung einer zufallsbasierten Rechtschreibprüfung herangezogen (2013: 98). Demnach wird jedem Element der Korpus-Wortliste ein zufälliger Zahlenwert durch ein Tabellenkalkulationsprogramm zugewiesen. Die absteigende Sortierung der Werte generiert eine »Top 100«-Liste, die einer orthographischen Prüfung unterzogen wird. Für das untersuchte Korpus ergeben sich zehn fehlerhafte, aber zwanzig nicht eindeutige Fälle: Zehn Wörter weisen Rechtschreibfehler auf, weitere zehn Wörter sind englische oder arabische Ausdrücke, die restlichen zehn Wörter sind substandardisierter Argot oder Lautmalerei. Dies konnte zu Beginn der Analyse noch als akzeptabel betrachtet werden, da die Quote der »eindeutigen« Fehler

11 Im Laufe der 2010er Jahre etablierte sich mit »Rapgenius« eine Internetseite, auf der französischsprachige Rap-Künstler ihre Texte persönlich verifizieren und kommentieren. genius.com/rap-genius-france (zuletzt aufgerufen am 23.05.2016). Allerdings ist die Gesamtanzahl der auf der Website verfügbaren Texte im Vergleich zum erstellten Korpus relativ gering.

Muster diskursiver Praktiken auf »großen Oberflächen« | 117

nicht zu hoch liegt. Allerdings äußert sich dieser Umstand in Form von (verglichen zu den sehr hohen Werten im Pressekorpus) schwächeren statistischen Beziehungen im Korpus. Geographische Relevanz des Materials Nach den obigen Ausführungen muss gefragt werden, ob ein zufällig strukturiertes Korpus mit Rap-Texten überhaupt eine kritische Masse an räumlichen und möglicherweise politischen Referenzen für die Analyse bereithält, oder ob es sich dabei nicht um eine Projektion von Stereotypen auf das Material handelt. Einen materialgeleiteten Zugang zur Beantwortung der Frage ermöglichen zunächst die häufigsten Nomen und Eigennamen im Korpus, die stärker als andere Wortarten auf Raumkonzepte verweisen. Die Überprüfung der 250 häufigsten lemmatisierten Nomen und Eigennamen des mehr als drei Millionen Wörter umfassenden Korpus macht Raumbezüge sichtbar, die auch in hegemonialen Diskursen zu banlieues und Rap zentral oder häufig sind. Dies zeigt die Übersichtsdarstellung (vgl. Abbildung 12), in der die häufigsten Wörter – je nach Schriftgröße – zwischen 9304- (Max.) und 407-mal vorkommen. Zunächst fällt im Unterschied zu den Pressekorpora die Dominanz eines eher alltäglichen Vokabulars der gesprochenen Sprache auf, durch Lemmata wie »vie« (Leben), »monde« (»die Welt«, »die Leute«), »frère« (Bruder), »sœur« (Schwester), »mec« (Typ), »gens« (Leute), »jour« (Tag), »problème« (siehe links unten), »rêve« (Traum), »haine« (Hass), »amour« (Liebe) sowie diversen Bestandteilen von Vulgarismen. Als geographisch möglicherweise relevant können beim ersten Blick die Worte »rue« (Straße, 2889 Wortformen), »[F]rance12« (1667), »quartier« (1401), »ghetto« (1398), »ville« (1099), »banlieue« (666), »cité« (579), »zone« (435) und »[M]arseille« (428) gelten, die zusammen 0,3% des Gesamtvokabulars bilden. Die Wortformen bestätigen das Klischee einer »Kultur der Straße und des Viertels«, zudem überrascht die vielfach höhere Nennung von »ghetto« im Vergleich zu »cité« und »banlieue«. Allerdings klärt die frequenzbasierte Bestimmung der für die Forschungsfragen relevanten Raumkonzepte noch nicht deren Verteilung in den Rap-Titeln des Korpus. Die beobachteten Lemmata können eventuell nur Bestandteile sehr weniger Titel sein, sodass geographische Bezüge bei Weitem nicht in allen Teilen des Materials vorkommen müssen. Datenbankabfragen verschaffen hier Klarheit. Mit der Korpusverwaltungssoftware TXM lässt sich das Korpus nach Rap-Titeln

12 Zur Handhabung der Wort-Dopplungen durch unterschiedliche Schreibweisen (z.B. »Ghetto« und »ghetto«), wurden alle Buchstaben des Korpus bei der Materialerstellung in Kleinbuchstaben umgewandelt.

118 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

filtern, in denen die Lemmata »banlieue«, »cité«, »ghetto«, »quartier«, »rue« oder »zone« entweder alleine oder zusammen miteinander auftreten (konkrete Ortsnamen wurden an dieser Stelle zugunsten der verwendeten, abstrakteren Ortsbezeichnungen ausgespart). Von 5522 Einträgen in der Datenbank verbleiben so noch 3206. Insgesamt 61,3 % von allen erfassten Titeln beinhalten eines oder mehrere der Suchwörter. Abbildung 12: Die 250 häufigsten Nomen und Eigennamen im Rap-Korpus

Quelle: Eigene Darstellung.

Im Umkehrschluss kann der Umfang des Korpus fast 40% abnehmen, um – dem »Homogenitäts-Postulat« der Korpus-Erstellung folgend (vgl. Kapitel »Operationalisierung«) – eine hohe thematische Dichte in der Materialsammlung zu gewährleisten. Da die verbleibende Menge der Titel nach wie vor einen mehr als ausreichenden Umfang für lexikometrische Untersuchungen aufweist, wurden alle Folgeberechnungen ausschließlich auf Basis des »eigentlichen«, reduzierten Rap-Korpus (2.147.489 Wörtern) durchgeführt.

Muster diskursiver Praktiken auf »großen Oberflächen« | 119

Allgemeine zeitliche und regionalisierbare Strukturen des Rap-Korpus Im nun »abgeschlossenen« Korpus bestehen teilweise erhebliche Unterschiede zwischen den Partitionen. Das Korpus wurde im Rahmen der Indizierung und Annotation in sechs chronologisch (nahezu) gleichmäßige Abschnitte unterteilt: 1994-1997, 1998-2000, 2001-2003, 2004-2007, 2008-2010 und 2011-2013. Die Größen der Partitionen schwanken jedoch stark und erzeugen ein Übergewicht der jüngeren Perioden (vgl. Abbildung 13). Zwischen den Jahren 1994 und 2003 bewegen sich die Okkurrenzen auf insgesamt niedrigem Niveau, besonders im ersten Intervall (1994-1997). Gründe liegen einerseits in der überschaubaren Zahl von bekannten Künstlerinnen und Künstlern dieser Epoche; andererseits möglicherweise im Alter der online Beitragenden, denen die Rap-Texte früherer Epochen weniger bekannt sein dürften (die Texte der späteren Epochen dafür umso mehr). Abbildung 13: Chronologische Verteilung des Vokabulars im Rap-Korpus

Quelle: Eigene Darstellung.

Beim Versuch, die Unterschiede zwischen den Zeitintervallen noch klarer zu strukturieren, kann erneut die Korrespondenzanalyse weiterhelfen. Die zweidimensionale Darstellung von ähnlichen und unähnlichen Vokabularen legt eine langsame Verschiebung im Vokabular der Zeitintervalle nahe, die sich auf der x-Achse von rechts nach links aufreihen (vgl. Abbildung 14). Die x-Achse ist mit ihrem Erklärungsanteil für 55% aller Verteilungen ungleich erklärungsstärker als die y-Achse (15%); sie hat eine überschaubare, aber größere Wertestreuung als die y-Achse, deren Werte nur geringfügig variieren. Daher ist die Ausklammerung der Aussagekraft der y-Achse bei der Interpretation akzeptabel.

120 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

Abbildung 14: Korrespondenzanalyse der Zeitintervalle im Rap-Korpus

Quelle: Eigene Darstellung.

Die erklärungsstärkere x-Achse deutet zwar einen Unterschied zwischen allen Perioden durch Wertstreuungen in einem Intervall von rund 0,35 Einheiten an, dennoch können keine ausgeprägten Punktwolken identifiziert werden, um die Komplexität der Verteilungen deutlich zu reduzieren (wie bei der Korrespondenzanalyse des »Le Monde-Rap-Korpus«). Die einzelnen Sprünge zwischen den sechs Perioden fallen relativ klein aus. Das heißt, die Unterschiede zwischen den Vokabularen sind eher als feine Unterschiede, weniger als Marker für einschneidende Trendwenden im Material anzusehen. Umgekehrt kann man als Ergebnis eine gewisse Konstanz des Sprachgebrauchs im zeitlichen Verlauf des untersuchten Korpus festhalten, auch wenn dessen Nuancen noch unklar bleiben. Um sich den Nuancen zu nähern, wurden die Extrema der x-Achse links und rechts des Nullpunkts (Intervalle »1994-1997« und »2011-2013«) über Spezifizitätsberechnungen verglichen. Der Vergleich von Spezifizitäten, hier auf Basis von lemmatisierten Nomen, Eigennamen und Adjektiven, gibt leichte Tendenzen vor. Wiederum begnügt sich die Übersicht aus Gründen der Lesbarkeit auf die jeweils 30 höchsten Spezifizitätswerte (die alle sehr weit über 3 [d.h. 10-3] liegen). Nach der Berechnung und Bereinigung der Liste von Künstlernamen (die an sich keine inhaltliche Zusatzinformation liefern), verbleiben in den »Top 30« der zwei Listen nur noch Nomen (vgl. Abbildung 15). Das spezifische Vokabular des älteren Diskursausschnitts fällt durch viele Lemmata auf, die eher in »klassischen« politischen Diskursen gängig, und hier klar überrepräsentiert sind: »nation« (Nation), »peuple« (Volk), »théorie« (Theorie), »répression« (Repression), »état« (Staat, u.U. auch

Muster diskursiver Praktiken auf »großen Oberflächen« | 121

Zustand), »société« (Gesellschaft) oder »pouvoir« (Macht). Die Durchsicht der Spezifizitäten des jüngeren Intervalls impliziert hingegen eine Abnahme oder leichte Abkehr von der stärker ausgeprägten Politisiertheit des Vokabulars im ersten Intervall. Hier diversifiziert sich das Vokabular sichtbar mit »profaneren« und rap-spezifischeren Vokabeln (wie »baby«, »wesh« [Slang für »Wie geht’s?«], »flow« [der Sprachfluss beim Reimen], »punchline« [Pointe], »game« etc.). Daneben fallen Bezüge zu Kriminalität ins Gewicht (»narcos«, »traffiquants« [Drogen bzw. Schmuggler], »youv« als elliptische Verkehrung von »vouyou« [Gauner]) sowie Bezüge zur sozialen Misere (»hess« [Slang für Schwierigkeit], »blem« [elliptisch für »Problem«]). Zusammenfassend prägt die x-Achse eine thematische Verschiebung bzw. Verbreiterung, jedoch keine Gegenläufigkeit der Vokabulare nach Jahrgängen. Die Evolution verläuft vom klassischen »engagierten« bzw. politischen Vokabular, hin zu einem alltäglicheren Vokabular, das mehr Facetten von stigmatisierten Vierteln thematisiert. Dies korrespondiert zumindest für die 1990er Jahre mit den vorherigen Berechnungen zu hegemonialen Positionen (vgl. die vorangegangenen Abschnitte): Rap wurde in den älteren Jahrgängen des Le Monde Rap-Korpus ebenfalls als politisiert gerahmt, aber expliziter mit stigmatisierten Vierteln artikuliert. Abbildung 15: Spezifische Nomen 1994-1997 (schwarz) und 2011-2013 (grau)

Quelle: Eigene Darstellung.

Ein ähnliches Ungleichgewicht wie bei den Zeitintervallen zeigt auch die absolute Verteilung der Künstler nach Herkunftsregionen (vgl. Tabelle 5). Bereits beim Annotieren der Texte wurde die Relevanz und Überrepräsentation der Regionen

122 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

Paris und Marseille im Diskursausschnitt – entsprechend der historischen Entwicklung von Rap in Frankreich – schnell deutlich. Der Großteil des Materials setzt sich aus 2377 Titeln mit insgesamt 1.589.509 Wörtern von 195 Interpreten aus der Region Paris bzw. Île de France zusammen. Es folgen 34 Interpreten aus Marseille, mit einem bereits klar geringeren Anteil von 314.732 Wörtern bei 454 Titeln. Die regionale Zuordnung der restlichen Titel verlief nach dem trial and error-Prinzip: für viele ausgewählte Großstädte (wie z.B. Lyon, Lille oder Bordeaux) gibt es im Material keine belastbare Trefferzahl, außer überraschenderweise für Le Havre. Dort enthält das Korpus bei nur drei Künstlern (die alle dem Label Din-Records angehören) immerhin noch 46 Titel mit 34.839 Wörtern. Diese Titel könnten zweifelsohne auch nicht-maschinell analysiert, aber nicht mit einer sehr großen Menge von Rap-Texten relationiert werden. Alle nicht regionalisierbaren Resttitel bilden die Behelfskategorie »France«. Sie besteht aus 104 Interpreten, 329 Titeln, 208.409 Wörtern und ist somit kleiner als die Partition Marseille. Die regionalisierte Verteilung zeigt, dass hochfrequente Elemente in Rap-Texten aus der Region Île de France nicht zwingend typisch für die Partition sind. Tabelle 5: Wörter, Interpreten und Titel des Rap-Korpus nach Region Region

Île de France Marseille

Le Havre

France

Summe

Wörter

1.589.509

314.732

34.839

208.409

2.147.489

Interpreten 195

34

3

104

336

Titel

454

46

329

3.206

2.377

Rap und stigmatisierte Viertel in einer zeitlichen und regionalen Betrachtung Ergänzend zur Bestimmung der allgemeinen Tendenzen im Material können spezifische Abfragen mit Elementen des Diskurses durchgeführt werden, die konkretere Auskunft über die unterschiedlichen Aspekte der Verbindung von Rap zu stigmatisierten Stadtteilen geben. Dafür werden die festgestellten Bezüge jenseits von Häufigkeitsverteilungen exploriert. Bezüge zu stigmatisierten Vierteln zwischen Spezifizität und Banalität Es konnte gezeigt werden, dass die sechs strukturierenden Begriffe für das eigentliche Rap-Korpus – »banlieue«, »cité«, »ghetto«, »quartier«, »rue«, »zone« – hochfrequent sind. Für welche Korpusteile sie als typisch gelten können, ist

Muster diskursiver Praktiken auf »großen Oberflächen« | 123

noch unbekannt. Um ihr typisches Vorkommen festzustellen, wurde das spezifische Vokabular für jedes Zeitintervall im Korpus berechnet. Das Resultat der Spezfizitätsberechnung zeigt klare Unterschiede zwischen Phasen, in denen die Lemmata unauffällig bzw. unter- oder überrepräsentiert auftreten (vgl. Abbildung 16). Die sehr frühe Phase (und kleine Textmenge) zwischen 1994 und 1997 ist kaum durch überrepräsentierte Raumkonzepte gekennzeichnet (der jeweils erste Balken von links in den Spalten der Abbildung 16). Nahezu alle berechneten Lemmata bewegen sich zu bestimmten Zeiten in einem »banalen« Wertebereich, d.h. es gibt keine auffälligen Abweichungen zwischen ihrem erwarteten und beobachteten Auftreten. Die Spezifizitätswerte unterhalb der Banalitätsschwelle (für die Untersuchung bei 2 bzw. -2 festgelegt) drücken gewissermaßen eine zu geringe Über- oder Unterrepräsentation aus, um von einer nicht mehr zufälligen Verteilung eines Elements im Korpusausschnitt sprechen zu können (vgl. Lafon 1980). Lediglich das Lemma »ghetto« ist in der Periode von 1994 bis 1997 sehr unterrepräsentiert im Vergleich zu seinen Vorkommen an anderen Stellen im Korpus. Abbildung 16: Spezifizitäten ausgewählter Raumkonzepte im zeitlichen Verlauf

Quelle: Eigene Darstellung.

Im Vokabular der Periode von 2011 bis 2013 hingegen sind bis auf »quartier« und »zone« alle anderen Suchwörter unterrepräsentiert. Der markante Abfall der Spezifizitätswerte ist auffällig, aber nicht überraschend. Die Gesamtgröße dieser Partition setzt extrem hohe Frequenzen der in ihr versammelten Lemmata voraus, um diese als typisch identifizierbar zu machen. Komplementär dazu, sind die untersuchten Lemmata für die verbleibenden Zeitintervalle abwechselnd

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hochspezifisch. Für das Ende der 1990er Jahre ist das Lemma »cité« prägend. »Ghetto« und »rue« sind für die Jahre zwischen 2004 und 2007 Jahre typisch, »ghetto«, »quartier« und »banlieue« für die Zeitspanne von 2008 bis 2010. Die Konstanz und Zunahme der Begriffswerte in der zweiten Hälfte der 2000er Dekade könnte ein Echo der Krise der Vorstädte darstellen, die sich zum selben historischen Zeitpunkt in anderen Diskursen mit ähnlichen oder identischen, (auch) stigmatisierenden Begriffen Bahn bricht (vgl. den ersten Abschnitt dieses Kapitels sowie die ersten beiden Abschnitte des Forschungsstandes). Umgekehrt steht der spätere Abfall für eine leichte Entfernung vom Vokabular und somit der Inhalte der vorherigen Dekade, in der die Raumbezüge noch hochspezifisch sind. Zusammenfassend können die korpusstrukturierenden Raumkonzepte (außer »zone«) als besonders typisch für das Ende der 1990er und die Mitte der 2000er Jahre gelten, wohingegen diese Begriffe zu Beginn der 2000er und 2010er Jahre zum banalen Vokabular des untersuchten Diskursausschnitts gehören. Kookkurrenzpartner von ausgewählten raumbezogenen Lemmata Um die Gebrauchsweisen der unterschiedlich spezifischen Raumbezüge zu explorieren, werden ihre Kookkurrenzpartner berechnet. Mit welchen anderen Wörtern bzw. Konzepten »kleben« die Lemmata besonders häufig zusammen? Hierfür werden die lemmatisierten primären Kookkurrenzpartner der Lemmata »banlieue«, »cité«, »ghetto«, »quartier« und »rue« ermittelt, die im Korpus höchstens fünf Wörter vor oder nach dem zugehörigen Schlüsselwort vorkommen; »zone« bleibt aufgrund seiner geringen Spezifizität für die Teilkorpora unberücksichtigt. Die von Funktionswörtern und Hilfsverben befreiten Ergebnislisten lassen sich einfach visualisieren. Aus Übersichtsgründen werden im Folgenden nur jene Kookkurrenzpartner aufgeführt, die hochspezifisch in der Nähe des Schlüsselwortes mindestens dreimal, und in drei unterschiedlichen Titeln des Korpus auftreten. Zusammen mit dem schnellen Verifizieren der Kookkurrenzen über jeweilige Konkordanzlisten, werden auf diesem Wege genrebedingte Dopplungen wie Refrains oder stilistische Wiederholungen aus den Ergebnissen gefiltert. »cité«: Das für die Rap-Texte am Ende der 1990er Jahre typische Lemma cité hat ambivalente Konnotationen im Diskurs (vgl. Abbildung 17). Hier zielen die Bezüge eindeutig auf die sozialen Ränder bzw. randstädtischen Viertel (»quartier«) der Agglomerationen, wenn Sprecher an unterschiedlichen Stellen im Korpus cité mit »dortoir« oder »hlm« artikulieren (cité-dortoir, »Schlafstadt«; »cité HLM«, Siedlung des sozialen Wohnungsbaus). Neben der für viele Diskur-

Muster diskursiver Praktiken auf »großen Oberflächen« | 125

se typischen Artikulation von cité mit »Kriminalität« (»délinquance«), wird diese mit »mixité« (Durchmischung) assoziiert. Die Assoziationen erfolgen von Sprecherpositionen aus, die a) »für« den Ort oder »vom Ort aus« am Diskurs teilhaben (»nos [unsere] cités«, »venir« [herkommen], »grandir [aufwachsen]), oder b) darüber sprechen, den Ort schnell verlassen zu wollen (»quitter«): »Ich träume davon die cité zu verlassen seitdem ich klein bin.«13 Häufig werden die Bewohner wiederum als jung (»jeune«) beschrieben. Abbildung 17: Kookkurrenzpartner von »cité«

Quelle: Eigene Darstellung.

»ghetto«: Von Mitte bis Ende der 2000er Jahre bildet »ghetto« ein typisches Lemma im Rap-Korpus. »[F]rance« (in Abbildung 18) bzw. »français« stellen toponyme Kookkurrenzpartner für die Mehrworteinheiten »ghettos de France« bzw. »ghetto[s] français«. Bezeichnenderweise rekurrieren viele Sprecher auch auf die bzw. »unsere« (›nos‹) Ghettos« aus Beton (»béton«) als drastische Paraphrasen für die bewohnten Siedlungen: »Wir haben die gleichen Schmerzen, das gleiche Leid, den gleichen Hass, wir kommen alle aus demselben Ghetto.« 14 Wiederum sind »Jugendliche« als Kookkurrenzpartner vertreten. Vereinzelt betonen Rapper aber in diesem Kontext, dass Rap als populäre Praktik auch das identitäre und kulturelle Kapital bzw. Vermächtnis des Ghettos« (»patrimoine«)

13 »J’rêve de quitter la cité depuis que j’suis ti-peu [Verlan für ›petit‹, klein]«, Interpret: Busta Flex, Titel: Les traitres, Intervall: 2004-2007, Korpus-ID 0976. 14 »[O]n a les mêmes souffrances, on a la même peine, la même haine, on vient tous du même ghetto«, Interpret: Mac Tyer, Titel: Patrimoine du ghetto, feat. Kery James, Korpus-ID 0697.

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sei: »Vermächtnis des Ghettos, der Rap ist unser Stolz.«15 Das Ghetto wird als Ort umschrieben, der bestimmte Stimmungen (»ambiance«) hervorruft. Darauf deuten spezifische Artikulationen mit Gegenständen wie »attitude« (»Einstellung«) oder »charme«. Sie erzeugen affirmative anstelle der in hegemonialen Diskursen zu »ghetto« und »den Vierteln« sonst vorherrschenden alarmistischen Bedeutungen. Abbildung 18: Kookkurrenzpartner von »ghetto«

Quelle: Eigene Darstellung.

»rue«: Die »Straße« ist ein hochspezifisches Lemma für den Zeittraum zwischen 2004 und 2007. Ihre Kookkurrenzen im Korpus (vgl. Abbildung 19) konstituieren sie als symbolische Ressource, die eine gewisse Kredibilität bzw. Authenzität erzeugen kann; »die Straße« gehört seit jeher zu den zentralen Bezügen im (französischen) Rap (Mitte der 2000er gewann gangsta-Rap im französischen Rap an Einfluss, vgl. Blondeau/Hanak 2007). Bei Betrachtung der Konkordanzen der aufgefundenen Kookkurrenzen fallen drei Redeweisen zur Straße ins Gewicht: Die Straße gilt als rauer, gefährlicher Ort (»jungle« (Dschungel], »tuer« [töten], »flingue« [»Knarre«]), als gelebter Erfahrungsraum (»forger« [prägen]) oder als Ort, für den es einer »besonderen« Mentalität und Anpassungsfähigkeit (»code«) bedarf: »Wenn du draußen rumhängst, lerne den Code der Straße. Wenn du keinen Stress willst, befolge den Code der Straße.«16 Gleichzeitig sedimentieren die Sprecher im Korpus mithilfe mehrerer Lemmata eine Zugehörigkeit des Raps zur »Straße« (»représenter la rue« [»die Straße repräsentieren«], »appertenir« [gehören]). 15 »[P]atrimoine du ghetto, le rap c’est la fierté des nôtres«, Interpret: Vincenzo, Titel: R.a.p. feat. Younghilla, Korpus-ID 2170. 16 »[S]i tu traine dehors apprends le code de la rue, tu veux pas d’embrouille applique le code de la rue«, Interpret: Kenndy, Titel: Le code de la rue, Korpus-ID 2060.

Muster diskursiver Praktiken auf »großen Oberflächen« | 127

Abbildung 19: Kookkurrenzpartner von »rue«

Quelle: Eigene Darstellung.

»banlieue«: Das Lemma »banlieue« hat erstaunlich unauffällige Kookkurrenzpartner (vgl. Abbildung 23). Im Gegensatz zur inhaltlichen Dichte der anderen Kookkurrenzen dominieren im Falle von »banlieue« besonders konkrete Ortsangaben bzw. »Wegweiser«, die Aufschluss über die Lage der »besungenen« Orte geben. Die banlieues samt zugehörigen Himmelsrichtungsbezeichnungen (»nord« [Norden], »sud« [Süden], »ouest« [Westen] ziehen einen unvollständigen Ring um Paris (auch »paname«). Die Département-Zahl 93 (nördlich von Paris, Département Seine-Saint-Denis) ist statistisch auffällig in der Nähe des Lemmas »banlieue« verteilt. Neben den Verbindungen zu anderen signifikanten Raumkonzepten des Korpus (»quartiers«, »cité«) konstitutieren die Sprecherpostionen abermals »Jugendliche aus der banlieue« (»jeunes de banlieue«) als zentrale Akteure. Abbildung 20: Kookkurrenzpartner von »banlieue«

Quelle: Eigene Darstellung.

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»quartier«: Analog zu »banlieue« verfügt das »Viertel« (»quartier«) über viele raumbezogene Kookkurrenzpartner. Einerseits ergibt sich im Lemma »quartier« eine »Wiederholung« bzw. Verkettung mit anderen korpursstrukturierenden Schlüsselwörtern und deren im Vorrangegangenen festgestellten Kookkurrenzbeziehungen. Die Herkunft aus dem Viertel (»issu des quartiers« [»aus den Vierteln«]), aus dem »Problemviertel« (»quartier chaud«, »guerre« [der »Krieg«, der dort herrscht]), der Kontrast zu den »chic[en]« Vierteln und die Verknüpfung mit Armut (»pauvre« [arm]) stechen hervor (vgl. Abbildung 21). Die enge Verknüpfung von »quartier« mit »Marseille« sowie die zugehörigen Konkordanzen zeigen, dass es sich bei den »quartier[s] nord« und »sud« vornehmlich um die »berüchtigten« Randbezirke der Stadt Marseille handelt. Insgesamt suggerieren die auch mit anderen Schlüsselwörtern geteilten Kookkurrenten eine bestimmte Äquivalenzbeziehung der untersuchten Raumkonzepte. Abbildung 21: Kookkurrenzpartner von »quartier«

Quelle: Eigene Darstellung.

Synthese: In einer vergleichenden, »energetisch ausgeglichenen« Gesamtschauder berechneten Schlüsselwörter und der erhaltenen Kookkurrenzen werden die lexikometrischen Zusammenhänge und unterstellbaren Strukturierungsregeln beim Sprechen über stigmatisierte Viertel nochmals klarer (vgl. Abbildung 22).17

17 Die Abbildung wurde mit dem Programm Gephi erstellt; www.gephi.org (zuletzt aufgerufen am 03.06.2015). Die Gesamtschau hat aber nur einen Überblickscharakter, und kann keinen Anspruch auf die rechnerische Exaktheit der dargestellten Beziehungen erheben, da diese aus unterschiedlichen Berechnungen stammen – d.h. die vorund nachgelagerten Suchumgebungen der Schlüsselwörter bilden fallbezogene Berechnungsgrundlagen.

Muster diskursiver Praktiken auf »großen Oberflächen« | 129

Das Lemma »jeune« ist seiner Artikuliertheit entsprechend sehr zentral gelegen. Es geht mit allen Schlüsselbegriffen außer »rue« Verbindungen ein. Die Spezifizitäten und Häufigkeiten von »jeune« (»jung, Jugendliche«, etc.) machen es zum Dreh- und Angelpunkt bei der Konstitution der Viertel, d.h. von »banlieue«, »cité« oder des »quartier«. Abbildung 22: Zusammenschau der Kookkurrenzen

Quelle: Eigene Darstellung.

Gegenüber anderen Lemmata besitzt »rue« in der Zusammenschau eine isolierte Stellung; es besteht keine Querverbindung zu anderen relevanten Konzepten. Dies erfüllt einerseits die klischeehafte Erwartung an Rap, die »Straße« zu repräsentieren. Zugleich deutet die Exponiertheit »der Straße« im Gegensatz zu den anderen Raumbezügen vor allem auf eine genrespezifische Ressource, um als Künstler »rauen/echten« Rap zu machen. »Straße« wird als kulturelles Kapital mobilisiert. Die Viertel selbst, die aufgrund der Verkettungen eng mit »banlieue« oder »cité« in Beziehung stehen, werden mit zwei Mustern konstituiert: als Orte der profunden Misere, im Extremfall Ghettos, denen Jugendliche ausgeliefert sind

130 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

und denen sie möglicherweise entfliehen wollen. Ebenso werden diese Orte mit »eigenen Gesetzen« klar von anderen Orten abgegrenzt, wie den »chicen« Ghettos bzw. Vierteln (vgl. die Kookkurrenzen für »ghetto« und »quartier«): »Sex, Gewalt, Rap und Kohle, das ist das Leben eines Jugendlichen aus paname [Paris] oder der banlieue-Blues, wie ein Actionfilm, der rund um die Uhr läuft.«18 Doch neben der Misere erzeugen manche Artikulationen auch affirmative Momente beim Sprechen über die Viertel, die in Rap »repräsentiert« werden und durch Rap sprechen. Regionalisierbarkeit des Rap-Korpus Neben der Identifizierung von relevanten räumlichen Konzepten, ihrer Verteilung und ihren typischen Gebrauchsumständen sollen die Sprecherpositionen im Diskurs auf regionalisierbare Unterschiede und Spezifika befragt werden. Allerdings erweist sich die Dominanz der Titel einer bestimmten Region für die Berechnungen als unvorteilhaft. Da die Partition »Île de France« alle anderen Partitionen im Korpus um Längen überragt, kann ihr Vokabular nahezu als Durchschnittsvokabular für den Diskursausschnitt des französischen Rap zu den (stigmatisierten) Vierteln gelten. Gleichzeitig macht sie aber einen Vergleich mit anderen Partitionen aufgrund ihrer riesigen Kontrastfläche interessant. Die Berechnung der Spezifizitäten aller regionalisierten Partitionen stellt die relevanten, lemmatisierten Vokabulare des bereits nach geographischen Gesichtspunkten reduzierten Korpus abermals gegenüber. In den Listen kristallisieren sich bestimmte Verben, Adjektive und Nomen als relevante Spezifika der unterschiedlichen Regionspartitionen heraus. Die untenstehende Wortwolke (Abbildung 23) zeigt die jeweils 30 spezifischsten Wörter (mit Spezifizitätswerten ≥ 5). Das Vokabular für die jeweiligen Regionen schart sich mit Verbindungslinien um deren Partitionsbezeichnung (IDF= Île de France).

18 »[V]oilà la vie d’un jeune de paname ou de la banlieue blues, c’est comme un film d’action qui tourne 24h24«, Interpret: Busta Flex, Titel : Sexe, Korpus-ID 0354.

Muster diskursiver Praktiken auf »großen Oberflächen« | 131

Abbildung 23: Die 30 spezifischsten Wörter je »Region«

Quelle: Eigene Darstellung.

Die Ergebnisse für die Region Île de France (in der Abbildung rechts unten) erlauben, einige nach den vorherigen Berechnungen gemachte Beobachtungen eindeutiger zuzuordnen. Sie haben eine bestätigende Funktion für die bis hierher vollzogene Korpusanalyse: Auch in dieser Form der Zusammenschau wird »banlieue« zu einem sprachlichen Merkmal für Rap aus der Region Paris. Gestützt wird dieser Befund durch das vermehrte Auftauchen der gekoppelten Subjektposition »banlieusard«, die sowohl einen pejorativen oder ermächtigenden Gebrauch, je nach Sprecherin und Kontext, ermöglicht. Weitere Spuren sind Begriffe wie »tess« (Verlan für »cité« [ té-ci  tess]) als Hinweis auf die Paris umgebenden Vororte, oder die »hall« (Eingangshallenbereich großer Wohnhäuser), die jugendlichen Anwohnern als (konfliktträchtiger) Aufenthaltsbereich zum Zeitvertreib dient (Marlière 2005, 2008).

132 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

Die für die »jüngeren« Titel im Korpus typischen, verlanisierten oder fremdsprachigen Wörter, welche den sprachlichen Praktiken der Jugendlichen in den cités zugerechnet werden, erscheinen auch in der Wortwolke wieder (»hass«, »wesh«, »khey« [maghrebinisches Arabisch für »Bruder«]). Sie lassen sich jetzt als typisch für »neueren« Rap aus der Region Île de France einordnen. Auch die Relevanz des Themenfeldes Kriminalität findet ihre Fortsetzung in der Partition IDF. Ein diesbezügliches Merkmal der Partition sind die Bezugnahmen auf »keuf« (verlanisierte Form von »flic« [»Bulle«]; von: flics  c-fli  keuf , ohne verbleibendem »li«), »Kohle« (»biff«) oder auf »verbotene« (»illicite«) Tätigkeiten (»bicrave« [Dealen] oder »gangsta«). Das Ergebnis für die anderen Partitionen fällt zwar unspezifischer aus, es umreißt aber regionale Differenzen in der diskursiven Konstitution stigmatisierter Viertel. Während »banlieue« lexikometrisch für die Region Île de France steht, bestätigt sich, analog zur Kookkurrenzanalyse oben, die Spezifizität des Begriffs »quartier« für Marseille (öfter auch »block« [Mitte rechts]). Dies liegt bereits an der administrativ innerstädtischen Lage der Viertel im Süden und Norden (wie »[Plan d’]Aou«, Mitte links). Relevanter ist jedoch, dass mit ihnen artikulierte Elemente die Viertel anders als in der vorherigen Partition herstellen, das Material ist diversifizierter. Das zeigt sich z.B. an der starken Selbstreferentialität in Form von Bezügen zur Stadt Marseille (»mars«, »marseillais«, »om« [der Fußballverein Olympique Marseille]), und der Verwendung von Personalund Possessivpronomen (»nous« [wir], »notre« [unser/e]). Die spezifischen Wörter der Partition »France« bringen vor allem bislang nicht identifizierte Toponyme zum Vorschein, deren Schwelle zu niedrig lag um eine Regionspartition zu bilden (Lyon und Lille). Das Restvokabular von »France« erweist sich als zu unspezifisch, um für die Fragestellung relevante Cluster zu liefern. Die Wortwolke um »[Le] Havre« hebt sich stark von den anderen Partitionen ab, da das große Referenzkorpus (»Mars«, »IDF« und »France« zusammen) die Feinheiten der Partition nach außen kehrt. Diese Partition besteht aus relativ vielen Liedern eines überschaubaren Künstlerkollektivs, welches aus drei Interpreten besteht: den Rappern Médine, Tiers Monde und der Gruppe Boussole (=Tiers Monde und Brav’). Oftmals artikulieren alle genannten Interpreten Konzepte der Zugehörigkeit, die auf sensible Diskussionen um die Quartiere verweisen. Besonders Fragen der Hautfarbe (»noir« [schwarz], »blanc« [weiß]. »couleur« [Farbe]), der ethnischen (»arabe« [arabe] oder »Klassen«-Zugehörigkeit (»prolétaire«, Arbeiter), die auch alle Mitglieder des Kollektivs betreffen, kommen zur Verhandlung. Gerade Médine gilt unter der Gesamtheit der Rapperinnen und Rapper durch die affirmative Repräsentation seiner franko-algerische Abstammung, seiner Herkunft aus einer banlieue und seines gelebten islamischen Glau-

Muster diskursiver Praktiken auf »großen Oberflächen« | 133

bens als kontroverse Figur in einer laizistischen Republik und Zielscheibe von konservativen Kommentatoren wie beispielsweise Alain Finkielkraut (Ahamada 2013). An diesem Punkt böte die Untersuchung der regionalen Kategorien nach Datum oder Interpret eine weitere Strategie, um zusätzliche Aspekte des Sprachgebrauchs bestimmen zu können. Allerdings wäre dies dem verfolgten Gesamtziel – der Relationierung diverser Materialsorten und –ebenen – nicht förderlich. Die in diesem Kapitel eingesetzten Verfahren konnten mithilfe mehrerer Korpora makroanalytisch danach fragen, ob und wie Rap mit stigmatisierten Vierteln in Verbindung steht, und inwiefern das Material Hinweise auf gegenhegemoniale Raumdiskurse gibt. Hierbei ließen sich mehrere zentrale Ergebnisse festhalten: • Die Grundzüge des Le Monde-Korpus, dessen diachrone Betrachtung und typi-

schen Vokabulare, ließen den Zusammenhang zwischen Rap und den Vierteln auf einer »großen diskursiven Oberfläche« verifizieren und spezifizieren. Bereits seit den 1990er Jahren bestehen diskursive Verbindungen zwischen Rap, stigmatisierten Vierteln im Allgemeinen, sowie Pariser Vorstädten und Marseiller Stadtteilen im Besonderen. Der journalistische Diskurs der 1990er und 2000er Jahre konstituierte Rap auf dreierlei Arten: bereits seit den Anfängen der Berichterstattung als (1) »politisiert« bezüglich der Situation in den Vierteln und gegen die politische Rechte engagiert; (2) zur Jahrtausendwende als eigenständiges Genre der Berichterstattung; sowie (3) als Akteur der sich ab Mitte der 2000er Jahre wieder zuspitzenden Krise der französischen Vorstädte. Ferner ergab eine Schlüsselwortanalyse eine starke Überlappung des »hegemonialen« Sprachgebrauchs zu »banlieues« und zu »rap« in Frankreich. • Das zweite Korpus, das nach einer thematischen Verkleinerung mehr als 3000 Titel umfasste, erweiterte trotz seiner zum Teil suboptimalen Beschaffenheit die Perspektive auf die Raumbezüge im Rap durch eine Analyse der vorgefunden Raumkonzepte. In einer chronologischen Betrachtung zeigte sich die Persistenz eines kleinen, aber politisierten Teilvokabulars. Gleichzeitig wurde die hohe Spezifizität und Frequenz von Konzepten wie »ghetto« und »quartier« ab Mitte der 2000er Jahre nachgewiesen. Die Kookkurrenzpartner der Raumkonzepte deuteten in den Rap-Diskursen semantische Felder mit gegenhegemonialen Momenten an. Neben der Relevanz der Subjektpositionen »Jugendliche« machten sie erste Spuren einer ambivalenten, z.T. emotionalisierten Aushandlung der Bedeutung von stigmatisierten Viertel und der Zugehörigkeit zu diesen sichtbar.

Gegenhegemoniale Raumdiskurse zwischen Makro und Mikro

Mit Bestimmung der groben Züge der Konstitutionsmechanismen von stigmatisierten Vierteln in Raumdiskursen wurden die Vor- und Nachteile der distributionalistischen Makroanalyse am vorliegenden Materialtypus deutlich. Neben der wertvollen Ordnungsleistung, große Diskursausschnitte diagrammatisch entlang ausgewählter Kategorien zu reduzieren, kann die Lexikometrie nicht stark in die semantische Tiefe des Materials eintauchen, da sie hierfür zu wenige Werkzeuge bereithält. Dies ist problematisch, weil es bei Rap oft darum geht, mit originellem Stil, Wortwahl oder Idiosynkrasie hervorzustechen; »sinnähnliche« Artikulationen bleiben maschinell ohne größeren Aufwand unauffindbar.1 Eine genauere, manuelle Lektüre der Korpusumgebung von festgestellten Schlüsselwörtern kann dies ausgleichen. Dabei sollen die kodierenden Verfahren eine verfeinerte Sicht auf lexikometrisch identifizierte Kategorien bieten oder die Analyse um neue erweitern. Im zweiten Schritt zeigen die Aussagenanalysen am Beispiel von ausgewählten Äußerungssituationen, wie Sprecher ihre eigenen Aussagen und die von Dritten entlang geteilter Konzepte und Regeln orchestrieren, um sich im Zuge der Konstitution von stigmatisierten Stadtteilen gegenhegemonial zu positionieren.

1

Mithilfe von sogenannten frames, die vorgefundene Lemmata vordefinierten semantischen Kategorien zuordnen, ließe sich dies beheben. Zu Rap existieren keine frameModelle, und müssten erst erstellt werden. Für eine korpuslinguistische frame-Analyse des Archivs von Die Zeit vgl. Scharloth/Eugster/Bubenhofer (2013).

136 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

ERGEBNISSE DER KODIERUNG Bei der Kodierung von 100 Texten mithilfe der Software Atlas.ti wurden an 177 Stellen im Material insgesamt 78 Kode-Typen vergeben, die 29 unterschiedliche Subjektpositionen und 49 Themen ausweisen (im Sinne der Foucault’schen Gegenstände und Bedeutungen). Gemäß dem konzeptionellen Interesse bzw. der eigentlich »falschen Aneignung« einer grounded theory-Herangehensweise (vgl. das Kapitel »Operationalisierung«) ging es weniger darum, das Kodesystem in zirkulären Analysebewegungen zu sehr überschaubaren Einheiten zu verdichten, sondern die Relationen im Inventar eines überschaubaren Ausschnitts von gegenhegemonialen Raumdiskursen nachzuzeichnen. Das Ergebnis der Kodierung zeigt verfeinernde Unterschiede zur Lexikometrie auf. Die häufigsten Subjektpositionen, die Rapper im Diskurs konstituieren, bilden nach wie vor »Jugendliche«, aber auch »Arbeiter« [»prolétaire«], »[staatliche] Ordnungskräfte«, »Spießer«2, »Araber«, »Schwarze«, »Brüder«, »Dealer« sowie »banlieusards«. Zu den häufigsten thematischen Kodes zählen »Ausgrenzung«, »Unruhen«, »Politik« (bezogen auf den politischen Prozess und seine Akteure), das »Verbotene«, aber auch »Arbeitslosigkeit«, »Hoffnungslosigkeit«, »Devianz« oder die »Stimmung« im Viertel. Anstelle einer tabellarischen Darstellung figurieren die identifizierten Subjektpositionen und Themen in einem Kodenetzwerk auf Basis aller Kookkurrenzen der vergebenen Kodes. Die mit atlas.ti erstellte Liste der Kode-Kookkurrenzen kann exportiert und mit einem Texteditor in eine Syntax transformiert werden, auf deren Basis das Programm Gephi eine netzwerkähnliche Darstellung plottet (vgl. Abbildung 24). Das vorgeschlagene Vorgehen soll neben den Proportionen der Kodes – gemäß der Häufigkeit ihres Vorkommens und ihrem gemeinsamen Auftreten mit anderen Kodes – auch ihre Verbindungen untereinander andeuten. Das Augenmerk fällt somit auf kookkurrente Kodes, die diskurstheoretisch Äquivalenzketten und Differenzen zwischen Signifikanten ausdrücken. Solche Verhältnisse geben Hinweise auf thematische Cluster, denen sich später die Aussagenanalyse zuwendet. Der von Gephi zum Plotten des Netzwerks verwendete Algorithmus ordnet die Elemente nach »Kräfteverhältnissen« an, die sich aus ihren Häufigkeiten und Kookkurrenzen ergeben. Dies hat den Effekt, gewichtige Elemente (max. = 34 Verbindungen) als Knoten mittig und mit großen Labels, weniger gewichtige peripher und mit kleinen Labels im Graphen zu platzieren (Vorkom-

2

Der Gebrauch der Bezeichnung »bourgeois« wurde stets mit einer negativen Konnotation registriert (»Spießer«, »Kleinbürger«), und daher nicht als »Bürger« bzw. »bürgerlich« übersetzt.

Gegenhegemoniale Raumdiskurse zwischen Makro und Mikro | 137

men kleiner als 2 werden nicht angezeigt). Zur besseren Lesbarkeit des Kodenetzwerks für den Diskursabschnitt wurden die Kanten, die Knoten verbinden, transparent gehalten und Subjektpositionen mit einem anfänglichen »S-« markiert (Abbildung 24). Abbildung 24: Kodenetzwerk

Quelle: Eigene Darstellung.

Jugendliche treten als zentrale Subjektpositionen in den gegenhegemonialen Diskursen der Rapperinnen und Rapper über viele Gegenstände und Bedeutungsgefüge in komplexe Beziehungen mit anderen Akteuren. Hiervon zeugt die Gedrängtheit der Label und Kanten um den Knotenpunkt »S-Jugendliche«. So artikulieren die Sprecher Jugendliche etwa mit »der« benachteiligten cité oder banlieue (beide oftmals im Singular).Von den staatlichen Institutionen, die in

138 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

den Vierteln agieren, wird neben den Ordnungskräften (als Sammelbegriff für die vielen in den Texten beschriebenen regulären Einheiten und Sondereinheiten) besonders das Bildungssystem (Schule) hervorgehoben. Dessen Strukturen (Ausstattung, Lehrer) reproduzieren laut den Akteuren bereits früh, verbunden mit den eigenen Versäumnissen der Jugendlichen, geringe soziale Aufstiegschancen. Diesen Widerspruch verknappt der Rapper Despo Rutti (IDF) wie folgt: Hört’ auf, meine Brüder und Schwestern

Arrêtez d’orienter mes frères et sœurs vers

im Gymnasium Richtung Arbeiterklasse

la classe ouvrière au lycée

zu lenken Interpret: Despo Rutti, Titel: Arrêtez!, 2006.

Ebenso besitzt »Arbeitslosigkeit« in diesem Bereich des Graphen starke Verbindungen zu »S-Jugendliche«. Beide Kodes treffen an mehreren Stellen im Material mit den Kodes »[schlechter] Umgang« und »Devianz« zusammen, wodurch eine gewisse »eigene« Moralität für den Raumcontainer »stigmatisiertes Viertel« impliziert wird. Alternativen scheinen nicht vorhanden zu sein: Wir entscheiden uns legal für das Verbo-

Légalement on choisit l’illicite, les issues

tene, die Auswege sind begrenzt

sont minces

Interpret: Pit Baccardi, Titel: On veut, 2007.

Äquivalenzketten wie diese werden wiederkehrend mit Themen wie Drogenkonsum oder Kriminalität (z.B. »Schmuggel«) artikuliert, die laut der Sprecherinnen und Sprecher eine »Versuchung« (»tentation«) in den Viertel darstellen. Der Rapper Al verdichtet die Elemente oft auf kleinstem Raum, in dem viele der oben abgebildeten Themen und Subjektpositionen vorkommen3:

3

Gerade dieses Beispiel verdeutlicht nochmals die Herausforderungen, oder gar die Unmöglichkeit der Übersetzungen von stark »codierten« Idiomen (elliptische Ausdrucksweisen, schwer erschließbare lebensweltliche und subkulturelle Bezüge für Nicht-Initiierte, Verlan etc.). Die Bilder und Konzepte laufen bei der »Über-setzung« Gefahr, kulturell domestiziert und exotisiert zu werden (vgl. auch geographische Beiträge zu den translation studies wie von Husseini de Araújo 2009). Daher werden die Rap-Texte nach Möglichkeit eher sinngemäß übersetzt. Unwiderruflich verloren gehen leider jene sprachlichen Feinheiten, wie austarierte Reimmuster und spezifische Betonungen von Silben, die je nach Stil häufig innerhalb einer Strophe variieren können. Deshalb werden die Zitate tabellarisch und zweisprachig angezeigt.

Gegenhegemoniale Raumdiskurse zwischen Makro und Mikro | 139

Eher fies als fromm zu gelten

Ici, être taxé de vicieux plutôt que de pieux

Ist hier das Beste, was dir passieren kann

C’est bien c’qui peut t’arriver de mieux

Ein Schwein sein, ich hab’s kapiert, finde

Concept de porc, je le comprends, je le

es nicht gut […]

déplore […]

Schwarze, Chinesen, Portugiesen, Araber,

Renois, Chinois, Portugais, Arabes, Turcs

Türken, Inder, Weiße, Sinti

Indiens, Blancs, Gitans

Sind bereit zu fallen, die Knirpse wollen

Sont prêts à tomber, les mômes veulent

dealen

dealer

Hier ist es wie in Saw [Horrorfilm], um zu

Ici c’est comme dans Saw, pour s’évader

fliehen muss man sich selbst verstümmeln

faut s’automutiler

Interpret: Al, Titel: High tech & primitif, 2008.

Die im Material präsente Verknüpfung der auch in hegemonialen Diskursen prominenten Themen und Praktiken findet ihren Niederschlag in der Zentralität von »S-Ordnungskräfte« und »Justiz«. Zu diesen werden schemenhaft antagonistische Linien gezogen. Gründe hierfür liegen weniger in der Aufgabe der Ordnungskräfte, »Verbotenes« oder »Kriminalität« zu verhindern, als vielmehr in den regelmäßigen, zuweilen rauen Konfrontationen mit Jugendlichen (vgl. auch den folgenden Abschnitt). Ebenso wird der Vorwurf einer Ungleichbehandlung von unterschiedlichen Bevölkerungsteilen thematisiert: Die ›Robocops‹ kennen dich, wie Ville4

Chez les robocops, t’es fiché comme de

pin

Villepin

Bei ihm ist es legal

Pour lui c’est légal

Aber in den Vierteln wird voll zugelangt

Mais quand c’est les quartiers y’a que du pénal

Interpret: Sefyu Titel: L’insécurité, 2011.

Die antagonistischen Linien setzen sich bis in die »eigene« Gruppe fort, wenn im Viertel das Bespitzeln (»S-Verräter«) als moralisches Kapitalverbrechen interpretiert wird (z.B. das Preisgeben von Informationen an Verfolgungsbehörden zur Strafmilderung):

4

Anspielung auf den Freispruch für den früheren Premierminister de Villepin in der »Clearstream-Affäre« Mitte der 2000er Jahre, bei der namhaften Politikern die Verwicklung in Schwarzgeldzahlungen vorgeworfen wurde.

140 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

Du weißt es, für uns gehören Verräter auf

Tu le sais, pour nous les poucaves méritent

den elektrischen Stuhl

la chaise électrique

Interpret: Salif, Titel: Banlieue française, 2005.

Die Dominanz von Themen wie Unsicherheit und sozio-ökonomischem Ausschluss bei der Konstitution der Stadtteile äußert sich im Artikulieren einer gewissen Hoffnungslosigkeit der jugendlichen Bewohner angesichts der wenigen zur Verfügung stehenden Optionen (so sehen es die Rapper). Problematisiert wird zudem, wie dieser Zustand immer wieder in Unruhen umschlägt, bei denen »Rache« und »Wut« auf »den Staat«, dessen »[S-]Lenker« und Sicherheitskräfte sich Bahn brechen: Wenn sich nichts ändert, wird es wieder

Si rien ne change les émeutes reviendront

Unruhen geben, weil die Ghettos euch be-

encore une fois, parce que les ghettos vous

obachten und die banlieue eine Stimme

zyeutent et la banlieue a une voix

hat Interpret: Youssoupha, Titel: Haut-parleur, 2011.

Aufgrund der sozialen und räumlichen Abgeschlossenheit der Bewohner der Stadtteile – nicht selten als »[S-]banlieusard« interpelliert – wird ihnen häufig eine »Ghettomentalität« zugeschrieben. Dabei konstituieren Interpreten gewisse Typen von »Ghetto-Identitäten«: zumeist junge und tendenziell männliche 5 »Araber« und »Schwarze« bzw. »Afrikaner«, seltener auch »Weiße« die einen »Arbeiter«-Hintergrund haben. Hautfarbe spielt für die Subjektposition keine unwesentliche Rolle, und wird zumeist mit dem Grad der erlittenen Diskriminierung korreliert bzw. verstärkt. Bei einer fiktiven Entführung von Carna Bruli6, zeigt der Rapper Tiers Monde ihr das »Ghettoleben«:

5

Die Antwort auf die Frage nach misogynen Tendenzen im Material, die Rap generell vorgeworfen werden, fällt uneindeutig aus. Zwar finden sich vielfältige sexualisierte Vulgarismen, jedoch – im starken Kontrast zum »Gangsta-Rap« – keine Texte die sich verstärkt genderisierter Stereotypen bedienen (was jedoch auch mit den Thematiken und dem ausgewählten Genre korreliert).

6

»Verlanisierung« des Namens der französischen Pop-Sängerin und Gattin von Nicolas Sarkozy, Carla Bruni (»Carna Bruli«).

Gegenhegemoniale Raumdiskurse zwischen Makro und Mikro | 141

Sie soll wissen, wenn du schwarz und arm

Qu’elle sache que dans nos ghettos, y a

bist, entkommst du unseren Ghettos nicht

pas d’issue quand t’es noir et pauvre

Nichts tilgt deine Farbe, weder irgendein

Rien n’efface ta couleur, ni aucun patron

Boss, noch irgendein Abschluss

ni aucun diplôme

Ich will, dass du an den Monatsenden lei-

Je veux que tu subisses les fins de mois de

dest wie Arbeiter

prolétaires

Deine goldene Kreditkarte wird bei der Ta-

Ta Carte Gold passe pas à la banque ali-

fel nicht akzeptiert

mentaire

Du sollst den Hass jeder Mutter spüren, de-

Que tu ressentes la haine de chaque da-

ren Sohn ihr die Einkäufe mit Drogengeld

ronne à qui le fils paie les courses avec

bezahlt

l’argent de la drogue

Interpret : Tiers Monde, Titel : Carna Bruli, 2012.

Der Kode »Ausgrenzung« dominiert den mittleren Bereich des Kodenetzwerks (vgl. Abbildung 24), mit dem neben »Ghettomentalität« noch weitere Kodes verbunden sind. Ein Bestandteil dieser Kette bildet die zumeist reißerische Berichterstattung (»Medien«), die »Unsicherheit« (s. links oben) überbetont oder gefährliche Klischees unterfüttert. Klassische Klischees sind in diesem Zusammenhang die Verbindungen zwischen banlieues, Islam und desorientierten Jugendlichen, die dort zu Terroristen werden können. Médine weist damit einen zentralen Aspekt hegemonialer Unsicherheitsdiskurse zurück: Die Medien bestimmen über böswillige

Les médias sont les juges des procès

Unterstellungen

d’intention

Liefern kiloweise Falschinformation

Fournisseurs d’intox au kilogramme

Verwechseln Terrorismus und Islam

De l’amalgame terrorisme et Islam

In meinem Ghetto haben Leute Flugangst

Dans mon ghetto on a peur de l’avion

Und die Frauen machen viel mehr Eindruck

Et les femmes impressionnent beaucoup

als ›Cendrillon‹ (frz. Märchenfigur)

plus que Cendrillon

Es liegt nur an mangelnder Bildung,

Et c’est juste par manque de culture

dass Oussama Ben Laden auf der Wand ge-

Qu’Oussama Ben Laden est écrit sur les

schrieben steht

murs

Interpret: Médine, Titel: Ni violeur, ni terroriste, 2006.

Einen weiteren Antagonismus repräsentieren die Subjektposition »S-Rassisten« und »S-Spießer« (»bourgeois«), mit denen oft rechtskonservative oder rechtsnationale Politiker (»S-Le Pen«, »S-Sarkozy«) bzw. Angehörige der Ober-, oder einer »spießbürgerlichen« Mittelschicht gemeint sind. Als monolithischer Block

142 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

imaginiert treten sie der heterogenen Bewohnerschaft der Viertel aufgrund vieler Vorurteile diskriminierend entgegen, wahlweise mit »Misstrauen«, »Ablehnung« oder »Verachtung«. Dies bestärkt wiederum die Schlussfolgerung, die Bewohner stellten (wie in den ehemaligen französischen Kolonien) als Eingeborene eine eigene Bevölkerungsgruppe in einem »angestammten Gebiet« dar. Die Rapperin Casey (mit Wurzeln in Martinique) und der Rapper Al führen anklagend aus: Ich häng’ in der Freizone7 ab, wo der Ein-

Je traine en zone franche, où l’indigène

geborene dahinsiecht

flanche

Wo das System sich um ›Weißhäute‹

Où le système se penche sur les peaux

kümmert, vor den Reichsten kriecht

blanches, lèche les plus riches

Interpretin: Casey, Titel: Le fusil dans l’étui, 2006. Sie wollen mit uns machen, was die Amis

Ils veulent nous faire ce que les cain-ries

mit den Indianern gemacht haben

ont fait aux Indiens

Wir sind nur aufs Überleben aus, wir spie-

Nous, c’est que de la survie, on joue le

len um den Klassenerhalt

maintien

Interpret: Al Titel: Le maintien, 2007.

Bestimmte Kodes im Netzwerk lassen sich als Antwort auf stigmatisierende Umstände deuten, da die unterschiedlichen Subjektpositionen der Bewohnerschaft auch mit einer gewissen Zugehörigkeit im positiven Sinne verknüpft werden. Denn trotz der Zweischneidigkeit der Bewertungen von cité, banlieue oder quartiers im Diskurs, etwa im Hinblick auf mögliche Gewalt und Isolation, betonen Sprecher, dass Normalität (z.B. »S-Normale«) oft übersehen werde. Besonders über den Kode »Atmosphäre«, in dem sich eine »eigene Art« des Sichzugehörig-Fühlens ausdrückt, werden einem rauen Ghetto-Image auch Vorzüge abgewonnen. Während manche Rapper in Bezug auf reißerische Berichterstattung in den Medien Aspekte von Alltäglichkeit betonen, bestimmen andere diese Vorzüge essentialistisch und materialistisch:

7

»Freizone« (zone franche urbaine) bezeichnet eine stadtteilbezogene Maßnahme der frühen 2000er Jahre für wirtschaftsschwache Gebiete, in denen Unternehmen bei Betriebsgründungen oder Betriebsverlagerungen in das Interventionsgebiet steuerliche Vorteile erhielten.

Gegenhegemoniale Raumdiskurse zwischen Makro und Mikro | 143

Meine banlieue magst du oder verlässt du

Ma banlieue tu l’aimes ou tu la quitte

Wir vergessen das Elend dank der Stim-

C’est la sère-mi qu’on oublie grâce à

mung, wie in Afrika

l’ambiance comme en Afrique

Ich warte nicht auf den Schlussverkauf, ich

J’attends pas les soldes, j’attends que ça

warte dass was vom Laster fällt

tombe du camion

Hier findet man alles zum niedrigen Preis,

Ici on trouve de tout à bas prix, putain

verdammt, das ist zu gut

c’est trop bon

Vom Fernseher bis zum gestohlenen Auto,

De la télé à la voiture volée et de la sape

Kleidung, Parfüm, Computer, falsche Pässe

du parfum des ordinateurs des faux papiers

Man besorgt dir was du willst, du musst nur

On te ramène ce que tu veux faut juste

das Milieu kennen, die Leute mit denen du

connaître le milieu, ceux avec qui tu

handelst und vor Asis aufpassen

traites et se méfier des vadrs-cre

Interpreten: Adil & Stef, Titel: Ma banlieue, 2007.

Insgesamt konnte die Analyse mit kodierenden Verfahren somit drei weite, stellenweise aufeinander verweisende semantische Felder aus dem Material umreißen. Nach konzeptionell informierter Lektüre der 100 Rap-Texte kreisen diese idealtypisch um drei Aspekte: • dem hohen Maß an Devianz, Kriminalität und den Fragen des Rechtsempfin-

dens in den Vierteln bzw. »Ghettos«, die bei der Kodierung mit unterschiedlichen exkludierten Subjektpositionen im untersuchten Diskursausschnitt belegt werden • der Konstitution von Ortszugehörigkeiten trotz der wirkmächtigen Formen der Stigmatisierung durch hegemoniale diskursive Praktiken in Politik, Medien und Alltag, • dem Bereitstellen alternativer Erklärungsansätze für die persistente soziale und räumliche Ausgrenzung bzw. »Sonderbehandlung« der Viertel.

144 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

DISKURSIVE STRATEGIEN IM UMGANG MIT TERRITORIALER STIGMATISIERUNG »Ich kann dir Nichts erzählen was ein anderer Rapper noch nie gesagt hätte Denn letztlich haben wir dieselben Wunden, beschreiben dieselbe Realität, beklagen dieselben Probleme, Titel für Titel, Album für Album So, dass ich das Gefühl habe, dass alles nur ein ewiger Wiederbeginn ist« 8 Interpret: Youssoupha, Titel: Eternel recommencement, 2006.

Die drei aus den Kodes und ihrer Visualisierung bestimmten Felder stecken den Rahmen ab, in dem mit der Aussagenanalyse die Artikulationsmuster der heterogenen diskursiven Elemente und Subjektpositionen auf der Äußerungsebene sichtbar gemacht werden sollen. Die Felder sind nicht als scharf voneinander trennbar zu deuten, sondern als Orientierungspunkte für die vielen thematischen Überlappungen der untersuchten Diskurse. In ihnen kommen bei der Artikulation der verfügbaren Gegenstände und Bedeutungen diskursive Strategien zur Geltung, mit denen Gesagtes oder Problematisiertes legitim erscheinen oder gegenüber anderen Positionen Geltung erhalten sollen. Im Unterschied zum hermeneutischen Vorgehen im vorrangegangen Abschnitt, werden die folgenden Zitate entlang relevanter Einheiten markiert: Zahlen in Klammern [z.B. »(1)«] signalisieren die aussagenanalytisch interessanten Einheiten. Die aussagenanalytischen Marker werden aus Übersichtsgründen im Fließtext expliziert. Das Viertel als Ausdruck der Ungleichbehandlung und »rechtsfreier« Raum Ein erstes wichtiges Feld der Deutungskämpfe um stigmatisierte Viertel in Frankreich leitet sich aus Fragen der Unsicherheit und resultierender Konfliktlinien ab. Die im lexikometrisch analysierten und im kodierten Material beobach-

8

»Je peux rien te dire d’original qu’un autre rappeur t’ai jamais dit / Parce que finalement nos plaintes sont les mêmes, on décrit la même réalité, on dénonce les mêmes problèmes / Titre après titre, album après album / Au point que j’ai l’sentiment que tout ça n’est qu’un éternel recommencement«

Gegenhegemoniale Raumdiskurse zwischen Makro und Mikro | 145

tete Signifikanz von Begriffen und Themen wie »Unsicherheit«, »Delinquenz« oder »Ordnungskräfte« in den Quartieren kann als Widerhall der Versicherheitlichung der Krise der Vorstädte gelten. Sinnbildlich hierfür steht der Begriff »zone de non-droit« (»rechtsfreie Zone«), der besonders für konservative Politiker einen legitimatorischen Wert bei der Durchsetzung von repressiven Sicherheitspolitiken besaß. Sie zielten in der Regel auf die »Rückeroberung« der »schwierigen«, als desintegriert dargestellten Viertel ab, und sahen sich durch die dortige Sicherheitslage bestätigt (Dikeç 2007b). All dies machte die stigmatisierten Viertel zu »Ausnahmegebieten«. Das Instrument der polizeilichen Gefahrengebiete, die verdachtsunabhängige Kontrollen ermöglichen, die Durchsetzung fragwürdiger Versammlungsverbote im öffentlichen Raum, die Sonderausstattungen der Patrouillen und der vermehrte Gebrauch von »nicht-tödlichen Waffen« (Elektroschockpistolen oder Hartgummigeschosse) vergrößerten die enorme Kluft zwischen Einsatzkräften und der lokalen Bevölkerung (Germes 2014). So konstatierte beispielsweise der law-and-order-Politiker und damalige Innenminister Nicolas Sarkozy bei einer Rede in Corbeil-Essones am 20. Oktober 2005 (bezeichnenderweise eine Woche vor den Vorstadt-Revolten 2005): »Unter dem Deckmantel von sozialen Problemen hat man durchblicken lassen, dass Kriminalität entschuldigt, ja sogar rechtfertigt werden konnte. Darum haben sich rechtsfreie Zonen ausgebreitet, in denen die Kultur der Gewalt die des Respekts verdrängt hat.«9

In Sarkozys Äußerung manifestiert sich die Weigerung, den Zusammenhang zwischen sozialen Problemen und der vorhandenen Kriminalität in bestimmten Vierteln anzuerkennen. Hier reihen sich auch Sarkozys international vielbeachtete »Versprechen« aus dem Jahr 2005 ein, die Bewohner der banlieues »mit dem Kärcher vom Schmutz befreien zu wollen«. Die sehr drastisch umschriebenen Zustände und die seit Längerem restriktiven politischen Antworten werden seit den 2000er Jahren auch von Rapperinnen und Rappern registriert. Mehrfach zitieren sie auf Basis von verfügbaren Tonaufnahmen die diffamierenden Äuße-

9

»Au prétexte qu’il y avait des difficultés sociales, on a laissé entendre que la délinquance pouvait être excusée, voire même justifiée. C’est ainsi que des zones de nondroit se sont propagées, des zones au sein desquelles la culture de la violence s’est imposée sur celle du respect.« www.interieur.gouv.fr/Archives/Archives-ministre-del-interieur/Archives-de-Nicolas-Sarkozy-2005-2007/Interventions/20.10.2005-Visitede-M.-Nicolas-Sarkozy-dans-l-Essonne (zuletzt aufgerufen am: 15.10.2015).

146 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

rungen der Reizfigur Sarkozy in ihren eigenen Rap-Titeln.10 Es folgt ein weiteres markantes Beispiel einer Rhetorik, welche die Viertel mit Kriminalität und Extremismus verbindet: Es geht darum zu erfahren, ob die Ord-

Il s’agit de savoir, si c’est l’ordre de la Ré-

nung der République siegt, oder die der

publique qui triomphe, ou si c’est l’ordre

Banden, oder die der Extremisten, um

des bandes, ou des extrémistes, pour ne pas

nicht zu sagen die Ordnung der Bärtigen

dire l’ordre des barbus.

Innenminister Nicolas Sarkozy bei einer Senatsdebatte zur Verlängerung des Ausnahmezustands nach den Revolten von 2005.11 Zitiert in: Al, Titel: Le maintien, 2007.

Innenperspektiven Der hegemonialen Konstitution rechtsfreier oder unberechenbarer Orte werden unterschiedliche »Innenperspektiven« entlang bestimmter Regeln und Elemente gegenübergestellt, die die Akzente hegemonialer Diskurse verlagern. Die Rapperin Casey zeigt dies am Beispiel der »banlieue nord« (Sammelbegriff für die Vororte nördlich von Paris): (1) Alles ist möglich, alles ist machbar,

Et tout est possible et tout est faisable

Es ist ein unberechenbarer Ort und schwer

C’est un lieu imprévisible et inclassable

einzuordnen (2) Wenig Platz für Schwache oder Weiche

(2) Peu d’place pour le faible ou le tendre

Hier wird nur die große Klappe gehört

Seule la grande gueule ici se fait entendre

Und was haben wir schon zu fürchten?

Et qu’est-ce qu’on a à craindre?

In zwei Jahren werden sie alles übermalen

Dans deux ans ils vont repeindre

Und in fünf Jahren werden sie es verstehen,

Et dans cinq, ils vont comprendre quand

wenn es wieder brennen wird […]

le feu va reprendre […]

(3) Denn wir wissen alle, dass Paname [Pa-

(3) Car on sait tous que Paname la belle

10 Eine Recherche im öffentlichen Portal vie-publique.fr, in dem alle öffentlichen Äußerungen staatlicher Akteure archiviert werden, ergab dass Nicolas Sarkozy als Innenminister (2002-2004 und 2005-2007) bei insgesamt 106 öffentlichen Anlässen Bezug zu banlieues nahm. In Anbetracht der insgesamt 156 Reden oder Interviews mit Stellungnahmen zur Lage in den banlieues vonseiten aller neun Innenminister Frankreichs zwischen 2000 und 2014, wird die Zentralität Sarkozys in den Diskursen von Medien und Rap schnell ersichtlich. 11 Siehe auch www.senat.fr/seances/s200511/s20051116/s20051116006.html (zuletzt aufgerufen am 26.5.2016).

Gegenhegemoniale Raumdiskurse zwischen Makro und Mikro | 147

ris] die Schöne

veut voir

Die banlieusards weit weg von sich oder

Les banlieusards loin ou hors de son terri-

außerhalb von ihrem Gebiet haben möchte

toire

(4) Meine banlieue nord ist nicht angese-

(4) Ma banlieue nord n’est pas à

hen

l’honneur

Sondern wird von Eliten, Spießern und Un-

Mais à bannir pour élites, bourgeois et en-

ternehmern geächtet

trepreneurs

Sie fürchten ihre Route, ihr Name jagt

Ils craignent son itinéraire, son nom leur

ihnen Angst ein

fait horreur

Für sie bedeutet sich spät dort rumzutrei-

Pour eux s’y rendre tard c’est être témé-

ben waghalsig zu sein

raire

Interpretin: Casey, Titel: Banlieue nord, 2006.

Der Diskursausschnitt, der zeitlich nah an der angeführten Äußerung des damaligen Innenminister Sarkozy liegt, verbindet unterschiedliche Diskursstränge zu den Themen Unsicherheit oder »Rechtsfreiheit«. Zunächst verunmöglicht die formale Organisation der polyphonen Marker in (1) durch Negationen (»nicht vorhersehbar«) sowie durch verneinende Adjektive (»unvorhersehbar«) und Adverbien (»kaum«) eine von hegemonialen Zuschreibungen abweichende Interpretation, bestimmten stigmatisierten Vierteln wohne eine allgemeine »Andersartigkeit« inne. Die Andersartigkeit konkretisiert sich in (2), wenn auch leicht relativierend durch ein »kaum« (anstelle eines ausschließenden »nie [hat der Schwache Platz]«): im »hier« der Äußerung dominieren ein Recht des Stärkeren oder »der größten Klappe«. Genau genommen verweisen die Rede von sinngemäßen »rechtsfreien Zonen« und abgeleitete Praktiken aus dieser Perspektive keinesfalls auf die völlige Absenz jeglichen Rechts, wie der Begriff suggerieren mag. Vielmehr geht es um den Mangel eines verlässlichen oder gewöhnlichen Rechts und verbindlicher Normen – im Vergleich zu »außerhalb« des Viertels. Bei der Problematisierung von räumlicher Stigmatisierung divergieren die im Material beobachteten diskursiven Strategien aber auch erheblich von den hegemonialen, nicht selten kulturalistischen Strategien. Ein durch die Sprecherin angerufenes anonymes »wir« (hier) muss den konstatierten Mangel an Verbindlichkeit bzw. »korrektem« Verhalten nicht zwingend reflektieren. Das polyphone »schon« hält einen zur Besserung mahnenden Lokutor in Schach (»und wenn schon?«, »was ändert das groß, wenn es nicht so wäre?«). Es leitet eine Zeitschleife mit zwei Futur-Formen (»werden« tun) ein. In Anspielung auf die vielen Interventionen wie städtebauliche Maßnahmen zur Verbesserung der Situation

148 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

(»übermalen 12 «) seitens der Verantwortlichen der Stadtpolitik (»sie«), zeigt Casey auf die von ihrem Standpunkt aus oberflächlich erscheinenden Lösungen von Problemen vor Ort. Dies falle den Verantwortlichen immer zu spät auf, wie »erst« bei den nächsten Unruhen (»wenn es wieder brennen wird«). Neben dem Kritisieren des Ausbleibens von dauerhaften Lösungen konstituiert Casey – analog zu vielen der untersuchten Diskursausschnitte – das antagonistische Außen der eigenen Identität (3) entlang der Dichotomie »banlieue vs. Kernstadt« (hier Paris intra muros). Das polyphone »alle« nimmt dieser implizierten Feststellung Caseys einen großen Teil ihrer Kontroversität (aus Sicht der »banlieusards«). Die Rolle der banlieusards als »Unerwünschte« in der im Gegensatz zur banlieue nord glamourösen Hauptstadt (»die Schöne«) sei kaum bestreitbar und hinlänglich bekannt. Die banlieue nord wird somit nicht mehr – gemäß ihrer historischen Bedeutung – als Schutz- und Einflussbereich der Stadt konstituiert. Das Verb »bannir« (auch »verbannen«) macht die banlieue nord zum Ort des Ausschluss (4); zu einem Sperrgebiet für sozio-ökonomisch besser gestellte Gruppen, die dem antagonistischen Außen zugerechnet werden, und die banlieue nord laut Casey auf einen Angstraum reduzieren. Jugendliche vs. Ordnungskräfte Die selbst- und fremdzugeschriebenen devianten Praktiken in den Vierteln führen viele Rapper auf unterschiedliche Gründe zurück. Ein diesem Zusammenhang relevanter Aspekt ist der reguläre Kontakt mit Sicherheitskräften. Hiervon zeugen auch die sozialen Bewegungen auf lokaler Ebene in Frankreich, die sich seit den 1980er Jahren gegen Polizeigewalt formieren, da diese immer wieder in den »besonders zu polizierenden« Quartieren mit »gefährlichen Klassen« problematisiert wird (Jobard 2008). Die Gewalt äußert sich laut vielen Rappern bereits auf symbolischer Ebene. Sprinter von der Gruppe Les grandes gueules (aus Sète bei Montpellier in Südfrankreich) umschreibt die Spannungen am Beispiel der Erfahrungen mit der lokalen Polizeiarbeit; hier mit der vorher im Text eingeführten Kriminalpolizei (»BAC«, brigade anti-criminalité): (1) Befummelt von drei Kumpels die voll

(1) Doigté de trois copains pleins de

drauf sind, auf hart machen, so tun, als ob

came qui jouent les badman [engl.], mi-

12 Laut der Nationalen Agentur für Stadterneuerung (Agence Nationale pour la Rénovation Urbaine) wurden zwischen 2003 und 2013 in den »sensiblen städtischen Gebieten« rund 325.000 Wohneinheiten renoviert. www.anru.fr/index.php/fre/Actualites/ Evenements/Rapport-de-l-ONZUS-dix-ans-de-PNRU (zuletzt aufgerufen am 09.03. 2015).

Gegenhegemoniale Raumdiskurse zwischen Makro und Mikro | 149

sie die Ruhe zurückbringen

ment de rétablir le calme

Bei uns ist es schon so weit, verdammt!

Chez nous c’est déjà le cas, putain !

(2) Wie soll man höflich bleiben, wenn so-

(2) Comment rester poli quand même le

gar der Polizeihauptmann da wo du wohnst

capitaine

›da drüben‹ nennt?

De police te parle de chez toi ›là-bas‹!

Und dir mit wenigen Sätzen das Wort Kof-

Et en quelques phrases te définit le mot

fer definiert, Fascho-Bastard!

valise, bâtard de facho!

(3) Ich habe in ihnen die Boshaftigkeit ge-

(3) J’ai vu en eux la malice, tout comme

sehen, genau wie sie in mir die Abweichung

eux ont vu en moi l’anomalie

Genau das bestärkt meinen Hass

Ce qui valide ma haine c’est bien ça

Die Ordnungskräfte reden mit uns wie mit

Que les forces de l’ordre s’adresse à nous

schmutzigen Kötern

comme à des chiens sales

Interpeten: Les grandes gueules, Titel: Chiens sales, 2007.

Der Abschnitt verdeutlicht, dass nicht die Polizeiarbeit an sich zur gegenhegemonialen Konstruktion eines Mangels an Rechten in den Vierteln (»bei uns«) beiträgt, als vielmehr ihr Modus. Einheit (1) signalisiert dieses Paradoxon auf polyphone Art durch eine zweifelnde Formulierung (»so tun als ob«). Einem allgemein anerkannten, aber nur scheinbaren Sich-Sorgen für Ruhe stellt der Sprecher ein einschüchterndes Verbreiten von Unruhe durch Ordnungskräfte gegenüber (»voll drauf«, »auf hart«). Sprinter beschreibt das rüde Vorgehen, dem Bewohner ausgesetzt sein können. Er spielt an auf stark mediatisierte, wiederkehrende Verfehlungen innerhalb von Polizeieinheiten, die seine Behauptungen kontextualisieren lassen und die diametral zur oben postulierten »Kultur des Respekts« stehen. Ein spektakulärer Fall der jüngeren Vergangenheit ist etwa der Skandal um die BAC in Marseille (2012), bei dem es zur Anklage gegen zwölf Polizisten kam; u.a. wegen Schutzgelderpressung und der Einbehaltung konfiszierter Drogen, Zigaretten und Hehlerware aus den nördlichen Vierteln der Stadt.13 Die von Sprinter geschaffene Szenographie verschlimmert sich aus dessen Sicht aber noch. Dem möglichen Einwand, Beschriebenes sei nicht verallgemeinerbar, tritt der Rapper entschieden entgegen indem er die Problematik mittels der Subjektposition des Polizeihauptmanns auf eine strukturelle Stufe hebt (2). Wenn selbst dieser (»sogar«) – trotz seiner institutionellen Rolle welche Zurückhaltung gebietet – einen despektierlichen Ton an den Tag legt, die Viertel nicht 13 www.lemonde.fr/societe/article/2012/10/02/corruption-presumee-plusieurs-policiersde-la-bac-nord-de-marseille-interpelles_1768595_3224.html (zuletzt aufgerufen am 10.10.2015).

150 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

mal beim Namen nennt und vermittels hier/dort-Differenzierungen weit von sich weist (»da drüben«), handele es sich nicht mehr um Ausnahmen. Der Sprecher artikuliert diese Haltung auf hoher Kommandoebene mit latenter Xenophobie über die Allegorie eines Koffers, mit dem man ihm (mit seinen nordafrikanischen Wurzeln) Unerwünschtheit attestiert. Eine vulgäre Beleidigung quittiert dies. Konkludierend konstatiert Sprinter stark subjektiv durch wertende Konzepte, die Abneigung beruhe auf Gegenseitigkeit: So wie man ihn als »abweichend« (bzw. als Anomalie) abtue, so bewertet er die Ordnungskräfte aus Sicht eines Anwohners (3) als schlichtweg böswillig. Aufgrund eines demütigenden Umgangs (das »wie schmutzige Hunde« behandelt werden), und nicht etwa aufgrund mangelnden Respekts seitens der Jugendlichen in den Vierteln (»genau das bestärkt…«), bestehe der so oft erwähnte Hass gegenüber den Ordnungskräften fort. Unruhen »Es wird brenzlig, Frankreich hat gebrannt Ich schulde ihm 200 Millionen Euro Im Großen und Ganzen werden die Dinge meine Musik der Verfluchten nicht aus der Mode kommen lassen«14,15 Interpret: Al, Titel: Quand le brut s’enflamme, 2007.

Wie sich der im vorrangegangenen Beispiel umschriebene Hass letztlich aus Gefühlen der Rechtlosigkeit und der Demütigung Bahn bricht – gerade durch wiederkehrende städtische Unruhen nach tragischen Konfrontationen mit Todesfolge zwischen Polizei und Jugendlichen – ist eine weitere zentrale Thematik der gegenhegemonialen Raumdiskurse in Rap. 16 Der Rapper B.James (aus BlancMesnil in der banlieue nord) bringt dies sehr direkt zur Sprache:

14 Nach den Aufständen von 2005 wurden die materiellen Schäden durch die wochenlangen Unruhen auf rund 200 Millionen Euro beziffert: davon entfallen allein 23 Millionen auf beschädigte PKW und bis zu 150 Millionen auf öffentliche Gebäude (Jérôme 2005). 15 »C’est chaud, la France a cramé / Je lui dois 200 millions d’euros / Grosso modo les choses vont pas démoder ma musique de maudits« 16 Die in diesem Abschnitt enthaltenen Analysen der Texte von B.James und La K-Bine erweitern das Material und die Argumentation aus dem Beitrag von Tijé-Dra (2016).

Gegenhegemoniale Raumdiskurse zwischen Makro und Mikro | 151

(1) Tiefschwarze Nacht, Blaulichter erhel-

(1) Il fait nuit noire, les lumières bleues

len die Stadt

éclairent la ville

Die Winterkälte weicht dem Bürgerkrieg

Le froid hivernal cède sa place à la guerre civile

Wir haben gerade zwei von unseren kleinen

On vient d’perdre deux d’nos petits frères

Brüdern verloren Die Verdächtigen sind identifiziert, sie sind

Les suspects sont identifiés, ils sont dan-

gefährlich und schwer bewaffnet

gereux et lourdement armés

Besondere Merkmale: Abzeichen, Unifor-

Signes particuliers: insignes, uniformes

men Sie werden von höchster Stelle enorm un-

Ils bénéficient au plus haut niveau

terstützt

d’l’Etat d’un appui énorme

(2) Immer das gleiche Vorgehen

(2) Toujours le même mode opératoire

Ihre Querschläger fliegen immer in die

Leurs balles perdues c’est toujours vers

Richtung von Arabern und Schwarzen

des Arabes et des Noirs

Sie kreisen unser Territorium ein, unsere

Ils encerclent notre territoire, nos recours

Antworten sind lächerlich

sont dérisoires

Wir erwidern und wünschen uns sie würden

On réplique et on souhaite leur victoire il-

nicht gewinnen […]

lusoire […]

Wir haben Mollis mit bleifreiem Benzin,

On a des cocktails au sans-plomb, eux des

sie haben Flashballs

flashballs

(3) Bei uns schlummern in jeder Eingangs-

(3) Chez nous des guerriers surarmés

halle bis an die Zähne bewaffnete Krieger

dorment dans chaque hall

Jetzt schlägt die Stunde der Vergeltung, er-

Maintenant c’est l’heure des représailles,

zähl’ uns nichts vom Knast

nous parles pas de taule

Da gehen wir ein und aus, normal, wie in

On fait des allers-retours, normal, comme

unserer Bude

dans notre piaule

[Refrain:]

[Refrain:]

(4) Wenn die Nacht über meine Stadt fällt

(4) Quand la nuit tombe sur ma ville, ’y a

wimmelt es von Schlümpfen in Zivil,

tous les schtroumpfs en civil

Pflichtbewusst ihr so schändliches Werk zu

Fidèles au poste pour accomplir leur be-

verrichten

sogne si vile

Und wenn der Ton bedrohlich wird, wissen

Et si le ton devient menaçant on sait quoi

wir hier was zu tun ist

faire ici

Kein Einknicken, wir fordern lauthals ihren

Aucun accord, on réclame leur tête à cor

Kopf

et à cri

Die Fahrzeuge brennen, die Fassungslosen

Les véhicules brulent, les incrédules hur-

brüllen,

lent

[Wir sind] [E]nttäuscht, weder Mitleid noch

Dépités, ni la pitié ni la piété ne peuvent

152 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

Pietät können uns aufhalten

nous stopper

Meine banlieue in Schutt und Asche, so

Ma banlieue à feu et à sang c’est notre

sieht es bei uns aus

décor qu’on décrit

Kein Einknicken, wir fordern lauthals ihren

Aucun accord, on réclame leur tête à cor

Kopf

et à cri

Interpret: B.James, Titel: A cor et à crie, 2012.

Der Diskursausschnitt kommt auf dem ersten Blick einer Nacherzählung der Aufstände von 2005 gleich. Er verfeinert die Beziehung der vorher eingeführten diskursiven Elemente und Verknüpfungsegeln im Spannungsfeld von »rechtsfreien Räumen« und Ordnungskräften. In einer düsteren Atmosphäre beschreibt B.James die Perspektive der Aufständischen (»wir«), die nach einer weiteren tragischen Konfrontation zwischen Polizei und Jugendlichen – »gerade eben« – aufgewiegelt wurden. Die Erwähnung der zwei Brüder, deren Verlust beklagt wird, gibt dem Hörer/Leser erste Anhaltspunkte, die vorgefundenen »bürgerkriegsähnlichen« Zustände (1) mit den Revolten des Novembers 2005 zu assoziieren. In einem polizeifunkähnlichen Sprachregister (»Verdächtige«, »besondere Merkmale«, »schwer bewaffnet«) benennt der Rapper anschließend die Verantwortlichen für die Eskalation bzw. das antagonistische Außen der Konstellation. Analog zur kontroversen Polizeikritik, die Hamé von La Rumeur langwierige Prozesse einbrachte (vgl. den Anschnitt »Hegemoniale Konstitution von Rap «), problematisiert B.James die Frage, ob polizeiliches Fehlverhalten, unverhältnismäßige Gewaltanwendung und fahrlässige Tötungen (»Querschläger«) an bestimmten Orten von »höchster Stelle« in der Exekutive »gedeckt« werden (»enorme Unterstützung«). Wie bei Casey (s. oben) suggerieren die formalen Äußerungsspuren die Wiederkehr bestimmter Muster und Praktiken im Umgang mit der Lokalbevölkerung. Das polyphone »immer« bestärkt den Standpunkt von B.James. Es drängt vehement und sarkastisch beschwichtigende Mahner in den Diskussionen um städtische Unruhen ab, die auf die Singularität solcher Vorfälle aus sind (2). Die Querschläger träfen wohl immer aus Versehen »sichtbare« Minderheiten. Umso schwerer wiegt die gerade im egalitären republikanischen Diskurs schwere Unterstellung einer systematischen Ungleichbehandlung von »Schwarzen« und »Arabern«. Sie attribuiert abermals dem konstitutiven Außen rassistische Tendenzen. Trotz der losgetretenen Gegengewalt macht sich das kollektive »wir«, zu dem der Rapper sich zählt, keinerlei Illusionen über bestehende Kräfteverhältnisse in der possessivpronominal angezeigten Vorstadt (»unser Territorium«). Die ungleichen Vergleichspaare »wir/Mollis/lächerlich« und »sie/Flashballs [nicht-tödliche Feuerwaffen]« verstärken dies.

Gegenhegemoniale Raumdiskurse zwischen Makro und Mikro | 153

Trotz der bereits feststehenden Unterlegenheit der Aufständischen optiert B.James dennoch für die Ausübung von kollektiver Gewalt. Laut ihm verfügen auch die Vorstädte aufgrund der herrschenden Gewalt über ein beträchtliches Waffenarsenal, das sich mit der räumlichen Chiffre »hall« in den Hochhäusern der cités lokalisieren lässt (3). Der Zeitpunkt der Äußerung (der überbordende Tumult) bietet zudem die »seltene Gelegenheit«, der aufgestauten Wut über die Ungleichbehandlung mit roher Gewalt ein Ventil zu verschaffen (»Stunde der Vergeltung«). Das »hier und jetzt« der Äußerung erfordert keine Reflexion der beschriebenen Praktiken. Die Konsequenzen sind nicht wirklich abschreckend: Haftstrafen, so entgegnet der Rapper schroff einem Mitsprecher (»erzähl’ mir nichts«), sind nur eine andere Form des isolierten Alltags, zumal viele Jugendliche aus den Vierteln überproportional häufig in französischen Gefängnissen einsitzen (»ein und aus gehen wie in unserer Bude«). Im Refrain resümiert B.James die Argumentation in einer sehr sarkastischen Weise (4). Nach dessen Ansicht stellen die »Schlümpfe in Zivil« 17 eben keine Ordnung her, sondern agieren willentlich unmoralisch (»schändlich«). Anders als bei den Grandes gueules aus dem vorherigen Beispiel greift das »wir« auf Abwehrreaktionen zurück, die Trauer oder (Selbst-)Mitleid übersteigen: kompromisslose, rohe und affektive Gegengewalt (»kein Einknicken«, »wir fordern ihren Kopf mit Geschrei«). Die Gründe für den Rückgriff auf Gewalt durch junge Bewohner der Viertel – die in der Regel den Vorwand für »Politiken der harten Hand« liefert – erschöpfen sich nicht in der vorgetragenen Ungleichbehandlung oder Rechtlosigkeit seitens der Sicherheitskräfte. Um die diesbezüglich unterschiedlichen Sichtweisen von Rappern näher zu beleuchten, folgen ein Text-Beispiel sowie Interviewausschnitte mit dem Rapper Skalpel der Gruppe Première Ligne (bzw. La-K-Bine) aus Aulnay-sous-Bois (Département Seine-Saint-Denis). B.James in nichts nachstehend, praktiziert Skalpel einen sehr militanten Rap. Skalpels viele künstlerische Kollaborationen und Soloprojekte knüpfen stets an anarchistische und antifaschistische Kämpfe an. Folgender Ausschnitt entstammt dem Titel Révolte populaire (»Volksaufstand«) aus dem Jahr 2009. (1) Aber für wen halten sie sich?

(1) Mais pour qui se prennent-ils?

Wer sind sie? Woher kommen sie?

Qui sont-ils? D’où viennent-ils?

Um einer Jugend, die man ermordet, Lektio-

Pour donner des leçons de morale à une

nen zu erteilen

jeunesse qu’on assassine

17 Die despektierliche Bezeichnung »Schlümpfe« verweist auf die blauen Polizeiuniformen in Frankreich.

154 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

Die Wache abzufackeln find‘ ich nicht

Bruler le comico ça me fait pas pleurer

schlimm Und wenn die alte Schule brennt, umso bes-

Et si cette école vétuste crame tant

ser, dann wird sie renoviert

mieux elle sera rénovée

(2) Das ganze Jahr lang interessiert es sie

(2) Toute l’année ils se foutent de savoir

nicht, wie die Leute in unseren Vierteln leben

comment les gens de nos quartiers vivent

Unter welchen Bedingungen sie schuften,

Dans quelles conditions ils taffent et ce

und was sie im Alltag durchmachen

qu’ils subissent au quotidien

Ausschweifungen und Zügellosigkeiten, zu

Les excès et les dérives, trop de vexa-

viele Demütigungen

tions

(3) Man muss diese Salonmoralisten gehört

(3) Faut les entendre, ces moralisateurs

haben:

de salon:

Sich empören, dass diese Bibliothek in Rauch

S’offusquer que cette bibliothèque soit

aufgegangen sei

partie en fumée

Wenn man bedenkt, wie wenig Interesse und

Vu le peu d’intérêt et le peu de moyens

Geld ihr in Bildung, Soziales und Kultur

que vous donnez à l’éducation, au social

steckt […]

et à la culture […]

Marshall-Plan für die banlieues? Klar Voll-

Plan Marshall pour les banlieues, con-

idiot, mach, das ist die Lösung!

nard mais oui vas-y, c’est ça!

In deiner bürgerlichen Demokratie bin ich die

Dans ta démocratie bourgeoise je suis la

Guerilla

guérilla

(4) Keine Lust mehr mit euch zu diskutieren

(4) Plus envie de discuter avec vous

Ich habe schon lange verstanden, dass wir

Ça fait longtemps que j’ai compris

hier nicht wirklich zuhause sind

qu’ici ce n’est pas tout à fait chez nous

[…] [Refrain:] (5) Ich krieg mich nicht ein

[…] [Refrain :] (5) Je ne décolère pas

vor lauter Polizeigewalt,

devant tant de violences policières

Zur Schau gestellter Arroganz, blutigen Fehl-

D’arrogance affichée, de bavures san-

tritten

guinaires

Banlieusards, Leute aus der cité

Banlieusards, mecs de tess

Und solidarische Krawallmacher mit Sturm-

Et solidaires émeutiers cagoulés, révolte

hauben: spontaner Volksaufstand!

populaire et spontanée!

Denn hier, heute Abend, wissen wir alle was

Car ici ce soir, on sait tous ce qui nous y

uns dazu getrieben hat

a amené

Wir haben alle unsere Gründe, alle Gründe

On a tous nos raisons, toutes les raisons

uns laut zu wehren

de la ramener

Verschiedene Horizonte vereint, um alles ab-

D’horizons différents réunis pour tout

zufackeln

cramer

Interpret: La K-Bine, Titel: Révolte populaire, 2009.

Gegenhegemoniale Raumdiskurse zwischen Makro und Mikro | 155

Der Auszug des Titels Révolte populaire (»Volksaufstand«) verdeutlicht die unterschiedlichen diskursiven Strategien bei der Aushandlung der zur Disposition stehenden Recht- oder Unrechtmäßigkeit der Zustände innerhalb bestimmter Stadtteile. Skalpel disqualifiziert (1) vorweg all die moralisierenden, anonymen Kommentatoren von Unruhen in stigmatisierten Stadtteilen. Empört über deren Anmaßung, einer geschundenen Jugend in den Vierteln Ratschläge erteilen zu wollen, solidarisiert er sich mit den aufgebrachten Jugendlichen. Ihn stört die Gewalt gegen die Polizei – anders als die mitsprechenden Kommentatoren – auch nicht wirklich. Provokant verleiht er den Sachzerstörungen mittels einer polyphonen Steigerung einen tieferen Sinn (»umso besser«): so gesehen hat es nicht nur Nachteile die Gebäude von Institutionen anzugreifen (»erst die Polizeiwache anzünden, dann die Schule«), denn von einem Wiederaufbau würden schließlich alle profitieren. In (2) bezichtigt Skalpel jene Kommentatoren der Heuchelei und der Unwissenheit. Lediglich in Extremsituation komme den Bewohnern »unserer Viertel« echte Aufmerksamkeit zu, andernfalls praktisch nie (»das ganze Jahr nicht«). Folglich finden viele erschwerende Umstände des Alltags der Viertelbewohner, so Skalpel sinngemäß, nie Eingang in hegemoniale Diskurse. Dies betrifft neben Gewalt beispielsweise regelmäßige »Demütigungen«, Ausschweifungen sowie unwürdige Arbeitsbedingungen. Das polyphone »zu viel« markiert, wie sehr das Tolerierbare aus Sicht eines Betroffenen überschritten zu sein scheint. Der Marker ermöglicht, jegliche Empörung, Belehrungen oder Aufforderungen zur Schlichtung der Situation in letzter Konsequenz abzulehnen. Das antagonistische »sie« wird noch stärker polemisiert und distanziert. Mittels einer Aufforderung (»man muss sie gehört haben«) und Sarkasmus in (3) konfrontiert Skalpel die Hörer ein weiteres Mal mit der Umschreibung des externen »sie« als doppelzüngige »Salonmoralisten«. Dabei zielt er im Rahmen seiner Äußerung auf Sprecherpositionen, die anführen könnten, dass das (sozial-)staatliche Engagement vor Ort ausreiche. Das Adjektiv »wenig« (»bedenkt man wie wenig ihr investiert«) entkräftet dialogisch seine Mitsprecher und unterstellt eine chronische Unterversorgung der Viertel in nahezu allen Bereichen der sozialen Infrastruktur. Auch politische Maßnahmen bilden ein Ziel Skalpels gegenhegemonialer Intervention. Er greift den 2008 beschlossenen »Marshall-Plan« für die banlieues auf (administrativ auch »Plan Espoir [Hoffnung] banlieue«). Das stadtpolitische Aktionsprogramm erzielte eine gewisse Außenwirkung, aber musste sich letztlich in die lange Liste der gescheiterten Interventionen einreihen (Weber 2016). Dementsprechend macht er sich über die vermeintlich einfache (aber »eigentlich unsinnige«) Lösung komplexer Probleme lustig. Noch viel grundsätzlicher er-

156 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

folgt eine sehr subjektive Positionierung außerhalb des gesamten politischen Systems, um den Antagonismus »wir hier« vs. »sie« noch stärker zu reproduzieren. Die Metapher der »Guerilla« verleiht dieser zur Feindschaft erklärten Distanz Ausdruck. Gleiches konnte Skalpel, auf den hier vorgestellten Titel befragt, auch im Rahmen eines Interviews bestätigen.18 Während der Feldaufenthalte in der Region Paris ergaben sich mehrere Unterhaltungen mit Skalpel, von denen eine als formales, halbstrukturiertes Interview festgehalten wurde (Juni 2012). Im ersten Teil seiner Antwort auf die Frage nach der Motivation für seinen Song konkretisiert er die vielen Standpunkte und Subjektpositionen aus den obenstehenden Einheiten (1) bis (3): »Révolte populaire ist ein Lied, mit dem ich die Volksaufstände reflektiert habe, die Frankreich 2005 erschüttert haben, bzw. [ist es] meine Analyse des dominanten Diskurses [sic] in den Medien. Dies wollte ich hauptsächlich mit meinem Lied zum Ausdruck bringen. Mir geht es darum zu sagen, dass die Medien diesen Revolten meiner Ansicht nach keinerlei Legitimität einräumten. Damals meinten die Machthaber: ›Das ist eine Revolte von Verbrechern‹. Andere Politiker sagten ›Wir verstehen eure Rebellion, aber so sollte man es nicht machen‹, ›aber sie zünden Autos, Bibliotheken und Schulen an‹.«19

Nach dem Abhandeln und Abweisen der hegemonialen Positionen in Politik und Medien unterstreicht der Skalpel im Liedtext seine kompromisslose Haltung (4). Erneut dient die Verbindung von räumlichen, identitären und dialogischen Markern (»hier ist wirklich nicht unser zuhause«) dazu, die Bewohner der Viertel als eindeutig unerwünscht und isoliert zu konstituieren. Folglich mündet die Empörung über physische und symbolische Gewalt durch die Polizei und bestimmten Teilen »der« Mehrheitsgesellschaft abermals im Gebrauch von physischer Gegengewalt als letzte, aber auch »legitime« Verteidigung (5). Gezielt interpelliert der Refrain nochmals die unterschiedlichen, räumlich definierten Subjektpositi-

18 Im Sinne der verfolgten Relationierung von Materialsorten werden stellenweise Passagen aus dem Interview eingestreut. 19 »C’est un morceau que j’ai écrit en écho aux révoltes populaires qui ont secouées la France en 2005, ou, mon analyse du discours dominant à travers les médias sur ces révoltes populaires-là. J’ai voulu le retranscrire en chanson, c’est ça le but principal. Mon constat, c’est de dire, les médias, ils n’ont accordé aucune légitimité à ces révoltes. Les politiciens qui étaient au pouvoir ce moment-là disaient: ›c’est une révolte de voyous‹. Les autres disaient: ›on comprend qui se révolte, mais c’est pas comme ça qu’il faut le faire‹, ›mais ils crament des voitures, des bibliothèques, des écoles‹.«

Gegenhegemoniale Raumdiskurse zwischen Makro und Mikro | 157

onen (»Typen aus der cité«, »banlieusards«), und jegliche von der Situation antagonisierte Unterstützer, welche die Empörung teilen. Die Forderung nach dem »spontanen Volksaufstand« erzeugt breite diskursive Äquivalenzen. Anders als im Beispiel mit B.James (s. oben) umfasst die Äquivalenzkette potentiell mehr Subjektpositionen als »Schwarze« und »Araber«, denen polyphon, entgegen moralischer Einwände das volle Recht (»alle guten Gründe«) auf Gegenwehr zugesprochen wird. Im Interview führt Skalpel dazu aus: »Eine Schule, eine Bibliothek, ein Auto, oder ein Unternehmen anzuzünden, das von Steuervergünstigungen profitiert, weil es neben einem einfachen Viertel20 liegt, aber keine Anwohner aus solchen Vierteln anstellt, [all das] ist meiner Meinung nach politisch und völlig legitim. Das ist die Hauptaussage des Liedes, genau das einzufordern und die Revolten zu verteidigen. Man weiß z.B., dass 75 Prozent der festgenommenen Aufständischen vorher nicht polizeilich erfasst waren. Die These, dass die Revolte von Gaunern ausging, die Randale machen wollten, ist falsch. Denn Gauner möchten Ruhe im Viertel, um Geschäfte zu machen. Sie haben kein Interesse an Aufständen. Also war es wirklich ein Volksaufstand von Leuten, die zu einem bestimmten Zeitpunkt sagten ›wir haben genug‹. Zum ersten Mal in der Geschichte Frankreichs haben sich nicht zwei, drei cités erhoben, sondern 350 Viertel in Frankreich. 350 Viertel in Frankreich haben sich mit einem Ereignis solidarisiert.«21 (Interview mit Skalpel, 30. Juni 2012)

Skalpel stellt eine sehr streitbare Behauptung jenseits des hegemonialen Konsenses auf, um sie sodann zu legitimieren (»unter bestimmten Umständen wird Ge-

20 Zu Beginn des Interviews präzisierte Skalpel die »quartiers populaires« als Viertel, in denen Arbeiter, Immigranten und Prekäre die Mehrheit stellen. 21 »Bruler une école, bruler une bibliothèque, cramer une voiture, ou bruler une entreprise qui jouit d’exonérations fiscales parce qu’elle est à côté d’un quartier populaire et qui n’embauche aucun habitant des quartiers populaires, tout ça, pour moi, c’est politique, et c’est totalement légitime, ça c’est le propos principal de ce morceau, c’est de revendiquer ça et défendre les révoltés. On sait, par exemple, que 75 pourcents des gens qui se sont révoltés, qui ont été arrêtés, n’avaient pas des casiers judiciaires. Donc, la thèse comme quoi c’était des voyous qui ont géré les révoltes pour foutre la merde, c’est faux. Parce que les voyous, ils veulent que le quartier soit calme pour pouvoir faire du business. Ils n’ont aucun intérêt à gérer des révoltes populaires. Donc c’était vraiment une révolte populaire des gens qui à un moment ont dit ›on en a assez‹. Pour la première fois dans l’histoire de France, ce n’étaient pas deux, trois cités qui se sont révoltés, mais 350 quartiers en France. 350 quartiers dans toute la France se sont révoltés en solidarité avec un évènement.«

158 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

walt politisch und sinnvoll«). Er skizziert die durch Gewalt zerstörten Gegenstände und lokalen Ausstattungen als wertlos für die Aufständischen. Gerade das Beispiel der Unternehmen, die wegen der räumlichen Stigmatisierung Vorteile genießen, zeigt, wie wenig die Anwohner von politischen Dispositiven wie der »unternehmerischen Freizone« (zone franche urbaine) profitieren. Bei den Betroffenen komme trotz der Subventionen nichts an. Auch die kulturalisierenden und de-legitimierenden Argumentationen, die im Kampf um die Deutungshoheit zu den Unruhen »Verbrecher-Revolten« anführen, lehnt Skalpel ab. Mit Zahlen widerlegt er die Umdeutung der Aufständischen zu Kleinkriminellen, weil drei Viertel der polizeilich erfassten Aufständischen vorher als unbescholten galten. Ebenso hält er es für nicht schlüssig, »echte« Kriminelle mit den Revolten zu assoziieren, haben diese doch keinerlei Interesse an »geschäftsschädigender Aufmerksamkeit«. Daher liegt für ihn näher, dass das Gros der jungen Viertelbewohner sich ein Ventil für den angestauten Frust in den Vierteln verschafft habe. Nicht etwa eine »Kultur der Respektlosigkeit« (vgl. das Zitat von Sarkozy zu Beginn des Abschnitts) oder Destruktivität zählen in diesem Kontext für Skalpel als Auslöser von Unruhe und Unsicherheit. Für ihn verweist der Umstand eines Flächenbrands in allen Teilen Frankreichs auf ein Problem allgemeinen Ausmaßes (350 Viertel anstelle »weniger besonderer Orte«). Andernfalls hätten sich nicht so viele Jugendliche im Zuge der Dynamik mit den Aufständischen solidarisiert. Die Beispiele dieses Abschnitts beinhalten Strategien der Konstitution einer unüberwindbaren Differenz zwischen »dem Eigenen« in den Vierteln, und einem Außen, dass mindestens genauso für die Unsicherheit und Unruhe vor Ort verantwortlich ist. So entstehen laut Rapperinnen und Rappern »rechtsfreie Zonen« bzw. Räume in denen die Zustände als ungerecht empfunden werden. In der Regel agieren dort wenige Akteure zulasten vieler Subjektpositionen ([1] »einige kriminelle Bewohner« und »überharte, rassistische oder korrupte Polizisten«, »verächtliche Spießer«, »subventionierte Unternehmer« vs. [2] »Schwarze«, »Araber«, »normale Jugendliche aus den Vierteln«, »Arbeiter«). Die resultierenden Unruhen werden, trotz Missachtung von Eigentumsrechten und anderer Überschreitungen, in diesem Lichte hingegen als legitim artikuliert.

Gegenhegemoniale Raumdiskurse zwischen Makro und Mikro | 159

Ortsbindungen »Ich liebe meine cité, ich habe mir sogar eine 2 Zimmer-Wohnung mit freier Sicht im achten Stock gekauft«22 Interpret: Stef, Titel: Le pauvre aisé, 2011.

Neben den Bezügen zur Gewalt durch oder gegen die Bewohner sowie einem empfundenen Unrecht, finden sich andere Aspekte zur Konstitution der Viertel, denen hegemoniale Sprecherposition wenig Beachtung schenken. Sie werden hier zusammenfassend als diskursive Praktiken der Herstellung von Ortsbindungen gerahmt. Angesichts der erdrückenden Beständigkeit eines territorialen Stigmas, sei diese Ortsbindung laut den etablierten Akteuren in Medien, Politik und Wissenschaft eher unwahrscheinlich (vgl. das Kapitel »Erklärungsansätze zur Entstehung von stigmatisierten Stadtteilen«). Die Konstitution der Ortsbindungen von bestimmten Subjektpositionen, die dem Viertel positive Bedeutungen verleihen, wurde überproportional häufig in den Titeln der Rapperinnen und Rapper aus Marseille beobachtet. Dies korrespondiert mit der lexikometrisch festgestellten Selbstreferentialität der Marseiller Rapperinnen und Rapper (die Lemmata »wir«, »Viertel« bzw. der Bezug auf die eigene Stadt/Region23 waren hochspezifisch für die Region Marseille im Vergleich zu anderen Partitionen). Normalisierungstrategien Wie befremdlich der Stolz auf die sozialräumliche Herkunft bei Diskursteilnehmern auf beiden Seiten der antagonistischen Grenze in den Raumdiskursen wirken kann, zeigt folgender Auszug: (1) Man weiß, dass ich von hier bin, da-

(1) On sait que je viens d’ici donc on

rum übergeht man mich

m’écarte de la liste

Sie stecken mich in eine Schublade und

Ils me catégorisent sur mon milieu théori-

stellen Theorie über mein Umfeld auf

sent

Aber ich begebe mich auf die Suche nach

Mais je pars en quête de la terre promise

dem verheißenen Land

de Moïse

(2) Anfangs versuchte ich meinen

(2) Au début j’essayais de camoufler

22 »J’aime ma cité, j’ai même acheté un T-2 au huitième étage avec une vue dégagée« 23 Bei der Durchsicht der Titel in den Korpora zeigte sich, dass viele Künstler aus Marseille häufig einen oder mehrere Titel in ihrem Repertoire führen, der den Namen ihres Wohn- bzw. Herkunftsortes beinhaltet.

160 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

banlieusard-Akzent zu verbergen

mon accent de banlieusard

Aber als ich mich selbst hörte, fand ich

Mais quand je m’entendais parler je

das komisch

trouvais ça bizarre

Schämt man sich in der Auvergne für sei-

Est-ce que l’Auvergne a honte de son

ne Gegend?

environnement?

Also warum sollte ich mich für mein

Alors pourquoi devrais-je avoir honte de

Hochhaus schämen? […]

mon bâtiment? […]

(3) Ich möchte keine Kohle mit dem

(3) J’aime pas me faire du fric sur la mi-

Elend machen

sère

Aber ich schwöre dir, meine Schinderei

Mais je te jure que mes galères j’en suis

hat mich stark gemacht und ich bin stolz

fort et j’en suis fière

darauf Ich bin stolz darauf, wo ich aufgewachsen

Je suis fière de là où j’ai grandi y’a pas

bin, dort gibt es nicht nur Bruchbuden

que les taudis

Dort gibt es ein paar Ganoven, aber wir

Y’a quelques bandits mais on vit qu’est-

leben, was sagst du jetzt?

ce que t’en dit?


Ich bin stolz darauf ein Jugendlicher aus

Je suis fière d’être un jeune de banlieue

der banlieue zu sein Was sie über unsere Nachbarschaft be-

Ce qu’ils montrent de chez nous est faux

richten stimmt nicht



Ich bin stolz auf mein Umfeld

Je suis fière de mon milieu

Interpret: Disiz, Titel: Jeune de banlieue, 2005.

In diesem kurzen Textausschnitt des Songs »Jeune de banlieue« von Disiz, beschwört der Rapper autobiographisch seine emotionale Ortsbindung an eine cité. Disiz stammt aus dem cité-Viertel Épinettes-Aunettes in Évry (banlieue südlich von Paris), und ist inzwischen ein national bekannter Musiker und Schauspieler. Eine zentrale diskursive Strategie im Textauszug liegt in der Normalisierung dessen, was es in hegemonialen Raumdiskursen zu stigmatisierten Vierteln zu problematisieren gilt. Somit sprechen Letztere permanent mit, um Disiz gleichzeitig alternative Deutungen zu gestatten. Gemäß dem Muster »Aussage eines hegemonialen Sprechers  polyphoner Marker mit relativierender Wirkung  Standpunkt des Rappers« organisieren vier »aber« im verwendeten Ausschnitt das diskursive Pendeln zwischen Rede und Gegenrede innerhalb der Äußerung. Durch Bezug auf seine quasi-benachteiligende Ortsherkunft (»man weiß, dass ich von hier komme…«) die negative Assoziationen hervorruft (1), konstatiert Disiz das Bestehen einer pauschalen Abneigung gegenüber Nachbarschaften wie der seinen. Die Abneigung vermengt sich zugleich mit einer gewissen distanzierten Faszination. Er umschreibt eine Art Sozialvoyeurismus gegenüber

Gegenhegemoniale Raumdiskurse zwischen Makro und Mikro | 161

»gefährlichen« oder sozial abgestiegenen Gruppen. Der Sprecher gibt vor, diese in hegemonialen Diskursen bereitgestellte Subjektposition im zeitlichen Vorfeld seiner Äußerung selbst internalisiert zu haben. Letztlich gelang es ihm vor dem Äußerungszeitpunkt, sie abzuschütteln, als gekünstelt zu betrachten (»ich fand das komisch«), und folglich als kontingent erscheinen zu lassen. Als Element der Normalisierung fungiert zunächst der Vergleich zwischen »Stadt« und »Land«. Am Beispiel der kargen (Natur-)Landschaft der Auvergne und des Akzents ihrer Bewohner, für die sich »schließlich« auch keiner in diesem Sinne schämt, stellt er eine Analogie zur »kargen« banlieue und ihren Redeweisen her. Er fragt rhetorisch, warum man sich dann für sie zu schämen hätte. Disiz konfrontiert Zuhörer und Mitsprecher mit der Frage »Wieso gelten für banlieues besondere Maßstäbe?«. Jene polyphone Zurückweisung der hegemonialen Sprecher verschafft einen Moment der Selbstermächtigung. Sie erlaubt, die eigene Subjektposition positiver darzustellen. In diesem Zuge wird auch die Lebenserfahrung an solchen Orten zur symbolischen Ressource erhöht (3), ohne die jener Stolz es »trotzdem« geschafft zu haben, nicht möglich wäre. Eine weitere Relativierung vollzieht die ironische Zurückweisung von Unsicherheitsdiskursen, deren Urheber als in der Sache stark übertreibend dargestellt werden. Zwar ist Kriminalität ein Bestandteil dieser Orte, es gibt aber eben »nur ein paar Ganoven«, die anderen sind es nicht (»was sagst du jetzt?«, »es stimmt nicht«). Hierdurch bleibt im unteren Drittel des zitierten Abschnitts permanent die Möglichkeit, Stolz mit der oftmals stigmatisierenden Bezeichnung »jeune de banlieue« zu artikulieren. Sozialer Reichtum Das nächste Beispiel stammt von der Gruppe Psy4 de la Rime aus Marseille. Die Äußerungsspuren und Inhalte geben weitere Hinweise auf die diskursiven Praktiken, die ambivalente Beziehungen anstelle einer reinen Abneigung zum Wohnund/oder Herkunftsort erzeugen. [Soprano]

[Soprano]

(1) Willkommen in »cosmopolitanie«

(1) Bienvenue en cosmopolitanie

Dort wo Familien aus unterschiedlichen

Là ou des familles de diverses cultures

Kulturen sich zum Rommee treffen

sont réunies pour un rami

(2) Trotz fehlendem Geld wirst du immer

(2) Malgré le manque d’économie tu ver-

Mütter sehen, die etwas zu essen auf den

ras toujours des daronnes régler les pro-

Tisch stellen

blèmes de gastronomie

(3) Wir begnügen uns mit wenig, selbst

(3) On se contente de peu même si le

wenn der Banker uns anschnauzt

banquier fait la gueule

162 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

Zu lange in die Sonne starren lässt uns er-

A trop regarder le soleil on en devient

blinden

aveugle

Obwohl wir nicht reich sind, wirst du Liebe

Même si le luxe ne tapisse pas nos murs

in unseren Gesten finden

tu trouveras dans nos gestes de l’amour

[Alonzo]

[Alonzo]

(4) Ich rappe die Nähe, du weißt, dass du es

(4) J’rap la proximité; tu sais de loin tu ne

von außerhalb [hier] nicht gut finden kannst

peux pas aimer

(5) Ich bin das Update meines Viertel, ich

(5) J’suis la mise à jour de mon quartier je

sehe es niedergehen

le vois mourir

Dann wiederauferstehen, wenn die Brüder

Puis renaitre quand les frères viennent à

heiraten

se marier

Ich schwöre dir, unsere Nachkommen sind

Woulah [arabisch] ils sont trop beaux nos

zu schön

héritiers

Wir haben was vorzuweisen

On a du mérite

(6) Sogar depressiv, ohne Cannabis, zeigen

(6) Même dépressif sans résine on donne

wir Respekt

le respect

Ob das so bleibt, weiß nur Gott

Si ça va durer Dieu seul sait

Davon bekommen meine Worte eine Gän-

Mes mots en ont la chair de poule

sehaut (7) Ihr seid die goldenen cités [x3]

(7) Les cités d’or, c’est vous [x3]

Interpret: Psy4 de la rime, Titel: les cités d’or, 2008.

Der Titel drückt die enge Bindung zu den sehr verrufenen Großwohnsiedlungen von Plan d’Aou im Marseiller Norden aus. In den Strophen entfaltet sich eine andauernde Aushandlung des Stigmas. Zunächst erfahren die cités von Plan d’Aou eine Umbenennung durch den Neologismus »cosmopolitanie« (1): das negativ konnotierte Toponym Plan d’Aou wird mithilfe eines Kulturalismus reartikuliert. Dieser übersteigt die bloße Zeigefunktion im physischen Raum, indem er die Bewohner des Viertels jenseits engerer kultureller oder nationaler Trennlinien in Äquivalenz zueinander setzt. Durch den Gebrauch von polyphonen Markern debattiert Soprano über mehrere Zeilen hinweg die etablierte diskursive Verbindung zwischen seiner Nachbarschaft und Armut (siehe die Marken 1 und 2). In (2) dient der Mangel an finanziellen Mitteln und der Unerwünschtheit der Bewohner (in Kreditinstituten) als konkretes Beispiel hierfür. Die Marker »dennoch« und »immer« signalisieren Sopranos graduelle Anerkennung des Vorurteils. Dem Mangel kann dennoch irgendwie im Kleinen begegnet werden (»es gibt immer was zu essen«). Ökonomistische und externe Sprecher (die nicht »von hier« sind) täuschen sich laut dem Rapper. Trotz Mangel kann

Gegenhegemoniale Raumdiskurse zwischen Makro und Mikro | 163

man vor Ort bestimmten Bedürfnissen beikommen und den Alltag bestreiten. Neben der Betonung, Engpässe abmildern zu können, adressiert der Lokutor zudem Leser bzw. Zuhörer. Die Interpellation über die zweite Person fordert von den Zuhörern, das Gesagte persönlich und über die Äußerungssituation hinweg (mit Gebrauch des Futurs) nachzuvollziehen. Der Rapper Alonzo beginnt seine Strophe mit einer Negation. (4). Sie lässt sich als »wenn du von außerhalb kommst, kannst du es gar nicht so gut finden« paraphrasieren. Alonzo attestiert »Auswärtigen« (die nicht aus dem Viertel stammen) eine uneinholbare Distanz zu seinem Standpunkt. Er exkludiert NichtInitiierte aus dem Diskurs (somit auch die Forschenden und Leser): nur der gelebte Raum in seinem Viertel offenbare dessen Vorzüge. Gerade hier erfolgt eine über die gesamte Äußerung anhaltende Wieder-Aneignung der Deutungshoheit über die eigene, verkannte Identität. Das deiktische »wir« (5) macht Alonzo zum »Korrespondent« seiner Nachbarschaft. Im Zickzack-Kurs berichtet er über die positiven Aspekte der Zugehörigkeit und die negativen Zuschreibungen der Viertel. Denn obwohl die Nachbarschaft »niedergeht«, insistiert der Rapper, dass dies nicht generalisierbar sei. Nach wie vor bestehe ein intaktes Sozialgefüge. Die bereichernde Familiarität des Viertels gleicht die Schattenseiten aus und stimmt Alonzo optimistisch. In (6) wird ein weiteres Stereotyp zum devianten Verhalten der cité-Jugendlichen (chronischer Cannabis-Konsum und Entzugserscheinungen) in moralische Integrität umgemünzt (»respektvolles Verhalten«). Die konkludierende Umdeutung des stigmatisierten Ortes bildet in (7) die mehrfache Wiederholung der interpellierenden und in Wert setzenden Formel »ihr seid die goldenen cités24«. Sie drückt den großen »sozialen Reichtum« aus, den die Rapper jenseits materiellen Besitzes in ihresgleichen und in den cités sehen. Die Formulierung bietet zugleich jenen Zuhörern aus anderen cités (außerhalb Nordmarseilles) diskursive Anknüpfungspunkte. Rap als Kritik der Stadtentwicklungspolitik Das letzte Beispiel, ebenfalls zu Marseille, zeigt eine gegenhegemoniale Intervention zu Maßnahmen der Stadtentwicklung – ein Bereich, mit dem Akteure im Rap kaum assoziiert werden. Um den Textausschnitt besser einordnen zu können, bedarf es zunächst der Erläuterung seiner Hintergründe. Seit 1995 werden in den innerstädtischen Vierteln großflächige Erneuerungsprogramme umgesetzt (»Euroméditérranée« I und II). Das Gros der Projekte betrifft die ehemaligen Arbeiterviertel am Alten Hafen (Vieux Port), an den

24 In Anlehnung an die neuzeitlichen Mythen der Konquistadoren über den Reichtum der »sieben goldenen Städte« der indianischen Ureinwohner des heutigen New Mexikos.

164 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

ehemaligen Docks und in der Stadtmitte. Diese Viertel sind in besonderem Maße von Armut und Migration gekennzeichnet. Gepaart mit den regelmäßigen Medienberichten über die organisierte Kriminalität in den quartiers nord, perpetuieren diese Stadtteile den nationalen und internationalen Ruf Marseilles als »gefährliche« oder »exotische« Stadt. Die Programme sollten nach dem Bedeutungsverlust Marseilles als Industrieund Handelsstandort den zentrumsnahen Stadtbereich transformieren. Hierfür veräußerten kommunale Wohnbaugesellschaften große Teile ihres Immobilienbesitzes, Stadt und Zentralstaat setzten Anreize für Privatinvestitionen auf dem Immobilienmarkt. Dies ebnete den Weg für massive städtebauliche Eingriffe in den Vierteln der Innenstadt. Ab der Jahrtausendwende wurde ein erheblicher Teil des Wohnhausbestandes der Arbeiterviertel (samt dortiger Sozialwohnungen) abgerissen, es entstanden neue Apartments, Bürohäuser und Museen. Die Kommunalverwaltung bemühte sich, Angehörige der gehobenen Mittelschicht anzuziehen und einen Standort für das Dienstleistungsgewerbe zu entwickeln (Jourdan 2008). Der erhoffte Aufwertungsprozess blieb jedoch aus. Weder urbanes, noch ökonomisches Wachstum machten sich deutlich bemerkbar. Die erwünschte finanzkräftige Klientel blieb dem erneuerten Stadtkern und seinen historischen Haussmann-Bauten fern. Gleichzeitig schrumpfte die ursprüngliche Lokalbevölkerung durch Verdrängungsprozesse und Umquartierungen infolge der zunehmenden Immobilienspekulation (Rescan 2015). Eine von Anwohnern gegründete Bürgerinitiative hat die Folgen dieser Aufwertungsstrategie am Beispiel der zentral gelegenen Rue de la République in einem Vorher/Nachher-Vergleich zwischen 2004 und 2015 dokumentiert (vgl. Abbildung 25; oben: 2004, unten: 2015; die Läden auf den Fotos [Tee-Salon, Textilhandel] wichen Boutiquen des Premiumsegments [oder Laden-Attrappen, wie rechts unten]). Als Marseille zu Europas »Kulturhauptstadt« 2013 (»Capitale européenne de la culture«) gekürt wurde ergab sich für die Verwaltung eine weitere Gelegenheit, das Image der Stadt aufzuwerten sowie die gewünschte bauliche und residentielle Entwicklung voranzutreiben. Lokale Bewegungen und Aktivisten wie die Rapperin Keny Arkana sahen hierin den nächsten Versuch, unerwünschte Bevölkerungsgruppen aus der Stadt zu drängen, und die Zusammensetzung der eingesessenen Bewohnerschaft zu verändern. Dies hielt Keny Arkana in einer Videodokumentation25 und einem Rap-Song fest. Beide tragen den Titel »capitale de la rupture« (sinngemäß »Hauptstadt der [sozialen] Spaltung«).

25 www.dailymotion.com/video/x2fwi5r_mini-docu-marseille-capitale-de-la-rupture-2013-min_music (zuletzt aufgerufen am 20.12.2015).

Gegenhegemoniale Raumdiskurse zwischen Makro und Mikro | 165

Abbildung 25: Rue de la République (Marseille) 2004 und 2015

Quelle: UN CENTRE VILLE POUR TOUS 2015 : 41.

Das folgende Beispiel verlagert im Gegensatz zu den vorrangegangenen Zitaten die Herstellung einer emotionalen Ortsbindung in gegenhegemonialen Raumdiskursen vom Stadtrand in das Stadtzentrum. (1) Was ist aus La Joliette26 nach hunderten

(1) Qu’est-ce qu’est devenue La Joliette

von Zwangsräumungen geworden?

après expulsions par centaines?

Sicher nicht das, was wir gewollt hätten

Certainement pas ce qu’on aurait voulu

27

Wo ist das bled ?

Où est passée la ville du bled?

Anscheinend ist diese Zeit vorbei […]

Paraît que ce temps est révolu […]

Ich erkenne meine Stadt nicht mehr, an-

J’reconnais plus ma ville, paraît qu’elle

scheinend ist sie sehr reich geworden […]

est devenue bien huppée […]

Bullen und Kameras an jeder Straßenecke

Flics et cameras à chaque coin de rue

(2) Zwangsgeräumt fürs Business,

(2) Expulsé pour du business

Was bleibt am Ende übrig

[‘fin de] compte ce qui reste

Ein gebrochener Geist, wie die Mauern, an

Esprit démoli comme ces murs qu’on a

denen wir immer abgehangen haben

toujours tenus

26 Ehemaliges Arbeiter- und Einwandererviertel in der Nähe des Alten Hafen. 27 Arabisch für Herkunftsland, -stadt, -dorf.

166 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

Das hier ist für die kleinen Schlangen die

Alors j’dédicace les petites teignes anti-

›anti-system‹ sind, die man gerne in den Kä-

systèmes qu’on souhaite en cage ou pire

fig stecken würde oder Schlimmeres Was wird aus meinen Leuten?

Qu’est ce que les miens vont devenir ?

(3) Unsere Straßen werden immer trister

(3) Nos rues se remplissent de tristesse

Eine Art Apartheid zieht auf

Un genre d’Apartheid se dessine

Die Zone war nicht nur der Rausch,

La zone c’était pas que l’ivresse

[Nein, auch] echte Kameradschaft, Freude

La Camaraderie, la vraie, la joie

Es gab keine Kalaschnikows28 […]

Y’avait pas d’carabines Kalash […]

(4) Sie renovieren unsere Viertel und wer-

(4) Refont nos quartiers et nous virent

fen uns raus, während das Leid wächst

pendant que la misère s’accroît

Touristen spazieren gemächlich herum

Tranquille se pavanent les touristes

Während meine Brüder im Knast sind

Pendant que mes frères sont au placard

Überall erfassen uns Kameras, um jeden Ort

Partout les caméras nous fixent 
 pour

und die Identität von Marseille besser zu

mieux aseptiser chaque place et l’identité

desinfizieren

de la ville Marseille!

Interpretin : Keny Arkana, Titel : Capitale de la rupture, 2012.

Keny Arkana erteilt bejahenden Stimmen zur Marseiller Stadterneuerung im Zusammenhang mit dem Kulturhauptstadt-Event eine klare Absage. Der starke Marker »sicher nicht« weist die offizielle Argumentation zurück, nach der alle Bewohner der Stadt in gleichem Maße von der Inszenierung profitieren würden (1). Denn die zu Hunderten von den Zwangsräumungen Betroffenen prägten den Charakter des Viertels »La Joliette« vorher erheblich. Daher fragt die Rapperin, was aus dem das bled geworden ist (siehe Fußnote). Der Sprachwechsel verweist zudem auf die nordafrikanische Prägung der Bewohner von Marseille, dem mediterranen Brückenkopf zwischen Frankreich und dem Maghreb. Ein Teil dieser Bewohnerschaft musste der neuen Stadtentwicklung weichen, und mit ihr das »Flair« der unterschiedlichen kulturellen Einflüsse im Viertel. In (2) bekräftigt Keny Arkana ihren Standpunkt durch eine Kritik an der immobilienorientierten und kulturpolitisch vorangetriebenen Stadtentwicklung Marseilles. Letztere reiße aus ihrer Sicht die gewachsenen Strukturen eines Hafenarbeiterviertels ein. Ökonomische Interessen der Nicht-Verwurzelten werden den »demolierten«, aber genügsamen Ortsbindungen der (ehemaligen und »zerrissenen«) Bewohnerschaft gegenübergestellt, die bis in die Äußerungssituation

28 Anspielung auf die Auseinandersetzungen zwischen kriminellen Banden in Marseille, die ihre Streitigkeiten untereinander teilweise mit Kriegswaffen wie Kalaschnikows ausgetragen.

Gegenhegemoniale Raumdiskurse zwischen Makro und Mikro | 167

hinein als Erinnerungen an die Raumnahme in Form eines passé composé (Perfekt) präsent sind (»Mauern an denen wir immer abgehangen haben«). Besonders im Falle der oben abgebildeten Rue de la République29 wird dies evident. Dortige Entwicklungen bewirkten die Desintegration des Soziallebens der Eingesessenen, da die Immobilieninvestoren Strategien der schnellen Maximierung von Bodenrenten in La Joliette verfolgten (vgl. »zwangsgeräumt fürs Business« und die Belege weiter oben).30 Gerade deshalb sorgt der Zustand »unserer Straßen« im Jetzt der Äußerung für Betrübnis (3). Ein überspitzter, wenn auch polyphon relativierter Vergleich symbolisiert die von Keny Arkana interpretierte Spaltung der Bevölkerung Marseilles in nunmehr »zu segregierende« und erwünschte Gruppen (»eine Art von Apartheid«, aber nicht »identisch« mit der südafrikanischen Apartheid). Im selben Zug drängt sie die Sprecher hegemonialer Diskurse zurück, welche die Viertel ausschließlich auf Lasterhaftes oder Gewalt reduzieren und andere Assoziationen mit der »Zone« ausblenden, um den in der Stadtentwicklung eingeschlagenen Weg zu legitimieren (»die Zone ist gleichzusetzen mit x [z.B. Rausch oder Waffen]«  »NEIN, nicht nur «). Denn bevor die konstatierte Quasi-Apartheit in der »Zone« (hier als positiv konnotierter Raumausschnitt) einsetzte, existierte laut Keny Arkana ein weit mehr als oberflächlicher Gemeinschaftssinn (»nicht nur Kameradschaft, sondern wahre Kameradschaft«). Keny Arkana bescheinigt am Ende des Auszugs (4) den Verantwortlichen der Stadtentwicklung sich mehr um den Ruf statt um die Bewohner der innerstädtischen Viertel zu sorgen. Hieraus lässt sich folgern, dass die (einst) räumlich konzentrierten sozialen Probleme (ehemaliger) Hafenarbeiter und Einwanderer nie wirklich über räumliche Zugriffe gelöst wurden und inzwischen »einfach andere« Prioritäten die Stadtentwicklung bestimmen.31 Der einst gelebte öffentli-

29 Die ehemalige Prachtstraße im Zentrum Marseilles zieht sich über mehrere Kilometer von La Joliette bis zum Alten Hafen. 30 Eine Ortsbegehung während eines explorativen Feldaufenthalts im Juli 2013 vermittelte eben jenen Eindruck und bestätigte zugleich die Ausführungen zur Fragmentierung der innerstädtischen Viertel von Keny Arkana und in der gesichteten Literatur: Den physischen Raum kennzeichnet eine eigentümliche Mischung aus leerstehenden Wohnungen und Ladenlokalen, hochpreisigen Luxuswohnungen und -boutiquen, aus Ladenlokalen eingesessener Lebensmittelhändler und aus renovierten Sozialwohnungen. 31 Gemäß der Karte in Abbildung 1 (Kapitel »Einleitung«) lebten 2006 über 215.000 Einwohner der Agglomeration Marseille (rund eine Million Einwohner) in einer »sensiblen urbanen Zone«.

168 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

che Raum unterliegt nun einem strengen urbanen Regime, das aus Sicht der Sprecherin repressive Züge aufweist. Die stilistische Pathologisierung der Praktiken der Stadtverwaltung als »Desinfektion aller Ecken« um des neuen bürgerlich-(hoch)kulturellen Images willen, das nachteilhafte Arbeiter- und MigrantenImages Marseilles abschütteln soll, unterstreicht diese Ablehnung. In den vorangegangenen Beispielen des Abschnitts bestehen die aufgefundenen gegenhegemonialen Strategien in den Rap-Texte gerade darin, wirkmächtige Bewertungen zu den Vierteln und der »eigenen« Praktiken fein zu verschieben, anstelle sie ins Gegenteil zu verkehren. Den unterschiedlichen raumbezogenen Subjektpositionen wird ein Recht auf Ortsverbundenheit und normalisierten Alltag zugesprochen, um defätistischen oder starren Diskursen entgegentreten zu können. Es entstehen diskursive Freiräume, die hegemoniale und sozialwissenschaftliche Diskurse selten gewähren. Hierbei variiert die thematische Vielfalt zwischen der Normalisierung der eigenen Herkunft, einer Betonnung von sozialem Reichtum (»viele Kulturen«, »kollektives Durchhaltevermögen«, »normale Jugendliche«) und dem Rekurs auf starke Ortsbindungen, die zu häufig ignoriert oder übergangen würden.

Gegenhegemoniale Raumdiskurse zwischen Makro und Mikro | 169

Territoriale Stigmatisierung zwischen (Post-)Migration, »Integration« und Postkolonialität »Wir haben die Sprache von Molière sabotiert, den Rassismus von Voltaire aufgedeckt, Wir haben das Zelt aufgeschlagen, jetzt wird man damit leben müssen ›Die Neger machen euch verrückt‹ wie Aimé Césaire sagen würde«32, 33 Interpret: Z.E.P., Titel: La gueule du patrimoine, 2009.

Am Beispiel der Rap-Musik und ihrer z.T. gegenhegemonialen Raumdiskurse spiegelt sich besonders der Umstand, dass in den stigmatisierten Vierteln überdurchschnittlich viele aus Nord- oder Westafrika bzw. Ozeanien, den Komoren oder den Antillen stammende Franzosen und Einwanderer leben. Rapperinnen und Rapper greifen die hegemonial-kulturalistischen Diskurse der 2000er Jahre auf, um sie gemeinsam mit den Unsicherheitsdiskursen und Aspekten von Ortsverbundenheit zu re-artikulieren. Kennzeichnend ist hierbei aber auch der stetige Rekurs auf die französische Sozialgeschichte; genauer: die Kolonisation und DeKolonisation, die Einwanderung nach Frankreich, und die Diskussion der (vermeintlichen) Zugehörigkeit zu einer Nation. Die gefundenen Beispiele eint also das strukturierende Moment, den Status bestimmter (post-)migrantischer Gruppen zu hinterfragen, die im »Raumcontainer stigmatisierte Viertel« verortet werden. Die Rapper greifen unterschiedliche Klischees zu deren »Fremdheit« auf, und machen sie zum Ausgangspunkt der Gegenerzählungen. Dass diese Arten des Rappens über stigmatisierte Viertel auf breite Resonanz stoßen, zeigen die hitzigen politischen Kampagnen und Gegenkampagnen, die Rap-Texte auslösen (sowie die Gerichtsprozesse bestimmte Interpreten).

32 »On a saboté la langue de Molière, démasqué le racisme de Voltaire / On a planté la tente, maintenant faudra s’y faire / Les nègres vous emmerdent comme dirait Aimé Césaire« 33 Der kontroverse, aber affirmative Gebrauch des Begriffs »Neger« wird durch Aimé Césaire, Autor der Négritude-Bewegung, nicht im Sinne einer wesenhaften Identität von Dunkelhäutigen, sondern einer auferlegten Identität des Leidens verwendet (»der, den ihr Neger nennt«). Die auferlegte Identität bildet den Hauptgegenstand seiner antikolonialen Kritik (Hauck 2012: 66ff.).

170 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

Banlieusards, »nicht-europäisch«, »gefährlich«? Der Rapper Ekoué greift im Titel »Affreux, bête et dangereux« (»schrecklich, dumm und gefährlich«) hegemoniale Klischees über deviante Jugendliche auf. Ekoué (Abbildung 26, links) stammt aus Togo und ist ebenfalls Mitglied der Gruppe La Rumeur, wie der bereits erwähnte algerischstämmige Rapper Hamé (vgl. auch den Abschnitt »Hegemoniale Konstitution von Rap« bzw. Abbildung 26, rechts; die Aufnahme entstand während eines Feldaufenthalts in Paris). Abbildung 26: Ekoué und Hamé von La Rumeur

Quelle: Aufnahme: M. Germes, 28.06.2011.

Ekoués Text verhandelt auf unbequeme Art die beständige Furcht vor »fremdaussehenden« banlieusards: (1) Schwarze mit Kapuze, Araber mit Kufiya

(1) Nègres à capuches, Arabes à kéfié

So war es vorgesehen, und du suchst noch

C’était déjà planifié, toi qui cherches

jemanden, dem du dich anvertrauen kannst,

encore à qui te confier, tes petits pro-

deine kleinen Probleme nerven

blèmes font chier

Wir sind »fehlerhafte Franzosen«, die Nicht-

Nous sommes des fautes de français, les

Europäer sind verpflichtet, perfekt zu sein

extra-européens sont tenus à être par-

(2) Wer sind die Täter? Gruppenvergewalti-

faits

gung des ersten Verfassungsartikels,

(2) Qui sont les auteurs de faits? Viols

Entführung des Grundsatzes der Unschulds-

en réunion de l’article Un de la Consti-

vermutung

tution

Gegenhegemoniale Raumdiskurse zwischen Makro und Mikro | 171

Schwere Zuhälterei von Personen, die in

Séquestration avec violence du principe

Frankreich geborenen, sozial benachteiligt

de présomption d’innocence

sind, und einen »Rassenunterschied« aufwei-

Proxénétisme aggravé sur des personnes

sen

nées en France avec un handicap social plus une différence raciale

Die Sitzung ist eröffnet, die Anhörung kann

La séance est ouverte, l’audience peut

beginnen

commencer

Führt die gesamte Nationalversammlung in

Faites rentrer dans la salle toute

den Saal, und diejenigen, die von früh bis

l’Assemblée Nationale et qui nous

spät auf uns spucken

crache dessus à longueur de journée

[…]

[…]

(3) Wie weit werden wir noch sinken, von

(3) Jusqu’où va-t-on descendre? De quel

welchem Bastard wird es abhängen?

enfant de salope cela va-t-il encore dépendre?

Von welchem Denker, welchem Philoso-

De quel penseur, de quel philosophe, de

phen, welchem Kritiker, welcher Stimme im

quel censeur, de quelle voix off, de quel

Off, welchem Fernsehmoderator, welchem

animateur télé, de quel chroniqueur zé-

eifrigen Chronisten?

lé?

Kurz: so viele echte Gegner wie falsche Ver-

Bref: autant de vrais ennemis que de

bündete

faux alliés

Ich bin nur ein Ausweis mit Siegel, mein ein-

Je suis qu’un passeport sous scellés,

ziges Verhältnis zur Staatsbürgerschaft

voilà mon seul rapport à la citoyenneté

[…]

[…]

(4) In den cités sind Waffen im Umlauf, es

(4) Il y a des armes qui tournent dans les

erleichtert uns, wenn euch das Angst einjagt

cités, c’est un soulagement pour nous, si c’est pour vous une source d’anxiété

Lasst uns nicht mehr die Rollen vertauschen

N’inversons plus les rôles

Ich habe es aufgegeben, zuversichtlich oder

J’ai pour ma part oublié d’être drôle ou

lustig zu sein, diese Wörter aus meinem

positif, banni ces mots de mon vocabu-

Wortschatz verbannt, mit Stößen aus dem

laire à grands coups de Kärcher et puis

Kärcher und danach mit Sprengstoff

d’explosifs

Interpret: Ekoué, Titel: Affreux, bête et dangereux, 2009.

Die von Ekoué anfänglich (1) evozierte Bekleidung (Kapuze, Kufiya [auch bekannt als »Palästinenser-Schal«]) verweist sinngemäß auf das vermeintlich bedrohliche Erscheinungsbild und daraus ableitbare deviante Verhalten von männlichen, jungen cité-Bewohnern. Die »Schwarzen« mit Kapuze symbolisieren dabei eine potentielle Unberechenbarkeit, die dem »du« der Äußerung zusetzt (gemeint ist hier der »Spießer«). Gleiches gilt für die arabisch Aussehenden mit

172 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

Kufiya. Die Bedeutung des Kufiya erschöpft sich nicht in der eines ModeAccessoires, sondern kann je nach Rezeption auch politische Assoziationen mit panarabischen Diskursen oder Terrorismus hervorrufen. Solche bürgerlichen Ängste erscheinen Ekoué in Anbetracht der Gesamtsituation der zwei kollektiven Identitäten »Schwarze« bzw. »Araber« jedoch irrelevant und »nervig«. Anders ausgedrückt wird »das bisschen an bürgerlicher Angst« von der systematischen Stigmatisierung bestimmter sozialer Gruppen – aus Sicht des Sprechers – klar in den Schatten gestellt. Dieses Umstands sei sich das von Ekoué interpellierte »du« nicht mal bewusst. Die Selbstbezeichnung »fehlerhafte Franzosen« dient zur Absteckung von antagonistischen Linien: die eigentlich linguistische Bewertung (falsche, fehlerhafte Sprache [wörtlich »Französischfehler«]) wird auf »die eigene« soziale Gruppe übertragen, um deren vermeintliche Nicht-Zugehörigkeit und Deplatziertheit in einem größeren Kontext zu verdeutlichen. Diese Definition von Minderheiten auf Basis ihres Erscheinungsbildes, verunmöglicht ihnen zugleich, ihren vermeintlichen Makel zu verdecken. Das polyphone Adjektiv in »perfektes Verhalten« (nur durch hundertprozentige Angepasstheit lassen sich unangenehme Konsequenzen vermeiden) führt hier den einzigen Ausweg an, um der Wirkmächtigkeit des Stigmas zumindest partiell entfliehen zu können. Ekoué wechselt stilistisch das Register (2). Er versucht, seine für die Hörer möglicherweise kontroversen Setzungen zu erläutern und die Urheber der skizzierten Situation ausfindig zu machen. Der diskursstrategische Registerwechsel in die institutionelle Position eines Anklägers (Vorbringen der Anschuldigungen bzw. Anklagepunkte im juristischen Vokabular, verfahrenstechnische Anweisungen), bewirkt letztlich eine Verschiebung der hegemonialen Klischees und die Inversion der Rollen. Nun gelten die »dominierenden Klassen« als die eigentlich gefährlichen. Die oft mit cités assoziierten Praktiken wie Zuhälterei, Raub oder Vergewaltigung gehen nicht mehr von den Stigmatisierten aus. Klischees über Jugendliche, die in Banden umherziehen und den öffentlichen Raum unsicher machen, werden nun auf staatstragende und mehrheitsgesellschaftliche Akteure umgemünzt. Vorgebrachte »Anklagepunkte« implizieren die für Ekoué die Missachtung republikanischer Werte: Schwarzen und Arabern werden die im ersten Artikel der französischen Verfassung garantierten Gleichheitsrechte abgesprochen, da sie bereits aufgrund von Äußerlichkeiten (»Rassenunterschied«) schnell unter einem folgenschweren Generalverdacht stehen (»Beraubung der Unschuldsvermutung«) und »soziale Benachteiligung« erfahren. Als Verantwortliche identifiziert der Rapper eine »politische Klasse«, repräsentiert durch die französische Nationalversammlung. Angesprochen werden ferner auch all

Gegenhegemoniale Raumdiskurse zwischen Makro und Mikro | 173

jene, die aus Sicht des Lokutors solch demütigende Verhaltensweisen alltäglich reproduzieren. In (3) verweist Ekoué auf weitere Verantwortliche aus dem französischen Medienbetrieb und deren weiterhin konstanten Einfluss beim Schüren von Ängsten (»Wie lange wird es noch…?«). Auch wenn die Akteure nur über ihre Tätigkeit bezeichnet werden (Kommentatoren, Journalisten, Philosophen etc.), lassen sich Bezüge zu namentlich identifizierbaren, prominenten Diskursteilnehmern aus der Hochzeit des Sarkozysmus herstellen (der Titel wurde 2009 publiziert). Ekoué könnte beispielsweise auf den Einfluss von Personen des öffentlichen Leben wie dem Essayisten Eric Zemmour oder ähnlichen Stichwortgebern der bürgerlichen Rechten, wie dem Philosophen Alain Finkielkraut abzielen, die beide seit den 2000er Jahren sehr einwanderungskritische und kulturalistische Positionen vertreten. Auch auf Medienformate wie die quotenstarken »20 Uhr Nachrichten« oder tendenziöse Vorort-Reportagen »mit versteckter Kamera« träfe die oben gestellte Frage zu.34 Ékoué verknappt das blockierende Außen seiner und anderer Identitäten im gegenhegemonialen Diskurs formelhaft: aus seiner Sicht halten sich seine »echten Gegner« (anstelle eingebildeter oder vermeintlicher) und »falschen Verbündeten« (anstelle solidarischer Fürsprecher) die Waage, was im Umkehrschluss auf die wenigen tragfähigen diskursiven Koalitionen zur Anfechtung der Stigmatisierung verweist. In Anbetracht der dadurch »absolut« marginalen Subjektposition in hegemonialen Diskursen hat der Rapper ein lediglich instrumentelles Verhältnis (»nur«) zur französischen Staatsbürgerschaft, für die das Amtssiegel entscheidender als die mit ihr verbundenen Wertvorstellungen sei. In (4) plädiert der Lokutor für die Beherzigung seines Lösungsvorschlages, die Rollen der Betroffenen von sozialer und räumlicher Stigmatisierung neu zu bewerten. Im Gegensatz zu den vielen Mitsprechern im Diskursausschnitt, plädiert Ekoué dafür, erfolgreiche Erklärungsmuster aufzugeben (»nicht mehr Rollen die vertauschen«, »den Tatsachen ins Auge sehen«): die exkludierenden und als niederträchtig empfundenen Praktiken der aufgeführten Akteure seien weitaus gefährlicher und wirkungsvoller als die ihrer Adressaten; auch wenn Ekoué die vorangegangene, intratextuelle Aussage sofort relativiert und mit einer gewissen Hoffnungslosigkeit verbindet. Letztere untermauert er mit einer ReKontextualisierung der berüchtigten Kärcher-Metapher des ehemaligen Innen-

34 Dies betrifft beispielsweise das seit 1990 bestehende Reportagen-Format »Envoyé spécial« im öffentlich-rechtlichen Sender France 2. Die dortigen »Primetime-Stories« über Vororte bilden einen wiederkehrenden Gegenstand der Kritik in den untersuchten Rap-Texten.

174 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

ministers und damaligen Staatspräsidenten Sarkozy (»Zuversicht und Hoffnung ›wegkärchern‹ und deren verbleibenden Reste ›wegsprengen‹«). Eine gescheiterte »Integration«? »Um Frankreich wieder aufzubauen und Autobahnen anzulegen, Hat man aus dem Eingeborenen den Einwanderer gemacht Er ist sogar noch weit davon entfernt, dass seine Wunden überhaupt vernarben Meine Misere wird zur Prophezeiung, sie trotzt dem Mythos der Integration«35 Interpret: Al, Titel: Les pierres, 2008.

»Integration« wird auch in den Rap-Titeln zu einem viel beschworenen Gegenstand, für den abweichende Erklärungen herangezogen werden. »Integration« ist im Rap-Korpus oft im abstrakten Sinne eines überfälligen Einlösens der formellen Chancengleichheit für alle Staatsbürger gemeint. Im Eingangszitat schätzt Al die derzeitige Realisierbarkeit als Mythos ein. Für ihn verweisen Integrationsdiskurse und -Forderungen gleichzeitig auf die persistente, »uneinholbare« Differenz zwischen den ehemaligen Kolonisatoren aus der Metropole und den ehemals Kolonisierten aus der Peripherie des Kolonialreiches, die nun die urbane Peripherie bevölkern. Gemäß Al wurden Letztere trotz formeller Zugehörigkeit zu Frankreich nie anerkannt, sondern galten erst als Eingeborene und bis jetzt als Einwanderer. Im folgenden Beispiel wird deutlich, wie Sprecher die vielen verfügbaren Subjektpositionen und (Raum-)Konzepte in gegenhegemonialen Raumdiskursen mit soziohistorischen Erklärungsmustern artikulieren. Hierbei konstituieren Rapperinnen und Rapper ein Spannungsfeld zwischen einer (längst abgeschlossenen) Migration »in die Viertel«, und den vorhandenen Chancen zur Teilhabe der (Post-)Migranten. Der Autor Kery James (aus Orly, südlich von Paris) stammt gebürtig aus dem französischen Überseedépartement Guadeloupe. Er ist neben La Rumeur einer der medial am kontroversesten diskutierten Vertreter des rap engagé (d.h. des Raps jenseits des festiven bzw. »gangsta«-Genres). Kery

35 »Pour reconstruire l’Hexagone, tracer des autoroutes, l’autochtone est devenu l’immigré / Il est encore même loin de la cicatrisation / Ma galère devient prophétie et fait face au mythe de l’intégration«

Gegenhegemoniale Raumdiskurse zwischen Makro und Mikro | 175

James’ Sichtbarkeit im Diskurs (seine Karriere begann Anfang der 1990er Jahre) machte ihn ab den 2000er Jahren zur politischen Zielscheibe. Beispielsweise bot er 2013 in Nizza bei den »Spielen der Frankophonie«36 den Titel »Banlieusards« dar, eine Huldigung an die Bewohner stigmatisierter banlieues. Dies provozierte heftige Reaktionen von mehreren UMP-Abgeordneten der Nationalversammlung, wie der Ex-Ministerin Nadine Morano oder Eric Ciotti. Ciotti wird in Le Figaro Online wie folgt zitiert: »Dieses Lied, das zur Revolution in den banlieues aufruft, war hier fehl am Platz. Und darüber hinaus, welches Bild von unserem Land vermittelt es der frankophonen Welt?« 37 Der Titel »Lêttre à la République« (»Brief an die Republik«) greift auch solche Gegenstimmen diskursiv auf: (1) Wir integrieren uns nicht in die franzö-

(1) On ne s’intègre pas dans les ghettos

sischen Ghettos, geparkt zwischen Immig-

français, parqués 
 entre immigrés, faut

ranten, wir brauchen Beschäftigung

être censés

Wie könnt ihr die Abschottung kritisieren,

Comment pointer du doigt le repli com-

die ihr seit [der Entstehung von] den

munautaire que vous avez initié depuis

Elendsvierteln in Nanterre zugelassen habt?

les bidonvilles de Nanterre?

Zündler und Feuerwehrmänner, eure Erin-

Pyromane et pompier, votre mémoire est

nerung ist selektiv, ihr seid nicht in Frieden

sélective, vous n’êtes pas venus en paix,

gekommen, eure Geschichte ist aggressiv

votre histoire est agressive

(2) Wir wissen, hier geht es uns besser als

(2) Ici, on est mieux que là-bas, on le sait

dort Weil dekolonisieren für euch destabilisieren

Parce que décoloniser pour vous c’est dé-

heißt

stabiliser

Je länger ich die Geschichte beobachte, des-

Et plus j’observe l’histoire, moins je me

to weniger fühle ich mich zu Dank ver-

sens redevable, je sais c’que c’est d’être

pflichtet, [denn] seit der Schulzeit weiß ich

noir depuis l’époque du cartable

was es heißt, schwarz zu sein

Bien que je n’sois pas ingrat, j’n’ai pas

Obwohl ich nicht undankbar bin, will ich

envie de vous dire merci, parce qu’au

euch nicht Danke sagen, denn eigentlich

fond ce que j’ai, ici, je l’ai conquit

habe ich mir hier alles erkämpft

36 Die Spiele der Frankophonie sind in etwa eine Kunst- und Sportolympiade mit frankophonen Teilnehmerstaaten. 37 »Cette chanson qui appelle à la révolution dans les banlieues n’avait pas sa place ce soir. Au delà de tout, quelle image donne-t-elle au monde francophone de notre pays?« www.lefigaro.fr/musique/2013/09/09/03006-20130909ARTFIG00642-le-rapde-kery-james-n- a-pas -droit-de-cite-a-nice.php (zuletzt aufgerufen am 23.11.2014).

176 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

Ich bin in Orly aufgewachsen, in Frank-

J’ai grandi à Orly dans les favelas de

reichs Favelas

France

Ich bin im Dickicht aufgeblüht, seit meiner

J’ai fleuri dans les maquis j’suis en guerre

Kindheit

depuis mon enfance: narcotrafic, bra-

im Krieg:

Drogenschmuggel,

Raub, Gewalt, Verbrechen!

quage, violence, crimes!

Was sollen meine Brüder außer Zaster wie

Que font mes frères si ce n’est des sous

bei Clearstream machen? Wer kann ihnen

comme dans Clearstream? Qui peut leur

Morallektionen erteilen? Ihr? Veruntreuer,

faire la leçon ? Vous ? Abuseurs de biens

Unterschlager, echte Gauner im Anzug,

sociaux, détourneurs de fond, de vrais

Heuchlerbande!

voyous en costard, bande d’hypocrites!

(3) […] Ich habe keine Angst es zu sagen:

(3) [...] Je n’ai pas peur de l’écrire : La

Frankreich

außerdem

France est islamophobe, d’ailleurs plus

nimmt niemand mehr ein Blatt vor den

ist

islamophob,

personne ne s’en cache dans la France des

Mund im Frankreich der Fremdenfeinde

xénophobes

Ihr behandelt uns wie weniger als Nichts in

Vous nous traitez comme des ›moins que

eurem öffentlichen Fernsehen und ihr er-

rien‹ sur vos chaînes publiques et vous at-

wartet, dass wir ›Hoch lebe die République‹

tendez de nous qu’on s’écrive ›Vive la

schreiben

République‹

Mein Respekt ist im sogenannten Land der

Mon respect s’est fait violer au pays dit

Menschenrechte misshandelt worden

des Droits de l’Homme

Schwierig, sich ohne Stockholm-Syndrom

Difficile de se sentir Français sans le syn-

französisch zu fühlen, denn ich bin

drome de Stockholm, parce que moi je

schwarz, Moslem, banlieusard und stolz

suis Noir, musulman, banlieusard et fier

drauf!

de l’être!

(4) Wenn du mich siehst, bekommt, was

(4) Quand tu me vois tu mets un visage

das andere Frankreich hasst, ein Gesicht

sur ce que l’autre France déteste

Es sind dieselben Heuchler, die uns was

Ce sont les mêmes hypocrites qui nous

von Vielfalt erzählen, die ihren Rassismus

parlent de diversité, qui expriment le ra-

mit Laizität tarnen, die von einem einheitli-

cisme sous couvert de laïcité, rêvent d’un

chen Frankreich mit einer einzigen Identität

français unique, avec une seule identité,

träumen, sich darum reißen, dieselben Min-

s’acharnent à discriminer les mêmes mi-

derheiten zu diskriminieren

norités

Bei den selben Wählern werden dieselben

Face aux mêmes électeurs, les mêmes

Ängste geschürt, man stachelt die Gruppen

peurs sont agitées, on oppose les commu-

gegeneinander auf, um die Prekarität zu

nautés, pour cacher la précarité

verstecken Kein Wunder, wenn morgen alles explo-

Que personne ne s’étonne si demain ça

diert

finit par péter

Interpret : Kery James, Titel: Lettre à la république, 2012.

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Zum Einstieg des Zitats zeigt sich erneut die Zentralität des Ghetto-Konzepts für die gegenhegemonialen Raumdiskurse (1). Zunächst denunziert Kery James den Zustand der Viertel als von ihren Bewohnern ungewollte Immigranten-Ghettos (»geparkt«) und Orte des Beschäftigungsmangels. Er verweigert sich dem status quo. Diskursteilnehmer wie Innenpolitiker, die hierin eine willentliche Abschottung sehen, distanziert der Rapper mit einer rhetorischen Frage, um sie der Widersprüchlichkeit zu bezichtigen (»Wie könnt ihr nur gleichzeitig Brandstifter sein und Feuerwehr spielen?«). Seit der Nachkriegszeit, als die bidonvilles (Elendsviertel ohne Anschluss an die städtische Infrastruktur) mit maghrebinischen und afrikanischen Einwanderern in Nanterre bei Paris entstanden, werde die räumliche Abschottung laut Lokutor nämlich gesellschaftlich und politisch sanktioniert. Jede Empörung über die Beständigkeit des Ghettos ist tendenziell vorgegaukelt. Kery James erkennt keine guten Absichten gegenüber den ehemals Kolonisierten, die im Ghetto »feststecken«. Er positioniert dialogisch sich zu dem oft vorgebrachten Einwand (2), »hier bei uns [in Frankreich]« sei es doch besser als »dort wo du herkommst«. Man könne dies aber nur bejahen, wenn man bedenke, dass die Instabilität der früheren Kolonien auf die ehemaligen Kolonialherren und fortbestehende Abhängigkeiten zurückgehe.38 Der Sprecher weist abermals die an ihn herangetragene Aufforderung zur Dankbarkeit gegenüber der République von sich, da er trotz allen Bemühens um Höflichkeit auch »hier«, aufgrund von Hautfarbe und Wohnort »nichts geschenkt« bekommen hätte. Orly (eine südliche banlieue von Paris) wird außer als »Ghetto« nun auch als »Favela« bzw. kriminelles »Dickicht« bezeichnet.39 Dort wird, wie vom Sprecher autobiographisch unterlegt und auch in anderen Beispielen weiter oben bereits ausgeführt, den Bewohnern der Viertel Kriminalität als Ausweg aus der Misere vorgelebt. Gleichzeitig spricht Kery James an dieser Stelle den belehrenden Kommentatoren aus der Politik jegliche Moralität ab. Es folgt der Verweis auf doppelzüngige »Heuchlerbanden« in Anspielung auf genauso kriminelle Aktivitäten der dominanten oder politischen Klassen (erneut mit Rekurs auf »Clearstream«, vgl. den Abschnitt »Ergebnisse der Kodierung«). Ein weiteres Problem spricht Kery James mit der Islamophobie an. Er macht auf deren Verschneidung mit identitäts- und raumbezogenen Konzepten in einem

38 Der Begriff »Françafrique« beispielsweise dient Kritikern zur Beschreibung von neokolonialen Kontinuitäten wirtschaftlicher, finanzieller oder militärischer Art zwischen Frankreich und den frankophonen Ländern Afrikas. 39 Die banlieue sud genießt vor allem wegen der dortigen, auf Raubüberfälle spezialisierten Banden einen zweifelhaften Ruf.

178 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

Frankreich (3) aufmerksam, das im »Jetzt«, und gegensätzlich zum »Davor« offenen Rassismus dulde (»kein Blatt mehr vor den Mund«). Ein weiteres Indiz für die bestehende Ungleichheit und widersprüchliche Haltungen bildeten respektlose Berichterstattungen. Folglich wäre ein staatsbürgerlicher Stolz für »schwarze, muslimische, stolze banlieusards« im vorgefundenen Klima irrational und widersprüchlich wie ein Stockholm-Syndrom bei Entführten. Auch Kery James weist die Möglichkeit einer gleichwertigen, ideell geteilten Staatsbürgerschaft unter den genannten Umständen – phänotypische und/oder religiöse Trennlinien – weit von sich. Ein patriotisches »Vive la France« (»Hoch lebe Frankreich«) bzw. ein staatsbürgerliches Bekenntnis der auf diese Weise Stigmatisierten, wie es gerade hegemoniale Akteure als Zeichen der Integration verlangen, wird als realitätsfern abgetan. Der Sprecher spannt im Diskurs eine stabile antagonistische Grenze auf und konstituiert im selben Zuge dualistisch »zwei verschiedene Frankreich« (4): ein »normales«, »gewöhnliches«, dem das »andere« Frankreich gegenübersteht. Die im Korpus untersuchten Rap-Texte greifen dieses Motiv öfter auf. So kommen etwa ein »Frankreich, das von woanders stammt« (»France d ailleurs«40), oder wie bei Kery James im anfänglich erwähnten Titel »Banlieusards« (2008), ein »zweites Frankreich« zur Sprache: »Denn heute gibt es zwei Frankreich, wer kann das bestreiten? / Und ich würde dem Zweiten angehören / Dem der Unsicherheit, der potentiellen Terroristen und der Sozialhilfeempfänger.«41 Die Tatsache, viele territoriale und soziale Stigmata zeitgleich zu symbolisieren und zu inkorporieren, ist für den Lokutor das prägende Merkmal des »ungewollten« Frankreich in den hegemonialen banlieue-Diskursen. Die politischen Akteure des »ersten Frankreichs« werden wiederum als rassistische »Heuchler« diffamiert. Deren Anliegen, im republikanischen Duktus gesellschaftliche »Vielfalt« fördern zu wollen, verdecke deren vermeintlich tatsächliches Ansinnen, eine ethnische, und somit exkludierende Homogenität »der« Franzosen zu propagieren. Denn neben dem Raumbezug würde die republikanische Laizität (die Religionsneutralität der Republik) seitens der permanent auf Aufstand gehaltenen Diskursteilnehmer gezielt genutzt, um a) Muslime bzw. (Post-)Migranten aus niederen Motiven (des schnellen politischen Erfolges) zu diskriminieren, und b) Mehrheiten und Minderheiten inner- und außerhalb der Viertel gegeneinander auszuspielen. Dabei sollen ethnische Trennlinien verbindende Merkmale wie po-



40 Vgl. auch Youssoupha: »Ich stehe für das Frankreich das woanders herkommt« (»Je représente la France d’ailleurs«). Titel: Intense brailleurs, 2006. 41 »Parce qu’à ce jour y’a deux France, qui peut le nier ? / Et moi je serai de la deuxième France, celle de l’insécurité, des terroristes potentiels, des assistés«

Gegenhegemoniale Raumdiskurse zwischen Makro und Mikro | 179

tentielle oder tatsächliche Armut (»Prekarität«) verwischen. Abschließend mahnt Kery James »die Republik«. Bei dieser Ausgangslage sähe das zukünftige (»morgen«) Zusammenleben in Frankreich düster aus (»Kein Wunder, wenn morgen alles explodiert«). Zu viel Zeit sei vergangen, um noch von Integration sprechen zu können. Zu stark seien die in der Vorstadt-Krise versinnbildlichten Trennlinien zwischen ehemals Kolonisierten und Kolonisatoren sowie zwischen ethnisch oder konfessionell bestimmten Subjektpositionen. Pflicht zur Respektlosigkeit Die Kritik in den gegenhegemonialen Diskursen zielt nicht ausnahmslos auf politische Akteure des konservativen oder rechten Spektrums. Der Rap von ZEP (Zone d’Expression Populaire, vormals MAP, Ministère des Affaires Populaires) aus Lille ist in dieser Hinsicht bemerkenswert. Ihr stilistisches Alleinstellungsmerkmal ist das Rappen emanzipatorischer und fordernder Botschaften auf selbst komponierter Musette (französische Volksmusik mit Akkordeon-Untermalung). Zu Beginn der 2010er Jahre rückten ZEP in den Fokus einer breiteren Öffentlichkeit. Eine Strafanzeige der kolonialrevisionistischen Bewegung AGRIF42 gegen den Rapper Saïdou von ZEP und den Soziologen Saïd Bouamama (beide aus Algerien stammend) wurde zur Verhandlung zugelassen. Sie publizierten 2010 ein Buch mit dem Titel »Nique la France« (»Scheiß auf Frankreich«). ZEP publizierte außerdem einen gleichlautenden Musik-Titel. AGRIF sah in den Medieninhalten einen »anti-weißen« Rassismus gegenüber sogenannten »Urfranzosen« (»Français de souche«). Allerdings erfuhr ZEP breite Unterstützung. Eine Unterstützer-Petition für die Einstellung des Verfahrens signierten neben den bereits oben erwähnten Rapperinnen und Rappern (z.B. La Rumeur, Casey, Skalpel) auch Personen des öffentlichen Lebens (z.B. der Regisseur Mathieu Kassovitz), Akademikerinnen und Akademiker (neben mehreren französischen Soziologinnen und Soziologen auch die US-amerikanische Philosophin Judith Butler, vgl. Abbildung 27 unten). Der Petitionstext stellt ZEP auf eine Stufe mit NTM, La Rumeur und vielen weiteren vorher angeklagten Rappern, wodurch er die Performativität der gegenhegemonialen Diskurse in Rap nochmals nachzeichnet und fortsetzt.

42 Alliance générale contre le racisme et pour le respect de l’identité française et chrétienne (»Allgemeine Allianz gegen den Rassismus und für den Respekt vor der französischen und christlichen Identität«). www.lagrif.fr (zuletzt aufgerufen am 31.12.2015).

180 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

Abbildung 27: Petition zur Unterstützung von Saïd Bouamama und Saïdou

Quelle: http://indigenes-republique.fr/devoir-dinsolence-antiraciste-petition-a-signer (zuletzt aufgerufen am 27.12.2015).

Das zuständige Gericht sprach die Angeklagten vom Vorwurf des Rassismus frei, da juristisch nicht nachweisbar sei, dass es sich bei Urfranzosen um eine eigene »Rasse« oder nach anderen Kriterien definierbare Personengruppe handele (Le Cain 2015). Ferner verbietet der republikanisch-egalitäre Diskurs (formell) die Differenzierung zwischen Franzosen. Der umstrittene Titel verhandelt, jenseits der Frage nach der Existenz von »Ur-Franzosen« relevante gesellschaftliche Debatten, die auch stigmatisierte Viertel betreffen:

Gegenhegemoniale Raumdiskurse zwischen Makro und Mikro | 181

(1) Der Rassismus steckt in unseren Mauern

(1) Le racisme est dans nos murs et dans

und in unseren Schulbüchern, unseren Erin-

nos livres scolaires, dans nos souvenirs,

nerungen, in unserer Geschichte, auf die wir

dans notre histoire dont nous sommes si

so stolz sind

fiers

Er ist allgegenwärtig, banal und ordinär, er

Omniprésent, il est banal et ordinaire, il

ist in unserem Gedächtnis, es ist unmöglich,

est dans nos mémoires et impossible de

davon loszukommen

s’en défaire

Scheiß auf Frankreich und seine Kolonial-

Nique la France et son passé colonia-

vergangenheit, seine Gerüche, seinen Mief

liste, ses odeurs, ses relents et ses ré-

und seine paternalistischen Reflexe

flexes paternalistes

Scheiß auf Frankreich und seine imperialisti-

Nique la France et son histoire impéria-

sche Geschichte, seine Mauern, seine Boll-

liste, ses murs, ses remparts et ses dé-

werke und seinen kapitalistischen Wahn

lires capitalistes

(2) Und für dich, heuchlerischer kleiner So-

(2) Et toi alors petit socialiste hypocrite,

zialist, habe ich ein paar verbitterte Reime

j’ai pour toi quelques rimes amèrement écrites

Du hast uns gesagt, dass du dich für die ohne

Tu nous as dit que ta cause était celle

Aufenthaltspapiere einsetzt, gegen Rassis-

des sans-papiers, qu’elle était antiraciste

mus

Tu as promis l’égalité, tu nous as fait

Du hast Gleichheit versprochen, uns vorge-

miroiter, rêver d’une France meilleure

gaukelt von einem besseren Frankreich zu träumen

Mais tu triches, tu récupères comme

Doch du schummelst, du vereinnahmst wie

avec la ›Marche des beurs‹, manipula-

beim ›Marsch der beurs‹, Manipulant!

teur!

Du rennst dem Wähler hinterher, wir haben

Tu cours après l’électeur, on t’a démas-

dich enttarnt, dich und deine Usurpatoren-

qué, toi et ton parti d’usurpateurs

Partei (3) Und dann gibt es unsere Intellektuellen,

(3) Et y’a nos intellos, nos petits fachos

unsere kleinen Faschos mit Brillen […]

à lunettes […]

Sie verbreiten und füttern den Hass auf Mus-

Qui propagent, alimentent la haine du

lime und banlieusards mit ihren stigmatisie-

musulman, du banlieusard avec leurs

renden Reden

discours stigmatisants

Ihre arroganten, beleidigenden, verächtlichen

Leurs discours arrogants, insultants et

Reden

méprisants

Ihre Propaganda ist allgegenwärtig in den

Omniprésente leur propagande dans les

Leitmedien

médias dominants

(4) Es ist der geheiligte Bund gegen den

(4)

Eindringling, den Barbaren, den Wilden, den

l’envahisseur, le barbare, le sauvage,

Feind im Inneren

contre l’ennemi intérieur

C’est

l’union

sacrée

contre

182 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

Aber wir werden uns das nicht gefallen las-

Mais on va pas se laisser faire, se laisser

sen, uns nicht knebeln lassen […]

bâillonner […]

Das ist meine Pflicht zur Respektlosigkeit,

C’est mon devoir d’insolence, mon de-

meine Pflicht zur Nichtachtung, meine

voir

Pflicht zur Unhöflichkeit, meine Pflicht zum

d’impolitesse, mon devoir de résistance

d’irrévérence,

mon

devoir

Widerstand Interpret: ZEP, Titel: Nique la France, 2010.

ZEP konstituiert den Rassismus als flächendeckendes Problem in Frankreich, der in allen Institutionen und Ordnungen, nicht nur im Kontext der Viertel, sedimentiert ist. Genauso umfasst dies Bildungswesen, Denkmäler, eine umkämpfte Geschichtsschreibung zur Rolle der französischen Kolonisation oder niederschwelligen Alltagsrassismus (vgl. den Abschnitt »Postkoloniale Effekte der Stigmatisierung « im zweiten Kapitel). Ironisch wird der Stolz auf die »eigene«, aber rassistische Geschichte für unhaltbar erklärt (»auf die wir [ja] so stolz sind«), polyphon universalisiert (»allgegenwärtig«) und als unauflöslicher Widerspruch bewertet. Daher rührt die harsche und vulgär formulierte Ablehnung des Rappers, der im Umgang mit diesem Rassismus paternalistische Muster sieht (dieser Passus wurde von AGRIF vor Gericht angeführt). In (2) folgt eine Abrechnung mit der früher in den Vierteln einflussreichen Sozialistischen Partei Frankreichs. Rückblickend in die jüngere Vergangenheit beklagt der Sprecher im Namen einer kollektiven Identität die Vereinnahmung und Augenwischerei durch die Sozialisten in den Vierteln. Die vermeintlich gemeinsamen Ziele und Visionen (Gleichheit, Legalisierung »Illegaler«, »ein besseres Frankreich«) erwiesen sich im Laufe der letzten 30 Jahre zunehmend als Illusion. Die historische Startmarke dieser Vereinnahmung setzt Saïdou mit dem sogenannten »Marsch der beurs43« von 1983. Der mehrwöchige Protestmarsch von Marseille nach Paris, der eigentlich »Marsch für die Gleichheit und gegen den Rassismus« (»la marche pour l’égalité et contre le racisme«) hieß, vereinte eine Vielzahl lokaler Komitees gegen Polizeigewalt und Rassismus. Dennoch wurde er hegemonial zum »Marsch der beurs« umgedeutet, zum Marsch der zweiten Generation der Einwanderer aus dem Maghreb, obwohl viele junge Franzosen unterschiedlichster Herkunft partizipierten. Ein Jahr später gründete die sozialistische Partei die antirassistische Jugendorganisation SOS-Racisme, die nur mittelfristig auf viele Unterstützer inner- und außerhalb der Viertel bauen konnte (Robine 2004; Forum Social des Quartiers Populaires 2007). Der Sprecher deutet diesen Umstand mit einer sehr bildungssprachlichen und subjektiven 43 Verlanisierte Kurzform von »arabe« (Araber).

Gegenhegemoniale Raumdiskurse zwischen Makro und Mikro | 183

Beurteilung (»Manipulant«) als reinen Opportunismus gegenüber den Betroffenen bis hin zur Usurpation (»Thronräuber«), da sich seither kaum etwas zum Besseren geändert habe. Neben den Sozialisten, gelten auch die öffentlichen Intellektuellen (3), analog zu Ekoués Beispiel weiter oben, als falsche Verbündete der banlieue-Bewohner und Hetzer (»Faschos mit Brillen«). Ein weiteres Mal artikulieren ZEP, wie andere im Gesamtkorpus, banlieue mit Islam und den zugehörigen benachteiligenden Darstellungen in medialen Diskursen (»füttern Hass gegen Muslime und banlieusards«). Nachdem im Titel ein erweiterter Bezug auf das politische Spektrum erfolgte, verwenden ZEP nun in (4) einen historischen Vergleich, der ein breites mehrheitsgesellschaftliches Bündnis gegen die räumlich Exkludierten suggeriert. Die historische Bezeichnung »geheiligter Bund« drückt sinngemäß den Burgfrieden zwischen allen politischen Lagern Frankreichs während des ersten Weltkrieges aus; damals sollten alle Kräfte zur Verteidigung des Landes gegen das deutsche Kaiserreich gebündelt werden. In ihrer modernen Fassung verbünden sich viele Kräfte zu einer (diskursiven) Koalition gegen den aktuellen Feind, der bereits im Inneren ist und als »Barbare« oder »Wilder« (wie in kolonialen Diskursen) analog zu seinem Wohnort eine radikale Alterität verkörpert. Aufmüpfig und empört signalisiert der Sprecher, dies auch zukünftig nicht hinnehmen zu wollen. Er leitet als Betroffener und sich im Recht Wissender eine klare Widerstandspflicht ab, den Akteuren der beschriebenen demütigenden Praktiken antagonisiert und mit Respektlosigkeit entgegentreten zu müssen. Auch in den vorangegangenen Beispielen werden antagonistische Linien zwischen ehemaligen Einwanderern in den Vierteln und dominierenden Gesellschaftsteilen gezogen. Die erzeugte Unvereinbarkeit von Subjektpositionen legitimiert zugleich die kämpferische bis gleichgültige Ablehnung der République in ihrer jetzigen Verfasstheit (»sie« behandeln »uns« [banlieusards/Schwarze/ Araber/Muslime] wie Ausgestoßene, »sie« haben kein Interesse an unserer Teilhabe).

Rap in actu: Darbietungs- und Vermittlungsformen

In diesem Kapitel wird der Performativität des analysierten Netzes von diskursiven Ordnungen und Subjektpositionen abschließend in den Kontexten sozialer Interaktion nachgespürt. Zwar lassen sich wegen der Konstruiertheit eines jeden wissenschaftlichen Zugangs nicht alle Signifikanten und Subjektpositionen »eins zu eins« im Rahmen komplexer sozialer Interaktion »im Feld« nachweisen. Dennoch kommt einigen Elementen – so die Grundannahme – auch in actu eine zentrale Bedeutung zu, indem sie durch diskursive Praktiken abweichende Wiederholungen der analytisch herausgearbeiteten Ordnungen zeitigen. Der Mehrwert der teilnehmenden Beobachtungen für die Reflexion des Verhältnisses zwischen hegemonialen und gegenhegemonialen Diskursen liegt folglich in der Kontrastierung der unterschiedlichen Darbietungsmodi von Rap. Sie ermöglicht die Relationierung der Textanalysen entlang von mehreren zentralen Fragen: Wie wirken an welchen Orten die unterschiedlichen Aspekte der untersuchten Raumdiskurse? Wird vor dem Hintergrund der »typischen« Artikulationspraktiken von Subjekten und Gegenständen im Rap die institutionelle Integration dieser Praktiken in die Stadtteilarbeit seitens der Akteure als vereinnahmend bewertet? Anfänglich erfolgt eine knappe Darstellung des Feldzugangs in Paris bzw. der Region Île de France. Dabei wird auch die Rolle des Forschenden beleuchtet, der »im Feld« ebenfalls eine Position zugewiesen bekommt. Der darauffolgende Abschnitt fasst die teilweise erheblich divergierenden Beobachtungen zusammen, die bei den besuchten Rap-Konzerten gemacht wurden. Es zeigt sich, dass je nach den Merkmalen der Besucher und des Darbietungsorts die Gegenstände gegenhegemonialer Diskurse entweder in den Vordergrund rückten oder nur eine kleine Rolle spielten. Der letzte Abschnitt umreißt anhand von Gesprächsausschnitten die Bedingungen und Praktiken der Stadtteilarbeit mit Rap aus der »Praktiker-Perspektive«.

186 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

Die insgesamt fünf Feldaufenthalte in Paris beliefen sich aus pragmatischen Gründen auf eine Dauer von insgesamt sechs Wochen. Im Gegensatz zu den etablierten Arten des ethnographischen Arbeitens mit kontinuierlicher Teilhabe am institutionellen oder gruppenspezifischen Alltag (z.B. durch Praktika/ vorherige Absprache mit den Erforschten), verunmöglicht der Fokus auf die nicht gerade alltäglichen Rap-Veranstaltungen das Intensivieren von Beziehungen zu »Informanten«. Lange Feldaufenthalte sind im Lichte der aufgeworfenen Forschungsfragen nicht zielführend. Die besuchten Veranstaltungen fanden fast nie an den selben oder ähnlichen Orten statt, hatten selten identische Öffentlichkeiten und variierten in Wochentag und Uhrzeit. Ein limitierendes Kriterium, auf das Forschende keinen Einfluss haben, war die Verfügbarkeit der Auftritte von Künstlerinnen und Künstlern, die im Textmaterial als relevante Akteure identifiziert werden konnten. Bereits hier hätte der Anspruch einer vollumfänglichen ethnographischen Arbeitsweise einen ungleich höheren Zeit- und Mittelaufwand erfordert, um all deren Veranstaltungen besuchen zu können. Darum stellt die Integration des generierten Materials in den mixed-methods-approach einen akzeptablen Kompromiss dar. Die besuchten Veranstaltungen (vgl. Abbildung 28) konzentrierten sich auf den Norden und Osten der Region Paris, bzw. auf die gemeinhin weniger »glamourösen« Arrondissements von Paris intra muros (10., 18., 19. und 20. Arrondissement). Bei den Veranstaltungsorten handelte es sich oft um überschaubare Bars oder kleine Konzertsäle. Eine signifikante Erweiterung des Angebots bot das jährliche Festival »Paris Hip-Hop« (besucht im Juni/Juli 2012 und 2013). Bei dem Festival wurden Workshops, Diskussionsrunden und ähnliche Veranstaltungen mit Rappern im Nordosten von Paris oder in den Vororten angeboten (die sich entsprechend der Organisation eines Festivals leider oft überlappten). Während der Aufenthalte wurden keine Rap-Veranstaltungen in den großen Konzerthallen (sogenannte Zéniths) der Region aufgesucht; hier traten in der Regel keine für die Fragestellungen relevanten Künstler auf. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung war die Rolle des Forschenden, der sich vor Ort stets mit zwei Arten der diskursiven Positionierung konfrontiert sieht. Einerseits betrifft dies die Sensibilisierung der eigenen Positionierung gegenüber dem vorgefundenen Feld. Im »bewusst irritierenden« Dialog mit dem Konzept des Projekts und dessen theoretischen Annahmen wurde nach den durchgeführten Beobachtungen versucht zu hinterfragen, welches die eigenen Vorannahmen waren, ob sie so zutrafen oder ob sie (potentielle) Gesprächspartner verprellten.

Rap in actu: Darbietungs- und Vermittlungsformen | 187

Abbildung 28: Besuchte Orte in der Region Paris

Quelle: Eigene Darstellung.

188 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

Andererseits entkommt der Forschende nie der permanenten Taxierung und Evaluierung seitens der Erforschten bzw. Anwesenden in einer bestimmten Situation. Denn trotz aller Bemühungen informiert, »kompetent«, interessiert und »authentisch« zu sein/wirken, obliegt es in letzter Instanz dem Gegenüber, Informationen preiszugeben. Dzudzek nennt den Prozess der Materialerhebung und der Reflexion ihrer Bedingungen auch eine »doppelte Subjektivierung« (Dzudzek 2014: 63f.). Konkret erwies sich das »Positioniert-werden« aufgrund des angeeigneten Vorwissens und der eigenen »Außenwirkung« meist als vorteilhaft (z.B. ein eher legerer Kleidungsstil). Der Status, ein »Forscher aus Deutschland« zu sein, der »nach Paris und in die banlieues reist, um mehr über französischen Rap zu erfahren«, erzeugte in den Gesprächssituationen oftmals einen »Exoten-Bonus« und brachte ein gesteigertes Interesse des jeweiligen Gegenübers ein. Im Nachhinein bestätigten informelle Gespräche mit französischen Forschern und vor Ort kennengelernter Journalisten diese Einschätzung. Sie berichteten von eigenen, ambivalenten Erfahrungen mit Akteuren der Rap-Szene, die in ihnen manchmal »weiße«, »studierte«, »nicht von hier kommende Franzosen« und Journalisten sähen, die undurchsichtige oder für sie nachteilhafte Ziele verfolgen würden. Französischer Rap und seine Akteure scheinen in diesem Zusammenhang zu einem gewissen Grad »überforscht«. Gleichzeitig bestätigt dies die in untersuchten Texten aufgefundenen Artikulationsweisen, den Journalisten und Beobachtern im Zweifelsfall mit Misstrauen zu begegnen (vgl. das vorangegangene Kapitel). Gleiches bestätigte sich auch in einer selbst erlebten Situation: Während der Unterhaltung mit einem französischen Rap-Forscher (ebenfalls ein Geograph) nach dem Besuch einer Diskussionsrunde (»Hip-Hop Campus: Rappeur vs. police«, Juni 2012) versuchte dieser spontan, mit dem gerade vorbeikommenden Diskussionsteilnehmer und Rapper Axiom (aus Lille) ein Interview zu vereinbaren. Letzterer verhielt sich zunächst schroff und abweisend, mit dem Hinweis, »kein Interesse mehr« an Interviews mit Forschern zu haben. Auf Nachfrage führte er aus, dass »die Soziologen« (sic) immer das Gleiche von ihm wissen wollten und gegenüber seiner eigenen Agenda als Künstler und Aktivist kaum aufgeschlossen seien. Erst der Hinweis auf die Fachrichtung und das Interesse des Kollegen (Vermittlung von Urbanität im Rap) ließen Axiom zögerlich einwilligen.

Rap in actu: Darbietungs- und Vermittlungsformen | 189

RAP-KONZERTE Während der unterschiedlichen Konzertbesuche musste zunächst ein Gespür dafür entstehen, welche Aspekte des konzeptionell geleiteten Erkenntnisinteresses im Rahmen von teilnehmenden Beobachtungen überhaupt erfasst werden können. Aus der Beobachtung und Reflexion musste eine methodische Feinjustierung erfolgen, um die generierten Daten auf die Fragestellung hin reduzieren und einordnen zu können. Wie lassen sich Konzerte und Kontexte an unterschiedlichsten Orten vergleichbar machen? Es bestehen beispielsweise erhebliche Unterschiede zwischen einem Rap-Konzert in einem Saal mit der Architektur eines italienischen Theaters (La Rumeur, Juni 2011, vgl. Abbildung 29), einem Saal im Haus einer syndikalistischen Gewerkschaft (ZEP, Juni 2012) oder einem Stadtstrand (Flynt, Juli 2013). Abbildung 29: Konzert von La Rumeur (Juni 2011)

Quelle: Aufnahme: M.Germes, 28.06.2011.

Im Lichte des diskurstheoretischen Praktikenverständnis und inspiriert von Pecqueuxs (2003) essayistischer Ethnographie eines Rap-Konzerts, wurde ein Beobachtungsraster entwickelt. Es sollte nicht (unrealistischerweise) jedes Detail eines Rap-Konzertes in Berichtsform festhalten oder minutiös Ereignisabfolgen

190 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

wiedergeben. Es sollte aber dennoch die Komplexität und Instabilität sozialer Praxis entlang ausgewählter Kategorien vor dem Hintergrund des vorliegenden Forschungsinteresses berücksichtigen. Die Lesart von Pecqueux sieht das Ereignishafte an den Konzerten neben dem eigentlichen Auftritt von Künstlern vor allem in der Gleichzeitigkeit situativ konkurrierender Interaktionen bzw. Praktiken zwischen Rappern und Publikum, und zwischen den Anwesenden im Publikum (ebd.). Die diskursanalytische Fortführung eines solchen »fuzziness«-Ansatzes mithilfe der gemachten Beobachtungen ermöglichte, das Material differenziert auf die Performativität der Diskurse zu befragen: • Hat die Örtlichkeit aufgrund ihrer materiellen Anordnung oder ihrer Symbolik

einen besonderen Einfluss? • Wie werden welche Bedeutungen aus dem Repertoire untersuchter Diskurse

bei der Darbietung von Songs oder während Dialogen zwischen den präsenten Akteuren abgerufen? • Kann das Publikum ebenfalls Bezüge zu den angesprochenen Bedeutungen und Gegenständen herstellen? Und wenn ja, wie »investiert« es mit sprachlichen und nicht-sprachlichen Praktiken in den Diskurs? • Hat das Publikum eine spezifische Zusammensetzung, die der Performativität gegenhegemonialer Diskurse ab- oder zuträglich ist? Die Zusammenschau der interdependenten Faktoren der Performativität gegenhegemonialer Raumdiskurse – künstlerische Ausrichtung der Rapper, Publikum, Veranstaltungstyp, Lokalität – sollte Aufschluss über die Dynamik von gegenhegemonialen Raumdiskursen in actu1 geben. Ziel war es, auf Basis der insgesamt elf besuchten Konzerte mehrere Formen der Performativität von Rap grob zu typisieren.2 So konnten schließlich zwei prägnante Beobachtungskontexte der Vermittlung von Raumdiskursen identifiziert werden. Die zentrale Unterschei-

1

»In actu« unterschreitet dabei die Perspektive der ganzheitlichen Betrachtung eines Konzerts. Die Vermittlung gegenhegemonialer Diskurse, sofern sie erfolgt, ist nur ein situatives Element eines größeren Zusammenhangs von diskursiven Praktiken, die mit Blick auf den Untersuchungsgenstand zunächst »eigentlich nicht-diskursiv« oder relevant erscheinen. So können dann zum Beispiel Praktiken des »Abends weggehen«, »Bekannte treffen«, »sich unterhalten«, »Tanzen«, »Rap hören« aber auch des »kritischen Rappens« im selben Kontext auf kontingente Weise konkurrieren oder konvergieren.

2

»Klassische« ethnographische Zugänge schöpfen nicht selten aus einem oder mehreren Jahren Feldforschung.

Rap in actu: Darbietungs- und Vermittlungsformen | 191

dung verlief im Zuge der Auswertung zwischen den beobachteten, unitendierten Effekten von diskursiver Praxis und dem mehr oder weniger »erfolgreichen« situativen Anschließen gegenhegemonialer Diskurse an andere diskursive Praktiken. Unintendierte Effekte diskursiver Praktiken: Zwischen partiellem Scheitern und Selbstevidenz Partielles Scheitern aufgrund der Heterogenität des Publikums Ein erstes Beispiel zeigt die manchmal begrenzte Performativität gegenhegemonialer Raumdiskurse auf, die bei Auftritten von recht bekannten Künstlern an prestigeträchtigen Orten im Rahmen offiziell subventionierter Veranstaltungen eintreten kann. Am 25. Juni 2012 fand in der Maison des Métallos ein Konzert von Zoxea statt, einem seit Mitte der 1990er aktiven Rapper aus einer cité in Boulogne (westliche banlieue von Paris). Zoxeas Repertoire ist breit gefächert. Viele seiner Titel greifen auch die Lebensumstände der cité-Bewohner auf. Der Auftrittsort, die Maison des Métallos im innerstädtischen Stadtteil Belleville, ist ein geschichtsträchtiges Kultur-Etablissement der Stadt Paris. Der historische Bau mit repräsentativen Fassaden wurde zu Zeiten der Industrialisierung noch als Manufaktur genutzt, und später zum Sitz der Metallarbeiter-Gewerkschaft umfunktioniert (im abgedunkelten Raum ließen sich leider keine verwertbaren Aufnahmen machen). Während des Konzerts konnten die Gäste auch Vernissagen besuchen und das Geschehen von einer Empore aus mit angeschlossenem Bistro verfolgen. Gerade eine solche Anordnung erzeugte über verschiedene Räume und Ebenen hinweg permanente Aufmerksamkeitskonkurrenzen zwischen »Rap-Konsum«, Künstler-Publikum-Interaktion und anderweitigen Praktiken. Beim Auftritt von Zoxea erwies sich ferner die Kollision unterschiedlicher Öffentlichkeiten als nachteilhaft für das Wiederaufgreifen von gegenhegemonialen Raumdiskursen. Auf der einen Seite konnte man rund die Hälfte des Publikums als Initiierte und Fans von Zoxea bzw. den Sages poètes de la rue bezeichnen (die seit Mitte der 1990er existierende Gruppe um Zoxea und zwei weiteren Rappern verbrachte »unangekündigt« mehr als eine Stunde als »Überraschungsgast« gemeinsam auf der Bühne). Indizien für die Vertrautheit der diskursiven Praktiken im Rap waren das Tragen der szenetypischen Streetwear-Kleidung (z.B. weite Hosen oder Fan-Shirts, die sich auf französischen Rap bezogen) und die Kenntnis von szenetypischen Kodes und Handlungsweisen (z.B. den Zeigefinger in die Luft strecken als Zeichen des Goutierens, Mitwippen statt Tanzen, die von Künstlern eingebauten Leerstellen im Text selbst lautstark ausfüllen). Den Initiierten stan-

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den viele Nicht-Initiierte gegenüber, die sich aus Personen im business casual look sowie einem wohl schlichtweg neugierigen, unkundigen Publikum mittleren und höheren Alters zusammensetzten. Im Laufe des Abends wurde über Gespräche mit Besuchern »aufgeschnappt«, dass es sich bei den Konzertbesuchern im business casual look um Repräsentanten des städtischen Kulturbetriebs und der Gewerkschaft handelte. Die Zusammensetzung des Publikums, die Symbolkraft und die materielle Anordnung des Ortes taten der Grundstimmung der Veranstaltung bzw. den vollzogenen Praktiken des »Sich-amüsieren« keinen Abbruch. Der Kontext erschwerte aber jegliches Ausscheren aus der für alle Genres konventionellen Routine des Darbietens, der anschließenden Beifallsbekundungen und dem Fortgang des Darbietens. Bereits hier manifestierte sich – aufgrund der zu unterschiedlichen Gruppen im Publikum – eine Gleichzeitigkeit von verschiedenen Praktiken bei der Bedeutungsherstellung. Während die Initiierten und Fans neben dem textsicheren »Mitrappen« ihre Beifallsbekundungen stets affiziert, mit spezifischem Körpereinsatz vollzogen (Gestikulation, Schreie, Laute, Pfiffe), kontrastierte die zweite Gruppe das Szenario stets mit einem disziplinierten Applaudieren und einer beherrschten Körperhaltung (die etwa für Klassische Konzerte üblich ist). Dabei konnte man ab und an verwirrte oder amüsierte Blicke aus den unterschiedlichen Gruppen beobachten. Die beschriebene Konstellation erwies sich bei den Ansprachen von Zoxea oder seiner Gruppe als wenig förderlich. Einer der wenigen Momente, bei dem während einer Ansprache die in den Textkorpora nachgewiesenen Regeln der Konstitution von stigmatisierten Stadtteilen zur Anwendung kamen, soll dies kurz verdeutlichen. Der dargebotene »Klassiker« der Gruppe Sages poètes de la rue, der Song »Je rap pour les minorités« (»Ich rappe für die Minderheiten«, 1998), greift mehrfach die Diskriminierung aufgrund des Wohnorts und die zentrale Subjektposition der »Jugendlichen aus den banlieues« auf, wie in den auch an diesem Abend vorgetragenen Zeilen: »Respekt an alle Jugendlichen in den cités Ich möchte sie wie Wurzeln wachsen oder sich hocharbeiten sehen Wichtige Posten in der Gesellschaft besetzen sehen«3

Bei der Ankündigung des Titels hielt Zoxea eine Ansprache, die sinngemäß auf seine Herkunft aus einer cité und seine Zugehörigkeit zu einer Minderheit in

3

»Respect à tous les jeunes dans les cités / Je veux les voir pousser comme des racines ou s’élever / Occuper des postes importants dans notre société«

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Frankreich Bezug nahm. Zoxea führte aus, dass nach all den Jahren nach der Veröffentlichung des Titels Minderheiten aus den cités immer noch zu häufig diskriminiert würden. Animierend, aber natürlich auch nach Bestätigung suchend, fragte Zoxea dann das Publikum nach dessen Meinung. Wiederum erwiderte der Teil der Initiierten dem Rapper mit deutlich vernehmbaren, nonverbalen und verbalen Reaktionen (»Ja!«, »Buh!«, Nicken, Lärmen). Diese Dynamik konnte jedoch nie an Fahrt aufnehmen, da sie sich an der zweiten Gruppe im Publikum brach. Oftmals erwiderte die zweite Gruppe Zoxeas Animationsversuche mit tendenziell indifferenten Reaktionen, möglicherweise aufgrund von Desinteresse oder gegenteiligen Meinungen. Während des weiteren Konzertverlaufs versuchte der Rapper noch mehrmals vergleichbare Artikulationen in die Ansagen zwischen den Songs einzustreuen, erhielt aber stets ähnliche Reaktionen. In diesem Sinne lässt sich zwar nicht von einem Scheitern der Bedeutungsherstellung auf ganzer Linie sprechen, sehr wohl aber von einem partiellen Scheitern oder einer Abschwächung diskursiver Praktiken, da der Kontext zu heterogene Akteure bereitstellte. Die beobachteten Anrufungsprozesse verliefen nur bei einem Teil der Anwesenden »erfolgreich«. Selbstevidenz und operative Wahrheit von Ghetto-Diskursen Ein zweites Beispiel für die unintendierten Effekte von diskursiven Praktiken, in diesem Fall die Selbstevidenz von gegenhegemonialen Diskursen, lieferte eine Großveranstaltung am 4. Juli 2012 in der bereits weit außerhalb von Paris gelegenen banlieue Clichy-sous-Bois (ähnliche Beobachtungen wurden auch am 25. Juni 2012 in Aubervilliers gemacht). Die Großveranstaltung im Freien wurde im Rahmen des Festivals »Paris Hip-Hop« organisiert. Der Veranstaltungsort war eine weitläufige Grünfläche vor dem örtlichen Rathaus, die von (zumindest für Auswärtige) imposanten Großwohnsiedlungen umgeben wurde (vgl. Abbildung 30). So lässt sich die Ortswahl auch als symbolische Geste von hegemonialen Akteuren deuten, den Jugendlichen der Vorstadt einen Teil des öffentlichen Raums für »ihre« kulturellen Praktiken zur Verfügung zu stellen. Dementsprechend groß war auch der Andrang, da größere Rap-Veranstaltungen in der Region meist im entfernten Paris intra muros und seinen direkt angrenzenden Vororten in der banlieue nord stattfinden.

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Abbildung 30: Rap-Konzert in Clichy-sous-Bois

Quelle: Eigene Aufnahme (04.07.2012).

Auffällig war zunächst die sehr familiäre Stimmung. Der hohe Anteil von Jugendlichen und jungen Familien ließ darauf schließen, dass die Bewohner der umgebenden cités das Ereignis mitverfolgen wollten. Ebenso waren bei diesem Konzert (wie auch bei dem in Aubervilliers) Menschen mit Wurzeln im Maghreb, den Antillen und Westafrika überproportional stark repräsentiert. Im Gegensatz zu den anderen besuchten Veranstaltungen und unabhängig von der Hautfarbe fiel jeder Auswärtige, so auch der Forschende, sofort in der Menge auf. Jede abweichende Bekleidung (jenseits von Streetwear oder Sportkleidung) und Verhaltensart (Körperhaltung, neugierige Blicke des Forschers, »Spielen« mit dem Smartphone, um darauf unbemerkt Notizen zu machen) wurde von taxierenden Blicken begleitet. Vereinzelt befragten Anwesende auch den Autor zur eigenen Herkunft. So fühlte man sich selbst auf einmal unter ständiger Beobachtung und bekam die Wirkung der Anwesenheit von Forschenden vor Augen geführt (vgl. Abbildung 30 für Impressionen vom Publikum). Abgesehen von den zum Veranstaltungsende auftretenden Künstlern (den relativ bekannten Rappern Kamleanc’ und La Fouine, von denen Ersterer tendenziell dem rap hardcore zuzurechnen ist) performten sehr viele jüngere, unbekannte und zumeist lokale Gruppen (insgesamt sieben). Deren Darbietungen waren jedoch die interessanteren. Dies hing kaum mit dem künstlerischen Anspruch der Beiträge, sondern mit dem Geschehen zusammen, das sich parallel zu den Darbietungen abspielte. Inhaltlich bedienten sich die jüngeren Künstler bei ihren Darbietungen vieler im lexikometrischen und aussagenanalytischen Material vorgefundener Elemen-

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te von Ghetto-Diskursen. Auf der Bühne wurden die Elemente mit dem (Wohn-) Ort Clichy-sous-Bois in Verbindung gebracht. Im Vergleich zu den analysierten Argumentationen im vorherigen Kapitel (»Gegenhegemoniale Raumdiskurse zwischen Mikro und Makro «) geschah dies inhaltlich und formell jedoch auf eine vulgäre, nahezu postpubertäre Weise. Geprägt von einem eher protzenden als denunzierenden Charakter, mobilisierten die Darbietungen mit den verfügbaren Elementen jene Gegenstände und Bedeutungen des Diskurses rund um das »Leben in den Ghettos« und bezüglich des fragwürdigen Rufs der banlieues als Ghettos. Sinngemäß verliefen die Artikulationen über mehrere Stunden hinweg [!] in jedem zweiten oder dritten Titel wie folgt: »hier geht es rau zu (Polizei, Umgang untereinander)  wir sind ebenfalls rau  hier ist es wie im Ghetto  wir kommen aus den Ghetto und sind stolz darauf«. Diese Rekurse wurden in einem recht virilen, aufgeladenen Modus vermittelt, der neben Ghetto-Diskursen Bilder »der Straße« mobilisierte (vgl. die lexikometrischen Analysen). Viele der Anwesenden Jugendlichen erwiderten diese Form der Bedeutungsherstellung inbrünstig durch Ausruf des Namens der Stadt und durch das Nachahmen der Posen von den jungen Rappern auf der Bühne. Recht unvermittelt verteilten sich während der Beobachtung des Konzerts innerhalb von einer Stunde Kriminalpolizisten in Zivilkleidung auf der Wiese und in der Menge. Sie trugen offen Schnellfeuerwaffen und orange Armbinden, die sie als Polizei kenntlich machten. Ob es sich hierbei um ein routinemäßiges Vorgehen, um eine gezielte Aktion oder um eine besondere Gefahrenlage handelte, konnte durch »diskrete Beobachtung« nicht festgestellt werden. Dennoch verfehlte das Polizieren nicht seine Wirkung. Zusammen mit dem abgenutzten städtebaulichen Umfeld verlieh es den Diskursen eine gewisse Selbstevidenz und operative Wahrheit. Das vom Diskurs Benannte und Hervorgebrachte wurde auch vor Ort »offensichtlich« und nachvollziehbar in Gestalt einer erdrückenden, maroden und räumlich abgeschnittenen Kulisse, in der während eines RapKonzerts neben einem Sicherheitsdienst mit Kampfhunden »sogar« hochbewaffnete Spezialeinheiten operieren. Stigmatisierte Akteure besetzten an stigmatisierten Orten subordinierte Subjektpositionen gegenüber anderen Akteuren. Die symbolischen Ordnungen und gegenhegemonialen Schlussweisen selbst erschienen im situativen Setting als wahr, sie wurden wiederum im Zuge der fortlaufenden Bedeutungsherstellung aufgegriffen und durch sprachlichen und körperlichen Ausdruck reproduziert (z.B. mit aggressiver Gestik, polizeikritischen Texten und [provokanten] Ausrufen).

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Artikulation unterschiedlicher gegenhegemonialer Diskurse Andere Veranstaltungen von Künstlern aus dem alternativen oder anarchistischen Spektrum legten hingegen eine Form der Performativität offen, in deren Rahmen die Publika politisierbarer waren als die bisher erwähnten »RapLiebhaber« oder jugendlichen Konzertbesucher in den stigmatisierten Vierteln. Gegenhegemoniale Diskurse im Allgemeinen und gegenhegemoniale Raumdiskurse im Besonderen waren sowohl auf, als auch neben der Bühne produktiver im Vergleich zu den anderen bei den Feldaufenthalten vorgefundenen Settings. Oft stellte sich in »alternativ geprägten Settings« eine Balance zwischen eigentlich unterschiedlichen Praktiken der abendlichen Unterhaltung und Praktiken mit emanzipativen Anliegen ein. Das erste Beispiel liefern die Veranstaltungen von Première Ligne (Januar und Juni 2012), einer Gruppe der auch der interviewte Skalpel angehört. Neben den überall anzutreffenden, durch Kleidungsstil und »Kontextsicherheit« erkennbaren Rap-Initiierten, zog die Gruppe mit ihren Texten ein für Rap ungewöhnliches, tendenziell als politisch »links« bis »autonom« charakterisierbares Publikum (in überschaubarer Zahl) an. Dies legte die häufige Sichtbarkeit von einschlägigen Symbolen und politischen Botschaften an oder auf Kleidungstücken nahe (z.B. T-Shirts mit Antifa-Logos, dem eingekreisten Buchstaben »A«, Slogans wie »Solidarität mit Palästina«, oder Anstecker mit rotem Stern auf schwarzem Grund bzw. schwarzem Stern auf weißem Grund etc.). Die Konzerte fanden in beiden Fällen in unscheinbaren, gewöhnlichen Bars im 20. Arrondissement von Paris statt, die separate Ebenen für Veranstaltungen anbieten, aber in ihren Haupträumen durchgehend Kundschaft bewirten. Die geringere Raumgröße erwies sich als vorteilhaft, da sie einen intensiven Austausch zwischen den beteiligten Akteuren erlaubte. In beiden Konzert-Kontexten von Première Ligne ergaben sich Gelegenheiten zur Reproduktion von gegenhegemonialen Diskursen; auch die Konzertbesucher erhielten Möglichkeiten, sich in den Diskurs »einzubringen«. Während der Auftritte fanden zunächst erstaunlich wenige Dialoge zwischen Publikum und Künstlern statt. Mit nahtlosen musikalischen Übergängen hielt der DJ die Musik gezielt im Fluss. Die Gelegenheiten für Ansprachen wurden somit minimiert. Während des »schnörkellosen« Auftritts interagierte das Publikum jedoch (dank der Raumgröße) deutlich bemerkbar, durch affiziertes Kommentieren von Textpassagen im bestätigenden Sinne (»Genau!«, »Richtig!«), oder z.B. mit einem permanent wiederholten »Ja, scheiß Bullen!« bei einem bestimmten Lied der Gruppe, welches Polizeigewalt in den Vierteln geißelt. Die durchge-

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hend pointierten und anrufenden Texte4 kombinierten antikapitalistische Gesellschafts- mit Systemkritik und übertrugen diese Inhalte stellenweise auf die Viertel. Mindestens genauso relevant waren die Praktiken von Première Ligne vor und nach den Konzerten in den Räumlichkeiten der beiden Bars. Akye, der DJ der Gruppe, erwies sich in der Gesamtschau als zentraler Akteur im Hintergrund. Er betrieb eine Art Bücher- und Info-Stand mit einem breit gefächerten Angebot.5 Gemeinsames Merkmal aller Auslagen war das gesellschaftskritische bzw. emanzipative Anliegen der Texte. Die Monographien handelten von Themen wie dem französischen Neokolonialismus, den Haftbedingungen in Frankreich, von Arbeitskämpfen oder der Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen. Die ausgelegten Flyer informierten über anstehende Demos oder Unterstützeraktionen – etwa zur Solidarisierung mit Zwangsgeräumten oder mit Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis. Die besuchten Rap-Konzerte wurden vor diesem Hintergrund auch als musikalischer Teil einer politischen Mobilisierung interpretierbar. Sie bildeten Multiplikatoren für unterschiedliche politische Diskurse mit hohem oder geringem Bezug zu stigmatisierten Vierteln, die als gegenhegemoniale Diskurse in Rap integriert sind. Die Rolle des Multiplikators wurde zudem von Skalpel wahrgenommen (der ferner auch Autor ist). Nach seinen Auftritten verbrachte er lange Zeit mit den Anwesenden zum offenen Austausch und zur Diskussion.

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Interpellierende und von Vehemenz, Kompromisslosigkeit oder Radikalität gekennzeichnete Textpassagen wie die folgende sind typisch für das Gros der Titel von Première ligne. »Die Barrikade hat nur zwei Seiten / Also hör auf zu plappern und füll’ den Kanister auf / Es ist ein Nervenkrieg und ich habe meine Seite gewählt / Meinen Banner gehisst, meine Faust gestreckt, mein Blut abgewischt / Eine bestimmte Art zu handeln und wahrzunehmen.« Frz. Original: »Y’a que deux côtés de la barricade / Alors arrêtes de jacasser et vas remplir le jerricane / C’est la guerre des nerfs et j’ai choisi mon camp / Planté mon drapeaux, levé le poing, essuyé mon sang / Un état d’esprit, une façon de faire, de voir.« Interpret: Première Ligne, Titel: Rap, red & black, 2011.

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Akye betreibt seit den 2000er Jahren eine Internetseite mit umfangreichen Informationen zu Konzerten oder Demonstrationsterminen und mit Links zu Dokumentationen oder zu Downloads von politischen Broschüren. Neben den (zur Kostendeckung) angebotenen szenetypischen Merchandise-Artikel können auf der Internetseite auch Musikproduktionen und »revolutionäre« oder sozialkritische Publikationen aus kleinen Verlagshäusern erworben werden. www.bboykonsian.com (zuletzt aufgerufen am 03.03.2015).

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Weitere Momente einer ähnlich gelagerten Performativität von gegenhegemonialen Diskursen bei Rap-Veranstaltungen in alternativen Milieus zeigte ein Auftritt von ZEP (vgl. das auch das vorherige Kapitel) im Juni 2012. Der Auftritt fand in den Räumlichkeiten der revolutionär-syndikalistischen Gewerkschaft »Confédération nationale du travail« (CNT) statt. Die alternative Örtlichkeit und die dortigen Praktiken unterschieden sich deutlich von den anderen besuchten Konzerten (vom Vorhandensein politischer Informationsstände abgesehen): Besucherinnen und Besucher konnten die Preise für den Eintritt und die »volksküchenähnlich« organisierte Verpflegung selbst festlegen, der kleine KonzertRaum erzeugte eine beengte, aber dennoch stimmungsvolle Atmosphäre (vgl. Abbildung 32, weiter unten). Das anarchistische und gewerkschaftsnahe Publikum bestand nur zu einem sehr geringen Anteil aus »sichtbaren Minderheiten«, ungleich den beobachteten Verteilungen wie beispielsweise in Clichy-sous-Bois (vgl. den Abschnitt weiter oben). Ebenso lag das geschätzte Durchschnittsalter des Publikums mit rund 30 Jahren höher als bei anderen Veranstaltungen (mit einigen vereinzelten Ausnahmen bei den Konzerten von Première Ligne und Zoxea). Dafür zeigte sich das Publikum sehr diskussionsfreudig und empfänglich für die Texte von ZEP. Neben der Örtlichkeit war auch die Begebenheit des ZEP-Auftritts für RapKonzerte ungewöhnlich. Die Veranstaltung wurde als Solidaritätskundgebung beworben und abgehalten. Konkret galt die Solidarität an jenem Abend den »Kameradinnen und Kameraden [Gewerkschaftsmitgliedern], die eine Aktion im pôle emploi [der staatlichen Arbeitsagentur] durchgeführt haben« und deswegen vor Gericht standen (vgl. auch den untenstehenden Text auf dem Flyer in Abbildung 31). Vor Beginn des Konzerts informierte eine Teilnehmerin der Aktion auf der Bühne über den Sachverhalt und dessen Konsequenzen (Gewerkschafter besetzten spontan die staatliche Arbeitsagentur, verteilten Infomaterialien und stören die dortigen Abläufe, was eine Räumung provoziert sowie Prozess- und Anwaltskosten nach sich zieht). Während des Auftritts wurden kaum Textpassagen ausgelassen, um das Publikum »mitrappen« zu lassen. ZEP bot gekonnt und routiniert alternative Formen der Animation an. Die Gruppe nutzte gezielt die Zeit zwischen den einzelnen Titeln zum Platzieren von Botschaften. Dabei bediente sich ZEP der ständigen Wiederholung eines Mantras, für welches räumliche Metaphern zentral waren: Fortlaufend konstituierte der Rapper Saïdou die Veranstaltung, mit nicht verfehlender animierender Wirkung, feierlich als »Freiraum«, »Zone« bzw. als »Tanzball der Zone« (»bal de la zone«). Dabei umschrieb Saïdou die »Zone« mantraartig als einen Raum für alle Marginalisierten bzw. »Zonen-Bewohner« (der stig-

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matisierten urbanen Peripherien), in dem sich »unzensiert« über alles sprechen lässt, in dem man mobilisiert und sich vernetzt. Abbildung 31: Flyer für ein Solidaritätskonzert mit ZEP

Quelle: https://scontent.ftxl1-1.fna.fbcdn.net/v/t1.09/255257_10151224351819418_19448 59970_n.jpg?oh=6e9b2cc77967a55cfd67ff92a3c790d8&oe=5914D797 (zuletzt aufgerufen am 30.07.2013).

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Der materialisierte Freiraum konstituierte für 60 Minuten eine Art speakers corner. Die Anwesenden unterbrachen Saïdou – den »Frontmann« der Gruppe – permanent, um seine Ausführungen zu ergänzen oder ihnen zu widersprechen. Nach der (sehr akademisch anmutenden) Provokation etwa, dass man in Frankreich »ethnozentrisch« [sic] denke, und auf die Frage, ob dies auch auf die Anwesenden zuträfe, da ihnen die evozierten Themen gleichgültig schienen, folgte deren absehbare, lautstarke Erwiderung. Saïdou nahm geschickt die Impulse auf und sicherte sich somit spielerisch die volle Aufmerksamkeit des größtenteils stets zur Bühne gerichteten Publikums. Förderlich hierfür war auch die nur minimale Erhöhung der Bühne und geringe Distanz zum Publikum (vgl. Abbildung 32; das Gewerkschaftsplakat im Hintergrund fordert kollektive Selbstverwaltung als anzustrebende Gesellschafts- und Produktionsform). Abbildung 32: ZEP auf der Bühne

Quelle: Eigene Aufnahme (30.06.2012).

Der Modus der Darbietung wertete die Ansprachen zwischen den Liedern erheblich auf. Die Ansprachen wurden von der für ZEP typischen Musette (Akkordeonmusik) im Hintergrund begleitet, was einen Hauch von »VolksfestAtmosphäre« (des »Volkes in der Zone«) erzeugte. Nicht selten waren die Dialoge fast so lang wie die darauffolgenden Musiktitel. Das Beispiel des »youyou« (eine im Maghreb Frauen vorbehaltene Art des Freudenschreis [»Jujuju!«]) soll dies veranschaulichen. Bei der Ankündigung des Songs »La gueule du patrimoi-

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ne«6 verwies Saïdou auf eine Debatte in Nizza, bei der sich UMP-Politiker an dem Verhalten der maghrebinischen Frauen aus den dortigen (ehemaligen) Einwanderervierteln störten. Nach standesamtlichen Trauungen würden die Freudenschreie (youyous) der Frauen in und vor den Verwaltungsgebäuden die öffentliche Ordnung stören (die Tagespresse interpretierte das Vorgehen der lokalen UMP als Wahlkampfmanöver 7). Problematisiert wurde also abermals eine Artikulation postkolonialer Beziehungen und stigmatisierter Viertel. Saïdou führte bei laufender, aber gedimmter Musette aus: Letzte Woche haben wir einen Verein von Frauen aus einem Viertel in Nizza getroffen, Mütter aus Nizza. Falls ihr es nicht wisst, Nizza ist Sarkozy. [Sic, »Nice, c‘est Sarkozy«, es folgen deutliche Buhrufe und andere Unmutsbekundungen] Auf jeden Fall haben die Mamas aus Nizza zurzeit ein bisschen Ärger […] Die Kumpels von Sarkozy [Nizza ist UMP-regiert] haben beschlossen, das Lärmen in den Räumen der Stadtverwaltung zu verbieten, vor allem die youyous. Wisst ihr was das ist? [Einige vollziehen bereits einen youyou, andere können nicht folgen] Das ist ein Schrei nordafrikanischer Mütter […] Die Mütter aus Nizza sind auf der Suche nach Unterstützern in ganz Frankreich. Wir wollen sie unterstützen und einen solidarischen youyou machen. Wir wollen ihn aufnehmen und ihnen den youyou für ihre Internetseite schicken! [Gibt die Adresse der Homepage wieder] Seid ihr bereit? Bei drei! [Laute Zustimmung, Saïdou zählt, alle beginnen zu schreien] War das schon alles? [Lässt animierend den youyou fünf Mal wiederholen; die immer lauter werdenden youyous werden vom immer lauter werdenden Akkordeon begleitet und schrittweise vom einsetzenden Rhythmus ergänzt, bis Saïdou das eigentliche Lied beginnt]

6

Der Titel denunziert jene hegemonialen Diskurse in Frankreich, die aus der zunehmenden Sichtbarkeit und Umfänglichkeit von postkolonialer Einwanderung in die Viertel eine Gefährdung der »französischen Kultur« ableiten.

7

Vgl. auch www.france24.com/fr/20120601-france-nice-mariages-charte-interdictionmanifestations-bruyantes-youyou-estrosi-tactique-electorale-legislatives (zuletzt aufgerufen am 20.05.2015).

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Die beschriebene Dialog- und Steigerungsstrategie der Rapper hatte den Vorteil, auf viele Themen anwendbar zu sein. Dem Publikum gab sie Möglichkeiten zur unterhaltsamen Partizipation »in« und »bezüglich der Zone«. ZEP löste die grundlegende Spannung des Konzerts, dem permanenten Oszillieren zwischen Politisieren und Unterhalten, gekonnt auf. Diese Form der Performanz band das Publikum intensiv ein und ermöglichte diesem, sich affektiv und symbolisch in die gegenhegemonialen Raumdiskurse einzubringen. Es gelang der Gruppe, kulturelle Praktiken sehr explizit an die Kämpfe anderer sozialer Bewegungen anzukoppeln, und sich zeitgleich in eine umfassendere diskursive Dynamik zu stigmatisierten Vierteln einzuschreiben.

RAP-ATELIERS Neben den unterschiedlichen Rap-Konzerten bot die nuancierte Betrachtung des Einsatzes von Rap in der Stadtteilarbeit eine abrundende Perspektive auf die Performativität von gegenhegemonialen Rap-Diskursen. Wie in den bisherigen Analysen nachgewiesen werden konnte, konstituieren die Rapper regelmäßig eine Kluft zu institutionellen Kontexten, die durch ein starkes Misstrauen zum Ausdruck kommt. Ähnliche Haltungen deutet der Forschungsstand zu den Rapateliers auch für die eigentlichen Akteure der Stadtteilarbeit mit Rap an. Hier drängen sich die Fragen auf, warum (»kritische«) Akteure (dennoch) der kommunalen Jugendarbeit assistieren, wie sie mit den potentiellen Widersprüchen umgehen (in Bezug auf die Praktiken und Ordnungen der Rap-Diskurse) und wie sie ihre Rolle als situative »Jugendarbeiter« einschätzen. Funktioniert diese Übersetzungsarbeit, wie werden die Resultate beurteilt? Die Details der organisatorischen und perspektivischen Einbindung der RapAteliers standen nicht im Mittelpunkt der Feldaufenthalte. Im Unterschied zur »vollumfänglichen« ethnographischen Arbeitsweisen wurde nicht die Beobachtung der routinierten Praktiken privilegiert, sondern ihre Deutungen als Rekonstruktion von diskursiven Praktiken seitens der Akteure fokussiert. Die Feldaufenthalte erlaubten en passant Einblicke in bestehende organisatorische Strukturen. Vordergründig sollten diese – gemessen an der »Granularität« des hier gewählten Blickes – nicht den Forschungsstand der vertieften Fachdiskussionen aus dem Bereich der Sozialen Arbeit signifikant erweitern8, sondern die konzep-

8

Auf der besuchten Konferenz »Paris Hip-Hop Campus: Hip-Hop & Education« im Juni 2012 wurden von den anwesenden Forschern und Praktikern im Wesentlichen die Aspekte aus dem Abschnitt zu französischem Rap im zweiten Kapitel angeführt. Teil-

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tionelle Perspektive dieser Arbeit mit der von Praktikern verbinden. Manche der im Forschungsstand verhandelten Aspekte werden aber auch in untenstehenden Interviewauszügen angesprochen. Um dennoch einen Eindruck von den eigentlichen Orten der Ateliers und ihrer Ausstattung zu vermitteln, wird der folgende Exkurs (Exkurs II) der Zusammenschau der Gespräche vorangestellt. Er gibt einen Besuch in der Maison du Hip-Hop in Paris in Form einer »Feld-Vignette« (vgl. auch Dzudzek 2014: 69) wieder. Die Vignetten wurden während der Feldaufenthalte regelmäßig nach Gesprächen oder Beobachtungen angefertigt. Exkurs II: Besuch der Maison du Hip-Hop in Belleville (28.06.2012, Paris) Nach einem ersten erfolglosen Versuch die Maison du Hip-Hop zu besichtigen, gelang es diesen Donnerstag im zweiten Anlauf. Das Haus war trotz der angegebenen Öffnungszeiten (Dienstag und Donnerstag 16-18h) dienstags geschlossen – aus Personalmangel, wie sich später noch herausstellen sollte. Es liegt in einer kleinen, ruhigen, eher schmuddeligen Straße Bellevilles, die wie das umliegende Viertel von städte- und wohnbaulichem Zerfall zeugt. Die Maison wirkt von außen sehr unscheinbar, ist kaum beschildert und in einem ehemaligen Ladenlokal untergebracht. Beim Betrachten des Schaufensters, in dem Infomaterialien auslagen und Ankündigungen klebten, bemerkte mich der an diesem Nachmittag anwesende Mitarbeiter und lud mich ein, das Lokal zu betreten. Aufgrund einer Nebenbeschäftigung ließ er mir Zeit, das Interieur zu betrachten. Die Raumaufteilung der Maison du Hip-Hop gestaltet sich im Erdgeschoss, zu welchem ich Zugang hatte, ihrer Zweckmäßigkeit entsprechend sehr übersichtlich, und orientiert sich entlang der unterschiedlichen Hip-Hop-Disziplinen. Zwei Drittel der Fläche nahmen ein Tanzboden für Breakdancer sowie entlang der Wände aufgestellte Graffiti-Wände und Schränke mit Sprühdosen ein, das restliche Drittel mehrere Sitzgruppen für Rap-Schreibwerkstätten. Ergänzt wurden die Sitzgruppen durch eine kleine Hip-Hop-Bibliothek, die zu meinem Erstaunen neben Szenepublikationen teilweise kanonisierte Titel der (wissenschaftlichen) Hip-HopLiteratur führte, wie sie auch in Universitätsbibliotheken zu finden sind. Ins Auge stachen zudem auch französische Wörterbücher und Reimlexika, die im Zuge der Schreibwerkstätten Jugendlichen aus dem Viertel als Hilfsmittel dienen.

nehmende Praktiker wie Imothep (Mitglied von IAM, der wohl bekanntesten RapGruppe Marseilles) denunzierten das Ungleichgewicht zwischen der großen Beliebtheit von Rap bei den Jugendlichen in stigmatisierten Vierteln und den prekären Strukturen vieler Maßnahmen in der Stadtteilarbeit.

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Im Anschluss kam ich mit dem anwesenden Mitarbeiter, »Ludo«, ins Gespräch. Den Zugang zu Ludo erleichterte mir der Umstand, als »exotischer« Besucher aus Deutschland diesen doch eher versteckten Ort aufgesucht zu haben. Ludo beschrieb mir zunächst die Grundstruktur des Projekts: Die Arbeit der Ende 2006 eingerichteten und den Werten der Hip-Hop-Kultur verpflichteten Maison basiert vornehmlich auf ehrenamtlichem Engagement. Sie soll Jugendlichen aus den umliegenden Vierteln des Pariser Nordosten Hip-Hop als Mittel der Selbstverwirklichung näherbringen, und eine Infrastruktur für entsprechende Praktiken anbieten. Jede Hip-Hop-Disziplin wird von mindestens einem ehrenamtlichen Mitarbeiter betreut. Ludo, der ehemals im Untergrund sprühte, ist inzwischen Künstler und Auftragsmaler. Die Schreibwerkstatt wurde zum Gesprächszeitpunkt von Matt Moerdock geleitet, einem national bekannten Rapper und wichtigen Akteur der regionalen Szene (Begründer des Rap-Radios »Génerations FM«). Dessen Engagement widerlegt Sichtweisen die bekräftigen, Rap sei seit den 1990er Jahren lediglich ein Mittel des ökonomischen und sozialen Aufstiegs und Weg aus den banlieues (Matt Moerdock stammt aus Stains im Département Seine-Saint-Denis). Es zeigt, wie Akteure aus schwierigen sozialräumlichen Konstellationen »ihresgleichen« mittels Rap einen Weg zur Ausdrucks- und Handlungsfähigkeit vermitteln. Auf das Tagesgeschäft und die Ressourcen der Maison angesprochen, gab Ludo eine ambivalente Antwort. Einerseits laufe der Betrieb trotz der knappen Ressourcen einigermaßen und regelmäßig. Die Angebote würden von den lokalen Jugendlichen angenommen, und es gebe durchaus Zulauf zu den Veranstaltungen, gerade auch für die Rap-Werkstatt. Andererseits klang im Gespräch das Gefühl mangelnder Wertschätzung seitens institutioneller Akteure durch, welche auf das Spannungsverhältnis zwischen einer urbanen Kultur bzw. Gegen-Kultur und ihrer potentiellen institutionellen Vereinnahmung deutet. Die Maison wird durch die Metallergesellschaft und die Pariser Stadtverwaltung mitfinanziert bzw. organisatorisch unterstützt. Laut Ludo schmücken sich die Förderer gerne mit ihrem sozialen Engagement, jedoch haben sie ein sehr differenziertes und teilweise reserviertes Verhältnis zu Hip-Hop [hier bestätigen sich die Beobachtungen während des Konzertes von Zoxea, vgl. oben]. Die Förderer heißen meist nur Graffiti oder Breakdance gut, und integrieren in der Regel, wenn überhaupt, diese zwei Bereiche in die Angebote lokaler Stadtfeste oder Kulturveranstaltungen. Die zwei Praktiken ließen sich gemäß Ludo in der öffentlichen Wahrnehmung als »ästhetischer« und »künstlerischer« verkaufen: Breakdance, als athletische Choreographie, sowie Graffiti und Street-Art haben längst Einzug in bürgerliche Tanzschulen und Kunstgalerien gehalten.

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Rap hingegen hafte in den Institutionen – Ludo zog diesen Schluss aus persönlichen Erfahrungen mit Repräsentanten – immer noch ein verruchtes Image an. Denn Rap gelte als Ausdruckmittel einer gefährlichen, ungezogenen Jugend, die sich zwar irgendwie durch »ihre« Kultur artikulieren und beschäftigt sein soll, aber nach Möglichkeit in einer eher kleinen Öffentlichkeit. Somit scheint die institutionelle Förderung von Rap in diesem Fall zwischen wohlwollendem Aktionismus (»seht her, wir machen was, wir fördern auch ›die‹ und ›ihre‹ Kultur!«) und verweigerter Anerkennung durch die Öffentlichkeit zu schwanken. Dies bereitete Ludo und seinen Kollegen öfter Unbehagen, jedoch überwiegen der Spaß an ihrer Arbeit und das Gefühl, den regelmäßigen Besuchern ein nützliches Wissen zu vermitteln. Deutungen der Praktiker Die Ateliers finden in der Regel in den von den kommunalen Trägern bereitgestellten Jugendzentren der stigmatisierten Viertel statt.9 Oft vergeben die Kommunalverwaltungen, denen die jeweiligen Viertel angehören, hierfür Aufträge an Kulturvereine. Erstere unterhalten in der Regel kein »Fachpersonal für Rap «. Der im Juli 2013 interviewte hauptamtliche Koordinator für Hip-HopJugendarbeit der Stadt Saint Denis (banlieue nord), Yaya Bagayoko, ist eine der seltenen Ausnahmen: »Zum Glück haben wir ein festes Budget, nicht so wie ein Verein. Glücklicherweise befinden wir uns in keiner Konkurrenzsituation mit anderen Vereinen und verlieren keine Zeit mit Anträgen.«10 (Interview mit Yaya Bagayoko, Juli 2013)

Die Organisationsform mit hauptamtlich Beschäftigten in kommunaler Trägerschaft hat laut Yaya den Vorteil, Persistenz zu schaffen. So bestehen geringere Abhängigkeiten von ehrenamtlich getragenen Strukturen in Vereinen oder von zeitlich begrenzten Einzelförderungen, die nur sehr aufwändig verlängert werden können. Die beauftragten Kulturvereine fragen dann (je nach verfügbaren Kontakten) die Rapperinnen und Rapper persönlich, ob sie ehrenamtlich Schreib-

9

Die Ausführungen in diesem Abschnitt greifen das in Baumann/Tijé-Dra/Winkler (2015) entwickelte Beispiel auf, und verbinden es mit weiteren Thematiken und Interviewäußerungen von unterschiedlichen Akteuren.

10 »La chance qu’on a, c’est qu’on a un budget, c’est pas comme une association. Heureusement on se retrouve pas dans une situation de concurrence avec d’autres associations, et on ne perd pas du temps pour faire des dossiers.«

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werkstätten abhalten wollen. Das indirekte Ansprechen der Akteure durch Jugendhäuser und Vereine ist zentrales Moment, da viele kritische Rapper aufgrund des Misstrauens gegenüber öffentlichen Institutionen sonst nicht mitziehen würden und den Vereinen – anders als anderen Trägern – eine gewisse Offenheit zubilligen: »Wir arbeiten viel mit Vereinen wie Macadame Paris zusammen und ich finde das gut, das ist cool. Denn dort ist es durchmischt [man trifft viele unterschiedliche Leute, A.T.], dort gibt es niemanden, der Scheuklappen trägt. Wir haben das hier und da gemacht, z.B. im Kulturzentrum von Belleville. Die Leute rufen uns an, oder ein Verein kontaktiert uns über das Internet und schlägt eine Schreibwerkstatt vor. […] Aber wir machen nur Sachen mit Vereinen.«11 (Interview mit 2spee, Juli 2013)

Gleichzeitig sind die Ateliers mit einer verantwortungsvollen Übersetzungsarbeit verbunden. Die diskursiven Regeln des Rap werden unter Anleitung reproduziert und von den Jugendlichen nachvollzogen. Die durch ihren Rap-Konsum vorgeprägten Teilnehmer besuchen die Schreibwerkstätten mit gewissen Erwartungen oder Illusionen darüber, was Rapperinnen und Rapper ausmache, worüber sie rappen und wie sie es darbieten sollten. Ebenso darf nicht erwartet werden, dass die Teilnehmer wie ihre jeweiligen Vorbilder bereits ausgefeilte Texte und pointierte Argumentationen spontan und gekonnt »aus dem Ärmel schütteln« können. In der Position als »Atelier-Leitung« haben Rapperinnen und Rapper daher gewisse Einflussmöglichkeiten auf die Jugendlichen und deren Ansichten über Rap sowie auf die vor Ort vermittelten sprachlichen, nicht-sprachlichen bzw. inkorporierten Artikulationsweisen. Gerade vor diesem Hintergrund ist es spannend, ob Skalpel, der auch Ateliers durchführt und um deren Infrastrukturen Bescheid weiß, dies mit seiner anarchistischen, anti-autoritären und staatskritischen Position »an sich« vereinen kann: »Rap ist die Musik der Arbeiterviertel. Du wohnst dort und wächst mit Rap in den Ohren auf. Ob du willst oder nicht. […] Fußball ist z.B. ein Volkssport. […] Mit Rap ist es genauso. So, wie man einen städtischen Fußballverein gründet, werden die Verantwortlichen für Kultur, also letztlich die Stadtverwaltung, sagen: ›In dieser Stadt gibt es Arbeitervier-

11 »On travaille beaucoup avec des associations comme Macadame Paris et je cautionne ça, c’est mortel ça. Parce que c’est mélangé, il n’y a pas des gens qui vont rester que dans leur truc. On a fait ça un peu partout, à Belleville dans le centre culturel. Les gens nous appellent, ou ça peut être une association qui nous contacte sur internet et propose de faire un atelier. […] Mais on fait que des trucs avec des associations.«

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tel. Die Jugendlichen lieben Rap. Wir stellen ein Studio auf die Beine, damit die Jugendlichen Rap machen können etc.‹ Nun, das ist nicht das, was daran so störend ist.«12 (Interview mit Skalpel, Juni 2012)

Skalpel skizziert Rap als fest sedimentierte Praktik in den »Arbeitervierteln«, der man nicht ausweichen kann und mit der jeder in Kontakt kommt. Es sei somit nicht anrüchig und nur schlüssig für die Verwaltung, Rap zu fördern, um den Jugendlichen in den Vierteln Freizeitmöglichkeiten vorzuhalten, die ihnen auch zusagen. Gegen die Grundintention der Institutionen gäbe es kaum etwas zu einzuwenden. Dennoch identifiziert Skalpel einen aus seiner Sicht schwerwiegenden Makel dieser Strukturen: »Störend ist, dass die Institutionen […] die Musik ausnutzen, um solchen Rap zu besänftigen – in jedem Fall zu vereinnahmen – der eine legitime Revolte ausdrücken könnte. Sie besänftigen, aber ermöglichen es solchen Leuten mit der Bereitstellung von Zubehör Rap zu machen, um schließlich zu sagen: ›Seht her, wir sind gar nicht so böse, wir stellen ein Studio und eine Ausrüstung bereit‹ […] Daher bin ich immer darauf aus den Leuten zu sagen: ›Man muss so autonom wie möglich sein. Du machst Musik, okay. Es ist besser zu versuchen, 100 Euro zu sparen, [dafür kann man bereits eine brauchbare Ausrüstung kaufen, A.T.], man ist unabhängig.‹ Das ist besser, als mit der Stadtverwaltung eine Partnerschaft zu schließen damit sie eine Ausrüstung bereitstellen.« 13

12 »Le rap c’est la musique des quartiers populaires. T’habites dans un quartier populaire, tu grandis avec du rap dans les oreilles. Après, t’aimes où t’aimes pas. […] Donc, le foot c’est un sport populaire […] Comme on fait un club de foot dans une ville, la branche culturelle qui gère la ville, enfin la mairie, la branche culturelle va dire: ›Dans cette ville on a des quartiers populaires, les jeunes aiment le rap, on va faire un studio […] pour que les jeunes puissent faire du rap etcetera.‹ Donc, c’est pas ça qui est tellement gênant.« 13 »Ce qui est gênant, c’est l’utilisation de l’institution et des autorités de la musique pour calmer, en tout cas récupérer, ce qui pourrait être un rap qui exprime une révolte légitime, mais le calmer en mettant des outils à disposition pour que ces gens puissent le faire, et au finale on dit: ›Regardez nous, on n’est pas si méchant parce on vous prête un studio et un équipement‹. Donc, un de mes combats c’est de dire aux gens: ›Il faut être le plus autonome possible. Tu fais de la musique, okay, il vaut mieux essayer d’économiser 100 Euro, on est indépendant.‹ C’est mieux que signer un partenariat avec la mairie de la ville pour qu’ils prêtent un équipement.«

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Relativierend merkt Skalpel sofort an, dass die Bereitstellung solcher Infrastrukturen subtile und direkte Möglichkeiten der Einflussnahme seien (bis hin zur Vereinnahmung). Jegliche Nutzung von Angeboten mache Rap und die Jugendlichen tendenziell angreifbar. Einerseits, so wird impliziert, hemmen die sehr ungleichen Machtbeziehungen zwischen den Jugendlichen und der Verwaltung bereits potentielle Artikulationen von Kritik oder lassen sie gar ins Leere laufen; das betrifft laut Skalpel sowohl Sachkritik, als auch Sozialkritik bzw. die Artikulation einer »legitimen Revolte« (in den Vierteln). Die Bereitstellung der Geräte und Räume dürfe nicht nur als Möglichkeit betrachtet werden, Musik zu produzieren. Sie liefere den Offiziellen wirksame Hebel, um Jugendliche zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Gerade der Verweis von Verwaltungsseite auf das bereits Geleistete soll Generosität signalisieren und berechtige die Verwaltung zum Einfordern von Mäßigung seitens der Jugendlichen. Gleichzeitig lässt sich die Generosität im Bedarfsfall in Wert setzen – wie etwa zur Entkräftung des häufig vorgebrachten Vorwurfs, Kommunalverwaltungen würden nicht genug für die Jugendlichen der Viertel leisten. Um diesen Machtverhältnissen auszuweichen, empfiehlt Skalpel, Jugendlichen die rappen wollen, eine alternative Strategie. Der Erwerb einer eigenen Ausrüstung scheint im Sinne der von Skalpel propagierten Diskurse, in denen die (politische und materielle) »Autonomie« der Bewohner der Viertel eine zentrale Rolle einnimmt, immer die bessere Option für Jugendliche zu sein. Alternativer und politischer Rap müsse »frei« bleiben, anstatt sich grundlegend erpressbar zu machen. Yaya Bagayoko (37 Jahre), der in seiner Jugend auch die Hip-HopDisziplinen praktiziert hat, bewertet die mögliche Vereinnahmung aus einer institutionell gebundenen, aber sehr geradlinigen Perspektive heraus, anders: »Vereinnahmung? Ja, klar. Man nennt das den sozialen Frieden kaufen. […] Und widersprüchlicherweise liegt das Problem beim Rapper, beim Jugendlichen aus der cité. Er kann für sich selbst keine Verantwortung übernehmen. Aber wenn jemand anderes es macht, wird er Kritik äußern und ›Vereinnahmung!‹ sagen. Aber es klappt [einfach] nicht, Verantwortung zu übernehmen. Die Vereinnahmung besteht, das stimmt. Aber gleichzeitig profitieren alle. Sie dient genauso der Politik, um endlich den sozialen Frieden zu kaufen, wie sie den Akteuren im Rap dient, die schlau sind, die es schaffen daraus etwas Positives zu machen. Das heißt, korrekte Ausdrucksweisen zu fördern, zu zeigen, warum die besten Rapper keine Trottel sind, […] und das Geld zu nutzen, um bessere Projekte und echte Institutionen aufzuziehen. […] Wenn man die Sache durchschaut, kann man Gutes tun.« 14

14 »Récupération? Oui, c’est clair. On appelle ça acheter la paix sociale. […] Et c’est paradoxalement le problème du rappeur, du jeune de cité. C’est qu’il n’est pas capable

Rap in actu: Darbietungs- und Vermittlungsformen | 209

Als Koordinator sieht Yaya die Verantwortung nicht bei den Institutionen, sondern bei allen Beteiligten; auch wenn er klar konstatiert, dass die Vereinnahmung der Jugendlichen aus den cités existent ist. Die Metapher des gekauften sozialen Friedens, den sich die Politik durch Rap-Angebote (ohne weiteres Zutun bzw. ohne großen Aufwand) erkaufen kann, bestärkt dies. Gleichzeitig mahnt er aber auch an, dass es leichter sei, ein Nutzer dieser Infrastruktur zu sein, als sie selbst im Viertel aufzubauen oder aufrecht zu erhalten. Yaya kennt nur wenige Beispiele, in denen Letzteres durch Eigeninitiative gelang. Den kritischen Anspruch der Rapper dennoch nicht verneinend, lenkt er den Blick auf die Auswege aus der unbefriedigenden Konstellation. Letztlich besteht seine Lösung zur Wahrung von Autonomie darin, wenn schon nicht anders möglich, die bestehende Vereinnahmung »gewinnbringend« zu durchlaufen. Die akquirierten Mittel, für deren Einwerbung laut Yaya neben persönlichem Geschick vor allem präsentabler Rap wichtig ist (»zeigen, dass Rapper keine Trottel sind«), sollten nach Erhalt mittelfristig im eigenen Sinn eingesetzt werden. Die öffentlichen Förderungen sollten nur ein Sprungbrett sein, statt eine Arbeitsgrundlage zu bleiben. Alternativ ließe sich diese Aussage – konträr zu Skalpels Meinung – als strategische Zurückstellung einer »zu harschen« Kritik in Anbetracht der möglichen Fördergelder deuten. Somit beleuchtet Yaya die Problematik als hinzunehmenden Übergangszustand, der nach dem unvermeidlichen Durchlaufen stadt- und jugendpolitischer Dispositive auch Chancen birgt, selbstermächtigende Artikulationen in Ateliers zu fördern. Skalpel betont überwiegend die negativen Konsequenzen der Übersetzung von potentiell gegenhegemonialen Praktiken in institutionelle Kontexte. Yaya hingegen sieht keinen weiteren »Ausweg« in Anbetracht der verfügbaren Mittel, wohlwissend, dass seine Meinung im Kontext von Rap-Diskursen keine Mehrheitsmeinung ist:

de s’autogérer lui-même. Mais dans le même temps, quand un autre personne vient lui gérer, il va critiquer et dire: ›C’est la récupération!‹. Mais on n’arrive pas á s’autogérer. Il y a de la récupération, c’est vrai. Mais au même temps la récupération sert à tout le monde. Elle sert aussi bien aux politiques, parce que finalement on s’achète la paix sociale, et aussi bien aux acteurs de rap qui sont intelligents, qui arrivent justement à en faire quelque chose de positif. C’est à dire promouvoir un discours correct, montrer pourquoi les meilleurs rappeurs ne sont pas que des cons […] et de prendre cette argent-là pour développer d’autres projets plus constructifs, et de monter des vraies institutions. […] En comprenant des choses on peut faire du bien.«

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»Was ich sagen werde, klingt bescheuert: Aber indirekt brauchen sich der Rap, die Viertel und die Politik gegenseitig, ob sie es wollen oder nicht. Die Politik muss ihre Umwelt, ihr Territorium und die Bedürfnisse der Jugendlichen verstehen. Die Jugendlichen brauchen die Politik, um ein Projekt umzusetzen. Und der Rap ist auch eine Art, all das Leid, all die Freude die man im Leben haben kann, auszudrücken. Es ist das einzige Forum, das man in der cité haben kann.« 15

Yaya konstatiert interessanterweise also keine einseitigen Abhängigkeiten zwischen Rap, Politik (als bestimmende Ebene über den Ateliers) und den Jugendlichen, sondern Interdependenzen, welche die Beziehungen zwischen den Akteuren komplexifizieren. Trotz der Möglichkeiten, vereinnahmt zu werden, z.B. um Jugendliche im Sinne des gekauften sozialen Friedens »bei Laune« zu halten, finden Akteure diskursive Strategien, die Widersprüche zu relativieren: »Stell dir vor, du wärst ein Lehrer an einer Schule. Du musst den Kindern einen bestimmten Geschichtslehrplan vermitteln. […] Du unterrichtest, und nach deiner subjektiven Art als aktivistischer Lehrer – oder nicht –wirst du ein Thema so präsentieren, dass das Kind nicht nur eine offizielle Version hört, sondern auch verschiedene. Das betrifft nicht alle Lehrer. Im Rahmen der Schreibwerkstatt ist das genauso.«16

Skalpel greift die in der diskursiven Logik der Ateliers vorgesehene Rolle des »Rap-Lehrers und Pädagogen in Personalunion« auf. Er rekonstruiert seinen Modus, mit dem er die geltenden Ziele der institutionellen Jugendarbeit mit seinen eigenen in Einklang zu bringen gedenkt. Er integriert dabei auf seine spezifische Art die zirkulierenden Botschaften der Rap-Texte in die Ateliers (etwa die des »Kritisch-Seins«, die der »Autonomie« als Bewohner einer cité oder andere

15 »C’est con, ce que je vais dire. Mais pour moi, le rap, les quartiers et les politiques indirectement, qu’ils le veuillent ou pas, ils ont tous besoin l’un d’autre. La politique a besoin de comprendre son environnement, son territoire et de comprendre les besoins des jeunes. Les jeunes ont besoin de la politique pour mettre un projet en place. Et le rap est aussi une manière d’exprimer toute la peine, toute la joie qu’on peut avoir dans sa vie. C’est la seule tribune qu’on peut avoir dans la cité.« 16 »Imagine que t’es professeur dans un collège, t’as un programme d’histoire à enseigner les enfants. […] Tu transmets le programme, c’est d’après ta subjectivité de professeur militant ou pas, tu vas présenter les choses de thème tel façon pour que l’enfant n’entende pas que le discours officielle, mais qu’il entend un autre son de cloche. Je parle de certains professeurs, pas de tous. L’atelier d’écriture dans ce cadrelà, c’est pareil.«

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in den Diskursen zentrale Bedeutungen). So gäbe es zwar immer gewisse »offizielle« Ziele, die es zu vermitteln gelte. Aber aufgrund seiner zugewiesenen und einflussreichen Rolle, die ihm erlaubt »zweigleisig zu fahren«, kann Skalpel bestimmte Freiräume für sich und die Jugendlichen in den Ateliers garantieren. Somit besteht die Möglichkeit, auch gegenhegemonialen Diskursen in den Ateliers Geltung zu verschaffen. Die temporären Freiräume werden zur nicht mehr verhandelbaren Bedingung, die letztlich auch die einzige Garantie für Skalpel bleibt, eigene Ansprüche zu wahren und sich nicht vereinnahmt zu sehen: »Ich leite die Schreibwerkstatt nach meiner subjektiven Art, d.h. ich werde den Jugendlichen so viel Raum wie möglich lassen sich frei auszudrücken, ohne sie dabei leiten zu wollen: ›Das macht man nicht, schockier nicht die Leute.‹ Das ist für mich nicht verhandelbar. Bei meiner Schreibwerkstatt darf nichts von dem, was die Jugendlichen sagen, zensiert werden. Wenn ich zensieren soll, mache ich es nicht. […] Ich schaffe einen Rahmen in dem es zu einer gegebenen Zeit an einem gegebenen Ort Freiheit gibt. Mehr kann ich nicht machen.«17

Der Rapper Babali aus Saint-Denis folgt Skalpels Grundgedanken: »Bei uns gibt es keine Zensur, nein nein nein! Es ist klar, dass wir freie Hand haben, man kann sich bei einem Freestyle reinsteigern, du trägst deinen Text vor. Du kannst sagen: ›Die Dinge sind so, weil…‹ Ich werde nicht sagen, dass das nicht in Ordnung ist, […] aber die Jugendlichen sind nicht die ganze Zeit sauer, sie haben auch Spaß, wie überall sonst.«18 (Interview mit Babali, Juli 2013)

Mit Entschiedenheit weist der Rapper ein Zensieren oder auch »Überpädagogisieren« der Ateliers von sich, um die Relevanz und Selbstverständlichkeit (»es ist klar«) der Freiräume für sich und seine Gruppe Ursa Major hervorzuheben.

17 »Je mène mon atelier d’écriture d’une façon subjective, elle va être à moi. C’est à dire que moi, je vais laisser place pour l’expression le plus possible, sans vouloir les guider pour que ›ça fasse pas, choque pas les gens‹. C’est une condition non-négociable pour moi. Si moi je fais un atelier d’écriture, c’est que tous que les jeunes disent ne doit être censurer, rien. Si c’est censurer je le fait pas. Je crée un cadre où il y a dans un temps donné, un espace donné il y a une liberté. C’est tout ce que je peux faire.« 18 »Nous, on fait pas de censure, non non non ! C’est sure, on est libre, on peut partir dans un délire dans un freestyle, tu balance ton texte. Tu peux arriver et dire ›ouais c’est comme ça parce que…‹ Je ne vais pas dire que c’est pas bien, […] mais les jeunes ne sont pas aigris tout le temps, ils rigolent aussi comme tout le monde.«

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Die Jugendlichen könnten bei den Kursen erzählen bzw. rappen, was sie wollten, er würde nicht intervenieren. Dennoch ist Babali bemüht, das Image wütender und desillusionierter Jugendlicher, das sowohl in gegenhegemonialen als auch in hegemonialen Diskursen mitschwingt, gegenüber dem außenstehenden Interviewer zu relativieren (ähnlich der Normalisierungsstrategien im Abschnitt »Ortsbindungen« des sechsten Kapitels). Babali erzählt, dass nicht alle kommen, um ihre Wut abzuladen oder permanent antagonisiert wären; im Grunde würden sich die Teilnehmer diesbezüglich »nicht wirklich« von anderen gleichaltrigen Jugendlichen unterscheiden. Die kurzen Ausschnitte und Äußerungen verdeutlichten, wie jeder der vier Akteure sich der Problematik einer potentiellen und tatsächlichen Vereinnahmung bewusst ist. Im Reflexionsprozess entstehen z.T. kreative Wege und Deutungsmuster, die sich letztlich auf zwei Strategien konzentrieren: dem Einfordern von »unumstößlichen« Prinzipien oder einer »geschickten« Nutzung der vorgefundenen diskursiven Settings und Rollen. Die Praktiker »arrangieren« sich gezwungenermaßen, um den sie interpellierenden Ordnungen und Praktiken des bzw. ihres Raps zu stigmatisierten Vierteln »gerecht« zu werden, und diese aufrecht zu erhalten. Daneben verwenden manche abermals Normalisierungsstrategien, lassen den Jugendlichen aber prinzipiell Räume für einfordernde oder denunzierende Diskurse beim Rappen.

Normalisierungsstrategien und die Denunziation des »Ghettos« »République und Nation sind hier nur MetroStationen«1 Interpret: Médine, Titel: Speaker Corner, 2015.

Für die dauerhafte »Krise der Vorstädte« und die Stigmatisierung von inner- und randstädtischen Vierteln in Frankreich werden seit Jahrzehnten konkurrierende Erklärungsansätze in der Stadtforschung, in der Politik und in medialen Debatten vorgebracht. Die im zweiten Kapitel erläuterten aktuellen Erklärungsansätze kreisen besonders um zwei zentrale Themen: • Stigmatisierte Viertel und ihre Bewohner wurden über Jahrzehnte hinweg

durch bestimmte diskursive Verknüpfungsmuster konstituiert. Einerseits, wie viele Beiträge der Stadtgeographie nachweisen, setzten ab den 1990er Jahren verstärkt Argumentationen zur Erklärung einer vermeintlich unmöglichen Integration bestimmter Jugendlicher, »Fremder« oder »Krimineller« ein, die in einem gewählten oder erzwungenen sozialräumlichen Rückzug und der Abschottung münde. Die über Jahrzehnte hinweg implementieren Maßnahmen in sicherheits-, arbeitsmarkt- oder sozialpolitischen Feldern konnten der Entwicklung keinen Einhalt gebieten. Vonseiten der kritischen Stadtforschung, welche die hegemoniale Konstitution der Viertel in den 2000er Jahren ausgiebig erforscht hat, wurden solche Reaktionen stets angezweifelt. Die vorgelegten Arbeiten verweisen auf die Relevanz der Stigmatisierung für die selbstvergewissernde Konstruktion einer hegemonialen französischen Identität gegenüber einem »Anderen«, das sich mithilfe der Viertel, deren Bewohner »so anders« wären, objektivieren und lokalisieren lässt.

1

»Ici République et Nation c'est que des stations de métro«

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• Eine in der interdisziplinären Stadtforschung vielbeachtete Erklärung liefert

Wacquants Konzept der territorialen Stigmatisierung. Es interpretiert die Krise als »Konglomerat« sozialer und räumlicher Stigmata, die bei allen beteiligten Akteuren zu einer massiven Internalisierung hegemonialer Raumdiskurse führe (ob nun bei Bewohnern, Vertretern staatlicher Institutionen, Journalisten oder Forschern). Problematisch erscheint jedoch die starre Setzung einer gewissen Handlungsunfähigkeit der Betroffenen. Ebenso partizipiert Wacquant an der gesellschaftlich und akademisch relevanten Debatte, ob das republikanische Modell inzwischen durch die Etablierung von Ghettos zu scheitern drohe, und nach welchen Kategorien (wie »Klasse«, »Ethnie«) dies bestimmbar sei. Dem konstruktivistischen Grundverständnis folgend, das die Konstitution von sozialen Wirklichkeiten und Identitäten nie als endgültig, sondern als umstritten betrachtet, wurde gefragt, wie soziale Akteure die territoriale Stigmatisierung durch hegemoniale Diskurse in Deutungskämpfe um die Viertel überführen. Dabei, so die Annahme, erzeugen sie gegenhegemoniale Geographien. Um diese Konzeption mit einem empirischen Gegenstand konfrontieren zu können, wurde in Rap-Diskursen ein geeigneter Untersuchungsgegenstand identifiziert. Wie der Forschungsstand im zweiten Kapitel zeigte, stehen Rap-Diskurse seit ihrem Entstehen in US-amerikanischen Ghettos und ihrer globalen Diffusion stets in Verbindung mit territorialer Stigmatisierung. Neben den festiven oder prahlerischen Spielarten des Raps, auf die dieser gerne reduziert wird, sind gerade auch »widerständige« oder emanzipative Diskurse ein Kennzeichen von Rap. Seit seinem Aufstieg zur etablierten Jugendkultur in Frankreich wurde Rap von Rapperinnen und Rapper, aber auch von medialen Akteuren mit krisengebeutelten Vierteln in Verbindung gebracht. Vor diesem Hintergrund erwies es sich aus geographischer Perspektive gewinnbringend, die vorliegenden sozialwissenschaftlichen, stadt-, sozial- und kulturgeographischen Perspektiven zu den Forschungsgegenständen »Rap« und »stigmatisierte Viertel in Frankreich« zu verschneiden. Der Ansatz sollte mehrere Leerstellen füllen. Sie bestanden im Ausblenden von Deutungskämpfen um stigmatisierte Viertel in den aktuellen Arbeiten der geographischen Stadtforschung, dem vergleichsweise geringen Interesse an der Handlungsfähigkeit der Betroffenen sowie im Fehlen eines systematischen Zugangs zu gegenhegemonialen Diskursen. Hieraus wurden drei Ziele abgeleitet, um • Prozesse der raumbezogenen Stigmatisierung vonseiten der Betroffenen in den

Blick zu nehmen, und die etablierten geographischen Perspektiven zu kontrastieren.

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• in Ergänzung zu den bestehenden Forschungsdesigns für die Untersuchung

von hegemonialen Diskursen eine Konzeptionalisierung und Operationalisierung von gegenhegemonialen Raumdiskursen vorzuschlagen. Ausgehend von diskursanalytischen Konzepten und Methodologien sollte geklärt werden, inwiefern die Marginalisierung von bestimmten raumbezogenen Identitäten konstitutiv für die gegenhegemonialen Diskurse ist und in ein Forschungsdesign integrierbar ist. • die »Internalisierungsthesen« der bedeutsamen Forschungen zur territorialen Stigmatisierung zu hinterfragen, die eine allzu mechanistische und passive Adaption des territorialen Stigmas der »banlieue« und des »ghettos« suggerieren. Das skizzierte Spannungsfeld erlaubte dann zu fragen, welche Geographien gegenhegemoniale Diskurse im Rap hervorbringen: welche Bedeutungen, Gegenstände, Akteure und Beziehungen evozieren sie, wie werden diese Bedeutungen geteilt und in actu reproduziert? Die konzeptionelle Basis bildete ein im dritten Kapitel vorgestellter Diskursbegriff, der im Sinne Foucaults und Butlers das Diskursive nicht auf das Sprachliche reduziert. Diskurs gilt in der skizzierten Perspektive als Vermengung gegenstandsbezogener sprachlicher und nicht-sprachlicher Praktiken, die durch ihre Anordnungen, Vollzüge und Benennungen, Felder von Bedeutungen und sozialen Beziehungen prägen. Sei dies über »Aussagen«, wie sie Foucault in seiner »Archäologie« konzipiert, oder über materielle bzw. körperliche Praktiken und ihren Verweisen auf vorherige Praktiken und Strukturen, wie Judith Butler mit dem Konzept der Performativität betont. Eine Perspektive, die den Blick auf Regeln, Gegenstände, Bedeutungen und ihre Performativität gesellschaftstheoretisch formuliert, lieferte die Diskurstheorie von Laclau und Mouffe. Ihr zentrales Konzept von diskursiver Praxis als artikulatorischer Praxis erklärt die Hervorbringung von Identitäten und sozialen Machtbeziehungen, die sich erfolgreich und beständig etablieren können, aber deren Bedeutungen dennoch konstitutiv offen bleiben. Es wurde auf den vorliegenden Kontext übertragen, um die Praktiken der Rap-Akteure genauer beschreiben zu können. Der Bezug auf gegenhegemoniale Diskurse ist dabei ein heuristischer Kompromiss; analytisch ist er unschärferen oder leicht zu vereinnahmenden Adjektiven wie »widerständig« vorzuziehen. Der Begriff erlaubt, unterschiedliche Arten der Umdeutung von Raumkonzepten, verbundenen Identitäten und evozierten Beziehungen in ihrer Konstitution und Abgrenzung zu beleuchten. Mögliche Anhaltspunkte lieferten Foucaults Überlegungen zur Rolle von Kritik, d.h. sich das Recht zu nehmen, »nicht derart regiert zu werden«,

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Mouffes Überlegungen zu gegenhegemonialen Interventionen als Artikulationen mit einem hegemonialen Konsens und die spielerische bis invertierende Umdeutung von Stereotypen bei Hall. Um die gegenhegemonialen Raumdiskurse und Praktiken in einem Forschungsdesign messbar zu machen, wurde im vierten Kapitel ein mixedmethods-approach vorgeschlagen. Der Ansatz relationierte das während der Bearbeitung generierte Text-, Beobachtungs- und Interview-Material mithilfe von gängigen und weniger etablierten Methoden der Diskursforschung. Dabei fiel die Wahl auf Methodenbündel, die Diskurse auf unterschiedlichen »Maßstabsebenen« messen: die makroanalytische Textstatistik (Lexikometrie), das mesoanalytische Kodierparadigma sowie die mikroanalytische Aussagenanalyse und ethnographisch-informierte Methoden. Die Relationierung der Materialsorten erlaubte es, die Performativität der Diskurse in verschiedenen Kontexten zu untersuchen. Somit wurde auch beschreibbar, wie Texte auf ihre sozialen Kontexte und andere Texte verweisen, wer diese Texte auf welche Art in actu darbietet, bzw. welchen Effekt oder Bedeutungswandel sie bei ihrer Reproduktion zeitigen. Der lexikometrische Zugang diente der Multiplikation der Perspektiven auf den Zusammenhang zwischen Rap-Diskursen und stigmatisierten Vierteln (Kapitel 5). Am Beispiel der Berichterstattung von Le Monde zeigten induktive Materialzugänge, dass Rap seit den 1990er Jahren mit politischen und geographischen Themen verknüpft ist. Dies betrifft eine Positionierung von Künstlern gegen den Front national, ihre Herkunft aus stigmatisierten Stadtteilen, und in den 2000er Jahren auch Verknüpfungen mit rechtskonservativen Politikern, die Rap mit Unruhen verbinden. Die Kontrastierung der »Rap-Berichterstattung« mit der Gesamtberichterstattung von Le Monde durch eine Schlüsselwortanalyse bestätigte diese stellenweise als gegenhegemonial beschreibbare Rahmung. Zur Untersuchung der eigentlichen Raumproduktionen in Rap zu den Vierteln diente ein umfangreiches Korpus aus einer Internetdatenbank als »große« Stichprobe für Rap-Texte. Trotz genre- und materialbedingter Herausforderungen (wie der Varianz substandardisierter Sprache) lieferten die Analysen aufschlussreiche Ergebnisse. Von den knapp über 5000 Titeln wiesen mehr als 70 % einen Raumbezug auf und bildeten dann das eigentliche Korpus. Zur Berechnung wurden viele der vorgestellten Verfahren auch corpus-driven eingesetzt, um eigenen Vorannahmen zum Material weniger Gewicht einzuräumen. Diachrone Betrachtungen konnten zunächst signifikante Verteilungen und Korrelationen von negativ konnotierten Raumkonzepten ausfindig machen. Die Raumkonzepte »cités«, »quartiers«, »banlieues« und oft auch auf »ghettos« besitzen Verbindungen zu Konzepten und Subjektpositionen wie »Jugendliche«, Kriminalität, dem Eigenen (»wir«), aber auch zu einem Vokabular der Zugehörigkeit.

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Gerade für die 2000er Jahre erwiesen sich die Signifikanten »quartier« und »ghetto« als hochspezifisch. Eine regionalisierte Berechnung zeigte, wie Rapper in der Region Île de France die banlieues mehr als besondere Orte, in der Region Marseille die quartiers (v.a. quartiers nord) mehr als Bestandteile des Eigenen herstellen. Die Lexikometrie ermöglichte die Identifizierung und Relationierung von Bedeutungen auf einer großflächigen Ebene diskursiver Praktiken. Sie erlaubte nur bedingt, die mögliche gegenhegemoniale Qualität der Relationen in den Diskursen, jenseits statistischer Maße und Konkordanzlektüren, genauer zu bewerten. Ein erster Versuch, die durch gegenhegemoniale Diskurse hervorgebrachten Bedeutungen, Akteure und Gegenstände weiter zu ordnen und zu relationieren erfolgte mit einer diskursanalytischen »Zweckentfremdung« von kodierenden Verfahren (sechstes Kapitel). Das qualitative Korpus umfasste 100 Titel aus den 2000er und den frühen 2010er Jahren. Bei der Lektüre von zentralen Textpassagen – d.h. Stellen mit Bezügen zu den Vierteln oder ihren Bewohnern – wurden Kodes zu Subjektpositionen, Bewertungen und Gegenständen vergeben. Im Anschluss visualisierte ein Netzwerkplotter alle Kode-Kookkurrenzen, die aus konzeptioneller Perspektive die Artikulationen der diskursiven Elemente darstellen. Die Ergebnisse der Kodierung skizzieren, wie Rapperinnen und Rapper die Viertel mit einer »geschundenen Generation« von (überproportional männlichen) Jugendlichen verbinden, die häufig mit Devianz und Kriminalität in Kontakt kommen, aber auch stolz auf ihren Wohnort sind. Ebenso oft wurden Fragen zur Bedeutung der ethnischen Herkunft thematisiert (»Schwarze« und »Araber« als regelmäßig vergebene Subjektpositionen). Diese drei extrahierten Felder, die über das ganze Korpus verteilt viele Schnittmengen bilden, galten den Aussagenanalysen als Leitkategorien. Die Aussagenanalysen halfen anschließend (zweite Hälfte des sechsten Kapitels), neun Strategien in den drei semantischen Feldern von diskursiven Praktiken zu identifizieren: • In einem ersten Feld wurden die Viertel als Orte der Ungleichheit und Rechts-

freiheit konstituiert. Die Situation der Viertel gilt in diesem Feld einerseits als Resultat des Versagens der politisch Verantwortlichen, dem sich die Bewohner durch Devianz und Kriminalität »angepasst« hätten. Sehr affiziert rappen die zitierten Künstler zudem über das Unrecht durch Polizeigewalt, welches laut ihnen besonders Araber und Schwarze treffe und die Viertel auf diese Weise zu »rechtsfreien Orten« verkommen lasse. Neben dem sozio-ökonomischen Ausschluss führe dies eben zu häufigeren Ausbrüchen von Unruhen. Diese ordnen die untersuchten Rapperinnen und Rapper durch Vorangegangenes und

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selbst Erlebtes (Gewalt, Rassismus, Chancenlosigkeit in den Vierteln) als völlig legitim ein. • Das zweite Feld lieferte überraschende Ergebnisse zur Frage, bis zu welchem Grad Akteure die territoriale Stigmatisierung internalisieren. Hier fanden sich fast nur Beispiele zu Marseille, die unterschiedliche diskursive Normalisierungsstrategien zum »gelebten Raum« beinhalten und die lexikometrisch nachgewiesene Herstellung von stigmatisierten Vierteln als Teil des »Eigenen« ergänzen konnten. Eine erste Strategie besteht hier in der Aufdeckung der Widersprüchlichkeit von hegemonialen Raumdiskursen, die banlieue- bzw. citéBewohnern kategorisch das Recht verweigern würden, Stolz auf ihren Wohnort zu sein. Eine weitere Strategie räumt zwar die massiven sozioökonomischen Nachteile der Stigmatisierung ein, artikuliert die Viertel jedoch aufwertend mit dem vorhandenen Reichtum, der aus der Vielfalt und Solidarität der Bewohner bestehe. Eine dritte Strategie, die in ihren Grundzügen an die Diskurse zum »Recht [für alle] auf Stadt« (»right to the city«) erinnert, vollzieht eine Kritik an der gescheiterten Gentrifizierung Marseilles. Hier werden die Bewohner der Viertel als zu Unrecht Unerwünschte hervorgebracht, die für andere Akteure des urbanen Kapitalismus gefährliche Gruppen repräsentieren würden. Dem stellte eine der zitierten Rapperinnen ein vorheriges, trotz heftiger territorialer Stigmatisierung » intaktes soziales Band« gegenüber. • Im dritten Feld der diskursiven Praktiken denunzieren die Rapper mit Vehemenz hegemonial etablierte Subjektkategorien von banlieue-Diskursen. Auffällig an allen Beispielen ist die Artikulation von »Schwarzen«, »Muslimen«, »Arabern« und »banlieusards« bzw. »cité« als Hauptelemente der territorialen Stigmatisierung. Die vorgeworfene vermeintliche Fremdheit der Bewohner der Viertel, so die Rapper, entrücke die Jugendlichen immer weiter vom Gedanken der »Nation« oder »République« (vgl. auch das Eingangszitat von Médine), und perpetuiere auferlegte Ghettos. Hierbei wird regelmäßig eine Strategie der Anfechtung historischer Erzählungen vollzogen, um auf die Absehbarkeit der Krisen, Unsicherheit und »Ghettos à la française« zu verweisen: die heute im Produktionsprozess »überflüssigen«, räumlich abgeschotteten (Post-) Migranten werden in den Beispielen zu Sinnbildern einer gesellschaftlichen Doppelmoral. Anstatt deren Rolle und Verdienste sowie das Verhältnis Frankreichs zu seiner Vergangenheit zu klären, werde das Problem bereitwillig auf Minderheiten, mit deren als abweichend empfundenen Identitätsmerkmalen (Herkunft, Hautfarbe, Religion, etc.) projiziert und verräumlicht. Die strategische Gegenbewegung der Rapper zielt auf eine Umdeutung des vermeintlich räumlich eingrenzbaren Problems, das nur Bestimmte betreffe. Anstatt punktuell verräumlicht, sei es vielmehr strukturell gelagert.

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Die beobachtete Performativität von gegenhegemonialen Raumdiskursen bei Rap-Veranstaltungen hing von mehreren Faktoren ab. Bei mehreren Feldaufenthalten konnten mit ethnographisch-informierten Methoden drei unterschiedliche Formen der Performativität beobachtet werden (siebtes Kapitel). Zentral für die Performativität von gegenhegemonialen Raumdiskursen erwiesen sich die künstlerische Grundausrichtung der Rapper, das Publikum, der Veranstaltungstyp bei dem sie die Diskurse inszenierten sowie die Bedeutung des Veranstaltungsortes. Künstler mit einem thematisch weit gefächerten Repertoire zielten auf der Bühne nicht oft auf politische Botschaften ab, sondern bauten diese eher beiläufig ein. Manche Kontexte bremsten diese Reproduktion aber aus, etwa wenn szenefremde Öffentlichkeiten im Rahmen von Festivalauftritten mit Rap-Musik »in Kontakt kamen«, und symbolische oder körperliche Kodes der diskursiven Praktiken bei Rap-Konzerten kaum zuordnen konnten. Einen weiteren Typus lieferten Auftritte von Künstlern aus banlieues in banlieues (beispielsweise in Clichy-sous-Bois). Gerade hier inszenierten die Künstler vor jungen Öffentlichkeiten Ghetto-Diskurse, die auf kulturelle Authenzitätsstrategien abzielten. Auffällig an diesen symbolisch-materiellen Settings war die polizeiliche Präsenz bei einer der besuchten Veranstaltungen. Das offene Tragen von Schnellfeuerwaffen der patrouillierenden Sicherheitskräfte in Zivil verlieh dem Dargebotenen auf der Bühne (»raues Ghetto«, »raue Bewohner«, »unterdrückende Polizei«) eine unintendierte Selbstevidenz. Veranstaltungen von Künstlern aus dem linken oder anarchistischen Spektrum implizierten eine dritte Form der Performativität. Bereits deren Setting unterschied sich durch das Vorhandensein von Bücher- oder Infoständen und zielte auf eine Balance zwischen Unterhaltung und »Aufklärung«. Während der Darbietungen tangierten die Künstler die in den Analysematerialien erarbeiteten Hauptlinien und nahmen auf das Tagesgeschehen Bezug (Ereignisse im Viertel, Äußerungen von Politikern). Somit wurden die Konzerte phasenweise zum Freiraum für Diskussionen über die Viertel. Die Künstler banden in einem Fall das Publikum intensiv ein und ermöglichten diesem, affektiv, körperlich und symbolisch in die gegenhegemonialen Raumdiskurse zu »investieren«. Nicht selten waren die Ansprachen ähnlich lang wie die darauffolgenden Musiktitel. Insgesamt schlossen die beobachteten Deutungskämpfe durch ihr Setting an die Kämpfe von sozialen Bewegungen an, und schrieben sich somit in eine umfassendere diskursive Dynamik zu »benachteiligten Vierteln« ein. Einblicke in die Performativität gegenhegemonialer Raumdiskurse boten neben den Beobachtungen auch Gesprächsmöglichkeiten mit Akteuren der Stadtteilarbeit. Die interviewten Rapper sowie ein Koordinator von Rap-Ateliers für Jugendliche (Schreibwerkstätten) zeigten eine hohe Sensibilisierung für die po-

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tentielle Vereinnahmung einer kulturellen Praktik mit sozialkritischen Ansprüchen. Schlimmstenfalls, so ein Gesprächspartner, führe diese Konstellation zur Erpressbarkeit von Jugendlichen durch Stadtverwaltungen, die zur Einflussnahme (in sachfremden Streitfragen) immer auf ihren »guten Willen« wegen der Bereitstellung solcher Möglichkeiten verweisen könnten. Hierbei offenbarten die Interviewten ein Set von Vermeidungs- und Normalisierungsstrategien rund um diesen Streitpunkt, der in gegenhegemonialen Diskursen nur widersprüchlich darstellbar ist. Neben der ausschließlichen Zusammenarbeit über Vereine, anstelle des direkten Kontaktes mit Stadtteilinstitutionen, betonen sie (im Sinne der Diskursmuster) die Notwendigkeit von Selbstermächtigung und Autonomie. Sie garantiere, die benannten Fallstricke zu umgehen. Dies kann einerseits mit der anti-autoritären Abwandlung der zugewiesenen pädagogischen Rolle erfolgen, oder dem damit verbundenen Ablehnen einer Zensur der Jugendlichen beim Rappen von kritischen Texten über ihr Viertel – auch wenn ein Interviewter »normalisierend« intervenierte, die Jugendlichen würden dies bei seinen Ateliers selten tun. Andererseits liege es laut eines Interviewpartners an den Jugendlichen eigeninitiativ Kultursubventionen einzuwerben, die den Betrieb von RapAteliers unterhalten. Sie dienten im Optimalfall als erster subsidiärer Schritt aus der bereitwillig konstatierten Vereinnahmung einer Stadtpolitik, die sich bei den Jugendlichen einen sozialen Frieden erkaufe. Das Konzept der gegenhegemonialen Raumdiskurse hat sich auf Grundlage der vorgestellten Ergebnisse als facettenreicher Ansatz zur Sichtbarmachung der alternativen Herstellungsweisen von Räumen und Identitäten erwiesen. Dies konnte mit Rap und seinen vielen Bezügen zu stigmatisierten Vierteln gut demonstriert werden. Seine Diskurse konstituieren die stigmatisierten Viertel entlang eingrenzbarer und verallgemeinerbarer gegenhegemonialer Muster. Die Muster sind nur teilweise deckungsgleich mit denen in bestehenden Arbeiten zu gegenhegemonialen Diskursen vorgeschlagenen Ansatzpunkten; sie modifizieren gleichsam die Ghettoisierungs- und Internalisierungsthesen in aktuellen Forschungsarbeiten (vgl. zweites Kapitel): • Einerseits erkennen Sprecherinnen und Sprecher die hegemonialen Deutungen

zur territorialen Stigmatisierung in Teilen an, um sie aber jeweils abzumildern oder zu verkehren, und Räume oder Orte (hier Viertel und ihre Bewohner) als »eigentlich genauso wie überall sonst« erscheinen zu lassen. Ebenso können sie Stolz für die raumbezogene Identität gegen hegemoniale Diskurse zum Ausdruck bringen. In Teilen besitzt dieses ermächtigende Muster Überlappungen mit dem im konzeptionellen Kapitel erörterten Transkodieren. Allerdings zeigt das Material als weiteres Muster, wie Sprecher neben der Artikulation

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von Stolz den Subjektpositionen in hegemonialen Diskursen die Fähigkeit absprechen, jenen Stolz auf ihren »eigenen« – in jedem Falle auch »normalen« – Ort überhaupt deuten zu können. Das Viertel könne nur durch den »gelebten« Raum nachvollzogen werden. Dies sichert die Legitimität der dargestellten Standpunkte bei der Konstitution von Ortsbindungen ab. • Andererseits, so muss konstatiert werden, ist die Hervorbringung und durchgehende Artikulation der Viertel mit »Ghettos« im mehrdeutigen Sinne ein weiteres Muster. Der leere Signifikant wird diskursiv vielfach in Wert gesetzt. Der Stolz auf die eigene Resilienz, im »eignen«, »ethnisch überschaubaren« Ghetto zu bestehen, bildet in Anschluss an den vorangegangenen Punkt den ersten Aspekt. Gleichzeitig, wenn auch nicht wörtlich gemeint (»wir sind hier zwar nicht in Amerika, aber…«), werden Bezüge zu »Ghetto« und sinngemäße Umschreibungen der residentiellen Segregation zum wiederkehrenden diskursiven Muster, das den Signifikanten »Ghetto« mit gegenhegemonialen Artikulationen überdeterminiert. Aus konzeptioneller Perspektive können beispielsweise die gescheiterten Lösungen gegen Unsicherheit und »rechtsfreie Räume« als Beleg für ghetto-ähnliche Zustände, und gleichsam als diskursive Bezugspunkte gelten: Mit ihnen fordern die Akteure im Sinne von Mouffes Überlegungen eine Artikulation an hegemoniale, leere Signifikanten ein. Deren Abwesenheit (fehlende Rechte, Gleichbehandlung, Anerkennung) legitimiert die kritische Verneinung der in Frankreich zentralen republikanischen Ideale. Die Integration der »eigenen« raumbezogenen Identität rückt aufgrund der schwerwiegenden Folgen der Stigmatisierung in weite Ferne. Neben den Bezügen zu Gewalt, der Wahrnehmung staatlicher Institutionen, die der raumbezogenen Identität der Anwohner von stigmatisierten Vierteln antagonistisch gegenüberstehen, verfahren auch die Verweise auf die Sozialgeschichte Frankreichs mit ähnlichen Mustern. Die blockierte Identität im Ghetto(-ähnlichen Raum) entsteht gerade aus dem Unwillen der sie ehemals Dominierenden, den vielen Ursachen der territorialen Stigmatisierung »endlich« entgegenwirken zu wollen. Hierbei bilden die Rapperinnen und Rapper eine auferlegte Differenz zwischen einem »wir« in den Vierteln und einem Außen ab, das sie nie als gleichwertig anerkannt hat und für die symbolische bzw. materielle Exklusion des »wir« mitverantwortlich zeichnet. Diese zwei Pole lassen gegenhegemoniale Diskurse im Rap zu stigmatisierten Vierteln in Frankreich zwischen Ghetto- und Normalisierungsdiskursen pendeln. In actu fällt dieses Pendeln aufgrund der Verworrenheiten situativer Praktiken unterschiedlicher aus. Optimale Multiplikatoren waren letztlich nur alternative Milieus, in denen Rap zeitglich an weitere gegenhegemoniale Diskurse anschlie-

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ßen konnte. Dennoch zeigte die Betrachtung der Praktiken in Rap-Ateliers, wie Rapper trotz Vereinnahmungstendenzen gegenhegemonialen Diskursen zumindest Platz für den »Bedarfsfall« einräumen. Die Fähigkeit der interviewten Rapper, ihre Subjektpositionen mit den ihnen zugewiesen Rollen halbwegs widerspruchsfrei in Einklang bringen zu können, kommt letztlich den Jugendlichen in den stigmatisierten Vierteln zugute. Vor dem Hintergrund der Forderungen der Rapper sowie der Gespräche bei den Feldaufenthalten, erscheinen die bisherigen Antworten einer ständig wechselnden Stadtpolitik und prekären Finanzierung der Kultur- und Sozialarbeit als kurzsichtig. Die evozierten Probleme übersteigen in fast allen erarbeiteten Themenfeldern die Leistungsfähigkeit von raumorientierten Zugriffen zur Bewältigung der Situation in den Vierteln. Die Argumentationen im Untersuchungsmaterial rücken den in diesem Fall allzu reduktionistischen Charakter der Verräumlichung von sozialen Problemen in den Vordergrund. Diese Verräumlichungen sollen zwar griffige und objektive Lösungsansätze suggerieren (wie etwa die jüngste Verringerung der Zonierungen der Stadtpolitik), aber konnten die bestehenden Probleme bislang nicht einmal ansatzweise in den Griff bekommen. Ferner sind sie schlicht ungeeignet, drängende Probleme der Viertel wie beispielsweise Rassismus oder Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Die in den Texten skizzierte Kluft zwischen einer stigmatisierten Quartiersbevölkerung und »der« vermeintlichen Restgesellschaft wirkt oft unüberwindbar. Um der Krise der Viertel beizukommen, sollte man auch nicht wie die vielen im Material präsenten Kommentaren an die Rapperinnen und Rapper als verantwortungsbewusste Staatsbürgerinnen und Staatsbürger appellieren. Die Rap-Akteure betreiben kein nation-building (wie frühere Arbeiten suggerierten), sondern haben sich von der Nation losgesagt – und sind zudem immer auch als Künstler zu betrachten. Vielmehr müssen die hegemonialen Deutungen auf breiter Ebene neu ausgehandelt werden. Ein erster Ansatz bestünde im offeneren Umgang mit der eigenen Sozialgeschichte und ihren bis heute andauernden Verwerfungen. Gleichzeitig gäbe der neue Umgang auch den in den Vierteln lebenden Bewohnern – unabhängig von ihren ethnisch, national oder religiös definierten Subjektpositionen – ein Gefühl von Zugehörigkeit oder zumindest ein Gefühl des »Ernstgenommen-Werdens«. Diese Verwerfungen bleiben eng mit der jüngeren Geschichte Frankreichs und der Gegenwart der Viertel verbunden, ihre Klärung wird aber aus Gründen der republikanischen Sagbarkeit bis heute anderen Lösungsansätzen untergeordnet. Beschriebene Rückstellung hinter punktuelle Lösungen wie dem Erhöhen der Sicherheit im öffentlichen Raum oder dem fachpolitischen Zonieren der Viertel, die beide nachweislich keine Strukturprobleme

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lösen konnten, und zu Lasten relevanter sozialstaatlicher Interventionsalternativen wie der Sozialarbeit gingen, kann die Betroffenen in den Vierteln tendenziell nur darin bestärken, sich als »ghettoisiert« zu betrachten. Folglich verweisen die Äußerungen und anderen Praktiken der Rapperinnen und Rapper oftmals auf die grundlegende Frage, ob die Viertel ein Ausdruck dafür sind, dass derzeit nicht alle ihrer Bewohner einen Platz im republikanischen Modell bekommen haben oder bekommen können, und gerade auch dieses Modell zur Entschärfung der Krise der Vorstädte einer dringenden Neujustierung bedarf?

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Anhang: Rap-Korpus

InterpretIn

Titel

Jahr

Region

113

De l’autre côté de la rue

2003

Île de France

2spee

Triste époque

2004

Île de France

Adil

Les frères s’adaptent

2011

Dijon

Adil & Stef

Ma banlieue

2007

Dijon

Akhenaton

Dans la cité

2006

Marseille

Al

Le maintien

2007

Dijon

Al

Quand le brut s‹enflamme

2007

Île de France

Al

High tech & primitif

2008

Dijon

Al

Les pierres

2008

Île de France

Al

Les frontières du béton

2008

Dijon

Alonzo

Je suis le quartier

2008

Marseille

Alonzo

Marseille

2013

Marseille

Axiom

Ma lettre au président

2006

Lille

B.James

A cor et à crie

2012

Île de France

B.James

Issu d’une voie sans issue

2012

Île de France

B.James

Jusqu’au dernier denier

2012

Île de France

B.James

Atmosphère sécuritaire

2012

Île de France

Babali Show

La vie des halls

2012

Île de France

Belek

Témoin du mal

2008

Marseille

Berreta

Locataires des blocs

2005

Marseille

Black marché

HLM Gladiator

2009

Marseille

Bouchées doubles

J’annonce la couleur

2006

Le Havre

Brasco

Ma France d’en bas

2008

Île de France

254 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

Brav

Braveheart

2012

Le Havre

Casey

Le fusil dans l‹étui

2006

Île de France

Casey

Banlieue nord

2006

Île de France

Casey

Les banlieusards sortent

2006

Île de France

Casey

Travail de nègre

2006

Île de France

Despo Rutti

Arrêtez !

2006

Île de France

Despo Rutti

Inenrégistrable

2012

Île de France

Diams

Ma France à moi

2006

Île de France

Disiz

Jeune de banlieue

2005

Île de France

Don Choa

Jungle de béton

2007

Marseille

Don Choa Don Choa, Lino & Le Rat Luciano Ekoué

Ghetto Youth

2007

Marseille

Atmosphère suspecte

1998

Marseille

Leçon de patriotisme

2008

Île de France

Ekoué

Affreux, bête et dangereux

2009

Île de France

El Matador

Rap de la rue

2007

Marseille

Epsilon

Quartiers nord

2010

Marseille

Flynt

J’éclaire ma ville

2006

Île de France

Fuego & Weskano

Fils de HLM

2010

Marseille

Ghost Dogg

Hello le ghetto

2010

Marseille

IAM

La fin de leur monde

2007

Marseille

Keny Arkana

Nettoyage au karcher

2006

Marseille

Keny Arkana

La rage du peuple

2006

Marseille

Keny Arkana

Marseille

2011

Marseille

Keny Arkana

Capitale de la rupture

2012

Marseille

Kery James

Banlieusards

2008

Île de France

Kery James

Lettre à la république

2012

Île de France

L’Algerino

L’étendard

2007

Marseille

La Boussole

Destins croiés

2004

Le Havre

La K-Bine

Révolte populaire

2009

Île de France

La Rumeur

L’ombre sur la mesure

2002

Île de France

La Rumeur

Qui ça étonne encore

2007

Île de France

La Swija

Malgré la galère

2008

Marseille

La Swija

HLM

2009

Marseille

Anhang: Rap-Korpus | 255

Le Bavar

L’éternel gout du sang De la Souffirère à la MonLe Bavar & Anfalsh tagne Pelée Le Rat Luciano Nous contre eux

2008

Île de France

2008

Île de France

2000

Marseille

Les grandes gueules

2007

Montpellier

2009

Lille

MAP

Chiens sales Gduferavek (J’ai dû faire avec) Les bronzés font du chti

2009

Lille

Médine

Ni violeur, ni terroriste

2006

Le Havre

Médine

LH

2011

Le Havre

Médine

Le bruit qui pense

2012

Le Havre

Mickey Lansky

La zone

2007

Marseille

Pit Baccardi

On veut

2007

Île de France

Première Ligne

Rap, Red & Black

2011

Île de France

Première Ligne

93 nocturne

2012

Île de France

Psy4 de la rime

Ici

2005

Marseille

Psy4 de la rime

El barrio

2005

Marseille

Psy4 de la rime

Les cités d‹or

2008

Marseille

Révolution urbaine

Ghetto

2009

Marseille

Révolution urbaine

@rue13001

2012

Marseille

Rim-K

Bac-5

2012

Île de France

Rocé

Je chante la France

2006

Île de France

Rocé

Habitus

2013

Île de France

Rohff Sages poêtes de la rue Salif

94

2004

Île de France

J’rap pour les mino(rités)

1998

Île de France

Banlieue française

2005

Île de France

Salif

Ghetto Youth

2007

Île de France

Sat

Marseille City

2008

Marseille

Sat

Le cauchemar de la France

2012

Marseille

Sefyu

Au pays du zehef

2008

Île de France

Sefyu

L‹insécurité

2011

Île de France

Sinik

Sarkozik

2006

Île de France

Stef

Le pauvre aisé

2011

Dijon

Tandem

93 Hardcore

2005

Île de France

MAP

256 | Zwischen »Ghetto« und »Normalität«

Tandem

Dans ma rue

2005

Île de France

Tiers Monde

Carna Bruli

2012

Le Havre

Tiers Monde

Toby or not to be

2012

Lille

Tiers Monde

Black to the future

2012

Lille

Yanbra

Puriste de nature

2007

Dijon

Youssoupha

Intense brailleurs

2006

Île de France

Youssoupha

Eternel recommencement

2006

Île de France

Youssoupha

Haut-parleur

2011

Île de France

ZEP

La gueule du patrimoine

2009

Lille

ZEP

Nique la France

2010

Lille

ZEP

Pas de barratin

2011

Lille

ZEP

Le bal de la zone

2012

Lille

Geographie Iris Dzudzek

Kreativpolitik Über die Machteffekte einer neuen Regierungsform des Städtischen 2016, 388 S., kart. 34,99 E (DE), 978-3-8376-3405-1 E-Book PDF: 34,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3405-5

Veronika Selbach, Klaus Zehner (Hg.)

London — Geographien einer Global City 2016, 246 S., kart. 29,99 E (DE), 978-3-8376-2920-0 E-Book PDF: 26,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-2920-4

Antje Schlottmann, Judith Miggelbrink (Hg.)

Visuelle Geographien Zur Produktion, Aneignung und Vermittlung von RaumBildern 2015, 300 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 29,99 E (DE), 978-3-8376-2720-6 E-Book PDF: 26,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-2720-0

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Geographie Christine Scherzinger

Berlin — Visionen einer zukünftigen Urbanität Über Kunst, Kreativität und alternative Stadtgestaltung März 2017, 350 S., kart. 34,99 E (DE), 978-3-8376-3717-5 E-Book PDF: 34,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3717-9

Nicolai Scherle

Kulturelle Geographien der Vielfalt Von der Macht der Differenzen zu einer Logik der Diversität 2016, 296 S., kart. 34,99 E (DE), 978-3-8376-3146-3 E-Book PDF: 34,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3146-7

Raphael Schwegmann

Nacht-Orte Eine kulturelle Geographie der Ökonomie 2016, 180 S., kart. 24,99 E (DE), 978-3-8376-3256-9 E-Book PDF: 21,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3256-3

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