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German Pages 398 [400] Year 2023
Nils Bock
Geld und Herrschaft um 1300 Finanzielle Verflechtungen zwischen Frankreich, der Kurie und Florenz
VSWG Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte | Beiheft 257 Geschichte Franz Steiner Verlag Franz Steiner Verlag
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contubernium Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte
Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Herausgegeben von Mark Spoerer, Jörg Baten, Markus A. Denzel, Thomas Ertl, Gerhard Fouquet und Günther Schulz Beiheft 257
Geld und Herrschaft um 1300 Finanzielle Verflechtungen zwischen Frankreich, der Kurie und Florenz Nils Bock
Franz Steiner Verlag
Umschlagabbildung: Benvenuto Rambaldi da Imola, Romuleon, übers. von Sébastien Mamerot, 1466 Bibliothèque nationale de France, ms. fr. 366, fol. 77r. © Bibliothèque nationale de France Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ww.dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2023 www.steiner-verlag.de Layout und Herstellung durch den Verlag Satz: DTP + TEXT Eva Burri, Stuttgart Druck: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-13372-2 (Print) ISBN 978-3-515-13377-7 (E-Book)
Für Karen und Charlie
Vorwort Die vorliegende Arbeit ist über sieben Jahre hinweg an verschiedenen Orten entstanden. Vor allem ist hier die akademische Heimstatt, das Historische Seminar der Universität Münster, zu nennen. Der publizierten Fassung liegt ein Text zugrunde, der im Sommersemester 2020 als schriftliche Habilitationsleistung von der Philosophischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster angenommen und für den Druck geringfügig überarbeitet wurde. Als Wissenschaftlichem Mitarbeiter am Lehrstuhl für Hoch- und Spätmittelalter/Westeuropäische Geschichte bot mir Martin Kintzinger einen Raum des Austauschs, des Ausprobierens und der Orientierung. Ich bin ihm eng für seine fachliche und persönliche Begleitung und die Begutachtung der Arbeit verbunden. Den Mitgliedern der Kommission im Habilitationsverfahren danke ich für ihr Engagement und ihre wohlwollende Begleitung. Mit einem Gutachten zur Habilitationsschrift unterstützen Wolfram Drews (Münster), Jean-Marie Moeglin (Paris) und Gerhard Fouquet (Kiel) den Abschluss des Verfahrens. Ihm und ebenso Mark Spoerer als verantwortlichem Herausgeber danke ich, dass die Arbeit als Beiheft der Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte erscheint. Als die ersten Arbeiten an dem Projekt begannen, waren die Wochen mit dem historischen Vertrauensverlust infolge zunächst der globalen Finanzkrise (2007/08), dann der Eurokrise (2009) schon vorbei. Doch blieben die Auswirkungen der beiden Krisen und der internationalen Gegenmaßnahmen bezogen auf das Wirtschaftswachstum, den Warenhandel, die Aktienmärkte, die öffentlichen Schulden und soziale Ungleichheit über das nächste Jahrzehnt bestehen. Eine zentrale Rolle in der Linderung der Spannungen auf den Geldmärkten kam den führenden Notenbanken zu, die ab Oktober 2008 stufenweise die Leitzinsen auf historische Tiefstände senkten. Seit 2016 lag der Leitzins der Europäischen Zentralbank bei null Prozent und Sparer sowie Banken mussten mit den Auswirkungen der Niedrigzinsen zurechtkommen. „Finanzkrise“, „Schuldenkrise“ oder „Niedrigzins“ sind Begriffe, anhand derer Prozesse unterschiedlicher Art unterteilt werden können: langsame, kumulative Verläufe, lineare Prozesse und Umschlagpunkte. Die Beobachtung dieser zeitgenössischen Prozesse und ihre gleichzeitige Aufarbeitung in wissenschaftlichen Analysen und publizistischen Artikeln boten mir als jungem Post-Doc wertvolle Inspiration.
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Vorwort
Zum bisherigen Weg gehörten auch die Fellowships zunächst am Deutschen Historischen Institut (2012–2013) Paris, dann am Mahindra Humanities Center der Universität Harvard/USA (2015–2016). Für die beiden Auslandsaufenthalte bin ich der Max Weber Stiftung / Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland und der VolkswagenStiftung für die großzügigen Förderung sowie Gudrun Gersmann und Homi K. Bhabha als Leitungsverantwortlichen für ihre Gastfreundschaft verbunden. Aus privater Perspektive stehen Düsseldorf und Trier in Verbindung mit dieser Arbeit, als prägende Orte familiärer Ereignisse und freundschaftlicher Begegnungen. Gleichzeitig boten mir Eva Schlotheuber (Düsseldorf), Lukas Clemens und Petra Schulte (beide Trier) mehrfach die Möglichkeit, mich in Lehre und Forschung vor Ort einzubringen. Während der Arbeit an dem Projekt habe ich wichtiges Feedback von zahlreichen Kolleginnen und Kollegen, Freundinnen und Freunden auf Tagungen in Bamberg, Berlin, Cambridge (Mass.), Florenz, Göttingen, Marburg, Paderborn, Prag und auf der Insel Reichenau erhalten, denen mein herzlicher Dank gilt. Ein spezieller Dank geht nach Kiel, an Oliver Auge, der mich schon lange vor der Fertigstellung des Manuskripts in das Programm zur Herbsttagung 2020 des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte e. V. aufnahm, an Gerald Schwedler und Gabriel Zeilinger für ihre Einladungen, und schließlich besonders an Gerhard Fouquet. Mein Dank geht weiterhin nach Paris, insbesondere an Jean-Marie Moeglin sowie an Xavier Hélary und Olivier Canteaut, die mich in den Kreis „Les derniers capétiens“ eingeführt haben und für Diskussionen zur Verfügung standen, schließlich auch an Stéphane Péquignot. Ferner war mir Élodie Lecuppre-Desjardin eine wertvolle Ansprechpartnerin. Das Historische Seminar an der Universität Münster im sogenannten „F[ürstenberg]-Haus“ ist mit vielen Personen verbunden, die in Erinnerung bleiben werden. Namentlich nennen möchte ich Julia Bühner, Manuela Brück, Julia Crispin, Christopher Folkens, Georg Jostkleigrewe, Torsten Hiltmann, Katharina Michelson, Sita Steckel, Bastian Walter-Bogedain, Gesa Wilangowski wie auch Colin Arnaud, Marcel Bubert und Christian Scholl, und schließlich Wolfram Drews, Jan Keupp und Wolfgang Eric Wagner. Mein Dank gilt außerdem Stefanie Kley und Georg Schaaf für die Unterstützung bei der Drucklegung. Die Mitarbeitenden des Franz Steiner Verlags und hier vor allem Katharina Stüdemann haben mich von ihrer Erfahrung und hervorragenden Fähigkeit, „ein Typoskript zum Buch“ zu machen, profitieren lassen. Während diese Zeilen geschrieben werden, wurde Griechenland nach zwölf Jahren aus der Kuratel der EU-Kommission entlassen, in die das Land in der Folge der Finanzkrise gesetzt wurde: Ein Kapitel wird geschlossen, neue wirtschaftspolitische Kapitel (Wirtschaftssanktionen, Energiekrise, Inflation) haben sich im Frühjahr infolge der russischen Invasion der Ukraine aufgetan. Sie laden Forschende ein, ökonomische Problemstellungen in ihrer historischen Dimension zu untersuchen. Vor diesem Hintergrund bin ich froh, die Diskussion mit jenen Kolleginnen und Kollegen fortführen
Vorwort
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zu können, die sich solchen Problemstellungen widmen und die Thomas Ertl (FU Berlin) soeben für ein großes Handbuch-Projekt zur Wirtschaft im Mittelalter zusammengebracht hat. Nicht zuletzt wegen der Aktualität des Themas wird die Geschichte der Finanzpolitik des Mittelalters gewiss weiterhin ein Feld des geschichtswissenschaftlichen Diskurses sein. Trier, im August 2022
Nils Bock
Inhaltsverzeichnis I. Finanzielle Verflechtungen zwischen Frankreich, der Kurie und Florenz. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 A.. Der König und seine Münze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1.. Die Grenzen der hochmittelalterlichen Finanzverwaltung und Finanzierungstechnicken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2.. Institutionelle und historische Orientierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 B.. Finanzielle Verflechtungen als Forschungsthema. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 1.. Veränderungsprozesse im Handel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2.. Geldmenge und politischer Wandel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 3.. Die Pluralität der Transaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 C..Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 II. Frankreich. Fiskalität und Herrschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 A..Legitimierungsstrategien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 1.. Fürstliche Willkür oder Gemeinwohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2.. Necessitas, defensio regni, utilitas rei publicae. Notwendigkeiten und Zustimmung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3.. Monetäre Notwendigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 4.. Besteuerung des Klerus und reformatio. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 5.. Die „gute Münze“ Ludwigs IX. Ein schwieriges Erbe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 B.. Einnahmequellen und -struktur der französischen Könige. . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 1.. Direkte Abgaben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 2.. Indirekte Abgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 C.. Die Verwaltung der Finanzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 1.. Comptes du Trésor. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 2.. Der Anteil des Klerus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 a) Zehnt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 b) Annaten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 c) Die Schulden des Papstes? Zeitgenössischer Versuch einer Bilanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
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III. Kurie. Das Geld der Christen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 A.. Einnahmequellen und -struktur des päpstlichen Hofs vor 1316. . . . . . . . . . . . . . . 175 1.. Ordentliche Einnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 a) Die Einnahmen aus den kirchenstaatlichen Gebieten und der Grafschaft Venaissin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 b) Lehnszinsen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 c) Visitationen, Prokurationen, Interkalarfrüchte und Spolien sowie Diversa. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 2.. Außerordentliche Einnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 a) Servitien und Annaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 b) Zehnt und Subsidien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 3.. Päpstliche Finanzierungsstrategien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 a) Die Kriege und das Budget: Bonifatius VIII. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 b) Zurückhaltung und finanzieller Pragmatismus: Clemens V. . . . . . . . . . 218 (1). Italien und Kirchenstaat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 (2).Kreuzzug. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 B.. Die Bewegung von Geldern. Die Kurie und ihrer Bankiers. . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 1.. Der Beginn und die Entwicklung der finanziellen und organisatorischen Beziehungen zwischen Kirche und Kaufleute-Bankiers bis Martin IV.. . . . . . . . 232 2.. Der Status der Gesellschaften in der Apostolischen Kammer. . . . . . . . . . . . . . . . 239 3.. Steuerkollekte und Verwaltung der Depositen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 4.. Die Banken und das Kardinalskollegium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 5.. Banken und Klerus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 6.. Päpste und Gesellschaften. Tendenzen bis Clemens V.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 IV. Florenz. Der Kampf der Häuser. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 A.. Die Anfänge der Brüder Franzesi in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 1.. Italienische Kaufleute in Frankreich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 2.. Anhäufung von Abgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 a) Einblicke in eine Wechselstube (1288–1290) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 b) Die kapitalistische Wertschöpfung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 c) pro Sicilie regni (1289–1294). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 3.. Das Jahr 1295 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 a) Königliche Schatzmeister für ein Jahr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 b) Die Geld-Diplomatie im Vorfeld des Flandernkrieges. . . . . . . . . . . . . . . 296 c) Der Bruch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 B.. Eine gespaltene Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 C..Konkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 1.. Der Fall der Bonsignori aus Siena. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 2.. Die Franzesi und die „Schwarzen“ in Florenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324
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V..Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 A.. Rückzug und Bewirtschaftung des Grundbesitzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 B..Nachfolger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 C.. Der institutionelle Pfad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 D..Konzentration. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 VI..Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 VII..Summary. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 VIII..Résumé . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 Quellen und Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Quellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Abbildungsverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Tabellenverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 Register. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 Personen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 Register der geografischen Bezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 Sachen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391
I. Finanzielle Verflechtungen zwischen Frankreich, der Kurie und Florenz Einleitung A. Der König und seine Münze 1. Die Grenzen der hochmittelalterlichen Finanzverwaltung und Finanzierungstechnicken Die Gefangennahme Papst Bonifatius’ VIII. in Anagni am 7. September 1303 markiert einen Wendepunkt im Konflikt zwischen dem Papst und dem französischen König Philipp IV.1 Die Auseinandersetzung wird meist als Episode eines Ringens zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt um die Oberherrschaft interpretiert, die das europäische Hochmittelalter prägte. Neben der politisch-theoretischen Ebene, die anhand der Diktate, Anklagen und Polemiken untersucht wurde, kommt über die politischen und religiösen Gegensätze hinaus noch eine dritte Komponente zum Tragen, die das Verhältnis zwischen Papst und König geprägt hat. Mit der Welt „durch ihr Besitz- und Machtwesen tausendfältig verflochten“ bekämpfe die Kirche […] den auftauchenden zentralisierten Gewaltstaat (in Unteritalien und in Frankreich unter Philipp dem Schönen) und drängt – doch immerhin mit Ausnahmen – wenigstens große Konfiskationen zurück. Heiß klammert sie sich an die Vergangenheit in Macht und Besitz an und ebenso in der Unbeweglichkeit der Lehre, nur daß man die Theorie von den Machtbefugnissen noch emporschraubt, während sie doch, was sie mehr bekommt, gierig annimmt, bis sie einen Drittteil aller Dinge besitzt. Und das alles besitzt sie eigentlich nur
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Aus Gründen der bessere Lesbarkeit und ohne jede Diskriminierungsabsicht wird in dieser Arbeit ausschließlich die männliche Form verwendet. Damit sind alle Geschlechter einbezogen. Die Vorstellung des Darstellungsschemas von Jacob Burckhardt wurde vorab veröffentlicht in: Nils Bock: Geld und Herrschaft um 1300. Finanzielle Verflechtungen zwischen Frankreich, der Kurie und Florenz, in: Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte 5 (2022), S. 34–40, https://doi.org/10.26012/mittelalter-27368.
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Finanzielle Verflechtungen zwischen Frankreich, der Kurie und Florenz
zum geringeren Teile für sich und ihre geistlichen Zwecke, zum größeren nur für diejenigen Mächte, die sich ihr aufgedrängt haben; […]2,
so Jacob Burckhardt im Abschnitt „Der Staat in seiner Bedingtheit durch die Religion“ aus seiner zum ersten Mal an der Universität Basel im Wintersemester 1868/69 gehaltenen Vorlesung „Über das Studium der Geschichte“. In seiner Vorlesung zur Einführung in das Studium der Geschichte hat sich Jacob Burckhardt zur Aufgabe gestellt, den Zuhörenden ein Schema an die Hand zu geben, um die Geschichte von der Antike bis zum 18. Jahrhundert zu ordnen. Sein Schema basiert auf der Idee von „drei Potenzen“ – Staat, Religion und Kultur – und ihrer gegenseitigen Bedingtheit, wobei sie Burckhardt als Idealtypen nutzt, um ein Kraftfeld zu spannen, innerhalb dessen beispielsweise Staat und Religion ständig miteinander in Interaktion stehen und sich infolgedessen stetig verändern. Mit dem Schema von den „drei Potenzen“ hat Burckhardt den Versuch unternommen, keine lineare Geschichte von Fortschritt und Niedergang zu erzählen, sondern Entwicklungen in ihrer eigenen Dynamik nachzuvollziehen, wobei er in seiner Vorlesung nacheinander eine Potenz als Perspektive wählt, um ihre Bedingtheit zu den anderen beiden zu untersuchen.3 So setzt Burckhardt an die Stelle der teleogischen Perspektive der Trennung von Kirche und Staat als historischen Prozess eine Reihe von Konstellationen, die von abrupten Verläufen und Kehrtwendungen bis hin zu Komplizenschaft reichen. Die Macht- und Besitzverhältnisse der Kirche über die Jahrhunderte stellen einen Aspekt des dynamischen Wechselspiels von Kirche und Staat dar, hinter denen Burckhardt nicht eine abstrakte Einheit, sondern das nach spezifischen Vorstellungen geleitete Handeln einzelner Päpste und Könige sieht.4 Das eingangs angeführte Zitat verweist bereits auf zwei Akteure – Bonifatius VIII. und Philipp IV. von Frankreich –, die respektive für eine raison d’église und eine raison d’état stehen. Als dritte Potenz wird an die Stelle der Kultur im Schema von Burckhardt die Ökonomie in Form der Florentiner Kaufmann-Bankiers gesetzt, womit sich das Dreieck schließt. Die von Burckhardt vorgestellte Typologie bietet ein Hilfsmittel, um die verflochtenen Besitz- und Machtverhältnisse zu analysieren, die sich zwischen den Päpsten und den französischen Königen entspannten.5 Dabei stehen die finanziellen Verflechtungen im Zentrum der Studie, die neben der Frage über die Rechtsautorität über den 2 Jacob Burckhardt und Jürgen Osterhammel: Weltgeschichtliche Betrachtungen, München 2018, S. 123 f. Die Vorlesung wiederholte er leicht modifiziert in den Wintersemestern 1870/71 und 1872/73. Nach dem Tod Burckhardts wurde das ursprüngliche Konzept von seinem Neffen Jakob Oeri stilistisch bearbeitet und in einen kohärenten Textfluss gebracht. Diese Textfassung wurde zuletzt im Jahr 2018 bei C. H. Beck erneut veröffentlicht und mit einem Nachwort von Jürgen Osterhammel versehen. 3 Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen, S. 9–20. 4 Ebd., S. 121–125. 5 So in Weiterentwicklung des Vorschlags von Jürgen Osterhammel; Ebd., S. 297.
Der König und seine Münze
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Klerus ein zentrales Konfliktfeld zwischen den weltlichen Monarchien und dem universalen Herrschaftsanspruch des Papstes darstellte.6 Innerhalb dieses strukturellen Kontextes können die Prozesse um die finanziellen Mittel aus den drei Perspektiven des Königreichs Frankreich, des Papsttums und der Florentiner Bankiers betrachtet werden. Der Fokus liegt auf den jeweiligen Praktiken der Finanzverwaltung und den Finanzierungstechniken. Neben den komplexen Institutionen wie den Rechnungskammern des französischen Hofs und der Kurie stehen einzelne Reihen von Transaktionen im Vordergrund, die einen Einblick in bestimmte Praktiken des Bewertens, Abwägens und Einordnens gewähren. Ob bestimmte Finanzierungsmodelle tragfähig waren, wurde den zeitgenössischen Beobachtern erst bewusst, wenn es infolge von Zahlungsausfällen oder erheblicher Mehrbelastungen – in Form zusätzlicher Abgaben oder Wertverluste – zu Friktionen kam. Während die Auswirkungen mangelnder Rentabilität von Finanzierungsmodellen völlig real waren, blieb ihre Entstehung den Zeitgenossen meist im Verborgenen, was Raum für diverse Deutungen geben konnte. Eine solche Finanzierungskrise findet sich unter der Herrschaft des eingangs genannten Philipp IV. von Frankreich. Zwei Zeitzeugen der Ereignisse sind die beiden Florentiner Dante Alighieri (1265–1321) und Giovanni Villani (um 1280–1348). Dante verfasste sein bekanntestes Werk Commedia zwischen 1307 und 1320 im Exil zwischen Mittel- und Oberitalien, zu dem er im März 1302 verurteilt worden war. In seiner Commedia setzte Dante dem französischen König sowohl im Klagegesang auf die Zerstörung des Templerordens in der siebten Vision des Fegefeuers als auch im Neunzehnten Gesang des Paradiso ein wenig schmeichelhaftes Denkmal als Beispiel eines schlechten Herrschers: Dort sieht man jenen Schmerz, den an der Seine, Der bringen wird mit seinen falschen Münzen, Der von des Wildschweins Zahn wird sterben müssen.7
Die von Dante begründete Tradition findet sich kurze Zeit später im Manuskript des sogenannten Meister des Cocharelli Codex (1330–1340) wieder. Im Text wird auf Philipp IV. verwiesen, um die Todsünde des Geizes (avaritia) zu personalisieren. Dieser habe er sich durch die Hinrichtung der Templer schuldig gemacht, wofür er durch einen tödlichen Jagdunfall bestraft worden sei. Die Parallele zum Zitat von Dante ist offensichtlich. 6
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Hierzu noch immer eindringlich Jacques Le Goff: Marchands et banquiers du Moyen Âge, Paris 1956 (Übers. Kaufleute und Bankiers im Mittelalter, Frankfurt 1993), S. 65–68. Zum Kontext siehe Jean-Christophe Cassard: L’âge d’or capétien, Paris 2011 (Histoire de France); Boris Bove: Le temps de la guerre de Cent Ans. 1328–1453, Par0is 2010 (Histoire de France, 4). Lì si vedrà il duol che sovra Senna (Seine) | Induce, falseggiando la moneta, | Quel che morrà du colpo di cotenna (Schwarte). Dante Alighieri: Commedia, Vol. 3: Paradiso, hg. von Anna Maria Chiavacci Leonardi, Mailand 1997, XIX, 118–120, S. 542–543. Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie, übers. von Hermann Gmelin. Anmerkungen von Rudolf Baehr. Nachwort von Manfred Hardt, Ditzingen 2001 (ND 1951), 118–120, S. 340.
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Ausführlicher ist der Chronist Giovanni Villani (um 1280–1348) in der Darstellung der Ereignisse des Jahres 1302 in seiner Nuova Cronica. Philipp IV. habe sich nacheinander als Münzfälscher und Verursacher eines großen Schadens an den italienischen Kaufleuten schuldig gemacht: Und, um das Geld des begonnenen Flandernkriegs bereitzustellen, ließ der König von Frankreich aufgrund des schlechten Rats der Herren Albizzio und Musciatto Franzesi, unserer Bürger, sein Geld verschlechtern und fälschen, woraus er große Einkünfte zog, da es über Zeit immer schlechter wurde, sodass es bis auf ein Drittel des Wertes fiel, war es dadurch sehr abscheulich und verflucht für alle Christen; viele Händler und Geldverleiher unseres Landes, die mit ihrem Geld in Frankreich waren, blieben fern.8
Einen Großteil der Schuld schreibt Giovanni Villani den Brüder Musciatto und Albizzio Franzesi zu, die aus Florenz stammten und den König davon überzeugt haben sollen, dass er seinen Krieg gegen den Grafen von Flandern durch Münzverschlechterungen kurzfristig finanzieren könne. Die Brüder wurden kurze Zeit nach den Ereignissen auch von Geoffroi de Paris († 1320), Kleriker in der königlichen Kanzlei, als „böse“ Räte beschrieben. In seiner zwischen 1300 und 1316 entstandenen Chronique metrique, einer Verschronik der Geschichte der französischen Könige, bildet Geoffroi de Paris einen Vers auf der Basis der französischen Variante des Vornamens Musciatto, der im Französischen mit „Mouche“ übersetzt und in einer falschen Etymologie mit einem Wort für Fliege (mouche) gleichsetzt wurde. Auf diese Weise brachte Geoffroi de Paris den Einfluss von Musciatto und Albizzio Franzesi auf den französischen König in folgende Verse: An seinem Hof befanden sich Mouche (Musciatto) und Biche (Albizzio), die ihn sehr umflogen haben (wie Fliegen): Ob Gold den König zum Liegen brachte, Ob (er) ohne Geld blieb.9
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(1302) E per fornire le spese della cominciate guerra di Fiandra lo re di Francia, per male consiglio di messer Biccio e Musciatto Franzesi nostri contadini, sì fece peggiorare e falsificare la sua moneta, onde traeva grande entrata, però che ella venne peggiorando di tempo in tempo, sì che la recò a la valuta del terzo, onde molto ne fu abominato e maledetto per tutti i Cristiani; e molti mercatanti e prestatori di nostro pase ch’erano colloro moneta in Francia ne rimasono diserti. Giovanni Villani: Nouva Cronia, hg. von Giuseppe Porta, Parma 1991, Buch 9, Kap. 56, S. 592. Übersetzung durch Autor. En sa court avoit Mouche et Biche | Qui durement l’ont esmouchié: | Si lor a le roy tout couchié; | Si en demours sans argent. Chronique rimée attribué à Geoffroy de Paris, in: Recueil des Historiens des Gaules et de la France, hg. von Léopold Delisle, Natalis de Wailly, Bd. 22, Paris 1865, Z. 1452– 1455, S. 103, online unter https://catalogue.bnf.fr/ark:/12148/cb372604330 (31.08.2022). Übersetzung durch Autor. Wie Pirillo schon darauf hingewiesen hat, geht der Wortwitz der Strophe in allen anderen Sprachen verloren, weil sich der Name „Mouche“ auf das Verb esmoucher, wörtlich von Fliegen befreien, im übertragenen Sinn „erleichtern“, reimt. Paolo Pirillo: Famiglia e mobilità sociale nella Toscana medievale: I Franzesi Della Foresta da Figline Valdarno, Florenz 1992, S. 55, Fußnote 66.
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Die Reaktionen Dantes, des Giovanni Villani und des Geoffroi de Paris beziehen sich alle auf Münzverschlechterungen als Mittel der Finanzierung eines Krieges, deren Auswirkungen bis nach Italien reichten. Dabei nutzen die italienischen Autoren Katastrophen- und Selbstzerstörungsnarrative, die typisch für Krisen sind, wie Carla Meyer, Katja Patzel-Mattern und Gerrit Jasper Schenk in ihrem 2013 erschienenen Sammelband „Krisengeschichte(n)“ herausgearbeitet haben; mit Blick auf den Kapitalismus des 21. Jahrhunderts werden sie heute wieder aufgenommen und angepasst.10 Auch finden sich Anklänge eines Reformnarratives bei den italienischen Autoren, die den französischen König der avaritia anklagen, um zur Mäßigung aufzurufen, wodurch die jeweils schlimmsten Phänomene der Krise entschärft und angepasst werden sollen. Der französische Autor Geoffroi de Paris hält sich mit der Kritik am König zurück und schiebt die Verantwortung ganz auf die Finanziers Musciatto und Albizzio Franzesi. Diese Beobachtung fügt sich in das Bild der Herrschaft Philipps IV. ein, in dem der König sich auf Leute stützte, denen er sein Vertrauen schenkte, um Entscheidungen vorzubereiten, die er in letzter Konsequenz bis vielleicht zum Jahr 1305 selbst trug, bevor er die Geschäfte schleifen ließ und sich stärker von den weltlichen Dingen abwandte, wie Robert-Henri Bautier, Jean Favier und Élisabeth Lalou betont haben.11 Zwei Beobachtungen schließen sich an diese ersten Deutungen der Münzverschlechterungen an: Erstens sind zwar Musciatto und Albizzio Franzesi als Finanziers Philipps IV. aufgrund der eben zitierten Belege bekannt, aber ihre Karrieren werden in der Forschung bisher nur skizzenhaft beschrieben. Zweitens bieten insbesondere die Reaktionen der italienischen Autoren auf die königlichen Finanzierungsstrategien die Chance, die Vorgänge nicht mehr nur als Baustein in der Entstehung des französischen „Steuerstaats“12, sondern als „internationales Phänomen“ (Les incidences internationales
10 Carla Meyer, Katja Patzel-Mattern, Gerrit Jasper (Hgg.): Krisengeschichte(n). „Krise“ als Leitbegriff und Erzählmuster in kulturwissenschaftlicher Perspektive, Stuttgart 2013 (Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beihefte 210). Quentin Ravelli: Le capitalisme a-t-il une date de naissance?, in: Tracés. Revue de Sciences humaines 36 (2019), S. 29–57, https:// doi.org/10.4000/traces.9428 (31.08.2022). 11 Robert-Henri Bautier: Diplomatique et histoire politique: ce que la critique diplomatique nous apprend sur la personnalité de Philippe le Bel, in: Revue historique 259,1 (1978), S. 3–27; Jean Favier: Philippe le Bel, Paris 1998 (ND 1978); Elisabeth Lalou: Art. Mouche et Biche, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 6, 1993, Sp. 875. 12 Für die Forschung zum spätmittelalterlichen „Staat“ lässt sich der Zusammenhang von Kriegsfinanzierung und Aufbau wichtiger institutioneller Grundlagen der Finanzverwaltung im Sinne der rationellen Bewirtschaftung der Domäne zunächst in der amerikanischen ‚Schule‘ um Joseph Strayer und dann in den Forschungsprogrammen zur Genèse de l’Etat moderne und der Origins of the Modern State seit den 1980er Jahren fassen. Joseph R. Strayer, Charles H. Taylor: Studies in early French taxation, Cambridge, 1939. Joseph H. Henneman: Royal taxation in fourteenth century France: The development of war financing (1322–1356), Princeton 1971. Die Attraktivität des vorherigen Programms zeigte sich daran, dass es von Jean-Philippe Genet und Wim Blockmans in den 1990er Jahren auf ein internationales Level gehoben und durch die European Science
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des mutations monétaires de Philippe le Bel) zu begreifen, wie es der belgische Wirtschaftshistoriker Armand Grunzweig schon 1955 vorgeschlagen hat. Es geht allerdings nicht nur darum, die Vorgänge „von außen“ zu betrachten, um die politischen und ökonomischen Strukturen des ausgehenden Hochmittelalters zu untersuchen, sondern sie als Ausdruck vielfältiger Verflechtung und gegenseitiger Abhängigkeiten von Personen, Dingen und Räumen zu verstehen – im antiken Gewand dargestellt auf dem Cover dieses Bandes.13 Die Studie folgt den vielfältigen und nicht erkennbaren Wegen des Geldes, deckt die Verbindungen zwischen dem Paris, Rom und Florenz um das Jahr 1300 auf und untersucht ebenso ihre Krisenanfälligkeit. Aus drei verschiedenen Perspektiven – Königshof, Kurie, Florentiner Bankiers – wird gezeigt, wie die drei Gruppen miteinander interagierten und dabei das Geld konstruierten, das sie nutzten. Mit dieser Konzeption bediene ich mich aktueller Tendenzen der internationalen Forschung, die von einer essenzialistischen Perspektive, was Geld ist, abrückt und nach den Kontextbedingungen der Entstehung und Entwicklung immer wieder neuer Formen des Geldes und seines Gebrauchs fragt.14 Damit verbunden sind einerseits instrumentell-pragmatische wie institutionelle Aspekte des „Wirtschaftens“ zu Beginn des späten Mittelalters15 und Foundation nun unter dem Titel Origins of the Modern State gefördert wurde. Die Arbeitsfelder wurden durch sieben Bände abgebildet, denen sich weitere Tagungsbände anschlossen. Jean-Philippe Genet: La genèse de l’Etat moderne: Les enjeux d’un programme de recherche, in: Actes de la Recherche en Science Sociales 118, 1997, S. 3–18, hier S. 3–4. 13 Vgl. Armand Grunzweig: Les incidences internationales des mutations monétaires de Philippe le Bel, in: Le Moyen Âge 59 (1953), S. 117–172. 14 Christine Desan: Making Money, Coin, Currency, and the Coming of Capitalism, Oxford 2014; Tim Neu: Geld gebrauchen. Frühneuzeitliche Finanz-, Kredit- und Geldgeschichte in praxeologischer Perspektive, in: Historische Anthropologie 27,1 (2019), S. 75–103, hier S. 88–89; Stephan Köhler, Christian Scholl, Tanja Skambraks, Sebastian Steinbach: Introduction into the Study of Money and Credit, in: Ulla Kypta, Julia Bruch, Tanja Skambraks (Hgg.): Methods in Premodern Economic History. Case studies from the Holy Roman Empire, c. 1300-c. 1600, Cham 2019 (Palgrave Studies in Economic History), S. 131–185, https://doi.org/10.1007/978-3-03014660-3_5. 15 Harm von Seggern, Gerhard Fouquet, Hans-Jörg Gilomen (Hgg.): Städtische Finanzwirtschaft am Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit, Frankfurt a. M. (u. a.) 2007 (Kieler Werkstücke. Reihe E. Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 4); Harm von Seggern, Gerhard Fouquet (Hgg.): Adel und Zahl: Studien zum adligen Rechnen und Haushalten in Spätmittelalter und früher Neuzeit, Ubstadt-Weiher 2000 (Pforzheimer Gespräche zur Sozial-, Wirtschafts- und Stadtgeschichte, 1).; Gerhard Fouquet, Jan Hirschbiegel, Werner Paravicini (Hgg.): Hofwirtschaft. Ein ökonomischer Blick auf Hof und Residenz in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. 10. Symposium der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Gottorf/Schleswig, 23.–26. September 2006, Ostfildern 2008 (Residenzforschung, 21). Hierzu wurde zuletzt eine Tagung von Armand Jamme (Lyon-Avignon) abgehalten: „Contrôler les comptes au Moyen Âge: Rites, techniques, portées, XIIIe–XVe siècle“. Colloque, Calenda. Veröffentlicht am 31.01.2012, online unter http://calenda.revues.org/nouvelle22583.html (31.08.2022). Florent Garnier, Armand Jamme (Hgg.): Cultures fiscales en Occident du Xe au XIVe siècle: études offertes à Denis Menjot, Toulouse 2019 (Méridiennes. Collection „Études médiévales ibériques“, 17).
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andererseits die Auswirkung der zunehmenden Verfügbarkeit und Präsenz von Geld (Monetarisierung) ab dem Hochmittelalter.16 2. Institutionelle und historische Orientierung Während der Regierungszeit Philipps IV. verdichtete sich die zentralisierte Verwaltung in Paris, die schon unter dessen Vater Philipp II. (1270–1285) deutlich hervortrat, dann aber unter seinem Sohn in die Institutionen des Königtums integriert wurde. Als Träger dieser Integrationsleistung wurden das Hofgericht und die Juristen am Hof, weiterhin die Baillis im Norden und die Seneschalle südlich der Loire identifiziert, die seit Philipp I. (1180–1223) als Vertreter der königlichen Gewalt vor Ort Recht sprachen, ohne dass der König ortsansässigen Adligen dieses Recht übertragen musste. Die Baillis und Seneschalle waren es auch, die vor Ort die königlichen Einnahmen aus Angaben, Zöllen, Marktrechten und Geldern der Rechtsprechung verwalteten und den Überschuss an den königlichen Hof (curia regis) übertragen sollten.17 Allerdings verursachten sie selbst erhebliche Kosten, die durch eine Erhöhung der Einnahmen aus Strafgeldern, Sondersteuern, Konfiskationen, Zöllen und Marktrechten gedeckt werden mussten. Diese Angaben förderten die Monetarisierung der Gesellschaft, die als reine Agrargesellschaft die geforderten Erträge nicht hätte erbringen können. Mit den königlichen Beamten rückten jedoch an die Stelle von ortsansässigen Adligen, die die Rechte des Königs vertraten, Personen, die nicht weniger ihre Stellung für ihre eigenen Zwecke und Interessen ausnutzen konnten. Aus diesem Grund waren sie auch ein zentraler Kristallisationspunkt von Kritik an den königlichen Verwaltungsstrukturen während des gesamten Spätmittelalters. Die Einnahmen und Ausgaben der Verwaltung und des Königreichs wurden ursprünglich allein von der curia regis kontrolliert, während der königliche Schatz aber seit der Mitte des 12. Jahrhunderts dem Templerorden übergeben wurde, womit verbunden war, dass die Einnahmen und Ausgaben des Königshofs nun über ein Konto bei den Templern geführt wurden.18 Zur Rechnungsprüfung der von den Baillis und
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L’argent au Moyen Âge. Idéologie, finances, fiscalité, monnaie (Actes du XXVIIe congrès de la Société des Médiévistes de l’Enseignement Supérieur, Clermont-Ferrand, 30 mai–1er juin, 1997), Paris 1998 (Publications de la Sorbonne. Série Histoire ancienne et médiévale, 51); Klaus Grubmüller, Markus Stock (Hgg.): Geld im Mittelalter: Wahrnehmung, Bewertung, Symbolik, Darmstadt 2005. Zur Monetarisierung siehe jetzt die Habilitationsschrift Andreas Büttner: Geld – Gnade – Gefolgschaft. Die Monetarisierung der politischen Ordnung im 12. und 13. Jahrhundert, Köln 2022 (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii, Bd. 47). 17 Albert Rigaudière: Histoire du droit et des institutions dans la France médiévale, Paris 2010 (Corpus Histoire du droit), S. 338–346. 18 Rigaudière, Histoire, S. 335–336.
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Seneschallen sowie anderen Beamten vorgelegten Abrechnungen lassen sich spätestens unter Ludwig IX. (1226–1270) am Königshof besondere Beauftragte (magristri compotorum) ausmachen, die vom Hof zu den Templern abgesandt wurden. Sie besaßen administrative wie richterliche Kompetenz. Gleichzeitig konnten sie an Beratungen der curia regis teilnehmen. Ab der Regierungszeit Philipps III. ist die Tätigkeit der Chambre aux deniers (camera denariorum) als Kasse belegt, welche für die Ausstattung des inneren Hofs des Königs (hôtel du roi) zuständig war.19 Da die Chambre aux deniers ebenfalls mit der Rechnungsprüfung beauftragt war, wurde sie mit der späteren Rechnungskammer (camera compotorum) assoziiert, die als Bezeichnung erst 1309 belegt ist. Die Situation der Rechnungsprüfer (gens des comptes) veränderte sich im Jahr 1303, als sie im Palais de la Cité ihren Platz befanden. Die Bezeichnung Rechnungskammer (camera compotorum) scheint aufgekommen zu sein, als nach der Verhaftung der Templer ab 1309 der Vertraute des Königs Enguerrand de Marigny Zugriff auf den königlichen Schatz erhielt, der dennoch zwischen dem Louvre und dem Temple bis 1315 aufgespalten blieb. Es war nicht das erste Mal, dass der Schatz in den Louvre überführt wurde. Bis zum Jahr 1295 lagerte er im Temple. Zwischen 1295 und 1303 wurde er in den Louvre gebracht und unterstand dem königlichen Schatzmeister (trésorier du roi), bis der königliche Schatz im Jahr 1303 wieder dem Temple überstellt wurde.20 Diese Konjunkturen deuten darauf hin, dass die Rechnungsprüfer zwar in zunehmenden Maß die finanziellen Leistungen der Domäne erfassten und die Abrechnungen der Beamten prüften, die finanziellen Ressourcen aber von anderen Gruppen bewirtschaftet wurden. Die Chambre des comptes (Rechnungskammer) als Institution wurde erst durch die Ordonnanz von Vivier-en-Brie eingerichtet, die im Jahr 1320 veröffentlicht wurde.21 Schon vor ihrer endgültigen Einrichtung im Jahr 1320 besaß die Rechnungskammer während der Herrschaft Philipps IV. umfangreiche Archive, die auch von anderen Institutionen wie dem Parlement de Paris (ständiger höchster Gerichtshof) konsultiert wurden. Die Konstitution dieser Archive lässt sich aus der Tätigkeit der Rechnungsprüfer erklären, welche alle Konten des Königreichs untersuchten und prüften, ob sie korrekt geführt waren und das Ergebnis richtig war. War das der Fall, wurden die Beamten entlastet, andernfalls wurden sie zur Zahlung des Fehlbetrags verurteilt. Die Vervielfältigung der Abgaben unter Philipp dem Schönen führte dazu, dass zahlreiche Abrechnungen nicht von der Kammer geprüft werden konnten und noch unter Herrschaft seines Sohns, Philipp V. (1317–1322), ungeprüft vorlagen. Dieser Umstand
19 Edgard Boutaric: La France sous Philippe le Bel: Etude sur les institutions politiques et administratives du Moyen Âge, Paris 1971 (ND 1861), S. 235; Elisabeth Lalou: Les comptes sur tablettes de cire de la chambre aux deniers de Philippe III le Hardi et de Philippe IV le Bel (1282–1309), Paris 1994. 20 Boutaric, France, S. 234–241; Favier, Philippe le Bel, S. 69–72 und 77–78. 21 Rigaudière, Histoire, S. 336.
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wurde bei der Konstitution der Rechnungskammer im Jahr 1320 angeführt: Philipp V. soll veranlasst haben, das Personal aufzustocken, um die Rückstände aufzuarbeiten und die Überlieferung zu ordnen. Wahrscheinlich wurden zwei Inventare angelegt, die erstens alle noch zu prüfenden Abrechnungen und zweitens alle Schriften der Kammer umfassen sollten.22 Die Ordnung der Rechnungskammer wie zuvor des königlichen Rats brachte Philipp V. den Ruf eines Rationalisierers in der Forschung ein.23 Die Erstellung von Verzeichnissen und Kopien von Abrechnungen, Briefen, Verträgen und Denkschriften (Libri memoriales) setzte sich unter Philipp von Valois (1328–1350) fort, wodurch eine sekundäre Überlieferung geschaffen wurde, die zunächst einmal selbst gedächtnisstiftend für die Zeitgenossen war, die sie sowohl retrospektiv als auch perspektivisch nutzten.24 Der Forschung bietet die sekundäre Überlieferung die Möglichkeit, Einblick zu Fragen von Personal, Praktiken und finanziellem Potenzial des Königreichs Frankreich zu erhalten, da die Archive der Rechnungskammer in einem Brand vom 26. zum 27. Oktober 1737 vernichtet wurden.25 Es entsteht der Eindruck einer Herrschaft, die die eigenen Rechnungsprüfer durch immer neue Abgaben und Abrechnungen überfordert hat. Diese Wahrnehmung mag insoweit mit der Einschätzung übereinstimmen, dass zu Beginn der Herrschaft Philipps kein Masterplan vorhanden war, der auf eine äußere Expansion des Königreichs und eine bewusste „Modernisierung“ der Verwaltung ausgerichtet gewesen wäre. Die ältere Vorstellung in der deutschsprachigen Forschung, es habe einer aggressiven Expansionspolitik vor allem mit Blick auf die Ostgrenze des Königreichs gegeben, ist inzwischen widerlegt.26 Nichtsdestoweniger wurden viele Gelegenheiten an den Grenzen des Königsreichs zu situativem Handeln genutzt und, durch diplomatische Verhandlungen gestützt, auch unter Einsatz finanzieller Ressourcen. Der Einsatz von militärischen Mitteln wurde nur angedroht oder auf kleinere Kontingente beschränkt. Auf die Durchführung eines transmediterranen Kreuzzugs nach dem Vorbild seines 22
Boutaric, France, S. 238–241. Erhalten und herausgegeben ist eine Variante der Inventare, die auf Vorlage des ersten Inventars von 1320 vom geistlichen Rat (maître-clerc) Robert Mingon unter Philippe de Valois nach 1328 verfasst wurde; Inventaire d’anciens comptes royaux dressé par Robert Mignon sous le règne de Philippe de Valois, hg. von Charles Victor Langlois, Paris 1899 (Recueil des historiens de la France. Documents financiers, 1), S. XIX–XXIV, online unter https:// archive.org (31.08.2022). 23 Zur Bewertung des Einflusses des Königs auf die Verwaltung siehe Olivier Canteaut: Gouvernement et hommes de gouvernement sous les derniers Capétiens (1313–1328), phil. Diss Paris 2005 (masch.) und Christelle Balouzat-Loubet: Louis X, Philippe V, Charles IV. Les derniers Capétiens, Paris 2019. 24 Siehe zur Quellengruppe jetzt Canteaut, Gouvernement, S. 250–269, online unter https:// halshs.archives-ouvertes.fr/tel-01663771 (31.08.2022). 25 Inventaire de Robert Mignon, S. I–III. 26 Zusammenfassend bei Favier, Philippe le Bel, S. 206–209; Jürgen Miethke: Philipp IV. der Schöne: 1285–1314, in: Joachim Ehlers, Heribert Müller, Bernd Schneidmüller (Hgg.): Die französischen Könige des Mittelalters: Von Odo bis Karl VIII. 888–1498, München 2006 (ND 1996), S. 184–210, hier S. 190–195.
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Großvaters Ludwig IX. wurde verzichtet, dennoch hatte sich am Ende der Herrschaft Philipps IV. eine Summe an Abgaben und Abrechnungen der vielen kleinen Kampagnen und ad-hoc Missionen akkumuliert, die die Rechnungsprüfer noch über Jahre beschäftigte. Zwei Ausnahmen bestätigen das bisher Gesagte: der „Krieg der Guyenne“ (1294–1304) und die beiden „Flandernkriege“ (1297 und 1302–1304). Beide Konflikte entzündeten sich zwischen dem französischen König und dem englischen König bzw. dem Grafen von Flandern um die Souveränität und Kontrolle von königlichen Lehn. Das Herzogtum der Guyenne war zu diesem Zeitpunkt der größere Teil des Besitzes der englischen Könige aus dem Haus Plantagenêts, das unter Heinrich II. (1154–1189) über die Normandie und das Anjou hinaus durch die Heirat mit Eleonore von Aquitanien auch das Poitou und das Herzogtum Aquitanien somit große französische Gebiete in seinem Besitz hielt. Die Lehnsoberhoheit blieb aber bei den französischen Königen, die deren Einhaltung seit Philipp II. stringent beachteten. Der letzte größere Konflikt wurde durch den Frieden von Paris (1259) beigelegt, in dem zwar anerkannt wurde, dass der Herzog der Guyenne, nicht aber der englische König Vasall des französischen Königs war, was inakzeptabel gewesen wäre. Weiteren Interpretationsspielraum bot die Frage, ob das königliche Gericht und das Parlement de Paris auch Jurisdiktion über das Herzogtum besäßen. An beiden Fragen sollte sich der Konflikt zwischen den Königen von Frankreich und England immer wieder entzünden. Ganz ähnlich war der Konflikt mit den Grafen von Flandern um den größten Teil der Grafschaft – der kleinere Teil östlich der Schelde gehörte zum Heiligen Römischen Reich – gelagert und doch unterschied er sich aufgrund der Bedeutung von Städten, Fernhandel und Tuchproduktion in Flandern. Die Kommunen und die Stadtbevölkerung stellten einen eigenen politischen Faktor dar, der die Grafen von Flandern, den Adel und die Fernhandelskaufleute zu potenziellen Verbündeten des französischen Königs machte. Diese an sich schon dynamische Konstellation veränderte sich nochmals dadurch, dass Philipp IV. offen die Fernhandelskaufleute unterstützte, während Eduard I. von England (1272–1307) dem Grafen von Flandern Guido I. eine intensivere Verbindung im Jahr 1294 anbot.27 In beiden Fällen hätten die Kosten der Kriege in den Grenzen der zeitgenössischen Kriegsführung bleiben sollen. Mehr noch fehlten die lehnsrechtlichen und finanziellen Voraussetzungen, größere Heere aufzustellen und längere Kampagnen durchzuführen. Wie Xavier Hélary in seinem Buch L’armée du roi de France. La guerre de Saint Louis à Philippe le Bel von 2012 mit Blick auf die beiden Kreuzzüge Ludwigs IX. anmerkt, „kostete der Krieg lange Zeit nicht viel. Er war ein Luxus gewesen, den sich Könige leisten konnten“.28 Im Vergleich zur Kriegsführung auf lehnsrechtlicher Basis stellten die 27 28
Favier, Philippe le Bel, S. 208–209; Miethke, Philipp IV., S. 194–195. Longtemps, la guerre n’a pas coûté très cher. Elle était un luxe que les rois pouvaient s’offrir. […]. Les deux expéditions sont financées de la même façon. Le principal contributeur est l’Église: le Saint Siège concède en effet à Saint Louis, à deux reprises, une décime, c’est-à-dire une taxe de 10 % sur les revenus des
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Kreuzzüge aufgrund der Planungen, der Reise und der Länge des Aufenthalts und der Ostentation von Luxus eine eigene Kategorie der Kriegsführung dar. Auch standen sie aufgrund der Kirche als Hauptbeitragszahler auf einer viel breiteren finanziellen Basis. Diese finanziellen Vorteile nutzte erstmals Philipp III. für andere Zwecke als einen transmediterranen Kreuzzug, da er seinem Onkels Karl I. von Anjou (1266–1285) Unterstützung versprochen hatte, der infolge der sogenannten Sizilianischen Vesper (1282) in Konflikt mit Aragón stand.29 Der Zug gegen einen anderen Fürsten und gegen das Haus Aragón, mit dem die Kapetinger verwandtschaftlich verbunden waren, traf innerhalb der französischen Königsfamilie auf Ablehnung, wurde aber für das Jahr 1285 geplant. Entscheidend für die weitere Untersuchung war der Umstand, dass Papst Martin IV. (1281–1285) den Bitten Philipps III. zur finanziellen Absicherung des Unternehmens einen vierjährigen Kirchenzehnten zur Finanzierung des Zuges gegen Aragón ausschrieb. Dies sollte Teil des Erbes Philipps III. sein, der aber auf dem Rückweg eines erfolglosen Zuges nach Aragón in Perpignan am 5. Oktober 1285 starb. Trotz der Missbilligung des Kriegszugs seines Vaters und diplomatischer Verhandlungen mit dem Haus Aragón nahm Philipp IV. von Papst Nikolaus IV. (1288–1292) ebenfalls den Kirchenzehnten von 1289 für drei Jahre als Beitrag zur Fortführung des Kreuzzugs im Sinne der päpstlichen Sizilienpolitik an. Dadurch konnte Philipp IV., laut Xavier Hélary, „die finanziellen Reserven für eine große Politik ansammeln (…), die er in den kommenden Jahren führen sollte“, d. h. ab dem Jahr 1290.30 Die von Xavier Hélary angeführte „große Politik“ bestand im Wesentlichen darin, den lokalen Konflikten freien Lauf zu lassen, die Schwächen des Gegners auszunutzen und die eigenen Interessen zu verfolgen.31 Den Anfang machten Überfälle auf See im englischen Kanal von englischer und französischer Seite. Daraufhin kam es zu Verhandlungen, in deren Verlauf trotz unterschiedlicher Angebote die Situation dadurch verschärft wurde, dass Philipp IV. die ihm angebotene Guyenne einbehielt und den englischen König Eduard I. vor das königliche Gericht zitierte. Nachdem Eduard I. es versäumt hatte, seiner Vorladung Folge zu leisten, verkündete das Gericht die Einbehaltung der Guyenne zugunsten seines Königs.
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clercs du royaume, valable trois ans. Xavier Hélary: L’armée du roi de France: La guerre de Saint Louis à Philippe le Bel, Paris 2012, S. 212–213. Übersetzung durch Autor. Siehe zusammenfassend Thomas Zotz: Philipp III. der Kühne (1270–1285), in: Ehlers/Müller/Schneidmüller (Hgg.), Könige, S. 177–183. Im Gegensatz zur bisherigen Forschung geht Hélary davon aus, dass die finanzielle Situation des Königreichs nicht katastrophal war: L’état des finances au début du règne est mal connu, mais rien n’indique avec certitude qu’il ait été si catastrophique. La décime quadriennale concédée par Martin IV pour les années 1284–1288, les mesures prises par Philippe III avant sa mort ont dû permettre de faire face aux dépenses de la croisade d’Aragon. En arrachant la décime de 1289 et en s’en réservant la collecte, en imposant la maltôte en 1291, Philippe le Bel règle pas les comptes du passé: il amasse les réserves financières qui permettront une grande politique dans les années à venir. Hélary, L’armée, S. 229–230. Übersetzung durch Autor. Favier, Philippe le Bel, S. 206–212; Miethke, Philipp IV., S. 190–191.
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Die Gelegenheit war günstig, da sich die Angelegenheiten mit Aragón und Sizilien auf dem Weg der Befriedung befanden und durch den Vertrag von Anagni (7. Juni 1295) konsolidiert werden konnten.32 Der neue König Jakob II. von Aragón (1291–1327) hatte mit Philipp IV. und Karl II. von Anjou (1285–1309), der seinem Vater Karl I. nachgefolgt war, einen Ausgleich gefunden, der von dem neuen guten Verhältnis zwischen den Königreichen zeugte. Davon ausgenommen war der englische König Eduard I., der zehn Jahre zuvor noch seine Dienste angeboten hatte, um zwischen Frankreich und Aragón zu vermitteln, da der englische König Ambitionen zur Organisation eines Kreuzzugs hegte. Für den englischen König konnte der Konflikt um die Guyenne zu keinem schlechteren Zeitpunkt kommen, da die englischen Garnisonen vor Ort keine Verstärkung aufgrund des Ausbruchs eines Aufstands in Schottland erhalten konnten. Ein französisches Heer konnte die Guyenne zwischen 1294 und 1295 in den größten Teilen besetzen.33 Zunächst war der französische Königshof im Vorteil, doch kurze Zeit darauf zerbrach das Einverständnis zwischen den Päpsten und dem französischen Königshof wegen der Gewährung eines weiteren Zehnten. In der Situation sprangen die französischen Prälaten ihrem König bei und bewilligten einen auf ihre Jurisdiktion beschränkten Zehnten. Für den erst seit Januar 1295 amtierenden Papst Bonifatius VIII. (1294– 1303) wurde dieser Zehnt ein Symbol für den Eingriff in die Freiheiten der Kirche, womit er an Formulierungen früherer Reformbewegungen anknüpfte.34 An die Stelle von Kooperation trat eine Konfrontation um die kirchliche Selbstbehauptung, doch musste der Papst den Konflikt im Jahr 1297 schon wieder deeskalieren, da der Kurie das Geld ausging – der französische Hof hatte ein allgemeines Ausfuhrverbot verhängt, das Gold, Silber und Edelmetalle, in gemünzter und ungemünzter Form, Edelsteine, Waffen, Pferde und andere zur Kriegsführung wichtige Waren betraf. Durch diese Maßnahmen geriet der kirchliche Zahlungsverkehr ins Stocken, mit Auswirkungen auf die Einkünfte der Apostolischen Kammer und der Kurie, und die Kaufmann-Bankiers des Papstes verzeichneten Einbußen in ihren internationalen Handelsgeschäften. Die Versorgung der Zentrale der Kirche und der zahlreichen Kleriker, die an der Kurie lebten, beruhte darauf, dass die Abgaben an die Zentrale wie die Einkünfte aus Pfründen in Rom zur Verfügung standen.35 Mehr noch erhöhte das machtpolitische
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Favier, Philippe le Bel, S. 210. Ebd., S. 214–216. Zur ersten Auseinandersetzung zwischen Philipp IV. und Bonifatius VIII. siehe zusammenfassend Favier, Philippe le Bel, S. 250–288; Miethke, Philipp IV., S. 198–199; Agostino Paravicini Bagliani: Boniface VIII. Un pape hérétique?, Paris 2003. Einführend sei nur verwiesen auf Markus A. Denzel: La Practica della Cambiatura: Europäischer Zahlungsverkehr vom 14. bis zum 17. Jahrhundert, Stuttgart 1994 (Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 58); John F. Padgett: The Emergence of Corporate Merchant-Banks in Dugento Tuscany, in: John F. Padgett, Walter W. Powell (Hgg.): The Emergence of Organizations and Markets, Princeton 2012, S. 115–167, https://doi.org/10.23943/princeton/9780691148670.001.0001
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Engagement der Päpste auf der Apenninen-Halbinsel inklusive Siziliens sowie die Pläne zur Durchführung von Kreuzzügen gegen die Muslime im Nahen Osten und Nordafrika während des 13. Jahrhunderts den Bedarf an finanziellen Mitteln zu ihrer Durchführung. Unter diesem strukturellen Aspekt sah sich die Kirchenzentrale ähnlichen Problemen ausgesetzt wie die weltlichen Höfe in Paris, London, Neapel oder Barcelona: Auf welche Weise konnten ordentliche und außerordentliche Einkünfte, wie der Feudalzins aus dem Kirchenstaat und Lehenszinsen aus Neapel und Sizilien sowie Servitien und Zehnten, auf der Apenninen-Halbinsel und in der Peripherie eingefordert, eingetrieben und über weite Entfernungen an die Zentrale transferiert werden? Der aus Troyes stammende Papst Urban IV. mobilisierte in den 1260er Jahren reisende toskanische Kaufleute von den Champagnemessen zur Finanzierung der angevinischen Kampagne gegen die Staufer in Italien und übertrug ihnen Aufgaben in der Verwaltung der Apostolischen Kammer. Indem der Papst die Nähe zur Kurie offerierte, eröffneten die Kaufleute ihm die Möglichkeit, Gelder direkt bereitzustellen, zu transferieren und zu deponieren, indem sie Techniken des bargeldlosen Zahlungsverkehrs verwendeten, die wiederum nur zwischen persönlich bekannten Personen praktiziert wurden. Dabei bot die physische und institutionelle Beständigkeit der kirchlichen Ämter den Kaufleuten eine hohe Sicherheit, die sich auf das kuriale Geldgeschäft spezialisierten, ohne den Handel mit Waren jeweils aufzugeben. Diese Kooperation zwischen Kurie und Kaufleuten ist von größter Bedeutung für die Entstehung der bedeutenden privaten Gesellschaften im mittelalterlichen Europa und die Entwicklung des Finanzkapitalismus, da sie die Dynamik der partnerschaftlichen Zusammenschlüsse und der Investition von Kapital in Finanzgeschäfte auch außerhalb der Kurie unterstützte.36 Allerdings konnten die Finanzgeschäfte nicht ohne den Handel bestehen, dessen Rohstoffe wie Wolle, Getreide und Salz ab dem Ende des 13. Jahrhunderts in der Ausfuhr lizenziert wurden, deren Erwerb von der Autorisierung der politischen Mächte abhängig war, die ihr Wohlwollen mit dem Zustand ihrer Finanzen verbanden. Der Wechsel der Gunst oder Konfiskationen war ein Mittel, sich der finanziellen Abhängigkeit der Gesellschaften zu entledigen, solange andere Geldgeber bereitstanden. Dieses Verhältnis wies bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts einen gewissen Grad der Selbsterhaltung auf. Aufgrund der folgenden politischen und militärischen Konflikte gerieten eine Reihe von Gesellschaften zwischen 1298 und 1307 in Liquiditätsschwierigkeiten
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(31.08.2022); Markus A. Denzel: Von der Kreuzzugssteuer zur allgemeinen päpstlichen Steuer: Servitien, Annaten und ihre Finanzierung in voravignonesischer Zeit (12. bis frühes 14. Jahrhundert), in: Werner Maleczek (Hg.): Die römische Kurie und das Geld. Von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis zum frühen 14. Jahrhundert, Ostfildern 2018 (Vorträge und Forschungen, 85), S. 131–164, https://doi.org/10.11588/vuf.2018.0.79852, und Armand Jamme: De Rome à Florence, la curie et ses banquiers aux XIe et XIIIe siècles, in: Maleczek (Hg.), Römische Kurie, S. 167–203, https://doi.org/10.11588/vuf.2018.0.79853. Padgett, Emergence.
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und gingen bankrott. Dies bedeutet für ein von Partnerschaften getragenes Geschäftsumfeld einen Rückgang der Möglichkeiten der Kontakte und eine Konzentration des Kapitals, bis infolge des Bankrotts der beiden florentinischen Gesellschaften der Bardi und Peruzzi im Jahr 1342 eine umfassendere Rekomposition der florentinischen Gesellschaften erfolgte.37 Indem der französische Hof auf die Drohungen Bonifatius’ VIII. mit dem Ausfuhrverbot reagierte, erwies er die Abhängigkeit der Apostolischen Kammer und der Kurie von Geldern des französischen Klerus zu einem Zeitpunkt, als der Papst nicht nur den offenen Konflikt mit dem französischen König und den Colonna-Kardinälen gesucht hatte, sondern der Vertrag von Anagni sich als weniger beständig erwies als von den Vertragspartnern intendiert. Der Vertrag hatte die Ansprüche Friedrichs von Aragón, Bruder Jakobs II., auf die Nachfolge im Königreich Sizilien übergangen, die ihm aufgrund der Verfügungen des gemeinsamen Bruders von Jakob und Friedrich, König Alfons’ III. von Aragón (1285–1291), zugestanden hätten.38 Nach dem Vertragsabschluss von Anagni blieb er als Statthalter und Generalvikar auf der Insel und wurde am 15. Januar 1296 vom Parlamentum von Cantania zum König ausgerufen und zwei Monate später in Palermo gekrönt. Als Friedrich III. (II.) (1296–1337) aus dem Haus Barcelona stellte er sich in die staufische Tradition, obwohl er in der Zählung der sizilianischen Könige erst der Zweite dieses Namens war. Gegen den neuen Friedrich von Sizilien formierte sich eine Allianz der Vertragspartner von Anagni, der auch Papst Bonifatius VIII. nicht fernbleiben konnte, was Auswirkungen auf die Finanzsituation des Papstes hatte. In dieser Situation legte er zunächst die Konflikte mit dem französischen König und den Colonna-Kardinälen bei. Dann wurde Benedetto Caetani als Privatperson, nicht als Papst Bonifatius VIII., als Vermittler des Konflikts zwischen dem französischen König und der Allianz des englischen Königs mit dem Grafen von Flandern auftreten, der im Jahr 1297 in seine zweite Runde ging. Auch der englische König erhöhte den Druck gegenüber dem französischen König. Erstens hatte er einen Aufstand in Schottland niedergeworfen und zweitens konnte er indirekt auf die Situation auf den Kontinent einwirken. Für die anstehende zweite Runde wurden sowohl diplomatische und militärische wie auch finanzielle Mittel genutzt, wodurch auch die Ressourcen des französischen Hofs signifikant angegriffen werden sollten. Mag der Beginn des Konflikts am Hof bewusst gesucht worden sein, konnte die folgende finanzielle Belastung nicht vorhersehbar gewesen sein. Während der französische Hof die Reserven für die große Politik genutzt hatte, konnte Eduard I. seine Situation konsolidieren und in ein englisch-flämisches Bündnis gegen französische Könige investieren. Der Grund hierfür lag in der Bedeutung Flanderns für England, 37 Padgett, Emergence, S. 144–145. 38 Salvatore Fodale: Art. Friedrich III. (II.) v. Aragón, Kg. v. Sizilien, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 4, 1999, Sp. 944–945; Clifford R. Backman: The Decline and Fall of Medieval Sicily: Politics, religion, and economy in the reign of Frederick III, 1296–1337, Cambridge 1995.
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das am Ende des 13. Jahrhunderts zu mehr als 90 % sein Silber von außerhalb bezog. Das Metall kam nach England dank einer günstigen Handelsbilanz mit dem Rheinland, Holland, Brabant und Flandern, wo die Textilindustrie begann, englische Wolle massiv zu beziehen. Diese Handelsverbindung zwischen England und Flandern wurde bis zum Ende des Mittelalters mit einigen Ausnahmen zur Konstante in den anglo-flämischen Beziehungen.39 Gestärkt wurde der Handel durch einen Konsens zwischen dem König und den englischen Baronen, der darin bestand, basierend auf dem Pfund Sterling wertstarke englische Silbermünzen (Penny) zu prägen und die Kosten dafür durch hohe Steuern umzulegen. Dies hatte den doppelten Effekt einer starken und stabilen Währung, die einerseits den Adel als Rentenbezieher und andererseits den Handel und den Zustrom von Silber nach England begünstigte. Diese Situation wurde jedoch seit den 1280er Jahren dadurch beeinflusst, dass auf dem Kontinent die englischen Silbermünzen imitiert wurden, die aber nicht denselben Wert besaßen. Diese in Brabant und in Flandern geprägten Münzen kamen nach England, da für die gleiche Menge Silber mehr Münzen bei Münzstätten in Brabant oder Flandern gekauft werden konnten (Greshamsches Gesetz). Auf diese Weise floss immer weniger Metall zu den englischen Münzstätten und gleichzeitig begannen die Silberpreise auf dem Kontinent zu fluktuieren, was auch Auswirkungen auf die französischen Münzstätten haben sollte.40 Im gleichen Bereich, mit dem England auch ökonomisch am stärksten vernetzt war, versuchte Eduard I. mithilfe der Ressourcen Englands ab 1294 eine Allianz aufzubauen. Insgesamt gab der König die durch Steuern finanzierte kolossale Summe von 750.000 Pfund aus, die zwischen 3/4 und 2/3 der damals vorhandenen Geldmenge in England entsprach. Von dieser Summe nutzte Eduard 550.000 Pfund, um ein Bündnis mit dem römisch-deutschen König Adolf von Nassau (1292–1298), dem Erzbischof von Köln, dem Herzog von Brabant, dem Grafen von Holland, dem Grafen von Flandern, dem Grafen von Bar und der Adelsliga der Freigrafschaft Burgund zu schließen.41 In der Summe machten die Zahlungen an die Verbündeten fast die Hälfte der in England im Umlauf befindlichen Münzen aus. Dieser massive Abfluss an Münzen und der dadurch hervorgerufene plötzliche Mangel an Zahlungsmitteln in England führte zu lokalen Aufständen gegen Eduard I.42 Dank der baldigen Wiederherstellung des Handels mit Flandern infolge eines Waffenstillstands mit dem König von Frankreich
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John L. Bolton: Money in the Medieval English Economy: 973–1489, Manchester 2012 (Manchester Medieval Studies), S. 141–152; Hendrik Mäkeler: Nicolas Oresme und Gabriel Biel: Zur Geldtheorie im späten Mittelalter, in: Scripta Mercaturae. Zeitschrift für Wirtschafts- und Sozialgeschichte 37 (2003), S. 56–94, online unter http://www.hendrik.maekeler.eu/nicolas-oresmeund-gabriel-biel/ (31.08.2022). Bolton, Money, S. 160. Ebd., S. 159–161; Peter Spufford: Money and its Use in Medieval Europe, Cambridge 1988, S. 162. Bolton, Money, S. 159–160.
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im Jahr 1297 konnte der Geldumlauf in England wiederhergestellt und Eduard I. wieder Herr der innenpolitischen Lage werden.43 Das Angebot der Allianz, aber auch die wirtschaftlichen Verflechtungen mit England, motivierten Guido von Flandern dazu, sich dem französischen Lehnsherrn zu verweigern. Schon 1294 hatte Philipp IV. dem Grafen nicht gestattet, einen Vertrag mit dem englischen König zu schließen, der eine Heirat der Tochter des Grafen mit dem englischen Prinzen vorsah. Gleichzeitig machte der französische König dem Grafen aber Konzessionen, die seine Position stärkten. Hinter dessen Rücken suchte der König aber den Ausgleich mit den Fernhandelskaufleuten in den flandrischen Städten, womit der Graf auf doppelte Weise düpiert wurde.44 Dieser antwortete darauf, indem er in die Stadt Valenciennes im Hennegau einzog, die sich in Konflikt mit ihrem Grafen Johann II., einem Verbündeten des französischen Königs, befand, und ließ als Repressalien gegen Philipp IV. Händler aus Schottland gefangen setzen, das ein Verbündeter des französischen Königs war. Als Gegenreaktion stellte Philipp IV. die vier großen Städte Brügge, Lille, Ypern und Douai unter königlichen Schutz und zitierte den Grafen vor das königliche Gericht, wo er Ende August 1296 erschien und sich dem König unterwarf.45 Für Guido von Flandern bestand weiterhin die Aussicht auf die Allianz mit Eduard I., der noch 1296 einen Gesandten zum Grafen schickte, der nicht etwa die bisherigen englischen Zahlungen einforderte, sondern weitere Unterstützung zusagte.46 Auch der römisch-deutsche König Adolf von Nassau erhielt möglicherweise nochmals englische Unterstützungszahlungen, nachdem er zuvor schon vom englischen wie französischen König im Jahr 1294 und 1295 Gelder empfangen hatte.47 Der römisch-deutsche König hatte die finanziellen Mittel bereits genutzt, um seine Hausmacht durch den
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Bolton, Money, S. 160–161. Favier, Philippe le Bel, S. 216–217. Ebd., S. 218–219. Ebd., S. 218–219. Ebd., S. 303–305; Michael Menzel: Die Zeit der Entwürfe (1273–1314), Stuttgart 2012 (Gebhardt Handbuch der Deutschen Geschichte, 7a), S. 113–117. Gegen die sogenannte Bestechungsthese haben sich die Anhänger der Vorstellung einer expansiven Politik Philipps IV. vehement ausgesprochen. Adolf von Nassau sei erstens wegen der Anstrengungen einiger Reichsfürsten verhindert gewesen. Zweitens hätten einige mittel- und niederrheinische Adlige an den Kämpfen teilgenommen. Drittens vermuten sie im „Bestochenen“ nicht Adolf von Nassau, sondern bereits dessen Nachfolger Albrecht von Habsburg; vgl. Vincenz Samanek: Der angebliche Verrat Adolfs von Nassau, in: Historische Vierteljahreschrift 29 (1935), S. 302–341 und Fritz Trautz: Studien zur Geschichte und Würdigung König Adolfs von Nassau, in: Geschichtliche Landeskunde, 2, 1965, S. 1–45, hier S. 25–26. Demgegenüber Favier, Philippe le Bel, S. 303–305; Boutaric, France, S. 393–394; Edgard Boutaric: Notices et extraits des documents inédits relatifs à l’histoire de France sous Philippe le Bel, in: Notices et extraits des manuscrits de la Bibliothèque Nationale et autres bibliothèques 20,2 (1862), S. 83–257, Nr. VII, S. 123–129; Frantz Funck-Brentano: Document pour servir à l’histoire des relations de la France avec l’Angleterre et l’Allemagne, in: Revue Historique 39 (1889), S. 326–348.
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Kauf der Markgrafschaft Meißen und die Landgrafschaft Thüringen zu vergrößern. Gleichzeitig wurde er vom Papst aufgefordert, den Frieden zu wahren, und war mit seiner eigenen Haus- und Königsmachtpolitik im Reich beschäftigt, um den Grafen von Flandern aktiv zu unterstützen. Lediglich die lokalen Parteien im Grenzgebiet ließ er agieren. In die neuerliche Allianz mit Eduard I. willigte Guido von Flandern ein, da sie eine gewisse Autonomie gegenüber dem französischen König und ein Bündnis mit den Fernhandelskaufleuten versprach, die mit der Aussicht auf den englischen Handel zur Umkehr von den Versprechungen mit dem französischen König bewegt werden sollten.48 Schließlich hatten auch der Graf von Holland und der Graf von Bar einer Allianz zugestimmt. Für die Abkehr seines Eides gegenüber dem französischen König folgte für den Grafen von Flandern diesmal die Anklage der Felonie, welche die Konfiskation seines Lehns durch den französischen König bedeuten konnte. Am Ende des Verfahrens im Februar 1297 stand jedoch kein Urteil, da nach mehreren diplomatischen Kniffen von beiden Seiten die Kammer der Pairs von Frankreich (pairs de France) als Gerichtsbarkeit für die mächtigsten der königlichen Vasallen erklärten, dass sie niemanden verurteilen könnten, der nicht mehr Graf sei.49 Trotz des Engagements Guidos ließ Eduard I. lange auf sich warten, da er erst am 23. August in Flandern landete.50 Zu diesem Zeitpunkt war der Krieg aber schon verloren, da die verbündeten Truppen um Guido von Flandern besiegt waren und über ihre Kapitulation verhandelten. Durch Papst Bonifatius VIII. vermittelt, wurde bald ein Waffenstillstand geschlossen, der auch England miteinbezog und am 9. Oktober 1297 eintrat. 1298 wurde er in Tournai um zwei Jahre verlängert.51 Damit hatten beide Konflikte zusammen bereits volle drei Jahre gedauert, was den üblichen Heerdienst eines Lehnsmannes von etwa sechs Wochen pro Jahr, auch wenn man ihn auf die Dauer und Räume der Konflikte verteilte, deutlich überstieg. Für eine Verlängerung des Dienstes hatte der Lehnsmann Anspruch auf Kostenerstattung, dem es aber freistand, den Dienst zu verlängern. Zusätzlich mussten eine militärische Besatzung und ein Statthalter in Flandern eingerichtet werden, um den militärischen Erfolg zu sichern. Auch hatte eine Flotte im Ärmelkanal operiert. Die ursprünglichen finanziellen Reserven waren schon lange aufgebraucht. Seit 1295 mussten finanzielle Entscheidungen getroffen und Instrumente genutzt werden, da die Dauer der Konflikte die üblichen Zeitvorstellungen überholt hatte.52 Hieran wird bereits deutlich, wie es dazu kommen
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Favier, Philippe le Bel, S. 220–222. Ebd., S. 222. Ebd., S. 223–225. Ebd., S. 226–234. Mit „Les choix financiers“ betitelte Jean Favier sein Kapitel zu den finanziellen Entscheidungen, die am Hof ab 1295 getroffen wurden; Favier, Philippe le Bel, S. 170–205. Siehe auch Hélary, L’armée, S. 220–230.
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konnte, dass die königliche Finanzverwaltung während der Regierung Philipps IV. überfordert wurde. Während und nach Ablauf des Waffenstillstandes konnte die Lage in Flandern allerdings nicht befriedigt werden. Gründe hierfür waren erstens die Inhaftierung von Guido von Flandern in Compiègene und seines ältesten Sohns Robert von Béthune in Bourges durch Karl von Valois entgegen eines vorherigen Ehrenwortes auf ein freies Geleit im Jahr 1300, zweitens das Regiment des königlichen Statthalters in Flandern und drittens die rigide Finanzpolitik in Flandern. Zunächst gegen den städtischen Rat und die Tuchhändler in Brügge, dann gegen den französischen Statthalter Jacques de Châtillon gerieten die Handwerker in Aufruhr.53 Der Aufstand ergriff alle flämischen Städte, die sich hinter Johann I. von Namur und Guido von Namur, zwei jüngeren Söhnen Graf Guidos von Flandern, sammelten. Philipp IV. reagierte darauf mit der Entsendung eines Heeres unter Robert von Artois, dessen Niederlage in der sogenannten Sporenschlacht vom 11. Juli 1302 gegen ein Bürgerheer Frankreich in eine tiefe innenpolitische und finanzielle Krise stürzte. Gleichzeitig hatte sich das Verhältnis zwischen Philipp IV. und Bonifatius VIII. erneut verschlechtert, nachdem die zweite Phase nach 1297 durch Annäherung und Kooperation geprägt war. Die Heiligsprechung Ludwigs IX. am 11. August 1297 durch Bonifatius war wahrscheinlich als eine Geste des Ausgleichs gedacht, da sie für das französische Königtum eine spirituelle Erhöhung bedeutete. Durch die Ausrufung des ersten Heiligen Jahres (1300) konnte Bonifatius gleichzeitig sein Ansehen in der Christenheit steigern. Zum neuen Problemfall wurde die Wahrung einer weiteren kirchlichen Freiheit in Frankreich, nämlich die gerichtliche Privilegierung des Klerus. Am Fall des Bischofs von Pamiers, Bernard Saisset, entzündete sich ein Konflikt, in dem keine der beiden Parteien auf Konsens und Vernunft bedacht war. Statt auf Diplomatie setzte der Papst auf pastorale Gesten und untermauerte den Anspruch des Papstes auf die Spitzenstellung in der kirchlichen Hierarchie und damit auch seine Hoheit in geistlichen und weltlichen Angelegenheiten.54 Der König fand Unterstützung durch die Gelehrten der Pariser Universität und die Juristen an seinem Hof, welche die päpstlichen Bullen durch Kurzfassungen propagandistisch verwerteten, wofür eine Versammlung anberaumt wurde (10. April 1302), die das „Volk“ repräsentieren sollte, ohne eine neue Form von Repräsentation (Etats généraux) begründen zu sollen. Während beide Seiten die höchste Form der Eskalation (Bannung und Lösung aller Treueide auf der einen Seite; Häresieprozess auf der anderen Seite) vorbereiteten, scheint vor dem Hintergrund der kurz bevorstehenden Veröffentlichung der faktischen Absetzungserklärung gegen den König durch den Papst am 7. September 1303 eine französische Delegation um Guillaume de Nogaret in Anagni erschienen zu sein, um deren Publikation zu ver53 54
Favier, Philippe le Bel, S. 234–249. Im Folgenden Favier, Philippe le Bel, S. 343–393; Miethke, Philipp IV., S. 200–206; Paravicini Bagliani: Boniface VIII.
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hindern. Gleichzeitig traf eine Truppe um Giacomo Colonna, genannt Sciarra, ein, der aus Gründen der familiären Ehre Rache am Papst nehmen wollte, was von den Bewohnern Anagnis verhindert wurde. Der Papst wurde nach Rom zurückgeführt; ein Transport nach Lyon vor ein allgemeines Konzil stand als Drohkulisse im Raum. Von französischer Seite aus bestand weiterhin der Plan, ein Konzil einzuberufen, um über die Nachfolge zu verhandeln, doch starb Bonifatius zurückgezogen am 11. Oktober 1303 kurze Zeit nach seiner Rückkehr nach Rom. In einem Epilog des Konflikts wurde in Anknüpfung an das Vorhaben eines Häresieprozesses gegen Bonifatius VIII. ein Verfahren gegen dessen Andenken als Druckmittel gegenüber Papst Clemens V. (1305–1314) verwendet, um es gegen das päpstliche Einverständnis im Prozess gegen den Templerorden, den der französische Hof seit der Festsetzung der Templer am 13. Oktober 1307 anstrebte, einzutauschen. Ein späteres Offizialverfahren gegen das Andenken Bonifatius’ blieb ergebnislos.55 In Flandern bekamen der französische König und Adel unterdessen ihre Revanche in der Schlacht von Mons-en-Pévèle (18. August 1304). Nach langwierigen Verhandlungen wurde im Juni 1305 in Athis-sur-Orge ein Frieden gefunden. Jedoch wurde das südliche Flandern mit Lille, Ypern und Douai dem französischen König übergeben (transport de Flandre) und von der Grafschaft ein sehr hohes Lösegeld für den freigelassenen Erben Robert III. von Flandern gefordert, der dem endgültigen Friedensvertrag im Jahr 1309 zustimmte, Vasallentreue gelobte und die finanziellen Verpflichtungen akzeptierte. Die folgende Friedenszeit dauerte bis zum Jahr 1312.56 Eingebunden in ein System lehnsrechtlicher Prinzipien strukturierten sie die dargestellten Konflikte um Rang, Macht und Ehre, die weit über den Rahmen des Königreichs Frankreich hinausgingen und West- und Südeuropa einschlossen, und wurden zugleich von den Akteuren gekonnt zu ihrem Vorteil genutzt. Gleichzeitig beschränkten die Prinzipien die militärischen Mittel (Heeresdienst, Ritterheer) und ihre Anwendung und ermöglichten die Einhegung der Gewalt und die Friedensvermittlung – im vorliegenden Fall sogar durch die höchste geistliche Autorität. Die Konflikte waren aber nicht allein um diese Prinzipien herum strukturiert. Nicht erst in den Vertragsabschlüssen oder Lösegeldforderungen trat eine ökonomische und finanzielle Kompo-
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Zum Verfahren gegen Bonifatius VIII. siehe Tilman Schmidt: Der Bonifaz-Prozeß: Verfahren der Papstanklage in der Zeit Bonifaz’ VIII. und Clemens’ V., Köln, Wien 1989 (Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht, 19). Zum Templerprozess siehe Malcom Barber: The Trial oft he Templars, Cambridge 1978; Barbara Frale: Il Papato e il processo au Templari: L’inedita assoluzione di Chinon alla luce della diplomatica pontificia, Rom 2003; William J. Courtenay, Karl Ubl (Hgg.): Gelehrte Gutachten und königliche Politik im Templerprozeß, Hannover 2010 (Monumenta Germaniae Historicia. Studien und Texte, 51); Alain Demurger: La persécution des templiers. Journal (1305–1314), Paris 2015. Ebd. Der Vertrag von Athis-sur-Orge bildete den Rahmen für immer neue Anpassungen, die von beiden Seiten angebracht wurden; vgl. Ebd., S. 480–497.
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nente in den Konflikten hervor.57 Schnell gelangte die Grafschaft Flandern in den Mittelpunkt der Verhandlungen, während die Besetzung der Guyenne durch die Dauer der Konflikte zwar ein nicht weniger kostspieliges Unternehmen für den französischen Hof darstellte, das sich aber durch die übliche begrenzte Konfliktführung auszeichnete. In Flandern stellte sich die Situation durch die Städtelandschaft, die wirtschaftlichen Verflechtungen mit England und die Nähe weiterer Fürstenhäuser grundlegend komplexer dar. Mehr als einmal richtete der englische König seine Politik neu aus, um ein Bündnis mit Flandern zu schließen, das der Hauptabnehmer und Verarbeiter englischer Wolle war. Die Ereignisse zeigen, dass Allianzen aus ökonomischen Interessen geschlossen und finanzielle Mittel zur Anbahnung und Unterhaltung eingesetzt wurden. Insofern ist hier eine Monetarisierung der Interaktion von Königen und Fürsten zu beobachten: Allianzen und Freunde können gekauft werden. Wenn aber nicht nur das Waffen- und Gewaltpotenzial und das Spiel mit den lehnsrechtlichen Prinzipien zählt, stellt sich die Frage nach den materiellen Voraussetzungen der Konfliktführung. B. Finanzielle Verflechtungen als Forschungsthema Die dargestellte Entwicklung der herrschaftlichen Strukturen Westeuropas wird getragen von einer Phase des wirtschaftlichen Wachstums und des zunehmenden Wohlstands zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert.58 Zwischen der Wirtschaft und der Herrschaft kann in der Weise eine Parallele gezogen werden, dass der zunehmende Wohlstand die Herausbildung einer „oberen Etage“ favorisierte – der Kaufmann-Bankiers auf der einen Seite und der Könige und Fürsten auf der anderen Seite –, die erhebliche Ressourcen akkumulieren konnte, was die jeweiligen Ungleichheiten förderte.59 Diese Parallele ist nicht zufällig, sondern der besonderen Nähe zwischen den Kaufmann-Bankiers und den politisch Mächtigen geschuldet, welche die auffällige Dynamik erklärt. Dieses Verhältnis der Nähe war zudem international, was auf die Beweglichkeit von Personen und Geld zurückzuführen ist. Finanzgeschichte als Verflechtungsgeschichte erscheint als neuer Ansatz, weil der Blick zu lange auf die Entstehung des „Steuerstaats“ als „nationale“ Entwicklung gerichtet war. Im Vergleich zu Beziehungsgeflechten kultureller oder religiöser Gemeinschaften, die erst jüngst vermehrt in den Fokus der Forschung gerückt sind, wurden 57
So schon im Vertrag von Paris (1259) zu beobachten. Der Beginn einer Monetarisierung von Politik wird mindestens auf das 12. Jahrhundert verlegt werden klönnen, siehe Andreas Büttner: Nervus rerum und Wurzel allen Übels: Die Rolle des Geldes in den Beziehungen der Päpste zu Friedrich II., in: Maleczek (Hg.), Römische Kurie, S. 451–494; Ders., Geld. 58 Hans-Jörg Gilomen: Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters, München 2014, S. 63–96; Cassard, L’âge d’or capétien, 235–280. 59 Jean-Marie Moeglin, Stéphane Péquignot: Diplomatie et „relations internationales“ au Moyen Âge (IXe–XVe siècle), Paris 2017 (Nouvelle Clio), S. 32.
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Fernhandelsbeziehungen schon immer als Form großräumiger Integration und Desintegration betrachtet, doch blieb ihre Betrachtung meist auf den merkantilen Bereich beschränkt.60 Das Verhältnis von Herrschaft und Finanz ist aber durch und durch dynamisch und lässt sich für die westeuropäischen Monarchien anhand von Teilgeschichten von gleicher zeitlicher Länge darstellen, die sowohl durch politisch-militärische Ereignisse als auch durch finanzielle Verflechtungen miteinander verbunden sind.61 Das Wechselspiel zwischen Herrschaft und Finanz kann als langsam kontinuierlicher Prozess beschrieben werden, der einerseits durch den Rückgang der lehnsrechtlich organisierten Aufgebote und andererseits durch den zunehmenden Einsatz von Söldnern – ganz abgesehen von der maritimen Komponente – beschleunigt wurde. Der Wandel begann in Frankreich und England bereits unter Ludwig IX. und Eduard I. und beschleunigte sich durch den neuerlichen französisch-englischen Konflikt am Ende des 13. Jahrhunderts und zu Beginn des 14. Jahrhunderts. Angesichts dieses enormen Finanzbedarfs hatten die westeuropäischen Königreiche zwei Möglichkeiten: entweder ihre bestehenden Steuersysteme besser auszunutzen oder grundlegend neue Einnahmequellen zu entwickeln. Das Ergebnis war in der Regel ein Kompromiss zwischen diesen beiden Möglichkeiten, wobei Steuerreformen und administrative Rationalisierung meist in Friedenszeiten durchgeführt wurden. So wurden in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts häufig ebenso viele Anstrengungen in die Wiederbelebung und Ausweitung traditioneller Einnahmen wie in die Entwicklung neuer Einkünfte gesteckt. Weniger in der Forschung beachtet wurde, dass zwar der Krieg ein dominierender Faktor für radikale fiskalische Veränderungen war, aber manchmal eben auch die Schaffung von Frieden eine kostspielige Aufgabe sein konnte. Die internationale Diplomatie war im Spätmittelalter in Form von Allianzen und der Zahlung von Subventionen eine fiskalisch sehr aufwendige Angelegenheit.62 Dazu kommen der Unterhalt des königlichen Hofes (hôtel du roi), der in seiner personellen Größe immer weiter anwächst, und die ausgegebenen Geldern für Kleider, Renten, Geschenke, Feier, Bankette und Luxusgegenstände. Es gehört sicherlich zu den Besonderheiten, dass die Hofgesellschaft ihre soziale Kraft gerade aus diesen Ausgaben zog.63 Dieser Aspekt wird im Folgenden als Pluralität von Transaktionen diskutiert.
60 Jürgen Osterhammel, Niels P. Petersson: Geschichte der Globalisierung: Dimensionen, Prozesse, Epochen, München 20125, S. 27–30. 61 Siehe oben Anm. 2. 62 Siehe nochmals Moeglin/Péquignot, Diplomatie und aus fiskalischer Perspektive W. M. Ormrod: The west European monarchies in the later Middle Ages, in: Richard Bonnet (Hg.): Economic Systems and State Finance, Oxford 1995 (The origins of the modern state in Europe), S. 123–160. 63 Norbert Elias: Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Zweiter Band, Wandlungen der Gesellschaft. Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation, 20., neu durchges. und erw. Aufl., Frankfurt am Main 1997, Erster Teil: Mechanismen der
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Die ersten Anzeichen einer wirklichen Veränderung in den Finanzstrukturen der westlichen Monarchien waren zunächst die Zunahme der Kreditaufnahme und dann die Einnahmen aus der Münzprägung. Vor dem Ende des 13. Jahrhunderts war sowohl in England als auch in Frankreich die Kreditaufnahme durch Könige relativ gering. Sie basierten größtenteils auf Geschäften mit einzelnen christlichen und jüdischen Geldleihern, und erst in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts begannen die italienischen Kaufmann-Bankiers, sich in London oder Paris zu etablieren. Der ausschlaggebende Faktor für die geringen Geschäftskontakte war der mangelnde Bedarf an Krediten, die über kurzfristige Einzelgeschäfte hinausgingen. Erst ab dem Ende des 13. Jahrhunderts und dann in Abhängigkeit von der Dauer von Kriegshandlungen nahm auch die Kreditaufnahme zu. Im Zuge des zusätzlichen Bedarfs vollzog sich ein weiterer Wandel, als sich die Königshöfe in England und Frankreich zunehmend an ihre eigenen wohlhabenden Untertanen – Prälaten, Adlige und Kaufleute – mit der Bitte um Darlehen wandten. Die meisten dieser Darlehen waren freiwillig, und die Kreditgeber wurden aus einer Mischung aus persönlicher Loyalität zum König und Gewährung individueller Freiheiten zur Kooperation veranlasst. Zwangsdarlehen waren deutlich umstrittener. Größere und verlässlichere Geldquellen waren indirekte oder direkte Abgaben von weltlichen und geistlichen Gemeinschaften. Ein anderes Anzeichen für einen Wandel in den Finanzstrukturen sind die Einnahmen aus der Münzprägung, die zunächst zu den ordentlichen Einnahmen eines jeden Münzherren gehörten. In England blieben die Gewinne aus der Münzprägung auf einem niedrigen Niveau und können als Teil der ordentlichen Einnahmen angesehen werden.64 Demgegenüber wurde der Zoll auf englische Wolle in einem Ausmaß von den englischen Königen ausgenutzt, womit er zu der Form der außerordentlichen Einnahmen der englischen Krone par excellence wurde. Für das Königreich Frankreich ist das Verhältnis umgekehrt. Ab dem Ende des 13. Jahrhunderts wurden die Gewinne aus der Münzprägung (seigniorage) für die Phasen außerordentlicher finanzieller Belastung eine wichtige und oft umstrittene Form der Einnahme, die schon von den Zeitgenossen als eine Form der Besteuerung angesehen wurde und daher in den folgenden Erörterungen als außerordentliche Einnahme kategorisiert wird. Für die Beurteilung des Wandels in den Finanzstrukturen sollen im Folgenden die drei Charakteristika – Kaufmann-Bankiers, Geldmenge und Pluralität von Transaktionen – im historischen Kontext eingeordnet und dabei das der Untersuchung zugrundeliegende methodische Verständnis vorgestellt werden.
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Feudalisierung, S. 23–131; und in neuer französischer Übersetzung mit einem Vorwort von Étienne Anheim; Ders., Étienne Anheim, Anne-Marie Pailhès: Moyen Âge et procès de civilisation, Paris, 2021. Diese Vergleichsperspektive wurde bereits gezogen von Ormrod, Monarchies, S. 136–138.
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1. Veränderungsprozesse im Handel Ab dem späten 11. Jahrhundert steht die ländliche Wirtschaft unter dem Eindruck der stetig steigenden Nachfrage der Grundherren und der Städte, was zunächst die Ausbreitung bestimmter Kulturen (Weinbau) und Getreidesorten (Hafer, Weizen) auf Kosten der traditionellen Mischkultur für den Lebensunterhalt begünstigte.65 Ferner investierten die Grundherren, vor allem kirchliche, auch in die Viehzucht, wiederum um die städtischen Märkte zu bedienen. Dies betraf einerseits den Fleischkonsum und andererseits die Rohstoffe für die Leder- und Textilindustrie, für die zunehmend große Schafherden gehalten wurden, deren Wolle für die Textilindustrie bestimmt war, die sich ab dem Ende des 11. Jahrhunderts zunehmend in den Städten konzentrierte. Die flämischen und englischen Abteien nutzten immer weitere Flächen, die teils erst dem Meer abgerungen wurden, für ihre riesigen Schafherden. Im Umkreis der großen Abteien in Nordwesteuropa, aber auch in den ländlichen Gebieten im Süden Frankreichs nahm die Zahl der Märkte zu, wo die kirchlichen und weltlichen Grundherren ihre großen Überschüsse absetzten, was die landwirtschaftliche Produktion weiter dynamisierte. Die Entwicklung dieser Märkte beschleunigte die Monetarisierung der Grundherrschaften, wobei die Ausbreitung der Geldwirtschaft je nach Dichte des Marktnetzes und der Bedeutung des städtischen Gefüges sehr ungleichmäßig ausgeprägt war. Im Allgemeinen betrifft sie eher die Räume, die den Städten am nächsten liegen oder am besten mit ihnen verbunden sind. Zur weiteren Dynamisierung der Produktion, aber auch zur Diversifizierung der grundherrschaftlichen Gesellschaft hat die Verbreitung von Krediten und damit die Verschuldung beigetragen.66 Die Gewinne aus der landwirtschaftlichen Produktion und den Einnahmen der Märkte scheinen vor allem die kirchlichen Herren derart bereichert zu haben, dass sie als erste Gläubiger ab dem Ende des 11. Jahrhunderts auftraten, die regelmäßig Darlehen an weltliche Herren verliehen, die zum Beispiel anlässlich von Kreuzzügen oder Wallfahrten Gelder aufnahmen. In diesem Bereich trat der Templerorden in Westeuropa ab dem 12. Jahrhundert prominent auf. In den Städten und in den ländlichen Gebieten stand die Kreditaufnahme in Zusammenhang mit der Investition in die Produktion, der Entwicklung von Märkten in ländlichen Gebieten
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Für den Raum Frankreichs mit dem Königreich und den selbstständigen französischen Herrschaften siehe die aktuelle Einführung in die französische Geschichte des Hochmittelalters Florian Mazel: 888–1180. Féodalités, Paris 2014 (Histoire de France), S. 387–403 und S. 493–516. Für den deutschsprachigen Bereich siehe Gilomen, Wirtschaftsgeschichte, S. 59–68; Sebastian Steinbach: Einführung in die Wirtschaftsgeschichte. Band 3: Mittelalter, Stuttgart 2021, S. 57–99 und mit einem umfassenden Blick von Bagdad bis zur Nordsee Thomas Ertl: Bauern und Banker. Wirtschaft im Mittelalter, Darmstadt 2021, S. 57–90. Einige Beispiele für den Geldverleih im 12. Jahrhundert unterschiedlicher Akteure; Mazel, Féodalités, S. 401–403; Gilomen, Wirtschaftsgeschichte, S. 83–84; Ertl, Bauern und Banker, S. 76– 85.
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und der Verbreitung bestimmter teurer technischer Neuerungen, wie den Einsatz von Pferden beim Pflügen und Eggen. Zwar war die Zinsvergabe von der Kirche unter dem Begriff „Wucher“ theoretisch verboten, was von ökumenischen Konzilien und Provinzialkonzilien im Laufe des 12. und 13. Jahrhunderts immer wieder verurteilt wurde.67 Dennoch verbreitete sich die Zinsleihe in Form von Pfandleihgeschäften und vor allem in Form der Mortgage (aus französisch mort-gage), in der der Kreditnehmer auf die Einkünfte aus einem Eigentum für einen bestimmten Zeitraum im Gegenzug für das Darlehen eines Geldbetrags verzichtete, wobei die Einkünfte aus dem verpfändeten Vermögen sowohl die Rückzahlung als auch die Zinsen abdeckten.68 Eine andere Kredittechnik entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in Form der Rente, die es ermöglichte, eine Geldsumme im Tausch für die Bildung einer ewigen jährlichen Rente auf der Grundlage eines Eigentums zu erwerben. Die Vergabe von Darlehen an ihren Herrn wurde dann ab dem 12. Jahrhunderts auch von Klerikern, städtischen Adligen und Ministerialen, die sich im Transfer von Kirchenzehnten, im Handel oder anderen Geschäften bereichert hatten. Kredit war schließlich ein Tätigkeitsfeld jüdischer Geldgeber in den Städten und in den ländlichen Gebieten, wobei sich die weltlichen Herrscher während des 12. und 13. Jahrhunderts phasenweise vor allem gegen den jüdischen Darlehenskredit wandten. Die wirtschaftliche Entwicklung favorisiert den Aufstieg neuer Berufsgruppen im 12. Jahrhundert: Geldwechsler und Händler.69 Das Auftauchen von Geldwechslern in der kirchlichen und weltlichen Überlieferung ist ein guter Indikator für das Überschreiten eines bestimmten Handelsniveaus derjenigen Städte und Orte, für die die Tätigkeit dieser Berufsgruppen belegt ist. Die meisten Münzen stammten aus grundherrlichen oder bischöflichen Münzstätten, deren Verbreitungsgebiet lokal begrenzt blieb. Diese monetäre Fragmentierung wurde durch das regelmäßige Auftauchen neuer Münzen noch verstärkt.70 Jedoch erreichten im Verlauf des 12. Jahrhunderts im Raum zwischen Pyrenäen und Ärmelkanal einige Münzen (denier esterlin, tournois, parisis oder viennois), die von mächtigeren Herrschern in größeren Mengen geprägt wurden, interregionale Bedeutung, was die Einrichtung von Äquivalenzsystemen und die Entwicklung von Wechselgeschäften erforderlich machte, die von Spezialisten durchgeführt wurden. Ab einem bestimmten Geschäftsniveau wurden die Tätigkeiten des Geldwechsels und des Warenhandels, zu denen bald auch der Kredithandel hinzukam, von denselben Personen gleichzeitig ausgeübt, auch wenn diese oft eine Tätigkeit bevorzugten. Der wirtschaftliche Horizont dieser Tätigkeiten blieb in der Regel lokal. Nur eine Minderheit der Händler betrieb landesweite oder regionale Geschäfte
67 Mazel, Féodalités, S. 401–403; Gilomen, Wirtschaftsgeschichte, S. 93–96. 68 Mazel, Féodalités, S. 514–516; Gilomen, Wirtschaftsgeschichte, S. 83–84. 69 Zur Spannbreite der Warenwelten des Mittelalters und der Diversität der Gruppe der Händler siehe Ertl, Bauern und Banker, S. 199–225. 70 Mazel, Féodalités, S. 511–514; Spufford, Money, S. 187–208.
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und nur eine Handvoll war am überregionalen oder internationalen Handel beteiligt. Letzterer wurde mit der Ankunft der ersten italienischen Kaufleute in Nord- und Ostfrankreich in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts nochmals dynamisiert und durch die Maßnahmen (Geleit, Gericht und Münzprägung) der Grafen der Champagne zugunsten der Entwicklung der Champagnemessen unterstützt.71 Dafür forderten die Grafen Abgaben auf die Nutzung des Geleits und den Verkauf von Waren, wodurch sie zugleich ihren Herrschaftsanspruch nach innen gegen Fehdehandlungen auf lokaler Ebene verdichteten und einen Teil der Früchte der wirtschaftlichen Aktivitäten abzugreifen wussten. Andere zeitgenössische Beispiele für die Verbindung von politischen Ansprüchen und wirtschaftlichen Vorteilen sind die Grafen von Flandern oder von Toulouse.72 Auf dieser Ebene des Handels waren die fahrenden Händler und Handelsgesellschaften tätig, wobei Letztere sich durch zwei Kriterien auszeichneten: die Nutzung eines Netzwerks von Faktoren am Handelsort und das Eingehen von Termingeschäften sowohl beim Kauf von Waren (die Erfüllung des Vertrags wird über bestimmte Zeit verschoben, um günstige Preise herunterzuhandeln, bevor der Restbetrag beglichen wird) als auch beim Verkauf (Verbraucherkredite zu hohen Zinssätzen).73 Als Unternehmer investierten und reinvestierten sie ihr Kapital aus dem Handel, aus dem Gewinn des Geldgeschäfts und den Einlagen anderer in immer neue Handelsgeschäfte, in die Produktion und in Anleihen an Kommunen, aber auch an Könige sowie Landes- und Grundherrschaften, die häufig in Geldnot gerieten und Schwierigkeiten hatten, ihre Ausgaben für Kriege, Unterhalt des Hofes, Repräsentationsbedürfnisse und Investitionen in ihre Herrschaft zu finanzieren. Mit den Gesellschaften hob sich das Niveau der Finanzkraft nochmals an. Am Ende des 12. und im Verlauf des 13. Jahrhunderts traten im Königreich Frankreich Gruppen aus den Städten des Quercy (Figeac, Cahors) im Südwesten und aus dem Gebiet um Arras als wichtigste Geschäftsleute hervor.74 Während Arras ein Zentrum der nordfranzösischen Tuchproduktion war, lagen die Städte des Quercy an einer der Routen, die das Mittelmeer mit dem Atlantik verbanden, genauer gesagt Montpellier mit La Rochelle. Die Händler aus dem Quercy führten den Wein des Südwestens in die Regionen an beiden Seiten
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Gilomen, Wirtschaftsgeschichte, S. 88–90; Ertl, Bauern und Banker, S. 78–80. Zur gleichzeitigen Neubewertung der Nützlichkeit des Handels und der Kaufleute siehe einleitend Steinbach, Einführung, S. 224–237. Mazel, Féodalités, S. 548–554. Gilomen, Wirtschaftsgeschichte, S. 90–95; Jürgen Kocka: Geschichte des Kapitalismus, München 20142, S. 36–37. Cassard L’âge d’or capétien, S. 446–449. Robert-Henri Bautier: Le marchand lombard en France aux XIIIe et XIVe siècles, in: Le marchand au Moyen Âge, Nantes 1992. (Actes du XIXe Congrès de la Société des historiens médiévistes de l’Enseignement supérieur publics, Reims 1988), S. 63–80, online unter http://www.persee.fr/web/revues/home/prescript/article/shmes_ 1261-9078_1992_act_19_1_1532 (31.08.2022).
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des Ärmelkanals aus, was sie nach London führte, wo sie auch als Vermittler zwischen England und Flandern fungierten. In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts traten sie als Gläubiger Theobalds IV. der Champagne auf, transferierten Gelder, gewährten englischen Königen Kredit und pachten im Gegenzug Einnahmen der englischen Krone. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts wurde ihr Name über die Grenzen des Königreichs hinaus als Bezeichnung für Wucherer (Kawertschen) verwendet, die sich auf Pfandleihgeschäfte spezialisiert hatten. Ab 1280 traten die Geschäftsleute aus Quercy hinter den Italienern zurück, selbst im Wuchergeschäft, wo sie gelegentlich enteignet und durch „Lombarden“ ersetzt wurden.75 Bei den „Lombarden“ muss man zwischen einerseits einfachen Geldverleihern und Pfandleihern, andererseits Handels- und Finanzgesellschaften unterscheiden, die die Geldgeschäfte übernahmen, die sich aber nur bis zu einem gewissen Grad spezialisierten, da sie den Handel mit Waren nicht völlig aufgaben.76 Vor diesem Hintergrund ist es nicht möglich, sie ausschließlich als Bankiers oder Finanziers zu bezeichnen, weshalb von Kaufmann-Bankiers oder Kaufleute-Finanziers gesprochen wird. Die Übernahme der Aktivitäten der Geschäftsleute des Quercy durch italienische Gesellschaften ist einerseits symptomatisch für ein verändertes wirtschaftliches Umfeld im Südwesten aufgrund der Konflikte zwischen englischer Guyenne und französischer Krone und das Fehlen einer eigenen Produktionsbasis. Andererseits können die wachsenden finanziellen Bedürfnisse der Fürsten, die wahrscheinlich über die Ressourcen der Geschäftsleute aus dem Quercy hinausgingen, ihren Rückzug erklären. Dieses Muster von Konzentration verschiedener Geschäfte durch eine Gruppe oder eine Gesellschaft und ihr zeitiger Rückzug prägen das Verhältnis von Herrschaftsträgern und Geldgebern in Westeuropa bis weit in die Neuzeit hinein. Wie im Fall der Geschäftsleute aus dem Quercy lassen sich immer interne, auf die Gesellschaften bezogene Umstände und externe Faktoren (politische Veränderungen, militärische Auseinandersetzungen) anführen. Über den Einzelfall hinaus ist zu bedenken, dass eine Finanzierung als Beschaffung von Geld für Geld im Höchstmaß selbstreferenziell ist, da ihr Anhaltspunkte in der Umwelt fehlten. Wie Niklas Luhmann zu bedenken gibt, gäbe es zunächst für Geldgeber keine Struktur, die Reaktionen filtere und limitiere, womit eine finanzielle Beurteilung von Personen und Gesellschaften vorliege.77 Das ist mithilfe der modernen Bankenorganisation geschehen, die die Operationen des Geldmarktes fraktioniere und begrenze, womit sie dem Geldmarkt jene vorläufigen, wie immer instabilen Haltepunkte liefere, an denen Beobachtungen und Operationen
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Bautier, Le marchand lombard. So für den Bereich östlich der Maas nachgewiesen Winfried Reichert: Lombarden in der Germania-Romania: Atlas und Dokumentation, 2 Bde., Trier 2003 (Beiträge zur Landes- und Kulturgeschichte, 2). 77 Niklas Luhmann: Die Wirtschaft der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1994, S. 116–118.
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sich orientieren können. Diese Organisation ist hierarchisch, weil sie nicht zwischen Banken und Kunden besteht, sondern sie zweistufig aufgeteilt ist zwischen Zentralbank und Banken.78 Das bedeutet aber nicht, dass hieraus nicht Fluktuationen entstehen können, die wirklich zu kontrollieren sind. Dass dieser Geldmarkt in alle anderen Märkte interveniere, weil überall zur Überbrückung des Zeitabstandes von Ausgaben und Einnahmen Kapital benötigt werde, also Geldkosten anfallen, mache einen wesentlichen Grund seiner Undurchsichtigkeit aus. Der endlose Bedarf nach Geld wurde aber nicht etwa durch die Finanziers begrenzt, sondern durch das Geld selbst. Sobald das Geld infolge seiner inflationären Verbreitung den auf Besitz gründenden sozialen Status der Eliten, vor allem des auf Renteneinkünfte fixierten Adels, bedrohte, wurde interveniert, indem das Geld wieder verknappt wurde, was den charakteristischen JoJo-Effekt von Münz- und Finanzkrisen des Spätmittelalters und des 16. Jahrhunderts erklärt.79 2. Geldmenge und politischer Wandel Obgleich die Lehnsordnung oder die triadische Ordnung zwischen Priester, Ritter und Bauer immer nur imaginierte Ordnungen des europäischen Hochmittelalters sind, gibt sich das Geld als ein noch recht neues Band zu erkennen, das sowohl verbindet als auch eine antagonistische Dynamik auf die Beziehungen ausübt.80 Dort, wo das Geld verteilt wird, werden die Bindungen flüssig und es entstehen neue und komplizierte Verhältnisse, in denen das Vasallenverhältnis und eine auf Geld beruhende Rationalität parallel bestehen. Darin scheint ein Widerspruch zu bestehen, da die Konflikte um Rang, Macht und Ehre anderen Rationalitäten (traditional, wertrational) folgen als der mit dem Gebrauch des Geldes unterstellten Zweckrationalität. Dieser Widerspruch besteht allerdings nur, solange der Gebrauch des Geldes allein dem ökonomischen Bereich und den Kaufleuten als seinen wichtigsten Trägern zugesprochen und die Erfindung des gemünzten Metalls auf seine Annahmebereitschaft auf dem Markt reduziert wird. Vielmehr ist der Gebrauch des Geldes ein gemeinsames Merkmal sich überschneidender und sich kreuzender Ordnungen feudaler, fürstlicher, kirchlicher und städtischer Art. Zur Vielfalt der Ordnungen kam eine Vielfalt der Münzen hinzu. Im Hochmittelalter wurden Münzen in Westeuropa und Italien schon lange nicht mehr nur vom Adel und von Geistlichen, sondern auch von Städten geprägt. Ausgangspunkt aller westeuropäischen Münzen war das auf Karl den Großen zurückgehende
78 Beispielhaft an der Entwicklung des englischen Bankensystems Desan, Money, S. 295–329. 79 Luhmann, Wirtschaft, S. 194–196 und Dockès, Capitalisme, S. 171–173. 80 Zu diesem klassischen Widerspruch des Feudalismus siehe Georges Duby: Les trois ordres ou l’imaginaire du féodalisme, Paris 1978, S. 387–393.
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Münz-, Maß- und Gewichtssystem, das für das Frankenreich geschaffen wurde.81 Mit der Reform von 793/794 wurde als Grundgewicht das neue Karlspfund zu 408 Gramm gesetzt, aus dem 240 silberne Denare zu 1,7 Gramm geprägt wurden. Zwischen Denare und Pfund wurde der Solidus eingeführt, der aus 12 Denaren gebildet wurde. 20 Solidi wiederum ergaben ein Pfund. Mit dem Pfund und dem Solidus einzig als Rechengeld- und Maßeinheiten bestand das karolingische Münzwesen aus einer einzigen Stückelung (Denare). Basierend auf der strikten Münzhoheit, die Pippin eingeführt und Karl weiter durchgesetzt hatte, wurde die Münzhoheit bereits unter Ludwig dem Frommen zugunsten der Privilegierung einzelner Bistümer und Abteien aufgegeben. Diese Tendenz setzte sich unter karolingischer Herrschaft und dann im ost- wie westfränkischen Reich fort, wobei sowohl die Gruppe der Münzherren (Herzöge, Grafen, Städte) wuchs als auch die Münzproduktion anstieg und jeder nach seinen Möglichkeiten Denare prägen ließ, die in Bezug auf Gewicht, Feingehalt und Münzbild vom karolingischen Vorbild abweichen konnten. Eine weitere Monetarisierung der Reiche und Regionen nördlich der Alpen wurde aber durch die Wikingerüberfälle gehemmt, da sie die Silbervorräte in den Reichen reduzierten.82 In Norditalien übernahmen die Kommunen die ehemaligen karolingischen Münzstätten und formten das Münzsystem für ihre Bedürfnisse um, womit dem Münzsystem eine Vielzahl von Stückelungen hinzugefügt wurde, da der Denar zu groß für den täglichen Gebrauch, aber zu klein für die Komplexität der Transaktionen der städtischen Kaufleute war.83 Der Denar (1,7 Gramm) war unter den Bedingungen der reduzierten Silbermengen und der städtischen Wirtschaft zugunsten von Prägungen aufgegeben worden, die um den Faktor zehn reduziert waren. Im Zuge der Stadt-Land-Beziehungen der norditalienischen Städte wurden auch die Abgaben der Bauern monetarisiert und ihre Produktion kommerzialisiert, was den Geldbedarf nochmals erhöhte. Mit der Erschließung neuer Silbervorkommen und seiner Vermarktung in Form von Barren ab dem Ende des 12. Jahrhunderts waren im Lauf des 13. Jahrhunderts zwei Neuerungen im Vergleich zum karolingischen Münzsystem möglich: die Groschenprägung und die Goldwährungen.84 Die Groschenprägung ging auf Venedig zurück, das noch in den letzten Jahren des 12. Jahrhunderts eine Silbermünze mit einem höheren Gewicht (2,19 Gramm) als beim Denar prägte, welche Grosso genannt wurde. Diese Bezeichnung wurde mit der Prägung übernommen und als gros, groat, groot oder Groschen übersetzt. Die anderen norditalienischen Kommunen übernahmen die Neuerung und prägten im frühen 13.
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Vgl. im Folgenden Michael North: Kleine Geschichte des Geldes: Vom Mittelalter bis heute, München 2009, S. 19–28. Umfassender bei Spufford, Money. North, Kleine Geschichte, S. 8–9. Ebd., S. 17. Ebd., S. 15–17; Spufford, Money, S. 110–131 und 225–229.
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Jahrhundert selber Grossi.85 In Westeuropa war es das Königreich Frankreich unter Ludwig IX., das ab 1266 diese Prägung aufnahm und einen Groschen schlug, der als gros turnois oder Turnosen zu 12 deniers tournois bei höchstem Feingehalt und einem Gewicht von 4,219 Gramm geschlagen wurde. Der Münzfuß beruhte auf 58 Stück aus der Mark von Paris (244,752 Gramm) als Gewichtseinheit für die Prägung. Als Münze mit einem höheren Gewicht als die italienischen Grossi bei höchstem Feingehalt erlangte sie sofort eine große internationale Bedeutung, indem sie zum Referenzpunkt für Transaktionen im Bereich des Handels und des kirchlichen Zahlungsverkehrs wurde und in Richtung Süden zirkulierte. Dem Design der Münze entsprechend war sie zu „groß“, um im Norden umzulaufen.86 In England wurde zwar unter Eduard I. in Reaktion auf den gros tournois ebenfalls eine Groschenmünze geprägt, die sich aber als zu groß herausstellte und zugunsten der stabilen Pennys (1,3–1,5 Gramm) mit höchstem Feingehalt Silber Sterling aufgegeben wurde, die seit dem 12. Jahrhundert im Königreich vorherrschend war. Aufgrund des Erfolgs des Sterlings wurde das Design in Frankreich von Philipp IV. übernommen, der eine Münze im Wert des Pennys oder eines Drittels des gros tournois in Auftrag gab. Im Raum zwischen Flandern und dem Rheinland nahmen die adligen und kirchlichen Münzherren beide Designs auf und passten sie ihren Bedürfnissen an. Zwischen Pennys und gros tournois positionierte sich der Baudekin, der ab 1267 im Hennegau als doppelter Penny geprägt wurde und im Wert von 2/3 des gros tournois lag. In den folgenden Jahren wurde der Baudekin auch in Holland, Brabant, Flandern und im Artois geprägt. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts kamen dann aber die ersten Nachprägungen sowohl des gros tournois als auch des Pennys, die als Sterlinge oder esterlins umliefen. Sie werden als Auswirkung des ersten Flandernkonflikts und der Zahlungen aus Frankreich und England in den Raum interpretiert, auf den der Gebrauch der Sterlinge aber nicht beschränkt blieb, sondern aufgrund der Mechanik des Greshamschen Gesetzes und der Verflechtungen der Regionen auch England und Frankreich betraf. Ebenso bestand ein Bedarf an kleineren Geldsorten auf lokalem Niveau. Eine solche Praxis erhöhte aber zugleich die Nachfrage nach guten und königlichen Prägungen, was den Silberpreis erhöhte. In beiden Königreichen wurde im Jahr 1299 mit einem Verbot der Ausfuhr von Silber und der Einfuhr und des Gebrauchs der Sterlinge reagiert.87 Zur gleichen Zeit begann der gros tournois nun auch in Holland, Brabant, Lüttich und Hennegau zu zirkulieren, wo er von den großen Münzherren als groten imitiert wurde, der mit 4,14 Gramm etwas leichter war. Nach 1302 wurde vom Regen85 86
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North, Kleine Geschichte, S. 17–18; Spufford, Money, S. 225–229. North, Kleine Geschichte, S. 18; Spufford, Money, S. 230–231; Marc Bompaire: Numismatique et économie monétaire de l’Occident médiéval et moderne. Les mutations monétaires de Philippe le Bel et la production monétaire, in: Annuaire de l’Ecole pratique des hautes études, Section des sciences historiques et philologiques, 140 (2009), S. 113, online unter http://ashp.revues. org/708 (14.09.2019). Spufford, Money, S. 230–231; Bolton, Money, S. 161–162.
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ten Johann von Namur, Sohn Graf Guidos, der groten auch in Flandern eingeführt. Parallel zur Imitation des gros tournois führte dieselbe Gruppe kleinere Prägungen mit dem halben Gewicht ein, die als Halbstück des groten oder als Neuprägung des Baudekins aufgelegt wurden.88 Die Prägungen sind allesamt Beispiele für die Übernahme der Groschenprägung zwischen Frankreich und dem Rheinland, die zwischen dem englischen Penny als Referenz unterhalb des Groschens und dem französischen gros tournois am oberen Ende rangierten und den Denar langsam zum „Almosengeldstück“ machten. Die Vielzahl der Designs spiegeln die Komplexität der Transaktionen wider, die mittels der Münzen vermittelt werden sollte und der eine einzelne Silbermünze, der Denar, nicht mehr gerecht werden konnte.89 Eine weitere Neuerung betraf die Einführung einer Goldprägung, womit zum antiken Bi- bzw. Trimetallismus (Gold, Silber, Kupfer) zurückgekehrt wurde. Die Wiedereinführung wurde möglich aufgrund des internationalen Handels im Mittelmeerraum und der dadurch beeinflussten Edelmetallströme.90 Im östlichen Mittelmeer entstand ein Dreieckshandel von italienischen Seestädten wie Amalfi und Venedig, später Genua und Palermo, die Sklaven, Eisen, Holz nach Ägypten exportierten, wo sie in Gold bezahlt wurden, womit sie von Ägypten bis Byzanz hinauf Waren und Güter kaufen konnten. Mit den Kreuzfahrern kamen größere Mengen Silbers nach Italien, was durch die Züge der salischen und staufischen Könige und Kaiser mit ihren Heeren, dem sich verstärkenden Handel entweder über die Alpen oder die Champagnemessen und die Pilger aufrechterhalten und noch verstärkt wurde. Hinzu kamen noch der bereits angesprochene kirchliche Zahlungsverkehr von Kreuzzugszehnten, Abgaben sowie Annaten- und Servitiengelder, die nach Rom flossen. Während das Silber in sächsischen und böhmischen Minen gefördert und durch die zentral- und westeuropäischen Fürsten gemünzt wurde, wurde es in gemünzter und ungemünzter Form durch die italienischen Städte in die islamische Welt exportiert, da dort Goldwährungen vorherrschten, die durch den Transsaharahandel gestützt wurden, und für Silber ein höherer Preis zu erlangen war als im christlichen Europa.91 Trotz des Kaufs von Silber blieben in der islamischen Welt die Goldwährungen dominierend, jedoch wurde Gold nun verstärkt nach Europa importiert, wo vor allem in Sizilien und auf der Iberischen Halbinsel islamische Golddinare und eigene Prägungen (Tarì) seit dem 11. Jahrhundert zirkulierten. Diese lokalen Prägungen wurden zuerst unter Kaiser Friedrich II. (1212–1250) durch eine standardisierte Goldmünze (Augustalis) ab 1231 ersetzt, deren Prägung zwar noch über dessen Tod hinaus für einige Zeit weiterlief, aber durch Genua und Florenz ab 1252 ersetzt wurde, deren Kaufleute beide im Handel mit dem
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Spufford, Money, S. 231–232. Ebd., S. 238–239. North, Kleine Geschichte, S. 19–23; Spufford, Money, S. 163–186. Hierzu ausführlich Spufford, Money, S. 132–162.
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Stauferreich aktiv waren.92 Für die genuesischen Kaufleute trat als Funktion der Goldprägung noch die Bedeutung des Handels zwischen dem Maghred und der Levante hinzu. Die Goldprägungen erfüllten die Bedingungen der Konvertierbarkeit in das norditalienische Münz- und Rechengeldsystem wie die Akzeptanz in der islamischen Welt. Aufgrund der Konvertierbarkeit und ihres höheren Wertes gegenüber den Silbermünzen boten sie sich auch für den europäischen Handel an, weshalb Genovino aus Genua und Fiorino aus Florenz bald auch auf den Champagnemessen in Frankreich, Flandern und England gehandelt wurden. Sowohl England unter Heinrich III. (1216–1272) im Jahr 1257 als auch Frankreich unter Ludwig IX. im Jahr 1270 sollten einzelne Goldprägungen auflegen, die aber trotz ihrer Gleichzeitigkeit zu den italienischen Goldmünzen nicht als Münzen, sondern als gemünzte Wertgegenstände im Sinn einer Gabe verstanden werden, die im Zuge der jeweiligen Kreuzzüge verteilt wurden.93 Während jedoch in England ein Jahrhundert lang kein neuer Versuch unternommen wurde, wurde in Frankreich die Prägung von Goldmünzen unter Philipp III. und Philipp IV. in Anknüpfung an Ludwig IX. fortgesetzt, womit Frankreich das einzige Königreich vor der Mitte des 14. Jahrhunderts war, das eine Goldwährung ausgab. Der Gebrauch von Goldmünzen war aber im Midi wie im gesamten Mittelmeerraum schon lange verbreitet. Für die königlichen Münzen gestaltete sich die Situation nun komplexer, da ein Preis für Gold angeboten werden musste, der höher als in Italien war, was aber wiederum Auswirkungen auf den Silberpreis im Königreich hatte. Da ab 1303 im Zuge der großen Reform des Königreichs eine Goldmünze (Chaise) neu aufgelegt werden sollte, musste der Goldpreis künstlich hochgesetzt werden, wodurch wahrscheinlich Fiorino nach Frankreich importiert, aber auch Silber aus Frankreich ausgeführt wurde. Da das Königreich fortan an Gold interessiert war, wurde es nach 1320 nochmals verstärkt aus Italien für Silber exportiert. Unter dem Einfluss eines gesunkenen Goldpreises konnte König Philipp VI. (1328–1350) auf Kosten der umlaufenden Menge an Silber in Frankreich bis zum Jahr 1337 einen erheblichen Schatz in königlichen Goldmünzen (Écus) akkumulieren, als jener Konflikt angestoßen wurde, der als Hundertjähriger Krieg bekannt werden sollte. Wieder wurde um Verbündete in Flandern, Lothringen und im Rheinland geworben, womit die französischen Écus abflossen.94 Wenn der Grad der Monetarisierung in Westeuropa aufgrund der mitteleuropäischen Silberförderung ab dem 12. Jahrhundert steigen konnte, erfolgte die Verteilung des Edelmetalls durch den Handel und im Zuge des Fernhandels floss das gemünzte Metall im Königreich Frankreich in Richtung der Produkteure und Distributoren von Waren, d. h. nach Italien und Flandern. Insgesamt blieb aber über das 14. Jahrhundert hinaus jenes Handelsungleichgewicht zwischen Westeuropa und Italien bestehen, das 92 93 94
North, Kleine Geschichte, S. 23–28; Spufford, Money, S. 267–277. Spufford, Money, S. 185–186. North, Kleine Geschichte, S. 26–27; Spufford, Money, S. 274–275.
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sich bereits im 12. Jahrhundert ausgebildet hatte und darin bestand, dass der Wert der Waren aus Italien nach Westeuropa höher war als der Wert der Waren, die von dort nach Italien gingen.95 In diese Makrostruktur fügt sich die königliche Münze in der Weise ein, dass sich zwischen 1250 und 1350 die Edelmetallvorräte in Frankreich verringerten, ohne dass es der wirtschaftlichen Depression der Jahre 1350 bis 1480 bedurfte, welcher generell eine hohe Erklärungsfunktion im Rahmen der Diskussion um die „Krise“ des Spätmittelalters zugeschrieben wird, die vor allem in der Abnahme der Bevölkerungszahl und der dadurch hervorgerufenen Depression bestand.96 Demgegenüber gehen die sogenannten Monetaristen davon aus, dass die im Umlauf befindliche Geldmenge zu Beginn des 14. Jahrhunderts bereits zu sinken begann und die wirtschaftliche Entwicklung des Spätmittelalters hemmte, die dann durch den Ausbruch der „Großen Pest“ nochmals verschlechtert wurde. Der König, der Hof und die Münzmeister konnten allein die Abweichungen des Silberpreises und der eingehenden Silbermenge in den Münzstätten feststellen. Direkten Einfluss auf die Situation hatten sie aufgrund der im Folgenden aufgeführten Faktoren. Durch die Überführung des Münzrechts von Adligen und kirchlichen Münzherren wurde erstens das vorhandene Edelmetall zwar umgemünzt und in den königlichen Münzstätten konzentriert, aber dadurch ging eine stille Reserve verloren. Zweitens bedeuteten die Zahlungen an benachbarte und weitere europäische Fürsten im Zuge der oben genannten Konflikte, dass eine große Summe französischer Münzen ausgeführt wurde. Drittens konnte zwar durch das Ausfuhrverbot für Edelmetall und das Verbot der Nutzung fremder Münzen der Versuch unternommen werden, die Metallmenge im Königreich zu kontrollieren, damit wurde aber der Warenverkehr gebremst, wenn nicht andere Instrumente vorhanden waren. Viertens zirkulierte ein wachsender Teil der Edelmetallmenge dann als Goldgeld, womit der Zufluss von Edelmetall komplexer wurde, da nun durch die Gold-Silber-Relation nicht nur das eine Metall angezogen, sondern auch das andere Metall exportiert wurde.97 Innerhalb der Silberprägungen wurde fünftens unter diesen Voraussetzungen die Groschenprägung gegenüber der Prägung kleiner Münzwerte favorisiert, wodurch die Menge der Denare für den täglichen Gebrauch geringer wurde. Zu solchen Entscheidungen war der französische Hof schon in den Jahren zwischen 1302 und 1314 gezwungen.98 In den Jahren bis 1360 sollte sich diese Situation noch verschärfen, da 95 Peter Spufford: Handel, Macht und Reichtum. Kaufleute im Mittelalter, Darmstadt 2004, S. 263–264. 96 Hier Bezug genommen auf die Theorie von Nicolas Mayhew von 1974, die von Martin Allen und Mac Bompaire aufgegriffen wurde: Nicholas Mayhew: Numismatic evidence and falling prices in the fourteenth century, in: Economic history review 27 (1974), S. 1–15; Martin Allen: The volume and composition of the English Silver Currency, 1158–1470, in: Economic history review 54,4 (2001), S. 595–611; Bompaire, Numismatique, S. 18. Siehe auch North, Kleine Geschichte, S. 68. 97 North, Kleine Geschichte, S. 50–56; Spufford, Money, S. 274–275. 98 Favier, Philippe le Bel, S. 137–169; Bompaire, Question.
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auch die dem Königreich Frankreich benachbarten Fürsten zu Maßnahmen griffen und aggressiv Imitationen einsetzten, um Silber in ihre Münzstätten anzuziehen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Münzgeldmenge aber in ganz Europa bereits deutlich kontrahiert. Der Abfluss von Edelmetall und seine Verknappung in Westeuropa führte dazu, dass Geld als Metall-Geld aufgrund des Kurswertes des Edelmetalls einen Preis bekam, der verstärkt wahrgenommen wurde. Der Handel bevorzugte eine stabile Münze, um das Risiko von Verlusten zu vermeiden. Ein Symbol solcher Stabilität war im europäischen Spätmittelalter der englische Penny, der zwischen 1279 und 1344 nicht verändert wurde; nur kurze Schwächephasen kannte er um 1344, 1412 und 1464. Erreicht wurde diese Stabilität durch strikte Edelmetall- und Münzausfuhrverbote und direkte Abgaben, die durch das englische Ständeparlament bewilligt wurden und die die Münzprägung als Finanzquelle für den König unnötig machten. Ein solches Arrangement beruhte darauf, dass sowohl der König durch Zollabgaben am Wollhandel partizipierte als auch die im Parlament vertretenen Grundherren am Wollhandel interessiert waren. Die genannten Verbote und Abgaben waren auch auf dem Kontinent bekannt, dort aber aufgrund der nicht insularen Situation, der vielfältigen Verflechtungen und der aktuellen Anforderungen nicht in der gleichen Weise umsetzbar. Auch das andere Extrem, nämlich die Aufweichung der Münzhoheit wie in Venedig, wo fremde Münzen im Umlauf geduldet wurden, da das vorhandene Edelmetall im Zuge des Handels in die Levante exportiert wurde, war nicht akzeptabel.99 Die Entwicklung der Münze im Königreich Frankreich war davon geprägt, dass Münzverschlechterungen als Finanzquelle durch das römische Recht gebilligt wurden. Dabei muss beachtet werden, dass für die Zeitgenossen Münzverschlechterungen seit dem frühen 13. Jahrhundert in Westeuropa nicht mehr bekannt waren, wohingegen im 12. Jahrhundert die Münzen noch eine viel geringere Stabilität und Umlaufzeit in Frankreich, im Raum zwischen Flandern und dem Rhein sowie auf der Iberischen Halbinsel besaßen, da die Münzherren dieser Regionen die Prägungen in regelmäßigen Abständen aus fiskalischen Motiven änderten. In Verhandlungen verzichteten sie für bestimmte Zeiträume auf ihr Recht und erhielten im Gegenzug Abgaben in Form von Herdsteuern oder Verbrauchssteuern, die häufig als monetagium bezeichnet wurden. Solche Verhandlungen standen unter der Prämisse, dass der Münzherr aufgrund seines Regals die Prägung ändern konnte. Die Entwicklung in Richtung von stabilen Münzen favorisierten die französischen Könige, die ab dem Beginn des 13. Jahrhunderts unter Philipp II. begannen, zur königlichen Münzhoheit nach karolingischem Vorbild zurückzukehren. Nördlich der Loire wurde die Herstellung des Pariser Denars (denier parisis) generalisiert und das Verhältnis zu lokalen Münzen fixiert. Auch wurde nach 1204 das angevinische Münzwe-
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North, Kleine Geschichte, S. 48–50; Desan, Money, S. 160–171.
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sen durch das Pfund und den Denar von Tours als Referenz südlich der Loire ersetzt und das Verhältnis des Pfunds von Paris (livre parisis) und des Pfunds von Tours (livre tournois) mit 4:5 festgesetzt. In einem solchen System von fixierten Kursen konnte auch toleriert werden, dass weiterhin viele Herzöge, Grafen, Bischöfe und Städte (vor allem südlich der Loire) das Recht besaßen, Münzen zu prägen, wenngleich unter Philipp III. und Philipp IV. die Tendenz bestand, Münzstätten einzugliedern oder das Recht dafür abzukaufen, sodass um 1300 nur noch rund 30 aktive nicht-königliche Münzstätten zusätzlich zu den acht königlichen Münzstätten existierten.100 Zu Konflikten um die königliche Münzhoheit kam es aufgrund des Anspruchs der Durchsetzung des königlichen Systems von fixierten Kursen und der alleinigen Nutzung der königlichen Münze im überregionalen Zahlungsverkehr auf der einen Seite und der ökonomischen Implikationen auf der anderen Seite, die sich vor allem im Midi und in Flandern bemerkbar machten.101 Die königliche Seite tendierte dazu, die Integration im Inneren zu fördern, während die stärker kommerziell ausgerichteten Gebiete im Süden und Norden die Zirkulation von königlichen wie fremden Münzen privilegierten, deren Kurse von den Händlern aufgrund von Angebot und Nachfrage gebildet wurden und aufgrund deren kommerziellen Wertes schwankten. Einer solchen Verlagerung des Prinzips der Stabilität von einer statischen zu einer dynamischen Stabilisierung wurde von königlicher Seite aus unterbrochen, da in Flandern ab 1289 der Gebrauch von Münzen des römisch-deutschen Reichs untersagt und der Wechselkurs zwischen französisch-königlichen Münzen und dem englischen Penny fixiert wurde, wobei der Wert des Pennys so niedrig angesetzt wurde, dass er den Kommerz behinderte. Als im Jahr 1295 aufgrund des Konflikts mit dem englischen König und dem Papst im Königreich alle fremden Münzen und die Ausfuhr von Metall verboten wurden und die königliche Münze als alleiniges Zahlungsmittel erneut gelten sollte, wurden die auf den Handel mit England ausgerichteten Interessen der flandrischen Städte und des Grafen von Flandern direkt betroffen. Den Ausfall des Handels nannte der Graf, Guido I., auch als einen der Gründe für seine Absage an Philipp IV. im Januar 1297, was den Beginn der oben beschriebenen Feindseligkeiten markierte. Trotz Protesten bei den Päpsten Bonifatius VIII. und Clemens V. wurde infolge der Friedensverträge die königliche Münzhoheit in Flandern wiederhergestellt. Bereits zur Zeit Philipps IV. wurden solche Zusammenhänge erörtert. Die Grenzen der Ausübung des Münzregals wurden zur Zeit Ludwigs IX. diskutiert, dessen Münzreform und dessen Einführung des gros tournois in der Forschung positiv bewertet werden. Einzig der von ihm eingeführte Pariser Denar (denier parisis) und die Goldprägung werden als Fehlschläge behandelt. Als Münzfälscher ist er nicht bekannt. Dass es dennoch zu einer Debatte um die Reichweite des Regals kam, lag daran, dass
100 Bompaire, Numismatique, S. 17; Spufford, Money, S. 206–208. 101 Vgl. Grunzweig, Les incidences.
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Ludwig IX. bereits ein Ausfuhrverbot von Edelmetall und ein Verbot der Nutzung von englischen Pennys (stellinges/Sterlings) verhängte. Diese Maßnahmen haben nicht als monetäre Fragen, sondern bezogen auf die Reichweite der Gewalt des Königs mit Blick auf die Münzhoheit eine universitäre Debatte angeregt, die in Form eines Quodlibets de monetarum prohibitione des Gérard d’Abbeville, Weltgeistlicher und Gelehrter an der Universität Paris, überliefert ist, das auf Ostern 1265 oder 1266 datiert wird.102 Die erste Frage betraf die Form mittels derer in der königlichen Ordonnanz der Gebrauch der englischen Münzen eingefordert wurde und bei der es sich um einen Eid handelte, welcher von den Untertanen abverlangt wurde, auf die Nutzung der Münzen zu verzichten. Konnte der König einen solchen Eid verlangen? Zur Beantwortung der Frage stützt sich Gérard d’Abbeville erstens auf die Sentenzen reddite ergo quae sunt Caesaris Caesari et quae sunt Dei Deo („So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist“) (Matth. 22,21), omnis anima potestatibus sublimioribus subdita sit („Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat“) und reddite omnibus debita cui tributum tributum cui vectigal vectigal („So gebt nun jedem, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer gebührt; Zoll, dem der Zoll gebührt“) (Rom. 13,1 und 13,7).103 Auch führt er die von Papst Innocenz III. (1198–1216) in der Dekretale Per Venerabilem von Herbst 1202 erhobene Feststellung an, wonach der König von Frankreich in weltlichen Angelegenheiten keinen Höherstehenden (rex Francie superiorem non cognoscit) anerkenne, was auf den römisch-deutschen König und Kaiser abzielt.104 Die Schlussfolgerung ist, dass das Münzrecht sehr wohl ein Vorrecht des Königs sei 102 Jacques Le Goff: Saint-Louis, Paris 1996, S. 290–292 unter Bezug auf Pierre Michaud-Quantin: La politique monétaire royale à la Faculté de Théologie de Paris en 1265, in: Le Moyen Âge 68 (1962), S. 137–151. Michaud-Quantin gibt nur einzelne Zitate des Quodlibets wieder. Siehe dann auch Odd Langholm: Economics in the Medieval Schools: Wealth, Exchange, Value, Money and Usury according to the Paris Theological Tradition 1200–1350, Leiden, New York, Köln 1992 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters, 29), S. 276–280. Langholm kennt den Aufsatz von Michaud-Quantin nicht, gibt aber eine Edition des Quodlibets an: Denise Cornet: Les éléments historiques des IVe et VIe „Quodlibets“ de Gérard d’Abbeville, in: Mélanges d’archéologie et d’histoire, tome 58 (1941), S. 178–205, online unter https://www.persee.fr/doc/mefr_02234874_1941_num_58_1_7325 (31.08.2022). 103 Questio prima et secunda. Cornet, Éléments historiques, S. 193–194. Biblia sacra vulgata. Editionem quintam emendatam retractatam praeparavit Roger Gryson, hg. von Robert Weber, Roger Gryson, Stuttgart 2007, online unter http://www.bibelwissenschaft.de/bibelstelle/Mt22,21/ VULG/ und http://www.bibelwissenschaft.de/bibelstelle/Rom13/VULG/ (31.08.2022); Die Bibel. Nach der Übersetzung Martin Luthers. Bibeltext in der revidierten Fassung von 1984, Stuttgart 1991, online unter http://www.bibelwissenschaft.de/bibelstelle/Mt22,21/LU/ und http://www. bibelwissenschaft.de/bibelstelle/Rom13/LU/ (31.08.2022). Hierzu auch Le Goff, Saint-Louis, S. 290–292; Michaud-Quantin, La politique monétaire royale, S. 139–140. 104 Die Register Innocenz’ III. 5. Band. 5. Pontifikatsjahr, 1202/1203. Texte, bearb. von Othmar Hageneder unter Mitarbeit von Christoph Egger, Karl Rudolf und Andrea Sommerlechner, Wien 1993 (Publikationen des Historischen Instituts beim österreichischen Kulturinstitut in Rom II/I/5: Texte), Nr. 127 (128), S. 249–255. Cornet, Éléments historiques, S. 194–195. Hierzu auch Le Goff, Saint-Louis, S. 290–292; Pierre Michaud-Quantin, La politique monétaire, S. 139–140. Zu den Umständen der Dekretale Per Venerabilem siehe Werner Maleczek, Art.: In-
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und die weltlichen Untertanen dem König vollen und ganzen Gehorsam schulden. Weiterhin führt Gérard d’Abbeville die aus dem römischen Recht stammende und ins kanonische Recht übernommene Vorstellung vom Gemeinwohl (ratio communis et publice utilitatis) an, die dem König das Recht gebe, Münzen zu prägen und zu beschützen, da das Aussondern von schlechten und falschen Münzen (moneta insufficiencia et falsa) und die Durchsetzung von rechtmäßigen Münzen (moneta legalis) zum Gemeinwohl beitrage, die an Gewicht, Material und Prägung (quantitas ponderis, debita materia, publica forma) erkannt werden könnten. Allerdings könnte der König auch in der Lage sein, mindere Münzen in Prägung und Material auszugeben, weshalb seine Münzpolitik nicht von Gier (cupiditas), sondern von Nächstenliebe (caritas) geprägt sein solle.105 Nachdem Gérard d’Abbeville den weltlichen Bereich behandelt hat, stellt er anschließend die Frage, ob auch Geistliche den schon genannten Schwur zu leisten haben. Auch wenn der Gelehrte voranstellt, dass nur ein Bischof einen solchen Schwur abverlangen könne, so stimmt er aber auch zu, dass der König einen solchen Schwur von einem Geistlichen fordern könne, wenn der Bischof es vergessen habe oder das Gemeinwohl (necessitas publica) es verlange. Wenn die Untertanen aufgrund der Ordonnanz nun schwören müssten, dass sie die englischen Münzen nicht nutzen, dann tue er ihnen keine Gewalt an, da sie der königlichen Gewalt Respekt entgegen zu bringen haben, die einzig das Naturrecht und das göttliche Recht als Grenzen kenne.106 Ausgehend vom Verbot der englischen Münze antwortet Gérard d’Abbeville auf die Frage, ob der König seine Ordonnanz nicht zurückziehen könne. Im vorliegenden Fall könne der König seine Entscheidung modifizieren, weil es eine Veränderung zum Besseren (commutatio in melius) sei. Die Rückkehr der Pennys (stellinges) sei für das ganze Volk nützlich und deshalb sei eine Aufgabe der Ordonnanz nützlich und solle zum gegebenen Zeitpunkt erfolgen.107 In die gleiche Richtung geht die letzte Antwort, in der Gérard d’Abbeville auf die Frage antwortet, ob Prälaten und Geistliche versuchen sollen, den König in seiner Münzpolitik zu beeinflussen. Ein Eingreifen befürwortet der Gelehrte in dem Fall, dass eine Münze verfälscht (defraudere) sei, wie er es zuvor dargestellt habe. In diesem Fall dürfe man dem König höfliche und geheime Vorhalte machen, um ihn vom Plan abzubringen, allerdings stehe der König unter dem Einfluss von Menschen aus Fleisch (carnales homines) am Hof, die die Pläne des Königs gutheißen, weil sie ihre eigenen Interessen verfolgen und dem König gefallen wollen, um in seiner Gunst zu bleiben. Am Ende wiederholt Gérard d’Abbeville nochmals, dass nocenzo III., in: Massimo Bray (Hg.): Enciclopedia dei Papi, 3 Bde., Rom 2000, S. 327–350, online unter http://www.treccani.it/enciclopedia/innocenzo-iii_(Enciclopedia-dei-Papi)/ (31.08.2022). 105 Questio secunda. Cornet, Éléments historiques, S. 195; Michaud-Quantin, La politique monétaire, S. 144–145; Langholm, Economics, S. 279. 106 Questio tertia. Cornet, Éléments historiques, S. 195; Michaud-Quantin, La politique monétaire, S. 140–143. Le Goff, Saint-Louis, S. 291. 107 Questio sexta. Cornet, Éléments historiques, S. 197–198; Michaud-Quantin, La politique monétaire, S. 145–146. Le Goff, Saint-Louis, S. 291.
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Vorhalte nur im Geheimen gemacht werden dürfen, um die königliche Autorität nicht zu beschädigen (ne frangatur auctoritas regis maiestatis).108 Das Quodlibet von Gérard d’Abbeville ist in der Weise singulär, weil der Gelehrte in eine Debatte über die Münzhoheit des Königs einführt, die über die scholastische Betrachtung von Geld als neutralem Mittel des Tauschs hinausgeht, weshalb zwar über Wucher und Verträge diskutiert, aber keine ökonomische Theorie über Geld entwickelt wird. Auch im vorliegenden Fall steht im Mittelpunkt der Auseinandersetzung nicht das Geld und der Nutzen des Geldes, sondern der Schwur, den der König in seiner Ordonnanz abverlangt hat. An dieser Stelle haben schon Pierre Michaud-Quantin und Jacques Le Goff angeführt, dass die Form des Schwurs falsch gewählt war, um die Zirkulation der englischen Münze zu verbieten, und es scheint, dass der Schwur aufgrund des Protests der Kleriker und Gelehrten gelöscht wurde, aber dennoch das Verbot bekräftigt wurde.109 In der Auseinandersetzung um das Verbot bestätigt Gérard d’Abbeville erstens die Autorität des Königs im Allgemeinen und dessen Münzhoheit im Besonderen nach innen und nach außen (mit Blick auf andere weltliche Fürsten). Weiterhin überträgt der Gelehrte dem König eine Funktion bezüglich des Gemeinwohls, die es ihm erlaubte, praktische Maßnahmen mit Blick auf das Münzwesen zu ergreifen. Allerdings gibt er vor, dass das Ziel des königlichen Handelns darin bestehen müsse, dass „gute Münzen“ umliefen. Die Forschung unterstreicht, dass Gérard d’Abbeville mit diesen drei Faktoren einen interessanten Vorschlag unterbreitet, was eine „gute Münze“ ausmache, und durchaus vorausschauend die Möglichkeit identifiziere, dass der König aus finanziellen Gründen die drei Faktoren beeinflussen könnte. Das Resultat wäre eine Fälschung der als stabil gedachten Münze. Zum Nutzen des Gemeinwohls empfiehlt der Gelehrte schließlich die Wiedereinführung der englischen Münzen, wobei er sich zum Herold der Prälaten und der Meinung des Volkes machte. Diesen Nutzen definiert Gérard d’Abbeville jedoch nicht weiter, was die Grenzen seiner Überlegungen aufzeigt. So ist es auch kein vollständiges Konzept einer königlichen Münzpolitik, die er entwirft.110 So wäre zwar zu vermuten, dass die Einführung der Pennys von den Zeitgenossen gefordert wurde, um den Bedarf an kleineren Prägungen zu decken, doch scheint die Forderung von Gérard d’Abbeville die Funktion erfüllt zu haben, Forderungen an den König zu stellen, um eine gewisse unabhängige Position in einer aktuellen Auseinandersetzung zu wahren. Gleiches gilt für die Bemerkung bezüglich der Entourage des Königs und dessen Beeinflussung.111 Dabei scheint es sich nicht nur 108 Questio septima. Cornet, Éléments historiques, S. 198–199; Michaud-Quantin, La politique monétaire, S. 146–147. Zum Kontext der universitären Debatte siehe Marcel Bubert: Kreative Gegensätze: Der Streit um den Nutzen der Philosophie an der mittelalterlichen Pariser Universität, Leiden 2019 (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance, 55), S. 266–267. 109 Le Goff, Saint-Louis, S. 291. 110 Michaud-Quantin, La politique monétaire, S. 149; Le Goff, Saint-Louis, S. 291. 111 Bubert, Kreative Gegensätze, S. 267.
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um den Gebrauch eines Topos zu handeln, sondern um Kritik an der Präsenz von Franziskanern und Dominikanern im Umfeld des Königs, denen Gérard d’Abbeville als Menschen aus Fleisch (carnales homines) Fehlbarkeit unterstellt, mit denen er sich als Weltgeistlicher in Konflikt (Armutsstreit) befand und die als höfische Berater das intellektuelle Milieu der Universität verlassen hatten. Da Gérard d’Abbeville nicht auf etwaige Gegenargumente der intellektuellen Gegner eingeht, ist es nicht möglich zu sagen, ob die Polemik gegen die Minderbrüder über den Seitenhieb am Ende des Quodlibets hinausging. Mit den Mendikanten wurden aber auch indirekt der Papst und die Kurie anvisiert, welche seit Innocenz III. die neu gegründeten Orden förderten und integrierten. In dieser Konstellation konnte der König in Zukunft ein Verbündeter sein, dessen Autorität und Münzhoheit Gérard d’Abbeville bestätigte.112 Die legalistische Bekräftigung der Münzhoheit des Königs auf der Basis des kanonischen wie römischen Rechts wird in den folgenden Jahrzehnten aufgegriffen und unter Philipp IV. von seinen Juristen noch bestärkt. Es handelt sich jedoch nicht um die einzige Perspektive, die Gérard d’Abbeville bietet. Die Versuchung für einen König war groß, aus finanziellen Gründen die Münzen abzuwerten. Während Ludwig IX. in dieser Frage praktisch makellos war, sah Gérard d’Abbeville bereits voraus, dass allein das Gewissen einen König davon abbringen könnte, die Möglichkeiten, die ihm gegeben waren, die Münze im Sinne des Gemeinwohls anzupassen, aus fiskalischen Gründen einzusetzen. Während Gérard d’Abbeville nur vor dem Hintergrund rechtlicher Quellen schreibt, wird ein anderer Weltgeistlicher, Nicole Oresme, fast ein Jahrhundert später das gleiche Problem unter Rückgriff auf Aristoteles in der Weise umformulieren, dass er den alleinigen Sitz des Gemeinwohls beim König hinterfragt und die Allgemeinheit einführt, die bei Münzverschlechterungen gefragt werden müsse.113 Es ist jedoch nur verständlich, dass Nicole Oresme das alleinige Recht des Königs, Münzen zu prägen und den Münzfuß zu verändern, infrage stellen konnte, weil die französischen Könige mehrfach verfehlt hatten, das Ideal der stabilen Münze einzuhalten. In England hingegen fanden Auseinandersetzungen um die Münzhoheit des Königs nicht statt; sie lag mit Selbstverständlichkeit bei der Krone. Aufgrund der finanziellen Situation der Krone mit ihren Zolleinkünften aus dem Wollhandel und eventuellen durch das Ständeparlament bewilligten Kriegsbeihilfen bestand die hohe Politik des Geldes in England in einer Allianz zwischen Ständeparlament und Krone, deren gemeinsamer Nenner die Stabilität der Münze war.114 112 Michaud-Quantin, La politique monétaire, S. 147–148; Le Goff, Saint-Louis, S. 291. 113 Nicolas Oresme: Traicté de la première invention des monnaies. Textes français et latin d’après les manuscrits de la Bibliothèque impériale, hg. von Louis Wolowski, Paris 1864, online unter https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k6544021x (31.08.2022). Den Bezug hat schon etabliert; Langholm, Economics, S. 279–280. Sylvain Piron: Monnaie et majesté royale dans la France du 14e siècle, in: Annales. Histoires, Sciences Sociales 51,2 (1996), S. 325–354, online unter http:// www.jstor.org/stable/27585144 (31.08.2022); Mäkeler, Nicolas Oresme. 114 Desan, Money, S. 168–169.
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Wenn sich solch stabile Verhältnisse in Frankreich, aber auch sonst auf dem Kontinent nicht eingestellt haben, dann muss die komplexere, kleinteiligere politische Situation mit multiplen Verflechtungen, durchlässigen Grenzen und häufigen militärischen Auseinandersetzungen als Ursache dafür angenommen werden. Hinzu kommt das komplexe gesellschaftliche System von Rangordnungen, Ansprüchen und Privilegien. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich auf dem Kontinent im Verlauf des 13. Jahrhunderts ein Rückgriff auf das römische Recht und zunächst im Königreich Sizilien unter Friedrich II. eine Doktrin von der Notwendigkeit der Verteidigung des Reichs (pro defensione ipsius regni), die dazu tendierte, die Besteuerung Jahr für Jahr auszuschreiben, wobei die Form der Besteuerung (indirekt, direkt, Zehnt) zweitrangig war.115 Die „Verewigung des Einmaligen“ ist ein Wesenszug der necessitas und wurde ab der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts beobachtet, was zur Unterscheidung zwischen der aktuellen und der ständigen Notwendigkeit führte. Mit dieser Differenzierung ging auch eine Verschiebung des Sinns der necessitas von einem äußeren Notstand zu einem inneren Bedürfnis mit Blick auf die Ausübung der Justiz oder die Verteidigung einher. In die Perspektive der „Verewigung des Einmaligen“ schreibt sich die Regierungszeit Philipps IV. ein, die auch die Münze unter dem königlichen Recht der Notstandsverkündung in das Feld der necessitas einführt. Eine solche Doktrin verringerte zwar im Moment die Möglichkeit des Widerstands der Eliten, führte aber langfristig die Frage des Wertes des Geldes, dessen Veränderung Auswirkungen auf alle Nutzer von Geld hatte, in die Auseinandersetzung ein und wurde von Nicole Oresme zum Gegenstand gemeinsamer Aufsicht und des Konsenses gemacht.116 Vor dem Hintergrund der aus dem römischen Recht stammenden Doktrin der necessitas wird auch verständlich, warum während der Regierungszeit Philipps IV. die Gelehrten der Pariser Universität entlang dieser Doktrin in den Konflikt zwischen König und Papst hineingezogen wurden und ihren intellektuellen Streit als Auseinandersetzung über die Rechte und Pflichten des einen und des anderen austrugen. Der Gewinner des Konflikts war der französische König, der seine Münzhoheit verteidigen konnte. In dieser Situation erweiterten die Gelehrten die zeitgenössische Geld theorie ‚nur‘ um eine Klassifikation der Qualitätsmerkmale des Geldes, die von drei bei Gérard d’Abbeville auf sechs zu Beginn des 14. Jahrhunderts anstieg.117 Erst vor dem Hintergrund der Münzabwertungen zwischen 1346 und 1350 mit der aristotelischen Ethik und Politik als Rüstzeug sollte Nicole Oresme die Frage nach der königlichen Münzhoheit erneut stellen und auf das Problem der schwankenden Edelmetallpreise 115 Zur perpetua necessitas und unter Bezugnahme auf ihre Anwendung am französischen Königshof siehe Ernst H. Kantorowicz: The king’s two bodies. A study in medieval political theology, Princeton 2016 (ND 1957), S. 284–291. Ich danke Frau Prof. Dr. Petra Schulte (Trier) für diesen Hinweis. 116 Desan, Money, S. 168–169. 117 Le Goff, Saint-Louis, S. 292; Langholm, Economics, S. 374–402 und Mäkeler, Nicolas Oresme, S. 72–74.
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sowie der Relation zwischen Gold- und Silberprägung eingehen. Vorher wurden diese Probleme von Vertretern der Städte und bürgerlichen Experten behandelt. 3. Die Pluralität der Transaktionen Wenn sich die Erhebung von Abgaben und die Verschlechterung der Münzen auf einen Notstand nach außen berufen konnte, darf die damit einhergehende Tendenz zur „Verewigung des Einmaligen“ jedoch nicht die fundamentale Unterscheidung zwischen außerordentlichen und ordentlichen Abgaben vergessen lassen, welche nicht nur das gesamte Spätmittelalter hindurch aufrechterhalten wurde, sondern auch einen Schlüssel zum Verständnis königlicher Finanzierung bietet. Die Unterscheidung beinhaltet, dass Abgaben ad hoc erhoben wurden und speziellen Ausgaben dienten. Diese Konstellation findet sich auch in anderen mittelalterlichen Bereichen wie der Diplomatie, worauf Ernst Kantorowicz aufmerksam macht. Daraus folgt, dass die Verwaltung von außerordentlichen Abgaben zwar zu einem Zeitpunkt auf Dauer gestellt wird – im Königreich Frankreich mit der Cour des aides erstmalig für das Jahr 1370 belegt –, bis dahin aber für den speziellen Zweck ausgesuchten Personen übertragen wurde, weshalb sie von der auf die Entwicklung von Institutionen ausgerichteten Forschung nur als Einzelfälle behandelt werden, ohne sie in größere Kontexte einzubinden. Außerordentliche Abgaben wurden aus Zehntverpflichtung und aus Feudalpflichten abgeleitet, die Adlige und Nicht-Adlige ohnedies schon jährlich leisten mussten, wie den Heeresdienst für sechs Wochen, und die der Befriedigung ständiger Bedürfnisse dienten. Unter Philipp IV. wurden Schritte in Richtung einer Ausweitung der Pflicht auf das gesamte Königreich getan. Der ursprüngliche ad-hoc-Charakter der Abgaben findet sich in den Bewilligungsverfahren wieder, die zu Verhandlungen mit lokalen Gemeinschaften über die Höhe und Form der Abgabe führten. Doch zeigt sich auch hier wie beim monetagium, dass solche Verhandlungen unter der Prämisse standen, dass Zahlungen in fine nicht verweigert werden können, wollten sich die Betroffenen nicht dem Verdacht des Verrats aussetzen. Von besonderem Interesse wird hier sein, auf welcher Grundlage die Pflichten in Abgaben umgewandelt wurden. Die Tendenz zur „Verewigung des Einmaligen“ kann auch dadurch erklärt werden, dass die gewährten Abgaben einen Verweischarakter für künftige Leistungen besaßen. Eine solche Erklärung fußt darauf, dass einerseits die einmaligen Leistungen aufgezeichnet wurden, um zu einem späteren Zeitpunkt als Referenz in Verhandlungen zu dienen. Andererseits haben Leistungen für militärische Zwecke eine höhere Chance auf Verlängerung, weil Rüstungen in die Zukunft verwiesen. Um einen Feldzug erfolgreich zu planen und durchzuführen, war es entscheidend zu wissen, mit welchen Kosten zu rechnen war. Im Gegensatz zur Verwaltung, die einen gegenwärtigen Bedarf hatte, beinhalteten militärische Rüstungen immer schon einen „potenziellen Bedarf
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der Zukunft“, die eine Erhebung von außerordentlichen Abgaben nötig machten, bevor die eigentlichen Ausgaben entstanden.118 Den genannten Punkten gemein ist die Praxis des Evaluierens von Werten, Schäden und Vorteilen. Damit rückt die Frage des Rechnens und Evaluierens und ihrer sozialen Konditionen als zentrales Element des Umgangs mit Geld in den Vordergrund.119 Gerechnet wurde nicht nur in den Handelsgesellschaften, sondern auch an den Höfen und in den städtischen Finanzverwaltungen des Spätmittelalters, die wiederum als Räume des Kontakts zwischen verschiedenen Milieus und Rationalitäten verstanden werden können.120 Wenn sich das Modell des homo oeconomicus als Sinnbild des auf Zweckrationalität beruhenden Unternehmers ausbilden konnte, der Gewinnmaximierung anstrebt und dem hierfür speziell entwickelte Instrumente (im Englischen economics) zur Verfügung stehen, dann ist dies auch eine Folge der jahrhundertelangen Distinktionsprozesse der Kaufleute gegenüber anderen scheinbar „nicht-kalkulierenden“ sozialen Gruppen wie dem Adel.121 Die Grenzen des Modells wurden dadurch aufgezeigt, dass die Rechenhaftigkeit weiterverbreitet war und auch die Kaufleute eine größere Palette an Präferenzen besaßen und in mehr Normenordnungen eingebunden waren als es das Modell vorsieht.122 Am Hof lässt sich das Nebeneinander verschiedener Rationalitäten mit Blick auf den Gebrauch von Geld exemplarisch beobachten. So wenig der Gebrauch von Geld automatisch auf marktförmige Transaktionen von Angebot und Nachfrage hinweist, sowenig bedeutet die Abwesenheit von Geld in einem Tausch, dass es sich um ein Ritual handelte. In beiden Fällen wird die Transaktion komplexer, da sie einen Wert auf zwei verschiedenen „Märkten“ haben. Um diese kulturelle und soziale Rahmung wirtschaftlicher Aktivitäten besser verstehen zu können, wurde in der Wirtschaftssoziologie unter Rückgriff auf die Arbeiten von Marcel Mauss vorgeschlagen, eine allgemeine Theorie des Tauschs zu nutzen, die auf der Unterscheidung dreier Faktoren beruht:123 der Beziehung zwischen den Tauschpartnern (persönlich oder anonym), der Form der Transaktion (Markt oder ohne Markt) und
118 Kantorowicz, The king’s two bodies, S. 286. 119 Caroline Dufy, Florence Weber: L’éthnographie économique, Paris 2007, S. 46–54. 120 Zur Frage der Rationalitäten unter Rückgriff auf das Modell von Max Weber: Ebd., S. 20–21. Siehe oben Anm. 15. Spezieller zu den Rechenkompetenzen in den Verwaltungen siehe Gerhard Fouquet: Zur öffentlichen Finanzverwaltung im späten Mittelalter, in: Christian Hesse, Klaus Oschema (Hgg.): Aufbruch im Mittelalter: Innovation in Gesellschaften der Vormoderne. Studien zu Ehren von Rainer Schwinges, Ostfildern 2010, S. 77–79. 121 Vgl. Dufy/Weber, Éthnographie, S. 23–24; von Seggern/Fouquet (Hgg.), Adel und Zahl. 122 Siehe hierzu jüngst die Besprechung von Ulla Kypta: Was motivierte spätmittelalterliche Kaufleute? Überlegungen zu Präferenzordnungen und Normorientierungen, in: Jan-Hendryk de Boer, Marcel Bubert (Hgg.): Absichten, Pläne, Strategien: Erkundungen einer historischen Intentionalitätsforschung, Frankfurt a. M., New York 2018 (Kontingenzgeschichten, 5), S. 229–258. 123 Dufy/Weber, Éthnographie, S. 53–54 unter Rückgriff auf Marcel Mauss: Essai sur le don. Forme et raison de l’échange dans les sociétés archaïques, Paris 2007.
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dem Tauschmittel (Geld oder andere Formen). Daraus ergeben sich acht mögliche Kombinationen, die beobachtet werden können. Die Unterscheidungen sind ein Hilfsmittel, um den differenzierten Gebrauch von Geld besser zu verstehen. Ein sozialtheoretisch inspiriertes Verständnis ökonomischer Austauschprozesse führt zur Untersuchung der Praktiken und des Rahmens der Transaktionen.124 Als Schlüssel der Interpretation wird dabei angeboten, dass die Transaktionen zur Befriedigung eines Bedürfnisses vorgenommen werden, deren objektive und subjektive Bedingungen untersucht werden können. Diese Transaktionen werden entweder durch ein rechtliches oder normatives System und ein materielles Dispositiv gestützt, die alle Unklarheiten beseitigen, oder sie können einer Mehrdeutigkeit unterliegen, welche von den Partnern einer bestimmten Transaktion genutzt wird, um ihre Handlungen in unterschiedliche Kontexte einzuschreiben. Im ersten Fall weiß jeder der Partner einer Transaktion, was er tut, und teilt dieses implizite Wissen mit den anderen. Dies ist der allgemeine Fall bei Transaktionen auf einem Markt zwischen anonymen Personen, die Geld verwenden, oder bei einer Zeremonie, die das Verhalten der Beteiligten regelt. Im Fall der Mehrdeutigkeit besteht das Risiko darin, dass die Unklarheit zu ihrer Unterbrechung oder zu einem Konflikt führt. Es ist vorstellbar, dass sich die Partner einer Transaktion freiwillig darauf einlassen, diese Transaktionen mittels eines Dispositivs abzusichern, oder sie sich einem direkten Zwang bzw. dessen Internalisierung in Form von Selbstzwang aussetzen. Die Beziehung zwischen den Tauschpartnern wird man in den vormodernen Gesellschaften zunächst unter den Bedingungen der Kommunikation unter Anwesenden begreifen müssen, da eine Reihe von Transaktionen durch die Kenntnis um die Person vermittelt werden, die hinter den Transaktionen steht. Im ökonomischen Bereich kennt man Vertrauen als Ressource, die eine Reihe von Transaktionen ermöglicht, aber auf der Kenntnis des Anderen beruht.125 Ein wichtiger Raum des Kontakts unter Anwesenden war der Hof. Von ihm ging die politische und administrative Steuerung der Finanzen aus, auch wenn diese Macht von der politischen Gesellschaft einerseits und von der entstehenden Finanzverwaltung andererseits eingehegt wurde, wobei der Hof während des gesamten Spätmittelalters die Kontroll- und Budgetierungsbestrebungen der Verwaltung immer wieder suspendieren konnte. Darin gleicht der Königshof der päpstlichen Kurie.126 Der Hof war der soziale Raum, in dem der König finanzielle Entscheidungen traf und in dem Zugang zu den Ressourcen des Königreichs gewährt wurde, die so einzusetzen waren, dass eine Selbstbehauptung des Königs im sozialen System Hof, in der politischen Gesellschaft
124 Dufy/Weber, Éthnographie, S. 21–23. 125 Ebd., S. 67–68. 126 Fouquet, Finanzverwaltung, S. 77–79 unter Verweis auf Stefan Weiss: Rechnungswesen und Buchhaltung des Avignoneser Papsttums (1316–1378). Eine Quellenkunde, Hannover 2003 (MGH Hilfsmittel, 20).
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seines Königreichs sowie im Wettstreit zwischen den europäischen Fürstenhäusern sichergestellt war.127 Über den König oder den Papst erlangte man Zugang zu den Ressourcen oder sah sich sozial und finanziell für seine Dienste belohnt. Ein Konkurrenzverhältnis dominierte Gunst und materielle Zuwendungen, Einfluss und politische Partizipation. Diese Ressourcen waren der Treibstoff für Personen und Gruppen, um sich wieder und wieder in den Dienst des Königs oder des Papstes zu begeben. Den Höchstgestellten unter ihnen drohten Missgunst, Neid und Intrigen. Gemeint sind damit ‚Günstlinge‘, die ein sehr dynamisches Element der sonst hierarchisch geprägten Hofgesellschaft waren, da sie aufgrund ihres häufig kometenhaften Aufstiegs in einer Position des Einflusses bei König, Fürsten oder Papst, des Kampfes um den Erhalt des Einflusses und ihrer Entmachtung mit häufig tödlichem Ausgang die Hierarchie genauso schnell nach oben überwinden wie sie nach unten fallen konnten.128 Eine essenzielle Rolle im Verlauf der Karriere eines Günstlings wird den Hofparteien zugeschrieben, welche Zugang zum Herrscher gewährten und eine Person oder Gruppe unterstützten, sich aufgrund spezifischer Kompetenzen oder physischer Attraktion zu empfehlen. Die Hofparteien waren dann aber auch meist Ursprung des endgültigen Falls des Günstlings, dessen Einfluss beim Herrscher umso mehr Misstrauen erregt, je größer er wurde. Der Vorwurf, selber wie ein König zu agieren oder agieren zu wollen, war üble Nachrede, rückte den Günstling aber nah an den Tarpejischen Felsen.129 Auch der Herrscher hat-
127 Ulf Christian Ewert: Der Fürst als Unternehmer. Agency-Problematik und Wandel der Governance-Struktur in den portugiesischen Entdeckungsfahrten, in: Fouquet/Hirschbiegel/ Paravicini (Hgg.), Hofwirtschaft, S. 143–170. Für eine Einführung zum Phänomen des „Hofs“ siehe Werner Paravicini: Die ritterlich-höfische Kultur des Mittelalters, Berlin, Boston 20153, https://doi.org/10.1524/9783486853520 (31.08.2022), S. 66–68 und Oliver Auge, Karl-Heinz Spiess: Hof und Herrscher, in: Werner Paravicini (Hg.): Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Bilder und Begriffe, Ostfildern 2005, Teilband I: Begriffe, S. 3–15. Einen Forschungsüberblick bietet Andreas Bihrer: Curia non sufficit: Vergangene, aktuelle und zukünftige Wege der Erforschung von Höfen im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für historische Forschung 35 (2008), S. 235–272. Weiterhin grundlegend Peter Moraw: Wesenszüge der ‚Regierung‘ und ‚Verwaltung‘ des deutschen Königs im Reich (ca. 1350–1450), in: Werner Paravicini, Karl Ferdinand Werner (Hgg.): Histoire comparée de l’administration (IVe–XVIIIe siècles), München 1980 (Beihefte der Francia, 9), S. 149–167. 128 Werner Paravicini: Der Fall des Günstlings: Hofparteien in Europa vom 13. bis zum 17. Jahrhundert, in: Jan Hirschbiegel, Werner Paravicini (Hgg.): Der Fall des Günstlings: Hofparteien in Europa vom 13. bis zum 17. Jahrhundert. 8. Symposium der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Ostfildern 2004 (Residenzenforschung, 17), S. 13–20. 129 Ebd., S. 18–20 und für ein Beispiel aus dem französischsprachigen Bereich die Beiträge von Philippe Contamine und Bertrand Schnerb im gleichen Band: Philippe Contamine: Charles VII, roi de France, et ses favoris: l’exemple de Pierre sire de Giac (†1427), in: Hirschbiegel/Paravicini (Hgg.), Fall, S. 139–162; Bertrand Schnerb: „Familiarissimus domini ducis“: Une succession de favoris à la cour de Bourgogne au début du XVe siècle, in: Hirschbiegel/Paravicini (Hgg.), Fall, S. 177–189. Werner Paravicini: Guy de Brimeu: Der burgundische Staat und seine adlige Führungsschicht unter Karl dem Kühnen, Bonn 1975 (Pariser Historische Studien, 12).
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te ein eigenes Interesse, einen Günstling zu halten und in den Auseinandersetzungen von Parteien am Hof zu nutzen. Da es für den Herrscher aber von Vorteil war, seinen Einfluss bewusst im Dunkeln zu belassen, konnte sich die Wahrnehmung des an Ehrgeiz und Maßlosigkeit gescheiterten Günstlings bei den Zeitgenossen nochmals verstärken. Demgegenüber ist es notwendig, Konflikte zwischen Parteiungen und der Karriere von Günstlingen zusammenzudenken.130 Diesem Umfeld waren auch die königlichen Finanziers ausgesetzt. Das spätmittelalterliche Königreich Frankreich kennt eine Reihe von ihnen131, die aber, abgesehen von der kürzlich vorgeführten Figur des Jacques Cœur132, zuletzt weniger Interesse auf sich gezogen hat. Obwohl sie mit der kaufmännischen Welt verbunden sind, erklärt sich ihre Stellung und Funktion nicht allein aus einem am Markt orientierten System Wirtschaft. Zwar boten sie Geldgeschäfte in Form von Darlehen und Depositen an, die durch das Recht der Steuereintreibung gedeckt wurden, wodurch der König kurzfristig und relativ risikolos an Geldmittel kam, doch waren diese Rechte nicht auf einem Markt von Angebot und Nachfrage zu erwerben. Das ökonomische Prinzip der Versteigerung ist für diese Phase nicht belegt. Vielmehr waren der persönliche Kontakt und das personale Engagement nötig. Unter günstigen Bedingungen boten diese Geschäfte hervorragende Renditen in Form direkter Erlöse oder durch die zeitweilige Überlassung der Pachteinnahmen für eigene Geschäfte. Aus dieser Vermengung von persönlichen Mitteln und Steuermitteln konnte einerseits der Zwang entstehen, jeder Nachfrage nach Mitteln zu entsprechen, und andererseits der Verdacht der Veruntreuung, wonach es sich bei seinem Eigentum nicht um seines, sondern des königlichen Schatzes handelte. Im Extremfall des Verdachts der Veruntreuung zeigt sich, dass die Rollen von Schuldner und Gläubiger an Personen gebunden waren, womit eine Langfristigkeit und Handelbarkeit von Schuldtiteln ausgeschlossen war. Es handelt sich um einen von Fernand Braudel beschriebenen „Gegen-Markt“, in dem interpersonelle Netzwerke in den Vordergrund rücken. Unter den Bedingungen
130 Vgl. unter Bezugnahme auf die Ergebnisse des zuvor genannten Sammelbandes zum „Fall des Günstlings“ und Verweis auf alle Fälle von Günstlingen am französischen Königshof des 13. und 14. Jahrhunderts Georg Jostkleigrewe: Monarchischer Staat und ‚Société politique‘: Politische Interaktion und staatliche Verdichtung im spätmittelalterlichen Frankreich, Ostfildern 2018 (Mittelalter-Forschungen, 56), S. 238–248. 131 Jostkleigrewe, Monarchischer Staat, S. 240 mit Anm. 246–249. 132 Der internationalen Leserschaft wurde Jacques Cœur zuletzt durch den Roman von Jean-Christophe Rufin vorgeführt: Jean-Christophe Rufin: Le Grand Cœur, Paris 2012. Übersetzungen in Englisch, Deutsch, Spanisch, Italienisch wurden vorgelegt. Doch auch die wissenschaftliche Vorlage für den Roman hatte bereits größeres Interesse erfahren, denn auch die Darstellung, die Michel Mollat aus seiner Bearbeitung des Verhörprotokolls des Jacques Cœur gezogen hat, wurde übersetzt: Grundlage bildet Michel Mollat du Jourdin: Les affaires de Jacques Cœur: Journal du procureur Dauvet, 2 Bde., Paris 1952–1953. Die Darstellung ist erschienen als ders., Jacques Cœur. Die Übersetzung ist erschienen als Michel Mollat du Jourdin: Der königliche Kaufmann: Jacques Cœur oder der Geist des Unternehmertums, München 1991.
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vormoderner Gesellschaften sind reale Einheiten von Hof, Reich, Stadt, Kirche, mit ihren Untergliederungen Endpunkte von Netzwerken.133 Sie können als „Kette von Austauschpartnern“ verstanden werden, die nicht nur auf Hierarchie, sondern auch auf Wechselbeziehungen aufbauen, womit flexible und changierende Formen sozialer Interaktion in einem institutionellen Rahmen in den Fokus geraten.134 Die Übernahme von außerordentlichen Einnahmen im Rahmen von ad-hoc-Missionen durch italienische Handelsgesellschaften verweist auf Formen der finanziellen Verflechtung am Ende des 13. Jahrhunderts. Dabei wäre unter Rückgriff auf Forschungen zu aktuellen Unternehmensnetzwerken zu hinterfragen, ob die unternehmerische Tätigkeit von kulturellen Dispositionen und der unternehmerische Erfolg von der Knüpfung von Verbindungen abhängig waren, oder ob die vorhandenen Netzwerke nicht als Voraussetzung des Erfolgs gelten können. Ferner kann damit gerechnet werden, dass die kulturelle Identität für die unternehmerische Tätigkeit eine geringe Bedeutung hat und zwischen einem Ort der Tätigkeit, an dem die sozialen Bindungen gering sind, und dem Herkunftsort mit starken sozialen Bindungen zu unterscheiden ist. Dabei darf der jeweilige Kontext nicht vergessen werden, innerhalb dessen erst die ökonomischen Opportunitäten entstanden.135 C. Vorgehen Der Gegenstand der Arbeit sind die vielfältigen Verflechtungen und gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen dem Königreich Frankreich, der Kurie und der Stadt Florenz anhand ihrer finanziellen Verflechtungen. Abgesehen von ihrer vorschnellen Qualifikation als deviantes Phänomen der Korruption wurden sie nicht als eigenständiges soziales Phänomen (fait social) im Sinne von Marcel Mauss behandelt. Der Fokus auf das Geld eröffnet den Blick nicht nur auf bestimmte Praktiken wie Gabe und Gunst
133 Fernand Braudel: La dynamique du capitalisme, Paris 2008 (ND 1985), S. 52–60. Weiter präzisiert von Peter Moraw: Über Patrone und Klienten im Heiligen Römischen Reich des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, in: Elisabeth Müller-Luckner, Antoni Maczak (Hgg.): Klientelsysteme im Europa der frühen Neuzeit, München 1988 (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien, 9), S. 1–18, hier S. 4–5 und S. 10. Siehe jetzte auch die methodischen Überlegungen von Ulla Kypta: How to Study the Premodern Market: The Concept of Market Exchange, in: Tanja Skambraks, Julia Bruch, Ulla Kypta (Hgg.): Markets and their Actors in the Late Middle Ages, Berlin, Boston, 2020, S. 7–26, https://doi.org/10.1515/9783110643756-002. 134 Die Verflechtungsgeschichte weicht die Dichotomien von Staat und Markt, von National und Global, von dem Eigenen und dem Anderen auf, um herauszustellen, in welchem Maß als peripher wahrgenommene Gruppen oder Räume mit anderen Märkten, Gruppen und Kulturen verbunden waren: Wolfram Drews, Christian Scholl: Transkulturelle Verflechtungsprozesse in der Vormoderne: Zur Einleitung, in: Dies. (Hgg.): Transkulturelle Verflechtungsprozesse in der Vormoderne, Berlin (u. a.) 2016, S. VII–XXIII, hier S. XIII–XIV. 135 Mit weiteren Verweisen Dufy/Weber, Éthnographie, S. 65–67.
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oder die Dynamik von Gruppen im höfischen wie städtischen Milieu, sondern auch auf komplexe Institutionen wie die Rechnungskammern des französischen Hofs und der Kurie. Den ersten Ansatzpunkt der Untersuchung bildet der französische Hof aus zwei Gründen. Zunächst hat zuletzt Christine Desan darauf hingewiesen, dass Geld nicht aus dem Tausch (Konvergenztheorie), sondern aus dem Bedürfnis eines Herrschers oder einer Gemeinschaft entstehe, Ressourcen ganz unterschiedlicher Art innerhalb einer Gemeinschaft in homogener Weise zu repräsentieren und zu bewegen (tax driven).136 Die Grundstruktur des Geldes beruhe auf der Abgabe von Ressourcen, deren Zeitwert in vom Herrscher oder von der Gemeinschaft bereitgestellten Einheiten repräsentiert werde, die zählbar und übertragbar seien. Die Einheiten enthalten aber nicht nur den fiskalischen Wert der besteuerten Ressourcen, sondern auch die Qualität als Zahlungsmittel, die sie als zähl- und übertragbare Wertzeichen erhalten. Dabei zeige sich, dass die Nachfrage der Mitglieder der Gemeinschaften nach Wertzeichen sich ausweite, weshalb auf der Grundlage der fiskalischen Infrastruktur des Geldes die umlaufende Geldmenge über die für den fiskalischen Gebrauch hergestellte Menge erweitert werde; diese Aufgabe könne an Individuen verkauft oder anderen die Lizenz erteilt werden, Geld an Personen zu verkaufen. Dabei ist Geld kein neutrales Medium, so Christine Desan, da seine funktionale Gestaltung bestimme, welche Tauschgeschäfte zustande kommen, wie Menschen mit Ressourcen umgehen und wie die Kosten und die Gewinne der Geldherstellung verteilt werden. Die hier beschriebenen Distributionsprozesse bilden jenen fiskalischen Konnex, mittels dessen in die beschriebenen politischen Kontexte des spätmittelalterlichen Westeuropas eingeführt wird. Dann bietet der französische Hof die Möglichkeit sich den Auswirkung der Distributionsprozesse auf die Valenz des Geldes für die mittelalterliche Gesellschaft zu nähern. Strukturalistisch betrachtet ist Geld ein Objekt, das zunächst ein äußerst nützliches Werkzeug ist, dessen Erlangung den Individuen zur Erfüllung ihrer Wünsche dient. Dies führt zu einer strukturalistischen und utilitaristischen Betrachtungsweise von Zweckrationalität und normativem Handeln. Diese Dichotomie kann mit dem an Marcel Mauss angelehnten Ansatz der Pluralität der Transaktionen erfasst werden, indem Geld nicht nur als ein passives Werkzeug begriffen wird, das in Tauschbeziehungen vermittele, sondern als soziale Realität wie ein Akteur auf die Akteure einwirke und gesellschaftliche Veränderungen und Neuformierungen bewirke.137 Zugleich lässt sich anhand des fiskalischen Konnexes eine eigenständige Interaktionsordnung etab136 Im Folgenden Desan, Money, S. 37–50. Die Konvergenztheorie ist weit verbreitet und führt häufig dazu, die Analyse in Richtung des Gelderwerbs und der Ausgabe von Geld mit dem Ziel des Besitzes eines Objekts, also in Richtung Warenproduktion und Warentausch zu verfolgen. Dies zeigt sich beispielsweise an der klassischen Schrift von Georg Simmel; Georg Simmel: Die Philosophie des Geldes, Berlin 1989 (Gesamtausgabe, 6). 137 Mit Verweis auf die Anleihen bei Émile Durkheim und Differenzen siehe Marcel Mauss: Geld im Ganzen der Gesellschaft. Was Teile bei Mauss zu erkennen geben. Nachwort von Mario Schmidt
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lieren. Vor diesem Hintergrund ist die Arbeit so angelegt, dass auf die Darstellung der Rahmenereignisse und -zusammenhänge die Erschließung der finanzwirtschaftlichen Vorgänge folgt, die eine über Geld vermittelte Interaktion repräsentieren und als sozialer Tatbestand für die Rahmenereignisse prägend sind. Am Anfang stehen zwei Budgets. Ihre Rekonstruktion ist zunächst für den Papsthof wie den französischen Königshof lückenhaft, bleibt es aber nur in letzterem Fall während des gesamten Spätmittelalters aufgrund der Zerstörung eines großen Teils der königlichen Finanzdokumente.138 Eine Rekonstruktion des königlichen Haushalts wurde dort versucht, wo Einzeldokumente und Serien durch Abschriften oder Zufälle vorhanden sind. Die von der Académie des Inscriptions et Belles-Lettres Paris herausgegebene Reihe der Recueil des Historiens de la France. Documents financiers vereint diese Funde. Die Reihe enthält vier Abrechnungen des königlichen Schatzes, Trésor, für die Jahre 1296, 1316, 1384 und 1477, von denen die ersten beiden Jahre bei der Erstellung eines königlichen Budgets für den Untersuchungszeitraum helfen können.139 Hinzu kommen die Rechnungsbücher des königlichen Schatzes, die von Jules Viard herausgegeben wurden.140 Allerdings muss gesagt werden, dass es sich nicht um ein Gesamtbudget handelt, was am strukturellen Merkmal mittelalterlicher Rechnungsbücher liegt: Diese stellen keinen rechnerischen Abschluss eines Rechnungsjahres dar, sondern verzeichnen immer nur laufende Einnahmen und Ausgaben, deren praktischer Nutzen in der Kontrolle, nicht in der Bilanz oder in einer Erfolgsrechnung lag.141 Im vorliegenden Fall handelt es sich um die Abrechnungen des königlichen Schatzes, dem die Sammlung der königlichen Einnahmen aus der Domäne und verschiedener, aber nicht aller weiteren Abgaben oblag. Vor allem war er nicht mit den außerordentlichen Abgaben betraut.142 Schon allein vor diesem Hintergrund ist es für eine Rekonstruktion der Einnahmen einzelner Jahrgänge nötig, die weiteren edierten Dokumente der Serie miteinzubeziehen. Es handelt sich um die Bände des Inventaire d’anciens comptes royaux, das von Robert Mignon unter Philipp von Valois (1328–1350) aufgestellt und von Charles-Victor Langlois herausgegeben wurde. Verzeichnet sind einzelne Abrechnungskonten teil-
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und Emanuel Seitz, in: Marcel Mauss: Schriften zum Geld, hg. von Hans Peter Hahn, Mario Schmidt und Emanuel Seitz, Berlin 2015, S. 216–237. Ein Überblick findet sich bei Ferdinand Lot, Robert Fawtier: Histoire des institutions françaises au Moyen Age, Bd. 2, Institutions royales, Paris 1958, S. 183–190. Comptes du trésor (1296, 1316, 1384, 1477), hg. von Robert Fawtier, Paris 1930 (Recueil des historiens de la France. Documents financiers, 2), online unter https://archive.org (31.08.2022). Journaux du Trésor de Philippe IV le Bel, hg. von Jules Viard, Paris 1940, online unter https:// archive.org (31.08.2022). Hierzu zuletzt Hans-Jörg Gilomen: Anleihen im Finanzhaushalt schweizerischer Reichsstädte insbesondere durch den Rentenverkauf, in: Michael Rothmann, Helge Wittmann (Hgg.): Reichsstadt und Geld. 5. Tagung des Mühlhäuser Arbeitskreises für Reichsstadtgeschichte, Petersberg 2018 (Studien zur Reichsstadtgeschichte, Bd. 5), S. 57. Fawtier (Hg.), Comptes du trésor, S. V–XL; Favier, Philippe le Bel, S. 75–77.
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weise nur mit Angaben zum Aussteller, Zweck und Abrechnungszeitraum, teilweise auch mit einem kurzen Regest unter Einbeziehung von Zahlungsangaben.143 Hinzu kommen die Bände der Comptes royaux für die Jahre 1285–1314 und 1314–1328, herausgegeben von Robert Fawtier beziehungsweise François Maillard, bei denen es sich allerdings nur um einzelne Rechnungsrollen (rôles) und Abrechnungskonten (comptes) königlicher Beamter, Funktionsträger oder Steuerpächter handelt.144 Schließlich wurden in jüngerer Zeit die Abrechnungen der Chambre aux deniers unter Philipp III. und Philipp IV. von Elisabeth Lalou herausgegeben, die – überlieferungstechnisch interessant – auf Wachstäfelchen angefertigt wurden.145 Die Chambre aux deniers als Abrechnungsstelle des inneren Hofs des Königs (hôtel du roi) unter dem Großkämmerer von Frankreich (le grand chambrier de France) – im vorliegenden Zeitraum Herzog Robert II. von Burgund – mit seinen Kämmerern (chambellans) besitzt aber keine eigenen Einnahmen, sondern verwaltet lediglich die Ausgaben des Königs. Im Umkehrschluss lassen sich aus den Ausgaben aber auch Rückschlüsse auf die königlichen Einnahmen ziehen. Weitere fiskalische Einzeldokumente werden im Lauf der Untersuchung eingeführt. Trotz der unvollständigen Überlieferung und der strukturellen Merkmale mittelalterlicher Abrechnungen können für einzelne Jahre valide Aussagen über einen Großteil der verschiedenen Einnahmen und Ausgaben des königlichen Schatzes gemacht werden. Für die voravignonesische Zeit steht es um die Rekonstruktion des päpstlichen Budgets besser, allerdings ist das maßgebliche Verzeichnis der Introitus et Exitus der Apostolischen Kammer nur ausschnittsweise ediert.146 Das erste Element in der Rekonstruktion eines Budgets Bonifatius’ VIII. stellen die beiden einzig erhaltenen Bände des Verzeichnisses für die Zeiträume vom 30. Januar 1299 bis 22. Januar 1300 und 26. Januar 1302 bis 25. Januar 1303 dar, die Friedrich Baethgen ediert hat und die eine erste Vorstellung von den Einnahmen und Ausgaben der apostolischen Kammer unter Bonifatius geben.147 Einen weiteren Bezugspunkt bildet das Rechnungsjahr 1309 – von November 1308 bis November 1309 –, welches das vierte Jahr des Pontifikats Clemens’
143 Inventaire de Robert Mignon. 144 Comptes royaux: 1285–1314, hg. von Robert Fawtier, 3. Bde., Paris 1953, 1954, 1961 (Recueil des historiens de la France. Documents financiers, 3), online unter https://archive.org (31.08.2022); Comptes royaux: 1314–1328, hg. von François Maillard, 2 Bde., Paris 1961 (Recueil des historiens de la France. Documents financiers, 4), online unter https://archive.org (31.08.2022). 145 Lalou (Hg), Les comptes. 146 Karl August Fink: Das Vatikanische Archiv: Einführung in die Bestände und ihre Erforschung, Roma, 1951. Maria Luisa Ambrosini: Die geheimen Archive des Vatikans, München 1974. 147 Friedrich Baethgen: Quellen und Untersuchungen zur Geschichte der päpstlichen Hof- und Finanzverwaltung unter Bonifaz VIII., in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 20 (1928/1929), S. 114–237. Zur Überlieferung von päpstlichen Rechnungsquellen am Ende des 13. und Anfang des 14. Jahrhunderts siehe auch Bernard Guillemain: Les recettes et les dépenses de la chambre apostolique pour la quatrième année du pontificat de Clément V (1308–1309), Rom 1978 (Collection de l’École Française de Rome, 39), S. V–VI.
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V. darstellte.148 Der hierfür relevante Band des Verzeichnisses Introitus et Exitus wurde von Bernard Guillemain 1979 herausgegeben und in der Einführung zur Edition ausgewertet. Die Auswertung aller drei Verzeichnisse macht deutlich, dass sie nur verzeichnen, was an Einnahmen und Ausgaben für das Funktionieren der apostolischen Kammer benötigt wurde. Alle Summen, welche die Päpste für ihre innere und äußere Selbstbehauptung aufwendeten, wurden nicht von der Kammer erfasst und damit abgerechnet. An dieser Stelle haben bereits Friedrich Baethgen in zwei Aufsätzen von 1928/29 und 1932/33 und jüngst Markus Denzel auf das Potenzial der Libri obligationum hingewiesen, die nach dem Erscheinen der Aufsätze von Friedrich Baethgen durch Hermann Hoberg herausgegeben wurden.149 Letztere verzeichnen Zahlungsverpflichtungen von Bischöfen und Äbten, die aus Ernennung, Visitation, Abgabenverpflichtungen oder Verwaltungsabgaben entstammten und zu gleichen Teilen sowohl an die apostolische Kammer als auch an das Kardinalskollegium gezahlt wurden, welches für diesen Zweck ein eigenes Divisionsregister geführt hat. In seiner Ausgabe hat Hermann Hoberg allerdings auch Zahlungsverpflichtungen erfasst, die aus Angaben aus den Kanzleiregistern der jeweiligen Päpste und anderen Regestenwerken stammen, sodass die Angaben über die Zahlungsverpflichtungen der Libri obligationum hinausreichen.150 Ihr heuristischer Wert besteht darin, dass sie eine Ergänzung zu den Introitusregistern bieten und einen gegenseitigen Abgleich ermöglichen, um die Einnahme der päpstlichen Kammer zu erfassen.151 Schließlich beziehen wiederum Friedrich Baethgen und Markus Denzel die Regesta Pontificum Romanorum 1198–1304 von August Potthast und die umfassende Edition der Registerbände der Päpste des 13. und 14. Jahrhunderts durch die École française de Rome ein, die am Ende des 19. Jahrhunderts begonnen wurde. Diese Regestenwerke ermöglichen auch, den Anteil an außerordentlichen Abgaben abzuschätzen, über den die Päpste verfügen konnten.152 148 Die Gegenüberstellung der Verzeichnisse beruht auf dem Vorgehen von Denzel, Kreuzzugssteuer, S. 144–145. Die Angaben wurden aufbereitet von Guillemain, Les recettes, S. XIX–XXII. 149 Baethgen, Quellen; Ders.: Neue Beiträge zur Geschichte des päpstlichen Finanzwesens um die Wende des 13. Jahrhunderts, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 24, 1932/33, S. 124–149. Denzel, Kreuzzugssteuer. Hermann Hoberg: Taxae pro communibus servitiis ex libris obligationum ab anno 1295 usque ad annum 1455 confectis, Città del Vaticano 1949 (Studi e Testi, 144). 150 Hoberg, Taxae und hierzu schon Baethgen, Quellen, S. 119 mit Anm. 2 und S. 160–161. 151 Baethgen, Quellen, S. 160–161. Die verbuchten Summen können wiederum mit den unedierten Divisionsregistern des Kardinalskollegs verglichen werden, um zu kontrollieren, ob weitere Zahlungen neben den Introitusregistern verbucht wurden; vgl. Hermann Hoberg: Servitientaxen, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 33 (1944), S. 101–135. 152 Les registres de Urbain IV (1261–1264): Recueil des bulles de ce pape, publiées et analysées d’après les manuscrits originaux des Archives du Vatican, hg. von Jean Guiraud, 4 Bde., Paris 1900–1958 (Bibliothèque des Ecoles françaises d’Athènes et de Rome, Série 2, 13); Les registres de Clément IV: Recueil des bulles de ce pape, publiées et analysées d’après les manuscrits originaux des Archives
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Finanzielle Verflechtungen zwischen Frankreich, der Kurie und Florenz
Es folgt der Vergleich der beiden Budgets, der es erlaubt, Abhängigkeiten zwischen dem päpstlichen Hof und dem Königshof aufzuzeigen. Dabei wird mehrfach auf die genannten Regestenwerke zurückzukehren sein, die Einblicke in die Mechanismen des Aufbaus dieser Abhängigkeiten gewähren. In diesem Zusammenhang weisen Markus Denzel und John Padgett unabhängig voneinander auf die Aussagekraft der Regesten zu Fragen des kurialen Zahlungsverkehrs hin. An dieser Stelle kann vor allem an die ältere Arbeit von Georg Schneider und die aktuellere Studie von John Padgett angeknüpft werden, die die Rolle der italienischen Gesellschaften und ihre Entwicklung in päpstlichen Diensten analysiert haben.153 Der detaillierte Blick nach Frankreich fehlt an dieser Stelle und wird hier nachgeholt. Abgaben aus Frankreich an die Kurie, Zehntversprechen und gewährte Darlehen der Kurie sowie Abzahlungen können unter Angabe der damit betrauten Handelsgesellschaften anhand der Regesten zentral erfasst und mit Angaben der französischen Überlieferung verglichen werden. Der dritte Kontext der Untersuchung, der durch die Gesellschaften bereits vorgegeben ist, wird im letzten Schritt behandelt: Es handelt sich um Florenz. Aus ihrem Contado entstammt eine Familie, die nicht zu den großen Häusern der Stadt gehörte,
du Vatican, hg. von Edouard Jordan, 2 Bde., Paris 1893–1945 (Bibliothèque des Ecoles françaises d’Athènes et de Rome, Série 2); Les registres de Grégoire X: Recueil des bulles de ce pape, publiées et analysées d’après les manuscrits originaux des Archives du Vatican, hg. von Jean Guiraud, 2 Bde., Paris 1960 (Bibliothèque des Ecoles françaises d’Athènes et de Rome, Série 2, 12); Les registres d’Innocent IV publiés et analysés d’après les manuscrits originaux des Archives du Vatican, hg. von Elie Berger, 4 Bde., Paris 1881–1921 (Bibliothèque des Ecoles françaises d’Athènes et de Rome, Série 2, 1); Les registres de Nicolas III: Recueil des bulles de ce pape, publiées et analysées d’après les manuscrits originaux des Archives du Vatican, 5 Bde., Paris 1898–1938 (Bibliothèque des Ecoles françaises d’Athènes et de Rome, Série 2, 14); Les registres Martin IV: Recueil des bulles de ce pape, publiées et analysées d’après les manuscrits originaux des Archives du Vatican, hg. von Félix Olivier-Martin, 2 Bde. Paris 1901–1935 (Bibliothèque des Ecoles françaises d’Athènes et de Rome, Série 2, 16); Les registres d’Honorius IV: Recueil des bulles de ce pape, publiées et analysées d’après les manuscrits originaux des Archives du Vatican, hg. von Maurice Prou, 2 Bde., Paris 1886–1888 (Bibliothèque des Ecoles françaises d’Athènes et de Rome, Série 2, 7); Les registres de Nicolas IV: Recueil des bulles de ce pape, publiées et analysées d’après les manuscrits originaux des Archives du Vatican, hg. von Ernest Langlois, 2 Bde., Paris 1887–1905 (Bibliothèque des Ecoles françaises d’Athènes et de Rome, Série 2, 5); Les registres de Boniface VIII (1294–1303): Recueil des bulles de ce pape, publiées et analysées d’après les manuscrits originaux des Archives du Vatican, hg. von Georges Digard, 4 Bde., Paris 1884–1939 (Bibliothèque des Ecoles françaises d’Athènes et de Rome, Série 2, 4); Les registres de Benoît XI: Recueil des bulles de ce pape, publiées et analysées d’après les manuscrits originaux des Archives du Vatican, hg. von Charles Grandjean, 2 Bde., Paris 1883–1905 (Bibliothèque des Ecoles françaises d’Athènes et de Rome, Série 2, 2); Regestum Clementis papae V ex Vaticanis archetypis Sanctissimi Domini Nostri Leonis XIII Pontificis Maximi iussu et munificentia nunc primum editi cura et studio monachorum ordinis S. Benedicti, 8 Bde., Rom 1885–1892. Zur Geschichte der Reihe siehe Bruno Galland: Les publications des registres pontificaux par Ecole françaises de Rome, in: Revue d’histoire de l’Église de France, 217 (2000), S. 645–656, https://doi.org/10.3406/rhef.2000.1439 (14.08.2019). 153 Georg Schneider: Die finanziellen Beziehungen der florentinischen Bankiers zur Kirche von 1285 bis 1304, Leipzig 1899 (Staats- und socialwissenschaftliche Forschungen, 17,1); Padgett, Emergence.
Vorgehen
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sondern vielmehr auf ein Milieu aufmerksam macht, das sich in den Handels- und Finanzgeschäften versuchte, um sozial weiter aufzusteigen und in der Konkurrenz zu anderen Familien zu bestehen. Die Inspektion der Tätigkeiten dreier Brüder soll helfen, die aufgezeigten finanziellen Verflechtungen zwischen Papsthof und französischem Hof weiter zu kontextualisieren und die Karriere der Brüder in Frankreich und Florenz unter Rückgriff der französischen wie päpstlichen Überlieferungen nachzuzeichnen. Dieses Vorgehen wird vereinfacht durch die monumentalen Arbeiten von Robert Davidsohn zur „Geschichte von Florenz“, die er um ein eigenes Regestenwerk in Form der „Forschungen zur Geschichte von Florenz“ ergänzt hat.154
154 Robert Davidsohn: Geschichte von Florenz, 4 Bde., Berlin 1896–1927; Ders., Forschungen zur Geschichte von Florenz, 4 Bde., Berlin 1896–1908. Zu Robert Davidsohn siehe jetzt die Edition seiner Autobiographie durch Martin Baumeister und Wiebke Fastenrath Vinattieri; Robert Davidsohn: Menschen, die ich kannte. Erinnerungen eines Achtzigjährigen, hg. von Martin Baumeister, Wiebke Fastenrath Vinattieri, Wolfram Knäbich, Berlin 2020 (Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts, 77).
II. Frankreich Fiskalität und Herrschaft
Die materiellen wie intellektuellen Defizite des mittelalterlichen Domänenstaats machen den spätmittelalterlichen König zum „Schuldenkönig“, der über seine Verhältnisse lebte.1 Diese Ansicht wird daran festgemacht, dass dem König die Wirtschaftsweise jedes Adligen unterstellt wurde, der gezwungen war, von dem zu leben, was seine Domäne an regulären Einnahmen (revenus ordinaires) generierte. Es heißt, der König müsse „von seinem eigenen leben“ (vivre du sien).2 Während des 13. Jahrhunderts sind das für den König vor allem Einnahmen aus Lehnsrechten und Regalia. Dem „Schuldenkönig“ habe ferner jede Vorausplanung gefehlt und die Möglichkeiten der Ausgaben seien von der Höhe der Einnahmen und der Geschwindigkeit ihrer Abgaben bestimmt gewesen. Ihre eigentliche Funktion erhält diese Norm erst vor dem Hintergrund der Abgabenforderungen, welche über die Ansprüche an die Domäne hinausreichen und die unter Verweis auf die Norm des vivre du sien abgewehrt werden sollen. Es handelt sich um die Kreuzzugsprojekte Philipps II. (Saladin-Pfennig) und Ludwigs IX. (achter und neunter Kreuzzug), welche den königlichen Bedarf vergrößerten und den Grundsatz des vivre du sien herausforderten. Während Ludwig der Heilige über jeden Zweifel erhaben war, wurden Philipp IV. und seinen Söhnen bewusst herbeigeführte Normenkonflikte unterstellt, um die politische Öffentlichkeit davon zu überzeugen, Abgaben
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Eine konzise Zusammenfassung der allgemeinen Entwicklung auf der Basis einer aktuellen Bibliographie, die sich kaum verändert hat; siehe im Folgenden Albert Rigaudière: L’essor de la fiscalité royale du règne de Philippe le Bel (1285–1314) à celui de Philippe VI (1328–1350), in: Europa en los umbrales de la crisis 1250–1350. XXI Semana de Estudios Medievales de Estella, 18 a 22 julio de 1994, Pamplona 1995, S. 323–391. Hierzu jetzt noch Lydwine Scordia: „Le roi doit vivre du sien“. La théorie de l’impôt en France, XIIIe–XVe siècle, Paris 2005 (Collection des études augustiniennes. Série Moyen Âge et temps modernes, 40). Die Autorin stärkt die Bedeutung geistlicher Autoren für die Legitimierung der Besteuerung im Vergleich zur üblichen Ansicht, dass die Verteidiger der Steuer aus den Reihen der Juristen stammen würden; Ebd., S. 443.
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zu gewähren, welche Ausgaben decken sollten, die die Einnahmen der Domäne übertrafen. An diese Seite der Legitimation von Abgaben tritt als zweite Regierungstechnik die Konzeption der Abgabe, sodass sie niemals „neu“, sondern immer alt gewohnt erscheint. Es ist dies eine innovative Methode des Mittelalters, die sich in vielen gesellschaftlichen Bereichen findet.3 Die historische Forschung hat sich lange Zeit auf die instrumentellen und institutionellen Aspekte der Abgaben und der Finanzverwaltung konzentriert. Ihre Entwicklung sei, so die Forschung, erstens von dem Gewohnheitsrecht als feudalem „Korsett“ geprägt gewesen, das es zu überwinden galt, indem die Untertanen davon überzeugt wurden Steuern zu zahlen. Zweitens bildete der moderne Staat mit einem einheitlichen Fiskal- und Finanzsystem den Zielpunkt der Untersuchungen. Für die ‚Modernisierung‘ der königlichen Abgabepraxis kommt in der Forschung der Herrschaft Philipps IV. eine große Bedeutung zu, in deren Verlauf viele Entwicklungen angestoßen und in der Folge angepasst wurden, um Einnahmen zu generieren.4 Die Abgabepraxis stellt dabei ein Feld dar, auf dem der Aufbau spätmittelalterlicher ‚Staatlichkeit‘ als Herrschaftspraxis (direkte und indirekte Abgaben, enquêteurs-réformateurs) mit ihren Charakteristika (Verwaltung, Münze, Herrschaftsraum) nachgezeichnet wird. Auf eine andere Weise näherte sich insbesondere eine amerikanische „Schule“ um Joseph Strayer dem gleichen Gegenstand. Ihr Augenmerk liegt auf Aushandlungsprozessen auf lokaler Ebene zwischen Amtsträgern des Königs und Provinzversammlungen oder städtischen Räten. Dem Paradigma des modernen Staats entgeht auch Joseph Strayer nicht, wenngleich der Fixpunkt auf dem konsensual angelegten Nachkriegsstaat liegt.5 Demgegenüber wird in jüngerer Zeit ein Paradigmenwechsel angestrebt, der die Herausbildung des modernen Staats nicht mehr als zielgerichtetes Handeln des Königs und seines Hofes voranstellt, sondern stattdessen den Fokus auf die Interaktionen in-
3 Christian Hesse, Klaus Oschema: Aufbruch im Mittelalter: Innovation in Gesellschaften der Vormoderne. Eine Einführung, in: Hesse/Oschema (Hgg.), Aufbruch, S. 3–27. 4 Das Handbuch zur spätmittelalterlichen Besteuerung aus staatswissenschaftlicher Sicht wurde geschrieben von Adolphe Vuitry: Études sur le régime financier de la France avant 1789: Philippe le Bel et ses trois fils (1285–1328). Les trois premiers Valois (1328–1380), 2 Bde., Paris 1883. Der Kolloquiumsband aus dem Schwerpunkt zur Besteuerung ist erschienen unter dem Titel Jean-Philippe Genet, Michel Le Mené (Hgg.): Genèse de l’État moderne: Prélèvement et redistribution. Actes du colloque de Fontevraud, 1984, Paris 1987. 5 Strayer/Taylor, Studies; Henneman, Royal taxation. Siehe auch Anna Katarzyna Dulska, Julia Benito Pavón: Joseph Reese Strayer (1904–1987). The Medieval State from a Cold War Perspective, in: Julia Benito Pavón (Hg.): Rewriting the Middle Ages in the Twientieth Century. 3: Political Theory and Practice, Turnhout 2015, S. 73–96. Eine Fortführung hat die methodische Tradition gefunden bei Thomas N. Bisson: Assemblies and Representation in Languedoc in the Thirteenth Century, Princeton 1964; Ders.: Conservation of Coinage: Monetary Exploitation and its restraint in France, Catalonia, and Aragón (c. A. D. 1000 – c. 1225), Oxford 1979; und vor allem in Elizabeth A. R. Brown: Customary Aids and Royal Finance in Capetian France: The Marriage Aid of Philip the Fair, Cambridge, 1992 (Medieval Academy books, 100).
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nerhalb der Gesellschaft des Königreichs legt. Entstanden aus diesen Interaktionen staatliche Strukturen, so sind diese als nichtintendierte Ergebnisse zu interpretieren.6 Vor diesem Hintergrund wird man mit Blick auf die Generierung von Einnahmen zunächst von der basalen Annahme ausgehen können, dass es zum Zeitpunkt der Verhandlungen über Abgaben um das ganz Konkrete gegangen ist, das häufig umstritten und irritierend war. Die zentrale Frage, die Peter Moraw für alle spätmittelalterlichen Reiche stellt, ist, wie „über das Lehnsrecht und die Teilhabe am Krongut hinaus die Tatsache der Mitgliedschaft im Reich mit der Übernahme von Verpflichtungen für das Reich in Zusammenhang“ gebracht wurde.7 Vor allem bildete sich aus der einmaligen Übernahme von Verpflichtungen noch kein Zwang zur Leistung weiterer Zahlungen. Jede Leistung wurde prinzipiell als einmalig verstanden, worauf in Verhandlungen immer wieder beharrt wurde. Gerade weil der Gedanke regelmäßiger Abgaben auf Einkommen und Kapital trotz ihrer für heutige Verhältnisse geringen Abgabensätze für das Königreich in weiten Teilen umstritten war und vom königlichen Hof immer wieder missachtet wurde, kam es zu langwierigen Verhandlungen und Konflikten. Besonders schwierig wurde die Erhebung von Abgaben immer dann, wenn die Verhältnisse über Hoheits- und Grundrecht sowie die Gerichtsbarkeit unklar waren und mehrere Herrschaftsträger – zu denen auch der König gehören konnte – miteinander konkurrierten. Das Recht auf die Erhebung von Abgaben wurde als ein Zugewinn an Macht und als Präjudiz für andere Rechte – des Adels, der Städte – angesehen. Die Gewährung des direkten Zugriffs auf das individuelle Einkommen und Vermögen wurde aus diesem Grund schon verteidigt, was die Einführung direkter Abgaben von königlicher Seite erschwerte. Stattdessen wurde dem Wunsch der örtlichen Gemeinschaften, die Erhebung der Abgaben selbstständig durchzuführen, häufig nachgegeben. Im Verständnis der modernen Historiker wird daraus häufig eine Kooperation zwischen Städten und königlichem Hof in der Weise, dass der Hof auf das Wissen und die Techniken der Städte für seine Zwecke zurückgreifen kann.8 Doch ist wahrscheinlich, dass die Abgaben so lange dem Interesse der Städte und Stände unterlagen, die eigenen Belastungen so gering wie möglich zu halten, wie die königliche Verwaltung nicht über die statistischen Hilfsmittel verfügte, die Einwohnerzahl und die Vermögensverhältnisse zu ermitteln.9 Auf diesem Stand soll die Verwaltung erst kurz vor dem Ausbruch
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An dieser Stelle kann auf die methodologische Diskussion verwiesen werden bei Jostkleigrewe, Monarchischer Staat, S. 34–37. 7 Peter Moraw: Der „Gemeine Pfenning“. Neue Steuern und die Einheit des Reiches im 15. und 16. Jahrhundert, in: Uwe Schultz: Mit dem Zehnten fing es an: Eine Kulturgeschichte der Steuer, München 1993, S. 137. 8 So beispielsweise Rigaudière, L’essor, S. 585–586. 9 So am Beispiel der Situation im römisch-deutschen Reich im 15. Jahrhundert Moraw, Gemeiner Pfenning, S. 140. Im Königreich Frankreich war die Verwaltung schon im 14. Jahrhundert mit den gleichen Problemen konfrontiert; vgl. Rigaudière, L’essor, S. 583–584.
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der Großen Pest gewesen sein, welche die früheren Datenerhebungen durch den demographischen Verlust hinfällig machte.10 Vielversprechender war es trotz dieser ‚mittelalterlichen‘ Wahrnehmung von direkten Abgaben, neue Formen der finanziellen Solidarität mit dem Königreich zu entwickeln und umzusetzen, um die militärische Ausgabennotwendigkeit zu finanzieren, die auch argumentativ als Notstand vermittelt wurde. Die Konsequenz war, dass mit der Auflösung des Notstandes auch die finanzielle Solidarität aufhörte, woran die Stände und Städte ein Interesse hatten, da auf diese Weise der Abgabenzweck und der Charakter der Abgabe als außerordentliche „Not-Steuer“ herausgehoben wurde. Schwer vermittelbar waren Momente, in denen eine Abgabe für den Krieg erhoben wurde, es aber nicht zu Kampfhandlungen kam. Aus dieser Logik resultierte die Tendenz eines Teils des königlichen Hofs, der Verwaltung und des Finanzmilieus, den „Notstand“ fortzuführen. Vor diesem Hintergrund wirkten Steuerfragen doppelt strukturierend auf die politische Gesellschaft des Königreichs Frankreich in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts: Einerseits war jede Abgabe einem umständlichen und zeitraubenden Bewilligungsverfahren unterworfen, das die Beteiligten als Teilnehmer des Verfahrens in ihrer Position stärkte und so auch immer wieder lokale Konflikte hervorrufen konnte. Ein Weg aus dieser Konstellation bestand darin, kurzfristige Finanzierungsmöglichkeiten auszunutzen, die durch finanzkräftige Ratgeber und Finanziers dem König persönlich bereitgestellt wurden. Andererseits bildete die Frage nach der Form der Finanzierung einen Kristallisationspunkt für Parteiungen, die sich um politischen Einfluss bemühten.11 Wenn im Folgenden Steuerfragen betrachtet werden, wird dies in der Chronologie der Abfolge der Herrschaften Philipps IV. und seiner Söhne erfolgen. Es soll dabei aber die Illusion der geradlinigen Entwicklung hin zu einem Mehr an „Staatlichkeit“ vermieden werden. Stattdessen soll der „quälende“ Prozess, wie Moraw es bezeichnet, der durch die ständig neue Kombination alter und neuer Formen der Abgabe geprägt war, deutlich herausgehoben werden. Da diese Praktiken sich teilweise hinter Begriffen verbergen, die fremd sind, werden auch diese kurz behandelt.12
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Rigaudière, L’essor, S. 583–584. Diese Beobachtung wird im Folgenden noch weiter exemplifiziert. Dennoch soll hier bereits grundlegend hingewiesen werden auf Raymond Cazelles: La société politique et la crise de la royauté sous Philippe de Valois, Paris 1958; Ders.: Etienne Marcel. Champion de l’unité française, Paris 1984; Henneman, Royal taxation und jetzt Jostkleigrewe, Monarchischer Staat, S. 279– 304. Moraw, Gemeiner Pfenning.
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A. Legitimierungsstrategien 1. Fürstliche Willkür oder Gemeinwohl Die Forschungen zur symbolischen Kommunikation fasst die politische Sprache als eine Praxis auf, in der jedem kommunikativen Akt sowohl ein instrumentelles als auch ein symbolisches Handeln innewohnt. Ersteres verfolgt ein präzises Ziel und ist Teil des funktionalen Feldes, während Letzteres eine Bedeutung begründet und sich nicht in der Verfolgung eines konkreten Ziels erschöpft, sondern zum Register des Symbolischen gehört. Während die historischen Forschungen zur symbolischen Kommunikation im deutschsprachigen Bereich meist über das Feld von Macht und Herrschaft in den unterschiedlichsten Schattierungen hinausgehen,13 kommt der Gewährung von Abgaben und der Einführung von fiskalischen „Neuerungen“ eine zentrale Bedeutung nur in zeitgenössischen Debatten um das Gemeinwohl und dessen Untersuchung zu.14 Entstammt der Begriff auch dem gelehrten Milieu, wird er schnell zum Topos, der von allen (Fürsten, Städten, Ständen) geteilt wird. Dabei ist die utilitas publica (Gemeinwohl) eine Referenz, ein Ideal, ein zu erreichendes Ziel, das in seiner Formulierung relativ festgelegt, aber inhaltlich sehr formbar ist. Der Rekurs auf die utilitas publica im Rahmen der Ausrufung von Subsidien und in Verhandlungen und Versammlungen über ihre Gewährung hat eine instrumentelle wie symbolische Dimensi13
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Vgl. die Ergebnisse der Sonderforschungsbereiche 496 „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution“, online unter https:// www.uni-muenster.de/SFB496/, und 619 „Ritualdynamik: Soziokulturelle Prozesse in historischer und kulturvergleichender Perspektive“, online unter http://www.ritualdynamik.de (letzte Aufrufe am 24.06.2019). Explizit in Elodie Lecuppre-Desjardin, Anne-Laure van Bruaene (Hgg.): De bono communi. The discours and practice of the common good in the European City (13th–16th c.) = Discours et pratique du Bien Commun dans les villes d’Europe (XIIIe au XVIe siècle), Turnhout 2010 (Studies in European Urban History, 22). Dem Gemeinwohl kam bereits im Forschungsschwerpunkt „La Genèse de l’État moderne“ am C. N. R. S. zwischen 1984 und 1989 eine große Bedeutung zu; vgl. Bernard Chevalier: L’État moderne: Genèse. Bilans et perspectives. Introduction, in: Jean-Philippe Genet (Hg.): L’État moderne: Genèse, bilans et perspectives. Actes du Colloque tenus au CNRS à Paris les 19–20 septembre 1989, Paris 1990, S. 7–13; Jean-Philippe Genet: La genèse de l’État moderne. Les enjeux d’un programme de recherche, in: Actes de la Recherche en Science Sociales 118, 1997, S. 3–18, online unter https://www.persee.fr/doc/arss_0335-5322_1997_ num_118_1_3219 (31.08.2022). Die Attraktivität des vorherigen Programms zeigte sich daran, dass es von Jean-Philippe Genet und Wim Blockmans in den 1990er Jahren auf ein internationales Level gehoben und durch die European Science Foundation nun unter dem Titel „Origins of the Modern State“ gefördert wurde. Das dritte mit Jean-Philippe Genet verbundene und neuerlich vom European Research Council geförderte Programm zu „Le pouvoir symbolique en Occident (1300–1640)“ untersucht unter Rückgriff auf die deutschsprachige Forschung zur symbolischen Kommunikation eine Dimension, die bis dahin in der französischsprachigen Forschung neben den vorherrschenden rechtshistorischen und institutionsgeschichtlichen Ansätzen keine Berücksichtigung gefunden hat; vgl. Michel Hébert: Consensus et représentation en Europe, XIIIe–XVIIe siècle. Une introduction, in: Genet/Le Page/Mattéoni (Hgg.), Consensus, S. 11–32.
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on: Erstens wird das Ziel verfolgt, dass die Abgabepflichtigen ihre Leistungen erbringen. Indem jene dies tun, erschöpft sich zweitens der Sinn des Verweises auf die utilitas publica nicht darin, dass das Ziel erreicht wird – Abgaben werden geleistet –, sondern es wird anerkannt, dass der Verwendungszweck der Abgabe mit den Wertvorstellungen von utilitas publica übereinstimmt. Damit wird eine zentrale Funktion der symbolischen Kommunikation erfüllt: Sie ermöglicht es einer Gesellschaft, sich fortlaufend der Gültigkeit von Werten und der Stabilität von Normen zu vergewissern und damit als Gemeinschaft zu handeln. Im Gegensatz zu den Städten, in denen das Gemeinwohl zum „gesellschaftlichen Kitt“ wurde, der „die Genossenschaft städtischer Bürger zusammenhielt“, darf der sprachliche Bezug auf das Gemeinwohl in königlichem und fürstlichem Kontext nicht darüber hinwegtäuschen, dass König und Fürst die „Zentren der Finanzen“ waren und bis zum Ende des Mittelalters blieben.15 Nicht nur definierten sie und ihr Hof die Ausrichtung der Finanzen, sondern die Zusammensetzung des Hofs wurde durch den König oder Fürsten persönlich bestimmt. Charakteristisch hierfür war, dass der Zugang zum Herrscher die Möglichkeit eines schnellen Aufstiegs in Rang und Funktion bedeuten konnte, um einzelne Leute enger an sich zu binden, die aber auch einfach aus seiner Umgebung entfernt werden konnten.16 Doch auch diese Position des Königs als Quelle und Zielpunkt der Finanzen musste sprachlich vermittelt werden. Die mittelalterliche Kultur wollte, dass der Fürst mit einem Rat regiert, da er sich sonst dem Vorwurf aussetzte, ein Tyrann zu sein.17 Ohne Zustimmung konnte ein Fürst also nicht handeln. Stellt sich die Frage, welches Ausmaß diese Zustimmung haben musste: Reichte es aus, den Rat zu konsultieren, und wann war es notwendig, alle Vasallen, später die Stände einzuberufen? Dabei muss nochmal zwischen der Beratungspflicht eines Vasallen, die auf der persönlichen Bindung zum König oder Fürsten beruhte, und der räumlichen Herrschaft spätmittelalterlicher Königreiche oder Fürstentümer unterschieden werden. In Letzteren wurden Verpflichtungen gegenüber dem suzerain aufgebaut, ohne dass König oder Fürst eine vollständige territoriale Souveränität genossen. Dieser Wandel geschieht zwar im Rahmen des Lehnsrechts, stellt 15 16 17
Fouquet, Finanzverwaltung, S. 69–86, hier S. 79–80. Ebd., S. 77–79 unter Verweis auf insbesondere die Arbeiten zur Finanzverwaltung und Finanzpraktiken am französischen und burgundischen Hof des 14. und 15. Jahrhunderts. Rat und Zustimmung werden in der älteren Forschung auf einen „feudalen“ Ursprung rückbezogen. Bei näherer Betrachtung hebt die Forschung jedoch hervor, dass der Zusammenhang zwischen lehnsrechtlichen Verbindungen und der Einberufung von Versammlungen weder verallgemeinert werden kann noch so entscheidend ist. Zunächst geht die moralische Verpflichtung, Rat zu geben, über das Lehnsrecht hinaus. Zwar verleiht der geleistete Treueeid zwischen Lehnsherrn und Vasallen der Verpflichtung eine institutionelle Festigkeit oder eine neue Konsistenz, was aber ein allgemeiner Wesenszug des Lehnswesens ist, wie es im 11. Jahrhundert als neue Form unter Bezug auf alte Ideen erscheint. Michel Hébert: La voix du peuple. Une histoire des assemblées au Moyen Age, Paris 2018, S. 81–82 unter Verweis auf Susan Reynolds: Kingdoms and Communities in Western Europe, 900–1300, Oxford 19972.
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aber eine Neuerung dar, die mit ihrer Vorstellung von Gebietskörperschaft (territoire) den Kern der Entwicklung der betreffenden politischen Praktiken ausmacht. Als Gradmesser der Legitimität fürstlicher Macht wird im Kontext des französischen Königreichs der Souveränität große Bedeutung zugeschrieben.18 Es gab jedoch Situationen, in denen die Zustimmung mehr als nur die Verpflichtung zum Rat ausdrücklich verlangt wurde. Diese Situationen wurden von mittelalterlichen Juristen in ihren Kommentaren zu einer der berühmtesten Passagen des Codex Justinianus (5.59.5.2) von der Ermächtigung, die ein Vormund zu erteilen hat, untersucht, in der es heißt, dass das, was alle auf gleiche Weise betrifft, von allen gebilligt werde: Necesse est omnes suam auctoritatem praestare, ut, quod omnes similiter tangit ab omnibus comprobetur.19 Im 13. Jahrhundert wird diese Maxime von mittelalterlichen Glossatoren und Kommentatoren über das kanonische Recht ins öffentliche Recht eingeführt und auf die ersten politischen Versammlungen ab dem 13. Jahrhundert appliziert. Auch wenn sich die Maxime in Einberufungen von Versammlungen ab dem Ende des 13. Jahrhunderts findet, wird sie nicht durchgängig verwendet. Zudem beweist Michel Hébert mittels der Untersuchung der Verwendung von quod omnes tangit im Rahmen politischer Versammlungen am Ende des Mittelalters, dass der Maxime quod omnes tangit weit weniger Bedeutung im Sinne einer „demokratischen“ Beteiligung von Bevölkerungsgruppen zukommt, sondern diese meist auf Verfahrensaspekte abhebt; es mussten genügend Vertreter anwesend sein, um einen Beschluss zu legitimieren. Wenn in Einberufungen von Versammlungen hingegen ihre Funktion beschrieben werden soll, sind Rat und Beratung die dominierenden Vokabeln, mit denen implizit die Einholung der Zustimmung zum königlichen oder fürstlichen Ansinnen verbunden wird.20 Wenn es also keinen konstitutionellen Anspruch darauf gab, alle Vasallen oder Stände zu versammeln, um über die Abgabenerhebung zu beraten, warum wurden Versammlungen überhaupt einberufen? Mit Blick auf das Königreich Frankreich wird in der Einberufung der Versammlung häufig der Versuch des Hofs gesehen, einen
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So z. B. Genet, Genèse; Strayer/Taylor, Studies; Rigaudière, L’essor. Vgl. hierzu die Analyse von Jostkleigrewe, Monarchischer Staat, S. 26–31. Transkription des Corpus Iuris Civilis basierend auf der Corpus-Ausgabe in 16. Ausgabe von 1954 von Theodor Mommsen und Paul Krüger durch die Arbeitsgruppe an der Universität Grenoble; https://droitromain.univ-grenoble-alpes.fr/Corpus/codjust.htm (31.08.2022). In der Forschung zu politischen Versammlungen und Parlamenten sowie zur Geschichte der sozialen Bewegungen und Alltagsgeschichte (histoire populaire) wird diese Passage weitgehend dekontextualisiert, um sie langfristig zu einer der Säulen der modernen Demokratie zu machen. Weit davon entfernt hat die Formulierung ihre erste Bedeutung im Privatrecht, noch genauer im Vormundschaftsrecht: Die Gemeinschaft der Vormunde hat gemeinsam die Auflösung einer Vormundschaft zu beschließen; vgl. Hébert, Voix, S. 82–85 unter Verweis auf die Verbindung mittelalterlicher Parlamente und Demokratie bei Antonio Marongiu. Zur Verwendung der Maxime siehe auch Henneman, Royal Taxation, S. 25–27. Hébert, Voix, S. 85–91.
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Resonanzraum zu eröffnen, der deutlich größer war als nur eine Versammlung von Baronen und Prälaten und in dem sich die königliche Propaganda mit dem Ziel entfalten konnte, Zustimmung für die Erhebung von Abgaben und die königliche Politik zu erlangen. Allerdings spiegeln die Antworten der Versammlungen selten eine einfache Unterordnung wider. Schließlich mussten die königlichen Berater fallweise mit deutlicher Ablehnung ihrer Vorschläge rechnen. Meist schlossen sich langwierige Bewilligungsverfahren an, in denen jede Abgabe als außergewöhnlich, situativ und provisorisch gekennzeichnet wurde. Auch wurde von den Gemeinschaften und Städten versucht, Bestimmungen einzuführen, um sicherzustellen, dass alle Phasen der Verwaltung dieser Subsidien kontrolliert werden, von der Festlegung der Art der Abgabe bis zur Rechnungsprüfung, einschließlich der heiklen Einsammlung der Abgaben, des Thesaurierens und der Auszahlung von Beträgen. Dies sollte nicht nur dem fürstlichen Missbrauch vorbeugen, sondern machte auf den Charakter der Abgabe als Geschenk/ Gabe aufmerksam, die sich durch Unverbindlichkeit auszeichnete. Vor diesem Hintergrund bezeichnet Michel Hébert die Abgabenpraxis als eine geordnete Form von „Schenkökonomie“ (charité), wie man mit Marcel Mauss sagen würde, gegenüber den Fürsten.21 Die Freiwilligkeit der Abgabe findet sich im zeitgenössischen Ausdruck wieder: „Wenn die Ursache aufhört, muss die Wirkung aufhören“ (cessante causa cessat effectus).22 Wenn die Abgaben nicht mehr notwendig sind, warum sollte man nicht zum Zustand ante quem zurückkehren? An diese Überlegung schloss sich die Idee der Reform im Königreich Frankreich seit dem 13. Jahrhundert an, deren Anhängern von der Forschung eine intolérance à l’autorité étatique bescheinigt wird. Mit vielleicht 2.000 königlichen Amtsträgern im 14. Jahrhundert, die über das gesamte Königreich verteilt waren, wirkten sie in jedem Amtsbezirk des Königreichs als Repräsentanten der autorité étatique, die sie auch aus eigenem Interesse zu mehren versuchten. Ihr Verhalten wurde auf das Genaueste verfolgt, was in Extremfällen Anlass zu Schauprozessen geben konnte, an deren Ende sie hingerichtet werden konnten.23 Neben dem Reformdiskurs gab es noch einen weiteren Diskurs, der auf die „alten Freiheiten“ von Adel und Klerus rekurrierte und sich in seiner Ablehnung gegen alle zentralistischen Tendenzen
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Hébert, Voix, S. 92–93 und in Vorbereitung Michel Hébert: Charité bien ordonnée: le contrôle des subsides par les assemblées représentatives des XIVe et XVe siècles. Beitrag auf dem Kolloquium „Calculs et rationalités. Comptabilité, modèles économiques, politiques et éthiques dans l’Ancien et Nouveau Monde (Université de Montréal, 3–6 juin 2015)“. Hébert, Voix, S. 93–94; Henneman, Royal Taxation, S. 24 und vor allem Elizabeth Brown: Cessante Causa and the Taxes of the Last Capetians: The Political Applications of a Philosophical Maxim, in: Elizabeth Brown: Politics and Institutions in Capetian France, Aldershot (u. a.) 1991 (ND 1972) (Variorum collected studies series, 350), Teilband 2, S. 567–587. Cazelles, La société politique, S. 35–46; Claude Gauvard: Ordonnance de réforme et pouvoir législatif (1303–1413), in: Albert Rigaudière (Hg.): Renaissance du pouvoir législatif et renaissance de l’Etat, Paris 1988, S. 89–98; Jostkleigrewe, Monarchischer Staat.
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im Königreich stellte.24 Das Ende der Herrschaft Philipps IV. und die kurzen Herrschaftswechsel zwischen seinen Söhnen bildeten einen Kontext, in dem die genannten Diskurse angeführt wurden, um die Entwicklung auf fiskalischem und finanziellem Niveau zurückzudrehen – wozu es aber nicht kam.25 Maßgebliche Referenz für die zentrale Stellung des Königs als Quelle und Zielpunkt von allem Finanziellem im Reich ist eine andere Passage aus dem Codex Justinianus, die von den italienischen Kommentatoren ab dem 12. Jahrhundert diskutiert wird: Quod principi placuit legis habet vigorem. Die Maxime kommt einer fast absoluten Vorstellung von imperialer und päpstlicher Macht nahe. Es ist daher auch wenig verwunderlich, dass Kaiser und Könige wie Päpste die Formel aufnahmen, diese durch einige andere Formeln verstärkten und sich gegenseitig in ihrer Nutzung beeinflussten, wie Ernst Kantorowicz bereits zeigt. In Nachahmung des kaiserlichen Machtanspruchs drangen allmählich solche von der Maxime abgeleitete Formeln in königliche und fürstliche Verordnungen ein, so z. B. die „Plenipotenz“ (plenitudo potestatis).26 Hier wird aber keine absolute Macht formuliert, da sie durch eine Reihe von Normen begrenzt ist. Dieses Verhältnis lässt sich als Wettbewerb bezeichnen. Die Macht des Fürsten wird durch die Idee der Notwendigkeit (necessitas) unterstützt, auf die Ernst Kantorowicz aufmerksam macht. Mittels dieser Idee ist es möglich, Ausnahmen von geltenden Normen zu rechtfertigen, d. h. auch unter Missachtung der Gewohnheit den Konsens einzuholen. Zwar ist die Idee der Notwendigkeit nicht neu und kann seit dem Frühmittelalter belegt werden, aber die umfassende Nutzung der Idee ab dem Ende des 13. Jahrhunderts ruft zwei Tendenzen hervor: Erstens verleiht der Rekurs auf die necessitas im Rahmen von politischen Versammlungen und in der Interaktion mit der société politique dem König zusätzliche Legitimität, über den traditionellen Rechtsrahmen hinauszugehen, indem er Eigentumsrechte durch Besteuerung verletzt, Gesetze oder Gewohnheiten ändert oder die Art der Kriegsführung anpasst. Die Bedeutung der Idee der necessitas als konstitutives Element königlicher Herrschaft und verschiedene Formen ihrer Funktionalisierung wurden im Rahmen des Projekts zur Genèse de l’Etat moderne vielfach untersucht. Zweitens erkennen die Könige durch ihren Gebrauch an, dass solche Konsultationen politisch unverzichtbar sind und ihr Inhalt sich zwar als entscheidend erweisen kann, aber nicht rechtsverbindlich ist.27 Necessitas und Gemeinwohl funktionieren hier als Argumente auch für die Gegenseite, welche ganz parallel zur königlichen Seite aufgrund ihrer Unbestimmtheit den Raum
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Hébert, Voix, S. 112–113; Henneman, Royal Taxation, S. 25. Hierzu auch Jacques Krynen: L’Empire du roi. Idées et croyances politiques en France (XIIIe–XVe siècle), Paris 1993. 25 Jetzt Jostkleigrewe, Monarchischer Staat, S. 279–299. 26 Siehe oben Kap. I., Anm. 115. 27 Hébert, Voix, S. 138–139.
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für alle möglichen Formen von Forderungen öffnen, die alle Bereiche des Lebens der Gemeinschaften betreffen können.28 Nachfolgend werden die wichtigsten der in Steuerfragen verwendeten Termini aufgegriffen und diese in ihrem Verwendungskontext exemplarisch dargestellt, um ihre instrumentelle und symbolische Dimension in dem Wettbewerb zwischen Ausgabennotwendigkeit und Interaktion mit der société politique weiter zu konkretisieren. 2. Necessitas, defensio regni, utilitas rei publicae Notwendigkeiten und Zustimmung Die Geldbedürfnisse der französischen Könige werden ab Philipp IV. in ihrer Kommunikation als etwas Dringendes und Bedrängendes dargestellt. Die Kriegsführung wurde immer teurer und die Verwaltung wurde ebenfalls zu einem festen, kostenintensiven Budgetposten. Hinzu kamen noch die Ausgaben für die königliche Hofhaltung. War die Geldbeschaffung für den königlichen Hof etwas Dringendes, wurde die Abgabenlast ab Philipp IV. von der Gesellschaft als etwas Bedrängendes bewertet.29 Wenn sich der königliche Hof darum bemühte, die öffentliche Meinung für die Abgaben einzunehmen, wofür auch der Begriff der königlichen Propaganda geprägt wird, dann steckt dahinter nicht nur ein Selbstzweck, sondern bildet bereits das Resultat einer Phase „staatlicher Verdichtung“, nämlich die Herausbildung der Bedeutung der „freien Einsicht der Gesellschaft in das Notwendige“.30 Die instrumentelle Dimension besteht darin, erstens eine neue Begründung zu finden, die über die Rechtfertigungen hinausgeht, die bis dahin aus der Praxis des Lehnsrechts entwickelt worden waren, und zweitens den Handlungsrahmen zu erweitern, innerhalb dessen der königliche Hof agieren kann.31 Darüber darf aber nicht die symbolische Dimension vergessen werden, da in der Interaktion zwischen königlichem Hof und öffentlicher Meinung drittens immer wieder neu definiert wird, was notwendig ist. Zur Begründung der Notwendigkeit der Übernahme von Verpflichtungen werden zwei bekannte Prinzipien (Quod principi placuit legis habet vigorem (Dig. I, 4, 1) und Princeps legibus solutus est (Dig. I, 3, 31)) angeführt, welche, wenn sie vollständig an-
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In Zeiten von Unruhen und Kriegen betreffen die Forderungen der Delegierten weitgehend den Krieg und die Verteidigung des Landes, während in Zeiten des Friedens Recht, Verwaltung und Justiz eine größere Bedeutung erlangen. Immer wiederkehrend werden auch die Funktionen und Kompetenzen der Versammlungen verhandelt; Hébert, Voix, S. 264–268. 29 Vgl. Moraw, Gemeiner Pfenning, S. 130. Die zeitgenössische Wahrnehmung der Abgaben unter Philipp IV. als etwas Bedrängendes wurde von einem Teil der Forschung aufgegriffen, da es ihrer eigenen Sicht vom französischen Staat entsprach; vgl. Jostkleigrewe, Monarchischer Staat, S. 25–26. 30 Moraw, Gemeiner Pfenning, S. 130. 31 Rigaudière, L’essor, S. 524–525.
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gewendet werden, den König mit Blick auf die Steuerpolitik in eine souveräne Position setzen.32 Diese Prinzipien wurden von Juristen aus dem Umfeld Philipps IV. häufig diskutiert, aber in der Außendarstellung durch eine deutlich abgemilderte Wortwahl ersetzt. Insbesondere Ausdrücke für Steuern (taillia, focagium) werden zugunsten von Begriffen zur Bezeichnung aus dem Bereich der Gabe und Subsidien (munus, stipendium, tributum) ausgetauscht. Subsidien waren klar mit der Versorgung von Soldaten verbunden; zunächst in Naturalien, dann per Geldzahlungen. In der Tradition römischer Kaiser konnten diese Leistungen (tuitione reipublicae) auf den französischen König übertragen werden.33 So zeichnen sich bereits die Bedingungen ab, unter denen der König entscheiden kann, Subsidien zu erheben. Sie sind gegeben, sobald necessitas als Verweis auf die außergewöhnlichen Umstände und utilitas publica im Gegensatz zum privaten Nutzen und meist in Verbindung mit der Verteidigung des Königreichs (defensio regni) vorhanden sind.34 Durch die vorherige Konstruktion der Juristen am Hof sollte die direkt aus dem römischen Recht abgeleitete Annahme bestätigt werden, dass der König das Recht habe, Abgaben zu erheben. Ferner konnten die Konstruktionen in Konfliktfällen für Rechtfertigungsstrategien genutzt werden. Schließlich wurden utilitas publica und defensio regni ab dem Ende des 13. Jahrhunderts aufgegriffen und von einer Reihe von Autoren immer wieder neu interpretiert, um die Position des Königs bei jeder neuen Steuererhebung zu stärken. Nicht nur schlägt der Begriff der „Verteidigung des Königreichs“ eine Brücke zu den lehensrechtlichen Hilfszahlungen (tuitio), sondern er erlaubt es auch neue Gruppen als Steuerzahler anzusprechen. Zunächst konnte sich der König nur an jene Vasallen wenden, die ihm Rat und Hilfe schuldeten, wobei die Letztere in Form einer finanziellen Hilfe auf vier Fälle (quatre cas) beschränkt war: Zahlung eines Lösegeldes zur Befreiung des Königs, Aufbruch zum Kreuzzug, Ritterschlag des erstgeborenen Sohns, Heirat der erstgeborenen Tochter. Philipp IV. berief sich mindestens in drei Fällen auf die Erhebung von Hilfszahlungen aufgrund der quatre cas.35 Militärische Hilfe konnte zwar von den unmittelbaren Vasallen gefordert werden, aber der direkte Zugriff auf all jene (Adlige und Nichtadlige), die den Baronen militärische Hilfe (Burgwache, Heer für die Adligen; Fron- und Wachdienst für die Nichtadligen) schuldeten (arrière-ban), blieb den Königen eigent32 Vgl. https://droitromain.univ-grenoble-alpes.fr/Corpus/digest.htm (31.08.2022). Mit Referenzen und Hinweisen auf die weitere Behandlung der Prinzipien durch französische Juristen bei Rigaudière, L’essor, S. 525–527. 33 Rigaudière, L’essor, S. 527–528. 34 Die Begriffe defensio regni und utilitas ublicae werden herausgearbeitet von Joseph R. Strayer: Defence of the Realm and Royal Power in France, in: Studi in onore di Gino Luzzato, Bd. 1, Mailand 1949, S. 289–296; Gabrielle M. Spiegel: Defence of the Realm: Evolution of a Propaganda Elogan, in: Joumal of Medieval History, Bd. 3 (1977), S. 115–133. Sowie Elizabeth A. R. Brown: Taxation and Morality in the Thirteenth and Fourteenth Centuries: Conscience and Political Power and the Kings of France, in: French Historical Studies 8,1 (1973), S. 1–28, hier S. 5. 35 Am Beispiel der Hilfszahlungen zugunsten der Heirat der ersten Tochter Philipps; Brown, Taxation.
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lich verwehrt. Doch genau an diesem Punkt setzten die königlichen Juristen an, wenn sie die Leistung militärischer Hilfe des arrière-ban einforderten. Unter der Notwendigkeit der „Verteidigung des Königreichs“ wurde ab 1294 versucht, dass sich alle Untertanen an den militärischen Anstrengungen beteiligten. Statt ein allgemeines Aufgebot einberufen zu wollen, was den ebengenannten Prinzipien widersprochen hätte, ging man den Schritt ein, dass sich jeder von angenommenen Dienstpflichten freikaufen konnte – und begründete damit eine fiskalische Innovation. Auf diese Weise beteiligten sich die „befreiten“ Dienstpflichtigen an der Verteidigung des Königreichs, ohne selbst kämpfen zu müssen, was insbesondere für Nichtadlige von Vorteil war.36 Konzipiert wurde der Freikauf als Vermögensabgabe, zu der Adlige und Nichtadlige aufgefordert wurden, die aber ausdrücklich nicht ohne die Zustimmung der Barone erhoben werden sollte. Die Zahler wurden aufgrund ihres sozialen Status und innerhalb ihres Standes aufgrund ihres Vermögens unterteilt. Ferner wurde jedes Mal von Neuem entschieden, welche Gruppen zum Heerdienst aufgefordert wurden, von wem eine Zahlung erwünscht war und wer vom Dienst ausgenommen wurde. Maßstab war die Umlage des Unterhalts eines Kämpfers für eine bestimmte Zeit durch eine festgelegte Gruppe von Herdstellen (feux).37 Der Freikauf darf aber nicht als ein von Beginn an durchgeformtes und einheitliches Verfahren begriffen werden – die langsame Entwicklung und Umsetzung werden noch dargestellt werden. Und selbst am Ende der Herrschaft Philipps IV. kann zwar von einem Erfolg des innovativen Verfahrens gesprochen werden, doch blieb es uneinheitlich, weil ein homogenes Verfahren gänzlich ungeeignet gewesen wäre, um die zahlreichen rechtlichen, politischen und sozialen Unterschiede im Königreich anzuerkennen.38 Dazu gehört auch den Städten und Gemeinschaften die Modalitäten der Erhebung der jedes Mal von Neuem ausgehandelten Abgabe zu überlassen. König und Hof schafften es schließlich, die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass die ihnen auferlegte Abgabe nun einem neuen Begünstigten zugutekommt. In der Forschung wird dafür der Begriff „Staat“ verwendet, in der Begrifflichkeit der Zeit ist es das Königreich oder die respublica, deren Verwalter der König ist, der die Einnahmen
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Strayer, Defence, S. 296; Rigaudière, L’essor, S. 531–533; Hélary, L’armée, S. 152–157. Rigaudière, L’essor, S. 533–534. Mit Blick auf die Akzeptanz des Systems verweist Albert Rigaudière auf Jean Favier, der den Vorteil des Vorgehens darin sieht, dass die Steuerzahler nicht selber in den Krieg ziehen mussten, sondern jemanden unterhalten konnten, der in einem bevölkerungsstarken Königreich vor der „Großen Pest“ ein Auskommen fand. Prestige-Verlierer des Systems seien die Barone gewesen, die ihre Funktion als Chefs bewaffneter Gruppen langsam verloren und von denen sich der König durch seine Truppe unabhängiger machte; vgl. Favier, Philippe le Bel, S. 174–175. Hierzu jetzt auch Hélary, L’armée, S. 226–230. Rigaudière, L’essor, S. 535 verweist dabei auf Boutaric, der von einem geringen Beitrag als Zugeständnis an den Widerstand der Adligen und Nicht-Adligen spricht; so Boutaric, France, S. 266–267.
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aus der Abgabe erhält und sie zu ihren Gunsten einzusetzen hat.39 Da die königliche Verwaltung nicht nur für den Einzug der Abgaben, sondern auch für ihre Verteilung zuständig war, fand sie in dieser Personengruppe ihre besten Verteidiger, womit sie sich als Repräsentantin dieses übergeordneten Konstrukts der respublica für jene angreifbar machte, die diese Autorität zurückwiesen.40 3. Monetäre Notwendigkeiten Die gleiche Begrifflichkeit wurde nicht nur mit Blick auf Abgaben, sondern auch auf andere Bereiche verwendet, die modern als ökonomisch definiert werden könnten, aber im zeitgenössischen Verständnis als das Haushalten mit beschränkten Ressourcen aufgefasst wurde. Agiert wurde, wenn etwas in der Lebenswelt vorhanden sein sollte, abhanden ging oder bereits verloren war. Damit nach klassischer Vorstellung der König und das Königreich seinen Unterhalt aus eigenem Besitz bestreiten und jeder seine Aufgaben erfüllen konnte, wurden Maßnahmen ergriffen, um Ressourcen und Geldmittel im Reich zu halten. Während die für die Kriegsführung absolut notwendigen Ressourcen und Waren ab 1296 von der Ausfuhr dauerhaft ausgenommen wurden, sollte für andere Waren (Wolle, Tuch) das strikte Verbot durch Privilegien und Zölle ersetzt werden; sie werden im Zusammenhang der Besprechung der indirekten Einnahmen später behandelt werden. Zur Unterstützung der königlichen Münze wurden ab 1295 immer wieder Verordnungen mit dem Ziel erlassen, den Gebrauch von Edelmetall (Gold und Silber) einzuschränken oder gar aktiv zur Übergabe von Edelmetall an die königlichen Münzstätten aufzufordern, um die Münzproduktion zu stützen. Der Verweis auf den Gemeinnutzen des Königreichs (le commun profit de nostre roiaume) wurde häufig in Verordnungen genutzt, die auf die Abgabe des Silber- und Goldgeschirrs für diejenigen abzielte, die weniger als 6000 l. t. an Einkommen hatten.41 Im Jahr 1296 wurde das Verbot, Metalle, Schmuck, Waffen und Pferde ins Ausland zu bringen, mit dem Verweis auf den Erhalt der Prosperität und der Unentbehrlichkeit für die Verteidigung des Königreichs
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Rigaudière, L’essor, S. 535–536 und zur Gleichsetzung von „Staat“ und respublica siehe Albert Rigaudière: État, pouvoir et administration dans la Practica aurea libellorum de Pierre Jacobi (vers 1311), in: Jacques Krynen, Albert Rigaudière (Hgg.): Droits savants et pratiques françaises du pouvoir (11e–15e siècles), Bordeaux 1992, S. 160–210. Rigaudière, L’essor, S. 536 unter Verweis auf Jean-Philippe Genet: Introduction, in: Genet/ Le Mené (Hgg.), Genèse, S. 7–12. Zur bereits angesprochenen intolérance à l’autorité étatique siehe oben Anm. 23. Ordonnances des roys de France de la troisième race. Recueillies par ordre chronologique, hg. von Eusèbe Jacob Laurière et al., 22 Bde., Paris 1723–1849, hier Bd. 1, S. 324–325, online unter https:// catalogue.bnf.fr/ark:/12148/cb36046172m (31.08.2022).
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(ad statum prosperum et defensionem necessariam regni nostri) gerechtfertigt.42 Da die Metallvorräte der Münzstätten nicht ausreichten, um den Bedarf zu decken, wurden im Jahr 1302 die königlichen Amtsträger aufgefordert, ihr gesamtes Silbergeschirr – aufgrund der offensichtlichen Notwendigkeit und für den Gemeinnutzen des Königreichs (pour la nécessité apparissant, et pour le profit commun de nostre royaume) – in die jeweiligen Münzstätten zu bringen.43 Der Ton verschärfte sich deutlich nach der Niederlage von Kortrijk im Jahr 1302.44 Im Jahr 1303 wurde das Verbot, Gold und Silber aus dem Königreich zu exportieren oder nach Flandern zu senden sowie Sendbriefe aus Flandern zu erhalten, in der Wichtigkeit seiner Umsetzung durch folgendes Narrativ unterstrichen: Und sie (die Flamen) zerstörten Güter und die zuvor genannten Gegenden durch Mord, Abgründe taten sich durch Verwüstung und Verheerung auf und, nachdem jeglicher Gebrauch von Menschlichkeit abgelegt worden war, vernichteten sie alles in schrecklicher Grausamkeit. Weder in Gottes Namen, noch im Namen eines Menschen und auch nicht im Namen der persönlichen Würde, weder vor dem Geschlecht noch vor dem Alter und auch nicht vor anderen diversen, großen und abscheulichen Exzessen machen sie Halt, die den menschlichen Sinnen einen Schrecken und das Staunen aufdrängen.45
Mit dieser Darstellung wurden die Amtsträger auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Anwendung früher Ordonnanzen besser durchzusetzen. Dabei ist es kein Zufall, dass die Flamen als wilde Bestien dargestellt werden, die alles in Schutt und Asche legen und bei ihrem Ausschweifen keinen Unterschied zwischen Alter, Geschlecht oder sozialer Stellung machen. Sie fürchten Gott nicht und profanieren sogar Kirchen. Die Anschuldigung der Blasphemie gehört zu einer systematischen Strategie des Königshofs, vermeintliche Gegner mit moralischen Argumenten zu diskreditieren und das Bewusstsein der Adressaten der königlichen Anordnungen und Schreiben zu beeinflussen.46 Mit einem Bündel an negativen Wertungen wurde auch die Entwicklung in der Geldwirtschaft belegt.
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Ordonnances XI, S. 386–387. Ordonnances I, S. 347–348. Zur Schlacht von Kortrijk siehe jetzt Xavier Hélary: Coutrai. 11 juillet 1302, Paris 2012 (L’histoire en batailles). 45 […] ac villas et loca predicta per cedis, depopulationis et devastationis voraginem, deposita omni humanitatis mansuetudine, et horribili crudelitate totaliter destruxerunt. Nec Deo nec homini, nec persone nec dignitati aliquatenus deferentes, nec sexui nec etatis parcentes, et alios diversos, enormes et detestabiles commiserunt excessus, qui humanis sensibus horrorem ingerunt et stuporem. Ordonnances I, S. 379–381. Übersetzung durch Autor. Das gleiche Narrativ findet sich auch in einem Brief an den Bischof von Amiens vom 15. August 1303, um ihn aufzufordern, den Zehnten in seiner Diözese einzusammeln, wie es in anderen Diözesen bereits der Fall sei; Ordonnances I, S. 382–383. 46 Wird dieser Straftatbestand doch seit Ludwig dem Heiligen von den französischen Königen systematisch verfolgt – so wurden ebenfalls das Vorgehen gegen Wucher, die Vertreibung der Juden im Jahr 1306 und der Templerprozess durch Blasphemieanschuldigungen gerechtfertigt, wie Wil-
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Kredit- und Bankgeschäfte wurden seit der Mitte des 11. Jahrhunderts im Kirchenrecht erneut mit Verboten und negativen Wertungen besetzt und um die Mitte des 12. Jahrhunderts erhielt der französische König Ludwig VII. den Rat von Petrus Venerabilis, die Juden zu enteignen, um die eigene Teilnahme am zweiten Kreuzzug zu finanzieren.47 Der Hinweis blieb im Königreich Frankreich nicht ungehört und auch die Kirche als Ganzes verschärfte auf dem Vierten Laterankonzil ihre Position gegenüber dem jüdischen Darlehenskredit im Speziellen und dem Kreditwesen im Allgemeinen, das als „wirtschaftlicher Parasitismus“ angeklagt wurde. Auf dieser Grundlage wurden von französischen und englischen Königen während des 12. und 13. Jahrhunderts in zyklischen Abständen die Schulden bei jüdischen und bald auch bei christlichen Kreditgebern erlassen und deren Vermögen konfisziert. Darauf folgten dann wieder Phasen, in denen durch Ausnahmegenehmigungen und Reglementierungen versucht wurde, die für die Bevölkerung nötigen Kreditgeschäfte zu tolerieren. Während diese Maßnahmen von den französischen Königen aus finanziellen Überlegungen und einem spezifischen religiös-moralischen Selbstverständnis getragen wurden, waren solche Vertreibungen bei den englischen Nachbarn Teil einer etablierten Tradition der Exklusion von Fremden aufgrund ihrer Fremdheit. In Frankreich überformte Ludwig IX. das Selbstverständnis solcher Kampagnen als breit angelegte Reinigungsakte im religiösen Sinn von Wucher, aber auch Blasphemie, Prostitution, Bestechung und Korruption, um sich und das Reich auf den bevorstehenden Kreuzzug vorzubereiten.48 In der maßgeblichen Anordnung Ludwigs IX. von 1268 wird die Vertreibung der Geldverleiher wie folgt begründet: Lombardi et Caorcini, ac etiam quam plures alii alienigene usurarii, in regno nostro publice, super pignoribus mutuatis ad usuram, habentes ad hoc domos et mansiones specialiter deputatas, in quarum extorsione usurarum valde depauperant regnum nostrum, ac in domibus et mansionibus suis multa mala perpetrare dicuntur.49
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liam Courtenay und Karl Ubl gezeigt haben; vgl. Courtenay/Ubl (Hgg.), Gelehrte Gutachten, S. 22. Diese Fälle weisen auf ein religiös-moralisches Selbstverständnis französischer Könige hin, welches ihre Autorität stützt, und mögen ein besseres Verständnis ihres Handelns geben, wie Elizabeth Brown bereits hervorgehoben hat, müssen aber auch von den Adressaten zumindest akzeptiert worden sein, um mitgetragen zu werden; vgl. Brown, Taxation. Grundlegend Hans-Jörg Gilomen: Wucher und Wirtschaft im Mittelalter, in: Historische Zeitschrift 250 (1990), S. 265–301 und nochmals Gilomen, Wirtschaftsgeschichte, S. 93–95. Hier kann jetzt auf die Dissertation von Rowan Dorin verwiesen werden, der die Kampagnen in kirchenrechtlicher und ideengeschichtlicher Perspektive aufgearbeitet hat: Rowan William Dorin: Banishing Usury: The Expulsion of Foreign Moneylenders in Medieval Europe (1200–1450), phil Diss. Cambridge 2015 (masch.), online unter http://nrs.harvard.edu/urn-3:HUL.InstRepos: 23845403 (31.08.2022), hier S. 90–108. Ordonnances I, S. 96. Hierzu Le Goff, Saint-Louis, S. 284 und Dorin, Banishing Usury, S. 142– 144, der darauf hinweist, dass die Verwendung von alienigena einem Pleonasmus gleichkommt, dessen Funktion darin besteht, sicherzustellen, dass alle von dem Inhalt der Anordnung belangt werden können, die sich des Wuchers schuldig gemacht haben.
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In der Aussage der Ordonnanz führte die Praxis des Geldverleihs (hier beschränkt auf alle Fremden, die wucherhafte Pfandgeschäfte betreiben) dazu, dass „unser Reich stark verarmt[e]“. Weiterhin müssten die Schäden unterbunden werden, welche die „Lombarden und Cahorsiner“ in ihren Häusern und Geschäften angeblich anrichteten. Doch blieb die Wirkung der Anordnung Ludwigs IX. nicht auf Frankreich beschränkt, da sie maßgeblich in die Beschlüsse des Lyoner Konzils (1274) gegen Wucher einfloss. Der französische König war in dieser Frage der Kirche also voraus. Vom Lyoner Dekret ging aber keine Welle der Ausweisung von Geldverleihern durch Europa. Seine größte Rezeption erfuhr es dort, wo ohnehin schon gegen Geldverleiher vorgegangen wurde: England und Frankreich.50 Dort nahm das Dekret auch noch eine andere Wendung. 1274 bildete es erstmals die Grundlage für die Vertreibung der jüdischen Gemeinde in Angers, obwohl die Anwendung des Dekrets auf jüdische Geldverleiher völlig unklar war. Eine weitere Einzelmaßnahme bildete die Ausweisung der jüdischen wie christlichen Geldleiher im Jahr 1289 durch Karl II. von Anjou.51 Dramatisch wurde es für die jüdischen Gemeinden, als erneut der englische und französische König sowie Papst Bonifatius VIII. Vertreibungen anordneten. Im Jahr 1290 befahl Eduard I. von England die Vertreibung aller Juden aus seinem Königreich. Sechzehn Jahre später folgte Philipp IV. von Frankreich. In Gebieten der Kirche ordnete Papst Bonifatius VIII. im Jahr 1300 und 1303 Vertreibungen an. Das Lyoner Dekret bildete jeweils die Grundlage, wobei Juden zur Gruppe der fremden Geldverleiher gezählt wurden. Als Begründung diente der große Schaden, welchen die jüdischen Geldverleiher den Reichen und Gebieten zufügen würden. Der Verweis auf die wucherischen Praktiken der Geldverleiher reichte aus, um ihre Vertreibung zu rechtfertigen.52 Die Vertreibung der jüdischen Gemeinden aus Frankreich im Jahr 1306 war allerdings nur ein Höhepunkt einer Reihe von Maßnahmen gegen Geldverleiher unter Philipp IV. Hierin unterscheidet er sich von seinem Großvater und Vater, deren Aktionen mit den Vorbereitungen ihrer Kreuzzüge in Verbindung gebracht werden können. Während in diesen Vorhaben finanzielle Überlegungen und das religiös-moralische Selbstverständnis der französischen Könige noch in Übereinstimmung gebracht werden können, ruft diese Verbindung unter Philipp IV. aufgrund des Eingriffs in Gewohnheiten und Privilegien Widerstände hervor.53
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Speziell zur Konfiskation als durch das Lyoner Konzil sanktionierte Maßnahme gegen christliche Geldverleiher und zum möglichen Einfluss der von Ludwig IX. veranlassten Anordnung gegen Wucher von 1268 (Anm. 203) auf das maßgebliche Lyoner Dekret gegen Wucher (Usurarum voraginem) jetzt Dorin, Banishing Usury, S. 109–149. Zur Rezeption und Wirkung des Dekrets Ebd., S. 150–200. Dorin, Banishing Usury, S. 280–283. Ebd., S. 287–288. Elizabeth A. R. Brown: Reform and Resistance to Royal Authority in Fourteenth-Century France: The Leagues of 1314–1315, in: Dies., Politics, S. 109–137.
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Immer unter Bezugnahme auf die Anordnung des Großvaters von 1268 wurden in den Jahren 1292, 1295, 1303–1305 und 1309–1311 Untersuchungen oder gar Beschlagnahmungen unter dem Verdacht des Wuchers vorgenommen, worunter teilweise nur einzelne (singulier) Pfandleiher fielen, teilweise auf Gruppen inklusive der italienischen Handelsgesellschaften abgehoben wurde, die des Geldverleihs nach italienischer Art beschuldigt wurden. Letzteres war der Fall 1303–1305 und 1309–1311. In jeder Anordnung wird die Schädlichkeit dieser Praktiken für das Königreich wiederholt; so z. B. im Jahr 1311 mit Blick auf die Auswirkungen des Wuchers auf den Wert der königlichen Münzen: Cum propter importabilia dampa et gravamina que ab Italicis moram et residentiam in regno nostro trahentibus regni ipsius incolis per usuram voraginem monetarum nostrarum destructionem et ordinationum nostrarum transgressionem, ita quod bone monete fortis et antique legi et solite operatio et eius cursus penitus impeditur ac per alios modos varios hactenus illata fuisse et incessanter adhuc inferri noscuntur.54
Etwas spezifischer waren die Maßnahmen vom Januar 1312, die sich zwar auch gegen Wucher richteten (pro reformatione publia regni nostri usuras a Deo prohibitas et a Sancti patribus nec non progenitoribus nostris dampnatas prohibemus), diesmal aber vor allem die Praktiken auf den Champagnemessen ins Visier nahmen. Neben der ungebührlichen Zinsnahme wurden auch verschiedene Praktiken angeklagt, die als Wucher qualifiziert wurden, da durch Wechsel, Termingeschäfte, Retrodatierung und Geldwechsel versteckt Zinsen genommen würden.55 In einer Ordonnanz vom Ende des Jahres 1312 wird die vorherige Ordonnanz interpretiert und ihre Motivation erneut dargestellt: Nous desirans purger nostre royaume de la mauvaisitié d’usures nouvellement fimes ordonnance en laquelle jacoit ce que nous ayant toutes manieres d’usures expressement reprouvé et deffendu toutesfois celles usures qui font trop griefves et surmontent certaine quantité en ladite ordination expresse aussi comme insupportables et non souffrables et lesquelles plus griefvement et en petit temps devorent et consument la substance de nos subjets plus aprement avons deffendues mettant et imposans peine de corps et d’avoir a nostre volonté a ceux qui les feront et les frequenteront ainsi comme plus plenierement est contenu en l’ordonnance dessusdite.56
Die Ordonnanz steht unter dem Eindruck des Reinigungsmotivs des Königreichs in der Prägung Ludwigs IX. und der Abwendung von Schaden, welchen das Volk, das in kurzer Zeit der eigenen materiellen Substanz beraubt worden sei, durch den Wucher genommen habe. Zwei Beobachtungen lassen sich an die Anordnung jedoch anschließen. Erstens weist sie inhaltliche Unterschiede zu den vorherigen Anordnungen dahingehend auf, dass die verbotenen Praktiken über die Pfandleihe hinausgehen und 54 55 56
Ordonnances I, S. 489–490. Den italienischen Kaufleuten wurde die Möglichkeit eröffnet, sich in Paris zu verteidigen; Ordonnances I, S. 490–491 (1311). Ordonnances I, S. 494–496. Ebd., S. 508–509.
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spezifiziert werden. Zweitens stimmen diese inhaltlichen Merkmale zu einem großen Teil mit dem Dekret Ex gravi des zeitgleichen Konzils von Vienne (1311/12) überein, das gewisse Städte anklagt, gegen göttliches und menschliches Recht zu verstoßen, indem sie Wucher duldeten und beim Vollzug der Schuldforderung helfen würden. Erneut scheinen sich hier die königliche und kirchliche Position gegenüber Geldverleih und Praktiken der Finanz gegenseitig beeinflusst zu haben.57 In dem Dekret sieht Hans-Jörg Gilomen ein Zeichen für die defensive Position, in der sich die Kirche zu diesem Zeitpunkt mit ihrer Haltung gegenüber dem Kreditgeschäft befand, da das Wucherverbot durch die Einführung eines Bündels von Klauseln, unter denen eine Verzinsung von Krediten erlaubt wurde, faktisch abgeschwächt wurde.58 Zusätzlich hing die Umsetzung des Dekrets, gegen offenbaren Wucher vorzugehen, trotz der Androhung der Exkommunikation stark vom Willen von Königen, Fürsten und Städten sowie der Überzeugungskraft der Bettelorden, vor allem der Franziskaner, ab. Es liegen zumindest Hinweise für Brabant und Flandern vor, die nahelegen, dass Städte nicht nur weit weniger bereit waren, das Dekret umzusetzen, sondern auch, dass sich dort neue Vertragsformen entwickelten, um das Zinsverbot zu umgehen.59 Welche Bedeutung hat dieser Befund für das Königreich Frankreich? Wollten Philipp IV. und später sein Sohn Karl IV. (1322–1328) die Kreditnahme völlig unterbinden oder durch Strafzahlungen Geld aus den angeklagten Geldverleihern und italienischen Gesellschaften herauspressen? Hierauf wird später noch einzugehen sein. 4. Besteuerung des Klerus und reformatio Die auf die necessitas regni, defensio patriae oder utilitas rei publicae rekurrierende königliche Kommunikation musste nicht nur innerhalb des Königreichs, sondern auch in Richtung des Papstes überzeugen, da Letzterer im Fall der Besteuerung des Klerus zu konsultieren war, wenn sie nicht ohnehin von ihm ausging. Zum besseren Verständnis dieses Zusammenhangs lohnt es sich, auf einen früheren Schritt innerhalb der Entwicklung der Besteuerung des Klerus zu blicken.60 57 58 59
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Die Verbindung zwischen der königlichen Anordnung und dem Dekret Ex gravi wurde meiner Kenntnis nach noch nicht gezogen. Zum Dekret siehe Gilomen, Wucher, S. 285 und Dorin, Banishing Usury, S. 26. Gilomen, Wucher, S. 285 und Ders., Wirtschaftsgeschichte, S. 95. Dabei muss betont werden, dass über die Durchsetzung des Dekrets insgesamt wenig bekannt ist, wie Dorin zuletzt hervorgehoben hat; Dorin, Banishing Usury, S. 26 mit Anm. 51 unter Verweis auf die Arbeit von David Kusman, der jüngst einige Einsichten am Beispiel Brabants geliefert hat; vgl. David Kusman: Usuriers publics et banquiers du prince: Le rôle économique des financiers piémontais dans les villes du duché de Brabant (XIIIe–XIVe siècle), Turnhout 2013 (Studies in European Urban History, 28), S. 326–334. Vgl. im Folgenden Hannes Möhring: Geld zum Kampf gegen Ungläubige: Die Finanzierung der Kreuzzüge und die Besteuerung des Klerus, in: Schultz, Mit dem Zehnten, S. 87–99.
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Zur Finanzierung eines Kreuzzugs wurde von Papst Gregor VIII. (1187) erstmals ein sogenannter „Saladinszehnt“ ausgeschrieben, der aus einer Abgabe eines Zehnten der Einkünfte des laufenden Jahres aller beweglichen Güter und des ganzen Vermögens, sowohl an Gold als auch an Silber, und an allen anderen Dingen, von Geistlichen und Laien bestand. Zwar stieß der „Saladinszehnt“ zum Zeitpunkt der ersten Erhebung im Königreich Frankreich auf heftigen Widerstand des französischen Klerus und Philipp II. musste von ihm Abstand nehmen, doch das Prinzip war entgegen Beteuerungen des französischen Königs in die Welt gesetzt. Clemens III. (1187–1191) einigte sich mit dem Klerus auf eine Kollekte in der gleichen Höhe, die wiederum den Weg frei machte für die Besteuerung des Klerus zugunsten des vierten Kreuzzugs durch Innocenz III. Dieser rief 1213 auch den fünften Kreuzzug aus, dessen Finanzierung von ihm zum Gegenstand des Vierten Laterankonzils von 1215 gemacht wurde. Dort wurde zwar die Anerkennung der Abgabenpflicht des Klerus für Kreuzzugsangelegenheiten erreicht, aber anders sah die Beurteilung ihrer Verpflichtung gegenüber weltlichen Herrschern aus. In diesem Zusammenhang wurden die Beschlüsse des Dritten Laterankonzils von 1179 bestätigt, dass in solchen Fällen der Klerus zuzustimmen habe und der Papst konsultiert werden müsse. Würde jedoch der Fürst selbst das Kreuz nehmen, könnten ihm die Einnahmen des Zehnten seines Gebiets überlassen werden. Die Umsetzung der Konzilsbeschlüsse ab 1221 durch Honorius III. (1216–1227) zugunsten des sogenannten „Albigenserkreuzzugs“ hatte zur Folge, dass sich unter dem Klerus Widerstand gegen die Eintreibung der Abgabe erhob, da die Gelder nicht zur Verteidigung der Christen im Heiligen Land bestimmt waren, worauf der Papst mit Exkommunikation und Suspension die Erhebung durchsetzte. Die Anwendung der kirchenrechtlichen Strafen als Herrschaftsinstrumente des Papstes in Fragen der Abgabenpflicht sowie die Zweckentfremdung des Zehnten sollten sich behaupten. Konzeptuell hatte der Krieg gegen die als Häretiker gebrandmarkten Albigenser zur Folge, dass nunmehr jeder Kampf gegen die inneren Feinde der Kirche bzw. des Papstes finanziell durch Abgaben der Kleriker unterstützt werden konnte. Der Nachfolger Honorius’ III., Gregor IX. (1227–1241), ging noch einen Schritt weiter, indem er im Jahr 1228 Sonderabgaben vom Klerus für die eigene Politik einforderte, hier für den Kampf gegen Friedrich II. In der Auseinandersetzung um dessen Erbe zwischen Aragón und Anjou flossen ebenfalls kirchliche Gelder, da die Belehnung Karls I. von Anjou mit dem Königreich Sizilien auf den französischen Papst Urban IV. zurückging und Martin IV. beim Ausbruch des Kriegs zwischen Aragón und Anjou die frankreichaffine Politik fortführte. Wie selbstverständlich ging die Anerkennung des Kampfs als Kreuzzug einher mit der Übergabe der Einnahmen aus dem Kirchenzehnten an den kämpfenden Fürsten, Karl von Anjou. In der Zwischenzeit hatte Gregor X. (1271–1276) in seinem Bestreben einen neuen Kreuzzug zusammenzubringen auf dem zweiten Lyoner Konzil 1274 die Abgabenpraxis zugunsten des Kreuzzugs systematisiert und die Besteuerung des Klerus besser organisiert. Aufgrund der Institutionalisierung und Instrumentalisierung der Kreuzzugsabgabe hatte auch der Verlust der letzten christlichen Herrschaft im Orient nicht
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ihre Einstellung zur Folge, da ihre Zweckentfremdung durch die Päpste zu eigenen und zu fremden Zwecken zur Gewohnheit geworden war. Mehrfach hatten die Päpste der Besteuerung des englischen und französischen Klerus zugestimmt, ohne von den beiden Königen den mit der Abgabe verbundenen Zweck des Kampfes im Heiligen Land oder gegen Feinde der Kirche einzufordern. Diese Praxis wurde weiter auf die Spitze getrieben, als im Jahr 1294 die beiden Königreiche gegeneinander Krieg führten und dabei auf Abgaben ihres Klerus zurückgreifen konnten. Die zu diesem Zeitpunkt weiter andauernde Sedisvakanz (1292–1294) favorisierte diese Situation, in der der englische bzw. französische Klerus keinen Papst konsultieren konnte. Die zwei Jahreszehnten, denen sie jeweils zustimmten, liefen 1296 aus, woraufhin Philipp IV. einen Schritt weiter ging und im Norden Frankreichs zum zweiten Mal zwei Jahreszehnten und im Süden vier Jahreszehnten vom französischen Klerus forderte. Dem stimmten die Bischöfe, aber nicht der übrige Klerus zu.61 In dieser Situation intervenierte Bonifatius VIII., der einerseits den Klerus ebenfalls besteuern wollte, um den finanziellen Bedarf seiner Politik im Inneren des Patrimonium Petri (Colonna) wie im Äußeren (Sizilien) zu decken, und andererseits in der Weiterformulierung der plenitudo potestatis das geltende Recht verschärfen wollte. An die Stelle der im Vierten Laterankonzil festgehaltenen, verpflichtenden Konsultation des Papstes in Fragen der Besteuerung durch den Klerus sollte nun nicht nur die ausdrückliche Einholung seiner Erlaubnis gesetzt werden, sondern ihre Zuwiderhandlung wurde unter Strafe gestellt. Dieser päpstliche Anspruch findet sich in der Bulle Clericis laicos vom 25. Februar 1296 formuliert, die sich an alle Kleriker und Laien richtet. Geistlichen wurde jegliche Steuerzahlung an Laien verboten und weltlichen Fürsten untersagt, solche Abgaben ohne päpstliche Genehmigung zu fordern. Als Strafe drohte die Exkommunikation.62 Trotz ihres allgemeinen Anspruchs konnte es den englischen und französischen Königen nicht entgangen sein, dass sie unmittelbar von der Regelung betroffen waren. Während der englische König Eduard I. auch im Folgenden die Forderungen Bonifatius’ VIII. ignorierte, reagierte Philipp IV. auf die Bulle mit einem Ausfuhrverbot von Gold und Silber, womit er dem Papst einen Großteil der französischen Einnahmen der Kurie entzog. Bonifatius VIII. musste einen Teil der Regelungen in Clericis laicos zurücknehmen, um eine Lockerung des Ausfuhrverbots zu erreichen. Dabei milderte er mit der Bulle Romana mater ecclesia (Februar 1297) den Absolutheitsanspruch von Clericis laicos dahingehend ab, als dass Geistliche sehr wohl einer Beihilfe zustimmen könnten, solange sie ohne Zwang erfolge. Sollte diese Bitte aus Notwendigkeit (necessitas) erfolgen, müsse der Papst auch nicht erst um Erlaubnis ersucht werden. Einen Schritt weiter ging es durch die Anfrage von fünfzehn französischen Bischöfen, die da-
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Favier, Philippe le Bel, S. 272–273; Möhring, Geld, S. 98. Registres de Boniface VIII, Nr. 1567.
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rum baten, den König im Kampf gegen den Grafen von Flandern unterstützen zu dürfen, der sich offen gegen den König erhoben hatte.63 Mit der Bulle Coram illo fatemur vom 28. Februar 1297 durfte mit päpstlicher Zustimmung erstmals wieder dem König eine Abgabe des Klerus überreicht werden.64 Die kanonisch-rechtliche und politische Kehrtwende Bonifatius’ wird von der Forschung damit erklärt, dass er sich gleichzeitig im Inneren der Kurie erheblichen Anfeindungen unter den Kardinälen gegenübersah, die seine Aufmerksamkeit und finanzielle Ressourcen aus Frankreich erforderten. Im Verlauf des Jahres nahm er mit der Bulle Etsi de statu ( Juli 1297) nochmals eine Anpassung vor, nachdem die französischen Bischöfe ihm als Reaktion auf neue Spannungen mit dem Grafen von Flandern und ohne Bitte des Königs einen neuen Zweijahreszehnten, zahlbar innerhalb eines Jahres (also eine Abgabe von 20 % auf die Einkünfte eines Jahres), bewilligt hatten. Unter diesen Umständen konnte Bonifatius VIII. nicht zurückstehen und genehmigte in weiter Auslegung der getroffenen Regelungen, dass in der Frage der Notwendigkeit der Besteuerung der König entscheiden könne, ob ein solcher Fall vorliege. Basierend auf dem bekannten Prinzip der regni defensione periculosa necessitas war damit dem französischen König (allein) ein Recht zugesprochen, eine Abgabe des Klerus für gerechtfertigt einzuschätzen, ohne auf die Erlaubnis des Papstes angewiesen zu sein.65 Aus den Reihen der Kleriker sollte sich aber eine Opposition gegen die Pläne des französischen Königs erheben, denn ihre Stimme ging in der Auseinandersetzung zwischen König und Papst unter und fand auch erst um 1300 in Rom Gehör. Im Zentrum der Auseinandersetzung standen die Zugriffsrechte des französischen Königs auf Kirchengut. Die Frage sollte sich in einem Konflikt kristallisieren, in dessen Fokus der Bischof von Pamiers, Bernard Saisset, stand, der dem Königshof bereits als Verbündeter und Legat des Papstes in Frankreich bekannt war.66 Zwischen 1295 und 1297 versuchte der Königshof bereits die Ernennung von Bernard Saisset als Bischof des neueingerichteten Bistums Pamiers zu verhindern. In der folgenden Auseinandersetzung wurde der Bischof vom Königshof gezielt diskreditiert und der Häresie, Verschwörung und lèse-majesté beschuldigt; Anklagepunkte, über die sich der König vorbehielt, zu richten. Ob der Bischof sich dieser Verbrechen schuldig gemacht hatte, war umstritten. Worauf es ankommt, ist, dass der Fall die Spaltung innerhalb des französischen Episkopats und Klerus vorantrieb; galt es doch, der Tendenz entgegenzuwirken, dass die Privilegien der Geistlichen in Fragen des Rechts und der Rechtsprechung
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Registres de Boniface VIII, Nr. 2312. Favier, Philippe le Bel, S. 274–277; Möhring, Geld, S. 98– 99. Registres de Boniface VIII, Nr. 2333. Ebd., Nr. 2354. Favier, Philippe le Bel, S. 283–286; Möhring, Geld, S. 99. Favier, Philippe le Bel, S. 321–324. Eine Besprechung der am Königshof vorbereiteten Anklageschrift findet sich bei Jeffrey H. Denton: Bernard Saisset and the Franco-papal Rift of December 1301, in: Revue d’histoire ecclésiastique 102 (2007), S. 399–427.
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aufgeweicht wurden. Im Fall Saisset hieß dies, dass der Bischof in die Obhut eines Geistlichen, in diesem Fall des Erzbischofs von Narbonne, überstellt werden sollte. Durch diese Lösung konnte zwar ein Kompromiss zwischen dem königlichen Hof und einem Teil des Episkopats über die Frage der Gefangennahme Saissets gefunden werden, aber der Kern der Affäre, nämlich die Beschlagnahmung der weltlichen Güter des Bischofs, blieb noch unangetastet. Dieser Frage kommt, laut Jeffrey Denton, große Bedeutung für die Reaktion des Papstes zu, wie sie in der berühmten Bulle Ausculta fili vom 5. Dezember 1301 formuliert ist.67 Zentraler Gegenstand ist die Verletzung klerikaler Rechte und die Überführung eines Teils der Abgaben des französischen Klerus an die Kurie unter der Begründung der Durchführung eines Kreuzzugs. Mehr noch bekam der „Sohn“ Philipp IV. zu hören, unter wessen „bösem“ Einfluss Frankreich, sein Thron und die Kirche stünden. Auch ermahnte der Papst ihn, zu bedenken, dass Gott den apostolischen Stuhl über den Thron des Königs gestellt habe. Dieser Ordnung zum Trotz unterdrücke Philipp die Kirche, weshalb er ihn aufforderte, Buße zu tun. Mehr noch: Da Philipp sich den Ermahnungen verschließe und sein Königreich nicht besser regiere, indem er kirchliche Güter beschlagnahme und die Münze verschlechtere, habe der Papst beschlossen, ein Konzil in Rom einzuberufen, zu dem er den französischen Klerus einlade. Auch Philipp oder seine Gesandten sollten nach Rom kommen, damit in seiner Anwesenheit über die Missstände gesprochen und Fortschritte im Hinblick auf den katholischen Glauben, die Bewahrung der kirchlichen Freiheiten, die Reform des Königreichs, die Korrektur von Missständen und die gute Regierung des Königreichs gemacht werden könnten.68 Die „väterliche Lektion“ ist abstrafend. In einem Punkt konnte Philipp IV. nachgeben: Er gewährte Bernard Saisset das Exil in Rom. Im Gegenzug ordnete Bonifatius VIII. eine Untersuchung der causa Saisset an. Was auch immer daraus wurde, Saisset sollte bis zu seinem Tod im Jahr 1311 an der Kurie, auch noch unter Clemens V., verweilen. Die Personalie Saisset blieb aber ein Nebenschauplatz, denn Bonifatius VIII. verfolgte vor allem die von der Affäre berührten klerikalen Rechte.69 Alle anderen Punkte des „väterlichen Rats“ zu befolgen, wie sich die päpstliche Bulle verstand, hätte dem Papst eine Einmischung in die Regierung des Königreichs ermöglicht, was für den König und die königlichen Legisten inakzeptabel war. Auch hätte es die Aufhebung der Zugeständnisse, die im Zusammenhang der vorangegangenen Auseinandersetzung zwischen Papst und König erreicht worden waren, und eine Rückkehr zum Zustand der Bulle Clericis laicos bedeutet. Die königliche Antwort wurde von Pierre Flote ver67 68
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Registres de Boniface VIII, Nr. 4424. Denton, Bernard Saisset. Ac, ut de mutatione monete aliisque gravaminibus et injuriosis processibus, per te ac tuos magnis el parvis regni ejusdem incolis irrogatis et habitis contra eos, qui procesus temporis explicari poterunt, taceamus ad presens, qualiter in premissis et aliis libertas ecclesiastica et immunitas tuis sunt enervate temporibus, qualiter tu a sacris et piis, providis et maturis progenitorum tuorum vestigiis, que per universi mundi climata emitebant. Ebd., Nr. 4424, Sp. 328–335, Sp. 331. Favier, Philippe le Bel, S. 345.
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fasst. In einer Art gefälschten Bulle Deum time spitzte Pierre Flote die Argumente des Papstes zu, um sie zu diskreditieren, und in seiner Schrift Scire te volumus präsentierte er eine radikale Alternative.70 Diese Interpretation lag Prälaten, Baronen und Gesandten der Städte vor, als sie auf königliche Einladung am 10. April 1302 in Notre-Dame de Paris zusammenkamen.71 Als Organisator der königlichen Antwort auf die Bulle ging Pierre Flote vor der Versammlung noch einen Schritt weiter.72 Indem der Papst sich weiterhin als Haupt der christlichen Gemeinschaft präsentierte und sie zu bewahren dachte, hatte er konservativ den Gedanken der Reform des französischen Königreichs in die Auseinandersetzung eingebracht. Hierfür hatte der Papst wahrscheinlich Vorwürfe von Teilen des französischen Klerus aufgegriffen. Da von der Zustimmung des Klerus wiederum weitere finanzielle Hilfen für den Konflikt um Flandern abhingen, bot sich dem königlichen Hof die Möglichkeit, den vom Papst eingebrachten Vorschlag aufzugreifen, um den Forderungen des Klerus entgegenzukommen und aus der gewonnenen Zustimmung Kapital zu schlagen. Dem Papst konnte nicht der Vorsitz in der Debatte überlassen werden. Stattdessen verstand es Pierre Flote, sich von den Ansprüchen des Papstes zu emanzipieren, die Legitimität von dessen Wahl infrage zu stellen und den Reformgedanken aufzugreifen. Auch wurde versprochen, den Beschwerden über königliche Amtsträger nachzugehen und eventuell Korrekturen vorzunehmen. Dieses Zugeständnis wurde in einer eigenen Anordnung vom Mai 1302 umgesetzt und es wurden, um den Worten Taten folgen zu lassen, bald sogenannte enquêteurs-réformateurs ins Land geschickt.73 Von der Versammlung wurden Rat und Hilfe, aber vor allem Zustimmung zur königlichen Position und Ablehnung der päpstlichen Einladung, nach Rom zu kommen, erwartet. Zwischenzeitlich durch eine Delegation französischer Bischöfe über den Verlauf der Versammlung in Notre-Dame de Paris unterrichtet, verurteilte Bonifatius VIII. die Agitation des Pierre Flote und drohte, Philipp IV. abzusetzen. Weiterhin erhielt er die Einberufung aller französischen Prälaten nach Rom aufrecht. Diejenigen Bischöfe und Äbte, die nicht kommen würden, könnten sich für abgesetzt oder herabgesetzt betrachten.74 Ähnliche Drohungen artikulierte auch Philipp IV., womit insbesondere die 70 Pierre Dupuy: Histoire du differend d’entre le pape Boniface VIII et Philippes le Bel, roy de France, Paris 1655, S. 44. Karl Ubl: Die Genese der Bulle Unam Sanctam: Anlass, Vorlage, Intention, in: Martin Kaufhold (Hg.): Politische Reflexion in der Welt des späten Mittelalters: Essays in Honour of Jürgen Miethke, Leiden, Boston 2004 (Studies in Medieval and Reformation Traditions – History, Culture, Religion, Ideas, Band 103), S. 132. 71 Favier, Philippe le Bel, S. 349–352. 72 Vgl. im Folgenden Ebd., S. 353–354. 73 Ordonnances I, S. 340–344, hier S. 341. Verweis aus Elizabeth A. R. Brown: Unctus ad executionem justitie: Philippe le Bel, Boniface VIII et la grande ordonnance pour la réforme du royaume (du 18 mars 1303), in: Silvère Menegaldo, Bernard Ribémont (Hgg.), Le roi fontaine, S. 145– 168, hier S. 152–153. 74 Favier, Philippe le Bel, S. 355–358.
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„Moderaten“ innerhalb des französischen Klerus eingeschüchtert wurden, die einen mittleren Weg zwischen den extremen Positionen des Papstes und denen des Königs suchten.75 Während Philipp IV. durch eine Gesandtschaft hoffte, die päpstliche Synode noch abwenden zu können, reisten gleichzeitig die Bischöfe von Noyon, Coutances und Béziers als Delegierte der französischen Prälaten nach Rom. Alles lief aber auf die Versammlung zu Allerheiligen 1302 hinaus, an der die Hälfte der französischen Bischöfe und sechs Äbte, darunter die drei wichtigsten Orden von Cluny, Cîteaux und Prémontré, mit Erlaubnis des Königs teilnahmen. Darunter waren die Bischöfe der großen Herzogtümer (Guyenne, Bretagne, Bourgogne, Anjou, Valois). Der Bischof von Toulouse war ebenfalls anwesend, um sich um die weiteren Folgen des Falls Saisset zu kümmern. Möglicherweise entstand, wie Jean Favier vermutet, bei Bonifatius VIII. der Eindruck, dass die Position des Königs geschwächt sei, was den Papst dazu ermutigt habe, mit der Bulle Unam Sanctam vom 18. November 1302 dogmatischer zu werden und den Anspruch des Papstes auf die Spitzenstellung in der kirchlichen Hierarchie und damit auch seine Autorität in geistlichen und weltlichen Angelegenheiten zu erneuern, anstatt die Ausgestaltung und Umsetzung der „Reform“ des Königreichs zu konkretisieren, die er selber als politisches Vorhaben zur Sprache gebracht hatte.76 Wenige Tage später schickte der Papst den Kardinal und Bischof von Arras, Jean Lemoine, an den französischen Hof, um die Auseinandersetzung zwischen Papst und König zu beenden.77 Im Rahmen einer neuerlichen Versammlung der Prälaten und Barone im Februar 1303 wurden zunächst die päpstlichen Forderungen von Lemoine präsentiert, auf die eine königliche Antwort formuliert wurde.78 Kernstück der königlichen Antwort war aber die Präsentation der großen Reformordonnanz vom 18. März 1303, die ausführte, was Bonifatius VIII. in der Bulle Ausculta fili formuliert, aber vernachlässigt hatte.79 Die „Große Reformordnung“ bezieht ihre Legitimation aus der königlichen Tradition, indem sie dazu einlädt, „die Verordnungen Ludwigs IX. zu respektieren“. Zentraler Gegenstand sind die königlichen Beamten, deren Verhalten erneut kodifiziert wird und besser kontrolliert werden soll. Untere königliche Offiziere unterstanden der Gerichtsbarkeit der Gerichtsboten (hu75
Die „Moderaten“ sollten vor allem im Februar 1303 bei einer weiteren Versammlung in Paris ihre Position darlegen; vgl. Favier, Philippe le Bel, S. 363–365. 76 Registres de Boniface VIII, Nr. 5382. Favier, Philippe le Bel, S. 360; Brown, Philippe le Bel, S. 153–154 77 Registres de Boniface VIII, Bd. 3, Sp. 669–674, Nr. 5041–5069 (datiert auf den 28.11.1302). Verweis aus Brown, Philippe le Bel, S. 154 mit Anm. 31. Favier, Philippe le Bel, S. 363 und 366. 78 Auf den Inhalt des päpstlichen Schreibens und seine Überlieferung geht Elizabeth Brown ausführlicher; Brown, Philippe le Bel, S. 158–165. Die Versammlungen des Jahres 1303 ordnet sie jetzt ebenfalls neu ein; siehe Elizabeth A. R. Brown: Les assemblées de Philippe le Bel. La promotion de l’image d’un gouvernement consultatif et consensuel, in: Genet/Le Page/Mattéoni (Hgg.), Consensus, S. 61–94, hier S. 64–78. 79 Vgl. Ordonnances I, S. 354–368.
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issier) und des Parlaments. Alle, einschließlich der Vögte (prévôts), konnten einer außerordentlichen Gerichtsbarkeit unterliegen, die von enquêteurs-réformateurs ausgeübt wurde, welche am häufigsten aus dem Klerus ernannt wurden und für die Bekämpfung von Missbrauch verantwortlich waren. Sie waren ein effektives Mittel, um vor Ort Beschwerden und Rechtsstreitigkeiten zu verhandeln, aber auch um Steuer- und Bußgelder einzufordern. Frei von Fehlverhalten war aber auch ihre Tätigkeit nicht, die zwischen eifriger Erhebung von Geldern für den König oder Amtsanmaßung schwanken konnte. Den Opfern stand in solchen Fällen nur die Möglichkeit offen, beim Parlament Klage einzulegen oder ihre Fälle den enquêteurs-réformateurs des Königs vorzulegen. Ihre Funktion war keine neue Erfindung, da sie erstmals von Ludwig IX. eingerichtet wurde. Wie in den meisten Punkten ist die Reformordnung nicht innovativ, sondern führt eine ältere Praxis fort. Ein weiteres Charakteristikum dieser und folgender Reformordonnanzen im 14. Jahrhundert ist, dass sie vor allem die Amtsführung königlicher Beamter zum Gegenstand haben, denen häufig zwar weniger Gewalt oder Morde, aber vor allem Korruption und insbesondere Machtmissbrauch vorgeworfen wurde.80 Diese Delikte sind dabei ein Zeichen für das junge Alter der Strukturen und die widersprüchlichen Zielvorgaben des Königs. Den Beamten wurde vorgegeben auf die lokalen Gewohnheiten und Gemeinschaften achtzugeben, aber gleichzeitig wurden sie vom königlichen Hof immer wieder zu mehr Effizienz angehalten. Unter diesen Bedingungen entschieden sich die meisten für die schnellste Methode, um die Vorgaben zu erfüllen. Auch fühlten sie sich vom König privilegiert, weshalb sie „königlicher“ sein wollten als der König und in der Amtsführung überzogen. Vom Machtmissbrauch zur Korruption: Vor Ort und nicht immer mit ausreichenden finanziellen Mitteln ausgestattet, beschafften sich die Amtsträger Mittel, um ihre Diener entlohnen zu können. Ein weiterer Grund ist, dass sie mit ihren eigenen Mitteln an der Kollekte von Abgaben beteiligt waren oder dem König mit Darlehen aushelfen mussten, deren Rückzahlung nicht immer gesichert war. Sich in solchen Fällen aus königlichen Mitteln zu bedienen, führte dazu, persönliche und königliche Finanzen zu vermischen, war aber eine Form, sich schadlos zu halten. Schließlich kam unter den königlichen Beamten die Vorstellung hinzu, dass ein treuer Diener Belohnung verdiene und sein Herr dem nur wohlwollend gegenüberstehen könne. Der Realität der Amtsführung und den Vorstellungen der Beamten stand die Wahrnehmung der sozialen Gruppen vor Ort entgegen, die sie zum Symbol obrigkeitlicher Gewalt machte und ihre Kontrolle regelmäßig forderte. Da die Stellung des Königs und das Prinzip der königlichen Verwaltung von der Zurückwei-
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Dieser Zusammenhang wurde auf der Basis von Klagen gegen königliche Beamte beleuchtet von Gauvard, Ordonnance. Zusammenfassend dargestellt und in die großen Ereignislinien des 14. Jahrhunderts eingebettet von Bove, Le temps de la Guerre de Cent ans, S. 123–153, hier 131–135. Zum Verhalten der königlichen Beamten und ihrer Bedeutung als selbstgewählte Vorreiter im Aufbau ‚staatlicher‘ Strukturen siehe jetzt Jostkleigrewe, Monarchischer Staat.
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sung der Beamten nicht substanziell berührt wurde, war es für ihn umso einfacher, eine „Reform“ zu gewähren, um auf anderen Feldern Zustimmung zu erlangen. 5. Die „gute Münze“ Ludwigs IX Ein schwieriges Erbe Zum königlichen Reformvorhaben zählte auch eine Rückkehr zur „guten Münze“ in Gewicht und Feingehalt, wie sie unter Ludwig IX. Bestand gehabt hatte. Seit 1290 verlor die königliche Silbermünze erheblich an Wert, der bis Ende August 1303 um knapp 60 % gefallen war.81 Es handelt sich dabei um einen Punkt, den Bonifatius VIII. ebenfalls schon angemahnt hatte und der von den versammelten Prälaten im März 1303 in einem Memorandum (Declaratio prelatorum) herausgehoben wurde.82 Unter dem Leitmotiv consilio et auxilio zählten die Bischöfe verschiedene Gegenstände auf, die reformiert werden sollten, darunter vor allem die Münze.83 Mit Blick auf den desolaten Zustand der Münzen von Paris und Tours (parisiensis et turoniensis parvarum) appellierten sie an den König, zur „guten Münze“ Ludwigs IX. zurückzukehren. Außerdem baten sie den König, die Münze nur bei „absoluter Notwendigkeit“ (sine magna et invunerabili necessitate) zu verändern. Träte dieser Fall ein, sollte der König und die Räte des geheimen Rates zunächst einen Eid ablegen, um den „Zustand der Notwendigkeit“ zu bestätigen. Zweitens sollten keine Maßnahmen ohne die Zustimmung der Prälaten und der Barone ergriffen werden. Mit dieser Forderung bestritten die Prälaten nicht das Recht des Königs, Münzmanipulationen aus fiskalischen Interessen durchzuführen. Auch nahmen sie die gleiche Position wie Bonifatius VIII. in Fragen der Besteuerung des französischen Klerus ein, der in der Bulle Etsi de statu von Ende Juli 1297 dem König zugestanden hatte, über den Fall der Notwendigkeit (necessitas) zu
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Spufford, Money, p. 303; Benoît Santiano: La monnaie, le prince et le marchand: Une analyse économique des phénomènes monétaires au Moyen Âge, Paris 2018, S. 283–284 mit Anhang 5. Spufford, Money, p. 303. Quarum conditionum maior pars superius continetur, illa excepta in qua fuit actum quod moneta parisiensium et turonensium parvorum reduceretur ad statum in quo erat tempore sancti Ludovici, avi vestri; et quod dicta moneta non mutaretur sine magna et inevitabili necessitate, de qua necessitate per vos per fidem vestram et per juramentum consiliariorum vestrorum de secreto consilio qui necessitatem illam scire deberent, vel maioris partis ipsorum, fidem facere deberetis; quo facto, de consilio et consensu maiorum baronum et prelatorum mutationem monete facere possetis, necessitate durante; necessitate vero cessante monetam reducere haberetis ad statum debitum absque gravamine et exactione qualibet subditorum. Item, fuit actum quod predictam conventionem monete vos, domine rex, saltim per alium, et quilibet sucessorum vestrorum regum Francie per seipsum in coronatione sua deberetis iurare inviolabiliter observare, et quod de hac conventione quilibet episcopus et quilibet magnus baro patentem litteram regiam posset habere si vellet. Herausgegeben von Strayer/Taylor, Studies, S. 99–103.
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entscheiden.84 Sehr wohl fügten die Prälaten die Klausel hinzu, dass ihre Zustimmung zur Bedingung zukünftiger Münzmutationen gemacht werden sollte. Voraus lag das königliche Versprechen, die Münze zum „alten Zustand“ (antiquus status) zurückzuführen, womit die Ansprüche der Prälaten erst einmal befriedigt schienen, da sie der Erhebung von Subsidien zur Finanzierung der militärischen Kampagnen in Flandern zustimmten. Ende März schon wurde die Erhebung der Subsidien durch königliche Anordnungen verkündet, die ihre Legitimität aus der Zustimmung der Prälaten, Barone und anderer Berater des Königs schöpfte, die als Zeugen aufgeführt wurden.85 Am 7. Mai 1303 berief Philipp IV. seine Berater ein, um über den Verlauf des Krieges, den Status der Münze und andere Angelegenheiten zu sprechen.86 Flankiert wurde die Ankündigung der Rückkehr zu einer besseren Münze durch Anordnungen, den Edelmetallexport zu unterbinden, wie sie bereits im Zusammenhang der Auseinandersetzung mit dem Papst mehrfach veröffentlicht wurden.87 Unter dem Eindruck der wahrgenommenen päpstlichen Bedrohung und aufgrund des zuvor geäußerten Drängens Bonifatius’ zur Reform des Königreichs blieb die Einführung der „guten Münze“ Teil des Ringens um die öffentliche Zustimmung zur königlichen Politik. In zwei Stufen wurde der Kreis jener erweitert, die für den König und gegen den Papst eingenommen werden sollten. Zunächst wurde am 13. Juni eine Versammlung im Louvre in den königlichen Gemächern anberaumt, zu der vor allem die Prälaten, nur wenige Barone und acht Familiare des Königs geladen wurden, denen 28 Anklagen gegen Bonifatius VIII. vorgetragen und die aufgerufen wurden, der Einberufung eines Generalkonzils mit dem Ziel der Absetzung Bonifatius’ wegen Häresie zuzustimmen.88 Während der Versammlung bestätigte der König die Durchführung eines Verfahrens gegen den Papst und erwartete keine gegenteilige Äußerung von den Anwesenden, dem offenbar alle bis auf den Abt von Cîteaux entsprachen. In den folgenden acht Tagen wurden immer weitere Kreise der Pariser Öffentlichkeit in den Louvre eingeladen, zu denen die verschiedenen Pariser Fakultäten und der Dekan sowie das Kapitel von Notre-Dame de Paris gehörten, um in kleinen Versammlungen über das Ergebnis der vorherigen Versammlung informiert zu werden. Sie alle gaben ihr Einverständnis, dem königlichen Aufruf zum Generalkonzil zu folgen.89 84 85 86 87 88 89
Siehe oben Anm. 65. Ordonnances I, S. 369–372. Die Datierung der Ordonnanz lautet Karwoche 1302, muss aber ins Jahr 1303 eingeordnet werden; Brown, Philippe le Bel, S. 146–147 Anm. 5. Brown, Philippe le Bel, S. 146–147 Anm. 5. Basierend auf dem Einladungsschreiben des Königs (Archives Nationales, JJ 36, fol. 29, Nr. 69), das ediert hat Francis Guessard: Pierre de Mornay, chancelier de France, in: Bibliothèque de l’École des chartes 5 (1844), S. 143–170, hier S. 169. So zu Pfingsten am 26.05.1303 (Ordonnances I, S. 372–373) und nochmals am 28. Juli 1303 (Ordonnances I, S. 379–381). Brown, Les assemblées, S. 68–71 unter Verweis auf Boniface VIII en procès. Articles d’accusations et dépositions des témoins (1303–1311), hg. und mit einer Einleitung versehen von Jean Coste, Rom 1995. Zum weiteren Zusammenhang auch Schmidt, Bonifaz-Prozeß. Brown, Les assemblées, S. 71.
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Schließlich wurde am Johannestag, dem 24. Juni, in Anwesenheit des Königs eine Versammlung unter freiem Himmel in den Gärten des Königs an der Spitze der Île de la Cité (le gardin le roy, a la poynte) mit dem Ziel abgehalten, die bisherige Zustimmung öffentlich zu inszenieren. Ein Bericht der Versammlung ist zufällig durch einen unbekannten Agenten der Gesellschaft der Frescobaldi (li compagnon de Freschobali) in Paris überliefert, der ihn verfasst hat, um den englischen Baron Aymer de Valence, 2. Earl of Prembroke, über die Vorgänge zu informieren.90 In sachlicher Weise führt er aus, dass Bertaud de Saint-Denis, Bischof von Orléans, vor dem König, den Erzbischöfen, Bischöfen, Äbten, Prioren und dem Klerus Frankreichs eine Predigt gehalten habe, hinzu seien weitere Geistliche gekommen, vor allem Mendikanten, die in einer Prozession zur Predigt gezogen seien, sowie schließlich eine große Menschenmenge (multitude de gentz come sanz nombre). In seiner Predigt habe Bertraud de SaintDenis unter Bezug auf die Ankündigung der Geburt Johannes des Täufers ([Erit] enim magnus coram Domino, Lukas 1, 15) Parallelen zwischen dem Heiligen des Tages und dem König von Frankreich gezogen, der den Glauben erhöhen werde.91 Anschließend habe ein Kleriker begonnen, in Latein ein Notariatsinstrument (un grant instrument pupplik) vorzulesen, bei dem es sich wahrscheinlich um das Protokoll der Sitzung vom 13. und 14. Juli gehandelt habe, der aber von einem anderen Kleriker ersetzt worden sei, da seine Stimme nicht getragen habe. Der zweite Kleriker habe nun die Anschuldigungen gegen Bonifatius VIII. auf Französisch vorgetragen, die nach Angaben des Klerikers von den Prälaten, den Baronen und dem hohen Adel Frankreichs nicht nur akzeptiert, sondern gar vorgeschlagen worden seien. Sie hätten auf die heiligen Evangelien einen Schwur geleistet und glaubten, dass die Anschuldigungen gegen den Papst begründet seien. Neben seinen kirchenrechtlichen und seelsorgerischen Verfehlungen habe der Kleriker den Ton nochmals verschärft, indem er Bonifatius vorgeworfen habe, dem englischen König einen Zehnten zu gewähren, damit er den französischen König angreife. Wer schließlich noch nicht von der Gefährlichkeit des Papstes überzeugt war, dem wurden Anekdoten von Untaten Bonifatius’ gegen Kleriker präsentiert. Da König, Prälaten, Grafen und Barone befürchteten, dass der Papst schädigende und nachteilige Handlungen durchführen könne, hätten der König und all jene bei den Versammlungen Anwesenden zu einem Konzil aufgerufen, um einen Nachfolger Bonifatius’ zu bestimmen. Sich selbst, das Königreich, ihre Ländereien und Besitzungen hätten sie unter den Schutz Gottes gestellt.92
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Brown, Les assemblées, S. 71–78. Coste, Boniface VIII, S. 191–197. Korrigiert wird damit die ältere Edition von Charles Victor Langlois: Une réunion publique à Paris sous Philippe le Bel (24 juin 1303), in: Bulletin de la société d’histoire de Paris et de l’Île-de-France 15 (1888), S. 130–134. Biblia sacra vulgata, online unter http://www.bibelwissenschaft.de/bibelstelle/Lk1,15/VULG/. [Erit, NB]. Coste, Boniface VIII, S. 191–196; Langlois, Réunion publique, S. 132–133.
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Nachdem die Menge die Anschuldigungen gegen Bonifatius VIII. auf Französisch gehört habe, seien die Mendikanten vorgetreten und hätten die Richtigkeit der Vorwürfe bestätigt und allen Anwesenden versichert, dass alles nur zur Erlösung ihrer Seelen getan werde. Dann habe Jean de Montigny, der Berater des Königs, angehoben, der an den Sitzungen vom 13. und 14. Juni teilgenommen hatte, indem er nochmals die Einheit von König, Prälaten, Adel und aller Kapitel sowie der Universität Paris beschwor. Unter Rückgriff auf die Formel des quod omnes tangit ad omnibus approbari debet habe er betont, dass die Angelegenheit das Wohl des Königs und des Königreichs und den Nutzen aller betreffe, weshalb er die Anwesenden fragen müsse, ob sie der Sache zustimmen wollten oder nicht. Es seien Notare anwesend, um ihr Einverständnis zu dokumentieren. Es ist nicht verwunderlich, dass nach Angaben des Agenten der Frescobaldi die meisten der Anwesenden bejaht hätten (E la plus grant partie de ceux que furent presentz disoient ‚oïl, oïl, oïl‘.). Am folgenden Tage habe der König königliche Schreiber ausgesandt, um alle Mendikanten zu befragen, ob sie ebenfalls den Anschuldigungen gegen den Papst zustimmten. Da sie auf sehr unterschiedliche Meinungen gestoßen seien, habe der König angeordnet, dass jene Brüder das Königreich zu verlassen hätten, die die Anklage nicht billigen könnten.93 Damit endet der Bericht des Agenten der Frescobaldi. Die Elemente der öffentlichen Inszenierung sind leicht zu identifizieren: Versammlung unter freiem Himmel, Anwesenheit von König, Prälaten und den Großen des Reichs, Einzug der Mendikanten und der Menge in einer Prozession, Predigt und Verlesung des bisher Beschlossenen, Anrufung des göttlichen Beistandes und des Gemeinwohls und schließlich die Befragung der Menge und allgemeine Zustimmung. Wie Elizabeth Brown unterstrichen hat, ist es die Einheit des Königreichs im Kleinen und die Konsultation der in Paris versammelten Menge mit abschließender Zustimmung, welche der König und seine Berater als Bild stiften wollten, das anschließend im Königreich zirkulieren sollte.94 Gebraucht wurde es, um die fiskalischen, monetären und militärischen Maßnahmen zu begleiten, die in den vorherigen Versammlungen bereits beschlossen worden waren. Hierzu gehörte auch die faktische Einberufung des arrière-ban, womit auch die Lehnsmänner der Prälaten und Barone dem König dienen würden.95 In den Reaktionen auf den Vorstoß Bonifatius’ VIII. zur Reform des Königreichs nahm die Münzreform einen prominenten Platz ein. Nach der Versammlung in den königlichen Gärten war es Zeit, sie voranzubringen. Die Vorbereitungen zur Ausgabe einer neuen „guten Münze“ liefen bereits an, sodass von Philipp IV. noch am Johannestag wahrscheinlich an alle Baillis ein Schreiben ausging, dass sie ab dem 15. Juli für alle Zinszahlungen, Übertragungen und andere Abgaben nur noch die „gute Münze“ 93 94 95
Coste, Boniface VIII, S. 196–197; Langlois, Réunion publique, S. 133–134. Brown, Les assemblées, S. 72–73. Siehe oben Anm. 45 und Hélary, L’armée, S. 159–164.
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nutzen sollten. Allerdings erwies sich die Ankündigung als verfrüht, da anfangs das Edelmetall fehlte, um die Münzen zu prägen. Die Ausgabe der Münze verschob sich aber zunächst auf unbestimmte Zeit, weil im Juli 1303 die schlechte Münze weiterhin Kurs hatte.96 Da trotz aller Ankündigungen der Münzwert um die Mitte des Jahres noch nicht wieder angehoben worden war und erst Ende August desselben Jahres seinen tiefsten Stand erreichen sollte, ging an den königlichen Hof eine Bitte des Klerus, der Barone und Stände ein, die „gute Münze“ Ludwigs IX. endlich wieder einzuführen. Doch wieder wurde der Zeitpunkt der Einführung der guten Münze verschoben – jetzt erst Allerheiligen 1304 –, um aber gleichzeitig neue Subsidien zu erbitten. Wie Elizabeth Brown zusammenfassend anmerkt, hatte sich Philipp IV. in seiner Antwort von April 1303 auf die Forderungen von Bonifatius in der Bulle Clericis laicos zwar zum Vorkämpfer der Reformen des Königreichs gemacht, von denen eine direkt auf die Münzverschlechterungen abzielte. Ferner habe der König ein schnelles und gesundes Mittel gefunden habe, um die Münze wieder zu verbessern, das er aber über Gebühr zum eigenen finanziellen Nutzen des königlichen Schatzes genutzt habe.97 In der Folge stellte der Königshof in Schreiben an Amtsträger, Bischöfe und Städte die Reform als ein Gesuch dar, um das die Stände und die Untertanen, d. h. Klerus, Barone und die Stände (clergié, les barons et le commun peuple), für den Gemeinnutzen (commun prouffit) gebeten hätten und das in der Wiedereinführung von Münzen bestehen sollte, welche den gleichen Wert wie unter Ludwig dem Heiligen haben sollten.98 Zur gleichen Zeit ließ Philipp IV. die Anordnungen seines Großvaters kopieren. Die Reform (réforme) im Namen des heiligen Vorfahrens zusammen mit dem Verweis 96 Überliefert ist ein Schreiben an den bailli von Orléans; Ordonnances I, S. 378. Am 20. Juli 1303 wird der Umrechnungskurs zwischen alter und neuer Münze festgelegt und die Brüder Albizzio und Musciatto mit ihrer Produktion betraut; vgl. Ordonnances I, S. 379 und 389. Die Datierung des zweiten Dokuments bezweifelt Marc Bompaire: Richard Huguet, de Florence, maître des monnaies de Philippe le Bel, in: Bulletin de la Société nationale des Antiquaires de France, Séance du 28 février 2007 (2009), S. 90–106, https://doi.org/10.3406/bsnaf.2009.10731 (10.11.2019). Schließlich erhalten die Brüder gleichzeitig die Erlaubnis, die schwachen Münzen einzusammeln. Laut Auskunft der königlichen Rechnungsbücher scheinen diese Maßnahmen in der Sénéchaussée Beaucaire auch tatsächlich umgesetzt worden zu sein; Fawtier (Hg.), Comptes royaux, Bd. 1, Nr. 13938 und Bompaire, Huguet, S. 93. Kaum rückt der Termin der ersten Emission einer stärkeren Münze näher, wird Ende Juli 1303 das Vorhaben ausgesetzt. Stattdessen werden die schwächsten Münzen der gesamten Periode hergestellt und dabei die jährliche Produktion nochmals verdoppelt, 218 t Silber pro Jahr. Dahinter steckt die Pariser Familie Le Flament mit Thomas Brichart als Münzmeister. Doch müssen sie ihren Platz räumen und Bettino Cassinelli die Geschäfte überlassen; Bompaire, Numismatique, S. 180–192, hier S. 191; Bompaire, Huguet, S. 93. 97 Brown, Philippe le Bel, S. 146–147 unter Verweis auf Dupuy, Histoire, S. 251–269, hier S. 254, online unter http://catalogue.bnf.fr/ark:/12148/cb303837513 (31.08.2022). Siehe auch Favier, Philippe le Bel, S. 371–373. 98 Ordonnances I, S. 389. Hierzu Marc Bompaire: La question monétaire à l’époque de Philippe le Bel, in: Contamine/Kerhervé/Rigaudière (Hgg.), Monnaie, S. 105–140, hier S. 133–134. Bompaire nennt 1305 als Datum.
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auf den Nutzen (profit) für das Königreich, dessen Ruhe (tranquilité) gewahrt sein sollte, wurden zu durchgängigen Motiven in Ordonnanzen, Anordnungen und Briefen an Barone im Bereich des Münzwesens. Es ging darum, den königlichen Maßnahmen eine besondere Legitimität zu verleihen und gleichzeitig einen Preis aufzudrücken, da die Münzaufwertung nicht ohne finanzielle Forderungen kam.99 Die Aussicht auf die Reform nutzte der Hof ferner, um die Reform aufgrund der großen Not (necessitas), in der sich das Königreich wegen des Krieges gegen Flandern befand, anzuschieben und die schlechtesten Münzen des gesamten Zeitraums in großer Zahl zu produzieren. Der Verweis auf die Reform zielte aber nicht nur nach innen, sondern auch in Richtung der Kurie und des Nachfolgers von Bonifatius VIII., Benedikt XI. (1303–1304). Letzterer hob die Bestimmungen der Bulle Unam Sanctam bald auf und entließ König Philipp IV. aus der Exkommunikation, die ihm von Bonifatius VIII. auferlegt worden war. Unter dem doppelten Eindruck des finanziellen Profits, der aus Münzmutationen erzielt werden konnte, und der Belastung, welche die Gold- und Silberwährung und die Aufrechterhaltung des Münzwerts aufgrund der Kosten, die beim Ankauf von Edelmetall für die Münzherstellung entstanden, darstellte, war es für die französischen Könige auch über das Jahr 1303 nicht erfüllbar, den Wert der „guten Münze“ Ludwigs IX. zu erreichen. Dabei kommt dem finanziellen Profit des Königs noch die geringere Bedeutung zu. Aus den Abrechnungen der Münzstätten mit dem königlichen Trésor hat Bompaire errechnet, dass der Schlagschatz bei durchschnittlich 20 % lag und er in den Jahren 1298–1300 dennoch die Marke von 30 % nicht überschritt. Diesen Profit teilten sich der König und die Münzmeister, wovon nochmals die Kosten für die Herstellung und die Löhne für die Münzgesellen abgezogen werden mussten.100 Bedeutender für die monetäre Instabilität waren aber die Schwankungen der Edelmetallpreise. Wie schon im Fall der Amtsführung der königlichen Beamten machte die öffentliche Meinung die Münzmeister und Pächter für die Münzverschlechterungen verantwortlich, die sich Spekulationen hingegeben haben sollten.101 Allerdings war es vor allem das finanzielle Verhalten des Königs, das die Fluktuationen beeinflusste, da diese zum erheblichen Teil durch den Verbrauch an Silber in den Münzstätten hervorgerufen wurden, um den Bedarf an Geldmitteln durch die Kriegsführung zu decken. So stieg der Wert von Silber zwischen 1296 und 1302 um 30 % und dann um mehr als
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Ordonnances I, S. 428–429 (1305), Ordonnances I, S. 432, Ordonnances I, S. 432–433, Ordonnances I, S. 433–434, Ordonnances I, S. 443–445 (1306), Ordonnances I, S. 446–447 (1307), Ordonnances I, S. 446–447, Ordonnances I, S. 449–450 (1308). Hierzu auch Bompaire, Question, S. 133–137 mit Ordonnances I, S. 454–456 (1309), Ordonnances I, S. 467–469. 100 Marc Bompaire weist darauf hin, dass man nichts zum Profit der Münzmeister sagen kann, weil weder die Verträge noch die Finanzklauseln bekannt sind. Auch sind keine Rechnungsbücher der Münzmeister überliefert. Bompaire, Numismatique. 101 Favier, Philippe le Bel, S. 202–204; Santiano, La monnaie, S. 273–294. Der Frage nach dem Profit sowohl des Königs als auch der Münzpächter haben sich genähert: Bompaire, Question; Ders., Huguet.
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100 % bis 1304. Königlicher Bedarf und der Markt reagierten hier also aufeinander, was sich darin niederschlug, dass die königlichen Münzstätten erstmals im Jahr 1303 überhaupt genug Silber zusammenbrachten, um die versprochene neue „gute Münze“ zu schlagen.102 Erst drei Jahre nach ihrer ersten Ankündigung wurde im Jahr 1306 eine neue Silbermünze (gros tournois) geprägt, die jedoch nur 91 % des Feingehalts in Silber im Vergleich zum Wert unter Ludwig IX. hatte.103 Der Wert der „reformierten“ Silbermünze konnte aber nur kurzfristig gehalten werden. 1311 wurde die Silbermünze von 1306 im Feingehalt um knapp 16 % reduziert, um 1313 tatsächlich wieder auf 100 % des Wertes unter Ludwig IX. angehoben zu werden. Dieser Wert konnte aber nicht gehalten werden, da Philipp V. die Silbermünze im Jahr 1318 auf 71 % des Werts drücken musste, womit sie recht exakt auf dem Niveau von 1311, also unter der Münze von 1306 lag. Eine neue, „reformierte“ Münze wurde unter Philipp VI. im Jahr 1329 und 1330 eingeführt, die knapp 6 % über dem Münzwert von 1306, aber noch 3,25 % unter demjenigen der Münze Ludwigs IX. lag. Eine solch wertvolle Münze konnte sich das Königreich aber nur bis 1337 leisten. Anhand der Wertverhältnisse der Münzen treten Zyklen hervor, welche den Gewinnen und Kosten der Münzprägung und den anschließenden Debatten um die „Reformierung“ der Münze folgten und in denen beide Seiten die „gute Münze“ anführten: Der königliche Hof hoffte, die Stände zur Bewilligung von Subsidien zu bewegen, und den Ständen galt die Münze Ludwigs IX. als Symbol für monetäre Stabilität. Allerdings wurden die Bedingungen der Münzprägung trotz der Aufzeichnungen über die Anordnungen Ludwigs IX. geändert, weil sie bereits zu dessen Lebzeiten unrealistisch waren und stellenweise auch nur unvollständig umgesetzt wurden.104 Aus dieser Konstellation sollten zwei unbeabsichtigte Folgen erwachsen. Erstens waren die Aufwertungen von 1306 und 1313 von Unruhen begleitet, da sie sich negativ für Schuldner und Käufer auswirkten und die „gute“ Münze von 1306 schnell aus der Zirkulation verschwand, weil sie aufgrund ihres materiellen Werts gehortet wurde. Schnell machte man hierfür insbesondere die italienischen Kaufleute verantwortlich, denen zugetraut wurde, dass sie die Münzen nach Italien ausführten. Auch die Aufwertung von 1313 wurde stark kritisiert. Aus dem Willen heraus, nach der Abwertung von 1311 wieder einen höheren Münzwert zu erreichen, hatte der königliche Hof beschlossen, lediglich die vorhandenen Münzen in ihrem nominellen Wert zu erhöhen, ohne neue Münzen auszugeben. Abgesehen von den Neuemissionen stand hinter diesem Vorgehen erneut die Verehrung für Ludwig IX., die es unmöglich mach-
102 Bompaire, Huguet; Bompaire, Numismatique. 103 Die Werte finden sich bei Etienne Fournial: Histoire monétaire de l’Occident médiéval, Paris 1970, S. 87–95. Sowie Spufford, Money, S. 297 mit Diagramm 3; Santiano, La monnaie, Tabelle 3. 104 Bompaire, Question, S. 135.
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te, alte Münzen einzuschmelzen, obwohl sie über die Zeit abgenutzt waren und an materiellem Wert verloren hatten.105 Stimmen erhoben sich, welche die Aufwertung als Fälschung wahrnahmen, da die Münzen nicht aufgrund des nominellen, sondern des materiellen Werts zirkulierten. Dahinter stand die Beobachtung einer Teuerung der Waren, die auf die Differenz zwischen nominellem und materiellem Wert zurückgeführt wurde – eine solche Gleichsetzung bleibt schwierig zu überprüfen. Demgegenüber findet sich, wie Bompaire zeigt, eine andere zeitgenössische Stimme, die auf Unordnung innerhalb des königlichen Münzsystems, welche die Aufwertung hervorgerufen habe, abhebt, da sie die Wechselkurse zwischen den Münzen und die Verhältnisse der Rechenwährungen (monnaies de compte) durcheinandergebracht habe.106 Die wenigen Stimmen, die über die Ereignisse berichten, heben den Vertrauensverlust hervor, welchen das Münzsystem und der König erlitten haben. Verpflichtet durch die Reformversprechen und die ständige Erneuerung der Willensbekundung, den Wert der Münze Ludwigs IX. wiedereinzuführen bzw. zu halten, führt die Münzaufwertung von 1313 das Versprechen ad absurdum und eröffnet mit der Einrichtung von Kommissionen in den Städten erstens den Raum für die Frage, ob das Vorbild des heiligen Vorfahren der einzige Faktor sei, auf den die Münzpolitik ausgerichtet sein sollte. Die Kommissionen in den Städten sollten zweitens die Verwendung fremder oder gefälschter Münzen begegnen, die aus königlicher Sicht einen Missstand darstellte, der aber erst durch die königliche Münzpolitik und konkret durch die Aufwertungen von 1306 und 1313 hervorgerufen worden war. Aufgrund des Mangels an Silber zirkulierten nur noch die extremsten Formen – Billonmünzen am unteren und Goldmünzen am oberen Rand. Diejenigen, welche diese Münzen verkauften, sollten weiterhin gemünztes und umgemünztes Geld aus dem Königreich herausschaffen.107 Die Münzordnung Ludwigs IX., die 1316 von Ludwig X. (1314–1316) und 1328 von Karl IV. nochmals erneuert wurde, was Phasen entspricht, in denen der Wert der Münze beibehalten oder wieder aufgewertet wurde, blieb die Referenz einer perfekten Münze für alle Reformanhänger. Hinter dem ausgedrückten Willen hielten aber die instabilen Verhältnisse an, was die Umsetzung der Aufwertung schwierig machte. In dieser Situation wurde eine Reihe von Versammlungen einberufen, zu denen Vertreter von Adel, Klerus und der Städte eingeladen wurden, um ihre Einschätzung zur
105 Dabei handelt es sich lediglich um nominelle Umstellung des Wertes der vorhandenen Münzen. Es werden keine neuen Münzen ausgegeben, was der Spekulation zwischen nominell zwar gleichen, materiell aber unterschiedlichen Münzen Möglichkeiten zulasten der Nutzer der Münzen eröffnet; vgl. Ordonnances I, S. 525–526. Siehe auch Bompaire, Question, S. 114–118 und 135–136. 106 Bompaire, Question, S. 114–118. 107 […] en portant hors de nostre royaume monnoies deffendues et billon ailleurs que à nostre monnoiage et ont acheté nostre monnoye pour porter hors de nostre royaume et rapporter mauvaises monnoyes et de icelles mauvaises monnoyes raemplir nostre royaume en grant domage de nous et destruction de nostre peuple empechié et encheri, et haut levé plus que de droit. Ordonnances I, S. 527 Fußnote. In ähnlicher Weise in Ordonnances I, S. 520–524, Fußnote. Siehe auch Favier, Philippe le Bel, S. 156.
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Situation der Münze abzugeben. Diese Versammlungen waren zwar Orte der königlichen Selbstdarstellung, wie Joseph Strayer hervorhebt, aber die überlieferten Stellungnahmen zeigen, dass in diesem Rahmen sehr unterschiedliche Meinungen zum Ausdruck kamen.108 Sie verweisen auf die Bedeutung, welche der Frage der königlichen Münze schon vor der Mitte des 14. Jahrhunderts beigemessen wurde. Vor dem Hintergrund der Schwierigkeiten, dem Ideal Ludwigs IX. unter den Bedingungen um 1300 nachzukommen, kristallisierten sich unbeabsichtigt unterschiedliche Positionen heraus. Allen galt zwar die Münze Ludwigs IX. als Symbol für monetäre Stabilität und der Schutz vor gefälschten Münzen und dem Abfluss von Silber als erstrebenswert, aber von Münzmeistern und Delegierten der Städte finden sich ab den 1320er Jahren Stimmen, welche die „reformierte“ Münze für nunmehr unerreichbar halten und Anpassungen wünschen, damit die Münze ihrer Funktion als Zahlungsmittel besser nachkommen könne, worunter beispielsweise die vermehrte Ausgabe kleinerer Nominale für den alltäglichen Gebrauch und die Einstellung der baronalen Münzstätten gehören.109 Wenn vom Prinzip der „guten Münze“ Ludwigs IX. dennoch nicht abgerückt wurde, dann wegen ihrer symbolischen Bedeutung in Steuerfragen. Die Wiedereinführungen oder die Aufrechterhaltung der „guten Münze“ folgten Momenten, in denen Subsidien von größeren Versammlungen aus Adel und Prälaten gewährt wurden. Münzabwertungen, so unter Philipp V., die meist schleichend und im Gegensatz zu Aufwertungen ohne großes Aufheben vorgenommen wurden, entsprachen hingegen Momenten, in denen der König in Verhandlungen keine oder nur wenige Zugeständnisse erhielt. Zum besseren Verständnis muss die finanzielle Bedeutung einer starken Münze unterstrichen werden. Sie kann als ein politischer Kompromiss verstanden werden, da die Aufrechterhaltung einerseits den königlichen Gewinn an der Münze reduzierte, aber andererseits den Prälaten und Baronen einen finanziellen Vorteil gewährte. Mit ihren Einnahmen aus Landbesitz wurden sie von einer schwachen Münze benachteiligt, da die Höhe der Abgaben bei kurzfristigen Schwankungen nicht an den minderen Wert der Münze angepasst werden kann. Mit der Reform der Münze wurde dieses Verhältnis umgekehrt, was zeitgenössisch beispielsweise an den Mieten in Paris beobachtet werden konnte.110 Die verschiedenen Abgaben und die Entscheidungen über ihre Bewilligung werden im nächsten Kapitel behandelt. 108 So Bompaire, Question, S. 132–133 unter Verweis auf Charles Taylor: An Assembly of French towns in March 1318, in: Speculum 13 (1938), S. 295–308. Ein Großteil der Stellungnahmen wurde in einer Reihe von Zeitschriftenartikeln zusammengestellt und herausgegeben von Paul Guilhiermoz: Avis sur la question monétaire donnés aux rois Philippe le Hardi, Philippe le Bel, Louis X et Charles le Bel, in: Revue numismatique (1922), S. 73–80 und 173–210; 1924, S. 109–128; 1925, S. 90–101 und 212–237; 1926, S. 91–101; 1927, S. 96–111 und 228–233; 1928, S. 106–121. Weitere Einzelhinweise bei Bompaire, Question, S. 106 mit Anm. 4. 109 Bompaire, Question, S. 130–133, 133–137 und 137–139. 110 Ebd., S. 109–112.
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B. Einnahmequellen und -struktur der französischen Könige Obgleich die Besteuerung legitimiert werden konnte, war sie weder permanent noch allgemein. Jede neue Einnahmequelle bedurfte zwar der Zustimmung unterschiedlicher Gruppen wie Kleriker, Barone, kleinerer Herren und Städte, dennoch gelang es Philipp IV. und seinem Hof bis um das Jahr 1300 recht gut, direkte Abgaben auf Vermögen vertikal vorzugeben und Subsidien sowie freiwillige Abgaben zu erhalten, die einzeln im Folgenden besprochen werden. Anschließend werde ich auf die indirekten Abgaben eingehen, die sich vor allem durch eine Abgabe auf den Verkauf von Waren und eine andere auf Ausfuhren zusammensetzten. 1. Direkte Abgaben Abgaben auf das Kapital oder das Einkommen im modernen Sinn zahlten Barone, Adlige und ihre Untertanen nach mittelalterlichem Gewohnheitsrecht nicht an den König. Letzteres kennt zwar unterschiedliche Abgaben und Leistungen an den König innerhalb der Krondomäne und an die Herren, für die es auch akzeptabel erschien, erhebliche Leistungen zu erbringen. Das Verlangen, durch regelmäßig zu zahlende Abgaben den Trésor zu mehren, erschien hingegen als entwürdigendes Unrecht. Das zuvor betrachtete Motiv der militärischen Notwendigkeit wirkte in die Richtung, neue Formen einer finanziellen Solidarität zu entwickeln. Dennoch konnte durch das Lehnsrecht auf Verpflichtungen zurückgegriffen werden, die direkte Abgaben in unterschiedlichen Facetten darstellten und teilweise schwer voneinander zu unterscheiden waren. Eine Möglichkeit, Unterstützung von den Untertanen zu erhalten, waren Darlehen. Sie waren in der Weise mit Abgaben verbunden, dass die latente Gefahr bestand, dass sie nicht oder nur schlecht zurückgezahlt wurden. Auf dieses Mittel wurde schon vor Philipp IV. zurückgegriffen, der sie gleich zu Beginn seiner Herrschaft nutzte, um schnell an Gelder zu gelangen.111 In den Quellen heißen sie mutua facta regi, mutua redita, prest sowie recepte des empruns. Dabei können emprunt in einer Reihe mit aide und fouage genannt werden, wobei es sich bei Letzterer um eine Abgabe handelt.112 Aufgrund der Reihung der Begriffe nähert Albert Rigaudière die Darlehen den Abgaben an. Insbesondere bei den willkürlichen und erpressten Darlehen, emprunts efforciez, war die Gefahr hoch, dass sie nicht zurückgezahlt wurden. Erstattete Darlehen sind aber belegt und es blieb an jedem Gläubigen, sich in Verhandlungen mit dem König gewährte Darlehen beispielsweise als ein Steuerguthaben anerkennen zu lassen und sich auf diese Weise schadlos zu halten. Auch wurde häufig die Befreiung vom Kriegs-
111 Rigaudière, L’essor, S. 573–574. 112 Ebd., S. 574 sowie Boutaric, France, S. 297–299.
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dienst als Begründung von Darlehen angeführt.113 Die Darlehen wurden durch Personen aus dem Umfeld des Königs oder seine Amtsträger vor Ort kontraktiert. Letztere konnten aber auch neben den beliehenen Städten und Gruppen ebenfalls für Darlehen vom König herangezogen werden.114 Neben der Frage, im Fall der Zurückweisung der Forderung nicht zu fordernd aufzutreten, sollten sie vor allem auf den Willen des Königs, die Darlehen zurückzuzahlen, und das Prinzip der Substitution insistieren: Darlehen würden vom Kriegsdienst befreien. Unter den Verpflichtungen zur finanziellen Hilfe des Lehnsherrn kennt das Mittelalter spezielle Formen von Abgaben, auf die Philipp IV. zu Beginn seiner Herrschaft zurückgriff. Im Jahr 1285, zum Zeitpunkt seiner Thronbesteigung, nutzte Philipp IV. einen Fall der traditionellen vier Fälle (quatre cas) zur Forderung einer Zahlung zu Ehren seiner Ritterschaft, welche sein Vater noch durchgesetzt hatte, um zusätzliche Mittel für den Kriegszug nach Aragón einzusammeln, der trotz der kurzen Dauer mehr als eine Million livre tournois gekostet hatte.115 Doch nicht nur seine Vasallen sollten die traditionelle Hilfe zahlen, sondern auch im angrenzenden Midi wurde der Versuch unternommen, die Afterlehn einzubeziehen. An diesem Punkt machten sich auch Proteste gegenüber der einseitigen Entscheidung fest,116 die den König nicht daran hinderten, im folgenden Jahr noch höhere Hilfszahlungen von dieser Region einzufordern.117 Dabei gereichte ihm zum Vorteil, dass er auf die Bedrohung durch Eduard I. für die Regionen West-Aquitaniens verweisen konnte, um die Verpflichtung aufgrund der unmittelbaren Gefahren auf alle Bewohner des Königreichs auszudehnen. Statt Militärdienst zu leisten, wurde ihnen nahegelegt, sich nicht durch persönlichen Dienst, sondern mittels einer Zahlung von der Verpflichtung zu lösen. In dieser Weise kamen viele Städte im Süden der Bitte des Königs nach.118 In der Situation der kriegerischen Konflikte unter Philipp IV. wurde erstmals der Versuch unternommen, die militärischen Leistungspflichten aller Mitglieder des Königreichs festzulegen. Die zuvor besprochene indirekte Abgabe der maltôte auf den Warenverkehr hatte unter dem Eindruck der Wünsche der Städte im Norden und
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Zur Befreiung vom Kriegsdienst siehe oben Anm. 36. Zurückzahlungen von Darlehen finden sich bei Boutaric, France, S. 298 mit Anm. 2 und 3. Die Umwandlung gewährter Darlehen in ein Steuerguthaben ist für das Jahr 1304 belegt. Die Stadt Beaucaire machte die Berücksichtigung vergangener Darlehen zur Bedingung für die Gewährung neuer Subsidien an den König; vgl. Anm. 302. Rigaudière, L’essor, S. 574 sowie Boutaric, France, S. 298–299. Albert Rigaudière bespricht in diesem Zusammenhang ein von Édgar Boutaric entdecktes Verfahren, das sich für die Stadt Troyes nachweisen lässt und das darin bestand, die Vermögen der Bürger zu verzeichnen, welche im Stande seien, Darlehen zu ‚gewähren‘; Boutaric, France, S. 299. Rigaudière, L’essor, S. 538. Vuitry, Études, Bd. 1, S. 178–180. Jetzt auch Hélary, L’armée, S. 215–216. Rigaudière, L’essor, S. 538 auf der Basis von Strayer/Taylor, Studies, S. 43. Rigaudière, L’essor, S. 538. Strayer, Defence, S. 296; Strayer/Taylor, Studies, S. 44.
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der Gemeinschaften im Midi Züge einer direkten Abgabe angenommen, weil sie sich durch taille und fouage von der maltôte freikauften.119 Mit der direkten Besteuerung von Privatpersonen aufgrund ihres Einkommens und Vermögens wurde von königlicher Seite erstmals zwischen den Jahren 1294 bis 1296 experimentiert. Als Ausgleich für nicht zu erbringenden Kriegsdienst wurde sie zur wichtigsten fiskalischen Innovation.120 Um militärische Leistungen auszugleichen, wurde im Jahr 1294 eine Abgabe im Midi erhoben, die basierend auf dem Modell der fouage pro Haushalt (feux) in der Höhe von 6 sous zu entrichten war. Nach Protesten wurde der veranschlagte Tarif zugunsten von Pauschalzahlungen abgelehnt, womit die Abgabe wie schon bei der maltôte zurückgewiesen wurde, wenngleich eine große Abgabensumme zusammenkam.121 Im Jahr 1295 wurde die Umsetzung einer direkten Steuer auf Vermögen ausprobiert. Während in der Sénéchaussée Beaucaire eine Adelsversammlung der Erhebung einer Abgabe von 1,5 % auf bewegliche Güter (meubles) zustimmte122, die in anderen Sénéchausséen in der Nachbarschaft (Toulouse, Carcassone, Quercy, Rouergue) übernommen wurde123, wurde kurze Zeit später eine vorgeblich einmalige Vermögensabgabe von 1 % (centième) auf unbewegliche Güter (biens immeubles) von Klerikern und Laien (ausgenommen Adlige) im gesamten Königreich als Ausgleich für nicht geleisteten Kriegsdienst erhoben.124 Zur Vorbereitung der Abgabe wurden die Barone konsultiert, die entweder wie der Herzog von Burgund die Hälfte des Steuerprodukts zugesprochen bekamen125 oder protestierten, ohne dass der königliche Hof von der Erhebung der Abgabe abwich.126 Ab Januar 1296 wurde das Experiment der Vermögensabgabe aufgrund der Geschwindigkeit, mit der die Gelder in die Kassen der königlichen Schatzkammern gelangten, wiederholt. Erneut bemühte sich der Hof um die Zustimmung einiger Prälaten und Barone, die gleichzeitig überzeugt wurden, dass der Steuersatz von 1 % (centième) auf 2 % (cinquantième) angehoben werden könnte – ihnen wurden große Teile der Einnahmen (zwischen einem Viertel und einem Drittel) gewährt – und vor allem verpflichtete sich der König, diese Steuer nicht zu verlängern.127 Im Vergleich zum Vorjahr regte sich gegen die Vermögensabgabe viel stärkerer Widerspruch, was 119 Siehe oben Anm. 112. 120 Hélary, L’armée, S. 226–228. Hélary widerspricht hier Strayer, der argumentiert hat, dass es keine fiskalische Innovation unter Philipp IV. gab; vgl. Ebd. 121 Rigaudière, L’essor, S. 539 unter Verweis auf Strayer/Taylor, Studies, S. 45. 122 Rigaudière, L’essor, S. 539. 123 Ebd. unter Verweis auf Strayer/Taylor, Studies, S. 46. 124 Siehe oben Anm. 201. Rigaudière, L’essor, S. 539–540 unter Verweis auf Vuitry, Études, Bd. 1, S. 146–147. 125 Rigaudière, L’essor, S. 540 unter Verweis auf Boutaric, France, S. 260. 126 Zur Konzeption der Abgabe siehe Rigaudière, L’essor, S. 540 unter Verweis auf Strayer/Taylor, Studies, S. 47–48. 127 Rigaudière, L’essor, S. 540 unter Verweis auf Vuitry, Études, Bd. 1, S. 147–148.
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die Grenzen des Verfahrens aufwies, sich lediglich durch die Verteilung erheblicher Gewinne der Zustimmung einiger großer, an der Macht befindlicher Barone zu versichern. Im folgenden Jahr 1297 lieferte die geplante Expedition des englischen Königs nach Nordfrankreich und Flandern, die unternommen wurde, um den dortigen Grafen im Kampf gegen Philipp IV. zu unterstützen, neue Argumente, um das Experiment der Vermögensabgabe trotz vorheriger Bekundungen, keinen Präzedenzfall zu schaffen, zu erneuern und es gleichzeitig von den vorherigen Fällen abzugrenzen. Es wurde beschlossen, eine zweite Vermögensabgabe (cinquantième) aufzulegen, die jedoch nur mit der Zustimmung jener eingezogen werden sollte, die sie leisten würden.128 In schneller Abfolge mussten diese Konditionen aber weiter modifiziert werden: Als Reaktion auf Eingaben können die Anweisungen des Königs an den Seneschall von Beaucaire verstanden werden, die Steuer lediglich in der Krondomäne zu erheben, während ihre Erhebung in den Besitzungen von Prälaten und Baronen ausgesetzt werden sollte.129 Die vorhandenen Belege tragen die Sicht, dass die Vermögensabgabe nicht direkt eingezogen wurde, sondern ihre Umsetzung den Städten und Gemeinschaften überlassen wurde. Nun kam ein bekanntes Verfahren zum Einsatz: Die Abgabenschuld wurde durch Pauschalzahlungen abgeglichen, die auf kommunaler Ebene in Nordfrankreich in Form einer taille, im Midi als fouage eingesammelt wurde – unter dem Versprechen, zu keinen Darlehen, Hilfszahlungen oder anderen Forderungen gezwungen werden zu können. Die Höhe der Abgabe hing jeweils von dem Verhandlungsgeschick – und Druck – der Betroffenen und ihrer Vertreter ab. Joseph Strayer und Charles Taylor weisen darauf hin, dass die Pauschalzahlungen auch erklären können, warum im Midi teilweise keine Aufzeichnungen über die Erhebung der Vermögensabgabe (cinquantième) vorhanden sind.130 In der Summe gingen zufriedenstellende Einnahmen beim König ein, die ihn davon abhielten, in den folgenden Jahren eine neue Abgabe aufzulegen, allerdings hatte sich das Prinzip einer regulären Vermögensabgabe noch nicht durchgesetzt. Die Forderung wurde noch immer im alten Kleid der lokalen Gewohnheiten von taille bzw. fouage abgeglichen. Auf die gleiche Weise wurde auch der Forderung nach einer erneuten Erhebung der Vermögensabgabe (cinquantième) begegnet, die vom Königshof im Jahr 1300 auferlegt wurde, nachdem der Waffenstillstand des Jahres 1297 zwischen dem englischen und französischen König ausgelaufen war und Philipp IV. plante, Flandern und die Guyen-
128 Rigaudière, L’essor, S. 540 unter Verweis auf Vuitry, Études, Bd. 1, S. 149 und Boutaric, France, S. 264–265. 129 Rigaudière, L’essor, S. 540. 130 Rigaudière, L’essor, S. 540–541 und 576–577 unter Verweis auf Strayer/Taylor, Studies, S. 50–52, die Beispiele für Reims und Châlons-en-Champagne, für die bailliages von Caen und des Contentin anführen.
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ne zu besetzen, womit der Bedarf an finanziellen Mitteln erneut stieg.131 Als weiteres bereits bekanntes Charakteristikum legen die Beispiele nahe, dass Barone und Adlige mit eigener Gerichtsbarkeit Anteile am Produkt als Ausgleich dafür erhielten, dass sie sich unter Aufsicht königlicher Steuerkollektoren an der Erhebung der Abgabe in ihren Ländereien beteiligten.132 Der Druck, den Philipp IV. im Jahr 1300 in Richtung des englischen Königs und des Grafen von Flandern aufbaute, zeigte schnell seine Wirkung. Ohne Verbündete gab Graf Guido von Flandern den Kampf auf und Flandern wurde der Verwaltung eines königlichen Statthalters unterstellt. Eduard I. wiederum versöhnte sich mit Philipp IV., der die Besetzung der Guyenne aufhob und zur Besieglung der Aussöhnung eine Doppelhochzeit anbot: Schwester und Tochter Philipps sollten jeweils den englischen König und dessen Thronfolger, den Prince of Wales, heiraten. Die Situation änderte sich schlagartig durch den Aufstand der Flamen im Jahr 1302, auf den Philipp IV. mit der Entsendung eines Heeres unter Robert von Artois reagierte. Kritisch wurde die Lage, als das Heer vor Kortrijk im Juli desselben Jahres geschlagen wurde. Aus königlicher Sicht galt es, die Teilhabe am Reich neu zu organisieren. Hierzu wurde auf die Gewohnheit zurückgegriffen, dass jeder Vasall seinem Herrn im Notfall militärische Hilfe leisten musste. Dabei wurde an die Solidarität appelliert, wodurch es möglich war, auch jene zur Beihilfe zu animieren, die dem König nicht direkt dienstpflichtig waren. Jede positive Antwort auf den Appell wiederum bedeutete, dass der König Zugriff auf den arrière-ban erhielt, worin die Ingeniösität des Vorgehens bestand, was Xavier Hélary nochmals unterstreicht. Ein verpflichtender Kriegsdienst des arrière-ban für den König konnte aber nicht durchgesetzt werden. Vielmehr macht das Vorgehen den Eindruck, dass der Königshof ob der neuen Forderung vorsichtig und mit Bedacht vorging, um eine möglichst hohe Zustimmung zu erzielen.133 Während die Adligen (nobiles) erst zu Beginn des Aufstands und dann nach der Niederlage zum Kriegsdienst aufgefordert wurden, wurden Nichtadlige (ignobiles) in Richtung einer Vermögensabgabe als Ersatz für den persönlichen Dienst gedrängt, die jene mit mehr als 100 livres in beweglichen oder 200 livres in beweglichen und unbeweglichen Gütern betraf; im Zuge der Niederlage von Kortrijk wurde die Höhe des Vermögens, ab dem
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Rigaudière, L’essor, S. 541 unter Verweis auf Vuitry, Études, Bd. 1, S. 150 und Boutaric, France, S. 264–265, der die dritte Vermögensabgabe (cinquantième) regional begrenzt sieht. Die Spuren der Erhebung dieser Steuer in zahlreichen städtischen Archiven finden sich bei Joseph Strayer und Charles Taylor; Strayer/Taylor, Studies, S. 54–55. Sie geben eine Liste, die die folgenden Regionen angeben: Paris, Senlis, Vermandois, Sens, Orléans, Bourges, Caux, Caen, Cotentin, Troyes, Vitry, Chaumont, Poitou, Auvergne, Amiens, Touraine, Mâcon, Lyonnais; Strayer/Taylor, Studies, S. 54 mit Anm. 176. 132 Rigaudière, L’essor, S. 540–541 unter Verweis auf Strayer/Taylor, Studies, S. 54 mit Anm. 174. 133 Rigaudière, L’essor, S. 542 unter Verweis auf Vuitry, Études, Bd. 1, S. 151–152; und mit weiteren Verweisen Hélary, L’armée, S. 159–162.
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die Abgabe griff, nochmals angehoben, um die Aufstellung eines neuen Heeres nicht zu beeinträchtigen.134 Für das nächste Jahr 1303 wurde eine neue militärische Kampagne angesetzt, die eine Antwort auf die verlorene Schlacht geben sollte. Allerdings wurde sie immer wieder aufgeschoben – erst auf Ende April, dann auf Mitte Juni 1303, sodann auf Mitte August und schließlich auf Anfang September. Als dann ein Heer aus Rittern und Söldnern in Péronne versammelt war, wurde der Heerzug auf das kommende Jahr verschoben. Möglicherweise hatte Philipp IV. auch nicht vorgehabt, in die Schlacht zu ziehen, wie Xavier Hélary vermutet, da Kontingente aus dem Süden sich gar nicht erst auf den Weg in den Norden machen sollten und seit dem Frühjahr darauf gedrängt wurde, Dienstverpflichtungen durch Geldzahlungen abzugelten.135 Hinzu kam, dass die zuvor angegebene Schwelle der Vermögensabgabe wieder deutlich abgesenkt wurde, um den Kreis der Abgabepflichtigen zu erhöhen. Wie schon im Vorjahr wurde die Maßnahme am Hof in Anwesenheit einer Anzahl von Prälaten und Baronen getroffen und an die königlichen Amtsträger in einer Instruktion kommuniziert, die das Mittel der Wahl waren, um vor Ort die Adligen und Nichtadligen zur Zahlung aufzufordern. Die enquêteurs-réformateurs sollten vor allem behutsam vorgehen und die Betroffenen davon überzeugen zu zahlen, indem sie auf den Schaden hinweisen sollten, welcher dem Königreich durch den Aufstand der Flamen entstanden sei (vous devez estre avisez de parler au pueuple par douces paroles et demonstrer les grans desobeissances, rebellions, et domages que nos subjez de Flandres ont fait a nous et a nostre Reaume).136 Die Anweisung sah vor, dass Adlige mit einem jährlichen Einkommen von 50 livres Dienst leisten oder eine Abgabe von 50 % auf ihr Vermögen abführen mussten; für Frauen, Kinder und Invalide (non puissans), die ein Lehen hielten, wurde der Satz auf 25 % reduziert. Nichtadlige, die 1302 ausgenommen waren, wurden nun schon ab 20 bis 100 livres an Bodenerträgen oder 50 bis 500 livres in beweglichen Gütern als Schwellen für die Vermögensabgabe und einem Satz von 10 % auf ihr Einkommen oder 2 % auf ihre persönlichen Güter festgesetzt, wenn sie keinen Dienst leisten wollten. Nochmals tritt hier deutlich die vom Hof unterstützte Abgeltungspraxis hervor, die darin bestand, dass neben den Nichtadligen weitere Personenkreise beschrieben wurden, die der lehnsrechtlich begründeten Dienstpflicht aufgrund von Geschlecht, Alter und körperlicher Defekte nicht nachkommen konnten bzw. von denen man gar nicht erwartete, dass sie Dienst leisten würden. Nun ist es nicht möglich, diesen Befund in der Weise zu deuten, dass die Verbindung zwischen persönlicher Wehrfähig134 Rigaudière, L’essor, S. 542 basierend auf Ordonnances I, S. 345–346 (12.06.1302) und zur Erhöhung der Sätze auf 300 l. t. bzw. 500 l. t.; Ebd., S. 350–351 (01.11.1302). Zum Ablauf siehe auch Henneman, Royal Taxation, S. 30; Strayer/Taylor, Studies, S. 59–75. Über die Abgabe von 1302 wurden Abrechnungen erstellt; siehe Inventaire de Robert Mignon, Nr. 1429–1465. 135 Hélary, L’armée, S. 159–162. 136 Rigaudière, L’essor, S. 542 und Vuitry, Études, Bd. 1, S. 152–153 basierend auf Ordonnances I, S. 369–371 (nach dem 25.03.1303).
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keit und Vasallität aufgehoben worden wäre, da die Lehnsherren weiterhin sehr wohl als Ausdruck ihrer Rechte auf die Einberufung ihrer Vasallen bestanden und Letztere ihr Lehn verlieren konnten, wenn sie nicht erschienen. Allerdings lässt das vorliegende Beispiel eine Tendenz in Richtung Selektion und Entlohnung der Kämpfer und Ritter erkennen, die einzeln oder in kleinen Gruppen wahrscheinlich aufgrund ihrer militärischen Erfahrung ausgewählt wurden und über die Dauer der lehnsrechtlichen Dienstpflicht hinaus engagiert und entlohnt wurden. Wie Xavier Hélary deutlich macht, stellt diese Praxis den Vorteil dar, auf relativ professionelle Trupps rekurrieren zu können, die jedoch kleiner sein konnten als das gesamte Aufgebot und mehr kosteten. Hinzu traten im vorliegenden Fall noch Söldnertruppen, was zusätzlich den Rückgriff auf die Abgeltungspraxis erklärt. Die dargestellte Tendenz kann aber nicht pauschalisiert werden, da dem Kriegsdienst aufgrund der Kosten, welche das Engagement von professionellen Trupps mit sich brachte, und seiner Bedeutung zur Verteidigung des adligen Standes und sozialen Prestiges im Spätmittelalter weiterhin Bedeutung zukam.137 Das Resultat der konsequenten Abgeltungspraxis scheint insgesamt ein stärkeres Ergebnis der Vermögensabgabe als im Jahr 1302 gewesen zu sein, das vor allem durch die Einnahmen im Norden und Osten des Königreichs getragen wurde, während die Amtsträger im Zentrum und im Süden auf Widerstand stießen. Über diese allgemeine Tendenz hinaus können keine weiteren Angaben gemacht werden.138 Das relativ gute Ergebnis der Vermögensabgabe im Norden und Osten des Königreichs wird durch die Widerstände im Süden und den Umstand gedämpft, dass das versammelte Heer von 1303 nicht zum Einsatz kam. Hier kommt bereits ein strukturelles Merkmal zum Ausdruck, welches unter Philipp IV. und seinen Söhnen immer wieder hervortritt: Abgaben können nur erhoben werden, wenn eine unmittelbare Notwendigkeit vermittelt werden kann. Dennoch können pragmatische Gründe (zu wenig Geld, militärische Strategie) vorliegen, eine militärische Kampagne nicht durchzuführen. Wird aber kein Krieg geführt, wird die Rechtmäßigkeit der Abgabe bezweifelt, was die Wahrscheinlichkeit ihrer neuerlichen Erhebung verringert. Dieses Defizit wird einerseits unmittelbar durch Verhandlungen über anschließende Abgaben ausgeglichen, wie gleich zu sehen sein wird, und andererseits in der weiteren Entwicklung des 14. Jahrhunderts durch Versuche, die gewohnheitsrechtlichen Begründungen (quatre cas) durch Verfahren der ständig zu zahlenden Steuern (impôt permanent) zu ersetzen.139 137 Hélary, L’armée, S. 196–201. 138 Strayer und Taylor geben an, dass sich das Ergebnis zwischen 1302 und 1303 verdoppelt haben soll. Aufgrund der gemachten Angaben kann die Aussage aber nicht nachvollzogen werden. Sehr wohl bieten sie das Ergebnis einer Abrechnung aus der Bailliage von Caen; Strayer/Taylor, Studies, S. 62 mit Anm. 200. Auch haben sie eine Auswertung des Inventars der verlorenen Abrechnungen der königlichen Rechnungskammer vorgenommen; Strayer/Taylor, Studies, S. 63 mit Anm. 201 auf der Basis von Inventaire de Robert Mignon, Nr. 1466–1514. 139 Henneman, Royal Taxation; Raymond Cazelles: Société politique, noblesse et couronne sous Jean le bon et Charles V, Genève 1982.
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Ab Herbst 1303 standen die Zeichen auf Verhandlungen, um eine neue Kampagne auszustatten und zu finanzieren, welche die vernichtende Niederlage von Kortrijk ausgleichen sollte. Wie aus einem Schreiben an den Bischof von Paris vom 7. Oktober hervorgeht, hatte sich der König mit den Prälaten und Baronen unter Verweis auf den Notstand des Königreichs (comme la necessité du Royaume le requiert) auf die Konditionen der Aufstellung eines neuen Heers geeinigt, die darin bestanden, dass erstens alle Erzbischöfe, Bischöfe, Äbte, Prälaten, Dekane und anderen Geistlichen sowie alle Grafen, Barone, Damen und anderen Adligen herangezogen wurden.140 Ab einem Vermögen von 500 l. t. an Bodenerträgen (cinq cens livres de terre) sollten sie einen gerüsteten und berittenen Adligen (un gentilhomme bien armé et monté à cheval de cinquante livres tournois, et couvert de couverture de fer ou de couverture pourpointe) stellen, dessen Pferd 50 l. t. wert sein sollte und der während des Sommers von Juni bis September im kommenden Jahr bereitzustehen habe. Übersteige das Vermögen an Bodenerträgen 500 l. t., so müsse für jede weitere Vermögensstufe à 500 l. t. ein weiterer gentilhomme gestellt werden. Alle Nichtadligen, wobei diesmal nicht mehr unterschieden wurde, ob es Nichtadlige gab, die ein Lehen hielten, wurden auf der Basis des Prinzips der Herdstellen (feux) dazu verpflichtet, dass jede Gruppe von einhundert Herdstellen – ausgenommen die Mitglieder von Bettelorden – sechs bewaffnete Fußkämpfer (six serjanz de pié des plus souffisanz et des meilleurs) zu stellen hatte; und zwar die zulänglichsten und besten, die in den Kirchspielen zu finden waren. Sie sollten mit Kettenhemd, verstärktem Wams, Sturmhaube und Lanze ausgestattet sein, wobei jeweils zwei der sechs Kämpfer Armbrust und Bolzen tragen sollten. Weiterhin sicherte der König zu, dass er, wenn die genannten Dienste erbracht würden, keine weiteren Leistungen, Subsidien oder Hilfe für das Jahr 1304 erwarte und für Getreide, Wein, Gespanne und Tiere zahle, wenn er für die Garnisonen etwas brauche. Auch solle aus den Leistungen kein Präjudiz für die Zukunft entstehen. Schließlich wird der Zustand der Münze angesprochen. Der König versprach, den Wert der Münze zu Ostern 1304 wiederherzustellen und die wertminderen Münzen aus dem Verkehr zu ziehen, die aufgrund der Notwendigkeit der Verteidigung des Königreichs (pour la necessité de la deffence de nostre Royaume) geprägt worden seien, was er in der großen Reformordonnanz von 1303 angekündigt, aber noch nicht umgesetzt hatte; das Versprechen sollte nicht eingehalten werden.141 Insgesamt blieb die Forderung in dem Rahmen der üblichen Kriegshilfe mit der Begründung des Notstandes (necessitas) und dem beschränkenden Vorbehalt (cessante causa). Zusätzlich werden in dem Dokument, bei dem es sich zwar nicht um ein reichsweites Edikt, sondern nur um einen Brief an den Bischof von Paris handelt, zwei grundlegende Prinzipien formuliert, die sich in der Weise noch nicht ausgear-
140 Rigaudière, L’essor, S. 542 und Vuitry, Études, Bd. 1, S. 153–156 basierend auf Ordonnances I, S. 383–385 (07.10.1303). Mit weiteren Verweisen Hélary, L’armée, S. 164. 141 Siehe oben Anm. 82.
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beitet in den vorherigen Ordonnanzen vorfanden.142 Zum einen werden im Text alle als Leistungsträger betrachtet: Geistliche, Adlige (Herren und Damen) und Nichtadlige wurden nicht nur aufgefordert, auf die eine oder andere Weise zur Verteidigung des Königreichs beizutragen, sondern es konnte sich auch niemand der Erbringung der Leistung aufgrund seines Status entziehen. Zum anderen sollte die Leistung für alle innerhalb einer Statusgruppe hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit und Belastung gleich und tragbar sein, da die Leistung aufgrund eines Mindestvermögens und dann gestaffelt aufgrund des darüber hinausreichenden Vermögens verlangt wurde. Für die Geistlichen und Adligen wurde dies am Ertrag der Abgaben aus der Grundherrschaft in Schritten von jeweils 500 l. t. bemessen. Für die Nichtadligen ist kein solches Mindestvermögen angegeben, doch wurde einerseits die Herdstelle als Bemessungsgrundlage festgesetzt, von der man weiß, dass ihre Leistung von den Gemeinden aufgrund des jeweiligen Vermögens meist selbst organisiert wurde. Andererseits, und das gilt auch für die Leistung der Adligen, verwendet der Brief diesbezüglich eine Formel, die nicht in den vorherigen Dokumenten verwendet wurde: Et sera ceste aide assise, cuillie et levée loialment et raisonablement, faite compensation du riche au pouvre, par chascun Prelat et Baron en son Diocese, et en sa terre.143 Hier wird an die Solidarität innerhalb der Statusgruppen zwischen (wirtschaftlich) Reichen und Armen appelliert, um die Solidarabgabe gegenüber dem Königreich tragbar, weil proportional verteilt, und damit gerecht zu machen. In der Konzeption war die Vorbereitung der Kampagne von 1304 nicht nur in Hinblick auf die Mobilisierung (ban, arrière-ban), sondern auch ideengeschichtlich ein Schritt in Richtung einer allgemeinen und direkten Steuer innerhalb eines der flächenmäßig größten Königreiche Westeuropas mit unterschiedlichen Herrschaftsrechten und regionalen Gewohnheiten.144 Die Umsetzung gestaltete sich schwieriger. Im Süden regte sich neuer Widerstand, der den königlichen Amtsleuten und enquêteurs-réformateurs entgegengestellt wurde.145 Aus dieser Erfahrung resultiert ein neues Vorgehen: Philipp IV. reiste zwischen Januar und Februar 1304 in den Süden, um in regionalen Versammlungen über die Leistungen einzeln zu verhandeln. Am 27. Februar 1304 wurden dem König Subsidien aus den 142 An dieser Stelle kann an die Ausführungen von Eberhard Isenmann zu Fragen der Besteuerung im Reich des 15. Jahrhunderts angeknüpft werden: vgl. Eberhard Isenmann: Prinzipien, Formen und wirtschaftliche Auswirkungen von Besteuerung: Steuergerechtigkeit und Steuergleichheit im 15. Jahrhundert (Deutschland und Italien), in: Simonetta Cavaciocchi (Hg.): La fiscalità nell’economia europea secc. XIII–XVIII = Fiscal systems in the European economy from the 13th to the 18th centuries. Atti della Trentanovesima Settimana di Studi 22–26 aprile 2007, Florenz 2008, S. 153–183, hier S. 163–164. 143 Ordonnances I, S. 384. So zuvor schon bei den Geistlichen und Adligen: Et en ceste mesme maniere de chascune cinq cens livres de terre, un homme d’armes, ou plus et ou moins, faite compensation du riche au poure, selon la fourme dessusdite; Ebd. 144 Hier nochmals zum Vergleich Isenmann, Prinzipien, S. 164. 145 So in Périgord, Quercy, Carcassonne, Beaucaire und Toulouse. Vgl. Rigaudière, L’essor, S. 543– 544 und Hélary, L’armée, S. 165–166.
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Sénéchausséen Toulouse, Périgord, Quercy, Rouergue, Carcassonne, Beaucaire und der Bailliage Auvergne zugesprochen.146 Auf der Grundlage dieser Zustimmung verhandelten die Steuerkollektoren anschließend über die tatsächliche Summe einzeln mit den Adligen und Bürgern jeder Sénéchaussée, die jeweils zusätzliche Konzessionen heraushandelten.147 Toulouse und Carcassone erhielten die Bestätigung, dass sie sechs Kämpfer oder 120 livres pro 100 Haushalte zahlen würden, wenn ihre Schätzung der Zahl der Haushalte akzeptiert und bei einem Friedensschluss die Steuererhebung aufhören würde, sowie keine weiteren Leistungen, Gelder oder Unterstützung während eines Jahres gefordert würden.148 Die Stadt Beaucaire konnte die gleichen Konditionen heraushandeln und zusätzlich noch in Anschlag bringen, dass Schulden, die der König bei Bürgern aufgrund früherer Darlehen hatte, von der Steuersumme abgezogen wurden.149 Im Fall von Carcassone und Béziers ist bekannt, dass die Beiträge nur 65 % bzw. 42 % des Regelsatzes von 120 livres pro 100 Haushalte ausmachten.150 Auch im Zentrum und im Norden des Königreichs fanden nach dem gleichen Schema Versammlungen statt.151 Ausgangspunkt für die Verhandlungen war von königlicher Seite die Etablierung eines Wertmaßes, das auf der Unterhaltung einer bestimmten Zahl von Kämpfern durch eine Gruppe von 100 Haushalten (feux) für eine bestimmte Zeit beruhte. Die einzelnen Faktoren wurden verhandelt, auf deren Basis dann aber eine bestimmte Summe festgelegt wurde, die wiederum aufgrund der Berücksichtigung bestimmter Faktoren reduziert werden konnte. Auf welche Weise die Summe dann erbracht wurde, blieb meist den Städten überlassen, wodurch eine Reihe unterschiedlicher Abgabenarten zur Anwendung kam.152 Das Gesamtresultat der Kriegssubsidien des gesamten Königreichs ist nicht bekannt. Aufgrund von Verspätungen in den Zahlungen, von Restschulden und den Kosten der Erhebung der Subsidien ist ein objektiver Wert auch nicht zu erwarten. Allerdings deutet eine Denkschrift der Rechnungskammer an, dass der Hof trotz der Verhandlungen eine gewisse Vorstellung des möglichen Resultats gehabt haben muss, da bereits 1294 oder 1300 Subsidien erhoben wurden. Deren Ergebnisse sind nur bruchstückhaft überliefert. Mit der Kriegssubsidien von 1304 ist zumindest für uns nachvollziehbar eine Tradition geschaffen worden, indem die Ergebnisse aus einem
146 Rigaudière, L’essor, S. 544 und Vuitry, Études, Bd. 1, S. 155–156 sowie Strayer/Taylor, Studies, S. 54 mit Anm 176. 147 Rigaudière, L’essor, S. 544 und Vuitry, Études, Bd. 1, S. 156 sowie Verweis auf Strayer/Taylor, Studies, S. 67–69 basierend auf Ordonnances I, S. 392–393, 393–394, 394–397, 397–401, 402– 405, 405–406, 406–409, 410–411, 412. 148 Strayer/Taylor, Studies, S. 68. 149 Ebd., S. 68. 150 Ebd., S. 68–69. 151 Ebd., S. 69–70. 152 Rigaudière, L’essor, S. 544.
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Großteil der Bailliages und Sénéchausséen des Königreichs zusammengefasst wurden.153 Tab. 1 Evaluation und Ergebnis des Ertrags der Kriegssubsidien von 1304 in ausgewählten Bailliages und Sénéchausséen Amtsbezirk
Evaluation
Ergebnis (netto)
17.525
13.776
Bourges
43.757
40.000
Touraine (Nichtadlige)
45.895
26.027
Kontrolle
Bailliages Sens
Touraine (Adlige)
18.647
Vermandois
65.066
Amiens
27.943
Orléans Montfort Summe
27.629
23.437
1.335
1.066 215.966
Rouen
28.579
Caen
22.924
Coutances
24.947
Gisors
11.893
Caux
12.571
Summe
100.916
Vitry-en-Perthois (Champagne)
9.783
Chaumont
7.600
Auvergne (Adlige)
12.644
Auvergne (Nichtadlige)
35.764
Summe der Bailliage Auvergne
48.408
215.966
100.916
153 Recueil des historiens des Gaules et de la France 21, S. 564–566. Die Angaben zur Sénéchaussée Toulouse mit den Grafschaften Comminges und Armagnac sind unvollständig, wodurch es zur Abweichung zwischen der angegebenen Teilsumme und der Kontrollsumme kommt. In der Gegenrechnung zur angegebenen Gesamtsumme wurde die in der Denkschrift angegebene Summe der Sénéchaussée von Toulouse übernommen. Dennoch ergibt sich eine Differenz von 27.395 l. t. Natalis de Wailly weist auf die Abweichung zwischen der angegebenen Gesamtsumme und der Summe der drei angegebenen Teilsummen hin und schlägt vor, den Fehler durch die Verwechslung von Brutto- und Nettobeträgen zu erklären; Ebd., S. 566 Anm. 7. Da nicht immer die Kosten ausgewiesen werden, kann diese Hypothese nicht überprüft werden. Die ausgewiesenen Kosten können nur zur Hälfte die Differenz erklären. Weiterhin sind die Abgaben der Adligen nicht in allen Bezirken angegeben, weshalb sie eventuell separat abgerechnet wurden.
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Amtsbezirk
Evaluation
Ergebnis (netto)
111 Kontrolle
Sénéchausséen Poitou Saintonge (Adlige)
25.947 3.915
Summe insgesamt der Sénéchaussée Saintonge
20.443
Toulouse
73.479
Cahors et Périgord
12.485
Beaucaire Summe
6.302 220.890
addierte Summe
537.773
angegebene Summe
565.169
204.447
In den meisten Fällen ist nur das Nettoergebnis ohne Angabe der abgezogenen Kosten (déduicte la despense) vermerkt. Allerdings wurde in sechs Fällen die vorab evaluierte Summe der Abgabe vermerkt. Wenngleich nicht angegeben ist, auf welcher Basis diese Evaluation vorgenommen wurde, ist zu vermuten, dass aufgrund der eingegangenen Abrechnungen der Subsidien von 1302 und 1303 Summen vorgelegen haben, die als Evaluationsbasis gedient haben.154 Wo Schätzungen vorhanden waren, bezog sich der Autor des Dokuments auf die Zahlen, um nach Abzug der Kosten die Abgabenschuld zu berechnen. Dies ist der Fall der Bailliages von Sens und Orléans, deren Schuld rund 15 % der evaluierten Summe betrug. Einen extremen Fall stellen die Nichtadligen der Touraine dar, welche gerade mal 57 % der veranschlagten Summe erbrachten, was aber nicht weiter erklärt wird. Leider fehlen Angaben in der Aufstellung zu Paris und den Bailliage von Meaux, Troyes, Senlis und Mâcon sowie den Sénéchausséen von Carcassone und Rouergue. Joseph Strayer und Charles Taylor versuchen jedoch deren Beiträge aus einzelnen Indizien zu ergänzen. Auf diese Weise schätzen sie, dass die in der Denkschrift angegebene Gesamtsumme (brutto) von 565.169 l. t. in der schwachen Münze (foible monnoie) von 1304 um rund 30 % auf einen Gesamtbetrag (brutto) von 735.000 l. t. erhöht werden kann.155 Aufgrund der unvollständigen Angaben kann das Nettoergebnis nur geschätzt werden, das mit 600.000 l. t., eingerechnet der nicht verzeichneten Amtsbe-
154 Im Inventar von Robert Mignon sind zwar die Abrechnungen der Bailliages und Sénéchausséen verzeichnet, aber keine Aufstellung über die Erträge; Inventaire de Robert Mignon, Nr. 1429–1514. 155 Strayer/Taylor, Studies, S. 73–74. Dort auch die Verweise auf die Beiträge der nicht verzeichneten Bezirke. Auf dieser Basis geben sie folgende Summen an: Caracssone 59.465 l. t., Beaucaire 15.821 l. t., Caux 16.667 l. t., Périgord-Quercy 10.093 l. t., Mâcon 11.000 l. t., Paris 27.250 l. t., Rest: 30.000 l. t.
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zirke, angegeben wird, was aber trotz der nötigen Vorsicht auf den hohen Jahresertrag der Kriegssubsidien im Königreich Frankreich hindeutet.156 Parallel zur Erhebung der Kriegssubsidien wurde ein Heer versammelt, das am 18. August 1304 den Sieg von Mons-en-Pévèle errang.157 Aufgrund des folgenden Friedens mit dem englischen König und des Waffenstillstands mit Flandern verlor die Begründung des Notstandes (necessitas) ihre Wirkung und der beschränkende Vorbehalt (cessante causa) der Kriegshilfe griff, weshalb die Mobilisierung der Adligen und der Nichtadligen in Form von Kriegsdienst oder Solidarabgabe eingestellt werden musste. Allerdings liefen die Ausgaben des Hofes sowie die Kosten für die Garnisonen weiter, denen in den folgenden Jahren nur durch größere „Finanzspritzen“ durch Evokation der gewohnheitsrechtlichen vier Fälle (quatre cas) entgegengewirkt werden konnte. Die vier Fälle wurden zweimal evoziert, was in komplexen Verhandlungen mündete.158 Allerdings wurde im Jahr 1308 aus Anlass der schon im Jahr 1302 angedachten Heirat der Tochter des Königs, Isabella von Frankreich, mit dem Prince of Wales der Versuch unternommen, die Abgaben auch auf den arrière-ban auszuweiten. Erneut regte sich Widerstand, der diesmal in Klagen vor dem Parlement de Paris endete, das allerdings exemplarisch im Fall der Adligen und Prälaten der Normandie darstellte, dass der König die Hilfszahlung von allen Einwohnern der Normandie verlangen könne.159 In der anschließenden Ordonnanz gab der König die Weisung aus, die Hilfszahlung überall einzufordern.160 Darauf folgten Verhandlungen und die Aussendung von enquêteurs-réformateurs, um renitente Gemeinschaften dazu aufzufordern, Prokuratoren ans Parlement zu schicken, um dort ihre Klagen vorzutragen und einen Kompromiss auszuhandeln. Damit wurde das Parlement auch mit Streitfällen der Besteuerung und ihrer Schlichtung betraut.161 Ein neuerlicher Versuch aus Anlass der Schwertleite des Thronfolgers im Jahr 1313, die lehnsrechtliche Hilfe in eine allgemeine Abgabe umzuwandeln, stieß abermals auf den Widerstand der Städte und Adligen.162 Dieses Vorhaben wurde aber nicht weiterverfolgt, da neue Spannungen in Flandern nach einer Reihe von Provokationen von französischer Seite aus zunahmen. Robert III. und seine Söhne, vor allem Ludwig von Nevers, gingen in noch größere Opposition zum französischen König.163 Um die Forderungen vonseiten des französischen Königs zu unterstreichen,
156 Hélary, L’armée, S. 225. 157 Ebd., S. 166–167. 158 Rigaudière, L’essor, S. 544–545 und Vuitry, Études, Bd. 1, S. 157. Umfassend bei Brown, Customary aids. Anlässe waren die Heirat der Tochter Philipps IV., Isabella, mit dem englischen König im Jahr 1308 und der Ritterschlag seines Sohns, Ludwig von Navarra, der spätere König Ludwig X, im Jahr 1313. 159 Rigaudière, L’essor, S. 545. 160 Ebd., S. 545 unter Verweis auf Ordonnances XI, S. 423 (06.10.1311). 161 Rigaudière, L’essor, S. 545. 162 Ebd., S. 545 und Vuitry, Études, Bd. 1, S. 158 basierend auf Ordonnances I, S. 534 (01.12.1313). 163 Zur Vorgeschichte und zum weiteren Verlauf siehe Favier, Philippe le Bel, S. 490–511.
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wurden die Garnisonen verstärkt und es wurde ein neues Heer aufgestellt, das sich bereithalten sollte, in Flandern einzurücken, wofür erheblich größere finanzielle Mittel erforderlich waren, als es der Beitrag zur Schwertleite hätte erbringen können. Zur Finanzierung der möglichen Kampagne griff der Hof auf die gleichen Praktiken zurück wie schon für die Subsidien von 1303 und 1304. Diesmal wurde jedoch eine Versammlung einberufen, zu der am 1. August 1314 die Barone, Bischöfe und diesmal auch Vertreter aller Städte des Königreichs eingeladen wurden, um über die Angelegenheiten des Königreichs zu beraten. Für die Erhebung von Subsidien war dieses Vorgehen neu, nicht aber für andere Angelegenheiten, denn im Zusammenhang des Konflikts mit Bonifatius VIII. war im Jahr 1303 das erste Mal eine größere Versammlung einberufen worden, die in den Gärten des Königs an der Spitze der Île de la Cité stattfand.164 Dort wurde auch diesmal die Versammlung im Bereich der königlichen Residenz abgehalten, die erst ein Jahr zuvor nach dessen Neubau eingeweiht worden war. Von der Versammlung berichtet die dem Königshof nahestehende Historiographie in französischer Sprache, die seit den 1260er Jahren im Kloster von St. Denis an einer Geschichte des Königreichs Frankreich arbeitete, die später um die Mitte des 14. Jahrhunderts unter Karl V. (1338–1380) zu den Grandes Chroniques de France geformt wurde. Auf der Grundlage der Lateinischen Chroniken von Saint Denis aus dem Jahr 1250 wurde unter Abt Matthäus von Vendôme im Jahr 124 eine Übersetzung angefertigt, die König Philipp III. geschenkt wurde. Die Lateinischen Chroniken wurde von Wilhelm von Nagis († 1300) um die Beschreibung der Herrschaften der König Ludwig der Heilige und Philipp III. zunächst ergänzt, um dann selbst dessen Übersetzung ins Französische zu besorgen. Zwischen 1285 und 1350 wurden weitere Fortsetzungen auf Latein angefertigt und von anderen Mönchen von St. Denis ins Französische übersetzt, die dann die Grandes Chroniques de France bereicherten. Unter den Fortsetzungen berichtet jene von der Versammlung von 1314, die von 1285 bis 1328 reicht.165 So haben sich auf königliche Bitte mehrere Barone und Bischöfe sowie Bürger aus den zentralen Städten (cité) in Paris versammelt. Auf dem Platz vor der königlichen 164 Siehe oben Anm. 90. Die Verbindung zwischen den Versammlungen hat schon gezogen Strayer/Taylor, Studies, S. 82–83; Rigaudière, L’essor, S. 545. Strayer und Taylor verweisen auf Les Grandes Chroniques de France, hg. von Jules Viard, Bd. 8, Paris 1934 (Société de l’histoire de France), Kap. 71, S. 299–301, online unter https://catalogue.bnf.fr/ark:/12148/cb34014339z (31.08.2022). Im Folgenden wird auf die Quelle der Darstellung in den Grandes Chroniques de France verwiesen; für diesen Hinweis danke ich Jean-Marie Moeglin. 165 Zu den Überlieferungszusammenhängen siehe maßgeblich Isabelle Guyot-Bachy, Jean-Marie Moeglin: Comment ont été continuées les Grandes Chroniques de France dans la première moitié du XIVe siècle, in: Bibliothèque de l’école des chartes 163,2 (2005), S. 385–433, https://doi. org/10.3406/bec.2005.463761. Die Fortsetzung wird sich abgedruckt in Chronique de saint Denis, depuis l’an 1285 jusqu’en 1328, in: Recueil des Historiens des Gaules et de la France, hg. von Pierre-Claude-François Daunou, Joseph Naudet, Bd. 20, Paris 1840, S. 654–724, online unter http:// gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k50138z (31.08.2022).
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Frankreich
Residenz (palais) habe Enguerrand de Marigny, der engste Berater des Königs und Verwalter des Königreichs (coadjuteur le roy de France Phelippe et gouverneur de tout le royaume) zu diesem Zeitpunkt, ein Podest errichten lassen, auf dem der König zusammen mit den Baronen und Bischöfen Platz genommen hätte. Enguerrand de Marigny habe sich ebenfalls auf dem Podest gezeigt und sich in der Art eines Predigers an das vor dem Podest versammelte Volk (en preschant au pueple) gewandt habe, um neuerliche Subsidien zu erbitten. Er habe dies getan, indem er eine Rede über Natur und Nahrung (nature et noureture) gehalten habe, in der er auf die Bedeutung der Stadt Paris als königliche „Nahrungskammer“ abgehoben habe, da die „Natur“ dafür gesorgt habe, dass die Stadt reich an „Nahrung“ sei, weshalb die Stadt auch als chambre royal bezeichnet werde. Marginy habe noch weitere Anspielungen gemacht, die der Autor der Chronik ausgelassen habe, um nicht der Weitschweifigkeit (prolixité) angeklagt zu werden. Auf den Rat dieser „Kammer“ könne der König sich auch in der vorliegenden Situation verlassen, die durch die Felonie des Grafen von Flandern gekennzeichnet sei, da sie nur Bewahrer der Grafschaft seien und sie als Lehn (comme gardiens et en subjection de France) empfingen, wofür sie den französischen Königen Eid (hommage du roy de France) schuldeten. Nun sei aber der Graf Guido de Dampierre von seinem Eid gegenüber dem französischen König zurückgetreten, woraufhin der erste Krieg (1297) ausgebrochen sei, dessen Verlauf Marigny beschrieben habe und der unbeschreiblich viel Geld gekostet habe, was dem Königreich schwer geschadet habe (comment il se fourfist envers le roy et comment la guerre avoit esté menee, et coustemens et despens que le roy avoit fait qui bient montoient a si grant nombre dargent que cestoit merveillies du raconter; de quoy le royaume avoit esté trop malement grevés).166 Dann sei aber ein Frieden (Vertrag von Athis-sur-Orge) mit dem Sohn von Guido, Robert III., genannt Robert von Bethune, und den Schöffen der flämischen Städte Flanderns ausgehandelt worden, den sie geschlossen und besiegelt hätten. Doch sei der Frieden von den Grafen und den Flamen nicht eingehalten worden, weshalb Marigny im Namen des Königs die Vertreter der Städte einbestellt habe, um zu erfahren, wer Hilfe anbiete, um gegen die Flamen zu ziehen (pour laquelle chose yceli Engerran requist pour le roy aus bourgois des communes qui yleuc estoient assamblés quil vouloit savoir lesquels li feroient aide ou non a aler encontre les Flamens a ost en Flandres).167 Diese Frage habe Marigny durch eine Inszenierung unterstrichen, indem er den König bat, sich zu erheben und diejenigen anzusehen, die sich bereit erklärten, ihm zu helfen. Auf diese Geste hin sei Étienne Barbette – aus einer bekannten Pariser Schöffenfamilie und amtierender Prévôt des marchands, also dem Vorsteher der Kaufmannsgilde – aufgestanden und habe im Namen der Pariser Bürger ihre Hilfe, jeder nach seinen Möglichkeiten (chascun a son pooir), erklärt. Sie gingen auf eigene Kosten dorthin, wo der König sie in seinem
166 Recueil des historiens des Gaules et de la France, Bd. 20, S. 692. 167 Ebd.
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Kampf gegen die Flamen brauche. Der König habe ihnen gedankt. Anschließend hätten alle anderen anwesenden Vertreter der Städte in der gleichen Weise freiwillig ihre Hilfe angeboten (volentiers il feroient aide), wofür der König ihnen erneut gedankt habe.168 Der Abschnitt endet mit dem Verweis, dass nach dieser Versammlung (parlement) und aufgrund der Entscheidung von Marginy neben der zuvor gebilligten Hilfe (subvention) noch eine Kopfsteuer (taille) in Paris und im ganzen Königreich erhoben worden sei, die aber die mittleren und unteren Schichten schwer getroffen habe (de quoy le menu peuple fu trop grevé). Mit dieser Entscheidung habe Marigny den Hass und Unmut des Volkes auf sich gezogen (pour laquelle achoison le dit Engorran chei en la haine et maleiçon du menu peuple trop malement).169 Der letzte Absatz der Erzählung über die Versammlung liefert bereits den Schlüssel zum Verständnis des gesamten Abschnitts, der sich in das Bild von Enguerrand de Marigny einfügt, das sich in der königsnahen Historiographie halten wird. Die Intention der Darstellung ist es, den Berater des Königs bereits ein Jahr vor dessen Sturz im Jahr 1315 einerseits als allmächtigen Minister darzustellen, der das Königreich anstelle des Königs, der von Marigny instrumentalisiert und inszeniert wird, lenke, um die Zustimmung zur Gewährung einer Hilfe zu erwirken. Andererseits nutze er diesen Einfluss aus, um dem Volk neben der Hilfe auch noch eine Kopfsteuer abzupressen. Diese fiskalische Maßnahme muss auch in Hinblick auf den späteren Sturz des Beraters gelesen werden, der neben seiner Überheblichkeit auch über seine Veruntreuung von öffentlichen Geldern gestürzt ist. Im Gegensatz zu diesem Topos des „bösen Rates“ oder des „Günstlings“ macht die Forschung deutlich, dass Enguerrand de Marigny unter dem Vorwand der Veruntreuung vor allem das Opfer eines Parteikonflikts nach dem Tod seines königlichen Förderers, Philipp IV., wurde.170 Vor dem Hintergrund dieser Argumentationslinie hat die angeblich doppelte Forderung an die Untertanen – Kriegssubsidien und Kopfsteuer – die Funktion, den Machtmissbrauch von Marigny zu unterstreichen. Doch drängen sich zumindest an der Rolle des Prévôt des marchands, Étienne Barbette, in der Beschreibung Zweifel auf, der darauf reduziert wird, als Erster der Hilfe zugestimmt zu haben. Die inszenierte Zustimmung der Versammlung war allgemeiner Art, da die tatsächlichen Leistungen der Städte und der Bezirke wie 1302 und 1304 vor Ort ausgehandelt wurden. Von diesem Vorgang zeugt ein Brief vom 6. August 1314 an die Bailliages von Meaux und Provins in der Champagne, der abgesehen von der Nennung der beiden Bailliages stark formalisiert ist und unter Austausch der Adressaten in dieser Form auch an andere Amtsbezirke verschickt worden sein kann. Der Brief richtet sich an alle Adli-
168 Recueil des historiens des Gaules et de la France, Bd. 20, S. 692. 169 Ebd. 170 Zum Einfluss von Enguerrand de Marigny auf die Fiskal- und Finanzpolitik des Königreichs siehe Jean Favier: Un roi de marbre. Philippe le Bel. Enguerrand de Marigny, Paris 2005 (ND 1995), S. 609–619 und aktuell Jostkleigrewe, Société politique, S. 236–246.
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Frankreich
gen und Nichtadligen, alle Kommunen und Gemeinschaften (université) der Städte mit Bischofssitz (cité) und alle großen, mittleren und kleinen Städte (villes, grans, moienes et petites) einberufen, im September 1314 zum Fest Mariä Geburt (feste Nostre-Dame) (8. September) in Arras zu erscheinen.171 Auf Ratschlag des königlichen Rats (par grant deliberation de nostre Conseil) sei man zur Entscheidung gelangt, zur Verteidigung und zum Erhalt des Königreichs (pour la deffense et la garde de nostre Royaume) den Heerbann einzuberufen, nachdem Robert von Flandern den Frieden gebrochen und sich in offene Rebellion zum König begeben habe. Mit seinem Angriff auf die Städte des Königreichs habe er Untertanen geschädigt und getötet und den Frieden aller gestört.172 Die Konvokation wird drei Kommissaren in Vertretung der drei Stände (ein Geistlicher, ein adliger Amtsträger und ein königlicher Familiar) unterstellt, die darauf zu achten haben, dass jeder nach seinem Stand und ohne Ausnahme (selon l’estat de chascun et sans excusacion nulle) unter Strafe an Körper und Besitz ausreichend ausgestattet an Waffen und Pferden in Arras zu erscheinen habe. Die Kommissare hätten weiterhin die uneingeschränkte Vollmacht (plein pooir) von jenen, die verhindert seien oder aufgrund ihres Standes nicht infrage kämen, zugunsten des Königs und der Sache Gelder oder Kompensationen zu erhalten (de recevoir telles finances et composicions), wofür die Kommissare Bestätigungsschreiben ausgeben (lettres de quittances) würden.173 Die Kommissare wurden wahrscheinlich aufgrund ihrer Nähe zum Hof ausgewählt, da sie ihm wohlbekannt waren. Der Bischof von Soissons, Gérad de Courtonne, war zuvor Kleriker des Königs gewesen, wohingegen die beiden anderen Kommissare von Amts wegen mit dem Hof verbunden waren.174 Es handelte sich um den Bailli von Meaux, Erart d’Alement, und den im Brief als Familiar bezeichneten Renaud Barbou, der einer Familie von Bailli von Rouen entstammte und Mitglied der königlichen Rechnungskammer war.175 Ihre Tätigkeit ist auch über ihre Abrechnungen belegt, die Kommissare, da sie in dieser Konstellation bis zum Jahr 1319 weitere Subsidien (1315, 1318, 1319) eingenommen hatte, erst 1319 der Rechnungskammer vorgelegt haben.176 171 Rigaudière, L’essor, S. 547 und Vuitry, Études, Bd. 1, S. 159–164 basierend auf Ordonnances XI, S. 428–430 (06.08.1314). 172 Nous faison à savoir que comme Robert Cuens de Flandres, et les gens de la Comtée de Flandres, se soient mis en rebellion contre Nous, en faisant guerre ouverte, et en envaïssant et occupant nos Villes de nostre Royaume, par force d’armes, à leur pooir en domajant et occiant nostre gent contre la paix faite entre Nous et eux tous, […]. Ebd., S. 428. 173 Ordonnances XI, S. 429. 174 Im Schreiben wird der Bischof doyen de Soissons genannt. Es scheint eine Gewohnheit gewesen zu sein, dass der Bischof von Soissons sich als Dekan der Suffragane der Kirchenprovinz von Reims bezeichnen ließ. Vgl. Josef Leinweber: Die Provinzialsynoden in Frankreich vom Konzil von Vienne bis zum Konzil von Trient (1312–1545), Freiburg i. Br., Basel, Wien 2013 (Fuldaer Studien, 16), S. 196. 175 Favier, Un roi de marbre, Pièces justificatives I. 176 Inventaire de Robert Mignon, Nr. 1630 und Nr. 1668. In der Abrechnung von 1314 wird als vierte Person noch Guillaume de Saint-Marcel von Provins genannt. Er ist als ehemaliger Richter der Champagnemessen bekannt, der auch schon bei der Kollekte von 1302 mitgewirkt hat. Joseph
Einnahmequellen und -struktur der französischen Könige
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Zusätzlich zu dem Brief finden sich die Instruktionen an die drei Kommissare, welche die wichtigsten Punkte des oben genannten Briefs wieder aufnehmen.177 Zentrales Element ist die Einberufung, die per Ausruf verkündet werden sollte. Besonders in der Île-de-France, der Normandie und der Champagne und hier vor allem in Städten ohne chartes de franchise (ville bateis) sollten die Kommissare auf die Baillis einwirken, da dort Handel getrieben werde und Leute von ihrer Arbeit lebten, die Ausgaben für eine angemessene Ausrüstung und wirtschaftlichen Schaden hätten, wenn sie tatsächlich in den Krieg ziehen würden. Aus diesem Grund sollen die Baillis sie davon überzeugen, Ausgleichszahlungen zu leisten. Es folgen die spezifischen Modalitäten der Abgabenerhebung, die den gleichen Kriterien gehorchen wie zuvor, nämlich 100 Haushalte zahlen den Unterhalt von sechs ausgerüsteten Kämpfern. Dabei wurde der Satz im Vergleich zu den vorherigen Erhebungen nach unten korrigiert, sodass 100 Haushalte – ausgenommen die Mitglieder von Bettelorden – für eine Kampagne von vier Monaten nur 72 l. p. zu zahlen hätten.178 Das sei aber nur der Regelsatz, wie die Instruktion unterstreicht, um die Baillis dazu einzuladen, in Abhängigkeit der Verhältnisse vor Ort jede Form der Division des Regelsatzes vorzunehmen, solange die genannten Städte und Kirchspiele etwas zahlen würden. Das Prinzip sei, dass in Abhängigkeit der Beurteilung der Kommissare und des Vermögens der Bewohner jede Gruppe einen Beitrag leiste (faire finance convenable selonc sa discrecion, et selonc le pooir des habitans). Auch in allen anderen Städten solle so verfahren werden. Alle mit einem Vermögen von über 2.000 l. p. hätten dem König Heeresdienst zu leisten; Vermögende unter 2.000 l. p. würden als Haushalt gezählt. In den Städten mit Bischofssitz, in befestigten Plätzen, Dörfern und den Königsstädten (bonnes villes), wo große Mengen an Waren zirkulieren, solle man dahinwirken, dass der Warenverkehr durch eine indirekte Abgabe besteuert werde. Mit Blick auf die beiden Gruppen von Prälaten und Geistlichen sowie Adligen werde davon ausgegangen, dass sie Heerdienst leisten würden. Es liege aber in der Bewertung der Kommissare, falls sie einige aus diesen beiden Gruppen aufgrund ihres Status nicht zum Dienst zwingen würden. Für Geistliche werden keine Kriterien oder Geldabgaben genannt. Anders der Adel, wo erneut Jugendliche, Witwen, Invaliden, Alte und Kranke vom Dienst befreit und zu Geldabgaben verpflichtet werden. Der Brief und die Instruktionen folgen den bereits etablierten Prinzipen der Rechtfertigung des Königs mit der Begründung des Notstandes (necessitas) der Verteidigung des Königreichs gegen den Angriff des Grafen von Flandern, der als Rebellion bezeichnet wird, worin der lehnsrechtliche Anspruch des französischen Königs gegenStrayer ordnet ihn den unteren Rängen königlichen Funktionsträgern zu; Strayer, Philipp the Fair, S. 130. 177 Ebd., S. 429–430. 178 Die Instruktion geht von Gesamtkosten von 18 l. p. für den Unterhalt und die Ausrüstung von sechs Kämpfern aus. Der Unterhalt eines Kämpfers wird mit einem Tagessatz von 12 deniers angesetzt. Für den Unterhalt von sechs Kämpfern ergeben sich so Kosten von 9 l. p. pro Monat. Hinzu kommen die gleichen Kosten für die Ausrüstung.
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Frankreich
über seinem Vasallen zum Ausdruck kommt. Gefordert wird eine allgemeine Mobilisierung und Kriegshilfe, die in ihrem Anspruch umfassend (ban, arrière-ban), aber in ihrer Wirkung auf den konkreten Notstand beschränkt ist (cessante causa). Während die Verpflichtung auch unter Strafe eingefordert werden soll, wird ihre Umsetzung in die Hände von Kommissaren gelegt, die den drei Ständen angehören und die uneingeschränkte Vollmachten haben, über die Abgeltung der Dienstpflicht zu entscheiden. Das dritte Prinzip, bei dem es sich um Anerkennung des Leistungsvermögens jedes einzelnen handelt, wird dann in den beigefügten Instruktionen ausgeführt. In diesem Punkt stimmen der Brief und die vorangestellte Darstellung der Versammlung überein, nach der die Vertreter der Städte der Subvention zugestimmt haben, dass jeder nach seinen Möglichkeiten (chascun à son pooir) helfe. Darüber hinaus wurden die konkreten Tagessätze der Kämpfer nochmals reduziert. Von Interesse ist ebenfalls, dass zwischen den verschiedenen Städtetypen und der Bevölkerung in der Weise differenziert wird, dass den Kommissaren allgemeine Linien an die Hand gegeben werden, mit welchen Argumenten Händler und Handwerker zu einer Abgabe überredet werden können. Im Gegensatz zum Vorgehen von 1304 gab es aber nur wenig Vorlauf zwischen der Versammlung in Paris und der Aussendung der Kommissionen vor Ort. Zehn Jahre zuvor hatte sich der König zu Beginn des Jahres in den Süden aufgemacht, um Zustimmung zu erlangen. Anschließend hatten die enquêteurs-réformateurs das gesamte Frühjahr Zeit, um die Modalitäten der Erhebung der Subsidien zu verhandeln sowie etwaige Beschwerden entgegenzunehmen und zu untersuchen. Diesmal erscheint der gesamte Prozess der Erhebung der finance einerseits auf die Versammlung in Paris konzentriert und das Verfahren andererseits als eingeübt verstanden worden zu sein. Bestand am königlichen Hof tatsächlich die Vorstellung, dass die Rede von Enguerrand de Marigny und die inszenierte Bitte des Königs die Anwesenden von der Notwendigkeit der Hilfe überzeugen würde? Die Antwort auf die Frage diskutieren Joseph Strayer und Charles Taylor auf der Basis des verzeichneten Ergebnisses der Subsidien in einer Denkschrift der Rechnungskammer und vor dem Hintergrund offener Opposition gegenüber den Subsidien. Zur besseren Einordnung der aufgeführten Indizien muss angeführt werden, dass die Erhebung der Subsidien dadurch erschwert wurde, dass nur einen Monat nach der Versammlung in Paris Enguerrand de Marigny eine Vereinbarung mit Johann von Namur für seinen Stiefbruder Robert III. von Flandern aushandelte, die aufgrund des Prinzips der cessante causa zur Einstellung der Erhebung hätte führen müssen.179 Es scheint aber so gewesen zu sein, dass die Anordnung zur Un-
179 Favier, Un roi de marbre, S. 693. Grandes Chroniques de France, Bd. 8, S. 301–302. Das Verhandlungsergebnis wird als weiteres Ergebnis der Macht dargestellt, die Enguerrand de Marigny besessen hat. Auch hätte das Heer nach Frankreich non glorieux et sanz honneur heimkehren müssen.
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terbrechung der Kollekte erst ab Ende Oktober 1314 ausgegangen ist und nur kurz vor dem Tod Philipps IV. am 29. November die Kollekte vollständig aufgegeben wurde.180 Zum Zeitpunkt der Versammlung in Paris war eine solche Entwicklung nicht abzusehen, weshalb es galt, die Städte dazu zu bewegen, Subsidien zuzustimmen. Ein solches Resultat ist aber aufgrund vorheriger Absprachen zumindest zwischen einzelnen Vertretern des Hofs und der Städte eher zu erwarten, denn als Resultat einer spontanen Reaktion auf eine Ansprache.181 Ein Rahmen, in dem zeitgleich Vertreter der Städte getroffen werden konnten, waren die stattfindenden Konsultationen über den Wert der Münze, der erst im Jahr zuvor annähernd auf das Niveau zur Zeit Ludwigs IX. angehoben worden war. Möglicherweise wurde auf diesem Wege die Meinung unter den Vertretern der Städte vorbereitet, Subsidien zuzustimmen, um einer Münzentwertung zu entgegnen und den Wert zu halten.182 Solche Absprachen werden im Zusammenhang mit der Versammlung von 1314 in der Forschung nicht diskutiert, weil das Ergebnis der Subsidien dieses Jahres im Vergleich zum vorherigen Ergebnis des Jahres 1304 insgesamt als schlechter bewertet werden. Auf den ersten Blick wird diese Bewertung durch die überlieferten Ergebnisse der Erhebung der Subsidien von 1314 bestätigt, die in der schon genannten Denkschrift der Rechnungskammer über die Kriegssubsidien verzeichnet ist. Für das Jahr 1314 ist eine Gesamtsumme (netto) von 116.515 l. t. aufgeführt, die sich im Vergleich zur Summe von 565.169 l. t. des Jahres 1304 gering ausnimmt.183 Weitere Unterschiede zum Verzeichnis von 1304 bestehen in der Art der Aufstellung und der Liste der verzeichneten Bailliages und Sénéchausséen. Im Vergleich zu 1304 sind die Stadt Paris und ihr Umland, die Bailliages von Meaux und Troyes sowie die Sénéchausséen von Carcassone und Béziers diesmal verzeichnet. Demgegenüber fehlen Angaben zu den Sénéchausséen von Beaucaire und Rouergue und den Bailliages von Sens, Bourges, Amiens sowie zur Normandie und Auvergne. In der vorliegenden Tabelle ist nicht die detaillierte Liste von lokalen Einheiten von Prévôtés, Châtellenien, Vikariaten oder Gerichtskreise (jugerie) verzeichnet, in die die jeweiligen Bailliages oder Sénéchausséen unterteilt sind und in denen die Erhebungen stattgefunden haben. Die Einzelergebnisse wurden als Ergebnis der jeweiligen Bailliages oder Sénéchausséen addiert, wobei dem Schreiber in der Addition Fehler unterlaufen sind. Für Paris und die Bailliages von Touraine und Vermandois hat der Schreiber eine Evaluation des Ergebnisses vorangestellt und sie in Relation zum Nettoergebnis gesetzt. In drei Fällen war dem Autor die Relation zwischen Brutto- und Nettoergebnis
180 Strayer/Taylor, Studies, S. 86–87 mit weiteren Verweisen. 181 Siehe oben Anm. 13. 182 Dieser Erklärungsansatz wird von Charles Taylor vorgeschlagen und für ähnliche Verhandlungen im Jahr 1316 diskutiert; siehe Charles Taylor: Assemblies of French towns in 1316, in: Speculum 14 (1939), S. 275–289. Hierzu auch Bompaire, La question monétaire, S. 124. 183 Recueil des historiens des Gaules et de la France 21, S. 567–570.
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Frankreich
Tab. 2 Ergebnis der Erhebung der Subsidien von 1314 Subsidien von 1314 Angaben in „guter“ Münze von 1313 und in livre tournois Amtsbezirk
Ergebnis (brutto)
Paris
Evaluation
Ergebnis (netto)
12.959
8.514
Kontrolle
Châtellenie und der Prévôté außerhalb von Paris
9.799
9.056
Bailliage von Orléans
2.063
2.053
13.816
22.358
Bailliage von Touraine
22.258
Bailliage von Vermandois
8.608
21.130
30.164
31.349
Sénéchaussée von Toulouse
17.270
16.253
Sénéchaussée von Périgord
2.813
Sénéchausséen von Carcassone und Béziers
Sénéchausséen von La Rochelle, Angoulême, Limousin, La Marche und Poitou Bailliage von Troyes Bailiage von Meaux (ohne Provins) verzeichnete Summe aller Teile
21.816 31.539
22.380
20.988
21.980
2.215
2.147
2.119
8.988
8.988
116.515
135.287
(so in der Bailliage von Troyes und in den Sénéchausséen von Carcassone und Béziers, Toulouse, Périgord) bekannt, wie es bereits für die Erhebung von 1304 der Fall war. Im Gegensatz zum vorherigen Dokument wird kein Unterschied zwischen Adligen und Nichtadligen gemacht – die Mitglieder von Bettelorden waren ausgenommen –, jedoch legen die Angaben zu den Erhebungsmodalitäten (Herdsteuer, Erhebung durch Stadtgemeinden) nahe, dass in den meisten Fällen die Beiträge nur von Nichtadligen geleistet wurden. Einzig im Ergebnis der Bailliage von Orléans könnten Leistungen von Adligen enthalten sein, die eine Vermögensabgabe wegen nicht geleistetem Heeresdienst entrichtet haben. Gleiches trifft auch auf den Klerus zu, der ein Lehn des Königs innehatte.184
184 La subvencion pour le di tost, en la baillie d’Orléans, fut ainsi imposée que cent felix, excepté les pauvres mendians et les gros, de deux mil livres et plus, paièrent sux sergens; et ceulx de mil livres paieroint vingt livres et de plus, plus. Et monta la dicte subvention, .II. M. LXIII l. Tourn. Et finèrent nobles et non nobles qui ne peurent alern en l’ost, de femmes vefves, de toute manière de clergé, qui tiennent en fief du roy
Einnahmequellen und -struktur der französischen Könige
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Beide Verzeichnisse zusammen erlauben für fünf Bailliages jeweils zwei Evaluationen nebeneinanderzustellen. Das ist der Fall für die Bailliage von Orléans, Touraine, Sens und Montfort, die sich alle nördlich der Loire befinden, was umso bemerkenswerter ist, da Steuerschätzungen sonst nur südlich der Loire, dann aber als eigenständige Dokumente (livres d’estimes) und bereits in der letzten Hälfte des 13. Jahrhunderts belegt sind. In den Bailliages ist diese Quellengruppe der Forschung vor 1328 unbekannt.185 Die Denkschriften zeigen, dass in der königlichen Verwaltung das Interesse für reichsweite Evaluationen und insbesondere für Schätzungen der Anzahl der Herdstellen im Königreich bereits zuvor vorhanden war, was auf die Besteuerung des arrière-ban in Form der Kriegssubsidien zurückgeführt werden kann.186 Die Schätzungen bildeten die Basis für die Forderungen, die als gesetzt verstanden wurden: La subvencion pour ledit ost […] fut imposée et monta […].187 In diese Richtung weisen auch zwei Fälle in der Denkschrift des Jahres 1304, wo ein Fehlbetrag von rund 15 % als Schuld (dettes) ausgewiesen wurde, womit der Forderung ein bindender Charakter zugewiesen wird.188 Was die Situation des Jahres 1314 deutlich von jener des Jahres 1304 unterschied, war die Heimkehr des Heeres und das Ende der weiteren Erhebung: Le demourant ne fut mie levé, car le roy le défendit.189 Diese Umstände können die deutlich geringere Erhebungsquote erklären. In Paris, wo die Information sicherlich am schnellsten verbreitet wurde, ging nur 66 % der veranschlagten Summe ein. Ähnlich gestaltete sich die Situation in der Touraine mit 62 %. Im Vermandois hingegen lag das Verhältnis nur bei 39 %, womit die Erhebung deutlich schlechter verlief oder die Information des Abbruchs der Kampagne aufgrund der geringen Distanz zur Stadt Lille, wo die Verhandlungen stattfanden, besonders schnell zirkulierte. Für alle anderen Bezirke ist ein solcher Vergleich nicht möglich.190 Da die Aufstellung keine weiteren internen Verweise anbietet, um das Ergebnis zu bewerten, wurde einerseits das Ergebnis von 1304 als Vergleichsparameter herangezogen und andererseits weitere Dokumente zum Kontext der Erhebung. Insgesamt
185
186 187 188 189 190
de prélatz, de chapitres et de religieux qui doivent servient. Recueil des historiens des Gaules et de la France 21, S. 567. Rigaudière, Fiscalité, S. 586–587 mit weiteren Verweisen, insbesondere Philippe Wolff: Les „estimes“ toulousaines des XIVe et XVe siècles, Toulouse 1956 (Biliothèque de l’Association Marc Bloch de Toulouse. Documents d’Histoire Méridionale) und Jean Favier: Finance et Fiscalité au bas Moyen Âge, Paris 1971 (Regards sur l’histoire), S. 186–194. Bisher wurde aber angenommen, dass mögliche Untersuchungen des Jahres 1303 ohne Folgen blieben; vgl. Rigaudière, Fiscalité, S. 587. So als feststehende Formel in beiden Denkschriften; Recueil des historiens des Gaules et de la France 21, S. 564–566 und S. 566–570. Ebd., S. 564. Das Vorhandensein der Schulden macht auf ein Phänomen aufmerksam, das bereits in vorherigen Anordnungen erschienen ist und das darin besteht, dass Schulden aller Art im Rahmen neuer Verhandlungen verrechnet werden konnten; siehe oben Anm. 139. Recueil des historiens des Gaules et de la France 21, S. 567 Anm. 1. Siehe oben Anm. 180.
122
Frankreich
besteht das Bild in der Forschung, dass das Ergebnis von 1314 deutlich hinter jenem von 1304 geblieben ist. Zentrales Argument sind die Zahlen selbst, denn sämtliche Ergebnisse von 1314 liegen im Einzelnen, wo die Ergebnisse eines Amtsbezirks in beiden Dokumenten aufgeführt sind, und im Ganzen deutlich hinter jenen von 1304. Zweitens werden die möglichen Leistungen der Adligen in der Aufstellung von 1314 nur ein einziges Mal erwähnt, weshalb zumindest davon ausgegangen werden muss, dass sie nicht verzeichnet wurden. Drittens wurden die Leistungen einzelner Bezirke wie Toulouse und Périgord nachweislich von einer deutlich kleineren Gemeinschaft erbracht. Tab. 3 Vergleich des Ergebnisses der Subsidien von 1304 und 1314 Subsidien von 1304 Angaben in „schlechter“ Münze von 1304 und in livre tournois Amtsbezirk
Subsidien von 1314 Angaben in „guter“ Münze von 1313 und in livre tournois Amtsbezirk
Ergebnis (netto) l. t.
Ergebnis (netto) l. t.
Paris
8.514
Châtellenie und der Prévôté außerhalb von Paris
9.799
Bailliage von Orléans
23.437
Bailliage von Orléans
2.063
Bailliage von Touraine (Nichtadlige)
26.027
Bailliage von Touraine
13.816
Bailliage von Vermandois
65.066
Bailliage von Vermandois
8.608
Amiens
27.943
Montfort Normandie
1.066 100.916
Vitry-en-Perthois (Champagne)
9.783
Chaumont
7.600
Summe der Bailliage Auvergne
Sénéchaussée von Toulouse (inkl. der Grafschaften Comminges und Armagnac)
48.408
73.479
Sénéchausséen von Carcassone und Béziers
30.164
Sénéchaussée von Toulouse
17.270
123
Einnahmequellen und -struktur der französischen Könige
Subsidien von 1304 Angaben in „schlechter“ Münze von 1304 und in livre tournois Amtsbezirk
Subsidien von 1314 Angaben in „guter“ Münze von 1313 und in livre tournois Ergebnis (netto) l. t.
Amtsbezirk
Ergebnis (netto) l. t.
Sénéchaussée von Cahors und Périgord
12.485
Sénéchaussée von Périgord
Sénéchaussée von Poitou
25.947
Sénéchausséen von La Rochelle, Angoulême, Limousin, La Marche und Poitou
20.988
Summe insgesamt der Sénéchaussée Saintonge
20.443 Bailliage von Troyes
2.147
Bailliage von Meaux (ohne Provins)
8.988
Sénéchaussée von Beaucaire
6.302
Summe aller Teile (laut Autor)
565.169
Summe aller Teile (laut Autor)
2.813
116.515
Trotz der angesprochenen Vorbehalte bezüglich der Komposition der Leistungen und der einzelnen Amtsbezirke sticht der Unterschied der verzeichneten Gesamtsumme wie einzelner Teilergebnisse (Orléans, Touraine, Vermandois, Toulouse, Périgord und Poitou) heraus: Die Summe aller Teile des Jahres 1314 macht nur 20 % der Summe von 1304 aus. Im Einzelnen ist der Unterschied noch deutlich stärker, wie in den Bailliages von Orléans und des Vermandois, während die Sénéchaussén von Saintonge-Poitou nur um gut die Hälfte abfallen. Aufgrund der genannten Zahlen weisen Joseph Strayer und Charles Taylor darauf hin, dass die Differenz zwischen den beiden Erhebungen zwar zum Teil darauf zurückzuführen ist, dass der Tarif von 1314 abgesenkt worden war, womit sich auch das Abgabenaufkommen reduziert hatte, aber insgesamt und eingerechnet der strukturellen Differenzen in der Komposition vielleicht ein Drittel der avisierten Subsidien eingesammelt werden konnte.191 Diese Bewertung beruht jedoch auf der Gleichsetzung der Summen, wohingegen nicht beachtet wurde, dass die Summen nicht in der gleichen Münze angegeben sind. In der Denkschrift von 1304 wird explizit darauf hingewiesen, dass die Höhe der Subsidien in der umlaufenden „schwachen“ Münze ausgegeben wurden, wohingegen im
191 Strayer/Taylor, Studies, S. 87–88.
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Frankreich
Jahr 1314 die aufgewertete Münze von 1313 umlief. Mit einem Edelmetallgehalt von nur rund 37,5 % der Münze von 1313 muss eine solche Entwertung auch bei der Betrachtung der Ergebnisse berücksichtigt werden.192 Ein solcher Wertunterschied hat direkten Einfluss auf den Vergleich, da beispielsweise der Ertrag der Subsidien der Sénéchaussén von Saintonge-Poitou des Jahres 1314 nicht hinter, sondern sogar vor jenem von 1304 liegt. Nichtsdestoweniger ist das Ergebnis der Subsidien von 1314 im Ganzen geringer als jenes von 1304, was sich durch den politischen und sozialen Kontext des Jahres erklären lässt. Die Subsidien des Jahres 1314 waren jene, die eine Reihe von Widerständen hervorgerufen hatten, die einerseits mit der ambivalenten Situation verbunden waren, ob die Kollekte aufgrund der abgesagten Kampagne eingestellt würde (cessante causa) und die eingesammelten Gelder zurückgegeben würden, wie dies in ähnlicher Situation im Jahr zuvor der Fall war.193 Andererseits bildete sich im Herbst 1314 eine Opposition aus regionalen Verbünden des niederen Adels heraus, deren Formierung auf eine Strukturkrise zurückgeführt wird, welche durch die typischen Ursachen wie ausbleibende Produktivitätssteigerung, erhöhtes Konsumverhalten, fehlende Investitionen vor dem Hintergrund der zunehmenden Monetarisierung der Gesellschaft seit der Mitte des 13. Jahrhunderts erklärt wird.194 Zur Strukturkrise kamen vom Adel wahrgenommene Beschränkungen sozialständischer Privilegien, wie das Fehdeverbot, welche schließlich zur Formierung von Bünden des Adels, des Klerus und der Stadtgemeinden in Burgund, dann in der Picardie und in der Champagne führten. Später traten noch Adelsbünde in der Normandie und Bretagne, dem Languedoc und der Auvergne hinzu.195 Für Burgund, die Picardie und die Champagne finden sich Dokumente zu ihrem Bündnis (ligue) und ihren Forderungen, die im Fall der Adligen der Bailliages von Amiens und des Vermandois explizit die Aufhebung der neuerlichen Subsidien als Angriff auf ihre Ehre und Freiheit abheben. Die Zahlungsverpflichtungen hätten die Adligen und das gemeine Volk geschädigt und weder zur Ehre und zum Vorteil des Königreichs noch zur Verteidigung des Gemeinwohls beigetragen.196 Gefordert werde die Einstellung der Abgabenerhebung und die Wiederherstellung der alten Standesprivilegien und des Gewohnheitsrechts
192 Siehe oben Anm. 103. 193 Strayer/Taylor, Studies, S. 81 und S. 85–86. 194 Der Beginn der „Krise“ des Spätmittelalters wird für Frankreich auf den Anfang des 14. Jahrhunderts gelegt von Guy Bois: Crise du féodalisme. Economie rurale et démograhie en Normandie orientale du début du 14es siècle au milieu du 16e siècle, Paris 1976 und Ders.: La grande dépression médiévale (XIVe–XVe siècles). Le précédent d’une crise systémique, Paris 2000. 195 Boutaric, Notices et extraits, Nr. 42, S. 220–225, Nr. 43, S. 225–229. Siehe auch Boutaric, France, S. 57–63; Strayer/Taylor, Studies, S. 86–87; Favier, Philippe le Bel, S. 517–519. 196 Boutaric, Notices et extraits, Nr. 43, S. 225–229, hier S. 226; Boutaric, France, S. 57–63; Strayer/Taylor, Studies, S. 86–87; Favier, Philippe le Bel, S. 517–519.
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(Gericht, Münze, Fehde) aus der Zeit Ludwigs IX.197 Auch müsse es Adligen erlaubt sein, sich bewaffnet zu bewegen, ohne fürchten zu müssen, von einem königlichen Beamten mit einer Strafzahlung belegt zu werden. Schließlich habe die Zahl königlicher Beamter (Baillis, Prévôts) und Sergeanten überhandgenommen, die sich zusätzlich auch vor Ort reichlich bedienen würden, da sie nicht bezahlt würden. Die Situation konnte dadurch entschärft werden, dass einerseits die Adelsbünde auf dem Niveau des Königreichs nicht organisiert waren und der Königshof vor diesem Hintergrund mit jeder regionalen Vereinigung einzeln verhandeln konnte. Andererseits konnte mit der Einstellung der Erhebung der Subsidien der Auslöser für die Bewegung entschärft werden.198 Vor diesem Hintergrund können die Ergebnisse des Jahres 1314 mit den Ereignissen in einzelnen Regionen (Vermandois) in Verbindung gebracht werden. Auch das Ausbleiben von Angaben zu den Regionen Normandie und Auvergne kann durch die regionalen Bewegungen erklärt werden. Daneben müssen die Evaluationen und die teilweise guten Ergebnisse in ihrem Wert aufgrund der Münzverbesserung von 1313 höher bewertet werden, was durchaus auf eine Effizienz der Subsidienerhebung schließen lässt, wo sie nicht von sozialen Protesten behindert wurde.199 Eine Erklärung für die Effizienz der Abgabenerhebung kann im Personenkreis derer gesucht werden, die sie in den Amtsbezirken und Städten organisierten. Dort lag sie in der Verantwortung der Bürgerschaft und des Stadtrats oder wie im Fall der Stadt Paris bei der Vereinigung der Pariser Flussschiffer mit dem Prévôt des marchands an der Spitze.200 Im Jahr 1314 handelt es sich um Étienne Barbette, der in der Beschreibung der oben genannten Versammlung als Erster der Gewährung von Hilfen zugestimmt haben soll. Ein solches Versprechen konnte er sich leisten, da er und die anderen Schöffen die Erhebung der Subsidien organisierten und durch die Verteilung der Abgabenlast ihren eigenen Anteil steuern konnten. Daher wird es auch den Pariser Schöffen und nicht Enguerrand de Marigny zuzuschreiben sein, dass in Paris eine Kopfsteuer erhoben wurde, um die Subsidien einzusammeln. Zumindest von diesem Vorwurf, welcher in der Grandes Chroniques gemacht wird, wird man den Marigny freisprechen können.
197 Abgedruckt von Cassard, L’âge d’or capétien, S. 581–582. 198 Favier, Philippe le Bel, S. 519. 199 Die Annahme muss zumindest hinterfragt werden, ob die Erhebung des Jahres 1304 eine quantitative Wegmarke darstellt, die in der ersten Hälfte des 14. Jahrhundert nicht mehr erreicht wurde; so noch bei Henneman, Royal Taxation, S. 30; Strayer/Taylor, Studies, S. 59–75. 200 In den Adelsstand wird aber keine der Familien zu diesem Zeitpunkt erhoben, weil, wie Cazelles vermerkt, der soziale Unterschied zwischen Adel und Bürgertum so gering war, dass die Standeserhebung nicht nötig sei, um den Adel zu frequentieren. Cazelles, Etienne Marcel, S. 38–39 und S. 42.
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2. Indirekte Abgaben Indirekte Abgaben stellen ein gutes Mittel dar, um auf eine relativ breite Masse von Abgabenzahlern zielen zu können, ohne dabei direkt auf den Schuldner zugreifen zu müssen. Dies war der Fall im Jahr 1292. Dekretiert wurde eine indirekte Abgabe auf alle Güter des täglichen Konsums im gesamten Königreich, die sowohl vom Verkäufer wie auch vom Käufer zu entrichten war. Mit einem Satz von einem denier pro Warenwert von einer Livre (jeweils ein denier zu Kosten des Verkäufers und des Käufers) machte die Verbrauchsabgabe lediglich 1/120 oder 0,84 % (240 deniers ergeben eine Livre) des Warenwerts aus, war aber unbeliebt und erhielt den Beinamen der „schlecht erhobenen“ (mal-tôte) Abgabe. Kritisiert wurde die Bestimmung der Abgabe ohne vorherige Rücksprache mit den Betroffenen und eine Form von Kontrolle, welche mit ihrer Erhebung folgen würde.201 Ein Teil der Barone, ohne deren Zustimmung die Abgabe nicht in ihren Ländereien erhoben werden konnte,202 und Städte widersetzten sich aktiv dieser Abgabe,203 während andere, dem Handel zugeneigte Städte der Krondomäne, es bevorzugten, einen Festbetrag (taille) auszuhandeln, um den Warenaustausch nicht direkt zu belasten und die Verbrauchsabgabe abzuwenden. Die Summe wurde auf die Einwohner der betroffenen Städte umgelegt, autonom eingesammelt und anschließend dem König übergeben – dieses der Pauschalbeträge als Option zur Begleich von Steuerforderungen sollte bestehen bleiben.204 Aufgrund des Widerstands fiel die Steuer mit der Ausnahme der Hafenstädte praktisch weg, wo die Einnahmen 201 Rigaudière, L’essor, S. 538 unter Verweis auf Chronicon Girardi de Fracheto et anonyma eiusdem operis continuatio, hg. von Natalis de Wailly, Joseph-Daniel Guigniaut, Paris 1855 (Recueil des Historiens des Gaules et de la France, 21), S. 14, online unter https://catalogue.bnf.fr/ ark:/12148/cb372604330 (31.08.2022), dessen Autor gleich eine Reihe von Vermögensabgaben (1/100, dann 1/50) aufzählt, die in den Jahren 1294 bis 1296 für den folgenden Krieg zwischen dem französischen und englischen König erhoben wurden: Exactio quaedam in regno Franciae non audita, quam nominant mala toltam, deinde centesimum, postque quinquagesimum bonorum omnium cujuscumque, primo a mercatoribus solummodo, ex hinc tam a clericis quam laicis, propter guerram inter reges Franciae et Agnliae discurrentem, per totum regnum Franciae exactatur. Propter quod papa Bonefacius decrevit ut, si reges aut principes vel barones totius Christianitatis de cetero tales exactiones acciperent a praelatis, abbatibus vel a clero, Romana Ecclesiaa inconsulta; aut si episcopi, abbates et clerus talia sibi darent, excommunicationis sententiam incurrerent ipso facto, a qua (nisi in mortis articulo) a nemine possent absolvi, nisi a Romano pontifice vel mandato ipius speciali. 202 Rigaudière, L’essor, S. 538. 203 Ebd., S. 538 unter Verweis auf Rouen, wo die Steuereintreiber verfolgt werden; vgl. Vuitry, Études, Bd. 1, S. 146. 204 Bekannte Fälle sind Paris, Reims, La Rochelle, Saint-Jean d’Angély und Provins. Diese Handelszentren erheben hingegen eine direkte Steuer auf Einkommen, taille. Rigaudière, L’essor, S. 538– 539, 562–563 und 576–578 unter Verweis auf Vuitry, Études, Bd. 1, S. 146; Favier, Philippe le Bel, S. 190; Strayer/Taylor, Studies, S. 12–13 und 45. Die Steuerlisten aus Paris wurden schon 1837 ediert und sind mittlerweile um eine Einleitung und einen Index ergänzt worden; Hercule Géraud: Paris sous Philippe-le-Bel, d’après des documents originaux et notamment d’après un manuscrit contenant „Le Rôle de la Taille“ imposée sur les habitants de Paris en 1292, 1837, Reprod. de l’éd. de 1837, accompagnée d’un avant-propos et d’un index des noms de personne contenus
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für die Küstenverteidigung eingesetzt wurden. In den Häfen wurde die Steuer im Jahr 1302 und 1303 auf 4 deniers pro Warenwert von einer Livre (1/60 oder 1,67 %) erhöht und weiterhin eingenommen.205 Erst in den 1350er Jahren wurde die Verbrauchsabgabe in der Höhe von 4 deniers pro Warenwert von einer Livre als indirekte Steuer im gesamten Königreich umgesetzt.206 Die zweite Kategorie der indirekten Abgaben, die ab der Herrschaft Philipps IV. Veränderungen unterzogen wurde, betrifft Ausfuhren. Lange Zeit, noch bis zu Philipp III., scheint die königliche Gesetzgebung die Sicht verfolgt zu haben, dass Ausfuhren gewisser Waren (Getreide, Rohwolle, Edelmetalle, Edelsteine, Waffen, Pferde) kontrolliert werden sollten, damit sichergestellt werden könne, dass dem Königreich nichts abhanden komme, was es brauchen könne.207 Während die Sicht in Zeiten von Versorgungsengpässen, gar Hungersnöten, im Fall von Konflikten und Kriegen bestehen blieb, wurde mit königlichen Ausfuhrgenehmigungen ein Instrument unter Philipp IV. geschaffen, das einen pragmatischen Umgang mit Ausfuhren erlaubte und sie zugleich fiskalisch interessant machte. Belegt ist, dass bereits ab 1285 Ausfuhrlizenzen für verschiedene Produkte gegen Gebühren vergeben wurden, von denen die Gemeinschaft der Mailänder Kaufleute als Erste das Recht erhielten, Rohwolle für sechs Jahre in Richtung des römisch-deutschen Reichs auszuführen.208 Zwei Jahre später erhielten die Mozzi von Florenz das gleiche Privileg für den Süden, nämlich Wolle aus dem Languedoc vom Hafen von Aigues-Mortes aus gegen eine feststehende jährliche Gebühr und einen kleinen Betrag pro Doppelzentner Wolle auszuführen.209 Dann im Jahr 1291 wurde den beiden Florentinern Albizzo und Musciatto Guidi Franzesi erstmals das Recht auf Ausfuhr eines festgelegten Kontingents Wollballen aus den Sénéchausséen Beaucaire und Carcassone gewährt, das 1293 verlängert wurde. 1303 erhielten sie zusätzlich das Recht, für zwei Jahre Lammwolle aus Burgund auszuführen. Im gleichen Jahr wurden zwei Florentiner bestellt, die über die Einhaltung der Ausfuhrprivilegien der Brüder Franzesi wachen und mögliche „geschmuggelte“ Waren konfiszieren sollten. Anstelle einer Gebühr liehen sie dem König Geldbeträge, die im Gegenzug für die gewährten Privilegien entschädigten.210 Dabei handelte es sich aber nicht um ein Ausfuhrmonopol, wie es in der Literatur bezeichnet wird.211
dans le rôle de la taille de 1292 par Caroline Bourlet et Lucie Fossier, Tübingen 1991 (Patronymica Romanica, 2) (ND 1837). 205 Rigaudière, L’essor, S. 562–563 unter Verweis auf Inventaire de Robert Mignon, Nr. 1385, 1390 und 1393. 206 Hierzu und zur weiteren Entwicklung siehe Rigaudière, L’essor, S. 562–566. 207 Rigaudière, L’essor, S. 568–569 mit Beispielen. 208 Georges Bigwood: La politique de la laine en France sous les règnes de Philippe le Bel et de ses fils (suite), in: Revue belge de philologie et d’histoire 15 (1936), S. 429–457, hier S. 430. 209 Bigwood, La politique (suite). 210 Ebd., S. 431–432. 211 So Ebd., S. 435.
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War die erste Phase der Wollausfuhr durch die Vergabe königlicher Privilegien geprägt, kam es nach 1303 zu einer Änderung der Vergabepraxis, an deren Anfang die neuerliche Verschärfung der Ausfuhrverbote im Midi stand. Der das Verbot verhängenden königlichen Ordonnanz von 1305 lässt sich entnehmen, dass sich von lokaler Seite über die hohen Importe italienischen Tuchs beschwert und gefordert wurde, die Ausfuhr von ungefärbter Wolle und von Stoffen sowie von Mitteln, die zum Färben benötigt wurden, zu verbieten. Im Gegenzug boten die südfranzösischen Produzenten eine Gebühr für jedes Stück, das sowohl für den Groß- als auch für den Einzelhandel bestimmt war.212 Dieses Angebot stieß am Königshof nicht auf taube Ohren. Gleiches lässt sich auch im Norden beobachten.213 In dieser Weise kann die Ordonnanz von 1305 verstanden werden, die, wie Albert Rigaudière ausführt, zwar die Ausfuhr einer ganzen Reihe von Waren verbietet, damit aber nicht den Handel lähmen, sondern die Grundlage für die Vergabe von Ausfuhrlizenzen auf alle genannten Waren bewirken wollte, womit neue Einnahmequellen geschaffen wurden. Unmittelbar im Anschluss an die Ordonnanz wurde die Bestimmung durch eine Reihe von Maßnahmen begleitet, welche die Vergabe von Lizenzen rahmen sollten. Vom König wurden der Kanoniker Pierre de Chalon, der Ritter Guillaume de Marcilly sowie der Pariser Bürger Geoffroi Coquatrix mit der Kontrolle der Ausfuhren in Häfen und an Grenzübergängen sowie der Vergabe von Ausfuhrlizenzen betraut.214 Dabei scheint Coquatrix als maître des ports et passages zuerst ernannt worden zu sein, dem aufgrund der Weite seiner Aufgabe Pierre de Chalon und Guillaume de Marcilly zur Seite gestellt wurden, um die Ausfuhren und die Vergabe von Lizenzen gemeinsam zu kontrollieren.215 In den folgenden Jahren erhielten vor allem die Brüder Fini aus Florenz sowie ein Konsortium Mailänder Kaufleute als wichtigste Exporteure Ausfuhrlizenzen durch Geoffroi Coquatrix und Pierre de Chalon. Wie Albert Rigaudière bemerkt, waren dies die ungewollten Anfänge des Aufbaus einer komplexen Verwaltungsstruktur von Provinzkommissaren, Inspektoren und Wachen, denen wiederum eine große Gruppe von Sergeanten unterstand.216
212 Rigaudière, L’essor, S. 569–570 auf der Basis von Ordonnances I, S. 422. 213 Georges Bigwood: La politique de la laine en France sous les règnes de Philippe le Bel et ses fils, in: Revue belge de philologie et d’histoire, 15 (1936), S. 79–102, hier S. 82. 214 Ebd., S. 87–89. 215 Rigaudière, L’essor, S. 570 auf der Basis von Ordonnances I, S. 424. Weitere Angaben zu Coquatrix finden sich bei Bigwood, La politique, S. 97–98. Im Jahr 1302 war Coquatrix königlicher Schatzmeister in Toulouse, wo er für den König bei Personen unterschiedlichen Standes und Kondition Darlehen aufnahm, die über die Toulouser Einnahmen abgerechnet werden sollten; vgl. Boutaric, France, S. 297 Anm. 2. Siehe auch unten Anm. 114. 216 Rigaudière, L’essor, S. 570 unter Verweis auf Vuitry, Études, Bd. 1, S. 129–130. Hierzu auch Bigwood, La politique, S. 88–94.
Die Verwaltung der Finanzen
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C. Die Verwaltung der Finanzen Am Ende des Kapitels steht die Frage des Budgets. Was war das Ergebnis der Verhandlungen? Ließen sich damit die Kriege finanzieren? Die Rekonstruktion eines „Budgets“ des französischen Königshofs ist, erstens lückenhaft aufgrund der Überlieferung und zweitens auch ein anachronistisches Vorgehen, da jede Rechnung und jede Abrechnung im Kontext der Zeit dazu angelegt waren, das Handeln des Schatzmeisters, Münzmeisters oder Steuerpächters nachzuvollziehen und zu rechtfertigen. Pragmatische Rechenhaftigkeit stand hier vor fiskalstaatlichen Erwartungen moderner Budgets. Das wird daran deutlich, dass die königlichen Schatzmeister nicht bestrebt waren, einen rechnerischen Abschluss eines Rechnungsjahres zu erstellen, sondern nur laufende Einnahmen und Ausgaben verzeichneten, womit nahe liegt, dass der praktische Nutzen in der Kontrolle, nicht in der Bilanz oder in einer Erfolgsrechnung lag. Zur Beschreibung der Abrechnungspraxis werden in der Literatur zwei moderne Begriffe verwendet: „Einnahmen-Überschuss-Rechnung“ und „Gegenrechnung“. Als einfache und ältere Form der Gewinnermittlung und Alternative zur doppelten Buchführung, die außerhalb des Handels im Spätmittelalter kaum übernommen wurde, wurde der Überschuss beispielsweise eines königlichen Amtsträgers dadurch ermittelt, dass von den Einnahmen die Ausgaben abgezogen wurden und der Gewinn in bar von dieser Nebenrechnung an die Hauptkasse überwiesen wurde (Gegenrechnung). Die Hauptkasse verzeichnete daher nur diese betreffenden Ein- und Ausgänge in einem „Kassenbuch“, das als Bezeichnung der Rechnungslegung für alle Geschäftsvorgänge in Verbindung mit dem Bargeldtransfer entlehnt wurde. In regelmäßigen Abständen wurde ein Saldo gebildet, der über den Ist-Bestand an Bargeld informierte.217 Hinzu kam, dass Einblicke in den finanziellen Zustand eines Königreichs durchaus gefährlich waren, weshalb seit dem Spätmittelalter Budgetfragen zum Arkanum wurden.218 Wenn im Folgenden dennoch „bilanziert“ wird, dann nicht im Sinne des genealogischen Nachweises der Erstellung der ersten „Bilanz“ im Königreich Frankreich, wie es die institutionengeschichtliche Forschung es unternimmt, sondern als analytisches Konzept, das hilft, die bisher beschriebenen Interaktionen zu ordnen. 217 Hierzu zuletzt am Beispiel der Rechnungslegung schweizerischer Reichsstädte Gilomen, Anleihen, S. 45–98, hier S. 56–57. 218 Fouquet, Finanzverwaltung. Positiv beantwortet wird die Frage nach der Etablierung eines Budgets aus nationalökonomischer Perspektive und mit für die Zeit typischen Umrechnungsversuchen (Kaufkraft basierend auf Schweinepreisen, Goldwährung) von Lot/Fawtier, Histoire, S. 197–200 und 231–238. Die große Linie der Debatte um ein „budget de l’État“ zeichnet nach Elisabeth Lalou: La place de l’hôtel du roi dans le budget de l’État et l’économie du royaume sous Philippe IV le Bel, in: Contamine/Kerhervé/Rigaudière (Hgg.), Monnaie, S. 255–268. Jean-Baptiste Santamaria: La Chambre des comptes de Lille de 1386 à 1419: essor, organisation et fonctionnement d’une institution princière, Turnhout 2012 (Burgundica, 20); Jean-Baptiste Santamaria: Le secret du prince: gouverner par le secret France-Bourgogne XIIIe–XVe siècle, Ceyzérieu 2018.
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Ausgangspunkt für die Rekonstruktion des königlichen Budgets sind die Abrechnungen (comptes) des königlichen Kontos beim Templerorden, dem seit Mitte des 12. Jahrhunderts der königliche Trésor anvertraut worden war. Zwar fand die Kontrolle der Einnahmen und Ausgaben des Reichs am Königshof statt, die Einnahmen wurden dann aber den Templern übergeben und auf das königliche Konto gebucht. Bei den Templern befanden sich besondere Beauftragte des Hofs, die vom Hof bei finanziellen Angelegenheiten hinzugezogen werden konnten. Damit ist ein Unterschied zu späteren Finanzhaushalten beschrieben, da bis zu Beginn des 14. Jahrhunderts der König gewissermaßen „Kunde“ der „Bank“ des Templerordens war und ein Großteil der Buchführung durch den Templerorden geleistet wurde. Hierfür wurden die täglichen Zahlungsanweisungen in bar an den königlichen Trésor in den Journalen (journaux) verzeichnet. Entweder handelte es sich um Überweisungen des Überschusses eines Amtsträgers oder um Barauszahlungen an Empfänger für eine Mission (Untersuchung, diplomatische Reise), die dem König in trisemestriellen oder semestriellen Abrechnungen (comptes) gewissermaßen als „Kontoauszug“ präsentiert wurden.219 Allerdings sind sowohl die Journale und Abrechnungen des königlichen Kontos als auch die Buchführung des Templerordens nur fragmentarisch erhalten. Der Templerorden war seit der Mitte des 12. Jahrhunderts mit der Führung des königlichen Trésor betraut. Die Einnahmen und Ausgaben wurden über jeweils eigens angelegte Konten verzeichnet, in denen die Templer die Einnahmen, welche königliche Finanzbeamte im Land an den Hof sandten, und die vom Hof angewiesenen Ausgaben verzeichneten. Die Konten wurden am Königshof von besonderen Beauftragten der Templer geprüft, die auch bei Beratungen des Hofs anwesend sein konnten, wenn finanzielle Fragen berührt wurden. Die besagte Prüfung der Konten wurde ab 1297 zweimal im Jahr, zum Johannistag (24. Juni) und zu Weihnachten (25. Dezember), durchgeführt. Auf diese Termine datieren auch die Rechnungsbücher des Trésor.220 Vom Templerorden ist zu diesem Zeitpunkt die Rechnungskammer institutionell und personell zu trennen, da die Templer, gewissermaßen als Bankiers, nur mit der Führung des Kontos des Königs, nicht aber mit der Kontrolle der Einnahmen aus der Krondomäne betraut waren.221 Die genannte Konfiguration änderte sich im Herbst 1295, als dem Templerorden der königliche Trésor entzogen und in den Louvre transferiert wurde. Er unterstand von 1295 bis 1303 dem königlichen Schatzmeister (trésorier du roi), der wiederum von der Rechnungsprüfung zu trennen ist. Im Juli 1303 wurde der Trésor erneut dem Templerorden unterstellt und trotz der Verhaftung der Ordensmitglieder blieb der Trésor im Gebäude des Ordens, dem sogenannten Temple. Parallel wurde aber vom engsten Berater des Königs Enguerrand de Marigny eine eigene Kasse im Louvre eingerichtet. Jede Kasse war mit eigenen Einnahmen ausgestattet 219 Siehe oben Kap. I., Anm. 19. Fawtier (Hg.), Comptes du trésor, S. V–IX. 220 Lot/Fawtier, Histoire, S. 197–200; Favier, Philippe le Bel, S. 69–72. 221 Siehe im Folgenden Favier, Philippe le Bel, S. 75–79.
Die Verwaltung der Finanzen
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und verfolgte je einen eigenen Zweck: Der Temple bezahlte die Ausgaben des engeren Hofs (hôtel) und der Verwaltung, wohingegen der Louvre die Kosten aller größeren Arbeiten und des Kriegs führt. Beide Kassen zusammen wurden aber als einheitlicher Trésor bezeichnet. Zusätzlich wurde Marigny im Jahr 1314 die Kompetenz übertragen, alle Ausgaben zu prüfen. Nach dem Tod Philipps IV. wurde diese doppelte Konstruktion aber aufgehoben und der Trésor im Louvre endgültig zusammengeführt.222 Vor diesem Hintergrund erklärt sich die Unterscheidung zwischen der Buchhaltung des Templerordens und den Journalen an den königlichen Trésor (journaux) sowie seinen Rechnungsbüchern (comptes). Die Rechnungsbücher geben allein Auskunft über die Summen, die dem König zur Verfügung standen und wofür sie verausgabt wurden. Auch muss angemerkt werden, dass die Funktion der comptes für den Temple darin bestand, dreimal bzw. ab 1297 zweimal im Jahr dem König Auskunft über den Stand seines „Kontos“ beim Temple zu geben. Korrekterweise müsste man also von Soll und Haben statt von Einnahmen und Ausgaben sprechen, wie es das moderne Verständnis eines Haushalts suggeriert. Da es sich um einen „Kontostand“ handelt, wird in den comptes auch ausgedrückt, in welchem Verhältnis der Temple zum König steht: Schuldet er dem König oder der König dem Temple Geld? Bei den Einkünften ist zu berücksichtigen, dass es sich um jene Überschüsse handelt, die nach Abzug der Ausgabe der lokalen Verwaltungsaufwendungen und Belastungen, die von den Einkünften der Domäne übernommen wurden, vorhanden sind. Es ist dies ein Charakteristikum der pragmatischen Rechenhaftigkeit. Auch sind vom Trésor bis 1420 die Einkünfte aus außerordentlichen Einnahmen ausgenommen, die separat abgerechnet wurden und 1390 zunächst in der neugeschaffenen Cour des aides zunächst verwaltet wurden. 1. Comptes du Trésor Einsetzend mit der Abrechnung zu Allerheiligen 1286 werden von Robert Fawtier für den Zeitraum bis Lichtmess 1293 folgende Rechnungsabschlüsse des Trésor rekonstruiert.223 Die Abrechnungen finden zu diesem Zeitpunkt jeweils an Allerheiligen, Lichtmess und Himmelfahrt statt und sind in der Rechengeldeinheit livres parisis ausgedrückt. Die überlieferten Angaben pro Trimester vermitteln zunächst nur ein Bild von der Fluktuation der Einnahmen und Ausgaben sowie größerer Abweichungen zwischen beiden, die sich in höheren Einnahmen zu Allerheiligen 1286 (+24 %), Allerheiligen 1291 (+48 %) und zu niedrigeren Einnahmen zu Lichtmess 1289 (-103 %), 1290 (-28 %),
222 Favier, Philippe le Bel, S. 77–79; Favier, Un roi de marbre, S. 609–619. 223 Fawtier (Hg.), Comptes du trésor, S. XLVI–LV.
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Abb. 1 Les comptes du Trésor (1286–1293). Abrechnungen
1291 (-16 %), 1292 (-73 %) und 1293 (-46 %) äußern. Insgesamt beträgt die Abweichung im Mittel -9 %. Übernimmt man die genannten Summen und fügt sie für die Jahre zusammen, für die alle drei Abschlüsse vorliegen, zeigt sich eine recht ausgewogene Bilanz der Abrechnungen des Trésor mit einer durchschnittlichen Abweichung von +1 % (s. Abb. 2).224 Die Einnahmen übersteigen die Ausgaben in den Jahren 1286/87 (+12 %), 1290 (+3 %) und 1291 (+17 %). In den Jahren 1289 und 1292 fällt das Verhältnis negativ aus (-11 % bzw. -17 %). An den ersten Belegzeitraum unter Philipp IV. schließt sich ein zweiter Zeitraum von 1296 bis 1301 an, für den einzelne Kassenabschlüsse vorliegen (s. Abb. 3). In diesen Zeitraum fällt auch die Umstellung der Rechnungsprüfung von drei Terminen auf zwei Termine, nämlich zum Johannistag (24. Juni) und zu Weihnachten (25. Dezember). Für kein Jahr sind alle drei Abschlüsse eines vollständigen Jahres überliefert. Die Summen sind in der Rechengeldeinheit livres parisis angegeben.225 224 Lot/Fawtier, Histoire, S. 191. 225 Fawtier (Hg.), Comptes du trésor, S. LVI–LVIII. Zum Vergleich sei hier noch auf die Journaux du Trésor hingewiesen, welche die täglichen Buchungen des Trésor verzeichneten. Jules Viard zieht für die Jahre 1298 bis 1300 ebenfalls Bilanz; vgl. Viard (Hg.), Journaux. Beide Bilanzen weisen die gleiche Tendenz auf, lassen sich aber nicht in Übereinstimmung bringen: 1.338.088 l. p. (Comptes du Trésor) zu 942.682 l. p. (Journaux du Trésor). Siehe hierzu auch Jacques Queinnec: Les ressources monétaires du Trésor (1298–1300), in: Contamine/Kerhervé/Rigaudière (Hgg.), Monnaie, S. 269–312.
Die Verwaltung der Finanzen
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Abb. 2 Les comptes du Trésor (1286/87–1292). Abrechnungen
Abb. 3 Les comptes du Trésor (1296–1301). Abrechnungen
Die Einnahmen der ersten drei Abrechnungen liegen um mindestens 20 %, im Fall der Abrechnungen zu Allerheiligen 1296 sogar um 82 %, über den Ausgaben. Dabei sind in der Abrechnung von Allerheiligen 1296 die angegebenen Ausgaben unvollständig, was die außergewöhnliche Differenz erklären kann. Die Tendenz der ersten drei Abrech-
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Frankreich
nungen ändert sich in den letzten beiden Abrechnungen für Weihnachten 1299 und 1301, in denen die Einnahmen defizitär sind (-29 % bzw. -23 %). Mit den beiden Abschlüssen des Jahres 1299 lässt sich eine Größenordnung für die gesamten Einnahmen und Ausgaben gewinnen: 1.571.979 l. p. bzw. 1.642.449 l. p. Diese großen Zahlen lassen sich im Vergleich zu den Abschlüssen des vorherigen Belegzeitraums besser bewerten. In diesem Abschnitt sind die höchsten Einnahmen und Ausgaben im Jahr 1290 zu beobachten: 759.982 l. p. bzw. 844.695 l. p. Diese Angaben entsprechen jeweils rund der Hälfte der Summen aus dem Jahr 1299 (48 % bzw. 51 %). Im Mittel sind die Abweichungen zwischen den beiden Abschnitten noch größer. Die Einnahmen und Ausgaben der Abrechnungen 1286–1292 entsprechen nur rund einem Drittel (30 % bzw. 36 %) der Einnahmen und Ausgaben des Zeitraums 1296–1301. Eine Erklärung für diese Differenz liegt in der Abwertung des Silbergehalts um 13 % seit 1295, der bis 1301 noch dreimal verringert wurde.226 Für die Herrschaft Karls IV. liegen sieben Abrechnungen (1322–1329) vor, von denen für die ersten vier Jahre jeweils zwei von drei Abrechnungen, nämlich zum Johannistag und zu Weihnachten, erhalten und damit vergleichbar sind (s. Abb. 4).
Abb. 4 Les comptes du Trésor (1322–1325). Abrechnungen
Innerhalb des Zeitraums 1322–1325 halten sich Einnahmen und Ausgaben die Waage (+4 % im Jahr 1322, -3 % im Jahr 1324). Allein im Jahr 1325 übersteigen die Einnahmen signifikant die Ausgaben um 12 %. Der direkte Vergleich zwischen den Zeiträumen
226 Vgl. Lot/Fawtier, Histoire, S. 231.
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wird auch im vorliegenden Beispiel dadurch erschwert, dass seit der letzten Einführung einer „reformierten“ Münze im Jahr 1313 unter Philipp V. und Karl IV. eine anhaltende Abwertung eingesetzt hat, die erst durch die Reform von 1330 beendet wurde.227 In absoluten Zahlen liegen die Summen der Jahre zwischen 1322 und 1325 bei 84 % bzw. 81 % der Einnahmen und Ausgaben der Jahre 1286 bis 1292, d. h. vor der Abwertungswelle unter Philipp IV. Festzuhalten ist bis hierher vor allem, dass die Abschlüsse des königlichen Trésor abgesehen von den größeren Fluktuationen in den Abrechnungen der Jahre 1296 bis 1301, in den beiden anderen Abschnitte eine relative Ausgeglichenheit von Einnahmen und Ausgaben mit einer mittleren Abweichung von +1 % (1286/87–1292) und +4 % (1322–1325) zugunsten der Einnahmen ausweisen: Der König hat also jeweils ein kleines Guthaben beim Temple bzw. beim Schatzmeister. Dieser Befund unterstreicht zunächst die Funktion des Trésor als Kasse, die aus den Einnahmen der Domäne gespeist wurde und für die Finanzierung des Haushalts des Königs, des größeren Hofes und der lokalen Ausgaben sorgte. Dieses Ziel hat die Finanzverwaltung im Durchschnitt mit einem Gleichstand von Einnahmen und Ausgaben erreicht.228 Ein genauerer Blick in die Einnahmenstruktur des Trésor zeigt, dass der Ausgleich zwischen Einnahmen und Ausgaben am Ende des 13. Jahrhunderts nicht mehr allein durch die Einnahmen der Domäne erreicht wurde. Die zu Beginn dieses Abschnitts getroffene Feststellung, dass der Trésor nicht mit der Verwaltung der später genannten außerordentlichen Einnahmen vertraut war, ist zwar korrekt, aber der Überblick der Einnahmen macht deutlich, dass die Maxime le roi doit vivre du sein bereits gedehnt wurde. Für den oben bereits genannten Zeitraum der Jahre 1286 bis 1292 stellt sich die Einnahmestruktur in den Abrechnungen des Trésor wie folgt dar (s. Abb. 5). Zu den ordentlichen Einnahmen gehören die Überschüsse der Verwaltungsbezirke der Baillis (die Bailliage der Normandie ist für Lichtmess 1288 separat aufgeführt), der Prévôtés (Vogteien), des Echiquier (Scaccarium) der Normandie und einige Regalien (Münze, Juden).229 Unklar bleibt leider die Zusammensetzung der hohen Summen, die verzeichnet sind in Einnahmen in livre tournois und den sonstigen Einnahmen. Eindeutig zu den außerordentlichen Einnahmen gehören Zehntzahlungen, bei denen es sich zwischen 1290 und 1292 um Einnahmen aus einem vierjährigen und, überschnei-
227 An dieser Stelle findet sich die Angabe, dass zu diesem Zeitpunkt zu einer wertstärkeren Münze (retour à la monnaie forte) zurückgekehrt worden sei; Lot/Fawtier, Histoire, S. 231–232. Das mag auf die Reform von 1313 zutreffen, verkennt aber, dass die schleichende Abwertung seit Philipp V. erst 1330 aufgehalten wird; siehe Anm. 103. 228 Zur Frage der „Wirtschaftlichkeit“ der Höfe siehe einleitend Werner Paravicini: Unökonomisch? Zur Wirtschaft der Höfe in Alteuropa, in: Fouquet/Hirschbiegel/Paravicini (Hgg.), Hofwirtschaft, S. 13–18. 229 Zu der von den jüdischen Gemeinden regelmäßig verlangten Abgabe (taille) an den König siehe Viard (Hg.), Journaux, S. XV–XVII. Davon zu unterscheiden ist die Konfiskation ihrer Güter und ihre Ausweisung im Jahr 1306; vgl. Anm. 205.
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Abb. 5 Les comptes du Trésor. Einnahmen 1286–1293
dend, ab 1291 um Einnahmen aus einem neuen dreijährigen Zehnten handelt. Schließlich folgen noch einmalige Einnahmen aus der Vermögensabgabe (cinquantième) der Champagne und der Picardie.230 Innerhalb der ordentlichen Einnahmen erkennt man bei denjenigen aus den Bailliages, dass sie anfänglich noch bis zu 86 % der Einnahmen ausmachen, um sich dann bei einem Durchschnittswert von 22 % einzupendeln, wobei sie zu Lichtmess 1290 und 1293 proportional und absolut Tiefststände erreichen. Die Einnahmen der Vogteien sind hingegen sehr stabil und tragen rund 6 % zu den Einnahmen bei. Die sonstigen Posten sind wiederum sehr variabel und können ab Lichtmess 1289 bis zu ¾ der Einnahmen bilden (so zu Lichtmess 1290), während ihr Mittelwert bei 37 % liegt. Der Verlauf der Einnahmen des Echiquier der Normandie kann durch seine Abrechnungen zu Ostern und zum St. Michael-Tag (29. September) erklärt werden, womit sie dem Trésor zu Himmelfahrt und zu Allerheiligen gutgeschrieben werden konnten (im Durchschnitt 30 % der Einnahmen). Die in livre tournois ausgewiesenen Einnahmen finden sich nur zweimal und jeweils zu Lichtmess (1287 und 1293), machen dann aber in Abwesenheit anderer Einnahmen als jenen aus den Bailliages und Vogteien rund
230 Ein Hinweis auf die Art der Einnahme findet sich in einer Denkschrift bei Boutaric, Notices et extraits, S. 127–129.
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90 % der Einnahmen aus. Neben den einmaligen Zahlungen (Bailliage der Normandie, Sénéchausséen, Münze, Champagne, Picardie) sind noch die Einnahmenpositionen aus den Abgaben der jüdischen Gemeinden und des Klerus einzubeziehen. Sie sind in den überlieferten Abrechnungen nur unregelmäßig (6 bzw. 8 von 17) belegt. Relativ stabil ist der Betrag, den die jüdischen Gemeinden bezahlen (rund 4.000 l. p.), allerdings wird der Mittelwert zu Himmelfahrt 1290 mit 33.761 l. p. deutlich überschritten, um einen Anteil von 14 % an den Gesamteinnahmen zu erreichen. Ein solcher Anteil wurde von den Einnahmen aus den Zehnten regelmäßig überschritten. Bevor große Beträge aus den sonstigen Einnahmen dem Trésor zuflossen, machte der Zehnt zu Lichtmess 1288 und 1289 rund 50 % der Einnahmen aus; danach betrug der Anteil nur noch rund 20 %.
Abb. 6 Les comptes du Trésor. Ausgaben 1286–1293
Die Ausgabenstruktur des Zeitraums zwischen 1286 und 1293 ist vor allem durch die Ausgaben für den engeren Hof (hôtel) und den Posten der „großen Ausgaben“ (magne partes) geprägt, wohinter sich ein Sammelposten für ganz unterschiedliche Ausgaben versteckt, der auf ein Abrechnungsverfahren mit dem Trésor hinweist (s. Abb. 6).231 Da
231 Siehe hierzu Lalou, Place de l’hôtel, S. 258. Da die detaillierten Abrechnungen (comptes) für den Zeitraum nicht erhalten sind und dieser Posten nicht in den täglichen Zahlungsanweisungen (jour-
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das Verzeichnis der täglichen Zahlungsanweisungen (journaux) für diesen Zeitraum nicht vorhanden ist, lässt sich diese Position, die in mehr als der Hälfte der Abrechnungen den höchsten Anteil an den Ausgaben darstellt, leider nicht weiter detaillieren. Vergleicht man die Ausgabespitzen der „großen Ausgaben“ mit den „sonstigen Einnahmen“ der vorangestellten Grafik, erkennt man leicht, dass sich beide entsprechen. Die Ausgaben für den Hof (hôtel du roi) liegen im Mittel der Abrechnungen bei 50.000 l. p. Hinzu kommen die stark variierenden Ausgaben für den hôtel de Navarre, wobei nicht deutlich ist, ob es sich um die Schwiegermutter des Königs, Blanche de Navarre, oder seine Ehefrau und Königin, Jeanne de Navarre, handelt.232 Am Ende des Zeitraums kündigen zwei Positionen bereits die folgende, durch kriegerische Auseinandersetzungen geprägte Phase an: In der Abrechnung zu Lichtmess 1293 finden sich zwei Ausgaben, die um das Zwei- bzw. Dreifache die Ausgaben des Hofs überstiegen und zum zuvor konstatierten Defizit der Abrechnung von -43 % der Einnahmen gegenüber den Ausgaben beitragen. Dabei handelt es sich um Erstattungen von Vorauszahlungen, welche die italienischen Finanziers, die Brüder Musciatto (Mouche) und Albizzio (Biche) Franzesi, für Rüstungen im Zuge der Spannungen mit dem englischen König getätigt haben. Die Einnahmenstruktur ändert sich deutlich im Zeitraum von 1296 bis 1301 unter dem Eindruck der kriegerischen Auseinandersetzungen im Süden (1294–1298) und Norden (1297) des Königreichs und der Unterhaltung von Truppen in der Guyenne und in Flandern sowie der damit einhergehenden Generierung neuer Einnahmen (s. Abb. 7). Eine strukturelle Veränderung in der Buchführungspraxis ist die Unterscheidung innerhalb gleicher Einnahmearten in der Abrechnung auf der Grundlage der Rechengeldeinheit livre parisis und livre tournois. Einnahmen der Baillis und Vogteien wurden noch in livre parisis abgerechnet, die meisten anderen Einnahmearten in beiden Rechengeldeinheiten oder nur noch in livre tournois. Beginnend mit den ordentlichen Einnahmen tragen die Baillis und Vogteien mit einem Anteil von 3 % bis 11 % zu den Gesamteinnahmen bei.233 Im gleichen Verhältnis stehen die Einnahmen des Echiquier der Normandie (5 % bis 11 %). Der Anteil der Einnahmen aus den Sénéchausséen, die nun durchgängig belegt sind, liegt anfänglich auch viel höher (6 % bis 7 %), steigt marginal zum Johannistag 1299 (1 %) an, um sich dann auf 24 % (Weihnachten 1299) bzw. 16 % (Weihnachten 1301) zu steigern. Die sonstigen Einnahmen, die in der vorherigen Periode eine variable, aber signifikante
naux) erscheint, erhält man lediglich in der Abrechnung des Jahres 1316 ein Bild von der Diversität der verzeichneten Ausgaben. 232 Diese Ambiguität in der Bezeichnung besteht noch im Jahr 1314; vgl. Lalou, Place de l’hôtel, S. 262. 233 Siehe auch Viard (Hg.), Journaux, S. VIII–XI.
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Abb. 7 Les comptes du Trésor. Einnahmen 1296–1301
Größe dargestellt haben, bleiben weiterhin fluktuierend und können in einzelnen Abrechnungen einen Anteil von über 10 % der Gesamteinnahmen erreichen.234 Aus der Aufstellung sticht vor allem die Bedeutung der Einnahmen der Münzstätten heraus (vor allem jener in livre tournois). Während im Jahr 1296 der Anteil der in livre parisis abgerechneten Einnahmen noch bei 15 % liegt, verschwindet er nachfolgend vollständig und nur noch aus den in livre tournois abrechenden Münzstätten südlich der Loire werden Einnahmen registriert, die 65 % (1298), 56 % (1299), 49 % (1299) bzw. 36 % (1301) der Einnahmen ausmachen. Der Ausfall des Anteils der in livre parisis abgerechneten Einnahmen kann zum Teil mit dem Beginn des Flandernkriegs erklärt werden, wodurch die Münzstätten in Nordfrankreich vollständig zur Deckung
234 Einige Hinweise auf die mögliche Zusammensetzung hat zusammengetragen Viard (Hg.), Journaux, S. XX–XXV.
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der Kriegskosten herangezogen wurden. Nur die Münzstätte Paris nahm weiterhin Überweisungen vor, die jedoch lediglich in den journaux nicht aber in den comptes abgerechnet wurden. Sowohl für Paris wie für die Münzstätten südlich der Loire gilt, dass die rückgängigen Überschüsse, die überwiesen wurden, mit dem Rückgang der Produktion ab 1299 korrelierten.235 Die Abrechnungen machen aber auch auf neue Einnahmequellen aufmerksam. Darunter fallen die Abgaben auf Vermögen (centième und cinquantième), die in allen Abrechnungen erscheinen.236 Im Jahr 1296 erreichen sie 24 % der Einnahmen, um dann auf 2 % zu fallen. In der Wertigkeit übersteigen die in livre parisis bei Weitem die in livre tournois verbuchten Einnahmen, was der regionalen Verteilung der Erhebung der Abgabe in der Domäne und in Nordfrankreich entsprechen kann. Dieser Beobachtung folgt auch die Position der Darlehen, die einmalig im Jahr 1296 erscheinen und die teilweise als Ersatz für die Abgabe auf Vermögen (centième und cinquantième) gezahlt wurden. Schließlich stehen noch die Einnahmen aus Zehnten aus, unter denen jene in livre parisis abgerechneten Summen gering ausfielen, wohingegen jene in livre tournois abgerechneten Summen rund 10 % der Einnahmen ausmachten: 8 % (Weihnachten 1298), 11 % ( Johannistag 1299) bzw. 13 % (Weihnachten 1299). Die Ergebnisse der Einnahmenstruktur werden bestätigt durch die Struktur der Ausgaben, denn den größten Ausgabenposten ab ihrer Aufnahme in die Abrechnungen seit 1298 stellen Kriegskosten dar (s. Abb. 8).
Abb. 8 Les comptes du Trésor. Ausgaben 1296–1301 235 Queinnec, Ressources, S. 275–280. 236 Siehe Anm. 127 und Viard (Hg.), Journaux, S. XX–XXI.
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Die in livre tournois abgerechneten Kriegskosten repräsentieren mindestens 30 %, in der Abrechnung zu Weihnachten 1299 sogar 57 % der Ausgaben. Es folgt der unbestimmte Posten der „großen Ausgaben“. Auffällig bei der Durchsicht der Ausgabenstruktur ist der Anteil des engeren königlichen Hofes (hôtel du roi, Ausgaben der Königin und der Kinder), der in der Abrechnung zu Allerheiligen 1296 noch 80 % der Ausgaben ausmacht.237 Da die Abrechnung eine Periode des Friedens abdeckt, erscheint ein solcher Anteil wenig außergewöhnlich. Hier weisen die Einnahmen bereits deutliche Spuren einer außerordentlichen Finanzierung auf. Wahrscheinlich wurden auch die beobachteten Einnahmen aus den Münzstätten zur Deckung der Ausgabensummen des Hofs verwendet. Selbst in der niedrigsten der vier folgenden Abrechnungen, zum Johannistag 1299, liegen die Ausgaben des Hofs um 41 % höher als im Vergleich zur Abrechnung von 1296. Die Ausgaben wurden nach Auskunft der täglichen Zahlungsanweisungen (journaux) ausschließlich für den Unterhalt und Repräsentationsausgaben (Schmuck, Geschirr, Silber- und Goldschmiedearbeiten) des Hofs aufgewandt.238 Doch die genannten Zahlen bilden nicht das gesamte Budget des Königs ab. Die Auswertung der in den comptes du Trésor für die Jahre 1296 bis 1301 aufgeführten Ausgaben unterstreicht bereits die Bedeutung der Münze als Einnahmequelle des Königs. In den comptes werden alle Ein- und Ausgänge verzeichnet, die dem Trésor zugetragen wurden und das „Konto“ des Königs betrafen. Das konnte die Überbringung von Geldern von Steuereinnehmern und Kollektoren sein oder von Personen, die Beträge zu begleichen hatten oder – im Gegenteil – Gelder vom König erhielten. In den comptes wurden diese Ein- und Zugänge den verschiedenen Kategorien (Münze, Zehnt, hôtel royal, Krieg etc.) zugeordnet, die oben bereits angeführt wurden. Ein erstes Zwischenergebnis lautet, dass für das einzige Jahr, in dem beide Rechnungsabschlüsse vorhanden sind, die zwei Abrechnungen der comptes zwischen Johannistag und Weihnachten 1299 Einnahmen in Höhe von 1.571.815 l. p. und Ausgaben in Höhe von 1.642.446 l. p. verzeichnen. Unter den Einnahmen und Ausgaben bilden die Münze bzw. der Krieg die jeweils umfänglichsten Posten. Während für die zwei Abschlüsse im Durchschnitt 50 % der Einnahmen aus der schon wertminderen Münze (Münzmutationen) kommen, entfallen 51 % der Ausgaben auf Belastungen durch den Krieg. Allerdings ist durch die Abrechnungspraxis mit den königlichen Amtsträgern und den Münzstätten bereits angelegt, dass nicht alle Zahlungen, welche diese geleistet haben, Eingang in die Kontoaufzeichnungen fanden, weil Amtsträger und Münzstätten nur die Gewinne ihrer Tätigkeit an den Trésor überwiesen. Kosten für ihre Amtsführung und für Zahlungen, die sie direkt geleistet haben, wurden nur als Ausgaben, aber nicht auch als Einnahmen geführt; nur das verfügbare Einkommen wird abgebildet. Am eindringlichsten lässt sich dieser Umstand durch einen genaueren Blick auf den 237 Hôtel du roi: 72.020 l. 9 s. 1 d. p.; Ausgaben der Königin: 4.830 l. 10 s. 1 d. p.; Ausgaben der Kinder: 4366 l. 12 s. 11 d. p. Fawtier (Hg.), Comptes du trésor, Nr. 320–322, S. 16. 238 Viard (Hg.), Journaux, S. XXVI–XXX.
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Zahlungsverkehr der Münzstätten darlegen. Abgesehen von der Offizin in Paris, die bis zu 97 % ihrer Produktion an den Trésor ablieferte, kam den Münzstätten als indirekten und nicht zentralisierten Verteilungszentren auf regionaler Ebene eine wichtige Funktion im Zahlungsverkehr zu. Darüber informieren die von Jules Viard edierten journaux du Trésor, die einen detaillierten Blick in den Zahlungsverkehr ermöglichen, da in ihnen die täglichen Eingänge und Ausgänge registriert wurden. Und so finden sich die Münzstätten sowohl in den Eingängen wieder, wenn sie Überschüsse an den Trésor überwiesen haben, als auch in den Ausgängen. Dies geschieht, sobald die Münzstätten Ausgaben für den König tätigten und sie vom königlichen Anteil an der Gesamtproduktion der Münze abzogen, um einer Überprüfung der Abrechnungen standhalten zu können. Nur der Überschuss wurde eventuell in bar transferiert. Der Betrag konnte aber auch erst später vom Trésor abgerufen werden. In der Zwischenzeit wurde der Überschuss dem Konto gutgeschrieben, das der Münzpächter beim Trésor besaß. Von beiden Operationen zeugen die Einträge in den journaux du Trésor.239 Damit verbunden ist die Beobachtung, dass sich der Zahlungsverkehr der Münzstätten in den journaux de Trésor sowohl in den Einnahmen als Gewinn als auch in den Ausgaben als Zahlungsaufforderungen wiederfindet. Erst beide Posten zusammengenommen ergeben den Anteil des Königs an der Gesamtproduktion der Münzstätten.240 Das bedeutet, dass zwar die Ausgaben der Münzstätten vor Ort den Einnahmen des Königs zugesprochen werden können, nicht aber den Gesamtausgaben, da die Zahlungsforderungen der Münzstätten bereits den Ausgaben zugerechnet wurden. Die so aggregierten Gesamteinnahmen wurden zu 63 % durch den königlichen Gewinn an der Gesamtproduktion der Münzstätten gebildet.241 Dieser Befund wertet nochmals 239 Beispiele hierfür von Viard (Hg.), Journaux, S. XII–XIII. Diese Funktion führt auch mit sich, dass ausstehende Soldzahlungen und Darlehen, welche Beamte dem König gewährt haben, noch einige Zeit nach dem Ende des Kriegs den Trésor belasten können; vgl. beispielhaft Jacques Queinnec: L’intégration des comptes du receveur de Toulouse dans la comptabilité du Trésor à la fin du XIIIe siècle, in: Jean-Christophe Cassard, Yves Coativy, Alain Gallicé (et al.) (Hgg.): Le prince, l’argent, les hommes au Moyen Âge: Mélanges offerts à Jean Kerhervé, Rennes 2008, S. 331–344. 240 Siehe zuletzt Queinnec, Ressources, S. 268–271 mit Diagramm 1. Hinzugezogen werden sollte auch Bompaire, Numismatique. Jacques Queinnec hebt hervor, dass Viard in seiner Edition der journaux du Trésor nicht den gesamten Zahlungsverkehr der Münzen überblickt und den Anteil des Königs an der Gesamtproduktion der Münzstätten eben um 40 % unterschätzt habe. Dem kann zugestimmt werden, da in der Tabelle von Viard (Viard (Hg.), Journaux, S. LXI–LXII), in der er Einnahmen und Ausgaben gegenüberstellt, allein der Anteil der Münzstätten in den Einnahmen ausgewiesen wurde, der als Gewinn an den Trésor überwiesen wurde. Ferner ist die Tabelle dahingehend verwirrend, dass die ausgewiesenen Ausgaben (dépenses) mit dem Verweis Monnayage versehen sind, so als ob die Ausgaben durch die Münzstätte geleistet wurden. Es handelt sich aber um die Gesamtsumme der in den journaux ausgewiesenen Ausgaben, inklusive der Zahlungen durch die Münzstätten vor Ort. 241 An dieser Stelle kann auf die ältere Debatte über die Möglichkeiten der Ermittlung der Geldmenge im Königreich Frankreich auf der Basis des Ausstoßes der Münzstätten verwiesen werden. In den 1970er Jahren wurden auch für Frankreich, aber vor allem auf der Basis der umfangreicheren englischen Überlieferung für das Königreich England, Berechnungen angestellt, um sie in die Diskus-
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die Bedeutung der Münze in der Generierung von Einnahmen und der Abwicklung des Zahlungsverkehrs im Königreich auf. Wenig erstaunlich ist, dass ein solcher Münzausstoß zu einer hohen Inflation der Preise für Lebensmittel und Mieten führt, die von den Zeitgenossen wahrgenommen und auf eine Verdoppelung der Getreidepreise im Pariser Becken angesetzt wurde.242 Der gezeigte königliche Anteil an der Gesamtproduktion der Münze konnte wahrscheinlich in den folgenden Jahren durch die königliche Steuererhebung wieder eingeholt werden, da die Produktion in den Jahren 1303 bis 1305 vor der Reform der Münze nochmals gesteigert werden konnte.243 Langfristig wurde durch den Ausstoß von Münzen zur Finanzierung der Ausgaben in einem Maße Edelmetall umgesetzt, das durch Steuern nicht wieder eingefangen wurde und durch die Handelsströme den Edelmetallstock vom Ende des 13. Jahrhunderts immer weiter verringerte.244 Allerdings haben weder Jacques Queinnec noch zuvor Jules Viard ihre erhobenen Summen aus den journaux du Trésor in ein Verhältnis zu den zuvor genannten Einnahmen und Ausgaben aus den comptes du Trésor gesetzt. Beide haben zwar die Arbeit geleistet und aus den Verzeichnissen der Einnahmen und Ausgaben pro Tag in den journaux eine Bilanz erstellt bzw. verbessert, doch wurde Letztere noch nicht mit den Abrechnungen der comptes du Trésor für das Jahr 1299 verglichen. Die Gegenüberstellung der Einnahmen zeigt, dass sowohl die Einnahmen wie auch die Ausgaben in den journaux nur 51 % bzw. 53 % der Summen in den comptes du Trésor darstellen (s. Abb. 9). Selbst wenn man die Summe der Zahlungen durch die Münzstätten vor Ort den Einnahmen hinzurechnen würde, um die Netto-Einnahmen zu errechnen, betrüge die Gesamtsumme nur 66 % der Einnahmen in den comptes du Trésor.245 Vergleichbar sion um die „Krise des Spätmittelalters“ einfließen zu lassen und die Krisenthese zu stützen: Auf eine hohe Produktion bis um die Mitte der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts folgt ein deutlicher Abfall, nachdem das Niveau der Produktion nicht vor dem 19. Jahrhundert wieder die Produktionsmengen zu Beginn des 14. Jahrhunderts erreicht. Ein wichtiger Vertreter dieser These ist John Day: „Crise du féodalisme“ et conjoncture des prix à la fin du Moyen Âge (Débats et combats), in Annales 34 (1979), S. 305–318, 323–324. Eine weitere Einordnung findet sich in Spufford, Money und Harry Miskimin: Money and Power in Fifteenth-Century France, New Haven, Conn. u. a. 1984 und Ders.: Cash: Credit and Crisis in Europe, 1300–1600, London 1989. Siehe auch Marc Bompaire: Monnaie et économie à la fin du Moyen-Âge: À propos d’ouvrages récents, in: Revue numismatique 32, 1990, S. S. 273–283. 242 Siehe Day, Crise, S. 308–309 unter Verweis auf Guy Fourquin: Les campagnes de la région parisienne à la fin du Moyen Âge, Paris 1964, S. 241–243. 243 Vgl. die Angaben bei Bompaire, Numismatique. 244 Siehe oben I. A.2. 245 Die genannten Verhältnisse beziehen sich allein auf das Jahr 1299 als einziges sowohl in den comptes als auch in den journaux vollständig überliefertes Jahr. Dieser Überlieferungszeitraum wird sowohl von Fawtier als Herausgeber der comptes als auch von Queinnec, der sich auf die journaux bezieht, verlängert. Fawtier addiert zum Produkt der Abrechnungen der comptes des Jahres 1299 ( Johannistag 1299 und Weihnachten 1299) die Abrechnungen von Dezember 1298; vgl. Lot/Fawtier, Histoire, S. 230–231. Queinnec kalkuliert die Gesamteinnahmen einschließlich des Anteils an Zahlungen durch die Münzstätten für März 1298 bis März 1300, da für diesen Zeitraum durchgängig
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Abb. 9 Vergleich zwischen den comptes und den journaux du Trésor (1299)
stellt sich der Befund für die Ausgabensummen dar, die im Fall der journaux nur 53 % der Ausgaben in den comptes ausmachen. Nicht anders präsentiert sich das Verhältnis für die Einnahmen aus der Münze in den journaux, die mit 54 % nur knapp die Hälfte der in den comptes verzeichneten verfügbaren Einnahmen aus der Münze bilden. Da innerhalb der journaux das Verhältnis zwischen den Gesamteinnahmen und den verfügbaren Einnahmen aus der Münze (53 %) recht genau dem Verhältnis zwischen den beiden Faktoren in den comptes (50 %) entspricht, wird es wahrscheinlich, dass für das Jahr 1299 die in den journaux verzeichneten Gesamteinnahmen nur 2/3 der nachweisbaren Einnahmen in den Bilanzen der comptes entsprechen, denn eine detaillierte Aufstellung der comptes für das Jahr 1299 ist nicht vorhanden.246 die journaux überliefert sind; Queinnec, Ressources, S. 308. Da die Abrechnung der comptes du Trésor von Dezember 1298 aber nur die Zeit nach der letzten Abrechnung vom Johannistag 1298, die nicht überliefert ist, umfasst und nach Weihnachten 1299 keine Abrechnungen bis Weihnachten 1301 vorliegen, fehlen knapp vier im Jahr 1298 und drei Monate im Jahr 1300 an Einnahmen der comptes du Trésor im Vergleich zu den Gesamteinnahmen der journaux von März 1298 bis März 1300. Lässt man diese Differenzen beiseite und vergleicht die jeweiligen Gesamteinnahmen dennoch, bestätigt sich dennoch der Trend, dass die journaux (2.194.000 l. p.) einen geringeren Teil der Einnahmen und Ausgaben verzeichnen als die comptes du Trésor (2.430.129 l. p.). 246 Aufgrund dieser Lücke ist es nicht möglich zu überprüfen, ob Zahlungen durch die Münzstätten in den Ausgaben verbucht wurden, die den Einnahmen zugerechnet werden müssten. Einzig für das Jahr 1286 ist eine detaillierte Aufstellung vorhanden. Da für dieses Jahr die journaux du Trésor aber nicht überliefert sind, kann leider kein direkter Vergleich vorgenommen werden. Für das Jahr 1286 sind keine Zahlungen durch die Münze überliefert; Vgl. Fawtier (Hg.), Comptes du trésor, S. 1–24.
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Diese Differenz in den Abrechnungen hat noch eine andere Konsequenz. Von der Höhe der Einnahmen lässt sich die Höhe der ausgestoßenen Gesamtproduktion der Münzstätten abschätzen, von denen überliefert ist, zu welchem Silberkurs, Feingehalt der Münzen und Münzfuß sie gearbeitet haben.247 Daraus lassen sich die Gewinnmargen erschließen, die dem König zukamen und für den Zeitraum 1298 bis 1299 nicht die Marke von 30 % überschritten (s. Abb. 10). Dieser Gewinn findet sich in den Abrechnungen des Trésor als Einnahmen aus der Münze und als Zahlungen durch die Münze wieder und wird als Anteil des Königs an der Gesamtproduktion bezeichnet. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass aus dem Verhältnis von Gewinnmarge und königlichem Anteil die Gesamtproduktion der Münzstätten abgeleitet werden kann. An diesem Punkt macht es einen Unterschied, ob der königliche Anteil aus den journaux oder die Angaben über Einnahmen aus der Münze übernommen werden, die sich in den comptes finden. Aufgeführt sind die möglichen Schätzungen der Gesamtproduktion für das Jahr 1299.248
Abb. 10 Gesamtproduktion Münze und Gesamteinnahmen (1299)
247 Bompaire, Numismatique. 248 Aus den schon dargestellten Gründen beruht die Schätzung allein auf den Angaben des Jahres 1299; siehe Anm. 245. Marc Bompaire, der als Erster die Gesamtproduktion berechnet hat, stützt sich auf die Angaben von Quéinnec für den Zeitraum von März 1298 bis März 1300 und kommt auf eine Summe von 6.200.000 l. t. Ausgedrückt in livre parisiensis ergibt das eine Summe von 4.965.000 l. p. Die folgenden Summen stehen im gleichen Verhältnis, beziehen sich nur auf einen kürzeren Zeitraum, weshalb die Summen abweichen; Quéinnec, Ressources, S. 268–271 mit Diagramm 1; Bompaire, Numismatique.
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Die Wirkung des königlichen Hofs auf die Münze bestand aber nicht nur in der Abschöpfung eines Gewinns zur eigenen Finanzierung, sondern auch darin, dass der Hof der bedeutendste Nutzer der Münze war. Einen Versuch, sich dem Netto-Einkommen zu nähern, wird von Jacques Quéinnec mit dem Ergebnis vorgenommen, dass die geschätzten Gesamtnettoeinkommen für den Zeitraum von März 1298 bis März 1300 bei rund 2.500.000 l. p. lagen.249 Diese Summe liegt um die Hälfte höher als die in den comptes verzeichneten Einnahmen. Ein solcher Wert erscheint aufgrund der Abrechnungspraxis des Trésor (Prinzip des Überschusses) durchaus realistisch, doch dem Vorgehen von Jacques Quéinnec kann aus folgenden Gründen nicht gefolgt werden. Wie zuvor schon gesehen, basieren seine Zahlen erstens nur auf der Auswertung der journaux, deren Einnahmen unter jenen der comptes liegen. Zweitens addiert er zu den Einnahmen der journaux den Anteil der durch die Münzstätten getätigten Ausgaben, wodurch er zwar den königlichen Anteil an der Gesamtproduktion und damit die königlichen Netto-Einnahmen aus den Münzstätten berechnet, aber dieser Anteil, wenn er denn ausgewiesen wurde, lässt sich für die comptes aufgrund der fehlenden Überlieferung eines „Kontoauszugs“ für das Jahr 1299 nicht nachweisen. Drittens fügt Jacques Quéinnec den Einnahmen aus den journaux, erweitert um die Summe der durch die Münze getätigten Ausgaben, noch eine dritte Komponente hinzu. Basierend auf der Beobachtung, dass in den journaux die überwiesenen Gewinne der Baillis nur zum Teil dem Konto des Königs gutgeschrieben werden, während der größte Teil der Überschüsse jenen Konten zugewiesen werden, welche die Baillis beim Trésor unterhalten, nimmt Jacques Quéinnec auf der Grundlage der Auswertung der journaux einen jährlichen Betrag von 150.000 l. p. an, der dem König nicht direkt zukommt, sondern erstmal auf den Konten der Baillis verbleibt, wahrscheinlich bis die Konten der Baillis geprüft sind. Wie schon bei Punkt zwei ist es der strukturelle Unterschied zwischen journaux und comptes, die es nicht möglich machen, den zusätzlichen Betrag zu berücksichtigen. In den comptes werden nur die Überschüsse der Baillis berücksichtigt, die dem königlichen Konto gutgeschrieben werden. Die vorgelegten Berechnungen machen deutlich, dass die Nettoeinnahmen zwar deutlich höher anzusetzen sind, aber aufgrund der Abrechnungspraxis und der fragmentierten Überlieferung wird man beim Wesentlichen bleiben müssen, was die comptes du Trésor überliefern.250 Bezieht man zusätzlich mit ein, dass die Münzausgaben dieser Jahre darauf beruhten, dass die alten Münzen von den Werkstätten eingeschmolzen wurden – es trug nicht jeder alle seine Münzen zur Münze –, um die neuen (schlechteren) Münzen herzustellen, die von jedem verwendet werden mussten und mit denen dann auch die
249 Siehe Anm. 245. 250 So bereits Lot/Fawtier, Histoire, S. 231–238.
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Abgaben geleistet werden, nimmt sich der königliche Einnahmeanteil an der Gesamtproduktion nochmals bedeutender aus.251 Vor diesem Hintergrund erhält auch die Verortung des Geldes als Mittel zur Sammlung, Zentralisierung und Distribution von Ressourcen in Großhaushalten neue Relevanz, bevor es mit dem kommerziellen Bereich in Verbindung gebracht wird, wohin das Geld anschließend durch die Verausgabung der eingenommenen Mittel gelangen konnte. Das angegebene Verhältnis beleuchten auch jene zeitgenössischen Stimmen, die sowohl von einem Mangel an Edelmetall als auch an Münzgeld zeugen. Denn einerseits wurden hohe Mengen an Silber in den Münzstätten umgesetzt, die bei einer neuen Münzmutation auch wieder in die Münzstätten gebracht werden mussten, um bei einem angenommenen stagnierenden Silberabbau ab dem Ende des 13. Jahrhunderts noch genügend Silber zu haben. Eine hohe Abgabenlast war hierfür ein Mittel, um das Münzgeld wieder „einzufangen“. Andererseits zeigt der hohe Anteil der königlichen Einnahmen an der Gesamtproduktion auch an, dass eine große Menge an Münzen an die Steuereinnehmer abgegeben werden musste und den Einzelpersonen zunächst nicht mehr für andere Geschäfte zur Verfügung stand (Liquiditätsfalle). 2. Der Anteil des Klerus a) Zehnt Die Auswertung der im Trésor verbuchten Zahlungen setzt ferner den Anteil des Klerus in ein Verhältnis zu den Einnahmen des Königs, die im vorliegenden Zeitraum in einem erheblichen Maß durch den königlichen Anteil an der Münze bestimmt wurden. Der Gewinn aus den Zehnten nimmt sich dagegen quantitativ wie proportional deutlich geringer aus. Dieser liegt auf der Basis der Auswertung der comptes du Trésor zu Lichtmess 1288 und 1289 noch bei rund 50 % der Einnahmen, um dann auf einen Anteil von rund 20 % zwischen 1290 und 1292 auf rund 10 % für die Jahre zwischen 1298 und 1299 zu fallen. Dem steht die politische Bedeutung der Abgaben des Klerus in der Auseinandersetzung mit dem Papst und das Ringen um die Zustimmung der Prälaten zur Veranlagung entgegen. Kann man doch sagen, dass die Reformbestrebungen zur Ausgabe der „guten Münze“ ab 1303 und ihre Realisierung ab 1305 ein Zugeständnis gegenüber den Forderungen des Papstes und der Prälaten sind. Dieser finanzielle
251 Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch der Sprachgebrauch: Es wird von Münzmutationen gesprochen, da die Münzen durch die Neuausgaben „verändert“ werden. Von den Neuausgaben sind Veränderungen des Werts der Münze zu unterscheiden, die ohne Neuschlag der Münze auskommen. Die Wirkung ist meist noch chaotischer, wie das Beispiel des Jahres 1313 zeigt; vgl. Bompaire, Question; Favier, Philippe le Bel, S. 148–152.
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Kompromiss entspricht dem großen symbolischen Aufwand, der zur Inszenierung der Einheit des Königreichs im Rahmen von Versammlungen betrieben wurde.252 Der Zehnt als eine Hilfe des Klerus, die er dem König unter außergewöhnlichen Umständen gewähren kann, wurde bereits angezeigt.253 Auch wurde bereits darauf hingewiesen, dass diese Form der Abgabe während der Herrschaft von Ludwig IX. häufig auf das Vermögen der Kirche erhoben wurde und im Folgenden immer häufiger zweckentfremdet und fast üblich wurde. Dabei steht der Zehnt noch unter Ludwig IX. und Philipp III. in einem vorteilhaften Verhältnis zu den Kosten der Kriegsführung. Soweit es die fragmentarische Überlieferung zulässt, deutet vieles darauf hin, dass aufgrund der zeitlichen Beschränkung der Kampagnen der Zehnt zu einem großen Teil die Kriegskosten deckte.254 Mit Blick auf den Zehnten profitierte Philipp IV. zu Beginn seiner Herrschaft von dem seit Ende des Jahres 1284 laufenden vierjährigen Zehnten, den Martin IV. zugunsten des Aragónesischen Kreuzzugs Philipps III. gewährt hatte. Unter den gleichen Vorzeichen wurde ein zweiter Zehnt über drei Jahre von Nikolaus IV. im Jahr 1289 gewährt.255 Einen dritten Zehnten erhielt Philipp IV. im Jahr 1294 während der Vakanz nach dem Tod Papst Nikolaus IV. und der Wahl Coelestins V. (5. Juli-13. Dezember 1294), als er sich aufgrund der Spannungen mit dem englischen König direkt an die Prälaten wandte, die sich in Pons (Charente-Maritime) versammelt hatten, und sie um Hilfe bat.256 Sie gewährten ihm einen zweijährigen Zehnten (von Allerheiligen 1294 bis Allerheiligen 1296). In den Jahren 1297 und 1298 verfügte Philipp IV. viertens über die Einnahmen aus zwei doppelten Zehnten, von denen einer noch von Bonifatius VIII. gewährt wurde und der andere von Philipp IV. aufgrund der necessitas eingefordert wurde, über die Philipp IV. dank des ihm von Bonifatius VIII. gewährten Zugeständnisses in der Bulle Etsi de statu ( Juli 1297) bestimmen konnte.257 Im Jahr 1299 gewährten die versammelten Prälaten in Lyon als Hilfe für den Krieg in Flandern fünftens einen zweijährigen Zehnten, der in den Jahren 1300 und 1301 erhoben wurde.258 Ein neuer Zehnt, der erst 1302 erhoben wurde, wurde sechstens vom Papst im Jahr 1301 zugesagt. Zwischen 1303 und 1306 wurden dem König siebtens unterschiedliche Zuwendungen von regionalen Konzilen zugesprochen. Aufgrund der umgesetzten Münzreform von 252 Siehe oben Anm. 90 und 110. 253 Siehe oben Kap. I., Anm. 64 und 66. Viard (Hg.), Journaux, S. XXI–XXII. 254 Hélary, L’armée, S. 212–216. Hinweise zu den Ausgaben des Kriegszugs Ludwigs IX. von 1251– 1253 und der Expedition Philipps III. nach Nordspanien finden sich in Kontoauszügen in Recueil des historiens des Gaules et de la France 21, S. 512–515 bzw. Ebd., S. 515–517. 255 Inventaire de Robert Mignon, S. 95–98. Der Papst soll Zweifel an der Aufrichtigkeit Philipps IV. gehabt haben; vgl. Hélary, L’armée, S. 219. Viard (Hg.), Journaux, S. XXI. Zu den dahinterliegenden Verhandlungen zwischen Kurie und Königshof siehe Antonino Franchi: Nicolaus papa IV. 1288–1292 (Girolamo d’Ascoli), Ascoli Piceno 1990, S. 118–119. 256 Inventaire de Robert Mignon, S. 98–100. Viard (Hg.), Journaux, S. XXII. 257 Siehe oben Anm. 65. Inventaire de Robert Mignon, S. 100–105. Viard (Hg.), Journaux, S. XXII. 258 Inventaire de Robert Mignon, S. 105–107. Viard (Hg.), Journaux, S. XXII.
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1306 wurde zwischen 1307 und 1308 ein achter Zehnt eingesammelt, der bereits 1304 zur Deckung der Kosten der Münzreform zugeteilt worden war, aber noch nicht zur Geltung kam. Im Jahr 1310 wurde neuntens ein neuerlicher einjähriger Zehnt zugeteilt. Gleiches gilt für das Jahr 1312. Schließlich erteilte Papst Clemens V. im Jahr 1312 die Erlaubnis, einen elften Zehnten über sechs Jahre zugunsten des Heiligen Landes zu erheben.259 Auf dem Konzil von Lyon im Jahr 1315 wurde dem König zwölftens von mehreren Bischöfen ein weiterer Zehnt als Kriegssubsidium zuerkannt. 1318 lief der zuvor genannte sechsjährige Zehnt von 1312 aus, der durch einen neuen doppelten Zehnten für zunächst drei Jahre ersetzt wurde, welcher nach der ersten Phase ab 1322 als einfacher Zehnt für ein Jahr, dann für jeweils zwei Jahre bis 1330 erneuert wurde. Im Jahr 1330 wurde der Zehnt nochmals zur Deckung der neuerlichen Münzreform bewilligt. Damit wurden zwischen 1284 und 1330 vierzehn Zehnten ausgeschrieben, die knapp drei Viertel des Zeitraums abdecken. Dabei ist zwar zu bedenken, dass die Zehnten nicht jedes Mal den gesamten französischen Klerus betrafen, die Prälaten aber immer einem Zehnten zustimmten, wenn sie gefragt wurden.260 Die Auflistung der Zehnten, die Philipp IV. und seinen Söhnen zugesprochen wurden, zeigt, dass er sich als Form der Abgabe auf das Kirchengut in der Regierungszeit Philipps IV. durchgesetzt hatte. Anfänglich zur Durchführung eines Kreuzzugs gedacht, entwickelte sich der Zehnt zu einer Hilfe des französischen Klerus, dessen Anspruch unter Rückgriff auf die bekannten Begriffe von Notstand (necessitas), Verteidigung (defensio) oder Reform (reformatio) angemeldet und von den Bischöfen zuerkannt wurde. Trotz der zentralen politischen Auseinandersetzung zwischen dem französischen König und dem Papst um die Zugriffsrechte auf das Kirchengut, vermittelt der Blick in die Abrechnungen das Bild des Zehnten als weniger bedeutende Einnahmequelle, die von den Einnahmen aus den Münzmutationen schnell überflügelt wurde. Zunächst soll herausgestellt werden, auf welcher Überlieferung die oben angegebenen Summen beruhen. Die Angaben zu dem ersten Zehnten beschränken sich auf das letzte Jahr, für das ein Ertrag von 107.162 l. t. (umgerechnet 85.729 l. p.) in der Abrechnung zu Lichtmess 1288 dokumentiert ist. Doch die Kollekten hatten meist eine Vorlaufzeit, bis erste Erträge eingingen, und einen Nachlauf, währenddessen langsam abnehmende Resterträge verbucht wurden, so wie es für den vierjährigen Zehnten der Fall war. So wurde beispielsweise der Restbeitrag der Zisterzienser in Frankreich am vierjährigen Zehnten von 1284 erst zu Himmelfahrt 1293 gebucht.261 Zwischen 259 Inventaire de Robert Mignon, S. 107–108 (1304), 108–109 (1305), 109–110 (1307), 110–112 (1308), 112–113 (1310), 113–114 (1312), 114–119 (1313–1318). Léon Louis Borrelli de Serres: Recherches sur divers services publics du XIIIe au XVIIe siècle, 3 Bde., Paris 1895–1909, Bd. 2, S. 467–468. Viard (Hg.), Journaux, S. XXII. 260 Borrelli de Serres, Recherches, Bd. 2, S. 470–471. 261 Der Beitrag der Zisterzienser wurde für den vierjährigen Zehnten auf 81.000 l. t. und 20.250 l. t. pro Jahr festgesetzt. Einer Aufzeichnung aus der Chambre des comptes ist zu entnehmen, dass der Beitrag für drei Jahre wie folgt abgerechnet wurde: Von 60.750 l. t. wurden direkt 30.065 l. t. an einen
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1289 und 1292 gingen insgesamt rund 84.375 l. p. oder 105.468 l. t. ein.262 Zeitweise parallel trafen so Resterträge und die Erträge des zweiten Zehnten ein, den Martin IV. Philipp IV. weiterhin unter dem Zeichen des Kriegs gegen den König von Aragón im Jahr 1289 für drei Jahre zusprach.263 In den Abrechnungen erscheint die nova decima triennii ab Himmelfahrt 1290, was die Differenzen zwischen Bewilligung und Eingang der ersten Erträge verdeutlicht. Zusammen mit den Resterträgen des ersten Zehnten verschwindet der zweite Zehnt zu Himmelfahrt 1292 aus den Abrechnungen. So ist für den zweiten Zehnten ein Gesamtertrag von 138.582 l. p. / 173.229 l. t. überliefert. Gleiches lässt sich auch für den zweiten durch die comptes du Trésor überlieferten Abrechnungszeitraum beobachten (s. Tab. 4). So verzeichnet der Trésor zwischen Weihnachten 1298 und dem Johannistag 1299 Zehntzahlungen in Höhe von 225.247 l. t. / 180.197 l. p., was dem Jahresertrag der zuvor vorgestellten Schätzung entsprechen würde. Allerdings verbergen sich hinter der Summe noch Restzahlungen des dritten (1294–1296) und die Einnahmen der Erhebung des vierten Zehnten (1297–1298).264 Wie oben bereits ersichtlich wurde, wurden folgende Beträge in den vorhandenen Abrechnungen (comptes) und den Journalen (journaux) des Trésor abgerechnet:265 Tab. 4 Zehntzahlungen in den comptes und den journaux du Trésor (1298–1301) comptes du Trésor 25.12.1298
68.762 l. p.
18.03.–31.12.1298
92.206 l. 2 s. 7 d. p. + 187 l. 17 s. 9 d. Sterling
24.06.1299
111.436 l. p.
25.12.1299
99.456 l. p.
1299
125.427 l. 6 d. p.
01.01.–16.03.1300 25.12.1301 15.04.–31.12.1301
262 263 264 265
journaux du Trésor
4.242 l. 8 s. 4 d. p. 34.428 l. p. 32.130 l. 4 s. 9 d. p.
Vertreter der Gesellschaft Spini abgeführt, der sie wahrscheinlich an die Kurie weiterleitete, während die Summe von 28.608 l. t. dem Temple als Guthaben per Brief mitgeteilt wurde. Die Restschuld von 2.076 l. t. löste der Abt von Citeaux erst später bei den Brüdern Albizzio und Musciatto aus, die den Betrag dem König in dessen Konto von Himmelfahrt 1293 gutschrieben; Recueil des historiens des Gaules et de la France 21, S. 531–532. Zur Überlieferung siehe Anm. 266. Zur Abrechnung siehe Borrelli de Serres, Recherches, t. II, S. 463. Lot/Fawtier, Histoire, S, 227. Inventaire de Robert Mignon, S. 95–98. Martin IV. soll Zweifel an der Aufrichtigkeit Philipps IV. gehabt haben; vgl. Hélary, L’armée, S. 219. Viard (Hg.), Journaux, S. XXI. Lot/Fawtier, Histoire, S. 228. Viard (Hg.), Journaux, S. XXII.
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Die Lücken in der Überlieferung und die Abrechnungspraxis erschweren es, den Jahresertrag abzuschätzen. Dann weist Robert Fawtier darauf hin, dass auch hier die zusammengenommenen Erträge aus den überlieferten Abrechnungen nur einen Teil der real eingesammelten Summe repräsentieren. An dieser Stelle setzt eine weitere Überlieferung ein: Es handelt sich um Denkschriften der Rechnungskammer, die alle aus ihren verlorengegangenen Archiven stammen. Grundlage sind spätmittelalterliche Kompilationen von Dokumenten über den Wert eines Zehnten aller Diözesen für den Gebrauch der Rechnungskammer, die Teil verschiedener Verzeichnisse waren, deren Rekonstitution nach dem Brand im Jahr 1737 aus der Sekundärüberlieferung der Dokumente versucht wurde. Die angefertigten Kopien des 18. Jahrhunderts hat Natalis de Wailly vorgefunden, zusammengestellt und 1855 ediert, während Joseph Petit am Ende des Jahrhunderts ein Inventar der alten Verzeichnisse aufgestellt und die wahrscheinlich ursprüngliche Reihenfolge der Dokumente etabliert hat.266 Die erste vollständige Schätzung des Werts aller Diözesen liegt für den dreijährigen Zehnten von 1289 vor (s. Abb. 11).267 Die Schätzung folgt den Kirchenprovinzen in der Ordnung Reims, Rouen, Sens, Tours, Bourges, Bordeaux, Lyon, Vienne, Narbonne, Auch und Besançon. Die Provinzen sind wiederum nach Diözesen unterteilt, hinter deren Namen die Einzelerträge der drei Jahre oder nur Teilbeiträge folgen – für die Kirchenprovinzen von Narbonne und Aquitanien sind nur das erste Jahr und die Hälfte des zweiten Jahres aufgenommen. Hinter den Einzelbeträgen, die bis auf einzelne Ausnahmen alle korrekt sind, kann eine Gesamtsumme stehen. Schließlich folgt noch für jede Kirchenprovinz die Angabe der Summe der von der Zehntleistung eigentlich ausgenommenen (exempti) geleisteten Beiträge. Eine grundlegende Schwierigkeit der Schätzung liegt in der Varietät der Rechengeldeinheiten, in denen die Beiträge angegeben sind, und ihrer Umrechnung in l. t. durch Natalis de Wailly. Dies hat Léon Louis Borrelli de Serres dazu veranlasst, die erbrachte Leistung von Natalis de Wailly infrage zu stellen, doch kann diese Kritik dadurch relativiert werden, dass nur 5 % aller Beiträge nicht in livre de Paris (30 %), livre de Tours (59 %) oder livre de Vienne (4 %) angegeben sind, deren Umrechnungsverhältnisse gut bekannt sind.268 Der geringe Anteil weniger weitverbreiteter Einheiten liegt daran, dass sie zur Abrechnung der Beiträge der Diözesen des Midi (Bordeaux, Narbonne, Auch) genutzt werden, die proportional deutlich geringere Erträge abwerfen als die Kirchenprovinzen Reims (38 %), Rouen (13 %) und Sens (15 %), welche nur zwei Drittel der Erträge erbringen. Da einzig die Angaben der Diözese Reims in livre de Paris vorliegen, kann sich die Rechengeldeinheit trotz der Singularität, aber aufgrund 266 Recueil des historiens des Gaules et de la France 21, S. 532–562. Joseph Petit: Essai de restitution des plus anciens mémoriaux de la Chambre des comptes de Paris, Paris 1899. 267 Recueil des historiens des Gaules et de la France, Bd. 21, Paris 1855, S. 545–556; Petit, Essai, S. 62, Nr. 334. Hierzu auch Borrelli de Serres, Recherches, S. 463–464 und Lot/Fawtier, Histoire, S. 228. 268 Borrelli de Serres, Recherches, S. 463–464. Die folgenden Verhältnisse wurden erstellt auf der Basis von Recueil des historiens des Gaules et de la France 21, S. 556 Anm. 5.
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der ökonomischen Bedeutung der Diözese gegenüber anderen Einheiten behaupten. Trotz der weitgehend korrekten Gesamtsummen der einzelnen Kirchenprovinzen hat sich entweder der Autor bei der Erstellung des Gesamtergebnisses verrechnet oder bei der Erstellung der Kopie im 18. Jahrhundert wurden Fehler begangen. Der Herausgeber des Dokuments, Natalis de Wailly, hat das Ergebnis bereits auf 793.192 l. t. und nach Abzug der Kosten auf 769.840 l. t. korrigiert.269 Im Dokument verzeichnet ist nur eine Summe von 703.006 l. t., was um 12 % niedriger liegt als die Summe der ausgewiesenen Erträge. Mag das noch als ein Rechenfehler interpretiert werden, wirft die vom Autor angegebene Summe der Kosten Fragen auf. Statt 5.628 l. t. ergibt eine Addition aller Kosten einen Betrag von 23.353 l. t., womit die realen Kosten über viermal so hoch als die angebenden Kosten liegen.270 Die von Natalis de Wailly korrigierte Summe wird auch dadurch bestätigt, dass aus einem Brief Papst Nikolaus’ IV. bezüglich des dreijährigen Zehnten von 1289 hervorgeht, dass er sich ein Viertel des Ertrags reserviert habe, der auf 200.000 l. t. geschätzt würde, wovon er aber im Jahr 1289 erst 163.100 l. t. erhalten hatte.271 Der Zehnt sollte also einen Ertrag von 266.000 l. t. jährlich liefern. Diese Angaben decken sich fast vollständig mit dem von Natalis de Wailly berechneten Ergebnis.
Abb. 11 Erträge aus dem Zehnten (1289–1292)
269 Recueil des historiens des Gaules et de la France 21, S. 556 Anm. 5. 270 Die von mir geprüften Gegenrechnungen finden sich im Anmerkungsapparat von Ebd., S. 556. 271 Aufgrund dieses Dokuments zieht Léon Louis Borrelli de Serres seine Kritik an Natalis de Wailly zurück; Borrelli de Serres, Recherches, S. 465. Siehe auch Petit, Essai, S. 34, Nr. 125 und S. 71, Nr. 380. Zu den dahinterliegenden Verhandlungen zwischen Kurie und Königshof siehe Franchi, Nicolaus Papa IV, S. 118–119.
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Die von Natalis de Wailly korrigierte Summe enthält jedoch auch das Ergebnis des dreijährigen Zehnten in den Diözesen, die zum Reich gehören (Cambrai, Lüttich, Verdun, Toul) sowie des Beitrags des zum Königreich Frankreich gehörenden Teils von Cambrai, da es sich um einen Zehnten mit der Vokation eines Kreuzzugs handelte. In der Folge wird ihr Anteil aber von der Gesamtsumme abgezogen, um mit den Erträgen anderer Zehnten vergleichbar zu sein, von denen erst der Zehnt von 1313 wieder einen Kreuzzugsbezug aufweist. Vor diesem Hintergrund vermindert sich der Ertrag auf 734.000 l. t. Da nicht alle Beiträge über die vollen drei Jahre in der Schätzung berücksichtigt wurden, fällt der jährliche Ertrag von rund 256.000 l. t. leicht höher aus als eine simple Division der Gesamtsumme durch drei Jahre.272 Davon hatte sich Papst Nikolaus IV. einen Anteil von einem Viertel, also 192.000 l. t. insgesamt oder 64.000 l. t. jährlich reserviert, der aber nicht regelmäßig floss. Für den König blieb ein Anteil von 550.500 l. t. insgesamt oder 192.000 l. t. / 156.000 l. p. jährlich. Berücksichtigt man zusätzlich die Kosten der Kollektoren, welche in der Schätzung ausgegeben werden, belaufen sich die Erträge noch immer auf netto 186.047 l. t. / 148.837 l. p.273 Hinter dieser Schätzung bleibt der in den comptes du Trésor verzeichnete Gesamtbetrag vor dem Gesamtertrag von 138.582 l. p. / 173.229 l. t deutlich zurück, da er weder den jährlichen Brutto- noch den Netto-Anteil des Königs am Zehnten erreicht. Dieser Vergleich bleibt nicht allein und kann dank dreier ergänzender Dokumente weiter eingeordnet werden. Sie beziehen sich auf die Zehnten von 1294–1296, 1313–1318 und 1318–1321. Aus der vorherigen Schätzung können zwei Beobachtungen übernommen werden, nämlich sowohl die ungleiche Verteilung des Reichtums der Kirchenprovinzen zwischen Nord und Süd als auch die Nutzung der livre de Paris einzig in der Kirchenprovinz Reims. Eine bessere Übersicht über die vier bzw. fünf Brutto-Jahresergebnisse, die in den Dokumenten überliefert sind, erhält man mittels folgender Gegenüberstellung (s. Abb. 12). 272 Die belegte Gesamtsumme lautet 793.193 l. t. inklusive der Beiträge der genannten Diözesen des Reichs, des Beitrags des zum Königreich Frankreich gehörenden Teils von Cambrai sowie aller Beiträge der exempti; Ebd. Hierzu auch Borrelli de Serres, Recherches, S. 463–464. Auf der Grundlage der belegten Gesamtsumme berechnen Robert Fawtier und Ferdinand Lot den Ertrag eines Jahres von aufgerundet 266.000 l. t. berechnet; Lot/Fawtier, Histoire, S. 228. Zuvor schon Boutaric, France, S. 295. Allerdings irren sie sich, da sie die Gesamtsumme durch drei für die drei Beitragsjahre teilen. In den Kirchenprovinzen Narbonne (29.172 l. t.) und Auch (5.299 l. t.) wurden nur ein Jahr und das halbe zweite Jahr in die Berechnung aufgenommen. Die Summen dieser beiden Diözesen müssen also durch anderthalb geteilt werden. Vor diesem Hintergrund erklärt sich die Differenz zwischen dem oben angegebenen Gesamtertrag und den errechneten Jahreserträgen. 273 Aus dem gleichen Grund wie bei der Etablierung des Jahresertrags können die von Natalis de Wailly korrigierten Kosten von 23.353 l. t. nicht ohne Weiteres durch drei Jahre geteilt werden, um die durchschnittlichen jährlichen Kosten zu erhalten, die vom Brutto-Jahresertrag abgezogen werden können. Die für die Kirchenprovinzen Narbonne und Auch ausgewiesenen Kosten (462 l. t.) müssen einzeln betrachtet werden und durch anderthalb geteilt werden (462 l. t./1,5 = 308 l. t.), bevor sie zum dritten Teil des Restbetrags der korrigierten Kosten von 22.891 l. t. addiert werden können, um die durchschnittlichen jährlichen Kosten zu erhalten (22.891/3+308 = 7938 l. t.).
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Abb. 12 Jahresertrag eines Zehnten der französischen Kirchenprovinzen
Zur besseren Orientierung wurde der Mittelwert der Schätzungen von 247.940 l. t. berechnet und eingefügt, dem der erste Jahrgang des zweijährigen Zehnten von 1294 (248.467 l. t.)274 und die Schätzung von 1313 (249.715 l. t.)275 recht gut entsprechen, wäh-
274 Die angegebenen Beträge weichen ab von der Darstellung bei Lot/Fawtier, Histoire, S. 228–229. Mit Blick auf die Schätzung von 1294 verlassen sich die Autoren auf die Bilanz, die Édgar Boutaric auf der Basis der Edition von Natalis de Wailly erstellt hat; vgl. Boutaric, France, S. 294, Anm. 2. Édgar Boutaric sah sich genötigt, die Bilanz zu erstellen, welche weder die Schätzung noch Natalis de Wailly anbieten. Allerdings hat Natalis de Wailly sehr wohl die summierten Erträge der einzelnen Kirchenprovinzen kontrolliert und Korrekturen in den Fußnoten angeführt; Recueil des historiens des Gaules et de la France 21, S. 540–545. Édgar Boutaric hat auch darauf zurückgegriffen, aber die Korrekturen wurden nicht für alle Provinzen übernommen. Die Ergebnisse aller anderen Kirchenprovinzen sind in der Schätzung fehlerhaft angegeben, weshalb unbedingt die Korrekturen von Natalis de Wailly berücksichtigt werden müssen. Leider war es nicht immer möglich, auf das exakt gleiche Ergebnis wie Natalis de Wailly zu kommen. Dies ist der Fall in der Berechnung des Ergebnisses der Beiträge der Kirchenprovinz Reims, für das ich auf eine um 200 l. t. niedrigere Summe komme als Natalis de Wailly. Dennoch wurde das Ergebnis von Natalis de Wailly übernommen. Die Ergebnisse der beiden Schätzungen von 1294 berücksichtigen nicht die Beiträge der Diözesen, die zum Reich gehören (Cambrai, Lüttich, Verdun, Toul) sowie den Beitrag des zum Königreich Frankreich gehörenden Teils von Cambrai, da sie entweder nur in der einen oder anderen der beiden Schätzungen aufgeführt werden und da sie vor allem in beiden Schätzungen nicht bei der Bildung der Gesamtsumme der Beiträge der Kirchenprovinz Reims berücksichtigt werden; Recueil des historiens des Gaules et de la France 21, S. 541. Dies ist auch der Grund, warum diese Beträge für die Darstellung der Ergebnisse der Schätzungen nicht berücksichtigt werden; siehe Anm. 272. 275 Die Summe fällt geringer aus als bei Lot/Fawtier, Histoire, S. 228–229; Boutaric, France, S. 295. Hierfür gibt es zwei Gründe. Erstens war es aus Gründen der Vergleichbarkeit nötig, den Beitrag des zum Königreich Frankreich gehörenden Teils von Cambrai von 1.563 l. t. zu reduzieren, der bei Robert Fawtier und Ferdinand Lot berücksichtigt wurde. Zweitens haben sie die in der Schätzung aufgeführten Beiträge der Zisterzienser in jeder Diözese von insgesamt 5.345 l. t. ins Kalkül einbezogen; Recueil des historiens des Gaules et de la France 21, S. 560 Anm. 9. Die Summe erscheint zu niedrig
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rend er von der Schätzung von 1289 (256.164 l. t.) deutlich überstiegen und von dem zweiten Jahrgang des Zehnten von 1294 (237.416 l. t.) deutlich unterschritten wird. Insgesamt bewegen sich die Abweichungen in einem Fenster von weniger als 20.000 l. t., also weniger als einem Zehntel der Gesamtsumme der schwächsten Schätzung. Dieser Gesamteindruck wird durch den Vergleich der Erträge der einzelnen Kirchenprovinzen in jeder Schätzung bestätigt (s. Abb. 13).
Abb. 13 Erträge der Kirchenprovinzen im Vergleich
Die zwar vorhandenen, aber im Gesamteindruck doch geringen Abstände zwischen den Erträgen der einzelnen Kirchenprovinzen über die vier Jahre, die hier schlaglichtartig präsentiert werden, bedürfen einer Erklärung. Die Begründung findet sich in der Anlage der Dokumente, von denen jedes für sich eine einzelne Geschichte aufweist,
im Vergleich zum Beitrag von 12.000 l. t., der für die Zisterzienser insgesamt in der Schätzung von 1294 angesetzt wurde; Ebd., S. 545. Im Gegensatz dazu sind die Leistungen der Zisterzienser in der Schätzung von 1313 nur lakunär für die einzelnen Diözesen vermerkt und in den anderen Schätzungen nicht identifizierbar. Aus diesem Grund erscheint es mir sicherer, die Angabe nicht heranzuziehen.
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die aber ihre Gemeinsamkeit durch den Erstehungsort in der Rechnungskammer und in ihrer Übernahme in die Verzeichnisse von Denkschriften finden.276 Die erste Schätzung trägt nur die Bezeichnung Valor Decimarum und wurde von Natalis de Wailly in seiner Edition zeitlich vor 1307 angesetzt.277 Da die Schätzung die Beiträge für zwei Jahre umfasst, wurde das Dokument schnell auf den zweijährigen Zehnten von 1294 bezogen. In der Schätzung werden die Kosten der Kollekte nicht angegeben und die Kirchenprovinzen von Vienne und Besançon fehlen. Demgegenüber werden im Dokument für die Templer, Johanniter und Zisterzienser am Ende der erstellten Gesamtsumme Beiträge von zweimal 6.000 l. t. und einmal 12.000 l. t. für die Zisterzienser angeführt, die in der vorherigen Schätzung nicht genannt wurden. Es ist wahrscheinlich, dass sie für den Zehnten von 1289 höhere Beiträge erbracht haben, da es sich um einen Kreuzzug gehandelt hat, während der zweijährige Zehnt von 1294 nur von Prälaten freiwillig als Kriegssubsidium zugestanden wurde.278 Die erste der beiden Schätzungen wurde auf der Grundlage der Beiträge der einzelnen Kirchenprovinzen in der Schätzung von 1289 aufgestellt. Zwar fällt der Wert der ersten Schätzung von 1294 um insgesamt rund 8.000 l. t. unter den Wert von 1289, wozu das Fehlen der Kirchenprovinzen von Vienne und Besançon mit über 5.000 l. t. beiträgt, aber viele Provinzen (Reims, Sens, Bourges, Tours, Lyon) lehnen sich direkt an die Einzelbeiträge von 1289 an. Größere Unterschiede erscheinen erst im zweiten Jahresbeitrag des Zehnten, dessen Beiträge angepasst wurden und nur noch 92 % der Summe von 1289 ausmachen. Für das Jahr 1313 liegt die Zusammenstellung von Abrechnungen des ersten Jahres des sechsjährigen (eigentlich fünfjährigen) Zehnten vor, die von Natalis de Wailly ebenfalls als Schätzung ediert wurde. Dabei stellt er das Incipit des Dokuments nur verkürzt dar, da die vollständige Angabe deutlich macht, dass nachfolgend die, wenn auch unvollständige, Abrechnung des Schatzmeisters von Lisieux für die Kirchenprovinz Sens des Jahres 1313 beginnt.279 Darauf folgen die Abrechnungen der anderen Kirchenprovinzen, die nachweislich nicht vom Schatzmeister von Lisieux betreut wurden. Es handelt sich also um eine Kompilation von Abrechnungen, die sich aller Wahrscheinlichkeit nach auf den gleichen Zehnten bezogen haben. So kommt es auch, dass einige Diözesen nachträglich auch ohne Summe eingetragen wurden. Allerdings blieb die Zusammenstellung unvollständig mit Blick auf die Abbildung aller Diözesen
276 Lot/Fawtier, Histoire, S. 228–229 unter Verweis auf Recueil des historiens des Gaules et de la France 21, S. 540–545, 557–560 und 561–562. Siehe zum Überlieferungszusammenhang Petit, Essai. 277 Recueil des historiens des Gaules et de la France 21, S. 540–545 basierend auf Archives nationales de Paris, P 2289, fol. 250. Weitere Hinweise hierzu bei Petit, Essai, S. 62, Nr. 331. Siehe auch Borrelli de Serres, Recherches, S. 465–466 und Lot/Fawtier, Histoire, S. 228–229. 278 Borrelli de Serres, Recherches, S. 466. 279 Das vollständige Incipit findet sich bereits in der Edition Recueil des historiens des Gaules et de la France 21, S. 557–556. Petit, Essai, S. 62, Nr. 333. Die Neubewertung des Dokuments findet sich bei Borrelli de Serres, Recherches, Bd. 2, S. 468–470.
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und auch mit Blick auf den Zehnten von 1313 bis 1318.280 Mit der Art des Dokuments – Abrechnungen anstelle von Schätzungen – verändert sich auch die Aussagekraft über die von Natalis de Wailly berechneten Beiträge der Kirchenprovinzen, die im Vergleich zu Schätzungen nach unten korrigiert werden müssen, da die Abrechnungen des compte du Trésor deutlich machen, dass die jährliche Beitragsschuld nur zum Teil beglichen wurde. Unterstrichen wird diese Beobachtung durch Einträge (pro recuperatione) in den Abrechnungen des Jahres 1313, die explizit auf die Eintreibung von Restschulden verweisen.281 Vor dem Hintergrund der genannten Elemente zeugt das Dokument von dem Bestreben, einige Jahre nach den ersten Abrechnungen des Zehnten eine Erinnerung für die Rechnungskammer zu erstellen. Allerdings muss der Ertrag des Zehnten höher als die von Natalis de Wailly addierte Summe von 260.680 l. t. der überlieferten Beiträge inklusive der wenigen Summen der Zisterzienser gewesen sein.282 Neben der Schätzung von 1289, jener von 1294 und den Abrechnungen von 1313 komplettiert eine undatierte Schätzung die Aufstellung.283 Auch hier liefert die Komposition des Dokuments wichtige Hinweise auf seinen Inhalt. Das Incipit nennt den Wert des Zehnten aller Kirchenprovinzen und Diözesen des Königreichs als Inhalt des Dokuments, doch es folgen nur die Schätzungen der Erträge eines Jahres für vier Kirchenprovinzen, nämlich die drei nördlichen Provinzen Reims, Sens und Rouen sowie jene von Bourges, deren Aufstellung im Dokument aber unvollständig ist.284 Unmittelbar anschließend an die Teilsumme der vorhandenen Zahlungen der Provinz Bourges folgt eine Gesamtsumme aller vier Provinzen, die korrekt angegeben ist. Abgeschlossen wird das Dokument durch eine Notiz (summa totalis) eines Schreibers, die Natalis de Wailly ebenfalls ediert hat und in der zu lesen ist, dass auf der Basis der ihm damals zugänglichen Aufzeichnungen der Rechnungskammer von 1254 bis 1330 der Zehnt sich im Königreich auf 278.832 l. t. brutto und nach Abzug der Ausgaben von 12.841 l. t. auf 265.990 l. t. belaufen habe. Die Aufstellung der Schätzung der vier Kirchenprovinzen und die Notiz am Ende des letzten Dokuments in der Edition bezieht Natalis de Wailly eng aufeinander, obwohl beide im Manuskript durch einen größeren Freiraum voneinander getrennt sind. 280 Die Kirchenprovinz Toulouse wurde am Ende der Zusammenstellung ohne irgendwelche Beiträge und mit dem Verweis ihrer Schaffung am Ende des Jahres 1317 eingefügt. Die Diözese Lodève fehlt. Jede Diözese enthält in der Kompilation den Verweis auf den jeweiligen Beitrag der Zisterzienser, aber häufig wurde das Formular nicht ausgefüllt. Die von dem Zehnten ausgenommenen Institutionen (exempti) wurden nicht aufgeführt. Schließlich fehlen die dem Reich zugehörigen Diözesen, die den Zehnten aufgrund seiner Vokation als Hilfe für das Heilige Land hätten zahlen müssen; Recueil des historiens des Gaules et de la France 21, S. 560 und Borrelli de Serres, Recherches, Bd. 2, S. 468–469. 281 So für Angers, Dol, Quimper, Vannes. Recueil des historiens des Gaules et de la France 21, S. 558. 282 Borrelli de Serres, Recherches, Bd. 2, S. 468–469. 283 Recueil des historiens des Gaules et de la France 21, S. 561–562. Petit, Essai, S. 81, Nr. 426. 284 Es fehlen die Diözesen von Limoges, Le Puy und Clermont; Borrelli de Serres, Recherches, S. 471–472.
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Auch ist nicht gesichert, dass beide ein und dasselbe Dokument gebildet haben. Es ist unbestreitbar, dass zwischen beiden Elementen ein thematischer Zusammenhang besteht und sie aus diesem Grund in einer Handschrift zusammengefasst wurden, allerdings, indem Natalis de Wailly es als ein zusammenhängendes Dokument präsentiert, greift er auch der Datierung vor, sodass er die Schätzung auf die Jahre zwischen 1318 und 1330 bezieht, da die Kirchenprovinz Bourges einerseits Diözesen umfasst, die erst 1317 geschaffen wurden, womit ein terminus post quem vorliegt, und andererseits die Notiz das Jahr 1330 als Enddatum nennt.285 Die von Natalis de Wailly aufgestellte Verbindung von Schätzung und Notiz löst aber Léon Louis Borrelli de Serres bereits wieder auf und stellt eine andere Bewertung der Kompilation vor. Demnach ist die Schätzung der Kirchenprovinzen separat zu betrachten und, wie Natalis de Wailly vorschlägt, in die Zeit zwischen 1317 und 1330 zu datieren, möglicherweise gar auf den doppelten Zehnten von 1318–1321 zu beziehen.286 Die Notiz und vor allem den angegebenen Ertrag eines Zehnten von 278.832 l. t. brutto separiert Léon Louis Borrelli de Serres hingegen von der Schätzung und bezieht beides auf einen Zeitpunkt vor dem Jahr 1306. Die Grundlage dieser Einschätzung liegt in der Überlieferung der Notiz begründet, die in zwei Handschriften Eingang gefunden hat, in denen das Element der Denkschriften der Chambre des comptes kopiert wurde. In der zweiten Handschrift wurde lediglich die Notiz, nicht aber die Schätzung übernommen, die Natalis de Wailly mit der Notiz verknüpft. Für die Argumentation von Léon Louis Borrelli de Serres entscheidend ist, dass die Notiz in der zweiten Handschrift auf eine Liste der Erzbistümer und Bistümer des Königreichs folgt, in der Toulouse noch nicht als Erzbistum geführt wird, was es ebenfalls erst 1317 geworden ist, und vor Dokumenten steht, die auf das Jahr 1306 datiert sind. Reicht dieser Zusammenhang aus, um die Notiz auf das Jahr 1306 zu beziehen? Aktuell erscheint diese Hypothese noch immer valide, wenngleich Léon Louis Borrelli de Serres keine Erklärung für den gesamten Text der Notiz liefert. Hat der Schreiber der Notiz eine allgemeine Angabe (Laufzeit des Verzeichnisses) mit einem Betrag versehen, der mitten in die Laufzeit hineinfällt, ohne ihn zu spezifizieren? Die Forschung hat die Hypothese akzeptiert. Der funktionale Zusammenhang der Notiz im Verzeichnis hätte dann dazu gedient, die Kollekte des Zehnten von 1306 vorzubereiten.287 Die chronologische Einordnung der Denkschriften der Chambre des comptes erweitert das vorgestellte Tableau der Ertragswerte (s. Abb. 14). Auf die standardsetzende Schätzung für den Zehnten von 1289 folgt der erste Jahrgang des Zehnten von 1294–1296, der sich zunächst noch eng an die Schätzung von 1289 anlehnt, aber negative Abweichungen in den Kirchenprovinzen Reims (hier vor allem in der Diözese Arras (-30 %) und Rouen aufweist, ohne das Niveau zu halten. Diese Schätzung wird 285 Borrelli de Serres, Recherches, S. 473. 286 Ebd., S. 474. 287 Ebd. Dieser Einschätzung gefolgt sind Lot/Fawtier, Histoire, S. 228–229.
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Abb. 14 Der Wert eines Zehnten im Vergleich der mémoriaux de la Chambre des comptes
im zweiten Jahr deutlich nach unten korrigiert. Anschließend folgt die Summe, die Léon Louis Borrelli de Serres im Zusammenhang mit der Kollekte des Zehnten von 1306 in Zusammenhang bringt. Da die Diözesen, die dem Reich zugehörig waren, nicht zum Zehnten beigetragen haben, muss zum Vergleich die korrigierte Summe der Schätzung von 1289 herangezogen werden, die mit rund 256.000 l. t. pro Jahr um 8 % unter der angegebenen Summe von 278.832 l. t. gelegen hätte. Da lediglich diese Angabe vorliegt und die Zusammenstellung der genannten Summe unbekannt ist (weshalb nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie an das Ergebnis von 1289 angepasst werden müsste, um auf einer vergleichbaren Basis zu stehen), kann lediglich die positive Differenz konstatiert werden. Es reihen sich die Abrechnungen von 1313 und die Schätzung der vier Kirchenprovinzen von 1318 ein. Da es sich bei der Gesamtsumme von 1313 um die unvollständigen Abrechnungen des Jahres handelt, zeigt sich, dass sie über dem Niveau des ersten Jahrgangs von 1294 und leicht unter der Schätzung von 1289 liegt. Der größere Unterschied liegt im Vergleich zur Summe von 1306 mit -10 %. Der Schätzungsbetrag von 1306 wurde wahrscheinlich auch nicht von der Schätzung von 1318 übertroffen. Grundlage für diese Aussage ist eine Hochrechnung des Verhältnisses der Beiträge der drei vollständig überlieferten Kirchenprovinzen von 1318 (Reims, Rouen, Sens) zu den Beiträgen derselben drei Kirchenprovinzen der Schätzungen von 1289, 1294 und 1313. Im Mittel liegen die Erträge der drei Evaluationen um 8 % unter den Erträgen von 1318. Legt
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man diese Abweichung zugrunde und erstellt auf der Basis des Mittelwerts der Gesamterträge der drei Evaluationen eine Hochrechnung der Gesamtsumme der Schätzung von 1318, wäre eine hypothetische Summe von rund 273.300 l. t. möglich. Unterm Strich mag das Urteil von Léon Louis Borrelli de Serres stehen, dass es nicht möglich sei, den Wert eines Zehnten in der Zeit der Herrschaft Philipps IV. anzugeben, aber Werte zwischen 250.000 l. t. und 270.000 l. t. brutto ohne die Beiträge von Johannitern und Templern als Spanne zulässig seien.288 Spannender als die Suche nach einem objektiven Wert ist die Frage nach dem Grund für die Abfassung der Schätzungen. Man könnte die Frage auch so stellen: Werden Wertveränderungen dokumentiert oder prospektivisch dargestellt? Diejenigen, die sich mit den Dokumenten beschäftigt haben und die bereits genannt wurden, haben im Sinne des ersten Teils der Frage geantwortet. Diese Einschätzung mag auch der Perspektive derjenigen in der Chambre des comptes entsprochen haben, welche ex post die Verzeichnisse der Denkschriften erstellt haben. In der Forschung werden aber bisher die wechselnden Tendenzen der Werte ignoriert und eine geradlinige Aufwärtsbewegung zwischen den Werten von 1289 und 1306 gesehen, die Robert Fawtier und Ferdinand Lot durch ihre Hochrechnung des Wertes von 1313 auf 300.000 l. t. unterstützen. Diese Tendenz entsprach der Einschätzung, dass die Summen dem Reichtum der Kirche entsprächen, der stetig zugenommen habe.289 Eine andere Wertung wäre denkbar, die eine Interpretation der Dokumente stützen würde, wonach hier Werte dokumentiert werden. Sie knüpft an die These von Natalis de Wailly und Léon Louis Borrelli de Serres an, dass der Wert des Kirchenguts die Angaben in den Dokumenten beeinflusst haben könnte, und fragt nach dem Einfluss der Münzmutationen, die vom königlichen Hof initialisiert wurden. Die Reduktion des Silbergehalts in den Münzen löste eine Inflation aus, welche die Einnahmen aus Pachtzinsen verminderte, die eine wichtige Einnahmequelle für die landbesitzenden kirchlichen Institutionen darstellten, wenn die Höhe der Zinsen nicht angepasst wurde. Dieser Mechanismus könnte sowohl grundlegend für die Reduktion der Erträge des zweiten Jahres des Zehnten von 1294–1296 gewesen sein, da 1295 die ersten Münzverschlechterungen einsetzten, als auch dazu geführt haben, dass Zinsnehmer auf eine Münzreform drängen mussten, um den Verlust zu beheben, der ihnen durch die Münzverschlechterungen entstand. Die erreichte Wertsteigerung der Zinsen könnte ihre Entsprechung in den höheren Schätzungen von 1306 und 1318 gefunden haben, welche Phasen einer „guten“ Münze entsprechen. Dieser Hypothese würde auch nicht der geringere Wert 288 Die Liste der Faktoren, welche die Unsicherheit des Vergleichs begründen, stellt er seiner Einschätzung voran; Borrelli de Serres, Recherches, S. 474–475. 289 Recueil des historiens des Gaules et de la France 21, S. 561; Borrelli de Serres, Recherches, S. 474. So auch Boutaric, France, S. 295 und Lot/Fawtier, Histoire, S. 228–229. In einer Fußnote bezieht sich Borrelli de Serres auf Abrechnungen der Diözese von Béziers, die zeigen, dass die Beiträge der Diözese zwischen 1289 und 1322/23 stetig stiegen; Borrelli de Serres, Recherches, S. 471 Anm. 2.
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des Zehnten von 1313 widersprechen, da die Münze zwar nach einer neuerlichen Münzverschlechterung von 1311 aufgewertet wurde, aber dem Wert Abrechnungen und nicht eine Schätzung zugrunde liegen, die geringer ausfallen. Schließlich besteht eine dritte Interpretation darin, die Schätzungen von 1289, 1294, 1306 und 1318 weniger als Dokumentation denn als Vorausschau zu verstehen. Letztere schließt die Dokumentation nicht aus, sondern baut darauf auf, da Planungen einen Fixpunkt brauchen, an dem sie sich ausrichten können. Vielmehr liegt der Unterschied in einem Perspektivwechsel von Ist-Zustand zu Soll-Zustand. Eine solche Verschiebung deutet Léon Louis Borrelli de Serres bereits an, indem er die Summa totalis auf das Jahr 1306 und genauer auf die Aufwertung der Münze im Zuge der Umsetzung der Reform von 1303 bezieht.290 b) Annaten Neben dem Zehnten als wichtigstem Instrument, um die Einnahmen der Kirchen und kirchlichen Institutionen zu punktieren, kommen noch zwei weitere Instrumente hinzu. Zu den Regalien gehörte das Anrecht des Königs auf die Einnahmen der vakanten erzbischöflichen und bischöflichen Stühle, die er sich zusprechen konnte. Die journaux du Trésor belegen, dass Philipp IV. zwischen 1298 und 1301 die Einkünfte der Bistümer von Chartres, Orléans, Troyes, Meaux, Laon, Clermont, Le Mans, Lisieux und des Erzbistums Reims erhielt(s. Tab. 5).291 Allerdings handelt es sich dabei nur um einen Teil jener Einnahmen aus den Einkünften der vakanten Stühle, für die Abrechnungskonten angelegt wurden. Es ist davon auszugehen, dass sich ihre Auszahlung verzögert hat. Da außerhalb des Zeitraums zwischen 1298 und 1301 die journaux du Trésor nicht vorhanden sind und auch die vollständigen Abrechnungen (comptes) des Trésor fehlen, lassen sich diese Ansprüche nicht weiter nachverfolgen. Zu beobachten ist eine Reihe von Teilzahlungen, von kleineren Beträgen im Fall der Bistümer Clermont und Troyes bis zu einer fast vollständigen Zahlung aus Reims, die erheblich zum Ergebnis des Jahres 1299 beiträgt. Jenseits dieses Jahres fallen die Einkünfte, deren exakte Zuordnung zu den zuvor genannten Einnahmekategorien des Trésor aufgrund der fehlenden vollständigen Abrechnungen (comptes) nicht möglich
290 Borrelli de Serres, Recherches, S. 474. 291 Viard (Hg.), Journaux, S. XXII unter Verweis auf Inventaire de Robert Mignon, Nr. 198 (Chartres), 205 (Orléans), 212 (Troyes), 216 (Meaux), 227 (Reims), 242 (Laon), 294 (Clermont), 364 (Évreux), 369 (Lisieux). Zusätzlich verzeichnet das Inventar für den gleichen Zeitraum noch Konten über regalia, die aber nicht als Zahlung in den journaux du Trésor erscheinen; vgl. Inventaire de Robert Mignon, Nr. 261 (Beauvais, 1300); Nr. 279 (Tournai, 1300); 339 (Le Mans, 1298); Nr. 364 (Évreux, 1299); Nr. 255 (Noyon, 1301); Nr. 285 (Thérouanne, 1301); Nr. 295 (Clermont, 1301).
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Tab. 5 Einkünfte der Bistümer (1298–1301) Abrechnungszeitraum der journaux du Trésor
Diözese
18.03.–31.12.1298
Chartres
198
237
01.05.
264
Laon
242
794
03.07.
192
1299
lfd Nr. in Mignon, Inventaire
lfd. Nr. in Buchungsjournaux tag du Trésor
Beträge in l. p.
Clermont
294
1052
17.08.
7 l. 10 s. 5 d. p
Troyes
212
1321
23.10.
409 l. 12 s. p.
Lisieux
369
2184
28.02.
800
Lisieux
369
2561
18.05.
544
Troyes
369
2223
09.05.
160
Meaux
216
3383
13.10.
1040
Meaux
216
3421
23.10.
44 l. 16 s.
Meaux
216
3440
27.10.
184 l. 19 s. 4 d. p.
Reims
227
3788
22.11.
2000
Troyes
212
3936
13.12.
96
01.01.–16.03.1300 Troyes
212
4381
21.02.
88 l. 11 s. 2 d. p.
Reims
227
4387
22.02.
216
Troyes
212
5112
02.08.
40
Troyes
212
5155
16.08.
16
15.04.–31.12.1301
Summe
873 l. 2 s. 5 d. p.
4869 l. 15 s. 4 d. p. 304 l. 11 s. 2 d. p. 56 l. p.
ist, deutlich ab. Für die vorliegenden Jahre ist zu vermuten, dass sie der Kategorie der alia recepta zugeordnet wurden.292 Hinzu kommen schließlich noch die Annaten, bei denen es sich um die Einkünfte des ersten Jahres einer Pfründe handelt, die sich die Apostolische Kammer bei der Ernennung eines Benefiziars reservierte. Diese Summen konnte der Papst dem König aber unter außergewöhnlichen Umständen überlassen. Wie bereits gesehen, war das der Fall im Jahr 1297, als Bonifatius VIII. nach der ersten Auseinandersetzung mit dem französischen König nicht nur einen Zehnten, sondern auch die Annaten für die Dauer des Kriegs dem König zugestand. Drei Jahre lang, vom Laurentiustag (9. August) 1297 bis zum gleichen Tag im Jahr 1300, erhielt der König die Einkünfte, welche quan-
292 Vgl. Viard (Hg.), Journaux, S. XXII. Vollständige Abrechnungen sind lediglich für die Jahre 1296 und 1316 vorhanden. Während sich in der Abrechnung des Jahres 1296 keine Erwähnungen von Einkünften aus regalia finden, wurden sie 1316 den recepta communis zugeordnet, die als Kategorie in den Abrechnungen des Trésor des Jahres 1296 jedoch nicht als Kategorie vorhanden sind; vgl. Fawtier (Hg.), Comptes du trésor, Nr. 502, S. 28.
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titativ bedeutender waren als die vorgenannten Einnahmen.293 Im Jahr 1304 sprach Benedikt XI. dem französischen König die Annaten erneut zu, um ihn bei der Reform der Münze zu unterstützen.294 Leider erwähnt eine Denkschrift der Chambre des comptes lediglich den genannten Zeitraum von 1297 bis 1307, in dem die Annaten dem französischen König dank der Zuteilung von Bonifatius VIIII. und Clemens V. zur Verfügung standen, ohne den Wert der Annaten genauer zu beziffern.295 c) Die Schulden des Papstes? Zeitgenössischer Versuch einer Bilanzierung Zum Abschluss des Kapitels über die Generierung von Einnahmen durch den französischen Königshof und der Betrachtung des kirchlichen Anteils am königlichen Gesamtbudget mag die zuvor nur genannte Denkschrift aus den Verzeichnissen der Chambre des comptes stehen, welche eine Zwischenbilanz nach der doppelten Überlassung der Annaten und den zahlreichen Zehnten zieht, die Philipp III. und Philipp IV. vom Papst oder vom französischen Klerus zugestanden wurden.296 Das Dokument wurde nach 1307, aber vor dem Ende des Jahres 1314 verfasst, da einerseits die enthaltenen Schätzungen Zahlungen bis 1307 berücksichtigen und andererseits Philipp IV. als gegenwärtiger König genannt wird. Der Autor ist unbekannt, aber eine Verbindung zum Königshof oder der Rechnungskammer kann aufgrund der Fülle der Informationen, die zum Abfassen der Schrift nötig waren, und ihrer Ausrichtung angenommen werden. Die Parteinahme des Autors zugunsten des Königs wird in der Beantwortung folgender beider Fragen deutlich: Welchen Wert haben die Annaten und ein Zehnt im Königreich Frankreich und schuldet der König dem Papst oder der Papst dem König Beiträge aus Zehntzahlungen? Die in französischer Sprache verfasste Denkschrift beginnt mit Angaben über den Wert der Annaten und eines Zehnten pro Jahr sowie der Schätzung des Werts eines Zehnten der Kirchenprovinzen innerhalb und der Diözesen außerhalb des Königreichs, d. h. der Kirchenprovinzen Vienne und Besançon wie der Diözesen Cambrai, Lüttich und anderer. Leider werden eben diese Werte nicht beziffert, aber der Verweis auf Bilanzen, die versandt wurden, legt den Schluss nahe, dass sie an die Kurie verschickt wurden. Daraus könnte sich ein möglicher Kontext für die Abfassung der Denkschrift ergeben: Im Jahr 1313 wurden an der Kurie über den oben bereits erwähnten Zehnten verhandelt. Möglicherweise bestand der Grund für die Abfassung der Denkschrift dar-
293 Siehe oben Anm. 61 und 65. Inventaire de Robert Mignon, S. 74–79. Viard (Hg.), Journaux, S. XXII–XXIII. 294 Inventaire de Robert Mignon, S. 80–83. Viard (Hg.), Journaux, S. XXIII. 295 Recueil des historiens des Gaules et de la France 21, S. 529–531. Petit, Essai, S. 86, Nr. 454. 296 Ebd.
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in, die königliche Vertreter über die Annatenzahlungen zwischen 1297 bis 1307 zu informieren, um die Forderung nach einem neuerlichen Zehnten zu unterstreichen.297 Die Denkschrift erfasst weiterhin in unterschiedlich langen Absätzen einzelne Zehnten, die Philipp III. und Philipp IV. gewährt wurden.298 Es handelt sich um den sechsjährigen Zehnten von 1274, der Philipp III. auf dem Konzil von Lyon durch Papst Gregor X. zugestanden worden sei, da er das Kreuz genommen habe. Zusätzlich habe der König noch die Erträge der Schenkungen, der Ablasszahlungen aufgrund von geleisteten Kreuzzugsversprechen sowie andere einmalige Einkünfte (obvention) erhalten. Exekutor der Kollekte sei Kardinal Simon de Brion gewesen, der als päpstlicher Legat am französischen Hof tätig gewesen sei. Als der Kardinal de Brion im Jahr 1281 selbst als Martin IV. das Amt des Papstes übernommen habe – nach den kurzen Pontifikaten von Innocenz V. (1276), Hadrian V. (1276), Johannes XXI. (1276–1277) und dem zweijährigen Pontifikat von Nikolaus III. (1277–1280) –, habe er, so die Denkschrift weiter, von Philipp III. eine Aufstellung und Abrechnung der Einnahmen verlangt, die seit der Zeit seines Vaters, Ludwigs IX., mit dem Ziel der Unterstützung des Heiligen Landes bis 1283 eingetrieben worden seien. Der französische König habe daraufhin den Schatzmeister des Templerordens zum Papst geschickt, damit dieser ihm Einnahmen und Ausgaben des Zehnten von 1274 auseinanderlege. Im Generellen seien diese einerseits durch die Ausgaben bis zur Überfahrt (général passage), die durch Gregor X. festgelegt worden seien, und andererseits durch ein Darlehen von 50.000 Mark Silber (250.000 l. t.) bestimmt gewesen, das dem französischen König vom Papst zur Unterstützung gewährt worden sei und das durch die Einnahmen der Benefizien eines jeden christlichen Königreichs zu begleichen sei. Martin IV. habe nach diesen ersten Abmachungen auf dem Konzil von Lyon bestimmt, dass das Darlehen aus von den anderen Königreichen außerhalb Frankreichs gewährten Zehnten der Kirchenprovinzen (que ils fussent pris sur les diesmes octroyés ès autres royaumes que en celuy de France) bestritten werden solle. Mit den Angaben habe sich der Papst zufriedengegeben, da Philipp III. seinem Gelübde nachgekommen sei, indem er zwar nicht ins Heilige Land aufgebrochen sei, aber mit Erlaubnis der Kirche den „Zug gegen Aragón“ (voie d’Arragon) unternommen habe, im Rahmen dessen er gestorben sei. Auch sei Martin IV. bestens über den sechsjährigen Zehnten von 1274 informiert gewesen, da er selbst Kollektor gewesen sei. All diese Zusammenhänge seien durch Bulle und Notariatsinstrumente belegt. Weiterhin bestehe, laut Denkschrift, die Frage, ob die Kirche dem König oder der König der Kirche noch Gelder schulde. Diese Frage kann dank der im Jahr 1283 vorgestellten Rechnungen des Schatzmeisters des Templerordens beantwortet werden, die darauf folgen:299 297 So schon Natalis de Wailly in Recueil des historiens des Gaules et de la France 21, S. 529. 298 Recueil des historiens des Gaules et de la France 21, S. 529–530. 299 Ebd., S. 530.
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– Die Kirche schulde dem König für den Schutz des Heiligen Landes: 121.154 l. t. 6 s. 5 d. – Seit dieser Zeit (wahrscheinlich 1274) bis zum Fall Akkons (1291) habe der König für den Schutz des Heiligen Landes Aufwendungen gehabt in Höhe von: 202.208 l. t. 17 s. Davon müsse die Summe von 73.134 l. t. 12 s. 8 d. abgezogen werden, welche der König von der Abgabe des Hundertsten (denier) zugunsten des Heiligen Landes seit 1283 bezogen habe, womit ein Restbetrag von 129.077 l. t. 6 s. 2 d. bleibe. – Für den Schutz des Heiligen Landes schulde die Kirche dem König noch den Betrag von 121.154 l. t. 6 s. 5 d. der alten Schulden. Seit dieser Zeit bis zum Fall Akkons habe der König weitere Aufwendungen in Höhe von 202.208 l. t. 17 s. gehabt, die dank des Zehnten von 1274 um 73.134 l. 12 s. 8 d. gedeckt wurden, womit eine Summe von 129.077 l. t. 6 s. 2 d. offenbleibe. – Zusammen mit den alten Schulden bestehe für den Schutz des Heiligen Landes noch eine Forderung von 251.130 l. t. 12 s. 7 d. (korrigiert 250.228 l. t. 10 s. 9 d.).300 – Zusätzlich hätten Philipp III. und sein Sohn, jetzt König Philipp IV., für den „Zug gegen Aragón“ (voiage d’Arragon) große Summen ausgegeben, ohne Kosten zu scheuen, und aus den angrenzenden Gebieten Navarra, Toulouse und Val d’Aran habe der zugeteilte Zehnt im Vergleich zu den Ausgaben keinen großen Wert gehabt. Nach dieser Zwischenrechnung setzt die Denkschrift die Aufzählung der Gründe fort, weshalb die römische Kirche dem französischen König noch Geld schulde. Hierzu gehört die militärische Hilfe, die der König Papst Martin IV. zwischen 1282 und 1283 gewährt habe, als dieser die Romagna wieder der päpstlichen Kontrolle unterstellen wollte. Der Sold für Ritter, Reiter und Fußvolk habe 54.352 l. t. 7 s. 6 d. betragen. Für die gleiche Kampagne habe der Papst im Jahr 1283 nochmals ein königliches Darlehen in Höhe von 100.000 l. t. erhalten.301 Anschließend springt der Autor zum Pontifikat Nikolaus’ IV. (1288–1292) und dem dreijährigen Zehnten, den dieser im Jahr 1289 Philipp IV. für einen „Zug gegen Aragón“ gewährt habe. Davon habe dem Papst ein Anteil von 200.000 l. t. zugestanden, der Papst habe aber nur 163.100 l. t. erhalten. Im Detail habe es sich um folgende Überweisungen gehandelt: 60.000 l. t. zu Lichtmeß 1290; 20.000 l. t. zu Himmelfahrt 1291; 20.000 l. t. zu Allerheiligen 1291; 60.000 l. t. zu Lichtmeß 1292 und 3.100 l. t. zu Himmelfahrt 1292. Sicut supra 163.100 l. t.302
300 Auch wenn die Varianten der Einzelsummen in den Handschriften berücksichtigt werden, bleibt ein Fehler in der Rechnung oder der Kopie des Originals bestehen, auf den Natalis de Wailly hinweist; Ebd., S. 530 Anm. 10. 301 Recueil des historiens des Gaules et de la France 21, S. 531. 302 Ebd.
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Abgeschlossen wird die Auflistung der Elemente, welche die Bilanz zugunsten des französischen Königs ausfallen lassen, durch zwei Argumente, die unpräzise bleiben: Erstens habe Ludwig IX. auf seinem ersten (1248–1254) und zweiten (1270) Kreuzzug eine große Zahl an Kämpfern mitgeführt, deren Anzahl nicht mehr nachgehalten werden könne, die aber sehr groß gewesen sein müsse. Könnte man deren Zahl noch in Erfahrung bringen, könnte man aufgrund des Solds, der üblicherweise pro Tag einem Ritter (7 s. 7 d. t.), einem Reiter (5 s. t.) und einem Fußsoldaten (12 d.) zustünde, die Summe für den Sold noch errechnen. Gleiches gelte auch für das Material und die Schiffe, über deren Kosten für die erste und zweite Fahrt leider nichts gesagt werden könne. Der Autor der Denkschrift gibt an, herausgefunden zu haben, dass der König jeweils mehr als das Doppelte der Einnahmen eines Zehnten auf der einen wie der anderen Fahrt ausgegeben habe. Zweitens habe Philipp III. noch Kosten für Sold gehabt, als er auf Bitten Martins IV. Kämpfer in die Romagna geschickt habe, wie oben bereits berichtet.303 Die Summe, welche die römische Kirche dem französischen König am Ende der Herrschaft Philipps IV. schulde, wird vom Autor leider nicht gebildet. Zentrale Marksteine der Aufstellung sind die Bilanz, die Papst Martin IV. vom Schatzmeister des Tempelordens 1283 vorgestellt wurde, und das erste Engagement Philipps III. Letzterer habe sein Kreuzzugsgelübde durch die beiden „Züge gegen Aragón“ auch eingehalten, was wichtig ist, um die Einnahme des ersten (1274) und zweiten (1284) Zehnten, der an dieser Stelle nicht erwähnt wird, zu rechtfertigen. Die Argumentation des Autors beschränkt sich aber nicht auf die Verteidigung der Einnahmen des Zehnten und der Ehre des Königs, der sein Versprechen einhält, sondern dreht das Verhältnis zwischen König und Papst um. Dies ist ein weiterer Markstein: Schon Gregor X. habe sich 50.000 Mark Silber (250.000 l. t.) für den Kreuzzug beim französischen König geliehen. Dafür komme aber nicht die französische Kirche, sondern alle anderen Kirchen auf, da das Königreich bereits für die Züge des Königs herangezogen werde. Weiterhin schulde die römische Kirche dem französischen König Gelder für den Schutz des Heiligen Landes bis zum Fall Akkons (1291). Zusammen mit der Restschuld Gregors X. könne der französische König noch eine Forderung von 250.228 l. t. 10 s. 9 d. gegenüber dem Papst erheben. Diese Schuld wird ergänzend durch zwei weitere Punkte erhöht. Dazu geht der Autor chronologisch vor den Fall Akkons zurück. Erstens habe Philipp III. auf seinem ersten „Zug gegen Aragón“ mehr Geld ausgegeben, als die Einnahmen durch die Zehnten von 1274 und 1284 eingebracht hätten. Zweitens habe der französische König Martin IV. nicht nur zweimal durch Truppen und durch Gelder in dessen Expedition gegen die Romagna zwischen 1282 und 1283 unterstützt. Dafür schulde der Papst ihm 54.352 l. t. 7 s. 6 d. an Sold und 100.000 l. t. an königlichem Darlehen.
303 Recueil des historiens des Gaules et de la France 21, S. 531.
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Eine Zwischenbilanz wird in der Denkschrift nicht gebildet, aber zu diesem Zeitpunkt hätte eine Schuld von rund 400.000 l. t. am Ende der Herrschaft Philipps III. bestanden, die durch die ungedeckten Ausgaben für den Konflikt mit Aragón in unbekannter Höhe vergrößert würde. Nach der Herrschaft Philipps III. setzt der Autor seine Ausführungen mit dem dreijährigen Zehnten von 1289 fort, von dessen Gesamteinnahmen Papst Nikolaus IV. die Summe von 200.000 l. t. zugestanden wurden, aber bis 1292 nur 163.100 l. t. überwiesen wurden. An dieser Stelle lassen sich die Angaben des Autors der Denkschrift mit der weiteren Überlieferung sehr gut kreuzen, da beide Summen in einem bereits genannten Brief Nikolaus’ IV. in den Verzeichnissen der Rechnungskammer parallel überliefert sind.304 Demnach könnte der Papst noch eine Summe von 36.900 l. t. verlangen. Die ausstehende Summe aus dem Anteil am Zehnten von 1289 ist aber das einzige Guthaben des Papstes, denn der Autor der Denkschrift schließt seine Ausführungen mit den Hinweisen, dass die Position des französischen Königs noch dadurch gestärkt werden könnte, dass Ludwig IX. jeweils mehr als das Doppelte der Einnahmen aus Zehnten für seine beiden Züge ausgegeben habe. Dafür lägen dem Autor Belege vor. Anhand der Verzeichnisse der Chambre des comptes kann überprüft werden, auf welcher Grundlage der Autor zu dieser Feststellung kommt. In den Verzeichnissen ist eine Aufstellung der Kosten für den ersten Zug Ludwigs IX. überliefert, die belegt, dass Kostenaufstellungen angelegt wurden. Für den zweiten Zug liegt nichts dergleichen vor, weshalb dessen Kosten nicht geschätzt werden können.305 Im vorliegenden Fall gewährt das Dokument einen Einblick in die Organisation des Zugs im Zeitraum von Himmelfahrt 1250 bis Himmelfahrt 1253 oder drei Jahren und 25 Tagen.306 Für diese Zeit werden Ausgaben in Höhe von 1.053.476 l. t. 17 s. 3 d. aufgelistet, die von der Verpflegung des Hofs (hôtel) über Sold-, Waffen- und Ausrüstungskosten der Kämpfer hin zur Logistik (Schiffe, Pferde und Kamele, Handwerker und Gerät) reichen. Mittels einer solchen Dokumentation der Ausgaben konnten die Kosten plausibel gemacht und vor der Kurie verteidigt werden. Weitere Dokumente dieser Art sind vorstellbar, da die Aufstellung nur drei von sechs Jahren der Expedition erfasst und sowohl weitere laufende als auch außergewöhnliche Kosten, wie die Anlage des Hafens von Aigues-Mortes, das zur gleichen Zeit als befestigte Stadt (Bastide) angelegt wurde und zum ersten Mittelmeerhafen des französischen Königs wurde, dazu addierten. Ferner kamen die Darlehen bei italienischen Kaufleuten und schließlich das Lösegeld hinzu, das nach der Gefangennahme Ludwigs IX. durch Sultan Turan Schah fällig wurde und nach Verhandlungen 100.000 l. t. in Gold betragen habe.307 Eine gängige Schätzung
304 Siehe oben Anm. 271. 305 Xavier Hélary: La dernière croisade: Saint Louis à Tunis (1270), Paris 2016. 306 Recueil des historiens des Gaules et de la France 21, S. 512–515. 307 William Chester Jordan: Louis IX and the challenge of the crusade: A study of rulership, Princeton 1979; Hélary, L’armée, S. 212–213. Die Darlehen des Königs bei den italienischen Kauf-
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lautet, dass der erste Zug des Königs insgesamt mindestens 1.500.000 l. t. gekostet hat. Eine solche Summe ließe sich mit der Aussage des Autors der Denkschrift in der Weise in Einklang bringen, dass der König entweder die doppelte Höhe der Zehnteinnahmen ausgegeben habe oder ihm vor seiner Abreise ein dreijähriger Zehnt gewährt wurde, der ausgehend von den zuvor genannten Schätzungen der Chambre des comptes zwischen 200.000 l. t. und 250.000 l. t. pro Jahr eingebracht haben könnte. Im besten Falle hätte der König auf 750.000 l. t. aus Kirchengeldern vertrauen können, was der Hälfte der geschätzten Gesamtsumme entsprochen hätte. Eine solche Einschätzung kann in Verbindung mit einer Anekdote des Zeitgenossen und Gefährten Ludwigs IX., Jean de Joinville, gebracht werden, der in seiner Lebensbeschreibung des Königs angibt, dass zum Zeitpunkt der Ankunft in Akkon im Mai des Jahres 1250, nachdem das Heer bereits in der Schlacht von al-Mansura im Nildelta zu Beginn desselben Jahres besiegt worden und der König in Gefangenschaft geraten war, der König allein die Kirchengelder ausgegeben habe. Der König habe sie gut und freizügig eingesetzt, wodurch ihm viele Ritter dem König ihre Dienste angeboten hätten.308 Dabei hatte der Zug nicht einmal die Hälfte seiner Dauer überschritten und sollte noch weitere vier Jahre andauern. Wie lange der König von den Geldern der Kirche den Zug noch finanzieren konnte, ist nicht überliefert, eine Interpretation der Funktion der von Joinville eingebauten Anekdote scheint darauf anzuspielen, dass die Kirchgelder immer noch ausreichten, obwohl der König die Ritter gut entlohnte. Vor diesem Hintergrund erscheint die Einschätzung des unbekannten Schreibers der
leuten untersuchen schon Adolf Schaube: Die Wechselbriefe König Ludwigs des Heiligen von seinem ersten Kreuzzuge und ihre Rolle auf dem Geldmarkte von Genua, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 70 (1898), S. 603–621 und 739–749; André Sayous: Les mandats de Saint-Louis sur son trésor et le mouvement international des capitaux pendant la septième croisade (1248–1254), in: Revue historique 157 (1931), S. 254–304. Die Höhe des Lösegeldes und seine Verhandlungen sind überliefert von Jean de Joinville: Vie de saint Louis, bearb. und übers. von Jacques Monfrin, Paris 1995, § 342–389, S. 346–373. Ursprünglich soll der Sultan eine Summe von 1.000.000 byzantinischen Goldbezanten gefordert haben, die laut Joinville 500.000 l. t. entsprochen hätten. Diese Summe habe Ludwig IX. in einer ersten Verhandlung direkt halbieren können. Nachdem der Sultan durch die anrückenden Mameluken ermordet wurde, habe sich eine erneute Möglichkeit für Verhandlungen ergeben, da die Mameluken selber unter Bedrohung standen und die Gefangenen schnell zu „Gold machen“ wollten. So sei die Lösegeldsumme von 500.000 auf 200.000 nochmals auf nunmehr nur noch 2/5 der ursprünglichen Forderung reduziert worden. 308 Hélary, L’armée, S. 212–213 unter Verweis auf: ‚L’en dit, sire, je ne sai se c’est voir, que le roy n’a encore despendu nulz de ses deniers, ne mes que des deniers aus clers. Si mette le roy ses deniers en despense, et envoit le roy querre chevaliers en la Moree et outre mer. Et quant l’en orra nouvelles que le roy donne bien et largement, chevaliers li venront de toutes pars, par quoy il pourra tenir heberges dedans un an, se Dieu plet;[…]‘ | „On dit, sire – je ne sais si c’est vrai -, que le roi n’a encore rien dépensé de son argent, mais seulement l’argent du clergé. Que le roi fasse emploi de son argent et que le roi envoie chercher des chevaliers en Morée et de l’autre côté de la mer. Et quand se répandra la nouvelle que le roi donne bien et largement, des chevaliers viendront à lui de toutes parts, qui lui permettront de tenir la campagne pendant un an, s’il plaît à Dieu; […].“ Joinville, Vie de saint Louis, § 427, S. 395.
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Denkschrift, wonach die vorhandenen Kirchengelder jeden Zug Ludwigs IX. jeweils höchstens zur Hälfte finanziert hätten, nicht übertrieben.309 Anknüpfend kann festgestellt werden, dass neben den Einkünften aus der königlichen Domäne die Kirchengelder die wichtigste Einnahmequelle für den ersten, wahrscheinlich auch den zweiten Zug Ludwigs IX. bilden.310 Diese Konstellation war die Grundlage für ein relativ geschlossenes System, bestimmt durch die Kirchengelder, den Templerorden als „Bank“ des Königs und weitere Agenten, vor allem aus Genua. Die Vorbereitung des ersten Zugs begann rund drei Jahre vor der Abreise, indem der König, aber auch alle anderen Kämpfer bereits Kapital bei den Tempelrittern in Paris deponierten, für dessen Transport in den Orient die Templer verantwortlich waren.311 Zusätzlich nahmen königliche Agenten Kontakt zu Finanziers in Genua auf, da diese den bargeldlosen Geldtransfer in den Orient ausführen konnten. Die Gelegenheit, aus der Reise des Königs Profit zu ziehen, wollten sich einige Genuesen nachweislich nicht entgehen lassen, da die königliche Kanzlei sich später mit einer Reihe gefälschter Wechselbriefe konfrontiert sah, die Ludwig IX. nach Anordnung einer Untersuchung aussondern ließ, während er die überprüften Exemplare vergütete. Die gültigen Forderungen der Genuesen wurden beglichen, ohne dass sie für das Fehlverhalten ihrer Mitbürger sanktioniert wurden, wie es andere Herrscher angeordnet hätten.312 Zwei Beobachtungen schließen sich an die Betrachtung der Finanzierung eines Teils der Ausgaben des ersten Zugs Ludwigs IX. an. Erstens lässt sich die Bewertungsgrundlage der Aufstellung gut nachvollziehen. Kalkuliert wird auf der Grundlage von Soldtarifen, gestaffelt nach Rang und unterschieden zwischen berittenen und unberittenen Truppen. Davon berichtet auch Joinville, wenn er an anderer Stelle darstellt, 309 Jordan, Louis IX; Hélary, L’armée, S. 212–213. 310 Jordan, Louis IX; Hélary, L’armée, S. 212–213. 311 Der Templerorden hat die Gelder nicht nur des Königs, sondern auch aller anderen Kämpfer auf seinen Schiffen in den Orient mitgeführt. Dies belegt eine weitere Episode des Zugs. Nach der Gefangennahme eines großen Teils des übrig gebliebenen französischen Heeres wurden die verfügbaren Gelder zusammengesammelt, damit sich die Gefangenen auslösen konnten. So auch die Mitglieder der Königsfamilie. Damit die Königsbrüder freikamen, wurde ihr Lösegeld zuerst zusammengetragen. Da noch eine größere Summe fehlte, berichtet Joinville über sich selbst, dass er dem König den Vorschlag gemacht habe, die Templer um ein Darlehen zu bitten, was sie verweigerten, da sie die Depots, die ihnen anvertraut wurden, nicht zweckentfremden dürften. Joinville setzte sich darüber hinweg und will eine Truhe in Anwesenheit des Schatzmeisters des Ordens aufgebrochen haben, um die fehlende Summe dem königlichen Marschall überreichen zu können; Joinville, Vie de saint Louis, § 380–387, S. 366–373. 312 Schaube, Wechselbriefe. Dabei handelte es sich der äußeren Form nach um ein als gratis et amore gewährtes Mutuum, dessen Zins durch Auslassen der tatsächlich ausgezahlten Menge an lokalen Münzen meist verschwiegen wurde. Auf die Fälschungen macht aufmerksam Robert-Henri Bautier: La collection de chartes de croisade dite „collection Courtois“, in: Comptes rendus des séances [de] l’Académie des inscriptions et belles-lettres, 100 (1956), S. 382–385. Eine erneute Erweiterung und Interpretation des Materials liefert Pierre-Vincent Claverie: Un nouvel élairage sur le financement de la première croisade de saint Louis, in: Mélanges de l’École française de Rome. Moyen-Age 113 (2001), S. 621–635.
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wie er als Seneschall der Grafschaft Champagne bereits auf dem Weg nach Ägypten, während der Zwischenstation auf Zypern, in das königliche Gefolge wechselte, da ihm selbst das Geld ausging und der König gut zahlte. Später nach der Schlacht von al-Mansura, in Akkon, habe der König Ritter gesucht, um mit ihm vor Ort zu bleiben, während dessen Brüder nach Frankreich zurückkehren würden.313 Seine Berater habe der König gebeten, Ritter anzuwerben, die sich aber nicht getraut hätten, weil sie das Gefühl hatten, dass die Ritter ihre Ansprüche nach oben treiben würden. Da habe der König den Entschluss gefasst, den Seneschall der Champagne direkt zu fragen. Dieser sei auch vor den König getreten und habe die Einzelforderungen für sich und drei Ritter für die verbleibenden Zweidrittel des Jahres 1250 genannt. Darauf habe der König mittels der Finger seiner Hand berechnet, dass der Sold von 400 livres tournois pro Ritter bei drei Rittern eine Summe von zwölfhundert livres tournois ergebe. Hinzu kam die Summe von 800 livres tournois für Joinville, der den Betrag dadurch zu rechtfertigen suchte, dass er nach der verlorenen Schlacht eine neue Ausrüstung brauche und seine Männer unterhalten müsste, da der König angeordnet habe, dass sie nicht an seinem Hof (hôtel) verpflegt würden. Die Gesamtsumme sei am Ende vom König akzeptiert worden, da er sie, wie der König seinen Beratern gesagt haben soll, als nicht überzogen bewertet habe. Abgesehen von dem Licht, das Joinville hier auf Ludwig IX. als „Macher“ wirft, worin die Funktion dieser Episode liegt, veranschaulicht sie, dass Dienstverhältnisse ökonomisch ausgehandelt werden und dem König zugetraut wird, 313 Je estoie enmi la chambre le roy et oÿ ces paroles. Lors dit le roy: ‚Appelez moy le seneschal‘. Je alai a li et m’agenoillé devant li, et il me fist seoir et me dit ainsi: ‚Senechal, vous savés que je vous ai moult amé, et ma gent me dient que il vous treuvent dur; comment est ce? Sire, fiz je, je n’en ouis maiz; car vous savez que je fu pris en l’yaue, et ne me demoura onques riens que je ne perdisse tout ce que j’avoie.‘ Et il me demanda que je demandoie; et je dis que je demandoie .II. mille livres jusques a Pasques pour les .II. pars de l’annee. ‚Or me dites, fist il, avez vous barguigné nulz chevaliers?‘ Et je dis: ‚Oÿl, mon seigneur Pierre de Pontmolain, li tiers a baniere, qui coustent. IIIIc. livres jusques a Pasques.‘ Et il conta par ses doiz: ‚Ce sont, fist il, .XIIc. livres que vos nouviaus chevaliers cousteront. Or regardez, sire, fiz je, se il me couvendra bien .VIIIc. livres pour moy monter et pour moy armer, et pour mes chevaliers donner a manger, car vous ne voulés par que nous mangiens en vostre ostel.‘ Lors dit a sa gent: ‚Vraiement, fist il, je ne voi ci point d’outrage. Et je vous retiens, fist il, a moy.‘ | J’étais dans la chambre du roi, et j’entendis ces parols. Alors le roi dit: „Appelez-moi le sénéchal.“ J’allai à lui et je m’agenouillai devant lui, et il me fit asseoir et me parla ainsi: „Sénéchal, vous savez que j’ai beaucoup d’affection pour vous, et mes gens me disent qu’ils vous trouvent dur; comment cela se fait-il? Sire, fis-je, je n’en puis mais; car vous savez que j’ai été fait prisonnier sur l’eau et qu’il ne m’en absolument rien resté, si bien que j’ai perdu tout ce que j’avais.“ Et il me demanda ce que je demandais; et je lui dis que je demandais deux mille livres jusqu’à Pâques pour les deux tiers de l’année. „Or dites-moi donc, fit-il, avez-vous négocié avec quelques chevaliers?“ Et je dits: „Oui, messire Pierre de Montmoulin, avec deux hommes sous sa bannière, qui coûtent quatre cents livres jusqu’à Pâques.“ Et il compta sur ses doigts: „Ce sont, fit-il, douze cents livres que vos nouveaux chevaliers coûteront. Regardez donc, sire, fis-je, il me faudra bien huit cents livres pour me monter et pour m’armer, et pour donner à manger à mes chaveliers, car vous ne voulez pas que nous mangions à votre hôtel.“ Alors, il dit à ses gens: „Vraiment, fit-il, je ne vois rien là d’excessif, et je vous predns, fit-il à mon service.“ Joinville, Vie de saint Louis, § 440–441, S. 402–405. Der Dienst wird im kommenden Jahr verlängert; Ebd., § 499–500, S. 442–443.
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elementare Rechenaufgaben selbst zu bewältigen und er die Soldforderungen zu evaluieren weiß. Wenn Gefolgschaft und Kampfkraft einen Preis haben, dann kann er auch anderen in Rechnung gestellt werden. Dies ist der Fall sowohl für die Kreuzzüge als auch für die Hilfe, die Papst Martin IV. für seine Expeditionen in die Romagna vom französischen König empfangen hat. Die Denkschrift und die militärische Praxis machen deutlich, dass eine solche Unterstützung zum genannten Zeitpunkt weder kostenneutral als Dienstverpflichtung noch als Geschenk zu verstehen war. Vielmehr bildet sie eine Leistung, aus der neue Forderungen des Königs auf das Kirchengut entstehen, welche die königlichen Beamten mittels Dokumente der Chambre des comptes zu belegen gedachten. Diese Funktion erweitert den Interpretationshorizont der Denkschriften, die nicht nur der Finanzkontrolle dienten, sondern in vielen weiteren Zusammenhängen verwendet werden konnten. Sie dokumentierten nicht nur, sondern bildeten das finanzielle Gedächtnis des französischen Königtums, in dem offene Forderungen auch über Jahrzehnte hinweg nicht vergehen sollten. Eine solche Interpretation eröffnet einen weiteren Horizont für die Bedeutung der finanziellen Verflechtungen mit der französischen und römischen Kirche. Zwar nimmt der Anteil der Zehnten am königlichen Budget in den 1290er Jahren unter dem Eindruck der Münzmutationen ab, nachdem die Einnahmen unter Ludwig IX. und Philipp III. den wichtigsten Beitrag zur Finanzierung ihrer Züge geleistet haben. Auch die mögliche langsame und unvollständige Kollekte der Gelder nimmt sich vor dem Zeithorizont gering aus, vor dem die Denkschriften abgefasst wurden. 20, 30, 40 Jahre bedeuten nicht, dass Darlehen, die an Päpste gewährt worden sind, vergessen wurden. Aus der Dokumentation gehen Forderungen hervor, die, gestützt durch normativen und ideologischen Verweis auf necessitas, defensio und souverainité, dazu beigetragen haben, dass Philipp IV. fast stetig auf Einnahmen aus Kirchengut zurückgreifen konnte.
III. Kurie Das Geld der Christen
Die Bedeutung des päpstlich-kurialen Finanzverwaltungs- und Zahlungsverkehrssystems innerhalb des europäischen Finanzsystems und insbesondere des internationalen bargeldlosen Zahlungsverkehrs ab dem 14. Jahrhundert ist in der Forschung unbestritten.1 Im Zentrum steht dabei das avignonesische Papsttum, dessen zentrale Stellung im internationalen Zahlungsverkehr, repräsentiert durch italienische Handels- und Bankgesellschaften, bereits Yves Renouard umfassend analysiert hat.2 Jüngst schlägt Markus Denzel eine Neubewertung vor, die Anlage der entscheidenden Innovationen des päpstlich-kurialen Finanzverwaltungs- und Zahlungsverkehrssystems ins 13. Jahrhundert zurückzuverlegen.3 Diese betreffen einerseits die wichtigsten Einnahmequellen der päpstlichen Kurie, Kreuzzugszehnt, Servitien und Annaten sowie andererseits das kuriale Zahlungssystem als der oder ein Kern des internationalen bargeldlosen Zahlungsverkehrs, welches als Vorläufer moderner Systeme angesehen wird. Hierfür habe es der Instrumente und Techniken bedurft, welche italienische Kaufmanns-Bankiers bereitgestellt hätten, um die Gelder der Diözesen der lateinischen Kirche und der Ostkirchen einzusammeln, an der Kurie zu zentralisieren und
1 Charles Samaran, Guillaume Mollat: La fiscalité pontificale en France au XIVe siècle (période d’Avignon et grand schism d’occident), Paris 1968 (ND 1905); Paul Oczipka: Die Finanzpolitik der Kurie im 1. Jahrhundert: Ein Beitrag zur Finanzgeschichte des ausgehenden Mittelalters, Diss. Greifswald 1920; Clemens Bauer: Die Epochen der Papstfinanz: Ein Versuch, in: Historische Zeitschrift 138,3 (1922), S. 457–503; Lunt, Papal Revenues; Guillemain, Les recettes; Markus A. Denzel: Kurialer Zahlungsverkehr im 13. und 14. Jahrhundert, Stuttgart 1991 (Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 42); Les comptabilités pontificales, Mélanges de l’École française de Rome, 118/2 (2006), S. 165–268; Denzel, Kreuzzugssteuer, S. 131–164, hier S. 140–149. 2 Georges Yver: Le commerce et les marchands dans l’Italie méridionale au XIIIe et au XIVe siècle, Thèse Paris 1902; Yves Renouard: Les relations des papes d’Avignon et des compagnies commerciales et bancaires de 1316 à 1378, Paris 1941; Yves Renouard: Les hommes d’affaires italiens, Paris 1968; Arnold Esch: Bankiers der Kirche im großen Schisma, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Bibliotheken und Archiven 46 (1966), S. 277–398. 3 Denzel, Kreuzzugssteuer, S. 132–133.
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anschließend zu verteilen. In der Zusammenarbeit mit der römischen Kirche hätten sich die Bankiers noch enger zusammengeschlossen und sich gegenseitig verpflichtet, die Erreichung eines gemeinsamen Zwecks zu fördern. Dazu habe auch gehört, das vorhandene Kapital zu bündeln und einzusetzen. In der Folge hätten sie weiteres Kapital akkumuliert und die wirtschaftliche Entwicklung Europas dynamisiert. Drittens seien die kurialen Finanzströme in ein entstehendes und ein von Kurie und Kaufleuten gleichermaßen genutztes bargeldloses Zahlungsverkehrssystem eingebunden worden, um das kanonische Zinsverbot und die darauf beruhende Gesetzgebung zu umgehen, ohne dass das Zinsverbot jemals aufgehoben worden sei.4 Die technischen Aspekte des bargeldlosen Zahlungsverkehrssystems als maßgebliches Instrument und Alleinstellungsmerkmal von international agierenden Kaufmanns- und Bankgesellschaften sollen hier zunächst nicht weiter betrachtet werden. Die internationale Forschung beschäftigt sich damit seit den 1960er Jahren intensiv und macht den bargeldlosen Zahlungsverkehr zum integralen Bestandteil des Narratives über die Entwicklung des spätmittelalterlichen Geldhandels. Dieser Zugang hat den Nachteil, dass er insbesondere das Wechselgeschäft als fortschrittlich beschreibt und andere, vor allem materielle Formen des Zahlungsverkehrs (Transfer, Depositen, Kompensationsgeschäfte) abwertend als rückständig betrachtet.5 Vor dem Hintergrund dieser Beobachtung soll hier an erster Stelle eine Analyse der Strukturen und Beziehungsgefüge des kurialen Zahlungsverkehrs folgen, wie sie in den vorgenannten Studien bereits angelegt ist, bevor einzelne Formen, wie bargeldlose Transfertechniken, betrachtet werden, die als Element nur so weit interessieren, wie sie über die Beziehungen zwischen Gläubigern und Schuldnern Aufschluss geben. Diese Annahmen weiten den Blick auf andere Merkmale als bargeldlose Transfertechniken, um den kurialen Zahlungsverkehr und die stetige, aber changierende Einbeziehung italienischer Gesellschaften aus der Toskana in die Verwaltung von Depositen und den Transfer kirchlicher Zahlungen offenzulegen. Charakteristisch für die Beziehungen der Kurie mit den Gesellschaften ist, dass jeder Papst sie ganz unterschiedlich durch die Beauftragung, Bevorzugung und Zurückweisung von Gesellschaften prägte. Dabei mag der Vorgänger den Nachfolger in der Weise beeinflusst haben, dass Letzterer als Form einer Kompensation des Erlebten genau das Gegenteil seines Vorgängers machte.6 Damit einher gingen relativ kurzfristige Verbindungen von Gesellschaften oder einzelnen Kaufleuten, die teilweise nur eine einzige Transaktion umfassten. Selbst längere Beziehungen, insbesondere größerer Gesellschaften, waren auf 4
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Denzel, Kreuzzugssteuer, S. 132–133. Die Gleichzeitigkeit des kaufmännisch Möglichen und des kanonisch Verbotenen im Spätmittelalter hat laut Konferenzbericht auch die Diskussion um den zitierten Beitrag von Denzel geprägt, siehe Kerstin Hitzbleck: Rezension von: Maleczek (Hg.), Römische Kurie, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 9, online unter http://www.sehepunkte. de/2018/09/31651.html (31.08.2022). Gilomen, Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters, S. 111–115. Renouard, Relations des papes, S. 191. Hinweis aus Denzel, Kurialer Zahlungsverkehr, S. 101.
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die Zeit eines Pontifikats beschränkt oder waren bestenfalls durch längerfristige, aber schwankende Beziehungen geprägt.7 Hinzu kam eine Welle von Konkursen, welche sienesische und florentinische Gesellschaften am Ende des ersten Jahrzehnts des 14. Jahrhunderts erfasste. Die Beziehungen können zum Teil durch funktionale Aspekte des bargeldlosen Geldtransfers geprägt sein. Da die Forschung aber das Vorhandensein des Wissens um die Technik bei allen Gesellschaften voraussetzt, sobald ihr Filialnetz bzw. ihre Kooperation mit anderen Gesellschaften es ihnen erlaubte, an für den Zahlungsverkehr relevanten Lokalitäten präsent zu sein, kann auf der Basis dieses Faktors allein keine Aussage über die Gründe für die Bevorzugung oder die Zurückweisung der einen oder anderen Gesellschaft getroffen werden. Dieses Phänomen kann nicht isoliert betrachtet werden, sondern muss in strukturellen Verbindungen mit anderen Phänomenen stehen. Auch der Forschung ist dies nicht verborgen geblieben, sie hat aber als korrelierendes Phänomen einzig das kirchliche Zinsverbot identifiziert.8 Wechselbriefe werden hier als Möglichkeit der Verschleierung der Zinsnahme durch Rekurs auf den Zinstitel als Kompensation des erlittenen Schadens (dammum emergens) und des entgangenen Gewinns (lucrum cessans) verstanden. Die Umgehung des Wucherverbots ist ein Beispiel für die Praxis der Kirche, ihre theoretischen und ethischen Grundannahmen nicht zu hinterfragen und ein kasuistisches Gebäude mit Ausnahmen zu etablieren, statt das Zinsverbot, welches auf dem der Agrarwirtschaft zugrundeliegenden Wirtschaftsmodell beruhte, im Licht der wirtschaftlichen Entwicklung der zeitgenössischen Gesellschaften zu revidieren. Der kuriale Zahlungsverkehr besteht aber aus mehr als diesen Elementen. Um die Relationen zwischen den verschiedenen angesprochenen Aspekten zu beleuchten, werden sie zunächst isoliert betrachtet. Dabei wird versucht, die analysierten Phänomene auf zwei Ebenen anzuordnen: eine synchronische und eine diachronische Betrachtung. In beiden Fällen werden die Elemente durch Merkmale, Korrelationen und Oppositionen definiert, die wiederum von dem Verhältnis der Elemente untereinander bestimmt werden. Die Bedeutung jedes Elements ergibt sich aus der Funktion innerhalb des gesamten synchronischen Systems. Die Analyse der synchronischen Ebene erfolgt vor der Beobachtung diachronischer Prozesse. Daraus geht auch hervor, dass die Betrachtung der systemimmanenten Entwicklung der Funktion einzelner Strukturen (bargeldloser Zahlungsverkehr) nicht ausreicht, da Veränderungen nur
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Denzel, Kurialer Zahlungsverkehr, S. 107. Ein Überblick zur Thematik bietet Eberhard Isenmann: Die Bedeutung der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, in: Günther Schulz, Christoph Buchheim, Gerhard Fouquet (u. a.) (Hgg.), Sozial- und Wirtschaftsgeschichte: Arbeitsgebiete – Probleme – Perspektiven. 100 Jahre Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Stuttgart 2003 (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beihefte 169), S. 469–524.
Einnahmequellen und -struktur des päpstlichen Hofs vor 1316
175
durch die Betrachtung der Beziehungen eines Systems auch zu (allen) anderen Systemen verstanden werden können. Über die finanziellen Strukturen hinaus stellt sich die Frage, inwieweit sie grundsätzlich mit Machtformen verknüpft sind, welche deren Geltung und hierarchische Ordnung etablierten und dazu Herrschaftsverhältnisse produzierten und stabilisierten. Interessant ist dabei, wie derartige Herrschaftsordnungen durch interventionistische Praktiken verändert und kreativ neu zusammengestellt wurden. A. Einnahmequellen und -struktur des päpstlichen Hofs vor 1316 Im Zentrum des kurialen Zahlungsverkehrs stand der päpstliche Hof und dessen Versorgung mit finanziellen Ressourcen, was den Vergleich zu den Strukturen im Königreich Frankreich möglich macht. Ein Blick in die päpstlichen Rechnungsbücher vermittelt zunächst das Bild eines gewöhnlichen Hoflebens, das durch Auslagen für den täglichen Naturalbedarf der Kurie an Lebensmitteln, Wein und Holz sowie die spezielleren Bedürfnisse des päpstlichen Marstalls oder der Kanzlei geprägt war. Größere Anschaffungen an Tischzeug oder Gerätschaften gehörten ebenso dazu. Erkennbar wird auch, wer von der Kurie versorgt wurde oder wem Beträge zur Selbstversorgung zugeteilt wurden. Der für den König geprägte Ausdruck le roi doit vivre du sien lässt sich auch mit Blick auf die Einnahmesituation des Papstes anwenden, die auf das Hofleben durch dessen ordentliche Einnahmen ausgelegt war. Grundsätzlich gilt auch hier die klassische Unterscheidung in ordentliche und außerordentliche Einnahmen, die unter Einwirkung der Päpste im Laufe des 13. Jahrhunderts an Bedeutung gewinnen, wofür die Zehnten und die Annaten stehen. Ihr Gewicht in den königlichen Finanzen wurde bereits beleuchtet, durch den Blick auf die päpstlichen Finanzen wird deutlich werden, wie sich beide Entwicklungen beeinflusst haben. Der Einstieg in die Untersuchung wird über die Einnahmen- und Ausgabensituation der Kurie unter Bonifatius VIII. als Fallbeispiel erfolgen. Anschließend werden die einzelnen Einnahmearten separat und in ihrer Entwicklung eingeordnet. Den Einblick in die päpstlichen Finanzen verdanken wir der Überlieferung der Apostolischen Kammer. Die Finanzverwaltung der Kurie und die Verwaltung der weltlichen Güter des Heiligen Stuhls wurden seit dem 11. Jahrhundert mit der Bezeichnung camera thesauraria bezeichnet, an deren Spitze seit dem 12. Jahrhundert der Camerarius stand, der ein reguläres Mitglied der Kurie, oft ein Kardinal, war, ohne dass diese Regelung vorgeschrieben war. Einen weiteren Institutionalisierungsschub der Kammer bedeutete die Loslösung des Amtes des Camerarius vom Pontifikat, indem dessen Amt nicht mehr mit dem Tod des Papstes endete. Im Hochmittelalter stammten die ordentlichen Einnahmen der päpstlichen Kammer hauptsächlich aus vielen Arten von Landabgaben (census), Einnahmen aus Rechten oder Abgaben, die aus den dem Papst unterliegenden Gebieten und aus Kirchen und Klöstern, die unmittelbar
176
Kurie
von ihm abhängig waren. Das erste Inventar all dieser päpstlichen Einnahmequellen wurde von Cencio Savelli, dem späteren Papst Honorius III., im Zuge der Anstrengungen der Gregorianischen Kirchenreform erstellt und ist bekannt als der Liber Censuum. Damit wurde auch die erfolgreiche Rekuperationspolitik Innocenz’ III. (1198–1216) dokumentiert, der den Besitz des Kirchenstaats verdoppeln konnte, indem er kirchliche Besitzansprüche in Mittelitalien durchsetzte. Zur gleichen Zeit trat die Apostolische Kammer in eine neue Phase der Entwicklung außerordentliche Einkünfte ein. Die Erhebung der Kreuzzugssteuern, die regelmäßig seit dem Pontifikat Innocenz’ III. eingefordert wurden, führten zu neuen Einnahmen, die der Kammer zugeführt werden mussten. Auch wurden im Laufe des Jahrhunderts Sachleistungen, auf die noch im Einzelnen eingegangen wird, im Laufe des Jahrhunderts monetarisiert – ein Prozess, der wesentlich von der Verwaltung der päpstlichen Finanzen beeinflusst wurde. So wurden die bei der Neubesetzung von Kirchenämtern fälligen servitia communia der Bischöfe und Äbte, d. h. Gebühren an die Kardinäle und die Kanzlei, sowie die Annaten, d. h. eine Abgabe auf den ersten Jahresertrag des Amtes, neu geregelt. Das Einkommen, das sie der Kurie regelmäßig zuführten, war keineswegs gering. Neben den päpstlichen Kollektoren, die von der Kurie bzw. der Apostolischen Kammer mit der Aufgabe betraut wurden, wurde eine fortan wachsende Anzahl von Agenten eingesetzt, um die erhobenen Abgaben einzusammeln.9 Dadurch wurden die Aufgaben der Apostolischen Kammer ständig erweitert. Die Überlieferung der Apostolischen Kammer ist zwar reichhaltig, aber doch mit Blick auf die Verzeichnisse der Einnahmen und Ausgaben (Introitus et Exitus) vor 1316 unvollständig. Für Bonifatius VIII. sind lediglich die Verzeichnisse für die Jahre 1299/1300 und 1302/1303 überliefert, die Friedrich Baethgen im Jahrgang 1928–29 der „Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken“ ediert hat. Ähnlich stellt sich die Situation unter Clemens V. dar, für dessen Pontifikat allein die Einnahmeverzeichnisse zweier Rechnungsjahre, nämlich 1309 und 1310, überliefert sind.10 Der für das Rechnungsjahr 1309 zugrundeliegende Band des Verzeichnisses Introitus et Exitus der Apostolischen Kammer wurde von Bernard Guillemain im Jahr 1978 herausgegeben.11 Diese beiden Editionen geben eine Vorstellung von der Einnahmenstruktur des Pontifikats. Ein Gesamtbudget sucht man, wie zuvor schon in den
9 10 11
Lunt, Papal Revenues, Bd. 1, S. 34–51; Christiane Schuchard: Die päpstlichen Kollektoren im späten Mittelalter, Tübingen 2000 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, 91), Teil I. Zur Überlieferung von päpstlichen Rechnungsquellen am Ende des 13. und Anfang des 14. Jahrhunderts siehe Guillemain, Les recettes, S. V–VI. Dieser Vergleich wurde bereits durchgeführt von Denzel, Kreuzzugssteuer, S. 144–145. Baethgen, Quellen; Guillemain, Les recettes.
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Einnahmequellen und -struktur des päpstlichen Hofs vor 1316
Livres de comptes, aufgrund der Anlage der Rechnungsbücher vergeblich. Und doch lassen sich durchaus Rückschlüsse auf das mögliche Budget Bonifatius’ vornehmen.12 Beginnend mit dem Pontifikat Bonifatius’ VIII. soll die folgende Zusammenstellung helfen, die verschiedenen Einnahmen der Apostolischen Kammer und Unterschiede ihres Anteils an der Gesamtsumme der Abrechnungen zu erfassen (s. Tab. 6). Die Angaben werden in Floren, der Goldmünze von Florenz gemacht. Tab. 6 Einnahmen der Apostolischen Kammer in den Rechnungsjahren 1299 und 1302 Rechnungsjahr 1299 Art der Einnahme
Floren
Anteil an der Gesamtsumme
Census (Peterspfennig von 1297 und 1298, Zinszahlungen, Exemtionszins)
2.309
5,95 %
Servitien
25.616
66,oo %
5.115 (1.681, 177, 3.257)
13,18 %
Einnahmen aus kirchenstaatlichen Gebieten (Mark Ancona, kleinere Zinsen) und der Grafschaft Venaissin
Rechnungsjahr 1302 Art der Einnahme Census (Zinszahlungen, Exemtionszins)
Servitien Einnahmen aus kirchenstaatlichen Gebieten (Mark Ancona, kleinere Zinsen) und der Grafschaft Venaissin
Floren
Anteil an der Gesamtsumme
282
1,02 %
14.492
52,36 %
2.681 (1.617, 187, 877)
9,69 %
Visitationen
976
2,51 %
Zehnten
1.723
6,22 %
Einnahmen aus Bullentaxen
2.376
6,12 %
Visitationen
1.363
4,92 %
Prokurationen
86
0,22 %
Einnahmen aus Bullentaxen
1.441
5,21 %
Legate
88
0,23 %
Prokurationen
64
0,23 %
Diversa
2.252
6,00 %
Legate
140
0,51 %
Spolien
941
3,40 %
Interkalarfrüchte Diversa Summe
38.818
100,00 %
1.067,50
3,86 %
3485,5
12,59 %
27.680
100,00 %
Der Überblick über die Produkte und ihren jeweiligen Anteil an den verzeichneten Einnahmen macht deutlich, dass die Einnahmen insgesamt und die Produkte der einzelnen Einnahmen im Speziellen von Jahr zu Jahr schwanken. Im Rechnungsjahr 1299
12
Baethgen, Quellen, S. 154–158. Zur Überlieferung von päpstlichen Rechnungsquellen am Ende des 13. und Anfang des 14. Jahrhunderts siehe auch Guillemain, Les recettes, S. V–VI.
178
Kurie
stammen mehr als 80 % der Einnahmen aus Servitien, Zahlungen kirchlicher Institutionen (Census) sowie Überschüssen aus der Grafschaft Venaissin, während 1302 die drei genannten Positionen nur noch 63 % der Einnahmen ausmachen. Diese Differenz erklärt sich einerseits durch eine größere Bandbreite an Einnahmequellen und andererseits durch das geringere Produkt der drei Einnahmen. Im Fall des Census liefert der Wegfall des Peterspfennigs für das Jahr 1302 eine Erklärung. Die Servitieneinnahmen und der Überschuss aus der Grafschaft Venaissin, die jeweils nur knapp mehr als die Hälfte (56 % bzw. 52 %) der Einnahmen des Jahres 1299 ausmachen, weisen größere Schwankungen auf. Die Rechnungsbücher aus dem Pontifikat Bonifatius’ VIII. enthalten auch die Ausgaben für den Eigenbedarf, die hier nur unter dem Punkt der Gesamthöhe und ihrer groben Verteilung betrachtet werden sollen: – Für das Pontifikatsjahr 1299/1300 belaufen sich die Ausgaben auf 119.698 Floren, davon 69.142 Floren auf die vier Hofämter und 50.556 Floren auf die übrigen Ausgaben. – Für das Pontifikatsjahr 1302/1303 belaufen sich die Ausgaben auf 91.221 Floren, davon 61.061 Floren auf die vier Hofämter und 30.160 Floren auf die übrigen Ausgaben.13 Vergleicht man die genannten Einnahmen (38.818 bzw. 27.680 Floren) der beiden Jahre 1299 und 1302 mit den oben angeführten Ausgaben (119.698 bzw. 91.221 Floren), erkennt man schnell, dass die verzeichneten Einnahmen nur etwa ein Drittel der entsprechenden Jahresausgaben decken. Dieser Umstand lässt sich dadurch erklären, dass nur solche Beträge zu den Einnahmen addiert wurden, die von den einzelnen Zahlungspflichtigen direkt an die von der päpstlichen Kammer beauftragten Gesellschaften geleistet wurden; also Servitien, Visitationsgebühren, Zinsen kirchlicher Institutionen und Einnahmen aus dem Kirchenstaat sowie Erträge, welche die Kammer direkt erwirtschaftete (Bullengelder, Prokurationen, Interkalarfrüchte, Spolien und Diversa). Alle anderen Zahlungen, die an Ort und Stelle von Kollektoren eingesammelt wurden, wurden separat von den Gesellschaften abgerechnet, die mit Depositen und Transfer der Gelder betraut waren. Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, warum die Rechnungsbücher keine Zehntzahlungen in den Einnahmen des Jahres 1299 verzeichnen und sie auch im Jahr 1302 nicht über 6,22 % der Einnahmen hinausreichen. Diese Beobachtungen haben schon Friedrich Baethgen darauf aufmerksam gemacht, dass bestimmte Zahlungen andernorts abgerechnet worden sein mussten. Allein bei den Einnahmen aus Bullengeldern kann man eine Vollständigkeit anneh-
13
Baethgen, Quellen, S. 125–126.
Einnahmequellen und -struktur des päpstlichen Hofs vor 1316
179
men.14 In ähnlicher Weise geht Friedrich Baethgen von einer hohen Deckungsgleichheit der verzeichneten Servitienzahlungen aus, da auch diese nicht von den Kollektoren berührt wurden.15 Letztere rechneten gesondert mit der Apostolischen Kammer ab und überwiesen ihr nur Überschüsse ihrer Tätigkeit. Einen ersten Hinweis darauf findet Friedrich Baethgen im Rechnungsbuch des Jahres 1299, der besagt, dass weitere Zinszahlungen aus dem Königreich Frankreich erwartet würden, die von den beauftragten Kaufleuten aber in einem anderen Konto für die Kammer geführt würden.16 Diese Abrechnungs- und Buchführungspraxis ist bereits aus dem französischen Beispiel bekannt und muss bei der Bewertung der päpstlichen Hof- und Finanzverwaltung berücksichtigt werden. Wenn die Apostolische Kammer nur Einnahmen und Ausgaben aufzeichnete, die auch von ihr geprüft wurden, wurden Summen an Soll und Haben in den Rechnungsbüchern nicht erfasst.17 Bevor diesen zusätzlichen Einnahmen für die beiden Rechnungsjahre nachgespürt wird, bietet ein vollständig ediertes Rechnungsbuch aus dem Pontifikat Clemens’ V. die Möglichkeit, die bisher gemachten Ergebnisse zu vergleichen und die Entwicklung der Einnahmen in Abständen von zehn Jahren zu beobachten. Den genannten Bezugspunkt bildet das Rechnungsjahr 1309 – von November 1308 bis November 1309. Beginnend mit einem fortlaufenden Verzeichnis der Eingänge der verschiedenen Einnahmen, ohne zwischen den Quellen zu unterscheiden, schließt sich ein Verzeichnis der laufenden Ausgaben an. Die Bilanz des Rechnungsbuchs beläuft sich auf: 71.891/120.997 Floren. Damit weist das Verzeichnis ein Defizit von fast 50.000 Floren auf, was sich aber leicht dank des vorherigen Beispiels und aufgrund des schon bekannten Charakters der kurialen Rechnungsbücher einordnen lässt: Es handelt sich allein um die Kontoführung der Apostolischen Kammer über die eingehenden Einnahmen und laufenden Ausgaben. Auch hier stehen die Einnahmen im Zentrum der Betrachtung (s. Tab. 7).18 Aus dem Überblick der wichtigsten laufenden Einnahmequellen für Clemens V. fällt auf, dass zwei Kategorien mehr als 80 % der verzeichneten Einnahmen produzieren. Dabei handelt es sich erstens um Einnahmen aus Zahlungen von lehnsabhängigen Königreichen, Feudalzinsen und weitere Zahlungen kirchlicher Institutionen
14 15 16 17 18
Baethgen, Quellen, S. 159–160. Siehe Anm. 77. Baethgen, Quellen, S. 158–159. Ebd., S. 152–153. Guillemain, Les recettes, S. XIX–XXII. Die Einnahmen finden sich auch bei Denzel verzeichnet, der den Posten „Lehenszinsen aus Neapel und Sizilien“ extra aufgeführt hat, wodurch die Einnahmen um 27.500 auf 92.887 Floren steigen. Da das Rechnungsbuch aber zu einem Ergebnis von 71.891 Floren inklusive der drei Zahlungen aus Neapel und Sizilien (Nr. 71, 79, 92) kommt, kann dem Vorgehen von Denzel nicht gefolgt werden. Aus diesem Grund weichen nachfolgend auch die Angaben zum prozentualen Anteil der unterschiedlichen Einnahmen zum im Rechnungsbuch verzeichneten Gesamtprodukt von den Ergebnissen Denzels ab.
180
Kurie
Tab. 7 Einnahmen der Apostolischen Kammer in dem Rechnungsjahr 1309 Art der Einnahme
Summe in Floren laut Guillemain
Anteil an der Gesamtsumme
Feudalzins aus dem Kirchenstaat und Begleichung von Schulden aus Lehenszinsen aus Neapel und Sizilien
32.502 (1 gros, 2 petits tournois, 3 deniers de provinois)
45,21 %
Census (teilweise Zinszahlungen, teilweise Exemtionszins)
221
0,31 %
Servitien
25.905
36,03 %
Überschuss aus der Grafschaft Venaissin
4.655
6,47 %
3.490 (1/2 fl., 10 gros)
4,85 %
Visitationsgelder
2.005
2,79 %
Bullentaxen
1.264
1,76 %
Erlöse aus dem Verkauf von Tierhäuten geschlachteter Tiere
484
0,67 %
Zehntzahlungen aus Böhmen, Mähren, Polen, Ungarn und Kastilien
Zwischensumme Summe laut Rechnungsbuch
70.526 71.891, 1 gros tournois
sowie zweitens um Servitienzahlungen.19 Unter den Einzelposten der ersten Gruppe sind dies Zahlungen über insgesamt 32.500 Floren von Robert von Anjou, Karl II. von Anjou sowie des Königs von Trinacria zur Begleichung von Schulden aus ihrem jeweiligen Lehnsverhältnis dem Papst gegenüber.20 Diese Verhandlungen erklären auch, warum diese Position in den beiden Rechnungsbüchern Bonifatius’ VIII. vollständig fehlt. Die Zahlungen aus Neapel und Sizilien wurden unter ihm nur in den seltensten Fällen verzeichnet.21
19
Guillemain, Les recettes, S. XXII. Zu den Versuchen Clemens’ V., die Effizienz der Steuererhebung in den Gebieten des Kirchenstaats zu erhöhen, siehe den Überblick mit weiteren Verweisen bei Sophia Menache: Clement V, Cambridge 1998, S. 132–141. Dabei konnte es sich um reale Geldtransporte handeln, die in einem Fall auch angegriffen wurden. Im Jahr 1309 sollen 100.000 Floren zwischen Bologna und Modena durch Leute von Reggio Emilia erbeutet worden sein. Der päpstliche Rektor der Romagna und Bologna, ein Neffe des Papstes, wurde gefangengenommen und in Modena gepeinigt und getötet. Die Stadt wurde daraufhin mit dem päpstlichen Interdikt belegt, das bis 1327 anhielt; Ebd., S. 150. 20 Vgl. Guillemain, Les recettes, S. XIX–XX und unten Anm. 499. 21 Baethgen, Quellen, S. 162–163.
Einnahmequellen und -struktur des päpstlichen Hofs vor 1316
181
Die zweite Kategorie der wichtigsten verzeichneten Einnahmen bilden die Servitienzahlungen des Rechnungsjahres 1309, bei denen es sich nur um jene Hälfte handelt, die der Apostolischen Kammer zustanden, während das Kardinalskollegium die zweite Hälfte erhielt. Die verzeichneten Einnahmen der Kammer reihen sich in die Angaben ein, die für das Pontifikat Bonifatius’ VIII. vorliegen, da sie bis auf knapp 300 Floren dem Produkt an Servitien des Rechnungsjahres 1299 entsprechen (25.905 vs. 25.616 fl.). Auch anteilig reichten die Servitienzahlungen des Rechnungsjahres 1309 (36,03 %) nicht an jene der Rechnungsjahre 1299 und 1302 (66 % bzw. 52,36 %) heran, was sich aber durch die Einnahmen der vorherigen Gruppe aus Lehns- und Zinszahlungen (Königreich Neapel und Sizilien) erklärt, die in den beiden vorangegangenen Rechnungsjahren ausgefallen waren. Die weiteren Einnahmen schwanken ebenfalls. So liegen die Einnahmen aus Bullentaxen nochmals unterhalb des Levels von 1302, während sie 1299 fast doppelt so hoch ausfielen. Hingegen fallen die Gelder aus Visitationen und Zehntzahlungen, die verzeichnet wurden und die das Resultat langwieriger Missionen oder von Restitutionen waren, im Rechnungsjahr 1309 deutlich höher aus. Letztere machen dennoch nicht mehr als 4,85 % der erfassten Einnahmen der Apostolischen Kammer aus. Wenngleich Clemens V. nicht für eine ausgreifende Politik der Zehntausschreibungen bekannt ist und damit insgesamt mit geringeren Einnahmen aus Zehntzahlungen zu rechnen ist, muss aufgrund der Abrechnungspraxis wie schon im Fall Bonifatius’ VIII. von weiteren Einnahmen aus den schon genannten Quellen ausgegangen werden.22 Aus diesem Grund werden die Einnahmegruppen von Zahlungen von lehnsabhängigen Königreichen, Servitien und Zehnten im Folgenden näher betrachtet. 1. Ordentliche Einnahmen a) Die Einnahmen aus den kirchenstaatlichen Gebieten und der Grafschaft Venaissin Auch die Päpste waren Territorialherren. Als solche bezogen sie Einnahmen aus den sieben Provinzen des Kirchenstaats (Patrimonium Petri mit Rom, Benevent, Campagna Marittima, Dukat von Spoleto, Mark Ancona mit Urbino, Romagna, Bologna).23 22 23
Siehe bereits Guillemain, Les recettes, S. XXI und XXXII–XXXIII sowie Denzel, Kreuzzugssteuer, S. 145–146. Einen Überblick bietet Emil Göller: Die Einnahmen der Apostolischen Kammer unter Johann XXII., Paderborn 1910 (Vatikanische Quellen zur Geschichte der päpstlichen Hof- und Finanzverwaltung 1316–1378, 1), S. 65*–70*; Lunt, Papal Revenues, Bd. 1, S. 59–60. Thomas F. X. Noble, Art.: Patrimonium Sancti Petri, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 6, 1999, Sp. 1792–1793; Hans-Jürgen Becker, Art.: Kirchenstaat, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 2, Sp. 1828–1834. Die sieben Provinzen waren das Produkt einer expansiven Dynamik der Päpste seit Innocenz III., dessen letzte Etappe die Abtretung der Romagna unter Rudolf I. war, der
182
Kurie
Dabei handelte es sich um Überschusszahlungen nach Abzug der laufenden Kosten vor Ort, die durch einen abrechnenden Rektor angewiesen wurden. Das gleiche Verfahren wurde auch bei der Verwaltung der Grafschaft Venaissin angewandt, die regelmäßig in den oben aufgeführten Rechnungen erscheint. Die Erträge der Grafschaft wurden konform der Teilungsregelung ebenso an das Kardinalskollegium abgeführt, wie das Divisionsregister aufzeigt. Bei den Angaben in den Rechnungsbüchern handelt es sich also nur um den Anteil der päpstlichen Kammer. Die Erträge aus den Provinzen des Kirchenstaats wurden unter Bonifatius VIII. wahrscheinlich nicht mit dem Kardinalskollegium geteilt, da das Divisionsregister im Gegensatz zu den Erträgen der Grafschaft Venaissin keine Angaben verzeichnet.24 Clemens V. prägte eine andere Art, mit den Einnahmen umzugehen. Allein aus dem Comtat Venaissin verzeichnet das Rechnungsbuch von 1308 bis 1309 Einnahmen aus einer Provinz der römischen Kirche. Die Erklärung hierfür liefert die Praxis Clemens’ V., die Einnahmen Mitgliedern seiner Familie oder Familiaren zu übertragen, die an die Spitze der italienischen Provinzen gestellt wurden und das Recht genossen, die Überschüsse aus den jeweiligen Gebieten zu beanspruchen.25 Völlig abwesend in der Abrechnung sind Gerichtseinnahmen mit Strafzahlungen, Zöllen und Mauten, Einnahmen aus dem Salzmonopol und aus Geschenken, wobei Letztere in der Summe bedeutender als die eigentlichen Überschüsse sein konnten, wie aus Notizen rekonstruiert werden kann, aber sie waren von Strafprozessen abhängig, die nicht vorhersehbar waren. Angaben zu den Überschusszahlungen und den Ergebnissen von Abgaben und Strafzahlungen sind für das Pontifikat Bonifatius’ VIII. nur einzeln erhalten. Für diesen Zeitraum schätzt Friedrich Baethgen insgesamt die Einnahmen aus den Provinzen und der Grafschaft Venaissin auf 15.000 bis 20.000 Floren pro Jahr, wovon für das Jahr 1299 nur ein Drittel im Rechnungsbuch erfasst wurde. Das Ergebnis der Grafschaft Venaissin des Rechnungsjahrs 1309 liegt mit 4.655 Floren über den Überweisungen der Jahre 1299 und 1302, die sich auf 3.257 bzw. 877 Floren beliefen. Gegenüber den zuletzt genannten beiden Rechnungsjahren fehlen im Abschluss von 1309 Zahlungen (Überschüsse oder Strafzahlungen) aus den Provinzen des Kirchenstaats aufgrund der erwähnten Vergabe an Familienmitglieder und Familiaren vollständig.26 Dies mag auch einer der Gründe sein, warum die italienischen Provinzen des Kirchenstaats in avignonesischer Zeit nur noch geringe Erträge lieferten. Bis dahin wurde vermutet, dass die Päpste aufgrund der Distanz zu den Provinzen keine
24 25 26
gleichzeitig Tuszien unter Wahrung der Reichsrechte als päpstliche Interessenssphäre anerkannte. Zur Abtretung der Toskana als Teil Reichsitaliens kam es dann aber nicht mehr, obwohl Bonifatius VIII. aktiv daran wirkte; Ebd. Baethgen, Quellen, S. 167. Das war der Fall für den Bruder Arnaud-Garsie, seinen Neffen, Bertrand de Got, Bertrand de Raimond-Guilhem de Budos, Amanieu d’Albret, Kardinal Pierre von Spanien; Guillemain, Les recettes, S. XXI. Guillemain, Les recettes, S. XXI.
Einnahmequellen und -struktur des päpstlichen Hofs vor 1316
183
Handhabe mehr gehabt hätten, die Erträge einzufordern.27 Nun erscheint es möglich, dass die Erträge zur Unterhaltung des Netzwerkes der Familiaren eingesetzt wurden. b) Lehnszinsen Durch die Gewährung von Schutz (protectio) und Freiheit (libertas) erhoben die Päpste ein Anrecht auf Zinszahlungen (census) von (a) Kirchen, Klöstern und Orden, (b) von päpstlichen Besitzungen und Kastellen, (c) von zinspflichtigen Königreichen und (d) den Peterspfennig.28 (a) Eine Reihe von Klöstern, Kirchen und Orden waren dem Papst zinspflichtig aufgrund der Gewährung von Schutz oder Freiheit, d. h. Exemtion.29 Bei Letzterem handelt es sich um einen Gnadenerweis des Papstes, der wahrscheinlich von den Kommendierten ausging, und eine Ausgliederung aus der kirchenrechtlichen Zuständigkeit mit unmittelbarer Zuordnung zum Heiligen Stuhl als höherer Instanz bewirkte. Während die Exemtion nicht vor dem 11. Jahrhundert als Institution zu fassen ist, stellt der päpstliche Schutz die ältere Form dar, welche einerseits die Überstellung des Eigentums der betreffenden Institution an den Heiligen Stuhl und andererseits die Zusicherung von Schutz umfasste. Die Abgaben für die Gewährung von Schutz oder Freiheit waren mit Summen unter 300 Floren nicht sehr hoch, wie sich an den Einnahmen der Rechnungsjahre 1302 und 1309 gut nachvollziehen lässt. (b) Eine weitere Gruppe bilden Zinszahlungen mit Gebühren für Exemtion aus einzelnen päpstlichen Besitzungen und Kastellen sowie Abgaben der abhängigen Klöster und Kirchen, deren Produkt aber schwer abzuschätzen ist, da die Abgaben, wie eine Notiz bezüglich der Zinszahlungen aus Frankreich offenbart, teilweise von Kollektoren eingesammelt und separat abgerechnet wurden. Bei den gebuchten Zinszahlungen der oben genannten Rechnungsbücher kann es sich also nur um Teilbeträge handeln.30 (c) Nach den weniger bedeutenden Zinszahlungen kommen nun die fiskalischen Kernstücke. Das Rechnungsbuch des Jahres 1309 macht deutlich, welche fiskalische Bedeutung der Lehnszins des Königreichs Sizilien für die Kurie hatte. Dieser Lehnszins ist wie andere, die noch folgen, auf das Engagement Papst Innocenz’ III. zurückzuführen, der unter dem Impetus der Stärkung der Kirche zum Oberlehnsherrn der Königreiche Sizilien, Aragón, Portugal, Bulgarien und sogar England anerkannt wurde.31 Das Fehlen dieser Einnahmen in den beiden Rechnungsbüchern Bonifatius’ VIII. und 27 Baethgen, Quellen, S. 168–169. Göller, Einnahmen, S. 65*–70*. 28 Allgemein hierzu Göller, Einnahmen, S. 56*–65*; Lunt, Papal Revenues, Bd. 1, S. 61–63. 29 Vgl. Ebd., S. 56*-59*. 30 Baethgen, Quellen, S. 165–166 und Anm. 483. 31 Maleczek,Innocenzo III.,Bd. 2,S. 327–350(auchonlineunterhttp://www.treccani.it/enciclopedia/ innocenzo-iii_(Enciclopedia-dei-Papi)/ (31.08.2022). Deutlich zugespitzter Julien Théry: Innocent III, le rêve de la théocratie, in: Les collections de L’Histoire, 26, 2006, S. 58–61.
184
Kurie
der Ausfall einzelner Zinszahlungen unter Clemens V. werden im Folgenden einzeln besprochen. Nun waren nach der Trennung des Königreichs Sizilien die Anjou sowohl zurückhaltende Zahlungspflichtige als auch große Zahlungsempfänger. Beginnend mit den Zahlungsverpflichtungen steht am Anfang der Lehnszins für das Königreich, der sich für die Anjou nach Verlust der Insel auf 8.000 Goldunzen oder 40.000 Floren belief. Nach dem Prinzip der Teilung dieser Einnahme zwischen päpstlicher Kammer und Kardinalskollegium entfiel auf den Papst die Summe von 20.000 Floren.32 Wie Friedrich Baethgen bereits angemerkt hat, bewegt sich dieser Lehnszins allein nur leicht hinter den durchschnittlichen Servitieneinnahmen. Die Rechnungsbücher machen aber auch darauf aufmerksam, dass der Zins durch die Anjou nur zurückhaltend bezahlt wurde. Zum Antritt des Pontifikats Bonifatius’ hatte sich bereits eine Zahlungsschuld Karls II. angesammelt, die bis zum Jahr 1300 noch weiter anstieg.33 An diesem Punkt hilft erneut das Divisionsregister des Kardinalskollegiums, um nachweisen zu können, dass der Zins doch noch unter Bonifatius VIII. bezahlt wurde. Allerdings wurde er nur ein einziges Mal, im Jahr 1301, vollständig überwiesen.34 Mit der Zahlung ist jedoch die Tatsache verbunden, dass die Gesamtsumme Karl als Darlehen zur Verfügung gestellt wurde und Bonifatius VIII. den Kardinälen zusätzlich ihren Anteil am Zins auszahlte, da die Zahlung sonst nicht Eingang ins Divisionsregister gefunden hätte.35 Dieses Darlehen wurde auf die Zahlungsschuld des Königs angerechnet und belief sich nunmehr auf 93.340 Goldunzen. Ein zweites Mal erscheint eine Zahlung Karls II. in der Überlieferung der päpstlichen Kanzlei sowie in jener des Kollegs. Im Juni 1303 überwies der König 32.000 Carlini, was etwas über 38.000 Floren entsprochen haben mag. Da der Fehlbetrag von beiden Stellen aus reklamiert wurde, ging eine zweite Überweisung ein, die allerdings erst nach dem Tod Bonifatius’ effektiv wurde.36 Bis hierhin war das Haus Anjou für die Zahlung des Lehnszinses für das Königreich Sizilien verantwortlich, obwohl sie faktisch dort nicht herrschten, doch die Übertragung der Zinszahlungen an Friedrich III. von Sizilien hätte eine Anerkennung von dessen Herrschaft über Sizilien bedeutet. Mit dem Friedensschluss von Caltabellotta im
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Baethgen, Quellen, S. 162 mit Anm. 1 und Göller, Einnahmen, S. 62*–63*. Baethgen, Quellen, S. 162 unter Verweis auf Registres de Boniface VIII, Nr. 1104 (22.05.1296) und 4388 (29.06.1301). Baethgen, Quellen, S. 162 mit Anm. 2. Baethgen, Quellen, S. 162 mit Anm. 2–3 unter Verweis auf Registres de Boniface VIII, Nr. 5369 (15.06.1303) und 5370 (29.06.1303) sowie Regestum Clementis V., Nr. 1149 (17.08.1306). Die zweite Zahlung beruht auf der Anfechtung der ersten Zahlung sowohl durch die päpstliche Kammer als auch durch das Kardinalskollegium. Beide akzeptierten nicht den von Karl von Anjou angesetzten Umrechnungskurs von Carlini in Goldunzen und behielten recht, wie die Ausgleichszahlung belegt. Baethgen, Quellen, S. 162 Anm. 4 und S. 163 mit Anm. 1 unter Verweis auf Registres de Boniface VIII, Nr. 5376 (29.06.1303).
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Jahr 1302 änderte sich die Situation und die Summe des Lehnszinses wurde aufgeteilt. Friedrich übernahm als anerkannter König von Sizilien (auch genannt Trincaria) eine Zahlungsverpflichtung von 3.000 Goldunzen oder 15.000 Floren. Um diesen Betrag verminderte sich auch der Zins Karls II. auf 5.000 Goldunzen oder 25.000 Floren.37 Letzterer hatte, wie bereits gesehen, am Fälligkeitstag (festgesetzt wurde das Fest der Apostel Petrus und Paulus am 29. Juni) 1303 fast in vollem Umfang die komplette Jahresrate überwiesen.38 In den folgenden Jahren scheint die neue Jahresrate bezahlt worden zu sein, da die im Jahr 1301 fixierte Gesamtschuld im Jahr 1306 unter Clemens V. immer noch in derselben Höhe angegeben wird.39 Diese Summe wurde 1307 in einer Vereinbarung zwischen Papst und König übernommen, in der Clemens V. ein Drittel der Schuld erließ, da die Kirche „Bedrängten in Notlage zur Hilfe“ komme. Die Restsumme in Höhe von 366.000 Goldunzen wurde in eine neue Schuldvereinbarung übernommen, in der sich Karl II. verpflichtete, eine Annuität von 5.000 Floren in 29 Raten zur Liquidierung der Zahlungsschuld zu zahlen.40 Im Rechnungsjahr 1309 hat sich die Ausgangslage nicht verändert, sodass die Anjou weiterhin einen hohen Zahlungsrückstand aufwiesen. Mit einer Zahlung von 20.000 Floren löste Robert von Anjou (1309–1343), Sohn Karls II., einen sehr geringen Teil der Zahlungsschuld am 18. Juli 1309 ein. Zusätzlich wurde am Tag nach Mariä Himmelfahrt (16. August 1309) eine weitere Annuität von 5.000 Floren im Rechnungsbuch festgehalten.41 Die letzte Zahlung Karls II. für das Königreich Sizilien stand noch aus, als Friedrich III. die Herrschaft übernahm. Der Verpflichtung entzog sich der König jedoch, sodass erst der Nachfolger Bonifatius’, Benedikt XI., eine Zahlung im Jahr 1304 erhielt.42 Friedrich zahlte im Jahr 1309, wie unter Bonifatius VIII. veranschlagt, den Zins von 3.000 Goldunzen vollständig, wovon 7.500 Floren an die päpstliche Kammer gingen.43 Mit Blick auf den Lehnszins des Königreichs Sizilien bzw. den geteilten Lehnszins ist festzuhalten, dass die Anjou bis 1301 eine erhebliche Zahlungsschuld akkumuliert hatten, die erst nach dem Frieden von Caltabellotta getilgt wurde. Regelmäßige Zinszahlungen gingen nachfolgend ab Benedikt XI. ein. Der Apostolischen Kammer wie dem Kardinalskollegium standen weitere Lehnszinsen zu, die von den beiden Königreichen England und Sardinien-Korsika zu
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Baethgen, Quellen, S. 163. Ebd. Siehe Anm. 35 und Regestum Clementis V, Nr. 1149 (17.08.1306). Regestum Clementis V, Nr. 2269. Die Gesamtschuld belief sich im Jahr 1307 auf 93.340 Goldunzen oder 466.700 Floren bei einer Annuität von 5.000 Floren und einer Laufzeit von 29 Jahren. Laut Übereinkunft mit Clemens V. würde die Tilgung dennoch nur 145.000 Floren betragen; Göller, Einnahmen, S. 62*–63*. Guillemain, Les recettes, S. 14, Nr. 79 und S. 15, Nr. 92. Baethgen, Quellen, S. 163 unter Verweis auf Registre de Benoît XI, Nr. 1122 (09.12.1303). Guillemain, Les recettes, S. 12–13, Nr. 71.
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leisten waren.44 Der englische König war seit 1213 dem Papst einen jährlichen Zins von 1.000 Mark Sterling oder 5.000 Floren schuldig, wovon 700 Mark auf England und 300 Mark auf Irland entfielen. Hintergrund war der Streit zwischen Innocenz III. und Johann Ohneland (1199–1216) um die Besetzung des Erzbistums von Canterbury. Dabei zögerte der Papst nicht, auf das Instrument des Interdikts zurückzugreifen und den König zu exkommunizieren. Nachdem Johann sich dem päpstlichen Willen ergab, erzwang Innocenz III. die vollständige Unterstellung des Königreichs unter die päpstliche Hoheit: Johann hatte die Schäden an den Kirchen zu beheben, die während des Konflikts in Mitleidenschaft gezogen worden waren, und sich als Vasall dem Heiligen Stuhl zu unterstellen.45 Trotz der finanziellen Schwierigkeiten und zusätzlichen finanziellen Verpflichtungen beim Heiligen Stuhl unter Heinrich III. wurde der Lehnszins regelmäßig gezahlt. Diese Zustimmung fiel unter Eduard I., der die finanziellen Probleme seines Vaters erbte und den königlichen Haushalt durch zahlreiche Kriege immer wieder belastete. Im März 1301 musste Bonifatius VIII. ihn ermahnen, dass er schon mit elf Annuitäten im Rückstand sei und immer noch nicht bezahlt habe. Mehr noch werden die Kollektoren in ihrer Arbeit behindert, weshalb daran zu zweifeln sei, ob der König überhaupt Annuitäten zahlen wolle.46 Es bleibt zu konstatieren, dass zwischen 1290 und 1314 der Zins nicht geleistet und er seit 1333 kategorisch abgelehnt wurde.47 Die Situation stellt sich für die Zinszahlungen aus Sardinien-Korsika ähnlich schwierig dar. In Nachfolge des illegitimen Sohns Kaiser Friedrichs II., Enzio (1239– 1249), der die Erbin des größten Teils von Sardinien 1238 heiratete und in der Folge von seinem Vater zum König von Sardinien ernannt wurde48, übertrug Bonifatius VIII. im Jahr 1297 König Jakob II. von Aragón die Insel als Lehen, das es von Genua und Pisa zu erobern galt. Die Kämpfe sollten bis 1323 anhalten. Für beide Inseln hatte Jakob II. einen Zins in Höhe von 2.000 Mark Sterling oder 10.000 Floren in Aussicht gestellt. Tatsächlich erfolgte die erste Zahlung zwei Jahre nach der Eroberung im Rechnungs-
44 Der Anteil des Kardinalskollegiums an den Zinszahlungen wird, wie Friedrich Baethgen bereits zeigt, auch dadurch bewiesen, dass Bonifatius VIII. den Chiarenti und Spini bestätigt, dass ihnen 3.000 fl. bzw. 3.860 fl. vom Kardinalskollegium zustehen und dass sie einigen Kardinälen der Fraktion der Colonna ein Darlehen gewährt haben. Der Papst werde die Kardinäle bitten, das Darlehen aus ihrem Anteil des Zinses aus Sizilien und England zu begleichen. Vgl. Baethgen, Quellen, S. 164 Anm. 1 unter Verweis auf Registres de Boniface VIII, Nr. 1940 (30.07.1297). 45 Vgl. Christopher R. Cheney: Pope Innocent III and England, Stuttgart 1976. 46 Baethgen, Quellen, S. 163. Basierend auf Registres de Boniface VIII, Nr. 4331–4333 (18.– 19.03.1301). Der Zins wurde den Gesellschaften der Spini, Mozzi und Chiarenti zugesprochen. 47 Benedikt XI. machte einen erneuten Versuch, den Zins einzufordern; Baethgen, Quellen, S. 163 unter Verweis auf Registre de Benoît XI, Nr. 1218 (15.02.1304). Zum weiteren Verlauf siehe Cheney, Pope Innocent III. 48 Antonio Ivan Pini, Art.: Enz(i)o, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 3, 1999, Sp. 2030–2031; Wolfgang Stürner: Friedrich II. 1194–1250, 3., bibliogr. vollst. aktualis. u. um ein Vorwort u. eine Dokumentation mit erg. Hinweisen erw. Aufl. in einem Band, Darmstadt 2009, S. 458–465.
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jahr 1325.49 Für die Apostolische Kammer bedeutete dies, dass das Königreich Sardinien mit Korsika als Zahler ausfiel, da es noch vollständig zu erobern war. (d) Eine weitere Einnahmequelle, die zu den Zinszahlungen gezählt wird und Bonifatius VIII. und seinen Nachfolgern zur Verfügung standen, war der Peterspfennig. Die entsprechenden Erträge hätten mit dem Kolleg geteilt werden müssen, was Bonifatius VIII. aber sehr wahrscheinlich umging, da das Divisionsregister darüber schweigt, während die Beträge in der Apostolischen Kammer voll gebucht wurden. Unter Benedikt XI. normalisierte sich die Situation wieder.50 Das verbuchte Produkt des Peterspfennigs unter Bonifatius VIII. stammte von den englischen Inseln, dessen Klerus, der für den Peterspfennig aufkam, aber genauso wenig zahlungswillig war wie sein König. Benedikt XI. wandte sich an den Klerus, um Zahlungen seit Nikolaus IV. zu erwirken, und unter Clemens V. bestanden weiterhin Rückstände an Zahlungen des Peterspfennigs.51 Auch aus Nord-, Mittel- und Osteuropa wurde noch unter Bonifatius VIII. im Jahr 1301 ein Peterspfennig eingefordert, der aus Skandinavien52 und in Polen zusammen mit Rückständen des Lyoner Zehnten eingesammelt wurde. Da der Kollektor auch noch Rückstände in Böhmen, Mähren und Ungarn einsammelte, wurden die Beträge erst unter Clemens V. im oben zusammengestellten Rechnungsjahr 1309 verbucht.53 Eine Zwischenbilanz: Die diversen kleineren Zinszahlungen (a und b) und den Peterspfennig (d) bilanziert Friedrich Baethgen mit rund 5.000 Floren pro Jahr, die der päpstlichen Kammer potenziell zur Verfügung gestanden hätten. Die päpstlichen Ansprüche auf Lehnszahlungen der Königreiche Sizilien, England und Sardinien-Korsika (c) hat er auf 20.000 Floren für Sizilien, 5.000 Floren für England und 10.000 Floren für Sardinien-Korsika pro Jahr beziffert. Während des Pontifikats Bonifatius’ VIII. standen diese Ansprüche aber nie in der Summe zur Verfügung, weil sie verweigert oder aufgrund von Konflikten ausgesetzt wurden. Während die Ansprüche auf Zahlungen aus England ab dem Pontifikat Bonifatius’ VIII. verloren gehen, muss sich Letzterer aktiv dafür einsetzen, dass nicht Gleiches mit den regulären Lehnszahlungen der Königreiche Sizilien und Neapel geschieht. Diese Anteile zusammen mit einzelnen Zahlungen kann Bonifatius VIII. sichern, doch in den Genuss der Ausgleichszahlungen infolge des von ihm ausgehandelten Friedens von Caltabellotta kommt erst Clemens V.
49 Baethgen, Quellen, S. 163. 50 Vgl. Baethgen, Quellen, S. 164–165. 51 Baethgen, Quellen, S. 165 unter Verweis auf Registre de Benoît XI, Nr. 1216 (15.02.1304) und Regestum Clementis V, Nr. 10011 (08.03.1313). Siehe auch Erich Maschke: Der Peterspfennig in Polen und dem deutschen Orden, Berlin, Boston 2021 (ND 1933) (Schriften des Kopernikuskreises Freiburg im Breisgau, 11), Kap. 1, https://doi.org/10.1515/9783112491546 (31.08.2022). 52 Baethgen, Quellen, S. 165. Göller, Einnahmen, S. 61*–62*. 53 Baethgen, Quellen, S. 165 mit Anm. 5 und oben Anm. 485 unter Verweis auf Registres de Boniface VIII, Nr. 4409; Registre de Benoît XI, Nr. 1155 (11.02.1304) und Regestum Clementis V, App. I, Nr. 449.
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Das Ergebnis der Zwischenbilanz beläuft sich auf rund 30.000 bis 35.000 Floren (in Abhängigkeit der Ansprüche an das englische Königreich) aus Lehns- und Zinszahlungen, welche allein an die Apostolische Kammer hätten abgeführt werden müssen. c) Visitationen, Prokurationen, Interkalarfrüchte und Spolien sowie Diversa Jenseits der Zinszahlungen führen die Rechnungsbücher weitere Einnahmequellen auf, die zu den ordentlichen Einnahmen der Apostolischen Kammer gehören und in der Literatur zusammenhängend behandelt werden: Visitationen, Prokurationen, Interkalarfrüchte, Spolien. Die jeweiligen Positionen in den Rechnungsbüchern zeigen an, dass Bonifatius VIII. und Clemens V. Rechte geltend machten, die sie im Fall der Visitationen von den Prälaten übernahmen, und in Ansätzen in Einnahmen umwandelten, wenngleich sie teilweise quantitativ keine große Bedeutung besaßen. Visitationen sind eng mit der Vergabe der Exemtion verbunden, wenngleich die Gebühren hierfür zusammen mit dem Zins kirchlicher Institutionen abgerechnet wurden. Seit dem 11. Jahrhundert, ausgehend von Cluny und seit dem 13. Jahrhundert von den Bettelorden, entstand die Praxis der Verleihung von Privilegien der Exemtion durch die Päpste an Kirchen, Kollegien, Klöster, Kapellen, Hospitäler und Kathedralkapitel. Damit waren sie ausgenommen vom Recht des Besuchs ebensolcher Institutionen in seinem Sprengel durch den Bischof, um die kirchlichen Zustände zu überwachen, das hierarchische Band der Kirche zu festigen und beides nötigenfalls durch Bestrafung und Korrektur durchzusetzen. Auch der Papst konnte Visitationen veranlassen.54 Die Gelder aus Visitationen standen der päpstlichen Kammer wie dem Kardinalskollegium zu und wurden für das Pontifikat Bonifatius’ VIII. auch paritätisch abgerechnet und im Divisionsregister des Kollegiums zusammen mit den Servitieneinnahmen verbucht.55 Aus diesem Grund erscheint es zweckdienlich, die Einnahmen aus Visitationen zusammen mit den Servitien zu besprechen. Prokurationen beschreiben das Prinzip, dass für abgeordnete Gesandte des Papstes (legati, nuntii, cursores etc.) Kost und Logis bereitgestellt werden musste, was eventuell durch eine Geldzahlung abgeleistet werden konnte. Für die nuntii wurden die Tagessätze genau festgelegt, weshalb die Prokurationen gerade die Reisekosten gedeckt haben dürften. Bei den Kardinalnuntien und -legaten stellte sich die Situation anders dar, da sie das Recht besaßen, die Prokurationen über alle Kirchen ihrer Legation zu erheben. Dies führte, trotz eines kostenreichen Lebensstils, zu Überschüssen, die unter Clemens V. zur Folge hatten, Kardinallegaten von Unterhaltszahlungen an der
54 55
Lunt, Papal Revenues, Bd. 1, S. 91–93; Richard Puza, Art.: Visitation, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 8, 1999, Sp. 1748–1751. Baethgen, Quellen, S. 160–161.
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Kurie auszuschließen.56 Vor diesem Hintergrund ist das Verfahren Bonifatius’ VIII. singulär, die Prokurationen von zwei Legaten nach Frankreich und England, die den Auftrag hatten, die Bedingungen des Kreuzzugsprojekts und der Zehntzahlungen zu verhandeln, für die päpstliche Kammer in Anspruch zu nehmen, während er den Legaten nur einen bestimmten Tagessatz zugestand und auszahlen ließ.57 Der Überschuss dieser Operation findet sich ebenso wie Überschüsse aus allen anderen Prokurationen als Einnahmen in beiden Rechnungsjahren. Die Beträge belaufen sich auf Summen um 100 Floren. Diese Zahlungen waren aber nicht vollständig, da noch Benedikt XI. und Clemens V. von Rückständen aus Prokurationen des unter Bonifatius VIII. nach England ausgesandten Legaten klagten.58 Parallel dazu zeigt das einzelne Rechnungsjahr 1309, dass keinerlei Einnahmen aus Prokurationen gebucht wurden. Die im Rechnungsjahr 1302 aufgeführten Interkalarfrüchte sind singulär, da sie der päpstlichen Kammer das erste Mal zugutekamen. Dabei handelte es sich um einen Einzelfall, nämlich die Pfründe der Kathedrale St. Agatha von Catania, die ausweislich als vakant galt, doch sollten die Suche nach vakanten Benefizien und die Einziehung ihrer Früchte während der Vakanz in avignonesischer Zeit eine wichtige Aufgabe von Kollektoren werden.59 Zwei weitere kleinere Posten sind mit dem Spolienrecht und dem Bereich Diversa noch zu nennen.60 Insgesamt beziffert Friedrich Baethgen das Produkt von Prokurationen, Interkalarfrüchten, Spolien und anderen Diversa für die päpstliche Kammer auf die hoch angesetzte Summe von 20.000 Floren pro Jahr.61 Idealtypisch würden sich die von Friedrich Baethgen gemachten Schätzungen der ordentlichen Einnahmen eines normalisierten Einnahmenjahrs unter Bonifatius VIII. folgendermaßen addieren (s. Tab. 8):62 56 Siehe hierzu jetzt grundlegend Pascal Montaubin: Les procurations des légats pontificaux, principalement dans le royaume de France au XIIIe siècle, in: Maleczek (Hg.), Römische Kurie, S. 261–336, hier 309–310. 57 Siehe hierzu Baethgen, Quellen, S. 169 mit Anm. 3 und 4; Lunt, Papal Revenues, Bd. 1, S. 125. 58 Baethgen, Quellen, S. 169 mit Anm. 4 unter Verweis auf Registre de Benoît XI, Nr. 1213 (15.02.1304) und Regestum Clementis V, Nr. 10037 (26.09.1313) 59 Baethgen, Quellen, S. 170; Lunt, Papal Revenues, Bd. 1, S. 99–101. 60 Spolien bilden im Kirchenrecht der Nachlass eines Klerikers, auf den Fürsten, Bischöfe oder der Papst Anrecht erheben; Richard Puza: Art. Spolienrecht, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 7, 1999, Sp. 2131–2132; Baethgen, Quellen, S. 170. Im Rechnungsjahr 1302 wurden immerhin etwas weniger als 1.000 fl. aus der Hinterlassenschaft des Bischofs von Parma gebucht. Auch hier bereitet es Schwierigkeiten, Gelder aus dem Besitz des Bischofs in England auszuführen; vgl. Ebd. Unter Bonifatius VIII. fällt ein anderer Fall der Beschlagnahmung des Vermögens eines verstorbenen Prälaten. Dabei handelt es sich um den Bischof Hugo von Toulouse, der am 2. Dezember 1296 an der Kurie ohne Testament starb. In einem Vergleich musste Bonifatius die gesamte Erbschaft aber mit Philipp IV. von Frankreich teilen; vgl. Ebd., S. 171. Der Bereich Diversa entstammt der üblichen Haushaltsführung des Hofes, worunter sich verschiedene Restitutionen und der Verkauf von Tierhäuten auszeichnen, die der Schlachtung in der höfischen Küche entstammen. Baethgen, Quellen, S. 155–158. 61 Baethgen, Quellen, S. 172; Lunt, Papal Revenues, Bd. 1, S. 101–111. 62 Baethgen, Quellen, S. 172.
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Kurie
Tab. 8 Schätzung der ordentlichen Einnahmen unter Bonifatius VIII. (Baethgen) Einnahmen aus dem Kirchenstaat Diverse Zinseinnahmen
20.000 fl. 5.000 fl.
Prokurationen, Interkalarfrüchte, Spolien und Diversa
20.000 fl.
Lehnszinsen (Sizilien, England, Sardinien-Korsika)
35.000 fl.
Summe
80.000 fl.
2. Außerordentliche Einnahmen a) Servitien und Annaten Formell den außerordentlichen Abgaben zugesprochen, kamen Servitien und Annaten der päpstlichen Kammer direkt zu und entwickelten sich im 14. Jahrhundert zu einer regulären Einnahmequelle der Kurie.63 Servitien wurden ursprünglich als Spenden verstanden, die zu einer Abgabe an die päpstliche Kammer und das Kardinalskollegium wurden und die aus den Einnahmen der im Konsistorium verliehenen Benefizien (Bistümer und Abteien) einzulösen war. Um die Abgabe zu gewährleisten, wurden die Ernennungsbullen erst ausgehändigt, nachdem der Providierte versprochen hatte, seiner Verpflichtung (obligatio) innerhalb einer bestimmten Frist nachzukommen. Der größte Teil der Servitien entstammte den servitia communia, die von Bischöfen und Äbten von den Erträgen des ersten Jahres (annatae = fructus medii anni) jener Benefizien zu leisten waren, die wenigstens 100 Floren als jährliche Einkünfte abwarfen. Der Tarif pendelte sich erst in avignonesischer Zeit auf ein Drittel der Erträge des ersten Jahres der Stelle (annatae = fructus medii anni) ein, der sich später noch verringerte. Demgegenüber wurde bei niederen Pfründen der gesamte Ertrag fällig. Vor diesem Hintergrund erklärt sich ein Phänomen von Metonymie durch die Übernahme der Bezugsgröße der Abgabe, nämlich die Erträge eines Jahres (annatae), zur Bezeichnung aller bei der Neubesetzung einer Pfründe anfallenden Abgaben (servitiae) an die Apostolische Kammer und das Kardinalskollegium. Mit den communia wurden auch die servitia minuta (sogenannte Kanzlei-Sporteln) fällig, bei denen es sich um eine Abgabe für die Beamten der Kanzlei (in Höhe von 3,5 bzw. 5 % des päpstlichen Anteils der servitia communia) handelte und die zusammen mit den Anteilen für päpstliche Kammer und Kardinalskollegium beglichen werden musste. Daneben gab es noch die servitia quindennia, die ebenfalls an die Beamten der Kanzlei (in Höhe von 3,5 bzw. 5 % der servitia communia) abzuführen oder im Zyklus von 15 Jahren von inkorporierten Pfründen zu zahlen war. Der päpstliche Anteil
63
Lunt, Papal Revenues, Bd. 1, S. 81–99; Hoberg, Taxae.
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191
der Einnahmen aus Servitien wurde ab dem 14. Jahrhundert in den Introitusregistern des päpstlichen Thesaurars verbucht, bei denen es sich um genau jene Verzeichnisse handelt, die mit Blick auf die Einnahmen der päpstlichen Kammer oben ausgewertet wurden. Entscheidend für die Entwicklung der Servitienzahlungen als umfänglicher Einnahmequelle war die Bedingung, dass die Vergabe der höheren Pfründe der päpstlichen Zustimmung bedurfte.64 In weiten Teilen des 13. Jahrhunderts fielen sie nicht regelmäßig an, weil die Bestätigung durch den Papst nach kanonischem Recht nur in wenigen Fällen nötig war. Nikolaus III. weitete die verpflichtende Prüfung bzw. Bestätigung des Kandidaten auf alle Metropolitan- und Kathedralkirchen und die dem Apostolischen Stuhl direkt unterworfenen Klöster aus. Kanonische Wahlen wurden vorgeschrieben, deren Ergebnisse dem Papst angezeigt werden mussten, sodass die Möglichkeit bestand, die Providierten zu bestätigen. Einen Schritt weiter ging Bonifatius VIII., der neben anderen Pfründen auch alle französischen Diözesen reservierte und damit jeden Kandidaten seiner Bestätigung unterwarf. Über diese Fälle hinaus dehnte Bonifatius VIII. die päpstlichen Reservationsrechte auf die Besetzung von Bistümern aus, deren Kapitel ihr Wahlrecht verloren hatten. Die gleichen Rechte sicherte er sich für Pfründe, die zwei gesetzliche Tagesreisen von der Kurie entfernt waren. Der nächste Kasus einer verpflichtenden päpstlichen Zustimmung, der unter Clemens V. angeführt wurde, um die Reservationsrechte des Papstes zu erhöhen, war die Vakanz aller Benefizien, die durch den Tod von Patriarchen, Erzbischöfen, Bischöfen, Äbten und Prioren an der Kurie eintrat. Der Tod von Nuntien, ganz gleich an welchem Ort, wurde 1308 in die Liste zustimmungspflichtiger Fälle aufgenommen. Im Jahr 1312 wurden die Pfründe der Kardinäle, Kapläne, Familiaren und Beamten an der Kurie der Abgabe unterworfen. Des Weiteren bildete sich zunehmend der Grundsatz aus, dass der Papst in Streitfällen immer intervenieren konnte, was eine Abgabe für die Prüfung des Falls nach sich zog. Die bisher genannten Regeln wurden unter Johannes XXII. (1316–1334) zusammengestellt und bestätigt, damit sie auch über die Dauer der bisherigen Pontifikate Gültigkeit behielten. Gleichzeitig fügte der nur noch in Avignon residierende Papst den Kasus hinzu, dass die Abgabe bei Besetzung von höheren wie niederen Pfründen fällig wurden, wenn die Pfründe aufgrund von Todesfall, Absetzung eines Klerikers und Maßnahmen des Heiligen Stuhls vakant geworden war. Im Zentrum der Abgabe stand der persönliche Eid des Klerikers, womit sich der Providierte zur Zahlung verpflichtete (obligatio). Diese ‚Obligation‘ besaß nicht nur eine persönliche und kanonisch-rechtliche, sondern auch eine finanzielle Dimension, indem der Providierte sich zwar vor Ort in vollem Umfang seiner Verpflichtung
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Vergleiche im Folgenden Denzel, Kurialer Zahlungsverkehr, S. 78–83 und Denzel, Kreuzzugssteuer, S. 137–140.
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entledigte, dafür aber ein Darlehen bei den mit der Kurie verbundenen italienischen Kaufleuten und Bankiers aufnahm. Ein solches Kreditgeschäft ist in den päpstlichen Registern vermerkt, da die Transaktion nur unter der Bedingung durchgeführt werden konnte, dass der Papst das Geschäft erlaubte. Eine solche päpstliche Genehmigung bot zugleich eine exzellente Zahlungsgarantie für die Kreditgeber, da sie auch den Nachfolger eines Benefiziums verpflichtete, die Verbindlichkeiten des Vorgängers anzuerkennen. Für die Entwicklung des kurialen Zahlungsverkehrs unter Einbindung der Gesellschaften wird diese Maßnahme als entscheidend bewertet, da die Geistlichen bei Abschluss einer Anleihe eine Verpfändung für sich selbst, ihre Nachfolger und ihre Kirche mit päpstlicher Sanktion abgaben. Die Verpflichtung nicht nur des Geistlichen, sondern auch seiner Nachfolger und seiner Kirche, erklärt sich allein durch die Erlaubnis, die der Papst diesem Geschäft erteilen musste, womit auch die einzelnen Kirchen gezwungen waren, die Verbindlichkeiten ihres Rektors anzuerkennen. Gleichzeitig verzichtete der Geistliche auf seine Vergünstigungen und Privilegien, die ihn von seinen Verpflichtungen befreien konnten. Sollte der Geistliche nach Verstreichen des Rückzahlungstermins seinen Verpflichtungen nicht nachkommen, hätte er für den Schaden aufzukommen, den er den Gläubigern verursachte. Die eingesetzten Mittel der Gesellschaften waren fernerhin dadurch geschützt, dass Letztere nicht dazu gezwungen werden konnten, auf ihre Gelder zu verzichten, auch nicht zugunsten der Kirche. Schriftlicher Beweis dieses Kreditgeschäfts waren die registrierte obligatio des Geistlichen und das Instrument der öffentlich an der Kurie eingegangenen Schuld. Zusätzlich bestellte der Papst jeweils einen Exekutor, der über die Einhaltung der Schuld wachte und Zwangsmaßnahmen (Absetzung, Exkommunikation) veranlassen konnte. Päpstliche Exekutoren finden sich ab der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, die anfänglich aus verschiedenen Gruppen rekrutiert wurden, wobei meist ein Abt mit Bezug zu einer Messestadt zur Gruppe gehörte, die seit 1285 drei Personen umfasste und ungeachtet deren Standes gegen hohe (Patriarchen, Erzbischöfe, Bischöfe) wie niedere (Äbte, Prioren, Regularkleriker) Prälaten vorging. Dieses Verfahren wollte Nikolaus IV. reformieren und stärker unter die Kontrolle der Apostolischen Kammer und ihres Personals stellen. Die Schuldverfahren der höheren Prälaten sollten nur noch von der Kammer behandelt werden. Diese Zentralisierungstendenz wurde abgewiesen und am Ende wurde dem Vorschlag des Papstes nur insoweit entsprochen, als dass die Kleriker der Kammer und Kaplane der Kurie von nun an in allen Fällen den Vorsitz übernehmen sollten.65 Die Dreiergruppe der jeweiligen Exekutoren wurde durch Geistliche ergänzt, die aus der Stadt des Sitzes der jeweiligen Gläubiger stammten und vor Ort den Gesellschaften als Ansprechpartner dienten. Die Exekutoren unterhielten sowohl zur Kurie als auch zu den Gesellschaften gute Kontakte, für die sie regelmäßig tätig waren,
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Schneider, Beziehungen, S. 57.
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ohne sich auf eine Gesellschaft zu spezialisieren. Dabei scheinen die Gesellschaften gewisse Präferenzen für den einen oder anderen Geistlichen bzw. Kirche/Abtei gehabt zu haben, da sich dadurch gewisse Unterschiede in der Selektion der Exekutoren am einfachsten erklären lassen. Durch das Verfahren mittels Exekutoren wurde die Sicherheit der Gesellschaften auf Zahlung ihrer Außenstände erhöht. Aus diesem Grund griffen sie auf dieses Verfahren auch für Kredite außerhalb der Kurie zurück, wenn eine größere Anzahl Schuldner geistlichen Standes nicht zahlen konnte.66 Die Exekutoren wurden auf Wunsch der Gesellschaften bestellt und beauftragt, jeweils an einem Ort Kläger und Angeklagte zu vernehmen. Die vielen Gesuche von Geistlichen um Aufschub der Zahlungspflicht, die in den päpstlichen Registern verzeichnet sind, zeugen davon, dass die Zahlungen nicht immer termingerecht erfolgten. Die oben durchgeführte stichprobenartige Analyse der anfallenden obligationes des Jahres 1308/1309 zeigt eine Bandbreite möglicher Fälle auf.67 Ähnliches findet sich bereits unter Bonifatius VIII. In einem Fall musste ein Teil der Schuld direkt gezahlt werden, während die Restzahlung auf einen anderen Zahlungstermin verschoben wurde.68 Eine weitere Möglichkeit war die Weitergabe der Schuld: So durfte der Abt von Camaldoli seine Schuld auf seinen ganzen Orden abwälzen.69 Gleiches wurde dem Abt von Cluny erlaubt.70 Ein anderes Instrumentarium bestand darin, eine Schuld zu stunden, wobei von Bedeutung war, ob die Schuld an der Kurie oder außerhalb aufgenommen worden war. Dem Abt von Saint-Antoine bei Vienne wurde im Juni 1299 erlaubt, seine Schulden während fünf Jahren auszusetzen, mit der Ausnahme von Verpflichtungen, die der Abt für Geschäfte an der Kurie eingegangen war.71 Dieses Verfahren deutet auf den besonderen Rechtsschutz der Kaufleute der Kurie und ihrer Geschäfte hin, der es ermöglichte, nicht nur wegen Nichtbezahlung zu klagen, sondern auch seine Forderungen dank der päpstlichen Exekutoren durchzusetzen. Bei Zahlungsproblemen oder Zahlungsausfällen forderten die Päpste aktiv die Begleichung der Außenstände der Geistlichen bei den Gesellschaften ein. Weiterhin standen den Päpsten und damit den Exekutoren seit dem Erlass von Nikolaus IV. verschiedene Druckmittel zur Verfügung, um eine Zahlung zu erwirken.72 Das maximale Drohmittel bestand aus dem Interdikt, das nach Verstreichen eines Aufschubs ausgesprochen werden konnte. Damit wurde im Fall von insolventen Geistlichen eine maximale Strafe angewandt, ohne eine Rückzahlung der Schulden zu erwirken. Gleiches 66 67 68 69 70 71 72
Schneider, Beziehungen, S. 57 unter Verweis auf Registres de Boniface VIII, Nr. 1296 (15.08.1206), 2026 (30.07.1297). Siehe Anm. 82. Registres de Boniface VIII, Nr. 1347 (11.10.1296). Ebd., Nr. 2805 (27.11.1298). Ebd., Nr. 2803 (17.07.1298). Ebd., Nr. 3166 (27.06.1299). Schneider, Beziehungen, S. 58–59.
194
Kurie
galt im Fall der Exkommunikation eines betrügerischen Geistlichen, dessen Begleichung der Schulden trotz des Banns schwierig zu gestalten war. Gegenüber diesem maximalen Vorgehen legten die Exekutoren meist den Schwerpunkt auf den praktischen Aspekt der Schuldeneintreibung. Auf einen Aufschub folgte nun nicht das Interdikt, sondern die Beschlagnahmung von drei Viertel seines Einkommens durch die Exekutoren. Mit dem verbleibenden Viertel sollte der Lebensunterhalt des Geistlichen gewahrt bleiben. War es darüber hinaus erwiesen, dass der Geistliche in böser Absicht gehandelt hatte, war es möglich, ihn des Amtes zu entheben und ihn an die Kurie vorzuladen. Aus Rom sollte er so lange nicht abreisen können, wie er seine Schulden nicht beglichen hatte. Sollte er an der Kurie versterben, ging die Schuld, wie im Schuldschein vermerkt, an seinen Nachfolger über. Die Zahlungsverpflichtungen wurden ab dem 13. Mai 1295 bis zum 22. März 1455 in den Libri obligationum der päpstlichen Kammer verschriftlicht, wobei die vergebene Pfründe, das Datum der Zahlungsverpflichtung, der Name des Klerikers, die Höhe der Taxe nach dem Liber Censuum oder Liber taxarum, der Zahlungstermin und der Empfang des Geldes eingetragen wurden.73 Drei Vorbemerkungen sind bei der weiteren Analyse zu berücksichtigen.74 Die Libri obligationum, wie sie dank der Arbeit von Hermann Hoberg aus dem Jahr 1949 vorliegen, gehen erstens teilweise auf die Divisionsregister zurück. Zusätzlich hat Hermann Hoberg in seinem Verzeichnis der obligationes auch Angaben aus den Kanzleiregistern der jeweiligen Päpste und anderer Regestenwerke übernommen, sodass die Angaben über die Zahlungsverpflichtungen in seiner Edition über die Verzeichnisse der Libri obligationum hinausreichen.75 Zweitens kann eine zeitliche Differenz zwischen der Erfassung und der Auflösung der Verpflichtung vergehen. Erst wenn die gezahlte Summe in die Introitusregister des päpstlichen Thesaurars verbucht wurde, bildete sie auch eine Einnahme für die päpstliche Kammer. Die verbuchten Summen können drittens wiederum mit den unedierten Divisionsregistern des Kardinalskollegs verglichen werden, um zu kontrollieren, ob weitere Zahlungen neben den Introitusregistern verbucht wurden, da sich die verzeichneten Summen aufgrund der Teilung der Servitienzahlungen in gleicher Höhe in den Divisionsregistern des Kardinalskollegiums wiederfinden müssten.76 Eine solche Überprüfung haben Friedrich Baethgen für die Rechnungsbücher Bonifatius’ VIII. und Bernard Guillemain für das Rechnungsbuch Clemens’ V. vorgenommen und gezeigt, dass die in den Rechnungen des Thesaurars verbuchten Servitieneinnahmen bis auf kleinste Abweichungen mit dem Divisions73 74
75 76
Hoberg, Taxae, S. XIV–XVII. Eine systematische Auswertung der Edition von Hermann Hoberg für die Pontifikaten von Bonifatius VIII., Benedikt XI. und Clemens V. wurde bereits von Markus Denzel (Leipzig) durchgeführt. Seine Studien dienten mir als Inspiration, im Detail komme ich aber zu leicht unterschiedlichen Ergebnissen, auf die jeweils hingewiesen wird; vgl. Denzel, Kurialer Zahlungsverkehr; Ders., Kreuzzugssteuer, S. 140–149. Ebd. und hierzu schon Baethgen, Quellen, S. 119 mit Anm. 2 und S. 160–161. Baethgen, Quellen, S. 160–161. Hierzu auch Hoberg, Servitientaxen, S. 101.
Einnahmequellen und -struktur des päpstlichen Hofs vor 1316
195
register übereinstimmen.77 Aus Sicht der Bilanzierung der Einnahmen steht man hier also auf festem Grund. Fernerhin ermöglicht das Divisionsregister, das für das gesamte Pontifikat Bonifatius’ VIII. vorliegt, eine Gesamtbilanz der Einnahmen aus Servitienzahlungen vorzunehmen.78 Da Letztere im Divisionsregister zusammen mit den weiter oben genannten Visitationsgeldern verbucht wurden, die ebenfalls anteilig an das Kardinalskollegium gezahlt wurden, fällt die Summe um diesen Anteil höher aus. Insgesamt gingen 243.516 Floren ein, was einen jährlichen Durchschnitt von rund 27.000 Floren ergibt, die jeweils dem Kardinalskollegium zukamen – und damit auch der päpstlichen Kammer.79 Übernimmt man diesen Durchschnittswert und vergleicht ihn mit den verbuchten Einnahmen für die Rechnungsjahre 1299 (25.616 Floren) und 1302 (14.492 Floren), wird deutlich, dass die Einnahmen an Servitienzahlungen und Visitationsgeldern des Jahres 1299 leicht, jene des Jahres 1302 deutlich unter dem Durchschnitt lagen. Die bisher vorgenommene Bilanzierung der Summen sagt jedoch noch nichts darüber aus, in welchem, insbesondere zeitlichen, Verhältnis die Zahlungen mit dem Rechnungsjahr stehen, wovon die vorgebrachte Beurteilung der Effizienz der Einnahmeart abhängt.80 Zu ihrer Überprüfung bietet es sich an, die in der Edition von Hermann Hoberg verzeichneten Verpflichtungen der Bischöfe, Äbte und anderer Prälaten für die beiden Rechnungsjahre zusammenzustellen und die Höhe der Verpflichtungen mit den zuvor genannten Einnahmen zu vergleichen. Auf dieser Grundlage ergibt sich, dass Verpflichtungen in Höhe von 52.380 Floren (1299) bzw. 55.758 Floren (1302) aufgenommen wurden. Da die Verpflichtungen sowohl den Anteil des Kardinalskollegiums als auch jenen der Apostolischen Kammer umfassen,81 ist es nötig, die Summen zu dividieren. Auf diese Weise kann der Anteil der Apostolischen Kammer an den Verpflichtungen des jeweiligen Rechnungsjahres ermittelt werden: 26.190 Floren für das Rechnungsjahr 1299 bzw. 27.879 Floren für das Rechnungsjahr 1302. Setzt man diese rechnerischen Anteile mit den verbuchten Einnahmen in Relation, ergeben sich Quoten von 98 % (1299) bzw. 52 % (1302) der eingegangenen Verpflichtungen, die im jeweiligen Jahr realisiert wurden. Die errechneten Quoten sind aber nicht belastbar, da hier zwei Summen, nicht aber die Zahlungsverpflichtungen miteinander verglichen werden. Aufgrund der fehlenden
77
Baethgen, Quellen, S. 160–161 und Guillemain, Les recettes, S. 3–17, der diesen Nachweis im Anmerkungsapparat zu jeder Zahlung führt. 78 Folgende Angaben aus Baethgen, Quellen, S. 160–161. 79 Für denselben Zeitraum liegen Verpflichtungen in Höhe von 461.998 1/3 Floren vor, die den doppelten Anteil beinhalten. Unter Verdoppelung der im Divisionsregister verzeichneten Summe und unter Abzug eines Anteils an Visitationsgeldern an der Summe kommen beide Beträge fast zur Deckung. 80 Diese Frage wurde jüngst gestellt und positiv beantwortet durch Denzel, Kreuzzugssteuer, S. 140–149. 81 In beiden Fällen liegen die Kalenderjahre 1299 bzw. 1302 den Angaben zugrunde.
196
Kurie
Einnahmeverzeichnisse der Apostolischen Kammer ist es nicht möglich, die eingegangenen Verpflichtungen ins Verhältnis zu den gezahlten Beträgen zu setzen.82 Anders ausgedrückt, die verbuchten Einnahmen beispielsweise des Rechnungsjahrs 1299 könnten aus dem Jahr 1298 stammen, wohingegen die bei Hermann Hoberg verzeichneten Verpflichtungen sich auf das Rechnungsjahr 1299 beziehen. Die konstatierte Übereinstimmung beider Summen zu 98 % ist daher lediglich das Resultat der fragmentierten Überlieferung der Apostolischen Kammer unter Bonifatius VIII.83 Die gemachte Feststellung lässt sich anhand der Überlieferung für das Rechnungsjahr 1309 konkretisieren (s. Tab. 9). Vorab kann auch hier die Quote zwischen der Summe der eingegangenen Verpflichtungen und den im Rechnungsjahr verbuchten Servitieneinnahmen ermittelt werden: Sie beträgt 79 %.84 Dank des edierten Introitusregisters dieses Jahres kann aber überprüft werden, ob die Zahlungen von denjenigen geleistet wurden, die in diesem Zeitraum eine Verpflichtung eingegangen waren. Ausgangsbasis sind 45 Einträge im Register, die nachfolgend einzeln aufgeführt werden. Tab. 9 Einnahmen der päpstlichen Kammer aus Servitien (1308–1309) (Edition Guillemain) Monat der Zahlung / laufende Nummer
Bischof, Abt, Prälat
gezahlte Beträge an die Kammer (Floren)
Datum der Verpflichtung
eingegangene Verpflichtungen (Floren)
1.200,00
16.04.1308
2.400,00
200,00
20.01.1308
400,00
November 1308
82
83 84
2
Waltham (Abt)
4
Pistoia (Bischof)
Da für das Pontifikat Bonifatius’ VIII. nur die beiden oben aufgeführten Rechnungsbücher zur Verfügung stehen und diese zwar von Baethgen ausgewertet, aber nur Auszüge aus dem Ausgabenverzeichnis ediert wurden, sind die Aussagemöglichkeiten auf der Basis des aktuellen Forschungstandes für diesen Abschnitt beschränkt; Baethgen, Quellen, S. 224–230. Siehe oben Anm. 10. Zwischen November 1308 und November 1309 wurden, basierend auf der Edition von Hermann Hoberg und der von ihm etablierten Reihen, folgende Verpflichtungen eingegangen: Bischöfe: Larino, 100 fl. (12.08.1309); Aquino, 120 fl. (10.07.1309); Camerino, 200 fl. (13.06.1309); Castro (Viterbo), 100 fl. (05.05.1309); Coimbra, 2.000 fl. (16.06.1309); Couserans, 1.000 fl. (12.08.1309); Dublin, 2.600 fl. (15.08.1309); Monopoli, 250 fl. (13.10.1309); Badajoz, 200 fl. (13.10.1309); Sessa Aurunca, 200 fl. (13.10.1309); Tarragona, 3.000 fl. (08.04.1309); Troia, 200 fl. (08.04.1309); Urbino, 300 fl. (08.04.1309); Worcester, 1.500 fl. (04.07.1309). Teilsumme: 11.770 fl. Äbte und andere Prälaten an folgenden Orten gingen Verpflichtungen ein: Cluny, 8.000 fl. (08.04.1309); Corvey, 300 fl. (14.10.1309); Fécamp, 8.000 fl. (13. oder 14.10.1309); Brescello, 40 fl. (12.05.1309); Paris, Ste-Geneviève, 800 fl. (21.10.1309); Grottaferrata, 400 fl. (05.08.1309); Soissons, St-Médard, 2.200 fl. (14.10.1309); S. Michele della Chiusa, 800 fl. (13. oder 14.10.1309); Rodas, 533,33 fl. (08.04.1309). Teilsumme: 21.073,33 fl. Gesamtsumme: 32.843,33 fl. Das entspricht einer Quote von 79 %. Demgegenüber verzeichnet Denzel nur Obligationen über 28.410 Floren, was einer Quote von 91,2 % entspricht; Denzel, Kreuzzugssteuer, S. 145. Diese Quote muss jetzt revidiert werden.
197
Einnahmequellen und -struktur des päpstlichen Hofs vor 1316
Datum der Verpflichtung
eingegangene Verpflichtungen (Floren)
15.11.1307
4.500,00
1.000,00
30.10.1307
2.000,00
1.000,00
16.02.1308
2.000,00
Porto (Bischof)
500,00
20.01.1308
1.000,00
16
Tournai (Bischof)
240,00
Abschlagszahlung
10.11.1301
5.000,00
18
Laon (Abt)
600,00
Abschlagszahlung
Anfang November 1306
3.000,0085
Reggio Calabria (Erzbischof)
300,00
16.02.1308
600,00
Bischof, Abt, Prälat
gezahlte Beträge an die Kammer (Floren)
7
Clermont (Bischof)
1.250,00
8
Palencia (Bischof)
9
Vendôme (Abt)
Monat der Zahlung / laufende Nummer Dezember 1308
10
Abschlagszahlung
Januar 1309
März 1309 21
85 86 87
22
Redon (Abt)
250,00
23
Bourg-Dieu (Abt)
500,00
26
Arles (Erzbischof)
Abschlagszahlung
1.000,00
27
Volturno (Abt)
28
Neapel ( Erzbischof)
35
Bamberg (Bischof)
200,00
36
Brixen (Bischof)
666,00
38
Mailand (Erzbischof)
31.05.1308
500,00
21.08.1307
4.000,0086
16.02.1308
2.000,00
100,00
11.03.1309
200,00
1.000,00
14.03.1308
2.000,0087
Abschlagszahlung
04.06.1304
2.000,00
Abschlagszahlung
26.04.1308
4.000,00
01.08.1308
3.000,00
1.500,00
Eine erste Zahlung über 700 fl. erfolgte bereits am 24.06.1308; Guillemain, Les recettes, S. 5 Anm. 18. Es handelt sich um die letzte von drei Zahlungen: Die erste Zahlung über 1.000 fl. erfolgte am 13.04.1308, eine zweite Zahlung über 500 fl. am 07.08.130; Ebd., S. 6 Anm. 23. Nicht bei Hoberg, Taxae.
198
Kurie
Monat der Zahlung / laufende Nummer
Bischof, Abt, Prälat
gezahlte Beträge an die Kammer (Floren)
Parma (Bischof)
250,00
Datum der Verpflichtung
eingegangene Verpflichtungen (Floren)
24.01.1300
2.000,00
April 1309 40 41
Selz (Abt)
43
Mainz (Erzbischof)
44
Ermland (Bischof)
500,00
47
San Pedro de Roda (Abt)
26,6789
49
Acerenza (Erzbischof)
200,00
50
Trier (Erzbischof)
2.000,00
53
Breme (Diözese Pavia) (Abt)
45,0092
54
Civita Castellana (Bischof)
55
Abschlagszahlung
100,00
06.07.1308
200,00
2.500,00
19.12.1307
5.000,00 1.000,0088
Zahlung vor Ort 29.08.1307
300,0090
20.02.1308
7.000,0091
25,00
12.06.1307
50,00
Oristano (Erzbischof)
100,00
26.04.1308
200,00
57
Magdeburg (Erzbischof)
1.250,00
14.03.1308
2.500,00
61
Tournai (Bischof)
500,0093
62
Auxerre (Bischof)
2.000,00
24.07.1308
4.400,00
Abschlagszahlung
Mai 1309
88 89 90 91 92 93
Abschlagszahlung
Nicht bei Hoberg, Taxae. Die Zahlung erfolgt in Form von 100 gros tournois. Als Umrechnungskurs wurde der Wert eines Florentiner Guldens von 3 ¾ gros tournois angelegt; siehe Denzel, Kurialer Zahlungsverkehr, S. 127. Begleichung der Schuld des Vorgängers; Guillemain, Les recettes, S. 9 Anm. 42. Es handelt sich um die erste Zahlung. Die Schuld wurde zu Weihnachten 1309 beglichen; Guillemain, Les recettes, S. 10 Anm. 43. Nicht bei Hoberg, Taxae. Bezug unklar; Guillemain, Les recettes, S. 11 Anm. 52.
199
Einnahmequellen und -struktur des päpstlichen Hofs vor 1316
Monat der Zahlung / laufende Nummer
Bischof, Abt, Prälat
gezahlte Beträge an die Kammer (Floren)
Datum der Verpflichtung
eingegangene Verpflichtungen (Floren)
13.08.1308
50,00
01.04.1304
2.000,0094
Juni 1309 67
Ilice (Diözese Conza della Campania) (Abt)
25,00
69
Esztergom (Erzbischof)
50,00
70
Konstantinopel (Patriarch)
500,0095
13.07.1308
k. A.
72
Saint-Pierre de Ferrières (Abt)
400,00
19.08.1308
800,00
73
Senigallia (Bischof)
130,00
13.07.1308
400,0096
77
Saint-Crépin en Chacé (Abt)
100,00
13.08.1308
200,00
78
Aquino (Bischof)
60,00
10.07.1309
120,00
80
Albi (Bischof)
1.000,00
13.08.1308
2.000,00
82
Patras (Erzbischof)
250,00
Nachzahlung
23.12.1308
700,0097
86
Uppsala (Erzbischof)
250,00
Abschlagszahlung
15.06.1308
1.000,0098
88
Montauban (Abt)
150,00
19.03.1308
300,00
89
Le Puy (Bischof)
1.300,00
13.08.1308
2.600,00
Nachzahlung
Abschlagszahlung
Juli 1309
August 1309
94
95 96 97 98
Mihály Böi hatte sich zu einer Zahlung von 2.000 fl. verpflichtet, die Zahlung aber bis zuletzt verweigert, wofür er mit Suspension und Exkommunikation bedroht wurde. Sein Nachfolger versprach in Lyon am 06.02.1306 1.300 fl. an Rückständen und 700 fl. für sich selbst zu zahlen; Ebd., S. 12 Anm. 58. Nicht bei Hoberg, Taxae. Die eingegangene Verpflichtung wird durch eine weitere Zahlung von 70 fl. am 12.04.1310 vervollständigt; Ebd., S. 13 Anm. 61. Der neue Erzbischof versprach 700 fl. für sich selbst und 500 fl. für seinen Vorgänger zu zahlen. Erst am 05.06.1310 war er quitt; Guillemain, Les recettes, S. 14 Anm. 67. Bei der Zahlung handelt es sich um die erste Überweisung der eingegangenen Zahlungsverpflichtung; Ebd., S. 14 Anm. 70.
200
Kurie
Monat der Zahlung / laufende Nummer 94
September 1309 96 November 1309 101 Anzahl: 45
Bischof, Abt, Prälat
Datum der Verpflichtung
gezahlte Beträge an die Kammer (Floren)
eingegangene Verpflichtungen (Floren)
Saint-Martial de Limoges (Abt)
180,00
Abschlagszahlung
Dublin (Erzbischof)
200,00
Nachzahlung
15.08.1309
2.600,00100
Uppsala (Erzbischof)
250,00101
Abschlagszahlung
15.06.1308
s. o.
25.847,67102
800,0099
74.820,00 37.410,00
Von den 45 Einträgen wurde fast die Hälfte der Zahlungen zwischen März und April 1309 geleistet, als sich der Papst in Avignon aufhielt. Demgegenüber führten die Reisen des Papstes zwischen September und Oktober dazu, dass die Einnahmen einbrachen, um dann im November wieder anzusteigen.103 Von den 45 Zahlungen stammen 18 von Äbten und 31 von Erzbischöfen oder Bischöfen, deren Abteien oder Diözesen geographisch weit gestreut waren. Die größten Zahler waren der Erzbischof von Mainz mit 2.500 Floren, der Erzbischof von Trier mit 2.000 Floren und der Erzbischof von Mailand mit 1.500 Floren.104 Vergleicht man die Zahlungseinträge im Rechnungsbuch mit den Eingangsregistern des Kardinalskollegiums und den Libri obligationum, ist es möglich, die Analyse der Einträge um eine zeitliche und eine quantitative Dimension zu erweitern.105 Zunächst zur zeitlichen Dimension: Mit dem Zahlungsdatum und ihrer Höhe beginnt jede Zeile und endet mit dem Eingang und der Höhe der Verpflichtung. Überblickt
99
Bezug unklar. Summe ergibt sich aus der zweiten Zahlung über 220 fl. an die Kammer am 19.03.1310; Ebd., S. 15 Anm. 74. 100 Der neue Erzbischof verpflichtete sich zu einer Zahlung von 600 Mark Silber, die seine Vorgänger nicht gezahlt hatten, und 520 Mark Silber für sich selbst (die Mark Silber zu 5 Floren); Ebd., S. 5 Anm. 18. 101 Bei der Zahlung handelt es sich um die zweite Überweisung der eingegangenen Zahlungsverpflichtung; siehe Anm. 97. 102 Nach Addition der gezahlten Beträge der gleichen Anzahl von Einträgen wie Guillemain steht in der nachfolgenden Tabelle eine leichte Differenz zwischen den Summen der Zahlungen (25.847 vs. 25.905 Floren), die für die weitere Auswertung aber unerheblich ist. 103 Guillemain, Les recettes, S. XVIII. 104 Vgl. Guillemain, Les recettes, S. XX–XXI. 105 Die Auswertung erfolgt auf der Grundlage der von Guillemain geleisteten Überprüfung des Introitusregisters mit dem Divisionsregister sowie der eigenen Auswertung der von Hermann Hoberg geleisteten Edition.
Einnahmequellen und -struktur des päpstlichen Hofs vor 1316
201
man diese Angaben für alle 45 Einträge, fällt auf, dass allein vier Zahlungen unmittelbar im Anschluss an die eingegangene Verpflichtung geleistet wurden. Dabei handelt es sich um den Erzbischof von Dublin (Nr. 96), den Bischof von Aquino (Nr. 78), den Abt von Volturno (Nr. 27) und den Abt von San Pedro de Roda (Nr. 47), der direkt vor Ort seine Verpflichtung in gros tournois beglich, während sonst alle Abgaben in Floren abgegolten wurden. Demgegenüber wurden in den meisten Fällen (34 von 45) die Verpflichtungen im Durchschnitt in etwas weniger als 12 Monaten eingelöst. Das andere Extrem bilden Verzögerungen von über zwei Jahren, die bei den Bischöfen von Tournai (Nr. 16), von Laon (Nr. 18), von Bamberg (Nr. 35) und von Parma (Nr. 40) sowie dem Erzbischof von Esztergom (Nr. 69) zu beobachten sind. Der zeitlichen Dimension der Zahlungen kann eine quantitative Dimension beigeordnet werden. Die Einträge im mittleren Bereich der Tabelle weisen auf Abschlagszahlungen (13 von 45) oder Nachzahlungen (3 von 45) von Verpflichtungen hin, die über ein Drittel der Zahlungen ausmachen. Dabei beziehen sich Nachzahlungen auf Verpflichtungen, die ein Vorgänger nicht leisten wollte und die nun auf den Nachfolger fielen. Beide Beobachtungen zusammengenommen deuten bereits an, dass mit einer deutlich geringeren Zahlungsquote zu rechnen ist, als es der vorangestellte Vergleich zwischen den Einnahmen der Rechnungsjahre 1299 bzw. 1302 und der von Hermann Hoberg vorgelegten Edition suggeriert. Auf das Rechnungsjahr 1309 angewandt bedeutet das, dass die oben aufgeführten Zahler zwar Verpflichtungen in Höhe von 37.410 Floren eingingen, im Rechnungsjahr 1309 aber nur Zahlungen in Höhe von 25.905 Floren leisteten: 69 % der eingegangenen Verpflichtungen standen der Apostolischen Kammer tatsächlich zur Verfügung. Drei Beobachtungen lässt die Analyse der verzeichneten Servitienzahlungen zu: Erstens stellten die Servitienzahlungen einen wichtigen Einnahmeposten in den Rechnungsbüchern Bonifatius’ VIII. und Clemens’ V. dar, der in seiner Höhe zwar von Jahr zu Jahr schwankte, aber zumindest in zwei (1299, 1309) von drei Fällen in etwa die gleiche Höhe erreichte. Eine Bewertung der Einnahmen in Relation zum jeweiligen Gesamtbudget der beiden pontifices steht noch aus. Zweitens kamen zwar die meisten Bischöfe und Äbte ihren Verpflichtungen nach, aber eine durchschnittliche Frist von einem Jahr zwischen der Verpflichtung und dem Zahlungseingang kann als Mittelwert festgehalten werden. Drittens deutet die durchschnittliche zeitliche Verzögerung bei der Zahlung darauf hin, dass nicht das Rechnungsjahr, sondern der Zeitraum von einem Jahr ab Eingang der Verpflichtung einen Richtwert darstellte, mithilfe dessen die Effizienz der Zahlung beurteilt wurde. Nur wenige der im Rechnungsbuch erwähnten Kleriker wurden gemahnt, was auf eine einkalkulierte Verzögerung zwischen Zeitpunkt der Verpflichtung und Zahlung hindeutet. Hierfür spricht auch, dass einige der obenstehenden Kleriker einen Zahlungsaufschub erbeten haben106 und bei extremer
106 Der Erzbischof von Mainz zahlte zwar erst nach 16 Monaten, hatte aber schon einen Monat nach
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Kurie
Verzögerung Gefahr liefen, suspendiert oder exkommuniziert zu werden.107 Sollte der Schuldner seiner Verpflichtung nicht nachgekommen sein, wurde sie seinem Nachfolger aufgetragen und abgezahlt. Die Einsichten in die Zahlungspraxis relativieren zwar die Aussagekraft der von Hermann Hoberg edierten Libri obligationum, unter Berücksichtigung der zeitlichen Verzögerung erlaubt ihre Auswertung aber Einblicke in die zeitliche Verteilung der Verpflichtungen und die geographische Herkunft der Providierten.108 Basierend auf dem päpstlichen Taxregister bildete sich in derselben Zeit die Höhe der Abgaben für jedes Bistum und jede Abtei heraus, die den Umständen angepasst werden konnte, aber dann im Verlauf des 14. Jahrhunderts relativ stabil blieb. Die Abgaben konnten auch durch päpstliche Intervention reduziert oder ausgesetzt werden – ob paupertatem ist hierfür die gängige Begründung. Sobald ein Benefizium abgabepflichtig war und neu besetzt wurde, wurde eine Abgabe fällig, was dazu führt, dass im Untersuchungszeitraum einige Benefizien mehrfach erwähnt sind.109 Die Angabe der Abgaben erfolgte bis etwa 1310 in livre tournois oder Mark Silber für einen Teil der französischen oder englischen Benefizien, danach wurden durchgängig Floren als Wertmaßstab genutzt. Während der Pontifikate von Bonifatius VIII., Benedikt XI. und Clemens V. wurden die höchsten Abgaben der Erzbischöfe und Bischöfe für die Erzbistümer Toulouse (bis 1318) und Rouen mit 12.000 Floren fällig. Es folgt die Abgabenklasse von 10.000 Floren für die Erzbistümer Aquileja, Canterbury, Köln, York, Narbonne und Salzburg. Gestaffelt reicht die Spitzengruppe bis zu einer Abgabe von 5.000 Floren wie Mainz, Nikosia, Zaragoza, Tournai und Clermont-Ferrand. Die geringsten Beträge (