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German Pages 143 [144] Year 2009
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Herausgegeben von Kai Brodersen, Uwe A. Oster, Thomas Scharff und Ute Schneider Bd. 1, Die Welt Homers Bd. 2, Hexenjagd in Deutschland Bd. 3, Der königliche Kaufmann oder wie man ein Königreich saniert Bd. 4, Zechen und Bechern. Eine Kulturgeschichte des Trinkens und Betrinkens Bd. 5, Hinter Klostermauern. Alltag im mittelalterlichen Kloster Bd. 6, Krieg in der Antike Bd. 7, CARE-Paket & Co. Von der Liebesgabe zum Westpaket Bd. 8, Unter dem Vesuv. Alltag in Pompeji Bd. 9, Baden, spielen, lachen. Wie die Römer ihre Freizeit verbrachten Bd. 10, Seide, Pfeffer und Kanonen. Globalisierung im Mittelalter Bd. 11, Veni, vidi, vici. Caesar und die Kunst der Selbstdarstellung Bd. 12, Napoleons Soldaten. Alltag in der Grande Armée Bd. 13, Pelze, Gold und Weihwasser. Handel und Mission in Afrika und Amerika Bd. 14, Als die Römer frech geworden. Varus, Hermann und die Katastrophe im Teutoburger Wald Bd. 15, Stadtluft macht frei. Leben in der mittelalterlichen Stadt Bd. 16, Karl der Große. Der Weg zur Kaiserkrönung Bd. 17, Geld und Freunde. Wie die Medici die Macht in Florenz eroberten Bd. 18, Reise ohne Wiederkehr? Leben im Exil 1933 bis 1945
Volker Reinhardt
Geld und Freunde Wie die Medici die Macht in Florenz eroberten
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme.
© 2009 by Primus Verlag, Darmstadt Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Einbandgestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt Einbandabbildung: Rückkehr Cosimos d. Ä. aus dem Exil (Oktober 1433). Gemälde, um 1555 ff., von Giorgio Vasari (1511–1574). Florenz, Palazzo Vecchio, Quartiere di Leone X., Sala di Cosimo il Vecchio. Foto: akg-images / Rabatti-Domingie Layout: Petra Bachmann, Weinheim Gestaltung und Satz: Anja Harms, Oberursel Printed in Germany www.primusverlag.de ISBN: 978-3-89678-396-7
Inhalt Die gespaltene Republik 8 Das politische System
24 Die Medici
33 Die Parteien
Der Machtkampf 46 Erster Akt: Schuldzuweisungen und Nadelstiche
58 Zweiter Akt: Krieg
67 Dritter Akt: Florentinisches Roulette
77 Vierter Akt: Der Sieg in der Niederlage
91 Fünfter Akt: Rückkehr und Triumph
Die gelenkte Republik 110 Die Kunst der Manipulation
127 Die zwei Cosimos
Anhang 141 Anmerkungen
142 Literatur
144 Bildnachweis
Die gespaltene Republik „Um die Republik gerecht zu lenken, muss man mit der Waage der Gerechtigkeit in der Hand, fern von allen Parteien, eigennützigen Cliquen und Interessengruppen aufwachsen. Denn die Anhänger einer Partei regieren die Kommune nicht, sondern spalten und verwüsten sie.“1
Das politische System
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rste Erschütterungen waren lange vor dem großen Beben spürbar. Im Frühjahr 1402 notiert der reiche Kaufmann
und einflussreiche Politiker Buonaccorso Pitti in seiner für den Hausgebrauch geführten Chronik: Und so scheint mir, dass wir in so große Selbstsucht und in eine so heillose Unordnung abgesunken sind, dass wir uns gegen einen An-
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griff des Kaisers oder eines anderen mächtigen Herrn nicht behaupten könnten – so tief ist die Spaltung unter den Reichen und
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Mächtigen unseres Regiments. Ihrem Parteigeist und heimlichen Hass aufeinander opfern sie das Wohl und die Ehre der Kommune.2
Ideal und Realität klafften auseinander. Wie das Gemeinwesen beschaffen sein sollte, steht seit je her unverrückbar fest. Gemeinsinn soll vor Eigennutz rangieren. Doch das war ein Thema für Sonntagsreden. Wenn der Vater dem Sohn Ratschläge fürs Leben erteilte, hörte es sich anders an. Dies vor allem möchte ich denjenigen, die meine Aufzeichnungen le-
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sen, ans Herz legen und einschärfen: Trennt euch nie, sei es aus Furcht, sei es als Folge von Schmeichelei, von eurem Besitz und eurem Rang und ebenso wenig von euren Verwandten und euren Freunden; denn auf diese und ihre Hilfe vertrauen alle anderen.3
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Und die anderen haben damit Erfolg. Im Gegensatz zu uns. Daher müssen wir werden wie die anderen: schlau, zielstrebig und eigennützig. So Giovanni di Pagolo Morelli in seinen ebenfalls nur für die Familie bestimmten Notizen. Darin stimmt er mit dem viel reicheren und vornehmeren Neri Capponi voll und ganz überein.
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Verbündet euch vor allem mit euren Nachbarn und Verwandten. Und helft euren Freunden innerhalb wie außerhalb der Stadt.4
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So sah die tatsächliche Ausbildung zum Politiker in Florenz aus. Dagegen ließ sich trefflich predigen; auszurichten war dagegen nichts. Nieder mit den Netzwerken, die die Republik zersetzen – es leben die nützlichen Freunde, die allein Beistand in der Not garantieren. Das ganze Dilemma der Republik Florenz liegt in diesem Gegensatz. Ab 1425 machte sich ein noch viel tieferes Unbehagen am Zustand des Gemeinwesens breit. Und wieder wurden die üblichen Klagen laut: Eigennutz herrscht vor, das Gemeinwohl wird mit Füßen getreten; Rückbesinnung auf die gemeinsamen Verpflichtungen zum Schutz des Freistaats, zu Solidarität und Brüderlichkeit ist daher vonnöten. Doch die Rufe verhallten ungehört. Es führte kein Weg zurück. Wahr ist, dass die einen Rivalitäten der Republik schaden und die
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anderen ihr nützen. Zerstörerisch sind diejenigen, die mit Interessengruppen und Netzwerken zu tun haben, heilsam die, die davon frei sind. […] Die Feindschaften in Florenz waren stets von klientelären Spaltungen geprägt und daher unheilvoll; nie blieb eine solche Partei in sich geschlossen, es sei denn, sie hatte eine bedrohliche Gegenpartei. […] In Florenz waren, wie mehrfach erwähnt, zwei herausragende Bürger, Cosimo de’ Medici und Neri Capponi. Neri hatte sein Ansehen auf öffentlichen Wegen erworben, deshalb hatte er viele Bewunderer, aber wenig Gefolgsleute. Cosimo hingegen, der durch öffentliche wie heimliche Methoden aufgestiegen war, hatte nicht weniger Bewunderer als Anhänger.5
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So lautet die achtzig Jahre nach den Ereignissen gestellte Diagnose des Staatstheoretikers und Historikers Niccolò Machiavelli. Sie beschreibt einen politischen Krankheitszustand: Florenz, die von Cliquen beherrschte Republik. So war es, und so wird es bleiben. Die Medici bilden in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Denn sie haben zwar gewisse Verdienste um das Gemeinwohl, im Wesentlichen aber sind sie mit ihrer Klientel aufgestiegen. Deshalb werden sie über kurz oder lang auch von einer neu emporgekommenen Interessengruppe gestürzt werden. Das ist der Fluch von Florenz: Die wenigen Uneigennützigen wie Neri Capponi werden von der Masse der Egoistischen überwältigt. Mit dieser Analyse täuschte Machiavelli sich gleich doppelt. Was Capponis Überparteilichkeit betrifft: siehe das vorletzte Zitat. Und auch, was die Medici-Partei betraf, lag der geniale Querdenker falsch. Sie war anders als die vielen anderen Interessengruppen. Vor allem hatte sie andere, ehrgeizigere Ziele. So war der Konflikt, der sich seit etwa 1400 unaufhaltsam zuspitzte, von anderer Art als die unzähligen Auseinandersetzungen, welche die Republik Florenz seit ihrer Neuordnung im Jahr 1282 zwar erschüttert, doch nicht zerstört hatten. Streit zwischen den führenden Familienverbänden um Ämter und Einfluss stand von Beginn an auf der Tagesordnung; und wenn es hart auf hart ging, wurde er auch blutig ausgetragen. Die politische Ordnung der Republik aber wurde dadurch in der Regel nicht angetastet. Ein einziges Mal, beim Aufstand der Ciompi im Jahr 1378, stand auch sie auf dem Spiel. Politisch und wirtschaftlich rechtlos, ja ihren Arbeitgebern, den großen Textilunternehmern, auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, forderten die Wollarbeiter ihren Anteil am Wohlstand sowie an den Ämtern und Würden der Republik. Und da die Führungsschicht zu dieser Zeit tief gespalten war, konnten sie diese Revolution einige Monate lang zum Erfolg führen, bis die alte Elite zum Gegenschlag ausholte und bald darauf fester denn je im Sattel saß. Von der – durch gezielte Repression und polizeiliche Observierung in Schach gehaltenen – Unterschicht hatten die Reichen und Mächtigen ab 1425 nichts mehr zu befürchten. Die Störung der sozi-
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Der verbannte Nationaldichter: Dante Alighieri
Im Jahr 1265 in Florenz geboren, wurde der theologisch und philosophisch hochgebildete Dichter in Parteikämpfe verwickelt und 1302 aus seiner Heimatstadt verbannt. In seiner Göttlichen Komödie, einer durch Hölle, Purgatorium und Paradies führenden Jenseits-Wanderung, hält der exil immeritus, der zu Unrecht Verbannte (so seine Selbstbezeichnung), denn auch Gericht über viele frisch verstorbene Zeitgenossen. Zwischen 1310 und 1313 machte er sich für die Herrschaftsansprüche Kaiser Heinrichs VII. in Italien stark. Seit seinem Tod literarisches Vorbild, wurde er im 19. Jahrhundert als Vordenker der nationalen Einigung Italiens gefeiert.
alen und politischen Formation kam nicht von außen, sondern von innen. Ein Machtkampf kündigte sich an, von dem dauerhafte Verwerfungen der öffentlichen Ordnung zu befürchten waren – oder zu erhoffen, je nach Parteinahme. Beunruhigend an der sich abzeichnenden Konfrontation war, dass sich ihr kaum jemand entziehen konnte. Dieses „Entweder – Oder“, „Freund oder Feind“ war neu. Bislang hatten diejenigen, die nicht durch die Bande der Verwandtschaft, Verschwägerung oder anderer, auf beiderseitigem Nutzen beruhender Partnerschaften involviert waren, in den Kämpfen der großen Clans und ihrer Netzwerke neutral bleiben oder sogar vermitteln können. Jetzt aber hieß es, Partei zu nehmen. Dessen ungeachtet behaupteten die beiden Interessengruppen, die sich von nun an immer heftiger befehdeten, die Republik vor heimtückischer Unterwanderung zu schützen und Schaden von ihr abzuwenden. Zur Ruhe gekommen war sie nie. Ihr berühmtester Bürger Dante Alighieri verglich sie mit einer kranken Frau, die sich ruhelos im Bett hin und her wälzt, doch die richtige Lage zur Gesundung nicht findet.6 Dante wusste, wovon er sprach. In einer der zahlreichen inneren Auseinandersetzungen, in der es um den Einfluss von Familien und Geschäftsinteressen ging, war er 1302 verbannt worden. Zu solchen Turbulenzen bot die politische Ordnung reichlich Anlass. Was für die
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Vasaris Fresko zeigt Florenz während der Belagerung durch die spanischen Truppen im Jahr 1530, doch hat sich das Stadtbild im Verhältnis zum Jahr 1434 nur in einem entscheidenden Punkt verändert: Brunelleschis Domkuppel trägt keine Gerüste mehr.
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Wortführer des Regimes die perfekte, freie und gerechte Republik war, lässt sich im heutigen Politikjargon am ehesten als eine relativ offene Oligarchie klassifizieren.
Ämter und Kandidaten
1425 hatte, grob gerechnet, ein Fünftel der volljährigen männlichen Florentiner politische Basisrechte; sie durften wählen und sich wählen lassen. Wählen: das hieß, sie wurden ungefähr alle fünf Jahre dazu aufgerufen, in einem sogenannten squittinio diejenigen zu benennen, die zur politischen Klasse dazu gehören sollten. Wer hier bestätigt wurde, dessen Name durfte in die Lederbeutel gesteckt werden, aus denen alle zwei Monate die Prioren, die neun Mitglieder der signoria, der Stadtregierung, und der mit ihr beratenden und kooperierenden Sechzehner- und Zwölfergremien gezogen wurden. Voraussetzung dafür war die Mitgliedschaft in einer Zunft (arte), vorzugsweise in einer der großen, die drei Viertel der signoria besetzten; unter diesen arti maggiori waren die Korporationen der Großkaufleute, Textilproduzenten und Bankiers die bei weitem mächtigsten. Das übrige Viertel wurde den angeseheneren arti der Handwerker zugestanden, doch waren deren Prioren wenig mehr als Juniorpartner ihrer patrizischen Amtskollegen. Den Unterbau dieser Führungsgremien bildeten die Räte der Kommune und des Volkes, in denen die Mittelschicht stark vertreten war. Dementsprechend hatten diese beiden Gremien wenig unmittelbare Kompetenzen, wohl aber das Recht, neue Gesetze auf ihre Vereinbarkeit mit der Tradition der Republik zu überprüfen. Zudem ließen sich bei passender Gelegenheit durch entsprechende Agitation „Volkszorn“ und „Druck der Straße“ schüren. Als Patriziat, das heißt als „Väter“ der Republik, verstanden sich die ca. zweitausend Florentiner, die aus dem Kreis der großen Zünfte für die genannten drei führenden Ämterkollegien, die tre maggiori, wählbar waren. Doch wirklich einflussreich waren sie dadurch noch nicht. Im Gegenteil: Die Mehrzahl derjenigen, die die Hürde des squittinio überwunden hatten, konnte zwar darauf hoffen, ein- oder
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zweimal im Leben für acht Wochen als Prior im Palazzo della Signoria zu amtieren (und zu wohnen), doch war ihre faktische Teilhabe an den Staatsgeschäften damit auch schon erschöpft. Die maßgeblichen Persönlichkeiten der Republik aber hatten andere Mittel und Wege, ihren Willen im Gemeinwesen geltend zu machen. Sie wurden von den tre maggiori in die sogenannten pratiche berufen, die hinter den Kulissen die wichtigen Geschäfte diskutierten, vorberieten und damit Weichen stellten. Zu dieser „Schattenregierung“ zählten durchgehend etwa siebzig Patrizier aus den führenden Geschlechtern. Klein, wie dieser Zirkel der primi (wörtlich: der Ersten) war, kannten sich seine Mitglieder sehr genau; man koalierte miteinander, heiratete untereinander oder betrachtete sich als Konkurrenten, im schlimmsten Fall als Feind. Aufnahme in diese Spitzengruppe fanden die primi nicht als Einzelperson, sondern als Mitglied einer Familie. Dieser Begriff konnte den gesamten Sippenverband oder auch nur einen einzelnen Haushalt bezeichnen. Größere Clans konnten fünfzig und mehr von diesen umfassen, mit beträchtlichen Unterschieden hinsichtlich Rang und Vermögen. Im 15. Jahrhundert stieg zwar die Bedeutung der Kernfamilie und der unmittelbaren Abstammungslinie unaufhaltsam an, doch blieb, ungeachtet aller Differenzen des Reichtums und des Einflusses, ein gewisser Zusammenhalt innerhalb der Großfamilie bestehen. Vor allem in Krisen, speziell bei bewaffneten Auseinandersetzungen, bildete der Clan traditionell eine Verteidigungsgemeinschaft; aus diesem Grunde wohnten die verschiedenen Haushalte meist in enger Nachbarschaft, wenn irgend möglich aber im selben gonfalone (die vier Stadtviertel von Florenz zerfielen in jeweils vier solcher Quartiere).
Familien-Ranking
Nach welchen Kriterien ein Geschlechterverband bzw. ein Haushalt welchen Rang innerhalb der Elite einnahm, diese Frage hat schon die politischen Autoren der Zeit selbst intensiv beschäftigt und zu regel-
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rechten Familien-Rankings angeregt. Der konservativen Grundeinstellung der Zeit entsprechend wurde dabei überwiegend nach dem Maßstab der Anciennität, des Alters von Stammbaum und Ansässigkeit, und damit der Vornehmheit sowie, aufs engste damit verknüpft, nach der Frequenz der Führungsämter verfahren. Diesem Merkmal der genealogischen Exklusivität gemäß rangierten die Sippen an der Spitze, die wie die Rossi, Bardi, Contiguidi oder Ridolfi unbestreitbar feudaladelige Ursprünge nachweisen konnten; ihre Vorfahren waren zu einem frühen Zeitpunkt, meistens im 11. oder 12. Jahrhundert, als Burgen und Lehen besitzende Aristokraten in die Stadt eingewandert und hatten dort die Geschicke der ältesten Kommune bestimmt. Auf Platz zwei folgten die städtischen Geschlechter, die wie die Guicciardini, Strozzi, Soderini oder Valori bei der Begründung der Zunft-Republik am Ende des 13.Jahrhunderts an führender Stelle mitgewirkt und von Anfang an Mitglieder der Stadtregierung gestellt hatten, sich also auch in dieser Hinsicht als „Stadt-Väter“ fühlen durften. Die äußeren Kreise des Patriziats bildeten die Sippen, die im Laufe des 14.Jahrhunderts – z.B. nach der großen Pest von 1348, der so viele alte Geschlechter zum Opfer gefallen waren – ins Patriziat aufrückten, bis hin zu den absoluten Neuankömmlingen, die erst unmittelbar zuvor in die obersten Gremien der Republik aufgestiegen waren. Doch waren diese Newcomer nicht allzu zahlreich; die bereits Etablierten achteten mit Argusaugen darauf, dass die Zahl der Parvenüs begrenzt blieb. Und ich finde, dass durch Unachtsamkeit der führenden Kreise zwei Typen von Bürgern ins Regiment der Stadt eingezogen sind, zum ei-
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nen neue Familien, zum anderen junge Männer; beide zusammen aber sind durch die Uneinigkeit der Alteingesessenen derartig frech
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geworden, dass in diesem Staat binnen kurzem gravierende Umwälzungen zu befürchten sind.7
So lautete die bewegte Klage der gesetzten älteren Herren, und zwar seit jeher. Dante formuliert hundert Jahre zuvor genau dasselbe Un-
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behagen.8 Neue Leute, gente nuova, war ein Schimpfwort, das keine Familie auf sich sitzen lassen konnte; notfalls mussten illustre Stammbäume daher gefälscht werden. Abstammung und Ämterhäufigkeit waren für Rang und Einfluss in höchstem Maße bedeutsam, doch nicht alleine ausschlaggebend. Von Anfang an war auch wirtschaftliche Potenz ein eminent wichtiges Kriterium. Das lag zum einen daran, dass die Spitzenpositionen der Republik zwar ehrenvoll, doch nicht lukrativ waren; Verdienstausfälle während der Amtszeit wurden nicht ersetzt. Vor allem aber war Vermögen die Voraussetzung dafür, sich mit anderen Patriziern auf nutzbringende Weise zu vernetzen. Do ut des, ich gebe, damit du gibst – dieses Grundgesetz des politischen Lebens begünstigte naturgemäß diejenigen, die nicht nur einen Stammbaum, sondern auch harte Währung in die Waagschale zu werfen hatten. Umgekehrt musste, wer reich bleiben wollte, in der Politik aktiv werden. Wer sich von ihr fernhielt, hatte damit zu rechnen, über kurz oder lang mehr Steuern zu bezahlen als diejenigen, die die Geschäfte der Republik bestimmten, keine öffentlichen Aufträge mehr zu erhalten und am Ende zahlungsunfähig zu werden. Obwohl sie sich zur Rechtfertigung ihres furor politicus, der Leidenschaft für die Staatsgeschäfte, stets aufs Gemeinwohl beriefen, betrachteten die führenden Patrizier die res publica, die „öffentliche Sache“, als cosa nostra, als „unsere Angelegenheit“. Damit soll ihnen keine Mafia-Mentalität, wohl aber eine Sicht der Politik unterstellt werden, in der das öffentliche Wohl und ihr privates Wohlergehen zu einer Einheit verschmolzen. „Unsere Republik“, das hieß aber auch: nicht der Staat eines Einzelnen, sondern Wettbewerb, ja Freiheit. Am Ende des 14. und zu Beginn des 15. Jahrhunderts hatten die großen Humanisten im Dienst der Republik, Coluccio Salutati und Leonardo Bruni, dem Gedanken, dass der Mensch nur in einem freien Staat seine Anlagen frei und damit zu höchster Vollkommenheit entfalten konnte, einen ebenso wortmächtigen wie ideologisch einseitigen Ausdruck verliehen. Denn die Republik, die in so hohen Tönen gepriesen wurde, existierte nur als Ideal, nicht in der nüchternen Wirklichkeit von Staat und Gesellschaft.
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Die Freiheit ist für alle dieselbe, allein durch das Gesetz begrenzt und ohne Furcht vor den Menschen. Die Aussicht, Ämter zu erlangen, ist
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für alle dieselbe, unter der Bedingung, dass man Fleiß und Begabung besitzt und ein ehrbares, würdiges Leben führt. Unsere Stadt fordert
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nämlich Tugend und Tatkraft, gepaart mit Rechtschaffenheit von ihren Bürgern.9
Aufstiegschancen
Nicht vergessen werden sollte dabei, dass die Freiheit der Teilhabe und der Selbstentfaltung auf die ca. 300 Familien beschränkt blieb, denen diese Privilegien aufgrund von Alter und Reichtum zukamen. Wer diese Voraussetzungen nicht mitbrachte, konnte sein Glück auf viererlei Art versuchen. Der traditionellste Weg nach oben verlief durch die Kirche. Mittellose, aber begabte Knaben konnten in den Orden oder als Weltpriester Karriere machen, und zwar, wie sich bald zeigen sollte, bis ganz nach oben. 1447 bestieg mit Nikolaus V. der Sohn eines bescheiden begüterten Arztes, 1474 mit Sixtus IV. sogar der Sprössling ligurischer Kleinbürger den Papstthron. In ebenso seltenen wie spektakulären Fällen konnte auch humanistische Bildung den Weg nach oben bahnen. So beschloss der aus kleinen Verhältnissen stammende Leonardo Bruni seine Tage nicht nur als gefeierter Großmeister der lateinischen Sprachkunst, der florentinischen Geschichte und der praktischen Moralphilosophie, sondern auch als reicher Mann. Aufstiegsmethode drei verdeutlicht Giovanni Benci, der Chefprokurist der Medici-Bank. Was er anfasste, wurde sprichwörtlich zu Geld; solange er die Geschäfte der Bank führte, war diese eine Goldgrube. Dass Benci höchste Staatsämter bekleidete, war die logische Folge seiner geschäftlichen Unentbehrlichkeit. Den vierten Weg ins Patriziat wies Puccio Pucci. Obwohl nur Mitglied einer kleinen Zunft, genoss er die höchste Gunst Cosimo de’ Medicis, der die eine der beiden verfeindeten Parteien in Florenz anführte. Puccio sei einer der Besten und Klügsten – so freigebig er in Geldsachen auch war, mit solchem Lob war Cosimo sparsam. Anders
Aufstiegschancen
ausgedrückt: Puccio hatte sich für die Medici-Partei unentbehrlich gemacht. Selbst Handwerker, wirkte er, der perfekte Klient, unermüdlich in der Mittelschicht für die Sache Cosimos, seines Patrons – und wurde dadurch selbst für andere zum Protektor. Damit war der Königsweg zum Aufstieg markiert: einem mächtigen Gönner so gute Dienste zu leisten, dass dieser als Gegenleistung für so viel Loyalität seinem treuen Anhänger zu Geld, Ämtern und nützlichen Beziehungen verhalf. In der von Cosimo de’ Medici angeführten Interessengruppe wartete etwa ein Dutzend solcher Familien auf diese Chance. Chancen zum Aufstieg waren die eine, Gefahren des Abstiegs die andere Seite des Systems. Bank und Handel waren risikoträchtige Gewerbe. Ein König, der seine Schulden nicht bezahlte oder die Ausfuhr von Wolle verbot, ein Papst, der aus politischen Gründen die Republik mit dem Interdikt, dem Ausschluss von Gottesdienst und Sakramenten, belegte – und schon drohte der Bankrott. Dies und manche Widrigkeiten mehr hatten die Florentiner Großkaufleute im 14. Jahrhundert am eigenen Leibe erfahren; umso wichtiger war für sie die Kontrolle der Republik – wer über die Finanzen des Staates bestimmte, hatte mancherlei legale und weniger erlaubte Möglichkeiten sich zu sanieren. Diejenigen aber, die nicht zum innersten Kreis zählten, mussten mit dem Gespenst des sozialen und politischen Niedergangs durch Verarmung leben. Zwei der berühmtesten Florentiner überhaupt, Michelangelo Buonarroti und Niccolò Machiavelli, stammten aus Familien, die diese Erfahrung gemacht hatten. Ähnlich, doch weniger schlimm war es den sogenannten Magnaten ergangen. Darunter verstand man notorische Friedensbrecher, die die Regeln des bürgerlichen Zusammenlebens systematisch missachteten und daher keine Ämter bekleiden durften. Dieses Verhalten wurde nicht als individueller Defekt, sondern als Manko der ganzen Familie aufgefasst; nicht einzelne Übeltäter, sondern ganze Sippenzweige wurden daher für politikunfähig erklärt. 1425 stand die „Magnatenfrage“, das heißt, wie es mit diesen aus den Spitzenpositionen verbannten Geschlechtern politisch weitergehen sollte, weit oben auf der Tagesordnung. Die meisten der Ausgeschlossenen setzten ihre
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Hoffnungen nicht auf die Interessengruppe der Medici, obwohl deren Chef Cosimo mit Contessina de’ Bardi aus einer Familie mit vielen schwarzen Schafen verheiratet war, sondern auf deren Gegner, die von der alten und vornehmen Familie der Albizzi und dem angesehensten florentinischen Staatsmann der Zeit, Niccolò da Uzzano, angeführt wurde.
Nützliche Freundschaften
Mit der rasanten Rotation von zwei Monaten Amtszeit, dem divieto, das Sperrfristen für die Wiederwahl setzte und dem Verbot, dass Mitglieder desselben Sippenverbands gleichzeitig Führungspositionen bekleideten, versuchte die Republik die Tyrannis, die schlechteste aller Herrschaftsformen, zu verhindern und zugleich eine möglichst enge Bindung breiter Kreise an den Staat herbeizuführen; zu diesem Zweck wurden die vielen kleineren der ca. dreitausend Ämter, die die Republik zu vergeben hatte, besoldet. Für die ärmeren und unbedeutenderen Ausschnitte des Patriziats und den Mittelstand attraktiv waren vor allem die Regierungs- und Verwaltungsposten im Untertanengebiet (contado). Dieses umfasste den Großteil der nördlichen und mittleren Toskana – Gebiete, die Florenz während des 14. und frühen 15. Jahrhunderts erobert und ihrer Unabhängigkeit beraubt hatte. Auf den weiterhin tief verwurzelten Lokalpatriotismus mussten die Statthalter der Republik bei der Ausübung ihrer hochtrabend podestà (von lateinisch potestas, Macht) genannten Ämter gleichwohl ständig Rücksicht nehmen. De facto beschränkte sich die im Stadtpalast von Florenz pompös zelebrierte Oberhoheit der Metropole darauf, die lokale Politik in den Untertanenstädten zu kontrollieren, im Konfliktfall zu schlichten, Einfluss auf die Ernennung der kommunalen Spitzenbeamten zu nehmen und Steuern einzuziehen. Mehr „Staatsgewalt“ war nicht vorhanden. Und doch war in dieser vielfach eingeschränkten Territorialherrschaft ein beträchtliches politisches und ökonomisches Potenzial beschlossen. Wer in der Hauptstadt dominierte, konnte seine Anhän-
Nützliche Freundschaften
ger, sorgsam auf deren Rang und Reichtum abgestimmt, in ebenso lukrative wie prestigeträchtige Positionen im contado platzieren und damit seine Macht festigen bzw. ausbauen. Dieser Einfluss hing seit jeher davon ab, in welchem Maße eine Familie aufgrund ihres sozialen und wirtschaftlichen Kapitals mit anderen, sei es mächtigeren, gleich starken oder auch weniger einflussreichen Geschlechtern und deren Gefolgschaft verbündet und damit zum Zweck wechselseitigen Gebens und Nehmens vernetzt war. Eine solche Verflechtung bedeutete, auf soziale, politische und gegebenenfalls auch wirtschaftliche Unterstützung durch amici, nützliche Freunde, Anspruch zu haben; natürlich war man dafür seinerseits Leistungen schuldig. Welche Form diese im Einzelnen annahmen, hing von der Position im Netzwerk ab. An dessen Spitze wusste sich der oberste Patron zu umfassender Förderung seiner Gefolgsleute, in der Sprache der Zeit „Kreaturen“, verpflichtet; sie reichte von der ausschlaggebenden Empfehlung bei der Auswahl von Amtsträgern bis hin zu Krediten und zur Vermittlung nützlicher Heiraten. Der Klient wiederum hatte seinem Herrn bei dessen politischen wie geschäftlichen Aktivitäten gleichermaßen unverbrüchlich zur Seite zu stehen, und zwar real wie symbolisch, zur Mehrung von dessen Macht und Ansehen. Dass die Leistungen beider Seiten, sollte die klienteläre Beziehung Bestand haben, in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen mussten, gehörte zu den ehernen Grundregeln der sozialen Ordnung. Gerieten sie ins Ungleichgewicht, dann war diese Gefolgschaft kündbar; zumindest vertraten moderner denkende Kreise im 15. Jahrhundert diese Auffassung. Sie stand der älteren und konservativeren Theorie entgegen, dass solche Patronage- bzw. Protektionsverhältnisse ererbt, von Generation zu Generation weiter geführt und daher dauerhaft sein sollten. Konnten sie bei ungenügendem Ertrag für die eine wie die andere Seite aufgelöst werden, dann wurde das Gefüge der Eliten wie die Gesellschaft insgesamt offener, ja zumindest partiell mobiler. Zudem wurden die Patrone dadurch unter starken Druck gesetzt; sie konnten sich keine gravierenden Misserfolge, sei es geschäftlicher, sei es politischer Art, mehr erlauben, wollten sie ihre Kreaturen nicht
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in effizientere Netzwerke abwandern sehen. Doch auch diese hatten sich jetzt in einem vorher nie gekannten Ausmaß zu bewähren. Und noch eine Veränderung sticht zu Beginn des 15. Jahrhunderts hervor: die Personalisierung der Klientelverbände. Wurde Protektion zuvor überwiegend von Zunftausschüssen, Bruderschaften und anderen Interessengruppen gewissermaßen in kollektiver Verantwortlichkeit ausgeübt, so verlagerten sich Befugnisse und Loyalitäten jetzt zunehmend auf den obersten Patron. Diesen Zugewinn an Autorität und Prestige spiegeln Briefe von Klienten wider, und zwar am deutlichsten, wenn sie ihren Protektor um Hilfe in Streit- und Notfällen angehen. Wie einem gütigen Vater legen sie ihm dann die Förderung ihrer Interessen ans Herz; ja, wie von einem gnädigen Gott erhofft man seine Hilfe in den Wirrnissen und Widrigkeiten des irdischen Jammertals.10 Die Sprache der Anbetung zeigt an, dass die Rolle des Patrons in Analogie zur Fürbitte der Heiligen verstanden wurde; wie diese Anbetung forderten, um vor Gott und seinem Hofstaat zugunsten des ihnen Huldigenden zu intervenieren, so hatte der Führer des Netzwerks Anspruch auf seine eigenen Formen der Verehrung. Dass dieser wiederum dem Herrn des Himmels durch imposante Kirchen- und Klosterbauten seine untertänigste Reverenz anzeigte, leitete sich aus seiner Rolle als irdischer „Vizegott“ zumindest für die moderner Denkenden ab; konservativere Zeitgenossen hingegen sahen in einer solchen Selbstdarstellung, wie sie Cosimo de’ Medici nach der Machteroberung von 1434 mit beispiellosem finanziellem Aufwand zelebrierte, Akte der frevelhaften Selbstüberhebung. Konnte man überhaupt einem Patron und zugleich der Republik und dem Gemeinwohl dienen? So sehr sich diese Frage aufdrängte, so selten wurde sie überhaupt gestellt. Die Humanisten der Zeit kleideten ihre faktische Abhängigkeit von einem Patron in den wohlklingenden Jargon der Tugend ein; so betrachtet, dienten sie nicht für Geld, sondern einem Herren, der sie um ihrer einzigartigen Leistungen und Verdienste willen förderte und damit seinem göttlichen Auftrag gerecht wurde. Allein Niccolò Machiavelli, der radikalste Gegendenker zu den Hauptströmungen der Epoche, warf die Frage nach der
Nützliche Freundschaften
Legitimität des Klientelismus auf – um sie mit einem Nein von schneidender Schärfe zu beantworten. Hinter dem Rücken des Staates gewinnt man Bekanntheit und Be-
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liebtheit, indem man dem einen oder anderen Bürger Gunst erweist, ihn gegen die Behörden schützt, ihm Geld gibt oder zu Ämtern ver-
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hilft, die er nicht verdient hat […]11
Für ihn begünstigte das System der nützlichen Netzwerke Kriecher und Speichellecker; Patrone verlangten und erhielten Opportunismus, Unterwürfigkeit, allseitige Verwendbarkeit, Würdelosigkeit; und sie erzeugten Arroganz, Verachtung der Gesetze, Willkür und Unterdrückung. Doch das blieb die Ansicht eines Außenseiters, der bezeichnenderweise keiner der in seinen Augen verderblichen, die Republik zersetzenden „Sekten“, weder unter der Führung der Medici noch ihrer Gegner, angehörte – und daher politisch einflusslos blieb.
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Die Medici
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ie so viele der führenden Familien von Florenz waren die Medici im 12. Jahrhundert vom Land in die Stadt
eingewandert, um sich dort kommerziellen Aktivitäten zu widmen. Ihre Ursprungsregion war das Mugello nördlich von Florenz; Bindungen an diese Gegend blieben bis ins 15. Jahrhundert hinein erhalten. Zum einen legten die Medici die Gewinne der Bank dort in Grund und Boden an, zum anderen fungierten sie für die Bewohner der Region als Anlaufstation in der Stadt. Nach der Neuordnung der Republik zugunsten der Kaufmanns- und Bankierselite im Jahre 1282 kam die Familie auch politisch zum Zuge – ihre Ämterlisten weisen sie als solide in den weiteren Führungskreis des Patriziats integriert aus. Von einer wie auch immer gearteten Spitzen- oder gar Führungsposition aber konnte keine Rede sein. Im Gegenteil: Ab der Mitte des 14. Jahrhunderts traten Symptome des Niedergangs immer krasser hervor. Von den neun Hauptlinien des Familienverbands war nur noch eine einzige im Handels- und Banksektor tätig, die übrigen hatten sich aus diesen dynamischen Geschäftsbereichen zurückgezogen und damit die Voraussetzungen für politischen Einfluss eingebüßt. Vollends diskreditiert war ihr Name durch Salvestro de’ Medici, der auf dem Höhepunkt der Ciompi-Krise mit den Aufständischen paktiert hatte und unter seinesgleichen als Verräter gebrandmarkt war. Sein Scheitern war spektakulär, doch kein Einzelfall. Die Familie Medici insgesamt galt als streitsüchtig und unzuverlässig, nicht nur gegenüber anderen, sondern auch untereinander. In einer Republik, in der Geschäfte
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und Politik auf Vertrauensbasis gemacht wurden, kam dieser Ruf einem sozialen Todesurteil gleich. Die wenigen Medici, die in dieser dunklen Zeit Aufzeichnungen hinterließen, schlugen dementsprechend melancholische Töne an: Wenn kein Wunder geschieht, ist unser Absinken in Vergessenheit und Obskurität absehbar.12 Doch hatte die Krise offenbar auch ein Gutes: Sie setzte Energien frei, die dem Wiederaufstieg zugute kommen sollten. Zudem ließen sich aus den Ursachen des Zerfalls Lehren ziehen. In den um 1360 geborenen Mitgliedern zweier Familienzweige trat dieser Wille, die Fehler der jüngeren Vergangenheit zu vermeiden, ausgeprägt hervor. So führten die Söhne Vieri de’ Medicis dessen Bankhaus bis 1391 erfolgreich fort, und zwar mit tatkräftiger Unterstützung der Brüder Francesco und Giovanni de’ Medici, die nach ihrem Vater „di Bicci“ genannt wurden. Auf diese beiden Linien sollte sich die Erfolgsgeschichte des Hauses von jetzt an beschränken; alle anderen Verwandten spielten nur noch Nebenrollen. Die wenigen Protagonisten aber hatten ihre Lektion gründlich gelernt. Ein Jahrhundert lang bildeten sie geschäftlich wie politisch eine geschlossene Solidargemeinschaft, die sich auch unter dem stärksten Druck von außen als unerschütterlich und handlungsfähig zugleich erwies. Dieser Zusammenhalt wurde auch dadurch nicht infrage gestellt, dass zu jedem Zeitpunkt die Führungsposition unmissverständlich markiert war. Sie fiel seit den
Der Seeräuber-Papst
Er soll als Pirat ein Vermögen gemacht haben, der neapolitanische Aristokrat Baldassare Cossa (ca. 1370–1419). Als einer von drei Päpsten stach er ab 1410 durch seine skrupellose Machtpolitik und seine rücksichtslose Besteuerung der Kirche hervor. Nach seinem Tod setzte ihm der dankbare Cosimo de’ Medici ein prächtiges Grabmal im Baptisterium in Florenz, auf dem der Verstorbene als „Johannes, einstmals Papst“ (und nicht, wie offiziell gezählt, als Gegenpapst) bezeichnet wird. Proteste dagegen wies Cosimo mit der legendären Antwort „Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben“ zurück.
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Ich gebe, damit du gibst – über den Tod hinaus: Johannes XXIII. machte die Medici reich, Cosimo de’ Medici ließ dem vom Konzil in Konstanz abgesetzten Papst durch Donatello und Michelozzo ein prächtiges Grabmal im Florentiner Baptisterium errichten.
Die Medici
1390er-Jahren Giovanni di Bicci zu, bis dieser sie um 1420 an seinen ältesten Sohn Cosimo weitergab. Dieses System des primus inter semipares funktionierte reibungslos, weil die übrigen Mitglieder der Leitungsgruppe zwar nicht gleichrangig, doch keineswegs ohne wichtige Zuständigkeiten waren. Eine solche Teilung der wichtigsten Aufgaben war schon deshalb unverzichtbar, weil die Aktivitäten der bei weitem einträglichsten Familienfirma, des von Giovanni di Bicci geführten Bankhauses, auf verschiedene Orte verteilt waren. Dabei erwies sich schon bald die römische Filiale als Haupteinnahmequelle; zwischen 1397 und 1435 machten die am Tiber erwirtschafteten Erträge mehr als die Hälfte der gesamten Gewinne aus. Der Erfolg spiegelt das sichere Gespür dafür wider, welche Kandidaten sich in den verworrenen Zeiten der (seit 1378 anhaltenden) Kirchenspaltung durchsetzen würden. Um der Rivalität der in Rom und Avignon residierenden Päpste ein Ende zu bereiten, hatten 24 Kardinäle in Pisa 1409 mit Alexander V. ein neues Oberhaupt der Kirche gewählt. Dieser setzte sich zwar auch nicht in der gesamten Christenheit durch, konnte jedoch, so schien es, von allen drei Konkurrenten die größte Legitimität für sich beanspruchen. Als Alexanders Nachfolger aber kam schon im Jahr darauf mit Baldassare Cossa, der sich Johannes XXIII. nannte, ein Kandidat zum Zuge, der dem Hause Medici finanziell und politisch aufs engste verbunden war. Als Gegenleistung für die guten Dienste, die ihm Giovanni di Bicci und Cosimo erwiesen hatten, betraute er diese als Generaldepositare mit der Führung seiner Konten. Als päpstliche Hausbankiers strichen die Medici nicht nur hohe Gebühren auf alle eingehenden und ausbezahlten Summen ein, sie verdienten auch an den vielen Krediten, die der umtriebige Pontifex in großer Zahl benötigte, nicht schlecht – von den vielen nützlichen Beziehungen, die sich zu einflussreichen Kirchenfürsten knüpfen lassen, ganz zu schweigen. Die gewinnträchtige Symbiose mit der Kurie ging denn auch mit der Absetzung Johannes’ XXIII. auf dem Konzil von Konstanz 1415 keineswegs zu Ende. Ein weiteres halbes Jahrhundert lang führte die Medici-Bank die Konten der Päpste.
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Das Metier des Bankiers
Der Aufstieg der Medici-Bank schlug sich am eindrucksvollsten in ihrer Ausbreitung nieder. Schon 1402 kam nach Rom und Florenz Venedig als dritter Firmensitz hinzu; weitere Zweigstellen in Neapel, Genf, Ancona, Brügge, Pisa, London, Avignon und Mailand folgten bald darauf; in weiteren Geschäftszentren von europäischem Rang zwischen Sevilla und Lübeck war die Firma durch ihre Agenten vertreten. Ihr Führungspersonal rekrutierte sich ganz überwiegend aus Mitgliedern des Hauses Medici; bei außergewöhnlicher Bewährung vermochten Außenstehende wie Giovanni Benci in diesen erlauchten Zirkel Aufnahme zu finden, gleichsam als „Medici ehrenhalber“. Wer darüber hinaus die interne Karriereleiter emporsteigen wollte, musste aus der richtigen Familie stammen, das heißt als zuverlässiger Parteigänger des Hauses Medici ausgewiesen sein. Danach aber kam es nur noch auf individuelle Tüchtigkeit an. Am höchsten geschätzt wurde eine ausgewogene Mischung von Eigeninitiative und Rückversicherung; diese bestand darin, Rat und Zustimmung des Firmenoberhaupts einzuholen, der das Schalten und Walten jedes leitenden Angestellten sorgsam im Auge behielt. So war der perfekte Bankmanager zugleich der ideale Klient: dynamisch durch Ideen und Energie, verlässlich durch Loyalität und Transparenz. Und der erfolgreiche Chef des Bankhauses war zugleich der ideale Politiker; in beiden Metiers kam es auf taktische Finessen, profunde Menschenkenntnis und die Fähigkeit zum unauffälligen Fädenziehen an. Darüber hinaus waren gesunde Skepsis und Mut zum kalkulierten Risiko gefragt, gepaart mit gehöriger Skrupellosigkeit und Abgeklärtheit, mit langem Atem und Entschlossenheit und nicht zuletzt mit der Fähigkeit, abwarten und gezielt zuschlagen zu können. Ausschlaggebend in Bank und Politik aber war letztlich die Kunst, sich so viele nützliche Freunde wie möglich und so wenig Feinde wie nötig zu machen. Anders ausgedrückt: Es kam in Bank- und Staatsgeschäften gleichermaßen darauf an, die richtigen Anträge zu bewilligen und die ungeeigneten abzulehnen. Das galt für Kredite wie für Ämter. Wenn zehn Anhänger um einen einzigen poli-
Da s M e t i e r d e s B a n k i e r s
tischen Posten konkurrierten, musste der Patron denjenigen auswählen, der den meisten Vorteil versprach – für die von ihm geführte Interessengruppe und die Republik, im Idealfall für beide. Die übrigen neun aber mussten abschlägig beschieden werden, ohne dass sie in ihrer Treue wankelmütig wurden; zumindest den Einflussreicheren von ihnen musste man Ersatz oder Erfolg bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit bieten. Bei Geldgeschäften lautete dieselbe Regel: Hände weg von politischen Risiko-Krediten! Höchste Gefahr war immer dann geboten, wenn gekrönte Häupter waghalsige Kriege zu führen planten oder sich so hoch verschuldeten, dass sie sich nur durch einen regelrechten Staatsbankrott, das heißt durch Einstellung aller Schulden- und Zinsendienste, würden sanieren können. Etwas anders sah es mit Investitionen in vielversprechende Kandidaten für höchste Herrscherämter aus. Gewiss, auch hier war besonderes Augenmerk gefordert. Einem Kardinal Cossa die kirchliche Karriere oder dem Mailänder Söldnerführer Francesco Sforza seine Feldzüge zu finanzieren, war und blieb eine unsichere Geldanlage. Doch konnte sie, setzte man auf die richtige Karte, ungeahnte Rendite einbringen – im Falle Johannes XXIII. viel Geld, nach dem Aufstieg Sforzas zum Herzog von Mailand im Jahre 1450 überlebenswichtige politische und militärische Unterstützung. Einsicht in Eigennutz und Gier des Menschen, Nachsicht gegenüber lässlichen Vergehen und Unnachsichtigkeit bei unverzeihlichen Verfehlungen, Großzügigkeit, wo sie angebracht, Härte, wo sie unabdingbar war, höchste Zielstrebigkeit gepaart mit der Gelassenheit, den günstigsten Augenblick zum Handeln abwarten zu können; alle diese Eigenschaften, Fähigkeiten und Fertigkeiten vereinigten Vater und Sohn, Giovanni di Bicci und Cosimo de’ Medici, lebenslang in sich. Darüber hinaus beherrschten sie in höchster Vollendung die Künste der Verstellung und der Propaganda. Meister darin, die Rolle zu spielen, die das Publikum ihnen übertragen hatte, verstanden sie es virtuos, dessen Erwartungen und Reaktionen für sich nutzbar zu machen und auf diese Weise das Stück, das auf der politischen Bühne gespielt wurde, ihren Interessen gemäß zu inszenieren. Dessen Titel lautete
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„Die Medici: gute Bürger und freigebige Mäzene“. Auch dünkte es Cosimo, Gelder zu besitzen, die aus nicht ganz sauberen Geschäften stammten; woher sie kamen, weiß ich nicht. Weil
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er sich nun diese Last von den Schultern nehmen wollte, beriet er sich – da Papst Eugen damals in Florenz weilte – mit seiner Heiligkeit
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über die Dinge, von denen er glaubte, dass sie sein Gewissen belasteten.13
Der Papst aber riet zum Klosterbau. Das war ein guter Grund. Ein anderer war der Neid, den der plötzliche Reichtum der Medici erzeugen musste. Ihn konnte man nur durch ostentative Freigebigkeit eindämmen. Nichts machte Reichtum für andere akzeptabler, als wenn sie selbst daran teilzuhaben glaubten. Das war der Fall, wenn der Reiche durch aufwendige Bauten und Schauspiele den Ruhm der Stadt und damit das Selbstbewusstsein ihrer Bewohner mehrte, Kirche und Kommune von diesen Auf- bzw. Ausgaben freistellte und sein Vermögen ostentativ in den Dienst des Gemeinwohls stellte. Imagebildung wurde so zu einer der zentralen und kostenintensivsten Strategien der Politik. Reichtum sozialverträglich, ja sozialfürsorglich vorzuweisen war die eine, die richtigen Personen unmittelbar an den Segnungen der Bank teilhaben zu lassen, die andere Seite der Politik – der Geschäftspolitik und der „Politikpolitik“, beide unauflöslich ineinander verwoben. So viele Zweige patrizischer Clans waren nach dem Zusammenbruch der großen Handelskompanien in den 1340er-Jahren, durch die unaufhörlichen Pestepidemien und das generelle Schrumpfen der Märkte als Folge des Massensterbens ökonomisch abgesunken oder sogar am Rande der Verarmung. Nicht wenige von ihnen hatten nicht einmal mehr die Mittel, ihre Steuern zu bezahlen, und standen daher im sogenannten specchio, dem Verzeichnis der Schuldner, die die Kommune ihrer Rückstände wegen für amtsunfähig erklärt hatte. Sie durch zinsgünstige oder gar zinslose Darlehen wieder solvent zu machen, hieß, Stimmen im squittinio, in den Räten und Regierungsorganen zu gewinnen. Dasselbe galt für Geldgeschenke in Form von Mitgiften
Da s M e t i e r d e s B a n k i e r s
Im Verrechnungskonto, das er mit Gott führte, betrachtete Cosimo de’ Medici die aufwendige Neuerrichtung des Klosters von S. Marco als einen der gewichtigsten Posten. Weitere kostspielige Bauten in und um Florenz sollten das Guthaben beim Herrn des Himmels erhöhen.
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oder Ausbildungsbeihilfen – der zielgerichteten Verwendung des Medici-Reichtums waren schlechthin keine Grenzen gesetzt – überall lag soziales Kapital, das es nur abzurufen galt. Und das nicht nur in Florenz, sondern in großen Teilen Italiens. Cosimos legendäre Großzügigkeit in Geldsachen war alles andere als sinnlose Verschwendung, sondern eine politische Strategie von einzigartigem Augenmaß. Lukrative Aufträge für Maler, Bildhauer und Steinmetzen taten ein Übriges. Sie gewannen den Medici eine breite Anhängerschaft in der handwerklichen Mittelschicht. Und weil es der Zunft der Bildhauer zu seiner Zeit widerfuhr, dass ihre Meister wenig beschäftigt wurden, beauftragte Cosimo den
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Donatello, damit er nicht ohne Arbeit bliebe, mit Bronzekanzeln für S. Lorenzo. Auch ließ er ihn bestimmte Portale fertigen, die nun in der Sakristei sind. Seine Bank wies er jede Woche an, ihm eine ge-
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wisse Summe Geldes zu überantworten, und zwar so viel, dass es für Donatello und die vier Gesellen, die er sich hielt, ausreichte.14
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für ein Genie – auch das gehörte zum Werbeprogramm des großen Bankiers. Ja, er ließ den Bildhauer sogar ganz neu einkleiden, allerdings gegen dessen Willen. Die vornehmen Gewänder trug Donatello nicht, weil er sich darin lächerlich vorkam. Dafür ließ er sich als Cosimos treuer Klient zu dessen Füßen in der Alten Sakristei von S. Lorenzo bestatten.
Die Parteien
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o begann das unaufhörlich fließende Geld der Medici die Florentiner Gesellschaft von der Mitte bis zur Spitze zu
durchdringen. Ihre Gegner sahen darin den Versuch, die Republik zu zersetzen. Nüchtern betrachtet, strebten Giovanni di Bicci und Cosimo einen zweifachen Transformationsprozess an: Geld in soziales Kapital und dieses in politische Macht umzumünzen. Die erste Verwandlung war weit vorangeschritten, die zweite stand noch aus. Doch auch hier war das Ziel genau definiert; es bestand darin, die einmal gewonnene Macht auf Dauer zu behaupten. Selbst die Methoden, mit denen es erreicht werden sollte, müssen früh erörtert und beschlossen worden sein; das zumindest ist aus der Folgerichtigkeit zu schließen, mit der von jetzt an vorgegangen wurde. Aus den Misserfolgen des 14. Jahrhunderts hatten die Medici den Schluss gezogen, dass bedingungslose Solidarität innerhalb der Kernfamilie die Voraussetzung für den Wiederaufstieg bildete. Ebenso wichtig war die Strategie der Unauffälligkeit, der sie sich jetzt befleißigten. Bescheidenheit und Zurückhaltung, gepaart mit ostentativem Respekt für Institutionen und Traditionen der Republik wurden jetzt zu ihrem Markenzeichen. Ja, Giovanni di Bicci strebte geradezu ein Image der patriotischen Unterordnung der Familieninteressen unter das Gemeinwohl an. Seinen Mitbürgern präsentierte er sich als der ehrliche Geschäftsmann, der ganz in seinen Bank- und Handelsgeschäften aufging und der bei der Ausübung politischer Ämter von allen Umtrieben der rivalisierenden Interessengruppen Abstand hielt.
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Denn nichts beruhigt mich so sehr bei meinem Tode wie die Gewissheit, niemals irgend jemanden gekränkt und stattdessen vielen Gutes
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getan zu haben. Euch rufe ich auf, dasselbe zu tun. Wollt ihr in Ruhe und Sicherheit leben, so beteiligt euch an der Regierung, soweit es euch eure Mitbürger zugestehen. Denn das, was sich der Mensch ei-
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genmächtig nimmt, erregt Hass, nicht das, was ihm die anderen übertragen.15
So die Rede, die der Patriarch seinen Söhnen Cosimo und Lorenzo hielt und die ins kollektive Gedächtnis von Florenz einging. In Anbetracht des lädierten Rufes der Familie war das eine kluge Strategie. Ihre Gegner in den innersten Zirkeln der Macht konnten die Medici mit dieser kunstvoll zelebrierten Attitüde der Politikferne jedoch nicht täuschen. Reichtum drängte nach Teilhabe an der Herrschaft, allein schon aus Gründen der Selbstbehauptung. Dagegen war an sich nichts einzuwenden. Die Medici waren keine Parvenüs, denen man ihren Anteil an den Spitzenpositionen der Republik im Namen der Tradition verwehren konnte. Und dass Familien, den Gezeiten der ökonomischen und politischen Konjunkturen entsprechend, auf- und abstiegen, gehörte zu den Grundregeln des Systems. Warum dann aber die Verhärtung der Fronten ab 1425, die zunehmende Erbitterung der Auseinandersetzungen und die Unduldsamkeit zwischen den rivalisierenden Interessengruppen? Bei aller Gefahr, Entwicklungen im Rückblick für unausweichlich zu halten, tritt nicht nur aufseiten der Medici, sondern auch in den Reihen ihrer Gegner ein immer entschiedenerer Wille hervor, Macht und Einfluss so zu verteilen, dass die eigene Vorherrschaft langfristig gesichert sein würde. Ein immer gewichtigerer Ausschnitt der Führungsschicht war offenbar zunehmend davon überzeugt, dass es an der Zeit war, den sprichwörtlich instabilen Florentiner Verhältnissen mit ihrer Unruhe und Unberechenbarkeit ein Ende zu machen und die turbulente Geschichte der Republik in eine neue Beständigkeit einmünden zu lassen.
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Der Chronist des Alltags
Sein 66 Jahre lang geführtes Tagebuch ist ein einzigartiger Glücksfall für die Sicht der Geschichte von unten: Luca Landucci (1430–1516), der typische Vertreter der unteren Mittelschicht, verzeichnet Hungersnöte, Gewalttaten, Überschwemmungen und Plünderungen, doch nur wenig vom Glanz des Zeitalters. Ja, den Großen seiner Zeit begegnet er mit Skepsis. Gott lenkt die Geschichte, straft die Hochmütigen und wird im Jenseits die Armen und Schutzlosen begünstigen. Der Geist der „Renaissance“ kommt nicht bis in seinen Kramladen.
Dafür sprachen verschiedene Gründe. Zum einen saß das Trauma des Ciompi-Aufstands immer noch tief. Im Zeichen der wirtschaftlichen und demographischen Schrumpfung, die Florenz seit der Pest von 1348 erlebt hatte, wurden die Unterschiede des Vermögens, des Lebensgenusses und der Vornehmheit zwischen oben und unten immer stärker fühlbar. Als Folge der Revolution von 1378 grenzte sich die Elite in ihrem Lebensstil immer deutlicher von der Mittelschicht ab; die alten Gemeinschaft bildenden Riten wie religiöse Prozessionen und Karneval verloren ihre Einbindungskraft. Der Versuch der primi, durch aufwendige Paläste, kostbare Grabkapellen, elegante Villen auf dem Land und prunkvolle Feste in der Stadt ihr Sozialprestige zu erhöhen und so von Handwerkern und Ladenbesitzern als „natürliche“ Führungsschicht akzeptiert zu werden, zeitigte unterschiedliche Resultate. Urteilt man nach den – seltenen – Selbstzeugnissen wie z. B. dem Tagebuch des Gewürzkrämers Luca Landucci, aber auch nach den politischen Willensbekundungen in den Räten und Gremien, so war dieser Mittelstand durchaus nicht unempfänglich für den Glanz, den der künstlerische und kulturelle Aufschwung ihrer Stadt verschaffte. Ebenso aber nahm im Laufe des 15. Jahrhunderts die Fremdheit, ja Entfremdung zwischen Patriziern und Handwerkern zu, bis schließlich zwischen den Mentalitäten der Elite und des Volks nur noch geringe
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Schnittmengen der Übereinstimmung übrig waren. Doch betrachteten die kleinen Leute die Elite nicht, wie von dieser erhofft, mit vertrauensvoller Bewunderung. Stattdessen hegten sie ein tiefes Misstrauen gegenüber Personenkult, Anmaßung und Selbstüberhebung der Reichen und Mächtigen und strebten daher umso mehr danach, ein in ihren Augen gottgefälliges, an den Interessen der Mehrheit ausgerichtetes Gemeinwesen zu gestalten. Da Cosimo sich den weltlichen Angelegenheiten seiner Stadt gewid-
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met hatte, konnte es nicht ausbleiben, dass er dabei viel von seinem Gewissen gelassen hatte, wie es die die meisten tun, welche die Staaten regieren und begehren, vor anderen zu
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stehen.16
Gefährliche Rezepte
Wille zur Macht als Ausdruck von Selbstüberhebung und Gefährdung des Seelenheils – diese volkstümliche Sicht der Staatsgeschäfte findet selbst in einer überwiegend freundlichen Biographie Cosimos ihren Niederschlag. Doch bei allem ungestillten Hunger auf Politik hielten die führenden Vertreter des Mittelstandes in der Regel still, solange das Patriziat fest im Sattel saß. Und nahmen, was man ihnen gab: ihren Anteil an den Spitzenämtern sowie die Aufträge und anderen Werbegeschenke der führenden Patrizier, die um ihre Gefolgschaft buhlten. Und natürlich machten sie sich auch die Mechanismen des Aufstiegs zunutze, die ihnen die Rivalität der Klientelverbände bot. Doch das alles konnte kaum darüber hinwegtäuschen, dass Handwerker und Ladenbesitzer damit nicht zufrieden waren, sondern mehr wollten. Um sich gegen diesen Druck von unten dauerhaft abzusichern, suchte das Patriziat nach neuen politischen Lösungen, sprich Garantien für seine dauerhafte Dominanz. Mit genau diesem Versprechen, die ökonomischen, sozialen und politischen Hierarchien dauerhaft zu stabilisieren und damit die etablierten Eliten vor unerwünschter Konkurrenz der Mittelschichten zu schützen, hatte seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts die Signorie, die auf dem Papier
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unumschränkte Einzelherrschaft des Stadtherrn, ihren Siegeszug in Mittel- und Oberitalien angetreten. Allen im 19. Jahrhundert über diese „Renaissance-Tyrannen“ verbreiteten Mythen entgegen, regierten die signori ihrem Selbstverständnis nach als Verkörperungen der besseren, gerechteren und vor allem friedlicheren Republik: auf Ausgleich innerhalb der Führungsschicht, aber ebenso auf Volkstümlichkeit durch gute Versorgung der kleinen Leute mit Brot und anderen Grundnahrungsmitteln bedacht. Der Berufung eines starken Mannes zum Alleinherrscher aber standen in Florenz die republikanischen Traditionen nahezu unüberwindlich entgegen. Ein einziges Mal in ihrer bewegten Geschichte, nicht zufälligerweise in den krisenhaften 1340erJahren, hatte die innerlich zerrissene Republik die gefährliche Medizin der Signorie erprobt – um alsbald ihre Untauglichkeit, ja Schädlichkeit zu erkennen und die Erinnerung an diese peinliche Episode in der Folgezeit so vollständig wie möglich zu tilgen. Aber nicht nur die Macht der Ideologie und die von dieser erzeugte kollektive Identität stand dem Modell Einzelherrschaft am Arno entgegen; darüber hinaus war die politische Klasse in ihrer Gesamtheit keineswegs bereit, die obersten Lenkungsbefugnisse an einen in den Bereichen Diplomatie, Militärwesen und Propaganda allmächtigen signore abzutreten. Was sie stattdessen als Alternative zur offenen Oligarchie lockte, lässt sich als „gelenkte“ Republik umschreiben: ein Gemeinwesen, in dem der Wille der großen Familien unwidersprochen zählte, ohne dass die intensive Konkurrenz zwischen diesen selbst zum Erliegen kam. Um diese auszutragen, ohne dass dadurch tiefere Risse im Gefüge der Elite verursacht oder gar Zerwürfnisse wie im Jahr des Unheils 1378 heraufbeschworen wurden, bedurfte es neuer, effizienter eingeschärfter Regeln und damit einer Instanz, die die Einhaltung der Normen zu gewährleisten und Konflikte zu schlichten vermochte. Wie diese Vermittlung im Einzelnen auszusehen hatte und in wessen Händen sie liegen sollte, war offen. Fest stand allein, dass dieser Schiedsrichter genügend Autorität besitzen sollte, um die innerpatrizische Rivalität in friedliche Bahnen zu lenken, doch nicht so viel Macht, dass es ihn nach der unumschränkten Herrschaft eines signore zu streben
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gelüstete. Diese Problemstellung war alt und neu zugleich. Alt war die innere Spaltung, die schon zweihundert Jahre zuvor dazu geführt hatte, dass man den Versöhner zwischen den Konfliktparteien von außen, und zwar aus einer verbündeten Stadt, als Republikoberhaupt auf Zeit berief. Neu war anno 1425, dass dieser Moderator hinter den Kulissen der Chef einer der beiden rivalisierenden Interessengruppen sein würde. Wer immer die Rolle des Privilegiensicherers und Ausgleichsstifters spielen sollte, er musste einen Mittelweg zwischen den Verführungen zur Allmacht, den Verlockungen der Cliquenwirtschaft und der Familienbereicherung auf der einen und den Ansprüchen der Mittelschicht auf der anderen Seite beschreiten. Nur so ließ sich der notwendige Basiskonsens innerhalb des Patriziats, aber auch mit Handwerkern und Ladenbesitzern und damit Stabilität in der Stadt und ihrem Territorialstaat sowie Prestige nach außen herbeiführen. Mit anderen Worten: Um sich einer der beiden Interessengruppen anzuschließen, musste man von der Stichhaltigkeit des politischen Programms, dem Nutzen, den man daraus ziehen würde, aber auch von den Führungsqualitäten des Netzwerkführers und seiner engsten Mitstreiter überzeugt sein.
Zwei Patrone
In beiderlei Hinsicht hatten die Florentiner die Wahl. Ja, nicht wenige Zeitzeugen waren sogar davon überzeugt, dass ein regelrechter Klassenkampf angesagt war. Mit den Zügen einer solchen Polarisierung von unten gegen oben schildert der aus einer ebenso alten wie vornehmen Familie stammende Giovanni Cavalcanti den jetzt anhebenden Kampf um die Macht. In seinem Geschichtswerk tritt Cosimo de’ Medici als Idol der Masse, ja geradezu als eine Art Volkstribun und Volksbefreier hervor – eine Sicht der Auseinandersetzung, die demokratisch eingestellte Historiker des 19. Jahrhunderts verständlicherweise begierig nachgeschrieben haben, ohne sich über die darin beschlossenen Widersprüche Rechenschaft abzulegen. Zum einen haben die Medici im Laufe ihrer Vorherrschaft über die gelenkte Republik
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nicht die Mittelschichten, geschweige denn das „Volk“ insgesamt zur politischen Gleichberechtigung emporgeführt, sondern gezielt einige ihrer treuesten Klienten in die Führungsschicht integriert. Nicht weniger verwirrend mutet an, dass der ahnenstolze Cavalcanti selbst auf die Seite der angeblichen Umsturzpartei trat, ganz zu schweigen davon, dass er als deren Führer an der Seite Cosimo de’ Medicis fast ausschließlich Vertreter der führenden Familien zu nennen weiß. Seine Familie war mit den Medici verschwägert und hoffte dadurch aus der schwarzen Liste der Magnaten gestrichen zu werden – so einfach lösen sich die Widersprüche auf. Die Feindbilder, mit denen beide Seiten Anhänger zu gewinnen suchten, aber verfestigten sich mehr denn je. Rinaldo degli Albizzi, den Führer der Medici-Gegner, charakterisiert Cavalcanti wie folgt:
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Er suchte um jeden Preis nach Anhang; sein Hochmut aber verbot ihm, anderen zu folgen. Er galt in der Stadt als tapfer, doch der Ruhm seines Vaters machte ihn übermäßig ehrgeizig und arrogant.17
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Wie der Patron, so die ganze Partei – das Image der aristokratischen Volksverächter und der Möchtegern-Despoten schlachteten die Medici weidlich aus. Doch die Gegenseite blieb ihnen nichts schuldig. Die Kommune sorgt dafür, dass jeder Bürger die ihm gebührenden
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Würden erhält; und sie verhindert, dass einer bekommt, was die Gerechtigkeit allen zugesteht. Cosimo aber unterläuft die Regeln der Republik. Dem Staatsoberhaupt obliegt es, ihn mit der Kraft der Gerechtigkeit in die Schranken zu weisen und seinen Hochmut eingestehen zu lassen. […] Durch seine Reichtümer eröffnet er sich nämlich Wege, die ihn zur Alleinherrschaft führen können. Denn er
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lockt die Führer des niederen Volks mit schnödem Geld.18
So Rinaldo über seinen Rivalen. Cosimo, der mit seinem schmutzigen Geld das Volk besticht und mithilfe korrupter Parvenüs die Macht erobern will – auch dieses Klischee blieb haften. Wie so viele Kampfpa-
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rolen hatte es einen harten Kern. Die Medici-Klientel rekrutierte sich zur Hälfte aus Familien, die bislang noch nicht bzw. nicht mehr zum inneren Kreis der Oligarchie zählten, vom nahenden Machtkampf also ihren Aufstieg in die Spitzenpositionen der Republik erhoffen durften. Zwar waren darüber hinaus mit den Ridolfi, Tornabuoni, Guicciardini, Bardi und Pitti illustre Namen vertreten, doch handelte es sich dabei oft nur um einzelne Zweige oder Individuen, die aus familieninternen Gründen die Loyalität ihrer Verwandten und Freunde aufgekündigt hatten und zur Gegenseite übergelaufen waren. Insgesamt konnte der patrizische Anhang der Medici daher nicht dasselbe Gewicht in die Waagschale werfen wie seine Gegner. Die nach Vermögen vorgenommene Rangordnung zeigt jedoch ein umgekehrtes Bild. Legt man die Angaben des Katasters, des Verzeichnisses sämtlicher steuerpflichtiger Besitztümer zugrunde, so übertrafen die Anhänger der Medici ihre vornehmeren Konkurrenten bei Weitem; überdies finden sich in ihren Reihen auffällig viele neue Reiche. Dieser Befund liegt in der Logik der ab 1425 immer heftiger ausgetragenen Auseinandersetzungen: Eine alte, ihre sozialen und politischen Besitzstände verteidigende Elite kämpft gegen eine Interessengruppe, deren Führung einen partiellen Austausch der inneren Machtkreise anstrebt, um sich mithilfe dieser neuen Männer umso dauerhafter an den Schalthebeln der Macht einzurichten. Geschäftlichen Erfolg in politischen Einfluss umzumünzen, entsprach den Grundsätzen der Republik. Insofern konnten sich die Medici und ihre Gefolgsleute auf urflorentinische Prinzipien berufen. Nur sollte man nicht übersehen, dass sie die Macht erobern wollten, um dieser Mobilität ein für alle Mal ein Ende zu bereiten. Älter, vornehmer, adeliger, aber oft auch ärmer, geschäftlich weniger innovativ, konservativer in den Auffassungen von Staat und Gesellschaft, dazu, wie sich bald zeigen sollte, zögerlicher, uneiniger und vor allem lockerer verfugt: So fällt das Kurzprofil der Medici-Gegner aus. War die Medici-Klientel zentripetal, auf ihr Haupt Cosimo de’ Medici hin ausgerichtet, bei dem alle Fäden der Loyalität, der Kommunikation und damit der Entscheidungsfindung zusammenliefen, so
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waren die Strukturen der Gegenseite weniger übersichtlich bzw. eindeutig. Zwar stand auch hier mit den Albizzi und ihrem Chef Rinaldo eine Familie mit einem ihrer Zweige im Zentrum, doch war diese Führungsposition weitaus weniger herausgehoben, und zwar aus mehreren Gründen. Hatten Giovanni di Bicci und Cosimo ihr Netzwerk selbst aufgebaut, so hatte Rinaldo degli Albizzi diese Stellung von seinem prestigeträchtigeren Vater übernommen. Überdies waren Einfluss und Reputation innerhalb des Führungszirkels geteilt. Als Ideen- und Ratgeber genoss Niccolò da Uzzano innerhalb der „Albizzi-Partei“ das höchste Ansehen, und zwar nicht nur bei den eigenen Gefolgsleuten, sondern auch bei den Medici, die seine Fähigkeit zuzuhören und seine Bereitschaft, Kompromisse zu schließen, uneingeschränkt anerkannten. Durch dieses Renommee des „elder statesman“ vermochte da Uzzano bis zu seinem Tod Anfang 1432 die extreme Zuspitzung des Konflikts zu verhindern. Ja, es zirkulierten Gerüchte, wonach der weise alte Mann auf die Frage, wer Florenz besser regieren werde, Rinaldo degli Albizzi oder Cosimo de’ Medici, dem Chef der gegnerischen Partei den Vorzug gegeben habe.19 Mit diesem Votum stand er in seiner Partei keineswegs allein. Besonders peinlich war der Übertritt von Rinaldos Bruder Luca degli Albizzi auf die Seite der Medici. Feindliche Brüder waren im Florentiner Patriziat keine Seltenheit; die Aufteilung von Firmenanteilen und Vermögenswerten führte regelmäßig zu solchen Entzweiungen. Dass der Streit jedoch so weit ging, dass ein enger Verwandter dem ganzen Haus, seinen Traditionen und Interessen, die Gefolgschaft aufkündigte, gab zu denken. Zudem war Luca degli Albizzi nicht der Einzige, den das schroffe und willkürliche Gehabe Rinaldos vor den Kopf stieß. Diese herrische Attitüde war umso unangemessener, als sich das Netzwerk der Albizzi horizontaler zusammensetzte als das der Medici. Familien wie die Strozzi, Peruzzi, Gianfigliazzi oder Ricasoli waren weitgehend gleichrangig und verfügten über eigene Gefolgschaften, die sie jederzeit aus dem Verbund der Interessengruppe herauslösen konnten. Speziell die Strozzi wurden durch das schroffe Gehabe Rinaldos entfremdet. Und noch etwas sprach dafür, sich seinen Gegnern an-
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Scharfsinn, Geistesgegenwart, Menschlichkeit – der bezwingenden Ausdruckskraft und Lebendigkeit von Donatellos Porträt Niccolò da Uzzanos kann sich bis heute kein Betrachter entziehen. Nach seinem Tod hatten die Medici in Florenz keinen ebenbürtigen Gegner mehr.
D i e Ku n s t d e r P ro pa g a n da
zuschließen. Cosimo de’ Medici hatte durch zielgerichtete Investitionen nicht nur in Florenz, sondern in großen Teilen Italiens mächtige Freunde gewonnen. Diese amici – das war absehbar – würden ihren Einfluss dafür geltend machen, dass er und nicht Rinaldo degli Albizzi die Geschicke der Republik lenken sollte.
Die Kunst der Propaganda
Wer den bevorstehenden Machtkampf für sich entscheiden und die Vorherrschaft auf Dauer festigen wollte, musste mit ungewöhnlichem Geschick, mit Einfühlungsvermögen und Fingerspitzengefühl vorgehen. Voraussetzung für einen nachhaltigen Erfolg war das Gespür dafür, welche Maßnahmen im Allgemeinen und welche Umformungen der Republik im Besonderen für die Mehrheit der Führungs- wie der Mittelschicht noch zumutbar waren bzw. an welchem Punkt Tabus verletzt wurden; zugleich galt es auszuloten, wie sich Eingriffe in das Machtgefüge so darstellen ließen, dass sie nicht als Bruch mit der Vergangenheit, sondern als deren zeitgemäße Fortsetzung erschienen. Zu diesem Zweck war es erforderlich, die Stimmungslage in den Gremien und Räten auszuforschen, um auf jeden Umschlag der öffentlichen Meinung mit der gebotenen Flexibilität reagieren zu können. Dabei lautete die Basisformel: so viel Härte, ja Skrupellosigkeit wie irgend tolerierbar, so viel Rücksichtnahme auf Traditionen und verwurzelte Wertvorstellungen wie unbedingt nötig. Die Kunst der Propaganda, ja der Verstellung war somit gefragt. Denn wer auch immer das Ringen für sich entschied, er würde das unvermeidliche Resultat, die gesäuberte und gelenkte Republik, ungeschönt nie und nimmer präsentieren dürfen. Die Vorherrschaft einer Interessengruppe, die die Ressourcen der Republik zur politischen und ökonomischen Förderung ihrer Anhänger und zur Ausschaltung ihrer Feinde benutzte, war ein hässlicher, von allen politischen Autoren seit der Antike als GruppenTyrannis, als Oligarchie in ihrer abstoßendsten Gestalt gebrandmarkter Zustand. Lange bevor der Ausgang des Konflikts ausgemacht war, musste man daher Strategien entwerfen, wie man dessen Ergebnis in
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ein milderes Licht tauchen und dadurch für breitere Kreise annehmbar machen konnte. Dafür gab es nur eine Lösung: Man musste die eigene Sicht der Dinge so eindringlich und wirkungsmächtig vor Augen führen, dass die politische Klasse sie sich nach und nach zu eigen machen würde. Umgestaltung der Republik Florenz und Umerziehung der Florentiner verschränkten sich zu einer einzigen großen Aufgabe. So stand nicht nur ein Kampf um die Macht, sondern auch um die Deutungs- und Darstellungshoheit an. Beide konnte nur gewinnen, wer sich der psychologischen und propagandistischen Dimensionen des Konflikts bewusst war. Die Virtuosität, mit der Cosimo de’ Medici in diesem doppelten Ringen agierte, taktierte und schließlich dominierte, erhebt das Geschehen der Jahre 1425 bis 1434 zu einem Lehrstück für alle Zeit: politisches Welttheater im Palazzo della Signoria.
Der
Macht kampf
„Wenn ihre Vorfahren sich der kleinen Leute bedient hätten, um den Hochmut des alten Adels niederzuringen, so müsse man heute, wo dieser gehorsam, das Volk aber frech geworden sei, dessen Dreistigkeit mithilfe des Adels eindämmen. Zu diesem Zweck könne man mit List oder Gewalt vorgehen.“1
Erster Akt: Schuldzuweisungen und Nadelstiche
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it den Magnaten gegen die Medici – so lautete der Kampfruf, den Rinaldo degli Albizzi auf einer Kampf-
versammlung von Gleichgesinnten im Sommer 1426 anstimmte. Und auch der besonnene Niccolò da Uzzano fordert Kampfmaßnahmen. Die „Medici-Sekte“ – so die Kampfbezeichnung – hatte ihre Anhänger in alle Gremien und Räte von Belang geschleust, und zwar durch die Hintertüren, die die komplexe Wahlgesetzgebung und die verwickelten Verfahren der Ämterrekrutierung ihnen geöffnet hatten. Mit besonderem Geschick bedienten sich die Feinde des rimbotto; dadurch wurden die Namen von Kandidaten in die Wahlbeutel eingefüllt, die zwar im letzten squittinio im Prinzip für wählbar erklärt, doch damit noch nicht automatisch für die Spitzenämter qualifiziert waren. Zudem scheuten die Medici sich nicht, das anrüchige „do ut des“ ganz offen in die Politik hineinzutragen. Ihre Gefolgsleute handelten nach klaren Anweisungen. Wer in der Stadtregierung Einsitz nahm, wusste, was er zu tun hatte: alles zum Nutzen und Ruhm der Medici! Damit stellte sich eine Familie über die Kommune: ein unerhörter Verstoß gegen die geheiligte Ordnung, ja, eine politische Blasphemie! Doch die verfluchte „Sekte“ zielte nicht nur auf das Herz der Republik, sondern auch auf die Kanzlei, das Zentrum der Verwaltung. Denn sie umwarben mit ihrem unseligen Geld die Notare, welche deren Abteilungen leiteten. Diese hatten zwar keine eigene Macht, wohl aber – gewiefte Juristen, die sie waren – mancherlei Insiderwissen, das sich für unsaubere Machenschaften hinter den Kulissen nutzbar machen ließ.
Schuldzuweisungen und Nadelstiche
Soweit der Katalog der Anklagen. Dass die Heißsporne aus den Kreisen der alten Elite energische Gegenmaßnahmen forderten, um dieser Wühlarbeit ein Ende zu bereiten, erstaunt nicht, genauso wenig wie ihre Parole: Von Venedig lernen, heißt siegen lernen. Die Lagunenrepublik war für die Florentiner „Aristokratenpartei“ die beste der politischen Welten, weil hier ein genau definierter und registrierter Adel alle politischen Rechte besaß und nur dessen innerster Kreis die Staatsgeschäfte dominierte. Wahrlich, ein lockendes Modell! Als Folge dieser Weisheit – so weiter die Lobredner der Serenissima am Arno – ernteten die Venezianer die süßesten politischen Früchte: Stabilität, inneren Ausgleich, Harmonie zwischen oben und unten, Frieden im Innern, Ansehen nach außen, ungestörten Handel und Wandel sowie stetige Ausdehnung des Staatsgebiets. Um diese paradiesischen Zustände auch in Florenz herbeizuführen, mussten die rohen, neidischen und gierigen Kreaturen der Medici, die sich der Republik zu bemächtigen suchten, mitsamt ihren machtlüsternen Patronen von allen Ämtern und Würden ausgeschlossen werden. Dann würde die Republik endlich wieder denen gehören, die durch die Verdienste ihrer Vorfahren und die von diesen ererbte Tüchtigkeit ein dauerhaftes Anrecht auf die Führung der Staatsgeschäfte geltend machen konnten. Hinter aller Polemik zeichnet sich ein Bild der Medici-Fraktion ab, das – wie zahlreiche Briefe und Memoranden ihrer Mitglieder belegen – in manchem der nüchternen Wirklichkeit nahe kam. Im Zentrum der Kanzlei hatte sie mit Ser Martino Martini einen Parteigänger platziert, der sie regelmäßig mit geheimen Informationen versorgte und offenbar nicht einmal davor zurückschreckte, amtliche Dokumente zu fälschen. Dieser Infiltrierungs-Strategie gemäß betrieben sie die Ablösung des Kanzlers Paolo Fortini selbst, der innerhalb des gegnerischen Netzwerks über Ansehen und Einfluss verfügte. Zu diesem Zweck machten die Anhänger der Medici in den Räten der Kommune und des Volkes Stimmung gegen den Chef der florentinischen Staatsverwaltung. Mit dieser Rückendeckung konnten sie nach Ziehung einer günstigen Signoria im November 1427 den ersten großen Coup im Machtkampf wagen. Und zwar mit Erfolg: Fortini hatte den ebenso
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Von Adlern gestützt, vom Löwenwappen gekrönt und von der Madonna mit dem Kind im Himmel empfohlen: Das von Bernardo Rosselino geschaffene Grabmal Leonardo Brunis in Santa Croce zeigt den Kanzler der Republik und führenden Humanisten seiner Zeit mit den Zeichen des höchsten Ruhmes, mit dem Lorbeerkranz ums Haupt und seiner Geschichte von Florenz auf der Brust.
Schuldzuweisungen und Nadelstiche
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Die Karriere des Gelehrten
Leonardo Bruni (1369–1444) war der Sohn eines kleinen Getreidehändlers aus der florentinischen Untertanenstadt Arezzo – und starb auf Platz 72 der florentinischen Vermögensskala. Die dankbare Republik errichtete ihrem Kanzler in Santa Croce ein prachtvolles Marmorgrabmal. Darauf sind auch seine Bücher zu sehen – Brunis Geschichte des flo-
rentinischen Volkes mit ihrer Hymne auf Freiheit und Gerechtigkeit am Arno wurde zum Vorzeige-Geschichtswerk der Florentiner. Netzwerke und Parteiinteressen werden darin weitgehend ausgeblendet.
einflussreichen wie lukrativen Posten des Kanzlers zu räumen. Sein Nachfolger wurde mit Leonardo Bruni der größte Gelehrte seiner Zeit – und ein weiterer Parvenü, den die Medici als ihren Interessen gewogen betrachten durften. Früh zeichnete sich so ab, an welcher Stelle sie nach dem Gewinn der Macht die Hebel ansetzen würden, um diese zu behaupten. Dabei leitete sie ein untrüglicher Instinkt für Chancen und Risiken der Manipulation. Lederbeutel waren wie Papier geduldig und redeten nicht. Doch bis man sie nach eigenem Gutdünken präparieren konnte, war es noch ein weiter Weg. Der Sturz des verhassten Kanzlers war ein Teilerfolg, mehr nicht. Wichtiger war es, im für die Jahreswende 1427/28 angesetzten squittinio frühzeitig die Weichen zu stellen. Aus der Korrespondenz zwischen Führung und Gefolgschaft geht hervor, mit welcher Zielstrebigkeit Cosimo und im Hintergrund sein Vater Giovanni darauf hinarbeiteten, die allgemeine Amtsfähigkeits-Überprüfung möglichst schnell, ohne lange Diskussionen und eingehende Nachforschungen abzuwickeln und auf diese Weise eine möglichst große Zahl von Zulassungen zu erreichen. Auch in dieser Hinsicht waren die Klagen da Uzzanos und der Albizzi, auf ihren harten, das heißt. quantifizierbaren Kern reduziert, berechtigt. Aus den Briefen Cosimos und seines in Florenz überaus umtriebigen Vetters Averardo spricht die Zufriedenheit über ein squittinio largo;2 largo („breit“) hieß, dass viele An-
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hänger von jetzt an per Los für Führungsämter gezogen werden konnten. Angesichts des Lotteriecharakters der Republik stiegen damit die Gewinnchancen deutlich an: corriger la fortune auf Florentinisch. Doch sagte man das nicht so, sondern weihevoller. Das neue squittinio, so ein treuer Klient in einem Brief an Averardo de’ Medici, werde erfreulich „demokratisch“ ausfallen.3 Stets auf ihre Außenwirkung bedacht, förderten die Medici mit Bruni und anderen Humanisten gezielt diejenigen, die sich ihre Sicht der Dinge zu eigen machten und in ganz Italien verbreiteten. Von den wenigen, die anderer Meinung waren, musste Francesco Filelfo seine Vorlesungen über antike Autoren am Florentiner Studio einstellen und die Stadt verlassen. Stattdessen durften Poggio Bracciolini und Niccolò Niccoli ungestört den Ruhm der Medici mehren.
Steuern für die Republik
Das politische Hauptereignis der 1420er-Jahre aber war die Einführung des neuen catasto. Dieses auf der Grundlage minutiöser Recherchen angelegte Verzeichnis aller steuerpflichtigen Güter und Einkommen trat im Mai 1427 in Kraft. Seine Bestimmungen kamen einer stillen Revolution gleich. Zuvor hatte die Kommune ihre Ausgaben durch die Besteuerung von Konsumgütern und durch Einfuhrzölle bestritten, und zwar mehr schlecht als recht. Infolge der chronischen Unterfinanzierung war die Staatsschuld in schwindelerregende Höhen gestiegen; die direkten Abgaben auf alle Vermögenswerte, die auf der Grundlage des catasto zu leisten waren, sollten hier Abhilfe schaffen. Durch glückliche Zufälle der Überlieferung erhalten, bietet das Steuerverzeichnis einen einzigartigen Einblick in die Verteilung und Hierarchien des Besitzes. Von den aufgelisteten 37 144 Personen – hundertzwanzig Jahre früher, vor den Pestepidemien, waren es dreimal so viele – hatte ein Drittel aufgrund ihrer Armut gar keine Abgaben zu bezahlen, während Familien wie die Strozzi, Bardi und Medici mit jeweils ca. zwei Prozent des städtischen Gesamtvermögens veranschlagt wurden. Auch wenn die führenden Patrizier ihr Vermö-
Steuern für die Republik
gen durch mancherlei Buchhaltungskünste kleinzurechnen verstanden, war und blieb der catasto für sie ein harter Schlag. Dementspre-chend rissen die Vorwürfe, dass es überhaupt so weit gekommen war, nicht ab; beide Parteien schoben sich gegenseitig die Schuld daran zu, dass jetzt der Grundsatz, wer mehr hat, muss auch mehr zahlen, galt – und blickten nostalgisch auf die jüngere Vergangenheit zurück, in der man diese Last in viel höherem Maße auf die Mittelschicht abgewälzt hatte. Doch galt gerade hier der Zwang zur Verstellung. Der catasto war von der Notwendigkeit diktiert, die akute Finanznot der Stadt zu beheben und die Republik auf diese Weise handlungsfähig zu erhalten; darüber hinaus hatte er den angenehmen Nebeneffekt, die lästigen Ansprüche der unruhigen Handwerker und Ladenbesitzer ein für alle Mal abzugelten. Mit dem Hinweis auf das neue Steuerverzeichnis konnte sich das Patriziat patriotisch in die Brust werfen, ja sogar seine Führungsposition begründen: Wir finanzieren den Staat, also regieren wir ihn auch. Da von nun an die Verteilung der Steuern durch das Gesetz und nicht mehr nach menschlicher Willkür vorgenommen wurde, schulterten
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die mächtigen Bürger von nun an eine schwere Bürde. Daher waren sie schon gegen das Gesetz, bevor es überhaupt beraten wurde. Nur
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Giovanni de’ Medici pries es in so starken Worten, dass es schließlich durchgebracht wurde.4
Auch wenn Machiavelli sich hier beträchtliche Freiheiten hinsichtlich der Fakten und ihrer Deutung erlaubt, die Strategie der Medici arbeitet er richtig heraus: sich in der Öffentlichkeit als patriotische Finanziers der Kommune zu profilieren. Dieses Votum für „soziale Gerechtigkeit“ war umso geschickter, als die – relative – Abgabentransparenz ihre Anhänger schwerer traf als ihre weniger begüterten Gegner. Ungeachtet aller „Wir nehmen diese gerechte Last auf uns“-Rhetorik ihres Führers Cosimo war es daher das erklärte Ziel ihrer Interessengruppe, die unerhörte Umschichtung der Abgaben so schnell wie möglich rückgängig zu machen. Den catasto offiziell in Kraft zu lassen und
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Masaccios Fresko in der Brancacci-Kapelle von S. Maria del Carmine zeigt die Debatten über den Catasto im biblischen Gewande: Wenn selbst Petrus für Christus, seinen Herrn, und die übrigen Jünger Abgaben entrichtete, dann waren die reichen Florentiner Bankiers allemal verpflichtet, ihre Einnahmen aufzudecken und zu versteuern.
Steuern für die Republik
de facto auszuhöhlen – diese Operation ähnelte nicht zufälligerweise dem geplanten Umbau der Republik als ganzer. Und als die AlbizziPartei die neue Steuergerechtigkeit auch in der Untertanenstadt Volterra einführen wollte und durch die damit verbundene Erhöhung der Abgaben Unruhen auslöste, nutzte Cosimo die Gelegenheit, eine ganze Stadt in sein Netzwerk aufzunehmen. Er setzte nämlich durch, dass die zwischenzeitlich eingekerkerten Abgesandten Volterras wieder auf freien Fuß gesetzt wurden und die Stadt selbst mit einer niedrigeren Pauschalsumme davon kam. Nicht zuletzt war das ein Wink mit dem Zaunpfahl für das Florentiner Patriziat: Folgt uns, und der Steuersturm wird abflauen! In Sachen Klientelbildung hatte die alte Elite von diesem Mann eine Menge zu lernen.
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Erster Akt
Macht und Ohnmacht der Tradition
Wie weit die Polarisierung vorangeschritten und das Klima dadurch aufgeheizt war, zeigte nichts eindringlicher als die Hilflosigkeit, mit der man sie zu bekämpfen versuchte. Wie alle Republiken bis auf den heutigen Tag reagierte Florenz auf die innere Krise mit der Bildung einer Kommission: Wenn die Kommune zutiefst gespalten war, dann musste ein bevollmächtigter Ausschuss sie eben wieder zusammenführen. Diesem tief verwurzelten Impuls folgend, rief die Signoria schon im Februar 1426 die conservatori delle leggi, die „Bewahrer der Gesetze“, ins Leben – und öffnete damit eine Büchse der Pandora. Ihren Satzungen gemäß sollten zehn weise Männer nach Mitteln und Wegen sinnen, um den überhandnehmenden Parteigeist aus dem öffentlichen Leben zu verbannen; zu diesem Zweck sollten sämtliche societates, alle Zusammenschlüsse, die durch die Verfolgung eigennütziger Ziele die Republik unterwanderten, rigoros ausgetilgt und die spalterischer Machenschaften verdächtigen Persönlichkeiten bei der Behörde angezeigt werden. Wie unschwer voraussehbar, gingen solche Denunziationen überreichlich ein. Binnen Kurzem war, wer irgend Rang und Namen hatte, als subversives Element namhaft gemacht. Dazu kamen Definitionsprobleme. Was war eigentlich eine verbotene „Sekte“? Wenn man darunter die nützlichen Freundschaften verstand, die das Patriziat untereinander und mit führenden Vertretern der Mittelschicht geschlossen hatte, dann musste man sämtliche sozialen Netze einreißen, die das politische Leben bestimmten – von den unklaren Übergängen zwischen diesem und dem geschäftlichen Sektor ganz zu schweigen. Doch natürlich war das Verbot nicht auf die Klientel insgesamt, sondern auf deren aggressivste Variante, die Interessengruppe mit dem Zweck, die Macht im Staat zu erobern, gemünzt und damit gegen die Medici-Partei gerichtet. Diese aber kehrte den Spieß um, sodass schließlich die Führungsschicht als ganze diskreditiert war – und zerstrittener denn je. Was konkrete Maßnahmen gegen diese immer tiefere Zersplitterung betraf, so war guter Rat seit der Gründung der Kommune im
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12. Jahrhundert teuer. Bezeichnend für die Verunsicherung, die in den 1420er-Jahren um sich griff, war der Rückgriff auf das älteste ideologische Rüstzeug; in Zeiten der Krise färbte sich die vermeintlich heile Vergangenheit geradezu golden ein. So ließen die „Gesetzesbewahrer“ an die siebenhundert Personen – darunter das komplette Führungspersonal beider Parteien – einen feierlichen Eid schwören, dass sie die Interessen der Kommune allzeit über ihre Privatangelegenheiten stellen würden. Man muss denen, die diese Verpflichtung unterschrieben, nicht einmal Zynismus unterstellen. Sie waren fraglos davon durchdrungen, dass ihre Bestrebungen dem Gemeinwohl dienten; das Problem war, dass jede Seite dazu neigte, dieses bonum comune mit der eigenen Vorherrschaft gleichzusetzen. Ein weiteres Rezept, das die conservatori delle leggi zur Anwendung brachten, lässt sich als Versuch einer kollektiven Autosuggestion beschreiben. Die Behörde zielte darauf ab, die höchsten Ämter der Republik zu resakralisieren, und zwar durch den Appell, in den neun Mitgliedern der Stadtregierung die Treuhänder Gottes und die Sachwalter der allein gottgefälligen Staatsform, des Freistaats, zu erkennen. Wie ihre frommen Vorfahren sollten auch die Florentiner der Gegenwart den Prioren, die allein den Gesetzen der Republik ergeben waren und daher zum Nutzen aller handelten, ihr Vertrauen schenken, gleichsam wie Kinder ihren Vätern. Diese erbauliche Predigt fand in den Beratungen der Kommission begeisterte Zustimmung. Dennoch mischten sich Misstöne in die getragene Harmonie. Bei den Wahlen zur Stadtregierung gehe es um Profit und um Ehre; die verfluchte gente nuova, das dreiste Parvenüpack, wolle sich daher des Staates bemächtigen. Da war sie unversehens wieder, die krude Realität, die es doch in der feierlichen Beschwörung unverbrüchlichen Zusammenhalts zu verdrängen galt. Die Entzauberung der politischen Mythen ließ sich nicht rückgängig machen. Ein Parteigänger blieb seinem Patron verpflichtet, auch wenn er zum Prior gewählt wurde; die Ziehung seines Namens aus dem Losbeutel hatte keine mystische Verwandlung zum uneigennützigen Staatsbürger zur Folge. Wunder kamen von Gott, Politik machten Interessengruppen.
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Erster Akt
Die Feindschaften in Florenz waren stets von Cliquenbildungen verursacht und daher für das Gemeinwesen verhängnisvoll. Denn kei-
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ne siegreiche Interessengruppe blieb in sich geschlossen, es sei denn, die feindliche Partei blieb erhalten. War diese aber ausgeschaltet und
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mit ihr die Furcht und Zurückhaltung der Sieger, zersetzte sie sich augenblicklich.5
Im Gegensatz zu Machiavelli, der den Medici, seinen Auftraggebern, diese ernüchternde Sicht ihrer eigenen Geschichte ins Stammbuch schrieb, mochten sich die Florentiner Patrizier den Glauben, dass das Grundübel der Parteispaltung kurierbar sei, nicht nehmen lassen. Im Herbst 1429 ergriff eine Gruppe führender Persönlichkeiten der Albizzi-Fraktion die Initiative und brachte unter dem sprechenden Titel lex contra scandalosos ein Gesetz durch, das die Umtriebe gegen die Organe der Republik unterdrücken sollte. Sein Text bot die übliche Mischung aus weihevollen Beschwörungen hehrer Werte und heftigen Angriffen. Sie richteten sich gegen alle diejenigen, die die Autorität der Signoria dadurch aushöhlten, dass sie von deren Mitgliedern gute Dienste für Verwandte, Nachbarn und Patrone verlangten. Doch taten das nicht alle? Auch auf diese Frage wurde eine Antwort gegeben. Unerlaubte Protektion war die, die einem niedriger Gestellten zu höheren Rängen und damit zu mehr, als ihm gebührte, verhalf. Das Übel der Republik war die soziale und politische Mobilität, im Klartext: die Medici-Partei. Dass niemand aus deren Reihen die Petition unterschrieb, die dem Gesetz vorausging, überrascht daher nicht. Und die Gegner ließen nicht locker. Im April 1430 ersannen sie noch entschiedenere Maßnahmen gegen die notorischen Unruhestifter. Ihre Namen sollten in ein Buch der Schande eingetragen werden, womit automatisch der Ausschluss von den Ämtern verbunden sein würde. Wer damit gemeint war, machte Niccolò da Uzzano unmissverständlich deutlich – die Republik sollte wieder denen gehören, deren Familien sich seit alters her um sie verdient gemacht hatten. Damit war ein Schlusspunkt gesetzt. Aller Aktionismus gegen das Unwesen
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der Parteien hatte nur den einen Zweck, einer von diesen den Sieg zu bringen. Die Argumentation hatte sich abgenutzt: Die eigene Herrschaft beruhte auf Verdienst, war natürlich und stabil, das feindliche Prinzip der Klientel aber brachte Unwürdige nach oben und zersetzte die Republik. In diesem Sinne schreckten einzelne Hardliner sogar vor einem Umbau der Verfassung nicht mehr zurück; eine Sonderkommission (balìa) mit umfassenden Vollmachten sollte die unliebsamen Elemente aus den Wählbarkeitslisten streichen. Ein Kompromissvorschlag hingegen sah vor, diese balìa aus zwölf überparteilichen Vermittlern und je sechs Vertretern der beiden Blöcke zu besetzen, die damit quasi offiziell als Organe der politischen Willensbildung anerkannt worden wären. Doch so viel Pluralismus und Duldsamkeit waren nicht zeitgemäß – wir oder sie, so lautete die Parole. Die Zeit der Worte war vorbei; jetzt mussten Taten folgen. Symptomatisch für die Eskalation des Konflikts war der Ende 1429 unternommene Versuch, mit Niccolò da Uzzano den renommiertesten Repräsentanten der Albizzi-Partei zu ermorden. Ob dem fehlgeschlagenen Attentat überhaupt ein politisches Motiv oder nur eine Familien-Vendetta zugrunde lag, konnte auch der gegen die mutmaßlichen Verantwortlichen geführte Prozess nicht definitiv aufklären. Mit Niccolò Soderini sah sich zwar einer der wichtigsten Anhänger der Medici als Auftraggeber des Anschlags angeklagt, doch wurde dieser im Gegensatz zu einem der gedungenen Handlanger freigesprochen. Das Urteil war ein politischer Kompromiss par excellence. Schließlich hatten die Führer der Medici-Partei angedeutet, dass da Uzzano den Anschlag frei erfunden habe, während die AlbizziFraktion von geheimen Hintermännern raunte, die namhaft zu machen politisch nicht opportun sei – womit nur die Medici gemeint sein konnten. Dass die Nachforschungen nach den Hintergründen der Affäre offensichtlich im wechselseitigen Einverständnis eingestellt wurden, hatte damit zu tun, dass sich Florenz um dieselbe Zeit auf ein ungewisses kriegerisches Abenteuer einzulassen begann.
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Zweiter Akt: Krieg
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lorenz und Lucca waren seit Langem unfreundliche Nachbarn. Den Florentinern war die kleine Republik im
Nordwesten als geschäftliche und politische Konkurrentin ein Dorn im Auge; die Luccheser empfanden die Florentiner aufgrund ihrer territorialen und militärischen Übermacht als anmaßend und bedrohlich zugleich. Umso andächtiger pflegten sie die Erinnerung an den Staatsmann, der die arroganten Rivalen in die Schranken gewiesen hatte: Castruccio Castracani, der Florenz vernichtend geschlagen und bis zu seinem Tod 1328 eine Hegemonie Luccas in Mittelitalien begründet hatte. Da die Beziehungen in den nachfolgenden hundert Jahren nicht besser geworden waren, ließ sich ein bewaffneter Konflikt schnell vom Zaun brechen. Als er nach dreieinhalb Jahren im April 1433 endlich zu Ende war, kursierten in Florenz – wie in Anbetracht des politischen Klimas nicht anders zu erwarten – diverse Beschuldigungen. Die am häufigsten vorgebrachte lautete kurz und bündig: Die Medici haben diesen Krieg gewollt und provoziert. Ein vorsichtigeres Urteil kommt mehr als ein halbes Jahrtausend später zum Schluss, dass die politische Klasse insgesamt dem Waffengang zugetan oder zumindest nicht abgeneigt war, und zwar aus unterschiedlichen Gründen. Die wenigen verbliebenen Idealisten mochten darauf hoffen, dass ein gemeinsamer Feind die zerstrittenen Parteien zumindest zeitweise wiedervereinen oder sogar als Folge patriotischer Aufwallungen dauerhaft versöhnen würde. Für die Führer der rivalisierenden Gruppierungen bot der Krieg Chancen und Risiken, die es sorgfältig gegeneinander abzuwägen galt.
Zweiter Akt: Krieg
Wenn es gelang, sich Erfolge auf dem Schlachtfeld oder sogar den Sieg zuzuschreiben, konnte man auch die innere Politik von einer Position der Stärke aus betreiben. Kam es umgekehrt, musste man mit schweren Prestigeeinbußen rechnen. Dann konnte man nur noch aus der Not eine Tugend machen und die inneren Gegner der Konspiration mit dem Feind bezichtigen. So betrachtet, hatten die Medici und ihre Anhänger als Opposition zu den herrschenden Kreisen mehr zu gewinnen als zu verlieren. Doch reicht diese Interessengewichtung ebenso wenig wie der Verlauf der Ereignisse dazu aus, sie als Kriegstreiber namhaft zu machen. Anlässe, die Waffen sprechen zu lassen, waren schnell gefunden: eine alte, nie eingelöste Schuldsumme Luccas für die Florentiner, ein Überfall des condottiere Niccolò Fortebraccio auf ihr Territorium für die Luccheser. Wer diesen Söldnerführer dazu angestiftet hatte oder ob dieser, nicht untypisch für seinesgleichen, aus eigenem Antrieb zum Beutemachen ausgerückt war, blieb offen. Fortebraccio („Starkarm“) fehlte es nicht an Freunden und potenziellen Auftraggebern im Florentiner Patriziat; die Beschuldigungen der Republik Lucca, dass hier eine Verschwörung am Werke war, waren daher verständlich. Obwohl angegriffen, streckte sie dennoch Friedensfühler aus. Mit Erfolg, wie es schien, bis sich die Haltung des Florentiner Patriziats im Dezember 1429 plötzlich verhärtete, und zwar parteiübergreifend. Die wenigen Zeugnisse, die über die Motive Aufschluss geben, verweisen eindeutig auf innenpolitische Ziele. Oder, wie es der Tagebuchschreiber Giovanni di Jacopo Morelli festhielt:
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Florenz war nie ohne Krieg und wird es auch nie sein, es sei denn, ihr schlagt jedes Jahr vier führenden Bürgern den Kopf ab.6
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Doch diese Art von Rotation gab es nicht. Im Gremium der dieci („Zehn“), dem die Koordinierung der militärischen Aktionen oblag, waren die Anhänger der Medici stark vertreten. Zu Kriegskommissaren wurden Rinaldo delgi Albizzi und Astorre Gianni gewählt, der sich in einem Brief vom Februar 1430 als „unterwürfigster Diener“7 Cosi-
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Zweiter Akt
mo de’ Medicis präsentierte. Die politische Spaltung wurde so von Anfang in den Krieg hineingetragen, ja, dieser wurde so zu einem „Bürger-Krieg“ ganz besonderer Art. Dabei waren zumindest am Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen alle Akteure, unabhängig von ihrer Zuordnung zu den Blöcken, bestrebt, den Konflikt mit dem verhassten Nachbarn siegreich zu bestehen. Eine Niederlage musste ihr Renommee, ihre Geschäfte, die Herrschaft im contado und ihre Stellung innerhalb der Stadtmauern schwer in Mitleidenschaft ziehen. Insofern waren die Hoffnungen, dass der Krieg das Bewusstsein für die gemeinsamen Interessen schärfen würde, nicht völlig unberechtigt. Doch wurden die Kalkulationen, welche Partei aus dem Konflikt mehr Profit und Ehre ziehen würde, dadurch nicht hinfällig. Für sich selbst das Maximum an Prestige zu gewinnen, hieß aber zugleich, eine allzu patriotische Profilierung der Gegenseite zu verhindern. Erfolge waren erwünscht, doch nicht durch Heldentaten der Rivalen.
Die Galeeren-Affäre
So kam, was kommen musste. Unter diesen Voraussetzungen wurde der Krieg für Florenz ein Desaster. Schon in den ersten Wochen traten gravierende Unstimmigkeiten zwischen den Zehn und dem einzigen im Feld tätigen Kommissar Albizzi hervor. Es war das alte Lied: Im behaglichen Florenz ließ man sich Zeit, während der militärische Bevollmächtigte der Republik, in Regen und Schlamm kampierend, zu entschlossenem Handeln drängte und mehr Geld verlangte. Albizzis Unmut wuchs nicht nur durch die andauernden Vertröstungen, sondern auch durch die Eigenmächtigkeiten des condottiere Fortebraccio, der zwar von Florenz besoldet wurde, Anweisungen jedoch nicht Folge leistete und stattdessen seine Truppen nicht nur das feindliche, sondern auch das florentinische Territorium ausplündern ließ. Von beiden Seiten im Stich gelassen, verlangte der Kommissar kategorisch mehr Geld und genauere Instruktionen. Die dieci schrieben ihm im selben Ton zurück, er habe im Feld zu verweilen, auch wenn der Himmel einstürze. Das fasste der Getadelte als Zweifel an seinem Mut auf. Seine Ant-
Die Galeeren-Affäre
wort: Er verzehre sich für die Republik aus Liebe und Pflichtbewusstsein, andere dienten ihr nur aus Zwang und Furcht. Da war sie wieder, die Abgrenzung der wahren Elite von den servilen Parvenüs. Der innere Zwist hatte schon im Januar 1430 das Feldlager erreicht. Und dort blieb er auch, ungeachtet aller zwischenzeitlichen Einlenkungsmanöver. Was die dieci auch taten, Albizzi legte es negativ aus. Sein Misstrauen war nicht unbegründet. Man half ihm nicht, den Krieg zu gewinnen, machte ihn aber für die Misserfolge verantwortlich und untergrub seine Stellung in Florenz. Für seine dortigen Feinde war das, wenn sich der Krieg gegen Lucca schon nicht gewinnen ließ, das zweitbeste Resultat. Die verzweifelte Situation machte ungewöhnliche Schritte erforderlich. Wollten die Albizzi ihre Ehre nicht völlig verlieren, mussten sie auf die Medici zugehen. Rinaldos Sohn Ormanno war Anfang 1430 zum Kommandeur einer Galeere ernannt worden; noch nicht entschieden aber war, ob diese bewaffnet werden sollte oder nicht. Für die Albizzi wurde diese scheinbar nebensächliche Debatte zur Frage von Ehre oder Schande. Traute man Ormanno und damit der ganzen Familie nicht zu, ehrenvoll zu kämpfen? Oder misstraute man ihm so sehr, dass man ihm den Schutz der Republik nicht anzuvertrauen wagte? In dieser Situation waren sich Vater und Sohn nicht zu schade, die Hilfe der Gegenseite in Anspruch zu nehmen. Averardo de’ Medici war als einer von fünf Konsuln für die Bewaffnungsfrage zuständig. An ihn richtete Ormanno dementsprechend seine Bitte um Unterstützung in dieser leidigen Affäre; er unterzeichnete den Brief mit der Wendung „Ich vertraue Ihnen wie einem geliebten Vater“8 – in der Sprache der Klientel war das ein klares Angebot, zum wechselseitigen Vorteil zu kooperieren. Averardo war klug genug, diese Offerte nicht auszuschlagen und dem Bittsteller zu helfen. Ja, eine Zeit lang schien es, als bewirke der Krieg tatsächlich Zeichen und Wunder und der tiefe Graben zwischen den Parteien lasse sich doch noch überbrücken. Doch einer solchen Versöhnung standen unüberwindliche Hindernisse entgegen. Zum einen verstanden die Albizzi die ausgestreckte Hand nicht als Zeichen der Gleichrangigkeit. Zum anderen konn-
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Zweiter Akt
ten die Medici kein Interesse daran haben, die Reputation ihrer Konkurrenten nachhaltig zu erhöhen. Vor allem aber hatten die Kreaturen kein Interesse daran, dass sich ihre Patrone aussöhnten. Ja, unter dem stetigen Druck ihrer Gefolgsleute waren die Chefs der beiden großen Netzwerke mindestens ebenso sehr Getriebene wie Treibende. Diese Abhängigkeit führte die „Galeeren-Affäre“ Anfang 1430 deutlich genug vor Augen. Über Kommando, Besetzung und Ausrüstung der Kriegsschiffe wurde mit einer Erbitterung gestritten, die in auffälligem Gegensatz zur geringen militärischen Bedeutung der Angelegenheit stand. Hier ging es nicht um Sieg oder Niederlage der Republik, sondern um die Ehre von Familien. Und um deren Sicherheit. Kriegsdienste zu Wasser waren erfahrungsgemäß weitaus weniger riskant als zu Lande, wo man im Getümmel der schwer lenkbaren Infanterie schnell den Überblick verlieren konnte. Dementsprechend wurde Averardo de’ Medici mit Bitten, Söhne, Cousins und Freunde für seine Galeeren zu rekrutieren, regelrecht bestürmt. Da die disponiblen Posten begrenzt waren, wurde jedes Zugeständnis an die Konkurrenz mit Argusaugen beobachtet – und kritisiert. Patrone hatten für ihre treuen Klienten, nicht für deren Feinde zu sorgen. Im System der Netzwerke waren die Spielräume für jede Art von Entgegenkommen knapp bemessen. Doch ausschlaggebend dafür, dass die zarten Freundschaftsbande zwischen Albizzi und Medici bald wieder verkümmerten, war der weitere Verlauf des Krieges. Florenz hatte es versäumt, eine schnelle Entscheidung herbeizuführen. Je länger die Kampfhandlungen andauerten, desto mehr wurde aus der erhofften Eroberung ein Kampf ums eigene Überleben. Denn nicht nur militärisch, sondern auch diplomatisch hatte die Republik den Konflikt ungenügend vorbereitet und stand so ohne mächtige Verbündete dar. Lucca hingegen konnte auf die Unterstützung des Herzogs von Mailand rechnen, zu dessen Einflussbereich die kleine Republik bis 1402 gezählt hatte. Der von Mailand ausgeliehene condottiere Niccolò Piccinino brachte den florentinischen Truppen unter Fortebraccio am Ufer des Flusses Serchio Anfang Dezember 1430 eine vernichtende Niederlage bei, in deren Folge die Stadt am Arno akut gefährdet war.
Die Galeeren-Affäre
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Die Karriere eines Condottiere
Der Beruf des condottiere war riskant. War der General erfolglos, musste er mit Repressalien seiner Auftraggeber rechnen, siegte er zu durchschlagend, wurde er eine Gefahr für sie. Niccolò Fortebraccio trat 1433 aus florentinischen in päpstliche Dienste, blieb aber seinem neuen Herrn Eugen IV. nicht lange treu. Doch der Versuch, sich durch eigenständige Eroberungen selbst einen Staat zu verschaffen, schlug fehl. Am Ende verbündeten sich die führenden Mächte Italiens gegen den Ruhestörer, der 1435 von einem mailändischen Heer geschlagen und getötet wurde.
Wie es nach dieser Katastrophe weitergehen sollte, darüber war die politische Klasse wie gehabt geteilter Meinung. In der ersten Panik herrschte unter den älteren Protagonisten der Albizzi-Partei eine „Rette sich, wer kann!“-Mentalität vor: Wir haben diesen Krieg nicht gewollt, sollen doch andere den Karren aus dem Dreck ziehen. Ähnlich defätistische Äußerungen finden sich vor der verlorenen Schlacht auch in Briefen der Medici-Anhänger; ihr Chef Cosimo selbst drückte die Besorgnis aus, durch allzu starkes Engagement für diesen vermaledeiten Krieg als Verlierer abgestempelt zu werden. Doch schon bald wandelte sich diese Perspektive grundlegend. Jetzt, da es nach der Niederlage um Sein oder Nichtsein ging, wurde der Einsatz für die Republik zu einer schlechthin patriotischen Tat, und zwar unabhängig davon, wie sich das Kriegsglück entwickelte. Wer immer noch abseits stand, musste sich dem Vorwurf aussetzen, aus schäbigem Eigennutz das Vaterland zu verraten. Ungeachtet aller pathetischen „Rettet die Republik!“-Rhetorik, die in den Korrespondenzen vorherrscht, wurde hinter den Kulissen kühl kalkuliert. Wer im Augenblick der höchsten Not sein Geld in das Gemeinwesen investierte, war des öffentlichen Lobes sicher; wer hingegen knauserte, hatte ein Imageproblem. Um Geld, genauer: viel Geld ging es tatsächlich. Schon nach weniger als einem halben Jahr nämlich erwies sich der Krieg für Florenz als unbezahlbar. So rücksichtslos jetzt auch die laut
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Zweiter Akt
catasto geschuldeten Abgaben eingezogen wurden, die Steuererträge reichten bei Weitem nicht aus, um die Truppen im Dienst der Republik zu besolden. Schon im Frieden chronisch defizitär, drohten die Finanzen der Kommune unter den Lasten des bewaffneten Konflikts binnen Kurzem zu kollabieren. Die Geldnot war der eigentliche Feind; wer ihn besiegte, durfte sich als Retter feiern lassen. Abhilfe aber konnte es nur auf einem einzigen Wege geben: Man musste die privaten Vermögen anzapfen. Auch das war in der Vergangenheit reichlich geschehen. In früheren Kriegen hatte sich die Republik mit dem Notbehelf der Zwangsanleihen über Wasser gehalten; reiche Bürger hatten der Kommune nach mehr oder weniger sanftem Druck Kredite gegen Zinsen gewährt, und zwar mit ungewisser Aussicht auf Rückzahlung.
Der Patriot
Doch auch damit konnte es 1430 nicht mehr sein Bewenden haben. Mit den ufficiali del banco wurde eine neue Sonderbehörde eingerichtet, von der man finanzielle Rettungstaten, ja regelrechte Wunder erwartete. Die Mitglieder dieses Gremiums sollten nicht nur neue Geldquellen erschließen, sondern selbst den Löwenanteil zuschießen. Dementsprechend waren unter diesen „Bankbeamten“ die Plutokraten der Republik vertreten; dass sie anstelle der zunehmend an den Rand gedrängten dieci von jetzt an die Führung des Krieges wie der Politik übernahmen, lag in der Logik des „Ich zahle, also bestimme ich“. Niemand aber zahlte auch nur annähernd so viel wie Cosimo de’ Medici, der legendär Freigebige. Als im April 1433 endlich Friede war und die Republik, mit einem blauen Auge davon gekommen, aufatmen durfte, hatte er dieser exakt 155 887 Gulden geliehen. Zum Vergleich: Der neue Kanzler der Republik, Leonardo Bruni, wurde mit dem sensationellen Spitzengehalt von 600 Gulden jährlich angestellt; sein Salär entsprach dem Zehnfachen eines durchschnittlichen Handwerkereinkommens. Cosimos Beitrag aber war nicht nur in absoluten Zahlen, sondern auch in Prozentwerten ausgedrückt einzigartig. Ein einziger Bürger hatte mehr als ein Viertel der außerordentlichen Kriegskosten
D e r Pa t r i o t
getragen. Der andere Krösus von Florenz, Palla Strozzi, aber hatte durch seinen Sohn Lorenzo gerade einmal ein Viertel dieser Summe beigesteuert. Gewiss, die Listen der Kreditgeber waren nicht öffentlich; zudem zahlte die Republik für diese Darlehen Zinsen, vorausgesetzt, sie war liquide. Und das war keineswegs durchgehend der Fall. Unter dem Strich dürfte Cosimo, der Financier der Kommune, durch den Krieg daher viel Geld verloren haben. Doch was er dafür gewann, war wertvoller: Ansehen und weiteren Anhang. Denn was er zahlte, durften die anderen behalten. Ja, die Überzeugung griff um sich, dass die Republik ohne den Bürger Cosimo nicht bestehen konnte. Von solchen Gewinnen konnten die Geizigen nur träumen. Anfangs schienen sie allerdings Recht zu behalten. Denn von den Menschen lässt sich grundsätzlich sagen, dass sie un-
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dankbar, wankelmütig und heuchlerisch sind, voll Furcht vor Gefahr, voll Begierde nach Profit. Solange sie aus einem anderen Vorteile ziehen, sind sie mit Leib und Seele auf dessen Seite. […] Naht aber eine Notlage, so fallen sie von ihm ab. […] Denn die Liebe verklammert durch Dankbarkeit, und da die Menschen schlecht sind, lösen sie dieses Band bei jeder sich bietenden Gelegenheit um ihres
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eigenen Nutzens willen.9
Im Zweifelsfall, so weiter Machiavelli, ist es für den Mächtigen daher besser, gefürchtet als geliebt zu werden. Das alles bewahrheitete sich im Frühjahr 1433, als Florenz seine Wunden leckte und die Kosten für den vergeblichen Krieg überschlug. Die Albizzi-Partei – ihres Anfang 1432 verstorbenen großen Mannes Niccolò da Uzzano und seines mäßigenden Einflusses ledig – war alles andere als erfreut darüber, den Chef ihrer Gegner als den Hauptgläubiger der Republik mit patriotischem Heiligenschein dastehen zu sehen. Gerüchte, dass er den Krieg angezettelt habe, um dadurch umso ungestörter die politischen Fäden zu ziehen, ließen sich zwar rasch und nicht ohne die erwünschten Wirkungen in Umlauf bringen, doch das eigentliche Problem war damit nicht gelöst. Ein Mann als Geldgeber des Staates, ein Mann als
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Zweiter Akt
Superpatriot – konnte es sich Florenz überhaupt noch leisten, ihn zu entmachten? Alles oder nichts: Der Machtkampf war nach dem langen Zwischenspiel des Krieges wieder dort angekommen, wo er schon 1429 stand. Mit dem Unterschied, dass der Prozess der Ummünzung von Geld in Macht weiter vorangeschritten war. Cosimo, der reichste Mann seiner Zeit, war jetzt durch seine Kredite der Hauptanteilseigner der Republik; allerdings klafften Kapitalbesitz und Entscheidungsbefugnis noch weit auseinander. Der nächste, entscheidende Schritt musste darin bestehen, nach der finanziellen auch die politische Vormundschaft zu gewinnen.
Dritter Akt: Florentinisches Roulette
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it dem Friedensschluss vom 26. April 1433 hatten die Medici ihre Schuldigkeit getan – und konnten gehen.
Zuerst verschwanden sie aus dem Gremium der ufficiali del banco, wo ihre Kredite nicht mehr benötigt wurden. Und wäre es nach ihren Feinden gegangen, dann hätten sie auch Florenz bald auf Nimmerwiedersehen verlassen. Eine andere Lösung jedenfalls sahen diese jetzt nicht mehr. Nicht nur, dass die Anhänger der Medici immer stärker in die Führungsämter drängten, ihre Gegner fanden sich im Frühjahr 1433 auffallend oft vor Gericht wieder: hier angenommene Bestechungsgelder, dort Unterschlagungen öffentlicher Mittel oder Erpressungen von Untertanenstädten, allesamt nach patrizischen Maßstäben lässliche Vergehen, wenn überhaupt. Mehr denn je galt es, die Republik unter den Schutz der vorherbestimmten Elite zu stellen: So lässt sich die Einschätzung der Lage durch die Albizzi-Fraktion umreißen. Für solche Situationen gab es historische Präzedenzfälle. Ab 1431 wurden sie in den Debatten immer häufiger genannt: balìa und Verbannung. Eine bevollmächtigte Sonderkommission würde die Verräter und ihre Anhänger aus den Wählbarkeitslisten streichen und danach die Rädelsführer ins Exil schicken. Das war die Höchststrafe, mit der die Unterwanderer der Republik zu rechnen hatten. Sie war hart, da die Bindungen an die Heimatstadt eng waren; das Leben fern von ihr kam vielen wie ein Schattendasein vor. Und sie war zugleich human. In früheren Zeiten hatte man auch in Florenz kurzen Prozess gemacht und die besiegten Gegner hingerichtet.
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Dritter Akt
Beide Seiten wussten also, was auf dem Spiel stand, und begannen, sich für den Endkampf in Position zu bringen. Dabei hatten die Medici die Nase vorn. In nüchterner Vorhersicht dessen, was kommen würde, richtete Cosimo sein Hauptaugenmerk darauf, die Bank vor dem Totalschaden zu bewahren. Ihn konnten die Gegner exilieren, im extremsten Fall auch ermorden lassen; doch selbst dann gab es noch seinen jüngeren Bruder Lorenzo und seinen Cousin Averardo. Die gesamte familiäre Führungsgruppe zu liquidieren, konnten die Feinde nicht wagen; ein solcher Massenmord hätte sie italienweit diskreditiert und in Florenz zu Tyrannen gestempelt. Viel wahrscheinlicher war es, dass sie alles daran setzen würden, seine geschäftliche und finanzielle Basis zu zerstören – in der klaren Erkenntnis, dass die MediciPartei ohne das viele Geld von selbst zerfallen musste. Mit der ihm eigenen lakonischen Nüchternheit brachte Cosimo lange danach den Sachverhalt auf den Punkt:
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Hätten sie uns alle drei ausgeschaltet, hätten sie uns schweren Schaden zugefügt.10
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So aber leitete Cosimo schon im Frühjahr 1433 den Transfer von Kapital ins befreundete italienische Ausland, nach Venedig und Rom, ein. Wohin man auch exiliert werden würde, das Geld war schon da. Selbst für Florenz wurde Vorsorge getroffen; diverse Klöster fungierten als geheime Lagerstätten des flüssigen Kapitals. Cosimo, der Großzügige, hatte so vielen so große Gefallen getan; jetzt war der Zeitpunkt gekommen, an dem die reich Beschenkten ihm ihre Dienste und damit ihre Dankbarkeit erweisen konnten. Ich gab, damit ihr in der Stunde der Not gebt: Nie hat sich diese Devise glänzender bewährt. Und mehr noch: Diejenigen, die so viel erhalten hatten, gaben gerne. Auch wenn ihr Patron jetzt vorübergehend in Bedrängnis geriet, seine Kreaturen kannten sich und wussten, dass sie viele waren; so bot es sich an, die Krise gemeinsam zu bewältigen und danach, in Treue bewährt, auf weiteren Lohn zu hoffen. Die anderthalb Jahre vom Frühjahr 1433 bis zum Herbst 1434 wurden eine Probe aufs Exempel für die Haltbarkeit
F l o r e n t i n i s c h e s Ro u l e t t e
eines Netzwerks: eine Lektion nicht nur für Florenz, sondern für ganz Italien, das mit angehaltenem Atem zusah. Cosimos Strategie dürfte – wie aus dem Verlauf der Ereignisse zu erschließen – seit Mai 1433 darin bestanden haben, der Gegenseite den Erstschlag zu überlassen, diesen auszuhalten bzw. so weit wie möglich ins Leere laufen zu lassen und dann zum Gegenschlag auszuholen. Doch war damit kein ein für alle Mal feststehender masterplan verbunden. Ungeachtet dieser Grundsatzentscheidung schoben sich, je nach Lage, zeitweilig andere Optionen in den Vordergrund. Diese wurden ernsthaft erwogen, doch am Ende fallen gelassen. Dass Cosimo selbst vorübergehend schwankte, ist nur allzu verständlich. Denn mit der Strategie des Abwartens waren zwar Chancen, doch auch gravierende Risiken verknüpft. Die größte Gefahr lag darin, dass der Erstschlag der Feinde härter als kalkuliert ausfallen würde. Doch wurde sie durch den Vorteil mehr als wettgemacht, sich als unschuldiges Opfer perfider Parteimachenschaften präsentieren und auf aktive Unterstützung inner- wie außerhalb von Florenz gegen dieses himmelschreiende Unrecht zählen zu dürfen. Im Zuge dieser Überlegungen zog sich Cosimo im Sommer 1433 ins Mugello, die ländliche Ursprungsregion der Medici, zurück, nach eigenen Angaben, um sich von Hader und Spaltung in der Stadt zu erholen. Immer dann, wenn der Chef des Hauses Medici Anwandlungen zu Muße und Meditation zeigte, war für seine Gegner höchste Vorsicht geboten. Die ländliche Einsamkeit war ein glänzend gewählter Ausgangspunkt. Wie sollte man in dieser abgelegenen Hügelgegend Intrigen spinnen? Die Sommerfrische fernab der Hauptstadt kam einem Alibi gleich. Die für die Amtszeit September und Oktober 1433 aus den Lederbeuteln gezogene Signoria war in ihrer Mehrheit den Medici feindlich gesonnen. Der neunte im Bunde und als gonfaloniere di giustizia, Bannerträger der Gerechtigkeit, nominelles Republikoberhaupt war mit Bernardo Guadagni sogar ein Hardliner der AlbizziPartei. Dasselbe galt für Mariotto Baldovinetti und Bartolomeo Spini. Die Familie des Letzteren war dadurch in den Ruin getrieben worden, dass die Medici ihr das Amt des päpstlichen Bankiers abspenstig ge-
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Dritter Akt
macht hatten. Kaum weniger Rechnungen mit den Medici hatten zwei weitere Prioren, Corso Corsi und Giovanni dello Scelto, offen. Von den zwei Regierungsmitgliedern, die die niederen Zünfte stellten, war Jacopo Luti gleichfalls den Feinden der Medici zuzurechnen. Damit hatten diese eine Zweidrittelmehrheit. Dass sie diese Gelegenheit nicht ungenutzt ließen, ist nur allzu verständlich. Auf der anderen Seite gingen sie ein nicht unbeträchtliches Risiko ein. Sollten die Medici den Schlag erfolgreich parieren, mussten sie mit Vergeltung rechnen.
Der Erstschlag
Als eine ihrer ersten Amtshandlungen ließ die neue Stadtregierung Cosimo de’ Medici nach Florenz vorladen, wo dieser am 4. September eintraf. Unter dem Vorwand einer Beratung über wichtige Staatsgeschäfte wurde er am Tag darauf in den Stadtpalast aufgeboten. Was danach geschah, berichtet der große Bankier wie folgt. Als ich im Stadtpalast eintraf, fand ich die Mehrheit meiner Kollegen bereits in einer lebhaften Besprechung vor. Nach einiger Zeit wurde
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ich von der Signoria aufgefordert, mich ins obere Stockwerk zu begeben, wo ich vom Hauptmann der städtischen Wache in eine „Bar-
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beria“ genannte Gefängniszelle eingeschlossen wurde. Als sich die Kunde davon verbreitete, geriet die ganze Stadt in Aufruhr.11
Bei dramatischen Begebenheiten wie diesen glauben auch nachdenkliche Zeitzeugen nicht gern an den Zufall. Es war ausgemacht, dass Bernardo Guadagni ab September gonfaloniere di giustizia sein würde; keine Macht der Welt konnte ihm
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diese Würde streitig machen, es sei denn, seine Steuerschuld. Bevor es so weit war, tat sich Rinaldo degli Albizzi mit ihm zusammen; gemeinsam beschlossen sie den Ruin der Stadt durch die Verbannung des unschuldigen Cosimo.12
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Der Erstschlag
Großartiger und vor allem höher durfte niemand bauen – der Palazzo della Signoria war das weltliche Heiligtum der Republik und zugleich Wohnsitz der florentinischen Regierung.
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Dritter Akt
Der Chef der Medici-Gegner als heimlicher Beutel-Manipulator, wie Cavalcanti vermutet? Wahrscheinlicher ist, dass die Gegner der Medici einfach Losglück hatten. Cosimo selbst behauptete später, von den harschen Maßnahmen der Signoria überrascht worden zu sein; speziell Giovanni dello Scelto habe er als „Freund“ angesehen.13 Andererseits hält er selbst in seinen Erinnerungen fest, dass die Ziehung der Signoria in der ganzen Stadt als Signal für die heiße Phase des Machtkampfs verstanden worden sei. So aber muten die Beteuerungen, überrumpelt worden zu sein, allzu naiv an; man darf sie getrost den Strategien zuordnen, mit denen sich die Medici als unschuldig verfolgte Privatleute darzustellen versuchten. Angeleitet worden war die Stadtregierung bei ihrem Vorgehen von einer pratica, in der gleich drei Führer der Medici-Gegner das Wort führten: Rinaldo degli Albizzi, Ridolfo Peruzzi und Giovanni Gianfigliazzi. Mehr geballte Feindschaft in einem einzigen BeratungsGremium war kaum möglich. Die wenigen Vertreter der Gegenseite wagten denn auch keine Widerworte. Eingeschüchtert wurden sie nach Cosimos eigenem Bericht mit der Drohung, diesen im Falle anhaltender Opposition zu töten.14 Doch solcher Warnungen dürfte es kaum bedurft haben. Vieles nämlich spricht dafür, dass die Dinge ganz nach Plan verliefen. Die Signoria nahm den von der pratica unterbreiteten Vorschlag, die Rädelsführer der Staats-Unterwanderer zu verbannen, an – mit der Zweidrittelmehrheit von sechs zu drei, wie Cosimo notierte.15 Eigentlich hätte er das gar nicht wissen dürfen; die Stadtregierung hatte bei Todesstrafe verboten, über die Interna der Beratungen und Abstimmungen zu berichten. Doch die Loyalität der Informanten zu ihrem Patron war stärker als die Furcht. Erst einmal aber durfte Rinaldo delgi Albizzi seinen Triumph auskosten, wie Cavalcanti festhält. In der Stadt verbreitete sich die Nachricht, dass Cosimo im
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Stadtpalast festgehalten werde. Von dieser Kunde waren die Bürger zutiefst erschüttert, doch wussten sie nicht, was sie tun sollten. Rinaldo degli Albizzi aber trat mit großem Gefolge aus seinem Palast
Repressalien
und ritt zur Piazza della Signoria, gefolgt von den Peruzzi, Gianfigliazzi und allen anderen, die zu seiner Partei gehörten.16
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Diese Demonstration der Stärke gehörte zum rituellen Prozedere, mit dem die siegreiche Partei ihre inneren Gegner symbolisch delegitimierte. Der nächste Schritt war die Einberufung eines sogenannten parlamento, der Versammlung aller politikfähigen Bürger; dieses hatte den Staatsnotstand zu bestätigen und die Einrichtung einer balìa, einer zur definitiven Verhängung des Exils und flankierender Säuberungsmaßnahmen bevollmächtigten Behörde, zu beschließen. Wie immer, wenn die Würfel bereits gefallen waren, tat das parlamento, was von ihm erwartet wurde. Und natürlich war die mit gefügigen Kreaturen besetzte balìa nicht minder folgsam. Mit einer einzigen unbedeutenden Ausnahme wurden sämtliche Zweige der Medici für zehn Jahre von den Ämtern der Republik ausgeschlossen. Darüber hinaus wurden acht Mitglieder der Familie ins Exil geschickt: Cosimo in die venezianische Untertanenstadt Padua, Lorenzo nach Venedig, Averardo nach Neapel und dessen Sohn Giuliano nach Rom – um nur die wichtigsten Ausgestoßenen und die ihnen zugewiesenen Aufenthaltsorte zu nennen. Der Zeitraum, für den diese Verbannung gelten sollte, war anfangs auf fünf Jahre festgelegt, doch wurde diese Frist bald darauf verdoppelt. Aller Erfahrung nach sollten zehn Jahre erzwungener Abwesenheit – zusammen mit dem Verbot politischer Betätigung für die in Florenz zurückgebliebenen entfernteren Verwandten – ausreichen, um den Einfluss einer Familie auf Dauer auszulöschen.
Repressalien
Dazu kamen die Kautionen, die die Verbannten als Garantie für ihr künftiges Wohlverhalten hinterlegen mussten, Cosimo nicht weniger als 20 000 Gulden, Lorenzo und Averardo jeweils die Hälfte. Im Vergleich zu den Krediten, die die Bank der Kommune während des Krieges gegen Lucca gewährt hatte, muten diese Summen bescheiden an. Doch ist zu berücksichtigen, dass diese Beträge in bar bezahlt wer-
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Dritter Akt
den mussten; das aber war in Zeiten chronischer Liquiditätsknappheit auch für die Medici-Bank keine einfache Operation, zumal deren Geschäfte jetzt von Staats wegen vielfältig behindert wurden und sogar Beschlagnahmungen drohten. Der kaum verhüllte Zweck der Repressalien war es, die Firmen der Medici in den Ruin zu treiben. Waren diese erst einmal zahlungsunfähig, musste das klienteläre Netz binnen Kurzem rissig werden. Diese Rechnung war an sich nicht falsch, doch wurde sie ohne Kenntnis von Cosimos Vorsichtsmaßnahmen und mit einem grundsätzlichen Fehler aufgemacht. Obwohl die Gegner der Medici die „Wühlarbeit“ ihrer Feinde seit langem beklagten, hatten sie offensichtlich unterschätzt, in welchem Maße dieser Prozess der Gefolgschaftsbildung vorangeschritten war, und zwar nicht zum Geringsten außerhalb von Florenz. In Cosimos eigenen gelassenen Worten: Die Gegner wollten uns in den Bankrott treiben, doch ihr Plan schei-
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terte. Denn wir verloren unsere Kreditwürdigkeit deswegen nicht, im Gegenteil: Auswärtige Kaufleute und Herrscher boten uns eine
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große Geldsumme, die nach Venedig geschickt wurde.17
Das war in der Tat ein erstaunliches Zeichen: Großhändler und Machthaber investierten in die Verlierer einer inneren Fehde – dergleichen hatte Italien nie gesehen. Diese antizyklische Geldanlage konnte nur bedeuten, dass die Eliten des Landes nicht auf die Sieger, sondern auf die Unterlegenen, und das hieß: auf deren baldige triumphale Rückkehr setzten. Das war ein Signal und als solches bedeutsam genug. Doch mehr war es nicht. Auch die Geduld treuer Verbündeter musste ihre Grenzen haben, wenn sich die krisenhafte Situation nicht innerhalb einer vernünftigen Frist bereinigen ließ. Mit anderen Worten: Das finanzielle und soziale Kapital, das den Medici von so vielen Seiten zufloss, war eine Starthilfe für die Bewältigung widriger Zeiten. Wurde diese Chance nicht wie erwartet genutzt, würden die Gläubiger dieses Risikokapital und mit ihm die Medici abschreiben. Der Katalog der Repressionen war mit Verbannung, Ämterver-
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Der vorbildliche Bürger
Aus einer der führenden, im Bankgeschäft reich gewordenen Familien von Florenz gebürtig, profilierte sich Neri Capponi (1388–1457) wie schon sein Vater Gino in vielen Ämtern der Republik, ja er galt geradezu als Verkörperung von Uneigennützigkeit und Überparteilichkeit. Im Machtkampf von 1433/34 aufseiten der Medici, wurde er nach deren Sieg zum mächtigsten Mann der Republik nach Cosimo de’ Medici, dessen enge Anlehnung an Mailand er allerdings missbilligte. Für Machiavelli bezeichnete er – im Gegensatz zu Cosimo – die wahre, auf Leistung und Verdienst gestützte Republik nach altrömischem Vorbild.
bot und Geld-Abpressung noch nicht erschöpft. Dienten diese Maßnahmen der Entmachtung der Feinde im Hier und Jetzt, so musste darüber hinaus Vorsorge gegen ihren Wiederaufstieg getroffen werden. Zu diesem Zweck wurde das Verfahren des rimbotto, mittels dessen die Medici so viele ihrer Anhänger in die Lederbeutel geschleust hatten, verboten und der politische Status der Magnaten verbessert. Diese durften zwar immer noch nicht die eigentlichen Führungspositionen bekleiden, wohl aber prestigeträchtige diplomatische Missionen übernehmen. Das war eine Geste, die mehr versprach; sollten die Magnatenfamilien das neue Regime unterstützen, durften sie mit der vollen Wiederzulassung rechnen. Auch ideologisch entsprach diese Rehabilitierung dem jetzt eingeschlagenen Kurs und seiner Parole: Es lebe die alte Elite, nieder mit den Parvenüs! Belohnungen für diejenigen, die sich bei der Vertreibung der Gegner bewährt hatten, rundeten das Maßnahmenpaket ab; außer Ämtern aber hatten die Sieger nicht viel zu vergeben, und auf diese erhoben ihre Parteigänger ohnehin Anspruch. Ansonsten veränderte die balìa, gemessen an ihren Vollmachten, relativ wenig. Einige Kompetenzen wurden den mitgliederstarken Räten entzogen und an engere Gremien überwiesen. Zudem wurde ein neues squittinio anberaumt, obwohl die Revision der Wahllisten eigentlich erst in drei Jahren fällig war.
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Dritter Akt
Dass man nach der Vertreibung der Konkurrenten daran ging, dieses Verzeichnis zusammenzustreichen, lag in der Logik des politischen Systems. Wollte man nicht alle zwei Monate Angst vor einem Gegenschlag haben, musste man Hunderte von Namen aus diesem Verzeichnis streichen. Doch gegen solche radikalen Eingriffe sprachen gewichtige Einwände. Denn es gab ungeachtet aller Polarisierung immer noch eine Reihe einflussreicher Persönlichkeiten wie z. B. Neri Capponi, die zwar gewisse Sympathien für die Verbannten erkennen ließen, sich jedoch nicht weit genug exponiert hatten, um ihnen die Lizenz für die Führungsämter zu entziehen.
Vierter Akt: Der Sieg in der Niederlage
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ass Erwägungen angestellt wurden, beim squittinio einschneidend zu säubern, spiegelt sich darin wider, dass das
Losverfahren für die neue Signoria der Monate November und Dezember 1433 suspendiert und diese stattdessen gezielt mit Anhängern besetzt wurde. Das war ein offener Bruch der Verfassung nebst der republikanischen Tradition; als solcher blieb die Handverlesung der Stadtregierung denn auch vorerst einmalig. Offensichtlich fehlte es den Siegern an der Entschlossenheit, auf dem Weg der Ausnahmeregelungen fortzufahren. Oder aber man unterschätzte die Gefahren, die trotz aller Repressalien gegen die Unterlegenen weiterhin drohten. Dieselbe Halbherzigkeit legten sie beim squittinio an den Tag. Im Wesentlichen ließ man es damit bewenden, die Mitglieder der Medici-Großfamilie nochmals auszuschließen. Eine weiter reichende Durch- oder gar Ausmusterung aber fand nicht statt; im Gegenteil, mit Ausnahme der feindlichen Protagonisten wurde die politische Klasse en bloc bestätigt und mit ihr die Gesamtheit der älteren squittini seit 1391. Verblendeten Sinns, wie sie waren, ließen die Regierenden die alten Beutel, wie sie waren, ohne darauf zu achten, dass diese mit den neu-
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en vermischt waren. Und so ergaben sich bei den Ziehungen der Signoria keine Veränderungen gegenüber früher. Diejenigen, deren Namen vor der Verbannung darin waren, bleiben darin auch nach dem ungerechten Exil.18
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Vi e r t e r A k t
So Cavalcanti, der darüber verständlicherweise bass erstaunt war. Denn so schmiedeten die Sieger das Damoklesschwert über ihren Köpfen selbst. Warum blieben sie auf halbem Wege stehen, anstatt diesen konsequent zu Ende zu gehen? Unterschätzung der Gegner, Überbewertung der gewonnenen Machtbasis und die Furcht, durch zu radikales Vorgehen in traditioneller denkenden Kreisen Anstoß zu erregen: so lauten naheliegende und fraglos auch zutreffende Antworten. Doch dürften für den eklatanten Mangel an Skrupellosigkeit und praktischer Staatsräson weitere, tiefer liegende Ursachen mit ausschlaggebend gewesen sein. Zum einen war die programmatische Einfärbung der Medici-Gegner konservativ; darüber hinaus einte sie wenig mehr als der Wille, die verhasste gente nuova in die Schranken zu weisen. Drittens bestand ihre Gruppierung aus horizontal verbundenen Netzwerken von annähernd gleicher Größe und Stärke. Und viertens dürfte es ihr, zusammen mit der Rücksichtslosigkeit, an der politischen Erfindungskraft, um nicht zu sagen: an der robusten Kreativität gefehlt haben, um ihre Vorherrschaft in neuen Formen und neuen Formeln auf Dauer zu festigen. Dieses Defizit an politischer Vorstellungs- und Gestaltungskraft zeigte sich schnell. Während Cosimo de’ Medici und seine engsten Berater, wie aus den nachfolgenden Ereignissen zu schließen, alle denkbaren Schachzüge ihrer Gegner vorherbedacht und Erfolg versprechende Strategien dagegen ersonnen hatten, vernachlässigten ihre Gegner diese Planspiele auf das sträflichste. Dass sich eine so demütigende Strafe wie die Verbannung aus der Heimatstadt in einen Triumph der verfolgten Unschuld umwandeln ließ – diese propagandistische Umwertung allein muss sie völlig überrascht haben. Und Cosimo hatte noch mehr in petto. Sein ganzes Auftreten diente dem Zweck, die Vorwürfe, die die Verbannung rechtfertigen sollten, zu entkräften. Summarisch waren die Führer der Medici-Partei – so die offizielle Urteilsbegründung – als „Störer ihrer Mitbürger, Zerstörer des Staates und Verursacher von Skandalen“19 ins Exil geschickt worden. Das waren schwere Anklagen, die von Einzelherrschern und republikanischen Eliten in ganz
Der triumphale Abschied
Italien ernst genommen werden mussten; sie alle lebten in der stetigen Furcht vor der Rückkehr ihrer Verbannten. Im Einzelnen wurden die Medici für schuldig befunden, durch die Bildung einer Interessengruppe die Autorität der Signoria und damit der Republik insgesamt untergraben zu haben. Doch das war in den Ohren italienischer Führungsschichten wenig mehr als Wortgetöse. Jeder, der dazu gehörte, wusste, wie Netzwerke funktionierten und dass immer nur die Gefolgschaft der anderen der Gefährdung des Staates bezichtigt wurde.
Der triumphale Abschied
Ob man sich dem Urteil der Sieger anschloss oder nicht; darüber entschieden andere Gesichtspunkte. Für die Unterstützung der Medici sprach die politische Großwetterlage. Nach jahrzehntelangen zerstörerischen Kriegen hatten die Eliten landesweit ein lebhaftes Interesse daran, die inneren und äußeren Machtverhältnisse zu konsolidieren. Dieser Prozess der Konfliktbereinigung kam zwar erst 1454/55 mit dem Frieden von Lodi und der italienischen Liga zum Abschluss, als die führenden Mächte des Landes unter der Führung Papst Nikolaus’ V. ihre Einflusszonen absteckten, doch standen die Zeichen schon zwei Jahrzehnte zuvor auf Interessenausgleich und Schutz gegen außen. So betrachtet, war die Republik Florenz unter der Ägide des sprichwörtlich vorsichtigen und klugen Cosimo de’ Medici ein echtes Desiderat. Die vielen guten Dienste, die die Bank einflussreichen Persönlichkeiten zwischen Alpen und Vesuv erwiesen hatte, taten ein Übriges. Doch den Ausschlag musste geben, wie die Verbannten mit dem Urteil umgingen: Würden sie es bekämpfen oder hinnehmen und damit die Autorität der Republik akzeptieren, auch wenn sie ihnen Unrecht tat? Cavalcanti legt dem ins Exil ziehenden Cosimo de’ Medici die folgenden Abschiedsworte an seine Mitbürger in den Mund:
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Glaubte ich, dass dieses Unglück und dieser schreckliche Ruin, die mich jetzt treffen, dazu gereichen würden, dem gesegneten Volk von Florenz zum Frieden zu verhelfen, so würde ich über das harte
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Schicksal des Exils hinaus geradezu meinen eigenen Tod wünschen – so nämlich könnten sich meine Nachkommen rühmen, dass ich dadurch die zerrissene Republik wieder zusammengeführt habe. Meine Herren, ich habe beschlossen – da es Euch gefällt, mir Padua als Wohnort anzuweisen – dorthin zu gehen und dort zu verbleiben, wo
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es mir Eure Befehle auferlegen.20
„Meine Herren“ war keine Höflichkeitsanrede, sondern wörtlich zu verstehen: Die Herren von der Signoria hatten entschieden, Cosimo, der Musterbürger, gehorchte. Bei aller Erhabenheit des patriotischen Auftritts unterlässt es der Verbannte nicht darauf hinzuweisen, dass ihn die Strafe unschuldig trifft. Ja, in diese Suada der Gefügigkeit werden unauffällige Wendungen eingestreut, dass es damit nicht sein Bewenden haben musste:
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Da beschlossen ist, dass ich nach Padua zu gehen habe, lasse ich in Florenz meine Seele und meine Liebe; und mit all meinem Gut werde ich für das Wohl des florentinischen Volkes wirken.21
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Warum sollte diese Liebe, die in Florenz zurückblieb, zusammen mit diesen Wohltaten keine Früchte tragen, sprich: die Rückkehr in die Wege leiten? Doch das waren Zwischen- bzw. Untertöne, die man auch ganz harmlos, aus dem Überschwang der Gefühle heraus erklären konnte. Zurück blieb so der Eindruck eines großen Dulders. Bei aller Parteinahme für Cosimo kann sich Cavalcanti eine gewisse Häme nicht verkneifen. Cosimo habe in seiner Abschiedsrede seiner Furcht Ausdruck verliehen, Opfer eines Anschlags zu werden.22 Dieser selbst unterstellt im Rückblick den Hardlinern unter seinen Gegnern solche Absichten.23 Warum haben diese nicht zum äußersten Mittel gegriffen? Rücksichtnahme auf innere wie äußere Parteigänger der Medici darf in Rechnung gestellt werden. Doch gehörte der politische Mord, sei es in Signorien, sei es in Republiken, zum Instrumentarium der Politik und ließ sich, lange vor Machiavelli, in Notstandssituationen auch rechtfertigen. Selbst die Venezianer, die so stolz auf
Der triumphale Abschied
ihre politische Stabilität waren, hatten im Jahrhundert zuvor einen aufrührerischen Dogen kurzerhand köpfen lassen. Ihre Zurückhaltung führte Cosimo darauf zurück, dass sich zum Zeitpunkt seiner Verhaftung sein jüngerer Bruder Lorenzo im Mugello und sein Cousin Averardo in Pisa aufhielt, die Führung der Klientel im Falle seiner Ermordung also nicht verwaist wäre.24 Doch damit dürfte der Chef des Hauses Medici seine eigene Stellung unterbewerten. Cavalcanti zeichnet Averardo als einen unerfreulichen Charakter und betont, wie unbeliebt er bei vielen Patriziern gewesen sei; zumindest dieses letztere Urteil bestätigen andere, weniger von persönlicher Antipathie geprägte Quellen.25 Lorenzo schließlich bewährte sich zwar durch loyale Kooperation, doch erscheint er insgesamt als wenig profiliert und für die Führungsrolle kaum qualifiziert. Welche Gründe am Ende auch ausschlaggebend gewesen sein mögen, das Todesurteil gegen den Staatsverbrecher Cosimo blieb ebenso wie ein „spontanes“ Attentat aus. Und so ging das Schauspiel „Heroismus und Altruismus des unschuldig verfolgten Cosimo de’ Medici“ in den nächsten Akt. Als Anfang Oktober 1434 der Tag des Abschieds gekommen war, lud der Scheidende zu einem Abendessen, das geradezu wie ein letztes Abendmahl begangen wurde. Danach stieg der Verbannte auf sein Pferd und ritt in Nacht und Heimatlosigkeit hinaus; nachdenklich musste seine Richter stimmen, wie viele ihm dabei das Ehrengeleit gaben. Noch viel bedenklicher aber war, was ihm unterwegs zugerufen wurde.
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Dreh dich um, Cosimo, erwache aus deiner Betäubung und Trägheit! Hilf dir selbst, Cosimo, dann werden wir dir helfen, und auch die Götter werden nicht abseits stehen!26
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Was seine Gefolgsleute für Zögerlichkeit und Tatenlosigkeit hielten, war Kalkül. Allerdings war diese Strategie auch in den Reihen der treuesten Medici-Anhänger nicht unumstritten. Das alternative Vorgehen hätte darin bestanden, schon jetzt die aufgepeitschten Emotionen der Anhänger für den Gegenschlag zu nutzen. Konkret hätte das bedeutet, Niccolò da Tolentino, den neuen condottiere der Republik, zu dem
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So selbstbestimmt, ungebunden und ruhmvoll, wie Andrea del Castagnos Fresko Niccolò da Tolentino im Dom von Florenz verewigt, war das Leben der condottieri selten. In Wirklichkeit waren diese „Miet-Feldherrn“ von ihren Auftraggebern abhängig und bei Misserfolgen zu Sündenböcken vorherbestimmt.
Freunde in der Not
Cosimo gute Beziehungen unterhielt, zum Marsch auf Florenz zu bewegen und gleichzeitig einen Aufstand innerhalb der Mauern anzuzetteln. Der in seiner Zelle eingesperrte Cosimo favorisierte offenbar diese Pläne und hielt sie auch im Rückblick noch für aussichtsreich.27 Doch ließ sich der florentinische General nur zu einer symbolischen Aktion bewegen, die ohne größere Folgen blieb. Und Cosimo selbst musste im Nachhinein einräumen, dass es so auch besser war.28 Denn die Strategie, die Verbannung auf sich zu nehmen und daraus eine Demonstration von Patriotismus und Bürgersinn zu machen, erwies sich weiterhin als außerordentlich erfolgreich. In Florenz wie im contado überboten sich nicht nur einflussreiche Persönlichkeiten, sondern ganze Städte wie Pistoia, Prato und San Gimignano in Manifestationen des Mitgefühls und Hilfsangeboten. Nicht nur in der Hauptstadt, sondern auch im Untertanengebiet hatte sich eine ebenso weitgespannte wie straff organisierte Interessengruppe herausgebildet, die ihren geschäftlichen und politischen Erfolg mehr denn je von den Medici abhängig sah. Die von der Signoria ergriffenen Maßnahmen hatten daher den kontraproduktiven Effekt, die Gefolgschaft noch enger an ihren Patron zu binden. Doch so ermutigend solche Loyalitätsbezeugungen auch wirkten, dem kühl abwägenden Bankier musste bewusst sein, dass sie alles andere als uneigennützig motiviert waren. Die Botschaft lautete: Wir setzen weiterhin auf deine Führung und Förderung. Der eindrucksvoll bestätigte Patron war dadurch mehr denn je zum Erfolg verdammt.
Freunde in der Not
Dafür standen die Chancen weiterhin gut. Wie eine Art klienteläre Lichterkette fügten sich auf Cosimos Weg in venezianisches Staatsgebiet die Treuebezeugungen aneinander; zwischen Bologna, Imola und Faenza ließ es sich kaum eine Kommune, und war sie noch so klein, nehmen, dem Exilierten die Ehre zu erweisen. Und zwar aus gutem Grund: Giovanni di Bicci und Cosimo selbst hatten den einflussreichen Familien der Region, speziell den mächtigen Manfredi in Rimini,
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geschäftlich und politisch mancherlei gute Dienste erwiesen. Dieses soziale Kapital erbrachte jetzt reichlich Ertrag. Gegenleistungen schuldeten den Medici überdies die Bentivoglio, die führende Familie von Bologna, und die Baglioni in Perugia, die dort ebenfalls eine indirekte Vorherrschaft ausübten. Doch das Maximum an nützlicher Freundschaft konnte Cosimo in Venedig abrufen, wo die Bank seit 35 Jahren eine Filiale unterhielt; sonderlich klug hatte die Signoria den Verbannungsort Padua also nicht ausgewählt. Zudem hatte der Großteil des vorausschauend transferierten Firmenkapitals an der Lagune sein sicheres Refugium gefunden. Schon der Vorhut der Familie – Averardos Sohn und Enkel Giuliano und Francesco sowie Lorenzo – wurde ein regelrechter Staatsempfang unter Führung des Dogen selbst bereitet. Das Staatsoberhaupt selbst sowie viele andere venezianische Adelige beklagten öffentlich das Unglück der zu Unrecht Verfolgten und boten Unterstützung bei ihrer Rückführung an. Ja, selbst der römische König Sigismund soll für sie Partei genommen haben, und zwar mit einem ironischen Wortspiel: Die Florentiner hätten die medici („Ärzte“) vertrieben, von der die Stadt allein Heilung zu erwarten habe.29 Die Frage lautete jetzt, wie man dieses eindrucksvolle Potenzial an Hilfsbereitschaft am günstigsten einsetzen konnte. Guten Willen bewies die Republik Venedig überreichlich, als sie mit Jacopo Donato einen angesehenen Patrizier (und engen Freund Cosimos) nach Florenz sandte, um die dortige Signoria zur Zurücknahme ihres Verbannungsurteils zu bewegen. Doch diese Annullierung – so viel musste eigentlich beiden Seiten klar sein – war allein durch eine solche Mission nicht zu erreichen. Den Exilierten die Heimkehr zu erlauben, hieß – dafür standen die Erfahrungen von drei Jahrhunderten –, den Bürgerkrieg in die Stadtmauern zu tragen. Immerhin schuldete die Kommune dem prestigeträchtigen Gast eine Reihe von Gesten. Sie berief eine pratica ein, die über das venezianische Ersuchen beraten sollte. Deren Vorschläge zeugten von diplomatischem Geschick. Sie verweigerte zwar, wie vorhersehbar, die Wiederzulassung der Exilierten, doch erlaubte sie Cosimo immerhin, sich nicht nur in Padua, sondern auch in Venedig anzusiedeln; das war eine „Familien-
Freunde in der Not
zusammenführung“, die die Koordination der geschäftlichen und politischen Unternehmungen wesentlich erleichtern musste. Und um die Ablehnung des eigentlichen Antrags zu versüßen, verlieh die Signoria Donato die Ehrenbürgerschaft von Florenz. Aus diesen Resultaten ließen sich verschiedene Rückschlüsse ziehen. Zum einen war die Verbannung der Medici keine rein innerflorentinische Angelegenheit mehr, sondern eine gesamtitalienische Haupt- und Staatsaffäre. Spätestens jetzt wusste die Signoria, dass die mächtige „Schwesterrepublik“ an der Lagune auf der Seite der Verfolgten stand und ihr sehr genau auf die Finger sehen würde. Zudem ließen die ihr abgerungenen Zugeständnisse, so geringfügig sie sich auch ausnehmen mochten, die Anhänger der Medici Morgenluft wittern; ja, sie mussten schon dieses minimale Einlenken als Zeichen der Schwäche werten. Auf der anderen Seite stach hervor, dass diplomatische Demarchen dieser Art, so willkommen der dadurch auf das Regime in Florenz ausgeübte Druck auch war, allein nicht zum Erfolg führen konnten. Es half nichts – die Medici mussten sich in Geduld üben. Und in Hoffnung. In Anbetracht der Resultate, die das squittinio von 1433 erbracht hatte, durften sie damit rechnen, dass der Zufall der Losziehung ihnen über kurz oder lang eine freundlich gesonnene Signoria bescheren würde – falls sich ihre Feinde nicht in letzter Minute doch noch dazu durchringen würden, die Füllung der Wahlbeutel zu manipulieren. So lebten beide Seiten in höchster Anspannung. Einstweilen aber musste Cosimo seine Rolle weiterspielen. Und das tat er virtuos. Zwar lieferte er dem venezianischen Dogen, der wie der innerste Zirkel der Republik insgesamt der florentinischen Außenpolitik misstraute, unter der Hand Informationen über geheime Treffen Rinaldos degli Albizzi mit dem condottiere Piccinino, doch nach außen trat er als loyaler Bürger seiner Heimatstadt auf, der niemandem, selbst seinen erbittertsten Feinden, nur das Beste wünschte. Und schon bald bot sich die Gelegenheit, diese Treue wirkungsvoller vorzuweisen, als alle Reden vermochten. Anfang 1434 hatte sich ein gewisser Mari de’ Medici aus einer unbedeutenden Seitenlinie der Sippe dazu hinreißen lassen, eine Verschwörung zur bewaffneten
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Rückführung seiner entfernten Verwandten anzuzetteln. Cosimo selbst brachte diese unbedachten Umtriebe sowohl in Venedig auch in Florenz zur Anzeige, und zwar aus gutem Grund. Er vermutete, vielleicht nicht zu Unrecht, dass das Komplott ohne Maris Wissen von den Albizzi gefördert wurde – um es danach als heimtückischen Anschlag Cosimos, des Wolfs im Schafpelz, aufzudecken. Diese Falle aber galt es um jeden Preis zu vermeiden; anderenfalls würde das sorgfältig konstruierte Image des patriotischen Dulders irreparabel geschädigt. So aber musste die Signoria dem Verbannten ein feierliches Dankschreiben für die dem Vaterland durch diese Denunziation geleisteten Dienste senden. Diese Gratulation war ein erster Höhepunkt in der Komödie der Verstellungen, die jetzt auf der florentinischen wie der venezianischen Bühne gespielt wurde.
Der Blick auf die Beutel
Währenddessen schauten sämtliche Akteure alle zwei Monate gebannt auf die Ziehung der tre maggiori und speziell der Signoria, die nach der Handverlesung der Regierung für die Monate November und Dezember ab Januar 1434 wiedereinsetzte. Noch vor dem Jahresende aber hatte die Stadtregierung ein Zeichen der Unversöhnlichkeit gesetzt und eine Reihe weiterer Medici-Anhänger, darunter die Brüder Giovanni und Puccio Pucci, ins Exil geschickt. Dieselbe Härte zeigte sie gegenüber Averardo de’ Medici, der aufgrund von Altersschwäche und Krankheit den ihm zugewiesenen Exilort Neapel nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist erreichte und daraufhin als Rebell gegen die Republik verurteilt wurde – mit der Folge, dass sein Besitz der Beschlagnahmung im Namen der Republik verfiel. Der Enteignete hatte zwar in letzter Minute einen Teil der Güter auf seine Frau überschreiben lassen, und manches wurde ihm nach der siegreichen Rückkehr der Familie ersetzt; doch starb er, von den vielen Turbulenzen gezeichnet, schon im Herbst 1434. Sein Sohn Giuliano war ihm im Sommer desselben Jahres im Tod vorangegangen, und auch der Enkel Francesco überlebte den Großvater nur um wenige Jahre. So fiel das
Der Blick auf die Beutel
Vermögen dieses Zweiges an Cosimo. Finanziell und politisch hatte dieser Erbfall eine weitere Konzentration von Einfluss und Autorität zur Folge; doch barg die Verengung des familiären Führungskreises auch das Risiko einer zu schmalen personellen Basis. Selbst das Aussterben der Hauptlinie – Alptraum aller Patrizier – schien nicht mehr ausgeschlossen. Trost in der leidigen Enteignungsaffäre konnte Cosimo daraus ziehen, dass seine Freunde während des Prozesses und danach mit ungebrochenem Eifer für seine Interessen wirkten. Speziell Piero Guicciardini profilierte sich in diesen dunklen Monaten als der vielleicht wichtigste Sachwalter und Informant. Als Mitglied einer der primi und Bruder eines Albizzi-Gefolgsmanns verfügte er über ein Hintergrundwissen, das für die Planungen seines Patrons von unschätzbarem Wert war. Andere wie Alamanno Salviati und Antonio Serristori taten es ihm gleich. Auf diese Weise nahm ein Zirkel Gestalt an, dessen Mitglieder durch die Bewährung in der Zeit der Bedrängnis langfristig die Weichen für eine erfolgreiche Fortführung ihrer Familiengeschichte stellten. Belohnungen für ihre treuen Dienste durften sie als verdient betrachten – nicht zuletzt der damit verbundenen Risiken wegen. Die Signoria untersagte den Nachrichtenfluss zwischen Florenz und den Verbannten unter Androhung strenger Strafen. Und das waren keine leeren Worte. Ein weiterer Spitzenklient der Medici, Agnolo Acciaiuoli, bezahlte seine Informationen mit dem Exil. Doch sofort traten andere, Große und Kleine gleichermaßen, an seine Stelle. Sie alle standen bereit, wenn die Stunde des Umschwungs schlagen sollte. Die Signoria für Januar und Februar 1434 kam dafür nicht infrage. In ihr hatten die Feinde der Medici die Mehrheit. Und die nachfolgende Stadtregierung war sogar noch ungünstiger besetzt. Beide Signorien beriefen denn auch zur Absicherung ihrer Politik pratiche, in denen Hardliner das Sagen hatten; sie rieten zu einem immer härteren Kurs und erwogen im Zuge dieser Beratungen jetzt auch ein Vorgehen, das die Verfassung außer Kraft setzen würde. Je mehr die Albizzi-Partei vom Losglück begünstigt wurde, desto radikaler fielen die Vorschläge für Maßnahmen aus, mit denen diese Vorherrschaft ab-
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gesichert werden sollten. Man darf darin eine „Jetzt oder nie“Haltung, doch wohl auch die Angst widergespiegelt sehen, dass der Zufall nicht immer auf der Seite der Herrschenden sein würde. Umso auffallender ist jedoch, dass auf die starken Worte keine Taten folgten. Pläne dafür gab es allerdings überreichlich. Auch wenn man die nach dem Unschwung unter der Folter abgepressten Geständnisse mit Vorsicht aufnehmen muss, eine Reihe außergesetzlicher Vorhaben wurde mit Sicherheit erwogen. Am harmlosesten war noch der Vorschlag, die einflussreichsten Freunde der Medici – neben den oben Genannten Neri Capponi, Niccolò Valori, Nerone Diotisalvi und Alessandro Alessandri – mit einem Schlag ebenfalls ins Exil zu schicken. Kriminelle Energie hätte hingegen die Ermordung ihrer führenden Parteigänger erfordert; entsprechende Planungen scheinen im März und April 1434 weit gediehen zu sein. Ihr Leben verlieren sollten Guicciardini, Valori und Capponi; waren diese liquidiert, glaubte man es bei sieben weiteren mit der Verbannung bewenden lassen zu können. Doch am Ende wurde eben doch kein Blut vergossen. Machiavelli, der seine politischen Erfolgslehren aus der altrömischen Republik schöpfte und in Florenz fast nur die falschen Maximen angewendet sah, zog daraus in seinen Überlegungen zu den Erfolgsaussichten von Verschwörungen den bezeichnenden Schluss: Jetzt bleiben nur noch die Gefahren zu erörtern, die sich nach voll-
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zogener Tat einstellen können. Von diesen aber gibt es nur eine einzige, nämlich die, dass jemand verschont wird, der die Ermordung
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des Mächtigen rächen könnte.30
Für die Herrschenden folgt daraus eine eindeutige Handlungsanweisung:
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Daraus ist zu schließen, dass ein Eroberer unmittelbar nach der Inbesitznahme des Staates alle unvermeidlichen Grausamkeiten auf einen Schlag begehen muss.31
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Der Blick auf die Beutel
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Der Papst aus Venedig
Eugen IV. stammte aus der venezianischen Patrizierfamilie der Condulmer und war selbst, wie nicht wenige seiner Nachfolger, der Neffe eines Papstes. Eugens Pontifikat ist durch den Konflikt mit dem Konzil von Basel, das den Papst 1439 für abgesetzt erklärte, bedeutsam; aus diesem Kampf ging das Papsttum durch die Unterstützung der europäischen Fürsten schließlich siegreich hervor. Und auch die Auseinandersetzung mit Kommune und Adel Roms entschied Eugen am Ende für sich. Nach seiner Rückkehr an den Tiber wurde bis 1798 kein Papst mehr aus seiner Hauptstadt vertrieben.
Machiavelli hatte als Erster den Mut, diese Regeln niederzuschreiben; bekannt aber waren sie lange zuvor. Waren die Gegner der Medici zu uneinig, zu zögerlich, zu selbstsicher, zu konservativ, um sie zu beherzigen – oder zu zivilisiert? Wahrscheinlich kamen alle diese Gründe zusammen – und weitere dazu. Ein vorhersehbarer Nebeneffekt der Verbannung trat ab März 1434 immer unangenehmer hervor: Der Republik fehlte das Geld, das die Medici-Bank ihr so lange so reichlich geliehen hatte. 1433 kam es zu Unruhen lokaler Machthaber in der Romagna; in den nachfolgenden Kämpfen zwischen Rom und Mailand stand Florenz auf der Seite des Papstes. Die für diese Intervention nötigen Rüstungen aber spannten die ohnehin prekären Staatsfinanzen übermäßig an. So zeichnete sich bald ab, dass die Florentiner höhere Steuern zahlen mussten. Und das – so sahen es viele – nur deshalb, weil mit Cosimo der Wohltäter der Kommune unter fadenscheinigen Vorwänden vertrieben worden war. Der Beliebtheit der regierenden Kreise war diese Aussicht nicht eben förderlich. Ab Mai 1434 mehrten sich dementsprechend die Anzeichen dafür, dass die Parteigänger der Medici Morgenluft witterten. Obwohl die Signoria für die Monate Mai und Juni weiterhin eine Mehrheit für die Albizzi und ihre Verbündeten aufwies, schlug sie einen gemäßigteren Kurs ein. In den pratiche kamen jetzt immer häufiger auch die Anhänger der Gegenseite zu Wort. Und die vielköpfigen
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Räte des Volkes und der Kommune, die in ruhigen Zeiten abzusegnen pflegten, was die tre maggiori beschlossen hatten, fielen jetzt durch ungewohnte Aufmüpfigkeit auf – kaum eine Vorlage, die nicht zwecks Abänderung zurückgewiesen oder sogar in Bausch und Bogen abgelehnt wurde. Für aufmerksame Beobachter wurde unübersehbar, dass sich der politische Wind zu drehen begann. Dass die regierende Partei geschwächt war, zeigte sich überdies an den zahlreichen Anträgen, Versöhnungs-Kommissionen einzurichten. Diese sollten die üblichen Treue-Eide schwören lassen und zum Frieden aufrufen. Offenbar gab es immer noch Idealisten, die an die Wirksamkeit der traditionellen Heilmittel glaubten. Mit der Ziehung der von ihren Anhängern dominierten Signoria der Monate Juli und August erhielt die Albizzi-Fraktion nochmals eine Chance, das ihr jetzt schon viermal gewogene Glück auf Dauer zu fixieren. Doch ließ sie auch diese Gelegenheit, mit der Rückendeckung der Stadtregierung ein parlamento und danach eine balìa zur Neuordnung der Republik einzuberufen, ungenutzt verstreichen; offensichtlich trauten ihre Führer dem neu gewählten gonfaloniere di giustizia, Donato Velluti, nicht zu, eine solche gewagte Operation erfolgreich abzuwickeln. Dieses Misstrauen gegenüber einem Parteigänger lässt tief blicken – die ganze Interessengruppe war gespalten und wohl auch mutlos geworden. Dabei hatte sich der regierende Zirkel noch kurz zuvor mit allem Glanz präsentiert, als es mit Papst Eugen IV. einen illustren Gast zu begrüßen galt. Der Pontifex maximus kam allerdings nicht aus freien Stücken; er war vor der Feindseligkeit der römischen Kommune geflohen und bat in Florenz um Asyl. Von dort aus nahm Eugen die Rückeroberung seiner Hauptstadt und des Kirchenstaats in Angriff, die allerdings erst neun Jahre später erfolgreich abgeschlossen war. In seinem Refugium Florenz wurde der Papst zu einem Einflussfaktor besonderer Art: ohne faktische Macht, doch durch die Autorität seines Amtes mit beträchtlichem Einfluss auf den Lauf der Ereignisse.
Fünfter Akt: Rückkehr und Triumph
E
nde August 1434 ging die launische Fortuna mit fliegenden Fahnen zur Gegenseite über.
Bei verschiedenen vorangehenden Ziehungen hatte es schüchterne
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Versuche gegeben, den unschuldig verbannten Cosimo zurückzuberufen, doch hatten diese nichts auszurichten vermocht. Exakt ein Jahr nach seinem Verbannungsurteil aber erfuhr dieser die höchste
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Genugtuung.32
Für die Signoria der Monate September und Oktober 1434 wurden gelost: als gonfaloniere di giustizia Niccolò di Cocco di Donato, seines Zeichens Färbermeister und unter den besser situierten Handwerkern einer von Cosimos verlässlichsten Parteigängern, dazu als Prioren Luca Pitti, Giovanni Capponi und Neri Bartolini, auch sie allesamt erprobte Anhänger des verbannten Bankiers. Die übrigen fünf Mitglieder der Stadtregierung waren in ihrer Ausrichtung weniger profiliert, doch galten sie in den Augen der Medici-Gegner zumindest als unzuverlässig. Die per Eilkurier nach Venedig geschickten Nachrichten klangen dementsprechend verheißungsvoll: Von einer solchen Signoria durfte man die schnelle Aufhebung des Verbannungsurteils erwarten. Und war dieses Hindernis erst einmal aus dem Weg geräumt, wusste man, was zu tun war.
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Fünfter Akt
Nachdem eine solch prächtige Gruppe von Bürgern gezogen worden war, fassten sie sich ein Herz, denn sie sahen, dass die Zeit gekom-
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men war, dem schlechten Regime, unter dem sie gelitten hatten, ein Ende zu bereiten. Dies wäre früher geschehen, hätten sie Prioren gehabt, die sich dem Willen des einfachen Volkes wie der führenden
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Patrizier verpflichtet gefühlt hätten; denn beide Seiten waren mit den Herrschenden sehr unzufrieden.33
Cosimos im Rückblick niedergelegte Version der Ereignisse spiegelt bereits die offizielle Einfärbung wider, die dem goldenen Herbst des Jahres 1434 zuteil wurde: Gute Bürger bereiten der Unrechtsherrschaft einer eigennützigen Clique das verdiente Ende. Cavalcanti dürfte das tatsächlich herrschende Klima der nervösen Unruhe und Unsicherheit adäquater treffen: Viel wurde jetzt in der Stadt gesprochen, und viele rechneten mit
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großen Veränderungen in der Republik. Unter den Bürgern waren die Befürchtungen gleichmäßig verteilt: Die einen fürchteten zu ver-
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lieren, die anderen fürchteten, am Ende doch nicht zu gewinnen.34
Von allen Seiten wurde Cosimo jetzt gedrängt, sofort von Venedig nach Florenz aufzubrechen. Doch dieser war klug genug, nichts zu überstürzen – erst der offizielle Rückruf, dann der gehorsame Aufbruch! Es gehörte zum sorgsam konstruierten Image, dass der Verbannte dem Staat bis zum Schluss gehorchte, in schlechten wie in guten Tagen. Auch zum Retter des Vaterlands musste man sich ordnungsgemäß berufen lassen.
Revolte zur Unzeit
Rinaldo degli Albizzi und seine Freunde aber hatten die Quittung für ihre Untätigkeit erhalten; für sie war guter Rat jetzt teuer. Ein noch in der Nacht nach der fatalen Ziehung einberufener Krisenstab sah nur eine Lösung: Der noch amtierende gonfaloniere sollte die Sturmglocke
Revolte zur Unzeit
läuten und ein neues parlamento zusammentreten lassen, welches die neue Signoria für illegitim erklären und eine neue Auslosung anordnen würde. Vorher aber würden sie die Beutel, in denen so viele Namen ihrer Gegner steckten, verbrennen. Doch gegen diesen Plan wurden die bekannten Bedenken vorgebracht: Mit Donato Velluti, einer stadtbekannten Krämerseele, konnte man keine Revolution machen. Und so ließ man es bleiben. Auch der kurz darauf von Albizzi und Palla Strozzi geschmiedete Plan, die neue Signoria mit eigens angeworbenen Truppen zu überrumpeln, zerschlug sich. Diesmal waren es schlechte Nachrichten aus der Romagna, die zur Aufgabe zwangen. Die florentinischen Truppen hatten wieder einmal eine vernichtende Niederlage erlitten. Steuergelder für militärische Blamagen: Das war keine Bilanz, die die Hoffnung auf breite Unterstützung wecken konnte. Der neue gonfaloniere aber war aus anderem Holz geschnitzt als sein Vorgänger. Kaum hatte Niccolò Donato das Banner der Republik von Donato Velluti überreicht bekommen, da ließ er diesen auch schon wegen Korruption verhaften. Überhaupt lief jetzt alles nach exakter Planung ab. Getreu der Devise, den zum Greifen nahen Sieg nicht durch Leichtsinn in letzter Minute zu verspielen, gewährte Cosimo, gewissermaßen auf dem Sprung von Venedig nach Florenz, der Markusrepublik eine hohe Anleihe zu äußerst günstigen Konditionen. Das war ein großzügiges Abschiedsgeschenk oder, wenn sich die Dinge am Arno wider Erwarten doch noch ungünstig entwickelten, ein Einkauf zum längeren Verweilen. Für die unter der Steuerlast ächzenden Florentiner aber war es eine klare Botschaft: Noch kommt der Reichtum der Bank den Venezianern zugute, doch das kann sehr schnell ändern. Von so viel Freigebigkeit waren die Venezianer – in Finanzdingen selbst global player und nicht leicht zu beeindrucken – regelrecht überwältigt. Das Haus Medici hatte sich hier auf Dauer Freunde gemacht. Und in Florenz schritten die dortigen Freunde zur Tat. Der umsichtige Färber Donati sorgte dafür, dass sich die politischen Verhältnisse neu einfärbten. Am 20.September zitierte die Signoria mit Rinaldo degli Albizzi, Ridolfo Peruzzi und Niccolò Barbadori die führenden Repräsentanten des alten Regimes in den Stadtpalast, wo sie
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Fünfter Akt
Rechenschaft über ihr Tun ablegen sollten. Am selben Tag wurde die Verbannung der Medici aufgehoben und für den 29. September ein parlamento festgesetzt; um dieses vor Übergriffen zu schützen, sollten in höchster Eile Truppen zusammengezogen werden. Was von einer solchen „Bürgerbefragung“ zu erwarten war, konnte den Gegnern der Medici nicht zweifelhaft erscheinen. Wollten sie nicht dasselbe Schicksal erleiden wie die Medici ein Jahr zuvor, mussten sie so rasch wie möglich Gegenmaßnahmen ergreifen. Und so setzten sie am 26. September nach langem Zögern alles auf eine Karte. Schon am Morgen verdichteten sich die Gerüchte, dass ein bewaffneter Aufstand geplant war. In den Palästen der Albizzi und Peruzzi sammelten sich bewaffnete Anhänger, die auf die Straßen drängten und die ganze Stadt mit Lärm und Unruhe erfüllten – anstatt so schnell wie möglich gegen die Stadtregierung loszuschlagen. Der Überraschungsfaktor wurde so verschenkt und mit ihm das Gesetz des Handelns. Inzwischen nämlich waren die Prioren gewarnt worden. Diese verschanzten sich, so gut es ging, in ihren Amtsräumen, riefen Gefolgsleute zusammen und ließen Vorräte für den Fall einer Belagerung anlegen. Am späten Nachmittag harrten so im Stadtpalast an die fünfhundert bewaffnete und zum Widerstand entschlossene Verteidiger, darunter die geschlossene Kerngruppe der Medici-Partei, der Dinge, die da kommen sollten. Sie kamen anders, als von den Führern der Revolte erhofft. Im letzten Augenblick nämlich schreckten wichtige Mitglieder der Albizzi-Fraktion vor dem Äußersten zurück. Ein Angriff gegen die gewählte Signoria war und blieb ein Staatsverbrechen. Man konnte sich noch so oft einreden, dass man nicht gegen die legitimen Organe der Republik, sondern gegen deren Feinde vorging – der Makel der politischen Blasphemie haftete dennoch an denjenigen, die die Hand gegen die gewählten Statthalter Gottes auf Erden erhoben. Ganz abgesehen davon, dass die Aussichten auf Erfolg unter diesen Bedingungen gering einzuschätzen waren. Alle diejenigen, die bisher nicht offen Partei ergriffen hatten, würden sich spätestens jetzt um ihre legitime Staatsführung scharen. Von solchen Erwägungen bestimmt, folgte Palla Strozzi zwar dem Ruf seiner Verbündeten, doch allein und unbewaffnet. Und Gio-
Revolte zur Unzeit
vanni Guicciardini ließ dem Eilboten, der ihn zum Bürgerkrieg aufbieten sollte, trocken ausrichten, seine Anwesenheit sei im Palast der Familie nützlicher; so könne er seinen Bruder Piero, der bekanntlich der anderen Seite zuneige, im Auge behalten. Beide Patrizier gaben die Sache ihrer Partei offensichtlich verloren. Strozzi dürfte darauf gehofft haben, sein Ansehen als elder statesman der Republik und Stimme der Versöhnung in die Waagschale werfen zu können – vergeblich, wie sich bald zeigen sollte. Der Optimismus des zweiten Abweichlers hingegen erwies sich als berechtigt. Piero Guicciardini konnte seine Verdienste um Cosimo gegen die „Schuld“ seines Bruders verrechnen. Wurden Meriten wie Vergehen annähernd gleich gewichtet, so gab offenbar den Ausschlag, ob sich der Ex-Gegner nach seiner „Bekehrung“ risikolos in das siegreiche Netzwerk einfügen lassen würde. Mit einem „Bewährungshelfer“ vom Rang Pieros an der Seite konnte man Giovanni diese Chance einräumen Endgültig verloren war der Aufstand, als der Albizzi-Fraktion mit Ridolfo Peruzzi einer ihrer Anführer durch offenen Verrat abhanden kam. Ihn warb die Signoria durch Versprechungen ab, die einzuhalten sie nie die Absicht hatte. Was wollt ihr denn noch mehr, als die Signoria mir bietet, so Peruzzi zu Rinaldo degli Albizzi und Genossen? Besser ein Minimum in
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Frieden als das Maximum im Krieg und unter Gefahren, ist doch alles auf der Welt unsicher und vom Zufall abhängig. Ich werde mich der Signoria stellen und die Segnungen des Gehorsams genießen; ver-
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harrt ihr nur weiter in eurem Starrsinn. Sprach’s, und ging in den Stadtpalast.35
So Cavalcanti mit seinem üblichen Sinn für Ironie. Im Stadtpalast erwarteten Peruzzi lobende Worte für seine vorbildliche Bürgergesinnung – und bald darauf Verurteilung und Exil.
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Die letzte Karte
Albizzi und die ihm verbliebenen Anhänger aber wurden auf noch viel originellere Art und Weise ausmanövriert. Weitgehend unbemerkt in diesen Turbulenzen lebte in Florenz ja immer noch Papst Eugen IV., offiziell die höchste Instanz der Christenheit in Sachen Frieden und Versöhnung. An seiner Seite hatte er Giovanni Vitelleschi, den Mann fürs Grobe und Feine zugleich. In den folgenden Jahren machte dieser mit den vielen weitgehend unabhängig gewordenen Klein-Signorien im Kirchenstaat und anderen aufmüpfigen Aristokraten kurzen Prozess, und zwar nach allen Regeln der machiavellistischen Kunst. In Florenz hatte Vitelleschi schon Kostproben seines taktischen Geschicks abgelegt, als er im Auftrag von Eugens Vorgänger Martin V. den zerstrittenen und gewalttätigen Klerus mit vielen Versprechungen und eiserner Hand zugleich „reformierte“. Mit ihm als von Eugen delegiertem Vermittler glaubte Albizzi gewonnenes Spiel zu haben – schuldete ihm der vertriebene Papst nicht reichliche Gegenleistungen für die freundliche Aufnahme und viele andere gute Dienste? Doch so einfach waren die Wege klientelär bestimmter Politik nicht kalkulierbar. Im Gegenteil: In einer Ausnahmesituation wie dieser erwiesen sie sich als verschlungen, ja geradezu als unerforschlich. Oder um es nochmals mit Machiavelli zu sagen: Nichts ist so hinfällig wie die menschliche Dankbarkeit. Vor allem dann, wenn man sich durch Dankbarkeit selbst schadet. Auf das Hier und Jetzt bezogen: Kein Papst durfte den bewaffneten Widerstand gegen eine legitime Obrigkeit rechtfertigen; Vitelleschi konnte also nur zum gütlichen Ausgleich raten. Ebenso hätte Albizzi erkennen müssen, dass eine Vermittlung das Ende des Aufstands und das Ende des Aufstands sein eigenes politisches Ende bedeutete. Eine beutelüsterne Horde Bewaffneter mit guten Worten zu Frau und Kind heimschicken – wie stellte er sich das vor? Schließlich war Cosimo de’ Medici der Bankier des Papstes. Glaubte Albizzi wirklich, dass dieser die Hand verdorren lassen würde, die ihm die Rückkehr in die eigene Hauptstadt finanzieren sollte? Zudem war Vitelleschi ein enger Freund Cosimos und Eugen IV.
Die letzte Karte
Venezianer. Seine Landsleute aber waren nicht erst seit Cosimos fürstlicher Abschiedsgabe dessen ganz spezielle Freunde. Man konnte es drehen und wenden, wie man wollte: überall nur Verbündete der Medici! Vitelleschi konnte in seiner Versöhnungsrede deren Gegner noch so salbungsvoll dazu aufrufen, sich vertrauensvoll in den Schoß der Kirche zu begeben – dieser Weg führte direkt in die Verbannung. Schließlich war die Kurie ja selber im Exil. Viel „hätte“ und „müsste“ und viele offene Fragen. Es fällt schwer, nicht in den ironischen Ton zu verfallen, mit dem die florentinischen Historiker den Untergang der Medici-Gegner kommentieren: Viele schöne Dinge sagte der Papst Rinaldo, wofür dieser ihm ergrif-
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fen dankte. Und er sah nicht, wie neben den ungeheuchelten Tränen die Tränen des Krokodils aus derselben Quelle die päpstlichen
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Wangen hinab rannen.36
Das Spiel war aus. Albizzis Sturmtruppe war es sich schuldig, zumindest einen Palast der Feinde zwecks Plünderung zu attackieren; doch nicht einmal das gelang. Selten hatte ein mit so großen Erwartungen begonnener Aufstand so kläglich geendet. Nicht nur, dass man nichts außer unverbindlichen Zusicherungen gewonnen hatte – verloren gegangen waren Zuversicht, Reputation und Ehrbarkeit zugleich. So folgenlos er auch endete, die Rebellion an und für sich war bereits das schwerste denkbare Staatsverbrechen. Und als solche würde sie nicht ohne Folgen bleiben, selbst wenn Eugen sich energisch zugunsten der Rebellen verwenden würde. Doch warum sollte er? Am Ende ließ es der Pontifex maximus beim Appell zur Milde bewenden – die Albizzi waren vor dem Blutvergießen zurückgeschreckt, so stand es Cosimo wohl an, sich in christlicher Nächstenschonung zu üben. Das ließ diesem und seinen Anhängern weite Spielräume.
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Die Rückkehr
Dem parlamento stand jetzt nichts mehr im Wege. Ja, man konnte es sogar auf den 28. September vorverlegen. Und auch für diese vorgezogene „Volksbefragung“ hatte Cosimo, umsichtiger denn je, Vorsorge getroffen. Zum einen hatte er im Mugello zuverlässige Gefolgsleute bewaffnen lassen, zum anderen führte er bei seiner Abreise aus Venedig
Die Rückkehr
Knapp anderthalb Jahrhunderte danach ist die Rückkehr Cosimo de’ Medicis aus dem venezianischen Exil zum Mythos geworden. Für einen anderen Cosimo, den ersten Großherzog der Toskana, malt Vasari den Einzug des großen Bankiers als Triumph, der das Goldene Zeitalter von Florenz einleitet.
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am 29. September 300 Söldner mit sich; dazu kamen Truppen aus der Romagna. Unter dem Strich standen so 6000 Mann bereit, um die Generalversammlung der Florentiner Staatsbürger zu „schützen“. Die Stärke dieser Kontingente zeigt an, dass die Medici keinerlei Risiken einzugehen gedachten. Selbst den eigenen Parteigängern wurde es angesichts der wilden Kriegsleute und der vor Waffen starrenden Bauern, die den Zugang zur Piazza della Signoria kontrollierten, beklommen ums Herz. Dass unter diesen Voraussetzungen alles glatt, das heißt ohne die geringsten Widerworte, über die Bühne ging, verstand sich von selbst. Wie im Vorjahr beschloss das parlamento die Einrichtung einer balìa. Sie zählte an die fünfhundert Mitglieder und war damit eine der zahlenstärksten politischen Körperschaften, die die Republik je gesehen hatte. Was „demokratisch“ wirken sollte, war in Wahrheit ein „Who is who“ der Medici-Partei, von den Handwerkern bis zu den einflussreichsten Patriziern. Darüber hinaus wies die balìa Mitglieder auf, die nicht direkt zu dieser Gefolgschaft gehörten. Die Aufnahme „neutraler“ Mitglieder sollte der Sonderkommission den Anstrich des Volkswillens verleihen. Ihr Zweck war wie gehabt die „Reform des Staates“. Bevor sie diese in Angriff nahm, erneuerte sie feierlich den Rückruf der Verbannten. Wie der Weg ins Exil wurde die Rückkehr nach Florenz zum Triumphzug, nur mit veränderten Vorzeichen. Hatten den Auszug Loyalitätsbeteuerungen und Hilfsversprechen begleitet, so war der Einzug von Verweisen auf geleistete Dienste gepflastert – man habe ja nie gezweifelt, immer dafür gewirkt, nie gewankt und dauernd gebetet. Bevor überhaupt von einer Vorherrschaft der Medici die Rede sein konnte, traten deren Hypotheken zutage: So viele nützliche Freunde, die belohnt und bei der Stange gehalten werden wollten! „Das ganze Volk von Florenz hatte sich in der Via larga, vor unse-
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rem Haus, versammelt, um uns zu begrüßen. Aus diesem Grund zog es die Signoria vor, dass wir nicht bei Tag, sondern bei Nacht in die Stadt einzogen, um weitere Unruhen zu
vermeiden.“37
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Die Rückkehr
Für einen Privatmann viel zu prächtig – Cosimo de’ Medicis von Michelozzo errichteter Palast zog von Anfang an Kritik auf sich. Und in der Tat wurde die noble Behausung in der Via larga schnell zum eigentlichen Entscheidungszentrum der Republik.
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Wahrlich eine symbolträchtige Szene! Nicht, dass die Rückkehr der Exilierten das Licht des Tages scheuen musste, die Legalität ihres Rückrufs stand außer Frage. Im Schutze der Dunkelheit erreichte der große Bankier, seinen eigenen Worten gemäß, den heimischen Herd aufgrund seiner übermäßigen Beliebtheit. Weniger freundlich ausgedrückt: Sein Einfluss überstieg die von der Republik für einen einzelnen Bürger vorgesehene Stellung, ja, eine Position, wie sie Cosimo jetzt einnahm, war in diesem Gemeinwesen so nicht vorgesehen. So kam von Anfang an Verstellung ins politische Spiel. Und wichtige Ereignisse spielten sich hinter den Kulissen ab. Und auch, wenn sie im Licht der Öffentlichkeit stattfanden, wurden die Fäden von nun an immer häufiger nicht im Stadtpalast, sondern im Hause der Medici gezogen.
Das große Aufräumen
Als erste konkrete Maßnahme zur Neuordnung der politischen Verhältnisse verfügte die balìa am 2. Oktober die Verbannung Rinaldo degli Albizzis und seines Sohnes Ormanno; mit ihnen hatten Ridolfo Peruzzi, in den Augen vieler Patrizier ein betrogener Betrüger, und seine Söhne sowie sein Bruder Donato den Weg ins Exil anzutreten. Mit weiteren Ausweisungen ließen sich die neuen Machthaber Zeit. Das zeigt, wie fest sie im Sattel saßen. Zudem waren einige ihrer Hauptgegner dem Urteilsspruch zuvorgekommen und geflohen. Andere, die sich für weniger diskreditiert hielten, hofften darauf, sich mit den veränderten Machtverhältnissen zu arrangieren. Wie immer nach solchen Umschwüngen setzten die Reinwaschungen der eigenen Person bzw. Familie, gepaart mit Denunziationen der anderen, ein. Viele beteuerten nun, gezwungen gehandelt, in Wirklichkeit aber immer die richtigen Gesinnungen gehegt zu haben. Allem Anschein nach wartete die Führung der Medici-Partei diese Welle der Anschuldigungen und Entschuldigungen bewusst ab, um ihre Schlüsse zu ziehen. Die Liste der Verbannungen jedenfalls ließ weiter auf sich warten. In Ungewissheit über ihr Schicksal demütigten sich viele, die sich unter Verdacht, doch nicht ohne Chancen glaubten – und verrieten mehr, als ihnen und
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ihren ehemaligen Verbündeten lieb sein konnte. Eine Zersetzung von Loyalitäten und Netzwerken hatte begonnen, aus der die Medici Kapital zu schlagen gedachten. Dabei mussten sie sich genau überlegen, wer als so belastet einzustufen war, dass seines Bleibens in Florenz nicht mehr sein konnte, und wer als noch tragbar gelten durfte. Wer würde aufgrund tief verwurzelter Loyalität auf Gegenschläge sinnen, wer wegen seiner persönlichen Ressentiments Sand ins Getriebe des neuen Regimes streuen – und wer den neuen Machthabern umso nützlicher sein, weil er sich in ihren Diensten zu rehabilitieren hatte? Es war viel Menschenkenntnis gefragt im Oktober des Wendejahres 1434. Cosimo und seine engsten Ratgeber dürften Hunderte politischer Lebensläufe durchgegangen sein, mit besonderer Berücksichtigung der vorangegangenen zwölf Monate. Dabei mussten kurz- und langfristige Perspektiven, so schwer sie im Einzelnen auch vereinbar schienen, gleichermaßen im Auge behalten werden. Zum einen galt es, den mit tätiger Mithilfe des Loses errungenen Sieg so abzusichern, dass die Machtbasis nicht alle zwei Monate bei der Ziehung der Führungsämter in Gefahr geriet; eine solche Stabilität aber war nur durch rigoroses Vorgehen gegen alle suspekten Elemente zu erreichen. Auf der anderen Seite galt es, Lehren aus den Turbulenzen des letzten Jahrzehnts zu ziehen. Die Medici hatten mit beispielloser Umsicht und Konsequenz Geld in nützliche Beziehungen umgewandelt und sich so ein Netzwerk geschaffen, das sie an die Macht getragen hatte. Nüchtern betrachtet, war ihr wirtschaftlicher Erfolg das Maß aller Dinge. Gerade im Banksektor aber hieß es – hundert Jahre zuvor hatten die Bardi und Peruzzi mit ihren Riesenkompanien genau diese Erfahrung gemacht – mit deprimierender Regelmäßigkeit „wie gewonnen, so zerronnen“. So sprach alles dafür, dass die Medici-Bank nicht ewig florieren, sondern andere Familien das große Geld verdienen und ihrerseits nach Macht und Einfluss streben würden. Für Machiavelli war die gesamte Geschichte der Republik von diesem einen fatalen Mechanismus beherrscht: Eine Interessengruppe verdrängte die andere, setzte sich mit der Republik gleich, begünstig-
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te ihre Klienten, beutete die Ressourcen des Staates aus, verlor durch den Genuss der Macht an Dynamik sowie Wachsamkeit – und wurde durch das stärkste der nachrückenden Netzwerke ihrerseits verdrängt.38 Zu diesem Ergebnis dürften auch Cosimo und sein politischer braintrust gelangt sein. Denn alle ihre Strategien richteten sich darauf, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Die Medici wollten die Letzten sei, die so an die Macht gelangten, und daher in ganz neuartiger Weise die Ersten. Dauerhaft gefestigt aber konnte ihre Vorherrschaft nur werden, wenn ein Schritt über Grenzen getan wurde – die Interessengruppe der Medici-Anhänger musste sich zur repräsentativen Interessenvereinigung des Florentiner Patriziats erweitern. Um diesen alles entscheidenden Wandlungsprozess nicht von vornherein zu blockieren, sondern stattdessen so früh wie möglich zu befördern, mussten die im Herbst 1434 unvermeidlichen Sanktionen mit Augenmaß verhängt werden. Zum einen galt es, den Fehler der Albizzi zu vermeiden, die zwar die schmale Kerngruppe der Gegenpartei, nicht jedoch deren einflussreichste Anhänger verbannt oder auch nur in ihren politischen Rechten eingeschränkt hatten; zum anderen aber mussten alle persönlich eingefärbten Rachegelüste unterdrückt und darüber hinaus flexible Methoden der Bestrafung und Ermutigung zugleich gefunden werden. Nach welchen Kriterien bei dieser Durchmusterung des Florentiner Patriziats vorgegangen wurde, darüber gab die zu diesem Zweck einberufene pratica bemerkenswert offen Auskunft: Der Fehler, der im September 1433 begann, sticht jetzt zutage; er
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hatte ein weiteres Fehlverhalten zur Folge, das derjenigen, die sich gegen die Signoria erhoben und die Autorität der Regierung untergruben. Diejenigen, die in beiden Fällen beteiligt waren, werden bestraft werden, sodass sie andere davon abschrecken werden, dasselbe Verbrechen zu begehen; überdies soll ihre Bestrafung dazu dienen, dass die Autorität der Signoria, der Frieden und die gute Ordnung der Stadt und ihres Herrschaftsgebietes gegen jedes vernünftigerweise zu veranschlagende Risiko geschützt werden. Da aber diejenigen, die die Waffen gegen den Stadtpalast ergriffen bzw.
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diese Attacke unterstützten, so zahlreich sind und ein Prozess viel zu weite Kreise ziehen würde, werden wir uns nicht mit der Masse beschäftigen, sondern nur deren Führer bestrafen, allerdings mit
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Milde.39
Im diskreten Kreis der Gleichgesinnten diskutiert und verabschiedet, lässt dieser Beschluss tief blicken. Die Rebellion vom 26. September lieferte die offizielle Rechtfertigung der politischen Prozesse. Im Zentrum der Untersuchungen stand die Parteinahme seit Ziehung der feindlichen Signoria Ende August 1433; für diejenigen, die die Verbannung verhängt oder in einer der nachfolgenden Stadtregierungen für weitere Strafaktionen gegen die Medici gestimmt hatten, gab es keinerlei mildernde Umstände. Doch wurde das politische Verhalten noch viel weiter zurückverfolgt; die Archive der Republik gaben minutiösen Aufschluss über die kleinsten Ausrutscher oder auch nur Wankelmütigkeiten. Auch diejenigen, die ungeschoren davonkamen, wussten, dass Cosimo ein umfassendes Register ihrer Sünden, und seien sie noch so lässlich, angelegt hatte – und lebten in der Furcht davor, dass sie ihnen doch noch präsentiert werden würden. Das Ziel der ganzen Aktion bestand darin, das neue Regime so weit wie möglich gegen alle nur irgend denkbaren Bedrohungen zu schützen. Daran schließt sich die Kontroverse an, ob es besser ist, geliebt oder
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gefürchtet zu werden. Die Antwort heißt: am besten wäre es, geliebt und gefürchtet zugleich zu sein. Da es aber schwierig ist, beides zu verbinden, ist es viel sicherer, wenn man schon auf das eine verzich-
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ten muss, gefürchtet als geliebt zu werden.40
Machiavellis Schlussfolgerung wurde von Cosimo um achtzig Jahre vorweggenommen: Bande nützlicher Freundschaft, wo sich solche schmieden ließen, Furcht vor dem neuen Herrn, wo sie unumgänglich war. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte wurde die Liste derjenigen, die als Staatsverbrecher in die Verbannung geschickt werden sollten, am 3. November 1434 endlich bekannt gemacht. Sie ent-
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hielt mehr als neunzig Namen; zusammen mit denjenigen, die in Florenz bleiben, aber keine Ämter mehr bekleiden durften, verfielen 109 Bürger dem Verdikt der politischen Unzuverlässigkeit. Diese Zahl war ein Schock, innerhalb wie außerhalb von Florenz: Die Medici gingen rein zahlenmäßig zehnmal härter vor als ihre Feinde ein gutes Jahr zuvor. Die Entrüstung war umso größer, als neben den Führern der Gegner mit Palla Strozzi und seinem Sohn Nofri auch Persönlichkeiten ins Exil geschickt wurden, die erst spät und auch dann eher moderat Partei ergriffen hatten. Cosimo selbst fühlte sich bemüßigt, zu dieser schwarzen Liste auf Distanz zu gehen. Nicht wenige Namen seien ihm als Todfeinde treuer Anhänger gewissermaßen diktiert worden.41 Das mag im Einzelfall so gewesen sein, doch spiegelt die Aufstellung der in Florenz untragbar gewordenen Personen insgesamt kühlstes politisches Kalkül wider. Machiavellis Maxime, dass Grausamkeiten mit einem Schlag begangen werden müssen, damit sie umso schneller wieder in Vergessenheit geraten, war hier, wiederum ein Menschenalter vor ihrer Formulierung, mustergültig umgesetzt worden. Wobei sich die Grausamkeit in Grenzen hielt. Im Gegensatz zu so vielen städtischen Machtkämpfen der Zeit war Blutvergießen vermieden worden; nicht einmal Todesurteile in absentia wurden verhängt. Auch diese Zurückhaltung fand im Nachhinein Machiavellis Billigung: Furcht ja, Hass nein. Das richtige Maß an Furcht, das zugleich Hoffnung übrig lässt, ist politisch konstruktiv, Hass aber zerstörerisch.42 Dass am Ende die Parteiräson den Ausschlag gab, steht außer Frage. Nach sorgfältiger Auswertung aller archivnotorisch gewordenen Äußerungen und Abstimmungen bezahlten schließlich außer den Albizzi und Strozzi die Hauptzweige der Aldobrandini, Altoviti, Baldovinetti, Barbadori, Brancacci, Castellani, Corsi, Gianfigliazzi, Guadagni, Guasconi, Lamberteschi, Peruzzi und Ricasoli ihre Gegnerschaft zu den Medici mit der Verbannung. Berücksichtigt man, dass die Exilierten in der Regel die Stadt mit ihrer Kernfamilie verließen, verschrieb Cosimo, der strenge Arzt, der Florentiner Elite einen beträchtlichen Aderlass. Schätzungen, dass an die fünfhundert Personen ihre Heimatstadt verließen, sind allenfalls leicht überhöht.
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Der Historiker Italiens
Francesco Guicciardini (1483–1540) gehörte als einer der primi zum engsten Umfeld der Medici; so war er von 1523 bis 1527 Chefdiplomat des Medici-Papstes Clemens’ VII. Nach dem Scheitern seiner Politik im Sacco di Roma, der Plünderung Roms durch deutsche und spanische Söldner, im Mai 1527 schrieb er seine monumentale Geschich-
te Italiens von 1490 bis 1535. Darin erteilt er dem Konzept „Aus der Geschichte lernen“ eine Absage: Der historische Wandel übersteigt jede Vorstellungskraft und lässt sich nicht voraussehen.
So unumgänglich dieser Exodus für die neuen Machthaber auch war, so bedachten sie doch frühzeitig Mittel und Wege einer Rückführung. Die meisten Verbannungen wurden für zehn Jahre ausgesprochen; das war eine lange Zeit, während derer die Exilierten genau observiert wurden. Wo immer diese sich auch aufhielten, ob in Rom, Neapel oder kleineren Orten, die Medici hatten ihre Informanten, die über das Wohl- bzw. Fehlverhalten der Verbannten haarklein berichteten. Und auf der Grundlage dieser Dossiers ließe sich trefflich darüber entscheiden, ob es angebracht war, ein Comeback ins Auge zu fassen oder den Urteilsspruch um eine weitere Frist zu verlängern. Bei den meisten Exilierten war der Wille zur Rückkehr und damit die Bereitschaft, sich mit den neuen Machtverhältnissen zu arrangieren, stärker als die entgegengesetzten Loyalitäten oder der Hass auf die Sieger. 37 der 58 verbannten Familien kehrten so wieder nach Florenz zurück. Ein Loblied auf die Humanität der Sieger ist dessen ungeachtet wie überhaupt jedes moralische Urteil fehl am Platze. Und die schon von den Zeitzeugen geäußerte Erleichterung darüber, dass keine Blutgerüste gezimmert wurden, sollte nicht blind dafür machen, wie hart Personen und Familien getroffen werden konnten. Palla Strozzi brach das Exil buchstäblich das Herz, das heißt den Lebensmut; ähnlich war es bei Averardo de’ Medici gewesen – Auge um Auge, Exil um Exil. Und manche Namen verschwanden für immer aus den Annalen
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der Stadt. Die Brancacci etwa, die kurz zuvor in der nach ihnen benannten Kapelle von S.Maria del Carmine die Meisterfresken Masaccios in Auftrag gegeben hatten, kehrten nicht mehr zurück. Doch auch das Schicksal derjenigen, die auf Bewährung bleiben durften, war keineswegs beneidenswert. Einer dieser Suspekten innerhalb der Stadtmauern war Giovanni Rucellai. Über die langen Jahre im Schatten, abseits der mediceischen Gnadensonne und unter den Argusaugen der Regimewächter, hat er Aufzeichnungen hinterlassen, die den Gemütszustand der auf Bewährung Verurteilten widerspiegeln: Groll, gepaart mit dem Bemühen, nicht aufzufallen und einer gehörigen Portion Verfolgungsangst.43 Auch wenn sich viele den Medici ursprünglich fernstehende Patrizier nach und nach in deren sich ausweitendes Netzwerk integrieren ließen; die Unterscheidung zwischen denen, die dazugehörten, und denen, die ausgeschlossen waren, hatte weiterhin Bestand. Oder wie es der Historiker Francesco Guicciardini, der Urenkel jenes Piero, der die Medici 1433/34 mit so vielen nützlichen Informationen versorgt hatte, über siebzig Jahre nach den Ereignissen bilanzierte: Und so muss man die Schlussfolgerung ziehen, dass unter ihm [= Lo-
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renzo dem Prächtigen] die Stadt nicht in Freiheit lebte; einen besseren und freundlicheren Tyrannen aber hätte sie niemals finden kön-
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nen.44
Die Herrschaft der Medici war und blieb eine Tyrannis. Deren Segnungen genossen die Parteigänger wie die Mitglieder der Familie Guicciardini. Die anderen aber ernteten bittere Früchte; wie sehr sie sich auch bemühten, geschäftlich wie politisch, ohne die Gunst der führenden Familie kamen sie nie auf einen grünen Zweig.
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gelenkte Republik „Und so bemächtigten die Medici sich binnen Kurzem des Staates, nachdem die feindliche Partei entweder vertrieben oder wirtschaftlich ruiniert worden war. Und um nicht äußerer Hilfe zu ermangeln, verbanden sie sich, zwecks Sicherung der jeweiligen Besitzungen, mit dem Papst, den Venezianern und dem Herzog von Mailand.“1
Die Kunst der Manipulation
D
er Machtkampf war entschieden, der Kampf um die Sicherung der Macht aber hatte gerade erst begonnen. Mit der
Ausweisung der feindlichen Parteiführer konnte es nicht sein Bewenden haben, auch das hatte das klägliche Ende der kurzen AlbizziHegemonie ab September 1433 erwiesen. Auch wenn jetzt gut hundert Namen weniger in den Losbeuteln lagen, den gesamten Anhang ihrer Gegner hatten die Medici nicht ausweisen können. Man musste weiter mit mancherlei stummem Widerstand rechnen, der dann wortmächtig zu werden drohte, wenn innere oder äußere Krisen die Stabilität des Regimes infrage stellten. Um ihm zu begegnen, waren die vom Verbannungsurteil geschlagenen Lücken – immerhin ein Viertel des innersten Zirkels von Macht und Einfluss – gezielt mit denjenigen aufgefüllt worden, die in den Zeiten der Not ihre unbedingte Loyalität unter Beweis gestellt hatten; die Stunde der Niccolò Donatis und der Puccis hatte jetzt geschlagen. Für sie wurde der Klientelismus der Medici zur Kraft des sozialen Aufstiegs. Doch auch dieser partielle Austausch konnte die Vorherrschaft nicht langfristig garantieren. Dafür waren tiefere Einschnitte in das Verfassungs- und Machtgefüge vonnöten. Die Feinde der Medici waren davor zurückgeschreckt; umso dringlicher war es, diese Eingriffe jetzt mit einem Schlag vorzunehmen und zugleich mit den subtilsten Künsten der Schönfärbung zu verschleiern. Mehr denn je war der Augenblick der Propaganda gekommen. Was jetzt getan werden musste, konnte durch kein Gesetz der Republik auch nur ansatzweise gerechtfertigt werden. Da man es je-
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doch nicht unterlassen konnte, musste man es nach außen anders darstellen. Wie nie zuvor trat der Schein in Konkurrenz zur politischen Wirklichkeit. Die im Herbst 1434 gebildete balìa aber tat erst einmal das, was man eher von ihren Gegnern erwartet hätte: Sie hob die gegen die Magnaten gerichteten Sperrgesetze auf. Nicht weniger als 232 Personen aus 21 Familien wurden jetzt zu popolani, das heißt Mitgliedern des guten, der Republik ergebenen Volkes ernannt und dadurch wieder für alle Ämter wählbar. Dieser kollektiven Rehabilitierung lag die Einsicht zugrunde, dass man von diesen so lange ausgeschlossenen Patriziern wenig zu befürchten, aber einige Loyalität zu erhoffen habe. Die neuen Trennlinien verliefen nicht mehr zwischen den hochmütigen Unfriedfertigen und den braven Kaufleuten, sondern zwischen denjenigen, die sich in Cosimos rapide wachsendes Netzwerk eingliedern ließen und denjenigen, deren Gefolgschaft allenfalls äußerlich bleiben würde. Die einen aufzunehmen und die anderen zu isolieren, darin musste die Kunst des Machterhalts und der Machterweiterung bestehen. Doch wie sollte man dabei vorgehen, ohne allzu viel Anstoß zu erregen? Einerseits wusste man genau, auf wen in diesen Monaten der Entscheidung Verlass war und auf wen nicht. In diesem Sinne wurde die letzte Signoria des Jahres 1434 von den ausscheidenden Amtsträgern bestimmt. Doch das konnte keine dauerhafte Lösung sein. Mit Ausnahmegesetzen und Sonderregelungen ließ sich die Republik nicht permanent regieren. Im Gegenteil: Je schneller man zur Normalität zurückkehrte, desto eher mussten sich die Emotionen dämpfen und die erregten Gemüter beruhigen lassen. Also hieß es, so viel Normalität, wie man sich erlauben konnte, zuzulassen und dort, wo sie gefährlich wäre, vorzutäuschen. Weitgehend normal verlief das squittinio, das die von den Siegern besetzte balìa des Jahres 1434 anordnete. An dieser Stelle, wo es wohl alle erwarteten, wurde das Skalpell der Republikverschlankung bewusst, ja geradezu ostentativ nicht angesetzt. Selbstverständlich wurden auch hier die Namen der Exilierten getilgt, doch blieb eine durchgreifende Säuberung der politischen Klasse aus – sie hätte die in
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Angriff genommene Umgestaltung der Republik allzu offensichtlich gemacht. Zudem wäre der Erfolg einer solchen Streichungsaktion zweifelhaft geblieben, ja, vielleicht sogar kontraproduktiv ausgefallen. Alle potenziellen Widersacher konnte man schlichtweg nicht ausschließen; zudem lief man Gefahr, dass die von einer solchen Reduzierung ausgehenden Schockwellen andere erst in die Opposition treiben würden. Hier war daher Kontinuität die bessere Lösung. Zudem konnte man Kritik an der Aushöhlung des Freistaats mit diesem Argument wirkungsvoll kontern: Seht her, es sind doch weiterhin fast zweitausend Florentiner wählbar! Substituieren, Ersatz für echte Normalität zu liefern, verbot sich hier von selbst. Andere Schnittstellen des politischen Prozederes erschienen dafür geeigneter, weil geheimer. Das Verfahren, aus der großen Zahl der Wählbaren die Inhaber der Führungsämter zu bestimmen, war mit seinen diversen Schritten nicht nur erfreulich kompliziert, ja geradezu unübersichtlich, sondern spielte sich darüber hinaus weitgehend hinter den Kulissen ab. An den verschiedenen Prozeduren waren zum einen die Notare der Kanzlei, um die sich die Medici-Partei aus gutem Grund seit jeher bemüht gezeigt hatte, und zum anderen gewählte Amtsträger, die sogenannten accoppiatori, beteiligt. Ihnen oblag die ebenso banale wie folgenschwere Aufgabe, die Lederbeutel mit den Namen der Kandidaten zu füllen. Banal war sie, wenn man darunter den rein mechanischen Akt verstand, die Zettel der vom squittinio für wählbar erklärten Florentiner auf die insgesamt acht Säcke für die Prioren und den neunten für den gonfaloniere zu verteilen. Doch so einfach war diese Operation in Wirklichkeit nicht. Dadurch, dass die verschiedenen Zünfte und Stadtteile bei der Füllung berücksichtigt werden mussten, gab es Beutel mit mehr und weniger Namen, also mit unterschiedlichen Chancen, gezogen zu werden. Von der Lauterkeit der accoppiatori und der ihnen zuarbeitenden Juristen hing daher die Offenheit der Republik ab; dass diese Vertrauenswürdigkeit bisher nicht in Frage gestellt worden war, hing damit zusammen, dass man die Ehrlichkeit der Amtsführung leicht an den Resultaten ermessen konnte. Wurden bestimmte Namen nie gezogen, konnte es mit ihr nicht allzu weit her sein – dieses Prinzip
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Donatellos von den Medici in Auftrag gegebene Bronzestatue der Tyrannentöterin Judith warnte vor der Aushöhlung der Republik, die die Medici mit aller Kraft betrieben. Nach der Vertreibung Piero de’ Medicis 1494 diente sie als Symbol der neuen Republik, bis sie 1504 von Michelangelos David abgelöst wurde.
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der Kontrolle hatte bislang so gut funktioniert, dass es selbst im September 1433 nicht in Zweifel gezogen wurde.
Die handverlesene Elite
Fünfzehn Monate später sah es anders aus. Von jetzt an sorgten die accoppiatori – ausnahmslos Männer aus dem innersten Kreis der Medici-Partei – dafür, dass nur noch die Namen genehmer Kandidaten in die neun borse gesteckt wurden. Und diese Verlässlichkeitsprobe bestanden vorerst nur wenige. Gerade einmal 74 Zettel wurden im Zuge dieser ersten handverlesenen imborsazione eingefüllt. Bezogen auf die Gesamtzahl der theoretisch wählbaren Florentiner war das eine Verkleinerung von eins zu fünfundzwanzig – der Maßstab der Republik schrumpfte jetzt wie nie zuvor. Dass man sich hütete, über eine solche Manipulation öffentlich zu reden, versteht sich von selbst. Geheim konnte diese Reduzierung dennoch nicht bleiben. Dass nicht der Zufall, sondern eine unsichtbare Hand dafür sorgte, dass die Wunschkandidaten der Medici gezogen wurden, war offensichtlich. Bei allem Bemühen, Normalität vorzuspiegeln bzw. vorzuspielen – hier war die Bruchstelle zwischen Tradition und Gegenwart, zwischen offener und gelenkter Republik. Durch die Vorsortierung der Kandidaten war die Kommune zum Exklusivbesitz einer Interessengruppe geworden. Die hässlichen Worte „Tyrannis“ oder zumindest „Oligarchie“ drängten sich denen auf, deren Namen von den accoppiatori nicht in die jetzt viel zu großen Lederbeutel gefüllt wurden. Historiker des 20. Jahrhunderts haben gar Parallelen zur Mafia gezogen:2 Cosimo, der Pate von Florenz? Das hing davon ab, ob die Medici-Partei einen Staat im Staat bilden oder aber zur Interessenvertretung des inneren Kreises mutieren würde; komplett würde sie die primi nie repräsentieren können, es kam also darauf an, die stärkeren Familien hinter sich und nur die schwächeren gegen sich zu haben. Ausschlaggebend für Erfolg oder Scheitern der Republikverengung war daher, wie die politische Klasse insgesamt auf diese stille Revolution reagieren würde. Die Medici
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konnten die Macht nicht durch Gewalt, sondern nur durch Gewöhnung behaupten. Konkret: Das Patriziat musste sich an ihre Vorherrschaft gewöhnen. Doch die Medici konnten diesen Prozess der Gewöhnung durch gezielte Maßnahmen befördern. Mentalitäten mussten sich also wandeln. Und dafür konnte man etwas tun. Das hatte sich schon in den dramatischen Monaten des Exils erwiesen. Gewiss, vor dem wirtschaftlichen und politischen Untergang hatte die Medici ihr außergewöhnlich dicht geknüpftes und weit gespanntes Netzwerk nützlicher Freundschaften bewahrt. Doch über solche „Ich gebe, damit du gibst“-Beziehungen verfügten auch ihre Gegner. Und nicht selten überkreuzten sich, siehe Papst Eugen IV., solche Loyalitäten. Überdies konnte man mit sehr unterschiedlicher Intensität geben: was man aufgrund erbrachter Vorleistungen schuldig war – oder aber mehr, als Vertrauensvorschuss und Investition für ein künftig noch gedeihlicheres Verhältnis. Ob man aus einer Klientel den minimalen oder maximalen Nutzen zog, hing in hohem Maße davon ab, ob man bei diesen auf nüchternen Nutzen berechneten Austauschprozessen die Reputation, die Ehre, das Selbstgefühl und das Prestige des anderen zu erhöhen verstand. Gerne gibt, wer davon überzeugt ist, dem rechtmäßigen Sieger zu geben – mit dieser Formel hatte Cosimo die lebensgefährliche Probe aufs Exempel bestanden. Diesem Zweck hatte die Inszenierung der verfolgten Unschuld gedient. Und sie hatte das Publikum, auf das es ankam, überzeugt, und zwar in Florenz wie in ganz Italien. Diese Strategie galt es jetzt fortzuführen – mit demselben Ziel, doch mit anderen Mitteln. Und erneut erwies sich die Führung der Medici-Partei als äußerst erfinderisch. Kreativ waren ihre Lösungen, weil sie von tiefen psychologischen Einsichten zeugten. Diese wiederum resultierten aus Antworten auf ebenso einfache wie fundamentale Fragen. Worauf kam es der Mehrzahl der politikfähigen Bürger bei ihrem Streben nach den Ämtern eigentlich an – auf die damit verbundenen Kompetenzen, auf die damit verknüpften Chancen, sich zu bereichern, auf die Perspektiven des sozialen Aufstiegs oder auf das Prestige? Alle diese Gesichtspunkte dürften eine Rolle spielen, doch in sehr unterschiedlichen Mischungsverhältnissen. Auf den Kern reduziert, ging es
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um Macht und Ehre. Die Macht, die das Priorenamt mit sich brachte, aber war, für sich genommen, gering. Dazu war die Amtszeit zu kurz, die Zahl der Amtskollegen zu groß und das Gefüge der übrigen Ämter zu komplex. Macht konnte ein Mitglied der Signoria nur dann ausüben, wenn die Voraussetzungen dafür bereits vor der Wahl bestanden: durch den Rang und den Einfluss der Familie und ihre vielfältigen Beziehungen. Darüber aber verfügten nur wenige. Für alle anderen aber war die Führung eines solchen Amtes mit mancherlei Unannehmlichkeiten verbunden. Man konnte sich einflussreiche Persönlichkeiten zu Feinden machen, fühlte sich oft genug nicht für voll genommen oder an den Rand gedrängt – ganz zu schweigen von den damit verbundenen Verdienstausfällen.
Eine Frage der Ehre
Der Politikhunger der vielen anderen, der Patrizier außerhalb des engsten Kreises und der für die Stadtregierung wählbaren Handwerker, musste sich folglich auf andere Weise erklären lassen. Ihnen ging es primär um das Bewusstsein dazuzugehören, Teil der republiktragenden Schicht zu sein. Sie gierten nach Anerkennung, Respekt, nach dem „Wir-Gefühl“, das aus der Gleichrangigkeit vor dem Los resultierte. Auf den Punkt gebracht: Für den Großteil der politikfähigen Schicht ging es nicht um Macht, sondern um Ehre. Die Macht hatten die Medici für sich und, abgestuft, für ihre einflussreichsten Anhänger reserviert; die übrige Gefolgschaft war dazu auserkoren, diese Macht im Namen der Familie und nach ihren Anweisungen auszuüben. Macht hatte Cosimo den vielen Hundert vom squittinio wählbaren Florentinern also nicht anzubieten. Dafür aber wohlfeile Ehre. Um sie so reichlich offerieren zu können, wie sie nachgefragt wurde, ließ man sich etwas einfallen. Seit den Anfängen der Republik hatten nicht alle aus den Wahlbeuteln gezogenen Kandidaten das Amt auch antreten können. Dem konnte eine Reihe peinlicher, aber auch rein verfassungstechnischer Gründe entgegenstehen: eine nicht getilgte Steuerschuld, aber auch das sogenannte divieto, die Sperrfrist zwischen zwei Amtszeiten
Eine Frage der Ehre
sowie die zu nahe Verwandtschaft mit einem anderen Amtsinhaber. In diesem Fall war der gezogene Name nur gesehen worden (veduto), ohne dass der Betreffende in den Amtsräumen des Gremiums gesessen hatte (seduto).3 Was wie ein possierliches Spiel mit Worten klingt, wurde nach 1434 zu einem systematisch eingesetzten Instrument der sozialen und politischen Stabilisierung. Man musste nur die Zahl der nicht ehrabträglichen Amtsantritts-Hindernisse stark vermehren – z. B. dadurch, dass die gezogenen Kandidaten „zufällig“ zur falschen Zunft bzw. zum falschen gonfalone gehörten –, und schon würden sich die gewünschten Effekte einstellen. Man konnte die Zahl der eingefüllten Namen risikolos vermehren und damit dem Vorwurf, die Führungspositionen der Republik handzuverlesen, wirkungsvoll entgegentreten; endlich war das fatale Band zwischen Macht und Ehre gekappt. Die veduti nämlich zogen das erwünschte Prestige daraus, gezogen und als theoretisch amtsfähig von allen gesehen worden zu sein. Und dieses subtil konstruierte Surrogat sprach an. Die einflussreichen Patrizier, so viel war absehbar, würden sich hingegen mit diesem Ersatz nicht zufrieden geben. Für diese Kreise mussten andere Lösungen gefunden werden. In gewissen Fällen ließ sich auch hier, wenngleich auf andere Weise, substituieren. Die Republik hatte eine bestimmte Anzahl von Positionen zu vergeben, deren faktische Befugnisse hinter dem damit verbundenen Prestige zurückblieben; ein solches Gefälle trat z.B. bei Gesandtschaften hervor. Hier ließ sich also, analog zu den veduti, zwischen Macht und Ehre separieren. Solche Mandate bewahrten bzw. mehrten die Reputation, ohne Einfluss zu verleihen, und waren daher ideal für einflussreiche Anhänger, die sich kompromittiert und das Vertrauen, das in sie gesetzt worden war, verloren hatten; doch kamen sie auch als erste Stationen der Bewährung für Angehörige ursprünglich feindlicher Familien in Frage. Doch so virtuos Cosimo, der Fädenzieher von Florenz, diese auf Gewöhnung gerichteten Machttechniken auch zur Anwendung brachte – die faktische Maßstabsverkleinerung der Republik war so einschneidend, dass sich die erstrebte Normalität allein durch solche
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Maßnahmen nicht herbeiführen ließ. Der Handverlesung der Kandidaten haftete der Makel der Manipulation an; zum offenen Losverfahren ohne Vorsortierung zurückzukehren, war daher wünschenswert. Doch dieses Ziel ließ sich nur erreichen, wenn man von der Ziehung keine Signoria wie für September und Oktober 1433 zu erwarten hatte. Eine Wiederöffnung der Losbeutel konnte, so betrachtet, ein Zeichen der Stärke und der Selbstsicherheit sein. 1441, nach sieben Jahren der minutiösen Vorauswahl, schien der Parteiführung dieser Zeitpunkt gekommen. Der Krieg mit Mailand war erfolgreich verlaufen, die Stimmung in breiten Kreisen daher gut. Zudem waren im squittinio von 1440 verdächtige Elemente aus der Wählbarkeitsliste gestrichen worden, vor ganz bösen Überraschungen durfte man sich daher nach menschlichem Ermessen gefeit fühlen. Und so gewährte man den politikfähigen Florentinern nach langer Abstinenz wieder die Freiheit der Losziehung. Doch währte diese Rückkehr zum alten System gerade einmal zwei Jahre. Vertrauen war gut, Kontrolle besser. Dieser Devise gemäß kam 1443 ein gemischtes System zur Anwendung: Vier Mitglieder der Signoria waren handverlesen, die restlichen fünf Beutel hingegen prall gefüllt. Dem lag nüchterne politische Wahrscheinlichkeitsrechnung zugrunde. Die Chancen der Unzufriedenen, alle fünf frei gezogenen Amtsinhaber zu stellen, waren so gering, dass man so viel Entgegenkommen gefahrlos wagen konnte.
Opposition und Flexibilität
Immerhin zeigt der Kompromiss an, dass Cosimo und seine Ratgeber davon ausgingen, dass es eine solche Opposition gab; ja, es musste sie geben, solange sich die Klientel des Hauses nicht zum weitgehend repräsentativen Querschnitt des gesamten Patriziats erweitert hatte. Davon aber war sie nach der wie fast stets untrüglichen Einschätzung ihres Patrons immer noch weit entfernt. Hauptgrund für diese Sicherheitsvorkehrung war, dass 1443 eine andere, noch heiklere Handverlesung anstand. Es war an der Zeit zu prüfen, wer im Exil Zeichen der Einkehr und Besserung zu erkennen gegeben hatte – und wer in
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seinem Widerstand verharrte. Hier war nicht nur wiederum die Kunst der psychologisch-politischen Charakter-Durchleuchtung gefragt – auch die Gegner der Medici hatten die Chancen des schönen Scheins erkannt –, sondern auch Vorsicht am Platze. Die 21 Familien, denen man das Unbedenklichkeits-Zeugnis verweigerte und daher die Verbannung um weitere zehn Jahre verlängerte, wurden als ein potenziell bedrohlicher Unruhefaktor eingestuft. Volle sechs Jahre lang blieb man bei diesem gemischten System aus Handverlesung und Freiheit bei der Ämterrekrutierung. 1449 hieß es dann erneut: zurück zur kompletten Kontrolle aller Wahlbeutel! Die außenpolitische Lage und als ihre Folge die ökonomische Konjunktur färbte sich so düster ein, dass man selbst für nominelle Anhänger nicht mehr die Hand ins Feuer legen konnte. Die Florentiner Elite war so tief gespalten, dass sogar wieder eine balìa mit den üblichen Sondervollmachten ins Leben gerufen wurde. Dass ihr Mandat bis 1458 dauern sollte, zeigt an, wie unsicher die Führungsposition Cosimos und seiner Anhänger geworden war. Ja, schon 1455 schien es mit dieser Vorherrschaft definitiv zu Ende zu gehen. In allen wichtigen Gremien der Republik wurde der Widerstand gegen sämtliche Formen der Vorsortierung unüberwindlich: balìa und Handverlesung wurden verboten, Florenz feierte die Rückkehr zur traditionellen Freiheit. War der Coup vom Herbst 1434 nur eine Episode, die Vorherrschaft der Medici nur ein krisenhaftes Übergangsstadium? 1458, als die Opposition ihren Höhepunkt erreichte, sah es danach aus. Vor allem tat Cosimo nichts, um diesen Eindruck zu zerstreuen. Wie schon in Erwartung des Erstschlags der Albizzi im Jahr 1433 zog er sich fast ganz aus den politischen Tagesgeschäften zurück und übte sich in frommer Meditation; sie stand einem Greis von 69 Jahren, so fand man, wohl an. Wenn die Florentiner die Freiheit des Loses wollten, dann sollten sie diese haben – er sei der Letzte, der sie seinen geliebten Mitbürgern verweigern wolle. Doch wie ein Vierteljahrhundert zuvor war das Loslassen nichts als Kalkül und Finte. Cosimo wusste genau, dass nicht das Patriziat als Ganzes den Aufstand gegen seine Vormacht probte, sondern nur ein sehr kleiner Ausschnitt, nämlich der aufgrund eigener Stärke un-
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zuverlässigste Ausschnitt der weitgespannten Medici-Klientel. Diesen neuralgischen Punkt bildeten die großen Familien, die über starke eigene Gefolgschaftsverbände verfügten. Diese hatten sie Cosimo 1434 gewissermaßen zur Verfügung gestellt, doch konnten sie ihre Anhänger bei chronischer Unzufriedenheit mit der Macht- und Chancenverteilung aus diesem Netz auch wieder herauslösen. Dieser Augenblick schien 1458 nicht mehr fern. Führende Patrizier waren davon überzeugt, dass sie ohne die Patronage der Medici mehr zu gewinnen als zu verlieren hatten. Cosimo, so befanden sie, hatte seine Schuldigkeit getan, er konnte gehen – aufs politische Altenteil. Um diese Machenschaften zu bekämpfen, hatte Cosimo zwei Methoden. Er konnte entweder mit seinen verbliebenen Anhängern die
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Macht mit Gewalt wieder an sich reißen und so die anderen vollends verlieren. Oder aber er konnte den Dingen ihren Lauf lassen und seine wankelmütig gewordenen Freunde zur Einsicht bringen, dass sie
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durch ihr Treiben nicht ihm, sondern sich selbst Einfluss und Ansehen raubten.4
Mit anderen Worten: Der Alte erteilte seinen vornehmsten Gefolgsleuten eine Lektion. Er ließ bewusst die Zügel schleifen, das heißt er verzichtete gezielt darauf, Einfluss zu nehmen: keine Protektion, keine Empfehlungen, keine Vorteile mehr für seine Anhänger – und auch für die Anhänger seiner Anhänger nicht. Stattdessen witterten die Unterlegenen des Jahres 1434 jetzt Morgenluft. Von den vielen kleinen und großen Privilegien geschäftlicher und politischer Art, die der Medici-Partei ein knappes Vierteljahrhundert lang zugeflossen waren, blieb kaum eine Spur. Im Gegenteil: Die Vorrechte schienen sich jetzt geradezu in Nachteile umzukehren. Die politische Moral aus dieser Geschichte: Der konsequente Verzicht auf Patronage lehrte deren Wertschätzung. Und so kamen die primi jetzt als Bittsteller: Cosimo möge doch bitte seine so segensreiche Tätigkeit zum Wohle des Gemeinwesens wiederaufnehmen! Doch der Patron der Patrone ließ sich bitten – ihr habt es doch so und nicht anders gewollt! Am Ende lenk-
D e r m a i l ä n d i s c h e Ve r b ü n d e t e
te er unter einer Bedingung ein. Die jetzt notwendigen Grausamkeiten sollte ein anderer begehen. Als Mann fürs Grobe wurde Luca Pitti auserkoren, den erwiesenermaßen wenig Skrupel plagten. So stellt Machiavelli die erregenden Vorkommnisse der Jahre 1455 bis 1458 in seiner Geschichte von Florenz dar, mit der Lust an Zuspitzungen und Übertreibungen, doch im Großen hellsichtig. Die Familien des engsten um die Medici gezogenen Führungskreises sollten lernen, dass Unauffälligkeit – Cosimo bekleidete die führenden Ämter der Republik nicht häufiger als andere Patrizier auch – nicht Verzichtbarkeit bedeutete. Positiv ausgedrückt: Es war an der Zeit zu zeigen, dass die Elite ohne die indirekte, inoffizielle, aber deswegen alles andere als unwirksame Vorherrschaft ihres Überpatrons nicht auskommen konnte. Für eine solche Demonstration der Effizienz war es im Sommer 1458 höchste Zeit. Auch als für Juli und August 1458 eine Signoria im Sinne der Medici gezogen war, gelang es dieser gegen die geschlossene Opposition der anderen Gremien nicht, die Rückkehr zur Handverlesung durchzusetzen. Eine zweite Kraftprobe stand bevor.
Der mailändische Verbündete
Siegreich bestanden wurde sie, weil eine riskante Großinvestition Cosimos jetzt reiche Rendite erbrachte. 1450 hatte der Söldnerführer Francesco Sforza die Nachfolge der Sforza im Herzogtum Mailand angetreten. Sforza wurde vom Kaiser, dem die Investitur mit dem Reichslehen Mailand zustand, zwar nicht bestätigt, doch von der lombardischen Aristokratie nach langen Verhandlungen als der geeignetste, weil schwächste Kandidat akzeptiert. Der Gefährdung seiner Herrschaft von innen und außen stets bewusst, steuerte er einen vorsichtigen, auf Versöhnung mit den einheimischen Eliten und auf Ausgleich der italienischen Staaten untereinander gerichteten Kurs. Stabile Verhältnisse in Florenz unter der Vorherrschaft der Medici waren unter diesem Gesichtspunkt äußerst wünschenswert. Niemand aber garantierte diese Berechenbarkeit und Stetigkeit wie Cosimo, der nach außen als Bürger unter Bürgern auftrat, doch alle wich-
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Aufstieg und Niedergang der Familie Sforza
Der Begründer der Familie hieß eigentlich Giacomo Attendolo und stammte aus einer Familie kleiner Landbesitzer in der Romagna. Als Führer einer Söldnerarmee, zu deren Offizieren er seine zahlreichen Söhne machte, gewann er eine militärische und politische Macht, die sein Sohn Francesco zum Gewinn Mailands nutzte. Doch schon 1500 wurde Francescos Sohn Ludovico vom französischen König Ludwig XII. vertrieben; dessen Söhne Massimiliano und Francesco regierten als Schattenherzöge unter schweizerischer bzw. habsburgischer Oberhoheit, 1535 starb die Dynastie aus.
tigen Bereiche der Politik durch seine folgsamen Klienten zu lenken vermochte. Diese Kontinuität und mit ihr die italienische balance of power aber war in Gefahr, wenn die Republik am Arno in die Turbulenzen vergangener Jahrzehnte zurückfiel. Noch einmal erwies sich die Haltbarkeit nützlicher Freundschaft, wenn diese durch die Zelebrierung von Rechtmäßigkeit bzw. durch wechselseitige Wertschätzung verstärkt wurde. So hatte Luca Pitti wenig Mühe, das Nötige zu tun. Am 10. August 1458 wurde das obligatorische parlamento einberufen. Von mailändischen Truppen „geschützt“, rief es postwendend eine balìa ins Leben, die wiederum einige Verbannungsurteile verhängte und ein strenges squittinio abhalten ließ – alles wie 1434. War die Vorherrschaft der Medici zur unablässigen Wiederholung ihrer eigenen Geschichte verurteilt? Ja und nein. Dass man auf das komplette Instrumentarium der Ausnahmegesetzgebung und Sonderregelungen zurückgreifen musste, war unleugbar ein Rückschlag. Der Prozess der Gewöhnung wurde dadurch unterbrochen, ja gestört. Doch sind die Unterschiede zur Machteroberung nicht zu übersehen. Zum einen konnte man sich diesmal mit einem Bruchteil der Exilierungen begnügen; zum anderen handelte man, ungeachtet aller Opposition, aus einer Position der Stärke heraus; drittens hatte man in Italien noch mehr mächtige Freunde als vierundzwanzig Jahre zuvor. Und viertens bot
Cosimos Erbe
die Ausschaltung der Gegner 1458 die Gelegenheit, wiederum politisch kreativ zu werden, das heißt neue Methoden der langfristigen Machtsicherung zu erproben. Indirekte Vorherrschaft hieß ja, auf die knappste Formel gebracht, dafür zu sorgen, dass verlässliche Gefolgsleute die Spitzenpositionen der Republik bekleideten und dabei die Direktiven ihres Patrons befolgten. Diese Lenkbarkeit fiel naturgemäß individuell unterschiedlich aus und wurde überdies vom Rang des Klienten innerhalb des Netzwerks bestimmt. Vollständige Gefügigkeit war umso weniger zu erwarten, als die führenden Gefolgsleute ja selbst Klientelführer waren und daher über Autorität und Durchsetzungsfähigkeit verfügen mussten. Denjenigen, die aus der Mittelschicht stammten, aber gebrach es genau an diesem Ansehen, das ihrem Wort Nachdruck verleihen konnte. Mit anderen Worten: Den idealen Klienten mochte es am Reißbrett der politischen Theorie geben, in der Praxis aber musste man beträchtliche Abstriche machen. Daher war es eine weitere Überlebensregel, die führenden Gremien und Räte enger und damit übersichtlicher zu gestalten. In diesem Sinne wurde 1458 ein neuer Rat der Hundert eingerichtet und mit ansehnlichen Kompetenzen ausgestattet. Zwei Jahrzehnte später, unter Cosimos Enkel Lorenzo, war die Zahl auf siebzig geschrumpft. Ebenso wichtig war die Art und Weise der Rekrutierung. Ideal wäre eine direkte Ernennung durch den Patron gewesen, doch das wäre der Stil der Einzelherrschaft, nicht der Republik gewesen, deren Fassade es um jeden Preis aufrechtzuerhalten galt. So gelangte die zweitbeste Methode, die der Kooptation, zur Anwendung. Wenn die Ratsmitglieder die frei werdenden Sitze selbst auffüllten, durfte man damit rechnen, dass sich ein geschlossener Kreis mit esprit de corps, innerem Zusammenhalt und unerschütterlich pro-mediceischer Gesinnung, herausbilden würde.
Cosimos Erbe
Alle diese Entwicklungen schritten in den dreißig Jahren zwischen der Machteroberung und dem Tod Cosimos am 1. August 1464 voran, und zwar in einem unverwechselbar florentinischen Rhythmus. Neue
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Institutionen, Prozeduren und Mechanismen wurden eingeführt und die Reaktionen darauf minutiös registriert. Nach der Testphase und ihrer Auswertung wurden, je nach Ergebnis, die Regeln und Funktionen entsprechend modifiziert: abgeschwächt, wenn sich Widerstand abzeichnete, intensiviert, wenn die erwarteten Wirkungen zu schwach ausfielen. Florenz wurde so zu einem Laboratorium des politisch Möglichen. Die alles beherrschende Frage dieser empirischen, am Erfolg ausgerichteten Menschen-Forschung aber lautete wie gehabt: Wie lassen sich Gesinnungen bzw. daraus abgeleitete Traditionen und Gewohnheiten so umformen, dass ein immer tieferer Widerspruch zwischen den altverbrieften Normen und Werten auf der einen und den tatsächlichen Macht- und Herrschaftsverhältnissen auf der anderen Seite hingenommen oder sogar als heilsam begrüßt wird? Nach der Krise von 1455 bis 1458 wurde ein weiteres, potenziell noch viel schwereres Beben absehbar. Wie sollte es nach dem Tod des Großen Patrons weitergehen? Wie gesichert die Stellung eines Netzwerkführers war, hing davon ab, in welchem Maße er die Interessen seiner Klienten zu fördern vermochte; dabei hatte er, je nach vorangehender Bewährung, größere oder kleinere Vertrauensguthaben bzw. Vertrauensvorschüsse. Doch im Gegensatz zu Geld und Landbesitz ließ sich dieses Kapital nicht ohne Weiteres vererben. Bei der Nachfolge hatten die führenden Anhänger ein entscheidendes Wort mitzureden; entsprach der Sohn des Vorgängers nicht ihren Anforderungen, musste nach einem geeigneteren Kandidaten außerhalb der bis dato dominierenden Kernfamilie Ausschau gehalten werden. So wurde Piero de’ Medici, Cosimos ältester Sohn, der die Klugheit, doch nicht die physische Robustheit und den geschäftlichen Erfolg des Vaters geerbt hatte, von den wichtigsten Gefolgsleuten nur als Patron auf Zeit akzeptiert. Schon 1466 war seine Autorität so untergraben, dass erneut der mailändische Verbündete die Medici vor dem politischen Untergang bewahren musste. Zwölf Jahre später sah sich Pieros Sohn Lorenzo mit einer noch viel gefährlicheren Opposition konfrontiert. Die in der Krise von 1433/34 unverbrüchlich zu den Medici stehende Familie Pazzi hatte ihre Patrone nicht nur wirtschaft-
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lich überholt, sondern auch als Bankiers des Papstes verdrängt. Dafür forderte sie jetzt – und zwar so, als habe sich seit 1434 nichts verändert – den politischen Lohn. Doch einen Teil ihrer Vorherrschaft an die ökonomisch erfolgreichere Sippe und ihre Klientel abzutreten, war Lorenzo keineswegs bereit. Im Gegenteil: Jahrelang wurden die Pazzi im squittinio, in Vermögensangelegenheiten und in Zivilprozessen systematisch benachteiligt. Die angestaute Frustration entlud sich schließlich Ende April 1478 in der aufsehenerregendsten Verschwörung der italienischen Renaissance. Dem Mordanschlag im Dom von Florenz fiel Lorenzos Bruder Giuliano zum Opfer, er selbst wurde nur leicht verletzt. Die spontane Reaktion der Florentiner Bevölkerung auf das Attentat zeigte, dass die Medici in breiten Kreisen auf Rückhalt zählen durften. Und mit der Unterstützung der kleinen Leute wurde ihre Rache so planvoll wie unerbittlich. Diese Popularität machte Mut. Doch fehlte es bei der nachträglichen Analyse der Ereignisse, die zum Komplott geführt hatten, auch nicht an deprimierenden Erkenntnissen. Die Verschwörung war deswegen so gefährlich, weil sie über die unzufriedenen Florentiner Patrizier hinaus weite Kreise gezogen hatte. Mitwisser und Mitorganisator des Anschlags war Papst Sixtus IV. Dessen Nepot Girolamo Riario war in seinen politischen Ambitionen durch die Vorherrschaft der Medici in Florenz blockiert worden. Und die Mörder für den Anschlag in der Kathedrale hatte Federico da Montefeltro, der Herzog von Urbino, gedungen; dieser war der angesehenste condottiere Italiens und darüber hinaus einer der einflussreichsten Diplomaten des Landes. Beiden, Papst und Herzog, aber waren die Medici in die Quere geraten, weil sie Bankiers und Netzwerkführer, Bürger einer Republik und deren faktische Fädenzieher zugleich waren. Mit anderen Worten: Ihre Stellung war so vieldeutig wie ungeklärt. Die Pflichten und Rechte der einen Funktion überschnitten sich mit denen der anderen oder widersprachen sich sogar. So konnte es nicht weitergehen. Anderenfalls mussten die Medici damit rechnen, sich in den Widersprüchen ihrer multiplen Stellung zu verstricken, und zwar mit dem größten anzunehmenden Schaden: Exil und Entmachtung.
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Beides harrte ihrer noch zweimal: 1494 und 1527. Doch sie kehrten jedes Mal zurück: 1512 und 1530. Und ab 1537 war ihr Prinzipat, die fürstliche Herrschaft über Florenz und die Toskana, für exakt zweihundert Jahre bis zum Aussterben der Familie im Mannesstamm gesichert. Offiziell war die Monarchie der Medici ein ihnen aufgrund ihrer einzigartigen Verdienste um Florenz zugestandenes Privileg. Ja, ihre Herrschaft verstand sich geradezu als Übertragung der Republik auf eine Familie. Dementsprechend sollte die Republik – ging es nach den Plänen der Medici zu Beginn des 18. Jahrhunderts – nach dem Erlöschen der Familie auch wiederhergestellt werden. Doch dagegen hatten die europäischen Großmächte einiges einzuwenden. 1737 wurden Florenz und die Toskana eine Sekundogenitur des Hauses Habsburg-Lothringen.
Die zwei Cosimos
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ass die Vorherrschaft der Familie hinter den Kulissen der Republik, als Schiedsrichter und Moderatoren des Patri-
ziats, nicht das Ziel sein konnte, sondern nur eine Zwischenstation und Plattform, von der aus die dauerhafte Verfestigung der Macht in fürstlichen Formen in Angriff genommen werden musste – diese Einsicht muss sehr früh gewonnen worden und der Plan zu ihrer Umsetzung zeitig gereift sein. Vespasiano da Bisticci (1422–1498), Inhaber einer Kopierwerkstatt und professioneller Beschaffer von Büchern und Manuskripten, überliefert in seiner Biographie Cosimos kryptisch klingende Sätze. Er wisse, wie Florenz sei: Keine fünfzig Jahre würden vergehen, bis man weder von ihm noch von seiner Familie etwas finden könne, außer jenen wenigen Reliquien, die er habe mauern lassen. „Ich weiß“,
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fuhr Cosimo fort, „dass sich meine Kinder bei meinem Ende in einer schlimmeren Lage befinden werden, als die Kinder von Bürgern,
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die zu Florenz vor langer Zeit gestorben sind. Denn ich weiß, dass mir das Haupt nicht mit Lorbeer bekränzt werden wird: Und ich weiß um diese Dinge mehr als andere Bürger.“5
Warum so deprimiert? Das fragt sich auch der nüchtern lebenskluge, aller humanistischen Prunkrhetorik abholde Vespasiano. Im Gegensatz zu so vielen Patriziern von 1434 und 1458 lässt er sich durch die meditative Melancholie Cosimos nicht einlullen oder gar täuschen.
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Cosimo wäre nicht Cosimo, wenn er nicht schon Abhilfe gegen diese betrübliche Perspektive gefunden hätte. Er bediente sich dieser Worte, da er um die Schwierigkeiten wusste, eine Position wie die seine zu behaupten, sah er sich doch in der Stadt der Gegnerschaft zahlreicher mächtiger Bürger ausgesetzt, die sich
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vordem so mächtig befunden hatten, wie er selbst es jetzt war. So gebrauchte er die größte Kunst, sich zu erhalten; bei allen Dingen, die
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er erreichen wollte, sah er darauf, dass sie von anderen auszugehen schienen und nicht von ihm, um, wie es nur ging, den Neid zu fliehen.6
Geschäfte mit Gott
Das ist viel Einsicht in unauffälligen Formulierungen. Wollten die Medici ihre Position bewahren und stärken – was letztlich auf dasselbe hinauslief –, dann mussten sie sich von den ehemals Höher- bzw. Gleichrangigen absetzen. Ja, sie mussten sich über sie erheben, ohne der Selbstüberhebung oder Überheblichkeit geziehen zu werden. Wie das anging, notiert Vespasiano mit der Genauigkeit eines Buchhalters. Und weil die Brüder des hl. Dominikus keinen Besitz haben, bezahl-
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te er ihnen die zum gemeinschaftlichen Leben nötigen Dinge. Es sollte noch zu seinen Lebzeiten ein schöner Konvent zu S. Marco entstehen. Er hatte seine Bank angewiesen, ihnen jede Woche eine Summe für die von Tag zu Tag anfallenden Ausgaben auszubezahlen. So trug er für die Bedürfnisse bis ins kleinste Vorsorge, und er erlebte noch zu seinen Erdentagen einen höchst ansehnlichen Konvent. […] Viele wunderten sich über die so große Freigebigkeit und die Fürsorge, deren Cosimo sich gegenüber jenen Mönchen befleißigte. Denen, die ihn danach fragten, gab er zur Antwort, er habe von Gott so viel Gnade empfangen, dass er selbst der Schuldner sei. Niemals habe er Gott einen Grosso gegeben, ohne dass ihm dieser bei diesem Tauschhandel einen Fiorino dafür zurückerstattet habe.7
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Geschäfte mit Gott
Der Herr des Himmels als Geschäftspartner, das do ut des gilt auch hier. Dieses klienteläre Verhältnis ist wörtlich zu verstehen; in den Geschäftsbüchern der Medici-Bank gab es eine Rubrik für Gott, aufgeteilt in Soll und Haben. Als Soll werden mancherlei nicht ganz saubere Geschäfte vermerkt, die Cosimos Gewissen belastet hätten; das Haben sind die zahlreichen Kirchen- und Klosterbauten mit ihren enormen Kosten, die Vespasiano sorgsam auflistet – wahrscheinlich hat sie ihm Cosimo selbst genannt. Doch das ist noch nicht die ganze Rendite, die aus den zahlreichen, extrem aufwendigen Bauaufträgen gezogen wurde. Mönche aus Jerusalem erzählten, in welch verheertem Zustand die Stätte sei, wo der heilige Geist herabgekommen sei, und dass es gut wäre, sie wiederherzustellen. Cosimo war zufrieden, dies zu tun; da-
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mit alles ausgeführt werde, ordnete er an, dass den Brüdern die nötigen Gelder über Venedig angewiesen würden. So geschah es, und
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man überwölbte den Bau und brachte weiteren Zierrat an dem genannten Ort an. Wer ins Heilige Land zieht, sieht das Bauwerk, mit Cosimos Wappen daran.8
Das Wappen war ein Zeichen, für die Lebenden und für die Ewigkeit. Dieselben Reliquien, die nach Cosimos eigener Aussage allein von den Medici künden würden, haben in Wirklichkeit die Aufgabe, die Größe der Familie auf Dauer zu garantieren. Was meditativ scheint, ist in Wirklichkeit offensiv gedacht. Das galt nicht nur für Jerusalem, sondern auch für Florenz und Umgebung. Die prunkvollen Kirchen und reich ausgestatteten Klöster, die Cosimo dort auf eigene Kosten errichten ließ, sollten ihm eine Aura, ja, eine höhere Identität verleihen. Solche Bauten waren traditionell den höchsten weltlichen und geistlichen Machthabern vorbehalten; dass Cosimo sie in Auftrag gab, war ein Tabubruch.
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Bei den Zusammenkünften in seinem Haus, bei der Zahl seiner Domestiken, beim Aufwand für den Stall und in seinem Lebensstil und
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bei den Verschwägerungen seines Hauses achtete er sorgfältig darauf, die anderen angesehenen Bürger nicht zu übertreffen.9
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Die Macht der Bilder
Diese Rücksicht – so Vespasiano weiter – nahm Cosimo im klaren Bewusstsein, dass er mit seinen Bauten ein ganz anderes, potenziell anstößiges Bild von sich gezeichnet hatte. So aber gab es zwei Cosimos: den einen zum Anfassen, den anderen zum Anschauen. Der zum Anfassen lebte mit seinem trockenen Witz, seinem bohrenden Scharfsinn und seiner desillusionierten Menschenkenntnis in Sprichwörtern und Anekdoten fort. Und auch der Cosimo zum Anschauen ist nicht verschwunden. Nach der Machteroberung entstanden nicht nur die genannten Klöster und Kirchen, sondern auch Bilder, die das Haus Medici und seinen Chef in einem ganz anderen Licht zeigen. In der alten Sakristei von S. Lorenzo ist es Sternenlicht. Hier ist ein Abendhimmel mit Gestirnen gemalt; in diesen ist das Geschick der Medici niedergeschrieben. Diktiert ist es von der Vorsehung. Die Konstellation der Sternbilder verweist vermutlich auf den Tag des Jahres 1439, an dem das Konzil von Florenz die Union der griechischen mit der lateinischen Kirche verkündete, unter der Oberhoheit des Papstes, versteht sich. Diese Wiedervereinigung erwies sich zwar bald als vorübergehend, doch offenbar erschien das Ereignis den Medici als weihevoll genug, um dadurch ihre Vorherbestimmung zur Herrschaft auszudrücken. Sie nämlich war die Botschaft des Freskos und auch dann verständlich, wenn der gemalte Hinweis auf das Konzil in Vergessenheit geriet. Doch hatten die Florentiner den anderen, den von der Vorsehung auserkorenen Cosimo auch in seiner körperlichen Gestalt vor Augen. Mit wiedererkennbaren Gesichtszügen, doch zugleich überhöht, ja verklärt tritt er bis heute den Besuchern des Konvents von S. Marco entgegen, den der große Bankier mit so hohem Kostenaufwand errichten ließ. Diese Begegnung vollzieht sich unerwartet, ja überraschend: Cosimo de’ Medici ist unversehens zu einem der Heiligen Drei Könige aus dem Morgenland geworden, die bekanntlich zu-
Die Macht der Bilder
Die Zeichnung von Kirche und Kloster S. Marco entstand 1447, als Cosimo de’ Medici die baufällig gewordene Anlage zur Förderung seines Seelenheils und zur Stärkung seines politischen Einflusses in repräsentativen Formen neu errichten ließ.
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Gewiss, Cosimo de’ Medici hatte das Geld für den Neubau des Klosters S. Marco gestiftet, aber durfte er sich deswegen als einer der Heiligen Drei Könige malen lassen? Wie die Mönche in den 1440er-Jahren darüber dachten, ist nicht bekannt. Fünfzig Jahre später aber brachte der Prior Girolamo Savonarola sein Unbehagen an solchem Personenkult zum Ausdruck.
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gleich große Magier waren. Als solcher trägt er astrologische Instrumente, die auf seine tiefe Eingeweihtheit in die Geheimnisse der Natur verweisen. In einem weiteren Fresko im Kreuzgang von S. Maria Novella erscheint der Chef des Hauses Medici als machtvoller Retter vor dem Verderben der Sintflut. Die Aussage aller dieser Auftritte ist eindeutig: Die Medici waren zur segensreichen Herrschaft über Florenz vorherbestimmt, und zwar nicht in der eingeschränkten Form der Klientelführer mit dem begrenzten Mandat ihrer Anhänger, sondern aus umfassendem eigenem Recht – ihr Auftrag kam von Gott, ihm allein waren sie Rechenschaft schuldig. Solche Bilder von einzigartiger Kühnheit setzten sich in den beiden nächsten Generationen der Medici fort. Ihr Gegenstück fanden sie in Kunstwerken mit entschieden republikanischer Aussage. So verkündet Donatellos noch zu Lebzeiten Cosimos entstandene Bronzestatue der Judith, die dem Tyrannen Holo-
Nicht nur in S. Marco, auch im Chiostro verde von S. Maria Novella konnte man Cosimo, dem Patron von Florenz, in verklärter Gestalt begegnen. In Paolo Uccellos Fresko tritt er seinen Mitbürgern als Stifter eines neuen Bündnisses mit Gott nach der Sintflut entgegen.
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Der zweite Cosimo
Nomen est omen – Cosimo de’ Medici (1519–1574), Herzog von Florenz und ab 1569 erster Großherzog der Toskana, hatte viele der Qualitäten seines gleichnamigen Vorfahren geerbt. Durch enge Anlehnung an Kaiser Karl V. stärkte er seine Stellung in Florenz; die republikanische Opposition wurde militärisch besiegt. Im Inneren sicherte er sich die Besetzung der wichtigen Ämter und die Kontrolle über die alte Führungsschicht, die sich zum Hofadel wandelte. Vor allem aber setzte er auf die Macht der Bilder – die Kunst der Propaganda kam jetzt der fürstlichen Herrschaft der Medici zugute, die bis 1737 dauerte.
fernes das Haupt abschlägt, dass Republiken durch Wachsamkeit Bestand haben. Das war eine unmissverständliche Warnung an alle, die den Freistaat auszuhöhlen gedachten; genau das aber war das Ziel der Medici, die die Statue in Auftrag gegeben hatten. Eine wahrhaft atemberaubende Dialektik in Kunstwerken – und eine ebensolche Kunst der Verschleierung! Ihren Zweck erreicht hatten die Kunstwerke, die die Medici in ihrer verklärten Gestalt zeigten, dann, wenn deren virtuelle Existenz mit der realen verschmolzen war. Ihre Stellung war unantastbar, wenn zwischen den gemalten und den lebenden Medici kein Widerspruch mehr gesehen wurde. Dazu aber bedurfte es der Gewöhnung, die die Bilder mit ihrer Überredungskraft und Überzeugungsmacht herbeiführen sollten. Fast anderthalb Jahrhunderte nach der Machteroberung konnte es ein anderer Cosimo, der erste Großherzog der Toskana, wagen, die Rückkehr seines Vorfahren aus dem Exil im Jahre 1434 als einen Triumphzug malen zu lassen, der sich unter dem Beifall aller Florentiner vollzieht. Nicht nur, dass hier der Parteihader und das Losglück ausgeblendet wurden – diejenigen, die Cosimos Einzug bejubeln, akklamieren ihrem gottgewollten Herrscher. Haben die Ururenkel der Guicciardini, Ridolfi, Strozzi und Valori, die für die Aufhebung von Cosimos Exil gekämpft hatten, wirklich geglaubt, dass es so und nicht
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anders gewesen war? Konnte man Geschichte im Nachhinein so fälschen, dass sie die authentischen Erinnerungen verdrängte? Die wahrscheinlichste Antwort lautet, dass sie sich an die gemalte Version der Ereignisse gewöhnt hatten, wider besseres Wissen. Darin liegt kein Widerspruch. Die Nachkommen der Patrizier, die 1434 die Weichen stellten, konnten das unverfälschte Gedächtnis an die erregenden Vorgänge bewahren und der Erhöhung der Sieger trotzdem zustimmen; dafür sprach ihr eigener Vorteil.
Fürstliche Geschicke
Den Weg zum Prinzipat bahnten sich die nachfolgenden Generationen der Medici im Geiste Cosimos. Wie er investierten auch seine Nachfolger in optimale Beziehungen zu auswärtigen Machthabern. Und genau das war der Königsweg zur Macht. In Florenz selbst stießen die Medici schon unter Cosimos Enkel Lorenzo dem Prächtigen an Grenzen. Offiziell war dieser der erste Bürger der Republik, in Wirklichkeit aber bildete er mit seinem Hofstaat ein zweites, stärkeres und in der Verfassung so nicht vorgesehenes Machtzentrum. So stark dessen Ausstrahlung nach der Niederschlagung der Pazzi-Verschwörung auch wurde, die Medici steckten in der Sackgasse – und waren klug genug, diese Blockade zu erkennen. Auswege ließen sich dadurch beschreiten, dass sie sich mit führenden Familien außerhalb von Florenz verschwägerten; Lorenzo und sein ältester Sohn Piero heirateten in die mächtige römische Baronalsippe der Orsini ein. Der entscheidende Schritt aber war, dass Lorenzo 1489 für seinen zweiten Sohn Giovanni ein Kardinalat erwarb, und zwar als Mitgift für die Ehe eines Papstnepoten mit seiner Tochter. Giovanni wurde 1513 unter dem Namen Leo X., sein Cousin Giulio 1523 als Clemens VII. Papst. Von der rö-
vorherige Doppelseite: Benozzo Gozzolis Fresko zeigt die Heiligen Drei Könige in Begleitung der Medici und ihrer Parteigänger. Ja, einer der in Florenz hoch verehrten Magier aus dem Morgenland ist durch Wappen und andere Symbole sogar als Cosimos Enkel Lorenzo de’ Medici kenntlich gemacht.
Fürstliche Geschicke
mischen Machtbasis aus vermochten die Medici ihre bis 1537 stets gefährdete Herrschaft immer wieder zurückzugewinnen und schließlich zum Prinzipat umzuwandeln. Die Frage, ob Florenz von ihrer Vorherrschaft ab 1434 profitiert hat oder nicht, sprengt den Rahmen der strengen Wissenschaftlichkeit. So sachlich wie möglich ließe sich darauf antworten, dass die von Cosimo herbeigeführten sozialen und politischen Verhältnisse den Nährboden bildeten, auf dem sich eine einzigartige Kultur entfalten konnte. Florenz bedurfte, um zum Zentrum der Renaissance zu werden, einer komplexen Mischung aus Konkurrenz und Stabilität. Ohne Stabilität neigte die Stadt zur Selbstzerfleischung; ohne Konkurrenz wiederum hätten die vielen Patrizierfamilien kaum so viel Geld in Paläste, Statuen und Fresken investiert. Die geregelte Rivalität aber bestand darin, dass sie unter der Ägide der Medici um die Plätze hinter den Medici wetteifern durften. So betrachtet, verschaffte die Machteroberung des Jahres 1434 Florenz die Voraussetzungen, deren es zur Entfaltung so vieler Begabungen bedurfte. Unter Cosimo, seinem Sohn und Enkel wirkten in einer nach heutigen Begriffen kleinen Stadt von ca. 40 000 Einwohnern Filippo Brunelleschi, Donatello, Michelozzo di Bartolomeo, Paolo Uccello, Masaccio, Filippo und Filippino Lippi, Benozzo Gozzoli, Leonardo da Vinci und der junge Michelangelo – um nur einige herausragende Namen zu nennen. Darüber hinaus wurde die Eroberung und Befestigung der Macht zu einem politischen Lehrstück, aus dem sich die Künste der Propaganda in ihrem Zusammenspiel mit wirtschaftlichen Interessen, sozialen Hierarchien und der Dynamik politischer Verfassungen exemplarisch erforschen ließen. Das kunstvolle Gespinst von Sein und Schein verlockte dazu, hinter die Fassaden und an den Kern der tatsächlichen Beweggründe bzw. Abgründe der Politik durchzudringen. In diesem Sinne haben zwei Florentiner, Machiavelli und Guicciardini, Europa die Demaskierung der Macht und der Mächtigen gelehrt.
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Anmerkungen Die gespaltene Republik 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19
Dominici 1860, S. 177f. Pitti 1905, S. 134f. Morelli 1956, S. 187f. Capponi 1962, S. XXV. Machiavelli Istorie, S. 389. Dante Alighieri 1984, Purgatorio VI, 148–151. Pitti 1905, S. 135. Dante Alighieri 1984, Inferno XVI, 73–75. Bruni 1996, S. 285. Beispiele bei Kent 1978, S. 85?135. Machiavelli Istorie, S. 390. Zitiert in Brucker 1957, S. 1. Vespasiano da Bisticci 1995, S. 325. Vespasiano da Bisticci 1995, S. 334. Machiavelli Istorie, S. 240. Vespasiano da Bisticci 1995, S. 325. Cavalcanti 1867, S. 15 Cavalcanti 1867, S. 19. Kent 1978, S. 199.
Der Machtkampf 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17
Machiavelli Istorie, S. 237f. Belege bei Kent 1978, S. 228–234. Kent 1978, S. 233. Machiavelli Istorie, S. 237f. Machiavelli Istorie, S. 390. Zitiert nach Kent 1978, S. 198. Kent 1978, S. 85. Kent 1978, S. 267. Machiavelli Principe, S. 52. Cosimo de’ Medici 1789, II, S. 97. Cosimo de’ Medici 1789, II, S. 96. Cavalcanti 1867, S. 17. Cosimo de’ Medici 1789, II, S. 96. Cosimo de’ Medici 1789, II, S. 98. Cosimo de’ Medici 1789, II, S. 98. Cavalcanti 1867, S. 25. Cosimo de’ Medici 1789, II, S. 99.
18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44
Cavalcanti 1867, S. 57. Cosimo de’ Medici 1789, II, S. 73. Cavalcanti 1867, S. 43. Cavalcanti 1867, S. 44. Cavalcanti 1867, S. 43. Cosimo de’ Medici 1789, II, S. 97. Cosimo de’ Medici 1789, II, S. 97. Kent 1978, S. 43ff. Cavalcanti 1867, S. 46. Cosimo de’ Medici 1789, II, S. 97. Cosimo de’ Medici 1789, II, S. 97. Kent 1978, S. 306f. Machiavelli Discorsi, S. 349. Machiavelli, Principe, S. 30. Cavalcanti 1867, S. 58. Cosimo de’ Medici 1789, II, S. 98. Cavalcanti 1867, S. 58. Cavalcanti 1867, S. 71. Cavalcanti 1867, S. 75f. Cosimo de’ Medici 1789, II, S. 103. Vgl. Anmerkung 5. Kent 1978, S. 137. Machiavelli Principe, S. 51f. Cosimo de’ Medici 1789, II, S. 103. Machiavelli Principe, S. 52. Rucellai 1960. Guicciardini 1970, S. 101.
Die gelenkte Republik 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Machiavelli Istorie, S. 279. Molho 1979. Vgl. Rubinstein 1997. Machiavelli Istorie, S. 391. Vespasiano da Bisticci 1995, S. 332. Vespasiano da Bisticci 1995, S. 332f. Vespasiano da Bisticci 1995, S. 326. Vespasiano da Bisticci 1995, S. 327. Machiavelli Istorie, S. 396.
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Bildnachweis S. 12 / 13, 26, 48, 52 / 53, 71, 82, 113, 136 / 137: nach Volker Reinhardt, Florenz zur Zeit der Renaissance, Freiburg, Würzburg 1990; S. 31, 131: picture-alliance (akg-images / Orsi Battaglini); S. 42, 132 / 133, 134: picture-alliance (akg-images / Rabatti-Domingie); S. 98 / 99: akg-images (Rabatti-Domingie); S. 101: nach Lauro Martines, Die Verschwörung, Darmstadt 2004
Volker Reinhardt, Prof. Dr., geb. 1954, lehrt Allgemeine und Schweizer Geschichte der Neuzeit an der Université Fribourg/Schweiz. Zahlreiche Publikationen zur Geschichte Italiens und insbesondere der Zeit der Renaissance. Bei Primus ist von ihm bereits erschienen: Kardinäle, Künstler, Kurtisanen. Wahre Geschichten aus dem päpstlichen Rom (2004)