Zwang beim Abschluß völkerrechtlicher Verträge: Eine Untersuchung der in der Wiener Vertragsrechtskonvention von 1969 getroffenen Regelung [1 ed.] 9783428431434, 9783428031436


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German Pages 251 Year 1974

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Zwang beim Abschluß völkerrechtlicher Verträge: Eine Untersuchung der in der Wiener Vertragsrechtskonvention von 1969 getroffenen Regelung [1 ed.]
 9783428431434, 9783428031436

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Schriften zum Völkerrecht Band 35

Zwang beim Abschluß völkerrechtlicher Verträge Eine Untersuchung der in der Wiener Vertragsrechtskonvention von 1969 getroffenen Regelung

Von

Hartmut Brosche

Duncker & Humblot · Berlin

HARTMUT BROSCHE

Zwang beim Abschlu.6 völkerrechtlicher Verträge

Schriften zum Völkerrecht

Band 35

Zwang beim Abschlu6 völkerrechtlicher Verträge Eine Untersuchung der in der Wiener Vertragsrechts· konvention von 1969 getroffenen Regelung

Von

Dr. Hartmut Brosche LL.M.

DUNCKER&HUMBLOT/ BERLIN

Alle Rechte vorbehalten

C 1974 Duncker & Humblot, Berlln 41

Gedruckt 1974 bel Buchdruckerei Bruno Luck, Berlln 65 Prlnted 1n Germany ISBN 3 428 03143 1

Gertraud, Dietmar und meinen Eltern

Vorwort Mit der Kodifikation des Völkervertragsrechts war die International Law Commission seit 1949 befaßt; im Jahre 1966 hat sie den Entwurf für eine Konvention vorgelegt, der 1968 und 1969 auf der in Wien von den Vereinten Nationen zusammengerufenen Konferenz beraten und nach etlichen Änderungen am 23. Mai 1969 als "Konvention über das Recht der völkerrechtlichen Verträge" verabschiedet wurde. In diesem internationalen Rechtsetzungsverfahren hat die Frage des Einflusses von Zwang beim Vertragsabschluß auf die Gültigkeit völkerrechtlicher Abkommen eine bedeutende Rolle gespielt. Reiz und Schwierigkeit zugleich war die Notwendigkeit, bei der Erörterung der positivrechtlichen Regelungen den rechts- und allgemeinpolitischen Gesichtspunkt im Auge zu behalten und die Grenze zwischen Darstellung der Rechtslage und Erörterung des rechtspolitisch Wünschenswerten zu ziehen. Die Arbeit wurde im Sommer 1973 von der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität zu Göttingen als Dissertation angenommen. Berkeley/California, Dezember 1973

Hartmut Brosche

Inhaltsverzeichnis 1.

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

2.

Historische Grundlagen und Entwiddungsgeschichte . . . . . . . . . . . .

22

2.1

Die traditionelle Lehre vor Inkrafttreten der Völkerbundsatzung Die Entwicklung des völkerrechtlichen Kriegs- und Gewaltverbots von 1919 bis 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Völkerbundsatzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Etappen der weiteren Entwicklung bis zum Briand-Kellogg-Pakt . . Der Briand-Kellogg-Pakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Stirnsan-Doktrin und die Entwicklung in der Folgezeit bis 1945 Das Gewaltverbot der UN-Satzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Staatenpraxis und Entscheidungen internationaler Gerichte aus dieser Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Staatenpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entscheidungen internationaler Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Völkerrechtslehre zwischen den Weltkriegen . . . . . . . . . . . . . . . . . Verschiedene Lösungsversuche von Völkerrechtsgelehrten . . . . . . . . Konventionsentwürfe der Harvard Law School . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

2.2 2.21 2.22 2.23 2.24 2.25 2.3 2.31 2.32 2.4 2.41 2.42

3.

3.1 3.11 3.111 3.112 3.113 3.12 3.13 3.131 3.132 3.14

Die Entstehungsgeschicllte des Artikel 52 der Wiener Vertragsrechtskonvention von den ursprünglichen Entwürfen bis zur endgültigen Kodifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Behandlung des Problems in den Entwürfen und Diskussionen der International Law Commission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Entwurf von Lauterpacht aus dem Jahre 1953 . . . . . . . . . . . . . . . . Bemerkungen zur Gültigkeit des aufgestellten Grundsatzes . . . . . . Bemerkungen zu einzelnen Tatbestandsmerkmalen . . . . . . . . . . . . . . Erwägungen zur praktischen Durchführbarkeit und Zweckmäßigkeit der Bestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Entwurf von Fitzmaurice aus dem Jahre 1958 . . . . . . . . . . . . . . . . Der erste Entwurf von Waldock aus dem Jahre 1963 . . . . . . . . . . . . . . Die Argumentation Waldocks für die Wiederaufnahme einer den Zwang gegen Staaten betreffenden Vorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterschiede gegenüber dem Entwurf von Lauterpacht . . . . . . . . . . Die Umgestaltung von Waldocks Vorschlag in den Verhandlungen der ILC und der endgültige Entwurf aus dem Jahre 1966 . . . . . . . . . .

24 24 25 27 28 30 32 32 35 36 36 43

47 47 47 48 49 52 53 54 55 56 58

10

Inhaltsverzeichnis

3.141

Vereinfachung der Bestimmung: Nichtigkeit eines aufgenötigten Vertrages statt Anfechtbarkeit durch den betroffenen Staat . . . . . . 58

3.142 3.143 3.144 3.145 3.146 3.147 3.2

61 62 64 65 66 67

3.322

Die Diskussion um ein Verfahren zur Feststellung der Ungültigkeit Fragen der rückwirkenden Anwendung der Bestimmung . . . . . . . . Anwendbarkeit auf Nichtmitglieder der Vereinten Nationen . . . . . . Geltung der Vorschrift gegenüber Aggressoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erzwungene Teilnahme an bereits bestehenden Verträgen . . . . . . . . Wirtschaftlicher und politischer Druck als Zwangsmittel . . . . . . . . . Änderungsanträge und Beratungen auf der Wiener Konferenz in den Jahren 1968 und 1969 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das 19-Staaten-Amendment zum Umfang des Gewaltbegriffs sowie diesbezügliche Deklaration und Resolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forderungen nach einem Verfahren zur Feststellung der Ungültigkeit erzwungener Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der 14-Staaten-Antrag zur Präzisierung des Zeitpunkts, von dem an das Gewaltverbot als Norm des allgemeinen Völkerrechts gilt . . Die Abstimmung über Art. 52 WVK und die endgültige Fassung . . Anhang: Die verfahrensmäßige Ausgestaltung des Art. 52 der Wiener Vertragsrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendbarkeit der Verfahrensvorschriften des 5. Teils der Konvention auf Art. 52 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Notiftzierung der Ungültigkeit gegenüber dem Vertragspartner und das im Anschluß daran einzuhaltende Verfahren der Streiterledigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Debatte um die Aufnahme einer obligatorischen Streiterledigung in die Konvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Durchführung der Notifikation und der Streiterledigung . . . . . .

4.

Die rechtliche Geltung des in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatzes

90

4.1 4.11 4.12

Gültigkeit als Völkervertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gültigkeit aufgrund der Wiener Vertragsrechtskonvention . . . . . . Gültigkeit aufgrund des in Art. 2 Abs. 4 der UN-Charta niedergelegten allgemeinen Gewaltverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Annexionsverbot des modernen Völkerrechts als Ausfluß des allgemeinen Gewaltverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der unlösbare Zusammenhang von Krieg und Eroberung . . . . . . . . Das freie Kriegsführungsr echt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Wandel bis zum Gewaltverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswirkungen auf die Zulässigkeit von Annexionen . . . . . . . . . . . . . Das tatsächliche Vorkommen von Annexionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Nichtanerkennungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stimmen aus der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der in Art. 52 WVK enthaltene Grundsatz als Ausfluß des allgemeinen Gewaltverbots? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90 90

3.21 3.22 3.23 3.24 3.3 3.31 3.32 3.321

4.121 4.1211 4.1212 4.1213 4.1214 4.1215 4.1216 4.1217 4.122

70 71

75 78 79 79 80 83 83 85

91 92 92 93 93 94 95 96 98 100

Inhaltsverzeichnis 4.1221 Unterschiede Annexion- aufgezwungener Vertrag . . . . . . . . . . . . . . 4.1222 Getrennte Sicht von Gewaltverbot und den Folgen seiner Verletzung ... . ........ .. .............. . . . .............. ... ..... 4.1223 Umgehung des Annexionsverbotes durch Zulässigkeit der Zwangszession? ............... .. ............. . .. . .............. .. ..... 4.1224 Die Möglichkeit zur Verweigerung der Zustimmung . . . . . . . . . . . . . . 4.1225 Vermeidung von Weltkriegssituationen; Ordnungsfunktionen befriedender Vergleiche . . ............... . . . ................ . . . .. . 4.1226 Zwang beim Vertragsabschluß als völkerrechtliches Delikt . . . . . . . . 4.1227 Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Gültigkeit als Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.21 Der Vertrag über die Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren vom 15. März 1939 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.22 Das Münchener Abkommen von 1938 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.23 Die nach dem zweiten Weltkrieg zwischen den Alliierten und Deutschlands Verbündeten geschlossenen Friedensverträge . . . . . . Waffenstillstandsabkommen und Friedensverträge im Zusammen4.24 hang mit militärischen Konflikten nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.25 Bei Gewährung der Unabhängigkeit abgeschlossene Verträge . . . . Der Vertrag zwischen Indonesien und den Niederlanden über West4.26 Neuguinea (West-Irian) vom 15. August 1962 ............ . . . .. . .. Die während der Cubakrise zwischen dem sowjetischen Ministerpräsidenten Chruschtschow und dem amerikanischen Präsidenten Kennedy getroffenen Abmachungen vom 27./28. Oktober 1962 . . . . . 4.28 Verträge zwischen der Tschechoslowakei und der Sowjetunion nach der militärischen Intervention vom August 1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.281 Die Vereinbarungen bis zum Truppenstationierungsvertrag vom 16. Oktober 1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.282 Der Freundschaftsvertrag vom 6. Mai 1970 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Abkommen zwischen Island und Großbritannien vom 11. März 4.29 1961 im Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof zur Ausdehnung der Fischereigrenzen vom 17. August 1972 und 2. Februar 1973 ........ . .. ........ . . ................ . ........... .. ... . . . .. 4.210 Zusammenfassung ... . . .. ............... . . . . .......... ... . . .. . . 4.3 Gültigkeit als allgemeiner Rechtsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.31 Rechtsgrundsätze der Völkerrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.32 Rechtsgrundsätze der innerstaatlichen Rechtsordnungen . . . . . . . . . . 4.321 Das Problem des Zwanges beim Vertragsabschluß in den innerstaatlichen Rechtsordnungen . .. . .... . .. . . . . . ..... . .. .. . . . . .. . . .. 4.3211 Die deutsche Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3212 Rechtsordnungen anderer Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.322 Übertragbarkeit der in den innerstaatlichen Rechtsordnungen vorhandenen allgemeinen Prinzipien auf den zwischenstaatlichen Verkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.323 Ergebnis ... .. . . . . .. .. . . . . .. .. ... . .. .... . .. . . . . . ... .. . . . . . ... .. 4.4 Die Hilfsmittel zur Feststellung von Rechtsregeln . . . . . . . . . . . . . . . .

11

100 102 103 103 105 106 108 108 110 111 120 124 126 128

4.27

131 133 133 138

143 146 148 149 149 151 151 152 153 155 156

12

Inhaltsverzeichnis 156 158 158 161 162 163 165 166 169

4.41 4.42 4.421 4.422 4.423 4.424 4.425 4.5 4.6

Gerichtsurteile Lehren anerkannter Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Angloamerikanische Stimmen .... .. ............. . ....... . .. .... Französische, italienische und spanische Autoren ........ . . ..... . Vertreter der östlichen Lehre .......... . .. . . . . . ..... . .. . .. .. .. . . Literatur aus dem deutschsprachigen Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung ...... . .............. .. .. . .. . ......... . . . . . . . Sonstige Völkerrechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5.

Einzelfragen des Art. 52 der Wiener Vertragsrechtskonvention . . . . 170

5.1 5.11

Die Kausalität zwischen Zwang und Vertragsabschluß . . . . . . . . . . . Auslegung der Bestimmung - insbesondere des Begriffes "procured" und der entsprechenden französischen und spanischen Formulierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kausalitätsfragen beim Zwang durch Drittstaaten und bei multilateralen Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die im Rahmen des Art. 52 WVK relevanten Arten der Gewalt . . . . Anwendung und Androhung von Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Direkter und indirekter Zwang ........ .. ........... . .... . . . . . ..

5.12 5.2 5.21 5.22 5.23 5.24 5.25 5.251 5.252 5.253 5.3 5.31 5.32 5.33 5.34 5.35 5.351 5.352 5.36 5.361 5.362 5.37 5.4

Kriegerischer und nichtkriegerischer Zwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Militärischer und nichtmilitärischer physischer Zwang . . . . . . . . . . . Wirtschaftliche und politische Druckmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Umfang des Gewaltbegriffs in Art. 2 Abs. 4 der Satzung der Vereinten Nationen .................. ...... ... . ........ .. ..... . Der Gewaltbegriff des Art. 52 WVK .... . .. . . . ................ . .. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die erlaubte Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Selbstverteidigung nach Art. 51 SVN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom Sicherheitsrat verhängte Zwangsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . Zwangsmaßnahmen durch Regionalorganisationen nach Art. 53 SVN Zwangsmaßnahmen gegenüber Feindstaaten nach Art. 53 und 107 SVN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Aggressorklausel des Art. 75 WVK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die travaux preparatoires zu Art. 75 WVK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bedeutung der Aggressorklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonstige rechtmäßige Gewaltanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Außerhalb der UN-Charta bestehende Rechtfertigungsgründe .. .. Gewaltanwendung, die durch Organe der Vereinten Nationen zuvor oder nachträglich gebilligt wurde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Nichtigkeit und ihre Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

170 172 178 180 180 180 181 181 182 182 188 192 192 193 196 199 199 202 202 208 209 210 211 213 213

Inhaltsverzeichnis

13

5.41 5.42

Die Nichtigkeit eines aufgezwungenen Vertrages ...... . . . .... . .. . 214 Die Folgen der Ungültigkeit eines Vertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216

6.

Schlußbetrachtung: Zusammenfassende und rechtspolitische Wertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

7.

Anhang: Zusammenstellung der verschiedenen Entwürfe und Bestimmungen zum Zwang beim Abschluß völkerrechtlicher Verträge 226

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Sach- und Namenverzeichnis ... .... .......... . ... .. . . ...... . ...... . ... 245

Abkürzungsverzeichnis Association of Attenders and Alumni of the Hague Academy of International Law AdG Archiv der Gegenwart AFDI Annuaire franc;ais de droit international The American Journal of International Law AJIL Archiv des Völkerrechts AVR Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE CoW Committee of the Whole Doc.,Dok. Document(s), Dokument(e) EA Europa-Archiv FW Friedenswarte Fn. Fußnote Raager Landkriegsordnung HLKO International Court of Justice ICJ International Court of Justice, Reports of Judgments, ICJReports Advisory Opinions and Orders ICLQ The International and Comparitive Law Quarterly IGH Internationaler Gerichtshof International Law Commission ILC International Law Commission; Law of Treaties; Report by ILC-Entwurf (Brierly) J. L. Brierly, A/CN. 4/34, Yearbook ILC 1950 Bd. 2 International Law Commission; Law of Treaties; Report ILC-Entwurf by H. Lauterpacht, A/CN. 4/63, Yearbook ILC 1953 Bd. 2 (Lauterpacht) International Law Commission; Law of Treaties; III. ReILC-Entwurf (Fitzmaurice) port by G. Fitzmaurice, A/CN. 4/115, Yearbook ILC 1958 Bd.2 ILC-Entwurf International Law Commission; Law of Treaties; II. Re(Waldock 1963) port by H. Waldock, A/CN. 4/156, Yearbook ILC 1963 Bd. 2 ILC-Entwurf 1963 International Law Commission; Law of Treaties; Report 1963, A/CN. 4/163, Yearbook ILC 1963 Bd. 2 ILC-Entwurf International Law Commission; Law of Treaties; V. Re(Waldock 1965) port by H. Waldock, A/CN. 4/183, Yearbook ILC 1966 Bd. 2 ILC-Entwurf 1966 International Law Commission; Law of Treaties; Report 1966, A/CN. 4/190, Yearbook ILC 1966 Bd. 2 ILM International Legal Materials JIR Jahrbuch für internationales Recht League of Nations Treaty Series LNTS von Georg Friedrich von Martens begründete VertragsMartensNRG sammlung; Nouveau Recueil General de Traites, 3 Serien A.A.A.

Abkürzungsverzeichnis m.w.N. OAS ÖBGBl. ÖJZ ORI ORII ORDoc. österr. Z. f. Außenpolitik ÖZöR para(s) PCIJ Prozeß

15

mit weiteren Nachweisen Organization of American States österreichisches Bundesgesetzblatt Österreichische Juristenzeitung United Nations Conference on the Law of Treaties. First Session Vienna 26 March - 24 May 1968. Official Records United Nations Conference on the Law of Treaties. Second Session Vienna 9 April- 22 May 1969. Official Records United Nations Conference on the Law of Treaties. Official Records. Documents of the Conference Österreichische Zeitschrift für Außenpolitik

Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht paragraph(s) Permanent Court of International Justice Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg (1947 ff.) Rdn. Randnummer Recueil des Cours Academie de droit international de la Haye, Recueil des Cours Revista espaiiola de derecho internacional REDI RGBl. Reichsgesetzblatt Revue generale de droit international public RGDIP StiGH Ständiger Internationaler Gerichtshof Satzung der Vereinten Nationen SVN United Nations UN UNCIO United Nations Conference on International Organization UNTS United Nations Treaty Series VN Vereinte Nationen Wörterbuch Wörterbuch des Völkerrechts, 2. Aufl. (Strupp/Schlochauer) WVK Wiener Vertragsrechtskonvention ZaöRV Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht ZöR Zeitschrift für öffentliches Recht Zeitschrift für Völkerrecht ZVR Deutsche Übersetzungen der Wiener Vertragsrechtskonvention vom 23. Mai 1969 sind erschienen in JIR Bd. 15 (1971), S. 724 ff.; Deutsche Außenpolitik 1969, S. 1116 ff.; bei Schweitzer, Friedensvölkerrecht, S. 405 ff. und Rauschning/Brosche, Texte zur Vorlesung Völkerrecht, S. 14 ff.

I. Einführung Im März 1939 kam der tschechoslowakische Staatspräsident Hacha nach Berlin, um über die Forderungen des Deutschen Reiches zu verhandeln; Hitler drohte die Bombardierung Prags an, falls das von ihm gewünschte Abkommen- der Vertrag über die Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren - nicht binnen kürzester Frist unterschrieben würde. Um ein derartiges Unheil von seinem Land abzuwenden, gab Hacha seine Zustimmung1 • Wenige Monate zuvor- im September 1938- war das Münchener Abkommen geschlossen worden, das die Einzelheiten im Zusammenhang mit der Abtretung der Sudetengebiete regelte. Der gesamte Verlauf der Verhandlungen stand unter der ernsten und unmittelbaren Drohung der Deutschen Regierung, in die Tschechoslowakei einzumarschieren. Im August 1962 wurde zwischen Indonesien und den Niederlanden ein Abkommen unterzeichnet, das die Abtretung von West-Irian regelte. Kurz zuvor hatte die indonesische Regierung mit gewaltsamer Annexion des umstrittenen Gebietes gedroht und Fallschirmjäger auf West-Irian gelandet. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen stimmte dem Abkommen zu. Im Oktober des gleichen Jahres verhängte Präsident Kennedy eine "Blockade" über Cuba, um den Abbau der bereits eingerichteten Raketenstützpunkte zu erreichen. Ministerpräsident Chruschtschow erklärte sich in einer Abmachung bereit, die Abschußbasen zu demontieren. UNO-Generalsekretär U Thant hatte beide Parteien zur friedlichen Behebung der Krise aufgefordert. Im August 1968 erfolgte die Invasion in die Tschechoslowakei durch Truppen des Warschauer Paktes. Während der Verhandlungen zwischen der tschechoslowakischen und der sowjetischen Regierung wurde im Oktober des gleichen Jahres ein Truppenstationierungsvertrag unterzeichnet, der die weitere Anwesenheit sowjetischer Truppen gestattete. Eineinhalb Jahre später - im Mai 1970 - erfolgte der Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand. Zu diesem Zeitpunkt hatten die sowjetischen Truppen das Land noch nicht verlassen. 1 Die hier angeführten Beispiele sind ausführlich behandelt in Teil 4.2 der Arbeit.

2 Brosche

18

1. Einführung

All den genannten Verträgen ist eines gemeinsam: Sie wurden- wie auch alle Waffenstillstandsabkommen und Friedensverträge nach dem zweiten Weltkrieg- unter dem Einfluß von Zwang abgeschlossen; es waren Anwendung oder Androhung von Gewalt, die zur Unterzeichnung der fraglichen Abkommen führten. Ergeben sich daraus irgendwelche Folgen für die Gültigkeit dieser Verträge? Während der Verhandlungen im Fisheries Jurisdiction Case vor dem Internationalen Gerichtshof im Sommer 1972 wurde diese Frage aufgeworfen: Island berief sich in diesem Verfahren auf die Unwirksamkeit eines Vertrages, der herangezogen wurde, um die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofes in dem vorgelegten Streit zu begründen. Neben anderen Gesichtspunkten hat Island vorgebracht, das Abkommen sei unter Anwendung von Zwang zustandegekommen. Gilt im Völkerrecht der Grundsatz, daß ein durch rechtswidrigen Zwang hervorgebrachter Vertrag unwirksam ist? Wäre dies der Fall, so ließe sich die Gültigkeit der genannten Abkommen zumindest in Frage stellen. Die im Gegensatz zum Völkerrecht sehr weit entwickelten nationalen Rechtsordnungen, die mit Hilfe der staatlichen Machtmittel die Einhaltung der aufgestellten Normen im wesentlichen garantieren können, behandeln erzwungene Verträge und Willenserklärungen als anfechtbar oder nichtig2 • Ist dieses Prinzip nun auf den zwischenstaatlichen Verkehr übertragbar - wenn ein Staat einen anderen zwingt, einen Vertrag abzuschließen; ist auch in internationalen Beziehungen die Willensfreiheit der vertragschließenden Parteien erforderlich für die Wirksamkeit des Vertrages bzw. gilt auch hier das Prinzip "ex iniuria ius non oritur"? Im Völkerrecht müssen zwei Fallgruppen unterschieden werden: Zwang gegenüber der Person des Unterhändlers und Zwang, der sich gegen den Staat selbst richtet. Schon seit langer Zeit besteht einhellige Auffassung darüber, daß die Freiheit der Willensentschließung des am Vertragsabschluß teilnehmenden Staatsvertreters unerläßliche Voraussetzung für die Gültigkeit des Vertrages ist3 : Ein Vertrag, der durch Gewaltanwendung gegenüber dem Repräsentanten oder Organ des Vertragsstaates zu2 Dieser Grundsatz ist in nahezu allen Kodifikationen des Zivilrechts nachzuweisen, vgl. dazu Teil 4.32 der Arbeit. 3 Siehe dazu statt vieler: Harvard Draft Convention, AJIL Bd. 29 (1935), Suppl. Teil 3, Kommentar zu Art. 32, S. 1151; Wenner, S. 125 bis 199 und Brownlie, International Law and the Use of Force by States, S. 404 mit zahlreichen Nachweisen in Fn. 5.

1. Einführung

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standegekommen ist- sei es durch Vorhalten einer Pistole, Einsperren ohne Nahrung oder Drohung, einen Angehörigen zu töten-, ist ungültig. In der Praxis sind solche Fälle selten, die Literatur nennt dafür nur wenige Beispiele. Gewöhnlich werden folgende drei Vorfälle genannt, in denen gegenüber der Person des Bevollmächtigten Zwang angewendet wurde4 : 1526 nahm Kaiser Karl V. den französischen König Franz I. gefangen und schloß mit ihm in Madrid einen Vertrag, den Franz I. nur unterschrieb, um aus der Gefangenschaft entlassen zu werden. 1807 lockte Napoleon I. den spanischen König Ferdinand VII. nach Bayonne und zwang ihn, einen Vertrag zu unterschreiben, der den Thronverzicht vorsah. Er drohte, ihn im Falle der Nichtunterzeichnung als Verräter zu verurteilen. 1905 umzingelten japanische Truppen den Palast des Kaisers von Korea und zwangen ihn und seine Minister, einen Vertrag zur Errichtung des Protektorats J apans über Korea zu unterzeichnen. Es wurde erklärt, daß bis zur Unterzeichnung dieses Vertrages niemand den Palast verlassen dürfe5• Der Standpunkt, daß derart aufgezwungene Verträge nichtig seien, ist kürzlich in Art. 51 der Wiener Konvention über das Recht der völkerrechtlichen Verträge bekräftigt worden: Zwang gegenüber einem Staatenvertreter

Die Abgabe der Zustimmung eines Staates zur Bindung durch einen Vertrag, die durch Zwang gegenüber einem Vertreter mittels gegen ihn gerichteter Handlungen oder Drohungen erlangt wurde, hat keinerlei rechtliche Wirkung•. Insgesamt kann dieses Problem als gelöst gelten und bedarf daher hier keiner eingehenden Untersuchung. Wie aber verhält es sich beim Zwang gegen den Staat selbst, z. B. militärischer Gewalt - wie der Androhung einer Invasion, eines Bombardements oder der Erschießung von Kriegsgefangenen - oder auch bei der Zufügung von politischen oder wirtschaftlichen Nachteilen, z. B. 4 Zu den Beispielen vgl. Fenwick, International Law, S. 529; Dahm, Völkerrecht, Bd. 3, S. 38 und Lewin, Grundprobleme des modernen Völkerrechts, S. 297, Fn. 379. 5 Auf ein ähnliches Beispiel in Polen im Jahre 1773 hat Wenner, S. 188 hingewiesen; manche Autoren rechnen in diese Gruppe auch die Gewaltausübung der Hitlerregierung gegenüber dem tschechoslowakischen Staatspräsidenten Hacha 1939, so: McNair, Law of Treaties, S. 208; dagegen Dahm, Bd. 3, S. 39, Fn. 24: es sei die Bombardierung Prags angedroht worden, Gewalt gegen die Person Hachas habe man hingegen nicht angewandt. 8 So die Übersetzung in JIR Bd. 15 (1971), S. 751. Originaltext: ZaöRV Bd. 29 (1969), S. 739. Zu Einzelfragen der Bestimmung siehe Neuhold, ÖZöR 1969, S. 80 und AVR Bd. 15 (1971), S. 38m. w. N.

2•

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1. Einführung

der Drohung, die Wirtschaft zu erdrosseln? Ob auch eine solche Gewaltanwendung rechtserhebliche Wirkungen auf die Gültigkeit eines Vertrages hat, dieses Problem ist seit geraumer Zeit Gegenstand einer heftigen Kontroverse. Die Wiener Konvention über das Recht der Verträge(= WVK)- am 23. Mai 1969 von der Vertragsrechtskonferenz in Wien verabschiedetenthält eine Vorschrift, die sich speziell mit dieser Frage befaßt; in Art. 52 WVK heißt es: Zwang eines Staates durch Androhung oder Anwendung von Gewalt

Ein Vertrag ist nichtig, wenn sein Abschluß durch Androhung oder Anwendung von Gewalt unter Verletzung der in der Satzung der Vereinten Nationen niedergelegten Grundsätze des Völkerrechts zustande gekommen ist7. Diese Vorschrift, von der der Vertreter Ekuadors, Esudero, auf der 18. Sitzung des Plenums sagte, keine andere Bestimmung sei so wichtig für die Zukunft der Menschheit8 , hat die aufgeworfene Frage nunmehr dahin entschieden, daß Zwang gegen die Person eines Staatsvertreters und Zwang gegen den Staat selbst keine unterschiedlichen Rechtswirkungen mehr hervorrufen sollen: Beim Abschluß eines Vertrages ausgeübter völkerrechtswidriger Zwang macht das Abkommen nichtig. Art. 52 WVK gehörte während der Konferenz in Wien zu den am meisten umstrittenen Bestimmungen der Konvention. Er stellt eine Reihe von Problemen und gibt zu verschiedenen Zweifeln Anlaß. Insbesondere erscheint fraglich, ob es sich bei dem in Art. 52 WVK verkörperten Grundsatz bereits um geltendes Recht handelt und- falls dies zu bejahen ist - seit wann er Geltung beanspruchen kann, auf welche Verträge er mithin anwendbar ist. Nicht eindeutig sind ferner Umfang und Anwendungsbereich des aufgestellten Prinzips; wann etwa kann noch von einer Kausalität zwischen Zwang und Vertragsabschluß gesprochen werden; welche Arten von Zwang sind im Rahmen der Bestimmung relevant: Ist nur militärische Gewalt gemeint oder fallen auch wirtschaftliche und politische Druckmittel unter die Vorschrift; in welchen Fällen schließlich ist Zwang erlaubt und verstößt folglich nicht gegen geltendes Völkerrecht? Letztlich ist auch zu fragen, ob die in Art. 52 WVK ausgesprochene Rechtsfolge - Nichtigkeit des aufgenötigten Vertrages- rechtspolitisch überhaupt wünschenswert ist, ob für die zwischenstaatlichen Beziehungen dadurch tatsächlich mehr Vorteile als Nachteile entstehen. 7 übersetzung aus JIR Bd. 15, S. 751; Originaltexte siehe Teil 3.24 der Arbeit. 8 United Nations Conference on the Law of Treaties, Second Session 1969, Official Records, S. 268, para 4.

1. Einführung

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Ein Teil der durch Art. 52 WVK aufgeworfenen Fragen soll im Rahmen dieser Arbeit untersucht werden. Eine Lösung aller sich aus dieser Bestimmung ergebenden Probleme kann dabei nicht angestrebt werden. Zu einigen Punkten ist die Literatur ins Unermeßliche gewachsen, eine Auswahl der wichtig erscheinenden Stimmen war somit zu treffen. Bei der Bewertung der Einzelfragen haben die völkerrechtlichen Gesichtspunkte im Vordergrund gestanden. Rechtspolitische Argumente sind dann zur Korrektur herangezogen worden, wenn dies im Interesse einer größeren Wirklichkeitsnähe geboten war.

2. Historische Grundlagen und Entwicklungsgeschichte 2.1 Die traditionelle Lehre vor Inkrafttreten der Völkerbundsatzung Im klassischen Völkerrecht - etwa bis zur Gründung des Völkerbundes im Jahre 1919- war man sich einig, daß Androhung oder Anwendung von Gewalt gegen einen Staat auf die Wirksamkeit eines Vertragsabschlusses keinerlei Einfluß haben konnten. Zwar mag diese traditionelle Lehre nicht mit dem Prinzip der Willensfreiheit der Parteien übereingestimmt haben\ doch war die Auffassung eine Auswirkung der allgemeinen Haltung des Völkerrechts, das die Anwendung von Gewalt zur Lösung internationaler Streitigkeiten erlaubte. Der Krieg verfolgte damals einen doppelten Zweck: Einerseits war er in Ermangelung einer obligatorischen internationalen Gerichtsbarkeit eine Art Selbsthilfe, um Rechte durchzusetzen. Andererseits diente er ähnlich einer nationalen Revolution dazu, Rechtsänderungen herbeizuführen1. Insgesamt war das Recht zum Kriege (ius ad bellum) praktisch uneingeschränkt anerkannt. Zwar verlangte die Naturrechtslehre einen gerechten Grund zur Rechtfertigung des Krieges, doch war die bellumjustum-Doktrin wohl nie positives Völkerrecht. Charakteristisch ist, daß bei den Verhandlungen auf den Raager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907 niemals ein Hinweis auf die Lehre vom gerechten Krieg gemacht worden ist3 • Wohl mag die Frage eines gerechten Grundes zum Kriege politisch und moralisch eine nicht unwichtige Rolle gespielt haben, juristisch aber war sie ohne Bedeutung und wurde nicht als ein Problem des Völkerrechts angesehen. Auf den Raager Friedenskonferenzen folgte man vielmehr der positivistischen Ansicht und ging von dem Standpunkt aus, daß jeder souveräne Staat jederzeit nach seinem Ermessen zum Kriege schreiten dürfe. Das Kriegsrecht wurde somit als Attribut der Souveränität angesehen4 • Es konnte nur durch partikuläres Vertragsvölkerrecht beschränkt oder aufgehoben werden5 • 1 Guggenheim/Marek, Verträge, völkerrechtliche, in: Wörterbuch Bd. 3, S. 541; Oppenheim/Lauterpacht, International Law Bd. 1, S. 891. 1 Siehe dazu Kunz, AJIL Bd. 45 (1951), S. 528. 3 Kunz, Kriegsrecht im allgemeinen, in: Wörterbuch Bd. 2, S. 355; Wehberg, Krieg und Eroberung, S. 26. 4 Wehberg nennt in Krieg und Eroberung auf S. 28 eine große Zahl namhafter Autoren, die ausdrücklich den Standpunkt vertraten, daß es vor 1914

2.1 Traditionelle Lehre vor 1919

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Diese Ausdehnung der staatlichen Souveränität respektierte das Völkerrecht insofern, als nicht das "Ob", sondern nur das "Wie" der Kriegsführung (ius in bello) bestimmten rechtlichen Regelungen unterworfen war: So waren für Kriegserklärungen bestimmte Formen vorgeschrieben6, bestimmte Waffen durften nicht benutzt werden7 , Verwundete und Gefangene kamen in den Genuß humanitärer Fürsorge8 , auch der Seekrieg wurde bestimmten Beschränkungen unterworfen9 • Nirgends in diesen Vorschriften ist jedoch von der Widerrechtlichkeit des Krieges die Rede. Ein allgemeines Verbot der Anwendung militärischer Gewalt zu Angriffszwecken bestand ebensowenig wie eine Verpflichtung zu einem vorhergehenden Schlichtungsverfahren. Internationale Organisationen mit Friedenswahrungs-und Streitschlichtungsaufgaben- wie später der Völkerbund und heute die Vereinten Nationen -waren noch unbekannt. Wenn nun das Völkerrecht der damaligen Zeit den Krieg zuließ und es den Staaten freistellte, gegeneinander Gewalt anzuwenden oder damit zu drohen, so mußten konsequenterweise auch die Ergebnisse eines erfolgreichen Waffengebrauchs anerkannt werden: Friedensverträge, die den Besiegten auferlegt worden waren, galten ebenso als wirksam wie Annexionen und erzwungene Abtretungen10• Diese Regel galt übrigens nicht nur für Friedensverträge - naturgemäß ist dies der naheliegendste Fall und wird deshalb fast ausschließlich als Beispiel angeführt-, sondern sie war auf sämtliche anderen Verträge anwendbar, seien es Protektorats-, Bündnis- oder Handelsverträge11 : Unterwarf sich ein Staat einer Kriegsdrohung und schloß er unter ihrer Einwirkung einen Vertrag, so war der Vertrag nach Völkerrecht rechtsverbindlich. keinem Staate durch das allgemeine Völkerrecht verboten war, Kriege zu führen. 5 Bleiber, ZVR Bd. 19 (1935), S. 395 f.; Kunz, Kriegsrecht, in: W örterbuch Bd. 2, S. 355; einige Sonderabkommen, die die Waffengewalt zwischen den Kontrahenten nicht mehr unbeschränkt zuließen, nennt Wehberg, Krieg und Eroberung, S. 29 f. 6 III. Raager Abkommen über den Beginn der Feindseligkeiten vom 18. 10. 1907, RGBl. 1910, S. 82. 7 H a ager Erklärung betreffend Dum-Dum-Geschosse vom 29. 7.1899, RGBl. 1901, s. 478. 8 Genfer Abkommen vom 6. 7. 1906, RGBl. 1907, S. 279. und HLKO vom 18. 10. 1907, RGBl. 1910, S. 107. 9 VI.- XI. Haager Abkommen vom 18. 10. 1907, RGBL 1910, S. 181 f. 10 Guggenheim/Marek, Verträge, völkerrechtliche, in: Wörterbuch Bd. 3, S. 542 u. Dahm, Völkerrecht Bd. 1, S. 604 f . statt vieler. 11 Vgl. Blei ber, ZVR Bd. 19 (1935), S. 396 und S. 392, bes. Fn. 3 ; Schoen, ZVR Bd. 21 (1937), S. 296.

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2. Historische Grundlagen und Entwicklungsgeschichte

Zwar gibt es auch aus der damaligen Zeit Stimmen, die diese Regel einschränken oder modifizieren wollten, doch stellen diese Versuche Ausnahmen dar und konnten den bestehenden Grundsatz nicht in Frage stellen12• Es wurde dargelegt, daß die Frage der Gültigkeit eines unter Zwangseinwirkung zustandegekommenen Vertrages eng verknüpft ist mit dem Problem, inwieweit der Krieg vom Völkerrecht zur Lösung internationaler Streitigkeiten erlaubt ist. Ein kurzer Überblick über die weitere geschichtliche Entwicklung des Kriegs- und Gewaltverbotes ist daher geboten.

2.2 Die Entwicklung des völkerrechtlichen Kriegs- und Gewaltverbots von 1919 bis 1945 2.21 Die Völkerbundsatzung

Erst das Jahr 1919 brachte eine Wende in der Haltung des Völkerrechts zur Frage des Kriegsverbots. In der Völkerbundsatzung wurde in den Artikeln 10 bis 15 der Versuch unternommen, ein System zur Verhinderung des Krieges zu schaffen. Dieses System bestand nicht darin, materielle Gründe zu schaffen, in welchen Fällen ein Krieg verboten sein sollte, sondern es wurde die Beachtung verschiedener Verfahrensvorschriften zur Pflicht gemacht. Vor allem war seither ein Krieg unzulässig, wenn ihm nicht ein Versuch friedlicher Streitbeilegung vorausgegangen war13• Art.12 der Satzung statuierte eine Verpflichtung, vor Beginn eines Krieges eine friedliche Streitregelung durch Schiedsgerichtsbarkeit, internationale Gerichtsbarkeit oder den Völkerbundsrat zu versuchen und im Falle des Scheiterns dieser Verhandlungen noch eine Abkühlungsperiode von drei Monaten einzuhalten, bevor die Staaten zu den Waffen greifen durften. Zudem war der Krieg gegen ein Völkerbundsmitglied untersagt, das sich dem Spruch der Schiedsrichter fügte. Um diese Verpflichtungen auch durchsetzen zu können, wurde in Art.16 der Satzung ein System von Sanktionen geschaffen, das insbesondere wirtschaftliche Maßnahmen vorsah; aber auch militärische Maßnahmen konnten vom Völkerbundsrat vorgeschlagen werden14• Die Völkerbundsatzung stellte also kein vollständiges Verbot des Krieges auf. An dem Grundsatz des europäischen Völkerrechts, wonach 12 Siehe dazu die ausführlichen Untersuchungen von Neubecker, S. 134 ff., Grosch, S. 56 ff. und Wenner, S. 200 ff. 13 Ausführlich: Barandon, Völkerbund, in: Wörterbuch Bd. 3, S. 604- 607. 14 Dazu Stone, Legal Controls of International Conflict, S. 176 ff.

2.2 Entwicklung des Kriegs- und Gewaltverbots von 1919 bis 1945

25

der Krieg zur Austragung internationaler Streitigkeiten erlaubt war, wurde nichts geändert. Man wollte die Souveränität der Staaten nicht in solchem Maße einschränken15 • In den Fällen, in denen die Satzung keine ausdrückliche Einschränkung vorsah, blieb der Krieg erlaubt: Das galt für den Verteidigungskrieg, aber auch für jeden Angriffskrieg, der begonnen wurde, nachdem die Verfahrensvorschriften der Satzung eingehalten waren. Zusätzlich ist zu bemerken, daß die Völkerbundsatzung militärische Maßnahmen außerhalb des Krieges überhaupt nicht untersagte16. Dennoch sind die Bestimmungen der Völkerbundsatzung in der Entwicklungsgeschichte des Kriegsverbots von entscheidender Bedeutung, da sie insofern das bisher unbeschränkte Recht zum Kriege einschränkten, als die Mitglieder des Völkerbundes bestimmte Verpflichtungen übernahmen, in genau vorgesehenen Fällen fortan nicht mehr zum Kriege zu schreiten. 2.22 Etappen der weiteren Entwicklung bis zum Briand-Kellogg-Pakt

In der Zeit bis zum Abschluß des Briand-Kellogg-Paktes hat die Frage des Kriegsverbotes wiederholt eine Rolle gespielt. Besonders der Völkerbund hat sich mit ihr befaßt in dem Bestreben, über die Bestimmungen der Völkerbundsatzung hinaus jeden Krieg zu verbieten. Im Jahre 1923 wurde im Völkerbund der Entwurf eines "Vertrages über die gegenseitige Beistandsleistung" beraten17• Darin wurde ein umfassendes Verbot des Angriffskrieges ausgesprochen und dieser zurp. internationalen Verbrechen erklärt. Die Mitglieder des Völkerbundes sollten sich kollektiv und durch Sonderverträge zu gegenseitiger militärischer Hilfeleistung verpflichten. - Dieser Plan ließ sich nicht verwirklichen, hat aber die Bemühungen um die Ächtung des Krieges in den folgenden Jahren beeinflußt18• Noch wichtiger als genereller Fortbildungsversuch der Völkerbundsatzung war das "Genfer Protokoll" von 192419• Wie der Beistandspakt von 1923 erklärte es den Angriffskrieg zum internationalen Verbrechen und stellte ein umfassendes Kriegsverbot auf. Hinzu kommt aber noch, 15 Siehe Wehberg, Krieg und Eroberung, S. 32 f. und Brownlie, International Law and the Use of Force by States, S. 66. 16 Diese Frage hat im Korfu-Fall 1923 und im Mandschurei-Konflikt 1931 eine Rolle gespielt. Siehe dazu Wehberg, Kriegsverbot, in: Wörterbuch Bd. 2,

s. 271. 17 Dazu Wehberg, The Outlawry of War, S. 14 ff.; Sibert, RGDIP Bd. 31 (1924), S. 597 f'f. und Bd. 32 (1925), S. 201. 18 Wehberg, Die Ächtung des Krieges, S. 18 f. 19 Dazu v. d. Heydte, Genfer Protokoll, in: Wörterbuch Bd. 1, S. 653 ff. ; Gamer, AJIL Bd. 19 (1925), S. 123 ff.; Stone, Legal Controls, S. 101 f. und Wehberg, Genfer Protokoll.

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2.

Historische Grundlagen und Entwicklungsgeschichte

daß es weitgehende Regeln zur Beilegung internationaler Streitigkeiten aufstellte und ein System der kollektiven Sicherheit aufbaute. - Obwohl das Protokoll von der Öffentlichkeit lebhaft begrüßt wurde, scheiterte es am Widerstand Großbritanniens20 ; der großzügige Versuch zur Errichtung einer internationalen Friedensordnung im Rahmen des Völkerbundes war vorerst gescheitert. Erfolgreicher dagegen in der Weiterentwicklung des Kriegsverbots war man auf regionaler Ebene. Der Locarno-Pakt von 1925- zwischen Deutschland, Belgien, Frankreich, Großbritannien und Italien geschlossen - verwirklichte in kleinem Rahmen die Forderung nach dem Verbot jedes Angriffskrieges, ja jeder Gewaltanwendung überhaupt21 • Wie im Genfer Protokoll sollte Gewalt nur noch zum Zwecke der Selbstverteidigung und im Rahmen kollektiver Sanktionen zulässig sein. In Westeuropa sind die Spannungen durch die Locarno-Verträge vorübergehend gemildert worden22 • Auf der Völkerbundversammlung des Jahres 1927 kam es erneut zu einer Diskussion über Fragen des Kriegsverbotes. Diesmal wurde eine Entschließung gefaßt, die den Angriffskrieg zu einem internationalen Verbrechen erklärte und die Pflicht zur friedlichen Regelung aller internationalen Streitigkeiten betonte23 • In dieser Resolution wurde das Verbot jeden Angriffskrieges nicht nur als politisches Postulat, sondern als eine bereits geltende Verpflichtung hingestellt. - Die Mitglieder des Völkerbundes hätten diese Resolution nicht angenommen, wenn sie nicht davon überzeugt gewesen wären, daß die Völkerbundsatzung, die für den Beginn eines Krieges lediglich die Einhaltung von Formvorschriften verlangte, nicht mehr der geschichtlichen Entwicklung entsprach. Solche Gedanken waren schon bei den Beratungen zum Vertrag über gegenseitige Beistandleistung und zum Genfer Protokoll angeklungen und zeigten, daß das Völkerbundrecht bereits in einer Wandlung begriffen war. Schon vor Abschluß des Briand-Kellogg-Paktes zeichnete sich die öffentliche Meinung ab, daß Kriege, die nach der Völkerbundsatzung nicht verboten waren, fortan nicht mehr als zulässig betrachtet werden konnten24 • Berber, Völkerrecht Bd. 2, S. 34. Siehe dazu Barandon, Locarno-Verträge von 1925, in: Wörterbuch Bd. 2, S. 421 ff.; Wehberg, Der Sicherheitspakt; Raafat, S. 439 ff. 22 Vgl. Berber, Völkerrecht Bd. 2, S. 34. Berber nennt auf S. 34 f. ferner eine Anzahl zweiseitiger Verträge aus jener Periode, in denen der Krieg zwischen den Vertragsstaaten verboten war. 23 Wehberg, Die Ächtung des Krieges, S. 57 f.; zu weiteren Resolutionen aus dieser Zeit - auch außerhalb des Völkerbundes - siehe Brownlie, International Law and the Use of Force by States, S. 71 - 74. 24 Vgl. Dahm, Völkerrecht Bd. 2, S. 347. 20

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2.2 Entwicklung des Kriegs- und Gewaltverbots von 1919 bis 1945

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2.23 Der Briand-Kellogg-Pakt

Eine weltweite bindende Verpflichtung, wonach der Krieg grundsätzlich verboten sein sollte, stellte der am 27. August 1928 in Paris unterzeichnete Briand-Kellogg-Pakt auf25 • Er gehört zu den wenigen Verträgen, die fast von allen zur Zeit seines Abschlusses bestehenden Staaten ratifiziert wurden. Nur vier der vor dem zweiten Weltkrieg existierenden Staaten fehlten: Argentinien, Bolivien, El Salvador und Uruguay. Diese waren jedoch ab 1933 durch den noch weitergehenden Saavedra-Lamas-Pakt gebunden28 • Der Vertrag kann deshalb als umfassend angesehen werden27 • Die weltweite Geltung des Kriegsverbotes wurde allerdings durch die Vorbehalte verschiedener Staaten - insbesondere Großbritanniens - wiederum in Frage gestellt: Man hatte ein lückenloses System der Kriegsverhütung angestrebt, doch war es nicht gelungen, dies vollständig zu verwirklichen28 • Artikel1 des Briand-Kellogg-Paktes lautet: Die Hohen Vertragschließenden Parteien erklären feierlich im Namen ihrer Völker, daß sie den Krieg als Mittel für die Lösung internationaler Streitfälle verurteilen und auf ihn als Werkzeug nationaler Politik in ihren gegenseitigen Beziehungen verzichten29 • Darin ist nun ein endgültiger Bruch mit der klassischen Lehre zu erblicken, die den Staaten auf Grund ihrer Souveränität das uneingeschränkte Kriegsführungsrecht zugestanden hatte. Zwar war fortan außer dem Verteidigungskrieg auch der von der Staatengemeinschaft beschlossene Krieg gegen einen Rechtsbrecher als zulässig zu betrachten, doch stellte der Krieg kein erlaubtes Mittel zur Durchsetzung rechtlicher oder politischer nationaler Ansprüche mehr dar30• Durch den Pakt ist allerdings nur der Krieg, nicht aber die Anwendung von Gewalt außerhalb des Krieges verboten. Dies hat dazu geführt, daß militärische Maßnahmen absichtlich nicht als Kriegsmaßnahmen vorgenommen oder deklariert wurden, um das Verbot des Briand-Kellogg-Paktes zu umgehen31. Ein weiterer Vorwurf, der dem Pakt gemacht werden muß, betrifft das Fehlen von Sanktionsmaßnahmen. Zwar bestimmt die Prä25 Dazu Wehberg, Briand-Kellogg-Pakt von 1928, in: Wörterbuch Bd. 1, S. 249 f.; Wright, AJIL Bd. 27 (1933), S. 39 ff.; Mandelstam, RGDIP Bd. 40 (1933), S. 537 ff., Bd. 41 (1934), S. 179 ff., Bd. 42 (1935), S. 241 ff. 26 Anti-war-Treaty of Non-aggression and Conciliation, abgeschlossen am 10. 10. 1933 in Rio de Janeiro; dazu Langen, S. 95. 27 Verdross, Völkerrecht, S. 438. 28 Siehe dazu Dahm, Völkerrecht Bd. 2, S. 349 f. 29 Quelle: RGBl. 1929 II, S. 97 ff.; internationale Quelle: LNTS Bd. 94,

s. 57 ff.

Berber, Völkerrecht Bd. 2, S. 36 f. Dazu Wehberg, Kriegsverbot, in: Wörterbuch Bd. 2, S. 371 ; Stone, Legal Controls, S. 311. 30

31

28

2. Historische Grundlagen und Entwicklungsgeschichte

ambel, daß ein Staat, der den Pakt verletzt hat, seiner Vorteile verlustig gehe. Dies besagt aber nur, daß die anderen Staaten dem Rechtsbrecher gegenüber nicht mehr an den Pakt gebunden sind. Sie können ihm folglich den Krieg erklären oder gegen ihn Repressalien ergreifen32 • Andere Sanktionen kennt der Pakt jedoch nicht. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet stellt er eine "lex imperfecta" dar. Dadurch wird aber die im Pakt enthaltene Verpflichtung nicht aufgehoben33 • Letztlich sei noch auf einen Mangel hingewiesen, der die Frage des Verteidigungskrieges betrifft: Der Pakt sieht keine Instanz vor, die zu entscheiden hätte, in welchen Fällen überhaupt eine zulässige Selbstverteidigung vorliegt. Trotz dieser Unvollkommenheiten darf die grundsätzliche Bedeutung des Briand-Kellogg-Paktes jedoch nicht verkannt werden: Der Krieg hat aufgehört, ein erlaubtes Mittel zur Streiterledigung zwischen Staaten zu sein, und es können aus einem verbotenen Kriege hinfort keine Rechte mehr abgeleitet werden34 • 2.24 Die Stimson-Doktrin und die Entwicklung in der Folgezelt bis 1945

Ein hervorragendes Beispiel dafür, daß ein Rechtsbrecher aus einer verbotenen Gewaltanwendung nicht mehr soll Rechte und Titel herleiten können, bildet die aus dem Jahre 1932 stammende StimsonDoktrin. Sie verdankt ihre Entstehung dem Mandschurei-Konflikt35 • Angesichts des japanischen Angriffs auf China richtete Stimson gleichlautende Noten an China und Japan, in denen er erklärte, daß die Vereinigten Staaten nicht beabsichtigten, "irgendeine Situation, einen Vertrag oder ein Übereinkommen anzuerkennen, die durch Mittel zustandegekommen seien, die den Vorschriften und Verpflichtungen des Briand-Kellogg-Paktes . .. widersprächen" 36 • Konkreter Anlaß der Erklärung Stimsons war zwar das Verhalten Japans im Mandschureikonflikt, doch ist die Note so weit gefaßt, daß sie auch auf andere Verletzungen des Briand-Kellogg-Paktes angewendet werden konnte. Damit sollte vermieden werden, daß ein Angreifer aus seinem Sieg Vorteile erlangen konnte. Es kommt hinzu, daß die ErVgl. Verdross, Völkerrecht, S. 439. Wehberg, Krieg und Eroberung, S. 48 f. hat dazu auf eine sehr interessante geschichtliche Parallele hingewiesen, die Quidde in seiner Haager Vorlesung 1929 (Recueil des Cours Bd. 28 [1929, 3] S. 499) behandelt hat: Die Entwicklung der Beseitigung des Fehderechts in Deutschland. s• Berber, Völkerrecht Bd. 2, S. 36. 35 Zum folgenden vgl. Wright, AJIL Bd. 26 (1932) S. 342 ff.; Wehberg, Stimson-Doktrin, in: Wörterbuch Bd. 3, S. 393 ff.; Langer, Seizure of Territory, s. 50ff. 36 Übersetzung von Wehber g, Festschrift Spiropoulos, S. 433. 32

33

2.2 Entwicklung des Kriegs- und Gewaltverbots von 1919 bis 1945

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klärung nicht auf territoriale Änderungen beschränkt war: Sie nennt ausdrücklich auch Verträge und Übereinkommen, die durch einen derartigen Rechtsbruch zustandegekommen seien. Die Frage nach der Gültigkeit solcher Verträge wird hier in aller Schärfe gestellt. Stimson wollte damals lediglich einen Grundsatz amerikanischer Politik aufstellen, doch hat dies dazu beigetragen, daß die anderen Staaten sich der Notwendigkeit bewußt wurden, aus dem Kriegsverbot die erforderlichen Folgerungen zu ziehen37 • Das Prinzip der Nichtanerkennung - ein Anwendungsfall des Grundsatzes "ex iniuria ius non oritur", wie Brownlie38 nachgewiesen hat - hat bald danach Eingang in zahlreiche internationale Akte gefunden und ist zu einem rechtlichen Grundsatz geworden. Dies geschah insbesondere durch die Resolution der Völkerbundversammlung vom 11. März 1932, die einhellige Annahme fand39 • Darin wurde der Gedanke, der die Erklärung Stimsons beherrschte, zu einem Völkerrechtsgrundsatz erhoben: Unter Berufung auf Art. 10 der Völkerbundsatzung wurde festgestellt, daß es den Mitgliedern verboten sei, Verhältnisse oder Verträge anzuerkennen, die unter Verletzung der Völkerbundsatzung oder des Briand-Kellogg-Paktes herbeigeführt seien40 • Damit aber war gesagt, daß sich die Verpflichtung zur Nichtanerkennung direkt aus Satzung und Briand-KelloggPakt ergab41 • Von den internationalen Akten der folgenden Zeit, in denen dieser Grundsatz ausdrücklich niedergelegt worden ist, können hier nur die wichtigsten angeführt werden42 • Namentlich amerikanische Staaten haben das Prinzip in Pakte und Deklarationen aufgenommen. 1932 erließen die 19 neutralen Staaten eine entsprechende Erklärung während des Chaco-Konfliktes zwischen Paraguay und Bolivien43 • Der Saavedra-Lamas-Pakt vom Oktober 1933 enthält in Art. 2 eine ausdrückliche Erklärung, ebenso die Konvention von Montevideo über Rechte und Pflichten der Staaten aus dem gleichen Jahre in Art. 11. Bestimmungen gleichen Inhalts waren in der Lima-Deklaration von 1938 und in der Bogotä-Charta enthalten44 • In der Atlantikcharta vom Wehberg, Krieg und Eroberung, S. 88. International Law and the Use of Force by States, S. 410. 39 Text: League of Nations Official Journal 1932, Special Supplement Nr. 101, Bd. I S. 87. 40 Brownlie, International Law and the Use of Force by States, S. 412. 41 So Wehberg, Krieg und Eroberung, S. 100. 42 Siehe zum folgenden Brownlie, International Law and the Use of Force by States, S. 92 - 105 und Kunz, Panamerikanische Konferenzen, in: Wörterbuch, Bd. 2, S. 729 ff. 43 Langer, Seizure of Territory, S. 68. 44 Dazu ausführlich Yepes, RGDIP Bd. 46 (1939), S. 550 ff. und Bd. 53 (1949), 3r

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S . 17 ff.

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2. Historische Grundlagen und Entwicklungsgeschichte

14. 8.1941 wird der Grundsatz gleichfalls wiederholt45. Auch in eine Reihe bilaterale Verträge fand das Prinzip Eingang; diese beschränkten sich nicht auf den amerikanischen Kontinent. Doch haben die amerikanischen Republiken den Grundsatz besonders konsequent verfochten. 2.25 Das Gewaltverbot der UN-Satzung

Es wurde dargelegt, daß das nur sehr beschränkte Kriegsverbot der Völkerbundsatzung im Briand-Kellogg-Pakt umfassend revidiert wurde. Auch unter dessen System blieb jedoch eine Reihe von Lücken bestehen. Die Satzung der Vereinten Nationen unternimmt es nun, die noch vorhandenen Lücken zu schließen und den Krieg, ja die Gewaltanwendung überhaupt in umfassender Weise zu verbieten. Die grundlegende Bestimmung der UN-Satzung über das Verbot der Gewaltanwendung ist Art. 2 Abs. 4 - von Waldock als "the corner stone of peace in the Charter" bezeichnet46 • Dort heißt es: Alle Mitglieder enthalten sich in ihren internationalen Beziehungen der Drohung mit Gewalt oder der Gewaltanwendung, die gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit irgendeines Staates gerichtet oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbar ist47. Ergänzt wird diese Bestimmung durch Art.1 Abs.1, in dem als Ziel der Vereinten Nationen erklärt wird, "den Weltfrieden und die internationale Sicherheit aufrechtzuerhalten", sowie durch verschiedene Absätze der Präambel, in denen es heißt, die Völker der Vereinten Nationen seien entschlossen, "1. die kommenden Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren ..., 7. durch Annahme von Grundsätzen und die Schaffung entsprechender Methoden sicherzustellen, daß Waffengewalt nicht zur Anwendung komme, es sei denn im Interesse des Gemeinwohls"48. Diese Vorschriften verdeutlichen, in welch grundsätzlicher Weise die UN-Satzung das Recht zum Kriege beschränkt. Über das bisherige Recht geht Art. 2 Abs. 4 in zweifacher Hinsicht hinaus: Er verbietet nicht nur den Krieg, sondern jede Anwendung von Gewalt. Den durch den BriandKellogg-Pakt ermöglichten Versuchen, das Kriegsverbot dadurch zu umgehen, daß die angewendete militärische Gewalt als Nichtkrieg hingeText: Monatshefte für Auswärtige Politik, 1941, S. 763. 46 Recueil des Cours, Bd. 81 (1952, 2), S. 451. 47 So die Übersetzung im ÖBGBI. 1956, Nr. 120. Die Literatur zu Art. 2 Abs. 4 UN-Satzung ist unübersehbar; statt vieler Autoren seien hier nur genannt: Brownlie, International Law and the Use of Force by States, S. 112 ff.; Dahm, Völkerrecht Bd. 2, S. 356 ff.; Wengler, Gewaltverbot, S. 1 ff., jeweils m.w.N. 48 Übersetzung im ÖBGBI. 1956, Nr. 120. 4"

2.2 Entwicklung des Kriegs- und Gewaltverbots von 1919 bis 1945

31

stellt wurde49 , sollte damit ein Riegel vorgeschoben werden. Auf den materiellen Grund und die Ursache der Gewaltanwendung kommt es somit nicht mehr an. - Außerdem ist fortan auch jegliche Bedrohung mit Gewaltanwendung untersagt, nicht nur die Anwendung selbst. In Art. 39 der UN-Satzung ist weiterhin vorgesehen, daß der Sicherheitsrat darüber zu entscheiden hat, ob die Bestimmung des Art. 2 Abs. 4 verletzt worden ist. Dieser Gedanke, eine internationale Autorität zur Verhinderung von Angriffen und zur Aufrechterhaltung des Weltfriedens zu schaffen, ist ein bedeutender Fortschritt gegenüber den Regelungen der Völkerbundsatzung. Freilich schränkt das in Art. 27 Abs. 3 den Großmächten (ständigen Mitgliedern) eingeräumte Veto-Recht den Wert dieser Bestimmung weitgehend ein: Welche der Gewaltanwendung beschuldigte Großmacht wird schon der Feststellung eines Angriffs zustimmen? Allerdings bestehen auch Ausnahmen von Gewaltverbot. Hier sind drei Bereiche zu nennen: Einmal wird das Recht auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung gegen einen bewaffneten Angriff in Art. 51 aufrechterhalten. Zum anderen steht Art. 2 Abs. 4 Zwangsmaßnahmen nicht entgegen, die gegenüber einem früheren "Feindstaat" ergriffen werden (Art. 53 und 107). Und schließlich kann der Sicherheitsrat gemäß Art. 39/42 ff. militärische Gewaltmaßnahmen zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ergreifen50 • Es ist hier nicht der Ort, auf die vielschichtige Problematik des Art. 2 Abs. 4 der UN-Satzung im einzelnen einzugehen. Dieser kurze Überblick soll nur zeigen, daß sich bei der Gründung der Vereinten Nationen endgültig der Gedanke durchgesetzt hat, im internationalen Leben sei jede Gewaltanwendung von seiten eines Staates untersagt. Die Verwirklichung der 1944 von Whitton ausgesprochenen Hoffnung, nur die Staatengemeinschaft dürfe das Monopol für die Anwendung von Gewalt haben51, war damit ein Stück nähergerückt. Dieser Abriß der geschichtlichen Entwicklung des Kriegs- und Gewaltverbots hat gezeigt, welche grundlegende Veränderung in dieser Frage die Zeit von 1919 bis 1945 bewirkt hat. Es war oben52 dargelegt worden, daß die Frage der Gültigkeit eines unter Zwangseinwirkung zustandegekommenen Vertrages mit diesem Problem eng in Zusammenhang steht. Im Folgenden wird daher zu untersuchen sein, inwieweit 49 50

Vgl. Wehberg, Kriegsverbot, in: Wörterbuch Bd. 2, S. 271. Dazu ausführlich Wengler, Revue belge de droit international, Bd. 7

(1971), s. 403 ff. 51 Whitton, The Second Chance, S. 77. 5 ~ Teil 2.1 der Arbeit.

2. Historische Grundlagen und Entwicklungsgeschichte

32

diese Rechtsänderung sich auf die Staatenpraxis, auf Entscheidungen internationaler Gerichte und auf die in der Völkerrechtslehre vertretene Auffassung zur Frage aufgezwungener Verträge ausgewirkt hat. 2.3 Staatenpraxis und Entscheidungen internationaler Gerichte aus dieser Zeit 2.31 Staatenpraxis

Vergleicht man die oben skizzierte fortschreitende Entwicklung des Völkerrechts mit der Staatenpraxis der damaligen Zeit zur Frage aufgezwungener Verträge, so überrascht es, daß sich hier anfangs kaum ein Wandel nachweisen läßt. Erst ganz allmählich ändert sich auch die Staatenpraxis zu dieser Frage. Es sollen dafür einige Beispiele angeführt werden. Während des Ersten Weltkrieges gelang es Japan, sich im ehemaligen deutschen Pachtgebiet Kiautschou in China festzusetzen 53 • Um nun seinen Einfluß in China zu sichern, stellte Japan am 18. Januar 1915 21 Forderungen auf, die China durch Vertrag anerkennen sollte54• Als China jedoch diese Forderungen zurückwies, überreichte Japan dem chinesischen Präsidenten am 7. Mai ein Ultimatum, stellte Truppen bereit und drohte mit dem Einmarsch, falls China die Forderungen nicht binnen 48 Stunden akzeptiere. Unter diesem Druck nahm China das Ultimatum an und schloß am 25. Mai 1915 den von Japan geforderten Vertrag55• Gegen diesen Vertrag hat China protestiert, da er unter Zwang zustandegekommen sei. So erklärte das chinesische Parlament, es werde den Vertrag nicht genehmigen, weil er nichtig sei56 • Auf den Pariser Friedenskonferenzen von 1919 erklärte China in einem Memorandum, es behalte sich vor, zu gegebener Zeit den gesamten Vertrag wegen Zwangs anzufechten. Kurze Zeit danach- auf der Washingtoner Konferenz von 1921/22 - stellte China erneut die Frage nach der Gültigkeit der 1915 angenommenen 21 ForderungenJapansund begehrte die Revision des Vertrages, da er durch Zwang zustandegebracht worden sei57 • Zum letzten Male berief sich China im Jahre 1931 darauf, daß der Vertrag erzwungen sei -, und zwar während der chinesisch-japanische Konflikt wegen der Mandschurei vor dem Völkerbund verhandelt Dazu Bünger, China, in: Wörterbuch, Bd. 1, S. 279. Wortlaut bei LaFargue, S. 241 ff. 5 " North, AJIL Bd. 10 (1916), S. 222 ff.; LaFargue, S. 55; Text des Vertrages in AJIL Bd. 9 (1915) Suppl. S. 1 ff. 56 Vgl. Gottschalk, ZVR Bd. 17 (1933), S. 310 f. 53

54

57

LaFargue, S. 56.

2.3 Staatenpraxis und Gerichtsentscheidungen

33

wurde. Es konnte mit seinem Standpunkt jedoch wiederum nicht durchdringen und gab ihn danach auf58• Als weiteres Beispiel möge der zwischen Chile und Bolivien im Jahre 1904 abgeschlossene Vertrag dienen, der auf der Völkerbundversammlung des Jahres 1921 zur Sprache kam. Bolivien erhob die Forderung, diesen Vertrag zu revidieren und begründete seinen Schritt unter anderem damit, daß der Vertrag durch Zwang auferlegt worden sei59• Auch in diesem Falle konnte der gezwungene Vertragspartner sein Begehren jedoch nicht durchsetzen60• Zu einer Aufhebung solcher aufgezwungener Verträge war es in der damaligen Zeit nur gekommen, sobald eine Änderung der Machtverhältnisse eingetreten war; politische Komponenten waren somit für eine Revision ausschlaggebend, nicht aber eine Berufung auf Ungültigkeitsgründe nach bestehendem Völkerrecht. Dennoch hat die Tatsache, daß sich Staaten auf derartige Ungültigkeitsgründe beriefen, Bedeutung für die Staatenpraxis61 • Es muß aber berücksichtigt werden, daß die hier angeführten Beispiele nur bedingt tauglich sind, Rückschlüsse irgendwelcher Art zu ermöglichen. Zwar war zu dem Zeitpunkt, als die betroffenen Staaten versuchten, eine Revision der aufgezwungenen Verträge zu erlangen, di,e Völkerbundsatzung bereits in Kraft getreten; das Recht zum Kriege galt folglich nicht mehr uneingeschränkt. Doch fallen die fraglichen Vertragsabschlüsse in eine Zeit, in der ein generelles Kriegsverbot noch nicht aufgestellt war. Es läßt sich somit nicht sagen, daß der Zwang, der zum Abschluß dieser Verträge führte, verboten gewesen sei. Im Zusammenhang mit der hier behandelten Staatenpraxis sei aber auf die bereits an anderer Stelle62 erörterte Stimson-Note vom 7. Januar 1932 hingewiesen, in der die Vereinigten Staaten erklärten, irgendeine Situation, einen Vertrag oder ein Übereinkommen dann nicht anzuerkennen, wenn diese durch Mittel zustandegekommen seien, die den Vorschriften und Verpflichtungen des Briand-Kellogg-Paktes zuwiderliefen. Anlaß für diese Erklärung war nun zwar kein unter Gewaltanwendung abgeschlossener Vertrag, sondern der japanische Angriff auf China während des Mandschureikonfl.iktes. Sie war aber nicht 58 59

60

Kunz, ZVR Bd. 16 (1932) S. 718 f. Weidner, S. 16m. w. N. und Bleiber, ZVR Bd. 19 (1935), S. 388. Turlington, Proceedings Bd. 26 (1932), S. 50 ff. nennt als weitere Bei-

spiele aus dieser Zeit u. a. noch den von den USA im Jahre 1915 Haiti aufgezwungenen Vertrag, der trotz der Proteste Haitis als rechtmäßige Grundlage für Verpflichtungen angesehen wurde. -Zu sonstigen Fällen siehe Weinschel, ZVR Bd. 25 (1930), S. 449 Fn. 1. 61 Siehe Bleiber, ZVR Bd. 19 (1935), S. 394. e2 Vgl. Teil2.24 der Arbeit. 3 Brosche

2. Historische Grundlagen und Entwicklungsgeschichte

34

auf gewaltsame territoriale Veränderungen beschränkt; vielmehr nennt sie ausdrücklich auch Verträge und Übereinkommen, die unter Verletzung des im Briand-Kellogg-Pakt aufgestellten umfassenden Kriegsverbotes zustandegekommen seien und bestreitet die Rechtmäßigkeit derartiger Titel53 • Stimson hatte nun darauf gerechnet, daß andere Mächte seinem Beispiel folgen und entsprechende Noten an Japan und China senden würden, doch erfüllte sich diese Erwartung nicht. Die Zurückhaltung Großbritanniens hielt Frankreich und andere Staaten davon ab, gleichlautende Erklärungen abzugeben64 • Dennoch fand das Prinzip der Nichtanerkennung bald Eingang in zahlreiche internationale Akte und wurde zu einem rechtlichen Grundsatz erhoben. Als Beispiel sei wiederum die Resolution der Völkerbundversammlung vom 11. März 1932 genannt, in der das genannte Prinzip anerkannt und den Mitgliedern des Völkerbundes zur Pflicht gemacht wurde65 • Abschließend sei noch hingewiesen auf die Staatenpraxis zum Münchener Abkommen vom 30. September 1938, wodurch die Abtretung der Sudetengebiete an das Deutsche Reich erzwungen wurde, und zum Vertrag zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei vom 15. März 1939, der zur Errichtung des Protektorates über Böhmen und Mähren führte. Hierbei kann als feststehende Tatsache angenommen werden, daß beide Abkommen unter Zwang zustandegekommen sind86• Zum Vertrag vom 15. März 1939 hat die französische Regierung bereits zwei Tage später erklärt: "Die Umstände, unter denen das Abkommen vom 15. März den führenden Persönlichkeiten der Tschechoslowakei aufgezwungen wurde, können in den Augen der Regierung der Republik dem tatsächlichen Zustand, der durch dieses Abkommen geschaffen wurde, keine Rechtsgültigkeit verleihen67 ." Was das Münchener Abkommen anbelangt, so kann festgestellt werden, daß sowohl Frankreich als auch Großbritannien erklärten, sie fühlten sich an das Abkommen nicht mehr gebunden. Beide haben sich jedoch nicht darauf berufen, daß die Abmachungen erzwungen worden seien, sondern daß sie von Deutschland durch den Einmarsch in Böhmen und Mähren vorsätzlich zerstört worden seien88• 63 64

65

Wehberg, Krieg und Eroberung, S. 99. Siehe dazu Wehberg, Krieg und Eroberung, S. 98.

Die weitere Staatenpraxis wird recht ausführlich dargestellt bei International Law and the Use of Force by States, S. 413- 418. Vgl. Seidl-Hohenveldern, ÖJZ 1948, S. 345. Zitiert bei Seidl-Hohenveldern, ÖJZ 1948, S. 345. Ausführlich dazu Seidl-Hohenveldern, ÖJZ 1948, S. 346.

Brownlie, 88 67

68

2.3 Staatenpraxis und Gerichtsentscheidungen

35

Auf nähere Einzelheiten braucht an dieser Stelle nicht eingegangen zu werden. Beide letztgenannten Verträge werden im Hinblick darauf, ob der Zwang, der zu ihrem Abschluß führte, Einfluß auf ihre Gültigkeit hat, an anderer Stelle noch genauer untersucht werden müssen69• Dieser kurze Überblick sollte nur zeigen, daß die fortschreitende Entwicklung des Völkerrechts auch die Staatenpraxis der damaligen Zeit beeinflußt hat. 2.32 Entsdleidungen internationaler Gericllte Aus den Entscheidungen internationaler Gerichte, die im fraglichen Zeitraum ergingen, läßt sich ein Wandel, wie er bei der Staatenpraxis festzustellen ist, nicht nachweisen. Untersucht man die Urteile des Permanent Court of International Justice, so finden sich zahlreiche Entscheidungen, in denen der Vertrag von Versailles und andere Friedensverträge, die nach dem ersten Weltkrieg geschlossen wurden, eine Rolle spielen70• Es steht außer Frage, daß diese Verträge unter Androhung oder Anwendung von Gewalt zustandekamen: Nämlich den Krieg fortzusetzen oder wieder aufzunehmen, falls die unterlegene Partei die gestellten Bedingungen nicht akzeptierte. Doch in keinem Falle hat einer der besiegten Staaten sich darauf berufen, der Vertrag sei - da unter Zwang abgeschlossen- für ihn nicht bindend71 • Aber nicht nur der Ständige Internationale Gerichtshof hat sich mit diesen Verträgen beschäftigt, sie waren auch Gegenstand von schiedsgerichtlichen Entscheidungen und sind in Verfahren vor nationalen Gerichten wiederholt behandelt worden. Auch hier läßt sich jedoch nicht nachweisen, daß ein Staat sich dem Vertrage unter Berufung auf sein erzwungenes Zustandekommen hätte entziehen wollen72 • Nun sind zwar Gerichtsentscheidungen bekannt, in denen aufgezwungene Verträge als nichtig angesehen wurden - insbesondere im Hinblick auf das Münchener Abkommen von 1938 und den Protektoratsvertrag über Böhmen und Mähren von 193973 - , doch fallen diese Entscheidungen in den Zeitraum nach 1945, als bereits das umfassende Gewaltverbot des Art. 2 Abs. 4 der UN-Charta galt. Im Rahmen der geschichtlichen Entwicklung können sie daher vorerst unerörtert bleiben.

69 70

Siehe Teil 4.2 der Arbeit. Dazu näher Dahm, Völkerrecht Bd. 3, S. 41 und McNair, Law of Treaties,

s. 209.

McNair, S. 209. McNair, S. 209. 73 Vgl. dazu McNair, S. 209 Fn. 2 und SeidL-HohenveLdern, ÖJZ 1948, s. 345 ff. 11

72

36

2. Historische Grundlagen und Entwicklungsgeschichte

2.4 Die Völkerrechtslehre zwischen den Weltkriegen 2.41 Verschiedene Lösungsversuche von Völkerrechtsgelehrten

Untersucht man die Beiträge der Völkerrechtslehre zur Frage aufgezwungener Verträge, so fällt auf, daß aus der fortschreitenden Entwicklung im Hinblick auf das Kriegs- und Gewaltverbot nur selten irgendwelche Konsequenzen für die Gültigkeit derartiger Verträge gezogen worden sind. Es ist allerdings hervorzuheben, daß nach dem ersten Weltkrieg überhaupt eine gründliche Untersuchung dieses Problems eingeleitet worden ist. Der äußere Anlaß hierfür war der zwischen dem Deutschen Reich und den Siegermächten im Jahre 1919 abgeschlossene Friedensvertrag von Versailles, der unter dem Druck der Alliierten zustandegekommen war. Sie konnten die Annahme ihrer Friedensbedingungen nur dadurch erreichen, daß sie militärischen Zwang androhten74 • Eine ausführliche Darstellung der damals in der Literatur erschienenen Stimmen würde im Rahmen der hier aufzuzeigenden Entwicklungsgeschichte zu weit führen75 • Es können deshalb nur die Ansichten weniger Autoren kurz angeführt werden, um die Vielfalt der vertretenen Meinungen zu verdeutlichen. Zunächst sei auf drei Lösungsversuche hingewiesen, die wegen ihrer Ausgefallenheit hervorgehoben zu werden verdienen, denen aber die Zustimmung allgemein versagt blieb. W einschel versucht darzulegen, es sei begriffsmäßig überhaupt unmöglich, einem Staate gegenüber unmittelbaren Zwang anzuwenden76 • Nach seiner Auffassung ist Zwang gegen den Staat gleichzusetzen mit Zwang gegen die auf dem Gebiete des Staates wohnenden Menschen. Die Gesamtheit der den Staat bildenden Menschen könne nun aber weder psychisch noch physisch gezwungen werden, dies sei immer nur gegenüber einzelnen Menschen oder Menschengruppen möglich.- Diese Auffassung kann hingegen nicht überzeugen. Zwang gegen den Staat muß nicht notwendigerweise als Zwang gegen die Gesamtheit der Staatsbürger 74 Vgl. dazu die bei BeTbeT, Diktat von Versailles, S. 75 und 86 und KTaus/ RödigeT auf S. 574 und 699 abgedruckten Dokumente: In der Mantelnote der

Siegermächte vom 16. 6. 1919 heißt es: " . . . les Puissances alliees et associl~es prendront les mesures qu'elles jugeront necessaires pour imposer leurs conditions"; die deutsche Note vom 23. 6. 1919 beginnt: "Der übermächtigen Gewalt weichend, und ohne damit ihre Auffassung über die unerhörte Ungerechtigkeit der Friedensbedingungen aufzugeben, erklärt deshalb die Regierung der Deutschen Republik, daß sie bereit ist, die von den alliierten und assoziierten Regierungen auferlegten Friedensbedingungen anzunehmen und zu unterzeichnen." 75 Es sei aber hingewiesen auf die ausführlichen Literaturangaben bei BleibeT, ZVR Bd. 19 (1935), S. 389 Fn. 1; VeTdToss, ZöR Bd. 15 (1935), S. 291 Fn. 2 und in der Harvard Draft Convention on the Law of Treaties, AJIL Bd. 29 (1935), Suppl. Teil3, S. 1150 -54. 76 Weinschel, ZVR Bd. 15 (1930), S. 446 ff., bes. S. 457-58.

2.4 Völkerrechtslehre zwischen den Weltkriegen

37

verstanden werden. Ein solcher Tatbestand liegt vielmehr dann vor, wenn die staatliche Gemeinschaft in einem ihrer Rechtsgüter -wie Unabhängigkeit, Selbstregierung, Gebietshoheit - beeinträchtigt wird77 • Ausgeübt wird dieser Zwang aber nicht gegenüber jedem einzelnen Bürger des Staates, sondern gegenüber den staatlichen Organen, die für den Staat den betreffenden Vertrag schließen. Die Gesamtheit der Staatsbürger ist beim Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrages nicht in der Weise beteiligt, daß jeder einzelne dabei mithandeln müßte; vielmehr werden sie durch die mit der entsprechenden Kompetenz ausgestatteten Organe dabei vertreten78 • Der Lösungsversuch Weinschels ist daher zu Recht auf entscheidenden Widerstand gestoßen und in der Literatur später nicht mehr vertreten worden. De Visscher argumentiert folgendermaßen79 : Er will den Unterschied zwischen dem Zwang gegen die Person des Unterhändlers und dem Zwang gegen einen Staat mit der Begründung leugnen, daß eine Drohung immer nur gegen ein Organ gerichtet sein könne. Daß in beiden Fällen versucht wird, das Organ zu dem gewünschten Verhalten zu bewegen, steht zweifellos fest80, denn nur das Organ kann den gewünschten Vertrag abschließen. Dabei kann das Organ aber entweder in seiner eigenen Person oder in der seiner Familienangehörigen oder auch dadurch bedroht werden, daß für den Fall der Nichtunterzeichnung des Vertrages ein Eingriff in ein staatliches Rechtsgut in Aussicht gestellt wird- etwa eine Gebietsbesetzung. Das angedrohte Übel kann also entweder auf den Privatbereich des Organwalters oder auf ein staatliches Rechtsgut hinzielen81 • Auch diese Lehre ist daher allgemein abgelehnt worden. Von Scelle wird vertreten82, ein erzwungener Vertrag sei einem Gesetz gleichzusetzen: Auch ein Gesetz werde gegen den Willen der Minderheit von der Parlamentsmehrheit beschlossen. In beiden Fällen sei der Wille des Stärkeren maßgebend, und der Schwächere habe sich dem zu fügen83• - Diese Argumentation läßt aber unberücksichtigt, daß der Mehrheitsbeschluß eines Parlamentes nur dann Recht schaffen kann, wenn ihm die Verfassung der Gemeinschaft eine entsprechende Autorität überträgt. Ist dies der Fall, dann setzt sich der Wille der Mehrheit gegen77

s. 22.

So Verdross, ZöR Bd. 15 (1935), S. 293 und Völkerrecht, S. 170; Weidner,

Vgl. Buza, ZVR Bd. 21 (1937), S. 422. De Visscher, Revue de droit international et de legislation comparee, Bd. 12 (1931), S. 521 f. so Verdross, ZöR Bd. 15 (1935), S. 293. 81 Buza, ZVR Bd. 21 (1937), S. 423; Verdross, Völkerrecht, S. 170. 82 Scene, Precis du droit des gens, Bd. 2, S. 343 f. 83 Zustimmend dazu: Brierly, Recueil des Cours Bd. 58 (1936, 4), S. 210. 78

79

38

2. Historische Grundlagen und Entwicklungsgeschichte

über dem der Minderheit durch. Anders aber verhält es sich bei der Verfassung der Staatengemeinschaft: Hier wird der Staatenmehrheit keine Gesetzgebungsmacht in der Weise eingeräumt, daß die Mehrheit der Staaten sich über den Willen der Minderheit oder eines einzelnen Staates einfach hinwegsetzen könnte. Verdross84 hat mit Recht darauf hingewiesen, daß geschriebenes Völkerrecht nur im Wege zwischenstaatlicher Vereinbarungen erzeugt werden könne: Ein erzwungener völkerrechtlicher Vertrag ist mit nationaler Gesetzgebung infolgedessen nicht vergleichbar85• Sodann ist eine Gruppe von Autoren zu nennen, die sich von denen aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg nicht unterscheidet und die Anwendung von Zwang beim Abschluß von Verträgen für rechtlich irrelevant hält. Zu ihren deutschen Vertretern gehören Schoen und Bleiber86 , deren Ausgangspunkt es ist, daß auch in den Fällen, da ein Vertragspartner den anderen zum Abschluß eines Vertrages zwingt, eine Willenseinigung zwischen den Partnern zustandekomme. Es handele sich dann allerdings um einen Vertrag, bei dessen Abschluß einer der Kontrahenten in seiner Entschließungsfreiheit beschränkt war; die zustimmende Erklärung des Gezwungenen könne aber nur dann als rechtsverbindlich und unanfechtbar angesehen werden, wenn die Beschränkung der Willensfreiheit vom Recht als zulässig anerkannt sei87 • Sodann wird dargelegt, weshalb diese Beschränkung zulässig sei: Die Frage, ob aufgezwungene Verträge anfechtbar seien, stehe in engem Zusammenhang mit dem Problem der Kriegsfreiheit88 • Nach geltendem Völkerrecht sei nun aber der Krieg erlaubt, um bestimmte Ziele zu erreichen - und zwar schlechthin ohne Rücksicht auf Grund und Zweck; sogar Eroberungskriege seien zulässig. Eine allgemeine Norm, die das Kriegführen verbiete, sei von den Staaten nicht aufgestellt worden. Sei jedoch der Krieg erlaubt, dann sei auch dessen Androhung gestattet, um den Willen des bedrohten Staates zu beugen. Unterwerfe sich ein Staat solch einer Drohung, dann sei der daraufhin abgeschlossene Vertrag rechtsverbindlich. Die Irrelevanz des Zwanges beim Abschluß von Verträgen sei folglich nur das Korrelat der im Völkerrecht bestehenden Freiheit, Kriege zu führen89 • Verdross, ZöR Bd. 15 (1935), S. 294. Ebenso: Wenner, S. 225. 8 a Schoen, ZVR Bd. 21 (1937), S. 277 ff.; BZeiber, ZVR Bd. 19 (1935), S. 385 ff. 87 So ausdrücklich: Schoen, ZVR Bd. 21 (1937), S. 284. 88 Zum folgenden vgl. im einzelnen BZeiber, ZVR Bd. 19 (1935), S. 395 f. und Schoen, ZVR Bd. 21 (1937), S. 285. 89 Zahlreiche Vertreter dieser Lehre haben allerdings im Hinblick auf den Versailler Vertrag andere Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsgründe entwickelt, um die Rechtsbeständigkeit des Versailler Vertrages in Frage stellen zu können: Ein erzwungener Friedensvertrag bestehe dann nicht zu Recht, wenn er 84

85

2.4 Völkerrechtslehre zwischen den Weltkriegen

39

Von ihrem Ausgangspunkt, daß ein Kriegsverbot nicht bestehe, ist die Ansicht dieser Autoren folgerichtig. Es erstaunt allerdings, daß Völkerbundsatzung und Briand-Kellogg-Pakt, die das Recht zum Kriege in erheblichem Umfange eingeschränkt haben, mit keinem Wort erwähnt werden. Man fragt sich, ob die Vertreter dieser Ansicht zum gleichen Ergebnis gekommen wären, wenn sie das Kriegsverbot des Briand-KelloggPaktes- der fast ein Jahrzehnt zuvor abgeschlossen war- zugrundegelegt hätten. Immerhin war der Briand-Kellogg-Pakt mit Ausnahme einiger südamerikanischer Republiken von allen Staaten der damaligen Zeit- darunter allen Großmächten- ratifiziert worden90 • Zu einem anderen Ergebnis kommt eine Gruppe, als deren Vertreter hier Verdross und Pasching angeführt sein mögen91 • Als Ausgangspunkt dient die im klassischen Völkerrecht von Grotius92 und Pufendorf93 vertretene Unterscheidung zwischen gerechten und ungerechten Kriegen, deren Konsequenz u. a. darin bestand, daß gegen einen ungerechten Sieger die Einrede des Zwanges erhoben werden konnte. Setzt man nun die damals getroffene Differenzierung zwischen gerechter und ungerechter Gewaltanwendung gleich mit einer Unterscheidung zwischen rechtmäßigem und rechtswidrigem Zwang9\ so kann man zu dem Schluß gelangen, daß der einem Staat zwangsweise auferlegte Vertrag dann unverbindlich ist, wenn der Zwang oder dessen Androhung rechtswidrig war95 • Welche Kriterien nun aber darüber entscheiden, ob eine Gewaltanwendung rechtmäßig oder rechtswidrig ist, wird in der Abhandlung von Verdross nicht im einzelnen ausgeführt96 • Verdross versucht lediglich darzulegen, daß der eben genannte Grundsatz im Völkerrecht Gültigkeit habe, und führt dazu aus, er sei nicht nur aus allgemeinen rechtlichen Erwägungen zu gewinnen; vielmehr lasse er sich streng nach Völkerrecht beweisen, wenn man erkenne, daß für den zwischenstaatlichen Verkehr nicht nur Vertrags- und Gewohnheitsrecht, sondern auch die von den den in einem Vorvertrag vereinbarten Friedensbedingungen widerspreche (konkret: Widerspruch zu den 27 bzw. 14 Punkten des Präsidenten Wilson) oder wenn er für den Besiegten unzumutbar sei, weil er ihm Opfer auferlege, die das zulässige Maß übersteigen. Beide Ungültigkeitsgründe träfen für den Versailler Vertrag zu, vgl. ausführlich Bleiber, ZVR Bd. 19 (1935), S. 398-402 und Schoen, ZVR Bd. 21 (1937), S. 290- 294m. w. N. 90 Siehe Verdross, Völkerrecht, S. 438. 91 Verdross, ZöR Bd. 15 (1935), S. 289 ff.; Fasching, ZöR Bd. 14 (1934), S. 24 ff. 92 Grotius, Deiure belli ac pacis, Buch III, Kap. XIX, §§ IX, XI und XII. 93 Pufendorf, De iure naturae et gentium libri octo, Buch VIII, Kap. VIII, §I. 94 Gegen diese Unterscheidung ausdrücklich Buza, ZVR Bd. 21 (1937), S. 424. 95 So Verdross, ZöR Bd. 15 (1935), S. 290 unter Berufung auf die klassische Völkerrechtslehre und mit zahlreichen Literaturhinweisen in Fn. 3 aufS. 291. 06 Zum folgenden vgl. die Ausführungen von Verdross, ZöR Bd. 15 (1935), aufS. 292.

2. Historische Grundlagen und Entwicklungsgeschichte

40

Kulturstaaten übereinstimmend anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze gelten97 • Nach diesen Grundsätzen stehe es außer Frage, daß ein widerrechtlich erzwungener Vertrag nicht verbindlich sei98 • Daß dieser Grundsatz auf das Völkerrecht übertragen worden sei, habe auch die Resolution der Völkerbundversammlung vom 11. März 1932 anerkannt, in der im Anschluß an die Stimson-Doktrin das Prinzip der Nichtanerkennung festgelegt worden sei. Bestehe dieser Grundsatz aber zu Recht, dann müsse er auch für Friedensverträge gelten, die im Widerspruch zu einem Vorfriedensvertrag durch rechtswidrige Drohung aufgezwungen worden seien99• Nach Verdross hat sich die Rechtslage im Völkerrecht folglich durch die Übernahme der in den innerstaatlichen Rechtsordnungen geltenden allgemeinen Rechtsgrundsätze geändert. Wann und wie die Übertragung im einzelnen erfolgt ist, wird nicht gesagt100 . In dem Zusammenhang, da der Inhalt von Stimson-Doktrin und der darauf bezogenen Resolution der Völkerbundversammlung angegeben werden, nennt Verdross zwar auch Völkerbundsatzung und Briand-Kellogg-Pakt, da sie im Text der betreffenden Dokumente ausdrücklich erwähnt sind; daß aber gerade diese Vertragswerke es waren, die die Rechtsänderung herbeiführten, bleibt unerwähnt. Von den eben genannten Autoren unterscheidet sich ein anderer Kreis, für den stellvertretend Buza und Wenner genannt sein sollen101 • Auch sie gehen in ihrer Argumentation von der Frage der Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit des angewandten Zwanges aus und versuchen, eine Lösung über die Lehre von den allgemeinen Rechtsgrundsätzen herbeizuführen102. Darüber hinausgehend widmen sie aber dem Problem eine nähere Untersuchung, nach welchen Kriterien die Rechtswidrigkeit nun zu beurteilen sei. Buza setzt beim völkerrechtlichen Delikt an und stellt 97 Ob der von Verdn.~ss behandelte Grundsatz auch vertrags- oder gewohnheitsrechtlicher Natur ist, wird in dem Aufsatz nicht untersucht. 98 Auch Bleiber, ZVR Bd. 19 (1935), S. 393 hat darauf hingewiesen, daß sich schwerlich eine staatliche Rechtsordnung finden lasse, die Bestimmungen über die rechtliche Unerheblichkeit der Anwendung von Zwang enthielte. Eine Übertragung dieser Rechtsgrundsätze auf das Völkerrecht lehnte er jedoch deshalb ab, weil dort noch gewohnheitsrechtlich die Regel gelte, daß Zwang beim Abschluß von Friedensverträgen deren Gültigkeit nicht in Frage stellen könne. Auch hinsichtlich anderer Verträge sei keine entgegengesetzte Norm entwickelt worden. 99 Hier wird wieder aeutlich, daß Verdross speziell im Hinblick auf den Versailler Vertrag argumentiert. 100 Bezeichnend ist, daß Seidl-Hohenveldern in ÖJZ 1948, S. 345 die Ansicht von Verdross mit folgenden Worten referiert: "Derartige Rechtsgrundsätze müßten doch auch im Völkerrecht gelten." 101 Buza, ZVR Bd. 21 (1937), S. 420 ff.; Wenner, Willensmängel im Völkerrecht, S. 288 ff. 10 2

Buza, S. 424; Wenner, S. 292.

2.4 Völkerrechtslehre zwischen den Weltkriegen

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fest, daß das Begehen eines solchen oder dessen Androhung ein rechtswidriges Mittel darstellten. Ein in dieser Weise aufgezwungener Vertrag sei folglich ungültig bzw. anfechtbar103• Da die Frage, ob es sich um rechtmäßigen Zwang handelt oder nicht, in Grenzfällen jedoch Streit hervorrufen kann und schwer zu entscheiden sein wird, versucht Buza, konkrete Entscheidungskriterien anzugeben und legt dies insbesondere im Hinblick auf den Kriegszwang näher dar10'. So könne der durch das Völkerrecht gestattete oder geradezu vorgeschriebene Krieg die Gültigkeit eines Vertrages nicht beeinflussen, während der in Form des vom Völkerrecht nicht erlaubten, d. h . des Deliktkrieges angewandte Zwang den unter seiner Einwirkung abgeschlossenen Vertrag ungültig mache. Nicht erlaubt sei nun vor allem der Krieg, der im Widerspruch zu den Bestimmungen der Völkerbundsatzung oder des Briand-Kellogg-Paktes begonnen werde. Allerdings beurteile sich die Rechtswidrigkeit einer Kriegshandlung nicht nur danach, ob sie durch Völkerbundsatzung und Briand-Kellogg-Pakt verboten sei, sondern man müsse darüber hinaus fragen, ob es sich um Notwehr- oder Notstandsmaßnahmen handele. So könne ein Krieg selbst dann, wenn er entgegen den Bestimmungen der Völkerbundsatzung und des Briand-Kellogg-Paktes geführt werde, als rechtmäßig anzusehen sein, weil er durch Notwehr und Notstand gerechtfertigt sei105• Diesen Ansatz übernimmt auch Wenner108 ; er konkretisiert seine Ansicht jedoch noch: Kriegszwang sei dann widerrechtlich, wenn er gegen positive Rechtsnormen verstoße, das heißt Normen des Völkerrechts, die für die betreffenden Parteien Geltung hätten. Solche Normen seien die Bestimmungen der Völkerbundsatzung, des Briand-Kellogg-Paktes und anderer Kollektivverträge. Ferner würde auch durch den Bruch von Nichtangriffspakten, Neutralitäts-, Bündnis-, Vorfriedens- und anderen Verträgen die zwischen den streitenden Parteien in Kraft seien, Kriegszwang widerrechtlich. Dies sei die "realistische Rechtsauffassung", die in 103 Als Beispiele nennt er die krassen Fälle, daß Bombenflugzeuge erscheinen und androhen, eine Stadt in Schutt und Asche versinken zu lassen, daß die einen Staat durchfließenden Flüsse vergiftet werden sollen oder daß bis zur Unterschrift des Vertrages die Schiffe des betreffenden Staates in das Küstenmeer des anderen Staates, der den Vertrag erzwingen will, nicht einlaufen dürfen. 104 Buza, S. 427 - 431. 105 So argumentiert auch Wenner, S. 271; hier übersehen aber beide Autoren, daß sowohl Selbstverteidigung mit kriegerischen Mitteln als auch Unterstützung des Angegriffenen gar nicht unter das Kriegsverbot des BriandKellogg-Paktes fallen. Die Selbstverteidigung mit kriegerischen Mitteln ist keine echte Ausnahme von Kriegsverbot, sondern seine logische Folge, wie Berber, Völkerrecht Bd. 2, S. 36 f. ausführlich erläutert. 100 Wenner, S. 293 f.

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2. Historische Grundlagen und Entwicklungsgeschichte

der Lehre über die allgemeinen Rechtsgrundsätze zum Ausdruck komme107• Bemerkenswert an der Lehre dieser Autoren ist die Tatsache, daß sie die Frage der Gültigkeit eines aufgezwungenen Vertrages ausdrücklich auch davon abhängig machen, ob der Zwang entgegen den Bestimmungen von Völkerbundsatzung und Briand-Kellogg-Pakt angewendet wurde. Sie berücksichtigt somit die damals im Völkerrecht bestehende Rechtsauffassung zur Frage des Kriesgverbots und zieht aus ihr die entsprechenden Konsequenzen. Bei den Stimmen der Völkerrechtsgelehrten sei abschließend Lauterpacht aufgeführt. Seine Stellungnahme ist deshalb interessant, weil er

seine früher bestehende Ansicht in der 5. Auflage seines Lehrbuches aus dem Jahre 1937- abänderte. Bis zur 4. Auflage10B hielt er jeden nicht gegen die Person des Unterhändlers gerichteten Zwang für völkerrechtlich unerheblich. In der 5. Auflage109 trägt er der Tatsache Rechnung, daß die Resolution der Völkerbundversammlung vom 11. März 1932 und die Stimson-Doktrin vom 7. Januar 1932 die Verpflichtung aussprachen, keinen Vertrag und keine Abmachung anzuerkennen, die im Widerspruch zur Völkerbundsatzung und zum Briand-Kellogg-Pakt stünden; er korrigiert seine Ausführungen dahingehend, daß Zwang den Vertrag dann nichtig mache, wenn er in einem Krieg ausgeübt werde, der im Widerspruch zu den Vorschriften von Völkerbundsatzung und Briand-KelloggPakt geführt werde. Widerspreche der Krieg diesen Pakten jedoch nicht oder sei der kriegführende Staat durch sie nicht gebunden, dann sei der Zwang kein Hindernis für die Gültigkeit des Vertrages110 • Lauterpacht berücksichtigt somit die Rechtsänderung auf dem Gebiet des Kriegsführungsrechts, die diese weltweiten Vertragswerke bewirkt hatten, und zieht daraus entsprechende Folgerungen für die Gültigkeit aufgezwungener Verträge111 • 107 So wörtlich Wenner auf S. 292; hier drängt sich die Frage auf, ob das Ergebnis dieser Lehre noch mit dem Ansatzpunkt- eine Lösung über die allgemeinen Rechtsgrundsätze zu ermöglichen -vereinbar ist: Die zwischen den kriegführenden Parteien geltenden Rechtsnormen (auch zweiseitige Verträge sind angeführt!) sind nicht immer als allgemeine Rechtsgrundsätze anzusehen; sie können vielmehr auch lediglich für einen sehr beschränkten Kreis von Völkerrechtssubjekten Gültigkeit haben. toB Oppenheim/Lauterpacht, 4. Auflage 1930, Bd. 1, S. 711. 109 Oppenheim!Lauterpacht, 5. Auflage 1937, Bd. 1, S. 702 f. uo Hier ist Kritik geübt worden, denn in ihrer konsequenten Anwendung bedeutet diese Lehre, daß ein Staat, der diesen Pakten nicht beitrat, weiterhin bei Vertragsabschlüssen ungehindert Zwang anwenden dürfe; vgl. SeidlHohenveldern, ÖJZ 1948, S. 345 Fn. 15 und Wenner, S. 270 f. m Ähnlich auch Quincy Wright, AJIL, Bd. 26 (1932), S. 347 f. und AJIL, Bd. 33 (1939), S. 14 ff.

2.4 Völkerrechtslehre zwischen den Weltkriegen

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Dieser Überblick über die Beiträge der Völkerrechtslehre zeigt, daß in der Zeit zwischen den Weltkriegen eine Reihe unterschiedlicher Theorien entstanden ist, die sich bald bekämpfen, bald überschneiden, bald decken. Zu einer allgemein anerkannten Lösung des Problems haben die Erörterungen nicht geführt. 2.42 Konventionsentwürfe der Harvard Law School

Aus der gleichen Zeit stammen zwei Konventionsentwürfe der Harvard Law School: Die Harvard Draft Convention on the Law of Treaties aus dem Jahre 1935112 und die Harvard Draft Convention on Rights and Duties of States in Case of Aggression aus dem Jahre 1939113• Obwohl beide Konventionsentwürfe in kurzen Zeitabständen aufeinander folgten und von Arbeitsgruppen der gleichen Law School ausgearbeitet wurden, vertreten sie zu der hier erörterten Frage ganz entgegengesetzte Standpunkte. Artikel32 Absatz (a) der Draft Convention on the Law of Treaties lautet: Duress As the tenn is used in this convention, duress involves the employment of coercion directed against the persons signing a treaty on behalf of a State or against the persons engaged in ratifying or acceding to a treaty on behalf of a State; ...

Der Kommentar zu dieser Vorschrift nimmt ausführlich zu den einzelnen Tatbestandsmerkmalen Stellung. Den Ausgangspunkt bildet die Feststellung, es bestehe bei den Völkerrechtsgelehrten Einstimmigkeit darüber, daß die Freiheit der Willensbildung eine wesentliche Bedingung für die Gültigkeit von völkerrechtlichen Verträgen darstelle. Eingeschränkt wird diese Feststellung aber sogleich dahingehend, daß Friedensverträge möglicherweise eine Ausnahme bildeten, da sie oft vom siegreichen Staat dem im Kriege besiegten auferlegt würden. Die Untersuchung beginnt mit einem ausführlichen Überblick über die damals vorhandene Literatur114 - ausgehend von Grotius und Vattel bis hin zu den Autoren der frühen dreißiger Jahre. Sie kommt zu dem Schluß115, Willensfreiheit als unerläßliche Voraussetzung für die Bindung der Parteien an den abgeschlossenen Vertrag bedeute lediglich, daß die Unterhändler, die beim Vertragsschluß mitwirkten, in ihrer Entscheidungsfreiheit nicht beeinträchtigt sein dürften. Nur in diesem eingeAJIL Bd. 29 (1935), Supplement Teil3. AJIL Bd. 33 (1939), Supplement. 114 Es handelt sich um die Quelle, die die alte Literatur am ausführlichsten verarbeitet und am ehesten Zugang zu den früher vertretenen Ansichten vermittelt. 115 AJIL Bd. 29 (1935), S. 1151 - 1152. 112

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2. Historische Grundlagen und Entwicklungsgeschichte

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schränkten Sinne sei der Ausdruck "Zwang" in der Konvention gebraucht, und die aufgestellte Regel sei die Awendung einer allgemein anerkannten Regel des innerstaatlichen Vertragsrechts auf internationale Abkommen. Nicht gemeint sei aber Gewalt, die ein Staat gegenüber dem anderen anwende, um einen Vertragsabschluß zu erreichen. Wohl mögen sich Repräsentanten durch eine Kriegsniederlage oder durch Umstände wie Bankrott und finanzielle Not gezwungen sehen, ihre Zustimmung zu einem Vertrage zu geben, doch werde solch indirekter Zwang nicht von dem Konventionsentwurf erfaßt. Sodann wird ausgeführt118, daß die Zahl derjenigen Autoren zunehme, von denen die traditionelle Lehre - ein Staat dürfe beim Vertragsschluß gegen den Partner Gewalt anwenden - abgelehnt würde. Ihre Stimmen werden referiert117, und es wird zugestanden, daß darin zweifellos eine neue Haltung im Hinblick auf die Gültigkeit aufgezwungener Verträge repräsentiert wird. Trotz der ausdrücklichen Anerkennung, es sei gerechtfertigt, von einem Übergangsstadium des Rechts zu sprechen, wird eine Ausdehnung des Gewaltbegriffes dahingehend, daß die Anwendung von Zwang gegen den Staat selbst mit umfaßt werde, abgelehnt118• Im gesamten Kommentar wird die drei Jahre zuvor erklärte SimsonDoktrin mit keinem Wort auch nur erwähnt. Deshalb erstaunt um so mehr die vier Jahre später erschienene - von einer anderen Arbeitsgruppe ausgearbeitete - Draft Convention on Rights and Duties of States in Case of Aggression. Dort heißt es in Art. 4 Absatz 3110 : A treaty brought about by an aggressor's use of armed force is voidable. Von einer Beschränkung auf Zwang gegenüber dem vertragschließenden Organ ist hier nicht mehr die Rede. -Der Kommentar zu dieser Vorschrift fällt sehr kurz aus. Bis auf einige Überlegungen zu der Frage, ob AJIL Bd. 29 (1935), S. 1152- 1153. Der Kommentar nennt namentlich de Visscher, Revue de droit international et de legislation comparee, Bd. 12 (1931), S. 513 ff. und Raventos y Noguer, Revue de droit international de sciences diplomatiques, politiques et sociales Bd. 4 (1926), S. 20 ff., die darlegten, Völkerbundsatzung, LocarnoVerträge und Briand-Kellogg-Pakt beschränkten das Kriegsrecht der Parteien; folglich sei ein Vertrag, der unter Verletzung dieser Bestimmungen zustandekomme, null und nichtig. Hier ist bemerkenswert, daß beide Beiträge vor 1932 veröffentlicht wurden- dem Jahr, in dem die Stimson-Doktrin verkündet wurde. Der Aufsatz von Raventos y Noguer stammt sogar aus der Zeit vor Abschluß des Briand-Kellogg-Paktes. 118 Im Anschluß daran folgen Stellungnahmen zu den einzelnen Tatbestandsmerkmalen, die hier unerörtert bleiben können. 119 AJIL Bd. 33 (1939), S. 895 f. 116

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2.4 Völkerrechtslehre zwischen den Weltkriegen

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der Vertrag nichtig oder vernichtbar sei, wird nur auf den vorangehenden Absatz 2 verwiesen und festgestellt, es handele sich nur um einen besonderen Anwendungsfall des dort niedergelegten allgemeinen Prinzips; die im Kommentar zu diesem vorhergehenden Absatz angeführten Materialien zeigten ja bereits, daß der betreffende Grundsatz auch auf Verträge Anwendung finde, die durch illegale Waffengewalt hervorgebracht seien. Im vorangehenden Absatz des Art. 4 heißt es nun: Situations created by an aggressor's use of armed force do not change sovereignty or other legal rights over territory. Der diesem Absatz folgende Kommentar erklärt, die niedergelegte Regel sei eine Ausformung dessen, was allgemein als Stirnsan-Doktrin bzw. Prinzip der Nichtanerkennung bezeichnet werde120. Dessen Ursprünge ließen sich noch viel weiter als bis in das Jahr 1932 zurückverfolgen. Seine konkreten Ausprägungen bei verschiedenen Gelegenheiten ließen sich sämtlich zurückführen auf den Versuch, Annexionen als Basis für Erwerbstitel zu eliminieren. - Im Anschluß daran wird ausführlich die historische Entwicklung dargestellt121 : Fast alle internationalen Akte, in die das Prinzip Eingang gefunden hat, werden wörtlich angeführt122. Artikel32 des 4 Jahre zuvor erschienenen Konventionsentwurfes hingegen bleibt unerwähnt. Versucht man, aus den Überlegungen der Völkerrechtslehre zwischen den Weltkriegen Rückschlüsse zu ziehen, so ist festzustellen, daß eine allgemein anerkannte Lösung des Problems nicht gefunden worden ist. Ein Teil der Autoren hat seine Überlegungen zur Gültigkeit aufgezwungener Verträge an der Rechtsänderung orientiert, die sich im Hinblick auf das völkerrechtliche Kriegsverbot vollzogen hatte. Ein anderer Teil hat diese neue Rechtslage völlig ignoriert. Auf eine ausführliche Würdigung 120 Wörtlich heißt es dort (AJIL Bd. 33 [1939], S. 889) "Stimson non-recognition doctrine". 121 AJIL Bd. 33 (1939), S. 890- 95; es ist bemerkenswert, daß die aufgeführten Dokumente auch einen von Dänemark dem Völkerbund im Jahre 1922 unterbreiteten Vorschlag enthalten, in dem es heißt: "In the futureterritorial acquisitions in Europe shall not be lawful if resulting from war, conquest or the conclusion of a peace treaty. Any agreement or arrangement made contrary to this principle shall be null and void and will not be recognized by the High Contracting Parties."- Auch wird eine Note der Vereinigten Staaten an die Japanische Regierung vom Mai 1915 zitiert, die im Anschluß an die 21 Forderungen Japans gegenüber China ergangen war und schon beinahe wörtlich mit der späteren Stirnsan-Doktrin übereinstimmt. 122 Vgl. dazu die Darstellung der Entwicklungsgeschichte im Teil 2.24 der Arbeit.

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2. Historische Grundlagen und Entwicklungsgeschichte

der im einzelnen vertretenen Ansichten kann verzichtet werden, da hier im Rahmen der Entwicklungsgeschichte nur die Vielzahl der verschiedenen Meinungen verdeutlich werden sollte.

3. Die Entstehungsgeschichte des Artikel 52 der Wiener Vertragsrechtskonvention von den ursprünglichen Entwürfen bis zur endgültigen Kodifizierung 3.1 Die Behandlung des Problems in den Entwürfen und Diskussionen der International Law Commission Die International Law Commission1 (ILC) war seit 1949 mit der Kodifikation des Rechts der völkerrechtlichen Verträge befaßt. Während der ersten Sitzungsperiode hatte sie das Recht der völkerrechtlichen Verträge zur Kodifizierung für geeignet erklärt und ihm Priorität zuerkannt2. Die ILC hat den Fragen der Gewaltanwendung beim Abschluß von Verträgen in ihren Entwürfen, Berichten und Diskussionen breiten Raum gewidmet. Schon in ihrem Entwurf einer Deklaration über Rechte und Pflichten der Staaten aus dem Jahre 1949 hatte sie in Art. 9 gefordert, sich jeglicher Androhung und Anwendung von Gewalt zu enthalten und stellte in Art.ll die Verpflichtung auf, keinen Gebietserwerb anzuerkennen, der unter Verletzung von Art. 9 zustandegekommen sei. Das völkerrechtliche Vertragsrecht wird allerdings nicht ausdrücklich angesprochen3. 3.11 Der Entwurf von Lauterpacht aus dem Jahre 1953

Als erster Berichterstatter für das Vertragsrecht war der britische Völkerrechtler Brierly gewählt worden. Sein Bericht, den er zur zweiten Sitzungsperiode im Jahre 1950 vorlegte4 , war nicht sehr umfangreich und ließ das hier zu untersuchende Problem unbehandelt. Nach dem Austritt Brierlys aus der ILC hat Lauterpacht als dessen Nachfolger im Jahre 1953 einen Entwurf vorgelegt, der neben Definitionen und Bestimmungen über den Abschluß von Verträgen auch Vorschriften über die Voraussetzungen für deren Gültigkeit enthielt5 • Arti1 Zur Entstehungsgeschichte vgl. Briggs, The International Law Commission,1965. 2 Vgl. Verosta, ZaöRV Bd. 29 (1969), S. 655. 3 Vgl. Yearbook ILC 1949, S. 288. 4 A/CN. 4/34, abgedruckt in Yearbook ILC 1950, Bd. 2, S. 222 ff. 5 A/CN. 4/63, Yearbook ILC 1953, Bd. 2, S. 90 ff.

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3. Entstehungsgeschichte des Art. 52 WVK

kel12 der Sektion II (Reality of Consent) dieses Entwurfes, absence of compulsion überschrieben und mit einem ausführlichen Kommentar versehen, war Fragen der Nichtigkeit aufgezwungener Verträge gewidmet8 • Lauterpachts Entwurf befaßt sich nur mit Zwang gegenüber dem Staat als solchem; eine Vorschrift in bezugauf Zwang gegenüber dem Unterhändler hielt Lauterpacht für überflüssig, da bereits im traditionellen Völkerrecht Einigkeit darüber bestand, daß derartige Verträge wegen mangelnder Willenseinigung ungültig seien7 • Artikel12 lautet: Treaties imposed by or as the result of the use of force or threats of force against a State in violation of the principles of the Charter of the United Nations are invalid if so declared by the International Court of Justice at the request of any State. Lauterpachts Ausführungen und Bemerkungen im Kommentar zu dieser Vorschrift hatten auf Arbeiten und Entwürfe seiner Nachfolger außerordentlichen Einfluß. Seine Erläuterungen zu einzelnen Tatbestandsmerkmalen und allgemein zu dem in dieser Vorschrift niedergelegten Grundsatz sollen deshalb kurz behandelt werden.

3.111 Bemerkungen zur Gültigkeit des aufgestellten Grundsatzes Lauterpacht beginnt seinen Kommentar mit Untersuchungen zu der Frage, ob der in Art. 12 des Entwurfes niedergelegte Grundsatz bereits volle Gültigkeit beanspruchen könne. Seine Argumentation geht davon aus8 , daß bis zur Zeit der Völkerbundsgründung der Krieg uneingeschränkt erlaubt war; daraus folge die unanfechtbare Überlegung, daß das Recht auch die Ergebnisse eines erfolgreichen Waffengebrauchs anerkennen mußte. Hinzu komme die zwingende Erwägung, daß eine andere Regel allen Friedensverträgen die gesetzliche Grundlage entzogen hätte und folglich einen fortwährenden Kriegszustand bedeutet hätte. In Wirklichkeit aber werde die wahre rechtliche Natur von Verträgen - begriffen als auf dem freien Willen der vertragschließenden Parteien beruhende Vereinbarungen- dadurch in Abrede gestellt. Abmachungen, in denen die aus dem freien Willen herrührende wirkliche Übereinstimmung irrelevant sei, stellten eine Anomalie dar. Jegliche Regel, die eine derartige Regelwidrigkeit auch noch sanktioniere, sei Ausdruck einer fundamentalen Störung im Gefüge des Völkerrechts. Yearbook ILC 1953, Bd. 2, S. 147. Vgl. para 8 des Kommentars auf S.150; die folgenden Angaben zu Lauterpachts Kommentar und seiner Note beziehen sich jeweils auf Yearbook ILC 1953, Bd. 2. 8 Para 1 des Kommentars aufS. 147. 6 7

3.1 ILC: Entwürfe und Diskussionen

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Daß der in Art. 12 aufgestellte Grundsatz nunmehr entgegen der früher herrschenden Lehre Gültigkeit beanspruchen könne, versucht Lauterpachtauf vierfache Weise zu begründen: -Zunächst bestehe das allgemeine Rechtsprinzip, wonach Abmachungen, die durch Zwang herbeigeführt worden seien, keine Gültigkeit hätten'. -Weiterhin seien die Grundlagen der im traditionellen Völkerrecht geltenden Regel insbesondere durch Völkerbundsatzung, BriandKellogg-Pakt und Satzung der Vereinten Nationen beseitigt worden; nunmehr bestehe ein allgemeines Gewaltverbot10• Daraus folge, daß nach dem Prinzip der Willensfreiheit als wesentlicher Voraussetzung für die Gültigkeit von Vereinbarungen solche Verträge ungültig seien, die im Widerspruch zu den Grundsätzen dieser Dokumente auferlegt wurden11 • Die Gründe dafür, daß dieses Prinzip früher internationalrechtlich unanwendbar war, seien nun nicht mehr existent. -Darüber hinaus gelte, daß Handlungen, die ein Rechtsbrecher vornehme und die rechtlich als illegal zu betrachten seien, nicht zu seinen Gunsten Recht erzeugen können. Dieses Prinzip "ex iniuria ius non oritur" sei von der Völkerrechtslehre und den internationalen Gerichten anerkannt und stelle einen allgemeinen Rechtsgrundsatz dar12• -Als Folge dieses soeben genannten Rechtsgrundsatzes habe sich eine Staatenpraxis herausgebildet - ausgehend von der Stimson-Doktrin und verankert in zahlreichen Deklarationen13, die als Prinzip der Nichtanerkennung bekannt sei. Diese Staatenpraxis stelle neben den anderen angeführten Punkten einen weiteren Grund für die Nichtigkeit aufgezwungener Verträge dar. Aufgrund dieser Erwägungen kommt Lauterpacht zu dem Ergebnis, daß es sich bei der in Art. 12 seines Entwurfes niederlegten Regellediglich um eine Kodifikation bereits existierenden Rechts handele, nicht aber um eine Neuschöpfung.

3.112 Bemerkungen zu einzelnen Tatbestandsmerkmalen In bezugauf die Anwendung oder Androhung von Gewalt als Voraussetzung für die Ungültigkeit eines völkerrechtlichen Vertrages hat Lauterpachtinsbesondere drei Überlegungen angestellt14 : So para 5 aufS. 149. In para 2 auf S.147 wird diese Entwicklung im einzelnen dargestellt; vgl. dazu die Ausführungen in Teil 2.2 der Arbeit. 11 Para 3, S. 148. u Para 3, S. 148. 13 In para 4 aufS. 148 werden sie ausführlich behandelt. 14 Para 7 aufS. 149. 9

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4 Brosche

3. Entstehungsgeschichte des Art. 52 WVK

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-Zum einen sei die Vorschrift nicht auf Kriegszwang beschränkt, sondern meine auch Gewalt außerhalb des Krieges: Die bis zur Zeit des Briand-Kellogg-Paktes bestehenden Zweifel und Unsicherheiten seien damit beseitigt, und die gewählte Formulierung folge insofern dem Text der Satzung der Vereinten Nationen. - Zum anderen genüge auch "indirekter" Zwang, wenn er von rechtswidriger Gewaltanwendung herrühre. Zur Verdeutlichung nannte er zwei Beispiele: Wenn ein Staat soweit unterworfen wurde, daß er gar nicht mehr fähig sei, irgendwelchen Widerstand zu leisten, dann brauche zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung gar keine Nötigung mehr vorzuliegen.- Aber auch der Fall, der der siegreiche Staat auf dem Gebiet des besiegten eine Marionettenregierung einsetze und diese den Vertrag widerstandslos unterschreibe, werde von der Vorschrift erfaßt. -Letztlich beziehe sich der Artikel nur auf physische Gewalt- im Unterschied zu Zwang, der keine militärische Gewalt darstelle. Allerdings seien die Grenzen zwischen beiden Arten flüssig: Für den Fall, daß ein Staat mit dem Aushungern bedroht würde- durch Abschneiden der Einfuhr oder des Zuganges zur See -, könne man nicht verneinen, daß der Vertrag ein Ergebnis von Gewalt sei, auch wenn physische Gewalt nicht direkt angewendet wurde. Lauterpacht räumt ein, daß dadurch eine unvermeidbare Unbestimmtheit der Vorschrift begründet werde; dies mache es um so mehr notwendig, die Wirkungsweise der Bestimmung von einer unparteiischen Entscheidung - wie vorgesehen - abhängig zu machen. Lauterpacht setzt sich dann mit der Frage auseinander, in welchen Fällen die Grundsätze der UN-Charta nun tatsächlich verletzt seien15 • Ausgehend davon, daß Gewalt auch in Übereinstimmung mit dem Recht angewendet werden könne oder aber Zwang möglicherweise eine rechtmäßige Sanktion sei, stellt er fest, daß in diesen Fällen ein Mangel an Willensübereinstimmung durch das Recht geheilt werde. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn im Zusammenhang mit Maßnahmen nach Kapitel VII der UN-Satzung einem Staat, der den Frieden gefährde, von den Vereinten Nationen ein Vertrag auferlegt werde. Wenn Kollektivmaßnahmen der UNO nicht möglich seien, könnten aber gelegentlich auch Maßnahmen einzelner oder mehrerer Staaten zur Erhaltung des Friedens oder Abwehr einer Aggression als rechtmäßige Sanktion anzusehen sein. Allerdings könne einem Aggressor nicht jeglicher Vertrag aufgezwungen werden; auch hier müsse sich der Zwang innerhalb der rechtmäßigen Grenzen bewegen: Mehr als eine gerechte Wiedergutmachung der ent15

Para 9, S. 150.

3.1 ILC: Entwürfe und Diskussionen

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standenen Schäden und eine Sicherung gegen einen erneuten Angriff könne in einem aufgezwungenen Vertrage nicht verlangt werden. Während Lauterpacht die bisher erörterten Merkmale dieser Vorschrift als bereits geltendes Recht ansieht, verlangt erde lege ferenda die Einschaltung des Internationalen Gerichtshofes, um die Nichtigkeit des betreffenden Vertrages feststellen zu lassen18• Keiner Partei soll es erlaubt sein, die Ungültigkeit eines Vertrages wegen Zwanges von sich aus zu erklären; außer der Einleitung des Verfahrens soll keine einseitige Maßnahme möglich sein. Eine Zustimmung der Gegenpartei zum Verfahren oder eine Teilnahme daran werden nicht verlangt. - Da zudem die Gültigkeit eines aufgezwungenen Vertrages eine Angelegenheit sei, die die gesamte Völkergemeinschaft angehe, gesteht Lauterpacht jedem Mitglied der Vereinten Nationen das Recht zu, ein entsprechendes Verfahren vor dem IGH einzuleiten. Der direkt betroffene Staat mag hierzu nicht stets in der Lage sein. Die Annahme dieser von Lauterpacht vorgeschlagenen Regelung hätte bedeutet, daß dem IGH die obligatorische Gerichtsbarkeit auf diesem Gebiet eingeräumt worden wäre. Wegen der Schwere der zu entscheidenden Streitfragen und der damit verbundenen Folgen erschien Lauterpacht der IGH das geeignete Gericht, die Nichtigkeit eines Vertrages zu erklären. Was das letzte Merkmal-die Ungültigkeit des Vertrages-anbelangt, so schlägt Lauterpacht vor, daß der Vertrag nicht lediglich vernichtbar bzw. anfechtbar sei, sondern daß man ihn als nichtig zu behandeln habe17• Bloße Anfechtbarkeit würde der gezwungenen Partei die Möglichkeit geben, die Vorteile des Vertrages zu nutzen; bei Nichtausübung des Anfechtungsrechtes wäre sie rechtlich gebunden. - Da nun aber jeglicher Staat das Verfahren vor dem IGH einleiten könne, sei eine Einwilligung des gezwungenen Staates völlig irrelevant18• Es komme noch hinzu, daß ein unter Zwang abgeschlossener Vertrag nicht nur wegen fehlender Willensübereinstimmung ungültig sei, sondern daß er auch dem völkerrechtlichen ordre public widerspreche. 16 Vgl. dazu para 11, S. 150 f. und Note, para 3, S. 152; ähnlich war auch schon in Art. 32 (b) der Harvard Draft Convention on the Law of Treaties verlangt worden, daß jeder, der die Nichtigkeit eines Vertrages geltend machen wolle, eine dahingehende Entscheidung eines zuständigen internationalen Organs herbeizuführen habe, siehe AJIL Bd. 29 (1935), Supplement Teil 3, S. 1159 und den Kommentar zu dieser Vorschrift. 17 Notepara 2, S. 151. 18 Zur Unterscheidung zwischen absoluter Nichtigkeit und bloßer Vernichtbarkeit verweist Lauterpacht in Fn. 116 auf S. 151 auf die Arbeiten von Guggenheim, Recueil Bd. 74 (1949), S. 194 ff.; Verzijl, Revue de droit international Bd. 15 (1935), S. 284 ff. und Hertz, Revue de droit international et de legislation comparee Bd. 20 (1939), S. 450 ff.

3. Entstehungsgeschichte des Art. 52 WVK

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3.113 Erwägungen zur praktischen Durchführbarkeit und Zweckmäßigkeit der Bestimmung Lauterpacht geht auch auf die Schwierigkeiten der Durchführbarkeit des von ihm vorgeschlagenen Grundsatzes ein19 : Insbesondere seien die Vereinten Nationen nicht stets in der Lage, den inArt.12 niedergelegten Grundsatz gegenüber einem siegreichen Angreifer wirksam durchzusetzen, weil man unrechtmäßige Gewaltausübung nicht verhindern könne. Diese Umstände brauchten aber nicht notwendig den vollständigen Zusammenbruch der UNO oder des Rechts überhaupt zu bedeuten. Denn die Aussicht, daß die durch einen aufgezwungenen Vertrag gewonnenen Vorteile sich wegen dessen Nichtigkeit als illusorisch erweisen könnten, wirke sich hemmend gegenüber Gewaltanwendungsabsichten aus. Eine Kodifikation des Vertragsrechts im Rahmen der Vereinten Nationen könne nicht darauf verzichten, diesen Grundsatz als geltendes Völkerrecht hinzustellen, da es sich um ein allgemein von allen Staaten anerkanntes Rechtsprinzip handele. Selbst wenn nichts weiter erreicht würde als die formelle Erklärung, das früher bestehende Recht, das Zwang beim Vertragsabschluß für rechtlich unerheblich hielt, gelte nicht mehr, so sei dies von großer Bedeutung. Wenn auch keine nennenswerte Staatenpraxis bestehe, die die Geltung dieses Prinzips unterstützen könne, so sei es doch nicht zulässig, die Anwendbarkeit einer betreffenden Rechtsregel nur danach zu beurteilen, ob die tatsächliche Häufigkeit von praktischen Beispielen dafür oder dagegen spreche. Viellmehr sei dies eine Frage der Autorität und Vollständigkeit des Rechts. Lauterpacht zerstreut die Bedenken, daß die Vorschrift zu einer willkürlichen Berufung auf einen derartigen Nichtigkeitsgrund führen könne und damit einer Umgehung von VertragsverpflichtungenTür u~d Tor geöffnet würde. Durch die Einschaltung des IGH soll jeglicher Mißbrauch ausgeschlossen sein. Lauterpacht räumt ein, daß nach der Erfahrung die Aufhebung aufgezwungener Verträge nicht auf Grund eines Richterspruches geschehe, sondern durch politische Aktionen nach Änderung der Machtverhältnisse bewirkt werde. In erster Linie stelle sich dieses Problem jedoch als Rechtsfrage dar. Es sei jetzt Aufgabe der ILC, die Änderung der Rechts.,. Iage festzustellen: daß nämlich der Krieg als Instrument zur Durchsetzung und Begründung von Rechten nicht mehr erlaubt sei und die traditionelle Lehre damit keine Grundlage mehr habe. 19

Siehe Kommentarpara 6, S. 149 und Notepara 1, S. 15L

3.1 ILC: Entwürfe und Diskussionen

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· 3.12 Der Entwurf von Fitzmaurice aus dem .Jahre 1958

Lauterpacht hat seinen Entwurf zum völkerrechtlichen Vertragsrecht nicht fertigstellen können, da er 1954 als Richter an den Internationalen Gerichtshof berufen wurde und aus der ILC ausschied. Die Berichte seines Nachfolgers Fitzmaurice unterscheiden sich von denen Lauterpachts grundlegend: Sie waren nicht als Konventionsentwürfe gedacht, sondern das gesamte Vertragsrecht war in einem kommentierten Kodex niedergelegt, der von den Staaten nicht hätte in Vertragsform angenommen werden müssen. Von einem ausführlichen Kodex versprach sich die ILC mehr Nutzen, da sie damals noch glaubte, ihre Entwürfe würden infolge geringer Beachtung kaum zu Konventionen führen20 • Zur Frage der Gültigkeit aufgezwungener Verträge nimmt Fitzmaurice eine völlig entgegengesetzte Stellung ein. In Art. l4 Abs. 4 seines dritten Berichts heißt es21 : Duress for the purposes of the present article means duress addressed to the persons concerned, as individuals, or as members of the negotiating, ratifying or acceding body or organ, and directed to securing the act of participation. Duress is not constituted by the threat of the consequences that will or may ensue for the State of which those persons are nationals, in the event of their non-compliance (or for themselves as nationals of that State), nor by their fear of such consequences, nor by. the existence of any indirect threat to themselves or their relatives or dependents that may arise from the possibility of such consequences. Diese Vorschrift ist also wiederum beschränkt auf Zwang, der gegenüber den Unterhändlern angewandt wird, auf Zwang also, der bereits im traditionellen Völkerrecht als vertragsvernichtend angesehen wurde. Im Kommentar zu dieser Bestimmung2~ erläutert Fitzmaurice, weshalb er entgegen seinem Vorgänger Lauterpacht und einer stark vertretenen Meinung den gegenüber einem Staat als solchem ausgeübten Zwang nicht als Hindernis für die Gültigkeit des Vertrages ansieht. Seine Erwägungen betreffen vor allem die praktischen Schwierigkeiten: So meint er, daß der gleiche Zwang, der zum Abschluß des Vertrages führt, auch seine Durchführung sichern werde. Und wenn eines Tages die Umstände die Nichtanerkennung des Vertrages zulassen, sei er durchgeführt, und viele ausgeführte Schritte seien nicht mehr rückgängig zu machen - oder falls überhaupt reversibel, dann nur durch weitere Akte von Gewaltanwendung. 20 Siehe die Diskussionen in der 368. bis 370. Sitzung der ILC, Yearbook ILC 1956 Bd.l, S. 216 ff. und Schwelb, AVR Bd. 13 (1966), S. 1 ff. 21 A/CN. 4/115; Yearbook ILC 1958 Bd. 2, S. 26. 22 Besonderspara 62 und 63, Yearbook ILC 1958 Bd. 2, S. 38 f.

3. Entstehungsgeschichte des Art. 52 WVK

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Nach Fitzmaurice' Überzeugung ist der betreffende Gegenstand ferner Teil eines umfassenderen Problems: der Folgen unrechtmäßiger Gewaltanwendung. Aus diesem Grunde sei es weder nützlich noch wünschenswert, die Frage der Einwirkung von Gewalt auf die Gültigkeit von Verträgen für sich allein und ohne die damit zusammenhängenden Probleme zu behandeln. Mit diesen Überlegungen läßt er die Frage auf sich beruhen. 3.13 Der erste Entwurf von Waldock aus dem Jahre 1963

Auch Fitzmaurice war es nicht vergönnt, seinen Entwurf zum Vertragsrecht abzuschließen. Mit seiner Wahl zum Richter am Internationalen Gerichtshof verließ er 1960 die ILC. Der nachfolgende Berichterstatter Waldock - wie sämtliche Vorgänger wiederum aus Großbritannien -, der den Entwurf zum Vertragsrecht zu Ende führte, hat wiederum einen Konventionsentwurf vorgelegt. Zwar hatte die ILC noch 1959 in ihrem Bericht an die UNVollversammlung der Form eines Kodex den Vorzug gegeben, da das Völkervertragsrecht nicht seinerseits auf einem Vertrag beruhen könne und folglich Gewohnheitsrecht bleiben müsse23, doch empfahl sie 1961 ihrem Berichterstatter, einen Konventionsentwurf auszuarbeiten24 • Vor allem drei Überlegungen spielten dabei eine Rolle: Zunächst müßten die Beziehungen zu den vielen in dieser Zeit neu entstandenen Staaten auf eine sichere Grundlage gestellt werden; ferner könnten die neuen Staaten bei Abschluß einer Konvention an der Ausgestaltung des Völkervertragsrechtes in weitem Rahmen mitarbeiten; letztlich hatte man auch Zweifel, ob der sehr perfektionistisch anmutende Entwurf von Fitzmaurice den praktischen Anforderungen wirklich gerecht würde25 • Waldock nahm in seinem zweiten Bericht26 die Frage der Anwendung oder Androhung von Zwang gegenüber dem Staat selbst wieder auf. Im Vergleich mit dem entsprechenden Vorschlag Lauterpachts zeichnet er sich nicht nur dadurch aus, daß er weitaus mehr ins Detail geht; gravierende Unterschiede bestehen auch bei den Voraussetzungen der Bestimmung und deren Folgen. Artikel 12 von Waldocks anfänglichem Entwurf lautet27 : Consent to a treaty procured by the illegal use or threat of force 1. lf a State is coerced into entering into a treaty through an act of force, or threat of force, employed against it in violation of the principles of the Charter of the United Nations, the State in questionshall be entitledSiehe Yearbook ILC 1959 Bd. 2, S. 91. Vgl. Yearbook ILC 1961 Bd. 2, S. 128. 25 Siehe dazu die Diskussionen auf der 620. und 621. Sitzung, Yearbook ILC 1961 Bd. 1, S. 247 ff. 20 A/CN. 4/156, Yearbook ILC 1963 Bd. 2, S. 36 ff. 23

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3.1 ILC: Entwürfe und Diskussionen

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(a) to declare that the coercion nullifies its consent to be bound by the treaty ab initio; or (b) to denounce the treaty, subject to the reservation of its rights with respect to any loss or darnage resulting to it from having been coerced into the t.reaty; or (c) to affirm the treaty, subject to the same reservation, provided always that no such affirmation shall be considered binding unless made after the coercion has ceased. 2. Paragraph 1 does not apply, however, where after the coercion has ceased the State has so conducted itself as to bring the case within the provisions of article 4 of this part28 •

3.131 Die Argumentation Waldocks für die Wiederaufnahme einer den Zwang gegen Staaten betreffenden Vorschrift Waldock setzt sich im Kommentar zu dieser Bestimmung ausführlich mit den pessimistischen Ausführungen seines Vorgängers Fitzmaurice auseinander29 und legt dar, weshalb er doch- ebenso wie Lauterpacht in seinem Entwurf 10 Jahre zuvor- eine den Zwang gegenüber Staaten betreffende Bestimmung aufgenommen hat. Er gibt zu, daß die praktischen Schwierigkeiten, die seinen Vorgänger bewogen, die Frage unbehandelt zu lassen, generell ein Hindernis für die Nichtanerkennung durch widerrechtlichen Zwang herbeigeführter Situationen bedeuten. - Die Existenz derartiger Schwierigkeiten sei nicht zu verkennen. Sie seien dennoch nicht von solcher Art, daß auf die Erwähnung eines Grundsatzes verzichtet werden könne, der sich von den Fundamentalbestimmungen der UN-Satzung herleite und dessen Einfluß auf die Gültigkeit von Verträgen nicht offengelassen werden könne. Wenn es auch manchmal nicht möglich sei, eine Situation wiederherzustellen, die vor einem widerrechtlich erzwungenen Vertragsabschluß bestanden hatte, und wenn auch gelegentlich der Zeitablauf eine solche Situation dauerhaft mache, so seien dies keine ausreichenden Argumente, die Ungültigkeit eines aufgezwungenen Vertrages nicht zu erklären und dem genötigten Staat seine gesetzmäßigen Rechte zu Yearbook ILC 1963 Bd. 2, S. 51. In Artikel4 hieß es (Yearbook ILC 1963 Bd. 2, S. 239): A right to avoid or denounce a treaty arising under any of the provisions of sections II and 111 of this part shall not be exercisable if, after becoming aware of the fact creating such right, the State concerned(a) shall have waived the right; (b) shall have accepted benefits or enforced obligations under the treaty; or (c) shall otherwise, by its own acts or omissions, hav e precluded itself from asserting, as against any other party or parties, that the treaty lacks essential validity or, as the case may be, that it is not still in force. 29 Besonders in para 4 des Kommentars, Yearbook ILC 1963 Bd. 2, S. 51 f. 27

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3. Entstehungsgeschichte des Art. 52 WVK

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versagen. Man könne nicht davon ausgehen, daß sich das Recht, sich von einem Vertrag zu befreien, nie verwirklichen lasse. Das Bestehen der Vereinten Nationen gebe eine gewisse Garantie dafür, daß sich dieses Recht als bedeutungsvoll erweise, sobald nachfolgende Ereignisse eine Gelegenheit für seine einwandfreie Ausübung gewährten. Es sei auch nicht zu befürchten, daß die Anerkennung dieses Ungültigkeitsgrundes die Sicherheit internationaler Verträge gefährde, wenn man den Gewaltbegriff tatsächlich auf die Anwendung und Androhung militärischen bzw. physischen Zwanges begrenze. Die Gefahr des Mißbrauchs sei in diesem Falle nicht größer als bei anderen Ungültigkeitsgründen wie etwa Täuschung oder Irrtum oder bei Aufhebungsgründen wie Vertragsbruch und grundlegende Veränderung der Umstände. Wenn allerdings der Gewaltbegriff auf andere Zwangsarten wie politischen und wirtschaftlichen Druck ausgedehnt würde, sei der Umgehung von Vertragsverpflichtungen Tür und Tor geöffnet. Diese Formen der Nötigung seien weitgehend undefinierbar. Darüber hinaus gehöre wirtschaftlicher und politischer Druck zum normalen Ablauf der Staatenbeziehungen, und bis heute verfüge das Völkerrecht nicht über die erforderlichen Kriterien, um zwischen erlaubtem und verbotenem Gebrauch dieser Druckmittel unterscheiden zu können30•

3.132 Unterschiede gegenüber dem Entwurf von Lauterpacht Auf den ersten Anschein ähneln sich die Entwürfe von Lauterpacht und Waldock. Beide gehen davon aus, daß Zwang gegenüber einem Staat beim Abschluß eines Vertrages dessen Wirksamkeit beeinflußt. Damit stehen sie im Gegensatz zu den Vorschlägen des zwischenzeitlich berufenen Berichterstatters Fitzmaurice. Beleuchtet man aber die Unterschiede beider Bestimmungen genauerund geht man den Voraussetzungen und Folgen im einzelnen nach, so erstaunt deren Verschiedenartigkeit. Der 10 Jahre vor Waldocks Entwurf erschienene Vorschlag von Lauterpacht sah zur Feststellung der Nichtigkeit eines aufgezwungenen Vertrages die Einschaltung des IGH vor und machte eine Berufung auf die Ungültigkeit des betreffenden Vertrages von einem dahingehenden Urteil abhängig. Die endgültige Entscheidung war somit letztlich dem IGH vorbehalten; dem betroffenen Staat stand lediglich das Recht zu, ein entsprechendes Verfahren einzuleiten. Im Gegensatz dazu legte Waldock in seiner Bestimmung die Entscheidung darüber, ob ein Vertrag in Kraft blieb oder aber zur Unwirk30

Siehe zu diesen Überlegungenparas 5 und 6 des Kommentars, Yearbook

ILC 1963 Bd. 2, S. 52.

3.1 ILC: Entwürfe und Diskussionen

57

samkeit verurteilt war, einzig und allein in die Hände des genötigten Staates, ohne daß es auf ein entsprechendes Verfahren vor einem internationalen Gericht oder sonst zuständigen Organ angekommen wäre. Dabei war eine dreifache Wahlmöglichkeit vorgesehen: Der gezwungene Staat konnte -

entweder seine Zustimmung zum Vertrag für von Anfang an nichtig erklären oder den Vertrag unter Vorbehalt seiner Rechte im Hinblick auf Schadensersatzansprüche kündigen oder aber am Vertrag festhalten.

-

Nach diesem eben erwähnten Unterschied scheint Waldocks Vorschrift dem genötigten Staat weit mehr Rechte einzuräumen als der Vorschlag Lauterpachts. Doch werden diese Vorzüge erheblich gemindert, wenn man sich eine weitere Verschiedenheit der Bestimmungen vor Augen führt. Bei Lauterpachts Entwurf konnte nicht nur der gezwungene Staat vor dem IGH ein Verfahren zur Feststellung der Nichtigkeit einleiten, sondern jeder andere Staat war dazu gleichfalls in der Lage - sogar gegen den Willen des Betroffenen. Waldocks Vorschlag jedoch gab nur dem genötigten Staat die Möglichkeit, auf die Gültigkeit des Vertrages einzuwirken. Dies aber bedeutete, daß die Wirksamkeit eines auferlegten Vertrages solange nicht angegriffen werden konnte, als der betroffene Staat seinerseits nicht gewillt war, die erforderlichen Schritte zu unternehmen. Damit war nun die Situation geschaffen, daß die Berufung auf die Nichtigkeit wiederum abhängig war von den jeweiligen politischen Machtverhältnissen: Ein Staat würde kaum die nötige Initiative ergriffen haben, wenn er mit weiteren Pressionen hätte rechnen müssen; erst eine Veränderung der Machtverhältnisse zu seinen Gunsten hätte den Betroffenen in die Lage versetzt, sich ohne Furcht und Risiko gegen seine Vertragsverpflichtungen aufzulehnen. Ähnliche Erwägungen haben Stone11 zu der Bemerkung veranlaßt, Waldocks Entwurf ähnele zwar äußerlich dem Lauterpachts, komme in seinen tatsächlichen Auswirkungen jedoch dem Standpunkt von Fitzmaurice gleich und sei praktisch eine Bestätigung der im traditionellen Recht geltenden Regel- eingekleidet in eine oberflächliche neue Vertragsform. - Diese Äußerungen erscheinen jedoch zu pessimistisch, wenn man bedenkt, daß allein die Existenz einer solchen Vorschrift einiges Gewicht hat und deren Verabschiedung auf einer Staatenkonferenz als Vertragsrecht nicht ohne Wirkung auf die Entwicklung des Völkerrechts und der internationalen Politik bleibt. 31

Virginia Journal of Int. Law Bd. 8 (1967), S. 368.

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3. Entstehungsgeschichte des Art. 52 WVK

Trotz dieser nicht gerade ermutigenden Überlegungen bleibt festzuhalten, daß auch der erste Entwurf von Waldock der Tatsache Rechnung tragen wollte, daß die traditionelle Völkerrechtslehre, die - ausgehend von einem unbeschränkten Recht zum Kriege - dem Zw:mg beim Abschluß von Verträgen keinerlei rechtliche Bedeutung beimaß, keine Gültigkeit mehr beanspruchen könne, sondern daß vielmehr das umfassend geltende Gewaltverbot sich auf die Gültigkeit derartiger Verträge auswirke. 3.14 Die Umgestaltung von Waldocks Vorschlag in den Verhandlungen der ILC und der endgültige Entwurf aus dem Jahre 1966

Waldocks anfänglicher Vorschlag ist auf der 15. und 18. Sitzungsperiode der ILC in den Jahren 1963 und 1966 mehrfach umgestaltet worden. Die einzelnen Entwürfe unterscheiden sich zwar grundlegend von Waldocks erstem Vorschlag, sind untereinander jedoch so ähnlich, daß sie im Folgenden gemeinsam erörtert werden können.

3.141 Vereinfachung der Bestimmung: Nichtigkeit eines aufgenötigten Vertrages statt Anfechtbarkeit durch den betroffenen Staat Auf lebhaften Widerstand bei fast allen Mitgliedern der ILC stieß die von Waldock dem genötigten Staat eingeräumte dreifache Wahlmöglichkeit; es wurde als unzureichend angesehen, daß dadurch die Entscheidung über das weitere Schicksal des auferlegten Vertrages allein in die Hände des Betroffenen gelegt wurde. Waldock hatte seinen Lösungsvorschlag - Anfechtung des Vertrages unter Einhaltung bestimmter Verfahrensvorschriften- damit verteidigt, daß es zu gefährlich sei, in diesen Fällen eine automatische Nichtigkeit zu statuieren; denn dann könne ein einseitiges Berufen auf die Nichtigkeit des Vertrages die Stabilität vertraglicher Beziehungen untergraben und beim Fehlen eines internationalen Richters- dem persönlichen Urteil des angeblich gezwungenen Staates freie Bahn lassen32 • Die Kommission indes sprach sich dafür aus, es nicht dem betroffenen Staat zu überlassen, ob er die Gültigkeit des Vertrages anfechten wolle, sondern einen aufgenötigten Vertrag als von Anfang an nichtig zu betrachten33. 32 So Waldock in seiner Stellungnahme zu der (entsprechend formulierten) vorangehenden Vorschrift betreffend den persönlichen Zwang gegenüber einem Staatenvertreter; 681. Sitzung, para 59, Yearbook ILC 1963 Bd. 1, S. 51. 33 So hatte de Luna bereits auf der 681. Sitzung (para 72, Yearbook ILC 1963 Bd. 1, S . 52) eine Neuformulierung vorgeschlagen : "Any treaty concluded by force or by the threat of force in violation of the principles of the Charter

3.1 ILC: Entwürfe und Diskussionen

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Als Begründung für diese Forderung wurde immer wieder das Argument angeführt, daß eine Gewaltanwendung zwischen Staaten nicht als eine Angelegenheit betrachtet werden könne, die nur die gegenseitigen Beziehungen der Vertragsparteien betreffe. Vielmehr würden die Interessen der gesamten Völkergemeinschaft dadurch berührt. Zwar sollten die Folgen eines Irrtums beim Vertragsschluß von den Parteien selbst entschieden werden. In den Fällen aber, in denen Gewalt im Spiele sei, sollte jedem Staat das Recht zustehen, den Streit aufzugreifen - gleich ob er Vertragspartei sei oder nicht. Es handele sich hierbei um einen derart schweren Verstoß gegen bestehendes Völkerrecht, daß nicht lediglich Anfechtbarkeit die Folge sein könne34 . Das italienische ILCMitglied Ago wies zudem darauf hin, daß ein dem Zwang ausgesetzter Staat oft gar nicht in der Lage sein mag- zum Beispiel nach einem verlorenen Krieg-, Schritte gegen die Gültigkeit eines Vertrages zu unternehmen35. Demgegenüber warnte das israelische Mitglied die Kommission davor, den Rahmen ihres Arbeitsprogrammes zu sprengen und in ihrem Entwurf Fragen anzuschneiden, die über das völkerrechtliche Vertragsrecht hinausgingen - wie etwa Probleme der Staatenverantwortlichkeit und der friedlichen Erledigung von Streitigkeiten. Diese Gebiete seien zum Teil im VII. Kapitel der Satzung der Vereinten Nationen geregelt, und im Rahmen dieser Bestimmungen könne jeder Staat in geeigneten Fällen tätig werden36 • Kritisch gegenüber einer Nichtigkeit von Anfang an äußerte sich auch der Kanadier Cadieux37• Er legte dar, daß bisweilen ein längerer Zeitraum zwischen dem Abschluß eines Vertrages und der Berufung auf einen Ungültigkeitsgrund verstreichen könne. Unterdessen würden gutgläubig die Vertragsverpflichtungen erfüllt und damit de facto-Situatioof the United Nations is void ab initio"; weitergehend hatten sich einige Vertreter sogar für Nichtexistenz statt Nichtigkeit ausgesprochen, so: Tunkin (681. Sitzung, para 31, Yearbook ILC 1963, Bd. 1, S. 49) und Paredes (683. Sitzung, para 2, S. 60); dies wurde jedoch als zu scharf abgelehnt, vgl. die Stellungnahmen von de Luna (681. Sitzung, para 72, S. 52) und Bartos (682. Sitzung, para 8, S. 53). 34 So das russische ILC-Mitglied Tunkin in seiner Stellungnahme (681. Sitzung paras 29-31, Yearbook ILC 1963 Bd. 1, S. 48 f.). Ähnlich auch Yasseen (681. Sitzung, para 46, S. 50), de Luna (681. Sitzung, para 72, S. 52), Bartos (682. Sitzung, para 9, S. 53), Tabibi (682. Sitzung, para 68, S. 59), Paredes (683. Sitzung, para 2, S. 60) und Castren (683. Sitzung, para 8, S. 61). 35 682. Sitzung, para 38, Yearbook ILC 1963 Bd. 1, S. 56. 36 Rosenne, 681. Sitzung, para 34, Yearbook ILC 1963 Bd. 1, S. 49. 37 826. Sitzung, paras 4 und 24, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil 1, S. 25 f. (bei der Diskussion zum persönlichen Zwang gegenüber dem Unterhändler); auf der 827. Sitzung (para 39, S. 34) trat er dann allerdings auch für Nichtigkeit ein.

3. Entstehungsgeschichte des Art. 52 WVK

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nen geschaffen. In diesen Fällen sei es unklug, den Betroffenen nicht die Chance einzuräumen, ihre Situation sorgfältig zu überdenken, bevor die entsprechenden Schritte unternommen würden. Die Forderung, den Vertrag als nichtig anzusehen, mag manchmal unratsam sein, und es sei besser, es dem Staat zu überlassen, ob er den Vertrag vernichten oder einen anderen Ausgleich beanspruchen wolle. Cadieux räumte allerdings ein, daß die praktischen Unterschiede zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit nicht überschätzt werden dürften. Denn auch in den Fällen, in denen eine Bestimmung die Nichtigkeit vorsehe, würde diese doch nur dann zur Geltung kommen, wenn der verletzte Staat darlege, es sei Zwang angewendet worden. Dies aber würde der Betroffene nur dann tun, wenn seine Interessen dafür sprächen. Ähnlich argumentierte auch Briggs (USA) 38 : Ein Staat, der von Verpflichtungen befreit sein wolle, müsse einen entsprechenden Schritt unternehmen. Dies geschehe. nicht von selbst, und so sei auch in den Fällen einer absoluten Nichtigkeit ein Geltendmachen erforderlich. Die ILC entschied sich schließlich dafür, einen aufgezwungenen Vertrag als nichtig anzusehen- nicht als anfechtbar bzw. vernichtbar auf Ersuchen der verletzten Partei. Im Kommentar zu ihren Entwürfen faßt die ILC die Gründe für diesen Entschluß zusammen30 : Das in der Charta der Vereinten Nationen enthaltene Gewaltverbot sei eine Regel des internationalen Rechts, deren Beachtung eine Angelegenheit sei, die alle Parteien betreffe. Es mag zuweilen begreiflich sein, daß ein Staat nach Fortfall der Zwangssituation - den Wunsch habe, einen aufgenötigtenVertragtrotz allem anzuerkennen bzw. gelten zu lassen. Dennoch müsse solch ein Abkommen als nichtig von Anfang an betrachtet werden. Nur so habe der Partner die Möglichkeit, seine Entscheidung in voller Gleichberechtigung mit dem Gegner zu treffen. Würde danach der Vertrag als weiterhin in Kraft befindlich angesehen werden, so läge in Wahrheit ein Neuabschluß desselben Inhalts vor. Die umgestaltete Vorschrift wurde so einfach und bestimmt wie möglich formuliert und lautete zunächst: Coercion of a State by the threat or use of force

Any treaty the conclusion of which was procured by the threat or use of force in violation of the principles of the Charter of the United Nations shall bevoid40 • ss 826. Sitzung, para 72, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil1, S. 29. Para 6 des Kommentars zu Art. 36 (Entwurf 1963), Yearbook ILC 1963 Bd. 2, S.198 sowie para 6 des Kommentars zu Art. 49 (Entwurf 1966), Yearbook ILC 1966 Bd. 2, S. 247. 40 Artikel 36 des ILC-Entwurfes von 1963; A/CN. 4/163, Yearbook ILC 1963 Bd. 2, S.l97. 39

3.1 ILC: Entwürfe und Diskussionen

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Der Redaktionsausschuß hat den Text später geringfügig geändert41 • Die 1966 von der ILC verabschiedete Fassung hat den Wortlaut: A treaty is void if its conclusion has been procured by the threat or use of force in violation of the principles of the Charter of the United Nations42 •

3.142 Die Diskussion um ein Verfahren zur Feststellung der Ungültigkeit In engstem Zusammenhang mit der Frage, ob ein erzwungener Vertrag als nichtig oder anfechtbar anzusehen sei, stand das Problem, wie die Ungültigkeit nun eigentlich geltend zu machen sei. Besonders ILCMitglieder der westlichen Welt hatten die Einschaltung eines internationalen Gerichts gefordert, das auf Betreiben der betreffenden Parteien die Nichtigkeit sollte erklären können. Tsuruoka (Japan) nannte zwei Hauptgesichtspunkte, die für ein solches Verfahren sprächen43 : Einmal sei es äußerst schwierig, überhaupt eine rechtswidrige Gewaltanwendung festzustellen. Er erinnerte dabei an die langjährigen und bis heute nicht beendeten Diskussionen um eine Definition des Aggressionsbegriffes. - Zum anderen müsse nachgewiesen werden, daß die genötigte Partei ohne die bestehende Zwangssituation nicht zugestimmt haben würde.- Einen dritten Gesichtspunkt erwähnte Briggs": Beim Fehlen jeglicher unparteiischen Feststellung, ob eine Gewaltanwendung vorgelegen habe, sei die Stabilität der Vertragsbeziehungen gefährdet45 • Derartige Bestrebungen stießen auf schärfsten Widerstand von östlicher Seite. So erklärte Tunkin (UdSSR)48, es könne keine Rede davon sein, daß die Vorschrift bedeutungslos würde, wenn keine internationale Gerichtsbarkeit vorgesehen sei. Ein derartiger Einwand ließe sich auf das gesamte Völkerrecht beziehen. - Auch Art. 51 der UNO-Charta ließe ein einseitiges Handeln eines Staates zu und ermögliche sogar sehr 41 Der Vorschlag des Drafting Committee wurde von Waldock in der 840. Sitzung eingebracht, para 84, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil1, S. 119. 42 Art. 49 des endgültigen ILC-Entwurfes von 1966; A/CN. 4/190, Yearbook ILC 1966 Bd. 2, S. 246. 43 683. Sitzung, paras 10 - 12, Yearbook ILC 1963 Bd. 1, S. 61. 44 826. Sitzung, paras 74- 76, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teill, S. 30. 45 Um dies zu vermeiden, hatte Briggs vorgeschlagen, den Artikel wie folgt zu formulieren: "Any treaty the conculusion of which is found by an international judicial tribunal to have been procured by the threat or use of force in violation of the principles of the Charter of the United Nations shall be void." - Einen abgeschwächten Vorschlag hatte Paredes (Ekuador) unterbreitet (683. Sitzung, para 5, Yearbook ILC 1963 Bd. 1, S. 61): Im internationalen Recht gebe es keine Richter, denen ein Staat sich zu unterwerfen verpflichtet wäre. Statt dessen sollte die Möglichkeit vorgesehen werden, vor dem Sicherheitsrat zu erscheinen und dort die Nichtigkeit des Vertrages zu erklären. 48 682. Sitzung, paras 58 - 60, Yearbook ILC 1963 Bd. 1, S. 58.

3. Entstehungsgeschichte des Art. 52 WVK

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weitgehende Maßnahmen gegenüber einem bewaffneten Angriff. Er selbst glaube, daß die Behauptung, Völkerrecht könne ohne obligatorische Gerichtsbarkeit nicht bestehen, dessen Entwicklung mahr schaden als nützen könne. Um zwischen beiden Streitparteien zu vermitteln, wandte Waldock ein47, ein Staat, der einseitig die Nichtigkeit eines Vertrages erkläre, ohne zuvor die Angelegenheit den Vereinten Nationen vorzutragen, würde sich leicht dem Vorwurf aussetzen, er handele willkürlich. Rosenne48 wies auf die Schwierigkeiten hin, die Entscheidungen von internationalen Gremien mit sich brächten: Derartig hochpolitische Angelegenheiten ließen sich nicht einfach auf juristische Weise erledigen. Artikel 51 des Entwurfs49 , der für alle Ungültigkeitsgründe gelte und eine Notifizierung der Nichtigkeit gegenüber dem Partner verlange -mit anschließendem Vorgehen nach Art. 33 der Satzung der Vereinten Nationen - , sei sicher das optimal Erreichbare. Die ILC gab sich mit diesem Notifikationserfordernis zufrieden50 • Die genaue verfahrensmäßige Ausgestaltung der Bestimmung - wie ein Staat die Nichtigkeit eines Vertrages geltend machen kann - wird später zu erörtern sein51 •

3.143 Fragen der rückwirkenden Anwendung der Bestimmung In den dem UN-Generalsekretär zum ILC-Entwurf von 1963 übermittelten Staatenstellungnahmen52 ist von einigen Ländern des Problem der rückwirkenden Anwendung der Bestimmung angeschnitten wor683. Sitzung, para 16, Yearbook ILC 1963 Bd. 1, S. 61. 827. Sitzung, para 18, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil1, S. 32. 49 Gemeint ist der Entwurf von 1963; die entsprechenden Vorschriften im Entwurf 1966 und in der Konvention selbst sind die Artikel 62 bzw. 65. 50 Auf die Diskussionen zu den jeweiligen Verfahrensvorschriften kann hier nicht im einzelnen eingegangen werden. Siehe dazu Briggs, AJIL Bd. 61 (1967), S. 976 ff. Die Fundstellen der Verhandlungen sind bei Rosenne, The Law of Treaties, S. 334 ff. und Wetzel, Dokumentation zur Wiener Vertragsrechtskonvention- im Erscheinen begriffen- nachgewiesen. 51 Siehe Teil 3.3 der Arbeit. Es sei schon hier darauf hingewiesen, daß die verfahrensmäßige Ausgestaltung der Ungültigkeitsgründe des 5. Teils der Konvention auf der Wiener Konferenz 1968/69 die größten Schwierigkeiten bereitete und beinahe die Konferenz hätte scheitern lassen, vgl. Neuhold, AVR Bd. 15 (1971), S. 8 ff. und Verosta, ZaöRV Bd. 29 (1969), S. 699 ff. 52 A/CN. 4/175 and Addenda 1- 5; die Staatenstellungnahmen und Äußerungen im 6. (Rechts-)Ausschuß der UNO sind von Waldock in seinem 5. Report im Zusammenhang mit den jeweiligen Artikeln des Entwurfs aufbereitet worden (A/CN. 4/183 and Addenda 1-4, Yearbook ILC 1966 Bd. 2, S. 1 ff.); nach Staaten geordnet sind sie erneut wiedergegeben als Annex zum Bericht der ILC an die Generalversammlung 1966, A/CN. 4/190 und 191 = A/6309 rev. 1, Yearbook ILC 1966 Bd. 2, S . 279 ff. 47

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3.1 ILC: Entwürfe und Diskussionen

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den53• So fragten die Niederlande an, ob davon ausgegangen werden könne, daß die Grundsätze der UNO-Charta erst seit 1945 Geltung hätten54. Die USA forderten, der Bestimmung dürfe keine Rückwirkung für die Zeit vor 1945 zugestanden werden. Andernfalls würde die Gültigkeit vieler Friedensverträge in Frage gestellt55 • Deshalb dürfe die Vorschrift nur für Vertragsabschlüsse nach 1945 gelten oder aber erst mit Abschluß der Vertragsrechtskonvention anwendbar sein. -Auch Marokko hatte angeregt, weiter nachzuforschen, ob der in der Bestimmung niedergelegte Grundsatz ab 1945 oder erst nach Unterzeichnung der Konvention Geltung beanspruchen könne58 • In seinen Ausführungen zu diesen Stellungnahmen legte Waldock dar, daß es sich bei den Fragen der Rückwirkung um zwei voneinander zu unterscheidende Problemkreise handele. Der eine betreffe das, was gemeinhin unter dem Begriff intertemporales Recht verstanden werde. Nach allgemeiner Ansicht sei ein juristisch zu beurteilender Sachverhalt im Lichte des zu seiner Zeit geltenden Rechts zu würdigen57 • Es gelte deshalb das zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in Kraft befindliche Recht. Bereits ausgeführte Verpflichtungen würden folglich nicht durch nachträglich eintretende Rechtsänderungen ungültig. Dies gelte besonders im Hinblick auf Friedensverträge58 • Andererseits werde die Frage nach dem Entstehen des in der Bestimmung verkörperten Grundsatzes berührt. Waldock stellte fest, daß von keinem Staat angezweifelt worden war, der Grundsatz sei lex lata und es handele sich insofern um Kodifikation existierenden Rechts, nicht aber um Rechtsentwicklung 58• Folglich sei es unlogisch, wollte man die Bestimmung erst mit Abschluß der Konvention für anwendbar erklären. 53 Siehe dazu jetzt auch Rosenne, Cornell Int. Law Journal Bd. 4, S. 12 ff. und Briggs, RED! Bd. 21, S. 320 ff. 54 Yearbook ILC 1966 Bd. 2, S. 16 =Annex No. 17, S. 317. r.s Yearbook ILC 1966 Bd. 2, S . 16 = Annex No. 26, S. 354. 56 Yearbook ILC 1966 Bd. 2, S. 17. 57 Er verwies dabei auf die von Huber im Island-of-Palmas-Case (1928) zum Ausdruck gebrachte Ansicht; Reports of International Arbitral Awards, Bd. 2 (1949), S. 829, 845. 58 So Waldock, Yearbook ILC 1966 Bd. 2, S. 19 para 7 und 826. Sitzung, para 63, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil1, S. 29. 59 Dies ist insofern nicht ganz richtig, als zwar England, Brasilien und Guat emala den Inhalt des Artikels ausdrücklich für lex lata hielten, während jedoch Portugal den "neuen Charakter" der Bestimmung betonte und ihn für einen großen Fortschritt hielt; auch Uruguay sprach davon, es handele sich um die erste klare Stellungnahme in dieser Frage, vgl. Yearbook ILC 1966 Bd. 2, S. 16 - 18. Letztere Ansichten lassen eher auf einen Charakter de lege ferenda schließen. Untersucht man die später (1966) abgegebenen und in A/Conf. 39/5 Bd. 1 und 2 zusammengestellten Äußerungen, so ist auch dort das Bild nicht einheitlich: Zwar sprachen auch hier Polen (Bd. 1, S. 35 f.), China (Bd. 2, S. 272) und Zypern (Bd. 2, S. 273) von lex lata; Frankreich dagegen (Bd. 2, S. 251) und die Niederlande (Bd. 2, S. 239) betonten, es handele

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3. Entstehungsgeschichte des Art. 52 WVK

Der genaue Zeitpunkt, seit dem der Grundsatz gelte, möge zweifelhaft sein, doch stehe außer Frage, daß mit Inkrafttreten der UNO-Charta eine neue Ära begann60 • Die Kommission hat den Fragen der zeitlichen Anwendbarkeit der Vorschrift keine weitere Bedeutung geschenkt81 und im Kommentar zu ihrem Entwurf erklärt, es sei nicht ihre Aufgabe, einen genauen Zeitpunkt für das Entstehen dieses Grundsatzes festzusetzen. Auf jeden Fall sei die überwiegende Zahl der Völkerrechtsgelehrten der Ansicht, es handele sich beim Gewaltverbot des Art. 2 Abs. 4 der Satzung der Vereinten Nationen und vielen anderen Bestimmungen der Charta um modernes Völkergewohnheitsrecht (modern customary law); folglich sei der Grundsatz zumindest auf Vertragsabschlüsse nach 1945 anwendbar82.

3.144 Anwendbarkeit auf Nichtmitglieder der Vereinten Nationen Die für den zeitlichen Anwendungsbereich der Bestimmung wichtige Frage, ob es sich bei dem niedergelegten Grundsatz um ein Prinzip allgemein geltenden Völkerrechts handele, das in der Vorschrift lediglich kodifiziert werde, war auch für ein anderes von der ILC erörtertes Problem von entscheidender Bedeutung: Ob nämlich auch Nichtmitglieder der Vereinten Nationen durch die Vorschrift gebunden seien. Das Österreichische ILC-Mitglied Verdross warf die Frage auf83 und gab seiner Überzeugung Ausdruck, daß der Grundsatz bereits vor Schaffung der UN-Charta allgemein anerkannt war und folglich auch für Nichtmitglieder der Vereinten Nationen verbindlich sei. Um gleichwohl keinen Zweifel aufkommen zu lassen, daß es sich um ein Prinzip allgemein geltenden Völkerrechts handele, regte er an, den Text der Bestimmung klarer zu fassen84 • sich um Rechtsentwicklung, nicht um Kodifikation; ähnlich argumentierte Ungarn (Bd. 2, S. 278), das die Bestimmung für das wichtigste Element in der fortschreitenden Entwicklung des Völkerrechts hielt; Peru hat als einziger Staat ausdrücklich von "de lege ferenda" gesprochen (A/Conf. 39/6, S. 27), und die von der ILC in ihrem Kommentar gebrauchte Wendung, es handele sich um "modern customary law", als in sich widersprüchlich bezeichnet; wenn man auch den Grundsatz für die Zukunft akzeptieren könne, so sei es doch unmöglich, den seit Jahrhunderten bestehenden Einfluß von Gewalt auf die politische Geographie und andere Gegebenheiten zu verkennen. 80 So Waldock, Yearbook ILC 1966 Bd. 2, S. 20 para 7 und 826. Sitzung, para 64, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil1, S. 29. 61 Vgl. Castren (Finnland), 827. Sitzung, para 24, Yearbook ILC 1966 Bd.1 Teil1, S. 33. 02 Para 8 des Kommentars zu Art. 49, Yearbook ILC 1966 Bd. 2, S. 247. 83 682. Sitzung, paras 2 und 4, YearbQok ILC 1963 Bd. 1, S. 53. 84 Er schlug folgende Formulierung vor: " . . . in violation of an obligation inherent in the Charter or in any other international treaty."

3.1 ILC: Entwürfe und Diskussionen

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Dies wurde indes nicht für erforderlich gehalten, da die Grundsätze und Prinzipien der Charta, auf die sich der Wortlaut ausdrücklich beziehe, ohnehin Teil des allgemeinen Völkerrechts seien und kein Staat sich ihnen entziehen könne65. Im Kommentar nahm die ILC darauf Bezug und gab an, in den Text seien- um diese zu berücksichtigen- die "Grundsätze der Charta" aufgenommen worden; aus diesem Grunde wurde die Fassung "violation of the principles of the Charter" der Formulierung "violation of the Charter" vorgezogen6G.

3.145 Geltung der Vorschrift gegenüber Aggressoren Von besonderer politischer Bedeutung in den Beratungen der ILC war die Frage, inwieweit mit Aggressoren abgeschlossene Friedensverträge dem behandelten Grundsatz unterliegen. Schon gleich zu Beginn der Verhandlungen hatten verschiedene Mitglieder darauf hingewiesen, daß Waffenstillstandsabkommen und Friedensverträge dann eine Ausnahme zu der betreffenden Norm darstellten, wenn sie mit einem Aggressor abgeschlossen würden67 • Dies sei zulässig in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Charta, insbesondere nach dem Prinzip der Staatenverantwortlichkeit. So sei die Gültigkeit der Friedensverträge von 1947 und 1951 sowie der Verträge der Alliierten betreffend Deutschland nicht anzuzweifeln68. Einschränkend wies jedoch Castren darauf hin, daß auch in diesen Fällen Grenzen bestünden. So könne wohl eine faire und gerechte Wiedergutmachung beansprucht werden, doch ginge es nicht an, 65 So Castren, 683. Sitzung, para 7, Yearbook ILC 1963 Bd. 1, S. 61; Waldock, 683. Sitzung, para 20, S. 62 und Ago, 827. Sitzung, para 41, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil 1, S. 34. Mit dieser Feststellung ist gleichzeitig impliziert, daß es sich um eine Norm zwingenden Charakters handelt (ius cogens), die von den Staaten nicht abdingbar ist: So ausdrücklich Verdross (681. Sitzung, para 43, Yearbook ILC 1963 Bd. 1, S. 50), Ago (682. Sitzung, para 38, S. 56) und der Spanier de Luna (682. Sitzung, para 81, S. 60). Selbst Waldock hatte dies auf der 826. Sitzung (para 64, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil1, S. 29) nebenbei anklingen lassen, und einige Staatenstellungnahmen hatten die Vorschrift ausdrücklich als ius cogens bezeichnet: namentlich Jugoslawien, Thailand, die UdSSR, Schweden (alle A/Conf. 39/5 Bd. 2, S. 253, 283, 285 und 316) sowie Peru (A/Conf. 39/6, s. 27). 66 Para 5 des Kommentars zu den Entwürfen 1963 und 1966, Yearbook ILC 1963 Bd. 2, S. 198 und 1966 Bd. 2, S. 247. 87 So insbesondere das nigerianische Mitglied Elias (681. Sitzung, para 25, Yearbook ILC 1963 Bd. 1, S. 48), Castren (681. Sitzung, para 27, S. 52 und 683. Sitzung, para 9, S. 61) und Tunkin (682. Sitzung, para 55, S. 57). Ahnlieh später auch Ago (827. Sitzung, para 42, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil 1, S. 34) und Waldock (827. Sitzung, para 60, S. 36). 68 Tunkin verwies besonders auf seine Abhandlung in Comunicazioni e Studi Bd. 11, Mailand 1963.

5 Brosche

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3. Entstehungsgeschichte des Art. 52 WVK

etwa das Territorium des Aggressors vollständig zu annektieren; auch der Verlust seiner politischen Unabhängigkeit würde zu weit führen89 • Tunkin löste später heftige Diskussionen aus, als auf der 827. Sitzung70 erklärte, einige westdeutsche Autoren würden die Norm gebrauchen, um die Handlungen eines Aggressorstaates zu verteidigen und sich den aus dem zweiten Weltkrieg entsprungenen Verpflichtungen zu entziehen. Deshalb forderte er, eine Ausnahmevorschrift in die Konvention aufzunehmen, die keine Zweifel im Hinblick auf solche Verträge aufkommen ließe und derartigen Bestrebungen vorbeuge. Demgegenüber betonte Jim€mez de Arechaga (Uruguay), es könne nicht Aufgabe der ILC sein, irgendwelche Akte im Zusammenhang mit dem zweiten Weltkrieg zu rechtfertigen71 • Der Redaktionsausschuß griff schließlich einen Vorschlag von Reuter72 über einen allgerneinen Vorbehalt auf und entwarf eine Bestimmung, wonach die Artikel der Konvention keiner Verpflichtung im Zusammenhang mit einem Vertrag entgegenstehen, die gegen einen Aggressor in Übereinstimmung mit der Charta im Hinblick auf seinen Angriff getroffen wurden73 • Diese Formel ist so allgernein gehalten, daß sich aus ihr nicht entnehmen läßt, unter welchen Voraussetzungen einem Angreiferstaat ein Vertrag aufgezwungen werden darf.

3.146 Erzwungene Teilnahme an bereits bestehenden Verträgen Die israelische Regierung hatte in ihrer Stellungnahme74 angeregt, der Vorschrift einen weiteren Absatz hinzuzufügen, um zu verdeutlichen, daß auch die erzwungene Teilnahme an einem bereits bestehenden Vertrage mit erfaßt werde. Waldock glaubte, daß solche Fälle in der Praxis wohl kaum vorkommen würden; dennoch griff er den Vorschlag auf und schlug in seinem 5. Bericht folgenden Wortlaut vor75 : Any treaty and any act expressing the consent of a State to be bound by a treaty which is procured by the threat or use of force in violation of the principles of the Charter of the United Nations shall be void. 69 681. Sitzung, para 77, Yearbook ILC 1963 Bd. 1, S. 52 und 683. Sitzung, para 9, S. 61. 70 Paras 31-32, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil1, S. 33. 71 853. Sitzung, para 5, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil 2, S. 64. 72 853. Sitzung, para 54, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil2, S. 68. 73 Die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift ist kurz aufgezeigt bei Rauschning, JIR Bd. 14 (1969), S. 343 f. Vgl. auch Bothe, ZaöRV Bd. 27 (1967), S. 567 ff. und Bindschedler, REDI Bd. 21 (1968), S. 309 ff. Zu Einzelheiten siehe Teil 5.35 der Arbeit. 74 Yearbook ILC 1966 Bd. 2, S. 16 = Annex No. 12, S. 296. 75 Yearbook ILC 1966 Bd. 2, S. 20, para 8.

3.1 ILC: Entwürfe und Diskussionen

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Er gab zu, daß bei einer freimütigen Interpretation der früheren Entwürfe dieser Fall mit erfaßt würde, doch hielt er die Textänderung für angebracht, um die Vorschrift völlig klar zu gestalten18• Bei den Beratungen fand die neue Formulierung lediglich die Unterstützung von Castr€m77 • Die anderen Mitglieder der ILC sprachen sich für die Beibehaltung der bisherigen Fassung aus und meinten, es genüge, wenn im Kommentar zu der Bestimmung kurz auf das Problem eingegangen werde78 • Das israelische ILC-Mitglied erklärte sich mit dieser Lösung einverstanden79, woraufhin Waldock seinen Änderungsvorschlag zurückzog80 und in den Kommentar eine entsprechende Passage hinsichtlich multilateraler Verträge aufnahm81•

3.147 Wirtschaftlicher und politischer Druck als Zwangsmittel Die wohl hitzigsten Diskussionen - nicht nur innerhalb der ILC, sondern auch später auf der Wiener Konferenz - entzündeten sich an der Frage nach dem Umfang des Gewaltbegriffes: Ob nämlich nicht nur physischer bzw. militärischer Zwang, sondern auch wirtschaftlicher und politischer Druck unter den Gewaltbegriff zu fassen seien82 • Paredes83 hatte darauf hingewiesen, daß neben militärischem Zwang andere Formen der Gewaltanwendung ebenso schwerwiegende Folgen haben könnten. So seien etwa Wirtschaftsblockaden dazu geeignet, ganze Nationen auszuhungern; auch diplomatischer Druck werde oft benutzt, um das Verhalten eines Staates zu beeinflussen.- Bartos nannte historische Beispiele, von denen sein eigenes Land betroffen gewesen war84 • Vgl. 826. Sitzung, para 70, Yearbook ILC 1966 Bd. l Teill, S. 29. 827. Sitzung, para 22, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teill, S. 33. 78 Elias, 826. Sitzung, para 77, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil 1, S. 30; auf der 827. Sitzung ebenso: de Luna (para 9, S. 31), Tunkin (para 36, S. 34), Ago (para 47, S. 35) und das algerische Mitglied Bedjaoui (para 51, S. 35). ·7 9 Rosenne, 827. Sitzung, para 53, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teill, S. 35. 80 827. Sitzung, para 58, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teill, S. 35. 8t Para 5 des Kommentars, Yearbook ILC 1966 Bd. 2, S. 247. Auf der Konferenz in Wien ist später noch darauf hingewiesen worden, daß in diesen Fällen nur die Zustimmung des gezwungenen Staates als ungültig zu betrachten sei, während der Vertrag für die übrigen Partner in Kraft bleibe, vgl. die Stellungnahme des britischen Delegierten Sinclair auf der 48. Sitzung des Committee of the Whole, United Nations Conference on the Law of Treaties, First Session, Official Records, S. 268, para 4. 82 Siehe dazu auch die kurzen Bemerkungen von Detter, ICLQ Bd. 15 (1966), s. 1084 f. ss 681. Sitzung, para 69, Yearbook ILC 1963 Bd. 1, S. 52 und 705. Sitzung, para 52, S. 213. 84 682. Sitzung, para 5, Yearbook ILC 1963 Bd. 1, S. 53: Österreich-Ungarn - einst die einzige Route für serbische Exporte in den Westen, damals der einzige Absatzmarkt für Landwirtschaftsprodukte - hatte die Durchfuhr 76

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3. Entstehungsgeschichte des Art. 52 WVK

Innerhalb der ILC war der eifrigste Verfechter eines weiten Gewaltbegriffes das irakisehe ILC-Mitglied Yasseen. Er gab seiner Überzeugung Ausdruck, gerade wirtschaftlicher und politischer Druck widersprächen den in der Satzung der Vereinten Nationen niedergelegten Grundsätzen der souveränen Gleichheit und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates. Wenn auch die Wendung "threat or use of force" sich an Art. 2 Abs. 4 der UNO-Charter anlehne - von dem gesagt werde, er meine nur militärische Gewalt - , so gebe es doch auch andere Grundsätze in der Satzung, wodurch Zwang in umfassender Weise verboten werde. Er nahm ferner Bezug auf die Konferenz der blockfreien Staaten 1964 in Kairo, deren Teilnehmer wirtschaftlichen und politischen Druck verurteilt hatten und ihre Ansicht bekundeten, der Gewaltbegriff des Art. 2 Abs. 4 der Satzung der Vereinten Nationen umfasse auch solche Zwangsmaßnahmen85 • Im Verlauf der Beratungen hat er nicht weniger als drei Neufassungsvorschläge unterbreitet88 , um einen weiten Gewaltbegriff in der Vorschrift zu verankern. Auch die Staatenstellungnahmen sprachen sich überwiegend für de n Einschluß wirtschaftlichen und politischen Drucks aus87 • Von den Gegnern eines weiten Gewaltbegriffes sind derartige Bestrebungen scharf bekämpft worden88 • Wenn auch die Anwendung wirtserbischen Viehs verboten und angedroht, Zollabgaben auf Export und Durchfuhr von Getreide zu erheben, um Serbien zu zwingen, seine Ansprüche auf Bosnien und Herzegowina aufzugeben, das Österreich-Ungarn annektieren wollte. 85 Vgl. Yasseen, 705. Sitzung, paras 35 und 45, Yearbook ILC 1963 Bd. 1, S. 212; 827. Sitzung, paras 12- 14 sowie 840. Sitzung, paras 85- 86 und 98, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil1, S. 32 und 119 f. aa Die Vorschläge hatten folgenden Wortlaut- in zeitlicher Reihenfolge-: Any treaty the conclusion of which was procured by the threat to commit an act contrary to international law or by the commission of such an act shall be void; A treaty is void if its conclusion has been procured by the coercion of a State by acts or threats in violation of the principles of the Charter of the United Nations; A treaty is void, if its conclusion has been procured by the coercion of a State by the threat or use of force or by any act or threat in violation of the principles of the Charter of the United Nations. 87 1963: Algerien, Ekuador, Ghana, Indonesien, Irak, Jugoslawien, Marokko, Philippinen, Polen, Tschechoslowakei, Venezuela, Weißrußland Yearbook ILC 1966 Bd. 2, S. 16 - 18; 1966: (jeweils A/Conf. 39/5 Bd. 1 und 2) Afghanistan (S. 269), Algerien (S. 269), Bolivien (S. 270), Irak (S. 279), Jugoslawien (S. 287), Libyen (S. 280), Mali (S. 280), Mongolei (S. 280), Philippinen (S. 281), Polen (S. 281), Rumänien (S. 282), Tschechoslowakei (S. 178 und 274), Tunesien (S. 283 f.), Weißrußland (8.14) ; ferner Ceylon (A/Conf. 39/6 Add. 1 S. 9) und das Asian-African Legal Consultative Committee auf seiner Konferenz Dezember 1967 in Neu Delhi (A/Conf. 39/7 S. 11). 88 Vgl. etwa Castren, 681. Sitzung, para 76, Yearbook ILC 1963 Bd.1, S. 52 und de Luna, 705. Sitzung, paras 38 und 39, S. 212; erstaunlicherweise hat

3.1 ILC: Entwürfe und Diskussionen

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schaftlieber und politischer Druckmittel zu verurteilen sei, so würde doch durch Einschluß dieser Zwangsarten in den Gewaltbegriff in den gegenwärtigen internationalen Beziehungen mehr Unsicherheit entstehen als beseitigt werden. Die Effektivität der Bestimmung würde verringert und die Umgehung von Vertragsverpflichtungen begünstigt. Für die Stabilität vertraglicher Beziehungen sei dies folglich ausgesprochen schädlich89 • Waldock versuchte, zwischen beiden Standpunkten zu vermitteln und hat in seinen Entwürfen den genauen Umfang der Bestimmung bewußt offengelassen, um den exakten Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 4 und der sonst relevanten Bestimmungen der Charta nicht festlegen zu müssen. Er verwies darauf, daß das Special Committee on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States90 mit der Präzisierung des Gewaltverbots betraut sei. Es hatte 1964 auf seiner Tagung in Mexiko City keine Einigung über eine Definition erzielen können, obwohl umfangreiche Untersuchungen zur Interpretation von Art. 2 Abs. 4 nach seinem Wortlaut und Zusammenhang mit anderen relevanten Bestimmungen, zur Gesetzgebungsgeschichte von Art. 2 Abs. 4 und zu den Entwicklungen seit Inkrafttreten der Charta sowie dem heutigen Bedürfnis der Staatengemeinschaft durchgeführt worden waren91 • Es sei unzweckmäßig, in den Arbeitsbereich dieses Komitees einzugreifen. Deshalb solle die flexible Formulierung "threat or use of force in violation of the principles of the Charter" beibehalten werden. Damit sei auch sichergestellt, daß jede allgemein anerkannte Neuinterpretation der Charta-Grundsätze sich automatisch auf den Anwendungsbereich der Bestimmung auswirke und so durch den Text keinerlei Entwicklung in der Praxis der Vereinten Nationen ausgeschlossen werde92 • Dem stimmten die Mitglieder der Kommission weitgehend zu93 • Nur Reuterund Briggs waren der Ansicht94 , die Beratungen hätten gezeigt, auch ein Mitglied der dritten Welt, E~ias (Nigeria), die Ansicht vertreten, bei Wirtschafts- und Finanzverträgen dürfe die Einrede, ein Staat habe sie unter dem Druck der Notwendigkeit geschlossen, nicht zugelassen werden, vgl. 681. Sitzung, para 25, S. 48. 89 So die Argumentation in den Staatenstellungnahmen, die sich negativ zu einem weiten Gewaltbegriff äußerten: Niederlande, England und USA in Yearbook ILC 1966 Bd. 2, S. 16; Australien und USA in A/Conf. 39/5 Bd. 1 und 2, S. 172 bzw. 286. no Von der Generalversammlung 1963 durch die Resolution 1966 (XVIII) ins Leben gerufen. nt Vgl. Houben, AJIL Bd. 61 (1967), S. 703 ff., neuerdings auch Rosenstock, AJIL Bd. 65 (1971), S. 717 ff.; fernerUN Doc. A/5746 para 47. 92 So Waldock, 826. Sitzung, para 62, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil1, S. 29 und Yearbook ILC 1966 Bd. 2, paras 2- 5, S. 18 f. 93 Auf der 827. Sitzung, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil 1: Rosenne (para 16, S. 32), Cadieux (para 38, S. 34), Castren (para 23, S. 33), Verdross (para 26,

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3. Entstehungsgeschichte des Art. 52 WVK

daß sich die ILC-Mitglieder über die Bedeutung des Textes nicht einig seien. Briggs hat sich deshalb auch bei der Endabstimmung der Stimme enthalten. Der Kommentar zu der Bestimmung stellt schließlich fest, der präzise Umfang der von der Vorschrift umfaßten Handlungen solle durch die Praxis bestimmt werden - durch Interpretation der relevanten ChartaBestimmungen95. Bei der Endabstimmung in der ILC wurde der Text ohne Gegenstimme mit 15 Stimmen bei 1 Enthaltung angenommenvs.

3.2 Änderungsanträge und Beratungen auf der Wiener Konferenz in den Jahren 1968 und 1969 Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hatte in ihren Resolutionen 2166 (XXI) vom 5. Dezember 1966 und 2287 (XXII) vom 6. Dezember 1967 eine Konferenz zur Kodifikation des Völkervertragsrechts auf der Grundlage des von der ILC 1966 verabschiedeten Entwurfs einberufen. Auf Einladung der Österreichischen Regierung tagte diese Konferenz vom 26. März bis 24. Mai 1968 und vom 9. April bis 22. Mai 1969 in Wien97 • Weit über hundert Staaten- darunter auch Nichtmitglieder der Vereinten Nationen- sowie etliche Internationale Organisationen waren auf den beiden Sitzungsperioden durch ihre Delegierten repräsentiert98. Die Beratungen und Diskussionen zu Art. 52 der Konvention ( = Art. 49 des ILC-Entwurfs von 1966), von dem der Vertreter Ekuadors, Esudero, S. 33) und Ago (para 45, S. 35). Auch auf früheren Sitzungen war diese Formulierung unterstützt worden, vgl. Jimenez de Arechaga (682. Sitzung, para 71, Yearbook ILC 1963 Bd. 1, S. 59) und Tabibi (705. Sitzung, para 42, Yearbook ILC 1963 Bd. 1, S. 212). 94 840. Sitzung, paras 106- 108, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil1, S. 120. 95 Para 3 des Kommentars, Yearbook ILC 1963 Bd. 2, S.198 und 1966 Bd. 2, s. 246. 98 840. Sitzung, para 118, Yearbook ILC 1966 Bd.1 Teil1, S. 121. Die Schlußfassung ( = Art. 49 des endgültigen Entwurfs) ist angeführt am Ende von Teil 3.141 der Arbeit. 97 Die Literatur über den Konferenzverlauf und die Wiener Vertragsrechtkonvention ist nahezu unübersehbar, vgl. die Bibliographie bei Wetzel, Dokumentation zur Wiener Vertragsrechtskonvention. Hier seien nur genannt: Fischer!Köck, ÖJZ 1968, S. 505 ff. und österr. Z. f. Außenpolitik Bd. 9 (1969), S. 274 ff.; Neuhold, ÖZöR Bd. 19 (1969), S. 59 ff. und AVR Bd. 15 (1971), S.1 ff.; Verosta, ZaöRV Bd. 29 (1969), S. 645 ff.; Caicedo Castilla, RGDIP Bd. 73 (1969), S. 790 ff.; Kearney!Dalton, AJIL Bd. 64 (1970), S. 495 ff.; Nahlik, AFDI Bd. 15 (1969), S. 24 ff.; Sinclair, ICLQ Bd. 19 (1970), S. 47 ff.; Vallat, Yearbook of the A.A.A. Bd. 40 (1970), S. XI ff.; Ago, Recueil des Cours, Bd. 134 (1971, 3), S. 297 ff. und Fleischauer, JIR Bd. 15 (1971), S. 202 ff. 98 Sie sind aufgeführt in der Schlußakte A/Conf. 39/26, abgedruckt bei Verosta, ZaöRV Bd.19 (1969), S. 658 ff.

3.2 Wiener Konferenz: Änderungsanträge und Beratungen

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auf der 18. Sitzung des Plenums sagte, keine andere Bestimmung sei so wichtig für die Zukunft der Menschheit99 , verliefen im Gegensatz zur Behandlung der meisten anderen Vorschriften manchmal recht hitzig. 3.21 Das 19-Staaten-Amendment zum Umfang des Gewaltbegriffs sowie diesbezügliclle Deklaration und Resolution

Der Umfang des Gewaltbegriffs, dessen genauer Präzisierung die ILC ausgewichen war und dessen strikte Festlegung sie durch die gewählte flexible Formulierung geglaubt hatte umgehen zu können, gab gleich zu Beginn der Debatten erneut Anlaß zu heftigen Auseinandersetzungen1oo. 19 Staaten- mit Ausnahme Jugoslawiens afrikanische, asiatische oder lateinamerikanische - forderten in einem Amendment, die in Art. 52101 verbotene Gewalt solle ausdrücklich auch wirtschaftlichen und politischen Druck umfassen. Deshalb beantragten sie, nach "force" die Worte "including economic or political pressure" einzufügen102. Von den Befürwortern dieses Antrags wurde vorgebracht, Anwendung von Waffengewalt, um einen Vertragsabschluß zu erzwingen, sei heutzutage ohnehin unwahrscheinlich- wegen des damit verbundenen Risikos, daß sich der Konflikt zu einem Weltkrieg ausweite. Statt dessen werden von mächtigen Staaten wirtschaftliche und politische Druckmittel eingesetzt, um schwachen Staaten ihren Willen aufzuzwingen103. Gegenüber den Entwicklungsländern, die wegen ihrer Monokulturen und ihres Exports, der oft ausschließlich aus einem Produkt bestehe, besonders verwundbar seien, erwiesen sich die subtilen Waffen des Neo99 United Nations Conference on the Law of Treaties, Second Session 1969, Official Records- im folgenden zitiert als OR l i - S. 268, para 4. 100 Vgl. dazu jetzt auch Murphy, Virginia Journal of Int. Law Bd. 11 (1970), S. 57 ff. und Nahlik, AJIL Bd. 65 (1971), S. 744 sowie Partridge, The International Lawyer Bd. 5 (1971), S. 755 ff. 101 Bis kurz vor Abschluß der Konferenz trug er die Nummer 49 - wie er von der ILC in ihrem Entwurf verabschiedet worden war. Wenn deshalb zukünftig von Art. 52 gesprochen wird, so ist damit der ursprüngliche Art. 49 gemeint. 102 A/Conf. 39/C. 1/L. 67/Rev. 1/Corr. 1, angeführt in United Nations Conference on the Law of Treaties, Official Records, Documents of the Conference - im folgenden zitiert als OR Doc. -, S. 172, para 449 (a). Ursprünglicher Sponsor war Afghanistan; Co-Sponsoren: Algerien, Bolivien, Ekuador, Ghana, Guinea, Indien, Iran, Jugoslawien, Kenia, Kongo (Brazzaville), Kuweit, Mali, Pakistan, Sambia, Sierra Leone, Syrien, Tansania und Vereinigte Arabische Republik. toa So Bishota (Tansania), 48. Sitzung des Committee of the Whole (= CoW), para 33, United Nations Conference on the Law of Treaties, First Session 1968, Official Records - im folgenden zitiert als OR I -, S. 270. Als Beispiele nannte er besonders den Widerruf versprochener Wirtschaftshilfe sowie den Rückruf von Wirtschaftsexperten.

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3. Entstehungsgeschichte des Art. 52 WVK

kolonialismus oft als effektiver denn militärischer Zwang104 • Zur Unterstützung verwies der Vertreter Afghanistans, Tabibi, in seiner Begründung zu diesem Antrag auf regionale Vertragsnormen im lateinamerikanischen Bereich105, auf die von den blockfreien Staaten während ihrer Gipfelkonferenzen in Belgrad (1961) und Kairo (1964) verabschiedeten Deklarationen sowie auf die Verurteilung jeglicher Form von Zwang beim Dreier-Treffen zwischen Tito, Nasser und Indira Ghandi 1966 in Neu DelhP05 • Es wurden ferner verschiedene Resolutionen der Generalversammlung angeführt, die wirtschaftlichen und politischen Druck für verboten erklären107• Schließlich wurde versucht, das Gewaltverbot des Art. 2 Abs. 4 UNO-Charta durch Interpretation im Sinne des 19-StaatenAntrags auszulegen: Der ukrainische Delegierte Korschak berief sich auf Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen, der die Selbstverteidigung nur gegenüber Angriffen mit Waffengewalt zuläßt, während aus der Nichterwähnung militärischen Zwanges in Art. 2 Abs. 4 a contrario zu schließen sei, daß hier ein weiterer Gewaltbegriff gemeint seP08 • Tabibi erklärte zudem, daß die UNO-Charta im Gegensatz zur Völkerbundsatzung die Rolle des wirtschaftlichen Zwanges im Zusammenleben der Völker anerkenne: Er zitierte die Präambel, Art.l Abs. 3, die nichtmilitärischen Sanktionen nach Art. 41 sowie die Kapitel IX und X der Charta, in denen die Bedeutung wirtschaftlicher Faktoren allgemein anerkannt werde109• Alcivar-Castillo (Ekuador) schließlich erklärte, wenn auch auf der Konferenz von San Franzisko Art. 2 Abs. 4 bewußt auf militärischen Zwang beschränkt worden sei, so stelle die Satzung der Vereinten Nationen doch kein historisches Monument dar, sondern sei ein lebendiges Instrument, das sich durch die dynamische Entwicklung einer fortschreitenden Völkergemeinschaft weiterbilde110• 104 EL Dessouki (VAR) und Haddad (Algerien), 49. Sitzung CoW, paras 8 und 27, OR I, S. 274 und 276. 105 48. Sitzung CoW, para 24, OR I, S. 270 ; er nannte insbesondere Art. 15 und 16 der OAS-Charta von 1948, wonach die Anwendung jeglicher Form von Gewalt verboten ist. AZcivar-Castillo (Ekuador; 48. Sitzung CoW, paras 58- 60, OR I, S. 273) gab einen ausführlichen Überblick zur Entwicklung im lateinamerikanischen Bereich. 106 So auch Jogota (Indien; 48. Sitzung CoW, para 30, OR I, S. 270), Nachebe (Syrien; 49. Sitzung CoW, para 12, OR I, S. 288) und ChZestov (51. Sitzung CoW, para 12, OR I, S. 288). 107 So die Resolutionen 1803 (XVII), 2131 (XX) und 2160 (XXI), vgl. Jogota, 48. Sitzung CoW, para 28, OR I, S. 270. 108 50. Sitzung CoW, para 2, OR I, S. 280; ebenso Haraszti (Ungarn), 50. Sitzung CoW, para 24, OR I, S. 282. 1 09 48. Sitzung CoW, para 22, OR I, S. 269 und 51. Sitzung CoW, paras 58 bis 60, S. 293. 110 48. Sitzung CoW, para 63, OR I, S. 273; außer von den Co-Sponsoren und den bereits erwähnten Delegationen wurde der Antrag auch von zahlreichen anderen Staatenvertretern unterstützt: AZ Rawi (Irak; 48. Sitzung

3.2 Wiener Konferenz: Änderungsanträge und Beratungen

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Die Gegner des 19-Staaten-Antrags hielten wirtschaftliche und politische Zwangsmittel zwar ebenfalls für verwerflich, doch glaubten sie, das Prinzip pacta sunt servanda und die Rechtssicherheit würden durch den Antrag gefährdet111 • Das Amendment sei viel zu unbestimmt112 und würde damit nur Unsicherheiten schaffen und die Umgehung von Vertragsverpflichtungen begünstigen113• Ebenso wie die Befürworter des Amendments berief sich die Gegenseite auf Art. 2 Abs. 4 der Charta. Der britische Delegierte Sindair interpretierte das Gewaltverbot im Zusammenhang mit Abs. 7 der Präambel: Einer der dort genannten Grundsätze sei das Gewaltverbot, deshalb meine Art. 2 Abs. 4 ebenfalls nur militärischen Zwang. Es komme hinzu, daß die Folgen einer Verletzung dieses Grundsatzes in den Kapiteln VI und VII UNO-Charta geregelt seiendort sei der Einsatz von Waffengewalt als letztes Mittel vorgesehen, um auf den Bruch von Art. 2 Abs. 4 zu antworten114 • Auch die Entstehungsgeschichte von Art. 2 Abs. 4 wurde herangezogen: In San Franzisco war 1945 ein brasilianischer Antrag auf Erwähnung wirtschaftlichen Druckes abgelehnt worden. Dies zeige, daß die Autoren der Charta sich weigerten, wirtschaftlichen Druck und militärische Gewalt gleichzusetzen115• Eine Ausdehnung des Gewaltverbots würde folglich eine Satzungsänderung bedeuten. Dazu aber seien die Konferenzteilnehmer nicht befugt116 • Der chilenische Vertreter Vargas argumentierte mit einer Bestimmung aus der Vertragsrechtskonvention selbst: Der Abbruch diplomatischer Beziehungen sei sicher als politisches Druckmittel anzusehen; Art. 63 ( = Art. 60 des ILC-Entwurfes von 1966) stelle aber ausdrücklich fest, daß CoW, para 54, OR I, S. 272), Kaschbat (Mongolei; 49. Sitzung, para 41, S. 277), Soulescu (Rumänien; 50. Sitzung, para 40, S . 284), Hu (China; 48. Sitzung, para 49, S. 272), Alvarez Tabio (Kuba; 49. Sitzung, para 14, S. 275), Jacovides

(Zypern; 49. Sitzung, para 62, S . 279), Osiecki (Polen; 50. Sitzung, para 13, S. 281), Laurens (lndonesien; 50. Sitzung, para 42, S. 285), Pinto (Ceylon: 50. Sitzung, para 57, S. 286), Martyanov (Weißrußland; 50. Sitzung, para 67, S. 287) und Mendoza (Philippinen; 50. Sitzung, para 68, S. 287). 111 So insbesondere Riphagen (Niederlande; 49. Sitzung CoW, para 21, OR I, S. 275), Crucho de Almeida (Portugal; 49. Sitzung, para 46, S. 278) und de Bresson (Frankreich ; 50. Sitzung, para 55, S. 286). 112 Fujisaki (Japan; 48. Sitzung, para 47, S. 272) und Jimenez de Arechaga (Uruguay; 49. Sitzung, para 35, S . 277). 113 De la Guardia (Argentinien ; 49. Sitzung, para 68, S. 280) und Devadder (Belgien; 50. Sitzung, para 70, S . 287). 114 50. Sitzung CoW, paras 28- 29, OR I, S. 283. 115 So Harry (Australien; 50. Sitzung CoW, para 16, OR I, S. 282). Die Gegenseite hatte umgekehrt argumentiert: der Antrag sei als überflüssig abgelehnt worden, weil das Gewaltverbot ohnehin wirtschaftlichen Druck enthalte. 116 Ruegger (Schweiz; 51. Sitzung CoW, para 42, OR I, S. 291) und Small (Neuseeland; 51. Sitzung, para 25, S. 284).

3. Entstehungsgeschichte des Art. 52 WVK

74

die vertraglichen Beziehungen der betroffenen Staaten dadurch nicht beeinträchtigt würden117• Außerdem seien bei Annahme des Antrags negative Auswirkungen im Hinblick auf Investitionen in Entwicklungsländern zu befürchten; es sei riskant, in derartige Vertragsbeziehungen zu treten, weil durch die Gefahr einseitiger Vertragslösung Investitionen geringer und kostspieliger werden könnten118• Der Vertreter der USA, Kearney, wies zudem darauf hin, daß die Generalversammlung zwei Wochen nach Beginn der Konferenz in Wien in der Resolution 2327 (XXII) das Special Committee on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States gebeten habe, seine Arbeiten fortzusetzen und die Präzisierung des Gewaltverbots zu beenden. Daraus sei ersichtlich, daß die Konferenz nicht mit derartigen Aufgaben betraut sei; denn sonst würde in die Arbeit dieses Komitees eingegriffen119• Die Gegner des Amendments machten deutlich, daß es unklug sei, eine Mehrheitsentscheidung zu erzwingen, weil dies den Konferenzverlauf beeinträchtige und mancher Staat aus diesen Gründen die gesamte Konvention ablehnen könne. Sie gaben ihrer Hoffnung Ausdruck, daß die Befürworter nicht auf einer Abstimmung über den Antrag bestehen würden120 • Die niederländische Delegation bemühte sich um eine Vermittlung und schlug vor, außerhalb der Sitzungen über eine Lösung des Problems zu verhandeln121 • Nach langen Konsultationen verzichteten die Sponsoren des 19-Staaten-Antrags auf eine Kampfabstimmung. Statt dessen wurde eine "Deklaration über das Verbot militärischen, politischen und wirtschaftlichen Zwanges beim Abschluß von Verträgen" ausgehandelt, mit großer Mehrheit beschlossen und der Schlußakte einverleibtm. Sie lautet: 50. Sitzung CoW, para 48, OR I, S. 285. So Kearney (USA; 51. Sitzung CoW, para 51, OR I, S. 292); ähnlich auch bereits Jimenez de Arechaga (49. Sitzung, para 39, S. 277). 11 9 51. Sitzung CoW, paras 47 und 48, OR I, S. 292. 120 Blix (Schweden; 49. Sitzung CoW, para 56, OR I, S. 279), Wershot (Kanada; 50. Sitzung, para 9, S. 281), Sinclair (50. Sitzung, para 37, S. 284) und Kearney (51. Sitzung, para 49, S. 292). 121 Riphagen, 51. Sitzung CoW, para 63, OR I, S. 293; schon zuvor hatte Harry seine Bereitschaft zur Mitarbeit in einer Arbeitsgruppe erklärt, die mit der Formulierung einer Deklaration betraut werden sollte, 50. Sitzung, para 20, S. 282. 122 A/Conf. 39/C. 1/L. 323, von den Niederlanden auf der 57. Sitzung CoW (paras 2 und 3, OR I, S. 329) eingeführt und zunächst ohne formelle Abstimmung ohne Gegenstimme angenommen. Das Plenum verabschiedete die Deklaration ohne Gegenstimme mit 102 Stimmen bei 4 Enthaltungen (20. Sitzung, para 13, OR II, S.IOI); auf der 31. Sitzung wurde der Text nachträglich geringfügig geändert, vgl. OR Doc., S. 173 und 285. 117

118

3.2 Wiener Konferenz: Änderungsanträge und Beratungen

75

Declaration on the prohibition of military, political or economic coercion in the conclusion of treaties

The United Nations Conference on the Law of Treaties, Upholding the principle that every treaty in force is binding upon the parties to it and must be performed by them in good faith, Reaffirming the principle of sovereign equality of States, Convinced that States must have complete freedom in performing any act relating to the conclusion of a treaty, Deploring the fact, that in the past States have sometimes been forced to conclude treaties under pressure exerted in various forms by other States, Desiring to ensure that in the future no such pressure will be exerted in any form by any State in connection with the conclusion of a treaty, 1. Solemnly condemns the threat or use of pressure in any form, whether military, political, or economic, by any State in order to coerce another State to perform any act relating to the conclusion of a treaty in violation of the principles of the sovereign equality of States and freedom of consent,

2. Decides that the present Declaration shall form part of the Final Act of the Conference on the Law of Treaties. Zusätzlich wurde eine auf diese Deklaration bezügliche Resolution beschlossen, um sie einem möglichst großen Kreis zur Kenntnis zu bringen123: Resolution relating to the declaration on the prohibition of military, political or economic coercion in the conclusion of treaties

The United Nations Conference on the Law of Treaties, Having adopted the Declaration on the prohibition of military, political or economic coercion in the conclusion of treaties as part of the Final Act of the Conference, 1. Requests the Secretary-General of the United Nations to bring the Declaration to the attention of all Member States and other States participating in the Conference, andin the principal organs of the United Nations;

2. Requests Member States to give the Declaration the widest possible publicity and dissemination. 3.22 Forderungen nach einem Verfahren zur Feststellung der Ungültigkeit erzwungener Verträge Abgelehnt wurden während der Konferenz Anträge, in denen ein Verfahren zur Feststellung der Ungültigkeit eines angeblich erzwungenen Vertrages verlangt wurde. 123 A/Conf. 39/L. 32/Rev. 1, auf der 20. Sitzung des Plenums (para 13, OR II, S. 101) mit 99 Stimmen bei 4 Enthaltungen ohne Gegenstimme verabschiedet.

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3. Entstehungsgeschichte des Art. 52 WVK

Mehr technischer Natur waren die Amendments von Peru und Australien124: Beide wollten auf die trotz absoluter Nichtigkeit einzuhaltenden Verfahrensvorschriften hinweisen. Peru schlug folgenden Wortlaut für die Bestimmung vor: A treaty is void if it is established that its conclusion was procured by thc threat or use of force in violation of the relevant norms of the Charter of the United Nations. Alvarado begründete diese Fassung wie folgtm: Art. 52 mache nicht genügend klar, daß auch Fälle von ipso facto Ungültigkeit- wie ein Teil der Bestimmungen im 2. Abschnitt von Teil 5 der Konvention - dem in Art. 65 (=Art. 62 des ILC-Entwurfes von 1966) vorgesehenen Verfahren unterlägen. Um diese Verbindung zwischen Art. 52 und Art. 65 aufzuzeigen, sollten die Worte "it is established that" in den Text eingefügt werden. -Um außerdem die Vorschrift klarer und präziser zu fassen, sei der Begriff "principles" zu ersetzen durch "relevant norms". Ähnlich argumentierte der australische Delegierte Harry126• Allein die bloße Behauptung einer angeblichen Zwangslage führe nicht dazu, einen Vertrag als nichtig anzusehen. Der Ausdruck "void" sei deshalb mißverständlich und sollte besser durch den an mehreren Stellen im 5. Teil der Konvention gewählten Begriff "invalid" ersetzt werden. Beide Anträge fanden nur bei wenigen Delegationen Zustimmung127 • Die meisten Staaten sprachen sich dagegen aus oder hielten eine Änderung für überflüssig, weil man sich auf die Nichtigkeit ohnehin berufen müsse und dies natürlich in dem dafür vorgesehenen Verfahren zu geschehen habe128. Australien zog deshalb sein Amendment zurück129, der peruanisehe Antrag wurde vom Committee of the Whole abgelehnt130. Weitergehend forderten China (Taiwan) und Japan in ihren Amendments131, eine Verpflichtung aufzustellen, wonach die behauptete Verletzung einem kompetenten Organ der Vereinten Nationen zu melden sei. 124 A/Conf. 39/C. 1/L. 230 und A/Conf. 39/C. 1/L. 296, beide abgedruckt in OR Doc., S. 172, paras 449 (b) und (d). 12;;

48. Sitzung CoW, paras 35- 36, OR I, S. 27_1.

126 48. Sitzung CoW, paras 42-43, OR I, S. 271. 127 Vgl. Hu (48. Sitzung CoW, para 49, OR I, S. 272), Sindair (50. Sitzung, para 35, S. 284), Vargas (50. Sitzung, para 50, S. 285) und Maresca (Italien; 51. Sitzung, para 18, S. 289). 128 Vgl. etwa Blix, 49. Sitzung CoW, paras 58- 59, OR I, S. 279. 129 57. Sitzung CoW, para 23, OR I, S. 330. 1 ~ 0 57. Sitzung, para 14, OR I, S. 329 mit 36 Stimmen gegen 11 bei 40 Enthaltungen. 131 A/Conf. 39/C. 1/L. 301 und A/Conf. 39/C. 1/L. 298 and Add. 1, beide abgedruckt in OR Doc., S. 172, paras 449 (e) und (f). Bei Japan war die Republik Vietnam Co-Sponsor.

3.2 Wiener Konferenz: Änderungsanträge und Beratungen

77

China schlug vor, hinter "void" noch "ab initio" einzusetzen und einen Absatz 2 anzufügen: When a State is aware that it is under coercion, it should suspend the negotiation for the conclusion of the treaty and take the first opportunity to bring the case to the attention of the Security Council or the General Assembly of the United Nations, or any other competent organ of an international organization with a view to an early settlement of the case. Hu begründete diesen Antrag damit, daß Sinn der Konvention sei, die vertraglichen Beziehungen zwischen den Staaten zu festigen 132• Ein Übel sollte deshalb besser verhindert als geheilt werden, folglich sei eine Verweigerung des Vertragsschlusses einer späteren Vertragsbeendigung vorzuziehen. Wenn auch für schwache Staaten eine derartige Weigerung schwer sein mag, so würde dies doch dadurch erleichtert, daß man sich an das kompetente Organ der UNO wenden könne. Ähnlich war Japans Vorschlag gedacht, die Bestimmung wie folgt zu ergänzen: ..., provided that such threat or use of force had been duly reported to a competent organ of the United Nations and that it had failed to take necessary actions in order to remove such threat or use of force. Fujisaki erläuterte diese Forderung damit, es sei einem unter Zwangseinwirkungen stehenden Opfer zuzumuten, das seine zu tun, um im eigenen und dem Interesse der Völkergemeinschaft die Begehung eines internationalen Verbrechens zu verhindern, bevor man ihm zugestehe, einen Vertrag für nichtig zu erklären133• Es sei schwer vorstellbar, daß etwa ein Aggressor einfach einen Vertragsschluß erzwingen könne, ohne daß etwas geschehe, bis das Opfer die Nichtigkeit erkläre. In diesen Fällen dürfe die Rolle der Vereinten Nationen nicht unterschätzt werden. Auch diese beiden Amendments sind nur geringfügig unterstützt worden134. Überwiegend haben sich die Delegationen dagegen ausgesprochen, so daß beide Anträge bei der Abstimmung nicht die erforderliche Mehrheit erreichten135•

132 48. Sitzung CoW, para 51, OR I, S. 272. 133 48. Sitzung CoW, para 46, OR I, S. 272; schon in einer früheren Stellungnahme (A/Conf. 39/5, Bd. 1, S. 29 f.) hatte Japan darauf hingewiesen, daß es eine Lösung von Konflikten über Art. 33 der Satzung der Vereinten Nationen für unzureichend halte. 134 Vgl. Blix (49. Sitzung CoW, para 55, OR I, S. 279), Sinclair (50. Sitzung, para 35, S. 281) und SmaH (51. Sitzung, para 27, S. 290). 135 57. Sitzung CoW, paras 6 und 7, OR I, S. 329: Antrag Chinas: Abs. 1 abgelehnt mit 36: 8: 28 Stimmen, Abs. 2 mit 44: 2: 29; Antrag Japans: abgelehnt mit 55 : 2 : 27 Stimmen.

78

3. Entstehungsgeschichte des Art. 52 WVK

3.23 Der 14-Staaten-Antrag zur Präzisierung des Zeitpunkts, von dem an das Gewaltverbot als Norm des allgemeinen Völkerrechts gilt

Die ILC hatte sich hinsichtlich der Frage, von welchem Zeitpunkt an das Gewaltverbot als eine Norm des allgemeinen Völkerrechts gilt, nicht über das lnkrafttreten der UNO-Charta hinaus festlegen wollen. In Wien verlangten nun 14 Staaten, Art. 52 durch den Zusatz zu präzisieren, die Androhung oder Anwendung von Gewalt verletze die "in der Satzung der Vereinten Nationen niedergelegten Grundsätze des Völkerrechts" 136• Dies sollte zum Ausdruck bringen, daß das Gewaltverbot bereits als lex lata in die Charta aufgenommen wurde und sich bis zum Briand-KelloggPakt und der Völkerbundsatzung zurückverfolgen ließe. Der tschechische Delegierte SmejkaP37 nannte in der Begründung zu diesem Antrag zwei Hauptgesichtspunkte: Einmal solle dadurch sichergestellt werden, daß die Bestimmung auch auf weiter zurückliegende Verträge anwendbar sei. Zum anderen werde so ersichtlich, daß die Vorschrift nicht auf Mitglieder der Vereinten Nationen beschränkt seP38• Die Frage der Nichtmitgliedstaaten ist ferner ausführlich vom Schweizer Delegationsleiter Ruegger angeschnitten worden131• Dieser Antrag fand im Committee of the Whole weitgehende Unterstützung, wobei die gleichen Argumente fielen, die in der ILC genannt worden waren, um den lex lata-Charakter der Bestimmung zu begründen. Nur wenige Staaten äußerten sich negativ, weil sich auch aus dieser Fassung nicht präzise entnehmen lasse, ab wann denn nun das Gewaltverbot gelte140• Da dies mit ziemlicher Sicherheit erst seit dem 24. Oktober 1945 - dem Inkrafttreten der UNO-Charta der Fall sei, sollte ent138 A/Conf. 39/C. 1/L. 289 and Add.1, abgedruckt in OR Doc., S. 172, para 449 (c). Sponsoren: Bulgarien, Ceylon, Ekuador, Finnland, Griechenland, Guatemala, Kongo (Kinshasa), Kuba, Kuweit, Mexiko, Spanien, Tschechoslowakei, Ukraine, Zypern. 137 48. Sitzung CoW, paras 39-41, OR I, S. 271; bereits in ihrer Note Verbale vom 15. 8. 1967 (A/6827, S . 13) hatte die CSSR eine ähnliche Formulierung vorgeschlagen: " ... in violation of the principles of international law formulated in the Charter of the United Nations", vgl. A /Conf. 39/5, Bd. 2, S . 274. 138 Es ist politisch interessant, daß gerade die CSSR diesen Antrag begründete: Beide Gesichtspunkte sind im Hinblick auf das Münchener Abkommen bedeutsam; es ist vor 1945 geschlossen, und Deutschland ist gegenwärtig noch nicht Mitglied der Vereinten Nationen. Wohl darauf anspielend meinte der französische Delegierte de Bresson, als er seine Stimmenthaltung bei der Abstimmung über den Antrag begründete: diese Frage sei vielleicht mehr für die tschechische Delegation von Bedeutung (57. Sitzung CoW, para 9, OR I, S. 329). 139 51. Sitzung CoW, para 40, OR I, S. 291. Er schlug folgende Fassung vor: " .. . in violation of rules of international law generally recognized as such and embodied in the Charter of the United Nations." 140 Sinclair, 50. Sitzung CoW, para 34, OR I, S. 284.

3.3 Anhang: Verfahrensmäßige Ausgestaltung

79

weder dieses Datum genannt werden oder aber die Bestimmung erst nach Abschluß der Konvention anwendbar sein141 • In der von Zypern geforderten namentlichen Abstimmung wurde dieses Amendment von Committee of the Whole angenommen142 • 3.24 Die Abstimmung über Art. 52 WVK und die endgültige Fassung

Die endgültige Fassung des Art. 52 wurde auf der 19. Sitzung des Plenums ohne Gegenstimme bei 5 Enthaltungen verabschiedet143 • Der englische Text lautet: Coercion of a State by the threat or use of force

A treaty is void if its conclusion has been procured by the threat or use of force in violation of the principles of international law embodied in the Charter of the United Nations. Die französische und spanische Fassung lauten: Cantrainte exercee sur un Etatpar la menace ou l'emploi de la force

Est nul tout traite dont la conclusion a ete obtenue par la menace ou l'emploi de la force en violation des principes de droit international incorporee danslaCharte des Nations Unies. Coacci6n sobre un Estado por la amenaza o el uso de la fuerza

Es nulo todo tratado cuya celebraci6n se haya obtenido por la amenaza o el uso de la fuerza en violaci6n de los principios de derecho internacional incorporados en la Carta de las Naciones Unidastu.

3.3 Anhang: Die verfahrensmäßige Ausgestaltung des Art. 52 der Wiener Vertragsrechtskonvention Nach Art. 52 WVK ist ein Vertrag, der entgegen den dort angeführten Grundsätzen einem Staat aufgezwungen wird, nichtig. Es war dargelegt worden, daß damit nicht eine bloße Vernichtbarkeit durch den betroffenen Staat gemeint ist, sondern eine Nichtigkeit von Anfang an. 141 So Grucho de Almeida (49. Sitzung CoW, para 49, OR I, S. 278), Blix (49. Sitzung, para 53, S. 278), De la Guardia (49. Sitzung, para 70, S. 280), Harry (50. Sitzung, para 21, S. 282), Sinclair (50. Sitzung, para 34, S. 284), Vargas (50. Sitzung, para 49, S. 284), Maresca (51. Sitzung, para 17, S. 289) und Kearney (51. Sitzung, para 52, S. 293). 142 57. Sitzung, para 8, OR I, S. 329, mit 49: 10 Stimmen bei 33 Enthaltungen. 143 OR li. S. 93, para 1; es enthielten sich: Belgien, Großbritannien, die Schweiz, Tunesien und die Türkei - vornehmlich wegen der bis zu diesem Zeitpunkt noch ungelösten Frage einer obligatorischen Streiterledigung. Ghana und Marokko, die bei der Abstimmung nicht zugegen waren, stimmten später ebenfalls zu (23. Sitzung, para 1, OR II, S. 125 und 34. Sitzung, para 106, s. 197). 144 Vgl. OR Doc., S. 296 und Rosenne, The Law of Treaties, S. 287. Die deutsche Übersetzung befindet sich in der Einführung dieser Arbeit.

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3. Entstehungsgeschichte des Art. 52 WVK

Es stellt sich nunmehr die Frage, wie eine derartige Nichtigkeit des Vertrages geltend gemacht werden kann: ob- und wenn ja welcheVoraussetzungen erfüllt sein müssen, damit ein Staat sich auf die Ungültigkeit berufen kann. 3.31 Anwendbarkeit der Verfahrensvorschriften des 5. Teils der Konvention auf Art. 52

Der 5. Teil der Konvention, der die Ungültigkeit, Beendigung und Aussetzung von Verträgen behandelt, enthält in seinem 4. Abschnitt Regelungen über ein Verfahren, das bei der Ungültigkeit oder Beendigung eines Vertrages, beim Rücktritt von ihm oder bei der Aussetzung seiner Wirksamkeit einzuhalten ist. Bereits in der ILC war vertreten worden145, ein nichtiger Vertrag sei für die Parteien eben von vornherein nicht bindend, deshalb könnten die in dem Konventionsentwurf vorgesehenen Bestimmungen auch nicht von vertraglichen Bindungen befreien. Bei Annahme dieser Voraussetzung sei ein Vertrag unter den gegebenen Umständen gar kein Vertrag oder zumindest kein bindender Vertrag. Daraus wurde gefolgert, daß in den Fällen, in denen ein Vertrag ungültig sei, diese Ungültigkeit nicht auch noch geltend gemacht werden müsse: Es existiere gar kein Vertrag, und es gäbe auch keine Parteien, die daran gebunden seien. Auch außerhalb der ILC waren von den Kritikern des ILC-Entwurfes Zweifel angemeldet worden, ob die einschlägigen Verfahrensvorschriften wirklich auf die - damals als Art. 49 bezifferte - Vorschrift anwendbar seien. Es handelt sich hierbei vornehmlich um die Art. 39 und 62 des Entwurfes von 1966, die ungefähr mit den Artikeln 42 und 65 der Konvention übereinstimmen: Art. 39: Validity and continuance in force of treaties

1. The validity of a treaty may be impeached only through the application of the present articles. A treaty the invalidity of which is established under the present articles is void. 2. A treaty may be terminated or denounced or withdrawn from by a party only as a result of the application of the terms of the treaty or of the present articles. The same rule applies to Suspension of the operation of a treaty. Art. 62: Procedure tobe foUowed in cases of invalidity, termination, withdraweL fmm or suspension of the operation of a treaty

1. A party which claims that a treaty is invalid or which alleges a ground for terminating, withdrawing from or suspending the operation of a treaty under the provisions of the present articles must notify the other parties of its claim. The notification shall indicate the measure proposed to be taken with respect to the treaty and the grounds therefore.

m Vgl. dazu im einzelnen Bri ggs, AJIL Bd. 61 (1967), S. 977 ff.

3.3 Anhang: Verfahrensmäßige Ausgestaltung

81

2. If, after the expiry of a period which, except in cases of special urgency, shall not be less than three months after the receipt of the notification, no party has raised any objection, the party making the notification may carry out in the manner provided in article 63 the measure which it has proposed. 3. If, however, objection has been raised by any other party, the parties shall seek a solution through the means indicated in Article 33 of the Charter of the United Nations. 4. Nothing in the foregoing paragraphs shall affect the rights or obligations of the parties under any provisions in force binding the parties with regard to the settlement of disputes. 5. Without prejudice to article 42, the fact that a State has not previously made the notification prescibed in paragraph 1 shall not prevent it from making such notification in answer to another party claiming performance of the treaty or alleging its violation146•

JuZiusStone 141 hieltdie formal zu beachtenden Erfordernisse des Art.62 für unanwendbar auf einen infolge Zwangseinwirkung von Anfang an nichtigen Vertrag. Darüber hinaus hatte er Zweifel, ob derartige Fälle überhaupt von dem Anwendungsbereich des Art. 39 erfaßt werden, denn dort hieße es "a treaty the invalidity of which is established under the present articles is void". Falls es sich dabei nicht lediglich um ein Spiel mit Worten handele, so sei doch aus der Verwendung des Wortes void in Art. 49 ( = 52 WVK) zu schließen, daß es keines besonderen Verfahrens bedürfe, um die Ungültigkeit herbeizuführen. Derartigen Argumenten ist die ILC bereits selbst entgegengetreten. So heißt es im Kommentar zu Art. 39 148, daß mit der Wendung "application of the present articles", die in beiden Absätzen der Bestimmung auftauche, auf den Entwurf als Ganzes verwiesen werde, also nicht nur auf den entsprechenden Artikel, der die Voraussetzungen für die Ungültigkeit oder Beendigung eines Vertrages regele, sondern insbesondere auch auf die sich anschließenden Verfahrensvorschriften. Damit ist klargestellt, daß auch in den Fällen, da ein Artikel die Nichtigkeit von Anfang an vorsieht, ein Staat sich auf die Ungültigkeit nur berufen kann, wenn die verfahrensrechtlichen Bestimmungen eingehalten sind148• Die Kommission hat im Kommentar zu Art. 62 150 die Gründe dafür erläutert: Es sollte der Möglichkeit vorgebeugt werden, daß ein Staat sich auf die Ungültigkeit oder Beendigung eines Vertrages nur beruft, um sich unangenehmen Verpflichtungen zu entziehen; derartigen Vorwänden sollte ein Riegel vorgeschoben werden. Text: OR Doc., S. 56 und 81. Virginia Journal of Int. Law Bd. 8 (1967), S. 371. 148 Para 4, Yearbook ILC 1966 Bd. 2, S. 237. 149 Ebenso: Briggs, AJIL Bd. 61 (1967), S. 979, Rauschning, JIR Bd. 13 (1967), S. 391 und Fleischauer, JIR Bd. 15 (1971), S. 231; unklar in dieser Hinsicht, aber wohl anderer Ansicht: NahHk, AJIL Bd. 65 (1971), S. 750 f. 150 Paras 1 und 3, Yearbook ILC 1966 Bd. 2, S. 262. 148

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6 Brosche

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3. Entstehungsgeschichte des Art. 52 WVK

Zu dem von Julius Stone vorgebrachten Argument, wenn ein Vertrag einmal nichtig sei, dann bedürfe es keines Verfahrens mehr, um diese Nichtigkeit herbeizuführen, läßt sich noch folgendes anführen: Das vorgesehene Verfahren soll die Nichtigkeit nicht erst herbeiführen, sondern dadurch wird nur klargestellt, daß der betreffende Staat sich zu Recht darauf beruft. Ihm wird dadurch ermöglicht, die Ungültigkeit des Vertrages und die damit verbundenen Folgen zur Geltung zu bringen. Weiterhin ist Art. 49 des ILC-Entwurfs nicht die einzige Vorschrift, die den Begriff void verwendet; Art. 50 des Entwurfs von 1966 ( = Art. 53 der Konvention) betreffend das ius cogens enthält die gleiche Wendung151 . Für diese Vorschrift wurde auf der Konferenz in Wien ein besonderes Verfahren vorgesehen152• Es ist nicht ersichtlich, weshalb bei zwei ähnlich gestalteten Artikeln die eine von den Verfahrensvorschriften ausgenommen sein sollte, wenn dies nicht ausdrücklich in den relevanten Bestimmungen vermerkt ist. - Letztlich ist Stone entgegenzuhalten, daß die von ihm herangezogene Wendung im französischen Text lautet: "Est nul un traite dont la nullite est etablie en vertu de la presente Convention153." Hier wird nicht zwischen void und invalid unterschieden, sondern beide Male heißt es nul. Damit kommt zum Audruck, daß diese Nichtigkeit nach den Vorschriften der Konvention festzustellen ist. Die Konferenz in Wien tat ein weiteres, um die Verknüpfung zwischen Art. 52 und Art. 65 der Konvention sicherzustellen154• Sie änderte den Text von Art. 62 Abs. 1 Entwurf 1966155 um in: A party which, under the provisions of the present Convention, invokes either a defect in its consent to be bound by a treaty or a ground for impeaching the validity of a treaty, terminating it, withdrawing from it or suspending its operation ... Frankreich hatte diese Neuformulierung vorgeschlagen156 • Sie wurde von de Bresson im Zusammenhang mit den Änderungsanträgen zu Art. 42 der Konvention157 wie folgt begründet158 : Es ließe sich argumen151 Zu dieser Bestimmung siehe Verdross, AJIL Bd. 60 (1966), S. 55 ff.; Schwelb, AJIL Bd. 61 (1967), S. 946 ff. und Scheuner, ZaöRV Bd. 29 (1969),

s. 28ff.

152 Vgl. Art. 66 lit. (a) der Konvention; Art. 66 lit. (b) spricht demgegenüber von "allen anderen" Vorschriften des 5. Teils, nimmt also keine Vorschrift von der verfahrensmäßigen Ausgestaltung aus. 153 So Art. 69 Abs. 1 Satz 1 der Konvention, der während der Konferenz aus Art. 39 des Entwurfs von 1966 ( = Art. 42 der Konvention) an diese Stelle übertragen wurde; über die Hintergründe für diese Verschiebung sowie die Diskussion und Anträge dazu siehe Verosta, ZaöRV Bd. 29 (1969), S. 689 f. 154 Zum folgenden vgl. auch Rosenne, ZaöRV Bd. 31 (1971), S. 35 f. 15s Angeführt zu Beginn dieses Abschnitts. 156 A/Conf. 39/C. 1/L. 342, abgedruckt in OR Doc., S. 191, para 571 iii (1) (b), angenommen vom Committee of the Whole mit 39 : 31 : 20 Stimmen. 157 Vgl. dazu Fn. 153 auf dieser Seite. 158 68. Sitzung CoW, para 11, OR I, S. 403.

3.3 Anhang: Verfahrensmäßige Ausgestaltung

83

tieren, Abs. 1 des Art. 65 ( = Art. 62 ILC-Entwurf von 1966) erfasse nur die in Art. 46 bis 50 der Konvention geregelten Fälle, nicht aber die Fälle einer Ungültigkeit von Anfang an, wie sie in den Artikeln 51, 52, 53 und 64 vorgesehen sei. Dann würden diese Ungültigkeitsgründe ohne Einhaltung der Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden können - sogar ohne Intervention der beteiligten Parteien. Die Konsequenz davon sei, daß eine Vertragspartei in die Lage versetzt werde, sich einseitig auf die Nichtigkeit der entsprechenden - sehr schwerwiegenden,...- Vorschriften zu berufen. Waldock nahm die Anregung auf159 und erläuterte, die ILC sei in ihren Beratungen stets davon ausgegangen, daß die Verfahrensvorschriften auch auf die vom französischen Vertreter genannten Artikel Anwendung fänden. Doch würde durch den Vorschlag Frankreichs die Formulierung wesentlich verbessert, und es würden dadurch sämtliche Zweifel hinsichtlich der Anwendbarkeit der Verfahrensbestimmungen beseitigt. Auch Art. 52 unterliegt somit der im 5. Teil der Konvention vorgesehenen verfahrensrechtlichen Ausgestaltung, und es ist nunmehr zu untersuchen, wie dies im einzelnen geregelt wurde. 3.32 Die Notifizierung der Ungültigkeit gegenüber dem Vertragspartner und das im Anscbluß daran einzuhaltende Verfahren der Streiterledigung

3.321 Die Debatte um die Aufnahme einer obligatorischen Streiterledigung in die Konvention Die ILC hatte in Art. 62 ihres Entwurfs 160 vorgesehen, daß die Nichtigkeits- oder Beendigungsgründe durch Notifikation gegenüber den anderen Vertragspartnern geltend gemacht werden. Für Meinungsverschiedenheiten war auf die fakultative Streiterledigung nach Art. 33 der Satzung der Vereinten Nationen und die dort genannten Mittel zur Einigung verwiesen. Damit begnügte sich die ILC und wollte der Staatenkonferenz nicht neben den ohnehin schwierigen Fragen, die sich insbesondere aus Teil 5 des Entwurfs ergaben, auch noch zumuten, sich mit der stets kontroversen und nahezu nicht zu bewältigenden Frage einer obligatorischen Streiterledigung zu befassen. Sie vertrat die Auffassung, Art. 62 gewähre hinreichend Schutz gegen einseitigen Mißbrauch der Ungültigkeits-, Beendigungs- und Aussetzungsbestimmungen und die damit verbundene Umgehung vertraglicher Verpflichtungen. In dieser Hinsicht erwies sich der Entwurf der ILC als zu vorsichtig, denn gerade die Frage, ob die verfahrensrechtlichen Erfordernisse aus15 9 160

74. Sitzung CoW, para 21, OR I, S. 441. Angeführt zu Beginn des vorangehenden Abschnitts.

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3. Entstehungsgeschichte des Art. 52 WVK

reichend seien, hat bis kurz vor Schluß der Konferenz zu hitzigen Debatten geführt und das gesamte Kodifikationsvorhaben gefährdet161 • Die Gegner einer Erweiterung des von der ILC vorgeschlagenen Verfahrens führten insbesondere ins Feld, nach dem Grundsatz der souveränen Gleichheit müsse den Staaten die Wahl der Mittel zur Streiterledigung überlassen bleiben. Nach dem Urteil des IGH in der Südwestafrika-Frage von 1966162 sei bewiesen, daß Richter nicht nur rechtliche Überlegungen anstellten und folglich gegenüber dem Wert eines obligatorischen Verfahrens die nötige Skepsis geboten sei. Zudem sei auch in den übrigen von UNO-Konferenzen verabschiedeten Konventionen ein obligatorisches gerichtliches Streitverfahren nur in Fakultativprotokollen vorgesehen. Demgegenüber forderte eine Mehrheit der auf der Wiener Konferenz vertretenen Staaten nachdrücklich eine obligatorische Streiterledigung für die Bestimmungen des 5. Teils der Konvention. Denn dieser Teil stelle weitgehend neues Recht dar, dessen einheitliche Anwendung und Auslegung zu sichern seien. Bereits während der ersten Sitzungsperiode war von verschiedenen afro-asiatischen, lateinamerikanischen und europäischen Staaten ein Entwurf über eine obligatorische Streiterledigung ausgearbeitet worden, der jedoch erst während der zweiten Sitzungsperiode im Namen von 19 Staaten als Dokument vorgelegt werden konnte163• Dieses Amendment wurde zusammen mit einem Antrag der Schweiz164 vom Committee of the Whole angenommen, an das Redaktionskomitee überwiesen und dann im Plenum der Konferenz zur Abstimmung gestellt165• Es sah ein äußerst kompliziertes Verfahren vor, das sich von der obligatorischen Vermittlung über eine obligatorische Schiedsgerichtsbarkeit bis hin zur Anrufung des IGH steigerte. Auf der 27. Sitzung des Plenums hat dieser Antrag nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit erreicht und war damit abgelehnt166• Um den Erfolg der Konferenz zu retten, wurde im letzten Augenblick von 181 Siehe zum folgenden auch Verosta, ZaöRV Bd. 29 (1969), S. 699 ff., Neuhold, A VR Bd. 15 (1971), S. 9 ff. und Rosenne, ZaöRV Bd. 31 (1971), S. 7 ff. 162 ICJ Reports 1966, S. 6 ff.

163 A/Conf. 39/C. 1/L. 352/Rev. 3 and Add. 1 and 2, abgedruckt in OR Doc., S. 244, para 98 (b); Sponsoren: Bolivien, Costa Rica, Dahomey, Dänemark, Finnland, Gabun, Elfenbeinküste, Kolumbien, Libanon, Madagaskar, Malta, Mauritius, Niederlande, Österreich, Peru, Schweden, Tunesien, Uganda, Zentralafrikanische Republik. 164 A/Conf. 39/C. 1/L. 393 and Corr. 1, OR Doc., S. 250, para 115. 165 A/Conf. 39/C. 1/18; der Text dieses Dokuments ist abgedruckt in OR Doc., S. 248, paras 104- 105 und bei Verosta, ZaöRV Bd. 29 (1969), S. 700 ff. 166 Para 31, OR II, S. 153; der Antrag erhielt 62 Ja- und 37 Nein-Stimmen bei 10 Enthaltungen.

3.3 Anhang: Verfahrensmäßige Ausgestaltung

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10 afrikanischen und asiatischen Staaten ein neuer Text erarbeitet167, der den 19-Staaten-Vorschlag erheblich ermäßigt, aber dennoch an einem obligatorischen Vermittlungsverfahren festhält; für Streitigkeiten betreffend das ius cogens (Art. 53 und 64) ist zudem ein obligatorisches Schiedsgerichtsverfahren vorgesehen. Dieser Text ist auf der 34. Plenarsitzung angenommen worden168 und hat somit die Verabschiedung der gesamten Konvention ermöglicht. In der Konvention stellt er Art. 66 samt Annex dar.

3.322 Die Durchführung der Notifikation und der StreiterLedigung Das Streiterledigungsverfahren für Teil 5 der Konvention gliedert sich in zwei Phasen, eine fakultative nach Art. 65 und - bleibt diese innerhalb von 12 Monaten erfolglos- eine obligatorische nach Art. 66 samt Annex189• Zunächst muß ein Partner, der nach den Bestimmungen der Konvention entweder einen Fehler in seiner Zustimmung zur Bindung durch den Vertrag oder einen Grund, die Gültigkeit eines Vertrages zu bestreiten, ihn zu beenden, von ihm zurückzutreten oder seine Wirksamkeit auszusetzen, die anderen Partner von seinem Anspruch in Kenntnis setzen170• Diese Notifikation hat die beabsichtigten Maßnahmen zu bezeichnen, die hinsichtlich des Vertrages ergriffen werden sollen, und die Gründe dafür anzugeben (Art. 65 Abs.1). Nach Art. 44 Abs. 2 und 5 kann ein Grund für die Ungültigkeit eines Vertrages im Zusammenhang mit Art. 52 nur mit Rücksicht auf den ganzen Vertrag geltend gemacht werden, eine Abtrennung von Vertragsbestimmungen ist unzulässig. Im Falle des Art. 52 geht dieses Recht auch trotz ausdrücklichen oder stillschweigenden Einverständnisses nicht nach Art. 45 verloren. Ferner hat diese Notifizierung schriftlich zu erfolgen (Art. 67 Abs. 1) und kann bis zu ihrem Wirksamwerden widerrufen werden (Art. 68). Hat keine Partei binnen 3 Monaten Widerspruch erhoben, so kann der notifizierende Partner die von ihm vorgeschlagenen Maßnahmen ergreifen (Art. 65 Abs. 2). Wird jedoch von einer Partei widersprochen, so haben die Partner mit Hilfe der in Art. 33 der Charta der Vereinten Nationen angeführten Mittel eine Lösung zu suchen- also durch Verhandlungen, Untersuchungen, Vermittlung, Vergleiche, Schiedsspruch, 167 A/Conf. 39/L. 47 and Add. 1, Rev. 1, OR Doc., S. 172; Sponsoren: Elfenbeinküste, Ghana, Kenia, Kuweit, Libanon, Marokko, Nigeria, Sudan, Tansania, Tunesien. 168 Para 72, OR Il, S. 193; angenommen mit 61 gegen 20 Stimmen bei 26 Stimmenthaltungen. 169 Die einzelnen Tatbestandsmerkmale dieser Bestimmung hat Rosenne, ZaöRV Bd. 31 (1971), S. 34 - 52 sehr ausführlich behandelt. 170 Obwohl in Art. 65 Abs. 1 der Plural steht, kann es sich natürlich auch um nur einen Gegner handeln.

3. Entstehungsgeschichte des Art. 52 WVK

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gerichtliche Regelung, Anrufung regionaler Organe oder Abkommen oder durch andere friedliche Mittel eigener Wahl (Art. 65 Abs. 3). Für diese fakultative Streiterledigung steht aber nunmehr nach Art. 66 nur eine Zeitspanne von 12 Monaten zur Verfügung. Ist innerhalb dieser Zeit keine Lösung erzielt worden, so kann jeder an einem Streitfall beteiligte Partner das in Art. 66 vorgesehene obligatorische Streitverfahren einleiten. Dieses ist unterschiedlich ausgestaltet, je nachdem ob es sich um einen Streit betreffend ius cogens (Art. 53 und 64) handelt oder um eine andere Bestimmung in Teil 5 der Konvention. Nun ist bereits an anderer Stelle dargelegt worden171 , daß Art. 52 einen Spezialfall des zwingenden Rechts darstellem, so daß sich argumentieren ließe, der Streitfall sei nach Art. 66 lit. (a) durch schriftlichen Antrag dem Internationalen Gerichtshof zur Entscheidung vorzulegen - es sei denn, die Partner kämen gemeinsam überein, den Fall einem Schiedsverfahren zu unterwerfen. Diese Konsequenz hat die Wiener Konferenz für Streitigkeiten nach Art. 52 offensichtlich nicht ziehen wollen; es ist in den Konferenzdokumenten an keiner Stelle ein Hinweis in dieser Richtung zu finden. Vielmehr sollte für alle anderen in Teil 5 enthaltenen Bestimmungen das in Art. 66 lit. (b) in Verbindung mit dem Annex vorgesehene Verfahren der obligatorischen Vermittlung gelten. Statt einer näheren Beschreibung dieses Verfahrens seien hier der Annex und die unmittelbar mit ihm zusammenhängenden Vorschriften selbst angeführt173 : Art. 65: Procedure to be followed with respect to invalidity, termination, withdrawel from or suspension of the operation of a treaty

1. A party which, under the present Convention, invokes either a defect in its consent to be bound by a treaty or a ground for impeaching the validity of a treaty, terminating it, withdrawing from it or suspending its operation, must notify the other parties of its claim. The notification shall indicate the measure proposed to be taken with respect to the treaty and the reasons therefore. 2. If, after the expiry of a period which, except in cases of special urgency, shall not be less than three months after the receipt of the notification, no party has raised any objection, the party making the notification may carry out in the manner provided in article 67 the measure which it has proposed. 3. If, however, objection has been raised by any other party, the parties shall seek a solution through the means indicated in Article 33 of the Charter of the United Nations. Fn. 65 in Teil 3.144 der Arbeit. Auch auf der Wiener Konferenz ist dies wiederum vertreten worden, vgl. Alcivar-Castillo, 48. Sitzung CoW, para 57, OR I, S. 273, Alvarez Tabio, 49. Sitzung, para 11, S. 274 und Haraszti, 50. Sitzung, para 23, S. 282. 173 Abgedruckt in OR Doc., S. 298 und S. 301. 171 172

3.3 Anhang: Verfahrensmäßige Ausgestaltung

87

4. Nothing in the foregoing paragraphs shall affect the rights or obligations of the parlies under any provisions in force binding the parlies with regard to the settlement of disputes. 5. Without prejudice to article 45, the fact that a State has not previously made the notification prescribed in paragraph 1 shall not prevent it from making such notification in answer to another party claiming performance of the treaty or alleging its violation. Art. 66: Procedures for judiciat settlement, arbitration and concHiation

lf, under paragraph 3 of article 65, no solution has been reached within a period of 12 months following the date on which the objection was raised, the following procedures shall be followed: (a) any one of the parlies to a dispute concerning the application or the interpretation of article 53 or 64 may, by a written application, submit it to the International Court of Justice for a decision unless the parlies by common consent agree to submit the dispute to arbitration; (b) any one of the parties to a dispute concerning the application or the interpretation of any of the other articles in Part V of the present Convention may set in motion the procedure specified in the Annex to the Convention by submitting a request to that effect to the Secretary-General of the United Nations. Annex:

1. A list of conciliators consisting of qualified jurists shall be drawn up and maintained by the Secretary-General of the United Nations. To this end, every State which is a Member of the United Nations or a party to the present Convention shall be invited to nominate two conciliators, and the names of the persans so nominated shall constitute the list. The term of a conciliator, including that of any conciliator nominated to fill a casual vacancy, shall be five years and may be renewed. A conciliator whose term expires shall continue to fulfil any function for which he shall have been chosenunder the following paragraph. 2. When a request has been made to the Secretary-General under article 66, the Secretary-General shall bring the dispute before a conciliation commission constituted as follows: The State or States constituting one of the parlies to the dispute shall appoint: (a) one conciliator of the nationality of that State or of one of those States, who may or may not be chosen from the list referred to in paragraph 1; and

(b) one conciliator not of the nationality of that State or of any of those States, who shall be chosen from the list. The State or States constituting the other party to the dispute shall appoint two conciliators in the same way. The four conciliators chosen by the parlies shall be appointed within sixty days following the date on which the Secretary-General receives the request. The four conciliators shall, within sixty days following the date of the last of their own appointments, appoint a fifth conciliator chosen from the list, who shall be chairman. If the appointment of the chairman or of any of the other conciliators has not been made within the period prescribed above for such appointment, it

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3. Entstehungsgeschichte des Art. 52 WVK

shall be made by the Secretary-General within sixty days following the expiry of that period. The appointment of the chairman may be made by the Secretary-General either from the list or from the membership of the International Law Commission. Any of the periods within which appointments must be made may be extended by agreement between the parties to the dispute. Any vacancy shall be filled in the manner prescribed for the initial appointment. 3. The Conciliation Commission shall decide its own procedure. The Commission, with the consent of the parties to the dispute, may invite any party to the treaty to submit to it its views orally or in writing. Decisions and recommendations of the Commission shall be made by a majority vote of the five members. 4. The Commission may draw the attention of the parties to the dispute to any measures which might facilitate an amicable Settlement. 5. The Commission shall hear the parties, examine the claims and objections, and make proposals to the parties with a view to reaching an amicable settlement of the dispute. 6. The Commission shall report within twelve months of its constitution. Its report shall be deposited with the Secretary-General and transmitted to the parties to the dispute. The report of the Commission, including any conclusions stated therein regarding the facts or questions of law, shall not be bindung upon the parties and it shall have no other character than that of recommendations submitted for the consideration of the parties in order to facilitate an amicable settlement of the dispute. 7. The Secretary-General shall provide the Commission with such assistance and facilities as it may require. The expense of the Commission shall be borne by the United Nations. Besonders die Entwicklungsländer hatten großen Wert darauf gelegt, daß die Kosten der Vermittlungskommission von den Vereinten Nationen getragen würden. Dies erforderte eine weitere Resolution der Konferenz174: Resolution relating to article 66 of the Vienna Convention on the Law of Treaties and the Annex thereto

The United Nations Conference on the Law of Treaties, Considering that under the terms of paragraph 7 in the Annex to the Vienna Convention on the Law of Treaties, the expenses of any conciliation commission that may be set up under article 66 of the Convention shall be borne by the United Nations, Requests the General Assembly of the United Nations to take note of and approve the provisions of paragraph 7 of this Annex. So sehr dieses Verfahren zu begrüßen ist, seine Schwäche besteht doch darin, daß zwar Durchführung und Bericht obligatorisch sind; nicht aber wird die Annahme der Empfehlungen des Berichts den Parteien zur 174

s. 285.

Abgedruckt bei Verosta, ZaöRV Bd. 29 (1969), S. 706 f. und OR Doc.,

3.3 Anhang: Verfahrensmäßige Ausgestaltung

89

Pflicht gemacht; dieser Bericht ist vielmehr nur als Anregung gedacht, den Parteien eine gütliche Beilegung des Streits zu erleichtern. Dennoch ist der Abkühlungseffekt eines solchen obligatorischen Vermittlungsverfahrens auf die streitenden Parteien nicht zu unterschätzen.

4. Die rechtliche Geltung des in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatzes Es wurde gezeigt, welche geschichtlichen Etappen die Frage der Gewaltanwendung beim Abschluß von Verträgen durchlaufen hat, welch enorme Arbeit innerhalb der ILC und während der Konferenz in Wien erforderlich war, um Artikel 52 der Wiener Vertragsrechtskonvention zu seiner endgültigen Fassung zu verhelfen. Nunmehr soll die Frage untersucht werden: Handelt es sich tatsächlich um eine deklaratorische1 Kodifikation bereits existierenden Rechts und ist der in der Vorschrift enthaltene Grundsatz somit auf zum gegenwärtigen Zeitpunkt abgeschlossene Verträge anwendbar oder stellt die Vorschrift vielmehr eine Neuentwicklung dar, die wohl moralisch wünschenswert erscheint, doch vorerst keine rechtliche Geltung zu entfalten vermag? Anders ausgedrückt: Ist die in Art. 52 WVK verkörperte Regel als lex lata aufzufassen - oder dürfen wir sie nur als ein de lege ferenda anzustrebendes Ergebnis ansehen? 4.1 Gültigkeit als Völkervertragsrecllt 4.11 Gültigkeitaufgrund der Wiener Vertragsrechtskonvention

Die Wiener Vertragsrechtskonvention ist bis zum heutigen Tage nicht in Kraft getreten: Nach Art. 84 Abs.l WVK geschieht dies erst am dreißigsten Tag nach Hinterlegung der fünfunddreißigsten Ratifikationsoder Beitrittsurkunde; diese erforderliche Anzahl ist bisher nicht erreicht worden2 • Angesichts des strikten Nein Frankreichs zu den einzelnen Schlüsselproblemen der Konvention3 bleibt ohnehin fraglich, ob die Konvention je Geltung erlangen wird oder ob sie mangels hinreichender Ratifikationen nur ein Kodex des völkerrechtlichen Vertrags1

Im Unterschied zur "konstitutiven (legislative)" Kodifikation, vgl. dazu

Kägi, Kodifikation, in: Wörterbuch Bd. 2, S. 230.

2 Gegenwärtig (Stand vom Januar 1973) ist die Konvention von 17 Staaten ratifiziert (in zeitlicher Reihenfolge): Nigeria, Jamaika, Jugoslawien, Syrien, Kanada, Tunesien, Barbados, Großbritannien, Neuseeland, Niger, Zentralafrikanische Republik, Paraguay, Lesotho, Spanien, Marokko, Philippinen, Mauritius. 3 Eine tabellarische übersieht über die Haltung der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates zu den wesentlichen Partien der Konvention gibt Verosta in ZaöRV Bd. 29 (1969), S. 708.

4.1 Als Völkervertragsrecht

91

rechts bleiben wird. Aus Art. 52 WVK selbst läßt sich somit vorerst keine Geltung als Völkervertragsrecht herleiten. Nun umfaßt das Völkervertragsrecht nicht nur die in Art. 38 Ziff. 1 a IGH-Statut genannten internationalen Abkommen und Konventionen. sondern auch einseitige Erklärungen und sonstige Willensäußerungen eines Staates besonders auf internationalen Kongressen und Konferenzen, sofern in ihnen eine rechtlich bindende Verpflichtung gegenüber anderen Staaten (engagement international) enthalten ist4 • Aus der Abstimmung der Staaten über die endgültige Fassung des Art. 52 WVK3 während der Wiener Konferenz eine derartige Bindungswirkung herleiten zu wollen, würde jedoch den Vorschriften der WVK über das Inkrafttreten entgegenstehen, die für die Entfaltung der rechtlichen Bindungswirkung der Konvention gerade eine hinreichende Ratifikation verlangen. 4.12 Gültigkeit aufgrund des in Art. 2 Abs. 4 der UN -Charta niedergelegten allgemeinen Gewaltverbots

Wenn es auch nicht möglich ist, den in Art. 52 WVK niedergelegten Grundsatz auf Grund der Wiener Vertragsrechtskonvention als gültiges Völkervertragsrecht anzusehen, so stellt sich doch die Frage, ob dieser Grundsatz nicht in anderem bereits existierenden Völkervertragsrecht implizit enthalten ist oder sich daraus mit zwingender Notwendigkeit ergibt6 • Als Ausgangspunkt drängt sich hier das während der ganzen Verhandlungen zu Art. 52 WVK stets zitierte7 und in Art. 2 Abs. 4 der UN-Charta niedergelegte allgemeine und umfassende Gewaltverbot auf, das trotz der häufigen Nichtbeachtung durch die Staaten aller Kontimente8 als Völkervertragsrecht nahezu sämtliche Staaten der Erde bindet und bis heute uneingeschränkt gültig ist9 • 4 Jaenicke, Völkerrechtsquellen, in: Wörterbuch Bd. 3, S. 768 unter Berufung auf das Rechtsgutachten des StiGH zur Ordnung des Zollwesens zwischen Deutschland und Österreich, PCIJ SeriesAlB No. 41, S. 47; kritisch dazu Menzel, Juristische Schulung 1963, S. 43 f. 5 Siehe dazu Teil 3.24 der Arbeit. 6 Bindschedler (RED! Bd. 21 [1968], S. 310, Fn. 3) hat darauf hingewiesen, daß in den Genfer Abkommen vom 12. 8. 1949 -Art. 10 Abs. 5 der drei ersten, Art. 11 Abs. 5 des vierten Abkommens - eine Anwendung dieses Prinzips in einem genau umschriebenen Sonderfall zu finden sei; die Vorschriften lauten: "Von den vorstehenden Bestimmungen kann nicht durch eine Sondervereinbarung zwischen Mächten abgewichen werden, von denen die eine, wenn auch nur vorübergehend, gegenüber der anderen oder deren Verbündeten infolge militärischer Ereignisse und besonders infolge einer Besetzung ihres gesamten Gebietes oder eines wichtigen Teils davon in ihrer Verhandlungsfreiheit beschränkt ist." 7 Vgl. zum Beispiel Teil 3.143 und 3.23 der Arbeit. 8 Siehe dazu etwa Franck, AJIL Bd. 64 (1970), S. 809 ff. und die Erwiderung von Henkin, AJIL Bd. 65 (1971), S. 544 ff.

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4. Rechtliche Geltung des in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatzes

Eine große Anzahl von Autoren leitet den Grundsatz, daß völkerrechtswidrig aufgezwungene Verträge als ungültig anzusehen seien, aus Art. 2 Abs. 4 der UNO-Satzung ab10• Eine nähere Begründung dafür wird aber nirgends gegeben. Meist begnügt man sich damit, auf die geschichtliche Entwicklung des Gewaltverbots zu verweisen und stellt im Anschluß daran fest, wenn die Anwendung von Gewalt nun einmal verboten sei, könnten gewaltsam auferlegte Verträge nicht rechtswirksam sein. Brownlie11 hat in seinem grundlegenden Werk zur Frage der Gewaltanwendung auf diesen beklagenswerten Umstand hingewiesen und es als merkwürdig bezeichnet, daß dieser Frage nicht mehr Beachtung geschenkt worden sei. Im folgenden soll daher versucht werden, dieses Problem eingehender zu untersuchen. Dabei soll zunächst kurz gezeigt werden, wie sich die Aufstellung des Gewaltverbots im Hinblick auf eine verwandte Frage ausgewirkt hat, die in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts eine entscheidende Wandlung durchgemacht hat: Die Frage, ob Annexionen als rechtsgültig angesehen werden können oder ob sie nichtig sind. Sodann ist zu fragen, ob die dazu angestellten Überlegungen auch für die Frage der Gültigkeit aufgezwungener Verträge zutreffen und dieser Problemkreis folglich gleichermaßen zu behandeln ist.

4.121 Das Annexionsverbot des modernen Völkerrechts als Ausfluß des allgemeinen Gewaltverbots 4.1211 Der unlösbare Zusammenhang von Krieg und Eroberung Untersucht man die historischen Beispiele, in denen Annexionen gemeint sind hier einseitige, gewaltmäßige, auf Dauererwerb abzielende Einverleibungen fremden Territoriums12 - durchgeführt wurden, so zeigt 9 Ob es zudem auch als Völkergewohnheitsrecht gilt und damit auch für Nichtmitglieder verbindlich ist, kann in diesem Zusammenhang unerörtert bleiben; vgl. zu diesem Streit etwa Mähler, S. 18 Fn. 1; siehe auch Schnippenkötter, Jahrbuch für Friedens- und Konfliktsforschung, Bd. 1, S. 70; Oppermann, Gewaltverbot, S. 123 sowie Kewenig, Gewaltverbot und zulässige Machteinwirkung, S. 177 - beide in: Schaumann, Gewaltverbot, jeweils m.w.N. tB So ewwa Verdross, Völkerrecht, S. 171; Berber, Völkerrecht Bd.1, S. 438; Guggenheim/Marek, Verträge, völkerrechtliche, in: Wörterbuch Bd. 3, S. 542; Guggenheim, T.raite de droit international public, Bd. 1, S. 194; McNair, Law of Treaties, S. 210; Brownlie, International Law and the Use of Force by States, S. 406. 11 Brownlie, International Law and the Use of Force by States, S. 405. 12 So die Definition bei Krülle, S. 197; nicht gemeint ist der von manchen Autoren gleichgesetzte Fall, daß dem betroffenen Staat eine Abtretungs-

4.1 Als Völkervertragsrecht

93

sich, daß in den meisten Fällen militärische Eroberungen während eines Krieges der Ausgangspunkt für Annexionen waren. Krieg und Eroberung haben stets in einem unlöslichen tatsächlichen Zusammenhang gestanden. 4.1212 Das freie Kriegsführungsrecht Die frühere Völkerrechtslehre hatte gegen die Durchführung von Annexionen nach Kriegsende nichts einzuwenden und hatte auch die Anwendung militärischen Zwanges für erlaubt gehalten. Dieser Zusammenhang zwischen Krieg und Eroberung läßt bereits vermuten, daß die rechtliche Beurteilung der Annexion von derjenigen des Krieges abhängt. Als zu Beginn der Arbeit13 die historische Entwicklung des Kriegsführungsrechts bis hin zur Aufstellung des allumfassenden Gewaltverbots in Art. 2 Abs. 4 der UN-Charta aufgezeigt wurde, ließ sich bis zum ersten Weltkrieg in Völkerrechtslehre und -praxis der Grundsatz nachweisen, daß den Staaten ein freies Kriegsführungsrecht zustand. Es war in ihr Ermessen gestellt, ob sie von dem Attribut ihrer Souveränität Gebrauch machten und zur Durchsetzung ihrer Ziele militärische Gewalt anwandten. Entschloß sich folglich ein Staat zum Kriege, so handelte er nach damaliger Auffassung nicht rechtswidrig, sondern machte nur von den ihm zustehenden Rechten Gebrauch. Freilich setzte er sich damit der Gefahr aus, debelliert zu werden, wodurch dem Gegner die Möglichkeit zur Annexion gegeben wurde. Wenn nun das Völkerrecht der damaligen Zeit es den Staaten nicht verwehrte, gegeneinander Kriege zu führen, so war es nur konsequent, wenn als Ergebnis eines erfolgreichen Waffengebrauchs auch die Eroberung als zulässig anerkannt wurde: Die freie Entscheidung zum Kriege fand ihre Ergänzung in der ebenfalls freien Entscheidung zur Annexion. Dem Sieger stand es frei, ob er den Gegner ganz oder teilweise annektierte oder aber auf jegliche Gebietsveränderung verzichtete14. 4.1213 Der Wandel bis zum Gewaltverbot Dieses Bild hat sich gewandelt: Zur Frage des Kriegsführungsrechts nimmt die heutige Völkerrechtsauffassung einen völlig gegenteiligen Standpunkt ein. Auf dem Weg bis hin zum allgemeinen Gewaltverbot wurden bereits in der Völkerbundsatzung und im Briand-Kellogg-Pakt erklärung abgenötigt wird (Gewaltzession); so aber: Scheuner, FW Bd. 49 (1949), S. 81 ff. und Bindschedler, Annexion, in: Wörterbuch Bd. 1, S. 68 ff. 13 Teil2.2. 14 Beispiele bei Menzel, Annexionsverbot, S. 28.

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4. Rechtliche Geltung des in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatzes

entscheidende Schritte unternommen, das früher unumschränkt geltende Kriegsrecht einzuschränken15• In Art. 2 Abs. 4 der UN-Satzung fand diese Entwicklung ihren Abschluß: Es wurde ein umfassendes Gewaltverbot aufgestellt, das alle Mitglieder verpflichtet, sich in ihren internationalen Beziehungen nicht nur des Krieges, sondern auch der Anwendung oder Androhung jeder Gewalt gegen die territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit anderer Staaten zu enthalten, sofern dies mit den Zielender Vereinten Nationen nicht vereinbar ist. Man wende nun gegen das Bestehen dieses Gewaltverbots nicht ein, die Ächtung des Krieges habe sich als nicht wirksam erwiesen, da es nach wie vor Kriege gebe und manche Staaten sich über das Gewaltverbot schlicht hinweggesetzt haben. Ebenso wie niemand ernsthaft die Gültigkeit des Strafgesetzbuches in Zweifel zieht, nur weil täglich gegen Strafvorschriften verstoßen wird16, muß auch hier der Grundsatz gelten, daß ein Verstoß gegen eine Rechtsnorm nicht ihre Widerlegung bedeutet. Immerhin sind auch militärische Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Staaten sehr viel unwahrscheinlicher geworden. Die Fälle, in denen das Gewaltverbot tatsächlich eingehalten wurde, die aber in früheren Zeiten zu kriegerischen Auseinandersetzungen geführt hätten, sind statistisch nicht nachweisbar. Es kommt hinzu, daß die militärischen Aktionen der jüngsten Zeit sich nicht zwischen den Staaten der westlichen Welt abspielten, sondern in fernen Kontinenten ausgetragen wurden und zum großen Teil auch als Folge des Kolonialismus zu werten sind. Hätte man nicht das Beispiel des indisch-pakistanischen Krieges von 1972 und des ständig erneut ausbrechenden Nahost-Konfliktes vor Augen, wäre man geneigt zu sagen, die heutigen Auseinandersetzungen spielten sich vorwiegend in Form von Bürgerkriegen ab. Dennoch zeigt ein Vergleich mit den bewaffneten Konflikten des vorigen und zu Beginn dieses Jahrhunderts, daß ein grundsätzlicher Wandel eingetreten ist. Die Gültigkeit des Gewaltverbots kann deshalb trotz aller Skepsis, die man entgegenbringen mag, nicht in Zweifel gezogen werden: Die tatsächliche Nichtbefolgung einer Norm läßt außer im Falle der Derogation ihre Verbindlichkeit unberührt17 • 4.1214 Auswirkungen auf die Zulässigkeit von Annexionen Wie hat sich nun diese Veränderung hinsichtlich des Kriegsverbots auf die Frage der Zulässigkeit von Annexionen ausgewirkt? Zur Entwicklung im einzelnen vgl. Teil 2.2 der Arbeit. Menze~, Juristische Schulung 1963, S. 46 hat es sehr deutlich formuliert: "Ein Mord widerlegt aberbekanntlich nicht das Verbot des Tötens." 17 Verdross, Völkerrecht, S. 142; siehe auch Wildhaber, Gewaltverbot und St::lbstverteidigung, in: Schaumann, Gewaltverbot, S. 168. 15

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4.1 Als Völkervertragsrecht

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Wehberg hat es einmal sehr scharf formuliert18 : "Das Völkerrecht wird zu einem Fetzen Papier, wenn man zwar den Krieg verbietet, aber dem Angreifer weitergestattet, die Früchte aus seinem rechtswidrigen Verhalten zu ziehen." In der Tat ist der vor dem ersten Weltkrieg bestehende Grundsatz der Annexionsfreiheit durch das generelle Annexionsverbot abgelöst worden19• Diese Entwicklung ist keinesfalls zufällig, sondern ergibt sich zwigend aus der Haltung des modernen Völkerrechts zum Gewaltverbot. Nachdem durch den Briand-Kellogg-Pakt der Krieg einmal verboten war, konnte er nicht mehr Quelle und Gegenstand von Rechten sein. Soll nämlich das Kriegsverbot-oder später der Verzicht auf jegliche Gewaltanwendung- wirksam sein, so muß den aus einem rechtswidrigen Krieg erlangten Vorteilen die rechtliche Anerkennung versagt werden. Andernfalls würde das Gewaltverbot zu einem bedeutungslosen Postulat herabgewürdigt, das seine rechtliche Gültigkeit dadurch verliert, daß man einen zunächst verbotenen Krieg nachträglich rechtfertigt, indem man das Ergebnis dieses Krieges nämlich die Eroberung- als rechtswirksam anerkennt. Damit würde das Gewaltverbot bedeutungslos, die Staaten könnten sich jederzeit darüber hinwegsetzen. Es kann aber nicht Sinn und Zweck der Aufstellung eines allgemeinen Gewaltverbots gewesen sein, daß dieses durch Anerkennung von Annexionen völlig ausgehöhlt wird. Gilt also im Völkerrecht ein Kriegs- und Gewaltverbot, muß folgerichtig auch die Annexion unzulässig sein. Das Annexionsverbot ist deshalb implizit im Gewaltverbot mit enthalten20, und es mag verwunderlich sein, daß es in die allgemeinen Prinzipien der UNO-Charta nicht ausdrücklich aufgenommen worden ist21 •

4.1215 Das tatsächliche Vorkommen von Annexionen In diesem Zusammenhang ist die Feststellung interessant, daß bis zum Jahr 1945- der Festsetzung des Gewaltverbots-Annexionen noch in recht zahlreichem Umfange vorgekommen sind, man denke etwa an die Annexion Äthiopiens durch Italien im Jahre 1935, an den "Eintritt" Osterreichs in das Deutsche Reich, den Protektoratsvertrag über BöhWehberg, Krieg und Eroberung, S. 117, ähnlich auch S.51. Diese Entwicklung wird ausführlich behandelt bei Wehberg, Krieg und Eroberung, S. 88 ff.; Menzel, Annexionsverbot, S. 33 ff.; Krülle, S. 199 ff.; Langen, S. 93 ff. und Mähler, S. 94 ff. 20 So ausdrücklich Wehberg, Krieg und Eroberung, S. 78; kritisch dazu Mähler, S.116, dessen Unterscheidung zwischen der Annexionshandlung und 18

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dem fait accompli in diesem Zusammenhang allerdings bedeutungslos ist. ! 1 Wehberg, Krieg und Eroberung, S. 78 erklärt dies damit, daß den Staatsmännern der damaligen Zeit der fundamentale Wandel vom klassischen Völkerrecht, das den Krieg zuließ, zum modernen Völkerrecht, das jegliche Gewaltanwendung untersagt, nicht klar zum Bewußtsein gekommen sei.

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4. Rechtliche Geltung des in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatzes

men und Mähren sowie die Annexion der Baltischen Staaten durch die Sowjetunion im Jahre 194022 • Nach 1945 hat es zwar auch Annexionen gegeben - etwa die Annexion des Fürstentums Haiderabad durch Indien im Jahre 1948 und Goas im Jahre 1962u - , doch lassen sich Beispiele anführen, daß Annexionen nicht durchgeführt wurden, obwohl sie möglich gewesen wären: So sind die Achsenmächte nach dem zweiten Weltkrieg debelliert gewesen, ihr Staatsgebiet ist dennoch nicht annektiert worden24 • In der gemeinsamen Erklärung der vier Großmächte vom 5. Juni 1945 wurde ausdrücklich festgestellt, daß die Übernahme der obersten Gewalt in Deutschland nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht nicht die Annexion Deutschlands bewirke25 • Es kommt hinzu, daß die Alliierten nach 1945 sämtliche deutschen, italienischen und japanischen Annexionen als rechtswidrig angesehen und rückgängig gemacht haben, wodurch das Annexionsverbot gegenüber den Besiegten auch praktisch durchgeführt wurde28 • Was die Annexion der ehemals deutschen Ostgebiete durch Polen und die Sowjetunion anbetrifft, so ist dazu festzustellen, daß hier das besonders strittige Problem der Gegenannexion eine Rolle spielt27 und daß beide Staaten stets auf eine Zustimmung Deutschlands zu diesen Gebietsveränderungen gedrängt haben, um wenigstens den Schein zu wahren, als seien diese Gebiete nicht einseitig annektiert worden. 4.1216 Die Nichtanerkennungslehre

Bedenkt man nun, daß militärische Maßnahmen gegenüber anderen Staaten vornehmlich unter dem Gesichtspunkt der Gebietserweiterung vorgenommen wurden und es nur wenige Kriege gab, in denen es dem Sieger hierauf nicht angekommen wäre, so gewinnt die Überlegung an Gewicht, das Gewaltverbot werde am besten dadurch realisiert, daß dem Staat, der rechtswidrig militärische Maßnahmen ergreift, die AnDazu ausführlich und m. w. N. Langen, S. 98 f. Vgl. Bornemann, Indien, in: Wörterbuch Bd. 2, S. 11 und Singhal, EA 1962, S. 309 ff. und Podeyn, Pakistan, in: Wörterbuch Bd. 3 S. 720; die Vereinten Nationen erhoben gegen diese Annexionen keinen Widerspruch; vgl. Yearbook UN 1947/48, S. 458 f. und 1948/49, S. 298 f. 24 Vgl. hierzu allerdings die kritischen Bemerkungen von Oppermann, Gewaltverbot, in: Schaumann, Gewaltverbot, S. 119: .,Die gut fünfzig (nach manchen Rechnungen sogar achtzig!) Kriege und sonstigen internationalen oder halbinternationalen Konflikte, die seit 1945 in der Welt der Vereinten Nationen stattgefunden haben und noch stattfinden, sprechen eine deutliche Sprache, daß das Gewaltverbot, um mit Wehberg zu sprechen, in einem schwer erträglichen Maße eine Iex imperfecta geblieben ist." 25 Siehe Bindschedler, Annexion, in: Wörterbuch Bd. 1, S. 68. 26 Ausführlich dazu Langen, S. 99. 27 Vgl. dazu: Menzel, Juristische Schulung 1963, S. 46 und Annexionsverbot, S. 36 ff.; ferner Scheuner, FW 1949, S. 90 f. und Langen, S. 100 ff. 22

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erkennung von Gebietserweiterungen versagt wird. Es läßt sich folgendes Argument anführen: Sobald ein Angreifer nicht gewiß sein kann, daß er im Falle seines Sieges in den Genuß der Annexionsfreiheit kommt und folglich Gefahr läuft, um die Früchte seines Sieges gebracht zu werden, erhöht sich für ihn selbst das Risiko eines rechtswidrigen Angriffs. Es waren diese Überlegungen, die dazu führten, die Lehre von der Nichtanerkennung zu entwickeln: Bald nach Inkrafttreten des BriandKellogg-Paktes wurden Stimmen laut, unter Verletzung dieses Paktes angemaßte Rechte nicht mehr anzuerkennen28 • So erklärte der damalige Secretary of State der Vereinigten Staaten Stimson in der berühmt gewordenen Note an China und Japan vom 7. Januar 1932, seine Regierung weigere sich, "to recognize any situation, treaty or agreement which may be brought about by means contrary to the covenants and obligations of the Pact of Paris of August 27, 1928, to which treaty both, China and Japan, as weH as the United States, are parties" 29• Diese später als Stimson-Doktrin bezeichnete Erklärung war zunächst nur ein Grundsatz amerikanischer Politik. Sie war nicht auf territoriale Änderungen beschränkt und so weit gefaßt, daß sie auch auf andere, zukünftige Verletzungen des Briand-Kellogg-Paktes Anwendung finden konnte. Es kommt hinzu, daß Stimson nicht nur auf spezielle Rechte der Vereinigten Staaten, sondern auf den Briand-Kellogg-Pakt Bezug nahm und damit nicht nur im eigenen nationalen Interesse, sondern gleichzeitig im Interesse des Weltfriedens gehandelt hat. So gesehen ist die Stimson-Doktrin nur die folgerichtige Ausdeutung des Briand-KelloggPaktes. Sie hat dazu beigetragen, die notwendigen Konsequenzen aus dem Kriegsverbot zu ziehen30• Genau genommen trifft es nicht zu, das Prinzip der Nichtanerkennung als Sanktion aufzufassen, wie dies verschiedentlich getan worden ist31 • Sanktionen sind gegen einen Rechtsbrecher gerichtete Zwangsmittel, die ihn von der Fortsetzung seines rechtswidrigen Verhaltens abhalten sollen- etwa wirtschaftliche und militärische Maßnahmen gegen einen Angreiferstaat. Bei der Nichtanerkennung wird aber lediglich festgestellt, daß durch den Gewaltakt des Angreifers kein Recht entstanden ist und die bisher bestehenden Rechte nicht zum Erlöschen gebracht wurden. Mit Anerkennung im eigentlichen Sinn hat eine solche Erklärung letzten Endes nichts zu tun, sondern es handelt sich vielmehr 28

Wehberg, Stimson-Doktrin, in: Wörterbuch Bd. 3, S. 394.

Text in AJIL Bd. 26 (1932), S. 342; die Stimson-Doktrin ist in Teil 2.24 der Arbeit bereits behandelt worden. 30 Vgl. statt vieler Wehberg, Krieg und Eroberung, S. 88 und Menzel, Annexionsverbot, S. 34. 31 So etwa Lauterpacht, Recognition in International Law, S. 417, 433 f. und in Recueil des Cours Bd. 62 (1937), S. 285. 29

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um die öffentliche Mißbilligung eines Verhaltens, das mit den Bestimmungen des Kriegs- und Gewaltverbots nicht in Einklang steht32 : Der die Nichtanerkennung aussprechende Staat stellt fest, daß sich für ihn keine Rechtsänderung vollzogen habe, sondern der Zustand maßgeblich sei, der vor dem Gewaltakt bestand. Die skeptische und ablehnende Haltung eines großen Teils der Lehre gegenüber der Stimson-Doktrin33 rührt letztlich auch daher, daß viele Staaten den Grundsatz der Nichtanerkennung nicht konsequent durchgeführt haben und diese Frage zu sehr unter Gesichtspunkten nationalen Interesses betrachteten, anstatt von den Vorschriften des Völkerrechts auszugehen. Nur so ist etwa die de jure-Anerkennung der Annexion Äthiopiens zu verstehen, wodurch sich viele Staaten verpflichteten, sich so zu verhalten, als ob die Annexion gültig sei34• Andererseits wird der Annexion der baltischen Staaten durch die Sowjetunion im Jahre 1940 noch heute weithin die Anerkennung versagt. In vielen Ländern blieben deren diplomatische Missionen bestehen- in den USA zum Beispiel existieren noch heute die Vertretungen von Estland, Lettland und Litauen35. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, daß die Frage der Nichtanerkennung gewaltsamer Änderungen des status quo bei den Verhandlungen in San Franziska nur einmal eine Rolle gespielt hat, als eine Zusatzbestimmung vorgeschlagen wurde "stipulant que tout changement dans le status quo resultant de la violance, de la force ou d'une pression injustifiee ne devra pas etre reconnu par les autres Membres et devra etre considere comme incompatible avec la qualite de Membre de l'Organisation"36. Diese Anregung blieb jedoch ohne Echo. 4.1217 Stimmen aus der Literatur

Aus dem eben Geschilderten ist zu entnehmen, wie sehr die Staatengemeinschaft zögerte, aus dem aufgestellten Gewaltverbot sämtliche Konsequenzen zu ziehen und dem in Art. 2 Abs. 4 der UNO-Satzung mit 32 Das hat Wehberg, Krieg und Eroberung, S. 106 f. sehr überzeugend nachgewiesen und für diesen Grundsatz die von Quincy WTight geprägte Definition gebraucht: Gewaltanwendung kann ein fremdes Recht nicht zerstören; ebd., S. 103. 33 Vgl. Wehberg, Stimson-Doktrin, in: Wörterbuch Bd. 3, S. 395 ; Zimmer, S. 19 f.; Kelsen, Principles, S. 415 f. 34 Vgl. Wehberg, Krieg und Eroberung, S.107 f. und Dahm, Völkerrecht Bd.1, S. 39. 35 Siehe Dahm, Völkerrecht Bd. 1, S. 356 und S. 608 sowie Meissner, Baltische Staaten, S. 296. 36 Farid Zeineddine (Syrien), Berichterstatter des Ausschusses I/1, UNCIO Documents, Bd. VI, S. 314 f.

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enthaltenen Annexionsverbot zu seiner vollen Gültigkeit zu verhelfen. Dennoch besteht heute die bei weitem überwiegende Auffassung, daß ein auf Art. 2 Abs. 4 der UNO-Charta gegründetes Annexionsverbot zu bejahen ist. Es seien deshalb abschließend noch einige Stimmen aus der Literatur angeführt37 • Besonders die angloamerikanische Lehre neigt heute noch dazu, die Annexion unter bestimmten Voraussetzungen zuzulassen. Starke38, Hyde88 und Brierly40 machen praktisch keine Einschränkungen. O'Connell41 , Kelsen42 und Oppenheim/Lauterpacht43 verweisen auf die Diskrepanz zwischen Recht und Wirklichkeit und halten- besonders im Hinblick auf das Effektivitätsprinzip - einen rechtsgültigen Erwerb auch durch rechtswidriges Handeln für möglich. Eagleton4\ Fenwick45 und Langer46 hingegen weisen die Annexion als Erwerbstitel zurück. Französische Autoren sprechen sich für ein Annexionsverbot aus etwa Cavare47 und Sibert48• Aus der deutschsprachigen Literatur seien erwähnt Bindschedler48, Tobler50, Menzel5 ', Verdross52 und Wehberg53, die eine Annexion wegen des Gewaltverbots nicht zulassen oder sie nur bei erlaubter Gewaltanwendung für legitim halten. Dahm54 und Schätzel"5 hingegen lassen einen Erwerb durch Annexion zu, wenn entweder die Staatsgewalt endgültig und effektiv ausgedehnt worden ist oder aber die Annexionshandlung durch internationale Anerkennung gerechtfertigt wurde58• Diese Einschränkungen betreffen allerdings nicht die Frage, ob ein AnnexionsVgl. die Übersicht bei Krülle, S. 199 f. Starke, S. 161 f. 39 Hyde, Bd. 1, S. 356 ff. 40 Brierly, The Law of Nations, S . 171. 41 O'Connell, Bd. 1, S. 431 ff. 42 Kelsen, Principles, S. 420 ff. 43 Oppenheim/Lauterpacht, Bd. 1, S. 594. u Eagleton, S. 56 f. •s Fenwick, S. 425. 46· Langer, 8.117. 47 Cavare, Bd. 2, S. 672 f . 48 Sibert, Bd. 1, S. 891 ff. 49 Bindschedler, Annexion, in: Wörterbuch Bd. 1, S. 69. 50 Tobler, Eroberung, in: Wörterbuch Bd. 1, S. 439. 51 Menzel, Annexionsverbot, S. 36 ff. 52 Verdross, Völkerrecht, S. 288. 53 Wehberg, Krieg und Eroberung, S. 88 ff. s4 Dahm, Völkerrecht Bd. 1, S. 604 ff. ss Schätzel, S. 262. 56 Ähnlich neuerdings: Starck, Recht und Staat, S. 851 ff. 37

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verbot zu Recht besteht, sondern hängen mit dem Problem zusammen, ob eine ursprüngliche illegale Eroberung später aus irgendwelchen Gründen gerechtfertigt werden kann57. Die östliche Völkerrechtslehre tritt - im Anschluß an Lenin, der Annexionen als Mittel des Kapitalismus und Imperialismus bezeichnete58 - für ein grundsätzliches Annexionsverbot ein, doch wird es von Tunkin59, Molodzow60 und Wiewi6ra61 nicht nur auf das Verbot der Gewaltanwendung, sondern in erster Linie auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker gestützt. Dieser kurze Überblick über einige Stellungnahmen mag genügen, um zu zeigen, daß auch die Völkerrechtslehre-mit Ausnahme der angloamerikanischen Stimmen - sich überwiegend für ein generelles Annexionsverbot ausspricht- gestützt auf das in der Charta der Vereinten Nationen aufgestellte Gewaltverbot.

4.122 Der in Art. 52 WVK enthaltene Grundsatz als Ausfluß des allgemeinen Gewaltverbots? Nunmehr stellt sich die Frage, ob die zum Annexionsverbot angestellten Überlegungen auch für das Problem der Gültigkeit aufgezwungener Verträge zu gelten haben. Falls dieser Problemkreis ebenso mit dem Kriegs- und Gewaltverbot verknüpft ist wie die Zulässigkeit von Eroberungen, ist eine gleiche Behandlung geboten. Man gelangt dann auch hier zu dem Ergebnis, daß Verträge, die unter Verletzung des in Art. 2 Abs. 4 der UN-Satzung niedergelegten Gewaltverbots zustandegekommen sind, nicht als rechtsgültig betrachtet werden können. Entscheidend ist somit, ob die Sachverhalte wirklich gleich gelagert sind oder ob sich Unterschiede in beiden Fragenkomplexen ergeben, die eine unterschiedliche Behandlung nicht nur rechtfertigen, sondern notwendig erscheinen lassen. 4.1221 Unterschiede Annexion- aufgezwungener Vertrag

Auf den ersten Anblick scheinen die zur Annexion durchgeführten Überlegungen auch auf die nunmehr zu untersuchende Frage zuzutreffen: Wollte man einen unter Verletzung des Gewaltverbots zustande57 Zu diesem Problem vgl. jetzt auch die sehr ausführliche Untersuchung von Zimmer, Gewaltsame territoriale Veränderungen und ihre völkerrechtliche Legitimation. 58 So wiedergegeben bei Meissner, Sowjetunion und Selbstbestimmungs59 Tunkin, S. 221 ff. recht, S. 213. 60 Molodzow, in: Akademielehrbuch, S. 189 ff. st

Wiewi6ra, S. 158.

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gekommenen Vertrag als rechtsgültig betrachten, so hieße das, die Anwendung oder Androhung der Gewalt nachträglich zu legalisieren; ein Rechtsbrecher könnte die Früchte und Ergebnisse seiner illegalen, vom Völkerrecht verbotenen Tätigkeit ungestraft und ohne Risiko davontragen. Nun ist aber, wie zu zeigen sein wird, zwischen einer Annexion und einem aufgezwungenen Vertrag ein entscheidender Unterschied festzustellen, und es wird geprüft werden müssen, ob dieser Unterschied eine differenzierte Behandlung gebietet. Als Ausgangspunkt für die Untersuchung zum Annexionsverbot war die Annexion als einseitige, gewaltmäßige, auf Dauererwerb zielende Einverleibung fremden Territoriums definiert worden82• Es handelt sich also um einen einseitigen Akt, der unabhängig vom Willen anderer vorgenommen wird - insbesondere unabhängig vom Willen desjenigen, dessen Staatsgebiet annektiert werden soll. Ein völkerrechtlicher Vertrag hingegen wird allgemein definiert als ein auf Willenseinigung beruhendes Rechtsgeschäft, das zwischen Völkerrechtssubjekten abgeschlossen wird und für das künftige Verhalten der Vertragspartner Rechte und Pflichten begründet, ändert oder aufhebt63• Ein Vertrag setzt also eine Willenserklärung beider Partner voraus, beinhaltet somit die Zustimmung des Vertragsgegners zu den im Vertrag niedergelegten Rechten und Pflichten. Dieser Unterschied war letztlich der Grund, weshalb die sogenannte Zwangszession, die von manchen Autoren mit unter den Begriff der Annexion gerechnet wird6\ bei der Zugrundelegung des Annexionsbegriffes ausgeschieden worden war. Eine Zwangszession - wie die in einem Friedensvertrag dem militärischen Sieger zugestandene Gebietsabtretung - setzt aber stets die Zustimmung des vom Gebietsverlust betroffenen Staates voraus. Ist nun eine Zustimmung, die dem betroffenen Partner unter Androhung oder Anwendung von völkerrechtswidrigem Zwang abgenötigt worden ist, als rechtlich irrelevant anzusehen? Oder anders ausgedrückt: Besitzt ein Vertrag, der unter Verletzung des in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegten Gewaltverbots zustandegekommen ist, keine rechtliche Gültigkeit? Siehe oben, Teil4.1211 der Arbeit. Siehe Rauschning, Das Schicksal völkerrechtlicher Verträge, S. 7 m . w. N. und S. 12; Art. 2 Abs. 1 a der WVK definiert einen Vertrag als "international agreement concluded between States in written form and governed by international law, whether embodied in a single instrument or in two or more related instruments and whatever its particular designation", vgl. ZaöRV Bd. 29 (1969), S. 713. 61 Zum Beispiel Scheuner, FW Bd. 49 (1949), S. 81; Bindschedter, Annexion, in: Wörterbuch Bd. 1, S. 68 f. und MähLer, S. 96 ff. 62

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4.1222 Getrennte Sicht von Gewaltverbot und den Folgen seiner Verletzung Zunächst muß berücksichtigt werden, daß es sich bei einer Annexion um direkte Gewaltausübung gegen die territoriale Unversehrtheit eines Staates handelt; diese ist untersagt, folglich ist das Annexionsverbot im Gewaltverbot zwingend mit enthalten. Ein aufgezwungener Vertrag hingegen stellt die Frucht der Gewaltausübung dar: Er ist erst die spätere Folge des angewendeten Zwanges. Der Zwang selbst schafft noch nicht den Vertrag, sondern erst die abgenötigte Zustimmung des Gegners. Es ist zu fragen, ob das Gewaltverbot und die Folgen seiner Verletzung getrennt gesehen werden können. Über die Folgen seiner Verletzung sagt Art. 2 Abs. 4 der UN-Satzung unmittelbar nichts aus, sondern es wird nur festgestellt, daß Gewalt nicht als Mittel in den internationalen Beziehungen gebraucht werden darf- diese Formulierung schließt den Zwang beim Vertragsabschluß ein: Gewalt darf auch nicht angewendet werden, um einen Vertrag herbeizuführen. Wohlliegt der Schluß nahe, das durch ein verbotenes Mittel Erreichte als mit einem Makel behaftet anzusehen: Ist eine bestimmte Handlung inkriminiert, wird man die damit erzielten Ergebnisse als fehlerhaft betrachten können- ex iniuria ius non oritur. Es läßt sich dann weiter argumentieren: Wird verbotener Zwang angewendet und kommt daraufhin ein Vertrag zustande, so kann diesem Vertrag keine rechtliche Gültigkeit zugebilligt werden. Würde man einen unter Verletzung des Gewaltverbots zustandegekommenen Vertrag als rechtsverbindlich betrachten, würde die Rechtsgültigkeit des Gewaltverbots in Frage gestellt. Ist dieser Schluß aber tatsächlich zwingend? Bindschedler hat darauf aufmerksam gemacht65, daß auch das Völkerrecht- wie andere Rechtsordnungen - Ieges imperfectae kennt, mit denen keine Sanktionen verbunden sind66 • Es ist deshalb denkbar, daß trotz Bestehens des allgemeinen Gewaltverbots aufgezwungene Verträge nicht als ungültig angesehen werden. Die Folgen einer Verletzung des Gewaltverbots lassen sich nicht zwingend aus Art. 2 Abs. 4 UNO-Charta entnehmen. Daß völkerrechtswidrig aufgezwungene Verträge als nichtig anzusehen seien, läßt sich aus dem Gewaltverbot der Satzung der Vereinten Nationen deshalb nicht mit letzter Sicherheit ableiten67 •

REDI Bd. 21 (1968), S. 312. Siehe dazu auch die Bemerkungen von Oppermann, Gewaltverbot, in: Schaumann, Gewaltverbot, S. 119. G7 So ausdrücklich Bindschedler, RED! Bd. 21 (1968), S. 312; ähnlich auch Kelsen, Principles, S. 465, Fn. 44. &s

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4.1223 Umgehung des Annexionsverbotes durch Zulässigkeit der Zwangszession? Man mag diesem Ergebnis folgende Überlegung entgegenhalten: Es war oben67• versucht worden nachzuweisen, daß im Gewaltverbot ein Annexionsverbot enthalten ist. Wollte man nun einen durch Anwendung von verbotenem Zwang zustandegekommenen Vertrag als rechtsverbindlich ansehen, so könnte ein Staat das Annexionsverbot dadurch umgehen, daß er einen anderen zwingt, sein Staatsgebiet vertraglich abzutreten. Durch die Zulässigkeit der Zwangszession würde dann das Annexionsverbot praktisch hinfällig68 • Dennoch ist fraglich, ob Annexion und Zwangszession derart in Verbindung gebracht werden können, denn es macht einen Unterschied, ob ein Staat ein fremdes Gebiet besetzt und sich einverleibt oder ob er die Zustimmung des Vertragspartners durch Druckmittel herbeiführt. Die Intensität der Handlung ist im ersten Falle erheblich größer. Nicht jeder, der Zwang gegenüber seinem Partner ausübt, würde auch in ein fremdes Land einfallen. Beide Fälle sind somit nicht gleichzusetzen. 4.1224 Die Möglichkeit zur Verweigerung der Zustimmung Auch Überlegungen rechtspolitischer Art verdienen Beachtung: Führt man sich die Abschlüsse verschiedener Friedensverträge vor Augen, so wird deutlich, daß auch die Unterschrift des Unterlegenen für den Sieger noch einen erheblichen Wert hat. Als Beispiel sei hier der Friedensschluß von Versailles genannt: Die Alliierten hatten in ihrer Mantelnote vom 16. Juni 1919 offen mit Gewalt gedroht, falls der Friede nicht als Ganzes innerhalb von fünf Tagen angenommen würde; andernfalls würden sie diejenigen Schritte ergreifen, die sie zur Erzwingung ihrer Bedingungen für erforderlich hielten. Sie legten also Wert auf die Zustimmung der deutschen Regierung, die sich dann infolge des wehrlosen Zustandes auch gezwungen sah, den ultimativen Forderungen der Sieger nachzukommen, aber dennoch in ihrer Antwortnote vom 23. Juni 1919 ihren Standpunkt betonte: "Der übermächtigen Gewalt weichend und ohne damit ihre Auffassung über die unerhörte Ungerechtigkeit der Friedensbedingungen aufzugeben, erklärt deshalb die Regierung der deutschen Republik, daß sie bereit ist, die von den alliierten und assoziierten Regierungen auferlegten Friedensbedingungen anzunehmen und zu unterzeichnen68 ." Siehe Teil 4.121 der Arbeit. Auf diese Problematik hat schon Mähler, S. 108 hingewiesen; Menzel, Annexionsverbot, S. 37 behandelt sie im Hinblick auf die Frage der Gegenannexion. 67•

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In vielen Fällen braucht der Unterlegene dem auf ihn ausgeübten Druck nicht nachzugeben und kann sich auf den Standpunkt stellen, in derartiger Weise lasse er nicht ·mit sich verfahren, möge doch der Sieger den Krieg fortsetzen oder ein Besatzungsregime errichten - wozu er unter Umständen auf Grund tatsächlicher Gegebenheiten oder durch den moralischen Druck der Weltmeinung nicht in der Lage sein mag. In diesen Fällen hat der Genötigte noch einen Trumpf in der Hand, den er ausspielen kann: Er kann seine Zustimmung verweigern und so die ihm gestellten Friedensbedingungen nicht annehmen - ein Friedensvertrag kommt dann nicht zustande. Die Geschichte kennt Fälle, in denen eine derartige Zustimmung verweigert wurde. Ein berühmtes- wenn auch nicht ganz treffendes- Beispiel ist der am 10. August 1920 zwischen der Türkei und der Entente in Sevre unterzeichnete Friedensvertrag. Der letzte Sultan Mehmed VI. und die türkische Nationalversammlung lehnten sich gegen das System der Pariser Friedensverträge auf und verweigerten die Ratifikation. Nach einem erfolgreichen Krieg gegen Griechenland und der Abschaffung des Sultanats im Jahre 1922 gelang es der Türkei, die ihr auferlegten Friedensbedingungen erheblich zu mildern: Unter Mustafa Kemal Pascha (seit 1935 Kemal Atatürk) - dem neuen Präsidenten der türkischen Republik - wurde am 24. Juli 1923 in Lausanne ein neuer Friedensvertrag mit der Türkei geschlossen. Darin wurde nicht nur die Unabhängigkeit der Türkei anerkannt und ihr europäisches Gebiet vergrößert, sondern sie erlangte auch wieder die Oberhoheit über die Meerengen70. Eine solche Weigerung, einem Friedensvertrag zuzustimmen, mag schwerwiegende Nachteile mit sich bringen, denn der Sieger kann dann seinen Willen nur durch Fortsetzung des Krieges realisieren. Entscheidet sich der Unterlegene hingegen dafür, den Bedingungen zuzustimmen, so mag die Situation eintreten, daß die damit verbundenen Vorteile die Nachteile nicht aufwiegen. Man mag deshalb geneigt sein, in derartigen Fällen noch von einer echten Wahlmöglichkeit zu sprechen und die zustimmende Willenserklärung für freiwillig abgegeben halten, obwohl sie unter Druck zustandegekommen ist71 • 69 Vgl. dazu Berber, Völkerrecht Bd. 1, S. 437 Fn. 47; Texte der Noten bei Berber, Diktat von Versailles, S. 75 und 86. 70 Text der Verträge: Martens, NRG III, Bd. 12, S. 664 ff., NRG III, Bd. 13, 342 ff. und LNTS Bd. 28, S. 12 ff. Zum Gesamtkomplex siehe ScheubaLischka, Lausanner Friede von 1923, in: Wörterbuch Bd. 2, S. 405 ff.

s.

71 Ähnlich ist besonders in der älteren Völkerrechtslehre argumentiert worden, vgl. etwa Bluntschli, Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staaten, S. 234 und Martens, Traite de droit international, S. 529, beide genannt bei Spengler, S. 99; hierbei ist zu berücksichtigen, daß diese Stimmen aus der Zeit vor Einführung des Kriegsverbots stammen.

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Als Gegenargumente lassen sich anführen, daß in diesen Situationen von einer tatsächlichen Alternative nicht mehr gesprochen werden kann. Muß bei Nichtunterzeichnung ein Besatzungsregime in Kauf genommen werden oder droht die völlige Zerstörung des Staates, wird die Unterschrift nur zur Abwendung eines noch schlimmeren Übels geleistet, um die Leiden der Bevölkerung durch Fortsetzung des Krieges nicht noch mehr zu vergrößern oder um die vollständige Zerstörung des Wirtschaftspotentials abzuwenden. Hier kann aber kaum noch von einer echten Wahlmöglichkeit und damit von echter Willensfreiheit die Rede sein. Trotzdem darf der Wert der Zustimmung nicht verkannt werden; Staaten können sich mit ihr unter Umständen von kritischen Situationen freikaufen. Rechtspolitisch gesehen würde die tatsächlich gegebene Unterschrift entwertet, wollte man sie als irrelevant betrachten und den Vertrag als ungültig ansehen. 4.1225 Vermeidung von Weltkriegssituationen; Ordnungsfunktionen befriedender Vergleiche Eine weitere Überlegung verdient berücksichtigt zu werden: Es darf den Staaten nicht die Möglichkeit genommen werden, Verträge miteinander abzuschließen, nur weil diese Abkommen im Zusammenhang mit einer Verletzung des Gewaltverbots stehen. Deutlich wird dies, wenn man beispielsweise die während eines Krieges abgeschlossenen Humanitätsabkommen betrachtet: Verträge zum Schutz der Zivilbevölkerung und über den Austausch von Gefangenen haben ihren Ursprung oft in der Verletzung des Gewaltverbots, doch unterstützen sie eher die Ziele und Zwecke der UN-Charta, als daß sie ihnen entgegenstehen. Man denke auch daran, daß gelegentlich Abkommen unter Druck geschlossen werden, um eine Weltkriegssituation zu vermeiden. So hat etwa während der Cubakrise die Sowjetunion sich dem Druck der USA gebeugt. Würde in derartigen Situationen ein Vertragsschluß gar nicht mehr möglich sein, weil das Abkommen ohnehin als nichtig angesehen werden müßte, wäre eine Bereinigung derartiger Krisensituationen auf friedlichem Wege nicht möglich. In diesem Zusammenhang sei der Nahost-Konflikt erwähnt: Wenn etwa Israel sich ganz oder wenigstens zum größten Teil aus den besetzten Gebieten zurückzöge und damit seine Anerkennung durch die arabischen Staaten erlangen könnte, so wäre bei konsequenter Anwendung des in Art. 52 WVK verkörperten Grundsatzes die Gültigkeit eines derartigen Abkommens fraglich. Art. 52 WVK würde eine solche Lösung praktisch unmöglich machen. Gleichwohl darf ein derartiges Ergebnis

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nicht ausgeschlossen werden: Befriedende Vergleiche haben, auch wenn sie unter Druck zustandegekommen sind, eine Ordnungsfunktion zu erfüllen. Es mag auch der Fall eintreten, daß zwei Staaten ein Abkommen treffen, um eine Situation zu bereinigen, die von einem der Partner gewaltsam herbeigeführt worden war. Auch hier ist die Verletzung des Gewaltverbots Ursache für den späteren Vertragsabschluß. Wenn doch aber dieser Vertrag eine für beide Teile akzeptable Lösung schafft und damit die zwischen ihnen bestehenden Spannungen beseitigt, weshalb soll man ihm dann die rechtliche Gültigkeit absprechen? Man denke nur an die von der Bundesrepublik mit den Ostblockländern angestrebten und ausgehandelten Verträge. Hier wird einmal mehr deutlich, daß es nicht Sinn und Zweck des durch die UN-Satzung aufgestellten Gewaltverbots sein kann, derartige Verträge zu verhindern. Allerdings ist in den letztgenannten Fällen fraglich, ob hier noch von einer Kausalität zwischen Verletzung des Gewaltverbots und Vertragsabschluß die Rede sein kann. ·Gewiß ist die illegale Zwangsanwendung eine conditio sine qua non für den Vertrag, denn ohne die Zwangshandlung wäre das Abkommen vermutlich gar nicht zustandegekommen, ja sogar überflüssig gewesen. Doch ist die Nötigung nicht zu dem Zwecke eingesetzt worden, den betreffenden Vertragsabschluß herbeizuführen; die Verletzung des Gewaltverbots hat das fragliche Abkommen nicht direkt zustandegebracht, sondern dieses ist vielmehr nur als nicht mit angestrebte Folge anzusehen. Hier dürfte es letztlich darauf ankommen, ob tatsächlich eine relevante Kausalität vorliegt, ob man sagen kann, dieser Vertrag ist durch Verletzung des Gewaltverbots zustandegekommen. Auch diese rechtspolitischen Gesichtspunkte lassen fraglich erscheinen, ob eine rechtliche Gleichbehandlung von Annexion und aufgezwungenem Vertrag erfolgen kann. 4.1226 Zwang beim Vertragsabschluß als völkerrechtliches Delikt Eine weitere Überlegung soll hilfsweise angestellt werden: Ein Staat, der einem anderen völkerrechtswidrig einen Vertrag aufzwingt, begeht ein völkerrechtliches Unrecht, die Verletzung des Gewaltverbots bedeutet einen Verstoß gegen Völkervertragsrecht - eventuell auch gegen Völkergewohnheitsrecht72 • Durch die Gewaltanwendung beim Vertrags72 Menzel, Völkerrecht, S. 278 definiert als völkerrechtliches Unrecht den von einem Völkerrechtssubjekt gegen ein anderes Völkerrechtssubjekt begangenen Verstoß gegen völkerrechtliches Vertrags- oder Gewohnheitsrecht; ähnlich Berber, Völkerrecht Bd. 3, S. 4, der als besonderes Beispiel die widerrechtliche Eröffnung eines Angriffskrieges nennt.

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abschluß wird in der Regel auch ein Schaden entstehen, ein wirtschaftlicher Schaden ist nicht einmal erforderlich73 • Die gewöhnliche Deliktsfolge besteht nun in der Verpflichtung, den Zustand wiederherzustellen, der vor Setzung des Unrechts bestand (Naturalrestitution)14 • Dahm75 hat betont, diese Regel sei nur Teilausdruck des allgemeinen Prinzips, daß auch im Völkerrecht jeder herausgeben müsse, was er ohne Rechtsgrund auf Kosten eines anderen erlangt habe. Erlangt durch die Verletzung einer Norm des Völkerrechts ist nun der betreffende Vertrag. Der Vertragsabschluß müßte folglich rückgängig gemacht werden, um den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen. Damit entsteht für den Verletzten ein Anspruch auf Aufhebung des Vertrages- das Abkommen ist vernichtbar. Diese Überlegung scheint gegen die Gültigkeit völkerrechtswidrig aufgezwungener Verträge zu sprechen. Hier ist aber noch zweierlei zu berücksichtigen: Es macht einen Unterschied, ob man sagt, eine Willenserklärung oder ein Vertrag sei nichtig, oder ob man einen Anspruch auf Aufhebung des erzwungenen Vertrages gewährt. Im ersten Falle ist der Vertrag von vornherein ungültig, im zweiten nur mit dem Makel behaftet, daß er im Rahmen eines Schadensersatzanspruches herausgegeben werden muß. Der Grundsatz der Naturalrestitution fordert deshalb nicht zwingend, einen aufgenötigten Vertrag als nichtig anzusehen. - Zum anderen kann ein Staat in einen an sich widerrechtlichen Akt eines fremden Staates einwilligen; die Rechtswidrigkeit wird dadurch geheilt entweder noch vor ihrem Entstehen oder aber nachträglich mit rückwirkender Kraft78 • Erforderlich ist allerdings, daß der Einwilligende über das Rechtsgut, in das eingegriffen wird, zu verfügen vermag77 • Steht dieses Rechtsgut allerdings nicht zur Verfügung des Betroffenen- bei 73

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Verdross, Völkerrecht, S. 373.

Menzel, Völkerrecht, S. 286; Verdross, Völkerrecht, S. 400, der als Bei-

spiel anführt, daß das rechtswidrig besetzte Gebiet zu räumen sei. 75 Völkerrecht Bd. 3, S. 233. 7 8 Berber, Völkerrecht Bd. 3, S. 5. 77 Dahm, Völkerrecht Bd. 3, S. 215; er weist darauf hin, daß Staaten oft ein ihnen vorher zugefügtes Unrecht in später abgeschlossenen Verträgen gutheißen oder doch auf die Geltendmachung von Ansprüchen daraus verzichten: "Nach der zunächst einseitigen Kündigung der das Schwarze Meer betreffenden Klauseln des Pariser Vertrages von 1856 haben die anderen Großmächte die neue Situation im Londoner Vertrag mit Rußland von 1871 gebilligt und sie damit endgültig legitimiert. Nach der zunächst völkerrechtswidrigen Annexion von Bosnien und der Herzegowina durch ÖsterreichUngarn im Jahre 1908 hat die Türkei nachträglich mit Österreich-Ungarn Verträge geschlossen, in denen die Änderung der Verhältnisse anerkannt wurde." - Aus jüngster Zeit denke man auch an den Warschauer Vertrag, in dem die Bundesrepublik die Oder-Neiße-Grenze als Staatsgrenze Polens anerkannt hat.

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einer Verletzung des Gewaltverbots erscheint diese Frage besonders problematisch - , dann vermag auch eine erteilte Einwilligung die Rechtswidrigkeit nicht zu beseitigen. Gibt nun ein Staat seine Zustimmung zu einem Vertrag, bei dessen Abschluß Zwang im Spiele war, so läßt sich dies als Einwilligung in den unter Umständen völkerrechtswidrig ausgeübten Zwang auffassen falls die Einwilligung wirksam erteilt werden konnte. Damit wird aber der rechtwidrige Zustand in einen rechtmäßigen verwandelt. Auch aus den zum völkerrechtlichen Delikt angestellten Überlegungen läßt sich die Nichtigkeit eines aufgenötigten Abkommens nicht zwingend ableiten. 4.1227 Ergebnis Als Ergebnis der durchgeführten Untersuchungen läßt sich somit festhalten: Der in Art. 52 WVK enthaltene Grundsatz läßt sich nicht mit hinreichender Sicherheit aus Art. 2 Abs. 4 der UNO-Charta ableiten. Man mag geneigt sein, infolge des Bestehens eines allgemeinen Gewaltverbots Verträge, die unter seiner Verletzung zustandegekommen sind, nicht als gültig zu betrachten. Zwingend ist dieser Schluß hingegen nicht. Zum Annexionsverbot, das im allgemeinen Gewaltverbot implizit enthalten ist, bestehen so erhebliche Unterschiede, daß eine Gleichbehandlung von Annexion und aufgezwungenem Vertrag nicht geboten erscheint. Aus dem Völkervertragsrecht läßt sich der in Art. 52 WVK enthaltene Grundsatz, daß völkerrechtswidrig aufgezwungene Verträge als nichtig anzusehen seien, deshalb nicht herleiten. 4.2 Gültigkeit als Völkergewohnheitsrecht Es stellt sich nunmehr die Frage, wie die Staatenpraxis konkrete geschichtliche Situationen, in denen Verträge mit verbotener Gewalt aufgezwungen worden sind, bewältigt hat. Dies ist bei der Untersuchung des Völkergewohnheitsrechts zu erörtern. Völkergewohnheitsrecht wird dadurch belegt, daß eine allgemeine und von Rechtsüberzeugung getragene einheitliche Übung der für die Völkerrechtssubjekte rechtserheblich handelnden Organe nachgewiesen wird78 , wobei durch die Auswertung der in Frage kommenden Einzelakte letztlich der Schluß vom Besonderen zum Allgemeinen das Ergebnis liefern muß. Eine solche Untersuchung hat den Vorzug, nicht über, sondern 78 Vgl. statt vieler Menzel, Völkerrecht, S. 94 f. und Jaenicke, Völkerrechtsquellen, in: Wörterbuch Bd. 3, S . 769 f.

4.2 Als Völkergewohnheitsrecht

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in der politischen Wirklichkeit zu stehen und kann so zu wirklichkeitsgetreueren Lösungen führen. Nach herrschender Ansicht sind Voraussetzungen für die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht ein längeres gleichartiges Verhalten der beteiligten Staaten (consuetudo) und die Überzeugung, daß dieses Verhalten rechtlich geboten ist (opinio iuris sive necessitatis)79 • Das gleichartige Verhalten als objektives Element erfordert eine einheitliche Praxis der Staaten, wobei allerdings eine längere Dauer der Übung heute nicht mehr für erforderlich gehalten wird80 • Auch braucht nicht notwendig eine gleichartige Praxis aller beteiligten Staaten nachgewiesen zu werden, sondern es genügt, daß sich die an der Übung nicht Beteiligten nicht anders verhalten oder rechtliche Verwahrung dagegen erheben. Der in der Völkerrechtslehre bestehenden Streit, ob bei der Feststellung gleichartigen Verhaltens der Staaten nur die Praxis der für die auswärtigen Beziehungen zuständigen Organe - wie Regierung, Außenministerium, diplomatische Vertretungen - in Betracht gezogen werden darf oder ob auch die Praxis anderer Staatsorgane- wie Legislative, Gerichte, Behörden der inneren Verwaltung - gewohnheitsbegründend wirken kann, ist zugunsten der letzteren Auffassung zu entscheiden81. Die engere Auffassung ließe sich rechtfertigen, wenn die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht als stillschweigendes vertragsähnliches Übereinkommen der Staaten aufzufassen wäre, was aber überwiegend abgelehnt wird. So hat die Völkerrechtspraxis nicht gezögert, auch Legislativakte und Gerichtsentscheidungen als gewohnheitsrechtsbegründend heranzuziehen82• Das Bewußtsein der rechtlichen Verpflichtung zu dem der Übung entsprechenden Verhalten als subjektives Element ist ein notwendiger zweiter Faktor für die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht. Die vereinzelt vertretene Ansicht, dieses Element sei nicht relevant83 , ist abzu79 Hierzu siehe Berber, Völkerrecht Bd. 1, S . 41 ff. und die dort zitierten Definitionen des Völkergewohnheitsrechts von Fenwick, Schwarzenberger, Oppenheirn, Anzilotti, Verdross, Kaufmann, Scelle und Hudson; auf die vielschichtige Problematik kann in diesem Zusammenhang nicht eingegangen werden, siehe dazu neuerdings Verdross, ZaöRV Bd. 29 (1969), S. 635 ff. und Günther, Zur Entstehung von Völkergewohnheitsrecht. 80 So der IGH im Festlandsockelurteil vorn 20. Februar 1969, ICJ Reports 1969, S. 41 ff.; anders noch das IGH-Urteil im Haya de la Torre-Fall, ICJ Reports 1950, S. 276 f., wo eine "konstante" Praxis verlangt wurde. 81 So überzeugend: Jaenicke, Völkerrechtsquellen, in: Wörterbuch Bd. 3, s. 769. 82 SchiUe, Methoden der Völkerrechtswissenschaft, in: Wörterbuch Bd. 3, S. 790; vgl. auch das Urteil des StiGH im Lotus-Fall, PCIJ Series A No. 10, S. 23 ff.; siehe auch BVerfGE 16,27 ff. 83 Nachweise verschiedener Autoren bei Schweitzer, Völkergewohnheitsrecht, S. 14 und Duisberg, JIR Bd. 12 (1965), S. 140 ff.

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4. Rechtliche Geltung des in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatzes

lehnen, obwohl sie den Vorteil der leichteren Beweisbarkeit hat; sie vermag nämlich nicht das Völkergewohnheitsrecht von unverbindlichem Verhalten oder Courtoisie zu unterscheiden84 • Nun ist der Nachweis der Rechtsüberzeugung oft schwierig und selten überzeugend zu führen; deshalb hat die Praxis der internationalen Gerichte sich meist mit dem Nachweis gleichartigen Verhaltens der beteiligten Staaten begnügt und dies als Indiz für das Vorhandensein einer entsprechenden Rechtsüberzeugung gewertet85• Es soll nunmehr anband einiger Beispiele aus jüngerer Zeit untersucht werden, ob sich eine einheitliche Staatenpraxis zur Frage der Gültigkeit aufgezwungener Verträge herausgebildet hat, wodurch das objektive Element- das gleichartige Verhalten der beteiligten Staaten- nachge·wiesen würde. 4.21 Der Vertrag über die Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren vom 15. März 1939

Als Ausgangspunkt dafür sei der wohl eklatanteste und in der Lite-:ratur immer wieder als abschreckendes Beispiel genannte Fall eines erzwungenen Vertragsabschlusses gewählt: der Vertrag über die Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren vom 15. März 1939. Der tschechoslowakische Staatspräsident Hacha war im März 1939 nach Berlin gekommen, um über die von neuem zwischen der Tschechoslowakei und dem Deutschen Reich entstandenen Differenzen und die Forderungen Hitlers zu verhandeln. Nach der im Nürnberger Prozeß verlesenen deutschen Niederschrift88 über die Besprechungen Hitlers mit Hacha ist gegenüber der tschechoslowakischen Delegation kein persönlicher Zwang angewendet worden. Die Unterhändler sollen sogar ausgesprochen zuvorkommend behandelt worden sein87• Der zum Vertragsabschluß führende Zwang war vielmehr gegen den Staat selbst gerichtet: Es wurde die Bombardierung Prags und die Zerstörung von Böhmen und Mähren angedroht, falls das vom Deutschen Reich gewünschte Abkommen nicht innerhalb kürzester Frist unterzeichnet würde88 • Um ein 84 So J aenicke, Völkerrechtsquellen, in: Wörterbuch Bd. 3, S. 771; weitere Kritik bei Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, S. 83. 85 Jaenicke, Völkerrechtsquellen, in: Wörterbuch Bd. 3, S. 770. 88 Seidl-Hohenveldern, ÖJZ 1948, S. 345; Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg Bd. 3, S. 181 ff., im folgenden als "Prozeß" zitiert. 87 Vgl. die zusätzlichen Informationen von Henderson, Prozeß Bd. 3, S. 185 ff.; anders aber Waldock, der in den Beratungen der ILC (Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil 2, S. 308, para 22) meinte, die tschechoslowakischen Delegierten seien ohne Nahrung eingeschlossen worden und dauernden Bedrohungen ausgesetzt gewesen. 88 Die einzelnen Umstände schildert von Glahn, S. 437: Hacha und sein Außenminister erschienen 1 Uhr morgens in der Reichskanzlei; Hitler und

4.2 Als Völkergewohnheitsrecht

111

derartiges Unheil von seinem Land abzuwenden, hat Hacha seine Zustimmung erteilt.- Es kommt hinzu, daß bereits vor der Unterzeichnung des Protektoratsvertrages an einigen wirtschaftlich und strategisch wichtigen Abschnitten deutsche Truppen die Grenzen überschritten hatten, wobei sie in örtliche Kämpfe mit tschechoslowakischem Militär verwikkelt wurden89 • Wie hat nun die Praxis auf diesen Vertragsschluß reagiert? Bereits zwei Tage später- am 17. März 1939 -erklärte die französische Regierung: "Die Umstände, unter denen das Abkommen vom 15. März den führenden Persönlichkeiten der Tschechoslowakei aufgezwungen wurde, können in den Augen der Republik dem tatsächlichen Zustand, der durch dieses Abkommen geschaffen wurde, keine Rechtsgültigkeit verleihen90." Andere Regierungen reagierten ähnlich, positive Stimmen sind nicht festzustellenn. Der Internationale Militärgerichtshof in Nürnberg (1945/46) kam in seinem Urteil zu dem Schluß: "Böhmen und Mähren wurden durch militärische Streitkräfte besetzt. Hachas Zustimmung, die ihm unter Zwang abgenötigt worden war, kann nicht als Rechtfertigung der Besetzung angesehen werden92." Der aufgezwungene Vertrag wurde somit nicht als rechtsgültig angesehen. Dies ist deshalb erstaunlich, da zum Zeitpunkt der Unterschriftleistung -und auch der französischen Erklärung- das umfassende Gewaltverbot der UN-Charta noch nicht galt. Wohl handelte es sich bei der Drohung mit dem Luftbombardement um militärischen Zwang, wie er bereits durch den Briand-Kellogg-Pakt verboten war, doch ist fraglich, ob zum damaligen Zeitpunkt nicht nur die tatsächliche Anwendung von Gewalt verboten war und die bloße Androhung erst nach Abschluß der UNO-Charta als rechtswidrig galt03 • 4.22 Das Müncb.ener Abkommen von 1938

Als weiteres Beispiel, auf das in der Literatur oft verwiesen wird, wenn es um die Anwendung von Zwang beim Vertragsabschluß geht, sei das Münchener Abkommen von 1938 angeführt. Dabei kann eine zusammenseine Berater verlangten die sofortige Unterwerfung der Tschechoslowakei. Falls ein entsprechender Vertrag nicht bis 5 Uhr früh unterzeichnet sei, würden 800 deutsche Bomber Prag und andere Städte ohne vorherige Warnung angreifen. Um 4 Uhr früh gab Hacha auf und unterschrieb. 89 Rönnefarth, S. 742. 90 Prozeß Bd. 3, S. 208 f. 91 Vgl. Kimminich, Münchner Abkommen, S. 39. 9 2 Prozeß, Bd. 1, S. 220, 378. 93 Siehe dazu mit Nachweisen Spengler, S. 101 f.

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hängende Betrachtung aller damit verbundenen Verträge, Noten und Abkommen erfolgen; auf eine strenge Unterscheidung der zu diesem Komplex gehörenden einzelnen Rechtsakte kommt es in diesem Zusammenhang nicht an94 • In einer gemeinsamen Note vom 19. Sept.1938 hatten Großbritannien und Frankreich die Tschechoslowakei unmißverständlich wissen lassen, daß mit militärischer Hilfe nicht zu rechnen sei, falls der britisch-französische Vorschlag auf Abtretung der Gebiete mit mehr als 50 °/o deutschsprachiger Bevölkerung an das Deutsche Reich nicht angenommen würde. Diese Ansicht wurde am darauffolgenden Tage durch mündliche Erklärungen beider Länder in Prag wiederholt. Frankreich drohte, andernfalls den tschechoslowakisch-französischen Beistandspakt zu kündigen; Großbritannien erklärte, sich am Schicksal der Tschechoslowakei nicht mehr interessiert zu zeigen; die Tschechoslowakei habe für die Folgen der Nichtannahme allein einzustehen95• Damit stand die tschechoslowakische Regierung bekanntlich vor der Wahl, entweder die britischfranzösischen Vorschläge zu akzeptieren oder den Einmarsch deutscher Truppen zu riskieren. Allem Anschein nach wären dann Polen und Ungarn gleichfalls einmarschiert, um ihre eigenen Gebietsforderungen zu verwirklichen. Zum Verhalten von Großbritannien und Frankreich läßt sich feststellen, daß Frankreich damit wohl seine Bündnisverpflichtungen gegenüber der Tschechoslowakei verletzt hätte96 ; ein Zwang hingegen ist darin nicht unmittelbar zu sehen, denn beide Staaten haben nur den Standpunkt ihrer Regierungen dargelegt, daß mit einer Hilfe ihrerseits nicht gerechnet werden könne. Dieses Vorgehen ist nur eine Reaktion auf die Haltung der deutschen Regierung, um zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei zu vermitteln und so den Frieden in Mitteleuropa zu retten. Die deutsche Regierung hatte mit dem Einsatz militärischer Gewalt gedroht, falls den ultimativen Forderungen auf Abtretung der Sudetengebiete nicht nachgekommen würde. Obwohl die deutsche und die tschechoslowakische Regierung in der damaligen Zeit nicht in vertragliche Verhandlungen miteinander getreten sind, ist die Entschlossenheit der deutschen Regierung, das Grenzproblem notfalls mit Gewalt zu lösen, unmittelbar ursächlich für die zustandegekommenen Abkommen. 94

Zur Vorgeschichte und Entstehung der einzelnen Rechtsakte vgl. etwa

Schieder, Münchener Abkommen von 1938, in: Wörterbuch Bd. 2, S. 554 f. Rumpf,

Einige allgemeine Rechtsfragen zum Münchner Abkommen, in: Ostverträge, S. 186; zu den zahlreichen in Ausführung des Münchener Abkommens abgeschlossenen bilateralen Verträgen siehe Singbartl, S. 129 ff. 95 Spengle1·, S. 98 f .; Schmid, Münchener Abkommen, Teil1, S. 8 und 24 ; ausführlich K i mminich, Münchner Abkommen, S. 20 ff. 96 Dazu Spengler, S. 138 und Kimminich, Central Europe Journal, Bd. 20 (1972), s. 360.

4.2 Als Völkergewohnheitsrecht

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Es ist in der Literatur07 vertreten worden, es bestehe "kein Zweifel darüber", daß Großbritanien und Frankreich sich beim Abschluß des Münchener Abkommens in einer Zwangslage befunden hätten wie die Tschechoslowakei beim Abschluß des Protektoratsvertrages im März 1939, die nur durch die "Intensität des ausgeübten Zwanges" verschieden gewesen sei; "nur unter der Drohung kriegerischer Verwicklungen konnte Hitler die Zustimmung Frankreichs und Großbritanniens zur Zerstückelung der Tschechoslowakei erpressen, die sie ihm aus freien Stücken nie gegeben hätten". Dieser These ist mit Recht entgegengehalten worden98 , daß die Einschaltung der Westmächte in die Sudetenkrise erfolgte, um eine kriegerische Auseinandersetzung zu verhindern. Angesichts des französischtschechoslowakischen Beistandspaktes bestand zudem die Gefahr einer großen Ausweitung des Konfliktes. Deutschland hätte die Mitwirkung Frankreichs und Großbritanniens bei der Grenzneuregelung nicht erzwingen können. Die Vermittlungstätigkeit beider Staaten ist zum Teil wohl auch auf die Einsicht zurückzuführen, daß nur eine territoriale Neuregelung den seit 20 Jahren bestehenden Krisenherd beseitigen konnte99 • Als erzwungen kann somit nur die Zustimmung der tschechoslowakischen Regierung angesehen werden, und zwar insbesondere die Zustimmung durch Benes zum englisch-französischen Vorschlag vom 21. September und die Zustimmung des tschechoslowakischen Außenministers Krofta zum Münchener Abkommen, die er am 30. September 1938 den Gesandten Frankreichs, Großbritanniens und Italiens übermittelte: "Im Namen des Präsidenten der Republik sowie meiner Regierung erkläre ich, daß wir uns den in München ohne uns und gegen uns getroffenen Entscheidungen unterwerfen100 . " Die Münchener Regelung wurde zum Zeitpunkt ihres Abschlusses nicht nur in Europa begrüßt101 • Selbst der Völkerbund sah das Abkommen als Beispiel eines nach seiner Satzung vorgesehenen peaceful change an und stellte es in der Resolution vom 29. September 1938 als lobenswerte Friedensbemühung dar102 , 97 98 99

gen.

Seidl-Hohenveldern, ÖJZ 1948, S. 345. Insbesondere von Spengler, S. 99 f. Spengler, S. 100 mit Quellennachweisen offizieller britischer Äußerun-

100 Abgedruckt bei Berber, Europäische Politik, Dok. 180, S. 134 und Celovsky, S. 465. 101 Schieder, Münchener Abkommen von 1938, in: Wörterbuch Bd. 2, S. 555;

ablehnend allerdings bereits damals die UdSSR. 102 Vgl. Leage of Nations, Official Journal, Special Supplement No. 183, s. 94f. 8 Brosche

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4. Rechtliche Geltung des in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatzes

Diese zunächst positive Stimmung änderte sich schlagartig, nachdem Deutschland in Böhmen einmarschiert war und man erkannte, welch gutgläubig-naive Politik- heute bekannt unter dem Namen Appeasement - man betrieben hatte und daß derartige Friedensbemühungen das Machtstreben eines zum Kriege entschlossenen imperialistischen Staates nicht zu hemmen vermögen. Den ersten Schritt zur Distanzierung vom Münchener Abkommen unternahm das französische Nationalkomitee, die von de Gaulle gebildete Exilregierung: Sie sandte der tschechoslowakischen Exilregierung am 29. September 1942 ein Schreiben, in welchem das Münchener Abkommen als von Anfang an null und nichtig erklärt wurde: "Le Comite national franc;ais, rejetant les accords signes a Munich le 29 septembre 1938, proclame solennement qu'il considere ces accords comme nul et non avenus, ainsi que tous les actes accomplis en application ou en consequence des dits accords103." Nun war die Rechtslage des französischen Nationalkomitees damals nocht nicht geklärt, doch ist es 1944 als legitime Regierung Frankreichs anerkannt worden und hat diese Erklärung am 22. August 1944 in einer gemeinsamen Verlautbarung de Gaulies und des tschechoslowakischen Ministerpräsidenten bekräftigt104 • Zu diesem Standpunkt bekennt sich Frankreich auch heute noch105. Nach dem Austritt Italiens aus dem Bündnis der Achsenmächte erklärte auch de Gasperi im Namen der italienischen Regierung, daß das Abkommen als ungültig ab initio betrachtet werde106. Das Verhalten der britischen Regierung unterscheidet sich von dem Frankreichs und Italiens. Zwar legte Großbritannien gegen den deutschen Einmarsch in die Resttschechoslowakei sofort Protest ein und bezeichnete diesen Schritt als eine Verletzung des Münchener Abkommens107. Doch erst in einer Note des Außenministers Anthony Eden an den tschechoslowakischen Außenminister Masaryk vom 5. August 1942 distanzierte sich die britische Regierung vom Münchener Abkommen, allerdings erklärte sie das Münchener Abkommen nicht für ungültig von Anfang an: "Um aber jedes Mißverständnis auszuschließen, möchte ich 1os Text bei Schickel, S. 26. 104 Siehe Kimminich, Münchner Abkommen, S. 41. 105 Couve de Murville in Prag 1966, Rude prävo vom 28. Juli 1966, zitiert bei Hilf, Osteuropa 1970, S. 840. 106 Vgl. Kimminich, Münchner Abkommen, S. 41; Brügel, Osteuropa 1971, S. 883; Schickel, S. 27 verweist noch auf eine entsprechende Verlautbarung der antifaschistischen Regierung des Marschalls Badoglio vom 26. September 1944 und auf ein Interview des ZDF vom 20. Januar 1971 mit Paolo Calcini vom Institut für Internationale Angelegenheiten in Rom, in dem versichert wurde, daß die damaligen Erklärungen noch heute für die italienische Regierung verbindlich seien. 107 Seidl-Hohenveldern, öJZ 1948, S. 346 und Schickel, S. 27.

4.2 Als Völkergewohnheitsrecht

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im Namen von seiner Majestät Regierung im Vereinigten Königreich erklären, daß sich, da Deutschland überlegterweise die unter Beteiligung von seiner Majestät Regierung im Vereinigten Königreich im Jahre 1938 zustande gebrachten Abmachungen über die Tschechoslowakei zerstört hat, seiner Majestät Regierung in dieser Beziehung als frei von jeder Verpflichtung betrachtet. Sie wird sich bei der endgültigen Festlegung der tschechoslowakischen Grenzen, die nach Kriegsende zu erfolgen hat, nicht von irgendwelchen Änderungen, die 1938 oder später erfolgten, beeinflussen lassen108. " Im Jahre 1965 bezeichnete der britische Außenminister Michael Stewart das Münchener Abkommen als "verabscheuungswürdig und seit vielen Jahren tot". Er fügte hinzu: "Die bloße historische Tatsache, daß es einmal abgeschlossen wurde, kann keine zukünftigen Ansprüche gegen die Tschechoslowakei rechtfertigenm." Ähnliche Stellungnahmen wurden vom Foreign Office im Jahre 1967 abgegeben und von Michae] Stewart in einem Fernsehgespräch des ZDF im Januar 1971 bekräftigt, wobei er hinzufügte, die britische Regierung könne den Standpunkt der tschechoslowakischen Regierung nicht akzeptieren, wonach das Abkommen von Anfang an ungültig sei110• Großbritannien betrachtet das Münchener Abkommen heute somit auch als ungültig, nicht jedoch als null und nichtig ab initiom. Der Standpunkt der Tschechoslowakei ist bekannt: Sie fordert von der Bundesrepublik seit langem die Erklärung, das Münchener Abkommen sei von Anfang an ungültig gewesen. Doch muß in diesem Zusammenhang erwähnt werden, daß Benes in seinen Protesttelegrammen an Roosevelt, Chamberlain, Daladier, Litwinow und den Völkerbund nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Böhmen und Mähren diesen Schluß nicht gezogen hat. Die These von der Ungültigkeit ex tune ist erst später entstanden112• Die Rechtsauffassung der Bundesrepublik findet sich zunächst in der Friedensnote der Bundesregierung vom März 1966, die auch der tschechoslowakischen Regierung übermittelt worden ist. Dort heißt es: "Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß das Münchener Abkommen aus dem Jahre 1938 von Hitler zerrissen wurde und keine territoriale Be108

Text bei Kimminich, Münchner Abkommen, S. 39 und Hilf, Osteuropa

1970, s. 846.

109 Übersetzung bei Schickel, S. 27; ausführlich: Gutachten zum Münchner Abkommen, S. 9. 110 Schickel, S. 27 mit Angabe der Fernsehsendung. 111 Ausführlich dazu auch Brii.gel, Osteuropa 1972, S. 630 f. 112 Siehe dazu Hilf, Osteuropa 1970, S. 842 und die Entgegnung von Brügel, Osteuropa 1971, S. 881 f .

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deutung mehr hat. Sie erhebt daher, wie sie mehrfach erklärt hat, gegenüber der Tschechoslowakei keine territorialen Ansprüche113 ." Weitergehend wurde durch Bundeskanzler Kiesinger in der Regierungserklärung der Großen Koalition vom 13. Dezember 1966 erklärt: "Die Bundesregierung verurteilt die Politik Hitlers, die auf Zerstörung des tschechoslowakischen Staatsverbandes gerichtet war. Sie stimmt der Auffassung zu, daß das unter Androhung von Gewalt zustandegekommene Münchener Abkommen nicht mehr gültig ist114 ." Die sozial-liberale Regierung unter Bundeskanzler Brandt kündigte in der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969, an, daß "wir gegenüber der uns unmittelbar benachbarten Tschechoslowakei zu den Abmachungen bereit sind, die über die Vergangenheit hinausführen" 115• Im März 1971 begannen in Prag die Vorgespräche zur Normalisierung des deutsch-tschechoslowakischen Verhältnisses. Im Mittelpunkt dieser Gespräche stand die Forderung der tschechoslowakischen Regierung, das Münchener Abkommen als von Anfang an ungültig zu erklären. Am 31. Mai 1973 sind die Verhandlungen abgeschlossen worden. Beide Seiten haben sich über einen Vertrag geeinigt, mit dem die Streitigkeiten betreffend das Münchener Abkommen beigelegt und die gegenseitigen Beziehungen normalisiert werden sollen. Der Vertrag soll am 20. Juni 1973 in Anwesenheit der beiden Außenminister in Bonn paraphiert werden. Nach Darstellung diplomatischer Kreise wird das Münchener Abkommen über die Abtretung des Sudetenlandes an das Deutsche Reich in dem deutsch-tschechoslowakischen Vertrag in drei Elementen behandelt, die in sich ein Gleichgewicht bilden. Diese Konstruktion soll nach Ansicht des Auswärtigen Amtes ein Novum in der Völkerrechtsgeschichte darstellen. In der Präambel erfolgt eine moralische, historische und politische Distanzierung vom Münchener Abkommen. Art. 1 enthält die Nichtigkeitserklärung: "Die Bundesrepublik Deutschland und die Tschechoslowakische Sozialistische Republik betrachten das Münchener Abkommen vom 29. September 1938 im Hinblick auf ihre gegenseitigen Beziehun113 Vgl. Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 42 vom 26. März 1966, S. 329. 114 Vgl. Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 157 vom 14. Dez. 1966, S. 1265 ff. und Kimminich, Central Europe Journal, Bd. 20 (1972), S. 356. 115 Vgl. Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 132 vom 29. 10. 1969, S. 1128. Inoffiziell haben sich allerdings auch deutsche Politiker dafür ausgesprochen, das Münchner Abkommen unter gewissen Voraussetzungen als von Anfang an nichtig zu behandeln: So etwa Helmut Schmidt auf dem SPD-Parteitag 1966 in Dortmund, vgl. BrügeZ, Osteuropa 1972, s. 631.

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gennach Maßgabe dieses Vertrages als nichtig." In einem Begleitpapier zum Vertrag ist eine einseitige Absichtserklärung der tschechoslowakischen Regierung enthalten. Darin heißt es, bei der Anwendung des Vertrages im internen tschechoslowakischen Staatsbereich entstünden keine strafrechtlichen Folgen für Bewohner des Sudetenlandes, die in der deutschen Wehrmacht dienten. Reparations- und andere Schadensersatzansprüche sollen ausgeschlossen sein. - Befürchtete negative Rechtsfolgen werden damit ausgeschlossen. Die Delegationsleiter-Staatssekretär Frank vom Auswärtigen Amt und der stellvertretende tschechoslowakische Außenminister Götz kamen darin überein, daß eine Kompromißformel nicht gefunden werden könne. Die verwendeten Formulierungen ließen sich so interpretieren, daß - falls erforderlich - jede Seite bei ihrer Rechtsauffassung bleiben könne115•. Auch in anderen Verträgen ist das Münchener Abkommen für nichtig erklärt worden: Die bilateralen Bündnisverträge der sozialistischen Staaten enthalten entsprechende Bestimmungen; allerdings werden derartige Erklärungen erst seit 1967 vertraglich verankert116 • Art. 6 des sowjetisch-tschechoslowakischen Freundschaftsvertrages vom 6. Mai 1970 lautet: "Die hohen vertragschließenden Seiten gehen davon aus, daß das Münchener Abkommen vom 29. September 1938 unter Androhung eines aggressiven Krieges und Gewaltanwendung zustandekam; daß es Bestandteil einer verbrecherischen Verschwörung HitlerDeutschlands gegen den Frieden war und eine grobe Verletzung der elementaren Normen des internationalen Rechts darstellt und daß es deshalb von Anfang an ungültig mit allen sich daraus ergebenden Folgen ist111 ." Bei der Untersuchung des Vertrages über die Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren war auf das Urteil des Internationalen Militärgerichtshofs hingewiesen worden, das zu dem Schluß kam, jener Vertrag könne wegen völkerrechtswidrigen Zwanges nicht als Rechtfertigung für die Besetzung angesehen werden. Im selben Urteil ist von usa Meldung der deutschen Tagespresse vom 1. Juni 1973, vgl. Süddeutsche Zeitung und Frankfurter Rundschau von diesem Tage, S. 1/2; der Text des Vertrages ist nunmehr veröffentlicht, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 76 vom 21. Juni 1973. 116 Vgl. Schmid, Münchener Abkommen, Teil 2, S. 2. 117 Text des Vertrages: EA 1970, D 286 ff. Entsprechend lautet Art. 7 des Vertrages über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand zwischen der DDR und der CSSR vom 17. 3.1967, vgl. Röper, S. 35; die DDR hatte zuvor schon in der Prager Deklaration vom 23. 6. 1950 betont, sie habe keine Ansprüche gegen die Tschechoslowakei, vgl. Röper, S. 33; zu den Verträgen mit Polen siehe HUf, Osteuropa 1970, S. 851 und Uschakow, EA 1968, s. 525 ff.

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einer Völkerrechtswidrigkeit des Münchener Abkommens wegen Drohung mit militärischem Zwang seitens Deutschlands nicht die Rede. Die Anklage vor dem Nürnberger Gerichtshof hatte ausdrücklich betont, die Westmächte hätten das Münchener Abkommen nur unter Zwang abgeschlossen, um damit die Nichtigkeit des erzwungenen Abkommens begründen zu können118• Das Nürnberger Urteil ist auf diese Ausführungen nicht eingegangen. Dies wurde damit erklärt, daß die Nichtigkeit des Münchener Abkommens auf andere Gründe119 als völkerrechtswidrigen Zwang hätte gestützt werden können und das Urteil nur mit Rücksicht auf das Prestige Großbritanniens und Frankreichs den Ausspruch vermeiden wollte, diese Mächte seien so unter Zwang gesetzt worden, daß sie gegen ihre bessere Einsicht das Abkommen geschlossen hätten120• Dem ist mit Recht entgegengehalten worden, daß die Ausführungen der Anklage wohl erst recht unterblieben sein dürften, wollte man das Prestige der kompromittierten Westmächte schützen121 • Es kommt hinzu, daß der Gerichtshof den Einmarsch deutscher Truppen und die Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren als Verstoß gegen das Münchener Abkommen gewertet hat. Da aber gegen ein völkerrechtlich ungültiges Abkommen jedenfalls begrifflich nicht verstoßen werden kann, liegt der Schluß nahe, daß der Gerichtshof von der Gültigkeit des Münchener Abkommens ausging122• Spengler hat in seiner sehr ausführlichen Untersuchung zum Münchener Abkommen diese unterschiedliche Beurteilung im Nürnberger Urteil wie folgt zu erklären versucht123 : Einerseits sei im Falle Böhmen und Mähren die Rechtslage anders zu beurteilen gewesen, da das Deutsche Reich die im November 1938 zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei festgelegte Grenze nicht respektiert und seiner im Zusatzabkommen enthaltenen Zusage zuwidergehandelt hatte. Andererseits sei hier im Gegensatz zu den deutschen Erklärungen während der Sudetenkrise mit ganz konkreten Maßnahmen (Bombardierung Prags) gedroht worden. Zudem hätten vor Unterzeichnung der Protektoratserklärung deutsche Truppen an einigen wirtschaftlich und strategisch wichtigen Abschnitten bereits die Grenze überschritten gehabt und seien zum Teil in örtliche Kämpfe mit tschechoslowakischem Militär verwickelt worden, wobei auf den Unterschied zwischen der Drohung

Siehe Spengler, S. 104. Siehe dazu Seidl-Hohenveldern, ÖJZ 1948, S. 346 f.; vgl. auch Schmid, Münchener Abkommen, Teil1, S. 40 ff. 120 So Seidl-Hohenveldern, ÖJZ 1948, S. 346. 121 So Spengler, S. 104. 122 Ebenso Spengler, S. 104. 11s

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m

Spengler, S. 105.

4.2 Als Völkergewohnheitsrecht

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mit Zwang und seiner direkten Anwendung hingewiesen wird. Nun existiert nach Spenglers Ansicht ein Verbot, zur Erreichung politischer Ziele mit militärischer Gewaltanwendung zu drohen, aber frühestens seit Inkrafttreten der UN-Charta am 24. Oktober 1945. Nach dem Grundsatz des intertemporalen Rechts sei auf einen abgeschlossenen Vorgang aber nur dasjenige Recht anzuwenden, das zur Zeit des betreffenden Vorganges gelte124 : Die Drohung allein könne deshalb nicht als vertragsvernichtend angesehen werden. Bei Spenglers Prämisse ist dieser Schluß folgerichtig, doch läßt sich mit gutem Grund auch die gegenteilige Auffassung vertreten: Durch den Briand-Kellogg-Pakt sei nicht nur die Anwendung von Kriegszwang, sondern auch dessen Androhung verboten wordenu5 • Abschließend sei hingewiesen auf eine Entscheidung des Raad voor het Rechtsherstel in Den Haag vom 29. Juni 1956 in der Sache Lienert und Klein gegen Nederlandse Beheersinstitut126• Das Gericht kommt in seinen Ausführungen zu dem Schluß, der in Ausführung des Münchener Abkommens am 20. November 1938 zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei geschlossene Vertrag sei im ganzen rechtsungültig, "da er unter offenbarem, unausweichlichem und widerrechtlichem Zwang" zustandegekommen sei. Die Tschechoslowakei habe den Vertrag nur abgeschlossen, "nachdem sie auf die Kriegsdrohung Deutschlands hin der Abtretung des Sudetenlandes unter Protest zugestimmt hatte" 127• Damit ist aber auch die Nichtigkeit des Münchener Abkommens selbst impliziert128 • Diese Entscheidung ist selbst von niederländischen Rechtsgelehrten heftig kritisiert worden129 • Da die vom Münchener Abkommen betroffenen Mächte keine Einstimmigkeit in ihrer Auffassung erkennen ließen, wird die Berufung auf eine allgemeine Nichtigkeitstheorie für gefährlich gehalten: "Die internationale Ordnung bedarf der Rechtssicherheit, die nicht dadurch gefördert wird, daß die Gerichte einzelner Staaten von sich aus Befugnisse in Anspruch nehmen, von fremden Mächten geschlossene Verträge auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen und gegebenenfalls für null und nichtig zu erklären." 124 So der Schiedsspruch von Max Huber im Las-Palmas-Streit vom 4. 4. 1928, United Nations Reports of International Arbitral Awards, 1949 Bd. 2, s. 845. 125 So etwa: Quincy Wright, AJIL Bd. 33 (1939), S. 23. 126 Nederlandse Jurisprudentie 1956 Nr. 471, S. 993- 998; eine Übersetzung des Instituts für internationales Recht der Universität Kiel findet sich in JIR Bd. 8 (1957/58), S. 277 ff. 127 JIR Bd. 8 (1957 /58), S. 279. 128 Röling, JIR Bd. 8 (1957/58), S. 287; auch Spengler, S. 102, Fn. 11. 129 So Röling, JIR Bd. 8 (1957/58), S. 286 f.; kritisch zu dieser Entscheidung auch Stone, Virginia Journal of Int. Law, Bd. 8 (1967), S. 366 Fn. 11.

120

4. Rechtliche Geltung des in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatzes

Das Münchener Abkommen ist das einzige Beispiel, zu dem umfangreiche Äußerungen vorliegen, die die Gültigkeit betreffen. Bei anderen Verträgen lassen sich Stellungnahmen nicht in diesem Umfange finden. Die Staatenpraxis ist deshalb in diesem Falle besonders ausführlich dargestellt worden. Bewertet man die zum Münchener Abkommen angeführten Stimmen, so läßt sich zusammenfassend feststellen: Nahezu einhellig wird das Münchener Abkommen heute als ungültig betrachtet - wobei teilweise eine Nichtigkeit von Anfang an angenommen wird, während andere Stimmen von einer anfänglichen Gültigkeit ausgehen und die Aufhebung erst mit dem Eintritt späterer Ereignisse begründen. Die Anwendung oder Androhung von völkerrechtswidrigem Zwang hat dabei nur teilweise und insbesondere in neueren Stellungnahmen eine Rolle gespielt. Die anfänglichen Noten der Westmächte stützen sich überwiegend auf den Einmarsch deutscher Truppen in Böhmen und Mähren und die damit verbundene Verletzung der vorangegangenen Abmachungen. Heute wird in zunehmendem Maße auf die Verletzung des Kriegsverbots durch Deutschland hingewiesen und die Nichtigkeit auf diese Tatsache gestützt130• 4.23 Die nach dem zweiten Weltkrieg zwischen den Alliierten und Deutschlands Verbündeten geschlossenen Friedensverträge

Untersucht man die Zeit nach 1945 auf Beispiele, in denen Verträge durch völkerrechtswidrigen Zwang aufgenötigt wurden, so lassen sich derart eindeutige Fälle wie der Vertrag über die Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren vom 15. März 1939 oder auch das Münchener Abkommen von 1938 kaum feststellen. Die Auswahl der betreffenden Beispielsfälle ist hier besonders schwierig, weil keineswegs in jedem Falle sicher angenommen werden kann, daß die Androhung oder Anwendung von Zwang zugleich eine Verletzung des seit dem 24. Oktober 130

In der Völkerrechtswissenschaft ist dieser Gesichtspunkt zuerst von

Quincy Wright, AJIL Bd. 33 (1939), S. 14- 28 hervorgehoben worden. Andere Stimmen sind dem gefolgt: Seidl-Hohenveldern, ÖJZ 1948, S. 345 ff. und ÖZöR Bd. 2, S. 310 ff.; von tschechoslowakischer Seite sind zu nennen: Taborsky, The Czechoslovak Cause in the Light of International Law, S. 9- 21; zu weiteren Stimmen vgl. Kimminich, Münchner Abkommen, S. 47 (Jaroslav Zourek), S. 59 f. (Vaclav Michal), S. 75 f. (Alexandr Ort), S. 89 (Vaclav Kral); auch

in der deutschen Literatur mehren sich die Stimmen, die diesen Gesichtspunkt für wesentlich halten: Röper und Seibert, Aus Politik und Zeitgeschichte B 26/71, S. 34 f. und 43; Brügel, Osteuropa 1971, S. 881 sogar unter Hinweis auf Art. 52 WVK, der zwar 1938 noch nicht bestanden habe, doch sei im offiziellen Kommentar zu Art. 52 ausgeführt, daß der dort enthaltene Grundsatz seit langer Zeit Bestandteil des Völkerrechts gewesen sei.

4.2 Als Völkergewohnheitsrecht

121

1945 bestehenden allgemeinen Gewaltverbots darstellt. Damit wird aber fraglich, ob sie zum Beweis für die Geltung eines bestimmten Grundsatzes tatsächlich herangezogen werden können, ob sie also letztlich geeignet sind, einen positiven oder negativen Nachweis von Staatenpraxis zu erbringen, oder ob man sie als atypische Fälle außer Betracht lassen muß. Nun gibt es zwar Situationen, in denen Verträge unter Zwangseinwirkung zustandekamen, doch ist in vielen Fällen der Nachweis nicht zu erbringen, daß ein derartiger Zwang tatsächlich nicht mit dem geltenden Vökerrecht in Einklang stand. Als Beispiele hierfür seien die nach dem zweiten Weltkrieg zwischen den Alliierten und Deutschlands Verbündeten geschlossenen Verträge genannt131 • Die am 10. Februar 1947 in Paris unterzeichneten Friedensverträge mit Bulgarien, Finnland, Italien, Rumänien und Ungarn132 stellen mit Sicherheit nicht in völliger Gleichberechtigung ausgehandelte Abkommen dar, sondern sind aufgezwungen worden133• Ein zähes diplomatisches Ringen gab es nur bei den Siegerstaaten untereinander, nicht aber zwischen Siegermächten und Besiegten134• Der Diktatcharakter wird auch offenbar in den Vorschriften über das Inkrafttreten: Die Verträge treten unmittelbar nach Hinterlegung der Ratifikationsurkunden in Kraft, wobei die Ratifizierung durch die Großmächte ausreicht; auf eine Ratifikation durch die Feindstaaten kommt es nicht an, obwohl sie vorgeschrieben ist. Noch bei der Versailler Lösung von 1919 war erforderlich, daß auch der Feindstaat ratifizierte. Nach Beendigung des zweiten Weltkrieges hielt man diese Lösung jedoch für unzweckmäßig, weil damit der besiegte Staat über Gültigkeit und Ungültigkeit zu entscheiden gehabt hättem. Bei der Unterzeichnung richteten alle ehemaligen 131 In diesem Zusammenhang ist auch die bereits vor dem lnkrafttreten der UN-Charta erfolgte Kapitulation der deutschen Streitkräfte zu erwähnen (am. 7. Mai 1945 in Reims und am 8. Mai 1945 in Berlin): Die Alliierten machten ihre Feuereinstellung von der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht abhängig; die Urkunden über die Kapitulation stellen auch nicht etwa eine einseitige Erklärung der deutschen Bevollmächtigten dar, sondern einen Vertrag (das ist heute unbestritten, vgl. Rauschning, Deutschlands Gesamtverfassung, S. 73, Fn. 2 - dort auch der Text- und Bauer, Kapitulation, in: Wörterbuch Bd. 2, S. 192). Per Definitionern enthält eine Kapitulation aber immer ein Element des Zwanges, denn es handelt sich um einen Vertrag, in dem sich ein Partner den Bedingungen des ihm überlegenen Partners unterwirft, vgl. Bauer, S. 192. 132 Texte jeweils in UNTS: Bulgarien, Bd. 41, S. 21 ff.; Finnland, Bd. 48, S. 203 ff.; Italien, Bd. 49, S. 3 ff.; Rumänien, Bd. 42, S. 3 ff.; Ungarn, Bd. 41, S. 135 ff.; deutsche Fassung bei Menzel, Die Friedensverträge von 1947. 133 Waldock, Yearbook ILC 1963 Bd. 2, S. 52 para 7; siehe auch Francoltalian Conciliation Commisson, lnt. Law Reports, Bd. 19 (1952), S. 481. 134 Menzel, Die Friedensverträge von 1947, S. 2. 135 Menzel, Die Friedensverträge von 1947, S. 21 f.; siehe auch v. Puttkamer, Friedensverträge der Alliierten, in: Wörterbuch Bd. 1, S. 599.

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4. Rechtliche Geltung des in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatzes

Feindstaaten außer Finnland Protestnoten an die Großmächte bzw. an den französischen Außenminister; sie wurden zur Kenntnis genommen, doch wurde keine Antwort erteilt. Die Tatsache, daß die Staaten gegen den Inhalt der Verträge Verwahrung einlegten, bedeutete jedoch keineswegs - darüber herrscht auf allen Seiten Einverständnis - , daß die Unterzeichnung unter irgendwelchen Bedingungen oder mit irgendwelchen Vorbehalten erfolgt ist136 • Zum Beweis dafür, daß die Gültigkeit der Friedensverträge von 1947 trotz des ihnen innewohnenden Zwangsmomentes nicht angezweifelt worden sei, wird zuweilen die Entscheidung Re Rizzo and Others137 angeführt, in der der italienische Friedensvertrag eine entscheidende Rolle spielte. Die Argumentation, diese Entscheidung zeige, daß Verträge gültig seien, wenn sie durch völkerrechtlich erlaubten Zwang hervorgebracht worden seien, ist besonders von Ju.Zius Stone angegriffen worden138: Diese Entscheidung liege vielmehr ganz auf der Linie des herkömmlichen Völkerrechts, daß alle aufgezwungenen Verträge bindend seien. Die Kommission habe anläßlich des Friedensvertrages von 1947 nicht zwischen erlaubtem und verbotenem Zwang unterschieden, sondern nur bemerkt, daß "although the defeated State gave its consent under constraint it nevertheless gave it, and the agreement rises from that consent" 139 • Beim Friedensvertrag mit Japan, der am 8. September 1951 in San Franzisko von 48 Staaten unterzeichnet wurde und am 24. April 1952 für Japan und 10 weitere Staaten in Kraft trat140, ist die Sachlage insofern etwas anders, als hier zwischen Kriegsende und Friedensschluß eine längere cooling-off-period lag. Im Gegensatz zu den Friedensverträgen von 1947 verlangt der japanische Friedensvertrag für sein Inkrafttreten ausdrücklich die Ratifikation durch Japan141 , so daß der besiegte Staat in diesem Falle über die Gültigkeit des Vertrages mit entscheiden konnte. Dennoch war Japan über die Friedensbedingungen keineswegs erfreut; man erkannte aber auf Grund der Ereignisse in Korea, daß ein Widerstand gegen die von den pazifischen Mächten gebilligten Vorschläge der westlichen Alliierten nur zu einer Verschlech138 Vgl. Menzel, Die Friedensverträge von 1947, S. 21. 137 Franco-Italian Conciliation Commission, 25. 6. 1952, Int. Law Reports Bd. 19 (1952) S. 478 ff. Auf S. 481 heißt es: "The treaty was not negotiated. At the end of a victorious war, it was drawn up by the Allied and Associated Powers. No kind of negotiations, or bilateral discussion with Italy was admitted." 138 Stone, Virginia Journal of Int. Law Bd. 8 (1967), S. 366 Fn. 11. 139 Int. Law Reports Bd. 19 (1952), S. 481. 140 Text: UNTS Bd. 136, S. 45 ff.; deutsch: EA 1952, S. 5267 ff. tu Art. 23 des Vertrages.

4.2 Als Völkergewohnheitsrecht

123

terung der Situation führen würde. So war man realistisch genug einzusehen, daß die Vereinigten Staaten ihre Wünsche notfalls auch auf anderem Wege durchführen würden, so daß sich die Zustimmung zu den Friedensbedingungen noch als das kleinere Übel erwies142• Trotz dieser Umstände gilt der japanische Friedensvertrag allgemein als Verständigungsfriede, der den Besiegten nicht knebelt143• Die Gültigkeit des Vertrages ist deshalb auch nicht ernsthaft in Zweifel gezogen worden.

Eberhard Menzel hat sich allerdings bereits ein Jahr nach Abschluß des Vertrages in einer Veröffentlichung144 kritisch zur Frage der Gebietsabtretungen geäußert: Ausgehend von der Prämisse, daß infolge des Kriegsverbotes ein besiegter Angreifer nicht im Besitz irgendwelcher Vorteile seiner rechtswidrigen Kriegshandlung bleiben dürfe, stellt er fest, daß damit eine Regelung für den besiegten Angreifer vorhanden sei; es fehle aber eine ausdrückliche Feststellung, daß auch der Sieger an das Recht gebunden sei. Im Stadium der allgemeinen Juridifizierung im Bereich des Krieges unterstehe auch er dem Recht, und seine Friedensgestaltung könne nicht mehr ein Akt des freien politischen Ermessens bleiben. Die Friedensgestaltung unterstehe ebenfalls dem Recht, die in ihr und durch sie ergriffenen Maßnahmen müssen ihre materiell-rechtliche Legitimierung besitzen. "Wenn man zwar den Kriegsbeginn für beide Parteien regelt, die Frage des Kriegsschlusses aber nur für den Besiegten dem Recht unterstellt und also dem Sieger freie Hand läßt, so bleibt hier eine Lücke in diesem System, die leicht den ganzen Bau zum Einsturz bringen kann. Entweder wird der ganze Komplex der Kriegsführung dem politischen Bereich entzogen und "ver-rechtlicht" oder er muß in seiner Gesamtheit "rechtsfrei" bleiben. Die willkürliche Bindung nur einzelner Akte an das Recht und die Freistellung anderer widersprechen dem Wesen des Rechts, das stets für beide Parteien gelten muß. Für die Frage der Gebietsabtretungen kann das System der Kriegs- und Gewaltächtung also die Folge haben, daß dem Besiegten nur solche Territorialverluste auferlegt werden dürfen, die etwa auch ein internationales Gericht als berechtigt ansehen würde. Auch Ansprüche dieser Art müssen also dem Bereich der rechtlichen Überlegungen und dürfen nicht dem der politischen Wünsche entnommen werden. Sie bedürfen demnach der materiellrechtlichen Fundierung, für die das geltende Völkerrecht den entscheidenden Maßstab abgibt . . . Es ist bedauerlich, daß die amerikanischen Autoren des japanischen Friedensvertrages diese materielle Nachprüfungspflicht hier außer acht gelassen und sich zur Begründung auf die insofern unmaß142 143

144

Menzel, EA 1952, S. 5265. Morvay, Friedensvertrag mit Japan, in: Wörterbuch Bd. 1, S. 595.

EA 1952, S. 5355 ff., bes. S. 5367 f .

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4. Rechtliche Geltung des in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatzes

geblichen Kriegsabsprachen mit den Verbündeten zurückgezogen haben. Wäre der richtige Maßstab, nämlich das allgemein gültige Völkerrecht der Entscheidung zugrundegelegt worden, so hätten sich manche der territorialen Bestimmungen von vornherein als hinfällig erwiesen ... Das System des Kriegsverbots und der Nichtachtung der durch Gewalt errungenen Vorteile steht und fällt mit der Unterstellung aller Beteiligten unter das Recht. Dieser seiner inneren Struktur entspricht es auch, daß es kein Recht des Siegers, sondern nur noch einen Sieg des Rechtes geben kann." Auf eine weitere Untersuchung der Friedensverträge von 1947/51 kann hier verzichtet werden. Zwar hat keine völlig freie Zustimmung von seiten der besiegten Staaten vorgelegen, sondern die Abkommen sind von den Siegermächten mehr oder weniger aufgezwungen worden. Es gilt aber hier noch folgendes zu bedenken: Einerseits waren durch die in der UN-Charta enthaltenen Feindstaatenartikel - Art. 53 und 107145 - die Grundsätze der Satzung den ehemaligen Feindstaaten gegenüber suspendiert, so daß ihnen gegenüber u. a. das Gewaltverbot nicht galt. Andererseits erscheint fraglich, ob in diesen Fällen bereits von militärischem Zwang gesprochen werden kann. Zwar sind die Verträge im Anschluß an den zweiten Weltkrieg abgeschlossen worden, doch stehen die während des Krieges verübten militärischen Maßnahmen nicht mehr in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Abschluß der Verträge; deren Unterzeichnung erfolgte erst mehrere Jahre nach Kriegsende. Beim Abschluß selbst ist jedoch - wie oben dargelegt- Zwang in einer derartigen Intensität nicht ausgeübt worden. Die eingangs genannten Bedenken treffen auf diese Verträge in vollem Umfange zu: Es läßt sich nicht festellen, daß durch den angewandten Zwang das Gewaltverbot verletzt wurde; folglich ist daraus für den in Art. 52 WVK aufgestellten Grundsatz, daß völkerrechtswidrig aufgezwungene Verträge nicht als rechtsgültig angesehen werden können, weder im positiven noch im negativen Sinne ein Schluß zu ziehen. 4.24 Waffenstillstandsabkommen und Friedensverträge im Zusammenhang mit militärisdlen Konflikten nach 1945

Obwohl seit Inkrafttreten der UN-Charta ein allgemeines Gewaltverbot besteht, hat es auch nach 1945 militärische Auseinandersetzungen gegeben, wobei die Meinungen darüber, welche der am jeweiligen Konflikt beteiligten Staaten nun tatsächlich gegen Art. 2 Abs. 4 der UNSatzung verstoßen habe, teilweise auseinandergehen. Diese Krisen sind jeweils durch Waffenstillstandsabkommen oder Friedensverträge abgeschlossen oder zumindest unterbrochen worden. 145

Siehe dazu Teil 5.34 der Arbeit.

4.2 Als Völkergewohnheitsrecht

125

Bürgerkriegssituationen - wie etwa der Krieg im Kongo, in dessen Verlauf ein Waffenstillstandsabkommen zwischen Tschombe und der UNO abgeschlossen wurde146 - müssen außer Betracht bleiben, da nach gegenwärtig allgemein vertretener Auffassung Art. 2 Abs. 4 der UNOSatzung die Gewaltanwendung in echten Bürgerkriegsauseinandersetzungen nicht verbietet147• Als Beispiele seien folgende Situationen genannt: Am 25. Juni 1950 überschritten nordkoreanische Truppen den 38. Breitengrad und lösten den Koreakrieg aus. In einer Resolution des Sicherheitsrates vom gleichen Tage148 und einer späteren Resolution der Generalversammlung149 wurde die Volksrepublik China der Aggression für schuldig erklärt. Am 27. Juli 1953 wurde der Korea-Konflikt durch einen in Panmunjom von den zuständigen Befehlshabern unterzeichneten Waffenstillstandsvertrag vorerst abgeschlossen. Der Indochinakonflikt wurde auf der Genfer Indochina-Konferenz vorübergehend unterbrochen. Nachdem Frankreich am 4. Juni 1954 in einem Vertrag mit Südvietnam dieser Republik die volle Unabhängigkeit zuerkannt hatten, schloß es am 20. Juli 1954 einen Waffenstillstand mit den Vertretern der Vietminh. Südvietnam erhob Protest gegen den eigenmächtigen Abschluß durch Frankreich, erklärte aber gleichzeitig, daß seine Regierung sich der Durchführung nicht widersetzen werde150• -Am 27. Januar 1973 ist in Vietnam wiederum ein Waffenstillstandsabkommen geschlossen worden151 • Nach dem letzten Krieg im Nahen Osten (Sechstagekrieg im Juni 1967) gaben Israel und die VAR am 7. August 1970 ihre Zustimmung zu einer 90-tägigen Feuereinstellung an der israelisch-ägyptischen Waffenstillstandslinie im Sinne der amerikanischen Friedensinitiative (RogersPlan). Dieser Waffenstillstand trat am 8. August 1970 in Kraft und ist verschiedentlich verlängert worden152• Im Konflikt zwischen Indien und Pakistan, der nach vorangegangenen Spannungen am 3. Dezember 1971 zu einem offenen Kriege geführt hatte153, kapitulierten die pakistanischen Truppen in Ostpakistan am 13. Oktober 1961, AdG 9413 A. Vgl. Castren, Civil War, S. 19; Skubizewski, bei Serensen, S. 748 f. und Rauschning, Gewaltverbot in Bürgerkriegssituationen, in: Schaumann, Gewaltverbot, S. 76 f. 148 Res. S /1501, Yearbook UN 1950, S. 222 ; diese Resolution war möglich, weil die Sowjetunion den Sitzungen des Sicherheitsrates aus Protest gegen die Vertretung Nationalchinas fernblieb und ihr Veto-Recht nicht ausübte. 149 Res. 498 (V) vom 1. 2. 1951, Yearbook UN 1951, S. 224; vgl. auch Bindschedler-Robert, Korea, in: Wörterbuch Bd. 2, S. 308. 15° Freudenberg, Vietnam, in: Wörterbuch Bd. 3, S. 594. 151 Text: ILM Bd. 12 (1973), S. 46 ff. und EA 1973, D 112 ff. m AdG 15668 D Nr. 7. 148

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4. Rechtliche Geltung des in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatzes

10. Dezember 1971; Indien stellte am darauffolgenden Tage an allen Fronten das Feuer ein. Dieser Krieg wurde am 2. Juli 1972 durch das Abkommen von Simla vorerst beendet: Ministerpräsidentin Gandhi und Präsident Bhutto unterzeichneten einen Vertrag über die bilateralen Beziehungen zwischen Indien und Pakistan154• In allen hier genannten Fällen ist das Gewaltverbot der UNO-Charta mindestens von einer Seite verletzt worden155• Diese Verletzung hat zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge geführt, denn ohne eine derartige Verletzung wären die Abkommen überflüssig. Der Abschluß erfolgte jedoch gerade, um die Gewalthandlungen zu beenden, damit die Verletzung des Gewaltverbots ein Ende nehme. Es war schon früher 1541 darauf hingewiesen worden, es dürfe den an einem Konflikt beteiligten Parteien nicht die Möglichkeit genommen werden, die entstandene Krisensituation vertraglich zu bereinigen. All die hier angeführten Situationen haben aber eines gemeinsam: In keinem der Fälle wurde der Krieg begonnen oder damit gedroht, um gerade den betreffenden Vertrag abzuschließen - wie dies etwa beim Vertrag über die Errichtung des Protektorates Böhmen und Mähren und auch beim Münchener Abkommen der Fall war; die Abkommen sind somit nicht mittels einer Verletzung des Gewaltverbots herbeigeführt worden. Es kommt hinzu, daß in derartigen Situationen oft keine der Parteien die eindeutig gezwungene ist. Folglich läßt sich auch aus den genannten Verträgen nichts im Hinblick auf den zu untersuchenden Grundsatz entnehmen. 4.25 Bei Gewährung der Unabhängigkeit abgeschlossene Verträge

Eine weitere Gruppe von Abkommen, bei denen oft Zwang im Spiele ist, sind die bei Gewährung der Unabhängigkeit abgeschlossenen Verträge, die sog. DevoZutionsabkommen, durch die eine Kolonialmacht eine Kolonie in die Selbständigkeit entläßt157 • 153 AdG 16781 B; zur Frage der Aggression vgl. Mani, Indian Journal of Int. Law Bd. 12 (1972), S. 83 ff. 15 4 Text: ILM Bd. 11 (1972), S. 954 ff.; dazu siehe Narayana Rao, Indian Journal of Int. Law Bd. 12 (1972), S. 397 ff.; vgl. auch AdG 17209 E; der vorangegangene Krieg anläßlich Kaschmirs war am 10. Januar 1966 durch den Frieden von Taschkent und die nachfolgenden Erklärungen vom 29. Januar 1967 in L abore abgeschlossen worden, vgl. AdG 12276 C und 12316 A . 155 Bedenken gegen eine Geltung des Gewaltverbots in einigen dieser Fälle erweisen sich als unbegründet; es gilt heute als unbestritten, daß Art. 2 Abs. 4 UN-Satzung auch im Verhältnis geteilter Staaten zueinander gilt, vgl. Frowein, S. 34 ff. und Rauschning, Gewaltverbot in Bürgerkriegssituationen, in: Schaumann, Gewaltverbot, S. 77 ff. 156 Teil 4.1225 der Arbeit. 157 Siehe Dölle/Reichert-Facilides/Zweigert, S. 65 ff. und Godreau Robtes, Völkerrechtliche Probleme der bei Gewährung der Unabhängigkeit abgeschlossenen Verträge.

4.2 Als Völkergewohnheitsrecht

127

Es ist der Kolonie selten möglich, den Vertrag inhaltlich frei zu gestalten. Meistens wird die Gewährung der Unabhängigkeit von der Annahme bestimmter Bedingungen abhängig gemacht. Ist die Kolonie mit diesen Bedingungen nicht einverstanden, so hat es das Mutterland auf Grund seiner Machtstellung in der Hand, die Selbständigkeit zu verweigern. Diese überlegenheit der Kolonialmacht, den Abschluß eines ihr genehmen Vertrages zu fordern, mag zur Ausnutzung der Machtstellung und damit zur Ausübung von Druck führen158 • Nun ist jedoch unumstritten, daß das Gewaltverbot der UN-Satzung sich nur auf die internationalen Beziehungen der UNO-Mitglieder erstreckt158. Handelt es sich hingegen um innerstaatliche Vorgänge, so findet Art. 2 Abs. 4 UNO-Charta auf diese Verhältnisse keine Anwendung. Es ist somit entscheidend, ob bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen abhängigen Gebieten und dem Metropolstaat als internationale Konflikte anzusehen sind. Erst innerhalb der letzten 10 Jahre ist die Ansicht aufgekommen, daß auch auf den bewaffneten Kampf um das Ende einer Kolonialverwaltung das Gewaltverbot anzuwenden sei160• Noch bei den letzten größeren Kämpfen um die Unabhängigkeit vom europäischen Metropolstaat dem Algerienkrieg von 1954 bis 1962- hat diese Argumentation keine Rolle gespielt. Während der Debatten im Rahmen der Vereinten Nationen ist nicht geltend gemacht worden, Frankreich habe das Gewaltverbot verletzt181 • - Diese neueren Stimmen entstammen der sowjetischen Völkerrechtslehre, sind als Gedanke des gerechten kolonialen Befreiungskrieges verbreitet worden und haben bei einer Vielzahl von afrikanischen und asiatischen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen Widerhall gefunden182. In der westlichen Völkerrechtslehre wird der t5s Siehe Godreau Robles, S. 21 ff. 159 Berber, Völkerrecht Bd. 2, S. 47; Dahm, Völkerrecht, Bd. 2, S. 358. 160 Dazu ausführlich Rauschning, Gewaltverbot in Bürgerkriegssituationen, in: Schaumann, Gewaltverbot, S. 80 ff. 161 Zusammenfassung der Verhandlungen in Yearbook UN 1957, S. 68 -72; auch in rechtlichen Untersuchungen zu diesem Problem wurde die Frage einer Verletzung des Gewaltverbots nicht aufgeworfen, siehe etwa Oppermann, Die algerische Frage oder Bedjaoui, La revolution Algerienne et le droit; daß sich die Verträge von Evian über die Gewährung der Unabhängigkeit Algeriens vom 18. März 1962 nicht als dauerhaft erwiesen haben, beruht auf dem Fehlschlagen von Frankreichs Plan, die bisherigen Departements jenseits des Mittelmeeres auch als unabhängige Staaten eng an das ehemalige Mutterland zu binden, vgl. Schütze, EA 1963, S. 371. Zu den Verträgen von Evian siehe auch Oppermann, ZaöRV Bd. 23 (1963), S. 1 ff., Frowein, daselbst S. 21 ff. und die Dokumentation im gleichen Heft, S. 49 ff. 162 Rauschning, Gewaltverbot in Bürgerkriegssituationen, S. 80 ff. und Wildhaber, Gewaltverbot und Selbstverteidigung, S. 158 - beide in: Schaumann, Gewaltverbot.

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4. Rechtliche Geltung des in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatzes

nationale Befreiungskampf hingegen zu den Bürgerkriegssituationen gerechnet mit der Folge, daß derartige Konflikte nicht als internationale anzusehen sind und das Gewaltverbot darauf keine Anwendung findettsa. Folgt man dieser bisher noch herrschenden Lehre, so wird Zwang, der beim Abschluß von Devolutionsabkommen ausgeübt wird, nicht vom Gewaltverbot der UN-Satzung erfaßt. - Auch aus dem Abschluß solcher Verträge läßt sich für die Frage, welchen Einfluß völkerrechtswidriger Zwang auf die Gültigkeit von Verträgen hat, deshalb nichts entnehmen. 4.26 Der Vertrag zwischen lndonesien und den Niederlanden über West-Neuguinea (West-Irian) vom 15. August 1962

Einen Sonderfall im Bereich der soeben erwähnten Unabhängigkeitsverträge stellt das niederländisch-indonesische Abkommen über WestNeuguinea dar. Zwar wird es in der Literatur auch zu den sogenannten Devolutionsabkommen gezählt16\ doch ist es nicht zwischen dem Metropolstaat und einer in die Unabhängigkeit zu entlassenden ehemaligen Kolonie abgeschlossen worden; es wurde vielmehr von zwei völlig selbständigen Staaten unterzeichnet und regelt die Abtretung des damals noch zum niederländischen Staatsverband gehörenden Teils von Neuguinea (West-Irian) 165 an Indonesien, das von den Holländern in den Jahren 1946 bis 1949 in die Unabhängigkeit entlassen worden war166• Im Gegensatz zu den vorangehend genannten Fällen steht hier außer Frage, daß zwischen beiden Staaten das Gewaltverbot galt und die sich 1962 entwickelnde Konfliktsituation als internationale anzusehen war. Der damals abgeschlossene Vertrag bedarf folglich einer gesonderten Untersuchung. Seit seiner Unabhängigkeit forderte Indonesien von den Holländern den Anschluß West-Neuguineas, weil es historisch begründete Rechte 163 Vgl. etwa Wengler, Gewaltverbot, S. 37 f. und Seidl-Hohenveldern, Juristenzeitung 1964, S. 490; einschränkend hingegen Dölle!Reichert-Facilides! Zweigert, S. 45, die im Hinblick auf Art. 51 Satzung der Vereinten Nationen ein Einschreiten der mit der unterdrückten Bevölkerung unmittelbar verbundenen Staaten nicht schlechthin ausschließen. 184 So etwa Dölle!Reichert-Facilides!Zweigert, S. 66. 165 Diesen Namen trägt das betreffende Gebiet in der Eingeborenensprache der Papuas. 168 Zu den verschiedenen Abkommen aus den Jahren 1946 bis 1949 und den damit verbundenen militärischen Auseinandersetzungen vgl. Leyser, lndonesien, in: Wörterbuch, Bd. 2, S.17 f.; die während der auf Veranlassung der UNO in Den Haag zustandegekommenen Konferenz unterzeichneten Verträge vom 27. Dezember 1949 regelten die Übertragung der Souveränität über Indonesien von den Niederlanden auf ein neues indonesisches Staatswesen, nahmen West-Neuguinea von dieser Regelung jedoch aus.

4.2 Als Völkergewohnheitsrecht

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darauf habe und von dort aus angeblich neuer holländischer Druck auf den Inselstaat zu befürchten sei167• Die sich eskalierenden Spannungen führten im Jahre 1960 zum Abbruch der Beziehungen. Im Anschluß an die indische Goa-Aktion verschärfte die indonesische Regierung ihre Haltung in der West-Irian-Frage und drohte mit gewaltsamer Annexion, falls die Niederlande West-Irian nicht freiwillig abträten168• Es kam Anfang 1962 zu einem Seegefecht zwischen indonesischen und niederländischen Einheiten, im Mai und Juni landeten indonesische Fallschirmjäger auf West-Neuguinea. Die Niederlande protestierten gegen diese Aggressionshandlung, entsandten weitere Truppen zur Verstärkung, nahmen aber unter diesem Druck die Verhandlungen über den sogenannten Bunker-Plan wieder auf. Am 15. August 1962 wurde schließlich in New York zwischen dem indonesischen Außenminister und dem niederländischen Botschafter ein Abkommen unterzeichnet, das die Übergabe des umstrittenen Gebietes zum 1. Oktober 1962 an die Vereinten Nationen vorsah, die es ihrerseits zum 1. Mai 1963 an Indonesien übertragen solltenm. Indonesien verpflichtete sich, bis Ende 1969 die Bevölkerung in einer Volksabstimmung zu fragen, ob sie bei Indonesien bleiben wolle. Die Möglichkeit, daß die dortige Bevölkerung diese Frage verneinte, war allerdings nicht vorgesehen170• Die damals noch nicht staatsreifen Papuas wurden so der indonesischen Staatsgewalt unterstellt, an der sie gleichwohl keinen Anteil hatten171 • Diese Umstände rechtfertigen es, hier von einer Ausübung des Kolonialismus zu sprechen, wie er gerade von Staaten der dritten Welt stets angegriffen wurde. Am Tage der Unterzeichnung erklärte der niederländische Ministerpräsident J an de Quay in einer Rundfunkrede, seine Regierung habe es vorgezogen, das Abkommen zu schließen, anstatt einen Krieg zu riskieren, der keine weitere Garantie für das künftige Schicksal der Papuas erbracht hätte. Zwar hätten die Niederlande die Majorität der Mitglieder der Vereinten Nationen auf ihrer Seite gehabt, es sei ihnen aber keine politische Unterstützung gewährt worden, so daß sie gezwungen gewesen seien, Verhandlungen einzuleiten, die den Papuas eine Garantie für ihr Selbstbestimmungsrecht erbringen könnten172• Am darauffolgenden Tage griff der nieder167

Höpker, Außenpolitik Bd. 12 (1961), S. 409.

AdG 9673 F; zum weiteren Verlauf der Ereignisse vgl. AdG 9882 A, 9931 D, 9977 A, 10014 A und 10041 A. 169 Vgl. Leyser, AVR Bd.10 (1962/63), S. 257 ff.; Text des Vertrages daselbst s. 350 ff. no Bramsted, EA 1962, S. 629. 171 Rauschning, JIR Bd.12, S . 179. Die Bevölkerung West-Irians bestand zum damaligen Zeitpunkt aus 720 000 Papuas, 18 000 Niederländern und 2000 Mischlingen, vgl. AdG 9673 F. 172 AdG 10041 A. 168

9 Brosche

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4. Rechtliche Geltung des in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatzes

ländische Außenminister Luns die USA an und betonte, sie hätten durch ihr Verhalten in dem Konflikt den Indonesiern eine Prämie für ihre Aggression verschafft. Die Niederlande hätten erwartet, daß ihr Plan einer Entkolonisierung bei hinreichenden Garantien für die Eingeborenen von den USA unterstützt würde und daß sie auf militärische Hilfe rechnen könnten, zumal seit Beginn 1962 die militärische Drohung gegen die Niederlande ständig gewachsen sei. Die indonesischen Kriegsdrohungen seien ein entscheidender Faktor gewesen, und dies sei etwas, worüber die Welt nun nachdenken müsse173 • Kennedy hingegen sandte am 16. August 1962 ein Glückwunschtelegramm an U Thant und bekräftigte, die Weltorganisation unter Leitung U Thants sei wieder einmal zu einem Mittelpunkt geworden, der im Namen des Friedens Aktionen einzelner Nationen in Einklang bringe174 • In diesem Vertrag war vorgesehen, daß er erst in Kraft trete, wenn er durch die Versammlung der Vereinten Nationen angenommen worden sei175• In der Resolution 1752 (XVII) 178 vom 21. September 1962 hat die Vollversammlung dem Abkommen mit 89: 0: 14 Stimmen zugestimmt177 : The General Assembly Considering that the Government of Indonesia and the Netherlands have resolved their dispute concerning West New Guinea (West Irian), Noting with appreciation the successful efforts of the Acting SecretaryGeneral to bring about this peaceful settlement ... 1. Takes note of the agreement 2. Acknowledges the role conferred upon the Secretacy-General in the agreement 3. Authorizes the Secretacy-General to carry out the tasks entrusted to him in the agreement. Angesichts der Tatsache, daß dieser Vertrag nur durch die militärische Drohung Indonesiens gegenüber den Niederlanden zustandekam, die sich fast zu einem Kriege ausgeweitet hätte und eine Verletzung des Gewaltverbots der UNO-Charta bedeutet, ist es erstaunlich, daß die Generalversammlung ohne Zögern ihre Zustimmung erteilte und mit keinem Wort auf die zweifelhaften Umstände vor und bei Vertragsabschluß einging. Da in diesem Falle die Gewaltandrohung und -anwendung geradezu darauf abzielte, den Vertrag herbeizuführen, stellt er ein klares Beispiel für einen völkerrechtswidrig aufgezwungenen Ver173 AdG 10041 A. m AdG 10041 A. 175 Art. 28 des Vertrages, vgl. AdG 10041 A. 176 Yearbook UN 1952, S. 127 f. 177 In der namentlich erfolgten Abstimmung haben die Niederlande für den Vertrag gestimmt.

4.2 Als Völkergewohnheitsrecht

131

trag dar. Für die Untersuchung der Staatenpraxis ist von Bedeutung, daß außer den Hinweisen niederländischer Politiker auf die Zwangssituation keine gewichtigen Stimmen ersichtlich sind, die die Gültigkeit des Abkommens angezweifelt hätten. Im Gegenteil - die Vereinten Nationen haben in ihrer Resolution den Vertrag als peaceful settlement begrüßt. 4.27 Die während der Cubakrise zwischen dem sowjetischen Ministerpräsidenten Chruscbtschow UDCl dem amerikanischen Präsidenten Kennedy getro1renen Abmachungen vom 27./28. Oktober 1962

Zum Ausbruch der Cubakrise vom Oktober/November 1962 führten die im Verlauf dieses Jahres auf dem karibischen Inselstaat erfolgten militärischen Maßnahmen. Die Sowjetunion hatte über längere Zeit hindurch Waffen nach Cuba geliefert und Techniker geschickt178 • In einer am 2. September 1962 in Moskau unterzeichneten Vereinbarung wurde Cuba militärische Hilfe zugesagt. Die versprochenen Waffen sollten allerdings ausschließlich Verteidigungszwecken dienen; diesen Standpunkt erhielten Cuba und die UdSSR stets aufrecht. Um die Aufrüstung Cubas kontrollieren zu können, wurden die ein Jahr zuvor eingestellten U 2-Flüge wieder aufgenommen178• Diese Aufklärungsflüge ergaben, daß eine erhebliche Anzahl von Abschußbasen für Mittelstreckenraketen verschiedener Reichweite zum größten Teil fertiggestellt waren. Zusätzlich wurden mehrere zur Beförderung von Atombomben geeignete Düsenbomber ausgemacht180• Daraufhin kündigte Präsident Kennedy am 22. Oktober 1962 eine "Blockade" 180" über Cuba an, um den weiteren Ausbau sowjetischer Raketenstützpunkte zu verhindern. Sie begann am 24. Oktober 1962. An ihr beteiligten sich 183 Schiffe verschiedener amerikanischer Staaten mit 85 000 Mann Besatzung, die die See in einem Umkreis von 500 Seemeilen überwachten181 • Zum damaligen Zeitpunkt befanden sich 25 sowjetische Schiffe auf dem Weg nach Cuba, 12lagen in cubanischen Häfen182• 178 Zum Verlauf der Ereignisse vgl. die Dokumentation zur Cubakrise in JIR Bd. 12 (1965), S. 477- 502; ferner Kuhn, S. 2 ff. und Koos, S. 1 ff.; ausführ-

lich AdG 10127 C; 10193 D; 10247 C. 179 Koos, S. 3. 180 Kuhn, S . 3.

180• Obwohl es sich nicht um eine Blockade im Rechtssinne handelte (die amerikanische Literatur benutzt deshalb oft den Ausdruck Quarantäne), wird im Zusammenhang mit der Cubakrise überwiegend von Blockade gesprochen. Diesem Sprachgebrauch wurde hier gefolgt. Vgl. dazu Chayes/Ehrlich/ Lowenfeld, Bd. 2, S. 1009- 1114. 181 182

s•

Kuhn S. 4.

Dokumentation, JIR Bd. 12, S. 480.

132

4. Rechtliche Geltung des in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatzes

Mit Zuspitzung der Krise war eine direkte militärische Auseinandersetzung zwischen der UdSSR und den USA zu befürchten. Die von allen beteiligten Parteien beantragte Einschaltung des Sicherheitsrates führte zu keinem Ergebnis183. - Auf Verlangen einer großen Anzahl von Mitgliedstaaten sandte Generalsekretär U Thant Botschaften an Präsident Kennedy und Ministerpräsident Chruschtschow und forderte die Parteien auf, zur friedlichen Behebung der Krise Verhandlungen aufzunehmen. Beide Staatsmänner tauschten daraufhin eine Reihe von Botschaften aus184 und regten an, Übereinkünfte zum Abbau der Spannungen zu treffen; von einer solchen Regelung versprach man sich auch Auswirkungen für spätere allgemeine Abmachungen185• Ministerpräsident Chruschtschow schlug Präsident Kennedy in seinem Schreiben vom 27. Oktober vor, die Raketenstützpunkte in der Türkei zu entfernen, wenn er seine eigenen in Cuba abbaue. Kennedy ging auf diesen Vorschlag indes nicht ein. Gleichwohl erklärte sich Chruschtschow in seinem Brief vom 28. Oktober gegenüber den USA bereit, die von Kennedy als offensiv bezeichneten Waffen zu demontieren und in die UdSSR zurückzubefördern. - Das Ziel der Blockade war erreicht, sie wurde am 20. November 1962 aufgehoben. Man mag Zweifel haben, ob in diesen Übereinkommen überhaupt ein Vertrag gesehen werden kann, ob es nicht vielmehr nur als gentleman agreement gewertet werden kann. -Bereits die Wortwahl der Noten - es heißt dort "agreement", "assurance", "promise", "arrangement" und "firm undertaking" 185" ; in den deutschen Übersetzungen ist von Verpflichtung", "Garantie", "Übereinkunft", "Regelung", "Übereinkommen", "gegenseitig annehmbaren Vereinbarungen" die Rede186 - läßt eher auf eine vertragliche Bindungswirkung schließen. Es kommt hinzu, daß Kennedy in seiner Erklärung zur Aufhebung der Blockade vom 21. November einen Überblick über Fortschritte gab, die bei der "Erfüllung der Absprachen zwischen dem sowjetischen Ministerpräsidenten Chruschtschow und mir, wie sie in unseren Schreiben vom 27. und 28. Oktober niedergelegt sind, gemacht wurden" 187• 183 Die verschiedenen vorgelegten Resolutionsentwürfe sind in JIR Bd. 12, S. 486 abgedruckt; weitere Nachweise bei Steinicke, Quellenindex, S. 72 ff. 184 Zu diesem Briefwechsel siehe JIR Bd. 12 S. 494 ff. 185 Siehe das Schreiben Kennedys vom 26. Oktober 1962; ähnlich der Appell von Generalsekretär U Thant vom 25. Oktober, wo es heißt: "... um Verhandlungen über die Modalitäten eines Abkommens zu ermöglichen, durch welches das Problem auf friedliche Weise und im Geiste der Charta der Vereinten Nationen geregelt würde", vgl. JIR Bd. 12, S. 492. m• Die Noten sind auszugsweise wiedergegeben bei Chayes!Ehrlich/ Lowenfeld, Bd. 2, S. 1127- 1135; siehe ferner Department of State Bulletin Bd. 47 (1962), S. 741 - 745. 18o JIR Bd. 12, S. 494 ff. 187 JIR Bd. 12, S. 482.

4.2 Als Völkergewohnheitsrecht

133

Angesichts dieser Erklärungen und mit Rücksicht auf den Ernst der Situation läßt sich die Meinung vertreten, es habe um vertragliche Vereinbarungen gehandelt- nicht um unverbindliche Zusagen188• Diese Vereinbarung ist nun unter dem Druck der Blockade zustandegekommen, und es ist fraglich, ob diese Blockade nicht als Verstoß gegen das Gewaltverbot zu werten ist. Zu dieser Frage werden unterschiedliche Theorien vertreten, die nicht im einzelnen erörtert werden können189 • Es soll hier der wohl überwiegenden Auffassung gefolgt werden, wonach das Vorgehen der Vereinigten Staaten nach gegenwärtigem Völkerrecht nicht als rechtmäßig begriffen werden kann, sondern eine Verletzung des Gewaltverbots darstellt. Es ist hervorzuheben, daß selbst Mitgliedstaaten der OAS es abgelehnt haben, militärische Gewalt anzuwenden: Brasilien weigerte sich, durch Unterstützung von Gewaltmaßnahmen die Integrität eines unabhängigen Landes zu verletzen und den Weltfrieden in Gefahr zu bringen190• Nach der hier vertretenen Auffassung sind die während der Cubakrise zwischen Ministerpräsident Chruschtschow und Präsident Kennedy getroffenen Abmachung unter völkerrechtswidrigem Zwang zustandegekornrnen. Ihre Gültigkeit ist gleichwohl nie in Zweifel gezogen worden. In einer Rede vorn 12. Dezember 1962 vor dem Obersten Sowjet hat Ministerpräsident Chruschtschow die Regelung als vernünftigen Kornprorniß zur Abwendung eines Krieges bezeichnet191 • 4.28 Verträge zwischen der Tschecboslowakei und der Sowjetunion nach der militärischen Intervention vom August 1968

4.281 Die Vereinbarungen bis zum Truppenstationierungsvertrag vom 16. Oktober 1968

In der Nacht vorn 20. zum 21. August 1968 marschierten Armeen des Warschauer Paktes in einer gemeinsamen Aktion in die Tschechoslowakei ein192• Der Reformkurs der tschechoslowakischen kommunistischen tss So wohl auch Kimminich, wenn er in Central Europe Journal, Bd. 20 (1972), S. 360 mit Hinweis auf Art. 52 WVK schreibt: " ... Thus for instance the Soviet Union could claim that the agreement to withdraw soviet rockets from Cuba in fall1962 was null and void." 189 Dazu ausführlich Koos, Völkerrechtliche Würdigung der Blockademaßnahmen gegen Kuba, sowie Kuhn, Das Problem des völkerrechtlichen Notstandes unter besonderer Berücksichtigung der amerikanischen Maßnahmen in der Kubakrise; siehe auch WUdhaber, Gewaltverbot und Selbstverteidigung, in: Schaumann, Gewaltverbot, S. 152m. w. N. 190 Vgl. die Nachweise bei Steinicke, Quellenindex, S. 259. 191 Zusammenfassung der Rede bei Steinicke, Quellenindex, S. 174. 192 Zum Verlauf der Ereignisse vgl. die ausführliche Dokumentation in EA 1968, D 419 ff. und D 567 ff.; siehe auch OschHes, Osteuropa 1970, S. 1 ff.

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4. Rechtliche Geltung des in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatzes

Partei, der von der Theorie der verschiedenen Wege zum Sozialismus (Polyzentrismus) ausging103 und in aller Welt als Prager Frühling bekannt wurde, fand ein jähes Ende. An der Invasion waren Luft- und Bodenstreitkräfte der UdSSR, Bulgariens, der DDR, Polens und Ungarns beteiligt. Die Truppen drangen gleichzeitig von vielen Stellen aus auf das Territorium der Tschechoslowakei vor und besetzten in kurzer Zeit die wichtigsten Städte und Ortschaften des Landes. In einer Rundfunkansprache rief Staatspräsident Ludvik Svoboda die Bevölkerung auf, in dieser komplizierten Situation Besonnenheit und Ruhe zu bewahren und es nicht zu unüberlegten Aktionen kommen zu lassen194• Die tschechoslowakische Armee leistete keinerlei Widerstand. Im Laufe des Tages wurden die wichtigsten Prager Amtsgebäude von Panzereinheiten umstellt. Sowjetische Soldaten setzten einen großen Teil der in Prag anwesenden Reformpolitiker fest - unter ihnen Parteichef Alexander Dubcek, Ministerpräsident Oldrich Cernik und den Vorsitzenden der Nationalversammlung, Josef Smrkovsky. Am Abend des 21. August war die Besetzung der Tschechoslowakei abgeschlossen. Die amtliche sowjetische Nachrichtenagentur TASS begründete den Einmarsch mit einem "Hilfeersuchen von Persönlichkeiten der Partei und des Staates" der Tschechoslowakei, die die in der Verfassung festgelegte sozialistische Staatsordnung durch konterrevolutionäre Kräfte gefährdet sahen195• Die fünf an der Hilfsaktion beteiligten Länder seien darin einmütig, daß Unterstützung, Festigung und Schutz der sozialistischen Errungenschaften die gemeinsame Pflicht aller sozialistischen Staaten sei. Die tschechoslowakische Regierung protestierte in gleichlautenden Noten, die den an der Intervention beteiligten Staaten übermittelt wurden, gegen die gewaltsame Besetzung, die im Widerspruch zur Charta der Vereinten Nationen, zum Warschauer Vertrag und zu den fundamentalen Prinzipien des Völkerrechts stehe und durch nichts gerechtfertigt werden könne198• Zudem wurde in Erklärungen der Regierung, des Parteipräsidiums und der Nationalversammlung festgestellt, der Einmarsch der fünf Armeen sei ohne Wissen und Billigung der maßgebenund Die Politische Meinung 1970, S. 91 ff.; vgl. ferner Bergmann, Self-Determination und Parrish, The 1968 Czechoslovak Crisis. 193 Vgl. Meissner, Breshnew-Doktrin, S. 9 und Schweitzer, Gewaltverbot und Einflußzonen, in: Schaumann, Gewaltverbot, S. 232. 184 Text des Aufrufs EA 1968, D 427. 195 Text der Erklärung EA 1968, D 427 und bei Meissner, Breshnew-Doktrin, S. 56. 198 Wortlaut der Note EA 1968, D 431; Meissner, Breshnew-Doktrin, S. 110.

4.2 Als Völkergewohnheitsrecht

135

den Organe des Landes erfolgt197 und verstoße nicht nur gegen alle Prinzipien der Beziehungen zwischen sozialistischen Staaten, sondern auch gegen die grundlegenden Normen des Völkerrechts. Die Bevölkerung der Tschechoslowakei leistete gegen den Einmarsch der ausländischen Truppen passiven Widerstand; über die Vorgänge im Lande berichteten schwarze Sender. In Prag wurde an einem geheimen Ort ein außerordentlicher Parteitag einberufen, der permanent tagte198. Fest überall in der Welt löste die militärische Intervention Empörung aus. Nicht nur die Westmächte verurteilten den Einmarsch als völkerrechtswidrigen Gewaltakt, auch zahlreiche blockfreie Staaten mißbilligten die Aktion; sogar innerhalb der kommunistischen Weltbewegung lehnte man die Invasion ab und forderte den Rückzug der Truppen198. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen befaßte sich in verschiedenen Sitzungen mit der Intervention in die Tschechoslowakei200. Der tschechoslowakische Außenminister Hajek legte in einer Rede vor dem Rat die Auffassung seiner Regierung dar und wies die sowjetischen Beschuldigungen über konterrevolutionäre Umtriebe in seinem Land zurück201. Mit Rücksicht auf die inzwischen in Moskau begonnenen tschechoslowakisch-sowjetischen Verhandlungen vertagte sich der Rat am 24. August und setzte später auf Ersuchen der tschechoslowakischen Regierung die Debatte von der Tagesordnung ab. Zu den Verhandlungen in Moskau, die auf Ersuchen von Staatspräsident Svoboda zustandekamen, wurden auch die zeitweise in Internierung gehaltenen Politiker Dubcek, Cernik und Smrkovsky hinzugezogen. Über das Ergebnis der am 26. August abgeschlossenen Verhandlungen wurde am Tage darauf ein Kommunique veröffentlicht202. Darin wurde die Normalisierung der Lage in der Tschechoslowakei zur Voraussetzung für den schrittweisen Abzug der ausländischen Truppen gemacht. Smrkovsky hat die näheren Umstände der Verhandlungen in einer Runclfunkansprache geschildert, ohne allerdings Einzelheiten zu nennen203. Er wies darauf hin, wie problematisch es sei, in einer ungewöhnlichen Situation - Besetzung des Landes, Beschränkung der Kontakte zur Heimat, fehlende Informationen über die Lage- Beschlüsse zu fassen. Man hätte jede Kompromißlösung ablehnen können; dies hätte zur Einsetzung 197 Die einzelnen Erklärungen sind abgedruckt in EA 1968, D 432. 198 EA 1968, D 420. 199 EA 1968, D 420. 200 Ausführlich dazu Brügel, EA 1970, S. 252 ff. !Ot Text der Rede bei Meissner, Breshnew-Doktrin, S. 113 ff. und AdG

14148 Nr. 14.

202 Text EA 1968, D 451. 203 Text EA 1968, D 575 ff.

136

4. Rechtliche Geltung des in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatzes

eines langwährenden Okkupationsregimes geführt. Smrkovsky räumte ein, daß in gewissen Augenblicken nichts anderes übrig bleibe, als jeglichen Kompromiß abzulehnen - dem Charakter und der Würde eines Volkes zuliebe. Ein derart kritisches Stadium sei aber noch nicht eingetreten- trotz aller Vorkommnisse. Deshalb sei man bemüht gewesen, einen Ausweg durch einen annehmbaren Kompromiß zu suchen. Die in Moskau erzielten tschechoslowakisch-sowjetischen Vereinbarungen vom 26. August 1968 stießen in vielen Kreisen der Bevölkerung auf Ablehnung. Das Zentralkomitee nahm sie mit "Bitterkeit und einem Gefühl der Enttäuschung" zur Kenntnis204 • Parteichef Dubcek unterstrich in einer Rede vor dem Zentralkomitee, daß die in Moskau eingegangenen Verpflichtungen in jeder Weise erfüllt werden müßten. Staatspräsident Svoboda warnte davor, die in Moskau vereinbarten Beschlüsse- unter denen einige "wirklich unpopuläre Maßnahmen" seien -nicht zu verwirklichen205 • Bei den am 3. und 4. Oktober folgenden sowjetisch-tschechoslowakischen Verhandlungen in Moskau wurde die Erfüllung der Moskauer Vereinbarungen vom 26. August erörtert und die konkret durchgeführten Maßnahmen besprochen208• Dabei wurde erneut bekräftigt, daß diese Maßnahmen die Grundlage für eine Normalisierung des Lebens in der Tschechoslowakei und für die freundschaftlichen Beziehungen zur Sowjetunion und den anderen sozialistischen Staaten darstellten. Ferner wurde die Frage des Aufenthalts der verbündeten Truppen auf dem Territorium der Tschechoslowakei angeschnitten. Dabei kamen beide Seiten überein, daß die Regierungen einen Vertrag über die zeitweise Stationierung Verbündeter Truppen in der Tschechoslowakei erörtern und unterzeichnen würden. Dieser Truppenstationierungsvertrag wurde am 16. Oktober 1968 in Prag unterzeichnet207• Als Begründung für die Stationierung sowjetischer Truppen nennt der Vertrag "sich verstärkende revanchistische Bestrebungen der westdeutschen militaristischen Kräfte". Der Vertrag regelt detailliert wirtschaftliche und juristische Probleme, läßt die wichtigsten Fragen - Stärke der sowjetischen Truppen und Dauer der StaEA 1968, D 567. EA 1968, D 567. 206 Kommunique vom 4. Oktober 1968, EA 1968, D 584. 207 Text AdG 14319 D und EA 1968, D 589 ff. Nach dem Ungarn-Aufstand von 1956 hatte die Sowjetunion mit verschiedenen sozialistischen Staaten Truppenstationierungsverträge abgeschlossen: mit Polen (17. Dez. 1956, AdG 6172 D), der DDR (12. März 1957, AdG 6312 B), Rumänien (15. April 1957, AdG 6387 C) und Ungarn (27. Mai 1957, AdG 6465 C); es ist erstaunlich, daß der ungarische zeitlich an letzter Stelle liegt; auch er steht mit dem Einmarsch sowjetischer Truppen in Zusammenhang, doch ist er wegen der geringeren Bedeutung hier vernachlässigt worden. 204 205

4.2 Als Völkergewohnheitsrecht

137

tionierung- jedoch offen208. Das Abkommen trat am 18. Oktober nach Ratifizierung durch beide Seiten in Kraft. Während die tschechoslowakische Nationalversammlung tagte, wurde in einer Demonstration vor dem neuen Rathaus gefordert, dem Vertrag nicht zuzustimmen209 . Es besteht kein Zweifel, daß die militärische Intervention in der Tschechoslowakei als rechtswidrig angesehen werden muß 210. Nicht nur das Gewaltverbot der UNO-Charta wurde verletzt, sondern auch Art. 4 des Warschauer Vertrages 211 . Eine Rechtfertigung durch Einwilligung kommt nicht in Betracht. Selbst wenn die Behauptung stimmt, einige Persönlichkeiten der Partei und des Staates der Tschechoslowakei hätten um militärische Hilfe gebeten, so muß berücksichtigt werden, daß ein derartiges Hilfeersuchen nur die legale Staatsvertretung stellen kann. Die Prager Regierung hingegen hat sofort gegen den Einmarsch protestiert. Auch die Bündnisverträge der Tschechoslowakei mit den übrigen sozialistischen Staaten- insbesondere Art. 4 und 5 des Warschauer Vertrages -geben keine Rechtfertigung ab212 : Ein Bündnisfall, der ein Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung gegeben hätte213 , lag nicht vor; eine Aggression der Tschechoslowakei dadurch, daß sie ihre Verteidigungsbereitschaft vernachlässigt hätte (Art. 5 Warschauer Vertrag), hätte keine Befugnis zu gewaltsamem Vorgehen gegeben214. Die Moskauer Vereinbarungen vom 26. August 1968 und der Truppenstationierungsvertrag vom 16. Oktober 1968 sind durch Verletzung des Gewaltverbots zustandegekommen; die Sowjetunion hat der Tschechoslowakei diese Verträge aufgezwungen, um den Reformkurs zu beenden, damit sich das Leben in der Tschechoslowakei wieder "normalisiere"m. Die Unterzeichnung des Truppenstationierungsvertrages war Bedingung 208 Es wurde später - während des Besuches einer Partei- und Staatsdelegation der Tschechoslowakei in der UdSSR am 25. Okt. 1969 - ein Entschädigungsabkommen über die Regulierung solcher Schäden abgeschlossen, die durch die in der Tschechoslowakei seit dem Inkrafttreten des Truppenstationierungsvertrages entstanden sind. Über die Frage der Schäden, die zwischen dem 21. August und dem 18. Oktober 1968 entstanden, wurde keine Einigung erzielt, vgl. AdG 15168 F Nr. 3. 209 AdG 14321 E. 210 Ausführlich Uschakow, EA 1968, S. 773 ff.; vgl. auch Schweisfurth, Zeitschrift für Rechtspolitik 1972, S. 167; Bothe, Gewaltverbot, in: Schaumann, Gewaltverbot, S. 28 und Schweitzer, Gewaltverbot und Einflußzonen, in: Schaumann, Gewaltverbot, S. 231; Brügel, EA 1970, S. 255 und Meissner, Breshnew-Doktrin, S. 9. 211 Uschakow, EA 1968, S. 777. 212 Ausführlich Uschakow, EA 1968, S. 776 ff. 213 Art. 4 Warschauer Vertrag entspricht Art. 51 UN-Satzung. 214 Uschakow, EA 1968, S. 776 f . 215 Vgl. EA 1968, D 567.

4. Rechtliche Geltung des in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatzes

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für den Abzug der Truppen des Warschauer Paktes216 : Dubcek nannte in einer Rede vom 25. Oktober 1968217 den Vertrag einen "notwendigen Schritt für den Abzug des überwiegenden Teils der sowjetischen Truppen und aller Truppen der vier anderen Länder". Die Kausalität zwischen militärischer Zwangsanwendung und Vertragsabschluß kann nicht bestritten werden. - Dennoch ist die Gültigkeit der Abmachungen nicht in Zweifel gezogen worden. Nur in der Literatur finden sich Stellungnahmen, die die Abkommen in Frage stellen218 •

4.282 Der Freundschaftsvertrag vom 6. Mai 1970 In der Zeit nach Abschluß des Truppenstationierungsvertrages vom Oktober 1968 stand die Tschechoslowakei weiterhin im Zeichen der Intervention vom 21. August 1968 und den daraus entstandenen politischen Konsequenzen210. Die von der tschechoslowakischen Regierung betriebene Politik orientierte sich weitgehend am sowjetischen Vorbild220. Zum Jahrestag der Invasion-am 21. August 1969- kam es im ganzen Land zu Unruhen und schweren Zwischenfällen. Kurze Zeit darauf annullierte das Zentralkomitee der Partei seine Protestresolution vom 21. August 1968 und rechtfertigte nachträglich den damals erfolgten Einmarsch221. Die sowjetischen Truppen blieben weiterhin im Lande; die zwischen den Truppenverbänden beider Länder bestehende Freundschaft wurde sogar in offiziellen Kommuniques ausdrücklich hervorgehoben222. Während der Beratungen zwischen Vertretern beider Staaten im Oktober 1969 wurde schließlich vereinbart, einen neuen Freundschaftsvertrag abzuschließenm. Nach vorbereitenden Verhandlungen während eines Aufenthaltes von Gromyko in der Tschechoslowakei fand der Vertragsabschluß während des Besuches einer sowjetischen Partei- und Regierungsdelegation in 218 In Art. 1 Abs. 2 des Vertrages heißt es: Der Abzug dieser Truppen beginnt nach der Ratifizierung des vorliegenden Vertrages durch beide Seiten und wird etappenweise innerhalb von zwei Monaten verwirklicht. 217 Auszüge in AdG 14321 F . 218 So insbesondere Hilf, Osteuropa 1971, S. 885 und Uschakow, EA 1968,

s. 778.

210 Zum Verlauf der Ereignisse vgl. die Dokumentation in EA 1970, D 275 ff.; zu den jüngsten Ereignissen siehe Urban, Osteuropa 1973, S. 119 ff. 220 Vgl. Viney, EA 1972, S. 209 ff., der - auf S. 218 - sogar behauptet, die Tschechoslowakei habe seit 1968 keine eigene Außenpolitik mehr betrieben. 221 EA 1970, D. 57; zu den Widerrufen der Proteste durch Partei und Regierung siehe Brilgel, EA 1970, S. 247. 222 So im Kommunique über die Beratungen im Oktober 1969, EA 1970, D70. 223

Siehe EA 1970, D 74.

4.2 Als Völkergewohnheitsrecht

139

Prag statt224 : Am 6. Mai 1970 unterzeichneten Breshnew und Kosygin für die Sowjetunion und Husak und Strougal für die Tschechoslowakei einen Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand225 • Im Kommunique zu diesem Freundschaftsabkommen heißt es228, der Vertrag trage den Änderungen im internationalen Leben voll Rechnung, berücksichtige das höhere Niveau der sowjetisch-tschechoslowakischen Zusammenarbeit und beinhalte einen neuen Typ von Beziehungen zwischen sozialistischen Staaten. Die tschechoslowakische Seite schätze die internationale Hilfe der Sowjetunion und der anderen sozialistischen Länder vom Jahre 1968 hoch ein. Die Durchführung eines revolutionären Staatsstreiches sei dadurch vereitelt worden; blutige Auseinandersetzungen und eine katastrophale Entwicklung seien verhindert worden, die der Sache des Sozialismus geschadet und die Sicherheit der Völker Europas und der ganzen Welt gefährdet hätten. Seit der Stärkung des marxistisch-leninistischen Charakters der Partei sei es möglich geworden, einige Unklarheiten zu beseitigen, die in den sowjetisch-tschechoslowakischen Beziehungen als Ergebnis der Zerstörerischen Aktivität rechtsorientierter und konterrevolutionärer Kreise entstanden waren. Eine Verstärkung der kameradschaftlichen Zusammenarbeit, eine Festigung der Beziehungen und eine Stärkung der ideologischen Einheit beider Länder auf der Basis des Marxismus-Leninismus und des proletarischen Internationalismus seien nunmehr möglich geworden. Angesichts der Bedeutung, die dem Vertrag in diesem Kommunique gegeben wird, und mit Rücksicht darauf, daß er als "Magna Charta der internationalen Beziehungen zwischen sozialistischen Staaten" bezeichnet worden ist227, erscheint eine kurze Untersuchung seiner wichtigsten Bestimmungen - besonders im Hinblick auf das Prinzip des sozialistischen Internationalismus und die behauptete Fixierung der BreshnewDoktrin von der begrenzten Souveränität sozialistischer Staaten228 angebracht. Das Prinzip des sozialistischen Internationalismus- nach sowjetischer Auffassung die gemeinsame Pflicht der sozialistischen Staaten zur Festigung, Förderung und Verteidigung der Errungenschaften des Sozialismus in der gesamten sozialistischen Gemeinschaft unter der Hegemonie Ausführlich AdG 15443 B Nr. 7. Text: Osteuropa 1970, A 865; EA 1970, D 286; zu dem Vertrag vgl. Frenzke, Außenpolitik 1970, S. 406 ff.; Mencer, Osteuropäische Rundschau 1970, Heft 9, S. 36 f.; Uschakow, EA 1970, S. 791 ff.; Schmid, Proletarisch-sozialistischer Internationalismus, S. 34 ff. 2 2 6 Vgl. EA 1970, D 288 ff. und AdG 15443 B Nr. 7. 227 Vgl. Viney, EA 1972, S. 210. 228 Siehe Schultz, Osteuropa 1970, S. 836. 22'

225

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4. Rechtliche Geltung des in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatzes

der Sowjetunion als erstem Land, das den Sozialismus aufgebaut hat229 ist in die Präambel aufgenommen worden und bildet den Leitfaden für die Beziehungen zwischen den Parteien. Gleichwohl entsprechen die gebrauchten Formulierungen den auch in früheren bilateralen Bündnisverträgen der Sowjetunion und der Tschechoslowakei mit sozialistischen Staaten enthaltenen Klauseln230 • In Art. 5 werden die in der Präambel genannten Zielsetzungen als vertragliche Pflichten statuiert: Die hohen vertragschließenden Parteien werden, indem sie ihren unerschütterlichen und entschlossenen Willen zum Ausdruck bringen, im Aufbau des Sozialismus und Kommunismus weiterhin fortzufahren, erforderliche Maßnahmen zum Schutze der sozialistischen Errungenschaften des Volkes, der Sicherheit und der Unabhängigkeit beider Länder ergreifen, sowie um die Entwicklung der allseitigen Beziehungen zwischen den Staaten der sozialistischen Gemeinschaft bestrebt sein und im Geiste der Festigung ihrer Einheit, Freundschaft und Brüderlichkeit handeln23t. Man hat in dieser Vorschrift vielfach die vertragliche Verankerung der Breshnew-Doktrin gesehen, die durch Aufnahme in ein bilaterales Vertragswerk Völkerrechtscharakter erhalten solle232 ; dadurch solle die Intervention gerechtfertigt und der Truppenstationierungsvertrag untermauert werden. Insbesondere wurde aus der Vorschrift gefolgert, daß Auswahl und Handhabung der Maßnahmen zum Schutz der sozialistischen Errungenschaften nicht mehr allein zu den inneren Angelegenheiten eines sozialistischen Staates gehöre, sondern daß diese Maßnahmen gemeinschaftlich zu treffen seien233 • Art. 5 wird damit entscheidend für das Verständnis des Souveränitätsbegriffs sozialistischer Länder. Wenngleich diese Auslegung nicht zwingend ist- man mag auch davon ausgehen, daß die betreffenden Maßnahmen durch jede Vertragspartei lediglich im eigenen Lande durchzuführen seien - , so sind doch für die Auslegung des Vertrages und den dahinterstehenden Willen der Parteien die politischen Umstände maßgebend, unter denen der Vertrag abgeschlossen wurde. Unter diesem Aspekt wird man die in dieser Vorschrift konzipierte Pflicht als gemeinschaftliche ansehen können. Dies aber bedeutet die Verankerung des Prinzips des sozialistischen Internationalismus im Sinne einer beschränkten Souveränität sozialistischer Staaten234 • 229 So die Definition bei Karin Schmid, Proletarisch-sozialistischer Internationalismus, S. 2. 230 Ebd., S. 34 f. 231 Ebd., S. 37. 232 Vgl. AdG 15448 Fn. 1; M encer, Osteuropäische Rundschau 1970, S. 36 f.; Viney, EA 1970, S. 210; zögernder Frenzke, Außenpolitik 1970, S. 406 ff., der die Bestimmung als Konsequenz der Ereignisse von 1968 deutet. 233 Mencer, Osteuropäische Rundschau 1970, S. 36 f . 234 Vgl. Schmid, Proletarisch-sozialistischer Internationalismus, S. 38 f.

4.2 Als Völkergewohnheitsrecht

141

Die Auswirkungen dieses Prinzips lassen sich aus e1mgen übrigen Vertragsbestimmungen bereits andeutungsweise entnehmen. Art. 2, der die wirtschaftliche und wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit betrifft, verpflichtet die Parteien in Abs. 2 nicht nur zur Annäherung und Koordinierung ihrer Wirtschaftspläne, sondern auch zur sozialistischen ökonomischen Integration der Mitgliedsländer des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe - eine Formel, die zum ersten Male in einem Bündnisvertrage der Ostblockstaaten verwendet wird. Eine derartige Verpflichtung setzt aber eine Einwirkungsmöglichkeit auf die Wirtschaftspolitik eines anderen sozialistischen Staates voraus23;;. Art. 11, der sich mit internationalen Fragen befaßt, bestimmt, daß die hohen vertragschließenden Seiten sich gegenseitig über alle wichtigen internationalen, beiderseitig interessierenden Fragen informieren und beraten, sowie in ihrer Tätigkeit von dem gemeinsamen, in Einklang mit den Interessen beider Staaten vereinbarten Standpunkt ausgehen werden. Damit wird der Grundsatz der Einstimmigkeit in außenpolitischen Entscheidungen festgelegt. Mit Rücksicht auf die Hegemonialstellung der Sowjetunion folgt auch aus diesem Grundsatz eine Einschränkung der Souveränität der anderen sozialistischen Staaten. Vergleicht man diesen Vertrag mit anderen Bündnisverträgen der Tschechoslowakei, die in der Zeit kurz vor der Intervention geschlossen wurden, so ergeben sich bedeutsame Unterschiede: In dem am 14. Juni 1968 mit Ungarn geschlossenen Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand steht das Prinzip des sozialistischen Internationalismus gleichberechtigt neben den Grundsätzen des allgemeinen Völkerrechts. Diese Grundsätze werden stärker hervorgehoben als in früheren Verträgen. - Eine Pflicht zur Koordinierung der Wirtschaftssysteme fehlt in diesem Vertrag; während der Periode des eigenen Wegs zum Sozialismus war eine w eitgehende Koordinierung der wirtschaftlichen und technisch-wissenschaftlichen Zusammenarbeit nicht erforderlich236 • Im Vertrag mit Rumänien vom 16. August 1968, der nur wenige Tage vor dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen abgeschlossen wurde, ist das Prinzip des sozialistischen Internationalismus neben Grundsätzen des allgemeinen Völkerrechts und speziellen Prinzipien der vielseitigen Zusammenarbeit aneinandergereiht und spielt nur eine untergeordnete Rolle. Eine Bestimmung über die Koordinierung und Annäherung der Wirtschaftspläne fehlt hier ebenfalls. Obwohl die Treue zur sozialisti235 Ebd., S. 40; dazu auch Uschakow, EA 1970, S. 793, der dieser Passage nicht so überragende Bedeutung beimißt. 233 Vgl. Schmid, proletarisch-sozialistischer Internationalismus, S. 31 f.

142

4. Rechtliche Geltung des in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatzes

sehen Gemeinschaft betont wird, zeichnet sich doch zur Zeit des Frager Frühlings eine Abkehr vom Prinzip des sozialistischen Internationalismus ab237 • Die damalige politische Situation in der Tschechoslowakei wird hier sehr deutlich widergespiegelt. Welche Sonderstellung der sowjetisch-tschechoslowakische Vertrag vom 6. Mai 1970 einnimmt, wird zusätzlich deutlich, wenn man den zwei Monate später- am 7. Juli 1970- zwischen Rumänien und der Sowjetunion geschlossenen Bündnisvertrag gegenüberstellt. Die rumänische Parteiführung hatte die Breshnew-Doktrin von der beschränkten Souveränität der sozialistischen Staaten wiederholt entschieden zurückgewiesen. Nun stellt zwar auch der rumänisch-sowjetische Vertrag darauf ab, daß die Zusammenarbeit der Partner auf dem Grundsatz des sozialistischen Internationalismus beruhen solle, doch ist die Breshnew-Doktrin nicht derart offensichtlich im Vertrag verankert wie im tschechoslowakisch-sowjetischen Vertrag: Souveränitätsbeschränkungen der genannten Art sind nicht ersichtlich. Diese Tatsache kann als Erfolg der Rumänen gewertet werden238 • Bedenkt man ferner, daß ein Vertragsabschluß zwischen der Tschechoslowakei und der Sowjetunion zum damaligen Zeitpunkt gar nicht notwendig gewesen wäre- im November 1963 war derdamals bestehende Vertrag für weitere 20 Jahre verlängert worden239 - so wird deutlich, daß es der Sowjetunion vornehmlich auch darauf ankam, das durch die Intervention bestimmte Verhältnis zwischen beiden Staaten in der damaligen Gestaltung vertraglich festzulegenz4o. All die genannten Umstände rechtfertigen es, auch in diesem Vertrag ein völkerrechtswidrig aufgenötigtes Abkommen zu sehen. Zweifel, die hinsichtlich der Kausalität zwischen Zwang und Vertragsabschluß aufkommen können- immerhin lagen zwischen Intervention und Unterzeichnung gut eineinhalb Jahre -, lassen sich durch den Hinweis entkräften, daß im Mai 1970 die in der Tschechoslowakei stationierten sowjetischen Truppen noch nicht abgezogen waren. Diese Situation ist von der Sowjetunion dazu benutzt worden, den Abschluß eines Vertrages zu fordern, der eine Garantie gegen einen erneuten Prager Frühling bot: Neuerliche Reformbetrebungen können mittels der genannten Vertragsbestimmungenunterbunden werden. Dennoch ist auch in diesem Falle die Gültigkeit des Vertrages in der Praxis der Staaten nicht ernsthaft in Zweifel gezogen worden241 • Ebd., S. 32 ff. Dazu ausführlich SchuUz, Osteuropa 1970, S. 836. 239 Siehe Frenzke, Außenpolitik 1970, S. 407 f. uo So ausdrücklich Frenzke, Außenpolitik 1970, S. 408. 241 Kritische Stimmen finden sich wiederum nur in der Literatur: vgl. Hilf, Osteuropa 1971, S. 885. 237

238

4.2 Als Völkergewohnheitsrecht

143

4.29 Das Abkommen zwischen Island und Großbritannien vom 11. März 1961 im Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof zur Ausdehnung der Fischereigrenzen vom 17. August 1972 und 2. Februar 1973

Bei der Erörterung der Staatenpraxis ist abschließend ein Vorfall zu nennen, der jüngst während der Verhandlungen im Fisheries Jurisdiction Case vor dem Internationalen Gerichtshof eine Rolle gespielt hat242 • In diesem Verfahren berief sich Island auf die Ungültigkeit eines Vertrages, der herangezogen wurde, um die Zuständigkeit des IGH in dem vorgelegten Streit zu begründen. Dieser aus dem Jahre 1961 stammende Vertrag war geschlossen worden, um den damals zwischen Island und Großbritannien bestehenden Fischereistreit zu beenden243 • Im Sommer 1958 hatte Island seine Fischereigrenzen auf 12 Seemeilen erweitert; dieses einseitige Vorgehen war bereits auf der Genfer Seerechtskonferenz von den isländischen Vertretern für den Fall angekündigt worden, daß eine Einigung über die Küstenmeeresbreite nicht erzielt werden könne. Die isländische Regierung unterbreitete den Vereinten Nationen im September 1958 ein Memorandum ("The Icelandic Fishery Question"}, in dem es ausdrücklich hieß, die neue Fischereigrenze stelle keine Ideallösung dar, sondern sei auf Grund der geschichtlichen Entwicklung gewählt worden244 • Islands einseitiges Vorgehen stieß auf entschiedenen Protest der betroffenen Staaten. Großbritannien entschloß sich, Behinderungen seiner Fischerei notfalls gewaltsam abzuwehren. So fischten britische Fischereiflotten in den Seegebieten zwischen der 4-Meilen- und der 12-Meilengrenze unter dem Schutz britischer Fregatten und Zerstörer. Isländische Küstenwachtboote wollten dies verhindern und versuchten mehrfach, britische Fischdampfer aufzubringen. Den Höhepunkt in diesem "Seekrieg" bildete ein Zwischenfall vom September 1958: Ein isländisches Kanonenboot enterte einen britischen Fischdampfer und setzte eine Prisenbesatzung ein245 • 242 Einstweilige Anordnung des IGH vom 17. August 1972 in der Sache Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Nordirland gegen Island wegen der durch Island erfolgten Ausdehnung der Fischereizone auf 50 Seemeilen; eine nahezu übereinstimmende Anordnung ist am gleichen Tage in dem parallel liegenden Streit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Island ergangen. Quelle: ILM Bd. 11 (1972), S. 1069 ff. Die soeben erschienenen Urteile zur Frage der Zuständigkeit des Gerichtshofes vom 2. Februar 1973 sind abgedruckt in ILM Bd. 12 (1973), S. 290 ff. (Vereinigtes Königreich gegen Island) und 300 ff. (Bundesrepublik Deutschland gegen Island). 243 Dazu vgl. Böhmert, Isländische Fischereikonflikte, in: Wörterbuch Bd. 2, S. 153 ff. 244 Böhmert, S. 153 ff. hat darauf hingewiesen, daß diese Formulierung bereits auf weitere Pläne Islands hindeutete und erkennen ließ, daß auch die Zwölfmeilenzone nur als Provisorium betrachtet werde. 245 Zu diesem Zwischenfall ausführlich AdG 7276 A Nr. 2; siehe auch Leistikow, Außenpolitik Bd. 10 (1959), S. 384 ff.

144

4. Rechtliche Geltung des in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatzes

Der Fischereikonflikt ist im März 1961 durch einen Notenwechsel zwischen Großbritannien und Island bereinigt worden246 • In Art. 5 dieser Vereinbarung heißt es: The Icelandic Government will continue to work for the implementation of the Althing Resolution of May 5, 1959, regarding the extension of fisheries jurisdiction around Iceland, but shall give to the United Kingdom Government six months' notice of such extension and, in case of a dispute in relation to such extension, the matter shall, at a request of either party, be referred to the International Court of Justice. Durch die Althing-Resolution vom 15. Februar 1972247 erweiterte Island seine Fischereigrenzen nunmehr auf 50 Seemeilen. Daraufhin leitete Großbritannien am 14. April1972 ein Verfahren gegen Island vor dem Internationalen Gerichtshof ein und beantragte am 19. Juli 1972 den Erlaß einstweiliger Anordnungen, um den bisherigen Zustand aufrechtzuerhalten. Das isländische Außenministerium hat die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofes bestritten und seine Rechtsansicht in einem Schreiben an den Gerichtshof vom 29. Mai 1972 begründet. Dabei wird insbesondere die im Notenwechsel von 1961 getroffene Vereinbarungworauf hauptsächlich die Zuständigkeit gegründet wurde- als hinfällig bezeichnet: Der Vertrag sei nicht auf unbestimmte Zeit abgeschlossen worden, er sei erfüllt, sein Zweck erreicht; die Bestimmungen seien deshalb nicht länger anwendbar und die Vereinbarung als beendet anzusehen. - Im Rahmen dieser Untersuchung interessiert besonders folgende Einlassung: Der Notenwechsel aus dem Jahre 1961 sei unter extrem schwierigen Umständen erfolgt, da die königlich britische Marine damals Gewalt angewendet habe, um der Ausdehnung der Fischereigrenzen auf 12 Seemeilen entgegenzutreten248 • Mit diesem Vorbringen wird geltend gemacht, das Abkommen sei unter Anwendung von Zwang zustandegekommen und könne deshalb nicht Rechtsgrund für die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofes sein. Von einer Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit wird nicht ausdrücklich gesprochen. 246 Agreement between leeland and the United Kingdom on fishing in Icelandic waters vom 11. März 1961, Text: ILM Bd. 11 (1972), S. 490 und UNTS Bd. 397, S. 397; der im Notenwechsel zwischen Island und der Bundesrepublik geschlossene entsprechende Vertrag ist ebenfalls bei den Vereinten Nationen registriert worden, UNTS Bd. 409, S. 47 ff.; vgl. auch AdG 8947 C. 247 ILM Bd. 11 (1972), S. 643; zu den lcelandic Regulations concerning Fishery Limits vom 14. Juli 1972 siehe ILM Bd. 11 (1972) S. 1112. 248 Das Schreiben des Außenministeriums ist auszugsweise wiedergegeben in ILM Bd. 11 (1972), S. 1073; im Original lautet die Passage: "... the 1961 Exchange of Notes took place under extremely düficult circumstances, when the British Royal Navy had been using force to oppose the 12-mile fishery limit."

4.2 Als Völkergewohnheitsrecht

145

Im Verfahren betreffend die einstweilige Anordnung ist der Gerichtshof auf dieses Vorbringen nicht eingegangen. Nur Richter Padilla Nervo -das mexikanische Mitglied im Gerichtshof- hat in seiner abweichenden Meinung die isländische Einlassung mit herangezogen, um die Unzuständigkeit des Gerichts zu begründen: Auch er betont, daß die damals bestehende Situation nicht die geeignetste gewesen sei, um einen Vertrag auszuhandeln und abzuschließen. Weiter ins einzelne gehende Ausführungen zu dieser Problematik fehlen indes auch in seiner Stellungnahme. In den nunmehr erschienenen Urteilen zur Frage der Zuständigkeit des IGH finden sich jedoch kurze Ausführungen zu den von Island vorgetragenen Argumenten. Die betreffende Passage des Urteils lautet249 : "This statement could be interpreted as a veiled charge of duress purportedly rendering the Exchange of Notes void ab initio, and it was dealt with as such by the United Kingdom in its Memorial. There can be little doubt as is implied in the Charter of the United Nations and recognized in Article 52 of the Vienna Convention on the Law of Treaties, that under. contemporary international law an agreement concluded under the threat or use of force is void. It is equally clear that a court cannot consider an accusation of this serious nature on the basis of a vague general charge unfortified by evidence in its support. The history of the negotiations which led up to the 1961 Exchange of Notes reveals that these instruments were freely negotiated by the interested parties on the basis of perfect equality and freedom of decision on both sides. No fact has been brought to the attention of the Court from any quarter suggesting the slightest doubt on this matter." Damit erkennt der Internationale Gerichtshof den in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatz als geltendes Recht an, hält dessen Voraussetzungen jedoch nicht für erfüllt, da die Abkommen nicht unter Zwang ausgehandelt worden seien. Padilla Nervo hat wiederum seine abweichende Ansicht ausführlich begründet und sich dagegen ausgesprochen, dem Einwand Islands keinerlei Bedeutung beizumessen. In seiner dissenting opinion heißt es250 : "The assertion that the 1961 Exchange of Notes took place under extremely difficult circumstances, when the British Royal Navy had been using force to oppose the 12-mile fishery limit, is not denied (para 4 of the United Kingdom's Application). The Court should not overlook that fact, and does not need to request documentary evidence as to the kind, shape and manner of force which was used (Art. 52, Vienna Convention on the Law of Treaties). A big power can use force and pressure against a small nation in many ways, even by the very fact of diplomatically insisting in having its view recognized and accepted. The Royal Navy did not need to use armed force, 249 ILM Bd. 12 (1973), S. 296, Urteil Vereinigtes Königreich gegen Island. Eine entsprechende Passage findet sich auch im Urteil Bundesrepublik gegen Island, S. 305. 2so ILM Bd. 12 (1973), S. 321 f.

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4. Rechtliche Geltung des in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsa.tzes

its mere presence on the seas inside the fishery limits of the coastal State could be enough pressure. It is wellknown by professors, jurists and diplomats acquainted with international relations and foreign policies, that certain "Notes" delivered by the government of a strong power to the government of a small nation, may have the same purpose and the same effect as the use or threat of force. There are moral and political pressures which cannot be proved by the so-called documentary evidence, but which are in fact indisputably real and which have, in history, given rise to treaties and conventions claimed to be freely concluded and subjected to the principle of pacta sunt servanda." Es ist zweifelhaft, ob angesichtsdes einseitigen Vorgehens durchIsland tatsächlich davon gesprochen werden kann, daß Großbritannien völkerrechtswidrig Gewalt angewendet habe und der 1961 erfolgte Notenaustausch auf diese Art erzwungen worden sei. Es kommt hinzu, daß der Zwang nicht angewendet wurde, um das Abkommen zu schließen, sondern um die britischen Fischkutter zu schützen; die Kausalität zwischen Zwang und Vertragsabschluß ist·somit nicht unbedingt nachzuweisen251 • Dennoch hat das Vorbringen Islands einiges Gewicht; durch die Stellungnahme des Gerichtshofes und besonders durch Padilla Nervos Ausführungen wird dies noch unterstrichen. Beachtlich ist, daß in der jüngsten Staatenpraxis überhaupt derartige Erwägungen angestellt werden, die man eigentlich schon bei früheren Verträgen erwartet hätte - insbesondere bei Verträgen, deren Abschluß durch eindeutig völkerrechtswidrige Gewaltanwendung erzwungen wurde. 4.210 Zusammenfassung

Die hier zur Feststellung der Staatenpraxis untersuchten Beispiele aus jüngerer Zeit ergeben zusammenfassend folgendes Bild: Die Konsequenz, daß völkerrechtswidrig aufgezwungene Verträge nicht als gültig anzusehen seien, ist nur selten gezogen worden. Eine eindeutige und einheitliche Behandlung ließ sich nur beim Vertrag über die Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren von 1939 nachweisen. Der in diesem Falle angewendete Zwang stellt ein besonders krasses und abschreckendes Beispiel dar. Das Münchener Abkommen von 1938 ist anfangs unterschiedlich beurteilt worden; der Völkerbund hatte die Übereinkunft in einer Resolution als Friedensbemühung außerhalb des Bundes gelobt. Die Ansicht, das Abkommen sei ungültig, weil es unter Zwang zustandegekommen sei, hat erst in den letzten Jahren an Boden gewonnen; heute wird diese Argumentation in zunehmendem Maße in den Vordergrund gestellt, die anderen gegen die Gültigkeit vorgebrachten Einwände treten demgegenüber zurück. Hier ist hervorzuheben, daß der Abschluß beider Ver251

Darauf hat jüngst auch Katz, ICLQ Bd. 22 (1973), S. 88 hingewiesen.

4.2 Als Völkergewohnheitsrecht

147

träge vor 1945- also vor Aufstellung des allgemeinen Gewaltverbots lag. Eine große Anzahl von Verträgen, bei deren Abschluß oft Zwang eine Rolle spielte, ist bei der Untersuchung außer Betracht gelassen worden. Hier sind vornehmlich drei Gruppen anzuführen: Die nach dem zweiten Weltkrieg zwischen den Alliierten und Deutschlands Verbündeten geschlossenen Friedensverträge, die im Zusammenhang mit militärischen Konflikten nach 1945 geschlossenen Waffenstillstandsabkommen und Friedensverträge sowie die bei Gewährung der Unabhängigkeit abgeschlossenen Verträge. Der Grund für die Vernachlässigung dieser Beispiele liegt zum einen darin, daß die Vertragsabschlüsse im Lichte des Sonderrechts der Siegermächte nach dem zweiten Weltkrieg (Art. 53 und 107 der UN-Charta) gesehen werden müssen oder daß der angewendete Zwang nicht die Intensität militärischer Gewalt erreichte. Bei der zweiten Gruppe war die Kausalität zwischen Zwang und Vertragsabschluß fraglich: Die Anwendung oder Androhung von Gewalt war nicht in jedem Falle erfolgt, um gerade diese Abkommen zustandezubringen. Beim Zwang im Zusammenhang mit den letztgenannten Verträgen war entscheidend, daß in diesen Situationen das Gewaltverbot keine Geltung beanspruchen konnte. Die dann folgend untersuchten Vereinbarungen im Zusammenhang mit dem West-Irian-Konflikt und der Cubakrise weisen die Gemeinsamkeit auf, daß die Vereinten Nationen an ihrem Zustandekommen unmittelbar beteiligt waren. Der Vertrag zwischen Indonesien und den Niederlanden vom August 1962 erlangte erst dadurch volle Gültigkeit, daß die Vollversammlung dem Abkommen in einer Resolution zustimmte. Die Übereinkunft zwischen Chruschtschow und Kennedy ist gerade durch die Vermittlung des Generalsekretärs ermöglicht worden.- Die Gültigkeit der Verträge, die zwischen der Tschechoslowakei und der Sowjetunion nach der militärischen Intervention vom August 1968 geschlossen wurden, ist von einem Mitglied der Völkergemeinschaft nie ernsthaft in Zweifel gezogen worden. - Erst in jüngster Zeit ist in dem vor dem Internationalen Gerichtshof von Großbritannien und der Bundesrepublik gegen Island wegen Ausdehnung der Fischereigrenzen durchgeführten Verfahren die Frage nach der Gültigkeit eines unter Druck abgeschlossenen Vertrages aufgeworfen worden252 • 252 O'Connell nennt in seinem Lehrbuch einen weiteren Fall (International Law, Bd. 1, 2. Aufl., S. 240): Der Indus-River-Treaty (Inter-dominion agreement between the Government of India and the Government of Pakistan on the canal water dispute between East and West Punjab, signed at New Delhi on 4 May 1948, UNTS Bd. 54, S. 45) sei von Pakistan wegen Zwanges gekündigt worden. Die in UNTS Bd. 85, S. 356 registrierte Kündigung läßt dies nicht erkennen. In einer der Kündigung angefügten Erklärung heißt es nur: "In registering the certified statement of termination the Pakistan Mis-

10•

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4. Rechtliche Geltung des in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatzes

Es läßt sich somit eine einheitliche Staatenpraxis nicht nachweisen. Wohl gibt es Beispiele, daß aufgezwungene Verträge nicht als gültig betrachtet werden; doch überwiegt die Anzahl der Abkommen, die gleichwohl eingehalten worden sind, bei weitem. Die sehr geringe Anzahl wirklich zutreffender Beispiele läßt allerdings keinen eindeutigen Schluß in der einen oder anderen Richtung zu. Im Völkergewohnheitsrecht ist die Frage der Gültigkeit aufgezwungener Verträge folglich noch nicht endgültig entschieden. Man ist beinahe geneigt, die Tatsache, daß sichim Gegensatz zu früheren Zeiten- kaum eindeutige Beispiele völkerrechtswidrig aufgezwungener Verträge finden lassen, dahingehend zu werten, daß in der Regel Verträge ausgehandelt und nicht aufgezwungen werden, daß beim Abschluß völkerrechtlicher Vereinbarungen das Gewaltverbot mithin grundsätzlich eingehalten wird. Andererseits spricht das Mitwirken der Vereinten Nationen bei den Vereinbarungen im West-Irian-Konfl.ikt und während der Cubakrise eher dafür, daß auch aufgezwungene Verträge Gültigkeit beanspruchen können-zumal dann, wenn der Abschluß erfolgte, um den Frieden zu erhalten, einen Krieg zu vermeiden oder einen Konflikt zu beenden. Insgesamt muß festgestellt werden, daß sich zur Frage der Gültigkeit aufgezwungener Verträge bisher eine einheitliche Staatenpraxis nicht herausgebildet hat. Ein gleichartiges Verhalten der beteiligten Staaten kann nicht festgestellt werden. Der Grundsatz, daß völkerrechtswidrig aufgezwungene Verträge als nichtig anzusehen seien, ist im Völkergewohnheitsrecht deshalb nicht nachzuweisen.

4.3 Gültigkeit als allgemeiner Rechtsgrundsatz Die Mehrheit der Völkerrechtslehre sieht die allgemeinen Rechtsgrundsätze neben dem Vertrags- und Gewohnheitsrecht als eine dritte selbständige primäre Rechtsquelle an, nicht nur als eine Entscheidungsgrundlage, auf die nach Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut zurückgegriffen werden darf253• Es ist im folgenden daher zu untersuchen, ob ein allgemeiner Rechtsgrundsatz besteht, daß rechtswidrig aufgezwungene Verträge keine Gültigkeit beanspruchen können. Sollte dies der Fall sein, könnte das in Art. 52 WVK niedergelegte Prinzip möglicherweise als allgemeiner Rechtsgrundsatz Geltung beanspruchen. sion to the United Nations infonned the Secretary General of the United Nations, notwithstanding the fact that the formal notice of termination of the agreement was given to the Government of India on 23 August 1950, it was the view of the Pakistan Government that the agreement, if ever binding on Pakistan, had long before that date ceased to be effective." - Zu diesem Fall auch Berber, Indian Yearbook of International Affairs, Bd. 6 (1957),

S.46 ff. 253 Berber, Völkerrecht, Bd. 3, S. 770.

4.3 Als allgemeiner Rechtsgrundsatz

149

Bei der Prüfung dieser Frage ist zu berücksichtigen, daß zwischen zwei grundverschiedenen Gruppen von Rechtsgrundsätzen unterschieden werden muß: zwischen allgemeinen Grundsätzen, die unmittelbar aus der Struktur der Völkerrechtsordnung abgeleitet werden und allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die aus den innerstaatlichen Rechtsordnungen auf völkerrechtliche Tatbestände übertragen werden können254 • 4.31 Reclttsgrundsätze der Völkerrechtsordnung

Diese - meist general principles of internationallaw genannten- allgemeinen Rechtsgrundsätze, die unmittelbar aus der Struktur der Völkerrechtsordnung ableitbar sind, stellen Normen und Auslegungsgrundsätze dar, die aus dem System der durch Vertrags- und Gewohnheitsrecht gebildeten Völkerrechtsordnung mit den Methoden juristischer Logik abgeleitet werden; sie sind im völkerrechtlichen Vertrags- oder Gewohnheitsrecht bereits mit enthalten255 • Daraus folgt ihre unmittelbare Geltung. Allerdings sind sie vom Vertrags- und Gewohnheitsrecht abhängig, so daß sie nicht als eine selbständige dritte Völkerrechtsquelle betrachtet werden können258 • Im Rahmen dieser Untersuchung brauchen sie daher nicht weiter untersucht zu werden: Wenn nach Völkervertrags- und Gewohnheitsrecht die Geltung der in Art. 52 WVK niedergelegten Regel nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden konnte, so läßt sich auch kein Rechtsgrundsatz der Völkerrechtsordnung mit diesem Inhalt begründen. -Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut meint auch nicht diese - aus der Struktur der Völkerrechtsordnung ableitbaren - Rechtsgrundsätze, sondern mit den "von den zivilisierten Staaten anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen" 257 sind die Rechtsgrundsätze der innerstaatlichen Rechtsordnungen angesprochen258 • 4.32 Rechtsgrundsätze der innerstaatlieben Rechtsordnungen

Bei den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die aus den innerstaatlichen Rechtsordnungen auf völkerrechtliche Tatbestände übertragen werden, 254 Daß es verschiedene Arten von Rechtsgrundsätzen gibt, ist in der Literatur zum Teil nicht genügend beachtet worden; bei Jaenicke, Völkerrechtsquellen, in: Wörterbuch Bd. 3, S. 770 ist diese Verschiedenartigkeit grundlegend herausgestellt worden; deutlich auch Verdross, Völkerrecht, S. 147. 2 55 Verdross, Völkerrecht, S. 147. 256 So ausdrücklich Jaenicke, Völkerrechtsquellen, in: Wörterbuch Bd. 3, S. 771; Berber, Völkerrecht Bd. 1, S. 69 bezeichnet diese Grundsätze als Gewohnheitsrechtsregeln und mißt ihnen gar keinen eigenen besonderen Charakter bei. 257 So die Übersetzung im ÖBGBI. 1956 Nr. 120 ; der englische Text lautet "the general principles of law recognized by civilized nations", vgl. Yearbook

UN 1946/47, S. 843 ff.

m Berber, Völkerrecht Bd. 1, S. 69.

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4. Rechtliche Geltung des in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatzes

handelt es sich um eine "Rezeption innerstaatlicher Rechtsgrundsätze, die wegen ihrer übereinstimmenden Geltung in den Rechtssystemen der beteiligten Staaten als Ausdruck gemeinsamer Rechtsanschauungen gewertet werden und deshalb geeignet sind, beim Fehlen positiver Normen zur Lückenausfüllung herangezogen zu werden" 259• Das innerstaatliche Recht mit seinen viel mehr durchgearbeiteten Rechtssystemen wird auf diese Weise für das Völkerrecht fruchtbar gemacht. Die Rechtssätze des innerstaatlichen Rechts können dabei nicht als solche in das Völkerrecht übernommen werden, sondern nur daraus abgeleitete allgemeine Prinzipien; die Übereinstimmung darf nicht zufällig sein, sondern es muß ein allgemeines, die ganze Rechtsordnung beherrschendes Rechtsprinzip bestehen260. Es genügt ferner nicht, daß derartige Rechtssätze im Recht eines oder mehrerer Staaten vorgefunden werden, sondern ihre Existenz muß in den meisten Rechtssystemen nachgewiesen werden können. Dies ergibt sich auch aus Art. 9 IGH-Statut, wonach die Richter am internationalen Gerichtshof die Hauptformen und die hauptsächlichsten Rechtssysteme der Welt vertreten müssen261 • Zu den hauptsächlichsten Rechtssystemen zählt Berber262 "vor allem das lateinische, das germanische, das bolschewistische, das chinesische, das indische und das islamische Rechtssystem". Es können hingegen nicht alle allgemeinen Prinzipien, die übereinstimmend in den hauptsächlichsten Rechtsordnungen vorhanden sind, für das Völkerrecht nutzbar gemacht werden, sondern nur die, die auf den zwischenstaatlichen Verkehr übertragbar sind263. Berber84 hat darauf hingewiesen, daß es viele Institutionen im innerstaatlichen Recht gibt, die keine logische Analogie im Völkerrecht haben. Gleichzeitig bedauert er, daß dieses Problem systematisch leider noch ganz unerforscht sei. Die in der Literatur bei der Erörterung der allgemeinen Rechtsgrundsätze gelegentlich vorgenommene Aufzählung von Beispielen führt einen dem in Art. 52 WVK entsprechenden Grundsatz bisher nirgends auf. Ist auch eine ausdrückliche Erwähnung eines solchen Prinzips nicht nachweisbar, so muß immerhin beachtet werden, daß generell Grundsätze des Vertragsrechts zu den Beispielen solcher Rechtsgrundsätze gezählt werden265. Als konkretes Beispiel wird angeführt, daß der Internatio259 So Jaenicke, Völkerrechtsquellen, in: Wörterbuch Bd. 3, S. 771. 260 Dahm, Völkerrecht Bd. 1, S. 37. 261 Verdross, Völkerrecht, S. 149. 2e2 Völkerrecht Bd. 1, S. 69. 283 Verdross, Völkerrecht, S. 148. 284 Völkerrecht Bd. 1, S. 70. 285 So ausdrücklich Jaenicke, Völkerrechtsquellen, in: Wörterbuch Bd. 3,

s. 771.

4.3 Als allgemeiner Rechtsgrundsatz

151

nale Gerichtshof im Falle des Tempels von Preah Vihear die allgemeinen Rechtsgrundsätze über den Irrtum bei Verträgen auf den völkerrechtlichen Verkehr angewandt hat266 • Es ist somit zu untersuchen, wie die innerstaatlichen Rechtsordnungen das Problem des Zwanges beim Vertragsabschluß regeln. Sollte sich in den hauptsächlichsten Rechtsordnungen eine Übereinstimmung der entsprechenden Vorschriften nachweisen lassen, so ist weiterhin zu prüfen, ob die so gewonnenen allgemeinen Prinzipien auf den zwischenstaatlichen Verkehr übertragbar sind- ob also internationale Verträge in dieser Beziehung entsprechend behandelt werden können. 4.321 Das Problem des Zwanges beim Vertragsabschluß in den innerstaatlichen Rechtsordnungen Werfen wir zunächst einen Blick darauf, wie sich dieses Problem in der eigenen nationalen Rechtsordnung darstellt. 4.3211 Die deutsche Rechtsordnung

Schließen zwei Partner einen Vertrag und finden auf diesen Vertragsabschluß die Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuches Anwendung, so hängt die Beständigkeit des Vertrages auch davon ab, ob die erforderlichen Willenserklärungen freiwillig abgegeben wurden. Hat nämlich einer der Vertragspartner auf den anderen Zwang ausgeübt, so daß dessen Zustimmung widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, dann ist das Schicksal des Vertrages ungewiß: Der unter Druck gesetzte Vertragsteil kann seine Erklärung anfechten und damit den Vertrag zu Fall bringen. Danach ist der Vertrag als von Anfang an nichtig anzusehen, es bestehen keinerlei Verpflichtungen. Das eben Geschilderte beruht auf dem in § 123 BGB niedergelegten Grundsatz. Im Bürgerlichen Gesetzbuch bildet die freie, das heißt nicht rechtswidrig beeinfiußte Willensentscheidung ein Tatbestandsmerkmal des Rechtsgeschäftes. Ein in dieser Hinsicht mangelhaftes Rechtsgeschäft wird dergestalt als unverbipdlich behandelt, daß es im Willen des Verletzten steht, ob er die Nichtigkeit geltend machen will oder nicht267 • Der Grund für die Anfechtbarkeit liegt somit in der Beeinträchtigung der Entschlußfreiheit; § 123 BGB stellt auf die Fehlerhaftigkeit der durch Drohung bedingten Erklärung- auf den Willensmangel ab268 • Die AbVerdross, Völkerrecht S.l48 mit Zitat der wesentlichen Passage in Fn. 7. So die Motive zum BGB, vgl. Flume, § 27, 1, S. 529. 268 Nach gemeinem Recht war das Geschäft in diesen Fällen zunächst gültig; doch konnte seine Wirkung durch Klage aufgehoben oder durch Einrede dauernd gehemmt werden (exceptio metus). Im Gegensatz zum BGB war zur 266 267

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4. Rechtliche Geltung des in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatzes

gabe der Willenserklärung muß rechtswidrig durch Drohung bestimmt worden sein. Die Willensbeeinflussung ist bereits dann widerrechtlich, wenn die bei der Drohung eingesetzten Mittel als widerrechtlich anzusehen sind; auf die Widerrechtlichkeit des mit der Drohung verfolgten Zweckes kommt es nicht anm. Der Drohende muß die Erregung von Furcht bezweckt haben, und die Tatsache, daß er droht, sowie die Eignung der Drohung zur Beeinflussung der Willensentschließung des Bedrohten müssen ihm bewußt gewesen sein270. Eine besondere Schwere des angedrohten Übels fordert das Gesetz jedoch nicht. Für den Bedrohten muß aber eine Zwangslage entstanden sein - hervorgerufen durch die Drohung; die bloße Ausnutzung einer Notlage beeinträchtigt die Gültigkeit des Rechtsgeschäftes nicht- es sei denn, daß darin eine Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB gesehen werden kann271 • Auf die vielschichtige Problematik des § 123 BGB braucht im Rahmen dieser Arbeit nicht näher eingegangen zu werden. Diese kurzen Bemerkungen mögen daher genügen, um den in der genannten Vorschrift niedergelegten Grundsatz - nur freiwillig abgegebene Erklärungen können zu wirksamen und bestandsfähigen Rechtsgeschäften führen- zu verdeutlichen. 4.3212 Rechtsordnungen anderer Staaten Betrachten wir die Rechtsordnungen anderer Staaten, so finden wir in allen Rechtskreisen nahezu identische oder vergleichbare Vorschriften272. Aus dem europäischen Raum seien genannt: das französische Recht (Art.llll Code Civile) mit seinen kontinentalen Schwesterkodifikationen in Italien, den Niederlanden, Spanien und Portugal- ihm folgen die führenden Gesetzbücher Lateinamerikas273 -, das Österreichische (§§ 870, 875 ABGB) und das Schweizer Recht (Art. 29 ff. ObligationenGültigkeit also nicht ein freies - nicht durch Drohung bestimmtes - Wollen gefordert, sondern nur ein Wollen überhaupt. Vgl. EnnecceTus-NippeTdey, § 172 II, S. 1059 f. 289 Patandt-Dancketmann, § 123, Bem. 3 b. 270 StaudingeT-Coing, § 123, Rdn. 5; Enneccerns-NippeTdey, § 173 I 2, S. 1062. 271 Vgl. Flume, § 28, 1, S. 534. 272 Zum Gesamtkomplex siehe die ausführliche Darstellung von Titze, Rechtsvergleichendes Handwörterbuch Bd. 5, Artikel "Rechtsgeschäft, Drohung", S. 837- 841, der auch die östlichen Rechtsordnungen behandelt; ferner ZweigeTtiKötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 113 f. mit zahlreichen Literaturangaben auf S. 95 und Juca, La violence comme vice du contract et de consentement en droit compare, Paris 1930; zum anglo-amerikanischen Rechtskreis WiHiston, A Treatise on the Law of Contracts, §§ 1601 ff. und PaTker, Das Privatrecht der Vereinigten Staaten von Amerika, S.127. 273 z. B. Argentinien, Brasilien, Chile und Mexiko.

4.3 Als allgemeiner Rechtsgrundsatz

153

recht) 274 • Das nordische und das sowjetrussische Zivilrecht sind entsprechend ausgestaltet. Die Regelung des japanischen und des chinesischen Gesetzbuches deckt sich mit der des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches. Auch das anglo-amerikanische Recht- ihm folgt das indische- kennt die Anfechtung erzwungener Verträge. Unterschiede zeichnen sich nur in minder wichtigen Einzelheiten ab: So wird zum Teil verlangt, daß es sich um eine Drohung handelt, die auch einen vernünftigen Menschen zu beeindrucken imstande ist275 • Oder es wird zwischen stärkerem und schwächerem Zwang differenziert276 • Nicht immer wird eine Zwangslage des Betroffenen verlangt: So schützt das englische Equity-Recht nicht nur gegen threat und duress, sondern auch gegen undue influence - worunter zum Beispiel die Ausnutzung besonderer Vertrauensbeziehungen oder der Autorität einer Familienstellung fallen277 • Mitunter treten insofern unterschiedliche Rechtswirkungen ein, als die Drohung teilweise nur gegenüber dem Drohenden selbst, teilweise aber auch gegenüber dritten Personen geltend gemacht werden kann278 • Im Grundsatz aber hat auf nationaler Ebene das Prinzip volle Gültigkeit, daß eine Willenserklärung, die durch widerrechtliche Gewalt erzeugt wurde, nichtig oder zumindest vernichtbar ist279 •

4.322 Übertragbarkeit der in den innerstaatlichen Rechtsordnungen vorhandenen allgemeinen Prinzipien auf den zwischenstaatlichen Verkehr Zweifel daran, ob dieses auf nationaler Ebene geltende Prinzip für das Völkerrecht nutzbar gemacht werden kann, ergeben sich aus in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht bestehenden Unterschieden. Damit identisch auch das türkische Recht. So das österreichische, das Schweizer und das französische Recht; dies erinnert an den dem BGB nicht bekannten römisch:-rechtlichen Satz, daß die Drohung geeignet sein müsse, auch einen sehr Standhaften und Besonnenen einzuschüchtern: "qui merito et in homine constantissimo cadat", Gaius D 4, 6, 2, zitiert bei Staudinger-Coing, § 123, Rdn. 2 und 7. 276 So im nordischen und im anglo-amerikanischen Recht; dies ist allerdings nur auf beweisrechtlichem Gebiet von Bedeutung, vgl. Titze, S. 840 f. 277 Vgl. Cheshire!Fifoot, Law of Contract, S. 222 ff.; Titze, S. 840 f.; Enneccerus-Nipperdey, § 173 Fn. 1, S. 1061 und Zweigert!Kötz, S. 114. 278 Das Österreichische Recht z. B. läßt die Anfechtung wegen Drohung nur zu, wenn die Drohung vom Anfechtungsgegner ausging, ihm bekannt war oder aus Fahrlässigkeit unbekannt war(§§ 870, 875 ABGB). Das schweizerische Obligationenrecht (Art. 29) gestattet die Anfechtung stets, läßt aber den Bedrohten, wenn die Drohung von Dritten ausging, dem Vertragspartner nur dann auf Ersatz haften, wenn es die Billigkeit erfordert, vgl. StaudingerCoing, § 12~, Rdn. 19. 279 Bothe, ZaöRV Bd. 27 (1967), S. 507; Kelsen, Principles, S. 464 und Zweigert/Kötz, S . 113. 274 275

154

4. Rechtliche Geltung des in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatzes

Es war an anderer Stelle bereits ausgeführt worden280, daß im Völkerrecht zwischen Zwang gegenüber dem Unterhändler und Zwang gegenüber dem Staat unterschieden wird. Daß persönlicher Zwang gegenüber der Person des am Vertragsschluß teilnehmenden Staatsvertreters völkerrechtlich relevant ist, galt seit langer Zeit als unbestritten: Ein Vertrag, der durch Gewalt gegenüber dem Repräsentanten oder Organ des Vertragspartners zustandekam, wurde bereits im klassischen Völkerrecht als ungültig angesehen - zu einem Zeitpunkt, als die Anwendung von Gewalt zur Lösung internationaler Streitigkeiten noch erlaubt war. Die Lehre, daß Zwang gegenüber dem Staat selbst - wie er in Art. 52 WVK gemeint ist - die Gültigkeit eines Vertrages beeinträchtigt, ist hingegen erst mit Aufstellung des allgemeinen Kriegs- und Gewaltverbots aufgekommen. Der in den nationalen Rechtsordnungen eine Rolle spielende Zwang gegenüber dem Vertragspartner ist wohl mit dem persönlichen Zwang gegenüber dem Unterhändler vergleichbar: In beiden Fällen besteht für den Bedrohten eine Zwangslage, die seine Willensentschließung beeinträchtigt. Beim Zwang gegenüber dem Staat selbst hingegen wird die staatliche Gemeinschaft in einem ihrer Rechtsgüter- wie politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit, Selbstregierung, Gebietshoheit- beeinträchtigt281. - Nun ist im Privatrecht anerkannt, daß das angedrohte Übel den Bedrohten nicht unmittelbar zu treffen braucht282 • Die Analogie mit dem Privatrecht ist deshalb damit begründet worden, daß dort Verträge auch dann nichtig seien, wenn sie durch Organe von Gesellschaften unter dem Druck eines gegen die Gesellschaft und nicht gegen sie persönlich gerichteten Zwanges abgeschlossen worden seien283. Diese Fälle sind im Privatrecht hingegen selten, während im zwischenstaatlichen Recht die umgekehrte Situation vorherrscht: In der Regel richtet sich der Zwang gegen den Staat selbst und nicht gegen den Unterhändler. Die im Hinblick auf die Gleichstellung angeführten Bedenken lassen sich somit nicht entkräften. Auf einen weiteren Unterschied, wodurch die Übertragung der Lehre von den Willensmängeln auf völkerrechtliche Verträge erschwert wird, hat Bindschedler!8' hingewiesen: Internationale Verträge enthalten oft generell-abstrakte Normen und haben als Zweck die Rechtssetzung und Schaffung einer normativen Ordnung; deshalb mag man sie eher mit dem Gesetz des Landesrechts als mit einem privatrechtliehen Vertrag vergleichen. 280 In der Einführung und in Teil 2.41 der Arbeit. 281 Vgl. Teil 2.41 der Arbeit am Anfang. 282 Palandt-Danckelmann, § 123, Bem. 3 a. 283 So Seidl-Hohenveldern, OJZ 1948, S. 345 unter Berufung auf Pasching, ZöR Bd. 14 (1934), S. 24 ff.

4.3 Als allgemeiner Rechtsgrundsatz

155

Zudem hat Dahm285 herausgestellt, daß die innerstaatliche Ordnung keine Schwierigkeiten hat, erzwungene Verträge als anfechtbar oder nichtig zu behandeln: Mit Hilfe der staatlichen Machtmittel kann eine durch Zwang hervorgebrachte Situation korrigiert werden. Die unentwickelte und dezentralisierte Völkerrechtsordnung hingegen verfügt nicht über eine Exekutive, die die Ausübung von Zwang verhindern und die hervorgebrachten Wirkungen rückgängig machen könnte. Bei Errichtung der UNO ging man zwar davon aus, daß das damals vereinbarte System der kollektiven Sicherheit seinen Zweck zu erfüllen vermöge. Man hat aber nicht vorausbedacht, daß der Sicherheitsrat durch das Veto der Großmächte gelähmt werden könnte und daß Maßnahmen nach Kapitel 7 der UNO-Satzung dadurch schlechterdings unmöglich würden286 . Es muß ferner berücksichtigt werden, daß das auf nationaler Ebene bestehende Prinzip lange vor 1919 galt- als das damals unumschränkt geltende Kriegführungsrecht durch die Völkerbundsatzung erstmals eingeschränkt wurde. Eine Übertragung auf die Völkerrechtsebene ist hingegen- was den Zwang gegen den Staat anbetrifft - nicht erfolgt. Die Diskussion um den heute in Art. 52 WVK verkörperten Grundsatz wurde vielmehr erst mit Aufstellung eines Kriegs- und Gewaltverbots begonnen; er steht folglich damit in unmittelbarem Zusammenhang, nicht aber mit den von den Privatrechtsordnungen anerkannten Willensmängeln. Letztlich ist zu erwähnen, daß in den nationalen Rechtsordnungen ein aufgezwungener Vertrag anfechtbar ist - also vernichtbar durch die genötigte Partei. Art. 52 WVK hingegen meint eine absolute Nichtigkeit, die unabhängig vom Willen des gezwungenen Staates besteht287 . Da im Völkerrecht aber zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit nicht so strikt unterschieden wird und die bei Art. 52 WVK einzuhaltenden Verfahrensvorschriften im Ergebnis auf eine Art Anfechtungsverfahren hinauslaufen288, ist diesem Unterschied keine Bedeutung beizumessen. 4.323 Ergebnis

Auf Grund der angeführten Unterschiede erscheint eine Übertragung der in den innerstaatlichen Rechtsordnungen übereinstimmend geltenden Prinzipien auf den zwischenstaatlichen Verkehr nicht möglich289. 284 REDI Bd. 21 (1968), S. 31 im Anschluß an Rousseau, Principes generaux du Droit international public, S. 349; ähnlich auch Brierly, The Law of Nations, s. 319. 285 Völkerrecht Bd. 3, S. 40. 286 Dazu Dahm, JIR Bd. 11, S. 52 f. 2s1 Vgl. Teil3.141 der Arbeit. 2 88 Vgl. Teil3.3 und 5.4 der Arbeit. 289 Dahm hat zudem darauf hingewiesen (Völkerrecht Bd. 1, S . 607), daß

156

4. Rechtliche Geltung des in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatzes

Der in Art. 52 WVK enthaltene Grundsatz kann somit auch nicht als allgemeiner Rechtsgrundsatz Geltung beanspruchen.

4.4 Die Hilfsmittel zur Feststellung von Rechtsregeln Nach Art. 38 Abs.llit. d IGH-Statut sind die Entscheidungen der Gerichte und die Lehren der anerkanntesten Autoren als Hilfsmittel für die Erschließung des Völkerrechts zu verwenden. Entscheidungen und Lehren der hervorragendsten Publizisten können nicht als selbständige Rechtsquelle, sondern nur als Rechtserkenntnismittel angesehen werden -als Beweismittel, um zweifelhafte Rechtssätze festzustellenz90 • Da man sich ihrer also bedient, um eine noch nicht genügend gesicherte Rechtsnorm zu ermitteln, bedürfen auch Judikatur und Doktrin einer kurzen Untersuchung. 4.41 Gerichtsurteile

Bei den Gerichtsurteilen kommen insbesondere Entscheidungen internationaler Gerichte und Schiedsgerichte in Betracht; doch auch Entscheidungen nationaler Gerichte sind von Bedeutung. Die internationale Judikatur ist deshalb besonders wertvoll, weil sie außer einer unmittelbaren Rechtswirkung für die Parteien auch eine faktische Präzedenzwirkung für spätere Entscheidungen hat; für die Praxis des Völkerrechts ist sie manchmal zu maßgebenden Präjudizien geworden291 • Urteile nationaler Gerichte können auf dem Gebiet des Völkerrechts nur mit Zurückhaltung benutzt werden: Nationale Gerichte behandeln das internationale Recht nur sporadisch und wenden es lediglich im Zusammenhang mit der eigenen nationalen Rechtsordnung an292 • Die zur Frage aufgezwungener Verträge bestehenden Gerichtsurteile waren bereits bei der Untersuchung der Staatenpraxis im Rahmen des Gewohnheitsrechts angeführt worden. Es genügt hier deshalb eine zusammenfassende Übersicht. Der Internationale Militärgerichtshof in Nürnberg (1945/46) hat sich im Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher sowohl mit dem Vertrag ein Rechtsgrundsatz i. S. des Art. 38 Abs. 1lit. c IGH Statut auch in dem praktischen Verhalten der Staaten anerkannt sein müsse: "Die Geltung eines Rechtsprinzips i. S. des positiven Völkerrechts setzt voraus, daß es jedenfalls der Staatenpraxis nicht geradezu widerspricht." 290 Vgl. Dahm, Völkerrecht Bd. 1, S. 42 f.; Berber, Völkerrecht Bd. 1, S. 77; Verdross, Völkerrecht, S. 151; Menzel, Völkerrecht, S. 99. 291 Jaenicke, Völkerrechtsquellen, in: Wörterbuch Bd. 3, S. 771; Dahm, Völkerrecht Bd. 1, S. 43. 202 Berber, Völkerrecht Bd. 1, S. 77 drückt es recht scharf aus: Den Richtern fehle die "innige Vertrautheit mit dem Völkerrecht, so daß sie also manchmal nicht einmal Erkenntnismittel sind, sondern in die Irre führen".

4.4 Hilfsmittel zur Feststellung von Rechtsregeln

157

über die Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren als auch mit dem Münchener Abkommen aus dem Jahre 1938 auseinandergesetzt293 • Zum Protektoratsvertrag wird im Urteil ausgeführt: "Böhmen und Mähren wurden durch militärische Streitkräfte besetzt. Hachas Zustimmung, die ihm unter Zwang abgenötigt worden war, kann nicht als Rechtfertigung der Besetzung angesehen werden294 ." Die von Hitler dem tschechoslowakischen Staatspräsidenten Hacha aufgezwungene Übereinkunft wurde somit nicht als rechtsgültig angesehen. Beim Münchener Abkommen hingegen wird die Drohung mit militärischem Zwang seitens Deutschlands nicht als Nichtigkeitsgrund angeführt. Die Anklagevertreter hatten ausdrücklich betont, die Westmächte hätten das Münchener Abkommen nur unter Zwang abgeschlossen. Auf diese Ausführungen ist das Urteil indes nicht eingegangen295 • Das Münchener Abkommen spielte ferner in der Entscheidung des Raad vor het Rechtsherstel in Den Haag eine Rolle298 • Das niederländische Gericht kommt in seinen Ausführungen zu dem Schluß, das unter offenbarem, unausweichlichem und widerrechtlichem Zwang abgeschlossene Abkommen sei rechtsungültig. Die Entscheidung der Franco-Italian Conciliation Commission, in der der italienische Friedensvertrag von 1947 von entscheidender Bedeutung war, gibt zur Frage der Gültigkeit aufgezwungener Verträge keine eindeutige Antwort, da zwischen erlaubter und verbotener Gewalt nicht unterschieden wird297 • Der IGH hat in seinem Urteil zum isländischen Fischereikonflikt vom 2. Februar 1973298 nunmehr entschieden, daß der in Art. 52 WVK verkörperte Grundsatz als geltendes Recht anzusehen sei299 • Zwar ist in diesem Urteil die Nichtigkeit des fraglichen Abkommens nicht festgestellt worden, da die Vereinbarungen nicht erzwungen seien. Dennoch kommt der Entscheidung erhebliches Gewicht zu. Sie wird kein Einzelfall bleiben und damit für die zukünftige Judikatur richtungweisend sein. Dazu Teil 4.21 und 4.22 der Arbeit. Prozeß, Bd. 1, S. 220, 378. 295 Vgl. Teil4.22 der Arbeit am Ende. 2 96 Vgl. Teil4.22 der Arbeit am Ende. 297 Vgl. Teil 4.23 der Arbeit; einen ähnlichen Fall nennt Scheuner, Wörterbuch Bd. 1, S. 592: Italienisch-amerikanische Vergleichskommission. Fall Merge, Int. Law Reports 1955, S. 448. 298 Siehe Teil 4.29 der Arbeit. 299 Der von McNair, Law of Treaties, S. 210 angeführte Korfu-Kanal-Fall (ICJ Reports 1949, S. 4 ff.) beschäftigt sich nur allgemein mit Fragen der Gewaltanwendung, ist zur hier behandelten Frage aber unergiebig. 293

2D4

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4. Rechtliche Geltung des in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatzes

Die bisher vorliegenden Gerichtsentscheidungen können als Hilfsmittel zur Feststellung der fraglichen Regel nur schwer herangezogen werden, da sie nicht einheitlich sind. Das letztgenannte Urteil des IGH bietet aber die Gewähr dafür, daß das in Art. 52 WVK enthaltene Prinzip in der Judikatur Anerkennung finden wird. 4.42 Lehren anerkannter Autoren

Auch die Wissenschaft- das zweite in Art. 38 Abs. 1 lit. d IGH-Statut genannte Hilfsmittel zur Auftindung des geltenden Völkerrechts- kann nicht als Quelle angesprochen werden. Im Gegensatz zur Rechtsprechung ist die wissenschaftliche Lehre ihrer Natur nach nicht so konservativ; Dahm100 hat mit Recht hervorgehoben, daß die Rechtslehre- unbelastet mit der Verantwortung für den einzelnen Fall - eher geneigt ist, Neuland zu betreten; so bewahrt sie in besonderem Maße das Völkerrecht vor der immer drohenden Gefahr, im status quo zu erstarren. Diese Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Bestrebungen rechtfertigt eine kurze Untersuchung der in jüngerer Zeit (seit 1960) erschienenen wichtigsten Stimmen. 4.421 Angloamerikanische Stimmen

Die angloamerikanische Lehre neigt heute noch stark dazu, aufgezwungene Verträge schlechthin als gültig anzusehen. Brierly301 betont, ein aufgezwungener Vertrag sei nur äußerlich als ein Abkommen zwischen Partnern anzusehen; vom Gehalt her handele es sich eher um eine Art Legislativakt gegenüber dem genötigten Staat. Zudem sei in erster Linie gar nicht eine Frage des Vertragsrechts betroffen, sondern es sei ein viel größerer Problemkreis berührt: Wie die Anwendung von Gewalt dem Gesetz unterworfen werden könne. - Ähnlich argumentieren Swift802 und Jacobini303 : Es komme darauf an, den Zwang in gesetzmäßige Bahnen zu lenken. Solange die Völkergemeinschaft kein System zur Verfügung stelle, das die Einhaltung des Völkerrechts gewährleiste, könnten derartige Verträge nicht als nichtig angesehen werden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt würden solche Fragen aber durch die bestehenden Machtverhältnisse entschieden304• Den letztgenannten 300

Völkerrecht Bd. 1, S. 44.

sot The Law of Nations- bearbeitet von Waldock, S. 319.

International Law, S. 441. International Law, S. 164. 304 Auf S. 442 verweist Swift darauf, ein 1954 zwischen den USA und Japan geschlossener Vertrag sei 1961 revidiert worden. 302

303

4.4 Hilfsmittel zur Feststellung von Rechtsregeln

159

Gesichtspunkt rückt auch O'Connell in den Vordergrund305 : Es handele sich um ein Problem, das in den Bereich der Politik gehöre. Art. 52 WVK bezeichnet er als "blank cheque to States seeking escape from inconvenient treaty commitments entered into in moments of political subordinacy to other powers, ... " 308• Schwarzenberger307 gibt in erster Linie zu bedenken, daß jeglicher Friedensvertrag dem Einwand zugänglich sei, er sei unter Zwang geschlossen; würde man diesen Einwand durchschlagen lassen, müsse jeglicher Krieg bis zum Ende ausgefochten werden. Einschränkungen läßt er gelten für Verträge, die unter der "internationalen Quasi-Ordnung" von Briand-Kellogg-Pakt und Vereinten Nationen im Widerspruch zu diesen Abkommen aufgezwungen wurden: Sie seien auf Wunsch der Partei vernichtbar, die unter Zwang handelte. Auch Kelsen308 führt die Friedensverträge an, die stets vom Sieger dem Besiegten auferlegt würden. Dem Gewaltverbot der UN-Charta will er allerdings dahingehend Rechnung tragen, als "the organs of the United Nations may consider a treaty imposed by force as null or annullable". Die ausführliche Stellungnahme von Julius Stone309, die sich sehr kritisch mit Einzelfragen auseinandersetzt, stellt auch darauf ab, daß es letztlich auf die Machtverhältnisse ankomme, solange das Recht nicht mittels einer internationalen Gerichtsbarkeit durchsetzbar sei310• Er bezweifelt, daß Art. 52 WVK gegenüber dem früher geltenden Recht eine tatsächliche Änderung wird herbeiführen können311 und stellt am Schluß seiner Abhandlung angesichts der von ihm gewonnenen Ergebnisse etwas resigniert fest312 : "A clergyman who expresses doubts as to the value of promulgating a new universal declaration against sin would risk being falsely charged with partiality to sin. And no doubt international lawyers and diplomatics who express their reservations about article 52313 may risk similar false charges of indifference to peace. It may still be their duty, however, to ask whether platonic expressions of the kind found in article 52 are really worth the burden of undesired, 305 International Law Bd. 1, 1. Aufl., S. 261; als Beispiel nennt er die Rückeroberung der 1871 an Deutschland abgetretenen Gebiete von Elsaß-Lothringen durch Frankreich im Jahre 1919. 306 International Law Bd. 1, 2. Aufl., S. 240 und International Law for Students, S. 101. 307 Manual of International Law, S. 158. 308 Principles of International Law, bearbeitet von Tucker, S. 464. 309 Virginia Journal of Int. Law Bd. 8 (1967), S. 356ft'.; der Beitrag ist auch veröffentlicht in Falk/Black, Bd. 1, S. 380 ff. 310 Stone, Virginia Journal of Int. Law Bd. 8 (1967), S. 357. 311 Ebd., S. 372. 312 Ebd., S. 373. 313 Damals noch Art. 49 des ILC-Entwurfs.

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4. Rechtliche Geltung des in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatzes

undesirable (and yet rather probable) consequences, which seem to flow fromthem." Eine Gruppe unentschiedener Autoren, zu denen Starke314 , Fenwick315 und J ennings316 gehören, setzt sich mit dem Problem knapp auseinander, läßt die Frage aber letztlich offen. Betont wird nur, daß die Vereinten Nationen in ihrer Verantwortlichkeit für den internationalen Frieden dazu beitragen werden, solche Verträge zurückzudrängen317• Diesen mehr oder weniger negativen Äußerungen stehen Autoren gegenüber, die die Ungültigkeit eines völkerrechtswidrig aufgezwungenen Vertrages bejahen. Ohne nähere Ausführungen bekennen sich zu diesem Grundsatz Fawcett318, Greig319 und von Glahn320. - Akehurst321 lehnt sich in seiner Argumentation sehr eng an den Kommentar der ILC zu Art. 49 des Entwurfs von 1966 an. Die Überlegungen der ILC und der Wiener Konferenz hat sich auch der nigerianische Justizminister Elias- gleichzeitig ILC-Mitglied und Teilnehmer der Wiener Konferenz- in seiner Raager Vorlesung vom Sommer 1971 zu eigen gemacht322. Brownlie323 verweist auf die Stimson-Doktrin und meint, eine beachtliche Anzahl von Juristen habe sich für die Geltung des Prinzips ausgesprochen, eine eingehende Untersuchung der damit verbundenen Folgen bisher allerdings vermieden. Er räumt ein, daß dieser Grundsatz bisher keine allgemeine Anerkennung gefunden habe und stellt fest, daß dieser Frage angesichts Art. 2 Abs. 4 UNO-Charta bisher zu wenig Bedeutung beigemessen worden sei. McNair324 geht von der Entwicklung des Gewaltverbots aus und bejaht die Ungültigkeit aufgezwungener Verträge mit zwei Einschränkungen325: Ein von der Völkergemeinschaft mittels kollektiver Waffengewalt herbeigeführter Vertrag sei anders zu beurteilen. Auch sei die Gültigkeit eines Abkommens dann nicht in Frage zu stellen, wenn er das Introduction to International Law, S. 371. International Law, S. 528 ff. 316 Recueil des Cours, Bd. 122 (1967, 3), S. 561 ff. 317 Fenwick, International Law, S. 532. 3 18 The Law of Nations, S. 100. m International Law, S. 371. 3 2o Law among Nations, S. 437. 321 A Modern Introduction to International Law, S. 169. 322 Recueil des Cours, Bd. 134 (1971, 3), S. 380 ff. 323 International Law and the Use of Force by States, S. 406 ff.; derselbe, Principles of Public International Law, S. 495. 324 Law of Traties, S. 206 ff. 3 25 McNair, Law of Treaties, S. 210. 314

m

4.4 Hilfsmittel zur Feststellung von Rechtsregeln

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Ergebnis wirtschaftlicher oder finanzieller Notwendigkeiten darstelle: Jeder Vertrag enthalte Bestimmungen, die das Ergebnis harter Verhandlungen seien und die eine der Parteien vielleicht gern vermieden hätte. Parry326 kommt zu dem Ergebnis, es sei nicht entscheidend, ob ein Vertrag wegen mangelnder Willensübereinstimmung nichtig sei oder ob diese durch Zwang herbeigeführt sei, es komme vielmehr darauf an, ob der Vertrag als rechtswidrig angesehen werden müsse und deshalb ungültig sei- etwa weil er mit einem fundamentalen Rechtsprinzip in Widerspruch stehe.- Dieser zunächst andersartige Ansatz läuft letztlich auch auf die Unterscheidung zwischen erlaubtem und verbotenem Zwang hinaus: Auch hier wird auf die Rechtswidrigkeit abgestellt. Erwähnt sei noch Lauterpacht327, der den im Widerspruch zum Gewaltverbot angewandten Zwang ebenfalls als vertragsvernichtend ansieht. Er will aber eine Anerkennung der durch den Vertrag geschaffenen Situation zulassen: Ein quasi-legislativer Akt durch dritte Staaten soll den Mangel heilen können328•

4.422 Französische, italienische und spanische Autoren Uneinheitlich urteilen auch die Publizisten aus dem französischen, italienischen und spanischen Raum. Vellas~ 28 , Cavare330 und Cansacchi331 weisen auf die in den nationalen Rechtsordnungen bestehenden allgemeinen Prinzipien hin, betonen aber, daß diese im zwischenstaatlichen Verkehr keine Anwendung fänden. Andernfalls sei die Gültigkeit aller Friedensverträge in Frage gestellt. Wenn dieses Ergebnis auch nicht mit unserem Gerechtigkeitsgefühl übereinstimme, so beruhe es doch darauf, daß die Völkergemeinschaft bisher keine Autorität kenne, die den internationalen Frieden garantieren könne. Diese Autoren und auch Monaco332 räumen allerdings ein, daß in jüngster Zeit in zunehmendem Maße Stimmen laut werden, die gegenteiliger Ansicht sind.

Bei S0rensen, S. 202 f. International Law, General Works, herausgegeben von Elihu Lauterpacht, Bd. 1, S. 354; ebenso Oppenheim/Lauterpacht, International Law Bd. 1, 8. Auflage, S. 891 f.; die Stellungnahmen stammen allerdings aus der Zeit vor 1960. 328 Diese Meinung könnte obwohl sie den in Art. 52 WVK verkörperten Grundsatz bejaht - die Gültigkeit des über West-Irian geschlossenen Vertrages erklären. 329 Droit international public, S. 137 f. 330 Le droit international public positiv, S. 82 f. 331 Istituzioni di diritto internazionale pubblico, S. 230 f. m Manuale di Diritto Internazionale Pubblico, S. 114. 326

327

11 Brosche

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4. Rechtliche Geltung des in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatzes

Moreno Quintana333 und Quadri334 befürworten die Regel, daß aufgenötigte Verträge nicht als gültig anzusehen seien. Quadri macht allerdings Einschränkungen im Hinblick auf Friedensverträge. Positiv fallen auch die Stellungnahmen von Decleva335 und Capotorti336 zu Art. 52 WVKaus.

4.423 Vertreter der östlichen Lehre Die Stellungnahmen der Völkerrechtsgelehrten aus dem Ostblock stimmen im wesentlichen überein. Den Ausgangspunkt bildet die These Lenins337 : "Übereinkommen treffen können nur Gleiche. Damit ein Übereinkommen ein wirkliches Übereinkommen sei und nicht eine durch Worte getarnte Unterwerfung, ist die wirkliche Gleichberechtigung beider Seiten notwendig." Im Anschluß daran befürworten sowjetische Autoren wie Lewin838, Dawydow339 , Koshevnikov340, Sursalov341 und Talalaev342 den Grundsatz, daß nur Verträge, die in völliger Gleichberechtigung ausgehandelt worden sind, als rechtmäßig angesehen werden können. F ehlerhaft sind danach Verträge, die durch Zwangsanwendung gegenüber einem Staat zustandegekommen sind und Verträge, die ein Ungleichgewicht von Leistung und Gegenleistung beinhalten (sog. ungleiche Verträge) 343• - Von polnischer Seite haben Lachs344 und Nahlik345 den in Art. 52 WVK verkörperten Grundsatz untersucht. Lachs betont, man könne ohne Übertreibung sagen, diese Bestimmung stelle einen wichtigen Schritt für die Entwicklung des Gleichheitsprinzips dar. Nahlik hält die Vorschrift für eine der wichtigsten der Konvention; durch sie werde keine völlig neue Regel aufgestellt, sondern das in Art. 52 WVK enthaltene Prinzip lasse sich bis zur Charta der Vereinten Nationen zurückfolgen. Tratado de Derecho Internacional Bd. 1, S. 545. Diritto Internazionale Pubblico, S. 166 f. sss REDI Bd. 21 (1968) S. 355. 336 Convenzione de Vienna sul Diritto dei Trattati, S. 56 f. 337 Werke Bd. 24, S. 330. 338 Grundprobleme des modernen Völkerrechts, S. 297 f. 339 Bei Lewin/Kaljushnaja, Völkerrecht, S. 93 f . 3 40 Mezhdunarodnoe Pravo, S. 329 f. 341 Osnovnye voprosy teorii mezdunarodnogo dogovora, S. 214 ff. an Juridiceskaja, priroda mezdunarodnogo dogovora, s. 206 ff. 343 Weitere sowjetische Autoren sind aufgeführt bei Schweisfurth, Zeitschrift für Rechtspolitik 1972, S.166; Bracht, Recht in Ost und West, 11. Jahrgang, 1967, S. 206 ff. und Friedmann, Cases and Materials on International Law, S. 334. 344 The Law of Treaties, Recueil d'Etudes de droit international, S. 394. 345 AJIL Bd. 65 (1971), S. 743 f . 333

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4.4 Hilfsmittel zur Feststellung von Rechtsregeln

163

4.424 Literatur aus dem deutschsprachigen Raum Die Stellungnahmen der Literatur aus dem deutschsprachigen Raum weisen wiederum verschiedene Richtungen auf. Scheuner348 und Rumpf347 weisen darauf hin, daß jedem Friedensvertrag ein Element der Ungleichheit und des Zwanges innewohne; ein rechtlicher. Mangel könne dadurch hingegen nicht bewirkt werden, da sonst das gesamte Völkervertragsrecht verunsichert würde.- Aus den gleichen Gründen bezweifelt Menzel348, daß eine derartige Zwangslage zur Ungültigkeit eines Vertrages führen könne. Das Machtgefälle zwischen den Staaten werde stets zur Erzielung bestimmter Vorteile ausgenutzt. Die Gleichberechtigung der Staaten bedeute aber nicht Gleichheit in machtpolitischer Hinsicht. Menzel räumt allerdings ein, daß bei folgerichtiger Anwendung des Gewaltanwendungsverbots ein unter Androhung von militärischen Maßnahmen geschlossener Vertrag unwirksam sei. Die wohl gewichtigste Stellungnahme gegen die Ansicht, daß völkerrechtswidrig aufgezwungene Verträge als unwirksam oder anfechtbar zu behandeln seien, stammt von Dahm340• Er gibt aus verschiedenen Gründen zu bedenken, ob das Völkerrecht für einen derartigen Stand.., punktschon reif sei: In der innerstaatlichen Ordnung habe dieser Grundsatz seine Berechtigung, da dort eine Zwangssituation mit Hilfe der staatlichen Machtmittel durch einen der staatlichen Rechtsordnung entsprechenden Zustand ersetzt werden könne. In der noch unentwickelten und dezentralisierten internationalen Rechtsordnung hingegen fehle bisher noch die Exekutive, durch deren Einsatz die Ausübung von Gewalt verhindert und ihre Wirkungen rückgängig gemacht werden könnten. Wollte manalldas ignorieren, was auf Zwang, Gewalt oder Drohung zurückgeführt werden könne, dann würde im internationalen Rechtsleben ein weiter Leerraum des vertraglosen Zustandes entstehen. Anarchie und Unordnung würde die Tür geöffnet, eine unerträgliche Unsicherheit wäre die Folge. Internationale Instanzen, die über die Grenzen zwischen Zwang und Freiwilligkeit, zwischen Angriff und Verteidigung verbindlich entscheiden könnten, gebe es bisher aber nicht. Betrachte man erzwungene Verträge als unwirksam, so steigere sich die Gefahr, daß Angriffskriege zu Erschöpfungskriegen entarten könnten: Einem potentiellen Angreifer würde auf diese Art die Hoffnung genommen, daß auch nur ein maßvoller Friedensvertrag Bestand haben könnte; die Versuchung, durch die Vernichtung 348

347 3 48

Mo

11*

Friedensvertrag, in: Wörterbuch Bd.1, S. 592. Außenpolitik 1971, S. 589 f . Völkerrecht, S. 266 f. Völkerrecht Bd. 3, S. 39 - 41.

164

4. Rechtliche Geltung des in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatzes

des Gegners ein Definitivum zu schaffen, würde folglich größer. In der unvollkommenen Völkerrechtsordnung unserer Zeit habe daher auch der erzwungene Vertrag eine unentbehrliche Ordnungsfunktion zu erfüllen. Aus der Anzahl der positiven Stimmen seien erwähnt: Neuhold3s0, Görner/Müller3s1 und Verosta352, die den in Art. 52 WVK niedergelegten Grundsatz einhellig begrüßen; Seidl-Hohenveldern3s3 , der im Interesse der Rechtssicherheit allerdings fordert, daß der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Verletzung des Gewaltverbots bzw. die Aggression feststelle; Guggenheim/Marek3s\ die die obligatorische Einschaltung des Internationalen Gerichtshofes begrüßen würden und zudem darauf hinweisen, daß auch bei Aufhebung eines Vertrages die Folgen seiner Ausführung sich in vielen Fällen nicht werden aus der Welt schaffen lassen; Berberass und Verdross3s8 , die bei völkerrechtswidrigem Zwang eine Anfechtung des Vertrages zulassen357, sowie Wengler, der ein entsprechendes Abkommen für mangelhaft hält, dann aber fortfährt: "Der vom Angreifer dem Angegriffenen aufgezwungene Friedensschluß als solcher dürfte allerdings gültig sein" 3s8 • Abschließend seien die ausführlichen Stellungnahmen von Bothe9s9 und Bindschedler960 genannt, die sich speziell mit Problemen des Art. 52 WVK auseinandersetzen. Bindschedler bejaht die Gültigkeit dieser Vorschrift, macht allerdings erhebliche Einschränkungen. Zwar trete die Lehre für den Grundsatz ein, doch sei in der Praxis bis heute kein Vertrag unter Berufung auf widerrechtlichen Zwang als ungültig erklärt worden361. Der von Art. 52 WVK angestrebte Zweck sei auch kaum zu erreichen, wenn der rechtswidrige Zustand nicht wieder beseitigt werde, dies aber sei eine Frage der Politik und damit der Machtverhältnisse. Werde der rechtswidrig geschaffene Zustand nicht in gewisser Frist geändert, so setzesich das im Völkerrecht anerkannte Prinzip der Effektivität durch, dem das Interesse an der Rechtssicherheit zugrundea;o sst ss2 3S9

ÖZöR Bd. 19 (1969), S. 80 ff. Staat und Recht 1968, S. 1437 f. ZaöRV Bd. 29 (1969), S. 692 f. öZöR Bd. 20 (1970), S. 427; auch Völkerrecht, Rdnr. 276-280. 3S4 Verträge, völkerrechtliche, in: Wörterbuch Bd. 3, S. 541 ff.; ähnlich Guggenheim, Traite de Droit international public Bd. 1, S. 194. 3S5 Völkerrecht Bd. 1, S. 438, Bd. 2, S. 107 f. 356 Völkerrecht, S. 111 f. 357 Nichtigkeit des Vertrages soll hingegen nicht in Betracht kommen. 3ss Völkerrecht Bd. 1, S. 220. 359 ZaöRV Bd. 27 (1967), S. 507 ff.; siehe auch Bothe, Gewaltverbot im allgemeinen, in: Schaumann, Gewaltverbot, S. 29. s6o REDI Bd. 21 (1968), S. 309 ff. 361 Bindschedler, REDI Bd. 21 (1968), S. 311.

4.4 Hilfsmittel zur Feststellung von Rechtsregeln

165

liege36z. Am wichtigsten sei aber die Einführung eines obligatorischen Streiterledigungsverfahrens: Nur wenn der Internationale Gerichtshof auf Begehren irgendeines Staates einen auferlegten Vertrag für ungültig erklärt habe, sei dieser als nichtig anzusehen. Andernfalls würde neue Rechtsunsicherheit geschaffen und das Prinzip der Vertragstreue gefährdet; dies gebe Anlaß zu neuen Konflikten363 • Bothe führt in seinem sehr optimistischen Bericht aus, es könne heute nicht mehr bestritten werden, daß das Gewaltverbot durch das Prinzip sanktioniert sei, ein im Widerspruch zum Gewaltverbot hervorgebrachter Vertrag sei als nichtig anzusehen. Die überwältigende Mehrheit der modernen Völkerrechtslehre bejahe diesen Grundsatz364• Autoren, die die Existenz dieser Regel in Abrede stellten, nähmen die jüngsten Entwicklungen auf diesem Gebiet nicht zur Kenntnis, wodurch der herrschenden Lehre noch mehr Gewicht zukomme. Das in Art. 52 WVK niedergelegte Prinzip könne deshalb nach Art. 38 Abs. 1 lit. d IGH-Statut Gültigkeit beanspruchen365 • 4.425 Zusammenfassung Die Stellungnahmen der Literatur weisen zwei Hauptrichtungen auf, von denen jede sich in mehrere Einzelgruppen unterteilen läßt: Diejenigen, die einen aufgezwungenen Vertrag generell für gültig halten, stellen für ihre Ansicht im wesentlichen drei Gesichtspunkte in den Vordergrund: 1. Ein aufgezwungener Vertrag sei als Art Legislativakt gegenüber dem genötigten Staat anzusehen (Brierly);

2. derartige Fragen würden durch die bestehenden Machtverhältnisse entschieden; der internationalen Rechtsordnung fehle die Exekutive, durch deren Einsatz die Ausübung des Zwanges verhindert und ihre Wirkungen rückgängig gemacht werden könnten (z. B. O'Connell, Stone, Cavare und Dahm); 3. wollte man aufgezwungenen Verträgen die Gültigkeit absprechen, würden alle geschlossenen Friedensverträge hinfällig (so Schwarzenberger, Kelsen, Menzel). Die Vertreter der Gegenansicht geben im wesentlichen gleichfalls drei Begründungen: 1. Aus der Entwicklung des Kriegs- und Gewaltverbots sei zu schließen, daß Verträge, die im Widerspruch dazu abgeschlossen würden, als 36z 363 364 365

Ebd., S. 317. Ebd., S. 319. Bothe, ZaöRV Bd. 27 (1967), S. 508. Ebd., S. 509.

166

4. Rechtliche Geltung des in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatzes

ungültig betrachtet werden müßten; sei die Androhung oder Anwendung von Zwang generell verboten, könnten auch keine Rechte darauf gegründet werden - es iniuria ius non oritur - (z. B. Brownlie, McNair, Guggenheim, Bothe, Bindschedler); 2. es komme in erster Linie darauf an, ob der angewandte Zwang als völkerrechtlich erlaubt oder verboten anzusehen sei; nur rechtswidriger Zwang führe zur Ungültigkeit des Vertrages (so z. B. Lauterpacht, Berber, Verdross, mit etwas anderem Ansatz auch Parry); 3. aus dem Gleichheitsprinzip folge, daß nur solche Verträge als rechtmäßig angesehen werden könnten, die in völliger Gleichberechtigung ausgehandelt seien (so die Vertreter der östlichen Lehre). Innerhalb der Einzelgruppen sind wiederum verschiedene Varianten erkennbar: So wird zum Teil nur eine Anfechtung für zulässig gehalten, eine Nichtigkeit des Vertrages soll nicht in Betracht kommen (Berber und Verdross). Andere fordern aus Gründen der Rechtssicherheit die obligatorische Einschaltung eines internationalen Gremiums (SeidlHohenveldern, Bindschedler, Guggenheim/Marek). Auch Überschneidungen kommen vor, manche Autoren geben mehrere Begründungen. Insgesamt zeichnet sich die Tendenz ab, daß völkerrechtswidriger Zwang in zunehmendem Maße als vertragsvernichtend angesehen wird. Gegenwärtig halten sich die Stimmen, die für Geltung des in Art. 52 WVK verkörperten Grundsatzes eintreten, mit den Gegnern ungefähr die Waage; es zeichnet sich sogar eher ein leichter Ausschlag zugunsten der Befürworter ab. Von einer überwältigenden Mehrheit- von der Bothe spricht- kann hingegen bisher noch nicht die Rede sein.

4.5 Sonstige Völkerrechtsquellen Es wird in der Literatur vertreten, Art. 38 IGH-Statut sei in seiner Aufzählung der Rechtsquellen nicht erschöpfend366 und es gebe auch andere Arten der Rechtserzeugung317 : Beschlüsse internationaler Organisationen. Das Problem der Rechtsetzung im Rahmen der Vereinten Nationen spielt dabei eine besondere Rolle368• 368 Schwelb, AVR Bd. 13 (1966), S. 8 f. hat den Katalog sogar als überholt bezeichnet. 367 Vgl. Jaenicke, Völkerrechtsquellen, in: Wörterbuch Bd. 3, S. 766 und Guggenheim/Marek, Verträge, völkerrechtliche, in: Wörterbuch Bd. 3, S. 536. 388 Diese Frage ist ausführlich auf der 11. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht in Innsbruck vom 1. bis 4. Mai 1969 behandelt worden. Die Referate und Diskussionsbeiträge sind erschienen als Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 10, Karlsruhe 1971. Vgl. auch die kürzlich erschienene Monographie von Castafieda, Legal Effects of United Nations Resolutions; ferner Hambro, REDI Bd. 21 (1968), S. 387 ff.

4.5 Sonstige Völkerrechtsquellen

167

Golsong3" hat auf das Phänomen hingewiesen, daß zahlreiche Staaten in zunehmendem Maße mit einer stetig wachsenden Zahl von Texten konfrontiert werden, die in internationalen Organisationen ausgearbeitet worden sind. Manche Autoren, auch einige Regierungen qualifizieren deren Inhalt als verbindliche Rechtsnormen, selbst wenn keine ausdrückliche Billigung durch alle Staaten der Völkergemeinschaft nachzuweisen ist. Zwei Kategorien sind dabei von besonderer Bedeutung: Entschließungen- vor allem der Generalversammlung der Vereinten Nationen -und Verträge, die in weltweitem Rahmen ausgearbeitet wurdenzum Beispiel auf diplomatischen Konferenzen, die unter der Oberhoheit der Vereinten Nationen stattfanden-, selbst wenn diese noch nicht in Kraft getreten sind oder erst eine geringe Anzahl von Ratifikationen aufweisen können. Für die hier vorgenommene Untersuchung sind beide Punkte von Bedeutung: Einerseits existiert eine beachtliche Anzahl Entschließungen der Generalversammlung, die sich mit Fragen des Gewaltverbots befassen. Als Beispiel sei die Resolution A 2131 (XX) genannt (Erklärung über die Unzulässigkeit der Intervention in die innerstaatlichen Angelegenheiten der Staaten und den Schutz ihrer Unabhängigkeit und Souveränität370). Diese Resolution wurde ohne Gegenstimme bei nur 1 Enthaltung (Großbritannien) am 21. Dezember 1965 angenommen. Bei den Verhandlungen der ILC und während der Beratungen zu Art. 52 WVK auf der Wiener Konferenz ist sie wiederholt zitiert worden371 •

Der Text nennt eine Reihe von Prinzipien, die von allen Staaten der Völkergemeinschaft zu achten seien. Zum Gewaltverbot führt die Resolution aus, kein Staat dürfe wirtschaftliche, politische oder sonstige Druckmittel anwenden, um von einem anderen Staat Vorteile irgendwelcher Art zu erhalten. Wäre diese Regel bestehendes Recht, müßten zahlreiche Verträge - besonders im wirtschaftlichen Bereich - als rechtswidrig angesehen werden372 • Andererseits ist Art. 52 WVK auf der Konferenz in Wien ohne Gegenstimme bei fünf Enthaltungen verabschiedet worden373 • 369 Rechtsetzung durch internationale Organisationen, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 10, S. 1 ff.; Golsongs Referat enthält zahlreiche Literaturnachweise auf S. 2 und 3. 370 Text: Yearbook UN 1965, S. 94 f. und bei Schaumann, Gewaltverbot, S. 348 ff. Siehe auch Onuf, International Organization Bd. 25 (1971), S. 209 ff. 3 71 Vgl. Fn. 107 in Teil3.21 der Arbeit. 372 So ausdrücklich Golsong, S. 7. 373 Es war bereits darauf hingewiesen worden, daß die Enthaltungen wegen der bis zu diesem Zeitpunkt noch ungelösten Frage einer obligatorischen Streiterledigung erfolgt waren, vgl. Teil 3.24 der Arbeit.

168

4. Rechtliche Geltung des in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatzes

Hier stellen sich zwei Fragen: Hat die Generalversammlung mit der ohne Gegenstimme angenommenen Resolution 2131 (XX) eine neue Völkerrechtsregel aufgestellt oder zumindest eine verbindliche Auslegung des Art. 2 Abs. 4 UN-Charta geschaffen? Hat die Wiener Konferenz bei den Abstimmungen über die einzelnen Artikel der Vertragsrechtskonvention rechtliche Verbindlichkeiten aufgestellt? Bei Beantwortung der ersten Frage ist zu bedenken, daß Debatten in der Vollversammlung von einer besonderen Atmosphäre getragen werden: Aus politischen Gründen muß auf andere Staaten Rücksicht genommen werden; so geben die Stimmabgaben der Staatenvertreter nicht immer auch die Grundeinstellung der jeweiligen Staaten wieder374 • Golsong375 hat auf eine Stellungnahme der Rechtsabteilung des Generalsekretariats der UNO aus dem Jahre 1962 Bezug genommen, wonach eine Resolution ein formelles und feierliches Dokument sei, das sich in rechtlicher Hinsicht vermutlich in nichts von einer gewöhnlichen Empfehlung unterscheide. - Die Charta der Vereinten Nationen gibt der Generalversammlung keine Befugnis, über Fragen des internen Organisationsrechts hinaus allgemeinverbindliche Völkerrechtsnormen zu setzen. - Entschließungen der Generalversammlung mögen nun bestehendes Gewohnheitsrecht oder einen bereits vorhandenen allgemeinen Rechtsgrundsatz in Erinnerung rufen; sie können Ausgangspunkt sein für die Entwicklung neuer Rechtssätze. Für sich betrachtet stellen sie aber keine Quelle des Völkerrechts dar378 • Die zweite Frage ist einfacher zu beantworten: Würde die Annahme einer Konventionsregel auf einer Staatenkonferenz bedeuten, daß dadurch bereits die gewünschten Rechtswirkungen eintreten, dann wäre eine Ratifizierung überflüssig, Vorschriften über das Inkrafttreten könnten entfallen377• Wohl mag eine universell angenommene Konventionsbestimmung als Indiz für das Vorliegen einer entsprechenden Völkerrechtsregel gewertet werden. Rechtsverbindlichkeit erlangt sie erst durch die ausdrückliche Zustimmung der Staaten378• 374 So hat etwa der Vertreter Maltas die Nichtteilnahme seines Landes an der Abstimmung über die oben genannte Resolution damit begründet, daß es sich doch nur um ein Lippenbekenntnis handele, vgl. Rauschning, Gewaltverbot in Bürgerkriegssituationen, in: Schaumann, Gewaltverbot, S. 86 Fn. 37. 375 Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 10, S. 12. 378 Das hat Goisong in seinem oben zitierten Bericht sehr überzeugend dargelegt; vgl. dazu auch Verdross, ZaöRV Bd. 26 (1966), S. 690 ff. und Wenig,

s. 31 ff. 377 378

Siehe dazu bereits Teil 4.11 der Arbeit.

Golsong, S. 50. Der Internationale Gerichtshof hat im Gutachten über

die rechtlichen Konsequenzen der fortgesetzten Anwesenheit Südafrikas in Namibia Bestimmungen der Vertragsrechtskonvention dann als Gewohnheits-

4.6 Ergebnis

169

Demnach läßt sich die Geltung des in Art. 52 WVK verkörperten Grundsatzes auch nicht durch Entschließungen der Generalversammlung der UNO oder durch im Rahmen der Vereinten Nationen angenommene Verträge nachweisen.

4.6 Ergebnis Die vorgenommene Untersuchung hat ergeben, daß der in Art. 52 WVK enthaltene Grundsatz- völkerrechtswidrig aufgezwungene Verträge sind nichtig- bisher keine Geltung beanspruchen kann. Aus dem Völkervertragsrecht ist er nicht mit letzter Sicherheit ableitbar. Insbesondere ergibt er sich nicht zwingend aus dem allgemeinen Gewaltverbot der UN-Satzung (Art. 2 Abs. 4). Im Völkergewohnheitsrecht ist er nicht nachzuweisen, da sich zur Frage der Gültigkeit aufgezwungener Verträge eine einheitliche Staatenpraxis bisher nicht herausgebildet hat. Ein allgemeiner Rechtsgrundsatz dieses Inhalts besteht nicht. Die in den innerstaatlichen Rechtsordnungen vorhandenen allgemeinen Prinzipien sind auf den zwischenstaatlichen Verkehr nicht übertragbar. Die bisher vorhandene Judikatur ist nicht einheitlich; der Internationale Gerichtshof hat jedoch nunmehr den in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatz als geltendes Recht bezeichnet.- In der Literatur halten sich Gegner und Befürworter noch die Waage, doch zeichnet sich die Tendenz ab, völkerrechtswidrigen Zwang in zunehmendem Maße als vertragsvernichtend anzusehen. Durch Entschließungen der Generalversammlung der UNO oder durch im Rahmen der Vereinten Nationen angenommene Verträge läßt sich eine Rechtsgeltung ebenfalls nicht nachweisen.

recht angesehen, wenn sie auf der Wiener Konferenz ohne Gegenstimme angenommen wurden; siehe ICJ Reports 1971, S. 47.

5. Einzelfragen des Art. 52 der Wiener Vertragsrechtskonvention Die vorangehende Untersuchung hat ergeben, daß der in Art. 52 WVK verkörperte Grundsatz bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine Geltung beanspruchen kann und mithin nicht als lex lata zu bezeichnen ist. Die Gültigkeit aufgezwungener Verträge kann bisher auf Grund dieser Regel deshalb nicht angezweifelt werden. Es ist hingegen zu erwarten, daß die Wiener Vertragsrechtskonvention eines Tages die erforderliche Anzahl von 35 Ratifikationen erreicht1; Art. 52 WVK wird dann geltendes Recht. Im folgenden Teil sollen deshalb einige Einzelfragen dieser Bestimmung untersucht werden, um Umfang und Anwendungsbereich des aufgestellten Prinzips zu präzisieren. Dabei sollen insbesondere folgende Problemkreise behandelt werden: Wann kann noch von einer Kausalität zwischen Zwang und Vertragsabschluß gesprochen werden; welche Arten von Zwang sind im Rahmen der Vorschrift relevant; in welchen Fällen ist die Anwendung oder Androhung von Gewalt erlaubt und verstößt deshalb nicht gegen geltendes Völkerrecht; welche Folgen zieht die Nichtigkeit des Vertrages nach sich?

5.1 Die Kausalität zwischen Zwang und Vertragsabschluß Das Kausalitätsproblem ist in den Debatten betreffend Art. 52 WVK schlechthin übersehen worden. An zwei Stellen klingt es verdeckt an, zumindest lassen sich die entsprechenden Bemerkungen dahingehend verstehen: Lauterpacht sprach im Kommentar zu seinem aus dem Jahre 1953 stammenden Entwurf davon, daß auch "indirekter" Zwang genüge, wenn er von rechtswidriger Gewaltanwendung herrühre2• Zur Verdeutlichung nannte er zwei Beispiele: Wenn ein Staat so weit unterworfen wurde, daß er gar nicht mehr fähig sei, irgendwelchen Widerstand zu leisten, dann brauche zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung gar keine Nötigung mehr vorzuliegen. Zum anderen werde auch der Fall erfaßt, daß der siegreiche Staat auf dem Gebiet des Besiegten eine Marionettenregierung einsetze und diese den Vertrag widerstands1 Gegenwärtig ist die Konvention von 17 Staaten ratifiziert, vgl. Teil 4.11, Fn. 2 der Arbeit. 2 Yearbook ILC 1953 Bd. 2, S. 149, para 7; siehe auch Teil3.112 der Arbeit.

5.1 Kausalität zwischen Zwang und Vertragsabschluß

171

los unterschreibe. Das letztgenannte Beispiel betrifft in erster Linie gar nicht eine Frage des Zwanges, sondern eine Frage der Vertretungsmacht und damit der Zuständigkeit zum Vertragsabschluß. -Bei den Beratungen der ILC hat der japanische Delegierte Tsuruoka seine Forderung nach einem Verfahren zur Feststellung der Ungültigkeit unter anderem wie folgt begründet3 : Es müsse nachgewiesen werden, daß die genötigte Partei ohne die bestehende Zwangssituation nicht zugestimmt haben würde. - Auch diese Bemerkung ist von den anderen ILC-Mitgliedern nicht aufgenommen worden. Wann ist nun ein Vertragsabschluß - wie es im nach Art. 85 WVK authentischen englischen Text heißt - "procured" durch Androhung oder Anwendung von völkerrechtswidrigem Zwang? Fällt jeder Vertrag unter die Bestimmung, für den die Gewalt den Anlaß bedeutet, der mithin nicht geschlossen worden wäre, wenn es nicht zu einer Verletzung des Gewaltverbots gekommen wäre - für den diese Verletzung also eine conditio sine qua non darstellt? Anders ausgedrückt: Ist jeder Vertragsabschluß durch Androhung oder Anwendung von Zwang zustandegekommen, der unterblieben wäre, wenn man die Gewaltsituation hinwegdenkt? Dieser Frage ist auch in der Literatur bisher kaum Beachtung geschenkt worden. O'ConneU4 widmet in seinem Lehrbuch bei der Erörterung des Art. 52 WVK diesem Problem immerhin einen Satz: "It is also vague in its allusion to treaties procured by force, raising difficult problems of causality." Bothe5 hat in der Abhandlung zu dieser Vorschrift - soweit ersichtlich als einziger - zu diesem Problem einige Überlegungen angestellt, meint aber, " ... it seems to be extremely difficult, if not impossible, to formulate a really precise and satisfactory solution to this problern of causality. A bad formulation which would lead to unjust results would be worse than leaving the question open by retaining the present text" . Zur Lösung dieser Frage ist eine Interpretation der genannten Bestimmung- insbesondere des Wortes "procured" und der entsprechenden französischen und spanischen Formulierungen "obtenue" und "obtenido" -erforderlich, wobei die im Völkerrecht anerkannten und in Art. 31 WVK genannten Auslegungsgrundsätze heranzuziehen sind. Eine unklare Bestimmung ist danach zu interpretieren entsprechend der gebräuchlichen Bedeutung der verwandten Begriffe, die ihnen im Zusammenhang der übrigen Vorschriften und unter Berücksichtigung des 3 683. Sitzung,. paras 10- 12, Yearbook ILC 1963 Bd. 1, S. 61; vgl. auch Teil3.142 der Arbeit. 4 International Law Bd. 1, 2. Auflage, S. 240. 5 ZaöRV Bd. 27 (1967), S. 515.

172

5. Einzelfragen des Art. 52 WVK

Vertragsgegenstandes und Vertragszwecks beizulegen sind (wörtliche, systematische und teleologische Auslegung)6 • Auf die in Art. 32 WVK genannten zusätzlichen Auslegungsmittel Materialien (travaux preparatoires) und Entstehungsgeschichte - kann in diesem Falle nicht zurückgegriffen werden, da das Kausalitätsproblem im Rahmen der ILC und der Wiener Konferenz unerörtert geblieben ist. Nach Berber1 ist die völkerrechtliche Auslegung eine eigentümliche Mischung philologischer, logischer, historisch-soziologischer und ethischer Prozesse. Keines dieser Elemente darf überbetont werden, es muß zwischen ihnen ein gesundes Gleichgewicht bestehen. 5.11 Auslegung der Bestimmung- insbesondere des Begriffes "procured" und der entsprechenden französischen und spanischen Formulierungen

Als leitender Grundsatz gilt, daß der wahre Wille der Parteien erforscht werden muß, wie er im Vertragstext zum Ausdruck gekommen ist8 • Dabei sind die Worte des Textes in dem Sinne zu verstehen, den sie gewöhnlich in solchem Zusammenhang haben9 , das heißt in ihrem gewöhnlichen natürlichen Wortsinn unter Berücksichtigung des internationalen Sprachgebrauchs10 • Ergibt der Wortlaut einen klaren und eindeutigen Sinn, dann ist für weitere Erwägungen in der Regel kein Raum11 • Nur wenn der Wortlaut in seiner gewöhnlichen Bedeutung mehrdeutig ist oder zu einem unvernünftigen Ergebnis führt, dürfen andere Auslegungsprinzipien herangezogen werden12• Eine Untersuchung des englischen Wortes "procure" und der ebenfalls authentischen französischen und spanischen Begriffe "obtenir" und "obtener" anband mehrerer zweisprachiger Wörterbücher13 ergibt folgendes Bild: Neben Wörtern mit mehr generellem Inhalt wie "bekommen, erhalten, erlangen, erwerben" werden Bedeutungen genannt, die eine konkrete Zielsetzung mit beinhalten wie "bewirken, erreichen, erwirken, herbeiführen"; daneben treten noch Begriffe mit eindeutig finaler Ausrichtung wie "sich besorgen, sich verschaffen, erringen, er6 Vgl. zu Fragen der Auslegung Dahm, Völkerrecht Bd. 3, S. 42 ff.; Berber, Völkerrecht Bd. 1, S. 441 ff. und Verdross, Völkerrecht, S. 172 ff. 7 Völkerrecht Bd. 1, S. 442. 8 Verdross, Völkerrecht, S. 173. 9 Berber, Völkerrecht Bd. 1, S. 443. 10 Dahm, Völkerrecht Bd. 3, S. 44. 11 Verdross, Völkerrecht, S. 173. 12 Berber, Völkerrecht Bd. 1, S. 444. 13 Becher, Spanisch-Deutsch, S. 663; Bertaux/Lepointe, FranzösischDeutsch, S. 857; Langenscheidt, Englisch-Deutsch, S. 483; Piccard/Thilol Steiner, Französisch-Deutsch, S. 379; Wildhagen/Heraucourt, EnglischDeutsch, S. 651.

5.1 Kausalität zwischen Zwang und Vertragsabschluß

173

zielen" 14 • - In den einsprachigen Wörterbüchern ist das Bild ähnlich: Auch hier werden Begriffe mit unterschiedlichem Sinngehalt genannt1•: Teilweise ist die finale Ausrichtung enthalten, eine Zielrichtung ist beinhaltet - oder aber es handelt sich um Begriffe, denen dieser spezielle Inhalt fehlt. Stellt man die verschiedenen gewonnenen Begriffe in den Textzusammenhang des Art. 52 WVK, so läßt sich eine eindeutige Entscheidung zugunsten der einen oder anderen Wortgruppe nicht fällen. Zwang mag beim Vertragsabschluß in der Weise eingesetzt werden, daß die Androhung oder Anwendung von Gewalt zielgerichtet einen konkreten Vertragsabschluß herbeiführen soll- hier mag man von Absicht sprechen; es ist aber auch denkbar, daß nur eine bereits bestehende Zwangssituation ausgenutzt wird und auf diese Weise ein Vertrag zustandekommt- hier handelt es sich um die Wirkung der Gewalt; ein Vertrag mag auch herrühren aus einer lange zurückliegenden Verletzung des Gewaltverbots und eine damals entstandene Krisensituation bereinigen. Bei großzügiger Auslegung lassen sich alle drei Fallgruppen unter Art. 52 WVK subsumieren, doch besteht kein Anlaß, die letztgenannte Fallgruppe in den Rahmen dieser Vorschrift zu stellen: Ein solcher Vertrag mag für beide Seiten eine faire und akzeptable Lösung schaffen und die bestehenden Spannungen beseitigen- weshalb sollte man ihn folglich für nichtig halten18? - Die durch Verletzung des Gewaltverbots entstandene Situation wird in diesem Falle nicht durch Zeitablauf rechtmäßig - gerade die Stimson-Doktrin spricht dagegen, daß durch Zeitablauf allein eine derartige Heilung eintreten kann -, sondern auf Grund der später durch den ehemals verletzten Staat gegebenen Zustimmung. Wird diese Zustimmung freiwillig und in völliger Gleichberechtigung erteilt, läßt sich deren Gültigkeit nicht anzweifeln. Andernfalls würde einem Staat die Möglichkeit genommen, eine ehemals entstandene Krisensituation später zu bereinigen- etwa mittels eines befriedenden Vergleichs. Es kann aber nicht Sinn der Vorschrift sein, einen solchen, der Wiederherstellung und Sicherung des Friedens dienenden Vertragsschluß unmöglich zu machen. - Soll die Vorschrift 14 Die in der deutschen Übersetzung in der Einführung der Arbeit gewählte Formulierung " ... zustandegekommen durch ... " ist als Übersetzung - soweit ersichtlich- nirgends sonst gebraucht worden. 15 Black's Law Dictionary nennt für proeure (S. 1373): to initiate a proceeding; to cause a thing to be done; to instigate; to contrive, bring about, effect or cause; Hornby/Gatenby!Wakefield nennen (S. 772): to obtainespecially with care of effort; bring about, cause; Little (S. 1531) führt an: to bring about, cause, effect, produce; to obtain by care or effort; to prevail upon, induce, persuade to do something; Robert (S. 1176) erklärt obtenir als: parvenir a se faire accorder, a se faire donner; reussir a atteindre (un resultat); ähnlich Larousse: parvenir a se faire; accorder ce qu'on desire. 16 So auch Bothe, ZaöRV Bd. 27 (1967}, S. 515.

174

5. Einzelfragen des Art. 52 WVK

vernünftig und praktikabel bleiben, ist eine Eingrenzung deshalb erforderlich. Vergleicht man Art. 52 WVK. mit den vorangehenden Vorschriften im fünften Teil der Konvention, so zeigt sich, daß nicht überall die gleichen Formulierungen gewählt wurden. In Art. 46 bis 48 WVK heißt es jeweils "to express the consent" - eine sehr allgemein gehaltene Formulierung. Die unmittelbar vorangehenden Artikel 50 und 51 WVK, in denen die Bestechung eines Vertreters bzw. der persönliche Zwang eines Unterhändlers eines Staates behandelt sind, enthalten die gleiche Formulierung "procured"; in den deutschen Übersetzungen dazu heißt es jeweils "die Zustimmung ... wurde erlangt". - Aufschlußreich ist der Unterschied zu Art. 49 WVK, der sich mit der Täuschung befaßt: Die dort gewählte Formulierung lautet: "If a State has been induced to conclude a treaty by the fraudulent conduct of another negotiating State ..." bzw. "Si unEtat a ete amene a conclure un traite par la conduite frauduleuse d'un autre Etat ayant participe a la negotiation ..."; deutsch: "Wenn ein Staat durch das täuschende Verhalten eines anderen verhandelnden Staates veranlaßt wurde, einen Vertrag zu schließen ...". Die hier getroffene Wortwahl umschreibt das konkrete Ziel einer Handlung sehr deutlich und trägt damit dem jeder Täuschung innewohnenden finalen Charakter Rechnung. Hätte man Art. 52 WVK auch einen so begrenzten Rahmen geben wollen, hätte man mit Sicherheit die gleichen Begriffe verwendet. Die langwierigen Diskussionen während der Wiener Konferenz bei der Formulierung mancher Bestimmungen zeigen, daß die Delegierten sich sehr genau mit den einzelnen Textstellen beschäftigten und unterschiedliche Formulierungen nicht etwa auf Unachtsamkeit zurückzuführen sind. Der in Art. 52 WVK gebrauchte Begriff "procured" ist deshalb offenbar in einem weiteren Sinne zu verstehen als das in Art. 49 WVK. verwendete Wort "induced" 11• Ein klarer und eindeutiger Sinn ergibt sich allerdings auch nicht aus diesem Vergleich mit anderen Bestimmungen. Es soll deshalb versucht werden, Art. 52 WVK anband anderer Überlegungen noch näher zu konkretisieren. Es besteht kein Zweifel, daß ein Vertragsabschluß dann unter Art. 52 WVK fällt, wenn der Zwang angewendet wurde, um gerade diesen Vertragsabschluß herbeizuführen- wenn also die Gewalt final zu diesem Zwecke eingesetzt wurde: Stimmt ein Staat zu unter dem Druck, daß im Falle der Nichtunterzeichnung gewaltsam gegen ihn vorgegangen werde, 17 Zwar ist bei Little, S. 1591 als Erklärung für "procure" unter anderem auch "induce" genannt, doch sind die Begriffe nicht identisch: Wildhagen! Heraucourt, S. 430, gibt für "induce" übersetzungen, die final ausgerichtet sind - wie bewegen, veranlassen, überreden, verursachen, herbeiführen.

5.1 Kausalität zwischen Zwang und Vertragsabschluß

175

oder ist zu diesem Zweck bereits Gewalt angewendet worden, so ist ein solcher Vertrag als nichtig anzusehen. Andererseits meint Art. 52 mit Sicherheit nicht das bereits mehrfach angeführte Beispiel, daß zwei Staaten einen Vertrag schließen, um eine durch Verletzung des Gewaltverbots entstandene Situation zu klären: Eine Situation, die durch Gewalt geschaffen wurde, mag lange Zeit später von einem der Beteiligten als rechtmäßig anerkannt werden18 • Ein solcher Vertrag mag eine faire und akzeptable Lösung für die beiden Teile schaffen, die bestehenden Spannungen beseitigen und so friedenssichernd wirken. Zwar ist auch hier die Gewalt Ursache für den späteren Vertragsabschluß: Ohne diese Gewaltanwendung wäre es vermutlich gar nicht zu dem späteren Vertragsabschluß gekommen, er wäre überflüssig gewesen. Sind aber die Verhandlungen in völliger Gleichberechtigung durchgeführt worden und ist die Zustimmung der Parteien freiwillig erfolgt, läßt sich nicht sagen, der Vertrag sei durch Anwendung oder Androhung von Gewalt zustandegekommen. Die in souveräner Gleichheit durch die Parteien getroffene Entscheidung, die bestehende Krisensituation zu bereinigen und einen Schritt zur Sicherung des Friedens zu unternehmen, stellt eine neue, selbständige Handlung dar; die frühere Verletzung des Gewaltverbots und die daraus entstandene Situation mögen Ursache oder Anlaß für diese Entscheidung sein, für das Zustandekommen des späteren Vertrages sind sie nur indirekt von Bedeutung: Eine Ausnutzung der gewaltsam entstandenen Situation zum Zwecke des Vertragsschlusses- wodurch sich die Kausalität zwischen Zwang und Vertragsabschluß begründen ließe- liegt in diesen Fällen nicht vor. Desgleichen unterfallen Art. 52 WVK nicht die etwa während eines Krieges abgeschlossenen Humanitätsabkommen: Verträge zum Schutz der Zivilbevölkerung und über den Austausch von Gefangenen haben ihren Ursprung oft in der Verletzung des Gewaltverbots. Auch hier läßt sich aber nicht sagen, diese Abkommen seien durch Anwendung oder Androhung von Zwang zustandegekommen; dies würde dem Zweck der Vorschrift geradezu entgegenstehen. Nun mag aber ein Vertrag darauf zielen- auf diesen Fall hat Bothe19 hingewiesen - , einem Aggressor die Früchte seines illegalen Angriffs zu sichern. In diesem Fall scheint es gerecht, einen entsprechenden Vertrag als nichtig anzusehen. Bothe hat deshalb folgende Kausalitätsformel vorgeschlagen: "A treaty is only procured by coercion if the use or threat of force is directly intended to bring about the treaty or if the treaty is aimed at maintaining a situation which was created by an 18 Die von Dahm, Völkerrecht Bd. 3, S. 215 genannten Beispiele sind in Fn. 77 in Teil 4.1226 der Arbeit angeführt. 19 ZaöRV Bd. 27 (1967), S. 513.

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5. Einzelfragen des Art. 52 WVK

illegal use of force." Diese Formulierung stößt auf Bedenken, da auch rechtswidrig herbeigeführte Situationen später anerkannt werden können- wie oben dargestellt- und somit zur Lösung von Spannungen beitragen. Geschieht dies freiwillig und in völliger Gleichberechtigung, läßt sich dagegen nichts einwenden. Bothes Formel erscheint deshalb zu weit. Andererseits darf der Begriff "procured" aber auch nicht zu eng ausgelegt werden - etwa dahingehend, daß der Zwang angewendet sein muß, um gerade diesen Vertrag herbeizuführen. Daß eine solche Finalität nicht gemeint sein kann, zeigt folgendes Beispiel: Ein Staat marschiert in einen fremden Staat ein und besetzt ihn, weil dessen politische Entwicklung ihm unbequem ist. Nachdem einige Zeit vergangen ist, verfällt er auf die Idee, ein erneutes Aufkommen einer solchen Entwicklung dadurch von vornherein zu unterbinden, daß er einen Truppenstationierungsvertrag, ein Freundschafts- oder sonstiges Abkommen abschließt, wodurch ihm Einwirkungsmöglichkeiten auf den fremden Staat zugestanden werden. - Hier ist die Intervention zwar nicht konkret zu dem Zweck erfolgt, gerade diese Verträge herbeizuführen. Doch dadurch, daß der intervenierende Staat es unterläßt, seine Truppen zurückzuziehen, besteht eine Zwangssituation fort, die den Abschluß der Verträge ermöglicht. Ohne diesen Umstand würde sich der genötigte Staat einem solchen Abkommen vermutlich widersetzen. Man mag hier von Kausalität durch Unterlassen sprechen - es wird unterlassen, die gewaltsam herbeigeführte Situation rückgängig zu machen, wozu eine Rechtspflicht besteht- oder von einer Ausnutzung eines bestehenden rechtswidrigen Zustandes. Zweifellos ist auch ein so erfolgter Vertragsabschluß in Art. 52 WVK gemeint. Besondere Schwierigkeiten bereiten die Fälle, in denen Abkommen unter Druck geschlossen werden, um eine Weltkriegssituation zu vermeiden. Auf die zwischen Kennedy und Chruschtschow während der Cubakrise getroffenen Abmachungen war schon hingewiesen worden20 • Auch die meisten Friedensverträge und Waffenstillstandsabkommen sind unter Zwang zustandegekommen, man denke hierbei nur an den Vertrag vom 27. Januar 1973 zur Beendigung des Krieges und der Wiederherstellung des Friedens in Vietnamu. Die Verminung der nordvietnamesischen Häfen und die Bombardierung Hanois erfolgten gerade zu dem Zweck, Nordvietnam verhandlungswillig zu machen. Eine Kausalität zwischen Zwang und Vertragsabschluß läßt sich hier auch bei engster Auslegung des Begriffes "procured" nicht bestreiten. Diese BeiSiehe Teil 4.27 der Arbeit. Text: ILM, Bd. 12 (1973), S. 46 ff. und EA 1973, D 112 ff.; dazu jetzt Weber, VN 1973, S. 37 ff. 20 21

5.1 Kausalität zwischen Zwang und Vertragsabschluß

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spiele fallen daher in den Rahmen des Art. 52 WVK, obwohl die Abkommen gerade der Beendigung von Konflikten dienen. Ähnlich verhält es sich mit einem weiteren bereits angeführten Beispiel: Würde der Nahost-Konflikt dadurch beendet, daß Israel sich ganz oder wenigstens zum größten Teil aus den besetzten Gebieten zurückzöge und dafür seine Anerkennung und Existenzgarantie erlangte, so wäre auch ein solches Abkommen unter Anwendung von Zwang zustandegekommen: Läßt man Israels Präventivkrieg vom Juni 1967 nicht als Selbstverteidigungsmaßnahme nach Art. 51 der UNO-Satzung gerechtfertigt sein, dann war die Besetzung des arabischen Territoriums eine Verletzung des Gewaltverbots und damit rechtswidrig ausgeübte Gewalt. Wenn Israel nun sagt, wir räumen diese Gebiete nicht eher, als bis unser Staat anerkannt wird und wir gewisse Garantien gegen einen erneuten arabischen Angriff bekommen, so läßt sich auch hier eine Kausalität zwischen Zwang und Vertragsabschluß nur schwer bestreiten: Eine durch Verletzung des Gewaltverbots entstandene Situation wird zum Zwecke des Vertragsschlusses ausgenutzt. Damit aber schließt Art. 52 WVK die Möglichkeit aus, befriedende Vergleiche abzuschließen22.- Ein derartiges Abkommen würde dann nicht unter Art. 52 WVK fallen, wenn ihm die arabischen Staaten freiwillig zustimmten- ohne Pressionen ausgesetzt zu sein. Das aber würde bedeuten, daß Israel sich vor Aufnahme von Vertragsverhandlungen aus den besetzten Gebieten zurückziehen müßte. An diesen Beispielen zeigt sich die Fragwürdigkeit der Bestimmung. Auf die Ordnungsfunktion befriedender Vergleiche war bereits an anderer Stelle hingewiesen worden23. Wird die Möglichkeit zu derartigen Vertragsabschlüssen aber durch Art. 52 WVK unterbunden, ist eine Lösung internationaler Konflikte auf friedlichem Wege dadurch unter Umständen nicht mehr möglich; die daraus entspringenden Gefahren sind offensichtlich. Gleichwohl erscheint es nicht möglich, Art. 52 WVK so restriktiv zu interpretieren, daß in diesen Fällen eine Kausalität zwischen Zwang und Vertragsabschluß verneint werden könnte. Um den damit verbundenen Gefahren begegnen zu können, ist es erforderlich, im Einzelfall an die Kausalitätsprüfung besonders strenge Anforderungen zu stellen und dieser Frage eine gründliche Untersuchung zu widmen, um zu gerechten und dem internationalen Zusammenleben dienenden Lösungen zu gelangen. Zusammenfassend läßt sich feststellen: Nicht jeder Vertragabschluß der irgendwie mit einer Verletzung des Gewaltverbots im Zusammen22 Dahm, Völkerrecht Bd; 3, S. 40 hat mit Recht darauf hingewiesen, daß sich so die Gefahr steigert, daß Angriffskriege zu Erschöpfungskriegen entarten, vgl. Teil 4.424 der Arbeit. 2a Vgl. Teil 4.1225 der Arbeit. 12 Brosche

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5. Einzelfragen des Art. 52 WVK

hang steht, unterfällt dieser Vorschrift; Art. 52 WVK. findet vielmehr nur auf die Fälle Anwendung, in denen Zwang angewendet wird, um einen konkreten Vertragsabschluß zu erreichen, oder in denen eine gewaltsam entstandene Situation zu diesem Zwecke ausgenutzt wird24 ; fehlt indes eine derart konkrete Beziehung zwischen Zwang und Vertragsabschluß, ist die Kausalität zu verneinen. 5.12 Kausalitätsfragen beim Zwang durch Drittstaaten und bei multilateralen Verträgen

Keine besonderen Kausalitätsprobleme ergeben sich, wenn bei bilateralen Verträgen der Zwang nicht vom Vertragspartner ausgeübt wird, sondern ein dritter - am Vertragsabschluß gar nicht beteiligter Staat mit Gewaltanwendung droht oder diese sogar ausübt: Wenn etwa ein Staat C damit droht, in Staat A einzumarschieren, falls dieser nicht mit Staat B einen bestimmten Vertrag abschließt. Es ist in diesen Fällen kaum denkbar, daß Staat B von dem durch Staat C auf Staat A ausgeübten Druck nichts weiß. Die Drohung mit Gewalt oder deren Ausübung ist - im Gegensatz zur Täuschung, die verdeckt geschieht, oder auch zur Bestechung, von der in der Öffentlichkeit vielleicht nichts bekannt wird -stets offensichtlich und für alle Beteiligten erkennbar. Da völkerrechtswidriger Zwang eine Verletzung des Gewaltverbots bedeutet und als völkerrechtliches Unrecht zu betrachten ist2S, handelt es sich um eine Angelegenheit, die nicht nur den Druck ausübenden Staat und sein Opfer betrifft, sondern die auch die anderen Staaten der internationalen Gemeinschaft angeht28 • Der Vertragsteil, der die Gewalt zwar nicht ausübt, aber die Zwangssituation kennt, in der sich der Partner befindet, kann die erzwungene Zustimmung seines Partners folglich nicht als gültig ansehen und muß die Nichtigkeit des Vertrages gegen sich gelten lassen; er kann sich nicht auf dessen Gültigkeit berufen. Entsprechend sind die Fälle zu behandeln, in denen der Drittstaat nicht mit Gewaltanwendung droht, sondern eine bestehende Gewaltsituation ausnutzt, um einen Vertragsabschluß herbeizuführen: Staat A wird von Staat B bedroht und wendet sich hilfesuchend an Staat C; Staat C nutzt nun die Zwangslage aus, in der sich Staat A befindet und erreicht auf diese Weise, daß zwischen A und C ein für C günstiges Abkommen geschlossen wird; ohne die bestehende Zwangslage hätte A nicht zugestimmt. - Auch hier kennt der - selbst nicht drohende - Vertrags24 Von den zu Beginn dieses Abschnittes erwähnten drei Wortgruppen sind die beiden letzten - Begriffe mit konkreter Zielrichtung und eindeutig final ausgerichtete Begriffe- auf jeden Fall mit umfaßt. 25 Vgl. dazu Teil4.1226 der Arbeit. 26 Siehe dazu die ausführlichen Diskussionen innerhalb der ILC, Teil 3.141 der Arbeit.

5.1 Kausalität zwischen Zwang und Vertragsabschluß

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partner die Zwangslage des anderen; er nutzt sie aus. Auf die Gültigkeit des Abkommens kann er sich deshalb nicht berufen. Ähnliches gilt auch für den Zwang beim Abschluß multilateraler Verträge. Wie vielgestaltig hier die einzelnen Vorgänge sein können, sei am Beispiel des bereits mehrfach erwähnten Münchener Abkommens von 1938 demonstriert. Zwar ist das Münchener Abkommen kein typischer multilateraler Vertrag, doch handelt es sich um ein gutes Beispiel für einen äußerst komplizierten Komplex vertraglicher Vereinbarungen. Die Zession des Sudetengebiets an das Deutsche Reich war durch den Notenwechsel vom 19./21. September 1938 zwischen den beiden Westmächten (Frankreich und Großbritannien) und der Tschechoslowakei erfolgt. Die tschechoslowakische Regierung hat die britisch-französischen Vorschläge akzeptiert, um einen Einmarsch Deutschlands zu vermeiden. Die Drohung war allein vom Deutschen Reich ausgegangen, das an diesem Vertrag nicht beteiligt war. Deutschland hatte nur zuvor mit den Westmächten diplomatische Kontakte aufgenommen.- Der Viermächtevertrag vom 29./30. September 1938 - das "eigentliche" Münchener Abkommen -, der die Bedingungen und Modalitäten der vorausgegangenen Abtretung regelte, wurde zwischen dem Deutschen Reich, Großbritannien, Frankreich und Italien geschlossen. Die Zustimmung zu diesem Vertrag teilte die Tschechoslowakei allen Staaten außer dem Deutschen Reich am 30. September 1938 mit. Auch bei diesem Vertrag sind Deutschland und die Tschechoslowakei nicht in vertragliche Verhandlungen miteinander getreten; doch war die Entschlossenheit der deutschen Regierung, das Grenzproblem notfalls mit Gewalt zu lösen, auch für dieses Abkommen ursächlich. - Zwischen dem Deutschen Reich und der Tschechoslowakei sind direkte Vertragsbeziehungen erst durch das Abkommen vom 20. November 1938 geschaffen worden, das einzelne Fragen der Durchführung regelte. In Fällen wie den soeben genannten sind die gleichen Maßstäbe anzulegen wie bei bilateralen Verträgen: Es kann keinen Unterschied machen, ob ein am Vertragsschluß beteiligter Staat oder ein außenstehender den Zwang ausübt und damit den Vertragsschluß herbeiführt. Die Kausalität zwischen Zwang und Vertragsabschluß kann nicht verneint werden. Entsprechendes gilt auch für die Teilnahme an bereits bestehenden Verträgen- ein Sonderfall, der von Art. 52 WVK ebenfalls umfaßt wird21•

27

12•

Vgl. dazu Teil3.146 der Arbeit.

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5. Einzelfragen des Art. 52 WVK

5.2 Die im Rahmen des Art. 52 WVK relevanten Arten der Gewalt Entscheidende Bedeutung für den Anwendungsbereich der Bestimmung hat die Frage, welche Arten von Gewalt gemeint sind. Bei den Beratungen zu dieser Vorschrift innerhalb der ILC und während der Wiener Konferenz hat dieses Problem im Mittelpunkt der Diskussionen gestanden und zu heftigen Kontroversen Anlaß ·gegeben. Bevor die zentrale Frage- ob auch wirtschaftliche und politische Druckmittel den Tatbestand erfüllen - erörtert wird, ist vorab der Gewaltbegriff noch in anderer Hinsicht zu präzisieren. 5.21 Anwendung und Androhung von Gewalt

Art. 52 WVK stellt mit der Anwendung auch die Androhung von Gewalt ausdrücklich auf eine gleiche Stufe, so daß zwischen beiden nicht differenziert werden muß28 : Auch eine Mobilmachung, eine Truppenkonzentration oder Flottendemonstration oder die Ankündigung eines Raketenbeschusses29 können in den Rahmen der Vorschrift fallen. Die Androhung muß aber widerrechtlich sein. Werden die genannten Maßnahmen als Vorbereitung zur Selbstverteidigung ergriffen oder handelt es sich um bloße Abschreckungsbemühungen, dann können sie nicht als rechtswidrig angesehen werden. 5.22 Direkter und indirekter Zwang

Gewalt kann nicht nur direkt, sondern auch indirekt zur Anwendung gelangen. W ehberg30 nennt als charakteristische Fälle indirekter Waffengewalt: die Unterstützung bewaffneter Banden, die in das Gebiet eines anderen Staates einfallen; die Duldung der Veranstaltung von Expeditionen, die in ein anderes Land einrücken, oder die Unterstützung der in einem anderen Lande ausgebrochenen Revolution. Als weitere Beispiele werden in der Literatur angeführt31 : das Schüren von Bürgerkrieg, die Entsendung von Freiwilligen in fremde Spannungsgebiete und die Anstiftung zu bewaffneten Terrorakten - wie die Ermordung von Politikern oder hochgestellten Persönlichkeiten zum Schaden ihres Landes. All die genannten Beispiele betreffen indirekte militärische Gewalt. :~s Diese Unterscheidung hat noch beim Briand-Kellogg-Pakt von 1928 eine Rolle gespielt: Es war umstritten, ob nur die Anwendung oder auch die Androhung von Kriegszwang verboten war; das in Art. 2 Abs. 4 SVN aufgestellte allgemeine Gewaltverbot hat diesen Streit bereits beendet, vgl. Dahm, Völkerrecht Bd. 2, S. 358 und Berber, Völkerrecht Bd. 2, S. 41. 29 Zu diesen Beispielen Dahm, Völkerrecht Bd. 2, S. 358. ao Krieg und Eroberung, S . 69. 31 Siehe die Zusammenstellung bei Derpa, Gewaltverbot, S. 21 m. w. N.

5.2 Relevante Arten der Gewalt

181

Nach heute einhelliger Ansicht umfaßt das Gewaltverbot nicht nur die direkte, sondern auch die indirekte militärische Gewalt32• Auch Art. 52 WVK, der eine besondere Ausformung und Fortentwicklung des völkerrechtlichen Gewaltverbots darstellt, betrifft folglich die Fälle indirekter militärischer Gewalt. 5.23 Kriegerischer und nichtkriegerischer Zwang

Im Gegensatz zum Briand-Kellogg-Pakt, der nur den Krieg als solchen ächtete, aber eine Umgehung des Kriegsverbots dadurch ermöglichte, daß militärische Maßnahmen nicht als Kriegsmaßnahmen deklariert wurden, sondern zum Beispiel als Repressalie33, hat das in der UNO-Satzung aufgestellte Gewaltverbot den formellen Kriegsbegriff aufgegeben und die Anwendung jeglicher militärischer Gewalt verboten34. Da Art. 52 WVK den Rahmen des Art. 2 Abs. 4 der Satzung der Vereinten Nationen keinesfalls unterschreitet, werden auch von dieser Vorschrift militärische Maßnahmen außerhalb eines Krieges erfaßt. 5.24 Militärischer und nichtmilitärischer physischer Zwang

Die stets als Beispiel für militärischen Zwang oder Waffengewalt angeführten Fälle sind die Invasion in das Gebiet eines fremden Staates oder die Bombardierung seines Territoriums. Nun werden in der Literatur auch Beispiele physischer Zwangsanwendung genannt, die keinen militärischen Charakter haben: Brownlie 35 führt an: die Vertreibung einer fremden Bevölkerung über die Grenze, das Ableiten eines Flusses durch den Oberliegerstaat38, das Ablassen von Wassermengen durch Öffnung von Schleusen oder die Verbreitung von Feuer auf fremdes Territorium. Derartige Maßnahmen kommen militärischen gleich, die Wirkung auf den betroffenen Staat unterscheidet sich nicht von direktem Waffengebrauch; das Gebiet eines anderen Staates oder seine politische Handlungsfreiheit werden faktisch beeinträchtigt37 • Unter das Gewaltverbot fallen deshalb auch derartige nichtmilitärische physische- Gewalthandlungen38. 32 Wehberg, Krieg und Eroberung, S. 69; Dahm, Völkerrecht Bd. 2, S. 357; Menzel, Völkerrecht, S. 349; Berber, Völkerrecht Bd. 2, S. 43; Brownlie, International Law and the Use of Force by States, S. 369. 33 Siehe Teil 2.23 der Arbeit m. w. N. 34 Wehberg, Krieg und Eroberung, S. 73; Verdross, Völkerrecht, S. 552. 35 Siehe Dahm, Völkerrecht Bd. 2, S. 359.

36 Zu dem konkreten Fall, daß Israel drohte, Flußwasserableitungen auf dem Gebiet arabischer Staaten gegebenenfalls mit Krieg zu verhindern, vgl. Wengler, Gewaltverbot, S. 16. 37 Siehe Dahm, Völkerrecht Bd. 2, S. 359. 38 Vgl. Wehberg, Krieg und Eroberung, S. 69; Dahm, Völkerrecht Bd. 2, S. 357; ausführlich auch Keweni g, Gewaltverbot und zulässige Machteinwirkung, in: Schaumann, Gewaltverbot, S. 182- besonders Fn. 14.

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5. Einzelfragen des Art. 52 WVK

Schwierigkeiten bereiten hingegen Formen nichtmilitärischer Gewalt, die ohne physische Auswirkungen bleiben: insbesondere wirtschaftliche und politische Druckmittel. 5.25 Wirtsdlaftliche und politische Druckmittel

Als Druckmittel dieser Art werden in der Literatur angeführt: Einfuhrsperren, Kontenblockierung, die Verweigerung erbetener Kredite39, die Unterbindung von Wirtschafts-, Handels- und Finanzbeziehungen, Zollerhöhungen, Devisenkontrollen40 , Zurückziehen von Wirtschaftsund Entwicklungshilfe41 , aggressive Rundfunkpropaganda und der Abbruch diplomatischer Beziehungen41 • Ob das allgemeine Gewaltverbot auch die Anwendung derartiger Druckmittel verbietet, ist umstritten43 • Seit Bestehen der Vereinten Nationen wird diese Frage in den Gremien der UNO, in zahlreichen anderen Organisationen und auf internationalen Konferenzen diskutiert, da insbesondere der Ostblock und die Staaten der Dritten Welt eine Einbeziehung nichtmilitärischer Zwangsarten in das Gewaltverbot fordern44. Zu diesem Problem hat Rolf M. Derpa kürzlich eine gründliche und ausführliche Untersuchung vorgelegt, die den Titel trägt: "Das Gewaltverbot der Satzung der Vereinten Nationen und die Anwendung nichtmilitärischer Gewalt" 45• Derpas Ausführungen können für die entsprechende Untersuchung im Rahmen dieser Arbeit zugrundegelegt werden. Dabei sollen die wesentlichen Überlegungen zum Umfang des Gewaltbegriffs in Art. 2 Abs. 4 der UNO-Satzung kurz dargestellt werden. Sodann ist zu prüfen, ob die so gewonnenen Ergebnisse auch für Art. 52 WVK zutreffen oder ob der Gewaltbegriff dieser Bestimmung - etwa wegen der nicht ganz übereinstimmenden Formulierungen beider Vorschriften -einen anderen Inhalt hat.

5.251 Der Umfang des Gewaltbegriffs in Art. 2 Abs. 4 der Satzung der Vereinten Nationen Um den Umfang des Gewaltbegriffs in Art. 2 Abs. 4 der UNO-Charta zu bestimmen, zieht Derpa ebenfalls die im Völkerrecht anerkannten Dazu Wengler, Gewaltverbot, S.17; Derpa, Gewaltverbot, S. 25. Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rdn. 1306. 41 Dahm, Völkerrecht Bd. 1, S. 204. u Vgl. Dahm, Völkerrecht Bd. 2, S. 357. 43 Vgl. die zahlreichen Literaturnachweise bei Derpa, Gewaltverbot, S. 26 38 40

Fn. 71. 44 Siehe Wengler, Gewaltverbot, S. 18. 45 Das Buch ist 1970 als Band 8 der Reihe "Völkerrecht und Außenpolitik" erschienen; es enthält eine Fülle von verarbeitetem Material.

5.2 Relevante Arten der Gewalt

183

und in Art. 31 ff der Wiener Vertragsrechtskonvention niedergelegten Auslegungsgrundsätze heran: Er interpretiert Art. 2 Abs. 4 SVN wörtlich, systematisch und teleologisch, wobei er der letzten Methode besondere Bedeutung beimißt. Als Hilfsmittel untersucht er die Materialien (historische Auslegung) und die Praxis der Vereinten Nationen. Eine Untersuchung des englischen Begriffes "force" und der französischen, spanischen und russischen Formulierungen "force", "fuerza" und "sila" ergibt, daß der Gewaltbegriff nicht nur im Sinne militärischer oder physischer Gewalt verwendet wird. Wenn auch physische Gewalt im Vordergrund steht, so werden doch auch Bedeutungen mit weiterem Sinngehalt genannt. Der Begriff ist deshalb der Auslegung fähiges. Stellt man den Gewaltbegriff in den Zusammenhang von Art. 2 Abs. 4 SVN, so führt auch dies zu keinem eindeutigen Ergebnis: Gewalt ist verboten, wenn sie sich gegen die territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit eines Staates richtet oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbar ist. Eine Beeinträchtigung der genannten Rechtsgüter - besonders der politischen Unabhängigkeit - ist auch durch nichtmilitärische Gewalt denkbar47 • Ein Vergleich mit den übrigen Vorschriften der UNO-Satzung zeigt, daß einzelne Bestimmungen einfach von "force" sprechen (Art. 2 Abs. 4, Art. 44), während an deren Stellen der Ausdruck "armed force" verwendet wird (Präambel Abs. 7, Art. 41 und Art. 46). Aus dieser unterschiedlichen Terminologie mag man schließen, daß die Satzung den Ausdruck "force" ohne den speziellen Zusatz "armed" in einem weiteren Sinne gebraucht. Dieser Schluß ist hingegen - wie Derpa48 nachgewiesen hat nicht zwingend, da Art. 44 Waffengewalt meint, obwohl er nur "force" nennt; dies ergibt sich aus dem Zusammenhang der Vorschrift.- Auch Absatz 7 der Präambel, wo der Wille bekundet wird, "durch die Annahme von Grundsätzen und die Schaffung entsprechender Methoden sicherzustellen, daß Waffengewalt nicht zur Anwendung komme, es sei denn im Interesse des Gemeinwohls" 48, läßt keinen eindeutigen Schluß auf die Beschränkung des Gewaltverbots auf militärische Gewalt zu, denn es ist denkbar, daß die Präambel nur einige Ziele der Satzung exemplarisch nennt. Da wörtliche und systematische Auslegung kein eindeutiges Ergebnis liefern, ist der Sinn und Zweck der betreffenden Vorschrift zu ermitteln. Die Entwicklungsländer und die Staaten des Ostblocks, die besonders für es So Derpa, S. 29 mit Angabe der im einzelnen verwendeten Wörterbücher. t1 48

48

Derpa, S. 32 f. Derpa, S. 34 ff.

So die Übersetzung im OBGBI. 1956, Nr. 120.

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5. Einzelfragen des Art. 52 WVK

einen weiten Gewaltbegriff eingetreten sind, stützen ihre Argumente vorwiegend auf die in Art. 1 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 der Satzung genannten Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen: Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen, Achtung des Grundsatzes der Gleichberechtigung und des Selbstbestimmungsrechts der Völker. Die dazu vorgetragenen Überlegungen sind bei der Darstellung der Entstehungsgeschichte von Art. 52 WVK zum größten Teil bereits angeführt worden: Bei den Beratungen innerhalb der ILC50 und den Diskussionen während der Wiener Konferenz51 haben die Frage nach dem Umfang des Gewaltverbots und das damit zusammenhängende Problem, ob Art. 52 WVK auch wirtschaftliche und politische Druckmittel umfaßt, im Vordergrund gestanden. Eine zusammenfassende Übersicht der wichtigsten Gedanken mag daher hier genügen. In der modernen Welt von heute seien die Staaten in zunehmendem Maße in wirtschaftlicher Hinsicht voneinander abhängig; durch wirtschaftliche und politische Druckmittel sei die Unabhängigkeit eines Landes deshalb äußerst gefährdet- besonders wenn es sich um Staaten mit Monokulturen handele. Gerade die hochentwickelten Staaten seien hier überlegen und könnten ihr gesamtes Wirtschaftspotential einsetzen, um ihre Interessen durchzusetzen. Dies aber seien scharf zu verurteilende Formen des Neokolonialismus und wirtschaftlicher Ausbeutung52 • Es ist unbestritten, daß die genannten Druckmittel gerade für wirtschaftlich schwache Länder ein empfindliches Übel darstellen können und die staatliche Entscheidungsfreiheit zu beeinträchtigen vermögen. Hier gilt es aber zu berücksichtigen, daß gerade wirtschaftliche und politische Zwangsmittel sich nur sehr schwer von Fällen erlaubter Einflußnahme, wie sie in den wirtschaftlichen und politischen Beziehungen der Staaten unvermeidlich sind, abgrenzen lassen. Solche Einflußnahme ist aber ein Attribut der staatlichen Souveränität, ihre Ausübung liegt folglich im Ermessen der Staaten53• In der bereits mehrfach erwähnten54 Resolution 2131 (XX) der Generalversammlung über die Unzulässigkeit der Intervention in die .inneren Angelegenheiten der Staaten und den Schutz ihrer Unabhängigkeit und Souveränität heißt es: "No State may use or encourage the use of econoSiehe dazu Teil3.147 der Arbeit. Vgl. Teil 3.21 der Arbeit. 52 Derpa, S. 46, Fn. 178 hat in diesem Zusammenhang auf das Kuriosum hingewiesen, daß gerade die UdSSR - ein Vertreter des weiten Gewaltbegriffs - sich nicht scheute, ihre Entwicklungshelfer aus China abzuziehen, als sich nach dem Ussuri-Konflikt die chinesisch-russischen Beziehungen verschiech terten. 53 Derpa, S. 51 f. m. w. N. 5' Vgl. Teil 4.5 der Arbeit. 50

51

5.2 Relevante Arten der Gewalt

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mic, political or any other type of measure to coerce another State in order to obtain from it the Subordination of the exercise of its sovereign rights, or to secure from it advantages of any kind55." Derpa hat mit Recht auf die Fragwürdigkeit dieser weitgehenden Formulierung aufmerksam gemacht und festgestellt56 : "Damit ist praktisch jede Einflußnahme auf Politik und Wirtschaft eines anderen Landes erfaßt und die Unterhaltung normaler wirtschaftlicher und diplomatischer Beziehungen unmöglich gemacht. Insoweit erweist sich ein Verbot jeglichen Drucks als utopisch. Denn im Interesse einer freien Gestaltung der internationalen Beziehungen ist es unvermeidlich und auch wünschenswert, daß Staaten versuchen, aufeinander Einfluß zu nehmen. Ein Mindestmaß an Kontakt und Einflußnahme macht gerade das Wesen völkerrechtlicher Beziehungen aus, da eine Völkergemeinschaft ohne den geringsten Verkehr zwischen den Rechtsgenossen undenkbar ist. Ein völkerrechtliches Gewaltverbot, formuliert als Verbot jeglichen Drucks, könnte also nur zur Zerstörung des Völkerrechts führen." Der letzte Satz des angeführten Zitats mag etwas scharf formuliert sein, doch hat er seine Berechtigung, wenn man bedenkt, daß wirtschaftlicher und politischer Druck sich als notwendig zur Rechtsdurchsetzung erweisen und somit einen wichtigen Faktor zur Regulierung der noch unvollkommen organisierten internationalen Gemeinschaft darstellen, der die Exekutive fehlt, durch deren Einsatz die Ausübung von Gewalt verhindert und ihre Wirkungen rückgängig gemacht werden könnten57 • Als praktisches Beispiel aus jüngster Zeit sei wiederum der Krieg in Vietnam angeführt: Nach Aussagen des amerikanischen Senators Charles Percy hätte Südvietnam mit Kürzungen im US-Hilfsprogramm rechnen müssen, falls es sich geweigert hätte, das zwischen den Vereinigten Staaten und Nordvietnam ausgehandelte Waffenstillstandsabkommen zu akzeptieren58 • Kewenig59 hat sehr treffend dargelegt, bei einer extensiven Interpretation von Art. 2 Abs. 4 der UNO-Satzung würde häufig außer Acht gelassen, "daß eine Welt ohne Gewalt nicht nur eine einsatzfähige Polizeitruppe und Verfahrensmöglichkeiten für die friedliche Streitbeilegung und den peaceful change, sondern vor allem auch die Bereitschaft vor55 Abs. 2, Satz 1 der Resolution; Text: Yearbook UN 1965, S. 94 f . und bei Schaumann, Gewaltverbot, S. 350. 56

Derpa, S. 52 f.

Siehe Bindschedler, REDI Bd. 21 (1968), S. 313; Dahm, Völkerrecht Bd. 3, S. 40 und Berber, Völkerrecht Bd. 2, S. 44. 58 Meldung der britischen Nachrichtenagentur Reuter, erschienen in der deutschen Tagespresse am 6. Dezember 1972, vgl. Frankfurter Rundschau von diesem Tage, S. 1. 59 Kewenig, Gewaltverbot und zulässige Machteinwirkung, in: Schaumann, Gewaltverbot, S. 175 f . 57

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5. Einzelfragen des Art. 52 WVK

aussetzt, sich dieser Verfahren auch wirklich zu bedienen und u. U. interessenverkürzende Kompromisse zu akzeptieren. Wie unbefriedigend der Zustand ist, in dem die Gewalt zwar verboten ist und in dem die friedliche Streitbeilegung aber nicht funktioniert, und wie leicht bei einem solchen Zustand der geschickt manövrierende Rechtsbrecher prämiert wird, ist ein offenes Geheimnis". Derpa hat ferner auf die Verknüpfung des in Art. 2 Abs. 4 SVN enthaltenen Gewaltverbots mit den Artikeln 39 und 51 der Satzung hingewiesen60. Art. 2 Abs. 4 SVN habe sein Gegenstück in dem durch Art. 39 UNOCharta geregelten Gewaltmonopol des Sicherheitsrates. Trotz des nicht übereinstimmenden Wortlauts der Bestimmungen bestehe eine enge, wenn auch nirgends in der Satzung ausdrücklich formulierte Beziehung. Es liege nahe, die in Art. 39 der Satzung genannten Begriffe "Bedrohung des Friedens", "Friedensbruch" und "Angriffshandlung" als Aufgliederung der in Art. 2 Abs. 4 SVN verbotenen Gewalt zu sehen61 • Da die in Art. 39 SVN gemeinte Aggression aber wirtschaftlichen und politischen Druck nicht umfasse62, sei daraus auf ein entsprechend enges Gewaltverbot in Art. 2 Abs. 4 der UNO-Charta zu schließen63 . Das in Art. 51 SVN konzipierte Selbstverteidigungsrecht ist nach überwiegender Ansicht in Lehre und Praxis auf den Fall des bewaffneten Angriffs beschränkt64 • Da sich nun- wieDerparecht überzeugend darlegt65 - Selbstverteidigung und verbotene Gewalt im System der Satzung lückenlos entsprechen, spricht der auf die Abwehr militärischer Gewalt beschränkte Art. 51 der Satzung dafür, auch das Gewaltverbot des Art. 2 Abs. 4 SVN als eng begrenzt anzusehen. Im Rahmen der teleologischen Auslegung weist Derpa letztlich auf das Erfordernis eines deskriptiven Gewaltbegriffs hin66 . Eine friedliche Regulierung zwischenstaatlicher Beziehungen lasse sich am besten durch ein Gewaltverbot erfüllen, dessen Verbotstatbestand durch präzise Umschreibung einfach zu handhaben sei. Ein kompliziertes Gewaltverbot würde die Gefahr zusätzlicher Konflikte heraufbeschwören. Militärische Gewalt sei ein deskriptives TatbestandsmerkmaL Um hingegen 60 Derpa, S. 77 ff. und 94 ff. 01 So auch ausdrücklich Wengler, Gewaltverbot, S. 23 Fn. 31. s: Vgl. Verdross, Völkerrecht, S. 694. 63 Derpa, S. 93. 64 Siehe statt vieler Wehberg, Krieg und Eroberung, S. 83; Dahm, JIR Bd. 11 (1962), S. 52 ff. und Wildhaber, Gewaltverbot und Selbstverteidigung, in: Schaumann, Gewaltverbot, S. 149 ff. mit zahlreichen Nachweisen. 85 Derpa, S. 119 f. 66 Derpa, S. 120 f.

5.2 Relevante Arten der Gewalt

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rechtswidrige nichtmilitärische Gewalt bestimmen zu können, seien Wertungen schwieriger Art zu treffen. - Dem kann zugestimmt werden, da bei wirtschaftlichen und politischen Druckmitteln die Abgrenzung zur erlaubten Einflußnahme nahezu unmöglich ist67 • Die bisher angestellten Überlegungen rechtfertigen es, den Begriff "force" in Art. 2 Abs. 4 der Satzung der Vereinten Nationen eng auszulegen und das Gewaltverbot auf die Anwendung militärischen bzw. physischen Zwanges zu beschränken. Zieht man als Hilfsmittel zur Auslegung die Materialien der Konferenz von San Franziska heran, so verdient der Änderungsantrag Brasiliens vom 6. Mai 1945 Beachtung. Nach diesem Antrag sollte Art. 2 Abs. 4 SVN folgenden Wortlaut erhalten68 : "All members of the Organization shall refrain in their international relations from the threat or use of force and from the threat or use of economic measures in any manner inconsistent with the purposes of the Organization." Dieser Antrag ist mit 26:2 Stimmen abgelehnt worden69 • In der Literatur wird daraus überwiegend geschlossen, die Entstehungsgeschichte der Satzung stehe einer extensiven Auslegung des Gewaltbegriffs entgegen70 • Dagegen ist eingewandt worden, die Delegierten der Konferenz seien davon ausgegangen, daß das Gewaltverbot ohnehin wirtschaftlichen Druck enthalte, und der Antrag sei mithin als überflüssig abgelehnt worden11 • Dies überzeugt hingegen deshalb nicht, weil im allgemeinen Sprachgebrauch vor 1945 der Ausdruck "force" für militärischen Zwang verwendet wurde7!. Es kommt hinzu, daß während der Konferenz in San Franzisko die Schrecken des zweiten Weltkrieges noch gegenwärtig waren und die Delegierten zusammengekommen waren, um "die kommenden Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren, der zweimal zu unseren Lebzeiten unsägliches Leid über die Menschheit gebracht hat" 73 • Die abschließend von Derpa74 untersuchte Praxis der Vereinten Nationen bestätigt die bisher gewonnenen Ergebnisse. Wenn die Resolutionen der Generalversammlung- die hauptsächliche Praxis der UNOfür sich genommen auch keine Rechtsquelle darstellen, so mögen sie doch 67 Vgl. Kewenig, Gewaltverbot und zulässige Machteinwirkung, in: Schaumann, Gewaltverbot, S. 192.

Vgl. UNCIO Doc. Bd. VI, S. 559. Siehe UNCIO Doc. Bd. VI, S. 339 f., 609. 70 So BeTbeT, Völkerrecht Bd. 2, S. 44; WehbeTg, Krieg und Eroberung, S. 68; VeTdToss, Völkerrecht, S. 552; Dahm, Völkerrecht Bd. 2, S. 357, Fn 6. und GoodTich!HambTo!Simmons, Art. 2 Abs. 4, S. 48. 71 Nachweise bei De-rpa, S. 124, Fn. 697. 72 De-rpa, S. 125 ff. mit zahlreichen Nachweisen. 73 Abs. 1 der Präambel der UNO-Charta; siehe. dazu auch Röting, Friedenssicherung, in: Schaumann, Gewaltverbot, S. 110. 74 De-rpa, S. 129 ff. 68 69

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5. Einzelfragen des Art. 52 WVK

zur Interpretation herangezogen werden, bestehendes Gewohnheitsrecht oder einen bereits vorhandenen allgemeinen Rechtsgrundsatz in Erinnerung rufen oder auch Ausgangspunkt für die Entwicklung neuer Rechtssätze sein75 • Verschiedene Resolutionen bestätigen eine enge Konzeption des Gewaltverbots76 • Anlaß zu Zweifeln geben nur die Resolutionen A 1803. (XVIII), 2131 (XX) und 2160 (XXI), die wirtschaftlichen und politischen Druck für verboten erklären und die auch während der Konferenz in Wien eine Rolle spielten, als es um die Frage ging, ob Art. 52 WVK derartige Zwangsmittel mit umfasse77 • Obwohl diese Resolutionen Formen nichtmilitärischer Gewalt verbieten, mißt Derpa ihnen keine so überragende Bedeutung bei, denn "von der Einbeziehung in das Gewaltverbot des Art. 2 Z.4 SVN ist nicht die Rede" 78 • Diese Behauptung mutet in der Tat etwas kühn an, da es zumindest nahe liegt, diese Resolutionen mit dem Gewaltverbot in Verbindung zu bringen. Sie paßt hingegen in Derpas Gesamtkonzeption: Er ordnet die genannten Resolutionen einem weiten Interventionsbegriff zu, den er gegen das Gewaltverbot sehr genau abgrenzt79 • So kommt Derpa zu dem Gesamtergebnis80 : "Das Gewaltverbot des Art. 2 Z.4 SVN betrifft nicht die Anwendung außermilitärischer Gewalt, wenn auch Formen wirtschaftlichen und politischen Drucks unter dem Gesichtspunkt eines modernen Interventionsverbots völkerrechtswidrig sein können81 ."

5.252 Der Gewaltbegriff des Art. 52 WVK Obwohl Art. 52 WVK als besondere Ausformung des in Art. 2 Abs. 4 UNO-Charta aufgestellten allgemeinen Gewaltverbots im Hinblick auf völkerrechtliche Verträge gelten kann, erscheint es fraglich, ob die Gewaltbegriffe beider Bestimmungen sich inhaltlich decken: Bei der Darstellung der Entstehungsgeschichte von Art. 52 WVK wurde bereits geschildert, daß eine große Anzahl von Staaten bestrebt war, den Gewaltbegriff in Art. 52 WVK in einem weiten und umfassenden Sinne zu verstehen82• Es bedarf deshalb einer kurzen Untersuchung, ob Art. 52 WVK in dieser Hinsicht einen anderen Inhalt hat. Siehe dazu Teil4.5 der Arbeit n. w. N. Bei Derpa, S. 130 sind sie im einzelnen aufgeführt. 77 Vgl. Fn. 107 im Teil3.21 der Arbeit. 78 Derpa, S. 131. 70 Derpa, S. 54- 66; zur Abgrenzung beider Begriffe siehe auch Wengler, Gewaltverbot, S. 42 ff. 80 Derpa, S. 134; siehe auch das Zwischenergebnis aufS. 66. 81 Ähnlich Kewenig, Gewaltverbot und zulässige Machteinwirkung, in: Schaumann, Gewaltverbot, S. 188, Fn. 31 und S. 190 f. 82 Vgl. Teil 3.147 und 3.21 der Arbeit. 75

78

5.2 Relevante Arten der Gewalt

189

Bei der wörtlichen Auslegung von Art. 52 WVK ergibt sich kei Unterschied zu Art. 2 Abs. 4 SVN: Der Ausdruck .,force" mag auch hier mit einem weiten oder engen Sinngehalt verstanden werden. Die in Art. 2 WVK gegebenen Definitionen enthalten den Begriff .,force" nicht und geben deshalb keinen Aufschluß über den Umfang des Gewaltbegriffs. In Art. 2 Abs.l lit. f WVK heißt es nur, ein Vertrag "has entered into force"; hier - und auch an zahlreichen anderen Stellen der Konvention83 wird .,force" in einem ganz anderen Sinne verstanden, wie sich auch an dem entsprechenden französischen Begriff .,vigueur" zeigt: Gemeint ist ein "in Kraft getretener" Vertrag. Ähnlich bezeichnen auch Art. 3 lit. a und Art. 69 Abs. 1 WVK, wo es "legal force" heißt84 , die "Rechtskraft" eines Vertrages, nicht aber den Gewaltbegriff. Ein Vergleich mit der vorangehenden Bestimmung (Art. 51 WVK), die den gegen einen Unterhändler ausgeübten Zwang behandelt, zeigt, daß dort ein anderer Begriff verwendet worden ist: "coercion", französisch: "contrainte", deutsch: "Zwang". Hier ist absichtlich ein weiterer Gewaltbegriff verwendet worden, der der Natur des persönlichen Zwanges mehr entsprechen soll. - Die auf Art. 52 WVK bezogene und der Schlußakte einverleibte Declaration on the prohibition of military, political or economic coercion in the conclusion of treaties85, die nach Art. 31 Abs. 2 WVK ebenfalls zur Auslegung herangezogen werden kann, lautet unter Ziffer 1: (The United Nations Conference on the Law of Treaties) "Solemnly condemns the threat or use of pressure in any form, whether military, political, or economic, by any State in order to coerce another State to perform any act relating to the conclusion of a treaty in violation of the principles of the sovereign equality and freedom of consent." Es ist beachtlich, daß hier- um alle Formen der Zwangsanwendung zu erfassen - nicht der Begriff "force", sondern der Ausdruck "pressure" verwendet wird. Diese Terminologie deutet darauf hin, daß "force" in einem engeren Sinne zu verstehen ist. Im Rahmen der systematischen Auslegung bleibt noch zu überlegen, ob sich aus dem unterschiedlichen Wortlaut von Art. 2 Abs. 4 SVN und Art. 52 WVK Argumente für oder gegen einen weiten Gewaltbegriff herleiten lassen. Art. 2 Abs. 4 UNO-Charta spricht von "force against the territorial integrity or political independence of any state or in any other manner inconsistent with the Purposes of the United Nations". In Art. 52 WVK hingegen heißt es: " . .. force in violation of the priciples of inter83

Vgl. etwa Art. 4, Art. 18 lit. b, Art. 20 Abs. 4 lit. a und b, Art. 24 bis 26

~~~~~~~~~~~~~~~~~w~~~n

Abs. llit. f, Art. 80 Abs. 1 und Art. 84. 84 Im Französischen mit "valeur juridique" bzw. "force juridique" übersetzt. 83 Siehe Teil 3.21 am Ende.

5. Einzelfragen des Art. 52 WVK

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nationallaw embodied in the Charter of the United Nations". Beide Bestimmungen beinhalten eine Art Generalklausel, um möglichst jede Lücke zu schließen und damit eine Umgehung der Vorschrift unmöglich zu machen86 • Als "Ziele der Vereinten Nationen" kommen in erster Linie die in Art.l SVN niedergelegten in Betracht, wobei Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit sowie Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den Völkern und Erzielung einer internationalen Zusammenarbeit, um internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen, einen derart großen und weitgespannten Rahmen bedeuten, daß sich diese Begriffe zur Eingrenzung eines sinnvollen Gewaltverbots kaum noch heranziehen lassen. - Die in Art. 52 WVK gewählte Formulierung "Prinzipien des in der Charta der Vereinten Nationen verkörperten Völkerrechts" ist gleichsam allumfassend und war insbesondere gewählt worden, um deutlich zu machen, daß die Vorschrift nicht auf Mitglieder der Vereinten Nationen beschränkt sei87• Zudem verbirgt sie den ganz eindeutig bestehenden Dissens über die Auslegung des Begriffs der Gewalt88. - Der Rahmen beider Formulierungen dürfte sich in seinem Umfang hingegen nicht wesentlich unterscheiden: Die Terminologie verweist jeweils auf die Charta der Vereinten Nationen als Ganzes. Aus dieser Formulierung allein läßt sich deshalb kein eindeutiger Hinweis auf einen weiten Gewaltbegriff entnehmen. Die bei der Untersuchung zum Umfang des in Art. 2 Abs. 4 SVN enthaltenen Gewaltbegriffs vorgetragenen Argumente zur teleologischen Auslegung gelten auch für Art. 52 WVK. Während der ILC-Beratungen und der Diskussionen auf der Wiener Konferenz vorgetragene Gründe für und gegen einen weiten Gewaltbegriff sind bereits bei der Darstellung der Entstehungsgeschichte von Art. 52 WVK behandelt worden89 • Die wichtigsten Einwände gegen einen weiten Gewaltbegriff waren, daß bei Einschluß wirtschaftlicher und politischer Zwangsmittel in den internationalen Vertragsbeziehungen große Unsicherheiten entstehen würden; die Gefahr, Vertragsverpflichtungen zu umgehen, würde begünstigt; so leide die Stabilität internationaler Abkommen. Dies würde negative Auswirkungen auf die Investitionsbereitschaft der Industriestaaten in Entwicklungsländern haben. Daß politische Druckmittel auf Vertragsbeziehungen keinen Einfluß haben, beweist auch Art. 63 WVK, der ausdrücklich feststellt, daß durch Vgl. Berber, Völkerrecht Bd. 2, S. 43 im Hinblick auf Art. 2 Abs. 4 SVN. Vgl. Teil3.23 der Arbeit. 88 So ausdrücklich Kewenig, Gewaltverbot und zulässige Machteinwirkung, in: Schaumann, Gewltverbot, S. 190. 89 Siehe Teil3.147 und 3.21 der Arbeit. 86

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5.2 Relevante Arten der Gewalt

191

den Abbruch diplomatischer Beziehungen die vertraglichen Beziehungen der betreffenden Staaten nicht beeinträchtigt würden90 • Diese Argumente sprechen eher gegen einen weiten Gewaltbegriff. Aus den für die historische Auslegung wichtigen travaux preparatoires läßt sich gleichfalls keine Entscheidung zugunsten eines weiten Gewaltbegriffes herleiten. Die Vorentwürfe zu Art. 52 WVK enthalten ebenfalls alle den Begriff "force" 91 • Die Beratungen und Diskussionen zu Art. 52 WVK ergeben kein einheitliches Bild. Die Delegierten konnten sich auf keine eindeutige Formulierung einigen und haben dann, um Konferenz und Konvention wegen dieses Streitpunktes nicht scheitern zu lassen, die schon behandelte Declaration on the prohibition of military, political or economic coercion in the conclusion of treaties mit 102 Stimmen bei 4 Enthaltungen verabschiedet. Sie ist als rein politische Stellungnahme zu werten und stellt einen Kompromiß dar92 , macht aber gleichzeitig deutlich, daß man sich eben nicht auf einen eindeutigen Gewaltbegriff einigen konnte. Auch die Staatenstellungnahmen, die sich weitgehend für den Einschluß militärischer und politischer Druckmittel in Art. 52 WVK einsetzten, sind nicht ohne Gegenstimmen geblieben93 • Hier gilt es besonders zu berücksichtigen, daß sich viele Staaten zu dieser Frage überhaupt nicht geäußert haben, so daß das Bild nicht vollständig ist. Auf verschiedenen Konferenzen ist ein weites Gewaltverbot unter Einschluß wirtschaftlichen und politischen Drucks gefordert worden: 1955 in Bandung'\ 1961 und 1964 auf den Konferenzen blockfreier Staaten in Belgrad und Kairo95 ; ferner wurde beim Dreier-Treffen zwischen Tito, Nasser und Indira Gandhi 1966 in Neu-Delhi jegliche Form von Zwang verurteilt. All diese Erklärungen haben hingegen keinen neuen Völkerrechtssatz aufstellen können, da ihnen eine weltweite Anerkennung versagt blieb98 • Wie umstritten heute noch der Umfang des Gewaltverbots ist, zeigt sich besonders deutlich daran, daß das Special Committee on Principles 90 So bereits der chilenische Delegierte Vargas, 50. Sitzung CoW, para 48, OR I, S. 285. 91 Vgl. die Zusammenstellung der Einzelentwürfe am Schluß der Arbeit. 92 Murphy, Virginia Journal of Int. Law, Bd. 11 (1970), S. 53 und 61. 93 Vgl. Fn. 89 in Teil3.147 der Arbeit. 94 Grundsatz 6 b der im Schlußkommunique enthaltenen Erklärung über die Förderung des Weltfriedens und der internationalen Zusammenarbeit bekräftigt den Verzicht jedes Landes, auf andere Länder Druck auszuüben, vgl. Sasse, Bandung-Konferenz, S. 75. 85 Vgl. Yasseen, 840. Sitzung ILC, paras 85-86 und 98, Yearbook ILC 1966 Bd. 1, Tei11, S. 32 und 119 f. eo Murphy, Virginia Journal of Int. Law, Bd. 11 (1970), S. 63.

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5. Einzelfragen des Art. 52 WVK

of International Law concerning Friendly Relations and Co-Operation among States91 - unter anderem mit der Präzisierung des Gewaltverbots betraut - 1964 auf seiner Tagung in Mexico City keine Einigung über eine Definition erzielen konnte, obwohl umfangreiche Untersuchungen zur Interpretation von Art. 2 Abs. 4 nach seinem Wortlaut und Zusammenhang mit anderen relevanten Bestimmungen der Charta, zur Gesetzgebungsgeschichte und zu den Entwicklungen seit Inkrafttreten der Satzung sowie dem heutigen Bedürfnis der Staatengemeinschaft durchgeführt worden waren98 • Die ILC hat in ihrem Kommentar zu den Vorentwürfen von Art. 52 WVK festgestellt 99 , man habe bewußt eine so flexible Formulierung gewählt und den Umfang der Bestimmung offen gelassen. Der genaue Rahmen solle deshalb von der Praxis durch Interpretation der relevanten Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen abgesteckt werden.

5.253 Ergebnis Die durchgeführten Untersuchungen rechtfertigen es, den Gewaltbegriff in Art. 52 WVK in einem engen Sinne zu verstehen - beschränkt auf militärischen oder physischen Zwang. Wirtschaftliche und politische Druckmittel nichtphysischer Natur fallen zum gegenwärtigen Zeitpunkt deshalb nicht unter die Bestimmung. Für die Zukunft gilt folgendes: Mit Rücksicht auf den flexibel gehaltenen Wortlaut der Vorschrift werden derartige Druckmittel von dem Zeitpunkt an als vertragsvernichtend anzusehen sein, zu dem sie durch die in der Charta der Vereinten Nationen verkörperten Grundsätze des Völkerrechts verboten werden; die Terminologie des Art. 52 WVK steht einer solchen Entwicklung nicht entgegen. 5.3 Die erlaubte Gewalt

Zur genaueren Eingrenzung von Umfang und Anwendungsbereich des Art. 52 WVK ist weiterhin zu untersuchen, in welchen Fällen Zwang erlaubt ist - wann mithin die Androhung oder Anwendung von Gewalt nicht gegen die in der Charta der Vereinten Nationen verkörperten Prinzipien des Völkerrechts verstößt. Ausgeklammert bleiben dabei Situationen, in denen das Gewaltverbot von vornherein nicht zur Anwendung gelangt, weil es sich nicht um internationale Beziehungen han97 Von der Generalversammlung 1963 durch die Resolution 1966 (XVIII) ins Leben gerufen. 98 Vgl. Teil3.147 der Arbeit m. w. N. 99 Yearbook ILC 1966 Bd. 2, S. 19 und S. 246, para 3.

5.3 Erlaubte Gewalt

193

delt: Es war an anderer Stelle bereits dargelegt worden100, daß sich das Gewaltverbot nach heute noch überwiegender Ansicht nicht auf Bürgerkriegssituationen und Dekaionisationsvorgänge erstreckt101 • Gemeint sind vielmehr diejenigen Tatbestände, in denen das Gewaltverbot zwar gilt, in denen aber aus besonderen Gründen die Völkerrechtswidrigkeit der Gewaltanwendung entfällt102 • In der Satzung der Vereinten Nationen selbst sind vier Ausnahmen vom Gewaltverbot geregelt: die Selbstverteidigung nach Art. 51, Gewaltanwendung im Rahmen vom Sicherheitsrat verhängter Zwangsmaßnahmen nach Art. 39 ff, Zwangsmaßnahmen durch Regionalorganisationen nach Art. 53 und Aktionen gegenüber Feindstaaten nach Art. 53 und 107 103 • Als weitere Einschränkungen des Gewaltverbots kommen in Betracht: Rechtfertigungsgründe außerhalb der UNO-Charta und die Billigung von Zwangshandlungen durch Organe der Vereinten Nationen. In den Fällen, in denen die Androhung oder Anwendung von Gewalt sich als nicht völkerrechtswidrig erweist, ist sie auch zulässig, um den Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrages zu erzwingen. Unter derartigen Umständen zustandegekommene Übereinkünfte müssen deshalb als gültig angesehen werden. 5.31 Die Selbstverteidigung nach Art. 51 SVN

Das nun kurz darzustellende Recht der Selbstverteidigung unterliegt, wie der Wortlaut des Art. 51 SVN zeigt, von vornherein zwei Einschränkungen: Einerseits ist die Selbstverteidigung nur so lange zulässig, bis der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen selbst die für die Aufrechterhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen ergriffen hat. Gegenüber dessen Einschreiten ist die Selbstverteidigung somit subsidiär, sie soll den Zwischenraum zwischen Angriff und Einsetzen kollektiver Zwangsmaßnahmen ausfüllen und muß eingestellt werden, sobald der Sicherheitsrat in Aktion tritt104. Teil 4.24 und 4.25 der Arbeit. Dazu ausführlich Rauschning, Gewaltverbot in Bürgerkriegssituationen, in: Schaumann, Gewaltverbot, S. 75 ff.; vgl. auch Wengler, Revue beige de droit international, Bd. 7 (1971), S. 421 ff. 102 Dahm, Völkerrecht Bd. 2, S. 360 nennt sie Unrechtsausschließungsgründe; Kewenig, Gewaltverbot und zulässige Machteinwirkung, in: Schaumann, Gewaltverbot, S. 194 bezeichnet sie als Rechtjertigungsgründe. 103 Es ist nicht richtig, wenn in der Literatur die Art. 53 und 107 als Rechtfertigungsgründe bezeichnet werden: Die Artikel selbst erlauben noch keine Zwangsmaßnahmen, sondern sie sind als Freistellungs- oder Unbeschadet-Klauseln anzusehen: Sie befreien bestimmte Staaten in gewissen Fällen von der Bindung an das Gewaltverbot und die anderen Grundsätze der Charta; welche Maßnahmen aber im einzelnen zulässig sind, bestimmt sich nach allgemeinem Völkerrecht bzw. den unter Art. 53 SVN fallenden Regionalabkommen. Siehe dazu Albano-Müller, S. 136 und Schneider, S. 100 und 138. 100

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5. Einzelfragen des Art. 52 WVK

194

Andererseits haben die Mitglieder der Vereinten Nationen die in Ausübung des Selbstverteidigungsrechts getroffenen Maßnahmen dem Sicherheitsrat sofort zu melden. Im Rahmen dieser beiden Einschränkungen gestaltet sich das Selbstverteidigungsrecht folgendermaßen105 : Art. 51 der UNO-Charta gestattet die individuelle und kollektive Selbstverteidigung mit Waffengewalt, das heißt die Notwehr des Angegriffenen selbst und die Nothilfe, die ein Staat dem anderen gegen den Angriff gewährt. Die Zulassung der kollektiven Verteidigung soll es ermöglichen, einem Rechtsbrecher mit einer möglichst geschlossenen Front rechtsgetreuer Staaten gegenüberzutretentoe. Das Recht zur Selbstverteidigung setzt nach Art. 51 SVN einen bewaffneten Angriff voraus. Dies wirft die Frage auf, ob das Selbstverteidigungsrecht nur gegenüber bewaffneten Angriffen zulässig ist, ob im Falle nichtbewaffneter Angriffe107 mithin eine Selbstverteidigung schlechthin ausgeschlossen ist. Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, wie Art. 51 der UNO-Charta ausgelegt wird. Wildhaber 108 hat die grundverschiedenen Auslegungen von Art. 51 SVN aufgezeigt und nach Untersuchung von Entstehungsgeschichte und UNO-Praxis eine vermittelnde Lösung angestrebt. Die strikte - von der Mehrheit der Völkerrechtsgelehrten vertretenetot - Auffassung meint, die UNO-Satzung habe den gewohnheitsrechtlich bestehenden Selbstverteidigungsanspruch einengen und ihn nur noch im Falle bewaffneter Angriffe zugestehen wollen; andernfalls würde das Gewaltverbot des Art. 2 Abs. 4 UNO-Satzung seines Sinnes entkleidet. 10' Vgl. Dahm, Völkerrecht Bd. 2, S. 422; Berber, Völkerrecht Bd. 2, S. 45 betont, daß es in concreto zweifelhaft sein kann, wann diese Voraussetzung erfüllt ist und wer zuständig ist, die Erfüllung dieser Voraussetzung festzustellen. 105 Zum folgenden siehe ausführlich Wildhaber, Gewaltverbot und Selbstverteidigung, in: Schaumann, Gewaltverbot, S. 147 :ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen; vgl. auch die beim Regionaltreffen der American Society of International Law in Athens, Georgia (April 1971) gehaltenen Referate zu .,The present State of the Law regarding Individual and Collective SelfDefence" von Frolick und Schou, Georgia Journal of International & Comparitive Law Bd. 2 (1972), Suppl. Teil 1, S. 125 :ff. und 139 :ff. toe Dahm, Völkerrecht Bd. 2, S. 412. 107 Dahm, Völkerrecht Bd. 2, S. 414 nennt als Beispiele dafür .,das Eindringen eines Staates in die politische oder wirtschaftliche Interessensphäre eines anderen Staates mit nichtmilitärischen Mitteln, die Ausübung wirtschaftlichen Drucks oder sonst die Verletzung der wirtschaftlichen Interessen eines anderen Staates, Angriffe, die die Ehre eines Staates berühren". 108 Gewaltverbot und Selbstverteidigung, in: Schaumann, Gewaltverbot, S. 149- 154; Tagung der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht in Würzburg

1970. 109

Siehe die zahlreichen Nachweise bei Wildhaber, S. 150.

5.3 Erlaubte Gewalt

195

Nach der von den Gegnern vertretenen weiten Auslegung110 wollte Art. 51 SVN das traditionelle Selbstverteidigungsrecht in keiner Weise schmälern; dies sei vielmehr als Naturrecht inhärent, in der Satzung inbegriffen und von ihr unangetastet gelassen. Danach ist Selbstverteidigung auch in Fällen möglich, in denen ein nichtmilitärischer Angriff vorgelegen hat. Wildhaber schließt sich einer modifizierten Version der strikten Auslegung an111 , wonach "grundsätzlich nur ein bewaffneter Angriff zu bewaffneter Selbstverteidigung berechtigt112• Die verschiedenen Formen wirtschaftlicher, indirekter und ideologischer Aggression berechtigen allenfalls zur Selbstverteidigung auf gleicher Ebene, aber aller Regel nach nicht zu bewaffnetem Zurückschlagen . . . Die Selbstverteidigung wird sich daher auf defensive Aktionen beschränken müssen". Dieser Lösung wird man den Vorzug geben können: Obwohl eine- nicht mit Waffengewalt durchgeführte- Selbstverteidigung über den in Art. 51 SVN gesteckten Rahmen hinaus kraft Gewohnheitsrecht zulässig bleibt, wird eine mißbräuchliche Berufung auf dieses Recht durch die getroffenen Einschränkungen weitgehend ausgeschlossen. Weiterhin muß es sich um einem gegenwärtigen Angriff handeln. Zweifelhaft erscheint hier, ob in Fällen unmittelbarer und dringender Gefahr eine präventive, antezipierte Selbstverteidigung zulässig ist. Dahm113 hat mit Recht betont, daß in einer Welt hochgerüsteter Staaten die aktuelle von der potentiellen Bedrohung nur schwer zu unterscheiden sei und die Folgen einer Fehlentscheidung deshalb schlechterdings nicht abzusehen seien. Andererseits kann von einem Staat nicht verlangt werden, daß er den ersten, möglicherweise vernichtenden Schlag abwartet. Dies darf nun aber nicht dazu führen, daß ein Staat Art. 51 SVN als Deckmantel für einen Präventivkrieg mißbraucht: Auch der Präventivkrieg ist verboten, die Mobilmachung des Nachbarstaates rechtfertigt noch keinen militärischen Angriff. Ausnahmen mag man allenfalls für präemptive Maßnahmen zulassen: Ist mit Sicherheit in allernächster Zukunft ein Angriff großen Stils mit irreparablen Folgen zu erwarten, so kann er als gegenwärtig bezeichnet werden und das Selbstverteidigungsrecht des Art. 51 SVN auslösenm. Nachweise bei Wildhaber, S. 151, Fn. 12. Wildhaber, S. 153 mit Nachweisen der Vertreter in Fn. 22. 112 So ausdrücklich auch Dahm, Völkerrecht Bd. 2, S. 413 und JIR Bd. 11 (1962), s. 56 ff. 113 Völkerrecht Bd. 2, S. 415. 114 Vgl. Dahm, Völkerrecht Bd. 2, S. 415 f.; Bindschedler, REDI Bd. 21 (1968), S. 314; Schwebel, AJIL Bd. 64 (1970), S. 344 ff. und Wengler, Revue beige de droit international Bd. 7 (1971), S. 404 ff. 110

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5. Einzelfragen des Art. 52 WVK

Letzlieh muß das Prinzip der Proportionalität gewahrt sein: Im Rahmen der Selbstverteidigung ist Gewaltanwendung nur zulässig, soweit sie auch erforderlich ist, einen Angriff zurückzuschlagen; das Maß der Verteidigung wird somit durch die Intensität des Angriffs bestimmt115 • Hält sich die angewendete Gewalt im Rahmen der genannten Voraussetzungen - auf die Hauptschwäche des Art. 51 SVN, die fehlende Definition des Angriffs, kann im Rahmen dieser knappen Darstellung nicht eingegangen werden116 - , so ist sie als Selbstverteidigungsmaßnahme rechtmäßig. Ein durch solche Zwangsmaßnahmen herbeigeführter Vertragsabschluß ist als gültig zu betrachten, wenn der Inhalt des Vertrages seinerseits dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entspricht. Hat etwa ein angegriffener Staat auf diese Weise ohne Verletzung des Völkerrechts einen Vertrag erzwungen, um sich gegen einen erneuten Angriff zu schützen, kann die Gültigkeit eines solchen Abkommens nicht in Zweifel gezogen werden. 5.32 Vom Sirherheitsrat verhängte Zwangsmaßnahmen

Militärische Zwangsmaßnahmen sind ferner zulässig, wenn sie vom Sicherheitsrat nach Art. 39/42 SVN verhängt werden. Die Voraussetzungen dieser Ausnahme vom Gewaltverbot sind kurz folgende 117 : Zunächst muß der Sicherheitsrat die kritische Situation feststellen - jede Bedrohung des Friedens, jeden Friedensbruch und jede Angriffshandlung. Diese Feststellung bedeutet die Grundlage für das weitere Vorgehen des Sicherheitsrates, wozu er von Amts wegen verpflichtet ist. Auch für Art. 39 UNO-Charta gilt, daß es sich um Angelegenheiten mit internationalem Charakter handeln muß. Eine Einmischung in innere Verhältnisse ist auch hier durch Art. 2 Abs. 7 SVN untersagt - es sei denn, daß zugleich eine Bedrohung oder Verletzung des internationalen Friedens vorliegt118 • Die als erstes in Art. 39 SVN angeführte Friedensbedrohung deckt sich nicht mit der in Art. 2 Abs. 4 SVN genannten Androhung von Gewalt: Auch Handlungen, die nicht unter den Gewaltbegriff fallen, können eine 115 Bothe, Gewaltverbot und WiZdhaber, Gewaltverbot und Selbstverteidigung, beide in: Schaumann, Gewaltverbot, S. 20 und 153; Dahm, Völkerrecht Bd. 2, S. 417 f. 118 Siehe dazu Wittig, Aggressionsbegrifi, in: Schaumann, Gewaltverbot, S. 33 ff. und die Dokumente zum Aggressionsbegriff daselbst, S. 336 ff.: ferner Piperund Rusk, The General Problem of Defining Aggression, Georgia Journal of International & Comparitive Law, Bd. 2 (1972), S. 1 ff. und 19 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen; vgl. auch Ferencz, AJIL Bd. 66 (1972), S. 491 ff. 117 Vgl. ausführlich Dahm, Völkerrecht Bd. 2, S. 388 ff. und Goodrlch/ Hambro!Simmons, S. 293 ff. und S. 314 ff., jeweils m. w. N. 118 Dahm, Völkerrecht Bd. 2, S. 389.

5.3 Erlaubte Gewalt

197

Gefahr für den internationalen Frieden darstellen. Dahm119 nennt als Beispiele dafür Anschläge auf die wirtschaftliche Unabhängigkeit anderer Staaten, Kriegshetze, selbst die Mißachtung von Empfehlungen internationaler Organisationen. Derartige Verhaltensweisen brauchen auch nicht gegen das Völkerrecht zu verstoßen. Mit der Erklärung, der Friede sei bedroht, wird nur ein tatsächlicher Sachverhalt festgestellt. Es muß sich aber um eine unmittelbare Friedensbedrohung handeln, potentielle oder entfernte Gefahren rechtfertigen die Feststellung nach Art. 39 SVN nicht. Zum Einschreiten des Sicherheitsrates berechtigt weiter ein Friedensbruch, der- anders als der bewaffnete Angriff nach Art. 51 SVN- ebenfalls nicht rechtswidrig zu sein braucht120. Die als dritte Alternative genannte Angriffshandlung stellt an sich eine besondere Form des Friedensbruchs dar. Auch die Angriffshandlung braucht keine militärische Maßnahme zu sein. Der Sicherheitsrat kann so mitunter Zwangsmaßnahmen in Situationen verhängen, in denen ein Angegriffener selbst nicht zu gewaltsamen Gegenmaßnahmen befugt ist. - Grenzen sind den Aktionen des Sicherheitsrates nur durch den Zweck der Vorschrift gesetzt: Sie müssen der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit dienen. Ist dieses Ziel erreicht, ist eine weitere Ausdehnung nicht erlaubt; die Aktionen sind einzustellen. Insbesondere ist eine Bestrafung des schuldigen Staates durch den Sicherheitsrat nicht zulässig121. Dieses Erfordernis entspricht dem bei Art. 51 SVN bereits behandelten Proportionalitätsprinzip. Militärische Zwangsmaßnahmen nach Art. 42 SVN dürfen erst verhängt werden, wenn sich nichtmilitärische Maßnahmen nach Art. 41 SVN als nicht effektiv erweisen oder von vornherein als unzureichend außer Betracht zu bleiben haben. Als Beispiele für solche Aktionen, die mit Hilfe von Luft-, See- und Landstreitkräften durchzuführen sind, kommen militärische Demonstrationen, Blockaden und andere Operationen in Betracht. Nach Art. 43 SVN sind die Mitglieder der Vereinten Nationen verpflichtet, als Beitrag zur Aufrechterhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit auf Verlangen des Sicherheitsrates gegebenenfalls Streitkräfte zur Verfügung zu stellen oder Hilfe und Begünstigungen zu gewährleisten. Um dringende militärische Maßnahmen ergreifen zu können, sollen sie nach Art. 45 SVN zudem Kontingente ihrer Luftstreitkräfte für vereinigte internationale Zwangsmaßnahmen 119 Ebenda. 120 Dahm, Völkerrecht Bd. 2, S. 390 m. w. N. in Fn. 15. 121 Dahm, Völkerrecht Bd. 2, S. 392.

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5. Einzelfragen des Art. 52 WVK

zur sofortigen Verfügung bereit halten. Zur Beteiligung an militärischen Maßnahmen nach den genannten Vorschriften kann ein Staat allerdings nur auf Grund von Sonderabkommen herangezogen werden, die zwischen dem Sicherheitsrat und den einzelnen Mitgliedern oder Gruppen von ihnen abzuschließen sind. Bis zum lokrafttreten dieser Sonderabkommen sollen die in Art.106 SVN genannten Mächte sich miteinander und nötigenfalls mit anderen Mitgliedern der Vereinten Nationen ins Einvernehmen setzen, um gemeinsam die zur Aufrechterhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen im Namen der Organisation zu ergreifenm. Maßnahmen nach Art. 42 SVN sind bisher nicht ergriffen worden. Die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates konnten sich auf einen Einsatz von Waffengewalt unter den in Art. 42 SVN genannten Voraussetzungen bei den vom Rat behandelten Krisensituationen nicht einigen. Wurden militärische Maßnahmen durch die Vereinten Nationen oder unter ihrer Oberhoheit durchgeführt, so basierten sie auf freiwilligem Mitwirken der Mitglieder123• Nur einmal wurde die Anwendung von Art. 42 SVN formaliter vorgeschlagen: Während der Suez-Krise 1956 regte die Sowjetunion an, der Sicherheitsrat solle alle Mitglieder - insbesondere die UdSSR und die USA- autorisieren, Ägypten See-, Luft- und Landstreitkräfte, Freiwillige, Militärberater und andere Hilfe zu senden, um die Durchführung der UN-Resolution zur Einstellung des Kampfes und zum Rückzug der Truppen zu gewährleisten124• Das Veto Frankreichs und Großbritanniens vereitelte jedoch diesen Plan. So existieren die nach Art. 39/42 SVN möglichen militärischen Maßnahmen bis heute nur auf dem Papier, konkret sind sie in keiner Krisensituation angewendet worden - bedingt durch die Paralysierung des Sicherheitsrates durch das Vetorecht der Großmächte. Sollte gleichwohl eines Tages im Rahmen der dargestellten Voraussetzungen gegen einen Staat Zwang angewendet werden, um ihn zum Abschluß eines Vertrages zu veranlassen, so stünde dieser Zwang im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen; das zustandegekommene Abkommen wäre als gültig zu betrachtenu5 • 122 Bis heute ist allerdings kein einziger Vertrag nach Art. 43 SVN abgeschlossen worden, somit gilt noch die Zuständigkeitsregelung des Art. 106 SVN, vgl. Berber, Völkerrecht Bd. 2, S. 55. 123 Siehe Berber, Völkerrecht Bd. 2 S. 98. u' Siehe Goodrich!Hambro!Simmons, S. 315. 125 Bothe, ZaöRV Bd. 27 (1967), S. 516 meint, wenn einem Aggressor Verpflichtungen durch ein zuständiges Organ der UNO oder eine Regionalorganisation auferlegt würden, so handele es sich dabei nicht um Vertragsverpflichtungen; die Bestimmungen der Vertragsrechtskonvention - insbesondere Art. 34 und 35, die Vertragsverpflichtungen dritter Staaten betreffen (pacta tertiis-Grundsatz) - seien gar nicht tangiert. Dem kann nicht

5.3 Erlaubte Gewalt

199

5.33 Zwangsmaßnahmen durch Regionalorganisationen nach Art. 53 SVN

Die Verhängung von Zwangsmaßnahmen ist nicht nur dem Sicherheitsrat gestattet: Auch Regionalorganisationen dürfen unter den Voraussetzungen des Art. 53 SVN einschreiten. Nach Art. 25 und 48 SVN sind die Mitglieder der Vereinten Nationen verpflichtet, Beschlüsse des Sicherheitsrates gemäß der Satzung anzunehmen und durchzuführen. Damit können auch Mitglieder regionaler Zusammenschlüsse auf Verlangen des Sicherheitsrates zu Zwangsmaßnahmen herangezogen werden - selbst wenn diese außerhalb der regionalen Sphäre anzuwenden sindm. Für ihre Aktionen bedürfen die Regionalorganisationen allerdings der Zustimmung des Sicherheitsrates (Art. 53 Abs.l Satz 2 SVN)m. Dieser ist zudem jederzeit vollständig über die ergriffenen und geplanten Maßnahmen zu unterrichten (Art. 54 SVN). Das nur mit Ermächtigung des Sicherheitsrates mögliche zwangsweise Vorgehen ist folglich vom Vetorecht der ständigen Mitglieder abhängig. Die Anwendbarkeit von Art. 53 SVN in einer konkreten Situation erscheint aus diesem Grunde zweifelhaft. Hier gilt es aber zu bedenken, daß Art. 53 nicht die einzige Vorschrift ist, die kollektive Zwangsmaßnahmen zuläßt. Dahm128 hat darauf hingewiesen, daß Art. 53 durch Art. 51 SVN eingeschränkt wird; die Anwendung von Gewalt im Rahmen des Selbstverteidigungsrechts, die die Abwehr eines bewaffneten Angriffs bezweckt, bedarf nicht der Zustimmung des Sicherheitsrats120• Es bleibt aber festzuhalten, daß Zwangsmaßnahmen durch Regionalorganisationen nach Art. 53 SVN eine weitere Ausnahme vom allgemeinen Gewaltverbot darstellen. Sie dürfen deshalb auch angewendet werden, um einen Vertragsabschluß herbeizuführen. 5.34 Zwangsmaßnahmen gegenüber Feindstaaten nach Art. 53 und 107 SVN

Die letzte in der Charta selbst geregelte Ausnahme vom Gewaltverbot sind die Art. 53 und 107 SVN, die sich auf die im zweiten Weltkrieg zugestimmt werden, denn es ist sehr wohl denkbar, daß einem Aggressor auf diese Weise die Verpflichtung auferlegt wird, einem Vertragsabschluß zuzustimmen; diese Zustimmung ist dann auf legale Weise erzwungen. 128 Dahm, Völkerrecht Bd. 2, S. 407; Kewenig, Gewaltverbot und zulässige Machteinwirkung, in: Schaumann, Gewaltverbot, S. 200 hat die Regionalorganisationen deshalb als Erfüllungsgehilfen des Sicherheitsrates bezeichnet, die nicht aus eigenem Recht tätig werden können. 127 Dieses Erfordernis entfällt bei Maßnahmen gegen ehemalige Feindstaaten nach Art. 53/107 SVN, vgl. dazu den folgenden Abschnitt. us Dahm, Völkerrecht Bd. 2, S. 408. 129 Nach 1945 zustandegekommene Bündnisverträge etwa Art. 5 NATO-Vertrag, Art. 4 Warschauer Vertrag- nehmen deshalb nicht auf die Regionalabkommen nach Kap. VIII der UNO-Charta Bezug, sondern auf Art. 51 SVN; siehe auch Kewenig, Gewaltverbot und zulässige Machteinwirkung, in: Schaumann, Gewaltverbot, S. 200.

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5. Einzelfragen des Art. 52 WVK

unterlegenen Nationen beziehen. Die sogenannten Feindstaatenartikel haben gerade in letzter Zeit wieder an Aktualität gewonnen, nachdem die Sowjetunion diese Bestimmungen während der Sondierungsgespräche über einen Gewaltverzicht mit der Bundesrepublik130 wieder ins Spiel gebracht hatte: In den Memoranden vom 21. November 1967 und 5. Juli 1968, die nicht nur in der BRD besonderes Aufsehen erregten und zu heftigem Widerspruch führten, stellte die UdSSR fest, ihr stünde im Falle einer aggressiven Politik der BRD aus den Artikeln 53 und 107 der UNO-Charta und auch aus dem Potsdamer Abkommen ein Interventionsrecht zu131 • Dieses Politikum führte zu eingehenden Untersuchungen besonders durch Autoren der Bundesrepublik132. Im Rahmen der Arbeit muß auf eine ausführliche Darstellung der umfangreichen und weitverzweigten Problematik verzichtet werden; nur die wichtigsten Voraussetzungen der genannten Vorschriften können aufgezeigt werden. Zweck dieser Bestimmungen ist es, die Unterzeichner der Charta einer Anzahl von Staaten gegenüber von der grundlegenden Verpflichtung der Satzung - Beachtung des allumfassenden Gewaltverbots freizustellen133• Nach Art. 53 SVN dürfen ohne Ermächtigung des Sicherheitsrates Maßnahmen gegen irgendeinen Staat ergriffen werden, der während des zweiten Weltkrieges der Feind eines der Signatare der Charta war, sofern diese Maßnahmen in Art. 107 oder in regionalen, gegen die Wiederaufnahme der Angriffspolitik eines solchen Staates gerichteten Abkommen vorgesehen sind. Art. 53 SVN findet nach seinem Wortlaut so lange Anwendung, bis die UNO auf Ersuchen der betroffenen Regierungen mit der Aufgabe betraut wird, weitere Angriffe durch einen solchen Staat zu verhüten. Bis heute ist ein solches Ansinnen nicht gestellt worden. Nach Art. 107 macht keine Bestimmung der UNO-Satzung Maßnahmen ungültig oder unanwendbar, die gegen einen Staat, der während Siehe dazu die Dokumentation in AdG 14049 D. Vgl. die Dokumentation in AdG 14199 A. 132 Hier sei nur auf die ausführlichen Darstellungen von Albano-Mülle1· (Die Deutschland-Artikel in der Satzung der Vereinten Nationen), Schneider (Die Charter der Vereinten Nationen und das Sonderrecht für die im zweiten Weltkrieg unterlegenen Nationen), Frenzke/Hacker! Uschakow (Die Feindstaatenartikel und das Problem des Gewaltverzichts der Sowjetunion im Vertrag vom 12. August 1970) und Blumenwitz (Feindstaatenklauseln. Die Friedensordnung der Sieger) hingewiesen. 133 Berber, Völkerrecht Bd. 2, S. 52; Berber hat die Feinstaatenklauseln scharf kritisiert (S. 54) und sie als trojanisches Pferd des gesamten UNSystems der Kriegsverhütung bezeichnet, das von hier aus juristisch aus den Angeln zu heben sei, da die Besiegten des zweiten Weltkrieges dadurch auf unabsehbare Zeit friedlos gemacht würden und dies zu einer Aushöhlung des Kriegsverbots führe. 130

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5.3 Erlaubte Gewalt

201

des zweiten Weltkrieges der Feind eines Signatars gewesen ist, als Folge des Krieges ergriffen oder gestattet werden. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß Art. 53 und 107 keine selbständige Rechtsgrundlage für militärische Maßnahmen darstellen134 ; beide Bestimmungen befreien nur von der Bindung an das Gewaltverbot. Die ergriffenen Maßnahmen bedürfen einer Rechtsgrundlage außerhalb der Satzung; diese ist dem allgemeinen Völkerrecht bzw. den unter Art. 53 SVN fallenden Regionalabkommen zu entnehmen. Wenn auch Art. 53 und 107 SVN meist ohne Differenzierung in einem Atemzug genannt werden, so beziehen sie sich inhaltlich doch auf verschiedene Sachkomplexe. Während Art.l07 die unmittelbaren Folgen des zweiten Weltkrieges behandelt und Maßnahmen meint, die einer Neuordnung des damals bestehenden Chaos dienen sollen, blickt Art. 53 SVN in die Zukunft und will einem erneuten Aufkommen von Gewalthandlungen vorbeugen, aus denen eine Wiederholung der zum zweiten Weltkrieg führenden Vorkommnisse resultieren kann. Regionale Bündnisse erschienen den Gründern der Vereinten Nationen dazu geeignet. Der Dispens vom allgemeinen Gewaltverbot sollte ein Funktionieren dieser Abkommen sicherstellen135• Als begünstigte Staaten, die auf Grund der genannten Vorschriften einschreiten dürfen, sind die Siegermächte des zweiten Weltkrieges gemeint. Wenn auch Art. 53 SVN von "betroffenen Regierungen" spricht und Art.107 SVN die Regierungen bezeichnet, "welche die Verantwortung ... haben", so ergibt sich doch aus dem Zusammenhang, daß die über die Achsenmächte siegreichen vier Hauptmächte gemeint sind1ss. Noch heute ist allerdings umstritten, ob ein Zusammenwirken der Siegermächte zu fordern ist - so die offiziellen Verlautbarungen der Vereinigten Staaten - oder ob es ausreicht, wenn die betreffenden Staaten einzeln und unabhängig voneinander vorgehen - so die Meinung der sowjetischen Regierung137• Als Feindstaaten waren bei Inkrafttreten der Satzung außer Deutschland auch Bulgarien, Italien, Finnland, Japan, Österreich, Rumänien, Thailand und Ungarn anzusehen138• Bis auf Deutschland sind die Besiegten des zweiten Weltkrieges Mitglieder der Vereinten Nationen geworden. Nach überwiegender Auffassung finden Art. 53 und 107 SVN auf einen Staat dann keine Anwendung mehr, wenn mit ihm entweder ein Vgl. Teil5.3 Fn. 103 der Arbeit m. w. N. Von der Heydte, Feindstaatenartikel, in: Schaumann, s. 254. 136 Von der Heydte, S. 252. 137 Dazu von der Heydte, S. 252. 138 Albano-Mütler, S. 63- besonders Fn. 8. 134

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Gewaltverbot,

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5. Einzelfragen des Art. 52 WVK

Friedensvertrag abgeschlossen worden ist oder er als Mitglied in die Vereinten Nationen aufgenommen wurde138• Mit Rücksicht darauf hat Albano-Müller den genannten Bestimmungen den Namen "Deutschland-Artikel" gegeben140 • Durch den unmittelbar bevorstehenden Beitritt beider deutscher Staaten zur UNO verlieren die betreffenden Vorschriften nunmehr an Gewicht; sie dürften in kürzester Zeit als obsolet angesehen werden, so daß sich ein weiteres Eingehen auf die vielschichtige Problematik erübrigt. Der Vollständigkeit halber waren sie indes zusammen mit den anderen in der UNO-Charta geregelten Ausnahmen vom allgemeinen Gewaltverbot kurz zu behandeln. 5.35 Die Aggressorklausel des Art. 75 WVK

Den soeben behandelten Feindstaatenartikeln der UNO-Charta ist eine Bestimmung verwandt, die in der Wiener Vertragsrechtskonvention selbst enthalten ist: Art. 75 WVK lautet141 : Case of an aggressor State

The provisions of the present Convention are without prejudice to any obligation in relation to a treaty which may arise for an aggressor State in consequence of measures taken in conformity with the Charter of the United Nations with reference tothat State's aggression. Diese Vorschrift scheint eine weitere Ausnahme vom Gewaltverbot aufzustellen: Art. 75 WVK legt den Schluß nahe, einem Aggressor dürfe ein Vertrag entgegen dem in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatz dann aufgezwungen werden, wenn es sich um Maßnahmen handelt, die im Zusammenhang mit seinem Angriff stehen. So gesehen beträfe Art. 75 WVK einen weiteren Fall erlaubter Gewaltanwendung.

5.351 Die travaux preparatoires zu Art. 75 WVK Doch schon die Entstehungsgeschichte der in der Wiener Vertragsrechtskonvention enthaltenen Aggressorklausel zeigt, daß dieser Schluß fehl geht142 • Im Zusammenhang mit den Beratungen zu den Vorentwürfen von Art. 35 WVK, wonach für Drittstaaten aus einer Vertragsbestimmung 139 Zur Begründung wird auf den in Art. 2 Abs. 1 SVN niedergelegten Grundsatz der souveränen Gleichheit aller Staaten verwiesen, der eine rechtliche Ungleichbehandlung, wie sie in Art. 53 und 107 SVN niedergelegt sei, nicht zulasse; vgl. von der Heydte, S. 252. 140 Vgl. den Titel seiner Monographie, Fn. 132 in diesem Abschnitt. 141 Text in ZaöRV Bd. 29 (1969), S. 751 und OR Doc., S. 299. 142 Zur Entstehungsgeschichte vgl. bereits die Ausführungen in Teil 3.145 der Arbeit m. w. N.

5.3 Erlaubte Gewalt

203

nur dann Verpflichtungen entstehen, wenn die Vertragspartner dies beabsichtigen und der Drittstaat die Verpflichtung ausdrücklich in schriftlicher Form annimmt, war innerhalb der ILC die Frage aufgetaucht, ob dies auch für Verträge mit Aggressoren gelte; insbesondere Friedensverträge müßten für Aggressoren auch dann verbindlich sein, wenn eine ausdrückliche Zustimmung ihrerseits nicht vorliege143• So hatte die ILC in Absatz 3 ihres Kommentars zu Art. 59 des Entwurfs von 1964144 - dem späteren Art. 35 WVK - einen Vorbehalt dahingehend ausgesprochen, daß die einem Aggressor auferlegten Verpflichtungen auch ohne sein ausdrückliches Einverständnis für ihn verbindlich seien. Die Staatenstellungnahmen der UdSSR, der Ukraine, Ungarns und der USA hatten angeregt, diesen Vorbehalt in den Text der betreffenden Bestimmung aufzunehmen145• Waldock, der Berichterstatter zum Vertragsrecht, hat daraufhin einen zusätzlichen Absatz entworfen falls die Kommission einen Vorbehalt dieser Art. für wünschenswert erachtete: Nothing in the present article or in article 58 precludes a provision in n treaty from being binding on an aggressor State, not a party to the treaty without its consent if such provision is imposed on it in accordance with the law of State responsibility and with the principles of the Charter of the United Nations. Dieser Vorschlag hat innerhalb der ILC zu heftigen Kontroversen geführt. Die ILC-Mitglieder aus den Ostblockstaaten haben sich mit Vehemenz für die Aufnahme eines solchen zusätzlichen Absatzes ausgesprochen. Das sowjetrussische Mitglied Tunkin hatte bereits bei der Diskussion zu Art. 36 des ILC-Entwurfs von 1963 - einem der Vorentwürfe zu Art. 52 WVK- festgestellt146, einige westdeutsche Schriftsteller würden die in dieser Vorschrift niedergelegte Regel mißbrauchen, um die Aktionen eines Aggressorstaates zu verteidigen und sich den aus dem zweiten Weltkrieg entsprungenen Verpflichtungen zu entziehen147. Während der Beratungen zum späteren Art. 35 WVK hat Tunkin diese Behauptungen wiederholt und die Aufnahme eines zusätzlichen Absatzes wärmstens befürwortet, denn "not only writers in 143 Die Diskussionen zum späteren Art. 75 WVK sind mit Fundstellen nachgewiesen bei Rosenne, Law of Treaties, S. 380 f. und Wetzel, Dokumentation zur Wiener Vertragsrechtskonvention (im Erscheinen begriffen); zu Einzelfragen dieser Bestimmung siehe auch Wetzel, Verträge zugunsten und zu Lasten Dritter nach der Wiener Vertragsrechtskonvention von 1969 (im Druck). 144 Yearbook ILC 1964 Bd. 2, S. 181 f. 145 Siehe Waldock, 852. Sitzung ILC, para 57, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil 1, S. 60. 146 827. Sitzung, para 31, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil1, S. 33. 147 Siehe dazu auch Rauschning, JIR Bd. 14, S. 343 f .

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5. Einzelfragen des Art. 52 WVK

Western Germany, but even the Government were now contending that the treaties concluded by the Allied Powers at the end of the Second World War were without effect with respect to Germany, which was not a party to them and could therefore disregard them" 148 • Das polnische Mitglied Lachs hat diese Argumentation unterstützt und sich gleichfalls für einen zusätzlichen Absatz ausgesprochen149 • Bartos (Jugoslawien) meinte zwar auch, das angeschnittene Problem dürfe nicht unerörtert bleiben, doch hat er erhebliche Vorbehalte gegen Waldocks Vorschlag angemeldet150 • Jimenez de Arechaga betonte, es könne nicht Aufgabe der ILC sein, irgendwelche Akte im Zusammenhang mit dem zweiten Weltkrieg zu rechtfertigen151 • Auch andere Mitglieder der ILC haben sich gegen die Aufnahme einer solchen Bestimmung ausgesprochen und sie als unannehmbar bezeichnet, weil sie zu unbestimmt sei152• Castren wandte sich ausdrücklich gegen eine Bezugnahme auf den Grundsatz der Staatenverantwortlichkeit, weil dadurch nicht zu bewältigende Unklarheiten entstünden: Die dieses Prinzip ausfüllenden Regeln seien noch nicht genügend bestimmt153 • Verschiedene Vertreter haben auf die enge Beziehung zum späteren Art. 52 WVK hingewiesen154 : Verbindliche Vertragsverpflichtungen von Aggressoren seien typischerweise in aufgezwungenen Friedensverträgen anzutreffen, es handele sich gar nicht so sehr um eine Frage des pacta tertiis-Grundsatzes. Deshalb sollte dieses Problem im Zusammenhang mit dem erlaubten Zwang beim Vertragsabschluß erörtert werden und an jener Stelle eine Regelung finden 155• Auch Reuter sprach sich dagegen aus, den Grundsatz der Staatenverantwortlichkeit zu erwähnen. Er schlug folgende vorsichtige Formulierung vor: Paragraph 1 shall be without prejudice to any consequences which may follow from the Charter regarding the effects of the condemnation of an aggressor158• 852. Sitzung, para 69, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil2, S. 61. 852. Sitzung, para 72, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil2, S. 61. 150 852. Sitzung, para 94, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil 2, S. 63 und 853. Sitzung, para 71, S. 70. 151 853. Sitzung, para 5, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil2, S. 64. 152 In der 852. Sitzung: Briggs, para 66, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil 2, S. 61; Verdross, para 77, S. 62; Rosenne, para 81, S. 62 und Reuter, paras 89- 90, S. 63; ferner Jimenez de Arechaga, 853. Sitzung, para 13, S. 65. 153 852. Sitzung, para 65, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil2, S. 61. 154 El-Erian, 853. Sitzung, para 20, Yearbook ILC 1966 Bd. 1, Teil 2, S. 65; Ago, paras 42 und 43, S. 67; Lachs, paras 6·2 und 63, S. 69. 155 Rosenne, 853. Sitzung, para 66, Yearbook ILC 1966 Bd. 1, Teil 2, S. 69; de Luna, para 79, S. 70; Ago, para 82, S. 71. 156 853. Sitzung, para 54, Yearbook ILC 1966 Bd. 1, Teil 2, S. 68. 148

149

5.3 Erlaubte Gewalt

205

Zwar räumte er ein, daß diese Formulierung nichts Neues hinzufüge und deshalb von geringem praktischen Wert sei. Doch vermeide sie verschiedene Gefahren: Wer zum Beipsiel konkret die Verurteilung des Aggressors auszusprechen habe, wird nicht gesagt. Wenn nun einige Mitglieder der Kommission glaubten, aus psychologischen oder politischen Gründen eine Bestimmung der genannten Art hinzufügen zu müssen, dann könne man ihren Wünschen dadurch entgegenkommen, daß man seinen Vorschlag als zusätzlichen Absatz anfüge. Reuters Vorschlag ist bei verschiedenen Delegierten auf ein positives Echo gestoßen157 • Waldock hat die Anregungen aufgegriffen. Er meinte allerdings, ein allgemeiner Vorbehalt- wie ihn Reuter vorgeschlagen hatte - solle nicht an die Bestimmung angefügt werden, die den Zwang beim Abschluß von Verträgen behandele; er sei besser ans Ende des gesamten Entwurfs zu stellen und könne dann klarstellen, "that nothing in the draft articles affected questions arising from the treatment of an aggressor" 158• Die Angelegenheit wurde an das Redaktionskomitee verwiesen159 ; dort wurde ein neuer Artikel allgemeinen Inhalts entworfen, der diese Frage behandeJtl": Case of an aggressor State

Nothing in the present articles may be invoked by an aggressor State as precluding it from being bound by a treaty or any provision in a treaty which in conformity with the Charter of the United Nations it has been required to accept in consequence of its aggression. Dieser Artikel stieß erneut auf Widerstand161, wurde wiederum an das Redaktionskomitee zurückverwiesen162 und daraufhin in einer abgeänderten allgemeineren Fassung vorgelegt163 : Reservation regarding the case of an aggressor State.

The present articles are without prejudice to any obligation in relation to a treaty which may arise for an aggressor State in consequence of measures taken in conformity with the Charter of the United Nations with reference tothat State's aggression. 157 Ago, 853. Sitzung, para 84, Yearbook ILC 1966 Bd.l, Teil 2, S. 71; Pessou, 854. Sitzung, para 19, S. 73. 158 854. Sitzung, para 12, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil2, S. 72. 159 854. Sitzung, para 23, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil2, S. 73. 160 869. Sitzung, para 3, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil 2, S. 179; siehe auch 867. Sitzung, para 27, S. 171. 161 Castren, 869. Sitzung, paras 11 und 12, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil2, S. 181; Tsuruoka, paras 20- 22, S. 181; Briggs, para 27, S. 181. 182 869. Sitzung, para 51, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil2, S.183. 163 876. Sitzung, para 65, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil2, S. 222.

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5. Einzelfragen des Art. 52 WVK

Reuter164 hat den Kompromißcharakter dieser Lösung betont. Auf Anregung von Ruda165 wurde die Überschrift wiederum auf Case of an aggressor State verkürzt und diese Vorschrift schließlich mit 10: 2:2 Stimmen angenommen166 • Im Kommentar der ILC zu dieser Bestimmung heißt es unter anderem: Eine Vertragsverpflichtung, die einem Aggressor ohne Verletzung der Charta-Grundsätze aufgezwungen werde, sei durch Art. 49 des Entwurfs von 1966 ( = Art. 52 WVK) nicht berührt167• Auf die Erwähnung zweier Hauptgesichtspunkte legte die Kommission besonderen Wert: Einerseits dürfe diese Vorschrüt nicht den Eindruck erwecken, ein Aggressor sei im Hinblick auf das Völkerrecht als exlex zu betrachten. Sonst würde nämlich eine Rückführung des Angreiferstaates in normale internationale Beziehungen mit der übrigen Völkergemeinschaft ausgeschlossen188. Andererseits müsse der Gefahr vorgebeugt werden, daß eine Vertragspartei ihren Partner willkürlich als Aggressor bezeichne, nur um sich von Vertragsverpflichtungen lossagen zu könnenm. Einige Mitglieder der ILC bezweifelten zwar nach wie vor die Notwendigkeit, einen derartigen Vorbehalt in eine Konvention über das Vertragsrecht aufzunehmen, doch sei die Vorschrift in so allgemeinen Formulierungen gehalten, daß sie keinen Schaden anrichten könne, sondern nur von Nutzen sei110• Auf der Wiener Konferenz sind zu dieser Aggressorklausel von Japan und Thailand Abänderungsanträge gestellt worden171 • Nach dem japanischen Vorschlag sollte Art. 75 WVK folgenden Text erhalten: The present Convention is without prejudice to any obligation in relation to a treaty which may arise for a State in consequence of a binding decision taken by the Security Council of the United Nations. 876. Sitzung, para 74, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil2, S. 223. 876. Sitzung, para 72, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil2, S. 223. 166 876. Sitzung, para 88, Yearbook ILC 1966 Bd. 1 Teil2, S. 224; siehe auch 893. Sitzung, para 119, S. 334. 167 Para 1 des Kommentars, OR Doc., S. 87. 168 Dieser Gedanke ist bereits in Art. 15 des Genfer Protokolls vom 2. Oktober 1924 enthalten: Danach ist ein Angreiferstaat kosten- und schadensersatzpflichtig bis zur äußersten Grenze seiner Leistungsfähigkeit; Sanktionen gegen ihn dürfen aber nicht zu einer Beeinträchtigung seiner territorialen Unversehrtheit oder politischen Unabhängigkeit führen; vgl. Bindschedler, REDI Bd. 21 (1968), S. 315. 16e Paras 2 und 3 des Kommentars, OR Doc., S. 88. 170 Paras 4 und 5 des Kommentars, OR Doc., S. 88. 171 A/Conf. 39/C. 1/L. 366 und A/Conf. 39/C. 1/L. 367, OR Doc., S. 200, paras 645 (a) und (b). Ein weiterer, von Liberia mündlich gestellter Antrag (76. Sitzung CoW, para 78, OR I, S. 457 und OR Doc., S. 200, para 647), wonach der Text der Vorschrift auch auf andere Fälle als Aggressionen hinweisen sollte, hat bei den Diskussionen weiter keine Rolle gespielt. 164 165

5.3 Erlaubte Gewalt

207

Das thailändische Amendment sah folgenden Wortlaut für die Bestimmung vor: The present articles are without prejudice to any obligation in relation to a treaty which may arise as a consequence or measures taken in conformity with the Charter of the United Nations. Zur Begründung wurden von J apans Delegiertem Fujisaki zwei Aspekte vorgetragen172 : Einerseits sei die Vorschrift zu eng, da nur Fälle von Aggressionen umfaßt seien, andere schwerwiegende Charta-Verletzungen jedoch übersehen würden; andererseits sei sie zu weit, da die Formel "measures taken in conformity with the Charter" auch dahingehend interpretiert werden könne, daß einseitig getroffene Maßnahmen eines Staates ihr unterfielen. Deshalb solle die Bestimmung Verpflichtungen eines Staates allgemein behandeln, die sich als Konsequenz bindender Beschlüsse des Sicherheitsrates darstellten. Thailands Repräsentant Suphamongkhon gab zu bedenken173, daß die verwendeten Begriffe "Aggressor" und "Aggression" zu Schwierigkeiten führen könnten: Die Bemühungen des Völkerbundes und der Vereinten Nationen, eine diese Termini genau umfassende Definition zu schaffen, seien gänzlich fehlgeschlagen. Deshalb solle man lieber auf eine Erwähnung beider Ausdrücke verzichten. Vertreter mehrerer Staaten haben diesen Anregungen beigepflichtet, da sie den Wortlaut der Vorschrift klarer gestalteten174 • Andere, die sich für den Fortfall einer Aggressorklausel eingesetzt hatten, weil sie sie für überflüssig hielten, sahen in den Zusatzanträgen immerhin eine Verbesserung und befürworteten sie für den Fall, daß andere Staaten auf der Aufnahme einer solchen Vorschrift bestünden175• Verschiedene Delegierte haben die Amendments - vielleicht, weil sie von ehemaligen Feindstaaten vorgeschlagen worden waren und man sie deshalb mit großer Skepsis betrachtete - gänzlich mißverstanden und sie als Unterstützung und Rechtfertigung von Aggressionshandlungen hingestellt. Dies zeigen etwa die Angriffe des ukrainischen Vertreters Lukashuk178, dessen Ausführungen nach den Sitzungsberichten des Committee of the Whole in folgenden Worten gipfelten: "On the moral plane those amendments were a veritable sacrilege, for they derided the fifty million dead which the last world war had cost 76. Sitzung CoW, para 34, OR I, S. 453. 76. Sitzung CoW, para 35, OR I, S. 453. 174 So etwa Truckenbrodt, BRD, 76. Sitzung CoW, para 45, OR I, S. 454 und Kearney, USA, para 64, S. 456. m Vallat, Großbritannien, 76. Sitzung CoW, para 47, OR I, S. 454; Bindschedler, Schweiz, para 49, S. 454 f.; Wershof, Kanada, para 68, S. 456. 178 76. Sitzung CoW, paras 36-40, besonders para 39, OR I, S. 454; ähnlich auch der Delegierte der UdSSR, Talalaev, paras 54 -59, S. 455. m

173

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5. Einzelfragen des Art. 52 WVK

mankind. His own country had had 5* million killed, one out of every nine inhabitants and the war had brought misery to every home. He had never imagined that in Vienna, where Soviet soldiers killed in the fight against aggression were buried beside Beethoven's tomb, a delegation could rise to defent the aggressor, especially in Human Rights Year." In seiner Erwiderung hat Fujisaki auf dieses Mißverständnis hingewiesen177: Der Antrag bezwecke nicht eine Einengung der Vorschrift, sondern wolle im Gegenteil die Ausdehnung auf alle durch den Sicherheitsrat verbindlich entschiedenen Fälle sicherstellen. Auch Suphamongkhon gab seinem Erstaunen über die heftigen Reaktionen Ausdruck; seine Delegation habe vielmehr eine Erweiterung des Anwendungsbereichs vorschlagen wollen178 • Kanadas Repräsentant Wershof zeigte sich gleichfalls ungehalten darüber, daß die Delegation der Ukraine ihre Entrüstung in stark übertriebener Weise vorgetragen hatte und den Autoren unlautere Motive unterstellte179 • Nach ausführlicher Diskussion wurden beide Änderungsanträge abgelehnt180 und die Vorschrift dann an das Redaktionskomitee überwiesen. Die von diesem Ausschuß leicht geänderte Textfassung181 wurde auf der 23. Sitzung des Plenums182 von 100 Staaten ohne Gegenstimme bei 4 Enthaltungen angenommen183.

5.352 Die Bedeutung der Aggressorklausel Menzel184 hat Inhalt und Bedeutung von Art. 75 WVK sehr treffend und knapp folgendermaßen charakterisiert: "Um Mißverständnisse auszuschließen: Es handelt sich um eine allgemeine Regelung und nicht

* Diese Zahl ist unrichtig. Die Angaben über die Menschenverluste der Sowjetunion schwanken; die meisten Quellen nennen 13,6 Millionen getötete Soldaten und über 6 Millionen Verluste der Zivilbevölkerung. Da die Sowjetunion 1939 etwa 191 Millionen Einwohner hatte, würde es sich bei 20 Millionen ungefähr um ein Neuntel der Gesamtbevölkerung handeln. Vgl. Jahresberichte 1971/72 der Deutschen Dienststelle (WASt.) Berlin, herausgegeben September 1973. 177 76. Sitzung CoW, para 60, OR I, S. 455. 178 76. Sitzung CoW, para 71, OR I, S. 456. 179 76. Sitzung CoW, para 70, OR I, S. 456. 180 76. Sitzung CoW, para 79, OR I, S. 457 und OR Doc., S. 200, paras 648 (a) und (b); Ergebnisse: Japans Antrag: Ablehnung mit 58 zu 7 Stimmen bei 27 Enthaltungen; Thailands Antrag: Ablehnung mit 54 zu 4 Stimmen bei 30 Enthaltungen. 181 Sie ist in Teil 5.35 der Arbeit angeführt. 182 Para 19, OR II, S. 127. 183 Japan und die Bundesrepublik haben ihre Enthaltung damit begründet, daß die Bestimmung zu unbestimmt sei, paras 19 und 21, OR II, S. 127 f. 184 Die Öffentliche Verwaltung 1971, S. 376.

5.3 Erlaubte Gewalt

209

etwa um eine Wiederholung der sogenannten Feindstaaten-Klauseln der Satzung der Vereinten Nationen." Die Aggressorklausel der Vertragsrechtskonvention stellt keine neue Ausnahme vom Gewaltverbot dar - geschweige denn einen selbständigen Rechtfertigungsgrund. Sie erlaubt nicht ein Eingreifen auf Grund der Bestimmung selbst. Art. 75 WVK stellt lediglich klar, daß gegen einen Aggressor in Übereinstimmung mit der UNO-Charta ergriffene Maßnahmen durch die Konvention unberührt bleiben185. Insofern steht Art. 75 WVK nur in losem Zusammenhang mit der Vertragsrechtskonvention186 und ist im Grunde genommen überflüssig187 : Die Voraussetzungen, unter denen Maßnahmen gegen einen Aggressor zulässig sind, richten sich allein nach den einschlägigen Bestimmungen der Satzung der Vereinten Nationen und dem sonst geltenden allgemeinen Völkerrecht. Ist gegen einen Aggressor Zwang nach diesen Vorschriften und Grundsätzen nicht erlaubt, wird er auch durch Art. 75 WVK nicht zulässig. Dies folgt auch aus Art. 103 der UNO-Charta, wonach im Falle eines Widerspruchs zwischen Verpflichtungen auf Grund der Satzung und Verpflichtungen auf Grund anderer internationaler Abkommen erstere den Vorrang haben188 . Man mag Art. 75 WVK mit den im deutschen Zivilrecht bekannten Rechtsgrundverweisungen vergleichen: Es wird auf andere Vorschriften hingewiesen, deren Voraussetzungen erfüllt sein müssen- im Gegensatz zu Rechtsfolgeverweisungen, wo dies nicht erforderlich ist -, um die gewünschte Rechtsfolge eintreten zu lassen. Wird also einem besiegten Angreifer vom siegreichen Opfer der Aggression ein Friedensvertrag in Übereinstimmung mit den Vorschriften der UNO-Charta aufgezwungen, dann folgt die Gültigkeit dieses Vertrages nicht aus Art. 75 WVK, sondern bereits aus Art. 52 WVK189 : Art. 52 WVK verbietet nur Zwang, der gegen die in der Charta der Vereinten Nationen verkörperten Grundsätze des Völkerrechts verstößt; Art. 52 WVK weist somit selbst auf die in der UNO-Satzung geregelten Ausnahmen vom Gewaltverbot hin, nimmt also Bezug auf die Tatbestände legaler Gewaltanwendung. 5.36 Sonstige rechtmäßige Gewaltanwendung

Die in der Satzung der Vereinten Nationen geregelten Ausnahmen vom Gewaltverbot sind bereits kurz dargestellt worden. Die Frage, ob 185 Deshalb schafft Art. 75 WVK keine zusätzlichen Schwierigkeiten, wie O'ConneU, International Law Bd. 1, 2. Aufl., S. 240 aber meint. 188 Vgl. Bindschedler, REDI Bd. 21 (1968), S. 319. 187 So auch Bothe, ZaöRV Bd. 27 (1967), S. 517. 188 Vgl. Bothe, ZaöRV Bd. 27 (1967), S. 517. 189 Ebenso Bothe, ZaöRV Bd. 27 (1967), S. 516, Fn. 38. 14 Brosche

210

5. Einzelfragen des Art. 52 WVK

dieser Katalog erschöpfend ist oder ob es noch andere Gründe gibt, die Zwang in internationalen Beziehungen legalisieren, wird nicht einheitlich beantwortet. Drei Fragenkomplexe haben Anlaß zu Untersuchungen gegeben: Ist eine Selbstverteidigung zur Abwehr eines akuten Angriffs zulässig, auch wenn die Voraussetzungen des Art. 51 SVN nicht gegeben sind? Ist es zulässig, zur Durchsetzung eigener Rechtspositionen oder um dem Völkerrecht zur Geltung zu verhelfen, Zwang auszuüben? Stellt die Billigung durch Organe der Vereinten Nationen - insbesondere durch die Generalversammlung - eine Legitimation für eine Gewaltanwendung dar? 5.361 Außerhalb der UNO-Charta bestehende Rechtfertigungsgründe

Die beiden ersten Kategorien sind von Kewenig190 zusammenfassend dargestellt worden. Als Ausgangspunkt dient die Feststellung, die UNOCharta wollte die Ausnahmen vom Gewaltverbot abschließend regeln; es sollte den Mitgliedern der Vereinten Nationen nicht erlaubt sein, durchgeführte Gewalthandlungen durch andere Gründe zu rechtfertigen. Nun ist aber das allgemeine Gewaltverbot im Zusammenhang mit der von den Gründern der UNO angestrebten Friedensordnung zu sehen also abhängig vom Funktionieren des in Kap. VII aufgestellten Sanktionssystems. Ist, falls dieses versagt, ein Rückgriff auf den vor 1945 bestehenden Zustand zulässig? Die Meinungen darüber gehen weit auseinander181 • Kewenig hat aus der Kontrarietät der Meinungen einen Ausweg gesucht102• Ergreift ein Staat Zwangsmaßnahmen, die im System der UNO-Charta nicht vorgesehen sind, so sind ihm nach dem von Kewenig angestrebten Kompromiß enge Grenzen gesetzt; Aktionen sind nur unter ganz bestimmten Vorausssetzungen erlaubt. Das staatliche Verhalten wird damit überschaubar und vorhersehbar gemacht. Unter Auswertung der in der Staatenpraxis seit 1945 vorhandenen Beispiele diskutiert er verschiedene Rechtfertigungsgründe, die entweder außerhalb der Satzung der Vereinten Nationen heute noch bestehen oder sich neben ihr entwickelt haben mögen, und kommt dabei zu folgendem Ergebnis: Interventionen zum Schutze von Leib und Leben eigener Staatsangehöriger und - mit Einschränkungen - Interven190 Gewaltverbot und zulässige Machteinwirkung, in: Schaumann, Gewaltverbot, S. 175 ff., besonders S. 201 ff. (Studientagung der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht 1970 in Würzburg). 181 Eine Übersicht zum Stand der Meinungen gibt Brownlie, International Law and the Use of Force by States, S. 281 ff. 192 Gewaltverbot und zulässige Machteinwirkung, in: Schaumann, Gewaltverbot, S. 203 ff.

5.3 Erlaubte Gewalt

211

tionen auf Einladung werden als zulässig erachtet; humanitäre Interventionen werden als unzulässig angesehen; Befreiungskriege in Ausübung des Selbstbestimmungsrechts - ein in jüngster Zeit in zunehmendem Maße strapazierter Rechtfertigungsgrund - erscheinen nicht nur als politisch gefährlich, sondern zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch noch als völkerrechtlich verboten; Repressalien bewaffneter Art sind gleichfalls völkerrechtswidrig; sind sie dagegen wirtschaftlicher oder politischer Natur, wird man sie als zulässig ansehen müssen. Sonstige Selbsthilfemaßnahmen - etwa zur Durchsetzung von Rechtsansprüchen, zur Vollstreckung von Urteilen und Schiedssprüchen internationaler Instanzen- erscheinen gleichfalls als völkerrechtswidrig. All die genannten Maßnahmen dürften im Zusammenhang mit Vertragsabschlüssen kaum eine Rolle spielen; sie können deshalb des weiteren vernachlässigt werden und waren bei den Fragen erlaubter Gewalt nur der Vollständigkeit halber anzuführen.

5.362 Gewaltanwendung, die durch Organe der VereintenNationen zuvor oder nachträglich gebilligt wurde Von praktischer Bedeutung im Zusammenhang mit dem Abschluß völkerrechtlicher Verträge ist hingegen ein anderer Fragenkomplex: Kann durch die Billigung von Organen der Vereinten Nationen eine an sich verbotene Gewaltanwendung legalisiert werden? Nicht gemeint sind damit die bereits behandelten Fälle, daß der Sicherheitsrat Maßnahmen nach Art. 39 ff. SVN trifft, sondern es geht hier um das Problem, ob auch Entschließungen anderer UNO-Organe - insbesondere der Generalversammlung einen selbständigen Rechtfertigungsgrund darstellen können. Zwar würde es sich auch hierbei um Rechtfertigungsgründe handeln, die in der UNO-Charta nicht geregelt sind und insofern zu der im vorangegangenen Absatz behandelten Problematik zu rechnen sind. Da sie jedoch in unmittelbarem Zusammenhang mit der Tätigkeit der Vereinten Nationen stehen, gebührt ihnen eine Sonderstellung. In zwei konkreten Situationen, die bereits in anderem Zusammenhang erörtert worden sind, spielte diese Frage eine entscheidende Rolle -im Konflikt um West-Irian und in der Cubakrise181• Das Abkommen zwischen Indonesien und den Niederlanden vom 15. August 1962 war durch den militärischen Zwang Indonesiens zustande gekommen, der- wie ausgeführt- eine Verletzung des Gewaltverbots darstellte. Dieser Vertrag ist erst dadurch in Kraft getreten, daß die Generalversammlung, die ihn als "peaceful settlement" begrüßte, in der Resolution 1752 (XVIII) ihre Zustimmung gab. 183

Dazu Teil 4.26 und 4.27 der Arbeit.

212

5. Einzelfragen des Art. 52 WVK

Die Vereinbarungen zwischen Chruschtschow und Kennedy vom 27./28. Oktober 1962 sind unter dem Druck der Blockade getroffen worden, die nach überwiegender Ansicht ebenfalls völkerrechtswidrig war. Diese Abmachungen waren erst durch die Vermittlung des Generalsekretärs möglich geworden: U Thant hatte in seinem Schreiben vom 25. Oktober 1962 beide Staatsmänner aufgefordert, zur friedlichen Behebung der Krise Verhandlungen aufzunehmen. , Der Abschluß beider Verträge ist nicht auf den Protest anderer Staaten gestoßen194• Weder das Verhalten Indonesiens noch die Aktion der Vereinigten Staaten wurden kritisiert. Hier drängt sich die Frage auf, ob die Einschaltung der Vereinten Nationen in einer derartigen Weise eine durch Gewalthandlungen begangene Verletzung des Gewaltverbots zu rechtfertigen vermag. Dazu wird heute überwiegend die Meinung vertreten, Entschließungen der Generalversammlung gäben noch keinen selbständigen Rechtfertigungsgrund195. Es gibt aber seit Bestehen der Uniting for Peace Resolution vom 3. November 1950 Bestrebungen, einen solchen Rechtfertigungsgrund anzuerkennen. Begründet wird dies mit dem Hinweis darauf, bei einer Paralysierung des Sicherheitsrates müsse die Vollversammlung das Recht haben, für diesen zu handeln. Zudem stehe es der Organisation zu, ihre eigene Verfassung zu interpretieren und fortzuentwickeln. Deshalb wird vereinzelt eine Kompetenzerweiterung der Vollversammlung durch Zustimmung aller Staaten für möglich gehalten, auch wenn dies nicht in einem förmlichen Satzungsänderungsverfahren geschiebt 196 • Röling 117 hat dieses Phänomen in folgende Worte gekleidet: "Die Generalversammlung hat sich - in eigener Interpretation der Satzung das Recht angemaßt, hinsichtlich des Verbotes von Art. 2 Nr. 4 eine Ausnahme zu machen: ihre Befürwortung ist eine Legitimation der Gewalt." Den vorgetragenen Gesichtspunkten ist entgegenzuhalten, daß auch die Zustimmung aller Mitgliedstaaten zu einer Kompetenzerweiterung der Generalversammlung diese nicht zum Bestandteil der Satzung machen kann; eine derartige Übernahme neuer Zuständigkeiten würde im Er194 Die niederländische Regierung hatte zwar auf die Kriegsdrohung Indonesiens als entscheidenden Faktor des Vertragsabschlusses hingewiesen, sonst aber keinerlei Rechte geltend gemacht oder Rechtsverletzungen gerügt, vgl. Teil 4.26 der Arbeit. 195 Vgl. die Diskussion zu Kewenigs Referat, in: Schaumann, Gewaltverbot, S. 216 zu 3. 198 So Vallat, Recueil des Cours Bd. 97 (1959, 2), S. 230. 197 Friedenssicherung durch Völkerrecht, in: Schaumann, Gewaltverbot, S. 104m. w. N.

5.4 Folgen der Nichtigkeit

213

gebnis eine Satzungsänderung bedeuten, die aber nur in dem dafür vorgesehenen Verfahren erfolgen kann198• Auch das Argument, es sei praktisch undenkbar, daß ein Staat, der den Empfehlungen der Generalversammlung folgt, als Aggressor bezeichnet wird188, kann nicht unwidersprochen bleiben: Das Münchener Abkommen von 1938 war zunächst vom Völkerbund als Friedensbemühung außerhalb des Bundes gelobt worden200• Kurze Zeit darauf änderte sich diese positive Stimmung schlagartig. Eine Rechtfertigung von Gewalthandlungen durch Entschließungen der Generalversammlung erscheint deshalb nicht möglich. Die Einschaltung der Vereinten Nationen in der hier geschilderten Weise vermag eine Verletzung des Gewaltverbots weder im voraus noch nachträglich zu legitimieren. 5.37 Zusammenfassung

Ein Vertrag, dessen Abschluß unter Zwang erfolgte, ist als gültig anzusehen, wenn die Androhung oder Anwendung von Gewalt sich als nicht völkerrechtswidrig erweist, weil sie durch besondere Gründe gerechtfertigt ist. Solche Fälle erlaubter Gewalt sind in erster Linie die in der Satzung der Vereinten Nationen geregelten Ausnahmen vom Gewaltverbot. Eventuell außerhalb der UNO-Charta bestehende Rechtfertigungsgründe dürften beim Abschluß völkerrechtlicher Verträge kaum eine Rolle spielen. Eine Legitimation von Gewalthandlungen durch Entschließungen der Generalversammlung kommt nicht in Betracht. Die Aggressorklausel des Art. 75 WVK stellt keine Ausnahme vom Gewaltverbot dar, sondern ist lediglich eine Klarstellung: In Übereinstimmung mit der UNO-Charta gegen einen Aggressor ergriffene Maßnahmen bleiben durch die Vertragsrechtskonvention unberührt.

5.4 Die Nichtigkeit und ihre Folgen Keine so großen Schwierigkeiten wie die vorangehend erörterten Einzelfragen bereitet das letzte der zu behandelnden Tatbestandsmerkmale: die Nichtigkeit des aufgezwungenen Vertrages. Damit im Zusammenhang steht das Problem, welche Folgen die Nichtigkeit nun nach sich zieht - insbesondere wenn der Vertrag schon ganz oder teilweise durchgeführt worden ist und die Folgen seiner Durchführung sich nicht mehr aus der Welt schaffen lassen. 1 98

199 2oo

Detbrück, S. 61 f. und 107. Siehe Schaumann, Gewaltverbot, S. 216 zu 3.

Vgl. Teil4.22 der Arbeit.

214

5. Einzelfragen des Art. 52 WVK 5.41 Die Nichtigkeit eines aufgezwungene& Vertrages

Bei den Beratungen zu Art. 52 WVK innerhalb der ILC und während der Konferenz in Wien stand außer der Frage nach dem Umfang des Gewaltbegriffs das Problem im Vordergrund, ob die Vorschrift für völkerrechtswidrig aufgezwungene Verträge eine absolute Nichtigkeit statuieren sollte oder ob eine Anfechtbarkeit durch den betroffenen Staat angemessen erschien201 • Da bei bloßer Anfechtbarkeit die Entscheidung über das weitere Schicksal des aufgenötigten Abkommens allein in die Hände des Betroffenen gelegt worden wäre - er hätte selbst darüber zu bestimmen gehabt, ob er die Gültigkeit anfechten will-, haben sich die Mitglieder der ILC und die Delegierten der Vertragsrechtskonferenz für die Nichtigkeit ausgesprochen: Gewaltanwendung zwischen Staaten sei eine Angelegenheit, die nicht nur die gegenseitigen Beziehungen der Vertragsparteien beträfen, sondern dadurch würden die Interessen der gesamten Völkergemeinschaft berührt. Aus diesem Grunde ist auch Art. 45 WVK, wonach ein Staat das Recht verliert, sich auf die Ungültigkeit eines Vertrages zu berufen, wenn er sich mit dessen Fortbestehen einverstanden erklärt, auf Art. 52 WVK nicht anwendbar. Art. 45 WVK lautet202 : Loss of a Tight to invoke a ground for invalidating,

terminating, withdrawing from or suspending the operation of a treaty

AState may no Ionger invoke a ground for invalidating, terminating, withdrawing from or suspending the operations of a treaty under articles 46 to 50 or articles 60 and 62, if, after becoming aware of the facts: (a) it shall have expressly agreed that the treaty is valid or remains in force or continues in operation, as the case may be; or (b) it must by reason of its conduct be considered as having acquiesced in the validity of the treaty or in its maintenance in force or in operation, as the case may be. Die ILC begründete diese Unanwendbarkeit mit der Feststellung203 , die Anwendung von Gewalt in internationalen Beziehungen stellte eine so schwerwiegende Angelegenheit dar, daß ein unter derartigen Umständen zustandegekommener Vertrag als absolut nichtig angesehen werden müsse. Erst dadurch werde das Opfer der Gewaltanwendung in die Lage versetzt, völlig frei über seine zukünftigen Beziehungen zu dem Gewalt ausübenden Staat zu entscheiden. Wäre Art. 45 WVK auf Fälle der Gewaltanwendung gegen einen Staat anwendbar, so würde der mit Art. 52 WVK bezweckte Schutz wesentlich gemindert. - Damit wird dem genözot Siehe dazu besonders die Ausführungen in Teil 3.141, 3.142 und 3.22 der Arbeit. 202 Text in ZaöRV Bd. 29 (1969), S. 736 und OR Doc., S. 295. 203 Para 5 des Kommentars zu Art. 42 des Entwurfs von 1966, OR Doc., s. 59.

5.4

Folgen der Nichtigkeit

215

tigten Staat die Möglichkeit genommen, den aufgezwungenen Vertrag als gültig zu behandeln. Es bleibt ihm nur übrig, einen neuen Vertrag gleichen Inhalts zu schließen. Hat nun dieser zugunsten der Nichtigkeit entschiedene Streit irgendwelche grundlegenden Auswirkungen auf die Ausgestaltung der Bestimmung? Guggenheim ist in seiner Vorlesung an der Raager Akademie vom Jahre 1949 "La validite et la nullite des actes juridiques internationaux"204 der Frage nachgegangen, ob die klassische Unterscheidung zwischen einem rechtswidrigen und einem nichtigen Akt auch im Völkerrecht von Bedeutung ist, und hat dabei nachgewiesen, daß beide Kategorien ineinanderfließen - besonders im modernen Völkerrecht. Eine Unterscheidung zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit braucht jedenfalls dann nicht weiter verfolgt zu werden, wenn ein Verfahren zur Feststellung der Unverbindlichkeit vorgesehen ist205.

Bei der Darstellung der Entstehungsgeschichte des Art. 52 WVK war auch die verfahrensmäßige Ausgestaltung dieser Vorschrift erläutert worden, die sich nach den Artikeln 65 und 66 WVK samt Annex richtet208. Dabei handelt es sich zwar nicht um ein Verfahren, wonach über die Ungültigkeit eines Vertrages auf höherer internationaler Ebene entschieden werden könnte; doch ist das zweiphasige Streiterledigungsverfahren einem solchen Feststellungsverfahren vergleichbar: Die Durchführung der Notifizierung nach Art. 65 WVK mit der sich anschließenden fakultativen Streiterledigung nach Art. 33 SVN und der dann folgenden obligatorischen Streiterledigung nach Art. 66 WVK samt Annex schließt eine einseitige Berufung auf den Ungültigkeitsgrund des Art. 52 WVK aus: Die Ungültigkeit eines völkerrechtlichen Vertrages kann in keinem Falle einseitig festgestellt werden, sondern es ist das vorgesehene Verfahren durchzuführen. Im Ergebnis läuft die verfahrensmäßige Ausgestaltung somit auf ein Anfechtungsverfahren hinaus, wobei dieser Anfechtung wie aus Art. 69 WVK ersichtlich ist207 - eine ex tune- Wirkung zukommt208. Der mit der Vorschrift angestrebte Zweck, eine absolute Nichtigkeit aufzustellen, ist daher im Ergebnis nicht erreicht worden. Die vorgeschriebene Notifikation bedeutet, daß der betroffene Staat von sich aus Schritte unternehmen muß, um das zweiphasige Streiterledigungsverfahren einzuleiten. Ob ein Vertragspartner aber seinen Gegner 204 Recueil des Cours, Bd. 74 (1949, 1), S. 195 ff. 205 So: Guggenheim!Marek, Verträge, völkerrechtliche, in: Wörterbuch Bd. 3, S. 542. 206 Dazu ausführlich Teil3.32 der Arbeit. 207 Siehe dazu den folgenden Abschnitt. 208 Flei schauer, JIR Bd. 15 (1971), S. 231.

216

5. Einzelfragen des Art. 52 WVK

von dem in Art. 65 WVK genannten Anspruch in Kenntnis setzt, bleibt ihm überlassen. Hierin liegt ein indirekter Widerspruch zu Art. 45 WVK, der gerade ausschalten will, daß ein genötigter Staat sich mit dem Fortbestehen eines erzwungenen Vertrages einverstanden erklärt: Bis zur Durchführung des in Art. 65/66 WVK geregelten Verfahrens wird der Vertrag de facto als gültig behandelt; wird ein Verfahren jedoch nicht eingeleitet, bleibt der Vertrag praktisch in Kraft - wenn auch der Anspruch, sich auf den Nichtigkeitsgrund des Art. 52 WVK zu berufen, nicht nach Art. 45 WVK verloren geht. Damit ist auch der angestrebte Zweck vereitelt, daß Drittstaaten die Nichtigkeit eines aufgezwungenen Vertrages geltend machen können: In Art. 65 WVK ist nicht vorgesehen, daß dritte-amVertragsschluß unbeteiligte- Staaten das Verfahren nach Art. 65/66 WVK einleiten können. Solange der betroffene Staat daher nicht selbst die ihm zustehenden Rechte in Anspruch nimmt, ist es der Völkergemeinschaft praktisch versagt, die Ungültigkeit eines erzwungenen Abkommens geltend zu machen. 5.42 Die Folgen der Ungültigkeit eines Vertrages

Die Frage, welche Folgen die Ungültigkeit eines Vertrages nun nach sich zieht, ist in der Vertragsrechtskonvention selbst behandelt worden: Art. 69 WVK trägt die Überschrift Consequences of the invalidity of a treaty und lautet209 : 1. A treaty the invalidity of which is established under the present Convention is void. The provisions of a void treaty have no legal force.

2. If any acts have nevertheless been performed in reliance on such a treaty: (a) each party may require any other party to establish as far as possible in their mutual relations the position that would have existed if the acts had not been performed; (b) acts performed in good faith before the invalidity was invoked are not rendered unlawful by reason only of the invalidity of the treaty. 3. In cases falling under articles 49, 50, 51 or 52, paragraph 2 does not apply with respect to the party to which the fraud, the act of corruption or the coercion is imputable. 4. In the case of the invalidity of a particular State's consent to be bound by a multilateral treaty, the foregoing rules apply in the relations between that State and the parties to the treaty. 209 Text: ZaöRV Bd. 29 (1969), S. 748 und OR Doc., S. 298; die travaux preparatoires sind nachgewiesen bei Rosenne, Law of Treaties, S. 356 und Wetzel, Dokumentation zur Wiener Vertragsrechtskonvention (im Erscheinen begriffen). Zu dieser Bestimmung siehe ausführlich Cahier, RGDIP Bd. 76 (1972), s. 684 ff.

5.4 Folgen der Nichtigkeit

217

Als Vorbemerkung sei darauf hingewiesen, daß diese Bestimmung nur von den rechtlichen Folgen der Ungültigkeit eines Vertrages handelt. Die Vorschrift betrifft nicht Fragen der Verantwortlichkeit oder Genugtuung für eine Handlung, die die Unwirksamkeit des betreffenden Abkommens begründet; Probleme dieser Art gehören nicht in den Bereich des Völkervertragsrechts210 • Satz 1 des ersten Absatzes, der auf Grund eines französischen Antrages während der Wiener Konferenz aus einer anderen Vorschrift in diese Bestimmung übertragen wurde211 , bekräftigt nochmals, daß ein Vertrag erst nach Feststellung seiner Ungültigkeit auf Grund der Konvention als nichtig zu betrachten ist. Bevor nicht das in Abschnitt 4 von Teil 5 der Konvention geregelte Verfahren durchgeführt ist, kann ein Staat sich auf die Ungültigkeit eines Vertrages nicht berufen. Die Einschränkung der automatischen Nichtigkeit durch die einzuhaltenden Verfahrensvorschriften wird hier wiederum deutlich212 • Steht die Ungültigkeit eines Vertrages aber einmal fest, dann ist er nichtig ab initio und nicht etwa erst von dem Zeitpunkt an, zu dem ein Staat sich auf den Ungültigkeitgrund beruft: Es handelt sich also um eine Unwirksamkeit ex tune und nicht ex nunc. Darauf weist Satz 2 des ersten Absatzes hin213 • Trotz dieser Nichtigkeit von Anfang an mag ein Vertrag eine ganze Zeit von den Parteien eingehalten worden sein; möglicherweise haben sich die Partner gutgläubig auf seine Gültigkeit verlassen - was bei einem so schwerwiegenden Nichtigkeitsgrund wie Art. 52 WVK allerdings nur in Ausnahmefällen vorkommen dürfte - und irreversible Maßnahmen getroffen. Nun ist es im internationalen Recht kaum möglich, etwas als nicht existent zu behandeln, was sich de facto durchgesetzt hat. Dahm hat betont21\ daß eine Korrektur mit rückwirkender Kraft in der Regel nicht möglich sei, da im internationalen Rechtsverkehr ein gesteigertes Bedürfnis an Rechtssicherheit bestehe und der Grundsatz der Effektivität noch so lange den Vorrang habe, solange die für die Durchsetzung des Rechts gegenüber einer fehlerhaften Wirklichkeit nötigen Zwangsmittel fehlten. Eine totale restitutio in integrum wird auch nicht immer den Interessen des Staates entsprechen, der die Nichtigkeit geltend macht215 • 210 Vgl. dazu den Kommentar der ILC zu Art. 65 des Entwurfs von 1966, para 1, OR Doc., S. 84. 211 Siehe dazu Verosta, ZaöRV Bd. 29 (1969), S. 690. m Vgl. Verosta, ZaöRV, Bd. 29 (1969), S. 690. 213 Vgl. dazu para 2 des ILC-Kommentars, OR Doc., S. 84. 214 Völkerrecht Bd. 3, S. 33. 215 So: Guggenheim/Marek, Verträge, völkerrechtliche, in: Wörterbuch Bd. 3, S. 543.

218

5. Einzelfragen des Art. 52 WVK

Um diesen Gegebenheiten gerecht zu werden, bestimmt Absatz 2 der genannten Vorschrift, daß eine Wiederherstellung des status quo ante nur in dem Maße verlangt werden kann, als dies tatsächlich möglich ist. Von den Vertragspartnern vor Feststellung der Ungültigkeit gutgläubig durchgeführte Akte werden durch die Nichtigkeit des Vertrages in ihrer Rechtmäßigkeit nicht berührt. Auf Absatz 2 dieser Bestimmung kann sich nach Absatz 3 aber derjenige Staat nicht berufen, der einen der dort genannten Ungültigkeitsgründe selbst herbeigeführt hat - wozu auch der Fall gerechnet wird, daß er durch völkerrechtswidrigen Zwang einem anderen einen Vertrag aufgenötigt hatm. Die ILC hat sich in ihrem Kommentar einer Stellungnahme zu diesem Absatz weitgehend enthalten und nur festgestellt, daß diese Regelung "for obvious reasons" getroffen sei217 • Während der Wiener Konferenz ist diese Regelung insbesondere vorn Schweizer Delegierten Bindschedler kritisiert worden218 • Sie könne zu Ungerechtigkeiten führen, falls der die Ungültigkeit begründende Akt lange zurückliege; in der Zwischenzeit mag eine neue Regierung an die Macht gekommen sein, die an den vorangegangenen Vorkommnissen gänzlich unschuldig ist und in Ausführung des Vertrages gutgläubig Maßnahmen ergriffen hat. Auch sei an Akte zu denken, die Privatpersonen durchgeführt haben; ihnen solle durch das Handeln ihrer Regierung kein Nachteil erwachsen- gerade wenn es um zivilrechtliche Angelegenheiten gehe. Deshalb solle dieser Absatz, der im Widerspruch zum Gleichheitsgrundsatz und anderen allgemeinen Prinzipien des Völkerrechts stehe, gestrichen werden. Die Konferenz ist diesen Argumenten nicht gefolgt und hat den Artikel in der oben zitierten Fassung mit 95:1:1 Stimmen angenommen219 • Dem Staat, der den Zwang angewendet hat, ist es damit genommen, von sich aus die Ungültigkeit eines aufgenötigten Vertrages geltend zu machen; er kann- ohne Einverständnis des Partners- eine Wiederherstellung des status quo ante nicht verlangen; auch kann er sich nicht darauf berufen, daß in Ausführung des Vertrages ergriffene Maßnahmen trotzNichtigkeitdes Vertrages ihre Gültigkeit behalten. Die in dieser Form getroffene Regelung dürfte in der Praxis nur schwer praktikabel sein220 • Es wäre wohl vorzuziehen gewesen, sich auf 218 Dazu siehe auch Rauschning, JIR Bd. 13 (1967), S. 391, allerdings ohne Stellungnahme. 217 Para 4 des Kommentars, OR Doc., S. 84. us 74. SitzungCoW, paras 70- 72, OR I, S. 446. 219 23. Sitzung des Plenums, para 12, OR II, S. 126. 220 Wie schwierig sich überhaupt Fragen der Nichtigkeit eines Vertrages gestalten können, ist im Hinblick auf das Münchener Abkommen in der Arbeit

5.4 Folgen der Nichtigkeit

219

materielle und moralische Entschädigungsansprüche zu beschränken221 , ansonsten aber für beide Vertragspartner die gleichen Folgen eintreten zu lassen. Die hier vorgetragenen Bedenken berühren keineswegs die Frage, ob ein völkerrechtswidrig aufgezwungener Vertrag als nichtig anzusehen ist, sondern sollten lediglich aufzeigen, daß die Regelung der mit der Ungültigkeit verbundenen Folgen sich an der Realität des zwischenstaatlichen Verkehrs orientieren muß. Die in zunehmendem Maße fortschreitende Interdependenz der Staaten erfordert eine wirklichkeitsnahe Betrachtung und erlaubt nicht, auf der Unwirksamkeit staatlicher und zwischenstaatlicher Akte zu beharren, wenn sich dies für den Ablauf der internationalen Beziehungen als hinderlich und illusionär erweist.

von Karin Schmid, Synopsis der Meinungen zum Münchener Abkommen, Teil2, Thesen und rechtliche Konsequenzen, behandelt worden. 221 Vgl. Guggenheim/Marek, Verträge, völkerrechtliche, in: Wörterbuch Bd. 3, S. 543. .

6. Schluf3betrachturig: Zusammenfassende und rechtspolitische Wertung Die zur Frage des Zwanges beim Vertragsabschluß durchgeführten Untersuchungen ergeben folgendes Gesamtbild: Das klassische Völkerrecht hat bei der Lösung dieses Problems streng zwischen Gewaltanwendung gegen die Person des Unterhändlers und Gewaltanwendung gegen den Staat selbst unterschieden. Ein Vertrag, der dadurch zustandekam, daß gegen den Staatsvertreter persönlich Gewalt ausgeübt wurde, galt als unwirksam. Gewalt gegen den Staat selbst hingegen konnte auf die Wirksamkeit eines Vertragsabschlusses keinen Einfluß haben, da die Anwendung von Gewalt zur Lösung internationaler Streitigkeiten zulässig war. War nun der Krieg erlaubt, so mußten konsequenterweise auch die Ergebnisse eines erfolgreichen W affengebrauchs anerkannt werden. Friedensverträge, die den Besiegten auferlegt worden waren, galten ebenso als wirksam wie sonstige Abkommen, die die Folge militärischer Gewaltanwendung darstellten. In der Zeit zwischen den Weltkriegen geriet diese Lehre ins Wanken. Die Satzung des Völkerbundes schränkte das Kriegsrecht ein, der BriandKellogg-Pakt brachte eine völlige Ächtung des Angriffskrieges; den Höhepunkt dieser Entwicklung bildete das in der Charta der Vereinten Nationen aufgestellte generelle Gewaltverbot. Waren nun Krieg oder illegale Gewaltanwendung untersagt, dann mußten - so folgerte ein Teil der Völkerrechtswissenschaft - auch die daraus entstehenden Folgen verboten sein, selbst wenn sie in einen Vertrag aufgenommen worden waren. Die International Law Commission, die seit 1949 mit der Kodifikation des Völkervertragsrechts befaßt war, hat in ihren Beratungen, Diskussionen und Entwürfen dieses Problem eingehend untersucht und in ihren endgültigen - im Jahre 1966 verabschiedeten - Entwurf eine diese Frage betreffende Bestimmung aufgenommen. Während der Vertragsrechtskonferenz der Vereinten Nationen in Wien in den Jahren 1968 und 1969 ist diese Vorschrift nach langwierigen Erörterungen und Verhandlungen ohne Gegenstimme bei fünf Enthaltungen verabschiedet worden und bildet Art. 52 der Wiener Vertragsrechtskonvention vom 23. Mai 1969. Danach ist ein Vertrag nichtig, wenn sein Abschluß durch Androhung oder Anwendung von Gewalt unter Verletzungderinder Satzung

Zusammenfassende und rechtspolitische Wertung

221

der Vereinten Nationen niedergelegten Grundsätze des Völkerrechts zustandegekommen ist. Dieser in Art. 52 WVK verkörperte Grundsatz kann - obwohl er mit überwältigender Mehrheit verabschiedet wurde - bisher keine Geltung beanspruchen, da die Wiener Vertragsrechtskonvention zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht in Kraft getreten ist: Aus dem Völkervertragsrecht ist er nicht mit hinreichender Sicherheit ableitbar; aus dem allgemeinen Gewaltverbot der UNO-Satzung ergibt er sich nicht mit zwingender Notwendigkeit. Im Völkergewohnheitsrecht hat sich zur Frage der Gültigkeit aufgezwungener Verträge noch keine einheitliche Staatenpraxis herausgebildet. Die in den innerstaatlichen Rechtsordnungen bestehenden allgemeinen Prinzipien sind auf den zwischenstaatlichen Verkehr nicht übertragbar, so daß auf einen allgemeinen Rechtsgrundsatz dieser Art nicht geschlossen werden kann. Die Judikatur zu dieser Frage ist gleichfalls uneinheitlich; der Internationale Gerichtshof hat den in Art. 52 WVK enthaltenen Grundsatz nunmehr als geltendes Recht angesehen. In der Literatur halten sich Gegner und Befürworter des Grundsatzes die Waage. Mittels sonstiger Völkerrechtsquellen läßt sich eine Geltung ebenfalls nicht nachweisen. Art. 52 WVK wird aber geltendes Recht, sobald die Wiener Vertragsrechtskonvention die erforderliche Anzahl von 35 Ratifikationen erreicht, und erlangt dann grundlegende Bedeutung für Vertragsabschlüsse, bei denen Gewalt im Spiele war. Der Umfang und Anwendungsbereich der Bestimmung läßt sich folgendermaßen präzisieren: Nicht jeder Vertragsabschluß, der irgendwie mit einer Verletzung des Gewaltverbots in Zusammenhang steht, unterfällt dieser Vorschrift; Art. 52 WVK findet vielmehr nur auf die Fälle Anwendung, in denen Zwang angewendet wird, um einen konkreten Vertragsabschluß zu erreichen, oder in denen eine gewaltsam entstandene Situation zu diesem Zwecke ausgenutzt wird; fehlt indes eine derart enge Beziehung zwischen Zwang und Vertragsabschluß, ist die Kausalität zu verneinen. -Der Gewaltbegriff in Art. 52 WVK ist in einem engen Sinne zu verstehen: Gegenwärtig umfaßt die Bestimmung militärische und physische Zwangsarten, nicht aber wirtschaftliche und politische Druckmittel nichtphysischer Natur; mit Rücksicht auf den flexibel gehaltenen Wortlaut werden derartige Druckmittel von dem Zeitpunkt an als vertragsvernichtend anzusehen sein, zu dem sie durch die Grundsätze des in der UNO-Charta verkörperten Völkerrechts verboten werden. Ein zwangsweise erfolgter Vertragsabschluß ist rechtmäßig, wenn die Androhung oder Anwendung von Gewalt durch besondere Gründe gerechtfertigt ist; solche Fälle erlaubter Gewaltanwendung sind in erster Linie die in der Satzung der Vereinten Nationen geregelten Ausnahmen

222

6. Schlußbetrachtung

vom Gewaltverbot. Eine Legitimation von Gewalthandlungen durch Entschließungen der Generalversammlung kommt nicht in Betracht. Die Aggressorklausel des Art. 75 WVK ist nicht als Ausnahme vom Gewaltverbot zu betrachten, sondern sie stellt nur klar, daß in Übereinstimmung mit der UNO-Charta gegen einen Aggressor ergriffene Maßnahmen durch die Wiener Vertragsrechtskonvention unberührt bleiben. Art. 52 WVK erklärt nach seinem Wortlaut einen völkerrechtswidrig aufgezwungenen Vertrag zwar für nichtig; dennoch hat ein Staat, um die Nichtigkeit eines Vertrages geltend zu machen, die vorgesehenen Verfahrensvorschriften einzuhalten und das zweiphasige Streiterledigungsverfahren durchzuführen. Eine Wiederherstellung des status quo ante kann nur in dem Maße verlangt werden, als dies tatsächlich möglich ist. Vor Geltendmachung der Nichtigkeit im Vertrauen auf den Vertrag vorgenommene Akte bleiben rechtmäßig. Allerdings kann sich die Partei, die den Zwang ausgeübt hat, nicht auf den Vertrag oder dessen Ungültigkeit berufen. Zum Abschluß der Untersuchung soll die Frage gestellt werden: Wird der in Art. 52 WVK aufgestellte Grundsatz den Zweck erreichen, der mit ihm angestrebt wird? Oder erweist sich die in dieser Bestimmung enthaltene Regel als rechtlich anerkennenswert und folgerichtig, in politischer Hinsicht aber als irreal und undurchführbar? Als Anknüpfungspunkt für Überlegungen rechtspolitischer Art möge die verfahrensmäßige Ausgestaltung der Vorschrüt dienen.- Blicken wir zu diesem Zwecke nochmals zurück auf den im klassischen Völkerrecht bestehenden Rechtszustand, wonach Zwang beim Abschluß eines Vertrages dessen Gültigkeit nicht in Frage stellen konnte: Zum damaligen Zeitpunkt konnte ein Staat die ihm aufgezwungenen Verpflichtungen nur dann abschütteln, wenn er dazu faktisch in der Lage war - anders ausgedrückt: wenn die Machtverhältnisse sich grundlegend geändert hatten. Ein solcher Wandel mag sich schnell vollziehen - man denke an die Besetzung Äthiopiens durch Italien oder des Sudetenlandes und der Tschechoslowakei durch das Deutsche Reich-; er mag Generationen dauern- wie die Überwindung der polnischen Teilung- oder überhaupt unbestimmt sein, wie die Annexion der Baltischen Staaten im zweiten Weltkrieg durch die Sowjetunion zeigt1. - Nach der in der Wie'ner Vertragsrechtskonvention getroffenen Regelung muß ein Staat die Nichtigkeit eines Vertrages geltend machen und dies dem Vertragspartner notifizieren. Ein Handeln des Genötigten ist somit erforderlich, er muß die Initiative ergreifen, wenn er sich auf die Ungültigkeit eines Abkommens berufen will. Dazu mag er vielleicht nicht imstande sein, 1 Diese Beispiele aus der Geschichte nennt Stone, Virginia Journal of Int. Law Bd. 8 (1967), S. 357.

Zusammenfassende und rechtspolitische Wertung

223

oder ein solcher Schritt mag ihm nicht opportun erscheinen. Vor einer solchen Entscheidung wird ein Staat die daraus entstehenden Konsequenzen genau durchdenken und keine übereilten Entschlüsse fassen; muß er damit rechnen, daß aus einer solchen Notifikation für ihn schwerwiegende Nachteile erwachsen, wirder vielleicht einen günstigeren Zeitpunkt abwarten - bis die Machtverhältnisse sich zu seinen Gunsten geändert haben. In einer solchen Situation steht kaum zu erwarten, daß andere Staaten, die nicht Vertragspartner sind, die Gültigkeit eines derartigen Vertrages in Frage stellen werden; dem genötigten Staat mag damit nicht einmal ein Dienst erwiesen werden. Man stelle sich zum Beispiel vor, ein westlicher Staat würde die Rechtmäßigkeit der nach der Intervention zwischen der Tschechoslowakei und der Sowjetunion erfolgten Vertragsabschlüsse in Zweifel ziehen. -Hier erscheint bereits fraglich, ob die in Art. 52 WVK getroffene Regelung gegenüber dem früher bestehenden Rechtszustand in tatsächlicher Hinsicht eine grundlegende Änderung herbeigeführt hat. Damit gewinnt das von Fitzmaurice- dem Vorgänger Waldocks als Berichterstatter zum Vertragsrecht- in der ILC vorgetragene Argument an Bedeutung: Der gleiche Zwang, der den Vertragsabschluß herbeigeführt habe, werde auch die Durchführung des Abkommens sicherstellen2.- Selbst wenn man den- in der Tat beachtlichen- moralischen Druck ins Auge faßt, den die in Art. 52 WVK verkörperte Regel auf einen Gewalt anwendenden Staat auszuüben vermag, so muß doch berücksichtigt werden , daß ein Rechtsbrecher - wenn er schon beabsichtigt, sich über das Gewaltverbot hinwegzusetzen - kaum derart empfindsam ist, daß er sich durch die Erwägung abhalten ließe, ein aufgezwungener Vertrag könne womöglich nichtig sein und die angestrebten Vorteile sich als illusorisch erweisen. - Man mag diese Bemerkungen für übertrieben und zu pessimistisch halten, eine gewisse Berechtigung wird man ihnen jedoch nicht absprechen können. Weiche Rolle trotz Bestehens der Vereinten Nationen gerade die Machtpolitik heute noch spielt, ist von SchwarzenbergeT sehr treffend mit folgenden Worten umschrieben worden3 : .,Wenn die öffentliche Meinung unter dem Eindruck stehen sollte, daß Organisationen wie die Vereinten Nationen oder der Internationale Gerichtshof wirksame Beschränkungen der Machtpolitik im Atomzeitalter bedeuten, so würden diese Institutionen die der verkleideten Machtpolitik höchst dienliche Funktion erfüllen, eine solche Illusion zu schaffen und aufrechtzuerhalten." Auf weitere Schwächen des Art. 52 WVK war schon in anderem Zusammenhang hingewiesen worden4 : Es darf den Staaten nicht die Mög3 4

Yearbook ILC 1958 Bd. 2, para 62, S. 38. Machtpolitik, in: Wörterbuch Bd. 2, S. 453. Siehe besonders Teil4.1223 der Arbeit.

224

6. Schlußbetrachtung

lichkeit genommen werden, auch in Ausnahmesituationen Verträge miteinander zu schließen. Wird ein Abkommen unter Druck vereinbart, um einen drohenden Weltkrieg zu verhindern - wie im Falle der Cubakrise -, so würde es der friedenserhaltenden Funktion des Völkerrechts geradezu widersprechen, wenn derartige Abmachungen keine rechtliche Kraft entfalten könnten; eine Bereinigung solcher Krisen auf friedlichem Wege würde sonst unmöglich. Befriedende Vergleiche haben aber- auch wenn sie erzwungen wurden - eine Ordnungsfunktion zu erfüllen. In der noch weitgehend unentwickelten und dezentralisierten Völkerrechtsordnung, die nicht über Mittel verfügt, die Ausübung von Gewalt gänzlich zu verhindern und deren Wirkungen rückgängig zu machen, darf die Möglichkeit zu derartigen Vertragsabschlüssen deshalb nicht unterbunden werden; internationale Konflikte können so unter Umständen aus der Welt geschafft werden. Solange eine obligatorische internationale Gerichtsbarkeit nicht verwirklicht werden kann, haben erzwungene Verträge eine unentbehrliche Funktion zu erfüllen5 • In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, auf welche Schwierigkeiten der Vorschlag stieß, in die Vertragsrechtskonvention ein Verfahren obligatorischer Streiterledigung aufzunehmen und wie unzureichend der schließlich erzielte Kompromiß ausgefallen ist6 • Würde man alle Abkommen als nichtig betrachten, die sich auf die Androhung oder Anwendung von Gewalt zurückführen lassen, dann würde im internationalen Rechtsleben ein weiter "Leerraum des vertragslosen Zustands" entstehen7 • Dies aber würde sich auch mit dem im Völkerrecht anerkannten Effektivitätsprinzip nicht vereinbaren lassen, wonach auch rechtswidrig geschaffene Zustände Anerkennung finden, falls nicht in gewisser Frist eine Änderung herbeigeführt wird8 • Im Interesse der Rechtssicherheit ist dies erforderlich. Ließe das Völkerrecht eine Anerkennung derartiger Situationen nicht zu, obwohl sie sich faktisch etabliert haben, würde die Divergenz zwischen Recht und Wirklichkeit so groß, daß die Glaubwürdigkeit des Rechts in Zweifel zu ziehen wäre9 • Im Rahmen dieser Untersuchung ist der in der Wiener Vertragsrechtskonvention getroffenen Regelung zum Zwang beim Abschluß völker5 Siehe dazu die Bemerkungen von Dahm, Völkerrecht Bd. 3, S. 40 f., teilweise zitiert in Teil4.424 der Arbeit. 6 Siehe Teil 3.321 der Arbeit. 7 So die Formulierung von Dahm, Völkerrecht Bd. 3, S. 40. 8 Dazu ausführlich Kelsen, Principles, S. 420 ff. und Krüger, Das Prinzip der Effektivität, in: Grundprobleme des internationalen Rechts, S. 265 ff.; vgl. auch Bindschedler, REDI Bd. 21 (1968), S. 317. 9 Vgl. dazu die Ausführungen von Starck, Recht und Staat, S. 859 f. im Zusammenhang mit dem Annexionsverbot.

Zusammenfassende und rechtspolitische Wertung

225

rechtlicher Verträge viel Skepsis entgegengebracht worden; trotzdem bleibt die Hoffnung, daß die Vereinten Nationen eines Tages die Gewähr für die Einhaltung der relevanten Bestimmungen bieten werden.

7. Anhang Zusammenstellung der verschiedenen Entwürfe und Bestimmungen zum Zwang beim Abschluß völkerrechtlicher Verträge a) Harvard Draft Convention on the Law of Treaties von 1935 (AJIL Bd. 29 [1935], Supplement Teil 3, S. 1148) Art. 32 (a):

As the term is used in this Convention, duress involves the employment of coercion directed against the persons signing a treaty on behalf of a State or against the persons engaged in ratifying or acceding to a treaty on behalf of a State; provided that, if the coercion has been directed against a person signing a treaty on behalf of a State and if with knowledge of this fact the treaty signed has later been ratified by that State without coercion, the treaty is not to be considered as having been entered into by that State in consequence of duress. b) Harvard Draft Convention on Rights and Duties of States in Case of Aggression (AJIL Bd. 33 [1939], S. 895 f.)

Art. 4, Abs. 2 und 3:

Situations created by an aggressor's use of armed force do not change sovereignty or other legal rights over territory. A treaty brought about by an aggressor's use of armed force is voidable. c) Lauterpachts Entwurf von 1953 (A/CN. 4/34, Yearbook ILC 1953 Bd. 2, s. 147) Art. 12: (Absence of compulsi on)

Treaties imposed by or as a result of the use of force or threats of force against a State in violation of the principles of the Charter of thP. United Nations are invalid if so declared by the International Court of Justice at the request of any State. d) Fitzmaurice' Entwurf von 1958 (A/CN. 4/115, Yearbook ILC 1958 Bd. 2,

s. 26)

Art.14, Abs. 4: (Duress)

Duress for the purposes of the present article means duress addressed to the persons concerned, as individuals, or as members of the negotiating, ratifying of acceding body or organ, and directed to securing the act of participation. Duress is not constituted by the threat of the consequences that will or may ensue for the State of which those persons are nationals, in the event of their noncompliance (or for themselves as nationals of that State), nor by their fear of such consequences, nor by the existence of any indirect threat to themselves or their relatives or dependents that may arise from the possibility of such consequences.

Zusammenstellung der Entwürfe und Bestimmungen

227

e) Waldocks Entwurf von 1963 (AICN. 4/156, Yearbook ILC 1963 Bd. 2, S. 51) Art.l2: (Consent to a treaty procured by the illegal use or threat of force) 1. If a State is coerced into entering into a treaty through an act of force or threat of force, employed against it in violation of the principles of the Charter of the United Nations, the State in questionshall be entitled-

(a) to declare that the coercion nullifies its consent to be bound by the treaty ab initio; or (b) to denounce the treaty, subject to the reservation of its rights with respect to any loss or darnage resulting to it from having been coerced into the treaty; or (c) to affirm the treaty, subject to the same reservation, provided always that no such affirmation shall be considered binding unless made after the coercion has ceased. 2. Paragraph 1 does not apply, however, where after the coercion has ceased the State has conducted itself as to bring the case within the provisions of article 4 of this part. f) ILC- Entwurf von 1963 (A/CN. 4/163, Yearbook ILC 1963 Bd. 2, S.l97) Art. 36: (Coercion of a State by the threat or use of jorce)

Any treaty the conclusion of which was procured by the threat or use of force in violation of the principles of the Charter of the United Nations shall be void. g) Waldocks Entwurf von 1965 (A/CN. 4/183, Yearbook ILC 1966 Bd. 2, S. 15) Art. 36:

Any treaty and any act expressing the consent of a State to be bound by a treaty which is procured by the threat or use of force in violation of the principles of the Charter of the United Nations shall be void. h) ILC-Entwurf von 1966 (A/CN. 4/190, Yearbook ILC 1966 Bd. 2, S. 246) Art. 49: (Coercion of a State by the threat or use of force)

A treaty is void if its conclusion has been procured by the threat or use of force in violation of the principles of the Charter of the United Nations. i) Wiener Vertragsrechtskonvention vom 23. Mai 1969 (ZaöRV Bd. 29 [1969], S. 739; OR Doc., S. 296) Art. 52: (Coercion of a State by the threat or use of jorce)

A treaty is void if its conclusion has been procured by the threat or use of force in violation of the principles of international law embodied in the Charter of the United Nations. k) Declaration on the Prohibition of Military, Political or Economic Coercion

in the Conclusion of Treaties (ZaöRV, Bd. 29 [1969], S. 693; OR Doc., S. 285)

The United Nations Conference on the Law of Treaties, Upholding the principle that every treaty in force is binding upon the parties to it and must be performed by them in good faith, Reaffirming the principle of sovereign equality of States, 15°

228

7. Anhang Convinced that States must have complete freedom in performing any act relating to the conclusion of a treaty, Deploring the fact that in the past States have sometimes been forced to conclude treaties under pressure exerted in various forms by other States, Desiring to ensure that in the future no such pressure will be exerted in any form by any State in connection with the conclusion of a treaty, 1. Solemnly condemns the threat or use of pressure in any form, whether military, political, or economic, by any State in order to coerce another State to perform any act relating to the conclusion of a treaty in violation of the principles of the sovereign equality of States and freedom of consent.

2. Decides that the present Declaration shall form part of the Final Act of the Conference on the Law of Treaties. 1) Resolution relating to the Declaration on the Prohibition of Military,

Political or Economic Coercion in the Conclusion of Treaties (ZaöRV

Bd. 29 [1969], S. 693; OR Doc., S. 285)

The United Nations Conference on the Law of Treaties, Having adopted the Declaration on the prohibition of military, political or economic coercion in the conclusion of treaties as part of the final act of the Conference, 1. Requests the Secretary-General of the United Nations to bring the Declaration to the attention of all Member States and other States participating in the Conference, and in the principal organs of the United Nations;

2. Requests Member States to give the Declaration the widest possible publicity and dissemination.

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Sach- und Namenverzeichnis Abbruch diplomatischer Beziehungen (Art. 63 WVK) 73, 191 Abkühlungseffekt und -periode 24, 89 s. a. cooling-off-period Abstimmungen auf internationalen Konferenzen als Rechtsquelle 91, 168 Abtrennung von Vertragsbestimmungen (Art. 44 WVK) 85 Ächtung des Krieges s. Kriegsverbot Aggression, Aggressoren 50, 65 f., 175, 196 f., 202 - 209, 222 Aggressorklausel des Art. 75 WVK 66, 202 - 209, 213, 222 Ägypten 198 Algerienkrieg 127 allgemeine Rechtsgrundsätze 40, 148 - 151, 188, 221 -Übertragbarkeit innerstaatlicher Rechtsgrundsätze auf den zwischenstaatlichen Verkehr 40 Fn. 98, 153 - 155, 221 Androhung von Gewalt im Verhältnis zur Anwendung 31, 180 Anfechtbarkeit 151 -im Verhältnis zur Nichtigkeit 51, 58- 61, 214 f. Angriffskrieg 25, 163 Annexion und Annexionsverbot 92- 103 Anwendungsbereich -zeitlicher s. Rückwirkung - im Hinblick auf Staaten s. Nichtmitglieder der Vereinten Nationen Appeasement 114 Asian-African Legal Consultative Committee 68 Fn. 87 Äthiopien 95, 98, 222 Atlantikcharta von 1941 29 Auslegung s. Interpretation Ausnutzung eines rechtswidrigen Zustandes s. Kausalität durch Unterlassen authentischer Text (Art. 85 WVK)

171

Bandung-Konferenz von 1955 191 Baltische Staaten 96, 98, 222 Befreiungskampf, nationaler s. kolonialer Befreiungskrieg

Befriedung s. Vergleiche, befriedende bellum-iustum-Doktrin 22 Benes 113 Beschlüsse internationaler Organisationen als Rechtsquelle 166- 168 Bestechung 174, 178 Bhutto 126 Blockade 17, 131 - 133 s. a. Cuba blockfreie Staaten, Konferenz in Kairo 68,72,191 Bogota-Charta von 1938 29 Böhmen s. Protektoratsvertrag über Böhmen und Mähren von 1939 Bolivien 29, 33 Bombardierung 17, 19,176 Brandt 116 Brasilien 133, 187 Breshnew 139 Breshnew-Doktrin 139- 142 Briand-Kellogg-Pakt von 1928 27 f., 41 f., 95, 97, 180 Fn. 28, 181, 220 Bulgarien 134, 201 Bundesrepublik Deutschland 106, 107 Fn. 77, 115- 117, 143 Fn. 242, 147, 200 Bunker-Plan 129 Bürgerkriegssituationen 125, 193 Bürgerliches Gesetzbuch 151 f. Cernik 134 Chaco-Konftikt von 1932 29 Chamberlain 115 Chile 33 China 32,97 -Volksrepublik 125, 184 Fn. 52 Chruschtschow 17, 131- 133, 147, 176, 212 Code Civile 152 consuetudo s. Gewohnheitsrecht, Voraussetzungen cooling-off-period 122 s. a . Abkühlungseffekt Courtoisie 110 CSSR s. Tschechoslowakei Cuba, -krise 17, 105, 131 - 133, 147, 176, 211 f., 224 Daladier 115 Dänemark 45 Fn. 121 DDR 117 Fn. 117, 134,136 Fn. 207

246

Sach- und Namenverzeichnis

Definition des völkerrechtlichen Vertrages 101 Deklaration über Rechte und Pflichten der Staaten von 1949 47 Deklaration zu Art. 52 WVK 75, 189 f. Dekolonisierung 126 - 128, 193 s. a. Unabhängigkeitsverträge Delikt, völkerrechtliches 106- 108 Derogation 94 Deutsches Reich 17, 95, 110, 118 f., 179,222 Deutschland s. Bundesrepublik Devolutionsabkommen 126 - 128 s. a. Unabhängigkeitsverträge Doktrin der Völkerrechtslehre s. Hilfsmittel Drittstaaten 178, 198 Fn. 125, 202, 216 s. a. pacta tertiis-Grundsatz Druck, wirtschaftlicher und politischer s. Gewalt Dub~ek 136 - 138 Eden 114 Effektivitätsprinzip 164 f., 217, 224 einstweilige Anordnungen 145 Einwilligung in Rechtsverletzungen 107 f. Elsaß-Lothringen 159 Fn. 305 Entschließungen der Generalversammlung s. Beschlüsse internationaler Organisationen und Generalversammlung Entschlußfreiheit s. Willensfreiheit Entwicklungsländer 74, 183, 190 Entwürfe der ILC 47 -70 - Lauterpacht 47-52,56 f. - Fitzmaurice 53 f . - Waldock 54- 58 Equity 153 Eroberung s. Annexion Estland s. Baltische Staaten Evian, Verträge von 1962 127 Fn. 161 ex iniuria ius non oritur 29, 49, 102, 166 s. a. Stimson-Doktrin und Nichtanerkennungslehre ex tune-Wirkung des Art. 69 WVK 215,217

Fehderecht 28 Fn. 33 Feindstaatenartikel 124, 193, 199- 202 Festlandsockelurteil des IGH 109 Fn. 80 Finnland 121, 201 Fischereikonflikte, isländische 18, 143- 146 Fisheries Jurisdiction Case s. Fischereikonßikte

Fitzmaurice s. Entwürfe der ILC

Flußwasserableitungen durch den Oberliegerstaat 181 Fn. 36 Franco-ltalian Conciliation Commission 122 Fn. 137, 157 Frankreich 90, 112, 115, 118, 127, 159 Fn. 305, 179, 198 Freistellungsklauseln 193 Fn. 103 Freundschaftsvertrag zwischen der Tschechoslowakei und der Sowjetunion s. Vertrag über Freundschaft usw. Friedensvertrag -von Versailles (1919) 35 f ., 39 Fn. 89, 103, 121 -von Sevre (1920) 104 -von Lausanne (1923) 104 Friedensverträge -von 1947 und 1951 65, 120 - 124, 147 -und Waffenstillstandsabkommen nach 1945 18, 124 - 126, 147 -und Zwang s. Gewalt de Gaulle 114 de Gasperi 114

Gegenannexion 96, 103 Fn. 68 Geltung des in Art. 52 WVK aufgestellten Grundsatzes 90 - 108, 109 f., 146 - 148, 156, 165 f., 169, 221 s. a. lex lata gemeines Recht 151 Fn. 268 general principles s. allgemeine Rechtsgrundsätze Generalversammlung der UNO 167 f., 187, 210 - 213, 222 Genfer Protokoll von 1924 25 f., 206 Fn.168 Genfer Abkommen von 1949 91 Fn. 6 Genfer Seerechtskonferenz von 1958 143 gentleman agreement 132 Gerichtsentscheidungen s. Hilfsmittel Gesetzgebung s. Vertrag und Gesetzgebung Gewalt -gegenüber Repräsentanten, Organen oder Unterhändlern s. Zwang - im klassischen Völkerrecht 22, 220 s. a. Kriegsrecht und -verbot -Androhung im Verhältnis zur Anwendung 31, 180 -indirekte 50, 170, 180 -physische 50, 56, 67, 181, 221 -militärische 56, 67, 181, 221 - politische 56, 67 - 70, 71 - 75, 182- 192, 221 -wirtschaftliche 56, 67 - 70, 71 - 75, 182 - 192, 221

Sach- und Namenverzeichnis -beim Abschluß von Friedensverträgen 23, 65, 159, 163 f., 203,220 -erlaubte (Ausnahmen vom Gewaltverbot) 192 - 213, 221 f. --Selbstverteidigung 193 - 196 --Zwangsmaßnahmen des Sicherheitsrates 196 - 198 --Zwangsmaßnahmen durch Regionalorganisationen 199 --Zwangsmaßnahmen gegenüber Feindstaaten 199 - 202 - - Rechtfertigungsgründe außerhalb der UNO-Charta 209 - 213 Gewaltverbot -Entwicklung 24 - 32 s. a. Kriegsrecht, Kriegsverbot, Gewalt im klassischen Völkerrecht -der Satzung der Vereinten Nationen 30- 32, 68 f., 72 f., 91 - 94, 98 f., 102, 108, 168 f., 180 f., 182 - 192, 220 -Geltung im Verhältnis geteilter Staaten zueinander 126 Fn. 155 - Geltung in Bürgerkriegssituationen 125, 193 - Geltung in internationalen Konflikten 127 f. Gewohnheitsrecht 108 - 110, 168 Fn. 378, 221 -Voraussetzungen für die Entstehung 108- 110 Ghandi, Indira 72, 126, 191 Gleichheitsprinzip in der östlichen Völkerrechtslehre 162, 166 Goa 96, 129 Gromyko 138 Großbritannien 112- 115, 118, 143, 146,147,179,198 Haager Friedenskonferenzen und Abkommen von 1899 und 1907 21 f. Hacha 17,19 Fn. 5,110 f., 157 Haiderabad 96 Haiti 33 Fn. 60 Hajek 135 Harvard Law School, Konventionsentwürfe 43 - 45, 51 Fn. 16 Haya de la Torre-Fall 109 Fn. 80 Hegemonie 139, 141 Hilfsmittel zur Feststellung des Völkerrechts 156,158,165,221 HitZer 17, 110 f., 157 Humanitätsabkommen 105, 175 Huscik 139 Indien 96, 125, 147 Fn. 252 indirekter Zwang 50, 170, 180 s. a. Kausalität und Gewalt Indochina 125 Indonesien 17, 128- 131, 211

247

Indus River Treaty von 1948 147 Fn. 252 innerstaatliche Rechtsordnungen 151 - 155, 221 International Law Commission 47, 54,220 s. a. Entwürfe der ILC Internationaler Gerichtshof 18, 51, 56 f., 143- 146, 157 f., 164 f., 168 Fn. 378, 169, 221 Internationaler Militärgerichtshof in Nürnberg 111, 117- 119, 156 f. Interpretation von Vertragsbestimmungen 171 f., 183, 188 -Art. 31 WVK 171 f., 183 intertemporales Recht 63, 119 Intervention 167, 176, 210 f. - in die Tschechoslowakei 17, 133 - 142, 147 Irrtum 56, 59, 151 Island 18, 143- 146, 147 Israel 105, 177, 181 Fn. 36 Italien 95, 113 f., 121, 179, 201,222 italienisch-amerikanische Vergleichskommission 157 Fn. 297 ius ad bellum und in bello 22 f. ius cogens 65 Fn. 65, 82, 85 f. Japan 28, 122 f., 201 - 21 Forderungen von 1915 32, 45 Fn.121 Judikatur s. Hilfsmittel Kapitulation der deutschen Streitkräfte im Mai 1945 96, 121 Fn. 131 Kaschmir 126 Fn. 154 Kausalität 106, 138, 142, 146 f., 170 - 179, 221 - durch Unterlassen 176 -beim Zwang durch Drittstaaten 178 f. -bei multilateralen Verträgen 178 f. Kemal Atatürk 104 Kennedy 17,130,131 -133, 147, 176, 212 Kiautschou 32 Kiesinger 116 Kodex 53 f., 90 Kodifikation 90 Kolonie, Kolonialmacht 126 - 128 koloniale Befreiungskriege 127 f. Kongo 125 Konventionsentwürfe der Harvard Law School s. Harvard Law School Korea 125 Korfu-Fall von 1923 25 Fn. 16 Korfu-Kanal-Fall von 1948 157 Fn. 299 Kosygin 139 Kriegsrecht 22, 93 f.

248

Sach- und Namenverzeichnis

s. a. Gewalt, Gewaltverbot, Kriegsverbot -in der klassischen Völkerrechtslehre 22,92-94 - gerechter Krieg 22, 39 Kriegsverbot s. a. Gewaltverbot -Entwicklung 24 - 32, 93 f., 220 Krofta 113 Kuba s.Cuba Lahore, Erklärungen von 1967 126 Fn.154 Las-Palmas-Streit 119 Fn. 124 Lauterpacht s. Entwürfe der ILC Legislativakte s. Vertrag und Gesetz Lehren anerkannter Autoren s. Hilfsmittel Lenin 100, 162 Lettland und Litauen s. Baltische Staaten lex imperfecta 28, 96 Fn. 24, 102 lex lata 63, 78, 90, 170 s. a. Geltung des in Art. 52 WVK aufgestellten Grundsatzes Lima-Deklaration von 1938 29 Litwinow 115 Locarno-Pakt von 1925 26 Londoner Vertrag von 1871 107 Fn.77 Lotus-Fall 109 Fn. 82 Machtverhältnisse, Machtpolitik 33, 51, 57, 158 f ., 163- 165, 222 f. Malta 168 Fn. 374 Mandschurei-Konflikt von 1931 25 Fn. 16, 28 f., 32 f. Marionettenregierung 50, 170 Masaryk 114 Metropolstaat s. Kolonie militärische Maßnahmen außerhalb des Krieges 27, 30, 50, 181 Monokulturen 184 Montevideo, Konvention von 1933 29 multilaterale Verträge 67, 179,216 s. a. Kausalität und Teilnahme an bestehenden Verträgen Münchener Abkommen von 1938 17, 34, 111 - 120, 146, 157, 179, 213, 218 Fn. 220 Nahost-Konflikt 105, 125, 177 Namibia 168 Fn. 378 Nasser 72, 191 NATO-Vertrag 199 Fn.129 Naturalrestitution 107 Naturrechtslehre 22 Neokolonialismus 71, 184 Nichtanerkennungslehre 29, 34, 45, 97 s. a. Stirnsan-Doktrin und ex iniuria ius non oritur

Nichtexistenz von Verträgen 59 Fn. 33 Nichtigkeit von Verträgen 51, 58- 61, 76 f., 79 - 83, 213- 216, 222 - Folgen der Nichtigkeit (Art. 69 WVK) 213- 219 -von Anfang an (ab initio) 81 - 83, 114 - 118, 120 -Verhältnis zur Anfechtbarkeit s. Anfechtbarkeit Nichtmitglieder der Vereinten Nationen 64 f., 78 f., 92 Fn. 9 Niederlande 17, 128- 131,211 Nordvietnam 176, 185 Notifizierung der Ungültigkeit 83 - 89, 215, 222 Nürnberger Prozeß 117 OAS ·-Charta 72 Fn. 105 - während der Cubakrise 133 Oder-Neiße-Grenze 96, 107 Fn. 77 Okkupationsregime 136 opinio iuris sive necessitatis s. Gewohnheitsrecht Ordnungsfunktion befriedender Vergleiche s. Vergleiche ordre public, völkerrechtlicher 51 Osterreich 95, 201 Österreich-Ungarn 67 Fn. 84, 107 Fn. 77 pacta sunt servanda 73 pacta tertiis-Grundsatz (Art. 34 und 35 WVK) 198 Fn. 125, 204 s. a. Drittstaaten Pakistan 125, 147 Fn. 252 Papuas 128 Fn. 165, 129 Paraguay 29 Pariser Friedenskonferenz von 1919 32 Pariser Vertrag von 1856 107 Fn. 77 Peaceful Change 113, 185 Polen 134, 136 Fn. 207,222 Polyzentrismus (verschiedene Wege zum Sozialismus) 134, 141 Potsdamer Abkommen 200 Prager Frühling 134, 142 Präventivkrieg und präemptive Maßnahmen 177,195 Privatrechtsordnungen s. innerstaatliche Rechtsordnungen proletarischer Internationalismus 139 s. a. sozialistischer Internationalismus Proportionalitätsprinzip 196 f. Protektoratsvertrag über Böhmen und Mähren von 1939 17, 34, 95, 110 f., 118 f., 146, 157

Sach- und Namenverzeichnis Quarantäne 131 Fn. 180 a s. a. Blockade und Cuba Raad voor het Rechtsherstel in Den Haag 119, 157 Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe 141 Ratifikation der WVK 90, 170, 221 rebus sie stantibus (grundlegende Veränderung der Umstände) 56 Rechtfertigungsgründe für die Anwendung von Gewalt s. Gewalt, erlaubte Hechtsgrundsätze s. allgemeine Rechtsgrundsätze Regionalorganisationen 192, 199 Repressalie 181, 211 Resolution der Völkerbundversammlung vom 11. März 1932 29, 34, 40 Resolutionen der Generalversammlung 166 - 169 s. a. Beschlüsse internationaler Organisationen und Generalversammlung restitutio in integrum 217 Rezeption innerstaatlicher Rechtsgrundsätze 150 Rogers-Plan 125 Roosevelt 115 Rückwirkung 62 - 64, 78 f. Rumänien 121, 136 Fn. 207, 141 f., 201 Saavedra-Lamas-Pakt von 1933 27,29 San Franziska, Konferenz 1945 72, 98, 187 Sanktionen 97, 102, 165 -in der Völkerbundsatzung 24 -im Briand-Kellogg-Pakt 27 -in der UN-Satzung 50 Schiedsgerichtsverfahren 24, 85 f. s. a. Streiterledigung Selbsthilfe 22, 211 Selbstverteidigung 31, 177, 186, 193- 196, 210 Sicherheitsrat der Vereinten Nationen 61 Fn. 45, 132, 135, 164, 186, 193 f., 196 - 199, 207' 211 s. a. Gewalt, erlaubte Simla, Abkommen von 1972 126 Smrkovsky 135 f. Souveränitätsbegriff sozialistischer Länder 140 Sowjetunion 17, 96, 131- 133, 147, 198, 200, 222 f. Sozialismus s . Polyzentrismus sozialistischer Internationalismus 139- 142 Special Committee on Principles of International Law concerning

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Friendly Relationsand Co-operation among States 69, 74, 191 f. Staatenpraxis 32 - 35, 49, 108 - 110, 146 - 148, 169 Staatenverantwortlichkeit 59, 204 Ständiger Internationaler Gerichtshof 35 Stirnsan 28 f., 34 Stirnsen-Doktrin 28- 30, 33 f., 42, 45, 97, 173 s. a. Nichtanerkennungslehre und ex iniuria ius non oritur Streitbeilegung und -regelung 24 Streiterledigung -friedliche 24, 59, 215 f. -obligatorische 79 Fn. 143, 83 - 89, 165,224 ·- fakultative 83 - 89 s. a. Schiedsgerichtsverfahren Strougal 139 Sudetengebiete s. Münchener Abkommen Südwestafrika-Frage, Urteil des IGH 84, 168 Fn. 378 s. a. Namibia Suezkrise von 1956 198 Svoboda 134 - 136 Taschkent, Friede von 1966 126 Fn.154 Täuschung 56, 174, 178 Teilnahme an bestehenden Verträgen 66 f.,179 Tempel von Preah Vihear 151 Thailand 201 Tito 72,191 Truppenstationierungsvertrag zwischen der Tschechoslowakei und der Sowjetunion von 1968 17, 136- 138 Tschecheslowakei 17, 110- 120, 133- 142, 147, 179, 222 f. Tschombe 125 Türkei 104, 107 Fn. 77, 132 U-2-Flüge 131 UdSSR s. Sowjetunion Umgehung von Vertragsverpflichtungen 52, 83, 190 - des Annexionsverbots 103 Unabhängigkeitsverträge 126 - 128, 147 s. a. Kolonie und Devolutionsabkommen undue infiuence 153 Ungarn, 121, 134, 136 Fn. 207, 201 ungleiche Verträge 162 Ungültigkeit von Verträgen 51, 61 f., 75 -77, 214, 216 f. s. a. Nichtigkeit

Sach- und Namenverzeichnis

250

Uniting for Peace-Resolution 212 Unrecht, völkerrechtliches s. Delikt Unzumutbarkeit 39 Fn. 89 USA s. Vereinigte Staaten Ussuri-Konftikt 184 Fn. 52 U Thant

VAR

17, 130, 132 f., 212

125

- Satzung 24 f., 220 -und Münchener Abkommen 113, 213

Vollversammlung s. Generalversammlung Vorbehalte beim Briand-KelloggPakt 27

Vereinigte Staaten 17,45 Fn. 121,

Waffenstillstandsabkommen nach

Verfahrensvorschriften der WVK 62 Fn. 51, 79 - 89, 215, 222 s. a . Anfechtbarkeit, Nichtigkeit und Ungültigkeit Vergleiche, befriedende und ihre Ordnungsfunktion 105 f., 173,177,

-von Panmunjom 125 Warschauer Pakt und Warschauer Vertrag 17, 133, 137, 199 Fn. 129 Warschauer Vertrag von 1970 107

Verlust des Rechts, sich auf die Ungültigkeit eines Vertrages zu berufen (Art. 45 WVK) 85, 214 f., 216 Vernichtbarkeit s. Anfechtbarkelt Versailler Vertrag s. Friedensvertrag von Versailles Verständigungsfriede 123 Verteidigungskrieg s. Selbstverteidigung und Gewalt, erlaubte Vertrag über die gegenseitige Belstandsleistung von 1923 25 Vertrag zwischen der Tschechoslowakei und der Sowjetunion über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand vom 6. Mai

West-Irian 17, 128- 131, 147, 161 Fn. 328,211 West-Neuguinea s. West-Irian Willensfreiheit der Parteien 18, 22, 38, 48 f ., 51, 104, 151 Wilsons 14 Punkte 39 Fn. 89 wirtschaftliche Druckmittel s. Gewalt, wirtschaftliche Wirtschaftsblockade 67 Wirtschaftshilfe und -experten 71 J