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German Pages 438 Year 2015
Cedric Janowicz Zur Sozialen Ökologie urbaner Räume
Materialitäten | Hg. von Gabriele Klein, Martina Löw und Michael Meuser | Band 7
2008-08-18 15-21-34 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 01c0186967833408|(S.
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Meinen Eltern
Cedric Janowicz (Dr. phil.) ist Mitarbeiter des Instituts für sozial-ökologische Forschung (ISOE) in Frankfurt a.M. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen postkoloniale Stadtentwicklung in Afrika sowie Umwelt- und Raumsoziologie.
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Cedric Janowicz
Zur Sozialen Ökologie urbaner Räume Afrikanische Städte im Spannungsfeld von demographischer Entwicklung und Nahrungsversorgung
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© 2008 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Cedric Janowicz Lektorat & Satz: Cedric Janowicz Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-974-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
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Inhalt
I.
Einleitung .................................................................................................... 7
II. Theoretischer Rahmen: Auf der Suche nach der Materialität ............ 1. Soziale Ökologie ........................................................................................ 1.1 Ökologische Krisen als Herausforderung der Soziologie .................. 1.2 Das Konzept der Gesellschaftlichen Naturverhältnisse ..................... 2. Das Rohe und das Gekochte: Versorgungssysteme der Nahrung zwischen Natur und Gesellschaft ....... 2.1 Nahrung als menschliches Grundbedürfnis: Problematisierung einer scheinbaren Selbstverständlichkeit ............. 2.2 Das sozial-ökologische Modell eines Versorgungssystems .............. 3. Raum als Schnittstelle zwischen Gesellschaft und Natur .......................... 3.1 Von der evidenten Natur zur Metaphysik der Präsenz oder: Verschwinden Natur und Raum? ....................................................... 3.2 Aporien ............................................................................................... 3.3 Auf dem Weg zu einem sozial-ökologischen Raumkonzept ............. III. Demografische Entwicklung und Nahrung – ein verlorenes Gleichgewicht? Auf der Suche nach Diskursaufspaltungen ......................................... 1. Bevölkerung und Ernährung .................................................................... 1.1 Demografische Entwicklungstrends und Ernährung: Die ‚nackten‘ Zahlen ........................................................................ 1.2 Die ‚Erfindung‘ der Demografie ...................................................... 1.3 Aktuelle Debatten ............................................................................. 1.4 Die geheime Geschichte des Hungers als Gegenerzählung ............. 2. Urbane Transformationen und die Städte des Südens ............................. 2.1 Von Urbanität und Stadt zu Urbanisierung und Verstädterung ....... 2.2 Die urbane Transformation: Urbanisierungsprozesse im 21. Jahrhundert .................................... 2.3 Urbanisierungsprozesse in Afrika: McDonaldisierung der Städte oder afrikanische Urbanisierungspfade? ......................... 3. Der Schlund der Stadt: Urbanisierung und Nahrungsversorgung ........... 3.1 Feeding the cities: Urbane Nahrungsversorgung in Afrika in Geschichte und Gegenwart .......................................................... 3.2 Ausgewählte Problemzusammenhänge aktueller urbaner Nahrungsversorgung ........................................................... 4. Bevölkerung, Urbanisierung und Nahrung – Auf dem Weg zur Fallstudie ....................................................................
17 18 21 25 37 39 48 70 73 88 92
137 139 140 147 154 171 178 179 180 184 226 229 239 252
IV. Auf der Suche nach der afrikanischen Stadt: Urbane Raum(an)ordnungen und das Versorgungssystem Accras ................ 1. Angewandte Methoden während des Feldaufenthalts ............................. 1.1 Der Forschungsansatz der Einzelfallstudie ...................................... 1.2 Angewandte Methoden .................................................................... 2. Accra im Kontext: Der westafrikanische Staat Ghana ............................. 3. Die Versorgung Accras ............................................................................ 3.1 Urbanisierungsprozesse in Ghana .................................................... 3.2 Accra: Eine Stadt im Profil .............................................................. 3.3 Sozio-ökologische Aspekte der Versorgungspraxis Accras: Produktionsweisen, Nahrungsmittel, Stoffströme und Märkte ........ 4. Wechselwirkungen zwischen Urbanisierungsprozessen und Nahrungsversorgung: Urbane Raum(an)ordnungen am Beispiel städtischer Landwirtschaft ....................................................................... 4.1 Urbane Landwirtschaft: Farming in the shadow of the city ............ 4.2 Stadt, Raum und Natur: Raum(an)ordnungen der urbanen Landwirtschaft ............................................................. 5. Sozial-ökologische Wechselwirkungen zwischen Urbanisierungsprozessen und dem System der Nahrungsversorgung in Accra: Zusammenfassung ........................... V.
261 267 269 271 273 278 279 284 301
323 324 329
363
Schlussbemerkung: Zur Adaptivität von Versorgungssystemen – eine andere Perspektive ......................................................................... 369
Literatur .......................................................................................................... 375 Danksagung .................................................................................................... 435
I. Einleitung
„Wissbegierde … mir gefällt das Wort; es suggeriert mit etwas anderes: es evoziert die ‚Sorge‘; es evoziert, daß man sich um das, was existiert und was existieren könnte, bemüht; ein geschärfter Sinn fürs Wirkliche, der aber niemals vor ihm zur Ruhe kommt; eine Bereitschaft, das, was uns umgibt, fremd und einzigartig zu finden“ (Christian Delacampagne 1997)
Von der Sozialen Ökologie bearbeitete Themen haben ihren Ursprung in gesellschaftlichen ‚Problematisierungen‘: „Problematisierung“, so schreibt Foucault „bedeutet weder Repräsentation eines bereits existierenden Objekts noch diskursive Schaffung eines neuen Objekts. Es ist das Ensemble diskursiver und nichtdiskursiver Praktiken, das einen Gegenstand in das Spiel von wahr und falsch einführt und als Gegenstand der Reflexion konstituiert (ob in Gestalt moralischer Reflexionen, wissenschaftlicher Erkenntnis oder politischer Analyse u. dgl.).“ (Foucault 1994a: 670, Übersetzung CJ) Die für die vorliegende Arbeit zentrale ‚Problematisierung‘ stellt den Zusammenhang von rascher Urbanisierung als Folge demografischer Wachstumsprozesse in südlichen Ländern und der Nahrungsversorgung dar. Hintergrund der Diskussion um die Versorgung schnell wachsender urbaner Räume in südlichen Regionen mit ausreichend Nahrungsmitteln ist die aus globaler Perspektive nach wie vor prekäre Versorgung der Weltbevölkerung. Hunger und Durst bestimmen immer noch in weiten Teilen der Welt den Alltag der Menschen; nur eine Minderheit der Weltbevölkerung verfügen über eine gesicherte Nahrungsgrundlage. 1974 verlieh Henry Kissinger, damaliger US-Außenminister, auf der Welternährungskonferenz seiner Hoffnung Ausdruck, dass in zehn Jahren kein Mann, keine Frau und kein Kind mehr hungrig zu Bett gehen werde. Die jüngsten Zahlen der FAO (Food and Agriculture Organization, UN), die vor kurzem im Rahmen des Welternährungstags vorgestellt wurden, sprechen leider eine andere Sprache und machen diese Hoffnung selbst 30 Jahre später zunichte: Nachdem es Anfang der 1990er Jahre gelungen
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war, die Zahl der Hungernden zu verringern, hat sich dieser positive Trend mittlerweile wieder umgekehrt. 842 Millionen Menschen leiden heute Hunger auf der Welt, zehn Millionen Menschen sterben jedes Jahr an den Folgen von Hunger und Unterernährung, das sind Tag für Tag über 27.000 Menschen. Von den rund 842 Millionen Unterernährten leben ca. 798 Millionen in afrikanischen Entwicklungsländern (vgl. Northoff 2004: 16). Diese Zahlen sind umso beklemmender, da in den letzten vier Jahrzehnten die Nahrungsmittelproduktion auf allen Kontinenten rascher anstieg als die Bevölkerung, so dass eigentlich weltweit ausreichend Nahrungsmittel produziert werden, um die gesamte Weltbevölkerung zu ernähren (vgl. Höpflinger 1997: 29). Selbst wenn diese Steigerung der Nahrungsmittelproduktion nur im Weltmaßstab gilt, so findet sich hier doch ein erster Hinweise darauf, dass die Entstehung von Nahrungsknappheiten offensichtlich nicht so sehr in den natürlichen Grenzen einer ‚Tragfähigkeit‘ der Erde begründet liegen, sondern vielmehr in der Tatsache der ungleichen Verteilung der Güter, die nicht den Bedarfslagen entspricht. Bei der Ursachenforschung für diese anhaltenden Rückschläge werden dennoch oftmals nahezu ausschließlich demografische Wachstumsprozesse genannt. Nicht selten nehmen aktuelle Bücher und Artikel, die sich mit demografischen Entwicklungen beschäftigen, ihren Ausgangspunkt in der nüchternen Darstellung der ‚harten‘ Fakten: Nach den aktuellen Berechnungen der Vereinten Nationen leben derzeit rund 6,4 Milliarden Menschen auf der Erde. Je nachdem, ob eine niedrige, mittlere oder hohe Variante zutreffen wird, sagen die Prognoseszenarien für das Jahr 2050 eine Weltbevölkerung von sieben, zehn oder zwölf Milliarden Menschen voraus (vgl. Weltbevölkerungsbericht 2004). Sowohl in der gesellschaftlichen als auch in der wissenschaftlichen Diskussion beginnen die Probleme spätestens dort, wo dieses quantitative Wachstum qualitativ in seiner Tragweite und in seinen Ursachen für die Nahrungsversorgung interpretiert werden soll. Das diskursive Feld der Einschätzung der Konsequenzen dieser Entwicklung ist sowohl gesellschaftlich als auch wissenschaftlich höchst umkämpft und damit symbolisch und emotional stark aufgeladen. Mediale und populärwissenschaftliche Inszenierungen haben dazu geführt, dass mit dem Thema ‚Bevölkerungswachstum in Entwicklungsländern‘ oftmals bedrohliche Entwicklungen assoziiert werden: Nicht wenigen Menschen kommen dabei Bilder von unterernährten und ‚explodierenden‘ Menschenmassen in Entwicklungsländern in den Sinn. In weiten Teilen der heutigen Debatten um Nahrungsversorgung und demografischer Entwicklung scheint sich somit die Geschichte der Demografie ein Stück weit zu wiederholen, denn das Aufkommen der Demografie als einer Wissenschaft war von Beginn an eng mit der Frage nach dem Zusammenhang von Bevölkerungsgröße und Nahrungsangebot verflochten. Eine der bis heute einflussreichsten Formulierungen des Verhältnisses von demografischer Entwicklung und Nahrungssituation ist das von Robert Malthus aufgestellte ‚universalgültige Bevölkerungsgesetz‘. Die Kernthese dieses ‚Gesetzes‘, veröffentlicht
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1798, besagt, dass die Erde mit Blick auf das Ernährungspotential bereits mit der damaligen Bevölkerungszahl von ca. einer Milliarde überbevölkert gewesen und das eine weitere Verschärfung der Situation unausweichlich sei (vgl. Malthus 1826). Auch wenn dieses Gesetz bereits zu Lebzeiten von Malthus alles andere als unwidersprochen blieb, ist die Diskussion bis heute mit neo-malthusianischen Argumentationsfiguren durchsetzt. Viele Beiträge kreisen um die Frage, ob denn eine so rasch wachsende Bevölkerung letztlich auch ernährt werden könne. Man hätte es heute mit einem „verlorenen Gleichgewicht“ (Schmid 1992: 89) zu tun, das seine Ursache darin hätte, dass die dynamische Balance, die noch Naturvölker „zwischen ihrer Bevölkerungsgröße und den Nahrungsreserven“ (ebd.) herzustellen wussten im Zuge moderner Existenzweisen endgültig abhanden gekommen sei. Gemeinsamer Ausgangspunkt nahezu aller Beiträge ist die Feststellung, dass aufgrund der raschen Bevölkerungsentwicklung in den Entwicklungsländern zumindest kurzfristig ein enormer ‚Bevölkerungsdruck‘ auf der Nahrungsversorgung lastet (vgl. Cohen 1995, Smil 2001, Brown 2003). In dieser Diskussion um den Zusammenhang von allgemeiner demografischer Entwicklung und Nahrungsversorgung spielt das Phänomen einer weltweiten Urbanisierung eine immer bedeutendere Rolle. Der Beginn des 21. Jahrhunderts wird von einer tief greifenden sozialräumlichen Reorganisation der Weltbevölkerung begleitet. Vor allem Asien und Afrika weisen – bei allen regionalen Unterschieden - eine historisch einzigartige Urbanisierungsrate auf (vgl. UN 2002a u. 2007): „Die Zukunft der Menschheit liegt in den Städten“ – so die bedeutungsschwere Schlussfolgerung eines Expertenberichts zur weltweiten Stadtentwicklung (Hall/Pfeiffer 2000). Und in der Tat kann diese Aussage angesichts der weltweiten Entwicklung städtischer Zentren ein gewisses Maß an Plausibilität für sich beanspruchen. Urbanisierung ist einer der zentralen gesellschaftlichen Prozesse der letzten 150 Jahre und weltweit ist ein anhaltender Trend zur Verstädterung beobachtbar. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt wächst die Bevölkerung der Städte um mehr als 60 Millionen pro Jahr und nach Prognosen der UNO wird im Jahre 2025 zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit die Mehrheit der Weltbevölkerung in Städten beziehungsweise urbanen Ballungsräumen leben (vgl. UN 2001). Die Tatsache, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts lediglich circa 7% der Bevölkerung in urbanen Kontexten lebten (vgl. Berking 2002: 11, Burdett/Sudjic 2008), verdeutlicht die immense Dynamik, die dieser sozialräumlichen Reorganisation innewohnt. An der weit verbreiteten Form der Problematisierung dieses Sachverhalts fällt nun auf, dass das Verhältnis von demografischer Entwicklung und Ernährung ganz offensichtlich naturalisiert wird, indem gesellschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten als durch den jeweiligen Nahrungsspielraum ermöglicht, gehemmt oder gar verhindert interpretiert werden. Im Rahmen dieser Logik müssen Hungerkrisen zwangsläufig als etwas von Natur aus Gegebenes erscheinen. Was dabei aus dem Blick gerät, ist die Tatsache, dass die Zuteilung von Nahrung immer auch in sozialen Kontexten stattfindet und damit Nahrung beziehungsweise
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Nahrungsverteilung nicht auf eine physische und gesellschaftsfreie Bedürfnisbefriedigung reduziert werden können, sondern immer auch Ausdruck sozialer Ungleichheitsverhältnisse sind. In ganz ähnlicher Weise werden bis heute in entwicklungspolitischen Zusammenhängen Hunger, Armut und Umweltzerstörung naturalistisch auf ein ‚ungehemmtes‘ Bevölkerungswachstum in ‚Entwicklungsregionen‘ zurückgeführt. Dies gilt insbesondere für die Städte des Südens, denn auch hier „the terms in which the cities are discussed – urban ‚explosion‘, ‚catastrophe‘ – tend to assimilate them to natural disasters“ (Seabrook 1996: 5). Des weiteren fällt auf, dass diese Form der Problematisierung bisher von einander unabhängige Diskurse miteinander verknüpft: Wurden bisher Themen der Demografie, der Entwicklung, der Urbanisierung, der Ernährung und der Umweltzerstörung getrennt behandelt, erfolgt die Synthetisierung dieser vier Themenkomplexe in dem normativen Leitbild des ‚sustainable development‘ (vgl. Wehling 1997a). Die Bündelung dieser bisher separat diskutierten Problembereiche liest sich dann in einer hegemonialen Weise folgendermaßen: Vor allem in dem mit hohen Urbanisierungsraten verbundenen Bevölkerungswachstum des Südens, nicht selten als ‚Bevölkerungsproblem‘ bezeichnet, wird eine zentrale Ursache globaler und lokaler ökologischer Krisenerscheinungen gesehen, die es mit Blick auf das Leitziel der internationalen Umwelt- und Entwicklungspolitik, der so genannten nachhaltigen Entwicklung, zu kontrollieren gilt. Diese Bündelung bislang disparater Diskussionsstränge im Zuge ökologischer Krisenerscheinungen wirft bereits seit längerem schwer wiegende Fragen für die soziologische Theoriebildung auf. Denn was in diesen ökologischen Krisen aus fachspezifischer Sicht zum Schlüsselthema avanciert, ist die Frage nach dem Verhältnis von Gesellschaft und Natur. Insbesondere die Abgrenzbarkeit von Gesellschaft und Natur wird angesichts ökologischer Problematiken immer fragwürdiger, so dass Ulrich Beck bereits 1986 in seiner „Risikogesellschaft“ zu dem Schluss kam: „Natur kann nicht mehr ohne Gesellschaft, Gesellschaft kann nicht mehr ohne Natur verstanden werden“ (Beck 1986: 107). Doch es fragt sich, welche Konsequenzen dieses Diktum Becks für die soziologische Theoriebildung hat: „Müssen wir uns angesichts der tiefgehenden Störung unserer Naturverhältnisse stärker an der Natur (oder den naturalen Bedingungen unserer Existenz) orientieren, oder ist dies (weil Natur ein soziales Konstrukt ist) weder möglich noch wünschenswert?“ (Görg 1999: 9) Es gibt niemals nur einen Weg dieses schwierige Verhältnis theoretisch zu konzeptualisieren, aber die Soziale Ökologie, wie sie am Institut für sozialökologische Forschung in Frankfurt verstanden wird, ist der Weg, der in dieser Arbeit beschritten wird. Bei der Sozialen Ökologie handelt es sich nicht um ein fertiges Theoriegebäude, sondern vielmehr um ein Netz von Begriffen und Konzepten, welches zahlreiche offene Enden aufweist. Jedoch wird dieses stets vorläfige Theoriegerüst von der Überzeugung getragen, dass die Überlagerung sozialer, politischer, ökologischer und epistemischer Problemlagen, wie sie sich in ökologischen Krisenerscheinungen manifestieren, nur auf eine interdisziplinäre
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Weise theoretisch adäquat adressiert werden können. Die Antwort, die sie auf obige Frage gibt ist, dass das krisenhafte Verhältnis zwischen Gesellschaft und Natur nur dann erkannt, begriffen und gestaltet werden kann, wenn die Wechselwirkungen zwischen gesellschaftlichen und ökologischen Dynamiken in den theoretischen Blick genommen werden. Die gegenseitige Verwiesenheit nicht einfach auf symbolisch vermittelte Repräsentationen zu reduzieren, sondern in ihrer ‚realen‘ stofflichen und energetischen Struktur darzustellen, benennt hierbei die zentrale Herausforderung einer angemessenen Theoriebildung. Oder mit anderen Worten: Wie kann eine theoretisch angemessene Antwort auf die zu beobachtende Tendenz der Entmaterialisierung soziologischer Theoriebildung aussehen? Die zentrale Schwierigkeit eines solchen Unterfangens besteht nun allerdings darin, ein Verständnis von ‚Natur‘ zu entfalten, das auf der einen Seite ihre nicht abzustreitende Kontextabhängigkeit berücksichtigt, auf der anderen Seite an ihrer extra-diskursiven Bedeutung und Wirkmächtigkeit im Sinne eines nie vollkommen in Sprachspielen aufgehenden Restes (vgl. Žižek 1996) festhält; denn nur unter diesen Bedingungen macht letztlich die Rede von den Wechselwirkungen zwischen sozialen und ökologischen Dynamiken erst Sinn. Vor diesem Hintergrund ist die zentrale theoretische Hypothese dieser Arbeit, dass über das Wie der Entstehung und der Nutzung von Räumen aus soziologischer Sicht sozial-ökologische Zusammenhänge adäquat thematisiert werden können. Das zentrale gesellschaftliche Problem, das auf diese Weise adressiert werden soll, ist die bereits erwähnte adäquate Versorgung südlicher Städte mit ausreichend Nahrungsmitteln. Durch die Betrachtung von Raumordnungen erhält man, so die theoretische Annahme, Aufschlüsse über die Art und Weise der Regulierung urbaner Nahrungsversorgung, die auftretende Krisen nicht einfach in Form einer ‚Bevölkerungsexplosion‘ schlicht naturalisiert, sondern als Resultat einer Verschränkung sozialer und ökologischer Dynamiken freilegt. Die Idee, dass die konkrete materielle Nutzung des urbanen Raums einerseits die gesellschaftliche Entwicklungsdynamik in den Naturhaushalt übersetzt andererseits die Folgen und Rückwirkungen dieser Eingriffe in die Ökosysteme für die gesellschaftliche Entwicklungsdynamik greifbar werden lässt, setzt einen adäquaten Raumbegriff voraus, der in den raumtheoretischen Arbeiten von Martina Löw gefunden wurde. Somit erfolgt die eigene Diagnose als ein Schritt des Verstehens der Wechselwirkungen zwischen dem demographischen Prozess der Urbanisierung und der Nahrungsversorgung, indem dieser Zusammenhang in den begrifflichen Kontext der Sozialen Ökologie gestellt wird. Die Soziale Ökologie verbindet bekannte Begriffe wie Alltag, Bedürfnisse, Nahrung, Versorgung oder Urbanität mit einem Netz sozial-ökologischer Begrifflichkeiten und schafft dadurch neu konfigurierte Bedeutungen, die Probleme und die damit verbundenen Problemsichten in einem neuen Licht erscheinen lassen. Dann erst wird deutlich, wie in dem Diskurs um Urbanisierung und Nahrungsversorgung auf wissenschaftliche und gesellschaftliche Unterscheidungspraktiken rekurriert wird, durch die eine Grenze
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zwischen dem ‚Natürlichen‘ und dem ‚Gesellschaftlichen‘ gezogen wird, und noch viel wichtiger, wie dann das Unterschiedene aufeinander bezogen wird. In all diesen „Unterscheidungspraktiken verschränken sich immer Wissen und Macht“ (Becker/Jahn/Hummel 2006: 181) und dadurch sind wiederum bestimmte Lösungsansätze für als ‚natürlich‘ erachtete Probleme immer auch machtförmig verfasst: Sie legen bestimmte Lösungen nahe, andere werden verworfen, andere erst gar nicht gesehen. Die vorliegende Arbeit lässt sich mit Blick auf die unterschiedlichen Abstraktionsstufen, die in ihr durchlaufen werden, mit einer Sanduhr vergleichen. Im ersten Kapitel wird der theoretische ‚Werkzeugkasten‘ der Arbeit entfaltet, der deutlich machen soll was wie analysiert wird. Dabei werden alle drei Theorieabschnitte, sei es mit Bezug auf das Konzept der gesellschaftlichen Naturverhältnisse, das Modell eines Versorgungssysteme oder den Raum von der Frage nach dem Verhältnis der Sozialwissenschaften zur Materialität wie von einem roten Faden durchzogen. Dabei geht es auf theoretischer Ebene nicht so sehr um eine „Überbrückung von materieller und sozialer Welt“ (Heidenreich 2004: 33), sondern eher um die Frage, wie die Differenz von materieller und sozialer Welt als Verhältnis zu denken ist, ohne das eine auf das andere zu reduzieren. Es soll also jenseits von naivem Abbildrealismus und diskursiv beliebiger Welterzeugung aufgezeigt werden, dass sich die ‚Wirklichkeit‘ sozial-ökologischer Problemlagen aus einer komplexen Wechselwirkung zwischen ‚natürlichen‘ und ‚gesellschaftlichen‘ Elementen entwickelt, die immer auch anders hätte ausfallen können ohne gleich kontingent zu sein (vgl. Strübing 2005: 24). Wie kann Materialität gedacht werden ohne „einer fixen Idee einer idealen Gestalt der Materie nachzugeben, und damit also das Materielle letztlich doch wieder zum Substrat der gesellschaftlich-geschichtlichen Wirklichkeit zu erheben?“ (Bataille 1970: 179, Übersetzung CJ) In dem ersten Abschnitt wird zunächst das theoretisch-abstrakte Konzept der gesellschaftlichen Naturverhältnisse eingeführt. In diesem Begriff werden die dynamischen Beziehungen zwischen Natur und Gesellschaft gedacht, die immer sowohl in einer symbolischen als auch in einer materiellen Dimension ausgeprägt sind. Kernstück des Konzepts ist die Annahme der wechselseitigen und konstitutiven Verwiesenheit der beiden Bereiche und einer damit angestrebten Überwindung sozialkonstruktivistischer und naturalistischer Einseitigkeiten. Auch bei der Nahrungsversorgung werden derartige gesellschaftlichen Naturverhältnisse etabliert und so ist die in der Arbeit verfolgte These, dass die Problemlagen, die sich aus dynamischen Urbanisierungsprozessen für die Nahrungsversorgung ergeben (können), nicht monokausal auf das ‚Bevölkerungsproblem‘ reduziert werden dürfen, sondern als eine Folge der komplexen Verflechtung von natürlichen und gesellschaftlichen Phänomenen verstanden werden müssen und auch dargestellt werden können. Im zweiten Abschnitt wird dann vor dem Hintergrund des Konzepts der gesellschaftlichen Naturverhältnisse und mit starken Bezügen zu anthropologischen
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Positionen das sozial-ökologische Modell eines Versorgungssystems der Nahrung eingeführt und damit das Konzept gesellschaftlicher Naturverhältnisse weiter konkretisiert. Die Bedeutung anthropologischer Positionen speist sich nicht zuletzt aus der sozial-ökologischen Überzeugung, dass eine angemessene Theoriebildung sozial-ökologischer Problemlagen nur aus einer interdisziplinären Aufgeschlossenheit erfolgen kann1. Vor einem anthropologischen Hintergrund stellt sich für jede Gesellschaft das Problem, ihre Bevölkerung so mit Nahrungsmitteln, Energie, Wasser, Wohnraum, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen und anderen grundlegenden Gütern zu versorgen, dass Grundbedürfnisse angemessen befriedigt werden, Lebensqualität gewährleistet ist und die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten bleiben. Die Versorgung der Bevölkerung mit entsprechenden Gütern und Dienstleistungen in angemessener Qualität und Quantität ist daher eine wesentliche Voraussetzung für die Entwicklungs- und Reproduktionsfähigkeit von Gesellschaften. Um die Menschen in einem bestimmten Gebiet mit den oben genannten Gütern und Dienstleistungen zu versorgen, haben sich im Laufe der Geschichte spezifische Strukturen und Regulationsformen herausgebildet, die in dieser Arbeit als Versorgungssysteme bezeichnet werden. Innerhalb dieser sind stofflich-energetische, räumliche, technische, institutionelle sowie sozio-kulturelle Strukturen und Prozesse auf komplexe Weise miteinander verwoben. Versorgungssysteme vermitteln zwischen Natur und Gesellschaft, in ihnen wirken ‚Gesellschaftliches‘ und ‚Natürliches‘ zusammen und gerade durch dieses Zusammenwirken entsteht eine spezifische Problemdynamik. Der dritte Abschnitt bildet mit der Erarbeitung eines sozial-ökologischen Raumkonzepts das theoretische Kernstück dieser Arbeit: Raumkonzepte waren und sind zumeist in die Bestimmung dessen eingelagert, was jeweils unter Natur
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Die Soziale Ökologie, vor deren Hintergrund das Konzept eines Versorgungssystems und dessen praxistheoretischer Präzisierung gesehen werden muss, ist ein vergleichsweise junges theoretisches Unterfangen (vgl. Becker/Jahn 2006). ‚Neu‘ bedeutet in diesem Zusammenhang vor allem, dass mit dem Konzept der gesellschaftlichen Naturverhältnisse der Versuch einer synthetisierenden Wissenschaft unternommen wird, der ein angemessenes Denken des Verhältnisses von Individuum, Gesellschaft und Natur erlaubt. Derart (fach)grenzüberschreitende Theorieanstrengungen pflegt regelmäßig der Vorwurf des Eklektizismus und der Oberflächlichkeit zu begleiten. Solche Einwände sollte man zwar nicht unterschätzen, aber auch nicht überbewerten: Was letztlich zählt ist die analytische Fruchtbarkeit eines neuen Ansatzes und diese bemisst sich an seiner wirklichkeitsbezogenen Erklärungskraft. In diesem Sinne formuliert Renate Mayntz: „Theoretischer Eklektizismus im Sinne des Nebeneinanders verschiedener bereichsbezogener Theorien scheint unausweichlich, ja für eine Sozialwissenschaft, die nicht über Grundprinzipien diskutieren, sondern Wirklichkeit erklären will, sogar der einzige erfolgreiche Weg bei der Analyse sozialer Makrophänomene zu sein.“ (Mayntz 2002: 40) Oder mit Mary Dougals gesprochen: „Ich hoffe, dass mir die Experten, in deren Fachgebiet ich eingedrungen bin, diese Übertretung nachsehen werden, da es sich hier um einen Gegenstand handelt, der bisher darunter zu leiden hatte, dass er einseitig und nur innerhalb einer Disziplin bearbeitet wurde.“ (Douglas 1988: 9)
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verstanden werden soll (vgl. Günzel 2006: 19). Der Verknüpfungsversuch materieller und symbolischer Elemente und Dimensionen der gesellschaftlichen Naturverhältnisse und damit verbundener Handlungen über den Raum ist daher im Rahmen des Konzepts gesellschaftlicher Naturverhältnisse als Idee zwar nicht neu (vgl. Wehling 1997b), wurde aber bislang nicht weiter ausgeführt. Dies war nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass es bislang an für sozial-ökologische Problemlagen sensiblen und „differenzierten Raumkonzepten in den Sozialwissenschaften“ (Wehling 1997b: 76) mangelte. Dieses Defizit wurde mit den raumsoziologischen Arbeiten von Martina Löw behoben, auf die in der Erarbeitung eines sozial-ökologischen Raumkonzepts zentral aufgebaut wird. Löw begreift den Raum nicht als eine dem menschlichen Handeln übergeordnete und von ihm unabhängige Realität. Vielmehr ist die Konstitution von Raum in den Prozess des Handelns unmittelbar und direkt eingebunden, das heißt es geht um die Betrachtung der handelnden Herstellung von Räumen. Ziel ist es aber nicht, einen vornehmlich an Substanzen orientierten ‚Behälter-Raum‘ Begriff durch eine soziozentrische Gegenkonzeption zu ersetzten, in der die Existenz von Räumen ausschließlich an soziale Konstruktionsleistungen gebunden und ohne eigene Materialität erscheint. Die unfruchtbare Gegenüberstellung von sozial versus materiell versucht sie in enger Anlehnung an die Handlungstheorie von Giddens mit der Formel von der „Dualität von Räumen“ zu überwinden. Räume weisen demzufolge zwei wichtige Eigenschaften auf, die nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen: Durch Räume werden Ordnungen geschaffen, die Handlungen durch ihre materiellen und symbolischen Elemente in ihrer Kontingenz einschränken. Gleichzeitig verweist die Rede vom Prozess des Anordnens darauf, dass Räume sich erst über Handlungen konstituieren. Räumliche Ordnungen weisen damit immanent neben der Handlungsdimension immer auch eine strukturierende Dimension auf. Eine solch prozessuale Sicht auf den Raum fordert zur Kontexterkennung auf, verweist aber zugleich auch auf die Anerkennung des Transformationscharakters von ursprünglich als ‚unveränderbar‘ eingestuften Kategorien. Damit wird die lange Zeit in der Raumdebatte dominierende Vorstellung eines homogenen und unteilbaren Raums endgültig verabschiedet. Die Verschiebung der Fragestellung, die damit einhergeht, ist die von einem Was zu einem Wie: Es wird nicht mehr gefragt, was Räume sind, sondern wie sie zu Räumen gemacht und wie in ihnen symbolische und materielle Aspekte miteinander verknüpft werden. Das zweite Kapitel der Arbeit durchleuchtet dann vor dem Hintergrund der theoretischen Überlegungen des ersten Kapitels wissenschaftliche und gesellschaftliche Diskurse über den Zusammenhang von demografischer Entwicklung und Nahrungsversorgung im Allgemeinen und von Urbanisierungsprozessen und Nahrungsversorgung im Besonderen. Urbane Räume stellen ein historisch neues Muster der Regulation gesellschaftlicher Naturverhältnisse dar, indem sie Natur, Gesellschaft und Raum auf eine ganz spezifische Weise miteinander verweben. Zwischen urbanen Räumen und der Nahrungsversorgung hat es zu allen Zeiten
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der Menschheitsgeschichte stets eine enge Verbindung gegeben. Die Stadt hatte und hat bereits bei der administrativen Koordinierung der Nahrungsversorgung eine zentrale Bedeutung. Sie ist der Ort, an dem nahezu alle Arten von Nahrungserzeugnissen und Lebensmittelressourcen räumlich gebündelt und weiterverteilt werden. Urbanisierungsprozesse stellen besondere Anforderungen an Versorgungssysteme dar, da sie – wenn auch nach räumlichen und wirtschaftlichen Besonderheiten je spezifische – massive Auswirkungen sowohl auf städtische als auch auf außerstädtische Lebens- und Wirtschaftsweisen mit sich bringen. Angesichts der weltweit anhaltenden Verstädterungsprozesse liegt es auf der Hand, dass die ‚Zukunft der Menschheit‘ in den Städten nicht zuletzt von adaptiven Formen der Nahrungsversorgung abhängen wird. Zentrales Ziel dieses Abschnitts ist eine Präzisierung des metaphorisch als ‚Verwobenheit‘ bezeichneten Zusammenhangs von urbanem Raum, Natur und Gesellschaft. Auch hier stellt sich bei einem solchen Problemverständnis der wechselseitigen Verschränkung symbolischer und materieller Elemente aus sozialwissenschaftlicher Sicht die Frage, wie mit der physisch-materiellen Ebene in theoretischer Hinsicht innovativ umzugehen ist. Ein solcher Analyseschritt ist deshalb wichtig, da die in diesen Bezeichnungspraxen vorgenommenen Verknüpfungen von menschlichen Körpern und Bedeutungen, vor allem in der Diskussion um Bevölkerungsentwicklungen, in hohem Maße eine realitätskonstitutierende Wirkung besitzen. Das Nachzeichnen zentraler Diskussionslinien ist dabei nicht der Orientierung an eingespielte akademische Rituale geschuldet. Vielmehr bekommen in Bezug auf die Entwicklung einer kritischen Perspektive wissenschaftstheoretische Fragen nach der gesellschaftlichen Konstitution wissenschaftlicher Gegenstände oder solche nach der Selektivität von Methoden für bestimmte Interessen mehr als nur akademische Bedeutung und zwar deshalb, weil sich die quasi-neutralen Aussagen der Wissenschaften konkret auf Politik- und Regulierungsformen krisenhafter Zustände auswirken: Diskurse müssen als Praktiken behandelt werden, die systematisch jene Gegenstände bilden, von denen sie sprechen (vgl. Foucault 1983: 74f.). Bei der Betrachtung urbaner Räume des Südens kommen dabei insbesondere Arbeiten von Anthony King und David Simon zum Tragen, die entgegen des Hangs einiger Globalisierungstheorien, radikale Brüche zwischen der Vergangenheit und der jüngeren Gegenwart zu postulieren, vielmehr auf die Entstehung von verwobenen Herrschaftsstrukturen und überlappenden Souveränitäten im Zuge kolonialer und postkolonialer Geschichte südlicher urbaner Räume verweisen. Das dritte und letzte Kapitel enthält eine empirische Fallstudie zu Accra, der Hauptstadt Ghanas. Für die Auswahl einer afrikanischen Stadt sprechen aus Sicht der Fragestellung vor allem zwei Gründe (vgl. ausführlicher IV): Der afrikanische Kontinent weist weltweit zum einen die höchsten Urbanisierungsraten auf, zum anderen gestaltet sich die Nahrungsversorgung der urbanen Räume angesichts der insgesamt äußerst kritischen Versorgungslage besonders problematisch. Dabei werde ich mich auf einen wichtigen Knotenpunkt städtischer Nah-
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rungsversorgung konzentrierten, der urbanen Landwirtschaft. Angesichts hoher Urbanisierungsraten und einer oftmals damit verbundenen schlechten Versorgungslage entstanden in Accra, wie in vielen anderen südlichen Metropolen auch, Formen urbaner Subsistenzwirtschaft. Hierbei handelt es sich um eine Wirtschaftstätigkeit, die trotz ihrer Omnipräsenz (auch in Städten industrialisierter Länder) häufig unterbewertet wird. Urban Landwirtschaft kann zunächst definiert werden als „food production that take place in backyards, gardens or unused public space“ (de Nigris 1997: 9). Das Erkenntnisinteresse der geplanten Arbeit gilt an dieser Stelle der aus einer sozial-ökologischen Perspektive zu gewinnenden Präzisierung der Wechselwirkungen von Urbanisierungsprozessen und dem Versorgungssystem der Nahrung. Eine derartige Spezifizierung muss die jeweils relevanten sozialen und natürlichen Elemente, die in diesem Zusammenhang prozesshaft miteinander verknüpft werden, herausarbeiten. Als eine empirisch zugängliche Schnittstelle dieser ,hybriden‘ Vernetzung werden Formen urbaner Subsistenzwirtschaft und damit verbundener Raumordnungen durch städtische Akteure und Akteursgruppen untersucht. Anhand der konkreten Fallstudie zu Accra sollen damit die erarbeiteten theoretischen Ergebnisse des ersten Kapitels und die identifizierten Forschungsdesiderate aus dem zweiten Kapitel in der sozial-ökologischen Problemanalyse des dritten Kapitels zusammen geführt werden. Alle drei Kapitel der vorliegenden Arbeit werden damit von der Grundidee durchzogen, dass die Fragen nach dem Verhältnis von demografischer Entwicklung und urbaner Nahrungsversorgung und sich daraus ergebender Problemlagen nur dann adäquat adressierbar werden, wenn man sie unter dem Gesichtspunkt der wechselseitigen Verwiesenheit sozialer und ökologischer Dynamiken betrachtet. Die Soziale Ökologie kann als der Versuch angesehen werden, dieses Verhältnis in den Mittelpunkt ihrer Analysen zu stellen, und zwar zu einem Zeitpunkt, wo es im Zuge des anthropogenen Klimawandels scheinbar immer schwieriger wird, zwischen natürlichen und gesellschaftlichen Prozessen zu unterscheiden. Wie in einer solchen paradoxen Situation durch eine Verschiebung von Substanzen hin zu Relationen, von Strukturen hin zu Prozessen, von Identität hin zu Differenz dieses Verhältnis dennoch denkbar wird, ist das Struktur gebende Grundmotiv dieser Arbeit.
II.
Theoretisc her Ra hmen: Auf der Suche nach de r Mate ria lität
Die Weltbevölkerung umfasst gegenwärtig etwa 6,5 Milliarden Menschen. Auch wenn die aktuellen Wachstumsraten mittlerweile eine fallende Tendenz aufweisen, ist das absolute Wachstum mit geschätzten 76 Millionen Menschen pro Jahr nach wie vor beträchtlich. Dieses Wachstum ist jedoch ungleich verteilt, denn während die Länder des Südens das stärkste Wachstum verzeichnen, weisen die meisten Industrieländer stagnierende oder gar rückläufige demographische Entwicklungen auf (vgl. UN 2007). Über kaum ein anderes Thema wird in Gesellschaft, Politik und Wissenschaft kontroverser diskutiert als über die Ursachen und die Folgen dieser unterschiedlichen demographischen Entwicklungslinien (vgl. Hummel/Janowicz 2006), denn die zukünftige Entwicklung, die Altersstruktur und die räumliche Verteilung einer Bevölkerung berühren auf komplizierte Weise nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche. Die vorliegende Arbeit verbindet die Analyse der Bevölkerungsentwicklung mit Fragen nach der Adaption von Gesellschaften an demographische Veränderungen. Die Bevölkerungsentwicklung bildet aus dieser Perspektive eine Randbedingung gesellschaftlicher Veränderungsprozesse, wobei die besondere Aufmerksamkeit den Wechselwirkungen zwischen demographischen Entwicklungen und gesellschaftlichen sowie ökologischen Problemlagen gilt. Aus einer solchen Perspektive sind demnach nicht die Bevölkerungsveränderungen an sich problematisch, sondern fehlende oder nicht ausreichend ausgebildete Adaptionsmöglichkeiten von Gesellschaften an demographische Veränderungen. Solche Wechselwirkungen werden im Folgenden vor dem Hintergrund einer sozial-ökologischen Perspektive betrachtet – einer Betrachtungsweise, die die Beziehung zwischen Individuum, Gesellschaft und Natur in den Mittelpunkt der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit rückt. Die Soziale Ökologie hat ihren Ursprung nicht zuletzt in der vor zwanzig Jahren einsetzenden Umweltbewegung, die neben gesellschaftlichen Veränderungen nicht zuletzt auch eine ‚neue‘ Wis-
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senschaft forderte, wollte man die ökologische Krise adäquat begreifen und bewältigen. Gefordert wurden ökologische Alternativen zu einer an Fortschrittsideologien und Naturbeherrschung orientierten Wissenschaft – eine Forderung, der die Soziale Ökologie auf ihre eigene Art begegnet ist.
1. Soziale Ökologie Es waren nicht zuletzt die ersten aus einer Astronautenperspektive aufgenommenen Bilder eines ‚verletzlich‘ erscheinenden ‚blauen Planeten‘, welche der Menschheit mit einem Schlag die Endlichkeit der Welt mit ihren physischen und biologischen Einschränkungen bewusst machte. Zum ersten Mal entwickelte sich ein globales Bewusstsein für die Tatsache, dass die ‚Tragekapazität‘ und die ‚Widerstandsfähigkeit‘ des Ökosystems Erde unter den Belastungen menschlicher Naturnutzung zu kollabieren drohte, man es also möglicherweise sogar mit einer Gefährdung der „Überlebensbedingungen der Menschheit“ (Fetscher 1980) durch die ‚ökologische Krise‘ zu tun hatte. Mit der Rede von der ökologischen Krise wird somit zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte der Befürchtung Ausdruck verliehen, dass die mit dem zivilisatorischen Fortschritt verbundenen direkten und indirekten Beeinflussungen natürlicher Zusammenhänge aufgrund ihres globalen Ausmaßes und ihres irreversiblen Charakters die Zukunft der Menschheit gefährden. Die zum damaligen Zeitpunkt dominierenden Streitfragen der Ressourcenübernutzung, atomarer Unfallrisiken, CO- und SO2 Emissionen, Dioxine, Ozonloch, Treibhauseffekt, Waldsterben etc. schienen jedoch ausschließlich im Rahmen von naturwissenschaftlichen, medizinischen oder technischen Denkmodellen lösbar zu sein (vgl. als Überblick Brand 1997 u. 1998). So wurden auf der Grundlage von modernen naturwissenschaftlichen Mess- und Untersuchungsmethoden umfangreiche Analysen der Luft-, Wasser- und Bodenverschmutzung sowie der damit einhergehenden Gefährdung regionaler Ökosysteme und der globalen biologischen Vielfalt erstellt, die wiederum Grundlage für eine Vielzahl von umweltbezogenen Richtlinien, Grenzwerten und Verordnungen waren. Mitte der 1980er Jahre beginnt sich aber der Krisendiskurs deutlich zu verändern, denn die ökologische Krise bildet nun den Hintergrund für ein ganzes Bündel politisch und ethisch motivierter Gesellschaftskritik, die die moderne Vorstellung eines ungebremsten wissenschaftlich-technischen Fortschritts vehement zu kritisieren beginnt und als wesentliche Ursache ökologischer Gefährdungen anprangert. Ein bis heute zentrales Ereignis, welches aus diesem Bewusstseinswandel resultierte, war die 1992 in Rio de Janeiro statt findende UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung, an der sich erstmals Staaten sowohl aus den Industrieals auch aus den Entwicklungsländern zu dem Leitbild nachhaltiger Entwicklung, wie sie im so genannten Brundtland-Report 1987 maßgeblich definiert wurde, verpflichtend bekannten.
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Spätestens zu diesem Zeitpunkt lassen sich in der Diskussion um die ‚ökologische Krise‘ zwei bemerkenswerte Verschiebungen konstatieren. Die erste Auffälligkeit in der Begriffsverwendung ‚ökologische Krise‘ liegt darin, dass mit ihr nicht einfach nur eine weitere Krise auf den Plan der Geschichte getreten ist, sondern mit ihrer Etablierung im gesellschaftlichen Krisendiskurs eine entscheidende Bedeutungsverschiebung einhergeht. Zunächst einmal wurde deutlich, dass Konflikte um Rinderwahnsinn, Wiederaufarbeitungsanlagen oder Kohlendioxidemissionen angesichts ihrer globalen Konstitution und Auswirkung eingefahrene politisch-administrative Regulierungsformen weitestgehend unbrauchbar machten und somit die ökologische Krise nicht zuletzt als Krise des Politischen erfahren wurde (vgl. Jahn 1991, Beck 1993). Während jedoch traditionelle Krisenbegriffe – ‚Krise der kapitalistischen Ökonomie‘, ‚Krise der Wohlfahrtsgesellschaft‘ oder ‚Krise der Arbeitsgesellschaft‘ allenfalls kritische Verhältnisse rein gesellschaftlicher Bereiche näher zu bestimmen versuchten, liegt der entscheidende Unterschied nun darin, „dass letzterer (der ökologische Krisendiskurs, CJ) sich immer auch auf Störungen der materiellen ‚Natur der Natur‘ bezieht, die durch ‚soziale‘ – kommunikative, symbolische – Problemverschiebungs- und Kontrollstrategien nie vollständig zum Verschwinden gebracht werden können“ (Jahn 1991: 71, Hervorh. CJ). Mit anderen Worten: Die neuartige Qualität der „ökologischen Selbstgefährdung“ (Brand 1998: 24) verdeutlicht, dass die gesellschaftliche Wahrnehmung von Natur zwar stets in (kontroverse) kulturelle Deutungen eingebettet und mit Verteilungskonflikten verknüpft ist, Natur gleichzeitig aber auch stets eine konkrete, nicht in Diskurspraktiken auflösbare, stofflich-materielle Basis besitzt. Eine zweite, für die in dieser Arbeit behandelte Frage der Wechselwirkung zwischen Urbanisierungsprozessen und Versorgungssystemen der Nahrung in Entwicklungsregionen wichtige Verschiebung des ökologischen Krisendiskurses besteht in seiner Fähigkeit, die bisher von einander unabhängig geführten Diskurse der Umwelt- und Entwicklungspolitik miteinander zu verknüpfen (vgl. ausführlich II): Wurden bisher Themen der Demografie, der Entwicklung, der Urbanisierung und der Umweltzerstörung getrennt behandelt, erfolgt die Synthetisierung dieser vier Themenkomplexe in dem normativen Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung (vgl. Wehling 1997a). Diese Verschiebungen im gesellschaftlichen Diskurs schlagen aber zunehmend auch auf das Wissenschaftsverständnis und -system selbst durch. Immer stärker wird die Rolle der Naturwissenschaften als zweischneidiges Schwert, als Krisenverursacher und Heilmittel zugleich, ins Zentrum wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Auseinandersetzungen gerückt. Was im Angesicht ökologischer Krisen immer fragwürdiger wird, ist die moderne Vorstellung einer von natürlichen Prozessen nahezu unabhängigen gesellschaftlichen Entwicklung auf der einen Seite, aber auch das traditionelle Bild einer von Menschen unbeeinflussten Natur, die ausschließlich ihren immanenten Gesetzen folgt. Darin spiegelt sich eine Veränderung der Wahrnehmung, die der Soziologe Ulrich Beck mit dem
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viel zitierten Satz „Natur kann nicht mehr ohne Gesellschaft, Gesellschaft kann nicht mehr ohne Natur begriffen werden“ (Beck 1986: 107) auf den Punkt bringt. So werden Alternativen zu einer ausschließlich an naiven Fortschrittsideologien und Naturbeherrschung orientierten Lösungsansätzen der ökologischen Krise eingefordert. Dabei eint die durch die ökologische Krise angestoßenen neuen Suchbewegungen die gemeinsame Überzeugung, dass „neuzeitliche Wissenschaft, analytisches Denken und technische Rationalität ... auf diesem Weg überwunden werden sollen“ (Becker/Jahn 2006a: 14). Obwohl die Soziale Ökologie ähnliche Ziele verfolgt, entwickelt sie sich dennoch in kritischer Distanz zu solchen Bestrebungen, denn was sie wesentlich von ihnen unterscheidet, ist das Festhalten an der Überzeugung, dass eine lebenspraktisch orientierte Wissenschaft einen Ausweg aus der ökologischen Krise weisen kann. So wird auch nicht nach Alternativen zur Wissenschaft, sondern in der Wissenschaft gesucht, die „sich an einem neuen Verhältnis der Menschen zur Natur und zu sich selbst orientieren“ (vgl. ebd.: 15). Damit nimmt zunächst auch die Soziale Ökologie ihren Ausgangspunkt in der Diagnose eines schwerwiegenden Orientierungsproblems in Bezug auf die Gestaltung der menschlichen Beziehungen zur Natur, welches der Philosoph Martin Seel folgendermaßen formuliert: „Entweder ist der Schutz der Umwelt im Namen eines Rechts der Natur geboten, oder er ist im Namen unseres Interesses an einer bekömmlichen Umwelt empfohlen. Entweder, so scheint es, sind die verbindlichen Formen des Lebens dem Menschen durch die Natur gegeben, oder aber sie sind vom Menschen auch gegenüber der Natur gesetzt. Entweder, so scheint es, ist die Natur Vorbild, oder sie ist ein Nachbild.“ (Seel 1996: 11) Die Soziale Ökologie entzieht sich jedoch diesen beiden nahe liegenden Alternativen und setzt gegen das ausschließende Entweder-Oder ein komplementäres Sowohl-als-auch. In der allgemeinsten Form geht es damit bei der Sozialen Ökologie um die Beschreibung der Wechselbeziehungen zwischen gesellschaftlichen und natürlichen Prozessen und der komplexen Dynamiken, die sich aus diesen Verflechtungen ergeben können (vgl. Becker/Jahn/Hummel 2006: 189). Damit wird der Einsicht Rechnung getragen, dass ökologische Krisen nur als sozialökologische Krisenphänomene angemessen theoretisiert und verstanden werden können, sie sich also weder als Vergesellschaftung der Natur noch als Naturalisierung der Gesellschaft begreifen lassen. Durch Formen der doppelseitigen Kritik an naturalistischen (vgl. II/1.1.1) und sozio-zentrischen Positionen (vgl. II/1.1.2) wird ein neuer Denkraum eröffnet, der es erlaubt, einen produktiven Ausweg aus den Blockaden und Lähmungen aktueller Debatten zu beschreiten, indem sowohl neue Möglichkeiten der Theoretisierung als auch der Gestaltung sichtbar werden (vgl. II/1.2). Wie dieser Weg nun in der Sozialen Ökologie ausgestaltet wird und welche epistemischen, ontologischen und methodologischen Konsequenzen dieser Pfad nach sich zieht, wird Inhalt der nächsten Abschnitte sein.
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1.1 Ökologische Krisen als Herausforderung der Soziologie Die Sozialwissenschaften haben sich mit der Thematisierung der ‚ökologischen Krise‘ lange Zeit äußerst schwer getan (vgl. als Überblick Brand 1998, Görg 1999). Als Gründe für diese thematische ‚Blindheit‘ der Sozialwissenschaften werden in der Regel disziplin- beziehungsweise wissenschaftshistorische Gründe angeführt. Die seit Kant gezogene Demarkationslinie zwischen einer Ordnung der wirkenden Ursachen (Natur) und einer Ordnung der gesetzten Zwecke (menschliches Handeln/Gesellschaft) hat zur Ausbildung zweier epistemischer Kulturen geführt, für die eine strikte Trennung der Gegenstandsbereiche konstitutiven Charakter hat (vgl. exemplarisch Böhme/Böhme 1985): Hier die Naturwissenschaften mit dem Ziel, Kausalzusammenhänge mit naturwissenschaftlichen Methoden zu erklären; dort die Sozialwissenschaften in ihrem Bestreben, Kulturwirklichkeit zu verstehen. So unterschiedlich die Definition des ‚Sozialen‘ bei den Gründungsvätern der Soziologie auch gewesen sein mag, identitätsstiftender kleinster gemeinsamer Nenner war die ontologisch folgenreiche Annahme, dass gesellschaftliche Phänomene als eine Realität sui generis zu begreifen sind und somit auch nicht durch den Rekurs auf ‚außer-soziale‘ Faktoren in ihren Wirkmechanismen verstehbar waren beziehungsweise sind (vgl. Ritsert 1996). Diese Ausgrenzung naturalistischer Erklärungsperspektiven erfolgte wesentlich in einem Gesellschafts- und Kulturbegriff, der seine Konturen entscheidend aus einer Abgrenzung zur ‚Natur‘ bezog. Auch wenn in diversen Gegenbewegungen unterschwellig schon immer Vorbehalte gegen diese dualistische Verfassung des modernen Wissenschaftssystems zum Ausdruck gebracht wurden (vgl. Becker 1998: 33f.), so wurde doch erst mit dem Aufkommen der ökologischen Krisendebatte dieses hegemoniale Wissenschaftsverständnis nachhaltig in Frage gestellt. Diese wissenschaftshistorischen Entwicklungslinien sind hinlänglich bekannt und müssen daher an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden (vgl. Kropp 2002, Groß 2006, Becker/Jahn 2006). Entscheidender ist vielmehr, welche Antworten auf die erkannten Defizite gegeben werden. Zunächst einmal steht die konstitutionstheoretische Frage nach der disziplinären Identität im Raum. Wenn Gesellschaft nicht mehr ohne Natur und Natur nicht mehr ohne Gesellschaft zu erklären ist, was heißt das dann für die Soziologie?
1.1.1 Natur als Maßstab Eine theoretische Neuorientierung der Soziologie in Form einer naturalistischen Fundierung derselben wurde bereits früh von William Catton und Riley Dunlap formuliert (vgl. Dunlap/Catton 1979). Das von ihnen vertretene ‚new ecological paradigm‘ wollte mit dem anthropogenen Charakter bisheriger Theorien aufräumen, indem gegenüber ‚herkömmlichen‘ Theorien darauf beharrt wurde, dass der Mensch nur eine Spezies unter anderen sei und dass seine zugegebenermaßen
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hohe Anpassungs- und Lernfähigkeit dennoch nicht darüber hinwegtäuschen könne, dass seine Lebensgrundlage physische und biologische Grenzen aufweise, deren Zerstörung auch zwangsläufig seine eigene Vernichtung impliziere. Eine derart ‚materialistische‘ Perspektive ist auf den ersten Blick unmittelbar eingängig, denn ökologische Schäden machen sich nicht zuletzt in ihrer Materialität negativ bemerkbar, „nämlich in der Erfahrung, dass man von den ökologischen Bedingungen sozialer Reproduktion nicht beliebig abstrahieren kann“ (Görg 2003b: 124). Die Vorstellung von der eingeforderten theoretischen Neuorientierung wurde wesentlich von der Ökologie geprägt, „der biologischen Umweltlehre par excellence“ (Becker 1998: 35). In einer sehr allgemeinen Definition der Ökologie kann sie beschrieben werden als diejenige Wissenschaft, die sich mit den Wechselbeziehungen zwischen Organismen und ihrer jeweiligen Umwelt befasst. Im Wesentlichen wurde versucht, die Soziologie zu ökologisieren, indem zentrale Ergebnisse und Methoden ökologischer Forschung auf Gesellschaften übertragen wurden (vgl. Wehling 1989). Gesellschaften werden so als funktional vernetzte Ökosysteme konzipiert. Anleihen wurden aber auch bei der Biologie gemacht, mit dem Ziel, über eine „Rückbesinnung auf die Prinzipien der natürlichen Evolution“ (Wehling 1989: 7) das gestörte Verhältnis von Mensch und Natur wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Die Integration ökologischer und biologischer Systembegrifflichkeiten in soziologische Theorieprogramme – Kreislaufprinzip, Anpassung, natürliche Gleichgewichte, homöostatische Regulierung etc. – verfolgt dabei eine doppelte Strategie: Zum einen zielt die Berücksichtigung entsprechender Wissensbestände auf eine (natur-)wissenschaftliche Fundierung der formulierten Erkenntnisse, welche nicht selten in eine radikale Kritik industrieller Wachstumsvorstellungen mündet. Zum anderen liefert der ökologische Blickwinkel den Maßstab für die normative Neubewertung dessen, was Selbstverwirklichung, Fortschritt und Wohlstand, gemessen an der naturwissenschaftlich feststellbaren ökologischen Verträglichkeit, zukünftig sein sollen. An dieser Stelle wird jedoch das ganze Dilemma dieser Position deutlich: Normativer Bezugspunkt und daraus abgeleiteter Handlungsimperative ist der naturalistische Fokus einer objektiv wachsenden ökologischen Bedrohung menschlicher Gesellschaften – die Kontroversen um Versuche, die harte Realität der Fakten naturwissenschaftlich exakt zu bestimmen (Grenzwerte, Erderwärmung, Klimaveränderung etc.), machen aber deutlich, dass eine eindeutige Bestimmung der Grenzen ökologischer Tragfähigkeit naturwissenschaftlich nicht möglich ist. Der bekannte Zirkel von Expertisen und Gegen-Expertisen hat die Naturwissenschaften in ihrem universellen „Wahrheits- und Aufklärungsanspruch entzaubert“ (Beck 1986: 254), so dass die (Natur-)Wissenschaft in der Arena umkämpfter Verwendungen verschiedener Naturverständnisse ihre Rolle eines ‚objektiven‘ Schiedsrichters zunehmend verliert. Damit wird ein zentrales Projekt der Moderne, die Fundierung einer Seinsgewissheit durch die Naturwissenschaften, immer zweifelhafter. Diese Problematik offenbart sich bereits in der
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Ökologie selber, denn „in der biologischen Tradition ist offen und umstritten, welche Organismen und welche Beziehungen gemeint und was jeweils unter Umwelt zu verstehen ist“ (Becker 2003: 177). In den Konzepten der Ökosystemforschung geraten auf der einen Seite die vielfältigen Verflechtungen zwischen Natur und Gesellschaft unter energetischen und materiell-stofflichen Aspekten ins Blickfeld der Überlegungen. Die Rekonzeptualisierung der ökologischen Krise mittels der ökologischen Systemtheorie entlehnten Begriffen dient in erster Linie der Formulierung quantitativer Gleichgewichts- und Wachstumsstörungen. Damit wird jedoch auf der anderen Seite der wesentlich anthropogene Charakter der Ökologieproblematik übersehen, das heißt es wird vernachlässigt an welche konkreten Praxen, Machtstrukturen und kulturellen Deutungen dieser Stoffwechsel gekoppelt ist (vgl. Böhme 2003: 21). Ebenso werden die Reaktionsfähigkeiten und -potentiale von Gesellschaften systematisch unterschätzt, indem die prinzipielle Gestaltbarkeit gesellschaftlicher Naturverhältnisse durch naturalistisch begründete Strukturzwänge unterlaufen wird (vgl. zusammenfassend Brand 1998: 15f., Görg 1999: 174f.). Was dabei verloren geht, ist nicht weniger als die Einsicht in die Bedeutung des engen Zusammenhangs zwischen (kulturell geprägtem und historisch variablem) Naturbegriff und Möglichkeitsraum gesellschaftlicher Entwicklungen (vgl. Merchant 1987).
1.1.2 Natur als gesellschaftliche Konstruktion Diese Vorgehensweise blieb daher aus guten Gründen nicht unkritisiert. So haben Untersuchungen, die unter dem Label ‚science studies‘ firmieren (als Überblick vgl. Knorr-Cetina 1989, Heintz 1993, Felt/Nowotny/Taschwer 1995), mit dem Hinweis auf die gesellschaftliche Bedingtheit ‚harter‘ naturwissenschaftlicher ‚Wahrheit‘ diese Strategie als äußerst fragwürdig entlarvt und ihr eine Reihe sozio-zentrischer Ansätze entgegen gestellt. Sozio-zentrische Beiträge zur Ökologieproblematik nehmen ihren Ausgangspunkt in den jüngsten Tendenzen (feministischer) Erkenntniskritik, die sich durch eine Denaturalisierung beziehungsweise eine Entmaterialisierung der Theoriebildung charakterisieren lassen (vgl. Derrida 1994, Soper 1995, Butler 1995). Während die theoretische Figur der Denaturalisierung im Zuge eines Zweifels an der Möglichkeit objektiver Erkenntnis im Wesentlichen eine umfassende Kritik positivistischer und naturalistischer Ansätze darstellt, radikalisiert der Begriff der Entmaterialisierung diese theoretische Stoßrichtung, indem er in einer totalen Negation jegliches Nichtdiskursiven die Produktion von Materialität selbst kulturellen Prozessen unterwirft (vgl. Weber 2003: 74f.). Im Zentrum sozio-zentrischer Ansätze steht somit im Anschluss an diese Strömungen der Erkenntnistheorie die Untersuchung der historischen Veränderbarkeit gesellschaftlicher Naturbegriffe. Sie sehen im Naturbegriff vor allem die soziale Projektion gesellschaftlicher Verhältnisse und fragen nach deren ‚gram-
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matischen‘ Konstruktionsregeln. Im Rahmen einer ganzen Reihe von begriffsgeschichtlichen Arbeiten konnten beeindruckend die Wandlungen und Differenzen in den Vorstellungen, Mythen und Interpretationen von ‚Natur‘ nachgezeichnet werden (vgl. Merchant 1987, Heiland 1992, Soper 1995, Kropp 2002). Die Variabilität des Naturbegriffs unterstreicht die konstitutionelle Verwiesenheit von Gesellschaft und Natur, was bedeutet, „dass wir nicht über Natur sprechen können, ohne zugleich über Gesellschaft zu reden“ (Kropp 2002: 99). Untermauert wird diese These mit reichhaltigem historischen Material, das deutlich macht, dass ‚Natur‘ in der gesamten Geschichte der Menschheit immer wieder umgedeutet und herangezogen wurde, um rassistische, sexistische, anthropozentrische und andere Formen gesellschaftlicher Ordnungen essentialistisch zu legitimieren (vgl. exemplarisch Duden 1991a u. b, Soper 1995). Vor dem Hintergrund der wechselvollen kulturellen Ideengeschichte des Naturbegriffs wird jedem Bezug auf ‚Natürlichkeit, ‚Natur‘ und ‚Ursprünglichkeit‘ von konstruktivistischer Seite mit großem Unbehagen und Misstrauen begegnet. Die Quintessenz sozio-zentrischer Überlegungen zur ökologischen Krise lautet somit pointiert formuliert: Jede ökologische Bedrohung ist zunächst einmal eine gesellschaftliche Konstruktion und liegt nicht in der ‚Natur der Dinge‘. Die oftmals als naiv dequalifizierte ökologisch motivierte Heraufbeschwörung von ‚natürlicher Ordnung‘ als Maßstab des Umgangs mit ökologischen Krisenphänomenen wird letztlich als Strategie entlarvt, den grundsätzlich strittigen und unsicheren Naturbegriff wieder zu vereindeutigen. Tatsächlich konnte eine ganze Reihe von Untersuchungen zu Umweltdiskursen jeweils unterschiedliche Naturvorstellungen, und damit verbunden auch differente Vorstellungen eines ‚idealen‘ Verhältnisses von Natur und Gesellschaft, herausarbeiten, die wiederum der Absicherung völlig differenter Argumentationsstrategien der Hauptakteure dienen (vgl. exemplarisch Dryzek 1995). Der sicher radikalste und provokativste Schritt in Richtung einer Entmaterialisierung der Ökologieproblematik liegt in der Systemtheorie Luhmanns vor. Paradoxerweise leitet die Luhmannsche Orientierung soziologischer Theoriebildung an biologischen Prozessen den bisher radikalsten Konstruktivismus in Bezug auf die Behandlung der ökologischen Krise ein: „Es geht nicht um die vermeintlich objektiven Tatsachen ... Das mag alles der Fall sein, erzeugt als physikalischer, chemischer oder biologischer Tatbestand jedoch keine gesellschaftliche Resonanz, solange darüber nicht kommuniziert wird.“ (Luhmann 1986: 62) Luhmanns theoretische Entscheidung, soziale Systeme als autopoietische Systeme zu fassen, deren Reproduktion ausschließlich über teilsystemspezifische Kommunikation erfolgt, beschränkt die Analyse der ökologischen Krise auch auf die Analyse eben dieser Kommunikationsprozesse. Was hier systemtheoretisch reformuliert wird, ist die Einsicht, dass die Wahrnehmung und Behandlung ökologischer Risiken maßgeblich über gesellschaftliche Institutionen erfolgt (vgl. Douglas/Wildavsky 1982). Luhmann trifft damit entgegen einem weit verbreiteten Missverständnis keine Aussagen über die Existenz oder Nicht-Existenz öko-
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logischer Gefährdungslagen, ebenso wenig wie er behauptet, die gesellschaftliche Wahrnehmung determiniere deren Realität als ‚natürliche‘ Phänomene. Er fokussiert einzig und ausschließlich auf deren Realität als gesellschaftlich bedeutsame Sachverhalte (vgl. Görg 1998: 58). Was dabei allerdings im Dunkeln bleibt, ist die wichtige Frage, wie sich denn die gesellschaftlich bedeutsamen sinnhaft-symbolischen Konstruktionen zu den materiellen, nicht-sinnhaften Aspekten dieser Tatbestände verhalten. Abschließend lässt sich festhalten, dass die wissenssoziologische beziehungsweise konstruktivistische Konzeption von (naturwissenschaftlichen) Wissensobjekten als in Erzählungen eingebettete soziale Konstruktion zwar mit der naiven Vorstellung einer die Erkenntnis determinierenden, ‚objektiven‘ Natur aufräumt, aber hinsichtlich der Materialität von Natur eine Reihe von Fragen aufwirft, die im Rahmen dieser Theorien letztlich unbeantwortet bleiben müssen. Der anti-naturalistische und konstruktivistische Zugang dieser Ansätze führt zu einer einseitigen Beschäftigung mit den symbolischen Dimensionen gesellschaftlicher Naturverhältnisse; damit steht vor allem das Aufdecken historisch wandelbarer Naturbegriffe im Mittelpunkt wissenschaftlicher Erkenntnisbildung. Was dabei außen vor bleibt, sind vor allem die materiell-stofflichen Aspekte dieses Verhältnisses. Die einseitige Konzentration auf die Rekonstruktion situativ variabler Naturvorstellungen macht eine Berücksichtigung außersprachlicher Phänomenzusammenhänge unmöglich: „Die Fähigkeit natürlicher Phänomene zu überraschen, der Vergesellschaftung einen spezifischen Widerstand zu leisten, genau so ‚wirksam‘ zu sein wie soziale Diskurse, bleibt vollkommen ausgeblendet.“ (Kropp 2002: 118)
1.2 Das Konzept der Gesellschaftlichen Naturverhältnisse „Darf ich sie etwas fragen? sagte er und zog einen zerknitterten Zettel aus seiner Tasche, auf den er einige Stichworte gekritzelt hatte. Er hielt den Atem an: Glauben Sie an die Wirklichkeit?“ (Latour 2000: 7) Auf den ersten Blick mutet diese von einem Psychologen im Rahmen einer Konferenz an Bruno Latour gerichtete Frage bizarr an und erscheint erst vor dem Hintergrund der zum Teil spektakulären Einsichten der neueren Wissenschaftsforschung in die soziale und lokale Bedingtheit wissenschaftlicher Erkenntnis nachvollziehbar (vgl. als Überblick Pickering 1992). Nochmals radikalisiert wurden diese Einsichten durch Ansätze, die essentialistische Vorstellungen von Wirklichkeit in Konzeptionen von ‚Schrift‘, ‚Diskurs‘ und ,Text‘ sprachspieltheoretisch vollständig auflösen: „Niemals werden uns das fundamentale Signifikat, der Sinn des repräsentierten Seins und noch weniger die Sache selbst leibhaftig, außerhalb eines Zeichens oder eines Spiels gegeben sein.“ (Derrida 1994: 456). Allerdings gilt es, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten (vgl. Callon/Latour 1992). So ergibt sich eine Relativierung der epistemischen Reichweite der science studies, wenn man sich die Vorläuferarbeiten von Fleck (1980), Feyerabend (1976) und Kuhn (1976) in Er-
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innerung ruft. Deren Thesen von der empirischen Unterdeterminiertheit von Theorien und der Theoriegeleitetheit empirischer Beobachtung machen deutlich, dass theoretische Aussagen weder durch Beobachtungsdaten eindeutig determiniert werden, noch dass diese Beobachtung kontextfrei gedacht werden kann. Die dadurch entstehende ‚interpretative Flexibilität‘ (vgl. begriffsprägend Collins 1992) experimenteller Ergebnisse verweist darauf, dass die Entstehung eines neuen Paradigmas immer auch einen sozialen Prozess beinhaltet, in dessen Verlauf andere Wissenschaftler von den eigenen Erkenntnissen überzeugt werden müssen. Diese Überzeugungsarbeit findet aber nicht im luftleeren Raum statt, das heißt, um im Bild zu bleiben, aus der Luft gegriffene Diagnosen ohne empirische Unterfütterung können langfristig nicht durchgehalten werden. So gesehen haben die science studies dem Wissenschaftsbetrieb nicht Realität entzogen, sondern ganz im Gegenteil, Realität hinzugefügt. Auch wenn damit in der Realismus-Konstruktivismus-Debatte nicht unbedingt der archimedische Punkt gefunden ist, so stellt er doch den Ausgangspunkt der Theorie Gesellschaftlicher Naturverhältnisse dar. Das Konzept gesellschaftlicher Naturverhältnisse geht wesentlich davon aus, dass die Sozialwissenschaften sich vor allem dann produktiv auf die theoretische Herausforderungen, die mit ökologischen Krisen verbunden sind, beziehen können, wenn gerade diejenigen Elemente und Aspekte aufgegriffen werden, die herkömmliche sozialwissenschaftliche Theorieansätze und Grundlagen in Frage stellen (vgl. Wehling 1997a: 35). Mit dem Konzept gesellschaftlicher Naturverhältnisse wird ein Versuch unternommen, die oben dargestellten aktuellen Einseitigkeiten und Blockaden vieler zeitgenössischer Theoriekonzepte zu überwinden. Es werden Möglichkeiten der Theoriebildung ausgelotet, die sich jenseits von ‚Naturalisierung‘, ‚Sozialisierung‘ oder ‚Diskursivierung‘ bewegen, indem sowohl die stofflich-energetische als auch die kulturell-symbolische Dimension angemessen differenziert und in die empirische Forschung integriert werden. Was aber ist nun unter den gesellschaftlichen Naturverhältnissen zu verstehen, mit welchen epistemischen, ontologischen und methodologischen Annahmen arbeitet dieses Konzept? In ihren Bemühungen einen neuen Denkraum zu eröffnen, folgt die Soziale Ökologie eher der Lévi-Strausschen Logik des Bastlers als der des kartesischen Ingenieurs. Descartes hat in der Errichtung seines Denkgebäudes immer wieder auf die architektonische Metapher des Hausbaus zurückgegriffen, wollte er die mit seinem radikalen Zweifel verbundene Tabula rasa dem Leser verständlich machen. Als er beginnt, erste Denkanstrengungen bezüglich einer Neubegründung der wissenschaftlichen Methode zu unternehmen, ist einer seiner ersten Erkenntnisse, dass „Werke, die aus mehreren Stücken bestehen und von der Hand verschiedener Meister stammen, häufig nicht so vollkommen sind wie die Arbeiten eines einzelnen. So kann man beobachten, dass Bauten, die ein Architekt allein unternommen und ausgeführt hat, für gewöhnlich schöner und harmonischer sind als solche, die mehrere versucht haben umzuarbeiten, indem sie alte, zu anderen Zwecken gebaute Mauern benutzten“ (Des-
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cartes 1996b: 19). Diesen Makel zu beseitigen und eine festes, unanzweifelbares Fundament zu legen, ist Ziel seines radikalen Zweifels, „Erde und Sand beiseitewerfen, um Fels oder Ton zu finden“ (ebd.: 47). In seiner Arbeit „Das wilde Denken“ (1968) greift Lévi-Strauss diese Ingenieurs-Metapher Descartes’ auf und setzt ihr das Bild des Bastlers entgegen. Die Vorgehensweise des Bastlers ist eine ganz andere als die des kartesischen Architekten: „die Welt seiner Mittel ist begrenzt, und die Regel seines Spiels besteht immer darin, jederzeit mit dem, was ihm zur Hand ist auszukommen, das heißt mit einer stets begrenzten Auswahl an Werkzeugen und Materialien, die überdies noch heterogen sind, weil ihre Zusammensetzung in keinem Zusammenhang zu dem augenblicklichen Projekt steht …, sondern das zufällige Ergebnis aller sich bietenden Gelegenheiten ist, den Vorrat zu erneuern oder zu bereichern oder ihn mit den Überbleibseln von früheren Konstruktionen oder Dekonstruktionen zu versorgen“ (Lévi-Strauss 1968: 30). Das bedeutet nicht, dass seine Vorgehensweise und sein Denken beliebig und zufällig wären, wohl aber, dass der Bastler nie unabhängig von seiner Umwelt ist, „immer bleibt er angewiesen auf eine Welt von Vorfahren, Zeitgenossen und Mitdingen, die er nicht als souveräne Werke nur konserviert und interpretiert“ (Seitter 1990: 422). Deshalb ist Soziale Ökologie auch nur als selbstreflexives Projekt möglich, denn sie verhält „sich nicht nur kritisch gegenüber den Verheißungen des Fortschrittglaubens, sondern auch gegenüber der Wissenschaft insgesamt – ihre eigene Praxis eingeschlossen“ (Becker/Jahn 2006a: 13). Betrachtet man weiterhin das Terrain, innerhalb dessen sich die wissenschaftliche Praxis der Sozialen Ökologie entwickelt hat, wird eine ganze Reihe von Nachbarschaften und ‚verwandtschaftlichen‘ Beziehungen deutlich, wie beispielsweise zur Humanökologie, zum Wiener Ansatz der Sozialökologie, zur Kritischen Theorie, zu Aktor-Netzwerktheorie Latours und zu vielen mehr. Diese Beziehungen werden im Laufe der Arbeit deutlich werden, wenngleich die eigene Position der Sozialen Ökologie in diesem Feld weniger aus einer kritischen Absatzbewegung gegenüber diesen Ansätzen erfolgt, sondern ihre Konturen vielmehr aus der Fokussierung auf die bearbeitete Problemstellung gewinnen wird. Denken in Verhältnissen In der sozialwissenschaftlichen Wahrnehmung ökologischer Krisenphänomene drückt sich ein Verlust an Gewissheit und eine damit verbundene Unsicherheit aus. Diese Unsicherheit rührt wesentlich aus der Schwierigkeit, die diagnostizierten Krisenphänomene mit den bisherigen Formen unseres Verstehens, Handelns und Bezugnehmens in Zusammenhang zu bringen: Welchen Einfluss haben materielle Gegenstände und natürliche Gegebenheiten auf die Entwicklung von Gesellschaften? Wie lassen sich weiterhin diese Einflüsse theoretisch konzeptualisieren und empirisch erfassen? Aber auch die umgekehrte Richtung ist von entscheidender Bedeutung: Wie verändern Gesellschaften ihrerseits das öko-
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logische Gefüge, indem bestimmte Naturbilder symbolisch und kulturell in Handlungszusammenhänge eingelassen sind? Zentraler Ausgangspunkt der Sozialen Ökologie ist die Annahme, dass alle sozialen Systeme für eine erfolgreiche Entwicklungs- und Reproduktionsfähigkeit ihr Verhältnis zur Natur auf verschiedenen Ebenen regulieren müssen. In diesem Bemühen gehen sie unweigerlich das ein, was man als gesellschaftliche Naturverhältnisse bezeichnen kann. Auf der abstraktesten Ebene sind damit „Formen und Praktiken gemeint, in und mit denen Gesellschaften ihr Verhältnis zur Natur stofflich regulieren und kulturell zu symbolisieren versuchen“ (Becker/Jahn/Hummel 2006: 193). Im Zentrum einer adäquaten soziologischen Analyse muss aus dieser Sicht ein Begriff von Gesellschaft stehen, der weder die natürlichen Bedingungen ihrer Existenz leugnet, noch zu einem unhistorischen und substantialistischen Begriff der Natur zurückkehrt und damit weiterhin einen Dualismus zweier vermeintlich unabhängiger Bereiche reproduziert (vgl. Görg 2003a: 26). Konzeptuell ist eine solche Perspektive bereits in der älteren Kritischen Theorie angelegt. Auch wenn eine Theorie gesellschaftlicher Naturverhältnisse in dieser nicht explizit ausformuliert wurde, ist an verschiedenen Stellen die Einsicht formuliert, dass Gesellschaft grundsätzlich in und aus dem Verhältnis zur Natur heraus zu begreifen ist. So schreibt beispielsweise Adorno: „Der gesellschaftliche Prozeß ist weder bloß Gesellschaft noch bloß Natur, sondern Stoffwechsel der Menschen mit dieser, die permanente Vermittlung beider Momente.“ (Adorno 1997a: 221) Und weiter: „Eine Wissenschaft von der Gesellschaft hätte wesentlich die Aufgabe, die Gesetze zu erforschen, nach denen jene Wechselwirkung sich entfaltet, ... die Individuum, Gesellschaft und Natur in ihrer geschichtlichen Dynamik annehmen.“ (Institut für Sozialforschung 1956: 43) Im Anschluss an diese ersten Überlegungen der Kritischen Theorie versucht nun das Konzept der gesellschaftlichen Naturverhältnisse die Aporien naturalistischer und sozio-zentrischer Ansätze in eine produktive Form zu bringen, indem sie die alte Ontologie der Substanzen durch eine Ontologie der Relationen ersetzt (Becker/Jahn 2006: 71). Damit ist gemeint, dass Gesellschaft und Natur innerhalb einer Vermittlungsbeziehung stehen, die letztlich nach keiner Seite hin aufgelöst werden kann. Vielmehr handelt es sich um einen wechselseitigen Verweisungszusammenhang, indem das, was unter ‚Natur‘ verstanden wird, von dem Gesellschaftsbegriff abhängt und umgekehrt. Somit werden ‚Natur‘ und ‚Gesellschaft‘ nicht als qualitativ unterschiedliche Realitätsbereiche ontologisch verstanden, sondern als methodisch unterscheidbare Wissensobjekte; die Unterscheidung ist daher theorie- und beobachtungsabhängig, also mithin abhängig von den gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Formen der Wahrnehmung und Bearbeitung und liegt nicht in ‚der Natur der Sache‘ selbst. Untersuchungsgegenstand sind daher vermittelnde Strukturen zwischen Gesellschaft und Natur, anhand derer die vielfältigen Beziehungsmuster konkret dargestellt und untersucht werden können. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit handelt es sich bei dieser vermittelnden Struktur um das Versorgungssystem der Nahrung, in wel-
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chem im Zuge der Verstetigung von Versorgungsbemühungen Gesellschaft und Natur auf vielfältige Weise miteinander verflochten werden (vgl. II/2). Ein solches Denken in Verhältnissen zieht auch wichtige methodologische Konsequenzen nach sich: Es wird in Relationen statt in Substanzen gedacht, es wird stärker auf Differenz statt auf Identität abgehoben und es werden eher Prozesse als Strukturen untersucht (vgl. ausführlicher II/3). Gleichzeitig signalisiert der Begriff der gesellschaftlichen Naturverhältnisse auch, dass im Gegensatz beispielsweise zu Bruno Latours Netzwerktheorie an der grundsätzlichen Differenz dieser beiden Bereiche festgehalten wird: Auch wenn das gesellschaftliche Unterscheidungsvermögen im Zuge der ökologischen Krise abgenommen hat, wird an der grundsätzlichen Einsicht festgehalten, dass Natur mehr ist als nur eine soziale Konstruktion und dass gesellschaftliche Prozesse eigene, mit natürlichen Prozessen nicht-identische Organisationsformen aufweisen. Eine solche Position ist letztlich auch insofern konsequent, als dass Vermittlungsbeziehungen nur zwischen unterscheidbaren Elementen untersucht werden können. Damit kann die Untersuchung komplexer ökologischer Krisenphänomene im Rahmen des Konzeptes gesellschaftlicher Naturverhältnisse auf einer theoretischen Ebene in Form von drei zentralen Axiomen bestimmt werden (vgl. Jahn/Wehling 1998: 82): der Vorstellung eines unaufhebbaren Zusammenhangs von Natur und Gesellschaft (1), der Behauptung einer Differenz zwischen ihnen (2) und der Annahme der historischen Konstitution dieser Differenz (3). (1) Die unhintergehbare Verwiesenheit spiegelt sich in der Rede von den ‚gesellschaftlichen Naturverhältnissen‘ wider: Gesellschaftliche Entwicklungen werden geprägt vom Zusammenspiel sozialer, kultureller, technischer und natürlicher Wirkungszusammenhänge sowie darauf bezogener politischer und technischer Regulationen. Damit ist gemeint, dass in allen Gesellschaften zunächst eine ganze Reihe von Grundbedürfnissen angemessen befriedigt werden müssen, soll der gesellschaftliche Fortbestand gesichert werden (vg. Becker 2003: 173): Menschen brauchen genügend Nahrungsmittel und Wasser in ausreichender Qualität, Schutz vor Hitze und Kälte, Möglichkeiten der Fortbewegung und Fortpflanzung. Diese Bedürfnisse sind auf der einen Seite anthropologisch vorbestimmt, auf der anderen Seite hochgradig kulturell überformt (vgl. Becker/Jahn 2003, vgl. auch I/2). Diese Naturverhältnisse müssen materiell reguliert und kulturell symbolisiert werden. Die Veränderungen dieser Regulationen lassen sich als sozialökologische Transformationen beschreiben. (2) Die Bezeichnungen ‚gesellschaftliche Naturverhältnisse‘ und ‚sozialökologische Forschung‘ signalisieren zweierlei: Zum einen ist man bestrebt, die Differenz zwischen Gesellschaft und Natur nicht bereits auf einer begrifflichen Ebene „glatt zu bügeln“ (Becker 2003: 168). Forschungsleitende Prämisse ist, dass man in der Forschungspraxis auf eine Unterscheidung zwischen Gesellschaft und Natur nicht verzichten kann, auch wenn betont wird, dass man zwischen diesen Bereichen nicht mehr ontologisch unterscheiden kann und will (vgl.
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Becker 2003: 185). Damit stehen im Zentrum der Forschung Phänomene, bei denen ‚Gesellschaftliches‘ und ‚Natürliches‘ auf eine ganz spezifische Weise zusammenwirken und gerade in diesem Zusammenspiel eine spezifische Problemdynamik erzeugt wird. ‚Forschung‘ wiederum verweist darauf, dass wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn im Rahmen der Theorie gesellschaftlicher Naturverhältnisse prozessualen Charakter besitzt. (3) Die vermittlungstheoretische Position des Konzepts gesellschaftlicher Naturverhältnisse geht von einem historisch variablen (wenn auch nicht kontingenten) Verhältnis von Natur und Gesellschaft aus. Daraus ergibt sich der zum Teil politisch-normative Charakter der Theorie. Die theoretische Integration einer historisch variablen und damit veränderbaren ‚Natur‘ zieht unumgänglich die politische Frage nach sich, welche ‚Natur‘ denn gewollt wird. Dieser ‚Politisierung‘ der Natur ist sich die Theorie auch bewusst: „Ziel der Forschung ist es, Wissen für gesellschaftliche Handlungskonzepte zu generieren, um die zukünftige Reproduktions- und Entwicklungsfähigkeit der Gesellschaft und ihren natürlichen Lebensgrundlagen zu sichern.“ (Becker 2003: 163) Problem- und Akteursorientierung Ziel ist es, (natur-)wissenschaftliche und gesellschaftliche Diskursstrategien, mit einer spezifischen Sicht auf die ökologische Krise zu rekonstruieren, um damit in der Konsequenz zur Benennung alternativer Problemlösungen zu gelangen. Die damit verbundenen Denkbemühungen streben somit in einem ersten Schritt einen Modalwandel an: „vom Verständnis einer ‚Situation als etwas Gegebenem‘ zum Verständnis einer ‚Situation als Frage‘“ (Rabinow 2004: 27). Dies wird erreicht, indem durch die Analyse gesellschaftlicher ‚Problematisierungen‘ deutlich gemacht wird, dass zwar in jeder gegebenen historischen Situation eine ganze Reihe von einschränkenden Bedingungen existieren, zugleich aber auch immer eine Vielzahl anderer Antwortmöglichkeiten vorhanden sind. Kritisches Arbeiten hat „seine Bedeutung darin, in diesem Prozess hegemonialer Wirklichkeitskonstruktionen die nicht-hegemonialen, gleichwohl real-existierenden Alternativen sichtbar zu machen, offen zu halten und zu stärken“ (Jahn 1991: 15). Somit ist weniger der Entwurf neuer gesellschaftlicher Großtheorien das Ziel, als vielmehr das Erarbeiten und Aufzeigen veränderter Problemwahrnehmungen aktueller Krisenphänomene, um dadurch zu neuen Wegen der Theoretisierung und Gestaltung zu gelangen. In dieser doppelten Form der Situiertheit findet die methodische Entscheidung sowohl theoretisch als auch empirisch zu arbeiten, ihren paradigmatischen Ausdruck. Die Transformation einer solchen gesellschaftlichen Problematisierung in ein wissenschaftlich bearbeitbares Problem erfolgt durch eine Theoretisierung des konkreten Forschungsgegenstands in Bezug auf den begrifflichen Rahmen des Theorieprogramms der gesellschaftlichen Naturverhältnisse (vgl. Jahn/Keil 2006). Insofern versteht sich die Soziale Ökologie im Sinne Webers auch als eine ‚neue‘ Wissenschaft: „Nicht die ‚sachlichen‘ Zusammenhänge der ‚Dinge‘, son-
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dern die gedanklichen Zusammenhänge der Probleme liegen den Arbeitsgebieten der Wissenschaften zugrunde: wo mit einer neuen Methode einem neuen Problem nachgegangen wird und dadurch Wahrheiten entdeckt werden, welche neue bedeutsame Gesichtspunkte eröffnen, da entsteht eine neue Wissenschaft.“ (Weber 1973: 206f.) Um empirische Forschung anzuleiten, muss dieses grundlagentheoretische Konzept gleichsam auf konkrete, gesellschaftlich und/oder wissenschaftlich wahrgenommene Problemlagen ‚herunter gebrochen‘ werden. Daher werden in der sozial-ökologischen Forschung Gesellschaft und Natur nicht als Ganzheiten, als undifferenzierte Entitäten aufeinander bezogen, sondern ihre Unterscheidung muss gemäß der Problemstellung auf abgrenzbare Phänomenzusammenhänge bezogen werden (vgl. Becker/Jahn/Hummel 2006: 176). Anknüpfungspunkt wissenschaftlicher Tätigkeit sind damit lebenspraktisch wirksame Problemlagen, zu deren Lösung die eigene wissenschaftliche Forschung beitragen soll. Empirisch unterfüttert wird sozial-ökologische Forschung daher durch Fallstudien in ausgewählten Regionen. In dem Bestreben, die jeweiligen Verkürzungen von Realismus und Konstruktivismus zu überwinden, ist im Rahmen dieser Fallstudien die Generierung von „situiertem Wissen“ (Haraway 1995a: 73 f.) forschungsleitend. Die Figur der ‚doppelseitigen Kritik‘ Wie aber nun die Verfasstheit von Gesellschaft und Natur sinnvoll denken, so dass weiterhin gehaltvolle Aussagen über Seiendes möglich sind? Die grundlagentheoretisch und analytisch wichtige Frage, wie eine angemessene Konzeption des Verhältnisses von Gesellschaft und Natur auszusehen hat, ist untrennbar mit dem Anspruch gegenstandsadäquater Kritik verbunden. Der Begriff der Kritik ist wage, viel sagend bis missverständlich, wenn nicht klargestellt wird, welchen Bedeutungshof er im Rahmen einer Theorie besitzt. Obwohl sich die Theorie gesellschaftlicher Naturverhältnisse in vielem der älteren Kritischen Theorie verbunden fühlt, übernimmt sie nicht deren Kritikverständnis: Referenzpunkt der Kritik bilden nicht mehr die berühmten „vernünftigen Zustände“ Horkheimers, denn „was wären ... vernünftige Naturverhältnisse, das heißt was wäre das Vernünftige in unserer Beziehung zur äußeren Natur und der Natur, die wir selbst sind?“ (Böhme 2003: 15) Die Kritik bezieht sich auf einer ersten Ebene zunächst auf gemachte theoretische Unterscheidungen, mit denen gesellschaftliche Wirklichkeit erfasst beziehungsweise verstellt wird (vgl. Becker/Jahn 2003: 108). An diesem Punkt handelt es sich weniger um eine normativ eingefärbte, sondern vielmehr um eine analytische Kritik, die sich im Kern als ‚doppelseitige‘ Kritik an Naturalismus und Kulturalismus versteht und damit einer „reflektierten Unfügsamkeit“ Foucaults (Foucault 1992a: 15) weitaus näher steht als dem „vernünftigen Zustand“ der Kritischen Theorie. Die Methode der doppelseitigen Kritik zielt damit auf die Offenlegung impliziter Annahmen und Unterscheidungspraktiken zwischen ‚Natür-
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lichem‘ und ‚Gesellschaftlichem‘: „Jede soziale Ordnung beinhaltet eine Wissensordnung und jede Unterscheidung zwischen ‚Gesellschaft‘ und ‚Natur‘ wird aufgrund der Bilder des Wissens getroffen, die in einer Gesellschaft zirkulieren.“ (Nowotny 2005: 121) Darüber hinaus existiert aber eine zweite, konkret anwendungsorientierte Ebene der Kritik: Sozial-ökologische Forschung will herausfinden, inwieweit kritische Zustände gesellschaftlicher Naturverhältnisse vorliegen, die in krisenhafte Entwicklungen übergehen können, das heißt Forschungsergebnisse sollen ganz konkret in gesellschaftliche Praktiken des Umgangs mit ökologischen Krisenphänomenen überführt werden (vgl. Becker/Jahn 2003: 94). Die methodische Entscheidung, sowohl theoretisch als auch empirisch zu arbeiten, stellt ein Kernelement der Theorie gesellschaftlicher Naturverhältnisse dar. An dieser Stelle wird aber auch deutlich, dass sich das Konzept gesellschaftlicher Naturverhältnisse nicht einfach mit ‚kritikwürdigen‘ Zuständen beschäftigt, sondern dass das Aufdecken der tragenden Rolle der Wissenschaften bei der Konstruktion eines hegemonialen Krisendiskurses Handlungsoptionen eröffnet – „in diesem Sinne handelt es sich um eine politisch motivierte Erkenntniskritik“ (Becker/Jahn 2003: 108). Nachhaltige Entwicklung als normativer Bezugsrahmen Aber welche Natur soll im Rahmen eines nicht-sinnlosen Engagements geschützt werden, welche Natur ist gewollt? Sowohl die Notwendigkeit als auch die Schwierigkeit in der Beantwortung dieser Frage ergibt sich zunächst aus einer ganzen Reihe von offensichtlichen Wissensdefiziten. Selbst von naturwissenschaftlicher Seite wird eingeräumt, dass das Wissen über die langfristige Entwicklung von Ökosystemen unter anthropogener Beeinflussung sehr lückenhaft ist, weil viele relevante Faktoren schlichtweg unbekannt sind (vgl. Dahl 1989): In einem dynamischen System, wie beispielsweise dem Wetter, sind die einzelnen Elemente so komplex miteinander verflochten, dass selbst unmessbar kleine Änderungen in der Zeit zu gewaltigen, prinzipiell nicht vorhersehbaren Veränderungen führen können. Dies, gepaart mit der zentralen epistemischen Einsicht konstruktivistischer Forschung in die unhintergehbare gesellschaftliche Vermitteltheit aller Naturtatsachen, dass es also keine außerdiskursive Bezugnahme auf Natur und damit auch keine ‚unverfälschte‘ Erkenntnis natürlicher Zusammenhänge geben kann, lässt ‚Natur‘ im Sinne einer objektiven Orientierungsgröße für menschliches Handeln als hochgradig problematisch erscheinen. Wenn aber verschiedene Naturgeschichten denkbar werden, stellt sich die Frage, woher angesichts solch variabler ‚Naturen‘ und einer damit verbundenen Erosion des gesellschaftlichen Unterscheidungsvermögens zwischen Gesellschaft und Natur ein Maßstab zur Beurteilung ‚krisenhafter‘ Zustände entnommen werden soll? Und wie kann man diese Frage beantworten, ohne gleichsam in die Falle kulturalistischer beziehungsweise naturalistischer Kurzschlüsse zu tappen, also entweder im Zuge kulturalistischer Einlassungen eine gefährlich verharmlosende und gegen-
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über ökologischer Gefährdungen zynische Einstellung anzunehmen, die „keinerlei Wissensansprüche mit besonderer Autorität ausstatten möchte“ (Kropp 2002: 118), oder aber eine Position zu vertreten, die in eine erkenntnistheoretisch naive Wiederinwertsetzung von ‚Natur‘ in Form von ‚objektiv‘ vorgegebenen, letztgültigen Richtlinien im Umgang mit derselben mündet? Zusätzlich wird mit dem Versagen der Kontrolle der aus den Mechanismen der Naturbeherrschung entstehenden Folgen (BSE, Maul- und Klauenseuche, Ozonloch, Waldsterben etc.) auch deutlich, dass diese verstärkt auftretenden positiven Rückkopplungen auf eine Zunahme der externen Effekte so genannter nicht-intendierter Nebenfolgen verweisen. Nicht nur, dass dadurch „Unsicherheit zu einem gesellschaftlich allgemeinen Strukturprinzip wird“ (Bonß 1995: 15): Diese Unsicherheit beruht nicht auf einem Noch-Nicht-Wissen, sondern oftmals auf einem prinzipiellen Nicht-Wissen-Können, was den Zwang zur Entscheidung unter den Bedingungen prinzipiellen Nicht-Wissens nochmals bedrohlicher erscheinen lässt. Ein Ausweg aus diesen Unwägbarkeiten im Umgang mit den verschiedenen Dimensionen der Unsicherheit besteht zum einen in der bereits oben beschriebenen Entscheidung, sich an der lebenspraktischen Relevanz von untersuchten Umweltproblemen zu orientieren, die eine kontextsensitive Reformulierung des Verhältnisses von Natur und Gesellschaft nicht im Ganzen, sondern in überschaubaren und damit empirisch bearbeitbaren Problemstellungen erlaubt. Das allein reicht jedoch nicht aus. Eine zusätzliche Maßnahme auf dem Weg aus diesem lähmenden Dilemma ist die Orientierung an Leitbildern, die den Umgang mit Natur normativ rahmen, die quasi als ‚Leitplanken‘ der Erkenntnis und damit verknüpfter Handlungs- und Reaktionsweisen fungieren. Die Entscheidungen über ökologische Gefährdungen, Risiken und Grenzwerte sind eben nicht nur Entscheidungen über Wissensinhalte, sondern „sie legen auch Standards fest, die die Betroffenheit von Menschen bestimmen“ (Bechmann 2000: 39), das heißt sie können nicht rein wissenschaftlich, sondern immer auch im Rahmen normativer Muster entschieden werden, die sich an der Frage ‚Welche Natur wollen wir?‘ orientieren. Dieser unausweichliche normative Grundgehalt in der Frage nach einem angemessenen gesellschaftlichen Umgang mit Natur wird schließlich in dem neuen Leitbild eines „sustainable development“, welches in dem sog. Brundtland Report von 1987 erstmalig formuliert und dann schließlich auf der UNCED Konferenz in Rio 1992 im internationalen Diskurs endgültig etabliert wurde, bis heute wirkmächtig aufgegriffen und stellt im weitesten Sinne das normative Fundament der Sozialen Ökologie dar. Damit wird an dieser Stelle Soziale Ökologie auch normativ verortbar, indem sie sich dezidiert auf das Konzept der nachhaltigen Entwicklung bezieht und die Bedingungen und Möglichkeiten derselben erforscht. Die normative Basis der Idee einer nachhaltigen Entwicklung ist ein weithin geteiltes Gerechtigkeitspostulat: Alle Gesellschaften (internationale Gerechtigkeit) müssen mit der sie umgebenden Natur so umgehen, dass zukünftige Generationen (inter- und intragenerationelle Gerechtigkeit) über die gleichen Wahl-
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möglichkeiten für ihre Lebensweise verfügen, wie die jetzigen. Vor dem Hintergrund der strategischen Auffassung, dass voneinander isolierte, sektorale Vorgehensweisen der Bereiche Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt langfristig gesehen in der Lösung der globalen Umweltprobleme nicht erfolgreich sein können, wurde das so genannte ‚Drei-Säulen-Modell‘ entwickelt, in welchem die Verkopplung der drei Bereiche Ökonomisches, Soziales und Ökologisches zum tragenden Fundament des Modells werden. In der Korrektur einer schlicht auf wirtschaftliches Wachstum setzenden modernen Entwicklungsvorstellung plädiert das Drei-Säulen-Modell für neue Regulierungsmuster in der gesellschaftlichen Aneignung von Natur, in welchen die gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen gesellschaftlichen und natürlichen Bedingtheiten im Vordergrund stehen. Allerdings zielt das Nachhaltigkeitsverständnis der Sozialen Ökologie angesichts der oben angesprochenen unausweichlichen Notwendigkeit, Entscheidungen unter der Situation prinzipiellen Nicht-Wissens treffen zu müssen, weniger stark auf das Erreichen fest vordefinierter Zielzustände, wie es in weiten Teilen der Nachhaltigkeitsdebatte favorisiert wird. Gegen eine derartige Vorstellung wird die Annahme nachhaltiger ‚Entwicklungspfade‘ gesetzt. Damit ist gemeint, dass nachhaltige Entwicklung als ein Korridor von alternativen Entwicklungsmöglichkeiten verstanden wird, die „entlang der etwas umständlichen, aber präzisen Frage: Welche Entwicklungen führen zu weniger Nicht-Nachhaltigkeit?“ (Keil/Hummel 2006: 244) formuliert werden können. Die Entwicklungsvorstellung, die einem solchen Verständnis zugrunde liegt, integriert zum einen die wichtige, einen überhöhten Steuerungsoptimismus dämpfende Einsicht, dass gesellschaftliche und natürliche Prozesse stets nur begrenzte Steuerbarkeit aufweisen und diese Steuerungsversuche damit selbst immer auch nicht intendierte Folgen haben (können). Vertreten wird damit ein offenes und dynamisches Verständnis von nachhaltiger Entwicklung, denn es beschreibt weniger die idealiter gedachten Ziele einer Entwicklung, sondern versucht vielmehr die Qualitäten unterschiedlicher Prozesse zu beurteilen, für die die Frage ‚Auf welche Art?‘ ebenso wichtig ist wie die Frage nach dem ‚wohin‘. Damit kommt es darauf, an „kritische Verzweigungspunkte zu erkennen, die in krisenhafte Entwicklungen übergehen, die zu kritischen Übergängen werden können“ (Keil/Hummel 2006: 247). Zum anderen ist der mit dem Bild unterschiedlicher Entwicklungspfade eröffnete Möglichkeitsraum auch an das Postulat situierten Wissens rückgekoppelt, da in einer solchen Vorstellung der Differenz unterschiedlicher naturräumlicher, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Ausgangspunkte für Entwicklungsprozesse, die entsprechend auch zu ganz unterschiedlichen Nachhaltigkeitspfaden führen können, berücksichtigt wird. Regulation und Transformation Bei ‚Regulation‘ und ‚Transformation‘ handelt es sich um zwei weitere, wichtige Integrativbegriffe der sozial-ökologischen Theoriebildung. Der Begriff der Regulation nimmt seinen Ausgangspunkt in den bereits erwähnten Grundbe-
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dürfnissen menschlicher Existenz. Auch wenn der Begriff des ‚Bedürfnisses‘ vor allem im Entwicklungsdiskurs alles andere als unumstritten ist (vgl. ausführlicher II/2.1), so existieren bestimmte, bis zu einem gewissen Grad anthropologisch vorgegebene Bedürfnisse, die Gesellschaften ‚erfolgreich‘ regulieren müssen, damit ihr integrativer Fortbestand gewährleistet ist: beispielsweise die Bereitstellung von ausreichend Nahrung und Wasser, die Regulierung der Fortpflanzung. Diese Bedürfnisstruktur ist nur bedingt biologisch vorgegeben, denn „was ein Mensch zum Leben braucht und was er nicht braucht, steht keineswegs schlicht bei der Natur, sondern richtet sich nach dem ‚kulturellen Existenzminimum‘“ (Adorno 1997a: 221). Somit ist die konkrete Regulation dieser ‚natürlichen‘ Bedürfnisse hochgradig von gesellschaftlichen Normen und Machtstrukturen abhängig: Nahrungsaufnahme und Wasser sind stark kulturell präformiert, Fortpflanzung im Rahmen der Geschlechterverhältnisse hochgradig symbolisch aufgeladen. Die Organisation solch basaler gesellschaftlicher Naturverhältnisse erfolgt dann auf der Makro-Ebene im Rahmen sog. Regulationsordnungen (kapitalistische Produktionsweise, Geschlechterverhältnisse), die, ähnlich wie das Giddenssche Konzept der Strukturierung, spezifische Formen von Regulationsmustern ermöglichen und begrenzen. Regulationsordnungen verweisen auf den materiell-symbolischen Doppelcharakter gesellschaftlicher Naturverhältnisse, denn Gesellschaften müssen mit der Natur zumindest jenen „Stoffwechsel organisieren, der der Summe der biologischen Stoffwechsel ihrer Mitglieder, das heißt einer bestimmten Anzahl von Menschen entspricht“ (Fischer-Kowalski/Weisz 1998: 156). Gleichzeitig erweist sich die Organisation auf der Meso-Ebene als historisch variabel vermittelt durch institutionelle Praktiken und ausdifferenzierte Versorgungssysteme. Der Begriff der ‚Regulation‘ eröffnet im Anschluss an die ökonomische Regulationstheorie ein adäquateres Verständnis gesellschaftlicher Naturverhältnisse und weist drei charakteristische Merkmale auf (vgl. Jahn/Wehling 1998: 87): Gesellschaftliche Naturverhältnisse werden nicht von einem zentralen Akteur reguliert, sondern durch das Aufeinandertreffen einer Vielzahl heterogener und konfliktträchtiger Praktiken; damit wird die historische Variabilität der Regulationsformen betont; weiterhin verweist der Begriff der Regulation auf die Differenz von symbolischer Konstruktion und materieller Basis und fokussiert explizit auf deren Zusammenhang. Die Veränderungen solcher Regulationsordnungen beziehungsweise dazugehöriger Regulationsmuster in der Zeit lassen sich nun als sozial-ökologische Transformationen beschreiben (Becker 2003: 190). Die wissenschaftliche Problematik sozial-ökologischer Forschung besteht nun darin, diese Veränderungen als eine spezifische Wechselwirkung natürlicher und gesellschaftlicher Elemente zu formulieren: Durch Regulationsordnungen wird ‚Natur‘ von Gesellschaften symbolisch und materiell ‚angeeignet‘ und damit verändert, gleichzeitig ist diese ‚Natur‘ aber nicht passiv, sondern wirkt auf die Gesellschaft zurück und setzt sie einem Veränderungsdruck aus.
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Regulationsordnungen sind so in gewisser Weise mit gesellschaftlichen Institutionen vergleichbar, denn beide haben ihren Ursprung in der Bereitstellung von zeitstabilen Lösungsmustern für gesellschaftlich relevante und dauerhaft sich stellende Probleme (vgl. Berger/Luckmann 1969). Und ebenso wie institutionelle Arrangements können diese materiell-symbolischen Regulierungen gesellschaftlicher Naturverhältnisse in die Krise geraten und im schlimmsten Fall misslingen. Dafür gibt es aus Sicht der Theorie gesellschaftlicher Naturverhältnisse vor allem zwei analytisch unterscheidbare Gründe, die sich durchaus in einer Verschärfung der Krisendynamik empirisch verschränken können: Zum einen können bestimmte Lösungsstrategien anachronistisch geworden sein. So lässt sich am Beispiel urbaner Wasserversorgung nachzeichnen, dass städtische Lösungsmuster des 19. Jahrhunderts zwar für die damalige Zeit durchaus funktionalen Charakter besaßen, aber heutzutage die historisch gewachsenen zentralistischen Infrastruktursysteme der Wasserver- und -entsorgung mit hoher Durchflussmenge und geschwindigkeit neue Möglichkeiten der Regulierung begrenzen (vgl. Jahn/ Schramm 1998). Krisenhafte Nebenfolgen bestimmter Regulierungen können damit zeitlich und räumlich erst sehr viel später zu Tage treten. Insofern ist es bei der Modellierung eines bestimmten Krisenzusammenhangs stets von unerlässlicher Bedeutung, „historische Bohrungen“ (Heidenreich 1998: 28) vorzunehmen, will man klarer sehen. Zum anderen können aber die Gründe für eine solche Krise viel tiefer liegen: Es können nämlich die in der Moderne hegemonial gewordenen wissenschaftlich-technischen Modellierung gesellschaftlicher Naturverhältnisse selbst in die Krise geraten sein. Eine derartige Diagnose bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass Krisenlösungen technischwissenschaftlicher Art konstitutiver Bestandteil des Problemzusammenhangs sind und damit „Wissenschaft Teil des ‚selbstdestruktiven‘ Zusammenhangs der ökologischen Krise“ (Jahn 1991: 120), da Wissenschaft in letzter Konsequenz mehr Probleme erzeugt, als sie lösen kann. Ein Beispiel für einen solchen sich verschärfenden sozial-ökologischen Krisenzusammenhang können die hier betrachteten Wechselwirkungen zwischen Bevölkerungsentwicklung, Urbanisierung und Nahrungsversorgung sein. Zusammenfassend kann man somit festhalten, dass das Verstehen des NaturGesellschafts-Zusammenhangs im Rahmen des Konzepts gesellschaftlicher Naturverhältnisse eine dreifache Praxis umfasst: eine begriffliche, eine kritische und eine normative2. Eine Begriffliche, weil man ohne den Rückgriff auf Begriffe nicht wüsste, worüber nachzudenken ist und was man in den wissenschaftlichen Blick zu nehmen hat; kritisch, weil Soziale Ökologie anerkennt, dass sie Teil der Gesellschaft ist und ihre Reflexionen damit unhintergehbar von jenen sozialen Bedingungen abhängen, die sie erst ermöglichen – und normativ, da das Nachdenken nicht Selbstzweck ist, sondern auf das Ziel einer nachhaltigeren Gestal2
Vgl. ähnlich Paul Rabinow, für den sich wissenschaftlich kontrolliertes Verstehen als eine begriffliche, politische und eine ethische Praxis erweist (Rabinow 2004: 9)
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tung gesellschaftlicher Naturverhältnisse abzielt. Oder mit Donna Haraway gesagt: der Anspruch sozial-ökologischer Forschung besteht darin, „zugleich die grundlegende historische Kontingenz aller Wissensansprüche und Wissenssubjekte in Rechnung (zu) stellen, eine kritische Praxis zur Wahrnehmung unserer eigenen bedeutungserzeugenden, ‚semiotischen Technologie‘ [zu] entwickeln und einem nicht-sinnlosen Engagement für Darstellungen verpflichtet sein [zu] können, die einer ‚wirklichen‘ Welt die Treue halten.“ (Haraway 1995a: 78)
2. Das Rohe und das Gekochte: V e r s o r g u n g s s ys t e m e d e r N a h r u n g z w i s c h e n Natur und Gesellschaft Für jede Gesellschaft stellt sich das Problem, ihre Bevölkerung so mit Nahrungsmitteln, Energie, Wasser, Wohnraum, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen etc. zu versorgen, dass menschliche Grundbedürfnisse angemessen befriedigt werden, eine ausreichende Lebensqualität gewährleistet ist und die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten bleiben. Nahrung, die als Versorgungsgut im Zentrum dieser Arbeit steht, verstanden als rohe, gekochte, gebratene, gegarte, flüssige oder feste Stoffe, die dem Körper zum Zwecke der Lebenserhaltung zugeführt werden, und Ernährung, verstanden als die Erzeugung, Verarbeitung und Verfeinerung dieser Stoffe, verweisen wie kaum ein anderes Thema auf die wechselseitige Verflochtenheit von Natur und Gesellschaft. Die Überschrift dieses Kapitels erinnert an die Arbeiten des französischen Strukturanthropologen Claude Lévi-Strauss, der in seinem ersten Band der Mythologica „Das Rohe und das Gekochte“ (1976) aufgezeigt hat, „auf welche Weise empirische Kategorien wie roh und gekocht, frisch und faul, feucht und verbrannt“ (ebd.: 11) und die damit verbundenen „kulinarischen Verrichtungen vermittelnde Tätigkeiten zwischen ... Natur und Gesellschaft“ (ebd.: 93) sind. In der Ernährung offenbart sich für Lévi-Strauss die Tatsache, dass der Mensch zugleich Bestandteil der Natur wie der Gesellschaft ist: Formen der Nahrungszubereitung sind für ihn ein Mittel, Natur in Kultur zu verwandeln, denn in der Ernährung stellt der Mensch eine Identität zwischen sich als Kulturwesen und der Nahrung als natürlicher Ressource her. Wo aber Lévi-Strauss die Küche als zwischen Natur und Gesellschaft vermittelnde Instanz setzt, wird in dieser Arbeit das Modell eines Versorgungssystems gesetzt: zwischen dem biologischen Bedürfnis der Nahrungsaufnahme und der kulturellen Formen seiner Befriedigung tritt das Versorgungssystem. Um die Menschen in einem Gebiet mit den entsprechenden Gütern und Dienstleistungen zu versorgen, haben sich im Laufe der Geschichte spezifische Strukturen und Regulationsformen herausgebildet, die unter dem Begriff des Versorgungssystems zusammengefasst werden können und die vor dem Hintergrund des in dem ersten Abschnitt dieser Arbeit entfalteten Theorieverständnisses als historisch si-
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tuierte, zwischen Natur und Gesellschaft vermittelnde Strukturen verstanden werden. Versorgungssysteme verweisen mithin darauf, dass Ernährung als basales gesellschaftliches Naturverhältnis auf unterschiedlichen, miteinander verbundenen Ebenen reguliert wird3. Diese Fokussierung auf Versorgungssysteme der Nahrung bedeutet auch, dass andere, wichtige ernährungsrelevante Aspekte zwangsläufig ausgeblendet werden: „Wie beim Mikroskop, das unfähig ist, dem Beobachter die letzte Struktur der Materie zu liefern, hat man auch hier nur die Wahl zwischen mehreren Vergrößerungen: eine jede offenbart eine Organisationsebene, deren Wahrheit nur relativ ist, und schließt, solange man sie einnimmt, die Wahrnehmung anderer Ebenen aus.“ (Lévi-Strauss 1976: 14) Zunächst wende ich mich dem zentralen Ausgangspunkt eines Versorgungssystems zu: Ernährung wird als ein basales gesellschaftliches Naturverhältnis definiert, welches im Rahmen von Versorgungssystemen reguliert wird und werden muss, soll individuelle und gesellschaftliche Reproduktion sichergestellt werden. Ernährungshandeln als basal zu bezeichnen bedeutet, ihr den Status eines unhintergehbar biologisch gegebenen Bedürfnisses zuzuweisen, dass befriedigt werden muss. Den Begriff des ‚Bedürfnisses‘ zum Ausgangspunkt der Überlegungen zu machen, ist allerdings alles andere als unproblematisch, ist er doch seit jeher höchst umstritten. Aufbauend auf der Vorstellung von Ernährung als einem basalen gesellschaftlichen Naturverhältnis wird dann das sozial-ökologische Modell eines Versorgungssystems entfaltet. Als Pfadlegung dienen zunächst verschiedene anthropologische Ansätze, denn in unterschiedlichen Nuancierungen und Gewichtungen wurde dem Begriff des Bedürfnisses in der Kultur- und Sozialanthropologie schon immer ein wichtiger Stellenwert eingeräumt, so dass sich hier wichtige ‚Zutaten‘ für eine sozial-ökologische Konzeptualisierung eines Versorgungssystems der Nahrung gewinnen lassen. In einem zweiten Entwicklungsschritt wird dann ein Modell eines sozial-ökologischen Nahrungsversorgungssystems eingeführt, dessen zentrales Alleinstellungsmerkmal in der konsequenten Integration sowohl stofflich-materieller als auch symbolisch-kultureller Elemente zu sehen ist.
3
‚Regulieren‘ impliziert, wie im ersten Teil dieser Arbeit dargelegt, keinen Steuerungsoptimismus, sondern umfasst das bekannte Paradox, dass diese Versorgungsstrukturen zwar aus einer Vielzahl ineinander greifender menschlicher Handlungen entstanden sind, gleichzeitig aber die dabei entstehende Struktur als emergente Gesamtheit das Verständnis der Betroffenen übersteigt, so dass das, was von Menschen vollbracht wurde, ihnen gleichsam als eine von außen kommende, ‚dinghafte‘ Macht erscheint, nicht zuletzt deshalb, weil Steuerungsversuche immer auch nichtintendierte Folgen haben (vgl. auch I/3).
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2.1 Nahrung als menschliches Grundbedürfnis: Problematisierung einer scheinbaren Selbstverständlichkeit Historisch betrachtet existierten lange Zeit ausschließlich naturwissenschaftliche und medizinische Zugänge zum Thema Nahrung. Die im 19. Jahrhundert einsetzende systematische Erforschung fokussierte vor allem auf physiologische, insbesondere energetische und nährstoffbezogene Aspekte der Nahrungsmittelzusammensetzung und -aufnahme und setzte damit aus heutiger Sicht ganz entschieden den Schwerpunkt auf die Untersuchung materieller Aspekte der Nahrung (vgl. Hayn/Stieß 2006: 373). Auch wenn die wissenschaftliche Erforschung alimentärer Fragestellungen sich im Laufe der Zeit von dieser naturwissenschaftlich-medizinischen Dominanz ein wenig erholt hat, lässt sie sich aktuell wesentlich dadurch charakterisieren, dass das Thema in seine ‚natürlichen‘ und ‚kulturellen‘ Bestandteile zerlegt und in der Folge in den unterschiedlichsten und oftmals miteinander konkurrierenden Einzelwissenschaften bearbeitet wird: hier körperliche Reproduktion und physisches Bedürfnis, dort sozio-kulturelle und Sinn vermittelnde Tätigkeit. Diese Zweiteilung wird in der einschlägigen Literatur oftmals mit der eingängigen Formel ‚Naturthema Ernährung – Kulturthema Essen‘ auf den Punkt gebracht (vgl. Wierlacher/Neumann/Teuteberg 1993, Barlösisus 1999, Prahl/Setzwein 1999, Hayn/Stieß 2006). Diese dichotome Bearbeitungsweise ergibt sich aber nicht aus dem Gegenstand selbst und umso erstaunlicher mutet es an, dass kaum Versuche zu verzeichnen sind, die einzelwissenschaftlichen Teilergebnisse im Rahmen einer synthetisierenden Perspektive zusammenführen. Angesichts dieses Defizits stellt die im nächsten Abschnitt vorgestellte Konzeption eines Versorgungssystemmodells, ausgehend von Ernährung als basalem gesellschaftlichen Naturverhältnis, den Versuch einer solchen Synthese dar. Angestrebt wird, eine dritte, vermittlungstheoretische Position zwischen den beiden Extrempolen einer naturalistischen und kulturalistischen Position zu entwickeln. Das zu entfaltende Modell eines Versorgungssystems steht dabei in einem engen Zusammenhang mit dem Begriff des ‚Grundbedürfnisses‘. Es lassen sich eine ganze Reihe von solchen Bedürfnissen und damit verbundenen Handlungen hervorheben, deren Regulation entscheidend für die Reproduktions- und Entwicklungsfähigkeit von Gesellschaften sind: Arbeit und Produktion, Bewegung und Mobilität, Fortpflanzung und Sexualität und eben auch Nahrung und Ernährung. Den Begriff des ‚Grundbedürfnisses‘ und damit notwendigerweise verbundene anthropologische Annahmen zum Ausgangspunkt der Überlegungen zu machen, ist sicherlich alles andere als unproblematisch, sind doch seit jeher zahlreiche kritische Stimmen ein ständiger Begleiter sowohl des Bedürfnisdiskurses als auch des anthropologischen Denkens. Auf einer alltagssprachlichen Ebene erscheint es zunächst wenig problematisch von biologisch vorgegebenen und damit auch ‚objektiven‘ Bedürfnissen zu sprechen: Essen, Trinken, Lieben, Sexualität, Wohnen und andere Bedürfnisse erscheinen uns selbstverständlich als ort- und
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zeitunabhängige Elementarerfahrungen menschlichen Lebens. Beschäftigt man sich allerdings ein wenig eingehender mit dem Bedürfnisbegriff, so fällt auf, dass es aller Wahrscheinlichkeit nach wohl kaum ein Verlangen gibt, das nicht als Bedürfnis bezeichnet, und wohl auch keine Systematisierung der Bedürfnisse, die nicht schon gedacht wurde: körperliche und geistige, wahre und falsche, subjektive und objektive, höhere und niedere, bewusste und unbewusste, physische und psychische etc. Auch wenn für Adorno Bedürfnisse eine durchweg „gesellschaftliche Kategorie“ darstellen und in der Folge „das gesellschaftliche und das natürliche Moment des Bedürfnisses ... sich nicht als sekundär und primär voneinander abspalten [lassen], um danach eine Rangordnung von Befriedigungen aufzustellen“ (Adorno1972: 392), sind doch immer wieder Versuche unternommen worden ebendies zu tun. Die zahllosen Versuche, die im sozial- und kulturwissenschaftlichen Bereich zur Klassifikation von menschlichen Bedürfnissen, ausgehend von ihrer biologischen Vorgegebenheit, unternommen wurden, lassen sich grob in zwei Gruppen zusammenfassen (vgl. Meran 1987: 23ff.): Zum einen finden sich Ansätze, die Bedürfnisse unter dem Aspekt inhaltlicher Zielvorgaben klassifizieren, zum Beispiel dem Erhalt der Gesundheit, der Selbstverwirklichung, der Befriedigung eines existentiellen Sicherheitsbedürfnisses etc., und die Bedürfnisse folgerichtig bedarfsorientiert thematisieren; zum anderen wird gemäß der unterschiedlichen Intensität, mit dem Bedürfnisse befriedigt werden wollen, und der diesen Akt begleitenden Quantitäten von Lust-/Unlustgefühlen, Wohlgefühl etc. unterschieden. Der aus sozial-ökologischer Sicht springende Punkt vieler BedürfnisDebatten ist, dass in der Analyse des Bedürfnisbegriffs Reduktionismen deutlich werden, indem in der Festlegung des Bedürfnisbegriffs entweder die Vorgängigkeit der Natur oder der Gesellschaft postuliert wird; in der ersten Variante haben die Bedürfnisse objektive Eigenschaften, die in der Natur der Dinge liegen. Ausgeblendet wird dabei die Prägkraft gesellschaftlicher Kontexte, denn die Bedürfnisse sind so stark, dass sie ihrerseits gesellschaftliche Verhältnisse überformen. Für die zweite Position weist der Konstitutionspfeil geradewegs in die andere Richtung, also vom Gesellschafts- zum Naturpol: Bedürfnisse sind keine ‚objektiven‘ Naturgegebenheiten, sondern „sie bilden nur die Leinwand, auf die die Gesellschaft ihren Film projiziert.“ (Latour 1995: 74) So sind die Bedürfnisse entweder zu stark oder zu schwach: Entweder sie sind so stark, dass sie gesellschaftliche Prozesse kraft ihrer ‚Materialität‘ determinieren und dadurch Gesellschaften selber schwach und immateriell erscheinen lassen oder sie sind so schwach, dass ihre inneren Eigenschaften nicht zählen, sondern sie lediglich den formlosen Gegenstand gesellschaftlicher Kategorien bilden. Was aber, wenn Bedürfnisse weder zu schwach noch zu stark sind, sondern ‚hybride‘ Wirklichkeiten verkörpern, wenn sie also weder Objekt noch Subjekt sind? Aus diesem Grund stellen ‚Grundbedürfnisse‘ eine wichtige sozial-
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ökologische Kategorie dar, denn als „Grenzobjekte“4 (vgl. Becker/Jahn 2006: 169ff.) erlauben sie es, Beziehungsmuster und die sich daraus ergebenden Dynamiken zwischen natürlichen und gesellschaftlichen Prozessen zu denken. Als erste Facette eines sozial-ökologischen Bedürfnisbegriffs kann somit festgehalten werden, dass er die Materialität des Menschen und damit verbundener gesellschaftlicher Prozesse ernst zu nehmen versucht und nicht bereits auf einer begrifflichen Ebene verwischt. Die bereits im ersten Abschnitt dargestellte ‚Naturvergessenheit‘ der Soziologie auf gesellschaftstheoretischer Ebene korrespondiert auf der handlungstheoretischen Ebene mit einer ‚Leibvergessenheit‘ (vgl. Hahn/Meuser 2002). Die Vorstellung dessen, was den Kern des ‚Menschen‘ ausmacht, ist sicherlich geschichtlich gewirkt und damit in der Zeit wandelbar, mindert aber nicht die Tatsache, dass er zu allen Zeiten an die Vorgegebenheit seines Leibkörpers und der damit verbundenen Bedürfnisse gebunden ist; der Mensch war und ist zu allen Zeiten in seiner Doppelgestalt als Natur- und Kulturwesen charakterisierbar, auch wenn sich die Bestimmung dieses Verhältnisses fortwährend verändert. Insofern ist auch die Kategorie des ‚Bedürfnisses‘ weniger statisch als vielmehr prozessual zu verstehen. Nahrung und Ernährung verweisen darauf, dass der Mensch immer auch „ein Stück Natur in der Natur“ (Fischer 1995: 252) ist, denn auch wenn das Bedürfnis der Nahrungsaufnahme sich nie in einem gesellschaftsfreien Naturraum artikuliert, bleibt es doch stets rückgebunden an physiologische Vorgänge des Körpers, umspannt somit sowohl symbolische als auch materielle Dimensionen (vgl. Hayn/Stieß 2006: 379). Exkurs: Anthropologiekritik Letztlich verweist der Diskurs um menschliche Bedürfnisse immer auch auf die Frage nach dem ‚Wesen‘ des Menschen. All diese Unterscheidungen sind im Grunde genommen getragen von dem Bestreben, zwischen tierischen Instinkten und menschlichen Bedürfnissen zu differenzieren, mithin also in dieser Differenz auch das überdauernde ‚Wesen‘ des Menschen zu erkennen. In diesem Sinne verweist der Bedürfnisbegriff auf den umfassenderen Diskurs der Anthropologie und das damit verbundene Problem, den Menschen in seiner Doppelgestalt als Natur- und Kulturwesen zu begreifen (vgl. Hummel/Becker 2006: 200). Was uns auf der Alltagsebene als selbstverständlich erscheinen mag, nämlich die Vorstellung, dass angesichts der Grundausstattung des Gattungswesens Mensch zu allen Zeiten und allen Orten gleiche, zu befriedigende Bedürfnisse existieren, wird im Rahmen eines anthropologiekritischen Diskurses vehement bestritten.
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Das Konzept der „boundary objects‘ oder ‚Grenzobjekte‘ geht ursprünglich auf eine Studie von Susan Leigh Star und James Griesemer (1989) zurück. In ihrer Studie schlagen die beiden vor, dass Objekte, die mehreren sozialen bzw. wissenschaftlichen Welten angehören, dadurch in der Lage seien, als Übersetzungsmedien zu fungieren, und so die Spannungen, die zwischen den einzelnen Perspektiven auf das Objekt entstehen, produktiv zu überwinden.
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Kein Versuch, Grundbedürfnisse und anthropologische Annahmen zum Ausgangspunkt der Überlegungen zu machen, kann die vielfachen Aufweise der Partikularität anthropologischer Kategorien ignorieren: „Der Anthropos hat sich (mindestens) als metaphysisch, neuzeitlich, westlich, männlich, weiß oder szientistisch erwiesen.“ (Barkhaus et. al. 1996: 17) Auch wenn die Ideengeschichte anthropologischer Überlegungen und Annahmen, wie in vielen anderen Bereichen auch, bis in die Antike hineinreicht5, setzt eine gleichermaßen intensive wie systematische Auseinandersetzung mit anthropologischem Gedankengut mit Kants Zurückführung der wesentlichen Fragen der neuzeitlichen Philosophie auf die Frage ‚Was ist der Mensch?‘ ein. Seitdem schwingt das philosophische Pendel zwischen den Polen der Anthropologisierung und Entanthropologisierung unaufhörlich hin und her: Angefangen von Hegels Abwertung anthropologischen Denkens als ‚Schlaf des Geistes‘ über die Blütezeit der sog. Philosophischen Anthropologie, wie sie von Max Scheler, Arnold Gehlen und Helmuth Plessner ausformuliert wurde, bis hin zu einer aktuell diagnostizierten „Wiederkehr anthropologischen Denkens“ (Barkhaus et. al. 1996: 11) ist ein Schwanken der Humanwissenschaften zwischen der Frage nach dem Menschen einerseits und der Fraglichkeit dieser Frage andererseits beobachtbar. Man kann in diesen erbittert geführten und weit verzweigten Debatten zwei zentrale Kritikpunkte, die immer wieder in anderen Schattierungen ins argumentative Feld geführt werden, herausdestillieren: Zum einen wird anthropologischen Ansätzen immer wieder vorgeworfen, dass sie mit der Unterstellung vermeintlicher Universalien den geschichtlich-gesellschaftlichen und damit wandelbaren Charakter der menschlichen Natur negieren; zum anderen, dass es in der Konsequenz letztlich unmöglich sei, die Kategorie des ‚Menschen‘ begrifflich zu füllen, was schließlich zentrales Ziel einer jeden anthropologischen Denkbemühung sei (vgl. eingehender Kamper 1973, Kamper/Wulf 1994, Weiland 1995). Horkheimer und die Unmöglichkeit, den Menschen als feste Einheit zu denken Ein erstes Argument geht im Kern auf eine Kritik zurück, die erstmalig von Seiten des Marxismus und der Kritischen Theorie formuliert und im Laufe der Jahrzehnte bestenfalls verfeinert, aber in der Substanz nicht verändert wurde. Ausgangspunkt der harschen Kritik an der Anthropologie ist der in ihr angelegte Versuch, dem Menschen universelle und im historischen Ablauf unveränderliche Eigenschaften zuzusprechen. Was dabei negiert werde, so der Vorwurf, sei der 5
Exemplarisch sei hier nur eine Stelle bei Platon zitiert: Platon lässt Sokrates in dem ersten Alkibiades Dialog fragen: „Was ist also der Mensch?“ (Alkibiades I, 129e) In der typischen platonischen Vorgehensweise werden dann nach und nach alle möglichen Wesensbestimmungen des Menschen, von der Sprache bis hin zum Leib ausgegrenzt, bis zuletzt die Seele als das alleinstellende Wesensmerkmal des Menschen übrig bleibt: „Sokrates: Wenn nun weder der Leib noch das Beiderlei der Mensch ist, so bleibt nur übrig: entweder nichts ist er, oder wenn etwas, so kann nichts anderes der Mensch sein als die Seele.“ (Alkibiades I, 130c)
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geschichtlich-gesellschaftliche Charakter der menschlichen Natur. Dieses Argument erweitert Horkheimer dahingehend, dass eine solche Sichtweise mehr oder minder zwangsläufig in ein politisch konservatives Weltverständnis münden müsse, indem bestehende politische und gesellschaftliche Macht- und Herrschaftszusammenhänge letztlich mit dem Verweis auf die unveränderlichen Eigenschaften der Menschen zementiert würden. Demgegenüber lautet in einem Aufsatz von 1935 seine Forderung: „Die gegen notwendige historische Veränderungen seit je erhobene Rede, daß die Natur des Menschen dawider sei, soll endlich verstummen.“ (Horkheimer 1988: 275) Somit lässt sich der erste Aspekt der Anthropologie-Kritik der Kritischen Theorie dadurch charakterisieren, dass Horkheimer einen Standpunkt der Geschichte einnimmt und von dort all diejenigen Ansätze diskreditiert, die ohne Rücksicht auf ihre historische Veränderbarkeit eine menschliche Natur dingfest machen wollen (vgl. Kamper 1973: 11). Anthropologische Reflexion bewege sich immer und zwangsläufig im Rahmen einer historischen Gesellschaftspraxis und eines damit verwobenen Selbstverständnisses und die unübersehbare Plastizität menschlicher Natur entziehe einer Definition dessen, was den Menschen wesenhaft auszeichne, jegliche Grundlage6. Allerdings ließe sich gegen diesen Ideologieverdacht auch einwenden, dass es durchaus der Fall sein könnte, dass die biologische Grundkonstitution des Menschen tatsächlich diese unerwünschten politischen Implikationen enthalte, zumal die Philosophische Anthropologie gerade mit dem Anspruch angetreten war, in systematischer und bis dahin nicht dagewesener Weise eine biologischnaturwissenschaftlich informierte geisteswissenschaftliche Theoriebildung voranzutreiben. So vertritt beispielsweise Gehlen wie kein anderer den Anspruch, im Rahmen seines „anthro-biologischen Theorieansatz[es]“ (Arlt 2001: 132) sein sozialtheoretisches Gedankengebäude vor dem Hintergrund ‚gesicherter‘ naturwissenschaftlicher Erkenntnisse über den Menschen zu errichten7. Ziel sei es, eine Theorie zu formulieren, die die wechselseitige Verschränkung biologischer Ausgangsbedingungen mit menschlichen Kulturleistungen nachzeichne: „Wir 6
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In eine vergleichbare argumentative Kerbe schlägt schließlich auch Habermas, wenn er etwa 20 Jahre später formuliert: „ ... noch einmal die Tatsache: dass der Mensch Geschichte hat und geschichtlich erst wird, was er ist. Eine beunruhigende Tatsache für eine Anthropologie, die es mit der ‚Natur‘ des Menschen, mit dem, was allen Menschen jederzeit gemeinsam ist, zu tun hat ... Wenn Anthropologie trotzdem daran festhält ... nämlich nur das Wiederkehrende, das Immergleiche, das Zugrundeliegende an Mensch und Menschenwerk zum Gegenstand zu machen, wird sie unkritisch und führt am Ende gar zu einer Dogmatik mit politischen Konsequenzen, die um so gefährlicher ist, wo sie mit dem Anspruch wertfreier Wissenschaft auftritt.“ (Habermas 1973: 107f.) Darüber hinaus zog auch kein anderer Vertreter der Philosophischen Anthropologie derart weit reichende politisch-soziale Konsequenzen aus seinen wissenschaftlichen Überlegungen. Darin ist sicherlich einer der Gründe dafür zu sehen, warum an der philosophischen Anthropologie Gehlens sich wie an keiner anderen Position die Kritik an dieser Strömung entzündete.
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wollen also ein System wechselseitiger Beziehungen aller wesentlichen Merkmale des Menschen herstellen, vom aufrechten Gang bis zur Moral.“ (Gehlen 1993: 23) Daher wird das kritische Verweisen auf die prinzipielle Wandelbarkeit der menschlichen Natur von Seiten Horkheimers um ein stärker erkenntnistheoretisch eingefärbtes Argument ergänzt, zumal wichtige Vertreter der Philosophische Anthropologie selber die Mannigfaltigkeit und Wandelbarkeit des Menschen durchaus eingestehen: „Der Mensch ist ein so breites, buntes, mannigfaltiges Ding, dass die Definitionen alle ein wenig zu kurz geraten. Er hat zu viele Enden.“ (Scheler 1955: 324) Trotz diese Zugeständnisses bleibt für Horkheimer jeglicher Versuch „den Menschen als feste ... Einheit“ zu denken, nicht nur „eitel“, sondern letztlich auch aus epistemischen Gründen unmöglich, da jeder objektivistische Versuch, das Wesen des Menschen bestimmen zu wollen, an der eigenen Verstricktheit in die Welt zwingend scheitern müsse: „Ebenso wenig wie das Objekt der Anthropologie stellt auch sie eine selbstständige Größe dar. Unser eigenes Bild von der Geschichte ist durch die theoretischen und praktischen Interessen der gegenwärtigen Situation strukturiert.“ (Horkheimer 1988: 275) Auch wenn sich an dieser Stelle das tiefe Misstrauen der Kritischen Theorie gegenüber aller Art von naturwissenschaftlicher Erkenntnis unterschwellig Bahn bricht, wird hier dennoch ein weiterer, ernst zunehmender Einwand formuliert, der unmissverständlich auf die Beobachter- und Theorieabhängigkeit dessen, was als vermeintlich unverrückbare ‚Natur‘ gilt, verweist. Foucault und der anthropologische Schlaf Eng verknüpft mit diesem ersten Kritikpunkt ist schließlich auch das zweite Argument, das Hinterfragen des zentralen Begriffs, der im Zentrum jeglicher Form anthropologischen Denkens steht: der ideologieverdächtige Begriff des Menschen. Obwohl die Frage nach dem, was den Menschen zum Menschen macht, wahrscheinlich so alt ist wie die Philosophie selbst, bekommt sie spätestens mit Kant eine neue Einfärbung. Für das Entstehen einer modernen Anthropologie bedurfte es einer wichtigen Voraussetzung, welche den Anthropologien von der Antike Platons bis in das Mittelalter von Thomas von Aquin fehlte: der Aufstieg des Subjekts als „Grundsignatur“ (Arlt 2001: 7) der Moderne. War in vorherigen Zeiten der Mensch in göttliche und kosmologische Ordnungen eingelassen, so kann erst mit seiner Vertreibung aus dem göttlichen Paradies die Frage nach dem Wesen des Menschen sinnvoll gestellt werden. Verantwortlich dafür ist eine Entwicklung, die im Spätmittelalter einsetzt, die sich aus einem ganzen Bündel miteinander verwobener Umwandlungsprozesse wirtschaftlicher, sozialer, politischer und kultureller Natur speist und gemeinhin als ‚Modernisierung‘ bezeichnet wird. Durch sie wird der Mensch in sozialer Hinsicht aus seinen traditionellen gesellschaftlichen Bindungen peu à peu herausgelöst, in kognitiver seiner traditionellen Glaubensauffassungen und Sicherheiten beraubt um am Ende
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als ‚modernes‘ Individuum ‚wiedergeboren‘8 (vgl. van der Loo/van Reijen 1992, Berger/Luckmann 1995). Erst zu diesem Zeitpunkt kann in einer Abkehr von metaphysischen Leitbildern eine moderne Konzeption des Menschen entstehen, deren zentrales Charakteristikum sich in der Formel ‚Selbsterkenntnis durch Selbstdistanzierung‘ ausdrücken lässt. Bei dieser kurzen Skizzierung einer Archäologie der Ideengeschichte moderner anthropologischer Konzepte lässt sich bereits erahnen, wo die Kritik ansetzt: Das Zustandekommen der anthropologischen Frage selbst liege nicht in der überhistorischen Festgestelltheit des Menschen, sondern sei wesentlich Ausdruck eines tief greifenden gesellschaftlichen Veränderungsprozesses: „Nach allem, was wir soziologisch über die soziale Genese persönlicher Individualität wissen und vermuten, kann man nicht davon ausgehen, dass der Bedarf für persönliche Individualität und die Möglichkeit, sich selbst und andere als einzigartig zu stilisieren, durch anthropologische Konstanten erklärt werden können; vielmehr korrespondieren dieser Bedarf und seine Möglichkeit ... mit sozialstrukturellen Bedingungen, vor allem mit der Komplexität und der Differenzierungstypik des Gesellschaftssystems.“ (Luhmann 1994: 15) Freilich handelt es sich hier um die systemtheoretische Variante eines Arguments, das Michel Foucault bereits 1966 in seiner „Ordnung der Dinge“ (deutsch 1971) ausgesprochen hatte. Zentrales Anliegen Foucaults ist unter anderem die Freilegung historisch wandelbarer Realitätsbedingungen für als allgemeingültig ausgewiesene Aussagen über den Menschen, eine „Archäologie der Humanwissenschaften“, wie er selbst im Untertitel zur „Ordnung der Dinge“ schreibt. Im Gegensatz zu Luhmann versucht jedoch Foucault auf eine „ganz und gar unsoziologische“ (Habermas 1993: 285) Art und Weise die historischen Bedingungen der veränderlichen Ordnungen des Wissens mit dem Ziel einer radikalen Vernunftkritik offen zulegen. Mit Blick auf die darin enthaltene Anthropologiekritik kann man Foucaults Argumentationskette folgendermaßen zusammenfassen: Gegen die Annahme, dass sich im Laufe der Zeit die Wissenschaften weg von ‚schlechten‘, von Aberglauben und Magie durchtränkten Modellen hin zu ‚besseren‘ und rationaleren Formen der Erkenntnis hin entwickelt hätten, setzt Foucault die provozierende Idee, dass die Wissenschaftsformen selber vollständig abhängig seien von den historisch wechselnden und damit letztlich kontingenten Konjunkturen kultureller Selbstverständnisse. Weiterhin lasse die Unbewusstheit dieser wahrheitsermöglichenden Strukturen die jeweilige Existenzweise des Menschen stets als Inbegriff derselben erscheinen (vgl. Fink-Eitel 1997: 34). In der Moderne konstituiert sich im Gegensatz zur Renaissance und dem klassischen Zeitalter ein „Ordnungsraum des Wissens“ (Foucault 1971: 24), dessen zentrales kognitives Sche8
Die Vorstellung der meisten Modernisierungstheoretiker des 19. Jahrhunderts, die sich im übrigen bis weit in den Entwicklungsdiskurs des 20. Jahrhunderts behaupten konnte, dass Modernisierung ein linearer und vor allem universalgeschichtlicher Evolutionsprozess sei, wurde bereits früh von Ethnologen wie Franz Boas und Bronislaw Malinowski heftig kritisiert.
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ma der ‚Mensch‘ wird. Mit dem Übergang von der Klassik zur Moderne ereignet sich damit ein „tiefgreifender Umbruch“ (Foucault 1971: 404), für den Foucault im Grunde genommen keine Erklärung liefert, der aber die Humanwissenschaften, so wie wir sie heute kennen, gleichzeitig sowohl entstehen lässt, sie aber auch im selben Augenblick in einen tiefen „anthropologischen Schlaf“ (Foucault 1971: 410) schickt. Dieser Schlaf speist sich vor allem aus einer erkenntnistheoretischen Zwickmühle, die Foucault als „empirisch-transzendentale Dublette“ (Foucault 1971: 384) bezeichnet. In dem Maße, wie der Mensch sich selbst als souveränes Subjekt jeder möglichen Erkenntnis über Objekte entdeckt, ist der „Mensch nicht nur ein Subjekt unter Objekten, er bemerkt bald, dass er nicht nur die Objekte der Welt, sondern erst recht sich selbst zu verstehen sucht. Der Mensch wird Subjekt und Objekt seines eigenen Verstehens.“ (Dreyfus/Rabinow 1987: 52) Was mit dem Ausdruck ‚empirisch-transzendentale Dublette‘ genau gemeint ist, wird klarer, wenn man sich nochmals das zentrale epistemische Kennzeichen des klassischen Zeitalters in Erinnerung ruft. Es gab eine von Gott geschaffene Welt, die der Mensch im Rahmen seiner Erkenntnisbemühungen nicht aus sich heraus erfand, sondern er lieferte eine künstliche Beschreibung einer schon vorhandenen Ordnung, er „erklärte, aber schuf nicht“ (ebd.: 45). Nun aber, im Zeitalter der Moderne und der Entstehung der Wissenschaften vom Menschen wird der Mensch selber zur transzendentalen Quelle der Bedeutung, also zur apriorischen Möglichkeitsbedingung der Erfahrbarkeit des Empirischen selbst. Damit ergebe sich die paradoxe Situation, dass der Mensch zum einen als Objekt unter anderen empirisch untersuchbaren Objekten erscheint, zugleich sich selbst aber als transzendentale Bedingung dieser Erkenntnismöglichkeit setzt, sich als das Produkt einer langen Geschichte, aber eben auch als treibende Kraft und Quelle dieser Geschichte versteht9: der Mensch verdoppelt sich, wird Subjekt und Objekt der Erkenntnis in einem. Dies ist in den Augen Foucaults die aporetische Grundstruktur der modernen Humanwissenschaften und lässt dieselben in besagten, tiefen anthropologischen Schlaf fallen, denn anstatt Licht ins Dunkel zu bringen, hätten sie die Zusam9
Für Foucault lassen sich bislang zwei Strategien erkennen, diese „unklare Verstricktheit des Erkennenden ... in den reinen Grund des Wissens umzuwenden“ (Dreyfus/Rabinow 1987: 56): Entweder man unterstellt, dass es eine Wahrheit an sich gibt und dass eine Disziplin über einen entsprechend neutralen Diskurs verfügt, der diskurs-unabhängige Wahrheiten ans Licht bringt, d.h. „die Wahrheit des Objekts schreibt die Wahrheit des Diskurses vor“ (Foucault 1971: 386); das wäre letztlich das Wissenschaftsverständnis eines unkritischen Positivismus. Oder aber der Diskurs erhält seine Gültigkeit, indem er letztgültige Wahrheiten hervorbringt, wie im Fall von Marx. In gewisser Weise stellt Foucault damit Marx selbst vom ‚Kopf auf die Füße‘, denn der in der Moderne entstehende kognitive Ordnungsraum ‚Mensch‘ und die damit verknüpfte Bewusstwerdung des Menschen in der Transformation des An-Sich-Seins zum Für-sich-Sein mündet eben nicht in eine historische Praxis der Selbstbefreiung, sondern in seine Unterwerfung (sub-jectum) durch die arbeitsteilig organisierten Disziplinen der Humanwissenschaften (vgl. Zima 1997: 126).
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menhänge vielmehr verdunkelt, indem sie ihre eigene Verstricktheit nicht erkannt hätten, weil sie „unter der Hand und im voraus die Vermengung des Empirischen und Transzendentalen“ (Foucault 1971: 410) vorgenommen hätten. Dem anthropologischen Schlaf und all jenen, die in der Folge „nicht formalisieren wollen, ohne zu anthropologisieren“, schallt sein an Nietzsches Zarathustra erinnerndes „philosophisches Lachen“ (ebd.: 412) entgegen. Dieses Lachen soll diejenigen aus ihrem Schlaf reißen, die nicht erkennen wollen, dass „die ganze Konfiguration des Wissens sich geändert [hat], und sie (die Humanwissenschaften) nur in dem Maße entstanden [sind], in dem mit dem Menschen ein Wesen erschienen ist, dass vorher nicht im Feld der episteme10 existierte“ (ebd: 436). Was in den einzelnen humanwissenschaftlichen Disziplinen über den Menschen als wahr und falsch gilt wird innerhalb des Diskurses und den darin enthaltenen „Tiefenstrukturen“ (Foucault 1976: 104) und „Wissenscodes“ (ebd.) festgelegt und ist in der Konsequenz auch historisch variabel. Auch wenn sich Foucault selber nie als ‚Strukturalist‘ verstanden wissen wollte, scheinen doch in einer solchen Subversion der Subjektphilosophie und einer damit angestrebten Überwindung anthropozentrischer Überlegungen strukturalistische Momente durchzuscheinen11. Dieser Eindruck wird nicht zuletzt durch die metaphorischmelodramatischen Sätze am Ende der „Ordnung der Dinge“ verstärkt, die bisweilen zu einem „Tod des Menschen“ (Kamper/Wulff 1994) stilisiert wurden: Sei man erst aus dem anthropologischen Tiefenschlaf erwacht, würden sich viele verwundert die Augen reiben und sich fragen, ob der Mensch überhaupt existiert habe; wenn also die Dispositionen, die den Menschen erst ‚erfunden‘ hätten, ebenso verschwinden würden, wie sie entstanden seien, dann könne man darauf wetten, „dass der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand.“12 (Foucault 1971: 462)
10 Den Begriff der ‚episteme‘ definiert Foucault erst später in der „Archäologie des Wissens“ ein wenig genauer: „Unter episteme ... versteht man die Gesamtheit der Beziehungen, die in einer gegebenen Zeit die diskursiven Praktiken vereinigen können, durch die epistemologischen Figuren, Wissenschaften und vielleicht formalisierten Systems ermöglicht werden ... es ist die Gesamtheit der Beziehungen, die man in einer gegebenen Zeit innerhalb der Wissenschaften entdecken kann, wenn man sie auf der Ebene der diskursiven Regelmäßigkeiten analysiert“ (Foucault 1973: 272 f.) 11 Dieser Kategorisierung widerspricht Foucault an mehreren Stellen. So verweist er in einem Interview in aller Deutlichkeit darauf hin: „Je n’ ai jamais été structuraliste“ (Foucault 1975: 446). Ebenso betont er zu Anfang der „Geburt der Klinik“, dass er, wenn überhaupt, Strukturen nicht als zeitlos invariante, sondern als historisch variable verstanden wissen will (Foucault 1976: 17). 12 Foucault war damals von dieser Vergänglichkeit fest überzeugt, denn für ihn war sie in der unauflösbaren Instabilität der transzendental/empirischen Doppelung und der damit verbundenen, unendlichen Oszillation dessen, was in der Erfahrung gegeben ist, und dessen, was die Erfahrung möglich macht, unabwendbar angelegt (vgl. Foucault 1971: 405).
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Die Richtung der Kritik an anthropologischen Positionen und der damit eng verbundenen Schwierigkeiten eines Bedürfnisbegriffs dürfte nun deutlich geworden sein. Sind die Kritikpunkte einmal eingestanden, scheint sich ein Begriff vom Menschen ebenso wie der Bedürfnisbegriff als Ausgangspunkt weiterer Überlegungen bestenfalls als „ein dürres Konstrukt von höchster Allgemeinheit“ (Arlt 2001: 4), schlimmstenfalls als unbestimmbar13 zu erweisen. Dennoch spricht, trotz aller Einwände, die hartnäckige Wiederkehr der Kategorien ‚Mensch‘ und ‚Bedürfnis‘ und damit verbundener Konzepte für ihre theoretische Produktivkraft. Das zeigt sich nicht zuletzt dort, wo selbst die oben erwähnten, bekennenden Kritiker nicht ohne implizite anthropologische Annahmen auskommen. Macht nicht beispielsweise Adornos „Minima Moralia“ (1962) nur dann Sinn, wenn jenseits des von Kapitalismus und Kulturindustrie „beschädigten Leben(s)“, auch ein ‚Unbeschädigtes‘ als Kontrastfolie mitgedacht wird (vgl. Tanner 2004: 100)? Beruht nicht die ganze Habermasche Theorie des kommunikativen Handelns (1984) letztlich auf anthropologischen Grundannahmen? Und verfällt nicht selbst der ‚späte‘ Foucault mit seiner Hinwendung zu Praktiken, Subjekten und Interpretationen, wenn nicht gleich in einen anthropologischen Schlaf, so doch zumindest in einen ‚anthropologischen Tagtraum‘? Durch die bloße Dekonstruktion hat sich die Frage nach der conditio humana offensichtlich nicht einfach erledigt, oder mit Adam Schaff gesprochen: „Die Tatsache, dass sich mit der Problematik des Menschen eine Philosophie befasst, die wir ablehnen, kompromittiert die Problematik selbst nicht.“ (Schaff 1964: 7) Vielmehr muss das Ziel sein, den Bedürfnisbegriff und damit verbundene anthropologische Überlegungen auf eine analytisch aussichtsreiche Weise in die eigenen Modelle zu integrieren, das heißt die Sozialität der menschlichen Natur und damit verbundener Bedürfnisse nicht zugunsten einer Ignoranz gegenüber der ebenso wesentlichen naturhaften Seite des Menschen in den Vordergrund zu rücken und umgekehrt; ein Versuch, der im Folgenden mit dem Konzept des Versorgungssystems unternommen wird.
2.2 Das sozial-ökologische Modell eines Versorgungssystems Ernährung als basales gesellschaftliches Naturverhältnis zu konzipieren bedeutet, Ernährung als einen Versorgungsbereich zu denken, welcher zwischen den Polen einer biologisch vorgegebenen menschlichen Grunderfahrung und der kulturellen Überformung derselben behandelt werden muss. Somit gelten für einen sozialökologischen Grundbedürfnisbegriff mindestens zwei Voraussetzungen: (1) Grundbedürfnisse sind weder auf organische Mechanismen noch auf kulturelle Eigenschaften reduzierbar, sondern umfassen sowohl stofflich-energetische als
13 „Ein ‚Begriff‘ vom Menschen, der die Unmöglichkeit eines Begriffes vom Menschen begrifflich nachweist, steht noch aus.“ (Kamper 1973: 26).
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auch symbolisch-kulturelle Eigenschaften; (2) durch leibgebundene Grundbedürfnisse ergeben sich Zwänge zu Verhaltensnotwendigkeiten, wenngleich keine Determination der Handlungsmöglichkeiten, die ihrerseits wiederum als strukturierte und strukturierende Strukturen sowohl in gesellschaftliche als auch in natürliche Prozesse eingebunden sind. In dem folgenden Abschnitt soll, vor dem Hintergrund der dargestellten Anthropologiekritik, festgelegt werden, wie im Rahmen des Konzepts gesellschaftlicher Naturverhältnisse und dem darauf fußenden Modell eines Versorgungssystems begrifflich mit ‚Bedürfnissen‘ umgegangen beziehungsweise auf andere theoretische Begrifflichkeiten bezogen werden soll. Ziel dieses Unterfangens ist weniger die Entwicklung eines eigenen Bedürfnisbegriffs als vielmehr der Versuch, Bedürfnisse als disziplinär übergreifende und integrierende Kategorie zu begreifen: „The contradiction…between the cultural and the biological is … among the most fundamental problems to be adressed by an ecologically aware anthropology.“ (Rappaport 1990: 56) Viele der anthropologischen Strömungen bewegen sich seit jeher im Spannungsfeld von Natur und Gesellschaft und haben in der Konsequenz dieses Verhältnis auch sehr viel expliziter zum Ausgangspunkt theoretischer Überlegungen gemacht als beispielsweise die frühe Soziologie14. Das Bemerkenswerte daran ist, dass die vielen anthropologischen und ethnologischen Studien auf einer theoretischen Ebene oftmals wie selbstverständlich von einem ‚hybriden‘ Verflechtungszusammenhang stofflich-materieller und symbolischer Elemente ausgegangen sind. So merkt Bruno Latour an, dass die Anthropologie „uns schon seit langem daran gewöhnt hätte, ohne Krise und Kritik das nahtlos ineinander übergehende Gewebe ‚Natur/Kultur‘ zu untersuchen“, und dass sie „Netze nachzeichnet“, die „gleichzeitig real, sozial und narrativ“ seien (Latour 1995: 14 ff.). Von Anfang an steht im Mittelpunkt vieler Überlegungen die Einsicht, dass die „Produkte menschlichen Tuns einerseits die kulturelle Variabilität aufweisen, andererseits an die naturale Materie gebunden sind“ (Marschall 1990: 7)15. 14 An vielen Stellen wurde angemerkt, dass sich die Soziologie angesichts ihres Entstehungshintergrunds mit einer adäquaten Thematisierung der ‚ökologischen Krise‘ äußerst schwer tue. Das bekannte Durkheimsche Paradigma Soziales nur durch Soziales zu erklären, entfaltet seine suggestive Kraft aber gerade durch eine Exklusion der Natur aus der modernen Gesellschaft. Eine solche Sicht hat allerdings mindestens zwei blinde Flecken: Zum einen ist die vermeintliche ‚Naturblindheit‘ der Klassiker weniger einer „Praktik der Reinigung“ (Latour 1995:19) ihrerseits geschuldet, sondern vielmehr ein Resultat der sehr selektiven Rezeption klassischer Positionen durch die Mainstream-Nachkriegssoziologie, vor allem im Rahmen des Parsonschen Strukturfunktionalismus (vgl. hierzu Groß 2001). Zum anderen trifft diese Kritik nur dann, wenn mit ‚Naturblindheit‘ in erster Linie ein NichtThematisieren anthropogener Naturveränderungen und deren Rückwirkung auf gesellschaftliche Zusammenhänge gemeint ist (vgl. Grundmann/Stehr 1997). 15 Daher scheint es mir auch kein Zufall zu sein, dass anthropologische Standpunkte in Bezug auf die Auseinandersetzung mit ökologischen Krisenphänomenen eine Revitalisierung erfahren haben (beispielsweise Meinberg 1995, Verbeek 1990).
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In seiner biologischen Verfasstheit als stoffwechselabhängiger Organismus bedarf der Mensch einer regelmäßigen Zufuhr ausreichender Mengen an Energie in Nahrungsform. Erhält er diese nicht, setzt zunächst ein Hungergefühl ein. Hunger ist eine Empfindung von Menschen und Tieren, die auftritt, wenn ein bestimmtes Glykogenniveau in der Leber unterschritten wird. Das in der Regel als unangenehm empfundene Gefühl selbst entsteht im Hypothalamus und wird durch Rezeptoren in Leber und Magen ausgelöst. Ein durchschnittlich ernährter Mensch kann etwa 50 Tage ohne Nahrungsaufnahme überleben, aber nur drei Tage ohne Flüssigkeit. Kann der Mensch seinen täglichen Energiebedarf über einen längeren Zeitraum nicht decken, nimmt er also weniger Kalorien zu sich als er verbraucht, stellt sich Unterernährung ein. Folgen der Unterernährung sind unter anderem eine Schwächung der inneren Organe, einschließlich des HerzKreislaufsystems sowie des Immunsystems. Dadurch kommt es bei Kindern meist zu tödlichen Infektionskrankheiten, bei Frauen droht der Verlust ihrer Fertilität. Somit nimmt das Modell eines Versorgungssystems der Nahrung seinen Ausgangspunkt in der menschlichen Elementarerfahrung des sich Ernähren-Müssens. Diese Annahme, ob man es nun Grundbedürfnis, Grunderfahrung oder Elementarerfahrung nennen mag, bildet den unhintergehbaren, minimal-anthropologischen Kern eines solchen Modells. Trotz aller Vorsicht, die beim Postulieren universeller menschlicher Grundphänomene an den Tag gelegt werden muss, kann man dennoch davon ausgehen, dass von Hunger und der damit verbundenen Sicherstellung der Nahrungsversorgung alle Menschen zu allen Zeiten und zu allen Orten betroffen waren und sind16. Die Nahrungssicherung muss im Rahmen von Versorgungsstrukturen reguliert werden, sollen individuelle und gesellschaftliche Reproduktion sichergestellt werden. Gleichzeitig verweist eine solche Annahme aber auch auf den ebenfalls unhintergehbaren Horizont der Gesellschaftlichkeit und damit der Variabilität einer solchen Struktur: Die Versorgung wird in allen Kulturen und Gesellschaften auf eine andere Art und Weise sichergestellt, denn sie ist zutiefst in den spezifischen Kontext einer je unterschiedlichen sozio-kulturellen Praxis der Daseinsvorsorge eingelassen, in der das Verhältnis einer Gesellschaft zu ihrer Natur gestaltet wird. Dass Grundbedürfnisse stets über sich selbst auf die Meso- und Makro-Ebene gesellschaftlicher Naturverhältnisse verweisen, liegt aus anthropologischer Sicht in der eigentümlichen Verfasstheit des Menschen: „Schon Herder hat darauf hin16 Ein weiteres Indiz für eine evolutionäre Grundausstattung der Gattung mit universellen Grundbedürfnissen ist meines Erachtens die Tatsache, dass interkulturell verständliche, mimische Gesten existieren, die auf Handlungen verweisen, die mit der Befriedigung dieser Grundbedürfnisse in Zusammenhang stehen: das Führen der geschlossenen Finger zum Mund für Essen und Nahrung, das eine Trinkbewegung imitierende zum Munde führen einer halb geöffneten Faust für Trinken und das Imitieren eines Kopfkissens durch Falten der Hände neben dem Kopf bei gleichzeitigem Schließen der Augen für Schlaf.
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gewiesen, dass die biologische Hilfsbedürftigkeit, das Unvermögen sich durch äußere Organe zu verteidigen, das Angewiesensein auf langen elterlichen Schutz“ dazu führe, dass es „nichts in seinem Leben [gäbe], was der Mensch nicht machen müsste, wofür er nicht zu sorgen, was er nicht zu gestalten hätte“ (Plessner 1983: 61ff.). Gleichsam als kreatürliches Lebewesen an die Natur gebunden, ist er dadurch immer auch „Emmigrant der Natur“ (ebd.: 64), denn der „Mensch zeigt, dass er jede ... Umwelt durchbrechen kann. Er ist nicht nur emanzipiert von einem bestimmten Klima, von einem bestimmten Milieu, sondern er geht dazu über, diese ganzen Unterschiede von Milieu und Klima zu durchbrechen. Er siedelt sich überall an, und gerade dadurch ist er immer gezwungen und imstande, sich eine künstliche Umwelt zu schaffen“ (Plessner 1983: 63). Eine Analyse kann aber nicht bei dieser bloßen biologischen Betrachtung bleiben, sondern stellt sich wesentlich „der Frage nach den Existenzbedingungen des Menschen. Man sehe sich dieses sonderbare und unvergleichliche Wesen an, dem alle tierischen Lebensbedingungen fehlen und frage sich: vor welchen Aufgaben steht ein solches Wesen, wenn es einfach sein Leben erhalten, sein Dasein fristen, seine bare Existenz durchhalten will? ... Es ist ein höchst komplizierter ... Aufbau von Leistungen erfordert, damit ein Wesen von gerade dieser leiblichen Verfassung morgen und nächste Woche und nächstes Jahr noch Leben kann.“ (Gehlen 1993: 11ff., Hervorhebung i. O.) Auch wenn der Begriff des ‚Mängelwesens‘, den vor allem Arnold Gehlen in seiner Anthropologie aufgreift (vgl. Gehlen 1983: 52ff.), als Negativtheorie immer wieder kritisiert wurde, weil es das „Menschliche am Menschen gerade im Zusammenhang mit seinen biologischen Mängeln“ (Habermas 1973: 98) begreife, ist er gewissermaßen der anthropologische Ausgangspunkt bei einer Konzeption von Versorgungssystemen, die an menschlichen Grundbedürfnissen ansetzt. Um an dieser Stelle einem Missverständnis in Form eines tief in die sozialwissenschaftliche ‚Seele‘ eingelassenen, antibiologistischen Reflex in aller Deutlichkeit vorzubeugen: Die Sicherstellung des physiologisch vorgegebenen Zwangs, in ausreichender Menge Nahrung zu sich zu nehmen, ist eine zu erfüllende biologische Mindestbedingung für das Entstehen jedweder gesellschaftlicher Ordnung. Eine weitere, notwendige biologische Voraussetzung für die kulturelle Vielfalt des Versorgungssystems ‚Nahrung‘ ist die dem Menschen eigentümliche Weltoffenheit, also der Umstand, dass sowohl seine Beziehung zur natürlichen Umwelt als auch sein Instinkt- und Triebapparat höchst unspezialisiert und ungerichtet sind. Diesem Umstand verdankt der Mensch die Tatsache, dass ihm im Gegensatz zu anderen Tieren keine Nahrungsquelle und damit verbundene Nahrungsweisen natürlich vorgegeben sind, sondern er sich vielmehr dadurch auszeichnet, sich in Bezug auf die Ernährung seiner Umwelt hochgradig anpassen zu können. Dieser Verweis auf die biologischen Besonderheiten seiner Verfassung bedeutet aber weder, dass eine Gesellschaftsordnung noch ein Versorgungssystem der Nahrung in seiner Beschaffenheit biologisch abgeleitet werden kann, wohl aber, und das ist ein wesentlicher Unterschied, dass deren Notwen-
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digkeit in der biologischen Verfassung des Menschen angelegt sind (vgl. Berger/Luckmann 1969: 56; Honneth/Joas 1980: 13). Während allerdings Plessner für die lebenspraktische Ausgestaltung dieser anthropologischen Voraussetzungen den Begriff der Kultur und Gehlen den Begriff der Institution vorsieht, nimmt im vorliegenden Fall das Versorgungssystem diese Position ein, weil es die unhintergehbare Verwobenheit von Natur und Gesellschaft im Zuge von Existenz sichernden Versorgungsbemühungen konsequenter zum Ausdruck bringt und zum analytischen Ausgangspunkt macht. Im Versorgungssystem überschneiden sich in dynamischer Weise biologische, ökologische und gesellschaftliche Systeme, die auf eine komplexe Art miteinander agieren. Anthropologische Überlegungen werden so mit sozial-ökologischen Überlegungen kombiniert, die selber nicht Schwerpunkt der klassischen Philosophischen Anthropologie waren (vgl. Fischer 1995: 256). Weitere Korrekturen an der tendenziell ahistorischen Perspektive älterer anthropologischer Strömungen nimmt dann die sog, ‚Historische Anthropologie‘ vor. Scheint dieses Label zunächst eine „contradictio in adjecto“ (Böhme 1985: 251) zu sein, setzt sich mehr und mehr die Einsicht durch, dass man anthropologischen Untersuchungsgegenständen eine historische Betrachtung angedeihen lassen und somit der Einsicht Rechnung tragen muss, dass der Mensch nicht ‚fertig‘ die historische Bühne betritt, sondern dass sich tief gehende Umbildungen seiner Grundkonstitution über die Zeit hinweg beobachten lassen. In gewisser Weise nimmt ein solches Unterfangen seinen Ausgangspunkt in der alten Forderung Horkheimers, die „Anthropologie in eine dialektische Theorie der Geschichte aufzunehmen“, was es ermöglichen würde, anthropologische Erkenntnisse zwar zu berücksichtigen, diese aber nicht zwangsläufig als ahistorische Konstanten der menschlichen Natur zu begreifen, sondern als spezifische Merkmale „historisch bestimmter Menschen und Menschengruppen“ (Horkheimer 1988: 258ff.). Mit der Öffnung der Anthropologie zur geschichtlichen Dimension hin verzichtet sie auch ein für allemal auf den Rekurs auf das bereits erwähnte, ideologieanfällige Konzept von ‚dem Menschen‘. Kulturelle Praktiken des Menschen können nur in ihrem gesamtkulturellen Kontext und ihrer historischen Gewachsenheit verstanden werden. So lassen sich als zwei zentrale Grundfragen einer Historischen Anthropologie festhalten: „jene nach den sozialen Praktiken und symbolischen Formen, durch welche Menschen ihr gesellschaftliches Zusammenleben organisieren und regulieren und jene nach der Geschichtlichkeit der menschlichen Natur“ (Tanner 2004: 21). Damit wird, ruft man sich den ersten der eingangs vorgetragenen Kritikpunkte in Erinnerung, im Rahmen der Historischen, aber auch der Kultur-Anthropologie die Vorstellung einer fixen Gegenständlichkeit der menschlichen Natur unter dem Gesichtspunkt ihrer räumlichen
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und zeitlichen Situiertheit reformuliert17. Eng damit verbunden ist die Entwicklung einer selbst-reflexiven Haltung, die dahingehend sensibilisiert, „dass jede Wissenschaft von der Perspektive derjenigen geprägt ist, die sie ausüben. Das gilt für die Fragestellungen, die theoretischen Gerüste und auch für die Methoden. Allen FeldforscherInnen sollte bewusst sein, dass sie die Quelle, die sie interpretieren, mitproduzieren.“ (Dressel 1996: 50ff.) Daraus folgt aber zugleich auch, dass sie sich nach ihrem Selbstverständnis als kritische Forschung versteht, dass Historische Anthropologie mithin also immer selbst-reflexive Anthropologie sein muss, die auf sich selbst anwendbar bleibt. Ruft man sich nun die Ausführungen zum Konzept der gesellschaftlichen Naturverhältnisse in Erinnerung, sind die Anknüpfungspunkte offensichtlich. Gert Dressel will eine historische Anthropologie verstanden wissen als „Wechselspiel von jeweils vorgefundenen strukturellen Gegebenheiten ... und der jeweiligen strukturierenden Praxis der Akteure“ (Dressel 1996: 163). Allerdings wird im Unterschied zu einer solchen anthropologischen Position in Bezug auf die sozialtheoretischen Elemente dieser Arbeit eine wichtige Verschiebung beziehungsweise Ergänzung vorgenommen: Theoretischer Ausgangspunkt ist nicht mehr der Mensch, sondern das unaufhebbare In-der-Welt sein des Menschen, also das vergesellschaftete Subjekt. Ein so verstandenes Individuum gerät eben nicht in seiner kreatürlichen Ganzheit und der darin enthaltenen Unbestimmbarkeit in den theoretischen Blick, sondern als Träger von Praxis in Abhängigkeit von überindividuellen Wissensordnungen und damit verbundenen Sinnsystemen oder anders ausgedrückt: Die unbestimmbare anthropologische Kategorie ‚Mensch‘ erhält eine praxistheoretische Spezifizierung in Form der soziologischen Kategorie des vergesellschafteten ‚Akteurs‘, der zur Befriedigung seiner materiellen Bedürfnisse im Rahmen eines gesellschaftlichen Kontexts Natur aneignet.
2.2.1 Allgemeines Modell eines Versorgungssystems In Anlehnung an die dargelegten Überlegungen der gesellschaftlichen Vermittlung der Natur und der naturhaften Vermittlung der Gesellschaft wird in einem sozial-ökologischen Verständnis diese Aneignung von Natur zum Zweck der Bedürfnisbefriedigung über Versorgungssysteme reguliert. Versorgungssysteme nehmen somit eine vermittelnde Rolle zwischen Natur und Gesellschaft ein und können als sozial-ökologische Systeme beschrieben werden (Becker/Schramm 2001). Sie enthalten stofflich-energetische und kulturell-symbolische Dimensio-
17 Die sich bei einer solchen Position ergebende Zwickmühle ist natürlich folgende: sobald man das Gleichheitspostulat aufgibt, wird „der Relativismus zu einer echten Gefahr“ (Geertz 1992: 64). Auf dieses Problem wird weiter später noch einzugehen sein.
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nen; natürliche, technische, soziale und ökonomische Prozesse und Strukturen sind auf komplexe Weise miteinander verwoben18. Abbildung 1: Versorgungssysteme im Rahmen gesellschaftlicher Naturverhältnisse
Versorgungsen tik ak r P
Wi ss en
NATUR
Nutzer
Ressourcen ti Ins
en ion tut
Te ch nik
GESELLSCHAFT
system (Quelle: Lux/Janowicz/Hummel 2006)
Versorgungssysteme haben einen erheblichen Einfluss auf die Regulation gesellschaftlicher Naturverhältnisse. ‚Gesellschaftliches‘ und ‚Natürliches‘ wirken zusammen und gerade durch dieses Zusammenwirken wird eine spezifische Problemdynamik erzeugt. Auch in Bezug auf die Versorgungssysteme gilt, dass ‚Natur‘ und ‚Gesellschaft‘ nicht als qualitativ unterschiedliche Realitätsbereiche ontologisch verstanden werden, sondern als methodisch unterscheidbare Wissensobjekte; die Unterscheidung ist daher theorie- und beobachtungsabhängig. Innerhalb der Versorgungssysteme kann zwischen der Seite der Ressourcen und der Seite der Nutzer unterschieden werden. Ressourcen umfassen materiellenergetische sowie organische und räumliche Strukturen innerhalb eines ökologischen und biophysischen Reproduktionszusammenhangs. Ressourcen sind nicht einfach natürlich vorgegeben und verfügbar, sondern Konsequenzen von Bedarfssituationen und damit abhängig von Nutzungskontexten und Bewirtschaftungsformen (vgl. II/2.2.2). Nutzer werden als Teil der Versorgungssysteme verstanden, bezeichnen die Ebene der Akteure und der unterschiedlichen Akteurskonstellationen und umfassen sowohl die Erbringer als auch Empfänger von Versorgungsdienstleistungen (vgl. II/2.2.3). Beide – Nutzer und Ressourcen – stehen wiederum in keinem direkten Verhältnis. Vielmehr wird dieser Handlungskon18 In der internationalen entwicklungstheoretischen Diskussion existieren eine ganze Reihe zum Versorgungssystem verwandter Begrifflichkeiten, wie beispielsweise Infrastruktur, sozio-technisches Großssystem, systems of provision oder commodity chains, auf die an dieser Stelle nicht ausführlich eingegangen werden kann (vgl. hierzu Hummel 2008, S. 43f.). Die wesentlichen Unterschiede zu den genannten Ansätzen liegen zum einen in der konsequenten Betrachtung sozialer und ökologischer Dynamiken als auch in der Überschreitung einer rein technikzentrierten Perspektive auf Versorgungsfragen.
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text bestimmt durch die vermittelnden Elemente Wissen, Institutionen, Praktiken und Technik (WIPT-Komplex): Sie sind als unterschiedliche Dimensionen des Nutzer-Ressourcenverhältnisses zu verstehen (vgl. ausführlicher II/2.2.4) Sowohl auf die genaue Definition der einzelnen Dimensionen als auch auf den verwendeten Systembegriff wird in dem nächsten Abschnitt noch detaillierter eingegangen. Zunächst einmal verweist an dieser Stelle der WIPT-Komplex auf die Einsicht strukturalistischer Theorien, dass sich das Versorgungssystem zwar aus einer Vielzahl einzelner Versorgungspraktiken zusammensetzt, die zwischen Natur und Gesellschaft vermitteln, der dabei entstehende Strukturzusammenhang aber auch institutionelle, kulturelle, ökonomische und technische Elemente enthält, die nicht einfach auf die individuelle Ebene reduzierbar sind und sich in der Folge auch der Verfügungsgewalt des Einzelnen entziehen, indem sich diese gesellschaftlichen Verhältnisse gegenüber den Handlungen und Orientierungen der einzelnen AkteurInnen verselbstständigen. Eine so verstandene Versorgungspraxis kann somit als sozial verfasster Prozess aus gegebenen kognitiven und materiellen Strukturen definiert werden, die diese Versorgungspraxis sowohl ermöglichen, die damit verbundenen gegebenen materiellen und kognitiven Strukturen beständig verändern, gleichzeitig aber durch diese auch eingeschränkt werden. Auf methodischer Ebene kommt in dem Modell die Annahme zum Tragen, dass angesichts der kritischen Versorgung weiter Teile der Weltbevölkerung mit überlebenswichtigen Grundgütern eine rein quantitative Betrachtung zunächst wenig zur Erhellung der für kritische Situationen typischen „Überlebensarbeit und den damit verbundenen alltäglichen Formen der Nahrungssicherung“ (Brandhauer-Schöffmann/Hornung 1991: 97) der einzelnen Akteure beitragen kann, so dass neben den institutionellen Formen der Nahrungsversorgung auch die komplementären Versorgungspraktiken der Akteure und Akteurinnen verstärkt in den analytischen Blick genommen werden müssen. Damit ist zunächst einmal das Strukturmodell eines Versorgungssystems eingeführt. Obwohl es später um die Analyse von urbanisierungsinduzierten Transformationen des Versorgungssystems der Nahrung gehen wird, also um Veränderungsprozesse, soll zunächst deutlich werden, dass bei aller angemessenen Berücksichtigung des Prozesshaften nicht vergessen werden sollte, dass Prozesse mit Strukturen verknüpft sind und dass es nicht zuletzt diese Einsicht ist, die „Licht ins Dunkel der systemverändernden Kräfte“ (Turner 1992: 130) bringt. Mit Blick auf den Status dieser Strukturen lässt sich weiterhin darauf verweisen, dass in dem vorliegenden Fall nicht davon ausgegangen wird, dass diese Strukturen sich so auf der Ebene der empirischen Realität ‚beobachten‘ lassen, man es also mit einer modellhaften Abbildung eines ‚wirklichen‘ Versorgungssystem zu tun hätte. Offensichtlich handelt es sich vielmehr um eine gedankliche Abstraktion, in die eine Vielzahl von dargestellten theoretischen Annahmen einfließt und die letztlich vor allem den heuristischen Wert einer Komplexitätsreduktion auf Seiten des Beobachters besitzt, indem sie „nicht alle Attribute ... sondern nur solche, die den jeweiligen Modellerschaffern und/oder Modellnutzern relevant er-
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scheinen“ (Stachowiak 1973: 131) erfasst19. Ein solches Vorgehen wird bestimmt „von dem Spannungsverhältnis, das Wissen über Systemzusammenhänge und über Systemdynamiken einerseits in möglichst einfach zu handhabende Modelle zu fassen, um ... ein qualitatives Verständnis der Systemdynamik zu erreichen, und andererseits die relevanten und in der Aufmerksamkeit liegenden Komplexitätsphänomene auch in einer reduzierten Beschreibung zu erhalten“ (Liehr/Becker/Keil 2006: 280). Eine Dynamisierung erfährt das Modell schließlich durch das Konzept der Wechselwirkungen. Der Begriff der Wechselwirkung hat in der Soziologie eine längere Tradition und wurde vor allem durch die Arbeiten von Georg Simmel in das Vokabular der Sozialwissenschaften eingeführt. Für Simmel ist dabei der Begriff der Wechselwirkung zunächst keineswegs auf soziale Phänomene beschränkt, sondern dient vielmehr als allgemeine erkenntnistheoretische Heuristik: „Als regulatives Weltprinzip müssen wir annehmen, dass Alles mit Allem in irgendeiner Wechselwirkung steht, dass zwischen jedem Punkte der Welt und jedem anderen Kräfte und hin- und hergehende Beziehungen bestehen.“ (Simmel 1966: 12ff.) Im weiteren Verlauf überträgt er ihn jedoch auf soziale Zusammenhänge und versteht Gesellschaften als das Resultat der Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Individuen, Gruppen und anderen sozialen Gebilden. Was dabei zum ersten Mal in die gesellschaftstheoretische Diskussion eingetragen wird ist die Vorstellung, dass Gesellschaften keine statischen Gebilde sind, sondern Gesellschaft vielmehr als Resultat der Summe dieser Wechselwirkungen als fortlaufender Prozess zu verstehen ist. Damit geht auf ontologischer Ebene eine für den sozial-ökologischen Kontext wichtige Verschiebung einher, denn die Erkenntnisobjekte werden „nicht mehr länger als Substanzen ..., sondern von ihren relationalen Merkmalen“ (Dahme 1981: 368) her gedacht. Simmel zeigt auch in einem weiteren Aspekt, dass er seiner Zeit voraus war, denn der Begriff der Wechselwirkung dient ihm nicht nur als Erklärung gesellschaftsimmanenter Phänomene, sondern auch als Analyseinstrument der Beziehungen zwischen sozialer und materieller Welt. So verleiht er an diversen Stellen seiner Schriften der Überzeugung Ausdruck, dass die räumlich-materiellen Charakteristika vor allem der Großstadt sowohl für die Individuen als auch für ihre Beziehungen zueinander prägende Wirkung haben (vgl. Dahme 1981: 369ff., Heidenreich 2004: 37ff.). Den Begriff der Wechselwirkung zeichnet bis heute eine Ablehnung des linearen Kausalitätsbegriff aus, das heißt ihm ist die grundle19 Weiterhin enthält ein solches Modell auch ein wichtiges disziplinäres und interdisziplinäres Moment der Wissensintegration. Als Instrument der disziplinären Wissensintegration dient es sowohl der Offenlegung der verwendeten Wissenselemente als auch einer Synthese derselben. In interdisziplinärer Sicht dienen Modelle und damit verbundene Brückenkonzepte vor allem der Integration von Wissensbeständen aus unterschiedlichsten wissenschaftlichen Teildisziplinen (vgl. in Bezug auf die Soziale Ökologie Liehr/Becker/Keil 2006, als Gesamtüberblick vgl. TaTuP 2005).
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gende Annahme inhärent, dass sich gewisse Phänomene nicht im Rahmen von linearen Ursache-Wirkungsketten, sondern nur in Form von zirkulären Kausalitäten beschreiben lassen. Wechselwirkung meint dann, dass Dinge, Systeme oder Elemente von Systemen nicht nur auf andere einwirken, sondern dass diese von ihnen hervorgerufenen Wirkungen direkt oder indirekt wieder auf sie zurückwirken können (vgl. Hummel/Kluge 2006: 253). Als Voraussetzung für Wechselwirkungen muss eine Kopplung zwischen den einzelnen Elementen vorliegen. Im vorliegenden Fall stehen die sozial dynamischen Prozesse der Urbanisierung mit den natürlichen Ressourcen über den WIPT-Komplex in Wechselwirkung.
2.2.2 Ressourcen Der Ressourcenbegriff erfuhr vor allem im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts eine enorme Aufwertung, wobei auf die Verknüpfung der Themen Bevölkerungswachstum, Ressourcenverknappung und Umweltzerstörung im entwicklungstheoretischen Diskurs der letzten Jahre im Rahmen einer kritischen Diskussion aktueller Debatten um das Verhältnis von Nahrungsversorgung und demografischer Entwicklung nochmals ausführlich eingegangen wird (vgl. III/1.4). An dieser Stelle ist es in einem ersten Schritt entscheidender, ein sozial-ökologisches Verständnis von Ressourcen zu explizieren, das in der Lage ist, ihre ‚hybride‘ Wirklichkeit zu fassen, denn in dem Begriff der Ressource amalgamieren ganz ähnlich wie in dem Begriff des Bedürfnisses symbolische und materielle Elemente. Aus soziologischer Sicht ist ‚Natur‘ nicht einfach in Form von präexistierenden, gesellschaftlichen Handlungen vorgängigen Ressourcen passiv verfügbar, sondern deren Wahrnehmung, Aneignung und Verwertung ist in hohem Maße vom Stand der technologischen Entwicklung, von theoretischen Konzepten, sozialen Konstellationen und kulturellen Perspektiven abhängig. Diese wichtige Einsicht in die Kontextrelativität dessen, was unter Ressourcen zu verstehen ist und wie sie in gesellschaftlichen Prozessen integriert werden, bringt in dem obigen Modell der Komplex aus Wissen, Institutionen, Praktiken und Techniken zum Ausdruck. Im vorliegenden Fall werden Ressourcen damit in einem ersten Schritt systematisch auf die Versorgung bezogen. Von einem solchen Standpunkt aus betrachtet, haben sozial-ökologische Krisen von Versorgungssystemen ihren Ursprung weniger in einem ‚Bevölkerungsproblem‘ und in einer daraus resultierenden ‚Ressourcenübernutzung‘ als vielmehr in der mangelnden Adaptivität von gesellschaftlich regulierten Versorgungsstrukturen. Gleichzeitig handelt es sich bei Ressourcen nicht um referenzlose, rein diskursive Artefakte, denn die Regulation von Ressourcennutzung wird ebenso durch die materiell-stofflichen Aspekte gesellschaftlicher Naturverhältnisse mitbedingt, die in und durch die Konflikte um Ressourcen zum Vorschein kommen. Bestimmte Eigenschaften von Ressourcen sind nicht beliebig konstruierbar, sondern beziehen sich auf materielle Voraussetzungen. Die unten stehende Abbil-
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dung verdeutlicht diesen Aspekt, indem sie die zeitlichen und räumlichen Unterschiede in der Verfügbarkeit von Ressourcen visualisiert: Abbildung 2: Modi der Verfügbarkeit von Ressourcen
Unterschiedliche Modi der Verfügbarkeit von Ressourcen in... ...zeitlicher Dimension:
L
konstant, hoch
L
konstant, niedrig
L
saisonal
L
unvorhersehbar
L
ephemer
...räumlicher Dimension:
kontinuierlich
fleckenhaft
isoliert
(Quelle: Niemann 2007: 12) Ein sozial-ökologisches Verständnis des Verhältnisses von Ressourcennutzung und demografischen Entwicklungen muss den Versuch wagen, die in den sozialen Verhältnissen enthaltenen Formen der Strukturierung gesellschaftlicher Naturverhältnisse herauszuarbeiten, das heißt die Wechselwirkungen mit den materiell-stofflichen Implikaten sozialer Prozesse: „… resources can only be defined in relationship to the mode of production which seeks to make use of them and which simulataneously ‚produces‘ them through both the physical and mental acitivities of the users. There is, therefore, no such thing as a resource in abstracto, a resource which exist as a ‚thing in itself‘.“ (Harvey 1980: 12)
2.2.3 Nutzer als Akteure Das Modell des Versorgungssystems lässt sich weiterhin durch die Einbeziehung der Nutzer und einer damit verbundenen Integration der Handlungs- und Akteursperspektive charakterisieren. Im Vergleich zu ähnlichen Modellen, die gemeinhin analytisch zumindest zwischen den Erbringern und den Nutzern von Versorgungsleistungen unterscheiden (vgl. exemplarisch Anderies/Janssen/ Ostrom 2004), ist das Zusammenziehen beider in die Kategorie der Nutzer zunächst eher ungewöhnlich, erklärt sich aber aus der Stoßrichtung des Erkenntnis-
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interesses. Ausgangspunkt der Modellbildung war die Frage, wie das Verhältnis von Nutzung und Ressource und dessen Veränderung in Abhängigkeit von demografischen Prozessen analytisch gefasst werden könnte. Als vermittelnde Kategorie wurde die Versorgung der Bevölkerung identifiziert, so dass in dem Modell Ressourcen systematisch auf die Versorgung der Bevölkerung bezogen wurden. Als Nutzer der Ressource können vor diesem Hintergrund aber ebenso die Erbringer als auch die KonsumentInnen von Versorgungsleistungen gelten. Durch diese Verrückung der Perspektive werden die Interessen, Ansprüche, Bedürfnisse und Zielsetzungen unterschiedlicher AkteurInnen sowie die gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse und Machtkonstellationen mit einbezogen, die hinsichtlich der Nutzung einer Ressource ergeben können, beispielsweise zwischen Landwirtschaft (Erbringer von Versorgungsleistungen) und Haushalten (KonsumentInnen) in Bezug auf Wasser, wie es sich oftmals für semi-aride Gebiete beobachten lässt. Um diesem machttheoretischen Aspekt Rechnung zu tragen, wird an den für entwicklungstheoretische Zusammenhänge konzipierten ‚Arenen‘-Begriff angeknüpft. Der Begriff der Arena als metaphorischer Ausdruck eines vermachteten Handlungszusammenhangs wurde ursprünglich Mitte der 1960er Jahre in einer Kritik an struktur-funktionalistischen Konzepten und ihrer statischen Grundorientierung entwickelt und durch die dynamischere Vorstellung einer prozesshaften Entwicklung bestimmter Handlungsfelder durch unterschiedlichste Akteure und deren Auseinandersetzung um Zugang zu Machtressourcen erweitert (vgl. Goetze 2002: 57f.). Der Arenen-Ansatz fand später Eingang in den entwicklungstheoretischen Diskurs, wo man sich ebenfalls in einer Abkehr von den starren Dependenzmodellen mit der Berücksichtigung lokaler Kontexte eine bessere Erklärung entwicklungshemmender Faktoren erhoffte: „Nicht ein ausgehandelter gesellschaftlicher Konsens, sondern ein Zusammenspiel verschiedener (Gruppen)Interessen, lokaler Wissensstände, Strategien, Normen, Konflikte, Kompromisse, Feuerpausen, die zusammen die Sozialstruktur bilden, entscheidet über den Strukturwandel.“ (Bierschenk/Elwert/Kohnert 1993: 31) Anders als frühere Großtheorien wie beispielsweise die Frankfurter Schule, die in erster Linie die totalitären und in der Folge vereinheitlichenden Merkmale von Macht überzeichnet haben, wird bei der Betrachtung des Zusammenhangs von Macht und sozialer Praxis im Rahmen des Arenen-Begriffs einer monolithischen Konzeption von Macht und Herrschaft der Begriff des Kontextes gegenübergestellt. In der Ablehnung der Vorstellung einer Kultur gilt es vielmehr die Vielzahl derjenigen Zusammenhänge in den Vordergrund zu rücken, in denen divergente Handlungskapazitäten, damit verbundene Chancenmaximierungen und darauf bezogene Aushandlungsprozesse über den Zugang zu Ressourcen entscheiden. Als Akteure treten sowohl kollektive, korporative als auch einzelne Individuen in den jeweiligen Arenen auf. Aus soziologischer Sicht wird damit der Blick für die Beschaffenheit lokaler Akteurskonstellationen und der Art ihrer Interaktionsbeziehungen geschärft, was sowohl eurozentrische Homogenitätsvor-
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stellungen fremder Kulturen als auch dichotome Deutungsmuster von ‚Entwicklung/Unterentwicklung‘ unterläuft. Auch wenn die Gegenüberstellung ‚Homogenität von oben‘ und ‚Heterogenität von unten‘ in dieser Einfachheit nicht allen Facetten der unterschiedlichen Theoriebildungen gerecht wird (vgl. Stäheli 2004: 159), stehen doch den kulturellen Hegemonitätsvorstellungen, wie sie für traditionelle marxistische und strukturalistische Ansätze charakteristisch waren, im Anschluss an die Arbeiten Foucaults die Bedeutung von Mikro-Praktiken für die Konstitution von Machtverhältnissen entgegen. Macht wird demnach nicht zwingend und ausschließlich als ein Prozess von oben gesehen, sondern um das Wissen der signifikatorischen Bedeutung alltäglicher Praktiken ergänzt – Struktur und Praxis werden daher nicht gegeneinander ausgespielt, sondern als aktive Prozesse der Strukturproduktion und -reproduktion im Rahmen alltäglicher Praktiken zusammen gedacht. In diesem Zusammenhang wird auch nochmals die Bedeutung des Kontextes deutlich: „Ein Ereignis oder eine Praxis … steht nicht außerhalb der kontextuellen Kräfte, die dieses beziehungsweise diese entstehen ließen. Daher ist der Kontext nicht nur ein bloßer Hintergrund, sondern die Bedingung dafür, das etwas möglich wird.“ (Grossberg 1999: 59) Insbesondere mit Blick auf ein wichtiges Ziel sozial-ökologischer Forschung Problemlagen durch entsprechende, eingreifende Regulationen zu entschärfen, ist es unabdingbar, sich die verschiedenen Dimensionen von Akteurskonstellationen und deren Bedeutung vor Augen zu führen. Dabei geht es letztlich darum, einen gewünschten Sachverhalt dadurch zu erreichen, dass man den „strukturellen Kontext anderer Akteure so gestaltet, dass sie diesen Zustand herbeiführen“ (Schimank 1992: 167). Die Annahme, dass die Nutzung von Ressourcen durch Akteure und Akteursgruppen in einer grundsätzlich machtdurchsetzten Arena stattfindet, ist wichtig, da sie in Bezug auf die raumtheoretischen Überlegungen noch eine wichtige Rolle spielen werden: Versorgungsräume entstehen nicht zuletzt durch eine aktive Verknüpfung von Ressourcen und verweisen damit genuin auf die Handlungs- und Durchsetzungskapazitäten der beteiligten Akteure in Abhängigkeit von ihrer jeweiligen Kapitalausstattung. Eng damit verknüpft sind auch geschlechtsspezifische Aspekte, insofern man davon ausgehen muss, dass die Geschlechterdifferenz keine „beliebige Ordnungskategorie des Denkens“, sondern „vielmehr eine Strukturkategorie moderner Gesellschaften“ (Schultz/Hummel/ Hayn 2006: 227) darstellt. Vor diesem Hintergrund werden auch Geschlechterverhältnisse für gesellschaftliche Naturverhältnisse als strukturierend aufgefasst. Neuere entwicklungssoziologische Arbeiten haben die Bedeutung von Genderaspekten unzweifelhaft herausgearbeitet (vgl. Escobar 1995, Wichterich 1994, Schröter 2000).
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2.2.4 Versorgungssystem und Versorgungspraxis In welcher Beziehung stehen nun aber Wissen, Institutionen, Praktiken und Techniken zueinander? Grundlegend für die Ausformulierung dieses Verhältnisses ist der Begriff der ‚Praxis‘. Der Praxisbegriff bezieht seine für die vorliegende Arbeit wichtige Stellung aus mindestens vier Gründen: Zum einen erlaubt er eine konsistente sozialwissenschaftliche Ausformulierung der einzelnen Bestandteile des WIPT-Komplex; zum anderen beinhaltet er als ein ‚Scharnierbegriff‘ zwischen Struktur und Handlung die Möglichkeit, das Verhältnis zwischen dem WIPT-Komplex und dem Begriff des Versorgungssystems zu klären; der Praxisbegriff stellt schließlich eine soziologische Ausformulierung der im nächsten Abschnitt eingeführten Praxisphilosophie des Pragmatismus dar und ist außerdem höchst anschlussfähig an die raumtheoretischen Überlegungen dieser Arbeit. Die Ausarbeitung wird auf der Grundlage eines breiten Praxisbegriffs erfolgen, der nicht den Anspruch erhebt, eine in sich geschlossene ‚Praxistheorie‘ zu formulieren; vielmehr greife ich bei der Formulierung auf ein Bündel von Ansätzen zurück, denen gemein ist, dass sie eine Praxisperspektive einnehmen und diese theoretisch auszuarbeiten suchen.
2.2.4.1 Praxis: die (Wieder)Entdeckung einer Antwort auf ein altes Problem der Sozialwissenschaften Der Begriff der Praxis gehört zweifelsohne zu einem der schwierigsten und voraussetzungsreichsten Begriffe der neueren sozialwissenschaftlichen und philosophischen Literatur. Innerhalb der Soziologie wird er nicht selten als Gegenbegriff zu struktur- und systemtheoretischen Ansätzen in Anschlag gebracht und umfasst „jenen gesellschaftlichen Prozess, mit, beziehungsweise in dem Menschen sich die Bedingungen ihrer historisch vorgefundenen Wirklichkeit aneignen und sie transformieren“ (Hörning 2004: 27). Mit einer praxistheoretischen Ausformulierung des WIPT-Komplexes wird dem Umstand Rechnung getragen, dass sich bereits seit längerem in den Sozial- und Kulturwissenschaften eine Revitalisierung praxistheoretischer Überlegungen beobachten lässt, die Praxis zu dem zentralen Bezugspunkt gesellschaftlicher Analysen macht: Was zunächst als loses Bündel diverser Ansätze eine analytische Neuausrichtung vor allem der Kultursoziologie inspirierte, scheint sich aktuell zu einem neuen Paradigma, zu einer „Praxiswende“ (Schatzki/Knorr-Cetina/von Savigny 2001) zu verdichten, so dass sich auf der Ebene der Sozialtheorie in den letzten zehn bis zwanzig Jahren eine konzeptuelle Wende hin zur ‚Praxis‘ vollzogen hat. Diesen Ansätzen ist gemein, dass sie in Ablehnung einer objektivistischen Verkürzung von Praxis die Eigendynamik und Eigenträgheit derselben stärker in Rechnung stellen, indem sie diese Dimensionen der sozialen Welt nicht sozialstrukturell bedingt als ein abgeleitetes Überbauphänomen, als Ausfluss oder als abritäres Subsystem der Gesellschaft ansehen, sondern Praxis als konstitutive Grundlage der sozialen Welt verstehen, im Rahmen derer die Menschen sich und ihre Welt sinnhaft deu-
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ten. Ausgangspunkt sowohl empirischer Beobachtungen als auch theoretischer Überlegungen sind die sozialen Alltagspraktiken, die soziale Wirklichkeit hervorbringen (Hörning 1999: 9). Soziologisch interessant ist dabei nicht so sehr die singuläre Ausführung einer einzelnen Praktik, sondern jenes gemeinsame häufige, regelmäßige und damit oftmals routinisierte miteinander ‚Praktizieren‘, welches letztlich eine bestimmte Handllungsnormalität im Alltag begründet: „Gesellschaftliche Wirklichkeit ist keine ‚objektive‘ Tatsache, sondern eine ‚interaktive Sache des Tuns‘.“ (Hörning/ Reuter 2004b: 10) Soziales Leben wird verstanden als Geflecht eng miteinander verkoppelter Handlungspraktiken, durch deren Ausführung der Handelnde nicht nur bestimmte, entlastende Routinen ausbildet, sondern auch ein Gebrauchswissen erwirbt, dass ihn zu einem mehr oder weniger kompetenten Teilnehmer an alltäglichen Vorgängen macht. Theorien sozialer Praktiken interessieren sich für die Produktion von Denken und Wissen im Handeln und weniger für das kognitive Vorwissen einer Handlung. Der Wissensbegriff, der hier zum Tragen kommt, geht auf die klassische Unterscheidung zwischen ‚Können‘ (‚knowing how‘) und ‚Wissen‘ (‚knowing that‘) von Gilbert Ryle (1969) zurück: Wissensordnungen generieren Handlungskompetenzen, eine Art Umgangswissen (knowing how), oft implizit und informell, das die Menschen dazu befähigt, bestimmte Dinge zu tun (statt über sie en detail Bescheid zu wissen, also knowing that), indem es Fertigkeiten verleiht, gewisse Handlungsabläufe nahe legt und andere als ‚unpraktisch‘ ausschließt (vgl. Hörning 1999: 99). Damit liefern Praxistheorien ein spezifisches Muster der Handlungserklärung, das das entscheidende Moment in der Rekonstruktion von Wissensordnungen sieht, ohne dabei den Begriff des Wissens kognitivistisch zu verengen. Das praxistheoretische Muster der Handlungserklärung lässt sich als Ergebnis einer „Konvergenzbewegung“ (Reckwitz 2000: 542) zwischen der Tradition des (holistischen) Strukturalismus und der (individualistisch) hermeneutischen Sozialtheorie interpretieren, und zwar insofern, als der Praxisbegriff als eine Art ‚Scharnier‘ zwischen Handlung und Struktur fungiert und somit den wenig fruchtbaren Dualismus produktiv aufzulösen versucht, indem er sowohl strukturalistische als auch sozialphänomenologische Theorieelemente miteinander kombiniert. Praktiken werden nun weder ausschließlich als auf übersubjektive Codes zurückführbare Handlungen verstanden noch auf rein intentionale Verstehensakte reduziert. Der ‚Clou‘ praxistheoretischer Erklärungsmuster besteht vielmehr darin, dass sich aus dieser Sicht die handlungskonstitutive Bedeutung von Verstehensakten und die übersubjektive Wirkung und Existenz von kulturellen Schemata, Codes, Deutungsmustern (‚Strukturen‘) etc. nicht mehr widersprechen, sondern ergänzen: „Soziale Praktiken stellen einen Komplex von kollektiven Verhaltensmustern und gleichzeitig von kollektiven Wissensordnungen ... sowie diesen entsprechenden Mustern von subjektiven Sinnzuschreibungen dar, die diese Verhaltensmuster ermöglichen und sich in ihnen ausdrücken.“ (Reckwitz 2000: 565) Damit werden die denkhemmenden Dualismen in „Dualitäten“ (Giddens 1988:
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77) überführt. Das dahinter stehende und theoriestrategisch entscheidende Bild ist das der Rekursivität. Mit Rekursivität ist „jener rückbezügliche Umlauf gemeint, in dem das Ergebnis gestrigen Handelns als Teil eines Verweisungsgefüges zur Vorgabe heutigen Handelns wird, auf das das morgige Handeln an anderer Stelle rekurriert.“ (Hörning 1999: 95) Die Idee der Dualität von Struktur, die Struktur und Praktik nicht als zwei unabhängig voneinander gegebenen Mengen versteht und die sich in ganz ähnlicher Weise in dem Bourdieuschen HabitusKonzept, dem Goffmanschen Rahmen (1974) oder dem Figurations-Begriff von Norbert Elias (1970) wieder findet, erläutert Giddens in Analogie zur Sprache (1988: 148): So wie einzelne Sprechakte nur im Rahmen eines abstrakten Regelwerks der Sprache generiert werden können, so reproduzieren genau jene einzelnen Sprechakte die Sprache wiederum als abstraktes Regelwerk. Übertragen auf soziale Systeme bedeutet das, dass deren Strukturmomente gleichermaßen Medium wie Ergebnis der Praktiken sind. Struktur ist damit den Individuen „nicht ‚äußerlich‘: In der Form von Erinnerungsspuren und als in sozialen Praktiken verwirklicht, ist sie in gewissem Sinne ... eher ‚inwendig‘ als ein ... außerhalb dieser Aktivitäten existierendes Phänomen.“ (Giddens 1988a: 78) Andererseits greifen die strukturellen Momente sozialer Systeme so weit in Raum und Zeit aus, dass sie sich der Kontrolle des einzelnen Akteurs entziehen. Damit sind übersubjektive Strukturen gleichzeitig Ermöglichung und Restriktion, zugleich Medium und Resultat sozialer Praxis; dies alles ist mit Rekursivität gemeint.
2.2.4.2 WIPT aus praxistheoretischer Sicht Aus praxistheoretischer Perspektive lässt sich nun ein schlüssiges Verhältnis von Praktiken, Wissen, Institutionen und Technik denken; weiterhin ermöglicht der Praxisbegriff als ein nicht-dualistischer Begriff im oben beschriebenen Sinne einen theoretisch wichtigen und konsistenten Brückenschlag sowohl zum Begriff des Versorgungssystems als auch zwischen Natur und Gesellschaft im Sinne der gesellschaftlichen Naturverhältnisse. Praktiken Aus praxistheoretischer Sicht bilden nahe liegender Weise die Praktiken das Fundament der theoretischen Betrachtungen. Im Vergleich zu anderen Handlungstheorien, gehen Praxistheorien davon aus, dass ‚Gesellschaften‘ weniger Werte und Normen vermitteln als vielmehr Formen und Praktiken. Mit anderen Worten: Sozialisation wird nicht ausschließlich als die Internalisierung von Normen und Werten verstanden, die in der Folge unsere Handlungen von ‚außen kommend‘ vorstrukturieren, sondern als Beherrschung von sozialen Situationen durch das Erlernen angemessener Praktiken. Diese Praktiken sind eingebunden in einen Strom von im Alltag oftmals gleichförmiger Handlungsroutinen. Diese Praktiken werden auch nicht so sehr als intentionale, immer klar motivierte Handlungen verstanden, sondern als Akte des Tuns, die unablässig in das andauernde Geschehen der Sozialwelt eingelassen sind. Bei Praktiken handelt es sich
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somit im Vergleich zum traditionellen Handlungsverständnis um einen „tiefergelegten“ (Hirschauer 2004: 73) Begriff: Eine Handlung muss in Gang gesetzt werden, verlangt eine intentionale Motivation, ein Warum und Wozu, hat also mithin teleologische Implikationen, während Praktiken angesichts der alltäglichen „Involviertheit des tätigen Subjekts in der Welt“ (Sandbothe 2000b: 23) gewissermaßen immer schon am Laufen sind. Auf methodologischer Ebene heißt das auch, dass, will man etwas über die Handlungen erfahren, man die Akteure befragen sollte, während man Praktiken in ihrer Situiertheit schlicht beobachten kann. Das impliziert aber nicht, dass die einzelnen Praktiken den Akteuren nicht reflexiv zugänglich wären: „Praktisches Leben ist eine kontinuierliche Mischung von Routine und Reflexion.“ (Hörning 2001: 163) Giddens unterscheidet zu diesem Zweck zwischen einem praktischen und einem diskursiven Bewusstsein (Giddens 1988: 57ff.): Akteure des Alltags können in der Regel die Absichten ihres Handelns auf Nachfrage diskursiv darlegen, letztlich läuft aber ein Großteil unserer alltäglichen Verrichtungen auf der Basis eines praktischen Bewusstseins ab. Ein solches Verständnis entgeht auch dem alten voluntaristischen Zwang, einer jeden Handlung ein klares Motiv, einen eindeutigen Zweck zuzuordnen (Joas 1988a: 13). Aber er setzt auch allen funktionalistischen und strukturalistischen „imperialistischen Bemühungen“ (Giddens 1988: 52) ein Ende, die Handlungen lediglich als Ausfluss einer objektiven Struktur verstanden wissen wollen. Ein so gefasster Begriff der Praktiken hält an der Vorstellung eines alltagskompetenten Akteurs fest, ohne sich aber in den Fallstricken einer rein voluntaristischen oder objektivistischen Verkürzung von Handlungslogiken zu verheddern (vgl. Müller 1992: 170). Wissen Praktiken sind wesentlich wissensunterlegt und so wird in einer praxistheoretischen Perspektive der Begriff der ‚Intention‘ durch den Begriff des ‚Wissens‘ ersetzt. Dabei handelt es sich jedoch nicht um einen kognitiv verengten Wissensbegriff, sondern vielmehr um ein aus impliziten und latenten Vorannahmen bestehendes Deutungsschema, das uns bestimmte Handlungen in bestimmten Situationen nahe legt, andere nicht. Damit handelt es sich weniger um ein Wissen über das Handeln, sondern vielmehr um ein Wissen im Handeln (vgl. Soeffner 1992: 10). Der Wissensbegriff wird sowohl aus seiner traditionellen Kopplung an den Wahrheitsbegriff als auch aus einem lange Zeit dominanten Basis/ÜberbauSchema herausgelöst. Wissen erscheint aus praxistheoretischer Sicht vielmehr als sinngenerierend, indem es eine Ordnung kognitiver Sinnmuster bildet, die das Verstehen der Welt und der Umwelt anleiten. Somit wird der Wissensbegriff kulturtheoretisch gewendet, indem auch er konsequent auf seinen Einsatz in der Praxis der Akteure bezogen wird. Somit gilt auch das wissenschaftliche Interesse dem, „was ‚jedermann‘ in seinem alltäglichen, nicht- oder vortheoretischen Leben ‚weiß‘. Allerweltswissen, nicht ‚Ideen‘ gebührt das Hauptinteresse ... denn
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dieses ‚Wissen‘ eben bildet die Bedeutungs- und Sinnstruktur, ohne die es keine menschliche Gesellschaft gäbe.“ (Berger/Luckmann 1969: 16) In den alltäglich ausgeführten Praktiken bildet sich damit ein Wissensvorrat heraus, der zwar auf der einen Seite auf überindividuelle Wissen- und Interpretationsschemata verweist, die als solche jedoch nur in und durch die Praktiken existieren. Weiterhin ist mit Bezug auf Gilbert Ryle dargelegt worden, dass der Begriff des Wissens im Rahmen praxistheoretischer Überlegungen nicht kognitivistisch verengt wird, sondern auch andere Formen der Symbolisierung und Materialisierung sowie den alltäglichen und kompetenten Umgang mit diesen Symbolen und Artefakten mit einschließt. Damit richtet sich der Blick „auf den Gebrauch, den Umgang mit den Dingen, den Gegenständen, den Medienangeboten, im Kontext der alltäglichen Praktiken des Wohnens, Einkaufens, des Reisens, beim Sport … beim Vergnügen“ (Hörning 1999: 89) – und eben beim Versorgen. Lange Zeit haftete dem Alltag und seinen damit verbundenen Verrichtungen etwas Triviales und Banales an, so dass er selten zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen gemacht wurde. Das änderte sich spätestens mit der „Geschichte des Alltags“ von Braudel, indem er zur Erklärung gesellschaftlicher Prozesse eben gerade diese alltäglichen Handlungen in den Vordergrund der analytischen Tätigkeit wandern lässt: „Das Alltägliche wiederholt sich und wird durch die Wiederholung zum Allgemeingültigen, oder richtiger, zur Struktur. Es erfasst die Gesellschaft auf allen Ebenen, kennzeichnet allgemein übliche Lebensformen und Handlungsweisen.“ (Braudel 1985: 14) Damit wird Wissen mit den oben beschriebenen Praktiken vor allem in den alltäglichen Routinisierungen verknüpft, denn der „beiläufige und repetitive Charakter des Alltagshandelns sollte … nicht darüber hinwegtäuschen, dass Alltagspraktiken an spezifisches Wissen gebunden sind.“ (Stieß/Hayn 2006: 212) Trotz der Betonung der Situations- und Kontextgebundenheit werden in einem als ‚Sich-auf-etwas–Verstehen‘ definierten Wissensbegriff die Aspekte der kulturellen Bereitstellung überindividueller Wissensinhalte und die Komplementärseite des individuellen Könnens zueinander in Beziehung gesetzt. Zusammenfassend ist die für den vorliegenden Zusammenhang wichtige Blickrichtung in Bezug auf Wissen die Beschäftigung „mit neuen Problemen der Produktion, Institutionalisierung, und Vernetzung von Wissenselementen…die sich heftig an der kulturellen Macht reiben, die so unauffällig und partiell in unseren Alltagspraktiken eingelassen ist.“ (Hörning 1999: 102) Technik Aus praxistheoretischer Sicht stehen in erster Linie die Nutzer der jeweiligen Technik im Mittelpunkt eines adäquaten Technikbegriffs. Demnach bemisst sich die Bedeutung einer Technik wesentlich an der Art und Weise wie es sich in das soziale Geflecht einfügt und dieses seinerseits wieder verändert. Will man die gesellschaftliche Wirkung und Reichweite eines technischen Artefakts erfassen, gilt es den techniksoziologischen Fokus auf die eigen-sinnigen Einbettungen desselben zu richten (vgl. Hörning/Ahres/Gerhard 1996: 8). Eigen-sinnig meint da-
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bei, die vielfältigen Nutzungsweisen nachzuzeichnen, die jenseits technischfunktionaler Sinnsetzungen zu verorten sind. Technik bietet stets auch erhebliche Spielräume der Nutzung. Nimmt man Technik aus praxistheoretischer Sicht in den Blick wird nicht weniger als die unfruchtbare Gegenüberstellung von Technik und Kultur beendet, die lange Zeit die techniksoziologischen Debatten bestimmte und die Möglichkeit fruchtbarer Fragestellungen verstellte. Die Wirkung und Bedeutung eines technischen Artefakts ergibt sich aus seiner eigen-sinnigen Einbettung in die alltagspraktischen Nutzungsgewohnheiten der Akteure. Will man also die kulturelle Relevanz von Technik erfassen, gilt es die Wechselwirkung zwischen der materiellen Gegenständlichkeit des Artefakts und den Horizonten der NutzerInnen in Augenschein zu nehmen. Heidegger nennt die Dinge „Zeug“ (vgl. Heidegger 1979: 68ff.). Den täglichen Umgang bezeichnet er als Besorgen und das im Besorgen begegnende Seiende eben als Zeug. Interessant sind seine Überlegungen zu der prinzipiellen Verweisungsmannigfaltigkeit des Zeugs: „Ein Zeug ‚ist‘ streng genommen nie. Zum Sein von Zeug gehört je immer ein Zeugganzes, darin es dieses Zeug sein kann, das es ist. Zeug ist wesenhaft ‚etwas, um zu‘. Die verschiedenen Weisen des ‚Um-zu‘ wie Dienlichkeit, Beiträglichkeit, Verwendbarkeit, Handlichkeit konstituieren eine Zeugganzheit.“ (ebd.: 68) Somit ergibt sich die Zeughaftigkeit erst aus dem jeweils individuellen Einbettungszusammenhang und dem spezifischen Gebrauch: „In solchem gebrauchenden Umgang unterstellt sich das Besorgen dem für das Zeug jeweilige Zeug konstitutiven Um-zu.“ (ebd.: 69) Je intensiver ein Zeug gebraucht wird, um so ursprünglicher wird das Verhältnis zu ihm und das technische Artefakt erscheint nicht als Objekt, sondern als zuhandenes Zeug; der Mensch verschmilzt im Zuge des Gebrauches eines Zeugs förmlich mit demselben, so dass das Zeug als solches nicht mehr ins Bewusstsein tritt: „Der nur ‚theoretisch‘ hinsehende Blick auf Dinge entbehrt des Verstehens von Zuhandenheit ... Das Eigentümliche des zunächst Zuhandenen ist es, in seiner Zuhandenheit sich gleichsam zurückzuziehen, um gerade eigentlich zuhanden zu sein.“ (ebd.: 69) Das heißt es geht wesentlich darum, den tätigen und alltäglichen Umgang mit dem Zeug in den Blick zu bekommen, will man seine Bedeutung und Reichweite erfassen. In eine ganz ähnliche Richtung denkt auch Lévi-Strauss, wenn er schreibt: „Isoliert betrachtete Techniken können als eine nackte Gegebenheit erscheinen, … als Resultat eines Kompromisses zwischen den Bedürfnissen des Menschen und den Zwängen seiner Umwelt. Doch wenn man sie in jenes allgemeine Verzeichnis der Gesellschaften aufnimmt … erscheinen sie in einem neuen Licht, da wir sie als Entsprechung ebenso vieler Entscheidungen denken, die jede Gesellschaft im Hinblick auf eine Reihe von Möglichkeiten, die wir zu benennen haben, zu treffen scheint.“ (Lévi-Strauss 1975: 19) Somit offenbart sich mit Blick auf technische Artefakte zweierlei: Zum einen, dass Verwendungszusammenhänge stets gekennzeichnet sind durch eine individuelle Technikverwendung (vgl. Weingart 1986: 315). Zum anderen, dass durch die Veralltäglichung von Technik manifest wird, dass das Alltagsleben
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selbst kein abhängiges ‚Anhängsel‘ des technischen und ökonomischen Fortschritts ist, sondern dass den eigensinnigen Bedürfnisinterpretationen der Nutzer selbst der Status eines eigenständigen Faktors der Technikentwicklung zugestanden werden muss (vgl. Rammert 1986: 324, Hörning 1989: 110 ff.). Ein solcher, im weitesten Sinne ‚kulturalistischer‘ Technikbegriff, der sehr stark auf die jeweiligen Nutzungskontexte der Artefakte abhebt, ist im vorliegenden Fall des Nahrungsversorgungssystems analytisch fruchtbarer als ein Technikbegriff, der stärker auf den systemischen Aspekt in Form eines großtechnischen Systems fokussiert, nicht zuletzt aufgrund der im Vergleich beispielsweise zur Wasserversorgung schwach ausgeprägten, technischen Netzgebundenheit der Nahrungsversorgung. Institutionen Institutionen sind historisch generierte Rahmungen, die konkrete Praxisformen ermöglichen, befördern oder verhindern und eng mit dem oben dargelegten überindividuellen Aspekt des Wissensbegriffs verkoppelt sind. Praxis ist immer kontextuell, das heißt eingebettet in historisch spezifische und sozial vorstrukturierte Zusammenhänge (Hörning 1999: 9). Wissen ist wesentlich institutionell verfasst, denn es enthält ein für den einzelnen Akteur bereits vorgeknüpftes und vorgeformtes Netz von Sinnbezügen, die den einzelnen Praktiken unterliegen. Als Ursprünge von Institutionalisierungsprozessen können oftmals die oben beschriebenen Habitualisierungen identifiziert werden, denn jede Handlung, die häufig und regelmäßig wiederholt wird, kristallisiert sich zu einem Modell, das zur Einsparung von Kraft im alltäglichen Handeln reproduziert werden kann. Für Berger und Luckmann gehen solche Habitualisierungsprozesse jeder Institutionalisierung voraus: „Institutionalisierung findet statt, sobald habitualisierte Handlungen durch Typen von Handelnden reziprok typisiert werden. Jede Typisierung die auf diese Weise vorgenommen wird, ist eine Institution.“ (Berger/Luckmann 1969: 58) Gleichzeitig lässt sich auch hier das bereits bekannte Muster der Rekursivität im Verhältnis von Institutionen, Wissen und Praktiken explizieren: „Die … Zeit der Institutionen ist sowohl die Bedingung als auch das Ergebnis der Praktiken, die in der Kontinuität des alltäglichen Lebens organisiert sind“ (Giddens 1988: 89). Institutionen stellen damit ein wichtiges Strukturprinzip von Wissen und Praktiken dar, die immer auch Macht- und Herrschaftsmomente inkorporieren, indem sie Praktiken oftmals „ohne ‚Rücksicht‘ auf die Richtungen, die theoretisch möglich wären“ (Berger/Luckmann 1969: 58), in bestimmte Bahnen lenken und so oftmals als ‚äußerer Zwang‘ erscheinen können: „Wenn ein Bereich menschlicher Tätigkeit institutionalisiert ist, so bedeutet das eo ipso, dass er unter sozialer Kontrolle steht.“ (ebd.: 59) Berger und Berger identifizieren vier zentrale Merkmale von Institutionen: Außenhaftigkeit, Zwangscharakter, moralische Autorität und Geschichtlichkeit (vgl. Berger/Berger 1994: 58f.). Institutionen als objektivierte gesellschaftliche Regulationsmuster werden von den AkteurInnen als äußere Wirklichkeit erfah-
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ren, insofern „jedermann (oder beinahe) jedermann zugibt, dass es tatsächlich da ist“ (Berger/Berger 1994: 58), und zwar unabhängig von einem selbst. Daraus ergibt sich auch der zweite Aspekt, der des Zwangscharakters, dessen Macht darin besteht, „dass sie gegenständlich ist und nicht fortgewünscht werden kann“ (ebd.). Institutionen sind in diesem Sinne genau das, was Durkheim unter einem „soziologischen Tatbestand“ verstand: „Ein soziologischer Tatbestand ist jede mehr oder minder festgelegte Art des Handelns, die die Fähigkeit besitzt, auf den Einzelnen einen äußeren Zwang auszuüben; oder auch, die im Bereiche einer gegebenen Gesellschaft allgemein auftritt, wobei sie ein von ihren individuellen Äußerungen unabhängiges Leben besitzt.“ (Durkheim 1984: 114) Die moralische Autorität lässt sich als Erhalt und Verstärkung von institutionell abgesicherten Ordnungsarrangements durch die „symbolischen Darstellungen ihrer Prinzipien und Geltungsansprüche“ (Rehberg 2006: 42) definieren. Das vierte Merkmal der Geschichtlichkeit verweist letztlich auf den Umstand, dass Individuen in gesellschaftliche Ordnungen und damit verbundene institutionelle Arrangements hineingeboren werden, die somit dem Individuum stets vorgängig sind und im Rahmen von Sozialisationsprozessen internalisiert werden. Institutionen sind weder als vollkommen statisch, noch als ständig im Fluss zu sehen; vielmehr liefern sie ein Verständnis für den vielschichtigen Zusammenhang von gesellschaftlicher Stabilität und gesellschaftlichem Wandel. Diese einzelnen Aspekte zusammenfassend können Institutionen als „kulturelle Vermittlungsinstanzen zwischen Sozialstruktur und Sinnproduktion, zwischen kollektiven Ordnungen und den sie bedingenden Menschen“ (Rehberg 2006: 43) beschrieben werden. Zusammenfassung In einer Übertragung dieser praxistheoretischen Überlegungen auf die Konzeption des Versorgungssystems lässt sich folgendes Resumée ziehen: Eine in einem bestimmten raum-zeitlichen Kontext vorgefundene Versorgungspraxis besteht im Kern aus unzähligen unterschiedlichen Praktiken, die ineinander greifen, aufeinander abgestimmt sind und damit so etwas wie eine ‚Versorgungsnormalität‘, wie prekär sie auch immer sein mag, begründen. Wenngleich diese eingespielten Formen einer Versorgungspraxis nicht ständig von den Individuen reflektiert werden, sondern in weitestgehend routinisierter Form ablaufen, handelt es sich bei der Versorgungspraxis damit nicht um eine ‚objektive‘ Tatsache, sondern um eine interaktive Sache des Tuns. Jenes für das Ausüben dieser Praktiken notwendige Wissen ist in erster Linie praktisches Wissen, das heißt es entspringt keinem gefestigten Faktenwissen oder einem eingehenden Reflexionsprozess, sondern ist vielmehr ein „doing knowledge“ (Hörning/Reuter 2004b: 11) oder mit Gilbert Ryle gesprochen, ein „knowing how“. Ein weiteres Grundelement der Versorgungspraxis ist ihr Umgang mit Materialität in Form von technischen Artefakten: ‚Versorgungswissen‘ umfasst auch das Wissen um die Verfügbarkeit und den Gebrauch von Technik. Im Rahmen dieses häufigen und regelmäßigen
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Miteinanderversorgens bilden sich im Laufe der Zeit Handlungsgepflogenheiten heraus, die durch häufiges Wiederholen eine Institutionalisierung erfahren. Diese historisch generierte Rahmung der Versorgungspraxis, die sich auch der Kontrolle des Einzelnen entzieht, ermöglicht, befördert und verhindert bestimmte Formen konkreter Versorgungspraxis. Damit haben sich die Handlungsgepflogenheiten im Rahmen der Sicherstellung der Versorgung zu einem Praxiszusammenhang verdichtet, der als Versorgungssystem bezeichnet werden kann. Das Verhältnis zwischen der Versorgungspraxis und dem Versorgungssystem lässt sich dabei als ein rekursives denken, so dass das Geflecht raum-zeitlich produzierter Versorgungspraktiken das Versorgungssystem produziert und reproduziert, dieses gleichzeitig aber auch erst bestimmte Versorgungspraktiken ermöglicht und konstituiert. In einem Versorgungssystem sind Natur und Gesellschaft wechselseitig miteinander verkoppelt, denn zum Zweck der Versorgung von Bevölkerungsmitgliedern wird im Rahmen einer Versorgungspraxis Natur ‚angeeignet‘. Diese konkrete Nutzung von Natur erfolgt wiederum unter historisch spezifischen und variablen Formen institutioneller Regulierungen wirtschaftlicher, politischer, kultureller und wissenschaftlich-technischer Art. Eine solche praxistheoretische Formulierung bricht damit auch mit der Vorstellung, dass Natur ‚einfach da ist‘ und in Form von präexistierenden Ressourcen gleichsam nur ‚angebohrt‘ zu werden braucht; betont wird vielmehr, dass ihre Wahrnehmung, Aneignung und Verwertung in hohem Maße von der gesellschaftlichen Praxis und damit vom Stand der technologischen Entwicklung, von theoretischen Konzepten, sozialen Konstellationen und kulturellen Perspektiven abhängt: Gerade bei Versorgung und den damit verbundenen Ressourcen kann es nicht um ‚unberührte‘ Natur gehen, sondern um gesellschaftlich und praktisch angeeignete, genutzte Natur. Gleichzeitig wird die Regulation von Ressourcennutzung ebenso durch die materiell-stofflichen Aspekte gesellschaftlicher Naturverhältnisse mitbedingt, die in den Beschränkungen der Handlungsmöglichkeiten zum Ausdruck kommen. Bestimmte Eigenschaften von Ressourcen sind nicht beliebig konstruierbar, sondern beziehen sich auf ‚natürliche‘ Voraussetzungen. Diese Erfahrung kann vor allem dann gemacht werden, wenn bestimmte Aneignungsstrategien fehlschlagen und damit die Nicht-Identität stofflich-materieller Prozesse mit sozio-kulturellen Symbolisierungs- und Deutungsprozessen durchschlägt (vgl. Görg 1999: 177, vgl. ausführlicher II/3.2). Ein sozial-ökologisches Verständnis von Ressourcennutzung muss also den Versuch machen, die in den sozialen Verhältnissen einer historisch situierten Versorgungspraxis enthaltenen Formen der Strukturierung gesellschaftlicher Naturverhältnisse herauszuarbeiten. Ein Versuch, der im folgenden Kapitel mit der Entfaltung eines sozial-ökologischen Raumbegriffs als Schnittstelle eben jener natürlichen und gesellschaftlichen Dynamiken unternommen wird.
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3. Raum als Schnittstelle zwischen Gesellschaft und Natur Der englische Philosoph Robin George Collingwood hat auf die grundlegende hermeneutische Einsicht verwiesen, dass eine ganze Theorie beziehungsweise eine Aussage im Rahmen einer Theorie nur dann angemessen verstanden werden kann, wenn man weiß, welche Frage damit beantwortet beziehungsweise welches Problem damit gelöst werden soll (vgl. Collingwood 1955). Diese Einsicht gilt auch für die vorliegende Arbeit, will man die Stellung des Raumbegriffs im Rahmen des Konzepts der gesellschaftlichen Naturverhältnisse richtig einordnen. Zentraler Referenzpunkt für das Konzept der gesellschaftlichen Naturverhältnisse sind ökologische Krisenerscheinungen und die damit verbundenen hybriden Phänomene, in denen gesellschaftliche und natürliche Prozesse miteinander interferieren (vgl. Becker/Jahn 2006: 169). Von einem soziologischen Standpunkt aus betrachtet sind es nun vor allem die konstitutionstheoretischen Herausforderungen der ökologischen Krise, die die entscheidenden Fragen aufwerfen. Die Soziologie hat sich in den letzten Jahrzehnten darum bemüht, ihr Verhältnis zur Natur zu überdenken und den Zusammenhang zwischen Natur und Gesellschaft neu zu konzeptualisieren. Dies ist nun insofern kein leichtes Unterfangen, als die Soziologie mit ihrem Selbstverständnis als ‚Wissenschaft der gesellschaftlichen Zusammenhänge‘ und die Ökologie als die ‚Wissenschaft der natürlichen Zusammenhänge‘ über weite Strecken hinweg ihren jeweiligen Gegenstandsbereich über eine explizite Abgrenzung gegeneinander gewonnen haben (vgl. Kropp 2002, Groß 2006). Betrachtet man die sozialwissenschaftliche Diskurslandschaft der letzten Jahrzehnte, so lässt sich die Frage nach dem Verhältnis von Natur und Gesellschaft prinzipiell auf dreierlei Weise beantworten (vgl. ausführlicher Kapitel I/1): Zum einen kann das Verhältnis im Rahmen eines naturalistischen Denkmodells weitestgehend ohne Berücksichtigung der kulturellen und gesellschaftlichen Vermitteltheit von Naturverhältnissen gedacht werden. Demzufolge gelten naturwissenschaftlich bestimmbare Umweltfaktoren als maßgeblich für gesellschaftliches Handeln und die lange geglaubte Unabhängigkeit des Sozialen wird unterminiert. Zum anderen kann das Verhältnis aber auch in Richtung des gesellschaftlichen Pols aufgelöst werden, indem Natur dezidiert von einem anthropozentrischen Standpunkt aus betrachtet wird und so ‚Natur‘ nicht als ‚naturbedingt‘, sondern primär als in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen diskursiv erzeugte Naturbilder und -wahrnehmungen verstanden wird. Beiden Positionen ist gemein, dass sie partiell richtige und wichtige Einsichten absolut setzen und in der Folge auch mit schwerwiegenden Defiziten behaftet sind: Während die erste Variante ohne Zweifel zu Recht auf die natürlichen Lebensgrundlagen von Gesellschaften verweist, erscheint der naive epistemologische Realismus (im Sinne der Annahme eines direkten Zugangs zur ‚Wirklichkeit-an-sich‘) und der oftmals damit verbundene naturalistische Imperativ in Gestalt der Annahme eines (natur-)wissenschaftlich bestimmbaren Umgangs von
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Gesellschaften mit ihren natürlichen Grundlagen weitestgehend blind für die Besonderheiten der kulturell geprägten und vermittelten gesellschaftlichen Naturverhältnisse. Soziozentrische Ansätze verweisen wiederum auf den Anteil gesellschaftlicher Konstruktionsleitungen von Natur, indem sie auf die prinzipielle Unmöglichkeit einer von semiotischen ‚Verunreinigungen‘ gesäuberten und unverzerrten Erkenntnis einer als außergesellschaftlich gedachten Natur pochen. Was bei einer solchen Reduktion von Natur auf ihre semiotische Erzeugung und einer damit einhergehenden Ausblendung stofflich-materieller Aspekte verloren geht, ist die Möglichkeit einer dezidierten Bearbeitung und Bewältigung, sozialökologisch gesprochen einer Regulation, ökologischer Krisenphänome, da letztlich im Rahmen ideologiekritischer Anmerkungen allenfalls auf die differenten Naturverständnisse unterschiedlicher, miteinander im Widerstreit stehender Akteure verwiesen werden kann, die realen Konsequenzen historisch-situierter Aneignungsstrategien als Folge dieser Auseinandersetzungen in ihren stofflichmateriellen Rückwirkungen auf Gesellschaften aber theoretisch nicht erfasst werden können. Die dritte, vermittlungstheoretische Position in der Behandlung des Verhältnisses von Natur und Gesellschaft einzunehmen bedeutet, vor diesem Hintergrund die jeweiligen Kurzschlüsse und Blockaden der skizzierten Herangehensweisen zu überwinden. Die zentrale Schwierigkeit eines solchen Unterfangens besteht nun allerdings darin, ein Verständnis von ‚Natur‘ zu entfalten, welches auf der einen Seite die nicht abzustreitende Kontextabhängigkeit derselben berücksichtigt, auf der anderen Seite an deren extra-diskursiven Bedeutung und Wirkmächtigkeit im Sinne eines nie vollkommen in Sprachspielen aufgehenden Restes (vgl. Žižek 1996) festhält; denn nur unter diesen Bedingungen macht letztlich die Rede von den Wechselwirkungen zwischen sozialen und ökologischen Dynamiken meines Erachtens erst Sinn. Oder anders ausgedrückt: Die zentrale Schwierigkeit besteht darin, stofflich-materielle Zusammenhänge soziologisch nicht einfach als Black-Box zu behandeln, sondern sie vor dem Hintergrund einer historisch situierten Versorgungspraxis sozialwissenschaftlichen Interpretationen zugänglich zu machen und gleichzeitig die konkreten stofflichmateriellen Auswirkungen in ihren Rückwirkungen auf gesellschaftliche Zusammenhänge nicht auszublenden. Letztlich spiegelt sich in diesem Bemühen, stofflich-materielle Dinge nicht einfach auf ihre diskursive Erzeugung zu reduzieren, ein viel grundlegenderes Problem der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung wider und so ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass man vergleichbare Auseinandersetzungen in den unterschiedlichsten Bindestrichsoziologien finden kann: Sei es nun in der Techniksoziologie (Hörning 1989 u. 1996 et al., Latour 1996), der Wissenssoziologie (Weber 2003), der Geschlechtersoziologie (Butler 1995), der Umweltsoziologie oder soziologischen Auseinandersetzung um die Kategorie des ‚Raums‘ (Sturm 2000, Löw 2001), stets geht es um die Frage nach der „Wirkkraft der Objektwelt selbst“ (Hörning1999: 93), also um die Frage nach den Möglichkeiten eines
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nicht-naiven Bezugs sozialwissenschaftlicher Theoriebildung auf Nichtdiskursives beziehungsweise um die Frage, ob es überhaupt Aufgabe und Ziel sozialwissenschaftlicher Theoriebildung sein kann, sich darüber Gedanken zu machen20. Die Schwierigkeit einer Verhältnisbestimmung zwischen stofflich-materiellen und symbolisch-kulturellen Anteilen ist in dieser Arbeit bereits zweimal virulent geworden: Sowohl bei der Entwicklung eines angemessenen Bedürfnisbegriffs als auch bei einer sozial-ökologischen Reformulierung des Ressourcenbegriffs bestand das Kernstück eines ‚reframing‘ dieser beiden Begriffe in einem Beharren auf der konstituierenden Wechselwirkung ‚natürlicher‘ und ‚gesellschaftlicher‘ Anteile und einer damit angestrebten programmatischen Überwindung der tradierten Entgegensetzung von Gesellschaft und Natur (vgl. II/2). Im bisherigen Verlauf der Arbeit wurde somit immer wieder betont, dass ökologische Krisenerscheinungen nicht durch die partielle Fokussierung auf natürliche oder gesellschaftliche Dynamiken heraus erklärt werden können, sondern vor allem aus der Verschränkung sozialer, kultureller, symbolischer und materiell-stofflicher Elemente ihren spezifischen Charakter als sozialökologische Problemlagen beziehen. So wird auch in der Fallstudie zur Nahrungsversorgung in Ghana deutlich werden, dass es gerade die vielfachen Rückkopplungen zwischen ‚natürlichen‘ und sozialen Zusammenhängen im Rahmen eines historisch situierten urbanen Ressourcenregimes sind, die zu einer ernsthaften Gefährdung wichtiger Knotenpunkte des städtischen Versorgungssystems geführt haben beziehungsweise führen können (vgl. Kapitel IV). Bislang wurde allerdings die zentrale Frage, wie die Wechselwirkungen zwischen Materialität und Sozialität zu erfassen seien, bewusst ausgespart. Vor diesem Hintergrund ist die zentrale Hypothese, die in diesem Kapitel entfaltet werden soll, dass über das Wie der Entstehung und der Nutzung von Räumen aus soziologischer Sicht sozial-ökologische Zusammenhänge adäquat thematisiert werden können und ‚Raum‘ als eine vermittelnde Struktur zwischen materiell-stofflichen und symbolischen Aspekten angesehen werden kann. Und mit Blick auf den zu Anfang erwähnten Collingwood lässt sich damit das Problem auf das ein Raumbegriff eine Antwort finden soll, auf die Frage verdichten: Wie bringt man die materielle Welt zurück in die (Umwelt-)Soziologie, das heißt wie geht man angesichts der offensichtlichen Materialität der ökologischen Krise mit dieser unbeantworteten und unabweisbaren Frage in einer nicht-naiven Weise um?
20 In den Augen Luhmanns beispielsweise sind solche Überlegungen müßig und reine Zeitverschwendung und soziologische Theoriebildung dürfe sich niemals von dem „Eigensinn der Dinge verführen“ (Luhmann 1992: 327) lassen.
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3.1 Von der evidenten Natur zur Metaphysik der Präsenz oder: Verschwinden Natur und Raum? Verschwindet die Natur? Mit dieser, gemessen an den wieder aufflammenden öffentlichen Debatten um einen anthropogen verursachten Klimawandel geradezu kontraintuitiv anmutenden Frage debattieren in einem neueren Sammelband eine Reihe von AutorInnen den aktuellen Stand umweltsoziologischer Debatten (vgl. Voss/Peuker 2006a). Die Frage impliziert zunächst zwei naheliegende Lese- und Interpretationsarten: Zum einen verweist sie auf die sowohl gesellschaftliche als auch soziologische Wahrnehmung, dass angesichts der anthropogenen Überformung von Natur diese ihren Charakter als schlichtes, sozial vorgängiges „realempirisches Phänomen“ (Voss/Peuker 2006b: 9) zunehmend verliert: Naturlandschaften sind immer auch zugleich Kulturlandschaften. Weiter vorangetrieben wird diese kognitive Unsicherheit nicht zuletzt durch einen rasanten technologischen Fortschritt, der Natur immer stärker verfügbar erscheinen lässt, so dass Natur in den Zeiten ihrer technischen Reproduzierbarkeit (Böhme 1992) das bis heute im Alltagsverständnis tief eingelassene aristotelische Verständnis von Natur als demjenigen Bereich, der „in sich selbst einen Anfang von Veränderung und Bestand hat“ (Physik, Buch II, 192b), zunehmend brüchig werden lässt. Daraus ergibt sich schließlich die paradoxe Situation, dass Natur gerade in dem Augenblick in der Gesellschaft anzukommen scheint, wie sie als ‚ursprünglich‘ Erfahrbare verschwindet oder mit den Worten Gernot Böhmes: „Man beruft sich auf Natur als etwas Selbstverständliches gerade in dem Moment, wo Natur sich nicht mehr von selbst versteht“ (Böhme 1992: 15). Nachdem Raum vor allem in der Moderne als physisches Substrat von Natur konzipiert wurde, verwundert es nicht, dass gleichzeitig mit dem Verschwinden der Natur auch der Raum abhanden kommt. Allerdings verweist das diskutierte „Ende des Raums“ (Baudrillard 1986: 5) nochmals auf andere Ursachenbündel als das Verschwinden der Natur. Zum einen sind es insbesondere die rasanten Entwicklungen der Informations- und Kommunikations-, aber auch der Transporttechnologien, die zu der vielzitierten Diagnose einer „time-space compression“ (Harvey 1989) geführt haben. Hier spielt vor allem in neueren medientheoretischen Diskussionen die Aufhebung des physischen Raums durch den virtuellen Raum des Cyberspace und die damit verbundene Nivellierung räumlicher Differenzen eine große Rolle (vgl. Virilio 1980, Rötzer 1995, Honnegger/ Hradil/Traxler 1999). Ebenso wichtig und eng damit verbunden ist der Diskurs um Globalisierung, dem damit einhergehenden grenzenlosen Warenverkehr und der postulierten Auflösung des als Container gedachten Nationalstaats (vgl. Lash/Urry 1994, Albrow 1998, Beck 1998). Die Frage nach dem Verschwinden von Natur und Raum ist aber auch unweigerlich mit der Frage verknüpft, was denn unter beiden eigentlich zu verstehen ist. Bis weit in das 18. Jahrhundert hinein wurde diese Antwort noch maßgeblich von der Disziplin gegeben, die man heute als Naturphilosophie bezeich-
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net. Von der Antike bis in das 18. Jahrhundert konnte diese Disziplin auf eine kontinuierliche Geschichte blicken, nicht zuletzt deshalb, weil bis zu diesem Zeitpunkt eine Einheit zwischen Naturwissenschaft und Philosophie bestand (vgl. Böhme 1992: 29; Schnädelbach 2002: 2). Mit der Absatzbewegung der Naturwissenschaften von der Philosophie, die spätestens mit Newton massiv einsetzte und die in der Philosophie Kants21 ihren Abschluss fand, bekam die Naturphilosophie immer stärker einen „üblen Klang“ (Ostwald 1902: 1; zit. n. Böhme 1992: 29) und die Autorität in der Beantwortung der Frage nach der Natur der Natur und der Natur des Raums ging immer stärker auf die sich ausdifferenzierenden Naturwissenschaften über. Die Diskussionen um das Verschwinden von Raum und Natur verweisen auf die damit verbundenen epistemologischen und ontologischen Verunsicherungen, die das zunehmende Verwischen der alltagsweltlichen Trennlinie zwischen Natur und Gesellschaft und der damit verbundenen „Implosion der Dichotomien“ (Scheich 1996: 30) nach sich zu ziehen scheint. Durch die Problematisierung der ‚äußeren‘ Natur drängt sich vielen die Frage auf, ob damit in letzter Konsequenz den Naturwissenschaften nicht ihr ureigenster Gegenstand und damit auch ihr Erkenntnisziel abhanden gekommen seien. Auf die Spitze getrieben wird diese Unsicherheit von Vertretern der so genannten Science and Technology Studies (STS), deren Aufsehen erregende Untersuchungen schließlich in die seit einigen Jahren tobenden „science wars“ (Bammé 2004) mündeten, in denen es zu einer wissenssoziologischen Neuauflage eines der vermutlich ältesten Dispute der abendländischen Philosophiegeschichte gekommen ist22: Etwas holzschnittartig23 und überzeichnet finden sich auf der einen Seite des Schützengrabens, um im Bild zu bleiben, die hartgesottenen Realisten, die an der Möglichkeit eindeutiger und wahrer Repräsentation wirklicher Gegenstände durch naturwissenschaftliche Erkenntnis festhalten, von der anderen Seite schallt die Kritik einer idealistischen Position zurück, die darauf verweist, dass Repräsentationen immer sprachlich vermittelt seien, diese Sprache sich immer zwischen die Repräsentation und das ‚Ding an sich‘ schiebe und somit auch keine Möglichkeit des objektiven Vordringens zu den Dingen selbst denkbar sei. Bekanntlich weitete sich dieses 21 Kant war einer der ersten Philosophen, der die Vormachtstellung der Naturwissenschaften in bestimmten Bereichen uneingeschränkt anerkannte. 22 Als eine weitere Facette der Neuauflage der alten Konfrontation zwischen realistischen und idealistischen Positionen kommt laut Bammé heute allerdings die weitere Frontlinie zwischen einer akademischen und einer postakademischen Wissenschaft hinzu. 23 Diese einfache Gegenüberstellung ist insofern holzschnittartig, als bereits seit längerem eine Art ‚Bruderkrieg‘ im Lager des epistemischen Relativismus/Idealismus/ Sozialkonstruktivismus selbst ausgebrochen zu sein scheint, exemplarisch ausgefochten zwischen der sog. Edinburgh School und deren prominentesten Vertretern David Bloor und den Vertretern der sog. Akteur-Netzwerk Theorie (ANT), hier v.a. repräsentiert durch Bruno Latour (vgl. zu dieser Auseinandersetzung selbst Bloor 1999a,b und Latour 1999, zusammenschauend Greif 2002).
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Scharmützel, eines dessen Höhepunkte sicherlich die so genannte ‚SokalAffäre‘24 war, derart aus, dass nun manche (Natur-)WissenschaftlerInnen bedrückt und ungläubig die Frage aufwerfen, ob denn Wissenschaftsforscher wie beispielsweise Bruno Latour überhaupt noch an so etwas wie ‚Wirklichkeit‘ glauben (vgl. Latour 2000: 7): Wenn wir die ‚wahre‘ Welt abgeschafft haben, welche bleibt dann noch übrig25? Lange Zeit wurde mit der Natur die Vorstellung des Ursprünglichen und des Maßgebenden verbunden, die den „umschließenden Hintergrund unseres irdischen Daseins bildet“ (Böhme 1992: 15). Im Zuge ökologischer Krisenerscheinungen und damit verbundener Katastrophen wird diese Selbstverständlichkeit derart erschüttert, dass wir uns fragen, was überhaupt unter ‚Natur‘ zu verstehen sei. Wie konnte es soweit kommen? Auch wenn es an dieser Stelle nicht das Ziel sein kann, die „Verfallsgeschichte“ (Weber 2003: 19) einer am modernen Wissenschaftsideal orientierten Idee eines ‚unverzerrten‘ Zugangs und einer damit verbundenen Erkenntnis einer ‚evidenten‘ Natur detailreich zu rekonstruieren, erscheint eine Skizzierung dieses Prozesses, die sich auf die wesentlichen Eckpunkte dieser Entwicklung konzentriert, hilfreich, denn nur vor diesem Hintergrund ist die immer wieder aufflammende Stigmatisierung des Bemühens, Aussagen über den stofflich-materiellen Anteil von Natur aus sozialwissenschaftlicher zu treffen, als „Metaphysik der Präsenz“ (Derrida 1994: 26) zu verstehen. Betrachtet man die (abendländische) Erkenntnisgeschichte der Natur, so könnte etwas überspitzt formuliert werden, dass die Vorstellung einer evidenten Natur vielleicht nur für die Vorstellungswelt der vorsokratischen Philosophen gegolten haben mag. Zunächst einmal überrascht, dass viele der nur fragmentarisch erhaltenen Schriften aus dieser Zeit unter dem Titel ‚Über die Natur‘ gestanden haben (vgl. Graeser 1996: 18). Etymologisch verweist das griechische Wort ‚Natur‘ auf ‚Wachsen‘, ‚Gebären‘ oder ‚Keimen‘. Diese Übertragung des Wuchses auf die Beschreibung natürlicher Prozesse ist aber nicht als Metaphorik zu verstehen, sondern „als Bezeichnung des Vorgangs selbst“ (vgl. ebd.). Daran sind mindestens zwei Dinge auffällig: Zum einen bedeutet es, dass der Begriff 24 Alan Sokal, ein Physiker der New York University, ist 1996 berühmt-berüchtigt für seinen Angriff auf postmoderne Strömungen der Erkenntnistheorie geworden: Zunächst veröffentlichte er in einer wichtigen akademischen Zeitschrift für Literaturund Kulturwissenschaften einen scheinbar postmodern inspirierten Beitrag eines Physikers zu aktuellen epistemologischen Auseinandersetzungen. Die Zeitschrift nahm diesen Beitrag eines Naturwissenschaftlers begeistert auf und platzierte ihn prominent in einer Sondernummer (vgl. Sokal 1996a). Nahezu zeitgleich veröffentlichte allerdings Sokal in einer anderen Zeitschrift einen Artikel (vgl. Sokal 1996b), der seinen eigenen Aufsatz als „eleganten Unsinn“ (Sokal/Bricmont 1999) entlarvte und mit dem er auf den mangelnden wissenschaftlichen Standard postmoderner Schriften aufmerksam machen wollte. 25 Für eine polemisierende Zusammenfassung der erkenntnistheoretischen Entwicklung vgl. Nietzsches Götzen- Dämmerung: „Die wahre Welt haben wir abgeschafft: welche Welt bleibt übrig? Die scheinbare vielleicht? ... Aber nein! Mit der wahren Welt haben wir auch die scheinbare abgeschafft!“ (Nietzsche 1973: 341).
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der Natur zum Inbegriff der Realität selbst avanciert, da ‚Wirklichkeit‘, ‚Wachstum‘ und ‚Erfahrung‘ zusammenfallen; eine Vorstellung, die letztlich bis heute in einem alltagsweltlichen Verständnis von Natur fortdauert. Zum anderen ist es bemerkenswert, dass, indem nun der Natur eine eigene Realität zugestanden wird sie aus dem Welterklärungsmuster einer mythologischen Beschreibung heraustritt, denn Wuchs und Wachstum vollziehen sich auch ohne die Annahme von Bindungen an hintergründig schaltende und waltende Gottheiten. Zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Aufklärung wird die Natur somit erstmals in der antiken griechischen Philosophie, denn diese löste die Erkenntnis der Natur aus ihrer mythologischen Beschreibung endgültig heraus. Eingeleitet durch die Elementlehre des Empedokles, der von den Elementen Feuer, Erde, Luft und Wasser als den Wurzeln alles Seienden spricht und damit gewissermaßen „die Realität in sich selbst verankert“ (Graeser 1996: 20), findet sie in der platonischen und der aristotelischen Fassung ihren jeweiligen Kulminationspunkt. Im Grunde genommen könnte man die antike Naturphilosophie gemessen an ihrer Einflussdauer von circa 2000 Jahren als eine der erfolgreichsten wissenschaftlichen Theorien überhaupt bezeichnen (vgl. Böhme/Böhme 2004: 19). Bereits bei den naturtheoretischen Überlegungen der griechischen Antike wird deutlich, dass sich Fragen der Erkenntnistheorie, der Ontologie und der nach dem Zusammenhang von Raum und Natur nicht von einander trennen lassen. Zunächst einmal erstaunt, dass im Rahmen des sich entwickelnden Wissenschaftssystems, so man das Heraustreten aus dem magisch-mythischen Welterklärungsmuster als dessen Beginn bezeichnen will, bereits in vielen Punkten sich deutliche Divergenzen zwischen der platonischen und der aristotelischen Konzeption offenbaren und sich schon hier die Konturen der großen Auseinandersetzungen der Philosophie abzuzeichnen beginnen. In seiner Unterscheidung von Ideen- und Sinnenwelt und der damit verbundenen Unterscheidung von formaler und materieller Natur erscheint Platon ontologisch und epistemologisch gesehen einer idealistischen Position sehr nahe zu stehen, während Aristoteles mit seiner Naturauffassung, die konsequent an beobachtbaren Naturphänomen ansetzt, deutliche Anklänge an einen erkenntnistheoretischen Realismus nimmt (vgl. Gloy 1995: 106 ff.; Seidl 2001: 67). Bei allen Unterschieden zwischen Platon und Aristoteles, die in einigen Bereichen so deutlich sind, dass ein Vergleich kaum möglich zu sein scheint, lassen sich dennoch erkenntnistheoretische und ontologische Überschneidungen erkennen: Zunächst existiert bei beiden ein unstrittiges, wenn auch unterschiedliches Verständnis dessen, was in der Welt gegeben ist beziehungsweise was als Realität einzustufen sei (vgl. Whitehead 1979: 97). Erkennen ist der Versuch eines Erblickens dieser Realität, die unabhängig von den Handlungsweisen der Erkenntnis objektiv existiert und ein ewig gültiges Sein hat, insofern der Seins-Begriff der griechischen Ontologie die Vorstellung von Zeitlosigkeit impliziert. Das mittels Vernunfterkenntnis erworbene Wissen ist deckungsgleich mit der wahren Natur der Dinge, wenngleich das nicht zwingend einschließt, dass die epistemi-
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schen Aktivitäten des praktizierenden Wissenschaftlers die Wahrheit der Erkenntnis gleichsam prozedural garantieren (vgl. Detel 2000: 237). Während aber für beide Denker der griechischen Antike die Hauptaufgabe der (Natur)Philosophie darin bestand, dem wahren Sein auf die Spur zu kommen, unterscheiden sich die Vorstellungen vom jeweiligen telos der Erkenntnis: Für Platon waren dies die Ideen und die damit verbundene Ordnung, für Aristoteles war der Erste Beweger Richtpunkt seiner Erkenntnisbemühungen. Für Platon, aber noch stärker bei Aristoteles ist die noetische Erkenntnis dieser ewig-gültigen Wahrheit an die Sprache gebunden, die in ihrer Rolle als Repräsentations- und Erkenntnisinstrument von beiden in keinster Weise problematisiert wird. Im Gegenteil: Angesichts der Identifizierung von Sache, Begriff und Wirklichkeit hat Andreas Graeser Aristoteles als „Advokat des Bedeutungsrealismus“ (Graeser 1983: 199) bezeichnet, denn für den griechischen Philosophen ist Sprache immer auch Seins-Sprache. Die beiden zentralen erkenntnistheoretischen Mittel sind damit für Aristoteles Erfahrung und Sprache, welche unserem Denken und unseren Überlegungen Ausdruck verleihen. Ähnlich wie bei Platon versteht auch Aristoteles die Welt der Erfahrung als chaotisch, in die erst unser Denken Ordnung bringt. In dem Bemühen, Struktur in das Chaos zu bringen, geht Aristoteles allerdings im Gegensatz zu Platon von den wahrnehmbaren Dingen aus und in diesem Zusammenhang auch von einem ungebrochenen Referenzverhältnis zwischen Ding und Sprache, das heißt für ihn „gelangen wir zur Kenntnis des Dinges durch die Analyse der sprachlichen Verknüpfung, in denen wir von dem betreffenden Ding sprechen. Der Zirkel Ding (Erfahrungsmaterial) – Denken – Sprache – Ding ist geschlossen.“ (Düring 1966: 297). Auch wenn der Geist aufgrund seiner Teilhabe an den Ideen zur Erkenntnis dieser fähig ist, bleibt das Bild der Erkenntnis doch das eines Zuschauers, der von außen die Welt betrachtet und sie schließlich im Rahmen einer sich selbst genügenden Kontemplation erkennt. Bei beiden Denkern treffen wir auf einen ontologischen Dualismus, der zwischen einer Welt des wandelbaren Nicht-Seins und des unveränderlichen Seins unterscheidet. Bei Platon ist diese Zweiteilung in seiner Ideenlehre deutlicher sichtbar, aber auch Aristoteles geht ganz klar von einer Zwei-Welten Theorie aus, der er, wenngleich er seine Überlegungen von der wahrnehmbaren Welt aus beginnen lässt, doch den Materialisten und deren Überzeugung, dass es außer den sinnlich wahrnehmbaren Dingen nichts gäbe, eine deutliche Absage erteilt – wenn dem so wäre, gäbe es keine Ordnung, kein Prinzip und kein Werden (vgl. Düring 1966: 203). Die Welt des Scheins bleibt jedoch noch überwindbar, denn der Vernunfterkenntnis ist ein Erblicken des vorhergehenden, weil ewigen Seins prinzipiell möglich. Dies ist nicht zuletzt deshalb möglich, weil die Form der Dinge nicht „zuerst in einem entwerfenden Geist geformt und ihnen dann von außen auferlegt worden war, sondern ihre eigene, innere, wesentlich Form“ (Suhr 1993: 126) darstellt. Vor diesem Hintergrund wird auch klar ersichtlich, dass wissenschaftliche Erkenntnis als eine Betätigung verstanden wurde, die letztlich ohne Wirkung auf die Welt blieb; zwar konnte das wahrhaft Seiende, die Wirk-
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lichkeit, nur mittels der Vernunft (nous) erschaut werden, aber die menschliche Tätigkeit des Nachdenkens hatte als solche keine Auswirkungen auf die ewig währende Wahrheit der Ideen. Auch wenn die Begrifflichkeiten ‚Stoff‘ und ‚Materie‘ in unterschiedlichen Konnotationen verwendet werden, besteht ihre zentrale Verwendung in der antiken griechischen Philosophie dennoch darin, auf der einen Seite das Moment der Passivität und der Überformbarkeit zum Ausdruck zu bringen, auf der anderen Seite, und dies vor allem bei Platon, qua Wandel- und Veränderbarkeit als Verstellung und Verzerrung des wirklich Seienden. Damit erhält sich im platonischen Denken eine Art der vorsokratischen „Dämonisierung des Materiellen“ (Graeser 1996: 26; vgl. auch Gosztonyi 1976: 78), indem nicht selten die wahrnehmbare Welt als voll von Tücke und Falschheit interpretiert wird, die den Menschen von der Erkenntnis des wahren Seins der Dinge und damit vom guten Leben fernhalte. Insgesamt wird die raum-zeitlich situierte und sichtbare Welt abgewertet und zum Gegenpol des Ideellen gedacht. Gleichzeitig bestehen unterschiedliche, zum Teil völlig konträre Bestimmungen dessen, was die Natur in ihrem Innersten zusammenhält. Während Platon die Natur als etwas Geschaffenes und Gewirktes (techné on) versteht, ist das aus sich heraus Erschaffende und Bewirkende das zentrale Kennzeichen der aristotelischen Natur. Greift man eine berühmte Unterscheidung der späteren scholastischen Tradition auf, ist Natur für ersteren eine natura naturata (erschaffene Natur) und für letzteren natura naturans (erschaffende Natur). Etwas salopp formuliert könnte man sagen, dass in Sachen Naturphilosophie während des Mittelalters nicht viel passiert - zwar werden eine ganze Reihe von Kommentaren zu der platonischen und aristotelischen Natur- und Raumauffassung geschrieben, aber das darin enthaltene Natur-, Raum- und Wissenschaftsverständnis wird im Prinzip nicht in Frage gestellt, sondern lediglich mit der Entwicklung der scholastischen Tradition verfeinert und in den Kanon der christlichen Theologie integriert. Dies ändert sich spätestens mit Beginn der Renaissance, die zwar auf der einen Seite in einer Ablehnung der mystisch-geistigen Sprache des Mittelalters eine kulturelle ‚Wiedergeburt‘ der Antike und des damit verbundenen Wissenschaftsbegriffs anstrebte, auf der anderen Seite aber eine deutliche Zäsur des Denkens einleitete. Während sich die geografischen, kulturellen und wirtschaftlichen Horizonte Europas um 1500 im Zuge eines energischen Aufbruchs deutlich zu weiten beginnen, werden in der neu erwachten Wissenschaft Strömungen immer einflussreicher, für die das griechische Wissenschaftsverständnis die Negativfolie bildet. Nur sichtbar gemachte und damit wahrnehmbare Natur konnte von nun an vom menschlichen Verstand erfasst und wissenschaftlich beschrieben werden und so trat als maßgeblicher Mittler zwischen Natur und den Begriffen von eben diesen Naturvorgängen das Experiment (vgl. Gooding/Pinch/Schaffer 1989; Krüger 2002). Bacon, Descartes und Newton legten mit ihren Arbeiten den Grundstein für eine Epistemologie der Moderne, als deren zentrales Charakteristikum die Gene-
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rierung von absolut sicherem Wissen gelten kann. Auch wenn diese Denker dieses Ziel auf sehr unterschiedlichen Wegen und von unterschiedlichen Ausgangspunkten aus zu erreichen versuchten, einte sie doch eine grundlegende erkenntnistheoretische Prämisse: die Referenzthese. Für den damit verbundenen Erkenntnisanspruch „besteht die Welt aus einer feststehenden Gesamtheit geistesunabhängiger Gegenstände. Es gibt genau eine wahre und vollständige Beschreibung davon, ‚wie die Welt ist‘.“ (Putnam 1993: 156) Mit ihren Arbeiten gewinnt nach und nach das Erkenntnisprogramm der Moderne seine Konturen, im Rahmen dessen wissenschaftliches Wissen eindeutig und rekonstruierbar mit einem Ding in der Realität korrespondiert. Erkenntnis lässt sich damit im Idealfall als eine unabhängig vom Kontext und unverfälschte Repräsentation der dem Subjekt äußerlichen Wirklichkeit verstehen. Die Stelle, an der beispielsweise Bacon mit den antiken Denkern bricht, ist für die weitere Entwicklung der Naturphilosophie folgenschwer: Sowohl bei Platon als auch bei Aristoteles bleibt der Diskurs über die Natur vor allem an das Ideal einer in erster Linie theoretischen Erkenntnis derselben gekoppelt, so dass Naturverstehen vor allem Naturphilosophie in Form einer intellektuellen Rekonstruktion bedeutete. Insbesondere bei Platon hatten die Überlegungen aus naturwissenschaftlicher Sicht bestenfalls spekulativen Charakter und standen noch ganz „im Banne der Metaphysik“ (Apelt 2004: 5). Das Erfahrungsmaterial, auf das im Rahmen des antiken Physikverständnisses zurückgegriffen wurde, war nur in einem sehr begrenzten Ausmaß an konkrete empirische Beobachtungen gekoppelt und war darüber hinaus eng mit einer ästhetisch fundierten Matrix der Naturerkenntnis verknüpft (vgl. Düring 1966: 299). Francis Bacon stellt nun insofern einen wichtigen Einschnitt dar, als er in seiner Philosophie den Anspruch verfolgte, dass sich die Wahrheit der Erkenntnis an der Herrschaft über die Natur bemessen lassen und diese wiederum sich an einer Steigerung der Wohlfahrt der Menschen orientieren müsse (vgl. Krohn 1987: 9). Revolutioniert wird damit der Stellenwert, der der Erfahrung bei der wissenschaftlichen Erkenntnis zukommt. In der Denktradition der griechischen Antike und der damit verknüpften Abwertung alles Veränderlichen konnte es wahres Wissen nur von den unbeweglichen und unveränderlichen Dingen geben – daraus folgte zwangsläufig „die Überlegenheit des kontemplativen über das praktische Wissen, die rein theoretischen Spekulationen über das Experimentieren und jede Art des Wissens, das von Veränderungen in Dingen abhängig ist oder Veränderungen in ihnen hervorruft“ (Dewey 1989: 155). Was sich nun im Übergang von einer lebensalltäglichen, empirischen Erfahrung hin zu einer bewusst initiierten, experimentellen Erfahrung verändert, ist eine tief greifende, erkenntnistheoretische Verschiebung weg von der „Zuschauer-Theorie des Wissens“ (Dewey 1989: 158) hin zu einer aktiven Teilnahme an der Welt, die in der Veränderung als solcher keinen Sündenfall mehr sieht, sondern alles daran setzt, eben diese Transformationen kontrolliert herbei zu führen: „Auf eine wunderliche Art aber wuchs jenes Übel heran infolge einer Meinung oder veralteten, aber aufgeblasenen und verderblichen Ansicht, es tue der Majestät des menschlichen Geistes Abbruch, wenn
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er sich viel und lange mit Experimenten und einzelnen sinnlichen und materiellen Dingen beschäftige“ (Bacon 1990: 179, Aphorismus 83). Kontext und Zielsetzung waren bei Bacon und Descartes auf einer formalen Ebene durchaus vergleichbar: Auch Descartes hatte mit den Schwierigkeiten eines „doppelten Sprach- und Denkgebrauch[s]“ (Cassirer 1996: XLII) zu kämpfen, der sich einerseits zwangsläufig an der Sprache seiner Zeit und den damit verbundenen Altlasten anlehnte, gleichzeitig aber in die Zukunft voraus weisen wollte; auch Descartes grenzte sich durch seinen Anspruch neues Wissen zu begründen, gegen das zentrale Anliegen der Scholastik ab, ausschließlich gegebene Wissensinhalte zu klassifizieren und miteinander in Beziehung zu setzen; auch Descartes richtete seine Philosophie trotz aller theoretischer Fundierung auf ihre praktische Anwendung hin aus (vgl. Cassirer 1996: LX; Specht 1996: XXXV; Seidl 2001: 97) und schließlich misstraute auch Descartes, ganz ähnlich wie Bacon, den von gesellschaftlichen Kontexten geprägten Wahrnehmungs- und Denkweisen. Und doch könnten die beiden Denker an vielen Stellen nicht verschiedener sein: Während bei Bacon eine Befreiung der wissenschaftlichen Erkenntnis von gesellschaftlichen Vorurteilen, den ‚Idolen‘, durch eine empirisch geerdete, induktive Methode angestrebt wurde, übernimmt die Rolle der „Zerstörung der Welt der Sinne“ (vgl. Cassirer 1996: LVI) bei Descartes der Zweifel, indem er sich radikal auf die innere Erfahrung beruft. Auch handelt es sich bei der Philosophie Bacons weniger um eine Erneuerung derselben als vielmehr um die Entwicklung einer „Philosophie der Forschung“ (Krohn 1987: 13). So wich er im Grunde genommen vielen philosophischen Problemen wie der Frage nach dem Zusammenhang von Sinneswahrnehmung und Denken mehr oder weniger aus, da für ihn das Verhältnis von Interpretation und Interaktion mit der Natur sehr viel stärker im Zentrum der Aufmerksamkeit stand: „Seine Leitfrage ist nicht: ‚Was ist Erkenntnis?‘, sondern ‚Wie kann man sie verbessern?‘“ (Krohn 1987: 76) Dagegen kann man die Philosophie Descartes als eigentliche Geburtsstunde der Erkenntnistheorie und aller damit verbundenen, bis heute virulenten Probleme betrachten. So widmet sich sein Denken in erster Linie der Aufgabe, eine adäquate Methode des Denkens zu entwickeln, die „unerschütterliche und wahre Urteile herausbringt“ (Descartes 1996a: 3; Regeln, Regel 126). Um dieses Ziel zu erreichen, setzt er wie kein anderer vor ihm den methodischen Zweifel an den Anfang seiner Epistemologie. So schreibt er weiter in seinem „Discours“: „Da ich mich ... aber auf die Suche nach der Wahrheit begeben wollte, glaubte ich, ich müsse ganz das Gegenteil tun und all das als völlig falsch verwerfen, wofür ich mir nur den geringsten Zweifel ausdenken könnte, um zu sehen, ob danach
26 Für gewöhnlich wird nach der bis heute maßgeblichen Gesamtausgabe von Charles Adam und Paul Tannery „Oeuvres de Descartes“ zitiert. Da ich in erster Linie aus der Gesamtausgabe des Felix Meiner Verlags zitiere, füge ich zur Orientierung neben den Seitenangaben noch die jeweiligen Bücher und Kapitel hinzu
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nicht irgendeine Überzeugung zurückbliebe, die gänzlich unbezweifelbar wäre.“ (Descartes 1996b: 53, Discours, 4. Teil, 1) Was er zu finden hofft, ist der archimedische Punkt, von dem aus er zu einem Wissen gelangen kann, das „sicher und unerschütterlich ist“ (Descartes 1996c: 43, 2. Meditation, 1). Denn es könnte ja sein, „dass es überhaupt keine Erde, keinen Himmel, kein ausgedehntes Ding, keine Gestalt, keine Größe, keinen Ort gibt“ (Descartes 1996c: 37, 1. Meditation, 9). Diese Strategie der „Überwindung der Skepsis mit den Mittel ihrer zum Umschlag führenden Radikalisierung“ (Röd 1978: 59) führt dann schließlich zu einem der bekanntesten Sätze der Philosophie: „Alsbald aber fiel mir auf, dass, während ich auf diese Weise zu denken versuchte, alles sei falsch, doch notwendig ich, der es dachte, etwas sei. Und indem ich erkannte, dass diese Wahrheit: ‚ich denke, also bin ich‘ so fest und sicher ist ... dass ich sie ohne Bedenken als ersten Grundsatz der Philosophie, die ich suche, ansetzen könne.“ (Descartes 1996b: 53, Discours, 4. Teil, 1) Die Idee war geboren: Wenn ich den Zweifel an den Anfang meiner Erkenntnisbemühungen setze und erkenne, dass meine eigene Existenz als Zweifelnder unbestreitbar ist, dann habe ich, ausgehend von dieser ersten Gewissheit, ein festes Fundament von dem aus ich auf der Suche nach Wahrheit voranschreiten kann. Ironischerweise wurden aber nahezu alle erkenntnistheoretischen Probleme der letzten Jahrhunderte durch die cartesische Theorie erst ins Leben gerufen, die ja gerade mit dem Anspruch angetreten war, diese endgültig zu lösen. Insbesondere seine ontologische Zweiteilung in res cogitans und res extensa27 führt letztlich erst zu dem Problem, von dem Descartes ursprünglich ausgegangen war: Wie ist Erkenntnis möglich? Diese Frage wird erst durch seinen ontologischen Substanzdualismus virulent. Mit seiner Philosophie wird Natur immer stärker 27 Für Descartes besteht die von Gott geschaffene Welt aus zwei Arten von Substanzen, nämlich zum einen aus geistigen Substanzen, die als wesentliches Attribut das Denken aufweisen, und zum anderen aus körperlichen Substanzen, als deren zentrales Charakteristikum die Ausdehnung anzusehen ist. Den Beweis für diesen Substanzdualismus führt er in der Sechsten Meditation „Über das Dasein der materiellen Dinge und den substantiellen Unterschied zwischen Seele und Körper“. Dabei bezieht er die Stichhaltigkeit seiner Behauptung sowohl aus dem bereits dargestellten methodischen Zweifel als auch aus der epistemischen, ebenfalls für die Ideentheorie wichtigen Funktion Gottes. Zusammengefasst lautet der Argumentationsgang folgendermaßen: (1) Alles, was ich deutlich erfasse, kann von Gott so geschaffen sein, wie ich es erfasse. Wenn nun (2) ein Ding klar und deutlich ohne ein anderes Ding von meinem Geist erfasst werden kann, dann kann es von Gott auch ohne ein anderes Ding geschaffen sein. Ausgehend von dem radikalen Anfangszweifel gilt weiterhin (3), dass ich meinen Geist klar und deutlich als ein denkendes Ding erfasse, meinen Körper dagegen als ausgedehnte, nicht-denkende Substanz. Aus (2) und (3) folgt in einem nächsten Schritt (4) für Descartes, dass Gott ihn auch als denkendes Ding auch ohne Körper, einem ausgedehnten Ding erschaffen kann. Wenn Gott aber (5) zwei Dinge als voneinander getrennte Dinge erschaffen kann, dann müssen sie auch real voneinander verschieden sein. Und daraus folgt (6): Ich, ein denkendes Ding, bin von meinem Körper als ausgedehntem Ding real verschieden.
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ausschließlich mit dem Materiellen gleichgesetzt. Aristoteles ging von der Annahme aus, dass jeder Gegenstand sich aus Form und Materie zusammensetzt, wobei das zentrale Ziel des Erkenntnisvorgangs in dieser hierarchisch verfassten Ontologie die Abtrennung der Materie von der Form darstellte, um letztere als immaterielle und unveränderliche Wesenheit zu schauen. Descartes weigert sich nun, die Existenz substanzieller (Form eines Tisches) oder akzidenteller Formen (Formen der Farbe) anzunehmen: In diesem Sinne ist ein materieller Gegenstand für Descartes nicht etwas aus Materie und Form Zusammengesetztes, sondern nur Materie. Diese Materie tritt nun dem Geist als Äußeres, als eine vollständig von ihm getrennte Substanz entgegen und damit entsteht die erkenntnistheoretische Problematik, die bis heute die Gemüter bewegt, nämlich wie „dieses Innerliche zu dem Äußerlichen kommen kann“ (Suhr 1993: 114). Mit einer solchen Konzeption werden weite Teile der antiken Philosophie auf den Kopf gestellt und das erklärte Ziel der cartesischen Philosophie nach absoluter Gewissheit und die damit verbundene, „seltsame Erfindung einer ‚Außen-Welt‘“ (Latour 2000: 10) belastet die Wissenschaften mit einer Hypothek, die noch drei Jahrhunderte später zu spüren sein wird. Immer wieder reiben sich moderne und postmoderne Denker in erkenntnistheoretischen Fragen am „cartesianischen Theater“ (Dennett 1994: 139) und so lassen sich viele aktuelle Diskussionen um das Verhältnis von Natur und Gesellschaft und der Frage, wie dieses Verhältnis denn angemessen zu denken sei, ohne den Cartesianismus nicht verstehen. Auffällig ist dabei die eigentümliche Doppelrolle die den materiellen Dingen mehr und mehr zukommt. Zunächst erfährt die materielle Welt bei Bacon durch eine der antiken Wahrnehmung diametral entgegen gesetzte Wahrnehmung eine deutliche Aufwertung. Für das Baconsche Programm sind es nun gerade Veränderlichkeit und Materialität und die darin begründete Fähigkeit natürlicher Vorgänge zu überraschen, die zwischen Irrtum und Richtigkeit verschiedener Aussagen entscheiden - ein Wissen von den inneren Zusammenhängen der Natur muss „von den Dingen her gewonnen werden“ (Bacon 1990: 89, Aphorismus 18). Erkenntnis und wissenschaftlicher Fortschritt orientieren sich damit wesentlich „an der Praxis des materiellen Umgangs“ (Krohn 1987: 127) mit den Dingen. Alle Formen, die sich nicht in der Materie und der Wirksamkeit auf diese nachweisen lassen sind als unzulässige und leere Abstraktionen abzulehnen: „Die Materie selbst muss betrachtet werden, ihre Struktur und Neugestaltung..; denn die Formen sind Erdichtung der menschlichen Seele, es sei denn, man nennt jene Gesetzte der Tätigkeit Form“ (Bacon 1990: 115, Aphorismus 51). Gleichzeitig scheinen sich Teile der angesprochenen antiken ‚Dämonisierung‘ von Materialität zu erhalten, wird der Materialität und ihrer Vermittlung durch die Sinne weiterhin hochgradig misstraut, so wenn Descartes in seinen „Meditationen“ schreibt, dass „man an allen Dingen, besonders den materiellen“ (Descartes 1996c: 23, Meditation, Übersicht) erst einmal zutiefst misstrauen müsse und es in Bezug auf unsere Sinne ein „Gebot der Klugheit“ sei „ihnen niemals ganz zu trauen“ (ebd.: 33, 1. Meditation, 3). Für Descartes führt daher allein die innere
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Erfahrung zu unmittelbarer Erkenntnis und zwar aufgrund des privilegierten Zugangs des Subjekts zu sich selbst; im Vergleich zu dieser Unmittelbarkeit der Erfahrung, ist die äußere stets vermittelt und dadurch hinsichtlich ihrer Rolle im Erkenntnisprozess für Descartes höchst problematisch28 (vgl. Gloy 2004: 143). Und einen weiteren wichtigen Punkt gilt es mit Blick auf die eingangs gestellte Frage nach dem Verschwinden der Natur festzuhalten: Mit der Philosophie Descartes und seiner Vorstellung eines Geistes, der von innen nach außen auf die Welt blickt und mit dieser auch nur durch diesen Blick verbunden ist, ist der philosophiehistorische Punkt markiert, an dem die Furcht einsetzt, die Realität zu verlieren: „Nicht die Welt, sondern die Vorstellungen einer Welt sind ihr erstes Thema, und da ist es kein Wunder, dass man nicht mehr zur Welt selbst zurückfindet“ (Schnädelbach 2004: 46). Descartes führt mit seiner Ideentheorie den beunruhigenden Gedanken ein, dass wir uns niemals auf die Dinge selbst verlassen können, wollen wir feststellen, ob unsere Vorstellungen, die wir uns von ihnen machen auch wirklich mit ihnen übereinstimmen. Mit anderen Worten: ein langer Zeit dominierender Erkenntnisrealismus wird zugunsten eines Repräsentationalismus ersetzt, denn nur von den repräsentierenden Ideen ist eine wirkliche und direkte Kenntnis möglich. Was durch den kritischen Zweifel Descartes’ aufgelöst wird und am zerbrechen ist, ist nicht weniger als die von der Antike bis zur Neuzeit weitestgehend geltende „Harmonie zwischen Erkenntnis und Wirklichkeit“ (Cassirer 1994ba: 442). Die mit der ‚Erfindung‘ des Experiments und der damit verbundene Siegeszug des Empirismus mündet schließlich in der einsetzenden Moderne in eine epistemologische Grundhaltung, welche Max Weber als ‚Entzauberung der Welt‘ bezeichnet hat. Diese Entzauberung bestehe in dem grundsätzlichen Glauben „dass man, wenn man es nur wollte, es jederzeit erfahren könnte, dass es also prinzipiell keine geheimnisvollen, unberechenbaren Mächte gebe, die da hineinspielen, dass man vielmehr alle Dinge – im Prinzip – durch Berechnen beherrschen könnte“ (Weber 1991: 250).
28 Ähnliche Vorbehalte finden sich auch bei Bacon. Insbesondere in seiner Idolenlehre findet sich eine Problematisierung der Sprache als Erkenntnisinstrument formuliert. So schreibt er: „Die Menschen gesellen sich nämlich mittels der Sprache zueinander; aber die Worte werden den Dingen nach der Auffassung der Menge beigeordnet. Daher knebelt die schlechte und törichte Zuordnung der Worte den Geist auf merkwürdige Art und Weise ... .die Worte tun dem Verstand offensichtlich Gewalt an und verwirren alles“. Was hier also bereits aufscheint ist nicht mehr und nicht weniger die Problematisierung der Wort-Welt-Relation wie sie sehr viel später von Willard Quine, Donald Davidson und Hilary Putnam zentral gestellt wird (vgl. Nimtz 2002). Diese beiden Fehlerquellen der Erkenntnis, die idola theatri (durch weltanschauliche Systeme bedingte Fehlerquellen) und die idola fori (durch sozial Beziehungen und Sprache bedingte Fehlerquellen) als Elemente einer „Pathologie des menschlichen Vorstellens und Urteilens“ (Cassirer 1994b: 7) haben denn auch Bacon die Ehre als „Begründer der Ideologiekritik und der Wissenssoziologie“ (Krohn 1987: 93) zuteil werden lassen.
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Wissenschaftshistorisch betrachtet macht sich mehr und mehr ein Emanzipationsprozess der sich herausbildenden Naturwissenschaften von ihren philosophischen Grundlagen bemerkbar. Die Auseinandersetzung zwischen Leibniz und Newton, die Ruppert Hall einmal martialisch als „Philosophenkrieg“ bezeichnet hat (Hall 1980), hat bezüglich der Emanzipation naturwissenschaftlicher Theoriebildung von der Philosophie repräsentativen Charakter. So konstatiert Newton gegen die Philosophie im Allgemeinen und mit Bezug auf Leibniz im Besonderen, dass „sie Hypothesen vor induktiven Argumenten [bevorzugt], die aus Experimenten abgeleitet sind, … und anstatt Fragen zu stellen, um sie anhand von Experimenten zu prüfen, bevor sie in die Philosophie zugelassen werden, stellt er Hypothesen auf, die zugelassen und geglaubt werden sollen, bevor sie geprüft worden sind“ (Newton in einem Brief an Conti, 26. Februar 1715, zit.n. Freudenthal 1982: 21). Eine in seinen Augen angemessenere Formulierung wissenschaftlicher Probleme, insbesondere hinsichtlich raumtheoretischer Fragen, hatte Newton im Frühling des Jahres 1686 in seinen „Mathematischen Grundlagen der Naturphilosophie“ (1988) vorgelegt. In diesem Werk, das Max Jammer als die „Bibel der Mechanik“ bezeichnet hat (Jammer 1962: 166), entwickelt Newton seine Theorie des absoluten Raums. Dennoch wäre es irreführend die Absatzbewegung der Mechanik von der Naturphilosophie als einen abrupten Bruch zu interpretieren – eine solche Interpretation der Newtonschen Physik würde den systematischen Wert sowohl der metaphysisch-religiösen (vgl. Freudenthal 1982: 25) als auch der philosophischen Aspekte unterschätzen. So haben eine ganze Reihe von Interpreten auf den herausragenden Einfluss der platonischen Naturphilosophie auf das physikalische Denken Newtons hingewiesen (vgl. Jammer 1962, Kutschmann 1983, Dellian 1988). Mit der Physik Newtons setzt sich mehr und mehr die Vorstellung durch, dass sämtliche Vorgänge in einer als unbelebt verstandenen Natur mechanistisch erklärt werden können. Newton war die rationalistische Seite der cartesischen Philosophie stets suspekt und in Opposition zu dieser vertraute er zutiefst auf die Qualitäten der Erfahrungsgegenstände. „Hypothesen erdenke ich nicht“ ist einer der bekanntesten Sätze von Newton, den er im Rahmen seiner Naturlehre formuliert hat und der direkt auf diese empiristische Tradition verweist (Newton 1963: 511). Dabei ist es in diesem Zusammenhang wichtig darauf hinzuweisen, dass Erfahrung nicht mit Natur gleichgesetzt wird, diese also nicht mit jeder identisch ist, sondern die weltlichen Phänomene verhalten sich zu der Natur analog: „Zugrunde lag dem ein anderes Verständnis von Natur, die nicht als die Summe der empirisch erfassbaren Welt, sondern als in ihren Strukturen einfache transzendentale Natur verstanden wird“ (Dellian 1988: XII). Entscheidend ist damit, dass ein neuer Begriff der Erkenntnis in die Betrachtung der Natur Einzug hält, der „sich rein auf sich selbst zu stellen und die Hilfe aller philosophischen ‚Hypothesen’“ (Cassirer 1994b: 396) entbehren zu können glaubt.
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Eine solche Vorstellung von Erkenntnis als einer Spiegelung der Natur in dem Bewusstsein der ForscherInnen29, erhält allerdings tiefe Risse durch die Philosophie Kants. Zunächst finden sich in seinem Denken Spuren einer deutlichen Sympathie für eine Verhältnisbestimmung von Ontologie und Empirie, innerhalb dessen es sich „nicht darum … handelt, die Realität aus Begriffen herauszuspinnen“ (Cassirer 1994b: 589), sondern die Tatsachen den gültigen Anfang der Forschung bilden. So schreibt er in seiner „Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral“: „ Die echte Methode der Metaphysik ist mir derjenigen im Grunde einerlei, die Newton in die Naturwissenschaft einführte und die daselbst von so nutzbaren Folgen war. Man soll … durch sichere Erfahrungen … die Regeln aufsuchen, nach welchen gewisse Erscheinungen in der Natur vorgehen … Ebenso in der Metaphysik: suchet durch sichere innere Erfahrung, d.i. ein unmittelbares augenscheinliches Bewußtsein, diejenigen Merkmale auf, die gewiß im Begriffe von irgend einer allgemeinen Beschaffenheit liegen, und ob ihr gleich das ganze Wesen der Sache nicht kennt, so könnt ihr euch doch derselben sicher bedienen, um Vieles in dem Dinge herauszuleiten“ (Kant 1968: 286). Dennoch ist ein entscheidender Unterschied zum naturwissenschaftlichen Vorgehen festzuhalten: In seinem Denken soll sich das Subjekt als Zentrum der Erkenntnis verstehen, um das herum die Dinge ausgerichtet sind. Insofern geht er auch nicht naturwissenschaftlich vor, sondern „argumentiert transzendental, insofern er versucht, die Bedingungen der Möglichkeit von Aussagen über die Natur zu bestimmen“ (Günzel 2006: 28, Hervorh.i.O.). Mit seinen Überlegungen wird die Vorstellung von Erkenntnis als mehr oder weniger passiver Akt des experimentellen Einfangens der Wirklichkeit nachhaltig erschüttert. Diesem Verständnis eines kontextfreien Erkenntnisakts stellt Kant die Einsicht entgegen, dass der Erkenntnisprozess von dem im Geist des Subjekts vorhandenen Erkenntniskategorien wesentlich mitbestimmt wird und in der Folge niemals die ‚Dinge an sich‘ wahrnehmbar sind, sondern immer nur eine (inter)subjektiv gefilterte Realität abgebildet wird (vgl. Dingler 2003: 31). Der damit verbundene Perspektivwechsel auf Natur ist einschneidend: Natur ist nun nicht mehr einfach das schlechthin Bleibende, sondern wird selbst geschichtlich, denn die Wahrnehmung und Erkenntnis der Natur wird von unseren Formen der Anschauung und den Kategorien unseres Verstandes geprägt. Hängt die Wahr29 Diese Vorstellung gilt für Descartes allerdings nur in eingeschränktem Maße. Descartes war ein äußerst vielschichtiger und ausgewogener Denker, dessen Werk sich in der Folge auch eindeutigen und pauschalen Gesamturteilen entzieht (vgl. insbesondere Perler 1998a u. b). So kann man ihn hinsichtlich der zwei großen Strömungen dieser Zeit, dem Empirismus und dem Rationalismus, nicht umstandslos dem Lager der Rationalisten zuschlagen, denn dafür räumt er dem Empirischen einen zu großen Stellenwert ein; ebenso wenig kann man in als naiven Abbildtheoretiker interpretieren, der in dem menschlichen Geist einfach nur einen „Spiegel der Natur“ (Rorty 1986) sah, denn eine solche Einschätzung gilt bestenfalls für (frühe) Teile seiner Erkenntnistheorie
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nehmung und das Erkennen der Natur von den kulturellen und symbolischen Formen in denen Natur für den Menschen präsent werden ab, ist es nur ein nahe liegender Schritt zu der Annahme einer „menschlichen Geschichte der Natur“ (Moscovici 1982). Was in der Kantschen Konstruktion allerdings erhalten bleibt und dann endgültig erst von postmodernen Positionen zerstört wird, ist die Vorstellung einer ‚Natur an sich‘. Auch wenn Kant den folgenreichen Gedanken einführt, dass jede Natur, von der man einen Begriff hat, als solche kulturell geprägt ist, so hält er doch an der Idee eines vorsprachlichen Teils der Natur fest, wenngleich die Differenz zwischen dem ‚Ding an sich‘ und den Erfahrungsgegenständen eine unaufhebbare bleiben muss. Was bei Kant damit aber letztlich noch erhalten bleibt ist die Vorstellung, dass Erkenntnis „durch ein Prüfen, Reparieren und Polieren des Spiegels“ (Rorty 1986: 22) dennoch zu einer immer akkurateren Darstellung der Wirklichkeit führen würde. Eine der letzten erkenntnistheoretischen Rettungsversuche der modernen Erkenntnistheorie stellt dann der Kritische Rationalismus von Karl R. Popper dar, der die abbildungstheoretische Grundhaltung durch die These der Approximation ersetzt. Die entscheidende konzeptuelle Verschiebung, die Popper in seinen wissenschaftstheoretischen Arbeiten vornimmt, verläuft weg von der Vorstellung einer Verifikation und hin zur Methode der Falsifikation: „Nach unserem Vorschlag kennzeichnet es diese Methode, dass sie das zu überprüfende System in jeder Weise einer Falsifikation aussetzt; nicht die Rettung unhaltbarer Systeme ist ihr Ziel, sondern: in möglichst strengen Wettbewerb das relativ haltbarste auszuwählen“ (Popper 1982: 16). Obwohl diese Idee der relativen Haltbarkeit der in den kommenden Abschnitten vorgestellten pragmatischen ‚Robustheit‘ des Wissens zumindest nahe steht, unterscheidet die beiden Positionen doch eine zentrale Annahme: der Rationalismus Poppers verabschiedet zwar das Bestreben einer vollkommenen Übereinstimmung wissenschaftlicher Erkenntnisse mit der Wirklichkeit, hält aber an der Überzeugung einer schrittweisen Annäherung an das Ideal wissenschaftlicher Wahrheit weiter fest. Es sind schließlich die Vertreter der Postmoderne wie Lyotard und Derrida, die die erkenntnistheoretische Kritik radikalisieren und in einem Reflexivwerden der Moderne deren Anspruch einer objektivistischen und universalistischen Wahrheit endgültig verabschieden. Die Vorstellung eines kontinuierlichen wissenschaftlichen Fortschritts und einer damit einher gehenden Kumulation menschlichen Wissens wird als Metaerzählung der Moderne entlarvt: „Bei extremer Vereinfachung hält man die Skepsis gegenüber den Metaerzählungen für ‚postmodern‘“ (Lyotard 1986: 14). Die Zuversicht der Moderne in das Licht der Vernunft wird aus postmoderner Sicht als „Ideologie der Überlegenheit der Vernunft“ (Bauman 1995: 128) entlarvt und in einer Dekonstruktion der erkenntnistheoretischen und ontologischen Grundkonzepte der Moderne zu einer möglichen Geschichte unter vielen anderen degradiert. Diese Deklassifikation erfolgt wesentlich auf der Grundlage zeichentheoretischer Argumente. Insbesondere die Sprachkritik Derridas unterminiert die epistemologische Annahme der Moderne,
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dass im Rahmen der Referenz- aber auch der Approximationsthese eine stabile Beziehung zwischen den Zeichen der Sprache und den bezeichneten Entitäten in der Realität besteht. Eine solche Annahme sei aber laut Derrida nur dann legitim, wenn man die Existenz eines „transzendentales Signifikats“ stillschweigend postuliere: „Es muss ein transzendentales Signifikat geben, damit so etwas wie eine absolute und irreduzible Differenz zwischen Signifikat und Signifikant zustande kommt.“ (Derrida 1994: 38) Nur dann, wenn es also etwas außerhalb der Sprache gibt, auf das diese rekurrieren kann, beinhaltet dies die Möglichkeit eines nichtkontingenten Abbildungsverhältnisses (vgl. Dingler 2003: 64). Aber genau dies bezweifelt Derrida, indem er in der Weiterentwicklung der sprachstrukturalistischen Arbeiten Saussures zu dem Schluss kommt, „dass es kein sprachliches Zeichen gibt, dass der Sprache vorherginge“ (Derrida 1994: 29). Aus postmoderner Sicht kann damit Wissen immer nur als diskursive Erzeugung erscheinen und dass, was alle anderen ‚naiv‘ als wahres Wissen über Natur im Speziellen und die Welt im Allgemeinen halten, sind lediglich (machtförmig) durchgesetzte Übereinkünfte vor dem Hintergrund spezifischer historischer, kultureller und sozialer Kontexte: „Wahrheit ist Schein“ (Deleuze 1991: 113), so lautet die Quintessenz. In der Konsequenz zerfällt aber dadurch die universelle Wahrheit der Moderne in unzählige lokale Wahrheiten, die je nach Kontext und Interessenlagen variierten können: „Es gibt keine Wahrheit mehr im Sinne von Plato, Kant oder Hegel, sondern nur kontingente Wahrheiten, deren zeitliche und räumliche Relativität von postmodernen Denkern … immer wieder hervorgehoben wird.“ (Zima 1997: 120) Bis zu einem bestimmten Grad lässt sich die mit einem solchen linguistic turn statt findende „anticartesianische und antikantianische Revolution“ (Rorty 1986: 17) mit der geistigen Situation der frühen Neuzeit vergleichen: Ebenso wie die Philosophien jener Zeit sich von der scholastischen Tradition dadurch abzusetzen versuchten, indem sie in einem radikalen Neuanfang die Fundamente der Wissenschaft neu zu begründen erhofften und eben nicht durch das Aufspüren falscher oder wahrer Argumente vorhergehender Denker und ihrer Werke, verabschieden die Denker der Postmoderne kurzerhand Erkenntnistheorie und Metaphysik aus dem Bereich der Philosophie (vgl. Rorty 1986: 16). In gewisser Weise begegnet einem darin ein Wiedergänger der bereits erwähnten antiken Dämonisierung des Materiellen im postmodernen Gewand; nur mit dem wesentlichen Unterschied, dass es nun keinen festen Boden mehr unter den Füssen gibt. Ironischerweise bleiben die postmodernen Denker damit jenem cartesischen RadikalZweifel verhaftet, den sie zu überwinden glaubten, da im Dekonstruktivismus Erkenntnis zum ästhetischen Spiel entgrenzt wird und der Zweifel auf diese Weise bis zu einen ‚point of no return‘ weitergedreht wird (Nagl 1998: 10). Foucault beschreibt die Veränderung des Denkens in der Postmoderne folgendermaßen: „Halten wir vor allem die große Umwertung des Lichtes fest: das Denken ist nicht mehr ein offener Blick auf Formen, die in ihrer Identität fest und hell sind;
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das Denken ist Tat, Sprung, Tanz, äußerstes Abseits, gespannte Dunkelheit. Es ist das Ende der Philosophie der Repräsentation.“ (Foucalt 1990a: 408) Vor einem solchen Hintergrund kann die Materialität gesellschaftlicher Naturverhältnisse niemals in den analytischen Blick geraten: „Sie kann nur Wissenssoziologie, nicht aber substantielle Umweltsoziologie sein“ (Passoth 2006: 48). Fluchtpunkt des Über-Bord-Werfens der alteuropäischen Philosophietradition und einer damit verbundenen, „obsessiven“ Infragestellung der Repräsentation ist letzten Endes eine Tendenz die Donna Haraway als „De-Naturalisierung“ und „Entmaterialisierung“ (Haraway 1995b: 146) bezeichnet hat. Eine solche Figur der Denaturalisierung entsteht nahezu zwangsläufig im Zuge des beschriebenen postmodernen Zweifels an den Möglichkeiten objektiver Erkenntnis. Die Konsequenzen für eine Theoretisierung der Natur sind bereits ausführlich in dem ersten Theorieabschnitt dieser Arbeit dargelegt worden (vgl. II/1.1.2): Wenn Erkenntnis und Wissen nicht auf stabile und außerdiskursive Entitäten rekurrieren, dann erscheint auch die Vorstellung einer historisch invariablen Natur als irreführend. Soziozentrische Ansätze bezweifeln vielmehr „prinzipiell die Möglichkeit einer unverzerrten Erkenntnis, Repräsentation oder Kommunikation einer außergesellschaftlichen Natur bzw. Naturzerstörung“ (Kropp 2002: 73). Wird Natur aber auf eine semiotische Erzeugung reduziert, dann ist es nur ein kleiner theoretischer Schritt von einer Denaturalisierung zu einer „Dematerialisierung“ (vgl. Weber 2003: 75). Der wesentliche Unterschied besteht in einer nochmaligen Radikalisierung des Konstruktionsprinzips wissenschaftlicher Erkenntnis: Während eine Denaturalisierung naturalistische Strömungen bezüglich der darin enthaltenen (konstruierten) Grenzziehungen zwischen Natur und Erkenntnis hinterfragt, aber an der Idee von Nichtdiskursivem weiter festhält, negiert eine Dematerialisierung radikal alle nichtdiskursiven Elemente. Auf die Folgen, die eine derartige Theoriebildung für die Konzeptualisierung von Raum hat, wird noch ausführlich eingegangen werden. An dieser Stelle bleibt festzuhalten: Die moderne Vorstellung von Natur als etwas ‚Realem‘, Objektivem‘ oder ‚Wahrem‘ verliert im Lichte der postmodernen Kritik immer mehr an Überzeugungskraft. Natur und Gesellschaft können immer weniger als getrennte Seinsbereiche konzeptualisiert werden, sondern erscheinen als ausschließlich sprachspielbedingte Grenzziehungen, die sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder verändert hat. Und mit dem Zerbrechen des Spiegels wird nicht nur die Wahrheit abgeschafft, sondern letztlich auch die Natur in ihrer Materialität!
3.2 Aporien Die tour de force durch die wechselvolle Geschichte des Denkens über das Verhältnis von Natur, Gesellschaft und Materie hat deutlich werden lassen, dass „keine Philosophie ohne irgendwelche Grundanschauungen über das Seiende bestehen (kann). Das gilt unabhängig vom Standpunkt, Richtung und Weltbild.“
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(Hartmann 1948: 202) Gleichzeitig hat sich auch erwiesen, dass jede Ontologie eine Epistemologie nach sich zieht und umgekehrt. So kann man entweder Aussagen darüber treffen, was seiend ist und danach folgern, wie dieses zu erkennen ist, oder man legt seine Vorstellungen über den Zuschnitt menschlichen Erkenntnisvermögens dar und verweist darauf, was damit erkannt werden soll (vgl. Becker/Jahn 2006: 115). Mit den unterschiedlichen Erkenntnistheorien gehen auch unterschiedliche Wahrheitsbegriffe einher, indem der Modus der Erkenntnisweise die Beziehung zwischen dem erkennenden Subjekt und dem zu erkennenden Objekt definiert. Die Diskussion um das Verhältnis von Raum, Natur und Materie hat gezeigt, dass sich hinsichtlich der Relation von Subjekt und Objekt geschichtlich zwei große Lager ausmachen lassen, deren Grundtypen gemeinhin als Realismus und Idealismus bezeichnet werden (vgl. zu folgendem Gloy 2004: 67f.). Bei ersterem wird die Beziehung klar vom Bereich der Objekte bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Subjektseite dominiert. Mit Dewey wurde dies bereits als die Zuschauerposition der Erkenntnis bezeichnet. Grundlegende Annahme einer solchen Position ist die Unterstellung, dass Objekte in ihrem Sosein an sich existieren, ganz gleich, ob diese mit Erkenntnisinteressen überzogen werden oder nicht. Den Dingen wird ein Eigensinn zugesprochen, den sie unabhängig von den Tätigkeiten der Erkenntnis suchenden Subjekte behaupten. In einer so verstandenen „ontischen Wahrheitstheorie“ (Gloy 2004: 76) spielt das Subjekt nur insofern eine Rolle, als es im besten Falle als Geburtshelfer die an sich immer schon bestehende Wahrheit bergen kann: Wahrheit wird hier verstanden als „Entborgenheit des Seienden“ (Heidegger 1954: 16). Die diametral entgegengesetzte Position wird schließlich von den verschiedenen Varianten des Idealismus eingenommen, zu denen im weitesten Sinne auch sozialkonstruktivistische und dekonstruktivistische Ansätze gezählt werden müssen. Die „Fabrikation von Erkenntnis“ (Knorr-Cetina 1984) geht nun nicht mehr von den Objekten aus. Statt dessen erlangen in der Erkenntnisrelation die Subjekte und die damit einhergehende ‚Seinsverbundenheit‘ (Karl Mannheim) des Wissens Priorität. Die Leistungen und die Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens werden bestimmt und die Konstitution der Gegenstände als Leistung des erkennenden Subjekts ausgewiesen (vgl. Becker/Jahn 2006: 116). Die Korrespondenztheorie der Wahrheit wird dementsprechend mit dem Verweis auf die (inter)subjektiven Erkenntnisbedingungen von Sprache und sozialen Aushandlungsprozessen als unhaltbar zurückgewiesen. Weiterhin hat die Diskussion gezeigt, dass die Art und Weise der Verhältnisbestimmung von Subjekt und Objekt für die Konzeptualisierung von Raum, Natur und Materie nicht folgenlos geblieben sind. Nimmt man die beiden Extrempole der idealistischen Position, den platonischen Idealismus und den postmodernen Dekonstruktivismus, so nehmen Natur, Materie und Raum die niedrigste Stellung in der Hierarchie des Wissens ein beziehungsweise „bleiben gänzlich ohne Charakter“ (Dewey 1995: 431). Entweder konnte die Materie angesichts ihrer vergänglichen Existenz in ihrem wahren Sein oder wegen der Verstellung
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ihres ‚wahren‘ Seins durch sprachliche Repräsentation nicht erkannt werden – so oder so, die Materie war ohne Gewicht und damit ohne Bedeutung, ebenso wie Kontemplation, die sich auf die Natur selbst bezog, als Gegenstand philosophischen Nachdenkens undenkbar war. Mit der Herausbildung der Naturwissenschaften im Zuge der beschriebenen Experimentellwerdung der Philosophie wurde „Materie zu einer eigenständigen Substanz“ (Dewey 1995: 432) und als Garant von Wirklichkeit und Realität aufgewertet. Als Folge wurden Raum und Natur als unwandelbar und sich selbständig erhaltend gedacht, „als gänzlich äußerliche Behälter und Umhüllungen“ (ebd.), bis sie dann spätestens mit der Philosophie Leibniz’ Stück für Stück ihrer kosmologisch-ontologischen materiellen Substanz wieder beraubt und ihre Unveränderlichkeit in der Annahme ihrer Relativität wieder aufgelöst wurde. Gleichzeitig waren stets eigentümliche Zwischenstellungen beobachtbar, die sich mit Bezug auf die Bewertung der Stellung der menschlichen Sinne einer eindeutigen Zuordnung zu einer der beiden Positionen entzogen haben. So haben die Arbeiten von Dominik Perler (1996 u. 1998a) gezeigt, dass Descartes zwar eine nachhaltige Wende zum subjektzentrierten Idealismus einläutete, sich aber dennoch in vielen seiner Studien zur Absicherung seiner Erkenntnisse auf detaillierte empirische Fakten stützte; ähnliches gilt auch für Bacon, der auf der einen Seite vor den trügerischen Qualitäten der Sinne warnte, gleichzeitig aber die experimentell induzierte Erfahrung zur einzig wahren Quelle von Wissen und Erkenntnis erhob. Und auch für Newton konnte die Definition von Raum, Zeit und Bewegung auf der Grundlage ihrer Beziehung zu den Sinnen nur als ein vulgäres Vorurteil gelten, wenngleich messbare Ergebnisse, die unabhängig von jeder Beziehung zu einem Beobachter waren, unverzichtbare Bausteine seiner Physik verkörperten: „Während Newton sich also für den Empirismus erklärte, genoß er den Vorzug des rationalistischen Systems.“ (Dewey 1998: 145) In der Mehrheit der heutigen Debatten scheinen derartige pragmatische Zwischenstellungen allerdings nicht mehr möglich zu sein und so steht man am Ende der Reise vor einer unauflösbaren Aporie: Sozialkonstruktivistische Arbeiten haben jenen wissenschaftlichen Konzeptionen endgültig den Boden entzogen, deren Ziel die Begriffs- und Theoriebildung in Bezug auf Gegenstände war, die als unabhängig von der jeweiligen Beobachter- und Theorieposition gedacht wurden. Sei es nun die die These der empirischen Unterdeterminiertheit von Theorien, der Theoriegeleitetheit empirischer Beobachtung, das empirische Programm des Relativismus von Harry Collins oder die laborkonstruktivistischen Studien von Knorr-Cetina und Latour – all diese Ansätze liefern in ihrer Quintessenz erdrückende Hinweise darauf, dass nicht mehr weiter einfach davon ausgegangen werden kann, dass (natur)wissenschaftliche Erkenntnis durch die ‚natürliche‘ Realität determiniert ist, sondern dass als ‚wahr‘ und ‚korrekt‘ anerkannte Ergebnisse immer auch sozial determiniert sind. Wie im ersten Abschnitt des Theoriekapitels bereits nachgezeichnet wurde (vgl. II/1.1.2), führte das in der umweltsoziologischen Debatte zu einer ganzen Flut von Veröffentlichungen, die sich im Zuge
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der Erkenntnis, dass es sich bei der Unterscheidung von Natur und Gesellschaft um keine Ontologie des Faktischen, sondern vielmehr um das Ergebnis kontingenter kultureller Konstruktionen handle, vor allem der Frage widmete: „Wo endet Natur, wo beginnt die Gesellschaft?“ (Wehling/Viehöver/Keller 2005) Radikalkonstruktivistische und dekonstruktivistische Ansätze schütten dann endgültig das Kind mit dem Bade aus, denn die postmoderne Denkfigur der Denaturalisierung, verstanden als Gegenbewegung auf den formulierten radikalen Zweifel an den Möglichkeiten positivistischer und naturalistischer Repräsentation, mündete in einer grundlegenden Tabuisierung von ‚materialistischen‘ Seinsaussagen (vgl. Weber 2003: 50f.). Fortan scheinen alle Aussagen über den ‚materiellen‘ Anteil ökologischer Krisenerscheinungen von vornherein unmöglich, denn sowohl Natur als auch ‚Realität‘ gelten als verlorenes Paradies, und die Hoffnung auf dessen erkenntnistheoretische Rückgewinnung im Sinne der Wiederherstellung einer Abbildtheorie der Wahrheit müssten, so heißt es, ein für alle mal begraben werden. Als eine Art Sokal avant la lettre resümiert Whitehead den Entwicklungsprozess folgendermaßen: „Das achtzehnte Jahrhundert begann mit dem ruhigen Vertrauen, endlich allen Unsinn über Bord geworfen zu haben. Heute befinden wir uns am entgegengesetzten Pol des Denkens. Der Himmel weiß, welcher scheinbare Unsinn uns morgen als Wahrheit bewiesen wird.“ (Whitehead 1988: 138) Mit dem Verschwinden der Natur verschwindet aber gleichzeitig auch der (materielle) Raum, den ein ähnliches Schicksal wie die Geschichte zu ereilen scheint, wenn Baudrillard stellvertretend für Viele kurzerhand das „Ende des Raums“ (1986: 5) verkündet. Aber auch hier wird sich, wie so oft, zeigen, dass Totgesagte länger leben. Positionen eines ontologischen Realismus wiederum, mit der grundlegenden Annahme, dass objektive, von Sprache und Repräsentation unabhängige Tatsachen existieren, konzipieren Natur, Raum und Materie, ausgehend von der Überzeugung, „dass Gesellschaft und Kultur Phänomene sekundärer Ordnung in der physikalischen Welt seien“ (Greif 2002: 27), als schlicht der Erkenntnis vorgegeben. Mit Bezug auf die Konzeptualisierung des Verhältnisses von Natur und Gesellschaft führte dies rasch zu naturalistischen Fehlschlüssen, wie sie uns in Kapitel II in der Thematisierung des Verhältnisses von Bevölkerungsentwicklungen und Nahrung immer wieder begegnen werden: Bevölkerungsproblem, Überschreitung der Tragfähigkeitsgrenzen bestimmter ‚Naturräume‘ und damit verbundene geografiedeterministische Erklärungen von Nahrungsmittelknappheiten sind nur einige der Stichworte, die immer wieder die ungleichen gesellschaftlichen Verhältnisse durch eine Naturalisierung der Begründungszusammenhänge zu verschleiern versuchen. Auch in Bezug auf die Konzeptualisierung des Verhältnisses von Natur und Gesellschaft wurde in I/1.1.1 herausgearbeitet, dass ein wissenschaftsrealistischer Naturalismus nur allzu schnell in einen naturalistischen Imperativ mündet, der festlegt, „welche Lebensformen und Modi gesellschaftlicher Organisation anzustreben seien und welche nicht“ (Kropp 2002: 59).
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Auch hier wird eine Politisierung des Naturverständnisses durch eine Naturalisierungsstrategie unterbunden. An dieser Stelle bleibt somit festzuhalten, dass sich der erkenntnistheoretische Diskurs offensichtlich in einem Zirkel der Referenz verfangen hat, „denn um etwas zu erkennen, muss man es als unabhängig vom Erkennen anerkennen und zugleich anerkennen, dass es nur im Akt des Erkennens gegeben ist“ (Becker/Jahn 2006: 115). So scheint es, als ob man am Ende dieser Reise nur zwischen zwei unguten Alternativen wählen könnte: „entweder den Mythos des Gegebenen akzeptieren oder zu leugnen, dass die Erfahrung einen rationalen Bezug auf das Denken hat“ (McDowell 2001: 65). In den folgenden Abschnitten soll dagegen gezeigt werden, dass die Verabschiedung eines abbildtheoretischen Wahrheitsbegriffs nicht bedeutet, dass wir den Begriff der Wahrheit ganz über Bord werfen müssten30; vielmehr findet eine Verschiebung statt, die ein dritte Möglichkeit der Verhältnisbestimmung von erkennendem Subjekt und zu erkennendem Objekt eröffnet: „Die Philosophie, was ist sie, wenn nicht eine Weise, nicht so sehr über das was wahr oder falsch ist zu reflektieren als über unser Verhältnis zur Wahrheit…Philosophie ist Aktivität. Denn Philosophie ist eine Bewegung, mit deren Hilfe man sich nicht ohne Anstrengung und Zögern, nicht ohne Träume und Illusionen von dem frei macht, was für wahr gilt…Philosophie ist jene Verschiebung und Transformation der Denkrahmen…die gemacht wird, um anders zu denken“ (Delacampagne 1990: 12ff., Hervorh.i.O.). Ebenso sollte man sich nicht von einem Nachdenken über Materialität verabschieden und so muss die Frage weniger „Verschwindet die Natur?“ als vielmehr „Wie bringt man die materielle Welt zurück ins Bild?“ (Greif 2002: 28) lauten oder anders ausgedrückt: Kann man vom epistemologischen Standpunkt aus Antitrealist sein, also die Unhintergehbarkeit der Einsicht akzeptieren, dass wissenschaftliche Fakten immer schon sozial konstruiert sind und ontologisch Realist sein, es mithin also Dinge gibt, die auch unabhängig von Sprache und Bedeutung bestehen? Diese Anstrengung gilt es im Folgenden in Bezug auf ein sozial-ökologisches Raumkonzept zu unternehmen.
3.3 Auf dem Weg zu einem sozial-ökologischen Raumkonzept Angesichts der oben dargestellten Aporien der einzelnen erkenntnistheoretischen Positionen zieht Escobar in Bezug auf Natur und Naturerkenntnis folgendes Fazit: „At the end of the 20th century, the question of nature remains unresolved in any modern social or epistemological order.“ (Escobar 1999: 1) Was ist der Ausweg aus diesen Dilemmata? In einem ersten Schritt gilt es, einer Einsicht Gregory Bateson folgend, zu akzeptieren, dass man aus erkennt30 Einen eindrucksvollen Überblick über die ungebrochene Vitalität des Wahrheitsbegriffs in den unterschiedlichsten theoretischen Zusammenhängen liefert der Sammelband von Michael P. Lynch „The Nature of truth“ (2001).
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nistheoretischer Sicht offensichtlich mit einigen Dingen Frieden schließen muss, will man einen Ausweg aus diesen Dickicht epistemologischer Dilemmata finden (vgl. Bateson 1987: 86). In allem Nachdenken über wissenschaftliche Probleme, den damit verbundenen Wahrnehmungen und Kommunikationsformen finden Übersetzungsleistungen und Codierungen statt, die sich zwischen dem Bericht über den Erkenntnisgegenstand und dem ‚Ding an sich‘ (Kant) schieben oder weniger abstrakt formuliert: wenn wir an Schweine und Kokosnüsse denken, haben wir offensichtlich keine Schweine und Kokosnüsse im Gehirn (vgl. Bateson 1987: 41). Als Konsequenz aus diesem ‚linguistic turn‘ bleibt die wichtige Einsicht von im weitesten Sinne konstruktivistischen Ansätzen, dass es Wahrheit im Sinne einer genauen Korrespondenz zwischen unseren Beschreibungen und dem von uns Beschriebenen niemals geben kann. Ein derart korrespondenztheoretischer Wahrheitsbegriff würde letztlich voraussetzen, dass wir in einer gottgleichen Beobachterposition in der Lage wären, von außen den Grad der Übereinstimmung zwischen dem beschriebenen Sachverhalt und den auf ihn gemünzten Beschreibungen zweifelsfrei zu ermitteln. Der Traum einer so gestrickten objektiven Erkenntnis ist aber ausgeträumt, da „wir nie imstande sein werden, aus der Sprache herauszutreten, dass wir nie imstande sein werden, die Realität ohne Vermittlung durch eine sprachliche Beschreibung zu erfassen“ (Rorty 1994: 38). Jeder Beobachter, jede Beobachterin ist unweigerlich immer auch Teil dieser Welt, die er/sie beobachtet. Auch wenn das in der Konsequenz nicht bedeutet, dass wir keine sinnvollen Aussagen über Realität mehr machen könnten, wird gleichwohl das cartesische Wissenschaftsprogramm, „unerschütterliche und wahre Urteile“ (Descartes 1996a: 3; Regeln, Regel 1) zu produzieren, durch das weitaus weniger ambitioniert klingende Motto „Hoffnung statt Erkenntnis“ (Rorty 1994) ersetzt. In dem Versuch, neben der Charybdis einer radikal-realistischen Position, die jedweden sozialen Einfluss auf das Zustandekommen (natur)wissenschaftlicher Ergebnisse negiert, und einer vulgär-postmodernen Scylla eines ‚anything goes‘ eine dritte Alternative zu offerieren, die in gewisser Weise, wenn nicht ‚wahres‘, so doch ‚robustes‘ Wissen zu liefern vermag, haben in jüngster Zeit eine ganze Reihe von Autoren eine Neurezeption pragmatistischer Positionen vorgeschlagen (vgl. Passoth 2006, Rammert 1999, Sandbothe 2000a, Strübing 2005). Gemeinhin wird in der Literatur eine Unterscheidung gezogen zwischen den Vertretern des klassischen Pragmatismus, zu dem Autoren wie John Dewey, Charles S. Peirce oder William James, aber auch Herbert Mead gerechnet werden und den Neopragmatisten, unter denen sich Denker wie Hilary Putnam, Richard Rorty oder Donald Davidson31 befinden (vgl. Nagl 1998, Rorty 1994). Das für den vor31 Eingedenk der ausdrücklichen Weigerung Davidsons sich als Pragmatisten bezeichnen zu lassen, scheint hier ein wenig Vorsicht geboten zu sein. Vor allem Richard Rorty und seiner Interpretation der klassischen pragmatischen Positionen ist diese Zuordnung zu verdanken (vgl. Rorty 1990, Rorty 1994, zur Gegenposition vgl. Malpas 1992).
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liegenden Zusammenhang entscheidende Charakteristikum der pragmatischen Strömung ist meines Erachtens, dass bei allen Unterschieden in den einzelnen Positionen an die Stelle der realistischen Haltung eines ungebrochenen Repräsentationsmodells oder der konstruktivistischen Konzeption des Verhältnisses von Geist und Natur die praktische Involviertheit des tätigen Subjekts tritt. Damit wird ein Theorieprogramm verfolgt, dass sich gegen „eine Aufteilung zwischen materiellen Praktiken und immateriellen Ideen wendet“ (Bührmann 1999: 49). Dies scheint nicht nur geeignet, dem „Dematerialisierung-Mythos“ (Braun/ Joerges 1994: 37) entgegen zu wirken, sondern fügt sich zudem auch nahtlos in die praxistheoretischen Überlegungen, die im vorherigen Kapiteln zu Versorgung und Versorgungssystemen angestellt wurden. Damit knüpft die Arbeit an dieser Stelle, wie auch die Soziale Ökologie insgesamt, an neuere wissenschaftstheoretische Strömungen an, die sowohl den traditionellen, naiven erkenntnistheoretischen Realismus als auch den soziologischen Radikalkonstruktvismus mit ihren Einseitigkeiten ablehnen und durch die Figur einer „doppelseitigen Kritik“ (vgl. Becker/Jahn 2006: 23) zu überwinden suchen und sich unter dem Motto „Realism and Social Constructivism without Contradiction“ (Barad 1996) zusammenfassen lassen. Wie können nun aber sozial-ökologische Zusammenhänge als doppelte Konstituiertheit von Vorhandenem und Produziertem, die damit einhergehenden wechselseitigen Relationen zwischen materiell-stofflichen und kulturellsymbolischen Elementen sowie ihre Verknüpfung durch soziale Praktiken nicht nur erkenntnistheoretisch, sondern auch empirisch in Bezug auf die Nahrungsversorgung handhabbar gemacht werden? Die Antwort, die im Rahmen dieser Arbeit gegeben wird, ist: über die Analyse von Raumordnungen. Fasst man in Bezug auf die Theoretisierung des Verhältnisses von Natur und Gesellschaft die zahlreichen theorie- und philosophiegeschichtlichen Veröffentlichungen zusammen, lässt sich historisch betrachtet eine Pendelbewegung nachzeichnen (vgl. Cassirer 1994a u. b, Perler 1996, Gloy 1996a u. b, Gloy 2004, Günzel 2006, Janowicz 2007): Lange Zeit war die Auseinandersetzung mit Fragen der Natur und einer damit eng verbundenen Beschäftigung mit Raum der Philosophie und Theologie vorbehalten, bis dann spätestens zu Zeiten Kants und der voranschreitenden Etablierung und Ausdifferenzierung der Naturwissenschaften diese allein als würdig und kompetent für die Beantwortung dieser Themen erachtet wurde. Auf einer erkenntnistheoretischen Ebene war dieser Prozess, wenn auch nicht linear und bruchfrei, an eine Entwicklung gekoppelt, die von einem platonischen Idealismus über die Zunahme experimenteller Ordnungen in der frühen Neuzeit bis schließlich zum Wiener Kreis des logischen Positivismus (Otto Neurath, Rudolf Carnap u.a.) und dem Popperschen Falsifikationalismus hin zu einer zunehmenden Dominanz eines empiristisch geprägten Erkenntnisrealismus verlief. Diese Vormachtstellung wurde erst wieder durch die bahnbrechenden Arbeiten von Fleck, Quine, Kuhn und Feyerabend ins Wanken gebracht, die unter anderem hinsichtlich natur- und raumtheoretischer Fragen in die Einsicht mündeten,
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dass eine Betrachtung der Natur und des Raums allein aus einer positivistischnaturwissenschaftlichen Sicht auf Dauer nicht befriedigen können. Vor diesem Hintergrund eines wieder aufflammenden Interesses geisteswissenschaftlicher Strömungen an raumtheoretischen Fragestellungen kam es denn auch in den Sozialwissenschaften zur der viel zitierten „Wiederkehr des Raums“ (Osterhammel 1998). In der Entwicklung eines sozial-ökologischen Raumkonzepts und der damit verbundenen Aufgabe, Materielles und Soziales zusammen zu denken, soll ausgehend von einem pragmatischen Verständnis die Annahme leitend sein, dass man sich in der Behandlung von raumtheoretischen Überlegungen von den einander ausschließenden „philosophical undead“ (Rouse 2002) Realismus und Idealismus lösen muss. Das impliziert auf der einen Seite die Annahme eines im Rahmen von sozialen Prozessen konstituierten Raums: „… space is made. It is a creation. It is a material outcome. Like objects, places, or obligatory points of passage it is an effect. It does not exist outside ist performance.“ (Law 1999: 9) Auf der anderen Seite lässt sich aber die Materialität der Objekte niemals ganz ausklammern, denn sie fassen im vorliegenden Fall in Form von naturalen Tatbeständen Fuß in gesellschaftlichen Sphären, besitzen Widerständigkeiten, zwingen bisweilen so zu Anpassungen gesellschaftlicher Handlungen an veränderte naturale Bedingungen und werfen damit in neuer Weise Fragen nach der Adaptivität32 gesellschaftlicher Strukturen an naturale Zusammenhänge auf. In diesem Sinne sind auch sozial-ökologische Wechselwirkungen zu verstehen: Das, was wir unter Natur und Raum verstehen, und die anhaltende Integration natürlicher und räumlicher Elemente im Alltagshandeln gesellschaftlicher Akteure lässt beide nicht als vorgängige, sondern wesentlich als vergesellschaftete Entitäten erscheinen. Gleichzeitig beeinflussen ökologische und räumliche Elemente über die ihnen eigenen Widerständigkeiten auch soziale Prozesse, da sie qua Materialität soziale Prozesse in Gang zu setzen vermögen. Die Erarbeitung eines sozial-ökologischen Raumbegriffs ist also nicht auf der Ebene des ‚entweder-oder‘ anzusiedeln, sondern plädiert für ein entschiedenes ‚sowohl-als-auch‘33.
32 Zu dem Verständnis des Begriffes ‚Adaptivität‘ s. sowohl folgende Ausführungen als auch Schlusskapitel 33 Mit der proklamierten, empirische Krisenphänomene anleitenden paradoxen Logik des ‚sowohl-als-auch‘ befindet sich das Konzept der Theorie gesellschaftlicher Naturverhältnisse in einer deutlichen Nähe zu dem Beckschen Konzept einer reflexiven Moderne: „Während das 19. Jahrhundert vom entweder-oder regiert wurde, sollte das 20. Jahrhundert der Arbeit am und gelten. Dort: Trennung, Spezialisierung, das Bemühen um Eindeutigkeit, Berechenbarkeit der Welt – hier: Nebeneinander, Vielheit, Ungewissheit, die Frage nach dem Zusammenhang, Zusammenhalt, das Experiment des Austausches, des eingeschlossenen Dritten, Synthese, Ambivalenz.“ (Beck 1993: 9, Hervorh. i.O.) Im Gegensatz zur Theorie der Reflexiven Moderne hält jedoch die Soziale Ökologie aus analytischen Gründen an der prinzipiellen Differenz zwischen Natur und Gesellschaft fest.
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3.3.1 Denn an ihren Früchten sollst du sie erkennen: Pragmatische Philosophie und die Ontologie des situierten Realismus Vor dem Hintergrund der spezifischen Problematik dieser Arbeit, lautet die entscheidende Frage: „Lässt sich eine Konzeption des Wissens und Erkennens formulieren, derzufolge Erkenntnisprozesse einen Bezug zu realen Gegenständen herstellen können … ohne dabei in einen repräsentationalen Abbildrealismus zurückzufallen?“ (Wehling 2006: 227, Hervorh. i. O.) Und: wenn diese ‚Realität‘ nicht einfach jedem Erkenntnisakt a priori vorausgesetzt werden kann, wie lässt sich bei unterschiedlichen wissenschaftlichen Ergebnissen entscheiden, welche Erkenntnis ‚wahrer‘ beziehungsweise zutreffender ist? Pragmatischer Antidualismus Eine befriedigende Beantwortung dieser Fragen liegt meines Erachtens mit der philosophischen Strömung des Pragmatismus vor. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, ergibt sich aus der Kombination klassischer Elemente pragmatischer Strömungen und neuerer wissenschaftstheoretischer Ansätze, die gemeinhin unter dem Label „postconstructivist trends“ (Lynch 1993: 107) zusammengefasst werden, eine Position, die auf eine sozialtheoretisch überzeugende Weise die alte Debatte zwischen Konstruktivismus und Realismus, wenn nicht endgültig zu lösen, so doch ‚pragmatisch‘ zu handhaben weiß, indem Problemlagen verschoben werden. Auch wenn es angesichts der ökologischen Krise heutzutage nicht unbedingt populär ist, an Bacon anzuknüpfen, so könnte man in ihm doch in gewisser Hinsicht den Vorreiter einer solch pragmatischen Einstellung erkennen, denn wie kein anderer vor ihm hat er den engen Zusammenhang von wissenschaftlichem Wissen als Bedingung verändernden Handelns in den Vordergrund gerückt (vgl. in diesem Zusammenhang v.a. Schäfer 1993). Neuere wissenschaftssoziologische Untersuchungen knüpfen an diese praktischexperimentelle Dimension von Wissenschaft an und in einer Parole wie „Wissen ist machen“ (Zimmerli 1997: 23) ist die Nähe zu Bacon unübersehbar, auch wenn diese Verwandtschaft nicht immer explizit gemacht wird. Was damit zu überwinden versucht wird, ist die „Behälter-Metaphysik“ (Holzinger 2004: 87) als Erbe des Cartesianismus und der damit verbundenen Frage „Wie kommt das Bewusstsein aus sich heraus zu den Dingen“ (Luhmann 1992: 494). Denn in einer so verstandenen „Involviertheit des tätigen Subjekts in der Welt“ (Gimmler 2000: 276) sind die jeweiligen Akteure und Akteurinnen, wissenschaftliche und nicht-wissenschaftliche, immer schon in einen sozial-ökologischen Handlungszusammenhang eingebettet, in dem sowohl materiell-stoffliche als auch kulturellsymbolische Elemente eine wesentliche Rolle spielen. Kernüberlegungen einer solch „pragmatischen Wende“ (Rorty 1986: 168) ist die Forderung, „die Vorstellung fallen (zu) lassen, wonach die Erkenntnis darauf aus ist, die Realität zu repräsentieren. Satt dessen sollten wir die Forschung als eine Art Nutzbarmachung der Realität betrachten.“ (Rorty 1994: 24) Auch wenn
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innerhalb der klassischen und der neueren pragmatistischen Strömungen, wie in jedem anderen geisteswissenschaftlichen Paradigma auch, signifikante Unterschiede zwischen den einzelnen Positionen auszumachen sind, lässt sich eine übergreifende Gemeinsamkeit darin finden, dass sie alle erklärte „Antidualisten“ (ebd.: 37) sind und sich damit in einem besonderem Maße anschlussfähig an die sozial-ökologische Theoriebildung zeigen. Das Ziel der sozial-ökologischen Forschung ist nicht, unerschütterlich wahres Wissen zu produzieren, sondern Wissensinhalte in Bezug auf konkrete Problemlagen zu generieren, die es ermöglichen, praktisch verändernd in die Welt einzugreifen (vgl. Becker/Jahn 2006: 114). In der Konsequenz wird in der Sozialen Ökologie das cartesische Erbe eines ontologischen Dualismus durch eine analytische und methodische Unterscheidung34 zwischen Natur und Gesellschaft ersetzt, deren Kernidee die Figur einer ‚doppelseitigen Kritik‘ bildete (vgl. ausführlich I/1.2). Jedoch ist unübersehbar, dass sich auch in einer solchen Problemverschiebung ein gewichtiges Problem zunächst nicht aus der Welt schaffen lässt, wie Egon Becker und Thomas Jahn selbst konstatieren: „Der methodische Dualismus hat zwar ontologische Voraussetzungen, baut aber nicht mit Notwendigkeit auf einen ontologischen Dualismus auf. Trotzdem stellt er für das sozial-ökologische Denken die mächtigste Hürde … Diese Hürde zu umgehen, zu überwinden oder abzubauen ist für die Weiterentwicklung des theoretischen Programms von entscheidender Bedeutung.“ (Becker/Jahn 2006: 123) Damit ist auch der entscheidende Punkt erreicht, an dem eine pragmatische Position eine wichtige Weiterentwicklung bereithält. Zunächst einmal lässt sich das von Becker und Jahn angesprochene Problem sicherlich nicht dadurch umgehen, dass man auf ontologische Aussagen verzichtet; denn letztlich kann keine Theorie auf Aussagen über Seiendes verzichten, da jede Theorie mit Hintergrundannahmen oder Formationsprinzipien operiert, mit deren Hilfe Bezug auf bestimmte als relevant eingeschätzte Konstellationen, Entitäten, Dinge etc. genommen wird. Diese normieren, „was – im Rahmen einer Theorie – seiende Sachverhalte sind“ (Ritsert 1996: 160). Damit ist aber gleichzeitig nicht gemeint, dass notwendigerweise auf ahistorische Objektivität und Universalität pochende essentialistische Aussagen über einen Gegenstandsbereich getroffen werden müssen. Solange Wissenschaft bedeutet, durch Komplexitätsreduktion eine Form der Ordnungsstiftung im Chaos der Vielfalt vorzunehmen, ist es letztlich unumgänglich, Zusammenhangsvermutungen anzustellen, wenngleich diese Spekulationen niemals mit der 34 Dass man zwei Dinge trennt, beinhaltet zunächst die Annahme, dass man nach wie vor prinzipiell zwischen ‚Natur‘ und ‚Gesellschaft‘ analytisch zu unterscheiden vermag, in einem nächsten Schritt aber auch deren In-Verhältnissetzung denken kann. Einem ontologischen Dualismus muss diese Möglichkeit versperrt bleiben: „Das Etikett ‚Dualismus‘ impliziert mehr als nur, dass man zwei Dinge auseinanderhält. Das Etikett passt, wenn man zwei Dinge derart voneinander trennt, dass es so scheint, als gäbe es ein Problem damit, was sie in nachvollziehbarer Weise miteinander zu tun haben könnten.“ (McDowell/Lindgaard 2005: 795)
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‚Wirklichkeit‘ vollständig zur Deckung gebracht werden können (vgl. Klinger 1998). Aber mit Jutta Weber lässt sich die berechtigte Frage formulieren, ob mit dem Verlust universaler Seinsgewissheiten denn unweigerlich die Unmöglichkeit einhergeht, „über Verfasstheit von Welt oder Natur sinnvolle Aussagen“ (Weber 2003: 70) machen zu können. Wichtig ist es, ein aktives Offenlegen der eigenen theoretischen Hintergrundannahmen und Setzungen anzustreben, nicht zuletzt deshalb, weil jede Wissenschaft, die sich selber als kritisch versteht, verortbar sein muss. Verortbar wird sie zunächst durch die Zurechenbarkeit ihres theoretischen Zugangs und den damit verbundenen Formen der Wissensproduktion: Im Kontrast zu einem Objektivitätsverständnis des universalen, ahistorischen und damit ‚ortlosen‘ Wissens verweist die epistemologische Einsicht in die Unhintergehbarkeit der Situiertheit allen Wissens auf ein Verständnis von Objektivität, das auf der Einräumung einer zurechenbaren Position, von der aus Wissen produziert wird, basiert (vgl. Haraway 1995a). Jutta Weber fasst den Kern einer solchermaßen situierten Ontologie so zusammen: „Die differentia specifica von essentialistischen zu postessentialistischen Ansätzen liegt somit nicht darin, Seinsaussagen zu machen oder nicht, sondern offensiv mit den eigenen ontologischen Setzungen umzugehen, sie kritisch zu reflektieren und sich eines Präsentismus beziehungsweise naiven Realismus zu enthalten, der die eigenen Annahmen mit der Welt verwechselt.“ (Weber 2003: 282) Diese wichtigen Perspektiven einer sozial-ökologischen Zugangsweise implizieren damit eine wichtige Annahme zu ihrem Welt- und Realitätsbezug: zwar gibt es kein Wissen von ‚unabhängig gegebenen‘ Objekten, denn dieses ist immer beobachterabhängig, wie auch keine beobachterunabhängige „AlphaWirklichkeit“ (Welsch 2000: 179) existiert; das heißt aber nicht, dass keine wissensunabhängigen realen Phänomene existieren (vgl. Wehling 2006: 244)! Eine solche Zugangsweise implementiert damit ein Gegenprogramm zur Melancholie der Moderne, die laut ‚der‘ Postmoderne an der Unmöglichkeit der Präsenz leidet und die Lyotard einmal folgendermaßen formuliert hat: „Mit der Moderne geht ... eine Erschütterung des Glaubens und, gleichsam als Folge der Erfindung anderer Wirklichkeiten, die Entdeckung einher, wie wenig wirklich die Wirklichkeit ist.“ (Lyotard 1987: 22) Durch den konsequenten Bezug der Forschung auf problematische Sachverhalte (Problemorientierung) einerseits, im vorliegenden Fall zunächst einmal die sozial-ökologischen Dynamiken, die einer städtischen Nahrungsversorgung aus rasanten Urbanisierungsprozessen erwachsen können, und auf gesellschaftliche Lösungsmöglichkeiten (Gestaltungsorientierung) andererseits, müssen sich theoretische Annahmen und Modelle auch in der ‚Wirklichkeit‘ bewähren (vgl. Hummel/Kluge 2006: 249). Genau dieses ‚experimentelle‘ Erproben von Begrifflichkeiten und Modellen ist gemeint, wenn Charles Sanders Peirce mit Verweis auf das Bibelwort „Denn an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“ (Matthäus 7: 16) die Bewährbarkeit als Überprüfungskriteriums ihres realen Bedeutungsgehalts vorschlägt. Auf einer erkenntnistheoretischen Ebene wird damit gewonnen,
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dass der Schwerpunkt von epistemologischen Auseinandersetzungen nun nicht mehr um die schwierige Frage der Möglichkeitsbedingungen der Wirklichkeitserkenntnis kreist, sondern das Hauptaugenmerk vielmehr auf die Möglichkeiten und pragmatischen Weisen menschlicher Wirklichkeitsveränderungen gelegt wird. Wahrheitsbegriff des Pragmatismus Hinter einer solchen Sichtweise verbirgt sich der spezifische Wahrheitsbegriff des Pragmatismus, der immer wieder scharf angegriffen und kritisiert wurde35, der sich aber im Zuge der Revitalisierung pragmatischer Positionen und ihrer Anschlussfähigkeit an postkonstruktivistische Strömungen immer größerer Beliebtheit erfreut36. Zunächst wendet sich die pragmatische Wahrheitsbestimmung gegen die rationalistische Auffassung, dass „Wahrheit im Wesentlichen eine unbewegliche, statische Relation bezeichnet. Sobald man eine wahre Vorstellung von irgendetwas erlangt hat, ist die Sache erledigt. Man hat sie in Besitz; man weiß; man hat seine Bestimmung im Denken erfüllt.“ (James 2001: 132, Hervorh.i.O.) James bringt dagegen einen wesentlich prozessual verfassten Wahrheitsbegriff in Anschlag, der darauf beharrt, dass Wahrheit keinen den Dingen irgendwie inhärente Eigenschaft sei, sondern „gemacht“ wird: „Wahrheit ist tatsächlich ein Ereignis, ein Prozess: ein Prozess, in dem sie sich selbst wahr macht, ihre Veri-fikation.“ (ebd.: 133, Hervorh.i.O.) ‚Wahrheit‘ wird im Vollzug unserer Erfahrungen hergestellt, und nachdem diese Erfahrungen für den Pragmatismus wesentlich an Praktiken gekoppelt sind, ist Wahrheit ein temporäres Ergebnis aus diesen Praktiken und den Dingen und kann damit auch nicht als über die Zeit hinweg stabile Eigenschaft des Dings an sich konzeptualisiert werden. Die Kopplung des Wahrheitsbegriffs an alltägliche Handlungskontexte spiegelt sich auch in der Überzeugung, dass „der Besitz der Wahrheit kein Selbstzweck ist, sondern zuallererst ein Hilfsmittel zur Befriedigung … vitaler Bedürfnisse“ (James 2001: 134, Hervorh. CJ). Die durchgehaltene Orientierung an den praktischen Konsequenzen37 einer Handlung als Wahrheitskriterium bringt den 35 Vgl. als Überblick zur von Missverständnissen geprägten Rezeptionsgeschichte in Deutschland Joas 1992b. 36 Und damit scheint sich auch eine Einschätzung James‘ zu bewahrheiten: „Ich gehe davon aus, dass die pragmatische Sicht der Wahrheit alle Phasen der klassischen Karriere von Theorien durchlaufen wird. Zuerst wird eine neue Theorie als absurd angegriffen; dann wird zugegeben, dass sie richtig ist, aber eben auch trivial und belanglos; schließlich wird sie als so wichtig angesehen, dass ihre Gegner beanspruchen, sie selbst entdeckt zu haben.“ (James 2001:131) 37 Das Bewertungskriterium der praktischen Konsequenzen bezieht sich aber nicht ausschließlich auf bereits stattgefundene Ereignisse, sondern schließt die geistige Vorwegnahme möglicher Konsequenzen durchaus mit ein. So schreibt Peirce: „Überlege, welche Wirkungen, die denkbarerweise praktische Relevanz haben könnten, wir dem Gegenstand unseres Begriffs in unserer Vorstellung zuschreiben. Dann ist unser Begriff dieser Wirkungen das ganze unseres Begriffs des Gegenstandes.“ (Peirce 1991: 194) Diese hier angesprochene Möglichkeit der Erkenntnis-
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bereits herausgehobenen dynamischen Charakter von Wahrheit ebenso zum Ausdruck wie dessen Kontextsensitivität, denn er impliziert ein „Wissen-WeltVerhältnis, das selber erst hergestellt werden muss und nicht als Eigenschaft einer Aussage bereits … unabhängig … von einer Praxis besteht.“ (DiazBone/Schubert 1998: 86) Die Entwicklung dieser Denklinie mündet letztendlich in jene umstrittene Bestimmung von Wahrheit, deren Kritik nicht selten in der Aussage gipfelte, dass „der Pragmatismus behaupte, wahr sei nur, was als wahr anzusehen nützlich sei“ (Diaz-Bone/Schubert 1998: 81, Hervorh.i.O.): „Von einer solchen Wahrheit kann man entweder sagen, dass sie nützlich ist, weil sie wahr, oder auch, dass sie wahr ist, weil sie nützlich ist“ (James 2001: 134). Bei genauerem Hinsehen handelt es sich ebenso wenig um eine utilitaristische, wie eine empiristische oder relativistische Position. Im Pragmatismus wird keine subjektfreie und objektive Beziehung zu den Dingen propagiert, im Rahmen derer nun doch wieder die Natur aus den Experimenten als vermittlungslos Gegebenes zu sprechen beginnt. Das wird deutlich, wenn man den vor allem bei James Dewey zentralen Begriff der ‚Erfahrung‘ in seiner Erkenntnisfunktion genauer betrachtet. Dewey gewinnt seinen Erfahrungsbegriff dezidiert aus einer Auseinandersetzung sowohl mit der Tradition der Antike38 als auch mit der cartesischen Dualität von Leib und Seele (vgl. Dewey 1989: 123ff; Dewey 1995). Die platonische und aristotelische Natur- und Raumtheorie durchzieht auf einer theoretischen Ebene, bei allen unbestreitbaren Unterschieden zwischen den beiden, ein tiefer Graben zwischen der sinnlichen Erfahrung der Dinge und ihrem wahren Sein. Daher galten „Erfahrung und Denken als antithetische Termini“ (Suhr 1993: 61). Descartes wiederum wird von pragmatischer Seite kritisiert, da er in gewinnung in Form von Denkexperimenten ist letztlich nicht anderes als die in der Nachhaltigkeitsforschung eingesetzte Methode der Szenarientwicklung, in der ausgehend „von plausiblen und konsistenten Bildern alternativer Zukünfte“ (Kluge/Liehr/Lux 2006: 358) versucht wird, vorhandenes Wissen zu strukturieren und die Folgen eines zur Anwendung gebrachten Wissens in der Projektion von Entwicklungskorridoren abzuschätzen. 38 Den wesentlichen Unterschied zwischen dem antiken und dem pragmatischen Denken illustriert Dewey an einer Stelle durch eine plastische Analogie: „Ein Besucher findet in einem Land bestimmte Dinge, die für bestimmte Zwecke gebraucht werden … Vielleicht fühlt er sich von der Schönheit, Eleganz und Ordnung ihrer Machart angerührt und schließt, indem er ihnen eine rein ästhetische Haltung einnimmt, dass sie nur nebenbei einem bestimmten Zweck dienen. Vielleicht vermutet er sogar, dass ihre Verwendung … einer Herabwürdigung ihrer inhärenten Natur bedeutet … und dass es ein ursprüngliches und transzendentales Muster gegeben habe, dem man sich allmählich empirisch angenähert habe, einen Archetyp, der im Himmel aufbewahrt wird … Ein ‚grobschlächtiger‘ Beobachter mag dagegen überzeugt sein, dass sie einen praktischen Nutzen haben und zu diesem Zweck konstruiert worden sind. Er würde bemerken, dass es Rohmaterial gegeben haben muss, das inhärent für die Verwendung zu solchen Anwendungen geeignet war. Er würde aber deshalb nicht glauben, dass diese Dinge ursprünglich und nicht gemacht sind; noch weniger würde er sie für die ursprünglichen ‚Realitäten‘ halten, die das rohe … Material nur nachahmt“ (Dewey 1998: 149).
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seinem Gedankengebäude die unüberwindbare Trennung zwischen dem erkennenden Ich und den Gegenständen, zwischen Leib und Seele, zwischen Natur und Kultur schuf. Wie auch Peirce setzt Dewey diesen Denktraditionen die Auffassung einer prozessual verstanden Kontinuität der beiden sich scheinbar ausschließenden Pole entgegen, indem er von „Vernunft in der Erfahrung“ (Dewey 1989: 129; Hervorh.i.O.) spricht. Dabei sollte der Deweysche Begriff der Erfahrung nicht als rein ‚subjektives Erlebnis‘ aufgefasst werden. Vielmehr hält sein Begriff der Erfahrung die objektive und die subjektive Seite zusammen, ist, wie er unter Rückgriff auf William James schreibt, als ein ‚doppelläufiges‘ Wort zu verstehen: „Erfahrung bezeichnet das gepflanzte Feld, die gesäten Saaten, die eingebrachte Ernte, den Wechsel von Tag und Nacht, Frühling und Herbst, feucht und trocken, Hitze und Kälte, die beobachtet, gefürchtet, ersehnt werden; Erfahrung bezeichnet auch den, der pflanzt und erntet, der arbeitet und genießt, hofft, fürchtet, plant, Magier oder Chemie zur Hilfe nimmt.“ (Dewey 1995: 25) Der Sinn der angesprochenen ‚Doppelläufigkeit‘ besteht also in ihrer antidualistischen Stoßrichtung und richtet sich gegen die Trennung von Subjekt und Objekt, von Handlung und Material, an deren Stelle eine relationierende Sichtweise tritt. Erfahrung wird eben nicht als passive, sensualistische Operation, sondern im Rahmen einer wechselseitigen Interaktivität zwischen Mensch und Umwelt als aktive Konstituierung von Wirklichkeit konzipiert (vgl. Rammert 1999: 285), man könnte auch sagen: im Rahmen gesellschaftlicher Naturverhältnisse. Erfahrung ist eben nicht nur Erfahrung von der Natur, sondern immer auch Erfahrung in der Natur, da sie immer auch die Reaktionen eines menschlichen Organismus auf die ihn umgebende Umwelt im Kontext gesellschaftlicher, kultureller und sozialer Bedingungen darstellt (vgl. Suhr 1993: 115). Pragmatismus, Soziale Ökologie und situierter Realismus Pragmatistische Positionen erfahren Natur also nicht als Substanz, sondern als „Set von Ereignissen“ (Rammert 1999: 285). Diese lassen sich dadurch charakterisieren, dass sie einer historischen Wandelbarkeit unterworfen sind, da sie je nach Kontext auch unterschiedlich ‚erfahren‘ werden und dennoch nicht relativistisch zu interpretieren sind: „Auch wenn es kein eigentliches Sosein der Welt und auch wenn es nichts von der Art eines ‚inneren Wesens der Realität‘ gibt, dann gibt es dennoch kausale Zwänge. Diese Zwänge werden zwar zu verschiedenen Zeiten und zu verschiedenen Zwecken unterschiedlich beschrieben, doch das ändert nichts daran, dass es Zwänge sind.“ (Rorty 1994: 23) Gleichzeitig sind diese Wahrnehmungen und die damit verbundenen Erfahrungen aber auch das wichtigste Erkenntnisinstrument, welches dem Mensch zur Verfügung steht. Sowohl der Aspekt der Zwänge als ‚Widerstandsfähigkeit‘ von Natur als auch der der Erfahrung als Erkenntnisinstrument sind wichtig und werden bei der weiteren Präzisierung eines sozial-ökologischen Raumkonzepts noch eine tragende Rolle spielen. Hier bleibt zunächst festzuhalten, dass der erwähnte Vorwurf der Opferung der Wahrheit zugunsten eines utilitaristisch-beliebigen Nützlichkeitsdenken
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mit der Ausrichtung einer an der Überwindung von Widerständen orientierten wissenschaftlichen Praxis, die uns an der Befriedigung vitaler Bedürfnisse hindern, nicht vereinbar ist, denn „daraus wird … ersichtlich, dass es beim pragmatischen Wahrheitsbegriff … nicht um eine Gleichsetzung mit dem NützlichFinden einer Aussage gehen kann, wir also darin nicht grenzenlos wahlfrei sind, sondern die Möglichkeit von Wahrheitsaussagen ihre Grenzen in der Widerständigkeit der von uns handelnd erfahrenen Welt findet.“ (Strübing 2005: 50, Hervorh.i.O.) Die ‚Objekte‘, von denen hier die Rede ist, sind auch nicht zu verwechseln mit den Objekten einer modernistischen Wissenschaftsauffassung: während letzteren ihre Funktion als epistemische Objekte aus einer konsequent betriebenen Dekontextualisierung erwächst, erfüllen erstere diese Funktion als Objekte des situierten Alltagshandelns39. Ein von menschlicher Praxis abgekoppeltes Nachdenken und Philosophieren stieß sowohl bei Peirce, als auch bei Dewey und James auf breite Anlehnung, weil sie stets von der Überzeugung ausgingen, „dass Menschen nur das denken können, was auch mit den Gegenständen ihres Handelns und Wahrnehmens in irgendeiner Form zu tun hat“ (Hampe 2006: 14). Die Annahme eines Wirkungszusammenhangs zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Elementen kommt weiterhin in dem der Sozialen Ökologie sehr vertrauten Begriff der ‚Wechselwirkung‘ zum Tragen. Wie James geht auch Dewey von einem engen Verhältnis von biologischer Konstitution, menschlichem Handeln und Umwelt aus. Erfahrung ist damit auch nicht nur schlicht und einfach ein Erfahren von Natur, sondern als unaufhebbarer Teil der Natur beinhaltet die menschliche Erfahrung auch ein Reagieren des Organismus auf seine Umwelt: „Die Feststellung, dass Menschsein immer In-der-Welt-sein bedeutet, heißt,
39 In der Berücksichtigung der Alltagsdimension findet sich auch eine erweiterte Perspektive im Vergleich zur Actor-Network-Theory (ANT). Die ANT, wie sie vor allem von Bruno Latour und Michel Callon entwickelt wurde, weist zunächst in ihrer ebenfalls strikt antidualistischen Stoßrichtung eine deutliche Nähe zu pragmatischen Positionen auf. In ihrem konsequenten Einbezug des Alltagshandelns liegt aber in meinen Augen ein wesentlicher Vorteil pragmatistischer Positionen, da bei der ANT der Schwerpunkt der Produktion von Naturen in und durch wissenschaftliche Praxis gesehen wird (vgl. Wieser 2006: 99). Dabei handelt es sich sicherlich um einen der zentralen Orte von Unterscheidungspraktiken zwischen Natur und Gesellschaft. Nahezu ebenso wichtig sind aber die Unterscheidungspraktiken, die in alltäglichen Handlungsbezügen vollzogen werden (vgl. Stieß/Hayn 2006). Trotz dieses Unterschieds lässt sich eine deutliche Nähe pragmatischer Positionen zu denen der ANT beobachten, so wenn Latour beispielsweise von einem „robusten Relativismus“ (Latour 2000:11) spricht; im Gegensatz zu den ANT-VertreterInnen kommen die PragmatistInnen ohne die sperrige Übertragung des Handlungskonzepts auf nicht-menschliche Aktanten aus, die nicht zuletzt in einer ‚Parlamentarisierung‘ der Dinge (Latour 1995:189f.) deutliche Tendenzen einer Kulturalisierung von Natur nicht verbergen kann, die sie zu unterminieren eigentlich angetreten war (ein treffender Einwand, den ich einem gemeinsamen Gespräch mit Thomas Jahn verdanke).
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dass der Mensch in einer Reihe von Situation lebt. Und wenn wir feststellen, dass der Mensch ‚in‘ diesen Situationen lebt, dann ist hier die Bedeutung des Wortes ‚in‘ verschieden von seiner Bedeutung etwa in der Aussage, dass Pfennige ‚in‘ einer Tasche sind oder Farbe ‚in‘ einer Dose sind. Es bedeutet, dass eine Wechselwirkung zwischen einem Individuum und seiner Umgebung stattfindet … Die Umwelt ist, mit anderen Worten, das Insgesamt der Bedingungen, die mit persönlichen Bedürfnissen, Wünschen, Zwecken und Fähigkeiten in Wechselwirkung stehen, um die jeweilige Erfahrung entstehen zu lassen.“ (Dewey 1974: 265) Die in diesem Zusammenhang von Dewey verwendete Rede von der ‚Anpassung‘ eines Organismus darf aber nicht im Sinne einer deterministischen Wirkungskette missgedeutet werden, wie Ludwig Nagl explizit hervorhebt: „Dewey liest den Prozess der ‚Anpassung‘ … vielmehr pragmatisch-operational, als einen komplexen Funktionskreis…, in dem die Reaktion auf den ‚stimulus‘ nicht als das passiv induzierte Produkt des (schon fix vorliegenden) Auslöserreizes gesehen wird, sondern ein Geschehen, das selbst, aktiv, auf den Reiz zurück … wirkt.“ (Nagl 1998: 118, Hervorh.i.O.). Auch Joas verweist in seiner Interpretation pragmatischer Positionen darauf, dass es sich bei dieser Anpassung stets um eine kreative Anpassungsleistung von Akteuren handelt; entgegen einer deterministischen Interpretation, die in der pragmatischen Praxisphilosophie lediglich eine Philosophie der Anpassung sehen will, ist die Lösung potentiell problematischer oder schwieriger Situationen nicht eindeutig und objektiv durch das Problem vorgegeben (vgl. Joas 1992a: 10ff; auch Joas 1996). Insofern schreibt Dewey auch: „Praktische Tätigkeit hat es mit individuellen und einzigartigen Situationen zu tun, die niemals exakt wiederholbar sind und hinsichtlich deren dementsprechend keine vollständige Sicherheit möglich ist.“ (Dewey 1998: 10) Damit wendet er sich explizit, wie auch die Soziale Ökologie, gegen die Annahme einer linear-kausalistischen Verkürzung des Verhältnisses von natürlichen und gesellschaftlichen Elementen40 und denkt diese im Rahmen seines Funktionskreises ganz ähnlich wie die Soziale Ökologie in Rückkopplungen. In einer Verknüpfung des bisher Gesagten möchte ich die Ontologie (im oben definierten Sinne) gesellschaftlicher Naturverhältnisse damit als die eines ‚situierten Realismus‘ bezeichnen. ‚Situiert‘, weil die historische Eigensinnigkeit und die lokale Einbettung von Wissen anerkannt wird. Dabei werden zwar die Beweglichkeit und die Veränderbarkeit von Bedeutungen herausgehoben, ohne dabei aber auf die „durchsetzbare, zuverlässige Darstellungen von Dingen“ (Haraway 1995a: 79) zu verzichten41. Denn dieses Wissen ist bis zu einem gewissen 40 In einer solchen Einschätzung werden auch die Fundamente für eine Handlungstheorie des Symbolischen Interaktionismus gelegt, wie sie später in enger Bezugnahme auf Dewey vor allem von George Herbert Mead vorgelegt wird und die sich dezidiert gegen das passive Reiz-Reaktions-Schema des sich etablierenden Behaviourismus wendet (vgl. Joas 1988b). 41 Oder wie Michael Hampe es ausdrückt: „Setzt man voraus, dass keine natürliche, keine soziale und kulturelle Struktur andauern kann, ohne sich zu verändern, so gibt
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Grade ‚robust‘ gegenüber unterschiedlichen Kontexten, insofern es kontext- und kulturübergreifend gleichförmig ablaufende Naturprozesse zu beobachten gibt – ein Stein wird immer und überall zum Boden des Sees hinabsinken. In diesem Sinne ist sie auch ‚realistisch‘, weil in der Theorie gesellschaftlicher Naturverhältnisse gleichermaßen Kritik an der Einseitigkeit naturalistischer Standpunkte mit ihren positivistischen Tendenzen als auch an kulturalistischen Konzepten mit ihren entmaterialisierenden Tendenzen geübt wird. Eine so verstandene Soziale Ökologie stützt sich auf einen konkreten Umweltbezug, das heißt sie rekurriert auf die materiellen Vorgänge in der Natur, nimmt diese wahr und ernst, ohne aber die prinzipiell kontingenten kulturellen Kontexte und die damit verbundenen situativen Strategien, mit denen auf diese Veränderungen reagiert wird, zu negieren. Sie stellt den ambitionierten Versuch dar, sich von den klassischen disziplinären Fragestellungen zu lösen, dabei das Verhältnis von Natur und Gesellschaft im Kontext von Erkenntniskritik, Gesellschaftsanalyse und kritischer Wissenschaftsforschung neu zu verstehen und im Rahmen dieses Ansatzes neue Begrifflichkeiten und Konzeptionen zu erarbeiten: „That is, each local truth is partial and flawed; no a priori specification can encompass any global truth, but when scientists and other actors join local truth they create a robust emergent order.“ (Star 1996; zit.n. Strübing 2005: 28) Vom situierten Realismus zum praktisch-reflexiven Forschungsprozess Die pragmatistische Sichtweise harmoniert somit zu mehreren Seiten mit dem bisher entfalteten theoretischen Zugriff: Mit der Behauptung „dass die Praxis und das Praktische so aufgefasst werden können, dass ihnen im Hinblick auf eine Erklärung der Vorrang gebührt“ (Brandom 2000: 31), wird eine pragmatische Position höchst anschlussfähig an die Überlegungen zu einer historisch situieren Versorgungspraxis (vgl. II/2). Auch die Zentralstellung vitaler Bedürfnisse, die in einem antidualistischen und antireduktionistischen Sinn ausbuchstabiert werden, fügen sich sowohl in die anthropologischen Überlegungen als auch in das Modell eines sozial-ökologischen Versorgungssystems, das seinen Ausgang in den basalen gesellschaftlichen Naturverhältnissen hatte. Ebenso wie die Annahme, dass Versorgungssysteme und die darin stattfindende Verkopplung von Natur und Gesellschaft ihren Ursprung in der biologischen Konstituiertheit des Menschen haben, mithin also eine Kontinuität zwischen anthropologischen Konstanten und gesellschaftlichen Kontexten begründen, ohne im Sinne eines biologischen Reduktionismus darin aufzugehen, spiegelt auch der Deweysche Begriff der ‚Anpassung‘ die Bemühungen „Kontinuität differenzhaltig zu bestimmen“ (Nagl 1998: 117, Hervorh.i.O.). Und ganz ähnlich wie in dem Modell des Versorgungssystems geht es in dieser Annahme einer wesentlich prozesshaft bestimmten Kontinuität um die Überwindung der unfruchtbaren Natures auf die Drift dieser Strukturen zwei Perspektiven: eine distanzierte Außenperspektive und eine beteiligte Innenperspektive“ (Hampe 2006: 25).
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Gesellschafts-Dichotomie42. „Experimentelle Interaktivität“ (Rammert) schließlich als Form der Organisation des Forschungsprozesses deckt sich mit der Vorstellung einer Regulationskontrolle durch das Erfassen von Rückkopplungen. Auch die normative Ausrichtung des Pragmatismus schließt an die Orientierung der Sozialen Ökologie am Leitbild der Nachhaltigkeit an, denn das Spezifische am Pragmatismus ist nicht zuletzt, „dass er die Begriffe der Realität, der Vernunft und des Wesens durch den Begriff der besseren menschlichen Zukunft ersetzt“ (Rorty 1994: 16). Auch für die Soziale Ökologie ist die Orientierung an einer ‚besseren Zukunft‘ mittels wissenschaftlicher Forschung leitende Maxime: Die Soziale Ökologie als Teil einer größeren Forschungsbewegung lehnt, obwohl sie in vielen Punkten dezidiert an die Tradition der Kritischen Theorie anknüpft, die Verwechslung der ökologischen Folgen der technischen Naturbeherrschung mit dem Projekt der Aufklärung selbst, wie es beispielsweise in der „Dialektik der Aufklärung“ (Horkheimer/Adorno 1988) vorgenommen wurde, ab und knüpft dagegen an die Einsicht an, dass das Aufklärungsprojekt erst die Räume öffnete, die alternative Wissenschaftsprojekte erst ermöglichten (vgl. Schnädelbach 2004: 53). Die Bestimmung dessen, was denn eine solch ‚bessere Zukunft‘ sein könnte, kann letzten Endes aber nur in Form einer normativen Entscheidung gegeben werden, und bei der Sozialen Ökologie ist eine solche bessere Zukunft eine nachhaltigere. Auch die strikte Problemorientierung weist eine geistige Nähe zum sozialökologischen Zugang auf. Der alles bestimmende Impuls bei Dewey, dem er in verschiedenen Anläufen immer wieder aus neuen Perspektiven nachgeht, ist die Beseitigung der „seit den Griechen in der Philosophie herrschende Vorstellung, die Erkenntnis habe die Aufgabe, das seit eh und je Reale aufzudecken“(Dewey 1989: 16). Das wissenschaftliche Programm, das er einer solchen Sicht entgegensetzt, hat das Ziel „diejenige Art von Verständnis zu erlangen, die nötig ist, um mit den Problemen fertig zu werden, sobald sie auftauchen“ (ebd.). Vor allem der klassische Pragmatismus verfolgte nicht nur das Ziel, pragmatische Überlegungen zu einem akademischen Projekt von Bedeutung zu entwickeln, sondern war stets der Überzeugung, dass Philosophie einen Unterschied für das reale Leben mit all seinen Problemen machen müsse (vgl. Hampe 2006: 15). Das deckt sich zunächst ziemlich weitgehend mit dem sozial-ökologischen Verständnis einer problemorientierten Forschung und dem damit verbundenen Modell transdisziplinärer Wissenserzeugung, wie es ausführlicher in I/1.2 eingeführt wurde. Dort wurde nachgezeichnet, dass die in der sozial-ökologischen Forschung bearbeiteten Themenstellungen ihren Ursprung in der gesellschaftlichen Praxis ‚objektiv‘ vorgefundener Probleme haben. ‚Objektiv‘ meint im Sinne der entfalteten 42 „Der Dualismus von Geist und Materie liefert den gegenwärtig herrschenden philosophischen Problemen vielleicht nicht mehr offen ihre raison d’ être. Die Annahmen, die der kosmischen Dichotomie zugrunde liegen, sind freilich nicht eliminiert worden; ganz im Gegenteil, sie sind die bleibende Quelle von Problemen.“ (Dewey 1995: 435, Hervorh.i.O.)
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Perspektive des situierten Realismus, dass diese Konstellationen immer auch Elemente enthalten, deren Dynamik sich aus unterschiedlichen Gründen weitgehend unabhängig von den Intentionen und Einflussnahmen gesellschaftlicher Akteure vollzieht. Spezifisch sozial-ökologische Problemlagen treten dann auf, „wenn gesellschaftliches Handeln und ökologische Effekte ineinander greifen und nicht mehr getrennt beschrieben werden können“ (Jahn/Keil 2006: 310). Eine der zentralen Aufgaben einer sich pragmatisch verstehenden Wissenschaft besteht nun darin, gesellschaftlich-diskursive Problembeschreibungen durch eine Theoretisierung und Situierung in ein wissenschaftlich bearbeitbares Problem zu transformieren, bearbeitbar zu machen und schließlich in Form eines veränderten Handlungsvermögens wieder in die ‚Gesellschaft‘ einzuspeisen. Das Ganze lässt sich folgendermaßen veranschaulichen: Abbildung 3: Transdisziplinärer Forschungsprozess
(Quelle: Jahn/Keil 2006: 329) Der wissenschaftliche Forschungsprozess der rechten Seite kann mit Bezug auf Deweys „Suche nach Gewissheit“ (1998), vor allem aber mit seiner „Theory of Inquiry“ (vgl. zu folgendem Dewey 1986: 105ff.) expliziter gemacht werden, wenngleich diese Trennung nur als eine analytische zu begreifen ist: sowohl der praktische Beitrag zu einer als in der gesellschaftlichen Wahrnehmung als problematisch eingestuften Sachlage als auch ein daraus resultierender Beitrag zum wissenschaftlichen Fortschritt werden als Teil einer Forschungsdynamik angesehen (vgl. Jahn/Keil 2006: 321). Grundsätzlich unterscheidet Dewey fünf verschiedene Stadien des Forschungsprozesses. Ausgangspunkt bildet zunächst eine
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unbestimmte, diffuse Ausgangslage, die gewohnte Handlungsroutinen unterbricht oder zumindest nachhaltig behindert und daher als eine „problematic situation“ (Dewey 1986: 111) charakterisiert werden kann. Allerdings betont Dewey immer wieder, dass das Auftreten von Problemen immer auch erst die Chance auf wissenschaftlichen Fortschritt eröffnet, denn „without a problem, there is blind groping in the dark“ (ebd.: 112). Dieses erste Stadium wird in dem Moment verlassen, wenn grundsätzlich anerkannt wird, dass in Bezug auf das Problem Handlungs- und Forschungsbedarf besteht: „To see that a situation requires inquiry is the initial step in inquiry.“ (ebd.) Wie in dem oben abgebildeten praktisch-reflexiven Forschungsprozess sozial-ökologischer Forschung auch, besteht in diesem zweiten Schritt die Hauptaufgabe darin, gesellschaftliche Problembeschreibungen in eine innerwissenschaftlich bearbeitbare Form zu überführen. Bereits in dieser Phase wird die erkenntnislogische Akzentverschiebung des Pragmatismus deutlich, denn auch wenn das auftretende Problem ‚objektiv‘ im obigen Sinne vorhanden ist, so wird doch in Abkehr von einer ontischen Bestimmung des Problems eine strikt relationale Spezifizierung vorgenommen, als dass von Dewey klar erkannt wird, dass in einer solchen Präzisierung des problematischen Sachverhalts bereits Entscheidungen und Qualifikation einfließen, die unhintergehbar methoden- und theorieabhängig sind: „The way in which the problem is conceived decides what specific suggestions are entertained and which are dismissed; what data are selected and which rejected; it is the criterion for relevancy and irrelevancy of hypothesis and conceptual structures.“ (ebd. 112) Eine derart theorieabhängige Weichenstellung findet sich vor allem in dem Diktum „that relations become the objects of inquiry and qualities“ (ebd.: 119, Hervorh.i.O.). Kennzeichnend für die dritte Stufe ist schließlich ein Begriff, der sich durch die ganze abendländische Philosophiegeschichte zieht, nämlich der der ‚Idee‘, wobei das bei Dewey nahezu nichts mehr mit den platonischen oder mit den cartesischen Ideen gemein hat, wenngleich er durchaus bewusst in einer ‚ideologischen Entkleidung‘ daran anknüpft: „Nach beiden Systemen der Philosophie43 ist reflexives Denken … nicht schöpferisch. Sein Prüfstein ist die vorgängige Realität, wie sie sich in einer nicht-reflexiven, unmittelbaren Erkenntnis enthüllt … Das Ziel des menschlichen Denkens ist die Annäherung an die Realität, die schon vor der absoluten Welt eingerichtet worden ist.“ (Dewey 1998: 112) Gegenüber einem solchen Verständnis positioniert Dewey seinen Ideenbegriff als kreativen Schöpfungsprozess von möglichen Problemlösungen, als „Spiel der Ideen“ (Dewey 1998: 111), im Rahmen dessen in einem ersten Schritt ad-hoc Hypothesen formuliert werden, die in ihrem Kern eben nicht auf empirische Fakten, sondern auf Vorstellungen (ideas) rekurrieren. Die Hauptaufgabe dieser schöpferischen Lösungsvorschläge liegt in der gedanklichen Antizipation möglicher Konsequen43 Dewey bezieht sich an dieser Stelle nicht auf Platon und Descartes, sondern auf die beiden großen Strömungen Empirismus und des Rationalismus.
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zen: „Ideas are anticipated consequences (forecasts) of what will happen when certain operations are executed under and with respect to observed conditions.“ (Dewey 1986: 113) Obwohl die in der zweiten Stufe zur besseren Eingrenzung des Problems gesammelten und zusammengetragenen Fakten den kreativschöpferischen Prozess der Ideenbildung erst initiieren, sind es vor allem die Ideen, die die Daten wirklich zum Sprechen bringen, und so lassen Aussagen wie „facts apart from ideas a trivial“ (ebd.: 114) die Position Deweys in deutliche Nähe zu konstruktivistischen Ansätzen rücken, zudem er in Anschluss an die Semiotik von Peirce auf den stets symbolischen Charakter von Ideen hinweist: „Because … ideas are of that which is not present in given existence, the meanings which they involve must be embodied in some symbol. Without … symbol no idea.“ (ebd.) In deutlicher Distanz zu Peirce beharrt er aber darauf, dass man nicht den Fehler begehen darf, Ideen „as equivalent to the ultimate structure of ‚Reality‘“ (ebd.) zu behandeln. Ideen können nicht im Gegensatz zu den bis zu einem gewissen Grad die ‚objektive‘ Seite darstellenden Fakten stehen: „There are ... facts which, while they are not as temporally and spatially fixed, are yet observable constituents. All of these obeserved conditions taken together constitute ‚the facts of the case‘. They constitute the terms of the problem, because they are conditions that must be reckon with or taken into account in any relevant solution that is proposed.“ (ebd.: 112ff) Dewey geht in dieser Phase somit von einem iterativen Stabilisierungsprozess zwischen den gesammelten Fakten und der Entwicklung von Lösungsvorschlägen in Form von Ideen aus (vgl. Strübing 2005: 55). In der vierten Phase stellt sich den ForscherInnen die wichtige Aufgabe, die Ideen zu spezifizieren, indem sie „verträglich gemacht werden mit allen anderen argumentativen Ansprüchen, die innerhalb des angezielten Interpretationsraums bereits plausiblermaßen erhoben worden sind“ (Nagl 1998: 120), ein Vorgang, den Dewey als „reasoning“44 (Dewey 1986: 115) bezeichnet. Ein solches Vorgehen impliziert sowohl die nachvollziehbare Herstellung von theoretischen Anschlüssen an bestehende Diskurse als auch die In-Beziehung Setzung der unterschiedlichen Ideen und Vorstellungen mit den bekannten Fakten. An diesem Punkt muss auch der Grundstein für den im nächsten Schritt praktisch eingreifenden Problemlösungsansatz in Form des Experiments gelegt werden, dessen Form und Ansatzpunkt aus dem reasoning zu folgen hat. Das fünfte und letzte Stadium beinhaltet das Experiment, in dem es um die Bewährung des bisher Entwickelten in seiner praktischen Umsetzung geht. Die Bedeutung des Experiments ist offensichtlich, „weil hier und nur hier die problemspezifische Wahrnehmung der Fakten des Problems mit den dabei entwickelten Problemlösungsideen zusammenkommen können“ (Strübing 2005: 57). In dieser Phase schließt sich der iterative Bewährungskreis von Beobachtung, Ideen 44 „Reasoning: The necessity of developing the meaning-contents of ideas in their relations to one another.“ (Dewey 1986: 115)
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als reflexivem Beitrag zur Problemlösung und ihrer Erprobung in praktischen Handlungskontexten. In einer Zusammenschau der Phasen vier und fünf tritt der antidualistische Impuls des pragmatischen Denkens nochmals deutlich zu Tage, da die Untrennbarkeit von Reflexionsprozess und praktischem Handeln vertreten wird (vgl. Strübing 2005: 56). Der Begriff der ‚Experiments‘ selbst bleibt im Rahmen des pragmatischen Denkens Deweys nicht auf die praktische Umgestaltung der Realität beschränkt, sondern umfasst auch das reflexive Denken als eine Art des Experiments: Erkennen ist Handeln und reflexives Denken in einem (vgl. Suhr 1993: 111). Gegen eine Lesart des pragmatischen Empirismus als szientistische Verkürzung von sensualistischen Daten als ‚zeichennakt‘ spricht auch, dass in diesem Forschungsprozess das intellektuelle Zentrum des Experiments nicht in den Daten selbst, sondern in den ‚Ideen‘ und den damit verbundenen hypothetischen Entwürfen liegt (vgl. Nagl 1998: 26). Experiment und sozial-ökologische Regulation Abschließend bleibt noch auf den Begriff des ‚Experiments‘ näher einzugehen. Peirce hatte sich dem Begriff des Experiments im Rahmen seines ‚doubtbelief-doubt‘ Schemas genähert (vgl. Strübing 2005: 52). Der in dem unten stehenden Schaubild 4 als ‚problematic situation‘ bezeichnete Einstieg in den Forschungsprozess ist bei Peirce wesentlich durch einen Zweifel gekennzeichnet, der allerdings in einem scharfen Gegensatz zu dem radikalen cartesischen Zweifel45 ausbuchstabiert wird. Peirce beharrt darauf, dass es sich bei einem solchen Zweifel stets um eine „lebendige“ (Nagl 1998: 33) Verunsicherung zu handeln hat, die sich nicht auf abstrakte metaphysische Fragestellungen, sondern auf konkrete, im alltäglichen Lebensvollzug als unangenehm empfundene Störungen von Handlungsroutinen beziehen muss. Eine solche Unterbrechung alltäglicher (und/oder wissenschaftlicher) ‚beliefs‘ wird dann im Rahmen des Forschungsprozesses und der experimentellen Erprobung verschiedener Lösungsansätze zunächst wieder restabilisiert, bis sie möglicherweise erneut in Zweifel gezogen werden und den Ablauf von neuem initiieren. Im Rahmen seiner ‚inquiry‘ ersetzt Dewey dieses doubt-belief-doubt Schema, indem er den aus seiner Sicht proble45 Um dieses Ziel zu erreichen, setzt er wie kein anderer vor ihm den methodischen Zweifel an den Anfang seiner Epistemologie. So schreibt er weiter in dem „Discours“: „Da ich mich ... aber auf die Suche nach der Wahrheit begeben wollte, glaubte ich, ich müsse ganz das Gegenteil tun und all das als völlig falsch verwerfen, wofür ich mir nur den geringsten Zweifel ausdenken könnte, um zu sehen, ob danach nicht irgendeine Überzeugung zurückbliebe, die gänzlich unbezweifelbar wäre.“ (Descartes 1996b: 53, Discours, 4. Teil, 1) Diese Strategie der führt dann schließlich zu einem der bekanntesten Sätze der Philosophie: „Alsbald aber fiel mir auf, dass, während ich auf diese Weise zu denken versuchte, alles sei falsch, doch notwendig ich, der es dachte, etwas sei. Und indem ich erkannte, dass diese Wahrheit: ‚ich denke, also bin ich‘ so fest und sicher ist ... dass ich sie ohne Bedenken als ersten Grundsatz der Philosophie, die ich suche, ansetzen könne.“ (Descartes 1996b: 53, Discours, 4. Teil, 1)
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matischen Begriff des ‚believing‘ durch den der „warranted assertion“ (Dewey 1986: 16) ersetzt, den Nagl mit „wohlbestätigter Behauptung“ (Nagl 1998: 121) übersetzt. Aus der Sicht Deweys bringt er die im pragmatischen Wahrheitsbegriff angelegte Spannung zwischen Objektivität und Kontextabhängigkeit besser zum Ausdruck als der zu Missverständnissen einladende Begriff des ‚Glaubens‘. Das Experiment selber ist nun aber keineswegs vergleichbar mit seiner ursprünglichen Form zu Zeiten der aufkommenden „experimentellen Philosophie“ (Böhme/Daele/Krohn 1977) durch Bacon, Galilei und Newton, deren Experimentierprozesse in der modernen Wissenschaft letztlich in die „Sonderwelt der wissenschaftlichen Laboratorien“ (Groß/Hoffmann-Riem/Krohn 2005: 11) führte. Charakteristisches Merkmal eines so verstandenen Experiments war und ist eine planvoll herbei geführte Form des Erkenntnisgewinns, deren konstitutives Merkmal in der Abschottung der Laborsituation von ‚störenden‘ und unkontrollierbaren Außeneinflüssen ist. Angesichts der bisherigen Argumentation ist es offensichtlich, dass ein solches Verständnis nicht dem pragmatischen entspricht; vielmehr zeichnet sich die pragmatische Auffassung durch eine Nähe zu dem aus, was heute im Rahmen des ökologischen Diskurses mitunter als „Realexperimente“ (Groß/Hoffmann-Riem/Krohn 2005) bezeichnet wird. Die Etikettierung als ‚real‘ verweist dabei auf die Tatsache, dass vor allem in der Bearbeitung ökologischer Krisenerscheinungen Experimente die Sonderwelt des Labors verlassen haben und nun direkt durch eine eingreifende Implementierung neuer Lösungsansätze in der Gesellschaft stattfinden, mithin also die gesamte Gesellschaft zum Labor wird (vgl. Krohn/Weyer 1989). Damit befindet sich das Konzept des Realexperiments in deutlicher Nähe zum Begriff der sozial-ökologischen Regulation, der bereits in I/1.2 eingeführt wurde und der sich nun weiter präzisieren lässt. Zunächst knüpft er weniger an die technischen und steuerungsoptimistischen Traditionslinien des Regulationsbegriffs an, als vielmehr an seine Verwendung in der klassischen Kybernetik. Die dem Pragmatismus nahe stehende Orientierung der Sozialen Ökologie an gesellschaftlichen Problemlagen in Form ökologischer Krisenphänomene deutet diese als Ergebnis einer misslungenen Regulation gesellschaftlicher Naturverhältnisse. Solche Regulationen sind keine willentlich herbeigeführten Eingriffe eines einzelnen Akteurs, sondern oftmals die nicht-intendierte Folge eines komplexen Zusammenspiels gesellschaftlicher und natürlicher Prozesse. Ein sozialökologisches Verständnis von Regulation lässt sich vor diesem Hintergrund gewissermaßen als Regulation zweiter Ordnung, also als Regulation von Regulationen verstehen. Das impliziert zunächst zweierlei: Zum einen werden damit gesellschaftliche Naturverhältnisse und damit verbundene ökologische Probleme prinzipiell als gestaltbar angesehen Zum anderen finden angesichts der ausführlich beschriebenen epistemologischen Schwierigkeiten, die sich bei dem Versuch, ‚Gesellschaftliches‘ und ‚Natürliches‘ in ihrer Verschränkung zu denken, ergeben, solche Regulationen prinzipiell unter der Voraussetzung der Unsicherheit statt. Der bereits skizzierte Verlauf der wissenschaftstheoretischen Debatten
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hat deutlich werden lassen, dass es sich bei dieser Unsicherheit nicht einfach um ein bloßes Noch-Nicht-Wissen oder, um einen weiteren Begriff zu erwähnen, der die Debatte lange bestimmte, um ein lediglich erhöhtes Risiko der Entscheidung geht. Bereits Anfang der 1980er Jahre haben Mary Douglas und Aaron Wildavsky in ihrem Buch „Risk and Culture“ (1982) herausgearbeitet, dass NichtWissen nicht einfach als abnehmende Residualkategorie eines voranschreitenden Akkumulationsprozesses gesicherten Wissens, sondern vielmehr als strukturelles Ergebnis von mehr Forschung und Wissen anzusehen sei und es sich insofern um ein prinzipielles Nicht-Wissen-Können handle. Daher trägt auch der Begriff des Risikos nicht, denn er suggeriert mit seiner Konnotation der Berechenbarkeit von Situationen deren prinzipielle Beherrschbarkeit und verfehlt damit den eigentlichen Kern der Problematik (Grundmann 1999, Wehling 2006: 83ff.). Somit reicht die Verunsicherung viel tiefer, angesichts derer auf den vorherigen Seiten eine pragmatische Lösung des Dilemmas vorgeschlagen wurde. Vor diesem Hintergrund versteht sich auch das Konzept der sozial-ökologischen Regulation als die Wiederherstellung beziehungsweise Erhaltung gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit. Zentrales Kennzeichen sozialökologischer Regulationen ist die Annahme zirkulärer Kausalitäten, wie sie exemplarisch im Begriff der Wechselwirkungen zum Ausdruck kommen. Entgegen einem linearen Ursache-Wirkungs-Modell wird angenommen, dass sich sozialökologische Problemlagen angemessener in einem zirkulären Denkmodell beschreiben lassen, in dessen Verlauf, ausgelöst durch Rückkopplungsschleifen, Ursache und Wirkung immer wieder ihren Platz tauschen (vgl. Hummel/Kluge 2006: 253). Vor diesem Hintergrund wird im dritten Teil dieser Arbeit der kritische Zustand der Nahrungsversorgung der Stadt Accra als Folge einer im Rahmen des Versorgungssystems misslingenden Regulation gedeutet, bei der sich soziale und ökologische Prozesse wechselseitig verstärken und zu einer Versorgungskrise ‚hochschaukeln‘ (vgl. IV). Prinzipiell lassen sich zwei Arten von Rückkopplungen unterscheiden: eine selbstausgleichende, negative Rückkopplung, die die Begrenzung destruktiver Wachstumsdynamiken und die Stabilisierung von (neuen) Ordnungsmustern bewirkt, und eine selbstverstärkende positive Rückkopplung, die eine anfänglich nur kleine Störung beständig verstärkt und im Extremfall in einen immer dynamischer werdenden ‚Teufelskreis‘ münden kann. In vielschichtigen Systemen interagieren diese beiden gleichermaßen wichtigen Formen der Rückkopplungen auf komplexe Weise miteinander. So muss betont werden, dass es nicht darum gehen kann, positive Rückkopplungen gänzlich zu vermeiden, da nur Systeme mit positiver Rückkopplung lern- und entwicklungsfähig sind und es erst durch sie zu Strukturbrüchen kommen kann, aus denen emergente Ordnungsmuster entstehen können (vgl. Hummel/Kluge 2006). Zentrales Ziel sozial-ökologischer Regulationen ist somit die nachhaltige Gestaltung von Entwicklungsprozessen, indem für diese bewusst versucht wird, Ermöglichungskontexte herzustellen. Dabei müssen sowohl positive als auch negative Rückkopplungen im Zusammenhang mit spezifischen Problemlagen er-
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fasst werden, so dass „Gestaltungs- und Regulationsvorgänge … vor dem Hintergrund eines sozial-ökologischen Nachhaltigkeitsverständnisses zu adaptiviterativen Prozessen und damit zu gesamtgesellschaftlichen Lernprozessen“ (Keil/Hummel 2006: 247) werden. In Anlehnung an den von Dewey entwickelten Forschungsprozess lässt sich der gesamte Vorgang zusammenfassend folgendermaßen visualisieren: Abbildung 4: Sozial-ökologischer Forschungs- und Problemlösungszyklus
(Quelle: Kluge/Libbe 2006: 35; eigene Bearbeitung) Zwischenstand Der eben vorgestellte Forschungszyklus kann nun zum Anlass genommen werden, die zentralen Fragestellungen dieser Arbeit in Erinnerung zu rufen: Ausgangspunkt der Überlegungen war das ‚diffuse‘ Problem des Zusammenhangs zwischen demografischen Entwicklungen und der Nahrungsversorgung. Angesichts neuerer Zahlen ist es offensichtlich, dass die Verteilung der Nahrungsmittel nicht den Bedarfslagen entspricht, so dass weltweit fast ein Drittel der Weltbevölkerung Hunger leidet (vgl. Worldwatch Institute 2006). Die common-senseInterpretation diese Problemzusammenhangs folgt in der Regel einer linearkausalistischen Logik: So erscheint es pauschal betrachtet zunächst recht eingängig, dass mehr oder weniger Menschen eben auch mehr oder weniger Nahrungsmittel benötigen und somit Hungerkrisen mit Bezug auf eine angesichts der ‚Be-
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völkerungsexplosion‘ erreichten ‚Tragfähigkeitsgrenze‘ plausibel gemacht werden können. Diese gesellschaftliche Wahrnehmung wurde im vorliegenden Fall im Rahmen der Theorie der gesellschaftlichen Naturverhältnisse und des damit im Zusammenhang stehenden Modells der Versorgungssysteme in ein wissenschaftlich bearbeitbares Problem transformiert, indem eine erste zentrale Idee entwickelt wurde: Eine lineare Sichtweise wird vor einem solchen Hintergrund den komplexen Wechselwirkungen zwischen demografischen Entwicklungen und Formen der Ressourcennutzung nicht gerecht. Die entscheidende Umakzentuierung besteht aus einer interdisziplinären Sicht darin, derartige krisenhafte und problematische Situationen als sozial-ökologische Krisen zu reformulieren. Aus der Perspektive der Versorgungssysteme werden demnach Versorgungskrisen nicht als Folge eines ‚Bevölkerungsproblems‘ gesehen und damit schlicht naturalisiert, indem sie „demografisiert“ (Hummel/Janowicz 2006) werden, sondern als krisenhaft verlaufende Regulation gesellschaftlicher Naturverhältnisse interpretiert. Aus disziplinärer soziologischer Sicht geraten bei einer solchen Problemreformulierung all jene Konzeptionen einer immateriellen Sozialität unter Druck, die weiter soziologische Gesellschaftstheorie in Absehung von naturalen und dinglichen Momenten betreiben wollen. Die zentrale Herausforderung für eine soziologische Theoriebildung stellt sich an dieser Stelle in der doppelten Aufgabe, sowohl eine adäquate Thematisierung materieller Welten vorzunehmen als auch ihre unhintergehbare kulturelle Brechung in einer Erweiterung ihres traditionellen Gegenstandbereichs zu integrieren. Die zentrale disziplinäre ‚Idee‘ ist daher, dass über die Kategorie des ‚Raums‘ eine sowohl ontologische als auch epistemologisch und sozialtheoretische annehmbare Form gefunden werden kann, den Modus der Relationen zwischen materiell-naturalen und kulturellsymbolischen Elementen zu denken. Diese Idee von Raum als Schnittstelle zwischen Natur und Gesellschaft und der damit verbundenen Möglichkeit, Krisen der Nahrungsversorgung als sozial-ökologische Problemdynamiken auf fruchtbarere Weise zu analysieren, soll schließlich als ‚Experiment‘ im Rahmen der Fallstudie zur Nahrungsversorgung der Hauptstadt Ghanas (Accra) auf ihrer Plausibilität hin überprüft werden. Die theoretischen Anschlüsse wurden zum Teil schon hergestellt. So wurden in den ersten beiden Theoriekapiteln sowohl die soziologischen als auch die anthropologischen Bezüge des Konzepts der gesellschaftlichen Naturverhältnisse und des daraus hervorgegangenen Modells der Versorgungssysteme offen gelegt. In diesem dritten Abschnitt geht es nun um die Annahme, dass eine historisch situierte Versorgungspraxis und eine damit verbundene Aneignung naturaler Ressourcen (vgl. II/2) auch spezifische Versorgungsräume konstitutiert. Im ersten Teil dieses dritten Abschnitts ging es in erster Linie um die erkenntnistheoretischen Verwicklungen, die sich ergeben, wenn man Natur, Raum und Materialität zusammen denken und einer möglichen Auflösung zutragen will. Der in der bisherigen Auseinandersetzung feststellbare philosophische ‚Überhang‘ ist der Annahme geschuldet, dass auch aus soziologischer Perspektive eine Auseinander-
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setzung mit diesen Positionen sinnvoll ist, handelt es sich doch bei der Philosophie um die „Analyse, vielleicht sogar … Fundierung der Begriffe, Grundannahmen und Methoden, die den einzelnen Wissenschaften, manchmal ohne eigene Reflexion, zugrunde liegen“ (Hösle 2005: 140). Die Entwicklung eines soziologischen Raumbegriffs muss somit, ganz im Sinne des pragmatischen Forschungszyklus und eines interdisziplinären Forschungsverständnisses, an den ‚state of the art‘ beteiligter Disziplinen anschlussfähig sein. Und dennoch ist ein soziologisch erweiterter Raumbegriff vonnöten, denn Raum soll ja als Schnittstelle von Natur und Gesellschaft gedacht werden. Für die meisten der Raumkonzepte spielen aber gesellschaftliche Dynamiken im Grunde genommen keine Rolle. Raum existiert unabhängig von Handlungen und gesellschaftlichen Aktivitäten und wird letztlich als unbewegter und vorgängiger Rahmen, innerhalb dessen sich soziale Bewegungen ereignen, gedacht. Im nächsten Schritt soll daher im engen Anschluss an die raumsoziologischen Arbeiten von Martina Löw ein Raumbegriff erarbeitet werden, der Versorgungsräume wesentlich über Versorgungspraxis konstituiert begreift, indem die Frage nach dem Wie der Entstehung von Räumen aus einer handlungstheoretischen Perspektive angegangen wird. Ausgehend von der Giddensschen Dualität von Handlung und Struktur, wie sie bereits für die praxistheoretische Entfaltung des Versorgungssystemsmodell entscheidend war, werden auch Raum(an)ordnungen als dynamisches Wechselspiel von Handlungen ermöglichenden und Handlungen einschränkenden Elementen verstanden. Schließlich soll plausibilisiert werden, wie ein so verstandener Raum die wechselseitige Verschränkung von Gesellschaft und Natur analytisch in den Blick bekommt, indem vor allem in Anknüpfung an den pragmatischen Begriff der ‚Erfahrung‘ Natur im Rahmen von Raum(an)ordnungen als ‚erfahrene Widerständigkeit‘ gedeutet wird.
3.3.2 Die Gesellschaftlichkeit des Raums Es lässt sich bis in die Antike eine Denktradition nachzeichnen, die die raumtheoretischen Überlegungen in naturphilosophische Reflexionen mit einbezog, ohne erstere dabei einfach auf erd-räumliche und/oder physisch-materielle Aspekte zu reduzieren – das Nachdenken über den Raum war somit immer schon in größere Zusammenhänge eingebettet. Was allerdings lange Zeit im Vordergrund der Aufmerksamkeit stand, waren die Auswirkungen des Raums auf seine Umgebung. So beschreibt Einstein in einem Vorwort diese Vorstellung dahingehend, dass der Raum „zwar auf alle körperlichen Objekte wirkt, ohne dass diese auf ihn eine Rückwirkung ausüben“ (Einstein 1960: XIV). In einem solchen ContainerModell klingt damit letztlich ein Raumdeterminismus an, der den gesellschaftlichen Anteil und damit verbundene Akteure komplett unberücksichtigt lässt. Nun ist es offensichtlich, dass vor dem Hintergrund eines solchen Raumverständnisses dieser auch nicht als Schnittstelle zwischen Natur und Gesellschaft gedacht werden kann.
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Mit Blick auf die traditionelle Soziologie lässt sich in Bezug auf den Raum ähnliches wie für die Natur konstatieren, nämlich dass er lange Zeit keine Rolle spielte. Während der Raum in den philosophischen Debatten seit jeher eine zentrale Rolle spielte, schien sich auch in Bezug auf den Raum lange Zeit die umfassende „Sachabstinenz unserer Soziologie“ (Linde 1972: 12) zu bestätigen. Mittlerweile hat die Auseinandersetzung um den Raum allerdings eine durchaus bewegte Geschichte vorzuweisen: Die ursprüngliche „Raumvergessenheit“ (Schroer 2006: 17) soziologischer Theoriebildung46 wurde zwischenzeitlich behoben, indem beispielsweise Michel Foucault konstatierte, dass die drängenden Fragestellungen nun nicht mehr die Zeit, sondern „die heutige Unruhe grundlegend den Raum“ (Foucault 1990b: 37) beträfen; in der Utopie einer „atopischen Gesellschaft“ (Wilke 2001), drohten Ort und Raum zwischenzeitlich wieder zu vernachlässigbaren Größen degradiert zu werden (ebd.: 13), um schließlich zu guter Letzt doch wieder eine „höchst unerwartete, ja erschreckende Renaissance“ (Maresch/Werber 2002: 7) zu erfahren. Dass der Raum in der deutschsprachigen Theorielandschaft „wieder da ist“ (ebd.), davon legt eine Fülle neuerer Veröffentlichungen beredtes Zeugnis ab (vgl. Rheinberger/Hagner/Wahrig-Schmidt 1997; Löw 2001, Sturm 2000; Dünne/Günzel 2006; Schroer 2006; Löw/Steets/Stoetzer 2007). Die Gründe, die für die ursprüngliche Verdrängung des Raumthemas in der Soziologie angeführt werden können, sind vielfältiger Art. Die nahezu durchgängig negativen Konnotationen von Materialität und Raum über die Geistesgeschichte hinweg sind sicherlich eine der Ursachen. Eng damit verbunden ist die tiefe Verwurzelung soziologischer ‚Gründerväter‘ in der philosophischen Tradition des Idealismus (vgl. Korte 1993), der seit jeher der Zeit größere Bedeutung zukommen ließ als dem Raum. Die Ausblendung der Sozialität von Raum hängt zweifellos weiterhin damit zusammen, dass das „Problem des Raumes“ (Jammer 1960) mit der einsetzenden Neuzeit immer stärker in den Kompetenzbereich der entstehenden Naturwissenschaften gezogen wurde, die bestrebt waren, soziale Einflüsse als Quelle von ‚Verzerrungen‘ möglichst auszuschalten. Nationalstaatliches Containerdenken, die Belastung des Raumbegriffs durch die Nationalsozialisten und die Wahrnehmung des Raums als schlicht Gegebenes sind weitere, plausible Gründe (vgl. ausführlicher Schroer 2006: 19ff) für die Tatsache, dass der Raum im Hinblick auf seine theoretische Thematisierung lange Zeit „nur herumlungert“ (Massey 1993: 118). Die Wiederentdeckung des Raums in den theoretischen Bemühungen der Soziologie scheint sich zunächst paradoxer Weise in dem Moment zu ereignen, in dem in benachbarten Disziplinen die zentrale Stellung des Raums durchlässiger 46 Das gilt zunächst für breite Teile der sich entwickelnden Soziologie. Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel und um eine solche Ausnahme handelt es sich bei den ‚raumtheoretischen‘ Arbeiten von Georg Simmel (1992, 1995a u. b), der sich der Bedeutung des Raums für die soziologische Theoriebildung früh bewusst war, wenngleich er Raum zunächst noch ausschließlich als „Behälter für gesellschaftliche und ‚seelische‘ Inhalte“ (Läpple 1991: 166) dachte.
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wird. So versuchten seit Mitte der 1980er Jahre als „Raum-Exorzisten“ (Weichart 1998: 75) bezeichnete Autoren wie Gerhard Hard (1990, 2002) und Benno Werlen (1997, 1992) eine Fülle von Argumenten vorzubringen, die der MainstreamGeografie den ‚Raum‘ gerade austreiben sollte. Bei näherer Betrachtung ist es aber genau diese scheinbar gegenläufige Theorieentwicklung zwischen Sozialgeografie und Soziologie, die an bestimmten Punkten eine Annäherung dieser beiden Fachdisziplinen in Gang gesetzt hat (vgl. als Überblick Heinritz/ Helbrecht 1998). In dem Maße wie die Soziologie entdeckt, dass Gesellschaften in (natur)räumliche Kontexte eingebunden sind, von denen eine Gesellschaftstheorie nicht abstrahieren kann und die Geografie ‚Raum‘ nicht mehr als eigenständige ontologische Struktur, sondern die Konstruktion von Raum in Handlungssituationen verortet, entstehen Anknüpfungspunkte soziologischer an sozialgeografischer Theoriebildung. Diese Konvergenzbewegung verleitete Giddens dazu, seine „Konstitution der Gesellschaft“ mit dem Aufsehen erregenden Satz „Es gibt keine logischen und methodologischen Differenzen zwischen der Humangeografie und der Soziologie“ (Giddens 1988: 427) enden zu lassen. So hat Helmuth Berking einen weiteren ‚turn‘ ausgemacht: Nach dem ‚linguistic‘ und dem ‚cultural-turn‘ hat nun auch die „geografische Wende“ (Berking 1998: 382) in den Sozialwissenschaften Einzug gehalten. Zweifelsohne lassen sich intensive Anstrengungen um den Begriff des Raums in beiden Disziplinen wahrnehmen. Gleichzeitig sind aber auch die unterschiedlichen Stoßrichtungen des Aufeinanderzubewegens unübersehbar: Während es einer Soziologie des Raums (in Teilen), wie in dieser Arbeit auch, um die theoretische Einholung der Erkenntnis geht, „that the social isn’t purely social“ (Law/Mol 1995: 276), dass also räumlich-materielle Strukturen nicht nur in sozialen Prozessen konstituiert werden, sondern materielle Arrangements ihrerseits soziale Zusammenhänge sowohl stabilisieren als auch transformieren können, wird in der Sozialgeografie der physisch-materielle Aspekt räumlicher Arrangements nahezu „gänzlich ausgemerzt“ (Hard 2002b: 256). So schreibt Gerhard Hard mit Bezug auf den ‚Raumexorzismus‘ der Geografie: „‚Raumexorzisten‘ werden deshalb heute nicht diejenigen Geographen geschimpft, die den ‚Raum‘ beziehungsweise sämtliche Konzepte des Raums aus der Geografie verdrängen wollen – das will, soweit ich sehe, niemand … Was die rabiatesten unter den ‚Raumexorzisten‘ äußerstenfalls wollen, bezieht sich ausschließlich auf Konzepte des physisch-materiellen Raums.“ (ebd.: 268) Allerdings wird hier meines Erachtens der Begriff der Materialität im Rahmen einer ontologisch vorgängigen Substanz gedacht. Wie im nächsten Abschnitt noch zu zeigen sein wird, besteht der ‚Clou‘ der neueren Wissenschaftsund Technikforschung gerade darin, Materialität im Sinne einer ‚wirklicheren Wirklichkeit‘ zu deontologisieren, ohne die Einsicht in ihre Nicht-Identität mit sozialen Prozessen einer relativistischen Position zu opfern. Nachdem die Soziologie den Raum für sich entdeckt hatte, verwundert es kaum, dass die soziologischen Debatten zunächst durch die in den Naturwissenschaften und Philosophie geführten Kontroversen vorgezeichnet waren. So wie-
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derholte sich auch in der Soziologie die Auseinandersetzung zwischen einem substanziell gedachten Container-Raum auf der einen Seite und einem relativistisch-relationalen Raumbegriff auf der anderen Seite, wobei sich auch in der Soziologie eine zunehmende Abkehr von einem substantialistisch verfassten Begriff hin zu einem relationalen Begriffsverständnis erkennen lässt. Die Aufarbeitung der unterschiedlichen Raumkonzepte in der Soziologie wurde in jüngster Zeit in einigen Arbeiten ausführlich nachgezeichnet, auf die bereits zu Beginn dieses Abschnitts verwiesen wurde und braucht somit an dieser Stelle nicht nochmals aufgefächert zu werden. Vordringliche Aufgabe an dieser Stelle ist es vielmehr, einen Raumbegriff zu formulieren, der die zentrale Idee, Raum als vermittelnde Instanz zwischen natürlichen und gesellschaftlichen Prozessen zu konzipieren zu plausibilisieren versteht. Aus sozialwissenschaftlicher Sicht stellt sich bei einem derartigen sozial-ökologischen Verständnis einer wechselseitigen Verschränkung symbolischer und materieller Elemente die schwierige Frage, wie mit der physisch-materiellen Ebene in theoretischer Hinsicht innovativ umzugehen ist. Die gegenseitige Verwiesenheit nicht einfach auf symbolisch vermittelte Repräsentationen zu reduzieren, sondern in ihrer ‚realen‘ stofflichen und energetischen Struktur darzustellen, benennt hierbei die zentrale Herausforderung einer angemessenen Theoriebildung. Vor diesem Hintergrund ist die Hypothese, dass über das Wie der Entstehung und der Nutzung von Räumen aus soziologischer Sicht sozial-ökologische Zusammenhänge adäquat thematisiert werden könne. Durch die Analyse von Räumen erhält man also, so die zentrale theoretische Annahme, Aufschlüsse über die Art und Weise der Regulierung des Versorgungssystems der Nahrung in Wechselwirkung zu Urbanisierungsprozessen. Damit gerät auch stärker in den Blick, dass die Nahrungsmittelversorgung nicht nur ökonomisch, politisch und sozial reguliert wird, sondern immer auch räumlich organisiert ist. Raum als Raum(an)ordnung: ein relationales Raumkonzept Von einer Sozialität des Raums zu sprechen, macht vor dem Hintergrund einer absolutistischen Raumkonzeption keinen Sinn: Raum tritt hier nur als Behälter in Erscheinung, innerhalb dessen soziale Prozesse ablaufen, bleibt jedoch von diesen in seiner ‚Substanz‘ unbetroffen. Wichtigste Voraussetzung für eine ernsthafte Diskussion der gesellschaftlichen Konstruktion von Raum ist daher die Verabschiedung der Annahme, dass Raum und Handeln zwei voneinander losgelöste Phänomene darstellen. Zunächst kann vor allem an der Idee der relationalen Verfasstheit des Raums angeknüpft werden – Raum wird hier als „Ensemble von Relationen“ (Foucault 1990b: 34) konzeptualisiert. Für Foucault ist es diese Relationalität, die „die … aktuelle Epoche des Raums“ (ebd.) eingeleitet hat und die sich ganz grundlegend von früheren Raumkonzepten unterscheidet: Die Raumvorstellung des Mittelalters war geprägt von einem hierarchischen Ensemble von Orten, heilige versus profane, geschützte versus offene Orte etc., so dass er den mittelalterlichen Raum als „Ortungsraum“ (ebd.: 36) charakterisiert; dieser wurde durch die Arbeiten von Descartes und Galilei nach und nach durch die Vor-
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stellung der Ausdehnung von Raum ersetzt, die heute wiederum durch die Vorstellung der Lagerung verdrängt wird: „Wir sind in einer Epoche, in der sich uns der Raum in der Form von Lagerungsbeziehungen darbietet.“ (ebd.: 37) Aber ganz ähnlich wie bei anderen AutorInnen auch führt diese einseitige Fokussierung Foucaults auf Lagerungsrelationen nicht so sehr zum Prozess der Anordnung selbst, denn er versteht „das Gemengelage von Beziehungen, die Platzierungen definieren“ (Foucault 1990b: 38), in erster Linie als materialisiertes Ergebnis einer durchgesetzten Machtordnung. Paradigmatische, materialisierte Gestalt gewinnt eine solche Disziplinierung des Raums in dem Benthamschen Panopticon: „Dieser geschlossene, parzellierte, lückenlos überwachte Raum, innerhalb dessen die Individuen in feste Plätze eingespannt sind, die geringsten Bewegungen kontrolliert werden … – dies ist das kompakte Modell einer Disziplinierungsanlage.“ (Foucault 1994b: 253) Damit ist auch klar die Aufgabe benannt, die in den Fokus der theoretischen Aufmerksamkeit gerückt werden muss: „Die Aufgabe … ist daher, den Prozess der Konstitution in den Mittelpunkt zu heben. Es geht nicht mehr darum, Raum als relationale Anordnung nur über das Lagerverhältnis zu bestimmen. Im Mittelpunkt … steht, was angeordnet wird (Dinge, Ereignisse etc?), wer anordnet (mit welchem Recht, mit welcher Macht?) und wie Räume entstehen, sich verflüchtigen, materialisieren oder verändern und somit Gesellschaft strukturieren.“ (Löw 2001: 151) Eine solch prozessuale Sicht auf den Raum fordert sowohl zur Kontexterkennung auf, verweist aber auch zugleich auf die Anerkennung des Transformationscharakters von ursprünglich als ‚unveränderbar‘ eingestuften Kategorien und verabschiedet damit zugleich die lange Zeit in der Raumdebatte dominierende Vorstellung eines homogenen und unteilbaren Raums. Die Verschiebung der Fragestellung, die damit einhergeht, ist die von einem Was zu einem Wie: Es wird nicht mehr gefragt, was Räume sind, sondern wie sie zu Räumen gemacht werden. Das ist für die sozial-ökologische Forschung deshalb von immanenter Bedeutung, als sie sich prinzipiell problematischen, in der Regel krisenhaften Entwicklungen zuwendet. Krisenhafte Beziehungen zwischen Natur und Gesellschaft liegen dann vor, wenn eine nachhaltige Entwicklung von Gesellschaften an bestimmten Punkten ernsthaft gefährdet ist. Will man solchen krisenhaften Entwicklungen in der Gegenwart und Zukunft durch Gestaltung entgegenwirken, wird es wesentlich darauf ankommen, kritische Verzweigungspunkte, die entweder zu solch krisenhaften Entwicklungen geführt haben oder noch zu ihnen führen werden, zu identifizieren (Keil/Hummel 2006: 247). Somit werden Entwicklungen betrachtet, in denen es um „Umschläge, Phasenübergänge oder Krisen geht, die dazu führen, dass etwas, was als so und so beschaffen angefangen hat, nach dem Umschlag, dem Phasenübergang oder der Krise als sich ganz anders fortsetzend beschrieben werden muss.“ (Hampe 2006: 34)
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Von sozialen Gütern und Menschen Die entscheidende Erweiterung der theoretischen Perspektive liegt nun aus soziologischer Sicht in der konsequenten Einbeziehung der Rolle der gesellschaftlichen Akteure in den Prozess der Verräumlichung. In einer Weiterentwicklung bestehender Ansätze zur relationalen Verfasstheit räumlicher Arrangements definiert Martina Löw Räume als „relationale (An)Ordnung von Lebewesen und sozialen Gütern“ (Löw 200: 160). In Anlehnung an die ungleichheitssoziologische Arbeit von Reinhard Kreckel wird der Begriff der ‚sozialen Güter‘ weiter präzisiert. In seiner handlungstheoretischen Verankerung sozialer Ungleichheitsstrukturen geht Kreckel davon aus, dass soziales Handeln stets unter den Bedingungen einer Handlungssituation stattfindet, in der sowohl symbolische als auch materielle Situationskomponenten wirksam werden (vgl. Kreckel 1992: 76f.): Handeln ist symbolisches Handeln, insofern es als ein sinnhaftes und durch Sprache strukturiertes intentionales Verhalten angesehen werden kann, und es ist materiell, insofern als jedes soziale Handeln eine Wechselbeziehung zwischen Handelndem und seinen materiellen Umweltbedingungen konstituiert, wobei zu diesen Umweltbedingungen sowohl materielle Artefakte als auch Naturbedingungen gehören (ebd.: 76). Vor diesem Hintergrund lassen sich soziale Güter als „Produkte, und zwar Produkte menschlichen Handelns; oder genauer: sozialen Handelns; oder genauer: Produkte gegenwärtigen und vor allem vergangenen materiellen und symbolischen Handelns“ (Kreckel 1992: 77, Hervorh.i.O.) verstehen, die unter Umständen ungleich verteilt sind. Auch hier handelt es sich eher um eine Unterscheidung im idealtypischen Sinne, denn diese Güter sind niemals ausschließlich materieller oder sozialer Natur, sondern tragen stets beide Komponenten in sich, die je nach Handlungskontext in unterschiedlicher Gewichtung wirksam werden können. In gewisser Weise können soziale Güter ihre Wirkung in Raum(an)ordnungen erst durch ein Zusammenspiel von Materialität und Symbolhaftigkeit entwickeln: „Symbole des Straßenverkehrs, als Beispiel, können nur angeordnet werden, weil sie eine Materialität aufweisen, werden aber angeordnet, um eine Symbolik zu entfalten.“ (Löw 1991: 154) Menschen werden in Prozessen der Raum(an)ordnungen nun unter zwei Aspekten betrachtet: Zum einen kommen Individuen in ihrer Eigenschaft als soziale Akteure zum Tragen. Der Zugang zu Räumen und die Fähigkeit, sich in ihnen zu bewegen und damit Verknüpfungen zwischen Orten, anderen Akteuren und Gütern herzustellen, ist wesentlich durch die Kapitalausstattung und die damit verbundene Gestaltungsmacht des Akteurs bestimmt. Zum anderen konstituieren Menschen nicht nur durch ihre alltäglichen Praktiken Räume, sondern können qua ihrer Körperlichkeit auch Teile dessen sein, was sich im Raum platziert. So macht es beispielsweise für die Wahrnehmung eines Après-Ski-Zeltes in einem Winterskiort einen immanenten Unterschied, ob sich viele oder nur wenige Menschen in diesem Zelt eingefunden haben, ob sie tanzen oder einfach nur ‚rumstehen‘, ob Musik läuft oder nicht, ob durch Lichteffekte eine bestimmte Stimmung erzeugt werden soll oder nicht, ob bequeme Sofas zum Sitzen einladen oder nur
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Hochtische aufgestellt sind etc. Bereits an diesem einfachen Beispiel wird deutlich, dass soziale Güter nicht einfach passive Objekte darstellen, die im Raum einfach so ‚herumlungern‘, sondern dass sie qua ihrer materiellen Wirkung einen wichtigen Bestandteil der Gestimmtheit von Räumen ausmachen. Räume beziehen demnach ihre konkrete Gestalthaftigkeit aus Gütern und sozialen Menschen einerseits und aus deren Verknüpfung andererseits. Für die wissenschaftliche Analyse sind beide Dimensionen wichtig, denn „nur wenn man beide Aspekte, also sowohl die ‚Bausteine‘ des Raums als auch deren Beziehung zueinander kennt, kann die Konstitution von Raum analysiert werden.“ (Löw 2001: 155) Will man der Prozesshaftigkeit dieser Relationierung von Menschen und Gütern habhaft werden, bedeutet das, analytisch zwischen dem Angeordneten und dem Anordnenden systematisch zu unterscheiden. So entstehen Räume erst dadurch, „dass sie aktiv durch Menschen verknüpft werden“ (Löw 2001: 158). Dabei werden nicht nur materielle Dinge miteinander in Beziehung gesetzt, sondern unterschiedlichste Akteure und Akteursgruppen. Diese Verknüpfungsleistungen ihrerseits, die sowohl durch alltägliche Routinen als auch durch gezielte Eingriffe hergestellt sein können, erfolgen unter vorstrukturierten Bedingungen. In Anlehnung an das Konzept der Dualität von Struktur und Handlung bei Anthony Giddens soll in der veränderten Schreibweise der Raum(an)ordnung gerade diese Doppelseitigkeit räumlicher Arrangements herausgestellt werden: Räume besitzen demnach sowohl eine Ordnungsdimension, die soziales Handeln strukturiert und damit in seiner Kontingenz einschränkt als auch eine Handlungsdimension, der der Prozess des Anordnens innewohnt (vgl. Löw 2001: 131). Auf einer theoretischen Ebene kommt auf diese Weise die gleiche Denkfigur zum Tragen, die schon bei der Verhältnisbestimmung von Versorgungssystem und Versorgungspraxis eine entscheidende Rolle gespielt hat. Dort waren es die raum-zeitlich situierten Versorgungspraktiken, die das Versorgungssystem produzierten und reproduzierten, das seinerseits in einem rekursiven Verweisungszusammenhang diese Versorgungspraktiken erst ermöglichte (vgl. II/2.2.4). Die empirische Fruchtbarkeit einer solchen Herangehensweise wird im letzten Kapitel dieser Arbeit deutlich werden, wo herausgearbeitet wird, dass die städtische Versorgungspraxis, exemplarisch untersucht an dem wichtigen Knotenpunkt der urbanen Landwirtschaft, ihre eigene Topologie eines städtischen Versorgungsraums hervorbringt, die ihre Konturen aus der „Choreografie“ (Liepietz 1991: 131) von Menschen, Gütern, Versorgungspraktiken, spezifischen Techniken sowie städtischer Naturnutzung und -wahrnehmung gewinnt (vgl. IV). Spacing und Syntheseleistung Löw unterscheidet weiterhin zwischen zwei unterschiedlichen Prozessen der Raumkonstitution, dem Spacing und der Syntheseleistung (vgl. Löw 2001: 158). Ersteres benennt jenen Vorgang, der Ensembles von Menschen und sozialen Gütern durch das Platzieren und Positionieren in Relation zueinander verräumlicht: „Spacing bezeichnet also das Errichten, Bauen oder Positionieren. Als Beispiele
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können hier das Aufstellen von Waren im Supermarkt, das Sich-Positionieren von Menschen gegenüber anderen Menschen, das Bauen von Häusern, das Vermessen von Landesgrenzen, das Vernetzen von Computern zu Räumen genannt werden.“ (ebd.) Die Syntheseleistung schließlich rekurriert auf einen Aspekt, den bereits Simmel in seinen frühen Überlegungen zum Landschaftsbegriff aufgriff. Gegen die damals vor allem geografisch geprägte Thematisierung von Landschaft verweist Simmel auf die Bedeutung ästhetischer Beurteilungskriterien und vergleicht in der Folge die Wahrnehmung von Landschaft mit der Schaffung eines Kunstwerks. So schreibt er in seinem Aufsatz „Philosophie der Landschaft“ von 1913: „Täusche ich mich nicht, so hat man sich selten klar gemacht, dass Landschaft noch nicht damit gegeben ist, dass allerhand Dinge nebeneinander auf einem Stück Erdboden ausgebreitet sind und unmittelbar angeschaut werden.“ (Simmel 1913: 635) Landschaft entstehe vielmehr erst im Auge des Betrachters durch die kreative Verknüpfung der einzelnen Elemente zu einer „zueinandergeordnete(n) Ganzheit“ (Sturm 2000: 145). Raum ist damit immer auch ein „Wahrnehmungs- und Anschauungsraum“ (Ipsen 2006: 29) und wird durch eine Vielzahl von Raumeindrücken strukturiert. Mittels dieser Syntheseleistung, verstanden als „Wahrnehmungs-, Vorstellungs- und Erinnerungsprozesse“ (Löw 2001: 159) werden soziale Güter und Menschen zu Räumen zusammengefasst. Diese zwei unterschiedlichen Prozesse der Raumkonstitution können analytisch unterschieden werden, existieren aber angesichts der Prozesshaftigkeit des Handelns realiter immer gleichzeitig. Mit Blick auf den in dieser Arbeit verwendeten Handlungsbegriff sei an dieser Stelle auf die frühere, ausführliche Darstellung des Begriffs der Praxis verwiesen (vgl. II/2.2.4). Obwohl zunächst die Bedeutung des repetitiven Alltags und der damit verbundenen Routinisierung von Handlungen in den Vordergrund des Praxisbegriffs gestellt werden, ist damit nicht die Vorstellung verknüpft, dass es sich bei den Handlungen ausschließlich um immer gleiche Exekutionen internalisierter Handlungsabläufe handelt, die sich gleichsam ‚hinter dem Rücken‘ der Akteure durchsetzen. Vielmehr haben sowohl die Ausführungen im Zusammenhang mit der Versorgungspraxis als auch der pragmatischen Philosophie deutlich werden lassen, dass die Akteure mit dem ausgestattet sind, was Giddens als „praktisches Bewußtsein“ (1988: 57) bezeichnet hat. Das impliziert zum einen, dass kompetente AkteurInnen des Alltags in der Regel auf Nachfrage zu einer diskursiven Ausführung ihrer Handlungsmotivationen in der Lage sind, zum anderen dass eine Unterbrechung gewohnter Routinen nicht einfach eine von der äußeren Situation determinierte Anpassung der Handlungen zur Folge hat, sondern einen kreativ-schöpferischen und damit pragmatischen Umgang mit der veränderten Situation einleitet. Orte und Räume Es bleibt auf eine letzte wichtige Unterscheidung einzugehen, nämlich der zwischen Ort und Raum. Betrachtet man die aktuelle raumsoziologische Debatte lässt sich mit ihm die Tendenz beobachten, Ort und Raum systematisch vonein-
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ander zu unterscheiden, wenngleich die Bemühungen um eine Theoretisierung des Raums weitaus weiter gediehen sind als um eine Konzeptualisierung des Orts. So ist es für Ipsen beispielsweise ein „schwieriger Weg vom Raum zum Ort“ (Ipsen 2006: 64), wobei er eine Entgegensetzung von Orten als traditionell und Räumen als modern für wenig fruchtbar hält; vielmehr seien sowohl Orte als auch Räume konstitutiv für jedwede Form von Gesellschaft. Versucht man das Spannungsverhältnis von Orten und Räumen präziser zu fassen, kann man auch hier an die Überlegungen Löws anknüpfen. Zunächst einmal dürfen Raum und Ort nicht in der Weise gegeneinander ausgespielt werden, dass Raum auf einer makrostrukturellen und systemischen Ebene angesiedelt wird, während der Ort in scheinbarer Opposition dazu Sinndimension und lebensweltliche Aspekte verkörpert. Vielmehr handelt es sich bei Ort und Raum für Löw um zwei Momente ein und desselben Prozesses. In diesem Zusammenhang ist ihre zentrale Annahme, dass Räume Orte hervorbringen und diese gleichzeitig sowohl Endpunkt als auch Voraussetzung jeder Raumkonstitution sind (vgl. Löw 2001: 203). Denn es bedarf naheliegender Weise konkreter Orte, an denen soziale Güter und Menschen platziert werden können. Ein Ort bezeichnet damit eine unverwechselbare Stelle, die in ihrer symbolischen Wirkung benennbar und zugleich in ihrer materiellen Lokalisierung identifizierbar sind: Paris als Stadt der Liebe, Los Angeles als prototypische Stadt der Postmoderne und Afrikas Städte als angeblicher Hort des Chaos und der kommenden Anarchie. Zwischenbewertung der Bedeutung des Konzepts der Raum(an)ordnung Die Vorteile des Konzepts der Raum(an)ordnungen für die vorliegende Fragestellung liegen auf der Hand: Die handlungstheoretische Ausrichtung des Raumbegriffs erweist sich höchst anschlussfähig sowohl an die praxistheoretische Rahmung des Versorgungssystembegriffs als auch an die pragmatische Kategorie der ‚Erfahrung‘, wie sie vor allem in der Diskussion um die Materialität im nächsten Abschnitt eine zentrale Rolle spielen wird. Ebenso eignet sich die Betonung der Prozesshaftigkeit und der ständigen ‚Bewegtheit‘ räumlicher Arrangements vor allem zur Untersuchung der äußerst dynamischen Urbanisierungsprozesse in südlichen Regionen, die beispielhaft an Accra untersucht werden. Demgegenüber ist die Unfruchtbarkeit einer Theoretisierung von Raum „als leerer Bühne, auf der sich die Ereignisse entfalten“ (Lipietz 1991: 130), offensichtlich, denn aus einer solchen Perspektive kann nicht in den Blick geraten, dass die Entstehung und Veränderung von Räumen, auch von urbanen, selbst Momente eines sozialen Prozesses sind. In eine ähnliche Richtung weisen die Überlegungen beispielsweise von Castells, dessen „Ströme“ (vgl. Castells 1994) ebenso auf eine ‚Verflüssigung‘ der Prozesse der Raumkonstitution verweisen wie der ‚scape‘-Begriff des Ethnologen Appadurai (1990). Mit Blick auf die Nutzung natürlicher Ressourcen durch Akteure im Rahmen der Sicherstellung ihrer Versorgung wurde im Rahmen des Versorgungssystemmodells bereits der metaphorische ‚Arenen‘-Begriff eingeführt (vgl. II/2.2.3). Es
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wurde argumentiert, dass dadurch gerade in solchen Zusammenhängen die Akteursdimension in den Vordergrund gerückt wird, in denen ganz unterschiedliche (Handlungs-)Kapazitäten von Akteuren in Aushandlungsprozessen aufeinandertreffen. Eine solche Sichtweise gewinnt in Bezug auf die Analyse von Raumanordnungsprozessen eine zusätzliche Plausibilität, da an der Konstituierung von Räumen in der Regel mehrere Akteure beziehungsweise Akteursgruppen beteiligt sind, die implizit oder explizit in einem Aushandlungsprozess miteinander in Beziehung stehen. So wird sich zeigen, dass der Auseinandersetzung um die Kontrolle städtischer Räume in afrikanischen Metropolen eine besondere Bedeutung zukommt, denn die oben angesprochenen Regulierungen sind hier prinzipiell umkämpft (vgl. IV). An dieser Stelle sollen zunächst folgende Anmerkungen genügen: Vor allem Metropolen in ‚Entwicklungsländern‘ zeichnen sich einerseits als Orte des Zusammentreffens unterschiedlicher Klassen, Ethnien und Lebensstile durch bemerkenswerte Integrationsleistungen aus, andererseits treten hier Exklusion und Gewalt in urbanen Kontexten besonders markant hervor (als Überblick Gugler 1996a). Wenngleich bereits Marx und Weber herausgearbeitet haben, dass soziale Ungleichheitslagen an die Verfügung über materielle Ressourcen gekoppelt sind, verschärft sich dieser Zusammenhang unter dem Aspekt der Nahrungsversorgung in afrikanischen Metropolen nochmals dramatisch. Ausgehend davon, dass Hunger in erster Linie ein Kaufkraft- und Verteilungsproblem darstellt (vgl. Sen 1981 u. 2000), bleibt die Handlungsstrategie, selber Nahrungsmittel zu erzeugen oftmals die einzige Überlebensmöglichkeit vieler Stadtbewohner. Aufgrund der Inklusions- und Exklusionseffekte von Raum(an)ordnungen ist daher zu erwarten, dass urbane Räume ‚Gegenstand‘ sozialer Auseinandersetzungen sind, denn die Möglichkeit urbaner Landwirtschaft setzt zuallererst die faktische Kontrolle über ein entsprechendes, bewirtschaftbares städtisches Territorium voraus. Leitfaden der Untersuchung werden somit die diversen, sich wechselseitig durchkreuzenden wie auch verstärkenden, ‚Raumpolitiken‘ städtischer Akteure in Accra bilden. Für eine akteurstheoretisch orientierte, sozial-ökologische Forschung wird somit der Blick geschärft für die vielfältigen Handlungsentwürfe und Sozialprozesse, die sich strategisch und mit durchaus unterschiedlichen konkreten Interessenlagen um die Probleme einer urbanen Landwirtschaft und Überlebenssicherung herum bilden. Für den Blick auf Formen urbaner Subsistenzwirtschaft und damit verbundener Praktiken ist ferner die analytische Unterscheidung zwischen Raum und Ort bedeutsam, insofern sich an einem Ort unterschiedliche „Funktionsräume“ (Wehling 1997b: 77) überlagern und miteinander konkurrieren können: ökonomische Räume, politische Räume, soziokulturelle Räume etc. So weist Asomani-Boateng in seiner Studie zu Accra darauf hin, dass „land, which can be used for urban farming, has various competitive uses“ (2002: 603). Baufirmen, Industrie und Gewerbe (ökonomischer ‚Funktionsraum‘), militärische Einrichtungen (politischer ‚Funktionsraum‘) und Stadtplaner (sozio-kultureller ‚Funktionsraum‘) konkurrieren somit um den konkreten Ort. Ausgangspunkt der Fallstudie sind
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daher nicht städtische Räume, von denen angenommen wird, dass sie Handlungen der Akteure ‚determinieren‘, sondern die Frage, wie Akteure im Vollzug von Handlungen bestimmte Orte unter Zuhilfenahme materieller und sozialer Gegebenheiten instrumentalisieren und damit wiederum spezifische Raum(an)ordnungen schaffen. Wichtig ist hierbei die Denkfigur eines „bewegten Raumes“ (Löw 2001: 65). Orte entstehen zwar durch Prozesse der Raum(an)ordnung, sind aber nicht mit diesen identisch. Die Konstitution von Räumen bringt systematisch auch Orte hervor, so wie Orte die Entstehung von Räumen erst möglich machen (vgl. Löw 2001: 198). Die Unterscheidung zwischen Ort und Raum und die damit verbundene Einsicht, dass Orte sowohl situierter Anfang als auch Endpunkt von Raum(an)ordnungen sein können, erfüllt weiterhin mit Blick auf die methodologischen Schwierigkeiten, die sich einer Forschungstätigkeit im fremdkulturellen Kontext stellen, eine wichtige Funktion. Die im Rahmen der Ausführungen zum situierten Realismus eingeforderte Verortbarkeit der Theorie wird hier sprichwörtlich, denn Räume der Theorieproduktion sind weder im metaphorischen, noch im ‚realen‘ Sinn belanglos, sondern müssen explizit ausgewiesen werden: „Einer Ethnologin jedenfalls, die die Resultate ihrer langjährigen Feldforschung in Daressalam, Bombay oder Soweto unter dem Signum des Allgemeinen zu präsentieren versuchte, würde man den epistemologischen Größenwahn nicht verzeihen. Sie müsste … ihr Wissen präzise verorten, ist doch der räumliche Referent Darstellungsprinzip und Grenzposten für die Legitimität ihrer Erzählung zugleich.“ (Berking/Löw 2005: 15) Es ist vor allem dem Diskurs um die postkoloniale Stadt zu verdanken (vgl. King 1976 u. 2005; Jacobs 1996), dass er entgegen der These einer ‚McDonaldization‘ von Urbanisierungspfaden den Blick für die heterogenen und lokalen Muster von Verstädterungsprozessen geschärft hat. So lässt sich auch die Entwicklungsgeschichte Accras im Rahmen der Fallstudie nur als ‚entangled history‘ (vgl. Conrad/Randeria 2002: 17) erzählen (vgl. IV).
3.3.3 Die Materialität des Raums Mit Blick auf raumsoziologische Arbeiten hat die Klärung zwischen physischem und sozial strukturiertem Raum eine gewisse, wenn auch dünne Traditionslinie. So lassen sich als Klassiker sowohl die Arbeiten von Durkheim als auch von Simmel anführen. In der Entwicklung dessen, was er als soziale Morphologie bezeichnete, hat Durkheim versucht, diejenigen Elemente in die soziologische Analyse zu integrieren, die in seinen Augen das „Substrat der Gesellschaft“ (Durkheim 1984: 114) verkörperten, worunter er in erster Linie die Bevölkerung und die physisch-materielle Umwelt subsumierte, aber auch materielle Artefakte verstand. Seinem berühmten Diktum folgend, Soziales nur durch Soziales erklären zu wollen, verwundert es nicht, dass er materielle Objekte, und darunter fällt für ihn auch der physisch-materielle Raum, als „Produkte früherer sozialer Tätigkeit“ (Durkheim 1984: 195) einer soziologischen Analyse zugänglich machen
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will. Auch wenn Durkheim materielle Elemente als soziologische Tatbestände behandelt, also als Dinge, die die Fähigkeit besitzen, „auf den Einzelnen einen äußeren Zwang auszuüben“ (ebd.: 114), sollte eine solche Definition nicht dazu verleiten, ihm raumdeterministische Tendenzen zu unterstellen – wie Elisabeth Konau betont, war genau das Gegenteil seine Intention, wollte er doch zeigen, dass die elementaren Kategorien des Denkens, wie Raum, Zeit, Substanz, Materialität etc. im Kern sozialen Ursprungs sind (vgl. Konau 1977: 15). Georg Simmel versuchte dagegen neben Aspekten symbolischer Raumbezogenheit, wie sie eher bei Durkheim im Vordergrund stehen, „Aspekte ungebrochener, physischer Raumbezogenheit der Vergesellschaftung“ (Konau 1977: 16) in seine Überlegungen mit einzubeziehen. Simmel ist nahezu der einzige Klassiker der soziologischen Literatur, der dem Begriff des Raums in mehreren Aufsätzen47 eine umfassende Behandlung widmete (vgl. Schroer 2006: 60f.). Dabei versuchte Simmel in seiner Raumsoziologie „sowohl die Auswirkungen räumlicher Konstellationen auf das Soziale als auch die soziale Erzeugung des Raums“ (Schroer 2006: 62) zu erfassen, wenngleich der Schwerpunkt seiner Betrachtungen in einer Absetzung von raumdeterministischen Ansätzen der politischen Geografie seiner Zeit zu sehen ist. So bleibt der Hauptfokus seiner Betrachtungen „die Einwirkung, die die räumlichen Bestimmtheiten einer Gruppe durch ihre socialen Gestaltungen und Energien erfahren haben“ (Simmel 1995b: 201). So erklärt sich auch die abschließende Bewertung Elisabeth Konaus zu Simmel und Durkheim, dass letzten Endes beide der Sichtweise einer einseitigen „Emanzipation sozialer Strukturen vom Raum“ (Konau 1977: 16) verhaftet bleiben würden. Während diese klassischen Arbeiten lange Zeit keine Berücksichtigung erfahren haben, gibt es aktuell eine ganze Reihe von AutorInnen, die in ihren Überlegungen zum Verhältnis von sozialen und materiellen Aspekten die Überlegungen von Simmel oder Durkheim wieder aufgreifen. Benno Werlen knüpft in seinem Versuch einer handlungstheoretischen Reformulierung der für die Geografie zentralen Kategorie des Raums und dem damit verbundenen Versuch, geografische Raum- und Gesellschaftstheorie stärker aufeinander zu beziehen, explizit an die Arbeiten von Durkheim und Weber an (vgl. Werlen 1997: 259f.). Dennoch wird gerade in Werlens Versuch, Raum als Ressource und Resultat handlungsbedeutsamer Sinnstrukturen als Gegenmodell zur Vorstellung eines ContainerRaums zu deuten, der „Begriff des ‚Raumes‘ als eines physisch-materiellen Phänomens … zwar nicht gänzlich ausgemerzt … , aber dieser ‚Raum‘ fristet … nur noch ein marginales Dasein“ (Hard 2002b: 254). Auch Dieter Läpple hat sich in der Ausarbeitung eines Konzepts gesellschaftlicher Räume mit dem Verhältnis von Materialität und Gesellschaftlichkeit von Räumen auseinandergesetzt (vgl. Läpple 1991). In diesem Bemühen geht er zunächst, ganz ähnlich wie in dieser Arbeit, von der Vorstellung eines „relationalen Ordnungsraums“ (Läpple 1991: 47 Zu erwähnen sind vor allem: „Soziologie des Raums“ (1992) und „Der Raum und die räumliche Ordnung der Gesellschaft“ (1995a).
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194) aus, in dem Raum und Materie nicht gesondert, sondern in Bezug aufeinander gedacht werden sollen. In einem zweiten Schritt stellt er den Begriff des Raums dann konsequent in einen „gesellschaftlichen Bedingungs- und Entwicklungszusammenhang“ (ebd.: 195), was ihn letztlich zu seinem eigenen Konzept des „Matrix-Raums“ (ebd.: 196f.) führt, innerhalb dessen er analytisch zwischen vier Komponenten unterscheidet: (1) dem materiell-physischen Substrat gesellschaftlicher Verhältnisse, vor allem verstanden als materielle Nutzungsstrukturen der gesellschaftlich angeeigneten und kulturell überformten Natur, (2) den gesellschaftlichen Interaktions- und Handlungsstrukturen beziehungsweise der gesellschaftlichen Praxis der mit der Produktion, Aneigung und Nutzung des Raumsubstrats befassten Menschen, (3) einem institutionalisierten und normativen Regulationssystem, das als Vermittlungsglied zwischen dem materiellen Substrat des gesellschaftlichen Raums und der gesellschaftlichen Praxis fungiert, und (4) einem mit dem materiellen Substrat verbundenen Zeichen-, Symbol- und Repräsentationssystem. Dies weist zweifelsohne eine deutliche Nähe sowohl zu den Überlegungen zu den Versorgungssystemen als auch zu den raumtheoretischen Überlegungen auf. Dennoch lässt sich mit Gabriele Sturm die Kritik formulieren, dass Läpples gesellschaftlicher Raum inklusive seines physischmateriellen Substrats ausschließlich als Resultat gesellschaftlicher Herstellungsund Verwendungsweisen erscheint: „Mir ist dabei unklar, ob jegliche ‚natürliche Vorgabe negiert wird oder nur als unwesentlich keine weitere Erwähnung findet.“ (Sturm 2000: 181) Gerade ein sozial-ökologisches Raumverständnis kann von diesen ‚natürlichen‘ Vorgaben nicht abstrahieren oder sie in sozialen Konstruktionsprozessen zum Verschwinden bringen. Zielvorgabe für ein sozialökologisches Raumkonzept ist damit, „eine entsprechende Gleichwertigkeit und Aufeinanderbezogenheit von herausfordernder Materialität und hervorbringender Sozialität“ (Sturm 2000: 145) zu formulieren. Markus Schroer schließt sich dieser Auffassung an, indem er eindringlich dazu auffordert, dass die „materielle Seite des Raums … in einer soziologischen Raumanalyse nicht unberücksichtigt bleiben (darf), wenn man sich nicht allein auf die soziale Herstellung des Raums kaprizieren will“ (Schroer 2006: 177f.). Materialität als stoffliche Dimension sozialer Prozesse Der Ausgangspunkt für die anstehenden Überlegungen lautet daher mit Blick auf das bereits Gesagte: Die Strukturierung des Raums durch gesellschaftliche Prozesse hat nicht nur eine symbolische, sondern stets auch eine stoffliche Seite; Alan Lipietz hat in diesem Zusammenhang von der „stofflichen Dimension der sozialen Prozesse“ (Lipietz 1991: 130) gesprochen. Was somit als letzter Baustein eines sozial-ökologischen Raumkonzepts noch fehlt, ist die Thematisierung zweier Fragen: Wie kann diese stoffliche Dimension in ihrer Materialität aus soziologischer Sicht thematisiert werden? Und: Wie kann die Verknüpfung von Materialität und gesellschaftlicher Praxis theoretisch hergestellt werden?
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Die vorhergehenden Diskussionen unterschiedlicher Raumkonzepte haben deutlich werden lassen, dass trotz einer oftmals gegenteiligen Intention letztlich doch das Verhältnis von Materialität und Sozialität entweder im Rahmen einer dingverhafteten Raumvorstellung zur Seite der Materialität hin aufgelöst oder angesichts der Überformung des materiellen Raums durch den sozialen dessen Eigensinnigkeit in einer Übertonung seiner Sozialität zum Verschwinden gebracht wird. Als Fundament eines sozial-ökologischen Raumkonzepts wurde daher das relational verfasste Konzept der Raum(an)ordnungen eingeführt, welches auf der Bedeutung der Wechselwirkung von Materialität und Symbolik bei der Konstitution von Räumen beharrte. Die in dem vorherigen Abschnitt erfolgte Konzentration auf Relationen hat allerdings zunächst noch den Aspekt des Eigensinns von Materialität, wenn nicht ausgeblendet, so doch ein wenig in den Hintergrund treten lassen, so dass ich mich im folgenden stärker der „Dingwelt des Relativs“ (Sturm 2000: 145) widmen möchte. Macht man sich auf die Suche nach Antworten auf die Frage nach der Materialität, so fällt auf, dass es diesem Begriff in der Geschichte der soziologischen Theoriebildung ganz ähnlich erging wie dem des Raums: „Until recently social science has had problems in thinking about materiality. Materials have usually been present in what’s written because it’s so obvious that the world and its relations are made of materials.” (Law 1999: 2; Hervorh.i.O.) Nun ist diese Offensichtlichkeit und Selbstverständlichkeit der Materialität der soziologischen Theoriebildung zum Problem geworden. Aber was bedeutet ‚materiell‘ aus soziologischer Sicht, wie kann sie gefasst werden? Die These lautet, dass es Sozialität und Materialität des Räumlichen, wie die Materialität überhaupt, in einer schwierigen Denkfigur zu konzeptualisieren gilt, die die nicht hintergehbare Differenz zwischen gesellschaftlicher Konstruktion und einer Nicht-Identität mit eben diesen Konstruktionen gleichermaßen erfasst. Insbesondere die Idee, die bei Platon über Descartes und Leibniz ihre Entwicklung nimmt, dass algebraische und geometrische Relationen ein Vorbild zur Beschreibung und zum Erfassen von Strukturen auch in anderen Bereichen sein könnte, kann hier im übertragenen Sinne fruchtbar gemacht werden, steht aber gerade in Bezug auf den Raum und damit verbundene physisch-materielle Gegenstände zunächst im starken Widerspruch zu unser alltäglichen Erfahrung. In diesem Zusammenhang schreibt denn auch Richard Rorty: „Wenn es der Philosophie gelingt, die Zahlen in Beziehung zu anderen Zahlen aufzulösen, wird niemand ein Klagelied anstimmen über den Verlust ihrer substantiellen, autonomen Realität. Mit Tischen, Sternen und Elektronen verhält es sich jedoch anders. Hier ist der Common sense geneigt aufzumucken.“ (Rorty 1994: 47) Bei vielen SoziologInnen ruft der Versuch, Materialität in die soziologischen Analysen zu integrieren immer wieder Widerwillen hervor. Dabei verkennen einige Autoren und Autorinnen die theoretische Pointe eines solchen Versuchs, der „Entmaterialisierung“ (Görg 1999: 182) soziologischer Grundbegriffe entgegenzuwirken. Sei es nun in der neueren raum-, natur- oder techniksoziologischen
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Forschung, in all diesen Ansätzen geht es gerade darum, Determinismen aufzubrechen, indem ihr gesellschaftlicher Konstitutionscharakter nachgewiesen wird. Die Provokation einer solchen Perspektive besteht darin, dass Raum, Natur und Technik in der Dechiffrierung ihrer kulturellen Codierung in den Möglichkeitsraum des Politischen hineingezogen werden; eine Perspektive, die lange Zeit widersinnig war, galten doch gerade (geografischer/physisch-materieller) Raum und Natur als Inbegriffe jener Bereiche, die dem Politischen prinzipiell entzogen waren (vgl. Kropp 2002: 215). Insofern geht die Interpretation einer solchen Bemühung, Materialität „in vermeintlich unumstößlich Da-Seiendes zu verwandeln“, damit auf ihre „vermeintlich natürliche Wirkkraft zu reduzieren“ und damit unweigerlich in die „Raumfalle“ (Lippuner/Lossau 2004: 47ff.) zu tappen, am Kern der Idee vorbei. Wie oben dargelegt, besteht eine nicht hintergehbare Einsicht erkenntniskritischer Arbeiten der letzten Jahre darin, dass jegliche Betrachtung von ‚Natur‘ und ‚ökologischen Problemlagen‘ von einer sprachlichsymbolischen Vermittlung nicht ablösbar ist: Ein ‚kausales‘ Einwirken ökologischer Krisen oder ‚Realitäten‘ existiert nur vermittelt durch kulturelle Symbolisierungen, soziale Wertmuster oder durch gesellschaftliche Machtpotenziale (vgl. Görg 2003b: 123). Das bedeutet aber im Umkehrschluss selbstredend nicht, dass die materiell-stoffliche Dimension, die niemals ganz in diesen Diskursen aufgeht, für gesellschaftliche Dynamiken keine Rolle spielen würde und daher schlichtweg ignoriert werden könnte. Genau darauf zielte die bereits zitierte Rede Rortys von den ‚Zwängen‘; dabei geht es nicht darum, Natur und Raum als unveränderbare Gegebenheiten zu setzen, sondern den „Widerstand der Realität“ (Holzinger 2004: 14) nicht in Semantiken ohne Referenzen aufzulösen, sondern „das räumliche Substrat des Handelns aus dem spezifischen Blickwinkel der Soziologie“ (Konau 1977: 12) zu erfassen. Insofern geht es auch nicht darum, das Materielle am Raum zum „Leitstern“ einer Suche „nach jener volleren und wirklicheren Wirklichkeit, an die, wie sie spüren, ihre bisherigen Methoden und Theorien nicht so recht herankommen“ (Hard 2002a: 237), zu machen; vielmehr besteht das Ziel darin zu erkennen, dass die Dynamik von Gesellschaften sozialökologisch gesprochen sowohl auf der Transformation von sozial strukturierten Zusammenhängen als auch auf der Transformation materieller Prozesse beruht, von denen weder Gesellschaften noch die soziologische Theoriebildung im Sinne einer „sociology as if nature did not matter“ (Murphy 1995) dauerhaft abstrahieren können. Parallaxe und Komplementarität Bei Slavoj Žižek klingt die zentrale Frage, um der sein Denken in seiner neuesten Veröffentlichung kreist, vor dem Hintergrund des bereits Gedachten, sehr vertraut: „Lässt sich das Problem des naiven Realismus wirklich nur durch eine Art ‚methodologischen Idealismus‘ lösen, für den die ‚Grenzen unserer Sprache die Grenzen unserer Welt sind‘, so dass alles jenseits des Symbolischen strikt undenkbar ist?“ (Žižek 2006: 37, Fn 17) Seine Antwort auf diese Frage ist der
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Begriff der ‚Parallaxe‘, mit welchem er dafür plädiert, die Illusion, „zwei unvereinbare Phänomene auf derselben Ebene zusammenbringen zu können“ (ebd. 8), wie sie beispielsweise die dialektische Synthese hegt, fallen zu lassen: „Sie sind zwar verbunden, aber sie sind zwei Seiten des selben Phänomens, die eben, weil es zwei Seiten sind, niemals zusammen kommen können.“ (ebd.) Die üblichen Lösungen für dieses Problem sind bereits in den oben beschrieben Aporien dargelegt worden und auch für Žižek lässt sich das Feld der Angebote „zwischen mechanistischem Materialismus und idealistischem Obskurantismus“ (ebd.: 10) aufspannen. Die allgemeine Definition einer Parallaxe bestimmt sie als die scheinbare Verschiebung eines Objekts (die Veränderung seiner Position vor einem Hintergrund) durch einen Wechsel der Beobachterposition, der eine neue Sichtlinie schafft. Ein klassisches Beispiel in diesem Zusammenhang ist die Beobachtung des eigenen Daumens abwechselnd jeweils mit dem linken und dem rechten Auge und der damit verbundenen Veränderungen des Fingers vor seinem Hintergrund. Philosophisch betrachtet besteht der Clou nun darin, „dass die beobachtete Differenz nicht einfach ‚subjektiv‘ ist, weil dasselbe Objekt, das ‚da draußen‘ existiert, von zwei verschiedenen Standpunkten oder Blickwinkeln gesehen wird. Es ist eher so, dass … Subjekt und Objekt in sich vermittelt sind.“ (ebd.: 21) Der Begriff der ‚Parallaxe‘ bezeichnet damit Formen ontologischer Paradoxien, die sich auch in anderen Bereichen finden und den üblichen Gegensatz von objektiv und subjektiv unterminieren: So ist beispielsweise die Fantasie nicht in einem naiven Sinne als objektiv ausweisbar, denn sie ist ja offensichtlich nicht von den Wahrnehmungen des Subjekts unabhängig; sie ist aber auch nicht rein subjektiv, da sie nicht auf die solipsistischen Intuitionen eines Subjekts reduzierbar ist. Daher gehört sie für Dennett auch zur „bizarren Kategorie des objektiv Subjektiven“ (Dennett 1994: 178). In der Quantenphysik liegen die Dinge sicherlich komplizierter, aber für Žižek spiegelt sich in der Annahme, dass „die Geburt unserer gemeinsamen Wirklichkeit selbst – der eindeutigen Wirklichkeit materieller Objekte – aus der reinen Prozessualität von Quantenoszillationen“ (Žižek 2006: 143) resultiert, auch hier diese paradoxale Grundfigur wider – so kann das Licht sowohl als Welle als auch als Teilchen beschrieben werden. In diesem Zusammenhang ist von dem dänischen Physiker Nils Bohr die Denkfigur der Komplementarität eingeführt worden, die ähnliche Eigenschaften wie die Žižeksche Parallaxe aufweist, denn auch der Begriff der Komplementarität bezieht sich auf den Sachverhalt, dass je nach Versuchsbedingungen zwei Beschreibungsformen möglich sind, die sich scheinbar logisch ausschließen und doch im empirischen Sinne beide als wahr gelten müssen (Becker/Jahn/Hummel 2006: 189). Greift man diese Vorstellung auf, so müsste ein konzeptueller Rahmen für ein sozialökologisches Raumverständnis es ermöglichen, Materialität sowohl als soziale Konstruktion als auch in Teilen niemals darin aufgehender Rest zu denken. Diese beiden sich einerseits ausschließenden, andererseits ergänzenden Blickrichtungen müssten sowohl in ihrer Eigengewichtung als auch in ihrer komplementären Aufeinanderbezogenheit denkbar sein. In Abweichung zu einer dialektischen
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Denkfigur ist ein wesentlicher Unterschied der hier vorgelegten Perspektive deshalb auch darin zu sehen, dass es nicht um das Erreichen einer dialektischen Synthese der Gegensätze gehen soll, die die Differenz auf einer höheren Ebene schlicht neutralisiert. Es geht um das Festhalten an der Differenz von Materialität und Sozialität und den Denkmöglichkeiten dieser Differenz. Relational Materialism, Tribunal der Erfahrung und Dance of Agency Den bisherigen Ausführungen folgend, können weder Raum noch Materie substantialistisch, sondern müssen für den vorliegenden Zusammenhang relational gedacht werden: „Der Raum als Ganzes … hat keine Materialität im Sinne eines physischen Substrats, sondern nur die einzelnen sozialen Güter und Lebewesen weisen Materialität auf“ (Löw 2001: 228). Ebenso haben zahlreiche Studien der angelsächsischen Sociology of Scientific Knowledge (SSK) eindrucksvoll gezeigt, dass Materialität sich nicht unabhängig von gesellschaftlichen Entstehungs-, Aneignungs- und Verwertungskontexten denken lässt, sondern ihre Gestalt nur in Relation zu diesen gewinnt: „Materials are interactively constituted; outside their interactions they have no existence, no reality. Machines, people, social institutions, the natural world, the divine – all are effects or products. Which is why we speak of relational materialism.“ (Law/Mol 1995: 277, Hervorh.i.O.) Diese Auffassung von Materialität als ‚relational materialism‘ fügt sich nahtlos sowohl in den oben beschriebenen experimentellen Erfahrungsmodus des Pragmatismus als auch in den prozessualen Raumbegriff ein, wie er im Anschluss an die Arbeiten von Martina Löw entwickelt wurde. Materialität und Sozialität können nicht mehr als vorgängige Entitäten theoretisch gerahmt werden, sondern konstituieren sich als Produkte ihrer wechselseitigen Interaktionen. Aber ganz im Sinne der oben ausgeführten pragmatischen Position kann man bei einer solchen Definition von Materialität nicht stehen bleiben: „Aber wenn Sie der pragmatischen Methode folgen, können sie keines dieser Worte als Endpunkt Ihrer Suche betrachten. Sie müssen aus jedem Wort den praktischen Barwert herausziehen und es im Strom ihrer Erfahrung arbeiten lassen.“ (James 2001: 64) Denn was in einer solchen Auffassung fehlt, für das Denken von Wechselwirkungen zwischen Materialität und Sozialität aber unabdingbar ist, ist das, was Pickering als „material agency“ (Pickering 1995: 9) bezeichnet hat und was als gemeinsame Leerstelle vieler Ansätze identifiziert wurde: Mit der Intention, Materialität als gesellschaftlich Gewordenes auszuweisen, erscheint sie bisweilen als passive Masse, in der sich allzu stark gesellschaftliche Prozesse einschreiben. In diesem Sinne schreibt auch David Bloor in einer kritischen Auseinandersetzung mit den SSK-Studien: „The shortcomings of the views … are, no doubt, legion. The one I feel most keenly is that, whilst I have stressed the materialist character of the sociological approach, still the materialism tends to be passive rather than active“. (Bloor 1991: 158) Eine solche Sichtweise trägt der wichtigen Erkenntnis Rechnung, dass sich die Materialität der Objekte weder in der Alltags-, noch in der wissenschaftlichen Welt einfach ausklammern lässt,
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sondern ihr eine aktive Rolle bei der Konstitution von ‚Wirklichkeit‘ zukommt. Dennoch wird im Gegensatz zu der etwas eigenwilligen Übertragung des Akteursstatus auf materielle Objekte, wie sie in ähnlicher Weise in der AkteurNetzwerk Theorie vorgenommen wird, hier mit Bezug auf den bereits dargelegten pragmatischen Begriff der Erfahrung ein anderer Weg eingeschlagen. Aus der oben beschriebenen, parallaktischen Sicht ist der Status des Realen als solcher nicht-substantiell, „es hat keine eigene substantielle Dichte, sondern ist lediglich eine Lücke zwischen zwei perspektivischen Standpunkten, die nur im Wechsel von einem zum anderen wahrgenommen werden kann“ (Žižek 2006: 36). Mit dem pragmatischen Begriff der Erfahrung, soll der Versuch unternommen werden, „das hinter der Szene Liegende, das Undarstellbare, das dennoch in den Lücken der darstellenden Textur (Sprache, Diskurs oder Erzählung) insistierend aufscheint“ (Kristeva 1989: 354), zu fassen. Dem Aufspüren dieser Lücke soll nun das dienen, was Quine einmal als „Tribunal der Erfahrung“ (Quine 1979: 45) bezeichnet hat, verstanden als ein „minimaler Empirismus“ (McDowell 2001: 12), der zwischen dem Denken und der ‚Welt‘ vermittelt und damit auf die praktisch-experimentelle Dimension der Wissensgenerierung abhebt; eine solche Sichtweise taucht im Rahmen der Wissenschaftsforschung unter verschiedenen Labels auf: Hacking bezeichnet es als „down-to-earth materialism“ (Hacking 1992: 30), Pickering bezeichnete seine Position zunächst als „pragmatic realism“ (Pickering 1989: 276) und in neueren Veröffentlichungen spricht er von einer „mangle of practice“ (Pickering 1995). Diese Idee einer ‚mangle of practice‘ lässt sich mit Rückgriff auf den pragmatischen Erfahrungsbegriff weiter spinnen. Aus pragmatischer Sicht ist die Erfahrung ein unabweisbares Faktum menschlicher Existenz, da sie auf der biologischen und organischen Ausstattung des Menschen beruht, dem über seine Sinnesempfindungen auch ein Zugang zur äußeren Natur eröffnet wird. Auf dieser Ebene lernen wir im Alltag mit den ‚Materialitäten‘ der Natur wie selbstverständlich umzugehen: „Winds, stroms, droughts, floods, heat and cold – all of these engage with our bodies as well as our minds … Much of everyday life … has this character of coping with material agency, agency that comes at us from outside the human realm and that cannot be reduced to anything within the realm.“ (Pickering 1995: 6) Wichtig sind hier zwei Dinge: Zum einen, dass solche Erfahrungsmomente der äußeren Natur nicht als rein ‚subjektives Erlebnis‘ aufgefasst werden. Vielmehr hält dieser Begriff der Erfahrung die objektive und die subjektive Seite zusammen, ist, wie Dewey in Bezug auf William James schreibt, als ‚doppelläufig‘ zu verstehen, insofern sie aus einer wechselseitigen Aktivität heraus entsteht. Das leitet zum zweiten wichtigen Punkt über: Diese Sinnesempfindungen widerfahren dem Subjekt auch nicht in Form eines passiven Erlebens äußerer Eindrücke: „Sinnesempfindungen sind kein Teil irgendeines Wissens, weder ein guter noch ein schlechter, weder ein höherer noch ein niederer, ein unvollkommener oder vollkommener. Sie sind vielmehr Herausforderungen, Provokationen, Anstachelungen zu einem Akt der Nachforschung, der im Wissen
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enden sollte.“ (Dewey 1989: 135) Materialität wird in einem solchen Erfahrungskontext als eigensinnige Widerständigkeit erfahren, die als ein Stimulus für Reflexion und Schlussfolgerungen verarbeitet wird. Als Unterbrechungen gewohnter, alltäglicher Praktiken werfen sie für Dewey wichtige Fragen auf: „Was bedeutet dieser Schock? Was geschieht? Was ist los? Wie ist mein Verhältnis zur Umgebung gestört? Was sollte dagegen unternommen werden? Wie soll ich den Ablauf meiner Handlung ändern, um mich auf die Veränderungen einzustellen, die in der Umgebung stattgefunden haben?“ (Dewey 1989: 135) Insofern werden alltägliche Praktiken durch die Erfahrung ‚gemangelt‘: „Der wahre ‚Stoff‘ der Erfahrung wird in den Handlungsverläufen zum Zweck der Anpassung, in Gewohnheiten, aktiven Funktionen, Verbindungen von Tun und Leiden erkannt, in senso-motorischen Koordinationen.“ (Dewey 1989: 136) Es ist auch diese kontinuierliche Interaktivität zwischen Subjekt und Natur, vermittelt in der Erfahrung, die Pickering mit seinem Begriff der ‚mangle of practice‘ im Blick hat, wenn er diese als „the practical, goal-oriented and goal-revising dialectic of resistence and accommodation“ (Pickering 1995: 22) definiert; oder wie Haraway es im Rahmen ihrer Trickster-Figur formulieren würden: In einer solchen Widerständigkeit kommt die ‚Gerissenheit‘ der Natur zum Ausdruck (vgl. Haraway 1995c). Somit wird dem Begriff des ‚Widerstands‘ gegenüber dem von Rorty ins Spiel gebrachten Begriff des ‚Zwangs‘ der Vorzug gegeben, einfach weil darin der aktive, ereignishafte und zeitlich veränderliche Aspekt besser zum Ausdruck kommt: „While the word ‚constraint‘ can be given many meanings, it seems to me to be endowed with two quite specific features in the humanist schema: First, it is located within the distinctively human realm. It consists, say, in a set of social (or epistemic) norms, derived in some sense from social structure. And secondly, it is discussed as temporally nonemergent … The language of constraint is the language of prison: constraints are always there, just like the walls of the prison, even though we bump into them occasionally.“ (Pickering 1995: 65) Der Begriff des Widerstandes rekurriert somit stärker auf durch entsprechende raumzeitlich situierte Praktiken hervorgerufene und damit je nach Kontext wandelbare Phänomene und hebt auf das dynamische Wechselspiel zwischen Materialität und Sozialität ab: „While constraint resides in a distinctively human realm, resistance … exists only in the crosscutting of the realms of human and material agency.“ (ebd.: 66) Eine solche Konzeption von Materialität als eigensinnige Widerständigkeit hält damit an der Einsicht postkonstruktivistischer Ansätze fest, dass Materialität sich nicht einfach auf die sinnhaften Unterscheidungen von BeobachterInnen reduzieren lässt. In einer solchen Interpretation spiegeln sich jene Prinzipien der Parallaxe und der Komplementarität wider, die oben als paradoxale Denkfiguren vorgestellt wurden: Die Annahme ‚realer‘ Gegenstände, die Konstruktionsleistungen in ihrer Widerständigkeit Grenzen setzen und zugleich „kontingenten Konstruktionsaktivitäten“ (Wehling 2006: 217) unterliegen; weder ist Materialität „wholly ‚out there‘“ noch ist sie „wholly constructed out of thin air“ (Lynch
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2003: 223). Aus einer pragmatischen Sicht macht es dabei auf einer theoretischen Ebene auch keinen Unterschied, ob es Erfahrungen sind, die in einem alltäglichen oder einem wissenschaftlichen Kontext gemacht werden, ob es sich also gewissermaßen um Erfahrungen erster oder zweiter Ordnung handelt48. In beiden Fällen erfordert es aktive und kreative Anpassungsprozesse in Form einer „experimentellen Interaktivität“ (Rammert) um Erfahrungen zu stabilisieren. Die Wechselwirkung zwischen Sozialität und Materialität, die sich in der alltäglichen wie wissenschaftlichen Erfahrung vereint, hat Pickering mit dem anschaulichen Bild eines „dance of agency“ (Pickering 1995: 21) zu fassen versucht, innerhalb dessen sich die Interaktionsstrukturen der Subjekte und die Widerständigkeiten der Objekte mit der Folge von „relative durabilities“ (Law/Mol 1995: 280) einander anpassen. Damit fallen (alltägliche) Erfahrung und (wissenschaftliche) Erkenntnis, auf je unterschiedlichem Niveau, aus pragmatischer Sicht zusammen. Im Rahmen der alltäglichen Lebensführung dient die Erfahrung der Widerständigkeit einer Justierung von Strategien zur praktischen Bewältigung der Lebenswirklichkeit und sollte daher nicht „als Routine und Verlust der Subjektivität verstanden werden“, sondern als „praktische Innovation, kreative Lösung realer Probleme“ (Joas 1992a: 102). Eine solche Sichtweise hat freilich zur Folge, dass wissenschaftliche Arbeit nicht als praxisferne Kontemplation, sondern als wissenschaftliche Praxis verstanden werden muss, in der auch die schwierige Frage nach der Korrespondenz zwischen Erkenntnis und Gegenstand in den Vorgang der „‚praktische(n)‘ Herstellung und Stabilisierung einer Kette von Repräsentationen“ (Wehling 2006: 238) übersetzt wird. Damit kann sowohl die ‚Realität‘ alltäglicher und wissenschaftlicher Erfahrungen, aber auch die sozial-ökologischer Problemlagen als „intertwining … between material and human agency“ (Pickering 1995: 15) interpretiert werden. Zu Beginn der Überlegungen wurde auf die Anekdote von Latour verwiesen, in der ihn ein Wissenschaftlicher angsterfüllt im Rahmen einer gemeinsam besuchten Konferenz fragt, ob er denn angesichts seiner Theorien überhaupt noch an so etwas wie die Wirklichkeit glaube. Mit Pickering ließe sich nun antworten: „There is no to need to worry ... : we don’t need to lie awake at night afraid that our knowledge has floated entirely free of its object.“ (Pickering 1995: 184) Der Status eines so verstandenen Tribunals der Erfahrung sollte weder einseitig materialistisch noch idealistisch fehlgedeutet werden: Es stellt zunächst nur ein Mittel dar, um die Rückwirkungen der materiellen Seite zu erfassen; das heißt nicht, dass sie die einzige Maßgabe für eine erfolgreiche Regulation ökologischer Krisenerscheinungen darstellt. Eine solche Aussage würde dem sozial-ökologischen 48 So merkt beispielsweise Strübing kritisch an, dass sich Pickering mit der Fokussierung auf das Wechselspiel von materieller Widerständigkeit und Erkenntnis zu stark auf den speziellen Modus der (natur-)wissenschaftlichen Wissensproduktion konzentriere und in der Folge wissenschaftliche Akteure weniger als gesellschaftlich situierte Subjekte auftreten, sondern weitgehend als „Solisten im Kampf mit den Naturgewalten“ (Strübing 2005: 319) in Erscheinung treten.
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Ansatz ja gerade zuwider laufen, würde letzten Endes doch wieder auf Umwegen eine objektiv bestimmbare Natur zum Maßstab von gelungener beziehungsweise nicht gelungener Adaption eingeführt. Die Erfahrung der Widerständigkeit kann immer nur erfasst werden, indem sie im Rahmen kultureller und sprachlicher Kontexte repräsentiert wird und damit bietet auch das Tribunal der Erfahrung keinen Weg zu den ‚Dingen selbst‘. Die materiellen Effekte auf die alltägliche und wissenschaftliche Erfahrung sind eben gerade nicht eindeutig und ontologisch vorgegeben, sondern sind in ihrer Interpretation immer auch beobachterund theorieabhängig: „Consequently, since oberservations involve an indeterminable discontinous interaction, as a matter of principle, there is no unambigious way to differentiate between the ‚object‘ and ‚agencies of observation‘ – no inherent/naturally occuring/fixed/universal/ Cartesian cut exists. Hence, observations do not refer to objects of an independent reality.“ (Barad 1996: 170, Hervorh.i.O.) Insofern verändern sich die „Widerstandsstrukturen des Objekts“ (Rammert 1999: 286) ebenso in Anpassung an die sich zeitlich und räumlich verändernden Akteure. Die Rede von der ereignishaft auftretenden Widerständigkeit materieller Phänomene hält so an dem Gedanken fest, dass sie nicht schlicht auf selbstreferentielle Erkenntnisleistungen der Akteure reduzierbar ist. Auch ist das Tribunal der Erfahrung keine Revitalisierung der Vorstellung, dass die Welt vollständig innerhalb der Reichweite der Macht unseres Denkens und daraus abgeleiteter technokratischer Herrschaftsvorstellungen liegt: „Zu gewährleisten, dass unsere empirischen Begriffe und Auffassungen hinreichend sind, ist die fortdauernde und schwierige Aufgabe des Verstandes. Sie erfordert Geduld und so etwas wie Bescheidenheit. Es gibt keine Garantie dafür, dass sich die Welt vollständig innerhalb der Reichweite eines Systems der Begriffe und Auffassungen befindet, wie es zu einem bestimmten Zeitpunkt seiner geschichtlichen Entwicklung beschaffen ist. Genau das ist nicht der Fall. Daher die permanente Verpflichtung nachzudenken.“ (McDowell 2001: 65) Naturen, eigensinnige Widerständigkeiten und Raum Die vom pragmatischen Realitätskonzept angeregte Interpretation des Verhältnisses von Sozialität und Materialität hat deutlich werden lassen, dass Materialität sich nur in einer konsequenten Übertragung relationalen Denkens fassen lässt, nämlich als Wechselspiel zwischen Widerständigkeit und dem im praktischen Handeln erkennenden Subjekt sowie damit verbundener sozialer Konstruktionsleistungen (vgl. Strübing 2005: 79). Insofern resultiert aus einer fehlgeschlagenen Naturaneignung, erfahrbar als Widerständigkeit, kein unausweichlicher Sachzwang, denn die Einschätzung des Widerstandes ergibt sich erst aus kulturellen Deutungsmustern, die eine solche Widerständigkeit beispielsweise als bewältigbare Belastung, als unheilvolle Bedrohung oder als Anzeichen für das Erreichen der Grenzen der Tragfähigkeit interpretieren. Das bedeutet in der Konsequenz auch, dass ,Wirklichkeit‘ und damit verbundene Widerständigkeiten immer auch variieren, da sie je nach Kontext unterschiedlich wahrgenommen
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und im praktischen Handeln strukturiert werden. Es ist aber wichtig herauszustreichen, dass das ‚Reale‘ dabei nicht in der Materialität selbst verortet wird, im Sinne eines „Widerstands gegenüber der Symbolisierung“ (Butler 1995: 273). Würde man das ‚Reale‘ im Nicht-Symbolisierbaren verorten, wäre es genau in dem Sinne als Ideologie zu verstehen, als dass es eine Politisierung des Realen verhindern würde – genau das passiert, wenn Zusammenhänge zwischen Natur und Gesellschaft, Bevölkerung und Ressourcen, Geschlecht und sozialer Ungleichheit im Sinne einer linearen Zwangskausalität naturalisiert werden. Vielmehr ist das „ ‚Reale‘ im Sinne eines Nichtsymbolisierbaren … stets relativ zu einem linguistischen Bereich, der jene Verwerfungen autorisiert und erzeugt und diese Wirkung zustande bringt“ (Butler 1995: 273). Daraus folgt konsequenter Weise auch, von ‚Naturen‘ zu sprechen, denn wird das Konzept der gesellschaftlichen Naturverhältnisse und das darin enthalten Denken in Relation konsequent zu Ende gedacht, dann „at the end of the road we might be able to recognize a plurality of natures … in which both the social and the biological have central, albeit not essential, roles to play“ (Escobar 1999: 3). In ganz ähnlicher Weise spricht Donna Haraway von Natur als „artefaktischem Kollektiv“. Eine derartige Betonung der Pluralität von Natur laufe darauf hinaus, dass „keine dieser Artefakten … einfach als Ressource/Grund/Matrix/ Objekt/Material/Instrument/gefrorene Arbeit betrachtet werden (kann), sie sind beunruhigender als das … Diese Denkweise geht von der aktiven Qualität der Welt und von ‚beseelter‘ Materie aus“ (Haraway 1995c: 189). Auch wenn die Rede von ‚beseelter‘ Materie ein wenig überpointiert erscheint, streicht sie einen wichtigen Punkt heraus. Die Konzeptualisierung von Materialität und damit auch des nicht-diskursiven Ausschnitts von Natur geht als eigensinnige Widerständigkeit über ein Konzept der bloßen Negativität von Natur hinaus, entzieht sich aber dennoch sowohl den Fallstricken einer materialistischen Sehnsucht des bilderlosen Denkens des Objekts (vgl. Adorno 1997b: 207) als auch idealistischen Verkürzungen, indem es weder konkretistische Aussagen zur Natur, noch deren Differenz in entmaterialisierenden Idealismen zum Verschwinden bringt. Mit dem Verweis auf die je nach Kontext zu erfassende Eigensinnigkeit (insofern handelt es sich gemäß der oben entfalteten Ontologie des situierten Realismus immer auch um situierte Materialitäten und damit verbundener Naturen) überschreitet man die „alteuropäische Rhetorik des Otherings der Natur“, die Natur immer nur als „das ‚Andere‘, per se ‚Unaussprechbare‘ oder ‚Unerkennbare‘“ (Weber 2003: 244) darzustellen vermochte. Die Spannung, die es zu halten gilt, besteht darin, das Eigensinnige der Natur zu denken, ohne sie in eine unveränderliche ontologische Konstante zu verwandeln. Menschliche Praxis und damit verbundene Erfahrungen schließen Naturen und Gesellschaften zusammen. Im Fall einer Versorgungspraxis werden die Möglichkeiten der Natur zu Reproduktionsmomenten beziehungsweise -bedingungen (vgl. Weingarten 2005: 22). Über die damit verbundenen Praktiken werden Räume hergestellt und reproduziert, so dass Raum(an)ordnungen als
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Vermittlungsmoment von Natur und Gesellschaft gesehen werden können: als ein in Praxis material strukturiertes Gefüge von relationalen (An)ordnungen sozialer Güter und Menschen. Dabei enthalten diese Raum(an)ordnungen eine Ordnungsdimension, die sowohl auf gesellschaftliche Strukturen (aufgrund derer Akteure praxisspezifische Wirklichkeitsbereiche interpretieren und symbolisch ordnen) als auch auf ‚naturale‘ Strukturen (verstanden als eigensinnige Widerständigkeit) verweist, sowie eine Handlungsdimension, die auf den Prozess des Anordnens selbst verweist. Bestimmte Naturausschnitte werden damit in Raum(an)ordnungen als Produkte der Wechselwirkungen von menschlicher Praxis und der Widerständigkeit stofflich-materieller Elemente konstituiert. Damit wird aber auch in sozial-ökologischen Krisenzusammenhängen ‚Natur‘ als Widerständigkeit erfahrbar und empirisch zugänglich! Solche Krisen treten dann auf, wenn „die sozialen Akteure die Restabilisierung mit den etablierten Einrichtungen und Strategien nicht mehr für möglich halten“ (Görg 2003a: 125). Auf diese Weise stellt man einen essentialistischen Begriff von Natur auf einen prozessualen und relationalen Begriff um, der weder die symbolisch-kulturellen noch die materiellen Elemente leugnet. Was mit einem solchem Raumbegriff geleistet werden kann, ist eine Historisierung der Natur bei gleichzeitiger Naturalisierung der Gesellschaft, so dass die „fragwürdige Opposition zwischen Natur und Geschichte“ (Koselleck 2000: 79) in der Betrachtung von Raum(an)ordnungsprozessen auf sozialtheoretischer Ebene entgegengewirkt werden kann. Die kulturelle Projekthaftigkeit des Natürlichen wird ebenso thematisiert wie die eigendynamischen Eigenschaften der materiellen Natur als Grundlage des Gesellschaftlichen (vgl. Holzinger 2004: 20).
III. Demografische Entw icklung und Nahrung – ein verlorenes Gleic hgew icht? Au f der Suche nach Diskursaufspaltungen
Im Zentrum des Forschungs- und Erkenntnisinteresses dieser Arbeit steht das Verhältnis zwischen demografischer Entwicklung und urbaner Nahrungsversorgung. Zur Bearbeitung dieser Fragestellung wurden in einem ersten Schritt wichtige theoretische Grundlagen erörtert. In dem nun folgenden zweiten Teil werden stärker die gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Debatten rund um das Thema Bevölkerungsentwicklung und Nahrungsversorgung den Mittelpunkt der Darstellungen bilden. Dabei bleibt zunächst offen, welche die entscheidenden dynamischen Kräfte für sozial-ökologische Transformationen in Versorgungssystemen sind. In diesem Zusammenhang ist auch unklar, welche Rolle aktuell der Bevölkerungsdynamik dabei zukommt. Wie Versorgungssysteme und demografische Entwicklungen miteinander interagieren, lässt sich nur jeweils empirisch erforschen. Weitestgehend unstrittig ist in der wissenschaftlichen Diskussion, dass demografische Veränderungen für die Versorgungssysteme von Bedeutung sind; wenig gesichertes Wissen besteht jedoch über die Frage, in welcher Art und Weise sie die Versorgungssysteme beeinflussen, welche Rückwirkungen die Art der Versorgungssysteme auf demografische Prozesse hat und welche Wechselwirkungen zwischen beiden Größen bestehen. Wissenschaft bedeutet stets die Suche nach Übersetzungen von Bedeutungen und damit ist wissenschaftlichem Arbeiten auch immer wesentlich ein symbolisches Element inhärent (Cassirer 1990: 95). Entscheidend ist letztlich, dass die Übersetzungsmechanismen offen gelegt werden, die zur Anwendung kommen. Die für einen gelingenden Übersetzungsprozess erforderlichen Elemente wurden in den vorherigen Kapiteln zusammengetragen. Zum einen wurden die Heuristiken der ‚Regulationsordnung‘, der ‚Versorgungssysteme‘ und der ‚Raum(an)ordnungen‘ eingeführt, die Möglichkeiten eröffnen sollen, das Prob-
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lem der urbanen Nahrungsversorgung sozial-ökologisch zu ‚übersetzen‘, das heißt unter dem Aspekt gesellschaftlicher Naturverhältnisse „zu verstehen und zu deuten, zu gliedern und zu ordnen“ (Cassirer 1990: 335). Zum anderen wird in dem Bestreben, Einseitigkeiten und Reduktionismen einschlägiger Diskussionen aufzudecken, Diskursaufspaltungen nachgespürt. Der Titel dieses Kapitels, ‚Diskursaufspaltungen‘, bezieht sich auf einen von Egon Becker 1993 veröffentlichten Text. In diesem Artikel macht Becker auf ein schwer wiegendes kognitives Defizit der entwicklungspolitischen Interpretation aktueller ökologischer Krisenherde aufmerksam (vgl. Becker 1993), die in ihrer Logik den in den vorhergehenden Kapiteln beschriebenen theoretischen Reduktionismen materialistischer und konstruktivistischer Positionen folgt: Auf der einen Seite finden sich vor allem naturwissenschaftlich geprägte Beiträge, die sich in der Diskussion um die Endlichkeit weltweiter Ressourcen, der Belastbarkeit von Ökosystemen und im Rahmen von ‚Tragfähigkeitskonzepten‘ mit der Ermittlung von Wachstumsgrenzen einzig und allein auf stofflich-energetische Prozesse, die mit quantifizierten materiellen Größen beschrieben werden können, konzentrieren. Die Kehrseite dieser Diskussionslandschaft findet sich in einer stärker von sozialwissenschaftlichem Gedankengut geprägten Probleminterpretation, die ökologische Problemzusammenhänge vornehmlich aus der Perspektive der Ethik, Moral und anderen symbolischen Ordnungen zu beschreiben versucht und in einer Änderung kultureller Werte die einzige Möglichkeit sieht, der „irrationalen Gebärfreude“ (Randeria 1993: 89) südlicher Bevölkerungen Herr zu werden. Was damit aber in der Diskussion außen vor bleibt, ist die Einsicht der strukturellen Gekoppeltheit sozial-ökologischer Problemlagen: „Selbstverständlich müssen die ökonomischen und sozialen Prozesse den Naturgesetzen genügen ... Umgekehrt sind die materiell-energetischen Wirkungszusammenhänge eingebunden in ein Netzwerk von Deutungen, das nicht einfach vom Wirkungsnexus abgelöst werden kann.“ (Becker 1993: 33) Unstrittig ist zunächst, dass das rasche Bevölkerungswachstum und damit verbundene Urbanisierungsprozesse städtische Versorgungssysteme vor enorme Herausforderungen stellen beziehungsweise diese in vielen südlichen Großstädten bereits ernsthaft überfordern: „With the rapid growth of cities, serious problems of urban food shortage have frequently arisen because of the incapacity of the existing agricultural and marketing systems to adapt and expand supplies to meet new needs.“ (de Nigris 1997: 8) Allerdings lässt sich das Prekär-Werden dieser Situation nicht einfach uni-linear auf ein ‚explosionsartiges‘ Bevölkerungswachstum zurückführen. Die erfolgte Skizzierung der grundlagentheoretischen Ausrichtung der Theorie gesellschaftlicher Naturverhältnisse war für das weitere Vorgehen insofern wichtig, da vor dem Hintergrund eines sozialökologischen Problembewusstseins offensichtlich auch übergreifende wissenschaftliche Makrokonzepte wie ‚Modernisierung‘ und ‚Entwicklung‘, aber auch leitende Metaphern wie das ‚Bevölkerungsproblem‘ kritisch hinterfragt werden müssen. Durch das Konzept gesellschaftlicher Naturverhältnisse ist ein neuer
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Denkraum eröffnet, der die Möglichkeit komplementärer Beschreibungen sozialökologischer Phänomene ermöglicht (vgl. Becker/Jahn 2003: 108). Ruft man sich die im vorhergehenden Kapitel beschriebene Modellierung von Versorgungssystemen und die darin vorgenommen Differenzierung in unterschiedliche Dimensionen des Verhältnisses Ressource-Nutzer in Erinnerung, wird deutlich, dass Wissen, Institutionen, Praktiken und Technik zwar analytisch voneinander unterscheidbar sind, in konkreten Handlungszusammenhängen aber faktisch ineinander greifen und den sozial-ökologischen Problemzusammenhang konstituieren. So lässt sich beispielsweise für den Bevölkerungsdiskurs nachzeichnen, dass ‚Bevölkerung‘ und ‚Bevölkerungswachstum‘ nicht einfach ‚Naturtatsachen‘ sind, sondern dass diese scheinbar neutralen und handlungsanleitenden Wissensbestände vielmehr „Wissensobjekte“ (Haraway 1995) repräsentieren, deren Aushandlung und Konstruktion Ergebnis machtgesättigter sozialer Interaktionsprozesse sind (vgl. Hummel 2000). Ebenso ist auch der Zusammenhang von Ernährung und Bevölkerungswachstum per se nicht problematisch, aber die Naturalisierung der Problematik als ‚Laune der Natur‘ verdeckt nicht selten, dass Nahrungsknappheiten oftmals das Resultat sozialer Ungleichheiten und politischer Ungerechtigkeiten sind (vgl. Sen 1981 u. Kap. 3.1). Die diskursive Konstruktion und Identifikation bestimmter ‚Problemlagen‘ hat weiterhin einen kaum zu unterschätzenden Einfluss auf die materiell-stoffliche Regulierung des Versorgungssystems der Ernährung, zum Beispiel in Form von so genannten ‚Strukturanpassungsprogrammen‘, die sich sowohl auf Handelssysteme als auch auf die technisch-wissenschaftliche Regulierung landwirtschaftlicher Bearbeitungsmethoden beziehen. Ebenso passen sich auch die Betroffenen der Problemkonstruktion der verschiedenen Entwicklungsinstitutionen an, deren Politik sich nicht selten an den Interessen der herrschenden Klasse orientiert, um aus der Interaktion mit ihnen politische und wirtschaftliche Vorteile zu ziehen (vgl. Ziai 2003).
1 . B e vö l k e r u n g u n d E r n ä h r u n g Wendet man sich in dem Bemühen, zeitgenössischen Diskursaufspaltungen nachzuspüren, zunächst einmal dem Bevölkerungsdiskurs zu, so fällt auf, dass das Aufkommen der Demografie als einer Wissenschaft von Beginn an mit der Frage nach dem Zusammenhang von Bevölkerungsgröße und Nahrungsangebot verflochten war. Eine der bis heute einflussreichsten Formulierungen des Verhältnisses von demografischer Entwicklung und Ernährungssituation ist wohl das von Robert Malthus aufgestellte ‚universal-gültige Bevölkerungsgesetz‘. Die Kernthese dieses ‚Gesetzes‘, das 1798 veröffentlicht wurde, besagt, dass die Erde mit Blick auf das Ernährungspotential bereits mit der damaligen Bevölkerungszahl von circa einer Milliarde überbevölkert gewesen und dass eine weitere Verschärfung der Situation unausweichlich sei. Auch wenn dieses eherne Gesetz be-
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reits zu Lebzeiten von Malthus alles andere als unwidersprochen blieb, ist die Diskussion bis heute mit neo-malthusianischen Argumentationsfiguren, sei es in einer ökonomischen oder einer ökologischen Variante, durchsetzt, so dass für ein adäquates Verständnis aktueller Diskussionen ein kurzer historischer Rückblick auf die Konstituierung der Demografie als Wissenschaft sinnvoll ist.
1.1 Demografische Entwicklungstrends und Ernährung: Die ‚nackten‘ Zahlen Bevor nun aktuelle Beiträge zu dem Thema Bevölkerungsentwicklung und Ernährungssicherheit diskutiert werden, sollen die zentralen Charakteristika aktueller demografische Entwicklungen kurz umrissen werden. Nicht selten nehmen aktuelle Bücher und Artikel, die sich mit demografischen Entwicklungen beschäftigen, ihren Ausgangspunkt in der nüchternen Darstellung der harten ‚Fakten‘; und aus Sicht dieser Zahlen erscheint das 20. Jahrhundert tatsächlich als demografisch einzigartig. Nach Schätzungen leben heute ca. 6,4 Milliarden (http://www.weltbevoelkerung.de/wbuhr.html) Menschen auf der Erde; vor 100 Jahren waren es lediglich 1,5 Milliarden. Auch wenn die systematische Registrierung von Geburten- und Sterbefällen erst Mitte des 18. Jahrhunderts einsetzte und damit exakte Angaben zum Bevölkerungsstand vergangener Zeiträume schwierig sind, übersteigt diese Zuwachsrate die vorangegangener Zeitabschnitte aller Wahrscheinlichkeit nach um das Dreifache (vgl. Bähr 1997: 240). Obwohl sich in der aktuellen Wachstumsrate von 1,3% eine Abschwächung dieser Dynamik zeigt, wurde die sechste Milliarde in einer Rekordzeit von nur 11 Jahren erreicht (vgl. Hauchler/Messner/Nuscheler 2001: 94f.). Weltweite Trends der demografischen Entwicklung In den letzten Jahren hat sich gegenüber einer undifferenzierten Rede von der Weltbevölkerung die Einsicht durchgesetzt, dass diese aus demografischer Sicht keine in sich homogene Einheit darstellt, sondern sich vielmehr aus wachsenden, stagnierenden und schrumpfenden Populationen zusammensetzt (vgl. Birg 1996: 7, Swiaczny 2005a, Hummel 2008). Vor dem Hintergrund weltweit stark divergierender demografischer Entwicklungen lassen sich mit Bezug auf Mortalitäts- und Fertilitätsraten global im Großen und Ganzen vier Trends und damit vier Ländergruppen mit je spezifischen Problemlagen identifizieren (vgl. Hauchler/Messner/Nuscheler 2001: 99f.). Die erste Gruppe bilden Nationen beziehungsweise Regionen, die sich durch eine geringe Fertilität und Mortalität und eine bereits einsetzende Bevölkerungsschrumpfung charakterisieren lassen. In dieser Gruppe finden sich vor allem europäische Industrieländer (außer USA, Israel, Großbritannien und Frankreich). Eine zweite Gruppe wird von denjenigen Ländern gebildet, deren Bevölkerung aufgrund sinkender Fertilitätsraten nur relativ langsam wächst und aller Voraussicht nach Mitte des 21. Jahrhunderts zu schrumpfen beginnen wird (vor allem Länder im ostasiatischen Raum und USA).
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Für eine dritte Gruppe von Ländern ist ein in absehbarer Zeit verringertes Wachstum angesichts erneut stark steigender Sterblichkeitsraten infolge einer weiten Verbreitung von HIV/Aids zentrales Kennzeichen ihres demografischen Regimes (in erster Linie Länder aus Subsahara-Afrika). Eine vierte Gruppe von Ländern (Israel, verschiedene Entwicklungsländer, wie zum Beispiel Äthiopien) zeichnet sich durch einen weiterhin hohen Bevölkerungszuwachs aus. Zusätzlich zu diesen weltweiten Entwicklungen werden vor allem zwei weitere demografische Trends erwähnt, die in gewisser Hinsicht ‚quer‘ zu den oben beschriebenen Entwicklungstrends liegen und deren Ausmaß ebenfalls bisherige Menschheitserfahrungen übersteigt: Zum einen wären die massiven Migrationsbewegungen sowohl innerhalb der Entwicklungsländer als auch von der südlichen in die nördliche Erdhalbkugel zu erwähnen, zum anderen die enorme Dynamik von Urbanisierungsprozessen als eine neue Form der sozial-räumlichen Reorganisation von bisher einzigartiger Größenordnung (vgl. Kap. 3.2). Auf globaler Ebene werden die zukünftigen Bevölkerungsveränderungen vor allem von folgenden Entwicklungstrends bestimmt werden: das Wachstum der Weltbevölkerung, ein Rückgang der Fertilität, steigende Lebenserwartung, zunehmende Alterung, Migration und Urbanisierung (UNFPA 2006, Population Reference Bureau 2006, Swiaczny 2005a, Cohen 2005, Lutz/Sanderson/Scherbov 2004, Leisinger 2000): Wachstum der Weltbevölkerung: Die Wachstumsrate der Weltbevölkerung hat ihren Gipfel mit einem jährlichen Wachstum von 2,1% zwischen den 1960er und 1970er Jahren erreicht. Seitdem hat sie sich deutlich abgeschwächt und ist auf heute 1,2% gefallen. Die mittlere Variante der UN-Prognosen geht davon aus, dass bis 2050 die Weltbevölkerung jährlich um 34 Millionen Menschen steigt, was im Vergleich zum aktuellen jährlichen Wachstum von ca. 75 Millionen Menschen eine Wachstumsrate von 0,38% bedeuten würde (vgl. UNFPA 2006). Katastrophenszenarien der 1980er Jahre, die eine ‚Bevölkerungsexplosion‘ vorhersagten, sind daher einem vorsichtigen Optimismus gewichen: „The notion that the trend toward an ever growing population ... threatens our welfare and the sustainability of our existence (or at least, the prospect that all people can achieve ‚acceptable‘ living standards) seems to be losing currency among the public.“ (Alexandratos 2005: 237) Veränderte geografische Verteilung der Weltbevölkerung: Der globale Bevölkerungszuwachs wird sich in den kommenden Jahrzehnten auf die derzeit ökonomisch weniger entwickelten Regionen des Südens konzentrieren. 1960 lebten 2,1 Milliarden Menschen (70%) in Entwicklungsländern; 1999 waren es 4,8 Milliarden (80%). Ungefähr 95% des globalen Bevölkerungswachstums entfallen auf diese Regionen. Rückgang der Geburtenzahlen: Die Weltbevölkerung wird langsamer wachsen als zuvor, weil die Fruchtbarkeitsraten - das heißt die Geburtenzahlen - weltweit zurückgehen. Zwischen 1970 und 1990 sank die zusammengefasste Gebur-
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tenziffer (TFR) von 5,4 auf 2,9 Kinder pro Frau. Derzeit bekommen Frauen im weltweiten Durchschnitt 2,7 Kinder. Entsprechend demografischer Modelle wird das zukünftige Bevölkerungswachstum entscheidend vom weiteren Verlauf der Geburtenraten- und Fruchtbarkeitsentwicklung abhängen. Anstieg der Lebenserwartung: Die Lebenserwartung wird weiter ansteigen. Im Zeitraum zwischen 1950 und 1955 betrug sie im globalen Durchschnitt 47 Jahre; in der Periode 2000-2005 im Durchschnitt 65 Jahre (Bongaarts 2006). Alterung: Aufgrund des Rückgangs der Geburtenraten und des Anstiegs der Lebenserwartung wird die Weltbevölkerung im Durchschnitt älter. Dies bedeutet, dass der relative Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung ansteigen wird: Bis zum Jahr 2050 wird sich weltweit die Anzahl der Menschen im Alter von über 60 Jahren verdreifachen. Wachsende Migration: Im Zuge der Globalisierung haben internationale Wanderungsbewegungen vor allem zwischen den weniger entwickelten Ländern sowie zwischen den Industrie- und Schwellenländern erheblich an Intensität zugenommen. Der größere Teil der Wanderungsbewegungen ist Binnenmigration. Doch ist die Zahl der internationalen MigrantInnen beträchtlich: 2005 lag die Zahl der Menschen, die außerhalb ihres Geburtslandes leben, bei 191 Millionen Menschen und hat sich damit in den vergangenen 50 Jahren fast verdoppelt. Dabei stellen Frauen inzwischen fast die Hälfte aller internationalen MigrantInnen (Swiaczny 2005b, UNFPA 2006). Zunehmende Urbanisierung: Wir befinden uns derzeit im Übergang zu einer urbanen Weltgesellschaft – bereits heute gibt es vermutlich mehr StadtbewohnerInnen als Landbevölkerung. Das durchschnittliche Wachstum der städtischen Bevölkerung war in den vergangenen Jahren mit 2,68% jährlich beachtlich höher als die durchschnittliche Wachstumsrate der Weltbevölkerung bei 1,75%. In den weniger entwickelten Ländern vollzieht sich das Städtewachstum fast zu 60% durch Zuwanderung, 40% des Städtewachstums resultieren aus dem positiven Saldo von Geburten und Sterbefällen. „By 2006 about half of the global population will be living in urban centers and urban agglomerations. By 2030, about 61% of the global population will be urban based. By the end of the twentieth century there were 17 mega cities with a population of 10 million and more, by 2017, there will be 26 such cities. This trend has many consequences for housing policy, health, crime control, provision of social services, and employment.“ (Schulz/Swiaczny 2003: 37, vgl. auch UN 2002a) Weltweite Entwicklung der Ernährungssituation 1966 deklarierte die Generalversammlung der Vereinten Nationen das Recht auf Nahrung als ein grundlegendes Menschenrecht (vgl. Braun 1999: 41). 1974 verlieh Henry Kissinger, damaliger US-Außenminister, auf der Welternährungskonferenz seiner Hoffnung Ausdruck, dass „in zehn Jahren kein Mann, keine Frau und kein Kind mehr hungrig zu Bett gehen wird“ (vgl. UN 1975: 2). 1996 wurde auf dem World Food Summit in Rom in der ‚Vision 2020‘ das ehrgeizige
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Ziel verabschiedet, bis 2020 die Zahl der Hungernden zu halbieren (vgl. http://www.fao.org/wfs/index_en.htm); ein Vorhaben, welches auch auf dem sog. ‚Millenniums-Gipfel‘ im September 2000 in die ‚Millennium Development Goals‘ (vgl. http://www.un.org/millenniumgoals/) aufgenommen und damit nochmals bekräftigt wurde. 2006 bestimmen Hunger und Durst immer noch in weiten Teilen der Welt den Alltag der Menschen; nur eine Minderheit der Weltbevölkerung verfügt über eine gesicherte Nahrungsgrundlage und Zugang zu sauberem Wasser. Die in der Einleitung erwähnten jüngsten Zahlen der FAO sprechen mit Blick auf die gesteckten Ziele daher eine niederschmetternde Sprache und machen die Hoffnung von Kissinger selbst 30 Jahre später zunichte: Nachdem es Anfang der 1990er Jahre gelungen war, die Zahl der Hungernden zu verringern, hat sich dieser positive Trend mittlerweile wieder umgekehrt. 842 Millionen Menschen leiden heute Hunger auf der Welt, zehn Millionen Menschen sterben jedes Jahr an den Folgen von Hunger und Unterernährung, das sind Tag für Tag über 27.000 Menschen (vgl. FAO 2006). Ähnlich wie bei der weltweiten demografischen Entwicklung zeigt sich eine ungleiche Geografie des Hungers: Von den rund 842 Millionen Unterernährten leben ca. 798 Millionen in afrikanischen Entwicklungsländern (vgl. Northoff 2004: 16). Auch wenn die Daten von FAO, UN und WHO Objektivität und Genauigkeit suggerieren, bleibt dennoch festzuhalten, dass es sich hier um sehr voraussetzungsvolle Schätzungen handelt. Seit der Festschreibung als Menschenrecht hat die Erforschung des Hungers eine beachtliche Reihe von Studien beschäftigt (vgl. McCalla/Revoredo 2001: 9), die aber gleichsam von Anfang an von der Schwierigkeit einer adäquaten Definition des Hungers begleitet wurden. Mit Blick auf die Diskussion des Bedürfnisbegriffs liegt die Schwierigkeit auf der Hand: Angesichts der kulturellen Codierung von Ernährung und damit verbundener Bedürfnisse ist es offensichtlich, dass eine überkulturelle Quantifizierung des täglichen Bedarfs, beispielsweise in Form der Angabe einer Mindestkalorienzahl, notwendigerweise die Bedeutung kultureller Kontexte vernachlässigen muss. In der Folge wurde versucht, Definitionen von Hunger zu erarbeiten, die den Aspekt der Kontextrelativität von Hunger aufzufangen vermochten. In einem gemeinsamen Papier der FAO, WHO und UN erfolgte daher eine umfassende Definition, die den Begriff des ‚energy requirement‘ zentral stellt: „The energy requirement of an individual is the level of energy intake from food that will balance energy expenditure when an individual has a body size and composition and level of physical activity, consistent with long-term good health; and that will allow for the maintenance of economically necessary and socially desirable physical activity.” (FAO/WHO/UN 1985; zit.n. Naiken 2002: 6) Darüber hinaus fußen die Aussagen und die Projektionen oftmals auf einer äußerst unsicheren Datenlage. So speisen sich beispielsweise die Schätzungen der FAO, auf deren Grundlage zum Teil weit reichende Schlussfolgerungen gezogen werden, aus zwei Quellen: Falls vorhanden, wird auf nationale Statistiken zurückgegriffen, die vor al-
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lem in afrikanischen Ländern als extrem unzuverlässig einzustufen sind. Liegen solche statistische Daten nicht vor, werden in der Regel mehrere ExpertInnen in die jeweiligen Regionen entsendet, die die Nahrungsmittelmengen bestenfalls grob schätzen können. In diesem Sinne merkt Raikes zu der unsicheren Datenlage kritisch an, dass „one might … assume that the data upon which these conclusions were based were reasonably well-established and accurate. Nothing could be further from truth.“ (Raikes 1991: 17) Trotz dieser Vorbehalte wird zur besseren quantitativen Ausweisung weltweiter und regionaler Trends immer wieder mit quantifizierbaren Messgrößen gearbeitet, auch wenn den beteiligten ForscherInnen durchaus bewusst ist, dass es keine „gold standard definition“ (Mason 2002: 4) von Hunger geben kann. Eine ausreichende Zufuhr von Nährstoffen entsprechend international anerkannter Referenzwerte (vgl. Stehle 2001) soll die lebensnotwendigen metabolischen, physischen und psychischen Funktionen einer Bevölkerung langfristig absichern; in diesem Sinne orientieren sich diese nutritiven Angaben an der obigen Definition von Gesundheit, Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit. In den letzten Jahren haben diese empfohlenen Zufuhrwerte weiterhin vermehrt eine Differenzierung nach Alter und Geschlecht erfahren (vgl. Gedrich/Karg 2001: 19). Eng mit dem Hunger-Begriff verknüpft ist das Konzept der food security, die definiert wird als „access by all people at all times to enough nutritionally adequate and safe food for an active and healthy life“ (Kennedy 2002: 2). Der ‚food security‘-Ansatz bündelt in den Augen seiner VertreterInnen im Gegensatz zu der stärker auf biometrischen Eckdaten fußenden FAO-Hungerdefinition mehrere Dimension, die bei der Diskussion um Nahrungssicherung integriert betrachtet werden müssen (vgl. Kracht/Schulz 1999). Zunächst einmal bekräftigt er in normativer Hinsicht mit der Betonung des ungehinderten und ausreichenden Zugangs zur Nahrung nochmals das unhintergehbare Recht auf Nahrung als grundlegendes Menschenrecht. Auf einer analytischen Ebene stellt er das Problem der Nahrungssicherheit in den weiteren Kontext sowohl armutsbedingter Ungleichheitslagen als auch entwicklungsfördernder Faktoren: „While food availability may be a problem for many people when availability declines and prices rise, the problem assumes crisis proportions mostly for the poor. This is why food availability needs to be evaluated in the context of poverty…Taking the view that nutritional well-being is a pre-condition for development argues that lack of productivity…is partly a result of malnutrition.” (Braun 1999: 42) Insofern besteht auch zwischen Nahrungsunsicherheit und Hunger kein zwangsläufiger Zusammenhang, sondern letzterer tritt erst dann ein, wenn eine ganze Reihe von Faktoren ineinander greifen und in der Folge aus Nahrungsunsicherheit Hunger entsteht. Trotz dieser methodischen Schwierigkeiten, die sich bei der Erfassung des weltweiten Hungers ergeben, bieten vor allem die Berichte großer Organisation wie der FAO, der Weltbank oder der Welthungerhilfe die Möglichkeit, Trends der Nahrungssituation zumindest näherungsweise zu erfassen, die im Folgenden
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kurz zusammengefasst werden. Wie bereits erwähnt, war es bis Anfang der 1990er Jahre gelungen, Erfolge im Kampf gegen den weltweiten Hunger zu erzielen. Dieser Prozess der Reduzierung des weltweiten Hungers hat sich jedoch in den letzten Jahren wieder deutlich verlangsamt, so dass die Zahl der Not leidenden Menschen seit 1997 wieder deutlich am Steigen ist (vgl. UN 2005: 7). Über 800 Millionen Menschen leiden an chronischem Hunger beziehungsweise Nahrungsunsicherheit und zu den am schlimmsten betroffenen Regionen gehört nach wie vor das sub-saharische Afrika. In dem von der Welthungerhilfe erstellten ‚Global Hunger Index Country Rank‘ bilden vor allem afrikanische Staaten wie Liberia, Angola, Sierra Leone, Äthiopien, die Demokratische Republik Kongo, Eritrea und Burundi die einsamen Schlusslichter, die gleichzeitig auch zu den ärmsten Ländern der Welt gehören (Welthungerhilfe 2006: 12). Besorgnis erregend scheint vor allem, dass ausgerechnet in den Ländern, in denen die Situation am bedrohlichsten ist, am wenigsten Fortschritte zu verzeichnen sind (vgl. FAO 2005b: 7). Krisenhafte Entwicklungen der Nahrungsversorgung lassen sich weiterhin für Laos, Kambodscha, Jemen und Tadjikistan nachzeichnen. Abbildung 5: Entwicklung des weltweiten Hungerindex
(Quelle: FAO 2006) Dennoch gibt es auch Hoffnung weckende Erfolgsgeschichten. Auf dem afrikanischen Kontinent konnten Ghana und Nigeria die Anzahl der von Nahrungsunsicherheit und Hunger betroffenen Menschen deutlich senken: Ghana von 62 auf 10% und Nigeria von 44 auf 8% (vgl. FAO 2000: 21f.). Ähnliches, wenn auch
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nicht ganz so erfolgreich, lässt sich in Bezug auf Tschad, Mozambique und Angola feststellen (vgl. Welthungerhilfe 2006). Der größte Erfolg konnte laut internationaler BeobachterInnen allerdings für weite Teile Asiens, mit Ausnahme von Nordkorea, verbucht werden: „In contrast to the sluggish overall trends in SubSaharan Africa, South Asia and Southeast Asia made great strides in combating hunger from 1981 to 2003.“ (Welthungerhilfe 2006: 16) Als Erfolgsfaktor wird in erster Linie die erfolgreiche Implementierung ertragreicher und resistenter Reissorten im Rahmen der sog. ‚Grünen Revolution‘ gesehen (ebd.: 14). Abbildung 6: Entwicklung des Hungers in Afrika
(Quelle FAO 2006) Auch wenn auf die Diskussionen um Ursachen noch ausführlich einzugehen sein wird, lässt sich bereits an dieser Stelle feststellen, dass sowohl in Bezug auf die Ursachen als auch auf die Erfolgsfaktoren relative Einigkeit unter den Analysten besteht. Für krisenhafte Entwicklungen werden in erster Linie ‚overpopulation‘, mangelnde wirtschaftliche Entwicklung und zu geringe landwirtschaftliche Produktivität, für positive Trends vor allem technisch-wissenschaftliche Innovationen, wie beispielsweise die Entwicklung genveränderter Saatsorten, verantwortlich gemacht. In Bezug auf die landwirtschaftliche Produktivität zeitigt vor allem die Verbreitung von HIV/Aids immer massivere negative Effekte: „Given the high death and disease toll due to AIDS, the effect on some countries is critical: traditional kinship networks reach the limits of their capacity in providing care for orphans and the sick.“ (Welthungerhilfe 2006: 22) Ein Aspekt, der in diesem
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Zusammenhang lange übersehen beziehungsweise vernachlässigt wurde, ist die ebenfalls negative Auswirkung der Epidemie auf Formen des nachhaltigen Ressourcenmanagements (vgl. de Sherbinin 2006: 13). Erst in den letzten Jahren ist dieser Aspekt stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt und macht auf dramatische Weise den engen und komplexen Zusammenhang zwischen demografischer Entwicklung und natürlichen Ressourcen deutlich, der, das macht diese Beispiel offensichtlich, keineswegs der einfachen Logik ‚weniger Menschen = mehr Natur‘ folgt. Auf diese Verflechtung nimmt Drimie in einem Papier im Auftrag der FAO Bezug: „Conservation and resource management are also dependent on human factors such as labour, skills, expertise and finances that have been affected by the epidemic. Therefore the reduction in the number and capacity of willing, qualified, capable and productive people, who have managed natural resources has negatively impacted on sustainable utilisation of these resources.” (Drimie 2002: 12) Weiterhin wird der allgemeinen ökonomischen Entwicklung eines Landes nach wie vor eine dominante Rolle bei der Nahrungssicherung eingeräumt, wenngleich in den letzten Jahren eine höhere Sensibilität für ungleichheitsbedingte Ernährungslagen zu beobachten ist. Gleichzeitig setzt sich auch zunehmend die Erkenntnis durch, dass eine verbesserte Nahrungssituation nicht nur Folge, sondern eine ebenso wichtige Voraussetzung für ökonomische Entwicklungen darstellt. So schreibt die FAO in einem jüngeren Bericht: „An FAO study found that it takes longer for economic growth to have an impact on hunger reduction than for improved nutrition to stimulate economic growth.“ (FAO 2005b: 8) Als weiterer Faktor, dem zunehmend eine Schlüsselrolle bei der Nahrungssicherung zufällt, gilt das vermehrte Auftreten natürlicher Katastrophen in Form von Dürren, Heuschreckenplagen, Tsunamis und Überflutungen als Folge der globalen Klimaerwärmung. Auffällig ist bereits an dieser Stelle das deutliche Hervortreten von Diskursaufspaltungen: Nahrungsmittelunsicherheiten beziehungsweise -krisen werden entweder dominant auf soziale oder natürliche Ursachen zurückgeführt, selten aber als sozial-ökologische Krisendynamiken thematisiert, die aus einer Verkopplung von sozialen und natürlichen Elementen emergieren.
1.2 Die ‚Erfindung‘ der Demografie Die Probleme beginnen offensichtlich dort, wo dieses historisch zweifelsohne einzigartige quantitative Wachstum der Weltbevölkerung qualitativ in seiner Tragweite und in seinen Ursachen interpretiert werden soll; spätestens zu diesem Zeitpunkt befindet man sich in der Arena des Bevölkerungsdiskurses. Hier treffen ganz unterschiedliche Kapazitäten des Handelns, Definitionen der Situation und Möglichkeiten der Chancenmaximierung und darauf bezogener Interpretationsprozesse aufeinander. Das diskursive Feld der Einschätzung dieser Entwicklung ist sowohl gesellschaftlich als auch wissenschaftlich höchst umkämpft und
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damit symbolisch und emotional zutiefst aufgeladen. Mediale und populärwissenschaftliche Inszenierungen haben dazu geführt, dass mit dem Thema ‚Bevölkerungswachstum in Entwicklungsländern‘ nicht selten bedrohliche Entwicklungen assoziiert werden: Nicht wenigen Menschen kommen dabei Bilder von unterernährten und ‚explodierenden‘ Menschmassen in Entwicklungsländern in den Sinn, die Bedrohung wirtschaftlicher Prosperität und kultureller Integrität des Nordens durch anhaltende Migrationsströme aus Teilen der armen, südlichen Erdhalbkugel, Unverständnis angesichts dieser Problematik für die beständige Weigerung des Papstes, Verhütungsmittel verteilen zu lassen etc. Oftmals handelt es sich bei derartigen Konnotationen von Bevölkerung um eine zutiefst eurozentrische Wahrnehmung eines ‚Überbevölkerungsproblems‘. Aber auch im wissenschaftlichen und dem damit eng verbundenen politischen Diskurs nimmt die Interpretation von Bevölkerungsentwicklungen seit jeher einen prominenten Platz ein. Seit Beginn der Entwicklung bevölkerungstheoretischer Ansätze, angefangen von den neuzeitlichen Staatstheorien im Merkantilismus über das Malthusianische Bevölkerungsgesetz und dem Aufkommen der unsäglichen Idee einer Eugenik bis zur heutigen Rede von einem ‚Mythos Überbevölkerung‘ war die Interpretation demografischer Entwicklung stets umkämpft und oftmals Grundlage politischer Ideologien (vgl. Hummel 2000 u. folgende Kapitel). Das Spektrum, in dem sich die Diskussionen und Interpretationen aktueller demografischer Entwicklungen bewegen, fasst Herwig Birg in seinem Einführungsbuch zur Weltbevölkerung folgendermaßen zusammen: „Obwohl die aus dem globalen Bevölkerungswachstum resultierenden Bevölkerungsprobleme heute von aller Welt als die wichtigste Herausforderung der Zukunft betrachtet wird, wenn nicht sogar als eine die existentiellen Lebensbedingungen der Menschheit bedrohende Gefahr eingestuft werden, gibt es auch ganz andere Auffassungen. Eine extreme Gegenposition beharrt darauf, dass es bei genauer Betrachtung überhaupt keine Bevölkerungsprobleme gäbe, sondern nur politische Probleme, weil die allenthalben als ‚Bevölkerungsprobleme‘ betrachteten gesellschaftlichen, sozialen, wirtschaftlichen, ökologischen und kulturellen Krisenerscheinungen in Wahrheit nicht oder nur mittelbar aus der Bevölkerungsentwicklung herrühren.“ (Birg 1996: 7f.) Damit wäre auch die Landschaft abgesteckt, in der sich aktuelle Diskussionen um den Zusammenhang von Bevölkerungsentwicklung und Nahrungsversorgung bewegen und die es in den folgenden Kapiteln näher zu betrachten gilt. Zur Einordnung aktueller wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Diskurse um Bevölkerungsentwicklungen ist es zunächst hilfreich, sich im Rahmen einer kurzen Begriffsgeschichte mit den philosophisch-theoretischen Strömungen, denen die Demografie entsprungen ist, eingehender zu beschäftigen. Im „Handbuch Weltbevölkerung“ (Haupt/Kane 1999) findet sich folgende Definition von Demografie: „Die wissenschaftliche Untersuchung menschlicher Bevölkerungen. Analysiert Größe, Zusammensetzungen, Verteilungen, Dichte, Wachstum und andere Eigenschaften von Bevölkerungen sowie ihre Veränderungen und betrachtet ihre Ursachen und Folgen.“ (ebd.: 92) Auch wenn das eine ganze Menge
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an Forschungsprogrammatik darstellt, erscheinen dem Leser sowohl Definition als auch Forschungsgegenstand als weitestgehend selbstverständlich und vertraut. Gemessen an anderen Wissenschaften ist die Demografie als Wissenschaft von der Bevölkerung jedoch eine relativ junge ‚Erfindung‘. Die Anfänge der wissenschaftlichen Erforschung des Themas Weltbevölkerung liegen im 18. Jahrhundert (vgl. Birg 1996: 11). Was heute in wissenschaftlichen wie auch in alltäglichen Zusammenhängen als normal erscheint, nämlich die wissenschaftliche Untersuchung quantitativer, und in eingeschränkterem Maße, qualitativer Aspekte von Bevölkerungsentwicklungen, ist unter wissenschaftshistorischen Aspekten ein höchst voraussetzungsvoller Vorgang. Das Entstehen einer Begrifflichkeit, mit deren Hilfe sich Menschen ungeachtet ihrer Unterschiede im Kontext abstrakter Quantitäten erfassen lassen, hat ihre Ursprünge in der politischen Arithmetik, der Nationalökonomie, der Statistik, der Medizin und der Biologie des 17. Jahrhunderts. Die Idee, Gesellschaften zu quantifizieren, und die damit verbundene Entstehung einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit ‚Bevölkerung‘ ist dabei untrennbar mit der Entwicklung einer neuen Art von Mathematik, der Statistik, verbunden. Erst durch den Aufstieg der Statistik zur „lingua franca, zur Allgemeinsprache“ (Duden 1993: 76) so unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen wie Biologie, Physik oder Soziologie wurde Bevölkerung zu einer Sache, zu einem Objekt, über das sich mit Hilfe statistischer Methoden vermeintlich neutrale Aussagen machen ließen. Bemerkenswert ist, dass seit dem 18. Jahrhundert die Gelehrten der Faszination weit reichender Interpretationen der mit diesem Thema verbundenen quantitativen ‚Fakten‘ nicht widerstehen konnten. Birg führt dies auf einen unumgänglichen „Bedeutungsüberschuß“ (Birg 1996: 24) demografischer Fakten zurück. In seinen Augen ist dieser Bedeutungsüberschuss demografischer Berechnungsergebnisse etwas Unvermeidliches: „Wer z.B. feststellt, dass in einem bestimmten Land zu einer bestimmten Zeit eine bestimmte Zahl von Menschen geboren wurde oder starb, legt mit dieser Tatsachenfeststellung den Grund für die Frage, warum es gerade so viele waren und welche Konsequenzen sich daraus ergeben, bis hin zur Frage nach der Beeinflussbarkeit und Gestaltbarkeit der Bevölkerungsvorgänge durch Politik.“ (ebd.: 24) Rainer Mackensen erklärt dieses Phänomen mit dem Verweis auf den primär methodenwissenschaftlichen Charakter der Demografie: So unverzichtbar Mathematik und Statistik für die Demografie auch sein mögen, bietet ihre logisch-methodische Klarheit nur begrenzte Möglichkeiten mit Blick auf inhaltliche Erklärungen, so dass zwangsläufig Theoreme anderer Wissenschaften wie der Soziologie, Ökonomie oder Geografie bei Interpretationsleistungen in Anspruch genommen werden müssen (vgl. Mackensen 1998: 16). Dieser ‚Bedeutungsüberschuss‘, der bis heute in nahezu allen Arbeiten und Veröffentlichungen zum Thema Bevölkerungsentwicklung eine wesentliche Rolle spielt, lässt sich bereits in den ersten systematischen Auseinandersetzungen mit der ‚Bevölkerungsfrage‘ erkennen. Auch wenn die geistigen Anfänge einer
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‚Bevölkerungswissenschaft‘ mit der platonischen und aristotelischen Beschäftigung mit Bevölkerungsfragen im Zusammenhang mit der Frage nach einem idealen Staatswesen bis in die klassische Antike zurückreichen, wurden diese über die Jahrhunderte verstreuten und sporadischen Äußerungen erst im 17. Jahrhundert zu systematischen Ansätzen verdichtet (vgl. Barth 1977: 184). Schon zum damaligen Zeitpunkt lassen sich die bis heute aktuellen Strömungen der ‚Bevölkerungsoptimisten‘ und ‚Bevölkerungspessimisten‘ deutlich voneinander unterscheiden. Eine zunächst positive Reflexion auf das Thema Bevölkerungsentwicklung wurde im Merkantilismus formuliert. Auch wenn der Merkantilismus weniger als ein ausgefeiltes theoretisches Lehrgebäude, sondern vielmehr als Summe praktischer Maßnahmen im Bereich der Finanz-, Industrie- und Gesellschaftspolitik zu bezeichnen ist (vgl. Menzel 1991: 10), so ist er im Rahmen einer Ideengeschichte der Demografie insofern erwähnenswert, als ihm zufolge Macht und Geltung eines Staatswesens immer deutlicher in Abhängigkeit von seiner Bevölkerungszahl, insbesondere unter dem Aspekt einer damit erhofften militärischen Überlegenheit eines solch bevölkerungsreichen Staates, interpretiert wurde (vgl. Schmid 1976: 19). Man hatte sich den Nachweis zum Ziel gesetzt, dass Macht und Reichtum, aber auch die militärische Stärke eines Staates von der Anzahl und der Beschaffenheit seiner Subjekte abhinge (vgl. Duden 1993: 73). Später erfuhr diese merkantilistische Auffassung eine Differenzierung, wonach man vor allem in der Arbeitskraft des Menschen die eigentliche Quelle des gesellschaftlichen Wohlstandes sah (vgl. Barth 1977: 185). Erstaunlicherweise haben solche Vorstellungen bis heute in der Diskussion überlebt. So schreibt Manfred Wöhlcke 1999 in der Beilage der Wochenzeitung Das Parlament: „Bevölkerungsgröße ist eine – selbstverständlich nicht die einzige – Komponente von Macht. Tendenziell haben Staaten mit großer Bevölkerung mehr Macht als Staaten mit kleiner Bevölkerung, insbesondere wenn es ersteren gelingt, ihre ‚Bevölkerungsressource‘ optimal für die technologische und wirtschaftliche Entwicklung sowie für die Rüstung zu nutzen.“ (Wöhlcke 1999: 22)49 Die positive Bewertung einer Bevölkerungszunahme während des Merkantilismus hatte ihren Hintergrund in der zunehmenden Akkumulation von Handelskapital in den großen europäischen Städten und der damit einhergehenden Schaffung von Manufakturen und neuen Produktionstechniken. Wenn auch die Beschäftigung mit Bevölkerungsfragen zu dieser Zeit in erster Linie unter pragmatischen und weniger unter wissenschaftlichen und theoretischen Aspekten erfolgte, ist wichtig festzuhalten, dass Bevölkerung als eine veränderbare und damit – gesetzt den Fall man erkannte zentrale Wirkungszusammenhänge – politische beeinfluss- und gestaltbare Größe wurde (vgl. Hummel 2000: 159).
49 Aus dieser Sicht ergeben sich dann auch ganz neue Problemfelder einer negativen Bevölkerungsentwicklung: „ ... und es stellt sich die Frage, inwieweit sich militärische Sicherheit vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung längerfristig ... gewährleisten lässt.“ (Wöhlcke 1999:23)
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Somit lässt sich unter wissenschaftshistorischen Aspekten das angehende 18. Jahrhundert als die ‚Geburtsstunde‘ der modernen Demografie charakterisieren: „Eine der großen Neuerungen ... des 18. Jahrhunderts bestand im Auftreten der ‚Bevölkerung‘ als ökonomisches und politisches Problem: die Bevölkerung als Reichtum, die Bevölkerung als Arbeitskraft oder Arbeitsfähigkeit, die Bevölkerung im Gleichgewicht zwischen ihrem eigenen Wachstum und dem ihrer Ressourcen. Die Regierungen entdecken, dass sie es nicht nur mit Untertanen, ... sondern mit einer ‚Bevölkerung‘ mit spezifischen Problemen und eigenen Variablen zu tun haben wie Geburtenrate, Sterblichkeit, Lebensdauer, Fruchtbarkeit, Gesundheitszustand, Krankheitshäufigkeit, Ernährungsweise und Wohnverhältnissen.“ (Foucault 1983: 14) Die Entstehung einer solchen Geisteshaltung, gesellschaftliche Verhältnisse über bevölkerungspolitische Erwägungen berechenbar zu machen und diese Rechenhaftigkeit auch zum Erreichen machtpolitischer Zwecke einzusetzen, ist, wie Foucault nachgezeichnet hat, ein in seiner Reichweite kaum zu überschätzender Wandel im Hinblick auf die Natur der von staatlicher Seite eingesetzten Technologien der Macht. Mit Blick auf Machttechnologien ist das 17. und 18. Jahrhundert in den Augen Foucaults dadurch gekennzeichnet, dass vor allem Techniken zum Einsatz kamen, die auf die Disziplinierung des individuellen Körpers ausgerichtet waren. Diese Prozeduren, die er ausführlich in „Überwachen und Strafen“ (Foucault 1994b) beschreibt, dienten in erster Linie einer Gewährleistung der räumlichen Verteilung – ihrer Trennung und Überwachung – der Körper. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entsteht etwas Neues, eine neue, „nicht-disziplinäre Machttechnologie“ (Foucault 1992b: 52). Damit tritt eine Technik in Erscheinung, die nicht mehr den KörperMenschen, sondern den lebendigen Menschen ins Zentrum staatlichen Machtstrebens stellt. Es geht nicht mehr um den einen, zu disziplinierenden Körper, sondern um die Masse der Einzelmenschen: „dies ist der Augenblick ..., in dem die Bevölkerung in Erscheinung tritt“ (Foucault 1992b: 53) - und mit ihr zusammen, das, was Foucault ‚Bio-Macht‘ nennt. Bevölkerung wird fortan zu einem Wissensobjekt, in dem Prozesse der Geburtenrate, der Mortalität und der Lebensdauer mit politischen und ökonomischen Problem- und Interessenlagen verknüpft werden. Individuen sollen nicht mehr nur diszipliniert, sondern auch in ihrer Masse, und das ist historisch gesehen eine völlig neue Idee, reguliert werden. Dabei lösen diese beiden Techniken einander nicht einfach ab, noch wird die Disziplinartechnik durch Regulierungstechnik einfach unterdrückt oder verdrängt; beide setzen auf unterschiedlichen Ebenen an und bedienen sich differenter Instrumente, ergänzen sich letztlich aber zu einer umfassenden Machtdurchdringung des Subjekts: „Nach einer ersten, auf den Körper gerichteten Ergreifung durch die Macht, die sich gemäß dem Modus der Individualisierung vollzieht, gibt es eine zweite Ergreifung durch die Macht, die nicht individualisierend ist, sondern massenkonstituierend wirkt, die nicht auf den Körpermenschen, sondern auf den Spezies-Menschen gerichtet ist.“ (Foucault 1992b: 52) Damit ist seit Beginn der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Bevölkerungen ein Zusammen-
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hang von Bevölkerungsentwicklung, Macht und Politik festgeschrieben, der bis heute die Diskussion um demografische Entwicklungen prägen sollte, wenn auch mit der Zeit die handfesten politischen Machtinteressen mehr und mehr durch eine ‚Verwissenschaftlichung‘ des Diskurses verschleiert wurden (vgl. Hummel 2000). Und all diese Versuche offenbaren auch bis heute, wie zweifelhaft es seit jeher ist, Thesen über qualitative Veränderungen mit quantifizierenden Argumentationsstrategien zu belegen. Aktuelle Debatten um den Zusammenhang von Bevölkerungsentwicklung und Ernährung besitzen damit eine lange Tradition. Dabei standen von Anfang an Fragen nach der Höhe der Unterhaltsmittel, nach der ‚Tragfähigkeit‘ und den Bedingungen eines gesellschaftlichen ‚Fortschritts‘ im Zentrum ‚demografischer‘ Überlegungen. Die Thematisierung des Zusammenhangs von Bevölkerung und Nahrungsspielraum ist denkbar älter als die bekannte malthusianische Variante des 18. Jahrhunderts. Bereits Herodot stellt im Rahmen seiner Auseinandersetzungen mit dem Reich der Ägypter in seinen Historien Überlegungen über den Zusammenhang von Wachstumsrate und Nahrungsspielraum an: „Wie steht es aber nun mit den Ägyptern selber? Wenn, wie ich vorher sagte, das Land unterhalb Memphis, das heißt also das im Wachsen begriffene Land, in dem bisherigen Verhältnis weiter wächst, werden dann nicht seine Bewohner einst Hunger leiden müssen?“ (Herodot 1971: 104). Bei den beiden herausragenden Denkern der griechischen Antike, Platon und Aristoteles, finden sich keine expliziten Auseinandersetzungen mit Ernährungsfragen, wenngleich Aristoteles sie gelegentlich streift. So weist er in der Auseinandersetzung mit Platons Politea und den Nomoi darauf hin, dass die platonische Behandlung von Bevölkerungsfragen ausschließlich unter dem Aspekt des richtigen Maßes für den angestrebten Idealstaat zu kurz greife. Ebenso müsse bedacht werden, dass die von Platon als ideal ausgegebene Bevölkerung auch ernährt werden müsse: „Der Charakter des Außerordentlichen, Feinen, Bahnbrechenden und Durchdachten tragen die sämtlichen Erörterungen des Sokrates an sich; dass aber alles auch richtig sei, ist wohl in der Tat schwer zu erreichen, und so darf gleich nicht außer acht gelassen werden, dass es für die angegebene Zahl von Wehrleuten eines Landes von der Größe Babyloniens oder von ähnlichem riesigen Umfang bedürfen würde, um fünftausend Müßiggänger zu ernähren und dazu noch einen viel größeren Haufen von Weibern und Dienerschaft.“ (Politik, 1265a/10) Auch in der Bibel gibt es in dem Buch Mose eine Stelle, die sich in diese Richtung interpretieren lässt: „5 Lot aber, der mit Abraham zog, hatte auch Schafe und Rinder und Zelte. 6 Und das Land konnte es nicht ertragen, dass sie beieinander wohnten; denn ihre Habe war groß und sie konnten nicht beieinander wohnen. 7 Und es war immer Zank zwischen den Hirten von Abrahams Vieh und den Hirten von Lots Vieh.“ (Genesis 13, 1, Hervorh. CJ). Das Mittelalter scheint sich, trotz beständig auftretender Nahrungsmittelknappheiten (vgl. Montanari 1993), wenig mit Bevölkerungsentwicklung und Ernährung auseinandergesetzt zu haben.
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Der Zusammenhang von Bevölkerungswachstum und Nahrungsspielraum stand schließlich explizit in den Werken der beiden „Gründerväter“ (vom Brocke 1998: 37) der demografischen Disziplin im Mittelpunkt ihres Erkenntnisinteresses. Die Schriften von Johann Peter Süßmilch und Robert Malthus verdeutlichen, wie sich aus den sporadischen Äußerungen des 16. und 17. Jahrhunderts im 18. Jahrhundert ein Strom sehr viel differenzierterer und stärker analytischer Auseinandersetzungen mit Bevölkerungs- und Ernährungsfragen zu entwickeln beginnt. Mit dem Einsetzen der industriellen Revolution und dem damit verbundenen raschen Bevölkerungswachstum wurde in der Diskussion um demografische Entwicklungen ein Thema zunehmend dominant: Werden die Nahrungsquellen angesichts rasch wachsender Bevölkerungszahlen ausreichen? (vgl. Barth 1977: 179) Das 1761 erschienene Hauptwerk Süßmilchs mit dem eindrucksvollen Titel „Die Göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts, aus der Geburt, Tod und Fortpflanzung desselben erwiesen“ ist vor allem aus zwei Gründen bemerkenswert. Zum einen verdeutlicht es nochmals die These eines unhintergehbaren Bedeutungsüberschusses demografischer Aussagen, der von Anfang an in die demografische Theoriebildung eingelassen zu sein scheint. Bei Süßmilch wird dieser Umstand besonders augenscheinlich, denn mit seinen Überlegungen zur demografischen Entwicklung wollte er nicht mehr und nicht weniger als einen Gottesbeweis antreten; die Existenz Gottes sollte mit den wissenschaftlichen Mitteln und Methoden der Demografie belegt werden. Zum anderen ist der Begriff der ‚Tragfähigkeit‘, ein bis heute in der Diskussion aktuelles Konzept, zentrales Thema in dem oben genannten Werk. In letzter Konsequenz ging es schon bei Süßmilch angesichts eines rasanten Bevölkerungswachstums um die Frage, wie viele Menschen diese Erde tragen kann. Süßmilch kann dabei dem Lager der Bevölkerungoptimisten zugerechnet werden, denn er schätzte das demografische Wachstumspotential seiner und zukünftiger Zeiten unter Tragfähigkeitsaspekten als wenig problematisch ein (vgl. Birg 1996: 23). Auch Malthus leitete aus seinen Überlegungen zu zeitgenössischen demografischen Entwicklungen weit reichende Konsequenzen ab. Um den Streitschriftcharakter seines Werkes zu verstehen, ist es unerlässlich, den historischen Kontext miteinzubeziehen. Malthus reagierte mit seiner Schrift ausdrücklich auf die bevölkerungspolitischen Ideen der sog. „Utopian Socialists, namely Godwin und Condorcet“ (Rao 1994: 42). Diese sahen ein Bevölkerungswachstum als weitestgehend unproblematisch an. Vor allem Godwin darf hier nicht unerwähnt bleiben, da dieser Bevölkerungsfragen im Zusammenhang mit Nahrungsmitteln diskutierte und Malthus seine folgenreichen Beiträge explizit als Replik auf die ‚Träumereien‘ Godwins verstanden wissen wollte. Godwin ergriff in seinen Schriften Partei für die Ideen der französischen Revolution und verknüpft diese mit Rousseauschen Naturrechtsüberlegungen (vgl. Schmid 1976: 32f.). Voll grenzenlosem Vertrauen in die unerschöpflichen Verstandeskräfte forderte er anarchistisch-radikal die Abschaffung des Staates zugunsten eines sich frei und
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harmonisch entwickelndem Individuum. Diese unerschöpfliche Verstandeskraft des Individuums ist es auch, die ihn im Hinblick auf die Beschaffung ausreichender Nahrungs- und Unterhaltsmittel für eine beständig wachsende Bevölkerung positiv stimmt: „Drei Viertel der bewohnbaren Erde liegen heute noch ungenutzt da. Die schon besiedelten Gebiete sind noch unermesslicher Kulturverbesserungen fähig. Myriaden von Jahrhunderten mit stetig wachsender Bevölkerung können hingehen, und die Erde wird noch immer imstande sein, ihre Bewohner zu ernähren.“ (Godwin 1946: 5; zit.n. Schmid 1976: 33) Malthus stand der raschen Bevölkerungsexpansion nun deutlich skeptischer gegenüber: Wenn das Eindämmen des Bevölkerungswachstums durch regulierende Maßnahmen nicht gelänge, sei auch kein gesellschaftlicher Fortschritt möglich. Er selber fasst die Kernaussage seiner Argumentation wie folgt prägnant zusammen: „Ich glaube zwei Annahmen machen zu können: Erstens, dass Nahrungsmittel für die menschliche Existenz unerlässlich sind, und zweitens, dass die Anziehung zwischen den Geschlechtern notwendig ist und in ihrem jetzigen Umfang andauern wird. Wenn das stimmt, so folgt daraus, dass die Fortpflanzungsfähigkeit der menschlichen Bevölkerung viel größer ist als die Möglichkeiten des Bodens, genügend Nahrungsmittel für die Menschen zu produzieren. Denn ... wenn die Bevölkerung nicht gehemmt wird, so vermehrt sie sich in geometrischer Progression, während sich die Unterhaltsmittel nur in arithmetischer Progression vermehren. Wer auch nur das Geringste von Zahlen versteht, wird sofort die ungeheure Potenz der geometrischen gegenüber der arithmetischen Progression erkennen.“ (Malthus 1798; zit. n. Schmid 1976: 34) An dieser naturalistischen Begründung wird auch implizit die Stoßrichtung seiner Ausführungen deutlich: Malthus war nicht zuletzt darauf bedacht, jene zu kritisieren und zu attackieren, die die aufklärerischen Ideale der französischen Revolution allzu emphatisch in konkrete Gesellschaftsutopien umzusetzen trachteten. Der mit dem aufklärerischen Anspruch verbundene emanzipatorische Begriff von Geschichte, also die Vorstellung, dass Geschichte und Gesellschaften prinzipiell gestaltbar sind, wird mit dem Verweis auf natürliche Schranken der gesellschaftlichen Entwicklung in Form von beschränkten Nahrungsressourcen von Malthus vehement bestritten und zurückgewiesen (vgl. Fischer-Kowalski 2002: 240).Angesichts der schon zu seiner Zeit offensichtlichen Fortschritte der Landwirtschaft stellte er die ursprüngliche These von der arithmetischen Fortpflanzungsreihe von Pflanzen in späteren Veröffentlichungen dann auf das für den Bereich der Landwirtschaft formulierte klassische Gesetz des abnehmenden Bodenertrags um. Zugespitzt formuliert besagt es, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt selbst ein vermehrter Einsatz von Arbeit und Kapital sinkende Ertragszuwächse nicht verhindern kann.
1.3 Aktuelle Debatten Auch wenn das malthusianische ‚Bevölkerungsgesetz‘ bereits zu seinen Lebzeiten heftig umstritten war und die These eines begrenzten Nahrungsspielraums
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immer wieder im Laufe der Geschichte widerlegt wurde, spalten bis heute die malthusianischen Argumente den demografischen Diskurs, so dass sich in Teilen der heutigen Debatten die Geschichte der Demografie zu wiederholen scheint. In der Rede von den Hemmnissen raschen Bevölkerungswachstums für ökonomische Entwicklung oder den ‚Grenzen der Natur‘, die eine Vielzahl von Diskussionsbeiträgen zu aktuellen demografischen Entwicklungen dominiert, sind neomalthusianische Argumentationsfiguren nur allzu offensichtlich. Neben den Aspekten der Auswirkungen eines Bevölkerungswachstums auf die wirtschaftliche Entwicklung oder die ökologische Tragfähigkeit liegt aber nach wie vor ein entscheidender Fokus der Diskussion auf der Frage, ob denn letztlich eine so rasch wachsende Bevölkerung auch ernährt werden könne.
1.3.1 Bevölkerung und Entwicklung Eine genauere Analyse des Entwicklungsdiskurses scheint mir vor allem aus drei Gründen für die Fragestellung von Bedeutung zu sein: Zum einen hatten Entwicklungstheorien nie einen rein akademischen Charakter. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und bis heute dienen sie als wissenschaftliche Legitimationsbasis weit reichender Interventionsprogramme. Insbesondere im Ernährungsbereich bilden sie die Grundlage einer Vielzahl von internationalen ‚Strukturanpassungsprogrammen‘. Somit schreiben sich diese Theorien in allen oben genannten vier gestaltungsrelevanten Dimensionen von Versorgungssystemen nachhaltig ein (vgl. II/2.2): Sie generieren Wissen und im Rahmen von technischer Innovationsforschung auch technische Artefakte, welche die Praktiken relevanter Akteure anleiten und institutionalisieren. Zum zweiten lässt sich im Rahmen von Entwicklungsprogrammen und -modellen eine Wiederbelebung modernisierungstheoretischer und entwicklungsökonomischer Konzepte beobachten (vgl. Goetze 2002: 19), so dass ein kurzer Rückblick in die Entstehungsgeschichte dieser Modelle die Möglichkeit bietet, „das Neue auf den Ideenmärkten im Lichte der Erfahrungen genauer prüfen zu können“ (Becker 1997: 8). Zum dritten gilt es, die Grundlagen für eine Reformulierung von Problemstellungen aus sozial-ökologischer Perspektive weiter auszubauen. Viele entwicklungstheoretische Modelle tragen offensichtliche kulturdeterministische Grundzüge, das heißt als zentrale Blockademomente für ‚Entwicklung‘ wurden und werden gesellschaftsendogene Faktoren wie traditionelle Werte- und Handlungsmuster identifiziert. Die logische Konsequenz war der Entwurf eines sozialtechnologischen Instrumentariums, das genau an der Transformation dieser Variablen ansetzte. Ein Scheitern kann somit immer nur funktionalistisch als Misslingen dieser Anpassungsprozesse und damit immer nur gesellschaftsintern erklärt werden. Somit spielten von Anfang an historische und gesellschaftsexogene Faktoren eine deutlich nachgeordnete Rolle. Analytische Fortschritte können aber nur in einem begrifflichen Rahmen erfolgen, der in der Lage ist, Beziehungen zwischen Natur
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und Gesellschaft analytisch zu fassen, also eine Verschränkung kultureller, ökonomischer und ökologischer Dimensionen erlaubt. Die Entwicklungstheorie als eigenständige akademische Disziplin lässt sich auf den Anfang der 1950er Jahre datieren. Als einschneidendes historisches Ereignis wird oftmals die Antrittsrede des amerikanischen Präsidenten Truman zitiert (vgl. Menzel 1991, Esteva 1993), in der er das Wort ‚unterentwickelt‘ erstmals in einem Zusammenhang benutzte, der es nachhaltig in seiner Konnotation verändern sollte: „Wir müssen ein neues kühnes Programm aufstellen, um die Segnungen unserer Wissenschaft und Technik für die Erschließung der unterentwickelten Weltgegenden zu verwenden“ (Truman 1976; zit. N. Esteva 1993: 90). Damit wurden auf einen Schlag ca. 2 Milliarden Menschen ‚unterentwickelt‘. Die politische Dimension des Diskurses bestand vor allem darin, dass die nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzende Entkolonialisierung und die Verhärtung des Ost-West-Konflikts es aus amerikanischer Sicht notwendig machten, der zunehmenden Attraktivität des sowjetischen Modells insbesondere in Afrika eine eigene Gesellschaftstheorie und ein damit verbundenes Gesellschaftsmodell entgegenzusetzen (vgl. Goetze 2002: 17). Mit diesem Ziel vor Augen, sollten die Wissenschaften entwicklungspolitische Rahmenkonzepte ausarbeiten, mit deren Hilfe die wesentlichen Faktoren identifiziert werden sollten, die einen internen Wandel der ‚unterentwickelten‘ Regionen förderten. Erklärtes Ziel war es, modernen gesellschaftlichen Kräften freie Bahn zu verschaffen. Für die nächsten zwanzig Jahre wurden modernisierungstheoretische, entwicklungsökonomische, nationalstaatliche und demokratietheoretische Überlegungen bei der Behandlung entwicklungstheoretischer Fragestellungen dominant. Das diskursive Feld wurde dabei von Diskussionen bestimmt, die auf der einen Seite Bedingungen und Hemmnisse einer Modernisierung traditioneller Gesellschaften untersuchten, auf der anderen Seite, durchaus kontrovers die Entwicklungsbedingungen und -beschränkungen südlicher Gesellschaften eher in einer dependenztheoretisch orientierten Analyse internationaler Markt- und Machtbeziehungen begründet sahen (vgl. Becker 1997: 8). Bis in die 1960er Jahre hinein, übten Modernisierungstheorien, wie sie von den Klassikern der Sozialwissenschaften formuliert wurden, bei der Definition entwicklungspolitischer Ziele einen maßgeblichen Einfluss aus. Sie bildeten sozusagen den theoretischen Überbau konkreter Entwicklungsprogramme, wobei der Ausgangspunkt, im Gegensatz zum historischen Materialismus, in der zentralen These bestand, dass die Gründe für die Rückständigkeit von Entwicklungsregionen vor allem in kulturellen und sozialen Faktoren zu finden seien. In grober Anlehnung an die Rationalisierungstheorien von Max Weber und die strukturfunktionalistischen Arbeiten von Talcott Parsons wurden als die vier zentralen kulturellen Wandlungsprozesse moderner Gesellschaften Säkularisierung, funktionale Differenzierung, Rationalisierung und Verwissenschaftlichung identifiziert (vgl. Menzel 1991: 24). Als wesentlicher Motor eines angestrebten Transformationsprozesses galt wirtschaftliche Prosperität. Ausgegangen wurde von der
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Vorstellung, dass alle ‚entwickelten‘ westlichen Gesellschaften benennbare Stadien wirtschaftlichen Wachstums, wie sie beispielsweise prominent von Walt Whitman Rostow (1960) formuliert wurden, durchlaufen haben: Kapitalakkumulation, technischer Fortschritt, ‚take off‘ zu einem sich selbst tragenden Wirtschaftswachstum und schließlich und letztlich Durchsetzung und Ausbreitung des Massenkonsums. Ironischerweise wurde noch zum damaligen Zeitpunkt ganz in merkantilistischer Tradition sowohl ein rasches Bevölkerungswachstum als auch Urbanisierung als wichtige Voraussetzungen eines wirtschaftlichen Aufschwungs gesehen. Entwicklungsökonomisch wurden Diskussion und Denken lange Zeit vom Kenynesianismus dominiert. Verfolgt wurde in erster Linie eine binnenmarktorientierte Wachstumsstrategie, die in der staatlichen Beeinflussung volkswirtschaftlicher Kennziffern wie der Sparrate oder der Investitionsquote den wirtschaftlichen Aufschwung mehr oder minder automatisch einleiten sollte (vgl. Menzel 1991: 24). Als Opposition zu diesem entwicklungsoptimistischen Diskurs formierte sich allerdings recht bald ein Feld der Gegendiskurse. Zum einen entstand ein Kritikstrang, der zum modernisierungstheoretischen Paradigma in Form von Imperialismus- und Dependenztheorien eine Gegenposition zu formulieren versuchte. Theoretischer Ausgangspunkt der Argumentation war die gesellschaftliche und politische Erfahrung, dass trotz einer formalen politischen Unabhängigkeit die reale Ausgestaltung internationaler Wirtschaftsbeziehungen eine strukturelle Abhängigkeit der ‚Entwicklungsländer‘ von den führenden kapitalistischen Industrieländern begründete (vgl. Goetze 2002: 22). Weiterhin bestand ein besonderes Kennzeichen dieser Theorien darin, dass sie den gesellschaftsendogenen Zugang der meisten modernisierungstheoretischen Ansätze umkehrten. Zusammengefasst lautete die Argumentation, dass weniger kulturelle oder binnenwirtschaftliche Faktoren das Wachstum vieler Regionen verhindere, sondern vielmehr die Struktur außenwirtschaftlicher Verhältnisse für die Probleme verantwortlich zu machen seien. Aus dieser Sicht waren zwar die ehemaligen Kolonien de jure unabhängig, de facto jedoch aufgrund diverser Mechanismen weiter einer indirekten Beherrschung durch die Industrienationen ausgesetzt. Die Pointe dependenztheoretischer Ansätze wie beispielsweise von Johan Galtung (1980) oder Hans Singer (1988) lag darin, dass sie für die Stagnation der Entwicklungsländer Herrschaftsstrukturen sowohl auf internationaler als auch auf innergesellschaftlicher Ebene herausarbeiteten. So resultierte die mangelnde Dynamik auf internationaler Ebene im Zuge ungleicher Austauschpositionen aus dem ständigen Transfer von Surplus aus der Dritten in die Erste Welt. Dieses internationale Netz ungleicher Austauschbeziehungen werde dadurch stabilisiert, dass dieses System der Ausbeutung und Abhängigkeit nach innen verlängert werde, das heißt Ungleichheitsprozesse sich auch innergesellschaftlich in Zentrum-Peripherie Anordnungen übersetzen. Als Höhepunkt dieser Theorieentwicklung kann Immanuel Wallersteins Weltsystemtheorie angesehen werden, die explizit mit dem Ziel antrat, klas-
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sische Imperialismustheorien mit dependenztheoretischen Überlegungen zu verknüpfen (vgl. Wallerstein 1986). In den letzten Jahrzehnten lässt sich jedoch auf der inhaltlichen Ebene der Bevölkerungsdebatte ein Wandel in den Argumentationsmustern diagnostizieren. Während noch in den Anfangsjahren des modernisierungstheoretisch eingefärbten Entwicklungsdiskurses ein rasches Bevölkerungswachstum als wesentliche Voraussetzung für einen wirtschaftlichen und technischen Fortschritt betrachtet wurde, hat sich spätestens seit Ende der 1970er Jahre eine ökonomische Variante des malthusianischen Modells etabliert. In dieser Variante wird nun im Gegensatz zu den ehemals bevölkerungsoptimistischen Modellen ein negativer Zusammenhang zwischen Bevölkerungswachstum und der wirtschaftlichen Entwicklung postuliert. Aus dieser Sicht sei es ein „eurozentrisches Vorurteil, dass mit dem Bevölkerungsvolumen auch die zuständigen Institutionen und Lebensabsicherungen mitwachsen würden, vor allem Wirtschaft und Ernteerträge“ (Schmid 2004: 7). Eine Verminderung der Kapitalbildung, ein damit zusammenhängender Rückgang der Investitionsfähigkeit, nachhaltige Integrationsprobleme auf dem Arbeitsmarkt und die anhaltende Migration in die Städte werden dabei oftmals als wesentliche Elemente angeführt, die einen neo-malthusianischen Teufelskreis von Bevölkerungswachstum und Verelendung in Gang setzen (vgl. Leisinger 2000: 102f.). Das Hauptargument der vielen einzelnen Ansätze lässt sich mit Heide Mertens wie folgt bündeln: „Die zentrale Aussage ..., die in den aktuellen Beiträgen zu Bevölkerungswachstum und wirtschaftlicher Entwicklung dominant ist, besagt, dass einerseits die ‚Qualität‘ der Arbeitskräfte und zum anderen die Kapitalintensität der Arbeitsplätze in den Entwicklungsländern unter Bedingungen anhaltenden Bevölkerungswachstums nicht den Erfordernissen des angestrebten Modernisierungsmodells entsprechen.“ (Mertens 1994: 186) Das Feld der Kritik an diesen Interpretationsweisen und sich daraus speisender Gegendiskurse ist groß und lässt sich in drei Hauptströmungen unterteilen. Der eine Strang argumentiert auf einer primär inhaltlichen Ebene und fordert gegenüber den vielfach anzutreffenden monokausalen Erklärungen eine differenziertere Betrachtung der Wechselwirkungen zwischen ökonomischer Entwicklung und Bevölkerungswachstum. So konnten zahlreiche Studien nachweisen, dass durchaus ein gleichzeitiges Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum bestehen kann und dass die sozio-ökonomische Entwicklung einer Region nicht so sehr von der Quantität der Menschen als vielmehr von der Qualität ihrer gesellschaftlichen Organisation, das heißt von konkreten politischen Macht- und Eigentumsverhältnissen, bestimmt wird (vgl. Sen 1981, Wichterich 1994, Kracht/Schulz 1999). In diese Richtung argumentiert insbesondere die FAO mit ihrem Ansatz der ‚food security‘ im Sinne von „availability, accessibility, acceptability and adequacy“ (vgl. Koc et al. 1999: 1) von Nahrung. Ein zweiter Strang der Kritik wurzelt dagegen stärker in einer diskursanalytischen Tradition und versucht die impliziten normativen Setzungen hegemonialer Diskurse freizulegen. Eine ‚archäologische‘ Kritik erfuhren vor allem die beiden
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dominanten Begriffe der ‚Entwicklung‘ und der ‚Überbevölkerung‘ (s. nächstes Kapitel). Angesichts zahlreicher Veröffentlichungen zu diesem Thema und der bereits erfolgten wissenschaftstheoretischen Analyse der Entstehung eines Bevölkerungsdiskurses können an dieser Stelle die diskurskritischen Ausführungen zum Entwicklungsbegriff knapp gehalten werden. Wie für alle im wissenschaftlichen oder gesellschaftlichen Diskurs relevanten Begriffe ist auch der Begriff der ‚Entwicklung‘ nicht in einem machtfreien Raum entstanden. Die gesellschaftliche Diskussion um ‚Entwicklung‘ kann als Diskurs verstanden werden, der historisch entstanden ist und durch gesellschaftliche Kräfteverhältnisse und Interessen geprägt war, so dass von Anfang an Entwicklungsmodelle und Weltbilder unaufhebbar miteinander verflochten waren. In der Entwicklungspolitik verdichteten sich „normative Ideen von Entwicklung, Fortschritt oder Modernisierung zu strategischen Entwürfen für die Lösung gesellschaftlicher Probleme“ (Becker 1997: 8). Im Rahmen der lange Zeit die Weltpolitik beherrschenden Konkurrenz zwischen den beiden Machtblöcken der UdSSR und der USA offenbarte sich einmal mehr die Rolle der Demografie und der Entwicklungsforschung als Ratgeberund Legitimationswissenschaft nachhaltiger staatlicher Eingriffsmaßnahmen. Wie die Analysen Arturo Escobars (1994) deutlich machen, erfolgte die Rechtfertigung derartiger Interventionen über im Entwicklungsdiskurs konstruierte ‚Abnormalitäten‘ (‚Unterentwickelte‘, ‚Mangelernährte‘). Ausgerichtet waren diese Programme mehr oder weniger unverhohlen stets an dem Leitbild der industrialisierten westlichen Gesellschaften und so erhielten die als notwendig erachteten Transformationsprozesse ‚unterentwickelter‘ Regionen ein normatives Fundament. Grundfeste dieser Entwicklungsideologie war (und ist es zum Teil immer noch) der Glaube, dass Modernisierung als ein umfassender Prozess sozialen Wandels in Raum und Zeit theoretisch von universeller Gültigkeit ist (vgl. Randeria 1993). Wie bereits erwähnt, wurde als zentraler Motor dieser angestrebten ‚Entwicklung‘ wirtschaftliches Wachstum lokalisiert, mit dessen Einsetzen zwangsläufig auch Wohlstand und Entwicklung nach westlichen Vorstellungen in alle Weltregionen Einzug halten sollte. Insgesamt haben die unter dem Etikett des ‚Post-Development‘ beziehungsweise der ‚post-colonial studies‘ bekannt gewordenen Ansätze dafür sensibilisiert, dass sich hinter dem Begriff der ‚Entwicklung‘ nicht selten westzentrische theoretische Konstrukte verbergen und sich unter dem Deckmantel verlockender Entwicklungsversprechen kulturimperialistische Projekte verstecken.
1.3.2 Wie tragfähig ist die Erde? Brown und die Pessimisten, Simon und die Optimisten, Smil und die Realisten Seit Mitte der 1980er Jahre fand schließlich eine wichtige inhaltliche Verschiebung innerhalb der Bevölkerungsdebatte statt. Wie in der Einleitung bereits erwähnt, erfolgte in den letzten Jahrzehnten mit dem Leitbild einer ‚nachhaltigen Entwicklung‘ eine Synthetisierung entwicklungspolitischer Konzepte mit empiri-
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schen Analysen von Umweltbelastungen und Umweltzerstörungen. Im Prozess dieser Verschränkung des ökologischen Krisendiskurses mit den Fragen einer gelingenden Entwicklung bilden sich jene Konturen eines neuen Konzepts gesellschaftlicher Veränderung heraus, das wesentlich zu einer „Globalisierung des ‚Bevölkerungsproblems‘“ (Hummel 2000: 55) beigetragen hat. Es handelt sich nunmehr um einen diskursiven Raum, innerhalb dessen Berichte über steigende Umweltbelastungen mit dem Wachstum der Bevölkerung im Rahmen einer Sachzwanglogik linear miteinander in Verbindung gebracht werden. Oftmals im direkten Anschluss an die Thesen von Malthus wurde Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts verstärkt eine (naturwissenschaftlich) quantifizierbare Antwort auf die Frage, wie viele Menschen ernährt werden können, gesucht. Der Vergleich verschiedenster Studien aus dieser Zeit von Joel Cohen (1995: 161ff.) zeigt auf eindrucksvolle Weise, dass es wohl auf diese Frage kaum eine definitive Antwort geben kann. So schwanken die globalen Schätzungen zwischen 1 Mrd. bis 1 Billion Menschen, die die Erde ‚ertragen‘ kann, doch der größte Teil der Schätzungen liegt bei einem Wert zwischen 4 und 16 Mrd. Menschen. Relationale Ansätze differenzieren nach verschiedenen Anbauregionen und bestimmen daraufhin die maximale Bevölkerungsdichte in einzelnen Gebieten. Zur Bestimmung der optimalen Bevölkerungsgröße, so zeigt Cohen auf, variieren die Grundannahmen der Berechnungen; es lässt sich feststellen, dass der methodische Apparat immer mehr verfeinert wurde. Es finden sich folgende vier Grundmuster (ebd.): • Annahme einer konstanten Landproduktivität und eines konstanten individuellen Nahrungsbedarfs, der basierend auf Fallbeobachtungen ermittelt wird • Zugrundelegen von Wenn-dann-Beziehungen: Wenn ein Lebensstandard angenommen wird, der sich durch eine spezifische Nahrungszusammensetzung und einen spezifischen Lebensraum (in m2) auszeichnet, dann können unter der Annahme, dass nur das Land und die Effektivität der Photosynthese begrenzend auf die Nahrungsversorgung wirken, eine spezifische Anzahl von Menschen ernährt werden. • Unterscheidung von Nahrungszusammensetzung: Das Nahrungsmittelangebot wird nach pflanzlichen und tierischen Nahrungsmitteln unterschieden und es werden die jeweils notwendigen Inputs für diese Produkte, wie beispielsweise Land und andere Ressourcen (Wasser etc.), in der Berechnung der optimalen Bevölkerungsgröße berücksichtigt. • Erweiterung des Ökonomie-Modells: Berücksichtigung (potenzieller) technologischer Veränderungen und Landnutzungsmuster für nicht agrarische Nutzungen, die die Grundlagen für die landwirtschaftliche Nahrungsmittelproduktion beeinflussen. Neben der stärker ökologisch eingefärbten Variante spielt das Tragfähigkeitstheorem damit auch in aktuellen Debatten um den Zusammenhang von Nahrungsspielraum und Bevölkerungswachstum eine zentrale Rolle. Man hätte es heute
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mit einem „verlorenen Gleichgewicht“ (Schmid 1976: 4) zu tun, welches seine Ursache darin hat, dass die dynamische Balance, die Naturvölker „zwischen ihrer Bevölkerungsgröße und den Nahrungsreserven“ (ebd.) noch herzustellen wussten im Zuge moderner Existenzweisen endgültig abhanden gekommen ist. Gemeinsamer Ausgangspunkt nahezu aller Beiträge ist die Feststellung, dass aufgrund der raschen Bevölkerungsentwicklung in den Entwicklungsländern zumindest kurzfristig ein enormer ‚Bevölkerungsdruck‘ auf der Nahrungsversorgung lastet. Der Dissens setzt bei der Frage nach der Einschätzung dieser Problemlage und den damit verbundenen möglichen Handlungsstrategien ein. Wie bereits erwähnt, lässt sich das diskursive Feld grob in drei unterschiedliche Lager einteilen: den Bevölkerungspessimisten, den -optimisten und den -realisten. Zentrales Argument der ‚Pessimisten‘ ist, dass eine wachsende Bevölkerung die natürlichen Lebensgrundlagen durch steigenden Konsum gefährde und dies durch technische Innovationen nur kurzfristig zu kompensieren sei. ‚Optimisten‘ hingegen sehen in der Verknappung von natürlichen Ressourcen in Folge eines Anstiegs der Bevölkerungszahl einen wesentlichen Anreiz zur Freisetzung von Potenzialen für technischen Fortschritt, aber auch für Wissenszuwachs und soziale Entwicklung. Die ‚Realisten‘ zeichnen sich nicht etwa durch eine dem Realismus verpflichtete erkenntnistheoretische Position aus, sondern vielmehr durch das Bestreben, in einer Ablehnung einer rein naturwissenschaftlichen Betrachtung der Tragfähigkeit auch verstärkt soziale, politische, ökonomische und kulturelle Aspekte der Ressourcennutzung in die Analyse zu integrieren. Die Pessimisten Die mit der Grundüberlegung, wie viele Menschen auf der Erde leben können, verbundenen wissenschaftlichen Arbeiten sind vielfältig. Dies zeigt sich nicht zuletzt auch darin, dass es unzählige Definitionen für Tragfähigkeit gibt. Diese lassen sich grob unterscheiden in solche aus der Ökologie, die sich auf Populationsdynamiken jedweder Spezies in Abhängigkeit von den natürlichen Ressourcen beziehen (ecological carrying capacity) und solche aus der angewandten Ökologie, die auf die Interaktion zwischen nicht-menschlichen Populationen (Tiere und Flora) und sozialen beziehungsweise ökonomischen Systemen fokussieren (human carrying capacity). Cohen (1995: 417ff.) führt alleine für die Jahre 1975 bis 1994 aus dem Bereich der human carrying capacity 26 verschiedene Definitionen auf. Gebündelt sind die verschiedenen Positionen im zusammenfassenden Definitionsvorschlag von Borcherdt/Mahnke (1973, zit. nach Bähr 1997: 265, Hervorh. CJ): „Die Tragfähigkeit eines Raumes gibt diejenige Menschenmenge an, die in diesem Raum unter Berücksichtigung des hier/heute erreichten Kultur- und Zivilisationsstandes auf agrarischer/natürlicher/gesamtwirtschaftlicher Basis ohne/mit Handel mit anderen Räumen unter Wahrung eines bestimmten Lebensstandards/des Existenzminimums auf längere Sicht leben kann.“ Diese offene Definition macht deutlich, dass sich die Tragfähigkeitsvorstellungen hinsichtlich
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der effektiven (hier) oder potenziellen (heute) Tragfähigkeit, der Skalenfrage (agrare, naturbedingte oder gesamtwirtschaftliche Tragfähigkeit), dem Ökonomiemodell (geschlossene oder offene Volkswirtschaft) und der Fokussierung auf eine maximale, am Existenzminimum orientierte oder optimale, auf einen spezifischen Lebensstandard ausgerichtete Tragfähigkeit unterscheiden. Mit Tragfähigkeitsvorstellungen geht nahezu zwangsläufig die Annahme einher, dass das Dargebot an Ressourcen wie Boden, Wasser oder Feuerholz, Erdöl, Gas etc. begrenzt und die Gesamtmenge der zur Verfügung stehenden Ressourcen bestimmbar ist. In pessimistischen Sichtweisen wird eine klar definierbare Grenze angenommen, die mit der Gefahr der Auslöschung von Leben (Menschen und Ökosystem) verbunden wird, die eine Schwelle zur ‚Überbevölkerung‘ markiert. Letztlich geht dies auf die oben skizzierten Überlegungen von Malthus zurück. In ihrer einfachsten Form stellt die Tragfähigkeitsgrenze das maximal mögliche Verhältnis zwischen Bevölkerung und Nahrungsmittelproduktion dar, das als ‚per capita food outcome‘ interpretiert werden kann. Erweitern lässt sich dies hin zur Frage, bis zu welchem Schwellenwert eine Bevölkerung und ihr Konsum von landwirtschaftlich und industriell sowie unter Energie-Einsatz gefertigten Waren und Dienstleistungen wachsen können. Diese Erweiterung spiegelt sich beispielsweise im Bericht des Club of Rome „Grenzen des Wachstums“ (Meadows et al. 1972). Es werden in den verschiedenen Konzeptionen von Tragfähigkeit unterschiedliche wachstumsbegrenzende Faktoren für die Bevölkerung identifiziert. So werden in Unterernährung, Krankheiten und Kriegen Dynamiken gesehen, die die Sterberate erhöhen beziehungsweise die Geburtenrate senken. Darüber hinaus wird in der Bevölkerungspolitik ein Instrument gesehen, das es ermöglicht, die Zahl der Geburten zu reduzieren und so eine ‚Anpassung‘ wachsender Bevölkerungen an die Tragfähigkeitsgrenze zu erreichen.50 Allgemein gilt im pessimistischen Tragfähigkeitstheorem:
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Das Maximum der Bevölkerung ist erreicht, wenn ihre Größe die Tragfähigkeitsgrenze des Bodens/des ökologischen Systems überschreitet. Dann setzen Mechanismen ein, die die Bevölkerungsgröße auf ein ‚verträgliches Maß‘ reduzieren (Neo-Malthusianisches Argument) Technologische Fortschritte sind möglich, können aber nur kurzfristig den Zusammenbruch gesellschaftlicher Systeme (z.B. Ökonomie) verhindern. Sie bergen eigene (ökologische) Risiken und können auf lange Sicht nicht die Tragfähigkeit der Natur aufheben (vgl. Wilson 1998: 289).
50 Aus dem Modell der Demographie heraus wäre es auch denkbar, Maßnahmen zur Erhöhung der Sterberate bzw. zur Senkung des Durchschnittsalters zu entwerfen. Diese werden aber auch im pessimistischen Ansatz als normativ nicht durchsetzbar bewertet (vgl. Ehrlich 1968).
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Überspitzt formuliert lautet die Quintessenz vieler pessimistischer Kommentare zum Zusammenhang von Bevölkerung und Umwelt beziehungsweise Ernährung: Das Ende ist nahe und ist, wenn überhaupt, nur abwendbar, wenn radikal umgesteuert wird. Exemplarisch für viele soll an dieser Stelle etwas näher auf das von dem australischen Biologen Duncan A. Brown verfasste Buch „Feed or Feedback“ (2003) eingegangen werden. Ausgangspunkt seiner Überlegungen sind zunächst die weltweit beobachtbaren beziehungsweise thematisierten Folgen und Gefahren anthropogener Umweltveränderungen, wie Bodendegradation, Treibhauseffekt, Artenrückgang, Ozonloch etc. Seiner Meinung nach bleiben die wahren Ursachen dieser ökologischen Gefährdungen bei den meisten Veröffentlichungen weitestgehend im Dunkeln, da sie nicht in einen analytischen Zusammenhang mit der Entstehung der Landwirtschaft gestellt würden: „In a sense, however, they are symptoms rather than the primary causes of our problems. None of them could have achieved anything like their present significance without the stimulus provided, since the advent of agriculture.“ (Brown 2003: 13) Ihn interessiert dabei zunächst weniger die Frage, welche historischen Umstände zu der evolutionsgeschichtlich höchst voraussetzungsreichen Entstehung landwirtschaftlicher Aktivitäten geführt haben51. Tatsache ist für ihn, dass die Bedeutung der Landwirtschaft in ihrer Tragweite für die Entwicklung der Menschheit gar nicht überschätzt werden kann: „Without farming, there would be no cities, no libraries, no hospitals, no computers, no nuclear weapons, no musical instruments, no motor cars – not even bicycles.“ (ebd.: 18) Wenn aber die Landwirtschaft von so immenser Bedeutung für die kulturelle Evolution der menschlichen Spezies war, woher rührt dann ihr zerstörerisches Potential? Seine Ausführungen sind für den hier interessierenden Problemzusammenhang deshalb von großer Bedeutung, weil Brown seine Thesen explizit in den Kontext des Zusammenhags von Bevölkerungsentwicklung und Ernährungssituation stellt: „Quite obviously, in any ‚natural‘ environment, there must ultimately be such a relation between the supply of food on the one hand, and the population dynamics ... on the other.“ (Brown 2003: 25) Der theoretische Rahmen innerhalb dessen er die Dynamik dieses Zusammenhangs zu erfassen versucht, ist die biologische Kybernetik. Begriffliches Kernstück ist hierbei die klassischkybernetische Vorstellung eines Regelkreises, innerhalb dessen zwei unterschiedliche Arten von Rückkoppelungsprozessen unterschieden werden können:
51 Unbestritten ist in der Debatte, dass für diese Frühphase der Menschheitsgeschichte eine enge Wechselbeziehung zwischen dem Bevölkerungsanstieg und den Veränderungen der Nahrungsmittelsicherung bestand. Ob aber nun der gestiegene ‚Bevölkerungsdruck‘ der Hauptmotor für das Einsetzen des sesshaften Ackerbaus war oder umgekehrt erst dieser überhaupt einen Bevölkerungszuwachs ermöglichte, wird in der Literatur durchaus kontrovers diskutiert. Für Brown handelt es sich dabei allerdings um eine unfruchtbare „chicken-and-egg question“ (Brown 2003: 23), deren Klärung für den ihn interessierenden Zusammenhang letztlich irrelevant sei.
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negative und positive Rückkoppelungen. Negative Kopplungen wirken stets ausgleichend und kompensierend auf das zu regelnde System, so dass Abweichungen eine Korrektur erfahren und der Gleichgewichtszustand beziehungsweise das Ziel des Systems erhalten bleibt52. Positive Rückkopplungen haben dagegen eine sich selbst verstärkende Wirkung, das heißt möglicherweise auftretende Abweichungen können nicht reguliert werden und können sich im Rahmen eines ‚vicious circle‘, wenn dem System nicht von außen eine Grenze gesetzt wird, sogar bis zur Zerstörung des Systems aufschaukeln.53 Browns zentrale These lautet nun, dass solange der Mensch ausschließlich als Jäger und Sammler die Erde bevölkerte, eine negative Rückkopplungsschleife zwischen der Bevölkerungsentwicklung und dem Nahrungsspielraum bestand, das heißt dass sich der Bevölkerungsbestand an die begrenzte Nahrungssituation anpasste und dadurch auf einem relativ stabilen Niveau verharrte. Mit der „Nahrungsmittelrevolution der Jungsteinzeit“ (Bähr 1997: 243), begründet durch den Beginn des sesshaften Ackerbaus, revolutioniert sich aber gleichzeitig auch die Bevölkerungsentwicklung: Die Bevölkerungsdichte sei auf das Zehn- bis Fünfzigfache der bisherigen Werte angestiegen, was den Zusammenhang zwischen Bevölkerungsentwicklung und Nahrungsversorgung auf dramatische Art und Weise verändert habe: „The critical thing is that the transition to agriculture changed the relation between food supply and population from one of negative to positive feedback. And that, to coin a phrase, is dynamite.“ (Brown 2003: 23) Das bedrohliche Potential, das aus der Landwirtschaft erwächst, speist sich dabei wesentlich aus zwei Quellen: Zum einen würden aus biologischer Sicht alle Populationen stets dazu tendieren, sich solange ungehemmt zu vermehren, wie es der Nahrungsspielraum zulässt. Die Nahrungsmittelrevolution, eingeleitet durch die Erfindung einer intensiv betriebenen Landwirtschaft, und die damit einhergehende Ausweitung verfügbarer Nahrungsquellen habe aber ein solch ‚natürliches‘ Gleichgewicht außer Kraft gesetzt. Das als direkte Folge dieser Störung ungehemmt einsetzende Bevölkerungswachstum habe dazu geführt, dass der Planet Erde schon seit langem „overstocked“ (Brown 2003: 254) sei und sich an den Grenzen seiner Tragfähigkeit befände. Spätestens an dieser Stelle schlägt der biologische Determinismus Browns voll durch; die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen und Kräfte werden nicht einfach bloß unterschätzt, sondern sie werden vielmehr systematisch aus der Analyse ausgeblendet. Verstärkt würde dieser ohnehin schon dramatische Teufelskreis durch die Tatsache, dass durch das Betreiben von Landwirtschaft der Mensch Eingriffe in Naturzusammenhänge vornehme, die er nur begrenzt begreife, wodurch die Gefährdung durch nicht-intendierte Nebenfolgen weiter zunehme. Die Konsequenzen, die 52 Beispiel für ein solches System, das sich über negative Kopplungsschleifen steuert, wäre der Körpertemperaturausgleich bei einem ‚Warmblütler‘. 53 Das fast jedem bekannte ansteigende Pfeifen einer Lautsprecheranlage bei Rückwirkung eines Mikrophons auf die Lautsprecher wäre ein Beispiel für positive Rückkopplungschleifen.
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Brown aus seiner Einschätzung der Lage zieht, sind drastisch. Aus seiner Sicht existieren lediglich zwei Möglichkeiten die drohende Katastrophe noch abzuwenden: Da auf die ‚Einsicht‘ der Individuen mit Blick auf ihr ‚destruktives‘ reproduktives Verhalten nicht gerechnet werden kann54, bleiben nur zwei Möglichkeiten (Brown 2003: 255f.): Die eine ist derart unverhohlen neo-malthusianischer Prägung, dass man es kaum glauben mag: „One is to place a firm limit on the food production ... This first option will necessarily cause hardship but not such severe hardship as allowing the system to continue out of control. It will invoke the question such as ‚is it better for 50 million people to starve now or for 100 million to starve in 30-40 years‘?“ (Brown 2003: 255) Die andere, nicht minder problematische Option sieht er in einer rigiden staatlichen Bevölkerungspolitik, die vor allem in den Entwicklungsländern darauf ausgerichtet sein muss, zu einer konsequenten Reduzierung der Geburtenrate beizutragen. Browns Argumentationsweise wurde deshalb so ausführlich nachgezeichnet, weil an ihr exemplarisch die Strategie vieler vergleichbarer Beiträge illustriert werden kann. Letztlich wird eine ganze Reihe von scheinbar gesetzesartigen linearen Zusammenhängen ins argumentative Feld geführt, die man aus sozialökologischer Perspektive als unzulässige Übersimplifizierungen zurückweisen muss. Zum einen findet sich die in der Bevölkerungsdebatte immer wieder angeführte Behauptung, dass eine wachsende Zahl von Menschen in Form von Bodenübernutzung, Wasser- und Luftverschmutzung, Entwaldung etc. sich eindeutig und uni-linear negativ auf die Umwelt auswirke. Das zugrunde liegende Denkmodell lässt sich mit der Gleichung ‚mehr Menschen = weniger Natur‘ in ihrer ganzen Schlichtheit auf den Punkt bringen. Als Konsequenz bleiben bei Brown die Wechselwirkungen unterschiedlicher Ebenen und Faktoren (Besitzund Machtverhältnisse, Produktionsformen, Geschlechterverhältnisse, Naturbilder, Bildung etc.), die oftmals einen sehr viel größeren Einfluss sowohl auf konkrete Umweltbedingungen und -nutzungsformen als auch auf Ernährungssituationen haben, schlichtweg ausgeblendet. Weiterhin ist seine offensichtlich stark an Malthus orientierte Interpretation des Zusammenhangs zwischen Bevölkerungsentwicklung und Nahrungsspielraum nicht in der Lage, aktuelle demografische Entwicklungen auch nur annähernd plausibel zu erklären. Wenn tatsächlich Populationen dazu neigen, stets den verfügbaren Nahrungsspielraum voll auszuschöpfen, indem sie sich beständig vermehren, zugleich dieser Faktor demografische Entwicklungen monokausal determiniert, wie kommt es dann zu den bekannten Schrumpfungsphänomen der meisten westlichen Gesellschaften?
54 Brown zähl eine Reihe von Gründen auf, die es seiner Meinung nach sehr unwahrscheinlich erscheinen lassen, dass die prekäre Situation noch zum Guten gewendet werden kann. Als eines dieser Hindernisse identifiziert er das menschliche Verhalten: „A fourth barrier stems from a number of peculiarities of human behaviour. This is the most nebulous, and perhaps the most fundamental of the conscious reasons for opposition.“ (Brown 2003: 273)
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Abbildung 7: Illustrationen zu verschiedenen pessimistischen Tragfähigkeitsvorstellungen
(Quelle Janowicz/Lux 2006) In oben stehender Abbildung werden verschiedene Varianten des pessimistischen Tragfähigkeitstheorems dargestellt. Die erste Vorstellung hat ihren Ursprung in der Populationsbiologie. Unter der Annahme eines logistischen Verlaufs des Bevölkerungswachstums (gestrichelte Linie) nähert sich dies asymptotisch an die als konstant gesetzte Kapazitätsgrenze (durchgezogne Linie) an. Diese Vorstellung beinhaltet zwei Grundannahmen: Zum einen wird die Natur als konstante Grenze für das Bevölkerungswachstum gesehen und zum anderen kann eine Bevölkerung nur solange wachsen, bis sie ‚an diese Grenze stößt‘ und sich ihre Größe unterhalb der Kapazitätsgrenze stabilisiert. Die in 2a dargestellte Tragfähigkeitsvorstellung geht davon aus, das eine kurzfristige Überschreitung der Kapazitätsgrenze eintreten kann, diese aber zu einer Art Schock führt, der die Bevölkerungsgröße stark verringert. Aus der Erfahrung dieses Schocks wächst zwar die Bevölkerungszahl wieder an, stabilisiert sich dann aber ähnlich wie in 1 dargestellt, unterhalb der konstanten Kapazitätsgrenze. Davon ausgehend, dass ein einmaliger Schock nicht ausreicht, um die Bevölkerungsgröße langfristig unterhalb der Kapazitätsgrenze zu halten, ist in 2b illustriert, wie sich die Bevölkerungsgröße alternierend an die konstante Kapazitätsgrenze annähert.
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Mit der Annahme, dass eine (einmalige) Überschreitung der Kapazitätsgrenze durch die Bevölkerung ökologische Konsequenzen nach sie zieht, die die Tragfähigkeit eines Gebietes dauerhaft reduzieren, ergibt sich die in 3 dargestellte Situation. So wird beispielsweise ein durch Überweidung, Überdüngung oder Flächenversiegelung beeinträchtiger Boden kurz- bis mittelfristig eine verringerte Fertilität aufweisen, so dass sich das Nutzungspotenzial und damit die Tragfähigkeitsgrenze nach unten bewegen. In Kombination mit der in 2a dargestellten Tragfähigkeitskonzeption ergibt sich, dass sich das Bevölkerungsniveau mittelfristig unterhalb der nun reduzierten Kapazitätsgrenze einpendelt. Obgleich sich der malthusianische Zusammenhang für die Weltbevölkerung als Ganzes nicht empirisch nachweisen lässt, trifft er nach Meinung Einiger zu bestimmten Zeitpunkten an bestimmten Orten jedoch zu (vgl. Costanza et al. 2001: 29). Praktische Relevanz hat diese Perspektive in der Entwicklungszusammenarbeit seit den 1970er Jahren (Geist 1993). So zeichnen Kirchner et al. (1985: 45) das Tragfähigkeitskonzept als wichtig für die Arbeit von Entwicklungsökonomen, Planern und politischen Entscheidungsträgern in der Entwicklungspolitik und in Entwicklungsländern aus. Darüber hinaus dienten die Argumente der pessimistischen Sichtweise auf Tragfähigkeit vielfach als Begründungszusammenhang für die Umsetzung von Maßnahmen zur Geburtenkontrolle beziehungsweise positiver formuliert für die Familienplanung (Rainer 2005: 98). Die Optimisten
Eine komplett gegensätzliche, zuweilen abenteuerlich-naiv anmutende und zugleich technokratisch eingefärbte Sicht der Dinge findet sich bei den Optimisten, deren zugleich umstrittenster wie prominentester Vertreter wahrscheinlich in Julian Simon zu finden ist. Der Standpunkt bekleidet in der aktuellen Diskussion bestenfalls eine Außenseiterposition. Ähnlich wie seinerzeit bei den Merkantillisten werden vor allem die segensreichen Wirkungen eines ‚Bevölkerungsdrucks‘ gepriesen, der schon aufgrund der schieren Masse der zum Denken und zu Innovationen fähigen Anzahl an Menschen seine Lösung in sich selbst enthalte und somit auch mit keiner restriktiven Bevölkerungspolitik reduziert werden müsse (vgl. Simon 1981). Unter der Anführung historischer Beispiele wird darauf verwiesen, dass die Menschheit in der Vergangenheit mehrfach große Herausforderungen gemeistert habe und das nicht zuletzt aufgrund der ultimativen Ressource Mensch: Eine wachsende Bevölkerung stimuliere in aller Regel aufgrund einer damit verbundenen größeren ‚Produktion‘ gesellschaftlich relevanten Wissens vor allem den technischen Fortschritt. So sieht Ester Boserup, eine weitere Vertreterin der optimistischen Varianten, in dem Bevölkerungswachstum südlicher Regionen eine wichtige Ursache für vergangene Innovationen im agrartechnischen Bereich, die oftmals auch als ‚Grüne Revolution‘ bezeichnet werden: „The rapid population growth in the decades after the Second World War provided much stimulus to agricultural development ... The ‚Green Revolution‘ is an
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example of the stimulation effect of population growth on agricultural development. “ (Boserup 1988: 72) Abbildung 8: Illustration der optimistischen Tragfähigkeitsvorstellung
(Quelle Janowicz/Lux 2006) Gearbeitet wird mit einer Problemdruckhypothese: Knappheitsbedingte, kurzfristige Verschlechterungen der Lebenssituation hätten auf lange Sicht nahezu immer positive Auswirkungen gezeitigt, da von ihnen ein Anreiz zu Innovation, Substitution sowie zur Mobilisierung des menschlichen Erfindungs- und Schöpfungsgeistes ausginge. Mit anderen Worten: Die Ressourcenfrage stellt sich aus dieser Sicht insofern nicht als besonders dramatisch dar, weil zumindest langfristig gesehen der Mensch auf Konflikte und Knappheiten stets intelligent reagiert habe. Damit wird im Kern die malthusianische These auf den Kopf gestellt: Aus dieser Sicht wird die Menge der produzierten Nahrung durch das Niveau des Bevölkerungswachstums determiniert; wächst die Bevölkerung an, wird die Produktion durch Entwicklung neuer Produktionsweisen intensiviert und der gesteigerten Nachfrage kann begegnet werden. Einen solchen, wenn auch moderateren Hang, zu einer technikaffinen Sicht der Dinge findet sich in der Diskussion dagegen wiederum relativ häufig. Derart technokratische Lösungsvarianten legen in weitestgehender Ausblendung sozial relevanter Aspekte und Kontexte der Nahrungsmittelknappheit ihr Hauptaugenmerk auf eine Intensivierung landwirtschaftlicher Forschung und Entwicklung. Aktueller Hoffnungsträger bei der technischen Maximierung des landwirtschaft-
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lichen Outputs sind neue biotechnologische Verfahren zur Ertragssteigerung von Feldfrüchten und Nutztieren (vgl. Harper/Le Beau 2003: 187f.). Die Realisten
Die dritte Position, die Realisten, nehmen wieder stärker mehr oder weniger explizit auf das Konzept der Tragfähigkeit Bezug. Exemplarisch sollen hier zwei Positionen vorgestellt werden: Zum einen die Thematisierung des Zusammenhangs von demografischer Entwicklung und Ressourcenverbrauch in der sog. Ökologischen Ökonomik als ein dezidiert wirtschaftswissenschaftlicher Beitrag zu diesem Problem und zum zweiten die Position von Vaclav Smil. Die Ökologische Ökonomik nimmt ganz explizit auf die Frage nach der Tragfähigkeit Bezug und macht sie zu ihrem Ausgangspunkt: Ist die Tragfähigkeit der Erde für die menschliche Bevölkerung begrenzt? Die Ökologische Ökonomik bejaht dies ohne Wenn und Aber. Die Kapazitäten des globalen Ökosystems als Ressourcenquelle und Senke für anthropogene Emissionen und Abfälle sind definitiv begrenzt. Um zu verdeutlichen, wie die durch menschliche Aktivitäten erzeugten Stoffströme die Tragfähigkeit der Erde überstrapazieren, wurde das Modell der ‚leeren‘ und der ‚vollen‘ Welt entwickelt. Das Dilemma, in dem sich die Menschheit derzeit nach Ansicht der Ökologischen Ökonomik befindet, erscheint zumindest auf der Ebene dieses Denkmodells als durchaus nachvollziehbar: Von einer einstmals ‚leeren‘ Welt – leer in Bezug auf die Zahl der in einem bestimmten Gebiet lebenden Menschen und ihrer Erzeugnisse, voll aber in Bezug auf das vorhandene Naturkapital, haben wir uns im Zuge des schnellen industriellen Wachstums und offenen Stoffkreisläufen zu einer vollen Welt entwickelt. Die Aktivitäten der Spezies Mensch hätten nunmehr eine solche Größenordnung erreicht, dass sie das globale Ökosystem zu gefährden beginnen. Daraus ergibt sich, zumindest aus ökonomischer Sicht, folgerichtig die nächste Frage: Was ist das optimale Ausmaß der Makroökonomie im Verhältnis zu den Quellen und Senken der Umwelt? Um die Tragfähigkeit zu wahren, muss eine wirtschaftliche ausgerichtete Strategie darum bemüht sein, eine effiziente Allokation der Ressourcen bei Schonung des bestehenden Naturkapitals, sprich vor allem Ressourcen, sicher zu stellen. Das Konzept, mit dem dieses Ziel erreicht werden soll, nennt Daly, einer der bekanntesten Vertreter der Ökologischen Ökonomik, im Anschluss an John Stuart Mill ‚Steady state economy‘: Damit meint er einen Zustand des Nullwachstums sowohl mit Blick auf die Bevölkerung als auch auf den Kapitalbestand, jedoch bei ständiger Verbesserung sowohl der technischen Effizienz der Ressourcenausbeute als auch der ethischen Prinzipien im Umgang mit Natur und Ungleichheitsfragen. Anders ausgedrückt: Entwicklung statt Wachstum. Um dieses Ziel zu erreichen, plädiert er für Landreformen, eine sozialgerechte Umverteilung von Produktionsmitteln hin zu Basisgütern, eine Re-Investition von Erträgen aus nicht-erneuerbaren Ressourcen (z. B. Öl) in alternative Technologien sowie die konsequente Anwendung von
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Nachhaltigkeitsprinzipien in der Landwirtschaft in Maßnahmenprogrammen zu kombinieren (Daly 1999: 165 f.). Die Position von Vaclav Smil zeichnet sich durch das Bemühen aus, eine ausgewogene Einschätzung der Lage vorzunehmen. Die Frage „How many people can the earth support?“ (Cohen 1995) wird unter dem Aspekt eines angestrebten Erkenntnisgewinns als unproduktiv zurückgewiesen, weil die dahinter stehende Frage nach einem quantitativen ‚Bevölkerungsoptimum‘ nicht, wie oftmals in derartigen Studien suggeriert, als eine natürliche und damit scheinbar berechenbare Konstante abgebildet werden kann, sondern wesentlich durch menschliche Tätigkeiten und Entscheidungen bestimmt wird (vgl. Cohen 1995, Smil 2001). Obwohl die Rede von der ‚Bevölkerungsexplosion‘ oder Fragen wie „Wer ernährt China?“ (Brown 1997) als überzogene Panikmache verurteilt werden, wird der Zusammenhang zwischen der weltweiten demografischen Entwicklung und dem Ressourcenverbrauch durchaus als kritisch eingestuft. Das verhalten-optimsitische Credo lautet dennoch: „The prospects may not be as bright as we might wish, but the outlook is hardly disheartening.“ (Smil 2001: xxvii) Angesichts der Tatsache, dass viele Entwicklungsländer den Ressourcenbedarf ihrer Bevölkerungen nicht aus eigener Kraft decken können – aus welchen Gründen auch immer, sei es, dass diese Ressourcen nicht vorhanden bzw. nur knapp verfügbar sind oder es technisch nicht möglich ist, sie zu verwerten (vgl. Weltbevölkerungsbericht 2001: 6) – stellt sich nicht so sehr die Frage nach einer ‚erfolgsversprechenden‘ Bevölkerungspolitik, sondern vielmehr nach den Möglichkeiten einer optimierten Verteilung bestehender Nahrungsmittelbestände. Stellvertretend für eine solche Forschungsprogrammatik kann Vaclav Smil zitiert werden: „A more practical, and a more meaningful, inquiry is thus to look into the best means of securing the required nutrition for ten billion people. Or, more precisely, it is to ask: Can human ingenuity produce enough food to support healthy and vigorous life for all those people without irreparably damaging the integrity of the biosphere?“ (Smil 2001: X). Den methodischen und theoretischen Einwänden gegen rein naturwissenschaftliche Untersuchungen zur Tragfähigkeit der Erde Rechnung tragend, wird versucht, der Komplexität des Phänomenbereichs durch eine Mehrebenenanalyse gerecht zu werden. Gegen die kontextfreie und einer einfachen Logik folgende Behauptung eines mono-kausalen Zusammenhangs von Bevölkerungswachstum und Nahrungsressourcenverknappung, werden mit dem Ziel, praktisch umsetzbare Handlungsanweisungen zu formulieren, umfassende Analysen politischer, sozialer, kultureller und ökonomischer Verhältnisse in den Mittelpunkt der Studien gestellt. Wenngleich hier davon ausgegangen wird, dass ungleiche Macht- und Herrschaftsverhältnisse einer Optimierung der Nahrungsmittelversorgung ebenso deutlich im Wege stehen können wie ineffiziente technische Lösungen, wird der Rolle technischer Optimierungsstrategien bei der Bekämpfung weltweiter Nah-
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rungsmittelengpässe nach wie vor die zentralere Bedeutung beigemessen55. Dies erscheint auf der einen Seite plausibel angesichts der Tatsache, dass Umwelteinwirkungen in Form von Ressourcennutzung letztlich immer operativ getätigt werden mittels maschineller und körperlicher Arbeit. Dennoch führt auch hier eine primär technik- und innovationsoptimistische Grundhaltung dazu, dass soziale Ungleichheitsstrukturen und (geschlechtsspezifische) Hierarchien nicht die ihnen gebührende Berücksichtigung erfahren.
1.4 Die geheime Geschichte des Hungers als Gegenerzählung Insgesamt lässt sich festhalten, dass trotz einer Vielzahl an Beiträgen zu diesem Thema keine eindeutigen empirischen Belege dafür existieren, dass sich rasches Bevölkerungswachstum langfristig in eindeutiger und unilinearer Weise negativ auf wirtschaftliche Entwicklung, ‚Modernisierung‘, Ernährungslage oder Umweltressourcen auswirken. Wenn dennoch Nahrungsknappheiten entstehen, liegt das in der Regel nicht so sehr an den natürlichen Grenzen einer ‚Tragfähigkeit‘ der Erde, sondern vielmehr an der Tatsache, dass die Verteilung der Güter nicht den Bedarfslagen entspricht. Charles L. Harper und Bryan Le Beau bringen diesen Aspekt auf den Punkt, wenn sie feststellen: „First, for now at least, chronic hunger is not caused by too many people or too little food. Second, problems of hunger are caused by the way food is distributed; or in other words, caused by people’s lack of access to the food that exists.“ (Harper/Le Beau 2003: 186) Vielmehr treten im Zuge eines raschen Bevölkerungsanstiegs die Folgen entwicklungshemmender sozialer und politischer Rahmenbedingungen deutlicher zu Tage: „Allerdings widerspiegelt der Teufelskreis von Armut und hoher Geburtenhäufigkeit primär politische Fehlleistungen, wie machtpolitische Verzerrung von Märkten.“ (Höpflinger 1997: 28) Bei vielen Analysen wird die konkrete materielle Seite lokaler Verhältnisse ausgeblendet: Lokales Wissen wird letztlich nicht einbezogen, Programme werden aus einer globalen Sicht entworfen, bewertet und dann den lokalen Verhältnisse übergestülpt. Wenn auch die diskursanalytische Entlarvung vieler Begrifflichkeiten oftmals mit einer bisweilen anstrengenden „Dämonisierung der industriellen Moderne ... und mit einer Romantisierung vormoderner Subsistenzgemeinschaften“ (Ziai 2003: 413) einhergeht, hat sie dennoch mit ihrem herrschaftskritischen Blick darauf aufmerksam gemacht, dass die vielfach postulierten unilinearen Ursache-Wirkungsverhältnisse zwischen Bevölkerungswachstum und bestimmten Problembereichen nicht selten der Verschleierung von ungleich verteilten Machtstrukturen dienen.
55 Vor allem bei Smil spielt die Frage nach den Möglichkeiten einer Effizienzsteigerung der bisherigen Nahrungsmittelversorgung eine zentrale Rolle: „Our response to higher demand should not be primarily the quest for higher supply through increased inputs, but rather the pursuit of higher efficiency.“ (Smil 2001: xxv)
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Bezogen auf die hier interessierende Fragestellung dominieren vornehmlich drei Deutungsmuster, die allerdings in bemerkenswerter Einhelligkeit der Diagnose eines ‚Bevölkerungsproblems‘ ihren argumentativen Ausgangspunkt nehmen. Und alle drei sehen die Lösung der Herausforderungen entweder in einer staatlichen, die Zahl der Geburten rigide kontrollierende Bevölkerungspolitik oder aber in einem anzustrebenden kulturellen Wandel. Noch heute werden Entwicklungsländer nicht selten „mit Vorstellungen eines Schattenreichs in Verbindung gebracht, von dem Bedrohung, Chaos und Risiko für den Norden und den Planeten überhaupt ausgehen“ (Randeria 1993: 82). So existiert zu der Geschichte eines ‚verlorenen Gleichgewichts‘ eine überzeugende Gegenerzählung: die des geheimen Hungers. Es war vor allem die afrikanische Hungerkrise Anfang bis Mitte der 1980er Jahre, die das Thema des Welthungers medienwirksam auf die Agenda der Welt setzte und deren Bilder von hungernden Menschen in Äthiopien bis heute die dominante Vorstellung vom afrikanischen Kontinent bestimmen. Zeitgleich begann sich eine Strömung wissenschaftlicher Arbeiten zu formieren, die sich dezidiert gegen die naturalistischen Argumentationsmuster eines Club of Rome (Meadows et al. 1972) oder der Brandt-Commission (1980) wehrten, die in erster Linie demografische und meteorologische Gründe für diese Hungerkrisen verantwortlich machten. Kennzeichnend für die neue Sicht auf den Hunger war eine neuartige Politisierung: „Famine – a man-made desaster“ (ICIHI 1985) lautete die Stoßrichtung von Veröffentlichungen, die im Rahmen einer Vielzahl von Fallstudien herausarbeiteten (Dias 1981, Sen 1981, Watts 1983, Arnold 1988), dass „famine is, and always has been, the very stuff of history“ (Watts 1993: 24). Hunger als etwas geschichtlich Gewordenes zu verstehen, half den verengten Denkrahmen naturalistischer und monokausaler Erklärungsstrategien zu durchbrechen und zu einer politischen Ökonomie und Ökologie des Hungers zu transformieren. Obwohl Hungersnöte in die wechselvolle Geschichte Europas eingewoben sind, findet sich in historischen Aufzeichnungen nur wenig darüber. Die Hungerkrisen derjenigen Weltregionen, die lange Zeit als ‚Dritte Welt‘ bezeichnet wurden und deren Ausmaße im 19. Jahrhundert alles Bekannte in den Schatten stellten, wurden in der Geschichtsschreibung nahezu vollkommen ausgespart, so dass Davis von einer „geheimen Geschichte des 19. Jahrhunderts spricht“ (Davis 2004: 15). Einschlägige Geschichtsbücher der damaligen Zeit erwähnen „zwar den Großen Hunger in Irland ebenso wie die Hungersnöte in Russland zwischen 1891 und 1892, aber auf die vielleicht schlimmsten Hungersnöte der letzten 500 Jahre in Indien und China“ (Davis 2004: 18) wird mit keinem Wort eingegangen. Die These, die Davis in seinem Buch zur „Geburt der Dritten Welt“ im Anschluss an eine ganze Reihe von Arbeiten entwickelt, ist, dass das, was lange Zeit als ‚Dritte Welt‘ bezeichnet wurde, „ein Produkt der Einkommens- und Vermögensungleichheiten ist … die vor allem im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entstanden ist, als man begann, die großen Bauernschaften außerhalb Europas in die Weltwirtschaft zu integrieren“ (ebd.: 25). Aus dieser Perspektive rekon-
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struiert er die großen Hungersnöte in China, Indien, Brasilien und Afrika im viktorianischen Zeitalter nicht als Folge von unkontrollierbaren Dürren, Seuchen oder eines zu raschen Bevölkerungswachstums, sondern als integrales Kapitel der Geschichte der kapitalistischen Moderne. Eine solche Perspektive hatte bereits Karl Polany in seiner Untersuchung zu den politischen und ökonomischen Ursprüngen von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen vorgezeichnet (vgl. Polany 1977). Polany erweiterte die Sicht entwicklungstheoretischer Dependenztheorien dahingehend, dass er mit Blick auf Hungerkrisen nicht allein auf die mit der Ausbeutung verbundenen hierarchischen Abhängigkeiten zwischen Industrienationen und (ehemaligen) Kolonien fokussierte, sondern in der Zerstörung traditioneller gesellschaftlicher Institutionen eine weitere Hauptursache für die Entstehung von Hungerkrisen identifiziert. Diese Destabilisierung gewachsener lokaler Strukturen erfolgt in seinen Augen durch die Tatsache, „dass einer völlig anders organisierten Gemeinschaft die Marktwirtschaft aufgezwungen wird“ (Polany 1977: 220). Vor der Einführung der freien Marktwirtschaft wurden beispielsweise in Indien lebensnotwendiges Getreide zu Festpreisen verkauft, wobei zum Schutz gegen mögliche Missernten kleinere, öffentliche Vorratslager eingerichtet wurden. Weiterhin wurde die Versorgungssicherheit der einzelnen Haushalte durch ein traditionelles System der Getreidevorratshaltung gewährleistet, das im Rahmen eines komplexen Netzwerks patrimonialer Verflechtungen funktionierte (vgl. Davis 2004: 36). Sowohl die Abschaffung öffentlicher Vorratslager als auch die Zerstörung traditioneller, familialer Versorgungsnetzwerke durch Privatisierungsprozesse, beides Folgen der Integration in den Getreideweltmarkt, führten in Kombination mit den rapide steigenden Marktpreisen als Reaktion auf die Mangelsituation zu der katastrophalen Entwicklung einer künstlich induzierten Nahrungsmittelknappheit, die zwischen 1866 und 1877 vermutlich mehr als 20 Millionen Menschen das Leben kostete (vgl. Nussbaumer 2003: 32). Polanys Analyse der Hungerkatastrophe in Indien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kommt somit letztlich zu dem Schluss, dass die Hungersnot „weder die Folge des schlechten Wetters noch der Ausbeutung war, sondern einfach das Ergebnis der neuen marktwirtschaftlichen Organisation von Arbeit und Boden, die das alte Dorf zerstörte, ohne seine Probleme zu lösen“ (Polany 1977: 221). Ähnliche Zusammenhänge lassen sich auch für den afrikanischen Kontinent nachzeichnen. Peter Mitchell hat in einer archäologischen Rekonstruktion der Entwicklung Afrikas und einer damit verbundenen Beschäftigung mit der Geschichte afrikanischer Nahrungsversorgungssysteme deren Diversität sowohl in Bezug auf die kultivierten Pflanzen- und Tierarten als auch hinsichtlich der damit verbundenen technischen Systeme eindrucksvoll herausgearbeitet und kommt in kritischer Distanz zu malthusianischen Interpretationen zu dem Schluss, dass „varied strategies of agricultural intensification … supported easily locally high population densities“ (Mitchell 2005: 37). Bis in die Kolonialzeit wurde in weiten Teilen Afrikas die Nahrungsmittelproduktion von ruralen Kleinbauern getragen, deren dezentral organisierte Gemeinschaften sich an gewohnheitsrechtlichen
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Normen orientierten (vgl. Berhan/Egziabher 2002: 154). Paradoxerweise berichteten nicht zuletzt Kolonialbeamte selber von dem hohen Entwicklungsstand einzelner indigener Anbausysteme. So schrieb beispielsweise A.J. Voelker, ein britischer Agrarökonom, im Jahre 1890 über ein Gebiet in Westafrika: „Nirgendwo würde man bessere Beispiele dafür finden, das Land skrupellos vom Unkraut freizuhalten – von Ingenuität in der Planung von Wasserförderung, von Kenntnis der Böden und ihren Eigenschaften, genauso wie der genauen Zeit für Aussaat und Ernte. Es ist auch wundervoll, wie viel von der Rotation bekannt ist, dem System der ‚gemischten Aussaaten‘ und von der Brache … Ich wenigstens habe nie ein vollkommeneres System des Ackerbaus gesehen.“ (zit.n. Collins/Lappé 1982: 99) Auch die Versuche einer systematischen Erfassung aller landwirtschaftlichen Produkte seitens der Kolonialverwaltung zeugen von einer hohen Bandbreite angebauter Pflanzensorten und damit verbundener Fähigkeiten und Wissensvorräte (vgl. Dudgeon 1878, Purcell 1899). Weniger entscheidend ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob die Kolonisatoren die jeweiligen landwirtschaftlichen Systeme für rückständig und unterentwickelt hielten oder nicht (was sie oftmals taten), sondern dass die Landwirtschaft unter völlig neuen Gesichtspunkten gesehen und dementsprechend restrukturiert wurde: Landwirtschaft diente nicht mehr der Nahrungssicherung der Bevölkerung vor Ort, sondern hatte vor allem die Produktion einträglicher Exporterzeugnisse, sog. ‚cash crops‘, zum Ziel. Die wichtigsten Produkte eines solchen „ökologischen Imperialismus“ (Crosby 1991) in tropischen und subtropischen Gebieten waren und sind in dieser Hinsicht Kaffee, Tee, Kakao, Zuckerrohr, Bananen, Orangen und Baumwolle. Die konsequente Transformation lokaler Anbausysteme in exportorientierte Monokulturen lässt sich in nahezu allen Regionen beobachten: In Gambia wurde der traditionelle Reisanbau durch Erdnusskultivierung verdrängt, in Nordghana wurde die Yam-Wurzel, wie überhaupt in Westafrika, durch Kakaoplantagen verdrängt, Liberia wurde in eine Plantage für Gummi verwandelt und Nigeria produzierte fortan auf seinen landwirtschaftlichen Flächen hauptsächlich Palmöl (vgl. Rodney 1976, Collins/Lappé 1982, Watts 1983, Crosby 1991, Davis 2004). Durch diese koloniale Form der Strukturanpassung wurde der in vielen Regionen florierende Binnenhandel nahezu vollständig zum Erliegen gebracht; noch existierende inländische Handelsbeziehungen und -strukturen wurden endgültig durch die Flut importierter Billigprodukte lahm gelegt. Eine weitere Folge dieser strikten Exportorientierung, die im Rahmen der Diskussion von afrikanischen Urbanisierungsprozessen noch eine Rolle spielen wird, war die konsequente Ausrichtung der gesamten Infrastrukturpolitik auf ein städtisches Zentrum hin, in der Regel jene Stadt, in der sich der Sitz der Kolonialverwaltung befand, so dass oftmals ganze Länder mit einer Stadt synonym wurden und die Entstehung weiterer, urbaner Zentren weitestgehend unterbunden wurde. Die erzwungene Durchsetzung von Monokulturen zeitigte aber auch gravierende ökologische Folgen. Monokulturen sind in der Regel gegenüber Krankheitserregern und Epidemien weitaus anfälliger als Mischkulturen, so dass es
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wiederholt zu totalen Zusammenbrüchen der Produktion kam. Die Nichtbeachtung von Brachezeiten und mangelnde Ausnutzung der ökologischen Nische eines Naturausschnitts durch Monokulturen trieben weiterhin eine Bodendegradation voran, die zu Fruchtbarkeitsverlusten führte und die wiederum teufelskreisartig in eine steigende Bodenversalzung und Bodenerosion mündete. Nicht zuletzt verursachte auch der tiefe Eingriff in die traditionelle geschlechtsspezifische Organisation der Agrarproduktion durch die Kolonisatoren schwere Turbulenzen. In vielen afrikanischen Ländern waren vor allem Frauen für die landwirtschaftliche Arbeit verantwortlich. Dieses funktionierende System wurde durch die erzwungene Landprivatisierung und die damit verbundene Übertragung des Eigentumsrechts auf den Mann destabilisiert, da in der Regel Landbesitz mit dem Recht einer Entscheidung über die jeweiligen Anbausorten verbunden war. Nachdem die Männer in der Regel aber nicht über das notwendige Wissen verfügten und im Umgang mit dem Anbau der Nahrung wenig Erfahrung besaßen, waren Existenz bedrohende Ernteausfälle die logische Konsequenz (vgl. Pellow 1977). Verschärft wurden lokale Hungerkrisen weiterhin dadurch, dass der Zeitpunkt für koloniale Expansionspolitiken aufgrund eines zynischen Kalküls oftmals mit derartigen Schwächungen der Bevölkerung zeitlich abgestimmt wurde (vgl. Dias 1981, Davis 2004). Gemeinhin wird die weitgehende Zerstörung der afrikanischen Agrarproduktion durch die Etablierung kolonialer Ausbeutungs- und Herrschaftsstrukturen und die damit verbundene Eingliederung außereuropäischer Anbaugebiete in den Weltmarkt in drei beziehungsweise vier Phasen unterteilt (vgl. als Überblick Tetzlaff/Jakobeit 2005: 49f.): Die erste Phase war geprägt durch einen unkontrollierten und unsystematischen Plüngerungsimperialismus. Erst die zweite Phase von ca. 1600-1800 führte zur Etablierung eines global vernetzten Handelskolonialismus. Die dritte Phase des Hochimperialismus (1880-1918), die mit dem Ersten Weltkrieg endete, bedeutete für die afrikanischen Länder die höchste Intensität der Zwangsintegration. Das Ende der dritten Phase, welche den formellen Dekolonialisationsprozess einleitete, führte für einige InterpretInnen angesichts der bis heute intakt gebliebenen Integration afrikanischer Länder als im Wesentlichen Exporteure unverarbeiteter Rohstoffe in eine vierte Phase des „NeoKolonialismus“ (vgl. Nkrumah 1968). Auch wenn es heute als Stand der Forschung gelten kann, dass die koloniale Zeit für die Entwicklung einzelner Regionen nicht ausschließlich einseitig negativ zu betrachten ist, sondern auch eingestanden werden muss, dass wider Willen positive Modernisierungsimpulse gesetzt wurden56 (vgl. Ki-Zerbo 1981, Harding 1999, Iliffe 2000), so steht doch au56 So gibt es einige strukturbildende Hinterlassenschaften der Kolonialzeit wie Einführung der Schulpflicht, moderne medizinische Versorgung und in Teilen das Christentum, die als positive Effekte gewertet werden. Zu einer überraschenden Neubewertung des Kolonialismus kommt es auch im Rahmen afrikanischen Bewegung, die die Misere des Kontinents nicht primär in der Kolonialzeit verortet, sondern durch die Verantwortungslosigkeit der eigenen Führerschaft bedingt betrachtet.
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ßer Frage, dass das koloniale Erbe für die Nahrungsversorgung weiter Teile Afrikas nach wie vor ambivalente Rahmenbedingungen setzt. Ökonomische Ausbeutung, die fatale Kombination der erzwungenen Integration in den Weltmarkt als Rohstofflieferant und die enorme Anfälligkeit für Weltmarktschwankungen angesichts des monokulturellen Anbaus, die Zerstörung der traditionellen, geschlechtsspezifisch codierten Organisation der Nahrungsversorgungssysteme sowie soziale Desintegration durch künstliche Grenzziehungen und damit verbundene, bis heute anhaltende kriegerische Auseinandersetzungen, sind bis ins 21. Jahrhundert hinein hemmende Faktoren. Die Skizzierung der ‚geheimen‘ Geschichte des Hungers macht damit deutlich, dass Hunger weder als etwas Schicksalhaftes noch Natürliches zu interpretieren ist, sondern dass historischer Hunger und aktuelle Unterernährung „als der Endpunkt eines langen historischen Prozesses angesehen werden [müssen] – eines Prozesses, der ein traditionelles Sozialsystem zerstört“ (Collins/Lappé 1982: 98) hat und in dessen Verlauf sich sozial-ökologische Verflechtungen freilegen lassen, die in einer Problem verschärfenden Kopplung von sozialen und ökologischen Dynamiken krisenhafte Transformationsprozesse initiierten. Die Diskussion hat deutlich gemacht, dass die naturalistische Interpretation von Mangel- und Unterernähung sowie Hunger nicht als das Ergebnis eines ‚verlorenen Gleichgewichts‘ gedeutet werden darf, sondern als Krise der Regulation gesellschaftlicher Naturverhältnisse plausibilisiert werden kann. Eine solche Interpretation gewinnt meines Erachtens weiterhin in der Betrachtung der asymmetrischen Verteilung des Saatguts zwischen Nord und Süd, das in der weltweiten Nahrungsmittelproduktion eine entscheidende Rolle spielt, an Plausibilität. Dann zeigt sich nämlich, dass mit Bezug auf die Nahrungsmittelproduktion 95,7% der Gesamtproduktion von Pflanzensorten geleistet wird, die aus den sechs am wenigsten entwickelten Regionen stammen (vgl. Kloppenburg/Kleinmann 1988, Görg 2003a: 230). Die Sicherung der Welternährung, vor allem der nördlichen Regionen, hängt damit also von genetischen Ressourcen ab, die ihren Ursprung in Länder des Südens haben! Philip McMichael fasst die Diskussion folgendermaßen zusammen: „Although more than enough food is produced for the world’s population, its distribution is strikingly unequal. Three principal reasons for this are: (1) industrial and bio-engineered agricultures systematically displace farmers who supply food for the poor; (2) markets respond to people with incomes, not people as such; and (3) agro-exporting, a structural imperative of the state system, exacerbates these tendencies.” (McMichael 2007: 170) Weiter gestärkt wurde die Vormachtstellung verschiedener Saatgutkonzerne dadurch, dass die stärkere Schädlingsanfälligkeit neuer Hybridsorten einen erhöhten Einsatz an Pestiziden erforderte. Nachdem aber die in der Regel in ärmlichen Verhältnissen lebenden Bauern in südlichen Regionen das dafür erforderlich Geld nicht aufbringen konnten, gleichzeitig der Einsatz von Pestiziden zur Vermeidung von Ernteausfällen aber unerlässlich ist, werden die Bauern zur
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Kreditaufnahme gezwungen – der Kreditgeber ist dabei in vielen Fällen aber niemand anderes als die Saatgutfirma selber (vgl. Shiva 2004: 22). Damit wird auch deutlich, dass es sich bei der Diskussion um Ernährungssicherheit stets um sozial-ökologische Problemlagen handelt, die insofern doppelt konstituiert sind, als es sowohl um naturräumliche Gegebenheiten in Form einer bestimmten Vielfalt von ernährungsrelevanten Nutzpflanzen geht, die gleichzeitig aber immer schon gesellschaftlich vermittelt ist, als sie in politische und ökonomisch-rechtliche Auseinandersetzungen um deren Bedeutung eingebettet sind (vgl. Görg 2003a: 230). Mit der Beleuchtung unterschiedlicher Machtinteressen und -konstellationen sollte nicht der Horizont einer Verschwörungstheorie aufgespannt werden, innerhalb dessen sich eine ‚dunkle Macht‘ oder gar ‚das Kapital‘ hinter dem Rücken der einzelnen Akteure durchsetzt. Vielmehr sollte aufgezeigt werden, dass die ‚Natur‘ in solchen Zusammenhängen keine ursprüngliche und neutrale Umwelt menschlicher Aktivitäten darstellt, sondern dass die Definition dessen, was jeweils unter Natur zu verstehen sei, im Rahmen von ungleichen Machtverhältnissen erfolgt und mit der Durchsetzung partikularer Interessen verknüpft wird57. Weiterhin haben sich die Hoffnungen zerschlagen, dass die unbestreitbaren ökologischen Gefährdungen im Rahmen eines globalen top-down Ressourcenmanagements zu lösen sind, indem deutlich wurde, dass eine solche Vorgehensweise der lokalspezifischen Realität ökologischer Krisenerscheinungen oftmals nicht gerecht werden konnte. Eine direkte Konsequenz aus dieser Einsicht ist ein Plädoyer für eine Stärkung lokaler Kontexte, innerhalb derer situierte Wissensformen und Interessenslagen im Sinne eines pragmatischen Realismus (vgl. II/3.2.1) in Form von Feedbackschleifen besser integriert und die Idee einer nachhaltigen Entwicklung somit mehr Realitätsgehalt bekommen würde. Insofern muss an dieser Stelle der sozial-ökologischen Einsicht Rechnung getragen werden, dass es nicht das gesellschaftliche Naturverhältnis gibt, sondern je nach ökonomischen, ökologischen und kulturellen Kontext auch heterogene gesellschaftliche Naturverhältnisse mit je spezifischen ökologischen Problemlagen existieren, wie es exemplarisch in der Rede einer „Third World Political Ecology“ (Bryant/Bailey 1997) zum Ausdruck gebracht wird. Was in der Debatte weiterhin völlig in den Hintergrund gedrängt wird, ist die Tatsache, dass die von internationalen Organisationen gefeierten Managementstrategien, wie beispielsweise die‚grüne Revolution‘, offensichtlich erhebliche soziale und ökologische Folgekosten hatten, die gerne unterschlagen werden. Vor allem der jedes Jahr fäl57 In diesem Sinne soll auch den großen NGOs wie FAO und UN nicht unterstellt werden, dass sie lediglich als Lobbyorganisation weltweit agierender Nahrungsunternehmen zu interpretieren seien. Dennoch bleibt festzuhalten, dass spätestens ab Mitte der 1960er Jahre mit der Einrichtung des sog. Industry Cooperative Program (ICP) der Einfluss privater Agroindustrieunternehmen beispielsweise auf die FAO zunahm, indem ihnen ein Zugang zu internationalen Entscheidungs- und Informationsebenen eröffnet wurde (vgl. Flitner 1995: 169).
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lige und teure Nachkauf der im Rahmen der grünen Revolution gezüchteten Hybrid-Sorten brachte die südlichen Bauern in die Abhängigkeit der jeweils anbietenden Saatgutfirmen des Nordens. Letztlich bleiben die Eingriffe oftmals dem eindimensionalen Leitbild einer wissenschafts- und technikbasierten Modernisierung der Agrarwirtschaft verhaftet, das indigene Strukturen und Kontexte ignoriert: „New imaginations of people, places and food were premised on the acceptance of a scientific approach that permitted the comparison of otherwise distinct contexts and subjected local knowledge to the supremacy of scientific images of, and universal claims for, food and agriculture.“ (Philips/Ilcan 2003: 435) Mit der starken Propagierung der Gentechnik als Allheilmittel gegen weltweite Nahrungskrisen manifestiert sich auch in der Debatte um nachhaltige Lösungen für die Nahrungsversorgung ein technokratischer Zug, der in letzter Zeit wieder stark den öffentlichen Diskurs um den anthropogen verursachten Klimawandel zu dominieren scheint: Sei es nun die verstärkte Verwendung von Energiesparlampen, der Einbau von Dieselrußfiltern oder der Einsatz genveränderten Saatguts - all diese Lösungsvorschläge lassen, wie sinnvoll sie im Einzelnen auch sein mögen, die gesellschaftliche Thematisierung der Frage ‚Wie wollen wir leben?‘ zugunsten der Suche nach technischer Effizienz mehr und mehr in den Hintergrund treten. Der ursprünglich gesellschaftskritische Impuls der Nachhaltigkeitsdebatte wird damit von einem Diskursstrang verdrängt, der glaubt, ökologische „Probleme auf dem Wege einer Optimierung des Stoffdurchsatzes bearbeiten zu können“ (Brand/Görg 2002: 29). Dass derartige Lösungsstrategien im Bereich der Nahrungsversorgung offensichtlich nicht von nachhaltiger Wirkung sind, lässt sich daran ablesen, dass auch nach zwanzig Jahren eine Feststellung Peter Alstons ihre traurige Gültigkeit behalten hat: „It is paradoxical, but hardly surprising, that the right to food has been endorsed more often and with greater unanimity and urgency than most other human rights, while at the same time being violated more comprehensively and systematically than ... any other right.” (Alston 1984: 9)
2. Urbane Transformationen und die Städte des Südens Urbanisierungsprozesse als eine spezifische Form demographischer Prozesse spielen im Rahmen der Diskussion um das Verhältnis von Bevölkerungsentwicklung und Nahrung einer immer bedeutendere Rolle. Angesichts der Tatsache, dass zu Beginn des 21. Jahrhunderts vor allem urbane Ballungszentren Kristallisationspunkt von sozialen Gegensätzen, Armut und Ausgrenzung zu sein scheinen (vgl. Häußermann/Kronauer/Siebel 2004), ist zu vermuten, dass die sozialräumlichen Strukturen von Städten einen starken Einfluss auf das Versorgungssystem der Nahrung ausüben. Die öffentliche und wissenschaftliche Aufmerksamkeit die Fragen der urbanen Versorgung zunehmend erfahren, hat ihren Ur-
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sprung nicht zuletzt in einem historisch einzigartigen Einschnitt: 2006 hat die Menschheit eine unsichtbare, aber dennoch in ihrer Bedeutung kaum über zu bewertende Schwelle übertreten, denn seither leben zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte mehr Menschen in urbanen als in ruralen Räumen. Somit gehört die Zukunft zweifelsohne den Städten. Unübersehbar ist aber auch, dass dieser Urbanisierungsprozess ungleich verteilt ist und in erster Linie südliche Regionen betrifft. Dabei ist auffällig, dass der Diskurs um die weltweite Verstädterung, insbesondere um die Städte des Südens, ganz ähnlich wie die übergreifende Diskussion um Bevölkerungsentwicklung und Nahrungsmittelmengen, von einem krisenbeschwörenden bis apokalyptischen Vokabular dominiert wird. Ob als „kommende Anarchie“ (Kaplan 1996) oder als „Planet der Slums“ (Davis 2007), oft werden die scheinbar ‚naturwüchsigen‘ Auswirkungen dieses Prozesses in der Vordergrund der Analysen gerückt. Demgegenüber wird in den nächsten Abschnitten stärker ein Blick eingenommen, der die hinter diesem Urbanisierungsprozessen stehenden Logiken als Geschichten miteinander in Beziehung stehender Entitäten zu rekonstruieren versucht, die diesen nicht als ‚naturwüchsig‘, sondern als Ergebnis spezifischer globaler und lokaler Verflechtungen versteht. Ähnlich wie im vorherigen Kapitel wird der Einstieg in die Debatten zunächst über eine Betrachtung der quantitativen Dimensionen des globalen Verstädterungsprozesses erfolgen. Nachdem es im Rahmen der Fallstudie um die afrikanische Stadt Accra gehen wird, konzentriere ich mich in einem zweiten Schritt vor allem auf die Diskussion afrikanischer Urbanisierungspfade bzw. gehe der Frage nach, ob sich überhaupt so etwas, wie genuin ‚afrikanische‘ Formen der Urbanisierung beobachten lassen.
2.1 Von Urbanität und Stadt zu Urbanisierung und Verstädterung Der Begriff der ‚Urbanisierung‘ verweist auf ein vielschichtiges und komplexes Phänomen und hat in der Folge sehr unterschiedliche Definitionsweisen erfahren (vgl. Herlyn 1998, Eckardt 2004, Häußermann/Siebel 2004). Auch wenn in weiten Teilen der Diskussion kein paradigmatischer Konsens besteht, stellt die Unterscheidung zwischen ‚Verstädterung‘ und ‚Urbanisierung‘ den kleinsten gemeinsamen Nenner der verschiedenen Ansätze dar: Der Begriff der Verstädterung bezeichnet die „Vermehrung, Ausdehnung oder Vergrößerung von Städten nach Zahl, Fläche oder Einwohnern, sowohl absolut als auch im Verhältnis zur ländlichen Bevölkerung ... während Urbanisierung auch die Ausbreitung und Verstärkung städtischer Lebens-, Wirtschafts- und Verhaltensweisen einschließt.“ (Bähr 1997: 75) Wie in der eben genannten Definition von Urbanisierung bereits deutlich wird, zeichnet sich der Prozess der Urbanisierung auch durch eine qualitative Dimension aus. Charakteristisch sind eine Veränderung von Lebensstilen und eine Angleichung der Verhaltensweisen ‚Hinzugezogener‘ an städtische Leitbilder. Jenseits der realen Entwicklung der Stadt gab es spätestens seit dem 16. Jahrhundert ein Konzept von Stadt, eine kulturelle Repräsenta-
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tion dessen, was den Bezugspunkt sowohl urbanistischer Planung als auch individueller Hoffnungen darstellt (vgl. Certeau 1999: 269). So besteht ein klassisches Element der Selbstbeschreibung der Moderne darin, vor allem die Stadt und damit verbundene Lebens- und Verhaltensweisen synonym zu setzen mit Modernität. Sie wird somit gleichsam zum „quasi mythischen Bezugspunkt, gleichzeitig treibende Kraft und der Held der Moderne“ (Certeau 1999: 269). Noch heute ist die Stadt, die zeitgenössische Metropole, für viele Menschen die bevorzugte Metapher moderner Welterfahrung. Dennoch fehlt nach Meinung vieler StadtsoziologInnen „bis heute eine wirklich überzeugende Formel“ (Eckardt 2004: 5), die den Gegenstand der Stadt auf eine befriedigende Weise definieren würde. Der Begriff der ‚Urbanität‘ hat seit seiner Entstehung ebenfalls eine schier unüberschaubare Vielzahl von inhaltlichen Ausfüllungen erfahren (vgl. als Überblick Wüst 2004), die manchen Interpreten zu dem Urteil veranlassen, dass „die Verwendung des Wortes durch eine gewisse Beliebigkeit gekennzeichnet [ist], mit der es auf unterschiedlicher Basis in unterschiedlichen Zusammenhängen bemüht wird“ (Wüst 2004: 44). Daher möchte ich mich an dieser Stelle auch nicht in der „Kakophonie der Urbanitätsdebatten“ (Eckardt 2004: 8) zu Wort melden. Vielmehr wird im Laufe der nächsten Abschnitte deutlich werden, in welcher Art und Weise urbane Räume vor dem Hintergrund des im ersten Teil entfalteten sozial-ökologischen Begriffsnetzes und dem Konzept der Raum(an)ordnungen im Rahmen der vorliegenden Fragestellung interpretiert werden. An dieser Stelle sollen daher zwei Hinweise genügen, die die Richtung der Theoretisierung vorzeichnen. Im Begriff der Raum(an)ordnung ist bereits implizit angelegt, dass es im Rahmen des Forschungsinteresses mehr Sinn macht, anstatt von Urbanität von Urbanisierung zu sprechen. Die Betonung liegt damit stärker auf einem prozessualen Zugang, der die Wahrnehmung, die Aneignungen und die Gestaltung von urbanen Räumen durch die BewohnerInnen, aber auch die diesen Aneignungsstrategien zugrunde liegenden institutionellen Settings stärker in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückt. Zum anderen wird es vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Naturverhältnisse verstärkt darum gehen, Natur und Stadt nicht in traditioneller stadtsoziologischer Weise als eine Opposition zu begreifen, sondern ihr Verhältnis wieder in einen Beziehungszusammenhang zu stellen.
2.2 Die urbane Transformation: Urbanisierungsprozesse im 21. Jahrhundert Ähnlich wie bei der allgemeinen demografischen Entwicklung der Weltbevölkerung wende ich mich zunächst denjenigen Studien zu, die die quantitativen Ausmaße der weltweiten Verstädterung zu bestimmen versuchen. Auffällig ist dabei, dass die meisten Studien nahezu einhellig darin übereinstimmen, dass es sich bei dem aktuell zu beobachtenden Prozess der Urbanisierung um eine historisch einzigartige räumliche Reorganisation menschlicher Bevölkerungen handelt: „Die
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Zukunft der Menschheit liegt in den Städten“– lautet dementsprechend die bedeutungsschwangere Schlussfolgerung eines Expertenberichts zur weltweiten Stadtentwicklung (Hall/Pfeiffer 2000). Die Bedeutungsschwere resultiert sicherlich aus einem aus historischer Sicht als Epochenbruch zu bezeichnenden Wendepunkt menschlicher Siedlungsgeschichte, da, wie bereits erwähnt, im Jahre 2006 zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte mehr Menschen in den Städten als in ländlichen Regionen leben (vgl. Cities Alliance 2006). Insofern kann die Aussage des Expertenberichts angesichts der weltweiten Entwicklung städtischer Zentren in der Tat ein gewisses Maß an Plausibilität für sich beanspruchen. Verstädterung stellt einen der zentralen gesellschaftlichen Prozesse der letzten 150 Jahre dar und weltweit ist ein anhaltender Trend zur Verstädterung beobachtbar. Zwischen 1950 und 2000 hat sich die Zahl der städtischen Bevölkerung von 0,75 Milliarden auf 2,9 Milliarden erhöht, so dass ihr Anteil an der Weltbevölkerung für diesen Zeitraum von 29 auf 48% stieg (vgl. UN 2002b: 1, UN 2006). Setzt man diese Rate mit den durchschnittlichen jährlichen Wachstumsraten der Weltbevölkerung der letzten 50 Jahre in Bezug fällt auf, dass diese mit 1,75% deutlich unter dem durchschnittlichen Wachstum der städtischen Bevölkerung mit 2,68% liegt (vgl. Schulz/Swiaczny 2003: 37). Zum jetzigen Zeitpunkt wächst die Bevölkerung der Städte um mehr als 60 Millionen pro Jahr und nach Berechungen der UNO werden im Jahre 2025 ca. 60% der Weltbevölkerung in Städten beziehungsweise urbanen Ballungsräumen leben (vgl. UN 2007). Die Tatsache, dass zu Beginn des Jahrhunderts lediglich 7% der Bevölkerung in urbanen Kontexten lebten (vgl. Berking 2002: 11), verdeutlicht die immense Dynamik, die dieser sozialräumlichen Reorganisation innewohnt. Somit scheint sich im 21. Jahrhundert eine Hypothese Lefèbvres nach und nach zu bestätigen, der bereits in den 1970er Jahren die „vollständige Verstädterung der Gesellschaft“ (Lefèbvre 2003: 11) prophezeite. Bevor man in eine detailliertere Analyse der quantitativen Trends von Urbanisierungsprozessen einsteigt, sollte man zumindest kurz auf die methodische Vorgehensweise der UN eingehen (vgl. UN 2002a, Kap. VII, Schulz/Swiaczny 2003: 38f., Hugo/Champion/Lattes 2003), auf deren Daten sich nahezu alle größeren Studien beziehen. Sowohl die Entwicklung als auch das Verhältnis städtischer und ländlicher Bevölkerung wird für die sog. World Urbanization Prospects auf der Basis der zuletzt feststellbaren Änderung des Verstädterungsgrads prognostiziert, wobei angenommen wird, dass die Wachstumsraten städtischer Bevölkerungen mit steigendem Verstädterungsgrad kontinuierlich abnehmen. Die Prognosen sind allerdings mit einer ganzen Reihe von Ungenauigkeiten behaftet. In vielen Ländern müssen die Bevölkerungszahlen aufgrund fehlender oder lückenhafter Volkszählungen geschätzt werden, so dass es über einen längeren Prognosezeitraum entsprechend auch zu größeren Unsicherheiten kommen kann. Das ist insofern nicht ganz unproblematisch, als ausgerechnet in jenen Ländern die Datenlage am unsichersten erscheint, die aller Wahrscheinlichkeit nach die am stärksten wachsenden urbanen Agglomerationen aufweisen. In der
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Definition dessen, was als städtisches Gebiet zu klassifizieren ist, liegt eine weitere Unschärfe. Zunächst wird als städtisches Areal eine zusammenhängende Region verstanden, die unabhängig von den administrativen Grenzen eine bestimmte Mindestdichte an städtischer Bevölkerung aufweist. Stehen in dieser Hinsicht keine differenzierten Statistiken zur Verfügung, werden Bezugseinheiten aggregiert, für die eine bessere Datenlage vorherrscht. Erst wenn auch in diesem Fall die Datenlage keine ausreichende Qualität aufweist, wird auf Statistiken, die auf den Definitionskriterien der einzelnen Länder basieren, zurückgegriffen. Hierdurch schleichen sich allerdings weitere Ungenauigkeiten ein, da der ausgewiesene Anteil an städtischer Bevölkerung je nach nationalem Kontext zwischen wenigen 100 und mehreren 1000 Einwohnern und Einwohnerinnen schwanken kann. Erschwerend kommt hinzu, dass Städte in nationalen Statistiken zum Teil unabhängig von der Einwohnerzahl, beispielsweise als Verwaltungsmittelpunkt ausgedehnter ländlicher Gebiete, klassifiziert werden. Ein ähnliches Problem ergibt sich weiterhin, wenn man Zeitreihen betrachtet. Ein Anstieg der städtischen Bevölkerung beruht gegebenenfalls nicht zwingend auf einem Geburtenüberschuss oder einem Zuwanderungsgewinn aus ländlichen Regionen, sondern kann durchaus auf einer Neuklassifizierung zuvor ländlicher Gemeinden beruhen, die die Schwelle zur städtischen Siedlung überschritten haben, so dass es zum Teil zu überdurchschnittlich hohen Wachstumsraten kommen kann. Somit kann das ausgewiesene Wachstum städtischer Bevölkerungen drei Gründe haben: natürliches Wachstum der städtischen Bevölkerung, Zuwanderung aus dem ländlichen Raum in städtische Gebiete und die Neuklassifikation zuvor ländlicher Gebiete. Wendet man sich schließlich einer detaillierten Betrachtung von Verstädterungsprozessen zu, so fällt unweigerlich auf, dass ein zentrales Charakteristikum dieser Entwicklung die regional ungleiche Verteilung ist. Während der Verstädterungsprozess in den entwickelten Erdregionen stagniert beziehungsweise zurückgeht58, weist vor allem die Stadtentwicklung in Asien, Afrika und Lateinamerika – bei allen Unterschieden zwischen den verschiedenen Ländern – immense Dimensionen auf (vgl. UN 2002a, UN-Habitat 2004). Der Anteil der städtischen Bevölkerung in Asien wird voraussichtlich zwischen 2000 und 2020 von 38 auf 50% steigen; in Lateinamerika, das global das höchste Urbanisierungsniveau aufweist, werden Schätzungen zufolge 85% der Bevölkerung in städtischen Agglomerationen leben; Afrika – wo der Prozess der Urbanisierung spürbar später eingesetzt hat – wird eine Wachstumsrate von 4% pro Jahr prognostiziert, die höchste weltweit. Während aktuell ca. 37% der afrikanischen Bevölkerungen in Städten leben, werden es im Jahre 2030 ca. 53% sein (vgl. UN 2007: 4).
58 So wurden beispielsweise 1997 auf einem Kongress mit dem Titel „Vom Verschwinden der Städte“ Phänomene der Enturbanisierung diskutiert. Stark vereinfacht gelten als Anzeichen für Enturbanisierung die Migration diverser städtischer Funktionen und Akteure an die städtische Peripherie (vgl. Herlyn 1998: 18).
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Damit wird auch der enge Zusammenhang zwischen den bereits beschriebenen Entwicklungsmustern der Weltbevölkerung und der regionalen Dynamik von Verstädterungsprozessen deutlich: Ebenso wie das Weltbevölkerungswachstum findet auch der Urbanisierungsprozess nahezu ausschließlich in den weniger beziehungsweise am wenigsten entwickelten Ländern statt. In der Folge wird sich nahezu das gesamte Weltbevölkerungswachstum der nächsten Jahrzehnte ausschließlich auf städtische Agglomerationen des Südens konzentrieren (vgl. Population Information Program 2002, UN-Habitat 2004). In den 80 Jahren zwischen 1950 und 2030 wird sich daher aller Voraussicht nach die Landbevölkerung weltweit verdoppelt, die Stadtbevölkerung dagegen versechsfacht haben (vgl. Swiaczny 2005c: 25); weiterhin werden ca. 83% dieses Wachstums von den Städten in Asien und Afrika absorbiert, wobei für Afrika mit einem aktuellen Verstädterungsgrad von 27% die höchsten Zuwachsraten erwartet werden. Nachdem allerdings nach wie vor mehr Menschen auf dem Land geboren werden, sind anhaltende massive Land-Stadt Wanderungen zu erwarten. Auch wenn zu den Komponenten des Bevölkerungswachstums der Städte kaum verlässliche Datenquellen existieren, geht man davon aus, dass angesichts der ungleichen Verteilung des natürlichen Bevölkerungswachstums zwischen Stadt und Land der Trend der Dominanz des Zuwanderungsanteils gegenüber dem endogenen natürlichen Wachstum der Städte weiter erhalten bleibt. In den 1960er Jahren betrug der Anteil der Wanderungskomponente lediglich 40%, in den 70er Jahren betrug er bereits 44 und gegen Ende der 1980er Jahre erreichte er einen Anteil von 64% (vgl. Swiaczny 2005c). Dabei bleibt festzuhalten, dass die Zusammensetzung der Komponenten regional signifikante Unterschiede aufweisen. So speisen sich Urbanisierungsprozesse in Afrika nach wie vor überwiegend aus einem natürlichen Wachstum, während das rasante Wachstum asiatischer Agglomerationen stärker aus Wanderungsbewegungen gespeist wird (ebd.: 24). Zusammenfassend können im weltweiten Maßstab somit heterogene Entwicklungstrends urbaner Agglomerationen identifiziert werden (vgl. Swiaczny 2005c: 26). Europa wird angesichts der allgemeinen demografischen Entwicklung bis 2030 ein geringes Städtewachstum von ca. 0,1% vorausgesagt. Für die Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion werden je nach Region 0,5 bis 1,5% Wachstumsrate erwartet, wobei angesichts eines generellen Rückgangs des Bevölkerungswachstums ab 2025 diese Raten deutlich abklingen. Im lateinamerikanischen Raum werden angesichts des bereits hohen Verstädterungsgrads geringe bis negative Wachstumsraten vorhergesagt. Indien, China und der afrikanische Kontinent weisen mit 2,5 – 4,5% überproportional hohe Wachstumsraten auf.
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2.3 Urbanisierungsprozesse in Afrika: McDonaldisierung der Städte oder afrikanische Urbanisierungspfade? Dass dieser Verstädterungsprozess zweifelsohne historisch einzigartig ist, daran lassen jüngere Veröffentlichungen wie „Die Welt wird Stadt“ (Ribbeck 2005) oder „The Endless City“ (Burdett/Sudjic 2008) keine Zweifel. Ähnlich wie bei der qualitativen Einschätzung des weltweiten Bevölkerungswachstums scheiden sich aber auch bei der Interpretation der weltweiten Urbanisierung die Geister: Handelt es sich dabei um ein vorprogrammiertes Chaos oder ist dieser Prozess vielmehr als unverhoffte Chance zu begreifen? Allein in Bezug auf den afrikanischen Kontinent scheint man sich in einer negativen Bewertung einig zu sein. Auch wenn sich die bescheidenen Hoffnungen auf einen Aufschwung Afrikas in der Regel auf die Rolle städtischer Zentren konzentrieren, überwiegt hier doch eindeutig eine negative Einschätzung afrikanischer Urbanisierungsprozesse. In einem ebenso viel beachteten wie kritisierten Artikel hat Robert D. Kaplan 1996 ein vernichtendes Bild afrikanischer Stadtzukunften entworfen. Für die „zersetzenden sozialen Auswirkungen des Lebens in den Städten“ wird für ihn vor allem „Westafrika … zu dem Symbol der weltweiten demografischen, gesellschaftlichen und ökologischen Belastung, aus der die kriminelle Anarchie als eigentliche ‚strategische‘ Gefahr hervorgeht“ (Kaplan 1996: 52, Hervorh.i.O.). Angesichts von Krankheitsbildern epidemischen Ausmaßes und ‚Überbevölkerung‘ wird Malthus für ihn „zum Propheten der westafrikanischen Zukunft“ (ebd.: 53), die in seinen Augen „offensichtlich kurz vor der Explosion“ (ebd.: 52) steht. Dieses bedrohliche Szenario ergibt sich für ihn aus einem nicht näher erläuterten Teufelkreis bestehend aus Überbevölkerung, Ausbeutung der Natur, weltwirtschaftlicher Randständigkeit beziehungsweise Bedeutungslosigkeit, Krankheiten wie HIV/Aids und armutsbedingter Kriminalität. Ein ähnlich hoffnungsloses Bild zeichnet Mike Davis nahezu zehn Jahre später in seinem Buch „Planet der Slums“ (2007). Davis konzentriert sich bei der Analyse der Transformation städtischer Landschaften in südlichen Regionen vor allem auf die Mega-Citites und die dort zu konstatierende, enorm rasche Ausbreitung von Slumsiedlungen59. Auch wenn diese Dynamiken ihre Vorläufer aus dem 19. und 20. Jahrhundert in Europa und Nordamerika zu haben scheinen, hat die ‚Verslumung‘ städtischer Bevölkerungen kaum vergleichbare Ausmaße angenommen: die 2003 erschienene UN-Studie „The Challenge of Slums“, auf die Davis sich des Öfteren bezieht, hat zum Ergebnis, dass vor allem in afrikanischen Städten 59 Die allgemeine Verbreitung der Bezeichnung ‚Slum‘ suggeriert, dass es sich dabei um ein klar eingrenzbares Phänomen handelt. Dabei ist es alles andere als klar, wann ein Stadtviertel als ‚Slum‘ zu klassifizieren ist. Die ‚offizielle‘ Definition seitens der UN lautet: „A slum is a contiguous settlement where the inhabitants are characterized as having inadequate housing and basic services. A slum is often recognized and addressed by the public authorities as an integral or equal part of the city.” (ROAA UN-Habitat 2005: 8)
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der Anteil der Slumbewohner exorbitant hoch ist. So weist die Studie beispielsweise in Bezug auf Äthiopien, Tansania und Tschad, um nur drei Beispiele zu nennen, jeweils einen nahezu unglaublichen Anteil von über 90% der städtischen Bevölkerung als Slumbewohner aus, weltweit leben mit geschätzten 900 Millionen mehr als ein Drittel der städtischen Bevölkerung weltweit in Slum-Gebieten (UNESCO 2006: 91). Derartige Berichte sind nicht zuletzt deshalb so eindrücklich, weil, ganz ähnlich wie die europäische Großstadtkritik im 19. und 20. Jahrhundert, die aktuellen Verhältnisse auch ausreichend reale Anschauungspunkte für derart apokalyptische Visionen zu bieten scheinen: in jeder Hinsicht ungesunde Wohnverhältnisse, kein Zugang zu medizinischer Versorgung, äußerste Armut, hohe Kriminalitätsrate etc. So bilanziert ein Bericht zur ‚urbanen Herausforderung‘ des 21. Jahrhunderts: „Urban areas in developping countries are at the crux of the struggle to achieve better living standards.“ (Population Information Program 2002: 1) Auch wenn das Phänomen der „Hüttenmetropolen“ (Ribbeck 2005: 27) zweifelsohne eines der größten Probleme afrikanischer Urbanisierungsmuster darstellt, finden sich im Gegensatz zu diesen pessimistisch eingefärbten Studien eine ganze Reihe von Arbeiten, die nicht so sehr auf das vermeintliche Chaos in Afrika eingehen, sondern eher versuchen, die Chancen für eine endogene Entwicklung des Kontinents auszuloten (vgl. Simon 1992, Kappel 1999, Falola/Salm 2004, Simone/Abdelghani 2005). Wenngleich außer Frage steht, dass afrikanische Urbanisierungspfade mit einer ganzen Reihe von schwer wiegenden Problemen und damit verbundenen Herausforderungen verknüpft sind, ist es ebenso unbestritten, dass mit Blick auf eine Verbesserung der Situation als Hoffnungsträger vor allem die Städte gelten müssen: Hunger und extreme Armut sind in vielen afrikanischen Ländern vor allem ein landseitiges Phänomen, der Zugang zu Bildungseinrichtungen und medizinischer Versorgung ist in urbanen Gebieten ungleich besser, die Expansion der Großstädte hat in manchen Gebieten im Zuge der Entstehung industrieller Zentren und expandierender lokaler Märkte zur Entstehung einer Schicht von Klein- und Mittelunternehmern geführt und schließlich lassen sich, wenn vorhanden, demokratische Strukturen der Meinungsbildung vor allem in Ballungsräumen beobachten, so dass „the world’s urban areas may actually offer the best hope for a sustainable future“ (Cities Alliance 2006: 3). Die Beschreibung afrikanischer Städte als ausschließlich chaotisch und krisengeschüttelt zeichnet demnach ein allzu einseitiges Bild. Einige Beiträge zur Entwicklung urbaner Agglomerationen erwecken bisweilen den Eindruck, als würde es sich bei diesen Transformationsprozessen um eine Art nachholende Entwicklung südlicher Regionen handeln. Eine solche Perspektive stilisiert mehr oder weniger die Entstehung mittelalterlicher Städte und die später einsetzende urbane Revolution Europas im Zuge der Industrialisierung als zentrale Referenzfolie. Dabei wird oftmals übersehen, dass Europa in der Stadtgeschichte eher als Nachzügler einzustufen ist und sich der weltweite Urbanisierungsprozess vielmehr im Rahmen einer historischen Pendelbewegung zwischen
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Ost und West, Süd und Nord abgespielt hat (vgl. Benevolo 1993, Hall 1998, Ribbeck 2005). Nach heutigem Erkenntnisstand liegt der historische Ursprung städtischer Siedlungen ca. 3500 bis 3000 v. Chr. im Vorderen Orient in Ägypten, Syrien und Mesopotamien. Diese Städte wiesen zum Teil bereits beachtliche Einwohnerzahlen auf, wie beispielsweise die sumerische Stadt Ur, die bereits zu Beginn des 3. Jahrtausends mehrere Zehntausend Bewohner und Bewohnerinnen vorweisen konnte (vgl. Benevolo 1993: 26). Vom Nahen und Mittleren Osten verbreitet sich schließlich diese ‚neue‘ Siedlungsform zur Zeit der Antike Richtung Europa und erreicht ihren Höhepunkt in dieser frühen Phase des europäischen Städtebaus sicherlich mit Rom, das zu seinen Blütezeiten über eine Million Einwohner hatte. Nach dem Zusammenbruch des römischen Reichs schwingt das Verstädterungspendel wieder in die islamische Welt zurück. Arabische Völker landeten etwa ab der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts an den Mittelmeerküsten, eroberten die urbanisierten Gebiete des hellenistischen Orients und brachten die bereits existierenden Städte Alexandria, Antiochia, Damaskus und Jerusalem unter ihre Kontrolle und transformierten sie in einer bis heute sichtbaren Weise (vgl. Benevolo 1993: 291f.). Im Zuge einer erstaunlichen Hochzeit urbaner Entwicklung sind um 1000 n. Chr. die größten und mächtigsten Städte mit Kairo, Medina, Jerusalem und Damaskus für lange Zeit in der islamischen und nordafrikanischen Welt zu finden. Auch die Städte des fernen Ostens – in Indien, China und den umliegenden Inseln – hatten beträchtliche Ausmaße. Diese quantitative Städtedominanz – um 1700 gab es ca. 70 große Städte auf der Welt, davon 60 in südlichen Regionen und nur 10 im Norden (vgl. Ribbeck 2005: 13) – sollte lange Zeit Bestand haben und erfuhr erst im Zuge der industriellen Revolution eine deutliche Verschiebung zugunsten der nördlichen Regionen Europas und Nordamerikas. Bereits um 1900 verlangsamte sich allerdings das Wachstum der industriellen Stadtzentren deutlich, der Urbanisierungsprozess südlicher Regionen hatte im Zuge der Kolonialisierung wieder an Fahrt aufgenommen und beschleunigte sich enorm mit der Phase der Entkolonialisierung, so dass das Pendel der globalen Verstädterung erneut und bis heute in Richtung Süden ausschlägt. Im Zentrum internationaler Urbanisierungsforschung steht zunächst oftmals ausschließlich eine der spektakulärsten Erscheinungsformen der sozialgeografischen Transformation, die Mega-Cities. Bei Mega-Cities handelt es sich nach einer Klassifikation der Vereinten Nationen von 1994 um Städte, in denen über 10 Millionen Menschen leben (vgl. UN 1994). Neben Städten wie Tokio, New York, London und Paris verwundert es angesichts der oben skizzierten Urbanisierungsraten in Entwicklungsländern nicht, dass sich die Mehrzahl dieser Städte in Entwicklungsregionen befindet: Lagos, Dakka, Macau, Guangzhou, um nur einige der Größten zu nennen. Allerdings entstand im Anschluss an die theoretische Tradition der New Urban Sociology eine Einengung des Forschungsinteresses auf das Phänomen der „global cities“ (vgl. Sassen 1991 u. 1996, Castells 1996). Global Cities werden definiert als Standorte von Kommando- und Kontrollzentralen global agierender Unternehmen. Hochmoderne Dienstleistungen
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wie Versicherungen, Finanzen, Design, juristische Dienstleistungen, Verwaltung von Informationssystemen etc. machen den Kern der urbanen Wirtschaftsprozesse aus. Diese Konzentration wirtschaftlicher Aktivität auf einige Knotenzentren hat zu einer städtischen Hierarchie in Bezug auf bestimmte Dienstleistungen geführt. So hat eine mittlerweile klassische Studie von Saskia Sassen die Vormachtstellung der Städte New York, Tokio und London im internationalen Finanzsystem aufgezeigt (vgl. Sassen 1996). Das wesentliche Leitmotiv der internationalen Global-City-Forschung ist somit die Frage nach der veränderten Rolle wirtschaftlich einflussreicher Städte im Zuge einer Restrukturierung ökonomischer Verhältnisse durch tendenziell globalisierte Geld- und Informationsströme. Direktes Resultat dieser theoriegeschichtlichen Entwicklung ist, dass die urbanen Landschaften westlicher Mega-Cities facettenreich kartografiert sind (vgl. Knox/Taylor 1995, Sassen 1996, Noller 1999, Smith 2001), während eine ausführliche (sozialwissenschaftliche) Beschäftigung mit den Metropolen Afrikas eine deutliche Leerstelle innerhalb der Forschungslandschaft markiert (vgl. Gugler 1996a u. 1996b, Robinson 2005, Myers 2005). Im theoretischen Diskurs um Urbanisierungsprozesse scheint sich somit mit der schwerpunktmäßigen Konzentration auf ‚Global Cities‘ die Randständigkeit von Städten wie Lagos, Nairobi oder Kinshasa in der globalisierten Ökonomie zu wiederholen. Aus Sicht der global-city-Forschung sind diese Städte „economically irrelevant“ (Knox 1995: 41) und damit gleichzeitig auch für die Theoriebildung strukturell vernachlässigbar. Das ist insofern erstaunlich, als die realen Entwicklungen urbaner Regionen in südlichen Ländern an sozialen und ökologischen Problemlagen alles in den Schatten stellen, was aktuell an sozialen Ungleichheitsphänomenen städtischer Sozialraumstrukturen für Städte des Nordens diskutiert wird (vgl. Häußermann/Kronauer/Siebel 2004). Es bedeutet zugleich, dass weltweit betrachtet die Mehrheit der städtischen Bevölkerung schlicht von der Forschungslandschaft übersehen wird (vgl. van Naerssen 2001: 35). Hinzu kommt weiterhin, dass nur ein Bruchteil der städtischen Bevölkerungen, nämlich 4,3% (Schulz/Swiaczny 2003: 40), in diesen Mega-Cities leben und der weitaus dynamischere und damit für viele Regionen problematischere Prozess in den Mega-Cities der Zukunft zu erwarten ist. In einer Sichtung der jüngeren Literatur kommt Myers somit zum Fazit, dass „the extraordinary story of urbanization in … Africa over the last fifty years has not received quite nearly the scholarly attention it deserves.” (Myers 2005: 14) Wie könnte aber eine angemessene Theoretisierung afrikanischer Städte und damit verbundener Prozesse aussehen? Eine erste mögliche Antwort, die im Weiteren noch zu präzisieren sein wird, findet sich in den Arbeiten von Jennifer Robinson (vgl. 2002, 2005, 2008). Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist eine Beobachtung, die den bisher skizzierten Stand der internationalen Urbanisierungsforschung meines Erachtens gut auf den Punkt bringt: Das Fehlen südlicher Städte in weiten Teilen der stadttheoretischen Forschungslandschaft entspringt nach ihrer Einschätzung einem die internationale Stadtforschung prägenden ‚theo-
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ry‘/‚development‘-Dualismus, der eine angemessene Theoretisierung weiter Teile südlicher Urbanisierungsprozesse dadurch verhindert, dass diese primär aus entwicklungstheoretischer Perspektive in den Fokus (westlicher) Aufmerksamkeit rücken, während westliche Städte und deren Entwicklungen zur Grundlage einer als universell und ortsunabhängig gültig ausgewiesenen urban theory avancieren (vgl. Robinson 2002: 532). Damit erscheinen ‚Dritte-Welt‘-Städte immer als ‚anders‘, sperren sich mit ihren Widerständigkeiten und alternativen Urbanisierungspfaden gegenüber den gängigen Theorieangeboten und werden in der Folge für eine umfassende Theoriebildung des Städtischen als strukturell irrelevant abgetan. Robinson konstatiert durchaus, dass nach zwei Jahrzehnten, in denen sich die Debatten vor allem auf die ‚global cities‘ des Nordens konzentriert haben, südliche Städte verstärkt in den Blick der kritischen Stadtforschung geraten – aber letztlich nahezu ausschließlich aus einer entwicklungstheoretischen Perspektive, die sich in zahlreichen Studien Themen wie „community participation, housing, land tenure, service provision, governance capacities, infrastrucuture, informal sector and so on“ (ebd.: 540) widmet. Dabei handelt es sich zweifelsohne um (überlebens)wichtige Themen – und dennoch „these developmentalist city experiences do not contribute to expanding the definition of cityness: rather they are drawn on to signify its observe, what cities are not“ (ebd.). Was somit in der internationalen Stadtforschung als Leerstelle aufscheint, ist eine angemessene Integration der Entwicklung südlicher Städte in die Theoriebildung, die in kreativer Weise ein Nachdenken über die Komplexität und Diversität urbaner Räume jenseits von Residualkategorien und Hierarchisierungen vorantreiben würden. Eine Theoriebildung, die damit Städte, ‚global cities‘ und ‚ThirdWorld-Cities‘, nicht primär in ihrer Differenz, sondern in ihrer ‚Gewöhnlichkeit‘ theoretisierend wahrnimmt. Dieses von Robinson im Anschluss an Amin und Graham (1997) weiterentwickelte Perspektive der Gewöhnlichkeit südlicher Städte und einer damit verbundenen Entskandalisierung ihrer Entwicklung würde in ihren Augen eine synergetische Verknüpfung von stadttheoretischen Ansätzen mit den empirisch gesättigten Studien der urbanen Entwicklungsforschung vorantreiben: „Ordinary cities (and that means all cities), are understood to be diverse, creative, modern and distinctive, with the possibility to imagine (within the not inconsiderable constraints of contestations and uneven power relations) their own futures and distinctive forms of city-ness“ (ebd.: 546). Diejenigen Studien, die sich explizit mit der Frage nach den Mustern der räumlichen Organisation und Entwicklung südlicher Agglomerationen befassen, stellen diese ebenfalls nahezu ausschließlich in den Kontext der Globalisierung. Mit Bezug auf die Diskussion der Folgen einer als Globalisierung verstandenen Transnationalisierung der Waren-, Finanz- und Kulturmärkte auf die Urbanisierungspfade südlicher Räume lassen sich zwei grobe Lager unterscheiden. Auf der einen Seite befinden sich Arbeiten, die sich von der Überzeugung leiten lassen, „dass das ‚Globale‘ die entscheidende Bezugsgröße für die Analyse der sozialräumlichen Formen der Vergesellschaftung darstellt“ (Berking 2006a: 10). Vor
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diesem Hintergrund wurde zunächst die wichtige stadtsoziologische Einsicht formuliert, dass Städte nicht einfach als isolierte und klar abgrenzbare Einheiten konzeptualisiert und untersucht werden können, sondern in umfassendere Prozesszusammenhänge eingebettet werden müssen. In der Folge haben vor allem internationale Studien angesichts des immer dynamischeren und durchlässiger werdenden Prozesses der Globalisierung, der eine verstärkte Zirkulation von architektonischen Stilen und damit verbundenen Bautechniken und Materialien mit einschließe, die These einer „Konvergenz in der Anlage und Struktur der Städte“ (Simon 2001: 140) formuliert. So haben Ende der 1980er und Anfang der 90er Jahre eine ganze Reihe von Studien sowohl die Entwicklung morphogenetischer Strukturraster als auch die sozio-ökonomische Entwicklung von Städten immer stärker vor dem Hintergrund der weltweiten Verflechtung ökonomischer Aktivitäten konzeptualisiert und zur These einer idealtypischen „world city“ (Friedmann 1986) verdichtet. Als Belege für eine so verstandene „McDonaldization“ (Ritzer 1993) urbaner Räume werden vor allem Phänomene des ‚urban sprawl‘ und einer damit verbundenen polyzentrischen Stadtstruktur, die Entstehung von Hochhäusern in ‚internationalen‘ Stilrichtungen und das Auftauchen steril wirkender Shopping malls nach amerikanischem Vorbild, aber auch vergleichbare ökonomische und ökologische Herausforderungen der Städte angeführt. Die Kehrseite der These einer „Zunahme des Globalen“ (Urry 2006: 87) in der Entwicklungstheorie des Städtischen ist allerdings nicht selten die systematische „Trivialisierung des Lokalen“, die „zur Vernachlässigung und Entwertung von Orten und territorialen Vergesellschaftungsformen verführt“ (Berking 2006a: 11). Gegen die These einer derartigen Homogenisierung urbaner Agglomerationen beharren somit einige Autoren und Autorinnen darauf, dass die Entwicklung von Städten nur als eine je spezifische Verbindung einheimischer Kulturen und historischer Zusammenhänge, kolonialer Hinterlassenschaften und postkolonialer Entwicklungen zu verstehen sei und insofern zwangsläufig von einer Heterogenität von urbanen Entwicklungspfaden ausgegangen werden müsse: „The relationship between social process and spatial form is neither static nor uniform but temporally and geographically context specific.“ (Simon 1992: 23) Eine solche Zugangsweise negiert weniger den Umstand der Globalisierung im Sinne der Schaffung eines globalen „Raum[es] der Ströme“ (Castells 2003: 431) als vielmehr die oftmals damit verbundene und viel weitreichendere These, dass lokale Verhältnisse bei der sozialräumlichen Organisation sozialer Beziehungen keine große Rolle mehr spielen und insofern als mehr oder weniger vernachlässigbare Größe behandelt werden könnten. Im Hintergrund stehen vielmehr Konzepte, die mit so unterschiedlichen Stichworten wie „glocalization“ (Robertson 1995), „Hybridisierung“ (Pieterse 1995) oder „Kreolisierung“ (Hannerz 1996) auf das komplexe Zusammenspiel und die vielfältigen Verflechtungen von lokalen und globalen Kontexten verweisen. Demnach ist auch die Vorstellung einer einsinnigen Konvergenz in der sozial-räumlichen Organisation südlicher Agglomerationen bei weitem zu einfach, hat doch auch der postkoloniale Diskurs für die Tat-
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sache sensibilisiert, dass die Ähnlichkeit äußerer Erscheinungsformen nicht automatisch auf eine Ähnlichkeit der zugrunde liegenden Prozesse und Dynamiken schließen lässt. Eine einfache Homogenisierungsthese setzt sich zudem dem Verdacht einer eurozentrischen Universalisierungsvorstellung aus, die die Dialektik des Globalen und des Lokalen in der Schaffung von „entangled modernities“ (Randeria 1999b) beziehungsweise „multiple modernities“ (Eisenstadt 2000) zu unterschlagen droht. Plausibler scheint mir insofern die Annahme zu sein, dass sowohl starke Kräfte der Konvergenz, aber auch der Divergenz zur Erklärung der Entwicklung urbaner Räume des Südens herangezogen werden müssen. Die theoretische Herausforderung besteht demnach darin, das Globale und das Lokale weder als schlichte binäre Opposition noch ersteres schlicht als deterriorialisierten Fließraum und letzteres als territoriale Form der Vergesellschaftung zu begreifen (vgl. Berking 1998, Berking/Löw 2005), sondern in der Integration von „different scales and levels“ (Simon 1992: xii). Eine solche Sichtweise ist allerdings unweigerlich mit der komplexen Frage nach der „Skalierung, genauer, nach der Bedeutung sozialräumlicher Maßeinheiten für die sozialwissenschaftliche Theoriebildung“ (Berking 2006c: 68) verknüpft. Im Folgenden soll versucht werden, einen Prozess orientieren Blick auf afrikanische Urbanisierungsfade zu nehmen, der in der Lage ist, unterschiedliche Skalen, vom Globalen bis hin zum Innerurbanen, zu integrieren und dennoch sowohl für Formen der Konvergenz als auch der Divergenz sensibel zu bleiben. Eine solche Sichtweise erfordert mit Blick auf afrikanische Städte südlich der Sahara unweigerlich eine historische Perspektive, „since much of the present (and future) is embedded in the past, an historical appreciation of pre-colonial modes of production and social organisation, including urbanism, and the subsequent colonial impacts which transformed the continent is essential to understanding contemporary postcolonial processes and problems“ (Simon 1992: 2). Eine derart historische Perspektive einzunehmen eröffnet vor allem im Hinblick auf den Übergang von der kolonialen zur postkolonialen Phase die Möglichkeit, urbane Transformationsprozesse in einen Kontext zu stellen, der in den neuen Kristallisierungen städtischen Raums gleichzeitig das Neue als auch das Dauernde auszuweisen in der Lage ist und damit der Einsicht Rechnung trägt, „that cities must be interpreted at several spatial and temporal scales“ (Howard 2003: 202). In den nächsten Abschnitten wird es im Wesentlichen darum gehen, übergreifende Gemeinsamkeiten afrikanischer Urbanisierungsprozesse nachzuzeichnen. So lassen sich je nach Fokus der Aufmerksamkeit durchaus empirische (O’Connor 1983), entwicklungstheoretische (Simon 1992) oder problemorientierte (Rakodi 1997) Parallelen afrikanischer Urbanisierungsprozesse konturieren. Eine kontextsensitive Einbettung solch übergreifender Muster in ihrer je spezifischen Ausformung erfolgt dann im dritten und letzten Kapitel dieser Arbeit im Rahmen der Fallstudie zur Nahrungsversorgung Accras. Insofern kann in
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Bezug auf den hier im Zentrum des Interesses stehenden afrikanischen Kontinent mit Blick auf konvergente Entwicklungsmuster zunächst zwar aus heuristischen Gründen von der „afrikanischen Stadt“ (Burchards 2000 ) gesprochen werden, aber angesichts der Tatsache, dass Städte ein Abbild ihres jeweiligen ökonomischen, kulturellen und sozialen Kontexts darstellen, und eingedenk der Vielzahl ethnischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Merkmale des afrikanischen Kontinents, die in ihrer Kombination jeweils zu eigenen Formen der Stadtentwicklung geführt haben, wird die Verallgemeinerung im Sinne der afrikanischen Stadt kaum zu halten sein. Dennoch gehe ich von der Annahme aus, dass sich spezifisch ‚afrikanische‘ Urbanisierungspfade nachzeichnen lassen, die sich signifikant von lateinamerikanischen oder asiatischen unterscheiden lassen und somit der These einer McDonaldisierung widersprechen.
2.3.1 Urbane Räume Afrikas aus historischer Perspektive Versteht man Urbanisierung als „the symbiotic relationship between the material and spatial aspects of cities, their built environment, and architectural from, and the social, economic and cultural systems of which they are a part“ (King 1990: 1), so lässt sich eine Diskussion der sozio-ökonomischen und kulturellen Aspekte afrikanischer Städte sinnvoll nur im Rahmen einer Einbettung in übergreifende Entwicklungsmuster des afrikanischen Kontinents führen. Im Allgemeinen wird in der internationalen Urbanisierungsforschung zu Afrika zwischen einer vorkolonialen, kolonialen und postkolonialen Phase der Stadtentwicklung unterschieden. Wenngleich sich eine solche Epocheneinteilung eingebürgert hat, weist Coquery-Vidrovitch meines Erachtens zurecht darauf hin, dass die Bezeichnung ‚vorkolonial‘ in sich paradox ist, wird doch ein früherer Zeitabschnitt durch spätere Ereignisse typisiert (vgl. Coquery-Vidrovitch 2005a: xiii). Ihrem diesbezüglichen Vorschlag folgend werde ich in der Folge nicht von vorkolonialen, sondern von den historischen urbanen Räumen Afrikas sprechen. Weiterhin mag es aus heutiger Sicht bis zu einem gewissen Grad Sinn machen, zwischen einem Afrika nördlich und südlich der Sahara zu unterscheiden, aus historischer Perspektive erscheint eine solche Differenzierung allerdings wenig tragfähig. Heutige Historiker sind sich einig, dass vor allem für die frühgeschichtliche Entwicklung des Kontinents die Sahara selber die entscheidende Dreh- und Angelscheibe bildete (vgl. Ansprenger 2004, Iliffe 2000, Fage/Oliver 2002). In einem Zeitraum von ca. 30.000 bis 14.000 v. Chr. war die Sahara aller Wahrscheinlichkeit ebenso trocken wie heute und so gut wie unbewohnt. Darauf folgte bis ca. 5500 v. Chr. mit dem Abschmelzen der letzten Gletscher der Eiszeit eine Feuchtperiode und archäologische Funde deuten darauf hin, dass gegen Ende der Feuchtperiode damit begonnen wurde, Getreide anzupflanzen und Viehhaltung zu betreiben (vgl. Ansprenger 2004: 11). Als sich die Lebensbedingungen erneut zu verschlechtern begannen, setzten weit reichende Wanderungsbewegungen sowohl nach Norden als auch nach Süden ein. Obwohl die Nieder-
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schlagsdichte östlich und westlich des Nils noch bis ca. 2400 v. Chr. in der Sahara ein Steppenklima erhielt, das die Haltung von Viehherden ermöglichte, setzten zum einen Wanderungsbewegungen in Richtung derjenigen Region ein, die später als Ägypten bezeichnet werden sollte (ebd.: 13). Dass die Ägypter der Antike somit aus dem Süden stammen und daher von schwarzer Hautfarbe waren, ist in der Gelehrtenwelt nicht unumstritten und es war vor allem der aus dem Senegal stammende Wissenschaftler Cheikh A. Diop, der sich wiederholt für diese These stark machte (vgl. exemplarisch Diop 1974 u. 1987, auch Harding/Reinwald 1990). Gleichzeitig setzte eine Migrationsbewegung Richtung Süden in das heutige Westafrika ein, „die sich mit gletscherhafter Trägheit vollzog“ (Iliffe 2000: 86) und die schließlich in einem beschleunigten Tempo die Wanderungsbewegungen der sog. Bantu-Völker über Zentral, Ost- und Südafrika, wo ca. 1000 n. Chr. die Wanderungsbewegung aufgrund der Witterungsverhältnisse, die einen Anbau des Hauptnahrungsmittels Sorghums im westlichen Kapland nicht zuließen, ein Ende fanden (vgl. UNESCO 1981, Bd. 3, Kap. 6). Auch wenn die Wanderungsbewegungen Richtung Süden ein Grundmuster der Besiedlung darstellen, sollte man sie sich nicht als eine Grenze vorstellen, die kontinuierlich Richtung Süden verschoben wurde. Vielmehr ließen sich verschiedene Gruppen an für den Ackerbau günstigen Orten nieder, so dass Siedlungen eine weite Streuung aufwiesen (vgl. Iliffe 2000: 86). Historische urbane Räume Wendet man sich den Arbeiten zu, die sich aus historischer Sicht mit afrikanischen Städten beschäftigt haben, so fällt auf, dass die Anzahl der Veröffentlichungen im Vergleich zu der äußerst ausdifferenzierten Literatur zu stadthistorischen Aspekten Europas eher gering ist. Nach Burchards ist dieser Umstand weniger daraus zu erklären, dass der afrikanische Kontinent keine Urbanisierungsgeschichte hätte, sondern ist vielmehr der Tatsache geschuldet, dass die Region lange Zeit die am wenigsten urbanisierte der Erde war (Burchards 2000: 36). Das Interesse an den historischen Wurzeln urbaner afrikanischer Gebilde stieg erst, als mit der einsetzenden postkolonialen Urbanisierungswelle und ausbleibendem wirtschaftlichen Wachstum rasch auch die Grenzen und Hypotheken der historisch gewachsenen urbanen Systeme deutlich wurden. Gleichzeitig liegt ein Grund sicherlich auch darin, dass eine eurozentrische Sicht vieler Historikergenerationen Afrika keine Geschichte vor dem ‚Erstkontakt‘ mit Europäern zugestehen wollte und es somit keinen Eingang in große historische Werke fand: „Sidelined … Africa is excluded from … most general discussions of the emergence of food production, the development of centralized political systems, or the origins of urban societies.“ (Mitchell 2005: xv) Einer der ersten der sich umfassend mit dieser verschütteten Geschichte afrikanischer Städte beschäftige, war Basil Davidson, der 1970 mit seinem Buch „The Lost Cities of Africa“ Pionierarbeit leistete; später folgten die historischen Abhandlungen von Hull (1976), O’Connor (1983) und Connah (1987), sowie die Arbeiten der Französin Coque-
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ry-Vidrovitch (1991 u. 2005a), auf die ich mich im Folgenden hauptsächlich beziehen werde. Betrachtet man die Frühzeit der afrikanischen Urbanisierungsgeschichte ist der enge Zusammenhang zwischen ‚natürlichen‘ Ressourcen60 und urbaner Raumbildung bemerkenswert. Hier spielten vor allem Gold, Zinn, Kupfer und Salz bei der Bildung afrikanischer Austauschnetzwerke eine kaum zu überschätzende Rolle (vgl. Mitchell 2005: 12f.). Angesichts der oben erwähnten Schlüsselstellung der Sahara für Migrationsbewegungen ist es nicht weiter erstaunlich, dass diese auch in diesem Bereich vor allem aufgrund ihrer reichhaltigen Salzvorkommen weit verzweigte Handelsnetze entstehen ließ (vgl. Lovejoy 1986, Alexander 1997). Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass diese Netzwerke zu Stadtbildungen vor allem in Westafrika führten, den sog. ‚Wüstenhäfen‘, in denen die Salzkarawanen ihre wertvollen Güter verkaufen oder tauschen konnten. Einige dieser bis heute berühmten Städte sind Timbuktu, Gao und Jenne; alle drei im heutigen Mali liegend, sind sie von historischer Bedeutung. Neben ihrer Funktion als Umschlagplätze wertvoller Rohstoffe bildeten solche Städte immer auch Versorgungsknotenpunkte, wo sesshafte Bauern und Viehzucht treibende Nomaden ihre Produkte austauschten. Städte fungierten als „anchored meeting points, that, no matter how small, were characterized by the relative social and cultural heterogeneity that characterizes a city“ (Coquery-Vidrovitch 2005a: 32). Noch älteren Ursprungs ist die durch McIntosh und McIntosh 1977 entdeckte Stätte der ersten Agglomeration im westlichen Sudan, Jenne-Jeno, deren Anfänge mittels der Radiokarbonmethode auf 250 v. Ch. datiert wurden und die damit als die älteste Stadt des Nigerdeltas gelten kann. Dadurch konnte die lange Zeit geltende These des ‚arabischen Stimulus‘ widerlegt werden (Bovill 1968, Levtzion 1973 u. 1994), demnach seit ihren Anfängen die Geschichte und innere Entwicklung Westafrikas ausschließlich von nordarabischen, äußeren Einflüssen vorangetrieben und determiniert wurden. McIntosh und McIntosh führen eine ganze Reihe von weiteren Funden im Senegal und Nigeria an, die alle für eine „growing evidence for extensive pre-arab trade in West Africa“ (McIntosh/McInstosh 1988: 147) sprechen61. Die Stadt Jenne-Jeno lag dabei im Binnendelta des Nigerflusses, der vor ca. 10 000 Jahren noch nicht auf den Atlantischen Ozean zulief, sondern im heutigen Wüstengebiet zahlreiche Seen und Sümpfe speiste (vgl. Connah 2006: 108). Daraus ergab sich eine von Flussläufen und Seen durchzogene Landschaft, die dank ihrer Fruchtbarkeit durch angeschwemmten Schlamm einen interessanten Besiedlungsraum darstellte. Bemerkenswert ist damit, dass auch bei der Entstehung von Jenne-Jeno aller Wahrscheinlichkeit nach, ein Zusammenspiel von ökologischen und sozialen Faktoren
60 Vgl. zum hier verwendeten Ressourcenbegriff I./ 2.3.2 61 Coquery-Vidrovitch kommt zur selben Schlussfolgerung: „The evidence converges to suggest that West Africa did not wait for the influence of the Arab world to give birth to the first urban agglomerations. “ (2005a: 49)
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eine entscheidende Rolle gespielt hat: „ … the city was located at an exceptional crossroads: in a floodplain at the junction of two ecosystems, namely the dry savannah and the Sahel, and therefore conducive to complementary exchanges.“ (Coquery-Vidrovitch 2005a: 47) Auch wenn Jenne-Jeno als ein Beleg dafür gelten kann, dass sich Teile der urbanen Räume Westafrikas unabhängig von islamischen Einflüssen entwickelt haben, ist es unbestritten, dass für die Urbanisierungsgeschichte Afrikas die wechselseitigen Beziehungen zwischen islamischer und afrikanischer Welt von zentraler Bedeutung sind, wenngleich die qualitative Struktur der Austauschbeziehungen Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Auseinandersetzungen bildet. Mit Blick auf diese Streitfrage plädiert O’Connor für eine ‚vermittlungstheoretische‘ Position: „In many cases the idea of urban life was imported, and some of these cities were founded by invaders from far outside the local area. Most were built by Africans, with African initiatives dominant at each stage of their early growth, but this growth usually depended on external contacts.” (O’Connor 1983: 31) Das Vordringen und die Ausbreitung des Islams auf dem afrikanischen Kontinent, der 640 n. Chr. mit der Schlacht bei Heliopolis in Unterägypten begann (vgl. Ansprenger 2004: 31), erfolgte aber nicht ausschließlich im Rahmen kriegerischer Auseinandersetzungen, sondern oftmals in einer Art kulturellkommerzieller Osmose, deren wichtigster Transmissionsriemen der TransSahara-Handel war. Für eine solche Entwicklung steht eines der einflussreichsten urbanen Zentren, das von diesen vielfältigen Austauschbeziehungen profitierte: das bereits erwähnte Timbuktu, die um 1100 gegründete Universitäts- und Handelsstadt. Ähnlich wie Jenne-Jeno verdankte die Stadt ihre Vielfalt des geistigen Lebens einem regen Handel mit Gold, Sklaven, Gewürzen, Elfenbein und vor allem Salz als Folge ihrer Schlüsselstellung im Karawanenverkehr. Eine solche primär wirtschaftlich geprägte Entwicklung der Stadt spiegelte sich auch auf der Ebene der Sozialstruktur wider, waren es doch weniger kriegerische, sondern ausgesprochen bürgerliche Schichten, die Handel, Handwerk und Gelehrtentum in die Stadt brachten (vgl. Manshard 1977: 11). In ihrer Blütezeit während des 16. Jahrhunderts galt Timbuktu neben Gao als das herausragendste geistige Zentrum des gesamten Sudans und hatte eine stattliche EinwohnerInnenzahl von 40 000 bis 50 000 (ebd.: 12). Ein weiterer eindrucksvoller Beleg für das autochthone Städtewesen Schwarzafrikas sind die Yoruba-Städte in Nigeria, die eindrucksvoll und ausführlich von Mabogunje (1962) beschrieben wurden, aber auch das im Süden Nigerias liegende Benin-City. Anzuführen sind ebenfalls die Hafenstädte des östlichen Afrika, wie Mogadischu oder Djibouti, die über ausgedehnte Seehandelsrouten mit Gold, Elfenbein und Bergkristallen intensiven Handel betrieben. Und schließlich gab es noch die Städte des Südens, allen voran Great Zimbabwe, das zwischen dem 12. und 15. Jahrhundert eine der bedeutendsten Städte des südlichen Afrika darstellte und deren bis heute beeindruckende Steinruinen „seems to be the most perfect and most centralized achievement by peoples in this area“
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(Coquery-Vidrovitch 2005a: 55). Somit lässt sich eine reiche, ‚vorkoloniale‘ Stadtgeschichte freilegen, die für die Entwicklung des Kontinents keineswegs als marginal einzustufen ist, sondern nach dem Dafürhalten Connahs „one of the most significant developments of tropical Africa’s history“ (Connah 1987: 6) verkörpert und vielerorts eine wichtige treibende Kraft der Entwicklung bildete. Festzuhalten bleibt weiter, dass vor allem die Städte der Sahelzone und die damit verbundenen Großreiche Songhai, Mali und Ghana62 in ihren Handel fast ausschließlich nach Norden hin orientiert waren und somit ihre Bedeutung wesentlich dem Trans-Sahara-Verkehr verdanken. Auch wenn sich zum Teil eigenständige Entwicklungen nachzeichnen lassen, findet sich ein entscheidender Katalysator urbaner Entwicklung im fruchtbaren Austausch zwischen der islamischen und schwarzafrikanischen Welt (vgl. Manshard 1977: 10). Gleichzeitig hat der historische Rückblick auf die Vielfältigkeit und Heterogenität afrikanischer Urbanisierungsprozesse aufmerksam gemacht. Hier folgt der afrikanische Kontinent deutlich anderen Urbanisierungspfaden als beispielsweise Lateinamerika. Während die meisten lateinamerikanischen Städte erst während des 16. Jahrhunderts gegründet wurden, erstrecken sich die einzelnen afrikanischen Stadtgründungen über Jahrhunderte hinweg: Während es, wie erwähnt, mit Alexandria, Kairo und den ‚Wüstenhafen‘-Städten sehr frühe Ursprünge gab, Städte wie Mogadishu und Mombasa weit vor dem 16. Jahrhundert entstanden, entwickelten sich Monrovia und Khartum erst im 19., Bamako, Abidjan oder Lomé gar erst Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts (vgl. O’Connor 1983: 25). Unstrittig ist allerdings, dass die historische Vielfalt, wie auch immer man sie einfangen mag, der einfachen Rede von der afrikanischen Stadt zutiefst widerspricht. Auf eine derartige Fülle verweisen nicht zuletzt etymologische Untersuchungen, die quer durch die afrikanischen Sprachen ein facettenreiches Vokabular zur Bezeichnung von Städten nachweisen konnten. So bezieht sich das malinesische Wort galo-dougou stärker auf die politisch-administrativen und kulturellen Funktionen einer Stadt, während in Hausa das entsprechende birni stärker auf den Verteidigungsschutz urbaner Zentren durch einen Mauerwall abhebt und das äthiopische t’eyent lange Zeit synonym für ein Militärlager verwendet wurde (vgl. Coquery-Vidrovitch 2005a: 13f.).
62 Das Aufblühen der mittelalterlichen Großreiche Ghana, Mali und Songhai waren eng mit einem Anwachsen des Wüstenhandels und der transsaharischen Routen verbunden. Das antike Ghana hat mit dem heutigen Ghana so gut wie nichts gemeinsam, weder die geografische Lage noch die kulturellen Wurzeln, und entstand in etwa dort, wo sich das heutige Senegal, Mauretanien und Mali befinden und hatte seine Hochzeit um 1000 n. Chr. Die Ausweitung des Goldhandels führte schließlich zu einer Machtverschiebung und zur Entstehung von Mali, dessen Herrschaftsgebiet sich im 14. Jahrhundert von der Atlantikküste bis zum mittleren Niger erstreckte und dessen Macht schließlich von dem Reich der Songhay gebrochen wurde (vgl. Davidson 1959: 81f., Iliffe 2000: 54f., van Dijk 2004: 68f.).
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Die koloniale Stadt Eine für den afrikanischen Urbanisierungsprozess einschneidende Zäsur bedeutete ohne jeden Zweifel die Periode des Kolonialismus, der trotz seiner im Vergleich zu der Kolonialisierung asiatischer und lateinamerikanischer Räume kürzeren Dauer bis heute weitaus tiefere Spuren hinterlassen hat (vgl. Eckert 2006). So wird die später folgende Erörterung sozio-ökonomischer, kultureller und ökologischer Probleme heutiger afrikanischer Städte deutlich werden lassen, dass die primär auf Rassismus basierende koloniale Stadtplanung in vielen Fällen ein äußerst problematisches Erbe, wie infrastrukturelle Unterversorgung ganzer Stadtteile und urbaner ethnischer Segregation, bereit gehalten hat, das bis heute ein dauerhaftes Konfliktpotential in sich birgt. Der beginnende Einfluss der Europäer, dessen Anfang südlich der Sahara durch die Portugiesen bis ins 14. Jahrhundert zurückreicht, veränderte das Netz afrikanischer urbaner Agglomerationen grundlegend. Entscheidend war hier, dass durch die Gründung von Stützpunkten als wichtige infrastrukturelle Voraussetzung einer zunehmenden Erschließung der Seewege die alten Routen des weit verzweigten Kontinentalhandels wirtschaftlich mehr und mehr an Bedeutung verloren. Im Laufe der Zeit entwickelten sich die Forts und wirtschaftlichen Niederlassungen der seefahrenden europäischen Mächte zu den neuen wirtschaftlich und politisch einflussreichen Zentren. Die meisten der heutigen westafrikanischen Städte verdanken ihre Entstehung diesem Prozess der Ausweitung meerexportgebundener Verbindungen, denn mit der Intensivierung der kolonialen Bestrebungen entwickelten sich diese Brückenköpfe kolonialer Herrschaft mehr und mehr zu Städten (vgl. Lühring 1976: 30, Burchards 2000: 42). Der älteste dieser Handelsposten ist das an der ghanaischen Küste liegende Fort St. George von Elmina, das von den Portugiesen noch vor dem Reiseantritt Columbus nach Amerika gebaut wurde und im Laufe der Jahrhunderte eine wechselvolle Geschichte erlebte (vgl. Anquandah 1999). Damit bildete sich im Vergleich zu den autochthonen Städten Afrikas nach und nach ein neuer Stadttypus heraus, dessen Entstehung und Wachstumsimpulse wesentlich an die Interessen der jeweiligen Kolonialmächte gebunden waren. Bei der Auswahl der Standorte spielten allerdings nicht nur geostrategische Überlegungen eine Rolle. Oftmals bevorzugten die Europäer klimatisch begünstigte Regionen, nach Möglichkeit in Meeresnähe, und in diesem Bestreben ließen sie sich bisweilen auch von eigentlich ungünstigen raum-geografischen Bedingungen nicht abschrecken (vgl. Lühring 1976: 57). Ein auffälliges Beispiel stellt in dieser Hinsicht die im Rahmen der Fallstudie noch näher zu betrachtende westafrikanische Stadt Accra dar: Obwohl die Stadt ein angenehmes Klima verhieß, war sie unter Versorgungsaspekten mehr als suboptimal ausgewählt, eigneten sich doch die trockenen Küstensavannen nicht für den Anbau von benötigten Lebensmitteln, deren Zufuhr dann zunächst auf dem kostenaufwändigen Seeweg erfolgen musste (vgl. Manshard 1977: 52).
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Im Rahmen dieser Arbeit ist es unmöglich, sich dem ausdifferenzierten Forschungsgegenstand des Kolonialismus erschöpfend zu widmen (vgl. als Überblick Osterhammel 2003, Cooper 2005, Eckert 2006). Vielmehr werde ich mich auf diejenigen Aspekte beschränken, die für die Entwicklung urbaner Räume als entscheidende Determinanten verhandelt werden. Dennoch sei hier eine kurze Bemerkung vorangestellt: Wie in Kapitel II/1.6 bereits dargelegt, lassen sich je nach Art und Intensität der erzwungenen kommerziellen Eingliederung afrikanischer Gebiete unterschiedliche Phasen des Kolonialismus unterscheiden. Obwohl eine solche Einteilung bereits eine historische Differenzierung des Kolonialismus beinhaltet, birgt sie doch die Gefahr, die Epoche des Kolonialismus monolithisch zu verkürzen (vgl. Conrad/Randeria 2002: 24, Eckert 2006: 3). Kolonialismus kann definiert werden als „eine Herrschaftsbeziehung zwischen Kollektiven, bei welcher die fundamentalen Entscheidungen über die Lebensführung der Kolonisierten durch eine kulturell andersartige und kaum anpassungswillige Minderheit von Kolonialherren unter vorrangiger Berücksichtigung externer Interessen getroffen und tatsächlich durchgesetzt wurden“ (Osterhammel 2003: 21). Dabei darf ein solcher Prozess nicht ausschließlich in einer Einbahnstraße der Unterdrückung gedacht werden, denn die Errichtung kolonialer Herrschaftsgebiete wurde von einer komplexen Arithmetik von Konkurrenzgeflechten begleitet, in der oftmals Europäer gegen Europäer, Einheimische gegen Einheimische agierten, wie es ebenso Widerstand, aber auch Arrangements mit den Kolonisatoren gab (vgl. Eckert 2006: 4). Es sind gerade diese Vermengungen europäischer Hegemoniebestrebungen und traditioneller afrikanischer Institutionen, die bis heute in den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Problemen afrikanischer Urbanisierungsprozesse ihren Ausdruck finden (vgl. nächste Kapitel). Weiterhin hat die Postkolonialismusforschung dafür sensibilisiert, dass die Effekte und Wirkungen europäischer Imperialismusbestrebungen nicht auf den außereuropäischen Raum beschränkt blieben, sondern immer für beide Seiten, wenn auch höchst unterschiedliche, Auswirkungen zeitigte. Der Begriff des Postkolonialismus ist in diesem Zusammenhang daher auch weniger als eine zeitliche Kategorisierung, sondern vielmehr als eine epistemische Haltung zu charakterisieren: „Postcolonialism may be better conceptualised as an historically dispersed set of formations which negotiate the ideological, social and material structures of power established under colonialism.“ (Jacobs 1996: 25) All diese Erkenntnisse sprechen dafür, dass es nicht den Kolonialismus gab, sondern vielmehr eine ganze Reihe von Kolonialismen identifizierbar sind, die jeweils geografisch periodisiert und kontextualisiert werden müssen. Letztlich ist es dieses Spannungsfeld zwischen übergreifend beobachtbaren Mustern und lokalen Besonderheiten, in dem postkoloniale Studien einen Ausgleich finden müssen: „Ethnographies of empire must find some balance between the universalizing idioms of rule and the cultural specificity of their content.“ (Stoler/Cooper 1997: 18) Der Verweis auf die „Hybridität des kolonialen Austauschs“ (Conrad/Randeria 2002: 24) soll dabei nicht in dem Sinne missverstanden werden,
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dass es sich um ausgewogene oder gar egalitäre Austauschbeziehungen gehandelt hätte. Koloniale Politik war immer auf die Etablierung beziehungsweise Aufrechterhaltung eines Ungleichgewichts hin ausgelegt. In der Folge blieb koloniale Herrschaft nicht zuletzt deshalb immer auch prekär und den kolonialen Regimen gelang es niemals, eine Disziplinargesellschaft im Foucault’schen Sinne zu etablieren, die eine Routinisierung von Herrschaft impliziert hätte (vgl. Eckert 2006: 74). Die unglaubliche Brutalität der Bestrafungspraktiken waren in diesem Sinne kein Ausdruck der Stärke, sondern wesentlich der Schwäche. Neben drastischen Bestrafungsmaßnahmen drückten die Versuche der Machtsicherung aber vor allem der Struktur urbaner Räume ihren bis heute sichtbaren Stempel auf. In nahezu allen kolonialen Städten war die Herstellung und Aufrechterhaltung der Ordnung des Raumes von außerordentlicher Relevanz (vgl. Eckert 1996: 1). Im Vergleich zu der lautstarken Debatte um die Einschätzung der langfristigen Folgen des Sklavenhandels, auf die später noch kurz zurückzukommen sein wird, hat sich das Thema ‚Urbanisierung und koloniale Stadt in Afrika‘ eher „auf leisen Sohlen“ (Eckert/Harneit-Sievers 1994: 125) zu einem wichtigen Thema der afrikanischen Urbanisierungsforschung gemausert. Auch wenn nicht zweifelsfrei klar ist, wem nun die Einführung des Terminus ‚koloniale Stadt‘ zugesprochen werden kann, wird in einigen Veröffentlichungen ein Artikel aus dem Jahre 1956 der Anthropologen Redfield und Singer als Referenzstelle angeführt. In diesem Aufsatz spannen sie einen theoretischen Rahmen auf, der die Rolle von Städten weniger unter ausschließlich funktionalistischen Gesichtspunkten thematisiert, als vielmehr in einer Art ‚cultural turn‘ avant la lettre aus einer kulturtheoretischen Perspektive heraus „the role cities play in the formations, maintenance, spread, decline, and transformation of civilizations“ (Redfield/Singer 1954: 54) zu erfassen bestrebt ist. Zu diesem Zweck unterscheiden sie analytisch zwischen den zwei Transformationstypen einer „primary urbanization“ und einer „secondary urbanization“ (ebd.: 60). Im ersten Fall „a precivilized folk society is transformed by urbanization into a peasant society and correlated urban center“ (ebd.). Hier kann in den Augen der Autoren deshalb von einer primären Urbanisierung gesprochen warden, da „the peoples making up the precivilized folk more or less share a common culture which remains the matrix … for urban cultures” (ebd.). Demgegenüber zeichnen sich Prozesse sekundärer Urbanisierung dadurch aus, dass ein bereits bestehender urbaner Raum „is further urbanized by contact with people of widely different cultures from that of its own members“ (ebd.: 61). Als prototypisches Resultat sekundärer Urbanisierungsprozesse sehen sie dann auch die „colonial cities“ (ebd. 62), weiter bestimmt als „mixed cities on the periphery of an empire“ (ebd.). Zweifelsohne kommt der Kolonialzeit für den weiteren Verlauf von afrikanischen Urbanisierungsprozessen eine elementare Bedeutung zu. Strittig sind jedoch die Mittel und Wege, mit denen die treibenden Kräfte dieser Entwicklung und deren Auswirkungen angemessen repräsentiert werden können, wobei sich zwischen erkenntnistheoretischen Debatten auf der einen und raumtheoretischen
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Fragen auf der anderen Seite differenzieren lässt. Beim stärker erkenntnistheoretisch eingefärbten Streitpunkt geht es im Kern um die Frage des ‚angemessenen Blicks‘ auf koloniale und postkoloniale Prozesse und verweist damit auf die Frage nach hegemonialen Modi kolonialer und postkolonialer Wissensproduktion. Die Thematisierung und Hinterfragung der Grenze zwischen ehemals binär und dualistisch verfassten Konzepten im Bereich der Kulturtheorie lässt sich dabei als der kleinste gemeinsame Nenner der postkolonialen Ansätze identifizieren. Im Rahmen der wissenschaftlichen Aufarbeitung des Kolonialismus werden essentialistische Gegenüberstellungen von eigener und fremder Kultur kritisiert und dagegen stärker deren wechselseitige Abhängigkeit und Relativität betont. Angesichts dessen lassen sich postkoloniale Arbeiten daher auch „als antiessentialistische Prozesstheorien“ (Reuter/Wieser 2006: 179) verstehen. Die damit angestrebte Überwindung eines eurozentrischen Blicks ist aber weiterhin eng mit der Frage verknüpft, wer denn überhaupt zur Wissensproduktion beitragen darf, oder mit anderen Worten „Wer darf wie über die dritte Welt schreiben?“ (Drekonja-Kornat 2004). Und ist demgegenüber die Vorstellung einer gegenhegemonialen Wissensproduktion im Sinne einer ‚authentischen Stimme der Unterdrückten‘ der Weisheit letzter Schluss? Diese Frage hat zahlreiche erbitterte Debatten nach sich gezogen (vgl. als Überblick Conrad/Randeria 2002, Ziai 2005) und ihren Weg auch in die Diskussion kolonialer und postkolonialer Urbanisierungsprozesse gefunden. In diesem Zusammenhang verweist King auch auf die Tatsache, dass die meisten Veröffentlichungen zu diesem Thema aus dem westlichen Kulturkreis stammen: „Not only is the colonial city apparently a colonial product, so also, it seems, is its representation.“ (King 2005: 70) Auch wenn King eine solche Feststellung nicht als These einer ‚wahreren‘ Geschichtsschreibung und Theoriebildung durch nichtwestliche Intellektuelle missverstanden wissen will, denn dass hieße ja letztlich nur den essentialistischen Spieß umzudrehen, plädiert er doch für eine kritische Sensibilität mit Blick auf die Wissensproduktion über das Andere. Bei dem zweiten Aspekt sind es vor allem Fragen des raumtheoretischen Zugangs, die die Trennlinien markieren. In der Forschung lassen sich diesbezüglich zwei Trends ausmachen (vgl. Eckert/Harneit-Sievers 1994: 125f.): Auf der einen Seite finden sich vor allem frankophone Veröffentlichungen, die den urbanen Raum als geografisch gegeben setzen und Veränderungen nachzeichnen und analysieren, die sich gleichsam auf diesem Raum als Folie abspielen. Raum und damit verbundene Prozesse treten als eigenständige Analysekategorien nicht wirklich in Erscheinung. Für die andere Seite stehen vor allem Arbeiten aus dem englischsprachigen Bereich, die sich stärker mit der Bedeutung von Konflikten und Aushandlungsprozessen zwischen Kolonisatoren und Einheimischen für die Stadtentwicklung beschäftigen und Stadt somit vornehmlich als materiellen Raum wahrnehmen, der durch ökonomische, soziale und kulturelle Prozesse erst konstituiert und gerahmt wird.
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Bei der Einschätzung der Effekte der frühen Phase der Kolonialisation auf die urbane Entwicklung gehen die wissenschaftlichen Meinungen zunächst auseinander. Coquery-Vidrovitch verweist auf die Tatsache, dass der Sklavenhandel erst Mitte des 17. Jahrhunderts mit dem Aufkommen der lukrativen Zuckerrohrindustrie zum dominanten wirtschaftlichen Interesse der Kolonialmächte aufstieg. Bis zu diesem Zeitpunkt ließen die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Interaktionen zwischen Kolonisatoren und der einheimischen Bevölkerung „a veritable urban civilization“ (Coquery-Vidrovitch 2005a: 138) wachsen, so dass bis zum Ende des 17. Jahrhunderts „economic relations with Africa were more complex and certainly more dynamic than destructive“ (ebd.: 139). Eine gegenteilige Position vertritt Simon, nach dessen Einschätzung die Beziehungen von Anfang an auf Unterdrückung und Ausbeutung hin angelegt waren und somit von einer wechselseitigen Befruchtung zu keiner Zeit die Rede sein kann: „Crucially also, the relationships between colonisers and colonised were highly inequitable, usually improved by force … Moreover, the resultant towns and cities were not developed primarily through some local dynamic or for the benefit of the local populations. Instead, their establishment, growth and development were largely externally driven as an integral element of the colonial project.” (Simon 1992: 22) Konzentriert man sich bei der Beantwortung dieses strittigen Punkts auf die Frage, in welchem Maße sich soziale Strukturen auf räumliche niederschlagen beziehungsweise wie räumliche Strukturen soziales Handeln prägen, scheint mir die Antwort allerdings eindeutig. Mit Blick auf die Langzeitwirkungen kolonialer Urbanisierungspolitik, also Maßnahmen, die bis zur Gegenwart eine erhebliche Auswirkung auf afrikanische Gesellschaften haben, muss das entscheidende Gewicht auf der kolonialstrukturellen Durchdringung seit etwa dem 17. Jahrhundert gelegt werden. Einigkeit besteht jedoch darüber, dass der städtische Raum eines der zentralen Objekte kolonialer Herrschaft darstellte. Wie an kaum einem anderen Beispiel lässt sich das wechselseitige Bedingungsverhältnis von physischem und sozialem Raum an den kolonisierten Metropolen studieren, dem Zusammenhang von Macht, sozialer Ungleichheit und gebauter Materialität im Rahmen kolonialer Raum(an)ordnungsprozesse63 nachspüren. Das Bourdieusche Diktum, demzufolge „Herrschaft über den Raum … eine der privilegiertesten Formen der Herrschaftsausübung“ (Bourdieu 1991: 30) darstellt, bildete dabei den praktischen Kern kolonialer Stadtplanungspolitik. Die spezifischen Auswirkungen kolonialer Maßnahmen auf die räumlichen Arrangements kolonialer urbaner Räume hingen dabei von einem Zusammenspiel verschiedener Faktoren ab. Simon identifiziert mindestens fünf davon (vgl. Simon 1992: 25f.): die Motive der Kolonisatoren (Sklavenhandel, landwirtschaftliche Produktion, genereller Handel mit den Einheimischen, militärischer Stützpunkt etc.), das Vorhandensein autochthoner Städte, der eigentlich Zweck der Besiedlung selbst, die Beziehungen zwischen Kolo63 Zum Begriff der Raum(an)ordnung vgl. ausführlich Kapitel I/3.
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nisatoren und einheimischer Bevölkerung und schließlich die Art und Weise, wie mit bestehenden urbanen Räumen verfahren wurde (komplette Zerstörung, Ansiedlung neben bestehenden urbanen Zentren etc.). Damit wird auch deutlich, dass eine dichotome Einteilung in traditionelle/ursprüngliche und moderne/koloniale Stadt bei weitem zu simpel ist, um die gesamte Bandbreite der Entwicklungen zu erfassen. Bereits 1983 schlug daher O’Connor in seiner Studie vor, mindestens zwischen sechs unterschiedlichen Kategorien zu unterscheiden, wenngleich diese Einteilung und Vorgehensweise nicht unwidersprochen blieb64: „We shall distinguish the truly indigenous city and the Islamic city, the colonial city and the ‚European‘ city, the dual city and the hybrid city.“65 (O’Connor 1983: 27f.) Auch für King erscheint es angesichts der jeweiligen kulturellen, sozialen und naturräumlichen Unterschiede angemessener, von „a ‚city in colonized society or territory‘“ (King 1990: 16) zu sprechen, denn von der kolonialen Stadt. Trotz dieser sich daraus ergebenden Differenzierungen historischer Erscheinungsformen lassen sich meines Erachtens drei generelle Merkmale kolonisierter urbaner Räume stadt- und regionenüberergreifend identifizieren: Segregation, rassistische Verengung und Instrumentalisierung tropenmedizinischer Erkenntnisse sowie strukturelle Grundlegungen für ein späteres, monozentrisches urbanes Raumsystem. Zur Analyse dieser ‚stadtgestalterischen‘ Bemühungen der Kolonialherren hat Timothy Mitchell am Beispiel des durch die Briten besetzten Kairos den Begriff des „enframing“ (Mitchell 1991) geprägt, dessen Hauptziel „the physical organizations of space to produce social spaces“ (Mitchell 1991: 12) war und eine „visible hierarchy of spatial order“ (ebd.:) etablieren sollte. So lassen sich zwei charakteristische Voraussetzung für urbane Räume in kolonialisierten Gebieten benennen: Zum einen wurden sie dank fortgeschrittener Transporttechnologien weit von ihren Heimatländern gegründet, zum anderen wurden sie in einem völlig fremden kulturellen Kontext implementiert (vgl. King 1990: 16). Beide Umstände implizierten von Anfang an ein dünnes Fundament kolonialer Herrschaft, denn trotz waffentechnischer Überlegenheit barg die weite
64 In den Augen von Coquery-Vidrovitch trägt eine solche Typologie allein schon aus dem Grund nicht als dass letztlich alle Städte zu allen Zeit hybride Formationen darstellen. Insofern hält sie eine historische Periodisierung urbaner Formationen für sinnvoller (vgl. Coquery-Vidrovitch 2005a: 26). 65 Die Kategorien der indigenen und der islamischen Stadt sind bereits weiter oben in diesem Abschnitt angesprochen worden. Unter der kolonialen Stadt versteht O’Connor Stadtformen, die vor allem aus ökonomischen oder militärischen Erwägungen heraus neu gegründet wurden Die ‚europäische‘ Stadt stellt, ebenso wie alle weiteren Stadttypen, eine Sonderform der kolonialen Stadt dar, insofern sie ausschließlich zur Ansiedlung von Weißen gegründet wurde. Die duale Stadt umfasst schließlich die in einem hoch segregierten Setting sowohl einheimische als auch weiße Bevölkerungsteile, und die hybride Stadt verkörpert schließlich einen Stadttypus, dessen äußeres Erscheinungsbild im Vergleich zur dualen Stadt weitestgehend amorph bleibt.
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Entfernung zu dem jeweiligen Imperium und die oftmals damit verbundene fragile Versorgungssicherheit sowie die zahlenmäßige Überlegenheit der kontrollierten Einheimischen ein kontinuierlich hohes Gefährdungspotenzial. Vor diesem Hintergrund wurden sowohl stadtplanerische Instrumente als auch koloniale Architektur zu wichtigen Instrumenten und Symbolen der europäischen Hegemoniebestrebungen. Die damit verbundene Stadtplanungspolitik diente dabei von Anfang an niemals der Integration, sondern betonte im Gegenteil stets die Verschiedenheit und Hierarchiebildung des vorgefundenen urbanen Systems (vgl. Eckert 1996: 2). Die koloniale Segregationspolitik schuf dabei zwei scharf voneinander getrennte urbane Zonen, die in physiognomischer, politischer, rechtlicher und infrastruktureller Hinsicht kaum unterschiedlicher hätten sein können. Physiognomisch wurden die ‚weißen‘ Viertel von separaten Geschäfts- und Wohnvierteln, ausgedehnten Straßenzügen und Plätzen, europäischen Haustypen sowie ausgreifenden Grün- und Parkanlagen dominiert (vgl. Lühring 1976: 57), während sich die ‚schwarzen‘ Viertel durch eine hohe Besiedlungsdichte und oftmals provisorische Unterkünfte auszeichneten. Auch politisch handelte es sich um je zwei Bereiche mit einem Eigenleben. Vor allem mit Blick auf die Landnutzungsrechte wurden hier einschneidende Maßnahmen vorgenommen, deren Nachwirkungen bis heute in einem vielfach beobachtbaren Bodenrechtspluralismus aufscheinen. Auch hier waren die kolonialen Strategien sehr unterschiedlich. In britischen Kolonien wurden beispielsweise in der Regel lokale Landbesitzer enteignet und das ganze Land schlicht der britischen Krone unterstellt, um dann in einem weiteren Schritt jeweils spezifischen Personen bodenrechtlich legitimierten Zugang zu städtischem Land zu gewähren. Und schließlich hatte die Gliederung der Städte auf der Basis einer ethnischen Wohnsegregation auch eine duale Versorgungsinfrastruktur zur Folge. Komplexere stadtplanerische Maßnahmen bezogen sich nahezu ausschließlich auf die privilegierten Viertel, so dass es rasch zur Herausbildung mit allen Annehmlichkeiten ausgestatteter Quartiere auf der einen Seite und unterversorgter Stadtteile auf der anderen Seite kam66.
66 Interessanterweise beruhte die vorangetriebene Segregation aber nicht nur auf machttheoretischen oder rassistischen Hintergründen, sondern spiegelte auch eine kulturelle Erfahrung bebauter städtischer Umwelt der damaligen Zeit wider. Im feudalen Europa gehorchten Formen der Landnutzung in erster Linie sozialen und funktionalen, nicht aber ökonomischen Kriterien. In der Folge waren Formen einer ökonomisch bedingten Segregation zwar gelegentlich beobachtbar, aber nicht die Regel. Dies änderte sich mit dem Aufkommen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, im Rahmen derer Landbesitz und Landnutzungsformen kontinuierlich ökonomisiert wurden und in der Konsequenz zunehmend hierarchisierte Formen der Sozialstruktur ihren Niederschlag in der bebauten Umwelt der Städte fanden: Europäische Städte und ihre Materialität repräsentierten in immer stärkerem Maße auch soziale und ökonomische Hierarchien. Die koloniale Segregationspolitik lässt sich damit nicht zuletzt auch als eine Übertragung dieser Erfahrungen und kulturellen Wahrnehmungsmuster auf den kolonialen Kontext deuten (vgl. King 1990: 36) und liefert einen weiteren plausiblen Beleg für die schon früh von Harvey formulierte
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Auch wenn dieses bestimmende Segregationsmuster einer dualen Stadt als ein übergreifendes Merkmal kolonial-europäischer Städte gelten kann, soll damit keineswegs die These einer einheitlichen kolonialen Stadtplanung in Afrika vertreten werden. Das Ausmaß der Einmischung und Kontrolle waren regional, aber vor allem auch mit Blick auf die jeweiligen Nationen sehr unterschiedlich: Während die französische und portugiesische Kolonialpolitik stark in die vorgefundenen städtischen Strukturen eingriff, verfolgte beispielsweise England eine weitaus weniger zentral gesteuerte Stadtpolitik (vgl. Lühring 1976: 56). Weiterhin war der „multiethnische Charakter vieler Kolonien … in deren städtischen Zentren am offensichtlichsten ausgeprägt“ (Eckert 1996: 3). Ebenso sollte erwähnt werden, dass eine städtische Segregationspolitik keine genuin koloniale ‚Erfindung‘ war. Viele der erhaltenen Grundrisse ‚traditioneller‘ afrikanischer Städte deuten auf eine ausgeprägte sozial-räumliche Differenzierung hin, die weniger von funktional wirtschaftsräumlichen als vielmehr von ethnischen Aspekten dominiert wurden (vgl. Hull 1976: 80f., O’Connor 1983: 28, King 1990: 35, Burchards 2000: 39). So wurden beispielsweise in Nordafrika die jüdische Bevölkerung in sog. Mellahs ausgegrenzt, in vielen west- und schwarzafrikanischen Städten wurden Fremde in Zongos oder Sabon Garis untergebracht. Im Vergleich dazu waren die stadtplanerischen Maßnahmen kolonialer Siedlungspolitik Ausdruck einer tief sitzenden Furcht vor dem ‚detribalisierten‘ städtischen Afrikaner, den es mit allen Mitteln zu kontrollieren und unterwerfen galt. Die gesellschaftlichen Strukturen der kolonialen Gebiete waren immer auch Spiegel des zeitgenössischen europäischen Denkens. Insofern kann es kaum verwundern, dass für die raumgreifenden Maßnahmen der Kolonialherren hygienische und medizinische Überlegungen, wie sie ja auch für die westlichen Metropolen des 19. Jahrhunderts eine Schlüsselrolle spielten, eine weitere prägende Triebfeder bei der Schaffung segregierter urbaner Räume waren. Auf die Durchsetzung kolonialer Maßnahmen der Stadtgestaltung mit Krankheits- und Verseuchungsmetaphern hat als einer der ersten Maynard Swanson am Beispiel Südafrikas in einem Artikel der späten 1970er Jahre hingewiesen. Das „Sanitation Syndrom“ (Swanson 1977: 387), das sich wesentlich aus der tief sitzenden Angst der Kolonialherren vor einer vermeintlich erhöhten Ansteckungsgefahr mit den vielfältigen tropischen Krankheiten durch direkten Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung speiste, lieferte einen weiteren Begründungszusammenhang für das, was Swanson als „ the racial ecology … of colonial cities“ (ebd.) bezeichnet hat. Während sich in Bezug auf die rasch wachsenden Metropolen des industriellen Europas ein ähnlicher Hygienediskurs zu formieren begann, wurde dieser allerdings unter dem Vorzeichen einer Diskussion um die Verarmung der Massen diskutiert, wohingegen im kolonialen Kontext diese Diskurs „in terms of colour differences“ (ebd.) geführt wurde. Materielles Substrat derartiger Ängste These, dass Urbanisierung „is not just the history of a particular city but the history of a system of cities“ (Harvey 1973: 250).
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und Befürchtungen war die Errichtung eines so genannten „cordon sanitaire“ (LaFontaine 1970: 19), der in der Regel aus einem mehrere hundert Meter breiten Gründgürtel beziehungsweise unbebauter Fläche bestand, der die europäischen Viertel von den Stadtteilen der indigenen Bevölkerung trennte. Diese koloniale Segregationspolitik hatte neben macht- und herrschaftstheoretischen Aspekten somit vor allem einen zweifelhaften medizinischen Hintergrund. In einer Übertragung der dichotomen Rassenlehre auf die Unterscheidung ‚gesund‘ versus ‚krank‘ wurden die einheimischen Bevölkerungsmitglieder als Träger gesundheitsgefährdender Keime klassifiziert, deren Kontakt es in jedem Falle zu vermeiden galt. Nicht selten trennte ein solcher cordon sanitaire auch die höher gelegenen Stadteile europäischer Siedlungen ab, glaubte man noch bis Ende des 19. Jahrhunderts, dass Malaria durch giftige Ausdünstungen bestimmter Böden verursacht wurde (vgl. Eckert 1996: 4). King charakterisiert die koloniale Gesundheitspolitik zusammenfassend als eine Mischung aus „ethnoscientific ideas about disease, cultural expectations of health, perceptions of climate and environment, and cultural beliefs and practices regarding various populations in subordinate or superordinate positions“ (King 1990: 34). Neben der Errichtung einer dualen Struktur der jeweiligen innerurbanen Räume ist ein weiterer Effekt der kolonialen Periode die Etablierung eines monozentrischen urbanen Systems. Grundlage einer solchen Entwicklung war die bereits im Zusammenhang mit der politischen Ökologie von Hungerkatastrophen nachgezeichnete, durch den Kolonialismus verursachte randständige Integration afrikanischer Räume in die entstehende kapitalistische Weltordnung. Ermöglicht wurde eine solche Integration durch die marktwirtschaftlich vorangetriebene weltweite Vernetzung von Produktionsstandorten, Arbeits- und Konsummärkten sowie Finanzströmen. Diese frühe Form der internationalen ‚Arbeitsteilung‘ hatte für den vorliegenden Zusammenhang zwei zentrale strukturbildende koloniale Hinterlassenschaften, die bis heute die ambivalenten Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Entwicklung Afrikas bilden (vgl. Tetzlaff/Jakobeit 2005: 50): Etabliert wurde einerseits eine auf die Produktion und den Export kolonialer Rohstoffe zugeschnittene Wirtschaftsweise, die nicht nur die bereits erwähnten ‚cash crops‘ ausführte, sondern auch menschliche Arbeitskraft sowohl vor Ort als auch in Form des überseeischen Sklavenhandels ausbeutete. Beides hatte insofern fatale Folgen, als der monokulturelle Anbau hohe einseitige Abhängigkeiten von den entsprechenden Weltmarktpreisen nach sich zog und der Sklavenhandel sowohl zu einer dramatischen Verringerung der Arbeitskräfte auf dem Land als auch zu einem technologischen Stillstand afrikanischer Kulturen führte und „in einigen Fällen zu wirklichem Rückschritt, da die Menschen sogar die einfachen technischen Fertigkeiten ihrer Vorväter verlernten … Was Afrika in den frühen Jahrhunderten des Handels erfuhr war eben dieser Verlust an Entwicklungsmöglichkeit.“ (Rodney 1976: 89, Hervorh.i.O.) Andererseits implizierte diese exportorientierte Produktionsweise auch den Ausbau einer ausschließlich diesen Zwecken dienenden materiellen Infrastruktur:
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der Neu- und Ausbau von Städten, die Entstehung von Plantagen, die Schaffung von Häfen und Eisenbahnlinien, die Errichtung von Bergwerken, alles war der Gewinnung kolonialer Profite untergeordnet und hatte ruinöse Folgen: „Über die ganze Spanne dieser vier Jahrhunderte hin lag der Gewinn ausschließlich auf einer Seite. Es gab effektiv keine schöpferische Verschmelzung von Kulturen, kein Austausch von Ideen, keinen gemeinsam erarbeiteten Wohlstand und keine gemeinsame Leistung.“ (Davidson 1966: 241) Die zunehmende Einbindung in den Weltmarkt hatte somit weder breite Wohlfahrtseffekte, noch führte sie zur Entwicklung eines lokalen Unternehmertums, von einer Industrialisierung nach europäischem Vorbild ganz zu schweigen. Ein wichtiger Grund für dieses Ausbleiben war die kapitalistische Logik des Verhältnisses zwischen Kolonie und kolonialisierten Gebieten: Im Zentrum dieser Beziehung stand eine „exploitative dominance-dependence relationship“ (Simon 1992: 23), die jede eigenständige Entwicklung kolonialer Gebiete als Konkurrenz zu heimischen Märkten und Metropolen sah und diese insofern mit allen Mitteln zu unterbinden versuchte. Verschärft wurde diese bewusste Unterentwicklung weiterhin dadurch, dass die erwirtschafteten Gewinne zum großen Teil nicht wieder in Afrika, sondern in Europa und später Amerika investiert wurden (vgl. Krammer 1998: 254). Insgesamt wurden dadurch urbane Entwicklungsprozesse initiiert, die Pacione als „peripheral urbanisation“ (Pacione 2005: 463) bezeichnet. Durch die Zwangsintegration afrikanischer Länder in den kapitalistischen Weltmarkt entstand auf kolonial-nationaler Ebene ein urbanes Systems, dass alle zentralen Einrichtungen und Funktionen auf eine Primärstadt konzentrierte, die sich in der Regel im Küstenbereich befand. Damit wurden grundlegende wirtschaftliche und sozial-geografische Umwälzungen ausgelöst, in denen äußere Kräfte Formen der Migration, der Sozialstruktur und der Verstädterung zumindest dominierten, wenn auch nicht restlos bestimmten. Zunächst einmal löste die konsequente Übertragung wichtiger Funktionen eine vermehrte Zuwanderung in die küstennah gelegenen Städte aus, was insofern eine deutliche Veränderung bisheriger Wachstumsmuster urbaner Räume darstellte, als deren Entwicklung lange Zeit stärker von einem natürlichen denn von einem zuwanderungsbedingten Wachstum bestimmt wurde. Eine derart verstärkte Abwanderung hatte für zahlreiche bis dahin bedeutende Städte im Hinterland empfindliche Folgen, denn die eigenständige Entwicklung wurde durch einen zunehmenden Mangel an Produktivkräften sowohl durch Abwanderung als auch durch Versklavung immer mehr unterbunden. Viele traditionelle kulturelle und soziale Zentren schieden somit aus dem herkömmlichen raumsozialen Gefüge aus, lösten dadurch weitere Destabilisierungen der jeweiligen Regionen und erneute Abwanderungsschübe aus: „Zum ersten Mal zeigte sich somit ein ausgeprägter Kern–Peripherie Antagonismus, hervorgerufen durch eine exogene Macht- und wirtschaftsklasse, mit negativen Entzugseffekten für das Hinterland.“ (Lühring 1976: 39) Dieser sich damals herausbildende regionale und ökonomische Dualismus zwischen Hinterland und einigen wenigen Stadtzentren wird bis heute unter den Stichworten ‚brain drain‘
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und ‚urban bias‘ der Migration als Hemmschuh einer nachhaltigen Entwicklung verhandelt. Abschließend gilt es noch einen wichtigen Punkt zu erwähnen: Neuere Ansätze haben in jüngerer Zeit verstärkt darauf hingewiesen, dass die Entwicklung räumlicher Strukturmuster in kolonialen urbanen Räumen alles andere als ausschließlich durch die Maßnahmen der jeweiligen Kolonialherren determiniert angesehen werden dürfen. Zum einen gibt es zahlreiche Belege dafür, dass städtische Räume „flashpoints of confrontations“ (Howard 2003: 200) darstellten und so in der Folge nicht nur Orte der Anpassung, sondern durchaus auch des Widerstands waren, die die anvisierten Maßnahmen kolonialer Herrschaft in ihrer Durchsetzungskraft immer auch begrenzt und konterkariert haben (vgl. Cooper 1983, White 1990, Hansen 1997, Myers 2003). In diesem Sinne stellen auch Stoler und Cooper fest: „Colonial regimes were neither monolithic nor omnipotent. Closer investigation reveals competing agendas for using power, competing strategies for maintaining control, and doubts about the legitimacy of the venture.“ (Stoler/Cooper 1997: 6) Neben der Betonung eines solch dialektischen Verhältnisses von Anpassung und Widerstand macht sich auch in diesem Forschungsfeld die praxistheoretische Wende sozialwissenschaftlicher Forschung bemerkbar. In einer Sonderausgabe des Canadian Journal of African Studies (2003, Jahrgang 37, Heft 2) haben sich eine Reihe von AutorInnen mit historischen und aktuellen afrikanischen Stadtentwicklungsprozessen auseinandergesetzt, deren übergreifender theoretischer Rahmen die Annahme bildet, dass „urban dwellers do not simply act in a preestablished public sphere, but rather, that through daily confrontation and cooperation and by dramas and events-in-place, authorities, power holders, and residents constitute and re-constitute public spheres. Materially, perceptually, and morally, they produce cities.“ (Howard 2003: 202, Hervorh. CJ) Eine solche Perspektive lenkt den Blick zwangsläufig auf die Bedeutung alltäglicher Handlung bei der Konstitution und Transformation urbaner Räume, „by the ways in which they have physically rearranged settlements, built networks and associations, shaped social practices and identities, and generated cultural life“ (ebd.: 207). Man könnte auch sagen, dass der oben angesprochene Prozess des staatlich anvisierten ‚enframings‘ durch ein alltägliches ‚reframing‘ im Rahmen von Alltagshandlungen gebrochen wird.
2.3.2 Postkoloniale Urbanisierungsprozesse in Afrika Die aktuellen Entwicklungen und Probleme afrikanischer urbaner Räume speisen sich in ihrer Dynamik aus dem kolonialen Erbe sowie der oftmals schwierigen wirtschaftlichen Situation vieler Länder des Kontinents, die sowohl endogene als auch exogene Ursachen hat (vgl. Tetzlaff/Jakobeit 2005: 27). Unter endogenen Ursachen werden in erster Linie sowohl alle jene politischen Entscheidungen subsumiert, die im Land selbst von den politisch Verantwortlichen unter den Be-
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dingungen des jeweiligen Regierungstyps getroffen werden, als auch, jedoch in begrenzterem Maße, die je spezifischen naturräumlichen Bedingungen. Die exogenen Ursachen umfassen diejenigen Faktoren, die von außen eine strukturierende Kraft auf jeweilige Urbanisierungspfade entfalten. Vor diesem Hintergrund weisen afrikanische Verstädterungsprozesse deutliche Abweichungen „from the prevailing trajectories of urbanization that emphasize capital intensity and technological innovation“ (Simone 2005: 2) auf. Letztlich manifestiert sich in der spezifischen Frage einer ‚angemessenen‘ Theoretisierung afrikanischer Urbanisierungspfade erneut die im Rahmen der Postkolonialismusdebatte bereits thematisierte Problematik adäquater Repräsentationen fremdkultureller sozialer Entwicklungen. Zunächst steht außer Frage, dass die den Entwicklungsdiskurs lange Zeit dominierende Vorstellung eines eurozentrischen Entwicklungsmodells sozialen Wandels westlich imprägnierte Vorstellungen über „the form, function and distribution of cities“ (Myers 1994: 196) implizit mittransportierte. Eine solche Sichtweise führte nicht selten zu einer abwertenden Wahrnehmung von afrikanischen Städten als ‚nicht wirkliche Städte‘ beziehungsweise zu einer Dequalifizierung einheimischer Ansätze als ‚nichtwissenschaftlich‘ (vgl. Sanders 1992, Myers 1994). Die Erkenntnis, dass das „Ende der universalen Erzählungen“ (Feiermann 2002: 50) angesichts postkolonialer Debatten endgültig eingeleitet war, führte auch in der afrikanischen Stadtforschung schließlich zu der Einsicht, dass es illusorisch sei, „that present realities can be deduced on the basis of conceptual frameworks inherited from the European Model“ (Sanders 1992: 210). Somit wurde auch in der postkolonialen Stadtforschung ein „turnabout towards Africa-centered thinking on urban questions“ (ebd.: 205) proklamiert. Allerdings setzte spätestens an diesem Punkt ein Dissens ein, der die Forschung bis heute in zwei Lager teilt. Auf der einen Seite führte dieser Perspektivwechsel zu einer „afrocentricity“ (Myers 1994: 197), in deren Folge vor allem eine ganze Reihe von afrikanischen Autoren eine innerafrikanische Perspektive als einzig angemessenen epistemischen Zugang, im Sinne einer ‚authentischeren‘ Darstellung städtischer Verhältnisse, gelten lassen wollten (vgl. exemplarisch Asante 1988 u. 1989). Auf der anderen Seite räumen Autoren wie Myers zwar ein, dass „emic discourses offer great possibilities, but ought not to become as debilitating or exclusionary as the discourses they seek to replace“ (Myers 1994: 198) und vertreten daher eher den Standpunkt „that there are still a multitude of ways for ,outsiders‘ to participate in the creation of emancipatory knowledge about African cities“ (ebd.). Sozio-ökonomische und kulturelle Aspekte Wendet man sich zunächst dem Zeitraum unmittelbar nach dem Erlangen der Unabhängigkeit zu, fällt auf, dass während historische, koloniale, aber auch aktuelle Prozesse der Stadtentwicklung in Afrika verhältnismäßig gut erforscht sind, in Bezug auf die transitorische Phase der ersten Unabhängigkeitsjahre wenig Forschungsergebnisse vorliegen. Simon führt diesen Umstand in erster Linie
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auf die „turbulence of transition“ (Simon 1992: 31) zurück, die die Durchführung empirischer Felderhebungen in diesen Anfangsjahren mitunter erheblich erschwerte. Das vorhandene Material offenbart dennoch, dass im Vergleich zu den historischen Modellen Europas und Nordamerikas zeitgenössische Verstädterungsprozesse in Afrika an vielen Stellen signifikant anderen ‚Urbanisierungspfaden‘ folgen. Ein erster wichtiger Punkt scheint mir der im Vergleich zum westlichen Kontext wesentlich diskontinuierlich verlaufendere Urbanisierungsprozess zu sein (vgl. Davis 2007: 55): Während die urbanen Agglomerationen Afrikas der Kolonialzeit zunächst wesentlich langsamer und spätestens in den ersten Jahren des Postkolonialismus bis zum heutigen Zeitpunkt dann deutlich schneller wuchsen, verzeichneten die westlichen Metropolen in vergleichbaren Zeiträumen einen deutlich kontinuierlicheren Verlauf ihrer Wachstumsraten. Als wesentlicher Grund für diese Entwicklungsdynamik in südlichen Regionen lässt sich vor allem die restriktive Zuwanderungspolitik der jeweiligen Kolonialherren anführen, die seit jeher befürchteten, dass das Stadtleben zu antikolonialen Solidarisierungsprozessen führen würde. Um die Formierung derartiger sozialer Bewegungen zu unterbinden, schufen sie um viele urbane Zentren ein Regulierungsnetzwerk, das zur einer effektiven Kontrolle des Zugangs zu städtischem Raum führte. Zwar war man zur effizienten Ausbeutung der jeweiligen Ressourcen auf ein bestimmtes lokales Arbeitskräfteangebot angewiesen, zugleich sollte jedoch die permanente Niederlassung in der Stadt nach Möglichkeit verhindert werden, so dass die Aufenthaltsgenehmigung in den Städten in der Regel an die Erwerbstätigkeit gekoppelt wurde (vgl. Krammer 1998: 188). Zur besseren Durchsetzung dieser Strategie erfolgte die bereits erwähnte räumliche Segregation der Einheimischen in dafür erbaute Barackensiedlungen sowie regelmäßig durchgeführte Passkontrollen, so dass der paradoxe Effekt entstand, dass die Kolonialisatoren trotz ihrer misstrauischen Haltung gegenüber indigenen städtischen Siedlungen „vermutlich zu den größten Slumbauern der Geschichte“ (Davis 2007: 57) wurden. Mit dem Niedergang des kolonialen Regimes fielen auch die migrationseindämmenden Zuwanderungsbestimmungen, was in der Folge bis heute anhaltende Land-Stadt Wanderungsströme in Gang setzte. Die postkoloniale Urbanisierungswelle stellte den westlichen Verlauf der Urbanisierung im 19. und 20. Jahrhundert deutlich in den Schatten und erfolgte weitaus rascher als in europäischen Städten während vergleichbarer Entwicklungsphasen (vgl. Höpflinger 1997: 112). Die in der einschlägigen Literatur bevorzugt verwendete Metapher zur Beschreibung stadtgeschichtlicher Entwicklung lautet hier oftmals ‚explosionsartig‘. Allerdings wurde bereits in dem einleitenden Abschnitt dieses Kapitels darauf hingewiesen, dass sich diese hohen Raten nicht zuletzt sowohl dem niedrigen Ausgangsniveau des Verstädterungsgrades als auch der Aufhebung der kolonialzeitlichen institutionellen Blockaden verdanken, in deren Folge die Menschen in die wenigen großen Agglomerationen strömten, die das jeweilige koloniale System hinterlassen hatte: Als direkte Folge der „kopflastigen“ (Ribbek 2005: 16)
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Städtesysteme des Südens ergießt sich bis heute angesichts der absoluten Dominanz einiger weniger urbaner Zentren nahezu das gesamte Migrationspotenzial in diese Städte. Bereits diese im europäischen Vergleich differente ‚Taktung‘ afrikanischer Urbanisierungsprozesse deutet an, dass industrielle Faktoren in der afrikanischen Verstädterung nie jene Rolle spielten, die sie für die Urbanisierung in Europa besaßen (vgl. Krammer 1998: 193f.). Eine solche Feststellung bedeutet aber nicht, dass wirtschaftliche Faktoren als solche nicht von tragender Bedeutung für die afrikanische Urbanisierung gewesen wären, ganz im Gegenteil; auch in afrikanischen Regionen sind Städte zentrale wirtschaftliche Zentren, die angesichts der Aussicht auf Erwerbsmöglichkeiten anhaltend als Attraktor auf Migrationsströme wirken: „Die Menschen strömen nach wie vor in diese Städte, Kinder werden in diesen Städten geboren, weil die Zuwanderer und Eltern überzeugt sind, ein besseres Leben warte dort auf sie. Aber in vielen Fällen werden diese Erwartungen enttäuscht ... Die Einkommensunterschiede ... werden nicht geringer, sondern größer. Die Qualität der Umwelt verbessert sich nicht ... Mit den wichtigsten natürlichen Ressourcen, auf die die Menschen angewiesen sind, geht man alles andere als sparsam um: Sie werden immer knapper – trotz anders lautender Beteuerungen bei einschlägigen Konferenzen.“ (Hall/Pfeiffer 2000: 17) Um dieses auf den ersten Blick verblüffende Phänomen zu erklären, entwickelte Michel Torado 1969 sein ‚Torado-Modell‘ (Torado 1969). Er erklärte die anhaltende Land-Stadt Migration trotz hoher städtischer Arbeitslosenraten und Armut mit dem durchschnittlichen Lohnunterschied zwischen Land und Stadt. Selbst bei gleich hoher oder höherer städtischer Arbeitslosigkeit konzentrieren sich im städtischen Bereich weiterhin die deutlich besser bezahlten Tätigkeiten und Positionen. Torado legte damit den Grundstein für den bis heute dominierenden ökonomischen Überbau der meisten Migrationstheorien. Auch wenn Torados Modell nicht unkritisiert blieb und es eine Vielzahl an Versuchen gab, sein Modell zu erweitern (vgl. Cole/Sanders 1985), basieren doch die meisten Modelle nach wie vor auf der Vorstellung eines ökonomisch verkürzten Begriffs individueller KostenNutzen Kalküle. Die Erstellung umfangreicher Kataloge von sog. ‚push‘ und ‚pull‘ Faktoren mit dem Ziel, so wichtige Aspekte wie soziale, politische und kulturelle Verhältnisse als Rahmenbedingungen menschlichen Handelns mathematisch in das Modell zu integrieren, hat keinen nennenswerten Erfolg gebracht (vgl. Goetze 2002: 221). Hauptkritikpunkt bleibt weiterhin, dass die zentrale Annahme der Modelle, die Unterstellung relativ vollständiger Information und individueller Nutzenmaximierung, die gesellschaftliche Einbettung wirtschaftlichen Handelns außer Acht lässt und damit ein „untersozialisiertes Modell menschlichen Handelns“ (vgl. Granovetter 2000: 207) enthält. Die Nichtbeachtung nichtmonetärer sozialer Aspekte im Rahmen ökonomischer Migrationsmodelle fasst Michael Wagner folgendermaßen zusammen: „Offensichtlich ist die Vorstellung, Individuen würden immer dann ihren Wohnsitz wechseln, wenn sie dadurch ihr Einkommen maximieren können, unrealistisch.“ (Wagner 1989: 32) Aus sozio-
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logischer Sicht lässt sich vor allem das Ausklammern kultureller Aspekte von Urbanität bei der Erklärung von Migrationsprozessen kritisieren. Über die kulturellen Praktiken, Alltagswahrnehmungen und Symbolisierungen, über die die Subjekte ihre urbane Lebensform tagtäglich herstellen, erfährt man in dem von einem „politökonomischen Überhang“ (Noller 1999: 23) gekennzeichneten global-city Modell nur wenig. Es gilt aber vor allem diesen „Repräsentationen“ (Noller 1999: 24) der Stadt nachzuspüren, will man die enorme Anziehungskraft, welche von urbanen Agglomerationen ausgeht, verstehen. Im urbanen Raum werden nicht nur Waren ausgetauscht, sondern auch Informationen, Wissen, Images und Symbole, die in ein mittlerweile globales Zeichensystem eingebunden sind (vgl. Lash/Urry 1994). Das Städtische kann „folglich weder analytisch noch empirisch einfach zu einem kulturellen oder zu einem ökonomischen Objekt erklärt werden, sondern kann immer nur aus der Wechselwirkung beider Faktoren verstanden werden.“ (Noller 1999: 31) Das bereits angesprochene Phänomen der trotz Armut, Arbeitslosigkeit und Ernährungsknappheit anhaltenden Land-Stadt Migration lässt sich nicht zuletzt mit Bezug auf den städtischen Orientierungsraum verstehen: Der zum Teil erhoffte Rückzug aus den engen gemeinschaftlichen Bindungen des Dorfes und damit einhergehend eine Verminderung sozialer Kontrollmechanismen, mehr Toleranz im Zuge einer städtischen Wertepluralität, die medienvermittelte Illusion, in städtischen Räumen am ‚Puls der Zeit zu leben‘, die Aussicht auf die Möglichkeit einer politischen Mobilisierung eigener Interessen; all dies sind kulturelle Leitbilder, die eine mächtige Anziehungskraft ausüben können (vgl. Simone 2004, Simone/Abouhani 2005, Falola/Salm 2004). Diese Attraktorfähigkeit der Städte unterschätzten auch viele Dezentralisierungsprogramme, deren wichtigste Zielvariable die effizientere Nutzbarmachung regionaler Ressourcen, die Professionalisierung der ländlichen Verwaltung und vor allem die Verringerung der hohen Disparität zwischen Stadt und Land waren. Auch wenn der Kerngedanke dieser Regulationsmaßnahmen nachvollziehbar ist, wäre in den Augen Oberais angesichts der ungebrochenen Anziehungskraft urbaner Agglomerationen zeitgleich eine Verbesserung städtischer Lebensverhältnisse sinnvoll gewesen: „The best policy may be to improve urban management rather than deconcentrate population and employment.“ (Oberai 1993: 36) Ein typisches Phänomen urbaner Wirtschaftszusammenhänge, an dem Formen der Eigeninitiative, der Selbstorganisation und der sozio-kulturellen Einbettung exemplarisch studiert werden können, ist der so genannten ‚informelle Sektor‘. Dieser spielt in südlichen Region oftmals eine wesentliche Rolle bei der Integration neuer Arbeitskräfte und wird landläufig als der Teil einer Volkswirtschaft bezeichnet, der im Gegensatz zum formellen Sektor nicht durch formalisierte Beschäftigungsverhältnisse geprägt ist und sich dadurch der staatlichen Kontrolle entzieht. Dennoch handelt es sich bei ihm um „einen äußerst aktiven, dynamischen, arbeitsintensiven Subsektor mit relativ niedriger Produktivität, dafür einer enorm hohen Fähigkeit zur Absorption von Arbeitswilligen“ (Hauser
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1991: 518). Afrika verzeichnete zunächst Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre vornehmlich im Dienstleistungssektor einen regen Zuwachs an formellen Arbeitsplätzen. Im Zuge des wirtschaftlichen Niedergangs Anfang der 1980er Jahre gelang es jedoch den städtischen Wirtschaften immer weniger, die anhaltenden Migrationsströme auf befriedigende Art und Weise in den formellen Sektor zu integrieren. Der Schrumpfungsprozess des formellen Sektors nahm dabei teilweise dramatische Formen an: So sank beispielsweise in der Zentralafrikanischen Republik des Kongo die Erwerbsquote im formalen Sektor von 1986 bis 1980 um 33,6%, in Gambia (1976-1986) um 27, 5%, Niger (1980-1985) um 13,4% und an der Elfenbeinküste (1980-1983) um 8% (vgl. Sethuraman 1997: 9). Nachdem ein derartiger Niedergang des formellen wirtschaftlichen Sektors die urbanen Wachstumsraten jedoch so gut wie kaum bremste, prägte der Human Development Report aus dem Jahre 1993 für dieses Phänomen den Begriff des „jobless growth“ (UNDP 1993: 2.) Wenngleich der informelle Sektor die starken Einkommenseinbußen des formellen Sektors nicht kompensieren konnte, so fing er doch einen Großteil der Arbeitssuchenden auf. Mabogunje geht mit Bezug auf einen Weltbankbericht von 1990 davon aus, dass in Afrika durchschnittlich 75% aller städtischen Arbeitsplätze dem informellen Sektor zuzurechnen sind (Mabogunje 1994: xxiv). Allgemein lässt sich dieser informelle Sektor durch eine Vielzahl von Produktions- und Dienstleistungsstätten charakterisieren, die auf der einen Seite auf der Grundlage einfachster Technologien produzieren, auf der anderen Seite im Rahmen eines selbstständigen Unternehmertums meist auf familiärer Basis organisiert sind. Ungelernte Arbeitskräfte, informelle Arbeitsverhältnisse, geringe Kapitalausstattung und hoher Arbeitseinsatz gelten als weitere Struktur prägende Merkmale des informellen Sektors. Auch wenn vor allem seitens der Weltbank sowohl Entstehung als auch Ausweitung des informellen Sektors immer wieder problematisiert wurden (vgl. Tetzlaff/Jakobeit 2005: 249), bleibt es fraglich, ob eine derartige „afrikanische Produktionsweise“ (Coquery-Vidrovitch 1996) tatsächlich einen Hemmschuh makrowirtschaftlicher Entwicklung darstellt oder nicht vielmehr „innovative Milieus“ (Korff 2004) birgt, die ein wichtiges Instrument der Risikominimierung und Produktionsmaximierung unter gegebenen Umständen bereitstellen. In afrikanischen Gesellschaften ist die Produktion seit jeher in ein komplexes Ensemble sozialen und religiösen Lebens integriert, als dessen Folge sich auch der Begriff der Produktionsweise in afrikanischen Kontexten nicht einfach auf eine rein ökonomische Infrastruktur reduzieren lässt. Vielmehr erscheint die Verunsicherung angesichts einer nicht eindeutig nachvollziehbaren Trennung des Ökonomischen vom Rechtlichen, Politischen, Sozialen oder Religiösen als Folge einer Übertragung westlicher Konzepte auf den afrikanischen Kulturkreis. Was westliche Beobachter in ihr Kategorienschema nicht einordnen können, wird dann oftmals entweder als ‚vormodern‘ oder als ‚informell‘ klassifiziert: „What they did not understand, they refer to as ‚informal‘: that is to say, not subjugated, not controlled, not identified, and not quantifiable according to Western norms. Today,
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some 70 to 80 percent of urban activity is ‚informal‘, a good part of housing is called ‚precarious‘, and urban culture described as ‚popular‘.“ (CoqueryVidrovitch 2005b: 21) Es ist in der entwicklungsökonomischen Literatur vielfach dahingehend argumentiert worden, dass diese „Mischökonomie der Armen“ (Kößler/Hauck 1999: 504) der kapitalistischen Logik der Profitmaximierung zutiefst widerspreche und damit als rückständig einzustufen sei. Die Gegenposition argumentiert dagegen, dass es sich hierbei nicht um vormoderne Restbestände handelt, sondern um eine weitaus effektivere und rationalere Form der Auseinandersetzung mit gegebener Versorgungsunsicherheit (ebd.: 509). Eine solche Verschiebung der Sichtweise rückt auch Städte wieder stärker als Orte des kulturellen und sozialen Wandels in den Vordergrund und wirkt als ein Gegengewicht zum weit verbreiteten Diskurs über ‚overurbanization‘ als „chief indicator of scandal in underdevelopped countries“ (ebd.). Dieser Perspektivwechsel dient auch keineswegs der Beschönigung der ernsten ökologischen und sozialen Probleme, mit denen viele Städte in afrikanischen Regionen zu Rande kommen müssen, sondern plädiert für einen Zugang, für den „urbanization is neither good or bad, but, as it is everywhere else, an irreversible fact, where the future of societies is played out“ (ebd.: 22). Auch geht es nicht um eine Romantisierung der alltäglichen Überlebensstrategien vieler Akteure in afrikanischen Städten, denn zweifelsohne gilt, dass „for many urban residents, life is reduced to a state of emergency“ (Simone 2004: 4). Das englische ‚emergency‘ enthält aber auch bereits den Fingerzeig, dass daraus durchaus, wenn auch nicht zwingend, emergente Formen eines produktiven Umgangs mit existenziellen Unsicherheiten hervorgehen können, „die Leuten mit Doktortiteln nicht eingefallen wären“ (Annorbah-Sarpei 2004: 457). In Abwandlung des bereits erwähnten theoretischen Begriffs des ‚enframing‘ von Timothy Mitchell zur Charakterisierung kolonialer Stadtplanungspolitik könnte man in Bezug auf aktuelle Entwicklungsprozesse urbaner Räume Afrikas von einem ‚re-framing‘ durch alltägliche Praktiken und den ihnen zugrunde liegenden Sinn- und Relevanzstrukturen sprechen. Von einem solchen Standpunkt aus betrachtet erscheint der informelle Sektor dann auch nicht zwingend als ein durch Strukturanpassungen auszumerzendes Übel, sondern als ein wichtiges Bindeglied im Rahmen rural-urbaner Austauschbeziehungen. So kommt Hauser zu der Einsicht, dass der ländliche, der formelle und der informelle Sektor im Rahmen einer „symbiotischen Beziehungskette“ (Hauser 1991: 521) miteinander verknüpft sind. Der informelle Sektor erlaubt zunächst Teilen der ländlichen Bevölkerung, die keiner existenzsichernden Tätigkeit mehr nachgehen können, den als unbefriedigend empfundenen Lebensbedingungen zu entfliehen – wenngleich oftmals unter nicht wesentlich verbesserten Lebens- und Einkommensbedingungen. Gleichzeitig erfüllt der informelle Sektor neben der Integration der Land-Stadt MigrantInnen aber auch eine wichtige Funktion für den formellen Beschäftigungsbereich, indem er diesen durch billige Produktionsfaktoren, Produkte und Dienstleistungsangebote stützt, ja ihn förmlich „subventioniert“ (Hauser 1991: 521).
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Die Verflechtungen zwischen informellem und ruralem Sektor verweisen auch auf die Organisationsmuster städtischer sozialer Beziehungsgeflechte. Als ein weiteres Charakteristikum afrikanischer Städte gilt, dass oftmals lange Zeit traditionelle Verhaltensweisen in der urbanen Umwelt beibehalten werden. Manshard wies bereits 1977 darauf hin, dass die äußere Verstädterung des Kontinents vielfach einen tieferen Wandel der Sozialbeziehungen suggeriere; tatsächlich „bleiben die städtischen Einwanderer für lange Zeit ein ländlicher Außenposten mit bäuerlichen Lebensformen“ (Manshard 1977: 2). Bis heute wird in der afrikanischen Urbanisierungsforschung ein solches Phänomen als „rural-urbane Ausrichtung“ (Höpflinger 1997: 114) der Städte, als „ruralization“ (Burchards 2000: 50) oder als „desakota“ (Simon 2001: 139) bezeichnet. Der Begriff des ‚Desakota-Syndroms‘ wurde ursprünglich zur Beschreibung asiatischer Urbanisierungspfade geprägt (vgl. Ginsberg/Koppel/McGee 1991) und bezeichnet einen Prozess der rural-urbanen Hybridisierung, in dessen Verlauf die Unterscheidung zwischen Stadt und Land im Rahmen der paradoxen Doppelbewegung einer Verländlichung des Städtischen und einer Verstädterung des Ländlichen immer stärker verwischt wird. Angesichts der Entwicklung polyzentrischer urbaner Agglomerate wird dieser Begriff mehr und mehr auf die Beschreibung urbaner Räume Afrikas übertragen (vgl. Yeboah 2000, Davis 2007: 15). Vor allem urbane Formen der Subsistenzwirtschaft basieren häufig auf vergleichbaren Sozialstrukturen wie die traditionelle Landwirtschaft (vgl. Cole/Sanders 1985) und so bleiben in der Folge selbst in urbanen Ballungsräumen Afrikas dörfliche Strukturen erhalten. Damit wird aber auch deutlich, dass die einfache modernisierungs- und stadttheoretische These von einer Ersetzung primärer durch sekundäre Beziehungsformen und eine damit verbundene ‚Detribalisierung‘ sozialer Verbände als Resultat von Urbanisierungsprozessen der Komplexität der tatsächlichen Verhältnisse in Entwicklungsregionen nicht gerecht wird. Insbesondere mit Blick auf die Nahrungsversorgung spielen diese sozialen Netzwerke eine immense Bedeutung, denn oftmals sind sie es, die den neu zugewanderten StadtbewohnerInnen durch die Deckung von Grundbedürfnissen einen Verbleib im informellen Sektor überhaupt erst ermöglichen. Insbesondere in Bezug auf Fragen der Wohnraumsicherung zeitigen Formen alltäglicher Lebensführung einen großen Einfluss, der lange in seiner Bedeutung marginalisiert wurde. So verweist Seabrock darauf, dass „much of scholary literature on Third World slums reflects the gut reaction of Western observers to squalor, chaos and disease, and to a fear that urban poor are a present or future socially destabilizing force” (Seabrook 1996: 174). Von einem solchen Bewertungshintergrund erscheinen ‚Slums‘ bis heute vielen Beobachtern zwangsläufig als „planless maze“ (Burton 1872: 96, zit.n. Myers 1994: 201). Wie bereits erwähnt, hat die Fokussierung auf alltägliche KonsumentInnenkulturen, damit verbundener alltäglicher Lebensweisen und sozio-kultureller Milieus zu einer erhöhten Sensibilität in Bezug auf das Gestaltungspotential von Akteuren innerhalb urbaner Räume geführt: „Residents themselves have formed and transformed
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each city by building physical infrastructure and by cooperating through a multitude of networks and associations, in work and leisure.“ (Myers 2003: 198)67 Gleichzeitig verweist Seabrock aber auch darauf, dass eine solche Anerkennung der vielfältigen Bemühungen und alltäglichen Überlebensstrategien bisweilen zu einer Romantisierung einer „culture of poverty“ (Seabrook 1996: 174) geführt hat, die zum einen mancherorts den Weg für einen Rückzug staatlicher und internationaler Interventions- und Subventionspolitik geebnet hat, zum anderen aber auch gerne übersah, dass selbst solche Formen der Selbsthilfe zum größten Teil auf bezahlter Arbeit beruhen (Peattie 1987: 70). Auch Bayat plädiert dafür, Formen der Selbst- und Nachbarschaftshilfe mit Blick auf ihr zivilgesellschaftliches Potential nicht zu sehr zu überhöhen. Zwar räumt er ein, dass „far from being destructive behaviour by the ‚lumpen proletariat‘ or ‚dangerous classes‘, theses practices represent natural and logical ways in which the disenfranchised survive hardships and improve their lives“ (Bayat 1997: 55). Gleichzeitig sind diese Alltagspraktiken aber zu wenig institutionalisiert, zu hybrid und werden trotz der gemeinsamen Betroffenheiten kaum durch die Ausbildung kollektiver Identitäten getragen als dass man ernsthaft von Prozessen mit zivilgesellschaftlichem Potenzial sprechen könnte, so dass Bayat daher auch von einer „un-civil society“ (Bayat 1997) spricht. Dennoch kann am Beispiel der krisenhaften Wohnsituation vieler afrikanischer Städte gezeigt werden, dass diese Wohnviertel keineswegs Räume anarchischen Zusammenlebens bilden, sondern durchaus interne, komplexe soziale Strukturen beherbergen, die erst dann ins Licht der Aufmerksamkeit rücken, wenn man sie konsequent in einen praxistheoretischen Bedeutungsrahmen stellt. Angesichts der schwer wiegenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme, mit denen der afrikanische Kontinent im Allgemeinen und die Städte im Speziellen konfrontiert sind, scheint die Hoffnungslosigkeit groß und provoziert immer wieder Bilder eines afrikanischen ‚Krisenkontinents‘, als eines Kontinents, der ‚abzudriften‘ scheint und im Chaos zu versinken droht (vgl. exemplarisch Buch 2006). Darüber wird oftmals vergessen, dass es „neben dem düsteren Bild, das die offiziellen Statistiken und meist auch die Medien von Afrika vermitteln“ (Renschler 1996: 15) auch ein anderes Afrika gibt: „das einer Gesellschaft, in der die überwiegende Mehrheit, das heißt achtzig bis neunzig Prozent der Bevölke-
67 Die Einsicht der sozialen Geordnetheit im scheinbar Ungeordneten gilt im Übrigen nicht nur für den afrikanischen Kontext. Wacquant hält beispielsweise in Bezug auf amerikanische Ghettos fest: „Ebenso muss zugestanden werden, dass, gegenläufig zur Tradition der amerikanischen Forschung zum Thema, die immer noch von der Chicago School übernommenen moralistischen und naturalistischen Schemata und Argumentationen verhaftet ist, das Ghetto nicht an ‚sozialer Desorganisation‘ leidet, sondern ein abhängiges, sorgfältig differenziertes und hierarchisiertes Universum darstellt, das sich gemäß der spezifischen Entstehungsprinzipien einer geregelten Form sozialer Entropie organisiert.“ (Wacquant 1997: 186, Hervorh.i.O.)
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rung … in der Schattenökonomie der Städte ihr Überleben selbst organisiert und dabei viel Mut und Phantasie beweist“ (ebd.).
Ökologische Aspekte Spätestens Anfang der 1990er Jahre erreichte die Debatte um die nachhaltige Gestaltung von Gesellschaften auch die Städte und deren Auswirkungen auf ökologische Zusammenhänge68. Mittlerweile steht für viele Beobachter und Beobachterinnen außer Frage, dass angesichts des weltweiten Verstädterungsprozesses die Zukunft der Menschheit unabweisbar in einer nachhaltigen Gestaltung urbaner Räume liegt. Zunächst einmal lassen sich zwei Arten städtischer Umweltrisiken unterscheiden, die im urbanen Alltagsleben jedoch eng miteinander verknüpft sind (vgl. Smith/Lee 1993: 161). Auf der einen Seite haben urbane Räume weit über ihre eigentlichen Stadtgrenzen hinaus weit reichende Auswirkungen auf lokale, regionale und globale ökosystemare Zusammenhänge, auf der anderen Seite lassen sich Umweltschäden ausmachen, die sich direkt auf den Status der reproduktiven Gesundheit der städtischen Einwohner und Einwohnerinnen auswirken. Auch in der Diskussion von Urbanisierungsprozessen südlicher Regionen und damit verbundenen Umweltbelastungen dominieren nicht weiter überraschend eindeutig die Negativeinschätzungen. Neben einer mangelnden Infrastruktur, einer unzureichenden medizinischen Versorgung und armutsbedingter Kriminalität wird die ökosystemare Verschmutzung durch urbane Räume als das dringlichste Problem aktueller Urbanisierungsprozesse angesehen (vgl. Simon 1999, Myers 2005, Keiner/Koll-Schretzenmayr/Schmid 2005, Brown 2006). Kritische Kommentare rekurrieren vor allem auf den ‚Metabolismus‘ urbaner Räume und charakterisieren den Ressourcenverbrauch, den Stoffwechsel und die Stoffausscheidungen und die damit verbundenen Umweltauswirkungen der Städte als ‚entgrenzt‘. Damit ist in der Regel gemeint, dass urbane Räume sich in ihrer strukturellen Ausplünderung und Überlastung der Umwelt ein „globales Hinterland“ (Berger 2003: 7) schaffen, dass um ein Vielfaches die eigentliche Stadtfläche übersteigt. Als griffige Metapher hat sich in diesem Zusammenhang der Begriff des ‚urban ecological footprint‘ durchgesetzt, dessen Einführung gemeinhin Rees (1992, 2006) zugesprochen wird, der Städte auch in ökologischer Hinsicht als Teil eines weit reichenden und verzweigten Systems konzeptualisiert. Der ökologische Fußabdruck verdeutlicht dabei zunächst auf anschauliche Weise den langen Schatten der Städte, indem der Umweltverbrauch einer Stadt in Form von Energie- und Stoffströmen in Landfläche umgerechnet wird, die benötigt wird, um die bilanzierte Inanspruchnahme der Ressourcen zu decken. Der Grundgedanke, dass die ökologischen Wirkungen von Urbanisierung nur unzu-
68 Angesichts der engen Kopplung vor allem der Wasser- und Nahrungsversorgung mit ökologischen Aspekten, werden einige Gesichtspunkte, wie die Zerstörung landwirtschaftlicher Nutzflächen und generelle Probleme der Wasserversorgung, erst unter Abschnitt II/3.2 diskutiert.
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reichend begriffen werden, wenn sie auf die Betrachtung der Städte selbst beschränkt bleibt, ist leicht nachvollziehbar: „Für die Herstellung aller Güter, … die eine Stadt … jährlich verbraucht, benötigt sie bestimmte Naturressourcen, die sich alle als Nutzung der begrenzten Erdoberfläche darstellen lassen.“ (Berger 2003: 46) Eine solche Sichtweise umfasst sowohl die Quellen- als auch Senkenfunktionen urbaner Räume, da sowohl die Ressourcen – Energie, Nahrungsmittel, Baumaterialien, Wasser etc. – als auch die verarbeiteten Produkte, Dienstleistungen, Abwässer und Müll, die aus der Stadt wieder hinausgelangen, erfasst werden. Bei der Betrachtung städtischer Umweltbelastungen wird dabei in der Regel zwischen globalen (CO2-Emissionen, Klimawandel) und stärker lokalen und regionalen Effekten (Erosion vormals fruchtbarer Böden, Feinstaub) der städtischen Naturbelastung differenziert. Auch wenn die Entgrenzung städtischer Umwelten mit Blick auf das antike Rom oder die oben genannten frühen arabisch geprägten Städte des nordafrikanischen Raums keine typisch moderne Erscheinung darstellt, hat die fortschreitende globale Vernetzung der Ökonomie zweifelsohne auch die städtischen Umwelträume globalisiert. Städte waren und sind seit jeher mit der sie umgebenden Natur auf vielfältige Weise verflochten und auch wenn das physische Erscheinungsbild der mittelalterlichen Stadt eine klare Trennung von Urbanität und Natur suggeriert, wird die Diskussion des Verhältnisses von Nahrungsversorgung und Stadt deutlich machen, dass die verschiedenen Warenströme immer schon komplexe Formen von Metabolismen konstituierten, die das Leben in der Stadt überhaupt erst ermöglichen. Das analytische Ziel des ecological-footprintAnsatzes geht damit über die bloße Thematisierung der ökologischen Wirkungen von Städten hinaus; postuliert wird vielmehr, dass ein angemessenes Verständnis zukünftiger Stadtentwicklung überhaupt nur aus einer urban-ecosystemPerspektive erfolgen könne: „ …human bio-ecology may soon become more important to understanding the political and socio-economic implications of urban development than economics“ (Rees 1992: 121). Insofern wird hier bis zu einem gewissen Grad eine sozial-ökologische Perspektive auf urbane Räume eingenommen, die die entscheidenden Impulse für Stadtentwicklungsprozesse nicht ausschließlich im sozialen Bereich verortet, sondern die in der Verschränkung von sozialen und ökologischen Dynamiken die entscheidenden Transformationskräfte vermutet. Obwohl der ökologische Fußabdruck bis zu einem gewissen Grad ein anschauliches Maß für den Ressourcenverbrauch einer Stadt bereitstellt, wird ein solcher Ansatz dennoch von der alten Entgegensetzung von Stadt und Natur dominiert. Zur Konstitution ihres Gegenstands hat die Stadtsoziologie in ihren Anfängen diese Dichotomie dankbar aufgegriffen und gleichsam als Suprastruktur für weitere binäre Stadt-Land-Unterscheidungen etabliert: modern – traditionell; Gesellschaft – Gemeinschaft; organisch – mechanisch; und eben auch (Stadt)Kultur – Natur. Vor allem die letzte Unterscheidung hat zu einer Codierung von Urbanität als Emanzipation von den Zwängen der Natur geführt und in
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der Folge Natur und Stadt dauerhaft zu „intimate strangers“ (Hinchliffe 1999) gemacht. Die Archäologie dieser wirkmächtigen Entgegensetzung ist in der wissenschaftlichen Literatur gut aufgearbeitet (vgl. Swyngedouw 1996, Jahn/Schramm 1998, Ipsen 2000, Chilla 2005) und wird vor allem im Rahmen der Fallstudie nochmals eine ausführlichere Rolle spielen (vgl. IV). Wenngleich es in letzter Zeit vermehrt Kritik an einer solchen Konzeption gegeben hat und statt dessen angestrebt wurde, Stadt und Natur weniger als Dichotomie als vielmehr als die Enden eines Kontinuums zu konzipieren, hat sich die stadtsoziologische Forschung von dieser traditionellen Entgegensetzung meines Erachtens bis heute nicht ganz erholt. Nimmt man drei neuere stadtsoziologische Veröffentlichungen zur Hand, „Die Wirklichkeit der Städte“ von Helmut Berking und Martina Löw (2005), „Soziologie der Stadt“ (2004) von Frank Eckardt sowie eine „Soziologie der Architektur und der Stadt“ (2006) von Bernhard Schäfers, wobei die letzten beiden explizit Einführungen darstellen, hält man nach Auskünften über die Naturverhältnisse von Städten vergeblich Ausschau, das Stichwort ‚Natur‘ taucht noch nicht einmal im Sachregister auf. So bleibt bis heute die wissenschaftliche Thematisierung von Stadtnaturen Randdisziplinen vorbehalten, wie beispielsweise der Stadtökologie (vgl. Sukopp/Wittig 1993), wobei vor dem Hintergrund impliziter Gleichgewichtsannahmen Städte vornehmlich als Ursprung und Motor der Gefährdung des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur gesehen und damit unter Generalverdacht gestellt werden. Erst mit Verspätung wurde auch die Einsicht geäußert, dass bei entsprechender Gestaltung urbane Räume nicht per se nicht nachhaltig sein müssen, sondern ganz im Gegenteil gegenüber Zersiedlungsprozessen eine in jeder Hinsicht weitaus positivere Energiebilanz vorweisen können, in diesem Sinne also urbane Räume im Vergleich zum ubiquitären Wunsches eines ‚Häuschen im Grünen‘ die nachhaltigere Siedlungsform darstellen. Dass Stadtlandschaften „ökologisch gesehen … den Wüstenregionen zugeordnet werden“ (Bastian 1992: 260) müssen, ist als Aussage weniger einer ökologischen Einsicht als vielmehr einem diskursiven Raum geschuldet, innerhalb dessen Städte ‚gegen‘ die Natur errichtet scheinen und diese auch systematisch zerstören und degradieren. Tatsächlich verweist aber das Wachstum der biologischen Vielfalt in den Städten und die damit verbundene Diskussion um eine „Zoopolis“ (Wolch 1996) darauf, dass das „Klischee des Natur fressenden Molochs Stadt“ (Reichholf 2007a: 2) auch aus ökologischer Sicht ausgedient hat und nicht mehr der Realität zahlreicher Stadtnaturen entspricht (vgl. als Überblick Reichholf 2007b). Slum-Ökologie Angesichts der oftmals gesundheitsschädlichen geografischen Lage vieler Armutssiedlungen greifen ökologische Gefährdungen und urbane Krankheitsbilder nicht selten fatal ineinander. Mike Davis hat diese mehr oder minder bewusste Inkaufnahme gesundheitlicher Schäden vieler BewohnerInnen zugunsten einer Wohnraumsicherheit eindringlich im Rahmen dessen beschrieben, was er als
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„Slum-Ökologie“ bezeichnet: „Besetzer tauschen körperliche Unversehrtheit und Gesundheitsvorsorge gegen ein paar Quadratmeter Land und ein bisschen Sicherheit von einer Räumung ein. Sie sind die Siedlungspioniere in Sümpfen und Überschwemmungsgebieten, auf Vulkanen, rutschigen Hängen, Müllbergen, Chemiemülldeponien, an Rangiergleisen und Wüstenrändern.“ (Davis 2007: 129) Tatsächlich führt die bereits erwähnte UN-Studie Challenge of Slums an einer Vielzahl von Beispielen vor, wie sich in der quartiersgeografischen Lage vieler informeller Siedlungen Armut und urbane Krankheitsbilder zu ungleichen Lebenslagen verdichten. In Johannesburg, Lagos, Kairo, Nairobi, Abidjan, Dhaka und Accra lässt sich, wie in vielen anderen Städten des Südens auch, eine gesundheitsbelastende Nähe informeller Siedlungen zu Umweltgifte absondernden Industriekomplexen wie Färbereien, Abdeckereien, Galvanisierungsanlagen, Müllverbrennungsanlagen und Chemiefabriken als Folge eines mangelhaften bis gar nicht vorhandenen städtischen Umweltmanagements beobachten. Wenngleich die konkreten Langzeitfolgen derartiger Lebensverhältnisse noch kaum erforscht wurden, steht außer Frage, dass zwischen dem Zustand der Umwelt und der reproduktiven Gesundheit eine enge Verknüpfung besteht. So hängt beispielsweise die Verbreitungsrate von Infektionskrankheiten massiv von den jeweiligen Umweltbedingungen ab. Der Weltbevölkerungsbericht von 2001 geht davon aus, dass ca. 60% aller akuten und 50% aller chronischen Atemwegserkrankungen, denen hauptsächlich Kinder zum Opfer fallen (vgl. Bradshaw/Wallace 1996, Kap. 2), ebenso wie 90% aller Durchfallerkrankungen und 90% der Malariainfektionen durch einfache ökologische Verbesserungen verhindert werden könnten (vgl. Weltbevölkerungsbericht 2001, Kap. 5). Die mangelnde Entsorgung von organischen und nicht-organischen Stoffen stellt in diesem Zusammenhang ein weiteres schwer wiegendes ökologisches Problem südlicher Agglomerationen dar. Das rapide Wachstum der Städte in Kombination mit der Tatsache, dass die meisten Städte weder über die finanziellen noch die technologischen Mittel verfügen, die anfallenden Abwässer und nicht-organische Abfälle zu klären, haben zur Folge, dass viele Abwässer oftmals direkt und ungeklärt in lokale Gewässer geleitet werden. Vincent Ogu hat in einem Aufsatz die chronischen Defizite der Abfallentsorgung für eine Reihe von Städten offen gelegt: so liegt beispielsweise in Dar Es Salaam die Entsorgungsrate bei lediglich 25%, in Accra immerhin bei 50% und in Benin City bei 43%; die durchschnittliche Rate der Abfallbeseitigung für südliche Regionen schätzt er auf ein Drittel (vgl. Ogu 2000: 103). Trotz zahlreicher Bemühungen einer Verbesserung der Entsorgungslage, die zum einen in einer von der Weltbank favorisierten und forcierten Privatisierungsstrategie liegen, zum anderen in dem von den Vereinten Nationen 1996 aufgelegten Sustainable Cities Program (SCP) ihren Niederschlag fanden, bleibt die Lage des ‚solid-waste‘-Managaments in vielen Städten prekär: „One obvious consequence of rapid urbanization is the growing generation of solid wastes, and many city authorities face unprecedented challenges in managing these, including problems coping with their collection and disposal.“
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(Ogu 2000: 103) In Kombination mit der Enge und Dichte der Slumsiedlungen und ihrem oftmals anzutreffenden ‚ruralen‘ Erscheinungsbild mit einer Vielzahl an Klein- und Nutztieren (Hühnern, Ziegen, Kühe), erhöht sich das Risiko, dass gefährliche Epidemien sich im Falle eines Ausbruchs schnell und unkontrollierbar ausbreiten können, um ein Vielfaches. Urbane Folgen der globalen Klimaerwärmung Weiterhin wird auch an den ökologischen Problemen, denen der afrikanische Kontinent insgesamt gegenübersteht, die enge Verflechtung von globaler Verursachung und lokaler Betroffenheit im Rahmen der globalen Klimaveränderung mehr und mehr deutlich. Aktuelle Veröffentlichungen und Arbeiten lassen keinen Zweifel daran, dass die anthropogen verursachte Erwärmung der Erdatmosphäre, als deren Hauptursache die Emission von Kohlendioxid als Folge der Verbrennung fossiler Energieträger verantwortlich gemacht wird, unbestreitbar statt findet und weit reichende Konsequenzen haben wird (vgl. Flannery 2006, Kolbert 2006, Rahmstorf/Schellnhuber 2006, Latif/Wiegandt 2007, IPCC 2007). Die letzte Dekade war die wärmste seit Beginn der Temperaturmessungen im 19. Jahrhundert und enthielt neun der zehn je gemessenen wärmsten Jahre. Eine breite Datenbasis deutet darauf hin, „that anthropogenic warming has had a discernible influence on many physical and biological systems“ (IPCC 2007: 2). Auch wenn hinsichtlich der genauen Konsequenzen des anthropogenen Klimawandels nicht immer Konsens besteht, deuten doch die meisten Ergebnisse im Rahmen von Modellierungen darauf hin, dass die Erderwärmung weniger eine kontinuierliche und allmähliche Verschiebung der klimatischen Verhältnisse nach sich ziehen wird, sondern ihren Niederschlag vielmehr in einer Häufung und Intensivierung extremer Wettersituationen haben wird. So werden paradoxer Weise nicht selten jene Regionen von sintflutartigen Regenfällen heimgesucht, die ansonsten zu den dürregefährdeten Savannengebieten gezählt werden. Als gesichert gilt auch, dass die Wetterveränderungen vor allem für arme Regionen in tropischen und subtropischen Ländern aufgrund der mangelnden Adaptivitätskapazitäten deutlich gravierendere Konsequenzen haben werden als für andere Weltregionen. Ein solcher Zusammenhang ist umso perfider, als für die Verursachung des globalen Klimawandels hauptsächlich Industrienationen verantwortlich gemacht werden können und somit die Zunahme klimatischer Extremwettereignisse auf dem afrikanischen Kontinent hauptsächlich exogener Art sind: „In other words, the people most vulnerable to the effects of climate change are precisely those who are least responsible for causing it.“ (DeWeerdt 2007: 8) Der prognostizierte Klimawandel wird auf dem afrikanischen Kontinent eine deutliche Zunahme klimatischer Extremereignisse wie Dürren, Überschwemmungen und Wirbelstürme zur Folge haben (vgl. Richter 1998, DeWeerdt 2007). Insbesondere das kombinierte Auftreten ausgedehnter Dürreperioden als Folge des Temperaturanstiegs und die Zunahme von anhaltenden Regenfällen könnten bereits in naher Zukunft zu einer ernsthaften Herausforderung lokaler Nahrungs-
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versorgungssysteme werden: „Many crops are already growing near the upper bound of their temperature tolerance, so further warming would push them beyond their limits. In some areas, precipitation may increase, causing crops to rot; elsewhere, rainfall may diminish and become more erratic, arriving unpredictably as intense downpours that will run off the parched earth instead of nourishing the soil.” (DeWeerdt 2007: 9, vgl. auch IPCC 2007: 6) Als Folge gehen Experten davon aus, dass die Zahl der weltweit hungernden Menschen in den nächsten 50 bis 60 Jahren um weitere 80 Millionen, vorwiegend im afrikanischen Raum, steigen könnte. Dieser Zusammenhang ist nicht nur unter ökologischen Aspekten besorgniserregend, sondern auch unter migrationstheoretischen Gesichtspunkten äußerst bedeutsam. Obwohl sog. ‚Umweltflüchtlinge‘ einen immer größeren Anteil der nationalen und internationalen MigrantInnenströme ausmachen (vgl. Kibreab 1997, Richter 1998), werden sie in der einschlägigen Literatur nur selten explizit zum Thema gemacht (vgl. beispielsweise de Bruijn/van Dijk/Foeken 2001). Das ist umso überraschender, als neben Hunger, Armut und Krieg die Zerstörung der Umwelt immer öfter zur Ursache von Flucht und Abwanderung geworden ist. Die Schwierigkeit einer verlässlichen Schätzung besteht hauptsächlich darin, dass der Begriff des ‚Umweltflüchtlings‘ konzeptionell schwer zu fassen ist. Die ursprüngliche Definition geht auf einen Bericht der UNEP zurück, den der Wissenschaftler Essam El Hinnawi 1985 verfasste und der Umweltflüchtlinge definiert als „those people who have been forced to leave their traditional habitat, temporarily or permanently, because of a marked environmental disruption … that jeopardized their existence and/or seriously affected the quality of their life“ (El Hinnawi 1985: 4). Andere Autoren und Autorinnen verwenden dagegen abweichende Definitionen (vgl. als Überblick O’Lear 1997), so dass es je nach Begriffsbestimmung und Datenbasis zu entsprechend großen Schwankungen bei der Erfassung von Betroffenen kommt. Manche gehen von 22 bis 24 Millionen aus (vgl. Biermann 2001: 23), andere sprechen von 25 Millionen (Myers 1997) beziehungsweise 30 Millionen Flüchtlingen (UNESCO 2006: 9) und ein Bericht der UNHCR geht sogar von jährlich weltweit ca. 211 Millionen Menschen aus, die entweder direkt oder indirekt durch ökologische Gründe zur Migration gezwungen werden (vgl. UNHCR 2006: 27)69. Als Hauptursachen gelten, abgese69 Eine der wesentlichen Schwierigkeiten bei der Schätzung von Umweltflüchtlingen ergibt sich aus einer häufig beobachtbaren Überlagerung von sozialen, politischen und ökologischen Prozessen, da man es oftmals mit einer ausgesprochenen sozialökologischen Krisendynamik zu tun hat. So lässt sich beispielsweise in Bezug auf den Sudan, der in den letzten Jahren immer wieder Hungerkrisen erleiden musste, schwer zwischen politischen und ökologischen Ursachen trennscharf differenzieren. Auf der einen Seite war das Land immer wieder von ausgedehnten Dürre- und Trockenperioden betroffen, auf der anderen Seite wurde der Hunger von den Bürgerkriegsparteien immer wieder bewusst als Waffe gegen die Bevölkerung eingesetzt und darüber hinaus wurden Nahrungsmittel zur Finanzierung von Waffenkäufen exportiert (vgl. Richter 1998: 47). Die Ursachenermittlung ist insofern auch von
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hen von Erdbeben und Vulkanausbrüchen, anthropogene Formen und Folgen der Umweltnutzung wie übermäßige regionale Verschmutzung, Bodendegradation und Desertifikation, klimatische Extremereignisse wie Dürren und Überschwemmungen und Destabilisierungen des sozialen Gefüges70 infolge regionaler ökologischer Krisenerscheinungen (vgl. Biermann 2001: 25f.). Mit Blick auf die Dynamik von Urbanisierungsprozessen sind diese Flüchtlingsbewegungen von kaum zu überschätzender Bedeutung. Das Migrationspotenzial wird offensichtlich, wenn man sich vor Augen führt, dass geschätzte 400 Millionen Menschen auf dem afrikanischen Kontinent – das heißt etwa die Hälfte der dort lebenden Bevölkerung – von den verschiedenen Formen anthropogener Klimaveränderungen unmittelbar betroffen sind (UNHCR 2006: 28). In der Vergangenheit lösten direkte Betroffenheiten stets anhaltende Migrationsströme in die jeweiligen urbanen Räume aus, erhoffte man sich dort eine bessere medizinische Versorgung und Schutz vor den ökologischen Krisen, wobei viele Flüchtlinge angesichts ihrer Mittellosigkeit in der Regel Zuflucht in den SlumSiedlungen suchen, aus denen sie oftmals nie mehr in ihre ländliche Heimat zurückkehren (vgl. Richter 1998: 45). Gerade letzteres könnte sich aber angesichts steigender Meereswasserspiegel als weitere mögliche Folge des klimatischen Wandels vor allem in Bezug auf küstennahe Städte als folgenreiche Fehleinschätzung erweisen: „In West Africa, up to 70 per cent of the Nigerian coast would be inundated by a one-metre rise, affecting more than 2.7 million hectares and pushing some beaches three kilometres inland. Gambia’s capital, Banjul, would be entirely submerged. In the Mediterranean, Egypt would lose at least 2 million hectares of land in the fertile Nil-Delta, displacing 8-10 million people, including nearly the entire population of Alexandria.” (Conisbee/Simms 2003: 18) Ungleiche Betroffenheiten Internationale Untersuchungen lassen keinen Zweifel daran, dass die Verteilung der Risikolasten ökologischer Gefährdungen in urbanen Räumen ungleich verteilt und insbesondere Kinder und Frauen die Hauptbetroffenen von Umweltbeeinträchtigungen sind. Die Ursache liegt in der traditionellen Aufteilung der Zuständigkeitsbereiche, der den Frauen nach wie vor die Hauptverantwortungslast sowohl für Naturerhaltung als auch für Versorgungsarbeit zuweist: „Because of social differentiation according to gender, women in most societies play a Bedeutung, als Umweltflüchtlinge völkerrechtlich eine unbekannte Größe darstellen, während politische Flüchtlinge völkerrechtliche Asylansprüche geltend machen können (vgl. Biermann 2001:24). 70 Allerdings ist die These, dass kriegerische Auseinandersetzungen in Zukunft immer stärker durch die Kontrolle knapper werdender Ressourcen initiiert werden, alles andere als unumstritten. Für den Zusammenhang zwischen kriegerischen Konflikten und anthropogen bedingter Bodendegradation gilt der Zusammenhang dagegen als weitestgehend gesichert (vgl. Biermann 2001: 28).
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significant role in managing the diversity of the ecosystem, since they are responsible for the reproductive labour, food production, child-rearing and sustaining the livelihood of the family.“ (Schultz et al. 2001: 64) So stellen Frauen im sub-saharischen Afrika 80%, in Asien 60 und in Lateinamerika 50% der in der in der Landwirtschaft tätigen Arbeitskräfte und sind weiterhin für die Beschaffung von Wasser und Brennholz verantwortlich, angesichts dessen von einer „Feminisierung der Agrikultur“ (Hummel 2000: 12) gesprochen wird. Die unter gender-Aspekten ungleiche Verteilung der Umweltbelastungen resultieren nun zum einen aus den gesellschaftlich definierten Geschlechterrollen, zum anderen aber auch daraus, dass diese lang Zeit durch entsprechende entwicklungspolitische Maßnahmen weiter zementiert wurden. Die oftmals eurozentrische Wahrnehmung der entwicklungspolitischen Praxis leistete dabei mit Blick auf die Tätigkeitsbereiche einer Naturalisierung der Geschlechterdifferenz erheblichen Vorschub: „Up to the end of the 1970s, women appeared for the development apparatus only as mothers engaged in feeding babies, pregnant or lactating, procuring water for cooking and cleaning, dealing with children’s diseases, or, in the best of cases, growing some food in the home garden to supplement the family diet. Such was the extent of women’s lives in most development literature.” (Escobar 1995: 172) Damit wurde ein Entwicklungskonzept verfolgt, das sich vorrangig an Männern orientierte und diese fast ausschließlich als Produzenten dessen ansah, was als Ware im Sinne einer Weltmarktrelevanz als ausbaufähig erachtet wurde. In der Konsequenz richteten sich landwirtschaftliche Ausbildungs- und Unterstützungsprogramme meist auf Männer und raubten Frauen systematisch ihrer Einflussmöglichkeiten auf die eigenen Lebensbedingungen. Dass Frauen dabei als die zentral Verantwortlichen für die Verwaltung und Nutzung der lokalen Ressourcen weitgehend ignoriert wurden, ist weniger einer mangelnden Informationslage zuzuschreiben, denn in vielen Gebieten hätte auf umfangreiches ethnographisches Material zurückgegriffen werden können, als vielmehr den geschlechtsspezifisch voreingenommenen Selektionsrastern vieler entwicklungspolitischer Programme (vgl. Goetze 2002: 123). In diesem Zusammenhang wird besonders deutlich, dass Geschlechterverhältnisse und damit verbundene Natur-Kultur Unterscheidungen zu einem Moment der Verschärfung sozial-ökologischer Krisenerscheinungen werden können, indem sie mit einem Bewertungsschema verbunden sind, „das die als Weibliches, Geschlechtliches und Besonders etikettierten Menschen und Strukturen als das Untergeordnete, als das nicht so Wichtige und Nebensächliche einstuft“ (Schultz/Hummel/Hayn 2006: 228). Aufgrund solcher kultureller Bewertungsschemata werden Produktions- und Technikbelange gegenüber Reproduktionsbelangen als vorrangig empfunden und in der Folge bestimmte Problemlösungsoptionen nicht berücksichtigt, andere dagegen favorisiert. Somit werden ökologische Krisen durch die geschlechterdifferente Wahrnehmung von Umweltproblemen verstärkt beziehungsweise zum Teil ursächlich hervorgerufen, indem auf diesem Wege traditionelle Bewirtschaftungssysteme und damit verbundene loka-
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le Wissensvorräte untergraben werden: Eine Reformierung der Landesgesetze führte meist zu einem Ausschluss von Frauen und einer damit verbundenen Verschiebung von nachhaltigen Anbaumethoden hin zu schnell wachsenden und Profit versprechenden Nutzpflanzen, die vielerorts zu einer rascheren Auslaugung der Böden geführt hat (vgl. Weltbevölkerungsbericht 2001: 47f.). Auch mit Blick auf die unmittelbaren Betroffenheiten durch ökologische Krisenerscheinungen lassen sich deutlich geschlechtsspezifische Unterschiede nachweisen (vgl. Smedley 2004, Weltbevölkerungsbericht 2001: 46f., Schultz et al. 2001, Lee-Smith/Etta 1999, FAO 2000: 11f.): • In vielen Regionen lassen sich als Konsequenz der Umstellung auf cash-crops und einer mangelnden Expertise Bodenerosionen und Missernten beobachten. Der Produktivitätsrückgang wirkt sich unmittelbar auf die Nahrungssicherheit von Frauen und Kindern aus, die zu den ‚most vulnerable groups‘ in Bezug auf Unterernährung gelten. • Die Zerstörung der ländlichen aber auch städtischen Umwelten führt dazu, dass Frauen weitere Strecken für die Beschaffung von Brennholz und Wasser zurücklegen müssen: Durch die Abholzung vieler Gebiete, die Entwaldung von Grünflächen ebenso wie durch die Ausweitung der Städte wird Holz zu einem knappen Gut und auch die verminderte Wasserrückhaltung des Bodens zwingt im Rahmen der alltäglichen Versorgungspraxis, größere Entfernungen in Kauf zu nehmen. Die Folge ist, dass bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung anderer Pflichten das Schleppen von Wasser und die Suche nach Brennmaterial bis zu einem Drittel der Kalorienzufuhr bei Frauen ausmachen. Gleichzeitig kann es aufgrund des Wasser- und Energiemangels zu einem Verzehr von halbgaren und rohen Nahrungsmitteln kommen, was insbesondere die Nahrungssituation von Mädchen und jungen Frauen verschlechtert. Ebenso erhöht sich durch die Schwächung das Risiko, sich mit ernährungsbedingten Krankheiten zu infizieren. • Die geschilderte hohe innerstädtische Umweltbelastung durch Luft-, Wasserund Bodenverschmutzung betreffen in besonderem Maße Frauen, da sich diese Stoffe im Körpergewebe und der Muttermilch anreichern und darüber an Säuglinge weitergegeben werden. Armut = Umweltdegradierung? Letztlich werden alle Versuche einer Implementierung nachhaltiger Entwicklungsstrategien von der Tatsache erschwert, dass entsprechende Aktivitäten in der Regel nur auf rudimentär ausgebildete regulatorische und stadtplanerische Instrumente und Infrastrukturen zurückgreifen können und sich somit negative Entwicklung potenzieren. Zusammengefasst werden am Beispiel der sozioökonomischen, kulturellen und ökologischen Probleme urbaner Räume in südlichen Regionen die starken Kopplungszusammenhänge deutlich, die aus der Krisenhaftigkeit einzelner Versorgungssysteme resultieren können. Unter stark gekoppelten Systemen werden in der kybernetischen Systemtheorie Systeme ver-
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standen, die ein komplexes Gesamtssystem bilden, welches in nicht-lineares und häufig auch in chaotisches Verhalten übergehen kann, weil die einzelnen Elemente in positiven Feedbackschleifen miteinander verbunden sind (vgl. Becker/Schramm 2001). Übertragen auf die Versorgungssysteme bedingt paradoxerweise gerade deren Dysfunktionalität die enge Kopplung: die Unterversorgung mit Wohnraum, die mangelnde medizinische Versorgung, fehlende Sanitäreinrichtungen, Müll- und Abwasserentsorgung, die Krise vieler Nahrungs- und Wasserversorgungssysteme greifen ineinander und schließen sich zu einem Kreislauf zusammen, der viele Städte des Südens als Ort des Chaos und der Hoffnungslosigkeit erscheinen lässt. Exemplarisch für die Sichtweise vieler schreibt Bastian: „Konnte noch 1972 die Stadt aus eurozentrischer Sicht als ‚Ausweg‘ gefeiert werden, so müssen zwanzig Jahre später die oft in kürzester Zeit entstandenen Riesenagglomerationen des Südens … aus ökologischer Sicht als katastrophaler, menschenfeindlicher und umwelt-vernichtender Irrweg bezeichnet werden.“ (Bastian 1992: 251) Und der bereits zitierte Artikel von Kaplan bläst in das gleiche Horn, wenn er resümierend festhält, dass „der Mensch [in Conakry, CJ] wie auch an anderen Orten Afrikas und der Dritten Welt die Natur bis weit über ihre Grenzen hinaus beanspruchte, und die Natur sich nun zu rächen beginnt“ (Kaplan 1996: 54). Nun steht auch hier außer Frage, dass sowohl die eben beschriebenen ökologischen Probleme in den südlichen Städten als auch die Auswirkungen, die sie auf ihre außerstädtische Umwelt und die Gesundheit der EinwohnerInnen haben, nachhaltiger Gestaltungsansätze dringend bedürfen. Letztlich sind aber Ansätze, die im Rahmen eines ‚ecological footprint‘ operieren beziehungsweise sich von der Annahme eines direkten Kausalitätszusammenhangs von Stadt und Naturzerstörung leiten lassen, nicht in der Lage, die Krisenhaftigkeit städtischer Naturverhältnisse als Ergebnis eines problemverschärfenden Ineinandergreifens von sozialen und ökologischen Dynamiken zu entschlüsseln. Wie in vielen naturalistischen Ansätzen wird auch hier weder die soziale Konstitution ökologischer Problemlagen noch die Variabilität gesellschaftlicher Reaktionen auf Probleme angemessen berücksichtigt (vgl. Kropp 2002: 51f.). Die schlichte Entgegensetzung von Stadt und Natur erkennt Städte nicht als Teil der Natur und als Schauplätze von komplexen, gesellschaftlichen Beziehungen zwischen sozialen und ökologischen Prozessen an (Graham/Keil 1997: 569) und übersieht damit auch, dass urbane Räume im selben Maße zur Lösung ökologischer Probleme beitragen können, wie sie diese mit verursachen. Umstritten bleibt weiterhin der oftmals hergestellte eindeutige Zusammenhang zwischen Armut und Umweltverschmutzung. Für die Autoren des Weltbevölkerungsberichts steht er offensichtlich gänzlich außer Zweifel: „Zwischen der fortschreitenden Zerstörung der Umwelt und der sich im Zuge der Globalisierung weiter verschärfenden Ungleichheit besteht ein enger und direkter Zusammenhang – die schiere Notwendigkeit zu überleben zwingt viele arme Menschen zu einer Lebensweise, die den Druck auf die fragilen natürlichen Ressourcen er-
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höht.“ (Weltbevölkerungsbericht 2001: 36) Gegner dieser Position argumentieren jedoch, dass es weniger die Armut als vielmehr die partielle Integration der afrikanischen Ressourcen in das globale Wirtschaftssystem bei der Verursachung von ökologischen Schäden in Betracht zu ziehen gilt: Zum einen ist es vor allem die Wirtschaftspolitik von Großunternehmen, die auf eine Intensivierung der Landwirtschaft und einen damit verbundenen Anbau von Exportfeldfrüchten ausgerichtet ist; zum anderen werden auf dem globalen Markt nachgefragte Grund- und Rohstoffe – Metalle, Kaffee, Nahrungsmittel, Erdöl, Diamanten etc. – häufig aufgrund mangelnder Kontrolle seitens der jeweiligen Staaten in südlichen Regionen – auf nicht-nachhaltige Weise gewonnen und erzeugt (vgl. Bradshaw/Wallace 1996, McMichael 1994 u. 2007, Friedmann 1994 u. 2005). Weiterhin verweist eine Reihe von Studien darauf, dass oftmals über Generationen hinweg gewonnene lokalspezifische Wissensformen indigener Bauern und Bäuerinnen in Bezug auf ökologisch nachhaltige Anbaumethoden und Landnutzungsformen, welche dem Wissen westlicher Experten nicht selten überlegen sind, durch modernisierungstheoretisch inspirierte Entwicklungsprojekte verdrängt wurden (vgl. Müller 2005, Honerla/Schröder 1995, Geschiere 1995). In einer solch kritischen Bewertung der aktuellen Forschungslandschaft lässt auch der Nigerianer Akin Mabogunje seine Studie zu den ökologischen Herausforderungen Sub-Sahara Afrikas beginnen: „Discussions about environmental issues in sub-Saharan Africa often suffer considerably from the tyranny of orthodoxy. Conventional wisdom about the region treats its people as if they are incontinent and mindless about the quality of their environment. It sees the international community as the custodian of the wholesomeness of the global environment whose role is to save Africa from the Africans. It puts all of Africa’s environment problems at the door of rapid population growth and the current poverty of the region.” (Mabogunje 1996: 1) So plädiert auch er für eine differenziertere Perspektive, die stets die historischen und damit sozialen Ursachen heutiger ökologischer Krisenerscheinungen im Auge behält: „In a certain sense, the contradictions in the development process in sub-Saharan Africa have arisen because of the ‚inharmonious relations‘ arising from its incomplete transition from one mode of production to another. The era of colonialism had attempted to push the economies of these countries out of a precapitalist mode of production based largely on kinship relations and integrate them into a global capitalist mode based largely on ‘commoditized factors of production“ (ebd.: 31). Im Rahmen der Debatte um die ökologischen Merkmale urbaner Agglomerationen des Südens wird damit nur allzu deutlich, dass das ohnehin schwierige Konzept der nachhaltigen Entwicklung als Referenzrahmen im entwicklungstheoretischen Diskurs an Problematik weiter hinzugewinnt. Auf die Diskursverschränkungen von Umwelt und Bevölkerung sowie auf die damit verbundene „Ökologisierung der Entwicklungstheorie“ (Eblinghaus/Stickler 1996: 17) bin ich bereits ausführlich eingegangen (vgl. III/1.4.1). Somit sei an dieser Stelle nur daran erinnert, dass gerade vor dem Hintergrund der erfolgten Post-Development
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Kritik (vgl. als Überblick Ziai 2004: 168ff.) die Berücksichtigung der Fragen ‚Wer diskutiert über Sustainable Development?‘ und ‚Auf welche Quellen wird sich bezogen?‘ für eine Verortung der Debatten unerlässlich ist. Wird eine solche Verortung vorgenommen, zeigt sich, dass die Zusammenhänge oftmals komplexer sind, als sich in linearen Zusammenhängen, wie beispielsweise ‚Mehr Menschen = weniger Umwelt‘ oder ‚Armut = Umweltdegradation‘, ausdrücken lassen.
3. Der Schlund der Stadt: U r b a n i s i e r u n g u n d N a h r u n g s ve r s o r g u n g Der Zusammenhang von Bevölkerungsdynamiken und der Transformation von Versorgungssystemen lässt sich wie an kaum einem anderen Beispiel an dem Verhältnis von Nahrungsversorgung und urbanen Räumen illustrieren. Seit jeher existiert ein enger Verflechtungszusammenhang zwischen urbanen Räumen und ihrer Nahrungsversorgung und so ist aus historischer Sicht einzig und allein strittig, ob nun eine agrarische Revolution und eine damit verbundene Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktivität die Bildung der Städte ermöglichte oder ob die Transformation den umgekehrten Weg nahm. Walter Siebel beispielsweise interpretiert den Anfang aller Stadtkultur zuallererst als Emanzipation gesellschaftlichen Lebens von Naturzwängen, die sich zunächst vor allem in einem Strukturwandel der landwirtschaftlichen Produktion manifestiert: „Städte können erst entstehen, wenn die in der Landwirtschaft tätige Bevölkerung mehr Nahrungsmittel erzeugt, als sie zur eigenen Produktion benötigt. Dieser Überschuss ermöglicht es einer nicht in der Landwirtschaft tätigen Bevölkerung zu überleben.“ (Siebel 2000: 265) In diesem Sinne erscheint als ein zentrales Charakteristikum des Stadtbewohners in der frühen Phase der westlichen Stadtgeschichte, nicht unmittelbar in die agrarische Produktion eingebunden gewesen zu sein. In eine ähnliche Richtung argumentiert die bereits erwähnte umfassende Studie Benevolos zur Geschichte der Stadt, die bereits für das antike Mesopotamien diese Spirale einer neuen Wirtschaftsstruktur als Ursprung städtischer Kultur nachzeichnen konnte: „Durch die intensive Landwirtschaft konnten mehr Nahrungsmittel produziert werden, als auf dem Land selbst benötigt wurden; der Überschuss der landwirtschaftlichen Produktion wurde in den Städten konzentriert und erlaubte ein ständiges Anwachsen der städtischen Bevölkerung; dadurch war es den Städten möglich, Handwerk, Handel und Dienstleistungen auszubauen, wodurch wiederum die landwirtschaftliche Produktion gesteigert werden konnte.“ (Benevolo 1993: 22) In den Augen Henri Lefèbvres ist eine solche Argumentation dagegen zutiefst „ideologisch gefärbt“ (vgl. Lefèbvre 2003: 19). Seiner Meinung hat der Prozess genau den umgekehrten Verlauf genommen: Erst der autoritäre Druck der entstehenden städtischen Zentren hätte einen Prozess initiiert, in dessen Ver-
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lauf sich der Übergang vom Wildbeutertum und nomadischen Wanderhackbau zu einem sesshaften Ackerbau vollzog. Ganz gleich, ob zunächst die Produktivitätssteigerung des Ackerbaus die Entstehung der Städte ermöglichte oder ob umgekehrt das Aufkommen einer städtischen Kultur den nötigen Innovationsdruck für die landwirtschaftliche Produktion erzeugte, impliziert die Frage nach dem Verhältnis von urbanem Raum und Nahrungsversorgung offensichtlich immer auch die umfassendere nach dem Verhältnis von Stadt und Land. Dabei zeigt bereits ein kurzer Blick in die städtische Ernährungsgeschichte Europas, dass sich die Zusammenhänge zwischen Urbanität und Nahrungsversorgung und das damit verkoppelte Verhältnis von Stadt und Land eindeutigen Kausalzuordnungen zu entziehen scheint. So lässt sich auf der einen Seite für einige Regionen nachweisen, dass ein Großteil der Bevölkerung nicht etwa in Regionen urbaner Agglomerationen und landwirtschaftlichen Fortschritts unter gesicherten Bedingungen lebten, sondern gerade in weniger ‚kultivierten‘ und weniger verstädterten Gebieten (vgl. Montanari 1993: 177). Jane Jacobs dagegen rekurriert auf der anderen Seite stärker auf Beispiele im nordamerikanischen Raum, in denen Stadtgründungen die Ausbreitung umliegender Landwirtschaft und damit gleichzeitig die Ernährungssicherung deutlich begünstigten: „Ist die Stadt erst einmal gegründet, breitet sich die Landwirtschaft in der Umgebung rasch aus, wird vielseitiger und liefert Nahrungsmittel im Überfluß.“ (Jacobs 1970: 35f.) Auch Max Weber hat in seiner Typologie der Städte im Rahmen seiner Herrschaftssoziologie darauf verwiesen, dass „die Beziehung der Städte zur Landwirtschaft … keineswegs eindeutig“ (Weber 1979: 730) waren. Während zur Zeit des Mittelalters eine Vielzahl deutscher und ausländischer Städte über ausgedehnte, stadtnahe Acker- und Viehweiden sowie Waldgebieten zur Deckung ihres Nahrungsmittelbedarfs verfügten, fehlte der größten deutschen Stadt der damaligen Zeit, Köln, eine solche „Allmende fast gänzlich und offenbar von Anfang an“ (Weber 1979: 730). Dennoch bildet Köln diesbezüglich eine Ausnahme, denn bis in die Neuzeit hinein „konnte keine Stadt auf die Nahrungsmittelproduktion vor ihren Toren verzichten“ (Braudel 1985: 531). Außer Frage steht, dass mit der Entstehung und dem Wachstum der Städte diese wie eine Art Gravitationszentrum für Produkte aller Art wirken: „Alles, was anderenorts entsteht, reißt die Stadt an sich: Früchte und Objekte, Produkte und Produzenten, Werke und schöpferisch Tätige, Aktivitäten und Situationen.“ (Lefèbvre 2003: 154) Mit Verweis auf die Berechnungen eines französischen Wirtschaftshistorikers hält Braudel fest, dass zu Zeiten geringer landwirtschaftlicher Produktivität eine Stadt mit der Größe von 3000 EinwohnerInnen eine landwirtschaftliche Fläche von 8,5 Quadratkilometern zur Sicherung einer ausreichenden Versorgung benötigte (ebd.). Diese enge Verflechtung von Stadt und versorgendem Hinterland hat bis heute in vielen Regionen der Erde ihre Bedeutung nicht verloren und bleibt angesichts der oben beschriebenen Dynamik von Urbanisierungsprozessen in südlichen Regionen eine der größten Herausforderungen für die aktuelle und zukünftige Versorgung urbaner Räume mit Nah-
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rungsmitteln. So gehen aktuelle Schätzungen davon aus, dass eine nahezu konstante bis abnehmende Landbevölkerung bis 2030 etwa 1,8 Milliarden zusätzliche Städter mit Nahrungsmitteln versorgen muss (vgl. Swiaczny 2005c: 29). Die Bedeutung der Stadt liegt aber nicht einzig und allein in dem Verbrauch von Nahrungserzeugnissen. Zum einen führt sie die zur Produktion notwendigen Elemente zusammen, zum anderen ist sie der Ort, der die Produkte zentralisiert und somit bei der administrativen Koordinierung der Nahrungsversorgung eine zentrale Bedeutung innehat. Erst die Stadt schafft das notwendige „Beziehungsgefüge“ (Lefèbvre 2003: 155) der Versorgung, denn sie ist der Ort, an dem nahezu alle Arten von Nahrungserzeugnissen und Lebensmittelressourcen räumlich gebündelt und distribuiert werden. Trotz der Heterogenität solcher Wechselbeziehungen kann kein Zweifel darüber bestehen, dass auf Dauer gesehen Städte nur angesichts „der ältesten, revolutionärsten Arbeitsteilung“ (Braudel 1985: 523), nämlich der zwischen Feldarbeit auf der einen Seite und städtischer Wirtschaftstätigkeit auf der anderen Seite, Bestand haben konnten bzw. können. Auch wenn es zunächst als eine Verengung der Funktion des Städtischen erscheinen mag, ist doch die Einrichtung von Märkten, auf denen die Bevölkerung ihre Bedarfe decken kann, und die damit verbundene, zwangsläufige Inklusion der StadtbewohnerInnen in die Marktversorgung, keine ausreichende, aber notwendige Bedingungen urbaner Kultur (vgl. Braudel 1985: 532f., Weber 1979: 728). Auch Peter Hall sieht in seiner umfassenden Studie zur Geschichte westlicher Städte, dass „trade in foodstuffs … was one of the most basic raisons d’etre of most great cities, from Periclan Athens onward“ (Hall 1998: 612). Vor diesem Hintergrund kann man die plausible These formulieren, dass Städte in ihrem Erscheinungsbild und ihrem inneren Gefüge wesentlich von einer Verdichtung von Versorgungsstrukturen und damit verbundener Dynamiken geprägt werden. Die im Zuge der industriellen Revolution und dem damit verbundenen Anschwellen urbaner Räume notwendig gewordene und sich formierende Lebensmittelindustrie löst diese über Jahrhunderte eingespielte Selbstversorgung der Städte mehr und mehr auf. Die sog. Thünenschen Kreise71 und die damit verbundenen Zulieferungsdistanzen wurden weltweit immer größer, denn die etablierten lokalen und regionalen Stoffkreisläufe reichten für die urbane Ressourcenzufuhr immer weniger aus. Insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg verfestigte sich eine zunehmende Abhängigkeit der städtischen Nahrungsversorgung von nordamerikanischen Getreideexporten, so dass vor allem der afrikanische und der asiatische Kontinent bis zu 50% des Getreides zur Selbstversorgung benötigten (vgl. 71 Der deutsche Nationalökonom Johann Heinrich von Thünen (1783 – 1850) formulierte eine Abhängigkeit der Boden- und Grundrenten von der Entfernung des landwirtschaftlichen Produktionsbetriebs von seinem Absatzmarkt. Das damit verbundene Gesetz lautet: Je größer die Entfernung zur Stadt, um so geringer die erzielbare Bodenrente (vgl. Hauser 1991: 527). Nur am Rande sei hier erwähnt, dass die dahinter stehende Raumauffassung Raum auf einen zu überbrückenden physischen Distanzraum reduziert (vgl. Läpple 1991: 180).
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Hauser 1991: 527). Durch diese Importabhängigkeit, deren Gründe zum Teil schon genannt, im nächsten Abschnitt aber noch näher beleuchtet werden, werden das Stadt-Land-Verhältnis und damit verbundene Migrationsmuster nachhaltig beeinflusst: Die relativ niedrigen, weil oftmals staatlich subventionierten Nahrungsmittelpreise72 initiieren eine Zuwanderung aus nahrungsarmen ländlichen Regionen einerseits durch Nahrungssicherheit (Pull-Faktor), andererseits durch eine geringe landwirtschaftliche Produktivität aufgrund fehlender Anreize (PushFaktor). Damit entsteht ein Kreislauf, der, wie im Folgenden noch deutlich wird, einen wichtigen Faktor für die Entstehung von Krisen des Nahrungsversorgungssystems darstellt.
3.1 Feeding the cities: Urbane Nahrungsversorgung in Afrika in Geschichte und Gegenwart Ruft man sich die geografische Verteilung des Hungers in Erinnerung und setzt sie in Beziehung zu den weltweiten Urbanisierungsraten, so ist offensichtlich, dass den südlichen urbanen Agglomerationen und ihren Systemen der Nahrungsversorgung bei der Bedürfnisbefriedigung der Bevölkerung für die Zukunft unweigerlich eine Schlüsselrolle zukommen wird. Diese Bedeutung haben auch international agierende Hilfsorganisationen erkannt, die sich in erster Linie die Sicherstellung der Nahrungsversorgung der städtischen Bevölkerung zum Ziel gesetzt haben, so beispielsweise das von der FAO Ende der 1980er Jahre aufgelegte Programm „Food for the Cities“, dessen zentrale Ergebnisse in der Schriftenreihe „Food into Cities Paper Collection“ dokumentiert sind. Dennoch haben sich erstaunlicher Weise bisher nur wenige wissenschaftliche Studien explizit dem Zusammenhang von Nahrungsversorgung und afrikanischen Urbanisierungsprozessen gewidmet. Eine der wenigen Ausnahmen bilden hier das 1987 von Jane Guyer herausgegebene Buch „Feeding African Cities“, die von Dijkstra vorgelegte Untersuchung zu „Food Trade and Urbanization in Sub-Saharan Africa“ (1995) und das 1999 erschienene und vom International Development Research Centre (IDRC) herausgebrachte „For Hunger-Proof Cities. Sustainable Urban Food Systems“ (Koc et al. 1999). Ältere Veröffentlichungen haben sich selten explizit dem Thema zwischen Urbanisierung und Nahrungsversorgung gewidmet, son72 Nahrungsmittelsicherheit bzw. -unsicherheit spielte vor allem in der europäischen Geschichte seit jeher eine entscheidende Rolle bei der Unterdrückung bzw. Entstehung von Revolutionen. Politisch explosive Massen konnten immer wieder entweder durch Nahrungsmittel beruhigt oder durch das Fehlen von ausreichend Grundnahrungsmitteln zu Aufständen gezwungen werden. Diese Erfahrung wiederholte sich Anfang der 1980er Jahre, als im Zuge einer katastrophalen Nahrungsversorgung vieler urbaner Räume südlicher Regionen eine ganze Reihe von gewalttätigen Aufständen und Demonstrationen, sog. ‚food-riots‘ entfacht wurden (vgl. als Überblick Walton/Seddon 1994). Insofern verwundert es kaum, dass viele Führer afrikanischer Nationen die Nahrungsmittelpreispolitik neben der Lohnpolitik als einen wichtigen Schlüssel zum Machterhalt gesehen haben.
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dern haben diesen Problemkomplex in der Regel im Rahmen der übergreifenden Frage nach der Funktionsweise des landesweiten Distributionssystems der Nahrung verhandelt, wenngleich deutliche Unterschiede zwischen französischer (vgl. Vennetier 1972) und angloamerikanischer Literatur (Hodder 1962 u. 1971, Jones 1972, Poleman 1961, Lawson 1967a u. 1971) erkennbar sind. Bis zu einem gewissen Grad lassen sich diese signifikanten akademischen Differenzen auf die unterschiedlichen demografischen Situationen in den jeweiligen Kolonien zurückführen (vgl. Guyer 1987: 15): Während für französische Gebiete oftmals eine geringe Populationsdichte und ein niedriger Verstädterungsgrad typisch waren, zählte beispielsweise die britische Goldküste Westafrikas seit jeher zu den bevölkerungsreichsten und urbansten Regionen Afrikas. Betrachtet man die in den vorhergehenden Kapiteln zitierten einschlägigen Werke zu den zentralen Problemen afrikanischer Urbanisierungsprozesse, taucht die Nahrungsversorgung als eigenständiges Thema nur selten auf und wird als Folge des ökonomischen Bias in der Regel unter dem Aspekt der Armutsproblematik abgehandelt. Einerseits erscheint dieser Umstand bis zu einem gewissen Punkt nachvollziehbar: Zum einen sind Mangel- und Unterernährung ein verstärkt den ländlichen Raum betreffendes Übel (vgl. Kotschi 2004: 59), zum anderen muss Nahrung in urbanen Räumen zu über 95% käuflich erworben werden und macht oftmals bis zu 50% des Haushaltbudgets aus (Streiffeler 2001: 166). Ersteres impliziert allerdings eine erstaunlich kurzsichtige Perspektive, denn angesichts der dargestellten Urbanisierungsdynamiken wird es mit Blick auf die Mangel- und Unterernährung bei gleich bleibender Versorgungslage in absehbarer Zeit einen „urban shift“ (Garret 2000: 2) geben (vgl. auch Koc et al. 1999: 2). Argenti geht in der Schätzung einiger ausgewählter afrikanischer Agglomerationen wie Yaoundé, Nairobi oder Lagos für den Zeitraum von 2000 bis 2010 von einer Verdopplung der benötigten Nahrungsmittelmengen aus (Argenti 2000). Die ökonomische Perspektive verengt die Probleme städtischer Nahrungsversorgung weiterhin allzu sehr auf monetäre Aspekte. Was dabei zwangsläufig außen vor bleiben muss, sind all jene Aspekte, die mit Bezug auf die Einführung eines sozial-ökologischen Versorgungssystems entfaltet wurden (vgl. II/2). Ernährung vollzieht sich innerhalb und in Abhängigkeit von gesellschaftlichen Deutungen und Symbolisierungen, Normen und Machtsstrukturen, die die Art und Weise der Bedürfnisbefriedigung entscheidend mitprägen. Ernährung findet aber nicht in einem naturfreien Gesellschaftsraum statt, sondern muss über das Versorgungssystem als grundlegend mit der Natur vermittelt begriffen werden. Woran damit meines Erachtens die internationale Diskussion krankt, ist das Fehlen eines integrativen Zugangs, der bei einer Problemanalyse eine systematische Betrachtung sozialer und ökologischer Aspekte von Nahrungsversorgung vorantreiben würde. Was in Bezug auf die Nahrungsversorgung auf diese Weise gewonnen wird, ist eine qualitative Analyse „der institutionellen Mechanismen der Regulation der Naturverhältnisse und ihrer strukturellen Probleme“ (Görg 2003a: 17). Insbesondere die Aussagen internationaler Nichtregierungsorganisationen verharren viel-
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fach auf einer rein quantitativen Ebene und prophezeien den urbanen Ballungsräumen qua Bevölkerungswachstum schwer wiegende Nahrungsversorgungskrisen, bleiben dabei aber oftmals eine erhellende Analyse der Nahrungsversorgung als „Achillesferse der Stadtentwicklung“ (Hauser 1991: 524) schuldig. Dabei wird die Diskussion um die Nahrungsversorgung urbaner Räume in der Regel in die bereits diskutierte und allgemeinere Sorge um die Versorgung der wachsenden Weltbevölkerung an sich eingebettet: „Can world agriculture feed the world, in view of the urban concentrations which are continuing to grow all the time, raising serious food supply problems, in terms of quantity, distribution, quality, and cheaply into the bargain?“ (Padilla 1997: 4) Ferner werden, wie nicht zuletzt auch in der Stadtsoziologie (vgl. Schroer 2006: 227, Löw 2001: 45), urbane Räume nicht als eigenständiger Forschungsgegenstand wahrgenommen. Krisenhafte Entwicklungen urbaner Räume werden letztlich als übergreifende Krise afrikanischer Gesellschaften interpretiert, die an den Städten nur in besonders gutem Maße ablesbar sind. Eine mögliche Eigenlogik (vgl. Berking/Löw 2008) städtischer Entwicklungen muss bei einer solchen Sichtweise ausgeblendet bleiben (vgl. ausführlicher IV.) Die historischen Früchte der ‚Garden cities‘ Mit Blick auf die strittige Frage, ob nun eine landwirtschaftliche Produktivitätssteigerung zur Entwicklung einer urbanen Kultur führte oder umgekehrt, gehen in Bezug auf Afrika die Lehrmeinungen in ähnlicher Weise auseinander wie für den europäischen Kontext. Für Dijkstra wurde der Grundstein für eine städtische Kultur zweifelsfrei in der gesteigerten Fähigkeit zur Urbarmachung und Kultivierung der Natur gelegt: „The beginning of agriculture made the rise of urban settlement possible, because urbanization required surplus for food, which again required both fertility of the soil and technology to exploit this fertility.“ (Dijkstra 1995: 8) In ähnlicher Weise betont Hopkins, dass die Entstehung und Aufrechterhaltung der im Zuge des transsaharischen Handels entstehenden ‚Wüstenhäfen‘ ohne eine umfangreiche Versorgung aus dem savannenartigen Umland nicht von Dauer gewesen wären; Timbuktu führte beispielsweise spätestens ab dem 12. Jahrhundert große Mengen an Weizen, Gemüse und Vieh zur Sicherung der Nahrungsversorgung ein (Hopkins 1973: 60). Weitgehend unstrittig ist allerdings, dass die Dynamik früher afrikanischer Stadtgesellschaften vor allem durch die historischen Schübe in der Agrarentwicklung geprägt waren, die eine Vielzahl von politischen und sozialen Folgen hatten und eng an die demografische Entwicklung gekoppelt waren (vgl. Bley 1994: 5). Transformationen wurden jeweils eingeleitet durch die Erweiterung der Nutzpflanzenrezeption und der für die afrikanische Geschichte insgesamt wichtigen Viehhaltung, wobei beide wiederum eng mit der „lokal unterschiedlichen Verfügbarkeit mineralischer Ressourcen, also [der] Verfügbarkeit der Eisen- und Kupfertechnologie für die Bodenhacke, von Werkzeugen, Waffen und Schmuck, von Salz und von TonLagern für Keramik“ (ebd.: 9) verbunden waren.
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Allerdings betonen im Gegensatz dazu einige Autoren und Autorinnen, dass eine derartige Interpretation möglicherweise implizit auf der westlich geprägten Gegensätzlichkeit von Stadt und Land aufruht, die in diesem Maße für den afrikanischen Kontext nicht gegolten hat. So verweist Krammer darauf, dass die meisten Menschen in den afrikanischen Städten nicht gewerblichen oder händlerischen, also im weitesten Sinne nicht-landwirtschaftlichen Tätigkeiten nachgingen, sondern ihren Lebensunterhalt maßgeblich durch Formen der städtischen Agrarproduktion sicherten und sich in der Folge auch hinsichtlich der Tätigkeiten der Land- und Stadtbewohner keine großen Differenzen feststellen ließen (Krammer 1998: 81). Formen der innerstädtischen Landwirtschaft waren nicht zuletzt angesichts der klimatischen Bedingungen eine adaptive Form der Nahrungsmittelproduktion. Insbesondere in den heißen und feuchten Gebieten des tropischen Afrikas waren sowohl der Transport als auch die Lagerung von Lebensmitteln nur für einen begrenzten Zeitraum möglich, was die urbane Nahrungsmittelerzeugung in vielen Gebieten umso sinnvoller werden ließ (vgl. Winters 1983: 15). Wenngleich Coquery-Vidrovitch ebenfalls von der ‚SurplusThese‘ ausgeht (vgl. Coquery-Vidrovitch 2005a: 21), betont sie in diesem Zusammenhang dennoch die antiken afrikanischen „garden cities“ (ebd: 19) mit ihrer ausgeprägten Praxis städtischer Agrarproduktion. An dieser Stelle ist es meines Erachtens wichtig zu betonen, dass in der Beurteilung aktueller Formen der städtischen Landwirtschaft, die bis heute einen wichtigen Beitrag zur Nahrungssicherung afrikanischer Städte leistet, dieser historische Bezug beachtet werden muss. Nicht selten werden Formen der urbanen Landwirtschaft von westlichen Beobachtern als ‚traditionelles‘ oder ‚vormodernes‘ Relikt interpretiert, gleichsam sichtbarster Ausdruck einer Krisenhaftigkeit städtischer Versorgungssysteme und lediglich ‚transitorischer‘ Zustand derselben, das im Zuge einer Modernisierung hin zu einer industriellen landwirtschaftlichen Produktion von selbst wieder verschwinden würde. In der Folge dominierten nicht selten eindeutig negative Einstellungen gegenüber der städtischen Landwirtschaft, die oftmals zur Zerstörung intra-urbaner landwirtschaftlicher Flächen führten und die Potenziale dieser Versorgungsform systematisch ausblendeten (vgl. Streiffeler 2001: 169). Möglicherweise handelt es sich aber bei dem Phänomen der städtischen Landwirtschaft um eine Produktionsweise, die sich in dem dichotom verfassten Begriffsrahmen von Tradition versus Moderne bzw. Land versus Stadt, nur unzureichend erfassen lässt. Aus einer solchen Perspektive würde dann innerstädtische Lebensmittelproduktion auch nicht als ‚transitorisch‘ erscheinen, sondern als Teil eines vergleichsweise gut angepassten und effizienten Versorgungssystems, welches durch ein hohes Maß an Kontinuität und Flexibilität gegenüber wechselnden Rahmenbedingungen charakterisierbar ist. Möglicherweise stimmt es, dass „in systems where such non-market distribution networks cross-cut the spatial division between city and country, the effect of increased urban demand cannot be predicted by a formal model“ (Guyer 1987: 13).
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Ein weiteres Charakteristikum der Versorgung früher urbaner Räume Afrikas, das eng mit spezifischen afrikanischen Urbanisierungsmustern verbunden ist, ist die geringe Spezialisierung und Differenzierung des Systems: So haben sich mit Blick auf die urbane Nahrungsversorgung weder spezialisierte Berufsgruppen noch entsprechende Märkte ausdifferenziert. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass „African urban demography was characterised by more striking seasonal and annual fluctuations“ (Guyer 1987: 23), so dass die EinwohnerInnenzahl der Städte beträchtlich schwankte. In Bezug auf die alte Ashanti-Stadt Kumasi in Ghana hat Wilks aufzeigen können, dass die Anzahl der ständigen BewohnerInnen zwischen 1800 und 1900 bei ca. 12 000 lag, während der Festivalsaison die Zahl aber ohne weiteres für mehrere Monate auf über 100 000 hochschnellen konnte (Wilks 1975: 74); ähnliche Schwankungen sind auch bei Hopkins in Bezug auf Kano belegt, dessen EinwohnerInnenzahl während der Handelszeit von 30 000 auf 60 000 anwachsen konnte (Hopkins 1973: 19). Aufgrund dieser Fluktuationen konnte sich somit keine ausreichend stabile KonsumentInnenschicht bilden, die eine funktionale Ausdifferenzierung der Angebotsseite eingeleitet hätte. Ein weiterer Grund dürfte auch gewesen sein, dass sich ein städtischer Markt, verstanden „als die früheste Form der Öffentlichkeit im soziologischen Sinne“ (Bahrdt 1998: 83), innerhalb dessen sich Personen in den segmentierten Rollen eines Verkäufers und Käufers begegnen, angesichts der sozialen Strukturen afrikanischer Städte nicht entwickeln konnte: „Population mobility and the social relations which structured it meant that food and people could be brought together in a variety of ways“ (Guyer 1987: 23), so dass „non-market provisioning in staple food was characteristic“ (ebd.: 24). Erstaunlicherweise ist die Sahel-Zone eine der wenigen Regionen Afrikas, die mit Blick auf die Sicherung der Nahrungsversorgung auf eine lange Geschichte professioneller Händler zurück blicken kann, die Nahrungsmittelgüter über weite Entfernungen hin transportierten und handelten (vgl. Roberts 1980). In vielen anderen Gebieten wurde das System der Nahrungsversorgung ganz wesentlich durch die jeweiligen regionalen politischen Macht- und Herrschaftsverhältnisse und damit verbundenen Produktionsstrukturen bestimmt, die sowohl eine Ausdifferenzierung in einen Stand unabhängiger Produzenten als auch Konsumenten über lange Zeit hinweg wirkungsvoll unterbanden. Vor diesem historischen Hintergrund gewinnt auch die lange Geschichte der urbanen Subsistenzwirtschaft eine weitere Facette: Wenngleich außer Frage steht, dass diese auf der einen Seite ein wichtiges adaptives Moment vieler urbaner Nahrungsversorgungssysteme an lokale Klimabedingungen verkörperte, so scheint sie auf der anderen Seite für viele StadtbewohnerInnen auch wirkungsvoller Schutz gegenüber einer von der politischen Willkür regionaler Herrscher abhängigen Verteilung der Lebensmittel gewesen zu sein.
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Koloniale Herrschaft und urbane Nahrungsversorgung Für die Versorgung der Städte bedeutete die Zeit der kolonialen Herrschaft einen ähnlich tiefen Einschnitt wie für die anderen Bereiche afrikanischer Gesellschaften. Nachdem eine Vielzahl der ebenfalls für die Transformation der Nahrungsversorgungssysteme zentralen Aspekte kolonialer Herrschaft bereits in früheren Teilen dieser Arbeit ausführlich dargestellt wurde, genügt es an dieser Stelle, die wichtigsten Punkte schlaglichtartig zu beleuchten. Im Hinblick auf die ‚geheime Geschichte‘ des Hungers ist bereits deutlich geworden, dass ein auf Nahrungsmittelsicherheit ausgelegtes Versorgungssystem durch den Ausbau kapitalistischer Exportproduktion vielerorts nachhaltig in die Krise gestürzt wurde. Die folgenreiche Umstellung vieler lokaler Systeme von food crops auf cash crops demontierte frühere Stabilitäten73. Auch die demografischen Auswirkungen des Sklavenhandels haben in Teilen des ruralen und urbanen Afrikas eine krisenhafte Transformation der Nahrungsversorgung eingeleitet, wenngleich dieser Punkt in der wissenschaftlichen Debatte nicht unumstritten ist. Zweifelsohne gehört die Sklaverei zu einem der strittigsten Themen der afrikanischen Geschichte. Lässt sich teilweise noch ein Konsens ob des quantitativen Umfangs des transatlantischen Sklavenhandels erreichen, bleiben die Einschätzungen bezüglich der langfristigen sozio-politischen und demografischen Folgen des Sklavenhandels kontrovers (vgl. Eckert/Harneit-Sievers 1994: 120f.). Tetzlaff und Jakobeit formulieren in diesem Zusammenhang die entscheidende Frage: „War es nur eine Episode im Auf und Ab der Jahrhunderte, aus der die Afrikaner letztlich doch als Überlebende und Sieger hervorgegangen sind, also ein akzidentielles Ereignis ohne strukturbildende Kraft, oder war es im Gegenteil der externe Schock schlechthin, ein fundamentaler Umbruch, das heißt ein gewaltsamer Einbruch in die eigenen Institutionen und Sinnzusammenhänge, die die bestehende Kluft zwischen Afrika und Europa künstlich und gewaltsam vergrößerte?“ (Tetzlaff/Jakobeit 2005: 43) Betrachtet man den Sklavenhandel mit Blick auf seine Auswirkung auf die Nahrungsversorgungssysteme scheint mir die Antwort allerdings eindeutig74. Zunächst einmal ist gut belegt, dass die mit der Sklaverei ein73 Dennoch sollte an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass eine solche Position auch ihre Gegner hat. Iliffe beispielsweise argumentiert in seinem Buch „The African Poor“ (1987) in eine Richtung, die durchaus die Interpretation zulässt, dass die vielerorts angespannte und krisenhafte Nahrungsversorgung sowohl im urbanen als auch im ländlichen Bereich durch den kolonialen Handel und den damit verbundenen Ausbau der Transportinfrastruktur nachhaltig entschärft wurde. 74 Auch hier gilt, dass es letzten Endes sehr schwierig ist, pauschale Einschätzungen für den ganzen Kontinent zu treffen. Auf einer allgemeinen Ebene sind es sicherlich die Positionen von Lovejoy einerseits, dessen Transformationsthese zufolge der Sklavenhandel zu tief greifenden Veränderungen der politischen, sozialen und ökonomischen Landschaften Afrikas führte (vgl. Lovejoy 1983 u. 1989), und die Position von David Eltis andererseits, der in seiner Studie zu dem Schluss gelangt, dass in vielen Teilen Afrikas der Sklavenhandel nur marginalen Einfluss auf gesellschaftliche Prozesse hatte (Eltis 1987), die das Spektrum der Positionen abstecken. Eine Vielzahl von einzelnen Studien legt allerdings den Schluss nahe, dass sich die
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hergehende andauernde Bevölkerungsreduktion und die dadurch erzwungenen Migrationen die traditionellen Anbau- und Bodennutzungssysteme sowohl der ländlichen als auch der urbanen Gebiete permanent zerstörten und in der Folge vielerorts schwere Nahrungskrisen auslösten (vgl. Rodney 1976, Lovejoy 1989, Watts 1993, Harding 1999). Rodney verweist darauf, dass im „Kampf um die Dienstbarmachung der Natur“ (Rodney 1976: 83) die menschliche Arbeitskraft in Afrika den knappsten und damit wichtigsten Produktionsfaktor darstellte. In dieser Hinsicht hatte die Sklaverei zwei entwicklungshemmende Auswirkungen: Zum einen fehlte schlicht und ergreifend die menschliche Arbeitskraft, von einer Akkumulation derselben ganz zu schweigen, die zur Aufrechterhaltung der Versorgung notwendig gewesen wäre, zum anderen leitete sie aber in den Augen Rodneys einen technologischen Stillstand ein, indem die Menschen in erster Linie um ihr Überleben kämpften mussten und weniger mit einer Verfeinerung ihrer Produktionsmethoden befasst waren (Rodney 1976: 89). Obwohl Iliffe eher die These vertritt, dass Afrika aus der Periode des Sklavenhandels mit größtenteils intakten sozialen und politischen Institutionen hervorgegangen ist, räumt er doch mit Blick auf die technologische Entwicklung ein: „Afrika südlich der Sahara war technologisch ohnedies bereits ins Hintertreffen geraten, doch der transatlantische Sklavenhandel verstärkte diese Rückständigkeit.“ (Iliffe 2000: 172) Und auch wenn hier bei Iliffe unterschwellig eurozentrische Bewertungen von ‚Entwicklung‘ unübersehbar mitschwingen, stellt der fehlende Raum für technologische Entwicklungen zweifelsohne einen der wichtigsten Gründe für die koloniale „Unterentwicklung“ (Rodney) Afrikas dar. Aber auch die später einsetzende koloniale Nahrungsmittelpolitik implizierte eine Vielzahl politischer, ökonomischer und technischer Regulationen, deren Auswirkungen allerdings positiv wie negativ waren. Zunächst hebt Dijkstra hervor, dass vor allem die in britischen Kolonien gewährte Möglichkeit, erhobene Steuern in Form von Lebensmitteln zu begleichen als auch die garantierte Surplus-Abnahme Produktivitätsschübe im landwirtschaftlichen Bereich auslösten, von denen im Wesentlichen die städtischen Bevölkerungen profitierten (Dijkstra 1995: 21). Der bereits erwähnte Ausbau der materiellen Infrastruktur, insbesondere durch den Ausbau von Straßen und Eisenbahnlinien, senkte zwar die transportbedingten Verluste der einzelnen Nahrungsmittel, führte aber auch zu Niedergang und Aufstieg derjenigen urbanen Zentren, die an diese Netz angeschlossen beziehungsweise nicht angeschlossen wurden, wie Noah exemplarisch am Beispiel von Nigeria aufgezeigt hat (Noah 1989, auch Coquery-Vidrovitch Bedeutung und die Auswirkungen des Sklavenhandels von Region zu Region stark unterschieden haben (vgl. Eckert/Harneit-Sievers 1994: 123). So waren beispielsweise die Küstenregionen sicherlich in weitaus stärkerem Maß vom Sklavenhandel betroffen als zentralafrikanische Regionen. Weiterhin wird in der Regel der Schwerpunkt auf den transatlantischen Sklavenhandel gelegt, während sowohl der transsaharische als auch der Sklavenhandel über das Rote Meer und den Indischen Ozean weit weniger Beachtung in der Forschung fand (vgl. Manning 1990).
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2005a: 25). Weiterhin erfuhr die Nahrungsmittelversorgung vor allem entlang der Transportrouten kolonialer Exportgüter, die die einzelnen Städte miteinander verbanden, unerwartete Professionalisierungsschübe, indem sich eine Schicht auszubilden begann, die aufgrund ihrer Lebensumstände nicht in der Lage war, sich selber zu versorgen, und damit wider Willen zu einer „consumer population“ (Guyer 1987: 27) wurde: die Träger kolonialer ‚cash-crop‘-Produkte. Angesichts ihrer Tätigkeit waren sie weder in der Lage, ihre eigenen Lebensmittel anzubauen, noch diese in ausreichendem Maße bei sich zu führen, so dass sich entlang dieser Transportwege zur Versorgung der vielköpfigen Karawanen ein Netz von Lebensmittelverkäufern etablierte; ein Prozess, der in ähnlicher Weise für die Plantagen-, Minen- als auch für die Dockarbeiter kolonialer Wirtschaftszentren galt (vgl. Cooper 1977, Iliffe 1979). Postkolonialismus und urbane Nahrungsversorgung Auf die Nahrungsmittelpolitik postkolonialer afrikanischer Staaten kann hier nicht ausführlich eingegangen werden (vgl. Raikes 1991, Schraeder 2004: 137f.), zumal einzelne Aspekte bereits im Rahmen der Diskussion internationaler Verflechtungen der Nahrungsmittelproduktion ausgeführt wurden. Zunächst einmal lässt sich mit Blick auf die Entwicklung der Nahrungsversorgung eine zum ökonomischen Wachstum der ersten Unabhängigkeitsjahre ähnliche Verlaufskurve nachzeichnen. Für den Zeitraum von 1954 bis zu den späten 1960er Jahren dominierten in erster Linie positive Einschätzungen der Leistungsfähigkeit afrikanischer Systeme der Nahrungsversorgung (vgl. Bauer 1954, Hill 1966, Dean 1963). Insbesondere die westafrikanischen Staaten und ihre Nahrungsversorgung zeichneten sich durch ihre „unobtrusive efficiency“ (Hopkins 1973: 244) aus; eine Einschätzung, die auch W.O. Jones bezüglich der Versorgung urbaner Räume teilt: „The truth of the matter is that they have done a remarkably good job of their first task, which is the provisioning of cities and towns.“ (Jones 1972: 18) Als Faktoren des Erfolgs galten dabei die Vitalität des lokalen Unternehmertums (vgl. Bauer 1954), die Unabhängigkeit der Preisentwicklung von tradierten Strukturen (vgl. Dean 1963) und die typisch westafrikanische Institution der periodisch statt findenden Märkte (vgl. Hill 1966). Vor allem der letzte Aspekt ist mit Blick auf die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Prozessen der Urbanisierung und der Struktur der Versorgungssysteme aufschlussreich. Anfang der 1970er Jahre gab es in Bezug auf das westafrikanische System der periodischen Märkte eine Vielzahl von Veröffentlichungen, so dass für Smith die „periodicity of occurence is perhaps one of the bestknown feature of West African Markets“ (Smith 1971: 319). Periodisch stattfindende Märkte galten als ein typisches Merkmal westafrikanischer „market regimes“ (ebd.: 320), wobei der Zeitraum zwischen den Markttagen von zwei bis zu maximal acht Tagen schwanken konnte (vgl. Hill 1966). Auch wenn über die sozialen und kulturellen Wurzeln der Entstehung dieser Institution Uneinigkeit herrscht, so hat Stine 1962 aus ökonomischer Sicht dahingehend argumentiert,
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dass die grundlegende Spannung zwischen dem Bedürfnis nach einer Ware und dem Aufwand ihrer Beschaffung sowie die teilweise niedrige Populationsdichte wesentlich zu der Entstehung eines periodischen Markssystems beigetragen haben. Im westafrikanischen Kontext hat sich insbesondere die Entfernung, die zur Beschaffung eines Gutes zurückgelegt werden muss, als kritische Größe herausgestellt. Periodisch wandernde und abgehaltene Märkte reagieren auf diesen limitierenden Faktor, indem sie durch ihre Wanderungsbewegung den jeweiligen räumlichen Distanzwiderstand für die jeweiligen VerbraucherInnen auf ein akzeptables Maß reduzieren (vgl. Stine 1962: 74). In einer Übertragung dieser Theorie auf den afrikanischen Kontext äußert Smith daher die These: „By rotating market meetings among a group of market-places on different days, each one can attract a sufficient number of people to justify holding a market.“ (Smith 1971: 325) Für die weitere Analyse der ausgelösten Transformationsprozesse im Zuge des demografischen Wandels hat sich vor allem die Unterscheidung zwischen periodisch und täglich statt findenden Märkten als fruchtbar erwiesen (vgl. Hodder 1971b: 347). Zunächst einmal lassen sich die beiden Marktformen hinsichtlich ihrer ökonomischen Funktionalität von einander unterscheiden, denn während periodische Märkte der „collection, bulking and distribution of local food products, the products of local food processing and local craft industrial products“ (ebd.: 350) dienen, lässt sich „the chief economic function of daily market … as a retail distribution centre – a shopping centre“ (ebd.) spezifizieren. Entscheidend ist aber, dass die Entstehung dieser differenten Marktformen auf das engste mit den Strukturen der Nahrungsversorgung verbunden sind: „The reasons for the difference between periodic and daily markets … lie fundamentally in the fact that periodic markets are in the origin most characteristic of food surplus areas while daily markets are most characteristics of food deficit areas.“ (ebd.: 351) Als logische Konsequenz dieses inneren Zusammenhangs hat sich auch mit fortschreitender Urbanisierung eine signifikante Transformation des Versorgungssystems weg von den (ländlichen) periodischen Märkten hin zu den täglich stattfindenden städtischen Märkten vollzogen. Vor allem für die frühen Jahre der politischen Unabhängigkeit und dem damit verbundenen raschen Wachstum urbaner Räume wurde in Bezug auf die Nahrungsversorgung eine solche Organisation des gesellschaftlichen Wandels als „useful criteria of urbanization in the West African context“ (ebd.: 355) bezeichnet. Mit dem Einsetzen der Wirtschaftskrise Anfang der 1970er Jahre verändert sich auch spürbar der Grundtenor in der Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Nahrungsversorgung. Was den Diskurs um Afrika nun immer stärker zu dominieren drohte war „Africa’s food crisis“ (Eicher 1982). Damit kamen malthusianische Interpretationen des Problemzusammenhangs auf, wie sie bereits ausführlich diskutiert wurden (vgl. III/1.4). Die Schnelligkeit, mit der der „dramatic shift in perception“ (Guyer 1987: 2) einsetzte, veranlasste manche Beobachterin zu der erstaunten Frage: „Have the intervening years been marked more by change within Africa and in her relations with the world economy, or have our own per-
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ceptions of Africa been wrenched into a new frame by an increase knowledge?” (ebd.) Sicherlich haben beide Aspekte zu einer veränderten Wahrnehmung geführt, wenngleich nicht unerwähnt bleiben sollte, dass die Verschlechterung der Versorgungslage für einige ExpertInnen nicht so überraschend kam, wie sie von anderen Autorinnen und Autoren suggeriert wird. So wies beispielsweise Poleman schon 1961 auf die prekäre Versorgungssituation in Ghana hin, dessen Regierung mit sog. ‚Grow-More-Food-campaigns‘ (Poleman 1961: 121) versuchte, der sich abzeichnenden krisenhaften Entwicklung der Nahrungssituation entgegen zu steuern. Ähnliche Bedenken äußerte auch Güsten 1968 in einem Artikel zur Produktivität des landwirtschaftlichen Sektors des bevölkerungsreichsten westafrikanischen Landes Nigeria, welches sich ebenfalls einer ernst zu nehmenden Versorgungskrise gegenüber sah (vgl. Güsten 1968). In den folgenden Jahren herrschte dahingehend ein breiter Konsens, die geringe landwirtschaftliche Produktivität als einen der wichtigsten endogenen Problemherde zu identifizieren. Eine entscheidende Rolle bei der Wahl der zu verfolgenden Strategie zur Verbesserung dieses kritischen Faktors spielte die jeweilige ideologische Ausrichtung der politischen Systeme. Stärker am Modell des westlichen Kapitalismus ausgerichtete Regierungen setzten ihre Hoffnungen auf eine Privatisierung landwirtschaftlicher Betriebe, die, flankiert durch eine gesteigerte Rechtssicherheit in Bezug auf Privateigentum und -kapital, der landwirtschaftlichen Entwicklung entscheidende Anstöße geben sollte. Im Zuge der Entstaatlichung und Parzellierung agrarwirtschaftlicher Großbetriebe sank beispielsweise deren Zahl in Kenya von 1960 bis 1982 von 4000 auf 400 (vgl. Foeken/Verstrate 1992: 18f.). Marxistisch und sozialistische eingestellte Systeme lehnten eine solche Strategie vehement ab: „African Marxist are strongly opposed to private sector involvement in the economy.“ (Schraeder 2004: 137) Im Gegensatz zur einer Privatisierung „the leadership treated the communal ownership of land as the cornerstone of agricultural development“ (ebd.: 138). Beide Systemvarianten einte jedoch eine prinzipielle Vernachlässigung ländlicher und insbesondere landwirtschaftlicher Entwicklung, erschien den meisten Regierungen doch in perfekter Identifikation mit westlichen Modernisierungsvorstellungen ein ausgeprägter landwirtschaftlicher Sektor als Zeichen ausgesprochener Rückständigkeit. Die meisten Entwicklungsstrategien und Regierungsprogramme zielten daher in erster Linie auf das Vorantreiben einer „urban-based industrialization“ (ebd.: 137), so dass die Investionsquote für den landwirtschaftlichen Sektor selten höher als bei 15% lag. Als Reaktion auf die Feststellung, dass „after 20 years of experimentation, there are presently no African models which are performing well“ (Eicher 1982: 161), forderte der Agrarwissenschaftler Eicher eindringlich dazu auf, dass „agricultural stagnation…must be placed before heads of state and planners who … have exhibited a fundamental misunderstanding of incentives, the motivations of their own rural people, and the necessity to overcome technical constraints and restructure agricultural institutions“ (ebd.: 168). Guyer fasste die Situation der Nahrungsversorgung in ihrem Buch 1987 in einem bis heute ak-
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tuellen Resumée als „detrimental combination of backward techniques and predatory state policy“ (Guyer 1987: 3) zusammen. Wie wenig erfolgreich diese endogenen Strategien im Zusammenspiel mit exogenen Faktoren letztlich bis heute waren, hat die ungleiche Geografie des Hungers in drastischer Weise deutlich gemacht (vgl. III/1.1): Von den rund 842 Millionen Unterernährten leben ca. 798 Millionen in afrikanischen Ländern.
3.2 Ausgewählte Problemzusammenhänge aktueller urbaner Nahrungsversorgung In welcher Weise sind nun die urbanen Agglomerationen von der oftmals desolaten allgemeinen Versorgungslage betroffen beziehungsweise mit welchen spezifischen Problemen werden die Nahrungsversorgungssysteme urbaner Räume in südlichen Regionen konfrontiert? Zunächst einmal geht, ganz ähnlich wie bei der übergreifenden Diskussion des Verhältnisses von demografischer Entwicklung und Nahrung, die Debatte um den Zusammenhang von urbanen Räumen und ihre Nahrungsversorgung von einer eindeutig linearen Kopplung von Wachstum und Bedarfssteigerung aus: „Over the past 25 years, the size and the rate of population increase has been the single most important factor influencing the growth in the demand for food in the poorer countries in the world. According to some estimates, between 50 per cent and 75 per cent of the increases in urban food demand can be explained by the growth in population and the increasing mouths to feed.“ (de Nigris 1997: 4) In dieser Allgemeinheit ist einer solchen Aussage zunächst nicht zu widersprechen: Für ein Versorgungssystem ist es zweifelsfrei nicht unerheblich, wie viele Menschen mit Nahrungsmitteln versorgt werden müssen, und auf dieser Ebene ist der jeweilige Bedarf offensichtlich von der Bevölkerungsdynamik abhängig. Problematisch wird es allerdings spätestens dann, wenn im Rahmen einer neo-malthusianischen Verkürzung kausale Zusammenhänge zwischen Wachstum und Nahrungsmittelverknappung postuliert werden: „With the rapid population growth of cities, serious problems of urban food shortage have frequently arisen.“ (de Nigris 1997: 8) Ziel dieses Kapitels ist es, an einigen Beispielen exemplarisch aufzuzeigen, in welcher Art und Weise Urbanisierungsprozesse Nahrungsversorgungssysteme beeinflussen, welche Rückwirkungen die Struktur der Versorgungssysteme auf Urbanisierungsprozesse hat und welche Wechselwirkungen zwischen beiden Größen bestehen. Dabei müssen neben quantitativen auch qualitative Aspekte demografischer Entwicklung bedacht werden, denn bereits auf einer rein quantitativen Betrachtungsebene ist die Bevölkerungszahl nicht allein ausschlaggebend, sondern muss in ihrer Verteilung und Dichte mit berücksichtigt werden. Bei einer Bevölkerung handelt es sich nicht lediglich um eine bestimmte Anzahl von Menschen, die in einem eingrenzbaren Gebiet leben, sondern um Individuen und Gruppen, die mit ihrer Umwelt interagieren. Die Bevölkerungsentwicklung wird also nicht allein durch demografische Variablen bestimmt, sondern steht in
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Abhängigkeit von ökologischen, sozio-kulturellen, ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen (vgl. Hummel et al. 2004: 90). Der nun folgende Überblick über die vielfältigen Probleme der Nahrungsversorgung macht deutlich, dass angepasste Regulationsstrategien der Nahrungsversorgung nicht alleine einer ökonomischen Rationalität geschuldet sein dürfen, sondern eben auch ökologische, soziale und kulturelle Besonderheiten mit berücksichtigen müssen. Zerstörung landwirtschaftlicher Nutzflächen Mit Blick auf die Frage nach den Wechselwirkungen zwischen Urbanisierungsprozessen und Systemen der Nahrungsversorgung kommt der Zerstörung landwirtschaftlicher Nutzflächen durch die Ausbreitung urbaner Räume eine herausragende Bedeutung zu. Zunächst einmal handelt es sich hier nicht um ein ausschließlich ‚afrikanisches‘ Phänomen75: In China gingen zwischen 1987 und 1992 jährlich eine Million Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche verloren und in den Vereinigten Staaten fallen den ausufernden Vorstädten jährlich etwa 400 000 Hektar zum Opfer (vgl. Weltbevölkerungsbericht 2001: 40). Trotz des bislang noch geringen Urbanisierungsgrads vieler afrikanischer Länder stellt angesichts ihrer anhaltend hohen Urbanisierungsraten die Zerstörung landwirtschaftlicher Produktionsflächen jedoch ein immer ernster zu nehmendes Problem auch für afrikanische Urbanisierungspfade dar. Abidjan ist in den letzten zehn Jahren von 400 auf 627 Quadratkilometer angewachsen, Accra hat sich mit einer Einwohnerzahl von ca. 1,8 Millionen in den letzten zwanzig Jahren mehr als verdoppelt (vgl. UN-Habitat 2004: 71). Gleichzeitig vergrößerte sich die Stadtfläche um enorme 318% (vgl. Yeboah 2000). In Accra gehen jedes Jahr im Durchschnitt 3000 Hektar entweder direkt durch Häuserbau oder indirekt durch Sand- und Steingewinnung verloren. Dies erscheint vor allem dann problematisch, wenn weite Teile der städtischen Bevölkerung durch Lebensmittelerzeugnisse ernährt werden, die im unmittelbaren urbanen Hinter- und Umland hergestellt werden; ein Umstand, der umso schwerer wiegt, als sich urbane Zentren oftmals in besonders fruchtbaren Gebieten entwickelt haben (vgl. ausführlicher Kap. III). Aus ökologischer Sicht ist eine direkte Folge der damit zusammenhängenden Vernichtung landwirtschaftlicher Nutzflächen vielerorts das Ausweichen in öko75 Wenngleich angesichts der geringen landwirtschaftlichen Produktivität vieler südlicher Regionen der Verlust von fruchtbarem Farm- und Ackerland infolge ausgreifender urbaner Siedlungsstrukturen für die Nahrungsversorgung ein größeres Krisenpotential als für nördliche Regionen enthält, wird dennoch in der Literatur oftmals der Eindruck erweckt, dass es sich bei den südlichen Metropolen um ‚parasitäre‘ Gebilde handle, „die krebsartig und auf Kosten des Landes wuchern“ (Ribbeck 2005: 16). Tatsächlich sind aber Formen einer flächen- und energieverbrauchenden hypertrophen Verstädterung vor allem ein Phänomen der Megastädte des Nordens: Während Los Angeles ca. 11 Millionen Einwohner auf einer Fläche von 5000 Quadratkilometern beherbergt, erstrecken sich beispielsweise Mexiko-City mit 20 Millionen Einwohnern nur über 1400 und Lagos mit seinen geschätzten 16 Millionen Einwohnern auf 3577 Quadratkilometern (vgl. UN-Habitat 2004: Kap. 3).
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logisch sensible Gebiete, nicht-nachhaltige Nutzung städtischer Anbauflächen zur Nahrungsmittelproduktion und damit verbundene Bodendegradation. Die Defragmentierung räumlicher Ordnungsmuster richtet weiterhin die Aufmerksamkeit auf die komplexen lokalen Landbesitz- und damit verbundener Zugangsrechte afrikanischer Städte. Zunächst einmal wurde Land in den meisten afrikanischen Staaten bereits entweder vor oder kurz nach der Unabhängigkeit verstaatlicht (vgl. Laube 2005: 22). Ein häufig anzutreffendes Umfeld fehlender Rechtsstaatlichkeit und schwacher Regierungsführungen aufgrund fehlender Kontrollund Durchsetzungsmittel führte in Bezug auf die Landnutzung zur Etablierung eines verzweigten informellen Ressourcenregimes, das stark durch traditionelle und gewohnheitsmäßige Rechtsansprüche und Allokationsentscheidungen geprägt ist. Vor einem solchen Hintergrund haben sich ‚westliche‘ Konzepte der Stadtplanung immer wieder als ineffizient herausgestellt (vgl. als Überblick Mabogunje 1990). Auch Rakodi hält resümierend fest: „However, the imported systems based on European legal principles, concepts of tenure and administrative arrangements have failed to cope with rapid urban growth at low-income level.“ (Rakodi 2005: 49) Bei einer solchen Vernichtung genutzter beziehungsweise potenziell nutzbarer urbaner und peri-urbaner Freiflächen handelt es sich keineswegs um einen ‚natürlichen‘ Automatismus im Zuge von Urbanisierungsprozessen. Erst das komplexe Zusammenspiel anhaltender Stadt-Land Migration, Housing-Strategien der ZuwanderInnen und einer nicht zuletzt durch die Weltbank durchgesetzten Strategie der Privatisierung des Baulandes haben wesentlich zu der Ausbildung derartiger Siedlungsmuster beigetragen. Durch die neoliberale Strategie der Weltbank und deren Unterstützung von Regierungsseite wird der städtische Raum zu einer Ware, in dessen Folge die Chancen, Räume zu konstituieren, hochgradig ungleich verteilt sind. Außerdem wird hier wieder die Notwendigkeit eines sozial-ökologischen, integrativen Ansatzes meines Erachtens unübersehbar: Viele Einzelphänomene beziehungsweise -probleme afrikanischer Städte werden überwiegend isoliert betrachtet und behandelt. Obwohl Wohnungsmarktsituation, Zerstörung landwirtschaftlicher Nutzflächen und Transformationsprozesse des Nahrungsversorgungssystems eng gekoppelt sind, werden sie selten in einen differenzierten Zusammenhang gestellt. Soziale Konflikte und ökologische Probleme werden getrennt bearbeitet und wahrgenommen und verdecken dabei grundlegend die Hybridität vieler Krisenphänomene, die sich gerade aus einer Überlagerung gesellschaftlicher und natürlicher Prozesse ergibt. Wasserverschmutzung, Wasserarmut und steigende Nutzungskonkurrenzen Die Kehrseite der fehlenden städtischen Abwasserentsorgung ist oftmals die mangelnde Versorgung mit Wasser. Zunächst spiegelt die krisenhafte Wasserversorgung afrikanischer Städte nur ein größeres, weltweites Problem der Wasserversorgung wider: Weltweit haben 1,2 Milliarden Menschen keinen Zugang zu ausreichend sauberem Wasser, 2,4 Milliarden Menschen stehen keine adäquaten
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sanitären Einrichtungen zur Verfügung und ca. 2 Millionen Kinder sterben jährlich an wasserbürtigen Krankheiten (vgl. UNESCO 2006, UNDP 2006). Vor diesem Hintergrund formulierte die UN auf dem Weltgipfel in Johannesburg im Rahmen der Millenium Development Goals nicht nur das ohnehin anspruchsvolle Ziel, die Zahl der Hungernden bis 2015 zu halbieren, sondern auch die Zahl derjenigen Menschen, die nur über einen ungenügenden Zugang zu Trinkwasser und sanitären Einrichtungen verfügen. Für südliche Regionen geht die UN davon aus, dass etwa ein Viertel bis die Hälfte der StadtbewohnerInnen nur über einen unangemessenen Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen verfügen (UNSECO 2006: 91). In der Regel werden dafür vor allem die bereits beschriebenen sozio-ökonomischen Merkmale urbaner Räume verantwortlich gemacht. Die weitgehende Entkopplung zwischen Urbanisierungsprozessen und wirtschaftlicher Entwicklung und das damit verbundene niedrige Durchschnittseinkommen sowie ein Versagen der afrikanischen politischen Eliten im Rahmen einer „politics of belly“ (Bayart 1993), die tief greifende und notwendige Reformen immer wieder durch korrupte Strukturen vereiteln, führten dazu, dass „infrastructure and service provision have been unable to keep pace with rapid urban growth“ (Rakodi 2005: 49). Die Wurzeln der Versorgungsmisere sind jedoch auch hier im Wesentlichen kolonialen Ursprungs. Die erfolgte Betrachtung der geschichtlichen Entwicklung afrikanischer Räume hat deutlich gemacht, dass viele der heutigen metropolitanen Zentren auf kolonialzeitliche Initiativen zurückgehen. In der von den Kolonialherren geschaffenen städtebaulichen Ordnung spiegelte sich, wie oben beschrieben, die angestrebte gesellschaftliche Ordnung wider, insofern in vielen Städten nach Rassen getrennte Zonen eingerichtet wurden: ein eher dünn besiedelter, nach Möglichkeit modernen städtebaulichen Ansprüchen genügender ‚weißer‘ Stadtteil und einem, durch den bereits erwähnten cordon sanitaire davon getrennten, dicht besiedelten ‚schwarzen‘ Stadtteil, dem sanitäre Einrichtungen und Wasserversorgung weitestgehend verwehrt wurden (vgl. Eckert 1996: 2, Davis 2007: 146). Als im Zuge des Postkolonialismus die urbanen Zentren rascher zu wachsen begannen, waren die jeweiligen Regierungen bereits mit den existierenden, gravierenden Mängeln im Bereich der Wasserver- und -entsorgung völlig überfordert, ganz zu schweigen von den Herausforderungen, die der neuerliche Urbanisierungsschub Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre in vielen afrikanischen Ländern bedeutete. Wasserversorgungssysteme sind aber nicht nur unter hygienischen und gesundheitlichen Aspekten von immanenter Bedeutung, sondern sind weiterhin eng mit der Nahrungsversorgung gekoppelt: Wasser ist zum einen eines der elementarsten Lebensmittel, zum anderen setzt landwirtschaftliche Nahrungssicherung eine funktionierende Wasserversorgung voraus. Zugleich ist Bewässerungslandwirtschaft aber auch einer der größten Verbraucher weltweiter Wasserressourcen: 1995 machte die Bewässerungslandwirtschaft ca. 80% der globalen und 86% der Wassernutzung in südlichen Regionen aus (Rosegrant/Cai/Cline 2002: 1), aktuell wird von einer Quote von 70% der Süßwasserressourcen ausgegangen, die in die
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landwirtschaftliche Bewässerung fließen (vgl. Kluge/Liehr/Lux 2006: 349). Dabei hängt die benötigte Wassermenge vom Stand der Bewässerungstechnik und den jeweiligen Anbaumethoden ab. So werden in Frankreich zur Produktion von einem Kilogramm Mais ca. 530 Liter Wasser benötigt, während in Ägypten für die gleiche Menge ca. 1000 Liter aufgewendet werde müssen. Durchschnittlich werden für die Produktion von einem Kilogramm Weizen 1000 Liter, für eine Tasse Kaffee 140 Liter und für Rindfleisch enorme 16000 Liter Wasser benötigt76 (vgl. www.waterfootprint.de). Auch hier wurde in den letzten Jahren mit Rekurs auf das Konzept des ‚ecological footprint‘ die spezifischere Form der ‚water footprints‘ als Maßeinheit für die Belastung der Wasserressourcen in den internationalen Diskurs eingeführt (vgl. Hoekstra/Hung 2002, Hoekstra/ Chapagain 2007): „The water footprint of a nation is defined as the total volume of freshwater that is used to produce the goods and services consumed by the people of the nation. Since not all goods consumed in one particular country are produced in that country, the water footprint consists of two parts: use of domestic water resources and use of water outside the borders of the country.‘‘ (Hoekstra/Chapagain 2007: 36) Wie oben bereits dargestellt, ist aber die Versorgung mit ausreichend Wasser eines der größten Probleme sowohl städtischer als auch ländlicher Räume in Afrika südlich der Sahara. Insofern lassen sich bereits jetzt erheblich Nutzungskonkurrenzen der unterschiedlichen Sektoren Industrie, Landwirtschaft und privater Haushalte um die knappe Ressource Wasser beobachten. Es ist zu erwarten, dass sich derartige Nutzungskonkurrenzen im Zuge der globalen Klimaerwärmung und ausbleibender Regenzeiten für das sub-saharische Afrika noch weiter verschärfen werden, weist diese Region doch die weltweit höchste Abhängigkeit landwirtschaftlicher Produktion vom Regenfeldbau auf (vgl. UNDP 2006: 177). Somit gerät die Wasserversorgung vielerorts von zwei Seiten, der Angebots- und der Nachfrageseite, zunehmend unter Druck: „On the demand side industrialization, urbanization and changing diets will increase demand for food and the water use and its production. On the supply side the scope for expanding access to irrigation water is limited. It is this imbalance between supply and demand that is driving adjustment pressures“ (UNDP 2006: 175). Eine solcherart krisenhafte Verschärfung der Wasserversorgung gefährdet nicht nur die landseitige, sondern auch die stadtseitige Nahrungsproduktion. In 76 Eng mit Vorstellung eines ‚water footprint‘ und der darin enthaltenen Messung globaler Wasserströme ist das Konzept des ‚virtuellen Wassertransfers‘ verbunden, das auf einer einfachen und einsichtigen Idee basiert: Als virtuelles Wasser wird jenes Wasser bezeichnet, welches für die Herstellung von Produkten und Dienstleistungen unterschiedlichster Art aufgewendet werden muss. Am Ende des Produktionsprozesses ist der eingegangene Wasseranteil allerdings in der Regel nicht mehr sichtbar, daher die Bezeichnung als ‚virtuell‘. Damit wird prinzipiell ein gezielter Ausgleich weltweit ungleich verteilter Wasserverfügbarkeiten denkbar, indem versucht wird, Wasserdefizite in wasserarmen Ländern durch den Import von wasserintensiven Gütern auszugleichen (vgl. Chapagain 2006, Horlemann/Neubert 2006).
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den letzten Jahrzehnten hat das Phänomen der urbanen Landwirtschaft bei der urbanen Nahrungssicherung eine immer größere Aufmerksamkeit seitens der Wissenschaft erfahren (vgl. Drescher 1998, Maxwell et al.1998, Bakker 2000, Streiffeler 2001, Brown 2006). Nachdem die urbane Landwirtschaft im Rahmen der Fallstudie zur Nahrungsversorgung Accras noch eine zentrale Rolle spielen wird, genügen an dieser Stelle einige kurze Anmerkungen. Neuere Studien dokumentieren den enormen Beitrag, den diese Form der Nahrungsmittelproduktion zur Nahrungssicherung vor allem ärmerer städtischer Bevölkerungsschichten leistet: Weltweit werden 700 Millionen Stadtbewohner mit Produkten aus urbaner Landwirtschaft versorgt, in Dar Es Salaam eröffnen 650 Hektar innerurbaner landwirtschaftlicher Fläche 4000 Personen Einkommen und Nahrungssicherheit, in Dakar werden auf der Größe von einem Quadratmeter großen Dächern jährlich zwischen 18 und 30 Kilogramm Tomaten produziert, in Hanoi stammen 80% und in Accra 60% der Gemüsesorten aus urbaner Landwirtschaft77 (vgl. FAO 2005b). Mit Blick auf die Wasserversorgung wird die städtische Landwirtschaft jedoch von mehreren, miteinander zusammenhängenden Seiten ernsthaft bedroht: Zum einen erfährt der potenzielle Beitrag urbaner Landwirtschaft angesichts der ungenügenden infrastrukturellen Wasserversorgung der meisten afrikanischen Städte eine gleichsam ‚natürliche‘ Grenze, zum anderen führt die als Adaptionsstrategie häufig zu beobachtende Verwendung von belasteten Abwässern, die in der Regel eine deutliche Erhöhung der Schadstoffbelastung der angebauten Pflanzensorten bedeutet, zu einer Unterbindung urbaner Landwirtschaft seitens städtischer Gesundheitsbehörden. Weiterhin führt die städtische Wasserknappheit zu einer Verschärfung der sektoralen Nutzungskonkurrenzen zwischen Industrie, der Verwendung in Haushalten und der Sicherung der stadtseitigen landwirtschaftlichen Produktion, innerhalb derer Formen urbaner Landwirtschaft nicht selten das Nachsehen haben. Land-Stadt Migration und urban-rurale Netzwerke der Versorgung Aus bevölkerungssoziologischer Sicht ist zunächst festzuhalten, dass Urbanisierungsprozesse aus zwei Gründen demografisch bedeutsam sind (vgl. Höpflinger 1997: 107): Zum einen handelt es sich bei dem Wachstum von urbanen Agglomerationen zu einem wesentlichen Anteil um das Resultat von Wanderungsbewegungen, nämlich von Land-Stadt Wanderungen78. Migrationsbewegungen79
77 Auch wenn Formen der urbanen Landwirtschaft ein in südliches Regionen weit verbreitetes Phänomen darstellen, sind sie entgegen einem häufig anzutreffenden Vorurteil doch nicht auf diesen geografischen Raum beschränkt: So produzieren beispielsweise immerhin 14% der Einwohner und Einwohnerinnen Londons ihr eigenes Gemüse und innerhalb Vancouvers sind es sogar 44% (vgl. Brown 2006: 215). 78 Allerdings variiert das Verhältnis von Zuwanderung und natürlichem Wachstum je nach Metropole bzw. betrachteter Region. In der Literatur findet sich häufig eine 40/60 Aufteilung: 40% des urbanen Wachstums werden von Land-Stadt Wanderun-
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diesen Ausmaßes verändern Bevölkerungszahl und -struktur sowohl des Ein- als auch des Auswanderungskontextes. Zum anderen verändert sich als eine weitere direkte Folge die räumliche Verteilung der Bevölkerung auf entscheidende Weise. Beides sind Aspekte, die mit Blick auf die Situation der Nahrungsversorgung von zentraler Bedeutung sind. Mit der Frage nach den Auswirkungen derartiger Wanderungsbewegungen auf die Ernährungsversorgung wird die Relevanz der eingeforderten engen Verknüpfung von quantitativen demografischen Prozessen und qualitativ sozialen Veränderungen ebenso deutlich, wie die in südlichen Regionen nach wie vor enge Verkopplung von landseitiger Ernährungsproduktion und stadtseitigen Bedarfslagen: „The rapid drift of rural people to towns creates a number of problems relevant to food and nutrition. These problems are generally associated with changes in the occupational structure and geographical distribution of the labour force and with the shift from a subsistence economy typical of the rural areas to a monetary economy.“ (FAO 2000: 8) In den meisten afrikanischen Ländern ist die Landflucht der überwiegend jüngeren Arbeitskräfte aus den vermeintlich besseren Verdienstmöglichkeiten in den anwachsenden Städten heraus motiviert. Häufig soll und muss dabei jedoch die auf dem Lande gebliebene Familie finanziell mitversorgt werden. Aufgrund der insgesamt schlechteren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in diesen Ländern bewirken solche Bewegungen Strukturschwächungen und Versorgungsprobleme sowohl der Städte als auch der ländlichen Regionen: Durch Wegfall der leistungsfähigsten Arbeitskräfte wird die landwirtschaftliche Produktivität deutlich vermindert, bis hin zur Gefährdung der Selbstversorgung. Hinzu kommt, dass agrarisch geprägte Versorgungsstrukturen, wie sie in weiten Teilen Afrikas zu finden sind, wegen der notwendigen Lokalkenntnisse für einen erfolgreichen Anbau aber auch auf Grund der meist komplexen Eigentumsregelungen der Produktionsmittel zumeist eine relativ sesshafte Bevölkerung erfordern80 (vgl. Goetgen bestimmt, die restlichen 60% umfassen internes Bevölkerungswachstum (vgl. Höpflinger 1997: 107, UNFPA 2006: 40). 79 Migrationsbewegungen können vielfältige und komplexe Formen annehmen: von innerstädtischem Wohnungswechsel einzelner Familien und Haushalte bis hin zu grenzüberschreitenden Auswanderungen ganzer Volksgruppen. Diese Vielschichtigkeit spiegelt sich auch in der Vielfalt an Definitionen wieder (vgl. als Überblick Treibel 1990, Oswald 2007). Migration wird hier verstanden als „längerfristig geplanter und intendierter Wechsel des für die alltägliche Lebensfristung genutzten Aufenthaltkontextes“ (Goetze 2002: 219). 80 Ähnliche Zusammenhänge von demografischer Veränderung und Versorgungslage lassen sich aber auch für ‚entwickelte‘ Regionen beschreiben. So veröden im europäischen Raum ehemalige Agrarregionen sozial und ökonomisch, weil speziell die jungen BewohnerInnen in die oder nahe zu den Zentren ziehen. Bei entsprechender landschaftlicher Attraktivität dienen die schrumpfenden Dörfer bestenfalls der touristischen Erschließung durch bzw. als Zweitsiedlungsstätte für mobile, wohlhabende Städter (Fernurbanisierung) (Berger 2003: 57ff). Die schrumpfende Agrarproduktion wird jedoch durch das Wachstum anderer Wirtschaftssektoren und zunehmenden Nahrungsmittelimport kompensiert. Die vergleichsweise hohe Kaufkraft,
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ze 2002: 221). Besorgniserregend ist in diesem Zusammenhang auch die Ausbreitung der Aids-Pandemie in Afrika. 2003 überstieg HIV/Aids als Todesursache kriegerische Konflikte um das Zehnfache, wodurch die durchschnittliche Lebenserwartung auf das Niveau vor 1959 zurück sank (vgl. UNAIDS/WHO 2006)! Auch für die Nahrungsversorgung geht von der Immunschwäche eine gefährliche Sogwirkung aus, fehlen dem ohnehin schon angeschlagenen Produktionsprozess dadurch weitere Arbeitskräfte. In einigen stark betroffenen Ländern der südlichen Sahara sinkt der Produktionsoutput bis um dramatische 18% pro EinwohnerIn (vgl. Gronemeyer 2002, Andersen/Brunne 2003). Hinzu kommt, dass vor allem in Afrika viele Regionen landesweit nur über ein einziges metropolitanes Zentrum verfügen. Dies ist im Zusammenhang mit dem Versorgungssystem der Nahrung aus drei Gründen wichtig: Erstens werden selbst bei nationalen Engpässen in der Nahrungsversorgung große Teile der im Inland produzierten Güter weiterhin exportiert, um die ohnehin schon wirtschaftliche Randstellung der Stadt nicht weiter zu gefährden. Zweitens bewirken soziale Ungleichheitslagen, dass bei Engpässen in der Nahrungsversorgung die Sicherstellung der Grundversorgung städtischer Eliten eindeutigen Vorrang genießt. Drittens wirken diese Städte gleichsam wie Gravitationszentren der umfangreichen Land-Stadt Migrationen, was die Problematik der Abwanderung landwirtschaftlich einsatzfähiger Bevölkerungsanteile weiter verschärft. Die wichtigsten Konsequenzen der Land-Stadt gerichteten Migrationsströme lassen sich in Bezug auf die Nahrungsversorgung zu folgenden Punkten zusammenfassen, die sich für die meisten Regionen Afrikas als charakteristisch erwiesen haben (vgl. Hauser 1991: 479f., Bähr 1997: 356f.): Durch die Abwanderung der qualifiziertesten Arbeitskräfte erleidet der ländliche Raum anhaltend einen sog. ‚brain drain‘ (Twumasi-Ankrah 1995: 13). Die am Ort Verbliebenen sind vielfach nicht mehr in der Lage, die Verluste an Wissen und Arbeitskraft zu kompensieren, was in der Folge zu erheblichen Produktionseinbußen und zu einer Gefährdung der Nahrungsversorgung führt. Diese Krisenhaftigkeit wird weiterhin durch den Umstand verschärft, dass der prozentuale Anteil von Alten und Kindern durch die Migration steigt, so dass immer weniger Menschen mehr Erwerbstätige ernähren müssen, was seinerseits die Migrationsspirale erneut weiter dreht. Eine solche ländliche Versorgungskrise verschlechtert allerdings angesichts der vielfältigen ‚rural-urban links‘ auch die urbane Versorgungslage: Die landseitige Produktion bricht mehr und mehr weg und die migrationsbedingte soziale Desintegration gefährdet die Funktionsfähigkeit der überlebenswichtigen sozialen Netzwerke: „In the West towns have played a locomotive role by foresting trade, making it possible to collect and disseminate information, acting as a place for the accumulation of capital and wealth, and towns have had a dynamizing effect on the countryside. In Africa, the towns appear to have a reverse funktionsfähige Infrastrukturen und soziale Sicherungssysteme garantieren dabei ein sicheres und erschwingliches Nahrungsmittelangebot.
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role: they are draining energy from the countryside.“ (Padilla 1997: 7) Oberai kommt zu einer ähnlichen Einschätzung, wenn er vor allem die Rolle der ländlichen Armut bei Migrations- und Urbanisierungsprozessen betont: „Thus urban growth here, far from being a response to increased productivity and higher standards of living, has been largely influenced by the pressure of rural poverty.“ (Oberai 1993: 25) Weiterhin basieren urbane Formen der Subsistenzwirtschaft häufig auf vergleichbaren Sozialstrukturen wie die ländliche Landwirtschaft (vgl. Cole/Sanders 1985). Vor allem für sehr junge und sehr alte Stadtbewohner bieten diese Netzwerke81 verwandtschaftlicher Solidarität oftmals die einzige Überlebensmöglichkeit. In der Folge bleiben selbst in urbanen Ballungsräumen Afrikas dörfliche Strukturen erhalten, wodurch die Städte oftmals eine „rural-urbane Ausrichtung“ (Höpflinger 1997: 114) erfahren. Somit besteht nicht nur auf einer Makroebene eine enger Zusammenhang zwischen Transformationen und Krisen der Nahrungsversorgung und rural-urbanen Migrationsmustern. Auch auf der Ebene der alltäglichen Lebensführung bilden Stadt und Land in vielen Regionen Afrikas eine enge Symbiose: „Urban and rural lives are intertwined through goods, services and people … and survival strategies often involve maintaining links with a home community in rural areas“ (Garrett 2000: 1). Angesichts dessen „policies for improving urban livelihoods, then, must take into account the complexity of urban-rural links and recognize that rural conditions affect urban livelihoods as well“ (ebd.). Derartige Formen urban-ruraler Netzwerke haben angesichts der einschneidenden Maßnahmen der Strukturanpassungsprogramme weiterhin an Bedeutung zugenommen. Ernährungsexperten gehen davon aus, dass angesichts der Kostenspirale der ursprünglich hohe Anteil käuflich erworbener Lebensmittel immer weiter zurückgeht und der Anteil der Versorgung durch sog. „grassroots circuits“ (Padilla 1997: 9) auch über 20% angestiegen ist (vgl. ebd.). Gleichzeitig wird die Aufrechterhaltung dieses subsistenzsichernden Beziehungsgeflechts immer fragiler: „Urban-to-rural household remittances are declining, while the ability of poorer urban households to import food for their own consumption from their rural relatives is increasingly difficult due to spiraling costs of transport. “ (Drescher/Iaquinta 2002: 24) ‚Urbanisierung‘ der Ernährungsgewohnheiten Die qualitative Änderung von Ernährungsgewohnheiten und damit verbundener Konsummuster im Zuge von Urbanisierungsprozessen lässt sich nur schwer quantifizieren. Bei der Untersuchung kultureller Leitbilder von Urbanität auf das Versorgungssystem der Nahrung lassen sich in erster Linie ernährungssoziologische Überlegungen fruchtbar machen. Jedes Nahrungsmittel besitzt über seine 81 Auf die Bedeutung eben solcher Netzwerke bei der Nahrungsversorgung wird noch weiter unten bei der Behandlung eines zentralen Merkmals der urbanen Sozialorganisation von Entwicklungsländern, der Armut, einzugehen sein.
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eigentliche stoffliche Struktur hinaus eine Aufladung mit Bedeutung, die sich historisch und kulturell wandeln kann. Durch eine rituelle, religiöse oder sozialstrukturelle Überformung von Nahrung bilden sich somit Nahrungssysteme heraus, die technisch, räumlich und zeitlich, aber eben auch wesentlich soziokulturell codiert sind (vgl. II/2). Diese Verankerung von Nahrungsmitteln im strukturierten sozialen Raum lassen sich empirisch vielfach nachweisen. So lässt sich in einigen afrikanischen Metropolen eine ‚Verwestlichung‘ beziehungsweise ‚Modernisierung‘ von Ernährungsgewohnheiten bei städtischen Mittel- und Oberschichten beobachten. Die Imitation vermeintlich moderner Konsummuster besteht vor allem in der Bevorzugung industriell gefertigter und mittels moderner Verfahrenstechniken haltbar gemachter Nahrung (beispielsweise Tiefkühlkost, Dosen etc.).82 Aber nicht nur für die Mittel- und Oberschicht lässt sich ein Wandel der Ernährungsgewohnheiten feststellen. Eine ganze Reihe von Studien hatte zum Ergebnis, dass sich die Nahrungsgewohnheiten und damit die Versorgung mit Nährstoffen vor allem bei den aus den ländlichen Gebieten neu zugewanderten Bevölkerungsgruppen aufgrund eines erhöhten Fett- und Zuckeranteils zunächst signifikant verschlechtert (vgl. als Überblick Aragrande/Argenti 2001). Der Grund für diesen Umstand ist wesentlich in der Monetarisierung städtischer Nahrungsversorgung zu finden: Während traditionelle Grundnahrungsmittel wie Gemüse, diverse Wurzelsorten und Vollkorngetreide auf dem Land im Rahmen von Subsisztenzgemeinschaften einen festen Bestandteil der täglichen Ernährung ausmachen, sind solche Produkte in städtischen Gebieten nur zu vergleichsweise hohen Preisen verfügbar. Was dagegen verhältnismäßig billig zu erstehen ist, sind stark zucker- und fetthaltige Produkte wie beispielsweise Weißbrot und in Fett ausgebackene Teigtaschen. Weiterhin scheinen sich, ähnlich wie in der Ernährungsgeschichte Europas (vgl. Montanari 1993, Lesnicak 2002), in urbanen Räumen verstärkt typisch ‚städtische‘ Ernährungsstile durchzusetzen, die durch den vermehrten Verzehr von Fleischprodukten und Eiern charakterisiert werden können. Im Rahmen veränderter Konsummuster ist regelmäßiger Fleischkonsum zu einem Statussymbol der städtischen Lebens- und Ernährungsweise geworden. Die herausragende Bedeutung des Fleisches hängt damit zusammen, dass sich auch in der Stadt die Vorstellung hält, dass Fleisch und sein Konsum eine sichtbare Verkörperung sowohl von gesellschaftlicher Macht, Geld und Einfluss darstellt als auch von (männlicher) Potenz (vgl. Flynn 2005). Auch Padilla spricht in seiner Untersuchung von einem „new urban consumer“ (Padilla 1997: 9), dessen zentrale Kennzeichen eine Zunahme der Außer-Haus Ernährung, der Durchsetzung tradi82 Das Beispiel impliziert keine normative Wertung. Es soll lediglich die Bedeutung des Zeichencharakters und der sozialräumlichen Verankerung von Nahrung illustrieren. Diesem Konsumstil können problemlos westliche, scheinbar ‚entwickeltere‘ Konsumgewohnheiten städtischer Mittel- und Oberschichten gegenübergestellt werden, die vor allem in der Nachahmung ‚natürlicher‘ und ‚authentischer‘ Lebensund Essgewohnheiten bestehen (vgl. Poferl 1998).
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tioneller Ernährungsgewohnheiten mit „processed products“ (ebd.) und der Zunahme von Weißmehlprodukten sind. Die Effekte, die aus dieser qualitativen Veränderung ehemals traditioneller Ernährungsstile für die Transformation urbaner Nahrungsversorgungssysteme resultieren, sind bislang unklar. Es scheint sich allerdings abzuzeichnen, dass angesichts der deutlichen Zunahme von städtischen Fast-Food Möglichkeiten, sog. ‚chop bars‘ oder ‚street food seller‘, sowohl zusätzliche Einkommensmöglichkeiten generiert als auch aufgrund der benötigten Frische der verarbeiteten Zutaten lokale und regionale Wirtschaftskreisläufe gestärkt werden. Gleichzeitig zieht die Ausfächerung der präferierten Lebensmittel immer größere Nahrungsmittelströme aus dem Hinterland an. Das logistische Dilemma der urbanen Nahrungsversorgung, welches sich dieser Diversifizierung der Nahrungsgewohnheiten ergibt, ist damit nicht selten folgendes: „Menschen, die in den Städten wohnen, verbrauchen mehr Nahrungsmittel und verlangen nach einem vielfältigeren Angebot als Menschen auf dem Land, leben aber weiter entfernt von den Zentren der Nahrungsmittelerzeugung.“ (Halweil/Nierenberg 2007: 137) Urbane Armutslagen und Ernährungsversorgung Die zunehmend schlechte wirtschaftliche Entwicklung der Staatshaushalte seit den 1970er Jahren hatte auch schwer wiegende Auswirkungen auf urbane Nahrungsversorgungssysteme, da „the problem of urban food is made increasingly acute as the ability to finance food imports declines“ (Amis 1990: 7). Tatsächlich sind die Nahrungsmittelimporte in den letzten Jahrzehnten stetig angestiegen: Waren in den 1960er Jahren viele Staaten in der Lage, sich in ausreichendem Maße selber zu versorgen (vgl. Eicher 1982: 156), so beliefen sich die Nahrungsmittelimporte bereits 1974 auf 3,9 Millionen Tonnen und hatten 1985 einen Umfang von 10,2 Millionen Tonnen erreicht (Morrison 1984: 13). Anfang der 1990er Jahre begann die Quote deutlich zu sinken, pendelte sich aber bis heute auf einem anhaltend hohen Niveau ein, wie die aktuellen Daten der FAO widerspiegeln: Djibouti, Mauretanien und Gambia beziehen beispielsweise 77% ihrer Nahrungsmittel, Benin und die Demokratische Republik Kongo ca. 44% und Niger und Angola immerhin noch 27% aus Importen (vgl. www.fao.org). Allerdings wurde meines Erachtens völlig zu Recht davor gewarnt, solche Nahrungsmittelimportraten ausschließlich als Symptom der Krisenhaftigkeit der Nahrungsversorgung zu interpretieren. Zum einen hat Morrison deutlich gemacht, dass die gestiegenen Nahrungsmittelimporte zum Teil auf veränderte Konsummuster im Zuge eines gestiegenen Lebensstandards zurückzuführen sind (vgl. Morrison 1984: 16f.), zum anderen mit dem „access, or potential access, of the United State to markets and raw materials“ (Vengroff 1982: 43) verknüpft sind, die den hoch subventionierten Getreideprodukten der Vereinigten Staaten neue Absatzmärkte eröffnete. Die Konsequenz aus solchen Arbeiten zieht denn auch Guyer, wenn sie dafür plädiert, dass „we can hardly know, from the figures alone, which ‚cause‘ accounts for the level of cereal imports“ (Guyer 1987: 4).
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Allerdings hat sich in den letzten Jahren der Zweifel an Sinn und Zweck krisenbedingter Nahrungsmittelimporte gemehrt, deren Nutzen sich für einige Autoren mehr und mehr als „stumpfes Instrument“ (Clay 2004: 232) der Entwicklungshilfe zu entpuppen scheint. Vor allem in Bezug auf die kurzfristig und krisenspezifisch gewährten Nahrungsmittelhilfen sind zum Teil erbitterte Debatten entbrannt (vgl. Barret/Maxwell 2005 u. 2006, Clay 2006, Gelan 2007). Die eine Seite beharrt darauf, dass sowohl Nahrungsmittelimporte als auch Nahrungsmittelhilfen die ohnehin schon spärlichen Anreize zur Entwicklung inländischer Agrarproduktion bereits im Keim ersticken, indem sie Nahrungsmittelpreise ‚unnatürlich‘ senken und dadurch subtile Formen der Abhängigkeit etablieren (vgl. Clay 2006). Gelan argumentiert in eine ähnliche Richtung, wenn er vor dem Hintergrund eigener Modellierungen davon ausgeht, dass eine Reduktion der Nahrungsmittelimporte sowohl die landwirtschaftliche Produktion um 2,2 bis 4,5% steigern als auch die Arbeitslosenrate um 4% senken würde (Gelan 2007: 454f.). Autoren wie Barret und Maxwell zeigen sich dagegen nach wie vor von den positiven Seiten der Nahrungsmittelhilfe überzeugt, fordern jedoch einen neuen „global food aid compact“ (Barrett/Maxwell 2006: 105), der auf eine bessere Effektivität und Transparenz der Hilfestellungen durch entsprechende MonitoringProzesse zielt (ebd.: 110f.). Auch wenn die diesbezüglichen Statistiken der Weltbank kritisiert wurden, gehört Armut in Afrika zu den dominanten Schicksalserfahrungen. Trotz florierender Weltwirtschaft leiden weltweit ca. 1,2 Milliarden Menschen unter extremer Armut, das heißt sie leben von weniger als einem Dollar pro Tag, immerhin die Hälfte der Weltbevölkerung muss mit zwei Dollar pro Tag auskommen (vgl. UNFPA 2006: 34) und neuere Veröffentlichung ziehen immer stärker in Zweifel, dass das Millenniumsziel der Halbierung der Armut bis 2015 für den afrikanischen Kontinent erreicht werden kann (vgl. Bigsten/Shimeles 2007). Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass Migrationsmuster eine Veränderung der Merkmale einer urbanen Sozialorganisation bewirken. Ein in dieser Hinsicht zentrales Charakteristikum stellt die Erfahrung der Polarisierung sozialer Ungleichheitslagen dar. Polarisierung heißt zunächst: „Die Zahl der Armen steigt, aber ebenso die Zahl der Bewohner mit sehr hohen Einkommen.“ (Häußermann/ Kronauer/Siebel 2004: 7) Armut, ‚urban underclass‘, Ausgrenzung – dass sind die Stichworte, unter denen die spezifisch urbane Form sozialer Ungleichheit diskutiert wird (vgl. als Überblick Häußermann/Kronauer/Siebel 2004). Die gesellschaftliche Lage dieser ‚new urban underclass‘ (vgl. Lash/Urry 1994: Kap. 6) lässt sich durch drei Merkmale charakterisieren: Ursache als auch zentrale Kennzeichen, da sind sich die Sozialwissenschaftler weitestgehend einig, ist zunächst die schwache bis völlig fehlende Anbindung an den Arbeitsmarkt. Eine sich strukturell verfestigende Arbeitslosigkeit führt in aller Regel, wenn sie „nicht über aktiv-netzwerkorientierte Strategien der Bewältigung der Arbeitslosigkeitssituation verfügen“ (Berger/Vester 1998: 22), zu Formen der sozialen
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Isolation. Diese soziale Isolation wird schließlich im Zuge selektiver Mobilität83 von einer räumlichen Segregation begleitet und komplettiert. Laut UN wohnt weltweit ein Sechstel der Bevölkerung in Slums, in den 30 am wenigsten entwickelten Ländern hausen dort sogar 80% der urbanen Bevölkerung (UN-Habitat 2004). Ökonomische Marginalität, räumliche und soziale Isolation schließen sich letztlich zu einem Teufelskreis, in dem sich Ausschluss vom ‚normalen‘ Lebensmodell von selbst reproduziert. Die Armutsquartiere werden somit zu Orten der sozialer Exklusion. Auch wenn der Begriff der Exklusion in neueren Ungleichheitsdebatten prominent vertreten ist, besteht alles andere als ein Konsens über seine Verwendung (vgl. Berger/Vester 1998). Exklusion wird hier im vorliegenden Zusammenhang verstanden als Prozess der Ausgrenzung, in dessen Folge bestimmte Menschen sozialräumlich an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Dieser Vorgang setzt im Innern der Gesellschaft ein und wird von institutionellen Formen sozialer Ungleichheit gespeist. So verstanden „lenkt Exklusion den Blick nicht nur auf die Betroffenen, sondern vor allem auf die Akteure und Institutionen der Ausgrenzung“ (Häußermann/Kronauer/Siebel 2004: 21). Die Thematisierung sozialer Ungleichheitslagen in Zusammenhang mit der Betrachtung des Versorgungssystems Ernährung ist insofern von entscheidender Bedeutung, als ein gesicherter Zusammenhang von sozialer Lage und Ernährungsversorgung besteht (vgl. Prahl/Setzwein 1999: 67). Soziale Ungleichheiten manifestieren sich unter anderem in einem ungleichen Zugang zu materiellen Ressourcen. In Bezug auf das Verhältnis von Einkommen und Nahrungsmittelmenge wurde von dem deutschen Statistiker Ernst Engel (1821-1896) das Engelsche Gesetz formuliert, wonach der Anteil eines Einkommens, den ein Privathaushalt für die Ernährung ausgibt, mit steigendem Einkommen sinkt. Umgekehrt wird in einem armen Haushalt ein überproportional hoher Anteil (bis zu 60%) zur Beschaffung von Grundnahrungsmitteln verbraucht, was ein typisches Kennzeichen materieller Ernährungsarmut darstellt: „Eine ungesicherte Versorgungslage, die Unmöglichkeit zur Bevorratung von Lebensmitteln und zur Bereitstellung regelmäßiger, sättigender Mahlzeiten, der aus Not geborene Verzehr belasteter oder verdorbener Nahrung sowie die Abweichung … von Empfehlungen für die Energie- und Nährstoffzufuhr sind Merkmale für die materielle Ernährungsarmut.“ (Prahl/Setzwein 1999: 71) Angesichts dieser armutsbedingten Versorgungskrisen spielen die bereits erwähnten urban-ruralen sozialen Sicherungsnetzwerken und das dadurch generierte soziale Kapital eine überlebenswichtige Rolle. Da soziale Sicherungssysteme üblicherweise fehlen oder sehr mangelhaft organisiert sind, sind die Betroffenen
83 Formen selektiver Mobilität finden dann statt, wenn beispielsweise die Zahl der Arbeitslosen und Migranten in Stadtvierteln wächst und im Zuge dessen diejenigen, die es sich finanziell leisten können, auch in ‚bessere‘ Wohnviertel ziehen. Dadurch werden soziale Distanzen in neue sozialräumliche Strukturen übersetzt.
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gezwungen, eine eigene Notökonomie aufzubauen. So lässt sich in vielen Städten mit großen Armensiedlungen die Etablierung neuer kultureller Formen, insbesondere von Solidaritätsnetzwerken, beobachten (Goetze 2002: 241). Diese Formen sekundärer Versorgungssysteme sind durch die Kombination nichtstaatlicher und nicht-marktförmiger existenzieller Sicherungsstrategien gekennzeichnet und stellen wichtige Elemente der Nahrungsversorgung weiter Teile der in südlichen Regionen lebenden Bevölkerung dar.
4 . B e vö l k e r u n g , U r b a n i s i e r u n g u n d N a h r u n g – Au f d e m W e g z u r F a l l s t u d i e Welches sind nun die wichtigsten Erkenntnisse, die aus diesem Kapitel festgehalten werden müssen? Ausgangspunkt der Überlegungen war die These von beobachtbaren Diskursaufspaltungen, die die Diskussion um das Verhältnis von Demografie, Nahrung und Urbanisierung kennzeichnen. Diagnostizierbare Probleme werden dann nicht mehr als sozial-ökologische begriffen, sondern entweder in ihre einzelnen Bestandteile aufgetrennt und absolut gesetzt, was in der Konsequenz zu einer Vergesellschaftung der Natur oder zu einer dazu gegenläufigen Naturalisierung der Gesellschaft führt; oder aber die sozialen und ökologischen Probleme werden in ihrer Verschränktheit erst gar nicht wahrgenommen und isoliert voneinander diskutiert. Alle drei Standpunkte blenden systematisch aus, dass ökologische Krisen ebenso wenig Krisen der Natur sind, wie gesellschaftliche Krisen immer ausschließlich sozialen Ursprungs sein müssen, sondern sich oftmals als sozial-ökologische Krisenerscheinungen reformulieren lassen, mithin also die Beziehungen zwischen Individuen, Gesellschaften und Natur in ihrer relationalen Verfasstheit in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt werden müssen. Eine weitere wichtige These dieses Kapitels bestand daher in der Annahme, dass nicht demografische Entwicklungen ‚an sich‘ zu Problemen führen, sondern erst ihre Einbettung in gesellschaftliche Naturverhältnisse und daraus resultierende sozial-ökologische Problemlagen. In dieser Hinsicht lässt sich nach der vorangegangenen Diskussion festhalten, dass trotz einer Vielzahl an Beiträgen zu diesem Thema meines Erachtens keine eindeutigen empirischen Belege dafür existieren, dass sich rasches Bevölkerungswachstum langfristig in eindeutiger und unilinearer Weise negativ auf wirtschaftliche Entwicklung, ‚Modernisierung‘, Ernährungslage oder Umweltressourcen auswirkt. Vielmehr treten im Zuge eines raschen Bevölkerungsanstiegs lediglich die Folgen entwicklungshemmender sozialer und politischer Rahmenbedingungen deutlicher zu Tage: „Allerdings widerspiegelt der Teufelskreis von Armut und hoher Geburtenhäufigkeit primär politische Fehlleistungen, wie machtpolitische Verzerrung von Märkten.“ (Höpflinger 1997: 28) Analysiert man aus sozial-ökologischer Perspektive die Problembeschreibungen und Interpretationsmuster vieler Beiträge zur Bevölkerungsentwicklung, fällt oftmals ihre Unterkomplexität als Folge der vielfältigen histori-
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schen, kulturellen und sozialen Ausblendungen auf (vgl. Hummel 2000: 94). Viele Analysen verbleiben auf einer deskriptiven Ebene und reihen aktuelle Probleme unter Vernachlässigung ihrer historischen Gewachsenheit aneinander; oftmals wird die konkrete materielle Seite lokaler Verhältnisse ausgeblendet und lokales Wissen wird letztlich nicht einbezogen. Programme werden aus einer globalen Sicht entworfen und bewertet und dann den lokalen Verhältnissen lediglich übergestülpt. Angesichts der Tatsache, dass weltweit ausreichend Lebensmittel produziert werden, um Hunger nachhaltig bekämpfen zu können, wird deutlich, dass man es nicht mit einem Bevölkerungs- sondern vielmehr mit einem Verteilungsproblem zu tun hat und dass dieser Verteilungsmodus sozialen Ungleichheitslagen folgt. Im Laufe der Analyse wurden diese Trennungen und Bruchstellen an vielen Stellen offensichtlich, von denen ich im Folgenden nur einige stellvertretend herausgreifen möchte. Zunächst hat die Diskussion der ökologischen Variante des malthusianischen Denkmodells – das Tragfähigkeitskonzept – eine implizit dualistische Sichtweise auf den Zusammenhang von Bevölkerungsentwicklung und Natur offen gelegt. In der bereits zitierten Rede von einem ‚verlorenen Gleichgewicht‘ oder den ‚Grenzen des Wachstums‘ scheint in vielen Tragfähigkeitskonzepten ein statisches Verständnis natürlicher Abläufe eingelassen zu sein. Damit wird letztlich ein Bild von Natur gezeichnet, in welchem soziales Handeln, menschliche Gesellschaft und vor allem Bevölkerungswachstum nahezu ausschließlich als ein Störfaktor natürlicher Gleichgewichtszustände thematisierbar werden. In den meisten Tragfähigkeitskonzepten wird die Tatsache ausgeblendet, dass das Verhältnis von demografischen Entwicklungen und natürlichen Ressourcen wesentlich von den gesellschaftlichen Naturverhältnissen abhängt, also von der Art und Weise, wie Gesellschaften in je verschiedenen Bereichen „ihr Verhältnis zur Natur kulturell symbolisieren und zugleich sozial und materiell regulieren“ (Jahn 1991: 58). Somit handelt es sich bei dem Verhältnis von Ressourcen und Bevölkerung auch nicht um einen unausweichlichen Sachzwang oder ein Naturgesetz, welches sich auf die einfache lineare Formel ‚Mehr Menschen = Weniger Natur‘ bringen lässt. In ähnlicher Weise hat die ‚geheime‘ Geschichte des Hungers deutlich gemacht, dass gerade in Bezug auf die Ernährung ökologische Faktoren wie Wasserknappheit oder Bodenerosion unter Umständen zu Krisen der Nahrungsversorgung führen können, in der Regel aber der Zugang zu Ressourcen und die ungleiche Verteilung der Nahrungsmittel in einem weit höheren Maß für Nahrungsunsicherheiten und Hunger verantwortlich gemacht werden müssen als ein vermeintlicher ‚Bevölkerungsdruck‘. Die Diskussion hat gezeigt, dass ein wichtiger Schlüssel zur Ernährungssicherheit zum einen in einem freien Zugang zu benötigten Ressourcen, wie beispielsweise Boden und Saatgut, zu finden ist (vgl. Shiva 2004: 18), zum anderen in der Errichtung von Verteilungsstrukturen, die sicher stellen, dass Bedarfslagen und Angebot miteinander harmonisiert werden: „Starvation is the characteristic of some people not having enough food to eat. It is not the characteristic of there being not enough
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food to eat.“ (Sen 1981: 1) So gesehen wird die von einigen AutorInnen favorisierte gentechnische Lösung und die damit erwartete Steigerung der Lebensmittelmengen Versorgungskrisen nicht einfach automatisch aus der Welt schaffen: „Increased food supply does not automatically mean increased food security for all. What is important is who produces the food, who has access to the technology and knowledge to produce it, and who has the purchasing power to acquire it.“ (Pretty 2002: 81) Entscheidend ist somit nicht zwingend die Menge der Nahrungsmittel, sondern vielmehr die dazugehörige Versorgungspraxis sowie damit verbundene Verteilungsstrukturen und gesellschaftlich geprägte Formen der Ressourcennutzung. Derartige Versorgungssysteme, historisch gewachsene Ressourcenregime, können allerdings aus verschiedenen Ursachen in die Krise geraten, die selten eindeutig sozialer oder ökologischer Natur sind, sondern sich häufig aus der wechselseitigen Kopplung ergeben. So hat der Zusammenhang zwischen anthropogenen Ursachen und Folgen der globalen Klimaerwärmung und deren Effekt auf nationale und internationale Migrationsmuster deutlich gemacht, dass eine damit verbundene krisenhafte Transformation der Versorgungssysteme weder ausschließlich sozial noch ökologisch erklärbar sind, sondern sich aus dem Zusammenspiel beider ergibt. Auch in Bezug auf die Diskussion des Verhältnisses von Natur und urbanem Raum sind die vielfältigen Diskursaufspaltungen deutlich geworden. Vor allem das Konzept eines ‚ecological footprint‘ der Städte befindet sich zumindest unterschwellig im Fahrwasser naturalistischer Ansätze, in denen gesellschaftliche Zusammenhänge vor allem aus der Perspektive der Natur in den analytischen Blick geraten. Ebenso wie in Teilen des allgemeinen Nachhaltigkeitsdiskurses wird auch in Bezug auf die ökologischen Folgekosten urbaner Räume die physische und biologische Endlichkeit der Welt zum Ausgangspunkt der Bewertung gesellschaftlicher Modi im Umgang mit der Natur gemacht. Der darin aufscheinende naturalistische Imperativ setzt dabei die exakte Erkenntnis der ökologischen Bedrohung durch Städte oftmals als unproblematisch voraus, so dass der ökologische ‚impact‘ des Stoffwechsels der Städte auf die Ökosysteme scheinbar zweifelsfrei bestimmt werden kann. Dabei wiederholt sich in der Folgenabschätzung der ökologischen Bedeutung der Städte ein allgemeines Muster, welches seit jeher die Ökologie durchzieht: „And ever since the beginnings of ecology as a science, managerial environmentalists have relied on scientist notions of ‚nature‘ which posit the existence of one universal ‚nature‘, but which continue to separate nature from human sociality.“ (Kipfer/Hartmann/Marino 1996: 10) Auch in der spezifischen Diskussion um das Verhältnis von afrikanischen Städten und Natur begegnet man also nicht nur den übergeordneten erkenntnistheoretischen Fallstricken, die sich aus dem Versuch, Gesellschaft und Natur in ihrer Verschränkung zu denken ergeben und die den Ausgangspunkt der Diskussion um den Raum bildeten, sondern immer wieder auch einem eurozentrischen Blick, für den nachhaltige Entwicklung afrikanischer urbaner Räume in erster Linie bedeutet: „embracing the agenda of the market, top-down planning, and scientific
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technological and/or design-based solutions to environmental problems“ (Hanson/Lake 2000: 2). Gegenüber derartigen Verkürzungen gilt es somit im Rahmen der Diskussion um das Verhältnis von Nahrungsversorgung und urbanen Räumen den Versuch zu unternehmen, Natur in die Theoriebildung des Städtischen zurückzuholen, und zwar nicht indem das Verhältnis zwischen Natur und Stadt naturalisiert oder kulturalisiert wird, sondern im Rahmen eines Konzepts, welches zwischen den Sichtweisen einer naturabhängigen Gesellschaft und einer vergesellschafteten Natur zu vermitteln bestrebt ist: „Ecological footprints cannot represent all the complex networks of social and ecological interrelations concerning cities which impact on the environment. The spatial relations of production and consumption and the social processes that give raise to them cannot be modeled that way. While ecological footprints focus attention on environmental sustainability, it is also necessary to address the question ,who pollutes?‘ and ,who consumes?‘‘‘ (Blowers/Pain 1999: 253) Urbane Räume gehen mit spezifischen Regulationen und Strukturierungen gesellschaftlicher Naturverhältnisse einher. Stadt und Natur sind demnach nicht als getrennte oder zu trennende Bereich zu begreifen, sondern der materielle Umgang mit Ressourcen ist auch in Städten stets eingebunden in einen Kontext von kulturellen Deutungen und materiellen Regulationen, die sowohl Hindernisse als auch Potentiale für ökologische Veränderungen darstellen. Die Perspektive, die im Rahmen der nun folgenden Fallstudie entfaltet werden soll, ist, dass Natur ein integraler Bestandteil urbaner Räume darstellt, die nicht einfach in Opposition zu Ökosystemen gedacht werden kann. Einer solchen Betrachtungsweise liegt letztlich die sozial-ökologische These zugrunde, dass „mehr Natur und weniger Regulierung des natürlichen Lebens der Idee von mehr Urbanität eher entspricht als widerspricht“ (Berger 2003: 29). Ferner ist das Verhältnis von Stadt und Natur nie ein für allemal festgeschrieben, sondern jede Phase und jeder Pfad der Urbanisierung erfordert eine neue Bestimmung des gesellschaftlichen Naturverhältnisses der Stadt: „Neue Beziehungen zwischen beiden haben gleichzeitig Rückwirkungen auf das Verhältnis von Produktion und Konsum. Stadt und Natur als Gegenstände der Produktion und des Konsums stehen sich in immer neuen Konstellationen gegenüber.“ (Graham/Keil 1997: 570) Urbane Räume sind damit immer als historische Phänomene zu verstehen, die nicht abstrakt und unabhängig von der jeweiligen gesellschaftlichen Formation, in der sie verortet sind, verstanden werden können. In diesem Zusammenhang ist auch deutlich geworden, dass die Ursachen der aktuellen sozialen und ökologischen Probleme vieler afrikanischer Städte nur durch historische Tiefenbohrungen sichtbar gemacht und verstanden werden konnten. Dies trug dazu bei das zu rekonstruieren, was Castell einmal als „Geschichte der Gegenwart“ (Castell 2000: 12) bezeichnet hat. Im Rahmen einer solchen Geschichte wird dann auch deutlich, dass die Transformationen gesellschaftlicher Naturverhältnisse immer aus Kristallisierungen bestehen, die sowohl Neues als auch Dauerhaftes aufweisen. Anders ausgedrückt: „Transformationen sind keine rein objektiv ablaufen-
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den Prozesse, sie unterliegen immer bestimmten Entwicklungsvorstellungen und werden von Akteuren vorangetrieben, die selbst handlungsleitende Vorstellungen über diese Prozesse besitzen. Es bedarf also eines Verständnisses der historischen Einbettung gesellschaftlicher Transformationsprozesse, das heißt der Bedingungen des Gewordenseins von Gegenwärtigem, um gegenwärtige Bedingungen für zukünftige Entwicklungen und Prozesse bestimmen zu können.“ (Kluge/Hummel 2006: 259) Wenngleich die Argumentation, ‚Überbevölkerung‘ und damit verbundene Urbanisierungsprozesse seien die alleinige Ursache für Nahrungsunsicherheit und Hunger, so pauschal nur noch selten vertreten wird, dominieren doch negative Prognosen, die aufgrund der anhaltenden Wachstumsprozesse der Städte für die Zukunft drastische Nahrungsmittelknappheiten vorhersagen. Damit fallen viele der aktuellen Veröffentlichungen zu diesem Thema hinter den Stand der Forschung zurück, welches auf diesem Gebiet mit dem 1987 von Jane I. Guyer erschienen Buch einen durchaus anspruchsvollen Analyserahmen offerierte und den analytischen Ausgangspunkt in der Annahme hatte, dass „food distribution systems are not only market chains which ensure the conveyance of goods and the communication of price information, nor merely a link between the classic dyads of analysis, the producer and the consumer, the peasant and the state“ (Guyer 1987: 6). Statt dessen forderte sie eine erweiterte Perspektive bei der Betrachtung der Nahrungsversorgung afrikanischer Städte „in which the mutual implications of organizational form, power bases, entitlement rubrics and material conditions can be traced over time“ (ebd.). Was Guyer damit vorschlägt, deckt sich mit vielen Kritikpunkten, die bisher identifiziert wurden: Die oben erwähnten Kausalketten werden oftmals der Komplexität der Zusammenhänge nicht gerecht, denn es handelt sich gerade nicht um einzelne isolierbare ökologische oder soziale Probleme, sondern um Problemdynamiken, in denen gesellschaftliche Praktiken und soziale Aspekte mit ökologischen Problemen verknüpft werden: Vernichtung landwirtschaftlicher Nutzflächen durch Städtewachstum, das Ausweichen in ökologisch sensible Gebiete, nicht-nachhaltige Nutzung städtischer Anbauflächen zur Nahrungsmittelproduktion und damit verbundene Bodendegradation, aber auch die verschiedenen Handlungsrationalitäten unterschiedlicher Akteure, institutionelle Logiken, dominante kulturelle Deutungs- und Wahrnehmungsmuster und soziale Macht- und Ungleichheitslagen wirken zusammen und führen zu sozial-ökologischen Problemlagen und ganz spezifischen, damit verbundenen Transformationsprozessen. Wie kann aber auf die benannten Defizite und Herausforderungen reagiert werden? Auch wenn im Laufe des Kapitels immer wieder betont wurde, dass es die afrikanische Stadt, den Kolonialismus und die koloniale Stadtplanung nicht gibt, sondern diese Begriffe nur im Rahmen von spezifischen Kontextualisierungen mit Leben gefüllt werden können, wurden dennoch notwendigerweise viele Differenzierungen unterschlagen. Ein solches Vorgehen war der Erkenntnis geschuldet, dass bei aller kulturellen, sozialen, ökonomischen und ökologischen
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Heterogenität bis zu einem gewissen Grad Grundmuster in der historischen und aktuellen Entwicklung afrikanischer urbaner Räume aufscheinen. Stadtstruktur, Stadtentwicklung und damit verbundene Raumanordnungen sind aber nicht ‚aus sich heraus erklär- und verstehbar, sondern bedürfen einer gesellschaftlichen Einbettung in alltägliche Handlungskontexte und damit verknüpfter Praxisformen. In dieser Hinsicht liefern meines Erachtens Simone und andere AutorInnen einen wichtigen Fingerzeig. Zunächst kommt Simone auf der Grundlage seiner umfangreichen ethnografischen und stadtsoziologischen Arbeiten zu dem Schluss, dass „the kinds of systematic interactions among mechanisms of social organisation, co-extensive forms of regulation, daily activated institutions, local agency, strategies of actions, cultural productions, and social and institutional practices, that generate specific modalities of resource production, distribution and consumption“ (Simone 1997: 4) ins Zentrum einer angemessenen Erforschung afrikanischer Städte gerückt werden müssen. Entgegen einer Weltbankperspektive beziehungsweise der Überzeugung einer ganzen Reihe von internationalen Organisationen bedeutet dies, sowohl bei der Neugestaltung urbaner Raumanordnungen als auch dem Verstehen der dahinter stehenden Dynamiken keine top-down Perspektive einzunehmen, sondern vielmehr „a theoretically informed research agenda centered on the micro-level planning and building decisions that produce most urban space in Africa“ (Myers 1994: 201) zu verfolgen. Und damit schließt sich an dieser Stelle der Kreis: Die Aussagen von Abdoumaliq Simone und Andrew Myers enthalten implizit einen praxistheoretischen Überbau, wie er in Kapitel I./2.3.4 in Bezug auf die Entfaltung eines sozialökologischen Versorgungssystems programmatisch ausformuliert wurde. Praxistheoretische Zugänge stellen in Ablehnung einer objektivistischen Verkürzung von Praxis deren Eigendynamik und Eigenträgheit stärker in Rechnung, indem sie diese Dimension der sozialen Welt nicht sozialstrukturell bedingt als ein abgeleitetes Überbauphänomen, als Ausfluss oder als abritäres Subsystem der Gesellschaft ansehen, sondern als konstitutive Grundlage verstehen, vor deren Hintergrund die Menschen sich und ihre Welt sinnhaft deuten. Zentraler Anknüpfungspunkt praxistheoretischer Arbeiten sind dabei in erster Linie alltägliche Routinen und Handlungsabläufe, die soziale Wirklichkeit hervorbringen und beständig reproduzieren (Hörning 1999, S. 9). In jüngerer Zeit haben einige Autoren und Autorinnen diese konstitutive Kraft von „everyday tasks“ (Howard 2003: 199) auch in Bezug auf afrikanische Städte erkannt, in dessen Folge sie verstärkt auf „urban farmers, market women, butchers, youth groups, gangs, housing contractors, and others engaged in micro-enterprises and the informal sector, as well as at bureaucrats, religious leaders, professionals, local notables, and merchants‘‘ (ebd.) blicken. Auch wenn dabei oftmals die Bedeutung damit in Verbindung stehender alltäglicher Praktiken für Prozesse der Raumanordnung erkannt werden, so beispielsweise bei Myers, wenn er konzediert, dass „urban spaces … were largely reframed by ordinary urban Africans“ (Myers 2003: 329), werden diese doch selten im Rahmen eines theoretisch anspruchsvollen Raumkonzepts
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analysiert, welches Auskünfte darüber geben würde, wie die Akteure durch diese alltäglichen Handlungen tatsächlich ihren Raum wahrnehmen, aneignen und gestalten. Erst dann kann aber die Stadt als Prozess wahrgenommen und der urbane Raum als wandelbar begriffen werden: „… der Raum stellt nicht eine statische Realität dar, sondern eine Wirklichkeit, die durch Interaktionen, Erfahrungen, Erzählungen, Bilder und Darstellungen verschiedener Gruppen aktiv hervorgebracht und verändert wird.“ (Featherstone 1999: 182) Auch wenn Raum und Raumvorstellungen in diesem Kapitel nicht in ähnlicher Weise explizit in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt wurden wie in I./3, so wurde doch an einigen Stellen deutlich, welchen analytischen Mehrwert ein adäquater Raumbegriff eröffnen kann. Zunächst tauchten im Rahmen der Diskursaufspaltungen mehrfach gegenständliche Raumkonzeptionen auf, beispielsweise bei den Konzepten der ökologischen und agraren Tragfähigkeit der Erde und des ökologischen Fußabdrucks. Ersteres geht unhinterfragt von der Existenz eines vorgegebenen, physisch-materiellen Raums aus und verkennt, dass sich das, „was wir gemeinhin als ‚Raum‘ bezeichnen, nicht wie ein weißes Blatt Papier dem Fußabdruck der Geschichte darbietet“ (Schmid 2005: 28). Ähnliches gilt auch für urbane Räume und ihre ökologischen Effekte: Land und Natur werden der Stadt materiell und kulturell gegenübergestellt und in der Konsequenz wird auch mit einer Containerbegrifflichkeit gearbeitet, derzufolge Städte sich ihrem Umland einfach ‚aufprägen‘. Die Debatten um historische, koloniale und postkoloniale Räume kreisten dagegen vielfach um die Fragen, wie soziale Strukturen sich als räumliche niederschlagen bzw., wenn auch in eingeschränkterem Maße, wie räumliche Strukturen soziales Handeln prägen. So gesehen kommen sie dem hier verwendeten Raumbegriff schon recht nah, betrachten sie doch räumliche Strukturen nicht als isoliertes Phänomen, sondern in ihrer Einbettung in Macht- und Herrschaftskontexte. Dennoch kann auch hier kritisch angemerkt werden, dass zwar im Vergleich zu einer Vielzahl von internationalen Studien ein weitaus höheres Maß an Komplexität zur Analyse afrikanischer postkolonialer Urbanisierungspfade aufgebaut wird, der dabei verwendete Raumbegriff allerdings oftmals im Dunklen bleibt. Will man den Raumanordnungen und den damit verbundenen alltäglichen Praktiken nachspüren, gilt es das zu schaffen, was Geertz einmal als „local frame of awareness“ (Geertz 1983: 6) bezeichnet hat. Und damit befinden wir uns auf direktem Weg zur Fallstudie. Denn es sind erst die lokalen Rahmenbedingungen, die bestimmen, welche der möglichen Entwicklungspfade tatsächlich beschritten werden, wie Granovetter vor dem Hintergrund seiner Analysen zur sozialen Einbettung ökonomischer Institutionen immer wieder betont hat: „Daraus folgt, dass selbst unter identischen ökonomischen und technischen Bedingungen die Ergebnisse dramatisch voneinander abweichen können, wenn die sozialen Strukturen unterschiedlich sind.“ (Granovetter 2000: 213) Daher gilt es, auch alltägliche Wissensbestände, damit verbundene Praktiken und lokalspezifische Kontextbedingungen stärker in den Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses zu rücken – Fak-
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toren, die durch das „globalisierungsbedingte Homogenisierungsparadoxon“ (Berking 2006c: 81) internationaler Studien mehr und mehr ins Abseits zu geraten drohen, indem durch den Versuch einer Quantifizierung des Wissens ‚objektive‘ Vergleichbarkeit suggeriert wird. Die vorhergehende Diskussion hat dagegen deutlich gemacht, dass die Urbanisierungspfade afrikanischer Räume und damit verbundene Transformationsprozesse ebenso wenig einfach als Ausdruck weltwirtschaftlicher Entwicklungen zu interpretieren sind, wie es manche Teile der Global-City Forschung suggerieren, noch dass diese völlig unabhängig von globalen Prozessen gedacht werden können (vgl. Wissen 2001: 80). Vielmehr gilt es die z.T. global geschaffenen Herausforderungen urbaner Räume als über lokale Akteurskonstellationen und je spezifische ökologische Voraussetzungen vermittelte sozial-ökologische Problemlagen zu rekonstruieren, urbane Räume also mithin als „Transmissionspunkte“ (van Naerssen 2001: 34) zwischen dem Lokalen und dem Globalen zu betrachten. In den Mittelpunkt des theoretischen Interesses rückt dann wieder der Akteur mit seinen situierten Alltagshandlungen und Erfahrungen, nicht zuletzt auch in Bezug zu seinen Naturerfahrungen in urbanen Räumen. Wie in I./3.2.1 dargestellt, erfahren pragmatistische Positionen Natur nicht als Substanz, sondern als „Set von Ereignissen“ (Rammert 1999: 285), die sich dadurch charakterisieren lassen, dass sie einer historischen Wandelbarkeit unterworfen sind, da sie je nach Kontext auch unterschiedlich ‚erfahren‘ werden und dennoch nicht relativistisch zu interpretieren sind. Pragmatische Positionen gehen von einem engen Verhältnis von biologischer Konstitution, menschlichem Handeln und Umwelt aus. Erfahrung ist damit auch nicht nur schlicht und einfach ein Erfahren von Natur, sondern als unaufhebbarer Teil der Natur beinhaltet die menschliche Erfahrung auch ein Reagieren des Organismus auf seiner Umwelt. In einer Zusammenführung der bisher eröffneten Diskussionsstränge, Natur und Gesellschaft, Versorgungspraxis und Bevölkerung, Raumanordnungen und Stadt, kann damit Inhalt und Ziel der nun folgenden Fallstudie auf die scheinbar einfache Formel gebracht werden: „Connecting the ‚city‘ with ‚ecology‘ and both to the production of urban space.“ (Kipfer/Hartmann/Marino 1996: 5)
IV. Auf der Suche nach der afrikanischen Stadt: Urba ne Ra um(a n)ordnunge n und das Ve rs orgungs sys te m Ac c ras
In der wissenschaftlichen Literatur, scheint es paradoxerweise weder Afrika noch so etwas wie einen Forschungsgegenstand der Stadt zu geben. Georg Brunold vertritt die Meinung „Afrika gibt es nicht“ (1994) und auch für den Ethnologen Michel Leiris blieb Afrika trotz mehrjähriger Forschungsexpeditionen zeitlebens ein „Phantom84“ (Leiris 1985); mit Blick auf die Stadt konstatiert Anthony King ganz ähnlich „ that there is no such thing as city“ (King 1996: 1, Hervorh.i.O.). Beide haben Recht und Unrecht in einem: Afrika gibt es, aber nicht als eurozentrische Verklärung einer homogenen und authentischen afrikanischen Kultur, sondern nur in der Vielfalt seiner lokalen Kontexte; und auch die Stadt gibt es in der Stadtforschung nicht. Entgegen der der in der (soziologischen) Stadtforschung weit verbreiteten Auffassung, dass angesichts der Heterogenität des Städtischen keine befriedigende Antwort auf die Frage zu geben sei, was denn nun letztlich das Wesen der Stadt ausmache (vgl. exemplarisch Saunders 1987), muss sich Stadtforschung gerade der Herausforderung stellen, Stadt nicht lediglich als Brennglas gesellschaftlicher Prozesse auszubuchstabieren, sondern Aussagen „über die Eigenlogik der Städte, über die Stadt als distinktes Wissensobjekt Stadt“ (Berking/Löw 2005: 12, Hervorh.i.O.) zu treffen. Aus stadtsoziologischer Sicht gilt es, mit Blick auf die Forschungstradition der urban anthropology eine von Ulf Hannerz getroffene Unterscheidung zwischen einer „anthropology in the city“ und einer „anthropology of the city“ (Hannerz 1980) aufzugreifen. Mit dieser Differenzierung verweist er auf die Schwierigkeit, das Phänomen der Stadt aus einer anthropologischen Perspektive angemessen zu theoretisieren und damit
84 „Schon nur mehr ein Phantom für mich im Jahre 1934 entzieht sich das Afrika von 1980 erst recht meinem Blick.“ (Leiris 1985:6)
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das Spezifische einer Stadt und der damit verbundenen Fragestellung zu erfassen. Ein vor allem in der angelsächsischen Stadtforschung beobachtbare „Präferenz für das Kleinräumige“ (Lindner 2005: 58) hat zwar den unbestrittenen Vorteil, dass man sich auf homogene und überschaubare Forschungseinheiten konzentrieren kann, aber den ebenso offensichtlichen Nachteil, dass dabei das spezifisch städtische der Problem- und Fragestellung abhanden kommt: Letztlich könnten sich die Untersuchung und die damit verbundenen Erkenntnisse auch in einer ganz anderen Stadt abspielen. Demgegenüber muss eine Untersuchung, die den jeweiligen städtischen Kontext ernst nehmen will, nicht zuletzt auch die historische Gewachsenheit bestimmter Problemlagen angemessen berücksichtigen oder programmatisch formuliert: „Instead of imaging the group, anthropologists need to image the whole, that is, the city ... as anthropology of urban life has a contribution to make when and if it can image the place, the historical moment.“ (Peattie/Robbins 1984: 95) Der Titel dieses letzten Kapitels „Auf der Suche nach der afrikanischen Stadt“, verweist auf ein eigentümliches Charakteristikum afrikanischer Urbanisierung: Der Prozess der Urbanisierung verläuft mit Ausnahme einiger asiatischer Regionen nirgendwo auf der Welt derart atemberaubend schnell ab wie in Afrika. Gleichzeitig haben die vorherigen Ausführungen deutlich werden lassen, dass sich afrikanische Urbanisierungspfade und die daraus entstehenden urbanen Formen an vielen Stellen unseren gewohnten Klassifizierungs- und Wahrnehmungsmustern in Bezug auf die Interpretation städtischer Agglomerationen entziehen, was möglicherweise ein Grund für die Tatsache ist, dass „it is still apparent that Sub-Saharan African urbanization process and urban dynamics are poorly understood and comparatively under-studied“ (Myers 2005: 4). Dabei sind die Unterschiede zu westlichen urbanen Räumen bereits auf einer kognitiven Ebene spürbar: Ist man in Europa aufgewachsen, haben sich mit Bezug auf die kognitive Aneignung urbaner Räume spezifische Orientierungs- und sich daraus ergebende Bewegungsmuster herausgebildet. Man ist es gewohnt, sich eine fremde Stadt über ihre Fassaden, ihre markantesten Bauwerke und die Proportionen ihrer Grundrisse zu erschließen. Versucht man auf diese Weise einen Zugang zu afrikanischen Städten zu finden, muss man scheitern, denn das Ensemble der einzelnen Bauwerke, Bausstile und der verwendeten Baumaterialien wollen sich im Gedächtnis nicht zu einem einprägsamen Gesamtbild zusammenfügen. Dieses Phänomen hängt zum einen mit der Tatsache zusammen, dass weite Teile des afrikanischen Kontinents aufgrund der kulturellen Bedeutung des Nomadentums selten urbane Formen hervorgebracht haben, deren Gebäude dazu geschaffen waren, Jahrhunderte zu überdauern; zum anderen sicherlich damit, dass es in weiten Teilen des städtischen Afrikas wenig gibt, was auch nur im entferntesten an westliche Formen einer die ‚Ordnung sichernden‘ urbanen Raumplanung erinnert. Der Sozialwissenschaftler Einhart Schmidt-Kallert hat in einem Reisebericht über Ghana (FAZ vom 12.01.06, S. R 10) festgestellt, dass es in Bezug auf afri-
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kanische Städte aber vielleicht gar nicht so sehr auf diese die Jahrhunderte überdauernden Gebäude ankommt, sondern das möglicherweise „die Zwischenräume zwischen den modernen Gebäuden aus Beton, Stein und Glas viel wichtiger“ sind, „die Palmen, die Mango- und Papayabäume, die tropisch-dichte, dunkelgrüne Vegetation, die Essensstände, die wenig dauerhaften Behausungen der Zuwanderer, all die Flächen mitten in der Stadt, die das afrikanische Dorf den Bemühungen westlich ausgebildeter Stadtplaner zum Trotz längst zurückerobert hat“. Und es sind vor allem diese Zwischen- und Freiräume in Form von städtischen Gärten und Märkten, die für meinen Zugang zur afrikanischen Stadt Accra und ihrer Nahrungsversorgung von zentraler Bedeutung waren. Die Region um Accra wurde nun aus mehreren Gründen ausgewählt: Auch wenn Ghana im Vergleich zu dem gesamten afrikanischen Kontinent eher durchschnittliche demografische Wachstums- und Urbanisierungsraten aufweist, so handelt es sich bei Accra dennoch um eine der dynamischsten Regionen Westafrikas: Lag die durchschnittliche Urbanisierungsquote 1930 noch bei 6%, liegt sie heute bei ca. 40%. Die Untersuchungsregion Accra hat sich mit einer Einwohnerzahl von ca. 1,8 Millionen in den letzten zwanzig Jahren mehr als verdoppelt (vgl. Lardamelle 1996). Gleichzeitig wuchs die Stadtfläche um unglaubliche 318%. (vgl. Yeboah 2000). Diese rasche Urbanisierung ist mit signifikanten Problemlagen verknüpft, die im Wesentlichen auf zwei Gründe zurückgeführt werden können: Zum einen vollzieht sich die Urbanisierung innerhalb sehr kurzer Zeit, wodurch es den Behörden meist nicht möglich ist, infrastrukturell adäquat zu reagieren. Zum anderen konzentriert sich die Urbanisierung innerhalb nationalstaatlicher Territorien meist auf ein Stadtzentrum beziehungsweise auf einige wenige Stadtzentren, die als Folge in konzentrierter Form mit Sachverhalten umgehen müssen, die sich im Optimalfall auf mehrere Gebiete verteilen würden. Auch in dieser Hinsicht kann die Entwicklung Ghanas mit der dominanten Rolle Accras als exemplarisch gelten. Ein weiterer Grund für die Auswahl der Region liegt darin, dass trotz der immensen Dynamik der Bevölkerungs- und Stadtentwicklung urbane (afrikanische) Räume bisher nur selten zum Untersuchungsgegenstand gemacht wurden (vgl. Gugler 1996a u. b, Robinson 2002, Myers 2005). Wie im vorherigen Kapitel bereits geschildert, steht im Zentrum internationaler Urbanisierungsforschung oftmals eine der spektakulärsten Erscheinungsformen dieser sozialgeografischen Transformation: die Mega-Cities. Neben Städten wie Tokio, New York, London und Paris verwundert es angesichts der oben skizzierten Urbanisierungsraten in Entwicklungsländern nicht, dass sich die Mehrzahl dieser Städte in Entwicklungsregionen befindet: Lagos, Dakka, Macau, Guangzhou, um nur einige der größten zu nennen. Im theoretischen Diskurs um Urbanisierungsprozesse scheint sich mit der schwerpunktmäßigen Konzentration auf ‚Global Cities‘ die Randständigkeit von Städten wie Lagos, Nairobi oder Accra in der globalisierten Ökonomie zu wiederholen. Aus Sicht der global-city-Forschung sind diese Städte
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„economically irrelevant“ (Knox 1995: 41) und damit gleichzeitig auch für die Theoriebildung strukturell vernachlässigbar. Im Mittelpunkt dieses letzten Kapitels steht abschließend die Zusammenführung der einzelnen Stränge, die bis zu diesem Zeitpunkt entfaltet wurden und die aus diesem Grund an dieser Stelle nochmals kurz zusammengefasst werden sollen. Die rahmende Forschungsfrage dieser Arbeit ist die Frage nach den Wechselwirkungen zwischen Urbanisierungsprozessen in südlichen Regionen und den Versorgungssystemen der Nahrung. Welche Wechselwirkungen lassen sich identifizieren, was sind die zentralen Problemstellungen, die sich für die Versorgung urbaner Räume aus schnellem Wachstum ergeben, wie werden die Problemdynamiken in gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskursen interpretiert? Das erste Kapitel (I.) dieser Arbeit war daher zentral der Frage gewidmet, wie man auf eine theoretisch und vor allem epistemologisch sinnvolle Weise die dynamischen Beziehungen zwischen Gesellschaft und Natur zum Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung machen kann. Ein erster wichtiger Schritt in dieser Richtung bestand in der Einführung des Konzepts der gesellschaftlichen Naturverhältnisse (I/1), das sowohl neue Möglichkeiten der Theoretisierung als auch der Gestaltung des Verhältnisses von ökologischen und gesellschaftlichen Prozessen ins Zentrum des Erkenntnisinteresses stellt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass sich die Soziale Ökologie in dieser Hinsicht mit der Idee der doppelseitigen Kritik an Naturalismus und Kulturalismus einen neuen Denkraum eröffnet hat, innerhalb dessen davon ausgegangen wird, dass die Basisunterscheidung zwischen Natur und Gesellschaft stets diskursiv geprägt und damit immer auch kulturell codiert ist, dass aber stets ein ‚widerständiger‘ Rest an Materialität zu berücksichtigen ist, der in diesen Diskursen niemals ganz aufgeht. Auch wenn die Soziale Ökologie an vielen Stellen deutlich andere Weg nimmt als die Theorie der Reflexiven Moderne, kann doch das erwähnte Diktum Ulrich Becks ‚Die Natur ist nicht mehr ohne Gesellschaft und die Gesellschaft nicht mehr ohne Natur zu verstehen‘ als Leitspruch der Theoriebildung angesehen werden. Die Soziale Ökologie konzentriert sich bei ihrer Begriffsarbeit auf die Suche nach vermittelnden Strukturen zwischen Gesellschaft und Natur, wie es anhand des Konzepts des Versorgungssystems exemplarisch erörtert wurde (I/2). Hier war der Ausgangspunkt der Überlegungen, dass sich für alle Gesellschaften das Problem stellt, ihre Bevölkerung so mit über- beziehungsweise lebensnotwendigen Gütern zu versorgen, dass für die Menschen sowohl ein bestimmtes Maß an Lebensqualität gewährleistet ist als auch die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten bleiben. Zu diesem Zweck eignen sich Gesellschaften im Kontext je spezifischer sozialer, kultureller, politischer und natürlicher Bedingungen Ressourcen an, so dass sich im Laufe der Geschichte spezifische Strukturen und Regulationsformen heraus gebildet haben, die als Versorgungssysteme bezeichnet werden können. Versorgungssysteme vermitteln zwischen den NutzerInnen und den naturalen Ressourcen, wobei dieses Verhältnis kein unmittelbares ist, sondern
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durch die Dimensionen Wissen, Institutionen, Praktiken und Technik (WIPT) strukturiert wird, die in ihrer Gesamtheit situierte Formen der Versorgungspraxis generieren. Versorgungssysteme lassen sich damit als sozial-ökologische Systeme definieren, in denen stofflich-energetische und kulturell-symbolische Dimensionen auf komplexe Weise miteinander verwoben sind. In einem dritten theoretischen Schritt (I/3) wurde schließlich die Kategorie des Raums als Brückenkonzept vorgestellt, welches zwischen sozio- und naturzentrierten Zugängen und damit verbundener Dichotomisierungen, Ausgrenzungen und Abwertungen zu vermitteln in der Lage ist. Im Spannungsfeld eines referenzlosen Konstruktivismus und der eines naiven Realismus lautete die zentrale erkenntnistheoretische Frage: Kann man von einem epistemologischen Standpunkt aus Antirealist sein, also die Unhintergehbarkeit der Einsicht akzeptieren, dass wissenschaftliche Fakten immer schon sozial konstruiert sind, und ontologisch Realist sein, also darauf bestehen, dass es Dinge gibt, die auch unabhängig von Sprache und Bedeutung bestehen? Als Antwort auf diese Frage wurde das von Martina Löw in den wissenschaflichen Diskurs eingeführte Konzept der Raum(an)ordnungen in den sozial-ökologischen Denkraum eingebettet. Die handlungstheoretische Ausrichtung des Löwschen Raumbegriffs erwies sich als höchst anschlussfähig sowohl an die praxistheoretische Rahmung des Versorgungssystemkonzepts als auch an die pragmatische Kategorie der ‚Erfahrung‘, die vor allem in der Konzeptualisierung von Materialität eine zentrale Rolle gespielt hat. Der unfruchtbaren Gegenüberstellung von sozial versus materiell konnte entgegengewirkt werden, indem Raum und seine materielle Komponente nicht als etwas gedacht wurden, das lediglich als passive Einschreibungsmasse für die Aneignung durch soziale Prozesse fungierte, sondern durchaus Rückwirkungen auf soziale Prozesse hat. Die Möglichkeit, solche Rückwirkungen zu denken, war im Rahmen der Diskussion der gesellschaftlichen Naturverhältnisse als zentrale Anforderung an ein sozial-ökologisches Raumkonzept identifiziert worden. Das zweite Kapitel (II.) hatte für den weiteren Argumentationsgang zwei zentrale Funktionen: Zum einen sollten in Bezug auf die Fragen des Zusammenhangs zwischen Bevölkerungsentwicklung und Nahrung im Allgemeinen und dem Verhältnis von Urbanisierungsprozessen und Nahrungsversorgung im Besonderen die zentralen Frage- und Problemstellungen identifiziert werden, mithin also ein Überblick über den ‚state of the art‘ bezüglich dieser Themenstellungen gegeben werden. Zum zweiten sollte der Nachweis geführt werden, dass für die meisten Ansätze und Diskussionen eine isolierende Problembeschreibung charakteristisch ist, also jener Effekt eintritt, den ich mit Rückgriff auf Egon Becker als ‚Diskursaufspaltungen‘ bezeichnet habe: Die enorme Ausdifferenzierung der Forschungslandschaft beziehungsweise einzelner Forschungsthemen hat dazu geführt, dass einzelne soziale Problemdynamiken nur noch selten in ihrer wechselseitigen Bedingtheit und Verschränkung gesehen werden. Die Auf- und Abspaltungen reichen aber noch tiefer, denn es werden nicht nur soziale Prozesse nicht
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zu einander ins Verhältnis gesetzt, sondern auch viele Problemlagen und krisenhafte Zustände in ihrer hybriden Grundlegung nicht erkannt. Allein theoretische Randströmungen wie die Politische Ökologie oder die Humanökologie versuchen der modernen Vorstellung einer von Naturprozessen unabhängigen gesellschaftlichen Entwicklung theoretische Alternativen entgegen zu setzen. Ein anderer, ebenfalls wichtiger Ertrag dieses Kapitels war der Nachweis, dass mit Blick auf die unbestreitbaren Probleme urbaner Räume nicht Bevölkerungsentwicklungen ‚an sich‘ verantwortlich gemacht werden können; derartige Demografisierungen und Naturalisierungen gesellschaftlicher und ökologischer Problemlagen verschleiern oftmals, dass solche Krisenherde vielmehr durch misslungene Regulationsversuche verschärft oder gar erst konstituiert wurden. Wie bereits erwähnt, dient nun dieses dritte und letzte Kapitel dem Zweck, das bisher Erarbeitete zusammenzuführen, indem entgegen den üblichen Diskursaufspaltungen nachgezeichnet wird, wie die krisenhafte Transformation eines urbanen Versorgungssystems der Nahrung an einem wichtigen Knotenpunkt, der urbanen Landwirtschaft, als misslungene Regulation rekonstruiert werden kann, bei der sich soziale und natürliche Dynamiken gegenseitig verstärken und in ihrer Verschränktheit so auch bisher nicht erkannt wurden. Um dieses Ziel zu erreichen, soll mit Rückgriff auf die im ersten Kapitel eingeführten Konzepte des Versorgungssystems und der Raum(an)ordnungen die historische Gewachsenheit der urbanen Nahrungsversorgung am Beispiel Accras rekonstruiert werden, die zur Etablierung eines spezifischen Ressourcenregimes geführt hat, dessen Krisenhaftigkeit sich als sozial-ökologische rekonstruieren lässt. Mit anderen Worten: Die Zielsetzung der Fallstudie besteht nicht darin, aus dem empirischen Material heraus, welches vorwiegend im Rahmen eines mehrmonatigen Aufenthalts* in Ghana erhoben wurde, neue theoretisch tragfähige Konzepte zu generieren, sondern lediglich das bisher Gesagte auf seine Plausibilität und seinen heuristischen Wert hin auszuloten beziehungsweise im Rahmen der Fallstudie systematisch aufeinander zu beziehen. Dies erfolgt in folgenden Schritten: Der erste Abschnitt (III/1) widmet sich zunächst dem methodischen Vorgehen des empirischen Teils der Arbeit. Es werden sowohl der Ansatz der Einzelfallstudie als Feldzugang dargestellt als auch die eingesetzten Methoden und möglichen Probleme der Feldarbeit in fremdkulturellen Kontexten erörtert. Die beiden folgenden Abschnitte (III/2 u. 3) widmen sich der allgemeinen Kontextualisierung Ghanas aus demografischer, geografischer, politischer und wirtschaftlicher Sicht. Nach der Darstellung der geschicht*
Die beiden Feldaufenthalte von jeweils mehreren Wochen wurden durch ein Stipendium des Deutschen Stiftungszentrums ermöglicht, für das ich mich an dieser Stelle nochmals ausdrücklich bedanken möchte. Neben der finanziellen Unterstützung war die vom International Water Management Institute (IWMI) gewährte Hilfe, die sowohl die großzügige Nutzung der institutionellen Infrastruktur als auch die Bereitstellung von Daten und eigenen Ergebnissen umfasste, von unschätzbarem Wert. Hier möchte ich mich insbesondere bei Dr. Pay Drechsel bedanken.
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lichen Entwicklung Accras, folgen in Anlehnung an ethnografische Reiseberichte sowohl erste Eindrücke der Nahrungsversorgung als auch eine wieder sachlicher gehaltene Beschreibung des Versorgungssystems. Der vierte Abschnitt (III/4) schließlich wird stärker von einer analytischen Perspektive getragen, indem am Beispiel des wichtigen Knotenpunkts der urbanen Landwirtschaft sozialökologische Problemlagen exemplarisch rekonstruiert werden. In diesem letzten Abschnitt geht es nicht zuletzt darum, das entwickelte sozial-ökologische Raumkonzept in die Betrachtung spezifisch urbaner Räume zu integrieren und damit Natur gleichsam wieder zurück in die Stadt zu holen.
1 . An g e w a n d t e M et h o d e n w ä h r e n d des Feldaufenthalts Im Zentrum sozial-ökologischer Forschung steht nicht nur durch theoretische Begriffsarbeit, sondern auch die empirische Unterfütterung durch historische und aktuelle Fallstudien. Die Forschung zielt dabei aber nicht auf den großen ‚theoretischen Wurf‘, sondern orientiert sich vielmehr daran, eingrenzbare sozialökologische Phänomene und Problemlagen zu formulieren. In dem Bestreben, die jeweiligen Verkürzungen von Realismus und Konstruktivismus zu überwinden, ist die Generierung eines „situierten Wissens“ (Haraway 1995a: 73 f.) forschungsleitend. Damit ist gemeint, dass in der konkreten Bearbeitung empirischer Problemstellungen von Versorgungssystemen im Rahmen von Fallstudien eine Verknüpfung von symbolisch-kulturellen und materiell-stofflichen Aspekten erfolgt, die zwar die Kontingenz von Wissensobjekten berücksichtigt, sie aber nicht auf bloße Diskurseffekte reduziert, sondern sie ebenfalls in ihrer materiellen Widerständigkeit erfasst. Im ersten theoretischen Teil der Arbeit wurde das Modell eines Versorgungssystems der Nahrung mit starken Bezügen zum anthropologischen Diskurs hin entfaltet. Mit Blick auf den Exkurs zur Anthropologiekritik ist aber auch deutlich geworden, dass dem Umstand, dass das ‚Objekt‘ der Humanwissenschaften gleichzeitig auch das ‚Subjekt‘ dieser Wissenschaft ist, erhebliche methodologische Konsequenzen haben muss. Denn eingedenk der Foucaultschen Kritik können anthropologische Annahmen nicht anders als selbst-reflexiv sein, das heißt man muss anerkennen, dass die Anwendung der eigenen Methoden und theoretischen Annahmen durch mich als WissenschaftlerIn immer auch bedeutet, dass ich zwangsläufig ein Mensch dieser bestimmten historischen Epoche bin. Eng damit verbunden ist im vorliegenden Kontext die Frage nach den Modalitäten des Verstehens fremdkultureller Praktiken. Die Beschränkung auf den europäischen beziehungsweise auf den westlichen Kulturkreis, wie es vor allem für die national verfassten Soziologien oftmals noch typisch ist, wurde in der Historischen Anthropologie und Kulturanthropologie in der Auseinandersetzung mit fremden Kulturen bereits früh aufgebrochen. Vor allem Franz Boas und Bronislaw Mali-
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nowski kritisierten massiv jede Art von Aussagen über fremde Kulturen im Rahmen einer, wie sie es abfällig bezeichneten, ‚Schreibtisch-Ethnologie‘85 und erhoben lange Feldaufenthalte und akribische Beobachtungen zum methodischen Imperativ einer angemessen Erforschung fremder Kulturen. In seinen „Argonauten“ beschreibt er, dass es darum gehe, „den Standpunkt des Eingeborenen, seinen Bezug zum Leben [zu] verstehen und sich seine Welt vor Augen zu führen“ (Malinowski 1979: 49). Was hier in den Anfängen der Kulturanthropologie bereits aufkeimt und in den nächsten Jahrzehnten in zahlreichen Arbeiten voll zur Entfaltung kommt (beispielsweise bei Margaret Mead, Mary Douglas oder Clifford Geertz) ist eine philosophiegeschichtliche Transformation, die meines Erachtens einen der zentralen oben angesprochenen Kritikpunkte an älteren anthropologischen Standpunkten weiter entkräftet hat: Während in einer ersten Transformation das Konzept des Menschen, und damit anthropologisches Denken überhaupt, erst in der Loslösung von einem metaphysisch-theologischen Weltbild möglich wird, löst sich anthropologisches Denken in einer zweiten großen Transformation von einer Ontologie des Seins zugunsten einer Erforschung dessen, wie die Dinge durch Sinn und Sprache konstituiert werden (vgl. Rustemeyer 2005). Damit wird aber auch die Annahme einer ahistorischen menschlichen Natur zugunsten einer historischen Variabilität menschlicher Lebensäußerungen verworfen. Viele der aktuellen Methoden und Techniken qualitativer Sozialforschung (qualitative Fallstudien, räumlich und zeitlich begrenzte Untersuchungsfelder, Verfahren der ‚dichten Beschreibung‘, teilnehmende Beobachtung etc.) gehen in der Verfolgung dieses Ziels damit ursprünglich auf kulturanthropologische beziehungsweise ethnologische Forschungstechniken zurück (vgl. als Überblick Przyborski/Wohlrab-Sahr 2008). Ein Teilziel der vorliegenden Arbeit ist es, im Rahmen einer konkreten Fallstudie aus einer sozial-ökologischen Perspektive die Problemlagen der Nahrungsversorgung in einer westafrikanischen Stadt herauszuarbeiten. Wenn ich aber nun im Rahmen der ‚Ontologie des situierten Realismus‘ die Problemwahrnehmung, -beschreibung und -analyse notwendigerweise kontextualisieren muss, um adäquate Lösungen erarbeiten zu können, stellt sich in aller Dringlichkeit die Frage: Kann ich diesen Kontext überhaupt angemessen verstehen, welches sind in diesem Zusammenhang also die Möglichkeiten und Grenzen interkulturellen Verstehens? Diese Frage wird umso gewichtiger, als in dem vorherigen Punkt bereits angedeutet wurde, dass im Zuge eines „cultural turn“ (Reckwitz 2000: 15) in den Sozial- und Kulturwissenschaften die eigenständige Bedeutung und Kraft kultureller Faktoren wieder vermehrt ins Blickfeld gerückt wird beziehungsweise außer Frage steht: Kulturelle Faktoren 85 Diese abfällige Bemerkung richtete sich wohl vor allem gegen Marcel Mauss, der sich erstaunlicherweise zu keiner Zeit seines Lebens ‚im Feld‘ aufgehalten hat. All seine Kenntnisse erschloss sich Mauss aus dem intensiven Studium ethnologischer, philosophischer und religiöser Dokumente, wobei ihm seine umfassenden Fremdsprachenkenntnisse umfangreichen Zugang zu Material eröffnete (vgl. Centlivres 1990: 174 f.).
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erscheinen nicht mehr als Epiphänomene, sondern als notwendige Bedingungen aller sozialen Praxis. Vor allem im Rahmen der Ethnomethodologie lässt sich auf eine reichhaltige Literatur in Bezug auf die Erforschung sozio-kultureller Äußerungen im fremdkulturellen Kontext und damit verbundener kritischer Methodenreflexion zurückgreifen
1.1 Der Forschungsansatz der Einzelfallstudie Wie bereits erwähnt, umfasst die empirische Fallstudie die Untersuchung der Auswirkungen rascher Urbanisierungsprozesse auf das Nahrungsversorgungssystem der Stadt Accra. Dabei gilt es zu betonen, dass es sich bei der Einzelfallstudie um einen eigenen Forschungsansatz, nicht um eine spezielle Erhebungstechnik handelt. Im Gegenteil: Der mit der Einzelfallstudie verbundene Anspruch, möglichst alle für die zu untersuchende Fragestellung bedeutsamen Aspekte, Dimensionen und Akteure zu erfassen, verbietet geradezu den Einsatz einer einzelnen Methode; die Fallstudie zeichnet sich somit dadurch aus, dass sie in der Regel multimethodisch angelegt ist (vgl. Lamnek 1995: 4ff.). Obwohl der Forschungsansatz auf eine lange Tradition in Philosophie, Psychologie und den Sozialwissenschaften verweisen kann, ist er im Zuge der immer umfangreicher werdenden empirischen Erhebungen und der großen Verbreitung quantitativer Forschungsmethoden86 in seiner Bedeutung ein wenig in den Hintergrund gedrängt worden. Vor allem im Rahmen des quantitativen Forschungsparadigmas fristet die Einzelfallstudie eher ein Randdasein und kommt in erster Linie nur während einer der eigentlichen Erhebung vorgelagerten explorativen Phase oder zur anschaulicheren Illustration quantitativer Befunde zum Einsatz (vgl. Witzel 1982). 86 Nach der in den 1970er Jahren zum Teil erbittert und polemisch geführten Methodendiskussion zwischen VertreterInnen der quantitativen und qualitativen Sozialforschung haben die Kontrahenten in den letzten Jahren versöhnlichere Töne angeschlagen. Die oftmals ideologisch eingefärbten Argumente sind deutlich pragmatischeren gewichen; letztlich sei die Wahl für eine der beiden Vorgehensweisen oder gar ihrer Kombination entlang folgender Fragen zu entscheiden: Was will ich herausfinden? Welche Methode erscheint dazu geeignet? Was ist machbar? Welche Daten liegen vor etc. Sieht man von den epistemologisch stark differierenden Hintergründen der beiden Forschungsparadigmen ab, so lassen sich die Unterschiede mit Lamnek folgendermaßen zusammenfassen: „Zielt die konventionelle … Methodologie darauf ab, zu Aussagen über Häufigkeiten, Lage-, Verteilungs- und Steuerungsparameter zu gelangen ... und theoretische Modelle zu überprüfen, so interessiert sich eine qualitative Methodologie primär für das ‚Wie‘ dieser Zusammenhänge und deren innerer Struktur vor allem aus der Sicht der Betroffenen.“ (Kiefl/ Lamnek 1984: 474, zit. nach Lamnek 1993: 4) Wirft man aber dennoch mit Carola Lentz „ein Steinchen der Skepsis in den stillen See der Übereinstimmung“ (Lentz 1992: 319) zwischen ‚Quantis‘ und ‚Qualis‘, so ließe sich darauf hinweisen, dass die Anwendung quantitativer Erhebungsverfahren in einem fremdkulturellen Kontext höchst voraussetzungsvoll und nur sehr begrenzt leistungsfähig ist.
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Ganz anders dagegen verhält es sich im Bereich qualitativer Sozialforschung, denn dort scheint die Einzelfallstudie im besonderen Maße dazu geeignet, den methodologischen Prinzipien qualitativer Sozialforschung gerecht zu werden. Zunächst einmal setzt der Forschungsansatz der Einzellfallstudie gegen die Erhebung und Auswertung hoch aggregierter87 Daten die Beschreibung und Analyse eines einzelnen Falls. Die Auswahl dieses Falls erfolgt aber nicht, wie beispielsweise in der quantitativen Forschung üblich, durch ein statistical sampling, welches das Kriterium der Repräsentativität gewährleisten soll, sondern durch ein sog. theoretical sampling. Die Untersuchungseinheit ist in letzterem Fall so gewählt, dass sie „hinsichtlich einer gleich oder ähnlich strukturierten Menge von Phänomenen als typische Fälle oder besonders prägnante oder aussagefähige Beispiele gelten“ (Hartfiel 1982: 160). Die Auswahl der Fallstudie erfolgt damit systematisch und hat eine komplexere und differenziertere Ausgestaltung der theoretischen Konzepte des Forschers zum Ziel. In diesem Zusammenhang gilt es zwei Dinge besonders zu betonen: Zum einen ist es gerade bei einem theoretical sampling von immenser Bedeutung, dass der Forscher mit Bezug auf sein theoretisches Konzept offen bleibt; ‚offen bleiben‘ umfasst dabei sowohl die Offenheit während der Erhebungssituation als auch die Offenheit für möglicherweise notwendig werdende Modifikationen des theoretischen Gerüsts88. Zum anderen ist das zentrale Ziel einer Fallstudie nicht ausschließlich in der erschöpfenden Darstellung und Analyse eines Einzelfalls zu sehen, sondern ebenso sehr in dem Herausarbeiten genereller Strukturen und typischer Vorgänge, die sich in dem Material manifestieren und die über den konkreten Einzelfall hinausweisen. Einzelfallstudien basieren ferner „auf Forschung in einem Feld, das heißt, einem natürlichen Bereich der Gesellschaft, der nicht zum Zwecke der Untersuchung erzeugt worden ist“ (Hermans et al. 1984: 146). Untersuchungsgegenstand in diesem Feld sind in der Regel Personen, eine Tatsache, die auf ein wichtiges erkenntnistheoretisches Spezifikum qualitativer Sozialforschung verweist. Ausgangspunkt sowohl empirischer Beobachtungen als auch theoretischer Überlegungen sind die sozialen Alltagspraktiken, die soziale Wirklichkeit hervorbrin87 Das impliziert allerdings nicht, dass bei der Beschreibung des Einzelfalls auf hoch aggregierte Datenbestände verzichtet werden würde. So muss eine sinnvolle Beschreibung von Urbanisierungsprozessen auch quantitative Daten in Form von Bevölkerungszahlen, Haushaltsdaten, Ernährungskennzahlen, städtisches Flächenwachstum, quantifizierte Land-Stadt Migrationsströme etc. berücksichtigen. 88 Bei dieser Offenheit handelt es weniger um eine ‚künstliche Dummheit‘ (Hitzler 1991), wie sie beispielsweise in der Ethnografie kleiner Lebenswelten (vgl. Honer 1993) eingefordert wird oder der ‚Naivität‘ ethnografischer Forschung. So weist Witzel darauf hin, dass die Unvoreingenommenheit im Rahmen einer Fallstudie eben nicht bedeutet, dass der Forscher keine theoretischen Annahmen oder Vermutungen über die soziale Wirklichkeit, die er untersucht, hätte. Allerdings dürfen ihn diese theoretischen Vorannahmen nicht blind machen für möglicherweise abweichende Verhältnisse in der sozialen Wirklichkeit (Witzel 1982: 79f.).
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gen (Hörning 1999, S. 9). Insofern zielen die im Rahmen einer Einzelfallstudie zum Einsatz kommenden Methoden darauf ab, sich vertraut zu machen mit Praktiken, Handlungs- und Sprechweisen der im Feld agierenden Personen und durch kontrolliertes Fremdverstehen Kenntnisse von den Gegenständen und den Prozessen zu bekommen, die für den untersuchten Gegenstand von Relevanz sind. Zusammenfassend kann als das Ziel einer Fallstudie fomuliert werden: „Case studies … furnish comparative conclusions, inasmuch as they observe solutions and strategies for change instituted by different urban societies in comparable historical periods. General trends going beyond the individual features of case studies can thus be identified while avoiding the temptation of making simplistic generalizations.“ (Aragrande 1997: 25)
1.2 Angewandte Methoden Charakteristisch für den Forschungsansatz der Einzelfallstudie ist die Kombination verschiedener Techniken und Methoden der qualitativen Sozialforschung. Zum einen dient eine solche Methodenkombination der Sicherstellung der „Ganzheit“89 (Goode/Hatt 1956: 299) eines einzelnen Falles, das heißt es sollen, wie bereits erwähnt, nach Möglichkeit alle relevanten Faktoren und Dimensionen des Untersuchungsgegenstands erhoben und abgebildet werden. Zum anderen stellt eine solche Methodentriangulation90 verstärkt sicher, dass wissenschaftliche Artefakte vermieden werden. Auch im vorliegenden Fall kamen mehrere Methoden zum Einsatz: das Leitfaden orientierte ExpertInneninterview, die Methode der teilnehmenden Beobachtung und die Sekundärauswertung von Daten- und Literaturmaterial. Auf die einzelnen Methoden soll im Folgenden kurz eingegangen werden. Das ExpertInneninterview Ähnlich wie qualitative Methoden im Allgemeinen zeichnete sich lange Zeit auch das ExpertInneninterview im Besonderen durch eine anhaltende Vernachlässigung in Lehrbüchern zu Methoden und Techniken der empirischen Sozialforschung aus (vgl. als Überblick Bogner/Littig/Menz 2002). Generell dient es 89 Diese ‚Ganzheit‘ liegt selbstverständlich im Auge des wissenschaftlichen Betrachters, das heißt sie entspringt einer gedanklichen Konstruktion oder den theoretischen Vorannahmen und ist nicht etwa objektivistisch in der ‚Natur der Sache‘ selbst begründet. 90 Der Begriff der Triangulation stammt ursprünglich aus dem militärischen Sprachgebrauch und meint die genauere geografische Ortsbestimmung eines Objekts durch Rekurs auf multiple Bezugspunkte. Darauf Bezug nehmend bezeichnet die Triangulation im Rahmen einer sozialwissenschaftlichen Methodologie den Einsatz verschiedener Methoden. Eine so vorgenommene multiple Operationalisierung soll es vor allem bei komplexeren Fragestellungen ermöglichen, die festgestellten empirischen Befunde weniger auf den Einsatz bestimmter Methoden als vielmehr auf die Realität zurückzuführen (vgl. als Überblick Lamnek 1993:245f.).
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dem Erheben von Wissen spezifischer, für das Fach- und Themengebiet als relevant erachteter Akteure. Gleichzeitig muss auch in Bezug auf das Experteninterview darauf hingewiesen werden, dass es das Experteninterview schlechthin nicht gibt: Das Spektrum reicht von stärker quantitativ und explorativ orientierten Formen der Befragung bis hin zu einem theoretisch anspruchsvollen, dezidiert qualitativ orientierten Experteninterview. Während der Feldaufenthalte habe ich das so genannte leitfadenorientierte Experteninterview nach Meuser und Nagel verwendet (vgl. Meuser/Nagel 1991). Im Unterschied zu anderen Formen des Interviews wird bei dieser Variante des Expertinneninterviews nicht die Gesamtperson zum Gegenstand der Analyse gemacht, sondern nur derjenige Teil ihres Wissens, der sie aufgrund ihres organisatorischen oder institutionellen Zusammenhangs für die zu untersuchende Fragestellung91 zur Expertin beziehungsweise zum Experten macht. Der für das Gespräch mit dem jeweiligen Experten entwickelte Leitfaden erfüllt dabei zwei zentrale Funktionen: Zum einen soll das für die Erstellung des Leitfadens erarbeitete Wissen sicherstellen, dass der Interviewer selber sich als kompetenter Gesprächspartner erweist, sich sozusagen nahezu auf ‚gleicher Augenhöhe‘ zum Interviewpartner befindet. Zum anderen soll die Orientierung am Leitfaden verhindern, dass man sich in Themen verliert, die für die vorliegende Fragestellung nicht von Bedeutung sind. Mit folgenden Personen wurden in Accra Leitfaden orientierte Experteninterviews von ca. 45 bis 60 Minuten geführt. Die Interviews wurden dabei entweder in den Räumen der jeweiligen Institutionen der ExpertInnen, die Befragungen der FarmerInnen erfolgten in den Räumen des International Water Management Institutes: • Dr. Pay Drechsel, Theme Leader Agriculture, Water and Cities, International Water Management Institute (IWMI) • Dr. Olufunke Cofie, Researcher – Program Food&Water, International Water Management Institute (IWMI) • Linda Beccles, Researcher, International Water Management Institute (IWMI) • Philip Amoah, Environmental Scientist - Program Feed the Cities, International Food Policy Research Institute (IFPRI) • Dr. Lothar Diehl, Program Advisor Market-Orientied Agricultural Program, Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) • Dr. Catie Doku, Ministry for Food and Agriculture (MOFA) • Schwester Miguela, Theme Leader ‘Feed the Land‘, Holy Spirit Church
91 Aus dem eben Gesagten wird auch deutlich, dass es sich (zumindest im Rahmen eines Experteninterviews) bei dem Expertenstatus um einen relationalen Status handelt, da dieser offensichtlich abhängig ist vom jeweiligen Forschungsinteresse. Auf die gesellschaftstheoretische Debatte einer generell veränderten Bedeutung des Experten im Zuge einer ‚Wissens-‚ oder ‚Risikogesellschaft‘ kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden (vgl. als Überblick Beck/Giddens/Lash 1996).
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Steve Tonah, Social Researcher at the Department of Social Sciences, Legon University Accra • 13 Farmer und Farmerinnen: Emmanuel, Justice, Ruby, Justin, Robert, Karim, Gerald, Steven, Elijah, Eric, George, Francis, Kwaku •
Michael Meuser und Ulrike Nagel unterscheiden zwischen zwei typischen Untersuchungslagen, in denen Experteninterviews sinnvoller Weise zum Einsatz kommen können (vgl. Meuser/Nagel 1991: 75): In einem Fall bilden die ExpertInnen die Zielgruppe der Untersuchung, in dem anderen Fall ist das Interesse an den Experten ein von der Forschungsfrage abgeleitetes. Bei ersterem geht es um die Erhebung des so genannten ‚Betriebswissens‘, bei letzterem um die Erfassung von Kontextwissen. In der vorliegenden Untersuchung interessierte vor allem das Kontextwissen der jeweiligen ExpertInnen, das heißt sie sollten Informationen zu den Kontextbedingungen und den aus ihrer Sicht typischen Problemstellungen meines Untersuchungsgegenstands liefern. Das hatte mit Blick auf das Forschungsdesign zwei Konsequenzen: In der Phase der Datenerhebung bildete das Experteninterview eben nur eine Datenquelle neben anderen; in der Phase der Datenauswertung hatte dies zur Folge, dass die Interviews nicht vollständig transkribiert und hermeneutisch ausgewertet wurden, sondern nur jene Passagen transkribiert und zitiert wurden, die für das Identifizieren zentraler Problemlagen relevant erschienen. Sekundärmaterial Ein zweiter Schwerpunkt der Datenerhebung lag schließlich auf dem Recherchieren einheimischer und einschlägiger wissenschaftlicher Veröffentlichungen, Texte, Dokumente, Datenmaterial etc. In diesem Zusammenhang wurden folgende Institutionen aufgesucht: IWMI, Bibliothek der Legon University Accra, Survey Department (Kartenmaterial zur Stadtentwicklung), Department Ghana der FAO, Ministry of Food and Agriculture, National Development Planning Commission. Viele der zu Stadtentwicklung Accras zitierten Texten, insbesondere die älteren Datums wurden ebenso vor Ort recherchiert wie die detaillierten Angaben zu Stoffmengen und Herkunft der Nahrungsmittel.
2 . Ac c r a i m K o n t e x t : Der westafrikanische Staat Ghana Das in seiner heutigen Form seit 1957 bestehende Ghana liegt an der Westküste Afrikas. Es erstreckt sich über eine Fläche von 239.450 km2, ist damit in etwa so groß wie die ehemalige Bundesrepublik Deutschland und hat aktuell eine EinwohnerInnenzahl von 18,4 Millionen (vgl. GSS 2002). Ghanas Nachbarländer sind im Westen die Elfenbeinküste, im Norden Burkina Faso und im Osten Togo.
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Im Süden besitzt Ghana eine ca. 540 Kilometer lange Küste am Golf von Guinea. Wie auch seine drei Nachbarländer wird Ghana den Staaten West-Afrikas zugerechnet. Die restlichen Mitgliedstaaten sind: Benin, Gambia, Guinea, GuineaBissau, Liberia, Mali, Mauretanien, Niger, Nigeria, Senegal und Sierra Leone. Sie sind seit 1975 zusammen geschlossen in der Economic Community of West African-States (ECOAS). Im Gegensatz zu dem Großteil seiner Nachbarn wird Ghana von den Vereinten Nationen nicht als ein Least Developed Country (LDC) eingestuft. Abbildung 9: Ghana und Westafrika
(Quelle www.afrika-reiseberichte.de) Die klimatischen Bedingungen Ghanas sind als tropisch-feucht zu bezeichnen. Die Tagestemperaturen bewegen sich überwiegend jenseits der 25º C und auch nachts bleibt es oftmals über 20º C. Zu diesen hohen Durchschnittstemperaturen kommen zwei Regenzeiten im südlichen Teil des Landes (Mai-Juli und September-Oktober) und eine Regenzeit im Norden des Landes (Juli-Oktober). Allerdings kam es in Folge des Baus des Volta-Stausees, der größte künstliche See der Welt, zu einer Änderung des Mikroklimas in dieser Region, was sich besonders in niedrigeren Niederschlagsmengen bemerkbar machte.
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Im Anschluss erfolgt nur eine grobe Skizzierung Ghanas, da sowohl historische als auch aktuelle Entwicklungen und Rahmenbedingungen des Landes in anderen Abschnitten ausführlicher in die Analyse einfließen werden (vgl. als Überblick Dickson 1969, Howard 1978, Schmidt-Kallert 1994, Schicho 2001). 1957, mit Erlangung der Unabhängigkeit als erstes Land südlich der Sahara, benannte sich der Staat von der bis dahin gültigen kolonialen Bezeichnung ‚Gold Coast‘ in ‚Ghana‘ um. Dabei sind die historischen Bezüge zu dem bereits erwähnten historischen Sudanreich Ghana sowohl aus geografischer als auch aus kultureller Perspektive äußerst dünn. Zwar berufen sich einige Völker der südlichen Goldküste auf einen Ursprungsmythos, demzufolge nach dem Zerfall des alten ghanaischen Reiches einzelne Stammesgruppen aus dem Inneren Afrikas an die Westküste wanderten, aber es ist wahrscheinlicher, dass man mit der Namensgebung symbolisch an eine Tradition weit vor dem europäischen Imperialismus anzuknüpfen versuchte (vgl. Schicho 2001: 181f.). Das neue Ghana wollte sich als Hoffnung Afrikas auf die zivilisatorischen Errungenschaften des alten Ghana berufen und zum Zweck der Legitimierung einer solchen Namensgebung wurden auch keine Kosten und Mühen gescheut, in den Augen Schmidt-Kallerts eine „Arabeske nachkolonialer Mythenbildung“ (Schmidt-Kallert 1994: 17), den Nachweis historischer Bezüge zu dem historischen ghanaischen Reich zu erbringen. Ähnlich wie bei anderen Küstenabschnitten Westafrikas erfolgten die ersten Kontakte der Goldküste mit den Europäern durch die Portugiesen im 15. Jahrhundert. Als Endpunkt einiger Handelsrouten aus dem Inneren Afrikas und dem entsprechenden Angebot an Gold, Elfenbein, Sklaven, Gewürzen und anderen für die europäischen Mächte verlockenden Waren zog dieser Landstrich auch bald andere Staaten an. Zur Absicherung ihrer Interessen errichteten im 17. Jahrhundert sowohl die Holländer (Usher Fort 1605), die Schweden (Christiansborg 1657) als auch die Briten (James Fort 1673) befestigte Niederlassungen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts konnten sich schließlich die Briten im Rennen um die begehrten Güter der Goldküste durchsetzen und erklärten diese 1821 offiziell zur britischen Kolonie (vgl. Grant/Yankson 2003: 66). Als erbitterste Gegner bei der Landnahme erwiesen sich jedoch mit der Zeit nicht die anderen Kolonialmächte, sondern die Asante, deren Hauptsitz die alte Stadt Kumasi im mittleren Gebiet des heutigen Ghanas bildete. Eine ganze Reihe von blutigen Auseinandersetzungen fand ihren traurigen Höhepunkt in der nahezu vollständigen Zerstörung der Asante-Hauptstadt 1874 durch britische Truppen. Für die Briten war dieser Sieg von entscheidender strategischer Bedeutung, konnten sie doch nun auch das Hinterland zum Zweck der Ausbeutung relativ gefahrlos infrastrukturell erschließen. Auf die massiven polit-ökonomischen Eingriffe und Beeinflussungen der britischen Goldküste in Form von raumwirtschaftlichen Verlagerungen, sozialen Umwälzungen und ökologischen Folgen wird im Laufe der nächsten Abschnitte noch ausführlich eingegangen werden. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die koloniale Durchdringung letztlich alle Lebensbereiche einfärbte, obwohl für die
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Herrschaftsausübung das Prinzip der ‚indirekten Herrschaft‘ bestimmend war (vgl. Schmidt-Kallert 1994: 23). Die Briten hatten in anderen Kolonien durchaus schlechte Erfahrung mit autoritärem Auftreten gemacht, welches offensichtlich in besonderem Maße dazu geeignet war, anhaltende Widerstände der indigenen Bevölkerung zu provozieren. Aus diesen Erlebnissen zogen die Briten die Lehre, vorhandene politische Institutionen dadurch so weit als möglich zu erhalten, dass sie in bestehende Systeme und Institutionen der traditionellen Herrschaftsausübung kaum eingriffen. Selbstredend handelte es sich hier jedoch zu keiner Zeit um eine gleichberechtigte Herrschaftsausübung, denn die politische Oberhoheit und die letzte Entscheidungskompetenz in ökonomischen Fragen gingen auf die Briten über. Einen der tiefsten Eingriffe stellt zweifelsohne die Umstellung der landwirtschaftlichen Produktion von food- auf cash-crops dar. Insbesondere die Kakaoproduktion, die in ihrer Bedeutung für die weitere Entwicklung Ghanas so zentral werden sollte, stellte in Kolonialzeiten eine einzigartige ‚Erfolgsgeschichte‘ dar. Die durch kleine und mittlere ghanaische Pflanzer im Rahmen von Familienarbeit oder dem sog. ‚abusa-System‘92 erzielten Ernten ließen das koloniale Ghana bereits 1891 zum weltgrößten Kakao-Exporteur aufsteigen (vgl. Schicho 2001: 185). Die exportorientierte koloniale Wirtschaft führte zu einem Ausbau der Infrastruktur, insbesondere von Straßen, Eisenbahnlinien und Hafenanlagen, der größtenteils durch die Arbeitskraft zwangsverpflichteter einheimischer Arbeitskräfte und das Kapital britischer Kolonialgesellschaften ermöglicht wurde. Die Herrschaftszeit des britischen Gouverneurs Frederick Gordon Guggisberg zwischen 1919 und 1927 markiert eine weitere wichtige historische Zäsur. Unter seiner Führung trat die Goldküste in die hochkoloniale Phase ein, die dadurch gekennzeichnet war, dass das Prinzip der indirekten Herrschaft und eine damit verbundene laissez-faire Politik der Briten sich dem Ende zuneigte. In seinem Bestreben, den Ertrag der Kolonie weiter nach oben zu schrauben, war er bemüht, eine effektive ‚moderne‘ Administration einzuführen. Ein solches Vorgehen nahm immer mehr die Form einer direkten Intervention vor allem bei der Regelung und Förderung der wirtschaftlichen Aktivitäten kolonialer Firmen an (vgl. Boahen 1975: 118). Bei der einheimischen Bevölkerung löste ein solches Vorgehen immer stärker den Eindruck des ‚Ausgepresst-Werdens‘ aus, so dass sich allmählich Widerstand gegen die britische Kolonialverwaltung zu formieren begann. Bevor der Traum der Unabhängigkeit Wirklichkeit werden konnte, brach aber 1939 der Zweite Weltkrieg aus, der auch die ghanaische Kolonie schwer traf: 60 000 Ghanaer wurden für den Kampf auf den Schlachtfeldern rekrutiert
92 Im Kern war die institutionelle Regulierung des Landzugangs durch das abusaSystem dadurch gekennzeichnet, dass Grundeigentümer ihr Land im Austausch gegen bis zu ein Drittel der Ernte Migranten zur Bewirtschaftung zur Verfügung stellten. Bemerkenswert ist dabei, dass solche eingeräumten Rechte vererbbar waren (vgl. Hart 1982: 62f.).
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und 360 000 britische Pfund flossen aus der Kolonie in die heimischen Kriegskassen (vgl. ebd.: 149). Schließlich ging 1957 die fast 500jährige Geschichte kolonial-europäischer Herrschaft unspektakulär zu Ende. Ausschlaggebend war wohl, dass die Autonomiebestrebungen auch in Westafrika mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges einen enormen Aufschwung verzeichnen konnten und das kriegsgeschüttelte Europa alle Kräfte zum eigenen Wiederaufbau benötigte. Dynamischer Kern der antikolonialen Agitation in Ghana war die 1947 gegründete bürgerlich-konservative United Gold Coast Convention (UGCC), deren prominenteste Mitglieder William Ofori Ata oder J.B. Danquah waren (vgl. Schicho 2001: 191). Auf deren Initiative wurde auch der spätere erste Präsident der Republik Dr. Kwame Nkrumah, der in den Vereinigten Staaten und Großbritannien studiert hatte, in das Land zurückgeholt. 1946 wurde schließlich auf Druck der UGCC ein Legislativrat unter breiter Beteiligung der einheimischen Bevölkerung eingesetzt, 1951 wurde ein Parlament gebildet, in dem erstmals in der kolonialen Geschichte des Landes die stärkste politische Partei mit der Regierungsbildung beauftragt wurde. Zum damaligen Zeitpunkt konnte sich die Convention Peoples Party (CPP) mit ihrem Vorsitzenden Nkrumah durchsetzen, der schließlich 1957 vom Premierminister zum Staatspräsidenten aufrückte. Zunächst schien der aufgegangene ‚Black Star‘ am Himmel des nach Unabhängigkeit strebenden Afrikas unter günstigen Einflüssen zu stehen. Unter weitgehender Beibehaltung kolonialer Wirtschaftsstrukturen, sprich des Exports von Kakao, gelang es Nkrumah, die Wirtschaft des Landes anzukurbeln – Ende der 1950er Jahre verzeichnete Ghana ein jährliches Wirtschaftswachstum von 6%, die Reallöhne stiegen sogar um 14% (vgl. Buah 1998: 168f.). Doch schließlich wurde auch Ghana zum Opfer jener Geißel Afrikas, die bis heute in vielen Regionen nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum wirkungsvoll hemmt – die Korruptheit der Führungseliten. Neben einer ruinösen Wirtschaftspolitik leistete sich eine kleine Gruppe von Privilegierten allen erdenklichen Luxus, so dass innerhalb weniger Jahre die zuvor erwirtschafteten Reserven dahin schmolzen und sich das Land bereits Mitte der 1960er Jahre in eine tiefe wirtschaftliche Krise manövriert hatte. Als Reaktion auf diese prekäre Situation übertrug Nkrumah immer mehr Macht auf sein Amt und etablierte nach und nach autoritäre Strukturen (vgl. Schicho 2001: 198). Zwei missglückte Bombenanschläge auf den Präsidenten, finanzieller Ruin und ein Militärputsch 1966 blieben am Ende als Bilanz der Regentschaft Nkrumahs. So endete 1966 die politische Regentschaft eines der größten Hoffnungsträger des jungen, unabhängigen Afrikas auf verheerende Weise: Das Land war sowohl bankrott als auch zutiefst gespalten. 1966 übernahm ein achtköpfiger Militärrat, der National Liberation Council (NLC), die Macht und die folgenden Jahrzehnte der politischen Geschichte Ghanas waren durch häufige System- und Regimewechsel gekennzeichnet. Seit 2001 ist John A. Kufuor Staatsoberhaupt und Regierungschef und damit ging auch die längste Herrschaftsperiode einer Person in der Geschichte des unabhängigen
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Ghanas, Jerry Rawlings, zu Ende, der das Land zwanzig Jahre regiert hatte. Obwohl im allgemeinen diese Entwicklung als „vom autoritären Entwicklungsstaat zur Demokratie“ (Schicho 2001: 207) beschrieben wird und die Herrschaft Rawlings von den europäischen Staaten stets misstrauisch beobachtet wurde, genießt Rawlings noch heute großes Ansehen in Teilen der ghanaischen Bevölkerung, was im übrigen ebenso für Kwame Nkrumah gilt. Tatsächlich ist die Zeit der Militärdiktatur Rawlings zwiespältig zu bewerten: Auf der einen Seite etablierte er die Verhältnisse eines typisch autoritären Herrschaftsapparats, auf der anderen Seite erholte sich die ghanaische Wirtschaft dank geschickter Maßnahmen von Seiten Rawlings und seiner Finanzminister zusehends. Durch die Einführung von „Volksläden“ (ebd.: 205) zur Versorgung der Bevölkerung wurde die jahrelange Unterversorgung der Bevölkerung gelindert, Lohnstopp und Einsparungen drückten spürbar die Inflationsrate und der Export von Kakao nahm wieder an Fahrt auf. Die Hauptexportgüter Ghanas sind bis heute Kakao, Gold und neuerdings Holz, deren Anteil 1998 am Exporterlös etwa 85% betrug (Körner 2000: 12). Trotz bis heute bleibender gravierender Probleme und schwerer Krisen kann die Entwicklung Ghanas als afrikanische ‚Erfolgsstory‘ gelten. Ghanas Bruttoinlandsprodukt (BIP) betrug im Jahr 2003 8,9 Milliarden US-Dollar. Mit einem erwirtschafteten BIP von 463US-Dollar pro Kopf liegt Ghana damit auf dem vierten Platz der westafrikanischen Staaten und auf Rang 16 aller afrikanischen Staaten. Das Wirtschaftwachstum beträgt 4,5%. Betrachtet man BIP und Wirtschaftswachstum zusammen, folgt Ghana durchaus einem positiven Trend, denn es verfügt sowohl über ein überdurchschnittliches BIP als auch über ein überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum. Das Land befindet sich damit heute in einer Phase wirtschaftlichen Aufschwungs, erfreut sich einer stabilen Demokratie und vor allem eines friedlichen Zusammenlebens der vielfältigen Ethnien und Volksgruppen, was nach zum Teil schweren Unruhen in den 1990er Jahren alles andere als eine Selbstverständlichkeit darstellt.
3 . D i e V e r s o r g u n g Ac c r a s Ausgehend von einer knappen Darstellung der allgemeinen demografischen Entwicklung Ghanas, wird im Folgenden insbesondere der eng damit verbundene Urbanisierungsprozess des Landes betrachtet. Während in einem ersten Schritt der Schwerpunkt der Aufmerksamkeit zunächst auf einer quantitativen Erfassung der Dynamiken ruht, bewegt sich der darauf aufbauende Analyseschritt mit einer dezidiert historisch ausgerichteten Rekonstruktion der Entwicklung Accras schon stärker auf eine qualitative Betrachtung des Zusammenhangs von Urbanisierungsprozessen und (der Transformation vom) Nahrungsversorgungssystem zu. Die Systematisierung gliedert sich dabei entsprechend der mit dem Feldaufenthalt verbundenen Teilziele in folgende Abschnitte: Ein wichtiges Ziel war es, sich einen besseren Überblick darüber zu verschaffen, wie man sich die Versor-
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gung der Stadt eigentlich vorzustellen hat. Im Rahmen einer stärker deskriptiven Beschreibung des Versorgungssystems der Stadt Accra werden so zunächst die Fragen nach der Funktionsweise des Versorgungssystems, nach der Herkunft der Nahrungsmittel und wichtiger städtischer Akteure und Institutionen verfolgt. In dem anschließenden, stärker an sozial-ökologischen Problemlagen orientierten Analyseschritt (III/4) sollen schließlich die zentralen Ergebnisse exemplarisch an dem wichtigen Knotenpunkt der urbanen Landwirtschaft verdichtet werden.
3.1 Urbanisierungsprozesse in Ghana In Bezug auf den westafrikanischen Raum gilt die städtische Entwicklung Ghanas als relativ gut erforscht, was auf die bereits erwähnte historische Entwicklung des kolonialen Westafrikas mit seiner seit jeher beträchtlichen Bevölkerungsdichte und seinem hohen Verstädterungsgrad zurück zu führen, aber auch mit der nachkolonialen Vorreiterfunktion des westafrikanischen Landes verknüpft ist, das 1957 als erste subsaharisches Land seine Unabhängigkeit erhielt und dadurch eine breite öffentliche und wissenschaftliche Aufmerksamkeit erfuhr. 1920 lag die Urbanisierungsquote in Ghana bereits bei 8%, einem Wert, den die frankophonen Länder West-Afrikas erst 1950 erreichten, und 1970, als in Ghana schon fast 30% der EinwohnerInnen in Städten wohnten, lag der Durchschnittswert in West-Afrika bei knapp 20% (Burchards 1984: 133). Wendet man sich zunächst der quantitativen Seite des Verstädterungsprozesses zu, so muss berücksichtigt werden, dass im ghanaischen Kontext zumindest drei unterschiedliche Definitionen der Stadt existieren, die, nimmt man sie als Grundlage der Erhebung, in der Vergangenheit auch zu voneinander abweichenden Einschätzungen bezüglich der Verstädterungsrate und -quote geführt haben. So lässt sich zwischen der traditionellen ghanaischen Auffassung von Stadt, der Definition durch die Zensusbehörden und einer funktionalen Bestimmung unterscheiden (vgl. Lühring 1976: 22f.). Im traditionellen Sinne gilt ein Siedlungsgebiet unabhängig von anderen Merkmalen als Stadt, in dem ein traditioneller Stammesführer (Paramount Chief oder Wing Chief) einen ‚Stool‘ innehat. Der jeweilige Chief hat wiederum eine Reihe von niederrangigen Subchiefs unter sich, deren Wohnsitze dann im herkömmlichen Sinne als Dörfer gelten. Diese in erster Linie auf Abstammung beruhende sozialstrukturelle Gliederung des Städtesystems hat zur Folge, dass bis heute entgegen der behördlichen Definition von Stadt eine ganze Reihe von kleineren Dörfern im Vergleich zu größeren Agglomerationen städtisches Ansehen genießen93 (vgl. Pellow 2002: 13f.). Die erste umfassende Erhebung einer Zensusbehörde erfolgte 1931 mit dem Gold Coast
93 Ein Beispiel hierfür wäre das in der Eastern Region gelegene Aburi, das zwar nur knapp mehr als 6000 EinwohnerInnen zählt, aber zumindest aus sozio-kultureller Sicht weit mehr Bedeutung in der Region besitzt als das weitaus größere benachbarte Nsawam (ca. 25 000 EinwohnerInnen).
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Census, für den die Analphabetenrate das entscheidende Differenzierungskriterium zwischen ‚rural‘ und ‚urban‘ war (vgl. Lühring 1976: 23). Mutet dieses Diskriminierungsmerkmal zunächst eigenartig an, machte es doch vor dem Hintergrund der Tatsache Sinn, dass die begrenzte Anzahl der Personen, die eine Schule besucht hatte, sich mit hoher Wahrscheinlichkeit in Siedlungen konzentrieren würden, die ausreichend groß waren, um über die entsprechende Bildungsinfrastruktur zu verfügen. Dennoch handelte es sich hier nur um eine begründete Annahme, die jedoch auf ihre Richtigkeit nicht weiter überprüft wurde, so dass Addo darauf verweist, dass in der Folge Dörfer mit weniger als 600 EinwohnerInnen als Städte, Siedlungen mit mehr als 6000 EinwohnerInnen dagegen als Dörfer klassifiziert wurden (vgl. Addo 1971: 51). 1960 wird schließlich ein quantifizierbares Unterscheidungsmerkmal eingeführt, das bis heute seine Gültigkeit beibehalten hat und demzufolge jede Ortschaft mit mehr als 5000 EinwohnerInnen als ‚town‘, mit weniger als 5000 als ‚village‘ klassifiziert wurde. Eine dritte und letzte Definition der Stadt stellte den Aspekt funktionaler Differenzierung in den Mittelpunkt, der sich in der Vergangenheit allerdings ebenfalls als nicht unproblematisch herausstellte, da man oftmals außerafrikanische Erfahrungen auf afrikanische Urbanisierungskontexte zu übertragen versuchte (vgl. Manshard 1961). Zur Ermittlung der Zentralität afrikanischer Siedlungen wurden sozio-kulturelle, administrative und ökonomische Kategorien herangezogen, die angesichts der Vielschichtigkeit und Multifunktionalität afrikanischer Agglomerationen zwar nicht gänzlich unpassend sind (vgl. Simone 2004, Simone/Abouhani 2005, Flynn 2005), allerdings spätestens ab der Definition einer Stadt als „a compact settlement engaged primarly in non-agricultural occupations“ (Dickinson 1947: 25) scheitern müssen. Im Zusammenhang mit der Diskussion spezifisch afrikanischer Urbanisierungspfade und der Charakterisierung afrikanischer Städte als rural-urban wurde bereits deutlich, dass die für europäische und nordamerikanische Kontexte geltende Terziarisierung des städtischen Arbeitsmarktes, der Ausdifferenzierung einer öffentlichen und privaten Sphäre sowie das Abnehmen von Primär- zugunsten von Sekundärkontakten für den afrikanischen Raum keine Gültigkeit beanspruchen können, statt dessen aber die industriekapitalistische binäre Opposition von Stadt und Land als „Hintergrundmelodie“ (Berking/Löw 2005: 9) der Theoriebildung allzu sehr erkennbar wird. All diese Unterschiede in den Definitionen gilt es bei der historischen Betrachtung des Verstädterungsprozesses zu berücksichtigen, denn auch wenn die Zahlen zum Teil mit Rückgriff auf koloniale Datenquellen bereinigt wurde, scheinen hier und da in den einzelnen Veröffentlichungen immer wieder Widersprüche auf, die teilweise auf diese unterschiedlichen Klassifikationsversuche zurück zu führen sind. Gleichzeitig offenbaren sich an dieser Stelle aber auch die Schwierigkeiten einer rein quantitativen Erfassung und Bewertung von Urbanisierungsprozessen, die das Gebilde Stadt in erster Linie als etwas objektiv Definierbares und quantitativ Messbares verstehen und nicht als etwas im Rahmen
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von je spezifischen Bedingungen durch Akteure Hergestelltes (vgl. Berking/Löw 2005: 11). Allerdings steht es mit Blick auf die quantitative Ebene außer Frage, dass Ghana in den letzten Jahrzehnten einen außergewöhnlichen Urbanisierungsprozess erfahren hat, so dass beispielsweise Lühring bereits 1976 in dieser Entwicklung eine der entscheidenden Raum- und Sozialentwicklungen des heutigen Ghanas gesehen hat (vgl. Lühring 1976: 66). Die angesprochene Dynamik einer solchen sozial-räumlichen Reorganisation wird deutlich, wenn man sich die Veränderungen der Urbanisierungsquoten vor Augen führt: Diese lag 1931 bei 9,2%, 1948 bei 13%, 1960 bei 23%, 1970 bei 29%, 1984 bei 31% und 2004 als letzte Datenangabe bei 37,8%. Auch die Anzahl der Städte, vorbehaltlich der oben genannten Klassifizierungsprobleme, nahm von 98 im Jahre 1960 auf über 360 im Jahre 2003 rasant zu (vgl. Songsore 2003: 3f.). Hinsichtlich dieses Wachstums ist allerdings insbesondere die Neuklassifizierung von Dörfern als Städte mit zu berücksichtigen, die die Zahlen zumindest teilweise relativieren. Wie bereits erwähnt wird ein Dorf dann offiziell als Stadt registriert, wenn die Einwohnerzahl mehr als 5000 beträgt. So stieg z.B. die Anzahl der städtischen Siedlungen von 1960 bis 1970 von 93 auf 135. Diese 42 neuen Städte hatten in den 1960er Jahren oftmals knapp unter 5000 Bewohner (Songsore 2003), so dass, wenn die Dorfbevölkerung nur um wenige hundert Personen wächst, es bei einer offiziellen Volkszählung mit der Unterscheidung städtisch-ländlich, plötzlich nicht nur ein paar hundert, sondern auf einen Schlag mindestens 5000 neue StadtbewohnerInnen und gleichzeitig 4999 weniger DorfbewohnerInnen gibt, ohne dass irgendeine Form der räumlichen Migration statt gefunden hätte. Tabelle 1: Urbanisierungsquote der einzelnen Regionen Region
1960
1970
1984
Western Central Greater Accra Eastern Volta
24,7% 28% 78,8% 20,2% 13,2%
27,6% 28,5% 85,3% 24,6% 16%
22,8% 26,5% 83,5% 26,7% 20,7%
Ashanti Brong Ahafo Northern Upper West Upper East
25% 15,6% 13% 5% 3.9%
29,7% 22,1% 21,2% 6,7% 5,8%
32,1% 26,6% 24,7% 10,8% 8,5%
(Quelle: Burchards 1984, Schmidt-Kallert 1994, GSS 2002, Songsore 2003)
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Die obige Tabelle scheint für Ghana zu bestätigen, was in allgemeinerer Form für den afrikanischen Urbanisierungsprozess beschrieben wurde. Zunächst ist leicht zu erkennen, dass die Urbanisierungsquote innerhalb Ghanas erheblich divergiert. Greater Accra liegt mit jeweils um die 80% einsam an der Spitze, die beiden Upper Regionen im Norden des Landes liegen weit abgeschlagen am Ende mit meist einstelligen Werten und die restlichen Regionen bewegen sich zwischen 20% und 30%. Was sich in dieser Struktur bis heute wider spiegelt sind die regionalen Disparitäten, die von der kolonial-kapitalistischen Raumnutzung induziert wurden und die einen Struktur- und Funktionswandel in Richtung der küstennahen Städte einleiteten (vgl. Campbell 1994: 411f.). Die Engländer bemächtigten sich innerhalb eines Jahrzehntes mehrerer Stammesgebiete in dieser Region West-Afrikas und fassten diese 1874 zu der Kolonie Goldküste zusammen. Nach weiteren Eroberungen entstand bis 1902 das Gebiet des heutigen Ghanas als verwaltungstechnische Einheit. Die traditionellen Chiefs und Könige wurden von den Engländern entmachtet und ihrer Kontrolle unterworfen. Es etablierte sich in der Folgezeit eine Zweiteilung der Politik: Eine Staatsverwaltung in den Händen weniger Engländer und eine kaum mit Befugnissen ausgestattete Lokalverwaltung in den Händen der Einheimischen. Mit Blick auf die Urbanisierungsprozesse bedeutete die Inklusion der Kolonie in die kolonialkapitalistischen Verteilungs- und Produktionsstrukturen einen deutlichen Einschnitt. Obwohl Ghana mit der alten Asante Hauptstadt Kumasi94 und dem nördlichen Tamale auch jenseits der Küste über urbane Zentren verfügte, wurzelt die heutige Bedeutung Accras in seiner Bedeutung als kolonialer Brückenkopf. Die Konzentration der Infrastrukturbildung zugunsten meerexportgebundener Verbindungen, insbesondere durch die Erschließung des Landes über die sog. „Cocoa Railway“ (Konadu-Agyemang 1998: 65), leitete auch in Ghana ein hypertrophes Wachstum einiger weniger urbaner Agglomerationen in Küstennähe aus und verschob die alten, aus dem transsaharischen Handel hervorgegangen Verflechtungen und Verbindungen des historischen Städtenetzes grundlegend. Die nicht zuletzt dadurch eingeleitete Umwertung der Stadt-Land Beziehungen zugunsten der Städte werden von vielen BeobachterInnen bis heute für die ernsten wirtschaftlichen und sozialen Probleme der wenigen ghanaischen Städte, insbesondere Accras, verantwortlich gemacht (vgl. Lühring 1976, Campbell 1994, Gough 1999, Yeboah 2000). Als Folge dieser kolonialen Transformation des Städtenetzes kann es kaum verwundern, dass „the basic development process after independence led to fur94 Kumasi entstand mündlichen Überlieferungen zufolge Ende des 16., Anfang des 17. Jahrhunderts und wurde als Hauptstadt des Asante-Reiches gegründet. Kumasi ist somit bedeutend älter als Accra und hat in Bezug auf die Periode des Kolonialismus eine wechselvollere Geschichte. Kumasi entzog sich durch kriegerische Auseinandersetzungen immer wieder erfolgreich der kolonialen Herrschaft, bis es Ende des 19. Jahrhunderts durch einen Großangriff britischer Truppen nahezu vollständig zerstört wurde (vgl. als Überblick Manshard 1961).
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ther spatial concentration of activity within these main urban areas“ (Songsore 1979: 11). Dabei konzentrierten sich die Migrantenströme vornehmlich auf die beiden Zentren Accra und Kumasi, die bis in die 1980er Jahre die einzigen Städte mit über 100 000 EinwohnerInnen waren; 1984 kamen schließlich noch Tamale im Norden sowie Takoradi und Tema im Süden des Landes, 2000 nahm auch Sekondi die 100 000 EinwohnerInnen-Hürde. Damit wird aber auch deutlich, dass der durch die Unabhängigkeit 1957 politisch vollzogene Einschnitt auf der Ebene der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nicht Einzug gehalten hat und dass die durch die koloniale Ausbeutungspolitik etablierte dualistische und asymmetrische Raumordnung nicht durchbrochen werden konnte beziehungsweise gegen Ende der Strukturanpassungsprogramme sogar noch verstärkt wurde (vgl. Gough 1999, Yeboah 2000). Damit kehrte sich der in den Augen einiger Betrachter positive Trend der Verlangsamung der Land-Stadt Migration nach anfänglichen Erfolgen wieder um. Der Zuwachs der Urbanisierungsquote schwächte sich zwischen 1970 und 1984 deutlich und nahm in einigen Regionen Ghanas sogar ab. Jaeger macht in erster Linie die Strukturanpassungsprogramme der 1980er für die Veränderung der Migrantenströme verantwortlich (vgl. Jaeger 1992), in deren Folge vor allem kleine und ländliche Siedlungen wieder verstärkt zu Zielregionen wurden und es zu einer gewissen Ausgleichsbewegung zwischen Land – Stadt und Nord – Süd kam (vgl. Schmidt-Kalbert 1994). Spätestens gegen Ende der 1990er Jahre, als die Politik der Strukturanpassung vor allem zu schweren Turbulenzen und Krisen in den regionalen Nahrungsversorgungssystemen in ganz Westafrika geführt hatte (vgl. De Haan/Bos/Lutz 1995), gewann der Urbanisierungsprozess wieder deutlich an Dynamik. Zwischen den Jahren 1984 und 2000 erfuhr der Urbanisierungsprozess in Ghana einen weiteren Auftrieb, der die Anzahl der in urbanen Räumen lebenden Menschen von 31,3% auf 43,9% anschwellen ließ und für den ghanaischen Geografen Songsore zwei in qualitativer Hinsicht charakteristische Merkmal aufweist (vgl. Songsore 2003: 35f). Zum einen „the hallmark of the new millennium will be the geographic concentration of affluence and poverty within urban areas“ (ebd.). Zum anderen die ungebrochene Dominanz Accras, der ich mich im Folgenden Abschnitt nun eingehender widmen möchte, und die in den Augen Songsores, „both in terms of population shifts and concentration of dynamic activities“ (ebd.: 27), weiterhin die urbane Entwicklung Ghanas maßgeblich bestimmen wird.
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3.2 Accra: Eine Stadt im Profil Accra95 wurde gegen Ende des 16. Jahrhunderts von einer Ga-Stammesgruppe als kleines Fischerdorf in der Nähe der Korle-Lagune gegründet (vgl. Lühring 1976: 117, Gough/Yankson 1997: 9). Diese kleine Siedlung, die somit erst kurz vor der Ankunft der Europäer ihren Ursprung hat, erfuhr eine erste, moderat extern induzierte Aufwertung, als in unmittelbarer Nähe eine ganze Reihe europäischer Forts gegründet wurde: 1605 das zunächst holländische Ussher Fort, 1657 das schwedische Christiansborg und 1673 das britische James Fort (vgl. Aquandah 1999). Bemerkenswert ist, dass eine portugiesische Karte aus dieser Zeit Hinweise dafür liefert, dass Accra an keine der zeitgenössisch wichtigen Handelsrouten angeschlossen (vgl. Grant/Yankson 2003: 66) und somit aller Wahrscheinlichkeit nach von ziemlicher Bedeutungslosigkeit für die regionale Ökonomie und das kulturelle Leben der damaligen Zeit war. Die entscheidende Wende in der Entwicklung Accras erfolgte 1877, als sich die Briten dazu entschlossen, die koloniale Verwaltungszentrale von Cape Coast nach Accra zu verlegen (vgl. Grant/Yankson 2003: 66, Gough/Yankson 1997: 7). Die Bedeutung Accras zum damaligen Zeitpunkt lässt sich Burchards kurz und knapp charakterisieren: „Als dieser Ort … von den englischen Kolonialherren zum Veraltungszentrum ihrer Gold Coast Colony gemacht wurde, war er eine jämmerliche Siedlung, die kaum den Namen Stadt verdiente.“ (Burchards 1984: 101) Auf den ersten Blick ist dieser Wechsel daher schwierig nachzuvollziehen, denn Accra besaß trotz seiner Küstennähe im Vergleich zu anderen Städte keine Vorzüge, ganz im Gegenteil. Das weiter westlich gelegene Sekondi beispielsweise wies in Bezug auf den seewärtigen Abtransport von Sklaven und tropischen Nutz- und Luxuspflanzen angesichts der besseren Verkehrsanbindung und der vorteilhafteren Hafenlage deutliche Standortvorteile auf, während Accra sich in einer „niederschlagsarmen, unwirtlichen und ursprünglich dünn besiedelten“ (Lühring 1976: 116) Region mit schlechter Verkehrsanknüpfung befand. Insbesondere unter Versorgungsaspekten war der Ort mehr als suboptimal ausgewählt, eigneten sich doch die trockenen Küstensavannen nicht für den Anbau von benötigten Lebensmitteln, deren Zufuhr dann zunächst auf dem kostenaufwendigen Seeweg erfolgen musste und sich auch in den folgenden Jahrzehnte immer wieder schwierig gestaltete (vgl. Manshard 1977: 52).
95 In einer kleinen Bibliothek in Accra, der George Padmore Memorial Library on African Affairs, fand sich in einem Buch folgender kleiner Hinweise zur Entstehung des Stadtnamens: „Loei is the Ga term for another species of dark brown ants, which wander about in great swarms and invade houses, killing and devouring every living thing they meet. These ants are called ‚nkrang‘ by the Twis and Fantes. When the Portuguese came to this part of the coast they may have brought with them Fante servants, who told them the place was called Nkran; and not being able to pronounce the word properly, called it Akkra” (Reindorf 1906: 24).
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Dennoch lagen der Standortwahl eine ganze Reihe strategischer Überlegungen von britischer Seite zugrunde, allen voran Überlegungen im Zusammenhang mit dem geschilderten ‚sanitation syndrom‘, denn die britische Kolonialverwaltung erhoffte sich aus zwei Gründen in Accra einen besseren Schutz vor einheimischen Krankheitserregern: Zum einen liegt Accra im Vergleich zu seinem Umland ein wenig erhöht und angesichts der lange Zeit dominierenden Annahme, dass Malaria durch die Ausdünstung bestimmter Böden verursacht würde, erwartete man angesichts der Windströmungen und der Lage, eine effektivere Vorbeugung gegen das Fieber zu erreichen. Zum zweiten hatte ein Erdbeben 1862 weite Teile Accras zerstört, so dass man sich der Möglichkeit einer grundlegenden städtebaulichen und räumlichen Reorganisation der Stadt gegenübersah (vgl. Grant/Yankson 2003: 66). Eine solche Perspektive war deshalb so attraktiv, weil in einer Übertragung der der Rassenlehre entsprungenen Dichotomie zwischen ‚Europäern‘ und ‚Afrikaner‘ auf die Dichotomie ‚gesund‘ versus ‚krank‘ die einheimischen Bevölkerungsmitglieder als Träger gesundheitsgefährdender Keime klassifiziert wurden, deren Kontakt es in jedem Fall zu vermeiden galt. Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass „Accra was selected based on initially non-commercial advantages“ (Grant/Yankson 2003: 67), was im Vergleich zu anderen Städten der Westküste, wie Abidjan oder Dakar, die explizit aus ökonomischen Erwägungen heraus ausgewählt wurden, durchaus als ungewöhnlich zu bezeichnen ist. Der Plan einer kolonialen Segregationspolitik zeigte in Bezug auf die Stadtentwicklung rasch räumliche Auswirkungen, insofern als die Stadt in Kürze in einer für Kolonialstädte typischen Weise in einen ‚weißen‘ und einen ‚einheimischen‘ Teil mit den ebenfalls üblichen Kennzeichen zerfiel: „From the very beginning, two spatial subsystems developed side by side: a well-planned European residential area, around which were clustered the houses of a few wealthy Accra merchants, and unplanned indigenous areas.“ (Gough/Yankson 1997: 9) Wie in diesem Zitat bereits angedeutet, erlebte die Stadt angesichts ihrer Ernennung zur Kolonie-Hauptstadt tatsächlich einen enormen wirtschaftlichen und politischen Aufstieg und wurde zum ersten Mal in ihrer Geschichte zur bedeutendsten Region dieses Landstrichs. Bereits 1899, also nur ca. 20 Jahre nach der Verlagerung des Kolonialsitzes, galt der Hafen Accras als der frequentierteste der ganzen Goldküste mit den meisten Warenhäusern und dem größten Umsatz (vgl. Dickson 1969: 259). Damit begann eine städtische ‚Erfolgsgeschichte‘, die letztlich bis zum Zweiten Weltkrieg anhielt (vgl. Robertson 1984: 33). Zur besseren Handhabe wurde das gesamte Land kurzerhand der britischen Krone unterstellt und indigene Landrechte in der Folge nicht mehr anerkannt. Dabei handelte es sich um ein im britischen Herrschaftsgebiet übliches Vorgehen: „In theory all lands in conquered areas of British West Africa … or lands ceded to the British Crown … were owned by the crown“ (Kaniki 1985: 390). Allerdings löste dieses Bodengesetz (Land Bill) zu Anfang der 1890er Jahre heftigen Widerstand in der einheimischen Bevölkerung aus, der sogar teilweise von
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britischen Unternehmern, die eine Enteignung befürchteten, unterstützt wurde (vgl. Schicho 2001: 184). Die Möglichkeit eines solchen Aufbegehrens wurde allerdings erst durch das bereits erwähnte britische System der ‚indirekten Herrschaft‘ ermöglicht. Nachdem die Briten in anderen Kolonialgebieten bereits schlechte Erfahrung mit autoritären Herrschaftsformen gemacht hatten, entwickelten sich mit der Zeit Herrschaftsformen, die zwar eine deutliche Überformung traditioneller Strukturen mit sich brachten, aber keinen endgültigen Bruch mit den indigenen Systemen bedeuteten. Insbesondere mit den traditionellen chiefs und einer schmalen Schicht der sog. ‚educated elite‘ wurde zur Steigerung der Legitimität der eigenen Besitzansprüche und zur besseren Kontrolle der Bevölkerung eine Kooperation gesucht. Somit wurde aber auch eine Bevölkerungsgruppe geschaffen, die durchaus in der Lage war, effektiven Widerstand zu leisten und so wurde die umstrittene Land Bill 1898 wieder abgeschafft. In der Zwischenzeit hatte sich jedoch bereits eine komplexe Gemengelage an unterschiedlich legitimierten Besitzansprüchen gebildet, die den Grundstein für bis heute anhaltende Bodenrechtsstreitigkeiten legte. Bindet man diese konkret in Accra beobachtbare Praxis zurück an die raumtheoretischen Überlegungen dieser Arbeit, so wird bereits an diesem Punkt deutlich, dass die auf Spacingleistungen der einzelnen Akteure beruhenden Raum(an)ordnungen wesentlich auf der Nutzung primärer Ressourcen, in diesem Fall der Landnutzung, basieren und bei Erfolg in der Regel auch entsprechende Inklusions- und Exklusionseffekte nach sich ziehen. In unmittelbarer Nähe des Hafenviertels entstand der klar abgegrenzte und Zugangsbeschränkungen unterliegende European Central Business District (CBD), wo sich hauptsächlich die koloniale Verwaltung sowie die jeweiligen Dependancen der größten Unternehmen befanden. Das dritte Viertel war die sog. ‚native town‘, in welchem 1924 auch der erste ganzwöchig statt findende Makola Market eröffnet wurde. Der rege Handel zwischen den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und Ethnien schlug sich rasch in einer „bazaar-like atmosphere“ (Grant/Yankson 2003: 67) nieder, die sich in einem krassen Gegensatz zu der infrastrukturellen Ausstattung des Viertels befunden haben muss. Während die britische Kolonialverwaltung mit Blick auf die europäisch dominierten Viertel viel Zeit und Geld in den Aufbau einer westlichen Standards zumindest nahe kommenden Infrastruktur investierte96, „the colonial government neglected urban planning in this district, which led to a crowded, cluttered and congested environment with poor structures and unhealthy conditions“ (ebd.). So wurde auch für Accra schon in frühen Zeiten der Grundstein für das gelegt, was weiter oben 96 So wurden beispielsweise 1915 am Unterlauf des Flusses Densu mit großem Aufwand die Weji Wasserwerke gebaut, was die bis dahin schwierige Versorgungslage der europäischen Viertel mit frischem Trinkwasser löste. Im Zuge des ‚Kakaobooms‘ Anfang der 1920er Jahre, von dem auch Accra profitierte, erfolgten schließlich weitere Großprojekte wie der Bau eines Damms über die Korle Lagune und die Errichtung des Korle Bu Krankenhauses (vgl. Gogh 1999, Lühring 1976: 119).
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mit Rückgriff auf Mike Davis für heutige afrikanische Städte als ‚SlumÖkologie‘ beschrieben wurde. Als weiteres Quartier entwickelte sich die nahezu ausschließlich Europäern und Europäerinnen vorbehaltene, ein wenig höher gelegene, von einer frischen Meeresbrise gelüftete und bis heute noch so bezeichnete Residential Area im Nordosten der Stadt, die mit luxuriösen Behausungen, Golf- , Tennis- und diversen anderen Sportplätzen sowie entsprechenden Clubs beinahe alle Annehmlichkeiten aus der Heimat bot, ganz im Sinne der Segregationspolitik eines ‚cordon sanitaire‘ durch einen breiten Grünstreifen von der Native Town getrennt war und durch diverse Parks und Grünanlagen in ihrem Erscheinungsbild abgerundet wurde. Der krasse Gegensatz zwischen diesen europäischen Vierteln, die durch kolonialtypische Gebäude dominiert wurden, und den indigenen, sich selbst überlassenen Vierteln, in denen sich rasch ein „Meer von Wohnhütten“ (Lühring 1976: 117) auszubreiten begann, war räumlicher Ausdruck dessen, dass die britischen Kolonialherren „maintained a city within a city“ (Konadu-Agyemang 1998: 70). So zeigen sich zusammenfassend betrachtet für die räumliche Organisation des historischen Accras all jene Merkmale, die bis zu einem gewissen Grad für die meisten kolonialen urbanen Räume galten: „a very different social stratification from that found in preindustrial cities, and the institutionalised organisation and maintenance of … social distance on the basis of race or ethnicity.“ (Simon 1992: 27) Abbildung 10: Das koloniale Accra
(Quelle: Grant/Yankson 200) Die koloniale Einflussnahme hatte gravierende demografische Auswirkungen, die ebenfalls ihren räumlich-physischen Niederschlag fanden. Bereits die übergreifende Betrachtung ghanaischer Urbanisierungsprozesse hat deutlich gemacht,
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dass in dem jeweiligen Wachstum der Städte der koloniale Schnitt deutlich erkennbar war. Bis heute verzeichnet Accra (neben Kumasi) die größten Zuwachsund Zuwanderungsraten und sieht sich damit mit den Folgen einer Dynamik konfrontiert, die ihren Ursprung in der Tatsache hat, dass die koloniale „integration of Accra into the external economy reversed the traditional urban and economic patterns in Ghana“ (Grant/Yankson 2003: 67). Derart künstlich mit Funktionen für die gesamte Goldküste ausgestattet, verzeichneten insbesondere die frühen Jahre einen rasanten Wachstum: Zwischen 1891 bis 1948 wuchs die Stadt von 16 000 auf 136 000 EinwohnerInnen. Zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit zählte das postkoloniale Accra bereits 190 000 EinwohnerInnen und aktuell beherbergt es geschätzte 1,8 Millionen Menschen. Vergegenwärtigt man sich die zwischen den Jahren 1984 und 2000 durchschnittliche Wachstumsrate von 4% (GSS 2002), mit der Accra bis zur Jahrtausendwende zu einer der am schnellsten wachsenden urbanen Regionen ganz Westafrikas gehörte (vgl. UN-Habitat 1999), liegt die Vermutung nahe, dass derartige Prozesse der sozial-räumlichen Reorganisation bei mangelnden Adaptionsmöglichkeiten zu ernsthaften Krisen führen können. Im gleichen Zeitraum erfuhr auch die Stadtfläche eine selbst für südliche Regionen bemerkenswerte Erweiterung. Angesichts der natürlichen Begrenzung der Stadt nach Süden hin durch den Atlantischen Ozean erfolgte die Ausdehnung zunächst nach Westen und Osten, später auch nach Norden, so dass mit der Zeit immer mehr kleinere Ortschaften dem Sog der Großstadt erlagen und eingemeindet wurden. Die heutige Greater Accra Metropolitan Area (GAMA) umfasst die drei administrativen Distrikte Accra Metropolitan Assembly (AMA), Tema Municipal Assembly (TMA) und Ga Distirct Assembly (GDA), die zwar physischräumlich und funktional eine Einheit bilden, aber verwaltungstechnische unabhängig voneinander sind. Heute wird die Stadt im Süden durch den Golf von Guinea, im Norden durch die Legon University of Ghana, im Osten durch die Hafenstadt Tema und im Westen durch die Chemu Lagoon begrenzt. Bestand Accra 1870 im Kern aus den drei alten Forts James Town, Christiansborg und Ussher Town, die bis heute noch Stadtviertel bezeichnen und sich über 10 km2 erstreckten, umfasst die heutige GAMA-Region nahezu unglaubliche 240 km2 (vgl. Obuobie et al. 2006: 7); nimmt man die peri-urbanen Gebiete Accras, die nicht innerhalb der offiziellen Stadtgrenzen liegen, noch hinzu, hat nach neueren Schätzungen der Stadtverwaltung der urbane Raum Accras sogar eine Ausdehnung von 422 km2.97 Dieses bereits als typisch für afrikanische Urbanisierungspfade identifizierte Muster der flächenhaften Ausdehnung gilt es in Erinnerung zu behalten, da es im Zusammenhang mit der urbanen Landwirtschaft noch eine entscheidende Rolle spielen wird
97 Bei dieser Schätzung handelt es sich um eine aktuelle Berechnung des IWMI (International Water Management Institute) mittels GIS, die aber noch nicht offiziell bestätigt wurde.
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Abbildung 11: Ausdehnung Accras in den Jahren 1995-2002
(Quelle Gough/Yankson 2006)
Schreitet man in der historischen Entwicklung der Stadt nochmals zurück zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit, so lässt sich weiterhin festhalten, dass Accra im Jahre 1957 über keinerlei „manufacturing tradition“ (Grant/Yankson 2003: 67) verfügte, was als eine weitere Folgelast der kolonialen Besatzungszeit interpretiert werden muss, da die Kolonialverwaltung, abgesehen von der Nahrungsmittelherstellung, die Entstehung einheimischer Handwerksbetriebe strikt unterband. Zum einen befürchtete man die daraus erwachsende Konkurrenz für eigene Betriebe, zum anderen sollte dadurch auch eine Kapitalakkumulation der einheimischen Bevölkerung verhindert werden (vgl. Grant 2001). So startete Accra mit einer Wirtschaftsstruktur in die Unabhängigkeit, die wesentlich von exportorientierten Produkten bestimmt wurde und „which set the scene for neocolonial dependency“ (Pellow 2002: 27). Aber auch nach der Unabhängigkeit blieb Accra das „favored child“ (Konadu-Agyemang 1998: 69) der neuen nationalen Regierung, die durch ihre politischen und administrativen Maßnahmen die Dominanz Accras weiter untermauerte. Alle zentralen administrativen Funktionen und Behörden wurden in der Stadt konzentriert, mittelständische Unternehmen wurden durch Steuererleichterungen und spezifische Förderprogramme in die Region gelockt und nahezu alle internationalen Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen errichteten ihren Hauptsitz in Accra (vgl. Grant/Yankson 2003: 68). Bereits Mitte der 1960er Jahre bündelte die Stadt mehr als 50% des landesweiten medizinischen Personals, 70% aller Regierungsbeamten, 50% der gesamten ver-
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arbeitenden Industrie, die geschäftsführenden Zweigstellen von 655 ausländischen Unternehmen und bereits ca. 13% der gesamten Bevölkerung (vgl. Konadu-Agyemang 1998: 69)! Diese zentrale Stellung Accras wurde nicht zuletzt durch die wirtschaftlich erfolgreichen Anfangsjahre weiter untermauert, als „an economic revolution hit Accra due to the cocoa boom“ (Arn 1996: 425). Eine Maßnahme, die die physische Erweiterung der Stadt in östlicher Richtung entscheidend vorantrieb, war der im Jahre 1962 erbaute Hafen in der 29 Kilometer entfernt liegenden Stadt Tema, der vor allem einer Erweiterung des Expothandels dienen sollte. Mit der Schließung des alten Hafens in Accra und dem schnell an Bedeutung gewinnenden Hafen in Tema wuchsen die beiden Städte, verbunden durch eine der wenigen makellosen Autobahnen des Landes, rasch zu einem einzigen urbanen Raum zusammen (vgl. Grant/Yankson 2003: 68). Eine erste schwere Erschütterung der wirtschaftlichen Situation und ein erstes alarmierendes Anzeichen für die koloniale Bürde der ‚monocrop economy‘ bedeutete 1965 der weltweite Einbruch der Kakaopreise, der die ghanaische Wirtschaft schwer traf. Angesichts der Bedeutung, die der Kakaohandel für die wirtschaftliche Prosperität spielte, kann dies auch kaum verwundern (vgl. Pellow/Chazan 1986: 137f.): In den Jahren 1958 bis 1964 stieg die weltweite Nachfrage nach dem Produkt um durchschnittlich 5,7% und im selben Zeitraum erhöhte Ghana seinen Anteil an der weltweiten Produktion von 26 auf 35%. Ghana rückte damit nach 1891 erneut zum weltweit größten Exporteur von Kakao auf und mehr als 20% der landesweiten Arbeitnehmer waren in die Produktion involviert. Gleichzeitig lag in der steigenden Nachfrage auch die Gefahr, denn als Folge fielen die Preise kontinuierlich. Der Produktionsprozess brach dramatisch ein und reduzierte sich von 538 Tausend Tonnen im Jahre 1965 auf 155 Tausend Tonnen im Jahre 1985. Um weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben, hielt der Staat selbst bei wieder steigenden Weltmarktpreisen die Preis künstlich niedrig, so dass es sich für die Bauern immer weniger rentierte, Kakao anzubauen: „Given the soaring inflation rate, the hike was inadequate, and cocoa farmers neglected their trees, changed to farming foodstuffs or smuggled their yield out of the country.“ (ebd.: 138) Aber auch endogene Faktoren spielten bei dem wirtschaftlichen Abschwung des Kakaohandels eine nicht unwesentliche Rolle. Die anhaltende und bindende Wirksamkeit von verwandtschaftlichen Beziehungen hatte auf der einen Seite den positiven Effekt weitestgehend intakter und damit integrierender Sozialstrukturen, implizierte aber auf der anderen Seite auch ein gewisses Maß an sozialer Kontrolle und Verpflichtungen den Verwandten gegenüber. Gerade diese Obligationen, die nicht selten die Form von finanzieller Unterstützung annahmen, fielen in Zeiten wirtschaftlicher Prosperität nicht weiter ins Gewicht, wirkten sich jedoch angesichts der deutlichen Verschlechterung der ökonomischen Situation spürbar negativ auf die Investitionsfreudigkeit der Bauern aus (vgl. Burchards 1984: 125). Weiterhin wurde mit Beginn der Unabhängigkeit 1957 die Kakaoproduktion vom ersten Präsidenten, Kwame Nkrumah, zwangsverstaatlicht. Die dadurch erreichte Kontrolle über die Preisentwicklung diente
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nicht nur dem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit; vielmehr sollten durch die so erzielten Mehreinnahmen, die direkt in den Staatshaushalt flossen, gigantische Großprojekte als Symbol des wirtschaftlichen und technischen Aufstiegs Ghanas als Vorbild für den gesamten Kontinent finanziert werden. Ein solches Großprojekt war die Erbauung des Volta-Staudamms, der als größter künstlicher See der Welt gilt und der zwar weite Teile des heutigen Accras mehr oder weniger sicher mit ausreichend Strom versorgt, aber bis heute nicht die erhoffte wirtschaftliche Inititalzündung auslösen konnte, sondern in erster Linie ruinöse Folgen hatte (vgl. Zachary 2004: 51). Die 1970er Jahre waren dann bereits von einem deutlichen wirtschaftlichen Abschwung gezeichnet und mit Beginn der 1980er Jahre traten die Langzeitfolgen der paradox anmutenden kapitalistisch-sozialistischen Wirtschaftspolitik von Kwame Nkrumah, offen zu Tage (vgl. Grant/Yankson 2003: 69): die Inflationsrate war als Folge der Überbewertung der nationalen Währung (Cedi) unaufhaltsam gestiegen und das anhaltende Drucken von Banknoten als zentrale Strategie der Finanzierung regierungseigener Projekte verschärfte die schwierige wirtschaftlichen Lage noch. Im Zuge dieses wirtschaftlichen Niedergangs sank auch das Pro-Kopf Jahreseinkommen von 490 US-Dollar im Jahre 1957 um über 20% auf 380 US-Dollar im Jahre 1990. Ausländische Firmen zogen sich ebenfalls mehr und mehr und zurück und auch die Wohnsituation hatte sich 1980 im Vergleich zu 1957, dem Jahr der Unabhängigkeit, erheblich verschlechtert (vgl. Konadu-Agyemang 2001: 15). Das tief in die Krise geratene sozio-ökonomische Missmanagement dieser Jahre hatte auch erhebliche Auswirkungen auf die räumliche Entwicklung der Stadt. Das Fehlen jeglicher Form von effektiven Stadtplanungsmaßnahmen und damit einhergehender Landnutzungspläne „meant that buildings sprang up on most vacant sites in Accra“ (Grant/Yankson 2003: 69). Zwar war sich die Regierung der Problematik durchaus bewusst, denn zwischen den Jahren 1975 und 1979 entwarf das Ministry of Economic Planning einen städtischen Flächennutzungsplan (vgl. Gough/Yankson 1997: 13), der aber aufgrund von politischen, ökonomischen und rechtlichen Hindernissen nie umgesetzt wurde. Als zentrales Problem stellte sich vor allem das historisch gewachsene und äußerst komplexe Landnutzungsrecht Ghanas heraus, welches hinsichtlich der institutionellen Rahmung der Versorgungspraxis Accras noch eine wichtige Rolle spielen wird. Mit Blick auf eine erfolgreiche Implementierung des erstellten Flächennutzungsplans erwies sich nämlich die Tatsache, dass die städtische Verwaltung Accras lediglich 11% der Fläche ihr eigen nennen konnte und die restlichen 89% unter sog. ‚customary land right‘ fielen, als entscheidender Hemmschuh bei der Umsetzung der Planungsmaßnahmen (vgl. Larbi 1996: 213). Unmittelbares Resultat eines derart fehlgeschlagenen Regulationsversuchs urbanen Wachstums war eine Verschärfung der ohnehin schon aus Kolonialzeiten bestehenden Kluft zwischen den „planned high-income, low density residential“ (Grant/Yankson 2003: 69) und den „low-income high-density unplanned areas“ (ebd.) der vornehmlich afri-
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kanischen Bevölkerung. Der Ausbau verschiedener Versorgungsnetze wie dem Straßenwesen, der Wasserversorgung und der staatlich subventionierte Bau von Wohnraum konnten mit dem Wachstum der Stadt immer weniger Schritt halten und den Bedürfnissen der BewohnerInnen immer weniger gerecht werden. Für die Geschichte der Stadtentwicklung markiert die Implementierung der Strukturanpassungsprogramme 1983 sicherlich einen weiteren Wendepunkt. Wenngleich Accra bereits zum damaligen Zeitpunkt neben Kumasi das unangefochtene wirtschaftliche und kulturelle Zentrum Ghanas verkörperte und einen entsprechend hohen Anteil der MigrantInnenströme absorbierte, erfuhr die Stadt eine bis dahin ungekannte Wachstumsphase (vgl. Larbi 1996, Yeboah 2000, Konadu-Agyemeng 2001). Die Hauptursache für diese Entwicklung ist darin zu finden, dass die Maßnahmen der Strukturanpassungsprogramme in Bezug auf Ghana von durchschlagender Wirkung waren. Die Liberalisierung des Handels und die damit verbundene Entstaatlichung vieler Betriebe wirkten sich zunächst belebend auf das wirtschaftliche Leben Ghanas aus. Angesichts des städtischen Bias der meisten Strukturanpassungsmaßnahmen profitierte in erster Linie Accra von den durchgesetzten Maßnahmen der Weltbank. Dabei leitete vor allem das von der Weltbank initiierte ‚Gateway Infrastructural Development Project‘ mit seinem Ausbau des urbanen Verkehrsnetzes eine bis dahin ungekannte flächenmäßige Ausdehnung der Stadt ein: Accra wuchs zwischen den Jahren 1983 und 1997 um 318% (Yeboah 2000: 68)! Dieser historisch einmalige Wachstumsprozess lässt sich als „a result of a nexus of global and local forces, … as an increasing link between Ghana and the global economic and cultural system through Ghana’s structural adjustment program (SAP)‘‘ (Yeboah 2000: 107) rekonstruieren. Die Implementierung der Strukturanpassungsprogramme führte nicht nur zu einer Deregulierung vieler Wirtschaftszweige, sondern auch zu einer radikal durchgesetzten Liberalisierung des Bodenmarktes im Rahmen der so genannten ‚Sites and Services‘ Programme. Im Zuge der zunächst weiter ansteigenden Entwertung des Geldes wurde damit städtischer Baugrund in zunehmendem Maße zu einer vergleichsweise sicheren Investitionsanlage, die entsprechend viele Spekulanten anzog (vgl. Grant/Yankson 2003: 69). Auch für im ghanaischen Exil zu verhältnismäßigen Reichtum gekommene Ghanaer beteiligten sich an dem Ausverkauf des Landes, wie überhaupt das meiste Land in privater Hand blieb und nicht in den Besitz beispielsweise großer Baufirmen überging (vgl. Yeboah 2000: 7). Sowohl die Grundstücks- als auch die Mietpreise schnellten 40 bis 60% in die Höhe, was insofern dramatische Auswirkungen auf die Wohnsituation vieler Menschen hatte als die erzwungenen Entwicklungsmaßnahmen der Weltbank „has had negative effects of the Accra workforce … and that income has not kept pace with the rising costs of living“ (Grant/Yankson 2003: 70). Der Zensus von 1995 ermittelte für den Zeitraum von 1988 bis 1992 einen deutlichen Anstieg der in Armut lebenden Haushalte von 9 auf 23% (vgl. GSS 1995), gleichzeitig stieg aber auch der Anteil der Mietverhältnisse von 35 auf 64% (vgl. Grant/Yankson 2003: 71). Letztlich profitierten von der Weltbankstrategie auch in Accra in ers-
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ter Linie Angehörige der Mittelklasse, Staatsangestellte oder im Verhältnis besser gestellte Arme (vgl. Konadu-Agyemeng 2001, Pellow 2002). Die horizontale Ausdehnung der Stadt kam daher durch zwei sich überlagernde Folgen internationaler entwicklungspolitischer Maßnahmen zustande: Angesichts der horrenden Miet- und Bodenpreise war eine nahe liegende Strategie der Mittellosen, ihre Hüttensiedlungen an den noch frei zugänglichen Stadträndern zu errichten, was im Wesentlichen eine peri-urbane Erweiterung der Stadt Richtung Osten zur Folge hatte. Ergänzt wurde diese Form der Statellitenenbildung durch einen Traum, der scheinbar auf der ganzen Welt geträumt wird: der Wunsch nach einem Eigenheim. Die Realisierung des „Ghanaian’ dream to build their own home“ (Grant/Yankson 2003: 72) führte zu einer raschen Ausdehnung der administrativen Grenzen Accras Richtung Norden und Westen, da mit abnehmender Entfernung zum Zentrum auch die Grundstückspreise auf ein erschwingliches Niveau fielen. Kurioserweise wurde der Trend zum einstöckigen Familienhaus durch eine der wichtigsten Zutaten der ghanaischen Küche, fufu98, weiter forciert: „However, a cultural trait, the pounding of fufu … seems to limit the popularity of multistory buildings in Ghana.“ (Yeboah 2000: 71) Nach Einschätzung von Deborah Pellow weist damit das heutige Accra zusammenschauend betrachtet viele der typischen Merkmal afrikanischer Urbanisierungspfade auf: „Like colonial cities throughout the world, Accra is a product of cultural interaction between two or more systems of culturally specific values, technology resulting in the separation of home and work, and the development of new institutions, methods, technologies, and roles to deal with the change in knowledge and organization.“ (Pellow 2002: 27) Accra präsentiert sich damit dem Betrachter in einer für viele afrikanische Regionen üblichen Mischung aus kolonial-historischer Vergangenheit und postkolonialen Turbulenzen. Auf der einen Seite hat die Stadt mit inadäquaten Wohnverhältnissen, gravierenden Umweltproblemen, unzureichenden Sanitäreinrichtungen, fehlender medizinischer Grundversorgung und einem schlechten Straßenzustand mit den einschlägigen Problemen postkolonialer urbaner Räume in Afrika zu kämpfen. Vor allem das marode Abwassersystem, welches in Form von offenen und stets verschmutzten Kanälen die gesamte Stadt durchzieht, führt während der Regenzeit regelmäßig zu schweren Überschwemmungen, die sowohl die Felder der urbanen Landwirtschaft bedrohen als auch die Gefahr eines Ausbruchs verschiedener Epidemien während den Regenzeiten signifikant erhöhen. Weit über 60% der Bevölkerung leben in slumähnlichen Vierteln wie Central Accra, New Town Accra oder Old Fadama (vgl. Obuobie et al. 2006: 7). Die immer schlechter werdenden Wohnbedingungen in den historischen Vierteln
98 Bei fufu handelt es sich um eine klebrige, knödelteigartige Masse auf Maniokbasis, die zu nahezu allen Gerichten in Ghana als Beilage serviert wird. Die frische Zubereitung erfordert dabei eine gewisse Anstrengung angesichts des schweren Holzstößels, mit dem die Zutaten zu einem Brei gestoßen werden.
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Accras habe Anfang der 1960er Jahre zu einer verstärkten Expansion der Stadtfläche in die nördliche und westliche Umgebung Accras geführt (vgl. KonaduAgyemang 1998: 69). Allerdings führten diese Ausweichbewegungen der Bevölkerungen zu keiner signifikanten Verbesserung der Wohn- und Lebensverhältnisse, was insbesondere an dem anhaltend hohen natürlichen und migrationsbedingten Wachstum Accras lag: „Higher than expected demographic growth rates coupled with increasing rural-urban migration pressured an already overstretched housing stock.“ (Grant/Yankson 2003: 68) Auch wenn die heutige Regierung unter Präsident Kufuor international als ‚Musterschüler‘ unter den Demokratien Afrikas gilt, stellen doch einige AutorInnen kritisch fest, dass eine „legacy of favouritism has combined with the usual twin scourges of mismanagement and corruption” (Pellow 2002: 17). In dieser somit auch in Ghana und der Hauptstadt Accra anzutreffenden Miss- und Vetternwirtschaft wird denn auch die Hauptursache dafür gesehen, dass die Stadtverwaltung nicht in der Lage war, „to provide adequate infrastructure for the burgeoning population and to maintain existing facilities“ (Konadu-Agyemang 1998: 81); eine Fehlleistung, die auch die natürliche Umwelt der Stadt schweren Belastungen aussetzt. In Accra trifft man so auf eine Situation, die Deborah Pellow folgendermaßen zusammenfasst: „Moreover, terrible social and spatial inequities abound and many of its residents live in deprived conditions.“ (Pellow 2002: 16) Auf der anderen Seite würde man der tatsächlichen Entwicklung der Stadt Accra nicht gerecht werden, würde man nur die negativen und misslungenen Prozesse in den Vordergrund stellen. Entgegen der düsteren Vision Kaplans von einer „kommenden Anarchie“ (Kaplan 1996) westafrikanischer Städte hat Accra in manchen Bereichen durchaus beachtliche Erfolge vorzuweisen. Insbesondere die Wasserversorgung der Stadt kann als eine solche Erfolgsgeschichte gelten: Waren 1954 lediglich 24% der Haushalte an das Versorgungsnetz angeschlossen (vgl. Acquah 1972: 28), so waren es 1989 bereits 83% (Konadu-Agymeng 1998: 81) und ist heute als nahezu flächendeckend zu betrachten99 (vgl. Pellow 2002: 17). Auch das friedliche Zusammenleben einer immensen ethnischen und religiösen Vielfalt ist gerade in afrikanischen Städten alles andere als eine Selbstverständlichkeit und macht einen Großteil der Faszination dieser Stadt aus. In den alten Quartieren der Stadt dominiert die Volksgruppe der Ga, die anteilsmäßig größte Gruppierung in Accra, die sich auf der einen Seite durch eine hohe soziale Integration der einzelnen Gemeinden auszeichnet, gleichzeitig aber als „one of Ghana’s most vulnerable risk groups in terms of poverty, dilapidation, morbidity 99 Trotz dieses flächendeckenden Zugangs zu frischem Wasser, zumindest für die Haushalte, ist der Zustand der Wasserversorgung alles andere als unkritisch. So verfügen viele der komfortableren Wohnhäuser zur Sicherstellung ihrer Versorgung über eigene Wassertanks und vor allem im Bereich der Versorgung der landwirtschaftlichen Produktion mit ausreichend Wassermengen treten immer wieder Nutzungskonkurrenzen in Bezug auf die knappen Wasserressourcen auf (vgl. ausführlicher den vierten Abschnitt dieses Kapitels).
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and mortality“ (Bremer 2001: 23) gilt. Neben den Ga beherbergt Accra über 100 andere ethnische Gruppierungen, wie die Akan, Ewe, Dagomba, Dagati oder Frafra, so dass insgesamt 70% der städtischen Bevölkerung Accras sich aus MigrantInnen zusammensetzt (vgl. Pellow 2002: 20). Entsprechend der Heterogenität ihrer BewohnerInnen hat eine Vielfalt unterschiedlichster Sprachen und Dialekte Einzug gehalten, wobei Englisch als offizielle Amtssprache, sowie Ga und Akan als die am weitesten verbreiteten einheimischen Dialekte gelten. Weiterhin zeichnet sich die Stadt durch ein reges wirtschaftliches Leben aus, wenngleich offiziellen Statistiken zufolge nahezu zwei Drittel aller Beschäftigten dem informellen Sektor zuzurechnen sind (vgl. Boeh-Ocansey 1998: 8). Wie weiter oben beschrieben gilt dies gemeinhin als zentrales Charakteristikum und gleichzeitig schwer wiegendes Problem der wirtschaftlichen Entwicklung südlicher Regionen. Entgegen der oftmals negativen westlichen Einschätzung sichern die diversen Formen der „Microenterprises“ (ebd.) aber einem Großteil vor allem der weiblichen Bevölkerung Accras das Überleben (vgl. Robertson 1984: 476). Neben dieser im alltäglichen Leben unübersehbaren „kiosk economy“ (Pellow 2002: 18), die sich vorwiegend auf den zahlreichen Märkten und Hauptverkehrsstraßen der Stadt abspielt, wächst aber durchaus auch der formelle Dienstleistungssektor, insbesondere im Bereich der sog. ‚back office computing work‘, und damit eine dünne Mittelschicht. Ganz im Sinne einer global sich immer stärker verflechtenden Wirtschaft beschäftigt beispielsweise die US-Amerikanische Computerfirma ACS Incorporation in Accra ca. 400 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die während der Nachtzeit in Amerika tagsüber in Accra Datensätze bearbeiten und sie schließlich per Satellitenverbindung zu Beginn des amerikanischen Arbeitstages an den Arbeitgeber übersenden: „You have to imagine this scene: You step off the steamy streets of Accra, go up three floors, and all you see in every direction is a sea of young Ghanaians doing data processing on computers, in air-conditioned rooms with radio playing ‚Don’t worry, be happy‘.“ (Friedmann 2001: 27) Exkurs: Erste Eindrücke Die kulturelle Kodierung Afrikas als „Herz der Finsternis“ (Joseph Conrad) oder als ‚dunkler Kontinent‘, der in regelmäßigen Abständen vom „afrikanischen Fieber“ (Ryszard Kapuscinski) heimgesucht wird, evoziert nach wie vor jene eigentümliche Mischung aus Angst, Neugier und Faszination, wie sie seit jeher in Bezug auf den afrikanischen Kontinent zu finden ist. Und seit jeher verspricht er den Erforschern und Entdeckerinnen „unsagbare Abenteuer und Mysterien“ (Lindner 2004: 15). Nicht zuletzt deshalb werde ich einer Tradition der Stadtforschung folgend und angeregt durch die ethnographische Form einer „dichten Beschreibung“ (Geertz 1990: 10) erste Eindrücke der Stadt Accra als stärker erzählerische Elemente in die analytischen Beschreibungen einfließen lassen, wohl wissend, dass es sich hierbei nicht um eine ‚dichte Beschreibung‘ im strengen Sinne handelt. Dabei geht es darum zu zeigen, „wie das Leben an einem Ort, zu
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einer Zeit, in einer Gruppe abläuft“ (Geertz 1990: 138). Ist die Beschreibung ‚dicht‘ genug, fühlen sich LeserInnen, ganz ähnlich wie bei einer gelungenen literarischen Darstellung oder einer anschaulichen Reportage, an den Ort der Handlung versetzt, sehen, hören und riechen, was Feldforscherin und Feldforscher gesehen, gehört und gerochen haben. Ein solcher Schritt der Enkulturation (soweit dies überhaupt im Rahmen eines Feldaufenthalts von einigen wenigen Monaten möglich ist) erschöpft sich aber nicht nur in einer Wiederholung dessen, was wahrgenommen wurde, sondern beinhaltet stets auch erste Formen der Interpretationsarbeit. Dabei habe ich bei meiner teilnehmenden Beobachtung (oder vielmehr der beobachtenden Teilnahme) versucht, der Maxime zu folgen, in erster Linie danach zu schauen, was da ist, und nicht danach, was aus westlicher Sicht zu ‚fehlen‘ scheint. Mit anderen Worten: Ich habe versucht, einen Sinn für das ‚Andere‘ und nicht so sehr für das ‚Defizitäre‘ zu entwickeln. Ankunft ‚Wart ihr schon mal in den Tropen? Nein?! Ihr werdet sehen, das Klima dort ist unglaublich!‘ Dies war nicht selten die erste Reaktion von bereits Tropen erfahrenen Leuten, denen wir100 von unserer bevorstehenden Reise nach Westafrika erzählten. Heute erscheint uns die Frage nicht mehr so wunderlich, denn auch rückblickend bleibt die sinnliche Erfahrung des Klimas mit das eindrücklichste Tropenerlebnis. Die feuchte Schwüle ist das Erste, noch vor dem eigentümlichen Geruch, was man wahrnimmt, kaum ist man auf das offene Rollfeld des Flugplatzes getreten. Obwohl es schon kurz vor Mitternacht ist, ist die Schwere der Luft fast greifbar und man hat den Eindruck als ob man ein Badezimmer betreten würde, ein kleines Badezimmer, in welchem jemand lang und anhaltend heiß geduscht hat und danach vergessen hat, die Fenster zu öffnen; weder der Bus, der uns in das Ankunftsterminal befördert, noch der Terminal selber sind klimatisiert und als Folge unseres westlichen Vorsorge- und Sicherheitsdenken (denn wir haben natürlich an alle denkbaren Kleidungsstücke für alle denkbaren Wetterwechsel gedacht und auch entsprechend viele und schwere Rucksäcke und Taschen dabei) setzen sofort die bis zu unserer Abreise nicht enden werdenden Rinnsale von Schweiß ein. Nachdem wir die Einreisebehörde erfolgreich hinter uns gelassen haben, fängt uns ein geschäftiger Ghanaer ab, der eine mehr oder weniger offizielle Uniform trägt, greift sich unser gesamtes Gepäck und beteuert, dass er, und selbstredend nur er, den billigsten Taxistand kenne. Ehe wir Einwände erheben können, sind wir schon am Taxi, unser Gepäck wird rasch im Kofferraum verstaut und uns bleibt letztlich nichts anderes übrig, als hoffend und vertrauensvoll einzusteigen. Das Taxi setzt sich in Bewegung, wir fahren durch eine dunkle, uns völlig unbekannte afrikanische Stadt, wir nehmen verlassen aussehende 100 Auf meiner ersten Fahrt nach Ghana begleitete mich Anja Roll, die für den Bayerischen Rundfunk einen Beitrag über die bekannten Sargmacher Teshies (einem Stadtteil Accras) verfasste.
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Viertel und unbeleuchtete Fassaden wahr und sind froh, als uns nach relativ kurzer Fahrt der Taxifahrer bei unserem Hotel ablädt, natürlich nicht ohne zu vergessen, uns einen absurd überhöhten Fahrpreis von 15 Dollar abzuknöpfen, den wir anstands- und ahnungslos auch zahlen. In der Stadt Am nächsten Morgen treten wir aus dem Hotel und müssen erfahren, dass hinsichtlich des lokalen Klimas nicht nur vergessen wurde, die Badezimmerfenster zu öffnen, sondern nun auch noch zusätzlich und gut fühlbar ein Heizrost zugeschaltet wurde. Sofort fangen wir wieder an zu schwitzen. Wir nehmen uns ein Taxi und fahren nach Accra. Schon ein wenig versierter im Verhandeln, zahlen wir wohl dieses Mal nur das Dreifache des üblichen Preises. Es ist nach all diesen Monaten, in denen ich Material über die Stadt gesammelt und gelesen habe, merkwürdig, dass es diese Stadt tatsächlich gibt und sie gleichzeitig so anders ist, als ich sie mir vorgestellt habe. Nach der Hitze fällt uns vor allem das Licht auf. Überall helles, gleißendes Licht, überall Sonne und man kann kaum die Augen offen halten, so strahlend liegt die Stadt vor einem, aber niemand trägt hier eine Sonnenbrille. Also lassen auch wir unsere RayBan-Brillen stecken, denn sie kommen uns in Anbetracht der offensichtlichen Armut deplaziert vor. Fast ebenso unglaublich ist, dass das in unseren Augen nahezu schrottreife Taxi, in welchem wir fahren, seinen Dienst anstandslos zu verrichten scheint: Tacho- und Drehzahlmesser funktionieren wohl schon lange nicht mehr, die linke hintere Tür und der Kofferraum lassen sich nicht mehr öffnen, die Windschutzscheibe ist mehrfach gesprungen und auch Sitzgurte sucht man vergeblich. Das Rattern des Kassettenrekorders und die daraus tönende beliebte Highlife-Musik werden von dem rhythmischen Trommeln der Finger des Taxifahrers begleitet, der unter lautem Gehupe (die in allen Autos immer funktioniert!) ständig die Spur wechselt. Unsere Fenster sind weit runtergedreht und wir genießen, falls wir nicht mal wieder in den chronisch verstopften Straßen dieser Stadt stecken geblieben sind, den kühlenden Fahrtwind. Ich erinnere mich daran in einem Buch über Afrika gelesen zu haben, dass in der Sahara die Gänge und Zimmer in den Palästen der Herrscher nach raffiniertesten Konstruktionsprinzipien angelegt und errichtet wurden, mit dem einzigen Ziel, stets zu gewährleisten, dass sie möglichst viel Zugluft einfingen ... Accra wird ebenso wie viele andere rasant wachsende Städte Afrikas nicht selten als „Hüttenmetropole“ (Ribbeck 2005: 27) bezeichnet. Bereits 1958 beschrieb Ryszard Kapuscinski die Hauptstadt des gerade unabhängig gewordenen Staates Ghana als eine „vervielfältigte, vergrößerte Kleinstadt, die aus dem Busch, aus dem Dschungel gekrochen“ (Kapuscinski 2001: 9) zu sein scheint. Daran muss ich denken, als wir durch die Stadt fahren und sich meine aus einschlägigen wissenschaftlichen Texten geronnene, abstrakte Vorstellung, dass afrikanische Städte in jeder Hinsicht anders sind als westliche, schnell mit Leben füllt. Aus Kolonialzeiten besitzt Accra einen sehr kleinen Kern, dem man in Be-
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zug auf Architektur und Anlage entsprechend auch seine koloniale Prägung ansehen kann. Umringt wird dieser überschaubare Kern namens Christiansborg allerdings von einer schier unüberschaubaren Armuts-Peripherie, ein Resultat des rasanten Wachstums der Stadt ohne jede wirtschaftliche Basis. Niemand weiß wirklich, wie diese Wellblechviertel entstehen: Irgendwann fängt einer an, in einem verbliebenen städtischen Freiraum an der stetig wachsenden Peripherie der Metropole eine Hütte zu bauen, daneben dann ein zweiter, dann ein dritter usw. So entsteht ohne große Planung eine Straße. Von der anderen Seite geschieht das gleiche und wo die beiden Straßen aufeinander stoßen, entsteht eine Kreuzung, weitere Verästelungen greifen aus und schon bald hat man ein ganzes Viertel. Woher die einzelnen verbauten Materialien, Blech, Bretter, Plastik, Teile von Autokarosserien etc. dieser NoTech-Viertel stammen bleibt ebenso ein Rätsel wie die Tatsache, dass sie nicht in sich zusammenfallen und so bewundert folgerichtig ein europäischer Architekt, mit dem wir sprachen: „Ganze Städte – errichtet ohne einen einzigen Ziegel, ohne ein Stabeisen, ohne einen Quadratmeter Stahl, Eisen oder Glas. Das ist der eigentliche Gipfel menschlicher Baukunst!“ Je näher wir dem Zentrum und damit unserem Fahrtziel kommen, desto mehr Menschen befinden sich auf den Straßen, unglaubliche Mengen an Menschen. Das Leben spielt sich hier ganz offensichtlich größtenteils direkt unter der Sonne ab. Wo kommen all diese Menschen her, wo leben sie und vor allem das größte Rätsel: wovon? Denn sie sind ja nicht gekommen, weil die Stadt und ihr Arbeitsmarkt sie brauchen würde, sondern weil das Phänomen der ländlichen Armut sie aus ihren Dörfern vertrieben hat und sie nun die Hoffnung hegen, dass die Stadt ihrer Existenz ein wenig mehr Stabilität geben würde. Später wird mir in einem Interview erklärt werden: „If you got the choice to rot in the outback or to rot in the city, you’ll always choose the city.“ Die Menschen sind sorgfältig gekleidet, keiner ‚hängt‘ rum, alle scheinen zielstrebig von A nach B zu laufen, alle erwecken den Eindruck, dringende Geschäfte zu erledigen zu haben. Es ist laut, bunt, extrem voll und unübersichtlich, viele tragen Tüten oder Kisten mit allen möglichen Dingen auf ihren Köpfen, die Leute drängeln sich auf den Gehsteigen, ständiges Hupen der nur stockend vorankommenden Autos, und immer wieder Fetzen von schriller Musik aus völlig überdrehten Lautsprechern. Wir steigen aus dem Taxi und sind stark beeindruckt von dem ganzen überwältigenden Anderssein dieser Stadt. Die Tatsache, dass wir bisher noch keinen einzigen Weißen gesehen, steigert unser Gefühl von Fremdheit nur noch. Sofort werden wir von einer Schar Kinder umringt und mit lauten ‚Obroney, Obroney‘-Rufen begrüßt und bedrängt. Spätestens in der Stadt selber fällt einem dann der eigentümliche Geruch auf, der einem von der heißen Erde direkt entgegen zu strömen scheint. Da sind zunächst die unzähligen, zu unserer Überraschung zum Teil überbordenden Essens-, Obst- und Gemüsestände, die eine Besonderheit der städtischen Versorgung zu sein scheinen: So weit das Auge reicht, reiht sich ein Stand an den anderen, quer durch die ganze Stadt, die ganze Metropole scheint ein einziger Markt zu sein.
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Vor allem dieser Marktcharakter zusammen mit der bäuerlich anmutenden Hütten-Architektur haben afrikanischen Städten wie Accra den Ruf ‚ländlicher Metropolen‘ eingetragen. Der Eindruck dieses ‚metropolitanen Dorflebens‘ wird durch das überall herumlaufende Vieh (Hühner, Lämmchen, Ziegen etc.) noch zusätzlich verstärkt. In der Sonne größtenteils ungeschützt und feilgebotene, zum Teil verrottete Fisch- und Fleischstücke, Kakao, eine Vielzahl von Gewürzen wie Safran, Gewürznelken, Lorbeer, Tomaten, Bananen, hausgemachte Eintöpfe, gerösteter Kassawa und gebratene Fleischspieße (Kebabs) strömen gleichzeitig anziehende wie auch eklige Geruchsspuren aus. Abgerundet wird das Aroma der Stadt durch den fauligen Gestank der vielen Rinnsteine der offenen Kanalisation. In seinem Roman „Das Herz aller Dinge“, der im ehemaligen britischen Westafrika spielt, schreibt Graham Greene: „Dieser Geruch macht uns sofort bewusst, dass wir uns in den Breiten unserer Erde befinden, wo die üppige und rastlose Biologie ständig am Werk ist, etwas hervorbringt, wuchert und blüht, und gleichzeitig krank wird, sich zersetzt, vermodert und verfault“ (Greene 1993: 23). Beim Durchwandern der Stadt fallen mit Blick auf die Nahrungsversorgung spontan zwei Sachen auf. Zum einen ist die Stadt sehr viel weniger grün, als ich aus der Literatur erwartet hätte: Wo sind bloß all die viel beschriebenen Flecken grüner Erde, das viel zitierte städtische Grün, das für die Nahrungsversorgung doch eigentlich so wichtig sein soll? So weit das Auge reicht, ist die Stadt rötlich eingefärbt vom allgegenwärtigen und durch warme Winde aufgewirbelten Staub der trockenen Erde. Zum zweiten fällt auf, dass der Verzehr von Nahrung allgegenwärtig ist und damit die Trennung zwischen ‚privat‘ und ‚öffentlich‘ hier offenbar anderen Kriterien folgt als in westlichen urbanen Räumen: An allen Ecken und Enden wird gekocht, gebrutzelt, gegart, gebraten und verzehrt. Wir beobachten einen Mann, der mit der rechten Hand einen Eintopf mit Kartoffelbrei zu Essen scheint. Später finden wir heraus, dass es sich bei dem Kartoffelbrei um eine hiesige Spezialität, dem so genannten ‚Fufu‘ handelt. Diese nahrhafte, klebrige und leicht süßlich schmeckende, fladenartige Beilage fehlt in Ghana bei kaum einer Speise und wird mittels eines überdimensionalen Stössels in einem Mörser aus zerstampften Maniokwurzeln, Kochbananen und Wasser hergestellt. Als wir uns einige Hütten näher anschauen, fällt weiter auf, dass es kaum Spuren von Essbarem gibt; eine Folge der Tatsache, dass es schlichtweg keine Möglichkeiten der Lagerung und Haltbarmachung gibt, die die Nahrungsmittel vor der ständigen Hitze und Feuchtigkeit schützen würden. Alles was gekauft wird, wird für den Tag gekauft, alles wird sofort in Eintöpfe eingekocht und verzehrt. Jeder Tag hier ist für die meisten eine Hürde, die man mit Mühe nimmt, auch und vor allem in Bezug auf die Nahrungsversorgung. Das Herz der Nahrungsversorgung Accras: der Agbogbloshie Market Der zentrumsnahe Agbogbloshie Market gilt als das Herz der Nahrungsversorgung der Stadt. Wir sind mit Emmanuel Opare unterwegs, einem lokalen Stadtbauern, den wir kennen gelernt haben und der sich mit Blick auf den Zu-
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gang zum System der Nahrungsversorgung Accras mehr und mehr als wahrer ‚Glücksgriff‘ herausstellt. Er hat uns bereits um kurz nach 5 Uhr morgens an unserem Hotel abgeholt, denn nur wenn man früh auf dem Markt erscheine, erklärt er uns, erschließe sich einem das ganze Schauspiel des Marktes: angefangen von einer nicht enden wollenden Blechlawine, gebildet aus Trucks, Lastwägen und kleinern Pick-ups, die aus dem ganzen Land und nicht selten über mehrere Tage auf der Anreise sind und endlich ihr Frachtgut löschen wollen, über die Schreie und Anweisungen der Marktaufseher bis hin zu den vielen Helfern und Helferinnen, die dafür verantwortlich sind, dass die Waren auch zielsicher an die entsprechenden Stände gelangen. Und tatsächlich, der Markt übersteigt all unsere Vorstellungen: Er gilt als einer der größten Märkte in ganz Westafrika und gleicht in seiner Funktion einer überdimensionierten westlichen Großmarkthalle, da hier nicht Endverbraucher, sondern ausschließlich Anbieter von Nahrungsmitteln einkaufen, die von hier über ein dichtes Netz die Ware weiter an KonsumentInnen in der Stadt verteilen. Der Markt ist eingezwängt von der Korle-Bu Lagune und dem Armenviertel Sodom und Gomorrha, wo niemand mehr weiß, wie genau dieser Name zustande gekommen ist. In ihrem Buch „Die Gesichtslosen“ schreibt die ghanaische Schriftstellerin Amma Darko, „dass irgendwann jemand beschlossen hatte, die Untugenden dieses Ortes zu betonen, indem er ihn Sodom und Gomorrha nannte“ (S. 68). Unzählige Menschen zwängen sich schwitzend und schreiend durch das Gedränge, viele von ihnen unglaubliche Lasten auf dem Rücken und auf dem Kopf balancierend. Kartons randvoll mit Tomaten, Jutesäcke prall gefüllt mit Yamwurzeln, Zwiebeln und Kartoffeln drücken die Träger und Trägerinnen unter ihrem Gewicht in eine vornüber gebeugte Haltung. Obwohl es teilweise sicherlich an die vierzig, fünfzig Kilo sind die, die Menschen tragen, bewegen sich alle geschickt und gekonnt, als würden sie alle bekannten, für uns allerdings unsichtbaren Pfaden folgen. Die einzigen, die den fließenden Verkehr der Waren zu behindern scheinen, sind wir. Der Markt ist von schier überwältigender Größe und die kleinen und größeren Hütten, an denen alle erdenklichen Nahrungsmittel feilgeboten werden, bilden ein labyrinthisches Koordinatensysteme der Gänge, in dem wir schnell die Orientierung verlieren, und hätten wir nicht Emmanuel als kundigen Führer dabei, wir wären nach kürzester Zeit hoffnungslos in dem dichten Treiben verloren gewesen…
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3.3 Sozio-ökologische Aspekte der Versorgungspraxis Accras: Produktionsweisen, Nahrungsmittel, Stoffströme und Märkte Bei dem Versuch, das Forschungsmaterial sinnvoll zu strukturieren und Systemwissen101 zu generieren ist es hilfreich, sich das bereits vorgestellte konzeptionelle Modell eines Versorgungssystems nochmals in Erinnerung zu rufen (vgl. II/2.3). Im Rahmen dieses Modells kam den Dimensionen Institutionen, Praktiken, Technik und Wissen (WIPT-Komplex) eine grundlegende Bedeutung zu, indem sie ein organisatorisches Muster ausbilden, innerhalb dessen in einem Versorgungssystem zwischen den Ressourcen und den Nutzern vermittelt wird. Diese vier Dimensionen konstituieren eine spezifische, das heißt historisch situierte Versorgungspraxis und damit auch eine bestimmte Regulationsweise des Natur-Gesellschaft Verhältnisses im Zuge dieser Versorgungsbemühungen. Eine in einem bestimmten raum-zeitlichen Kontext vorgefundene Versorgungspraxis besteht im Kern aus unzähligen unterschiedlichen Praktiken, die ineinander greifen und aufeinander abgestimmt sind und damit so etwas wie eine ‚Versorgungsnormalität‘, wie fragil sie auch immer sein mag, begründen102. Wenngleich diese eingespielten Formen einer Versorgungspraxis nicht ständig von den Individuen reflektiert werden, sondern in weitgehend routinisierter Form ablaufen, handelt es sich bei der Versorgungspraxis damit nicht um eine ‚objektive‘ Tatsache, sondern um eine interaktive Sache des Tuns. Das für das Ausüben dieser Praktiken notwendige Wissen ist in erster Linie praktisches Wissen, entspringt also keinem gefestigten Faktenwissen oder einem eingehenden Reflexionsprozess, sondern ist vielmehr ein „doing knowledge“ (Hörning/Reuter 2004b: 11) oder mit Gilbert Ryle gesprochen ein ‚knowing how‘. Ein weiteres Grundelement der Versorgungspraxis ist ihr Umgang mit Materialität in Form von technischen Artefakten: ‚Versorgungswissen‘ umschließt auch das Wissen um die Verfügbarkeit und den Gebrauch von Technik. Im Rahmen dieses häufigen und regelmäßigen Miteinan101 Im Rahmen von trans- und interdisziplinärer Forschung kann man zwischen drei Wissensformen unterschieden: Systemwissen, Transformationswissen und Orientierungswissen. Dabei versteht man unter Orientierungswissen ein Wissen über unerwünschte Verhältnisse in der Gegenwart sowie Vorstellungen über eine erwünschte Zukunft und damit verbundener Handlungsziele. Transformationswissen betrifft wirksame Methoden und Konzepte für ein zielorientiertes Handeln sowie für die Bedingungen für gelingende sozial-ökologische Transformationen. Systemwissen bezieht sich auf Strukturen und Funktionen komplexer dynamischer Systeme (vgl. Jahn/Schramm 2006: 100). 102 Eine solche Vorstellung impliziert aber kein homogenes oder gar harmonisches Bild einer Versorgungspraxis. Im Gegenteil: Der Praxisbegriff zeichnet sich gerade dadurch aus, dass er nicht nur weitestgehend routinisierte Handlungsabläufe zu thematisieren vermag, sondern auch offen ist für Irritationen und Krisen, oftmals ausgelöst durch nichtintendierte Folgen einer Versorgungshandlung; eine wichtige Eigenschaft, wenn man davon ausgeht, dass es sozial-ökologischer Forschung wesentlich darum geht, krisenhafte Transformationen von Versorgungssystemen und damit verbundene Rückkopplungen nachzuzeichnen.
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derversorgens bilden sich im Laufe der Zeit Handlungsgepflogenheiten heraus, die durch häufiges Wiederholen eine Institutionalisierung erfahren. Diese historisch generierte Rahmung der Versorgungspraxis, die sich im Laufe der Zeit auch der Kontrolle des einzelnen entzieht, ermöglicht, befördert und verhindert bestimmte Formen konkreter Versorgungspraxis. Handlungsgepflogenheiten verdichten sich im Zuge der Sicherstellung der Versorgung dann zu einem Praxiszusammenhang, den man als Versorgungssystem bezeichnen kann. Dabei lässt sich das Verhältnis zwischen der Versorgungspraxis und dem Versorgungssystem als ein rekursives denken, so dass das Geflecht raum-zeitlich produzierter Versorgungspraktiken das Versorgungssystem produziert und reproduziert, gleichzeitig aber auch erst bestimmte Versorgungspraktiken ermöglicht und konstituiert. In einem Versorgungssystem sind Natur und Gesellschaft wechselseitig miteinander verkoppelt, denn zum Zweck der Versorgung von Bevölkerungsmitgliedern wird im Rahmen einer Versorgungspraxis Natur ‚angeeignet‘. Diese konkrete Nutzung von Natur erfolgt wiederum unter historisch spezifischen und variablen Formen institutioneller Regulierungen wirtschaftlicher, politischer, kultureller und wissenschaftlich-technischer Art. Zumindest analytisch lassen sich innerhalb eines Versorgungssystems drei Dimensionen voneinander unterscheiden: Die materielle Dimension des Systems umfasst zum einen die Stoffe und Stoffströme im Zusammenhang mit Lebensmittelerzeugung und -verarbeitung, zum anderen die materielle Seite der sich ernährenden Menschen (als Naturwesen). Die symbolische Dimension beinhaltet die Bedeutungen von Nahrungsmitteln und Dienstleistungen, sowie die Ernährungspraktiken in ihren kultur-, milieu-, lebensstil- und geschlechtsspezifischen Ausprägungen. In einer strukturellen Dimension lassen sich schließlich die wirtschaftlichen, politischen und sozialstrukturellen Rahmenbedingungen des Systems benennen. Die folgenden Abschnitte haben zum Ziel, diese drei Dimensionen in ihrer wechselseitigen und historisch wechselvollen Durchdringung für Ghana beziehungsweise Accra aufzuzeigen.
3.3.1 Formen der Migration, traditionelle Produktionsweisen und ihre urbane Transformation Der weitaus größte Teil der heutigen Literatur, die sich mit Formen der Migration im westafrikanischen Raum beschäftigt, beschränkt sich entweder auf eine Quantifizierung der demografischen Veränderungen durch statistische Erfassungen oder rückt die ökonomischen Probleme, die sich scheinbar zwangsläufig aus einer Veränderung von Migrationsmustern ergeben, in den Vordergrund der Betrachtung (vgl. de Sherbinin 2006: 14). Daneben existiert eine knappe Zahl von Arbeiten, wie beispielsweise die von Mabogunje (1975), Hart (1982) oder Burchards (1984), die Formen der Migration im westafrikanischen Kontext in ihren historischen, naturräumlichen, sozialen und politischen Aspekten durchleuchtet haben. Die Untersuchung solcher Migrationsformen und ihrer Veränderung über die Zeit hinweg sind meines Erachtens ein erster wichtiger Schlüssel zum Ver-
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ständnis der durch demografische Prozesse ausgelösten (krisenhaften) Transformation des Systems der Nahrungsversorgung. Die heutige Nahrungssituation lässt sich auf einer rein statistischen Ebene zunächst folgendermaßen skizzieren: Nach Expertenmeinung müsste Ghana eigentlich in der Lage sein, aufgrund seiner naturräumlichen Ausstattung und den eingesetzten agraren Produktionstechniken die gesamte Bevölkerung mit ausreichend Nahrung zu versorgen: Offiziell arbeiten 55% in der Landwirtschaft, angesichts der Tatsache, dass aber eine Existenzsicherung ohne Subsistenzproduktion in vielen Fällen nicht möglich ist, schätzen einige den Anteil der in der Landwirtschaft Tätigen auf nahezu 95% (vgl. Schmidt-Kallert 1994, Maxwell et al. 2000). Dennoch kann die Nahrungsversorgung beispielsweise in Accra keinesfalls als gesichert gelten (vgl. SRIDG 2003): Die verzehrten Kalorien pro Kopf sind seit 1980 von 1710 auf 2720 im Jahr 2004 zwar gestiegen, damit liegt Ghana im afrikanischen Vergleich auf Rang 11 (1. Platz Ägypten: 3360. 53. Platz Kongo/Zaire: 1520) und auch die Aufnahme von Proteinen stieg von 40g (1980) auf 54g (2001) pro Tag an. Abbildung 12: Entwicklung des Hungers in Ghana
40
35
35,87
30
27,03
GHI
25
20
18,67 15
14,87
10
5
0 1981
1992
1997
2003
Jahr
(Quelle FAO 2005b) Dennoch bewertet die Weltgesundheitsorganisation die Nahrungssituation als kritisch: „Im Durchschnitt stehen heute jedem Bewohner des Landes 88% des von der WHO berechneten täglichen Mindestbedarfes an Kalorien zur Verfügung.“ (Maxwell et al. 2000: 12) Diese latente Unterernährung trifft mit 25% besonders Kinder; Menschen aus ärmeren Schichten sind häufig von einer Mangel-
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ernährung auf Grund zu einseitiger Kost betroffen. 24% der Haushalte sind von ‚food insecurity‘ betroffen und 40% werden als ‚vulnerable‘ klassifiziert (vgl. SRIDG 2003: 11). Davon ausgehend, dass sich die Funktionalität eines Versorgungssystems der Nahrung als die optimale Allokation tendenziell knapper Nahrungsgüter beschreiben lässt, infolge derer die Nahrungssicherheit aller Bevölkerungsmitglieder gewährleistet ist, könnte man angesichts dieser Zahlen also durchaus von einer erkennbaren Dysfunktionalität des Versorgungssystems sprechen. Anstatt aber von ‚Dysfunktionalität‘ des Versorgungssystems und dessen Rückführung auf uni-lineare Zusammenhänge (mehr Bevölkerungswachstum = weniger Nahrung) zu sprechen, soll in diesem Abschnitt gezeigt werden, dass diese krisenhafte Nahrungssituation differenzierter als historische Transformation des traditionellen Nahrungssystems dargestellt werden kann, für die sowohl die Periode der kolonialen Herrschaft als auch der Prozess der Urbanisierung als die herausragenden Eckpfeiler gelten können: „Seen this way, the past is not history but a point on the analogical continuum that contains the present.“ (Hart 1982: 4) Die Rekonstruktion des Gewordenseins des Gegenwärtigen ist dabei aber nicht Selbstzweck, sondern die Aufgabe liegt in der Identifikation eben jener Verzweigungen, an denen die Transformationen ins Krisenhafte zu driften drohen beziehungsweise gedriftet sind. Aragrande folgend „the use of social history of cities in the process of recontextualization entails both a division into periods, i.e. identification of socio-institutionally uniform periods, and the identification of key moments marking the shift from one period to the next or from one socio-institutional system to another. Attention is focused … on crises of adaptation.” (Aragrande 1997: 24f., Hervorhebung CJ) Jede Diskussion der traditionalen Formen der Nahrungsversorgung im westafrikanischen Kontext103 muss drei miteinander verwobene Elemente berücksichtigen: die naturräumlichen Bedingungen, Formen der Wanderungsbewegungen und die sozialen Mechanismen der Arbeitsteilung. Zunächst ist festzuhalten, dass eine historische Rekonstruktion der demografischen Entwicklung und damit im Zusammenhang stehender landwirtschaftlicher Produktionsmodi sich nur auf eine äußerst lückenhafte Quellengrundlage stützen kann. Wesentlicher Grund für diesen Umstand ist die Tatsache, dass die indigenen Kulturen Westafrikas nicht die kulturelle Praktik des Schrifttums entwickelten, so dass historische Darstellungen notgedrungen auf orale Mythen, archäologische Funde und selektive Beobachtungen vornehmlich arabischer Handelsreisender zurückgreifen müssen – in den Augen Harts also jener Stoff „from which speculative history is made“ (Hart 1982: 19). Die historische und demografische Situation Westafrikas gilt 103 Indem ich zunächst auf den westafrikanischen Kontext zu sprechen komme, soll nicht suggeriert werden, dass dieser seit jeher als ein in kultureller, sozialer, politischer, ethnischer und naturräumlicher Hinsicht homogener Raum zu begreifen wäre – ganz im Gegenteil. Dennoch lassen sich in einem ersten Schritt übergreifende Muster des Zusammenhangs zwischen Formen der Migration und der Nahrungsversorgung herausstreichen.
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daher erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts als verhältnismäßig gut bekannt (vgl. Burchards 1984: 91). Dennoch sprechen alle Anzeichen dafür, dass Westafrika über weite Strecken seiner Geschichte von einer hohen Kontinuität des soziokulturellen Lebens und traditioneller Anbauformen gekennzeichnet war. Ausgangspunkt der nun folgenden Betrachtung der traditionellen westafrikanischen Produktionsweise104 bilden ihre zwei zentral strukturierenden Merkmale: „Any discussion of modern developments in West African agriculture should begin and end with the rural division of labour that constitutes the social context of productive strategies.“ (Hart 1982: 52) Als zweiter Erklärungsparameter kommt hinzu, dass Westafrika eine Region ist, die schon immer von großen Bevölkerungsbewegungen durchzogen wurde, die, wenngleich sie in ihrer Form und in ihren Ursachen durchaus unterschiedlicher Natur sein können (vgl. Mabogunje 1975), dennoch als ein übergreifendes Kennzeichen westafrikanischer Zivilisation gelten können. Verbindendes Glied dieser beiden Aspekte sind die ökologischen Bedingungen dieses Landstrichs, wobei der geografische Großraum Westafrikas eine rigide Zonierung verschiedener klimatisch-ökologischer Regionen aufweist, von denen „the contrast between forest and savannah is so basic that it cannot be overstressed“ (Hart 1982: 29). Kulturgeschichtliches Resultat dieser ungleichen ökologischen Bedingungen sind zwei unterschiedliche, einander aber perfekt ergänzende Versorgungsformen. Ein Wanderungstyp, der die ausgedehnten Räume Westafrikas über lange Zeit geprägt hat, ist der Nomadismus in seinen verschiedenen Ausprägungen. Nomadismus kann definiert werden als die überwiegend auf Viehzucht beruhende Wirtschafts- und Gesellschaftsform, die Handwerk, Handel und bisweilen Ackerbau einschließt, jedoch über keinen festen Wohnsitz verfügt (vgl. Burchards 1984: 120). Nomadische Lebensformen finden ihre weiteste Verbreitung im Sahel und den angrenzenden Zonen (vgl. Iliffe 2000, Ansprenger 2004). Aufgrund der ausgeprägten Trockenzeit ist dieser Raum nur während der Regenzeiten nutzbar und so bewegen sich die einzelnen Sozialverbände in Anpassung an den sich verschiebenden Niederschlagsgürtel, wodurch die Viehherden sowohl genügend Wasser als auch Nahrung erhalten. Als Folge dieser adaptiven Maßnahme weisen die Wanderungsbewegungen in räumlicher und zeitlicher Hinsicht einen zyklischen Rhythmus auf. Eine Unterform des Nomadismus stellen die transhumanten 104 Die folgenden Ausführungen decken sich allerdings nicht gänzlich mit dem marxistisch geprägten Begriff der ‚afrikanischen Produktionsweise‘, der das Spezifische des afrikanischen Produktionsmodels folgendermaßen charakterisiert: (1) ein niedriges Niveau der Produktivkräfte, vor allem gekennzeichnet durch eine geringe Arbeitsteilung und den Einsatz rudimentärer landwirtschaftlicher Techniken (2) eine stark an Abstammung gebundene Produktionsweise, die oftmals primär auf die Sicherstellung der landwirtschaftlichen Selbstversorgung ausgerichtet ist, und (3) die Eingebundenheit der Produktion in ein kompliziertes Ensemble aus sozialen und religiösen Praktiken (vgl. Coquery-Vidrovitch 1996). Insbesondere das Merkmal eines niedrigen Produktionsniveaus kann im historischen Rückblick als charakteristisches Kennzeichen meines Erachtens nicht durchgehalten werden.
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Formen dar, deren wesentliches Unterscheidungsmerkmal ein fester Wohnsitz ist (vgl. Burchards 1984: 121). Infolgedessen ist diese nomadische Lebensform insbesondere durch eine geschlechts- und altersspezifische Mobilitätsstruktur charakterisierbar, in der sich die Männer um die Viehzucht kümmern und die Frauen sowie die älteren Männer sich der Landwirtschaft widmen. Auch hier spielt die naturräumliche Ausstattung eine immanent wichtige Rolle, ist doch diese Lebensform nur in denjenigen geografischen Räumen anzutreffen, die eine Bewirtschaftung des Landes möglich machten. Eine dazu im Gegensatz stehende Bewirtschaftungsform stellt der Wanderfeldbau (shifting cultivation) dar, bei dem die Viehhaltung, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle spielt. Die zentrale Technik des Wanderfeldbaus besteht darin, dass die jeweiligen Mitglieder eines sozialen Verbandes fruchtbare Gebiete ihres Territoriums so lange bestellen, bis sie ihre natürliche Fruchtbarkeit im Zuge des Anbaus verloren haben. Derartige Felder liegen dann mit dem Ziel einer natürlich Regeneration brach und neue Felder werden erschlossen, indem sie gerodet werden – ein Vorgang, der notwendigerweise einen Wohnortwechsel mit sich bringt, da im Laufe der Zeit die Anmarschwege zu viel Zeit in Anspruch nehmen würden. Angesichts der Tatsache, dass einem Stamm beziehungsweise einem sozialen Verband aber nur ein begrenzter Umfang an fruchtbarem Boden zur Verfügung steht, müssen zwangsläufig nach Ablauf einer bestimmten Zeit die brach gelegenen und regenerierten Felder wieder bewirtschaftet werden, so dass sich der Kreis der Wanderbewegung an dieser Stelle wieder schließt (vgl. Hodder 1971b: 97f.). Beide Formen der Landnutzung sind aus mindestens zwei Gründen bemerkenswert. Zum einen harmonierten beide Lebensformen aufgrund je unterschiedlicher naturräumlicher Ausstattungen über reziprok-arbeitsteilige Versorgungsbeziehungen lange Zeit nahezu perfekt miteinander105, denn was die eine Region nicht produzieren konnte und somit entbehrte, hatte die andere und umgekehrt: „There were very few domesticated animals in the forest, and trees were sparse on the savannah: These facts alone were the basis for a long-standing exchange of the products of pastoralism and arboriculture between the two major subregions.“ (Hart 1982: 29) Strukturprägendes Charakteristikum beider Wanderungstypen ist somit, dass sie durch das adaptive Moment der Migration ihr ökologischnaturräumliches Umfeld besser zu nutzen und ihren jeweiligen Mitgliedern bessere materielle (Überlebens-)Bedingungen zu sichern versuchen, wobei als die drei wichtigsten Umweltvariablen, die derartige Migrationsprozesse determinie105 Ein tragisches Beispiel, zu welch fatalen Konsequenzen eine Disharmonisierung in der Beziehung dieser zwei Sozialverbände führen kann, ist der Bürgerkrieg in Ruanda; wenngleich noch eine Vielzahl anderer Faktoren für die Entstehung dieses Bürgerkriegs verantwortlich waren, war ein wichtiger Aspekt im Streit zwischen den Landwirtschaft betreibenden Hutu und den viehhaltenden Tutsi eine Veränderung der örtlichen klimatischen Bedingungen und eine damit verbundene Transformation der Lebensweisen (vgl. Diamond 2005: 387f.).
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ren, die durchschnittlichen Wetterbedingungen, Trockenheit und Wasservorkommen identifiziert wurden (vgl. de Sherbinin 2006: 14f.). Zum anderen handelt es sich hier um traditionelle Gemeinschaftsformen in dem Sinne, dass die Sicherung des Überlebens der gesamten Gruppe oberste Priorität genießt und somit auch die Gruppe die alles entscheidende Instanz für das Handeln der einzelnen Mitglieder darstellt. Rückgrat der sozialen Ordnung der einzelnen Verbände war das Prinzip der Abstammung, welches „determines the rules, duties, and obligations of individuals and groups in all aspects of life in which these individuals and groups interact“ (Nukunya 2003: 17) – ein sozialstrukturelles Merkmal, dass in seiner Bedeutung auch für die ghanaische Lebensweise „cannot be over-emphasized“ (ebd.). Wenngleich diese Formen der Nahrungsversorgung eng an die jeweiligen ökologischen Bedingungen und die Sicherung des Überlebens gebunden sind, wäre es irreführend, sie ausschließlich auf diese beiden strukturierenden Momente reduzieren zu wollen – vielmehr wird an dieser Stelle deutlich, dass die Befriedigung basaler Grundbedürfnisse nicht ausschließlich der reinen Bedürfnisbefriedigung dienen, sondern stets auch in einen Nexus gesellschaftlicher Naturverhältnisse eingebettet sind. In diesem Zusammenhang konstatiert Firth, dass „the values which they put upon their food do not consist simply in its capacity to satisfy hunger, but in the use they can make of it to express their obligations to their relatives-in-law, their chiefs, their ancestors; to show their hospitality; to display their wealth; to initiate or marry off their sons.“ (Firth 1970: 65f.) Der bis zu diesem Punkt erarbeitete Zusammenhang kann mit folgenden Worten Burchards resümiert werden: „Wanderungen kamen in Westafrika vor, so lange es dort Menschen gibt. Sie galten in erster Linie der Ernährung … und geben so den jeweiligen Stand der Technologie wieder, mit der die sozioökonomischen Verbände die ihnen zur Verfügung stehenden natürlichen Ressourcen für ihre Bedürfnisse inwertsetzten.“ (Burchards 1984: 200) Unschwer kann man in dieser Charakterisierung all diejenigen Elemente wieder erkennen, die als wichtige Dimensionen bei der Entfaltung des Modells von Versorgungssystemen bereits eingeführt wurden. Aus sozial-ökologischer Sicht erscheinen somit die unterschiedlichen Migrationstypen als Formen der Regulation, derer sich die jeweiligen sozialen Verbände, die man in diesem Fall durchaus im Tönnieschen Sinne als Versorgungsgemeinschaften bezeichnen könnte, im Rahmen des Gesamtwohls und angesichts ökologischer Bedingungen mit dem Ziel, Versorgungsschwierigkeiten zu überwinden, bedienten. Dass solcherart als traditionell zu bezeichnende Migrationsformen noch die demografischen Wanderungsbewegungen des modernen Ghanas prägten, wird offensichtlich, wenn man sich vor Augen führt, dass in einem Vergleich der prinzipiell unterscheidbaren Migrationstypen (rural-urban; urban-urban; urban-rural; rural-rural), im Jahre 1960 die rural-rural Wanderungen mit einem Anteil von 57% nicht nur die Land-Stadt Wanderungen mit lediglich 17,7% bei weitem übertrafen, sondern auch die
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Migrationsbewegungen in den ländlichen Raum mit 63,6% deutlich überwogen (vgl. Ewusi 1978: 12, Addae-Mensah 1986: 19) Die Frage, die es im Folgenden eingehender zu behandeln gilt, ist nun die nach den Transformationen, die dieses traditionelle Modell im Zuge von Kolonialisierungs- und Urbanisierungsprozessen erfahren hat beziehungsweise welches Transformationspotenzial die im Laufe der Jahre sich allmählich verändernden Migrationsmuster beinhalteten. Zunächst zeigte sich das postkoloniale ghanaische System der Nahrungsversorgung entgegen früh geäußerten Warnungen (vgl. beispielsweise Caldwell 1967) als erstaunlich adaptiv an die mit den veränderten Migrationsmustern verbundene sozial-räumliche Reorganisation. So kommen Reusse und Lawson nach einer eingehenden Analyse des Versorgungssystems zu dem Schluss, dass vor allem in den urbanen Räumen „marketing services for foodstuffs have increased to keep pace with population growth“ (Reusse/Lawson 1969: 36). Nachdem das Krisenphänomen der Nahrungsunsicherheit scheinbar noch kein entscheidendes Kriterium für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit darstellte, führen sie als wichtigsten Indikator für die Stabilität und Adaptivität des Systems die stabilen Preise für Grundnahrungsmittel an (ebd.). Für diese anfängliche Leistungsfähigkeit des Versorgungssystems lassen sich im Großen und Ganzen drei Erfolgsfaktoren verantwortlich machen: Zum einen ermöglichte es die bereits angesprochene, aufgrund des florierenden Kakaohandels außergewöhnlich gute Wirtschaftssituation der ghanaischen Regierung, mögliche Defizite hinsichtlich der benötigten Nahrungsmittelmenge, aber auch veränderte Konsummuster durch entsprechende Nahrungsmittelimporte auszugleichen; in dem Zeitraum zwischen 1954 und 1966 stiegen die entsprechenden Ausgaben von 26, 8 Millionen Cedis106 auf 39,1 (vgl. ebd.: 37). Zum anderen erfuhr aber auch das Versorgungssystem einen deutlichen Professionalisierungsschub, indem der erlebte Aufschwung und eine damit zusammenhängende Ausbildung einer relativ finanzkräftigen KonsumentInnenschicht wesentlich zur weiteren Ausdifferenzierung und Effektivität des Systems beitrug – ein Umstand, der sich nicht zuletzt darin niederschlug, dass von 1950 bis Mitte der 1960er Jahre der Nahrungsmittelhandel den größten Anteil am internen Handel Ghanas ausmachte (Lawson 1971: 380). Und schließlich konnte das gestiegene Bevölkerungswachstum in den Anfangsjahren noch verhältnismäßig einfach durch eine entsprechende Produktivitätssteigerung im landwirtschaftlichen Sektor kompensiert werden. Diese wurde in erster Linie dadurch möglich, dass entgegen der irrigen Annahme vieler Entwicklungstheorien eines vermeintlich entwicklungsdefizitär bedingten niedrigen Produktivitätslevels dieser relativ leicht angehoben werden konnte, was insbesondere im Unterbereich des Voltaflusses gelang (vgl. Lawson 1967b). Die Schluss-
106 Dabei handelt es sich um nicht unbedeutende Geldmengen, denn der Cedi entsprach zum Zeitpunkt seiner Einführung einem Wert von einem Dollar. Angesichts der hyperinflationären Entwicklung bekommt man aktuell für einen Euro circa 10 000 Cedis.
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folgerung eines niedrigen Entwicklungsstandes ergibt sich nämlich nur, wenn man ihn in unzulässiger Weise mit westlichen Maßstäben vergleicht. Sieht man ihn vor dem jeweiligen kulturellen Hintergrund, so zeigt sich ein völlig anderes Bild: „Labour productivity was relatively high in all parts of West Africa in the sense that output was high per unit of labour input … Moreover, though it makes sense for a family to acquire its food with the minimum effort necessary (and that includes the storable surpluses for bad years in dry savannah), productivity per person was kept much lower than would be thought desirable by agents of the market or the state.” (Hart 1982: 10) Allerdings waren bereits ab 1965 erste Anzeichen einer ernsten Krise am Horizont der Nahrungsversorgung aufgetaucht. So brachen bei gleichzeitiger Erhöhung der Lebensmittelpreise um 33% die Ausgaben für Nahrungsmittelimporte um ganze 50% ein (vgl. Lawson 1967b: 197). Die ganze Fragilität des Nahrungsversorgungssystems offenbarte sich dann aber zu Zeiten der Kakaokrise Mitte der 1960er Jahre, in deren Folge nicht zuletzt die ökonomischen Spätschäden der okkupatorischen Kolonialzeit offen zu Tage traten. Denn zu diesem Zeitpunkt wurde deutlich, welche fundamentale Veränderung hinsichtlich der Migrationsströme die koloniale Epoche eingeleitet hatte (vgl. zu Folgendem Hill 1956, Hart 1982: 121f., Burchards 1984: 123f., Pellow/Cahzan 1986: 135f.). Um 1880 wurde die bis dahin unbekannte KakaoFrucht aus Mittelamerika in Ghana eingeführt (vgl. Hart 1982: 59). Angesichts der klimatischen Bedingungen wurde schnell deutlich, dass ausschließlich die südlichen Regionen des Landes für einen Erfolg versprechenden Anbau in Betracht kommen würden. Schon bald nach Einführung der Frucht stellte sich heraus, dass die Bevölkerungsgruppen der Krobe, Shai und Ga, die bereits durch den Anbau von Ölpalmen eine gewisse Erfahrung mitbrachten, äußerst geschickt in der Pflege dieser Pflanzen waren – ein Umstand, den beispielsweise Hill für fundamental für die weitere Entwicklung der Kakaoproduktion in diesem Breitengrad hält (vgl. Hill 1956: 10). Allerdings handelte es sich bei dem Anbau von Kakaopflanzen um eine sehr zeit- und damit kostenintensive Angelegenheit: Die Setzlinge mussten während mehrerer Jahre intensiv gepflegt werden, so dass für andere Tätigkeiten, wie beispielsweise den eigenen Nahrungsmittelanbau, nahezu keine Zeit mehr zur Verfügung stand. Um dennoch die entsprechenden Anreize zu schaffen, machte die Kolonialverwaltung eine einzigartige Ausnahme: Sie erlaubte es indigenen Bauern, Land käuflich zu erwerben, und ermöglichte es ihnen damit, die eigene Ernte auch gewinnbringend zu verkaufen. Diese Maßnahme unterminierte allerdings – ob gewollt oder nicht – das Reziprozitätsprinzip der traditionellen Sozialverbände: „Die Eigentumsrechte sind somit unabdingbare Voraussetzung in einem Agrarsystem, das nicht mehr durch das Prinzip der Reziprozität charakterisiert ist, sondern nach kapitalistischen Regeln geleitet wird.“ (Burchards 1984: 124) Aber nicht nur die Mechanismen, nach denen die sozialen Verbände funktionierten, veränderten sich im Zuge dieser strukturellen Änderungen des Wirtschaftssystems, sondern auch die Formen der Migration. Immer mehr Migranten wurden durch die rasch Verbreitung findenden Erfolge der
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Kakaobauern angezogen, die sich teilweise zu regelrechten Managern ihres eigenen Erfolges entwickelten: „They relied to some extent on family labour and no doubt grew their own food; but after some time much of the labour required during the farm-establishment phase came to be hired on a daily or seasonal basis in the market. Sometimes these farmers formed companies for the purpose of acquiring, clearing and distributing land, before splitting up into individual enterprises.” (Hart 1982: 61) Zunehmend dominant wurde ein Typ der Migration, den Hunter als „Leap frog migration“ (1971: 86) bezeichnet hat, da zunächst die Männer in die Anbaugebiete migrierten, um entweder ihre Arbeitskraft einem Kakaopflanzer anzubieten oder, bei entsprechender finanzieller Ausstattung, gleich selber ein Stück Land kauften. Hatte sich der Mann auf die eine oder andere Weise etabliert, zogen schließlich die Frauen und Kinder in das entsprechende Gebiet nach. Damit formierte sich im Süden des Landes mit Accra als Gravitationszentrum ein Wirtschaftsraum, der für Migranten weit über seine eigentlichen Grenzen hinaus eine Zugkraft entfaltete und der nach und nach die Migrationsformen des Wanderhackbaus und des Nomadismus durch die der „Labor Migration“ (Burchards 1984: 126) zu ersetzen begann. Diese neue Konzentration der Migrantenströme wurde weiterhin dadurch verstärkt, dass sowohl die Kolonialverwaltung (wenn auch in eingeschränkterem Maße) als auch später die Regierung des unabhängigen Ghanas die aus dem Export erwirtschafteten Gewinne nahezu ausschließlich zugunsten der urbanen Räume reinvestierte: „If income generated from agriculture stayed in the countryside there would be muchreduced rural exodus.“ (Hart 1982: 125) Aber nicht nur soziale, sondern auch ökologische Aspekte spielten bei der Reorganisation der Bevölkerungsverteilung eine nicht unerhebliche Rolle. Während die Niederschlagszeiten im Norden einen Anbau von landwirtschaftlichen Produkten nur zwischen Juli und September ermöglichten und die restlichen Monate des Jahres nur mehr oder minder unproduktiv verstrichen, erlaubten die klimatologischen Bedingungen des Südens einen nahezu ganzjährigen Anbau. All diese Faktoren führten schließlich zur Formierung eines Migrationtyps, dessen Grundlage die Monetarisierung der landwirtschaftlichen Kakaoproduktion war, wenngleich eine genaue Quantifizierung dieser Prozesse angesichts fehlender Daten kaum vorzunehmen ist (vgl. Hart 1982: 121, Burchards 1984: 128). Wichtig ist in diesem Zusammenhang aber, dass die ‚Modernisierung‘ der landwirtschaftlichen Produktion durch koloniale Maßnahmen der ‚cash-crop‘Produktion auch in Ghana einen wesentlichen Grundstein für die Land-Stadt Wanderungsbewegungen legte, als dessen Folge „the forest population was swollen by migrants from the savannah, seeking employment on both a seasonal and a year-round basis” (Hart 1982: 61). Aus Sicht der Nahrungsversorgung ist weniger die Ökonomisierung der landwirtschaftlichen Produktion als solche problematisch, die ja durchaus auch positive Effekte beispielsweise in Form von Professionalisierungsschüben hatte, sondern vielmehr eine Transformation des insti-
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tutionellen Gefüges, das bis dahin die Versorgung getragen hatte107. Traditionelle Gemeinschaftssysteme der Nahrungssicherung mit ihren agrarischen Sozialverhältnissen gerieten im Zuge von Urbanisierungsprozessen und damit verbundenen Migrationsbewegungen immer stärker unter Druck. So erfordern diese lokalen, raumgebundenen Lebens-, Kooperations- und Produktionszusammenhänge sowie die damit verbundenen komplexen Eigentumsregelungen und Wissensformen eine relativ stabile Bevölkerungszusammensetzung. Dieser Verlust der ländlichen Regionen an gut ausgebildeten und vielseitigen Arbeitskräften als Folge der Land-Stadt Migration wurde bereits in vorherigen Abschnitten als ‚brain drain‘ bezeichnet. Vor allem junge und verhältnismäßig gut ausgebildete Männer gehen überproportional oft in die Städte: 71% der (Land-Stadt) Migranten verfügen über Schulbildung und nur 47% der im Dorf verbleibenden Personen (Amankwaa 2003, S.7). Die gleiche Tendenz wird durch die Feststellung untermauert, dass 70% der Dorfbewohner ohne höhere Schulbildung ansässig bleiben, wohingegen nur 20% mit einer höheren Schulbildung in ihrem Dorf wohnen bleiben (Lühring 1976, S.79): Für Dr. Olunfunke vom IMWI „this clearly demonstrates that the rural area has been effectively losing its prime and most effective labour force to other areas such as Accra, Obuasi and Techiman. Surveys from other parts of Ghana indicate similar conclusions in respects of the age of migrants.“ (Interview Olunfunke Cofie, IWMI, 13.10.05) Mit der Zeit trat allerdings ein weiteres Problem bei der Nahrungsversorgung der anhaltend expandierenden Städte immer deutlicher in den Vordergrund – die schlechte Verkehrsinfrastruktur des Landes. Bereits 1966 verwies Owen auf den allgemeineren Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und dem Zustand des Transportwesens: „The success of economic development depends on how effectively the transport system functions. The evidence in underdeveloped areas points to the fact that transport inadequacies are a major fact of economic growth.” (Owen 1966: 3) Dieser übergreifende Zusammenhang stellte sich auch in Bezug auf das System der Nahrungsversorgung mehr und mehr als ein entwicklungshemmender Faktor heraus. Anfang der 1970er Jahre waren lediglich 12% der landwirtschaftlichen Nutzfläche Ghanas zur Nahrungsmittelproduktion ausgeschöpft (vgl. Addo 1976: 36). Die bewirtschafteten Flächen befanden sich in der Regel entlang beziehungsweise in unmittelbarer Nähe der wenigen relativ gut ausgebauten Hauptverkehrstraßen. Mit steigendem Bedarf mussten schließ107 Dennoch sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die Form der Labor Migration in ihren Anfängen auch durchaus positive Auswirkungen auf die Nahrungsversorgung zeitigte. So entlastete dieser Typ der Wanderungsbewegungen soziale Gruppen vor allem in Norden des Landes gleich auf zweierlei Weise: Zum einen hatte der Sozialverband in Zeiten der Nahrungsmittelknappheit, die tendenziell verstärkt während der Trockenzeiten auftrat, einige Personen weniger zu ernähren – ein Aspekt, der bis heute in dem nordnigerianischen Wort für Migrant „mai cin rani“, was übersetzt so viel bedeutet wie ‚Der, der zu Zeiten der Trockenperiode auswärts isst‘, anklingt (vgl. Burchards 1984: 131); zum anderen kamen die Verdienste der Migranten der ganzen Gruppe zugute.
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lich zusätzliche Flächen landwirtschaftlich erschlossen werden, die sich aber zwangsläufig in weiterer Entfernung zu den gut erreichbaren Versorgungsrouten befanden. Damit trat ein paradoxer Effekt ein: „Paradoxically … the situation that emerges is one in which places with higher crop yields possess poor transport linkages and suffer from high transport costs while areas with low crop yields experience lower transport costs because of better accessibility.“ (Addo/Asiedu 2000: 69) Noch heute schlagen sich die nach wie vor hohen Transportkosten mit bis zu 80% auf die Nahrungsmittelpreise nieder (vgl. ebd.: 67). Weiter verschärft wurde die Krise der Nahrungsversorgung durch die negativen Folgen der Strukturanpassung. Infolge des urban bias der meisten Förderprogramme verschlechterte sich der ohnehin schon desolate Zustand vieler ländlicher Gebiete weiter, so dass die ländliche Verarmung bei einem gleichzeitig anhaltend hohen Geburtenüberschuss die Land-Stadt Wanderungen weiter anheizten. Naturräumliche Unterschiede und kulturelle Eigenheiten der Stämme haben zu einem außerordentlich hohen Variantenreichtum von Anbausystemen und Bodennutzungen mit entsprechend komplexen Wissensbeständen geführt (vgl. Manshard 1961, Burchards 1984). Die für die Regenwaldzone typische Form der landwirtschaftlichen Reproduktion des Wanderhackbaus findet sich heute nur noch in sehr abgelegenen und dünn besiedelten Regionen. Dies ist nicht zuletzt das Ergebnis von Strukturanpassungsprogrammen der Weltbank, die in dem althergebrachten Wanderhackbau und den damit verbundenen traditionellen Lebensformen ein Haupthemmnis auf dem Weg zu einer modernen Agrarwirtschaft identifizierte. In der Folge wurden im Rahmen von agrarwirtschaftlichen Maßnahmen vor allem in den 1970er und 1980er Jahren Programme der landwirtschaftlichen ‚Erziehung‘ lanciert (vgl. Yeboah 2000). In dem Bestreben binnennationale MigrantInnenströme einzudämmen, wurden Formen des sesshaften Ackerbaus und der landwirtschaftlichen Produktion staatlich gefördert. Die oben beschriebene abnehmende Fähigkeit der ländlichen Bevölkerung, sich selbst zu versorgen, geschweige denn einen Überschuss zu erwirtschaften – ein Resultat sowohl des ‚brain drain‘ als auch der abnehmenden natürlichen Produktivität weiter Landstriche – ließ in zunehmenden Maße auch die urban-ruralen Versorgungsnetzwerke zusammen brechen. Als Resultat entstand in den urbanen Räumen Ghanas ein ähnlicher Typ von Proletarier wie zu Beginn der europäischen Industrialisierung – ein Typus von urbanem Arbeiter, der letztlich nur noch seine Arbeitskraft dem städtischen Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen kann und keinerlei Zugriff mehr auf den agraren Produktionsfaktor Land besitzt (vgl. Amin 1979, Burchards 1984: 140). Was damit in der urbanen Ökonomie Accras verloren geht, ist das rurale Subsistenzsystem, also jener Faktor, der in den ländlichen sozialen Verbänden das Fortbestehen der Gruppe garantierte, indem grundlegende Bedürfnisse befriedigt werden konnten. Wenn nun aber bis zu 95% der Nahrungsmittel auf Märkten käuflich erworben werden müssen und bis zu 80% des gesamten zur Verfügung stehenden Haushaltbudgets ausmachen (vgl. FAO 2002), dann setzt dies die Existenz eines funktionierenden Arbeitsmarktes vor-
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aus, auf dem eben dieser Lohn erworben werden kann – und genau dies war nicht der Fall. 1970, zu einem der ersten Höhepunkte der Wirtschaftskrise, waren nur 20,8% der Menschen im erwerbsfähigen Alter Lohn- und Gehaltsempfänger (vgl. Ewusi 1978: 64). Der urbane Arbeitsmarkt war also damals schon nicht in der Lage, die Nachfrage zu decken und die 1980er Krisenjahre standen noch bevor. Den Beginn der schwersten wirtschaftlichen Krise erlebte Ghana 1975 (vgl. Schicho 2001: 202f): Die Inflation erreichte Höchstwerte, der hohe offizielle Wechselkurs des Cedis, die niedrigen Produzentenpreise für Kakao, Misswirtschaft und Korruption führten Anfang der 1980er zum totalen Zusammenbruch. Angesichts der immer schlechter werdenden Versorgung der Bevölkerung rief der National Redemption Council (NRC) unter der Führung von Acheampong verzweifelte Initiativen wie ‚Operation Feed Yourself‘ oder ‚Food for the People‘ ins Leben, die aber kaum Linderung brachten. Weiter verschärft wurde die Nahrungsmittelknappheit durch eine extreme Trockenperiode, in welcher weniger als 50% des durchschnittlichen Niederschlags fiel und weite Teile der Ernten vernichteten. Die Jahre zwischen 1975 und 1983 markierten somit die härtesten Krisenjahre der Nahrungsversorgung in Ghana (vgl. Schmidt-Kallert 1994: 98). Erst der Beginn der langjährigen Herrschaft Rawlings 1983 brachte mit den bereits erwähnten ‚Volksläden‘ eine Besserung der Nahrungsversorgung mit sich. Mit der urbanen Transformation und einer zunehmenden Durchdringung der traditionellen Lebensweise mit kapitalistischen Produktions- und Eigentumsverhältnisse befinden sich im modernen Ghana zwei soziale Strukturprinzipien in zunehmender Konkurrenz (vgl. Burchards 1984: 139): das traditionelle, stark gruppenorientierte und auf Reziprozität und Subsistenz ausgerichtete Modell und der stärker individualisierte, monetarisierte und durch marktwirtschaftliche Erwägungen dominierte urbane Lebensstil. Auch wenn diese Spannungen im alltäglichen Leben zu spüren sind, betont Nukunya dennoch die anhaltende Bedeutung der Gruppenzugehörigkeit – denn was die Spannung bis heute erfolgreich überbrückt und damit gleichsam den sozialen Kitt der ghanaischen Gesellschaft liefert, ist das Lineage-Prinzip (vgl. Nukunya 2003: 141f.). Die Art der urbanruralen Unterstützung wird dadurch weiterhin von dem Reziprozitätsprinzip getragen: Lassen die StadtmigrantInnen ihren ländlichen Verwandten hauptsächlich Geld und in ländlichen Gebieten schwer erstehbare Güter zukommen, so erhalten erstere umgekehrt vorwiegend Nahrungsmittel – insofern gilt auch für die Nahrungsversorgung in den urbanen Räume Ghanas die im vorherigen Kapitel herausgestellte Bedeutung von reziproken Solidaritätsnetzwerken (vgl. Adams 2006). Die enge Verflochtenheit der normativen Grundsätze, Regeln und Werte ländlicher Regionen mit den Prinzipien, nach denen das städtische Leben organisiert wird, macht in den Augen Harts auch eine strikte Land-Stadt Dichotomisierung zur Erfassung der Besonderheiten von südlichen Urbanisierungsprozessen unbrauchbar: „This expansion of the horizon of the community, in terms of the physical distribution of those who claim membership of a socially defined aggregate such as lineage, makes it no longer easy to dichotomise, at least spatially,
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the traditional and the modern or even the rural and the urban … life today.“ (Hart 1971: 34)
3.3.2 Ströme der Nahrung Aus sozial-ökologischer Sicht organisieren urbane Räume im Zuge ihrer Versorgungsbemühungen Material- und Energieflüsse mit ihrer Umwelt, das heißt sie extrahieren beziehungsweise importieren Rohstoffe, Ressourcen oder Produkte, verteilen diese mittels städtischer Versorgungssysteme und verarbeiten diese dann in einem entsprechenden zeitlichen Abstand schließlich zu Emissionen und Abfällen. Durch diese Verknüpfung von Menschen, Gütern und Natur entsteht ein spezifischer Versorgungsraum. Betrachtet man zunächst aus einer quantitativen Perspektive die supply-Seite, so wird deutlich, dass die räumliche Ausdehnung der Versorgungsströme der Stadt Accra das gesamte Hinterland in Anspruch nimmt (vgl. Abbildung unten). Bei Accra handelt es sich damit um eine sog. „deficit food producing area“ (Nyanteng 1998: 5), ein Umstand, der zunächst nicht weiter erstaunt, gilt er doch für nahezu alle größeren urbanen Räume. Dennoch trifft es für die Stadt Accra in besonderem Maße zu: „Accra thus could be regarded as a ‚parasite‘ town whose growth and prosperity depends upon the product of is ‚host‘,i.e., the hinterland.” (Konadu-Agyemang 2001: 65) Abbildung 13: Nahrungsversorgungsströme nach und aus Accra Hinterland
Nahrungsmittel für Städtische Märkte Nahrungsmittel von Märkten zu Haushal-
Nahrungsmittel von Märkten aus Accra
85
Peri-urban Accra 10 % 5 %
36
% 64
Accra
%
(Quelle: Fink 2002) Wie aus der obigen Abbildung deutlich wird, sind mit 85% die Nahrungsstoffströme aus dem Hinterland diejenigen, die weite Teile der Nahrungsversorgung der Stadt sicherstellen. Ghana ist kein einheitlicher Naturraum und lässt sich in
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drei mehr oder weniger breitenparallel verlaufende Landschafts- und Vegetationsgürtel unterteilen: den Waldgürtel sowie die nördlich und südlich anschließenden Savannen. Diese Dreiteilung spiegelt sich auch in der Herkunft der Nahrungsmittel wider. Aus dem relativ nahen Ashantihochland mit seinen Regenwaldgebieten kommen in erster Linie verschiedene Knollenfrüchte wie Yam und Cassawa108, aber auch ein Großteil der Früchte (Orangen, Ananas, Bananen) und des Gemüses. Der Großteil der verschiedenen Getreidesorten wie Sorghum, Hirse und Mais, aber auch Tomaten und Vieh kommen dagegen eher aus den nördlichen Savannenebenen und haben zum Teil acht- bis neunhundert Kilometer Transportweg hinter sich. Damit kommt auch in den Herkunftsgebieten bis heute die alte koloniale Zweiteilung zum Ausdruck: „Subsistence farming is common in the north, cash cropping in the south.“ (Pellow/Cahzan 1986: 136) Importiert werden vor allem Kartoffeln (Holland), Zwiebeln (Niger, Burkina Faso), Reis (USA, Thailand) und Hühner (USA, Brasilien). Aber auch die urbane und periurbane Landwirtschaft trägt mit 15% einen nicht unwesentlichen Anteil zur Versorgung der Stadt bei, vor allem in Bezug auf schnell verderbliches Obst und Gemüse. 64% der gelieferten Nahrungsmittel werden auf städtischen Märkten verkauft, für 36% der Produkte bildet Accra dagegen nur einen Umschlagplatz. Der „Schlund der Stadt“ (Montanari 1993: 66) Accra wird weiterhin deutlich, wenn man in einem nächsten Schritt die Nahrungsströme, die sich in die Stadt ergießen, quantifiziert. Abiwu (2002) schätzt die Nahrungsmittelmenge, die Accra pro Jahr erreicht, auf 816.000 Tonnen, welche wiederum von einer enormen Anzahl von ca. 86000 Zwischenhändlern weiter an die Konsumentenhaushalte verteilt werden109. Für die heutige Nahrungsversorgung Accras ist die Produktion von Knollenfrüchten weitaus wichtiger ist als der Getreideanbau. Die Pflanzen gelten als relativ anspruchslos, brauchen wenig Bewässerung und gedeihen selbst auf bereits ausgelaugten Böden. Cassawa und Yam weisen einen hohen Stärkeanteil auf und gehören zu den wichtigsten Nahrungspflanzen in Ghana. Sowohl Yam als auch Cassawa sind in trockenem Zustand gut und relativ lange lagerfähig, werden aber vor allem zu Mehl verarbeitet, um dann als Brei oder fladenartiges Brot verzehrt zu werden. Vor allem ärmere Bevölkerungsschichten ernähren sich vorwiegend von den drei breiartigen Gerichten wie Fufu, Bakku und Kenkey, die zwar billig, sättigend und stärkehaltig sind, bei nahezu ausschließlichem Verzehr aber zu schwerwiegenden Vitamin- und Proteinmangelerschei-
108 Yam ist eine Sammelbezeichnung für Knollen und Wurzeln verschiedener Kletterpflanzen, Stauden und Sträucher, deren Knollen bis zu 50 Kilogramm schwer werden können. Ähnlich wie Cassawa stammt auch Yam ursprünglich aus Asien und Lateinamerika, ist aber heutzutage aus der afrikanischen Esskultur nicht mehr wegzudenken. 109 Bei der Erfassung der Stoffströme wurde wesentlich auf Arbeiten des International Water Management Institute (IWMI) zurückgegriffen, das in den letzten Jahren verstärkt versucht hat, die Nahrungsmittelmengen zu quantifizieren.
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nungen führen (vgl. MOFA 2005). Das ungleich verteilte Auftreten eines derartigen ernährungsdefizitären Krankheitsbildes verweist darauf, dass sich in der Regel der Ernährungszustand der Land-Stadt Migranten während der ersten Zeit aufgrund ihrer geringen finanziellen Mittel deutlich verschlechtert (de Nigirs 1997: 9f.). Ein weiteres, typisch ghanaisches Gericht ist das scharf gewürzte, aus zerstampften Yamknollen, Pfeffer, roten Bohnen und Plantains (Kochbananen) bestehende Red-Red; ferner lassen sich die Blätter der Pflanzen auch als Gemüse zu Eintöpfen verarbeiten. Ebenso von großer Bedeutung und allerorten anzutreffen sind die Plantains (Kochbananen), ein typisches Produkt der Regenwaldzone, die gebraten, gekocht oder in Öl zu Chips ausgebacken werden. Aber auch die Veränderungen über den beobachteten Zeitraum liefern wichtige Erkenntnisse. Ein wichtiges Ergebnis scheint mir zu sein, dass die Nahrungsmittelmenge mit dem urbanen Wachstum Schritt halten konnte und zwar trotz eines niedrigen Entwicklungsstandes der Produktivkräfte. Aus sozial-ökologischer Sicht ist weiterhin bemerkenswert, dass eine starke Abhängigkeit der Versorgungsleistung von ökologischen Bedingungen zu beobachten ist. Während einige Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mit Blick auf Herkunft und Distribution der Nahrungsmittel im Rahmen moderner Lebensmitteltechnologien von einer „Entgrenzung von Raum und Zeit“ (Prahl/Setzwein 1999: 9) sprechen, spielen diese beide Dimensionen für die Versorgungssicherheit des urbanen Raums Accra ein große Rolle. So führt der anhaltende Bevölkerungszuwachs vor allem in der Trockenzeit immer wieder zu kurzfristigen Engpässen in der städtischen Nahrungsversorgung. Saisonaler Hunger tritt nicht selten verstärkt kurz vor der neuen Ernte zu Ende der großen Regenzeit auf (Juni/Juli). Wie die unten stehende Abbildung verdeutlicht, erreichen vor allem die für die Nahrungssicherung kaum zu überschätzenden Knollenfrüchte Yam und Cassawa in der Trockenzeit kritische Mengen.
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Abbildung 14: Nahrungsmittelmengen in Trocken- und Regenzeit 7000
tons per week
6000 5000 4000 3000 2000 1000
at oe G s ar de n eg gs O ni on s C ab ba ge
ric e
To m
ai ze
Lo ca l
M
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av a as s
C
Ya m
s
0
Lean season
Peak season
(Quelle: Fink 2002) Neben dieser stärker naturräumlichen Komponente wird die hohe Relevanz der Raumbezogenheit des urbanen Versorgungssystems nochmals mit Blick auf Verteilung und Transport der Nahrungsmittel in die Stadt deutlich: „Ghana is blessed with immense ressources for agricultural production in general and food production in particular. For that reason it is very sad that one of the important reasons for food shortages must be associated with the poor condition of the road network.“ (Interview Philip Amoah/IMWI/11.10.05) Der schlechte Zustand des Straßenverkehrsnetzes in Verbindung mit der oftmals veralteten Technik der Lastwägen und nicht vorhandener Kühlmitteltechnologien lassen die bereits angesprochenen ‚Entfernungswiderstände‘ in Form von sog. ‚post harvest losses‘ deutlich zu Tage treten und führen bei einigen schnell verderblichen Lebensmitteln zu einem Verlust von bis zu 60% der Erntemenge (Interview Dr. Catie Doku, MOFA, 21.10.05). Das urbane Versorgungssystem der Nahrung lässt sich auf einer topologischen Ebene beschreiben als ein andauernder Strom von Akteuren, Gütern und Daten, die zu ausgewählten Orten fließen und sich dort verteilen. Das dabei entstehende System ist im Wesentlichen aus zwei Elementen aufgebaut (vgl. Oswald/Baccini 2003): Knoten und Verbindungen. Knoten werden verstanden als Orte hoher Dichte, wobei ökonomische, ökologische und/oder soziokulturelle Eigenschaften in unterschiedlichen Dichten angeordnet sein können: Sie können also Orte hoher Dichte von Personen, Gütern, Naturressourcen oder Informationen sein. Die Verbindungen werden konzipiert als hohe Flüsse von Personen, Gütern und Informationen. Die ‚kolonialisierten‘ Ökosysteme der Land- und Forstwirtschaft und die Gewässer sind als Ressourcen integrierte Teile des Sys-
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tems. Die einzelnen Elemente eines solchen Systems sind durch Ströme miteinander verbunden, die Kopplungen zwischen den einzelnen Elementen bedingen. Der Begriff des Stroms ist dabei prinzipiell sowohl auf natürliche als auch auf gesellschaftliche Sachverhalte anwendbar: Urbane Nahrungsversorgungssysteme organisieren einen gesellschaftlichen Stoffwechsel, der sich in Material-, Energie- aber auch Informationsströmen niederschlägt und der die dauerhafte und intendierte Beeinflussung natürlicher Prozesse für die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse impliziert. Ströme werden dabei als zweckgerichtete Sequenzen des Austausches beziehungsweise Interaktion zwischen den einzelnen Elementen verstanden, wobei der Raum dieser Ströme ein pluralistisches Netzwerk mit vielfältigen sozialen und physischen Verknüpfungen/Vermaschungen (‚Knoten‘) konstituiert. Abbildung 15: Knoten und Ströme der Nahrungsversorgung
Urban farms
Peri-urban farms
Rural farms
Distribution points
Hawkers / retailers
Wholesalers
Urban households and other consumers
Out of city / agro-industries / export
(Quelle: Fink 2002) Während für westliche Industrienationen im Zuge von Verstädterungsprozessen und der großtechnischen Massenproduktion die Stellung der Subsistenzwirtschaft und von offenen Märkten für die Nahrungsversorgung an Bedeutung verloren
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hat, spielen für die Nahrungsversorgung Accras Märkte, definiert als „an organized physical place were buyers and sellers meet face to face to buy and sell raw foodstuffs or cooked food“ (Nyanteng 1998: 6) eine zentrale Rolle. 95% der konsumierten Nahrungsmittel werden auf offenen Märkten gehandelt und gekauft, in Accra finden sich 47 reguläre Märkte mit den bereits erwähnten 86000 Zwischenhändlern. Vergleicht man diese Zahlen mit der Bedeutung, die städtische Märkte im Jahre 1966 inne hatten, bestätigt sich auch für Accra der oben beschriebene allgemeine Trend des Zusammenhangs zwischen Marktformen und Urbanisierungsprozessen: 1966 gab es lediglich 25 000 Zwischenhändler und nur ca. 70% der konsumierten Nahrungsmittel wurden von städtischen Märkten bezogen (vgl. Grant/Yankson 2003: 68). Wichtige Versorgungsquellen waren zum damaligen Zeitpunkt sowohl rotierende, also an bestimmte Wochentage gekoppelte Märkte (‚periodic system‘), als auch eine über soziale Netzwerke stattfindende Versorgung mit im ländlichen Raum produzierten Gütern; bei beiden handelt es sich um Versorgungspraktiken die mit zunehmender Urbanisierung an Bedeutung verlieren und stetig durch die erhöhte Bedeutung von täglichen Märkten abgelöst wurden. Die heutigen KonsumentInnenmärkte werden in so genannten ‚regular‘ und ‚non-regular‘ Märkte unterschieden: „The classification of Accra markets as regular and non-regular is based primarly on the part of the day they are active. A regular market is active during the day, the non-regular markets are active in the evenings into the night.“ (Interview Dr. Catie Doku, MOFA, 21.10.05) Weiterhin werden die Märkte nochmals danach unterteilt, ob sie Nahrungsmittel im ungekochten oder verarbeiteten Zustand verkaufen. Wichtige ‚raw-foodstuff‘ Märkte sind Kaneshie-Market, Nima, Malam Atta und Ashiedu Keteke Central. Von den ‚non-regular‘ Märkten, die auch zubreitete Speisen verkaufen, ist sicherlich der zentral gelegene Nachtmarkt von Osu der bedeutendste. Innerhalb Accras gibt es für die Zwischenhändler einen zentralen Hauptmarkt, auf dem die Waren umgeschlagen werden, den bereits erwähnten Agbogbloshie Market im Herzen der Stadt. Obwohl dieser Markt mit unseren Großmarkthallen vergleichbar ist, spielt er für Accra aus dem einfachen Grund eine ungleich zentralere Rolle, dass sich der Großteil der städtischen Bevölkerung Accras nicht von industriellen Produkten, sondern von ‚naturbelassenen‘ Produkten ernährt. Nahezu 75% der eingeführten Nahrungsmittel werden auf diesem Markt umgeschlagen (vgl. Nyanteng 1998). Vor allem für diesen Markt wird sein Standort im Zentrum der Stadt, in der Nähe zwei der größten Slumsiedlungen der Stadt Sodom and Gomorrah und Abuja, angesichts wachsender Nahrungsmittelströme immer mehr zum Problem: „This market and the whole area around it are regularly congested and the situation gets worse on ‚market days‘. The area becomes more and more inadequate due to the increasing volume of foodstuff, buyers and sellers, who trade them.“ (Interview Philip Amoah, IWMI, 11.10.05) Mobilitätsprobleme und Transportwesen stehen somit an vorderster Stelle auf „the list of emerging issues“ (Twum-Baah 2001: 37); ein Problem, welches in Bezug auf den Agbogbloshie Market noch um ein weiteres, schwer
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wiegendes ergänzt wird: das Fehlen adäquaten Lagerraums für die angelieferten Lebensmittel. So wird davon ausgegangen, dass „the storage losses of all food crops (including cereals, roots, tubers and plantain) produced in the country are estimated to be between 15 and 30%“ (Addo/Asiedu 2000: 80). Schließlich leidet der Markt auch angesichts fehlender Abwasserentsorgung an ernsten hygienischen Mängeln, insbesondere an fehlenden Sanitäreinrichtungen, wie ein Zeitungsartikel eindrücklich dokumentiert: „Owing to the lack of properly constructed urinals most traders urinate into some receptacles, and later dispose this into drains … The urine, however, ends up flowing freely into gutters along the main road.“ (Daily Graphic, 2. September 2006: 18) Die Märkte insgesamt sind in ein komplexes Netz von Vertrauens-, Klientelund Patronagebeziehungen eingebunden, deren Organisationsprinzipien und ihre Effekte auf das System der Nahrungsversorgung meines Wissens bis heute nur wenig erforscht wurden und an dieser Stelle ebenfalls nur am Rande thematisiert werden können: Sicher ist zunächst, dass sowohl die Großhändler als auch die Einzelhändler für jedes einzelne Nahrungsmittel in sog. ‚associations‘ organisiert sind, deren Vorstand eine sog. ‚queen mother‘, auch ‚commodity queen‘ genannt, bildet. Bei diesen ‚queen mothers‘ handelt es sich um ausgesprochen einflussreiche Personen: Sie bestimmen, wer in welcher Menge zu welchen Preisen welche Nahrungsmittel verkaufen darf und wem der Zugang bisweilen schlicht verweigert wird. Sozio-historische Untersuchung zur Entstehung der ‚commodity queens‘ haben gezeigt, dass es sich bei dieser Institution um ein Erbe der kolonialen Transformation der ghanaischen Produktionsweise handelt, die in fundamentaler Weise tradierte Formen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung untergrub (vgl. Simms/Dumor 1977, Dumor 1982). Dabei kann auf eine ganze Reihe von Veröffentlichungen zurückgegriffen werden, die die Rolle der Frau bei der Produktion, Verteilung und Vermarktung im Allgemeinen (vgl. Boserup 1970, Little 1973) und für Ghana im Besonderen (vgl. Pellow 1977) eingehend erforscht haben. Letztlich lässt sich für Ghana eben jene Veränderung nachzeichnen, die bereits bei der Freilegung der geheimen Geschichte des Hungers für Westafrika nachgezeichnet wurde, so dass es an dieser Stelle ausreicht festzuhalten, dass „as a result of colonialism the status of women in agricultural production tended to decline“ (Dumor 1982: 28). Eine der wenigen Möglichkeiten dieser so freigesetzten Frauen war es, ihre Arbeitskraft auf den neu entstehenden urbanen Arbeitsmärkten der Kolonialherren anzubieten. Mit ihren Fähigkeiten und Erkenntnissen in Bezug auf die Nahrungsversorgung, ihrer hohen Fähigkeit zur Selbstorganisation und zum Teil mit der finanziellen Unterstützung der kolonialen Verwaltung gelang es ihnen schnell, „because of their ability to exercise control over a substantial part of supply of particular products critical to the domestic market and their relative power to restrict competition in the distributive sector“ (ebd.: 34), eine monopolartige Stellung einzunehmen. Ein entscheidender Schlüssel zu diesem Erfolg scheint nicht nur ihr Aufstieg in den urbanen Zentren gewesen zu sein, sondern auch, dass sie rasch die zunehmende Bedeutung der
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ländlichen Gebiete für das weiter anwachsende Accra erkannten (vgl. Amonoo 1974). Durch direkte Verhandlungen mit den jeweiligen Chiefs, aber auch durch die Vergabe von Kleinstkrediten an die ländlichen Farmer, heute würden man von ‚Mikro-Krediten‘ sprechen, sicherten sie sich frühzeitig die Kontrolle über die ländlichen Nahrungsmittelernten. Kleinere Händler, die nicht bereits im Vorfeld mit den ‚commodity queens‘ verhandelt hatten und unabhängig auf dem Markt ihre Ware verkaufen wollten, wurden in ihrem Preis deutlich gedrückt, nicht zuletzt weil sie aufgrund der fehlenden Lagermöglichkeit angesichts der Verderblichkeit ihrer Produkte eine schwache Verhandlungsposition hatten. Bei der Festigung ihrer Position dürften aller Wahrscheinlichkeit auch ethnische Aspekte eine Rolle gespielt haben. Untersuchungen haben gezeigt, dass eine enge Verbindung zwischen der Marktstruktur und den produzierenden sozialen Gruppen besteht: Viele der Produkte, die auf dem Markt verkauft werden, stammen aus Akan-dominierten Regionen, die als Folge wiederum sehr einflussreich in Bezug auf die soziale Organisation (Zuweisung bestimmter Standplätze, Mengen die verkauf werden dürfen etc.) des Marktes sind (vgl. Pellow 2002: 21). Insgesamt lässt sich festhalten, dass sich die ‚commodity queens‘ mittels ihres geschickten Taktierens im Laufe der Zeit zu „powerful trade unions with absolute trade monopolies which resist and starve out any other competitors“ (Dumor 1982: 37) entwickelten. So etablierte die koloniale Herrschaft durch ihre konsequent auf Ausbeutung und Export ausgelegten Wirtschaftsstrukturen in Ghana eine soziale Matrix, die den Aufstieg der ‚commodity queens‘ ermöglichte. Bis heute ist ihre Vormachtstellung auf den Märkte Accras ungebrochen, wird aber gerade von internationalen Hilfsorganisationen immer stärker in ihrer Wirkung auf die urbane Nahrungsversorgung problematisiert. Lucien de Lardemelle von der FAO weist darauf hin, dass „their intervention in food supply is favourable when conditions are normal, but their role is more questionable when there is a glut and, above all, in case of shortage“ (Lardemelle 1996: 13). Neben den offiziellen Märkten existiert eine ganze Reihe von ‚informellen‘ Kanälen der Nahrungsversorgung. Die in den ersten Eindrücken beschriebene augenfällige Bedeutung informeller Wirtschaftsaktivitäten für die Nahrungsversorgung in Form von Straßenständen (‚chop bars‘) und -verkäufen deckt sich mit offiziellen Statistiken. Eine der offensichtlichsten qualitativen Effekte von Urbanisierungsprozessen auf die Nahrungsversorgung Accras ist „the increased demand for cooked dishes and processed products“ (Ibrahima 1997: 14). Etwa 70% aller informellen Wirtschaftstätigkeiten drehen sich in der Folge um den Straßenverkauf und die Produktion von Nahrungsmitteln (vgl. Songsore 2003). Dem entspricht auf der KonsumentInnenseite, dass der größte Anteil der Lebensmittelausgaben eines Haushalts mit 16,3% auf derartige Fertiggerichte entfällt, die entweder unmittelbar auf der Straße oder zu Hause konsumiert werden (Nyanteng 1998: 4). Wir erfahren eine weitere Bestätigung dieser Beobachtung durch Dr. Catie Doku, in deren Augen das sog. „food-hawking“ an zentralen wichtigen Verkehrsadern eine wichtige Rolle für die Versorgung mit zubereiteten Lebens-
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mitteln spielt: „A lot of fruits, vegetables, yam, plantain, fresh and smoked fish or kebabs are retailed by hawking along several principal streets in Accra. Sometimes the hawkers settle on pavements until they are forced to move on.“ (Interview Dr. Catie Doku, MOFA, 21.10.05) Die FAO steht diesen Möglichkeiten des außerhäuslichen Verzehrs jedoch zwiespältig gegenüber, denn auf der einen Seite stellen sie insbesondere für die urbanen Armen eine preiswerte und nahrhafte der Nahrungsaufnahme dar, auf der anderen Seite verfügen diese Fastfood Stände in den seltensten Fällen über die adäquaten hygienischen Einrichtungen zur Zubereitung von Nahrungsmitteln, wie beispielsweise sauberes Wasser, und bergen daher immer auch die Gefahr nahrungsbedingter Krankheiten – die FAO bezeichnet solches ‚Streetfood‘ demnach auch als „mixed blessing“ (FAO 2002). Aufgrund der weit verbreiteten Armut und angesichts der Tatsache, dass soziale Sicherungssysteme weitgehend fehlen oder nur sehr mangelhaft organisiert sind, sehen sich die Betroffenen gezwungen, eine eigene Notökonomie aufzubauen. So lässt sich in der Stadt mit ihren großen Armensiedlungen die Etablierung neuer kultureller Formen beobachten (vgl. Flynn 2005). Diese Formen ‚sekundärer‘ Versorgungssysteme stehen im engen Zusammenhang mit dem sog. ‚informellen Sektor‘ und stellen wichtige Elemente der Nahrungsversorgung weiter Teile der in Entwicklungsregionen lebenden Bevölkerung dar. Der Begriff des „informellen Sektors“ hat seit seiner ‚Entdeckung‘ durch die ILO 1960 eine Vielzahl von Definitionen erfahren. Hein charakterisiert ihn als Bereich der Wirtschaft, „der sich den formal-rechtlichen Bestimmungen der betreffenden Gesellschaft in erheblichem Umfang entzieht; in den Entwicklungsländern gehören dazu weite Bereiche der städtischen Dienstleistungen und der Kleinproduktion, aber auch der kleinbäuerlichen Subsistenzwirtschaft.“ (Hein 1998: 382) Während die Rede von einem ‚Sektor‘ einen abgeschlossenen, klar abgrenzbaren Bereich suggeriert, wird einem bei näherer Betrachtung der Situation in Accra klar, dass eine derartige Grenzziehung illusorisch bleiben muss. Vielmehr handelt es sich in Bezug auf die Nahrungsversorgung um eine Kombination von marktorientierten mit vom Markt unabhängigen Formen der Subsistenzproduktion. Zielsetzung dieser Aktivitäten ist stets eine Risikominderung durch eine Risikostreuung (vgl. Elwert/Evers/Wilkens 1983). So erklärt mir ein Farmer, dass er niemals das ganze ihm zur Verfügung stehende Land für den Anbau von Ananas verwenden würde, auch wenn der Marktpreis noch so hoch sei. Vielmehr baue sein Vater noch Hirse und Sorghum auf dem Stück Land an, Mutter und Töchter verarbeiten das ganze in Minigarküchen und bieten es zum Straßenverkauf an. Im Rahmen dieser Risikominimierung nimmt neben den verschiedenen Formen der Mischökonomie das Knüpfen und Pflegen sozialer Beziehungen eine wichtige Rolle ein. Vor allem für sehr junge und sehr alte Stadtbewohner bieten diese Netzwerke verwandtschaftlicher Solidarität oftmals die einzige Überlebensmöglichkeit. So sind Formen der sozialen Organisation von Versorgungsgemeinschaften und das damit verbundene soziale Kapital im Sinne Bourdieus eine wichtige Ressource im Kampf um die Sicherung der Nahrungsversorgung.
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Sowohl durch das Verteilen von verschiedenen wirtschaftlichen Aktivitäten innerhalb der Familie als auch durch das Erhalten der Funktionstüchtigkeit anderer sozialer Beziehungen auf begründetem Vertrauen wird versucht, eine höhere Versorgungssicherheit als im Verfolgen individueller Strategien zu erreichen. Auch wenn diese „economy of affection“ (Hyden 1983) auf dem Funktionieren familiär basierter Hilfsnetzwerke beruht, sollten diese keineswegs romantisiert werden: Ungleichheitstheoretisch betrachtet ist nämlich ein wesentlicher Mechanismus, der zu diesem Funktionieren beiträgt, eine exklusive Schließung nach außen. Somit handelt es sich wesentlich um Prozesse der sozialen Schließung und damit verbundener Exklusionseffekte. Unter gender-Aspekten bleibt weiterhin festzuhalten, dass Frauen im Rahmen dieser Notökonomie, abgesehen von den beschriebenen ‚commodity queens‘, ein zentrale Rolle spielen: In Accra produzieren Frauen über 70% der Grundnahrungsmittel und ein Drittel der Marktfrüchte (vgl. Schäfer 2004: 30). Weiterhin spielen Frauen eine wichtige Rolle bei der Bildung, dem Erhalt und der Pflege der angesprochenen urbanen sozialen Sicherungsnetzwerke. Dennoch wird die Leistung der Frauen zur Ernährungssicherung aufgrund der gesellschaftlich verankerten Geschlechterhierarchien nicht honoriert. Sie haben in der Regel keinen Anspruch auf die erzielten Gewinne und darüber hinaus beträchtliche Schwierigkeiten im Zugang zu fruchtbarem (städtischen) Land, Saatgut und technischen Geräten. Die Geschlechterdifferenz als Dimension horizontaler Ungleichheit ist somit eine zentrale Kategorie, die sich direkt auf die Produktion urbaner Nahrungsmittel und den Zugang zu Ressourcen auswirkt.
4 . Wechselwirkungen zwischen Urbanisierungsprozessen und Nahrungsversorgung: Urbane Raum(an)ordnungen am Beispiel städtischer Landwirtschaft Im Mittelpunkt der nächsten Abschnitte steht der für die Nahrungsversorgung der Stadt Accra wichtige Knotenpunkt der urbanen Landwirtschaft, der mit 15% der verzehrten Nahrungsmittel einen wichtigen Beitrag zur Nahrungssicherung der städtischen Bevölkerung beiträgt. Das übergreifende Erkenntnisinteresse der Arbeit gilt der aus einer sozial-ökologischen Perspektive zu erfolgenden Analyse der Wechselwirkungen von Urbanisierungsprozessen und Versorgungssystemen der Nahrung. Eine derartige Spezifizierung muss die jeweils relevanten sozialen und naturalen Elemente, die in diesem Zusammenhang prozesshaft miteinander verknüpft werden, herausarbeiten. Als eine empirisch zugängliche Schnittstelle dieser ,hybriden‘ Vernetzungen werden daher im Folgenden Formen urbaner Subsistenzwirtschaft und damit verbundener Raum(an)ordnungen durch städtische Akteure und Akteursgruppen untersucht. Hierbei wird zentral auf den erarbeiteten prozessualen Raumbegriff zurückgegriffen, der Raum nicht einfach als
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starren und Handlungen vorgängigen Hintergrund, sondern erst im Rahmen von Handlungskontexten konstituiert begreift. In einem ersten Schritt wird die allgemeine Verbreitung und Bedeutung des Phänomens der städtischen Landwirtschaft, das nach wie vor in seinen Potenzialen für diverse Aspekte der Stadtentwicklung nicht voll erkannt wurde, kurz geschildert. Der nächste Abschnitt widmet sich dann der Bedeutung der urbanen Landwirtschaft Accras für dessen Nahrungsversorgung. Der Bedrohung dieses Beitrags zur Nahrungssicherung Accras als Folge eines spezifischen Ressourcenregimes wird dann im Rahmen der Analyse örtlicher Raum(an)ordnungen nachgegangen.
4.1 Urbane Landwirtschaft: Farming in the shadow of the city Die Überschrift ‚Farming in the shadow of the city‘ bezieht sich auf den Titel einer 1998 vom Forschungsinstitut IFPRI (International Food Policy Research Institute) durchgeführten Studie zur urbanen Landwirtschaft (vgl. Maxwell et al. 1998), die mit dem Titel unter anderem zum Ausdruck bringen wollte, dass das Phänomen ‚städtische Landwirtschaft‘ bis vor nicht allzu kurzer Zeit im Schatten der Thematisierung des Phänomens südlicher Urbanisierungsprozesse stand und daher in der Wissenschaft bislang kaum Beachtung fand. Dieser Umstand ist aus mindestens zwei Gründen bemerkenswert: Zum einen steht die Bedeutung der urbanen Landwirtschaft für die Sicherung der Nahrungsversorgung in weiten Teilen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas außer Frage. Eine 1996 durchgeführte Studie der UN kam zu dem Ergebnis, dass immerhin ein Drittel der von und in Städten verbrauchten Nahrungsmitteln aus städtischer Produktion stammen (UNDP 1996: 26). Betrachtet man die im Einzelnen durchgeführten Studien, so lassen sich für nahezu alle Städte in so genannten ‚Entwicklungsregionen‘ beeindruckende Zahlen für das Potenzial urbaner Nahrungsmittelproduktion anführen (vgl. als Überblick Halweil/Nierenberger 2007, Brown 2006: 213f.): In Daressalam werden 60% Prozent der innerstädtisch verkauften Milch auch dort produziert, in Yaoundé stammen 70% Prozent des Gemüses und in Havanna schätzungsweise sogar 90% Prozent der verzehrten Lebensmitteln aus der städtischen Landwirtschaft. Neben dem Aspekt der Nahrungssicherung spielt die urbane Landwirtschaft aber auch als Arbeitsplatz eine nicht unbedeutende Rolle: Über 800 Millionen Menschen verfügen durch urbane Landwirtschaftstätigkeiten über ein sicheres Einkommen (vgl. RUAF 2006: 3). In ökonomischer Hinsicht ist es weiterhin wichtig zu betonen, dass entgegen anders lautender Annahmen das Verhältnis zwischen ländlicher und städtischer Produktion ein komplementäres ist, denn während sich die urbane Landwirtschaft vornehmlich auf leicht verderbliche Obst- und Gemüsesorten konzentriert, stammen länger haltbare Produkte wie Reis, Kartoffeln und Zwiebeln, sofern sie nicht importiert werden, aus dem ländlichen Raum (vgl. Streiffeler 2001: 166).
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Be der urbanen Landwirtschaft handelt es sich keineswegs, wie oftmals suggeriert wird, um ein typisch südliches Phänomen oder gar um eine neue Erscheinung – richtiger wäre es wohl, von einer Rückkehr zu sprechen. Wenngleich heutige Formen der urbanen Landwirtschaft mitunter auf die vielfach beobachtbare eingeschränkte Leistungsfähigkeit städtischer Nahrungsversorgungssysteme zurückgeführt werden, bilden historisch betrachtet Landwirtschaft und Stadt kein sich gegenseitig ausschließendes Gegensatzpaar – vielmehr gilt im Gegenteil, dass seit der Gründung von Städten in ihnen auch Landwirtschaft betrieben worden ist. Dies gilt sowohl für die ersten Städte Mesopotamiens als auch für die antiken Ackerbürgerstädte Europas, die historischen garden cities Afrikas und die nach dem Ersten Weltkrieg entstandenen Schrebergärten in Deutschland. Ebenso ist städtische Landwirtschaft auch heute nicht auf Städte des Südens reduzierbar. Wenngleich sie in den Städten des Westens anderen Motiven entspringt, wie beispielsweise der steigenden Vorliebe für regionale Produkte, besitzen sie auch dort eine weite Verbreitung: Laut einer Umfrage bauen 44% Prozent der BewohnerInnen Vancouvers diverse Lebensmittel im Eigenanbau an und auch in New York und Tokio erzielen die innerurbanen landwirtschaftlichen Produkte beachtliche Quoten (vgl. Halweil/Nierenberg 2007: 134f.). Diese Bedeutung der urbanen Landwirtschaft insbesondere für südliche Regionen fand lange Zeit in der wissenschaftlichen Literatur nur wenig Beachtung. In einem Übersichtsartikel von 2001 führt Streiffeler für die 1980er Jahre gerade einmal zwei Untersuchungen an, die sich explizit diesem Thema widmeten (Streiffeler 2001: 162), aber auch die 1990er Jahre zeichnen sich diesbezüglich durch eine offensichtliche Vernachlässigung aus. Zu nennen sind hier insbesondere die Arbeiten von Drescher (1998), Mougeot (1993) und Maxwell et al. (1998). Für diese nur marginale wissenschaftliche Thematisierung lassen sich drei Gründe anführen. Eine Erklärung für diese „ungesehenen Gärten“ (Drescher 1998: 6) dürfte darin zu finden sein, dass urbane Landwirtschaft größtenteils dem ‚informellen‘ Sektor zuzurechnen ist, der ebenfalls über lange Zeit nur wenig Beachtung fand. Weiterhin ist die thematische Vernachlässigung Ausdruck einer die entwicklungspolitische Ausrichtung vieler Institutionen lange Zeit dominierenden Sicht, die sich in Bezug auf die Nahrungssicherung urbaner Räume allzu sehr auf die ruralen Gebiete konzentrierte. Nicht zuletzt dürfte sowohl die Definitions- als auch die Theoretisierungsproblematik eine wichtige Rolle gespielt haben: Was genau ist unter ‚urbaner Landwirtschaft‘ zu verstehen und mit welchen theoretischen Modellen kann ihre Bedeutung adäquat erfasst werden? In einer zunächst einfachen Definition kann urbane Landwirtschaft „as the practice of farming within the boundaries of towns and cities“ (Obosu-Mensah 1999: 11) beschrieben werden. Eine etwas präzisere Beschreibung findet sich dann bei Obuobie et al., in deren Augen „urban and peri-urban agriculture can be broadly defined as the production, processing and distribution of foodstuff from crop and animal production, fish, ornamentals and flowers within and around urban areas” (2006: 1). Mougeot schließlich unterscheidet verschiedene Formen
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der urbanen Landwirtschaft, die sich aus der Kombination der sechs voneinander unterscheidbaren Dimensionen „types of economic activities, food/non-food categories of products, intra-urban and peri-urban, types of areas where it is practised, types of production systems and product destination“ (Mougeot 2004: 2) ergeben. Die meisten Studien differenzieren in der Regel zwischen drei Typen städtischer Landwirtschaft, die auch für den vorliegenden Zusammenhang das zentrale Unterscheidungsraster bilden. Zum einen existiert der Typ der innerstädtischen Landwirtschaft, die auf Brachflächen zwischen den verschiedenen Stadtvierteln praktiziert wird. Ermöglichungsgrundlage dieser Form ist ein bereits erwähntes Charakteristikum afrikanischer Urbanisierungspfade, nämlich die polyzentrische Struktur vieler Agglomerationen, für die mit zunehmender Entfernung vom Stadtkern eine abnehmende Dichte der Bebauung typisch ist. Von der innerurbanen Landwirtschaft lässt sich die Nutzung von Hausgärten unterscheiden, in denen vornehmlich Obst und Gemüse für den Eigenbedarf der Familien und weniger für die städtischen Märkten produziert wird, wie das vor allem auf die innerstädtische und die peri-urbane Landwirtschaft zutrifft. Auch diese Form findet eine weite Verbreitung in afrikanischen Städten, hat sie doch gegenüber den anderen Varianten den Vorteil, dass der eigene Hausgarten einen gewissen Schutz vor Diebstahl darstellt und die Arbeit sich aufgrund des wegfallenden Anfahrtsweges weniger aufwändig gestaltet. Schließlich lässt sich noch die periurbane Landwirtschaft anführen. Wie der Name bereits vermuten lässt, werden hier Flächen an der Peripherie der Stadt genutzt, bei denen es sich in der Regel um frühere Dörfer handelt, die im Zuge der Expansion der Stadt immer mehr zum peri-urbanen Raum der jeweiligen Agglomeration wurden. Die Definition der Grenzen des peri-urbanen Raumes kann zum Teil unterschiedlich ausfallen, pendelt sich jedoch durchschnittlich dahingehend ein, dass man Räume bis zu 40 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt als peri-urban bezeichnet (vgl. Obuobie et al. 2006: 2). Allen drei Formen ist jedoch gemeinsam, dass sie wesentlich zur Deckung des städtischen Nahrungsmittelbedarfs beitragen. Neuere Studien belegen einen signifikanten positiven Zusammenhang zwischen dem Ernährungsstatus von Haushaltsmitgliedern, insbesondere Kindern, und eigenem Nahrungsmittelanbau (vgl. Nyanteng 1998, Maxwell et al. 1998 u. 2000, Lee-Smith 2003). Aber nicht nur die Haushaltsmitglieder, sondern auch die Stadtbevölkerung profitiert von der lokalen Nahrungsmittelerzeugung, denn zum einen schafft der ganzjährige Anbau von Lebensmitteln einen wichtigen Ausgleich zu den oben erwähnten klimatisch bedingten Zeiten der ländlichen Knappheit, zum anderen werden die in den Preisen der ländlichen Lebensmitteln enthaltenen Transportkosten minimiert, so dass urbane Produkte deutlich günstiger zu erstehen sind. Nicht zuletzt in Perioden der Regenzeit, in denen viele Produkte in einer Kombination aus schlecht passierbaren Straßen und fehlender Kühlmitteltechnologie schnell verderben, sichern die urbanen Landwirtschaftsflächen mit ihren Produkten die Nahrungsversorgung. Insgesamt kann festgehalten werden, dass die erwähnten Stu-
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dien einhellig zu dem Schluss kommen, dass urbane Landwirtschaft sowohl den Zugang zu als auch die Qualität von Nahrung in den Versorgungsgebieten verbessert. Befürworter der urbanen Landwirtschaft machen aber deutlich, dass urbane Landwirtschaft weit mehr an Vorteilen birgt, als nur zur Sicherung der Nahrungsversorgung beizutragen. Nicht nur unter sozialen und ökonomischen, sondern auch unter ökologischen Nachhaltigkeitsaspekten ist urbane Landwirtschaft von Bedeutung (vgl. als Überblick Deelstra/Girardet 2000). Zunächst einmal verbessert urbane Landwirtschaft trotz der durch sie erhöhten Konkurrenz um die knappen städtischen Wasserressourcen, auf indirektem und direktem Wege das städtische Wassermanagement (vgl. Obouobie et al. 2006). Indirekt, weil die landwirtschaftlich genutzten Stadtareale gegenüber versiegelten Flächen dem Regenwasser die Möglichkeit eröffnen, in den Boden abzusickern. Ein solcher Effekt ist insofern von Bedeutung, „because the growing areas of hard-covered surfaces in cities … leads to increased volumes of runoff during storms, with risks of floods and landslides“ (Deelstra/Girardet 2000: 52). Direkt, weil mit der üblichen Strategie der Abwassernutzung zur Bewässerung der Nutzflächen eine, wenn auch nicht vor allen Seiten befürwortete, effektivere Nutzung der knappen Wasserressourcen erfolgt. Weiterhin hat sich die städtische Landwirtschaft als die im Vergleich zur mechanisierten Landwirtschaft oftmals effizientere Form der Wassernutzung herausgestellt, die bis zum einem Fünftel weniger Bewässerungsmenge erfordert (vgl. Halweil/Nierenberg 2007: 142). Als weiterer Beitrag wäre zu nennen, dass urban agriculture zu einer verbesserten Ökobilanz des Nahrungsversorgungssystems beiträgt, indem sie sowohl die Transportwege als auch das für den Transport notwendige Verpackungsmaterial reduziert (vgl. Deelstra/Girardet 2000: 51). In den Augen von Halweil und Nierenberg stellt allerdings das Recyceln organischer Abfälle „mit das überzeugendste Umweltargument“ (2007: 146) für die städtische Landwirtschaft dar. Organische Abfälle umfassen Essensreste, Gartenabfälle, Papier, aber auch tierische und menschliche Exkremente. Die Möglichkeit, diese Abfälle für die städtische Landwirtschaft nutzbar zu machen, ergibt sich aus dem einfachen Umstand, dass für die meisten Städte des Südens die städtischen Müllsammelsysteme nur rudimentär ausgebildet sind. Insbesondere zwischen den beiden Formen städtischer Landwirtschaft, dem ‚livestock farming‘ und der ‚urban agriculture‘ hat sich vielerorts ein nahezu geschlossener Nährstoffkreislauf entwickelt: Die Abfall- und Nebenprodukte aus der urbanen Landwirtschaft werden den Viehhaltern als Tiernahrung zur Verfügung gestellt und im Gegenzug überlassen diese den Farmern die anfallenden Exkremente als natürlichen Dünger. In vielen Regionen haben sich aber auch positive Effekte auf die mikroklimatischen Verhältnisse nachweisen lassen, indem urbane Landwirtschaft zu einer Senkung der Temperaturen, einer Reduktion der Luftverschmutzung durch die Bindung von Treibhausgasen und einer Verringerung wind- und niederschlagsbedingter Bodenerosion beiträgt. Überdies spenden Felder als Grünflächen will-
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kommenen Schatten und bilden kleine Oasen der Ruhe in den zumeist belebten Großstädten Afrikas. Aus stadtökologischer Sicht kann somit zusammenfassend konstatiert werden, dass „urban farming can help to create an improved microclimate and to conserve soils, to minimise waste in cities and to improve nutrient recycling, and to improve water management, biodiversity, the O2–CO2 balance, and the environment awareness of city habitants.“ (Deelstra/Girardet 2000: 47) Neben dieser Vielzahl an positiven Effekten der urbanen Landwirtschaft ist sie dennoch mit zwei schwer wiegenden Problemen behaftet. Auf der einen Seite liefert die urbane Landwirtschaft meines Erachtens ohne Zweifel einen wichtigen Beitrag auf dem Weg zu einer angestrebten Nahrungsmittelsicherheit und einer ökologisch nachhaltigen Gestaltung urbaner Räume. Auf der anderen Seite benötigt sie unweigerlich eine Ressource, die in den südlichen Städten nicht knapper sein könnte: Wasser. Obgleich die Bäuerinnen und Bauern versuchen, jegliches Wasser effektiv zu nutzen, und neben der Speicherung von Regenwasser auch das Wasser aus nahe gelegenen Bächen und Flüssen zur Bewässerung heranziehen, bleibt ihnen oftmals keine andere Wahl, als auf städtisches Abwasser zurück zu greifen. 85% des städtischen Abwassers aus südlichen Regionen fließt ungeklärt in die Umwelt und 50% der urbanen Anbauflächen werden mit diesen Haushaltsabwässern betrieben (vgl. Obuobie 2006: 3). Neben der schwierigen allgemeinen Verfügbarkeit von Wasser macht der Aspekt des kostengünstigen natürlichen Nährstoffreichtums dieser Abwässer einen weiteren Attraktivitätsfaktor dieser Wasserquelle aus. Aber genau hier liegt das Problem: In solchen Abwässern finden sich eine ganze Palette von diversen Krankheitserregern, die lange auf den Feldern überleben können und eine ernst zu nehmende Bedrohung für die öffentliche Gesundheit darstellen. In Accra essen beispielsweise täglich 200 000 Menschen Salat, der aus derartig bewässerten urbanen Landwirtschaftsflächen stammt – eine Zahl, die vor Augen führt, wie rasch sich im Ernstfall bewässerungsbedingte Epidemien ausbreiten könnten (vgl. ebd.: 7). Nutztierhaltung, die ebenfalls als eine Form der urbanen Landwirtschaft gilt, stellt eine weitere Gesundheitsgefährdung dar. Selbst unter Beobachtern und Beobachterinnen, die der urbanen Landwirtschaft gegenüber prinzipiell positiv eingestellt sind, stellt die räumlich überaus enge Konzentration von Menschen und Viehhaltung eine der größten Herausforderungen der nächsten Jahre dar (vgl. Halweil/Nierenberg 2007: 149). Besorgnis erregend erscheint nicht nur die mögliche Übertragung von tierischen Krankheitserregern auf den Menschen, sondern auch die Entsorgung der überall anfallenden tierischen Exkremente. Diese negativen Aspekte dürften auch die Ursache dafür sein, dass die Bedeutung der urbanen Landwirtschaft bis heute nicht ganz unumstritten ist. Während Diana Lee-Smith im Rahmen eines Schwerpunktheftes von Habitat Debate zur urbanen Landwirtschaft vor allem die genannten positiven Begleiterscheinungen in den Vordergrund ihrer Ausführungen rückte (Lee-Smith 2003), argumentierte Okpala mit Blick auf die negativen Seiten, dass „a well-informed, critical look suggests that urban agriculture does little to support sustainable urban
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development“ (Okpala 2003: 18). Diese Zwiespältigkeit unter den Experten findet ihr Gegenstück in den Einstellungen der Stadtverwaltungen gegenüber innerstädtischen landwirtschaftlichen Aktivitäten, deren Spektrum „vom Bulldozer bis zum Urban Agricultural Officer“ (Streiffeler 2001: 169) reicht. Während Macharia mit Blick auf die öffentliche Wahrnehmung urbaner Landwirtschaftspraxis in Nairobi Anfang der 1990er Jahre noch zu dem Schluss kommt, dass „a ‚city of farmers‘ is the last thing that African planners and policymakers would like to encourage“ (Macharia 1992: 688), hat sich in vielen Ländern in den letzten Jahren angesichts der offensichtlichen Potenziale der urbanen Landwirtschaft ein sukzessiver Einstellungswandel vollzogen. Dennoch besteht selbst bei positiver Bewertung ein deutlicher Widerspruch zwischen der oftmals geäußerten Würdigung und den konkreten politischen Maßnahmen, die zur Förderung ergriffen werden, wie im Folgenden das Beispiel Accras zeigen wird.
4.2 Stadt, Raum und Natur: Raum(an)ordnungen der urbanen Landwirtschaft Urbane Räume aus sozial-ökologischer Sicht zu betrachten, bedeutet ein Konzept von Stadt zu haben, das diese nicht auf Orte des Wohnens und des sekundären und tertiären Sektors reduziert und damit letzen Endes dem alten Stadt-Land Dualismus verhaftet bleibt: „The city and the urban are a network of interwoven processes that are both human and natural, real and functional, mechanical and organic … the city is both natural and social.“ (Swyngedouw 1996: 66) Die besondere Aufmerksamkeit der sozial-ökologischen Untersuchung von urbanen Räumen gilt also den Wechselwirkungen, die durch die Überlagerung anthropogener und ökologischer Prozesse entstehen – also dem, was Hinchliffe in ähnlicher Weise als „city-nature formations“ (Hinchliffe 1999: 139) beschrieben hat. Anthropogene Einflüsse wirken in vielfältiger Form auf die naturräumliche Gestalt und die ökologischen Eigenschaften urbaner Räume ein. So verändern Gebäude und technische Artefakte die ökologischen Qualitäten urbaner Räume auf charakteristische Weise. Abwärme und Wärmespeicherkapazität der Gebäude verändern die klimatischen Verhältnisse und haben erhöhte Temperaturen zur Folge. Bodenversiegelung und die Sammlung und Ableitung eines großen Teils der Niederschläge durch die städtische Kanalisation verändern den Wasserhaushalt und führen zu einer Absenkung des Grundwasserspiegels. Rückstände industrieller Produktionsprozesse belasten Böden und Grundwasser. Nicht immer sind diese Eingriffe mit rein negativen ökologischen Auswirkungen verbunden: Wie stadtökologische Untersuchungen gezeigt haben, weist beispielsweise die Zusammensetzung von Flora und Fauna in urbanen Räumen als Folge der starken Heterogenität der Lebensräume eine höhere Artenvielfalt als landwirtschaftliches Kulturland auf und ist durch einen hohen Anteil standortfremder Pflanzen und Organismen gekennzeichnet (Sukopp/Wittig 1993: 25).
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Auch die oben beschriebenen Formen der urbanen Landwirtschaft, die letztlich in 70% aller urbanen Räume praktiziert wird, zwingen zu einer Integration sozialer und ökologischer Aspekte in die Theoriebildung. Eine sozialökologische Betrachtung urbaner Räume bleibt daher nicht auf die Untersuchung materiell-physischer Wirkungszusammenhänge beschränkt. Vielmehr richtet sich das Erkenntnisinteresse sowohl auf das Verständnis der Handlungs- und Deutungsmuster, die diesen Prozessen zugrunde liegen, als auch auf die Erforschung von sozialen Dynamiken, Institutionen und Regulierungen, die auf diese Prozesse einwirken. Die Formen und Praktiken, in und mit denen Gesellschaften ihr Verhältnis zur Natur stofflich regulieren und kulturell symbolisieren, sind in alltägliche Kontexte eingebunden. Durch ökologische Krisenerscheinungen zeigt sich schließlich auch, wie einzelne alltäglich ausgeführte Praktiken in ihrem Zusammenspiel versagen und dadurch lokale, regionale und globale Krisenphänomene verursachen. Verfolgt man die einzelnen Krisenphänomene schließlich zu den Praktiken zurück, die zwischen Gesellschaft und Natur regulierend vermitteln, dann lassen sich auch die Krisenlogiken und die damit verbundenen Transformationen rekonstruieren. Aus diesem Grund wird in den folgenden Abschnitten die Krisenhaftigkeit des Versorgungssystems in Accra exemplarisch an einem seiner wichtigsten Knotenpunkte, der urbanen Landwirtschaft, und der damit verbundenen Praktiken in ihrer institutionellen, kulturellen, politischen und ökologischen Situiertheit als sozial-ökologischen Ursprungs rekonstruiert werden. Im Folgenden werden in Bezug auf die materiellen und symbolischen Aspekte der Produktion von Räumen „ihre je physische Gestalt, das je besondere Ensemble ihrer räumlichen Anordnungen, die kulturellen Praktiken, die Alltagswahrnehmungen und Symbolisierungen, mittels derer Gruppen und Individuen ihre Stadt schaffen, die Prozesse der konfliktreichen Raumnahmen“ (Berking/Löw 2005: 19) hinsichtlich des Phänomens der urbanen Landwirtschaft erfasst. Bei den analysierten Raum(an)ordnungen handelt es sich dabei um das Resultat einer Ko-Präsenz aus Vergangenem und Gegenwärtigem oder mit anderen Worten: Räumliche Strukturen sind zeitlich gewachsene Formen gesellschaftlicher Strukturen. Damit sind sie einerseits im Rahmen von gesellschaftlichen Prozessen entstanden, besitzen aber auch umgekehrt eine strukturierende Wirkung auf aktuelle Handlungen, indem sie diese sowohl ermöglichen als auch erschweren oder gar verhindern können. Das war einer der wichtigen Kerngedanken, die in einer Übertragung der Dualitätsthese von Giddens im Zentrum des Konzepts der räumlichen Anordnungen standen (vgl. II/3.1.4). Angewandt auf den vorliegenden Kontext wird sich zeigen, dass die Versorgungspraxis der urbanen Landwirtschaft auf der einen Seite erst aufgrund historischer Prozesse lokalspezifischer Raum(an)ordnungen ermöglicht wurde, auf der anderen Seite aber gerade eben aufgrund ihrer historischen Gewachsenheit wieder eingeschränkt beziehungsweise bedroht wird.
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4.2.1 Urbane Landwirtschaft als Versorgungspraxis und Knotenpunkt des Versorgungssystem Accras Im Hinblick auf ihre Bedeutung als Einkommens- und Nahrungsmittelquelle spielen Formen der urbanen Landwirtschaft im internationalen Vergleich in afrikanischen Ländern südlich der Sahara wohl die größte Rolle (vgl. Maxwell et al. 1998, Streiffeler 2001, Halweil/Nierenberg 2007). Im ostafrikanischen Städten sind nahezu ein Drittel aller EinwohnerInnen im landwirtschaftlichen Sektor tätig, in Teilen Westafrikas, wie beispielsweise Dakar, erreicht die Zahl der in die urbane Landwirtschaft involvierten Haushalte einen Wert von über 50% (vgl. Lee-Smith/Prain 2006). In dieser Hinsicht bildet Ghana keine Ausnahme. In der nach Accra größten Stadt Ghanas, Kumasi, wird das Jahreseinkommen mancher Stadtbauern auf 400 bis 800 US-Dollar geschätzt, also das Zwei- bis Dreifache dessen, was ein ländlicher Bauer im Durchschnitt verdient (vgl. Halweil/Nierenberg 2007: 140). Auch für die Untersuchungsregion Accra sind die jüngst erhobenen Zahlen beeindruckend, die deutlich über den Angaben von beispielsweise Daniel Maxwell und Margaret Armar-Klemesu (1999) oder ObusaMensah (1999) liegen. Das Internationale Water Management Institute (IWMI) geht einer neuen Studie zufolge davon aus (Obuobie et al. 2006: 7f.), dass ca. 980 Hektar städtischen Lands zur Gewinnung von Lebensmitteln kultiviert werden. Hinzu kommen weitere 50 bis 70 Hektar, die auf Hausgärten entfallen, die in 60% der Haushalte ein wichtiges Elemente der Versorgungspraxis bilden. Je nach Saison stammen in Bezug auf bestimmte Obst- und Gemüsesorten 90% der innerstädtisch gehandelten Grundnahrungsmittel aus der urbanen Landwirtschaft, in der zwischen 800 und 1000 Kleinbauern beschäftigt sind. Diese Aspekte zusammen genommen handelt es sich bei der urbanen Landwirtschaft zweifelsohne um einen wichtigen Knotenpunkt im Versorgungssystem Accras. Trotz dieser Bedeutung klagt Asomani-Boateng in einem Aufsatz über „a paucity of information“ (2002: 592) bezüglich der urbanen Landwirtschaft in Accra und der damit verbundenen Praktiken. Tatsächlich bilden diejenigen Studien, die das Phänomen der städtischen Landwirtschaft samt seiner aktuellen Potenziale und zukünftigen Bedrohungen in einen historischen Kontext stellen, eher die Ausnahme, von raumtheoretischen Überlegungen ganz zu Schweigen. Hinsichtlich des geschichtlichen Ursprungs der städtischen Landwirtschaft in Accra beziehen sich einige Autoren auf einen Text von La Anyane, in dessen Augen „this industry commenced with the advent of the European“ (1963: 228). Diese Feststellung ist in ihrer Allgemeinheit sowohl richtig als auch falsch. Interpretiert man sie dahingehend, dass Accra sowohl in seiner städtischen als auch in seiner landwirtschaftlichen Entwicklung stark durch die britischen Kolonialmächte geprägt wurde, ist dem ohne weiteres zuzustimmen. Es wäre allerdings falsch zu behaupten, dass die Briten die ‚Kulturtechnik‘ der städtischen Landwirtschaft nach Ghana und in die afrikanischen Städte importiert hätten. Die bereits zitieren Arbeiten von Winters (1983), Coquery-Vidrovitch (2005a u. b) und Guyer
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(1987) haben deutlich gemacht, dass städtische Subsistenzwirtschaft seit jeher aus klimatischen und sozio-kulturellen Gründen einen festen Bestandteil städtischer Versorgungssysteme afrikanischer urbaner Räume darstellte (vgl. IV/3). Zutreffender ist wohl die Beobachtung, dass die urbane Landwirtschaft sich innerhalb eines Prozesses in seiner heutigen Form heraus geschält hat, den Simon in Bezug auf koloniale Stadtentwicklung ganz allgemein als „conservation and dissolution“ (Simon 1992: 20) bezeichnet hat: „Rather, a situation-specific process … occurred, whereby elements of the increasingly subordinated indigenous system survived, albeit in modified form, when they were functional to the increasingly dominant capitalist mode.“ (ebd.) Urbane Landwirtschaft als elementarer Teil der Versorgungspraxis urbaner Räume existierte auch in Ghana schon lange bevor die europäischen Kolonialmächte an den Küsten Afrikas anlegten (vgl. Obosu-Mensah 1999: 41f.). Zwei koloniale Maßnahmen und ein Effekt okkupatorischer Wirtschaftsstrukturen haben dann meines Erachtens dieser indigenen landwirtschaftlichen Technik zu der Bedeutung verholfen, die sie in dem heutigen Accra hat. Zunächst einmal schuf das Anlegen ‚domestizierter‘ heimischer Natur in Form von Park- und Grünanlagen der neuen städtischen Elite eine ganze Reihe von innerstädtischen Grünflächen, die insbesondere über eine ausreichende Wasserversorgung verfügten und auf denen unter anderem von den Engländern eingeführte Obst- und Gemüsesorten wie Blattsalat, Minze und Thymian angepflanzt wurden (vgl. La Anyane 1963: 228). Anstatt einer Bezahlung der für die Pflanzungen verantwortlichen indigenen Bauern duldeten die jeweiligen Grundstückbesitzer vielfach städtische Landwirtschaftsarbeiten derselben zur Deckung ihres Eigenbedarfs. Hinzu kamen die Anreize setzende wirtschafts- und ernährungspolitische Maßnahmen der Briten, die sowohl überschüssige Nahrungsmittel aus der Produktion indigener Bauern aufkauften als auch die Entrichtung von Steuern in Form von Nahrungsmitteln akzeptierten (vg. ObosuMensah 1999: 47). Die bereits dargestellte ausgeprägte Land-Stadt Migration als Folge der kolonialen Einwirkung auf die Produktionsverhältnisse spülte schließlich kontinuierlich Ströme an Menschen in die Stadt, die in ihren Dörfern die Agrarproduktion in der Hoffnung auf ein besseres Leben in der Stadt aufgegeben hatten und gleichzeitig jene Fähigkeiten auch als einzig verwertbare Wissensbestände mitbrachten. Insbesondere für diese Menschen bildete die britische Landenteignungspolitik der 1890er Jahre zweifelsohne eine weitere wichtige Ermöglichungsgrundlage der städtischen Landwirtschaft. Wie bereits dargelegt, unterstand das gesamte städtische Land de jure der britischen Krone, de facto kontrollierte die britische Kolonialverwaltung allerdings vornehmlich die innerstädtischen europäischen Quartiere und die Zugänge zur Stadt. Als Ergebnis dieser Kontrollpraxis bildete sich an vielen Stellen innerhalb der Stadt ‚Niemandsland‘ in dem Sinne, dass es für die britische Verwaltung von keinem verwertbaren Interesse war. In der Folge wurden diese Aneignungen in Form von städtischer Landwirtschaft nicht immer konsequent verfolgt, wenngleich urbane Landwirtschaft streng genommen außerhalb der genehmigten Bereiche verboten war (vgl.
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Asomani-Boateng 2002: 592). Alle Faktoren zusammen ermöglichten die Entstehung eines Knotenpunkts der städtischen Nahrungsversorgung, der bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg für die urbane Versorgung von unschätzbarem Wert war. Einen deutlichen Bruch in der Geschichte der städtischen Landwirtschaft Accras markierte das Jahr 1957, als mit dem Erlangen der Unabhängigkeit auch jegliche Formen der urbanen Landwirtschaft strikt verboten wurden und die jeweils Verantwortlichen dazu angehalten wurden, „to destroy any crops growing in the city“ (Asomani-Boateng 2002: 592). Die Ursachen für ein solches Verbot und die folgende Zerstörung vieler urbaner Nutzflächen waren sowohl ideologischer als auch pragmatischer Natur, denn zum einen ließ sich innerurbane Landwirtschaft auch in Accra nicht mit dem Selbstbild einer modernen, industriell geprägten Hauptstadt eines aufstrebenden afrikanische Landes vereinen, zum anderen ermöglichten es sowohl die wirtschaftliche Situation der ersten Unabhängigkeitsjahre als auch die anfängliche Adaptivität des Nahrungsversorgungssystems, auf den Beitrag der urbanen Landwirtschaft zu verzichten. Anfang der 1970er Jahre vollzog sich jedoch sukzessive ein Einstellungswandel der städtischen Behörden gegenüber der urbanen Landwirtschaft. Der wirtschaftliche Niedergang und die damit verbundene schwer wiegende ökonomische Krise schwächte nicht nur Ghanas Fähigkeit Lebensmittelimporte zu erstehen, sondern unterminierte auch die Produktivität der ländlichen Gebiete, die als Resultat einer nochmals durch die Strukturanpassungsprogramme verschärften Land-Stadt Migration immer weniger in der Lage waren, den Nahrungsmittelbedarf der städtischen Bevölkerung zu decken. Dieser bis heute beobachtbare enge Zusammenhang zwischen ökonomischen und versorgungstechnischen Krisen scheint die These Obosu-Mensahs zu bestätigen, „that in a typical modern sub-Saharan African country like Ghana, urban agriculture will become more of an issue … when economic situations are difficult- that is during severe economic recession.“ (1999: 41) Ob es sich bei der urbanen Landwirtschaft damit letztlich nur um ein transitorisches Phänomen handelt, wird die Zukunft zeigen. Sicher ist jedoch, dass trotz des beachtlichen Wirtschafsaufschwungs, den Ghana derzeit erlebt, Formen der urbanen Landwirtschaft angesichts der oben genannten Zahlen und der latenten Unterernährung vieler GhanaerInnen für die Sicherung der Nahrungsversorgung nach wie vor von hoher Relevanz sind. Eine solche Bedeutung findet ihren Ausdruck auch in der Wertschätzung, die städtische Landwirtschaft von offizieller Seite in Accra in den letzten Jahren mehr und mehr erfährt. So wurde beispielsweise 1996 in der Stadtverwaltung eine Abteilung für städtische Landwirtschaft gebildet, die einem für alle Belange zuständigen ‚Urban agriculture Officer‘ untersteht. Dennoch gehen die zur Nahrungsmittelproduktion genutzten städtischen Flächen in Accra im Zuge der Zerstörung dieser Flächen durch konkurrierende Nutzungen beständig zurück. Warum fällt es den städtischen Behörden aber trotz der positiven Einstellung gegenüber der städtischen Landwirtschaft und der Anerkennung ihres Beitrags so schwer, die entsprechenden Maßnahmen zum Schutz dieser Flächen zu ergreifen? Indem man diese Frage stellt, dringt man zum Kern
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der Problematik vor, nämlich dem Zugang zu Land und den eng damit verbundenen formalen und informellen Gesetzen bezüglich des Landrechts sowie den jeweiligen Akteuren dieser Arena. Trotz dieser allgemeinen Übereinstimmung in der Problemdiagnose (vgl. Larbi 1996, Gough/Yankson 1997, Obosu-Mensah 1999, Asomani-Boateng 2002) muss es erstaunen, dass „few studies have attempted to explore the processes and practices that farmers engage in to access land for urban agriculture“ (Flynn-Dapaah 2002: 6). Im Folgenden wird es also um eine Analyse gehen, „how individuals and groups successfully access urban land for agricultural purposes“ (ebd., Hervorh.i.O.), wie diese Landflächen genutzt werden und welche sozial-ökologische Verflechtungen sich aus diesen Praktiken ergeben. Dabei werde ich mich auf den Typ der innerstädtischen Landwirtschaft konzentrieren, da an dieser Form der landwirtschaftlichen Nutzung städtischer Flächen die Dynamiken zwischen Urbanisierungsprozessen sowie der Nahrungsversorgung und die daraus resultierenden Problemlagen meines Erachtens am deutlichsten zutage treten. In Bezug auf die Hausgärten lässt sich feststellen, dass vorliegenden Daten zufolge die ärmsten Stadtviertel die geringste Beteiligung am Gartenbau aufweisen (vgl. Drescher 1998: XV). Auch peri-urbane Landwirtschaft wird in der Regel von Personen mit ausreichend finanziellem Kapital praktiziert (Asomani-Boateng 2002: 595f.). Open space Landwirtschaft auf innerstädtischen Flächen wird dagegen in erster Linie von jenen Haushalten praktiziert, die eine hohe Grundgefährdung aufweisen und daher in weitaus höherem Maße auf die direkten (Eigenverzehr) und indirekten (Einkommensgenerierung) Beiträge der landwirtschaftlichen Aktivitäten zur Nahrungssicherung angewiesen sind. Gleichzeitig sind es aber auch eben jene Flächen, die am stärksten von der „conversion of agricultural land to residential uses“ (ebd.: 594) bedroht werden. Hausgärten sind gegen diese Dynamik durch private Eigentumsrechte geschützt, peri-urbane Landwirtschaft weicht schlimmstenfalls einfach weiter in die angrenzende Peripherie aus. Wo findet urbane Landwirtschaft im heutigen Accra statt?
Die unten stehende Abbildung erfasst zunächst die verschiedenen Formen der Landnutzung innerhalb Accras. Dieser ‚Flächennutzungsplan‘ spiegelt zwei wesentliche Charakteristika der Entwicklung Accras wider. Zum einen wird im Vergleich zu bereits gezeigten älteren Karten deutlich, dass sich die räumliche Expansion in konzentrischen Kreisen um den alten Stadtkern vollzog und für diese Ausdehnung vor allem der im Zuge von Migrationsströmen gestiegene Bedarf an Wohnraum der ausschlaggebende Faktor war. Zum zweiten verdeutlicht sowohl die relative Vielfalt der verschiedenen Nutzungsarten als auch der vorhandenen Grünflächen, dass es, abgesehen von dem historischen Kern, sich bei vielen Stadtteilen Accras lange Zeit um „low-density areas“ (Yeboah 2000: 71) gehandelt hat. Diese Vielzahl an „underdevelopped plots“ (ebd.) und die damit einhergehende Fragmentierung des Stadtbilds als Folge des bereits geschilderten ra-
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schen urbanen Wachstums in Kombination mit unsicheren Besitzverhältnissen bezüglich dieser Flächen waren in den 1980er Jahren eine wesentliche Ermöglichungsgrundlage urbaner Landwirtschaftsformen. Bis heute erscheint Accra aus der Luft betrachtet als äußerst grün, wenig dicht besiedelt und äußerst fragmentiert. Als ‚institutional land‘ ausgewiesene Flächen sind in der Regel in öffentlichem Besitz, wie beispielsweise die Landstücke um die Legon-Universität im Nordosten der Stadt, auf denen angesichts der mehr oder weniger positiven Haltung der Stadtverwaltung gegenüber urbaner Landwirtschaft diese meistens stillschweigend bis wohlwollend geduldet wird. Ähnliches gilt für größere Betriebe, wie beispielsweise die städtischen Elektrizitätswerke (Volta River Authority), die in der Regel gegen den informellen Anbau ebenfalls nicht vorgehen. Die wichtigsten Orte, an denen urbane Landwirtschaft betrieben wird, sind (vgl. Obuobie 2006 et al.: 10f): • La: Bei diesem Gebiet handelt es sich um eine der ältesten und größten innerstädtischen Nutzflächen. Es umfasst nahezu 100 Hektar. Hier pflanzen und arbeiten bis zu 400 ‚small-scale‘ Farmer, deren Grundstücke teilweise nur einige 100m2 betragen und auf denen hauptsächlich Gemüse wie Blattsalate, Okra110 und Tomaten angebaut werden. Die meisten Farmer verwenden Abwasser aus der nahe gelegenen Militärbasis ‚Burma Camp‘, das sich in kleineren Seen am südlichen Ende des Camps sammelt. Die Nutzfläche in La ist insofern einzigartig als es die einzige Stelle ist, an der behandeltes Abwasser zum Einsatz kommt, welches in einem Behälter gesammelt und gefiltert wird. 40% der Ackerflächen werden künstlich bewässert, bei dem Rest handelt es sich um Regenfeldbau. Dzorwulu: Hier handelt es sich um eine Fläche von 15 Hektar, die durch eine • der großen Hauptstraßen Accras, der Achimota Road, in zwei Hälften geteilt, wird. Hier betreiben etwas mehr als 60 Bauern städtische Landwirtschaft. Das Gebiet wird durchzogen von dem Flüsschen Onyasia, welches einem Abwasserkanal gleicht und unter anderem auch eine solche Funktion erfüllt. Darüber hinaus ist es für die dort ansässigen Bauern die wichtigste Wasserquelle. Die Möglichkeit, an dieser Stelle urbane Landwirtschaft zu betreiben, verdanken die Farmer in erster Linie der Elektrizitätsstation der Volta River Authority und den damit verbundenen städtischen Bestimmungen: Laut diesen dürfen sich im Umkreis von 150 Metern eines Stromversorgers weder Wohnhäuser noch Bürogebäude befinden. • Korle-Bu: Diese Flächen befinden sich in unmittelbarer Umgebung des gegen Ende der Kolonialzeit errichteten Korle-Bu Krankenhauses. Dementsprechend handelt es sich hier bei den Farmern auch hauptsächlich um erweitertes
110 Okra ist die schotenförmige Samenkapsel einer aus Äthiopien stammenden Staude, die in vielen tropischen und subtropischen Ländern angebaut wird.
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•
•
Dienstpersonal des Krankenhauses wie Wachmänner und Putzleute, die zur Einkommensaufbesserung landwirtschaftliche Aktivitäten betreiben. 80 Farmer bewirtschaften eine Fläche von 10 Hektar. Marine Drive: Der Marine Drive befindet sich in etwa auf der Hälfte des Weges zwischen der Korle-Bu Lagune und dem Stadtteil La. Auch hier haben sich, ganz in der Nähe eines berühmten Wahrzeichens Accras, dem Independent Square, etwa 100 Farmer auf 3,8 Hektar landwirtschaftlicher Fläche niedergelassen. Das Gebiet war ursprünglich als Parkanlage zur Verschönerung der Stadt gedacht, aber obwohl es sich im repräsentativen Regierungsviertel befindet, fehlten stets die nötigen finanziellen Mittel, um diese stadtplanerischen Maßnahmen auch in die Realität umzusetzen. Legon University: Dieses Gebiet am nördlichen Rand der Stadt fällt eigentlich schon in den peri-urbanen Bereich und umfasst mit über 550 Hektar auch die größte landwirtschaftlich genutzte Fläche, auf der hauptsächlich Mais angebaut wird.
Abbildung 16: Urbane Landwirtschaft und angebaute Produkte
OFANKOR
MADINA
OGBODZO
I
DOME LEGON
LASHIBI Y WA TOR MO
TEMA ACHIMOTA AIRPORT TESHIE
BURMA CAMP AWOSHIE
37 MILITARY CANTONMENTS
MALAM LA MAMPROBI
ACCRA KORLE-BU
0
1.5
3
6 Kilometers
9
ACTIVITY-AREA (ha) FOREST-382 MAIZE-680 MIXED-251
OTHER-312 PALM-70 VEGETABLE-70 ROADS LAKE/RIVERS
(Quelle IWMI) Aus der Abbildung werden bereits teilweise die Gründe für die Wahl bestimmter Standorte ersichtlich. So haben sich angesichts der gravierenden Probleme der Wasserversorgung viele Bauern entlang von Abwasserkanälen, kleinen Bächen oder Seen sowie um die Korle-Bu Lagune angesiedelt. Auch Felder ent-
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lang größerer Hauptstraßen sind begehrt, da sie trotz des stetig hohen Verkehrsaufkommen gut erreichbar sind, was sowohl für die Herbeischaffung benötigter Güter (Dünger, Wasser, Arbeitsgerät) als auch für den Abtransport der erwirtschafteten Ernte von Vorteil ist. Weiterhin handelt es sich bei diesen Landstücken entlang von alten Schienen oder Straßen oftmals um ‚Niemandsland‘, was eine ‚informelle‘ Aneignung bedeutend erleichtert. Darüber hinaus schützen belebte Orte relativ wirksam vor dem stets drohenden Diebstahl der Nahrungsmittel. Darüber hinaus existiert noch eine ganze Reihe von kleineren Feldern, wie beispielsweise an der zur East Airport Residential Area führenden Spintex Road oder in dem Gebiet der West Airport Residential Area. Aber all den genannten Gebieten ist gemeinsam, dass sie durch mit Urbanisierungsprozessen verbundenen Bauaktivitäten in ihrem Bestehen gefährdet sind. Insbesondere die zu Wohnzwecken konvertierten Stadtflächen stellen eine ernsthafte Bedrohung vieler Bauern dar (vgl. Asomani-Boateng 2002: 594). Während der letzten Jahre ist eine ganze Reihe von landwirtschaftlich genutzten Flächen dieser Dynamik zum Opfer gefallen. Städtische Felder wie beispielsweise in Cantonments, im Awudome Estate, in West Ridge und beim Police Training Depot sind in den letzten Jahren aus dem Stadtbild verschwunden. Larbi schätzt, dass zwischen 1991 und 1993 jährlich ca. 2100 Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche zu so genannten ‚residential areas‘ wurden (Larbi 1996: 200). Ab 1997 waren es dann pro Jahr bereits 2600 Hektar und neuere Schätzungen des Ministry of Works and Housing gehen davon aus, dass angesichts der Zahl jährlicher Neubauten (ca. 3600-4000) aktuell bis zu 5000 Hektar dem rasanten Wachstum zum Opfer fallen (GSS 2002: 18f). Dieser Prozess wird in der unteren Momentaufnahme in aller Deutlichkeit eingefangen: Während eines ersten Feldaufenthalts im Oktober 2005 waren noch beide durch ein Flussbett getrennten Flächen unter Kultivierung, im September 2006 war die eine Seite bereits baulichen Aktivitäten zum Opfer gefallen.
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Foto 1: Zerstörung landwirtschaftlicher Nutzflächen
(eigene Aufnahme)
Wer betreibt urbane Landwirtschaft? In den vorherigen Abschnitten habe ich ganz bewusst ausschließlich von Bauern gesprochen, die städtische Landwirtschaft in Accra betreiben – deutlich über 90% der in die urbane Landwirtschaft involvierten Personen sind Männer (vgl. Obosu-Mensah 1999, Asomani-Boateng 2002, Obuobie et al. 2006). Im innerafrikanischen Vergleich stellt dies unter gender-Aspekten eine bemerkenswerte Ausnahme dar, denn eine ganze Reihe von Studien zu den unterschiedlichsten Regionen Afrikas südlich der Sahara belegen, dass im städtischen Bereich der Anbau von Nahrungsmitteln in überwältigender Mehrheit von Frauen geleistet wird (Tripp 1990, Freeman 1991, Maxwell 1992, Chancellor 2004). Für Sanyal sind diese geschlechtsspezifischen Unterschiede in weiten Teilen Afrikas eindeutig auf tradierte Geschlechterrollen zurück zu führen sowie die damit verbundene Erwartung „that women ought to cultivate because it is wives’ duty to provide the household with food“ (Sanyal 1986: 11). Wenngleich die Dominanz von Frauen in landwirtschaftlicher Produktion größtenteils im Rahmen der vorherrschenden Muster geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung erklärt werden können, spielt sicherlich ein weiterer, eng damit verbundener Faktor eine entscheidende Rolle bei einer solchen Aufteilung der Versorgungsarbeit – die Integration vieler Kolonien in den Weltmarkt. Als Folge der kapitalistischen Überformung vieler traditioneller Versorgungssysteme und der auf Männer zugeschnittenen arbeitspolitischen Maßnahmen der Kolonialverwaltungen „surplus labour has rendered the less powerful people (especially women), jobless thus compelling them to
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engage in urban agriculture“ (Obosu-Mensah 1999: 94). Verstärkend kam hinzu, dass der Bildungsstatus der Männer im Durchschnitt bis heute deutlich höher als bei Frauen liegt, so dass männliche Bewerber in der Konkurrenz um die wenigen Stellen, die der formale Arbeitsmarkt zu bieten hatte, deutlich im Vorteil waren. Eingedenk der dargelegten historischen Entwicklungspfade Ghanas muss die von anderen Regionen abweichende geschlechtsspezifische Arbeitsteilung daher nicht verwundern. Die Freisetzung der Frauen aus traditionellen Familienzusammenhängen infolge der kolonial-kapitalistischen Produktionsformen haben in Bezug auf die Versorgung geschlechtsspezifische Strukturen etabliert, die in der Relationalität der Geschlechter eine Verschiebung vorgenommen haben. Dank ihres Verhandlungs- und Vermarktungsgeschicks gelang es den Frauen in ihrer Rolle der ‚commodity queens‘ während der Kolonialzeit rasch eine machtvolle Position innerhalb des Versorgungssystems zu erlangen, die sie sich bis heute erhalten haben. Bereits 1969 machten Frauen über 80% der in Verteilung, Vermarktung und Verkauf involvierten Personen aus (vgl. Reusse/Lawson 1969) und auch auf den heutigen Märkten Accras, insbesondere auf dem zentralen Agbogbloshie Market, trifft man im Verkauf so gut wie keinen Mann an111. Ein weiterer wichtiger Faktor, der sich allerdings stärker restriktiv auf die Beteiligung von Frauen an innerstädtischer Landwirtschaft auswirkte, ist das traditionelle Landrecht in weiten Teilen Accras, das in der Regel nur Männern den Besitz oder die Anmietung von Landflächen gestattet und damit den Zugang von Frauen zu Land erheblich erschwert. Schließlich lässt sich noch ein dritter und letzter Faktor für die im afrikanischen Vergleich ungewöhnliche geschlechtsspezifische Verteilung anführen. Auch wenn in den letzten Jahren sowohl die Migranten aus dem Norden Ghanas als auch aus dem angrenzenden BurkinaFaso und dem nördlicheren Mali deutlich abnahmen, dominierten insbesondere in den 1980er Jahren diese Gruppen die innerstädtische Landwirtschaft in Accra (vgl. Okrah 1984: 24). Vornehmlich aus muslimischen Kontexten stammend, importierten diese Migranten auch in stärkerem Maße die Vorstellung traditioneller Rollenverteilung, in der der Frau vor allem die Aufgabe der häuslichen Versorgungsarbeit zugedacht war. Auch wenn im Zuge der ökonomischen Krisenjahre der 1980er Jahre Ghana und Accra immer weniger zu einem attraktiven Ziel für MigrantInnen geworden ist, hat sich bis heute dennoch die männliche Dominanz gehalten. Entgegen der zunächst plausibel erscheinenden Annahme, dass es sich bei den städtischen Bauern vorwiegend um Migranten aus dem ländlichen Raum handelt, haben bereits frühe Studien gezeigt, dass „UA [urban agriculture, CJ] is not an occupation taken up by recent migrants“ (Egziabher 1994: 91). Gleiches 111 Auf diese offensichtlichen geschlechtsspezifischen Unterschiede angesprochen äußert ein Interviewpartner leicht verlegen: „Oh no, no, no. That’s women stuff, it’s their duty (kurze Pause) – and they have the power over years and years. However, it would be a little bit strange, me among all the women, don’t you think so?“ (Interview Justin 07.08.2006)
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gilt auch für Accra: Auch hier haben sowohl alle größeren Studien (ObosuMensah 1999: 106f., Obuobie et al. 2006: 26f.) als auch die von mir geführten Interviews gezeigt, dass es sich bei den meisten urbanen Landwirten um Personen handelt, die bereits verhältnismäßig lange in der Stadt leben und auch nicht zwingend landwirtschaftliche Kenntnisse aus ihrer Heimatregion mitbringen. Für diesen Umstand wird ebenfalls das komplexe Landrecht Ghanas verantwortlich gemacht, in dessen Folge die Möglichkeit des Zugangs zu Land oftmals gute lokale Kenntnisse und funktionierende soziale Netzwerke zur Voraussetzung hat (vgl. Gough/Yankson 1997, Flynn-Dapaah 2002). Einer der von mir befragten Farmer bringt dies im Gespräch auf den Punkt: „When you’re new to the city, it is nearly impossible to get access to land for cultivation. Land is scarce, you know, and because there are no jobs, everybody wants to farm. If you come to the city from far away you don’t know places where to farm and you don’t know who to ask to help you. Knowing the right people is crucial, because nearly no one of the farmers have got enough money to buy the land from the owners.” (Interview Karim, 09.08.2006) Auf die Bedeutung sozialen Kapitals und damit verbundener Prozesse der sozialen Schließung wird mit Blick auf die Arena und ihre wesentlichen Akteure ausführlicher einzugehen sein.
4.2.2 Die institutionelle Ebene: Landrechte und Rechtspluralismus Eines der folgenreichsten Probleme ist die Rechtsunsicherheit bezüglich des Landzugangs. Eine historische Rekonstruktion der Entwicklung des städtischen Landrechts macht deutlich, dass die Ursprünge dieser Rechtsunsicherheit historisch gewachsen sind und als das Erbe eines kolonial initiierten Rechtspluralismus verstanden werden können. Angesichts der agrarisch geprägten Strukturen und der oftmals schlechten Versorgungslage kommt natürlichen Ressourcen in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara eine besondere Bedeutung zu. Als Folge dieser prinzipiellen Knappheit der natürlichen Güter entstehen in der Konkurrenz um diese Lebensgrundlagen und Produktionsmittel im urbanen wie in ländlichen Räumen häufig Interessenskonflikte. Ursprung dieser Konflikte ist aber nicht die naturräumliche Knappheit per se: Im Rahmen dieser Auseinandersetzung kommt der institutionellen Regelung der Besitz- und Nutzungsrechte eine immanent wichtige Rolle zu, indem sie bestimmte lokale „Ressourcenregime“ (Laube 2005: 219) etabliert. Ein zentrales Kennzeichen dieser Regime ist oftmals eine Mischung aus parallel existierenden, traditionellen, religiösen, alltagspraktischen und staatlich-administrativen Bezugsrahmen. Diese Heterogenität trägt substanziell zur Entstehung von Nutzungskonflikten bei, indem unterschiedliche Formen legitimer Besitzansprüche existieren. Will man die konflikthaft verlaufenden sozialen Prozesse angemessen verstehen, dann erscheint es mir wichtig, darauf zu verweisen, dass es sich bei einem solchen Rechtspluralismus in Bezug auf Land- und Bodenrechtsfragen nicht einfach um einen rechtsfreien und deregulierten Raum handelt, sondern um einen Bereich, innerhalb dessen in einer
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Überlappung von Souveränitäten die „Zentralität des staatlichen Rechts mit seinem Ausschließlichkeitsanspruch bezüglich der normativen Ordnung des sozialen Lebens“ (Randeria 2006: 232) aus der Sicht mancher sozialer Gruppen berechtigterweise in Frage gestellt werden kann. Insbesondere in Fragen des Bodenrechts stellt die Einbeziehung der Kolonialgeschichte ein unerlässliches Korrektiv zu vielen Globalisierungstheorien dar, die einen radikalen Bruch zwischen der Gegenwart und der jüngeren Vergangenheit postulieren (vgl. Randeria/Eckert 2006). So zeugt auch die Entwicklung des heutigen Bodenrechts in Accra als Folge seiner kolonialen und postkolonialen Geschichte von komplexen Verflechtungen miteinander verwobener Herrschaftsstrukturen und damit verbundener Kontrollansprüche. Das Resultat eines solchen Prozesses ist die transnationale Etablierung einer heterogenen Ordnung fragmentierter urbaner Räume, die trotz der Legitimität der einzelnen Rechtssysteme wesentlich durch Rechtsunsicherheit und Unvorhersehbarkeit der Rechtsanwendungen geprägt ist. Ein bis heute in Teilen gültiges und funktionierendes Bodenrechtssystem ist zunächst das ‚traditional tenure system‘. Wie in vielen anderen Lebensbereichen auch, bildet hier ebenfalls die Familie die Grundeinheit der Organisationsform des traditionellen Landrechts, die bis heute für viele Menschen die wichtigste Solidargemeinschaft verkörpert. Die jeweiligen Abstammungslinien reichen weit über die Generation der jeweils Lebenden hinaus und sind in der reichhaltigen mystisch-religiösen Vorstellungswelt der einzelnen Völker verankert (vgl. Schmidt-Kallert 1994: 169f., Nukunya 2003: 55f.). Entsprechend beruhen Stellung und Rolle der Individuen weniger auf ihren Eigenleistungen als vielmehr auf ihrer Position innerhalb der Linie, des Stammes und der Großfamilie. Auch wenn Ghana eine Vielzahl an ethnischen Gruppierungen aufweist, so ist doch quer zu allen Gruppierungen die Loyalität zu der jeweiligen Stammesgemeinschaft, neben der Tatsache, Ghanaer zu sein, das wichtigste identitätsstiftende Moment, und gesellschaftliche Willensbildungen verlaufen nicht selten entlang dieser traditionellen Bindungen. Nun wurde vor der kolonialen Periode auch das Land von den jeweiligen lokalen Autoritäten, den chiefs und den elders, verwaltet, die den einzelnen Mitgliedern Besitz- und Nutzungsrechte zuwiesen (vgl. Larbi 1996, Gough/Yankson 1997). Diese Rechte wurden nicht in Form von Grundbucheinträgen formal festgeschrieben, sondern von den chiefs treuhänderisch verwaltet (vgl. Laube 2005: 222). Bemerkenswert ist dabei, dass in der Verteilung des so genannten ‚stool land‘112 ein Nachhaltigkeitsprinzip heutigen Verständnisses zum Tragen kam, indem nicht das individuelle, sondern das aktuelle und zukünftige Gemeinschaftswohl die wesentliche Entscheidungsgrundlage bei der Landzuweisung bildete: „Land belongs to a vast family of which many are 112 „A stool is the seat of a chief of an indigenous state (sometimes of a head of family) which represents the source of authority of the chief (or head of family). Land owned by such a state is referred to as stool land.” (Gough/Yankson 1997:19)
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dead, few are living and countless number are still unborn. Hence, land is inalienable and the living must use the land so that the interests of the future and unborn generations are not jeopardized.“ (Ollenu 1962: 4, zit.n. Gough/Yankson 1997: 20) Die koloniale Überformung zeitigte in Bezug auf das Bodenrecht nicht so desaströse Folgen, wie in anderen Bereichen der ghanaischen Gesellschaft. Im Unterschied zu Frankreich pflegte England das Prinzip der indirekten Herrschaft und auch in Landfragen wurde nur in seltenen Fällen seitens der britischen Verwaltung in das traditionelle System der Landverteilung eingegriffen (vgl. Bertrand 2004). Frühe Versuche, das gesamte Land dem Besitz der britischen Krone zu unterstellen, scheiterten nach langjährigen Konflikten schließlich an dem Widerstand der lokalen Bevölkerung und ansässiger Unternehmen, so dass Enteignungen nur in Ausnahmefällen zur Errichtung kolonialwirtschaftlicher Infrastrukturmaßnahmen (beispielsweise dem Bau von Hafen- und Eisenbahnanlagen oder der Errichtung von Kakaoplantagen) und der Planung der ‚weißen‘ Stadtviertel in Accra mit Gewalt durchgesetzt wurden. Ausgewiesenes strategisches Ziel war es, „to refashion ‚traditional institutions‘ to obtain labour and land for capital penetration without creating a costly administrative structure“ (Amanor 1999: 18). Eine spürbare Veränderung dieses indirekten Herrschaftsprinzips begleitete dann allerdings die Amtszeit von Guggisberg, als in dem Versuch der Etablierung einer modernen Verwaltung Accra zum ersten Mal in seinen administrativen Grenzen vermessen wurde. Als Folge dieses Vorhabens wurde 1945 die Town and Country Planning Ordinance ins Leben gerufen und es zeigten sich erste Bemühungen, die rechtliche Landschaft des Landbesitzes nach westlichen Vorstellungen zu formalisieren und zu vereinheitlichen. In den folgenden Jahren versuchte die britische Verwaltung immer wieder an dem traditionellen System des Landrechts zu rütteln, jedoch ohne Erfolg. Letztlich wurde diesen Bemühungen mit der Unabhängigkeit 1957 ein Ende gesetzt, als der erste Staatspräsident Ghanas, Kwame Nkrumah, in einer seiner ersten Amtshandlungen wieder uneingeschränkt die Rechtmäßigkeit des traditionellen Bodenrechts verkündete. Bereits zu diesem Zeitpunkt offenbarte sich allerdings, dass bereits ein wichtiger Grundstein für das gelegt worden war, was heute als „dual-ownership regulation framework“ (Larbi et al. 2003: 365) bezeichnet wird. Das Prinzip der indirekten Herrschaft hatte dazu geführt, dass neben den Zwangsenteignungen die britische Verwaltung durchaus auch Grund und Boden, wenn auch zu einem Spottpreis, käuflich erworben hatte. Für Larbi „this practices has led to two main kinds of land ownership in the land: customary ownership and state land. “ (Larbi 1996: 198) Nkrumah übertrug die Besitzrechte an den britischen Landstücken nach Einzug der staatlichen Souveränität kurzerhand auf seine Regierung, aber mit Verweis auf die Unrechtmäßigkeit des kolonialen Regimes forderten viele der traditionellen Besitzer ihr Eigentum vom Staat zurück. Damit war bereits in den
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Anfangsjahren der jungen Republik die bis heute schwelende Konfliktlinie zwischen Staat und traditionellen Chiefs vorgezeichnet. Den zentralen Einschnitt in Bodenrechtsfragen markierte dann allerdings das Eingreifen der Weltbank und ihrer Strukturanpassungsprogramme Anfang der 1980er Jahre. Mit ihrer Intervention in die Souveränität Ghanas trug die Weltbank auch in Landfragen wesentlich zu einer „Transnationalisierung des Rechts“ (Randeria 2006: 233) bei. Das Hauptargument der Weltbank für die erzwungene Reform des bestehenden Rechtskonzepts war die scheinbar unzureichende Adaptionsfähigkeit des Landrechts an die liberalen Vorstellung des Geldgebers. Im Mittelpunkt von dessen Überlegungen stand die Einschätzung, dass „the theory of individual ownership is absolutely foreign to the mind of any African“ (Berry 1993: 342) – eine kulturelle ‚Eigenart‘, die nach Meinung der zuständigen Experten ein zu beseitigendes Hindernis bei dem Vorhaben der Kommerzialisierung des Bodenmarktes verkörperte. Obwohl sich in Accra das traditionelle Landrecht bis zu diesem Zeitpunkt als höchst anpassungsfähig an die geschilderten Urbanisierungsdynamiken gezeigt hatte (vgl. Larbi 1996), wurde dennoch eine ganze Reihe massiver staatlicher Eingriffe bezüglich „land ownership, land transactions, land use and development“ (Larbi et al. 2003: 356) vorgenommen, um das Bodenrecht gemäß den Vorstellungen der Weltbank zu transformieren. Angesichts des Fehlens von formalisierten Landrechtstiteln in Gestalt von Besitzurkunden ging die Weltbank von einer Situation der prinzipiellen Rechtsunsicherheit aus und übersah damit „that rights in land cannot be captured solely by looking at title documents because in land are rights through people“ (Flynn-Dapaah 2002: 8). Um diesem aus Sicht der Weltbank ineffizienten System ein Ende zu bereiten, wurde im Zuge der Reformierung des Landrechts Anfang der 1980er Jahre das Town and Country Planning Department ins Leben gerufen, dessen zentrale Aufgabe in der offiziellen Erfassung städtischer Flächennutzungen bestand. Eine der ersten Maßnahmen dieser Institution war die Einführung einer gesetzlichen Verpflichtung zur behördlichen Registrierung traditioneller Besitzverhältnisse, der aber bis heute nur in den seltensten Fällen nachgekommen wird. Der wesentliche Grund liegt in dem für afrikanische Bürokratien typischen enormen Aufwand und der damit verbundenen finanziellen Belastung, der mit der Registrierung des Bodens für einen Käufer einhergeht. Konadu-Agyemang verweist in seiner Analyse des Immobilienmarkts in Accra darauf, dass ein Grundbucheintrag einen Gang durch die Behörden initiiert, in dessen Verlauf nicht weniger als zehn Abteilungen die Rechtmäßigkeit der Transaktion belegen müssen. Erschwerend kommt hinzu, dass „these various agencies operate under different ministries and given the absence of any coordination process, the total period of time to perfect land title is inordinately long“ (Konadu-Agyemang 2001: 172). Dieser Prozess, der insgesamt 28 Teilschritte umfasst, kostet nicht nur Zeit – bis zu 20 Jahre (!) – sondern auch viel Geld, da nochmals zusätzlich bis zu 44,15% des eigentlichen Kaufpreises an die jeweiligen Behörenden gezahlt werden müssen (vgl. Larbi et al. 2003: 367). Angesichts dieser Hürden ver-
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zichten die meisten Landbesitzer auf eine Formalisierung ihrer Rechte durch staatliche Behörden: 80% der Transaktionen auf dem Landmarkt ignorieren diese offizielle Verordnung und werden in der Folge – und das ist hier der springende Punkt – aus Sicht der Behörde folgerichtig auch als illegal eingestuft (vgl. ebd.). Angesichts dieser Zahlen ist daher Gough und Yankson zuzustimmen, wenn sie in einer Untersuchung zu Accra zu dem Schluss kommen, dass „indigenous tenure systems still govern land transactions“ (Gough/Yankson 2000: 2489). Dabei kann es an dieser Stelle nicht darum gehen, dass traditionelle Bodenrechtssystem unnötig zu romantisieren. Auch hier kam und kommt es aufgrund sozialer, politischer und kultureller Faktoren zu Benachteiligung von marginalisierten Bevölkerungsteilen wie ethnischen Minderheiten und Migranten (vgl. Laube 2005: 223). Insbesondere Frauen wird der Zugang zu Land wenn nicht ganz verwehrt, so doch erheblich erschwert, indem sie nach wie vor eine ganze Reihe von Auflagen bei dem Erwerb von Landbesitz, wie beispielsweise das ausdrückliche Einverständnis des Mannes, erfüllen müssen (vgl. Gough/Yankson 1997: 23). Auch verführte die Ende der 1980er Jahre einsetzende Verteuerung der Grundstückspreise im Zuge der Kommerzialisierung des Marktes um jährlich 30% einige der traditionellen Führer zur individuellen Bereicherung (vgl. Larbi et al. 2003: 364), wie überhaupt die Mechanismen der Verwendung des aus dem Landverkauf erworbenen Kapitals innerhalb der traditionellen Gemeinden weitgehend im Dunkeln liegt (vgl. Gough/Yankson 2000:2495). Dennoch spiegelt diese Intervention in das bestehende Landrechtssystem die typische Haltung des IWF und der Weltbank der frühen 1980er Jahre wider, die außereuropäische Staaten in vielerlei Hinsicht als strukturell defizitär einstuften und in einer völligen Nichtbeachtung indigener Strukturen exogene Strukturen implementierten und damit neue soziale Realitäten schufen. So wurden in Accra Besitzverhältnisse eingezogen, die Larbi et al. als „the dual ownership-regulation framework“ (Larbi et al. 2003: 365) bezeichnen, innerhalb dessen „parallel sets of property rights“ (ebd.: 358) ihre legitime Gültigkeit besitzen. Dass einem solchen System ein massives Konfliktpotential innewohnt, liegt auf der Hand. Einen Hinweis darauf, was man dabei unter ‚massiv‘ verstehen kann, liefert die Untersuchung von Bertrand, die 1991 von 16 000 solcher Streitfälle in Accra berichtete (Bertrand 2004: 88). Maxwell geht mit Bezug auf diese Angaben davon aus, dass diese Rechtsstreitigkeiten bis zum heutigen Zeitpunkt proportional zu dem Wachstum der Stadt zugenommen haben, wobei man prinzipiell zwischen zwei Arten von Auseinandersetzungen unterscheiden kann (vgl. Maxwell et al. 1998: 4). Zum einen kann die unklare Bestimmung der Grundstücksgrenzen Gegenstand des Konflikts werden. Wie bereits erwähnt, wurden in dem auf Gewohnheits- beziehungsweise traditionellem Recht beruhenden Besitzansprüchen die Grenzen der jeweiligen Landstücke von Generation zu Generation auf mündlichem Wege weitergegeben. Die Rechtmäßigkeit des Besitzes beruht „on the fact that they are recognized as legitimate by the community, the rules governing the acquisition and transmission of these rights being usually ex-
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plicitly and generally known, though not normally recorded in writing“ (ebd.: 2). Eine solche Regelung war lange Zeit unproblematisch, da die Accra umgebenden Dörfer und ihre Landbesitzungen in dem zunächst noch dünn besiedelten periurbanen Raum weit genug auseinander lagen. Mit der Ausbreitung der Stadtgrenzen und dem damit verbundenen Zusammenwachsen der einzelnen Dörfer wurden jedoch die Fragen nach den jeweiligen Gebietsgrenzen immer akuter. Infolge dieser traditionellen Praxis „the boundaries of stool land have never been officially recorded, with most communities relying on memory and reference to streams and trees etc., there is a great uncertainty over the precise location of the boundaries. This has resulted in land disputes between stools on a massive scale.” (Gough/Yankson 1997: 20) Zum anderen kann ein Rechtsstreit aber auch entbrennen, wenn zwei oder mehrere Parteien rechtmäßigen Anspruch auf ein und dasselbe Stück Land erheben. Im Vergleich zu Konflikten angesichts unklarer Grundstücksgrenzen ist die zweite Variante allerdings anderen Ursprungs. Die staatlichen Behörden erkannten Anfang der 1980er Jahre rasch, dass ihre ambitionierten Flächennutzungspläne und Stadtplanungsmaßnahmen nur dann Aussicht auf Erfolg haben würden, wenn sie über weitgehende Bodenrechte verfügen könnten (vgl. Larbi 1996: 196). Die Stadt begann umfassende Landkäufe zu tätigen, musste diese Strategie allerdings angesichts chronisch leerer Staatskassen bald wieder aufgeben – heute gehören lediglich 13% der Fläche Accras der Stadt (vgl. Larbi 1996: 213, Bertrand 2004: 86). Der eigentliche Konflikt zwischen „land owners and the planning authorities“ (Larbi 1996: 206) besteht in vielen Fällen nun darin, dass die Stadt Ansprüche auf Landstücke erhebt, deren Kaufvertrag sie zwar unterzeichnet hat, „but for which compensation has not been paid“ (Maxwell et al. 1998: 4). Damit findet sich auch in Ghana jene ambivalente Situation wieder, die Shalini Randeria in Bezug auf das postkoloniale Indien beschrieben hat (vgl. Randeria 2006): Der Staat ist gleichermaßen Akteur wie Objekt einer Transnationalisierung des Rechts. Auf der einen Seite wird von internationalen Geberorganisationen die Bedeutung eines stabilen, wenn auch schlanken Staates bei der Umsetzung der aufgezwungenen Rechtsreformen immer wieder betont. Gleichzeitig beeinflusst jedoch die direkte Beteiligung einer Vielzahl von nichtstaatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren das Wesen der Regelungsfunktion des staatlichen Landrechts. Neue Souveränitäten bilden sich aus, der Charakter eines einheitlichen und kohärenten Rechtskorpus ist aufgrund der anhaltenden Konflikte und der Unerwartbarkeit der Entscheidungen immer weniger gegeben. Ein solcher Zustand bedeutet selbstverständlich nicht die Entstehung eines rechtfreien Raums, sondern stellt vielmehr eine „Entbündelung als eine Auflösung der Souveränität“ (ebd.: 253) dar. Es liegt nun auf der Hand, dass eine solche Landunsicherheit und damit verbundene Konflikte die landwirtschaftlichen Nutzer und Nutzerinnen der städtischen Flächen erheblich unter Druck setzen. Den Auswirkungen einer derartigen Rechtssituation auf die Versorgungspraxis der urbanen Landwirtschaft gilt es daher in den nächsten beiden Abschnitten nachzuspüren.
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4.2.3 Die Arena und ihre Akteure Nach dem hier entwickelten sozial-ökologischen Verständnis von Versorgungssystemen werden im Rahmen gesellschaftlicher Versorgungsbemühungen einerseits materiell-stoffliche Bedingungen zu impliziten Elementen des Gesellschaftlichen, andererseits werden diese stofflich-materiellen Bedingungen wesentlich durch die jeweilige Versorgungspraxis gerahmt. Einen wichtigen Aspekt dieser Versorgungspraxis stellen institutionelle Regelungen dar. Ruft man sich die Definition des Institutionenbegriffs aus dem ersten Kapitel dieser Arbeit in Erinnerung, so handelte es sich bei der Eigenschaft von Institutionen, sich gleichsam ‚hinter dem Rücken‘ der Akteure durchzusetzen, um einen zentralen Aspekt. Genau dieser Effekt lässt sich in Bezug auf die Wahrnehmung der Bauern beobachten: Die Krise der urbanen Landwirtschaft, die viele der Farmer empfinden, ist Ergebnis der bereits erwähnten und erlebten Kluft zwischen den eigenen Handlungskapazitäten und der Fähigkeit der Restabilisierung einer bis vor einigen Jahren gut funktionierenden Praxis, namentlich der informellen Aneignung städtischer Freiflächen. Die erfahrene Unsicherheit ist das Resultat von aus Sicht der Akteure verselbstständigter Prozessverläufe, die sich dem reflexiven Handeln weitgehend entziehen. Räume werden in sozialen Abläufen produziert und in diesem Fall spielt die soziale Organisation des Bodenrechts eine entscheidende Rolle. Ich hatte bereits an früherer Stelle darauf hingewiesen, dass die Festschreibungen bestimmter Raum(an)ordnungen dann besonders wirksam sind, wenn sie durch gesellschaftliche Institutionen abgesichert werden. Im vorliegenden Fall stellen beide Elemente des dualen Landrechtssystems hochgradig formalisierte Institutionen und damit besonders effektive Inklusions- und Exklusionsmechanismen dar. In der Möglichkeit der Einschreibung institutionalisierter Anordnungen manifestieren sich ungleiche Chancen, Räume zu konstituieren und als strategische Ressourcen im Ringen um gesellschaftliche Kräfteverhältnisse einzusetzen. Raum(an)ordnungen haben angesichts ihrer Materialitäten „enduring effects“ (Larbi 1996: 19), das heißt sie konservieren nachhaltig gesellschaftliche Machtverhältnisse. Eben deshalb sind Räume oftmals Gegenstand sozialer Auseinandersetzungen, denn diese Raum(an)ordnungen werden nicht vollständig durch eine institutionelle Ebene festgeschrieben, sondern werden gleichsam in komplizierten, ‚arbeitsteiligen‘ Prozessen verschiedenster sozialer Akteure geformt, die in der Arena des städtischen Lands um den Zugang zu dieser knappen Ressource konkurrieren. Die divergierenden Grenzen und Möglichkeiten raumkonstituierenden Handelns verschiedener Akteure sind damit ein wichtiger Schlüssel zum Begreifen von Raum(an)ordnungen. Dabei ist es wichtig, im Blick zu haben, dass dabei zustande kommende strategische Netzwerkbildungen sehr fluide, ephemer und situativ in Bezug auf bestimmte Ziele sein können und weder zwingend in andere gesellschaftliche Bereiche hineinragen, noch von dauerhaftem Bestand
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sind. Speziell im urbanen Kontext „groups often achieve goals when they discover unanticipated allies and then together pursue complementary and mutually beneficial goals” (Howard 2003: 209). Derartige Auseinandersetzungen offenbaren nicht selten pragmatische, themenbezogene Allianzen. Die Fähigkeit urbane Landwirtschaft zu betreiben, setzt zuallererst den Zugang zu einem entsprechenden Stück urbanen Lands voraus, aber „finding land was the most common problem mentioned by farmers“ (Asomani-Boateng 2002:600). Die Konflikte, die sich in Bezug auf die urbane Landwirtschaft ergeben, sind existenzieller Natur, da es sich hier im wahrsten Sinne des Wortes um ‚Überlebensräume‘ handelt. In einer solchen durch Rechtsunsicherheit und einen erschwerten Zugang geprägten Situation „social networks, memberships, associations and entitlements are critical for successfully accessing land for urban farming“ (Flynn-Dapaah 2002: 9), so dass sich mit Maxwell die entscheidende Frage formulieren lässt: „What are the social relations that permit and protect informal urban land use?“ (Maxwell 1996: 182) Die letzten Abschnitte haben einen klaren Blick auf die Kontextbedingungen dieser Arena und der damit verbundenen verräumlichenden sozialen Prozesse eröffnet: hochgradige Unsicherheit in Bezug auf die Landnutzung angesichts des dualen Rechtssystems und damit verbundene Auseinandersetzungen, soziale Schließungsprozesse in Fragen der Landverteilung durch die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Stämmen, Linien oder Familien, zunehmende Konkurrenzen um knapper werdende Landflächen; als materielles Substrat die Zerstörung landwirtschaftlicher Flächen durch Konvertierung zu anderen Nutzungszwecken, das Phänomen des urban sprawl und eine damit verbundene Fragmentierung des Stadtbildes. Wer sind aber nun in Bezug auf die urbane Landwirtschaft diese Akteure, im neuen Wissenschaftsenglisch auch gerne als ‚stakeholder‘ bezeichnet, die es zu betrachten gilt, und welche Strategien verfolgen die Farmer in diesem Umfeld? Im Großen und Ganzen lassen sich vier Gruppen von Akteuren unterscheiden: Stadt- beziehungsweise Regierungsbehörden, internationale Nichtregierungsund Forschungsinstitutionen, die Landbesitzer und die Farmer. Ministry for Food and Agriculture (MOFA) Das ghanaische Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft umreißt in eigenen Worten seine „mission and objectives“ (MOFA 2002:15) wie folgt: „The main goal of the Ministry of Food and Agriculture (MOFA) is to create an environment for sustainable growth and development in the Agriculture Sector that would ensure: food and raw material security, higher employment, reduction in poverty and the creation of wealth and greater contribution of the sector to GDP, foreign exchange earnings and government revenue.” (MOFA 2002: 11) In einem Gespräch mit einer Vertreterin des MOFA, Dr. Doku, bringt sie ihre grundsätzlich positive Haltung gegenüber der urbanen Landwirtschaft deutlich zum Ausdruck: „Of course, urban agriculture is important for the food supply of the
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city, it is crucial. We in the Ministry know that. That’s why we do a lot to enhance and to promote urban agriculture.“ (Interview Dr. Catie Doku, 21.10.05) Dennoch entsteht mit Blick auf die tatsächlichen Aktivitäten des Ministeriums in Bezug auf die städtische Landwirtschaft eher der Eindruck, dass die bereits erwähnte und oftmals zu beobachtende Haltung afrikanischer Behörden, Ackerland innerhalb von urbanen Räumen als Anachronismen zu betrachten, auch in diesem Fall durchschlägt; eine Wahrnehmung, die mir von einem Mitarbeiter der dort ansässigen GTZ bestätigt wird: „Ghana will sich als technologisch fortschrittliches Land mit modernen Städten präsentieren. Hier genießt natürlich die Hauptstadt Accra als Zentrum des gesamten Landes besondere Aufmerksamkeit. Farmer und landwirtschaftliche Aktivitäten eigenen sich bei einem solchen Verständnis denkbar schlecht als Verbündete auf diesem Weg.“ (Interview Dr. Lothar Diehl, 14.10.05) Auch die interviewten Farmer beurteilten die Aktivitäten des MOFA skeptisch. Insbesondere kritisieren sie die mangelnde Kooperation der Stadt in Fragen der Landsicherheit, wie überhaupt bei der grundsätzlichen Bereitstellung von Land, und die unzureichende Berücksichtigung kontextspezifischer Problemlagen im Rahmen der von vielen Farmern als ‚top-down‘ empfundenen Strategie des Ministeriums. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang das Angebot der Stadt, bei Eigenbedarf an landwirtschaftlich genutzten Flächen zur Umsetzung städtischer Projekte (zum Beispiel Straßenerweiterung, Ausbau der touristischen Infrastruktur etc.) die Bauern umzusiedeln: „In cases, where relocation is necessary, farmers are moved to uncultivated agricultural lands or are allocated plots that may be sold.“ (Larbi et al. 2003: 361) Es ist nicht weiter verwunderlich, dass eine solche Praxis aus Sicht der Farmer inakzeptabel bleiben muss: „Oh, this land is not good. See, the plots are too far away – behind Teshie113. I take too long to go for there and it is very costly. All is very costly, because there is no water, there is no drainage system and there is nobody to watch at your crops.“ (Interview Karim, 09.08.06) Stattdessen fordern die Farmer, dass die Stadt innerurbanes Land im Interesse der Öffentlichkeit, in diesem Fall zur Sicherung der Nahrungsversorgung, erwirbt und mit der nötigen (Wasser)Infrastruktur versorgt. Dennoch ist das MOFA zweifelsohne eines derjenigen Ministerien, das der urbanen Landwirtschaft im Vergleich zu anderen Behörden im Großen und Ganzen wohl gesonnen gegenüber steht. Dies wird aus dem Tätigkeitsprofil des MOFA hinsichtlich der urbanen Landwirtschaft deutlich, das unter anderem „monitoring the performance of all agricultural developments in the metropolis and their impact on food production, liaising with all partners and organizing and participating in all meetings, workshops etc. related to agriculture“ (Obuobie et al. 2006: 120) vorsieht. Weiterhin gibt so genannte ‚Extension Officers‘, die für die
113 Teshi ist ein Stadtteil im äußersten Osten der Stadt. Die Straße Richtung Tema ist dabei chronisch verstopft.
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Betreuung der Belange der urbanen Farmer verantwortlich sind, insbesondere für deren Schulung in der Verwendung chemischer Kunstdüngerprodukte. Environmental Health Department (EHD) Das EHD ist in erster Linie für das Abfallmanagement der Stadt verantwortlich, worunter im weitesten Sinn auch gesundheitliche Aspekte fallen. Wie oben beschrieben, ist einer der Hauptkritikpunkte in der internationalen Diskussion um urbane Landwirtschaft die gängige Praktik der Abwasserbewässerung. Eine Vielzahl von widerstandsfähigen Krankheitserregern kann ohne Zweifel eine ernsthafte Bedrohung für die öffentliche Gesundheit bedeuten. Während landwirtschaftlicher Anbau in Hausgärten aufgrund der vermeintlich besseren Wasserqualität des so genannten ‚grey water‘114 toleriert wird, hat das EHD in Bezug auf urbane Landwirtschaft eine ganze Reihe von Regulierungen vorgenommen, die sowohl eine Meldung aller Landwirtschaftsaktivitäten bei dem Gesundheitsministerium gesetzlich vorschreiben als auch eine Bewässerung mit ‚black water‘ strikt untersagen (vgl. Obouobie 2006: 126f.). Obwohl das EHD urbane Landwirtschaft nicht generell verbieten möchte, ist sie aus ihrer Sicht angesichts der zum Einsatz kommenden Bewässerungstechnik dennoch ambivalent zu bewerten. Water Ressources Commission (WRC) Auch die WRC gehört nicht unbedingt zu den Verfechtern der urbanen Landwirtschaft. Ähnlich wie das MOFA versteht sie ihre Aufgabe in erster Linie darin, die unzähligen Haushalte Accras mit ausreichend Wasser zu versorgen, und weniger darin, landwirtschaftliche Aktivitäten in urbanen Räumen zu unterstützen. Die Hintergründe für die negative Einstellung gegenüber städtischer Landwirtschaft sind aber nicht nur rein ideologischer Natur. Die Ressource Wasser wird in urbanen Räumen durch vielfältige Nutzungszwecke beansprucht: als Trinkwasser, für Hygienezwecke, zur Energiegewinnung oder als Kühlmittel industrieller Produktion. Kommt noch die urbane Landwirtschaft als Nutzer hinzu, wie von den Farmern immer wieder eingefordert wird, würde die ohnehin schon fragile Wasserversorgung der Stadt mit ihrer knappen Ressourcenausstattung vollends an ihre Grenzen geraten. Stellvertretend für die WRC äußerte sich Dr. Doku aus dem MOFA zu dem Problem: „Look, water scarcity is still a big problem around here. We don’t even have enough for household provision. So you can’t blame the WRC for not providing the farmers with pipe-born water, there is simply not enough water.“ (Interview Dr. Catie Doku, 21.10.05) Neben diesen Nutzungskonkurrenzen birgt die intensive Nutzung des Grundwassers zu land-
114 Unter grey water wird das Abwasser verstanden, das aus alltäglichen Haushaltstätigkeiten entsteht (Abwaschen, Hausputz, Wäschewaschen oder Autoreinigung). Black water ist dagegen Wasser, welches mit menschlichen und tierischen Fäkalien durchsetzt ist.
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wirtschaftlichen Zwecken in Accra aus Sicht der WRC aber auch ein massives ökologisches Problem, denn sie führt zu einer schleichenden Versalzung der Böden, was sowohl die Böden auslaugt als auch Grundwasservorkommen als Trinkwasserreservoirs mit der Zeit unbrauchbar werden lässt (vgl. Otsuka et al. 2003). Eine ernsthafte Gefährdung droht aber der urbanen Landwirtschaft an vielen Stellen von einer geplanten Baumaßnahme der Behörde, die in den nächsten Jahren eine Verbreiterung der einzelnen Abwasserkanäle anstrebt. Für ein solches Vorhaben sprechen in den Augen der WRC zwei Gründe: Zum einen führen die engen Kanäle in der Regenzeit immer wieder zu folgenschweren Überschwemmungen; zum anderen entwirft die WRC in Zusammenarbeit mit anderen Behörden der Stadt ein neues Mobilitätskonzept, welches als Mittel gegen die chronische Verstopfung der Verkehrsstraßen mit einer Verbreiterung der Kanäle diese der Schifffahrt zugänglich machen und somit den Straßenverkehr entlasten will. Während der erste Grund noch nachvollziehbar erscheint, fällt der zweite in die Kategorie überambitionierter afrikanischer Großtechnikprojekte. Eine Verbreiterung der städtischen Kanäle würde das Aus für viele urbane Bauern bedeuten. International Water Management Institute (IWMI) und International Food Policy Research Institute (IFPRI) Die Haltung des IWMI gegenüber der urbanen Landwirtschaft ist eine deutlich positive. Angesichts des großen Potenzials der urbanen Landwirtschaft in Bezug auf die städtische Nahrungssicherung, versuchen sie die innerstädtischen Bedingungen dafür zu stabilisieren beziehungsweise zu verbessern. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt neben der Initiierung eines dauerhaften, Akteur übergreifenden Diskurses in der Aufklärung der mit der Abwasserbewässerung zusammenhängenden Vor- und Nachteile. Trotz der vorhandenen gesundheitlichen Risiken plädiert das Institut für eine flexible Handhabung der oben erwähnten Richtlinien für die Abwassernutzung, da ohne diese Wasserressource aller Voraussicht nach in Accra mehr als 100 000 Menschen Hunger leiden müssten und eine Vielzahl von ihnen überdem arbeitslos wären. Die Arbeit des Instituts zielt auf eine Minimierung der gesundheitlichen Risiken durch Aufklärungsarbeit bei den Bauern und steht damit in grundsätzliche Opposition zu der Haltung des EHD. Auch das IFPRI zeichnet sich durch eine Wertschätzung der urbanen Landwirtschaft aus, hat zahlreiche Studien durchgeführt und fokussiert vor allem auf die Frage des Zusammenhangs zwischen Landunsicherheit und Formen der urbanen Landwirtschaft. Dabei verstehen es vor allem einige Farmer, die internationalen Forschungsinstitutionen geschickt für ihre Zwecke zu mobilisieren. Solche Einrichtungen sind dank ihrer Fähigkeit, den Graben zwischen den involvierten lokalen Akteuren mittels ihrer Neutralität zu überbrücken, begehrte Ansprech- und Kontaktpartner. Wesentlich entscheidender dürfte aber sein, dass die Farmer erkannt haben, dass derartige Institutionen durchaus in der Lage sein können, die politi-
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schen Handlungsspielräume zugunsten ihrer Interessen zu verschieben. Wie in vergleichbaren Fällen haben auch hier die Farmer die Macht internationaler wissenschaftlicher Organisation erkannt, „den … Staat gegenüber seinen am stärksten verwundbaren Bürgern rechenschaftspflichtig zu machen“ (Randeria 2006:244). Insbesondere beim Entwerfen alternativer Regulationsmaßnahmen, wie beispielsweise der Gründung einer Urban Farmer Association, erhoffen sie sich berechtigterweise Unterstützung seitens der urbaner Landwirtschaft gegenüber positiv eingestellten Wissenschaftsinstitutionen. Traditional Authorities und District Assemblies Orte der Austragung von Landrechtskonflikten sind oftmals die so genannten District Assemblies, in denen in gewisser Weise eine ‚Hybridisierung‘ der beiden Rechtssysteme statt gefunden hat. Die District Assemblies stellen den Versuch dar, die Richtlinien des nationalen Town and Country Planning Department auf lokaler Ebene sicher zu stellen beziehungsweise eigenverantwortlich umzusetzen: „The primary role of a district assembly … is to be responsible for the comprehensive development of its district including the formulation of its development plan and budget.“ (Gough 1999: 401) Als Ergebnis einer bewusst zivilgesellschaftlichen Ausrichtung dieser lokalen Lenkungsgremien bestehen die einzelnen Assemblies aber nicht ausschließlich aus den jeweiligen Staatsbeamten, sondern umfassen weiterhin die jeweiligen traditionellen Chiefs sowie eine Vertretung der Grundstückseigentümer. Auch wenn de jure die jeweiligen Beamten in Bezug auf Planungsentscheidungen das letzte Wort haben, ist es de facto doch so, dass die meisten dieser Assemblies von den traditionellen Vertretern, die nach wie vor ein hohes Ansehen in der Bevölkerung genießen, dominiert werden (vgl. Gough 1999: 400f.). Der darin zum Ausdruck kommende Vertrauensmangel gegenüber städtischen Behörden rührt nicht zuletzt daher, dass die meisten dieser Assemblies unter notorischer Finanzknappheit leiden und in der Folge den oftmals hoch gesteckten Erwartungen der jeweiligen Gemeinden auf eine Verbesserung ihrer Lebenssituation selten gerecht werden konnten. Werden diese Streitigkeiten nicht auf ‚informellen‘ Wege in den einzelnen Assemblies beigelegt, so werden sie bisweilen auch vor Gericht weiter ausgetragen. Allerdings kommen einige Autoren zu dem Schluss, „that courts have not been very helpful in rectifying the situation“ (Maxwell et al. 1998: 5), nachdem sie in ähnlichen Fällen zum Teil völlig widersprüchliche Urteil gefällt haben und der Korruptionsverdacht daher nahe lag. Mit Blick auf das Problem der Landunsicherheit handelt es sich bei beiden zweifelsohne um die zentralen Akteure. Dennoch werden sie in der Akteursanalyse von einschlägigen Veröffentlichungen nur selten als zu berücksichtigende Gruppe in die Untersuchung mit einbezogen (vgl. beispielsweise Obuobie et al. 2006: 118f.). Das ist insofern erstaunlich als die oben stehende Analyse deutlich gemacht hat, dass sich die von den Farmern beklagte Rechtsunsicherheit bezüglich der Landnutzung wesentlich aus den Konflikten zwischen diesen beiden Par-
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teien speist. Insbesondere von Seiten der traditional authorities werden die zentralistischen und homogenisierenden Versuche der Regierung skeptisch beäugt, befürchten sie doch, dass eine solche ‚Modernisierung‘ des Landrechts es erheblich erschweren würde, ihre traditionellen Ansprüche und Rechte zu verteidigen. Angesichts der mangelnden Kapitalausstattung sind die Farmer existentiell auf das Wohlwollen der jeweiligen Assemblies und der rechtmäßigen Landebesitzer angewiesen. Im Fall von Rechtsstreitigkeiten gewähren die Assemblies in vielen Fällen den zeitlich begrenzten Anbau von Nahrungsmitteln, wenngleich die Abhängigkeit der Ausübung landwirtschaftlicher Tätigkeiten für die Dauer der juristischen Auseinandersetzung die Bauern in eine äußerst unsichere Lage manövriert. Darüber hinaus akzeptiert die Stadtverwaltung meistens stillschweigend urbane Landwirtschaft auf öffentlichen Grünflächen. In Bezug auf das Verhältnis zwischen Farmer und Landbesitzer lassen sich dagegen zwei unterschiedliche Formen des Arrangements unterscheiden. Zum einen findet sich auch in urbanen Räumen das erwähnte abusa-System wieder, im Zuge dessen sich der Farmer als Gegenleistung für die Möglichkeit der Kultivierung der Freifläche dazu verpflichtet, bis zu einem Drittel seiner Ernte dem Besitzer zu überlassen (vgl. Asomani-Boateng 2002: 598). Weit verbreitet ist zum anderen das so genannte caretaker-Modell: „These arrangements allow cultivators to access land on the one hand while protecting the landholder’s claim to that contested space by ensuring that it is in continuous use and appears to be occupied.“ (Flynn-Dapaah 2002:17) In beiden Fällen kommt es jedoch selten zu dem Rechtssicherheit gewährenden Abschluss eines Pachtvertrags. Eine solche vertragliche Bindung lehnen die jeweiligen Landbesitzer oftmals ab, weil es den flexiblen Verkauf von Grundstücken erheblich erschweren würde. Das anhaltende Wachstum der Stadt, die Verknappung städtischen Landes und der dadurch bewirkte rasante Preisanstieg lassen diesen Fall allerdings immer öfter eintreten: „More and more we’re loosing our lands to the housing projects of the rich. Urban Farming is dying and without farming we have no jobs and no chop money.“115 (Interview Justice, 10.08.06) Auch wenn die Farmer den Ausverkauf des städtischen Landes und einer damit verbundenen Verknappung städtischer Landwirtschaftsflächen scharf kritisieren mögen, bleibt das Agieren der jeweiligen Landbesitzer letztlich nachvollziehbar. Angesichts der in die Höhe geschnellten Bodenpreise, unter anderem ein Resultat der von der Weltbank implementierten Landrechtsreformen, gehorchen sie schlicht und ergreifend der Logik des freien Marktes und verkaufen an denjenigen, der bereit ist, den geforderten Marktpreis zu zahlen. Zum Leidwesen vieler Bauern handelt es sich dabei um Personen „who can plant houses rather than crops“ (Interview Karim, 09.08.06).
115 Bei ‚chop money‘ handelt es sich um Essensgeld.
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Urbane Farmer Profitierte die urbane Landwirtschaft zunächst noch von der unsicheren Lage und „took adavantage of weak planning and development controls“ (Larbi 1996: 195), so erwächst ihr aber gerade heutzutage aus diesen Prozessen ihre Bedrohung: „The lack of tenure or security regarding the land“ (Asomani-Boateng 2002:600) und „the bulldozers“ (ebd.) führen nach und nach zu einer Verringerung städtischer Agrarproduktion. Die Dynamik der zunehmenden Konvertierung städtischer Flächen in Wohngebiete speist sich dabei prinzipiell aus zwei sich verstärkenden Quellen. Da die Farmer über keinerlei formalisierte Besitzrechte beziehungsweise Pachtansprüche verfügen, können sie einer drohenden Zerstörung ihrer landwirtschaftlichen Nutzflächen selten etwas entgegensetzen. Auf der anderen Seite gewinnt dieser Trend der Vernichtung seine Bewegungskraft gerade aus der trotz aller Konflikte hochgradigen Formalisierung der Landrechte. Ellen Brennan verweist in diesem Zusammenhang auf den Umstand, dass ungenutzter öffentlicher Grund im Allgemeinen in südlichen Städten schneller verloren geht, je klarer die Besitzverhältnisse sind. Der Grund dafür ist offensichtlich: Je eindeutiger die Besitztitel, umso schneller kann in einer Verwarenförmigung des Landes dieses legal an Baufirmen verkauft werden (vgl. Brennan 1993). Viele Studien zur urbanen Landwirtschaft in Accra haben unter diesen Umständen auf die Bedeutung sozialer Netzwerkbildung und damit verknüpfter informeller Landsicherungsstrategien verwiesen (vgl. Obosu-Mensah 1999, Maxwell et al. 1998, Asomani-Boateng 2002, Flynn-Dapaah 2002, Obuobie et al. 2006). Spätestens seit der Theorie der schwachen Bindungen von Mark Granovetter steht die Rolle persönlicher Netzwerke bei der Erschließung des Zugangs zu gesellschaftlich knappen Ressourcen ebenso außer Frage wie ihre Fähigkeit, soziale Schließungsprozesse auf gesamtgesellschaftlicher Ebene zu initiieren. Auf diesen Aspekt verweist Granovetter implizit, wenn er feststellt, dass „it is through these networks small-scale interaction becomes translated into largescale patterns and that these, in turn, feed back into small groups“ (Granovetter 1973: 1360). Dabei lassen sich mit Parkin Tendenzen der sozialen Schließung als Prozesse beschreiben, durch die „soziale Gemeinschaften Vorteile zu maximieren versuchen, indem sie den Zugang zu Privilegien und Erfolgschancen auf einen begrenzten Kreis von Auserwählten einschränken“ (Parkin 1983: 123). Diese Netzwerke und daraus entstehende Gemeinschaften sind „remarkable for their high degree of organization“ (Seabrook 1996: 6) und widersprechen damit der häufig geäußerten Befürchtung einer „kommenden Anarchie“ (Kaplan 1996) westafrikanischer Städte. Dennoch bergen sie Chancen und Risiken zugleich, denn „access to food may be complicated by the need to negotiate a complex network of relations and food-related roles and responsibilities“ (Flynn 2005: 113). Solche Knotenpunkte sozialen Kapitals können ganz unterschiedlicher Natur sein: Nachbarschaftshilfen, gewerkschaftsähnliche Farmerzusammenschlüsse, ein gemeinsamer Arbeitergeber können sich als ebenso nützlich erweisen wie na-
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türlich die ausgedehnten Familienbeziehungen und ethnische Zugehörigkeiten. Wie die folgenden beiden Fallbeispiele aus Accra zeigen, können sich solche Sozialbeziehungen aber auch ganz einfach aus einer physisch-räumlichen Nähe ergeben. Mit Obosu-Mensah kann man die unterschiedlichen Spielarten dieser „weak ties“ (Granovetter 1973) mittels sechs unterschiedlicher Dimensionen übergreifend klassifizieren: „(a) strength of relationship, (b) the access the persons have to each other, (c) the collective phenomena that affect interpersonal behaviour, (d) normative obligations between kin, (e) the characteristics and resources possessed by network members, or (f) the similarity or dissimilarity between the network members“ (Obosu-Mensah 1999: 155). Die zwei folgenden Geschichten, die im Rahmen von mir geführten Interviews zur Sprache kamen, können dabei exemplarisch für die Vielfalt solcher „supportive ties“ (ebd.) stehen: • Emmanuel: Emmanuel ist mit der urbanen Landwirtschaft schon lange vertraut. Schon nach kurzer Zeit nachdem er vor 13 Jahren in Accra angekommen war, begann er für einer seiner Tanten, die auf den Agbogbloshie Market Obst und Gemüse verkauft, Lebensmittel von urbanen Farmern zu erwerben. Nach und nach fungierte er nicht nur als Zwischenhändler für seine Tante, sondern auch für eine ganze Reihe anderer Stände. Im Laufe der Zeit erkannte er, dass er beim Anbau der richtigen Gemüsesorten zum richtigen Zeitpunkt, nämlich antizyklisch zu den ländlichen Produkten, mehr erwirtschaften konnte, wenn er selber städtische Landwirtschaft betreiben würde: „Because I was at the market, I realized that any given time there is a shortage at the market of some products. So, I just took time to study it, the first year, the second year and then I knew what to plant.“ (Interview Emmanuel, 09.08.06) Auch bei Emmanuel ergab sich zunächst das Problem, eine geeignete freie Fläche zu finden. Über seine Tante erfuhr er dann, dass es ein geeignetes Stück Land im Stadtteil La geben sollte, fruchtbar und mit ausreichend Wasser durch einen kleinen See. Ein Stück Land, das Teil des nahe gelegenen Burma-Militärcamp ist. Der entscheidende Schritt zur Netzwerkbildung erfolgte, als er sich entschloss regelmäßig zu den Gottesdiensten der Militärgemeinde zu gehen: „So I started to visit the military church and by doing so these people began to know me. I went there for weeks and for weeks, also giving money for the church. Then I asked about the land behind the camp and they told me about the person in the military who was the care-taker of the land. He said, it is no problem. He was even happy, because so somebody was caring for the bushy land, full of snakes and a lot of waste.“ (ebd.) Nun betreibt er schon seit acht Jahren urbane Landwirtschaft und seine Kontakte haben ihn bis heute vor einer Zerstörung seiner landwirtschaftlichen Fläche bewahrt. Auch hier erwächst die Bedrohung aus dem Hausbau, denn der Boden, auf dem das Militär sein Camp errichtet hat, gehört nicht dem Militär, sondern den traditional authorities des Viertels: „My land is always not safe, because the land owner, the traditional authorities are selling the land because it is very expensive – and as we all
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know, land always go the highest bidder“ (ebd.). In den letzten Jahren sind die Häuser immer näher gerückt (s. Foto) und auch die Konkurrenz zwischen den Farmer um das begehrte Land und die knappen Wasserressourcen hat spürbar zugenommen. Foto 2: Wohnraum versus urbane Landwirtschaft
(eigene Aufnahme)
Seine Kontakte zu den Militärangestellten haben bis heute ihren Zweck erfüllt: „But for my plot because of the military I have a certain safe access to the land. Today I’ve got a lot of friends in the high ranking. If any problem occurs, water or land conflicts with other farmers for example, I can contact them and they all problems will be solved.“ (ebd.) Darüber hinaus ist er einer der treibenden Kräfte, die in dem Versuch, eine Urban Farmers Association zu gründen und damit in ihren Belangen und Bedürfnissen für die Behörden sichtbar zu werden, das IWMI als strategischen Partner entdeckt haben. In dieser Funktion hat es Emmanuel auf den immer wieder veranstalteten Workshops zur urbanen Landwirtschaft mittlerweile zu einiger Berühmtheit geschafft. • Karim: Karim ist einer derjenigen Stadtfarmer, die indirekt von dem E-Werk der Volta River Authority (VRA) und der städtischen 150-Meter-Regelung profitieren. Seine Geschichte, die ihn zur urbanen Landwirtschaft geführt hat, habe ich bereits weiter oben geschildert. Sich die Wohlgesonnenheit der VRA zu erhalten, ist für Karim nicht nur deshalb von überlebenswichtiger Bedeutung, weil sie über die Freifläche verfügt, sondern auch weil sie einen machtvollen Verbün-
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deten im Kampf gegen die geplante Verbreiterung der Kanäle darstellt. Die VRA stemmt sich gegen diese anvisierte Baumaßnahme, da sie befürchtet, dass mit einer damit verbundenen Aufweichung der 150-Meter-Regel sie letzten Endes möglicherweise dazu gezwungen wäre umzuziehen. Als Karims Vater damals Obst und Gemüse auf der Fläche anzupflanzen begann, griffen die typischen Argumente für ein sog. care-taker Modell: „The officials of the Volta River Authority were happy that the place was kept tidy, because somebody was taking care of the land. So no one else could mess up the place.“ (Interview Karim, 09.08.06) Darüber hinaus profitieren jedoch viele der Angestellten, auch die besser bezahlten ArbeitnehmerInnen, in direkter Weise von der Nähe zu der landwirtschaftlichen Fläche. Karim überlässt ihnen das Obst und Gemüse oftmals zu Einkaufspreisen. So macht er keinen Verlust, aber die KonsumentInnen zahlen deutlich weniger als auf dem regulären Markt und er hat einen sicheren Absatzmarkt – eine klassische ‚win-win‘ Situation also. Seine zahlreichen Kontakte zu Menschen in der Stadt stellen eine weitere begehrte Ressource des städtischen Farmers dar: Schon mehr als einmal war er den Angestellten bei dem Besorgen eines günstigen Autos, einer preiswerten Reparatur oder von billigen Lebensmitteln, die er selber nicht anbaut, behilflich. Sicherlich zeugen diese Geschichten ebenso von der Geschicklichkeit und dem Variantenreichtum informeller Strategien zur Herstellung zumindest eines Minimums an Landsicherheit wie sie belegen, dass „cities are not sites of hopelessness and despair“ (Seabrook 1996: 6). Gleichzeitig muss aber auch betont werden, dass „the recent enthusiasm for the value of civil society, people’s self-help and community effort“ (ebd.) nicht dazu verleiten sollte, einer „Illusion der Selbsthilfe“ (Davis 2007: 77) anzuhängen. Das bereits erwähnte Verschwinden zahlreicher landwirtschaftlicher Flächen aus dem Stadtbild Accras in den letzten Jahren belegt unübersehbar, dass diesen mehr oder weniger erfolgreichen Geschichten unzählige Misserfolge gegenüber stehen, in denen es nicht gelungen ist, durch stabile Netzwerke den drohenden Verlust der Arbeits- und Einkommensstätte abzuwenden. Die Betrachtung der Arena hat die differierenden, oftmals miteinander in Konflikt stehenden Ansprüche zwischen den einzelnen Akteuren sichtbar gemacht. Die konfligierenden Präferenzen, Werturteile und Wissensbasen und die damit verbundenen ungleichen Machtpotenziale sind meines Erachtens wesentlich für den stockenden Prozess verantwortlich zu machen, der die urbane Landwirtschaft begleitet, aber auch für die unterschiedlichen Fähigkeit der Akteure, Raum(an)ordnungen zu etablieren. Vor einem solchen Hintergrund muss es skeptisch stimmen, wenn offizielle Statements nicht selten ein Hohelied auf die Bedeutung und die Nützlichkeit der urbanen Landwirtschaft anstimmen. Insbesondere Regierungs- und Behördenvertreter äußern sich auf Workshops zur urbanen Landwirtschaft stets positiv über das Potenzial dieses Knotenpunkts des städtischen Versorgungssystems. Die konkreten Maßnahmen, die diesbezüglich ergriffen werden, sprechen jedoch eine andere Sprache: Kon-
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krete Maßnahmen gegen die allgegenwärtige Landunsicherheit der Farmer wie beispielsweise der Ankauf und die Bereitstellung entsprechender Flächen werden ebenso wenig ergriffen wie solche zur Entwicklung alternativer Bewässerungsmethoden. Auch die Praktik der ‚relocation‘ erscheint aus den genannten Gründen als wenig akzeptabel. Die Landbesitzer kommen als strategische Partner der Farmer aus nachvollziehbaren Gründen ebenfalls nur in begrenztem Maße in Frage und auch internationale Nichtregierungs- und Wissenschaftsorganisation verfügen lediglich über beschränkte Eingriffsmöglichkeiten. Aufgrund ihrer schwachen Kapitalausstattung bleiben den städtischen Landwirten nur zwei Möglichkeiten: soziale Netzwerkbildung und eine Veränderung der Bewirtschaftung ihrer natürlichen Ressourcen als adaptives Management an die gegebene Landunsicherheit.
4.2.4 Raum(an)ordnungen, Widerständigkeiten und Ressourcenregime: Wechselwirkungen zwischen sozialen und ökologischen Dynamiken An dieser Stelle gilt es nun wieder an die Überlegungen anzuknüpfen, die im Mittelpunkt der schwierigen Auseinandersetzungen um das Verhältnis von Sozialität und Materialität standen. Der Ausgangspunkt für die anstehenden Überlegungen lautete dort mit Blick auf die Rolle des Räumlichen: Die Strukturierung des Raums durch gesellschaftliche Prozesse hat nicht nur eine symbolische, sondern stets auch eine stoffliche Seite; Alan Lipietz hat in diesem Zusammenhang von der „stofflichen Dimension der sozialen Prozesse“ (Lipietz 1991: 130) gesprochen. Als Leitfaden der Erörterung dienten zwei Fragen: Wie kann diese stoffliche Dimension in ihrer Materialität aus soziologischer Sicht thematisiert werden? Und: Wie kann die Verknüpfung von Materialität und gesellschaftlicher Praxis theoretisch hergestellt werden? Die Diskussion hat deutlich werden lassen, dass trotz einer oftmals gegenteiligen Intention das Verhältnis von Materialität und Sozialität letztlich doch entweder im Rahmen einer dingverhafteten Raumvorstellung zur Seite der Materialität hin aufgelöst oder angesichts der Überformung des materiellen Raums durch den sozialen dessen Eigensinnigkeit in einer Überbetonung seiner Sozialität zum Verschwinden gebracht wird. Als Fundament eines sozial-ökologischen Raumkonzepts wurde daher das relational verfasste Konzept der Raum(an)ordnungen eingeführt, welches auf der Bedeutung der Wechselwirkung von Materialität und Symbolik bei der Konstitution von Räumen beharrte. Entscheidend war dabei, dass Raum(an)ordnungen einerseits als Einheit von materiell-physischen, soziokulturellen und ökonomischen Elementen gedacht wurden, andererseits aber an der prinzipiellen Differenz von natürlichen und sozialen Prozessen festgehalten wurde. Hintergrund dieses Beharrens auf der Unterschiedlichkeit von Natur und Gesellschaft war die Kritik an im weitesten Sinne postmoderne Theorien und deren erkenntnistheoretischer Position, im Rahmen derer der materielle Anteil na-
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türlicher Prozesse immer als das anzweifelbare Resultat spezifischer Repräsentationspraktiken disqualifiziert wurde. Als Alternative zu einer solchen Auffassung wurde eine Sichtweise entfaltet, derzufolge der Materialität in sozialen Prozessen eine Eigensinnigkeit zugesprochen werden kann. Wichtig war dabei die Unterscheidung zwischen vordiskursiv und nicht- beziehungsweise außerdiskursiv (vgl. Weber 2003: 50). Wenngleich es niemals einen vordiskursiven Bezug auf Natur und damit verbundene Prozesse geben kann, impliziert eine solche Erkenntnis nicht die prinzipielle Unmöglichkeit der Bezugnahme auf Außerdiskursives. Der anthropogene Charakter vieler Umweltprobleme unterstreicht die Notwendigkeit sozial-ökologischer Forschung mehr, als er sie unterminiert (vgl. Görg 1999: 176). An diesem Punkt waren schließlich zwei weitere Weichenstellungen von Bedeutung: Zum einen wurden natürliche Prozesse entgegen anti-realistischer Positionen als Widerständiges und ab einem bestimmten Punkt Unverfügbares konzipiert, zum anderen wurde eine Bezugnahme auf diese Negativität in der für den Pragmatismus zentralen Kategorie der ‚Erfahrung‘ gesehen. Ersteres hält entgegen Positionen einer radikalen Kulturalisierung natürlicher Vorgänge am Ressourcencharakter von Natur fest. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass Natur zwar immer durch ihre Einbettung in gesellschaftliche Nutzungskontexte mitgeformt wird, gleichzeitig können diesen Nutzungsabsichten aber immer auch „unkontrollierte und nicht abschätzbare Eigenschaften in die Quere“ (Görg 1999: 177) kommen. Letzteres spielt insbesondere in der dezidiert antidualistisch konzipierten Philosophie Deweys eine wichtige Rolle. Mit Bezug auf William James verstand Dewey den Begriff der Erfahrung als „doppelläufiges Wort“ (Dewey 1995: 25), das die objektive und subjektive Seite zusammenhält: „‚Erfahrung‘ bezeichnet das gepflanzte Feld, die gesäten Saaten, die eingebrachte Ernte, den Wechsel von Tag und Nacht, Frühling und Herbst, feucht und trocken, Hitze und Kälte, die beobachtet, gefürchtet, ersehnt werden; Erfahrung bezeichnet auch den, der pflanzt und erntet, der arbeitet und genießt, hofft, fürchtet, plant, Magier oder Chemie zur Hilfe nimmt.“ (Dewey 1995: 25) Der Sinn der angesprochenen ‚Doppelläufigkeit‘ besteht also in seiner antidualistischen Stoßrichtung und richtet sich gegen die Trennung von Subjekt und Objekt, von Handlung und Material und von Natur und Gesellschaft, indem sie durch eine relationierende Sichtweise ersetzt werden. Erfahrung ist eben nicht nur Erfahrung von der Natur, sondern immer auch Erfahrung in der Natur, da sie immer auch die Reaktionen eines menschlichen Organismus auf die ihn umgebende Umwelt im Kontext gesellschaftlicher, kultureller und sozialer Bedingungen darstellt (vgl. Suhr 1993: 115). Betrachtet man die Raum(an)ordnungen in Accra vor dem Hintergrund ihrer historischen Gewachsenheit sowie ihrer Einbettung in die Alltagswirklichkeit und damit verbundener Bedürfnisse einzelner Akteure, so kommt es zu einer Aufhebung der „Dichotomie zwischen den reproduktiven und den produktiven Tätigkeiten…und – damit verbunden – [der] Trennung von Wirtschafts-, Lebensund Naturraum“ (Hofmeister/Scurell 2006: 279). Diese „Prozesse des Erfah-
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rens“ (Dewey 1995: 25) gilt es nun in Bezug auf die urbane Landwirtschaft und der darin involvierten Farmer näher zu betrachten. Die historischen, institutionellen und sozialen Dynamiken der Raum(an)ordnungen, die die Versorgungspraxis der Farmer wesentlich vorstrukturieren, wurden in den letzten Abschnitten freigelegt. Dabei wurde deutlich, dass die Urbanisierungspfade Ghanas ihre Prägung wesentlich kolonial-europäischer Eingriffe verdanken. Insbesondere Accra absorbierte den Großteil der durch die wirtschaftliche Transformation in ihrer Richtung veränderten Migrationsströme, wobei mit dem raschen Wachstum eine enorme Ausdehnung der bebauten Fläche als Begleiterscheinung einherging. Als Resultat unterliegen insbesondere urbane Landwirtschaftsflächen den dynamischen Wandlungsprozessen. Ein derartiger Konvertierungsprozess und damit verbundene konflikthafte Auseinandersetzungen werden von einer Situation des Rechtspluralismus begleitet, die die Unsicherheit in Bezug auf den Zugang zu Land nochmals verschärft. Angesichts ihrer schwachen Kapitalausstattung verfügen die Farmer in Bezug auf diese spezifischen Raum(an)ordnungen nur über eine begrenzte Spacingfähigkeit. Unter ‚Spacing‘ als einem fundamentalen Prozess der Raumkonstitution wurde im Anschluss an die Ausführungen von Martina Löw „das Platzieren von Gütern und Menschen beziehungsweise das Positionieren primär symbolischer Markierungen, um Ensembles von Gütern und Menschen als solche kenntlich zu machen“ (Löw 2001: 158) verstanden. Diese Möglichkeit, symbolische und materielle Dinge zu Raum(an)ordnungen zu verknüpfen, sind aufgrund des ungleichen Zugangs zu raumkonstituierenden Ressourcen auch entsprechend ungleich verteilt; ungleich verteilt sind aber auch die kulturellen, ökonomischen und sozialen Ressourcen, um sich an veränderte Raumsituationen anzupassen. Mit Blick auf die gesellschaftliche Seite eines solchen lokalen Ressourcenregimes konnten die institutionellen und normativen Regulationen, die die Nutzung von Räumen durch unterschiedliche Gesetze, Normen, Macht- und Kontrollbeziehungen sowie Eigentumsformen kodifizieren, sichtbar gemacht werden. Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang aber nun die stadtökologischen Elemente? Eine Möglichkeit der Reaktion auf die oben beschriebenen Ordnungsprinzipien war das bewusste und strategische Betreiben von Netzwerkbildungen, in der Hoffnung, dadurch ein Aufbrechen sozialer Schließungsprozesse zumindest ein Stück weit zu ermöglichen. Eine weitere Möglichkeit, der ich mich im Folgenden zuwenden möchte, besteht allerdings in einer Veränderung der mit einer Bewirtschaftungspraxis verbundenen Handlungen und Techniken. In dem beschriebenen ernährungssichernden Funktionszusammenhang zwischen nomadischen Lebensformen, ökologischen Bedingungen und der Organisation der Sozialstruktur spielten die beiden Anbautechniken des ‚intercropping‘ und des Wanderhackbaus eine wichtige Rolle. Beide landwirtschaftlichen Kulturtechniken dienten dabei einem wichtigen, lebenserhaltenden Ziel: der Sicherstellung ausreichender Bodenfruchtbarkeit. In Bezug auf die Landwechselwirtschaft ist die Länge der Erholungsphase von der Art der Nutzung, der Pflanzen, klimatischen Bedingungen
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und der Bodenqualität abhängig. Bei tropischen Böden, welche meist tiefgründig verwittert und nährstoffarm sind, kann die Regenerationsphase bis zu 25 Jahre dauern. Durch die tropischen Rahmenbedingungen wie Feuchtigkeit und Temperatur und durch das hohe Alter der Böden ist deren Fähigkeit zur Speicherung von Nährstoffen stark eingeschränkt. Insbesondere in tropischen Gebieten wird durch diese Form der Bewirtschaftung verhindert, dass die dünne Humusdecke abgespült und dauerhaft Nährstoffe in tiefere Bodenbereiche geschwemmt werden, wo sie für die Pflanzen nicht mehr erreichbar sind (vgl. Rice/Greenberg 2000). Die Anbautechnik des intercropping verfolgt im Grunde genommen das gleiche Ziel, obwohl sie gemeinhin als weniger effektiv gilt. Der geregelte Anbau verschiedener Ackerfrüchte auf derselben landwirtschaftlichen Nutzfläche nachund nebeneinander und von Pflanzen mit unterschiedlichen Wachstumszeiten, Wurzelsystemen (Flachwurzler und Tiefwurzler), Nährstoffansprüchen und Krankheitsanfälligkeiten soll die Bodenfruchtbarkeit erhalten und möglichst vermehren. Zusätzlich soll die Fruchtfolge die Krankheitsgefährdung der Ackerfrüchte auf ein Mindestmaß herabsetzen. Nachdem die verstärkte Wiederaufnahme von urbaner Landwirtschaft mit der schweren Wirtschafts- und Versorgungskrise Anfang der 1980er Jahre überwiegend von Migranten aus den ländlichen Gebieten betrieben wurde (vgl. AsomaniBoateng 2002), fanden in den Anfangsjahren auch im urbanen Raum Accras diese Techniken eine weite Verbreitung (vgl. Zhang/Owiredu 2007). Mit der zunehmenden Zerstörung landwirtschaftlicher Nutzflächen und der Verschärfung der Landrechtskonflikte vollzogen sich jedoch als Folge dieser sozialen Krisendynamiken zwei schwer wiegende Verschiebungen im Bereich der städtischen Landwirtschaftstechniken. Zum einen wurden und werden die Brachezeiten infolge der Landunsicherheit erheblich verkürzt, wenn nicht gar komplett aufgegeben: „However, due to the insecurity of future land rights … there is no guarantee that the cultivator can keep fallow land for his or her own use in the future. The only feasible strategy to guarantee use rights is to use the land continuously.“ (Otsuka et al. 2003: 78) Da sie keine Landrechte besitzen bauen die Bauern vermehrt schnell wachsende Pflanzen mit kurzen Wachstumszyklen an: Mais, der maximal zweimal pro Jahr geerntet werden kann, im Anbau sehr wasserintensiv ist und im Vergleich zu dem Aufwand nur wenig Geld einbringt, findet sich bezeichnenderweise nur im peri-urbanen Raum Accras auf ‚sicheren‘ Landflächen (Vgl. Obouobie et al. 2006: 77). Im stark durch Unsicherheiten geprägten innerurbanen Raum überwiegen dagegen Pflanzensorten, die mehrmals im Jahr geerntet und damit kontinuierlich angebaut werden können sowie in ökonomischer Hinsicht ertragreicher sind: „I know many farmers around here who came one day to their fields and they were told by the land owners that they can’t use his land anymore. You can do nothing about this. The only possibility you have is to use, to use, to use your land, because tomorrow there might be no land anymore.“ (Interview Justice, 10.08.06) Zum anderen gehen viele Bauern in einer Abkehr des intercropping zu einer monokulturellen Nutzung ihrer Flächen
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über, denn das spart die Kosten für das Saatgut anderer Pflanzen und minimiert den Aufwand bei der Pflege. Auch hier werden vor allem Produkte angebaut, die sich auf städtischen Märkten gewinnträchtig verkaufen lassen. Monokulturen zeichnet im Allgemeinen der Nachteil aus, dass sie den Böden einseitig Mineralien entziehen und die Verbreitung pflanzenspezifischer Schädlinge begünstigen. Beides sind Erfahrungen, die Bauern in Accra in den letzten Jahren vermehrt gemacht haben: „Year by year the growth of my carrots decreased. Formerly they were big and had a good colour, but now, because they are too small and not so shiny, people at the market prefer carrots from Togo. There soil quality is still good“. (Interview Ruby,11.08.06) Bezüglich des Schädlingbefalls äußert sich ein anderer Farmer: „The greatest problems with urban agriculture are lack of land and water resources. But we have also serious pest problems. Especially after the rainy season this is very dangerous and very often we have serious harvest losses.“ (Interview Robert, 02.08.06) Die in diesen Interviewpassagen zum Ausdruck kommenden Erfahrungen liefern erste Anzeichen dafür, dass eine Vereinnahmung städtischer Natur als ausschließlich durch menschliche Praxis und deren Geschichte Konstituiertes in diesem Fall nicht weit trägt und sich erste Anzeichen des Versagens von Aneignungs- und Beherrschungsstrategien ankündigen. Diese erfahrenen Wechselwirkungen zwischen einer spezifischen Versorgungspraxis und der materiellen Umwelt führen im Sinne einer praktischen Bewältigung dieser Wirklichkeit im Rahmen einer experimentellen Interaktivität zu einer Reihe von Anpassungsstrategien. So kehren einige Bauern zu einer modifizierten Variante des intercropping zurück, indem sie zusätzlich einige Nutzpflanzen anbauen, die auf natürliche Weise zur Schädlingsbekämpfung beitragen. Der von solchen Pflanzen produzierte Blattnektar lockt als Nahrungsquelle eine Reihe von räuberischen Insekten, wie beispielsweise Ameisen, an, die sich im Gegenzug als natürliche Verteidiger gegen Fraßschädlinge und Pilzbefall ‚revanchieren‘. Bei dieser Praktik handelt es sich allerdings nicht um formalisierte Wissensbestände, mit deren Hilfe diese Zusammenhänge hergestellt werden könnten, sondern um praktisch erworbenes Erfahrungswissen: „My father had a lot of experience in urban agriculture. When he came from the Northern Region he practiced farming already years and years. Here in Accra, he had always the same plot, so he knew this site very well. It’s from him I’ve learned to plant certain crops, because they reduce the risk of pest.“ (Interview Karim, 09.08.06) Eine weitere Anpassungsstrategie, die im Gegensatz zu der eben beschriebenen Form der natürlichen Schädlingsbekämpfung weiter verbreitet ist, ist der Einsatz von künstlichen Düngemitteln und die Verwendung von Pestiziden. Richtig verwendet, kann künstlicher Dünger durchaus positive Wirkungen erzielen und auf nachhaltige Weise zu einer Verbesserung der Ernteergebnisse beitragen. Ein über einen längeren Zeitraum erfolgender unsachgemäßer Einsatz kann dagegen langfristige Schäden verursachen. Bei zu starker Ausbringung von anorganischen Düngern besteht die Gefahr, dass der Boden überdüngt und damit die
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Bodenfauna nachteilig verändert wird, was wiederum zu Lasten der Erträge und der Qualität der Ernte geht. Eine Reihe von Düngemitteln tragen zur Bodenversauerung und einer Erhöhung der Salzkonzentration bei. Beide Auswirkungen können ohne Ausgleichsmaßnahmen zu einer Beeinträchtigung der Strukturverhältnisse im Boden und in der Folge zu erheblichen Ernteeinbußen führen. Überdies werden die nicht von den Pflanzen aufgenommenen künstlichen Düngerbestandteile in das Grundwasser ausgeschwemmt und können dadurch dessen Qualität erheblich gefährden (vgl. als Übersicht Schilling 2000). Aus den von mir geführten Interviews sowie aus neueren Erhebungen zu den landwirtschaftlichen Praktiken in Accra geht klar hervor, dass der Einsatz von künstlichen Düngemitteln signifikant zugenommen hat. Obwohl künstlicher Dünger verhältnismäßig teuer ist, versuchen dennoch viele der Farmer, den spürbaren Rückgängen in den Ernteerträgen als Folge der voranschreitenden Auslaugung der Böden mit einem erhöhten Einsatz von anorganischen Hilfsmitteln entgegenzuwirken (vgl. Oboubie et al. 2006). Dabei hat insbesondere die Unkenntnis vieler Farmer in Bezug auf die Wirkungsweisen unterschiedlicher Mittel oft fatale Konsequenzen: „Many people don’t know how to use fertilizer. The city officials try sometimes to help and to educate the farmers, but there are not enough of them. The Ministry for Food and Agriculture prints information about how to use the fertilizer, but many of the farmers can’t read, so they are useless. So if a farmer wants to buy a fertilizer and in the shop they don’t have the one he uses normally, he just buys another product, because very often the man in the shop is not a farmer, so he has no knowledge about the effect of different fertilizers on a plant. But if you use the wrong one, you can loose everything.“ (Interview Emmanuel, 09.08.06) Ein solcherart unsachgemäßer Einsatz kann schnell in einen Teufelskreis münden: Als Reaktion auf reduzierte Erträge kommen künstliche Düngemittel zum Einsatz, die zu einer weiteren Abnahme der Furchtbarkeit führen, was wiederum durch einen verstärkten Einsatz anorganischen Düngers zu kompensieren versucht wird. In Accra finden sich eine ganze Reihe von diesen Flächen, wo sich die Ökologie der Stadt diesen Aneignungsstrategien auf eigensinnige Weise widersetzt, indem sie sich den intendierten Nutzungen entgegenstellt: „Sometimes I think I had to give up my plot because I had no respect for the land. My father taught me, that the land is giving us food, so we have to treat it with respect. Using fertilizer, the land isn’t able to recover, it is becoming more and more tired and at the end it is dead. I used the plot for 20 and more years, and now it is dead. There is no plant growing any more.” (Interview Justice, 10.08.06) So führen Intensivierung und vorangetriebene Kommerzialisierung als Reaktion auf das lokale Ressourcenregime Accras zu einer verstärkten Ausbeutung der landwirtschaftlichen Ressourcen, deren nicht-nachhaltige Nutzung im Extremfall zu einem Grad der Bodendegradation führen kann, der die städtischen Flächen zum Anbau von Nahrungsmitteln völlig unbrauchbar macht. Rekonstruieren lässt sich dieser Zusammenhang als eine sich selbst verstärkende Rückkopplung zwischen den sozialen Dynamiken der Raum(an)ordnungen und deren
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natürlich-materiellen Komponenten, wobei in diesen Rückkopplungsprozessen die bereits erwähnte Resistenz gegen die „völlige Vereinnahmung und den identitätslogischen Zusammenschluss von Realem und Symbolischen, Natur und Kultur … wie sie in den entmaterialisierten Erzählstrategien aktueller Erkenntniskritik … zu beobachten ist.“ (Weber 2003: 281) Die Strukturen der untersuchten Raum(an)ordnungen sind dabei das Ergebnis einer historisch situierten Verknüpfung der einzelnen sozialen und ökologischen Elemente durch das Zusammenspiel der verschiedenen Akteure.
5 . S o z i a l - ö k o l o g i s c h e W e c h s e lw i r k u n g e n z w i s c h e n U r b a n i s i e r u n g s p r o z e s s e n u n d d e m S ys t e m d e r N a h r u n g s ve r s o r g u n g i n Ac c r a : Z u s a m m e n f a s s u n g Die Analysen im Rahmen der Fallstudie haben deutlich gezeigt, dass demografische Prozesse nicht per se zu problematischen Situation führen, sondern wesentlich als das Aufeinandertreffen zweier kultureller Systeme, dem indigenen und dem kolonialen, und den komplexen postkolonialen Verflechtungen die daraus resultierten, begriffen werden müssen. Übergreifend betrachtet haben sich bei der Transformation des ghanaischen Nahrungsversorgungssystems drei Faktoren als entscheidend heraus kristallisiert: 1. der Verstädterungsprozess Ghanas und ein damit verbundener Struktur- und Funktionswandel durch die Kolonialmächte; 2. die durch einen solchen Funktions- und Strukturwandel der ländlichen Gebiete ausgelöste Transformation traditioneller Produktionsweisen durch anhaltende Migrationsprozesse und 3. die enge Verbindung zwischen ländlicher und städtischer Entwicklung. Wie in anderen Teilen der Welt spielt bis heute für die Versorgung der Stadt Accra als sog. ‚Food deficit area‘ die ländliche Landwirtschaft die tragende Rolle. Naturräumliche Unterschiede und kulturelle Eigenheiten der Stämme haben in historischen Zeiten zu einem außerordentlich hohen Variantenreichtum von Anbausystemen und Bodennutzungen mit entsprechend komplexen Wissensbeständen geführt. Dieses in der vorkolonialen Zeit weithin gut funktionierende System erfuhr einen ersten empfindlichen Eingriff zu Zeiten der britischen Kolonialisierung, denn während die koloniale Regierung ein ausgeklügeltes System von Produktionsanreizen für den Kakaoanbau schuf, dümpelte die landwirtschaftliche Entwicklung sich selbst überlassen jahrzehntelang nur vor sich hin beziehungsweise wurde vollständig auf die Kultivierung von cash crops hin ausgerichtet. Das traditionelle Anbausystem der Regenwaldzone war lange Zeit der Wanderhackbau, der nicht nur eine wichtige Funktion im sozialen System Ghanas besaß, sondern auch die Versorgung der städtischen Zentren absicherte. Die geschilderten kolonialen Maßnahmen führten zu einer empfindlichen, von außen dominierten Verlagerung der Migrationsströme hin zu den wenigen kolonialen urbanen Brückenköpfen. Damit wurde ein Kreislauf in Gang gesetzt, der bis heute in sei-
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nen Auswirkungen zu spüren ist: Durch die Abwanderung der qualifiziertesten Arbeitskräfte erleidet der ländliche Raum anhaltend einen sog. ‚brain drain‘ (Twumasi-Ankrah 1995: 13). Die am Ort Verbliebenen sind vielfach nicht mehr in der Lage, die Verluste an Wissen und Arbeitskraft zu kompensieren, was in der Folge zu erheblichen Produktionseinbußen und einer Gefährdung der Nahrungsversorgung führt. Diese Krisenhaftigkeit wird weiterhin durch den Umstand verschärft, dass der prozentuale Anteil von Alten und Kindern durch die Migration steigt, so dass immer weniger Menschen mehr Erwerbstätige ernähren müssen, was seinerseits die Migrationsspirale erneut weiter dreht. Eine solche ländliche Versorgungskrise verschlechtert allerdings angesichts der vielfältigen ‚ruralurban links‘ auch die urbane Versorgungslage: Die landseitige Produktion bricht mehr und mehr weg und die migrationsbedingte soziale Desintegration gefährdet die Funktionsfähigkeit der überlebenswichtigen sozialen Netzwerke. Mehr verstärkt als unterbrochen wurde dieser Teufelskreislauf noch durch die Strukturanpassungsprogramme der Weltbank in den 1980er Jahren, die in dem althergebrachten Wanderhackbau und den damit verbundenen traditionellen Lebensformen ein Haupthemmnis auf dem Weg zu einer modernen Agrarwirtschaft identifizierte. Neben diesen gezielten Eingriffen spielen jedoch die nach wie vor anhaltenden Migrationsströme in die beiden Städte Accra und Kumasi, eine Folge der ländlichen Armut und der damit verbundenen Unterversorgung, eine den traditionellen Wanderhackbau unterminierende Funktion, so dass hier die koloniale Geschichte ihre Fortsetzung fand: Immer weniger Menschen entscheiden sich im Rahmen eines traditionellen Lebensstils für den Wanderhackbau als Teil des tradierten System der Nahrungsversorgung. In der Folge wurden im Rahmen von agrarwirtschaftlichen Maßnahmen vor allem in den 1970er und 1980er Jahren Programme der landwirtschaftlichen ‚Erziehung‘ lanciert. In dem Bestreben, binnennationale MigrantInnenströmme einzudämmen, wurden Formen des sesshaften Ackerbaus und der landwirtschaftlichen Produktion staatlich gefördert. Der dadurch entstehende sesshafte Ackerbau konnte sich bis in die 1990er Jahre einigermaßen etablieren, bis dann eine neue Urbanisierungswelle eine bis heute anhaltende Landflucht einleitete. Vor allem jüngere Arbeitskräfte wandern in der Hoffnung auf bessere Lebens- und Verdienstmöglichkeiten in die anwachsenden Städte ab. Häufig soll und muss dabei jedoch die auf dem Land gebliebene Familie finanziell mitversorgt werden. Aufgrund der insgesamt schlechteren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bewirken diese Bewegungen Strukturschwächungen und Versorgungsprobleme sowohl der Städte als auch der ländlichen Regionen: Durch Wegfall der leistungsfähigsten Arbeitskräfte wird die landwirtschaftliche Produktivität vermindert, bis hin zur Gefährdung der Selbstversorgung. Hinzu kommt, dass die im Rahmen der Strukturanpassungsprogramme neu entstandenen, agrarisch geprägten Versorgungsstrukturen wegen der notwendigen Lokalkenntnisse für den erfolgreichen Anbau, aber auch auf Grund der meist komplexen Eigentumsregelungen der Produktionsmittel zumeist eine relativ sesshafte Bevölkerung erfordern. Auch hier
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wird deutlich, dass der Ursprung der Probleme der Nahrungsversorgung nicht primär im Bevölkerungswachstum und dem damit gestiegenen Bedarf als solchen liegen, sondern in einer historisch gewachsenen Krisenhaftigkeit zu suchen ist. In der Betrachtung der urbanen Landwirtschaft als Knotenpunkt der städtischen Nahrungsversorgung wurde schließlich in exemplarischer Weise die Gewachsenheit spezifischer sozial-ökologischer Problemlagen nachgezeichnet, die die bestehenden Raum(an)ordnungen als Resultat einer Verbindung von einheimischen Kulturen und Versorgungspraxen, kolonialer Hinterlassenschaften und postkolonialer Entwicklungen deutlich machten. Als Effekt der krisenhaften Transformation des ghanaischen Nahrungsversorgungssystems trägt die urbane Landwirtschaft mit 15% einen erheblichen Anteil an der Sicherung der Versorgung der Stadt Accra, vor allem in Bezug auf schnell verderbliches Obst und Gemüse. Bei der urban agriculture handelt es sich in Bezug auf die Nahrungsversorgung um eine Kombination von marktorientierten ebenso wie vom Markt unabhängigen Formen der Subsistenzproduktion. Zielsetzung dieser Aktivitäten ist stets eine Risikominderung durch eine Risikostreuung. Im Zuge von Urbanisierungsprozessen gerät nun der bereits erwähnte wichtige Beitrag der urbanen Landwirtschaft zur Nahrungsversorgung zunehmend unter Druck. Die Möglichkeit urbaner Landwirtschaft setzt zuallererst die faktische Kontrolle über ein entsprechendes, bewirtschaftbares städtisches Territorium voraus. Dieses wird jedoch immer knapper, da durch den typisch afrikanischen, flächenhaften Charakter des Stadtwachstums umliegende, für die landwirtschaftliche Lebensmittelproduktion potenziell nutzbare Anbauflächen zerstört werden. In Accra gehen jedes Jahr im Durchschnitt 3000 Hektar entweder direkt durch Häuserbau oder indirekt durch Sand- und Steingewinnung für den Häuserbau verloren. Die Auseinandersetzungen um die Kontrolle dieser Brachflächen und damit verbundener Flächennutzungen steigen somit angesichts dynamischer Urbanisierungsprozesse zunehmend an, denn in immer stärkeren Maße konkurrieren um einen Ort unterschiedliche „Funktionsräume“ und damit verbundene Nutzungen. Aus sozialökologischer Sicht ist eine direkte Folge dieser Vernichtung landwirtschaftlicher Nutzflächen durch Städtewachstum das Ausweichen in ökologisch äußerst sensible Gebiete, wie beispielsweise das Lagunengebiet der Stadt Accra oder die ökologisch ebenfalls sensiblen Küstensavannen, und eine nicht-nachhaltige Nutzung dieser Anbauflächen zur Nahrungsmittelproduktion in Folge kürzerer Fruchtfolgen und damit verbundener Bodendegradation, die absehbar zu einer weiteren Verknappung der Nahrungsmittelmenge führen wird. Ein diese Konkurrenzen verschärfendes Problem liegt in der unklaren rechtlichen Regulierung der Eigentumsverhältnisse städtischer Räume, die nicht zuletzt ein Erbe der durch den Kolonialismus initiierten urbanen Transformationen ist und in Bezug auf die städtisches Landnutzung ein spezifisches Ressourcenregime etabliert hat. Vor allem die bereits angesprochene nicht-nachhaltige Nutzung urbaner Grünflächenstücke in Form einer Verkürzung der Fruchtfolgen und der damit einhergehenden Auslaugung der Böden ist ein wesentlicher Effekt dieser
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unsicheren rechtlichen Lage hinsichtlich der Landnutzung. Verschärft wird dieser Kreislauf durch die hohen Verluste von Nahrungsmitteln stadtferner Produktionsorte in Folge einer ungenügenden Infrastruktur und dem Fehlen nahezu aller Formen von ‚Stadtplanung‘, die ein Ausweichen in diese ökologisch sensiblen Gebiete unterbinden könnte. Diese beiden Effekte haben wiederum unmittelbare monetäre Auswirkungen. Sowohl die Verknappung landwirtschaftlich nutzbarer Flächen als auch die Strukturschwächungen der ländlichen Regionen führen zu einem spürbaren Preisanstieg der Lebensmittel. Die Zerstörung urbaner landwirtschaftlicher Nutzflächen führt zu einer Verlängerung der Transportwege und die dadurch gestiegenen Kosten werden direkt an die Konsumenten weitergegeben. Weiterhin zwingt die Schwächung der eigenen landwirtschaftlichen Produktivität nicht selten zu teuren Nahrungsmittelimporten. Beides hat insofern für die Versorgung der Bevölkerung dramatische Folgen, als bis zu 95% der Lebensmittel in Accra käuflich erworben werden müssen und ohnehin schon einen großen Anteil der Haushaltskosten verschlingen. Damit wird die erfolgreiche Regulierung des Versorgungssystems im Kern von einem kolonial initiierten Rechtpluralismus lokaler Ressourcenregime bedroht. Hier wird auch der Anteil schwacher politischer Institutionen an der Konstitution sozial-ökologischer Problemlagen in Accra allzu offensichtlich: So fällt es vor allem gerade den ärmeren Bevölkerungsschichten, die überproportional in der urbanen Landwirtschaft vertreten sind, in den Verhandlungsprozessen und auftretenden Konflikten aufgrund mangelnden finanziellen, aber auch sozialen und kulturellen Kapitals schwer, ihre eigenen Interessen effektiv durchzusetzen. In den Anfangszeiten rascher Urbanisierungsprozesse war die Rechtsoffenheit Ermöglichungsgrundlage einer erfolgreichen Adaptionsstrategie des aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Situation und den anhaltenden Land-Stadt Wanderungen in die Krise geratenen städtischen Nahrungsversorgungssystems, indem auf diesen Flächen verstärkt urbane Landwirtschaft betrieben wurde; heutzutage bedroht aber gerade dieser Rechtspluralismus eine erfolgreiche Adaption des Versorgungssystem, so dass man formulieren könnte: Die Ermöglichungsgrundlagen von gestern sind die Hemmnisse von heute. Die problemorientierte Betrachtung der Nahrungsversorgung hat sowohl die historische Gewachsenheit der Problemlagen freigelegt als auch auf aktuell krisenhaft verlaufende Entwicklungen als Resultat fehlgeschlagener Regulation fokussiert, die ihren Ursprung in relativ zeitnahen Ereignissen haben. So ist beispielsweise bezüglich des demografischen ‚Beitrags‘ zur Krisenhaftigkeit der Nahrungsversorgung deutlich geworden, dass die kurz- bis mittelfristig schwankenden Land-Stadt Migrationen als Folge von Urbanisierungsprozessen beobachtbare sozial-ökologische Krisendynamiken viel stärker bedingen als die verhältnismäßig langfristigen Prozesse der natürlichen Bevölkerungsentwicklung. Die exemplarische Analyse des Beispielknotens ‚urbane Landwirtschaft‘ hat weiterhin deutlich werden lassen, dass die multidisziplinäre Struktur des Gegenstandbereichs ‚Versorgungssystem‘ durch einen disziplinär beschränkten Zugang
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erschwert worden wäre, da die spezifischen Probleme sowohl ökologische, stadthistorische, stadtplanerische, ökonomische und sozialwissenschaftliche Aspekte umfasst: „Simply to assert that population growth is the ‘problem‘ and the ‘cause‘ of environmental degradation is to ignore the particular and place-specific processes that link the degradation of agro-ecosystems with population growth.“ (Webber 1996: 447)
V. Schlussbemerkung: Zur Adaptivität von Versorgungss ystemen – eine andere Perspektive
Am Abend des 12. Juni 2007 strahlte die ARD die Sendung „Menschen bei Maischberger“ mit der Moderatorin Sandra Maischberger und den Gästen Altbundeskanzler Helmuth Schmidt und Altbundespräsident Richard von Weizsäcker aus. Im Laufe dieser Sendung äußerte sich der ansonsten stets differenziert argumentierende Helmuth Schmidt auf überraschende Weise zum weltweiten Bevölkerungswachstum: „Angesichts der Überbevölkerung sind soziale und sogar kriegerische Konflikte unvermeidbar.“ Die Frage, die daher seiner Ansicht nach für das 21. Jahrhundert absolute Priorität genießen müsse, sei, wie man die „Bevölkerungsexplosion dämpfen oder gar stoppen“ könne. Ich habe im Laufe der Arbeit viele Argumente dafür geliefert, dass eine solche ‚Demografisierung‘ und damit unterschwellige Naturalisierung bestimmter, mit demografischen Entwicklungen zusammenhängender Problemlagen der Komplexität der Sachlagen so gut wie nie gerecht wird, sondern dass es sich dabei stets um multifaktorielle Problemkonstellationen handelt. Ebenso wenig wie sich mehr Menschen zwangsläufig und monokausal auf schädliche Weise auf die Umwelt auswirken, etablieren weniger Menschen nicht per se nachhaltigere Lebensweisen. Die entscheidende Frage, die jüngst Jared Diamond in seinem viel beachteten Buch „Kollaps“ (2005) auf sehr viel drastischere Weise stellt, muss vielmehr lauten: Wie gehen Gesellschaften mit Bedrohungen um und warum überleben manche und andere nicht? Wenig zielführend erscheint in diesem Zusammenhang die Reduktion der Analyse auf quantitative Zahlenspiele, denn „simple growth rate figures tend to mask the complexity of the problem“ (Shepard 1996: 18). Auch wenn Jared Diamond an vielen Stellen andere Wege geht als die Soziale Ökologie, so ist sein Ausgangspunkt demjenigen der Sozialen Ökologie doch recht ähnlich. Er geht davon aus, dass Menschen, wollen sie ihre Grundbedürfnisse befriedigen und überleben, sich Natur aneignen müssen und dass „die nachhaltige Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen … immer schwierig“ (Diamond 2005: 23, Hervorh.i.O.) war und bleiben wird. Um die daraus resultierenden komplexen Beziehungen von Menschen beziehungsweise einzelner ge-
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sellschaftlicher Teilbereiche zu ihren jeweiligen natürlichen und gesellschaftlichen Umwelten zu untersuchen, verwendet die Soziale Ökologie die Begriffe Regulation, Transformation und Adaptivität. Die dynamischen Beziehungsmuster zwischen dem Gesellschaftlichen und dem Natürlichen als reguliert zu betrachten, bedeutet, dass ihr Verhältnis durch das Zusammenspiel von sozialen, kulturellen und ökologischen Wirkungszusammenhängen geprägt wird. Ein solches Verständnis impliziert nicht, dass derartige Regulationen das intendierte Ergebnis zielgerichteter Handlungen einzelner AkteurInnen darstellen, wohl aber, dass Gesellschaften beziehungsweise soziale Gruppierungen in der Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse ihr Verhältnis zur Natur regulieren müssen und in diesem Zusammenhang historisch situierte gesellschaftliche Naturverhältnisse etablieren. Das Konzept der Regulation beinhaltet damit wesentlich die Annahme, dass Beziehungsmuster zwischen Natur und Gesellschaft untersucht werden müssen und nicht isolierbare Einzelphänomene. Regulationen können aber auch fehlschlagen beziehungsweise problematische Entwicklungen verursachen, wobei als ‚problematisch‘ gilt, wenn sich die Beziehungsmuster so verändern, dass entweder irreversible ökologische Schäden auftreten und/oder die Reproduktion und Entwicklungsfähigkeit gesellschaftlicher Zusammenhänge gefährdet sind (vgl. Hummel/Kluge 2006: 248f.). Der Begriff der Transformation wiederum verweist darauf, dass Regulationsformen selbst in geschichtliche Dynamiken eingebunden sind und diese sowohl prägen als auch von ihnen geprägt werden. Transformationen verweisen damit auf die historischen Einbettungen gesellschaftlicher Naturverhältnisse und implizieren das Verständnis des „Gewordenseins des Gegenwärtigen“ (Kluge/Hummel 2006: 260). Bei dem Begriff der Adaptivität schließlich handelt es sich meines Erachtens weder um eine verkappte Biologisierung gesellschaftlicher Prozesse noch sozialwissenschaftlicher Theoriebildung. Vielmehr gilt es auch gerade für Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler, von lieb gewonnen Selbstverständlichkeiten und identitätsstiftenden Reflexbewegung Abstand zu nehmen, die bei dem Wort ‚Anpassung‘ sofort zusammen zucken – vielleicht hilft es auch, anstatt des Begriffs der Adaptivität das im angloamerikanischen Wissenschaftsbetrieb gebräuchlichere ‚resilience‘, das man mit Robustheit übersetzen könnte, zu gebrauchen (vgl. Berkes/Colding/Folke 2003, Walker et al. 2004, Folke et al. 2005). Robustheit lässt sich dabei definieren „as the capacity of a system to absorb disturbance and reorganize while undergoing change so as to still retain essentially the same function, structure, identity, and feedbacks“ (Folke et al. 2005:443). Somit geht es auch nicht um die Anpassung von ganzen Gesellschaften als vielmehr von funktionalen Teilbereichen. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde deshalb deutlich gemacht, dass Nahrungskrisen weniger auf ein ‚verlorenes Gleichgewicht‘ oder eine überstiegene Tragfähigkeit der Erde zurück zu führen sind, sondern vielmehr auf eine mangelnde Adaptivität von Versorgungssystemen als Folge sozialer und ökologischer Krisendynamiken verstanden werden können. Wissen über diese Prozesse „comes from an understanding of not only these components but of their interre-
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lations as well” (Berkes/Colding/Folke 2003: 5). Dass ein solches Verständnis der Vermitteltheit sozialer und ökologischer Prozesse schwer wiegende erkenntnistheoretische Fragen aufwirft, dürfte im Laufe der Arbeit deutlich geworden sein. Als Antwort auf diese Frage wurde die Untersuchung von Raum(an)ordnungen gegeben: In einer Betätigung als „Archäologen des Raums“ (Lévi-Strauss 1978: 37) ist es möglich, die Verhältnisse zwischen Natur und Gesellschaft denkbar zu machen und schließlich zu gestalten. Das Leitbild einer so verstandenen Anpassung ist das der Nachhaltigkeit. Es ist der Versuch, trotz aller kritischen Distanz zu den prometheischen Versprechen der Moderne und dem damit verbundenen technokratischen Steuerungsoptimismus an der Vorstellung der Gestaltbarkeit von gesellschaftlichen Naturverhältnissen und damit an der Möglichkeit wissenschaftlicher Erkenntnis festzuhalten, die im philosophischen Verständnis des Pragmatismus ‚wahr‘ ist und deren Leitstern die Deweysche Frage bildet: „Führt sie zu Schlussfolgerungen, die dann, wenn sie auf die gewöhnliche Lebenserfahrungen und ihrer Probleme zurück bezogen werden, diese bedeutsamer, erhellender und unseren Umgang mit ihnen fruchtbringender machen?“ (Dewey 1995: 24) Entscheidend ist dabei die Annahme, dass eines solches Handlungswissen die Erzeugung von Systemwissen voraussetzt: „Planvoll gestaltendes und steuerndes Eingreifen im Kontext nachhaltiger Entwicklung erfordert ein Verständnis der komplexen Wirkungszusammenhänge zwischen ökologischen, sozialen und ökonomischen Prozessen.“ (Keil/Hummel 2006: 244) Adaptivität vereint somit eine analytische und ein normative Seite, die sich beide wechselseitig bedingen: In analytischer Hinsicht geht es um die Identifikation von kritischen Verzweigungspunkten von Entwicklungen, an denen sie in krisenhafte Entwicklungen übergegangen sind beziehungsweise übergehen können. Die normative Seite von Adaptivität äußert sich darin, dass es nicht um die deterministische Anpassung von Gesellschaften an natürlich vorgegebene Zwänge geht. Stattdessen geht es immer um gesellschaftlich gefilterte Prozessbeurteilungen und -entscheidungen, die nicht nur das ‚Wohin‘ vorgeben, sondern auch das ‚Auf welchem Weg‘. Eine Einschätzung kritischer Übergänge kann somit nur vor dem Hintergrund des Konzepts der Nachhaltigkeit erfolgen. Adaptivität umfasst damit stets beides, die Analyse und die Bewertung alternativer Entwicklungspfade. Für die in den nächsten Jahren vorzunehmenden Weichenstellungen hin zu einer nachhaltigeren Entwicklung werden Städte eine entscheidende Rolle spielen. Dieser Bedeutungsgewinn ist das zwangsläufige Resultat eines Trends, der nicht mehr rückgängig zu machen ist: Im Zuge des durchschlagenden Erfolgs der Siedlungsform Stadt „the world goes town“ (Grimond 2007). Die dringende Notwendigkeit, „mankind’s first Urban Age“ (Burdett/Rode 2008: 8) in nachhaltigere Bahnen zu lenken, ist dabei unbestritten und erfordert ein breites Spektrum an Verfahren, Maßnahmen, Instrumenten und der Beteiligung aller AkteurInnen. Es erfordert aber auch einen Perspektivwechsel dahingehend, dass umgekehrt auch das Nachhaltigkeitspotential der Städte erkannt wird und diese nicht mit
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Verweis auf ihren ‚Ressourcenhunger‘ per se als nicht nachhaltig diskreditiert werden. Dies gilt insbesondere für die Städte des Südens, deren Mythenbildung durch eine unzählige Zahl an Artikeln vorangetrieben wurde. Auch hier hat die vorliegende Arbeit versucht, eine andere Sichtweise auf die Dinge im Sinne Jeremy Seabrooks zu eröffnen: „The apocalyptic view of the growth of the cities in the south misses the point.“ (Seabrook 1996: 7) Bereits in den 1880er Jahren entwarf der britische Stadtplaner Ebenezer Howard mit seinen Gartenstädten eine positive Vision urbaner Räume, die Stadt und Natur wieder miteinander versöhnen und ihre Vermählung zum Grundstein einer neuen Zivilisation machen sollte (vgl. Howard 1965: 33f.). Ein solcher Blick geht weg von der immer wieder beschworenen fatalistischen Wahrnehmung vor allem südlicher Städte als „unruly cities“ (Pile/Brook/Mooney 1999) und setzt die Erkenntnis dagegen, dass vor dem Hintergrund der prinzipiellen Ungleichheit des globalen Städtenetzwerks „cities and the social processes that shape them must be understood as ecological processes that have social as well as environmental consequences“ (Blowers/Pain 1999: 253). Zum Objekt des Wissens wird dann vor allem die Suche nach Mustern der Beziehung zwischen Gesellschaft und Natur, die in alltägliche Kontexte eingebunden sind und in deren problembezogener Rekonstruktion deutlich wird, wie und warum diese Praktiken versagen und sich in ökologischen Krisenphänomenen manifestieren. Adaptivität bezeichnet in diesem Zusammenhang dann die Fähigkeit von Gesellschaften, sich durch nachhaltige Regulation innerer Strukturen innerhalb gewollter Änderungsprozesse an sich verändernde Umwelten anzupassen. Eine so verstandene Adaptivität bedeutet dann nicht die Auswahl zwischen den beiden ‚falschen‘ Alternativen einer totalen Anpassung gesellschaftlicher Verhältnisse an die Natur oder einer vermeintlich unvermeidbaren Steigerung der Naturbeherrschung durch neuere Technologien, wie es manche Teile der neu entflammten Klimadebatte oftmals zu suggerieren scheinen (vgl. Görg 2003a: 26). Sozial-ökologische Forschung so wie sie in dieser Arbeit verstanden wurde, hat vielmehr eine Transformation des Anpassungsbegriffs dahingehend zur Folge, dass Gesellschaft „in ihrer Reproduktion von Bedingungen abhängig (ist), die mit ihrer eigenen Organisationsform nicht identisch ist“ (ebd.: 116). Die Frage ist daher schon lange nicht mehr, ob überhaupt eine Berücksichtigung ökologischer Krisenerscheinungen erfolgt, sondern wie Gesellschaften und Wissenschaften mit ihnen umgehen werden. Eng damit verbunden ist aber auch eine Absage an alle jene Positionen, die daran festhalten, dass „Wissenschaft selbst … frei von Praxis“ (Ipsen 2006: 163) sei. Soziale Ökologie vollzieht sich als Forschung durch ihre Problembezüge und durch die Bindung an Normen der Nachhaltigkeit in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten, die Probleme vordefinieren. Wer wie die Soziale Ökologie, an der Gestaltbarkeit von gesellschaftlichen Naturverhältnissen festhält, wirft unweigerlich die normative Frage nach den Kriterien dieser Gestaltung auf. In gewisser Weise scheint es damit so zu sein, dass sie einer Utopie anhängt, der Utopie einer nachhaltigeren Welt. Aber diese Utopie er-
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füllt nicht die Funktion einer Entwertung der Gegenwart zugunsten einer fernen Zukunft, sondern versteht sich als eine Utopie im Sinne Cavells, der in ihnen ein wesentliches Mittel gegen Zynismus und Resignation sieht (Cavell 2004). In einem solchen Sinne dient sie nicht dem Fortschritt als solchem, sondern überhaupt erst der Möglichkeit des Fortschreitens (vgl. Hampe 2006: 40). Sie liefert die Folie, die Forscherinnen und Forscher in ihren Bemühungen vorantreiben. In diesem Sinne plädiert die Soziale Ökologie entschieden gegen die erwähnte Einschätzung von Wissenschaft als praxisfreier Tätigkeit. Ganz im Gegenteil: Wissenschaft ist eine Erkenntnisleistung, die einen praktischen Unterschied im Leben der Menschen ausmachen sollte.
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Da nk sa gung Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um meine überarbeitete Dissertationsschrift, die im Sommer 2007 an der TU Darmstadt angenommen wurde. Wissenschaftliche Arbeiten entstehen nie in Isolation, sondern bedürfen vielfältiger Kontakte und Unterstützungsformen und leben von Austausch und Diskussionen. Auch ich bin einer Vielzahl von Menschen zu aufrichtigem Dank verpflichtet. So geht mein ausgesprochener Dank an meine beiden Gutachterinnen Martina Löw und Shalini Randeria, die mit steter Anregung, vorbildlicher Betreuung und intellektueller Offenheit gegenüber interdisziplinärer Forschung diese Arbeit erst möglich gemacht haben, Helmuth Berking, Martina Löw, Silke Steets, Sybille Frank, Peter Noller, Lars Frers und Sergej Stoetzer für anregende raumtheoretische Debatten und erheiternde Momente im Après-Ski-Zelt, das Deutsche Stiftungszentrum, ohne dessen großzügige finanzielle Unterstützung die Feldaufenthalte nicht möglich gewesen wären, Jörg Burkhard für die verlegerische Betreuung und Gabriele Klein, Martina Löw und Michael Meuser, dass sie die Arbeit in ihre Reihe aufgenommen haben, Harry Kleespieß für die erhellende gestalterische Unterstützung bei der Erstellung des Manuskripts, Sabine Baumann für ihre wertvolle redaktionelle Arbeit, Diana Hummel, Thomas Jahn und Irmgard Schultz, dafür dass sie mir in den letzten Jahren stets sowohl den nötigen Freiraum als auch die notwendige Unter-
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stützung gewährten und die Fertigstellung dieser Arbeit sanft, aber doch bestimmt einforderten, Immanuel Stieß, der in unserem gemeinsamen Arbeitszimmer immer ein offenes Ohr für akademische Fragen und nichtakademische Nöte hatte, Alexandra Lux und Steffen Niemann, mit denen ich gemeinsam über manche Absurdität akademischer Welten lachen konnte, Emmanuel Opare, ebenso wie an alle anderen urbanen Farmerinnen und Farmer und ihrer geduldigen Bereitschaft, mir die urbane Landwirtschaft näher zu bringen, Pay Drechsel und dem IWMI (Accra) für die großzügig gewährte Gastfreundschaft und inhaltliche Unterstützung, meine Eltern, denen ich für ihre bereits 36 Jahre währende liebevolle Unterstützung und Geduld eigentlich nicht genug danken kann, Anja Roll, die gemeinsam mit mir durchs Leben geht und die mir von Anfang bis Ende schmunzelnd, kritisch, unterstützend, felderprobt, vertrauensvoll und kraftspendend zur Seite stand.
Materialitäten Cedric Janowicz Zur Sozialen Ökologie urbaner Räume Afrikanische Städte im Spannungsfeld von demographischer Entwicklung und Nahrungsversorgung September 2008, 438 Seiten, kart., zahlr. Abb., 42,80 €, ISBN: 978-3-89942-974-9
Jürgen Funke-Wieneke, Gabriele Klein (Hg.) Bewegungsraum und Stadtkultur Sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektiven September 2008, 278 Seiten, kart., zahlr. Abb., 27,80 €, ISBN: 978-3-8376-1021-5
Gabriele Klein, Michael Meuser (Hg.) Ernste Spiele Zur politischen Soziologie des Fußballs
Evelyn Lu Yen Roloff Die SARS-Krise in Hongkong Zur Regierung von Sicherheit in der Global City 2007, 166 Seiten, kart., 18,80 €, ISBN: 978-3-89942-612-0
Robert Gugutzer (Hg.) body turn Perspektiven der Soziologie des Körpers und des Sports 2006, 370 Seiten, kart., 20,80 €, ISBN: 978-3-89942-470-6
Helmuth Berking, Sybille Frank, Lars Frers, Martina Löw, Lars Meier, Silke Steets, Sergej Stoetzer (eds.) Negotiating Urban Conflicts Interaction, Space and Control 2006, 308 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 978-3-89942-463-8
Mai 2008, 276 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-977-0
Lars Frers Einhüllende Materialitäten Eine Phänomenologie des Wahrnehmens und Handelns an Bahnhöfen und Fährterminals 2007, 302 Seiten, kart., zahlr. Abb., 30,80 €, ISBN: 978-3-89942-806-3
Bastian Lange Die Räume der Kreativszenen Culturepreneurs und ihre Orte in Berlin 2007, 332 Seiten, kart., 30,80 €, ISBN: 978-3-89942-679-3
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de