282 167 8MB
German Pages 244 Year 1995
y m C O Ä M T O C A SS
LEXICOGRAPHICA Series Maior Supplementary Volumes to the International Annual for Lexicography Suppléments à la Revue Internationale de Lexicographie Supplementbände zum Internationalen Jahrbuch für Lexikographie
Edited by Sture Allén, Pierre Corbin, Reinhard R. K. Hartmann, Franz Josef Hausmann, Hans-Peder Kromann, Oskar Reichmann, Ladislav Zgusta 60
Published in cooperation with the Dictionary Society of North America (DSNA) and the European Association for Lexicography (EURALEX)
Rita Fejér
Zur Geschichte der deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie Von der Jahrhundertwende bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1995
D 1 9 Philosophische Fakultät für Altertumskunde und Kulturwissenschaft
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme [Lexicographica
/ Series
maior]
Lexicographica : supplementary volumes to the Internationa) annual for lexicography / pubi, in cooperation with the Dictionary Society of North America (DSNA) and the European Association for Lexicography (EURALEX). Series maior. - Tübingen : Niemeyer. Früher Schriftenreihe Reihe Series maior zu: Lexicographica NE: International annual for lexicography / Supplementary volumes 60. Fejér, Rita: Zur Geschichte der deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie. - 1995 Fejér, Rita: Zur Geschichte der deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie : von der Jahrhundertwende bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs / Rita Fejér. - Tübingen : Niemeyer, 1995 (Lexicographica : Series maior ; 60) NE: HST ISBN 3-484-30960-1
ISSN 0175-9264
© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1995 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Hugo Nädele, Nehren
INHALTSVERZEICHNIS
Inhaltsverzeichnis Vorwort
1.
Einleitung
1.1. 1.2.
Einfuhrung Theoretisch-historischer Hintergrund zur Geschichte der deutschungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie Die Geschichte der deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie in chronologischer Gliederung Von den Anfängen (ca. 1600) bis 1771 Von der Aufklärung und dem Reformzeitalter über den Freiheitskrieg 1848/49 bis 1862 József Márton Die Ungarische Gelehrte Gesellschaft: Magyar és német zsebszótár (1835-1838) János Fogarasi Mor Ballagi Zusammenfassung der deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie 1772-1862 Von 1862 bis zur Gegenwart Von 1862 bis zum Ersten Weltkrieg Zsigmond Simonyi und József Balassa: Deutsches und ungarisches Wörterbuch (1899-1902) BélaKelemen Zusammenfassung der deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie 1862-1914 Vom Ersten Weltkrieg bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges József Balassa: Taschenwörterbuch der ungarischen und deutschen Sprache (1915-1917) Zusammenfassung der deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie zwischen 1914 und 1944 Von 1945 bis zur Gegenwart E16d Halász Zusammenfassung
13. 1.3.1. 1.3.2. 1.3.2.1. 1.3.2.2. 1.3.2.3. 1.3.2.4. 1.3.2.5. 1.3.3. 1.3.3.1. 1.3.3.1.1. 1.3.3.1.2. 1.3.3.1.3. 1.3.3.2. 1.3.3.2.1. 1.3.3.2.2. 1.3.3.3. 1.3.3.3.1. 1.3.3.3.2.
V IX
1 2 3 3 6 8 9 10 12 13 14 15 16 18 19 20 22 23 24 25 27
VI 2.
Zsigmond Simonyi und József Balassa: Deutsches und Ungarisches Wörterbuch (1899-1902)
2.1. 2.1.1. 2.1.2. 2.2. 2.2.1. 2.2.2.
Einleitung Zum Leben und Werk der Autoren Verlagsspezifische Angaben zum Werk Deutsch-ungarisch [SBDU] (1899) Empirische Aspekte: Quellen des Wörterbuches Benutzerspezifische Aspekte: Aufbaustruktur aus funktionaler Perspektive Makrostruktur Anordnung der Mikrostruktur Linguistische Aspekte Äquivalente Syntagmatik Phonetische und grammatische Informationen Phonetische Informationen Morphologische Informationen Syntaktische Informationen Ungarisch-deutsch [SBUD] (1902) Quellen des Wörterbuches Aufbaustruktur Makrostruktur Anordnung der Mikrostruktur Linguistische Aspekte Äquivalente Syntagmatik Phonetische und grammatische Informationen Phonetischeinformationen Morphologische Informationen Syntaktische Informationen
2.2.2.1. 2.2.2.2. 2.2.3. 2.2.3.1. 2.2.3.2. 2.2.3.3. 2.2.3.3.1. 2.2.3.3.2. 2.2.3.3.3. 23. 2.3.1. 2.3.2. 2.3.2.1. 2.3.2.2. 2.3.3. 2.3.3.1. 2.3.3.2. 2.3.3.3. 2.3.3.3.1. 2.3.3.3.2. 2.3.3.3.3.
3.
József Balassa: Taschenwörterbuch der ungarischen und deutschen Sprache (1915-1917)
3.1. 3.1.1. 3.1.2. 3.2. 3.2.1. 3.2.2. 3.2.2.1. 3.2.2.2. 3.2.3. 3.2.3.1. 3.2.3.2.
Einleitung Zu Leben und Werk des Lexikographen Verlagsspezifische Angaben zum Werk Ungarisch-Deutsch [BUD] (1915) Empirische Aspekte: Quellen des Wörterbuches Aufbaustruktur Makrostruktur Mikrostruktur Linguistische Aspekte Äquivalente Syntagmatik
28 28 29 31 31 34 35 37 41 41 43 47 48 48 49 52 52 55 55 60 63 63 65 68 68 69 70
73 73 74 74 74 77 77 82 84 84 86
VII 3.2.3.3. 3.2.3.3.1. 3.2.3.3.2. 3.2.3.3.3. 3.3. 3.3.1. 3.3.2. 3.3.2.1. 3.3.2.2. 3.3.3. 3.3.3.1. 3.3.3.2. 3.3.3.3. 3.3.3.3.1. 3.3.3.3.2. 3.3.3.3.3.
Phonetische und grammatische Informationen Phonetische Informationen Morphologische Informationen Syntaktische Informationen Deutsch-ungarisch [BDU] (1917) Empirische Aspekte: Quellen des BDU Aufbaustruktur Makrostruktur Mikrostruktur Linguistische Aspekte Äquivalente Syntagmatik Phonetische und grammatische Informationen Phonetische Informationen Morphologische Informationen Syntaktische Informationen
4.
Béla Kelemen: Großes Handwörterbuch der deutschen und ungarischen Sprache (1929)
4.1. 4.1.1. 4.1.2. 4.2. 4.2.1.
Einleitung Zu Leben und Werk des Lexikographen Verlagsspezifische Angaben zum Werk Deutsch-ungarisch [2KGHDU] (1929) Empirische Aspekte: Quellen des lexikographischen Werkes von Kelemen Aufbaustruktur Makrostruktur Mikrostruktur Linguistische Aspekte Äquivalente Syntagmatik Phonetische und grammatische Informationen Phonetische Informationen Morphologische Informationen Syntaktische Informationen Ungarisch-deutsch [2KGHUD] (1929) Empirische Aspekte: Quellen des 2KGHUD Aufbaustruktur Makrostruktur Mikrostruktur Linguistische Aspekte Äquivalente Syntagmatik Phonetische Informationen
4.2.2. 4.2.2.1. 4.2.2.2. 4.2.3. 4.2.3.1. 4.2.3.2. 4.2.3.3. 4.2.3.3.1. 4.2.3.3.2. 4.2.3.3.3. 43. 4.3.1. 4.3.2. 4.3.2.1. 4.3.2.2. 4.3.3. 4.3.3.1. 4.3.3.2. 4.3.3.3.1.
88 88 89 92 93 93 95 96 98 101 101 102 104 104 105 107
109 109 110 112 112 114 116 120 123 123 127 130 132 133 135 136 136 141 142 149 153 153 156 161
Vili 4.3.3.3.2. 4.3.3.3.3.
Morphologische Informationen Syntaktische Informationen
161 163
5.
Béla Kelemen: Német-magyar és magyar-német nagyszótàr ['Deutsch-ungarisches und Ungarisch-deutsches Großwörterbuch']. Überarbeitet von Tivadar Thienemann (1941 und 1942)
5.1. 5.1.1. 5.2. 5.2.1. 5.2.1.1. 5.2.1.2. 5.2.2. 5.2.2.1. 5.2.2.2. 5.2.2.3. 53. 5.3.1. 5.3.1.1. 5.3.1.2. 5.3.2. 5.3.2.1. 5.3.2.2. 5.3.2.3.
Einleitung Zu Leben und Werk des Lexikographen Deutsch-ungarisch [TDU] (1941 und 1942) Aufbaustruktur: Makro- und Mikrostruktur Makrostruktur Mikrostruktur Linguistische Aspekte Äquivalente Syntagmatik Phonetische und grammatische Informationen Ungarisch-deutsch [TUD] (1941 und 1942) Aufbaustruktur: Makro-und Mikrostruktur Makrostruktur Mikrostruktur Linguistische Aspekte Äquivalente Syntagmatik Grammatischeinformationen
166 166 167 167 167 169 171 171 173 175 176 176 176 179 181 181 183 186
6. 6.1. 6.2.
Schluß Deutsch-ungarische Wörterbücher Ungarisch-deutsche Wörterbücher
188 188 193
7. 7.1.
Anhang Alphabetische Liste der deutsch-ungarischen und ungarischdeutschen Wörterbücher Chronologische Liste der deutsch-ungarischen und ungarischdeutschen Wörterbücher (nach 1600)
204 213
8.
Abkürzungen
222
9.
Literaturverzeichnis
225
7.2.
Short Summary
231
Résumé
233
Vorwort
In der vorliegenden metalexikographischen Arbeit werden die wichtigsten deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Wörterbücher aus dem Zeitraum von der Jahrhundertwende bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs untersucht. Die erstmals 1952 und 1957 veröffentlichten Deutsch-ungarischen und Ungarisch-deutschen Wörterbücher von Elôd Halász, die auch heute noch das Marktmonopol haben, werden also in dieser Arbeit nicht berücksichtigt. Der detaillierten metalexikographischen Analyse der einzelnen Werke ist ein Gesamtüberblick über die Geschichte der deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie vorangestellt, der einerseits den historischen Hintergrund zu den untersuchten Werken bilden, andererseits aber auch über die gesamte ungarische Wörterbuchtradition Auskunft geben soll. Demselben Zweck dient der der Untersuchung beigefügte Anhang, der sowohl eine alphabetische als auch eine chronologische Liste aller deutsch-ungarischen sowie ungarisch-deutschen Wörterbücher enthält. Diese Liste stellte ich anhand der Bibliographien von Sági (1922), Halasz de Beky (1966) und der Bibliographie der uralischen Sprachwissenschaft (1976) zusammen. Dabei legte ich großen Wert darauf, möglichst jedes dieser Wörterbücher selbst in Augenschein zu nehmen, wodurch die in einzelnen Bibliographien und auf Bibliothekskarten vorgefundenen Fehler vermieden werden konnten. Lagen mir die einzelnen Werke nicht vor und auch keine Kopien der Titelblätter, so sind sie in der Liste mit einem Asteriskus gekennzeichnet. Bei der Zusammenstellung der erwähnten Liste konnte ich vor allem auf die Bestände der Bayerischen Staatsbibliothek in München und der Országos Széchényi Konyvtár (Ungarische Nationalbibliothek Széchényi) in Budapest zurückgreifen. Alle vier Wörterbuchpaare, die Gegenstand der ausführlichen Untersuchung bilden, konnte ich zum Glück vor Ort ausfindig machen. Da ich in der vorliegenden Arbeit eine wörterbuchgeschichtliche Untersuchung anstrebte, ging ich auf die einzelnen Werke als Fehlerquelle nicht ein und übernahm in der Regel bei den einzelnen Beispielen nicht nur die Äquivalente, sondern auch die originale Schreibweise der jeweiligen Werke. Im Hinblick auf das Ziel dieser Arbeit schien es mir wichtiger, die einzelnen Werke aus metalexikographischer Sicht, und zwar auf Quellen, Aufbaustruktur und linguistische Aspekte hin, eingehend zu überprüfen. Dabei versuchte ich, auch die einzelnen Lexikographen und, soweit dies möglich war, den verlagsspezifischen Hintergrund vorzustellen. Meine eigenen Übersetzungen oder einzelne Bemerkungen zu den jeweiligen originalen Textstellen setzte ich stets in eckige Klammern. Zusätzlich gab ich die einzelnen Übersetzungen in Anführungszeichen an. Die Wörterbücher werden in chronologischer Reihenfolge jeweils nach dem gleichen Schema untersucht und, wo es mir wichtig erschien, miteinander verglichen. Letzteres geschah u. a. auch durch zahlreiche Textbeispiele, die eine Kopie der jeweiligen Vorlage darstellen. War das eine oder das andere Textbeispiel in der Originalgröße der einzelnen Vorlagen nicht gut zu entziffern, wurde es der Lesbarkeit wegen vergrößert. Nach der detaillierten Untersuchung der einzelnen Werke folgt eine Zusammenfassung der Ergebnisse, vor allem hinsichtlich der Funktionalität der einzelnen Wörterbücher je nach Adressatengruppe(n).
χ Mein besonderer Dank gilt Frau Professor Dr. Ingrid Schellbach-Kopra, die meine Arbeit mit großem Interesse verfolgte und mir durch konstruktive Kritik und wertvolle Ratschläge stets ihre Unterstützung gewährte. Mein Dank gilt auch Herrn Professor Dr. Franz Josef Hausmann, der mir noch vor dem Erscheinen des dritten Bandes des Internationalen Handbuches zur Lexikographie (1991) einige Beiträge dieses für die lexikographische Forschung grundlegenden Werkes zur Verfügung stellte, auf die ich mich beim Herausarbeiten des metalexikographischen Rasters meiner Arbeit von Anfang an stützen konnte. An dieser Stelle möchte ich mich auch bei Frau Lioba Tafferner aus der Bayerischen Staatsbibliothek München und vor allem bei Frau Mariann Keresztury aus der Országos Széchényi Könyvtär Budapest bedanken, die mir bei der Suche nach den einzelnen Wörterbüchern und Handschriftenmaterialien große Hilfe leisteten. Danken möchte ich auch Frau Krisztina Voit vom ELTE Konyvtártudományi - Informatikai Tanszék ['Eötvös-LorandUniversität, Lehrstuhl für Bibliothekswissenschaft und Informatik'] in Budapest, die mir durch konkrete Signaturangaben half, an den - ansonsten nur mit besonderer Erlaubnis zugänglichen und im Benutzerkatalog der Handschriftenabteilung der Országos Széchényi Konyvtár nicht nachgewiesenen - Nachlaß des Verlages Athenaeum zu gelangen, den ich wegen der zwischen diesem und Béla Kelemen abgeschlossenen Verträgen über längere Zeit vergeblich an allen möglichen Standorten ausfindig zu machen versucht hatte. An dieser Stelle möchte ich mich auch bei der Leiterin der ehemaligen Zàrolt gyüjtemények tára ['Gesperrte Sammlungen'] der Országos Széchényi Konyvtár bedanken, die mir ermöglichte, die erwähnten Verträge auf unbürokratischem Wege auszuleihen. Ebenfalls möchte ich mich bei meiner ehemaligen Kollegin, Frau Marie-Louise Franck, sowie bei Frau Dr. Marion Ónodi bedanken, die sich die Mühe machten, das Korrekturlesen meiner Arbeit zu übernehmen. Weiterhin danke ich Frau Kerstin Kazzazi Μ. Α., die einige Kapitel der Arbeit bereits in der Entstehungsphase durchgelesen hatte. Besonderer Dank gilt auch meinem Mann, der nicht nur das Scannen der einzelnen Textbeispiele und deren Einbau in den Text für mich übernahm, sondern mich auch sonst in jeder Hinsicht unterstützt hat.
München, im Dezember 1994
Rita Fejér
1.
Einleitung
1.1.
Einfuhrung
Die Landkarten der historischen Wörterbuchforschung seien mit weißen Flecken übersät, stellt Franz Josef Hausmann, einer der führenden deutschen Wörterbuchforscher, 1990 in seinem Geleitwort zu einer Untersuchung der deutsch-neugriechischen Lexikographie fest (vgl. Papachristos 1990, V). Wie an gleicher Stelle hervorgehoben wird, gelte das für die zweisprachigen Wörterbücher in noch höherem Maße als für die einsprachige Lexikographie, und zwar sowohl innerhalb als auch außerhalb Europas. Besonders zutreffend ist diese Aussage für die deutsch-ungarische und ungarisch-deutsche Lexikographie, eine überraschende Tatsache vor dem Hintergrund des großen Einflusses, den die deutsche Sprache und Kultur auf das ungarische Sprachgebiet ausübte, vergleichbar nur mit dem der lateinischen Sprache. In der vorliegenden Arbeit kann nicht angestrebt werden, die 400jährige Geschichte der deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie systematisch aufzuarbeiten. Daher scheint es mir sinnvoller, den kurzen, in der Geschichte der zweisprachigen deutschungarischen Lexikographie jedoch wesentlichen Zeitraum um die Jahrhundertwende bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs auf die wichtigeren einschlägigen Werke hin eingehend zu untersuchen. Da im lexikographischen Bereich die Übernahme aus früheren Werken als besonders hoch einzuschätzen ist, halte ich es für angebracht, zunächst kurz die gesamte lexikographische Vorgeschichte zur Erhellung des Hintergrunds zu erläutern. Es sind vom Anfang des 17. Jahrhunderts bis heute mehrere Dutzend deutsch-ungarische und ungarisch-deutsche Wörterbücher der Allgemeinsprache erschienen. Eine genaue Zahl läßt sich nicht ohne weiteres festlegen, da eine solche Zusammenstellung einen gewissen Spielraum, d. h. diverse Interpretationen impliziert. Werden ζ. B. die den zweisprachigen Wörterbüchern vorangehenden mehrsprachigen Wörterbücher mitgezählt, erhöht sich deren Anzahl wesentlich. Wenn Fachwörterbücher oder auch kleinere Schulwörterbücher ebenfalls berücksichtigt werden, steigt die Anzahl weiter. Die völlig überarbeiteten Neuauflagen stellen ein ähnliches Problem dar. In der Geschichte der deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie kommen immer wieder solche Neuauflagen vor, die als vollständig neue Wörterbücher aufzufassen sind. In der vorliegenden Arbeit wird jedoch nicht angestrebt, die genaue Anzahl der deutschungarischen und ungarisch-deutschen Wörterbücher festzustellen. Der Anhang zur vorliegenden Arbeit enthält sowohl eine alphabetische als auch eine chronologische Liste der einschlägigen Wörterbücher, die den Überblick über die deutsch-ungarischen und ungarischdeutschen Wörterbücher erleichtem sollen. Das Fehlen einschlägiger metalexikographischer Werke wie auch entsprechender Aufsätze in wissenschaftlichen Zeitschriften ist m. E. mit dem nach dem Zweiten Weltkrieg gesunkenen Prestige der deutschen Sprache in Ungarn zu erklären. Hier könnte natürlich ebenso der Zufall eine Rolle gespielt haben.
2
1.2.
Theoretisch-historischer Hintergrund zur Geschichte der deutschungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie
Der große Reichtum an Wörterbüchern (mehrere Dutzende) der deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie macht es notwendig, zunächst den historisch-kulturellen Hintergrund dieser Erscheinung darzulegen. Abgesehen von sporadischen Kontakten vor der Landnahme im Jahr 896 durch die Vorfahren der heutigen Ungarn im Karpatenbecken, kann erst seit der Zeit des Königtums (11. Jahrhundert) von intensiveren Beziehungen zwischen Ungarn und deutschen Nachbarn gesprochen werden. Um die Jahrtausendwende, unter Großfürst Géza (972-997), waren deutsche Missionare nach Ungarn gekommen. Einer von ihnen, der Mönch Bruno aus Sankt Gallen, wurde sogar zum Bischof der Ungarn geweiht (vgl. Hanák 1988, 24). Politischwirtschaftliche Interessen der ungarischen Königshäuser (vor allem des Arpadenhauses) führten durch Eheschließungen schon frühzeitig zu Verwandtschaftsbeziehungen mit den deutschen Königshäusern (vgl. Hanák 1988, 27). Infolge solcher dynastischen Verwandtschaftsbeziehungen ließen sich an den ungarischen Königshöfen deutsche Ritter und Hofleute nieder. Durch sie sowie durch deutsche und böhmische Geistliche und Mönche wurde die christliche Kultur des frühen Mittelalters nach Ungarn vermittelt (vgl. Hanák 1988, 32). Im 12. und 13. Jahrhundert verstärkten sich die ungarisch-deutschen Kontakte, nachdem sich zahlreiche deutsche Auswanderer - angelockt von Privilegien - vor allem in Siebenbürgen und Zips niedergelassen hatten. Die als "Gäste" (hospes) bezeichneten Siedler (Bauern aus den überbevölkerten westlichen Ländern) förderten die Landwirtschaft in Ungarn, was wiederum die Herausbildung und Entwicklung von Städten ermöglichte (vgl. Hanák 1988, 29). Durch die Ansiedlung ausländischer, vor allem deutscher "Gäste" in einem Teil der ehemaligen königlichen Burgen, wie Sopron (Ödenburg), Gyôr (Raab) und Kolozsvár (Klausenburg) wurde die mittelalterliche städtische Kultur in Ungarn in vieler Hinsicht geprägt (vgl. Hanák 1988, 34). Die deutschen Einwanderergruppen des Mittelalters sprachen mehrheitlich mitteldeutschen Dialekt: in Siebenbürgen westmitteldeutschen und vor allem fränkischen, in Zips ostmitteldeutschen und schlesischen Dialekt (vgl. Hutterer 1990, 373). Seit dem 16. Jahrhundert war eine neue Situation entstanden, die in zunehmendem Maße deutsche Einflüsse begünstigte. Wien spielte dabei die Vermittlerrolle. Der immer größere Dimensionen annehmende deutsche Verwaltungsapparat des Habsburgerreiches, die deutsche Beamtenschicht, die in Ungarn stationierten Truppen sowie die im 18. Jahrhundert entstandenen weiteren deutschen Siedlungen übten starken sprachlichen und kulturellen Einfluß auf Ungarn aus. Außerdem war es üblich geworden, an deutschen - vor allem an reformierten - Universitäten zu studieren (vgl. Hanák 1988, 82), eine Sitte, die allmählich zur Verbreitung des Deutschen als Kultur- und Bildungssprache in Ungarn beitragen konnte. Während der Herrschaft der Habsburger war die Existenz einer selbständigen ungarischen Kultur ernstlich gefährdet (vgl. Hanák 1988, 82). Auf dieses Phänomen weist auch Günter Johannes Stipa hin: "Durch das deutsche Element war die Existenz des Ungarischen vielerorts bedroht, besonders seit den engen Verbindungen Ungarns mit dem deutschen Humanismus der Reformationszeit und noch mehr seit dem 18. Jahrhundert dadurch, daß Wien das Tor zur westlichen Kultur und die Regierungsstadt Ungarns wurde" (Stipa 1990, 86). Daß die ungarische Sprache ihre
3 Eigenständigkeit dennoch aufrechterhalten konnte, ist einerseits dem steigenden Nationalbewußtsein (bei Stipa: "Hungarusbewußtsein"; vgl. Stipa 1990, 245), dem Freiheitskampf von 1848/49 und dem Ausgleich 1867, sowie andererseits der völlig anderen Sprachstruktur und der ungarischen Spracherneuerungsbewegung zu verdanken. Anhand der oben skizzierten historischen Entwicklung läßt sich erkennen, daß der Ursprung der deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie sowohl auf politische als auch wirtschaftliche Interessen zurückgeht. Die ersten einschlägigen Werke weisen fast immer einen pädagogischen Ausgangspunkt auf. In dieser Hinsicht sind die ersten in Siebenbürgen zusammengestellten thematischen schulischen Wörterverzeichnisse, wie Nomenclatvra seu dictionarivm latino-germanicum, ex varijs probatisque autoribus collecta. Nvnc demo adiectum jdioma hungaricum, in usum discentium von 1629 oder Vocabularium trilingve, pro usti scholae Cibiniensis recusum von 1709, verwandt mit den ersten polyglotten alphabetischen Wörterbüchern von Albert Szenczi Molnár oder mit denen von Ferenc PápaiPáriz. Die späteren, mit deutschen Erklärungen versehenen allgemeinen zweisprachigen alphabetischen Wörterbücher des 18. Jahrhunderts sind außerdem eng mit den politischen Verhältnissen ihrer Zeit verknüpft. Auch der kultursprachliche Charakter des Deutschen sowie die damals im deutschen Sprachraum bereits existierende lexikographische Tradition trugen m. E. zur Entstehung dieser Werke bei.
1.3.
Die Geschichte der deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie in chronologischer Gliederung
Die Geschichte der zweisprachigen deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie läßt sich in drei Entwicklungsphasen gliedern, die mehr oder weniger mit der der ungarischen Sprachwissenschaftsgeschichte identisch sind. Diese Einteilung wird in der vorliegenden Arbeit anhand der von ungarischen Lexikographen verfaßten Wörterbücher festgelegt, da Wörterbuchinitiativen auf deutscher Seite nur äußerst sporadisch vorkamen. Was die Aufgliederung der ungarischen Lexikographie anbelangt, habe ich meiner Arbeit ein Modell von István Szathmári zugrunde gelegt (vgl. Szathmári 1971, 19-20). Andere Forscher, wie Ferenc Bakos, verfahren im Prinzip ähnlich (vgl. Bakos 1991, 2375-2383), wobei chronologische Zahlen nicht allzu eng genommen werden sollten, da die Geschichte allgemein, so auch die Geschichte der Lexikographie, einem kontinuierlichen Änderungsprozeß unterliegt, so daß eine künstlich festgelegte Zeitspanne keine absolute Aussagekraft hätte. Allerdings lassen sich drei Hauptperioden der ungarischen Lexikographie feststellen.
13.1. Von den Anfingen (ca. 1600) bis 1771 Obwohl István Szathmári die Anfänge der ungarischen Sprachwissenschaft auf ca. 1520 datiert (vgl. Szathmári 1971, 19) und nach Ferenc Bakos "eigentliche Wörterbücher" erst seit der Mitte des 16. Jahrhundert zu verzeichnen sind (vgl. Bakos 1991, 2375), ist es meiner Meinung nach sinnvoller - zumindest was die Lexikographie anbelangt -, erst um die
4 Jahrhundertwende, d. h. um ca. 1600 mit einer Untersuchung anzusetzen. Dieser Ausgangspunkt läßt sich durch das Régi magyar glosszárium ['Altes ungarisches Glossar'] von Jolán Berrár und Sándor Károly (1984), welches das geordnete und analysierte Material sämtlicher in Publikationen gedruckt vorliegender Glossare, Wörterverzeichnisse und Wörterbücher von 1290 bis 1600 enthält, leicht markieren (vgl. Stipa 1990, 76). Obwohl die Anfänge der zweisprachigen deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie zweifelsohne in den vor der Jahrhundertwende (1600) entstandenen mehrsprachigen Glossaren, Wörterverzeichnissen oder Wörterbüchern zu suchen sind, werde ich mich mit den "mit dem 17. Jahrhundert beginnenden Wörterbucherscheinungen" (Stipa 1990, 76) befassen und nur ausnahmsweise auf die davorliegende Zeit eingehen. Die Entstehung der ersten Wörterverzeichnisse, Glossare und mehrsprachigen Wörterbücher war, ähnlich wie in anderen Ländern Europas, an die Verbreitung des Humanismus geknüpft, der ein gesteigertes Ansehen der Muttersprache in Ungarn bewirkte. Wie Vilmos Tolnai (1870-1937), ein seinerzeit angesehener ungarischer Sprachwissenschaftler, in einer kurzen Darstellung erläutert, hält das Lateinische anfangs seine Vermittlerrolle noch aufrecht: "[Es] beginnt erst mit dem Erlasse Kaiser Josefs Π. im Jahre 1784 eine tote Sprache zu werden, und kann ihren unmittelbaren Berührungen [d. h. denen der deutschen und ungarischen Sprache] nicht mehr im Wege stehen" (Tolnai 1914, 960). Dies gilt für alle lexikographischen Versuche der Anfangszeit. Hierbei sind allerdings zwei Tendenzen voneinander zu unterscheiden, nämlich die ersten thematischen Wörterverzeichnisse von den ersten polyglotten Wörterbüchern, die die Sprachkombination Deutsch-Ungarisch aufweisen. Die thematischen Wörterverzeichnisse des 16. Jahrhunderts konnten sich über das 17. Jahrhundert hinaus immer weniger behaupten. Im ungarischen Sprachgebiet waren sie jedoch bis dahin noch ziemlich weit verbreitet. Die Nomenclatvra sev dictionarivm latino-vngaricum (1590) von Balázs Fabricius Szikszai erfuhr mehrere, zum Teil durch das Deutsche ergänzte Auflagen. Für die bereits erwähnte Nomenclatvra seu dictionarivm latino-germanicum, ex varijs probatisque autoribus collecta. Nvnc denvo adiectum jdioma hungaricum, in usum discentium aus dem Jahre 1629 sowie das Vocabularium trilingve, pro usu scholae Cibiniensis recusum aus dem Jahre 1709 wurde die Nomenclatura von Szikszai bereits als Quelle (vgl. Melich 1905, Bd. 35, 322 und 330) benutzt. Möglicherweise hätten sich diese ersten Wörterverzeichnisse unter günstigen Umständen zu richtigen thematischen Wörterbüchern entwickeln können; dies trat jedoch wie auch im übrigen Europa (vgl. Kromann/Riiber/Rosbach 1991, 2712) nicht ein. Der Ursprung der heutigen zweisprachigen Wörterbücher ist außer in Glossaren sowohl in den alphabetischen polyglotten Wörterbüchern als auch gleichermaßen in den thematischen - zum Teil auch mehrsprachigen - Wörterverzeichnissen zu suchen (vgl. Melich 1905, Bd. 35, 138). Als wichtigste Lexikographen der polyglotten, alphabetisierenden Tradition dieser Zeit sind Albert Szenczi Molnár (1. Dictionarium latinohungaricum. 2. Dictionarium ungaro-latinum. Nürnberg 1604) und Ferenc Pápai-Páriz (Dictionarium latino-hungaricum - Dictionarium hungarico-latinum. Leutschoviae. 1708) zu erwähnen. Ihre bedeutenden Arbeiten auf dem Gebiet der lateinischen Lexikographie dienten später als Grundlage für mehrsprachige Wörterbücher. Das Wörterbuch von Albert Szenczi Molnár (1574-1634) hat zu Lebzeiten des Autors nach der Erstveröffentlichung noch zwei, mittlerweile durch das Griechische ergänzte
5 Auflagen erhalten, das Lexicon latino-graeco-hungaricum aus dem Jahre 1611, erschienen in Hanau, sowie das Lexicon latino-graeco-ungaricum und Dictionarium ungarico-latinum erschienen in Heidelberg im Jahre 1621 (vgl. Dézsi 1897, Iff. sowie Melich 1906, Bd. 36, 180fF.). Postum ist das Wörterbuch noch zwei weitere Male erschienen, zunächst unverändert in Frankfurt, 1644-1645, sowie ein halbes Jahrhundert später in Nürnberg, 1708 von J.C. Beer als Dictionarium quadrilingue latino-ungarico-graeco-germanicum herausgegeben (vgl. Melich 1906, Bd. 36, 203). Das ungarische Sprachmaterial des Wörterbuches (Auflage 1708) ist äußerst spärlich, vor allem weil es sich auf Wortanfänge mit dem Buchstaben A beschränkt (vgl. Laczkó 1906, 442 oder Melich 1906, Bd. 36, 205). Deshalb wird in der Geschichte der deutsch-ungarischen Lexikographie diesem Werk von Szenczi Molnár der Stellenwert eines Kuriosums eingeräumt. Dasselbe gilt für das in Lóese (Leutschoviae) 1708 veröffentlichte Dictionarium latinohungaricum von Ferenc Pápai-Páriz (1649-1716), das insgesamt fünf, davon vier postume Auflagen erfuhr (vgl. Szinnyei 1905, Bd. X, 405). Ferenc Pápai-Páriz arbeitete das Wörterbuch von Szenczi Molnár völlig um, indem er dessen ersten Teil neu verfaßte, während er im ungarisch-lateinischen Teil den Wortschatz durch neue Lexeme erweiterte (vgl. Stipa 1990, 77). Die von Peter Bod umgearbeitete Ausgabe des Wörterbuches (aus den Jahren 1767 und 1782) wurde durch deutsche Erklärungen ergänzt, vermutlich vom Hermannstädter Prediger Martin Felmer. Die deutschen Erklärungen der Auflage von 1801 stammen von Josef Karl Eder; er fügte zusätzlich ein deutsches Register bei (vgl. Tolnai 1914, 961). Die nachträglichen Erklärungen haben sich als äußerst fehlerhaft erwiesen, weshalb der lexikographische Wert dieses im 18. Jahrhundert meistverbreiteten ungarischen Wörterbuches vom zweisprachigen deutsch-ungarischen oder ungarisch-deutschen Aspekt aus gesehen als ziemlich unbedeutend einzuschätzen ist (vgl. Tolnai 1914, 961 sowie Melich 1907, Bd. 37, 23ff.). Nicht anders verhält es sich bei einem weiteren, ebenfalls mehrsprachigen Wörterbuch, das kurz nach der Erstauflage des Wörterbuches von Szenczi Molnár erschienen ist. Es handelt sich um das von Georg Henisch 1616 in Augsburg herausgegebene Teiitsche Sprach vnd Weissheit. Thesavrvs lingvae et sapientiae germanicae... adjectae sunt qvoque dictionibus plerisque anglicae, bohemicae, gallicae, graecae, hebraicae, hispanicae, hungaricae, italicae, polonicae. Chronologisch betrachtet ist dies das erste Wörterbuch des 17. Jahrhunderts, das neben dem deutschen Sprachmaterial unter anderem auch ungarische Wörter enthält. Die grundlegenden Sprachen des Wörterbuches sind Deutsch und Latein; erweitert wird das Werk durch einzelne ungarische Erklärungen. Das Wörterbuch von Henisch hat aus der Sicht der deutschen Lexikographie einen hohen Stellenwert als erster Versuch, in ein deutsch-lateinisches alphabetisches Wörterbuch auch Redewendungen und Sprichwörter aufzunehmen. Nach der Absicht des Autors hätte das Wörterbuch in zwei Bänden erscheinen sollen. Wegen seines frühen Todes wurde jedoch nur der erste Band [A-G] veröffentlicht (vgl. Szinnyei 1896, Bd. IV, 699). An das Wortmaterial schließt sich ein systematisches Register der deutschen Wörter an. Im Hinblick auf die ungarische Lexikographie ist jedoch das Sprachmaterial äußerst spärlich. Außerdem wurde nachgewiesen, daß es - zumindest in den ungarischen Teilen - eine Kopie der 1603 in Frankfurt erschienenen ersten Auflage (1603) des Thesaurus
6 polyglottus: ve/, dictionarium multilingue von Hieronymus Megiser (1550-1616) darstellt (vgl. Melich 1906, Bd. 36, 175). Damit möchte ich die Darstellung des ersten Abschnitts der deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie abschließen. Eigentlich kann hier noch kaum von zweisprachiger Lexikographie die Rede sein. Das in die einzelnen Wörterbücher aufgenommene deutsche und ungarische Wortmaterial kam entweder durch die Vermittlung des Lateinischen oder in mehrsprachigen Wörterbüchern auch unmittelbar miteinander in Berührung. Die ersten deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen zweisprachigen Wörterbücher, die das Verhältnis und die Beziehungen beider Sprachen ohne Vermittlung des Lateinischen erschließen, wurden erst ab 1799 verfaßt, in der Aufklärung und im Reformzeitalter. Mit der polyglotten Wörterbuchtradition wurde nicht gebrochen, sie verlor aber gegenüber den zweisprachigen Wörterbüchern allmählich an Bedeutung.
1.3.2. Von der Aufklärung und dem Reformzeitalter über den Freiheitskrieg 1848/49 bis 1862 Seit den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts hatte sich unter den ungarischen Gelehrten infolge der soziokulturellen Ideale der Aufklärung und des Reformzeitalters - die Erkenntnis verbreitet, daß die Förderung des Sprachbewußtseins das einzige Mittel zur Wachhaltung der nationalen Ideale sei. Wie in anderen europäischen Ländern kam es auch in Ungarn zu einer Spracherneuerungsbewegung, die in den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts begann, in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreichte und nach dem ungarischen Freiheitskrieg 1848/49 allmählich abflaute (vgl. Stipa 1990, 246). Die Aufklärung und das Reformzeitalter war in Ungarn insgesamt durch eine lebhafte lexikographische Aktivität geprägt. László Gáldi würdigt diese Zeit in seinem grundlegenden Werk über die Geschichte der Lexikographie als eine überaus "poetische Phase" (Gáldi 1957, ΧΙΠ), wobei er unter Poesie hauptsächlich lexikographischen Enthusiasmus versteht. Ohne Zweifel wurden damals die Grundsteine der späteren ungarischen Lexikographie gelegt. Dabei spielte auch die Entstehung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften im Jahre 1825 [damals noch: Ungarische Gelehrte Gesellschaft] eine nicht zu unterschätzende Rolle. Eine Vielfalt von Wörterbucharten ist kennzeichend für diese Periode. Die ersten Ableitungs-, Dialekt-, Fremd-, Neologismen-, Phraseologiewörterbücher sowie etymologischen Wörterbücher gehen auf diese Zeit zurück. Es sind vor allem die einsprachigen Wörterbuchversuche von Dávid Baróti Szabó Kis-ded szó-tár ['Kleines Wörterbuch'] von 1784, von József Kassai Származtató, 's gyôkerészô magyar-diâk szö-könyv ['Ungarisch-lateinisches Ableitungswörterbuch nach Wortstämmen geordnet'] [4, postum: 5 Bände] von 1833-36 sowie das Magyar szótár gyôkérrenddel és deákozattal ['Ungarisches Wörterbuch nach (Wort)Stämmen (geordnet), mit Latein'] [2 Bände] von 1831-1832 von Ferenc Kresznerics zu erwähnen. Die Anfänge der historisch-vergleichenden Forschungsmethoden sowie die daraus folgenden ersten etymologischen Wörterbuchversuche von Sámuel Gyarmathi in seinem Vocabularium in quo plurima hungaricis vocibus consona variarum linguarum vocabula collegit von 1816
7 und von Gergely Dankovszky in seinem Werk Kritisch-etymologisches Wörterbuch der magyarischen Sprache aus dem Jahre 1833 usw. sind ebenfalls in dieser Zeit zu suchen. Die ersten Dialektwörterbücher, wie das Magyar tájszótár ['Ungarisches Dialektwörterbuch'] der Ungarischen Gelehrten Gesellschaft 1838, die ersten Fremdwörterbücher, wie das Irás és mindetmapi társalkodásban elóforduló idegen-szavakat magyarázó kézi-kônyv ['Handwörterbuch zur Erklärung von Fremdwörtern in Schrift und alltäglicher Konversation'] von János Forstinger 1854, die ersten Phraseologiewörterbücher, wie die Kis magyar frázeológyia ['Kleine ungarische Phraseologie'], herausgegeben von István Máriafí [Szaitz Leó Mária] 1788, sowie das von Ferenc Versegi ergänzte Wörterbuch von Francisco Wagner: Universae phraseologiae latinae corpus [...] 1822 und vor allem die für die Spracherneuerungsbewegung repräsentativen Neologismenwörterbücher, wie das Ujdon-uj magyar szavak tára ['Wörterbuch der neuesten ungarischen Wörter'] von Endre Kirälyföldy 1846 sowie der Szófiizér [...] ['Wortstrauß'] von Endre Kunoss 1834, stellen weitere lexikographische Besonderheiten dieser Zeit dar. Was die deutsch-ungarische und ungarisch-deutsche Lexikographie anbelangt, wurde einerseits die in der vorausgehenden Epoche so verbreitete mehrsprachige Wörterbuchtradition weitergeführt, z. B. im Lexicon slavicum bohemico-latino-germanico-ungaricum von Anton Bernolák 1825-27 oder im Lexicon valachico-latino-hungarico-germanicum [...] von J. M. Ballmann, B. Kolosi, J. Korneli, P. Major, J. Theodorovits und A. Theodori 1825, andererseits entstanden aber auch die ersten einschlägigen zweisprachigen Wörterbücher. Die erste Hälfte dieser Übergangszeit ist vor allem durch die zweisprachigen Wörterbücher von József Márton gekennzeichnet, wie Neues deutsch-ungrisches und ungrisch-deutsches Handlexikon, oder Wörterbuch, 1799-1800, und Ungrisch-deutsches und deutsch-ungrisches Wörterbuch, 1803-1807, sowie durch das von der Ungarischen Gelehrten Gesellschaft (Magyar Tudós Társaság) herausgegebene Gemeinschaftsprojekt Magyar és német zsebszótár ['Ungarisches und deutsches Taschenwörterbuch'], 1835-1838. Die lexikographische Tätigkeit der Jahre bis einschließlich 1862 war durch die Spracherneuerungsbewegung von Kazinczy gepiägt. Die Wörterbücher spiegeln viele Neubildungen dieser Zeit wider. Auffallend ist außerdem das Eindringen volkssprachlicher Elemente in die Wörterbücher, was sowohl auf die demokratische Tendenz des politischen Lebens als auch auf die volkstümliche Richtung der Literatur zurückzuführen ist (vgl. Tolnai 1914, 962). Von den deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographen jener Zeit sind vor allem János Fogarasi und Mór Ballagi, ein großer Anhänger der Spracherneuerungsbewegung, zu erwähnen. Es sind überdies noch zahlreiche weitere zweisprachige deutsch-ungarische und ungarischdeutsche Wörterbücher erstellt worden. Einige sind als Schulwörterbücher einzuordnen (ζ. B. das Wörterbuch von Ocskovszky 1837-1839 sowie von Reméle 1842). Andere dagegen sind nur eine Erweiterung und Ergänzung schon vorhandener Wörterbücher; eine allzu große Bedeutung kann ihnen daher nicht beigemessen werden (ζ. B. das Wörterbuch von Malovetzky 1827 und das Wörterbuch von Richter und Schuster 1836).
8 1.3.2.1.
József Márton
Die ersten echten (d. h. ohne Vermittlung des Lateinischen) deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Wörterbücher sind József Márton (1771-1840) zuzuschreiben, einem unbesoldeten Professor der ungarischen Sprache und Literatur an der Wiener Universität (vgl. Szinnyei 1902, Bd. VIII, 735). In seinen Werken Neues deutsch-ungrisches und ungrischdeutsches Handlexikon, oder Wörterbuch, 1799-1800, und Ungrisch-deutsches und deutschungrisches Wörterbuch, 1803-18071, stellt sich József Márton dem Wörterbuchmonopol von Ferenc Pápai-Páriz entgegen, indem er dessen Wortinventar nur bedingt und sehr kritisch verwendet und neben der ungarischen Literatursprache auch Umgangs- und fachsprachliche Elemente sowie allgemein gebräuchliche Neologismen seiner Zeit erfaßt (vgl. Gáldi 1957, 539 ff.). Auffallend im lexikographischen Werk von Márton ist der uneinheitliche Umfang des Stichwortmaterials der Wörterbücher. Die deutsch-ungarischen Wörterbücher enthalten nahezu doppelt so viele Stichwörter wie die entsprechenden ungarisch-deutschen Wörterbücher. Dies ist möglicherweise mit den unterschiedlichen Zielsetzungen beider Teile zu erklären. Márton plante sein ganzes Leben lang, ein Wörterbuch der ungarischen Sprache als Nemzeti Lexicon ['Nationales Lexikon1] zusammenzustellen (vgl. Márton 1807, Eloljáró Beszéd), das ihm als Vorbild für seine ungarisch-deutschen Wörterbücher hätte dienen sollen. Außerdem weist Márton selbst im Vorwort zum ungarisch-deutschen Teil (1807) des Ungrisch-deutschen und deutsch-ungrischen Wörterbuches, 1803-1807, daraufhin, daß er sein Wörterbuch für die lernende Jugend geplant habe ("Tanuló Ifjúság számára készített munka", Márton 1807, Eloljáró Beszéd). Was seine deutsch-ungarischen Wörterbücher betrifft, so zeigen sie eine einfachere Entwicklung: Ihr Stichwortmaterial steigt von 12.000 auf 56.000, d. h. bis zum Umfang der heutigen mittelgroßen Wörterbücher (vgl. Gáldi 1957, 540). Sie waren ursprünglich als Schulwörterbücher angelegt, aber Márton fand "gute deutschsprachige Quellen", die eine Erweiterung der deutsch-ungarischen Wörterbuchteile ermöglichten. In seinem Vorwort gibt er dementsprechend eine doppelte Zielsetzung an. Er wollte zum einen die großen lateinischen mehrsprachigen oder Vermittlungswörterbücher ersetzen, zum anderen den deutsch-ungarischen Teil seines Wörterbuches als eine Art Vorarbeit für sein geplantes Nationales Lexikon vorstellen. Mit der Aufnahme wissenschaftlicher Termini in sein Wörterbuch, die er durch einen regen Briefwechsel mit Zeitgenossen sammelte, wollte Márton den Weg zu einem großen Nationalwörterbuch bahnen (vgl. Márton 1803, IV). Die lexikographischen Methoden von Márton können, im Vergleich zu denen vieler Zeitgenossen, aber auch Nachfolger, als durchaus modern und beispielhaft angesehen werden. Was die Auswahl seiner Stichwörter, d. h. die Makrostruktur seiner Wörterbücher anbelangt, ist es sein Verdienst, daß er neben umgangssprachlichen Ausdrücken auch Fachwörter, Phraseologismen sowie - wenngleich beschränkt - Neologismen in seine Wörterbücher aufnahm (vgl. Gáldi 1957, 539-540). In den einzelnen Wörterbuchartikeln numeriert Márton
Den beiden letzten Ausgaben seines Wörterbuches fügte Márton auch die lateinische Sprache hinzu. Vgl. Három nyelvböl készült oskolai lexicon, vagyis szokönyv ['Aus drei Sprachen zusammengestelltes Schullexikon oder Wörterbuch'], 1816; Deutsch-ungarisch-lateinisches Lexicon, 1823.
9 die jeweiligen Bedeutungen sorgfältig durch; gelegentlich versieht er sie auch mit Beispielen (vgl. Márton 1803, V). Bei den phonetischen und morphologischen Informationen seiner Werke scheint Márton vor allem metalinguistische (terminologische) Schwierigkeiten mit dem in dieser Hinsicht noch nicht entwickelten Ungarischen gehabt zu haben. Er fügt seinen Wörterbuchpaaren gesondert eine umfangreiche, auf die Bedürfnisse der Zielgruppe abgestimmte Grammatik bei, auf die in den betreffenden Wörterbuchartikeln verwiesen wird. Weitere Ergänzungen bilden ein Abkürzungsverzeichnis sowie für den deutsch-ungarischen Teil eine zusätzliche Tabelle der unregelmäßigen deutschen Verben. Für seine bedeutenden Arbeiten wird József Márton von Vilmos Tolnai zwei Jahrhunderte später als "Muster und Fundgrube der späteren Lexikographen" gewürdigt; seine Wortartikel sind in späteren Wörterbüchern häufig fast unverändert aufzufinden (Tolnai 1914, 961).
1.3.2.2.
Die Ungarische Gelehrte Gesellschaft: Magyar és német zsebszótár (1835-1838)
Die Ungarische Gelehrte Gesellschaft (Magyar Tudös Társaság), aus der sich später die Ungarische Akademie der Wissenschaften entwickelte, übte ihre Tätigkeit seit Ende 1830 aus (vgl. Gáldi 1957, 544). Das Magyar és német zsebszótár ['Deutsches und ungarisches Taschenwörterbuch'], 1835-1838, erschien unter der Leitung von Ferenc Schedel und Mihály Vörösmarty bereits im ersten Jahrzehnt nach der Gründung der Gesellschaft. Beide Wörterbücher entstanden als Gemeinschaftswerke; bei ihrer Entstehung wirkten führende "Sprachgelehrte" mit (vgl. Magyar és német zsebszótár 1838, V). Ziel der Verfasser war, ein möglichst vollständiges Werk zu schaffen: "Es sollte [...] dem täglich dringenderen Bedürfhiss eines möglichst vollständigen Handlexikons begegnet werden; welches sämmtliche, im gewöhnlichen Leben vorkommende, so wie die theils neu gebildeten, theils provinziellen, theils veralteten und wieder erweckten Wörter enthalte, welche durch die Mehrzahl angesehener Schriftsteller in die Büchersprache, und mittelst dieser in die des Lebens, Eingang fanden; so wie endlich die gewöhnlicheren Kunstausdrücke der verschiedenen Wissenschaften, Künste und Handwerke, und jene Fremdwörter, welche entweder durch ganz entsprechende neue Wörter noch nicht entbehrlich wurden, oder selbst nebst solchen sich noch eines allgemeinen Gebrauchs erfreuen" (Magyar és német zsebszótár 1838, V). Außerdem nahmen die Verfasser "viele, bisher noch in keinem ungrischen Wörterbuche vorfindliche Wörter" ins Wörterbuchkorpus auf (vgl. Magyar és német zsebszótár 1838, VI). Es kann in dieser Hinsicht Gáldi zugestimmt werden, daß das Taschenwörterbuch der ungarischen und deutschen Sprache der Ungarischen Gelehrten Gesellschaft das erste ausgesprochen im Zeichen der Spracherneuerung verfaßte Wörterbuch sei (vgl. Gáldi 1957, 544). Im Vorwort wird der deutschsprachige Benutzer nicht erwähnt. Die Taschenwörterbücher der Ungarischen Gelehrten Gesellschaft wurden weniger als Übersetzungswörterbücher, sondern vielmehr als eine Art Ersatz für ein einsprachiges Wörterbuch der ungarischen Sprache konzipiert (vgl. Gáldi 1957, 461 ff ). Das deutsche Wortmaterial des Taschenwörterbuches ist weitgehend mit dem deutschungarischen Wörterbuch von Márton von 1803 und 1810 identisch. Es herrscht ein starker
10 Purismus, in der Form, daß viele im Sprachgebrauch alltägliche Fremdwörter nicht aufgenommen wurden (vgl. Gáldi 1957, 544). Das ungarische Wortmaterial [ungarisch-deutsch: 1838] wird in fünf gleich große Teile (Antal, Bajza, Bugát, Schedel und Vörösmarty) aufgeteilt. Es erweist sich Neologismen gegenüber aufgeschlossener als das des deutsch-ungarischen Gegenstücks, hier zeigt sich wohl der Einfluß des inzwischen (1836) erschienenen Taschenwörterbuchs der ungarischen und deutschen Sprache von János Fogarasi. Die Benutzer werden durch die jeweiligen Vorworte musterhaft in die Handhabung der Akademischen Taschenwörterbücher (deutsch-ungarisch: ca. 50.000 Stichwörter; ungarischdeutsch: ca. 60.000 Stichwörter) eingeführt. Beide Wörterbücher enthalten eine Abkürzungstabelle, dem deutsch-ungarischen ist überdies eine Konjugationstabelle der unregelmäßigen deutschen Verben beigefügt. Lexikographisch betrachtet weist das Akademische Taschenwörterbuch mitunter moderne Züge auf. So werden z. B. in beiden Teilen die Präsensformen der 3. Person Indikativ lemmatisiert. Bei Mehrdeutigkeit der ausgangssprachlichen Lemmata führt man die Tradition von Márton weiter, indem die einzelnen Bedeutungen durch Semikolon voneinander getrennt (bei Márton durchnumeriert) aufgeführt werden. Das größte Verdienst der Akademischen Taschenwörterbücher ist jedoch, neben der lexikographischen Systematik, in ihrer normativen Funktion zu sehen. Sie haben die Schriftund Umgangssprache geregelt: Die terminologische Ungewißheit, die auch die ersten wissenschaftlichen Fachwörterbücher kennzeichnet, wird weitgehend ausgeräumt (vgl. Gáldi 1957, 545). Dies erklärt die Tatsache, daß beide Teile des Taschenwörterbuches der Ungarischen Gelehrten Gesellschaft noch lange Zeit Einfluß auf die ungarische Lexikographie ausgeübt haben.
1.3.2.3.
János Fogarasi
János Fogarasi (1801-1878)2, der hauptsächlich durch sein sechsbändiges Wörterbuch der ungarischen Sprache (A magyar nyelv szótára, 1862-74, zusammen mit Gergely Czuczor erarbeitet) bekannt wurde, veröffentlichte 1836, viele Jahre vor dem Erscheinen des einsprachigen ungarischen Wörterbuches, ein Taschenwörterbuch der ungarischen und deutschen Sprache nach der neuesten Orthographie, mit Aufnahme der neu gebildeten und wieder belebten ungarischen Wörter. Wie Fogarasi im Vorwort seines Wörterbuchs ausführt, entstand es auf Anregung von Buchhändlern: "Obgleich ich mich mit der ungarischen Sprache seit mehreren Jahren beschäftige, auch nichts versäumen will, um dieselbe zu lernen und nach Kräften zu befördern, so hätte ich dennoch die Hand an das Wörterbuch-Schreiben aus eigenem Antriebe nicht angelegt. Man glaube indessen nicht, daß meine Freunde mich überredet, oder meine Gönner mich zur Herausgabe dieses Wörterbuches bewogen hätten. Nein - bloß der Buchhändler, der die Bedürfnisse des Publikums oft besser kennt, als jeder Andere" (Fogarasi 1836, Bd.l, Vm-IX). Mit seinem Wörterbuch will Fogarasi auf die Bedürfnisse des Publikums eingehen, wobei dieses Publikum nicht explizit definiert wird. Immerhin wendet sich
2
Vgl. Szinnyei 1894, Bd.III, 590ff.
11 Fogarasi im Vorwort seines deutsch-ungarischen Wörterbuches sowohl an ungarische Benutzer als auch an "unseren braven Mitbürger fremder Zunge" (vgl. Fogarasi 1836, VI). Als Ziel hatte Fogarasi ein kleines, preiswertes aber doch anspruchsvolles Wörterbuch vor Augen: "Nachdem ich aber diese Arbeit übernommen hatte, versäumte ich nichts, so ein Wörterbuch im kleinen und mit Berücksichtigung auf die Wohlfeilheit nach Kräften zu geben, das die Forderungen, sowohl in der Aufzeichnung als Erklärung der einzelnen Wörter möglichst zufrieden stellte, obwohl ich undenkliche Schwierigkeiten in diesem kurzen Zeitraum allein zu bekämpfen hatte" (Fogarasi 1836, IX). Unter "undenklichen Schwierigkeiten" wird Fogarasi in erster Linie das Fehlen eines brauchbaren ungarischen Wörterbuches verstanden haben, das er gemeinsam mit Czuczor 30 Jahre später dann selbst schrieb, wobei das Erfassen des sich ständig verändernden Wortschatzes auf dem Höhepunkt der Spracherneuerungsbewegung zweifellos problematisch war. Fogarasi hat sich in seiner Arbeit des Wörterbuches von Ferenc Kresznerics (Magyar szóíár gyôkérrenddel és deákozatíal) ['Ungarisches Wörterbuch nach Wortstämmen (geordnet), mit Latein'] (1831-1832) bedienen können; allerdings eingeschränkt dadurch, daß das nach Wurzeln geordnete und mit lateinischen Erklärungen versehene Wörterbuch gerade "die Wörter neuerer Gestalt" (Fogarasi 1836, VII) nicht enthält, die mitsamt den deutschen Erklärungen für den Benutzer nötig gewesen wären. Als zweite Quelle seines ungarisch-deutschen Wörterbuches (1836) hat Fogarasi auch das kurz zuvor erschienene deutsch-ungarische Taschenwörterbuch Magyar és német zsebszótár ['Ungarisches und deutsches Taschenwörterbuch'] (1835) der Ungarischen Gelehrten Gesellschaft benutzen können, wobei es ihm vor allem auf die Erklärung der ungarischen Wörter ankam: "[...] im jetzigen Zustande der ungarischen Sprache thut es dem Publikum mehr und am meisten nach der Erklärung der ungarischen Wörter Noth" (Fogarasi 1836, VIQ). Im übrigen führt Fogarasi das Publikum in die Benutzung des Wörterbuches sorgfältig ein. Im Anschluß an das Vorwort fügt er seinem Wörterbuch eine "Erklärung der Abkürzungen in beiden Theilen" sowie das Alphabet der jeweiligen Sprache ein, und dem Wörterbuchkorpus (28.000 Stichwörter im ungarisch-deutschen und 35.000 Stichwörter im deutschungarischen Teil) folgt je eine Tabelle der unregelmäßigen Verben. Die Wörterbücher von Fogarasi sind systematisch angelegt. Ihre Schwäche liegt jedoch in einem einseitigen lexikographischen Prinzip: Dem jeweiligen Stichwort wird nur ein Äquivalent zugeordnet (vgl. Fogarasi 1836, XIV). Trotzdem erfuhren die Wörterbücher von Fogarasi insgesamt fünf immer wieder umgearbeitete Auflagen; den Rahmen eines Taschenwörterbuches überschritten sie jedoch nicht. Die Aufgabe, ein vollständiges Wörterbuch herauszugeben, übernahm ein späterer Zeitgenosse von Fogarasi, Mór Ballagi. Ballagi trat zuerst, wie Fogarasi, mit einem Taschenwörterbuch an die Öffentlichkeit (1843). Dieses erweiterte er später in einem solchen Umfang, daß es sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im wesentlichen allein behaupten konnte.
12 1.3.2.4.
Mór Ballagi
Mór Ballagi (1815-1891)3 war sein Leben lang ein treuer Anhänger der Spracherneuerungsbewegung, die sich maßgebend auf seine gesamte lexikographische Tätigkeit auswirkte. Letztere erstreckte sich über vier Jahrzehnte und war - der Anzahl seiner Stichwörter nach durch eine geradlinige Entwicklung und eine hohe Produktivität geprägt. Ballagis erstes Werk, das Neue vollständige Taschenwörterbuch der ungarischen und deutschen Sprache, zum Gebrauche für alle Stände, erschien 1843-1844, kurz nach dem Magyar ès német zsebszótár der Ungarischen Gelehrten Gesellschaft (1835-1838) und dem Taschenwörterbuch der ungarischen und deutschen Sprache von János Fogarasi (1836). Sein Bestreben war es, eine möglichst große Vollständigkeit zu erreichen: "Was ich hier anstreben zu müssen glaubte, war vorzüglich mit Präcision gepaarte Vollständigkeit. In dem Sinne mußte nicht nur Alles aus den bisherigen Wörterbüchern aufgenommen werden, sondern auch zeitweilig auftauchende und durch regen Journalverkehr zur Geltung gekommene neue Wörter und Redensarten nicht vergessen werden. Eben so mußten alle Speciallexika nicht nur benutzt, sondern auch an Stoff ergänzt und bereichert werden ..." (Ballagi 1843, V.). Seinem Prinzip der Vollständigkeit ist Ballagi - wie er dies im Vorwort aller seiner Wörterbücher betont - mittels einer großen Anzahl von Ergänzungs-, Hilfs- und Fremdwörterbüchern sowie der immer wieder völlig umgearbeiteten und erweiterten Neuauflagen sein Leben lang treu geblieben. Der Vollständigkeit halber verzichtete er auf eine selektierende Kritik seiner Quellen und häufte in seinen Wörterbüchern viel "totgeborenes Material" an, wofür er von den Zeitgenossen manchen Vorwurf einstecken mußte (vgl. Tolnai 1914, 963). Fest steht jedenfalls, daß die Wörterbücher Ballagis vom heutigen Benutzer (wohl nur noch dem Sprachforscher) vor allem als sonderbare Sammelsurien vieler kurzlebiger - möglicherweise schon zu ihrer Zeit überholter - Wörter angesehen werden können. Auf seine Zielgruppe geht Ballagi -zumindest in den Vorworten seiner Wörterbücher - kaum ein. Sie wird zwar mit "zum Gebrauche für alle Stände" im Titel der allerersten Auflage des Neuen vollständigen Taschenwörterbuches [...], 1843-44, angegeben, verschwindet aber später aus sämtlichen Neuauflagen. Statt dessen weist Ballagi im Vorwort der 6. Auflage (1890) auf eine Rede hin, die er an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften gehalten hatte. Im Rückblick auf sein lexikographisches Lebenswerk führt er darin die Zugänglichkeit der ungarischen Sprache für deutsche Muttersprachler als eines seiner Ziele an (vgl. Ballagi 1890, VIII). Das Neue vollständige Wörterbuch der deutschen und ungarischen Sprache (1854) erfuhr weitere sechs Auflagen; fast alle wurden umgearbeitet und erweitert. Von der Größenordnung her kann es mit seinen rund 80.000-100.000 Stichwörtern ohne Bedenken zu den mittelgroßen Handwörterbüchern gezählt werden. Das Vollständigkeitsprinzip von Ballagi wirkt sich offenkundig auf die Makrostruktur seiner Wörterbücher aus. Die Anzahl der Lemmata wird dadurch gewaltig erhöht. Was die Mikrostruktur seiner Wörterbücher anbelangt, hat Ballagi von vielen seiner Quellen (z. B. Heinsius, Weber, Schmid, Kaltschmid, Schwenk u. a.) profitiert (vgl. Ballagi 1854, VIII).
oder seiner jüdischen Herkunft entsprechend Moricz Bloch (vgl. Szinnyei 1891, Bd.l, 438)
13 In die einzelnen Mikrostrukturen wurde eine seinerzeit durchaus vollständige Grammatik integriert, in der sowohl phonetische (Punkte 1, 2) als auch morphologische Informationen (Punkte 4, 7) Eingang fanden (vgl. Ballagi 1854, VI-VII). Die einzelnen Bedeutungen werden klar auseinandergehalten: "[Es] wurde bei Angabe des Wortsinnes zuerst die eigentlich übliche Bedeutung des Wortes, sodann nach den natürlichen Uebergängen die näher bestimmenden oder erweiterten, die uneigentlichen oder redensartlichen Bedeutungen durch arabische Zahlen abgetheilt, und unter jede Abtheilung die dahin gehörenden Redensarten und Sprüchwörter eingereiht" (Ballagi 1854, VII). Es ginge über den Rahmen dieser Arbeit hinaus, die tatsächliche Verwirklichung der lexikographischen Zielsetzungen von Ballagi - sowohl auf der Ebene der Makro- als auch der Mikrostrukturen - zu untersuchen und zu bewerten. Die Wörterbücher von Ballagi werden hauptsächlich ihres Vollständigkeitsprinzips wegen als Vorläufer der zweisprachigen deutschungarischen und ungarisch-deutschen Wörterbücher des 20. Jahrhunderts angesehen.
1.3.2.5.
Zusammenfassung der deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie 1772-1862
Die lexikographischen Bemühungen der Aufklärung und des Reformzeitalters fanden ihren Höhepunkt 1862 im Erscheinen des A magyar nyelv szótára [*Wörterbuch der ungarischen Sprache'] von Gergely Czuczor und János Fogarasi, 1862-74 (6 Bände). Bevor auf die lexikographische Entwicklung nach 1862 näher eingegangen wird, scheint es zweckmäßig, die wichtigsten Tendenzen der zweisprachigen deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie kurz zusammenzufassen: (a) Die Bedeutung der lateinischen Sprache sowie die Beliebtheit der im 16. Jahrhundert noch weit verbreiteten mehrsprachigen Wörterbücher schwanden allmählich. (b) Die lexikographischen Werke der Aufklärung und des Reformzeitalters wurden, über den Freiheitskrieg 1848/49 hinaus, von der Spracherneuerungsbewegung stark beeinflußt. Die Aufklärung und das Reformzeitalter haben Grundlagen geschaffen, auf denen zahlreiche Werke unter dem Aspekt der Suche nach der eigenen Identität entstanden sind. Im Vordergrund stand die Auseinandersetzung mit deutschsprachigen Nachbarn. (c) In Ungarn fehlte ein einsprachiges Wörterbuch, das als Ausgangspunkt bei der Lemmataauswahl von zweisprachigen Wörterbüchern hätte dienen können: Der Mangel ließ sich nur mit eigenwilliger Selektierung des Wortmaterials durch die Lexikographen ausgleichen. Alle zweisprachigen Wörterbücher dieser Zeit weisen somit eine mehr oder weniger große Anzahl von Neologismen auf. Hinsichtlich der Aufnahme von Neologismen weisen die einzelnen lexikographischen Werke eine breite Palette auf, von skeptischer Zurückhaltung (Márton) bis zu wahlloser Akzeptanz (Ballagi). Die Berücksichtigung von wissenschaftlichen, umgangssprachlichen Elementen sowie Phraseologismen in den einzelnen Wörterbüchern kann ebenfalls der Aufklärung und dem Reformzeitalter zugeschrieben werden.
14 (d)
Das lexikographische Handwerk weist ebenfalls diverse Entwicklungsstufen auf. Es kann in mancher Hinsicht eine kontinuierliche Hinwendung zu verbesserten lexikographischen Techniken festgestellt werden. Während Márton noch mit erheblichen Schwierigkeiten in der linguistischen Terminologie (vgl. Abkürzungstabelle in Márton 1803) zu kämpfen hatte, kristallisierte sich diese in späteren lexikographischen Werken besser heraus. Die phonetisch-morphologischen Informationen wurden nicht mehr - wie bei Márton - isoliert, d. h. in Form einer Grammatik, dem Wörterbuch beigefügt, vielmehr wurden sie in die einzelnen Mikrostrukturen aufgenommen. Dies gilt auch für Ortsnamen, die Márton seinem Wörterbuch noch anhängte, während sie in späteren lexikographischen Werken, wie z. B. bei Ballagi, als selbständige Stichwörter im Wörterbuchkorpus erscheinen. Die verschiedenen Bedeutungen der Stichwörter wurden durch Numerierung voneinander getrennt. Die zweisprachige deutsch-ungarische und ungarisch-deutsche Lexikographie war in der Aufklärung und im Reformzeitalter ausschließlich durch ungarische Lexikographen repräsentiert. Dadurch beschränkte sich ihre Zielgruppe in der Praxis fast nur auf die ungarischen Muttersprachler. In den Vorworten der einschlägigen Wörterbücher wird kaum auf potentielle deutsche Benutzer hingewiesen, obwohl mit einer deutschsprachigen Benutzerschicht z. B. aus Siebenbürgen hätte gerechnet werden können. Oft wurden nicht einmal die Vorworte der ungarisch-deutschen Bände auf Deutsch verfaßt, sofern es solche zu den jeweiligen Wörterbüchern überhaupt gibt (vgl. Márton 1807, Iff.). Somit können diese Wörterbücher vor allem als Herübersetzungswörterbücher aus dem Deutschen (passives Wörterbuch) und Hinübersetzungswörterbücher (aktives Wörterbuch)4 ins Deutsche für ungarische Muttersprachler aufgefaßt werden. Als weiterer Aspekt der deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Wörterbücher des frühen 19. Jahrhunderts ist die sprachplanerische Funktion für das Ungarische zu erwähnen. So wurde z. B. das Magyar ès német zsebszótàr von der Ungarischen Gelehrten Gesellschaft, aber zum Teil auch die einschlägigen Werke von Márton als eine Art Ersatz bzw. Vorarbeit für ein einsprachiges Wörterbuch der ungarischen Sprache konzipiert.
(e)
13.3. Von 1862 bis zur Gegenwart Unter Berücksichtigung der Geschichte der modernen ungarischen Sprachwissenschaft sind in der historischen ungarischen Lexikographie der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts drei kleinere Zeitabschnitte zu unterscheiden. Die Geschichte der Lexikographie ist im Prinzip von der Kulturgeschichte und, noch enger betrachtet, von der Sprachwissenschaftsgeschichte kaum zu trennen; denn Lexikographie spiegelt einerseits die Kulturgeschichte, andererseits die Sprachwissenschaftsgeschichte eines Volkes wider. Der Einfluß unterschiedlicher Standpunkte der Spracherneuerungsbewegung auf die ungarische Lexikographie hat dies zur Genüge bewiesen.
4
zur Terminologie vgl. Wiegend 1988, S.528
15 Einige Forscher, wie ζ. B. Bakos, unterscheiden in der Geschichte der allgemeinen ungarischen Lexikographie nach 1862 nur zwei Abschnitte, indem sie eine Zäsur nach Ende des Zweiten Weltkriegs setzen (vgl. Bakos 1991, 2375). Meiner Meinung nach ist es jedoch sinnvoller, beim Beginn des Ersten Weltkriegs zusätzlich eine Trennlinie zu ziehen, da vor dem Ersten Weltkrieg eher ein Aufwärtstrend, danach aber bereits Regression zu konstatieren ist. Somit wäre die Geschichte der ungarischen und der sich parallel entfaltenden zweisprachigen deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie wie folgt in drei Entwicklungsstufen zu untergliedern: von 1862 bis zum Anfang des Ersten Weltkrieges, dann vom Ersten Weltkrieg bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges und schließlich von 1945 bis zur Gegenwart.
1.3.3.1.
Von 1862 bis zum Ersten Weltkrieg
Die lexikographischen Hauptlinien der Aufklärung und des Reformzeitalters werden erst 1862 mit dem einsprachigen Wörterbuch der ungarischen Sprache (A magyar nyelv szóíára) von Gergely Czuczor und János Fogarasi, 1862-74 (6 Bände) aufgegeben. Das methodische Erbe sowie die sprachwissenschaftlichen oder lexikographischen Ansichten früherer Perioden werden in dieser großangelegten Zusammenfassung weitergeführt. Eine neue Qualität des Wörterbuches von Czuczor und Fogarasi ist die reiche semantische und z. T. phraseologische Analyse. Wegen der völlig überholten Ansichten der Etymologisierung kann diesem Wörterbuch jedoch kein entsprechender Wert beigemessen werden. Das Wörterbuch von Czuczor und Fogarasi hat seinerzeit für viel Aufsehen gesorgt und die Entstehung anderer speziell sprachwissenschaftlicher Wörterbücher angeregt (vgl. Szathmári 1971, 23). Unter anderen sind ein paar grundlegende Synthesen zu erwähnen, wie Magyar nyelvtôrténeti szótár [Ungarisches sprachgeschichtliches Wörterbuch'] (1890-1893) von Zsigmond Simonyi und Gabor Szarvas; Magyar tàjszôtàr ['Ungarisches Dialektwörterbuch'] (1893-1901) von József Szinny ei; Magyar oklevélszótár ['Ungarisches Urkundenwörterbuch'] (1902-1906) von István Szamota und Gyula Zolnai und schließlich A magyar nyelvújítás szótára ['Wörterbuch der ungarischen Sprachemeuerung'] (1902-1908) von Kálmán Szily. Was die deutsch-ungarische und ungarisch-deutsche Lexikographie angeht, so ist sie nach 1862 durch eine Vielzahl von Werken geprägt. Die Traditionen der Vorgänger wurden weitergeführt: Beide Teile des Neuen vollständigen Wörterbuches der deutschen und ungarischen Sprache (Erstauflage 1854-57) von Mór Ballagi wurden immer wieder umgearbeitet und bis zum Ersten Weltkrieg noch fünfmal veröffentlicht; das deutsch-ungarische Wörterbuch, das als passives Wörterbuch für ungarische Muttersprachler diente, wurde jedoch gegenüber dem ungarisch-deutschen Wörterbuch durch mehrere Abdrucke bevorzugt.s Die polyglotte Tradition der vorangehenden Jahrhunderte wurde - obwohl sehr bescheiden weiterverfolgt. Die meisten dieser Werke wurden jedoch als Schulwörterbücher konzipiert, sie
5 Die Wörterbücher von Ballagi waren ihrerzeit und am Anfang des 20. Jahrhunderts stark gefragt und sehr verbreitet. Sein Ungarisch-Deutsches Handwörterbuch ist auch in den Vereinigten Staaten erschienen (vgl. Ballagi: Hungarian-German dictionary. Milwaukee. 1910).
16 bilden daher nicht den Gegenstand vorliegender Untersuchung. Das einzige erwähnenswerte dreisprachige Wörterbuch nach 1862 stammt von Joseph Loos (1839-1878) (vgl. Szinnyei 1900, Bd.7, 1393). Das Wörterbuch der ungarischen, deutschen und slovakischen Sprache wurde 1869-71 in drei Bänden - mit einer jeweils anderen Ausgangssprache - veröffentlicht. Unter dem Titel Wörterbuch der ungarischen und deutschen Sprache hat das Wörterbuch von Loos auch zweisprachige Auflagen erfahren (Budapest 1869). Die deutsch-ungarische und ungarisch-deutsche Lexikographie nach 1862 zeichnet sich auch durch eine große Anzahl von Taschenwörterbüchern aus (wie ζ. B. von János Tipray, Ignácz Füredi, Ferdinánd Könnye, Frigyes Hoffmann, Mór Hoffmann, Rezsô Altai). Gemeinsam ist diesen Werken, daß sie alle ausnahmslos von ungarischen Lexikographen hauptsächlich für ungarische Muttersprachler verfaßt sind, was einmal mehr die Einseitigkeit der deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie zu bestätigen scheint. Mehrere Wörterbücher wurden jedoch im deutschsprachigen Raum veröffentlicht, wie das Deutschungarische und ungarisch-deutsche Taschenwörterbuch (Wien 1890) von Könnye, das Taschenwörterbuch der ungarischen und deutschen Sprache (Leipzig 1890, 1900) von Frigyes Hoffmann und schließlich das Ungarisch-deutsche und deutsch-ungarische Taschenwörterbuch (Berlin 1899) von Mór Hoffmann; sie dienten zum Teil der ungarischen Textrezeption und der Produktion ungarischer Texte seitens eines deutschen Benutzerkreises. Die wichtigsten lexikographischen Ergebnisse dieses Zeitraums sind jedoch nicht die Schul- oder Taschenwörterbücher. Vor dem Ersten Weltkrieg wurden das Deutsche und ungarische Wörterbuch (1899-1902) von Zsigmond Simonyi und József Balassa sowie einschlägige Werke von Béla Kelemen (1901-1904) veröffentlicht; aus der Sicht der deutschungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie sind das bedeutende Wörterbücher. Vor allem die Wörterbücher von Béla Kelemen bildeten die Basis für künftige Großwörterbücher. Die genannten Werke, auf die in der vorliegenden Arbeit detailliert eingegangen wird, verkörpern einen damals neuen Wörterbuchtypus, der vor allem durch geschickte Auswahl der einzelnen Stichwörter sowie durch die Anwendung neuer lexikographischer Technik auffällt. Dem Wörterbuch von Simonyi und Balassa waren von vornherein enge Begrenzungen auferlegt, es konnte daher nicht über den Rahmen eines ausgezeichneten Schulwörterbuches hinauswachsen. Die Hand- und Großwörterbücher von Kelemen entstanden durch fortlaufende Erweiterung einer ursprünglichen Taschenwörterbuchausgabe. Sie erfuhren mehrere Auflagen und prägten vor allen anderen Wörterbüchern die zweisprachige deutsch-ungarische und ungarisch-deutsche Lexikographie bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs.
1.3.3.1.1.
Zsigmond Simonyi und József Balassa: Deutsches und ungarisches Wörterbuch (1899-1902)
Mit ihrem Gemeinschaftsprojekt wollten Zsigmond Simonyi (1853-1919)6 und József Balassa (1864-1945)7, beide bekannte und verdiente Sprachwissenschaftler (vgl. 2.1.1 und 3.1.1), den
6
Vgl. z. B. Prohászka 1953, 11-31.
7
Vgl. z. B. Gulyás 1939, Bd.l, 1143-1150
17 neuen Anforderungen der Zeit um die Jahrhundertwende gerecht werden. Da die Wörterbücher von Ballagi in jeder Beziehung veraltet waren und dem Bedarf nicht mehr genügten, setzten sich die Verfasser des Deutschen und ungarischen Wörterbuches zum Ziel, diesen Mangel zu beheben und die deutsch-ungarische Wörterbuchliteratur auf den neuesten Stand zu bringen; sie habe nämlich, von ein paar kleinen Wörterbüchern abgesehen, die Entwicklung der deutschen und ungarischen Literatursprache in dem letzten halben Jahrhundert außer acht gelassen (vgl. Simonyi/Balassa 1899, V). Das Wörterbuch von Simonyi und Balassa verzichtete von vornherein auf das Vollständigkeitsprinzip von Ballagi und blieb daher ein begrenztes Unternehmen [im deutsch-ungarischen Wörterbuch ca. 40-50.000 deutsche Stichwörter; im ungarisch-deutschen Wörterbuch etwas weniger] (vgl. Tolnai 1914, 963). Außer dem schmalen Umfang hat auch eine den Wörterbüchern von Ballagi entgegengesetzte puritanische orthologische Richtung, die Neologismen ausdrücklich ablehnte, zu einer gewissen Einseitigkeit im Wörterbuchkorpus beigetragen. Die Verfasser standen dem bestehenden Wörterbuchmaterial kritisch gegenüber (wobei die einzelnen Quellen nicht namentlich aufgezählt werden): Sie befreiten es von neologischen Mißbildungen und Druckfehlern und ergänzten es durch viele neue Stichwörter aus dem modernen Leben. Ein besonderes Verdienst dieses Wörterbuches besteht jedoch in der Aufnahme vieler Redewendungen, die zum Teil, laut Vorwort zum Deutsch-ungarischen Teil, aus einem früheren Werk von Simonyi mit dem Titel Deutsche und ungarische Redensarten (1896) stammen (vgl. Simonyi/Balassa 1899, V-VI). Eine weitere Besonderheit des Wörterbuches von Simonyi und Balassa ist, daß es im Gegensatz zu den Vorläufern, die nur als passive Wörterbücher aus dem Deutschen für ungarische Muttersprachler dienten, auch deutsche Benutzer ins Auge faßt (vgl. Simonyi/Balassa 1899, VI). Dem Wörterbuchkorpus des deutsch-ungarischen Bandes ist zu diesem Zweck eine Konjugations- und Deklinationstabelle der unregelmäßigen ungarischen Wörter angehängt. Darüber hinaus sind die Verben statt im Infinitiv in einer für die ungarische Sprachstruktur besser geeigneten lexikalischen Form angegeben, nämlich in der dritten Person Indikativ Präsens. Diese Besonderheit ist vor allem bei mehrstämmigen Verben von Bedeutung, bei denen die lexikalische Stammvariante (mit der Ausnahme von -ik- Verben) in der Regel der 3. Person Singular des Präsens Indikativ entspricht vgl. tesz 'er tut (etwas)'; tesz-e-k 'ich tue (etwas)'; tesz-nek 'sie tun (etwas)' vs. Infinitiv ten-ni 'etwas tun' (vgl. Tompa 1972, 34-35). Beide Teile des Werkes sind insgesamt sorgfältig aufgebaut: Dem Vorwort (das im ungarisch-deutschen Teil fehlt) folgen Benutzungshinweise, dem deutsch-ungarischen Teil ist neben der bereits erwähnten Konjugations- und Deklinationstabelle der ungarischen Verben und Substantive (Stammwechsel u. ä.) ein Abkürzungsverzeichnis der im Wörterbuch benutzten Termini beigegeben. Über das Wörterbuch von Simonyi und Balassa wurde von den Zeitgenossen recht viel diskutiert. Es wurde bemängelt, daß zahlreiche "Kunst- und Fachausdrücke der Klassensprachen" [möglicherweise im Sinne von Sondersprache] dem Selektierungsprinzip zum Opfer gefallen seien (vgl. Tolnai 1914, 963). Die Verfasser folgten in ihrem Wörterbuch mangels
18 einheitlicher deutscher Orthographie der österreichischen Variante8, was ebenfalls Kritik herausforderte: "Das umfangreiche Buch enthält immerhin einige hundert Fälle, wo entweder zweifellos sprachwidrige deutsche Wortbildungen, Flexionen oder Wendungen vorliegen, oder ganz einseitig locale, zum Theil verderbte zum Theil jedenfalls mit Recht verpönte, österreichisch-ungarische Dialekt- oder besser Jargonausdrücke unter den hochdeutschen anderen figurieren" (Winkler 1899, 1075). Das Wörterbuch von Simony i und Balassa stellt jedoch, trotz aller seiner Mängel, im Gegensatz zu den Wörterbüchern von Ballagi zweifellos eine neue Entwicklungsstufe dar. Obwohl es schon dem Umfang nach den Aufgaben eines einschlägigen Großwörterbuches nicht gerecht werden kann, kommt dem Werk eine Schlüsselstellung zu für die Entwicklung der zweisprachigen deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie des 20. Jahrhunderts.
1.3.3.1.2.
BélaKelemen
Béla Kelemen (1865-1944) trat mit seinem Magyar és német zsebszótàr, tekintettel a két nyelv szólàsaira ['Taschenwörterbuch der ungarischen und deutschen Sprache unter Berücksichtigung der Phraseologismen beider Sprachen'], 1897-1898, noch vor der Jahrhundertwende auf, um dann die deutsch-ungarische und ungarisch-deutsche Lexikographie mehr als vierzig Jahre lang zu beherrschen. Kelemen erwies sich auch nach dem Erscheinen seines Taschenwörterbuches als äußerst produktiv. Beide Teile des Werkes wurden viele Male herausgegeben und dabei des öfteren umgearbeitet und erweitert (Deutsch-ungarisch: 22 Auflagen; Ungarisch-deutsch: 31 Auflagen). Das Taschenwörterbuch von Kelemen wurde von den Zeitgenossen so positiv aufgenommen, daß er, trotz des inzwischen erschienenen deutsch-ungarischen Bandes des Deutschen und Ungarischen Wörterbuches (1899-1902) von Zsigmond Simony i und József Balassa, bereits 1901 noch ein Handwörterbuch mit ca. 50.000 Stichwörtern mit dem Titel Handwörterbuch der ungarischen und deutschen Sprache mit besonderer Rücksicht auf die Phraseologie herausbrachte. Es wurde von ihm mehrmals umgearbeitet und insgesamt fünfmal veröffentlicht. Die zweite (1912-1914) und dritte (1929) Auflage erschien unter dem Titel Großes Handwörterbuch der ungarischen und deutschen Sprache, die vierte und fünfte unter dem Titel Német-magyar und Magyar-német nagy szótár ['Deutsch-ungarisches und Ungarisch-deutsches Großwörterbuch'] (1941 und 1942). Damit ist die Dreigliederung der heutigen deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Wörterbücher in Taschenwörterbücher, Handwörterbücher und Großwörterbücher auf Kelemen zurückzuführen. Kelemen folgte in seinen Wörterbüchern einer doppelten Zielsetzung. Er wollte vor allem den Interessen des gebildeten Publikums nachkommen, deshalb nahm er sowohl möglichst viele moderne umgangssprachliche Bezeichnungen und Redewendungen beider Sprachen als auch nützliche grammatische Hinweise auf die jeweils fremde Sprache auf (vgl. Kelemen
Vgl. Simonyi/Balassa: 1899, VII: "Regeln und Wörterverzeichnis för die deutsche Wien. Im kaiserlich-königlichen Schulbücher-Verlage".
Rechtschreibung.
19 1901, VU). In der Hoffnung auf ein gehobenes Bildungsniveau und auch einschlägige Erfahrungen der Adressaten verzichtete der Verfasser auf eine Einführung in den Gebrauch des Handwörterbuchs. Er begnügte sich damit, seine Benutzer auf die Systematik und den Aufbau seines Taschenwörterbuches zu verweisen. Die neueren Auflagen seines Handwörterbuches und später seines Großwörterbuches versah Kelemen mit einigen wenigen Benutzungshinweisen. Fast alle Neuauflagen der Kelemenschen Wörterbücher wurden sowohl in der zeitgenössischen ungarischen als auch deutschsprachigen Fachpresse rezensiert und hoch gelobt. Auf potentielle deutschsprachige Benutzer wird allerdings von Kelemen nirgends hingewiesen. Seine Kritiker fanden jedoch die Werke für deutsche Muttersprachler gleichfalls gut geeignet: "K.S Wörterbuch ist zwar in erster Linie für Ungarn und für der ungarischen Sprache mehr oder minder mächtige Deutsche verfaßt - das beweisen die in beiden Teilen nur ungarisch gegebenen Erklärungen -, aber das Werk ist ja nicht für Anfänger bestimmt, und solche, die mit dem Ungarischen auch nur ein wenig vertraut sind, können es, da im Verzeichnis der Abkürzungen die deutsche Bedeutung dieser erklärenden Ausdrücke leicht aufzufinden ist, auch außerhalb Ungarns mit dem besten Erfolge gebrauchen, um so mehr, als es ein auf Grund der besten Quellen, mit großem Sachverständnis und guter Methode ausgearbeitetes Werk ist, das in jeder Hinsicht auf der Höhe der Wörterbuchliteratur steht" (Rácz 1905, 1423). Obwohl heute veraltet, stellen die Wörterbücher von Kelemen einen Höhepunkt in der Geschichte der deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dar. Sie sind als unmittelbare Vorgänger der Wörterbücher von Halász anzusehen, die seit vierzig Jahren fast unangefochten die zeitgenössische einschlägige Lexikographie repräsentieren.
1.3.3.1.3.
Zusammenfassung der deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie 1862-1914
Das Erscheinen des einsprachigen Wörterbuches von Czuczor und Fogarasi - obwohl es umstritten und recht bald nach seinem Erscheinen auch schon überholt war - hat die zweisprachige deutsch-ungarische und ungarisch-deutsche Lexikographie nach 1862 stark beeinflußt. Bis zum Ersten Weltkrieg sind auf diesem Gebiet unterschiedliche lexikographische Tendenzen zu erkennen. Sie lassen sich wie folgt zusammenfassen: (a) Die zweisprachige deutsch-ungarische und ungarisch-deutsche Lexikographie in der zweiten Hälfte des 19. und im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts ist gekennzeichnet durch eine große Anzahl von Taschenwörterbüchern. Sie sind ausnahmslos, wie sonst auch andere einschlägige Wörterbücher dieses Zeitraums, von Lexikographen ungarischer Muttersprache verfaßt worden. Als solche wenden sie sich im großen und ganzen nur an einen ungarischen Benutzerkreis. Einzelne Werke wurden auch im deutschsprachigen Ausland (Österreich und Deutschland) veröffentlicht: Sie könnten deutschen Benutzern gedient haben. Die meisten dieser Wörterbücher erfuhren
20
(b)
(c)
1.3.3.2.
mehrere Auflagen, was mit einer starken Nachfrage seitens der Benutzer zu erklären ist. Ein großer Teil von ihnen wurde gewiß als Schulwörterbuch gebraucht. Die Spracherneuerungsbewegung wirkte sich weiterhin aus. So wurden einerseits die Wörterbücher von Mór Ballagi bis zum Ersten Weltkrieg immer wieder aufgelegt. Ballagi war sein Leben lang ein treuer Anhänger der Spracherneuerungsbewegung gewesen: Er nahm zahlreiche Neologismen wahllos in seine Wörterbücher auf. Andererseits setzte aber die Herausgabe des Wörterbuches von Simonyi und Balassa einen Wendepunkt. Simonyi und Balassa vertreten in ihrem Werk eher einen orthologischen Standpunkt, der sich Neologismen gegenüber ziemlich vorsichtig verhält. Abgesehen von einem allzusehr auf orthologische Gesichtspunkte eingeschränkten Korpus weist das Wörterbuch von Simonyi und Balassa mitunter recht moderne lexikographische Eigenschaften auf: z. B. die Lemmatisierung der 3. Person Singular im Indikativ Präsens statt des Infinitivs für die ungarischen Verben. Außerdem enthalten die einzelnen Wörterbuchartikel zahlreiche Synonyme und Redewendungen, zum Teil auch mit Beispielen, was das Übersetzen ins Deutsche oder aus dem Deutschen ins Ungarische für ungarische Muttersprachler erleichtert haben mag. Ergänzende Tabellen sowie grammatische Informationen sollten den Bedürfnissen deutscher Benutzer Rechnung tragen. Die wichtigste lexikographische Leistung in der Geschichte der deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie vor dem Ersten Weltkrieg ist Béla Kelemen zuzuschreiben. Sein Verdienst besteht unter anderem in der Neutralität gegenüber Neologen und Orthologen, die ein adäquates Wörterbuchkorpus ermöglichte. Béla Kelemen beherrschte fast allein die deutsch-ungarische und ungarisch-deutsche Lexikographie bis 1957, bis zum Auftreten von E16d Halász. Vor dem Ersten Weltkrieg wurden Kelemens Handwörterbuch der ungarischen und deutschen Sprache mit besonderer Rücksicht auf die Phraseologie, 1901-1904, sowie sein Großes Handwörterbuch der ungarischen und deutschen Sprache, 1912-1914, veröffentlicht. Sie dienten den Bedürfnissen "des gebildeten Publikums". Zu diesem Zweck weisen sie ein stetig wachsendes Wörterbuchkorpus sowie in den einzelnen Artikeln mehr und mehr sinnentsprechend eingebaute grammatische Informationen auf. Die Wörterbücher von Kelemen, vor allem die Auflagen während des Ersten Weltkrieges und danach, können in der Tat als Vorläufer der heutigen deutsch-ungarischen und ungarischdeutschen Großwörterbücher von Elód Halász angesehen werden.
Vom Ersten Weltkrieg bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges
Der Zeitraum vom Ersten Weltkrieg bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges ist aus lexikographischer, aber auch allgemein linguistischer Sicht durch einen Rückfall gekennzeichnet. Die ungarische Wirtschaft war in eine schwere finanzielle Krise geraten, was die unmittelbare Verarmung der Ungarischen Akademie nach sich zog. Mehrere Zeitschriften, wie Nyelvtudomäny, Keleti Szemle, lösten sich auf, aber auch die weiter existierenden Fachperiodika zeigten
21
große Erscheinungslücken oder drastisch verminderten Umfang. Es gab außerdem kein Gremium, das die Koordination größerer Wörterbuchprojekte hätte übernehmen können. Diese Zeitspanne ist somit überwiegend durch unvollendete Arbeiten gekennzeichnet. Lexikographisch betrachtet kann dem Magyar etymologiai szótár ['Ungarisches Etymologisches Wörterbuch'], 1914-1944, von Zoltán Gombocz und János Melich ein herausragender Stellenwert zuerkannt werden. Da nur zwei Bände erschienen, blieb dieses Werk leider unvollendet. Darüber hinaus wurde 1941 ein anderes einschlägiges Handbuch, das Magyar szöfejtö szótár ['Ungarisches etymologisches Wörterbuch'] von Géza Bárczi veröffentlicht. Die Materialsammlung des akademischen einsprachigen Großwörterbuches schritt infolge konzeptioneller Schwierigkeiten nur langsam voran und konnte erst nach dem Zweiten Weltkrieg abgeschlossen werden (vgl. Szathmári 1971, 28). Das kleinere einsprachige Wörterbuch A magyar nyelv szótára ['Wörterbuch der ungarischen Sprache'], 1940, von József Balassa konnte das Bedürfnis eines aktuellen einsprachigen Wörterbuches kaum befriedigen. Die deutsche Lexikographie in Ungarn war von dem allgemeinen Rückfall nicht so sehr betroffen. In der Geschichte der deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie fällt jedoch zwischen den Kriegen keine Regression auf, allenfalls vielleicht in quantitativer Art. Dabei werden möglicherweise politische Gründe eine Rolle gespielt haben (vgl. Hanák 1988, 209-222). Es erschienen vor allem einige kleinere Taschenwörterbücher (wie Altai, Bitter/Puhr). Auch die Taschenwörterbücher von Kelemen wurden immer wieder neu verlegt, ebenfalls die lexikographischen Werke der früheren Phasen, allerdings in umgearbeiteter und ergänzter Form. So erschien das Taschenwörterbuch der ungarischen und deutschen Sprache (2 Bände) von József Balassa 1915-1917 beim Verlag Langenscheidt in Berlin. József Balassa konnte als Mitverfasser des Deutschen und ungarischen Wörterbuches von Zsigmond Simonyi, 1899-1902, auf eine adäquate lexikographische Erfahrung zurückgreifen. Beim Taschenwörterbuch der ungarischen und deutschen Sprache, 1915-1917, kann jedoch kaum von einer Überarbeitung des Gemeinschaftsprodukts der Jahrhundertwende die Rede sein. Die Benutzungsschwerpunkte gehen nämlich eher auf die Bedürfnisse deutscher Muttersprachler ein, das Werk wendet sich also an eine andere Zielgruppe als sein Vorläufer. Das Taschenwörterbuch von Balassa erfuhr zwischen 1915 und 1930 fünf Auflagen. Zum ersten Mal in der Geschichte der zweisprachigen deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie wird hier auf die Bedürfnisse deutscher Muttersprachler eingegangen. Da Balassa sein Werk nicht als Handwörterbuch oder Großwörterbuch konzipiert hatte, konnte es den Rahmen eines Kleinwörterbuches nicht überschreiten. Die Rolle des einzigen umfangreichen deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Wörterbuches blieb weiterhin dem Werk von Kelemen vorbehalten. Sein Handwörterbuch wurde bis Ende des Zweiten Weltkrieges noch dreimal verlegt, einmal als Großes Handwörterbuch der deutschen und ungarischen Sprache 1929 (ca. 80.000 Stichwörter) und später zweimal hintereinander, zum Großwörterbuch umgearbeitet, unter dem Titel Német-magyar und Magyar-német nagy szótár ['Deutsch-ungarisches und Ungarisch-Deutsches Großwörterbuch'] (1941 und 1942). Der Verfasser wollte mit dieser umgearbeiteten Auflage den seit der ersten Auflage seines Wörterbuches, 1901-1904, weitgehend veränderten politischen und wirtschaftlichen Verhält-
22 nissen gerecht werden. Die dritte Auflage von 1929 weist eine stark erhöhte Stichwortanzahl sowohl im deutsch-ungarischen (ca. 80.000 Stichwörter) als auch im ungarisch-deutschen Band (ca. 65.000 Stichwörter) auf. Die voneinander abweichende Stichwortanzahl der beiden Bände ist begründet durch den unterschiedlichen Aufbau ihrer Mikrostruktur. Die einzelnen Wörterbuchartikel sind nämlich in dem ungarisch-deutschen Teil detaillierter ausgearbeitet, was den aktiven Charakter als Übersetzungswörterbuch ins Deutsche für ungarische Muttersprachler deutlich hervorhebt.
1.3.3.2.1.
József Balassa: Taschenwörterbuch der ungarischen und deutschen Sprache (1915-1917)
Das Wörterbuch von József Balassa stellt eine Besonderheit in der bisherigen deutschungarischen und ungarisch-deutschen lexikographischen Literatur dar. Es ist in 2 Bänden (ungarisch-deutsch: 1915 und deutsch-ungarisch: 1917) in der Taschenwörterbuchserie beim Verlag Langenscheidt in Berlin erschienen. Beide Teile dienten hauptsächlich praktischen Zwecken: "für Reise, Lektüre, Konversation und Schulgebrauch", wie auf der inneren Seite des Titelblattes vermerkt ist. Die spezielle phonetische Ausstattung verleiht jedoch jedem einzelnen Wörterbuch der Serie Fonolexika zweifellos einen besonderen wissenschaftlichen Charakter. Als Zielgruppe wurden sowohl deutsche als auch ungarische Muttersprachler angesehen: "Das vorliegende Wörterbuch beabsichtigt, die Ansprüche sowohl des Ungarisch lernenden Deutschen, wie des Deutsch lernenden Ungarn zu befriedigen. Verlagsbuchhandlung und Verfasser waren bestrebt, dem Benutzer ein praktisches und zuverlässiges Buch in die Hand zu geben" (Balassa 1915, V). Obwohl das Taschenwörterbuch der ungarischen und deutschen Sprache von József Balassa den Rahmen eines Kleinwörterbuches nicht übersteigt (ungarischdeutsch: ca. 25.000 Stichwörter; deutsch-ungarisch: ca. 40.000 Stichwörter), ist das Wörterbuchkorpus in beiden Fällen sorgfältig zusammengestellt. Der ungarisch-deutsche Band diente in erster Linie der Rezeption ungarischer Texte durch deutsche Muttersprachler: "Bei der Zusammenstellung des aufgenommenen Wortmaterials war [es] mein Bestreben, daß das Buch als geeignetes Auskunftsmittel jedem diene, der die moderne ungarische Literatur lesen will" (vgl. Balassa 1915, V). Dialektwörter sowie Archaismen wurden, soweit sie bei neueren ungarischen Schriftstellern fehlten, nicht berücksichtigt. Häufig verwendete technische Fachausdrücke wurden jedoch ins Wörterbuchkorpus aufgenommen. Dies gilt in noch höherem Maße für den deutsch-ungarischen Teil, da er eine wesentlich höhere Stichwortanzahl aufweist. Die Benutzer beider Bände werden detailliert in die Handhabung des Wörterbuches eingeführt: Nach dem zweisprachig verfaßten Vorwort folgen in jedem Band wiederum zweisprachige Benutzungshinweise ("Vorbemerkungen"). Danach werden die phonetischen Charakteristika des Toussaint-Langenscheidt-Systems sowie die im Wörterbuch verwendeten Zeichen und Abkürzungen in der jeweiligen Zielsprache erläutert. Vor dem eigentlichen Wörterbuchkorpus folgen weiter ausführliche Konjugations- und Deklinationstabellen der
23 Ausgangssprache, auf die konsequent verwiesen wird. Die einzelnen Tabellen werden in der jeweiligen Zielsprache erklärt. Das Wörterbuch wurde ausschließlich in Ungarn zur Kenntnis genommen. Es ist mir nicht gelungen, Zeichen für eine Resonanz seitens deutscher Benutzer ausfindig zu machen, trotz der Tatsache, daß zum ersten Mal in der Geschichte der sprachenpaarbezogenen deutschungarischen Lexikographie die Interessen von deutschsprachigen Benutzer primär in den Vordergrund gestellt worden waren. In Ungarn wurde hauptsächlich die in früheren Wörterbüchern nur mäßig angewendete Verweistechnik des Wörterbuches mißtrauisch aufgenommen. Vor allem "die Geduld des fremden Benutzers", der im Wörterbuch immer vor- und zurückblättern mußte, erschien überstrapaziert (vgl. Rubinyi 1917,40). Béla Kelemen würdigt in einem an Gyula Zolnai (1862-1949), ein seinerzeit angesehener ungarischer Sprachwissenschaftler und Lexikograph, geschriebenen Brief das Werk von Balassa als ein Wörterbuch, das viel Gutes enthalte, von ausgezeichneter Systematik, fürs ungarische Publikum jedoch [zu] "hoch" sei.9 Insgesamt fand das Wörterbuch jedoch eine positive Aufnahme. Allein die Tatsache, daß neben anderen bekannten Sprachen auch Ungarisch in der Fonolexika-Taschenwörterbuchreihe des angesehenen Langenscheidt-Verlages erschien, wurde günstig bewertet; dies habe zu einem würdigen Stellenwert des Ungarischen beitragen können (vgl. Rubinyi 1917, 40). Das Taschenwörterbuch der ungarischen und deutschen Sprache von József Balassa wurde viele Male (der Teil Deutsch-Ungarisch bis 1941 achtmal, der Teil UngarischDeutsch bis 1943 zehnmal) veröffentlicht, was ohne Zweifel einen vorhandenen Absatzmarkt und/oder bestehende Nachfrage voraussetzte.
1.3.3.2.2.
Zusammenfassung der deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie zwischen 1914 und 1944
Die wichtigsten lexikographischen Tendenzen der deutsch-ungarischen und ungarischdeutschen Lexikographie zwischen 1914 und 1944 lassen sich wie folgt zusammenfassen: (a) Das allgemeine lexikographische Leben zwischen 1914 und 1944 ist gegenüber früheren Aufwärtstrends durch eine Regression geprägt. Diese Regression wird in der deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie eher schwach durch einen quantitativen Rückfall sichtbar. Es traten kaum neue Lexikographen auf, was auf eine Bedarfdeckung durch die schon vorhandenen Werke schließen läßt. (b) Die deutsch-ungarische und ungarisch-deutsche Lexikographie dieser Periode ist in erster Linie durch Taschenwörterbücher gekennzeichnet. Die Taschenwörterbücher von Kelemen erschienen bis in die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg noch viele Male. Dem beim Verlag Langenscheidt erschienenen Taschenwörterbuch der ungarischen und deutschen Sprache von József Balassa ist ein besonderer Stellenwert beizumessen, da es bewußt auf die Bedürfnisse des deutschen Benutzers eingeht.
"[...] utolsó levélvíltisunkkor kérdezed, hogy mit tartok a könyvröl. Ha érdekel, egyszer elmondom. Most röviden csak annyit: sok jó van benne s rendszere is pompís, csak a s i kôzônségûnknek 'magas' " (Brief von Béla Kelemen an Gyula Zolnai 1917, MTA KOnyvtára [Bibliothek der Ungarischen Akademie für Wissenschaften'], Ms 4156/182).
24
(c)
1.3.3.3.
Außerdem ist das Deutsch-ungarische und ungarisch-deutsche Wörterbuch von Illés Bitter und Ferenc Puhr, 1936-1938, zu erwähnen, Die Rolle eines größeren Wörterbuches wurde ausschließlich dem großen Handwörterbuch (1929) und später dem Großwörterbuch (1941 und 1942) von Kelemen überlassen. Letztere sind als unmittelbare Vorläufer des heutigen deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Wörterbuches von Elód Halász zu betrachten.
Von 1945 bis zur Gegenwart
Die Lexikographie nach dem Zweiten Weltkrieg nahm eine starke Aufwärtstendenz. Das 1949 gegründete Sprachwissenschaftliche Institut der Ungarischen Akademie der Wissenschaften spielte dabei eine erhebliche Rolle. In der Vielzahl der in der Nachkriegszeit herausgebrachten Werke sind beinahe alle lexikographischen Bereiche vertreten. Das einsprachige erklärende Wörterbuch der ungarischen Sprache in 7 Bänden (A magyar nyelv értelmezó szótára 1959-62) sowie eine kürzere Fassung als Erklärendes Handwörterbuch der ungarischen Sprache {Magyar értelmezó kéziszótár 1972) gleichen frühere Lücken der ungarischen Lexikographie aus. Dasselbe gilt für etymologische Wörterbücher, wie A magyar szókészlet ßnnugor elemei ['Die finnischugrischen Elemente des ungarischen Wortschatzes'] (1967-78) von György Lakó, sowie für das von Loránd Benkó unter dem Titel A magyar nyelv torténeti-etimológiai szótára (19671984) herausgegebene Historisch-etymologische Wörterbuch der ungarischen Sprache. Als neueste Werke sind in diesem Zusammenhang die ersten zwei Bände des Etymologischen Wörterbuches des Ungarischen (1993) von Loránd Benkó und das Uralische Etymologische Wörterbuch (1988-1991) von Károly Rédei zu erwähnen. Als Ergebnis synchroner Untersuchungen entstand ferner eine Vielfalt von Spezialwörterbüchem. Es sind vor allem die vielen Dialektwörterbücher zu nennen, wie z. B. Szegedi szótár ['Wörterbuch aus Szeged'] (1957) von Sándor Bálint; Ormánysági szótár ['Wörterbuch aus Ormányság'] (1952) von Kálmán Keresztes; Szlavóniai szótár (1967-78) ['Slavonisches Wörterbuch'] von Olga Penavin; Erdélyi magyar szótorténeti tár I.-V. oder Wort ge schichtlicher Thesaurus der Siebenbiirgisch-ungarischen Sprache (1975-) von Attila T. Szabó sowie Új magyar tájszótár ['Neues Dialektwörterbuch des Ungarischen'] (Band 1: A-D. 1979; Band 2: E-J. 1988; Band 3: K-M 1992) von Èva Β. Lôrinczy. Fremdwörterbücher sowie Aussprachewörterbücher für Fremdwörter sind ebenfalls zu erwähnen: ζ. B. Idegen szavak és kifejezések szótára ['Wörterbuch der Fremdwörter und der fremden Ausdrücke'] (1973) von Ferenc Bakos und Idegen nevek kiejtési szótára ['Aussprachewörterbuch der fremden Namen'] (1974) von Tamás Magay. Als eine weitere Besonderheit der Nachkriegszeit sind das Ungarische Synonymwörterbuch (Magyar szinonimaszótár 1978) von Gábor O. Nagy und Èva Ruzsiczky sowie das Rückläufige Wörterbuch der ungarischen Sprache (A magyar nyelv szóvégmutató szótára 1969) von Ferenc Papp anzuführen. Die zweisprachige Lexikographie zeigte im Ungarn der Nachkriegszeit eine rasante Entwicklung. Alle lexikographischen Projekte wissenschaftlichen Charakters unterstanden dem Sprachwissenschaftlichen Institut der Akademie und wurden dementsprechend sub-
25 ventioniert, die Vollzeittätigkeit von qualifizierten Fachleuten miteinbegriffen. Dies führte zu einer großen Anzahl von zweisprachigen Wörterbüchern in vielen Sprachen mit Ungarisch als Ausgangs- oder Zielsprache. Was die heutige deutsch-ungarische und ungarisch-deutsche Lexikographie betrifft, so ist sie stark von E15d Halász geprägt. Alle seine Wörterbücher haben zahlreiche Auflagen erfahren. Eine differenzierte Betrachtung der Wörterbücher muß berücksichtigen, daß sie durch ein Team unter Leitung von Halász entstanden sind. Außerdem soll auf die Dreigliederung seiner Werke in Kleinwörterbücher (20.000 - 30.000 Stichwörter), Handwörterbücher (40.000 - 60.000 Stichwörter) und Großwörterbücher (ab 70.000 Stichwörter) hingewiesen werden. Eine entsprechende Dreigliederung war bereits im Prinzip bei Kelemen vorhanden. Bei Halász ist jedoch diese Gliederung wesentlich ausgeprägter. Auch war der Ausgangspunkt bei beiden Lexikographen unterschiedlich, denn Kelemen erweiterte sein kleines Taschenwörterbuch fortwährend, bis es zu einem Handwörterbuch, einem großen Handwörterbuch und schließlich einem großen Wörterbuch wurde, Halász trat dagegen gleich mit einem Großwörterbuch auf, das erst später auf ein Kleinwörterbuch sowie auf ein Handwörterbuch reduziert wurde. Im deutschsprachigen Raum sind nach 1945 kaum ernstzunehmende Wörterbuchinitiativen für das Sprachenpaar Deutsch-Ungarisch zu verzeichnen. In Österreich wurde das Taschenwörterbuch der deutschen und ungarischen Sprache von Béla Kelemen 1956 von Theodor Thienemann umgearbeitet und in Graz veröffentlicht. In Deutschland sind die Wörterbücher von Halász verbreitet. Als einziges Projekt auf deutschsprachiger Seite ist ein in Leipzig erschienenes Kleinwörterbuch, das Deutsch-ungarische (1962) und das Ungarisch-deutsche Wörterbuch (1965) von Heinrich Weissling zu erwähnen, das mehrere Auflagen erfahren hat. Der Schwerpunkt der deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart liegt ohne Zweifel bei Elód Halász, der in dieser Hinsicht eine Art Monopol besitzt.
1.3.3.3.1.
E16d Halász
Das deutsch-ungarische Wörterbuch von Halász wurde laut Vorwort des Verfassers als ein seit längerer Zeit erwünschtes Großwörterbuch konzipiert: "Die deutsch-ungarische Lexikographie hat eine lange und in mancher Hinsicht erfolgreiche Vergangenheit. Der seit Jahrzehnten gehegte Wunsch nach dem großen deutsch-ungarischen Wörterbuch ist indessen ein Wunsch geblieben, ein Lieblingsplan der Fachleute und eine Forderung der breiten Öffentlichkeit" (Halász 1952, XI). Wie sehr sich die breite Öffentlichkeit 1952 in Ungarn - allein schon politisch bedingt - nach einem deutsch-ungarischen Großwörterbuch gesehnt hat, ist fraglich, ein gewisser Bedarf wird aber sicherlich vorhanden gewesen sein. Das Wörterbuch habe sich laut Halász die These Stalins [!] zum Leitmotiv gewählt, welche "die Sprache als ein Mittel des menschlichen Verkehrs definiert" und dadurch "das Wesen der zweisprachigen Wörterbücher grundsätzlich und allgemeingültig bestimmt", wodurch die Förderung des Verkehrs zwischen den Völkern angestrebt werde (vgl. Halász 1952, XI). Das Vorwort der ersten Auflage spiegelt offenkundig die in den 50er Jahren in
26 Ungarn unumgängliche politische Stellung wider; in späteren Auflagen hat Halász es jedoch durch andere Vorworte ersetzt. Halász hatte sich außerdem, wie früher Ballagi, eine möglichst große Vollständigkeit zum Ziel gesetzt: "Heute [...] besteht die Möglichkeit, ja sogar Notwendigkeit, den lexikalischen Wortbestand beider Sprachen in einem bisher nicht einmal versuchten Maße der Vollständigkeit zu sammeln, und neben der Quantität auch qualitativ neue Werte zu erreichen" (Halász 1952, XI). Als Grundlage für sein Wörterbuch diente Halász "die gesprochene Sprache in ihrem heutigen Zustande, mit ihren vom alltäglichen Leben geformten Einzelheiten" (Halász 1952, XI). Dieser Gedanke war in der Geschichte der deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie auffallend neu, da die meisten Wörterbücher sich an das gebildete Publikum mit ausgeprägten literarischen Interessen richteten. Zwar bedeutete dies nicht, daß sie überhaupt kein umgangssprachliches Material aufgenommen hätten, Halász aber plante in seinem Wörterbuch "auch solche Teile des Wortschatzes zu erfassen, die vormals nur in Fachwörterbüchern fixiert wurden" (Halász 1952, XI). Dialektwörter fehlen dagegen in seinem Wörterbuch, es sei denn, daß es sich um "Erscheinungen allgemeinerer Art handelte", wie z. B. wichtige Unterschiede zwischen nord- und süddeutschem Sprachgebrauch (Halász 1952, XII). Syntaktische Beispiele, Wortgruppen, Wendungen und Redensarten sind laut Verfasser in "einer Fülle aufgenommen, wie sie die bisherige ungarische lexikographische Praxis nicht gekannt hat" (Halász 1952, ΧΠ). Auf seine Abneigung gegenüber Abstrahierungen bei der Bearbeitung des Wortmaterials weist Halász selbst hin (vgl. Halász 1952, XII). Genau dies hat sich jedoch - meiner Meinung nach - als nicht besonders benutzerfreundlich erwiesen, da dadurch naturgemäß umfangreichere Wörterbuchartikel zustande kommen. Diese Antipathie konnte die ungarische Lexikographie anscheinend seit dem beim Langenscheidt-Verlag erschienenen Taschenwörterbuch der ungarischen und deutschen Sprache (1915-1917) von József Balassa nicht überwinden. Balassa wurde seinerzeit von seinen Kritikern wegen des "Abstrahierungsgrades" seines Wörterbuches mit einer gewissen Zurückhaltung aufgenommen (vgl. Rubinyi 1917, 40). Daß das deutsch-ungarische Wörterbuch in erster Linie der Textrezeption deutscher Texte durch ungarische Muttersprachler diente, wird explizit erst im Vorwort des ungarischdeutschen Wörterbuches (1957) von Halász in Worte gefaßt, wenn er die Funktionen beider Wörterbücher zu unterscheiden versucht: "Wenn nämlich an ein in Ungarn erschienenes und für Ungarn geschriebenes deutsch-ungarisches Wörterbuch vor allem die Forderung gestellt werden kann, dem ungarischen Leser zum Verständnis eines x-beliebigen deutschen Textes zu verhelfen, so verhält es sich im Falle eines ungarisch-deutschen Wörterbuches nicht genau umgekehrt. Von letzterem erwartet man nämlich nicht nur mehr oder weniger differenziertes Material zu einem passiven Verständnis, als vielmehr möglichst fest umrissene und eingehend erläuterte Elemente zum aktiven Sprachgebrauch" (Halasz 1957, VII-VIII). Bei dieser Betrachtung der differierenden Funktionen seiner Wörterbücher durch Halász läßt sich die Priorität des ungarischen Benutzers für beide Bände klar erkennen. Im übrigen wird der Gebrauch der Wörterbücher vom Verfasser eingehend erklärt. Die Großwörterbücher von Halász sind nach ihrem ersten Erscheinen noch viele Male erweitert und neu verlegt worden. Seine Hand- und Kleinwörterbücher haben eine noch
27 größere Auflagenzahl erreicht. Da in Deutschland mit Ausnahme des in der damaligen DDR (Leipzig) veröffentlichten schmalen deutsch-ungarischen sowie ungarisch-deutschen Wörterbuches von Weissling keine einschlägigen selbständigen Wörterbücher entstanden sind, hat man in der Bundesrepublik beim Verlag Langenscheidt ebenfalls auf die Werke von Halász zurückgegriffen. Die Wörterbücher von Halász haben, im Gegenteil zu früheren einschlägigen Werken, kaum Resonanz bei der zeitgenössischen Fachpresse gefunden. Unmittelbar nach dem Erscheinen des deutsch-ungarischen Wörterbuches (1952) hat allerdings der angesehene Lexikograph László Országh das Wörterbuch von Halász in einer kurzen Rezension als ausgezeichnetes Werk gewürdigt (vgl. Országh 1953, 287). Heute gelten die Wörterbücher von Halász dagegen in mancherlei Hinsicht als veraltet. Davon ist nicht nur das Wörterbuchkorpus betroffen, sondern auch zahlreiche Äquivalente sowie der ganze syntagmatische Bereich.
1.3.3.3.2.
Zusammenfassung
Die deutsch-ungarische und ungarisch-deutsche Lexikographie wird nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart, der existierenden Tradition entsprechend, fast ausschließlich von der ungarischen Seite getragen. Vorrang haben dabei die Wörterbücher von Halász, die gemäß der Praxis der Ungarischen Akademie der Wissenschaften einer Dreigliederung in Groß-, Hand- und Kleinwörterbücher unterliegen. Sie sind in erster Linie auf die Bedürfhisse der ungarischen Benutzer zugeschnitten. Als deutsche Initiative sind die kleinen Wörterbücher von Heinrich Weissling zu erwähnen, die bereits vom Umfang her anspruchsvolleren Zwecken nicht gerecht werden konnten. Den Wörterbüchern von Halász kann eine Art Monopolstellung in der deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg eingeräumt werden. Sie gelten heute in vieler Hinsicht als verbesserungsbedürftig, wobei die Einarbeitung der den Neuauflagen als Anhang hinzugefügten Ergänzungen ins Wörterbuchkorpus eine Mindestforderung wäre. Die Wörterbücher von Halász sind als vorläufiger Endpunkt eines knapp 400jährigen Entwicklungsprozesses aufzufassen, wobei der Weg von ein paar hundert Wörtern in polyglotten Wörterbüchern über die ersten kleinen zweisprachigen Taschenwörterbücher zu den Großwörterbüchern mit mehr als 100.000 Stichwörtern geführt hat. In der vorliegenden Arbeit wird jedoch die lange Geschichte der deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Lexikographie nicht in ihrer Gesamtheit, sondern mit dem Schwerpunkt auf der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, bis nach dem Zweiten Weltkrieg, betrachtet. Allerdings werden auch, soweit es mir sinnvoll schien, frühere Wörterbücher oder lexikographische Tendenzen berücksichtigt. Dabei werde ich, da ich mir eine historische Untersuchung zum Ziel gesetzt habe, die einzelnen lexikographischen Werke nicht konsequent daraufhin untersuchen, wieweit sie durch die in ihnen vorhandenen Eintragungen als Fehlerquelle gewirkt haben.
2.
Zsigmond Simonyi und József Balassa: Deutsches und Ungarisches Wörterbuch (1899-1902)
2.1.
Einleitung
2.1.1.
Zum Leben und Werk der Autoren
Da es sich beim Deutschen und Ungarischen Wörterbuch von Simonyi und Balassa um ein Gemeinschañsprojekt handelt, wäre es an sich zweckmäßig, beide Lexikographen gemeinsam zu betrachten. József Balassa veröffentlichte jedoch als Schüler von Zsigmond Simonyi fünfzehn Jahre später allein ein deutsch-ungarisches und ungarisch-deutsches Wörterbuch [7aschenwörterbuch der ungarischen und deutschen Sprache] (1915-1917), auf das unten noch näher eingegangen wird. Biographische Angaben über József Balassa sind daher vor der detaillierten Untersuchung seines Wörterbuches zu finden (vgl. 3.1.1). Zsigmond Simonyi (1853-1919) stellt eine der größten Persönlichkeiten der ungarischen Sprachwissenschaftsgeschichte dar (vgl. Prohászka 1953, 11). Er wurde am 1. Januar 1853 in Veszprém (Ungarn) geboren. Simonyi studierte außer in Budapest auch in Leipzig, Berlin und Paris, was ihm eine "ausgezeichnete Schulung" bei führenden Linguisten ermöglichte (vgl. Stipa 1990, 334). Als Simonyi nach Ungarn zurückkehrte, war er zuerst als Privatdozent tätig (1877), dann als Professor auf Zeit (ab 1878) und schließlich als Ordinarius am Lehrstuhl für Hungarologie der Budapester Universität (1889-1919). Wegen oppositioneller Ansichten während der Diktatur des Proletariats (1919) wurde Simonyi politisch verfolgt. Am 22.11.1919 starb er nach längerer Krankheit. Die Tätigkeit von Zsigmond Simonyi erstreckt sich auf fast alle Bereiche der ungarischen Sprachwissenschaft. Es sind vor allem seine Arbeiten über die ungarischen Adverbien1, Konjunktionen2 und Attribute3 in Verbindung mit einer funktionalen Auffassung der Sprache hervorzuheben. Die Begründung der historischen Sprachwissenschaft in Ungarn wird Zsigmond Simonyi zugeschrieben: "Mit dem Blick für die Ganzheit und durch Eindringen in die Laut- und Formengeschichte" legte Simonyi in einer detaillierten ungarischen Grammatik4 sowie in einer "Gesamtdarstellung der alten und gegenwärtigen ungarischen Sprache"5 den Grund zur historischen Linguistik des Ungarischen (vgl. Stipa 1990, 335). Fernerhin schenkte Simonyi der theoretischen und praktischen Sprachpflege viel Aufmerksamkeit, die sowohl in den von ihm redigierten sprachwissenschaftlichen Zeitschriften Magyar Nyelvör (ab 1895)
1
A magyar határozók [Oie ungarischen Adverbien']. 1.2. Budapest 1888-1892. A magyar kôtôszôk [T)ie ungarischen Konjunktionen']. 1-3. Budapest 1881-1883. 3 A jelzSk mondattana ['Syntax der Attribute']. Budapest 1914. 4 Tüzetes magyar nyelvtan tôrténeti alapon [Detaillierte ungarische Grammatik auf historischer Grundlage']. Budapest 1895. A magyar nyelv. Budapest 1889. Auf deutsch: Die ungarische Sprache. Strassburg 1907.
2
29 sowie Nyelvészetì fiizetek (ab 1903) als auch in systematischen Werken über korrekten Sprachgebrauch6 sowie Rechtschreibregeln7 Eingang fand. Simonyi vertrat die neuorthologische Richtung der Spracherneuerung, die im Gegensatz zum führenden Neologen Ferencz Kazinczy, der ausländischen Vorbildern folgte, hauptsächlich die Volkssprache sowie regionale Varianten heranzog. Die lexikographische Tätigkeit von Zsigmond Simonyi wurde hauptsächlich durch ein sprachgeschichtliches Wörterbuch des Ungarischen8 bekannt, das er gemeinsam mit Gábor Szarvas erarbeitete, und das 1892 von der Ungarischen Akademie der Wissenschaften ausgezeichnet wurde. Günther Johannes Stipa faßt dieses Wörterbuch als Ausgangspunkt einer Reihe verschiedenartiger Wörterbücher des Ungarischen auf, wobei er auch auf den gemeinschaftlichen Charakter der um diese Zeit entstandenen Werke hinweist (vgl. Stipa 1990, 335 und vorliegende Arbeit 1.2.3.1.). Das Deutsche und ungarische Wörterbuch (18991902) gehört ebenfalls in diese Reihe.
2.1.2.
Verlagsspezifische Angaben zum Werk
Unter verlagsspezifischen Angaben werden in der vorliegenden Arbeit in erster Linie die Entstehungsgeschichte des Wörterbuches, Auflagen, Auflagenhöhe u.ä. verstanden. Bei nur wenigen der von mir untersuchten Wörterbücher ist das Forschen nach solchen Angaben so erfolgreich verlaufen wie im Fall des Deutschen und ungarischen Wörterbuchs. Der am 25. April 1894 von Zsigmond Simonyi und József Balassa mit dem Verlag Franklingesellschaft in Budapest abgeschlossene Vertrag hinsichtlich des Deutschen und ungarischen Wörterbuches ist im Gegensatz zu den meisten späteren Wörterbuchverträgen erhalten geblieben (vgl. Simonyi/Balassa [Handschrift] 25.04.1894).9 In dem Vertrag wird vor allem der gemeinschaftliche Charakter des Wörterbuches hervorgehoben: Die Verfasser hatten die Verantwortung für die Vollendung des Wörterbuches gemeinsam zu tragen. Wäre einer zurückgetreten, hätte der andere die Pflicht gehabt, für Ersatz zu sorgen (vgl. Vertrag Punkt 3). Sowohl die erste als auch jede weitere Auflage war in einer Höhe von 6000 Exemplaren geplant, wobei dem Franklinverlag das Recht zugestanden wurde, die Auflagenhöhe stufenweise zu erhöhen (vgl. Vertrag Punkt 4). Da es bei einer einzigen Auflage blieb (1899: Teil 1: deutsch-ungarisch; 1902: Teil 2: ungarisch-deutsch), kann mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, daß das Deutsche und ungarische Wörterbuch von Simonyi und Balassa eine Auflagenhöhe von 6000 Exemplaren hatte. Der Verlag verpflichtete sich, den Verfassern für jeden Band des Wörterbuches bei der Ablieferung des vollständigen Manu-
6
η
o
Antibarbarus. Budapest 1879. Iskolai helyesírás ["Rechtschreibung in der Schule']. Budapest 1903. Magyar Nyelvtörtineti Szótár [Ungarisches sprachgeschichtliches Wörterbuch']. 1-3. Budapest 1890-
1893. Q Orszigos Széchényi KOnyvtár [Ungarische Nationalbibliothek] in Budapest. Handschriftenabteilung. Fond 2.
30 skriptes insgesamt 2500 Forint zu zahlen10 (vgl. Vertrag Punkt 5). Über eine Verkaufsvergütung finden sich im Vertrag keine Angaben. Die Verfasser dagegen verpflichteten sich, jede Neuauflage auf den neuesten Stand der ungarischen Sprachwissenschaft zu bringen (vgl. Vertrag Punkt 6). Zu weiteren Auflagen kam es jedoch nicht. Mögliche Ursachen dafür sind in dem inzwischen bzw. unmittelbar im Anschluß an das Wörterbuch von Simonyi und Balassa mehrmals erschienenen Magyar és német zsebszótár, tekintettel a két nyelv szólàsaira ['Taschenwörterbuch der ungarischen und deutschen Sprache unter Berücksichtigung der Phraseologismen beider Sprachen'] (1897-1898) sowie im Handwörterbuch der ungarischen und deutschen Sprache mit besonderer Rücksicht auf die Phraseologie (1901-1904) von Béla Kelemen zu suchen. Vor allem das letztere ging - schon umfangbedingt - auf das Interesse des "gebildeten" Publikums (KHDU 1901, VII) besser ein. Obwohl das Deutsche und ungarische Wörterbuch von Simonyi und Balassa, wie dies der Vertrag erkennen läßt, ebenfalls als Handwörterbuch konzipiert war, konnte es offenbar nicht mit dem umfangreicheren Handwörterbuch von Kelemen konkurrieren. Eine andere Ursache für das Fehlen weiterer Auflagen kann im abgeflauten Interesse der Verfasser (vor allem von Zsigmond Simonyi) an der angewandten Sprachwissenschaft liegen. Möglicherweise spielten dabei aber auch Intrigen vonseiten Aladár Ballagis, des Sohnes des ehemals führenden Lexikographen Mór Ballagi, eine Rolle (vgl. Prohászka 1953, 21). Fest steht jedenfalls, daß sich Simonyi außer seinen Gemeinschaftswerken mit Gábor Szarvas (vgl. 2.1.1.) und mit József Balassa11 keiner lexikographischen Arbeit mehr widmete.
Zum Vergleich beachte man das Jahresgehalt des zum ordentlichen Professor ernannten Simonyi von 2900 Forint incl. 400 Forint Wohngeld. Außer dem Deutschen und ungarischen Wörterbuch (1899-1902) haben Simonyi und Balassa auch ein Schulworterbuch {Német és magyar iskolai szótár 1900-1902) herausgegeben.
31
2.2.
Deutsch-ungarisch [ SBDU] (1899)
2.2.1.
Empirische Aspekte: Quellen des WSrterbuches
Unter dem empirischen Aspekt eines Wörterbuches wird vor allem die Abhängigkeit des jeweiligen Wörterbuches - sowohl in der Lemmaauswahl als auch im Wörterbuchaufbau von anderen Wörterbüchern verstanden (vgl. Kromann/Riiber/Rosbach 1991, 2714). Empirische Aspekte, die hauptsächlich bei komplexen Übernahmevorgängen der einzelnen Wörterbücher eine Rolle spielen, sind somit Gegenstand der Quellenforschung. Eine ausführliche Quellenforschung kann im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht betrieben werden. Folglich werde ich mich auf die von den einzelnen Lexikographen als Vorlage benutzten, von ihnen selbst genannten Werke beschränken. Liegen entsprechende Angaben nicht vor, werden nur solche Wörterbücher berücksichtigt, die mit großer Wahrscheinlichkeit als Vorlage für das jeweilige Werk in Frage kommen. Quellenforschung ist immer differenziert zu betreiben; so auch im Falle eines deutsch-ungarischen Wörterbuches, bei dem sowohl frühere deutschungarische als auch einsprachige deutsche und nicht zuletzt deutsch-fremdsprachige Wörterbücher zu Rate gezogen werden sollten. Die Quellen des vorliegenden Wörterbuches werden von den Verfassern nicht im Vorwort, sondern in einem Antwortschreiben auf eine Rezension des SBDU angegeben (vgl. Simonyi 1901, 440). Die Quellen des SBDU sind entsprechend obiger Dreigliederung wie folgt einzuordnen: (a) Frühere deutsch-ungarische Wörterbücher Von Simonyi werden in dieser Hinsicht das Deutsch-ungarisch-lateinische Lexicon (1823) von József Márton sowie das Taschenwörterbuch der ungarischen und deutschen Sprache (1896) von Frigyes Hoffmann erwähnt (vgl. Simonyi 1901, 440). Außerdem soll das SBDU auf mögliche Übernahmen aus dem Ende des 19. Jahrhunderts sehr verbreiteten Wörterbuch von Ballagi untersucht werden. Da das Wörterbuch von Márton im ausgehenden 19. Jahrhundert schon völlig veraltet war, kann das SBDU daraus nur wenige Stichwörter übernommen haben (100 Stichwörtern unter Buchstabe Β zwischen Baad und Bähmittel bei Márton entsprechen 32 im SBDU). Dies bedeutet eine Entsprechung von 32%. Bei dem Wörterbuch von Hoffmann liegt die Übereinstimmung bei 87%, was aber - da es sich dabei um ein kleines Taschenwörterbuch handelt irrelevant sein dürfte. Mit der 1890 erschienenen 6. Auflage des deutsch-ungarischen Bandes des Neuen Vollständigen Wörterbuches der deutschen und ungarischen Sprache von Mór Ballagi (des weiteren BALLAGI-DU6), das zu der Zeit umfangreichste Wörterbuch, zeigt das SBDU eine Übereinstimmung von 32%. Die stichwortmäßige Übereinstimmung kann jedoch kaum als Maßstab für den Grad der Beeinflussung verwendet werden, da sie im Falle weniger umfangreicher Quellen in Richtung 100% tendiert, im Fall umfangreicherer Quellen jedoch einer starken Selektierung unterworfen ist, was also über die Anzahl der Übernahmen wenig aussagt. Der Grad der Übereinstimmung ist folglich weniger in der Makro- als vielmehr in den einzelnen Mikrostrukturen zu suchen. In dieser Hinsicht ist es schon aufschlußreich, das SBDU mit dem Wörterbuch von Ballagi anhand eines einzigen Beispieles zu vergleichen.
32
Dabei stellt sich heraus, daß das deutsche Sprachmaterial des SBDU dem BALLAGI-DU6 gegenüber kaum erhöhten Informationswert besitzt. SBDU (1899) aifeenfe, ber (eft, t), 1. este, estéli idö ; (bet)-ft, este, eetenden ; Çeute ma este ; geftent - , tegnap este ; gegen - , este felé. alkonyatkor ; {p&t -ft, kéeô este, ôreg este ; eftrotrb- , esteledik ; ju - ejjen, vaceorál, vacsoráz ; bit Çetlige - , iinnep szombatja, karáceonyest(e) ; bet - bei fie: benft, az élet alkony(at)a, vénség; «ait ntujft beit( lag ιήφ( oot bem- toben, nyngtán diesérd a napot ; akkor mondj hoppot. mikor átngrottad az árkot; végén csattan (az oetor) ; eft ift ηοφ nt$t oder Tag« - , holnap is nap leez; lesz még szolô. lágy kenyér. 2. nyugot, nap· nyugot.
(b)
BALLAGI-DU6 (1890)
îibeiib, ber; b. —«8, — t . —t, Í. est, e*tve, cstvélv : ber Çeiiffle —, iinnuji v. karíicxon χχιΐπιΙ·ιιΙ]α ; eft wirb —, onteloilik, estellik, aikouyixlik ; m nip lcnyugsv.iV, lomc^y; green —, osto fole, nLkonyoiUs «Kitt ; fluten — 1 J.iestótt }ii — effen, CHtvelir.nl, vnesoriUni ; (lem.) ben ien, tocsin bu wtOft ; utat. nyit ob. tur »aí)u bricen; J á t áUja fidj in ben 88eg [teilen, «i*» 6α. fterblic^e », egy i'uva lélek sem. senki.
BDU (1917) ôee'Ie (ζ$Ί·) f ®b lélek; eine gute (treue) , jó (hü) ember: ei tuet t-e menWitic ~ ba egy ember (fia) sem volt itt.
Bei Fällen von Nulläquivalenz versucht Kelemen im 2 KGHDU stets, Äquivalentsurrogate anzugeben, wobei er nur vereinzelt erklärende Glossierungen verwendet. Und doch wären gerade in einem passiven deutsch-ungarischen Wörterbuch wie dem 2 KGHDU neben den im Ungarischen mehr oder weniger substituierbaren Äquivalentsurrogaten auch Erklärungen von Nutzen gewesen. Verglichen mit früheren deutsch-ungarischen Wörterbüchern sind im
125 2
KGHDU zahlreiche Fälle von Nulläquivalenz vertreten, die meisten davon sind sog. Realienbezeichnungen, vgl. Frühschoppen ung. reggeli sörözes v. [vagy 'oder'] sör ['morgendliches Bier(trinken) od. Bier']; Gruyere-Käse ung. groji sajt (Freiburg sväjci kantort Gruyère kôzségébôl) ['Gruyère-Kâse (aus dem Dorf Gruyère im Kanton Freiburg in der Schweiz)']; Lausbube ung. (tetves) kölyök, pimasz ['(lausiger) Fratz, unverschämt']; Stehbier ung. állva ivott sör ['Bier, das im Stehen getrunken wird']; Walhalla ung. az elesett hösök csamoka ['Halle der gefallenen Helden']. Im Bereich der Äquivalentsurrogate weist das 2KGHDU mitunter auch einige Fehler auf. Hätte Kelemen unübersetzbare deutsche Lemmata einfach erklärt, was in einem passiven deutsch-ungarischen Wörterbuch m. E. ausgereicht hätte, wären einige Fehlschlüsse zu vermeiden gewesen. So hat Kelemen dt. Leberkäse als ung. disznósajt ['Schweinekäse'] übersetzt, wobei disznósajt einem völlig anderen ungarischen Gericht entspricht, das eher dem deutschen Preßkopf ähnelt. Dasselbe gilt für dt. Föhn. Kelemen stellt ihm ung. dèli szél, nemere21 gegenüber. Dadurch wird jedoch dem Benutzer nicht klar, daß es sich beim Föhn um einen auf der Nord- und Südseite der Alpen auftretenden warmen, trockenen Fallwind handelt, was aus dem ung. dèli szél ['südlicher Wind'] oder aus ung. nemere ['ein kalter, stürmischer Wind im süd-östlichen Teil vom Karpathenbecken'] keineswegs ersichtlich wird. Wie die Glossierung, so werden auch die einzelnen Markierungskennzeichen des KGHDU, wie ζ. B. die Zuordnungen zu verschiedenen Sprachvarietäten oder grammatische Informationen zu den ausgangssprachlichen Lemmata, ausschließlich auf Ungarisch angegeben, was einmal mehr den passiven Charakter des Wörterbuches erkennen läßt. Deutsche Muttersprachler können die deutschsprachigen Bezeichnungen der einzelnen ungarischen Markierungskennzeichen nur durch mühsames Nachschlagen einer dem Wörterbuchkorpus angehängten Abkürzungstabelle (S. 947) entnehmen. Die Tabelle der im Wörterbuch gebräuchlichen Abkürzungen enthält insgesamt 80 Abkürzungen, nicht mehr als in früheren deutsch-ungarischen Wörterbüchern (SBDU: ebenfalls 80, zum Teil abweichende Abkürzungen; BDU: 156 Abkürzungen sowie 18 ikonische Zeichen). Die Anzahl der abgekürzten Markierungskennzeichen sagt wenig über die Komplexität der Markierung innerhalb eines Wörterbuches aus. Im Fall des JKGHDU wurden hierbei keine Fortschritte gegenüber früheren einschlägigen Werken erzielt, zumindest was die Zuordnung zu verschiedenen Sprachvarietäten (ζ. B. stilistische Markierung) anbelangt (vgl. auch 4.2.2.1.). Wegen der fehlenden Markierung der verschiedenen Stilebenen ausgangssprachlicher Lemmata wurde Kelemen bereits von seinen Zeitgenossen im Zusammenhang mit einem früheren Wörterbuch (KHDU 1901) kritisiert (vgl. Endrei 1901, 836) 22 2
21
Kelemen hatte hier als richtiges Äquivalent auch den internationalen wissenschaftlichen Terminus fSn angeben können, der aus dem Deutschen ins Ungarische übernommen wurde und bereits im Jahre 1861 belegt ist (vgl. TESz 1967, Bd. 1, 967). "Viszont abban, hogy az egyes szavak stilusbeli használatát is megjelölje, néha nagyon is takarékos.[...] Ez a hiány különösen a magyar-német részben válhatik a könyv hátrányira, a mennyiben a stilizálásra nem nyujtana teljesen megbizható vezérfonalat" [In Hinblick auf die stilistische Anwendung der einzelnen Wörter
126
Jedenfalls markierte Kelemen auch in seinen späteren Werken - sowohl im KGHDU (1914) als auch im 2KGHDU (1929) - kaum den stilistischen Anwendungsbereich der ausgangssprachlichen Lemmata. Die stilistischen Markierungskriterien des 2 KGHDU (1929) erreichen nicht einmal das Niveau des SBDU (1899) und BDU (1917). Gegenüber den anderen beiden Wörterbüchern, die neben scherzhaften und volkstümlichen Zuordnungen auch poetische (sowohl SBDU als auch BDU) oder familiäre (BDU) Anwendungsbereiche von standardsprachlichen Ausdrücken abgegrenzt haben (vgl. 2.2.3.1., 3.3.2.1. und 3.3.3.1.), sind hier lediglich volkstümliche (népies) und scherzhafte (tréfàs) Ausdrücke markiert. In den wenigen Fällen stilistischer Markierung trägt diese zur Einschränkung des Anwendungsbereiches bei, indem die voneinander abweichenden Stilebenen der ausgangssprachlichen Lemmata und der zielsprachlichen Äquivalente auseinandergehalten werden, vgl. Federvieh: 1) baromfi ['Geflügel']; 2) (tré/.) hírlapíró, tollrágó ['(scherzhaft) Journalist, jemand der an der Feder kaut']; er hat einen Hieb23 (tréf.) be van csípve ['er ist betrunken'] Ladenschwengel (tréf.) boltiszolga, boltossegéd ['(scherzhaft) Ladendiener, Ladengehilfe']. Bei polysemen Lemmata dagegen, die nicht nur wörtlich, sondern darüber hinaus auch im metaphorischen Sinne gebräuchlich sind, beachtet Kelemen die Markierung der im übertragenen Sinne gebräuchlichen Äquivalente sorgfältig, vgl. Brummbär, dörmögö medve ['brummender Bär'], (áív.) ["átvitt értelemben (in übertragener Bedeutung)"] zsörtölödö ember ['nörgelnder Mensch'], Dörmögö Dömötör ['Meister Petz im Märchen'] oder Schafskopf. 1) birkafe] ['Kopf eines Schafes']; 2) (àtv) tökfilko ['Dummkopf]. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß das 2KGHDU im allgemeinen klare Äquivalenzverhältnisse aufweist. Dabei hat Kelemen vor allem ein passives deutsch-ungarisches Wörterbuch angestrebt, da die Mittel der Bedeutungsdifferenzierung, wie die Glossierungen, Markierungen und kotextuellen Hinweise (vgl. 4.2.3.3.) ausschließlich auf Ungarisch erfolgen. Das eigentliche Verdienst des Wörterbuches ist gegenüber früheren deutsch-ungarischen Wörterbüchern, dem SBDU und BDU, im Bereich der polysemen Lemmata zu suchen. Das 2 KGHDU kann allein schon durch seinen größeren Umfang zahlreiche Äquivalente der ausgangssprachlich polysemen Lemmata angeben. Somit ist es Kelemen gelungen, ein deutsch-ungarisches Wörterbuch zu erstellen, das nicht nur im Korpus, sondern auch im Bereich der Äquivalente das umfangreichste Wörterbuch des frühen 20. Jahrhunderts war und erst durch Erscheinen des zweibändigen Deutsch-Ungarischen Wörterbuches (1952) von Elód Halász ersetzt wurde.
ist er manchmal zu sparsam. Dieser Mangel kann sich vor allem im ungarisch-deutschen Teil auf das Buch nachteilig auswirken, indem es keine völlig zuverlässige Anleitung für die Stilisierung gibt.1] (Endrei 1901, 836). 23 Die richtige Ansetzungsfonn (zu Ansetzungsformen der Phraseologismen im 'KGHDU vgl. 4.2.3.2.) wäre hier einen Hieb haben gewesen, was eher als salopp denn scherzhaft zu bezeichnen ist (vgl. Deutsches Universalwörterbuch Duden (1989. 2. völlig neu bearb. u. stark erw. Aufl.).
127 4.2.3.2.
Syntagmatik
Wie bereits aus dem Vorwort zum 1897 erschienenen KTUD zu ersehen ist (vgl. KTUD 1897, VII), hat Kelemen die Bedeutung der Syntagmatik in zweisprachigen Wörterbüchern nicht nur erkannt, sondern auch schwerpunktmäßig berücksichtigt. Dies geht auch aus den vollständigen Titeln seiner dem 2KGHDU vorangehenden lexikographischen Werke hervor, die mit dem Zusatz mit besonderer Rücksicht auf die Phraseologie versehen sind (vgl. KTDU, KHDU 1901, KGHDU 1914). Unter Phraseologie verstand Kelemen den gesamten syntagmatischen Bereich, also nicht nur Phraseologismen im engeren Sinne, sondern auch freie Syntagmen (auch vollständige Satzbeispiele) und idiosynkratische Syntagmen (vgl. KTUD 1897, VII).24 Aus einem Brief Kelemens an Gyula Zolnai von 1917 geht hervor, daß er nach dem Erscheinen der Wörterbücher Balassas (BDU/BUD 1915-1917) seine Ansichten hinsichtlich des in zweisprachige Wörterbücher aufzunehmenden phraseologischen Materials revidierte. Er arbeitete die 14. Auflage des KTUD dementsprechend um, indem er Phraseologismen wegließ und dafür das Wörterbuchkorpus erweiterte (vgl. Brief von Béla Kelemen an Gyula Zolnai 1917, MTA Kónyvtára ["Bibliothek der Ungarischen Akademie der Wissenschaften'], Ms4156/182).25 Es ist möglicherweise auf diesen Einfluß Balassas zurückzuführen, daß das 2KGHDU keinen erhöhten Informationswert im syntagmatischen Bereich gegenüber seinen Vorgängern (z. B. KHDU sowie KGHDU) aufweist (vgl. weiter unten). Das 2KGHDU ist zwar reich an Syntagmatik, für ein Großwörterbuch jedoch wurde ihr nicht allzuviel Platz eingeräumt. Um den Anteil an syntagmatischem Material im 2KGHDU herauszufinden, habe ich die syntagmatischen Einheiten unter dem Buchstaben M zusammengezählt (728) und mit der Gesamtlemmatazahl unter Buchstabe M verglichen (ca. 3500 Lemmata).26 Dabei fielen auf 100 Lemmata durchschnittlich 21 syntagmatische Einheiten. Diese Anzahl sagt jedoch wenig über das syntagmatische Material des 2KGHDU aus, da die anteilmäßige Entsprechung von syntagmatischen Einheiten in Großwörterbüchern, die ein umfangreiches Wörterbuchkorpus aufweisen, in der Regel niedriger ausfällt als in kleineren Wörterbüchern (SBDU: 45-50 syntagmatische Einheiten pro 100 Lemmata; BDU: 27 pro 100 Lemmata). Die tatsächliche Anzahl der in die einzelnen Wörterbuchartikel aufgenommenen syntagmatischen Einheiten liegt jedoch über der der beiden kleineren, in der vorliegenden
24 "[...] nem pusztán szótirt, hanem egyúttal phraseológiát is igyekeztem adni, mir amennyire a rendelkezésemre álló hely engedte. Példamondatokkal vagy legalább a szó mellé zárójelbe tett bóvítményekkel próbáltam a magyar és német nyelvhasznâlat eltéréseit megviligitani" ['Ich habe mich bemüht, nicht nur ein Wörterbuch, sondern auch Phraseologie anzubieten, so weit es der Platz, der mir zur Verfügung stand, erlaubte. Die Unterschiede im ungarischen und deutschen Sprachgebrauch versuchte ich durch Beispielsatze oder zumindest durch in Klammern gesetzte Ergänzungen zu erklären1] (KTUD 1897, VII).
25
"Neki [Balassinak] köszönhetem, hogy zsebszótiram magyar-német részét most gyökeresen ¿tdolgoztam (14. kiadis). Beláttam, hogy kelleténél több benne a szólás, a szóanyag azonban kevés. Amazt apasztottam, ezt meg szaporitottam" ['Ich habe es ihm [Baiasse] zu verdanken, daß ich den ungarisch-deutschen Teil meines Taschenwörterbuches radikal umgearbeitet habe. Ich habe eingesehen, daß es mehr als nötig Redewendungen enthalt, Wortmaterial dagegen wenig. Jene habe ich vermindert und dieses vermehrt'] (Brief von Béla Kelemen an Gyula Zolnai 1917, MTA Kônyvtàra [Bibliothek der Ungarischen Akademie der Wissenschaften], Ms4156/182). 26 Die ungefähre Oesamtanzahl der Lemmata unter Buchstabe M errechnet sich aus der Lemmazahl pro Seite (84-85) und der Anzahl der Seiten für Buchstabe M (41,5).
128 Arbeit bereits untersuchten Wörterbücher. Um dies zu beweisen, habe ich das 2KGHDU, das SBDU und das BDU anhand einiger Beispiele aus dem Bereich der Somatismen auf die Anzahl von syntagmatischen Einheiten hin überprüft. Die einzelnen Angaben sind dabei nur als Orientierungswerte zu verstehen, da das 2KGHDU zahlreiche Formvarianten aufweist, die die gleiche Bedeutung haben und in den einzelnen Wörterbuchartikeln auch nicht deutlich auseinandergehalten werden, vgl. etw. aus der Hand v. [vagy 'oder'] aus den Händen geben-, den Mund auftun v. [vagy 'oder'] öffnen; im Auge behalten v. [vagy 'oder'] haben. Würden die verschiedenen Formvarianten der einzelnen syntagmatischen Einheiten gesondert gezählt, läge die Anzahl letzterer im 2KGHDU etwas höher. 2
KGHDU
SBDU
BDU
Hand
64
15
52
Fuß
22
8
29
Mund
16
6
20
Auge
25
8
25
Beispiele
Gegenüber Kelemens früheren Werken weist das 2KGHDU einen leicht erhöhten Informationswert auf, und zwar nicht nur im Wörterbuchkorpus, sondern auch im syntagmatischen Bereich. Es wurden zahlreiche Formvarianten einzelner syntagmatischer Einheiten (beispielsweise jm. etw. an v. [vagy 'oder'] um den Hals werfen) aus früheren Auflagen unverändert übernommen: 2
Beispiele
KHDU
KGHDU
KGHDU
Hand
44
47
52
Fuß
26
28
29
Mund
12
13
20
Auge
8
12
25
Den größten Anteil im syntagmatischen Bereich dürften im 2KGHDU, wie in früheren einschlägigen Wörterbüchern auch, die wörterbuchtypologisch irrelevanten freien Syntagmen ausmachen. Idiosynkratische Syntagmen sind im 2KGHDU ebenfalls zahlreich vertreten, Phraseologismen dagegen für ein Großwörterbuch etwas unterrepräsentiert. In wörterbuchtypologischem Sinne könnte dies den Eindruck erwecken, als ob das 2KGHDU weniger als passives deutsch-ungarisches Wörterbuch für ungarische Muttersprachler, sondern eher als aktives Wörterbuch für deutsche Muttersprachler bestimmt gewesen wäre. Die Aufnahme zahlreicher idiosynkratischer Syntagmen ist aller Wahrscheinlichkeit nach darauf zurückzuführen, daß Kelemen viel Wert auf die grammatischen Informationen seiner Wörterbücher legte, weil gerade idiosynkratische Strukturen des Deutschen und des Ungarischen sich
129 hinsichtlich ihrer Valenz sowie Rektion stark voneinander unterscheiden können. Es sind im 2 KGHDU vor allem solche idiosynkratischen Syntagmen des Deutschen häufig vertreten, denen im Ungarischen nur ein einziges Äquivalent gegenübersteht, vgl. Ball spielen ung. labdáznr, Kahn fahren ung. ladikázni, csônakâznï, Rast halten ung. megpihenni, szünetelni; Schluckauf haben ung. csuklani\ einen Tausch machen ung. cserélni·, Wahl treffen ung. választani. Weisen idiosynkratische Syntagmen des Deutschen in der Rektion Abweichungen von den ungarischen Syntagmen auf, so sind gelegentlich die Kasusfälle im Deutschen gesondert gekennzeichnet. Auf den Kasus ungarischer Syntagmen sind keinerlei Hinweise zu finden,27 ein weiteres Zeichen für den passiven Charakter des 2KGHDU: sich (dat.) die Nase [Akk.] putzen az orrát [Akk.] kifujni [heute: kifujni] 'die Nase schneuzen' einer Sache (gen.) überdrüssig werden ráúnni vmire [Sublativ], megünni vmit [Akk.]. In der Phraseologie - in engerem Sinne - erweist sich das 2KGHDU nicht so benutzerfreundlich wie die beiden bereits untersuchten Wörterbücher. Dies betrifft vor allem die Anordnung und Hervorhebung der Phraseologismen innerhalb der einzelnen Mikrostrukturen. Sowohl das SBDU als auch das BDU haben nämlich Phraseologismen von anderen lexikographischen Einheiten getrennt. Im SBDU sind sie meistens dem betreffenden Wörterbuchartikel als szólások 'Redewendungen' gesondert angehängt, im BDU sind sie als fig. ("in figürlichem Sinne", vgl. BDU 1917, ΧΧΠ) markiert. Phraseologismen sind im 2 KGHDU den einzelnen Äquivalenten zugeordnet, aber nicht als idiomatischer Sprachgebrauch gesondert markiert. In der Ansetzungsform sowie in der Auswahl der einzelnen Äquivalente dagegen scheint das 2 KGHDU die Schwachstellen älterer Wörterbücher in einigen Fällen vermieden zu haben, vgl. SBDU: wir wollen Gras darüber wachsen lassen ung.: boritsunk fátyolt ra, felejtsük el ['wollen wir einen Schleier darüber legen, vergessen wir das'] 2 KGHDU: über etw. Gras wachsen lassen ung.: fátyolt boritani valamire ['über etw. einen Schleier legen']. Auch bei der Auswahl der einzelnen Äquivalente weist das 2KGHDU gelegentlich Abweichungen gegenüber früheren Wörterbüchern, zum Teil auch besser gelungene phraseologische Entsprechungen auf. Als Beispiel hier die Entsprechungen des deutschen Sprichworts wie der Schelm ist, so denkt er: SBDU: ki mint él, úgy beszél; a milyen a madâr, olyan a szólása ['wie der (Mann) lebt, so spricht er; so ist der Vogel, wie sein Gesang']
27 Die in eckige Klammern gesetzten Kasusbezeichnungen stammen von mir. Sie dienen der Hervorhebung der jeweiligen Unterschiede in den einschlagigen Beispielen.
130 2
KGHDU:
kiki magáról ítél v. aki szeméten nevelkedett, mást is rühesnek gondol. ['jeder urteilt von sich aus oder wer auf dem Mist groß geworden ist, denkt, daß auch der andere krätzig ist'; vgl. dt. jeder schließt von sich auf andere]. Daneben wurden jedoch auch falsche Ansetzungsformen deutscher Phraseologismen sowie falsche ungarische Entsprechungen übernommen, z. B. BDU^KGHDU: er hat das Herz auf dem rechten Fleck ung.: BDU/^KGHDU: helyén van a szive; [statt: das Herz auf dem rechten Fleck haben] SBDU^KGHDU: ung: SBDU: azt se tudja, hol àll a feje; 2 er weiß nicht, wo ihm der Kopf steht KGHDU: azt se tudja, hol a feje; [statt: nicht wissen wo einem der Kopf steht] SBDU^KGHDU: ung. SBDU: fél läba a koporsóban; 2 mit einem Fuße steht er schon im Grabe KGHDU: féllába a koporsóban; [statt: mit einem Fuß im Grabe stehen] SBDU/BDU^KGHDU: ung.: SBDU/BDU^KGHDU: stille Wasser sind tief [sic!] lassù vizpartot mos (vgl. 2.2.3.2.). Darüber hinaus weist das 2KGHDU auch neue Phraseologismen auf, vgl. jm einen Salamander reiben ung. (diákszokás) vkinek tiszteletére nagyot inni ['(Studentensitte) zu Ehren von jm. viel trinken'] Zusammenfassend läßt sich somit feststellen, daß es Kelemen nicht gelang, die Benutzerfreundlichkeit seines Wörterbuches gegenüber seinen eigenen und anderen früheren Wörterbüchern in syntagmatischer Hinsicht zu verbessern. Davon ist vor allem die Anordnung der syntagmatischen Einheiten in den einzelnen Wörterbuchartikeln betroffen, aber auch die Ansetzungsform der phraseologischen Einheiten sowie vereinzelter Äquivalente. Quantitativ gesehen übertrifft zwar das 2KGHDU frühere Wörterbücher, in qualitativer Hinsicht konnte es jedoch über das Niveau früherer Wörterbücher kaum hinausgelangen.
4.2.3.3.
Phonetische und grammatische Informationen
Grammatische Informationen spielen in Kelemens gesamtem lexikographischen Werk eine sehr wichtige Rolle. So hebt er bereits im Vorwort zum 1898 erschienenen KTDU als Unterschied zu früheren deutsch-ungarischen Wörterbüchern unter anderem die Anführung von grammatischen Informationen hervor (KTDU 1988, VI/2). Seine Ansichten hinsichtlich der Bedeutung grammatischer Informationen in zweisprachigen Wörterbüchern gehen noch deutlicher aus dem Vorwort zum 1914 erschienenen KGHDU hervor, indem er meint, ein Wörterbuch könne seine Aufgabe umso besser erfüllen, je mehr es dem Benutzer grammatikalisch entgegenkommt, was schon deshalb wünschenswert sei, weil die meisten Menschen nach dem Schulbesuch keine Grammatik mehr zur Hand nähmen (vgl. KGHDU 1914, Vorwort/2). Häufig könne die Bedeutung eines Wortes - fährt Kelemen an gleicher Stelle fort auch nicht deutlich erklärt werden, wenn man nicht auf die Grammatik als Hilfsmittel zurück-
131 greifen würde.28 Daß Kelemen grammatischen Informationen eine überaus wichtige Funktion beigemessen hat, wird auch daraus ersichtlich, daß er ihm notwendig erscheinende grammatische Erklärungen, die jedoch den Rahmen einzelner Wörterbuchartikel gesprengt hätten, gesondert aufführt und durch eine senkrechte fettgedruckte Linie von den eigentlichen Wörterbuchartikeln abtrennt. Im Vorwort zum KGHDU (1914) weist er selbst daraufhin, daß dies eine Neuerung in seinen Wörterbüchern sei, für die er keine ausländischen Beispiele kenne29 (vgl. KGHDU 1914, Vorwort/2). Wegen der großen Menge der in den einzelnen Wörterbuchartikeln nichtintegrierten grammatischen Informationen hat Kelemen ebenfalls von seinen Zeitgenossen - im Zusammenhang mit dem 1914 erschienenen KGHDU - Kritik einstecken müssen: "Die in den Text eingeschalteten, mit schwarzen Linien umschlossenen orthographischen und grammatischen Bemerkungen, polemischen Auseinandersetzungen passen nicht recht in das Wörterbuch, gehören vielmehr ganz in die Grammatik" (Rácz 1915, 2237). Seine Meinung über die überaus wichtige Rolle der Grammatik in zweisprachigen Wörterbüchern hat Kelemen jedoch auch später nicht geändert, so daß auch im 2KGHDU den einzelnen Wörterbuchartikeln angehängte, kaum integrierbare grammatische Informationen zu finden sind. Die meisten dieser Informationen sind morphologischer (vgl. 4.2.3.3.2.) oder syntaktischer Natur (vgl. 4.2.3.3.3.), aber auch orthographische Erklärungen, Informationen über die Wortbildung (beispielsweise Komposita mit dem Zusammensetzungselement Eid, wie Eidablehnung und Eidesablehnung) oder den Anwendungsbereich der deutschen Lemmata (z. B. Herr, welch) haben Eingang im 2KGHDU gefunden. Vereinzelt sind die deutschsprachigen Lemmata mit außersprachlichen Anmerkungen versehen, vgl. Gymnasium, Kaiserschütze, kladderadatsch, Windstärke. Die Anzahl der nichtintegrierten grammatischen Informationen dürfte im 2 KGHDU aber eher niedrig liegen. Obwohl sie nicht in den Rahmen zweisprachiger Wörterbücher passen, haben sie im 2KGHDU - in dieser Hinsicht zweifellos ein Lehrwörterbuch der deutschen Sprache -, durchaus eine gewisse Berechtigung gehabt.
28
"Azt vallom, annál jobban teljesfti feladatát a szótár, minél inkóbb kezére jár a forgatójának nyelvtani dolgokban. Már csak azért is kivánatos ez, mert hiszen a legtöbb ember, amint az iskoliból kikerül, nem vesz tôbbé nyelvtant a kezébe. Akárhinyszor nem is lehet a szó jelentését világosan megmagyarázni [...], hacsak nem folyamodunk a nyelvtan segitségéhez" ['Ich glaube, daß ein Worterbuch seine Aufgabe umso besser erfüllt, je mehr es seinem Benutzer in grammatischen Sachverhalten an die Hand geht. Dies ist schon allein deshalb wünschenswert, weil die meisten Menschen, nachdem sie die Schule verlassen haben, keine Grammatik mehr in die Hand nehmen. Des öfteren kann die Bedeutung des Wortes auch nicht deutlich erklart werden [...], es sei denn,29daß wir als Hilfe die Grammatik anwenden'] (KGHDU 1914, Vorwort/2). "Ezenkivttl még kQlön nyelvtani magyarázatokat talál az olvasó az oly szavaknál, melyek egy vagy más tekintetben megvilágitást ¿rdemelnek. Ez szintén oly újítás, melyre a külföldi szótárirodalomban sem tudok példit'CBei Wörtern, die in der einen oder anderen Hinsicht einer Erläuterung bedürfen, findet der Leser außerdem einzelne grammatische Erklärungen. Dies ist ebenfalls eine Neuerung, für die ich auch in der auslandischen Wörterbuchliteratur kein Beispiel kenne'] (KGHDU 1914, Vorwort/2).
132 4.2.3.3.1.
Phonetische Informationen
Die deutsch-ungarischen Wörterbücher von Kelemen sind nicht so reich an phonetischen Informationen wie das beim Verlag Langenscheidt 1917 erschienene BDU, das den Untertitel "mit Angabe der Aussprache nach dem phonetischen System der Methode Toussaint-Langenscheidt" trägt und zum Ziel hat, die Aussprache von ausgangssprachlichen Lemmata durch Lautschrift wiederzugeben (vgl. 3.3.3.3.1.). Wie aus einer dem eigentlichen Wörterbuchkorpus folgenden Einteilung des deutsch-ungarischen Wörterbuches (im Anhang IV) hervorgeht, gibt Kelemen die Aussprache deutscher Lemmata nur dann an, wenn diese besondere Schwierigkeit bereitet oder ein Zweifelsfall vorliegt30 (vgl. 2KGHDU 1929, 948/2). An gleicher Stelle hebt er hervor, daß er bei der Markierung der Aussprache auch von solchen Buchstaben Gebrauch macht, die vom ungarischen Alphabet abweichen.Dabei handelt es sich um 6 Buchstaben, die einzeln aufgeführt und erklärt werden (ζ. B. ë, ñ, â, e). Das Aussprachesystem des 2KGHDU dient offensichtlich keinen wissenschaftlichen, sondern praktischen Zwecken. Die Umschrift erfolgt in eckigen Klammern, wobei gleichzeitig auch die Silbengrenze markiert wird, vgl. Champignon [sámpinyoñ: -pignon], Chansonnette [sañszonett; - son-], Chauvinist [so-vi-niszt], exquisit [eksz-kvi-zít], Ironie [iro-ní], ironisch [iró-nis], Jalousie [zsâ-lu-zi], Komödie [ko-mô-dië], Manier [mâ-nir], Menuett [më-nu-et]. Der Akzentuierung der deutschen Lemmata schenkt Kelemen nur wenig Aufmerksamkeit, unabhängig davon, ob sie semantischer oder grammatischer Differenzierung unterliegt oder nicht. Dabei macht er von den in früheren deutsch-ungarischen Wörterbüchern üblichen Akzentzeichen [SBDU/BDU das Zeichen: '] keinen Gebrauch (vgl. 2.2.3.3.1. und 3.3.3.3.1); hierzu dienen im 2KGHDU lediglich die langen Vokale, die im Ungarischen in semantischer Opposition zu den kurzen Vokalen stehen (vgl. Tompa 1972, 13-14), vgl. Gebet [gë-bét], Mikroben [-kró-], I. modern [mo-dern] vs. Π. modern [mó-darn], Nase [nà-zë], Substrat [zupsztrát], Zone [cô-në]. Auch bei Verben mit einer trennbaren und einer nichttrennbaren Variante, die nicht nur anders akzentuiert werden, sondern auch semantisch relevant sind, ist im 2KGHDU die Akzentuierung nicht gekennzeichnet. Somit ist es dem Benutzer überlassen, sich zwischen den als homonym bezeichneten trennbaren und nichttrennbaren Verbformen zurechtzufinden, wobei die Trennbarkeit der Verben zwar durchgehend markiert, auf die Akzentuierung jedoch in der Regel verzichtet wird31, vgl. I. durchlaufen vs. II. durchlaufen, I. übersetzen vs. übersetzen; I. um\\fahren vs. Π. umfahren, I. um\\fliegen vs. um\fliegen.
30 "A német szavak kiejtését csak Ott jelöljük, ahoi az különösebb nehézséget okozhat vagy kétségre adhat okot" [Die Aussprache der deutschen Wörter markieren wir nur dort, wo diese Schwierigkeiten verursachen kann oder Grund zum Zweifel besteht'] ('KGHDU 1929, 948/2). 31 Die "vom heutigen Sprachgefühl erkennbaren" Zusammensetzungselemente der einzelnen Komposita sind im*KGHDU durch einen senkrechten Strich ( | ) voneinander abgegrenzt (*KGHDU 1929,948). Trennbare Verbalprftfixe sind vom Verbstamm durch doppelte senkrechte Striche ( || ) auseinanderhalten (vgl. ! KGHDU 1929, 948).
133 4.2.3.3.2.
Morphologische Informationen
Es geht bereits aus dem Vorwort zum KGHDU (1914) deutlich hervor, daß Kelemen morphologische Informationen für besonders wichtig hielt, weshalb er das Werk gegenüber dem KHDU (1901) mit grammatischen Erklärungen und Angaben ergänzte. Sind im KHDU (1901) nur "beim Grundwort flexionsbezogene Hinweise" enthalten, so sind im KGHDU auch die "flektierten Formen von Komposita" angeführt (KGHDU 1914, Vorwort). Wie Kelemen an gleicher Stelle behauptet, sei dafür zwar viel Platz vergeudet worden, doch ziehe der Benutzer daraus entsprechenden Nutzen.32 Der eigentliche Grund jedoch, weshalb Kelemen die morphologischen Informationen zu den ausgangssprachlichen deutschen Lemmata unmittelbar mit den einzelnen Lemmata verknüpft und nicht in einer gesonderten Tabelle zusammenfaßt, worauf er bei den einzelnen Lemmata hätte verweisen können, ist nicht ausschließlich der, daß ihm die "Annehmlichkeit" seiner Wörterbücher überaus wichtig gewesen wäre; sondern er hielt - wie es aus einem 1917 von Béla Kelemen an Gyula Zolnai geschriebenen Brief hervorgeht - das [Verweis]System des im selben Jahr beim Verlag Langenscheidt erschienenen BDU für hervorragend, für "unser [ungarisches] Publikum jedoch zu hoch" (vgl. Brief von Béla Kelemen an Gyula Zolnai 1917, MTA Kônyvtàra ['Bibliothek der Ungarischen Akademie der Wissenschaften'], Ms41S6/182). Die in früheren deutsch-ungarischen Wörterbüchern von Kelemen, insbesondere im KGHDU angewandte Methodik bei morphologischen Informationen wurde auch im 2KGHDU beibehalten, indem diese in die einzelnen Wörterbuchartikel integriert wurden. Bei allen maskulinen und neutralen Substantiven (auch bei Komposita) sind neben dem Artikel auch die jeweiligen Endungen im Genitiv Sg. sowie im Nominativ PI. angegeben, bei femininen Substantiven lediglich die Pluralformen, weil die "Formen im Sg. unverändert bleiben". Bei Verben finden wir die vollständig ausgeschriebenen Imperfekt- und Perfektformen, bei starken und unregelmäßigen Verben auch andere Formen, wie z. B. Konjunktiv Π, Imperativ usw. (vgl. 2KGHDU 1929, 948/3). Bei Adjektiven sind Komparativ und Superlativ nur in solchen Fällen angegeben, in denen eine Abweichung gegenüber der "regelmäßigen Bildung" vorliegt (vgl. 2KGHDU 1929, 948/3). Die unmittelbare Anführung von morphologischen Informationen nach den ausgangssprachlichen Lemmata nimmt zwar tatsächlich viel Platz in Anspruch, dafür konnte Kelemen jedoch einige Schwachstellen früherer deutsch-ungarischer Wörterbücher zum Teil vermeiden und morphologisch schwankende Formen besser erläutern. So werden z. B. bei Substantiven mit schwankendem Genus die abweichenden Artikelformen aufgeführt und gelegentlich auch mit Erklärungen versehen, vgl. Bonbon (Németország der, Ausztria das) ['(in Deutschland der, in Österreich das)'\, Kompmmiß, der v. kevb. ['oder weniger'] das, Liter (hivatalosan das, de a köznyelvben mindinkább der) ['(offiziell das, in der Umgangssprache jedoch immer mehr der)'], Münster, das v. ritkb. ['oder seltener'] der, Podest, der v. kevb. ['oder weniger']
32 "Sok helyet kellett ri pazarolni, de a kényelem, melyet ez a rend a kOzOnségnek nyújt, bizonyára megéri az áldozatot" [Man mußte dafür viel Platz verschwenden, die Annehmlichkeit jedoch, die diese Anordnung dem Publikum bietet, lohnt gewiß das Opfer.] (KGHDU 1914/Vorwort).
134 das. Der Artikel wird im 2KGHDU kursiv gesetzt und in der Regel durch ein Komma vom Lemma getrennt. Weisen gleichlautende Substantive mit verschiedenem Genus auch unterschiedliche Bedeutungen auf, so werden sie als Homonyme aufgefaßt, unabhängig davon, ob sie verwandt sind oder nicht. Pseudo-Homonyme sind meistens als echte Homonyme behandelt, d. h. sie sind selbständige Lemmata, ζ. Β.: I. Band, der ['Buch'], vs. Π. Band, das ['zum Binden und Schnüren geeigneter Gegenstand'], vs. ΠΙ. Band, das ['Fesseln']; I. Bauer, der ['Landwirt'], vs. Π. Bauer, das ['Käfig']; I. Hut, der ['Kopfbedeckung'], vs. II. Hut, die ['Schutz']. Gelegentlich sind sie als polyseme Lemmata aufgefaßt, indem der vom Artikel bestimmte Anwendungsbereich innerhalb der Mikrostruktur eingeschränkt wird, vgl. Erkenntnis·. 1) die ['Einsicht'] vs. 2) das ['richterliches Urteil']; Verdienst·. I. der ['Einkommen'] vs. II. das ['anerkennenswertes Verhalten oder Tun']. Gleichlautende nichtverwandte Substantive mit verschiedenem Genus und verschiedener Bedeutung sind als echte Homonyme erkannt worden, und als solche sind sie in selbständigem Lemmastatus aufzufinden, vgl. I. Golf, der ['Meeresbucht'], vs. II. Golf, das ['Rasenspiel']; I. Leiter, der ['Person in übergeordneter Stellung'], vs. II. Leiter, die ['Gerät mit Sprossen zum Steigen']; I. Mark, die ['Geldeinheit', 'Grenzland'], vs. Π. Mark, das ['Knochengewebe']; I. Otter, der ['Marderart'], vs. II. Otter, die ['Schlange']; I. Tau, der ['Niederschlag'] vs. II. Tau, das ['starkes Seil']. Genitiv- und Pluralendungen sind unmittelbar nach dem Artikel angegeben, abgetrennt durch ein Komma. Wie der Artikel (oder schwankende Artikelformen) sind sie kursiv gesetzt. Weisen Substantive im Genitiv oder im Plural Schwankungen und Doppelformen auf, so sind in der Regel beide Formen angeführt, vgl. Ahn, der, -en ν. ['oder'] -s, t. ['Plural'] -en, Bauer 'Landmann', der, -s v. ['oder'] -n, -n; Gevatter, der, -s v. ['oder'] n, t. ['Plural'] -n; Hahn, der, (e)s (v. ['oder'] -en), Hähne (v. ['oder'] Hahnen)·, Lump, der, -es v.['oder'] -en, t. ['Plural'] -e v.['oder'] -en, Spatz, der, -en v. kevb.['oder weniger'] -es, t.['Plural'] -en v.kevb. ['oder weniger'] -e. Wenn Doppelformen unterschiedliche Bedeutungen haben, und zwar unabhängig davon, ob es sich dabei um Substantive handelt, die im Singular gleiches oder unterschiedliches Genus aufweisen, sind sie in der Regel entweder als homonyme oder als polyseme Lemmata behandelt und somit deutlich auseinandergehalten, vgl. I. Bank, die Bänke ['Sitzmöbel'] vs. Π. Bank, die, -en ['Geldinstitut']; Mutter, die. 1) t. ['PI.'] Mütter ['Verwandtschaftsgrad'] vs. 2) t. ['Pl.'] Muttern ['Schraubenteil']; I. Strauß, der, -es, -e (ritkb. ['seltener'] -en, -en) ['Laufvogel'] vs. Π. Strauß, der, -es, Sträuße ['gebundene Blumen']; Tuch, das, -es: 1) t. ['PI.'] Tuche ['noch unverarbeitetes Erzeugnis der Webindustrie'] vs. 2) t. ['Pl.'] Tücher ['einzelnes, gewebtes Stück']. In einigen Fällen ist der Anwendungsbereich der verschiedenen Pluralformen mit erklärender Glossierung versehen, ζ. B.: Wort, das, -es, t. ['PI.'] (ha összefüggö szavakat, beszédet értünk) ['(wenn wir darunter zusammenhängende Wörter, die Rede verstehen)'] Worte, (ha egyes szavakat, pl. a szótárban) [('wenn wir darunter einzelne Wörter verstehen, z. B. im Wörterbuch)'] Wörter. Gelegentlich sind sie auch mit einer dem eigentlichen Wörterbuchartikel gesondert hinzugefügten grammatischen Erklärung versehen. So wird unmittelbar nach dem Wörterbuchartikel des deutschen Lemmas Bau, der, -(e) s, Baue und Bauten erklärt.
135 daß zwischen den Pluralformen ein Bedeutungsunterschied besteht, wobei Baue 'Tierhöhlen' und Bauten 'Gebäude' bedeutet. Trotz sorgfältigen Auseinanderhaltens der semantisch relevanten Pluralformen weist das JKGHDU vereinzelt Fehler auf. Dabei versäumt Kelemen nur selten, die Anwendungsbereiche der einzelnen Pluralformen zu differenzieren, vgl. Dorn, der, -(e)s, -en (ν. ['oder'] Dorne, Dörner); Hahn, der, -(e)s (ν. ['oder'] -en), Hähne (ν. ['oder'] Hahnen), Kleinod, das, -(e) s, -e ν. ['oder'] -ien. Bei Verben sind die vollständigen Imperfekt- und Perfektformen angegeben, z. B : spielen, spielte, hat gespielt oder bleiben, tm. ["tôrténeti mult (Imperfekt)"] er blieb, m. ["mult (Vergangenheit)"] er ist geblieben. Bei starken und unregelmäßigen Verben finden sich auch andere Formen in den einzelnen Mikrostrukturen, vgl. lesen, '], ["jelenidó (Gegenwart)"] ich lese, du liesest v. ["vagy (oder)"] liest, er liest, tm. ["tôrténeti mult (Imperfekt)"] er las, m. ["mult (Vergangenheit)"] er hat gelesen-, km. ["kötomod tôrténeti multja (Imperfekt der verbindenden Weise)"] er läse; felsz. ["felszólítómód (Imperativ)"] Itesi Bei den mit Präfixen oder Halbpräfixen gebildeten Verben sind die gleichen Formen angegeben wie im Verbstamm, vgl. spotten, spottete, hat gespottet vs. verspotten, verspottete, hat verspottet oder packen, packte, hat gepackt vs. einpacken, packte ein, hat eingepackt. Weisen Verben vereinzelt Formvarianten auf, werden sie ebenfalls gesondert angegeben, vgl. befehlen, '), ich befehle, du befiehlst, er befiehlt, wir befehlen·, tm. er befahl·, m. er hat befohlen; km. er beföhle v. kevb. befähle·, felsz. befiehl·, oder rinnen, j. er rinnt ; tm. er rann; m. ist geronnen; km. ränne v. kevb. rönne (Abkürzungskennzeichen vgl. oben). Bei Adjektiven sind Komparativ- und Superlativformen nur bei bestimmten umlautfähigen Wörtern oder bei irregulären Formen angegeben, vgl. hart, kf. ["kôzépfok (Komparativ)"] härter, ff. ["felsô fok (Superlativ)"] härtest; klug, kf. klüger, ff. klügst; stark, kf. stärker, ff. stärkst; oder gut, kf. besser, ff. best.
4.2.3.3.3.
Syntaktische Informationen
Wie bereits aus dem Vorwort zum KTUD (1897) ersichtlich wird, war sich Kelemen über die Bedeutung von kotextuellen oder syntaktischen Informationen in zweisprachigen Wörterbüchern im klaren. Darum versucht er durch "Beispielsätze" oder zumindest durch in Klammern gesetzte "Ergänzungen" die Unterschiede zwischen dem "ungarischen und deutschen Sprachgebrauch" zu erläutern (vgl. KTUD 1897, VII). Darauf ist auch zurückzuführen, daß das 2 KGHDU deutlich mehr vollständige Satzbeispiele enthält als alle früher erschienenen deutsch-ungarischen Wörterbücher. Folglich sind dem 2KGHDU zahlreiche latente Informationen über die Syntax der einzelnen Satzbeispiele zu entnehmen, die zwar in wörterbuchtypologischer Hinsicht irrelevant sind, die Benutzerfreundlichkeit eines Wörterbuches jedoch zweifelsohne positiv beeinflussen, vgl. wir werden die Angelegenheit mit Wohlwollen behandeln33: erst will ich arbeiten, dann ruhen ; die welken Blätter fallen vom Baume herab [herabfallen]: der Wagen holperte [holpern] langsam über das schlechte Pflaster.
Die Unterstreichung eines Wortes in den jeweiligen Satzbeispielen oder in eckigen Klammern wurde von mir vorgenommen. Sie zeigt die Lemmata, unter denen die jeweiligen Satzbeispiele stehen.
136 Neben den latenten syntaktischen Hinweisen des 2KGHDU gibt Kelemen in vielen Fällen aber auch konkrete rektionsbezogene Informationen zu den deutschen syntagmatischen Einheiten an. Meistens handelt es sich dabei um idiosynkratische Syntagmen oder auch Phraseologismen. Daß mit den ungarischen Äquivalenten keinerlei Informationen verknüpft sind, ist als weiteres Indiz dafür zu werten, daß Kelemen im 2KGHDU in erster Linie offensichtlich ein passives deutsch-ungarisches Wörterbuch für ungarische Muttersprachler anstrebte, vgl. ich werde bestrebt sein (zu inf.).; einer Sache (dat.) eine Form geben; sich (dat.) etw. (ein Übel, eine Krankheit stb. ['usw.'] ) holen: sich (dat.) Kummer machen über etw. (acc.); einer Sache (gen.) ledig sein-, er läßt es sich (dat.) gut schmecken: sich (dat.) etw. vornehmen: seine Augen, seinen Blick an etw. (dat.) weiden. Das deutsche Präpositionalsystem ist im 2KGHDU ebenfalls syntaxbezogen behandelt. Im Gegensatz zu früheren Wörterbüchern, die den Kasus zu den einzelnen Präpositionen in der Regel nur dann angeben, wenn er unmittelbar zur Bedeutungsdifferenzierung beiträgt, sind hier alle Präpositionen markiert, vgl. auf. ung. 1) (prep. dat.) -on, -en, -ön, 2) (prep, acc.) -ra, -re\ für. (prep. acc.) -ért, helyett, -nak, -nek ; in: (prep.): 1) (dat.) -ban, -ben, -on, -en, -ön, alatt; 2) (acc.) -ba, be\ zu: (prep. dat.) -hoz, -hez, -höz, -vá, -vé, -on, -en, -ön. Auf syntaktische Restriktionen im Deutschen achtet Kelemen dagegen kaum mehr, als dies in früheren einschlägigen Wörterbüchern der Fall war. Es ist hier - wie auch im SBDU und BDU - lediglich die Trennbarkeit der zusammengesetzten deutschen Verben markiert, vgl. ein\\rechnen, um\\wühlen, vor\\ziehen (vgl. noch 4.2.2.1. und 4.2.3.3.1.). Bei Adjektiven mit eingeschränktem Gebrauch und bei in den einzelnen Beispielen gelegentlich voneinander abweichendem Artikelgebrauch (vgl. 2.2.3.3.3.) konnten im 2KGHDU keine Hinweise auf syntaktische Restriktionen ausfindig gemacht werden.
4.3.
Ungarisch-deutsch [2KGHUD] (1929)
4.3.1.
Empirische Aspekte: Quellen des 2KGHUD
Ehe auf die Quellen der ungarisch-deutschen Wörterbücher näher eingegangen werden kann, soll das 2KGHUD auf eine eventuelle Rückübersetzung aus dem 2KGHDU überprüft werden. Dafür habe ich 100 Äquivalente aus dem 2KGHDU - von Gehirn bis Gehörtrommel (44 Lemmata) - mit den entsprechenden Lemmata des 2KGHUD verglichen. Dabei ergab sich, daß 21 lexikographische Einheiten (meistens freie Syntagmen oder Komposita), die Kelemen im 2KGHDU als Äquivalente für die ausgangssprachlichen deutschen Einheiten angeführt hat, im 2KGHUD gar nicht aufzufinden oder in einer anderen Bedeutung gebraucht sind. Außerdem habe ich 100 Äquivalente aus dem2KGHUD - zwischen den Lemmata szerény 'bescheiden' und szeretetreméltóság 'Liebenswürdigkeit' - auf ihr Vorkommen im 2KGHDU überprüft. Hier ist die Übereinstimmung noch geringer als im umgekehrten Fall. Von 100 im 2 KGHUD
137 als deutsche Entsprechungen für die ungarischen Lemmata angegebenen lexikographischen Einheiten sind im 2KGHDU 41 gar nicht angeführt oder in einer anderen Bedeutung gebraucht. Dabei handelt es sich mit Ausnahme von S lexikographischen Einheiten (4 davon Komposita) ausschließlich um Mehr-Wort-Einheiten, vor allem um freie Syntagmen. Da die wortschatzbezogene Übereinstimmung zwischen 2KGHUD und dem 2KGHDU eher niedrig als hoch liegt, kann hier eine Rückübersetzung aus dem JKGHDU mit großer Sicherheit ausgeschlossen werden. Ähnlich wie beim 2KGHDU hat Kelemen auch hier aus seiner mehr als dreißigjährigen lexikographischen Erfahrung schöpfen können. Da er die lexikographische Technik seiner ersten Werke auch in seinen späteren, d. h. auch im 2KGHUD beibehalten oder weiterentwickelt hat, kann es sich hier lediglich um eine wortschatzbezogene Bereicherung seiner ungarisch-deutschen Wörterbücher handeln. Dem 2KGHUD wurde kein Vorwort beigefügt, aus dem unter Umständen hätte hervorgehen können, von welchen Nachschlagewerken Kelemen bei der Zusammenstellung seines Wörterbuches Gebrauch gemacht hat. Auch anderen Vorworten - zu früheren ungarisch-deutschen Wörterbüchern Kelemens - waren keine einschlägigen Informationen zu entnehmen, die in bezug auf die lexikographische Technik seiner Wörterbücher einen Anhaltspunkt gegeben hätten. Im Vorwort zum KTUD (1897) erwähnt Kelemen zwar, daß seine Quellen jedem Fachmann bekannt seien, nämlich die lexikographischen Werke von Sanders34, vor allem sein "großes deutsches Wörterbuch" sowie Deutsche und Ungarische Redensarten (1896) von Zsigmond Simonyi (vgl. Kelemen 1897, VIW i l l ) ; inwieweit aber diese Werke mit Deutsch als Ausgangssprache in den früheren ungarisch-deutschen Wörterbüchern von Kelemen Eingang finden konnten, ist fraglich. Hier könnte es sich lediglich um Nachschlagewerke für die Auswahl der geeigneten Äquivalente gehandelt haben, die jedoch keinen Einfluß auf die Auswahl der ungarischen Lemmata für das 2KGHUD haben konnten. Letztere ist - wie es den Vorworten zu KHUD (1904) und KGHUD (1912) zu entnehmen ist - auf zahlreiche Fachwörterbücher zurückzuführen. In der vorliegenden Arbeit werden jedoch die von Kelemen als Quellen angegebenen Fachwörterbücher nicht im einzelnen berücksichtigt, da sie lediglich den Wortschatz, nicht aber die lexikographische Technik der ungarisch-deutschen Wörterbücher beeinflußt haben können. Auf Vergleiche mit anderen zweisprachigen Wörterbüchern mit Ungarisch als Ausgangssprache, auf die Kelemen als Vorlagen hätte zurückgreifen können, wird in vorliegender Untersuchung ebenfalls verzichtet, zum einen weil um die Jahrhundertwende gerade die deutsch-ungarische Lexikographie ein sehr hohes Niveau erreicht hatte und als solche selbst als Ausgangspunkt für andere Wörterbücher dienen konnte, zum anderen weil die gegenseitige Beeinflussung der Wörterbücher mit Ungarisch als Ausgangsprache im großen und ganzen so undurchsichtig ist, daß über die ursprünglichen Quellen ohnehin nur spekuliert werden könnte.35
34 Chronologisch gesehen kommt hier aller Wahrscheinlichkeit nach die 5. Auflage des 1893 in Leipzig erschienenen Handwörterbuches der deutschen Sprache von Daniel Sanders in Frage. 35 Von den früheren Wörterbüchern mit Ungarisch als Ausgangssprache würden als Vorlage für die ersten ungarisch-deutschen Wörterbücher Kelemens aller Wahrscheinlichkeit nach nur zwei in Frage kommen, nämlich das Magyar-angol szótár (1881) [Ungarisch-englisches Wörterbuch'] von Ferenc Bizonfy und der ungarischfranzösische Teil des Francia-magyar és magyar-francia szótár (1880) [Tranzösisch-ungarisches und ungarisch-
138 Mit einsprachigen ungarischen Wörterbüchern dürfte ein Vergleich ebenfalls unergiebig sein, da sie um die Jahrhundertwende auf wenige Spezialwörterbücher (vgl. NySz. und MTsz.) beschränkt waren, die über eine eventuelle Bereicherung des im Wörterbuchkorpus aufgenommenen Wortschatzes hinaus keinerlei Einfluß auf die lexikographischen Werke von Kelemen ausüben konnten. Mit früheren ungarisch-deutschen Wörterbüchern zeigt das 2KGHUD wenige Gemeinsamkeiten. Dies könnte damit zu erklären sein, daß Kelemen bei der Zusammenstellung des 2 KGHUD bereits eine eigene lexikographische Tradition geschaffen hatte und immer wieder seine Werke ergänzte und vervollständigte. Um seine ungarisch-deutschen Wörterbücher auf eine eventuelle Beeinflussung durch frühere einschlägige Werke hin zu überprüfen, habe ich meinen Untersuchungen die erste Auflage des 2KGHUD, d. h. das 1904 erschienene KHUD zugrunde gelegt. Ob Kelemen beim Zusammenstellen seines Wörterbuches von dem zwei Jahre zuvor erschienenen SBUD Gebrauch machen konnte, würde man - zumindest theoretisch - für ziemlich unwahrscheinlich halten, da er bereits an seinem Werk gearbeitet haben dürfte, als das SBUD (1902) erschien. Dies scheint mir auch dadurch bestätigt zu sein, daß das KHUD (1904) weder in seinem Wörterbuchkorpus noch im Aufbau der einzelnen Wörterbuchartikel auffallende Ähnlichkeiten zu ihm aufweist. Die Überprüfung von Übereinstimmungen im Wortschatz zwischen KHUD und SBUD ergab, daß 34 von 100 Lemmata (zwischen kézmû 'Handarbeit' und kiböjtöl 'aushungern' ) im SBUD gar nicht oder in einer anderen Form zu finden sind. In diesem Zusammenhang scheint es mir wahrscheinlicher zu sein, daß Kelemen für seine ersten lexikographischen Werke die kurz zuvor erschienene 6. Auflage des BALLAGI-UD6 benutzt hat, zumindest bei der Auswahl des lexikographischen Materials. Dabei unterwarf er das BALLAGI-UD6 m. E. einer sehr starken Selektierung, indem er es von den inzwischen vollkommen veralteten oder im Ungarischen nie richtig eingebürgerten Neologismen befreite, wodurch er einen brauchbaren Grundwortschatz erhielt. Jedenfalls sind von 100 Lemmata des BALLAGI-UD6 - zwischen dugóhúzó 'Pfropfzieher' und durranó lég 'Knallgas' - 59 im KHUD nicht aufzufinden. Dabei handelt es sich ausschließlich um solche seinerzeit ephemere Ausdrücke, die für das heutige Sprachgefühl fremd sind. Umgekehrt war festzustellen, daß von 100 Lemmata des KHUD - zwischen lelenc 'Findelkind' und lendületesen 'schwunghaft' - 8 im BALLAGI-UD6 gar nicht und 9 in einer anderen Form zu finden sind. Um eventuelle Übereinstimmungen in der Mikrostruktur herauszufinden, habe ich einige Wörterbuchartikel aus dem KHUD auf ihren Aufbau sowie ihr syntagmatisches Material hin mit den entsprechenden Wörterbuchartikeln aus dem BALLAGI-UD6 und SBUD verglichen. Dabei konnten mit BALLAGI-UD6 weder im Aufbau der einzelnen Wörterbuchartikel noch im syntagmatischen Material auffallende Ähnlichkeiten festgestellt werden, anhand derer man hätte schließen können, daß Kelemen beim KHUD (1904) das BALLAGI-UD6 über das Zusammenstellen eines Grundwortschatzes hinaus als Vorlage benutzt hat. Verglichen mit dem SBUD konnte jedoch vor allem hinsichtlich des syntagmatischen Materials - in einigen
französisches Wörterbuch'] von Jenó Armin Pokomy. Diese Werke haben jedoch ihrerseits viel aus den ungarisch-deutschen Wörterbüchern von Mór Ballagi übernehmen können, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Ungarn sehr verbreitet waren.
Wörterbuchartikeln zumindest - eine gewisse Übereinstimmung beobachtet werden, vgl. Textbeispiele: SBUD (1902)
kéz (kezet, keze) 1. b« fxmb ; - fcje kit 3Rittell). bringen; vkit ~en tog jn. bri bet £wnb nehmen, Reiten ; -en íogva $anb in í»nb ; koz -en forog ei ift in aßet i>änbe, allgemein oetbrritit ; -en közön unttt ber fcanb; aajàt kezével eigcn^änbig ; két -zel mit beiben
t»nbtn ; két -zel adja getn I>ingeben; _zel-lábbal mit $änben unb giifctn; vmit -hez ad υ. juttat etn». einfarbigen, befie'Uhen, jufteOen, ju frtnbtn füllen ; ~ e z ves ζ empfangen, ju warnen ; -nél van bereit liegen; - alalt unter bet $anb; vkinek keze kôzé kerül im. in bie $änbe fallen ; vkit keze kôzé kaparit jn. erroi'fd&tn; keze közt van et ift üi feinen §önben. 8. ragot öiti:, -hez-adáe bie Aufteilung, abgabt, «blitferung ; -zel-fogható greifbat, ^anbgrrifli^, man fann ti mit bei ¿änben greifen.
140 K H U D
(1904)
k é z ( k e z c . k e » - t , k c z e k ) : Die Ô a n B ; (iKTiitóral) alali: unter ber t a n k : k e z e k o * c kaI » ri L U D Í : eritrifebra ; kvzt'ui k u z t v a n : et IH lu meiner t>anb r . in meinen v ^ n b r n : (mgvkkal) ( • b e ) i a j * t k e x r l i e : j u eigenen Viinben; v k i u c k k e z e l w k e r u l n i : imbm in bit v a l i d e fallen, in imb» v à n b e g e r a t e » ; (-boi> » z a llad - k l x i l : a u * freiet v a n b ; nem .-ulta kt a k c z r U i l : et g a b e» uiri)t a u t Ber ψ . ,brn { t ä n b e i r ; ( - « ) a t u r v i n y kcr.c : bet * r m btr-en· -ven-kOnin : unter ber v a n b ; v k i t · ν ΐ · η ( o ^ u i : imbn bei ber v a n & nehmen r . ìafjen, |lio«itzal>li itlei^i bei ber v a n b halten : ( - h e z ) v u i i t ^ l i r z » d n i . j u t t . i t u i r . »zul«.-ultatni : tmbm etiv. einhnnbigcn, .»uftel. ten: vlicx v e n n i : jur vnnb nehmen; ·*Ιιοζ j u t a i : \ u ν ά η · ben (uninten: ( - n é l ) . . u r i li-uni: bel bet ó n u b ieln. bereit lie«en : I-re) %-ro k c r i t e u i : firtjimtHi be» mächtigen, inibì habhaft werben; m a c a ki'Zírv : auf eigene ,"ïauit: v k i o e k ker.-rc a d u i : imbnt on bie v n n b neben ; ki-Zrru j k r u l : ι " ' b m bebi litlrt) feilt \,in rtro.i r . nn bit v a n » gehen (mit e h e . ) : krzrol-kt-cre : eon v a n b ju « r t n b ; ( - v t l ) k i t , . z e l URTloKui : mit briben W n b e n a n · fafien : W · * i M r g y m g w l ) r.i't n y t i j t a n i : imbnt bie t>oiib trieben: k e z í t kinyujtani vml u ü n : nod) etw. bie φ . erbeben r . autfirrrfeii ; k c x c i a d n i ni : j m b m ble v . auf etn». geben : k o s e t n i : Irfilogt e i n ! » r e b . u l ker.rt e n v o l a i : j m b m freie v . lajjen lin einer ê f l d w : k i » ' - t r i m i : habin bie v d n b e frtiütteln : kcr.i l l e v e n η i r o l a : bie V- non jmbm abrieben ; ker. k c z r t m i « : eine V. tväfdit bie a n b r r : ker.rt >zi>r l t a n l : j m b m bie v . brürtrn.
BALLAGI-UD6
(1890)
K é i (reg. keiet, t. kerek), / » . 1 . fcií $ a n b ; a — f e ] · , ble SRitteihanb ; keiet s y n j t a n l , bic $ a n b r e i n e n ob. bieten; k n i t u o r i U n l , bit anb krilden (lum 3 e i $ e n ber rtunbf