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German Pages 1019 Year 1994
Zur geisteswissenschaftlichen Bedeutung Arnold Gehlens
Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 113
Zur geisteswissenschaftlichen Bedeutung Arnold Gehleus Vorträge und Diskussionsbeiträge des Sonderseminars 1989 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer
herausgegeben von
Helmut Klages und Helmut Quaritsch
Duncker & Humblot · Berlin
Gedruckt mit Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung, Köln
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Hochschule für Verwaltungswissenschaften (Speyer): Vorträge und Diskussionsbeiträge des Sonderseminars 000 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyero- Berlin : Duncker und Humblot Bis 280 1986 (1988) angezeigt Uo do To: Hochschule für Verwaltungswissenschaften (Speyer); Vorträge des 0 00 Sonderseminars der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer. -Früher Schriftenreihe NE:HST Zur geisteswissenschaftlichen Bedeutung Arnold GehJens I hrsgo von Helmut Klages und Helmut Quaritscho- Berlin : Duncker und Humblot, 1994 (Vorträge und Diskussionsbeiträge des Sonderseminars 000 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer ; 31. 1989) (Schriftenreihe der Hochschule Speyer ; Bdo 113) ISBN 3-428-07454-8 NE: Klages, Helmut [Hrsgo]; Hochschule für Verwaltungswissenschaften (Speyer): Schriftenreihe der Hochschule 00 0 31. 19890 Zur geisteswissenschaftlichen Bedeutung Amo1d Gehlenso - 1994
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Werksatz Marschall, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0561-6271 ISBN 3-428-07454-8
VORWORT Dieser Band ist das Ergebnis des 31. Sonderseminars unserer Hochschule, das die Herausgeber vom 4. bis 7. April 1989 in Speyer veranstalteten. Die unerwartet große Zahl der Teilnehmer zwang damals die Referenten, sich auf die Erläuterung ihrer zuvor eingereichten schriftlichen Leitsätze zu beschränken; das ist bei der Lektüre der regelmäßig ausführlicheren Druckfassung der Referate zu berücksichtigen. Gleiches gilt für die Beiträge zur Aussprache. Es kam uns nicht aufprotokollarische Genauigkeit an, sondern auf die bestmögliche Fassung der Gedanken. Das freilich ist auch der Grund, weshalb sich die Publikation stärker verzögerte als den Herausgebern und Referenten lieb war; wir bitten vornehmlich jene Mitautoren um Nachsicht, die ihre Texte sehr rasch druckfertig machten und dann lange auf die Veröffentlichung warten mußten. Andererseits: Arnold Gehlen ist kein aktuelles Thema für Parlamente und Feuilleton, dem eine wissenschaftliche Tagung nur gerecht wird, wenn ihre Resultate sogleich und in handlicher Form auf den Meinungsmarkt geworfen werden. Immerhin hat Karl-Siegbert Rehberg seine Gehlen-Bibliographie sehr nahe an das Erscheinen dieses Bandes heranführen können. Daß die erste größere und mit internationaler Beteiligung durchgeführte Tagung über Arnold Gehlen an der deutschen "Hochschule für Verwaltungswissenschaften" stattfand, kann nur jene überraschen, die mit der Vita dieses Gelehrtenunvertraut sind: Gehlen lehrte an dieser postuniversitären Institution von 1947 bis 1961, zunächst als Leiter der philosophischen Abteilung, danach als Inhaber des Lehrstuhls für Soziologie und Psychologie*. Die deutschen Rechtsreferendare, die eine dreimonatige theoretische ,,Station" in Speyer absolvieren können, sollen neben der Wissenschaft vom Öffentlichen Recht Gelegenheit haben, sich über die Beiträge der Nachbarwissenschaften zum Thema "Staat und Verwaltung" zu unterrichten. Wenn die Zeitläufte Gehlen in die Speyerer Provinz verschlugen, so war das für ihn kein Unglück. Zwei Jahre nach Beginn seiner Speyerer Zeit erschienen als Band 2 der Schriftenreihe der Hochschule die "Sozialpsychologischen Probleme in der industriellen Gesellschaft" (1949); ebenso schrieb er hier seine
* Vgl. die Veranstaltung der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer am 21. Juni 1976: .. Arnold Gehlen zum Gedächtnis" mit den Würdigungen von Klaus König, Hans Ryffel und Helmut Klages (Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 6 I, Berlin 1976).
VI
Vorwort
großen Werke "Urmensch und Spätkultur" (1956) und "Zeitbilder" (1960). Die speziellen Speyerer Fragestellungen nahm Gehlen ohne Mühen auf; das bezeugen schon die Titel wichtiger Aufsätze: "Bürokratisierung" (1950 und öfter), "Industrielle Gesellschaft und Staat" (1956), "Soziologischer Beitrag zu Fragen der Gemeindeverwaltung" ( 1957) und "Das Berufsbeamtenturn in der modernen Gesellschaft" ( 1961 ). Für die Rechtsreferendare jener Zeit war Arnold Gehlen ein Glücksfall. Da sie nur drei Monate blieben, hätte sich Gehlen auf ein Standardprogramm beschränken können, um den Arbeitsaufwand für den Hörsaal möglichst gering zu halten. Statt dessen setzte er Forschung, Lektüre und Erfahrung unmmittelbar in Lehre um - soweit er von den Juristen noch Verstehen erwarten konnte. Neben die "Einführung in die Soziologie" traten seine großen Vorlesungen über die Sozial- und Kulturgeschichte Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert, besondere Lehrveranstaltungen über Descartes und Machiavelli, Schumpeter und Freyer, aber auch über die "Soziologie der Revolution", "Kapitalismus und Sozialismus", "Gesellschaft und Technik" und "Industriegesellschaft". Dazu Seminare über "Bürokratie", "Soziologie im modernen Staatsrecht" und "Verfassungspolitik". Auch dem zweiten Gegenstand seiner Lehrstuhlbezeichnung, nämlich "Psychologie", wurde er gerecht. So hielt er Vorlesungen über "Sozialpsychologie" und "Verwaltungspsychologie", "Öffentliche Meinung und Meinungsforschung" sowie Übungen über "Persönlichkeitsforschung und Eignungsprüfung". Gehlen bot also in Speyer das Lehrprogramm eines halben Dutzend Lehrstühle, übrigens auch in den "Seminaren" als Alleinunterhalter; besondere Aufmerksamkeit genügten ihm als Seminarleistung der Hörer. Diese Aufmerksamkeit wurde ihm stets zuteil; in seinen Lehrveranstaltungen sammelte sich die Creme der Referendare. Auch zog er pädagogisch geschickt die Hörer auf die ihnen fremden Gebiete so hoch, daß sie ihm gerade noch folgen konnten. Dazu trug seine eminente sprachliche Fähigkeit bei, die ihn scheinbar mühelos auch im freien Vortrag die Sätze wie mit dem Schnitzmesser zurichten ließ. So ist er denn wohl für alle Hörer, die ihm in Speyer begegneten, ein Lehrer gewesen, den man nicht vergißt. Thematisch gesehen repräsentiert dieser Band eine breit angelegte Auseinandersetzung mit dem Werk Arnold Gehlens. Angesichts der Tatsache, daß Gehlen während der zurückliegenden Jahrzehnte- ungeachtet einer weithin geteilten Überzeugung hinsichtlich der hervorragenden Bedeutung seiner Denkansätze - eher ein gemiedener Denker war und ein allgemeines Defizit der Gehlensdiskussion festzustellen ist, schien uns eine vorgreifende Eingrenzung der Seminarthematik unangebracht. Wir gingen vielmehr davon aus, daß bezüglich des Gehlensehen Werkes eine Wiederaufnahme der Erörterung jenseits gelegentlicher individueller Einzelbemühungen überfällig sei. Die Beantwortung der Frage nach der besonderen Aktualität einzel-
Vorwort
VII
ner Aspekte dieses Werkes wollten wir daher lieber zu den Ergebnissen des Seminars rechnen als vorwegnehmen. Dieselbe Bemühung um Offenhaltung ließen wir bei der Auswahl der Referenten walten. Die vorliegende Struktur des Bandes kristallisierte sich in Ansätzen zwar bereits während der Planung des Seminars heraus. Im übrigen waren wir jedoch bei der Zusammenstellung der Einladungsliste bemüht, nach Möglichkeit das gesamte Spektrum derjenigen Gelehrten verschiedener Disziplinen zu erfassen, denen aufgrund vorhandener Veröffentlichungen eine Vertrautheit mit dem Gehlensehen Werk zugeschrieben werden konnte. Von Anfang an waren wir auch bemüht, das Vorherrschen einer bestimmten Richtung der Gehlenrezeption zu vermeiden. Dieser Band versammelt keine Gehlenschüler unter Ausschluß der Kritiker, und er enthält somit eine größere Zahl von Beiträgen, in denen Gehlen irrfrage gestellt, historisierend eingeordnet, weitergedacht oder mit entgegenstehenden Positionen konfrontiert wird. Daß auf der anderen Seite auch Beiträge erscheinen, in denen die eminente Fruchtbarkeit des Gehlensehen Denkens betont und in der Anwendung seiner Ansätze auf gegenwärtige Problemstellungen unter Beweis gestellt wird, braucht nicht zu überraschen. Gehlen mag seine entschiedenen Kritiker haben. Daß sein Werk aus der modernen philosophischen Anthropologie nicht weggedacht werden kann, ohne diese wesentlicher Fundamente zu berauben, wird aber wohl kaum einer, der dieses Werk kennt, ernsthaft bestreiten wollen. Man mag versucht sein, diese Feststellung zu der Behauptung zu verdichten, daß die gegenwärtig auflebende Diskussion um kulturelle Fundamente der zwar "siegreichen", aber von zunehmenden Problemen überhäuften liberalen Gesellschaften unvollständig bliebe, würde sie an dem reichen Erkenntnisreservoir der Gehlensehen Kulturanthropologie vorbeigehen. Die Herausgeber erhoffen sich von diesem Band somit nicht nur die Vergegenwärtigung eines Gewesenen, sondern auch und vor allem die Verlebendigung und Reaktualisierung fruchtbringend aufgreifbarer Potentiale. Speyer, im Dezember 1993
Helmut Klages Helmut Quaritsch
INHALTSVERZEICHNIS Vorwort der Herausgeber
V
I. Philosophische und erkenntnistheoretische Grundlagen Hans Ryffel t
Die normative Problematik bei Arnold Gehlen. Das Gute zwischen Verhaltenssteuerung und Sinnstiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
Helmut F. Spinner
Erkenntnis und Entlastung. Zu Arnold Gehlens Verständnis von Wissenschaft und Technik im unausgearbeiteten Bezugsrahmen der Klassischen Wissensordnung............... . .... . .................................... .
19
Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
II. Einflüsse auf das Werk Horst Baier
Die Geburt der Systeme aus dem Geist der Institutionen. Arnold Gehlen und Niklas Luhmann in der Genealogie der "Leipziger Schule" . . . . . . . . . . . . . . .
69
Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
Klaus Barheier
Arnold Gehlens Theorie des technischen Zeitalters im Kontext der "Leipziger Schule"...... . .............. . .............. . ............. . .... . ...
89
Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
113
Elfriede Üner
Hans Freyer und Arnold Gehlen: Zwei Wege auf der Suche nach "Wirklichkeit"..... . ........... . ............. . .. . ................. .
123
Inhaltsverzeichnis
X
Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
163
Piet Tommissen Gehlen - Pareto - Schmitt
171
Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
199
Bernard Willms
t
Homo Homini Faber. Anthropologische Tradition und anthropologische Aktualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
205
Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
225
111. GehJens Anthropologie
AlfredHeuß GehJens Anthropologie und der "Ursprung" der Geschichte..............
235
Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
355
Froncis Dunlop Gehlen, Motivation and Human Nature. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
365
Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
375
Wilhelm R. Glaser Arnold GehJens Anthropologie und die Psychologie der menschlichen Informationsverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
377
Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
397
David J. Levy Gehlen's Anthropology and the Foundations of Hermeneutic Understanding..............................................................
405
Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
433
Wolfgang Lipp Kultur und Leben - Risiko und Katastrophe. Arnold Gehlen, ökologisch
439
Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
461
Inhaltsverzeichnis
XI
HenningOttmann Gehlens Anthropologie als kulturalistische Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
469
Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
483
Karl-Siegbert Rehberg Existentielle Motive im Werk Arnold Gehlens. .,Persönlichkeit" als Schlüsselkategorie der Gehlensehen Anthropologie und Sozialtheorie . . . . . . . . . . . . .
491
Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
531
Wolfgang Schoene Medizintechnologie- ein .,Kontrastprogramm" zur Gehlensehen Anthropologie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
543
Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
555
Lothar Samsan Gehlen und Scheler: Gehlens Anthropologie-Vorlesung von 1936 . . . . . . . . .
569
Arnold Gehlen Das Problem des Menschen. Resultate der philosophischen Anthropologie. Nach einer Vorlesungsmitschrift von Ludolf Müller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
594
Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
599
Helmut Klages Erkenntnispotentiale der Kulturanthropologie Arnold Gehlens . . . . . . . . . . .
605
IV. Einzelne Aspekte des Werkes
Dieter Claessens "Arnold Gehlen und die Soziologie - Auf den Punkt gebracht" . . . . . . . . . .
629
Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
635
Karlheinz Messelken Der Reiz des Schönen. Zu Gehlens ästhetischer Theorie
639
Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
665
XII
Inhaltsverzeichnis
Armin Moh/er
Arnold Gehlen und die Malerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
671
Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
707
V. Wirkungen und Anwendungen der Theorien Arnold Gehlens Walter Hildebrandt
Aspekte einer kritischen Fortschreibung der Institutionenlehre Arnold Gehlens. Das Bild vom Menschen in unserer Zeit. Individuum und Gesellschaft im Epochenwandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
711
Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
737
Nevil Johnson
Das Gehlensehe Denken in der angelsächsischen Welt: Überlegungen zu den Hindernissen auf dem Wege einer Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
747
Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
773
Gianfranco Poggi and Celia Ryan Arnold Gehlen and the Anthropological Presuppositions of Talcott Parson's Theory of Social Action . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
785
Johannes Chr. Papa/ekas
Institutions-Abbau und Subjektivismus. Zur Aktualität Arnold GehJens . . .
805
Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
825
Justin Stag/
Die Institutionalisierung der Ethnologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
845
Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
851
Johannes Weiß
Kulturelle Kristallisation, Post-Histoire und Postmoderne
853
Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
865
Nozomu Ikei
"Indirektheit" in der Kultur. Japanische Kultur und die Institutionenlehre Arnold GehJens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
873
Inhaltsverzeichnis
XIII
VI. Anhang "Post-Histoire"- Ein unveröffentlichter Vortrag von Arnold Gehlen aus dem Jahre 1962, kommentiert von Piet Tommissen...... . ................. . .
885
Bibliographischer Anhang Kar/-Siegbert Rehberg unter Mitarbeit von Ulrich Hoffmann (Teil I)
Arnold-Gehlen-Bibliographie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verzeichnis der Verfasser und Herausgeber
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I. Philosophische und erkenntnistheoretische Grundlagen
I Speyer 113
DIE NORMATIVE PROBLEMATIK BEI ARNOLD GEHLEN Das Gute zwischen Verhaltenssteuerung und Sinnstiftung Von Hans Ryffel
t, Thun/Schweiz
Erlauben Sie mir einige Vorbemerkungen- nicht unmittelbar zu meinen Thesen, deren Zielrichtung deutlich sein dürfte, vielmehr 1. zum persönlichen Hintergrund langjähriger Diskussionen mit Gehlen und 2. zum allgemeinen, ich möchte sagen gesamtphilosophischen oder wenn Sie wollen, "geisteswissenschaftlichen" Zusammenhang, in dem ich Gehlens Position und meine Kritik an ihr zu sehen geneigt bin. Zum ersten Punkt: Unter dem Einfluß meines Berner Lehrers, Carlos Sganzini, einem Philowphen und Psychologen, hatte ich eine der Gehlensehen verwandte Position eingenommen, bevor ich Gehlens Schriften kannte und dann, seit Mitte der 50er Jahre zu ihm in Verbindung trat. Meine damaligen Arbeiten über anthropologische Themen (die sich im Umkreis Gehlenscher Vorstellungen bewegten und die übrigens die Zustimmung von Gehlen fanden) klammerten, in einer den Einzelwissenschaften und der Auswertung in Politik und Gesellschaft zugewandten Haltung, die für mich freilich von Anfang an zentrale normative Problematik aus, jedenfalls vertiefte ich sie nicht. Später, namentlich als akademischer Lehrer, widmete ich mich intensiv diesen Fragen und kritisierte ausdrücklich das Ungenügen Gehlens in diesem Betracht. In einem Brief vom 6. 1 uni 1959 schrieb er mir folgendes, was von Interesse sein dürfte: "Der Aufsatz "Sozialphilosophie" [eine Arbeit von mir 1] hat mich mit der unangenehmen Möglichkeit konfrontiert, mich doch noch auf meine alten Tage mit Wertfragen befassen zu müssen- irgendwie ist das noch fällig. Natürlich haben Sie recht, daß meine Anthropologie der normativen Problematik nicht gerecht wird. So einfach wie jetzt bei meiner Ästhetik werde ich es nicht haben, wo ich angesichts der unbestreitbaren Anarchie meine eigenen ästhetischen Werturteile ungeniert als die allein richtigen vertrete, ohne jede Begründung, das geht nur hier, weil es im Grunde alle so machen." 1
I'
Die Sozialphilosophie in der Gegenwart, Studia Philosophica 18 (1958), S. 149-166.
4
Hans Ryffel
Gehlen schien dann in der Folge, wie briefliche Äußerungen zeigen, einer ,.analytischen Ethik" zuzuneigen, was nicht inkonsequent gewesen wäre. Doch war das Ergebnis in ,.Moral und Hypermoral" völlig anders.
Zum zweiten Punkt: Ich spreche in meinen Thesen davon, daß Gehlen in seinem Bestreben, den Menschen aus sich selbst zu verstehen, eine äußerste Möglichkeit neuzeitlichen Denkens zum Ausdruck bringe. An diesem Ausgangspunkt ist, bei aller Kritik an Gehlen, festzuhalten; nach wie vor ist nicht an vermeintlichen Seinsordnungen anzusetzen, natürlich erst recht nicht an naturwissenschaftlichen kosmologischen, insbesondere evolutionären Auffassungen. Allerdings bedarf die Kategorie bzw. das Prinzip der Entlastung einer nicht unwesentlichen Umdeutung, und ich denke, daß es sich lohnen dürfte, auch für spätere Themen, die Gehlensehe ,.Entlastung" kritisch zu erörtern. Gehlen sieht, wie mir scheint, die Entlastung zu sehr aus dem Blickwinkel des im übrigen primär heuristischen Begriffs des ,.Mängelwesens". Doch scheint mir die Entlastung ganz allgemein darin zu bestehen, daß menschliches Verhalten nicht in aktueller Wirklichkeit verläuft, sondern in vielfältig superpanierten Ebenen der Möglichkeit. Und die entscheidende Frage ist, was dies des näheren bedeutet. Der Terminus ,.Entlastung" dürfte sich dann als wenig glücklich erweisen. Wir kommen dann auf einem neuzeitlichen Weg- den übrigens schon Rousseau und Kant zum Teil beschritten haben, wiewohl ohne nachhaltige Wirkung-, vor allem im normativen Betracht auf die klassischen Kerngehalte der Tradition, aber in wesentlich veränderter Gestalt. Es sind nämlich die Verabsolutierungen der klassischen Tradition, die zu Schwierigkeiten und scheinbar ausweglosen Mißverständnissen geführt haben, rückgängig zu machen. Der unzerstörbare Kern der klassischen Tradition, zu der der Ansatz beim Menschen führt, erweist sich als ein wohl zu verstehendes Unverfügbares (das ist auch der Sinn von Institution im Sinne Gehlens) als unveräußerliche Apanage des Menschen. Das bedeutet aber, daß gerade der anthropologische Ansatz über den Menschen hinausführt. Eine für viele überraschende Wendung, zumal sie sich in einem umgedeuteten anthropologischen Modell im Sinne von Gehlen ergeben soll. Eine Wendung aber, die die verbreitete Verwerfung der Moderne überflüssig macht, weil das Mißverständnis der Moderne von vornherein radikal korrigiert würde, und die erst recht allem Gerede über sog. Postmoderne den Boden entzöge. In normativem Betracht wird schließlich eine Position begründet, die den Anforderungen, die sich aus der werdenden Einheit der Menschheit ergeben, gerecht zu werden vermöchte.
Die normative Problematik bei Arnold Gehlen
5
I. Das Normative als durchgehender konstitutiver Zug des "anthropologischen Modells" GehJens 1. Der Mensch bedarf wegen seiner nicht-festgestellten "Natur", der "Plastizität der Antriebe", durch Offenheit, Überschuß, Pluralität und Konflikthaftigkeit, ja "Perversionsbereitschaft" gekennzeichnet, der Normierung, um seine "Stellung in der Welt" zu behaupten.
"Sittlichkeit" (bei Gehlen gesperrt), als "Inbegriff der Formierung des Antriebslebens", durch Erziehung, Selbstzucht, Gewöhnung, Prägung u. ä., ist "eine biologische Notwendigkeit". Dabei kommt den Institutionen, von den Sozialverbänden bis zu den "obersten Führungssystemen", die durch Normierung "stabilisieren", besondere Bedeutung zu. 2. Gehlens Anthropologie verfolgt am konsequentesten die Linie moderner Strömungen, die den Menschen, im Gegensatz zur klassischen Tradition, aus sich selbst verstehen wollen. Sie ist letzte Station in der neuzeitlichen Wende, mit der vorgegebene Ordnungen von absoluter Dignität, die dem Menschen einsichtig sind, obwohl sie ihn transzendieren, verabschiedet worden sind. 3. Geh/ens anthropologisches Modell, im besonderen hinsichtlich des Stellenwerts und der Funktion des Normativen, fügt sich in den Kreis verwandter Vorstellungen, prägt und veranlaßt aber die griffigsten Formulierungen. Es eignet sich für die Verwendung in den angewandten Sozialwissenschaften und in der Politik (wenn auch mit Vorbehalt, vgl. II.). II. Nähere Bestimmung des Normativen: dessen Verkürzung und Folgerungen
1. Das Normative wird von Gehlen objektivistisch gefaßt: es meint die Ausrichtung des Verhaltens nach Normen, letztlich nach obersten Normen (dem Guten), deren Richtigkeit aber nicht untersucht wird. Diese Frage wird gar als illegitim verworfen, konkludenterweise freilich gleichwohl, z. T. in massiver Weise, beantwortet (vgl. II. 2., insbes. b)). Das Normative ist insofern bei Gehlen stabilisierende Verhaltenssteuerung und- kontrolle, und die obersten Normen (das Gute) gewährleisten umfassende und effektive Steuerung, was auf eine Verkürzung des Normativen hinausläuft. Werden dagegen die Normen, insbesondere die obersten, das Gute, auf ihre Richtigkeit befragt- wie in der klassischen Tradition und wie in einerneuen Deutung derselben auch heute möglich ist (vgl. 111) -,ist das Gute Sinnbestimmung des Daseins. Das Ziel ist das gute Leben; nicht bloßes Leben, unabhängig von den Inhalten.
6
Hans Ryffel
2. Besteht das Normative in Verhaltenssteuerung, sind die obersten Normen entweder beliebig, Dezision (was nicht weiter erörtert sei), oder sie sind durch natürliche Gegebenheiten des Menschen, seiner "Natur", und seine "Stellung in der Welt" auferlegt. In diesem Sinn entwickelt Gehlen zwei, z. T. zeitlich aufeinanderfolgende, Varianten. a) Ab der 4. Auflage von "Der Mensch" und in "Urmensch und Spätkultur" legt Gehlen seine Theorie der unvordenklichen Stabilisierung des Menschen in den archaischen Institutionen dar, wonach Institutionen nur so gegründet werden können und nach ihrem Zerfall in der ,,Spätkultur" nicht mehr erneuerbar sind. b) In "Moral und Hypermoral" vollzieht Gehlen (dessen anthropologisches Modell biologisch i. w. S. ist) eine Biologisierung, nunmehr i. e. S., und obendrein eine Soziologisierung des Normativen. Die "Ethik" wird als "die empirische Lehre von den Sozialregulationen" vorgestellt. Ihr Gegenstand seien voneinander unabhängige, ja anatonistische "instinktartige Triebfedern", verspannt mit einem "angeborenen Aggressionstrieb", und dazu kulturell überformt. "Die entscheidenden ethischen Probleme" seien "unlösbar", was sich vor allem im unüberbrückbaren Gegensatz zwischen der aus dem Familienethos entstandenen, nunmehr hypertrophen humanitären Ethik und dem "Staatsethos", durch "Sicherheit", "Macht" und "Ehre" bestimmt, bekunde.
111. Ausblick auf eine mögliche Überwindung solcher Verkürzung des Normativen 1. Beide Varianten (II. 2. a) und b)) führen , als Verkürzungen des Normativen, in eine ausweglose Situation, zumal im "Zeitalter der Weltbürgerkriege". Es fragt sich aber, ob solche Verkürzung des Normativen vermieden werden könne, vielleicht gar im Rahmen eines vermöge der (freilich präzisierungsbedürftigen) Kategorie der Entlastung umgedeuteten anthropologischen Modells im Sinne Gehlens.
2. Der von Gehlen bekämpfte ausartende Subjektivismus der Moderne führt in der Tat in die Irre, und es scheint unabdingbar, daß der Mensch eines Unverfügbaren bedarf, wie es in den Institutionen im Sinne Gehlens zur Geltung kommt. Später fand das Unverfügbare Ausdruck in der klassischen Tradition der Ethik, die heute von Mißverständnissen und angesichts der gewandelten Daseinsverhältnisse von nicht mehr haltbaren Vorstellungen zu reinigen und dergestalt geläutert fortzuführen wäre. Daß dies möglich ist, zeigt die Analyse der normativen Erfahrung, die durch die zentrale Kategorie der "Entlastung" ermöglicht wird und folgendes ergibt.
Die normative Problematik bei Arnold Gehlen
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3. Es gibt nicht nur "das ideative Bewußtsein" und "das instrumentelle (mit seinem Appendix des verstehenden)", sondern vor allem auch die in der klassischen Tradition wirksame praktische Vernunft, die Gehlen nicht erwägt. Nur darf man das Gute nicht als absolut vorgegebene und gleichwohl vermeintlich formulierbare Ordnung auffassen, wie das während Jahrhunderten geschah und zu Schwierigkeiten führen mußte, namentlich seit dem neuzeitlichen Umbruch. Das Unverfügbare besteht vielmehr in einem absolut Guten, das zwar der Konkretisierung bedarf, aber nie ausformuliert werden kann. Der Mensch, der dem Anspruch nach von Richtigem zu Richtigerem fortschreiten muß, aber über vorläufig Richtiges nicht hinausgelangt, kann nicht über absolut Gutes verfügen. Wohl aber ist ein solches stets vorauszusetzen. Geschieht dies nicht, werden die Normen, deren der Mensch gerade nach Gehlen bedarf, und die Welt, in der er steht, verabsolutiert, was sinnvolles Dasein verunmöglicht. 4. Im skizzierten Rahmen gibt es, wiederum dank der "Entlastung", (relative) Universalisierung. Die Thesen von "Moral und Hypermoral" erweisen sich insofern, gerade nach Geh/ens anthropologischem Modell, als grundsätzlich unhaltbar (ganz abgesehen von begründeter Kritik im einzelnen und teilweisem Widerspruch zu früheren Auffassungen Gehlens. Die nicht verabsolutierten Normen ermöglichen und legitimieren einen echten (friedlichen) Pluralismus. Ordnungen und Institutionen erweisen sich als bewußt zu ergreifende "Aufgaben" (was nicht weiter verwunderlich sein sollte, wenn man bedenkt, daß der Mensch, auch nach dem vielfachen Zeugnis von Gehlen, selber ganz und gar "Aufgabe" ist).
Aussprache zu dem Referat von Hans Ryffel Klages: Herr Ryffel, herzlichen Dank, Sie haben uns allerlei Provokationen zugespielt und stellen unsere Diskussionsdisziplin damit sicherlich auf eine harte Probe. Herr Spinner. Spinner: Eine Frage bitte zum Zusammenhang zwischen Arnold Gehlen und Max Weber. Gehlen bezeichnet ja an manchen Stellen den Menschen als "stellungnehmendes Wesen". Mir ist dabei aufgefallen, daß es ihm dabei anscheinend immer nur um die Stellung des Menschen in der Welt geht, während Weber eine Typologie der (religiös bedingten) Stellungnahmen des Menschen zur Welt aufstellt: Weltakzeptierung und- anpassung, Weltablehnung mit oder ohne Forderungen, usw. Mich würde interessieren, ob Sie hier eine Verbindung sehen, möglicherweise einen negativen Zusammenhang. Papalekas: Bei der Erörterung der für Gehlens Anthropologie zentralen Begriffe "Mängelwesen" und "Entlastung" stufte Herr Ryffel den Begriff "Mängelwesen" als heuristischen Begriff ein. Ist er nicht mehr als das? Gehlen selbst bezeichnet in seinem Hauptwerk "Der Mensch" den Begriff "Entlastung" als fundamentale Kategorie, den Begriff "Mängelwesen" hingegen als einen solchen von transitorischem Wert, der eine Vergleichsbeziehung akzentuiert. Nun scheint mir der Umstand wesentlich zu sein, daß Gehlen den Begriff "Mängelwesen" durch eine deutliche Abhebung des Menschen gewinnt, und zwar sowohl vom Tier als auch von Gott. Er erblickt im Menschen einen einmaligen Gesamtentwurf der Natur, der mit ganz spezifischen Implikationen verbunden ist. Der Mensch ist zwar kein pures Mängelwesen, er kann nicht in einem solchen Zustand verharren, denn dann wäre er nicht lebensfähig, aber seine Instinktarmut markiert diejenige Grundvoraussetzung, ohne die der Mensch als Handlungswesen nicht begriffen werden könnte. Insofern stellt m. E. der Begriff "Mängelwesen" bei Gehlen keinen bloßen heuristischen Begriff dar. Heuß: Ich beziehe mich auf die beiden Begriffe "Mängelwesen" und "Entlastung" im Anschluß sowohl an den Herrn Referenten wie an meinen Herrn Vorredner. An dem Herdersehen Begriff "Mängelwesen" bei Gehlen stoßen sich manche. Sie verstehen dann nicht, wie sich diese Bezeichnung gerade mit der Gehlensehen Charakterisierung des Menschen aufgrund seiner Überlegenheit und der Fähigkeit, sein Wesen in weitem Umfang selbst
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zu bestimmen, vertragen kann. Hier kommt ein bloßes Mißverständnis ins Spiel, das leicht aufzuklären ist. Es handelt sich hier um keine reine Seinsaussage, sondern um eine bestimmte Optik von einem fiktiven Standpunkt aus. Eingenommen wird er vom Tier und fingiert wird dabei, es hätte einen menschlichen Verstand und könnte von dessen Voraussetzungen aus, unter Bewahrung seiner eigenen, absolut gesetzten tierischen Natur, vernünftige Urteile fällen, was notorisch nicht zutrifft. Hierbei "weiß" es, daß es selbst jeweils aufgrundsingulärer Fähigkeiten existiert und diese jeweilige Spezialisierung, dem das Tier seine Lebensfähigkeit verdankt, dem Menschen abgeht und er deshalb einen evidenten Mangel aufweist, also ein Mängelwesen ist. Natürlich beobachtet dieses Fabeltier nicht, daß der Mensch trotzdem lebt. Die gedankliche Manipulation ist also lediglich ein methodischer Kniff zur Klärung des Mensch-Tier-Vergleichs, ein übrigens m. E. genialer, den sich Gehlen sehr zu seinem Nutzen zu eigen macht. Über die "Entlastung" ist es bedeutend schwieriger, sich zu verständigen. Es ist hier auch nicht der Ort dafür. Ich muß mich deshalb mit ein paar Andeutungen begnügen und halte es für zweckmäßig, mich abermals einer Parabel zu bedienen. Der Einfachheit halber knüpfe ich an die bereits mitgeteilte an und ändere sie nur etwas. Das Tier, welches den Menschen zu einem "Mängelwesen" erklärt, leiht sich die menschliche Fähigkeit nur für den Zweck aus, die menschliche Unterlegenheit gegenüber dem Tier ansichtig zu machen, d. h. die Andersartigkeit von Tier und Mensch als tierischen Vorteil und menschlichen Nachteil erkennen zu lassen. Die damit vollzogene Prozedur ist aber geeignet, obwohl sie auf occasioneller Benutzung des menschlichen Verstandes beruht (das fabulose Element der Parabel), das tierische Selbstbewußtsein zu heben und zum Gefühl der Überlegenheit gegenüber dem Menschen werden zu lassen. Das jedoch jetzt auftretende Tier macht eine entgegengesetzte Erfahrung. Auch es stellt die Andersartigkeit von Tier und Mensch frei, benutzt desgleichen die menschlichen Verstandesbegriffe, aber erzielt ein ganz anderes Ergebnis: Sein Selbstbewußtsein wird nicht bestärkt, sondern erhält einen tödlichen Stoß, denn es erkennt jetzt die Überlegenheit des Menschen und die Nutzlosigkeit tierischer Spezialisierung, wenn sie mit einem Wesen konfrontiert wird, das ihr kraft Flexibilität nicht nur gewachsen, sondern überlegen ist, oder "tierisch" gesprochen, über unzählige Spezialisationen und nicht nur eine verfügt. Das jetzige Tier ist weniger "tierbewußt" und begnügt sich nicht damit, den menschlichen Verstand auszunutzen, um mit ihm von seiner Persönlichkeit aus den Menschen als ein dem Tier unterlegenes Wesen zu diagnostizieren. Es eignet sich vielmehr auch das Persönlichkeitsbewußtsein des Menschen an, wodurch ihm die Augen geöffnet werden für eine Überlegenheit des Menschen, und ihm klar wird, daß der Vorteil bei ihm liegt und es selbst
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unter der Last steht, diesen zu entbehren, weswegen es jetzt keinen größeren Wunsch hat, als von seinen eigenen Lebensbedingungen befreit oder "entlastet" zu werden. Die Fabel wird in ihrer variierten Gestalt bedeutend komplizierter und verliert auch viel an Transparenz, weil andere Fiktionen hinzutreten, darunter solche, die eine Persönlichkeitsspaltung beinhalten. Wenn man gezwungen wird, das Gesetz der Fabel in so ausnehmender Weise zu verletzen, ist es möglicherweise praktischer, daraufvon Anfang an zu verzichten und sich statt dessen auf eine mirakulöse Klitterung zu verlegen, etwa in der Art, daß man einen Supermenschen konstruiert, der sich seiner tierischen Vergangenheit, die ihn einst belastete, erinnert und nun froh ist, sie los zu sein und sich in Besitz der "Entlastung" zu befinden. Beseitigt man diesen phantastischen Flitter, dann kommt ein Mensch heraus, der unter der "Tierheit" gelitten hat und von dieser "Belastung" "entlastet" wird. Gehlen steht dieser Auffassung nicht fern, obschon seine Auslassungen über dieses Thema sich nicht gerade durch Eindeutigkeit und Klarheit auszeichnen. Doch entspräche es schon einer naheliegenden Vermutung, daß er auch die selbstverständliche aktive Bedeutung im Auge hat, die das Wort von selbst an die Hand gibt. Danach gilt es, nicht nur zu arbeiten, sondern hierbei ebenso Mittel und Wege zu finden, bei gleichem Aufwand ein besseres Ergebnis zu erzielen und sich dadurch Erleichterung zu verschaffen, kurzum sich "zu entlasten". An diesem Punkt erreicht nun die Parabel das Stadium, daß sie ihren formalen Rahmen sprengt und das bisherige Bezugsfeld eines Tieres, das "vernünftig" wie ein Mensch spricht, dabei aber ein Tier ist und bleibt, aufgegeben wird. Aus der Fabel (d. h. Tierfabel = Parabel), in der es bekanntlich menschlich-vernünftig zugeht, obgleich nach auftretenden Gestalten und Szenerie wir uns in der Tierwelt befinden, wird ein Mythos mit einem echten Geschehen. Ein abstrakter Lehrgehalt, den die Fabel illustriert und in welchem sie ihre Wirklichkeit und Wahrheit findet, wird übergeführt in einen Bericht von etwas, das sich ereignete und dessen Bedeutsamkeit darin liegt, daß es sich ereignete oder als solches vorgestellt wird. Es spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle, ob es sich um ein alltägliches Ereignis oder um eine mirakulöse Metamorphose, wie in diesem Fall, handelt. Die Geschichte, die hier mitgeteilt werden soll, betrifft ein durch und durch sonderbares Wesen: Ein Tier, welches zum Menschen wurde, und dabei doch einen Teil seiner Tierheit behält. Man mag in ihm eine mythische Gestalt wie den Minotaurus sehen. Der Sache nach geht es darum, daß das besagte neue Wesen "Mensch" nicht seine tierische Vergangenheit vergessen hat.
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Gewiß eine monströse Vorstellung, die man gut tut, auf ihren abstrakten "didaktischen" Zweck zu beschränken. Eine leibhaftige Konstruktion unter Beobachtung aller Konsequenzen ginge gegen guten Geschmack. Obendrein geriete man in Konflikt mit jeder Logik der Identität, da einem Proteus ein Selbstbewußtsein durch jeden zeitlichen Wandel hindurch zu imputieren beträchtliche Schwierigkeiten macht. Sieht man von solchen Skrupeln also ab, so ist klar, daß das Verdikt des menschlichen Mängelwesens mit den neuen menschlichen Wesen unverträglich ist. Das Tier kann nicht mehr die Norm sein. Es muß durch den Menschen ersetzt und eine in der Zeit gespaltene Identitätsspaltung in Kauf genommen werden. Es ist also eine andere Konstruktion unvermeidlich, welche an die Stelle der menschlichen Unterlegenheit des Mängelwesens die Überlegenheit des Menschen setzt. Mit einem solchen Postulat ist allerdings die Aufgabe noch nicht gelöst, zumindest braucht man das Eingeständnis nicht zu scheuen, daß hier nicht eine einzige Antwort in Betracht kommt, sondern mit mehreren Möglichkeiten gerechnet werden muß. Man könnte z. B. daran denken, von der negativen Charakterisierung als Mängelwesen ausgehend zu ihm das Gegenteil zu bestimmen, also dem Mangel den Überfluß entgegenzustellen, m. a. W., die monopolartige Qualifikation aufgrund eines (für ein Einzelwesen) einzigen Musters zu ersetzen durch eine Mehrzahl von solchen. Oder aber: Man sieht in dem Vorzug, sich der Obhut des Instinktmechanismus anvertrauen zu können, keine Vorsorge der Natur, sondern einen Zwang, der das tierisch-menschliche Wesen in Fesseln legt. Die Antwort, die der Mensch darauf hätte, könnte nur Freiheit und Emanzipation heißen. Es läßt sich jedoch auch eine dicht benachbarte Vorstellung denken: Der Zwang der Fesseln wird dann zu einer Last, und ihr entsprechend steht dann als Gegenposition nicht mehr die Emanzipation, sondern es wird als solche die Beseitigung der Last bezogen, und eine Belastung wird zur "Entlastung", einem Schlüsselbegriff der Gehlensehen Anthropologie. Er ist da allerdings vieldeutig, was seine Diskussion ziemlich erschwert. Von dem eben angedeuteten Paradigma aus gesehen, wäre wohl zuerst zu fragen, in welchem empirischen Substrat es bei Gehlen sein Korrelat finden würde. Mit ziemlicher Sicherheit läßt sich freilich schonjetzt sagen, daß man hierbei auf solche Sachzusammenhänge, für welche der Begriff "Entlastung" eine erste Zuständigkeit besitzt, keineswegs trifft.
Willms: Ich glaube, in der geforderten Kürze klingt das, was sich sage, vielleicht etwas rigoros, aber das bringt die Sache mit sich. Ich bin der Meinung, daß das "Unverfügbare", Herr Ryffel, so, wie Sie es uns hier vorgestellt haben, also im Sinne eines absolut Guten, das zwar ausformuliert werden kann, aber der Konkretisierung bedarf und sinnvolles Dasein ermöglichen soll, mit der Gehlensehen "Institution" nicht zusammengebracht
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werden kann. Was man möglicherweise als einen Nachteil betrachten kann, eine Ansicht, die ich freilich nicht teile. Die "Institutionen" sind in der Tat dem Zugriff des Individuums relativ entzogen und damit für das Individuum zunächst unverfügbar. Diese Unverfügbarkeit ist rein anthropologisch aus dem Begriff der "Institution" abzuleiten, und man bedarf dazu keines quasi theologisch Unverfügbaren. Das "Unverfügbare", wie Sie es hier eingeführt haben, halte ich für antigehlenisch. Möglicherweise handelt es sich um eine notwendige Ergänzung, aber sie hat mit Gehlen nichts zu tun. Rehberg: Der Ausdruck "Mängelwesen" ist als heuristisch konstruierter und vergleichender Modellbegriff gemeint; gleichwohl ist er aber als biologischer (z. B. evolutionstheoretischer) Begriff nicht unproblematisch, ganz so, wie Herr Heuß es hier ausgeführt hat. Die Mensch-Tier-Relation wird dabei nämlich allein am Grade der Organspezialisierung festgemacht. Das ergibt aber eine schiefe Ebene für die Beschreibung dessen, was den Menschen eigentlich ausmacht- nämlich Überschüsse von Antriebskraft, von Phantasie und Handlungsmöglichkeiten - und was gerade Gehlen mit seinen Analysen der "plastischen" und, mit Sehe/er zu sprechen, "weltoffenen" Struktur der menschlichen Intellektualität und Handlungsführung so treffend herausgearbeitet hat. Gleichwohl ist der Begriff "Mängelwesen", wie er ihn Herder entnimmt, nicht schlechthin unbrauchbar. Aber er hat nicht so sehr einen anthropo-biologischen Sinn, als vielmehr einen existentiellen. Der Begriff des "Mangels" verlangt nämlich nach Kompensation, nach Rettung: und das Rettende wächst in den Institutionen, die zwar seit der 4. Aufl. von "Der Mensch" nicht mehr "kurzschlüssig"- wie Gehlen das selbst nannteaus der Organstruktur der menschlichen Gattung abgeleitet werden, die in ihrer Funktion aber unmittelbar aus der "Mängelhaftigkeit" der Spezies legitimiert werden können. So wird aus einer "biologisch" eingeführten, aus einer morphologischen Kategorie eine ordnungspolitische. Die Existenznot des Menschen wird begrifflich dramatisiert.
Der Schlüsselbegriff der "Entlastung" erscheint mir demgegenüber anders als Herrn Heuß- als sehr produktiv, besonders auf der Ebene einer Konstitutionstheorie der Handlung. Da hat Gehlen großartige Analysen der Höherlegung schon der elementarsten Leistungen des menschlichen Weltumgangs im Detail durchgeführt. Auch hier steckt allerdings eine einseitige -insofern: schlecht-abstrakte- Ordnungsbejahung darin, daß Ordnungen nur unter dem Gesichtspunkt der ,,Entlastung" gesehen werden, während demgegenüber die in ihnen mitproduzierten Belastungen ausgeblendet werden. Schließlich möchte ich meinen Kommentar zum Gesamtansatz des Referates so zusammenfassen: Die Ordnungsfixiertheit der Gehlensehen Argumentation ist ganz zentral. Somit finde ich keinen Mangel an Normativem in seinem Werk, sondern nur eine sozusagen versteckte, implizit bleibende,
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inhaltsleer gewordene, also formale Normativität. So wie Adorno seine Dialektik nur noch als "negative" schreiben konnte, so gibt es bei Gehlen eine negative Normativität, d. h. eine, die sich nur noch in die abstrakte Bestätigung der Ordnungen um ihrer selbst willen zurückziehen kann, die nicht mehr inhaltlich ausformuliert ist, denn das wäre - Gehlen zufolge - unter den Bedingungen der Moderne schon naiv. Samson: Den Vortrag von Herrn Ryffel möchte ich in zweierlei Hinsicht
ergänzen.
1. Gehlen hat sich bereits in der ersten Hälfte der 30er Jahre intensiv mit Problemen der Ethik beschäftigt, ohne daß dies bislang die Aufmerksamkeit gefunden hätte, die es eigentlich verdiente. Die früheste Behandlung ethischer und moralischer Fragen finden wir in seiner Habilitationsschrift. Unter dem Titel "Die moralische Situation und Kant. Grundriß einer Moralphilosophie" entwickelt Gehlen dort im 11. Kapitel seinen Begriffvon Ethik als Situationsethik. Dieser Teil der Arbeit wurde übrigens später als das übrige Werk verfaßt und lag zunächst seiner Probevorlesung von 1930 zugrunde. Kritische Auseinandersetzungen mit der Ethik folgen dann in der "Theorie der Willensfreiheit", die in § 18 zur Ablehnung der objektiven Geltungs- und materialen Wertlehre führt, und in der Abhandlung "Der Idealismus und die Lehre vom menschlichen Handeln", wo Gehlen unter dem Titel "Handlungslehre oder Ethik im Sinne von Ethos= Verhalten" die "Unwirklichkeit der traditionellen Ethik" kritisiert (Gehlen, Gesamtausgabe, Bd. II, Frankfurt/M. 1980, S. 333-335).
In den 30er Jahren hielt Gehlen zudem mehrere Ethik-Vorlesungen und -Seminare. So handelte die erste, 1931 von ihm offiziell angekündigte Vorlesung über Ethik (und zwar über die Ethik Schelers und N. Hartmanns), eine weitere Ethik-Vorlesung folgte 1932/33. Im Sommer 1935 las er über "Philosophische Anthropologie und Ethik". 1936 und 1937/38 veranstaltete Gehlen zwei Seminare zu Aristoteles' Nikomachischer Ethik, die für ihn besonders anregend gewesen sein dürfte. Eine Kritik an der traditionellen Ethik findet sich schließlich in seiner Vorlesung "Die neueste Philosophie seit 1850", die uns glücklicherweise in einer Mitschrift erhalten ist. (Siehe dazu meinen Beitrag in diesem Band.) Gehlen analysiert dort anband der Rickertschen Wertlehre die von ihm so genannte "rationale Normenethik", der er den "Sokratischen Irrtum", Erkenntnis mit Motivation gleichgesetzt zu haben, vorwirft. Sein Ansatz läuft im Gegenzug darauf hinaus, die "abstrakte" Norm durch das Ziel menschlichen Handeins und Verhaltens zu bestimmen, so daß der Ethik im wesentlichen nur noch die Aufgabe zufallt, "das ins Bewußtsein zu erheben, was der Mensch sowieso schon will" (Vorlesung von 1935/36).
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2. Sehr zu Recht weisen Sie m. E. darauf hin, daß der wunde Punkt der Gehlensehen Philosophie in der Behandlung der Normenproblematik zu finden sei, daß Gehlen das Normative nur verzerrt zur Sprache bringe. Gehlens frühe Auseinandersetzung mit der Ethik kommt zu zwei Resultaten. Ethik wird zum einen auf eine Handlungs- oder Verhaltenslehre (Anthropologie) verkürzt, zum anderen auf eine Situationsethik zusammengestrichen. Um dem Fehler der traditionellen Normenethik zu entgehen, die nach Gehlen auf eine unhistarische Normierung von Werten hinausläuft, ersetzte er die abstrakte (allgemeine) Norm durch die konkrete, historische Handlungssituation. Gehlen kann deshalb sagen, daß das, was geschehen soll, bereits in den Sitten und Institutionen vorgegeben sei, und es nur darauf ankomme, das zu bejahen, was sowieso geschieht. "Was man tun soll, gehört nicht in die Moralphilosophie hinein. Das ist schon bestimmt von der geschichtlichen Situation, durch Sitten und Institutionen." (So Gehlen in seinem Schopenhauer-Seminar von 1935/36.) Gehlens Konzept von Ethik als Situationsethik, die mit einer Verhaltenslehre (Anthropologie) untermauert wird, gibt (wie vor ihm schon Nietzsche) eine allgemeine Wahrheit beanspruchende Ethik preis. Gehlens "moralischer Historismus" mißtraut der praktischen Vernunft zu sehr. Die andere Seite dieses Historismus ist sein tief sitzender Skeptizismus und Relativismus. Gehlen war sich seiner relativistischen Anschauungen durchaus bewußt. "Eben weil mir der Relativismus bis in die letzten Positionen als unvermeidbar erschien, habe ich versucht, eine ,empirische' (anthropologische) Philosophie aufzubauen" (Gehlen in einem Brief an H. Ryffel vom 1.8.1963).
Daß Gehlens skeptische Situationsethik in politischer und moralischer Hinsicht völlig ungenügend ist, sei hier nur kurz angedeutet. Entweder ist die historische Situation eindeutig, so daß jedermann weiß, was zu tun ist (und dies auch tut). Eine besondere moralische Pflicht würde dann allenfalls darin bestehen, die Eindeutigkeit der Situation zu erhalten, was, wie wir zur Genüge erfahren haben, politisch katastrophale Folgen hat. Oder die historisch vorgegebene Situation ist vieldeutig, so daß man faktisch einen Wertpluralismus konstatieren muß. Hat man in dieser Situation die Hoffnung auf eindeutige Verhältnisse aufgegeben, liegt es für einen moralischen Historisten nahe, sich skeptisch mit der These eines ethischen Pluralismus zu bescheiden. Genau dies geschieht in "Moral und Hypermoral" von 1969, wo Gehlen die gegenwärtigen Zeitverhältnisse auf den Begriff einer pluralistischen Ethik bringt. Gehlens frühe und späte Ethik sind also begrifflich nicht so weit auseinander, wie es zunächst den Anschein haben könnte. (Die frühe und späte Position unterscheiden sich in ihren moralphilosophischen Kategorien nicht, sondern in erster Linie nur hinsichtlich der Bestimmung der geschichtlich gegebenen Situation!)
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Die späte pluralistische Ethik muß die moralische Frage: "Was soll ich tun?" wieder offen lassen. Die Frage nach allgemeinen Rechtfertigungsgründen, die Gehlens frühe Moral- und Ethikkritik durch die frühe Situationsethik eindeutiger Verhältnisse erledigt zu haben glaubte, stellt sich wieder neu. Ryffel: Soviel ich weiß, wird das bei Gehlen nirgendwo so formuliert, nicht verbalisiert, aber ich sehe nicht ein, warum das nicht auch denkbar sein sollte. Ich meine, das spielt bei Gehlen deshalb keine Rolle, weil er ja, wenn ich es einmal zuspitzen darf, darauf hingeht - wir haben vom Mensch-Tier gesprochen-, daß er darauf abzielt, den Menschen sozusagen zum festgestellten Tier zu machen. Das ist wohl etwas zugespitzt, das kann man aber wohl sagen. Spinner: Gibt es bei Gehlen die Möglichkeit der grundsätzlich weltablehnenden Stellungnahme, wie bei Weber? Diese ist ja bei Weber ganz zentral für die Erklärung des okzidentalen Rationalisierungsprozesses als Folge einer religiös motivierten, mit der Forderung der aktiven "Weltbearbeitung" verbundenen Weltablehnung. Ryffel: Ich werde mich vielleicht auf dasjenige beschränken, was mir aus Fragestellungen klargeworden ist, ohne nun darüber zu rätseln, was vielleicht die Diskutanten gemeint haben möchten. Was die Bemerkung von Herrn Spinner anbelangt, da möchte ich sagen, daß beides sehr wohl meiner Meinung nach miteinander vereinbar sein könnte. Warum sollte nicht dieses beide- der Mensch als "stellungnehmendes Wesen" und die Beschreibung, daß er mögliche Stellungen zur Welt bezieht -, warum sollte das nicht in einem Gesamtkonzept gesehen werden können? Klages: Zum nicht festgestellten. Oder meinen Sie: durch Institutionen festgestellt? Ryffel: Der Mensch ist ja durch Nichtfestgestelltsein, wie es Gehlen einmal formuliert, charakterisiert, und seine ganze Tendenz geht darauf hin, den Menschen sozusagen zum festgestellten Tier zu machen; das wäre seine ideale Position -. Klages: Das wäre aber das Tierper se. Das festgestellte Tier- das wäre ja ein Pleonasmus. Ryffel: Es müßte gesehen werden als eine Feststellung des nicht festgestellten Wesens auf einer höheren Ebene.
Willms: Das sich selbst feststellende Nichtfestgestellte. Ryffel: Ja, oder wir können den Begriff der Zucht anwenden, denn der ist hier dann einschlägig. Zu Herrn Papalekas: Ich meine, ich möchte nicht besonders hier auf dem Begriff "Mängelwesen" insistieren, das war ein obiter dictum, zu sagen, er setzt beim "Mängelwesen" an- ohnehin etwas, was
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man kritisieren kann, weil das etwas ist, was sich nicht als Interpretament meines Erachtens aufdrängt. Das Wesentliche ist, daß Gehlen - wie ich glaubte, auch in meinen Thesen betonen zu sollen - darauf ausgeht, den Menschen gewissermaßen aus sich selbst zu verstehen; darin sehe ich eine markante neuzeitliche Linie. Trotz aller Bezugnahme auf das Tier, das hier als Vehikel der Interpretation des Menschen auch dienlich ist. Herr Heuß hat vollkommen recht, daß Gehlens Position kein Biologismus ist; das wird dann deutlich, wenn man sich davon Rechenschaft gibt, daß etwa die Ethik in "Moral und Hypermoral" als die empirische Lehre von den Sozialregulationen eben nun in der Tat biologistisch und soziologistisch ist, und nicht mehr als Biologismus oder biologische Konzeption in einem weiteren Sinne zu verstehen ist wie im Hauptwerk "Der Mensch". Ich bin auch der Meinung, Herr H euß, daß wir, gerade in bezug auf die "Entlastung", hier weiterzudenken hätten, und ich glaube, wichtig wäre es, sich davon Rechenschaft zu geben- worauf ich eigentlich hinaus will, aber ich wollte ja nicht so mit der Tür ins Haus hineinfallen: "Entlastung" ist natürlich eine besondere Vokabel für das, was klassisch der Geist ist. Das können Sie am besten sehen, wenn Sie etwa Gehlen mit Litt vergleichen, wobei ich mich hier nicht auf die Seite von Litt stellen möchte, aber der Vergleich ist natürlich von großem Interesse - denken Sie daran, daß z. B. Litt der doppelten Reflexion eine große Bedeutung beimißt, etwas, was Gehlen als ein Luftblasengebilde nicht akzeptiert. Bei Litt ist die doppelte Reflexion eben doch "Entlastung" in optima forma, das ist nun der letzte Gipfel der Virtualisierung, und insofern als Litt als Geistphilosoph, wenn ich das einmal so nennen darf, als ein Mann in der Tradition des Idealismus anzusehen ist, ist eben das ein besonders prägnanter Ausdruck von Geist. Das, was Herr Willms eingewendet hat, daß das Unverfügbare, das ich hier natürlich etwas voraussetzungsreich, ohne die Voraussetzungen explizieren zu können, angeführt habe, daß das also nun nicht ohne weiteres mit Gehlen übereinstimmt, das würde ich wohl sagen. Nur bin ich der Meinung, daß eine anthropologische Konzeption, die den Menschen aus sich selbst verstehen will, aber nicht in die biologische Perspektive abrutscht, sondern den Menschen in einem weiteren Rahmen zu sehen versucht, daß eine solche Konzeption doch sehr wohl eben nicht in dem konkreten Gehlensehen Modell, aber eben in einen Gehlen verwandten Modell des Menschen Platz hat. Ich meine, "Institution" bei Gehlen bedarf eben einer sehr sorgfaltigen Überprüfung in der heutigen Situation, ich sage zugespitzt mit einem Zitat von Gehlen, in der Situation der "Weltbürgerkriege". Da muß "Institution" eben doch anders gefaßt werden, "Institution" wäre dann nicht etwas, was man gar nicht ergründen kann und was von alters her einmal gestiftet wird und dann zerfallt und nicht ersetzt werden kann, sondern ein institutionell verwandtes Gebilde sind ja auch die klassischen Ordnungen der Tradition, von denen Gehlen merkwürdigerweise selten etwas sagt, nur in abfalliger Bemerkung etwa über die Verinnerlichungsatti2 Speyer 113
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tüde von Platan im Kampf gegen den Niedergang der Sittlichkeit, aber sonst, soviel ich sehe, eben doch in keiner Weise, und das ist ein Problem! Es stellt sich die Frage, ob wir nicht in einer kritischen Überprüfung der grundsätzlichen Fehlformen der klassischen Tradition uns davon Rechenschaft geben sollten, daß es Institutionen geben kann, die der Mensch - nun muß man dann freilich sagen, im Sinne praktischer Vernunft- stiftet und ausgestaltet. Denn Institutionen sind gerade von Gehlen aus - oder es ist zu fragen, warum sollten Institutionen gerade von Gehlen aus nicht Aufgaben sein? Der Mensch ist eine Aufgabe, ja warum sollte er nicht die Institutionen auch als Aufgaben konzipieren? Gehlen scheint das nicht zu sehen, weil er bloß das ideative Bewußtsein archaischer Zeit und das instrumentelle Bewußtsein mit dem Appendix des Verstehens alaDilthey kennt, dagegen in gar keiner Weise das Bewußtsein der praktischen Vernunft. Die Diskussion hat einige zugestandenermaßen sehr interessante Punkte meines Vortrags herausgegriffen, die Essenz meiner Thesen ist allerdings leider nur am Rande zur Sprache gekommen. Auf die Wortmeldungen von Herrn Rehberg und Herrn Samsan bin ich in meiner Antwort jetzt wohl schon weitgehend eingegangen, weshalb ich Sie bitten möchte, es mir nachzusehen, wenn ich es mir so einfach mache, im Moment nicht weiter darauf einzugehen. Ich möchte nur Herrn Samsan sagen: Mir war das nicht bekannt. Es ist nur eigenartig, daß Gehlen so klar sagen konnte: ich muß auf die alten Tage hin mich noch mit Wertfragen befassen, wie er es eben nicht getan hätte, und es ist eine ganz klare, in Maschinenschrift formulierte Feststellung. Ich zitiere nochmals: "Natürlich haben Sie recht, daß meine Anthropologie der normativen Problematik nicht gerecht wird", und er hat dann später versucht, ihr gerecht zu werden mit "Moral und Hypermoral". Die Frage ist nur, ist er ihr damit gerecht geworden? Ich meine, bei allem Respekt vor Gehlen, dem großen Autor, dem tiefschürfenden Denker, würde ich fragen: Ist nicht eigentlich das Buch "Moral und Hypermoral", ich sage nicht schlecht, aber weniger gut, viel weniger gut als "Der Mensch" und "Urmensch und Spätkultur"?
ERKENNTNIS UND ENTLASTUNG Zu Arnold GehJens Verständnis von Wissenschaft und Technik im unausgearbeiteten Bezugrahmen der Klassischen Wissensordnung Von Helmut F. Spinner, Karlsruhe I. Die Schlüsselfunktion des Entlastungsgedankens: GehJens Deutungskonzept der durchlaufenden Kategorien
In seiner "außerordentlich weit" gefaßten Elementaren Anthropologie (M 14) 1 will Gehlen den "einen Systemgedanken" aufzeigen, der es ermöglicht, "ein System einleuchtender, wechselseitiger Beziehungen aller wesentlichen Merkmale des Menschen her(zu)stellen, vom aufrechten Gang bis zur Moral ... " (M 17). Im Gegensatz zum verbreiteten "Vorurteil" des Stufenschemas, welches "das wesentlich Menschliche in einer besonderen Beschaffenheit bloß der Intelligenz" sieht und dabei zwischen Tier und Mensch nur einen graduellen Unterschied macht, besteht er nach Gehlen "beim Menschen in einem durchlaufenden Strukturgesetz ... , das alle menschlichen Funktionen von den leiblichen bis zu den geistigen beherrscht" und den Menschen "als handelndes Wesen" ausweist (M 22/23). 1 Zur Zitierweise: Um die Fußnoten zu begrenzen, werden GehJens Arbeiten durch eingeklammerte Quellenangaben im Haupttext zitiert, nur mit Seitenzahlen und den folgenden Titel-Abkürzungen. Hervorhebungen ohne den Zusatz "nicht im Original" entsprechen dem Originaltext Gehlens. M: Der Mensch- Seine Natur und seine Stellung in der Welt, 1. Aufl. 1940, zit. nach der "Studienausgabe der Hauptwerke", Wiesbaden: AULA-Verlag, 1986 (13. Aufl. der Einzelausgaben als Nachdruck der 12. Aufl., mit einer Einleitung von Kar!- Siegbert Rehberg). U: Urmensch und Spätkultur, 1. Aufl. 1956; zit. dito. 1986 (5. Aufl. der Einzelausgaben als Nachdruck der 4. Aufl.). Mo: Moral und Hypermoral, 1. Aufl. 1969, zit. dito 1986 (5. Aufl. der Einzelausgaben als Nachdruck der 4. Aufl.). S: Die Seele im technischen Zeitalter, Harnburg 1957 (rowohlts deutsche enzyklopädie, Bd. 53; Neubearbeitung von: Sozialpsychologie Probleme in der industriellen Gesellschaft, Tübingen 1949). A: Anthropologische Forschung, Reinbek bei Harnburg 1961 (rowohlts deutsche Enzyklopädie, Bd. 138). St: Studien zur Anthropologie und Soziologie, Neuwied am Rhein und Berlin: Luchterband Verlag, 1963. Z: Zeit-Bilder, Frankfurt am Main und Bonn: Athenäum Verlag, 1965. GA: Arnold Gehlen Gesamtausgabe, Frankfurt am Main: Klostermann Verlag, 1978 ff.
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Helmut F. Spinner
In diesem fundamentalanthropologischen Ansatz einer Wesensbestimmung des Menschen mittels "generellen Kategorien des Menschseins", welche "durch die gesamte Schichtung ,durchlaufen'" (M 381 und 382), bildet "die fundamentale Kategorie der ,Entlastung'" (M 19) nichts weniger als "den Schlüssel zum Verständnis des Strukturgesetzes im Aufbau der gesamten menschlichen Leistungen" (M 36) - wie gesagt: über für die ganze Bandbreite von der Motorik bis zur Moral, mit der entlastenden, entlasteten Handlung als gemeinsamem Nenner. Dieses "durchlaufende" (M 382) Deutungskonzept der eigentätigen Entlastung beinhaltet eine "anthropo-biolcgische . . . Betrachtungsweise", die "allein in der Frage nach den Existenzbedingungen des Menschen" (M 15, 16) besteht und mit der Gehlensehen Sonderstellungsthese beantwortet wird, unter Rückgriff auf die "spezifisch menschlich(e) . . . Möglichkeit der Entlastung des Verhaltens, also z. B. der denkenden oder (sie! H. S.) praktischen Tätigkeit von der Funktion im Dienst instinktiver Antriebe ... " (M 29). Entlastung in diesem elementaren Sinne bedeutet "die Ablösbarkeil einer freien Tätigkeit einerseits vom Druck biologischer Bedürfnisse erster Hand, andererseits vom Druck der ,Prämiensituation' ... " (M 29/30). Die Annahme vielfältiger, durchgängiger Entlastungsleistungen im Gesamtverhalten des handelnden Wesens Mensch ermöglicht es Gehlen zwar, nach der einen Seite einen trennscharfen Unterschied zum Tier zu ziehen, nivelliert aber tendenziell oder ignoriert sogar auf der anderen Seite- beim Menschen selber - nicht nur die keineswegs unwichtigen Unterschiede zwischen mehr oder weniger entlasteten intraindividuellen Verhaltensweisen (wie zum Beispiel Denken und Tun, Reden und Handeln), sondern verwischt die entscheidende theoretische Distinktion und unüberbrückbare praktische Kluft zwischen der anthropologischen Normalstellung des voll belasteten Handeins und der institutionellen Vorzugsstellung echter Entlastung in privilegierten sozialen Sondermilieus (wie zum Beispiel der akademischen Wissenschaft mit Freier Forschung & Lehre). Dies ist umso auffälliger, als Gehlen mit dem bösen Blick des indignierten Konservativen den "fürchterlichen Ernst der Wirklichkeit" in jenen Bereichen durchaus sieht- in seiner eigenen, fragwürdigen Einschätzung wären das vor allem "die Religion und die Politik" -, wo es aufgrund der exzentrischen Außenseiterstellung avantgardistischer "Künste" und intellektueller "Mundwerker" nicht "auf Haftung und Handlung herauskommt" (Z 227). Das aber sind Belastungs- und Entlastungsunterschiede innerhalb des menschlichen Gesamtverhaltens infolge unterschiedlicher institutioneller Einbettungen. Indem Gehlen alle menschlichen Aktivitäten als "Handeln" auffaßt und beispielsweise sogar das Bewußtsein zu einer "Phase" des Handeins reduziert - oder, umgekehrt, dieses entsprechend spiritualisiert -, macht er im
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Grunde mit dem "durchlaufenden" Handlungsgedanken denselben Deutungsfehler, den er dem Schelerschen Stufenschema vorwirft: bloßes Denken und echtes Handeln, Theorie und Praxis, Wissenschaft und Leben sind aus anthropo-biologischem Blickwinkel auf ihre "spezifisch menschliche" Entlastung entweder nur graduell verschieden, oder der Unterschied liegt in einer besonderen Beschaffenheit bloß auf einer Seite, für die es keinen gemeinsamen Nenner einer durchlaufenden Kategorie gibt. Unklar bleibt außerdem, auf welchem Wege vermeintlich generelle Kategorien "wie Entlastung, Handlung, Verfügung, Kommunikation usw." nicht nur beim Menschen "durch die gesamte Schichtung", sondern im Zeitablauf auch durch die ganze Geschichte "durchlaufen" (M 382) können angesichts der erstaunlichen Tatsache, daß der Gehlensehe Deutungsansatztrotz des Rückgriffs auf die weitgefaßte Biologie (vgl. M 16) im "Schema einer Gesamttheorie" (M 15) keine Evolution kennt. Wie sich dieser monistische, alles Menschliche durch ein gemeinsames "Strukturgesetz" vereinheitlichende Deutungsansatz der durchlaufenden Entlastungskategorie für das gesamte Handeln auf das Verständnis von Wissenschaft und Technik auswirkt, soll im folgenden untersucht werden. Dazu gehe ich so weit wie möglich den von Gehlen vorgezeigten Weg, bis es meines Erachtens so nicht mehr weiter geht - dann nämlich, wenn wir bei den heutigen Erscheinungsformen der fortgeschrittenen, buchstäblich darüber hinweggegangenen Erscheinungsformen moderner Wissenschaft & Technik die Gehlensehe "Hintergrundphilosophie" des Entlastungskonzepts in Gestalt der Klassischen Wissensordnung verlassen müssen. Deshalb greife ich den Entlastungsgedanken auf, um ihn in spezifizierter Form zur Grundlage für die Klassische Wissensordnung im allgemeinen und die neuzeitliche Wissenschaftsverfassung im besonderen zu machen, deren Rahmen durch die heutige Großwissenschaft ("Big Science") und Hochtechnologie gesprengt wird, so daß man sie nicht mehr mit anthropologisch und/ oder historisch durchlaufenden Kategorien erfassen kann. Wi/helm Glasers2 bemerkenswerter Verlängerungsversuch des Gehlensehen Mensch/Tier-Vergleichs zum Mensch/Computer-Vergleich stößt beim "Durchlaufen" vom Werkzeug- und Symbolgebrauch zur modernen Technik auf dieselben Bruchstellen3 , die keineswegs übersehen, aber anders bewertet und metaphorisch überspielt werden. Gegenüber Gehlens elementarem aber weitgefaßtem Ansatz erfordert dieses Vorgehen folgende Änderungen: 2 Vgl. seinen Beitrag zu diesem Band: Arnold GehJens Anthropologie und die Psychologie der menschlichen Informationsverarbeitung. 3 Dazu ausführlicher, in kritischer Auseinandersetzung mit Gehlens sozusagen handwerklicher, d. h. am "technischen Handeln mit der Hand" orientierter "Anthropologie der Werkzeugtechnik": Heinrich Popitz, Epochen der Technikgeschichte, Tübingen 1989.
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(1) Anstelle der Frage nach den Existenzbedingungen des Menschen wird nach den Bestimmungen undBedingungenfür Wissenschaft & Technik gefragt, durchaus mit Blick auf die dafür durch die geltende Wissensordnung eingeräumten Entlastungen.
(2) Gefragt ist folglich nicht nach der - paradoxerweise allgemeinmenschlichen- Sonderstellung des Menschen, sondern nach einer eventuellen, besonders ausgeprägten, genau beschreibbaren, geschichtlich erklärbaren Sonderstellung von Wissenschaft & Technik im Rahmen der Gesamtgesellschaft, eben aufgrund einer von der allgemeinen Rechts- und Wirtschaftsordnung abweichenden Wissensordnung. (3) Die anthropo-biologische Betrachtungsweise des Menschen ist folglich durch eine kognitiv-soziale Betrachtungsweise von Wissenschaft & Technik zu ergänzen oder zu ersetzen, die bei voller Anerkennung von GehJens Meisteridee einer primären Entlastung durch die großen, aber übergeneralisierten (dazu später) "Symbolbereiche" der Sprache, Wahrnehmung, Phantasie doch mit spezifischen Entlastungskonzepten für die intellektuell "nach oben verschobenen" (vgl. M 359) und institutionell abgekoppelten kognitiven Aktionsfelder der modernen Wissenschaft und verwissenschaftlichten Technik arbeitet. (4) Diese differentiellen Entlastungsbestimmungen und -bedingungen erhalten ihren begrifflichen Sinn und ihre praktische Funktion aus dem Vergleich der diversen institutionellen Sonderstellungen mit der alltäglichen Normalstellung voller Belastung, die von GehJens analytischer Nullstellung einer für die Ausgangslage angenommenen erbsündeartigen "Belastung" des Menschen durch dessen Weltoffenheit, Plastizität, Instinktarmut und -Unsicherheit, etc. streng zu unterscheiden ist. (5) Für die weitgehende Einebnung der gravierenden Unterschiede zwischen Sonder-, Normal- und Nullstellung ist vor allem die insofern unterschiedlos verwendete Allkategorie des Handeins verantwortlich, die keine oder nur graduelle Unterschiede zwischen "wirklichem" und "symbolischem" Handeln macht. Die kognitiv-soziale Betrachtungsweise bezieht den Gehlensehen Handlungsaspekt mit ein, ohne ihn zu verabsolutieren (wie die institutionellen "Kristallisationen") oder zu übergeneralisieren (wie die Entlastungskategorie) und dadurch völlig zu entleeren. Der Unterschied zwischen dem vom normalen Handlungs- und Haftungszwang entlasteten Denken und symbolischem Verhalten entspricht der erheblichen "ontologischen Differenz" zwischen Kants gedachten oder wirklichen Talern. Wer sie aus dem Auge verliert oder bagatellisiert, versperrt sich damit den Blick auf die Sonderstellung der Wissenschaft & Technik. Die Allkategorie des Handlungseintopfs nivelliert theoretisch die dreistufige Härteskala des menschlichen Verhaltens
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aufgrundder großen praktischen Unterschiede zwischen den weichen Meinungen ("Ideen") im rein symbolischen Modus von Annahmen, Theorien, Für-Wahr-Haltungen; den schon merklich zäheren nichthypothetischen Einstellungen; sowie den harten Interessen, welche nach Max Weber4 das menschliche Handeln unmittelbar beherrschen und voll belasten. (6) Nicht nur im Verhältnis von vermeintlich ursprünglicher, anfänglicher Belastung und anschließender Entlastung im Rahmen der anthropologischen Sonderstellung des Menschen, sondern vor allem auch im Hinblick auf die institutionelle Sonderstellung der Wissenschaft werde ich versuchen, Gehlens Konzept auf den Kopf zu stellen - also auf die Grundlage der Klassischen Wissensordnung, welche für den Wissensbereich die normalen Verhältnisse umdreht-, indem ich sein meines Erachtens zentrales Diktum ins Gegenteil verkehre: Wenn im allgemeinen "die Notwendigkeit zu handeln weiter reicht, als die Möglichkeit zu erkennen" (M 303) und somit im "wirklichen Leben" das Wollen das Wissen "führt" (vgl. M 364), dann gilt für die von Handlungszwang, Folgenverantwortlichkeit, Finanzierungsgebot, etc. entlastete Wissenschaft tendenziell das Gegenteil. Unter den noch zu erläuternden privilegierenden Bedingungen der Klassischen Wissensordnung gehen die Erkenntnismöglichkeiten viel weiter als die Notwendigkeiten zum realen Handeln. Im Rahmen dieser institutionellen Sonderstellung geht die Wissenschaft voraus, aber nur in Gedanken, d. h. ohne wirklich zu "führen". Sofern dies richtig ist, und soweit es gilt, muß abgegangen werden von Gehlens Arbeitshypothese, "die gesamte Organisation des Menschen sei von der Handlung her zu erforschen" (GA IV 73). Diese ist ein möglicher Endpunkt menschlicher Aktivität, aber kein geeigneter Ansatzpunkt für alles Sichverhaltenkönnen in der ganzen Bandbreite der "menschlichen Möglichkeiten" von Pol zu Pol, d. h. von der Theorie über die Praxis bis zur Technik. (7) Abschließend wird auf die Wiederbelastung der durch die sekundären Entlastungen der Klassischen Wissensordnung weit überdurchschnittlich entlasteten Wissenschaft hingewiesen, die von der technischen Entwicklung und ihren "nichtklassischen" Bedingungen überrollt wird. Diese nach-klassische (um den Modeausdruck "postmodern" zu vermeiden) Wiederbelastung erfolgt im Zuge der Schwerpunktverlagerung von der Reinen Wissenschaft (=THEORIE) über die Angewandte Wissenschaft(= PRAXIS) zur Realisierten Wissenschaft (= TECHNIK). Die Technik stand nie ganz unter den Sonderbedingungen voller Entlastung; die Wissenschaft steht heute umso weniger darunter, je mehr sie zur Technik wird. 4 Vgl. Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. I, 7. Aufl., Tübingen 1978, S. 252.
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II. Die primäre Sonderstellung des entlasteten Menschen in der Welt I. Duale Metaphern: Mängelwesen & Kompensation, Belastung & Entlastung
Im Vergleich zum Tier ist der Mensch ein biologisches Mängelwesen (vgl. M 20, 33) in der anthropologischen Ausgangsposition der Belastung. Diese ergibt sich aus der von Anfang an bestehenden Diskrepanz zwischen eigener Unterausstattung und äußerer Überlastung durch eine komplexe, variable, flexible "Welt", welche anders als beim umwelteingepaßten Tier für ihn ein "Überraschungsfe/dunvorhersehbarer Struktur" (M 36) bildet. Deshalb muß der Mensch seine Mängel kompensieren und sich durch Eigentätigkeit entlasten. Die Sonderstellung des Menschen ist gekennzeichnet durch die funktionell -nicht kausal gemäß einem hier deplazierten Ursachenbegriff (vgl. M 18) - aufeinander bezogenen "dualen" Kategorien von Mängelwesen & Kompensation, Belastung & Entlastung. Hier setzt das menschliche Handeln ein, um die Spannung durch "kleine" und "große" Entlastungen5 auf der Ebene des individuellen Verhaltens oder im Rahmen stabilisierender Institutionen zu lösen. Diese Entlastungen erfolgen eigentätig, anthropologisch gesehen; soziologisch betrachtet, jedoch nicht unbedingt in eigener Regie. Gemeint ist mit diesem Zusammenspiel zweier aufeinander bezogener Tatbestände eines ganzheitlichen Prozesses, um diese "durchlaufende" duale Argumentationsfigur- für die folgenden Überlegungen zu umreißen:
s Zu dieser meines Erachtenseher graduellen als grundsätzlichen Unterscheidung von zwei Arten der Entlastung bei Gehlen vgl. Dieter C/aessens, Instinkt, Psyche, Geltung, 2. Aufl., Köln und Opladen 1970, S. 30 ff. 6 Daß sich dahinter, im noch weiteren und erst recht .,übergeneralisierten" (dazu später) Zusammenhang gesehen, sogar eine nahezu allgegenwärtige .,Verlaufsfigur geschichtlicher Prozesse'" verbirgt, besagt die als Funktionsbeschreibung für die heutigen Geisteswissenschaften populär gewordene philosophische Kompensationsthese, auf die hier nicht eingegangen werden kann. Vgl. Joachim Ritter, Die Aufgabe der Geisteswissenschaften in der modernen Gesellschaft, in seinem Buch: Subjektivität, Frankfurt am Main 1974, S. 105 ff. ; Odo Marquard, Kompensation, in seinem Buch: Aesthetica und Anaesthetica, Paderborn u. a. 1989, S. 64 ff.- Dazu kritisch Herbert Schnäde/bach, Kritik der Kompensationstheorie, in: Kursbuch 91, März 1988, S. 35 ff. Ich gehe auf die philosophischen Kompensationstheorien nicht ein, weil schon die vergleichsweise theoretisch Spezifizierteren und empirisch fundierterenanthropologischen Doppelthesen GehZens über das Zusammenspiel von Belastung & Entlastung, Mängel & Kompensation, so weit überdehnt sind, daß sie den noch zu präzisierenden vernünftigen Ausgangsgedanken völlig aus dem Auge verloren haben.
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der Mangel einer fertig montierten, milieugerecht justierten, von vornherein vallangepaßten biologischen Ausstattung und seine Kompensation durch Weltoffenheit, die aber als Belastung verstanden wird im Sinne einer unguten Überfülle von Umweltreizen und unerträglichen Überforderung durch Aufgaben, von der sich der Mensch entlasten muß, und zwar insbesondere mittels Entlastung durch Symbolisierung und entlastendes, entlastetes symbolvermitteltes Handeln. Gehlen bestimmt den Menschen zunächst "wesentlich negativ" durch Hinweis auf seine Mängel in Gestalt von Unangepaßtheiten und Unspezialisiertheiten, welche hier- die Mängelthese präjudizierend- "als Primitivismen, d. h. als Unentwickeltes" (M 33) bezeichnet werden. Das Korrelat dazu, welches Kompensation erfordert und letztlich auch leistet, ist die Weftoffenheit des Menschen, die ihn aber erst recht der belastenden "Eindruckfülle" und "Reizüberflutung" (M 39, 36) der Welt aussetzt, von größeren Belastungen durch nicht so leicht lösbare Aufgaben 7 ganz zu schweigen.
So mag es befremden, kann aber kaum überraschen, daß die genannten "wesenhaften Merkmale des Menschen, wenn man sie unter den sonst bewährten biologischen Gesichtspunkten betrachtet, "Mängel" oder "Belastungen" sind" (GA IV 94). Unbeschadet der sich aus ihrer Ausnützung ergebenen Lebenschancen (vgl. M 40; GA IV 94), erweist sich somit in dieser Sicht auch die Weltoffenheit des Menschen als eine primäre Belastung, von der er sich erst einmal entlasten muß. Das wird ausdrücklich gesagt: "Denn schon die Weltoffenheit ist ... grundsätzlich eine Belastung" (M 36), infolge der dadurch ermöglichten oder verstärkten Reizüberflutung im bereits genannten Überraschungsfeld des Lebens in der Welt.
7 Denn dafür haben wir nach dem Gehlen noch nicht verfügbaren Mehr-SpeicherModell des Gedächtnisses auf der untersten Stufe der Informationsaufnahme und -Verarbeitung spezielle sensorische Register mit sehr großer Kapazität und selbsttätiger "Entlastung" durch äußerst schnellen Informationsverlust innerhalb weniger Hundert msec. Vgl. die zusammenfassende Darstellung von Rainer H. Kluwe, Gedächtnis und Wissen, in: Hans Spada, Hrsg., Lehrbuch Allgemeine Psychologie, Bern, Stuttgart, Toronto 1990, Kap. 3, insbes. S. 129. Dafür ist also das vermeintliche "Mängelwesen Mensch" von der Natur bestens ausgerüstet und normalerweise auch kulturell wohlangepaßt, wenn man an das vielzitierte "Großstadterlebnis zur Stunde des Mittags" denkt, welches lediglich die intellektuell übersensibilisierten Literaten des "Großstadtromans" ernstlich desorientiert hat und an der "Vernunft" zweifeln läßt (vgl. Vo/ker Klotz, Die erzählte Stadt, München 1969). Konservative Kulturkritiker, die es aufgrundihrer Fachkenntnisse besser wissen müßten, reagieren auf den aktualisierten Mythos der Reizüberflutung, die sogenannte informatielle Überlastung, nicht viel anders; so beispielsweise Kar/ Steinbuch, Maßlos informiert, München und Wien 1978.
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Gehlens populäre Mängelwesen-These ist in der Fachliteratur genügend kritisiert worden 8 , so daß ich mich im folgenden auf das Entlastungskonzept und die Kompensationskomponente konzentrieren kann. 2. Symbolische Akte: Eigentätige Entlastung im Handeln durch Symbolgebrauch
"Spezifisch menschlich" (M 29) sind nach Gehlen nicht nur die diversen Unzulänglichkeiten und Überlastungen des Mängelwesens, sondern auch die vielniltigen, die ganze Bandbreite menschlichen Verhaltens - von der Motorik bis zur Moral, vom Triebleben bis zur Theoriebildung- umfassenden Möglichkeiten der Entlastung sowohl der "denkenden" als auch der "praktischen Tätigkeit" durch Symbolisierung, Abstrahierung, Generalisierung, Distanzierung, d. h. durch den von unmittelbaren Reizen, vitalen Bedürfnissen, direkten Kontexteinflüssen der raumzeitlichen Umgebung sowie von den sonstigen Umständen aller Art weitgehend abgelösten, freien Symbolgebrauch9 • Das Subjekt entäußert sich im Symbol und entlastet sich dadurch vom Objekt. So kann es stellvertretend- außerdem: leichter, freier, besser- mit den Symbolen anstelle der Dinge hantieren, mit allen positiven und negativen Konsequenzen dieser Schwerpunktverlagerung der Aktivitäten. Mit Kants gedachten Talern kann man gelassener umgehen als mit wirklichen Talern, obwohl man deren realen Besitz eher als entlastend empfinden dürfte. Diese Art von Entlastung durch symbolvermittelte und -verarbeitende Eigentätigkeit beschränkt sich keineswegs, wie man annehmen könnte, auf den besonders "symbolhaltigen" Sprachgebrauch. Sie reicht vielmehr von 8 Zur überwiegend ablehnenden Diskussion, die bis zum Gegenmythos vom "Überschußwesen" (bei Ullrich) und zur Antithese einer weit überdurchnittlichen .,Organeignung" des Menschen für die Technik geht (bei Popitz), vgl. u. a.: Dieter Claessens, Instinkt, Psyche, Geltung, 2. Aufl., Köln und Opladen 1970, S. 28 ff.; Konrad Lorenz, Die Rückseite des Spiegels, München und Zürich 1973, S. 195 ff.; Otto Ullrich, Technik und Herrschaft, Frankfurt am Main 1979, S. 26 ff.; Norbert Bischof, Das Rätsel Ödipus, München und Zürich 1985, Teil6, insbes. S. 512 ff. zum .,Mythos vom "Mängelwesen'"', der nicht stimme, weil Gehlen "Unspezialisiertheit mit Unangepaßtheit" verwechsele und die Existenz schon im Tierreich von relativ unspezialisierten aber hochangepaßten "kosmopolitische(n) "Generalisten"" (S. 512) nicht in sein Konzept passe. Die neueste Kritik mit Bezug auf Gehlens "kompensatorisches" Technikverständnis liefern Heinrich Popitz, Epochen der Technikgeschichte, Tübingen 1989., S. 47 ff.; Martin Meyer, Ernst Jünger, München und Wien 1990, S. 405 ff. 9 Dazu ausführlich Rainer Habermeier, Arnold Gehlens anthropologische Ansicht des Symbols, Zeitschrift für Semiotik, Bd. 10, 1988, S. 261 ff.; auf S. 270 f. mit einer achtstufigen "Hierarchie symbolvermittelter Entlastungsfunktionen" (von der Wahrnehmungs- und Bewegungsebene bis zur Erkenntnis- und Wissenschaftsstufe) und einem "Schema der semiotischen Grundbeziehungen bei Gehlen".
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der vorsprachliehen Sensomotorik im Unterbau bis zu den sprachsprengenden Überbauten der Reinen, Angewandten und Realisierten Wissenschaft, also der Theorie, Praxis und Technik. Wichtig für das Vorverständnis von Gehlens Entlastungskategorie ist, daß sie im Gegensatz zu dem später erläuterten spezifischen Entlastungskonzept der Klassischen Wissensordnung nicht - jedenfalls nicht nur! - auf eine Entlastung vom Handlungszwang abhebt, sondern die bereits im Handeln liegenden, viel weiterreichenden aber auch unspezifischeren Entlastungsleistungen meint: "In seinen Handlungen entlastet sich der Mensch, indem er aus eigenen Mitteln und ,selbsttätig' sein Leben erhält und aufbaut. Diese ,produktive Entlastung' hat somit zwei Seiten: zum einen ist sie eine Bewältigung der Mängelbelastung und zum anderen die Schaffung neuartiger Mittel zur "Lebensführung" ... " 10 Das ergibt ein breitgefächertes, tiefgestaffeltes Potential symbolvermittelter Entlastungsfunktionen auf (nach Habermeiers Zählung) mindestens 8 verschiedenen Handlungsebenen, von den "symbolisch strukturierten" Wahrnehmungen und Bewegungen über die elementare Sprache, sprachgestützte Erfahrung und geplante Handlung bis zur Erkenntnis, Wissenschaft und Technik. Das reicht, anders gesagt, von der Entlastungsfunktion der Erfahrungssymbole über jene der Sprache bis zur Entlastung durch die stabilisierenden Institutionen (vgl. die Übersicht in A 34 ff., 50 ff. , 70 ff.). Damit geht Gehlen meines Erachtens viel zu weit. Indem er den Entlastungsgedanken auf der einen Seite bis zur Konturenlosigkeit überdehnt'', zerreißt er die Verbindung zum eigenen, dafür inhaltlich viel zu eng gefaßten Handlungsbegriff im Sinne der "voraussehende(n), planende(n) Veränderung der Wirklichkeit" (GA IV 71), welcher in dieser Fassung weder das entlastete wissenschaftliche Denken noch das spontane Handeln 12 einschließen kann, um nur einen begrifflich ausgegrenzten Handlungsbereich zu nennen. 3. Der durchlaufende, übergeneralisierte Entlastungsgedanke
An dieser Stelle bedarf meines Erachtens der zentrale, durchlaufende gemachte aber nach Gehlens eigener Auffassung "noch nicht völlig durch10
Peter Jansen, Arnold Gehlen- Die anthropologische Kategorienlehre, Bonn 1975,
s. 60.
11 Zur Kritik der Gehlensehen Überdehnungsfehlschlüsse vgl. Hans Lenk, Zum transzendentalen Kulturismus Arnold Gehlens, in seinem Buch: Zwischen Sozialpsychologie und Sozialphilosophie, Frankfurt am Main 1987, S. 112 ff., insbes. 131. 12 Für einen derartig erweiterten , die enge Zweckführung "planvollen" Handeins überschreitenden Handlungs- und Ordnungsbegriff plädiert F. A. von Hayek mit seinem ganzen einschlägigen Werk; vgl. zum Beispiel: Freiburger Studien, Tübingen 1969, S. 32 ff., 75 ff., 161 ff.; Die Verfassung der Freiheit, Tübingen 1971, 89 ff. et passim.
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forschte, in den Umrissen schon faßbare Begriff der "Entlastung" (GA 94) vordringlich der Klärung, mit dem Ziel einer systematischen Auslotung und schärferen Neufassung. Denn die Entlastungskategorie ist nicht nur vielschichtig und "als solche doppeldeutig" 13 , sondern überzogen, mit verfehlten Zusatzbedeutungen überfrachtet, hinsichtlich der gegenläufigen Funktionszuschreibungen in sich widersprüchlich und vor allem- wie das Symbolparadigma der Sprache - übergeneralisiert: in genau dem Sinne, wie Talcolt Parsons seine "generalisierten Kommunikationsmedien" (Geld, Macht, Einfluß, etc.) über den Ausgangsfall des Geldes hinaus übergeneralisiert hat, so daß "die strukturellen Analogien zum Geldmedium undeutlicher, die begrifflichen Bestimmungen nicht nur abstrakter, sondern auch unpräziser und am Ende gar metaphorisch werden" und das überdehnte Grundmodell "die Gesamtkonstruktion nicht tragen kann" 14 • Die Sprache selbst ist über die ganze Menschheit (über-)generalisiert, so daß sie als solche für die spezifische Erklärung inner- und zwischenmenschlicher Unterschiede nicht mehr taugt. Und wenn man sie als Symbolsystem versteht und dieses auf das noch allgemeinere Paradigma der Informationsverarbeitung zurückführt 15 , dann gibt dieser Ansatz für den metaphorisch erweiterten, inhaltlich entleerten Tier/Mensch/Computer-Vergleich nichts mehr her als übergeneralisierte Metaphern. Durch Übergeneralisierung werden die Unterschiede nivelliert, wogegen immer zu fragen ist: Sind es wirklich dieselben Probleme und Prinzipien wie im Ausgangsfall? Diese Frage wird im folgenden an GehJens Entlastungskonzept gestellt. Mit der Entlastungskategorie will Gehlen - trotz Anklängen auch in dieser Richtung, auf die ich zurückkommen werde- keineswegs, wie heute vielfach üblich, Denken und Handeln, Theorie und Praxis, Verbales und Reales, Wissenschaft und Politik, Kunst und Leben, etc. voneinander abgrenzen, sondern "durchlaufend" den ganzen Menschen vom Tier schlechthin absetzen, und zwar bereits auf der elementaren anthropologischen Ebene "im exakt biologischen Sinne" (M 33). Das erschwert ihm die erforderlichen Differenzierungen innerhalb der menschlichen Verhaltensbandbreite und verunmöglicht ihm ein darauf aufbauendes pluralistisches Verständnis von Wissenschaft und Technik, welches Unterschiede machen kann zwischen traditionellen Werkzeugtechniken und modernen Groß-, Hoch- und Sy. stemtechniken. Friedrich Jonas, Die Institutionenlehre Arnold Gehlens, Tübingen 1966, S. 40. Jürgen Habermas, Handlung und System- Bemerkungen zu Parsons' Medientheorie, in: Wolfgang Schluchter, Hrsg., Verhalten, Handeln und System, Frankfurt am Main 1980, S. 69. - Zur Generalisierungsproblematikangesichts der Übergeneralisierungsgefahr vgl. Helmut Spinner, Pluralismus als Erkenntnismodell, Frankfurt am Main 1974, S. 207 und 220 ff. 15 Wie Wi/helm R. Glaser in seinem bereits genannten, ansonsten sehr aufschlußreichen Beitrag zu diesem Band. 13
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Heute sind Belastung und Entlastung postmoderne Allerweltsbegriffe geworden, Chiffren der Indifferenz 16 • Damit verglichen, ist der Entlastungsgedanke bei Gehlen - trotz aller hier vorgebrachten Kritik - vom Erklärungsansatz her ein solider Funktionsbegriff 1, mit allerdings ausufernden, klärungsbedürftigen Bedeutungs- und Leistungszuschreibungen. Aber auch in seiner überdehnten Form kann er immerhin noch als ein regulatives oder wenigstens illustratives "Prinzip" dienen. Um ihn genauer zu fassen, gehe ich von Gehlenseigenen Erklärungen in der Elementaren Anthropologie aus. Hier unterscheidet er zwischen einem allgemeinen und dem "zusätzlichen" Sinn von Entlastung (M 62 ff.). Das elementare Entlastungsprinzip erfüllt die Sonderbedingung des Menschen, seine "Beziehungen zur Welt von der bloßen Gegenwart zu entbinden", zugunsten eines "auf bloße Andeutungen hin variablen Können(s). Am Ende des Prozesses sind große Symbolfelder des Sehens, Sprechens, Vorstellens aufgebaut, in denen man sich bereits ,andeutungsweise' verhalten kann", während "die motorischen Bereiche entlastet und stillgelegt" werden (M 62). Damit ist zunächst einmal der "Bannkreis" der "Unmittelbarkeit des Eindrucks und Einflusses der Reizfülle ... gebrochen, die Kontaktstellen mit ihr sind auf ein Minimum reduziert, aber auf Minima von höchster potentieller Entwickelbarkeit" (M 64), welche die Chance zur "Ausnutzung der Belastung, sie ins Fruchtbare zu wenden" (M 40), eröffnen. Im Hinblick auf die dadurch ermöglichte ,,fortschreitende IndirektheU des menschlichen Verhaltens" (M 64) bekommt der Begriff der Entlastung einen zusätzlichen Sinn von Planung, Voraussicht, Steuerung und Führung der 16 .•• die zu ihrem eigenen Schaden keine Anschlußrationalität zu Geh/ens Funktionsbestimmungen suchen. Vgl. Odo Marquard, Der angeklagte und der entlastete Mensch in der Philosophie des 18. Jahrhundert, in seinem Buch: Abschied vom Prinzipiellen, Stuttgart 1981, S. 39 ff.; ders., Entlastungen- Theodizeemotive in der neuzeitlichen Philosophie, in seinem Buch: Apologie des Zufälligen, Stuttgart 1986, S. 11 ff.; zusammenfassend Ruth Groh und Dieter Groh, Zur Entstehung und Funktion der Kompensationsthese, in: Forschungsbericht 4 der Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Berlin und New York 1991, S. 234 ff. Wo, wie vielfach auch bei Gehlen, Belastungen nicht niederdrücken und Entlastungen nicht von einer getragenen Last befreien, die man nicht länger tragen kann, handelt es sich um philosophische (oder anthropologische) Buchgewinne und -Verluste, die nichts mehr darüber aussagen, wie es wirklich um den belasteten oder entlastenen Menschen steht. Das berühmteste Beispiel dafür ist die vielzitierte, nicht nur von Kar/ Popper polemisch mißbrauchte ,.Last der Zivilisation", welche uns angeblich veranlaßt, in die Geschlossene Stammesgesellschaft ohne ,.belastende" Freiheiten zurückkehren zu wollen: dazu mit ausführlicher Kritik Helmut Spinner, Popper und die Politik, Bd. I, Berlin und Bonn 1978, Kap. 4. 17 • • • wenn auch kaum ein präzise nirgends formuliertes anthropo-biologisches ,.Gesetz", wie gelegentlich genannt (so in der Überschrift M 62): dazu Carol HagemannWhite, Legitimation als Anthropologie, Stuttgart u. a. 1973, S. 245, über GehJens veränderten Gebrauch von ,.Gesetz" und "Prinzip".
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"niederen" Funktionen durch die "höheren", von denen dafür "gewisse Leistungen" übernommen werden (M 64). Das bedeutet zunehmende Schwerpunktverlagerung des Verhaltens "in die ,höchsten', nämlich die mühelosesten, nur angedeuteten Funktionen" (M 65), welche die durch "Ausbildung fundierender, stabiler Basisgewohnheiten" freigewordenen "Motivations-, Versuchs- und Kontrollenergie ... ,nach oben abgibt'" (M 66). Einerseits werden so freigewordene Energien aufgefangen und "geführt", andererseits aber "immer weniger durch Führungsprobleme gebunden", so daß "nun höhere Probleme kultiviert werden können"- mit der Gefahr des Abgleitens "ins Subjektive" 18 oder in den von der Reibung der Realität abgekoppelten Leerlauf des "Luxurierens". Hier gibt es in Gehlens Argumentation polemisch fließende Übergänge, bei inhaltlich gebrochener Argumentation, von den "produktiven" Entlastungsleistungen führenden und geführten Handeins zur "unproduktiven" Entlastung des luxurierenden Geistes in Intellektuellenkulturen. Verständlich wird diese "durchlaufende" Entlastungsidee im einzelnen erst, wenn eindeutig geklärt ist, was die vielfältigen Entlastungen leisten sollen, aber nicht immer können. Dann erst ist eine kritische Überprüfung des sogenannten Entlastungsgesetzes möglich, die zu dem Ergebnis führt, daß das Gehlensehe Entlastungssyndrom erstens in mancher Hinsicht von vornherein anthropologisch mißverstanden wird, weil Weltoffenheit keine "Belastung" ist, von der sich der Mensch "entlasten" müßte; zweitens insofern empirisch fehldiagnostiziert ist, weil sie die falsche Antwort auf das tatsächliche Problem bringt; drittens darüber hinaus philosophisch übergeneralisiert ist, während es in einer spezifischen Fassung völlig richtig und überaus wichtig wäre, vor allem im Hinblick auf das Verständnis von Wissenschaft und Technik; viertens insoweit inhaltlich ambivalent ist, als es gegenläufige Funktionen einschließt und unvereinbare Entwicklungstendenzen fördert, an denen die Wege auseinandergehen, nämlich auf der einen Seite mit hochspezifischen institutionellen Entlastungen hin zur Wissenschaft, auf der anderen Seite durch übergeneralisierte "rein symbolische" Entlastungen weg von ihr (hier scheiden sich zugleich die polemischen Geister, zu denen auch Gehlen gehörte, indem sie entweder in den "Kristallisationen" oder in den "Luxurierungen" die größere Gefahr sehen); fünftens schließlich insgesamt zu diffus ist, um ein differenziertes Verständnis von Wissenschaft und Technik zu ermöglichen, im Zeitvergleich 1s Jonas, a. a . 0., S. 41.
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der früheren ("klassischen") und heutigen ("nachklassischen") Wissensordnung ebenso wenig wie im Sachvergleich von Werkzeugtechnik und Systemtechnik oder im Fachvergleich von Reiner, Angewandter und Realisierter Wissenschaft, also von Theorienwissenschaft, verwissenschaftlichter Praxis und wissensbasierter Technik.
4. Die Entlastungsfrage, genauer gestellt für Null-, Normalund Sonderstellungen des Menschen Was heißt Entlastung? Dieser Schlüsselbegriff schließt sehr heterogene Entlastungsleistungen ein, denen sich nur schwer ein gemeinsamer Sinn entnehmen läßt im Hinblick auf ein durchlaufendes Prinzip, welches die Gesamtkonstruktion trägt. Die funktionell gestellte Entlastungsfrage dazu lautet: (1) WAS wird (2) WOVON, (3) WODURCH, (4) WOZU, und mit welcher WIRKUNG entlastet - und (5) WARUM muß der Mensch überhaupt entlastet werden? Die Suche nach Gehlens mehrstimmigen und vielsinnigen Antworten ergibt, selbst bei Beschränkung auf die einschlägigen Stellen seiner anthropologischen Hauptschrift, eine lange Positionsliste, die hier nur auszugsweise wiedergegeben werden kann: (1) WAS entlastet wird, ist letztlich das Gesamtverhalten des eigentätigen Menschen, auf allen Stufen der Tätigkeitshierarchie, von der elementarsten Motorik bis zur abstraktesten Symbolik - "also z. B. der denkenden oder praktischen Tätigkeit" (M 29), womit der für die spezifischen Entlastungen der Wissenschaft, Kunst und "Theorie" schlechthin, teilweise sogar der Technik so wichtige Unterschied zwischen dem vom Handlungszwang entlasteten Denken und dem damit belasteten "wirklichen" Handeln im Vollsinne von vornherein verwischt wird.
Mag die menschliche Motorik- keineswegs nur die Sprachmotorik (vgl. M 173 ff.) und die anderen "große(n) Symbolfelder des Sehens, Sprechens, Vorstellens" (M 62)- auch noch so symbolaufgeladen sein, so bewegt sie doch noch wirklich etwas, und sei es auch nur eine Augen- oder Handbewegung, während das denkende Erkennen es grundsätzlich nur mit den symbolischen Stellvertretern der Dinge, Ereignisse, Vorgänge zu tun hat und deshalb viel freier, distanzierter, sachlicher, symbolischer, höhergelegen, eben wenn nicht vollständig, so doch stärker entlastet sein kann als das wirkliche Handeln auf freier Wildbahn, mit voller Reibung der Realität. Deshalb kann auch das Denken im allgemeinen und das Forschen der Theorienwissenschaft im besonderen "in Führung gehen", d. h. der allgemeinen Entwicklung gedanklich vorauseilen, ohne wirklich zu führen, also den Gang der Dinge zu bestimmen. Auch diese spezifische Differenz innerhalb der durch
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Entlastung ermöglichten "Führungsleistungen" geht in GehJens momsttschen Wesenscharakterisierungen des Menschen und seines Handelns, der Sprache, Wissenschaft, Technik, etc. unter. Das passiert, wenn man vermeintliche Allkategorien "durchlaufen" läßt und dabei ins Metaphorische übergeneralisiert. Das ist umso erstaunlicher, als Gehlen dieser Unterschied durchaus bewußt ist und mit der treffenden Formulierung der bloß noch "andeutenden" (M 65, 172 et passim) Symboltätigkeit treffend benennt und schön beschreibt "als eine Art sensornotorische ,Unterhaltung' mit den Dingen" (M 165/88) - genauer: über die Dinge 19• Das wäre genau jene "ansprechende" Art durchaus aktiven Verhaltens, welche "nichts praktisch verändert ... die Bedingung alles ,theoretischen Verhaltens'" (A 52). Denken, Sprechen, Schreiben über gedachte Taler ist sehr verschieden vom Machen, Haben, Bewegen wirklicher Taler, obwohl ersteres viel aufschlußreicher sein kann, wie die Wissenschaft der Ökonomie zeigt, die mit der Geldtheorie in Führung gehen kann, ohne die Geldwirtschaft führen zu müssen. Daß das entlastete menschliche, zumal das besonders entlastete wissenschaftliche Denken im institutionellen Sondermilieu der akademischen Wissenschaft 20 die elementaren Bewegungen, Wahrnehmungen, Erfahrungen "in einer sozusagen müheloseren und freieren Form fortsetzen" (M 19) kann, ist Gehlen ohne weiteres zuzugestehen. Aber daß in allen Fällen "gewisse Strukturen . . . nachweisbar identisch sind" (M 19), steht im folgenden kontrovers zur Debatte21 • Innerhalb dieses pauschal entlasteten menschlichen Gesamtverhaltens werden Teilbereiche und-aktivitätenwie die Sprache, Wahrnehmung, Erfahrung als entlastend und/oder entlastet angeführt, ohne die spezifischen Entlastungen auszudifferenzieren - von Ausnahmen abgesehen, wenn "Entlastungstechniken" die spezielle Funktion der "Organentlastung" zugeschrieben wird (vgl. S. 7 ff.). 19 Vgl. auch Gehlens richtungsweisende, tendenziell richtige Definition des Symbols: "Ein Symbol . .. im strengsten Sinne (liegt) sogar nur da vor, wo es von dem Bezeichneten abhebbar wird und also etwas anderes bedeutet, als es selbst ist" (M 213). Man könnte mit Kar/ Bühler (Sprachtheorie, 2. Aufl, Stuttgart 1965, S. 24 ff.) noch die physische Unähnlichkeit von Zeichen und Bezeichnetem bei der "symbolischen Naturwiedergabe" (wie es in den älteren Kunstgeschichten so schön heißt) hinzufügen. 20 Dazu ausführlich Helmut Spinner, Das ,wissenschaftliche Ethos' als Sonderethik des Wissens, Tübingen 1985. 21 Daß die Sprache "dieselbe Struktur wie die vorsprachliehen Entlastungsleistungen besitzt", obwohl "das "Element der Sprache selbst" in dieser Struktur noch nicht enthalten ist", wird bereits von Jansen (a . a. 0 ., S. 138) in Frage gestellt.- Ich nehme diesen guten Einwand auf für die spätere Frage nach den spezifischen, durch das institutionelle Sondermilieu einer sozial exterritorialisierten "Wissensordnung" erst ermöglichten wissenschaftlichen Entlastungsbedingungen und -Wirkungen.
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(2) Wovon entlastet werden soll, ergäbe eine nicht weniger umfangreiche Liste, aus der nur die wichtigsten Posten herausgegriffen werden sollen. Sie reicht, abgesehen von der bereits erwähnten und notorisch überschätzten "Reizüberflutung" (M 36, 41 ff.), vom vermeintlichen "Urphänomen" des "unmittelbaren Verhaltens" (M 282) bis zu all dem, was auf den Menschen Druck ausüben könnte, selbst wenn er es gar nicht unbedingt als bedrückend empfinden mag: Begierden, Bedürfnisse, Triebe, Interessen, Zwecke, eigene oder fremde Anforderungen, innere und äußere Umstände, Zwänge, Gefahren22.
Aber das ist noch lange nicht alles. Entlastet können und müssen wir ferner werden "von der bloßen Gegenwart" (M 62; ähnlich M 256) und "vom Jetzt und beliebigen Wechsel der Hinsichten" (M 236); von der "Unmittelbarkeit des Eindrucks", um ihren "Bannkreis" zu brechen (M 64), und "vom unmittelbaren Verhalten" (M 282); "von unmittelbar instinktiven Einschüssen und Vorausanpassungen" (M 165); bei den Sinnesorganen "vom Instinktdienst" (St 68). " .. . unter dem Entlastungsgedanken" steht auch die Luhmanns ebenso allgegenwärtige Komplexitätsreduktion vorwegnehmende Gehlensehe Überraschungsfeld-Reduktion (vgl. M 174). Vor allem aber soll der Mensch entlastet werden von allen Überlastungen. Was aber von ihm als tragbare Normallast und was als untragbare Überlast empfunden wird, wäre nicht kategorisch zu postulieren und aus teils kontrafaktischen Annahmen zu deduzieren, sondern ist eine empirische Frage, die man allerdings nur mit Hilfe eines präzisisierten theoretischen Konzepts beantwortbar stellen kann. (3) Wodurch der Mensch entlastet wird, läßt sich mit einer Hauptthese und mehreren Zusatzhypothesen beantworten. In der Hauptsache sind es die entlastenden Symbolisierungsleistungen der Sprache (dazu ausführlich A 50 ff.), breit ausgefächert zum Entlastungsspektrum der niederen und höheren Symbolsysteme mittels Generalisierung (so daß "die Leistung eines Sinnes genügen muß", um den ganzen Erfahrungskontext zu symbolisieren: M 177), Habitualisierung, Institutionalisierung und Kristallisierung (vgl. St 311 ff.). Letztlich sind es also Regeln und Ordnungen, durch die der Mensch sich selbst entlastet und- aber das geht bereits über Gehlen hinaus- "entlastet" wird, ob er will oder nicht. Dementsprechend erscheint Entlastung dem Menschen als Befreiung (von echten Lasten), Entbindung (von Restriktionen), Botkoppelung (von Passungen); bei Überentlastung als Bothemmung (zum "Luxurieren", gemäß GA IV, 138 ff.) und bei Unterentlastungen vielleicht auch als Entfremdung. (4) Wozu Entlastungen dienen und welche Auswirkungen sie haben (sollen), hängt von ihren Funktionszuschreibungen ab. Wie die Belastungen, so ist auch 22
Vgl. die keineswegs vollständige Aufzählung bei Habermeier, a. a. 0., S. 263 ff.
3 Speyer 113
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die Entlastung für Gehlen keine empirische Frage, sondern ein konstitutioneller Tatbestand jener mit seinem vollständigen System aller wesentlichen Merkmale (gemäß M 17) implizit definierten Menschenverfassung, die kategorische Feststellungen erlaubt. Demnach sind Entlastungsleistungen beim Menschen universal und multifunktional, mit mindestens folgenden vier Funktionsbestimmungen: Im "ersten Ansatz" (M 63) bewirkt die Befreiungsfunktion beim negativ bestimmten Mängelwesen Mensch einen anthropologischen Vorzeichenwechsel, indem sie ihn von den biologischen Altlasten befreit (um es in der Entsorgungssprache unserer Zeit zu sagen) und zu einem ins Positive gewendeten Chancenwesen macht. Gemäß dem "zusätzlichen Sinn" der Verschiebungsfunktion erfolgt dabei eine Verlagerung der Energien des "Verhalten(s) ,nach oben'" (M 359), mit neuer "Schwerpunktbildung" in den "höchsten" Schichten des nur "andeutenden" Verhaltens (M 65). Dadurch wird, auf verdächtig buchstäbliche Weise des gleichzeitigen Übedegens und Übersehens, "Übersicht" (M 1273) möglich: zur Führung zunächst der eigenen Angelegenheiten, aber auch darüber hinausgehend in einem ganz handgreiflichen Sinn. ("Wer selber arbeitet, verliert die Übersicht", sagt ein serbisches oder kroatisches Sprichwort, das Hans Lenk von einer Jugoslawienreise mitgebracht hat.) Die Doppeldeutigkeit der Entlastung kann mit der pädagogischen Formel "führen und geführt sein" umschrieben werden. Energien werden durch Verlagerung "nach oben" zwar für Führungsaufgaben freigesetzt, zugleich aber aufgefangen und geführt. Neben dieser von Gehlen selbst herausgestellten kumulativen Doppelfunktion der pauschalen Entlastung des Gesamtverhaltens schlechthin kraft allgemeinmenschlichem Sprach besitz, hat das Entlastungsprinzip aber auch eine konträre Doppelfunktion, an der sich die Wege der spezifischen Be- und Entlastung bestimmter Teilbereiche scheiden. Die Problematisierungsfunktion - welche Gehlen aufgrund seiner immer wieder durchbrechenden Vorbehalte in Grenzen zu halten versucht - der Entlastung liegt darin, daß auf der höheren Ebene mit den freigewordenen Energien "in einer sozusagen(! H . S.) müheloseren und freieren Form" (M 19) nun auch "höhere Probleme kultiviert werden können", wobei allerdings "eine sehr gefährliche Wendung ins Subjektive" 23 zu befürchten ist. Ihr wirkt die Entproblematisierungsfunktion entgegen, welche die Führung des entlasteten Lebens immer unproblematischer macht, insbesondere durch die Selbstverständlichkeiten der das alltägliche Verhalten der Individuen "hinter dem Rücken ihres Bewußtseins" (M 403) kanalisierenden Institutionen. Die Entproblematisierungsformel "hinter dem Rücken des Bewußt23
Jonas, a. a. 0., S. 41.
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seins" ist hier zwar zunächst auf das tierische Ernährungs- und Fortpflanzungsverhalten gemünzt, trifft aber auch auf das menschliche Verhalten zu, wenn Institutionen "kristallieren" (so schon wörtlich in M 403, später ausführlich in St 311 ff. ). "Luxurierungen" und "Kristallisationen" sind die Endpunkte dieser gegenläufigen Prozesse, mit deutlicher Bevorzugung der letzteren bei Gehlen. Aber nicht nur beim Kristallisierungseffekt, sondern durchgängig erweist sich die Entlastung immer auch als gleichzeitige Entproblematisierung durch Reduktion und Fixation der Möglichkeiten. Damit schlägt sie tendenziell um ins Gegenteil von jener problemerweiternden Entlastungsleistung der Wissensordnung für freies Denken, Meinen, Forschen, Lehren, Publizieren, Argumentieren. Das verhält sich letztlich zueinander wie Ordnung und Gegenordnung.
(5) Warum sich der Mensch entlasten muß, scheint eine überflüssige Randfrage zu sein. Tatsächlich ist es die Hauptfrage, die von Gehlen vernachlässigt wird. Entlasten muß sich der Mensch von Tatbeständen, die ihn belasten. Da es sich dabei für Gehlen um kategorial erfaßte "konstitutionelle" Vorbelastungen handelt, die in der biologischen Menschenverfassung wurzeln, spielen erfahrungswissenschaftliche Analysen und empirische Befunde dabei eine erstaunlich geringe Rolle. Belastung und Entlastung sind Zwillingsbegriffe, mit einem Erstgeburtsrecht für jene, während diese immer strikt darauf bezogen sein müßte, zwecks "Ausnutzung der Belastung", um sie "ins Fruchtbare zu wenden" (M 40). Gehlen dreht dieses Gewichtsverhältnis um, indem er Entlastungen postuliert, für die er zugehörige Belastungen voraussetzt, also sozusagen aus der Summe der Entlastungen rückrechnet, statt sie unabhängig davon empirisch nachzuweisen. So wird aus der Weltoffenheit des Menschen von vornherein "ein negativer Sachverhalt" (GA IV 58). Überhaupt sind die Merkmale des Mängelwesens Mensch, "wenn man sie unter den sonst bewährten biologischen Gesichtspunkten betrachtet, durchweg ,Belastungen"' (GA IV, 94). Angesichts dieser anthropologischen Negativvoreinstellung des Menschen können wir deshalb "ohne den Begriff der Entlastung nicht auskommen", um die erst dadurch gewonnenen "Lebenschancen" zu erfassen (GA IV 94). Wo eigentlich aber liegen diese Chancen, die der Mensch suchen muß und ausnutzen kann? Wenn Entlastung die angemessene, (über- )kompensierende Antwort auf eine vorangehende Belastung sein soll, ergibt das nur Sinn, wenn der angenommene Tatbestand für den Menschen wirklich belastend ist. Von der angeblichen Belastung durch seine Weltoffenheit völlig abgesehen, ist das meines Erachtens bei einem Großteil der angeführten Tatbestände nicht der Fall. Nicht jedes Problem belastet, nicht jede Lösung entlastet! 3.
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Was Belastung und was Entlastung ist, bemißt sich nach anderen Maßstäben, die nicht "durchlaufend" sind ohne Rücksicht auf Null-, Normal- und Sonderlagen des Menschen. Beginnend mit der notorischen "Reizüberflutung", kalkuliert Gehlen nur zwei Reaktionsmöglichkeiten ein: entweder eigentätige Entlastung oder Zusammenbruch des individuellen Informationssystems. Letzteres ist aber nur eine, nämlich die schiechtestmögliche von vielen Alternativreaktionen24 • Reizüberflutung infolge der Weltoffenheit ist ebenso wenig eine Belastung wie Poppers "Last der Zivilisation" oder die aus apologetischen Gründen vielzitierten Entscheidungslasten der Verantwortlichen. Das alles gehört zur Normalstellung des Menschen, die ihn nur dann sonderlich belastet, wenn ihm die Mittel und Möglichkeiten genommen werden, damit zu leben und seine Chancen wahrzunehmen. Solange das nicht der Fall ist, kann man normalerweise mit vielen Möglichkeiten ganz gut leben, die einem nur in Ausnahmefallen "zuviel" werden. An Reizüberflutung ist noch keiner gestorben, es sei denn - bezeichnenderweise - in der wider Willen bestehenden Ausweglosigkeit der Folter (durch Licht, Lärm, etc.), wenn der Mensch daran gehindert wird, sich seiner Auswahlmöglichkeiten und Abwehrmittel zu bedienen. Hier rächt sich Gehlens Versäumnis, die vermeintlichen Entlastungsleistungen nach Art des obigen Tatbestands- und Funktionskatalogs im einzelnen aufzugliedern und Punkt für Punkt zu untersuchen. Deshalb konnten sich in GehJens Lagebild von der Menschenverfassung Sachverhalte ganz anderer Natur einschleichen, die weder Belastungen noch Entlastungen sind. Was der Mensch zum Beispielangesichts der "Reizüberflutung" tagtäglich macht, ist Selektion von Informationen, Wahrnehmungen, Verhaltensmöglichkeiten, deren Überangebot ihn nur dann belastet, wenn er durch Zwang, Streß, Zeitdruck etc. nicht normal darauf reagieren kann 25 • Andere vermeintliche Belastungstatbestände und Entlastungsleistungen wären angemessener als Orientierungsverhalten in hochpluralen Situationen zu beschreiben, womit wir beim hier nicht zu diskutierenden Thema der Rationalität 24 Vgl. James G. Miller, Information Input Overload and Psychopathology, American Journal ofPsychiatry, Vol. 116, 1960, S. 695 ff., zur Aufzählung der Anpassungsmechanismen S. 697. - Eine knappe Zusammenfassung weiterer relevanter Forschungsergebnisse bringt Klaus-Peter Muthig, Informationsaufnahme und Informationsverarbeitung, in: Carl Graf Hoyos und Bernhard Zimolong, Hrsg., Ingenieurpsychologie (Enzyklopädie der Psychologie, Themenbereich D , Serie III, Bd. 2), Göttingen, Toronto, Zürich 1990, S. 92. Die pathologischen Fälle, welche Gehlen mit der Normalstellung und -einstellung des gerne durch Fülle "belasteten" Menschen verwechselt, gibt es durchaus, aber das hat mit Reizüberflutung nichts zu tun. Extremfälle dieser Art schildert Oliver Sacks, Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte, Reinbek bei Harnburg 1987. 25 Vgl. die lehrreiche TÜV-Studie: B. Färber, Geteilte Aufmerksamkeit- Grundlagen und Anwendung im motorisierten Straßenverkehr, Köln 1987.
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wären26 • Im Unterschied zu Gehlens Belastungs/Entlastungs-Szenarien oder Niklas Luhmanns "Chaos der Möglichkeiten" geht es hier nicht um die Reduktion von Komplexität, sondern um deren Aufrechterhaltung und Ausnutzung als Chancenpotential, das man sich nicht gerne beschneiden läßt. Hat Gehlen je Jugendliche gefragt, ob sie die Reizüberflutung belastet? Daß hier grundsätzlich weniger besser wäre, ist der verquere Leitgedanke einer verfehlten Anthropologie, welche die "unkristallisierten" Motive und Möglichkeiten des "ungeführten" Menschen aus Mißtrauen gegenjene Freiheit unterschätzt, welche die Frucht der Entlastung sein soll. Belastet und dringend entlastungsbedürftig ist der Mensch eher durch ein Zuwenig statt Zuviel an "Reizen" und "Chancen". Hier ist der Mensch in der modernen Gesellschaft ein hochbelastetes Mänge/wesen! Die entgegenstehende Fehleinschätzung zieht sich durch die mit konservativer Kulturkritik belastete anthropologische, philosophische, soziologische und (hier heute am wenigsten) psychologische Literatur von Freud, Fromm, Popper bis Gehlen, Schelsky, Lübbe. Ihreneueste Version heißt "Orientierungskrise"Y Daß die Sache mit der Entlastung auch übertrieben werden kann, ist Gehlen selbst aufgegangen, allerdings in einem fatalen Zusammenhang, der das ganze Belastungs/Entlastungskonzept desavouiert. Symbolisierung durch Sprache und Theoretisierung durch symbolische Naturwiedergabe ermöglichen eine fast ungehinderte Problematisierung, so daß "die Aufgaben der Deutung der Welt ... erst volle Freiheit, d. h. völlige Entlastung vom Jetzt und beliebigen Wechsel der Hinsichten gewinnen" (M 236). Diese Freiheit des Wechsels der Hinsichten, Ansichten, Vorstellungen treibt die Problematisierungsfunktion im praxisenthobenen theoretischen Verhalten auf die Spitze: im wissenschaftlichen Erkennen, in der künstlerisch- literarischen Produktion, im intellektuellen Diskurs, in der pluralistischen Meinungsvielfalt, kurz: im Denken und Reden und Schreiben der "Mundwerker". I
Angesichts dieser Entwicklung der Reflexionskultur und -kunst (vgl. Z 220 ff.) wird Gehlen inkonsequent, indem er einige, in seiner Sicht zu weitgehende und aus kaum verhüllten ideologischen Gründen für unerwünscht gehaltene Entlastungswirkungen zurückzunehmen versucht, wo sie zu "luxurieren" beginnen. Hier werden der Problematisierungsfunktion durch zusätzlich auferlegte einschränkende Bedingungen willkürliche Schranken gesetzt. Das geschieht insbesondere durch die ad hoc eingeführte, 26 Im Sinne des an anderer Stelle ausgearbeiteten dualen Rationalitätskonzepts der "Doppelvernunft" für qualifiziert orientiertes Verhalten: vgl. Helmut Spinner, Vereinzeln, Verbinden, Begründen, Widerlegen, in: Philosophie und Begründung, hrsg. vom Forum für Philosophie Bad Homburg, Frankfurt/Main 1987, S. 13 ff. 27 Vgl. Hermann Lübbe et. a/. , Der Mensch als Orientierungswaise?, Freiburg und München 1982.
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aus seinen fundamentalen anthropologischen Theoremen28 schwerlich ableitendeUnterscheidungzwischen produktiver und enthemmender Entlastung bzw. zwischen Überbe- und -entlastung, wenn "sich der Mensch zu sehr vom Ernst der Wirklichkeit, von der Not, vom ,Negativen"' entlastet (GA IV 139), vornehmlich "zu Lasten der Arbeit anderer" (GA IV 73), Schelskys späteres Titelthema vorwegnehmend). Gegen das schrankenlose Problematisieren und enthemmte Luxurieren bei Überentlastung bringt Gehlen als vermeintlich anthropologische Schranke "unser Lebensgesetz" in die Debatte: "Verengung der Möglichkeiten, aber gemeinsamer Halt und gemeinsame Abstützung; Entlastung zu beweglicher Freiheit, aber innerhalb begrenzter Gefüge" (Mo 96). Richtig daran ist, daß unsere Möglichkeitende facto immer begrenzt sind auf endlich viele, zumeist nur sehr wenige wählbare Alternativen. Es mag ohne weiteres zutreffen, daß es dafür auch anthropologische, in der Ersten oder Zweiten (Kultur) oder Dritten (Technik) Natur des Menschen liegende Grenzen gibt, die aber nicht entfernt so eng gezogen sein dürften, wie Gehlen sie ad hoc zieht. Die Frage ist nicht, ob wir in der vermeintlich überentlasteten Kunst und Wissenschaft oder gar in der heute eher belastenden Technik, von der belasteten Gesellschaft ganz zu schweigen, diese Grenzen überschreiten, sondern ob wir sie je erreichen und in ihren Möglichkeiten auch nur annähernd ausschöpfen können. Wozu die Entlastungen zur Freiheit, wenn wir diese Chancen nicht ungehindert ausloten dürfen? Es gibt im Bezugsrahmen der Gehlensehen Anthropologie, den wir um des Arguments willen einmal akzeptieren, keinerlei Grund zur Kristallisationsannahme, wonach in 2~ ••• über deren Stellenwert und Inhalt er sich zuweilen selbst nicht völlig im klaren zu sein scheint, insbesondere bei der Einordnung der Wissenschaft in das Spannungsverhältnis der Problematisierungs- und Entproblematisierungsfunktionen des Entlastungsprozesses sowie dessen auskristallisierten oder luxurierenden Ergebnissen. Nach der Erstauflage 1956 ist "das Erkennenwollen um seiner selbst willen ... eine kulturelle, keine anthropologische Kategorie" (S. 72), während es in der hier zitierten 4. Aufl. 1986 spitzfindig heißt: "Das Erkennen um seiner selbst willen ist eine anthropologische, dem Menschen wesenseigene Kategorie; das bewußte, disziplinierte Wollen dieses Erkennens dagegen ein kulturell spätes Resultat" (U 64 ). Unklar bleibt damit der Status der (Reinen) Wissenschaft, welche Erkenntnissuche aus uninteressiertem Wohlgefallen (um Kants Ästhetik zu paraphrasieren) an der Wahrheit betreibt. Ist sie eine wesenseigene "urmenschliche" Aktivität des Menschen oder eine "spätkulturelle" Zutat, die das Risiko des ausufernden Luxurierens in sich trägt und von der Gesellschaft "zwar noch sustentiert" (U 65) wird, ohne dafür noch etwas erwarten zu können? Wenn nach Gehlen Philosophie und Künste diesen luxurierenden Zustand "heute nahezu erreicht" (U 65) haben, wäre das Gleichgewicht von Entlastung und Kompensation aufgehoben. Entgegen der Marquardschen Kompensationstheorie blieben die luxurierenden Geisteswissenschaften und Künste ihre durch ausgleichende Kompensation erst fortschrittsermöglichende Leistung schuldig, die sie demnach nur durch ihr scheinbar nutzloses "Luxurieren" erbringen können. Auch hier scheut Gehlen vor der letzten Konsequenz seines Ansatzes zurück.
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irgendeinem Bereich "die darin angelegten Möglichkeiten in ihren grundsätzlichen Beständen alle entwickelt" (St 320) sein könnten. Am wenigsten gilt das für Wissenschaft und Technik, für deren heutiges Verständnis Gehlen sich durch die Inkonsequenz des abgebrochenen Entlastungsgedankens den Weg verbaut. Daran ist auch dadurch nichts mehr zu retten, daß er entgegenkommenderweise "den Detailfortschritt der . . . Einzelwissenschaften gerade nicht ausschließt . .. " (St 321). Gottfried Benns Motto "Rechne mit deinen Beständen" (beifällig zitiert in St 323) wäre, ob wir es wollen oder nicht, die Gegenparole zum heutigen wissenschaftlich/ wirtschaftlich/technischen Fortschritt, den wir damit weder verstehen noch aufhalten könnten, wenn wir es wollten. Ich fasse die hier eingenommene Gegenposition zu GehJens Entlastungsfrage in fünf Antithesen zusammen. Nach der J. Antithese zum Ausgangstatbestand hat Gehlen insoweit den "Gegenstand" der Entlastung anthropologisch mißverstanden, indem er als seine analytische Nullstellung eine ursprüngliche Belastungssituation des Menschen angenommen hat, von der er erst entlastet werden müsse, um eine Überlebenschance zu haben. Dagegen ist eingewandt worden, daß die "Belastungen" selber das als Mitgift der Natur ererbte Humankapital seien (um es in der Sprache der modernen Ökonomie zu sagen), mit dem er wuchern kann. Es gibt keine erbsündeartige originäre Belastung, wohl aber sekundäre Belastungen, die hinzugekommen sind, somit eher zum Wesen der Zweiten und Dritten Natur gehören und hier Entlastungen erfordern. So ist beispielsweise heute die Umwelt sekundär belastet und müßte dringend entlastet werden. Es hat aber wenig Sinn, die Normalstellung des Menschen zur "Belastung" zu erklären, mit der er in der Evolutionsgeschichte weit besser zurechtgekommen ist als andere, vermeintlich unbelastete Organismen. Warum sollte man offenkundige Evolutionsvorteile in Nachteile uminterpretieren? Mit den sekundären Belastungen- zum Beispiel der Informationsflut, in der er zu ertrinken droht- wird der Mensch durch Selektion nach Relevanzgesichtspunkten fertig, also mittels selektiver Aufmerksamkeit und Wahrnehmung, partieller Informationsaufnahme und -Verarbeitung, differenzierter Denkweisen und Darstellungsformen, limitierter Speicher mit Ablagerungs- und Löschungsvorrichtungen, u. dgl. Dies alles wird nach meiner 2. Antithese von Gehlen als "Entlastung" empirischfehldiagnostiziert. Übrigens ist insoweit die Problemlage des Menschen von der des Tieres nur graduell verschieden, welches durch seine Umwelt ebenfalls reizüberflutet wird und auswählen muß, dies allerdings mehr instinktiv tut aufgrund von biologischen Voreinstellungen.
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Richtig und wichtig an Gehlens Entlastungsprinzip ist, daß sich der Mensch im wesentlichen und am weitestgehenden - anders und mehr als jedes Tier! -durch Symbolisierung entlastet, vor allem durch den Symbolgebrauch der Sprache. Aber dieser unterschiedslos auf die ganze Menschheit übertragene Entlastungsgedanke ist, wie das Symbolsystem der Sprache selber, von dem er nicht abgehoben wird, gemäß der 3. Antithese zwar zutreffend, aber philosophisch übergeneralisiert und kann die spezifische Entlastung der Wissenschaft und Technik nicht erfassen.
Entlastung als Entdifferenzierung, Enthemmung, Entfremdung, Entbindung, Entproblematisierung - in den beiden gegensätzlichen Grundrichtungen der Schließung (Habitualisierung, Verringerung der Möglichkeiten, Kristallisation) und Öffnung (Symbolisierung, Theoretisierung, Luxurierung) - ist eine methodisch zu globale, inhaltlich zu diffuse Kategorie für ein angemessenes Verständnis der auf spezifischen Entlastungen beruhenden Sonderstellung von Wissenschaft und Technik. Sie entspricht weder der einen noch der anderen Auslegung, obwohl für das Verständnis von Wissenschaft und Technik das Entlastungskonzept eine Schlüsselidee ist, wie wir noch sehen werden. Entlastung hat bei Gehlen eine Doppe/funktion, mit gegenläufigen Tendenzen. Einerseits geht sie in die richtige Richtung, indem sie tatsächlich von Handlungs- und Entscheidungszwang entlastet, dadurch "andeutendes" symbolisches Verhalten und distanziertes theoretisches Erkennen, Problematisierung und Objektivierung ermöglicht. Andererseits führt sie in der von ihm dagegen ausgespielten anderen Richtung zu habituellem, standardisiertem, entdifferenziertem, entproblematisierendem Verhalten, mit der Tendenz zur Schließung statt Öffnung des Verhaltens für neue Möglichkeitengemäß unserem angeblichen "Lebensgesetz" einer tendenziellen "Verengung der Möglichkeiten" (Mo 96). Das ist Gehlens "Prinzip der wenigen Möglichkeiten" (U 188), als Gegenstrategie zum pluralistischen Luxurieren der freischwebenden ldeenbildung. Nach der 4. Antithese ist Gehlens Entlastungskategorie inhaltlich ambivalent im Sinne der beiden erläuterten gegenläufigen Tendenzen, deren Endpunkte mit zwei polemisch aufgeladenen Extrembegriffen bezeichnet wird: Kristallisation und Luxuration. Damit verfehlt Gehlen, was dazwischen liegt. Das ist die weder so noch so getroffene, sondern spezifisch entlastete Wissenschaft. Mit der 5. Antithese wird nicht nur die Notwendigkeit der primären Entlastung bezweifelt, sondern auch ihr Nutzen. Wenn die vermeintlich belastenden Tatbestände das Positivum des Menschen bilden, wäre hier die Vorzeichenänderung durch Entlastung verkehrt, im Gegensatz zu den sekundären Belastungen und Entlastungen.
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111. Die sekundäre Sonderstellung der Wissenschaft in der Gesellschaft I. Entlastung durch Symbolisierung, generalisierte Entlastung durch übergeneralisierte Symbolisierung
Zurück zum Ausgangspunkt: Das ist der meines Erachtens richtige, aber verwässerte Leitgedanke der primären Entlastung "vom unmittelbaren Verhalten" (M 282) durch dessen Umschaltung auf Symbolsysteme. Entlastung in diesem Sinne heißt: Befreiung vom Handlungszwang des direkten Tuns, nicht mehr und nicht weniger. Solche Art von Entlastung kann nicht immer und überall sein. Sie ist ein Sonderfall, sei er nun Nachteil (bei dem von unmittelbaren Einwirkungsmöglichkeiten abgeschnitten freischwebenden Intellektuellen) oder Privileg (wie bei der handlungsentlasteten Freien Forschung & Lehre im akademischen Sondermilieu). Wir müssen diesen Weg zum Ausgangspunkt zurückgehen, weil Gehlen den richtigen Leitgedanken hat, ihn aber in die falsche Richtung weiterführt. Der Grundgedanke der Entlastung durch Umschalten auf den stellvertretenden Gebrauch von Symbolen anstelle des physischen Hantierens mit den Dingen umfaßt drei Momente: (1) Schaffung von relativ autonomen Symbolfeldern als Sonderbereiche (vgl. M 214 ff.)- aber nicht, um durch entlastende Gewohnheitsbildung (vgl. M 65 ff.) "die Kettenreaktion des Problematisierens" (M 305) durch Schaffung von Gewißheit zum Abschluß, sondern um sie durch entlastete Gedankenbildung voll in Gang zu bringen! (2) Entlastung dieser Bereiche nicht im Handeln, sondern von ihm, um auf dem so höhergelegten Erkenntnisniveau im Denken, Sprechen, Schreiben, Forschen möglichst unbeschwert von praktischen Erfordernissen und empirischen Randbedingungen "symbolisch" agieren zu können, sozusagen ohne Reibung der Realität. (3) Zurücktreten und Zurückdrängen der Handlungskomponente zugunsten handlungsarmer oder -loser "theoretischer" Verhaltensweisen auf höherer Ebene. An die Stelle der praktischen Manipulation und direkten Intervention tritt die darstellende Wiedergabe und gedankliche Analyse der Realität in der "Zwischenwelt" stellvertretender Symbole. Das ermöglicht kritische Distanzierung von der unmittelbaren Realität und bewußte Problematisierung der Gegebenheiten und Gewohnheiten, mit "fortschreitender Indirektheil" (M 64) des Verhaltens nicht nur zu sich selbst (wie bei Gehlen), sondern mehr noch zur äußeren Welt als Erkenntnisgegenstand. Das heißt aber meines Erachtens, entgegen Gehlens Grundrichtung in seiner "instrumentalen Lösung" des Erkenntnisproblems (vgl. M 255): daß
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dieses symbolische, spirituelle Verhalten (Denken, Darstellen, Erkennen, etc.) immer weniger "wesentlich auf die Handlung bezogen" (M 255) ist und nur noch metaphorisch darauf bezogen werden kann. Gehlen mag ja durchaus recht haben mit seiner These einer "gemeinsame(n) Wurzel von Erkenntnis und Handlung" (M 43). Aber diese Wurzel könnte inzwischen abgestorben sein zugunsten eigener Eigenschaften des fort- und auseinanderentwickelten Erkennensund Handelns, wenn ersteres zum Selbstzweck autonomer Wissenschaft wird. Das ist eine auch von Gehlen in anderem Zusammenhang gebrauchte Argumentationsmöglichkeit.
Gleichzeitig wird durch dieses Höherlegen die von Gehlen herausgestellte "Umkehr der Antriebsrichtung" auf Selbstzweck-Verhalten wenn nicht gefördert, so zumindest ermöglicht und begünstigt. Das ist wichtig für die Wissenschaft (und kollidiert mit der viel stärker zweckgezogenen, von vornherein "finalisierten" Technik). Dieser Leitgedanke symbolischer Entlastung ist durchaus verallgemeinerungsfähig, ohne Gefahr der Übergeneralisierung, wenn wir bei seiner Übertragung auf andere Tatbestände oder Bereiche die inhaltlichen Bestimmungen und empirischen Randbedingungen von Gehlens eigenem Belastungs/Entlastungs- Argumentationsgang überall "mitnehmen" und unverkürzt auf die neuen Problemlagen anwenden, mit folgenden Positionen: Erstens die anthropo-biologische Ausgangsfrage nach der zu lösenden Aufgabe: "Man sehe sich dieses sonderbare und unvergleichliche Wesen an, dem alle tierischen Lebensbedingungen fehlen, und frage sich: vor welchen Aufgaben steht ein solches Wesen, wenn es einfach sein Leben erhalten, sein Dasein fristen, wenn es seine bare Existenz durchhalten will?" (M 16). Zweitens die unter den Bedingungen der Belastung bestehende Unlösbark eit dieser Aufgaben, "die mit dem bloßen Dasein gegeben wären, aber nicht gelöst" (M 10) sind. Drittens die biologische Mängelhaftigkeit der menschlichen Ausstattung zur Lösung dieser Aufgaben. Viertens die Notwendigkeit der Mängelkompensation durch Entlastung und deren Fruchtbarmachung zur Aufgabenlösung. Folglich darf im Vollsinne dieser meines Erachtens folgerichtigen Argumentation in "durchlaufender", verallgemeinernder Interpretation immer dann von Belastung und Entlastung gesprochen werden, ohne zu übergeneralisieren, wenn die vier ursprünglichen Gehlensehen Bedingungen erfüllt sind und sozusagen "mitlaufen": (1) Vorliegen bestimmter Aufgaben von vitaler Bedeutung, die "mit dem bloßen Dasein" dem Menschen auferlegt sind wie eine Last, bei Strafe der Existenzgefährdung im Falle der Verweigerung oder des Versagens.
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(2) Unlösbarkeit mit den gegebenen Mitteln. (3) Ausstattungsmangel des Menschen als Grund der Unlösbarkeit. (4) Lösbarkeit auf der höheren Ebene auf dem Weg der Entlastung und Kompensation, mit Hilfe zusätzlicher Möglichkeiten und Mitteln, die der Mensch eigentätig als extrakorporale aber humanintegrale Zusatzausstattung ausbilden kann - bei Techniken zum Beispiel im Sinne Geh/ens authentischer Interpretation als Organverlängerung und Organverstärkung, während der Organersatz für nicht vorgesehene Organe darüber bereits hinausgeht (dazu später). Damit ist eine theoretisch eindeutige, praktisch naturgemäß schwerer bestimmbare Grenze gezogen, die "degenerative Problemverschiebungen" 29 durch Übergeneralisierungen ausschließt. Sie kämen zustande, wenn es um die Entlastung von nicht belastenden Ausstattungsdefiziten zur Lösung nicht gestellter, zum (Über-)Leben nicht lösungsbedürftiger Aufgaben ginge. Das alles kann als kulturelle Extras zum Belastungs/Entlastungssyndrom hinzukommen, würde aber von Geh/ens argumentativer Konstruktion nicht mehr getragen - wie meines Erachtens der Großteil moderner Techniken, aber auch der geistigen Überbauten. Unsinnig wäre es also, dem Menschen die mangelnde Flugfähigkeit als Minderausstattung für eine Daseinsaufgabe anzulasten und das Flugzeug zum organentlastenden, -verlängernden oder -ersetzenden Werkzeug zu erklären. Flugzeuge sind technische Zugaben, die nichts kompensieren, was je gefehlt hätte. Es widerspräche der richtig verstandenen Argumentation Geh/ens, in analoger Interpretation zu sagen, daß das Flugzeug die menschlichen Beine entlasten oder in seinem Bauplan gar nicht vorgesehene Flügel ersetzen würde. Hier liegt vielmehr eine Disanalogie zum Ausgangstatbestand vor, wobei das Prinzip der Aufgabenstellung und Problemlösung ausgewechselt worden ist.
2. Gehlen auf den Kopf gestellt: Die Normalstellung des vollbelasteten Alltagshandeins und die Sonderstellung des institutionell entlasteten Wissensbereichs Die Sprache ist ein übergeneralisiertes Medium im Allgemeinbesitz der Menschheit, dessen Symbolgebrauch für keinen Handlungsbereich spezifisch ist. Das gilt folglich auch für jene ebenso universellen und unspezifischen Entlastungen, die mit der Sprachentwicklung einhergehen und zum Tier (und Computer) einen wesentlichen Unterschied machen, nicht aber 29 Im Sinne von Imre Lakatos, Falsifikation und die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme, in: ders. und Alan Musgrave, Hrsg., Kritik und Erkenntnisfortschritt, Braunschweig 1974, S. 89 ff., insbes. S. 113 ff.
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intrahuman für die unterschiedlichen menschlichen Verhaltensweisen. Damit ist das allgemeinmenschliche Be- oder Entlastungsniveau - je nach angenommenem Nullpunkt im Koordinatensystem -angegeben, von dem sich "luxurierende" höhere und höchste Symbolsysteme durch spezifische, zusätzliche Entlastungen abheben, die deshalbdarangemessen den Charakter von Privilegierungen in Sonderstellungen haben. Nach Gehlen ist der Mensch in der angenommenen Ausgangsstellung voll mängelbelastet, in der alltäglichen Normalstellung des "handelnden Wesens" ebenso umfassend entlastet, in luxurierenden Sonderstellungen überentlastet, zuweilen auch überbelastet. Normal- und Sonderstellungen werden an der als Belastungsspitze angenommenen analytischen Nullstellung gemessen, von der sich folglich eine Entlastungslinie bis zu den höchsten Symbolsystemen durchzieht: je höher gelegt, desto stärker entlastet, in umgekehrter Proportionalität, wenn man von einigen statistischen Ausreißern absieht. Wenn so der Mensch auf die Füße gekommen und handlungsfahig sein soll, dann müssen wir ihn eben auf den Kopf stellen, um eine neue Grundlinie für die Erfassung der Vollbelastung und die davon ausgehenden relativen Beund Entlastungen zu gewinnen. Diese Linie ist als allgemeines Be- oder Entlastungsniveau des Menschen für symbolisches Verhalten durch die Sprachebene gegeben, auf die das Koordinatensystem eingestellt wird. Daran gemessen, erweist sich das mit allen Vorbedingungen und Folgewirkungen behaftete Alltagshandeln als nahezu voll belastet (mit Entscheidungszwang, Folgehaftung, etc.), während die wissenschaftliche Tätigkeit der Freien Forschung & Lehre im akademischen Sondermilieu stark entlastet ist, ebenso wie die in Demokratien gleichfalls besonders geschützte freie Meinung im Alltag, sofern sie nicht zur Tat schreitet. In der bereits erwähnten Härteskala von Ideen, Einstellungen und Interessen drückt sich dieselbe Abstufung der relativen Be- und Entlastungen aus. (Übrigens ist Gehlen eine solche Gegenrechnung auf der genannten neuen Basis keineswegs fremd, aber er hat sie nicht zu seiner Leitlinie gemacht. Außerdem verbindet er "dieses merkwürdige taten- und handlungslose" entlastete Scheintun mehr mit dem ästhetischen als mit dem wissenschaftlichen Verhalten; dazu aus. führlieberSt 64 ff.). So auf den Kopf(des maximal entlasteten "spätkulturellen" statt maximal belasteten "urmenschlichen" Verhaltens) gestellt, und dann vom Kopf wieder auf die Füße in die Normalstellung (des vollbelasteten Alltagshandeins als Real- statt Symbolsystem) gebracht, führt Gehlens richtiger, vielmehr: richtiggestellter Ansatz zu den Sonderstellungen von Wissenschaft, Kunst, Technik im Rahmen spezieller Wissensordnungen. Dazu muß man allerdings abgehen
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einerseits von dem zu engen Handlungsbegrif.f 0 mit seinem hier kritisierten "zusätzlichen Sinn" von Voraussicht, Führung, Planung, der für die handlungsentlastete (Reine Theorien-)Wissenschaft zu speziell wäre; andererseits von dem zu weiten Sprachparadigma, welches übergeneralisiert ist, insbesondere für die Technik; schließlich auch von der falschen Alternative Kristallisation/Luxuration, welche die besondere Art der Forschungs- und Realisierungsaktivitäten in Wissenschaft und Technik verfehlt. Hier geht es weder um die Auskristallisation abgeschlossener Bestände mit wenigen Möglichkeiten, noch um "das typische Luxurieren entlasteter Funktionen" (GA IV 11, mit Bezug auf manche Zivilisationserscheinungen), sondern um die disziplinierte Hochsteigerung erstklassischer Leistungen31 im Bestreben nach sozial anerkannter Originalität. Sie liegt jenseits von auskristallisierter Erstarrung und luxurierender Beliebigkeit. IV. Wissenschaft: Die spezifischen Belastungen und Entlastungen einer einzigartigen Tätigkeit 1. Erkennen ohne Handlungszwang Gehlens geniale Idee für ein "Modell der Erkenntnis", von der er für seine erkenntnistheoretischen Überlegungen (vgl. M 290 ff.) wiederum nur einen globalen Gebrauch macht, ohne ein darauf abgestelltes spezifisches Wissenschaftskonzept auszuarbeiten, bezieht sich auf die "einzigartige Tätigkeit" des Sprach- und Symbolgebrauchs, der "ein aktives Verhalten möglich" macht, "das nichts praktisch verändert". Das ist "die Bedingung alles ,theoretischen Verhaltens' (A 52). Seine Besonderheit besteht in der Kombination von höchster Aktivität, Kreativität und Rationalität mit praktischer Tatenlosigkeit. Alles wird in Frage gestellt, aber nichts unmittelbar geändert.
In diesem von ihr nicht alleinvertretenen, aber besonders gepflegten theoretischen Verhalten liegt die erste Einzigartigkeit der Wissenschaft. Das, 30 • • • sowie von der scheinbar weitgespannten, inhaltlich aber enggefaßten Handlungslehre mit der Dominanz des Wollens über das Wissen, der Handlungsformierung über die Weltorientierung, u. a. Zur Kritik vgl. Johannes Weiß, Weltverlust und Subjektivität, Freiburg 1971, Teil III. 31 Für die deutsche Wissenschaft vgl. Alan Beyerchen, On the Stimulation ofExcellence in Wilhelmian Science, in: Jack R. Dukes und Joachim Remak, Hrsg., Another Germany, Boulder und London 1988, S. 139 ff.; zum geschichtlichen Parallelfall des deutschen Generalstabs vgl. T. N. Dupuy, A Genius for War, London 1977, Kap. 7. Vgl. im weiteren Zusammenhang Gerald H o/ton, Models for Understanding the Growth and Excellence of Scientific Research, in: Stephen R. Graubard und Gerald Holton, Hrsg., Excellence and Leadership in a Democracy, New York und London 1962, S. 94 ff.
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und nicht die eher als professionelle Deformation kultivierte Weltfremdheit des Gelehrten, kennzeichnet die Trennung von Theorie und Praxis. Sie ist nicht der Normalfall und bedarf deshalb besonderer individueller Einstellungen, sozialer Einbettungen und vor allem ordnungspolitischer Vorkehrungen. Leider hat Gehlen ein solches werkentsprechendes Erkenntnismodell und Wissenschaftskonzept am Leitfaden des Entlastungsgedankens nicht entwickelt. (Und die darauf abgestellte Technikdeutung verfehlt heute erst recht ihren wichtigsten Gegenstand, nämlich die modernsten Techniken.) Sonst hätte er meines Erachtens bemerken müssen, daß diese spezifische Entlastung des Erkennens, insbesondere der in dieser Hinsicht höchst eigenartigen wissenschaftlichen Forschungstätigkeit, weder durch die pauschale Entlastungsfunktion der Sprache noch durch die generelle Stabilisierungsfunktion der Institutionen hinreichend erklärt werden kann, ohne die Sonderstellung des Wissensbereichs zu berücksichtigen. Meine Doppelthese dazu lautet in aller Kürze: (1) Für die in dem angegebenen Sinne einzigartige Erkenntnistätigkeit der
Wissenschaft (und, mit Abstrichen, der verwissenschaftlichten Technik) ist der Symbolgebrauch durch Sprache notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung.
(2) Hinreichend wären erst die spezifischen, zusätzlichen Entlastungsleistungen der Klassischen Wissensordnung, welche von Gehlen für sein Erkenntnismodell stillschweigend vorausgesetzt, aber nicht thematisiert wird (und deren Wandel durch die moderne Technik ihm deswegen entgeht). Über die allgemeine Entlastung hinaus spezifisch entlastet - und zwar nicht im, sondern vom Handeln, also von Handlungs- und Entscheidungszwang, Interessenorientierung und Zweckbindung, Finanzierungsgebot und Folgehaftung, etc. - ist die Wissenschaft durch die zur" Wissensordnung" zusammengefaßten normativen Bestimmungen und faktischen Bedingungen für die Erzeugung, Verarbeitung, Verteilung, Verwendung, Verwertung von Wissen in der Gesellschaft32 • 32 Das Konzept der Wissensordnung ist vom Verfasser im Rahmen eines Forschungsprojekts der VOLKSWAGEN- STIFTUNG über den gegenwärtigen " Wandel der Wissensordnung" ausgearbeitet worden. Vgl. dazu, bis zum baldigen Erscheinen einer Monographie, u. a. folgende Beiträge: Liberalismus ohne liberales Vorurteil, in: Hans G. Nutzinger, Hrsg., Liberalismus im Kreuzfeuer, Frankfurt am Main 1986, S. 195 ff.; The Silent Revolution of Rationality in Contemporary Science and Its Consequences for the "Scientific Ethos" , in: William B. Shea, Hrsg., Revolutions in Science- Their Meaning and Impact, Canton, Mass. 1988, S. 192 ff.; Der Wandel der Wissensordnung durch die Informationstechnik, in: GI/Gesellschaft für Informatik- 20. J ahrestagung "Informatik auf dem Weg zum Anwender", Bd. I, Proceedings, hrsg. von Andreas Reuter, Berlin, Heide1berg, New York 1990, S. 258 ff.
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Abweichend von der ansonsten geltenden Gesellschafts-, Rechts- und Wirtschaftsordnung werden durch die tradierte Wissensordnung ordnungspolitische Extraregelungen für den Wissensbereich der "Freien Meinung" im allgemeinen und für den Wissenschaftssektor der "Freien Forschung & Lehre" im besonderen eingeführt, die dadurch im Vergleich zur Normalstellung in eine entlastungsmäßig privilegierte Sonderstellung geraten. Das geschieht im wesentlichen durch die vier Grossen Abkopplungen, welche zusammen genommen die Klassische Wissensordnung bilden: Erstens die Abkopplung der Ideenwirtschaft von der normalen Güterwirtschaft durch weitgehende Aufbebung der strengen Eigentumsordnung exklusiver Verfügungsbefugnisse (Ausschlußrechte) über "Wissensgüter", um durch Trennung von Erkenntnis und Eigentum das Wissen in Gemeineigentum der Forschungsgemeinschaft zu überführen, mit freiem Zugang und Gebrauch für jedermann. Zweitens die Abkopplung der Wissensfrage von der "unsachlichen" außerwissenschaftlichen Interessenlage der Erzeuger, um durch institutionelle Trennung von Ideen und Interessen allesachfremden materiellen (nichtkognitiven) oder ideologischen ("interessierten") Einflüsse von außen auf die Ergebnisse auszuschalten und die "uninteressierte", ungehinderte, unverzerrte wissenschaftliche Erforschung der "Wahrheit" zu gewährleisten. (Die gleichzeitige Abkopplung von der Interessenlage der Verwender ist mitgemeint, aber weniger rigoros durchgeführt. Hier liegt das größere praktische Problem, welches heute von einer Lösung weiter entfernt ist als je zuvor.) Drittens die Abkopplung der Wissenschaft von den außerwissenschaftlichen Vorbedingungen und Folgen der wissenschaftlichen Forschung, um durch Trennung von Theorie und Praxis die Wissenschaftler von Entscheidungs- und Handlungszwang einschließlich rechtlicher, finanzieller, ethischer Folgehaftung freizustellen. Diese politische Entlastung wird oft fälschlicherweise, in apologetischer oder anklagender Absicht, mit der vielzitierten, aber so nicht realisierten "Entpolitisierung" der Wissenschaft verwechselt. Viertens die Abkopplung des wissenschaftlichen Sonderbereichs vom "normalen" gesellschaftlichen Umfeld, in dem diese Extraregelungen nicht gelten, um durch Trennung von Wissenschaft und Staat einen staatsfreien, eingriffsgeschützten, selbststeuernden Bereich autonomer Wissenschaft, darüber hinaus allgemeiner Meinungsfreiheit zu schaffen. Materiell gesehen, gilt die vierte Abkopplung allerdings umso weniger, je mehr die bereits aufgezeigte moderne Entwicklungslinie von der Reinen Wissenschaft der Theorie über die Angewandte Wissenschaft der Praxis zur Realisierten Wissenschaft der Technik durchgezogen wird. Nicht erst am Ende der vollverwissenschaftlichen Technik und hochtechnisierten Wissen-
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schaft besteht anstelle der ursprünglich beabsichtigten Trennung von Wissenschaft und Staat die tendenziell gegenläufige Trennung des Forschers und/ oder Technikers von den Betriebsmitteln, welche eben nicht ihm gehören, sondern sich in der Hand eines anderen befinden: sei es der Staat (wie bei dem bereits von Max Weber analysierten ,,Staatskapitalismus" des deutschen Universitätsbetriebs) oder die Industrie. Auch wenn die vierte Abkopplung nur mit Abstrichen gilt, ist die so gehegte, im Sinne GehJens höhergelegte und einzigartige wissenschaftliche Forschungstätigkeit sozial exterritorialisiert, d. h. abgekoppelt von der "Normalstellung" des Menschen mit ihrer vollen Handlungsbelastung. In den institutionell entlasteten und dadurch privilegierten Wissensbereichen der "Freien Forschung & Lehre", mit Abstrichen auch bei der außerwissenschaftlichen Meinungs- und Pressefreiheit, handelt es sich allerdings nicht nur um die gewöhnliche Entlastung durch ein übergeneralisiertes Sprachmedium, sondern um spezifische Entlastungen infolge von Sonderregelungen, welche nicht der normalen condition humaine entsprechen. Die Wissensordnung ist deshalb auch keine anthropologische Kategorie oder soziologische Konstante. Die daraus resultierende Sonderstellung ist eine späte Errungenschaft, die rückgängig gemacht werden kann - und von der modernen Technik zunehmend überrollt und annulliert wird! 2. Führen durch Wissen, aber nur unter gedachten Verhältnissen
Die tatenlose Aktivität des theoretischen Verhaltens bringt die wissenschaftliche Forschung, gemessen an der langsameren Entwicklung der meisten anderen Bereiche, mit ihrem Wissen weit in Führung. Hier bewahrheitet sich das von Kar/ Marxwie Max Weber herausgestellte "Gesetz der ungleichen Entwicklung" ver~chiedener Sektoren in Geschichte und Gesellschaft. Aber wie ist Führung durch Wissen möglich, wenn nach GehJens bereits zitiertem Diktum die Notwendigkeit zu handeln weiter geht als die Möglichkeit zu erkennen und das Wissen vom Wollen geführt wird (vgl. M 303 und 364)? Obgleich das wissenschaftliche Expertenturn sich ganz anders zusammensetzt und verhält als die von Gehlen so hart kritisierte intellektuelle und künstlerische Avantgarde, gilt in dieser Hinsicht für beide dasselbe: "die Nachhuten haben die Führung unter wirklichen Verhältnissen, die Vorhuten nur unter gedachten . .. " 33 Das kennzeichnet das geistige Führungsverhältnis des Denkens zum Handeln ebenso wie das Machtverhältnis zwischen der jungen und älteren Generation. 33 Oskar Negt und Alexander Kluge, Geschichte und Eigensinn, Frankfurt am Main 1981, S. 1201; Hervorhebungen im Original.
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Die Wissensordnung für das theoretische Verhalten macht es der Wissenschaft möglich, und für die wissensgeleitete Praxis und wissensbasierte Technik nützlich, unter den spezifischen Entlastungen der Gelehrtenrepublik - heute der Forschungsgemeinschaften - die Möglichkeiten des Erkennens viel weiter zu treiben als die Notwendigkeiten des Handelns, von denen sie ja dispensiert ist. So kann die Wissenschaft der Gesellschaft vorangehen, ohne sie zu führen 34• Das ist die zweite, von Gehlen nicht berücksichtigte und anerkannte Einzigartigkeit des theoretischen Verhaltens, die seine Polemik gegen die "Mundwerker" im litC;rarischen, künstlerischen, politischen und teils auch wissenschaftlichen Bereich des intellektuellen "Luxurierens" insoweit ins Leere laufen läßt. Dabei darf aber, obgleich Gehlens Argumentation erstaunlicherweise davon keinen Gebrauch macht, nicht übersehen werden, daß der ihr zugrunde liegenden Klassischen Wissensordnung als "Geschäftsordnung"35 für handlungsentlastete und deshalb folgenenthobene Reine Theorienwissenschaft, aber auch für freie Meinungsäußerung und privilegierte Publizität im politischen Bereich, durch die Realisierte Wissenschaft der Technik immer mehr der Boden entzogen wird. Hier sind gegenläufige Entwicklungen im Gange, die vor allem außerhalb des besser abgesicherten akademischen Sonderbereichs einen Wegfall der Geschäftsgrundlage für das theoretische Verhalten nach sich ziehen, unter Angleichung an die geschilderte Normalstellung. Die meisten Bestimmungen der Klassischen Wissensordnung sind eben Sonderbedingungen, keine durchlaufenden Kategorien. 3. Ausnutzung der Entlastung: Kein "Luxurieren", aber Perfektionierung des theoretischen Verhaltens
So wenig ausdifferenziert bei Gehlen die sekundäre Sonderstellung des Wissenschaftsbereichs (als Exerzierfeld des theoretischen Verhaltens, soziales Sondermilieu überdurchschnittlicher Entlastung, approximative Realisierung der Klassischen Wissensordnung) gegenüber der akzentuierten primären Sonderstellung des Menschen ist, so ungeschieden bleibt die halbwegs anerkannte Tugend des wissenschaftlichen Theoretisierens vom vermeintli34 Wenn Martin Heidegger als Philosoph und/oder Rektor tatsächlich die Absicht gehabt haben sollte, "den Führer (zu) führen" (nach dem Titel eines Besprechungsaufsatzes von Otto Pöggeler, Philosophische Rundschau, Bd. 32, 1985, S. 26 ff.), dann wäre das nicht nur eine politische Illusion gewesen, sondern auch ein nicht geringeres Wissenschaftsmißverständnis (für das es in der Rektoratsrede manche Anhaltspunkte gibt). 35 Zur Geschäftsordnung der Wissenschaft und, buchstäblich am Rande, der außerwissenschaftlichen Wissensbereiche vgl. Spinner, Das "wissenschaftliche Ethos" ... , a. a. 0.; ders., Erst kommt das Wissen und dann die Moral ... , in: Klaus Steigleder und Dietmar Mieth, Hrsg., Ethik in den Wissenschaften, Tübingen 1990, S. 188 ff.
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chen Laster des intellektuellen Luxurierens. Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, daß auch in Gehlens teilweise sehr extensiver Interpretation der normale Wissenschaftler (ausgenommen vielleicht Philosophen, teils auch Geistes- und Sozialwissenschaftler) nicht den Intellektuellentyp verkörpert, also kein "Kritiker" ist 36 und somit von der Polemik gegen "luxurierende" überentlastete Funktionen nur am Rande getroffen wird. Trotzdem darf zu und wohl auch gegen Gehlen in diesem Zusammenhang angemerkt werden, daß das "Luxurieren" in seinem überzeichneten Sinne nicht nur weniger dysfunktional für Kultur und Gesellschaft ist, als die Gefahr an die Wand gemalt wird, sondern vor allem ganz und gar wissenschaftsuntypisch. Was in der Wissenschaft kultiviert wird, an bestimmungsgemäßer Produktivität einschließlich der satzungswidrigen professionellen Deformationen und sozialen Dysfunktionen, ist jedenfalls nicht das ungebremste "Luxurieren" gegenstandsloser Ideen (nach Art der modernen Kunst, wie Gehlen sie zeichnet), sondern die- möglicherweise übertriebene und kontraproduktive- Perfektion der Theorie. Das ist die dritte Einzigartigkeit des wissenschaftlich disziplinierten theoretischen Verhaltens. Diesem bereits erwähnten Bestreben nach Erstklassigkeit wissenschaftlicher Leistungen liegen, was immer man davon halten mag, ganz andere Wertorientierungen (für das Wissenswerte), Regelwerke (Methoden) und Entwicklungsmuster37 für "gebundenen" 38 wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt zugrunde als den vom Leistungsdruck überentlasteten, ziellos luxurierenden Funktionen, wo immer sie anzutreffen sein mögen. Damit entfällt für die Wissenschaft aber auch der Gegenbegriff der Kristallisation, es sei denn als degenerativer Grenzfall. Ob im Gegensatz dazu die moderne Technik sich von den durch die Klassische Wissensordnung kodifizierten wissenschaftlichen Bestimmungen und außerwissenschaftlichen Bindungen "entfesselt" hat, ist eine gegenwärtig ausgiebig und kontrovers diskutierte Frage, die man hier mit mehr Berechtigung stellen könnte. Aber von einem "Luxurieren" im Gehlensehen 36 "Wissenschaft als Beruf' (Max Webers berühmter Vortragstitel) und "Kritik als Beruf' (so der Titel eines einschlägigen Aufsatzes von M. Rainer Lepsius, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Bd. 16, 1964, S. 75 ff.) sind wissens-, professions-und organisationssoziologisch nicht deckungsgleich, auch wenn es vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften viele Berührungspunkte gibt. 37 Das gilt gleichermaßen, ob man der Wissenschaftsentwicklung Kar! R. Poppers (Conjectures and Refutations, London 1962) Fortschrittsmuster von Hypothesenbildung & Falsifikation, Thomas S. Kuhns (Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt am Main 1967) Entwicklungsschema von normaler & außerordentlicher Forschung oder ein anderes Erklärungsmodell zugrunde legt. 38 • • • allerdings nicht an moralische Werte und Normen: dazu ausführlich Helmut Spinner, Moral oder Methode? Dialektik, Bd. 14, 1987, S. 75 ff.; ders., Erst kommt das Wissen und dann die Moral . .. , a. a. 0.
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Sinne dürfte man meines Erachtens bei der Technik auch dann nicht sprechen, wenn sie tatsächlich "wildwüchsig" und überentlastet wäre. Aus der Perspektive des Entlastungsgedankens betrachtet, geht die Entwicklung der modernsten Techniken wiederum ganz andere Wege.
V. Technik: Von der Organentlastung zur Wiederbelastung des handelnden Wesens 1. Ist moderne Technik noch als Organentlastung erklärbar?
Akzeptieren wir um des Entlastungsargumentes willen die These der primären Belastung des "Mängelwesens" und seines darauf bezogenen Entlastungszwangs, dann lassen sich zwei Entlastungsweisen, -mittel, -phasen und zumeist auch -grade unterscheiden: Entlastung zum einen und ersten schon allein durch die Eigentätigkeit des gewöhnlichen, versprachlichten "untechnischen" Handelns; zum anderen als dessen Fortsetzung mit stärkeren Mitteln durch technische Artefakte. Unter dieser Ausgangsannahme ist es sinnvoll und konsequent, die "naturüberlegene", menschendienliche Technik als "Organersatz, Organentlastung, Organüberbietung" (A 93 ff.) zu deuten. Vom seltsamen Ersatz nicht vorhandener, von der Natur gar nicht vorgesehener Organe- im Gegensatz zu verlorenen, verstümmelten, funktionsunfähig gewordenen Organen- abgesehen 39 , ist diese humanzentrierte Technikdeutung verständlicherweise der ältesten fundamentalen Technik, nämlich der Werkzeugtechnologie40 , auf den Leib geschrieben. Auf diesem populären Feld der Laien-Technikphilosophie gewinnt sie ihr hohe Plausibilität, von der sie bei den "konzeptdehnenden" (Lakatos) Übergeneralisierungen zehrt41 • Hier also besteht, wohlgemerkt immer unter Gehlensehen Prämissen, weitgehend der angenommene "Wesenszusammenhang" (A 94) zwischen dem sprachbegabten Menschen und der handgeführten Technik 42 • (Es ist hier wie beim typischen Laienverständnis des Rechts, welches einseitig auf das Strafrecht ausgerichtet ist, wie es in stark verein39 Dazu Popitz, a. a. 0 ., S. 50: "Zunächst schlage ich vor, den Begriff "Organersatz" zu streichen. Er fordert dazu auf, lauter Organe zu erfinden, die der Mensch gar nicht hat, und dann nach bestimmten technischen Objekten zu suchen, die diese nicht existenten menschlichen Organe ersetzen." 40 Zur Unterscheidung von sieben, für die Technikgeschichte epochemachenden "fundamentalen Technologien" vgl. Popitz, a. a. 0., S. 9 ff. 41 Davon zehrt auch die eben nur auf den ersten Blick plausible, der Werkzeugtechnik angelehnte Deutung des Computers als "Denkzeug", in: Klaus Haefner, Ernst H. Eichmann, Claudia Hinze, Denkzeuge, Basel und Boston 1987. 42 Neben Popitz' Büchlein ist hier zu nennen: Andre Leroi-Gourhan, Hand und Wort, Frankfurt am Main 1980.
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fachter Form durch die Lektüre von Kriminalromanen und Gerichtsreportagen vermittelt wird.) Die Organentlastungs- und Organüberbietungsthese ist sicherlich auch noch über weite Strecken anwendbar auf die zweite fundamentale Technologie, die Maschinentechnik. Aber alles, was dann noch ausdrücklich subsumiert oder stillschweigend mitgemeint, tatsächlich aber ignoriert wird (wofür keineswegs nur Gehlens Lebensdaten verantwortlich sein können: 19041976), bedarf der Überprüfung anhand von Gehlens Kriterienkatalog für Belastungs- /Entlastungstatbestände (siehe Abschnitt 111/1). Beim Wort genommen, ist gemäß diesen authentischen Maßstäben Gehlens so plausibel erscheinendes Paradebeispiel des Flugzeugs, als Organersatz für nicht vorhandene Menschenflügel genommen, unsinnig. Es gibt keine zum "bloßen Dasein" lösungsnotwendige, mit Hilfe des Flugzeugs lösbar gemachte Aufgabe. Und wenn es sie gäbe und der Mensch Flügel hätte, seien es Vogelflügel mit Muskeln und Federn oder Flugzeugflügel mit Motor, wäre er kein Mensch mehr, schon aus Gründen des Körpergewichts und der Aerodynamik. Wenn derartige Absurditäten aber schon bei der wenigstens noch teilweise organähnlichen - allerdings hier bereits mit der gewaltigen Ausnahme der Rotationsbewegung-Maschinentechnik vorkommen: welche "Dehnungsfehlschlüsse" (Hans Lenk) müßten dann zum Beispiel bei der Nukleartechnik oder gar den modernsten Systemtechniken43 gemacht werden, wenn man sie ernstlich in dieses Prokrustesbett spannen wollte? Das hat mit der baren Selbstverständlichkeit, daß auch diese Techniken "vom Menschen gemacht" sind - von wem denn sonst? -, nichts zu tun. Es geht hier um das Deutungsprinzip, nämlich um die Alternative: entweder Gehlens organanaloges Technikverständnis auf anthropologischer Basis oder eine autonome Interpretation im Hinblick auf die humandisanalogen "Wissensbasen" der im Lösungsprinzip neuen Techniken. Erscheint der Mythos vom .. Mängelwesen" heute ziemlich unglaubwürdig, weil im Gegensatz zur handgeführten Werkzeugtechnik die moderne Technik sich von der menschlichen Organausstattung abgekoppelt hat- der Faden zwischen Mensch und Technik ist gerissen, seit die verbindende Kompensationsfunktion allenfalls noch bei einigen Alltagstechniken im Vordergrund steht -, so trifft für unser technologisches Zeitalter immer noch und heute erst recht zu, was Gehlen (M 37/38) über die Erste und Zweite Natur geschrieben hat: Aus welchen Gründen auch immer, wäre der moderne Mensch "in jeder wirklich natürlichen und urwüchsigen Natur43 Zum modernen, antianthropomorphen Systemverständnis der Technik vgl. Hans Lenk, Zur Sozialphilosophie der Technik, Frankfurt am Main 1982, insbes. S. 105 ff.; zu den moralischen Konsequenzen ders., Können Informationssysteme moralisch verantwortlich sein?, Informatik- Spektrum, 1989, Bd. 12, S. 248 ff.
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sphäre lebensunfähig.... Es gibt für ihn keine Existenzmöglichkeit in der unveränderten, in der nicht ,entgifteten' Natur, und es gibt keinen ,Naturmenschen' im strengen Sinne: d. h. keine menschliche Gesellschaft ohne Waffen, ohne Feuer, ohne präparierte und künstliche Nahrung, ohne Obdach und ohne Formen der hergestellten Kooperation. Die Kultur ist also die ,zweite Natur' ... An genau der Stelle, wo beim Tier die ,Umwelt' steht, steht daher beim Menschen die Kulturwelt", also die von ihm selbst geschaffene, für seinesgleichen zugerichtete Zweite Natur. Aber das ist nicht das Ende der Natur- und Menschheitsgeschichte. Denn die Entwicklung weg von der, vielfach sogar weg mit der Ersten Natur geht weiter, nunmehr in technischer Richtung. Denn an genau die Stelle, aber auf - zumindest technisch - höherem Niveau, wo zunächst die Kulturwelt stand, tritt immer mehr die Technik, welche damit zu unserer Dritten Natur wird44 • Und soweit reicht der Entlastungsgedanke nicht, um auch diese Konstruktion noch tragen zu können. Wenn es zwischen der Ersten und Zweiten Natur noch damit verbindbare Entsprechungen und inhaltliche Passungen geben mag, so überwiegen zur Dritten Natur die Disanalogien und Entwicklungsbrüche - was übrigens nur die Neuartigkeit der modernen Techniken unterstreicht, welche ihrerseits immer "einzigartiger" werden, verglichen mit dem tradierten Menschenbild. In der Sprache der protestantischen Bibelinterpretation gesagt: die heutige Technikphilosophie muß vom ungebrochenen zum gebrochenen Mythos übergehen, um mit ihrem Gegenstand Schritt halten zu können45 •
2. Die Wiederbelastung des Menschen durch die moderne Technik
Die moderne Technik befreit auch, aber auf ihre Weise: vor allem sich selbst aus tradierten Bindungen, auf denen das vorherrschende Technikverständnis immer noch beruht. Sie bewirkt eine technische "Entlastung" der Gesellschaft von der institutionellen Sonderstellung der Klassischen Wissensordnung, unter Angleichung an die Normalstellung. Im Ergebnis ist das, logisch gesprochen, eine doppelteN egation, die zur Wiederbelastung des 44 Vgl. dazu Helmut Spinner, Naturen, Kulturen, Techniken, in: Alois Wierlacher, Hrsg., Fremdheilsbegriffe der Wissenschaften München: Indiciam Verlag, 1992 (im Druck). 45 Philosophisch und moralisch, menschen- wie technikgeschichtlich gesehen, ist der Bruch mit dem Ersten Weltkrieg eingetreten. Zur Dissoziation der Technik "from its traditional associations" - wozu auch die anthropomorphe Vorstellung technischer Organentlastungen, u. dgl. gehört - vgl. die beeindruckende Beschreibung des Wandels von der entlastenden zu belastenden Technik durch Eric J. Leed, No Man's Land, 1979, ZitatS. 31.
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"einzigartigen" Verhaltens auch in diesem Bereich mit Interessenlagen, Zwecksetzungen, Handlungszwängen, etc. führt. Das geschieht in genau dem Ausmaß, als an die Stelle der vier beschriebenen Grossen Abkopplungen die "Wiedervereinigung" der durch die Klassische Wissensordnung institutionell getrennten Tatbestände tritt. Was gemäß alter Wissensordnung im akademischen Sondermilieu getrennt war und nach dem Grundgesetz für die demokratische Meinungsfreiheit auch im außerwissenschaftlichen Bereich weitgehend getrennt bleiben sollte, verschmilzt im Kognitiv-Technischen Komplex" 46 zu einerneuen Ordnung für die Realisierte Wissenschaft der Technik. Die vier Grossen Abkopplungen gelten realiter allenfalls noch, und auch hier nur mit Abstrichen, im Refugiuum der Reinen Wissenschaft innerhalb der Universität und im (kaum noch bestehenden) Freien Gelehrtentum. Dazu kommen noch bestimmte außerwissenschaftliche Alltagsbereiche, die entweder vom Technisierungsprozeß noch nicht erfaßt oder in die bereits verfassungsrechtliche Gegenvorkehrungen eingebaut sind (zum Beispiel durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung). Im Punkt-für-Punkt-Vergleich zur alten Wissensordnung gilt für die neue, nichtklassische Wissensordnung des technologischen Zeitalters: (1 ') Anstelle der Abkopp/ung des Ideenhaushalts von der normalen Güterwirtschaft, mit stark reduziertem Eigentum für "Wissensgüter", gibt es bei den technischen Artefakten- einschließlich des technischen Wissens- de jure und de facto, soweit nicht neugeschaffene Rechtsvorschriften entgegenstehen, unbeschränktes und erweiterbares Volleigentum. Techniken werden so gut wie nie "herrenlos" geboren, mit freien Zugriffs- und Gebrauchsmöglichkeiten für jedermann. (2') Statt der Abkopplung von Ideen- und Interessenlage entsteht eine alles durchdringende Ideen/Interessen- Verschmelzung, mit ungefiltertem Einfluß der Jetzteren auf die ersteren und der Möglichkeit des "interessierten", außengesteuert zweckorientierten Verhaltens auch im ldeenbereich. Dem ist meines Erachtens mit der dafür gar nicht geeichten Ideologiekritik der Technik nicht mehr beizukommen. Was nötig wäre, sind theoretische Ordnungsanalysen von der hier ansatzweise versuchten Art sowie praktische Ordnungspolitik. Beides steht noch ganz am Anfang, kann aber nun in Kenntnis der neuen Problemlagen weitergeführt werden. (3') Statt der Abkopplung der Wissenschaft von außerwissenschaftlichen Vorbedingungen und Folgen durch die Entlastung (und Entmachtung!) der 46 Zu diesem technischen Gegenbegriff zur Klassischen Wissensordnung vgl. Helmut Spinner, Die Besteigung des Informationsberges als neue Aufgabe der Philosophie, Zeitschrift für allgemeine Wissenschaftstheorie, Bd. 19, 1988, S. 328 ff.
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Erkenntnistätigkeit erfolgt die Wissensarbeit und Technikproduktion unter den neuen Bedingungen im voll belasteten, kurzgeschlossenen Theorie/ Praxis-Verbund, ohne freien Vorlauf des Theorienwissens und dadurch eingeräumter Bedenkzeit- mit allen Möglichkeiten der hier einschaltbaren Reflexion- für dessen praktische Anwendung und technische Realisierung. (4') Anstelle des bislang weitgehend abgekoppelten wissenschaftlichen Sonderbereichs aufgrundder Trennung von Wissenschaft und Staat entsteht ein sozusagen renormalisierter Technikbereich der Realisierten Wissenschaft, in den der nunmehr "interventionistische" Staat durch externe Ressourcenallokation und "finalisierende" Technologiepolitik jederzeit eingreifen kann. Damit sind die Extraregelungen der Klassischen Wissensordnung im Bereich der Großforschung und Technik als Science-plus-Purpose weitgehend aufgehoben: die Desinteressiertheit der Reinen Wissenschaft und die Zweckfreiheit der Forschung (mit Ausnahme der Grundlagenforschung); die Offenheit des Wissenschaftssystems für "alle genügend Motivierten und Talentierten" und die Öffentlichkeit des wissenschaftlichen Diskurses; der Gemeinbesitz an den publizierten Ergebnissen und der freie Informatonsfluß, usf. Das bedeutet im Ergebnis einen tiefgreifenden Wandel der von Gehlen für sein Wissenschafts- UndTechnikverständnis stillschweigend vorausgesetzten Klassischen Wissensordnung, die von der Technik überrollt wird. Das gesamte Entlastungskonzept wird in diesen Prozeß einer "stillen Revolution" mit einbezogen - und damit zugleich als ein kontingenter Tatbestand enthüllt, der kein Wesensmerkmal des Menschen ist, sondern eine erworbene und vertierbare Errungenschaft seiner "höhergelegten" Tätigkeiten und abgekoppelten Institutionen. Zu diesen weitgehend verborgenen und deshalb nicht zufällig noch kaum erforschten ordnungspolitischen Tatbeständen kommen die zwar auch nicht ohne weiteres sichtbaren47, von der Technikfolgenforschung alter Art48 aber ausgiebig untersuchten materiellen Neubelastungen durch die Technik. Zur Organentlastung sind gewichtige, zunehmende Organbelastungen hinzugetreten, welche mich zur abschließenden These veranlassen: Wenn, wie hier erläutert, analytisch argumentiert: der übergeneralisierte Entlastungsgedanke zwar kein brauchbares Deutungskonzept für die moderne Technik liefert, aber nach Gehlenseigenen Kriterien für die Untersuchung der entsprechenden Technikwirkungen hinreichend präzisiert werden kann; Vgl. Ulrich Beck, Risikogesellschaft, Frankfurt am Main 1986. Zu den verschiedenen "Generationen" der Technikfolgenforschung alter und neuer Art vgl. Helmut Spinner, Technikfolgenforschung im Überblick, Der Hochschullehrer, 2. Jg., Nr. 2, Mai 1989, S. I ff. 47
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empirisch gesehen: die Technik von Entlastung in Belastung umschlägt; dann stellt sich für eine an Gehlens Werk anknüpfende philosophische Anthropologie und erfahrungswissenschaftliche Technikforschung die Aufgabe, die Entlastungs-/Belastungsverhältnisse des heutigen Menschen durch die Technik neu zu bilanzieren. Dafür wären präzise Fragestellungen und trennscharfe Kriterien, wie hier vorgeschlagen, nützlicher als durchlaufende Kategorien (die sich sowieso "ausmitteln" würden, wie der Statistiker sagt) einer monistischen Theorie über den Wesenszusammenhang von Mensch & Technik. Dessen Annahme läßt sich in der Tat weder "mit jeder Anthropologie" (A 94) noch mit jeder Wissenschaftstheorie und Technikphilosophie vereinbaren, vor allem nicht mit einer pluralistischen Sicht der komplexen Tatbestände und einer empirischen Nachprüfung fundamentalanthropologischer Kategorien und Theoreme.
Das ist meines Erachtens das mindeste, was man von der künftigen Gehlenforschung erwarten kann. Dazu muß man ihn allerdings auf den Kopf stellen. Die weiteren Schritte ergeben sich dann wie von selbst, wenn man Gehlen beim Wort nimmt.
Aussprache zu dem Referat von Helmut F. Spinner Willms: Herr Spinner, Sie haben, um es etwas munter zu formulieren, Gehlen natürlich nicht auf die Füße gestellt, sondern sie haben Gehlen auf den Kopf gestellt, während er vorher meinetwegen auf allen Vieren, aber doch immerhin auf Füßen stand. Was ich damit meine, kann ich natürlich jetzt nur andeuten. "Erkennen reicht weiter als Handeln können" - ist eigentlich trivial. Es als Einwand zu formulieren zeigt meines Erachtens, daß die Gehlensehe These von den Erkenntnismöglichkeiten aufgrund bereits entlasteten Handeins überhaupt nicht weit genug zurückverfolgt wurde. Das scheint mir ein sehr grundsätzlicher Hinweis darauf zu sein, daß der anthropologische Ansatz Gehlens überhaupt möglicherweise gar nicht richtig angekommen ist. Sie sagen, Weltoffenheit könne in keiner Hinsicht als belastend empfunden werden, das heißt aber nur, daß Sie bei dem Ausdruck "Weltoffenheit" etwas Positives assoziieren. Wenn Sie demgemäß meinen, man sollte die Gehlensehe anthropologische "Belastung" nicht Weitoffenheit nennen, dann folgt daraus nur, daß von zwei verschiedenen Dingen die Rede ist. Aber Weltoffenheit bedeutet eindeutig das Nichtfestgestelltsein und damit die Notwendigkeit der Selektion, deren Regeln und Maßstäbe der Mensch selbst finden bzw. erfinden muß. Die Weltoffenheit ist bei Gehlen gerade das, was soziales Handeln zunächst auch verunmöglicht und im Grunde genommen eine Art "Naturzustand".
Nun zur Frage des zu engen Handlungsparadigmas. Ich sehe eigentlich keine Schwierigkeit, bei Gehlen symbolisches Handeln, d. h. also Sprache, in den Handlungsbegriff hineinzunehmen. Was nun die Wissenschaft angeht, so ist sie natürlich ein sehr spätes Produkt institutioneller Entlastung und zwar einer institutionellen Entlastung, die vorgängig geleistet sein muß. Wir können so diskutieren, ohne daß Sie oder ich zum Dolch greifen, und zwar deshalb, weil wir institutionell so entlastet sind, daß wir absolut konträr nebeneinander koexistieren können. Diese Bedingung für unser wissenschaftliches Handeln muß institutionell vorgegeben sein. Die Wissenschaft selber leistet das nicht. Rehberg: Ich argumentiere in derselben Richtung wie Herr Wi/lms. Gehlen hat ja klar genug zum Prinzip erhoben, daß bloße Wortstreite überhaupt nichts nützen. Man muß also konkret prüfen, was mit dem Entlastungsmodell erfaßbar ist und was nicht. Ich denke, daß Herr Spinner in einem Punkt
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ganz recht hat, daß nämlich Gehlen nicht alle Ausformungen von Entlastungsniveaus begrifflich hinreichend unterschieden hat, z. B. werden bestimmte institutionell gewonnene Entlastungen und deren Eigenprinzipien vom Begriff der elementaren Entlastungsvorgänge nicht genügend geschieden bzw. deren Bezug aufeinander unzureichend analysiert. Es geht mir aber vor allem um die Leistungsfähigkeit dieses Konstruktes, also darum, was durch diese Begriffswahl sichtbar gemacht und theoretisch neu beleuchtet wird. Entwickelt wird das Entlastungsprinzip z. B. an den Aufbauprozessen von Seh- und Tastwahrnehmung (ein Thema, das Gehlens Anthropologie z. B. auch für Georg Lukacs so interessant gemacht hat). Durchgängig geht es um das Höherlegen des Weltumgangs in die Ebene der sehenden Miterfassung der zuvor handgreiflich gemachten Tasterfahrungen und schließlich um die symbolische Repräsentation all dieser Erfahrungsebenen im Denken. Damit ist eine spielerische Steigerbarkeit jeder menschlichen Tätigkeit besonders seiner sprachlichen Äußerungsmöglichkeiten - verbunden, aus der sich durch Prozesse des Höhedegens die spezifisch menschliche Weltrepräsentation im Bewußtsein ergibt. Aus dem Entlastungsgesetz also folgt letztlich, daß die eigentliche Welt des Menschen eine symbolische Welt ist. Entlastung ist also nicht gleichzusetzen mit "Gewohnheit", obwohl diese immer auch dazu gehört, also Eingewöhnung und Routinisierung. Das gilt auch für die Wissenschaft, die von Herrn Spinner doch etwas naiv in Opposition gestellt wird zu Gewohnheit und entlasteter Handlungsführung: im Wissenschaftsbetrieb ist eben das Problematisieren zur Gewohnheit geworden, samt den eingespielten Ritualisierungen, durch welche festgelegt ist, in welcher Form Aussagen in Frage gestellt, Evidenzen verunsichert, Autoritäten kritisiert werden usw. Das ist selbstverständlich keine einfache, keine dumpfe, keine sozusagen unterhalb von Rationalitätsniveaus einfach dahinvegetierende "Gewohnheit", sondern eine auf hoher Reflexionsstufe entwickelte, die aber gleichwohl eingeübt, angeeignet und habituell "selbstverständlich" ist. Was Ihre schöne Marx-Hegel-Variation betrifft, so halte ich es eher mit dem von Herrn Willms vorgeschlagenen Bild. Es beruht doch auf einer bloßen Behauptung, wenn Herr Spinner sagt, daß das Erkennen immer weiter gehe als das Handeln; da nützen nun Glaubensstreitigkeiten sehr wenig. Daß es Systeme gibt, in denen das Erkennen außerordentlich weit reichen und über das bekannte und durchprobierte Handeln weit hinausgehen kann, steht außer Frage: das ist eben selbst ein Resultat von Entlastungen. Diese Produktivität des Denkens ist nun aber umgekehrt selbst wieder in Handlungszusammenhängen fundiert. Übrigens werden ja die Wissenschaften doch eigentlich täglich darüber belehrt, wie sich ihre Perspektiven und Innovationen, ihre Blindheiten und Zeitgebundenheiten immer wieder zurückführen lassen und praktische Handlungszusammenhänge, Interessen-
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lagen und Machtkonstellationen. Ich denke also, daß Geh/ens "Pragmatismus" nicht widerlegt ist, der mit Kant, Nietzsche, Sore/ und mit den- in den Frühschriften noch abgewerteten, später hymnisch gepriesenen - amerikanischen Pragmatisten die Denkmöglichkeiten an Handlungsmöglichkeiten band, also meinte, daß man nur erkennen und denken könne, was man- im Prinzip - auch machen kann. Hildebrandt: Was bezwecken Sie damit, den allgemein akzeptierten Begriff der Weltoffenheit in Frage zu stellen? Ob Konrad Lorenz, Uexkü/1 oder Margaret Mead in anderen Zusammenhängen, alle gebrauchen diesen Begriff in dieser Weise, wie wir ihn hier gerade angesprochen haben, und ich finde, er ist doch sehr hilfreich. Natürlich ist es die Entlastung durch Selektion, aber da fängt es ja gerade an, daß Selegieren etwas ist, was die große Belastung für den Menschen bringt und damit alles das, was darauf erfolgt. Sie sollten vielleicht noch einmal deutlich machen, warum Sie den Begriff der Weltoffenheit hier in dieser Weise angegriffen haben. Heuß: Im Gegensatz zu meinem Vorredner möchte ich eine Lanze brechen für Ihren Begriff der WeltoffenheiL Seine Allgemeinheit erfordert selbstverständlich eine genaue Umschreibung seiner speziellen Bedeutung im Rahmen der Gehlensehen Anthropologie. Wie meistens ist auch hier für Gehlen der Ausgangspunkt die Stellung des Tieres innerhalb der Natur, welche ihm einen beliebigen Umgang mit ihr nicht erlaubt. Dagegen ist mir sehr zweifelhaft, ob die menschliche Situation des näheren mit "Reizüberflutung" und "Entlastung" im Zusammenhang der Weltoffenheit von Gehlen zutreffend charakterisiert wird. Ein phänomenales Argument steht jedenfalls für "Reizüberflutung" nicht zur Verfügung. Der Begriff ist offenbar aufgrund der tierischen Lebensbedingungen ausgezeichnet, indem von der Bündelung des Weltinhalts für die tierische Natur und von der Korrespondenz spezieller Bedürfnisse mit einem jeweils verschiedenen Umfeld aus darauf geschlossen wird, wie die Verhältnisse sich gestalten müssen für ein menschliches Wesen, dem ein solcher Katalysator fehlt und das der Welt infolgedessen schutzlos preisgegeben ist ("überflutet wird"). Aber diese Vorstellung ist keineswegs zwingend und noch weniger ist es die der Entlastung, wozu Ihr Begriff hier angeschlossen wird als Mittel, der "Reizüberflutung" selbständig zu begegnen. Die "Belastung" als Korrelat der "Entlastung" müßte wohl anderswo gesucht werden. Barbeier: Zur Infragestellung der anthropologischen Deutung der Technik als "Organverstärkung", "Organverlängerung" und "Organüberbietung": Obgleich vergleichbare Stimmen in der gegenwärtigen soziologischen Technikdiskussion unüberhörbar sind, kann auf der anderen Seite die anhaltende Rezeption der Technikdeutung Arnold Gehlens nicht übersehen werden. Letzteres dürfte wohl kein Zufall sein. Das genannte Triptychon, das aus der
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Sichtweise des Menschen als Mängelwesen hervorgeht, beinhaltet eine doppelte Aussage: a) an die Stelle des "Organischen" tritt zunehmend das "Anorganische" und b) natürliche Fähigkeiten des Menschen werden durch die Technik potenziert. Neuere Untersuchungen zur Kernenergie, Mikroelektronik und Gentechnologie machen deutlich, daß in der Tat vielfach natürliche Leistungen infolge der technischen Mutationen durch künstliche Leistungen substituiert werden. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auf Arbeiten von 1. Pflüger und R. Schurz über die Wirkungen des Umgangs mit Computern, die gerade auf die Theorie Geh/ens rekurrieren. In diesem Licht erweisen sich die Gehlensehen Einsichten als außerordentlich weitsichtig. Eine Frage schließt sich noch an, die auf einen unterbelichteten Aspekt des Referates abzielt. Es wurde nicht deutlich, wer die erwähnte "Selektion" zu leisten imstande ist. Lauermann: Sie haben kritisiert, daß der Begriff der Entlastung diffus sei und schlagen statt dessen Begriffe vor wie Theorie und Praxis oder gar Idee und Interesse, Begriffe, die eher noch diffuser sind.
Die zweite Bemerkung trifft den Begriff von Wissenschaften. Wie eben schon gesagt wurde, ist in der Praxis der Naturwissenschaftl!n der Bezug zur Technik sehr eng, viel enger als in ihren ideologischen Selbstdarstellungen. Naturwissenschaftler sind also gewissermaßen technik-adäquat. Daß sie sich in Festreden anders darstellen, geformt von Geistes- und Sozialwissenschaften, sprich: als Wissenschaftler, hängt mit ihrem Minderwertigkeitsgefühl zusammen. Im wesentlichen wird in den Naturwissenschaften nicht gedacht, sondern gehandelt und experimentiert, eine Spielform von Technik also. Darüber hinaus müssen wir uns die Frage stellen, ob es stimmt, was der Philosoph sagte, nämlich, "Die Wissenschaft denkt nicht". Wenn Wissenschaft per se nicht denkt, müssen wir weiter fragen, warum sie als Institution sich diese Leistungen zumutet bzw. zurechnet. Eine letzte Bemerkung: Sie sagen, Wissenschaft produziert Probleme und verwaltet nicht lediglich Bestände. Statt dessen sage ich, sieht man einmal von den Naturwissenschaften ab, so ist es doch eher umgekehrt: Möglicherweise hatten die Wissenschaften ja einmal Probleme, die sie vordem verarbeitet haben, etwa bis zum Tode Geh/ens? Danach schlug der Stand der Wissenschaften um in ein reines Verhindern dessen, sich überhaupt neuen Problemen zu stellen. Im Widerspruch zu Ihren Ausführungen vermute ich also hier eine Regression: haben Sie nicht eine Idee des Fortschritts mit Wissenschaft verbunden? Ich dagegen behaupte, daß Wissenschaft hinter das Erreichte systematisch zurückzufallen scheint; hier sehe ich gewissermaßen das Chargaff-Syndrom der Sozialwissenschaften: daß niemand mehr die prognostische Kraft eines Toqueville aufbringt.
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Spinner: Lassen Sie mich bitte auf die Diskussionsbeiträge von Herrn Willms mit einer kurzen Bemerkung eingehen, die gleichzeitig eine Antwort zu den Ausführungen von Herrn Hildebrandt ist. Ich wollte natürlich in keiner Weise die Idee oder These der Weltoffenheit des Menschen in Frage stellen. Wogegen ich mich wende, ist vielmehr die von Gehlen ausdrücklich und kategorisch damit verbundene Belastungsdoktrin, derzufolge die Weltoffenheit als solche bereits eine erhebliche Belastung sei. Dem Mythos vom "Mängelwesen" wird so ein noch viel weitergehendes Belastungstheorem draufgesattelt.
Wenn das nicht ein Streit um Worte werden soll, wie Herr Rehberg betont, dann sind das Aussagen über angenommene Tatbestände. Nach meinem Wissenschaftsverständnis sind es hypothetische Behauptungen, die man präzisieren sollte, möglichst bis zur Empiriereife testbarer Hypothesen. Was also ist Weltoffenheit? Wenn es kein empirischer Tatbestand sein soll, sondern ein theoretisches Konstrukt, wäre weiter zu fragen: Welches sind die empirischen Korrelate bzw. Indikatoren des Belastungsbegriffes? Ganz naivpsychologisch würde ich zunächst vermuten, daß Belastung mit Aspekten des Unangenehmen verbunden ist, also mit Erfahrungen oder Ereignissen oder Ergebnissen, die man lieber vermeidet, wenn man die Wahl hat, oder als bedrückend empfindet, wenn sie unausweichlich sind. Dann käme Fleisch auf die Knochen und man könnte überprüfen, ob ein Normalsterblicher die Tatsache, daß er noch Chancen. Alternativen, Möglichkeiten hat im Sinne wählbarer Optionen: ob er das wirklich als Belastung empfindet, von der er sich entlasten möchte. Das möchte ich bezweifeln. Normalerweise fürchten wir doch das Gegenteil und fühlen uns durch Unfreiheit und den Mangel an Möglichkeiten belastet. Das alles sind doch, entschuldigen Sie bitte, die alten Märchen: Fromms "Furcht vor der Freiheit", Poppers "Last der Zivilisation", Freuds "Unbehagen in der Kultur". Normalerweise fürchten wir die Unfreiheit und empfinden den Mangel an Möglichkeiten als Belastung. Das sind hypothetische Tatbestände, die man natürlich als theoretische Konstrukte einbringen kann, aber wo sind bitteschön die Befunde? Danach möchte ich fragen. Nach meiner Interpretation hat Gehlen hier eine Hypothese vorgebracht, eine äußerst fragwürdige Hypothese, welche präzisiert und überprüft werden muß. Da müssen die Psychologen ran und nach den psychischen Korrelaten beim Individuum suchen, desgleichen die Soziologen hinsichtlich der sozialen Korrelate usw. Dann kann man wissenschaftlich darüber reden ... Willms: Das ist ein totales Mißverstehen dessen, was überhaupt Anthropologie ist- mindestens bei Gehlen. Wenn Sie heute in der Bevölkerung fragen: "Fühlen Sie sich von der Chancengleichheit belastet oder entlastet?" - dann haben Sie natürlich die Antwort schon programmiert. Aber die
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anthropologische Methode ist etwas ganz anderes. Darauf muß man sich doch wenigstens erst einmal einlassen. Spinner: Natürlich muß man sich auf Gehlen einlassen. Was tue ich denn anderes, wenn ich ihn zur Kenntnis nehme und kritisiere? Wenn ich da lese, daß seine Anthropologie ausdrücklich ein kategoriales System aller wesentlichen Merkmale des Menschen umfaßt - womit wohl kaum die Aufstellung von Hypotheyen über mutmaßliche Eigenschaften gemeint ist-, dann ist das ein für mich unvorstellbarer, wissenschaftlich nicht einlösbarer Anspruch auf Vollständigkeit und Endgültigkeit seiner Erkenntnisse. Die andere Stelle, wo er genau das Gegenteil sagt und auf Vollständigkeitsansprüche verzichtet, ist mir nicht entgangen. Aber zumindest einmal, an ganz zentraler Stelle (in der Einführung zu "Der Mensch"), hat er die von mir kritisierte Behauptung gemacht, welche meines Erachtens jeder wissenschaftlichen Methode widerspricht. Ob dies oder etwas anderes die anthropologische Methode ist, ist eine Frage, die mich nicht besonders interessiert. Dazu würde ich einfach sagen, was ich in einer nicht vorgelesenen Schlußpassage meines Referates vorbringen wollte: daß das gesamte Entlastungskonzept im Zuge der stillen Revolution dessen, was ich den "Wandel der Wissensordnung" nenne, in die Entwicklung der Technik einbezogen wird und sich im Ergebnis als ein kontingenter Tatbestand erweist. Wenn man darüber Aussagen mit Informationsgehalt und Wahrheitsanspruch machen will, dann sind das grundsätzlich Hypothesen. Wenn es aber keine Hypothesen sein sollen, möchte ich nach dem zugrunde liegenden Wissenschaftsverständnis fragen. Noch eine zweite Bemerkung zu Herrn Willms. Er sagte, daß er keine Schwierigkeiten hätte, auch das symbolische Handeln, zum Beispiel in Gestalt von Sprachhandeln, im Handlungsbegriff unterzubringen. Dagegen ist natürlich überhaupt nichts einzuwenden. Das hängt vom kategorialen Schema ab, das man hat. Man kann den Handlungsbegriff so weit fassen, daß das Sprachhandeln darunter fällt. Dann muß man eben die entsprechenden Unterscheidungen innerhalb der Handlungskategorie machen, um den Unterschieden zwischen nunmehr verschiedenen Handlungsarten gerecht zu werden. Dagegen ist, wie gesagt, nichts einzuwenden, außer dem Hinweis darauf, daß Gehlen in seiner systematischen Anthropologie den Handlungsbegriff erstaunlich eng faßt, also spezifisch im Sinne von Herrn R ehberg, indem menschliches Handeln - wie in meinem Referat zitiert - mit Momenten der Planung, des Vorausschauens, der Steuerung u. dgl. begrifflich verbunden werden. Dann aber kann man sehr wohl sagen, als bedingte Behauptung: Wenn man einen solchen Handlungsbegriff hat, dann kann man nicht mehr die ganze Bandbreite menschlicher Verhaltensmöglichkeiten, vom ganz handfesten Tun bis zu den sehr spiritualisierten symbolischen Aktivitäten, unter diesen Handlungsbegriff einordnen. Vielleicht unter den
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Willmschen Handlungsbegriff, der aber möglicherweise nicht der Gehlensehe ist. Herr Rehberg, natürlich es kommt darauf an, was diese Begriffe leisten. Wie schon erwähnt, frage ich nach den empirischen Korrelaten zu den theoretischen Konstrukten, zum Beispiel beim Entlastungsbegriff. Meines Erachtens kämen wir weiter, wenn wir hier die Untersuchungen ansetzen würden. In der Hinsicht, scheint mir, geht Gehlen nicht sehr ins Detail. Eines ist mir hier sowieso nicht ganz klar. Einerseits sagt er, daß es ihm nicht um anthropologische Spekulationen gehe. Andererseits aber auch nicht um so etwas Biederes wie erfahrungswissenschaftliche Hypothesenbildung. Da müßte man doch mal nach seiner Methode fragen, nach dem Wissenschaftsverhältnis der Anthropologie, nach dem Status von Aussagen über sogenannte Wesensmerkmale des Menschen, die ihn kategorial vom Tier unterscheiden, usw. Ferner möchte ich bemerken, daß natürlich auch das Problematisieren eine Gewohnheit ist oder dazu werden kann. Möglicherweise wird das in der Wissenschaft zu einer Gewohnheit der Mundwecker im Gegensatz zu den Handwerkern. Als bloße Gewohnheit riecht es ein bißeben nach Degeneration und ist dann vielleicht nur noch ein degenerativer Grenzfall dessen, was ich eigentlich als die Aufgabe der Wissenschaft ansehe. Dann aber sollte natürlich auch die Wissenschaft ihre eigenen Gewohnheiten problematisieren. Daß sie das nicht tut, wissen wir alle, denn die Wissenschaft untersucht bekanntlich alles, außer sich selbst. Zu Herrn Hildebrandt kann ich nur sagen, was ich schon vorweggenommen habe. Nicht den Begriff der Weltoffenheit stelle ich in Frage, sondern die Auslegung der Weltoffenheit als einen Belastungstatbestand. Somit besteht zwischen uns im Grunde keine Meinungsverschiedenheit. Mit voller Zustimmung zu Herrn Heuß plädierte für einen spezifischen Handlungs begriff. Und ich meine, daß Gehlen einen sehr spezifischen Handlungsbegriff hat, mit der Konsequenz dieser Spezifität, daß sein Handlungsbegriff- anders als der Entlastungsbegriff- keine diffuse Allkategorie ist, so daß man mit diesem Handlungsbegriff eben nicht mehr die ganze Bandbreite menschlicher Verhaltensmöglichkeiten erfassen kann. Herr Barkeier sprach über die Aktualität des Gehlensehen Technikbegriffs. Ich habe diese Sache in meinem mündlichen Vortrag nur kurz erwähnt, im Zusammenhang mit der Entlastungskategorie. Von immer noch aktuellen Aspekten des Gehlensehen Technikverständnisses ganz abgesehen, ist seine Technikkonzeption insgesamt viel stärker ausgearbeitet, während er nach meinem Dafürhalten so etwas wie ein Wissenschaftskonzept nur in Ansätzen entwickelt hat. Es wird gelegentlich erwähnt und mit der meines Erachtens unhaltbaren These verbunden, daß Wissenschaft und Technik im Grunde
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dasselbe seien. Das ist an anderer Stelle von Hans Lenk überzeugend kritisiert worden. Ich würde da doch gewisse Unterschiede machen. Hier muß man differenzieren und drei Erscheinungsformen der modernen Wissenschaft unterscheiden: erstens die Reine Wissenschaft der THEORIE, zweitens die Angewandte Wissenschaft der verwissenschaftlichten PRAXIS und drittens die Realisierte Wissenschaft der wissensbasierten (wie man heute sagt) TECHNIK, d. h. der profanen Artefakte. Da gibt es erhebliche Unterschiede in den Denkformen (Erkenntnisstilen), in den Rationalitätsstrukturen (Orientierungsmustern), in den jeweiligen Wissensarten, in den Verhaltensweisen der Beteiligten- gerade auch, was in Bezug auf Gehlen besonders interessiert, unter dem Gesichtspunkt der Belastungs- und Entlastungsverhältnisse. Wenn Sie fragen, ob das nicht etwas idealisiert sei, so muß ich das ohne weiteres einräumen. Die griechisch-abendländische "Reine" Theorienwissenschaft setzt die klassische Wissensordnung mit ihren vier natürlich immer nur annähernd verwirklichten Abkopplungen (von Theorie und Praxis, Ideen und Interessen, etc.) voraus. Ihre soziale Annäherungslösung- der soziologisierte Humboldt, wie man sagt- ist die traditionelle Gelehrtenrepublik, welche meines Erachtens heute durch die Technik in Frage gestellt wird. Wer leistet diese Selektion, von der ich sprach? Da müssen wir wiederum differenzieren. Auf der Wahrnehmungsebene ist es normalerweise das Individuum selber, welches sich hier "eigentätig" im Sinne Gehlens verhält. Für die überindividuelle Ebene ist das eine sehr interessante Frage, gerade auch zur Gehlensehen Konzeption, denn er hat doch irgendwie die Idee, daß das vornehmlich und besser geleistet wird durch das, was er eben die institutionalisierten Führungssysteme nennt. Da bin ich sehr skeptisch, was die Qualität dieser institutionell vorgenommenen Problemlösungen angeht. Herr Lauermann meint, daß die Ideen/Interessen-Problematik und das Theorie/Praxis-Verhältnis ja noch viel diffuser seien als der Entlastungs begriff. Das mag sein, hängt aber vom Kontext ab. Mit dem Hinweis auf Habermas werden meine Ausführungen in einen Kontext eingeordnet, für den sie nicht gedacht sind. Bei Max Weber zum Beispiel spielt die Frage nach den Beziehungen zwischen Ideen und Interessen eine zentrale Rolle, und die Art, wie er dieses Begriffspaar verwendet, ist nicht sehr klar und trennscharf, zumal er es noch um den Zwischenbegriff der "ideellen Interessen" bereichert. Im übrigen sind alle wirklich fundamentalen Begriffe als echte Grundbegriffe natürlich undefiniert- was nicht "ungenau" heißen muß, dies aber oft tut. Zur Frage nach dem Zusammenhang von Naturwissenschaft und Technik: Insoweit die Technik, wie es mit Ausnahme der traditionellen Werkzeug- und Handwerkstechnik weitgehend der Fall ist, in Artefakten realisierte Natur-
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wissenschaft ist, besteht ein sehr enger Zusammenhang. Dieser wird meines Erachtens immer enger, vom Ende her gesehen. Also nicht, weil die Wissenschaft von vornherein einem "technischen" Erkenntnisinteresses verpflichtet und ihrem ionersten Wesen nach technikähnlich sei, sondern aufgrundeines rückbindenden Technisierungsprozesses der Naturwissenschaft und der Wissenschaft überhaupt. Hauptträger dieses Technisierungsprozesses ist die derzeitige /nformatisierung, welche nicht nur - wie bisher schon - eine zunehmende Technisierung durch Wissen bewirkt, sondern nunmehr auch das Wissen selber, in und außerhalb der Wissenschaft. Das spielt sich heutzutage auf breiter Front ab, forciert durch die Informatik, aber auch durch die Kognitive Psychologie und all die anderen Cognitive Seiences ("Wissenswissenschaften") der modernen, technisierten Wissensarten. "Die Wissenschaft denkt nicht", hat Heidegger gesagt. Diesem philosophischen Diktum stehe ich etwas hilflos gegenüber, weil ich nicht weiß, was er unter Denken versteht. Da muß ich einfach passen. Papalekas: Gehlen spricht ja gerne von Einsichten. Und schließlich ist es doch die Aufgabe eines Wissenschaftlers, zu Einsichten zu gelangen und nicht bei Hypothesen stehenzubleiben. Spinner: Zum Abschluß volle Zustimmung zur Frage eventueller Regressionen in der Wissenschaft. Natürlich gibt es Degenerationserscheinungen in der Wissenschaft, Rückschritte und Fehlgriffe. Das sind dann aber meines Erachtens keine anthropologischen Grundtatbestände, sondern institutionelle Fehlkonstruktionen und geschichtliche Fehlentwicklungen. Zur Erklärung und Behebung würde ich dann nicht bei der Sonderstellung des Menschen in der Welt ansetzen, sondern bei den aufgezeigten spezifischen Entlastungen der Wissenschaft und deren Störung oder Aufhebung. Die primäre Sonderstellung des Menschen und die "draufgesattelte" sekundäre Sonderstellung der Wissenschaft sind zwei verschiedene Geschichten.
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II. Einflüsse auf das Werk
DIE GEBURT DER SYSTEME AUS DEM GEIST DER INSTITUTIONEN Arnold Gehlen und Niklas Luhmann in der Genealogie der "Leipziger Schule" Von Horst Baier, Konstanz Soziale Systeme sind - in der Sprache des Hegeischen Systems objektiver Geist, der sich freilich weder aus anthropologisch-psychologischen Wurzeln ("subjektiver Geist") herauswickelt, noch zu einem absoluten Endzweck der Menschheitsgeschichte aufsteigt. Kein Rückgriff auf die Evolution der Primaten mit ihrem genetischen Verhaltensrepertoire und ihren Großhirnleistungen - sozialbiologische Regression z. B. mit Konrad Lorenz oderEdward L. Wilson- aber auch kein Ausgriff auf eine universale Diskursethik mit Gerechtigkeits- und Gleichheitsforderungen - sozialmoralische Hypertrophie z. B. bei Jürgen Habermas und lohn Rawls- vermag die wissenschaftssystematische Zwischenstellung der Soziologie- zwischen Bio- und Geisteswissenschaften- aufzubrechen und neuerlich zu verkoppeln mit Theorieprogrammen, die in der Soziologie verdeckte Politikprogramme des Biologismus oder des Sozialismus sind. Arnold Gehlen hat mit seiner philosophischen Anthropologie und seiner soziologischen Institutionenlehre die Autonomie der "Menschenwelt" sichtbar und erforschbar gemacht. Nicht mit der "Seinsgier" der Existenzphilosophen (Kar[ Jaspers, Martin Heidegger), die die Dezisionen einer ins Dasein geworfenen Subjektivität dramatisieren; nicht mit der Erlösungssehnsucht der rekatholisierten Anthropologie (Max Sehe/er, Josef Pieper), die das Trieb- und Arbeitswesen "Mensch" wieder unter den Bann spiritueller Geistund Tugendmystik stellen; nicht auf der Leitspur des Rechtshegelianismus (Hans Freyer, Julius Binder), der die Vollendung des Volksgeistes unter dem Geschichtsruf seiner Gründungsmythe will; nicht mittels obsoleter Seins-, Geist- und Geschichtskategorien also begründet Gehlen seine "Gesamtauffassung des Menschen". Seine "elementare Anthropologie" greift zwar zurück auf die biologischen und psycho-physiologischen Basisstrukturen des Homo sapiens, zieht deren gestufte Naturkategorien jedoch hoch in die soziokulturelle und soziapolitische Verfaßtheit des Menschen, öffnet und weitet dessen Welt in die "höheren kategorialen Schichten" der Intellektualität, Moralität und Sozialität.
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Horst Baier
Der Neuaristoteliker Nicolai Hartmann hat ihm den Blick auf das "kategoriale Novum" der menschlichen Kulturphänomene und Sozialstrukturen, vorzüglich in Religion und Staat gelenkt. Die Biologie der 30er Jahre hat ihm den Weg zur "biologischen Sonderstellung des Menschen" gewiesen (der Königsherger Konrad Lorenz, AdolfPortmann ). Das "Gesetz der Entlastung" ist die Frucht der Befreiung von Geschichtsteleologie und Naturzwang. In den "elementaren Kreisprozessen" von Wahrnehmung, Körperbewegung und Sprache baut sich- im Leerraum ("Hiatus") lustschweifender Gefühle, bildschöpfender Phantasmen, weltpräsentierender Vorstellungen - eine leib-seelische, willens- und bewußtseinsmächtige Persönlichkeit auf. Haben wir auf der Innenseite des Menschen den geschlossenen "Handlungskreis" von Auge, Hand und Sprache, so kommuniziert eine solche "Fakteninnenwelt" von Volitionen, Symbolisierungen und Kognitionen im ständigen Wechselfluß mit den Dingen, Reizen und Widerständen einer "Faktenaußenwelt". Der Mensch ist ein bewußtseinsverschlossenes und gleichzeitig weltoffenes Wesen. Seine Grenze zur Welt wird entlang von vorund zurückgreifenden Erfahrungen und Handlungen unter dem Führungsorgan der Sprache ständig neu bestimmt und ausgeweitet. Aber diese Weltgrenze greift und stößt nicht nur auf dingliche Natur, sondern sie berührt und verschmilzt zudem mit der Haut- und Handgrenze der Wesen gleicher biologischer Art. Es ist die Sprache, die sich über die augen- und handgeführten Bewegungen des Körpers in andere Körper vor- und hineinschiebt und eine eigene Welt der Kommunikation von Gefühlen, Bildern und Vorstellungen aufbaut und sichert. Der Mensch ist biologisch ein "Mängelwesen", anthropologisch ein Sprachwesen, soziologisch ein Kommunikationswesen. Im Miteinandersprechen und Wechselverständnis entfaltet sich "Gemeinschaft'' - naturentlastet, sprachgeführt, geist-autonom. "Diese Orientierung der Antriebe gehört zu den bedeutendsten Ereignissen der Weltbemächtigung eines instinktentbundenen Wesens, und der allgemeine Sachverhalt, wie die Welt in das Innere des Menschen durch die Sprache hineinwächst und umgekehrt die Sprache das Innere nach außen wendet" ist von Herder zuerst beschrieben, von Nietzsche fortgeführt und von der modernen Sprachwissenschaft bestätigt worden. Über das lautvolle und "lautlose Denken", über die Kommunikation des Menschen mit anderen und mit sich also, läuft seine "äußere und innere Sozialisierung". Seine Weltgrenze ist seine Sprachgrenze als kommunikative Gemeinschaftsleistung. Freilich um der Gewalt fremder Dinge, Körper und "Geister" zu widerstehen und um diese selbst wieder zu überwältigen, bedarf die menschliche Gemeinschaft Zucht und Ziele, zumal der vitale Antriebsüberschuß und die geistige Willensenergie eben nicht nur den einzelnen Menschen, sondern auch seine Sprachgemeinschaft in die Entwicklung zu einer "höheren Stufe" hinauftreibt.
Die Geburt der Systeme aus dem Geist der Institutionen
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Das "System der Institutionen" öffnet eine neue, höhere Welt der Kategorien; ihre "Führungssysteme" greifen weit über den gemeinschaftlichen Horizont der Hände, der Augen und Ohren, der gesprochenen und denkstummen Sprache hinaus. Die "unbestimmten Verpflichtungen" werden kulturschöpfend umgewendet in die Imperative von Recht und Religion. Aus der "Reziprozität" der Gemeinschaft entsteht der Staat mit seinen Rechtssetzungen und herrschaftlichen Schichtungen: Der "Sachzwang" des Überlebens in einer feindlichen Außenwelt und des Überwältigens anderer Gemeinschaften setzt den Staatszweck und kehrt ihn nach innen als Rechtsgeltung und Sozialzwang. Treibt die "äußere Natur" den Menschen in die Institutionen des Staates, so stößt ihn seine "innere Natur" in die gruppenorganisierte Religion. Im Rhythmus der tanzenden Körper, in den für Auge und Ohr "dargestellten Riten", in den jahresfestlichen, periodischen Erzählungen der Ursprungsmythen wird eine Welt von Dämonen, Geistern und Göttern imaginiert und appelliert, die sich am Ende - in Wechsel- und Gegenwirkung zum Großstaat - verdichten zum Monotheos, der Gesetze und Gebote gibt, mit Moral Völker züchtig und züchtet. In der "Spätkultur" bleiben nur Gesellschaft und Geschichte übrig, die doch nur aus dem Staat herausgewachsen und aus der Folgsamkeit des gottgebotenen Heilsweges herausgeläutert worden sind. Die Institutionen als "ursprüngliche Transzendenzen ins Diesseits im Vollsinne" werden- im Rausch der Körperriten, in der Ekstase des mystischen Augenaufschlags, in der Askese der Gotteshörigkeit in eine numiose "Transzendenz des Jenseits" gehoben, deren sich die Hochreligionen mit sakramentalen Kommunionen und dogmatischen Metaphysiken versichern. Zerreibt das geistige Band mit dem "Heiligen" im Fortwirken der Aufklärung, zerfällt die Rechtsgeltung mit dem Niedergang der Könige, kippen aus den Institutionen der Religion und des Staates ereignisblanke Fortschrittsgeschichte und bedürfnispure Nützlichkeitsgesellschaft heraus. Die philosophische Anthropologie Geh!ens führt über seine Soziologie der Institutionen in eine Kritik der Moderne -in ein "Reich der Verrücktheit" ohne staatliche Zucht und ohne religiöses Ziel. Übrig bleibt menschheitlich zerdehnte Familienmoral mit Wohlfahrtsversprechungen und Glückspropaganda - Nihilismus nach der Transzendenzentzauberung der Institutionen. Gewiß, die "Seele im technischen Zeitalter" versinkt in der "Überschwemmung mit fremdgesetzten Reizen" und der "Pleonexie der Bedürfnisse". Sprachgeführtes und moralverpflichtetes Bewußtsein löst sich auf in Massenkommunikation, und politische Institutionen werden durch Wirtschaftsund Sozialorganisationen "ersetzt". Aber- mit Gehlen und doch über ihn hinaus- diese "Supermaschinen" von Medienkultur und Wissenschaft und diese "Superstrukturen" von Wirtschaft, Technik und Verwaltung ziehen nochmals "neue Kategorien" hoch, entlang der neuartigen Wirklichkeiten
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Horst Baier
der Leistungs- und Verteilungsapparate des "organisierten Kapitalismus". Nicht nur die "große Schlüsselattitüde" der alteuropäischen Priester und Philosophen, der kriegerischen und massendemagogischen "Führer" wird zum "leeren Modell" von Kultursimulanten, sondern auch die "kleine Attitüde" der pluralisierten Ich- Querulanten zerstäubt als subjektives Glitzern auf den "Kristallisationen" der Post-Histoire. Und diese neuen Wirklichkeiten der entstaatlichten und entideologisierten Weltgesellschaft sind nicht nur ein ästhetisches Phänomen für Götter und Künstler, sondern bleiben auch ein Erkenntnisthema für Soziologen, sofern sie sich nicht nur erinnern und beklagen, sondern Gesellschaften auf dieser höheren Entwicklungsebene beobachten und beschreiben wollen. Die Systemtheorie Niklas Luhmanns erfaßt die schon von Gehlen diagnostizierten verselbständigten "Superstrukturen" und die selbstlaufenden "Supermaschinen" der Postmoderne. Sie hat das Auge-Hand-Sprachmodell Gehlens anthropologisch entkernt und die Sinn- und Führungsleistungen seiner Institutionen entherrschaftlicht - natürlich auch auf dem Rücken anderer Großtheorien, so des Strukturfunktionalismus von Taleoft Parsans und der allgemeinen Systemtheorie von Ludwig von Bertalanffy. Der Mensch wird als triebkumuliertes "Angstsyndrom" oder als bewußtseinsorganisiertes "psychisches System" zur Umweltirritation oder zur Umweltpenetration der sozialen Systeme. "Erleben" (kategorisierte Welterfahrungen mit Augen und Ohren) und "Handeln" (körpergebundene, gleichwohl motivgelenkte Motorik und Sensorik) werden zu mensch-abstrakten Grenzselektivitäten der Systeme nach außen und innen. Nicht Rede und Schrift, also früh- und hochkultureile Sprache dirigiert sinnvoll die Kommunikationen, sondern symbolisch generalisierte Medien mit binärem Computer-Code. Entlang der Differenzleistungen von Geld und Macht, Wahrheit und Liebe strukturieren sich die Teilsysteme der "Gesellschaft" zu einem vernetzten Netz, das sich durch kontingente Erlebnisimpulse aus der Umwelt und selektive Handlungsentscheidungen in der Innenwelt fortwährend selbsterzeugt und selbstentwickelt, sich selbst steuert und selbst beobachtet. Sprachhandlungen und Bewußtseinsleistungen des Menschen werden zu Basis-und Programmoperationen der Funktionssysteme - selbstprozessierend und selbstreferentiell, eben "entlastet" von den biotischen Natur- und psychophysischen Geschichtsprozessen der Leiber und Seelen. Die Gehlensehe "Geburt der Freiheit aus der Entfremdung" wird fort- und hinaufgetrieben in die Autonomie und Autopoiesis von entwicklungsgeschichtlich herausdifferenzierter Sinnkommunikation als Sozialstrukturen - ohne Menschen, mittels noch menschlicher und zunehmend maschineller Leistungen. Nicht "soziale Handlung" ist die Grundkategorie der Soziologie, sondern "Kommunikation"; nicht anthropologische Analytik der Institutionen entlang ihrer "idees, directrices" ist ihre Aufgabe, sondern Kommunikation der
Die Geburt der Systeme aus dem Geist der Institutionen
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Sinnsynthesen im System der sozialen Systeme im Takt der "distinctions directrices", der "Gesellschaft". Freiheit wird zur Wahl von Entwicklungsalternativen emergenter Systeme. Nicht mehr Vergangenheit, belastet mit dem Klageruf nach dem vertanen Staat und den verlorenen Göttern, sondern die Zukunft öffnet sich - menschenentlastet und doch sinnerfüllt. Die "Resubjektivierung entfremdeter Sozialformen in den sekundären Systemen zu kulturellen Objektivationen" war die Antwort Hans Freyers gewesen- Spätidealismus mit resignativer Scharfsichtigkeit für die auslaufende" Weltgeschichte Europas". Die "Trennung von Motiv und Zweck" war die Formel Arnold Gehlens, mit der die Bahn der überpersönlichen Institutionen beginnt und in "sekundärer Zweckbesetzung" mit Rechts- und Moralimperativen aufgeladen wird- Spätrealismus mit zynischer Vernichtung des Subjekts in seiner meta-physischen und meta-sozialen Schlüsselstellung. Das Differenzschema System-Umwelt von Nik/as Luhmann wirft die subjektiven und objektiven Zwecke in die europäische Geschichte zurück und nivelliert den "Schichtenaufbau der Persönlichkeit" und die Stratifikation der Herrschaftsinstitutionen, vor allem des Staates und der Klassengesellschaft, zur Entwicklungshorizontalen der funktionalen Differenzierung. Solche Sozialsysteme als Evolutionsprodukte sind um weltoffen, verarbeiten aber die Informationen der "Faktenaußenwelt" nicht wie bei Gehlen zu Motiven, sondern zu systemeigenen Sinnintentionen. Sie sind gleichwohl funktionsgeschlossen und ordnen die "Fakteninnenwelt" nicht nach einer "idee directrice", sondern mittels der Sinnoperationen der systemspezifischen Kommunikationen. Die anthropologische "Reizüberflutung" Geh/ens wird transformiert in die Umweltkomplexität der Systeme Luhmanns; die "Überlastung der Instutitionen" durch überdeterminierte Ordnungsleistungen wird übersetzt in die Eigenkomplexität, die permanent Reduktion von umwelteingeschossenen wie von selbsterzeugten Kontingenzen verlangen. Aber gerade dieses Feuerwerk von äußeren und inneren Zufallseinschüssen zwingt die Funktionssysteme zu fortwährender Selektion und Variation, Kombination und Permutation; gerade die Kanonade von Risiken und Gefahren, die innere Unterbrechungs-und äußere Vernichtungsdrohung für die medienläufige Kommunikation treibt die Gesellschaft zur lebendigen, zukunftsoffenen Entwicklung. Nicht Dekadenz der Institutionen, sondern Evolution der sozialen Systeme ist der Fazit der Soziologie Luhmanns. "Rechne mit deinen Beständen", zitierte Gehlen Gottfried Benn aus dem "Ptolemäer" und meinte- angesichts der kristallisierten Kultur und geronnenen Geschichte- , daß der Rat des Poeten nicht mehr nur dem Einzelnen, sondern jetzt "der Menschheit als ganzer zu erteilten ist. Die Erde wird demnach in der gleichen Epoche, in der sie optisch und informatorisch übersehbar ist, in der kein unbeachtetes Ereignis von größerer Wichtigkeit mehr vorkommen kann", diese planetarische Zivilisation wird religiös und
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Horst Baier
politisch "überraschungslos. Die Alternativen sind bekannt ... und sind in allen Fällen endgültig". Mir scheint, Arnold Gehlen war selbst ein Ptolemäer, gefesselt an die Bestände eines vergehenden Weltbildes. Gottfried Benn blieb im zerstörten Berlin, in einer Arztpraxis ohne Patienten, allein "die Soziologie und das Leere"; dem Soziologen nur der Nihilismus. Es war ein Medusenblick zurück - Kristallisationen und Sedimente. Die kopernikanische Wendung der Soziologie wird zeigen, welche Überraschungen eine Weltkultur dem Beobachter noch zuwirft und welche Alternativen eine Weltgesellschaft ihrem Reschreiber vorauswirft. Der Computus aller sozialen Systeme, der Programmbefehl für die Großrechenanlage der Gesellschaft heißt dann nicht mehr wie die Lebensmaxime des Poeten und seines Soziologen: "Erkenne die Lage. Rechne mit deinen Defekten, gehe von deinen Beständen aus, nicht von deinen Parolen" - so das genaue SennZitat-, sondern viel zukünftiger: "Berechne die Risiken und beschreibe die Gefahren, entwickele das System und benütze Deinen Code." Das letzte Wort der Leipziger Schule war das Verschwinden der Menschen in den Strukturen, das erste Niklas Luhmanns die Selbstbewegung und Selbsterzeugung der Strukturen - ohne Menschen. Das nenne ich die Geburt der sozialen Systeme aus dem Geist der Institutionen.
Aussprache zu dem Referat von Horst Baier Klages: Vielen Dank für diesen schönen und umfassenden Vortrag. Es zeigt sich natürlich, daß unsere Einteilung brüchig ist, denn der Vortrag hat bereits eine starke Brücke in Richtung unseres Abschnitts Nr. 5, Wirkung und Anwendung der Theorie Gehlens geschlagen. Die These einer engen Verbindung Luhmanns zu Gehlen ist natürlich für sich schon außerordentlich interessant, aber Herr Baier hat ja eigentlich mehr gewollt. Er wollte sagen: Luhmann ist eigentlich eine Fortschreibung und Umkehrung von Gehlen, denn in der heutigen Realität, in der veränderten Situation, in der wir uns befinden, ist nicht mehr Dekadenz der Institutionen durch Subjektivierung, sondern das Umgekehrte, die Evolution entsubjektivierter Systeme nämlich, zum Thema geworden. Gehlen konnte das nicht mehr sehen, so könnte man ergänzen, weil er noch an die Bestände nicht nur eines vergehenden Weltbildes, sondern auch einer vergehenden Situation gefesselt war. Das ist natürlich eine außerordentlich anspruchsvolle These, die wir jedoch im Augenblick voraussichtlich nur fragmentarisch andiskutieren können, weil wir ja noch ein Referat hören wollen. Stag!: Sie haben für Ihren Beitrag zwei Titel gewählt und haben sich offensichtlich zwischen ihnen nicht entscheiden können. Das gleiche hat Herr Klages auch angesprochen, und ich möchte es etwas schärfer formulieren: Haben Sie die Parallelität herausstreichen wollen- also im Sinne von: das erinnert mich an jenes, also Gehlen erinnert mich an Luhmann oder umgekehrt, oder haben Sie eine Fortentwicklung konstatieren wollen, also im Sinne einer Genealogie, wie Sie es im Titel nennen, oder drittens, haben Sie so etwas wie einen Paradigmenwechsel gesehen, wofür die Metapher von Kopernikus und Ptolomäus spräche, die Sie zum Schluß verwendet haben? Mir scheint, daß diese drei Gesichtspunkte in Ihrem Referat nicht ganz klar geschieden waren. Lauermann: Vor drei Jahren sprach ich auf dem Soziologentag über das Thema Luhmann und Gehlen und nun bin ich entsetzt, wie gut Sie das Thema hier bearbeitet haben und wie schlecht ich es damals gemacht habe. Ich will also versuchen, mich hier etwas zu "retten". Sie sagten, Gehlen und Luhmann benutzten technische Sprachformen, Maschinensprache. Benutzen beide aber diese Maschinensprache nicht zy-
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nisch und ironisch? Steht nicht beiden, vor allem Luhmann, die Möglichkeit zur Verfügung, technische Sprachmuster quasi imitationsmäßig zu benutzen? Die zweite Frage betrifft das Verhältnis beider zur Philosophie. Sowohl bei Gehlen als auch bei Luhmann habe ich den Eindruck, daß sie viel mehr über die klassischen Bestände der Philosophen wußten bzw. wissen, als sie sich selbst einräumen woll(t)en. Selbstverständlich mußte Luhmann für die Entwicklung seines Begriffs des Selbstreferentiellen nicht die Biologie bemühen; er hatte diesen Begriff bereits vollständig entfaltet, und zwar mit Hilfe des Regelforschers Gotthart Günter, der mit Modellen der Selbstreflektion gearbeitet hatte. Meine Vermutung ist, Luhmann und auch Gehlen haben die Philosophie heimlich bereits gehabt, aber immer darauf gewartet, daß ihnen irgendeine Einzelwissenschaft das Gedachte verdolmetschen hilft. So könnte man auch verschiedene Textstellen aus "Der Mensch" interpretieren. Eine dritte Bemerkung bezieht sich auf die Rolle der Persönlichkeit bei Gehlen und Luhmann. Sie haben soeben verdeutlicht, daß hier bei Gehlen ein Paradoxon vorliegt. Er selbst "feiert" das Ende der Persönlichkeit, ist indes selbst aber noch eine Persönlichkeit. Nun gut, Luhmann ist keine Persönlichkeit mehr und da er das weiß, ist er noch viel tolldreister als Gehlen. Während Gehlen den schönen Satz prägte, "Eine Persönlichkeit ist eine Institution in einem Falle," so heißt es bei Luhmann, er sei die Selbstbeschreibung des Weltgeistes. Die Selbstreflektion, die Selbstreferentialität der Gesellschaft drückt sich aus in einem Autor der heißt Luhmann - das ist natürlich heimlicher Hege/. Ich möchte noch einen letzten Punkt antippen, in dem ich Luhmann- bei aller Zustimmung zu Ihrer Beschreibung - anders verstehe. Ich denke, Luhmann beginnt seit spätestens zwei 1 ahren mißtrauisch zu werden, ob man nicht bestimmte Muster verwenden könnte, um die Gesellschaft als Gesamtsystem auseinanderzunehmen. Denken Sie z. B. an seine Rede zum Regelpreis. Er spricht dort über Moral in ähnlicher Weise wie Gehlen in "Moral und Hypermoral", möglicherweise, weil er sieht, daß man den Moraleffekt politisch ausbeuten und in das System Politik oder das System Wirtschaft hineinschmuggeln könnte und zwar als bewußte Handlung, um das ganze System zu sprengen. Ich habe den Verdacht, daß Luhmann seit drei oder vier Jahren fragt, ob es nicht doch so etwas gäbe wie eine Grundleitdifferenz des Ökonomischen, die letztlich die anderen Systeme bestimmt. Lipp: Man könnte ja nun zum Verhältnis Gehlen und Luhmann eine ganze Menge sagen. ich habe über beide Autoren gearbeitet, um so kürzer muß ich mich halten. Sie konstatieren von Gehlen her, den Luhmann durchaus kennt und den er in vielen Kategorien widerspiegelt, eine Fortentwicklung zum entfalteten Luhmannschen System und sprechen sozusagen, Luhmannsch ausgedrückt, der Systemtheorie die höhere Komplexität zur Erfassung, nicht
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wahr, der modernen Realitäten zu. Auf der anderen Seite ist aber doch auch etwas verloren gegangen, und daran möchte ich erinnern, etwas, das Sie in der Formel der "anthropologischen Entkernung" natürlich mitgetragen, aber nicht weiter problematisiert haben. Was heißt aber dies, die anthropologische Entkernung? Entkernt, und damit vermindert, ist die Gesellschaft um den "Menschen" - Luhmann sagt ja, der "Mensch interessiert mich nicht" -; verschwunden aber mit dem Menschen ist die Kategorie auch des "Handelns". Die Kategorie des Handeins kommt strategisch in der Systemtheorie nicht vor. Was aber fällt wesentlich weg mit der Handlungskategorie? Es fällt weg die Kategorie der "Wirklichkeit". Wenn man in Modalitäten denkt und zwischen "Möglichkeit", "Wirklichkeit" und "Notwendigkeit" unterscheidet, dann ist "Möglichkeit" bei Gehlen auf "Weltoffenheit" bzw. die Vielfalt der inneren, menschlichen, und äußeren, welthaften, Natur (sive Kultur) bezogen "Wirklichkeit", demgegenüber, ist bezogen auf das Handeln, und "Notwendigkeit", das sind die Institutionen und ihre sozusagen harten, imperativischen Vorgaben. Bei Luhmann ist das sehr kompliziert. In meinen Augen stellt Luhmann, ich kann es nicht ausführen, einen Möglichkeitstheoretiker katexochen dar, einen Mann, bei dem die Kategorie des Wirklichen, eben das Handeln, total verkürzt ist. Zwar könnte man "Selektion" hier als Äquivalent anführen, aber Selektion wird von Luhmann ja den Systemen zugerechnet; sie betrifft menschliche Entscheidungen nur indirekt, und die Systeme können immer auch anders. Was in Luhmanns Systemtheorie also wegfällt, was ich vermisse und was ich mit Gehlen festhalten würde, ist dieser Blick für die Wirklichkeit, ein Blick, der ein Blick auch für das Dramatische, Handlungsdramatische, und Tragische an der Wirklichkeit ist. Für Luhmann existieren selbst in dem Buch "Ökologische Kommunikation", das von Ökologen - ich glaube, zu Recht - kritisiert wurde, in Kultur und Gesellschaft "Probleme", die den Namen verdienen, eigentlich nicht. Schon gar nicht gibt es Tragik, Dramatik für ihn. Die Systeme werden schon irgendwie zurechtkommen. Diejenigen, die es dramatisch haben wollen, so würde er wohl antworten, mögen den Fußballplatz frequentieren, oder sonst etwas, und wenn sie es tragisch haben wollen, können sie vielleicht zum Psychiater gehen. Papalekas: Der Titel, den Herr Baier für sein Referat gewählt hat, ist eine schön klingende Metapher von Nietzsches "Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik". Metaphern sind manchmal durchaus nützlich, können aber auch zu bedenklichen Konstruktionen verleiten und in sich wenig stimmige Sachverhalte suggerieren. Dies scheint mir hier der Fall zu sein. Der von Herrn Baier unternommene Versuch, zwischen der Institutionslehre Gehlensund der Systemtheorie Luhmanns eine Art dialektischen Zusammenhang herzustellen, Gehlen sozusagen als "Vorläufer" Luhmanns zu stilisieren, ist m. E. nicht überzeugend. Sicher hat Luhmann, wie viele andere auch, von Gehlens Werk profitiert, das besagt aber noch nichts über den "Geist" der
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dabei jeweils entwickelten Theorien und Theoreme. Man denke etwa an Habermas, der Gehlen punktuell sogar in substantiellen Fragen, vor allem in der anthropologischen Ableitung der modernen Technik folgt, ohne daß man deshalb von einer geistigen Verwandtschaft zwischen beiden sprechen könnte. Habermas lehnte bekanntlich Gehlens Anthropologie in wesentlichen Teilen ab, auf das Erscheinen von "Moral und Hypermoral" reagierte er äußerst heftig. Gehlen wiederum nannte einmal Habermas einen "futorologisch gesonnenen Philosophen"; das ist keine schmeichelhafte Charakterisierung, aber immerhin eine Charakterisierung. Es ist andererseits auffallend, daß Gehlen sich nie auf Luhmann bezogen oder ihn auch nur erwähnt hat. Umgekehrt nimmt auch Luhmann in seinen zahlreichen Schriften kaum Notiz von Gehlen. Wie erklärt sich dieses gegenseitige "Ignorieren"? Es wäre m. E. falsch, hier Mißverständnisse oder hintergründige "strategische" Überlegungen oder Eitelkeiten von Gelehrten zu vermuten. Weder hat Gehlen die vermeintliche Verwandtschaft seiner Institutionenlehre mit Luhmanns Systemtheorie "übersehen", noch "verschweigt" Luhmann die angebliche "Geburt der Systeme aus dem Geist der Institutionen". Der Grund für den Mangel eines gegenseitigen Bezugs liegt vielmehr in der Andersartigkeit und Inkompatibilität der Fragestellungen und wissenschaftlichen Anliegen von Gehlen und Luhmann. Es wäre eine reizvolle Aufgabe, diese Problematik im einzelnen zu erörtern, was natürlich hier nicht geschehen kann. Es sei aber stichwortartig auf einige in diesem Zusammenhang, wie ich glaube, wichtige Gesichtspunkte hingewiesen. In seiner Handlungstheorie geht es Gehlen um die Klärung der Handlungsbedingungen, und zwar der anthropologischen Handlungsbedingungen des Handlungssubjekts, Luhmann hingegen interessiert sich für die funktionalen Bedingungen der Systemerhaltung und Systementfaltung; Gehlen versteht soziale Zusammenhänge als Handlungszusammenhänge, während Luhmann Handlungszusammenhänge als Systeme interpretiert; Gehlen steht in der Tradition der "Wirklichkeitswissenschaft", Luhmann in der der "Gesetzeswissenschaft". Der Vergleich, der durch die Berücksichtigung weiterer Merkmale noch wesentlich ergänzt und erweitert werden könnte, macht deutlich, daß es sich bei Gehlen und Luhmann nicht um Exponenten unterschiedlicher Stufen oder Etappen eines evolutionistischen Wissenschaftsprozeß, sondern um Repräsentanten unterschiedlicher Stränge wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung handelt. Wie groß die Diskrepanz zwischen ihnen ist, zeigen die im selben Jahr 1969 erschienenen Bücher Geh/ens "Moral und Hypermoral" und Luhmanns "Legitimation durch Verfahren" überdeutlich. Gehlen hielt nichts vom Aufbau künstlicher Wirklichkeiten und von über den Realitäten schwebenden Systemen, er hatte zudem eine tiefe Abneigung gegen den systematischen Eifer, der sich in eine esoterische Sprache kleidet und die Wirklichkeit verhüllt anstatt sie zu erhellen. In seinem Aufsatz "Die ethische Tragweite der Verhaltensforschung" aus dem Jahre 1972 schrieb Gehlen den unmißverständlichen Satz:
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"Begriffsgebäude, anspruchsvolle Konstruktionen, sogenannte Systeme sind zu vermeiden, Empirie heißt die Forderung der Stunde." Dieser Satz erinnert an einen Aphorismus Nietzsches aus der "Götzendämmerung", in dem es heißt: "Ich mißtraue allen Systematikern und gehe ihnen aus dem Weg, der Wille zum System ist ein Mangel an Rechtschaffenheit." Spinner: Sie haben die Gehlensehe Vorstellung vom Auge-, Hand-, Sprachmodell sehr eindrucksvoll geschildert. Gestatten Sie bitte vier Fragen zu dem meines Erachtens problematischen Übergang vom Führungssystem Sprache zum Führungssystem Institutionen.
Dazu meine erste Frage: In Brechts Lehrstück "Die Maßnahme" steht zur Verteidigung der kommunistischen "Die- Partei-hat-immer-recht" -Doktrin, daß der Mensch zwei Augen habe, die Partei dagegen tausend Augen; desgleichen für die Hände und sonstigen leibhaftigen Organe. Aber das stimmt doch gar nicht. Institutionen haben nicht einmal zwei Augen. Sie haben weder Auge, noch Hand, noch Sprache, sondern sind von sich aus blind, taub, stumm und dumm. Wie bitte können sie dann zu Führungssystemen werden? Ist das nicht ein klassischer Fall dessen, was ich die Übergeneralisierung einer an sich richtigen Idee ins Metaphorische nannte? In anderem Zusammenhang sprach Hans Lenk mit Bezug auf Gehlen von "Überdehnungsfehlschlüssen". Die zweite Frage: Gehlen sagt, zur Sonderstellung des Menscpen gehöre, daß er sein Leben führen müsse, anstatt es einfach vor sich hin leben zu können. Wie zum Teufel kann einer sein Leben führen in einem halbwegs anspruchsvollen Sinne-- also einigermaßen reflektiert und "wissensbasiert", wie man heute sagen würde - , wenn nach Gehlens eigenen Worten die Notwendigkeit zu handeln viel weiter reicht als die Möglichkeit zu erkennen? Meine anschließende Frage: Wenn dem beim Führungssystem Individuum mit immerhin zwei Augen, Ohren, Händen so ist, kann sie dann bei den institutionellen Führungssystemen grundsätzlich besser sein? Ein Unterschied zwischen Gehlen und Luhmann scheint mir darin zu liegen, daß die Hauptfunktion der Institutionen bei jenem eine Stabilisierungsleistung ist, während bei diesem die sozialen Systeme in bescheidenem Ausmaß lernfahig sind, durch Informationsaufnahme, Rückkopplung, Verhaltenskorrektur, etc. (mit Hilfe menschlicher Organe: das ist echter Organersatz, aber nicht beim Menschen durch Technik, sondern genau umgekehrt!). Mir scheint, daß es bei Gehlen überhaupt nicht auf die Qualität der Problemlösung ankommt, also auf Güte der Führungsleistungen, sondern nur auf deren Entschiedenheit und Beständigkeit im Sinne der Stabilisierungsfunktion von Institutionen. Meine vierte und letzte Frage: Ist das bei Luhmann eigentlich wesentlich anders, trotzdessen "responsivierer" und insgesamt modernerer Auffassung
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von Institutionen? In welchem Sinne also können wir von der Führungsleistung der Institutionen sprechen, wenn es dabei gar nicht so sehr um die Qualitätsfrage der Problemlösungen angeht, sondern um irgendwelche anderen Merkmale, die aber beim Anlegen anderer Maßstäben gar nicht so wichtig sein mögen, möglicherweise sogar kontraproduktiv sind, oder moderner ausgedrückt, kontraevolutiv? Üner: War nicht das Hauptanliegen der "Leipziger Schule" in den Jahren der Zwischenkriegszeit, der Zeit ihrer intensivsten Zusammenarbeit, die "Überwindung der Universalgeschichte", d. h. damit auch einer "Geschichtsteleologie"? Die beiden großen "Wissenschaftspäpste" des ausgehenden 19. Jahrhunderts in Leipzig, Kar/ Lamprecht und Wilhelm Wundt (beide Lehrer von Hans Freyer), hielten bei allen Versuchen zur "Konkretisierung" der Geschichte- von der "Geistesgeschichte" zur Kultur- und Sozialgeschichte - doch immer noch an einer universalhistorischen Konstruktion fest; Lamprecht z. B. entwickelt eine Stufentheorie vom "symbolischen" bis zum "subjektivistischen" Kulturleben, Wundt entwirft in seiner "Völkerpsychologie" eine Evolutionstheorie von primitiven zu fortgeschrittenen Gesellschaften. Freyer und Gehlen wollen nun gegen eine solche theoretische Vorbestimmung, die nur aus Gedankenmodellen stammt, vorgehen und wollen die Universalgeschichte ersetzen durch eine "konkrete" Geschichte, die sich nicht von selbst vollzieht, sondern die in jedem Augenblick gestaltet werden muß. Freyer hat damals die positive dialektische Beziehung von Objektivationen und sozialem Vollzug, von "Form" und "Leben" deutlich herausgestellt, die auch in der wissenschaftlichen Analyse nicht aufgelöst werden darf. Es ist fraglich, ob man Luhmann in diese frühe Leipziger Theorie einbeziehen kann. Allerdings besteht eine "Verwandtschaft" zum Spätwerk Freyers und Geh/ens, in dem eine geschichtliche Gestaltung der technischen Superstrukturen nicht mehr möglich scheint; diese können sehr wohl als "selbstreferentielle Systeme" verstanden werden. Aber besonders Frey er betont doch wieder (in "Schwelle der Zeiten"), daß wir in einer Übergangszeit leben, daß wir die "Schwelle" zur industriellen Gesellschaft noch zu überwinden haben, und hofft damit, daß es danach wieder zu einem konstruktiven Zusammenhang von Kulturobjektivationen und Sozialleben, also zu einer neuen Gesamtkultur, kommen wird. Wenn Sie nun Luhmann an das Ende dieser Genealogie stellen, würden Sie dann sagen, daß der Kampf um die gestaltbare Geschichte verloren ist, daß eine dialektische Beziehung von Handeln und Objektivation ein theoretischer Irrweg war Rehberg: Als ein Beobachter der "Geburt" des Begriffes "Leipziger Schule", finde ich es sehr interessant, wie dieser Begriff sich inzwischen zu etwas Quasi-Objektiven verdichtet und verselbständigt hat. Auf Anregung Helmut Schelskys habe ich 1982 zusammen mit Hans Linde die Aachener Tagung der Fritz Thyssen Stiftung organisiert, die der Frage gewidmet war: "Gab es eine
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"Leipziger Schule" der Soziologie und Sozialphilosophie?". Man hat nun das Gefühl, einer nachträglichen Institutionenbildung beigewohnt zu haben. Allerdings sei angemerkt, daß Helmut Schelsky die Formen von der "Leipziger Schule der Soziologie und Sozialphilosophie" zwar (wie ich denke, aus biographischen Gründen) lanciert, deren Existenz zugleich aber mit kräftigen Fragezeichen versehen hat. Ich möchte kurz noch etwas (gewissermaßen "Philologisches") zu Nicolai Hartmann anmerken: Hartmanns Kategorienlehre wird von Gehlen ja erst spät explizit aufgegriffen - besonders nach dessen begeisterter Rezension von "Der Mensch". Das von Gehlen bereits entwickelte phänomenologische Verfahren wird hinsichtlich der Kategorienbildung durch die scharfsinnige Hartmannsehe Ontologie präzisiert. Insofern haben Sie, Herr Baier, ganz recht, wenn Sie sagen, daß Hartmann für Gehlen der ganz entscheidende Systematisierer einer schon vorliegenden Idee vom Aufbau der menschlichen Leistungen war. Zweitens wollte ich, da sie das angesprochen haben, etwas zur "Asozialität" der Sprache sagen. Ihr eigener, sehr schöner Vortrag ist ja ein Beleg dafür, daß eine gute Paraphrase, die sich auf ein "Sprachspiel" intelligent und adäquat einläßt, viel mehr als eine Paraphrase ist, weil die Sprache selbst kommunikativ ist, selbstreagibel und all das, was Sie sehr treffend dargestellt haben. Die Selbstkommunikation, die Sachkommunikation, die Selbsterweiterung durch Sprache und ein "sprachmäßiges" Handlungsgefüge - all das ist von Gehlen vorzüglich beschrieben worden. Demgegenüber kommt - und nur das meint "Asozialität" im Hinblick auf seinen Ansatz - die interaktive und intersubjektive Einführung der Sprachmuster und Sprechleistungen zu kurz. Übrigens gab Gehlen das selbst zu, sah also, daß er - um sein Bild zu gebrauchen- im Dreiecksverhältnis der Kommunikation eines Akteurs mit den Sachen und mit anderen Personen die personale Interaktion zwar nicht ganz vergessen, doch aber zu sehr vernachlässigt habe, und daß man das in Fortsetzung seiner eigenen Arbeiten stärker noch herausarbeiten müsse. Aber das bedeutet in keiner Weise, daß Sprache in seiner Theorie überhaupt nicht intersubjektiv, also jenseits aller kommunikativen Akte, verankert sei. Schließlich zu Luhmann: Es gibt, ganz so wie Sie es ausgeführt haben und wie auch Herr Lauermann es angedeutet hat, eine theoriegeschichtlich und biographisch eindeutige Genealogie von Gehlen zu Luhmann, eine Überbietung des Gehlensehen Ordnungskonzeptes durch die moderne, hoch reflektierte Theorie sozialer Systeme. Das ist ein neues Niveau der Ordnungsbeschreibung, die ohne jeden normativen Gestus auftritt. Schon bei Gehlen gab es -so wenigstens sah es Herr Ryffel- eine Lücke des Normativen; schon Gehlen schien auf explizite, auf umschriebene, auf historisch-konkrete Formen des Geltensollenden zu verzichten, verließ sich allenfalls noch auf die 6 Speyer 113
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Ordnungskraft abstrakter Geltungen. Aber Luhmann geht hier doch noch einen entscheidenden Schritt weiter. Vor allem dadurch, daß er- selbstverständlich ohne ontologische Absichten, also nur aus "Gründen der Theoriekonstruktion" - die agierenden Träger der sozialen Ordnungen in deren "Umwelten" verbannt. Das radikalisiert den Institutionalismus Gehlens, übrigens in einer Weise, die dieser Selbst gar nicht mehr verstanden, wenigstens nicht goutiert hat: Luhmann hat zum 70. Geburtstag GehJens 1974 in Aachen einen Vortrag gehalten, in dem er sein Konzept der Ausdifferenzierung von Moralen vorgestellt hat. Gehlen hat- wohl auch der Kunstsprache des Festredners wegen - das Raffinement dieser abstrakten Ordnungsbegründung nicht begriffen, sondern in der Diskussion argumentiert wie einer, den Luhmann wohl eher im MSB Spartakus vermutet hätte: "Ach Herr Luhmann, das kommt doch alles vom Kapitalismus ... " Denn in diesem System entsprächen einander die Vervielfältigung der Waren, der ständige Änderungsdruck der Verhältnisse und die Pluralisierung und Abstrahierung moralischer Vorschriften. Aber trotz aller Entsprechungen und Verschärfungen gibt es doch auch wichtige Differenzen, die bei Herrn Baier unterbelichtet blieben: Luhmann verzichtet ja ausdrücklich auf eine handlungstheoretische Dimension (wie auch Herr Lipp erwähnte), und ich denke, daß das auch zu Erklärungsverlusten seiner Theorie führt. So kann er die reale Verknüpfung in den lebenden Menschen nicht hinreichend konzeptualisieren - die Parsansehe Unterscheidung von physischem, psychischem, sozialen und kulturellen Systemen dürfte ja kaum angemessen sein. Da dachte Gehlen vielschichtiger, sozusagen "dialektischer", was - das ist mir auch klar - von Luhmann keineswegs als Vorteil verstanden würde. Es geht mir hier aber auch nicht um Bewertungen, sondern um Differenzen, also um die Aspekte, in denen Luhmann die Gehlensehe Argumentation fortführt und modernisiert und jene, in denen er (mit welchen Folgen immer) alteuropäisches, nämlich subjektgebundenes Denken aufgibt (aus seiner Sicht: überwindet). Gehlen denkt noch ganz von Subjekten, den Handlungsträgern, den Akteuren und den Duldern, den Nutznießern und den Privilegierten, den Pflichtgetreuen und den Gleichgültigen her, wenn er auch um der "Persönlichkeit" willen über biologische Gattungen und soziale "Superstrukturen" reden muß, damit die Chance ihrer Existenz theoretisch begriffen werden kann. Samson: Ihr Begriff einer Sprachgemeinschaft dürfte mehr Probleme aufwerfen, als er löst. Sie grenzen diesen Begriff vom Begriff der Institution bzw. des Systems der Instutitionen scharf ab, indem Sie- mit N. Hartmann zu sprechen - die Institutionen gegenüber der Sprachgemeinschaft als die höhere Stufe oder Schicht bezeichnen. Sicherlich lassen sich nach Gehlen Institutionen nicht auf Sprache reduzieren oder in Sprache "auflösen", sofern dies die sprachlich vermittelte Infra-
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gestellung institutioneller Geltung und Verpflichtung besagen soll. Insofern sind Institutionen gegenüber der Sprache im axiologischen Sinne- so kann man durchaus sagen - etwas "Höheres": allein sie (und eben nicht die Sprache) verleihen der menschlichen Natur die lebensnotwendige Stabilität und Dauer. Da die Frage nach den Stabilitätsbedingungen menschlichen Verhaltens eindeutig im Mittelpunkt seiner Anthropologie steht, kann Gehlen eine eigentliche Sprachgemeinschaft nicht zugeben. Nach Geh/ens anthropologischem Welt- und Sprachbegrifffallen die Sprachgrenzen mit den institutionellen Grenzen zusammen; allein die Institutionen sichern der Sprache über die bloße Bedeutung des sprachlichen Ausdrucks hinweg - ihre Geltungs- und Motivationsfunktion. Es ist von daher nur zu verständlich, wenn Gehlen eine Gemeinschaft immer als institutionell verfaßte Gemeinschaft versteht (etwa Gesamtausgabe, Band li, S. 303, 340), nicht aber als Sprachgemeinschaft, die für ihn viel eher einen defizienten Modus von Gemeinschaft darstellen würde. Überdies hätte von Sprachgemeinschaft zu reden nur Sinn, wenn man für diese Gemeinschaft eine sprachlich vermittelbare Homogenität, Durchsichtigkeit und Wahrheit der Welt unterstellen könnte. Genau diese Annahme könnte aber Gehlen nicht mitvollziehen. Sein Relativismus und seine zuletzt deutlicher hervortretende pluralistische Weltansicht widersprechen jedoch dieser Annahme. "Ich bin gar nicht sicher", schreibt Gehlen an H. Ryffe/, "ob es( ... ) ein unteilbares Ganzes der menschlichen Verhaltenswirklichkeit gibt (... ) Ich neige metaphysisch eher zu einem Pluralismus und glaube nicht recht an eine "Ganzheit" der Welt und folglich auch nicht recht an eine Ganzheit der Kultur oder des Integrals der menschlichen Interaktionen" (Brief vom 8.6.1957). Baier: Sehen Sie mir bitte nach, daß ich aus diesem Universum soziologischer und soziaphilosophischer Fragestellungen, das hier vorgeführt worden ist, jetzt nur einige Punkte herausgreife. Herr Stag/, ich meinte Genealogie im Vollsinne, was sich auch aus der Entwicklung des Themas sehr schon erklären läßt. Ursprünglich wollte ich ja über Schopenhauers und Nietzsches Einfluß auf Gehlen sprechen. Ich wurde dann aber durch Frau Üner auf einen anderen Zusammenhang aufmerksam: die eigentümliche Melange des Idealismus - mit Hege/ und Fichte auf der einen Seite, Schopenhauer und Nietzsche auf der anderen Seite - und Vertretern der empirischen Psychologie, Lamprecht und Wundt, die ihrerseits für die empirische Philosophie Geh/ens von großer Bedeutung gewesen sind. Diese Leipziger Melange, die dann ja auch zu einem Schultypus gefunden hat, wurde zwar nicht objektiv, wissenschaftssoziologisch, wohl aber wissenschaftspolitisch zu einem Problem. Niemand rechnet sich gerne dazu. Nik/as 6•
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Luhmann übrigens auch nicht. All dies darzustellen wäre außerordentlich schwierig und unter den gegebenen Zeitbedingungen wohl gar nicht möglich.
Aber dann kam bei mir die thematische Wende: die Wiederentdeckung des Systembegriffs in der Theorie des objektiven Geistes von Freyer, wo Systeme als Kreisläufe beschrieben werden. Weshalb Kultursysteme, um deren Analyse es Freyer ja ging, plötzlich zu etwas werden, was in sich kreist und aus sich heraus - freilich immer durch menschliche Schaffensprozesse - dann weiterentwickelt wird, muß von der lmmanentisierung aller philosophischen Transzendenzen und Transzendentalthemen her entwickelt werden. Das Aufgreifen des Systembegriffs bei Luhmann hat nicht nur amerikanische Ursprünge bei seinem Lehrmeister Taleoft Parsons, was Luhmann selbst in der Talcott-Parsons-Festschrift sehr schön beschrieben hat, sondern eben auch Ursprünge im Neuidealismus, wie auch im Neufichteanismus der Leipziger. Üner: Der Begriff sekundäres System kommt bei Freyer bereits im "Prometheus" vor, also schon in den zwanziger Jahren und ist demnach kein Begriff aus der Nachkriegszeit. Baier: Ich habe mich eben auf die Theorie des objektiven Geistes gestützt, in welcher der Systembegriff schon voll entwickelt ist, freilich in idealistischer, in neuidealistischer Weise, wie man genauer sagen muß, schließlich handelt es sich ja um einen in bestimmter Weise verstandenen Hege/. Was mich nun besonders interessierte, weil darüber bislang kaum etwas geschrieben wurde, war der Einfluß von Schopenhauer und Nietzsche: dieser eigentümliche Voluntarismus. Es ist eben eine Mischung, sehr selten für philosophische Landschaft Deutschlands oder Europas, eine Mischung des Voluntarismus mit Schopenhauer und Nietzsche und des Neuidealismus mit Hege/ und Fichte. Wer Schelsky kennt, weiß, daß ihn diese Konstellation durchaus bestimmt hat, nicht Schopenhauer, aber Nietzsche. Das setzt sich bei den Leipzigern tatsächlich fort, ohne zu einer klaren innerphilosophischen Position zu werden. Es wird in der Soziologie abgearbeitet. Ich fand, daß der genius loci Speyer bedeutsam ist, da man hier die Fortwirkung dieses Einflusses auf Luhmann zeigen kann, zumal Luhmann in privaten Gesprächen niemals seine tiefe Abhängigkeit von Gehlen im Denken und Schreiben in Frage stellt, wohl aber nicht öffentlich, das ist ganz entscheidend. Er zitiert Gehlen außer in seinen früheren Büchern, wie z. B. in seinem Organisationsbuch, überhaupt nicht, obwohl er Begriffe von ihm, wie "Selbstentlastung" oder "mitlaufende Selbstreferenz" eigentlich rezipiert. Das hat, wenn ich das so sagen darf, auch wissenschafts- und theoriepolitische Gründe, denn es geht um die Rezeption in der amerikanischen Soziologie. Was würden die Amerikaner sagen, wenn z. B. Hennis einmal mehr nachweist - er ist ja auch alt genug und kann es deshalb machen -:
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Auch bei diesem großen Mann war Nietzsche im Spiel? Hätten wir eine solche Weber- Renaissance, wenn wir diese üble Verwandtschaft von Nietzsche bis Hit/er gekannt hätten? Solche Fragen muß man als international wirksamer Soziologe heute einkalkulieren und das respektiere ich in gewisser Weise auch, was mich andererseits nicht dazu bringt, dieses Thema nun selbst zu tabuisieren. Herr Lauermann, mir war nicht bekannt, daß Sie bereits über die Luhmann-Gehlen Genealogie gesprochen hatten. Luhmann selbst sieht jedenfalls -und das ist sehr wichtig- diese Verbindung, diese Genealogie, überhaupt nicht. Er hat neu angefangen bei Ta/cott Parsans in der amerikanischen Systemtheorie. Das ist heute sein Selbstverständnis. Die "Maschinensprache" hat tatsächlich den gleichen zynischen Beiklang wie bei Gehlen. Er hat das bei Gehlen hier in Speyer gelernt. Das Buch "Ökologische Kommunikation" ist eine zynische Abfertigung von Menschen, die meinen, sie hätten Themen für die sozialen Systeme. Sie haben nur Probleme, die sie gefälligst selbst lösen sollen und nicht das System belasten. Da findet sich der schöne Satz- ich halte ihn übrigens für richtig, man kann ihn ja auch nicht zynisch zitieren-: Umweltprobleme- da genügen Gesetze und die Polizei. Wir brauchen keine große Umweltthematik. Wir haben nur keinen Gesetzgeber, wir haben keinen Staat mit den nötigen Sanktionen, der bestimmte Umweltschädigungen angreift- eine These, die auch von Gehlen stammen könnte, aber es ist natürlich unerhört zynisch formuliert. In diesem Buch, das übrigens in großer Auflage verkauft wird- ein großes Ereignis bei einem so schwer geschriebenen Buch - findet sich auch kein einziges Gehlen- Zitat. Zu Herrn Lipp: Verlust?- nein. Wieso ist der Verlust dieser abendländischen Subjektivität, dieser literarischen Fiktion "Persönlichkeit" ein Verlust für den Gegenstandsbereich der Soziologie? Was Herr Rehberg und andere beschreiben als die Soziologisierung der Anthropologie, ist übrigens das Umstellen vom Subjektivitätsthema auf das Interaktionsparadigma, um es in unserer geschwollenen facheigenen Sprache zu sagen. Es kommt nicht darauf an, daß wir solche Subjektresiduen haben als "Akteure", oder wie immer man sie nennen mag. Sondern es kommt auf die sozialen Ausmusterungen oder patterns oder Strukturen an, die sich in den Interaktionen entwickeln und natürlich auch stabilisieren. Warum ist das auch kein Verlust für die Leipziger Schule? Denken wir auch etwas politisch-historisch! Die großen Themen der Leipziger Schule waren nicht das entmündigte Subjekt, das entrechtete und unter Sinnstifter geratene Individuum, wie es die alten Herren zum Thema ihres wissenschaftlichen Lebensabschlusses gemacht haben, sondern es waren überpersönliche Einheiten. Herr Linde oder Herr Hildebrandt können mich natürlich mit der ganzen Autorität der Leipziger widerlegen. "Volk" bei Freyer, ,,Staat" bei Gehlen und ..Institution", so hat Schelsky noch angefangen in seinem
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berühmten Aufsatz über die Stabilität von Institutionen. Erst als klar war: Das "Volk" ist "futsch", kamen die sekundären Systeme als die Negativfolie dessen, was vorher mit politischen und militärischen Mitteln zur Wirklichkeit werden sollte. Und bei Gehlen ist es doch auch so. Seine Antrittsvorlesung über den Staat ist eindeutig genug. Natürlich war er kein Nazi. Er war ein konservativer Etatist, der mit philosophischen, damals noch gar nicht mit soziologischen Mitteln, in der Hegeischen und Fichteschen Staatsidee stand. Das Ende der Persönlichkeit kam zu dem Zeitpunkt, als der Staat, und zwar der Staat, den Gehlen wollte, nicht mehr existierte. Was heißt eigentlich, Herr Samson: "Moral und Hypermoral" genügt auch? Das ist doch dann die Alternative. Familienethos oder Staatsethos, dazwischen gibt es gar nichts. Sie sind entweder ein guter Familienvater mit Anspruchswünschen an den Wohlfahrtsstaat, oder Sie unterwerfen sich einem Staatsethos -und das kann man übrigens in der Schweiz. Die Frage aber ist, ob das heute die moralische Alternative ist, unter der wir stehen. Gehlen spricht in "Moral und Hypermoral" Max Webers Unterscheidung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik an. Schaut man genau hin, entspricht das Familienethos der Gesinnungsethik, und derjenige, der sich staatsloyal verhält bis hin zum leiblichen Opfer für den Staat, ist Verantwortungsethiker. Denn er weiß, daß es Institutionen, d. h. den Staat, geben muß. Wir werden nicht mehr über Max Weber hinauskommen, das steht letztlich hinter diesen Überlegungen. Eine Antwort für eine Gesellschaft, die keine Staaten im Sinne des 19. und frühen 20. Jahrhunderts mehr kannte, eine solche Gesellschaft konnte Gehlen nicht mehr beschreiben oder genauer: er wollte sie nicht mehr beschreiben, weil er einen abgrundtiefen Ekel vor diesen Nachfolgeerscheinungen hatte. So jedenfalls habe ich ihn kennengelernt. Das Individuum ist in seiner verlorenen Mündigkeit ein Spätprodukt der resignierten und auch politisch inkriminierten Leipziger Schule und nichts anderes. Das ist eine politische Aussage, vielleicht auch eine moralische, wie sie - auch von jemandem wie Hans Freyer - zu einer Zeit formuliert und zum Gegenstand der Soziologie gemacht wurde, als dies noch politisch möglich war. Damit habe ich wohl auch eine Antwort zu der Frage von Herrn Papalekas gegeben. Die Nähe von Habermas zu den Leipzigern oder Münsteranern oder wie immer man sie nennen will, ist ja ganz offensichtlich. Habermas ist bei Rothacker, bei Schelling und Fichte in die Schule gegangen. Entdeckt worden ist er nicht von Adorno oder Horkheimer, sondern von Helmut Schelsky, und zwar schon als Student. Über ein Diskursverfahren zu einer universalen Ethik der Menschheit zu gelangen und dieses Diskursverfahren noch auf eine alteuropäische Individualität, die sich ihrer Vernunft mächtig ist, zu stützen, hätte Gehlen meines Erachtens nicht mehr mitvollzogen. Die Leipziger setzten auf überpersönliche Einheiten. Gehlen auf den Staat und seine
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Gesetze. Der Staat iiefert nach dem Niedergang der Religion die Moral, nicht die Individuen im Diskurs. Hinzu kommt, daß die Aussage des herrschaftsfreien Diskurses für ihn politisch kontraproduktiv 1st, weil sie bei Habermas bis heute mit dem Sozialismus verschwistert ist. Denn diese Apelsche transzendentale Kommunikationsgemeinschaft wird ja bei Habermas verstanden als der Sozialismus und über das Universitätsseminar zum Weltsozialismus entfaltet, wie Schelsky immer sagte: Macht die Türen und Fenster auf, jetzt wird die ganze Menschheit so reden wie wir über Fichte, Schelling, Hege/ und Marx. Das hätte Gehlen mit seiner hohen Realistik, die bis zum Zynismus umgeschlagen ist, nie gebilligt und hat es meines Erachtens auch nie gebilligt. Ich frage mich beim Lesen der von Herrn Rehberg sehr schön edierten Texte- Band 7, Einblicke-, ob Gehlen nicht doch auch Feuer für Luhmann gefangen hätte, denn was gilt es denn noch in diesen sozialen Systemen zu retten? Etwas, was wirklich auf den Hund gekommen ist, nämlich das bildungsbürgerliche, angeblich emanzipierte, seiner Vernunft mächtige Individuum. Und das hätte Gehlen am Ende - auch in scharfer Selbstkritik zu sich selbst; er hat sich immer selbst mitliquidiert mit der Kritik an den Intellektuellen - aufgegeben, genauso, wie auch Schelsky diesen Intellektuellentypus in seiner Antisoziologie aufgegeben hat. Es muß einen Grund geben, warum die Leute alle mit einer Antisoziologie enden. Und in gewisser Weise hat das ja auch Gehlen getan. Zu Luhmann: er ist keine Persönlichkeit? Er ist in der Soziologie, als im soziologischen Gelehrtendiskurs Befindlicher, keine sich dramatisierende, theatralisch gebende Persönlichkeit. Er ist dies außerhalb der Wissenschaft. In der Soziologie ist er nur Arbeiter. Deswegen habe ich ja bereits in meiner Luhmann-Geburtstagsrede bemerkt: was heißt denn "Theorie als Passion" bei Luhmann? "Theorie als Arbeit" müßte darüberstehen! Theorie ist für ihn Arbeit, und da hat man gefälligst keine Persönlichkeit zu zeigen, sondern sein Werk vorzuweisen. Aber Sie wissen ja nicht, wer Luhmann außerhalb der Soziologie, außerhalb der Wissenschaft ist: kultiviert und interessiert an europäischer Kunst und Literatur. Wenn man sein Buch über Liebe liest, merkt man doch so etwas. Aber das ist nicht das Thema der Soziologie, und ich bin ihm dankbar für die Befreiung von diesen bildungsbürgerlichen Balastthemen, die wir in der Soziologie, die sich manchmal als Philosophie drapiert, mitschleppen. Ich muß noch etwas zu Herrn Spinner sagen: Führungssystem Sprache, Führungssystem Institution. Ich glaubte Ihren Worten zu entnehmen, daß das Führungssystem Sprache, vor allem als Sprachgemeinschaft, als Intersubjektivität, etwas Gemeinschaftliches, etwas Reales, etwas Erlebbares, Fühlbares und Vorstellbares haben muß. Intersubjektivität ist ein viel zu abstrakter Begriff dafür. Wenn so etwas wie Auge und Ohr, Laute usw. Wirklichkeitsnäher wäre als das Führungssystem Institution, das ja nur
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Gesetze und Strafen kennt, würde ich mit Gehlen den Weg durchgehen wollen zu einer Sprachgemeinschaft. Den Staat aufzubauen, das ist der Optimismus von Freyer und auch noch von Gehlen der dreißiger und vierziger Jahre. Und genau daran ist Freyer gescheitert, in Budapest, spätestens in der Türkei. "Sprachgemeinschaft", "Volksgemeinschaft" sind irreführende Begriffe. Der Staat ist kalt, der Staat hat Verpflichtungen, hat Gesetze und hat vor allem Strafen. Er baut sich auf dem Menschen als Sprachwesen auf, ohne daß diese Menschen sprechen, bis zu einer als vernünftig angenommenen Loyalität zum Staat als einem kalten Ungeheuer -jetzt spreche ich Hobbesianisch. Dies ist selbstverständlich für Gehlen. Er hat es seiner Anthropologie nie widerrufen. Aber auf diesen Staat setzen sich Institutionen. Und damit schließe ich: "Moral und Hypermoral" ist der Aufruf, den Forderungen, den Gesetzen bis zu den Strafandrohungen des Staates zu folgen und nicht wieder nur mitmenschlich miteinander zu reden. Das ist der Gehlen in seiner philosophischen wie soziologischen Entwicklung. Und das ist sein letztes Wort. Seine Trauer war, daß wir keinen Staat mehr haben, dessen Gesetze wir so achten, daß wir uns sogar für ihn opfern. Klages: Herzlichen Dank für die vielfach erhellende Interpretation. Einige Dinge sind zunächst - was zu erwarten war - als These stehen geblieben. Für mich selbst hat sich inzwischen die - fast schon bedrängende - Frage ergeben, ob wir uns hier auch existentiell in Luhmannschen Kategorien zu verstehen haben und was das dann eventuell zu bedeuten hat.
ARNOLD GEHLENS THEORIE DES TECHNISCHEN ZEITALTERS IM KONTEXT DER "LEIPZIGER SCHULE" Von Klaus Barheier, Bottrop-Kirchhellen
I. In der Einleitung seiner Aufsatzsammlung "Studien zur Anthropologie und Soziologie" (1963), die autobiographisch geprägt ist, schreibt Arnold Gehlen u. a., daß er "in seinem nun schon langen akademischen Leben niemals einer wissenschaftlichen "Schule" im Sinne einer inhaltlich ausgerichteten "Gemeinschaft von Lehrern und Schülern" angehört und auch selbst keine begründet" habe. Wie aus den weiteren Ausführungen hervorgeht, dürfte Gehlen in dieser fehlenden institutionellen Bindung auch eine Belastung erblickt haben. "Folglich" hätte er nämlich "seine Gedanken und Theorien allein ... in dem Hauptpunkt gegen die jeweils wechselnden Zeitströmungen" durchzusetzen gehabt 1• Die diesbezüglich vereinzelt im Werk Arnold Geh/ens auftretenden Formulierungen deuten daraufhin, daß 1963 bereits eine Diskussion im Gange befindlich war, die fast zwei Jahrzehnte später - nicht zuletzt beflügelt durch die verstärkt sich abzeichnende Hinwendung der Soziologie zur eigenen Geschichte - in der von Helmut Schelsky 1982 initiierten und in Aachen, der ehemaligen Wirkungsstätte Geh/ens durchgeführten Tagung "Gab es eine ,Leipziger Schule' der Soziologie und Sozialphilosophie?" 2 wiederauflebte. Mit dem Begriff "Leipziger Schule" verbindet sich das Bestreben, angefangen von den Lehrern Hans Freyers Kar/ Bücher, Kar/ Lamprecht, Wi/helm Wundt und Johannes Valkelt über die vier in den 20er und 30er Jahren in Leipzig tätigen "Leitfiguren" Hans Freyer, Theodor Litt, Arnold Gehlen und Gunther Ipsen bis hin zu deren ehemaligen Studenten und wissenschaftlichen Mitarbeitern- u. a. Helmut Sche/sky - , eine nahezu ungebrochene Denktradition aufzuzeigen3 • Das Fragezeichen konnte am 1
Arnold Gehlen, Studien zur Anthropologie und Soziologie, Neuwied am Rhein, Berlin
1963, S. 9.
2 Vgl. Karl-Siegbert Rehberg, Protokoll der Arbeitstagung der Fritz-Thyssen-Stiftung "Gab es eine "Leipziger Schule" der Soziologie und Sozialphilosophie?" am 29. und 30. April 1982 im Gästehaus der R WTH Aachen, vorgelegt von Karl-Siegbert Rehberg unter Mitwirkung von Irmgard Pinn und Elfriede Üner (unveröffentlichtes Manuskript). 3 Zur "Leipziger Schule" vgl.: Hans Linde, Soziologie in Leipzig 1925-1945, in: M. R.
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Ende der Aachener Tagung nicht beiseite geräumt werden, denn jene, die "selbst noch in Leipzig studiert und gewirkt hatten", verneinten im Gegensatz zu den an der Tagung teilnehmenden jüngeren Wissenschaftlern die Existenz einer "Leipziger Schule"4 • Die seitherige Diskussion führte vor allem zu der Einsicht, daß die üblichen Kriterien des Begriffs "Schule" "festgefügtes Lehrer-Verhältnis", grundlegende Schriften, die das Paradigma umreißen, Zeitschriften als Sprachorgan5 -,die sich etwa an der Durkheim-, Chicago- und Parsons-Schule aufweisen lassen und die im einleitenden Zitat Arnold Gehlens mitschwingen, sich kaum auf die "Leipziger" übertragen lassen. Daher wird mit einem ziemlich weit gefaßten Schulenbegriff operiert, der vornehmlich das Augenmerk auf das Vorhandensein thematischer Verbindungslinien lenken soll, die ja immer wieder augenfällig zutage getreten sind. Erinnert sei nur an den von Hans Freyer, Johannes Chr. Papalekas und Georg Weippert 1965 herausgegebenen Sammelband "Technik im technischen Zeitalter"6 , der Kar/ Korn in einer viel beachteten FAZRezension zur Feststellung veranlaßte, daß die komplementären Analysen Hans Freyers und Arnold Gehlens entscheidend zum "inneren Zusammenhang" des gesamten Bandes, in dem "so etwas wie eine Schule" sichtbar werde, beitrügen7• Dem "Zeichen der Zeit", "die Stellung des Menschen in einer Welt der Technik zu reflektieren" 8 , fühlten sich in besonderer Weise die "Leipziger" verpflichtet. Man geht wohl kaum fehl, wenn man es als das Schlüsselthema der "Leipziger" bezeichnet. Neben den bedeutenden Arbeiten der "Theorie Lepsius (Hrsg.), Soziologie in Deutschland und Österreich 1918-1945. Materialien zur Entwicklung, Emigration und Wirkungsgeschichte, Sonderheft 23 der KZfSS, Opladen 1981 , S. I02-130; Elfriede Üner, Jugendbewegung und Soziologie, Wissenschaftssoziologische Skizzen zu Hans Freyers Werk und Wissenschaftsgemeinschaft bis 1933, in: ebd., S. 131-59; Helmut Schelsky, Rückblicke eines "Anti-Soziologen", Opladen 1981. 4 Vgl. Nachbemerkung von Helmut Schelsky zum Protokoll der Aachener Arbeitstagung (Anm. 2), S. 49. 5 Vgl. Wolf Lepenies, Geschichte der Soziologie. Studien zur kognitiven, sozialen und historischen Identität einer Disziplin, Bd. 2, Frankfurt a. M. 1981 (vor allem die Aufsätze von Jerzy Szacki, Edward A. Tiry akian, Nicholas C. Mullins); Karl-Siegbert Rehberg, Aktion und Ordnung. Zur Begründung der Soziologie als Handlungslehre, Ms., Aachen 1986, S. 3. 6 Hans Freyer/Johannes Chr. Papalekas/Georg Weippert (Hrsg.), Technik im technischen Zeitalter. Stellungnahmen zur geschichtlichen Situation, Düsseldorf 1965. 7 Kar/ Korn, Technik heißt unser Schicksal. Ein Sammelband mit zwanzig "Stellungnahmen zur geschichtlichen Situation" - "Technik im technischen Zeitalter": FAZ, Nr. 265 vom 13.11.1965 (Beilage "Bilder und Zeiten"); vgl. auch Eckart Pankoke, Technik als geschichtliche Herausforderung. Bemerkungen zu: Hans Freyer, Johannes Chr. Papalekas, Georg Weippert (Hrsg.), Technik im technischen Zeitalter . .. , in: Moderne Welt 7 (1966), s. 109-ll2. 8 Vgl. Wolfgang Lipp, Technische Welt und menschliche Natur: Test. Katholische Studentenzeitschrift, 8 (1967), S. 36-40 (36).
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des gegenwärtigen Zeitalters" (1955) von Hans Freyer und "Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation" (1961) von Helmut Schelsky hat vor allem Arnold Gehlens Werk "Die Seele im technischen Zeitalter"9 einen bleibenden Stellenwert erringen können. Es ist wohl kein Zufall, daß es zum "populärsten seiner Bücher" 10 avancierte und in der sozialwissenschaftliehen Technikdiskussion bis auf den heutigen Tag nachhaltiger seine Spuren hinterläßt als die Beiträge seiner "Leipziger" Weggefährten. Schon in den Titeln der erwähnten Publikationen spiegeln sich ansatzweise Nuancierungen wider, die zu der naheliegenden Vermutung führen, daß die Auseinandersetzungen mit der modernen Technik und der mit ihr einhergehenden Implikationen für Mensch und Gesellschaft wohl kaum aus einem Guß sind. Wie die thematischen Verbindungslinien in puncto Technikdeutung näherhin beschaffen sind, versucht vorliegender Beitrag- ausgehend von Arnold Gehlen - zu erhellen. Die Rede von der "Theorie des technischen Zeitalters" könnte den Eindruck hervorrufen, als ob es sich um einen recht eigenständigen Traktat seines Gesamtwerkes handle. In seinem letzten größeren Werk "Moral und Hypermoral" (1969) rief Arnold Gehlen einleitend das "Bauprinzip" seiner Schriften in Erinnerung. Er sprach von einer "doppelten Betrachtung", der "jedes menschliche Verhalten untersteht: Es kann unter (spezifischen) biologischen Kategorien beschrieben werden, erscheint aber auf der anderen Seite als ein Produkt der geistigen Durcharbeitung, als ein Produkt auch der Tradition und Zeitlage, der geschichtlichen Konstellationen" 11 • Entlang dieser "zwei Ebenen" entfalten sich die weiteren Darlegungen. Im folgenden Abschnitt richtet sich der Blick zunächst auf die "anthropologische Ansicht der Technik" 12, die auf Einsichten fußt, die Gehlen bereits in seinem Frühwerk - als er noch in Leipzig lebte und wirkte - grundlegte. In einem vergleichenden Abschnitt dieses Kapitels wird gefragt, welche "Ansicht" in 9 Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, Stuttgart 1955; Helmut Schelsky, Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation (1961), in: ders., Auf der Suche nach Wirklichkeit. Gesammelte Aufsätze zur Soziologie der Bundesrepublik, München 1979 ( 1965), S. 449-499; Arnold Gehlen, Die Seele im technischen Zeitalter ( 1957), Neuausgabe, in: ders., Anthropologische und sozialpsychologische Untersuchungen, Reinbek bei Harnburg 1986, S. 145-266. 10 Vgl. Kar/-Siegbert Rehberg, Zurück zur Kultur? Arnold Gehlens anthropologische Grundlegung der Kulturwissenschaften, in: Gesellschaft, Technik, Kultur: 25 J ahre Institut für Soziologie der RWTH Aachen 1962-1987, hrsg. vom Institut für Soziologie der RWTH Aachen, Aachen 1988, S. 73-100 (84), vgl. auch ebd., Anm. 77, S. 97, in der Rehberg den "unglücklich gewählten Titel" der Neuausgabe kommentiert. 11 Arnold Gehlen, Moral und HypermoraL Eine pluralistische Ethik, 3. Aufl. Frankfurt a. M. 1973, S. 9. 11 Formuliert in Anlehnung an Geh/ens Aufsatz "Anthropologische Ansicht der Technik", in: H. Freyer, J. Chr. Papalekas, G. Weippert (Hrsg.), Technik im technischen Zeitalter (Anm. 6), S. 101-118.
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den Werken Hans Freyers und Helmut Schelskys dominiert. (II). Im sodann sich anschließenden Kapitel rückt die zweite Ebene in den Mittelpunkt. Mit dem Stichwort "Erfahrung zweiter Hand" kommt eine der "KonsequenzErstmaligkeiten"13, die das Handeln des Menschen entscheidend verändern, zur Sprache. Schreibt Gehlen 1935, daß man nur der Handlung "im Vollzug ionewerden kann" 14, so entgeht ihm nicht, daß mit fortschreitender Technik die menschlichen Handlungsspielräume eingeengt werden und das Handeln seine Erscheinungsform bis zur Unkenntlichkeit pervertiert, so daß eine "Weltfremdheit", eine "Entwicklung phantastischer und exzessiver Leitideen, Gesinnungen und Gruppengefühle" 15 um sich greifen. Am Beispiel dieses Stichworts wird zugleich aufgezeigt, wie sehr sich die "Lagebeurteilungen" der "Leipziger" treffen. (111). Die Darlegungen münden schließlich in die Fragen: Resigniert Gehlen angesichts dieser Tendenzen im technischen Zeitalter, oder gibt es noch Enklaven, in denen der Mensch unverbrüchlich handeln kann? Wie kann der Mensch den technischen Fortschritt bewältigen? Die Antwort Geh/ens wird mit den entsprechenden Ausführungen Hans Freyers und Helmut Sche/skys verglichen. (IV). Ein abschließendes Kapitel unterstreicht die Bedeutung der Aussagen Arno/d Geh/ens (V).
II.
Alle Analysen über die Technik gehen auf seine Anthropologie zurück. Welch einen Schlüssel Arnold Gehlen damit an der Hand hat, läßt sich auch im Rückblick auf seine philosophischen Frühschriften ermessen. In seinem Frühwerk, das in seinen Leipziger Jahren entstand, geht er nur gelegentlich auf die Technik ein. Der Grundtenor, der die Ausführungen prägt, ist eher negativ gefärbt. In seiner Habilitationsschrift "Wirklicher und unwirklicher Geist" (1931) 1 ~ umschreibt er etwa das Verhältnis zwischen Mensch und Technik ebenso wie dasjenige zwischen Mensch und anorganischer Natur als "inadäquate Seinsverhältnisse" 17, in anderem ZusammenIJ Vgl. Arnold Gehlen, Zur Lage der Soziologie, in: G. Eisermann (Hrsg.), Die Krise der Soziologie, Stuttgart 1976, S. 1-8 (4). 14 Vgl. ders., Der Idealismus und die Lehre vom menschlichen Handeln, in: ders., Gesamtausgabe Bd. 2, Philosophische Schriften: 2, hrsg. von Lothar Samson, Frankfurt a . M. 1980, S. 331. 15 Ders., Chancen der Persönlichkeit in der technischen Zivilisation. Manuskript, Südwestfunk, Kulturelles Wort, Sendung vom 26.9.1961, S. 2 (Gehlen-Nachlaß, Aachen, Signatur: E III 8). 16 Ders., Wirklicher und unwirklicher Geist (1931), in: Gesamtausgabe Bd. I, Philosophische Schriften: I, hrsg. von Lothar Samson, Frankfurt a. M. 1978, S. 113-381. 17 Ebd., S. 159.
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hangspricht er in gleicher Schrift von der "Bestialität der Technik" 18 , und schließlich erblickt er in der "Kooperation von Wissenschaft und Technik" das "Ergebnis einer verirrten Produktivität" 19 • Es wäre nun ein Trugschluß, diese Aussagen Gehlens-aus dem Duktus seines Werkes herausgefiltertals eine Verteufelung der Technik schlechthin zu deuten. Das Werk Arnold Gehlensaus dieser Zeit kann als eine Auseinandersetzung mit den damals vorherrschenden Strömungen des deutschen Idealismus und als Versuch, ihn handlungstheoretisch zu untermauern, gelesen werden. Erst im Handeln erlangt der Mensch nach Gehlen die "Gewißheit des Seins". Dieser "Realität im höheren Sinne" strebt der Mensch zu, wenn folgende Bedingungen gegeben sind: "... der Gegenstand muß ein gegenwärtiger Anderer sein; ein ganzer Einsatz meiner Person, aller Triebe, des Geistes, der Handlung ist erfordert20 ." Solche Momente- genannt ,,Situationen" - sind zwar nicht alltäglich, einmal stattgefunden bestimmen sie aber nachhaltig das zukünftige Handeln des Menschen. Entscheidend für Gehlen ist der Andere auf der Ebene der Interpersonalität. Ist der Mensch hingegen auf bloße Dinge- wie Technik- fixiert, oder bewegt er sich nur in den Regionen der "Reflexion" und der "Phantasie", so richtet er sich nicht auf die "höhere Realität" aus. Wird zum einen das Leitbild des handelnden Menschen in den Frühschriften Gehlens grundgelegt, ist es zum anderen der bereits durchschimmernde Gedanke, daß der Mensch sich nicht direkt verwirklichen kann, sondern nur auf indirektem Wege zum Selbstbewußtsein gelangt21 • Beide Grundgedanken durchziehen trotz einiger Modifizierungen- das gesamte weitere Werk. Mit dem Übergang zur Anthropologie erhält die Bewertung der Technik ein anderes Vorzeichen. Technik wird nunmehr in den Gesamtentwurf des Menschen hineingenommen. In ersten Umrissen zeichnet es sich an der Nahtstelle, die den Übergang zur Anthropologie markiert - das ist sein Aufsatz "Der Idealismus und die Lehre vom menschlichen Handeln" (1935)-, ab. Technik geht eine Symbiose mit dem menschlichen Wesen ein, zu dem "bestimmte Tatsachen wie Familie, Staat, Tradition, Arbeit, Technik usw. notwendig gehören" 22 • Da die Anthropologie den archimedischen Punkt seines Gesamtwerkes bildet, sei sie in Grundzügen rekapituliert. Mit Ebd., S. 181. Ebd., S. 315. 2o Ebd., S. 210/21 I. 21 Vgl. hierzu besonders: Peter Fonk, Transformation der Dialektik. Grundzüge der Philosophie Arnold Gehlens, Würzburg 1983, der in der "lndirektheit" einen Grundzug des gesamten Werkes nachzeichnet; Lothar Samson, Naturteleologie und Freiheit bei Arnold Gehlen. Systematisch-historische Untersuchungen, München 1976. 22 Arnold Gehlen, Der Idealismus und die Lehre vom menschlichen Handeln (Anm. 14), s. 332. 18
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dem Vergleich zwischen Mensch und Tier stellt sich Gehlen in die Linie von Max Sehe/er und Friedrich Nietzsche. Gegenüber dem Tier erweist sich der Mensch als ein zutiefst unfertiges Wesen, das "organisch mittellos", "instinktreduziert" und "weltoffen" -alles in allem als "Mängelwesen"auf die Welt kommt23 • Um zu überleben ist der Mensch auf die "intelligente Veränderung der beliebigen vorgefundenen Naturumstände" 24 angewiesen. Dabei fällt der Technik eine Schlüsselrolle zu. Gehlen erläutert nämlich: "Der Gebrauch der Waffen, des Feuers, die Techniken der Jagd gehören daher zu den arterhaltenden Verhaltensweisen, und Technik wäre ein Wort für den Inbegriff der Sachmittel und der Fertigkeiten ihrer Herstellung und ihres Gebrauchs, die es diesem instinktarmen und schutzlosen Wesen ermöglichen, sich zu halten. " 25 Technik macht also den Mangel an hochspezialisierten, der Umwelt angepaßten Organen, über die die Tiere verfügen, wett und führt je nach Entwicklungsstand und Verwendungsweise der Werkzeuge zum "Organersatz", zur "Organüberbietung" oder gar zur "Organausschaltung". Analog dazu wird auf der Ebene der Sachmittel eine Differenzierung nach "Ergänzungstechniken", "Verstärkertechniken" und "Entlastungstechniken" eingeführt26 • Erst "Spuren der Werkzeugbenutzung" lassen umgekehrt bei geschichtlichen Funden den Schluß zu, daß menschliche Wesen am Werk waren 27• Um die tiefere Verwurzelung der Technik im Menschen offenzulegen, führt Gehlen schließlich die Kategorie des "Resonanzphänomens" ein. Der Bewunderung aller Automatismen schreibt er eine instinktähnliche Qualität zu: "Es muß eine Art inneren Sinn für das Eigenkonstitutionelle im Menschen geben, der auf das anspricht, was dieser Eigenkonstitution in der Außenwelt analog ist." 28 Im Gegensatz zu Gehlen sind nicht wenige seiner Interpreten beim "Mängelwesen" stehengeblieben29 • Die defizitäre Seite des Menschen wird aber gerade überboten von den dadurch gegebenen positiven Kennzeichen des menschlichen Eigenentwurfs, dessen Merkmal die "Handlung" ist. "Plastizi23 Vgl. ders., Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt, Wiesbaden 1978 12 • 24 Vgl. ders. , Anthropologische Ansicht der Technik (Anm. 12), S. 101. 25 Ebd. 26 Vgl. ders., Anthropologische und sozialpsychologische Untersuchungen (Anm. 9), S. 148. 27 Vgl. ders. , Die Technik in der Sichtweise der philosophischen Anthropologie, in: VDI. Zeitschrift des Vereines Deutscher Ingenieure, Bd. 96 (1954), S. 149-153 (149). 28 Ebd., S. 151. 29 Vgl. Brigitte Beier, Die Frage nach der Technik bei Arnold G ehlen und Martin Heidegger, Phi!. Diss., Aachen 1978, die mehrfach betont, daß Technik bei Gehlen zu sehr der Lebenserhaltung untergeordnet werde (vgl. S. 91192); neuerdings: Heinrich Popitz, Epochen der Technikgeschichte, Tübingen 1989, der als G egenthese formuliert: Technik kompensiert nicht einen Organmangel, sondern nutzt eine Organeignung" (S. 53).
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tät" und "Handlung" ermöglichen dem Menschen, sich beständig von seinen Mängeln zu entlasten und setzen ihn frei zu ungeahnten Selbststeigerungen, die auch und besonders an der Technik ablesbar sind, denn Technik bleibt selbst im "Unwahrscheinlichsten schlechthin" ein wahres Spiegelbild des Menschen 30, anders formuliert: "Sie ist, wie der Mensch, ,nature artificielle'"3I.
Mit ihr setzt eine grundlegende Umgestaltung der menschlichen Daseinsverhältnisse ein, die einer fortschreitenden Versachlichung und Indirektheit unterliegen. Vornehmlich zwei Trends bestimmen das weitere Geschehen: (a) organische Stoffe werden durch anorganische Stoffe ersetzt und überflüssig gemacht, und (b) die Objektivation schreitet konsequent vom Werkzeug zum Automaten fort 32 • Seine eigentliche Dynamik erhält dieser Prozeß durch den qualitativen Sprung, den die Technik macht und der zu einer "neuen Technik" führt. Die Zäsur wird durch das "Schlüsselereignis"- gemeint ist die industriegesellschaftliche Veränderung der Gesamtstruktur, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts einsetzt - eingeläutet33 • Zwei Ereignisse drücken in dieser Zeit der Technik ihren Stempel auf: mit der Erfindung der Dampfmaschine emanzipiert sich der Mensch endgültig "vom organischen Leben als Kraftquelle"; die Technik schließt mit der Naturwissenschaft und der Industrie einen Bund, der sich zur Superstruktur verdichtet und als solcher verselbständigt34 • Mit der "technischen Realisation" 35 geht eine räumliche Expansion einher, da sie sich fortan nicht nur auf den Okzident beschränkt, sondern alle Erdteile in ihren Bann zieht. Den Charakter der neuen Technik beschreibt Gehlen auch in Anlehnung an Hans Freyer als eine Umkehr des Zweck-MittelVerhältnisses. Freyer verortete das strukturelle Merkmal moderner Technik darin, daß sie "nicht mehr bloß spezifische Mittel für vorgegebene Zwecke", 30 Vgl. Arnold Gehlen, Anthropologische und sozialpsychologische Untersuchungen (Anm. 9), S. 149. 31 Ebd. 32 Vgl. ebd. 33 Vgl. ders., Die Wissenschaften und das Wissen vom Menschen, in: Die elfte Niederrheinische Universitätswoche und Jahresbericht der Duisburger Universitätsgesellschaft, Duisburg 1959, S. 11-17 (11). 34 Vgl. ders. , Mensch und Technik, in: Die BASF. Aus der Arbeit der Badischen Anilin & Soda-Fabrik, 3 (1953), S. 33-40 (36/ 37); eine interessante Ergänzung der Superstruktur nimmt A. Gehlen in seinem Aufsatz "Bestimmung des gegenwärtigen Kulturzustandes, in: Wissenschaft und Weltbild. Zeitschrift für Grundfragen der Forschung II ( 1958), S. 81-91 vor, in der er sie als "gegenseitige Verflechtung der Gebiete der Wissenschaften, der Industrie, der Technik, der Verwaltung" definiert (S. 82). 35 Vgl. ders. , Das Zeitalter der Kraftproben. Wie stark darf der Staat sein?: Deutschland-Magazin, Nr. 2 (1971), S. 30. "Technische Realisation" und "Superstruktur" sind nach Gehlen synonym .
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sondern "Potenzen für freibleibende Zwecke bereitstelle" 36 • Es sind die "Neuausfaltungen menschlicher Möglichkeiten" 37, die mit der Industriekultur auf den Plan treten, auf die Gehlen sein Augenmerk richtet. Angesichts dieser Zäsur werden Begriffe herkömmlicher Provenience hinfällig. Entsprechend akzentuiert Gehlen in seinem Werk zunehmend die sozialpsychologische Dimension, um die veränderten Handlungskonstellationen unter den Bedingungen des technischen Zeitalters besser entziffern zu können. Damit korrespondiert eine Skepsis bezüglich der Ergiebigkeit historischer Kategorien in der Begriffsbildung der Soziologie. Erhellend sind diesbezüglich vor allem jene Passagen seines Werkes, in denen er sich eingehender mit Max Weber beschäftigt. Mit der zuweilen Gehlen eigentümlichen Schärfe charakterisiert er Webers Ansatz in seinem Aufsatz "Einige Methodenprobleme der Soziologie" (1961) "als retrospektiv beschwert und als wenig aufschlußreich für die große Lageorientierung schon in seiner eigenen Zeit um 1920" 3s. Die Zielrichtung der Technik, die "vor allem die Schlösser der Seele".19 aufbricht, läßt keine andere Wahl. Hans Freyer wanderte mehr auf den Spuren Max Webers, der aus Freyers Perspektive gar noch in den Vorhöfen der von ihm konzipierten doppelten geschichtlichen Einbettung der Soziologie stehen bleibt. Soziologie, eine in einer konkreten geschichtlichen Lage auf den Plan getretene Disziplin, hat beständig ihre Begriffe geschichtlich zu sättigen40 - eine Einsicht, die heute vielfach in Vergessenheit zu geraten droht. Auf dem Hintergrund dieses strukturgeschichtlichen Ansatzes entfaltet er seine Technikdeutung, in der sich der folgende Gedanke wie ein roter Faden durchzieht: Technik darf niemals "blind" und von allen Bindungen emanzipiert dahintreiben. Es gilt, sie in geschichtliche Zielsetzungen einzuspannen4 1• Freyer klammert die J6 Hans Freyer, Über das Dominantwerden technischer Kategorien in der Lebenswelt der industriellen Gesellschaft, in: ders., Gedanken zur lndustriegesellschaft, besorgt von Arnold Gehlen, Mainz 1970, S. 139. Dieses dürfte wohl der am häufigsten zitierte FreyerTitel im Werk GehJens sein. J7 Vgl. Arnold Gehlen/Theodor W Adorno, Ist die Soziologie eine Wissenschaft vom Menschen? Ein Streitgespräch, in: F. Grenz, Adernos Philosophie in Grundbegriffen, Auflösung einiger Deutungsprobleme, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1975, S. 225-251 (228). Js Arnold Gehlen, Einige Methodenprobleme der Soziologie, in: Erkenntnis und Erziehung. Festschrift für Richard Meister, Wien 1961, S. 23-28. (26). J9 Vgl. ders. , Über den Wandel ethischer Anschauungen, in: Festschrift für Richard Lange zum 70. Geburtstag. Herausgegeben von G. Warda, H. Waider, R. von Hippe!, D. Meurer, Berlin, New York 1976, S. 639-648 (648). 40 Vgl. Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft. Logische Grundlegung des Systems der Soziologie, zweite Auflage, unveränderter Nachdruck der ersten Auflage von 1930, Stuttgart 1964. 41 Vgl. ders., Zur Philosophie der Technik, in: Blätter für Deutsche Philosophie, Bd. 3 (1929/30), S. 192-201; ders., Philosophie und Technik, in: Mitteilungen der Hannoverschen Hochschulgemeinschaft, 10 (1928), S. 60- 67.
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anthropologische Ansicht der Technik im Sinne Arnold Gehlens nicht ein; die anthropologische Deutung bildet aber bei ihm nur eine Argumentationsschicht, die von der ihm eigentümlichen geschichtlichen Sichtweise überlappt wird. Ebensowenig kann von Gehlen behauptet werden, seine Begriffsbildung sei zu statisch und ignoriere die geschichtliche Dimension. Gerade die Geschichte hat für Gehlen einen eminent hohen Stellenwert. Was sind letztlich Institutionen? Sie sind nichts anderes als geschichtlich gesättigte Gebilde. Das Gewicht, das geschichtlicher Wandel in seinem Denken einnimmt, kommt auch sinnenfällig in der Auffassung von Soziologie zum Ausdruck, die er als "Wissenschaft von den Institutionen im Zeitabfluß"42 definiert. Deutlich weist Gehlen in seinen Arbeiten auch immer wieder auf die zehrende Seite des Fortschritts hin, der gerade diese haltenden Mächte erschüttert. Es handelt sich also um Schwerpunktbildungen in den Werken von Hans Freyer und Arnold Gehlen, die ihre Genese verschiedenen Einflüssen verdanken. Erhält Gehlen bei seiner Ausarbeitung des anthropologischen Ansatzes viele Anregungen aus dem Umfeld der aufkommenden Verhaltensforschung43, so ist es im Falle Hans Freyers Wilhelm Dilthey, dessen Werk ihn bei dem Ansatz, Soziologie einer geschichtlichen Fundierung zu unterziehen, inspirierte. Beide legen mit ihren Ansätzen frühzeitig ein Fundament, das Ausgangspunkt und Mitte aller weiteren Arbeiten abgibt. Anders verhält es sich bei dem jüngsten der drei "genuinen" Leipziger, bei Helmut Schelsky, der mehrfach hervorgehoben hat, daß er, was die inhaltliche Seite seines Werkes anbelangt, in vielem an Arnold Gehlen anknüpfe, hingegen in der "Lebens- und Verhaltensweise" 44 Hans Freyer ihm zum Vorbild geworden sei. Als "Zug zur Modernität" beschrieb Gehlen einmal die "Emanzipation" der Soziologie von "theoretischen Ambitionen" 45 • Liest man unter diesem Blickwinkel Helmut Schelskys aus dem Jahre 1959 stammende Schrift "Ortsbestimmung der deutschen Soziologie"46 , so erscheint sie wie eine einzigartige Einlösung dieses Anspruchs. Weniger von der Theorie als vielmehr von den konkreten Anwendungsfeldern leitet sich nämlich demzufolge das Selbstverständnis der Disziplin ab. Darin blieb Schelsky sich auch Vgl. Arnold Gehlen, Zur Lage der Soziologie (Anm. 13), S. 2. V:~L z. B. Alfred Heuß, Philosophische Anthropologie und der Wandel des Menschlichen: Uberlegungen im Hinblick auf die Theorie Arnold Gehlens, in: Saeculum 30 (1979), S. 124-186, vor allem S. 124-128. 44 Vgl. Helmut Schelsky, Die verschiedenen Weisen, wie man Demokrat sein kann. Erinnerung an Hans Freyer, Helmuth Plessner und andere, in: ders., Rückblicke eines ,.Anti-Soziologen" (Anm. 3), S. 134-159 (158). 45 Arnold Gehlen, Genese der Modernität- Soziologie, in: H. Steffen (Hrsg.) Aspekte der Modernität, Göttingen 1965, S. 31-46 (33). 46 Helmut Schelsky, Ortsbestimmung der deutschen Soziologie, Düsseldorf, Köln 1959. 42 43
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noch in seiner "Anti-Soziologie" treu. Der auf Praxis angelegte und die Sozialstrukturen vornehmlich in den Blick nehmende Ansatz verlieh aber nicht seinem Werk die innere Konsistenz, die das Werk sowohl Arnold Geh/ens als auch Hans Freyers vermittelt. Auf diesenUmstand läßt sich wohl eine Erscheinung zurückführen, die des öfteren bei Schelsky zu beobachten ist. Auf der einen Seite lieferte er immer wieder "Stichworte, die den Zeitgeist trafen" 47 und in Kurs gesetzt sogleich die Runde machten. Auf der anderen Seite neigte er dabei nicht selten zu übersteigerten Formulierungen, an denen er im weiteren Gang seines Werkes wieder vorsichtige Korrekturen anbrachte. Dieses ist auch der Fall bei der "Eigengesetzlichkeit" der Technik, sprich seiner Sachzwangthese. In seinem bekannten Aufsatz "Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation" kommt es zu einer "Verabsolutierung der Komponente Technik", die die "Eindimensionalität des Modells" nach sich zieht. 48 Damit entfernt sich Schelsky von den anderen Leipzigern, die stets am subjektiven Pol des Prozesses festhielten. Nur wenig später rückt er das Bild wieder zurecht. In seiner Schrift "Einsamkeit und Freiheit" weist er im Jahre 1963 ausdrücklich "auf die Notwendigkeit der Gestaltung der Sachgesetzlichkeiten" hin49 • Auch seine Gehlen-Nachfolge verläuft nicht so geradlinig, wie er es rückblickend in seinen autobiographischen Aufsätzen einfließen läßt. Das läßt sich ebenfalls an der Technikdeutung ablesen. Schelsky schließt sich zwar der anthropologischen Deutung Geh/ens im ersten Schritt an, rückt aber im sodann folgenden Schritt von ihr ab, wenn er ausführt: "Gewiß ist dieses Prinzip des "Organersatzes", der "Organentlastung" und der "Organüberbietung" auch noch in der modernen Technik enthalten, aber es trifft nicht mehr das Wesentliche dieser Technik, weil in ihm immer noch ein Mensch-Welt-Verhältnis vorausgesetzt wird, in dem der Mensch sich mit prinzipiell werkzeughaften Organen der Natur gegenüberfindet, sie bewältigt und ausbeutet. Der entscheidende Umweg des Menschen über den Kopf oder besser gesagt: über das die Welt analysierende und sie neu synthetisierende Bewußtsein, ist dabei unterschlagen. " 50 Schelsky läßt aber Gehlen nur 47 Vgl. Wolfgang Lipp, Art. "Schelsky", in: Staatslexikon, 7. völlig neu bearbeitete Auflage, Bd. 4, Freiburg, Basel, Wien 1988, Sp. 1019-1021 (1019). 48 Vgl. Johannes Chr. Papalekas, Herrschaftsstruktur und Elitenbildung- ein bleibendes Problem der gesellschaftlichen Wirklichkeit, in: Jahrbuch für Sozialwissenschaft 14 (1963), S. 59-83 (80). 49 Ebd., S. 82, Anm. 77; vgl. Helmut Schelsky, Einsamkeit und Freiheit. Idee und Gestalt der deutschen Universität und ihrer Reformen, Harnburg 1963. so Helmut Sche/sky, Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation ( 1961 ), (Anm. 9), S. 457. Vermutlich haben seine Ausführungen bei den Hörern seines Vortrages gerade in diesem Punkt einige Mißverständnisse hervorgerufen. Es ist wohl kein Zufall, daß er am Schluß seiner Diskussionszusammenfassung noch einmal die anthropologische Seite unterstreicht: "Daß irgendwelche Technik zur Bewältigung der Umwelt vorhanden sein
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scheinbar hinter sich, da sich die Ablehnung in einer Schieflage befinden dürfte insofern als daß sie die "Superstrukturen" ausblendet. So dürfte es sich eher um eine der "Verkürzungen" 51 handeln, die bei Schelsky im Verhältnis zu den anderen Leipzigern tonangebend sind. Dieses tritt auch noch in anderer Hinsicht am Technikbegriff zutage. Er geht immer wieder von einer "Typologie von drei verschiedenen Arten von Technik" aus und unterscheidet Produktions-, Organisations- und Humantechniken 52, die im Grunde die von Hans Freyer beschriebenen Trends der "Machbarkeit der Sachen", der "Organisierbarkeit der Arbeit" und der "Zivilisierbarkeit des Menschen" 53 hervorkehren. Die Techniken stehen aber nicht gleichrangig nebeneinander. Eine zentrale Bedeutung kommt den "Humantechniken" zu, die auch den Gang des Werkes von Helmut Schelsky - deutlicher als bei Hans Freyer und Arnold Gehlen - fortan bestimmen. Er setzt sich mit den verschiedensten Humantechnikern eingehendst auseinander und widmet fastjeder Gruppierung eigens eine Schrift- seien es die Intellektuellen, die Publizisten oder letztendlich die eigenen Fachkollegen, die Soziologen. Die bekannten Formeln vom betreuten und selbständigen Menschen und von der Freiheit und vom Sachzwang haben hier ihre Wurzeln. Unter dem gemeinsamen Dach der Handlungstheorie bilden sich bei den Vertretern der "Leipziger Schule" Schwerpunkte heraus, die der jeweiligen Technikdeutung ihr Gepräge verleihen. Es handelt sich im Falle Arnold Gehlens um die "anthropologische Ansicht der Technik", Hans Freyers Denken ist strukturgeschichtlich ausgerichtet. Der Ansatz von Helmut Schelsky läßt sich nicht auf einen so eindeutigen Nenner bringen. Er knüpft sowohl an Hans Freyer als auch an Arnold Gehlenan-sein Ansatz ließe sich als ein sozialgeschichtlich-sozialstrukturell orientierter umschreiben. Es dürfte evident sein, daß es sich hier um idealtypische Klassifikationen handelt. Gerade in einer Zeit, da die Forderung nach Interdisziplinarität der Technikdeutung auf der Tagesordnung steht, sei betont, daß die "Leipziger" dem bereits Rechnung getragen haben, insofern als daß jeder der genannten Ansätze in sich nicht monistisch, sondern synthetisch- sprich interdisziplinär - aufgebaut ist. wird, solange Menschen dauerhaft leben, muß man wohl deswegen bejahen, weil irgendeine Technik immer zum Wesen des Menschen gehört, man den Menschen ohne seine Technik gar nicht in seinem Wesen erfassen oder bestimmen kann" (S. 494). 51 Vgl. Elfriede Üner, Die Entzauberung der Soziologie. Skizzen zu Helmut Schelskys Aktualisierung der "Leipziger Schule", in: H. Baier (Hrsg.), Helmut Schelsky - ein Soziologe in der Bundesrepublik. Eine Gedächtnisschrift von Freunden, Kollegen und Schülern, Stuttgart 1986, S. 5-19. 52 Helmut Schelsky, Wie bewältigen wir den technischen Fortschritt? Technischer Fortschritt und sozialer Strukturwandel, in: 0 . Schatz (Hrsg.), Was wird aus dem Menschen? Der Fortschritt. Analysen und Warnungen bedeutender Denker, Graz, Wien, Köln 1974, S. 33-46 (33/ 34). 53 Vgl. Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters (Anm. 9). 7.
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111. Im Rahmen der Darlegungen über Helmut Schelsky fiel bereits das Stichwort "Eigengesetzlichkeit", das an dieser Stelle wieder aufgegriffen sei. In ihm begegnet nämlich eines der Charakteristika der Technikdeutung der "Leipziger". Hans Freyer gelangte bereits in seiner "Theorie des objektiven Geistes" zu der Einsicht, daß den Gebilden des objektiven Geistes die Tendenz innewohne, sich von den ursprünglichen Motiven loszulösen und in die Eigengesetzlichkeit umzuschlagen54 • Arnold Gehlens Beiträge zur Handlungslehre kreisen beständig um die Kategorie des "U mschlagens", die dazu führt, daß das Verhalten des Menschen zunehmend einSachhandeln wird55 • Und bei Helmut Schelsky sind es schließlich die Eigengesetzlichkeiten der wissenschaftlich-technischen Zivilisation, die das gesamte Handlungsgefüge einer tiefgreifenden Veränderung unterziehen. Aus diesen Einsichten geht eine gemeinsame Bewertung der modernen Technikentwicklung hervor: die Phänomene werden als präzedenzlose Erscheinungen gedeutet, die die bisherigen Verhältnisse auf den Kopf stellen. An der "Erfahrung zweiter Hand" kann dieses exemplifiziert werden, zumal es sich um eine Kategorie handelt, die viele der neueren Entwicklungen bündelt und auf den Begriff bringt. Den Stellenwert der Erfahrung in bezug auf den Menschen unterstrich Arnold Gehlen einmal mit folgenden Worten: " ... wir erfahren die Wirklichkeiten nur, indem wir uns praktisch mit ihnen auseinandersetzen oder dadurch, daß wir sie durch die Mehrheit unserer Sinne hindurchziehen .. ." 56 • Das bedeutet nun nicht, daß der Mensch sich die gesamte Fülle der Wirklichkeit auf dem Wege von Elementarerfahrungen selbsttätig erst aneignen muß. Vielmehr wird er durch "Erfahrungssymbole" von dieser Aufgabe entlastet, so daß er freigesetzt ist für die höheren Aufgaben 57• Wenn also von "Erfahrung zweiter Hand" die Rede ist, so sind nicht in erster Linie diese lebensnotwendigen Erfahrungssymbole gemeint, in die etwa auch die "Traditionen" hineinreichen. Darin sind sich die "Leipziger" einig, wenn etwa Arnold Gehlen die irrationale Erfahrungsgewißheit eigens herausstellt, die nicht im naturwissenschaftlich-experimentellen Weltbild aufgeht 58, oder wenn Hans 54 Ders., Theorie des objektiven Geistes. Eine Einleitung in die Kulturphilosophie, Stuttgart 1973 (unveränderter reprografischer Nachdruck der 3., unveränderten Aufl., Leipzig, Berlin 1934 [1923]). 55 Arnold Gehlen, Probleme einer soziologischen Handlungslehre (1952), in: ders., Studien zur Anthropologie und Soziologie (Anm. 1), S. 196-231. 56 Ders. , Vom Wesen der Erfahrung (1936), in: ders., Gesamtausgabe Bd. 4: Philosophische Anthropologie und Handlungslehre, hrsg. von Karl-Siegbert Rehberg, Frankfurt a. M. 1983, S. 3-24 (12). 57 Vgl. ebd., S. 15. 58 Vgl. ders., In Sachen des Empirismus, in: Physikalische Blätter 6 (1950), S. 385-389, in dem Gehlen auch auf das entsprechende Kapitel seines Hauptwerkes "Der Mensch" verweist.
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Freyer das "Leben aus zweiter Hand" ausdrücklich von einem "Leben aus
zweiter Hand in einem neuen Sinn" 59 unterscheidet- eine Differenzierung, die des weiteren bei Gehlen im Begriffspaar von "Erfahrung erster Hand" und "Erfahrung zweiter Hand" zum Ausdruck kommt. Letztere nimmt nun im technischen Zeitalter überband und erstickt gleichsam erstere in ihrem Keim.
Die Industriekultur führte Verhältnisse herauf, die beständig undurchsichtiger werden. In der Arbeitswelt trennt sich die Arbeit vom Resultat ab, die zunehmende Spezialisierung stellt einseitig auf Fachkenntnisse ab, Leistung trägt nicht mehr zur Selbstwertsättigung bei60• Erfahrungen im Vollsinne sind nur noch in den engeren, privaten Räumen des Alltags möglich, nicht aber in der von Superstrukturen abhängigen und geprägten technischen Zivilisation. In ihr gerät der Mensch in ein neues Abhängigkeitsverhältnis, das in vielem der früheren Abhängigkeit von der Willkür der Naturgewalten ähnelt. Nunmehr tritt an deren Stelle die Informationsindustrie, von der der Mensch in diesem Fall auf Gedeih und Verderb Gebrauch machen muß. Abstraktion, die auf alle Ebenen der Kultur ausstrahlt, und Primitivisierung werden zu zwei Seiten ein und desselben Prozesses61 • Während auf der einen Seite die gesamten Daseinsverhältnisse abstrakter werden, wächst auf der anderen Seite das Bedürfnis nach einfachen "Bildern und Formeln, die keine Anstrengung der Einarbeitung erfordern"62 - alles wird gleichsam automatisiert und verläuft mehr und mehr nach festgelegten Schemata. Diesem Bedürfnis arbeiten moderne Massenmedien mittels der bei der Vermittlung einsetzbaren Stilform einer Dramatisierung des Geschehens entgegen mit der Folge, daß mit der "Erfahrung zweiter Hand" zugleich das "Gefühlsleben" frei Haus geliefert wird63 • Insgesamt zeigen diese Vorgänge an, daß der Mensch noch weithin kein stabiles moralisches Verhältnis im technischen Zeitalter gefunden hat und gerade deswegen mehr denn je den umherschwirrenden Affekten schutzlos ausgeliefert ist. Zwischen der moralischen Entwicklung und dem Tempo des technischen Fortschritts klafft nämlich eine Lücke, die sich eher noch vergrößern dürfte64, da der Mensch mehr dazu neigt, in einer imaginären Welt zu leben: "So stellt sich bei allen Beteiligten, weil es nur eindeutige und geschliffene Informationen und Hans Frey er, Leben aus zweiter Hand, in: Jahresring 6 (1959/60), S. 30-41 (34). Vgl. Arno/d Gehlen, Anthropologische und sozialpsychologische Untersuchungen (Anrn. 9), S. 181. 61 Vgl. ders., Über die gegenwärtigen Kulturverhältnisse, in: Merkur X (1956), S. 520531 (520). 62 Ebd. 63 Vgl. ders. , Anthropologische und sozialpsychologische Untersuchungen (Anrn. 9), s. 201. 64 Vgl. ders., Moral und HypermoraL 59 60
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Meinungen gibt, ein gemeinsames Weltbild von einem hohen und gerade deswegen fiktiven Ordnungsgrad her.... So erklärt es sich auch, daß gerade bei jungen und in diese Strukturen hineingewachsenen Menschen, die keine Vergleichsmöglichkeiten haben, das Bewußtsein zeitungshaft und medienkonform wird ... "65 • Die Veränderungen durch die "Erfahrungen zweiter Hand", die den Menschen auf seine erste Natur zurückwerfen, bilden nur die eine Seite. Erfahrung wird - und das ist die andere Seite - zutiefst im eigentlichen Kern getroffen: sie wird nämlich im technischen Zeitalter obsolet. Dieser Gedanke geht auf Gehlens Diagnose von der Posthistoire und von der "kulturellen Kristallisation" zurück. In einer Welt, in der alles in gewohnten Geleisen verläuft und überraschungslos wird- mit anderen Worten in einer letztlich "stationären" Zivilisation-, spielen Erfahrungen keine Rolle mehr. Die Erfahrung wird durch das Wissen ersetzt, das jedermann zugänglich ist und sich als erlernbar erwiesen hat. 66 Dieser Gedanke begegnet übrigens auch in den Arbeiten von Helmut Schelsky, der ausführt, daß die Vermittlung von Bildung nur nochjenseits der Wissenschaften, die im Gegensatz zur Bildung den Aspekt der Ganzheit aus den Augen verlieren, zu erreichen sei - dabei bezieht er sich auch auf die Analysen Hans Freyers67• Zwei weitere Begriffe seien nur angezeigt - ohne auf sie ausführlicher einzugehen-, die mit der Kategorie "Erfahrung zweiter Hand" aufs engste korrelieren: "Entfremdung" und "Masse" 68, Anpassung wird zur Devise des Handelns. Die "sekundären Systeme", die Hans Freyer beschreibt, werden gleichsam in ihrer gesamten Breite zum Einfallstor der skizzierten Vorgänge. "Sekundäre Systeme", die sich herausbilden werden, sofern die gegenwärtig im Gange befindlichen Trends, die "Machbarkeit der Sachen", die "Organisierbarkeit der Arbeit", die "Zivilisierbarkeit des Menschen", die "Vollendbarkeit der Geschichte" ungebrochen fortschreiten, fußen auf einem gänzlich anderen Bauplan als gewachsene Ordnungen. Diese Trends, von denen zweifelsohne die "Machbarkeit" der entscheidende und der die übrigen fundierende ist, denkt Freyer weiter und verdichtet sie zum Modell "sekundärer Systeme". In Ansätzen sind sie bereits in der Wirklichkeit vorfind bar, 65 Ders. , Erfahrung zweiter Hand, in: Der Mensch als geschichtliches Wesen. Anthropologie und Historie. Festschrift für Michael Landmann zum 60. Geburtstag, Stuttgart 1974, s. 176-185 (182). 66 Ders., Ende der Geschichte? Zur Lage des Menschen im Posthistoire, in: 0. Schatz (Hrsg.), Was wird aus dem Menschen? (Anm. 52), S. 61-75, besonders: S. 68-70. 67 Helmut S chelsky, Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation (Anm. 9), bes. S. 474-481. 68 Vgl. hierzu: Johannes Chr. Papalekas, Art. "Masse", in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 7, Tübingen, Stuttgart, Göttingen 1961, S. 220-226 (225).
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so in der Arbeitswelt, die der modernen Technik am weitesten die Schleusen öffnet. Die in ihr auf den Plan tretenden Wandlungen zeitigen Folgewirkungen, die auf alle Bereiche der Gesellschaft ausstrahlen. Wie sind näherhin besehen diese "sekundären Systeme" nun beschaffen? Hervorstechendes Merkmal ist, daß sie voraussetzungslos sind und auf Plänen sowie Entwürfen beruhen. Der Mensch wird in ihnen auf ein Minimum reduziert 69 , ja sogar "proletarisiert", "unter ein Sachsystem so entschieden subsumiert . . . daß Antriebe, die in ihm selbst entspringen, nicht mehr zum Zuge kommen" 70• Hier wird vollends erkennbar, daß die Beschreibung "sekundärer Systeme" von allen herkömmlichen Kategorien und Denkinhalten, die mit gewachsenen Ordnungen einhergingen, Abschied nehmen muß. In einem ersten Zugriff umschreibt Freyer sie als ,,Spielregeln", die willkürlich Ziele setzen, den Menschen nur als "Partner des Spiels" einbeziehen, soweit er als "Fall" betroffen ist, und umgekehrt gerade von ihm erwarten, daß er genügend Flexibilität mitbringt, um sich auf die rascher wechselnden Lagen einstellen zu können. Nicht weniger radikal werden alle menschlichen Grundverhältnisse umgekrempelt. An die Stelle der "Herrschaft von Menschen über Menschen" tritt die "Verwaltung von Sachen"; das Oikos-Prinzip weicht der Kreislaufstruktur, die, da sie von jedem Punkt aus zu beeinflussen ist7 1, Macht zu einer recht amorphen und kaum berechenbaren Angelegenheit werden läßt. "Sekundäre Systeme" setzen konsequenterweise auf die "Vereinzelung des Einzelnen", jedes Mehr an Menschlichkeit könnte von der Seite der Systemlogik nur als Störpotential aufgefaßt werden. Des weiteren wird die Lücke, die ehedem Legitimität und Orientierung stiftende Kräfte und Mächte hinterlassen, nunmehr durch eine den "sekundären Systemen" gemäße Ideologie gefüllt. "Erfahrungen zweiter Hand" werden zu einem der Bauprinzipien "sekundärer Systeme" und finden in ihnen erst ihren eigentlichen Nährboden. Wie bereits angedeutet, steht nahezu das gesamte Werk Helmut S chelskys unter dem Vorzeichen des durch beide Erfahrungstypen markierten ·spannungsfeldes, das sich konkretisiert in "Freiheit und Planung", in "Selbständigkeit und Betreuung", in "Freiheit und Sachzwang". Vor allem der Traditionsverlust läutet den Realitätsverlust ein. An die Stelle der Traditionen treten "pseudo-wissenschaftliche Planungen und Selbstdeutungen", die sich aber "genauso von einer echten Bewältigung der schicksalhaften Grundsi69 Vgl. Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters (Anm. 9), S. 83; vgl. zum Abschnitt über Freyer auch: Klaus Barheier, "Haltende Mächte" und "sekundäre Systeme" . Zur Institutionenlehre Hans Freyers, in: E. Pankoke (Hrsg.), Institution und technische Zivilisation. Symposion zum 65. Geburtstag von Johannes Chr. Papa1ekas, Berlin 1990, S. 215-230. 70 Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, S. 89. 71 Ebd., S. 112/ 113.
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tuationen des Lebens wie die politische Ideologie von der sozialen Wirklichkeit'' entfernen 72 • Durch die Humantechniken verändert sich die Herrschaftsform, die neuartigen Formen der Herrschaft tragen die Namen "Belehrung, Betreuung, Beplanung" 73 • Die neuen Sinnstifter sind es, die die "Erfahrungen zweiter Hand" vermitteln. Schelsky spricht sich in seinen Arbeiten aber nicht gänzlich gegen das Vorhandensein der Sinnstifter aus, er weiß vielmehr um die Bedeutung der Publizistik gerade in modernen Gesellschaften. Seine Kritik wurzelt hingegen in der eigentlichen Gefahr, die er nunmehr am Horizont aufkommen sieht und die- wie Hermann Lübbe im Rahmen eines Helmut Schelsky Gedächtnissymposions ausführte - darin besteht, daß unter den veränderten Bedingungen die institutionell zu sichernde Dauerreflexion zunehmend unterlaufen und letztendlich entscheidend geschwächt wird 74• Ähnlich kreisen ja seine Diskussionen über den Sozialstaat um den Gedanken, daß es erst ein Zuviel an Betreuung des Menschen ist, das kontradiktorische Wirkungen zeitigt und statt den Menschen zur Selbständigkeit zu befähigen, ihn geradewegs in die Unmündigkeit geleitet. Eine weitere Facette dieses Bildes verkörpern die modernen Medien, die den Abschied vom Bild des "handelnden Menschen" markieren und den "medienvereinheitlichten passiven Menschen" nach sich ziehen 75 • Wie die Darlegungen dieses Kapitels zu erkennen geben, ähneln sich die Bewertungen der konkreten Phänomene über weite Strecken. Obgleich sie in ihren Beobachtungen wie Bewertungen weitgehend übereinstimmen, gehen die den "Leipzigern" jeweils eigentümlichen Ansätze nicht verloren und schimmern auch hier durch. An zwei Beispielen sei dieses andeutungsweise skizziert. Eine Diskontinuität zwischen Arnold Gehlen und Helmut Schelsky spiegelt sich in der Bewertung der Aufklärung wider. Während Arnold Gehlen mehrfach in seinem Werk betont, daß die Prämissen der Aufklärung zwar tot sind, die in Gang gesetzten Konsequenzen der Aufklärung aber ungebrochen heute weiterwirken, geht Helmut Schelsky davon aus, daß die Ziele der Aufklärung sich heute zunehmend in ihr Gegenteil verkehren 76 • Er 72 Vgl. Helmut Schelsky, Der Realitätsverlust der modernen Gesellschaft (1954), in: · ders., Auf der Suche nach Wirklichkeit (Anm. 9), S. 394- 409 (407). 1·' Ders., Die Arbeit tun die anderen. Klassenkampfund Priesterherrschaft der Intellektuellen, München 1977 (1975), S. 491 ff. 74 Hermann Lübbe, Helmut Schelsky und die Institutionalisierung der Reflexion, in: Recht und Institution. Helmut Schelsky-Gedächtnissymposion Münster 1985, hrsg. von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster, Berlin 1985, S. 59- 70 (69). 75 Vgl. Helmut Sche/sky, Politik und Publizität, Stuttgart-Degerloch 1983, S. 19; Vgl. zum gesamten 3. Kapitel auch: Kari-Siegbert Rehberg, Deutungswissen der Moderne oder administrative Hilfswissenschaft? Konservative Schwierigkeiten mit der Soziologie, in: S. Papcke (Hrsg.), Ordnung und Theorie: Beiträge zur Geschichte der Soziologie in Deutschland, Darmstadt 1986, S. 7-47, bes. S. 22-27. 76 Helmut Schelsky, Politik und Publizität, S. 20.
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ist bestrebt, eben diese abhanden gekommenen Ziele der Aufklärung in mancherlei Hinsicht wieder neu zu beleben, ein Bestreben, das etwa in seinen Ausführungen über Bildung zutage tritt. Ein anderes Beispiel ist das "Spiel", auf das Gehlen in seiner Handlungslehre rekurriert und das bei Freyer in der Beschreibung der "sekundären Systeme" einen wichtigen Platz einnimmt. Während Gehlen im "Spiel" die grundlegenden Elemente, die Institutionen konstituieren, wiederentdeckt, hebt Hans Freyer mehr auf die negative Seite ab, denn Spielregeln engen immer auch das Individuum in seinen Möglichkeiten ein. Beide Beispiele vermitteln ansatzweise Einblick in den durchaus eigenständigen Charakter der Analysen, der bei aller Parallelität auch im folgenden Kapitel sich fortsetzt. IV.
Die Entwicklungen verlaufen nicht so geradlinig, wie aus dem voranstehenden Kapitel herauszulesen ist. Gehlen weiß um die Ambivalenz des Prozesses, der einerseits den Menschen in Verwaltung nimmt, andererseits ihm aber noch ungekannte und ungeahnte Freiheitsräume eröffnet, der sowohl zum "Zeitalter der Vermassung" als auch zum "Zeitalter der kleinen Sondergruppierungen, der Vertrauensbeziehungen" führt 77• Die "Leipziger" stimmen in dieser Beurteilung überein und betrachten darüberhinaus den einmal in Gang gekommenen Prozeß des technischen Zeitalters als irreversibel. Was bleibt? In allen Bewertungen teilen die "Leipziger" ein - wie Freyer einmal schrieb- "Normbild des Menschen", das er wie folgt skizzierte: "... sein erster Inhalt ist, daß der Mensch sein Leben führe. Es handelt sich also nicht darum, ob der Mensch im Zustand des Massendaseins weiterleben, sondern ob er diesem System gewachsen sein, ob er als Mensch darin existieren kann 78 ." Wie dieses allgemein gehaltene Normbild, das für die "Leipziger" wie ein Kompaß ist, nun von Arnold Gehlen, Hans Freyer und Helmut Schelsky konkretisiert wird, davon handelt dieses Kapitel. Die Bewältigung der Existenz im technischen Zeitalter hängt nach Gehlen in aller erster Linie von intakten Institutionen, die den Menschen halten, ab. Gehlen erkennt, daß sie gerade durch den technischen Fortschritt am meisten gefährdet sind und Verfallsprozesse oder das Umschlagen in reine Zweckor77 Vgl. Arnold Gehlen, Die Freiheit des Menschen in der verwalteten Welt, in: Clausthaler Beiträge zum Studium Generale, 1/1964, S. 3-13; ders., Mensch trotz Masse. Der Einzelne in der Umwälzung der Gesellschaft, in: Wort und Wahrheit 7 (1952), S. 579-586 (584). 78 Hans Freyer, Mensch in der Masse zu bleiben. Gegenwart und Zukunft des Industriezeitalters: Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung, Samstag, 22. Januar 1955, Nr. 6, S. 4.
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ganisationen ihr Schicksal ist. Da man im technischen Zeitalter demnach nicht mehr auf Institutionen bauen kann, kommt es nunmehr auf die "Persönlichkeit" des Menschen an. Der letzte Satz in der "Seele im technischen Zeitalter" lautet: "Eine Persönlichkeit: das ist eine Institution in einem Fa!F9 ." Gehlen befaßte sich in drei Beiträgen mit der "Persönlichkeit" näherhin mit dessen "Ende" (1956), "Chancen" (1961) sowie "Bedrohung" (1968)80 in der technischen Zivilisation. Nebeneinander betrachtet sticht ein aus ihnen ab lesbarer Trend ins Auge. Während Gehlen 1956 den Titel noch in eine Frageform kleidet, lassen die nachfolgenden Beiträge - besonders der Ietzt genannte - unzweideutig erkennen, wohin die Reise geht. Gehlen formuliert kein hehres und unerreichbares Ideal. Gegenteiliges scheint eher der Fall zu sein. Persönlichkeit zeichnet sich allein dadurch aus, daß sie über Realitätssinn verfügt. Das umfaßt das "Beibehalten eines auswählenden und distanzierenden Instinkts" 81 gegenüber der Flut von Tatsachen, die auf den einzelnen Menschen einstürzen, die Fähigkeit, auch die Schattenseiten des Lebens anzunehmen und zu bewältigen82 , mit anderen Worten kommt es darauf an, die "Wirklichkeit wahrzunehmen" und "sich ihr zu stellen" statt aus ihr zu flüchten 83 • Die Askese, ein Weg zur Bewältigung des technischen Zeitalters, der von Gehlen auch des öfteren ins Feld geführt wird, bildet eine Facette des Persönlichkeitsbegriffs. Der bereits angesprochene Trend, der die zu verschiedenen Zeitpunkten abgefaßten Beiträge Gehlens begleitet, erstreckt sich auch noch in einer anderen Hinsicht. Gehlen erkennt nämlich, daß sich vor allem die" Wachstumsbedingungenfür autonome Personen" verschlechtern84 und die Räume, in denen sich Persönlichkeit entfalten kann, sich zunehmend verengen. Ging er 1956 noch davon aus, daß Persönlichkeit durchaus öffentlichkeitswirksam zum Zuge kommen könne und damit anderen Handlungsmaximen als die allein dem fortschreitenden technischen Zeitalter adäquaten zum Durchbruch verhelfen könne, so verbleibt ihr am Ende- 1968 -lediglich die private Sphäre. Dort nur ist nach Gehlen "die Wirklichkeit noch handgreiflich, es gibt keine übertriebenen Leitbilder, man kann als reifer Mann zufrieden sein, wenn man sich und seine Familie ohne allzuschwere Rückschläge geordnet durch79 Arnold Gehlen, Anthropologische und sozialpsychologische Untersuchungen (Anm. 9), s. 259. 80 Ders., Das Ende der Persönlichkeit? (I 956), in: ders., Studien zur Anthropologie und Soziologie (Anm. 1), S. 329-340; ders., Chancen der Persönlichkeit in der technischen Zivilisation (Anm. 15); ders., Die Bedrohung der Persönlichkeit, Südwestfunk, Kulturelles Wort, Sendung vom 9.6.1968, Manuskript (Gehlen-Nachlaß, Aachen E III 16). 81 Ders., Chancen der Persönlichkeit in der technischen Zivilisation, S. 13. 82 Vgl. ders., Das Ende der Persönlichkeit, S. 335. 83 Vgl. ebd., S. 336. 84 Vgl. ders., Die Bedrohung der Persönlichkeit, S. 4.
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gesteuert hat, das ist schon ein Lebensresultat85 ." Zwar werden die Spielräume enger, dennoch wird erkennbar, daß Gehlen grundsätzlich noch Enklaven erblickt, in denen der Mensch im eigentlichen Sinne und seiner Natur gemäß handeln kann. Obgleich sich das Widerstandspotential zwangsläufig allein auf die Ebene der Persönlichkeit konzentriert, sollte nicht in Vergessenheit geraten, daß so wie die Persönlichkeit aus der Institution hervorgeht, sie im Grunde beständig mit ihr verhaftet bleibt. Persönlichkeit und Institution bilden zutiefst eine Einheit im Denken Gehlens. Die Ausführungen Hans Freyers konvergieren in vielem mit denen Arnold Gehlens. Auch ihm drängt sich im letzten Drittel seines Werkes "Theorie des gegenwärtigen Zeitalters" die Frage auf, wo Widerstände gegen eine ungehemmte Ausbreitung "sekundärer Systeme" noch auszumachen sind. Ist überhaupt dem "Katarakt des Fortschritts" 86 noch etwas gewachsen? Wird Frey er bei seiner Suche nach Widerständen fündig? In der Tat auch er kann Restbestände von den einstmals "haltenden Mächten" noch beim Namen nennen. Da sind zum einen die primären Lebenskreise, allen voran die Familie, denen er einen außerordentlich hohen Stellenwert beimißt. Obgleich die Familie ihr Gesicht auch verändert hat und ihr Strukturwandel unverkennbar ist, finden sich in ihr nach wie vor jene Eigenschaften, die die Person nicht auf ihre Funktion und auf einen Merkmalsträger reduzieren 87• Gleiches erhofft Freyer sich von den übrigen primären Lebenskreisen, z. B. von intakten Nachbarschaften, von noch bestehenden Gesinnungsgemeinschaften. Wie Gehlen setzt er ebenso auf die Persönlichkeit. Seine Ausführungen nehmen streckenweise appellative Züge an, wenn er den Menschen immerzu auffordert und ermuntert, die wenigen Freiräume, die von "sekundären Systemen" noch unberührt geblieben sind, mit Persönlichkeit auszufüllen. Das ist überall dort der Fall, wo nicht "Anpassung" als Verhaltensdisposition gefordert ist und statt dessen Verantwortung übernommen werden kann 88 • Freyer klopft Berufszweige regelrecht auf solche Verantwortungsräume hin ab, um dem Menschen die noch verbliebenen Chancen unter den Bedingungen "sekundärer Systeme" vor Augen zu führen. Es kommt nach Freyer wesentlich auf die hier und heute jeweils getroffenen Entscheidungen an. Die Geschichte erfährt im großen wie im kleinen an den Nahtstellen der Entscheidungen ihren Fortgang und ihre Richtung. So Ebd., S. 13. Hans Freyer, Schwelle der Zeiten, Stuttgart 1965, S. 292 ff. 87 Vgl. ders. , Die Familie als Sicherheit in unserer Zeit, in: Universitas, 15 (1960), S. 1033-1041. 88 Vgl. ders., Verantwortung- Heute (1967), in: ders. , Gedanken zur Industriegesellschaft (Anm. 36), S. 195- 212. 85
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wie die Geschichte in ihrer Gesamtheit stets offen ist, so sind die "sekundären Systeme" noch nicht endgültig zementiert. Ihr weiterer Gang und ihre Ausgestaltung liegt in den Händen der gegenwärtigen Menschen. Sofern es gelingt, mit dem "Fortschritt Schritt zu halten" 89 , gerät das menschliche Dasein im technischen Zeitalter nicht vollends ins Hintertreffen. In die Mitte -die um sich alle anderen Formen eines möglichen Widerstandes gruppiert -rückt der eigentliche Widerstand, das Erbe der Geschichte, auf das Freyer in seinem Werk entschiedener vertraut als Arnold Gehlen. Die Antwort Helmut Schelskys versteht sich in der Verlängerung seines bekannten Aufsatzes über die Institutionalisierbarkeit der Dauerreflexion90• In der Frage, inwieweit moderne Subjektivität und Institutionen miteinander zu vermitteln sind, trennten sich bekanntlich die Wege Arnold Gehlens und Helmut Sche/skys; während Gehlen - obgleich er konzedierte, daß Schelsky durchaus "recht habe und sich daraus interessante Einsichten ergeben könnten" 91 - wohl zeitlebens seine Zweifel diesbezüglich behalten haben dürfte, arbeitete Schelsky sein Konzept weiter aus, dessen Grundgedanken er in dem Aufsatz "Zur soziologischen Theorie der Institution" noch einmal wie folgt umschrieb: "Die Entzweiung zwischen dem Allgemeinen, das in den Institutionen von alters her verkörpert ist, und der Subjektivität des modernen Menschen ist eine solche Spannung, ja sie ist die entscheidende Spannung unserer gegenwärtigen Kultur und bedarf deswegen der Institutionalisierung92." Davon ist- wie Sche/sky einmal bemerkte- gerade das "Banale" nicht ausgenommen, das es vornehmlich auf Dauer zu stellen gelte93 • Hier fügt sich das "Prinzip Erfahrung" an, das er in seinen späteren Schriften- nicht zuletzt auf dem Hintergrund eines durchgreifenden Erfahrungsverlustes in der technisch-wissenschaftlichen Zivilisation - akzentuiert. In Auseinandersetzung mit Ernst Blochs "Prinzip Hoffnung" entwickelt er als Gegenbild das "Prinzip Erfahrung": Statt auf "Geschichte" gründet die Selbstbestimmung und Selbstverantwortung des einzelnen Menschen auf "Rückblick und Vorblick auf sein eigenes gelebtes Leben" 94, an die Stelle ~ 9 Vgl. ders., Der Ernst des Fortschritts, in: ders.; J. Chr. Papalekas, G. Weippert (Hrsg.), Technik im technischen Zeitalter (Anm. 6), S. 80- 100 (88); vgl. zum gesamten Abschnitt auch Klaus Barheier, "Haltende Mächte" und "sekundäre Systeme" (Anm: 69). 90 Helmut Schelsky, Ist die Dauerreflexion institutionalisierbar? Zum Thema einer modernen Religionssoziologie (1957}, in: ders., Auf der Suche nach Wirklichkeit (Anm. 9), s. 268-297. 91 Arnold Gehlen, Mensch und Institutionen (1960), in: ders., Anthropologische Forschung. Zur Selbstbegegnung und Selbstentdeckung des Menschen, Reinbek bei Harnburg, 14. Aufl. 1980, S. 69-77 (75). 92 Helmut Schelsky, Zur soziologischen Theorie der Institution (1970), in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 215-231 (229). 93 Helmut Schelsky, Ist die Dauerreflexion institutionalisierbar? (Anm. 90), S. 287. 94 Ders., Die Hoffnung Blochs. Kritik der marxistischen Existenzphilosophie eines
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"kollektiver und abstrakter Subjekte tritt das sich selbst bestimmende und verpflichtende Ich" 95 • Zusammenfassend skizziert er alljene Bestandteile, die ins "Prinzip Erfahrung" hineinfließen, wie folgt: "Für uns ist "das Prinzip Erfahrung" deshalb ein übergreifendes Denk- und Lebensprinzip, weil es nicht nur die Erfahrungen des abgelebten Lebens, des Getanen und des Bewirkten, der Vergangenheit also, in sich aufnimmt, sondern weil es auch die Erfahrungen mit Vorstellungen und Phantasie, mit Hoffnungen, Glauben und Planungen, mit dem, was man jeweils für "rational" hält, in sich einbezieht. "96 Schelsky erblickt im "Prinzip Erfahrung" einen Weg, der nicht wie das "Prinzip Hoffnung" in den Autismus und Subjektivismus mündet. Dennoch scheint Schelskys Argumentationsgang davor nicht ganz gefeit zu sein, wie ein Vergleich mit dem Werk Arnold Gehlens bewußt macht. Beide setzen sich nämlich in ihren Werken mit den Lehren der Stoa auseinander. Die gleiche Lehre, die Schelsky als einen Vorläufer seines Prinzips Erfahrung auffaßt, ist es, in der Gehlen in ersten Ansätzen einen Humanitarismus entdeckte. Die gegenstrebige Interpretation sei hier nur angedeutet. Sie kann an dieser Stelle nicht eingehender entfaltet werden, da sie erst aus dem gesamten Kontext der institutionentheoretischen Arbeiten von Arnold Gehlen und Helmut Schelsky sich erhellt. Das Anliegen Helmut Schelskys, das mit dem "Prinzip Erfahrung" einhergeht, legte er an anderer Stelle in Form einer Diskussionsnotiz dar. Es geht ihm darum, den "Idealitätsüberschuß" des Menschen, den die Gehlensehe Anthropologie noch zu wenig beachtet habe97, einzubinden. Mit dem "Prinzip Erfahrung" korrespondieren daher "Verfahren", d. h. es führt aufRegeln des Umganges mit sich selbst, aufRegeln des Umganges mit anderen und auf Regeln des Umganges mit der Welt" 98 • Letztlich kommt nach Schelsky in all dem der gesamte Lebensprozeß des Menschen zum Tragen. Er versucht somit das Handeln des Menschen, das ja nach Gehlen infolge des institutionellen Verfalls zugleich regelloser wird, wieder auf eine neue Basis zu stellen. Es drängt sich aber die Frage auf, ob diese Basis so tragfähig ist wie die institutionelle Basis, die Gehlen nie aus den Augen verliert. Vergegenwärtigt man sich den Gang der skizzierten Überlegungen - Dauerreflexion Idealitätsüberschuß - "Prinzip Erfahrung" - , so lassen sie durchaus die Anfrage zu, ob und inwiefern sich gerade "Dauerreflexion" und "Prinzip Erfahrung" gegenseitig "hochschaukeln". Jugendbewegten, Stuttgart 1979, S. 45; vgl. hierzu auch: Elfriede Üner, Die Entzauberung der Soziologie (Anm. 51). 95 Ebd., S. 46/47. 96 Ebd., S. 51. 97 Ders., Die Erfahrungen vom Menschen. Was ich von Bürger-Prinz gelernt habe. Notizen nach dem Symposion ( 1980), in: ders., Rückblicke eines "Anti-Soziologen" (Anm. 3), s. 127- 133 (128). 98
Ebd., S. 129.
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Bei all dem geht es Schelsky - und das verbindet ihn wiederum mit dem Werk GehJens - nicht nur um den Wandel von Institutionen, sondern beständig um die Stabilitätsmöglichkeiten allen institutionellen Wandels er hat sein Leben lang mit diesem Problem gerungen, ohne es am Ende vollends zu lösen, vielmehr liegen darin manche Widersprüche, mit denen sein Werk behaftet ist99 • Das fragende "ob" in dem von Hans Freyer umschriebenen Normbild des Menschen wird von den drei "Leipzigern" in eine klare Antwort überführt. Sie haben keinen Zweifel, daß nach wie vor der Mensch als Mensch existieren kann. Allerdings werden ihre Antworten von einem Grundzug geprägt: das fortschreitende technische Zeitalter läßt nur noch einen "Restwiderstand" übrig, der aber um so entschiedener und vehementer ins Bewußtsein zu rufen ist. Die im zweiten Kapitel herausgestellten Schwerpunkte setzen sich auch in den jeweiligen Antworten durch, etwa wenn Helmut Schelskys Praxisbegriff sich im "Prinzip Erfahrung" fortsetzt oder wenn Hans Freyer eine auf die Geschichte setzende Lösung anstrebt. Beim Vergleich der "Leipziger" sollte aber nicht in Vergessenheit geraten, daß insbesondere zwischen den späteren Schriften Helmut Sche/skys und den Arbeiten Hans Freyers, der ja 1969 verstarb, sowie denen Arnold GehJens eine zeitliche Differenz in Rechnung zu stellen ist. Helmut Schelskys Schriften gehen hingegen noch auf den Beginn der achtziger Jahre zurück. Dennoch dürfte aus dem bisher Dargelegten die Vermutung naheliegend sein, daß - sofern Hans Freyer und Arnold Gehlen diese Zeitspanne noch miterlebt hätten - sie wohl ihren grundsätzlichen Aussagen treu geblieben wären. Schelsky bleibt auch auf dem einmal eingeschlagenen Pfad.
V. Damit schließt sich der Kreis der Überlegungen. Die eingehendere Beschäftigung mit den "Leipzigern" und ihrer Technikdeutung, die hier in ersten Ansätzen angestrebt wurde, führt bislang in den Sozialwissenschaften ein Schattendasein. Sofern man sich in der Vergangenheit mit den Technikdeutungen der "Leipziger" auseinandersetzte, standen die Beiträge vielfach unter dem Bann der Technokratiediskussion, die eher mit einem eindimensionalen Blickwinkel an die "Leipziger" heranging. Manches deutet darauf hin, daß die heutige Neokonservativismus-Diskussion in ähnlichen Bahnen verläuft. 99 Vgl. Wolfgang Lipp, Institution, Reflexion und Freiheit- Wege in Widersprüche. Helmut Schelskys Institutionenlehre, in: H. Baier (Hrsg.), Helmut Schelsky - ein Soziologe in der Bundesrepublik, (Anm. 51), S. 78-93.
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Der Umgang über die Klärung der Schulenfrage scheint zugleich geeignet, die "Leipziger" Technikdeutung aus diesen Sackgassen herauszuführen. Indem die Autoren nebeneinandergestellt und miteinander verglichen werden, entfaltet sich die "Leipziger" Denktradition erst in ihrer gesamten Breite und läßt den Anregungsreichtum, der in ihr enthalten ist, erahnen. Die Schulenfrage geht also hier weniger mit der Intention einher, den einzelnen Autor in die Schranken zu verweisen, als vielmehr im Vergleich auch das eigentümliche Moment seines Denkansatzes offenzulegen. Es handelt sich bei den "Leipzigern" nicht um einander widersprechende Ansätze und Deutungen, sondern um konvergierende wie komplementäre Beiträge. Bei Arnold Gehlen wurde das eigentümliche Moment seines Denkansatzes in der Anthropologie verortet. Wenn Arnold Gehlen heute weitaus mehr in alle Gebiete der Sozial-, Geistes- und Humanwissenschaften hineinragt, so ist es eben die Anthropologie, die diese Seiten nach sich zieht. Mit der Anthropologie verfügt Arnold Gehlen zugleich über einen Denkansatz, der dem Bedürfnis und dem Geist der Zeit entgegenkommt. Das hinderte ihn aber auf der anderen Seite nicht, auch gegen den Strom zu schwimmen man denke nur an seine lnstitutionenlehre, mit der er sich alles andere als allseitige Sympathien einhandelte. Das so stabil angelegte Fundament seines Werkes trug wohl auch entscheidend dazu bei, daß Arnold Gehlen in seinen Analysen im allgemeinen - insonderheit in den mannigfaltigen Beiträgen über das technische Zeitalter - ex post betrachtet zu außerordentlich weitsichtigen Erkenntnissen gelangte. Wenn man sich die von ihm immer wieder angesprochenen Problemfelder- die Entwicklungsproblematik und die Frage der Weltbevölkerung - vergegenwärtigt, auf die die technische Zivilisation zusteuere und zu deren Bewältigung alle Energien aufgebracht werden müßten, so wird erkennbar, daß Arnold GehlensAussagen nichts an Bedeutung eingebüßt haben - sie sind aktueller denn je.
Aussprache zu dem Referat von Klaus Barheier
Johnson: Ich würde gern eine Frage stellen, die mir durch die anregenden Aussagen von Herrn Barheier suggeriert worden ist. Sie sind der Meinung, Gehlen und Freyer stimmten darin überein, daß das soziale Leben sich im Laufe der Entwicklung einer technischen Zivilisation weitgehend schematisiert hätte. Dazu möchte ich eine Frage sowohl empirischer wie methodologischer Art stellen: Wie würde man eine solche These eigentlich empirisch unterstützen und belegen? Was sind die Maßstäbe, die möglicherweise vorhanden sind, die man für die Behandlung des Problems heranziehen könnte? Und dann vielleicht nebenbei eine zweite Frage: Wenn man von diesen Schematisierungseffekten spricht - und ich gebe durchaus zu, wir sprechen alle sehr oft von solchen Effekten-, wie können wir wissen, daß wir uns nicht auf eine beschönigende Interpretation, fast eine Verklärung sogar, der Vergangenheit einlassen? Es gibt sicher sehr verschiedene Schematisierungseffekte je nach der Art und Entwicklung der einzelnen Gesellschaften: oder denkt man vielleicht nur an bestimmte Aspekte des sozialen Lebens in unserer eigenen, sehr spezifischen Gesellschaftsform, die man als einigermaßen schematisiert betrachten dürfte? Wenn wir jedoch als Beispiel die Agrargesellschaft in Westeuropa vor zwei oder drei Jahrhunderten nehmen, so könnte man eine solche Lebensform, gleichgültig auf welcher Stufe der damaligen sozialen Hierarchie sie betrachtet wird, als sehr schematisiert verstehen. Denn mehr oder weniger alle waren damals strengen Ordnungen unterworfen. Aber wenn wir den Begriff der Schematisierung weit ausdehnen, so daß er eben auf dieses Beispiel angewandt werden darf, so stellt sich die Frage, wie diese frühere Form der Schematisierung sich von der gegenwärtigen in der industriellen Gesellschaft unterscheidet. Linde: Das Referat von Klaus Barheier hat seinen Schwerpunkt im Nachweis von Übereinstimmungen in den Arbeiten von Freyer, Gehlen und Schelsky gesucht. Ich brauche sie nicht zu wiederholen, wenn ich versuche, ihren damit avisierten Leipziger Zusammenhang biographisch zu ergänzen und auf seine heuristische Kontinuität hin zu befragen.
Die von ihm konstatierten Übereinstimmungen sind in Publikationen belegt, die sämtlich aus der Zeit nach Geh/ens kurzer (und rein administrativformaler) Assistentur bei Freyer (1933/34) stammen, die aber zu einer 8 Speyer 113
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Aussprache
Freundschaft führte, welche bis zu Freyers Tod fortwährte. An ihr partizipierte auch Schelsky, der mit Gehlen schon aus der gemeinsamen Zeit im Philosophischen Institut von H. Driesch verbunden war. Das für eine Theorie der technischen Zivilisation fruchtbare Feld ihrer Begegnung war von Freyer bereits in seiner "Theorie des objektiven Geistes" (Leipzig 1923; die folgenden Zitate nach dem Nachdruck Darmstadt 1966 der 3. Aufl. 1934) deutlich umrissen und mit den Kategorien "Gerät" und "Sozialform" so vorstrukturiert, daß die (zur Zeit der Begegnung noch nicht vorliegende) Anthropologie Gehlens dann diese kulturphilosophisch verstehend beschreibenden Vorleistungen hinterfragend als aus der biologischen Anlage und den Lebensbedingungen der Species erwachsene und weiter erwachsende Notwendigkeiten erweisen konnte. Denn es war Freyer schon 1923 schlicht um eine strukturelle Klassifikation der aus menschlichem "Handeln" hervorgegangenen Artefakte gegangen, die, "gleichgültig ob durch äußerliche Verkörperung" oder in der "sublimeren Form einer Regelhaftigkeit: Form geworden, unsere "aktuellen Erlebnisse in ihre Bahnen zwingt" (S. 53). Mit der Formulierung "gleichgültig ob" hat Freyer faktisch diefunktionale Aquivalenz von profanen Artefakten (und Komplexen von Artefakten) der Kategorie "Gerät" mit den Regelungen (und Regelungskomplexen) in Sozialgebilden konstatiert. Damit ist, obwohl bei ihm der Terminus Institution fehlt bzw. theoretisch unbesetzt ist, deren Kern, die "einfache soziale Regel" als "das Element dieser ganzen Formenwelt" (S. 65), als Grundkategorie der menschlichen Sozialität, ja der Menschen-Welt eingesetzt. So wird das profane Artefakt der Kategorie Gerät für die (vom Begriff als notwendig gefordert) hinzutretenden Akte seiner Verwendung geradezu zum objektivierten Teilstück jedes Handlungsentwurfes in der dem Gerät (quasi als "Gebrauchsanweisung") eingeschriebenen Richtung. Das heißt, der "Handlungszusammenhang läuft das betreffende Stück gleichsam aufSchienen" (S. 61) und der an diese Metapher angehängteN ebensatz, "während er sich sonst seinen Weg frei durch die gegenständliche Welt hindurch suchen müßte", wirft bereits das Thema der Entlastung durch Regelgeltung auf, welches erst nahezu zwei Jahrzehnte später im Brennpunkt der anthropologisch verankerten Institutionenlehre von Gehlen stehen wird. Denn Freyer selbst hat der Einsicht in die funktionale, hier also normsetzende Äquivalenz von Artefakten der Kategorie Gerät und immateriellen sozialen Regelungen in bezugauf menschliche Handlungsentwürfe weder in seinem frühen Beitrag "Zur Technikphilosophie" (1929) noch in seiner Grundlegung der "Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft" (1930) einen systematisch und/oder methodisch belangvollen Stellenwert eingeräumt.
Aussprache
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Im Kreis um Freyer ist die von ihm nicht weitergeführte Einsicht jedoch zweimal thematisiert und mit einem hohen soziologiesystematischen Stellenwert ausgezeichnet worden: 1. Auf die fruchtbare Entfaltung, die sie reich differenziert und erschöpfend schließlich in Gehlens handlungsorientierter Institutionenlehre erfahren hat, brauche ich hier und jetzt nur hinzuweisen. In seiner soziologischen Handlungslehre (1952) wird die regelsetzende Sozialität profaner Artefakte zum Kern der hier aspektreich differenzierten Sachzwangsvorstellung und -terminologie. 2. Der Terminus Sache als Synonym für profane Artefakte der Kategorie Gerät ist im Leipziger Kontext zuerst von G. lpsen in seiner Ipsen in seiner Antrittsvorlesung 1931 als ein Schlüsselbegriff seines Soziologieentwurfes eingesetzt worden (Soziologie des deutschen Volkstums, in: Archiv f. angewandte Soziologie 4 [ 1932], S. 145-165). lpsen hat darin programmatisch drei spezifisch aufeinander bezogene Schichten des sozialen Geschehens unterschieden, von denen die jeweils untere die nächst höhere "trägt", während die jeweils höhere die sie tragende "integriert". Zwischen die erste quasi organische Grundschicht des Bevölkerungsgeschehens und die dritte politische Schicht der staatlichen Ordnung und Herrschaft verortete er im Rückgriff auf Hege!, Marx und L. v. Stein die zweite plurale Schicht heterogener Zwecke und Interessen als "unter dem Gesetz der Sachen zusammenlaufend". Der Terminus Sache steht hier wie später auch bei Gehlen treffend (im Unterschied zu Ding) für die Gesamtheit der Artefakte der Kategorie Gerät Freyers, der schon selbst nachdrücklich darauf verwies, daß der Begriffweit mehr umfasse, als der gemeine Sprachgebrauch (Werkzeug, Waffe, Apparat, Maschine) zu den Geräten rechne: "z. B. ein Haus, ein Kleid, ein Schiff, eine Straße oder einen bebauten Acker" (S. 62). Der Terminus Gesetz bei Ipsen kann nichts anderes gemeint haben als das diesen Sachen und Sachkomplexen entsprechend ihrer spezifischen Brauchbarkeit eingeschriebene Regelungs- oder Normpotential wie Gehlens "normsatte Sachgesetze" (Probleme einer soziologischen Handlungslehre, 1952; hier zitiert nach: Studien zur Anthropologie und Soziologie, Neuwied/Rh. 1963, s. 211). Ich würde es nicht wagen, allein aufgrund dieser Übereinstimmung in der Bezeichnung und Ähnlichkeit bei der Gewichtung eines Befundes eine heuristische Kontinuität anzunehmen, wären da nicht noch weitere Anhaltspunkte, die die Annahme einer engeren Verbindung stützen. Da ist zunächst die von Schelsky bekundete (Rückblicke eines "AntiSoziologen", Opladen 1981, S. 11-69) persönliche Verbundenheit Gehlens mit dem fünf Jahre älteren lpsen, die bis in die gemeinsamen Leipziger 8.
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Privatdozentenjahre (um 1930) zurückreicht, d. h. in die Zeit, in der sich Ipsen (von der Sprachwissenschaft über die experimentelle Psychologie und Philosophie kommend) als Assistent von Freyer der Soziologie zuwandte. Nach lpsens Berufung auf ein Ordinariat für Philosophie nach Königsberg ( 1933) folgte ihm- wie schon gesagt- Gehlen in dieser Position nach. 1938 hat dann lpsen Gehlen auf ein weiteres Ordinariat für Philosophie nach Königsberg nachgezogen, wie 1940 nach Wien. Die gemeinsamen Königsherger Jahre schließen mit GehJens Publikation "Der Mensch ... " (1940). Da andererseits lpsen sein Programm der Sachgesetzen unterworfenen Gesellschaft niemals theoretisch ausgefüllt hat (und weil manche von Ihnen mit seinem Namen keine Vorstellung verbinden werden), möchte ich Schelskys Charakteristik seiner Person hier einrücken. Als GehJens Assistent hatte Schelsky lpsen in Königsberg kennengelernt. Seine Beurteilung lpsens ist niedergeschrieben (Sche/sky 1981), viele Jahre, nachdem er jeden persönlichen Kontakt zu ihm abgebrochen hatte. "Geistig ist lpsen einer der hoch begabtesten, umfassendsten, ja geradezu genialistischsten Gelehrten gewesen, die ich kennengelernt habe . .. solche ... "Universalgenies ohne fachspezifischen Zusammenhang" gehen in die Fachgeschichtsschreibung fast nie ein, obwohl sie in der jeweiligen Gegenwärtigkeil der geistigen Auseinandersetzung der Fächer vielfach das anregendste Element sind." Weil dieser Reihe positiver Superlative doch eine Anmutung von flatterhaftem Geltungsdrang anhaftet, sollte ich hinzufügen, daß sein Programm der Sachgesetzlichkeit in Sozialstrukturen für alle seine verbissen empirischen Explorationen (von seiner Bevölkerungslehre 1933/34 bis zu den stadtsoziologischen und sozialökologischen Studien der Dortmunder Jahre 1951-1961) den analytischen Bezugsrahmen abgab. Ich weiß nicht, wo neben den Leipzigern, unbeschadet der unterschiedlichen Ausprägung ihrer Arbeiten, in der deutschen Soziologie der angesprochenen Jahrzehnte die Einsicht in den systematischen Stellenwert von Sachen im Aufbau und Wandel der Gesellschaft sonst noch Gemeingut war. Auf dieser Folie sind die verwandten Leipziger Beiträge zur Theorie des gegenwärtigen Zeitalters und den Verstrickungen der technisch-wissenschaftlichen Zivilisation von Freyer, Gehlen und Schelsky entworfen worden. Ihrem fachübergreifenden Ansatz und Inhalt nach handelt es sich durchweg um Leistungen, die Schelsky (Ortsbestimmung der deutschen Soziologie, Düsseldorf, Köln 1959, S. 81 ff.) nicht eigentlich theoretische, sondern anschauend gewonnene Vorgriffe auf das thematisierte Ganze aus "verwissenschaftlichter Primärerfahrung" bezeichnet und als fruchtbaren und in den Sozialwissenschaften unverzichtbaren Erkenntnismodus herausgestellt hat. Meine abschließende Überlegung gilt nicht dem, was jeder der Genannten aus der von mir angesprochenen gemeinsamen Grundeinsicht gemacht hat,
Aussprache
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sondern dem, was keinervon ihnen ins Visier genommen hat: eine (spezielle) Techniksoziologie (H. Linde, Sachdominanz in Sozialstrukturen, Tübingen 1972, und ders., Soziale Implikationen technischer Geräte, ihrer Entstehung und Verwendung, in: R. Jokisch (Hrsg.), Techniksoziologie, Frankfurt/M. 1982). Für den forschenden und lehrenden Soziologen wirft dieses nach wie vor offene Desiderat die Gretchenfrage auf, ob solche faszinierenden spekulativen Vorgriffe auf das Ganze unserer Zivilisation überhaupt eine Arbeitsrichtung fördern und ermutigen, die durch analytische Begrenzung und über empirisch verbürgbare Arbeitsschritte sich die Abarbeitung dieses Desiderates zum Ziel gesetzt hat oder ob sie nicht im Gegenteil das allgemeine wissenschaftliche und/oder öffentliche Interesse an der vorgrifflieh aufgeworfenen und raisonnierend ausgebreiteten Problematik eher befriedigen und sogar erschöpfen? Das aber hieße, daß die von Gehlen wiederholt unterstrichene Notwendigkeit, die vorgrifflieh erschlossenen Einsichten der näheren begrifflichen Analyse, der systematischen Beobachtung zuzuführen, ja letzthin Experimenten zu unterwerfen, im Alltag des wissenschaftlichen Betriebes zur scientifisch salvierenden Illusion verblassen müßte.
Papalekas: Ich möchte an die Ausführungen von Herrn Linde anknüpfen und auf die grundsätzliche Bedeutung und den hohen Stellenwert sachbezogener Begriffe in den sozialwissenschaftliehen Arbeiten "Leipziger" Prägung hinweisen. Es ist kein Zufall, daß Gehlen und Freyer, aber auch Schelsky und andere mit Begriffen wie "Sachvorgang", "Sachzusammenhang", "Sachgesetzlichkeit", "Sachinteressen", "Sachlogik", nicht zuletzt "Sachzwang" operieren. Die auffallende Affinität zu diesen und ähnlichen Begriffen ist vielmehr im Gesellschaftsverständnis der "Leipziger Schule" begründet. Für sie sind nämlich gesellschaftliche Verhältnisse keine bloßen "zwischenmenschlichen Beziehungen", sondern komplexe, von Sachprozessen durchdrungene Zusammenhänge. Daher rührt auch das außerordentliche Interesse der "Leipziger" an der modernen Technik und ihren weitreichenden sozialen Implikationen. Gerade der Terminus "Sachzwang", den Gehlen im Jahre 1952 einführte, verdankt seine Entstehung dieser Problemsicht. Obwohl der Begriff seither ziemlich strapaziert worden ist, drückt er in seiner originären Fassung etwas Wesentliches und Spezifisches aus. Gehlen dachte bei der Einführung des Terminus, wie er mir im Rahmen einer Anfang der sechziger Jahre über diese Frage geführten Korrespondenz schrieb, an "zwingende Situationen, welche den Anlaß zum Aufbau von funktionalen Anordnungsbefugnissen geben", und betrachtete den Sachzwang als "Motiv für ein Orientierungsverhalten von Menschen". Später hat Schelsky , in seiner Abhandlung "Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation" aus dem Jahre 1961, den Begriff übernommen, ihn aber stark abgewandelt und
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sozusagen "umfunktioniert". Ähnlich sah es offenbar auch Gehlen selbst, der in dem erwähnten Brief zum Ausdruck brachte, daß bei Schelsky Sachzwang "fast selbst so etwas wie ein Subjekt meint, das die Entwicklung steuert". Ein solches Verständnis lag Gehlen völlig fern. Zu dem Verhältnis der "Leipziger" zueinander, das Herr Barheier sehr anschaulich und zutreffend dargestellt hat, möchte ich noch zwei kurze Anmerkungen machen. Das Bemerkenswerte an dem Verhältnis zwischen Gehlen und Freyer war, daß ihre eigenständigen Fragestellungen und Erkenntnisse sich in einem erstaunlichen Maße gegenseitig ergänzten und förderten. Dies zeigt sich auch und gerade am Beispiel der eminent wichtigen Technik-Analysen beider Denker. Auch das persönliche Verhältnis zwischen ihnen war stets korrekt und freundschaftlich. Anders stellt sich das Verhältnis zwischen Gehlen und Schelsky dar. Es wurde dadurch "belastet", daß Schelsky gerne auf Kategorien und Einsichten Gehlens zurückgriff, diese aber oft umdeutete und, man könnte sagen, auch überzog. Ein besonders eklatantes Beispiel dafür ist Schelskys Buch "Die Arbeit tun die anderen" aus dem Jahre 1975, das in wesentlichen Teilen eine Wendung ins Polemische und auch eine "Verdünnung" der Intellektuellen-Soziologie Gehlens darstellt. Die persönlichen Beziehungen zwischen Gehlen und Schelsky kühlten nach dem Erscheinen von "Moral und Hypermoral" im Jahre 1969 merklich ab, es kam fast zu einem Bruch. Heuß: Ich habe nur einige Fragen, die sich weniger auf das Vorwort als auf das Expose beziehen. Aber vorher wollte ich nur sagen - ganz unmaßgeblich -, ich finde nicht, daß bei Gehlen die Sachen irgendwie zu sehr am Rande stehen. Denn sein ganzer Handlungsbegriff bezieht sich doch auf die Sachen. Wenn der Mensch in der Handlung sich die Welt erschließt und eine eigene sich aufbaut, hat er es hierbei immer mit "den Sachen" zu tun. Ich kann hierin kein Defizit erkennen. Dagegen möchte ich, von der "Leipziger Schule" des Referatthemas ausgehend, eine irritierende Vorstellung Gehlens hier anführen, welche geeignet ist, seine relative Ferne zur Geschichte zu beleuchten. Von einer solchen kann bei H. Freyer, den man, wenn man schon von einer Leipziger Schule spricht, mit ihr gleichzusetzen hätte, nicht gesprochen werden. In diesem Rahmen hätte Gehlens "Posthistoire", an der ihm, zumal in seiner Polemik, ziemlich viel lag, schwerlich Platz finden können. Ich bin fest überzeugt, daß Freyer sich mit ihr niemals befreundete. Freyer war mit der Geschichte gut vertraut, und so konnte man ihm unmöglich beikommen, einfach ein Ende der Geschichte zu dekretieren. Für ihn hörte die Geschichte nicht auf. Sie kannte Einschnitte, "Schwellen der Zeiten", wie er sich ausdrückte. Gehlen und Freyer waren befreundet jedenfalls nach 1945 -,aber Freyer war sich bewußt, daß Gehlens Denken ihm unzugänglich war und er sich ihm gegenüber ziemlich hilflos vorkam, wie mir Schelsky, der (in Budapest) eine Zeitlang sich in Freyers nächster Nähe aufhielt, einmal erzählte.
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Gewundert hat mich ferner die von Herrn Barheier zitierte Kritik Gehlens an Max Webers Rationalisierungsbegriff. Soweit ich mir ohne eigene Kenntnis der angeführten Arbeit Gehlens einen Reim auf die Sache machen kann, ist zumindest die wegwerfende, um nicht zu sagen despektierliche Form der Äußerung auffallend. Aber sie ist auch sachlich nicht in Ordnung. Hier handelt es sich um einen der nicht seltenen Fälle, daß Gehlen seine historische Distanzlosigkeit einen Streich spielt. Er selbst tut seine Äußerung vom Standpunkt der sog. zweiten oder sogar dritten "industriellen Revolution" aus, bei der in der Tat mit den Händen zu greifen ist, daß der menschliche Habitus unter die Herrschaft der Technik geriet, wobei man der Genauigkeit halber wahrscheinlich sagen sollte: unter die Welt, wie sie durch die Werke der Technik, d. h. des aufgrund von ihr Geschaffenen, Möglichkeit und schließlich Tatsache wurde. Aber das war noch nicht die Welt Max Webers. Wer von heute aus auf sie zurückschaut, dem muß auffallen, daß in dessen Jugend, also in der Lebensphase der grundlegenden Eindrücke, die Technik beinahe ausschließlich durch die Dampfmaschine repräsentiert wurde (die Elektrizität fing gerade an, ihr Konkurrenz zu machen, und fiel erst einmal als Beleuchtungsfaktor ins Gewicht, übrigens keineswegs in rasendem Tempo). Das ausgehende 19. Jahrhundert (bis 1914) trug in stärkerem Maße noch das Gepräge der vorindustriellen Welt, als wir von heute aus anzunehmen pflegen. Dadurch erklärt sich wahrscheinlich, daß es Max Weber nicht beikam, die Rationalisierung des Lebens in erster Linie durch die Technik verkörpert zu sehen, zumal die Bedürfnisse, der sie diente, durchaus noch aus dem Boden der vorindustriellen Verhältnisse erwachsen waren. Ein wichtigeres Motiv wird freilich in seiner historischen Einstellung liegen, von der aus es wichtiger war, den Wurzeln eines Phänomens nachzugehen (also in Ökonomie, religiöser und ethischer Lebenspraxis), als sich in Zukunftsspekulationen zu ergehen. Denn was die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts der Menschheit bescherte, könnte in den Augen eines 1920 Verstorbenen nur als Phantasmagorie erscheinen. Inzwischen haben wir uns daran gewöhnt, daß Technik und Wissenschaft sich ihre eigenen Bedürfnisse schaffen und der Mensch die Ergebnisse nicht nur entgegennimmt, sondern willig sein Wesen ihnen anpaßt, was schließlich dazu geführt hat, daß er selbst von diesem Fortschritt aus denkt und ihm mit ganz bestimmten Erwartungen begegnet, wobei man leicht vergißt, was man sonst noch erwarten sollte. Es stellt sich dann manchmal als höchst unangenehme Überraschung ein. Ich wage deshalb auch nicht, Gehlens änigmatische Rede von den "Schlössern" der Seele, die im Zeichen des technischen Fortschritts aufgebrochen werden, hierauf zu beziehen. Spinner: Ich habe nur eine kurze Nachbemerkung, die sich an die Ausführungen von Herrn H euß anschließt. Weber unterscheidet bekanntlich zwi-
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sehen der lebenden und der toten Maschine. Diese entspricht der Technik, jene ist die bürokratische Organisation. Es ist meines Erachtens von Herrn Heuß richtig gesehen, daß das Hauptgewicht der Webersehen Argumentation auf der lebenden Maschine liegt. Ein in diesem Zusammenhang wichtiger Unterschied zwischen dem Anfang und dem Ende unseres Jahrhunderts darin liegt, daß eben die sogenannte tote Maschine (welche sich vielleicht auch bald verlebendigen wird) heute jenen zentralen Platz einnimmt, an dem zu Webers Zeiten die lebende Maschine stand. So könnte, auch bei Gehlen, an die Stelle der damals dominanten Bürokratisierungsthese heute eine Technisierungsthese treten, die sich mehr auf den "unaufhaltsamen Fortschritt" (Weber) der toten statt der lebenden Maschine bezieht. Barheier: Die Aussprache kreiste vornehmlich um vier Stichworte: "Schematisierung des Verhaltens", "Posthistoire", "Rationalismus" und "Sachverhältnisse".
Mit der "Schematisierung des Verhaltens" beschäftigt sich Arnold Gehlen u. a. in seiner Schrift "Die Seele im technischen Zeitalter" (1957). Von den dort ausgebreiteten Befunden ausgehend, sei zunächst die Frage beantwortet, wie eine solche Verhaltensweise empirisch zu belegen sei. Gehlen will mit diesem Trend zum Ausdruck bringen, daß "eingeschliffene Verhaltensfiguren", "die ,von selbst' ablaufen", zunehmend eine Verbreitung erfahren. Das Verhalten wird gleichsam "versachlicht". Die Prominenz, die-trotzaller Kritik - nach wie vor dem Begriff "Rolle" zukommt, dürfte ein weiteres Indiz dafür sein, daß das Verhalten der Menschen in der technischen Zivilisation in der Tat vielfach dem des außengeleiteten Menschen im Sinne Riesmons entspricht. Der Preis für die dadurch entstehende Stabilität der Gesellschaft ist gleichsam der Mensch als Funktionsträger. Mit Blick auf die Entwicklungen im Bereich der modernen Informationstechnologien befürchten nicht wenige, daß stereotype Meinungen und vergleichbare Verhaltensweisen eher befördert werden. Gehlens Ausführungen in diesem Punkt können selbstverständlich nicht von anderen Wertsetzungen in seinem Werk losgelöst werden. Wer das Buch "Die Seele im technischen Zeitalter" weiterliest, stößt sodann auf das Gegenbild, auf die "Persönlichkeit". Insofern hat der in einigen Fragen formulierte Hinweis auf die jeweils standortgebundene Betrachtung seine Berechtigung. An dieser Stelle sei auf das Stichwort "Sachverhältnisse" eingegangen. Gerade die Ausführungen Gehlens über die "Schematisierung des Verhaltens" sind auch geeignet, die im Werk angelegte Interdependenz von Sachen und Sozialverhältnissen zu illustrieren. Entscheidend zur Ausprägung des genannten Verhaltenstypus tragen die Sachen bei. Unterstreichen möchte ich insofern die Anmerkung von Herrn Professor Heuß, der betonte, daß Geh/ens Handlungsbegriff sich auf die Sachen beziehe. Bereits in seinen ersten Entwürfen zur Handlungslehre im Jahre 1935 wird Technik zum
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integralen Bestandteil seines Handlungsbegriffes. Die gegenwärtige Techniksoziologie scheint, in puncto "Sachdominanz", nach wie vor den Leipzigern "hinterherzuhinken". Die Diskussionsbeitrage zum Thema "Rationalisierung" bei Max Weber und Arnold Gehlen stoßen in ein wissenschaftlich sehr komplexes Feld vor. Ein ausführlicher Vergleich zwischen Arnold Gehlen und Max Weber dürfte ein noch unbearbeitetes Gebiet in der Soziologie sein. Diese Vorbemerkung weist darauf hin, daß im folgenden nur einige wenige Aspekte zur Sprache kommen können. Eine Analyse der Stellen, in denen Gehlen sich auf Einsichten Webers stützt, vermittelt ein eher ambivalentes Bild. Gehlen teilt Webers Einschätzung in einem grundlegenden Punkt, indem er wiederholt die gleichermaßen zutreffende wie weitsichtige Aussage Max Webers aus dem Jahre 1908 unterstreicht, daß mit der industriellen Zivilisation eine "Veränderung des geistigen Antlitzes der Menschheit bis zur Unkenntlichkeit" (z. B. Gesamtausgabe Bd. 7, S. 43) einhergehe. Der unterschiedliche ,,Standort im Zeitsturm" bringt es mit sich, daß manche der Webersehen Kategorien gleichsam von Gehlen umgedacht werden müssen. Es geht ihm nicht darum, Begriffe gegeneinander auszuspielen. In die Reihe des Begriffs "Rationalisierung" gehört unter diesem Gesichtspunkt etwa auch die Kategorie "Legitimität". Letztere erfährt unter dem Vorzeichen des Sozialeudämonismus ihre Umdeutung. Das Augenmerk sei an dieser Stelle aber mehr auf den Begriff "Rationalisierung" gelenkt. Er markiert nicht nur die Richtung, in der Gehlen über Weber hinausgeht, sondern an ihm kann zugleich Kontinuität und Diskontinuität im Werk Gehlens beispielhaft aufgezeigt werden. Während Gehlen etwa in seinem Aufsatz "Soziologie als Verhaltensforschung", der 1959 erstmalig veröffentlicht wurde, noch genuin im Sinne Webers ausführt, daß das Verhalten einer zunehmenden Rationalisierung unterliege, zeichnen sich in seinem Spätwerk signifikante Veränderungen diesbezüglich ab. Er erkennt gegenläufige Entwicklungen, die sich z. B. am Stellenwert, den er der Aggression beimißt, herauskristallisieren. In "Moral und Hypermoral" räumt Gehlen nämlich ein, daß er gerade die Bedeutung der Aggression in seinem Werk "Der Mensch" verkannt habe. Fortan geht er nicht mehr von Instinktresiduen beim Menschen aus, sondern spricht von Instinktanlagen, zu denen u. a. die Aggression gehört. Erkenntnisse der Verhaltensforschung standen hier in seinem Werk Pate. Zugleich gilt es zu berücksichtigen, daß Gehlenangesichts der gegenüber Webers Lebzeiten veränderten Lage die sozialpsychologische Dimension akzentuiert. Obgleich er erste Ansätze zur psychologischen Grundlegung der Soziologie bei Weber nicht leugnet, ist er ihm in dieser Hinsicht für die Gegenwart zu fragmentarisch geblieben. Weber scheint ihm hingegen zu sehr auf Geschichte zu vertrauen, von der er bereits in seiner Habilitationsschrift "Wirklicher und unwirklicher Geist" ( 1931) aussagt, daß sie keine Macht mehr habe. Zusammenfassend sei noch einmal betont, daß Gehlen stets sorgfältig abwägt, welche Aussagen Webers nach
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wie vor die technische Zivilisation zutreffend charakterisieren und wo er über ihn hinausgehen muß. Die letzten, die Geschichte betreffenden Anmerkungen leiten bereits zum Stichwort "Posthistoire" über. Vielfach hat dieser Begriff Mißverständnisse hervorgerufen und zur Deutung geführt, daß Gehlen damit zum Ausdruck bringen wolle, die Geschichte stehe nun vollends still. Dem ist zweifelsohne nicht so. Posthistoire im Sinne Geh/ens ließe sich als Zustand der Überraschungslosigkeit umschreiben. Kein präzedenzloses Ereignis wird mehr auf den Plan treten. Es gibt dennoch einen Fortschritt, aber einen solchen, der sich in der Verlängerung des schon Erreichten bewegt. Freyers Bild der "Schwelle" unterscheidet sich hier in mancherlei Hinsicht von dem der "Posthistoire". Er blickt über die "Schwelle" hinaus und fragt nach Kräften, die in der Lage sind, die "Schwelle" zu bewältigen oder gar zu überwinden. In seinem Aufsatz "Der Ernst des Fortschritts" (1965) unterstreicht er, daß es darauf ankomme, mit dem Fortschritt Schritt zu halten. Es überrascht allerdings nicht, daß vielfach die Frage des Wandels zum neuralgischen Punkt in der Auseinandersetzung mit dem Oeuvre Gehlens wird. Vornehmlich eine Aufgabe der Historiker wäre es, einmal Geschichte auf den Begriff "Posthistoire" hin "abzuklopfen", um die Frage zu beantworten, ob Gehlens Rede vom "Ende der Geschichte" überhaupt dem Modus des tatsächlichen Geschehens widerspricht.
HANS FREYER UND ARNOLD GEHLEN: ZWEI WEGE AUF DER SUCHE NACH "WIRKLICHKEIT" Von Elfriede Üner, München Die Frage nach der "geisteswissenschaftlichen Bedeutung" Arnold Geh/ens (die das Thema dieser Tagung war) bereitet zunächst Unbehagen, denn Gehlen selbst hatte, vor allem in seinen frühen Werken, gerade gegen die modernen Geisteswissenschaften schwere Einwände: sie hätten sowohl den Glauben an den "absoluten Geist" wie auch den Glauben an jedwede praktische Gestaltungsmacht der Wissenschaft aufgegeben. "Was bleibt, ist das seltsame Schauspiel eines allbereiten, gegenstandsgleichgültigen, völlig folgelosen und vagen Verstehenkönnens, das die Flut des historisch-psychologischen Literaturmaterials niemandem zur Lust und niemandem zu Leide ausbreitet." Mit jugendlicher Verve vertritt er, daß das "Sein im Anderen" und "Gewesenen" nur dann wirklich ist, wenn es Veranlassung zum Einsatz der Person in der Gegenwart gibt: "Verstehen verlangt Anwendung (. .. ) Alles andere ist eine müßige Spielerei des beschäftigungslosen und zerstreuten Geistes und ohne Realität" - und seine Verachtung des "Gelehrten im Elfenbeinturm" ist nicht zu überhören: "Ich weiß nicht, wie diese Leute beschaffen sein mögen, die den dauernden Vorwurf eines intensiven Lebens aus jedem Dokument, das die Jahrhunderte überdauert hat, entgegennehmen müssen und von diesem Leben nichts verstehen als die kämpfenden Gedanken aus dem heißen Dasein der Anderen. Es wird von Hege/, Savigny, Schleiermacher und Humboldt übereinstimmend berichtet, daß sie nie jung gewesen seien 1.'' Es ist mehr als jugendliche Aufmüpfigkeil gegen den "geistigen Stillstand" der älteren Generation, wenn Gehlen feststellt, daß der Idealismus seine Heilsgewißheit verloren habe, die jedem Wissen eine Teilnahme am "absoluten Geist" zuschrieb und damit die Sicherheit bot, daß man durch bloßes Wissen bereits am "Sein" teilhaben könne 2, daß damit "Verstehen bereits Nachschaffen" bedeute3• Damit beteiligt sich Gehlen am Generalthema, das die "Leipziger Schule" schon seit Wilhelm Wundt und 1 Arnold Gehlen, Wirklicher und unwirklicher Geist. Eine philosophische Untersuchung in der Methode absoluter Phänomenologie (1931), S. 343,344, in: Arnold Gehlen Gesamtausgabe. Philosophische Schriften I (1925-1933), Frankfurt/ M. 1978, S. 113-381. 1 Arnold Gehlen (Anm. 1), vgl. S. 340. ' Arnold Gehlen (Anm. 1), vgl. S. 133.
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Kar! Lamprecht im letzten Drittel des 19. Jh. beschäftigte: Die "Überwindung" des Idealismus, damit verbunden die Überwindung der Universalgeschichte als metaphysische Gesamtschau der Menschheitsentwicklung- ein Thema, das nach 1918, während Gehlens Studentenzeit, von mehreren Leipziger Universitätslehrern erneut angegangen wurde, z. B. von Hans Freyer (Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft 1930), von Hans Driesch (Wirklichkeitslehre 1922) oder Theodor Litt (Individuum und Gemeinschaft 1919), im weiteren Sinn auch in der "genetischen Ganzheitspsychologie" von Fe fix Krueger, wie in der Aufarbeitung des Verslehensbegriffs durch Joachim Wach. Auch die Arbeiten der nächsten "Generation", z. B. Hugo Fischers Habilitationsschrift über "Hegels Methode in ihrer ideengeschichtlichen Notwendigkeit" (1928), wie auch die Dissertation von Ernst Manheim "Zur Logik des konkreten Begriffs" (1930) und Hermann Hellers ,,Staatslehre" (1934) gehören zu dieser theoretischen Neuorientierung4 • Alle diese Bemühungen standen im Zeichen der "Konkretion", einerneuen Wirklichkeitsauffassung oder auch eines "heilsamen Realismus" (Freyer), der den modernen Sozialwissenschaften einen wichtigen Platz in (und nicht außerhalb!) der fortgeschrittenen, von Planung und Technik bestimmten Industriegesellschaft zuweisen sollte.
Wie gegenstandsadäquat ist es also heute, in einer Zeit, in der den "Geisteswissenschaften" wiederum eine (Schein-)Konstitution einer außerhalb der technischen-rationalen Zivilisation liegenden ideellen Welt zuge• Existenz oder Nicht-Existenz einer .,Leipziger Schule" ist derzeit eine kontrovers diskutierte Frage und abhängig davon, durch welche Kriterien die Gemeinsamkeiten einer wissenschaftlichen ..Schule" definiert werden. Unter dem Aspekt theoretischer Übereinstimmungen (die im folgenden mit einem .,Strukturgenetischen Ansatz" bezeichnet werden), kann man meiner Ansicht nach durchaus von einer .,Leipziger Schule" sprechen und, verglichen mit anderen akademischen Zentren der Sozialwissenschaften in Deutschland, sogar eine auffallende Kontinuität feststellen. Außer den genannten gehören noch dazu: Kar/ Bücher(Nationalökonom) und Johannes Volkelt (Philosoph) als Lehrer Hans Freyers; zu den Kollegen Freyers zählen außerdem u. a. Gunther lpsen (Soziologie), Paul Ti/lieh (Theologie), auch der in Berlin lehrende Wundt-Schüler Alfred Vierkandt (Soziologie); von den Schülern und jüngeren Mitarbeitern an Freyers Institut sind u. a. noch zu nennen: Arkadij Gurland(Poi. Wiss.), Sigmund Neumann (Pol. Wiss .),Joseph Maier(Soziologie und Religionswiss.), Fritz Borinski (Pädagogik), Walter Hildebrandt, Hans Linde und Franz Zwilgmeyer (alle Soziologie) - und natürlich Arnold Gehlen, Gotthard Günthe1; Hugo Fischer und Helmut Schelsky, die in dieser Studie näher behandelt werden. Nach 1945 läuft diese theoretische Entwicklung in verschiedenen "Brechungen" aus in der Wissenschaftsgemeinschaft um Hans Freyer und Helmut Schelsky an der Universität Münster bzw. der Sozialforschungsstelle Dortmund und in den Wirkungskreis Arnold Gehlens an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer und an der Rheinisch-Westfalischen Technischen Hochschule Aachen. - Einige dieser theoretischen Verbindungen und Verzweigungen werden angesprochen in: Elfriede Üner, Soziologie als "geistige Bewegung". Hans Freyers System der Soziologie und die "Leipziger Schule", Weinheim 1992. Der Begriff .,strukturgenetische Schule" wurde daraus übernommen von Walter L. Bühl, KulturwandeL Für eine dynamische Kultursoziologie, Darmstadt 1987, vgl. S. 16 und S. 32-38.
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schrieben wird und sie erneut für die Kompensation dieser bereits entschwindenden Welt herhalten müssen, von der "geisteswissenschaftlichen" BedeutungArno/d Gehlens auszugehen? Die heute u. a . von Odo Marquardvertretenen Thesen von den Kompensationsleistungen der Geisteswissenschaften führen offenbar weit hinter die wissenschaftlichen Bemühungen des jungen Gehlen und der "Leipziger Schule" zurück. C. P. Snows alte These aus den zwanziger Jahren von den zwei Kulturen, einer naturwissenschaftlich-technischen und der geistes- und sozialwissenschaftlichen, wird heute in rhetorisch neuem Gewand wieder präsentiert. Darüber hinaus zögert man, der Marquardschen Auffassung von Geisteswissenschaft noch den Charakter einer Wissenschaft zuzusprechen. "Dennoch-Verzauberung" durch SensibiIisierungsgeschichten in einer technisch-rationalen entzauberten Welt, Bewahrungsgeschichten als Traditionswiderstand gegen die "veraltungsbeschleunigten Innovationen" der durch die experimentellen Naturwissenschaften herbeigeführten Modernisierungen, kompensatorische Orientierungsgeschichten gegen die Komplexitätssteigerungen dieser Modernisierungen - ist das noch Geistes-Wissenschaft5? Jedenfalls wird hier eine alte, für die deutsche Kulturkritik schon vor dem I. Weltkrieg typische ideologische Polarität "Kultur-Zivilisation" wieder aufgewärmt: die menschliche Lebenswelt wird gegen die durch die experimentierenden Naturwissenschaften angetriebenen "entmenschlichten" Modernisierungen verteidigt, der "Geist" fühlt sich immer noch aufgerufen, gegen einen "eigengesetzlichen" naturwissenschaftlichen Fortschritt anzutreten. Aus zwei wissenschaftlichen Perspektiven und Vorgehensweisen (die noch dazu als die einzig möglichen hingestellt werden) werden damit zwei konträre Lebensentwürfe oder "Weltanschauungen" konstruiert, aus denen dann auch noch zwei konkurrierende Organisationsformen folgen sollen, die sich so fremd gegenüberstehen wie "zwei fremdartige Stammeskulturen". 6 Die Salonfähigkeit dieser Kulturkritik sollte jedoch die großen theoretischen Anstrengungen nicht vergessen lassen, zu einer Synthese dieser künstlich polarisierten Wissenschaftsauffassungen zu kommen - sei es Wi/he/m Wundts Versuch, ein Gesamtsystem von Physiologie, Psychologie, Geschichte und Philosophie zu entwerfen7, oder auch Max Webers Bemühungen, zu 5 Odo Marquard, Verspätete Moralistik. Bemerkungen zur Unvermeidlichkeit der Geisteswissenschaften Kursbuch 91, Wozu Geisteswissenschaften?, März 1988, S. 13-22 (13). Zur These von den "zwei Kulturen'· vgl. C. P. Snow, The Two Cultures and the Scientific Revolution, New York 1959. 6 Hubert Mark/, Sind die Sozialwissenschaften Naturwissenschaft? ZUMA Nachrichten (Mannheim), 21. Nov. 1987, S. 1-19. 7 Wilhelm Wundt wurde bisher sehr einseitig als "Gründervater" der experimentellen Psychologie (durch seine Gründung des ersten Labors der Welt für experimentelle Psychologie in Leipzig 1879) angesehen. Vgl. zu seinem wissenschaftlichen System u. a. Wilhelm Mühlmann, Geschichte der Anthropologie (1948), 2. Aufl. Frankfurt/M. 1968; Elfriede Üner, Wilhelm Wundt, in: LARG International Dictionary of Anthropologists, New York 1991.
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einer Synthese der empirischen und "verstehenden" wissenschaftlichen Methoden zu gelangen, wie auch Max Schelers Ineinandergreifen von "Idealfaktoren" und "Realfaktoren" 8 • In diesen umfassenden wissenschaftlichen Kontext gehört GehJens radikale Absage an die "Geisteswissenschaften" als Relikt des 19. Jh., gehören die Bemühungen der "Leipziger Schule", vor allem von Hans Freyer und Arnold Gehlen, eine neue sozialwissenschaftliche Basis zu finden im Konzept der "konkreten Lebenswirklichkeit".
I. "Derealisierung" und "Realisierung" des Geistes
GehJens Leipziger Habilitationsschrift "Wirklicher und unwirklicher Geist" ist auch, als Angriff auf das Heiligtum des idealistischen Vernunftbegriffes, mit der damals neu entstehenden Wissenssoziologie in Verbindung zu sehen9 , denn diese stand ebenfalls unter dem Zeichen des Zusammenbruchs des hegelisch-idealistischen Wirklichkeitsbegriffes, der eine Einheit herstellt zwischen "Wirklichkeit" und "Vernunft", insgeheim aber auch zwischen "Weltgeist" und "Volksgeist", d. h. der nichts weniger beansprucht, als durch die eigene Nation (als Kultur- wie als Staatsnation) Anteil zu haben an der "menschheitlichen Wahrheit", also konstitutiver Bestandteil der "Vernunftmenschheit" zu sein 10 • Dieser idealistische Wirklichkeitsbegriff war mit einer sinnlosen und Selbstzerstörerischen Mobilisierung von riesigen Menschenmassen im I. Weltkrieg und untragbaren Kriegskosten in Europa zusammengebrochen. Nun aber steht das Problem des Relativismus an, das weder durch Schelers Nachkriegsidee eines umfassenden "Ausgleichs" noch durch seine Idee des "objektiven Logos", der nur noch in der "Kooperation aller Zeiten und Völker" entsteht, behoben werden kann 11 . Auch Kar/ Mannheims Methode eines systematischen Perspektivismus oder "Relationismus"12 zeigt, daß dieses Problem eben nicht nur reflexiv zu bewältigen ist. Es ist zwar noch möglich - und wird zweifellos immer dringender notwendig 8 Danach ist der "Geist" lediglich Determinationsfaktor; er kann Kulturinhalte, die werden können, in ihre Soseinsbeschaffenheit bestimmen. Realisationsfaktoren sind aber erst da, wo "Ideen" mit Interessen, Machtverhältnissen, ökonomischen Produktionsfaktoren, geopolitischen Faktoren etc. zusammenfallen. Max Sehe/er, Die Wissensformen und die Gesellschaft (1925), Ges. Werke Band 8, Bern, München 1960, vgl. S. 20 ff. 9 Die Kontroversen um die damals neue Richtung in der Soziologie in: Volker Meja und Nico Stehr (Hrsg.), Der Streit um die Wissenssoziologie, 2 Bde., Frankfurt/ M. 1982. 10 Das ist doch noch der Anspruch eines der strengsten und nüchternsten Denker, Edmund Busserl, Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie (1936), Harnburg 1977, vgl. S. 15. 11 Max Sehe/er (Anm. 8), S. 27. 12 Kar/ Mannheim, Historismus, Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 52 (1924), s. 1-60.
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-,einerseits wieder zu einem nüchternen Begriffvon "Vernunft", "Philosoph.ie" und "Wissenschaft" zu kommen (wie dies im "Wiener Kreis" 13 in vorbildlicher Weise geschieht), und andererseits setzen nun erst die Anstrengungen einer Politischen Soziologie oder Politischen Wissenschaft ein, die Möglichkeiten der sozialen Organisation der Nation und des internationalen Staatengefüges neu zu überdenken, jedoch kommen die Komponenten nicht mehr sinnfällig und selbstverständlich zur Deckung. Der Wirklichkeitsbegriff muß sozusagen ermäßigt werden, die Deckung scheint nur noch auf niedriger Ebene (des Alltagshandeins oder der individuellen Leiblichkeit), in einem kleineren Segment der geistigen Tätigkeit (wenn nicht mehr in der Politischen Philosophie, dann vielleicht noch in der Metaphysik, wenn nicht in der gesamten Wissenschaft, dann vielleicht in der Wissenschaftstheorie) oder in einem kleineren Sozialbereich (wenn nicht mehr im gesamtgesellschaftlichen Bereich, dann vielleicht im persönlichen Bereich der Ich-DuBeziehung) gegeben zu sein. Der Preis dieser Neufundierung eines gewissermaßen wieder kompakten und selbstevidenten Wirklichkeitsbegriffes ist allerdings der Verlust des großen gesellschaftlichen und historischen Horizonts. In diesem Kontext nimmt Gehlen gleichfalls Abschied von der historischen und gesamtgesellschaftlichen Perspektive und konzentriert sich auf das Individuum in der "Situation". "Unsere Gegenstände (des Denkens) sind abhängig von unseren Zuständen." Seine Argumentation ist ebenfalls eine wissenssoziologische; er will die "innere Logik der lebendigen Situation" deshalb wissenschaftlich herausarbeiten, weil "jeder wesentlichen Situation ( ... ) eine besondere Möglichkeit des Versuchs, sich in Gedanken absolut zu setzen", entspricht. Wichtig dabei ist Gehlens kurze Feststellung, daß jedes einer Situation zuzuordnende Wissen sich absolut setzt, weil das Wagnis einer unendlichen Relativität nicht eingegangen wird 14 • Das wissenschaftstheoretische Problem, wie an Erlebnissituationen gebundenes Wissen trotzdem allgemeingültig sein kann, haben sich sowohl die existentialistischen, die phänomenologischen und auch die Leipziger strukturgenetischen Ansätze gestellt. Das Anliegen dabei war, daß der Verlust des Begriffes "Geist" als Substanz, der nach Sehe/er immer die Vorgegebenheit einer spiritualistischen Gottesidee wie auch der Idee einer rationalen Beherrschbarkeit der Welt 15 vorausgesetzt hat (und deshalb nicht mehr haltbar zu sein scheint), trotzdem nicht zur Zersetzung der geistigen Realität führen sollte. Mit der Feststellung der "Derealisierung des Geistes" beklagt Gehlen eben diese Zerstörung, die er für schon weit fortgeschritten hält, sowohl von der 13 Victor Kraft, Der Wiener Kreis. Der Ursprung des Neupositivismus, 2. Aufl., Wien 1968, s. 1-19. 14 Arnold Gehlen (Anm. 1), S. 138. 15 Max S ehe/er, Wissensoziologie. Zitert von A. Gehlen (Anm. 1), S. 131 f.
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ideengeschichtlichen oder "objektiven" Seite her gesehen, wie auch in den "subjektiven" Veränderungen: der "Wille" hat seit Schopenhauer nur mehr die Qualität eines "dumpfen und ungeistigen Absolutum", im Pragmatismus und in der Lebensphilosophie kommt dem "Bewußtsein" nur eine dienende Rolle im Verband ganz anderer vitaler und unbewußter Kräfte zu, bis dann bei Sigmund Freud "der Geist eigentlich bloß mehr der Dampf ist, der aus Triebverwirrungen sich erhebt, Symbol, Wahn, Sublimierung". So ist der "Geist" unverbindlich geworden, und es zeigen sich besorgniserregende Dekadenzerscheinungen in der Person: Neues Wissen hat keine Wirksamkeit mehr auf das Handeln oder auf tiefere psychische Prozesse; alle Erkenntnis gilt als rein subjektiv, d. h. wird zur harmlosen Meinung degradiert- es gibt keine gemeinsamen Wahrheiten mehr und jedem ist das Weltbild des anderen gleichgültig; als Resultat zeigt sich eine Starrheit und Entwicklungslosigkeit der Charaktere, da das Bewußtsein ganz für sich bleibt- man gestaltet nicht sein Leben, sondern macht alles in seinen Vorstellungen ab; so gibt es keine echte "Erfahrung" als Auseinandersetzung der Vorstellung mit der Wirklichkeit mehr- Vorstellungen werden damit unkorrigierbar und man neigt zu Vorurteilen, Illusionen und Selbsttäuschungen 16. Geh/ens Ausweg aus dieser Fehlentwicklung ist zeittypisch und radikal: Der Vertrauensverlust gegenüber einer "ewigen Substanz" darf einfach nicht im blinden Vertrauen oder resignativen Sichfügen in die unkontrollierbaren Kräfte des Triebhaften und Unbewußten enden. Der "Geist" muß jetzt im direkten Sinn des Wortes "ausgehandelt" werden - Wissen wird durch Handeln "gesetzt". Das Kriterium für die Echtheit einer Vorstellung oder Überzeugung ist für Gehlen allein "in ihrer Motivationskraft auf meine Handlungen" zu sehen- "nur die Qualität der Handlung kann sie rehabilitieren17". Angelegt ist hier eine konstruktiv-reziproke, niemals in einer Synthese aufgehende Dialektik'~ von "Vorstellung", "Idee" oder auch "Geist" einerseits und "Handeln" andererseits. Der Rückgang auf die Lebenswirklichkeit war von Gehlen keinesfalls als Bescheidung auf das Alltagsleben oder die individuelle Welt gemeint, im Gegenteil ist in der von Theologie und Metaphysik befreiten Gesellschaft die "Lebenswirklichkeit" Arnold Gehlen (Anm. 1), S. 128 f. , S. 130. Arnold Gehlen (Anm. 1), S. 130. 1 ~ Georges Gurvitch hat fünf operative Verfahren der Dialektisierung unterschieden, die zwischen den (real nie vorkommenden) logischen Limesfällen der totalen Negation und der Identität eingeordnet sind. Die .,Reziprozität der Perspektiven" läßt eine starke reziproke Immanenz gegensätzlicher Elemente hervortreten, die zur strengen Symmetrie zwischen ihren Erscheinungsformen führt. Sie setzt bereits kräftige Totalisierungserscheinungen voraus, die das ganze Bezugssystem durchziehen; solange sich die Kräfte und Bewegungen jedoch symmetrisch gegenüberstehen, ist ein Zerbrechen der Integration nicht zu fürchten. Die .,Reziprozität der Perspektiven" repräsentiert somit den "positiven" oder konstruktiven Konflikt. Georges Gurvitch, Dialektik und Soziologie, Neuwied 1965, vgl. S. 258. 16
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die neue Basis für die Entstehung gesamtverbindlichen Wissens. Die von Gehlen gesuchte Methode der "absoluten Phänomenologie" soll nun auf alle Hypothesen über Nichtgegebenes überhaupt verzichten, selbst auf so geläufige wie z. B. die Dichotomisierung in eine physische und psychische Wirklichkeit, und soll sich streng nur an das halten, was zweifelsfrei gegeben und zugänglich ist - an den phänomenalen Inhalt der konkreten Lebenssituation19. Hierzu ist das rein historisch-wissenschaftliche Interesse, das noch der alten idealistischen Wissenschaftsauffassung verhaftet ist, zu überwinden; "höhere Grade der Wirklichkeit" sind nur "in voller und gegenwärtiger Zuwendung zum Anderen zu erreichen", und es muß gelingen, Inhalte des Denkensauf das "einzige und adäquat Zugängliche zu beziehen, die Person" und auf das "konkret im Erlebnis (gemeint ist immer das persönliche Erlebnis) Aufweisbare" ohne jegliche von außen angelegte, abstrakte gedankliche Hypothesen20 . Damit soll aber doch eine rein sachliche "innere Logik der lebendigen Situation" aufzudecken sein 21 . Für Gehlen ist diese Problemerfassung ein neuer Weg der Philosophie, von der Soziologie spricht er damals noch nicht. Hans Freyer hat dementsprechend die Soziologie zur Philosophie erklärt: "Während die Hegeische Philosophie die Soziologie eines Endes ist, ist die Soziologie die Philosophie eines Übergangs 22 ." Gehlen weist ebenfalls mit kämpferischer Polemik auf das Ende der traditionellen Philosophie hin: "Es ist ein denkwürdiges Schauspiel, wie Philosopheme, die vor 300 Jahren Glaubenskriege entfesselt hätten, heute von der schweigenden Zeit spurlos übergangen werden und in den sicheren Friedhöfen der Bibliotheken für immer verschwinden 23 ." Die gegenwärtigen repräsentativen wissenschaftlichen Leistungen sieht er in den charakterologischen, psychiatrischen und physiognomischen Untersuchungen- philosophische Begriffe sind dagegen entleert: "Die Namen der letzten Dinge sind so billig geworden, daß man sie fast nur noch in Zeitungen verträgt: kosmisch, All, Wesen, Seele, Vernunft, Liebe - welche Vokabeln24 !" Aber auch die "abstraktesten Bücher gegen den Geist" und die hoffnungslose Suche nach "Leben" in einer "romantischen oder dionysischen Vergangenheit" prangert er an, was durchaus implizit gegen Hans Freyer gerichtet sein kann, der seine soziologischen Strukturbegriffe immer aus einer idealtypischen, historischen Zusammenschau großer Menschheitsepochen entwickelt25 • Diese historische MaArnold Gehlen (Anm. 1), S. 170 ff. Arnold Gehlen (Anm. 1), vgl. S. 234 ff., ZitatS. 135 f. 21 Arnold Gehlen (Anm. 1), vgl. S. 138. 22 Hans Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft (1930), Darmstadt 1964, s. 221. 23 Arnold Gehlen (Anm. 1), S. 136. 24 Arnold Gehlen (Anm. 1), S. 137. 25 Hierzu als Beispiel die Kapitel "Stände", "Klassen", in: Hans Freyer (Anm. 22), S. 264-285. 19
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kroperspektive wäre für Gehlen sicher den abstrakten gedanklichen Hypothesen ohne erlebbare Grundlage zuzurechnen und damit abzulehnen. Gehlen geht dagegen von Anfang an einen existentiell-anthropologischen Weg, in dem die "Person", der "Andere", das "unmittelbare Erlebnis", die "Gefühle", das "unbewußte Sichorganisieren" im Vordergrund stehen26 • Freyer versucht, in einer makroskopischen Strukturtheorie, den "objektiven Geist" zunächst in einer Theorie der Kulturformen (1923) und danach in einem ersten Ansatz einer soziologischen Systemtheorie (1930) zu konkretisieren 27• Beiden gemeinsam ist jedoch die Suche nach "praktischer Erkenntnis" und nach einer "Situationsethik", die in den Kategorien von "Handlung", "Tat" und "Entscheidung" das Kollektive rriit dem Persönlichen, das Geschichtliche mit dem Gegenwärtigen, zu verknüpfen sucht. Sozial- oder humanwissenschaftliche Erkenntnisse, die notwendigerweise verallgemeinert sind, können nur insoweit gelten, als sie durch eine lebendige Wirklichkeit neu erfahren und praktisch umgestaltet werden, d. h. sie haben nur als "Selbsterkenntnis einer gesellschaftlichen Wirklichkeit" (Freyer) oder als "philosophie engagee" (Gehlen) ihre Berechtigung. II. Weggenossen oder Kontrahenten? Die phänomenologische und existentialistische Bewegung
Wenn heute Gehlen und Freyers Versuche, die "Wirklichkeit" ins Zentrum der Wissenschaft zu rücken, eine gewisse Aufbruchseuphorie zeigen, so sind sie nur adäquat einzuordnen auf dem Hintergrund der vielfältigen zeitgenössischen Versuche, einen neuen Wirklichkeitsbegriff zu begründen bzw. die Soziologie, Psychologie oder auch Historik als "Wirklichkeitswissenschaften" zu bestimmen. Schon vor dem I. Weltkrieg beginnt (mit Eduard Busserls "Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie", 1. Buch 1913, oder mit Max Schelers "Wesen und Formen der Sympathie" von 1912) die Phänomenologie sich zu formieren, die mit ihrer Hinwendung "zu den Sachen" 28 und ihrer Abwendung von der bisherigen "Weltanschauungsphilosophie" zu einerneuen Sicht der "Objektivität" der Objektivationen und ihrer Konstitution im Subjekt selbst vorstößt. Aber erst mit dem Ende des Krieges gewinnt die "Phänomenologische Bewegung" eine weitere Verbreitung und nachhaltigen Einfluß auf ein neues Wirklichkeitsbewußtsein, das gewissermaßen nochmals von den ersten Anfangen her aufzuArnold Gehlen (Anm. 1), S. 159, 189, 292. Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes (1923), im folgenden zitiert nach dem Nachdruck der 3. Aufl. (1934), Darmstadt 1966. Hans Freyer 1930 (Anm. 22). 28 Edmund Busserl, Philosophie als strenge Wissenschaft (1911), Frankfurt/ M. 1965, s. 71. 26 27
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bauen ist29 • Die phänomenologische Wirklichkeitskonzeption - ob in der strengen transzendentalen Bewußtseinsphänomenologie Busserls oder in der mehr intuitionistischen Wesens- und Wertphänomenologie Schelers zeichnet sich vor allem dadurch aus, daß die Konstitution der Erscheinungswelt bis auf Genaueste auf die Intentionalität der Aktstruktur des handelnden und leidenden Menschen selbst zurückgeführt wird, daß damit aber die soziale oder politische Wirklichkeit des Menschen völlig an den Rand gedrängt wird oder nur noch in einer völlig abstrakten und inhaltsleeren Weise zu rekonstruieren ist. Das enttäuschende Ergebnis dieser zweifelsohne mit bislang unerreichter Präzision in die Tiefe des Bewußtseins und der Leiblichkeit vordringenden Analyse ist am Ende doch die Verflachung des Wirklichkeitsbegriffes zur Wirklichkeit des "Alltags" (der nicht selten mit der "Lebenswelt" schlechthin verwechselt wird), oder zu einer "Wirklichkeit'', die nur deshalb als intersubjektiv gegeben und real erscheint, weil sie durch die Idealisierungen (in diesem Fall besser: Trivialisierungen) der Vertauschbarkeit der Standorte und der Kongruenz der Relevanzsysteme, der Standardzeit und der Et-cetera-Regel usw. 30 , so auf das "Hier und Jetzt" eingeengt wird, daß jede gemeinsame thematische Bindung, jede Gemeinschaftsverpflichtung, jede Historizität und Zukunftsperspektive entschwindet. Die "Wirklichkeit" ist dann nur noch "die sozusagen frag- und perspektivlos für alle vorgegebene gleiche und im naiven Alltagsverständnis gegenüber dem Bewußtsein sich verobjektivierenden Welt"31 Welt der Bewußtlosigkeit. Der dabei ebenso vernachlässigte Aspekt der "Grenzsituationen" und "Ekstasen", sowohl im "Handeln" wie im "Erleiden" des scheinbar in die Sinnlosigkeit des "Nichts" gewordenen Individuums, ist Gegenstand der Existenzphilosophie eines Kar! Jaspers oder Martin Heidegger, Franz Rosenzweig oder auch Kar! Löwith32 • Unter dem Eindruck des Krieges und in der Erfahrung des Todes entdeckt die Existenzphilosophie die "Einzigkeit" des IndividuumsJJ, die Unersetzbarkeit des Lebens, die grundsätzliche Bedrohtheit der Person, die mit allen Mitteln des Bewußtseins und des Verstandes nicht aufzuheben ist. Die "Wirklichkeit" zerfällt dabei aber in die Antino29 Zum emphatischen Wirklichkeitsbegriff der Phänomenologie Ferdinand Fellmann, Phänomenologie und Expressionismus, Freiburg 1982, vgl. S. 44 ff. 30 Alfred Schütz, Wissenschaftli che Interpretation und Alltagsverständnis menschlichen Handeins ( 1953), in: G esammelte Aufsätze, Bd. I, Den Haag 1971 , S. 3-54 (II f.); Peter Berger/ Thomas Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, Frankfurt/M. 1969, vgl. S. 21 ff. 31 Walter L. Bühl, Wirklichkeit, in: Lexikon zur Soziologie, Opladen 1973, S. 763 f. 32 Der Ausdruck "Existenzphilosophie" stammt von Fritz Heinemann, Neue Wege der Philosophie, Leipzig 1929, S. 400 ff. 33 Kar! Löwith, Das Individuum in der Rolle des Mitmenschen, München 1928, vgl. S. 169 ff.
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mien von Person, Gemeinschaft und Dingwelt, wobei das "Ich" der Dingwelt (in der Form des "Es" oder des "Man") oft näher zu stehen scheint als dem "Du" des "Miteinanderseins" oder dem "Wir" einer aktualen Gemeinschaft. Diese Antinomien sind nur zu ertragen in der religiösen Hoffnung auf "Erlösung".l4 , oder aber im heroischen Rückzug auf das "Selbstsein" oder die "Selbstverwirklichung" des Individuums.lS, das im Glücksfall im Verhältnis von ,,Ich und Du".lo Bestätigung geben und finden kann, im Notfall aber zurückgeworfen ist auf sein eigenes "Sein zum Tode".l 7, praktisch jedoch niemals mit dem Aufgehobensein in einer größeren und zukunftsträchtigen Gemeinschaft rechnen kann. Obwohl viel und pathetisch die Rede ist von "Geschichtlichkeit" und vom "Ganzen", so ist doch auffallend, daß die Geschichte fast nur negativ bestimmt wird als "Unfaßbarkeit des Ganzen" oder daß sie mit der "universalen Geschichtlichkeit" 38 gleichgesetzt wird, die weitgehend mit der "Zeitlichkeit" oder mit dem allgemeinen existentiellen "Geschick" oder "Schicksal" in eins fallt·'9 • Vielleicht ist auch die Rede von der "Welt-Geschichte" schlechthin, aber von der konkreten "Geschichte" einer konkreten politischen Kollektivität wird praktisch nicht gehandelt. Die historische Gemeinschaft wird damit im Grunde aus dem Wirklichkeitsbegriff ausgeschlossen und selbstverständlich wirkt die Entwirklichung des Gemeinschaftshorizontes zurück auf das heroische Individuum, das- trotz aller Betonung der Bedeutung seiner "Entscheidungen" und seiner "Handlungen" in einer Situation der "Krise" -letztlich doch aus der Grundbefindlichkeit der Angst und Sorge nicht herauskommen kann, für das das "Scheitern" der eigentliche Existenzmodus ist40 • Der Appell zur "Eigentlichkeil'' und "Unbedingtheit", zur "Kommunikation" wie zum "Widerstand" bleibt seltsam leer und unverbindlich, da doch das Bedingte im Unbedingten, das Konkrete im Prinzipiellen untergeht und jede konkrete Verwirklichung in einer von einem einheitlichen Willen getragenen Gesellschaft ausgeschlossen bleibt oder sogar negiert wird. Der dezidiert soziale Wirklichkeitsbegriff bei Arnold Gehlen, Hans Freyer und der "Leipziger Schule" ist auf dem Hintergrund der existentialistischen wie der phänomenologischen Wirklichkeitsauffassung zu sehen, gegen beide Franz Rosenzweig, Der Stern der Erlösung, Frankfurt/M. 1921, vgl. S. 262 ff. Kar/ Jaspers, Die geistige Situation der Zeit, Berlin 1932, vgl. S. 161 ff. 36 Typisch dafür: Martin Buher, Ich und Du, Leipzig 1923; vorher schon: Daniel. Gespräche von der Verwirklichung, Leipzig 1913. 37 So vor allem: Martin Heidegger, Sein und Zeit (1927), Tübingen 1957, vgl. S. 114 ff. 38 Kar/ Jaspers (Anm. 35), vgl. S. 86 ff.; Kar/ Jaspers, Philosophie, Berlin 1932, vgl. S. 632f. 39 Martin Heidegger (Anm. 37), vgl. S. 372 ff. Zur Kritik des Heideggerschen Geschichtsbegriffes: Kar/ Löwith, Heidegger, Denker in dürftiger Zeit, Göttingen 1960, vgl. S.69f. 34 35
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sie sich abheben und gegen die sie ihre eigene Legitimität begründen, ohne selbst jedoch ganz frei zu sein von existentialistischen wie phänomenologischen Anklängen. Obgleich noch viel von den existentialistischen Kategorien der "Entscheidung" und der "Handlung", von der ,,Situation" und der "Erlebnisrealität", vom "Anderen" und vom "Manselbstsein" die Rede ist, obwohl Gehlen von einer "Absoluten Phänomenologie" spricht und Freyer behauptet, einen "phänomenologischen Ausgangspunkt" zu wählen41 , so wird diese Phänomenologie doch noch weitgehend im Sinne der "Phänomenologie des Geistes" von Hege/ (1807) verstanden. Das Ziel ist eindeutig die Restitution eines sozialen Wirklichkeitsbegriffes, die durch eine soziologische Konkretion (oder eine "realistische Wendung") des Hegeischen Idealismus erreicht werden soll. So strebt Theodor Litt an, Hege/ "in seinen eigenen Formen über ihn selbst hinaus (zu denken)", indem er systematisch zu der bisher noch nicht geleisteten "Konkretion des Seins, Werdens und Tuns" fortschreitet 42 • Hans Freyer verkündet (in der "Theorie des objektiven Geistes") eine "realistische Wendung der in der deutschen Bewegung erarbeiteten Philosophie des Geistes43 oder er proklamiert (in "Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft") Hege/s Philosophie des Rechts, die nur ihrer "idealistisch-philosophischen Verkleidung" entkleidet und konkretisiert werden müsse, zum "Ursprung der deutschen Soziologie"44 • Arnold Gehlen hält zwar die "Grundthesen des Idealismus und des Spiritualismus" inzwischen für "unverstehbar"45 , aber in seiner Klage über die "Derealisierung des Geistes" wird deutlich an einem mit dem Leben verbundenen Geistbegriff festgehalten, und er hofft doch, durch die "Reflexion auf die Reflexion" den Idealismus zu retten, ja ihn überhaupt erst anfangen zu lassen46 • Und selbst noch Helmut Sche/sky, der längst zu der Überzeugung gekommen ist, "daß die Melodien der Geistes- und Ideengeschichte durchgespielt waren", daß "insbesondere das idealistische Denken den Boden einer unmittelbaren und sicheren Welterfahrung (... )inzwischen unter den Füßen verloren hatte", ist immer noch "auf der Suche nach Wirklichkeit", wenn nun auch mit einem stark empirischen "Realitätsdrall" 47• Die große Schwierigkeit dieser "realistischen Wendung" ist allerdings, an die Stelle der "theoretischen Vernunft" die "praktische Vernunft" 48 , an die Stelle des zu sich selbst kommenden HegelKar/ Jaspers (Anm. 38), S. 863 ff. Hans Freyer (Anm. 22), vgl. S. 13 ff. 42 Theodor Litt, Philosophie und Zeitgeist, Leipzig 1935, S. 50 f. 43 Hans Freyer (Anm. 27), S. 153. 44 Hans Freyer (Anm. 22), S. 213. 45 Arnold Gehlen (Anm. 1}, S. 134. 46 Arnold Gehlen (Anm. 1), vgl. S. 129; Arnold Gehlen, Idealismus und Existentialphilosophie, in: Philosophische Schriften I, Frankfurt/M. 1978, S. 383-402 (395). 47 Helmut Schelsky, Auf der Suche nach Wirklichkeit, Düsseldorf 1965, S. 8. 48 Arnold Gehlen (Anm. 1), vgl. S. 367 f. 40
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sehen Logos und seines universellen "Logismus" 49 einen Begriff von "sozialer Wirklichkeit" und eine nichtlogistische Gesellschafts- und Geschichtskonzeption zu setzen, die in der Konkretion dennoch nicht ihre Allgemeingültigkeit und in der Entideologisierung nicht ihre Zukunftsgewißheit verliert.
111. "Wirklichkeit" und "Wirklichkeitswissenschaft" Welchen Weg Gehlen zur "Rettung" des Idealismus einschlägt, zeigt sich bereits in seiner Kritik an der Hegel-Rezeption der Existenzphilosophie, der er seine eigene Hegel-Interpretation entgegenstellt: "Der idealistische Denker beurteilt also eine Handlung nie in der Frage ,Was hat er vor', sondern er fragt ,Welche Voraussetzung über das Verhältnis des Menschen zur Welt erscheint in der Handlung?' Hege/ ist nach Gehlen gar nicht zu verstehen ohne die Einsicht, "daß in Handlung sich gesetzliche Beziehungen des Menschen zur Welt und umgekehrt realisieren" 50• Während Freyer diese Gesetzmäßigkeiten in den objektivierten Sozial- und Kulturformen sucht, erwartet Gehlen, daß sie im "totalen" oder "transzendentalen Handeln" (im Gegensatz zur bloßen Zerstreuung) erscheinen. Dieses allein kann unsere ganze Vergangenheit wirklich werden lassen und die Zukunft determinieren -denn: Das Leben "verläuft mit einer geheimen und zuverlässigen "anscheinenden Absichtlichkeit", wenn wir nichts versäumt haben ... " "Selbst meine periphersten Vorstellungen haben die Kraft, wenn ich sie festhalte, mich auf meine nicht mehr mir eigenen Voraussetzungen zurückzuführen ( ••• ) 51 ." Es werden durchaus langfristige Strukturen und generationenübergreifende Entwicklungsgesetze angenommen - die sich jedoch nur durch Praxis konstituieren: "Allein die praktische Realisierung des Zustandes der Freiheit, das heißt( .. . ) des produktiven Zustandes in einem ganz allgemeinen Sinn, ( .. .) öffnet mit der Überzeugung von der Wirklichkeit unserer Handlungen auch das Reich der Vernunft, deren Geltungen nun an der Gewißheit und Verbindlichkeit dieses Zustandes teilnehmen 52 . " Was diese Neuformulierung des Idealismus von der alten idealistischen Tradition abheben soll, ist die Korrektur des Konzepts der "Universalgeschichte", die ohne Zutun "sowieso" geschehen soll, durch das Prinzip der Aktualisierung im Handeln. Gehlens Programm hierzu ist die "Überwindung des Subjektivismus", sowohl in der Existenzphilosophie, die die Reziprozität von Reflexion und Handeln nicht begriffen habe und in deren Zentrum nicht das Tun, sondern lediglich das Warten auf die hohen Augenblicke der Erfüllung 49
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Hans Freyer (Anm. 22), vgl. S. 214 f. Arnold Gehlen (Anm. 46), S. 399. Arnold Gehlen (Anm. 1), S. 232. Arnold Gehlen (Anm. 1), S. 366 f.
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stehen soll; aber auch ein idealistischer Subjektivismus, der alles Subjektive als Zusiehselbstkommen des Weltgeistes akzeptieren kann, ist für ihn nicht mehr tragbar. Und so greift er zurück auf die Möglichkeiten des Idealismus, die Fichte bereits aufgezeigt hat: Idealistisch angesehen "überlebt" man Probleme, "indem man sie nicht theoretisch, sondern in notwendigen Handlungen überwindet, die ... für den Idealisten von vollkommener Durchsichtigkeit sind53". Da die Freisetzung einer Entwicklung niemals durch den "kontemplativen Menschen" bewirkt werden kann, wird die "glühende Passivität" der Existenzphilosophie nun von Gehlen durch einen ebenso "glühenden" Aktionismus ersetzt. Nur der handelnde Mensch, in dem sich Sinnlichkeit, Verstand und Initiative vereinen, kann die Strukturen und Entwicklungen schöpferisch weitertreiben54 • Ebenso muß jede noch so momentane Situation prinzipiell als "Weltsituation" aufgefaßt werden, weil sie in sich immer die Möglichkeit birgt, "das Sein wirklich zu erreichen" 55 • Dahinter steht auf jeden Fall ein "idealistischer" Glaube an inhärente, übergreifende Gesetzmäßigkeilen, die jedoch jetzt der Gestaltungskraft eines jeden einzelnen Augenblicks anheimgegeben sind. Sowohl der von Wi/helm Wundt herausgearbeitete Begriff der "Apperzeption" als individuelle aktive Haltung zur Welt, von höchster Wachheit und Aufmerksamkeit, Spontaneität und positiver Offenheit geprägt, wie auch Hans Drieschs Konzepte der "Entelechie" und "Ganzheitskausalität" (die Gehlen allerdings schon wenige Jahre später nicht für überzeugend hält), spielen hier herein 56• Vor allem aber lehnt Gehlen sich an Hans Freyers strukturgenetische Theoriekonzeption an. Um eine (dem Idealismus zugeschriebene) unzulässige Extrapolation vorhandener Strukturen in die Zukunft in der soziologischen Theorie zu vermeiden, muß genauso für Freyer zu den Strukturgegebenheiten und ihrer Genese als drittes notwendiges Prinzip die "Aktualisierung" hinzukommen; nur so kann nach Freyer die soziale Dynamik in ihrer Eigenart, die für ihn anstelle der mechanischen Kausalität oder der organischen Entwicklung eine teleologische Dynamik aufweist, erfaßt werden.
53 Zur Kritik an der Existenzphilosophie: Arnold Gehlen, Jaspers' Philosophie (1932), in: Arnold Gehlen, Theorie der Willensfreiheit und andere philosophische Schriften, Neuwied 1965, S. 28-37 (37, 33). Vgl. auch Hermann Z eltner, Dilemma der Freiheit, in: Soziale Welt 18 (1967), S. 67-77. Zitat zum Idealismus: Arnold Gehlen (Anm. 46), S. 399. 5• Arnold Gehlen (Anm. 1), S. 173. 55 Arnold Gehlen (Anm. 1), S. 232. 56 Zu Wundts Begriff der "Apperzeption" vgl. Wilhelm Wundt, Grundriß der Psychologie, 5. Aufl., Leipzig 1902, S. 301-324. Zu Gehlens logischer Kritik der "Ganzheitskausalität" bei Driesch vgl. Arnold Gehlen, Theorie der Willensfreiheit (Anm. 53); S. 54-238 (57 f.). Die Bezüge von Gehlen zu seinem Lehrer Hans Driesch sind ausführlicher bearbeitet von Lothar Samson, Naturteleologie und Freiheit bei Arnold Gehlen, Freiburg 1976, S. 23-64.
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Gemeinsam ist Freyers und Gehlens Arbeiten, zumindest bis ca. 1935, ein idealistischer Begriff der "Wirklichkeit" als Hervorbringen einer überpersonalen und zeitübergreifenden SystemgesetzlichkeiL Ihr jeweiliger Forschungsgegenstand ist jedoch ein entgegengesetzter: Während Gehlen ganz auf "den Menschen", die Person und ihren "Personenzustand" zurückgeht57 und Grade der Wirklichkeit unterscheidet je nach der Aktua1isierung der persönlichen Begabungen, Leidenschaften und Interessen, hält Freyer doch immer noch an der Eigengesetzlichkeit und dem Systemcharakter der "dialektisch" aufeinanderfolgenden "sozialen Ordnungen" fest 58 • Freyers Begriff der "sozialen Wirklichkeit" ist in seinem gesamten Lebenswerk eigentlich durchweg am "sekundären System", d. h. an den sich verobjektivierenden sozialen Ordnungen, orientiert59 • Seine "Theorie des objektiven Geistes" ( 1923) thematisiert die Verwirklichung des "sekundären Systems" in den "Kulturobjektivationen", "Der Staat" ( 1925) und "Herrschaft und Planung" ( 1933) lokalisiert es in Politik, Herrschaft und Führung, "Preußentum und Aufklärung" (1944) im "Kriegssystem" und "im internationalen System", die "Theorie des gegenwärtigen Zeitalters" (1955) schließlich ganz im "industriellen" bzw. im "technischen System"60 • Gehlen dagegen geht immer wieder aus vom "Handlungssubjekt", vom "Anderen", oder auch von der Familie, sozusagen vom "primären System"; auch die Institutionen werden insgesamt eher in ihrer Urform als in ihrer späteren Form als komplexe Systeme erfaßt und stellen damit mehr eine Vermittlung von "Person" und sozialen "Vollzug" dar als den Prozeß der "Objektivierung" oder "Vergegenständlichung"61. Die allgemein menschlichen Verhaltensgrundlagen als überzeitliche Gesetzmäßigkeit des gesellschaftlichen Lebens waren für Freyer gewiß ein notwendiger Ausgangspunkt, zu mal auch er sich in der "Theorie des objektiven Geistes" auf diese beruft62 • Doch ist dies für ihn lediglich die Ebene der psycho-physischen Ereignisse, die eine soziale Situation repräsentieren und Arnold Gehlen (Anm. 1), vgl. S. 153. Hans Freyer (Anm. 22), vgl. S. 216 f. 5 ~ Dieser Begriff des .. sekundären Systems·· taucht bereits in "Prometheus" 1924 a].lf, wenn er auch erst 1956, in "Theorie des gegenwärtigen Zeitalters", näher ausgearbeitet wird. Hans Freyer, Prometheus. Ideen zur Philosophie der Kultur, Jena 1923; Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, Stuttgart 1955. 60 Die bisher noch nicht zitierten Werke Freyers: Der Staat, Leipzig 1925; Herrschaft und Planung. Zwei Grundbegriffe der politischen Ethik (1933), in: Hans Freyer, Herrschaft, Planung und Technik, hrsg. von Elfriede Üner, Weinheim 1987, S. 17-43; Preußenturn und Aufklärung. Eine Studie über Friedrichs des Großen Antimachiavel (1944) in: Preußenturn und Aufklärung, hrsg. von Elfriede Üner, Weinheim 1986, S. 1-70. 61 Von den ersten philosophischen Werken bis zu seinen späten Schriften, u. a.: Arnold Gehlen, Urmensch und Spätkultur, Bonn 1956, geht Gehlen durchweg von einem Abstraktum des einzelnen Menschen aus. 62 Hans Freyer (Anm. 27), vgl. S. 143 f. 57
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aus denen sich erst bestimmte Relationsschemata objektivieren müssen. Nicht die ursprünglichen menschlichen Beziehungen, wie Konflikt, Integration etc., interessieren ihn (die sein Lehrer Georg Simmel in einer überzeitlich gültigen Geometrie des menschlichen Lebens systematisieren wollte), sondern deren Objektivation als Sitte, Ehre, Verband oder Staat63• Allerdings läßt Freyer die schon in der "Theorie des objektiven Geistes" ebenfalls grundgelegte Rückbindung oder Synthese der Objektivationen mit der Sozialität nicht aus den Augen. Der Begriff der "gesellschaftlichen Wirklichkeit" ist bei ihm immer nur auf dieser Ebene der Synthese von objektiver Kulturwelt und Sozialität zu verstehen. Sie ist also ebensowenig als empirische (unstrukturierte) Alltagswelt zu sehen, noch auf eine allgemein-menschliche Verhaltensstruktur zu reduzieren. "Wirklichkeit" ist demnach kein empirischer Begriff, der induktiven Methoden zugänglich wäre, sondern ein theoretisch-synthetischer Begriff, der gegenständliche Verselbständigung und sozialen Vollzug bereits in sich vereint. Es ist die Ebene der sozialen Gestaltung von geistigen Gehalten, von Kultur. Die soziale Wirklichkeit ist durch drei Charakteristika bestimmt, die für Freyer die eigentliche "soziale Dimension" ausmachen, insofern sie diese Synthese der Objektwelt und der Dimension des individuellen Schaffens auf einer "höheren" Ebene der kollektiven sozialen Strukturen ermöglichen. Diese drei Freyerschen Merkmale:- "Menschlichkeit", "Geschichtlichkeit" und "Gegenwärtigkeit" - bilden ebenso die Grundstruktur in Geh/ens frühen Schriften; auf seinen Analysegegenstand - das Abstraktum des einzelnen Menschen- bezogen, sind sie adäquater mit "lntersubjektivität", "Produktivität" und "Aktivität" zu bezeichnen. Mit diesen Merkmalen sollte die Neukonzeption des Idealismus bewerkstelligt werden; es wird im folgenden jedoch deutlich, daß bestenfalls eine "Existentialisierung" erreicht werden konnte. 1. Die soziale Wirklichkeit besteht - nach der Definition Freyers - aus "Formen aus Leben", d. h. diese Formen sollen sich, auch wenn es sich um relativ dauerhafte, verfestigte Strukturen handelt, trotzdem allein aus dem Übereinstimmungswillen der Menschen konstituieren. Es sind Ordnungen, die stets vollzogen werden müssen, um real zu sein. "Vollzug" soll nicht heißen "Nachvollzug" einer äußerlichen fremden Ordnung, vielmehr wird sie zur ständigen, lebendigen Selbstdarstellung einer Gesellschaft64 • Demnach hat die Soziologie es nicht mit "Objekten" zu tun, sondern mit dem kulturellen Potential einer Kollektivität. Diese Eigenschaft, auch als "Menschengebundenheit" aller Sozialformen bezeichnet, ist immer auf der Ebene der Kollektivität und des makrostrukturellen Bereichs zu verstehen. Für Gehlen 63 64
Hans Frey er (Anm. 27), vgl. S. 64, 66 f. Hans Freyer (Anm. 22), vgl. S. 81 f.
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ist die einem zugängliche Realität "nur, ganz allgemein, am Anderen, nie aber allein oder gar durch Selbstbesinnung ... "65 zu erreichen- "unsere Idee heißt Gemeinschaft"-, umgekehrt bestimmt die eigene Teilnahme an der jeweiligen Situation, einzustufen zwischen einem bloß organischen "Dahinvegetieren" bis zur intensiven Sammlung oder Hingabe, ebenso den "Seinsgrad" der Wirklichkeit. Jede Situation ist durch diese Intersubjektivität bestimmt, aber es fügt sich keineswegs jedes Verhalten zu dieser Strukturgesetzlichkeit zusammen. "Wirklichkeit" ist "realisierte Situation", ist als "die ins Handeln übernommene menschliche Verfassung und Lage" zu verstehen66. Bei Freyer sollte die "Menschengebundenheit" der Sozialformen die Annahme einer abstrakten Strukturgesetzlichkeit sowie einer weltgeschichtlichen Entwicklungsnotwendigkeit unmöglich machen. Die gleiche Absage an universelle, naturnotwendige Entwicklungsgesetzlichkeiten macht Gehlen, indem er ein biologisches Entwicklungsmodell vom Tier zum Menschen ablehnt (womit er Schelers Anthropologie zu korrigieren meint) und die "Offenheit" des Menschen "von Anfang an" als nur ihm eigenes "Strukturgesetz" bestimmt: "Der Mensch als handelndes Wesen" 67• Mit Gehlens Postulat, daß es für den Menschen "natürliche, von selbst angepaßte Existenzbedingungen nicht gibt", und deshalb seine Fähigkeiten in ständiger Auseinandersetzung mit der Welt eigentätig entwickelt werden müssen, gilt die aus primitiven Lebensformen aufsteigende biologische Evolution für den Menschen nicht mehr; der Inbegriff der menschlichen Natur heißt "Kultur" 68 • Damit wird jetzt gleichfalls eine teleologische Entwicklungsdynamik angenommen; die "Naturnotwendigkeit" des Weltprozesses wird bei Gehlen wie bei Freyer zur Annahme der Selbstverwirklichung des Menschen konkretisiert, dabei aber auch zu einem Glauben an das "Sich-Selbst-Vollbringen" mystifiziert. 2. Der nächste Schritt zur Revision des Idealismus geht über eine Neuformulierung der "Geschichtlichkeit". Obgleich für Freyer die Sozialformen Konstanz zeigen durch generationenübergreifende Dauer, durch Resistenz gegen individuelle Einflüsse und durch eine aufweisbare sachlogische Struktur, werden sie doch nie zum zeitlosen Gebilde, sind nie "Geist", sondern bleiben in der Dimension des Geschehens 69 • Sie sind "makroskopisch gesehen( ... ) dem geschichtlichen Wandel unterworfen" 70 , aber keineswegs als Verfestigung und Zwang; auch hier werden "Prozesse der Bildung und Arno/d Gehlen (Anm. 1), S. 152, 341. Johannes Weiß, Weltverlust und Subjektivität, Freiburg 1971 , S. 79. 67 Arnold Gehlen, Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt (1940), 5. Aufl. Frankfurt/ M. 1955, vgl. S. 29; zur Kritik an Sehe/er vgl. S. 24 f. 68 Arnold Gehlen (Anm. 67), vgl. S. 39. 69 Hans Frey er (Anm. 22), vgl. S. 80, 84 ff. 70 Hans Freyer, Einleitung in die Soziologie, Leipzig 1931 , S. 10. 65 66
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Umbildung" zum .,Wesen ihrer Form". In ganz idealistischer Tradition wird das .,Wesen" zum .,Imperfectum" erklärt (der "Geist" kommt erst am Ende zu sich selbst)71 • Es gibt damit kein feststehendes "Wesen" der Gesellschaft, nur konkrete Entwicklungsstufen und Strukturzusammenhänge, als "unumkehrbare Folge von konkreten gesellschaftlichen Lagen", historisch lokalisierbar und damit doch im Sinn einer gesetzmäßigen Zeitfolge verbunden 72• Dabei gilt für die Soziologie, daß die Totalität zwar die partikularen sozialen Gebilde impliziert; umgekehrt kann sie jedoch nie aus der Intersubjektivität oder den Teilgebilden rekonstruiert werden. Um zu verhindern, daß die Verknüpfung von Einschichtung und Stufenfolge als kumulatives System verstanden wird, in dem einmal entstandene soziale Konstellationen den folgenden Gesellschaftsformen danach als "Erfahrung" nie mehr verlorengehen (diese universal-geschichtliche Annahme wollte die Leipziger Wissenschaftsgemeinschaft ja gerade vermeiden), konstruiert Freyer sein System vielmehr .,strukturalistisch" in dem Sinn, daß jeder aktuale Entwicklungsschritt latente Strukturen aus der Vergangenheit enthalten soll, daß jedoch bei weitem nicht alles aktuell werden kann, was in der Latenz angelegt ist. Wirklichkeit hat sowohl einen strukturalen Zusammenhang, der sich allein aus dem Inhalt der Formen ergibt, nicht aus ihrem Zeitverhältnis, als auch einen dynamischen oder genetischen Zusammenhang, da ihre Formen immer an eine konkrete Zeit gebunden sind. Diese im Aufbau der Kulturwelt selbst angelegte Polarität von Form und Leben muß auch das systembildende Prinzip der Wissenschaft bleiben. Eine Auflösung oder Reduktion dieser Polarität wäre reine Metaphysik73 • Daß bei Gehlen ein ähnliches dialektisches Verhältnis von Struktur und Genese vorliegt, ergibt sich schon aus dem bereits skizzierten Handlungs begriff. In seinem "Panaktionismus", wie Alfred Heuß es sehr zutreffend bezeichnet74 , dem Aufgeladensein der Handlung (gegenüber einer bloßen "Tätigkeit") mit einer außergewöhnlichen Kraft, ist die gleiche Annahme der Freisetzung und Weiterentwicklung latenter Strukturen enthalten. "Handeln" ist, wie bei Freyer, .,geschichtliche Tat", und das Sozialleben bleibt bei Gehlen auch in ganz besonderem Maße "Imperfectum". Die "Situation" als gegenwärtige erfüllte, Subjekt und Objekt (damit auch historische Vorgegebenheiten) umfassende Erlebniswelt muß ständig realisiert werden. Um die Mängel in der Antriebsstruktur des Menschen dialektisch in Chancen umzudeuten, mündet das Entlastungsprinzip in den produktiven menschlichen Akten der Weltbewältigung75 • Freyers prozessuale Auffassung der "Ge71 Hans Freyer (Anm. 22), S. 85; vgl. auch ders., (Anm. 70), S. 8. " Hans Freyer(Anm. 22), vgl. S. 87, 217; ders. (Anm. 70), vgl. S. 130, Zitat ebendaS. 12. n Hans Freyer (Anm. 22), vgl. S. 20 f. 7" Vgl. hierzu den Beitrag von Alfred Heuß in diesem Band. 75 Arnold Gehlen (Anm. 67), vgl. S. 38.
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schichtlichkeit" als ständige soziale Wandlungsfähigkeit wird von Gehlen ebenso in die individuelle Ebene verlegt, wie die Menschengebundenheit. Und wie Freyer Geschichtlichkeit als Wandel abhebt von der "Geschichte gewordenen" Verfestigung, so hebt Gehlen die menschliche Fähigkeit der Erinnerung ab von der eingefahrenen "Gewohnheit". Während die Gewohnheiten des Handeins und Erkennens als träger Rest unserer Materialität oder als fraglos übernommene Kategorien unserer Vorväter uns hindern, unsere eigene Welt zu finden, kann durch "Erinnern", das jedoch in produktive Phantasien in die Zukunft umschlagen muß, sehr wohl die notwendige Veränderung unsert:r Gewöhnung herbeigeführt werden. "Erst dann, als Phantasien, tragen unsere Erinnerungen jenen leuchtenden und verheißungsvollen Schimmer, der uns manchmal überrascht und der uns glauben läßt, unsere Vergangenheit sei schöner gewesen, als wir sie erlebt habenwährend wir doch die Zukunft nur reicher erträumen, als die Gegenwart ist711." Gehlen wendet sich gegen die Geschichte als "Gewohnheit" oder auch als Heilslehre, sieht aber die Wirklichkeit durchaus als den Ort an, an dem eine Sammlung, ein "stilles inneres Zusammentreten unseres weiten lebendigen Raumes samt seiner Geschichte" möglich sein muß. Wie Freyer den Prozeß der historischen Entwicklung in der gegenwärtigen "Wirklichkeit" enden läßt und nicht in die Zukunft extrapoliert, so sieht Gehlen in jeder (gegenwärtigen) Erkenntnis auch eine Zusammenfassung der individuellen Geschichte77; beide jedoch heben die Bedeutung der Gegenwart als "Hiatus", als den Moment des dialektischen Umschlag hervor: Für Freyer schlägt Geschichte "im Moment des Jetzt" in "konkretes Wollen realer Menschen" um 7 ~- Gehlen spricht von der "höchsten komplexen Realität"( . . .), in der der Mensch "in dieser nur im Moment erfahrbaren Gültigkeit ( . .. ) seine Anlagen und Gaben zur Höhe einer Gegenwart integriert, seine Geschichte zur Glut eines Moments" 79 • Für Freyer schlägt "Geschichte" in gesellschaftliche Utopien um, für Gehlen von (individueller) Erinnerung in schöpferische Phantasie. 3. Die "Gegenwärtigkeit" ist damit Freyers drittes Merkmal der sozialen Wirklichkeit, als Synthese der beiden Prinzipien "Menschlichkeit" und "Geschichtlichkeit" gedacht; eigentlich wird damit aber die fruchtbare dialektische Gegenüberstellung von Struktur und Genese in einer weitgehenden Existentialisierung zerstört. Eine komplexe Struktur historisch gewachsener Gegebenheiten wird zum "Schicksal" der gegenwärtigen Gesellschaft. Damit ist im Grunde nichts gesagt, was über das erste Merkmal hinausführen 76 Arnold Gehlen, Reflexionen über die Gewohnheit (1927), in: (Anm. I), S. 97- 111 (109 f., ZitatS. 109). 77 Arnold Gehlen (Anm. I), vgl. S. 270 und S. 374, Zitat S. 174. 78 Hans Freyer (Anm. 22), vgl. S. 298 f. 79 Arnold Gehlen (Anm. 1), S. 162.
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würde, denn die Strukturen bleiben auf den menschlichen Vollzug angewiesene Relationsschemata. Freyer geht hier nur noch in eine "Willensmetaphysik" über: der Fortbestand der "Sozialformen" und ihre Veränderung sind "unserem Willen anheimgegeben -wir selbst sind Partei, aktive Kraft"g0 • Diese existentielle Komponente des Modells, die für die Zeit nach dem Zusammenbruch des traditionellen europäischen Weltbildes nach 1918 so typisch war, soll eine qualitative Veränderung der beiden ersten Eigenschaften verbürgen. Es ist aber nicht einzusehen, daß die Variationsbreite des sozialen Vollzugs, daß die "Geschichtlichkeit" als Prozeß und Aufgabe ohne diese existentielle Komponente nicht gewahrt würde, daß eine Reziprozität von Struktur und Genese nicht genügt hätte. Gehlen kennzeichnet in gleicher Weise einen aktuellen Umschlag der Intention in ein "Seinwollen", d. h. einen Umschlag vom (äußerlichen) Gegenstand in einen (persönlichen) Zustand, und markiert dieses Aufgehen eines Gegenstandes in einen Zustand als "eine absolute Grenze aller Reflexion und Theorie und einen Primat des Praktischen in der Philosophie" 81 • Das Merkmal der "Aktualisierung" ist durch Gehlens "Primat" des Handeins noch auf die Spitze getrieben. Allein durch das "transzendentale Handeln" wird der Erlebnishorizont des einzelnen mit den übergreifenden historischen Strukturen verknüpft; um der Entwertung der Subjektivität zur Vielfalt von einflußlosen Meinungen82 entgegenzuwirken, wird die momentane Entscheidung als allmächtig erklärt. Gehlen arbeitet das Modell der Einschichtung und Stufenfolge später anthropologisch um; ja es scheint das tragende Theoriegerüst seiner Anthropologie von 1940 zu sein, durch seine Ausarbeitung des Gesetzes der "Entlastung" und seiner Dynamik der fortschreitenden Differenzierung, kulturellen Sublimierung und Befreiung (sich übrigens auch beziehend auf die "neue ontologische Kategorienlehre" Nicolai Hartmanns). Er sieht im Schichtenaufbau der Welt die Kategorien der niederen Schichten (z. B. anorganische) indifferent gegen die höheren an: "Sie stecken den Rahmen ab, innerhalb dessen die höheren allein Spielraum haben." Umgekehrt "sind die höheren Kategorien zwar die abhängigen" (das seelische LebeP.. setzt das organische Leben voraus, wie Freyer z. B. das Prinzip "Gemeinschaft" immer als Stufe vor "Gesellschaft" sieht), "aber die reicheren: jede höhere Schicht enthält ein ,kategoriales Novum', d. h. neue Strukturen und Urphänomene, die aus den niederen nicht ableitbar sind"sie sind zwar aufgrund der Entstehungsgeschichte einseitig von den "niederen" abhängig, aber ihnen gegenüber autonom. "Keine Theorie erklärt natürlich, wie aus dem Anorganischen das Organische, wie daraus das Seelische und Geistige wird. Der Begriff der "Entwicklung" sollte nur den 80 81
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Hans Freyer (Anm. 70), vgl. S. 10 f., Zitat S. 10. Arnold Gehlen (Anm. 1), S. 154. Arnold Gehlen (Anm. 1), vgl. S. 129 f.
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der "Schöpfung" im Sinne eines quasi-automatischen Entstehens von Neuern ersetzen, aber er versteht das Schöpferische dieser Entstehung nicht." Hartmanns Gedanke des Auftretens des Lebens als "seltene Ausnahme" wird nun zu einer (wissenschaftlichen oder philosophischen) Hypothese erweitert: "Es sieht so aus, als ob unwahrscheinliche Bedingungen der je niederen Schicht erfüllt sein müssen, wenn die Phänomene der höheren eintreten sollen. So würde die Sonderstellung des Menschen eine ontologische Dignität haben83." Das System von Einschichtung und Stufenfolge und das Prinzip der Aktualisierung sind also voll in GehJens Anthropologie eingegangen, mitsamt ihrer Konsequenz der grundlegenden Verpflichtung zum Handeln, gleich wie es gerichtet sein mag, denn die "ontologische Dignität" beruht auf den überhaupt nicht vorherzusehenden, "unwahrscheinlichen" Konstellationen und Bedingungen - man kann nur handeln und hoffen, daß dieser "Zufall" irgendwie weiterführt und nicht zugrunde richtet. Nach wie vor steht ein "Urvertrauen" hinter dieser Verpflichtung zum Handeln - das "Vertrauen in die Menschheit", wie Bannah Arendt viel später es als Grundlage des immer riskanten menschlichen Handeins bezeichnet hat84 . Andererseits aber soll einer Existentialisierung der Geschichte durch die Betonung des Prinzips der Reflexion begegnet werden, aber damit werden nun auch Theorie und Wissenschaft "existentialistisch". Es ist für Hans Freyer die ganz neuartige Aufgabe nur der Soziologie (und deshalb konnte sie als Wissenschaft auch an einem einmaligen geschichtlichen Ort: der Emanzipation der "Gesellschaft" vom "Staat" im 19. Jh. entstehen), die gegenwärtige Entscheidung und die konkreten Zukunftsvorstellungen mit in die theoretische Erkenntnis einzubeziehen und "Wirklichkeitswissenschaft" zu sein. Jetzt wird Soziologie "zum wissenschaftlichen Selbstbewußtsein einer Realität, zur Theorie einer Existenz" erklärt 85 • Wiederum im ähnlichen Sinn hat Arnold Gehlen (zwar sich deutlich von der existentialistischen Philosophie distanzierend) für die Philosophie die Aufgabe aller metaphysischen Systeme gefordert und ihre Verpflichtung zum "Engagement" in den Mittelpunkt gestellt, das später in der Forderung nach "empirischer Philosophie" nur eine ernüchterte Formulierung der theoretischen Selbsterkenntnis einer Gesellschaft darstellt. Die Einmaligkeit der Emanzipation zum Selbstbewußtsein, die Freyer historisch als erstmalige Fähigkeit zur kollektiven Selbstreflexion der anbrechenden Industriegesellschaft (durch die Soziologie) darstellt, wird von Gehlen gewissermaßen in einen urgeschichtlichen Umbruch der Entwicklungsgeschichte aller Lebewesen verlagert: "Der Mensch verhält sich zu sich selbst, lebensnotwendig, wie das kein Tier tut" 86 , 83
84 85 86
Arnold Gehlen (Anm. 67), Alle ZitateS. 71 f. Hannah Arendt in einem Fernsehinterview mit Günter Gaus 1964. Hans Freyer (Anm. 70), S. II. Arnold Gehlen (Anm. 67), S. 17.
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und er muß sich durch die ständige Deutung von sich selbst bestätigen. Gehlen spricht von der "nie ermüdenden Reflexion", die sich zu dem, was gewesen ist, zurückwendet und aus der Erinnerung ihre ständige Dynamik erhält- "einer Reflexion, treuwie der Schatten, die am Tage rastlos tätig alle Schwankungen der Gegenwärtigkeit überdauert, und die auch des Nachts nicht müde wird, ja im Auffahren aus den fremden Tiefen des Traums das qualvoll Bekannte ist" 87. Ab diesem Umbruch ist das reflexive Verhalten zu sich selbst jedoch unabdingbar; nach Gehlen muß der Mensch aus "ernster Not" ständig über sich selbst verfügen, denn seine für ein instinktgeleitetes Verhalten unzulängliche anatomische Leiblichkeit zwingt ihn zu dieser reflexiv funktionierenden Intelligenz88 • Was Freyer als dialektischen Umschlag des Gesellschaftssystems gedeutet hat, wird von Gehlen in einen viel weiter zurückliegenden "Übergang" verlegt- in den Umschlag des organischen Lebens zur Menschwerdung: "Die Natur hat( ... ) im Menschen eine sonst nicht vorhandene, noch nie ausprobierte Richtung der Entwicklung eingeschlagen, sie hat ein neues Organisationsprinzip zu erschaffen beliebt"89. Das Anliegen beider war zu zeigen, daß der Prozeß der "sozialen Konstruktion von Wirklichkeit" nicht in willkürliche Phantasien ausartet, sondern immer systematisch nach einem bereits angelegteu,jedoch gestaltbaren kulturellen Code stattfindet. Allerdings muß man feststellen, daß die Rekonstruktion eines sozialen Wirklichkeitsbegriffes, der doch die Angst vor dem Relativismus aufheben und wieder eine große, von einer gemeinsamen Sinnkonzeption getragene Gemeinschaft ermöglichen könnte, in einer ungelösten Spannung von idealistischen, strukturphänomenologischen und existentialistischen Kategorien endet - wenn nicht überhaupt von einer existentialistischen Wendung zu sprechen ist, in der eine Aushöhlung des vorher angestrebten "objektiven" (oder objektivierten) Idealismus stattfindet. Es sind groß angelegte Versuche, einerseits die allgemeinen Grundlinien des sozialen oder des Persönlichkeitssystems zu skizzieren, andererseits aber die Entwicklung sozusagen durch das "Nadelöhr der Gegenwart" 90 zu zwingen, wobei die Soziologie bzw. die Philosophie diesen Vorgang zu registrieren, wenn nicht zu kontrollieren hat. Wird die erste Aufgabe "phänomenologisch" definiert, so wird die zweite Aufgabe im entscheidenden Punkt "existentialistisch" in dem Sinn verstanden, daß das vorher dargestellte "System" nur noch durch die heroische "Entscheidung" oder "Handlung" (der heroischen Persönlichkeit oder des charismatischen Führers) und durch Arnold Gehlen (Anm. 1), S. 163. Arnold Gehlen (Anm. 67), S. 17 f. 89 Arnold Gehlen (Anm. 67), S. 17. 90 Bei Hans Frey er (Anm. 22), S. 89, heißt es: "Wie durch ein Nadelöhr wird die soziale Wirklichkeit durch den Moment der gegenwärtigen Entscheidung hindurchgezwängt." 87 88
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den "Willen" (der zur Selbstreflexion gelangten, emanzipierten Person oder des "politischen Volkes") realisiert werden kann. Der "Geist" in seinen objektiven Gesetzmäßigkeiten bestimmt zwar unser "Sosein", den Sinn unseres individuellen wie kollektiven Lebens, aber er hat - ähnlich wie bei Max Schelers "Schleusentheorem"91 - keinerlei Realisierungskraft mehr, ins "Dasein" gerufen wird er nur durch unsere "Tat" (bei Sehe/er sind dies konkreter- die "Realfaktoren" von genetischer Fortpflanzung, politischer Macht und wirtschaftlicher Produktion)92 . Dadurch, daß diese Realisationsfaktoren aber unbestimmt bleiben, daß das "gesellschaftliche Wollen" (bei Freyer)9\ oder das "transzendentale Handeln" (bei Gehlen), als der eigentliche Realisationsgrund angegeben wird, scheint der "Objektive Idealismus" erhalten zu bleiben; doch der leer und unbestimmbar bleibende "Wille" oder auch das "blinde" Handeln sind in Wirklichkeit ein existentialistisches Credo. Indem die Soziologie bzw. die Philosophie zugleich als empirische Wissenschaft, kollektive Selbsterkenntnis und als Ehtik proklamiert werden, ergibt sich hier eine undurchsichtige Vermischung und Gleichsetzung von erfahrungswissenschaftlichen, logisch-systematischen und normativen Komponenten. Freyer hat sein hochgemutes Konzept der Wirklichkeit, in dem der Gegensatz von "primärem" und "sekundärem" System noch positiv bewertet wird als Antrieb der persönlichen Entwicklung wie der gesamtgesellschaftlichen Dynamik, ebenso schnell zu Grabe getragen wie Gehlen seinen Begriff der "totalen Situation" aufgab, weil er sich gezwungen sah, "auch zu dem, was gerade als Existentialphilosophie im Entstehen war, die Brücken abzubrechen94." Am Ende dieses Weges bleibt für beide der Gegensatz von "primärem" und "sekundärem" System praktisch unüberwindbar. Sie haben die "bittere Konsequenz der Entäußerung des Geistes an die Welt" bis zum Ende durchgespielt95. Zunächst war die Spannung zwischen "primärem" und "sekundärem" System unproblematisch - im "Handeln" oder in der "Entscheidung" sahen Gehlen wie Freyer eine immer neue Chance der menschlichen Selbststeigerung, sei es als schöpferische Neuformung einer potentiell angelegten Gesetzlichkeit, sei es als aus dem Handeln selbst neu entstehende Institutionen. Mit der Zeit aber ging auch die Grundlage einer Institutionenlehre verloren, die Institutionen positiv und mit Mut zum Wandel in dialektischer Spannung begreift "als Knotenlinie von Massenverhältnissen, durch die hindurch sich der Sturm der Geschichte in immer größere Höhen 91
91 93
Max Sehe/er (Anm. 8), S. 19. Max Sehe/er (Anm. 8), S. 39-51. Hans Freyer (Anm. 22), S. 305.
Arnold Gehlen, Theorie der Willensfreiheit (Anm. 53), Einleitung, S. 8. Zu diesem Absatz vgl. Friedrieh Jonas, Die Institutionenlehre Arnold Gehlens, Tübingen 1966, EinleitungS. 1-9. 94 95
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steigert" 96 • Die Dialektik der Reziprozität ist, wie schon einmal in der Theorieentwicklung im 19. Jh., zu einer Dialektik der Polarisierung verkommen, die Gegensätze "sind übergegangen in die Nüchternheit der Entzweiung, die sich gegenseitig unter Druck setzt und auf die Vernichtung des Feindes ausgeht" 97• Die übermäßige Hervorhebung der "Reflexivität" des Handeins und Wissens (die in der Existentialisierungja enthalten ist) führte offenbar nicht weiter. Der reflexive Prozeß besteht generell darin, daß die Erklärungsweisen eine Welt schaffen, mit der sie sich selbst bestätigen98 • Wie in einem Theoriemodell, das die "Selbsterkenntnis" und "Selbstverwirklichung", Entwicklung und Entscheidung ineinander aufgehen läßt, bereits die Grundlage geschaffen wurde, die später zur Postulierung der "Sachgesetzlichkeit" oder der Eigendynamik der "sekundären Systeme" führte, die dann nur mehr die Kulturkritik möglich macht, kann hier nur angedeutet werden. Nach dem gesellschaftlichen Zusammenbruch mit Ende des II. Weltkrieges brechen "primäres" und "sekundäres System" bei Freyer und Gehlen nun völlig auseinander. Das "sekundäre System" ist im Grunde nicht mehr politisch gestaltungsfahig, denn es ist zum "Spiel" geworden mit willkürlich gesetzten Regeln, einem willkürlich abgesteckten Felde und mit einer fiktiven Telelogie99• Die Euphorie der Selbststeigerung schlägt jetzt um in eine bedrohliche Dynamik der Selbstzerstörung. Der einzelne kann nur noch im individuellen Widerstand sich selbst behaupten, er kann das "sekundäre System" höchstens unterlaufen, die Qualitäten des "primären Systems" sind nur noch durch Rückzug zu bewahren. Freyer charakterisiert die negativen Trends des "gegenwärtigen Zeitalters" immer noch mit "aktivistischen" Begriffen: Die "Machbarkeit der Sachen", die "Organisierbarkeit der Arbeit", die "Zivilisierbarkeit des Menschen" und die "Vollendbarkeit der Geschichte" werden nach wie vor durch das Handeln oder die Tat vorangetrieben, nun aber im Sinn einer negativ verstandenen Manipulation, der eine totale Anpassungsfahigkeit der Massen (zwar im Bild des "Bäckerjungen", der mit seinem Fahrrad geschickt den Großstadtverkehr überlistet, mit ironischer Sympathie beschrieben) 100 gegenübersteht. Bei Gehlen heißt es Friedrich Jonas (Anm. 95), S. 5. Friedrich Jonas (Anm. 95), S. 6. 98 Elmar Weingarten/ Fritz Sack/ Jim Schenkein, Ethnomethodologie, Frankfurt/M. 1976, vgl. S. 35 f. 99 Vgl. Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, Stuttgart 1955, S. 93. 100 Hans Freyer schreibt: .,Und auch hier ermöglicht das System, mitten in seiner Flächigkeit und Banalität, alle Grade der Könnerschaft bis zur förmlichen Genialität. Ein junger Bursche, Markthelfer bei Müller & Co., der auf seinem zwar schlecht geputzten, aber vorzüglich geölten Fahrrad, ein schwacher Partner zwischen lauter Autobussen und Trambahnen, ein Spatz unter Riesentieren, mit vollendeter Grazie seine Bäckerjungenbögen fährt,jede Lücke ausnützend, jeden Windschutz auswertend, dabei blendender Laune und im Effekt schneller als der schnellste Wagen, weil er überall durchkommt: das ist der 96 97
10 Speyer 113
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noch viel radikaler: "Die Entfremdung, das ist die Freiheit. Sich den Bedürfnissen entziehen, die von der Verarbeitungs-Industrie erzeugt werden; sich von den großen Machtgruppen distanzieren . .. " ist für ihn "Freiheit heute" 101 • Bis heute ist eine positive systematische Beziehung nicht mehr hergestellt worden. Wenn man als Antipoden, die die öffentliche Diskussion beherrschen, nur auf Jürgen Habermas und Niklas Luhmann hinweisen darf, so bleibt Habermas bei der Formel von der "Entkoppelung von System und Lebenswelt" 102 oder spricht auch von der Kolonialisierung der Lebenswelt durch das System; bei Luhmann wird dagegen das Primäre und das Personale ganz in der Autopoiesis der Gesellschaft, ihrer "Medien" und "funktionalen Interpenetrationen" absorbiert 103 • Bevor noch Individuum und Kollektiv, Primärgruppe und Sekundärgruppe, Staat und Gesellschaft in ein realistisches Verhältnis zueinander gebracht werden konnten, sind wir bereits in das Stadium einer "transnationalen Gesellschaft" übergegangen, die ganz neue Anforderungen an eine soziologische Analyse und einen soziologischen Wirklichkeitsbegriff stellt 104 • Und es ist noch keineswegs entschieden, ob die Soziologie im Wettlauf mit dem Wandel der gesellschaftlichen Wirklichkeit besser abschneiden wird. IV. Ethik und "Ethoswissenschaft" Am schwierigsten ist in beiden Konzeptionen, von der frühen Werkphase bis zum Spätwerk, den Stellenwert der Ethik zu analysieren, obgleich Gehlen wie Freyer sich ständig mit ethischen Fragen auseinandersetzen. Zunächst konnte, im Rahmen der übersteigerten Wirklichkeitskonzeption, die den Begriff der heroischen Tat in den Mittelpunkt stellt, die Ethik lediglich kompensatorischen Charakter haben, bzw. wurde sie ebenfalls "existentialisiert". Beide, Gehlen wie Freyer, vertreten zu diesem Zeitpunkt eine radikale "Situationsethik", die sowohl den Kantischen Formalismus wie auch jede materiale Wertethik (Sehe/er) ablehnt. Für Gehlen ist die höchste Maxime, Virtuose dieses Spieles und zugleich sein Glückskind. Er schwimmt im Spitzenverkehr wie der Fisch im Wasser." Hans Freyer(Anm.99), S.94 f.; die Trends beschrieben im I. Kapitel, S. 15-78. 101 Arnold Gehlen, Freiheit heute, in: Einblicke, Frankfurt/ M. 1975, S. 75 f. 102 Jürgen Habermas, Theorie des Kommunikativen Handelns, Frankfurt/ M. 1981, Bd. 2, s. 231 ff. 103 Vgl. Niklas Luhmann , Soziale Systeme: Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt/M. 1984, S. 60 ff. Zur Kritik vgl. Walter L. Bühl, Grenzen der Autopoiesis, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 39 (1987), S. 225-254. 104 Zum Begriff der "transnationalen Gesellschaft" und zu den neuen Aufgaben der Soziologie vgl. Walter L. Bühl, Transnationale Politik. Stuttgart 1978.
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"secundum naturam vivere", "die Leidenschaften ungehindert auszuleben" (nach Schopenhauer), "alle unsere Kräfte auf die Gegenwart zu richten" 105 • "Sich überhaupt mit seiner Sache zu identifizieren, ist die höchste Stufe der Moralität(... ) Für den Menschen, der sich zu keiner Idee von allgemeiner Wichtigkeit berufen glaubt, hat die ihm gegebene konkrete Lebenssituation, in der er sich befindet, die Idee auszumachen: mit ihr hat er sich zu identifizieren (... ) das Geschrei nach einem ,geistigen Lebensinhalt' verkennt, daß diese konkrete Lage hier und jetzt der Ort ist, in dem die Idee inkognito schon lebt 106". Auch die Ethik wird als sich mit der gesellschaftlichen Dynamik selbst konstituierende begriffen und in die Dynamik der menschlich-kulturellen Sei bststeigerung mit ein bezogen 107, deren Gesetzmäßigkeiten lediglich ans Licht gehoben werden müssen. Die aus der bloßen Teilnahme an der "Wirklichkeit" sich ergebenden ethischen Standpunkte sind deshalb identisch mit den Erkenntnissen der Humanwissenschaften 1°M: Die philosophische Handlungslehre, später die philosophische Anthropologie als "philosophie engagee" bei Arnold Gehlen, die Soziologie als "Ethoswissenschaft", später als "Theorie des gegenwärtigen Zeitalters" bei Hans Freyer. Das reflexive Denkmodell der "Wirklichkeitswissenschaft" erscheint damit vollständig - das "Ethos" wird in eine als inhärent angenommene "Teleologie" des Forschungsgegenstandes verlegt; eine außerhalb der Entwicklungsdynamik liegende moralische Entscheidung ist damit nicht mehr notwendig, ja gar nicht mehr möglich, denn jedes Handeln, wenn es nur eindeutig ist, schafft mit dem Charakter seiner jeweiligen konkreten Situation auch sein "Ethos". Eine natur-oder handlungsphilosophische Konzeption muß nicht notwendigerweise zu dieser teils vitalistischen, teils dezisionistischen Verengung des Normativen führen; Gehlens Lehrer Hans Driesch z. B. stellt auch rein "naturwissenschaftlich" fest, daß der Mensch von Natur aus handelt, daß deshalb zu diesem Verständnis die grundlegende, aber nur theoretische Annahme eines teleologisch wirkenden Naturfaktors (als "Psychoid" oder "Entelechie") notwendig ist. Dabei trennt er jedoch (als Kantianer) streng die Bereiche der Handlung und der Ethik und überläßt das Arnold Gehlen (Anm. 1), S. 379, 377, 373. Arnold Gehlen, Theorie der Willensfreiheit (Anm. 53), S. 225 f. 107 Diese Selbststeigerung kommt deutlich zum Ausdruck in der Weiterführung der Idee dieses "natürlichen Lebens" in der "Theorie der Willensfreiheit". Gehlen schreibt: "Diesen ganzen Bereich des Charakters, der inneren Anlagen, das weite Gebiet der Begabungen und Fähigkeiten, wie sie der geborene Soldat, der geborene Künstler, der geborene Politiker mitbringt, würde. unter den großen Begriff der "Natur" gehören, die der freie Wille aufzunehmen, zu führen und worin er seine "Bestimmung" zu sehen hat." Arnold Gehlen, Theorie der Willensfreiheit (Anm. 53), S. 216. 108 Zu Gehlens Anthropologie als "Ethik" vgl. Wolf Lepenies, Anthropologie und Gesellschaftskritik. Zur Kontroverse Gehlen-Habermas, in: Wolf Lepenies/ Hermann Nolte (Hrsg.), Kritik der Anthropologie, München 1971, S. 82-85. 105 106
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"Sollen" der sittlichen Schau des Menschen als "Vernunftswesen" 109 • Erst bei Gehlen und Freyer kommt es zur Gleichsetzung des Faktischen mit dem Notwendigen und zur unzulässigen Postulierung einer konkreten Lage hier und jetzt als "Idee" oder "Telos" 110 • Die Sozialwissenschaften sollen jetzt auch "Ethik" sein, können aber mit der Erforschung der Teleologie der Gegenstände nur eine Ethik des "SichSelbst-Erfüllens" im nachhinein rechtfertigen. Die Grenzen einer wissenschaftlichen Argumentation werden hier weit überschritten; Freyers emphatische Lobpreisung der Ethoswissenschaft trägt deutlich existentialistischmetaphysische Züge, wenn er schreibt: "Hier gilt in prägnantem Sinne jene Identität von Subjekt und Material, die im weiteren Sinne für alle gesellschaftlichen Tatsachen galt. Hier wird die Soziologie zum wissenschaftlichen Selbstbewußtsein einer menschlichen Gegenwart, zur Theorie einer Existenz111." Er sieht durchaus, daß "formelle Wissenschaftlichkeit" (wie er sie abwertend nennt) und eine derartige soziologische ExistenzerheBung unvereinbar sind; aber er bedauert dabei nicht das Opfer an Wissenschaftlichkeit, sondern das an Wirksamkeit, und er versucht nicht einmal den Ansatz eines Nachweises, daß das Streben nach Objektivierung, nach operationalen Kriterien und Exaktheit diese Wirklichkeitserfassung unmöglich mache, bzw. daß im Gegenteil die Ablehnung einer systematischen, exakten und "wertfreien" Wissenschaft 111 einen existentiellen Erkenntnisvorzug sichern könnte. Das Argument, daß ohne die Erfassung des "Willensgehalts der Gegenwart", ohne "Entscheidung für eine bestimmte Willenslinie (. . .)" 113 eine "konkrete Soziologie" nicht möglich sei, läuft damit ins Leere, ist bloßes Bekenntnis. Das "unbewußte Sichorganisieren" 11 ~ des individuellen Lebens steht auch bei Gehlen im Vordergrund. Von der Wissenschaft ist dabei zunächst nichts zu erwarten, da "sie keine Probleme löst, sondern nur neue aufgibt: nämlich das der Möglichkeit dieses Typus Mensch" 115. Die ethische Aufgabe besteht lediglich in der adäquaten Erfassung des "Notwendigen" und ist damit ebenfalls tautologisch definiert: "Jeder kategorische Satz drückt eine Stellungnahme aus, so wahr wir unsere Ideen wollen; in einer Erkenntnis faßt jeder seine Geschichte zusammen und überläßt sich dem realen Geschehen, in sich, oder am Gegenstand. Deshalb ist eine irrtümliche, leichtsinnige oder
109
110 111 112
11 3 114 11 5
Vgl. Lothar Samsan (Anm. 56), S. 39 f. Diese Kritik in Johannes Weiß (Anm. 66), S. 86 ff. Hans Frey er (Anm. 22), S. 89. Hans Freyer (Anm. 22), S. 90. Hans Freyer (Anm. 22), S. 305. Arnold Gehlen (Anm. 1), S. 292. Arnold Gehlen (Anm. 1), S. 375.
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eitle Aussage eine Versehrung oder Verletzung der Wirklichkeit und eine Vernachlässigung unserer einzigen Pflicht: an unserer Stelle für das Sein zu sorgen und es entscheiden zu helfen 116." Freyer postuliert in eben demselben Sinn, daß der "geschichtlich gültige Wille" der gegenwärtigen Gesellschaft durch die Soziologie theoretisch formuliert werden muß und dann der Satz gilt: "Wahres Wollen fundiert wahre Erkenntnis"; damit ist die Soziologie immer Erkenntnis im nachhinein: "Erst die geschehene Geschichte beweist das System der Soziologie 117." Ganz offensichtlich handelt es sich hier um einen Versuch der Wirklichkeitsahsicherung in einer Zeit der Ungewißheit und der politischen Krisen, für die der aus Kriegsniederlage und Revolution hervorgegangene "Not- und Verstandesstaat" der zwanziger Jahre nur ein "Übergang" war zu einem allerdings noch unbekannten Ziel. Aber auch noch bei Helmut Schelsky liest man im Jahr 1959 die Feststellung, daß die Aufgabe der Soziologie nicht mehr in der Analyse dessen liegt, "was zu tun und wie zu entscheiden ist, sondern vielmehr darin, sichtbar zu machen, was sowieso geschieht und was gar nicht zu ändern ist" 118 ; er glaubt damit die "Aufgabe der wissenschaftlichen Kontrolle" als Funktion gegen die "Planungs- und Manipulierungsallmacht des modernen Menschen" definiert zu haben. Noch 1929 waren Freyers Überlegungen zu einer politischen Ethik getragen von der fruchtbaren Spannung zwischen Persönlichkeit und Staat; der Pflicht gegenüber dem Staat stand die moralische Würde des Staates gegenüber und nur vom Staat her kann entschieden werden, ob individuelle und kollektive Ethik auseinanderbrechen oder zu einer beide übergreifenden Sittlichkeit vereinigt werden können 119 • In der "Wirklichkeitswissenschaft" ist bereits die gegenwärtige "Entscheidung" von allen strukturellen Vorgegebenheiten abgekoppelt. Auch Gehlen betont noch 1933 "das Verhältnis von Staat und Volk und dieser Mächte zum einzelnen" als das vordringlichste Thema, betont die Eigenständigkeit und trotzdem gegenseitige Abhängigkeit von verfestigten Ordnungen und sozialem Vollzug: "Die Gesinnungen halten und beleben den Staat(... ) und es gilt auch umgekehrt, daß nur in institutionell gewordener Form die Gesinnungen durchhalten können und das Ethos Dasein behält 120." Dieser gegenseitigen Bedingtheit wird aber eine radikale Ethik des Wollens oder Handeins entgegengesetzt: Zur Konkretion gehört immer "diese Einseitigkeit und Härte, ohne die niemand etwas vollbringt, und wer ursprünglich gewollt hat, (... ) hat wohl eine sehr Arnold Gehlen (Anm. 1), S. 374. Hans Freyer (Anm. 22), S. 307. 11 8 Helmut Schelsky, Ortsbestimmung der deutschen Soziologie, Düsseldorf 1959, S.126. 119 Hans Freyer, Ethische Normen und Politik (1930), in: Hans Freyer, Preußenturn und Aufklärung (Anm. 60), S. 111-127. 120 Arnold Gehlen, Der Staat und die Philosophie, Leipzig 1935, S. 15. 116
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bestimmte Vorstellung von dem, was seinem Wesen und Wollen entspricht oder fremd ist, und braucht wohl kaum auf die Philosophie zu warten, die hinterher kommt und ihm sagen will, was er gewollt habe und gewesen sei, oder an welchen Widersprüchen sein Wollen gelitten habe und sein Vollbringen gescheitert wäre (... )" 121 • Praktische Wirksamkeit und theoretische Erkenntnis, Handlung und Reflexion, stehen bei Freyer, wie bei Gehlen, in einem Nullsurnrnenverhältnis; das eine geht auf Kosten des anderen. Die Vorstellung aber, daß ein theoretisch unaufgeklärter Wille (der die Wirkungs- und Sinnzusammenhänge der zu verändernden Umwelt nicht kennt), daß die sozusagen "blinde" Handlung auf jeden Fall mehr erreichen könne und die Wissenschaft nur Reflexion im nachhinein sein kann, ist wiederum ein metaphysisches Credo, das vielleicht von einem ähnlichen Widerstand gegen politische Manipulationen getragen war wie später Schelskys Postulat. Wohin eine derartige Existentialisierung der Ethik führen kann, wird deutlich in Freyers "Pallas Athene". Man muß die provokatorische Verhöhnung der Kantischen Formel vorn "Sittengesetz in mir" und dem "gestirnten Himmel über mir" ernst nehmen und davon ausgehen, daß diese Politische Ethik - wenn sie überhaupt als eine solche gelten kann - einen totalen Ausnahmezustand proklamiert, also nicht Ethik im Sinne des kategorischen Imperativs sein kann und nicht sein will. Die Maximen dieser Ethik sind nicht generalisierbar, vielmehr werden "Ethik" und (bürgerliche) "Moral" gegeneinander ausgespielt, wird dem "Gewissen aus der Welt des kleinen Mannes" ein Gewissen mit "politischem Format" , eben die "Göttin der politischen Tugend" gegenübergestellt 122 • Die Frage ist, ob es eine derartige "Ausnahme-Ethik" geben kann, ob damit nicht die Ethik sich selbst aufhebt. Gefährlich undifferenziert ist diese Ethik schon in ihrem dichotomischen Aufbau, in dem "stark und schwach, Freund oder Feind, Ich oder Du" 123 antagonistisch einander entgegengesetzt werden und in der es nur Entscheidung, aber keine Entwicklung mehr gibt: Die "Geschichte der Macht" ist "nicht Entwicklung: Kein Weitertreiben eines Begonnenen und keine produktive Verwandlung des bleibenden Erbes. Sondern sie ist Getriebe und atemberaubende Gegenwart .. . 124. " In einer Ethik des "Sein oder Nichts" bewährt sich der Staat erst im Krieg, gibt es keine Kooperation, weder der Staaten untereinander noch innerhalb des Staates, nur Eroberung und Unterwerfung 125 • Jedenfalls ist das, was Freyer die "Alchimie der Politik" nennt, in großem Umfang nur eine "Alchimie der Gewalt" , in der die
12 1 122 123 124 125
Arno/d Gehlen (Anm. 120), S. 13 f. Hans Freyer, Pallas Athene. Ethik des politischen Volkes, Jena 1935, S. 30 f. Hans Freyer (Anm. 122), S. 48. Hans Freyer (Anm. 122), S. 48 und 48 f. Hans Frey er (Anm. 122), vgl. S. 68, 121.
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politische Körperschaft unentwickelt bleibt, in der es angeblich nur "Führer" und "Volk" geben soll,jedoch keine Eigeninteressen der funktionalen Eliten, keine soziale Schichtung, keine Organisationsmacht außerhalb des Staates. Das folgende Freyersche Zitat reicht von der magischen Beschwörung bis zum nackten Zynismus und läßt kaum einen Interpretationsspielraum offen: "Immer handelt es sich darum, in dem Leben, das sich auf seine Weise zusammengelebt hat, ein neues magisches Zentrum aufzurichten, auf das die Menschen nun hinstarren, welcher Segen von ihm komme oder welches Unheil. Das ist eine Vergewaltigung der menschlichen Natur(... ) Aber die Leistung der politischen Tugend besteht darin, daß diese Vergewaltigung immer aufs neue gelingt, so gründlich gelingt, daß die Erde nicht bloß Wohnhäuser und nützliche Anstalten, sondern Tempel, Burgen und Paläste trägt. Aus dem arbeitsamen und verspielten Menschenwesen, das höchstens im Kampf für seine Brut eines Heldentums fähig wird, eine Heldenschar zu machen für ferne Ziele,( ... ) kurz diese weiche Materie in ein hartes Metall zu verwandeln, mit dem man stoßen und schlagen kann- das ist die merkwürdige Alchimie, die immer neu erfunden werden muß, wenn politisch etwas geschehen soll 126 ." Diese Sätze sind nicht nur im Überschwang gesprochen, sie sind durchaus systematisch angelegt in einer "Ethik", die nichts von t~eoretischer Erkenntnis und - ganz im Gegensatz zu Freyers "Theorie des objektiven Geistes" von 1923 - auch nichts vom Werk wissen will. In der Perspektive einer "Ethik des Willens" oder der "Tat" erscheint eine "Ethik der Werke" eng und kleinbürgerlich 127• Der Mystizismus der "Tat" oder des "blinden Handelns" mündet im politischen Charisma: "Der Wille im Augenblick der Tat weiß unendlich viel. Er ist hellseherisch bis zum glatten Wunder, eulenäugig in der schwärzesten Nacht. Sein Wissen ist freilich nach Ausmaß, Ziel und Verfahren gründlich anders als alle Theorie (... ) nicht einmal vom Willen zur Wahrheit beseelt 128 ." Die "soziale" Konstruktion der "Wirklichkeit" ist nun völlig pervertiert- man kann hier nur mehr von einer Logik des individuellen Wunschdenkens sprechen, deren Willkür durch keine Realität mehr begrenzt wird, weder durch die von Menschen, die letztlich doch immer aufeinander angewiesen sind, noch durch die der Natur, die dem Menschen doch nur zu einem geringen Teil verfügbar ist. Sicher enthält Geh/ens Variante dieser Ethik, solange sie auf die persönliche Ebene begrenzt bleibt, ein trotzig bewahrtes Bewußtsein von standhafter innerer Freiheit: "Ich glaube, daß der echte, gesammelte Entschluß die Reflexion für immer aushängt, daß im menschlichen Leben eine innere 126
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Hans Freyer (Anm. 122), S. 51. Hans Freyer (Anm. 122), S. 19, 21, 24 f. Hans Freyer (Anm. 122), S. 21.
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Nötigung zur Vereinseitigung und Verhärtung liegt, daß Entschlossenheit und Verschlossenheit zusammengehören und daß das Resultat eines tätigen Lebens doch wohl notwendig eine gewachsene und organische Intransigenz ist 129." Die Reflexion dagegen sieht nur zu - "den reinen Notwendigkeiten der gesetzlichen Zusammenhänge mit unserem notwendigen Denken über die Welt"L1ll. Die Losung heißt "Amor fati ( ... ) Bejahen dessen, was sowieso geschieht", und sie wird auch zum ,,Schlüssel der wahrhaften politischen Ethik( ... ) welche sich in der Forderung erschöpft, das Gesetz, das schon ist und gilt, zu bejahen 1.1 1." Das darauf folgende Hegel-Zitat, in dem der Staat als Gemeinsamkeit des Daseins, als Synthese, erscheint, betont noch, wie Freyers politische Ethik vor 1933, die Souveränität des Staates als "höheren" Wert gerade in krisenhafter Zeit. Jedoch führt seine eigentümliche Verbindung mit einer existentialistischen Handlungslehre, die im "Amor fati" zum Ausdruck kommt, zur gleichen Mystifizierung des Staatsmannes, wie Freyer seinen von der Göttin Pallas Athene auserwählten politischen "Helden" glorifizierte. Was beide verkünden, kann bestenfalls eine "Ethik der Revolution" genannt werden, und zwar einer "Revolution von oben", mit dem "politischen Volk" hat sie jedenfalls nur wenig zu tun. Dieses erscheint bei Freyer nur als "Block des Volkes", an dem der Staatsmann wie ein Bildhauer arbeitet, oder das - weniger poetisch und durchaus machtrealistisch gedacht - "zum Instrument, auf dem man spielen kann nach ganz einfachen Regeln", erklärt wird 1.12 • Was dabei herauskommt, ist nur noch eine Ethik der politischen Verführung. Gehlen liefert scheinbar eine "tiefere" Begründung, indem er die "Freiheit unter einer Idee" als Geheimnis des schöpferischen Politikers ausgibt: Dieser findet seine eigene Synthese von Freiheit und Notwendigkeit, er erreicht in seinem notwendigen Wollen die hohe Stufe, die auch der Religiöse finden muß: die freiwillige Aufgabe der Freiheit. Sein Leben ist Kampf- "der echte Staatsmann lebt immer heroisch( ... ) Was den wirklich von einer Idee Begeisterten von den anderen Menschen abhebt, ist gerade der Glaube an die Wirksamkeit des Einsatzes; nur der unfreie Mensch empfindet den Gang der Dinge als vorgezeichnet" i.1 3• Die Verachtung der kleinbürgerlichen Moral und die Hochlabung des heroischen "Willens" ist durch die sich selbstlos gebende, aber völlig unspezifische "Identifikation mit einer Idee" nur in sanfteres Licht getaucht. Diese kann von hohem Verantwortungsbewußtsein getragen sein, kann aber genausogut in brutaler Machtausübung ausarten: "Diese freiwillige Aufgabe der Freiheit verlangt er [der Staatsmann] mit Recht auch von seinen Anhängern, und nur so ist er 129
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Arnold Gehlen (Anm. 94), S. 34. Arnold Gehlen (Anm. 94), S. 129. Arnold Gehlen (Anm. 94), beide Zitate S. 204. Hans Freyer (Anm. 122), S. 98, 54. Alle Zitate Arnold Gehlen (Anm. 94), S. 225.
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Führer, daß beide miteinander stehen und fallen 134 ." Im Hintergrund steht bei Gehlen wie bei Freyer die Hoffnung auf die Heraufkunft einer neuen Hochkultur nach der großen Krise, sei es durch einen souveränen Staat oder durch das "politische Volk", das sich emanzipiert und fahig ist, sich eine aus ihm selbst kommende neue Staatsverfassung zu geben, oder sei es durch den von der Göttin ausersehenen großen Staatsmann, der die amorphe Masse zu Kulturleistungen zwingt. Ob man nun die theoretische Kontinuität oder die Brüche im Gesamtwerk Freyers oder Gehlens hervorhebt 135 , in jedem Fall wird man bei beiden eine Phase der Ernüchterung und eine Wendung zum "Realismus" in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre feststellen, die übrigens auch Helmut Schelsky erwähnt als endgültigen Abschied vom Idealismus und die Hinwendung zur philosophischen Anthropologie 136• Ab der ersten Fassung seiner "elementaren Anthropologie" 1940 stellt Gehlen die Forderung, Philosophie müsse zur "empirischen Wissenschaft" werden, d. h. sie hat ihre Denksysteme ständig empirisch-wissenschaftlich an der sich ändernden Realität zu kontrollieren137. Es kann zwar hier immer noch eine Ineinssetzung von Wissenschaft und Ethik, von Sein und Sollen, von Institutionentheorie und Ethik, interpretiert werden 138 ; aber es ist doch ein großer Unterschied, ob nun generalisierbare wissenschaftliche Erkenntnisse über die menschliche Natur die Leitlinien für eine Ethik bilden sollen, oder ob die Wissenschaft existentialistisch als Selbstbewußtsein einer gesellschaftlichen Gegenwart definiert wird (Freyer) oder als handlungshemmende Reflexion von der Empirie abgetrennt wird. Ebenso ist ein wichtiger Schritt zur Präzisierung getan, wenn Gehlen von der "Situation der Handlung" mit ihrer "Grundqualität der Allgemeinheit und des Gegebenseins, also des Unpersönlichen und Getragenen", auf deren Hintergrund "in tief antinomischer Weise" erst die Persönlichkeit zur Darstellung kommt 139 , nun übergeht zur Verwirklichung der persönlichen Freiheit in realen Institutionen; seine Suche nach übergreifenden Normen hat in der Institutionentheorie ihre humanwissenschaftliche Konkretisierung erfahren. Auch kann man Gehlens Begriff der "idee directriArno/d Gehlen (Anm. 94), S. 225. Die Brüche werden betont u. a . von Hermann Z eltner (Anm. 53) zwischen den frühen philosophischen Schriften und der Anthropologie Gehlens, von Johannes Weiß (Anm. 66) zwischen Anthropologie und der späteren Institutionenlehre Gehlens. Die Kontinuität in Gehlens Werk wird hervorgehoben vor allem von Friedrich Jonas (Anm. 95) und von Wolf Lepenies, Melancholie und Gesellschaft, Frankfurt/M. 1972; auch Wolf Lepenies (Anm. 108). 136 Helmut Schelsky, Thomas Hobbes. Eine politische Lehre (1941), Berlin 1981, Einleitung S. 11. 137 Vgl. Hermann Z eltner (Anm. 53), S. 76. 138 So Wolf Lepenies (Anm. 108), S. 82 ff. ll9 L othar Samsan (Anm. 56), vgl. S. 94; Zitate aus Arnold Gehlen (Anm. 1). 134
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ce" sehr viel besser in eine sozialwissenschaftliche Analyse einbeziehen, als das ominöse "Wesentliche eines Zeitalters" oder das "menschliche Wollen", denn die "idee directrice" ist nun operationalisiert: Sie muß anschaulich symbolisierbar sein, in Handlungen entwickelbar, und sie muß einen Endgültigkeitston haben, einen "reellen oder auch nur einen ersehnten Stabilisierungseffekt"140. Nun ist er auch zu einer pragmatischen oder- wie er sie bezeichnet- "instrumentl;llen Lösung" der Philosophie für das Problem des Denkens gekommen: "Das Denken ist Mittel zum entlasteten, symbolischen Umgang und wesentlich auf die Handlung bezogen. Es ist Methode des ,Nehmen-als', des Wechsels der Hinsichten, des Planensund Neukombioierens in Abwesenheit der realen Situation ... 141 ". Diese radikale Wendung zum Pragmatismus, mit der sich Geh!ens "empirische Philosophie" auch von den gleichzeitigen Ansätzen der philosophischen Anthropologie absetzt, begründet Friedrich Jonas mit einer geschichtsphilosophischen These, die auch von der "Leipziger Schule" stammen könnte: mit der Zäsur, die mit der Industrialisierung der westeuropäischen Gesellschaften einsetzt, wird die Möglichkeit einer metaphysischen oder politischen Fragestellung abgeschnitten; ab da gilt allein "die Kraft der Sache", die nur durch eine "vorurteilslose Kenntnisnahme der Welt, in Abwendung von unentscheidbaren, höheren Problemlagen" zu erklären ist 142 . Die "Gegenaufklärung aus dem Geiste der Wissenschaft", zu der Gehlen nun aufruft, stellt die radikale Wendung zum Pragmatismus klar heraus; nun soll positiv gelten: (1) "daß Wissenschaft aus der partiellen, aber elementaren, wesentlich menschlichen Aufgabe der tätigen Orientierung in der Welt stammt; (2) daß Natur- und Geisteswissenschaften am Gegenstand des Menschen nicht trennbar sind; (3) daß die Wissenschaft( ... ) einer Führung bedarf, die von den Bedürfnissen der breiten Erfahrung bestimmt wird; (4) daß das erreichte Niveau an "Wissenkönnen" ( . . . ) nur so gehalten werden kann, daß es gesteigert wird" 143. Die "Entlastungsgefahren" und die Gefahr der Ideologisierung der Wissenschaften sind dabei nicht außer acht gelassen.
140 Friedrich Jonas (Anm. 95), S. 104 (bezugnehmend auf Arnold Gehlen , Urmensch und Spätkultur, Bonn 1956). 141 Arnold Gehlen, Der Mensch, 3. Aufl., Berlin 1944, S. 308. Hier spricht er von prinzipiell drei "Grundlösungen philosophischer Art für das Problem des Denkens": Die erste, die platonische Lösung, die .,den reflektierten, vom Wort getrennten Begriff... seiner anscheinenden Zeitlosigkeit wegen als besondere, höhere Wirklichkeit" erhebt, war für ihn der Irrweg in den "unwirklichen Geist"; von der zweiten, der reflexiven oder "idealistischen Lösung- das Denken, Vorstellen ist zugleich Akt und Gegenstand, es ist seine eigene Welt, und die Wirklichkeit verschwindet darin" - hat er sich durch seine anthropologische Systemkonstruktion befreit, um nun zur dritten, der "instrumentalen", zu kommen. 142 Friedrich Jonas (Anm. 95), vgl. S. 31 f., ZitateS. 31. 143 Arnold Gehlen (Anm. 141), S. 387.
Hans Freyer und Arnold Gehlen
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Gerade jetzt treten alle Verteidiger einer "idealistischen" Gegenposition auf den Plan: z. B. wird von Theodor Litt die Begründung der Institutionen aus einer instinktungebundenen Offenheit der menschlichen Natur als biologistisch abgelehnt; dadurch würde alles Geistige auf Daseinserhaltung reduziert, was dem Telos des Tieres gleichkäme, und so wäre das eigentliche Anliegen, die Erforschung der "Sonderstellung" des Menschen, eigentlich wieder verlassen worden; alles käme wieder hinaus auf die Herleitung des Geistigen aus vorgeistigen Befunden, und damit auf die Einbettung des Menschen in die "höhere" Weisheit der Natur 144 . Oder aber die anthropologische Verankerung wird von Habermas als Verrat an der Emanzipationsfähigkeit des Menschen abgelehnt, denn eine Wissenschaft, die an einem "Katalog anthropologischer Konstanten" festhalte, "werde unkritisch und führt am Ende gar zu einer Dogmatik mit politischen Konsequenzen, die um so gefährlicher ist, wo sie mit dem Anspruch wertfreier Wissenschaft auftritt"145. Die Sehnsucht nach einer "existentiellen Selbsterkenntnis" der Wissenschaft war also noch längst nicht begraben. Hans Freyer gelingt die Wendung zum Realismus auf dem Gebiet der Ethik der politischen Herrschaft. Er muß diese zwar in der Verkleidung einer historischen Metapher präsentieren (in Friedrich dem Großen und seinem "Antimachiavel") 146 - aber damit trifft er klarere Aussagen als je vorher. Wenn er auch bei der Formulierung "Wesensgesetze der Politik" bleibt, ersetzt er doch seine idealistischen Anlehnungen über das Wesen des Staates durch wesentlich konkretere Kriterien der Legitimität der Herrschaft und des Staates. Die Staatsidee charakterisiert er nun durch eher prozessuale Tugenden: durch den Dienst am Staat, der aber den Menschen keinesfalls total vereinnahmen darf; die Prägekraft des Staates, der dem Kollektiv ein gemeinsames Ziel gibt, aber dennoch die Menschenwürde seiner Bürger und ihre Freiheit bewahrt. Auch der "geniale" König muß sich nun die Führungsqualitäten in harter Selbsterziehung erwerben 147. Insbesondere gelingt Freyer in der Darstellung der Legitimität als generellem Gesetz jeder Politik eine beispielhafte dialektische Verknüpfung des Herrschaftsgedankens als einem naturrechtlichem Erbe mit der klassischen bürgerlich-humanitären Aufklärung. Aus dem naturrechtliehen Begründungszusammenhang erwächst eine neue Dimension (die in Machiavel/is "Physik des Politischen" gerade fehlt): 144 Theodor Litt, Mensch und Welt, Heidelberg 1948. Anhang: Zur Anthropologie Arnold Gehlens. 145 Jürgen Habermas, Anthropologie, in: Alwin Diemer/ Ivo Frenze1 (Hrsg.), FischerLexikon "Philosophie", Frankfurt/ M. 1958. 146 Hans Freyer, Preußenturn und Aufklärung (Anm. 60). Die Beschäftigung mit Friedrich d. Großen begann während seiner Tätigkeit als Prof. für deutsche Kulturphilosophie in Budapest ab 1939. 147 Hans Freyer, Preußenturn und Aufklärung (Anrn. 60), S. 66.
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Elfriede Üner
"Nur diejenige Herrschaft ist legitim, die das leistet, wozu sie ,eingesetzt' ist ( ... )die dem sittlichen Sinn ihres Ursprungs entspricht." Ob eine Herrschaft legitim ist, entscheidet "nicht der titulus, sondern das exercitium" 148 ; es muß das erfüllt werden, was das Volk mit der Einsetzung der Herrschaft gewollt hat 149 • Weit entfernt von der Formulierung des Staates als "höchste Form der Kultur" und vom Machtstaat liegt nun der "historische Sinn" eines Staatsgebildes nicht mehr in der tatsächlichen geschichtlichen Entstehung; nur in einer die Integration und die Entwicklung der Gemeinschaft auf lange Sicht gewährleistenden Perspektive hat der Staat ein Recht über das Individuum. Seine Legitimation geht nur so weit, als ihm ,.diejenigen, aber auch nur diejenigen Rechte über das Individuum zustehen, auf die ein vernünftiges Wesen zugunsten der Gemeinschaft sinnvollerweise verzichten kann" 150 • Die naturrechtliche These der unumgänglichen, aus der Natur des Menschen begründeten Staatsmacht wird jetzt durch die Begrenzung dieser Macht, durch eine Ethik der Einschränkung auf das Notwendige kontrastiert, die das Maß der handelnden Person mit enthält. Auf dieser Dialektik beruht nun Freyers Synthese von individueller und kollektiver Ethik: eine wechselseitige Begründung von Untertanen und Herrschaft, die nicht auf Hervorbringung und Selbstverwirklichung beruht, sondern auf die gegenseitige Verpflichtung eingeschränkt wird. Nur so kommt man über das machiavellistische Denken und über eine bloße Situationsethik hinaus. Als Legitimationsausweis eines Staates kann nur noch die auf lange Sicht angelegte Entwicklung, die Hebung des Wohlstandes und der Kultur gelten 151• Freyer und Gehlen haben damit einen weiten Weg zurückgelegt von der reinen Situationsethik zu einem pragmatischen Systemdenken. Daß radikale Wendungen (zumindest in der Lebensspanne eines einzelnen Gelehrten) nie vollständig vollzogen werden können, daß alte Elemente weiter mitgeführt werden, zeigt sich in der darauffolgenden pessimistischen Deutung der Zukunft der Industriegesellschaft nach 1945, in der es keine konstruktive Weiterentwicklung, keine Integration von "primärem" und "sekundärem" System mehr zu geben scheint. Die Gründe hierfür sind mit der Enttäuschung einer Generation allein nicht befriedigend darzustellen. Friedrich Jonas hat versucht, Gehlens Widersprüche in eine großzügige, eher impressionistisch skizzierte (dem Freyerschen Stil der historischen Charakterisierung übrigens sehr nahe) theoriegeschichtliche Entwicklung zu stellen und als dialektische Verarbeitung eines aufklärerischen Menschenbildes zu schildern 152 : Wie bei den Aufklärern wandert bei Gehlen die Vernunft in den 148 149 150 151 152
Hans Freyer, Preußenturn und Aufklärung (Anm. 60), S. 25. Hans Freyer, Preußenturn und Aufklärung (Anm. 60), S. 26 f. Hans Freyer, Preußenturn und Aufklärung (Anm. 60), S. 24 f. Hans Freyer, Preußenturn und Aufklärung (Anm. 60), S. 33. Vgl. zu diesem AbsatzFriedrichJonas(Anm. 95), EinleitungS. 1-9. Hier erläutert aus
Hans Freyer und Arnold Gehlen
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Menschen selbst hinein, auch bei ihm ist ein dezidierter "Monismus" zu finden, für den der Mensch selbst in seiner "natürlichen Verfaßtheit" die Grundlage bildet. Andererseits muß jedoch ein Weg gefunden werden, eine neue Institutionenlehre zu verankern. Die Aufklärung hatte den sich auf einen "höheren", außermenschlichen "Willen" berufenden Institutionen den Kampf angesagt. Gehlen geht nach Jonas nun erneut das Problem der nachaufklärerischen Gesellschaft an, die keine transzendentale Begründung der Institutionen mehr akzeptiert, die andererseits die "Schrecken ihrer eigenen Begehrlichkeit" unter Kontrolle nehmen muß, dabei aber nach einer Lehre suchen muß, in der die Kontrolle "nicht mehr als Gegensatz, sondern als folgend aus ihrer eigenen Natürlichkeit begriffen wird" 153 • So führt gerade die Riskiertheit des Menschen zur Annahme eines universellen Prozesses der Selbstrationalisierung des Menschen, die von den Frühstufen der Magie bis zum Industriesystem reicht. Es bleibt bei einem zwar vom Menschen hervorgebrachten, aber doch universalhistorischen Fortschrittsprozeß, daß ·"mit der immer weiterschreitenden Verzwecklichung der menschlichen Verhältnisse zur Welt gleichzeitig die elementare Neugierde, das weltoffene Sachinteresse an den Dingen(... ) bis zur zweckfreien Forschung hinaufsublimiert werden kann" 154 • Die Grundannahme einer (positiven) fortschreitenden Selbstrationalisierung vor 1935läuft nach 1945 in eine negative Dialektik aus. Jonas weist (in bezugauf Gehlen) eine verhängnisvolle Eigendynamik nach: Gerade weil die Konzentration des Menschen auf sich selbst und die Betrachtung der Welt als "Material" zu immer neuen Revolutionen von unten und zu Massenbewegungen führt, werden die Institutionen zunehmend zur einseitigen Notbekämpfung oder auch zur reinen Verwaltung subjektiver Bedürfnisse degradiert, die parasitären Charakter haben. In dieser Eigendynamik ist der Grund für die heutige Fragwürdigkeit der mühsam aufgebauten Kultur zu sehen. Die tragenden Institutionen, wie Recht, Kunst, Religion, werden von innen zerstört, und deshalb kann es auch keinen Ausweg mehr geben. Jetzt fällt die "Selbststeigerung" zurück auf primitivere Ebenen. "Elementare Bedürfnisse elementarer Menschen werden Maßstab ... Die Wissenschaft bedient alle. Sie stellt für Millionenmassen die lebenspraktischen Voraussetzungen zur Verfügung. Von ihr geht eine Nüchternheit aus, deren Lebensfeindlichkeit noch kaum gesehen wird" 155 • Diese negative Eigendynamik scheint GehJens zahlreiche Stellungnahmen zur Gegenwart nach 1945 zu bestimmen, wie auch Freyers pessimistisch gefärbte "Theorie des gegenwärder Zusammenfassung von Helmut Klages in seiner Rezension dieser Arbeit in: Der Staat 7
(1968), 153 154 155
s. 103-107.
Zitat Friedrich Jonas in: Helmut Klages (Anm. 152), S. 104. Helmut Klages (Anm. 152), S. 105. Zit. Friedrich Jonas in: Klages (Anm. 152), S. 105.
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tigen Zeitalters" und "Schwelle der Zeiten"- ein Weg in die Ernüchterung, in Pessimismus und Kulturkritik bei beiden. Das Ziel der "Leipziger Schule", die Überwindung bzw. "Konkretisierung" des Idealismus, hat also nicht aus der Universalgeschichte herausgeführt, viel eher in eine negative universalgeschichtliche Vision zurückgeführt. Freyer schwankt unentschlossen zwischen unvereinbaren Annahmen: die polare Auseinanderentwicklung verschiedener gesellschaftlicher Teilsysteme ist einerseits nicht aufzuhalten und könnte alles Menschliche vernichten; andererseits bleibt diese unüberwindliche Kluft für ihn auch wieder eine Erscheinung des epochalen Übergangs in eine völlig neue Epoche der Menschheitsgeschichte. Eine positive Reziprozität von "Leben" und "Form", von Struktur und Funktion, von Menschlichkeit und technischer Zivilisation - zwar keineswegs erreicht und durch Fehlentscheidungen äußerst gefährdet- bleibt für Freyer der Inbegriff jeder wirklich fundierten Kultur, in der gegenwärtigen Krise unmöglich, aber durchaus denkbar "jenseits der Schwelle", wenn nach dem Übergang, der sich bisher ganz auf die Gewinnung eines neuen Lebensmilieus und die ihr gemäße Technik konzentriert hat, sich einmal eine neue geschichtliche Epoche der weltumspannenden Industriekultur konsolidieren wird 156• Freyers frühe Formel, daß Geschichte ein zweistrahliges Geschehen sei, gilt jetzt nur mehr als polare Gegensätzlichkeit der "sekundären Systeme" des rein sachgesetzlichen Fortschritts und der "haltenden Mächte" des individuellen Rückzugs. Das Insistieren auf "Offenheit der Geschichte" hat seinen optimistischen Zug verloren; wir stehen am Entscheidungspunkt - das Scheitern ist eine ebenso konkrete Möglichkeit 157• Gehlen argumentiert in seiner "pluralistischen Ethik" immer noch antiwissenschaftlich und jetzt auch antiutopisch. Jede Hoffnung, jede Utopie gilt als Verrat an der Natur und seine frühere "höchste ethische Forderung": "Seinen Platz zu finden" 158 , wird umgekehrt in ein Ausgeliefertsein an die Gegenwart. Von der Wissenschaft ist nach wie vor nichts zu erwarten - menschliches Verhalten kann zwar prinzipiell unter zwei Kategorienklassen beschrieben werden, der biologischen und der geschichtlich-kulturellen, jedoch wird "der Zusammenhang zwischen beiden Ebenen gelebt, aber nicht durchschaut" 159 • GehJens Hauptargument einer Konkurrenz verschiedener Ethosformen, die er bereits in der Antike begründet findet, führt ihn zur "Vermutung, daß im Menschen eine Mehrheit moralischer Instanzen angelegt ist, über deren Hans Freyer, Schwelle der Zeiten, Stuttgart 1965, vgl. S. 324 f. Hans Frey er, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters (Anm. 60), S. 239-247. 158 Arno/d Gehlen (Anm. 1), S. 370, S. 379. 159 Arno/d Gehlen, Moral und HypermoraL Eine pluralistische Ethik (1969), 4. Aufl., Wiesbaden 1981, S. 9. 156
157
Hans Freyer und Arnold Gehlen
159
Entfaltung ( . . . ) die Summe der je vorhandenen objektiven Umstände entscheidet" 160, die Gegenwart bietet jedoch keineswegs die Möglichkeit der Balance zwischen diesen Instanzen. Es zeigt sich vielmehr eine diametrale Auseinanderentwicklung von technischem Fortschritt, Bevölkerungsexplosion und weltweiten Informationssystemen einerseits und einer .,Moralhypertrophie", d. h. immer unerbittlicher und universeller werdender moralischer Forderungen andererseits, die aber auch immer abstrakter werden, da sie immer weniger einlösbar sind. Das Ende ist ein moralisches .,Vakuum", eine stetig wachsende Toleranzbreite, die alles gewähren läßt 161 • Der Mensch ist vom industriellen System ebenso ins Private abgedrängt wie in Freyers Gegenwartsanalyse. Auch für Gehlen gibt es keine Möglichkeit zur autonomen Persönlichkeit mehr, es ist eine Hohlform des Individualismus, der die Individuen "in sich selbst Asyl und ihre innere Heimat in der Familie finden läßt" 162 • Das positive Modell, gegen das sich die heutige Entwicklung für Gehlen negativ absetzt, ist ebenfalls eine aus dem frühen Werk herübergerettete Auffassung des Staates und der Institution, die nicht aus der Kommunikation oder aus der Intersubjektivität konstituierbar ist. Auch wird in Gehlens Spätwerk die große Bedeutung der gegenwärtigen "Transformation" des Menschen sichtbar, also ebenfalls einer .,Schwelle", die der des Neolithikums gleichkommt und die alle Sektoren des individuellen und kollektiven Daseins ergreifen wird 163. V. "Empirische Philosophie" oder spekulative Kulturtheorie?
Die soziologische Problematik von Freyers und Gehlens Konzepten liegt darin, daß sie immer .,allgemeine" Gesellschaftsanalysen darstellen, daß sie immer Großperioden der westlichen Industriegesellschaft umfassen, ohne diese makrohistorischen Einheiten in ihrer sozialen Prozeßstruktur auf den untergeordneten Ebenen hinreichend empirisch erhellen zu können 164 • Es geht doch immer um den epochalen Perspektivenwechsel, das heißt aber auch, es fehlt der empirische Boden, denn gerade im Übergang ist alles unsicher und sind die wesentlichen Tendenzen der Zukunft kaum festzustellen. Insofern sind beide Ansätze- können und wollen auch nichts anderes Arnold Gehlen (Anm. 159), S. 38. Arnold Gehlen (Anm. 159), S. 154 ff. 162 Arnold Gehlen (Anm. 159), S. 159. 163 Bruno Zimmermann, Rezension ,.Moral und Hypermoral", Philosophisches Jahrbuch 77 (1970), S. 398-404 (403). Der Gedanke der "Schwelle" wird in der Rezension Hans Freyers (Arnold Gehlen [Anm. 140]) herausgestellt: Hans Freyer, Philosophie der Urkultur, Merkur XI, 1957, S. 291-295 (295). 164 Vgl. hierzu den Beitrag von Dieter Claessens in diesem Band, der ebenfalls die Vernachlässigung der unteren Ebene bei Gehlen feststellt. 16o 161
160
Elfriede Üner
sein als- spekulative "Kulturtheorie" oder "kritische Sozialtheorie" in dem doppelten Sinn, daß mit der wertenden Analyse der bisherigen Entwicklung a.pch zu einem "neuen Anfang" aufgerufen wird 165 und deshalb deskriptive und normative Komponenten, Wirklichkeitsbeschreibung und Wirklichkeitswillen in eins gesetzt und vertauscht werden. Was aber für die empirische Soziologie als Manko erscheint, kann für die theoretische Weiterentwicklung äußerst fruchtbar sein - für die Verbindung der Soziologie mit Kulturphilosophie, mit der Anthropologie und der Analyse von Politik und Wirtschaft-, ohne daß die geisteswissenschaftliche gegen eine natur-oder sozialwissenschaftliche Interpretation ausgespielt werden könnte. Was auf der Seite der empirischen Soziologie als Gefahr der "spekulativen Verführung" erscheint, erhöht auf der anderen Seite doch das Reflexionsniveau und erweitert den historischen Horizont der gesellschaftlichen Selbstinterpretation, die nun nicht mehr allein den Prinzipien ökonomischer oder technischer Effizienz oder politischer Opportunität folgen kann, sondern auf einen (in irgendeiner Form) systemgeschichtlichen Zusammenhang ausgerichtet sein muß. Allerdings bleiben die Prozesse des Wandels bei Gehlen und Freyer doch im Dunkeln. Eine "Dialektik", die im Grunde immer noch antithetisch konzipiert ist 166 , eignet sich eben doch besser zur kulturkritischen Polemik als zur Analyse soziokultureller Prozesse. Besonders in der Polarisierung der "Sekundären" und "Primären Systeme" wird die Chance verspielt, das Ineinandergreifen von Vereinheitlichung und Differenzierung zu erkennen167. Indem die Prozeßstruktur des "Sekundären" oder technisch-instrumentellen Systems schematisiert wird und den "Kreisläufen" auf der einen Seite nur die "Heroisierung des individuellen Widerstands" oder die "Familienmoral" entgegengesetzt wird, bleibt man doch dem Dogmatismus der geschlossenen Gleichgewichtssysteme verhaftet. Es ist nicht verwunderlich, daß aus dieser unrealistischen Alternative nur das Dogma vom "Ende der Geschichte" abgeleitet werden kann 168 . Der Mensch scheint nun vollkommen in die "Entwirklichung" abgewandert zu sein, wenn Freyer feststellt, 16s Hierzu besonders Hans Freyer, Weltgeschichte Europas, 2. Aufl., Stuttgart 1954, S. 99, 105. 1 englische Übers.: The Concept of Environment in Anthropology. In: Research and Progress VIII (1942), No. I, pp. 3-10
Ein Bild vom Menschen. In: Geist der Zeit 19 (1941), H. 6, S. 331-341
1941:4
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Wiederabdruck in: AF, S. 44-54
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gekürzter Wiederabdruck in: Wort und Sinn. Lesebuch für den Deutschunterricht. Oberstufe 2. Hrsg. von Kar! Ernst Jeismann und Gustav Muthmann. Bearbeitet von Konrad Gründer. Paderborn: Schöningh 1971, S. 68-74
- Wiederabdruck in: GA4, S. 50-62 1941:5 Vilfredo Pareta und seine "neue Wissenschaft". In: Blätter für Deutsche Philosophie 15 (1941), H. 112, S. 1-45 -
gekürzter Wiederabdruck in: Scienza Nuova [Oxford] I (1956/57), Nr. 3/4, S. 5-40
-
Wiederabdruck in: Studien!, S. 149-195
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französische Übers. der Erstfassung: Vilfredo Pareta et sa "Science Nouvelle". Introduction aIa theoriedes actes non logiques [Mit
Wiederabdruck in: Studien2, S. 149-195
Kari-Siegbert Rehberg
908
Bildmaterial und Zwischenüberschriften versehene Übers. von JeanPaul Allard]. In: Nouvelle Ecole. No. 36 (1981), S. 21-41 -
Wiederabdruck in: GA4, S. 261-305 und Textpassagen der Erstfassung in Anm. 247.18, 298.7, 301.15, 298.7, 303.26 und 304.31
Rezension: Max Wundt, Die Sachlichkeit der Wissenschaft. Wissenschaft und Weisheit. Zwei Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen 1940. In: Blätter für Deutsche Philosophie 15 (1941), H. 1/2, S. 216f.
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1941:7 Rezension: Hans Bürger-Prinz und Annemarie Segelke, Ju1ius Langbehn. Der
Rembrandtdeutsche. Eine pathopsychologische Studie. Leipzig 1940. In: Blätter für Deutsche Philosophie 15 (1941), H. 3, S. 362-364
1942 1942:1 Zur Systematik der Anthropologie. In: Nicolai Hartmann (Hrsg.), Systematische Philosophie. Stuttgart/Berlin: Kohlhammer 1942, S. 1-53
1942:2
logie]
-
Vorabdruck von Abschnitt IV von [Zur Systematik der Anthropologie] als: Der Begriff der Umwelt in der Anthropologie
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gekürzter Wiederabdruck in: Studien!, S. 11-63
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japanische Übers. in: Ningengaku no tankyu. Tokyo: Orion 1970, S. 73-297 [zusammen mit jap. Übers. von: Anthropologische Forschung ]
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gekürzter Wiederabdruck in: Studien2, S.ll-63
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Wiederabdruck in: GA4, S. 63-112 und Anm. 72.22, 87.24
englische Übers. von: [Der Begriff der Umwelt in der Anthropo-
Napoleon Bonaparte. Ein Porträt von Fürst Metternich. Übersetzt aus nachgelassenen Papieren von A. Gehlen. In: Wehrpsychologische Mitteilungen (März 1942), S. 6-15 1942:3
1942:4 Quantenmechanik und Philosophie. Diskussion zwischen Carl Friedrich von Weizsäcker und Arnold Gehlen [Aussprachebeiträge zu dem Artikel Weizsäckers: "Das Verhältnis der Quantenmechanik zur Philosophie Kants". In: Die Tatwelt 17 (1941), H . 3, S. 66-98]. In: Die Tatwelt 18 (1942), H . 2, S. 105-109
1943 1943:1 Formen und Schicksale der Ratio. In: Blätter für Deutsche Philosophie 17 (1943), H. 1/2, S. 2-42
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Wiederabdruck in: Studien I, S. 93-139
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Wiederabdruck in: Studien2, S.l02-148
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Wiederabdruck in: GA4, S. 306-350
Arnold-Gehlen-Bibliographie (Teil I)
909
Vorwort (zur Heftausgabe). In: Blätter für Deutsche Philosophie 17 (1943), H.l/2, S.l
1943:2
1944 1944:1
3., durchg. und verb. Aufl. von: [Mensch]
1948 1948:1
Über "Huis Clos". In: Wiener Literarisches Echo 1 (1948), S. 4-7
1949 1949:1 Nichtbewußte kulturanthropologische Kategorien. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 4 (1949), H. 3, S. 321-346 1949:2 Thomas Manns Goethe Betreffendes. In: Wiener Literarisches Echo 2 (Oktober-Dezember 1949), H.1, S. 1-3 1949:3 Sozialpsychologische Probleme in der industriellen Gesellschaft. Schriftenreihe der Akademie Speyer, Bd. 2. Tübingen: Mohr 1949 [vgl. < 1957:1 > erw. Fassung]
1950 1950:1
4., verb. Aufl. von: [Mensch]
1950:2 Bürokratisierung. In: Verhandlungen des Zehnten Deutschen Soziologentages. Köln/Opladen: Westdeutscher Verlag 1950, S.l95-208 [nicht identisch mit ]
1950:3
-
Wiederabdruck in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 3 (1950), H. 2, S. 195-208
-
Wiederabdruck in: GA7, S. 125-140
Wiederabdruck von: [Bürokratisierung]
Rezension: Ernst Jünger, Strahlungen. 2. Aufl. Tübingen 1949. In: Wiener Literarisches Echo 2 (Juli-Dezember 1950), H. 4, S. 72-75
1950:4
1950:5 Rezension: Alfred Müller-Armack, Das Jahrhundert ohne Gott. Zur Kultursoziologie unserer Zeit. Münster/Regensburg 1948. In: Finanzarchiv. N.F. 12 (1950), H. I, S. 16lff. 1950:6
In Sachen des Empirismus. In: Physikalische Blätter 6 (1950), H. 9, S. 385-
1950:7
Über die Verstehbarkeit der Magie. In: Merkur Nr. 26 (1950), S. 409-420
389
-
Wiederabdruck in: Studien!, S. 79-92
-
Wiederabdruck in: Studien2, S. 88-101
910
Karl-Siegbert Rehberg
1950:8 Über einige Kategorien des entlasteten, zumal des ästhetischen Verhaltens. In: Studium Generale 3 (1950), H. 1, S. 54-60
-
Wiederabdruck in: Studien!, S. 64-78
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Wiederabdruck in: Studien2, S. 73-87
-
Wiederabdruck in: Dieter Henrich u. Wolfgang Iser (Hrsg.), Theorien der Kunst. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1982, S. 237-251
1951 Bürokratisierung. Macht und Ohnmacht des Apparates. In: Wort und Wahrheit 6 (1951), H. 8, S. 573-580
1951:1
-
Wiederabdruck in: Studien!, S. 263-274 [in die zweite Auflage dieses Sammelbandes nicht aufgenommen]
-
Wiederabdruck in: GA7, S. l41-151
1951:2 Mensch und Technik in der Gegenwart. In: Sie und Er [Zürich] Nr. 22 (1.6.1951) 1951:3
Personalauslese. In: Die BASF 1 (1951), H . 8., S. 250-254
Der gegenwärtige Stand der anthropologischen Forschung. In: Merkur Nr. 38 (1951), S. 379-389 [nicht identisch mit ]
1951:4
-
Wiederabdruck in: GA4, S.l13-l26 und Anm. 126.4
Stellungnahme zu den Hauptsachen. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 6 (1951), H. I, S. 93-98
1951:5
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Wiederabdruck in: Studien!, S.l40-148
1952 1952:1 Das Bild des Menschen im Lichte der modernen Anthropologie. In: Merkur 6 (1952), s. 533-545
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Wiederabdruck in: Die neue Weltschau [Zweite internationale Aussprache über den Anbruch eines neuen aperspektivischen Zeitalters, veranstaltet von der Handels-Hochschule St. Gallen]. Stuttgart: DVA 1953, S. 81-99
-
Wiederabdruck in: AF, S. 55-68
-
teilweiser Wiederabdruck in: Friedrich Jenas, Geschichte der Soziologie. Band IV: Deutsche und amerikanische Soziologie. Reinbek: Rowohlt 1969, S. 210-221
-
Wiederabdruck in: GA4, S. 127-142
Arnold-Gehlen-Bibliographie (Teil I)
911
1952:2 Das Elitenproblem. In: Schweizerische Hochschulzeitung, Nr. 3 (1952),
s. 143-146 -
erweiterter Wiederabdruck in: Macht, S. 33-38
- Wiederabdruck: GA7, S.105-109 1952:3 Hans Freyer. Zu seinem 65. Geburtstag. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30.7.1952 1952:4 Über die Geburt der Freiheit aus der Entfremdung. In: Archiv für Rechtsund Sozialphilosophie 40 (1952), H. 3, S. 338-353
-
Wiederabdruck in: Studien], S. 232-246
-
Wiederabdruck in: Studien2, S. 232-246
-
Wiederabdruck in: Heinz-Horst Schrey (Hrsg.), Entfremdung. Wege der Forschung. Bd. 187. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1975, S. 27-41
-
Wiederabdruck in: GA4, S. 366-379
1952:5 Mensch trotz Masse. Der Einzelne in der Umwälzung der Gesellschaft. In: Wort und Wahrheit 7 (1952), H . 8, S. 579-586 1952:6 Probleme einer soziologischen Handlungslehre. In: Carl Brinkmann (Hrsg.), Soziologie und Leben. Die soziologische Dimension der Fachwissenschaften. Tübingen: Wunderlich 1952, S. 28-62 - Wiederabdruck in: Studien], S. 196-231
-
Wiederabdruck in: Studien2, S. 196-231
1952:7 Rezension: Bernhard Rehfe1dt, Die Wurzeln des Rechts. Berlin 1951. In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 40 (1952), H. 3, S. 462-464 1952:8 Die Rolle des Lebensstandards in der heutigen Gesellschaft. In: Schweizerische Hochschulzeitung 3 (1952), H. 5, S. 277-281 - Wiederabdruck unter dem Titel: Unser Lebensstandard. In: Monatshefte [Velhagen & Klasing] (1953), H . 10, S. 880-882
-
Wiederabdruck unter dem Titel: Die Rolle des Lebensstandards in der modernen Gesellschaft. In: Macht, S. 27-32
-
Wiederabdruck in: GA7, S. 15-19
1952:9 Der gegenwärtige Stand der anthropologischen Forschung. In: Krankheit und Kranksein. Bremen: Schünemann 1952, S. 11-22 [nicht identisch mit ] 1952:10 Das Umweltproblem [Mündlicher Beitrag Gehlens, protokolliert]. In: Helmuth Plessner (Hrsg.), Symphilosophein. Bericht über den Dritten Deutschen Kongreß für Philosophie in Bremen 1950. München: Lehnen 1952, S. 333-353, bes. S. 344345
1953 1953:1 Die Aufgaben der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer. In: Länderreihe Rheinland-Pfalz. Kultur und Wirtschaft. Trautheim/Darmstadt, s. 173f.
Karl-Siegbert Rehberg
912
1953:2 Beamtenturn im Parteienstaat. Die Folgen des Traditionsverlustes und des Stellenproporzes. In: Wort und Wahrheit 8 (1953), H. 10, S. 737-742
-
Textpassage in GA7: Anm. 151.12
1953:3 Bibliographie Arnold Gehlen. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 5 (1953), S. 295f. 1953:4 Wiederabdruck von: [Das Bild des Menschen im Lichte der modernen Anthropologie]
Wiederabdruck von: [Die Rolle des Lebensstandards in der heutigen Gesellschaft]
1953:5 1953:6
Mensch und Technik. In: Die BASF 3 (Februar 1953), H. I, S. 33-40
1953:7 Die Technik in der Sichtweise der philosophischen Anthropologie. In: Merkur Nr. 65 (1953), S. 626-636
-
Wiederabdruck in: VDI-Zeitschrift 96 (Februar 1954), H. 5, s. 149-153
-
Wiederabdruck unter dem Titel: Die Technik in der Sichtweise der Anthropologie. In: AF, S. 93-103
-
teilweiser Wiederabdruck unter dem Titel: Technik: Die selbstverständliche Lebensbedingung der Zukunft. In: Erwin Menne, Werner Trutwin (Hrsg.), Einladung zur Philosophie. Philosophisches Kolleg. Arbeitsmaterialien für den Philosophieunterricht. Sekundarstufe II. Düsseldorf: Patmos 1976, S. 65-66
1953:8 Wiederabdruck von: [Die Technik in der Sichtweise der philosophischen Anthropologie]
1954 1954:1 Macht einmal anders gesehen. Das internationale Forum. Berichte und Stellungnahmen. Mit einem Vorwort von Pranz Fassbind. Zürich: Fontana o.J. [1954] [Macht] 1954:2
Über Bürokratisierung. In: Macht, S. 20-26
1954:3 um einen ausführlicheren Schluß erweiterter Wiederabdruck von: [Das Elitenproblem] in: [Macht] 1954:4 Insan [Der Mensch). Istanbul Üniversitesi Edebiyat Fakültesi Konferanslari 2. Istanbul 1954 [türkischer Text, übers. v. Bedia Akarsu und Hüseyin Batuhan: S. 3-51; deutscher Text: S. 53-106]
-
2. Aufl. Istanbul Üniversitesi Edebiyat Fakültesi. Istanbul Üniversitesi Fakültesi Yayin. No. 1839. Istanbul 1973 [türkischer Text, übers. v. Bedia Akarsu und Hüseyin Batuhan: S. 7-57; deutscher Text: s. 59-121]
-
Textpassage in GA4: Anm. 115.10 und 116.22
Arnold-Gehlen-Bibliographie (Teil I) 1954:5
913
Macht einmal anders gesehen. In: Macht, S. 7-13 -
Wiederabdruck in: GA7, S. 100-104
1954:6 Wiederabdruck von: [Rolle des Lebensstandards in der modernen Gesellschaft] in: [Macht] 1954:7
Die öffentliche Meinung. In: Macht, S. 14-19 -
Wiederabdruck in: GA7, S. 331-335
Rezension: Guglielmo Ferrero, Power. New York 1942 [frz. Bern, 1944]. In: Scienza Nuova [Oxford] I (1954/55), H. l, S. 74-78 [eng!., translation by Steven E. Smith] 1954:8
1954:9 Rezension: Bertrand Russell, Power. London 1938 [dt. Zürich 1942]. In: Scienza Nuova [Oxford] I (1954-55), H.l, S.69-73 [eng!., translation by Steven E. Smith] 1954:10 Selbstkritik der Psychologie. In: Macht, S. 46-52 1954:11 Das Vorurteil gegen die Technik. In: Macht, S. 39-45 1954:12 Zwischen dem Wissen und dem Glauben. Über die Meinungen. In: Deutsche Zeitung und Wirtschafts-Zeitung vom 2.10.1954, S. 4
1955 1955:1
5. Aufl. von: [Mensch]
1955:2 Bürokratisierung. In: Die BASF 5 (1955), H. 3, S. 125-131 [nicht identisch mit ] 1955:3 Massenpsychologie und Sozialpsychologie. In: Vorträge gehalten anläßlich der Hessischen Hochschulwoche für staatswissenschaftliche Fortbildung vom 20. April bis 30. April 1954 in Bad Wildungen. Bad Hornburg v.d.H./Berlin: Gehlen 1955, s. 7-22 1955:4 Arnold Gehlen und Helmut Schelsky (Hrsg.), Soziologie. Ein Lehr- und Handbuch zur modernen Gesellschaftskunde. Düsseldorf/Köln: Diederichs 1955
-
spanische Übers.: Sociologia Moderna. Buenos Aires: Ediciones Depalma I 962
1955:5 Zu Hans Freyers Theorie des gegenwärtigen Zeitalters [Rezension]. Stuttgart
1955. In: Merkur Nr. 88 (1955), S. 578-582
1955:6 Rezension: Johannes Winckelmann, Legitimität und Legalität in Max Webers
Herrschaftssoziologie. Tübingen 1952. In: Deutsches Verwaltungsblatt 70/17 vom 1.9.1955, s. 577 1955:7
s. 13-45
Die Sozialstrukturen primitiver Gesellschaften. In: [Soziologie], -
58 Speyer 113
spanische Übers.: Las estructuras sociales de las sociedades primitivas. In: [Sociologia moderna]
Karl-Siegbert Rehberg
914
1955:8 Vorbemerkung [gemeinsam mit Helmut Schelsky] in: [Soziologie], S. 9ff.
-
spanische Übers.: Prefacio. In: Sociologia Moderna, S. XIXIII
1956 1956:1 Urmensch und Spätkultur. Philosophische Ergebnisse und Aussagen. Bonn: Athenäum 1956
-
2., neu bearb. Aufl. Frankfurt a.M./Bonn: Athenäum
-
3., verb. Aufl. Frankfurt a.M.: Athenaion 1975
-
4. Aufl Frankfurt a.M.: Athenaion 1977
-
5. Aufl. (unveränd. Nachdruck der 4. Aufl.). Wiesbaden: Aula 1986 [Teilaufl. in Kassette "Studienausgabe der Hauptwerke" gemeinsam mit der 13. Aufl. von "Der Mensch" und der 5. Aufl. von "Moral und Hypermoral" ]
-
Variierter Teilabdruck des 22. Kapitels unter dem Titel: Natur und Faktenwelt In: Merkur Nr. 95 (1956), S. 16-24
-
japanische Übers.: Ningen no Genkei to Gendai no Bunka. Übers. und mit einem Nachwort v. Nozumu Ikei. Geleitwort v. KarlSiegbert Rehberg. Tokio: Hosei University Press 1987
1964
1956:2
Das Ende der Persönlichkeit? In: Merkur Nr. 106 (1956), S. 1149-1158 -
Wiederabdruck in: St. Galler Tagblatt Nr. 40/42 (1957)
-
Wiederabdruck in: Studien!, S. 329-340
-
italienische Übers.: Fine della personalita? Duemila Nr. 3 (1965), s. 4-9
-
Wiederabdruck: Studien 2, S. 301-312
Familie - Schutzmacht des privaten Daseins. Zur Soziologie der heutigen Familienbeziehungen. In: Westdeutsche Allgemeine Zeitung vom 22.9.1956, Wochenendbeilage 1956:3
1956:4 Soziologische Voraussetzungen im gegenwärtigen Staat. In: Probleme der Sozialordnung. Referate des 21. Staatswissenschaftlichen Fortbildungskursus der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer. Beilage zur Staats-Zeitung für Rheinland-Pfalzvom 15. Januar 1956, Nr. 1, S. 320-339
-
Wiederabdruck in: Ernst Forsthoff (Hrsg.), Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit. Aufsätze und Essays. Wege der Forschung, Bd. 118. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1968, S. 320339
Arnold-Gehlen-Bibliographie (Teil I) 1956:5
915
Über die gegenwärtigen Kulturverhältnisse. In: Merkur Nr. 100 (1956),
s. 520-531 -
gekürzter Wiederabdruck in: baukunst und werkform 10 (1957), H. 1, S. 4-9
1956:6
teilweiser Wiederabdruck aus: [Urmensch und Spätkultur]
1956:7
Wiederabdruck von: [Vilfredo Pareto und seine "neue Wissen-
1956:8
Wissenschaftliche Philosophie? In: Physikalische Blätter 12 (1956), H.l,
schaft'']
s. 6-10
Zur Problematik des Sozialstaates. In: Vorträge, gehalten anläßlich der Hessischen Hochschulwochen für staatswissenschaftliche Fortbildung vom 9. bis 19. Oktober 1955 in Bad Wildungen. Bd. II. Bad Hornburg v.d.H./Berlin/Zürich: Gehlen 1956, S. 51-65
1956:9
1956:10 Rezension: Theodor Ballauff, Die Wissenschaft vom Leben. Bd. I: Eine
Geschichte der Biologie vom Altertum bis zur Romantik. Orbis academicus 11/8, München 1954. In: Kantstudien 48 (1956/57), H. I, S.105
1956:11 Rezension: R.G. Collingwood, Denken. Eine Autobiographie. Eingeleitet von H.G. Gadamer. Stuttgart 1955. In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 42 (1956), H. 2, S. 295-297 1956:12 Rezension: Vilfredo Pareto, Allgemeine Soziologie. In: Archiv für Rechts-
und Sozialphilosophie 42 (1956), S. 15lf.
1956:13 Industrielle Gesellschaft und Staat. Über einige Triebkräfte des politischen
Lebens der Gegenwart. In: Wort und Wahrheit II (1956), H. 9, S. 665-674 -
Wiederabdruck in: Politisches Seminar der Staatsbürgerlichen Vereinigung 1954 e.V. Vierte Tagung vom I. bis 5. Juni 1959 in Bad Godesberg. 0.0.: o.J. [1960], S. 35-48
-
Wiederabdruck in: Studien! , S. 247-262
-
Wiederabdruck: Studien 2, S. 247-262
-
Wiederabdruck in: GA7, S.l10-l24
1956:14 Der Wandel der Gesellschaftsstruktur in der technisierten Welt. In: Schrif-
tenreihe der Duisburger Universitätsgesellschaft. Die Achte Niederrheinische Universitätswoche u. Jahresbericht der Duisburger Universitätsgesellschaft. Duisburg 1956, s. 30-36 1956:15 Grundzüge der gesellschaftlichen Strukturwandlungen unserer Zeit. In: Mitteilungen für die Bergberufsschulen der WestHilisehen Berggewerkschaftskasse (1956), H. 5, S. l-4 1956:16 Trompe l'oeil-Malerei. In: Merkur Nr. 96 (1956), S. l95-200
58.
Kari-Siegbert Rehberg
916
1957 1957:1 Die Seele im technischen Zeitalter. Sozialpsychologische Probleme in der
industriellen Gesellschaft. Reinbek: Rowohlt 1957 [erw. Fassung von ] -
31.-35.
-
36.-40.
Tsd.
[3. Aufl.], Hamburg: Rowohlt 1960
-
41.-45.
Tsd.
[4. Aufl.], Hamburg: Rowohlt 1961
-
46.-50.
Tsd.
[5. Aufl.], Hamburg: Rowohlt 1962
-
51.-55.
Tsd.
[6. Aufl.], Hamburg: Rowohlt 1963
-
56.-60.
Tsd.
[7. Aufl.], Hamburg: Rowohlt 1964
-
61.-68.
Tsd.
[8. Aufl.], Hamburg: Rowohlt 1964
-
Tsd.
[9. Aufl.], Hamburg: Rowohlt 1966
-
76.-83.
Tsd. [10. Aufl.], Hamburg: Rowohlt 1967
-
84.-90.
Tsd. [11. Aufl.], Hamburg: Rowohlt 1969
-
91.-95.
Tsd. [12. Aufl.], Hamburg: Rowohlt 1970
-
96.-100. Tsd. [13. Aufl.], Hamburg: Rowohlt 1972
-
101.-103. Tsd. [14. Aufl.], Hamburg: Rowohlt 1975
-
104.-106. Tsd. [15. Aufl.], Hamburg: Rowohlt 1976
-
teilweiser Wiederabdruck in: Festschrift zur Verleihung der Konrad-Adenauer-Preise 1971 für Wissenschaft, Literatur und Publizistik. Deutschland-Stiftung e.V. O.J. [1971], o.S. [6f.]
-
teilweiser Wiederabdruck unter dem Titel: Der Mensch und die Technik. Das Organische und sein Ersatz. Mit einer biographischen Notiz. In: Westermann Texte Deutsch. Textauswahl für das 10. Schuljahr -Sekundarstufe I (Gymnasium). Besorgt von H. Eggert u. a. Braunschweig: Westermann 1982, S. llff. u. 57
-
Durchgesehene Neuausgabe unter dem Titel"Sozialpsychologie. Sozialpsychologische Probleme in der industriellen Gesellschaft". In: , S. 147-266 [Anthropologische und sozialpsychologische Untersuchungen]
-
portugiesische Übers.: A Alma na era da tecnica. Problemas de psicologia social na sociedade industrializada. Trad. de Manuela Pinto dos Santos. LBL Enciclopedia. Lisboa: Livros do Brasil o.J. [1961]
-
italienische Übers.: L'uomo nell'era della tecnica. Problemi socio-psicologici della civilta industriale. [Traduzione di Alba Burger Cori] Milano: Sugar o.J . [1967]
-
tschechische Übers.: Duch ve svete techniky. Filosofie a soucastnost 21. Übers. v. Miloslav Zilina. Mit einem Vorwort v. Jakub Netopilik. Praha: Svoboda 1972
69.-75.
Tsd.
[2. Aufl], Hamburg: Rowohlt 1959
Arnold-Gehlen-Bibliographie (Teil I)
917
-
amerikanische Übers.: Man in the Age of Technology. Translated by Patricia Lipscomb. With a Foreword by Peter L. Berger. New York: Columbia University Press 1980
-
2. Aufl. der italienischen Übers.: L'uomo nell'era della tecnica. Trad. it. di A. Burger Cori, Prefazione di Antimo Negri, Milano, 1984
-
französische Übers. von [Sozialpsychologie]
1957:2 Soziologischer Beitrag zu Fragen der Gemeindeverwaltung. In: Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Hrsg.), Staats- und Verwaltungswissenschaftliche Beiträge. 10 Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer. Stuttgart: Kohlhammer 1957, S. 267-275 -
Wiederabdruck: GA7, S. 167-177
1957:3 Bürokratisierung und Daseinssicherung. In: Universitas 12 (1957), H. l.
s. 43-47
-
Textpassage in GA7: Anm. 47.38
1957:4 Wiederabdruck von: [Ende der Persönlichkeit?] 1957:5 Ein wahrhaft lebendiger Geist. Zum 70. Geburtstag Hans Freyers. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2.8.1957 1957:6 gekürzter Wiederabdruck von: [Über die gegenwärtigen Kulturverhältnisse] 1957:7 Die einsame Masse. [Rezension: David Riesman, Die einsame Masse (eng!.: The Lonely Crowd. Yale 1950; deutsch: Harnburg 1958)] In: Stuttgarter Zeitungvom 30.3.1957, Feuilleton S. 17 1957:8 Der Mensch in seiner Freizeit. In: Volkshochschule im Westen 3/4 (1957), o.S.
Der Mensch im Zeitalter der Weltraumfahrten. Eine WeihnachtsUmfrage des Tagesspiegels. In: Der Tagesspiegel vom 25.12.1957 - Wiederabdruck in: GA7, Anm. 57.14
1957:9
1957:10 Rezension: Viggo Graf von Blücher, Freizeit in der industriellen Gesellschaft. Stuttgart 1956. In: Kyklos. Internationale Zeitschrift für Sozialwissenschaften [Basel] 10, Fase. 2 (1957), S. 202 1957:11 Rezension: Bertrand de Jouvenel, De Ia souverainete. Paris 1955. In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 43 (1957), S. 154-158 1957:12 Rezension: Heinz Kluth, Sozialprestige und sozialer Status. Stuttgart 1957. In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 43 ( 1957), S. 606-608 1957:13 Rezension: Erich Reigrotzki, Soziale Verflechtungen in der Bundesrepublik. Tübingen 1956. In: Deutsches Verwaltungsblatt vom 15.3.1957, S.218f. 1957:14 Der Stand der soziologischen Forschung. In: Vorträge, gehalten anläßtich der Hessischen Hochschulwochen für staatswissenschaftliche Fortbildung vom 19. bis 29. Februar 1956 in Bad Wildungen. Bd. 13. Bad Hornburg v.d.H./Ber1in/Zürich: Gehlen 1957, S. 26-39
Karl-Siegbert Rehberg
918
1957:15 Die Stellung der Frau in der heutigen Gesellschaft. In: Deutsches Rotes Kreuz. Zentralorgan des DRK in der Bundesrepublik Deutschland (1957), H. 7, s. 15-19
-
Wiederabdruck in: Tagungen des Verbandes Deutscher Mutterhäuser vom Roten Kreuz am 22. u. 23. Mai 1957 in Düsseldorfund am 28. u. 29. Mai in Wiesbaden. DRK-Schriftenreihe Nr. 17/58
-
Wiederabdruck in: Was Philosophen über Frauen denken. Annegret Stopczyk: Zusammenfassung und Erläuterungen. München: Matthes & Seitz 1980, S. 329-336
1957:16 Energetisches Zeitalter und Achsenzeit [Zu einem Aufsatz von Kromphardt]. In: Physikalische Blätter 13 (Mai 1957), H. 5, S. 233 1957:17 Sebastian Stoskopff. In: Merkur 11 (1957), S. 1213-1215
1958 1958:1 6. Aufl. von: [Mensch]
Bestimmung des gegenwärtigen Kulturzustandes. In: Wissenschaft und Weltbild [Vierteljahresschrift für die Grundlagen der Forschung. Wien: Österreichischer Bundesverlag] (Juni 1958), S. 81-91 1958:2
Salvador Dali. In: Einladung zur Eröffnung einer Dali-Ausstellung der Galerie Schmela in Düsseldorf am 1.3.1958
1958:3
1958:4 Die Entwicklung der Anthropologie von der Philosophie zur Erfahrungswissenschaft. In: Vorträge, gehalten anläßlich der Hessischen Hochschulwochen für staatsw.issenschaftliche Fortbildung vom 3. bis 13. Februar 1957 in Bad Nauheim. Bd. 17. Bad Hornburg v.d.H. u.a.: Gehlen 1958, S.84-99 [vgl. Zur Geschichte der Anthropologie] 1958:5
Was wird aus den Intellektuellen? In: Wort und Wahrheit 13 (1958), H. 8,
s. 607-615
1958:6
schaft]
-
Wiederabdruck in: Technische Rundschau. Allgemeine Industrie- und Handelszeitung. Bern 52 (22. Juli 1960), Nr. 31, S. 1
-
Wiederabdruck in: Institut International de Sociologie: Akten des 18. Internationalen Soziologenkongresses (Nürnberg, 10. bis 17. September 1958). Hrsg. i. A. v. Hans Freyer, H. Klages, H.G. Rasch. Bd. 1. Meisenheim am Glan: Hain 1961, S. 53-64
-
Wiederabdruck in: GA7, S. 239-252
Wiederabdruck von: [Stellung der Frau in der heutigen Gesell-
Die Welt als Labyrinth [Rezension: Gustav Rene Hocke, Die Welt als Labyrinth. Manier und Manie in der europäischen Kunst]. In: Merkur Nr. 121 (1958), s. 291-296 1958:7
Arnold-Gehlen-Bibliographie (Teil I)
919
1958:8 Über Kultur, Natur und Natürlichkeit. In: Gerhard Funke (Hrsg.), Konkrete Vernunft. Festschrift für Erich Rothacker. Bonn: Bouvier 1958, S. 113-123
-
Wiederabdruck in: AF, S. 78-92
Soziologischer Kommentar zur modernen Malerei. In: Merkur Nr. 122 (1958), s. 301-315 1958:9
-
Wiederabdruck in: Wochenbeilage des Winterthurer Tageblattes vom 10.5.1958
-
dänische Übers.: Sociologisk kommentar til det moderne maleri. In: Louisiana [Kopenhagen] (1958), S. 37-48
1958:10 Wiederabdruck von: [Soziologischer Kommentar zur modernen
Malerei]
1958:11 dänische Übers. von: [Soziologischer Kommentar zur modernen
Malerei]
1959 The Transformation of the Human Element, In: United States Lines Paris Review, o.J. [1959], H. 2, o.S.
1959:1
1959:2
französische Übers.: L'element Humain se Transforme. In: United States Lines Paris Review, o.J. [1959], o.S.
Mittagspause. In: Die BASF 9 (1959), H. 2, S. 75-78 -
englische Übers.: The Midday Break. In: The BASF Digest 2 (1963), p. 99-102
Recht ohne Tugend? Soziologische Betrachtungen zur Gerechtigkeit. In: Die BASF 9 (1959), H.1, S.13-17
1959:3
1959:4
Textpassage in GA7: Anm. 207.19
Rückäußerung zu Carl Linfert. In: Merkur Nr. 135 (1959), S. 499f.
1959:5 Soziologie als Verhaltensforschung. In: Zeitschrift für die Gesamte Staatswissenschaft 115 (1959), H. 1, S. 1-12
-
Wiederabdruck in: GA4, S. 351-365
Das Thema in seiner gesellschaftspolitischen Bedeutung. In: Die Informations- und Bildungsaufgabe der Arbeitgeberverbände. Referate und Vorträge auf der Geschäftsführerkonferenz der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände am 3. und 4. Oktober 1958 in Baden-Baden. Schriftenreihe der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Köln 1959, H. 20, S. 8-22 1959:6
Das Tier mit den zwei Köpfen. Eine Umfrage der Stuttgarter Zeitung zu den Organtransplantationen des russischen Chirurgen Demichow. In: Stuttgarter Zeitung vom 3.4.1959
1959:7
1959:8 Die Wissenschaften und das Wissen vom Menschen. In: Schriftenreihe der Duisburger Universitätsgesellschaft. Duisburg 1959, S. 11-17
Kari-Siegbert Rehberg
920 1959:9
ment]
französische Übers. von: [Transformation of the Human Ele-
1959:10 [Bis wohin ist Malen Kunst?] [Zitierung aus einem öffentlichen Gespräch über "Ist die Malerei am Ende?" zwischen Hans Sedlmayr und Arnold Gehlen am 19.3.1959 im Wallraf-Richartz-Museum in Köln]. In: Carl Linfert, Bis wohin ist Malen Kunst? Bericht über einen Disput. In: Jahresring 59/60. Beiträge zur deutschen Literatur und Kunst der Gegenwart. Hrsg. v. Kulturkreis im Bundesverband der Deutschen Industrie. Bearb. v. Rudolf de le Roi u.a. Stuttgart: DVA 1959, S. 65-84, bes. S. 74-80 1959:11 Parkinson einmal anders. In: Merkur Nr. 142 (1959), S.l202-1204
-
Textpassage in: GA 7, Anm. 161.34
1959:12 2. Aufl. von: [Seele im technischen Zeitalter]
1960 1960:1 Zeit-Bilder. Zur Soziologie und Ästhetik der modernen Malerei. Frankfurt a.M./Bonn: Athenäum 1960
-
2., neu bearb. Aufl. Frankfurt a.M./Bonn: Athenäum 1965 [ vgl. teilw. Wiederabdruck: ]
-
3., erw. Aufl. Hrsg. v. Karl-Siegbert Rehberg. Frankfurt a.M.: Klostermann 1986
-
Vorabdruck von Kap. VIII,3 unter dem Titel: In die Freiheit verstrickt. Zur Situation der modernen Kunst. In: Merkur Nr. 146 (1960), S. 301-307 [vgl. dazu die dänische Übers.: ]
-
teilweiser Wiederabdruck unter dem Titel "Das Erklären moderner Bilder". In: Westermanns Monatshefte 103 (1962), S. 68-72
-
teilweiser Wiederabdruck unter dem Titel: On Politics and Freedom, in: The Human Context [Den Haag] 6 (1974), S. 285-295
-
rumänische Übers.: Imagini ale timpului. Despre sociologia si estetica picturii moderne. Traducere de Bucur Stanescu. Prefata de Titus Mocanu. Bucuresti: Editura Meridiane 1974
-
teilweiser Wiederabdruck unter dem Titel: Epochs of Painting [Übers. v. Arnold Pomerans]. In: The Human Context [Den Haag] 7 (1975), S. l8l-211
-
ungarische Übers.: Kor-Kepek. A modern festeszet szociologiaja es esztetika [Übers. v. Julia Bendl]. Budapest: Gondolat 1987
-
italienische Übers. der 3., erw. Aufl.: Quadri d'epoca. Sociologia e estetica della pittura moderna. Traduzione di Gianni Carchia. Napoli: Guida 1989
Soziologische Aspekte des Eigentumsproblems in der Industriegesellschaft. In: Eigentum und Eigentümer in unserer Gesellschaftsordnung. Veröffentlichungen
1960:2
921
Arnold-Gehlen-Bibliographie (Teil I)
der Walter-Raymond-Stiftung. Bd. 1. Köln/Opladen: Westdeutscher Verlag 1960, s. 164-184 - Wiederabdruck in: Studien!, S. 291-310 -
Wiederabdruck in: Studien2, S. 263-282
-
Wiederabdruck in: GA7, S. 60-78 und Anm. 78.6
1960:3
Wiederabdruck von: [Industrielle Gesellschaft und Staat]
1960:4
Wiederabdruck von: [Was wird aus den Intellektuellen?]
Die gesellschaftliche Situation unserer Zeit. In: Schriftenreihe der Landesvereinigung der industriellen Arbeitgeberverbände Nordrhein-Westfalen Nr. l3 (1960), S.43-55 [nicht identisch mit und ] 1960:5
1960:6
Vorabdruck von: [Zeit-Bilder] -
dänische Übers. in: Louisiana [Kopenhagen] (1960), S. 15-18
Die gesellschaftliche Situation unserer Zeit. In: Harmonisierung der Werbung von Industrie und TextilhandeL Frankfurt a.M.: Deutscher Fachverlag o.J. [1960], s. 43-49 1960:7
Kunstkritik nach "Generallinie"? Die Künstler, die Experten und die Kunst. In: Wort und Wahrheit 15 (1960), H.l2, S. 753-759
1960:8 1960:9
dänische Übers. von: [In die Freiheit verstrickt]
1960:10 3. Aufl. von: [Seele im technischen Zeitalter]
1961 1961:1 Anthropologische Forschung. Zur Selbstbegegnung und Selbstentdeckung des Menschen. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1961 [AF]
-
21.-25.
Tsd.
[2. Aufl.], Hamburg: Rowohlt 1963
-
26.-30. Tsd.
-
31.-38. Tsd.
[3. Aufl.], Hamburg: Rowohlt 1964 [4. Aufl.], Hamburg: Rowohlt 1965
-
39.-43. Tsd.
[5. Aufl.], Hamburg: Rowohlt 1967
-
44.-50. Tsd.
[6. Aufl.], Hamburg: Rowohlt 1968
-
51.-55. Tsd.
[7. Aufl.], Hamburg: Rowohlt 1970
-
56.-60. Tsd.
-
[8. Aufl.], Hamburg: Rowohlt 1971 61.-65. Tsd. [9. Aufl.], Hamburg: Rowohlt 1972 66.-70. Tsd. [10. Aufl.], Hamburg: Rowohlt 1974
-
-
74.-76. Tsd. [12. Aufl.], Hamburg: Rowohlt 1976 77.-80. Tsd. [13. Aufl.], Hamburg: Rowohlt 1977 81.-83. Tsd. [14. Aufl.], Hamburg: Rowohlt 1980
-
-
-
71.-73. Tsd. [11. Aufl.], Hamburg:
Rowoh1t
1975
84.-87. Tsd. [15. Aufl.], Hamburg: Rowohlt 1981
922
Kari-Siegbert Rehberg -
Durchgesehene Neuausgabe unter dem Titel "Philosophische Anthropologie" in: , S. 7-144 [Anthropologische und sozialpsychologische Untersuchungen]
-
teilweiser Wiederabdruck unter dem Titel: Unbefragt geltende Traditionen sind unverzichtbar. In: Erwin Menne, Werner Trutwin (Hrsg.), Einladung zur Philosophie. Philosophisches Kolleg. Arbeitsmaterial für den Philosophieunterricht. Sekundarstufe II. Düsseldorf: Patmos 1976, S. 144-145
-
japanische Übers. in: Ningengaku no tankyu. Tokyo: Orion 1970, S. 73-297 [zusammen mit jap. Übers. von: Zur Systematik der Anthropologie ]
-
spanische Übers.: Ensayos de antropologia filos6fica. Traducci6n de Carmen Cienfuegos W. Santiago de Chile: Editorial Universitaria 1973
-
italienische Übers.: Prospettive Antropologiche. Traduzione di Sergio Cremaschi. Bologna: Mulino 1987
-
französische Übers. von [Philosophische Anthropologie]
1961:2 Über instinktives Ansprechen auf Wahrnehmungen. In: AF, S. 104-126
-
Wiederabdruck in: GA4, S. 175-202
1961:3 Das Berufsbeamtenturn in der modernen Gesellschaft. In: Staat- Beamter - Gesellschaft. 3. beamtenpolitische Arbeitstagung des Deutschen Beamtenbundes 1961 (9.-11. Januar 1961). Schriftenreihe des Deutschen Beamtenbundes (1961), H. 24, S. 65-75
-
Wiederabdruck in: Studien! , S.275-290
-
Wiederabdruck in: GA7, S. 152-166
1961:4 Wiederabdruck von: [Das Bild des Menschen im Lichte der modernen Anthropologie] in: [AF] 1961:5 [AF]
Wiederabdruck von: [Ein Bild vom Menschen] in:
1961:6 Zur Geschichte der Anthropologie. In: AF, S. 7-25 [vgl. Entwicklung der Anthropologie von der Philosophie zur Erfahrungswissenschaft]
teilweiser Wiederabdruck unter dem Titel: "Geist" und "Natur" in der Philosophie der Neuzeit. In: Ernst Topitsch (Hrsg.), Logik der Sozialwissenschaften. Köln!Berlin: Kiepenheuer & Witsch 1965, s. 53-56 -
Wiederabdruck in: GA4, S. 143-164
1961:7 Vom Geräusch der Kommentare. In: Baukunst und Werkform 14 (Nr. 3/ 1961), s. 115f.
Arnold-Gehlen-Bibliographie (Teil I)
923
1961:8 Die Gleichberechtigung fordert das Reich der Dame. In: Deutsche Bauzeitung 66 (Juli 1961), H. 7, S. 490 1961:9
Wiederabdruck von: [Was wird aus den Intellektuellen?]
1961:10 Über kulturelle Kristallisation. Bremen: Angelsachsen 1961
-
Wiederabdruck in: Studien!, S. 3ll-328
-
Wiederabdruck in: Studien2, S. 283-300
Wiederabdruck in: Wolfgang Welsch (Hrsg.), Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion. Weinheim: VCH 1988, s. 133-143 1961:11 Einige Methodenprobleme der Soziologie. In: Erkenntnis und Erziehung [Festschrift für Richard Meister zu seinem 80. Geburtstag]. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1961, S. 23-28 -
1961:12 Das verlorene Menschenbild. Warum ist die Natur den Künstlern verdächtig? In: Stuttgarter Zeitung vom 18.3.1961 1961:13 Die verdächtige Natur [ Leserzuschrift zu einem Artikel von Hans Schreiner: Neue Interpretation der Welt. In: Das verlorene Menschenbild, S.21-24]. In: Richard Biedrzynski (Hrsg.), Das verlorene Menschenbild. Stuttgart/Zürich: Artemis 1961, S.52f. 1961:14 portugiesische Übers. von: [Seele im technischen Zeitalter] 1961:15 Rezension: Ralf Dahrendorf, Homo Sociologicus. Opladen 1959. In: Zeitschrift für die gesamten Staatswissenschaften 117 (1961), H. 2, S. 368-371 1961:16 Die gesellschaftliche Situation in unserer Zeit. In: AF, S.l27-l40 [nicht identisch mit und ] 1961:17 Soziologie der Macht. In: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften. Zugl.
Neuaufl. des Handwörterbuchs der Staatswissenschaften. Hrsg. von Erwin v. Beckerath, Hermann Bente, Carl Brinkmann u.a., Bd. 7. Stuttgart: G.Fischer/Tübingen: Mohr (Siebeck)/Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht 1961, S. 77-81 -
Wiederabdruck in: GA7, S. 91-99 und Anm. 9l.l
1961:18 Die Spiele und die Menschen [Rezension: Roger Caillois, Die Spiele und die
Menschen. Stuttgart 1960]. In: Merkur 15 (1961), S. 87-91
1961:19 Wiederabdruck von: [Technik in der Sichtweise der philosophischen Anthropologie] in: [AF] 1961:20 leicht veränderter Wiederabdruck von: [Vom Wesen der Erfah-
rung] in < 1961:112> [AF]
1961:21 Vom tätigen Leben [Rezension: Hannah Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben. Stuttgart 1960). In: Merkur 15 (1961), S. 482-486 1961:22 Wiederabdruck von: [Über Kultur, Natur und Natürlichkeit] in: [AF] 1961:23 Max Ernst 70 Jahre alt. In: Jahresring 61/62. Beiträge zur deutschen Literatur und Kunst der Gegenwart. Hrsg. v. Kulturkreis im Bundesverband der Deutschen Industrie. Stuttgart: DVA 1961, S. 33-37
Karl-Siegbert Rehberg
924
1961:24 Mensch und Institutionen. In: AF, S. 69-77 -
Wiederabdruck in: Peter Kaupp (Hrsg.), Texte der Soziologie. München: Bayerischer Schulbuch-Verlag 1975, S. 59-61 (mit Anm. des Hrsg. und einer biograph. Notiz)
1961:25 4. Aufl. von: [Seele im technischen Zeitalter] 1961:26 Enzyklopädisches Stichwort "Philosophische Anthropologie". In: AF, S.141ff. -
Wiederabdruck in: GA4, S. 403-406
1962 1962:1
7. Aufl. von: [Mensch]
1962:2 Asyle. In: Randzonen menschlichen Verhaltens. Beiträge zur Psychiatrie und Neurologie. Festschrift zum fünfundsechzigsten Geburtstag von Prof. Dr. Hans Bürger-Prinz. Stuttgart: Enke 1962, S. 19-36 -
Wiederabdruck in: Wort und Wahrheit 17 (1962), H.11,
s. 657-670
Wiederabdruck in: Studien2, S. 313-335
1962:3 Der Begriff Technik in entwicklungsgeschichtlicher Sicht. In: VDI-Zeitschrift 104 (1962), Nr. 15, S. 674-677 -
Wiederabdruck in: Die BASF 15 (1965), H. 1, S. 6-11
1962:4 Geleitwort zu: Eduard Rossi, Die Entstehung der Sprache und des menschlichen Geistes. München/Basel: E. Reinhardt 1962, S. 5f. 1962:5 Der Mensch im Betrieb - aus der Sicht der Sozialpsychologie. In: Der Mensch im Betrieb. Freiheit und Persönlichkeit - Möglichkeiten und Grenzen. Veröffentlichungen der Walter-Raymond-Stiftung. Bd. 2. Teil I: Stellungnahme und grundsätzliche Referate. Köln/Opladen: Westdeutscher Verlag 1962, S. 105-121 -
Wiederabdruck in: GA7, S.193-208
1962:6 Der mobile Mensch. In: Westermanns Monatshefte (Mai 1962), S. 5-8 1962:7 Die Zukunft des Menschen. In: Die Presse (Wien) vom 29.12.1962 1962:8 Wiederabdruck von: [Asyle] "1962:9 Über das Sammeln von Antiquitäten. In: Neue Deutsche Hefte Nr. 88 (1962), S.176-179 1962:10 Der Maler Francis Bacon. In: Merkur Nr. 176 (1962), S. 927-933 1962:11 spanische Übers. von: Arnold Gehlen und Helmut Schelsky (Hrsg.), Sociologia Moderna. Prologo a Ia edicion Argentina de Alfredo Povina. Buenos Aires: Depalma 1962 1962:12 spanische Übers. von: [Sozialstrukturen primitiver Gesellschaften] in: [Sociologia Moderna]
Arnold-Gehlen-Bibliographie (Teil I)
925
1962:13 spanische Übers. von: [Vorbemerkung] 1962:14 5. Aufl. von: [Seele im technischen Zeitalter] 1962:15 teilweiser Wiederabdruck aus: [Zeit-Bilder]
1963 1963:1 Studien zur Anthropologie und Soziologie. Soziologische Texte Band 17. 1. Aufl. Neuwied/Berlin: Luchterhand 1963 [Studien!]
-
2., durchg. und veränd. Aufl. Neuwied/Berlin: Luchterhand 1971 [Studien2]
1963:2 erw. französische Fassung von [Über kulturelle Evolutionen] 1963:3 gekürzter Wiederabdruck von: [Zur Systematik der Anthropologie] in: [Studien!] 1963:4 Wiederabdruck von: [Berufsbeamtentum in der modernen Gesellschaft] in: [Studien!] 1963:5 Wiederabdruck von: [Soziologische Aspekte des Eigentumsproblems in der Industriegesellschaft] in: [Studien!] 1963:6 Wiederabdruck von: [Bürokratisierung. Macht und Ohnmacht des Apparates] in: [Studien 1] 1963:7 Vom Einfluß des Kriegswesens auf die SozialmoraL In: Merkur Nr. 187 (1963), s. 877-889
-
Wiederabdruck in: Pranz Böckle und Pranz Groner (Hrsg. ), Moral zwischen Anspruch und Verantwortung. Festschrift für Werner Schöllgen. Düsseldorf: Patmos 1964, S. 191-205
1963:8 Wiederabdruck von: [Ende der Persönlichkeit?] in: [Studien!] 1963:9 Wiederabdruck von: [Formen und Schicksale der Ratio] in: [Studien!] 1963:10 Wiederabdruck von: [Geburt der Freiheit aus der Entfremdung] in: [Studien!] 1963:11 Wiederabdruck von: [Industrielle Gesellschaft und Staat] in: [Studien!] 1963:12 Wiederabdruck von: [Über kulturelle Kristallisation] in: [Studien!] 1963:13 Der Mensch in der sich wandelnden Welt. In: Die Mitarbeit 12 (1963), H. 7/ 8, s. 329-332 1963:14 englische Übers. von: [Mittagspause] 1963:15 Wiederabdruck von: [Vilfredo Pareto und seine "neue Wissenschaft''] in: [Studien!] 1963:16 Wiederabdruck von:< 1952:6> [Probleme einer soziologischen Handlungslehre] in: [Studien!]
926
Karl-Siegbert Rehberg
1963:17 Wiederabdruck von: [Stellungnahme zu den Hauptsachen] in: [Studien!] 1963:18 Unsere gesellschaftliche Situation und unser gesellschaftliches Verhalten zwischen Individualismus und Kollektivismus. In: Schriftenreihe der Duisburger Universitätsgesellschaft. Duisburg 1963, S. 12-20
-
Textpassagen in: GA7, Anm. 32l.l5 u. 373.36
1963:19 Wiederabdruck von: [Über die Verstehbarkeit der Magie] in: [Studien l] 1963:20 Die beschleunigte Welt. Leitmotive der Industriegesellschaft. In: Westermanns Monatshefte (Mai 1963), S. 15-22 1963:21 Das gestörte Zeit-Bewußtsein. In: Merkur Nr. 182 (1963), S. 313-321 1963:22 Wiederabdruck von: [Über einige Kategorien des entlasteten, zumal des ästhetischen Verhaltens] in: [Studien l] 1963:23 Maschine - Denkmaschine - Staatsmaschine. Entwicklungstendenzen der modernen Industriegesellschaft Bergedorfer Gesprächskreis zu Fragen der freien industriellen Gesellschaft. Bergedorfer Protokolle Bd. 2, Hamburg/Berlin: Decker u. Schenck 1963 1963:24 Einleitung in: Studien!, S. 9f. [identisch in Studien2]
-
Wiederabdruck in: GA4, S. 407ff.
1963:25 Un contributo sociologico alla comprensione dell'arte moderna. In: De
Homine 5 (1963), S. 39-54
1963:26 6. Aufl. von: [Seele im technischen Zeitalter] 1963:27 2. Aufl. von: [AF]
1964 1964:1
2. Aufl. von: [Urmensch und Spätkultur] -
teilweiser Wiederabdruck (S. 232-236) unter dem Titel: Magie. In: Leander Petzoldt (Hrsg.), Magie und Religion. Beiträge zu einer Theorie der Magie. Wege der Forschung. Bd. 347. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1978, S. 296-301
1964:2 Abschied von der Antike? Eine Enquete über die Rolle des griechischlateinischen Geisteserbes in der Bildungsgesellschaft von morgen. In: Wort und Wahrheit 19 (1964), H. l, S. 25 1964:3 Über kulturelle Evolutionen. In: Helmut Kuhn und Franz Wiedmann (Hrsg.), Die Philosophie und die Frage nach dem Fortschritt. Verhandlungen des Siebten Deutschen Kongresses für Philosophie. Münster i. W. 1962. München: Pustet 1964, S. 207-220 [mit Bericht von Ignaz Klein über die Diskussion (Leitung Theodor Ballauff, weitere Teilnehmer: Theodor W. Adorno, Arnold Gehlen, Sirnon Moser, Bernhard Rensch, Bruno Liebrucks, Dieter Heyde und Gerda Freiin von Bredow), s. 326-332]
Arnold-Gehlen-Bibliographie (Teil I)
927
-
erweiterte französische Fassung: L'Avenir de Ia Culture. Bulletin Sedeis Nr. 847. Supplement 2. Futuribles Nr. 50 (10.3.1963) Paris, S. 3-13
-
teilweiser Wiederabdruck in: Industrie und Kunst Linz. Von der Linzer Kunstschule zur Akademie für Gestaltung. Hrsg. vom Linzer Akademiefonds. Gesamtred. Hans Neuburg. Wien: Bauer o.J . [1967], s. 25-26
1964:4 italienische Übers. von: [Die gesellschaftliche Kristallisation und die Möglichkeiten des Fortschritts]
-
Wiederabdruck unter dem Titel: Un mondo cristallizzato. In: Elementi per una rinascita culturale [Mailand] 2 (Mai-Dez. 1983), s. 22ff.
1964:5 Das Engagement der Intellektuellen gegenüber dem Staat. In: Merkur 18 (1964), Nr. 195, S. 401-413
-
Wiederabdruck in: Evangelische Verantwortung 12 (1964), H . 7/8, S. 14-19
-
Wiederabdruck in: Christ und Welt 17 (29.5.1964), Nr. 22, s. 20-21
-
Wiederabdruck unter dem Titel: Die Intellektuellen und der Staat. In: Christliche Presse-Akademie. RundbriefNr. 40 (1964), S. l-10
-
Wiederabdruck in: herausgegriffen. Aus deutschen Zeitungen, Zeitschriften und Büchern. Nr. 13 (1964). Überreicht vom Presseattache bei der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Bern, S. 1-l 0
-
Wiederabdruck in: Einblicke, S. 9-24
-
Wiederabdruck in: GA7, S. 253-266
1964:6 Wiederabdruck von: [Engagement der Intellektuellen gegenüber dem Staat] 1964:7 Wiederabdruck von: [Engagement der Intellektuellen gegenüber dem Staat] 1964:8 Wiederabdruck von: < 1964:5> [Engagement der Intellektuellen gegenüber dem Staat] 1964:9 Wiederabdruck von:< 1964:5> [Engagement der Intellektuellen gegenüber dem Staat] 1964:10 Wiederabdruck von: [Einfluß des Kriegswesens auf die Sozial-
moral]
1964:11 Die Freiheit des Menschen in der verwalteten Welt. In: Clausthaler Beiträge zum Studium Generale I (1964), S. 3-13
-
Textpassage in GA7: Anm. 55.25
1964:12 Der Geist - Stiefkind der Nation? [Aus der Tonbandaufzeichnung des Kulturgesprächs auf dem CDU-Parteitag in Hannover]. In: Die Welt vom 11.4.1964
Kari-Siegbert Rehberg
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1964:13 Die Gesellschaftsordnung im Widerstreit der Interessengruppen und der gesellschaftlichen Mächte. In: Die Unternehmerische Verantwortung in unserer Gesellschaftsordnung. Tatbestand und Forderung. Veröffentlichungen der WalterRaymond-Stiftung. Bd. 4. Köln/Opladen: Westdeutscher Verlag 1964, S. 81-95
-
Wiederabdruck in: GA7, S. 209-222
1964:14 Gleichheit. Kritische Anmerkungen zu einer politischen Leitidee. In: Wort
und Wahrheit 19 (1964), H. 1, S. 43-52 -
< 1965: 12> spanische Übers.: La Igualdad. Comentarios Alredor A Una ldea Politica Dominante. In: Zeitschrift Humboldt [Hamburg] 23 (1965), s. 13-18
-
Wiederabdruck in: GA7, S. 374-388
1964:15 Der Mensch in der westlichen Wohlstandsgesellschaft. In: Europa-Gespräch 1963. Die europäische Großstadt - Licht und Irrlicht. Wien: Verlag für Jugend und Volk 1964, S. 184-200 [mit Diskussion, S. 216-228]
-
Wiederabdruck in: GA7, S. 34-48 und Anm. 48.30 sowie 43.6, 47.38 und 48.10
1964:16 Die Situation der Familie in der industriellen Gesellschaft. In: Schriften zur Volksbildung Bd. 13. Wien: Verlag Neue Volksbildung 1964, S. 59-76 1964:17 Die Schriften von Arnold Gehlen. In: Zeitschrift für philosophische F orschung 18 (1964), S. 333-338 1964:18 Die Zusammenhänge zwischen Staat und Gesellschaft nach der neuesten Entwicklung. In: Seminare für Führungskräfte der hamburgischen Verwaltung. Hrsg. v. Senat der Freien und Hansestadt Hamburg. Harnburg 1964, S. 3-12 1964:19 Soziologische Beiträge zur Kritik moderner Literatur. Festvortrag von
Professor Dr. Arnold Gehlen. In: Mitteilungen des Rheinisch-Westfälischen Verleger- und Buchhändlerverbandes e.V. Düsseldorf (1964), Nr. 97, S. 15-24 1964:20 Der Betrachter wird zum Problem. In: Merkur 18 (1964), Nr. 191, S.43-51 1964:21 Die moderne Kunst als Zeitausdruck. In: Neue Deutsche Hefte 11 (1964),
H. 102, S. 100-110
1964:22 Ambrose Bierces künstlerische Tendenzen. In: Merkur Nr. 201 (1964), S.ll92-ll96 1964:23 7. Aufl. von: [Seele im technischen Zeitalter] 1964:24 8. Aufl. von: [Seele im technischen Zeitalter] 1964:25 3. Aufl. von: [AF]
1965 Theorie der Willensfreiheit und frühe philosophische Schriften. Neuwied: Luchterhand 1965 [Sammelband Willensfreiheit]
1965:1
Arnold-Gehlen-Bibliographie (Teil I) 1965:2
2., neu bearb. Aufl. von: [Zeit-Bilder] -
1965:3
929
teilweiser Wiederabdruck unter dem Titel: On Politics and Freedom. In: The Human Context [Den Haag] VI (1974), S. 285-295
Wiederabdruck von: [Theorie der Willensfreiheit] in: [Sammelband Willensfreiheit]
Anthropologische Ansicht der Technik. In: Hans Freyer, Johannes Chr. Papalekas, Georg Weippert (Hrsg.), Technik im technischen Zeitalter. Stellungnahmen zur geschichtlichen Situation. Düsseldorf: Schilling 1965, S. 101-118
1965:4
1965:5 Wiederabdruck von: [Bedeutung Descartes' für eine Geschichte des Bewußtseins] in: [Sammelband Willensfreiheit] 1965:6 Wiederabdruck von:< 1962:3> [Begriff Technik in entwicklungsgeschichtlicher Sicht] 1965:7 Wiederabdruck von: [Descartes im Urteil Schellings] in: [Sammelband Willensfreiheit] 1965:8 teilweiser Wiederabdruck von: [Entwick,Jung der Anthropologie von der Philosophie zur Erfahrungswissenschaft] 1965:9
italienische Übers. von: [Ende der Persönlichkeit?]
1965:10 Die Imitation als Kunstwerk. In: Die BASF 15 (1965), H. 2, S. 60-64
-
französische Übers.: L'imitation, oeuvre d'art. In: Selection de Ia revue "BASF" 2 (1965), S. 84-88
-
englische Übers.: The imitation as a work of art. In: The BASF Digest 2 (1965), S. 84-88
-
Wiederabdruck unter dem Titel: Emile Galle- ein Meister des Jugendstils. In: Artis 5 (Mai 1966), S. 25-28
1965:11 Genese der Modernität- Soziologie. In: Hans Steffen (Hrsg.), Aspekte der
Modernität. Göttingen: Vandenhoeck o.J. [1965], S. 31-46
1965:12 spanische Übers. von: [Gleichheit] 1965:13 Wiederabdruck von: [Rezension: Jaspers' Philosophie] in: [Sammelband Willensfreiheit] 1965:14 Wiederabdruck von: [Über Kants Persönlichkeit] in: [Sammelband Willensfreiheit]
1965:15 Mensch und Technik in neuer Sicht. In: Pharmazeutische Zeitung 110
(1965), Nr. 24, S. 751-754
1965:16 Das Problem Mensch und Technik in neuer Sicht. In: Deutsche Apotheker Zeitung 105 (3.6.1965), Nr. 22, S. 724-727 1965:17 leicht veränderter Wiederabdruck von: [Resultate Schopenhauers] in: [Sammelband Willensfreiheit] 1965:18 Sport und Gesellschaft. In: Das große Spiel. Frankfurt a.M.: S. Fischer
1965, s. 22-33
59 Speyer 113
Karl-Siegbert Rehberg
930
1965:19 nicht voll identischer Wiederabdruck von: [Die Struktur der Tragödie] in: [Sammelband Willensfreiheit] 1965:20 Wiederabdruck von: [Wirklichkeitsbegriff des Idealismus] in: [Sammelband Willensfreiheit] 1965:21 Wiederabdruck von: [Idealismus und Existentialphilosophie] in: [Sammelband Willensfreiheit] 1965:22 leicht gekürzter Wiederabdruck von: [Der Idealismus und die Lehre vom menschlichen Handeln] in: [Sammelband Willensfreiheit] 1965:23 Einleitung. In: Sammelband Willensfreiheit , S. 7f.
-
Wiederabdruck in: GA2, S. 416ff.
1965:24 französische Übers. von: [Imitation als Kunstwerk] 1965:25 englische Übers. von: [Imitation als Kunstwerk] 1965:26 4. Aufl. von: [AF]
1966 1966:1
8. Aufl. von: [Mensch]
1966:2 Erörterung des Avantgardismus in der Bildenden Kunst. In: Avantgarde. Geschichte und Krise einer Idee. Gestalt und Gedanken. Bd. 11. Jahrbuch der Bayrischen Akademie der Schönen Künste. München: Oldenbourg o.J. [1966], S. 7797 1966:3 Unsere persönliche Freiheit - morgen. In: 5. Europäische Management Konferenz des CECIOS. München, 13.-16. Juni 1965. Vorträge und Diskussionsbeiträge. Sonderband der Zeitschrift .,management international". Wiesbaden: Gabler 1966, s. 157-162
1966:4
-
englische Übers.: Our Individual Freedom- Tomorrow. In: 5. Europäische Management Konferenz des CECIOS. München, 13.-16. Juni 1965. Vorträge und Diskussionsbeiträge. Sonderband der Zeitschrift .,management international". Wiesbaden: Gabler 1966, S. 163167
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französische Kurzfassung: Notre liberte individuelle dans 1e monde de demain. In: 5. Europäische Management Konferenz des CECIOS. München, 13.-16. Juni 1965. Vorträge und Diskussionsbeiträge. Sonderband der Zeitschrift .,management international". Wiesbaden: Gabler 1966, S. 169f.
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Wiederabdruck in: GA7, S. 79-87
englische Übers. von: [Unsere persönliche Freiheit- morgen]
1966:5 französische Kurzfassung von: [Unsere persönliche Freiheitmorgen] 1966:6
Wiederabdruck von: [Imitation als Kunstwerk)
Arnold-Gehlen-Bibliographie (Teil I)
931
1966:7 Los medios de difusi6n de masas en Ia Rept'iblica Federal Alemana. In: Revista espafiola de Ia opini6n pt'iblica 6 (octumbre- diciembre 1966), S. 39-48 1966:8 D.-H. Kahnweilers Kunstphilosophie. In: Festschrift für Daniel-Henry Kahnweiler. Stuttgart: Hatje 1966, S. 92-103 1966:9
9. Aufl. von: [Seele im technischen Zeitalter]
1967 1967:1
teilweiser Wiederabdruck von: [Über kulturelle Evolutionen]
1967:2 Hans Freyer. Zu seinem 80. Geburtstag. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29.7.1967 1967:3 Gesellschaft und Luxus. In: Zeitschrift Gold und Silber, Uhren und Schmuck, Stuttgart (Mai 1967), S. 73-75 [fehlerhafter Erstdruck]
1967:4
korrekter Wiederabdruck in: Baden-Württemberg [Rottweil] (1967), H.IO, S.4-12
Wiederabdruck von: [Gesellschaft und Luxus]
1967:5 Die gesellschaftliche Kristallisation und die Möglichkeiten des Fortschritts. In: Jahrbuch für Sozialwissenschaft 18 (1967), H. 112, S. 20-23
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italienische Übers.: Della cristallizzazione culturale. In: Il Mondo di Domani. Rom: Abete 1964, S.489-494 [vgl. Wiederabdruck: ]
1967:6 Leistungsbereitschaft, soziale Sicherheit, politische Verantwortung. Zusammenfassung des Kolloquiums. Veröffentlichung der Walter-Raymond-Stiftung. Bd. 8. Köln/Opladen: Westdeutscher Verlag 1967, S. 174-188 1967:7 Das Meinungsproblem. In: Bericht der Kommission zur Untersuchung der Wettbewerbsgleichheit von Presse, Funk/Fernsehen und Film. Bundestags-Drucksache V/2120 [28.9.1967], S. 251-254 [Sondervotum] 1967:8 Parole der Jungen: Lebe jetzt! In: Westermanns Monatshefte 108 (Mai 1967), H. 5., S. 5-12 [Sonderheft "Die jungen Männer"] 1967:9
Der Pluralismus in der Ethik. In: Merkur Nr. 227 (1967), S. 105-118
1967:10 italienische Übers. von: [Seele im technischen Zeitalter] 1967:11 Die Säkularisierung des Fortschritts. In: Säkularisation und Utopie. Ehracher Studien. Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag. Stuttgart u.a.: Kohlhammer 1967, s. 63-72 - Wiederabdruck in: Einblicke, S. 56-68
59.
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Wiederabdruck in: GA7, S.403-412
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italienische Übers.: La secolarizzazione del progresso. Traduzione di Ubaldo Fadini. In: La Politica 1 (1985), H. 1, März 1985, S. 5361
Karl-Siegbert Rehberg
932
1967:12 Zwangsläufigkeit oder Gestaltung. Hrsg. v. d. C. Rudolf Poensgen-Stiftung
e.V. 0.0., o.J. [1966], S. 5-22 -
Wiederabdruck in: GA 7, S. 223-235
1967:13 10. Aufl. von: [Seele im technischen Zeitalter] 1967:14 5. Aufl. von: [AF] 1967:15 Hans Freyer. Zu seinem 80. Geburtstag. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29.7.1967
1968 1968:1 Bücher und Menschen. In: Westermanns Monatshefte 109 (1968), H. 4, S. 59 (Sonderheft .,Bücher heute"]
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< 1969:2> Wiederabdruck in: Bücher und Menschen. Berlin/Frankfurt a.M.: Mergenthaler 1969, S. 28-36
1968:2 Ein anthropologisches Modell. In: The Human Context [Den Haag] 1 (1968), Nr. 1, S. 1-10
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englische Übers.: An Anthropological Model. Trans!. by Gerald Onn. In: The Human Context [Den Haag] 1 (1968), Nr. 1, S.ll20
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französische Kurzfassung: Un Modele Anthropologique (Sommaire). Übers. v. Jean-Claude Mougne. In: The Human Context [Den Haag] 1 (1968), Nr. 1, S.21
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Wiederabdruck in: GA4, S. 203-215
1968:3 Zu den Problemen der Hochschulreform und der Unruhe unter den Studenten. In: Unternehmer und Bildung. Veröffentlichungen der Walter-Raymond-Stiftung. Bd. 10. Köln/Opladen: Westdeutscher Verlag 1968, S. 27-36
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Wiederabdruck in: GA7, S. 311-320
1968:4 Wiederabdruck von: (Soziologische Voraussetzungen im gegenwärtigen Staat] 1968:5
Das Menschenbild und die darstellenden Künste. In: Artis (Nov. 1968),
1968:6
6. Aufl. von: [AF]
1968:7
englische Übers. von: [Ein anthropologisches Modell]
1968:8
französische Kurzfassung von: [Ein anthropologisches Modell]
S.ll-14
Arnold-Gehlen-Bibliographie (Teil I)
933
1969 1969:1 Moral und HypermoraL Eine pluralistische Ethik. Frankfurt a.M.: Athenäum 1969
1969:2
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2., unveränd. Aufl. Frankfurt a.M.: Athenäum 1970
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3., verb. Aufl. Frankfurt a.M.: Athenaion 1975
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4. Aufl. Frankfurt a.M.: Athenaion 1981
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5. Aufl. Nachdruck der 4. Aufl. Wiesbaden: Aula 1986 [Teilaufl. in Kassette "Studienausgabe der Hauptwerke" gemeinsam mit der 13. Aufl. von "Der Mensch" und der 5. Aufl. von "Moral und Hypermoral'' ]
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teilweiser Wiederabdruck: Apologie der Macht. In: Erwin Menne, Werner Trutwin (Hrsg.), Einladung zur Philosophie. Philosophisches Kolleg. Arbeitsmaterialien für den Philosophieunterricht. Sekundarstufe II. Düsseldorf: Patmos 1976, S. 80-81
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teilweiser Wiederabdruck [S. 125-129] unter dem Titel: Zweyerlei Regiment. In: Hermann Glaser und Kar! Heinz Stahl (Hrsg.), Luther gestern und heute. Frankfurt a.M.: Fischer 1983
Wiederabdruck von: [Bücher und Menschen]
Wiederabdruck von: [Das Bild des Menschen im Lichte der modernen Anthropologie]
1969:3 1969:4
Aktuelle gesellschaftspolitische Probleme. In: Contact [Köln] (1969), H. 3,
1969:5
Religion und Ethik. In: Merkur Nr. 258 (1969), S. 902-917
s. 158-163
Die Philosophie des Kubismus. Zu Daniei-Henry Kahnweilers "Juan Gris". In: Merkur 23 (1969), S. 293-296 [Rez.]
1969:6
1969:7
11. Aufl. von: [Seele im technischen Zeitalter]
1970 1970:1
2., unveränd. Aufl. von: [Moral und Hypermora1]
Philosophische Anthropologie und Verhaltensforschung. In: Akten des 14. Internationalen Kongresses für Philosophie. 2.-9. September 1968 in Wien. Wien: Herder o.J. [1970], S. 3-8
1970:2
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Wiederabdruck in: Studien2, S. 65-71
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Wiederabdruck in: GA4, S. 216-221
Karl-Siegbert Rehberg
934 1970:3
Von der Arbeit der Frau gestern und heute. In: BASF-Kalender März 1970
1970:4 Die Chancen der Intellektuellen in der Industriegesellschaft In: Neue Deutsche Hefte Nr. 125 (1970), S. 3-15
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teilweiser Wiederabdruck in: Die Ideengeschichte ist abgeschlossen. In: Rheinische Post Nr. 106 (8.5.1970)
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Wiederabdruck in: Einblicke, S. 25-38
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Wiederabdruck in: GA 7, S. 267-278
1970:5 teilweiser Wiederabdruck von: [Chancen der Intellektuellen in der Industriegesellschaft]
[als Herausgeber:] Hans Freyer, Gedanken zur Industriegesellschaft. Besorgt von Arnold Gehlen. Mainz: v. Hase & Koehler 1970 [darin: Vorwort, S. 5, und Nachwort, S. 213]
1970:6
1970:7 Methodisches Vorgehen im Grenzgebiet von Anthropologie und Soziologie. In: Soziologen-Korrespondenz [Aachen] I (1970), H. 2/3, S. 13-22 1970:8 japanische Übers. von: [AF] 1970:9 japanische Übers. von: [Zur Systematik der Anthropologie] 1970:10
12. Aufl. von: [Seele im technischen Zeitalter]
1970:11
7. Aufl. von: [AF]
1971 1971:1
9. Aufl. von: [Mensch]
1971:2 2., durchg. und veränd. Aufl. von: [Studien zur Anthropologie und Soziologie]
Philosophische Anthropologie. In: Meyers Enzyklopädisches Lexikon. Bd. 2. Mannheim/Wien/Zürich: Bibliographisches Institut. 9 1971, S. 312-317
1971:3
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Wiederabdruck in: GA4, S. 236-246
1971:4 Wiederabdruck von: [Philosophische Anthropologie und Verhaltensforschung] in: [Studien2] 1971:5
Wiederabdruck von: [Asyle] in: [Studien2]
1971:6 Wiederabdruck von: [Zur Systematik der Anthropologie] in: [Studien2] 1971:7
gekürzter Wiederabdruck von: [Ein Bild vom Menschen]
1971:8 Wiederabdruck von: [Soziologische Aspekte des Eigentumsproblems in der Industriegesellschaft] in: [Studien2]
Arnold-Gehlen-Bibliographie (Teil I) 1971:9
935
Was ist deutsch? In: Neue Deutsche Hefte Nr. 129 (1971), S. 3-16 -
Wiederabdruck in: Einblicke, S. 100-114
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Wiederabdruck in: GA7, S.413-424
1971:10 Dankrede. In: Mut zur Verantwortung. Eine Dokumentation zur KonradAdenauer-Preisverleihung. Hrsg. v. d. Deutschland-Stiftung e. V. Breitbrunn: [Selbstverlag] 1971, S. 38ff. [vgl. ]
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Der gerade Weg zu immer neuen Zielen. In: DeutschlandMagazin (1971), Nr. 3, S. 19
1971:11 Wiederabdruck von:< 1956:2> [Ende der Persönlichkeit?] in:< 1971:2/ 13> [Studien2] 1971:12 teilweiser Wiederabdruck von: [Seele im technischen Zeitalter] 1971:13 Wiederabdruck von: [Formen und Schicksale der Ratio] in: [Studien2] 1971:14 Wiederabdruck von: [Geburt der Freiheit aus der Entfremdung] in: [Studien2] 1971:15 Wiederabdruck von: [Industrielle Gesellschaft und Staat] in: [Studien2] 1971:16 Wiederabdruck von: [Über kulturelle Kristallisation] in: