Zur fünfzigjährigen Jubelfeier der neuen Philosophie: Aphorismen über den Geist der Philosophie seit Kant, so wie über die Idee der Logik oder Wissenschaftslehre 9783111478913, 9783111111902


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Vorwort und Einleitung
I.
II.
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Zur fünfzigjährigen Jubelfeier der neuen Philosophie: Aphorismen über den Geist der Philosophie seit Kant, so wie über die Idee der Logik oder Wissenschaftslehre
 9783111478913, 9783111111902

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Z u r

fünfzigjährigen Jubelfeier d e r

neuen

Philosophie.

Aphorismen über

den Geist der Philosophie seit Kant, so wie über

die

Idee

der

Logik

oder

Wissenschaftslehre, von

Dr. Eduard

Schmidt,

Privatdocenten der Philosophie an der Universität Rostock.

Berlin, 1831. G e d r u c k t bei

G.

und

v e r l e g t

Reimer.

L o g i c a , quae in abusn est, ad errores, qni ift notionibus rulgaribus fandantnr, stabiliendos et figendos valet potius quam ad inquisitionem veritatis, ut magis danmosa sit quam utilis. Restabat illud nnum, ut res de integro tentetnr, melioribus praesidiis, ntque fiat scientiarum et artium, atque omnia humanae doctrinae in uniTersam instanratio. Praestat enim, principinm dare rei, quae exitam habere possit, qnam in iis, quae eadtum nullum habent, perpetua contentione et stadio implicari. Baca.

Vorwort und Einleitung. ^Prüfet die Geister! — gebietet uns die Lehre, welche uns den Einen wahren Geist offenbarte — nnd glaubet nicht einem jeglichen Geist! — Und wahrlich, es ist noth, dafs sie den Menschen warne; denn es sind mancherlei Geister, die da9 Menschengeschlecht bewegen, «ind bald hierhin, bald dorthin führen.

Aber nicht alle Geister sind von Gott; viele sind, in de-

nen wir nur dienende Wesen des Geistes der Thorheit und der Lüge erkennen können; nnd diejenigen, welche sich diesen Geistern ergeben, sich nmhertreiben lassen von jedem Winde der Lehre (weil jener Geist geschickt genug die Gestalt ihrer eigenen Verkehrtheit anzunehmen weifs) — sie sehen zn

6pät

6ich in das Verderben gestürzt, dem sie durch vorsichtige Prüfung hätten entgehen können.

Doch aber waltet auch durch

alle Irrungön hindurch ein Geist des Guten und der Wahrheit, — der gläubige Sinn nennt ihn Vorsehung, — und auch seine dienenden Engel wirken, wenn gleich still, doch sicher auf die Gemüther, welche ihre Eingebungen zu verstehen nnd aufzunehmen wissen. —

Welche nun von den verschiedenen

Geistern, deren Wirken sich zu jeder Zeit in allem Denken nnd Thun der Menschen offenbart, von Gott seyen, welche dem Geiste des Bösen angehören 1 — das zn wissen, ist es, worauf es ankommt, nm uns in nnserm eigenen Thnn zu bestimmen, und uns dem einen oder dem andern derselben anheim zn geben.

Darum also, wenn es doch nicht gleichgültig

ist, welchen von ihnen wir folgen, ist es nothwendig, die GeiSchmidt's Aphorismen.

|

4 ster in prüfen, den Geist der Zeit ins Auge zu fassen, um zu erkennen, was an ihm von Gott, was ungöttlich sey. Man hat mit Recht von dem Erscheinen der /iani'sehen Philosophie ftn, das Beginnen einer neuen Periode in der Geschichte der Bildung des menschlichen Geistes datirt.

Sehen

wir nun ab von der Verschiedenheit der Meinungen und Standpunkte, von denen aus man jenen Abschnitt als so höchst wichtig ansehen zu müssen geglaubt hat, indem nämlich die einen diese, die andern jene Seite der Äani'schen Lehre für die wesentliche erklärt,

und von ihr

das Ausgehen

des neuen

Geistes hergeleitet haben, so liegt doch in dem allgemeinen Zugeständnisse, dafs jene Lehre einen neuen Abschnitt anfange, die Anerkennung, dafs sie gewisse grofse und eigentümliche Ideen ins Daseyn gerufen habe, die der menschlichen Bildung eine wesentlich neue Richtung gaben; Worte,

mit Einem

man erkennt an, dafs in der Philosophie seit Kant

ein neuer Geist wehe, dessen Einflufs auf die Menschheit von ernster, wichtiger Bedeutung sey.

Dauert nun dieser Einflufs

auch auf unsere Zeit fort, ist er einer der Geister, die auch in nnsern Tagen mit unsichtbarer Gewalt die Denk- und Handlungsweise der Menschen bestimmen, — und wer konnte den unendlichen Wirkungskreis der neuen Philosophie läugnen! — so haben auch wir das Recht, ja die Verpflichtung, diesen Geist zu prüfen, ihn zn fragen, welchem Princip er diene, und mit welchem Vertrauen wir uns seiner Leitung hingeben dürfen. Es sind jetzt fünfzig Jahre verflossen, seit mit dem E r scheinen der Kritik der reinen Vernunft die neue Richtung des philosophirenden Geistes hervorzutreten begann, ein halbes Jahrhundert schon haben die Wirkungen derselben nach mannichfachen Seiten hin die Zeit bewegt und durchdrungen.

Ein al-

ter, zugleich heilsamer und frommer Brauch lehrt uns, mit besonderer Aufmerksamkeit den Ablauf von dergleichen Zeitab-

5 schnitten zn beachten, und am Ende von Jahren, noch mehr aber von ganzen und halben Jahrhunderten, den Beginn neuer Unternehmungen und Ergebnisse zn feiern.

Solehe Feier soll

uns einen der Betrachtung gewidmeten Ruhe- und Haltepunkt geben, der den Ernst des Geistes, der freilich stets auf unsere Unternehmungen gerichtet seyn sollte,

aber im alltäglichen

Gange des gewöhnlichen Lebens nur zu leicht einschlummert, wach erhalte und stärke, uns rückblicken lehre "auf das, "was von nns gethan ist nnd gethan werden soll, und auf den Geist, mit dem das betreffende Unternehmen begonnen und fortgeführt worden ist; — auf dafs wir uns fragen, ob, und in wiefern wir fortwirken in dem Geiste, mit welchem das betreffende Unternehmen von grofsen Vorgängern angefangen worden ii dafs- wir aber auch diesen Geist selber prüfen, ob er von Gott sey, und ob oder wie überhaupt wir fernerhin in und mit ihm fortwirken sollen und dürfen.

Haben wir nnn sofche Betrach-

tungen auch auf den Geist der neuen Philosophie zu richten, so werden wir dazu keinen günstigem und angemessenem Zeitpunkt finden können, als eben den jetzigen, wo uns der Verlauf einer fünfzigjährigen Wirksamkeit derselben recht eigentlich dazu aufforderte. Aber, wird man sagen, sollte es einer solchen Prüfung der neuen philosophischen Richtung jetzt noch bedürfen"?

hat

nicht über dergleichen, nämlich über die Bedeutung und Absicht der neuen Philosophie, so wie über den Werth und Unwerth derselben längst unsere Zeit entschieden? eine Zeit, die zu so unendlich reichhaltiger und lebendiger philosophischer Thätigkeit, also auch zu genügsamer Prüfung durch dieselbe angeregt worden ist; — weifs nicht jeder jetzt, was

Kant,

was seine Nachfolger wollten 1 und was in diesen Bestrebungen das Wesentliche und Eigenthümliche sey > ' . und welche Früchte wir aus denselben geerndtet, welche noch zu erwarten haben "l —

6 Hier nnn, eben in diesen Einwiirfen, 1i.nden wir den Punkt beriihrt, der, statt nnsere Untersnchungen iiberlliissig zu machen, sie gerade rechtfertigen mufs. Denn freilich ist es wahr, dafs durch die ldeen der Kant'schen Werke ein Leben und eiue Thiitigkeit der philosophirenden Vernnnft anfgeregt Worden ist, wie sie kaum in der Bliithezeit griechischer Philosophie sich findet, dafs auch eine bewnndernswiirdige Regsamkeit in der Priifung des Fiir und Wider sich geanfsert hat, die leider vielleicht nur allzu grofs, nii.mlich leideuschaftlich, _war; aber dessenungeachtet kann der Unpartheyische nicht mnhin, sich zu gestehen, dafs die Resµltate, welcho zu erwarten waren und sind , der nenen Philosophie nicht zu Theil geworden sind. Denn, anch abgesehen davon, dafs jene Thiitigkeit der Wissenschaft , je grofser sie war, bald einer um so arg;ern Lassigkeit Platz machte, indem, so bald politische Ilegegni:.se Wichtigkeit fiir die deutsche Nation gewannen, fast alle philosopbische Bestrebungen verstummten, alle Untersuchung·en auf dem geradc gcgeuwiirtigcn Punkte, ohne Erlangung eiues Resnltates, belasseu wnrden , nnd alle Partheyen in nnversohnter Stelhmg g;egen einauder beharrten, so da!s erst jetzt einigerrnafseu wieder der philosophische Geist erwacht ist; - so ist anch namentlich iiber den geg·euwiil'tig in Frage stehenden Pnnkt nirg·ends cine Klarheit oder gar Uebereinstimnmng der Ansichten zn erblicken. Was denn cigentlich die neue Philosophie wolle, nnd was fler Dcnkuugsart uuserer Tage wesentlich, besonders al1er, was ihr noth sey, - dariiber finden wir entweder gar keine, oder die allerwidersprechendsten Ansichten -verbreitet. Denn bei allen denen, welche nicht eigends die Philosophie zum Geschaft haben, nnd selbst bei den meisten derer, die anf philosophische Bildung Ansprucli machen , isl kaum d11s Ilewufstseyn vorhanden, dttfs sich die neue Denkweise in etwas wesentlichem von der alten nuterscheidc, ihnen i~t nicht rinmal die Ahnun/!" des Bediirfnisses einer amlem

7 Weise zw denken aufgegangen. In die Behandlung dor übrigen Wissenschaften ist noch kein anderer Geist gedrungen \ man ßuclit dergleichen vielmehr geflissentlich zu vermeiden, weil man eben alle die Vornrtheile, welche die alte Philosophie mit Recht gegen sich erregte, ohne Unterschied anch auf die neue übertragen zu müssen glaubt; man redet wohl mitunter von nenen philosophischen Ansichten, ober man verfahrt nach den alten, als wenn nichts vorgefallen wäre. Sehen wir doch eelbst diejenigen, welche Ausbildner und Lehrer der neuen Philosophie zu seyn, also den Geist derselben zn repräsentiren glauben, in den hauptsächlichsten Mängeln der alten befangen! — Was aber diejenigen anlangt, welche die Bedürfnisse der neuem Zeit zum Theil erkannt haben, und den Geist der Philosophie, welche ihnen abzuhelfen bemühet ist, zu verstehen nnd zu würdigen wissen: so herrschen auch unter diesen die gröfsten Verschiedenheiten, nnd nnversöhnbar scheinende, wenigstens unversöhnte, Gegensätze, Denn während die einen in dem Kriticismus, die andern in dem Skepticismns das wesentliche nnd nothwendige Element der Äani'schen Philosophie erblicken, wollen andere den von Kant aufgestellten BegrilF des Sejns, andere den transcendentalen Idealismus, noch andere die Idee dps anschauenden Verstandes n. s. f. dafür angesehen wissen. Ist es nun auch vielleicht ganz und gar nicht unmöglich, diese verschiedenen Ansichten zu vereinigen, und alle diese entgegengesetzt scheinenden Elemente für vereinbare, nnd vereinigt erst Vollständigkeit gebende, Glieder oder Seiten einer und derselben Ansicht zu erkennen: — 60 weiset doch der Umstand, dafs diese Versöhnung noch nicht geschehen ist, auf bedeutende Mißverständnisse hiu, die nur durch tiefere •Nachforschung ihres Grundes zu heben seyn dürften. Ist also auf der einen Seite der Geist der neuen Philo-, ßophie noch dem gröfsten Theile der Zeitgenossen fremd geblieben, auf der andern Seite aber von dem kleinem Theile

8 —- wenigstens muthmafslicher Weise

mißverstanden, einsei-

tig gefafst, oder vielleicht auch völlig verkannt; — so dürfen wir es keineswegs als überflüssig erkennen, wenn über die ursprüngliche Idee nnd Absicht jenes Geistes Nachforschungen versucht würden, selbst wenn die Resultate derselben nur Bestätigung schon bestehender Ansichten enthielten; — sie könnten wenigstens eines Theils Erinnerungen und Verständigungen für diejenigen darbieten, denen der Geist noch ganz fremd geblieben ist, andern Theils Andentungen über die Möglichkeit einer Versöhnung der noch feindlichen entgegenstehenden Ansichten. Hier aber tritt uns, ehe wir an diesen Versuch gehen, mit ernster Mahnung ein Vorwurf in den Weg, den wir weder umgehen können noch wollen.

Wer einen Geist zu be-

schwören unternimmt, scheint ohnstreitig voraus zu setzen, dafs er desselben auch mächtig sey.

Mit welchem Rechte nun dür-

fen wir es wagen, den Geist der Philosophie zu rufen? wie uns anmafsen, seiner mächtig zu sevn? — wie dürfen wir, deren Namen die "Welt nicht kennt, uns rühmen, jene Männer, welche die Lehrer des Jahrhunderts geworden sind, verstanden zn haben und benrtheilen zn können? ein Verstiindaifs, welches wir so anmufslich andern absprechen? Müfsten wir uns überzeugen, dafs ein solcher Gesichtspunkt, unser Unternehmen zu betrachten, wie der eben geschilderte ist, der richtige sey, so könnten wir freilich nicht umhin, nnser Beginnen für ein höchst anmafsliches und übermüthiges zu erkennen, für einen Versuch eingebildeter Selbstgefälligkeit, uns iu eine und dieselbe Reihe mit den grofsen Männern unsers Zeitalters zu stellen; — aber man wird leicht sehen, dafs dies keineswegs der Fall ist, indem wir keine andere Voraussetzung machen, als die jeder bei eiriern jeden öffentlichen Thun macht, uns im geringsten nichts mehr anmafscu, als was jeder in allen seinen Handlungen sich anmafsen

9 nrafs.

Denn es kann niemand auf Gehe Zeit wirken, der sie

nicht versteht, ein jeder kann nur in dem Mafse Einflufs auf sie haben, in welchem er sie verstanden hat.

Wer also in den

Gang der Zeit thätig eingreifen will — und das ist jedes Mannes Pflicht — wer anch seinerseits die allgemeinen Zwecke der Menschheit zu fördern- versucht, kann dies nur in der Voranssetzung unternehmen, seine Zeit mit ihren Bestrebungen und Bedürfnissen, wenn auch nur unvollkommen, begriffen zu haben.

Denn wer da mitreden will, mufs wissen, wovon die

Rede 6ey, mufs den Inhalt, den Geist dessen kennen, was verbandelt wird; im Gegentheile ist seine Rede und sein Handeln unnütz, unpassend, gehört nicht in die Zeit, nnd wird mit Recht als Thorheit bei Seite geschoben.

Sofern nun der

Mensch bestimmt ist, bewufst, nicht instinktmäfsig, zu handeln, so ist es Pflicht für jeden, über jenes Verstehen oder Begreifen sich Rechenschaft zu geben, zum klaren Bewufstseyu sich zu bringen, welcher Geist es sev, in dessen Elemente er sich befinde, und in welchem er fortzuwirken gedenke.

Haben also

wir es versucht, uns über den Geist der Philosophie unserer Zeit Rechenschaft zu geben, so haben wir uns dadurch nicht über dieselbe gestellt; wir haben vielmehr nur versucht, uns in dieselbe einzuführen, und zu unserer eigenen Verständigung und Leitung uns klar zn machen, in welchem Geiste gewirkt werde und gewirkt werden müsse, nach welchen Gesichtspunkten also auch wir die Grundsätze für unser eigenes Wirken zu bestimmen haben.

Und sollte es nicht zu entschuldigen, ja

sogar zu billigen seyn, dafs jemand, der in die Wissenschaft fördernd einzugreifen Verlangen trägt,

auch ausspreche, in

welchem Geiste er diefs thun zu müssen glaubt, und dafs er diese seine Grundsätze der öffentlichen Prüfung vorlege, wo ihm dann Belehrung und Zurechtweisung von Erfahrenem zu Theil werden kann, die er, ohue dieses, entbehren müfste? — Sprechen wir so unsere Ansichten aus, 60 setzen wir nicht

10 voraus, dafs wir des Geistes der neaen Philosophie, sondern vielmehr eigentlich,

dafs derselbe unser mächtig sey5

denn

nicht wir haben bis dahin den Geist unserer Zeit, sondern dieser hat uns gebildet.

Ob nun aber,

und wie weit jenes der

Poll ist, darüber steht uns billig kein weiteres Urtheil zn. Werfen wir nun einen Blick auf die Gegenstände, welche zu einer vollständigen und vollkommen würdigen Feier des Andenkens an den Begründer und Erwecker der neuen Philosophie erörtert zu werden verdienten, und deren Betrachtung auch noch für die nächste Zeit zu den hauptsächlichsten Interessen der Wissenschaft geboren mufe, — so möchten sich dieselben auf folgende Fragen zurückführen lassen: I. W a s wollte die neue Philosophie? welches war die Aufgabe, die sie sich stellte? Ziel vorschwebte?

welches die Idee, die ihr als



II. Welches waren die Gründe für diese neue Unternehmung? oder die Veranlassungen, kommen?

auf den Gedanken dazu zu



III. W i e verhält sich die Aufgabe der neuen Philosophie zur Idee oder Aufgabe der Philosophie im Allgemeinen ?



IV. Wie weit und wie hat die neue Philosophie bisher ihre Aufgabe gelöset ?



V . Wird sie dieselbe lösen, wenn es nicht schon geschehen ist? und wie kann sie e s ?



VI. W a s ist es für eine Wissenschaft,

die uns die Mittel

und Wege zur Lösung an die Hand giebt? diese beschaffen seyn?

wie mufs



E s kann niemanden entgehen, in welch' einen unendlich weiten Kreis von Untersuchungen diese Fragen uns die Aussicht eröffnen, in eineu Kreis, den, auch bei dem glücklichsten Fortgange, kaum die angestrengten Bemühungen von Jahren würden erschöpfen könuen.

Denn beachten

wir genauer den

11 Sinn unserer Fragen, so finden wir, dals z.B. die fünfte derselben alle9 das enthalt, anf dessen Beantwortung stets die ganze Wissenschaft hingearbeitet hat, welche in unsern Zeiten Kritik der Vernunft, Fundamental- oder Elementarphilosophie, Wissenschaftslehre, erste Logik, Erkenntnistheorie, Phänomenologie u. s. w. genannt worden ist. Ingleichen würde die Beantwortung unserer vierten Frage eine Tollständige, und zwar zugleich beortheilende, Geschichte der ganzen neuen Philosophie seit Kant erfordern. Kann es nun freilich nicht unsere Absicht seyn, schon hier alles dieses zu leisten, so dürfen wir uns doch auf der andern Seite nicht verhehlen, dafs alle diese Fragen in einem notwendigen, engen, und nicht willkührlich zu trennenden Zusammenhange stehen. Denn so lange uns nicht die Beantwortung der fünften Frage Anfschlufs gegeben hat, ob überhaupt und wie die Lösung ihrer Aufgabe, oder die Erreichung ihrer Idee für die neue Philosophie möglich sej: mn£s jede Beantwortung der übrigen Fragen sehr problematisch bleiben. Denn wenn auch die Gründe für das Unternehmen der neuen Philosophie noch so triftig waren, und sich selbst zeigen liefse, dafs ihre Idee ganz mit der der Philosophie überhaupt eine und dieselbe sey: — so würde doch immer noch au der Ausführbarkeit derselben, so wie an der Möglichkeit der Philosophie überhaupt eiu Zweifel nachbleiben können. Eben so würde nur die Lösung der vierten Frage uns historisch die Bestätigung geben können, dafs das, was wir für Geist und Wesen der neuen Philosophie ausgeben, sich auch wirklich in den Werken derselben finde. — Nehmen wir also für jetzt uns nur die Beantwortung der einen oder der andern Frage zum Gegenstande, so dürfen wir uns diefs nur als den Anfang gröfserer Unternehmungen erlauben, in der vorausgesetzten Absicht, weiterhin auch die Beantwortung der übrigen zu versuchen, und uns bescheidend, dafs ohne diese, auch jene ersteie nur für unvollständig und problematisch gelten kann.

12 Setzen wir also für jetzt die vierte und fünfte obiger F r a g e n bei Seite, sie für die nächsten Fortsetzungen unserer gegenwärtigen Betrachtungen bestimmend (welches wir uns wohl e r lauben dürfen, indem wir zur Beantwortung der fünften,

als

der ohnstreitig wichtigsten von allen, schon den Anfang eines Versuches gemacht h a b e n * ) , die der vierten aber mit der Zeit In einer Schrift

„ ü b e r die Bedeutung und die Resultate

der

neuen Philosophie" zu leisten hoffen): so werden wir jetzt zuvörderst über den Geist der neuen Philosophie zu reden haben, welches wir nicht können, ohne zugleich die Veranlassungen, welche die Idee derselben erweckten,

und in denen zugleich

die Gründe für dieselben liegen mufsten,

zu erörtern.

diese Gründe nun aber nur darauf beruhen können,

Da

dafs die

Idee der neuen Philosophie von deren Begründern für die Idee der Philosophie überhaupt gehalten wird (denn wäre das nicht der F a l l gewesen, 60 hätten sie j a derselben nicht nachgehen dürfen, sondern eine andere suchen müssen): so müssen wir nothwendig, in der Entwickelung dieser Gründe, Verhältnifs

zugleich das

der Idee der neuen Philosophie zu der Idee der

Philosophie überhaupt,

und,

sofern wir mit den Begründern

jener einstimmig 6ind, die Identität beider Ideen nachweisen. E s fliefsen sonach die Gegenstände der drei ersten Fragen in eine einzige Betrachtung zusammen,

und werden den Inhalt

der ersten Abtheilung unserer gegenwärtigen Bemerkungen ausmachen.

F ü r die zweite Abtheilung bleibt sodann noch die

letzte der oben genannten F r a g e n übrig: welche Wissenschaft es sey, nnd von welcher Art, die uns Aufschlufs gebe über die Möglichkeit der Idee, welche sowohl der neuen Philosophie ihre Aufgabe gestellt hat, als auch der Philosophie im Allgemeinen stets vorschwebt.



*) In der Schrift: Ideen zu einer erneuerlen Kritik der V e r nunft, i . Theil: oder Erster Versuch einer Theorie de» Gefühls. Berlin bei Reimer, 1831.

13

I. F r a g e n wir also zuerst nach dem Sinne und der Bedeutung, welche die uene Philosophie in der Geschichte des menschlichen Geistes erhalt, nach dem Geiste, der sie dnrchdringt und belebt, und der organisch von innen heraus ihre Formen gebildet hat, und suchen wir nach einem Worte, welches ihn ausspreche, nach einer Formel, welche ihn uns banne, ihn heraufrufe und festhalte, dafs er uns Rede stehe und sich zu erkennen gebe, so werden wir eine solche nicht sicherer finden, als in den Aussprüchen, deren sich die Meister der neuen Philosophie selbst zur Bezeichnung ihrer Absicht bedienen; das Wort, welches zuerst jenen Geist ins Dasein, oder wenigstens zur Wirksamkeit rief, wird auch fernerhin das dienlichste sejn, ihn zu bezeichnen und dem Zeitalter zu vergegenwärtigen, oder gar, wenn es so gebilligt werden sollte, ihn festzuhalten und in seiner Wirksamkeit zu bestärken nnd zu fördern. Und hier nun begegnet uns sogleich jenes gewichtige, grofse Wort Kernt's *), welches kurz alles das, was wir suchen, uns zu enthalten scheint: „es sey nicht abzusehen, wie wir zu einem nothwendigen Wissen gelangen könnten, wenn sich unsere Erkenntnisse nach der Beschaffenheit der Gegenstände, und nicht vielmehr diese sich nach der Art und Weise unseres Erkennens richten mü/sten." Wir glauben nicht zu irren, wenn wir in diesen wenigen Worten das Wesen, die Grundidee der ganzen neuen Philosophie ausgesprochen erblicken; — bevor wir hievon jedoch die Gründe angeben, ist es nöthig, näher zu betrachten und zu entwickeln, *) Vergl. Kritik der reinen Vernunft. Vorrede zur II. Auflag«.

14 was für Momente diese Ansicht enthüll, und wie sie sich gestalten raufste. Zuvörderst spricht sich in jonen Worten Kant's die Idee eines Denkens aus, welches nicht fremden, sondern nur eigenen Gesetzen gehorchen will, welches sich selbstständig zu machen strebt, und frei von den Bestimmungen, die ihm äufsere, ihm selbst fremde Objekte aufdringen wollen; eines Denkens, welches sich seines eigenen Werthes bewufst geworden, und seine höhere Abkunft erkennend, das Joch halst, mit dem man es, das geistige, lebendige, unter die unbedingte Herrschaft materieller, todter Gegenstände zu zwingen meint. Ja, es fühlt 6ich wohl selbst stark und erhaben genug, nicht blofa selbstständig, sondern auch selbst wiederum gebietend zu werden; nicht blofs sich selbst, sondern auch für anderes, für seine Objekte, Gesetze vorzuschreiben. Ohngefähr in diesem Sinne drückt ein Ausspruch Reinhold's den obigen ¿Tonischen Gedaukcn aus, nur schon bei weitem unvollkommner und ein« seitiger aufgefafst, — wie denn nur zu häufig die schönsten Ideen, je weiter vom Qnell, desto mehr 6ich trüben, — in welchem es heilst: „dafs es uns nicht darauf ankomme, die Dinge zu erkennen, wie sie wirklich nnd an sich sind, sondern wie wir sie uns vorstellen müssen." — Man sieht, wie hier freilich das Bewufstseyn, keiner fremden Gesetze zu bedürfen, festgehalten, dagegen aber jenes andere, Selbst wiederum den Objekten Gesetze vorschreiben zu können, aufgegeben ist; dahingegen oben zwar das eine, dafs das Denken nur den eigenen Gesetzen des Geistes gehorche, gefordert, dadurch aber keinesweges das andere, dafs nämlich auch die Objekte sich jenen Gesetzen unterwerfen, d. h. auch so wirklich Seyen, nicht ausgeschlossen wird. Es bedarf wxihl kaum der Erinnerung, dafs eine Denkweise, welche den eben entwickelten Ansichten folgt, nichts anders als Idealismus sejn kann. Ein Denken, welches das

15 Kriterinm von äuisern, gegebenen, oder vielmehr sich aufdringenden, Gegenständen nicht anerkennt, durch dieselben, wenn es auch ihr Daseyn nicht bestreitet, nicht bestimmt werden will, sondern nnr in sich selbst sein Gesetz zu tragen behauptet, durch welches es über eine Forderung, wie die der Uebereinstimmung mit Objekten ist, erhoben werde, — kann nicht anders als mit jenem Namen bezeichnet werden. Dagegen war alle Philosophie vor Kant wesentlich Realismus (selbst die Systeme, welche in andcrm Sinne den Namen Idealismus fuhren), d. h. sie erkannte gegebene, vom Denken unabhängige, nnd mit demselben unvereinbare Gegenstände als das Vorstellen nothwendig bedingend an (es mochten diefs nun wirkliche, reale Objekte, oder blofee, doch aber von rms nnabhängig erzeugte Vorstellungen seyn); diese galten als Kriterium fiir das Denken t di& Uebereinstimmung mit ihnen war WaKrheit. Ein zweiter Hanptcharakter der nenen Ansicht, wie sie sich in dem erwähnten Ausspruch darstellt, ist, dafo sie nothwendig von Untersuchungen der menschlichen Natur ausgehen mufste. Alle neue Philosophie war daher eben so wesentlich zugleich Kriticismusj d. h. sie mufste durch die Kenntnifa des menschlichen Denkens nnd Erkennens sich über die Möglichkeit und die Art und Weise ihrer Unternehmungen Rechenschaft geben. Ist nämlich das Denken selbst es allein, welches sieh für sein Verfahren die Gesetze giebt, so kann natürlich niehts passender, als die Betrachtung der denkenden Natur, des Erkenntnisvermögens, uns diese Gesetze und Regeln zum Bewnfstseyn bringen, nnd uns zum bewufsten nnd selbstthätigeH Befolgen und Ausüben derselben leiten; die Kenntnjfs: von Gesetzen ist zu ihrer Befolgung, wo nicht niienibehrlich, doch höchst förderlich, sie mufs zn dieser die Bahn, wo nicht brechen, doch ebenen. .Daher machte stets die Erkonntoifslheorie einen der hauptsächlichsten Theile in den neuern

16 Systemen ans: durch Kritiken der Vernunft, Theorieen des Vorstellungsvermögens, Erörterungen des Begriffes vom Ich, oder von der absoluten Venranft, oder auch des reinen Begriffes 6elbst, suchte man ganz folgerichtig die Systeme selbst einzuleiten und zu begründen. Ging man nnn hierin freilich wieder zu weit, in sofern, dais man die Einleitung oder Kritik meistens zur Metaphysik, die Psychologie zur Philosophie machte: so fehlte es doch anch nicht an Stimmen — als deren Repräsentanten wir Herbart nennen müssen — , welche das BewnJstseyn des richtigen Verhältnisses wach erhielten, und die psychologisch werdende Speculation zur Metaphysik zurückwiesen. Aus der Grundidee der neuen Denkart folgt endlich noch ein drittes Moment, welches dieselbe wesentlich von der frühern unterscheidet, der Umstand nämlich, dais sie nnr eine formale, keine materiale oder reale, Wahrheit als möglich gestattet, erstere aber auch für nothwendig und vollkommen genügend erklärt. Soll nämlich das denkende Subjekt allein die Gesetze für das Vorstellen enthalten, so ist wohl nicht blofs wahrscheinlich, dafs dieselben blols etwas über die Art und Weise, also über die Form , nicht aber anch über den Inhalt desselben bestimmen werden, über letztern wenigstens nur vermittelst der Form, nicht an und fiir sich. Sind nun dessenungeachtet diese Bestimmungen zureichend, wie diefs ja der Idealismus behauptet, so wird das Resultat derselben, das durch sie vollkommen bedingte Vorstellen, oder, was dasselbe ist, die durch sie erzeugte Wahrheit eine allein durch die Form bestimmte, d. h. formale Wahrheit seyn. Es ist einleuchtend, dafs das ganze Unternehmen des Idealismus allem, was sich gemeinen Menschenverstand und dergleichen nennt, in einer unbeschreiblichen Absurdität erscheinen muis, indem die gänzliche Unmöglichkeit desselben, wie man meint, 60 am Tage , liege, dais jedes Kind, sie nachweisen könne.

17 könne.

Wie kann der Idealismus sich unterfangen, die Ob-

jekte durch das Denken bestimmen nnd verändern zu wollen, da j a bekannt ist, dafs durch all unser Vorstellen auch nicht das Mindeste an den Dingeu anders wird, dafs alle Gedanken nicht im Stande sind,

nur ein Härchen zu krümmen,

einen Staubkorn zu bewegen? —

noch

und stelle ich mir noch so

oft den Himmel als grün vor, er bleibt, wie er gewesen, nach wie vor blau; und denke ich auch (dieser Beweis ist schlagend!') mit aller Jiraft des Yorstellens, dafs mein Vermögen, mein Einkommen n. s. w. sich bis ins Unendliche vergröfsere, so bleibe ich arm, wenn ich es gewesen; jener Gedanke kann nur allenfalls dazu die.neu, seiue Nichterfüllung desto schmerzlicher zu machen. —

Diese gegen den Idealismus

zeugen

sollenden Erfahrungen, sollte man glanben, miifsten einleuchtend seyn; nnd da sie so fast nahe liegen, so sollte man doch mitunter wohl anf deu Gedanken kommen, dafs auch der Idealist sie möchte gemacht haben.

Wenn derselbe nun dessen-

ungeachtet seinem Vorhaben getreu bleibt, so lassen sich ohne Zweifel wenigstens eiuige Gründe dafür voraussetzen.

Und

hier werden wir nun auif die letzte Hauptbestimmung geführt, welche deu Charakter des Idealismus ausmacht, oder vielmehr, welche seiue ganze Möglichkeit bedingt.

Diese besteht in der

Annahme eiucr von dler des Realismiis durchaus verschiedenen Sphäre der

Gedanken, eines Elementes,

welches jenem

unzugänglich bleibt, so wie die Sphäre des Realismus, das E r kennen gegebener Objekte, dem Idealismus alle Einmischung verwehrt.

Es kommt hier auf die Unterscheidung der beiden

Sphären des Denkens an, desjenigen nämlich, welches allein in Einzelvorsteillingen, d. h. Wahrnehmungen, Einpfindnngen, Anschauungen, und desjenigen, welches blofs in allgemeinen Vorstellungen, also in Begriffen sich bewegt.

Nicht als ob beide

Sphären dem Inhalte nach verschieden wären (denn sie enthalten ein und dasselbe, Schmidt't Aphorismen,

nnr bald von der Seite der Einzel2

18 heit, bald von der der Geraeinsamkeit betrachtet), oder als ob beide im wirklichen Denken absolut getrennt waren (in jeden» Urtheile geschieht ja eine Verbindung beider); — nur das ist 211 beachten, dafs es für jede der beiden Sphären Fälle giebt, in denen sie unverraischt mit der andern, und unversöhnbar gegen dieselbe erscheinen mitfs, wo eutweder das rein Allgemeine, oder das rein Einzelne das Objekt des Vorstellens ist. Und hierin haben wir einen der hauptsächlichsten Verdienste der neuen Philosophie zu erblicken, dafs sie diese Unvereinbarkeit beider Sphären eingesehen hat, und für die Fälle, wo 6ie statt findet, jede Vermischung derselben abzuhalten sucht; dafs sie ferner die Region des blofs Allgemeinen, also die Philosophie, als die des rein selbstthätigen lismus,

Denkens, des

Idea-

die des Einzelnen aber, also die Wahrnehmung, als

das durchaus unselbstthätige, des Realismus,

erkannt hat.

passive Vorstellen, als die Sphäre In aller vorkantischen Philoso-

phie schreiben sich die wesentlichsten Mängel der Speculation eben von der unzeitigen Vermischung, oder wenigstens Nichtunterscheidung beider Arten des Denkens;

die Wissenschaft

war realistisch, wo sie blofs selbstthätig, idealistisch hätte seyn sollen, nnd im Gegentheil wiederum selbstthätig, rational, wo nie rein passiv hiitte sich verhalten müssen, wodurch natürlich die eine wie die andere Art derselben verdorben wurde. — Geregt hat sich freilich oft genng das Bewufstsevn, oder vielmehr ijur diu Ahnung von der Verschiedenheit beider Sphären (wie sich diefs ja in allem Streite zwischen Empirismus nnd Rationalismus ausspricht, der fast so alt wie die Philosophie selbst ist), aber theils ward der Unterschied nicht scharf genug gefafst, so dafs man nnr fragte, ob das Vorstellen mehr selbstthätig, oder mehr passiv s e v ; theils suchte man die Verschiedenheit im Inhalte und in der Quelle der Vorstellungen, statt sie einzig in die Form,

in die Methode

oder die Art und

Weise ihrer Erzeugung zu legen; die allgemeinen Vorstellun-

19 gen

sollten noch eiuen besondern Inhalt für sich ausmachen

und eine eigene Quelle haben,

sie sollten angeboren

sejn.

D e r nenen Philosophie blieb es vorbehalten, zn erkennen, dafs das Denken

in jeder Sphäre entweder

nur realistisch,

mir idealistisch seyn könne (obgleich das D e n k e n ,

wo

oder beide

Elemente sich vereinigen, das Urtheilen, sehr wohl beides z u gleich sevn d a r f ) , und dafs der Unterschied nur in der Form, nicht im Inhalte liege.

Diefs wären sonach die Hauptmomente dessen, als das W e s e n ,

was wir

als das Auszeichnende der neuen Philosophie

bezeichnet haben; es bleibt jetzt die F r a g e nach unsern Gründen zu beantworten,

welche uns bestimmen konnten,

gerade

diese genannten Ansichten hervorzuheben, und eben sie als den Ausdruck des neuen Geistes in der Speculation zu betrachten. W a r u m , fragt mau mit Recht, sollen gerade jene Philosopheme, und nur s i e , für wesentlich und nothweudig gelten, da sie j a weder die einzigen, iu

neuerer Zeit zur Sprache

gebrachten

Ansichten sind, noch auch von allen Schriftstellern dieser P e riode aufgestellt, noch auch,

im Gegeiitheil

wo sie vorkommen,

geradezu

bestritten Werden,

in dein gauzeu Umfange und

iu der vollen Consetjueus erscheinen,

welche diese Ansichten,

strenge durchgeführt, verfangen dürften? — Kant,

welcher der Urheber

Hat doch selbst

derselben sevn soll,

sich

ljach-

drücklich gegen den Idealismus erklärt, nennt er doch mit ausdrücklichen Worten die formale Wahrheit

ein

unzureichendes

Kriterium, *) und ist weit entfernt, der reinen Selbsttätigkeit des D e n k e n s , z . B. den Ideen der reinen Vernunft, immer die geforderten Rechte zuzugestehen;

was aber am meisten gegen

unsere Annahme zu zeugen scheint, ist, dafs eine ganze Hauptparthei der neuem Philosophen, als deren Repräsentanten man Jacobi

anzusehen pflegt,

sich ausdrücklich auf das Entschie-

») Vergl. Kritik der reinen Vernunft. S. 61. f. 2*

Aufl. VI.

20 denste gegen den Idealismus, zu Gunsten des Realismus, erklärt hat. Womit also werden wir nusere Behauptung rechtfertigen'? nnd darthun, dafs das, was wir das Wesen neuer Philosophie nennen, wirklich als solches sich ausweise, nicht blofs von uns in dieselbe hineingetragen sey? —

Vor allen Dingen scheint

liier nöthig zu seyn, historisch nachzuweisen, dafs die erwähnten Ansichten sich auch wirklich in den Schriften der neuen Pliilosophie finden, und durch alle noch so widersprechend scheinende Meinungen hindurch sich geltend machen,

damit

wir nicht Dogmen für wesentlich in einer Philosophie erklären, welche in derselben überhaupt nicht einmal vorkommen, und an die die Urheber derselben nicht einmal mögen gedacht haben.

Das würde ein historischer

Beweis unserer Annahme

seyn; derselbe könnte aber freilich wohl darthun, dafs gewisse Ansichten sich irgendwo gegeben vorfinden, aber keineswegs, dafs sie daselbst nothweudig und wesentlich seyen.

Letzteres

bedarf noch eines besonderu Beweises, welchen wir auf zweifache Weise führen werden: einmal indem wir zeigen, dafs die genannten Ansichten in der neuen Philosophie nach dem Stande der Dinge nothwendig sich ergeben mufsten, ja sogar die einzig möglichen -waren; — das audere Mal so, dafs wir darthun, wie eben in jenen Ansichten der bedeutendste Schritt zur Verwirklichung wahrer Philosophie geschehen ist, ja dafs die Idee, welche sie an die Hand geben, mit der Idee der Philosophie überhaupt identisch ist.

Anf die erste Weise werden

wir die Veranlassungen, welche die neue Philosophie ins Leben riefen, erörtern müssen, in der zweiten die Griiude, welche bei ihrer Ausbildung leiteten, und damit zugleich das Verhältnifs ihrer Idee zu der Idee der Philosophie im Allgemeinen darlegen. Sollen wir also zuerst historisch das wirkliche Vorkommen der genannten Ideen in den Werken der neuen Philosophie

21 nachweisien, so konnten wir nicht wenig dadurch in Verlegenheit gesetzt scheinen, dafs sich dieselben nicht allenthalben ausdrücklich aasgesprochen finden, oft sogar das Gegentheil von ihnen behanptet wird.

Hier aber kommt uns anf das Entschie-

denste die allgemeine Bemerkung zu Hülfe, dafs die meisten und gröfslen Ideen selten sogleich in vollkommen ausgebildeter Gestalt iais Daseyn treten, sondern zuerst nur geahnet, und mit vielen fremdartigen Elementen vermischt, sogar oft in ganz, widersprechenden Umgebungen zu Tage gefördert werden.. Da kann denn ein sehr wahrer Gedanke oft von sehr einseitigem Standpunkte aufgefafst, zum Theil selbst mifsverstanden und, ganz schief dargestellt erscheinen.

Was uns nun berechtigt,

Gedanken in solcher Gestalt dessennngeachtet für wesentliche, und vor andern besser verstandenen mid dargestellten Ideen, hervorzuhebende anzuerkennen, — das müssen freilich noch ganz andere als historische Gründe seyn; und wir werden uns auch noch weiterhin besonders rechtfertigen müssen, wenn wir die Ideen des Idealismus und der formalen Wahrheit z. Et. bei Kant

und Reinhold,

in deren Systemen sie der Masse nach

ein sehr geringes Element auszumachen scheinen, dennoch für das wesentliche derselben erklären.

Eis konnte also allerdings

die Idee der neuen Philosophie in iiireu ersten Darstellungen sehr unvollkommen erscheinen, es konnte geschehen, dafs Kant selbst noch nicht die ganze, erst spater sich entwickelnde, Consequenz seiues leitenden Principe übersah, dafs er letzteres auch etwa nur einseitig auffafste, so dafs er den Idealismus (aber einen ganz andern, als den seinigen) und die formale Wahrheit verwarf, den Ideen der reinen Vernunft nicht ihr Recht widerfahren liefs, u. s. w.: — ohne dafs diefs der Würde der genannteii Ideeu, als der wesentlichen seines Systems, Eintrag thiite.

Dafs aber Kant

(um doch die historische INach-

weisung einigermaaiseii zu leisten) — immerhin vielleicht ge-

22 gen seinen eigenen Willen *) — Idealist gewesen, wenn auch nur in einem beschränkten Sinne, ist wohl kaum zu erinnern nöthig; vielweniger noch, dafs er Kriticist gewesen, -welches wir als den zweiten Charakterziig der neuen Philosophie angaben ; was aber den dritten anlangt, den der formalen Wahrheit, so läugnet er freilich ausdrücklich die Competenz derselben, doch aber sind es anch bei ihm nur die Formen desVorßtellens, welche einzig nothwendige und allgemeine Wahrheit geben.

Dafs ferner und wie bei den Nachfolgern Kant's

der

Idealismus bis znr strengsten Konsequenz sich ausgebildet hat, ist genugsam bekannt; dafs dieselben mehr oder weniger auch dem Kriticismus anhängen,

wenn sie sicli gleich zum Theil

ausdrücklich gegen denselben erklären, haben wir oben gezeigt; es bildete sich aber anch bei ihnen mehr und mehr die Idee einer blofs formalen Wahrheit fort, bis wir dieselbe endlich ganz klar anerkannt und ausgesprochen bei Hegel finden, dem die Wahrheit einzig und allein in der Form besteht. Aber es bleibt uns noch ein bei weitem schwierigerer Punkt unserer Nachweisung übrig, zu zeigen nämlich, wie mit diesen Principien der idealistischen Seite neuer Philosophie, auch die ihr entgegenstehende,

entschieden realistische Seite überein-

stimme, welche wir oben durch den Namen Jacobi bezeichneten.

Dessenungeachtet aber wird es leicht seyn, zu zeigen,

freilich nicht, dafs auch diese Richtung der Philosophie Idealismus sey, doch aber, dafs sie mit demselben in der genauesten Verbindung stehe, aus einer und derselben Qnelle mit ihm fliefse,

eben denselben Gründen ihr Daseyn verdanke.

Der

Gedanke, welcher diese Verbindung der scheinbar unversöhnlichen Gegensätze vermittelt, ist die Anerkennung einer zweifachen Weise des Denkens, und der Nothwendigkeät, beide in den betreffenden Fälleu auf das strengste zu sondern, und jede Vermischung derselben als das Verderbnifs beider anzusehen. * ) Vergl, Herbarl

d. Phychologie als W i s s e n s c h a f t , Bd, I . S. IV.

23 Darchaus

findeu

wir von Jacobi

Weise des s e l b s t t ä t i g e n ,

Angenommen,

dafs es eine

nur sich selbst Gesetze gebenden,

philosophischen Denkens gebe, neben derselben aber auch eine des gemeinen , nicht wissenschaftlichen, uud durchaus von den Objekten bestimmten Vorstellens.

Hier aber thut sich niui auch

der Unterschied seiner Ansicht

von

dem Idealismus

hervor.

Indem nämlich letzterer das rein selbstthätige Denkeu, nur aber idealistisch aufgefafst, fiir das allein w a h r e , und eine wenigstens mögliche Wissenschaft ergebende, anerkennt, ohne dabei dem gemeinen, realistischen Vorstellen eine beschrankte Gültigkeit abzusprechen: — so wendet Jacobi

einzig uud allein dem

letztem seine Gunst zu, glaubt in ihm allein Wahrheit zu finden , wenn gleich mit dem ausdrucklichen Sichbescheiden, dafs diese Wahrheit eine sehr beschrankte und unzulängliche,

eine

nicht

sey.

wissenschaftliche,

ein Glauben

und kein Wissen

Dagegen verhält er sich gegen die Sphäre des philosophischen, s e l b s t t ä t i g e n Denkens entschieden skeptisch

* ) , uud behauptet

durchgebends, dafs es nur Unwahrheit enthalten, mir zum F a talismus, Spinozismus, also Nicht-Idealist

nur

oder Atheismus führen könne.

E r ist

in so ferne er zugleich Nicht - Philo-

soph, so ferne er nur glaubend, nicht wissend sevu will. fernere Uebereinstimmung Jacobis

Die

mit dem Idealismus besteht

d a r i n , dafs er beide Weisen des Denkens

auf das strengste

auseinander gehalten, jede Vermischung vermieden wissen will; die realistische Sphäre soll im Gegeutheil rein erhalten werden von aller S e l b s t t ä t i g k e i t des Denkens, schaftliche nur „ein Spiel" ist, seine Unwissenheit organisirt,"

indem

*)

wissen-

mit dem der Mensch und welches nur

uns „von dem Wahren zu entfernen" und uns Unwissenheit zu zerstreuen." **)

alles dazu „über

„nur dient, unsere

In demselben Sinne ist dann

Vergl. K. L. ReinhoWs Leben und literarisches W i r k e n S. 260, und die Anmerk. des Herausgebeis daielhst. **) Vergl. Jacobis W e r k e , Bd. III. S. i g .

24 auch ganz richtig, dafs alles philosophische, demonstrative Denken, nämlich wenn es auch auf unzeitige Weise in das realistische Vorstellen eingemischt wird, nur zum Fatalismus und Atheismus führe, dafs alles Begreifen und Erklären nur unbegreiflicher und unerklärlicher mache, und wie sonst die Vorwürfe heifsen, die von Jacobi dem philosophischen Denker gemacht werden.

Nicht erfreulich aber ist es, zu sehen, wie so

wenige von denen, die sich seinen Ansichten nähern, ihm gana bis zu dieser Konsequenz, dem gänzlichen Abhalten einer Vermengnng des speculativen und realistischen Denkens — und darin besteht sein grofstes Verdienst um die Philosophie — haben folgen können; als der am meisten consequente in dieser Hinsicht möchte, namentlich in Bezug auf das religiöse Vorstellen, Schleiermacher

zu nennen seyn.

Am wenigsten aber

werden, wie sich hieraus ergiebt, diejenigen sich um die Wissenschaft verdient gemacht haben,

welche Jaco&i'sche und

Jfani'sche Principien amalgamiren zu können geglaubt haben. Bis hierher hätten wir nun freilich gezeigt, dafs die oben von uns genannten Ideen sich bei dem grüfsten Theile der Philosophen neuer Zeit finden; es ist damit aber keiuesweges bewiesen, dafs sie sich auch nothwendig so bei ihnen finden mnfsten, am allerwenigsten aber, dafs sie gerade das Wesen des gesammten Denkens dieser Zeit ausmachen.

Was berech-

tigt uns also, sie vor allen den übrigen Wahrheiten, die zu gleicher Zeit vorgebracht wurden, allein so auszuzeichnen, dafs wir sie für wesentlich, die übrigen für zufällig erklären? — Hat doch die neue Philosophie uus auch so viele andere Ideen ans Licht gebracht, wie z. B. die eines moralischen Theismus, eines vergeistigten Pantheismus, eines rationalen Realismus u. s. w.; warum sollen nun solche Ansichten von geringerer Bedeutung seyn, als jene i warum können sie nicht mit demselben Rechte Anspruch auf den Charakter des wesentlichen

25 machen ? — Gegen diese Ansprüche der andern Ansichten wird der hauptsächlichste Grund für unsere Behauptung darin liegeil, dafs wir zeigen, wie eben in der Idee des Idealismus das liege, was die neuere Speculation dem Ideale der Philosophie naher gebracht habe, weil beide Ideen nur eine und dieselbe seven; zuvörderst aber läfst sich doch auch zeigen, wie in dem Zustande der Speculation vor Kant,

in der ganzen Lage der

Ansichten zu seiner Zeit die Notwendigkeit euthalteu war, dafs eben jene Ideen hauptsächlich hervortreten niufsten, andere vorkommende Ansichten aber nur den Werth von zufälligen, oder höchstens von abgeleiteten haben konnten. Alle Speculatiou der neuen Zeit ist bekanntlich durch den Humesdien

Skepticismus angeregt worden; — wie denn der

Skcpticismus zu jeder Zeit das dienlichste Mittel gewesen ist, die Fortschritte der Philosophie zu fördern uud zu beschleunigen.

Hatte nun freilich Hume

selbst unmittelbar seine An-

griffe nur auf den Begriff der Notwendigkeit,

oder vielmehr

noch specieller auf den der Caussalität gerichtet, ohne dafs er selbst die unendlichen Conscqueuzen seines Zweifels nur einigermafsen übersah: so hat doch sein Skepticismus durch den Stand der Dinge, hauptsächlich dadurch, dafs er von Kant aufgefafst wurde, dafs sein Saame auf das fruchtbare Land des deutschen Geistes fiel, eine bei weitem höhere Bedeutung für die Geschichte der Philosophie gewonnen, welches dann freilich weniger sein eigenes Verdienst, als das der Zeit, und derer, die ihm erst diese Bedeutung gilben, war.

Diese Wich-

tigkeit nuu besteht darin, dafs er dem Realismus der bis dahin geltenden Philosophie die letzte Stütze entzog, welche ihn gegen alle Angriffe des frühern Skepticismus noch erhalten hatte.

Es war nämlich alle alte, d. h. vorkantische Philoso-

phie wesentlich Realismus

gewesen, und zwar in dem Sinne,

dafs sie gegebene, unabhängig von unserin Vorstellen bestehende Objekte anerkannte, durch welche das Denken auf eine

26 ihm selbst unwillkührliche Weise bestimmt werde, nnd mit denen es übereinstimmen mufste, um für ein Erkennen des Wahren gelten zu können.

In diesem Sinne waren auch die Sy-

steme realistisch, welche sonst sich Idealismus nannten, z. B. das von Berkeley,

denn auch bei ihm werden die Vorstellun-

gen, obgleich ihnen keine reale Objekte entsprechen, unabhängig von uns, und ohne Zuthun des denkenden Geistes erzeugt, uud stehen zu diesem in einem „unüberwindlichen Gegensatze," „die freierzeugten Ideen dagegen haben keine Realität," „der Geist ist gebunden, leidend, kann sich den Eindrücken nicht entziehen, leidet gleichsam Gewalt" u. s. w. *), so dafs also auch hier das Vorstellen durch etwas ihm Aeufseres bestimmt wird, ¿essen es nicht Herr werden kann.

Zu bemerken ist

aber doch, dafs diefs Prädikat, des Realismus nämlich, im strengsten Sinne nur von der neuern Periode der vorkantischen Philosophie gilt, weit weniger von der griechischen Speculatiou, in welcher allerdings der Gegensatz von Subjekt und Objekt noch nicht so schroff aufgefafist worden war, und von welcher einige Gestaltungen, namentlich die eleatische und platonische Philosophie', sich bedeutend,

wenn gleich nicht entschieden,

dem Idealismus iu unserer Bedeutung des Wortes zuneigen. — Indem nun der Realismus neben dem allerdings uuläugbaren, passiven Bestimmt« erden des VorstcIIens wiederum eine gewisse Selbsttätigkeit desselben, ein Sichselbstbestimmen des Geistes nicht verkennen konnte, aber nicht genugsam die Verschiedenheit desselben von dem passiven Vorstellen, noch die Unvereinbarkeit beider und die Notwendigkeit sie von einander zu trennen, erkannte, sondern beiden in einer nnd derselben Sphäre Anwendung gestatten zu können glaubte: so entstand ganz natürlich, je nachdem mau das sich selbst bestimmende, rationale Verfahren, oder das sich bestimmen lassende, *) Vergl. J. H. Fichte, Beiträge zur Charakteristik der neueren Philosophie, S. 79 — 85.

27 passive Vorstellen für das wichtigere ansah, eine Verschiedenheit der Denkiingsart, Empirismus

welche sich in dem Gegensätze des

und Rationalismus

aussprach.

Diese beiden

Denkarten stimmten jedoch darin iibcrein, dafs sie gleichmäfsig realistisch waren, und sich nie ganz rein von einander sonderten, so dafs weder der Empirismus je ganz rein empirisch, noch auch der Ratioualismus je ganz rational (wo er dann freilich Idealismus hätte werden müssen) war; zu einer von beiden Denkweisen aber gehörte jede Gestaltung der alten Philosophie mit mehrerera oder wenigerem Rechte. Jede Philosophie pflegt gegen sich den Skepticismus zu erregen, wo das positive Element des Denkens tliiitig ist, kann auch das negative nicht schweigen; es ist sogar jeder Philosophie Glück zn wünschen, wenn sie einen Skepticismus sich gegenüberstehen hat, indem gewifs nichts forderlicher ist, den Untersucbungsgeist wach zu erhalten, als ein stets gegenüberstehender Feind, welcher jede irgend sich zeigende Blöfse zu benutzen bereit ist, dahingegen jede Speculation, die nicht auf diese Weise in Thätigkeit erhalten wird, leicht auf ihren Lorbeeren einschlummert.

Und sicherlich ist es ein gutes Zeichen,

wenn, so lange die "Wissenschaft noch nicht durchaus vollendet ist, leständig das Benufstscyn ihrer Mangel (der Skepticisrans) sich rege erhiilt, und zugleich das Streben, sie zu heben , zn beseitigen, erweckt.

Wie denn nun die griechische

Philosoplie überhaupt durch eine anfserordentliche Regsamkeit der Specilation sich aaszeichnet, so war sie auch darin glücklich, eintn strengen und fast pedantisch consequenten Skepticismns zi besitzen, der den Geist nie zn einer selbstgefälligen Ruhe koTimcn liefs.

Betrachten wir jedoch diesen Skepticis-

mus nälpr, so sehen wir, dafs seine Zweifelsgründe sich fast einzig lud allein gegen die eine Hauptseite des realistischen Denkens, nämlich gegen den Empirismus,

richten.

So sehr

man nut eines Theils Recht hat, ihm diese Richtung als ei-

28 nen besondern Vorzug vor den neuem Skeptikern anzurechnen — wie denn diefs auch mit bedeutenden Gründen geschehen ist — , so entsteht dabei doch wicdernm der Mangel,, dafs durch diesen Skepticisinus dem selbsttbätigen, rationalen Denken — wie es allerdings billig ist — das Vertrauen zu sich selbst gelassen, dasselbe aber zugleich auch nicht darauf aufmerksam gemacht wurde, wie es in der einmal genommenen, realistischen Richtung, wo es eben nicht rein selbstthütig blieb, zu keinem Erfolge gelangen konnte, iudem es durch den Realismus (durch Passivität) sich selbst entstellt und erniedrigte, jenen aber durch Selbsthütigkeit anflösete, oder doch verdarb. Der Rationalismus fuhr also fort in ungestörtem Selbstvertrauen sich für Philosophie zu halten, und den Widerspruch in seinem Innern zu hegen, ohne ihn nur gewahr zu werden. Diesen dogmatischen Schlummer zu stiiren, war der neuem Zeit aufbehalten, ihm mufsten nothweudig die Zweifel Hume's gegen den Begriff der Notliwendigkeit die Augen öffnen. Hume zeigte, dafs diesem Begriffe nichts in den Objekten entspreche, derselbe also, wenn das Denken Realismus seyn, d. h. die Objekte als Kriterium seiner Wahrheit anerkennen müsse — welches zn bezweifeln so wenig ihm, als einem seiner Zeitgenossen ciufiel — , durchaus unberechtigt sey, und keine Anwendung auf das Erkenuen leide. Damit war dann zugleich ausgesprochen, dafs alle und jede Schlüsse und Beweise, als •welche ja auf dein Begriffe der Notwendigkeit beruhen, mithin alle Selbstthiitigkeit der Vernunft, die ja eben in Schlüssen besteht, vom Erkennen ausgeschlossen seyn müssen; dafs also, wenn einmal der Realismus, d. h. das Bestimmtwerden des Vorstellens durch gegebene Objekte, die richtige Denkweise sey, das Vorstellen nur damit, and in soferne seiner Bestimmung entsprechen, also Wahrheit enthalten könne, wann uud wie ferne es durchaus nur von aufsen bestimmt werde, nur passiv sich verhalte, dafs jede Selbstbestimmung, jedes eigene

29 Thun aber vom Uebel 6ey. — Diefs Bewufstseyn auf das entschiedenste zur Klarheit erhoben, den gänzlichen Widerspruch eines rationalen Realismns mit sich selbst zur Sprache g e bracht zu haben, bleibt das eigentümliche uud grofse Verdienst des nenern Skepticismns, so dafs, wenn derselbe im Nachtheil gegen den alten ist, diefs nicht daher rührt, dafs er sich gegen den Rationalismus erklärt hat, sondern nur daher, dafs e r nicht auch zugleich sich gegen den Empirismus wandte, indem nicht zu läugiieu steht, dafs die neuern Skeptiker grofsentheils einem fast argen Empirismus hnldigten, was freilich nichts weniger als skeptisch war. So nun stand die Sache, als Kant mit seiner Wirksamkeit für die Philosophie aufzntreten begann.

lieber dem Em-

pirismus hatte längst der alte Skepticismns den Stab gebrochen, und doch blieb er nach der alten Weise die einzig mögliche Art des Erkennens, die freilich als meistentheils trüglich, und im Felde des allgemeinen und nothwendigen, wo nach dem Wesen der Dinge gefragt wurde, als durchaus uutüclitig erkannt war, doch aber immer eine ganz erträgliche subjektive Gewifsheit in der Sphäre des einzelnen mit sich führte.

Dafs

nur aber nie die Vernunft sich einfallen liefse, sich in diefa Erkennen «inzumischen! — jede Selbstbestimmung des Denkens, also jede Vernunftthätigkeit, konnte nur zum Nachtheil gereichen; nur in gänzlicher Vernunftlosigkeit den Realismus zu erblicken,

war Heil für

in vollkommner Unterdrückung

alles dessen, was im menschlichen Erkennen mehr als passiv, mehr als thierisch ist.

Die Vernunft war als ein Uebel er-

nannt, ihr der Dienst anfgesagt, oder vielmehr der Krieg angekündigt; — und zu läugnen ist nicht, dafs die sogenannte Philosophie jener Zeit grofsentheils diesen Grundsätzen gernäfs sich gestaltete. Hier also ward das Denken auf sich selbst zurückgewie«An

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30 zwangen; das vernünftige Erkennen, welches sonst für eine Auszeichnung des Menschen gegolten hatte, sollte gänzlich antiquirt werden, — was Wunder also, dais es sich dagegen a u f l e i m t e d a i s es, so wie es seine Würde empfand, so auch dieselbe geltend zu machen suchte? — Was war natürlicher, als dafs die Vernunft sich selber Manns genug fühlte, sich nur durch sich selbst zu bestimmen, das Joch, das ihr von aufsen her, von Gegenständen, welche weit unter ihrer regeren Würde standen, aufgezwängt, die Fesseln, die ihr bis zur Bewirkung völliger Unthätigkeit angelegt werden sollten, abzuwerfen, sich frei zu erklären von solchen uuwürdigeu Banden, nur die eigene Gesetzmäfsigkeit im Felde des Erkennens und Denkens auznerkennen, und sich selber ein Reich zu schaffen, in weichein sie nicht blofs frei, sondern sogar selbst wiederum bestimmend nnd gebietend walten könne; war im Realismus ihres Bleibens nicht länger, wurde sie verstofsen und verfolgt, was war natürlicher, als dafs sie im Idealismus

sich selber

zuerst eine Zuflucht, sodann selbst ein Reich zu bereiten versuchte 1 Zu diesen Veranlassungen, welche die Notwendigkeit des Idealismus bedingten, kam noch ein anderer Umstand, freilich von weit geringerer Bedeutung, aber doch wichtig genug, um als ein Hiilfsmittel, die neue Richtung der Spekulation zu erwecken und zu befördern, betrachtet zu werden.

Es besteht

dieser Umstand in der psychologischen Tendenz der letzten vorkantischen Philosophie, welche Richtung unläiigbar dazu beigetragen hat, eines Theils die Idee des Idealismus zu erwecken, andern Theils den Charakter der neuen Philosophie als Kriticismus zu bestimmen; — und es möchte hierin der gröfste, vielleicht der einzige bedeutende Nutzen der psychologischen Periode für die Philosophie zu erkennen seyn.

Denn wenn es

gleich ganz und gar nicht zu liiugnen ist, dais diese, von England und Frankreich ausgehende, und im deutschen Eklakti-

31 cismus sich vollendende Periode, welche empirische Psychologie für die wahre Philosophie ansehen lehrte, unendlichen Schaden — nicht der Philosophie, denn das ist unmöglich, wohl aber ihrem Zeitalter gebracht hat — , so hat doch ohustreitig dieselbe bedeutend dazu mitgewirkt, dem Denken die Richtung anf sich selbst zu geben, die Vernunft auf sich selbst und ihre Würde aufmerksam zu machen, und so zum Idealismus fortschreiten zu lassen.

Denn wie sehr leicht wäre es nicht ge-

wesen, dafs in der Zeit der gänzlichen Verzweiflung des Realismus auch das Denken überhaupt an sich selbst verzweifelt wäre, alle seine eigenen Ansprüche aufgegeben, und sich mit einem Erkennen begnügt hatte, welches ihm mit den Thieren des Feldes gemein ist.

Dagegen aber wurde es verwahrt durch

die Richtung, welche die Zeit, wenn gleich erbärmlich genug, auf die Selbsterkenntnifs der Vernunft genommen hatte.

Ent-

schieden aber dürfen wir als Ergebnifs dieser Richtung ansehen, dafs das Äa/if'sche und die folgenden Systeme den Charakter des Kriticismus annahmeii, d. h. dafs auch sie von der Selbsterkenntnifs der Vernunft ihren Ausgang nahmen, welches, wie schon oben bemerkt ist, zur Förderung ihres Unternehmens , wo nicht nothwendig, doch von dem gröfsten Nutzen sevn mufste.

Es war hierbei der Einflufs der psychologischen

Richtung oft nur zu grofs, so dafs man nicht selten in der psychologischen Kritik schon die Pliilosophie selbst vollendet zu haben glaubte; hier aber erwarb sich die Gegenwirkung Herbarfs

die entschiedensten Verdienste, durch die Zurück-

rufung der Spekulation zur Metaphysik, und durch Bewahrung vor psychologischer Verseichtigung. Das eben gesagte liefs uns nun freilich erblicken, wie in dem Stande der Dinge beim Auftreten der neuen Philosophie, in dem damaligen Zustande der Spekulation, die Bedingungen enthalten waren, welche jene Ideen, die wir für die wesent-

32 liehen der neuen Zeit erklärten, hervorbringen mnfsten.

Des-

senungeachtet kann aber auch diese Nachweisung noch den Zweifel nicht ganz heben,

dafs auch für andere Ansichten,

welche die neue Philosophie mit sich führte, die Bedingungen in der vorhergehenden Periode liegen konnten, also auch diese Ansichten mit gleichem Rechte Anspruch darauf machen dürfen, wesentlich genannt zu werden.

Gehen wir also zn einem

höhern Beweise fort, und versuchen zu zeigen, dafs in der Entdeckung der geuanuten Ideen derjenige wesentliche F o r t echritt liegt, den die neue Philosophie zur Verwirklichung, der Idee der Philosophie überhaupt gethan h a t ,

indem eben jene

Ideen mit letzterer so zusammenfallen, dafs die Erreichung j e ner zugleich die Verwirklichung dieser seyn, und die neue Philosophie, wenn sie das geworden seyn wird, was sie seyn will, genau dem Ideale der Philosophie überhaupt entsprechen würde. In dem Bewnfstseyn der Identität beider Ideen müssen ferner ancli alle die Gründe bestehen,

welche den Begründern und

Beförderern der neuen Philosophie zu ihrem Unternehmen riethen, nnd ihnen bei demselben, mehr oder minder klar g e dacht, vorschwebten, oder doch vorschweben konnten,

welche

also auch noch jetzt für die, welche in demselben Geiste fortzuwirken versuchen, dieselbe Gültigkeit haben, so wie sie für die, welche noch anfserhalb des Einflusses der neueu Philosophie stehen, als überleitende und heranziehende Motive von "Werth seyn können. Mit wenigen Worten dürfen wir indefs, ehe wir diese Gründe darlegen,

noch

einem Mifsverstftudnisse vorbeugen,

welches unzeitige Vorurtheile gegen dieselben erwecken möchte. Wenn wir sagen, dafs durch die Ideen der neuen Philosophie ein wesentlicher Fortschritt zur Verwirklichung wahrer Wissenschaft gethan sev, so wollen wir dadurch nicht behauptet haben, als sey der Idealismus unserer Zeit schon so weit gediehen, durch seine Erscheinung die Idee der Philosophie zu verwirk-

33 wirklichen.

Eben so wenig wolleil wir freilich von der a n -

dern Seite es läugnen; wir lassen es im Gegentheil ganz und gar dahin gestellt seyn, ob und wie weit die bisherigen S y steme der neuen Philosophie ihre Idee zu erreichen geeignet seyn mögen.

Dieses nachzuweisen, würde das Werk

einer

beurtheilenden Geschichte jener Systeme seyn, welche aber, •wie wir oben zeigten, für jetzt noch nicht in unserer Absicht liegt.

Ueberhanpt darf der Werth einer Idee nicht nach dem

Erfolge benrtheilt werden; und die bisherigen Resultate des Idealismus, sie seyen nun günstig oder noch so nngünstig, können keinen conipetenten Mafsstab für die Idee desselben abgeben.

Wir können und müssen sogar auch nur die Mög-

lichkeit der letztern, so wie die der Philosophie überhaupt, ganz und gar problematisch lassen, — denn darüber könnte uns erst eine vollendete Kritik der Vernunft oder Wissenschaftslehre bestimmte Entscheidungen geben; — für jetzt ist uns nur so viel erlaubt, zu zeigen, dais, wenn überhaupt eine Philosophie möglich ist,

wenn die Idee derselben keine Chimäre

ist, sondern Realität hat, dann auch der Idealismus, als welcher mit jener identisch ist, seiner Verwirklichung entgegensehen kann.

Reden

wir also von Fortschritten der neuen

Specnlation zur wahren Philosophie, so heilst das so viel, dals dieselbe uns wenigstens auf den richtigen Weg zu letzterer geführt hat, dahingegen der Realismus immer nur von derselben weiter abführen konnte» W a s also ist es, worin der Idealismus der Idee der Philosophie näher zu kommen hoffen, oder näher gekommen zü seyn glauben dürfte?

was konnte er sich zu leisten ziitrauen,

•was der Aufgabe der Philosophie mehr genügen könne,

als

der Realisains es konnte 1 — diefs mögen uns kurz die folgenden Betrachtungen beantworten. Zuvörderst pflegt doch als der hauptsächlichste Charakter der Philosophie angegebeu zu werden, dafs sie in einer Sclimidt's Aphorismen,

3

unab-

34 hangigtn,

freien

Selbstthätigkeit

des Denkens, oder, wie

man zn 6;igen pflegt, der Vernunft, bestehe.

Eine "Wissen-

schaft, welche blofs empirisch Eindrücke, die sich -von anfsen aufdringen, aufnimmt, und ohne weitere Bearbeitung derselben znsammenreihet, wird niemand znr Philosophie rechnen; mau trägt sogar für gewöhnlich Bedenken, sie nur überhaupt eine "Wissenschaft zu nenneD. Definition, der Philosophie,

Auch ist es ja eine fast stehende dafs sie die Wissenschaft sey,

welche gegebene Vorstellungen nicht blofs historisch herziihle, sondern sie zu erklären nnd zu begründen strebe.

Es liegt

ihr also allgemein der Begriff eines Hinausgehens über das pegebene, Grande.

eines selbsttätigen

Bearbeitens

desselben, znra

Ob nun dieser Forderung der Idealismus Geniige

leisten werde, kann gar nicht die Fnige seyn, indem sein Begriff eben nur darin besteht, eben mir das -enthält, dafs er, wenn er überhaupt möglich ist, es leisten werde; nur das will er, dein Denken seine Unabhängigkeit sichern, es befreien TOB änfserlichen und fremden Kriterien nnd Gesetzen, die ihm Ton gegebenen, starr gegenüberstehenden Objekten vorgeschrieben werden.

Dafs aber alle Selbstthätigkeit auch mir unter

diesen Bedingungen möglich sey, mnfste sich, wie wir oben entwickelten,

ans

dem ffi/we'schen Skepticismus ergeben:

denn soll einmal das Erkennen von anfsen bestimmt werden, 60 ist es nur vollkommen, in so fern es gänzlich bestimmt wird, es ist um so besser, je weniger selustthätig, je passiver, je unfreier es ist.

Geäufserst hatte sich das Bewufstseyn

hiervon schon oft in der frühem Philosophie, aber nie mit der cntschiedcnen Klarheit, mit der Hume

es aussprach.

So fin-

den wir freilich bei Baco geäufsert, dafs alles in der Wissen« -schaft zn erwartende Heil nur in einer humiliaiio human'

bestehe, uud dafs caussa et radix fere

omnium

lorum in scientiis ea una est, quod mentis humanae falso

miramur

et extollimus;

spiritus mavires

— immer aber verbarg sich

35 noch die äufserste Consequenz dieser Ausieht,

immer noch

schmeichelte die Vernunft sich, bei alle dein ihre Selbsttätigkeit beibehalten zu dürfen, so dafs sie nicht gewahr ward, in welchen Widerspruch mit sich selbst der Mensch durch congequenten Realismus gesetzt werde.

Sie glaubte einen gelin-

den Herren zu erlangen, wenn sie 6ich von vorne herein der objektiven Welt unterwarf, sie als ihren Richter anerkannte, —einen Gebieter, unter dessen Scepter sie frei und ungestört ihrem eigenen Thun nachgehen könne; aber sie hatte sich einem Tyrannen unterworfen, ein Despot hatte ihr sein Joch iuifgezwängt, welche jeden eigeuen Willen in ihr unterdrücken, und sie einzig und allein nach 6einem Willen leben lassen wollte.

Hülfe sie doch besser ihr eigenes Inneres gekannt,

hätte sie richtiger ihren glühenden Trieb nach Wahrheit verstanden, und eingesehen, dafs nicht in Uebereinstimraung mit Objekten die Wahrheit bestehe: — sie würde längst eine ihrer so unwürdige Rolle abgelegt haben.

Aber sie erkannte

sich, Hume war es, der ihr, wie in jener schonen Dichtung der Greis dem entnervten Helden, den Spiegel vorhielt, in welchem sie ihre unwürdige Gestalt erblickte, die Scham über eich selbst ergriff sie, nnd — man rechne es ihr nicht als eine Ansteckung von dem revolutionären Geiste unserer Zeit an, wenn sie ein solches Loos nicht länger dulden, solche Fesseln nicht länger tragen will. Ein zweiter wesentlicher Bestandteil welcher für die Idee der Philosophie verlangt wird, ist der Charakter der meinheit nnd ¿Allgemeingulligkeit.

slllge-

Nicht von einzelnen oder

einigen Thatsachen des Bewufstseyns soll sie reden, nicht von einem oder dem andern Gegenstände des Vorstellens, sondern von allen, d. Ii. von allen denen, die der jedesmalige Begriff, oder die jedesmal gegenwartige Gattnng befassen kann, nicht von Dingen soll sie handeln, die für einen oder den andern Menschen, oder fiir einen bestimmten Ort, für eine beschränkte 3*

36 Zeit gültig, gewifs, wahr, recht u. s. w. sind; sondern was sie sagt, soll für jeden Menschen wahr, für jede Zeit und jeden Ort gültig seyn, sie soll ewige, unveränderliche, und weder durch Zeit noch Raum beschrankte Wahrheiten enthalten. —

Aber auch diese Forderung war, wie Hume

zeigte,

für den Realismus zu hoch, er durfte nie ihr zu genügen hoffen, denn von gegebenen Objekten ist nie der Kreis erschöpft, und wenn er es auch sein könnte, so hätten wir doch nie etwas, das uns Gewähr leisten könnte, dafs wir ihn ganz nmfafst hätten; jede Erfahrung beschränkt sich ferner ja nnr auf bestimmte Zeiten und Räume, und nichts giebt uns die Gewifsheit, dafs auch künftig, oder in andern Himmelsgegenden, auf andern Sternen, das wahr seyn werde, was es jetzt und hier ist, dafs auch in andern Oertern und Zeiten die Objekte unsern Vorstellungen entsprechen werden.

Nichts von

allen diesen Schwierigkeiten aber kann den Idealismus treffen, denn der besteht eben in der Ueberzengung und Forderung, dafs es ein Denken geben müsse, welches unabhängig Ton allen ftufsern Umständen und Beschränkungen' für alle Menschen, alle Zeiten und Oerter, so lange irgend das Wesen und die Natur des Menschengeschlechts dieselben bleiben, vollkommne und gleiche Gültigkeit habe.

Man hat längst aner-

kannt, dafs das Handeln des Menschen von der Art sey, dafs es unbekümmert um alle Aeufserlichkeiten und Zufälligkeiten, um die sogenannten Umstände, stets ein und dasselbe bleiben dürfe, und selbst müsse, und in allen verschiedenen Lagen nur seinen eigenen Gesetzen zu folgen brauche; — mit welchem Rechte, fragt der Idealismus, will man die Ansprüche auf die gleiche Unabhängigkeit dem Denken so geradezu absprechen, dafs es stets für eine ausgemachte Sache gilt, dafs im Denken der Mensch von den Objekten, im Handeln diese von jenem" bestimmt werden? — warum wird das Geschäft des Denkens ohne alle weitere Gründe so tief unter das des

37 Handelns erniedrigt? steht die Wahrheit so tief in der allgemeinen Achtung, dafs man mit einer so grofsen, fast unwidersprochenen Uebereinstiinmung sie zu einer blofsen Passivität herabzusetzen wagt? — dem Idealismus dagegen sind die Objekte nichts weiter als was sie dem Handeln sind, die Veranlassungen seiner Thütigkeit, nicht aber die obersten Kriterien und Gesetzgeber fiir dieselbe. Der Realismus würde einer Tugendlehre gleichen, welche die Lebensklugheit, das den Umständen gemäfse Handeln, zur Richtschnnr der Tugend machte. Man pflegt feruer den Begriff der Tugend so zu fassen, dafs es nur Eine, untheilbare, stets, gleiche gebe, in jeder einzelnen Tugendübung «aber alle Tugenden, d. h. die ganze Eine Tugend sich offenbare; — sollte nicht in- gleichem Mafse auch die Wahrheit auf diese "Würde der Einheit und Ganzheit Anspruch macheu dürfen? — Wenn aber die Objekte die Kriterien derselben sind, so wird es fiir jedes Land, für jede Zeit, sogar für jedes Individuum eine andere Wahrheit geben, Umstünde wie Geburt, Erziehung u. s. w. geben uns eine himmelweit verschiedene, jede wird aber nur ein Stück der Wahrheit sern, und überhaupt wird diese Wahrheit ein sehr vielfaches nnd vielfarbiges Wesen seyn. Man könnte gegen das oben bemerkte einwenden, dafs es ja allerdings ein solches Denken, wie gefordert wird, gebe, und allgemein anerkannt werde, dafs auch das Denken unter Gesetzen stehe, welche für alle und jede Umstände und Gegenstände ohne Ausnahme gültig, nnr von der Vernunft selber vorgeschrieben werden, wie sie in den Lehrbüchern der Logik verzeichnet stehen; Gesetze und Regeln, an denen weder die sonst allmächtige Zeit, noch sonst irgend eine Macht der Umstünde etwas andern könne. Diefs nun ist allerdings wahr, dafs ini\n dergleichen Gesetze anerkennt, aber — Ueifst hier eine andere Frage, koinineu wir denn auch durch Befolgung derselben zur Wahrheit? so wie das Handeln durch Befolgung

38 seiner selbstgegebenen und blofs formalen. Gesetze znr Tugend gelangen würde? —

Das ist eben der Unterschied, dafs das

Handeln so vollständige Gesetze hat, oder doch — wie allgemein zugestanden wird — haben kann, dafs es allein durch sie zu dem gelangen kann, was es erstrebt, nämlich zur T u gend; die bisherigen Gesetze der Logik aber haben so wenigen Nutzen, dafs auch ihre strengste Beobachtung noch das Denken unwahr und unbestimmt lassen würde.

Denn diesen

Regeln nach würde derjenige gerade eben so walir denken, welcher den Himmel für grün, als der, welcher denselben für blau erklärt; von welchem Nutzen sind aber solche Bestimmungen, welche solchen Verschiedenheiten noch Raum lassen 1 wie sollten sie im Stande seyn, Wahrheit, d. h. ein allgemeingültiges Vorstellen, zu bewirken"? — Es kommt zu dem, was oben als in der Idee der Philosophie enthalten angegeben wurde, endlich noch ein drittes wesentliches Merkmal, welches mit den übrigen beiden in der genauesten Verbindung steht, nämlich das der keit.

Nothwendig-

Man verlangt allgemein von der Philosophie, dafs sie

Erkenntnisse nicht blofs aufzahle, sondern auch begreife, gründe

und beweise,

sie soll nicht blofs sagen, dafs etwas

ist, sondern auch dafs es seyn mufs, sondern auch warum

be-

nicht nur dafs es ist,

es ist, und zwar so und nicht anders

ist; es soll ihr nicht genug seyn, Vorstellungen zu haben; soudern sie soll sich auch Rechenschaft geben, warum sie dieselben habe; nach etwas notwendigem strebt der Wahrheitstrieb, nach etwas, das er das /Fesen der Dinge oder auch das Ding

an sich nennt.

Aller alten Philosophie nun war

es völlig ausgemacht und unbezweifelt, dafs diefs uothwendige in den Objekten, aufserhalb unseres Denkens liegen müsse, sie verstand es von einem notwendigen Seyn,

und das ver-

langte nothwendige Wissen galt ihr ohne weiteres für ein Wissen von

etwas notwendigem.

Aber eben das war der

39 Nerv des neuen Skepticismus, dafs er zeigte, wie fiir das

rea-

listische Erkennen dem Begriffe der Notwendigkeit kein S e j u entspreche, dafs uns die Objekte eben 60 wenig notwendige, wie allgemeine Erkenntnisse geben konnten.

Sollten also diese

beiden Merkmale das Wesen der Philosophie oder der W a h r heit ausmachen, so konnte nimmermehr die Ueberoiustimmung mit den Objekten das Kriterium derselben

seyn

(denn es ist

j a nichts jenen Begriffen analoges iu denselben, mit welchem sie übereinstimmen könnten): es ninfs also, so ferne üherhaupt Wahrheit möglich ist, ein anderes Kriterium für dieselbe geben, und die geforderte Nbthwendigkeit mufs von anderer Art seyn, als die bisher dafür gehaltene.

Und diese nun zu fin-

den will der Idealismus uns den Weg zeigen.

E r hat er-

kannt, dafs sie keine so aufsere sey, als der Realismus wollte sondern eine innere, dem Denken, der Vernunft angehörige, also eine subjektive, nicht eine objektive, (d. h. wenigstens nicht in dem

alten Sinne,) nicht, die Notwendigkeit

S e y n s , sondern eine N'othigung Wissen Wissen.

von

einem notwendigen

für das Denken, sondern ein

eines

nicht das

notwendiges

Und wenn wir allerdings von einer Notwendigkeit

in den Objekten die nns die Sinne offenbaren, nichts

erken-

nen, so können wir sehr wohl von einer Notwendigkeit für nns, von einer N ö t i g u n g des Gefühles, so

und nicht anders;

i n denken, etwas wissen; wenn auch die Empirie in der sinnlichen Welt uns keine physische GesetzmUfsigkeit offenbart, so kann doch sehr wohl die Vernunft von ihrer eigenen moralischen Gesetzmäßigkeit wissen, welche so wie für das Handeln, so auch für das \ erstellen eine kategorische N ö t i g u n g enthalt. E s ist z. B. für das Denken notwendig-, das Besondere vorzustellen, wenn das Allgemeine gedacht ist (diefs ist die N o t wendigkeit, auf der alle Schlüsse beruhen!, keineswegs aber ist diefs eine Notwendigkeit, wie sie der Realismus verlangt; denn in ihm hat nur das Besondere Wirklichkeit, und das All-

40 gemeine soll erst durch dieses wirklich uiid gewifs werden; / für das Denken wird das Besondere durch das Allgemeine, für den Realismus umgekehrt, dieses durch jenes bedingt. Auf gleiche Weise ist für das Denken jeder Begriff durch seinen Gegensatz bedingt, das Böse kann nicht gedacht werden, ohne das Gute zugleich als Gegensatz zu denken; es ist aber keU neswegs eine Notliweudigkeit für die sinnlichen Gegenstände vorhanden, dafs, wo etwas Böses geschehe, auch allemal etwas Gutes, jenem genau entsprechend, sich ergebe. Von Gesetzen weifs allerdings die Vernunft, von Notwendigkeit, aber nicht für die Einzelheiten der sinnlichen Dinge, wohl aber für das Allgemeine des Begriffes. Dafs man aber nicht wiederum glaube, diese Notwendigkeit sei eine blofs subjektive, eine nur das Denken, nicht auch das Seyn betreffende; sondern eben das will der Idealismus, nicht blofs sich selbst, sondern auch seine Objekte bestimmen; die Gesetze also, die für ihn selbst gelten, werden auch für diese eine Notwendigkeit enthalten, aber freilich nicht für sinnliche, sondern für übersinnliche Objekte; — ja diese Gesetze sind es, welche das Wesen der Dinge enthalten. Das ist eines der grofsen Verdienste des Idealismus erkannt zu ha-, heu, wie das, was das innerste Sehnen und Ahnen des Wahrheitsgefühles Wesen der Dinge oder Ding an sich nennet, nicht etwas blofs äufseres, vernunftloses, sondern die Vernunft, der Begriff selber sey. — Dafs das, was wir mit Augen sehen, mit Händen greifen u. s. w., nicht das Wesen der Gegenstände seyn könne, pflegte der Realismus zuzugehen, aber doch sollte stets nach ihm in diesen sinnlichen Einzeldingeu dasselbe noch enthalten seyn; ja es sollte wohl gar dasjenige seyn, was au ihnen den Gegensatz alles Denkens oder Gedachtwerdens ausmachte. Und so wie überhaupt das Ansich der Dinge den Beziehungen und Verhältnissen derselben nach aufseu entgegengesetzt wild, so sollte namentlich das „Ding

41 an sich" die Gegenstände bezeichnen, wie sie aufser allem Verhältnisse zu unserm Denken und Erkennen seven.

In die-

sem Sinne dann aber noch zu verlangen, dafs wir das Ding an sich erkenuen sollten, ist natürlich der gröbste Unsinn, ein vollkommner Widerspruch: denn das würde heifsen, wir sollten erkenuen,

ohne dafs die Gegenstände in die geringste

Beziehung zu unserm Denken kämen, mit Einem Worte, erkennen ohne zu erkennen.

Dann freilich hat mau Recht zu

behaupten, dafs das Wesen der Dinge ewig für uns verschlossen bleibe, dafs ins Innere der Natur kein erschaffener Geist dringe; das heifst dann aber auch alle Ansprüche auf Wissenschaft, alles Streben nach Wahrheit völlig aufgeben;

wenn

aber die Vernunft das Wesen der Dinge ist, wenn das n o t wendige Denken auch zum notwendigen Sevu wird:

dann

dürfen wir die Möglichkeit eiuer Philosophie, eines Wissens von der Wahrheit wohl hoffen. E s wäre uns bis jetzt freilich gevvifs geworden, dafs, wenn eine Wissenschaft in der Art wirklich werden sollte, wie 6ie den eben entwickelten Begriffen gcmäfs wäre, welche uns Notwendigkeit, Allgeraeingültigkeit und Selbsttätigkeit der Vernunft geben könnte, — dafs, sage ich, wenn eine solche wirklich werden sollte, sie nur noch auf dem Wege des Idealismus versucht werden könnte.

Es könnte aber noch wohl der Zwei-

fel übrig bleiben, ob denn auch eine solche Philosophie wirklich werden sollte! — Wer giebt uns diese Gewiisbeit? wer sagt uns, dafs Notwendigkeit u. s. w, für unser Erkennen überhaupt nur seyn kann und soll? wer bürgt uns, dafs diese vorgeblichen Forderungen der Idee der Wahrheit nicht Chimären, nicht Vorspiegelungen einer sich selbst täuschenden Phantasie sind'? Hirngespinste miifsiger Köpfe? dafs wir nicht im Gegenteil von der Natur bestimmt sind, uns mit zufälligen, wahrscheinlichen und parlicnlärcn Erkenntnissen, wie sie der Realismus uns giebt, iu begnügen ?

uud so ausschweifende

42 Forderungen, wie die der Philosophie siiid, mit aller Macht zn unterdrücken? — Solche Fragen hat mau nicht selten aufgeworfen, de« "Widerstreit der Ideen, welche der Philosophie das Dasern ben,

ge-

mit der realistischen Vorstelllingsart hat inau häufig em-

pfunden, und selbst ernstlich den Anfang gemacht, das W a h r heitsgefiihl, oder die vermeintlichen Hirngespinnste überspannter Phantasie, ausrotten oder unterdrücken zu wollen.

Aber

auf die glänzendste Weise hat sich stets die Philosophie g e rechtfertigt; nicht n u r , Verfolgungen Trotz bot,

dafs sie allen Unterdrückungen und und immer mir mit neuem Leben

und neuer Kraft ans denselben hervorging, sondern es mufsten ancli die,

welche sie verfolgten,

Skeptiker und Empiristen,

6tets eben denselben Gesetzen und Ideen huldigeu, denen sie selbst folgte; denn der Empirismus konnte sich nie rein erhalten von den Gesetzen des selbstthätigcn Denkens (wie sie zum Theil in der bisherigen, stets sich gleichbleibenden Logik aufgezählt sind), und der Skepticismus war immer mir defshalb ein Gegner der Philosophie, weil sie eben jenen Ideen der Wahrheit, die er vollkommen anerkannte, nicht entsprechend •war.

Wir dürfen also mit der grofsten Gewifsheit es als die

Erfahrung von Jahrtausenden aufstellen, als eine Erfahrung, die ein jeder täglich in seiuem innersten Gefühle bestätigt finden kann, dafs jene Ideen des Wahrheitssinnes mit dem eigensten Wesen des Menschen anfs Innigste verknüpft sind,

und

dafs der Realismus, der mit iiineu nicht harmoniren kann, den Menschen mit sich selbst in einen unauflösbaren Widerstreit setzt.

Denn vereinigen kann er sich nie mit den Gesetzen

der selbsttätigen Vernunft, wo er ihnen irgeud Raum gestattet, da dienen sie nur zum Betrüge, zur Unwahrheit; er kann also nur fordern, dafs sie gänzlich beiSeite geschafft, gänzlich als trügerisch anerkannt werden.

Dem aber kann der Mensch

nicht Genüge leisten, ohue mit sich selbst ßich zn entzweien;

43 er hat sein eigenes Wesen aufgegeben,

wenn e r die Idee der

Wahrheit aufgegeben h a t ; wer also wird es nicht gut heifseu, •wenn er den letzten möglichen W e g , sie zn verwirklichen, e r greift, und sich dem Idealismus anheim g i e b t ?



E s m a g nicht undienlich s e y n , noch einige Yorurtheile zu berühren, die, so nichtig sie auch s i n d ,

doch dem Idealismas

in der allgemeinen Meinung im W e g e stehen.

So ist es z . B .

die erste und gewöhnlichste Vorstellung vom Idealismns,

dafs

er nur in der L ä u g u u n g der Realität der Aufsendinge bestehe. Und doch ist ihm nichts weiliger wesentlich als diefs L ä n g n e n ; deun wenn es freilich wahr i s t ,

dafs oft sich der Idealismus

auf diese Weise ausgesprochen h a t ,

so folgt daraus

w e g e s , dafs diefs auch seine wesentliche Art

zu

keiuesseyn ist.

Dafs das, was ich mit den Sinnen anschaue, dafs das Papier, auf dem ich schreibe,

der S t u h l , worauf ich sitze, und ä h n -

liche Gegenstände eine gewisse Art der eine

S a c h e , die

werden b r a u c h t ;

Realität

haben,

ist

ganz und g a r nicht in Abrede gestellt

zu

dafs dergleichen Wahrnehmungen

mir T ä u -

schungen der Sinne seyen, dafs ich z. B . , wenn ich mir den Kopf an der W a n d zerstofse, an blofsen Einbildungen meiner Phantasie

mich verletze, —

Idealisinus zu behaupten.

das

verlanget

keineswegs

Nur dafs diese Einzeldinge

Realität haben, wie die Wissenschüft sie verlangt, Allgemeinem

zu

der keine

die es mit

tlmn h a t , — das ist der Satz der das we-

sentliche des Idealismus ausmacht.

Dafs solche sinnliche E i n -

zelheiten für die Philosophie nichts sind, dafs sie

namentlich

nicht als höchste Kriterien des wahren anerkannt werden d ü r fen, das sind Hauptsätze der nenen Philosophie, von denen sie nicht abgehen kann. Ueberhatipt möchte hier eine Bemerkung zu machen seyn, die von

Wichtigkeit

seyn könnte,

die nämlich,

dafs da, wo

über Realität der Aufsendinge, und eben so über die Realität der Ideen gestritten

wird,

auf beiden Seiten

der Streitenden

44 beständig ton einer ganz verschiedenen Art der Realität die Rede ist; so dafs hier fast nur Wortstreit, kaum eine wirkliche Verschiedenheit der Ansichten, statt findet. Dafs die Begriffe und Ideen eine solche Existenz hiltten, wie die Gegenstände der Sinne, ein Einzeldaseyn für die Wahrnehmung oder Empfindung, das wird kein Idealismus je behaupten wollen; dafs aber die übersinnliche Welt der Ideen eine Realität für die Wahrheit habe, ein Sevn, das freilich von dem der sinnlichen Welt himmelweit verschieden ist, das kann nur die gröfste Beschränktheit läuguen wollen.

Wird man eine solche

Unterscheidung der verschiedenen Begriffe von Realität festkalten, so kaun man auch sehen, dafs der ganze uiene&idemische Skepticisinus, so weit er sich gegen die neue Philosophie gewendet hat, dieselbe, als Idealismus, ganz und gar nicht trifft. Denn indem das Hauptargument desselben darauf beruhet, dafs das Denken kein Sejn ist, unter diesem Sevn aber nur ein sinnliches, einzelnes Sevn verstandeu wird, so kann der Idealismus den ganzen Beweis zugeben, ohne dadurch im geringsten sich selbst gefährdet zu sehen.

Dafs durch unser

Denken an dem Seyn der sinnlichen Dinge irgend etwas bestimmt oder bedingt werde, hat er auch nie behaupten wollen; indem er aber von einein ganz andern Sejn redet, so ist jener Zweifelsgrund weit davon entfernt, ihu zu erreichen. Eine Bedenkliclikeit könnte sich hierbei aber doch immer noch aufdrängen, in so ferne nämlich der Idealismus eine gewisse Realität der Anfsendinge anzuerkennen vorgiebt, und dennoch sie zu Kriterien seiner Wahrheit für untauglich erklärt.

Denn indem er sagt, wie wir oben zeigten, dafs die

Sphäre seines Vorstellcns von der des sinnlichen Vorstelleus dem Inhalte nach nicht verschieden sej, so wird er doch nicht umbin können, letztere, d. h. die Erfahrung oder die Wirklichkeit der Empfindung, in gewissem Sinne als Kriterium anzueikeuueu.

Denn wenn er von denselben Objekten redet, 60

45 werden doch seine Aussagen mit denen der Erfahrung übereinstimmen

müssen,

und

es würde doch jedem

Idealismus

schwer werden, sich Glauben zn verschaffen, oder wahr zu sejn, weun er uns etwa deducirte, dais die Eichbäume rothc Blätter trügen, oder dafs das Wasser ein fester Korper sey, und dergl.

Diefs ist allerdings sehr richtig, nnd der Idealis-

mus selbst ist sehr weit entfernt, wenn er zwei verschiedene Sphären des Torstcllens behauptet, dieselben als so verschieden anzusehen, dafs sie im Widerspruch mit einander treten dürften.

So kann dann allerdings die Erfahrung ein Prüfstein

der Wissenschaft sejn, aber durchaus nur ein negativer, d. b. die allgemeinen Aussagen dieser dürfen nicht den einzelnen Wahrnehmungen

jener widersprechen.

Dais die Erfahrung

aber nie ein positives Kriterium allgemeiner und notwendiger Sätze abgeben könne, haben wir oben zur Genüge dargethan; es mufs dennoch der Idealismus zuerst ein anderes Kennzeichen seiner Wahrheit haben, sodann aber mnfs dieses auch die Gewährleistung mit sich führen, dafs es nie der möglichen Erfahrung werde widersprechen können, oder vielmehr, dafs die Erfahrung mit dem Idealisinus übereinstimmen werde.

Es

ist also nicht die gegebene objektive Welt das erste, zu dem das Erkennen erst hinzukommen, lind dem es sich anschliefsen, dem es sich gcmäfs machen mufs, um Wahrheit zu haben, sondern das Erkennen ist das erste, welches aber kühn fordern nnd voraussetzen darf, dafs die gegebene Wirklichkeit mit ihm übereinstimmen, und an ihm den Prüfstein ihrer Wahrheit habe. Uebereinstiinmen sollen beide Sphären des Erkennens,

aber

nicht der Idealismus soll mit der Erfahrung, sondern diese mit jdnem verglichen und an ihm geprüft werden. — Möge dieses wenige für jetzt hinreichen,

uns mit dne

Gründen des Idealismus bekannt zu machen, nnd so viel e9 hier schon geschehen konnte, seine Behauptung zu rechtfertigen, dafs, wenn überhaupt Philosophie möglich ist, sie einzig

46 noch auf dem Wege des Idealismus 211 erreichen steht. dieses gegründet, so ist damit zugleich ausgesprochen,

Ist (wie

schon oben gezeigt ist,) dafs nur eine formale Wahrheit Audio Wissenschaft sowohl möglich, als auch erspriefslich ist. Die Form aber des Denkens kann so gewifs alle Menschen nur Eine Gattung ausmachen, also dem Wesen nach sich gleich sevn müssen, nur Eine und dieselbe bei allen seyn; es darf also keinem Zweifel unterliegen, dafs ihre Gesetze eiue absolute Allgemeingültigkeit haben werden, und zugleich da sie Gesetze sind, die mit dem Wesen des menschlichen Denkens zugleich gegeben sind, für jedes Individuum

eine unabweis-

bare Nöthigung oder Notwendigkeit enthalten müssen; dafp also durch sie die Forderungen

der Idee der Wissenschaft

oder Wahrheit befriedigt werden müssen.

Dessenungeachtet

könnte liier aber noch ein Zweifel obwalten wegen des Inhalts: ob es nämlich nothwendig sey, dafs eine uud dieselbe Form auch bestandig einen gleichen Inhalt geben müsse, oder ob nicht vielmehr verschiedene Systeme, nach allen formalen Gesetzen richtig gegliedert, dennoch einen verschiedenen Inhalt haben, oder gar einander widersprechen köniieu'? da doch die Erfahrung zeigt, dafs auch die widersprechendsten Dinge, jedes einzeln für sich, formal richtig gedacht werden können: es doch aber unmöglich zu denken ist, dafs eine Wahrheit Allgemeingültigkeit haben, oder nur überhaupt Wahrheit seyn könne, der, mit demselben Ansprüche auf völlige Gesetzmäfsigkeit der Form, eine dem Inhalte nach ganz verschiedene, j a wohl gar ganz widersprechende Wahrheit gegenübertreten könnte. —

Diesen Zweifel jedoch hebt

augenblicklich die

einleuchtende Gcwifsheit, dafs eine solche Verschiedenheit des Inhalts bei einer uud derselben Form nur so lange möglich ist, als nicht die ganze

Form erfüllt ist, nicht alle Gesetze

derselben befolgt, oder alle ihre Forderungen befriedigt sind, oder so lange diese Gesetze nur auf einzelne Theile des gan-

47 zen, für alles Denken irgend möglichen Inhaltes

angewandt

werden; dafs aber alle Verschiedenheit aufhören inufs, sobald diesen Gesetzen gemiifs der ganze mögliche Inhalt — und der ist bei allen Denkenden doch einer nnd derselbe, niüulich die ganze Masse alles irgeud denkbaren; nur dafs der eine diesen, der andere jenen Theil derselben für sich heraushebt — nach allen Seiten hin völlig

bedingt nnd geformt ist.

So

können einem Bildhauer, der eine Statne giefsen will, zu der ihm eine bestimmte Form, und eine, dieser \ollig entsprechende, Masse Metalls gegeben ist, wohl verschiedene Gebilde sich ergeben,

so lange er nur einen Theil der Masse

in Flnfs setzt, oder nur Theile der Form ausfüllt: es kann das eine Mal ein Arm, das andere Mal ein Bein,

ein Theil

des Hanptes u. s. w. das Resultat sevn; — aber sobald die ganze Masse zum Gusse genommen, und jeder einzelne Theil der Form ausgefüllt wird, so kann stets nur eine und dieselbe Gestalt, dieselben Verhältnisse, dieselbe Schönheit das Ergebnifs seyn.

So ist dem Erkennen eine bestimmte Form gege-

b e n , die Gesetze des denkenden Geistes, und ein,

derselben

genau angemessener Inhalt, der ganze Umfang des denkbaren — und wie sollte das denkbare nicht der Form des Denkens genau angemessen sein? — durchaus rohe

Masse,

welcher Inhalt aber, als

durch die Erfahrung uns

zugeführt

wird; ist die Masse völlig und nach allen Gesetzen in die Form aufgenommen, so ist die Wahrheit d a , aufser welcher es keine andere Wahrheit geben kann, die Eine Wahrheit für die Eine Forin

des Erkennens.

Und auch dafür, dafs die

Form stets und in jedem Augenblicke den ganzen Kreis des möglichen denkbaren erschöpfend umfasse, führt sie in sich selbst die Bürgschaft mit sich, wenn sie, von dem Begriffe des denkbaren oder des Denkens selbst anhebend, denselben nur nach ihren richtigen Gesetzen völlig erschöpfend und so wiederum gleicliniilfsig

eintheilt,

die Eintheilungsglieder,

nnd

48 wieder (leren Unterabteilungen, n. s. w., so dafs jedesmal die Forin selbst uns die Ueberzeugung, jedesmal iliren Inhalt Tüllig erschöpft zu haben, gewährt. —

Darum aber ist der

Idealismus auch nothwendig zugleich Kriticismns, d. h. Kenntnifs des menschlichen Geistes, indem nur die genaueste Bekanntschaft mit den Formen des Denkens sie so anwenden lehren kann, dafs in jedem Augenblicke nnd in jedem, auch dem kleinsten Theile, der Inhalt völlig durch dieselben bestimmt wird.

Aber auch erst, wenn diefs vollkommen erreicht

ist, dürfen wir uns einer Wissenschaft erfreuen, wie sie allen Anfordertingen der Idee entspricht, nnd ganz die Sehnsucht befriedigt, die das Wahrheitsgefühl nach einer rein selbstthiitigen und nur durch sich selbst

gesetzmäfsigen Philosophie

empfindet.

11. Ist nun

eine solche Wissenschaft möglich? wird die

Menschheit die schönen Hoffnungen, die ihr der Idealismus macht, je erfüllt sehen? wird sie den Gegenstand ihrer Sehnsucht in der Wissenschaft je erreichen? und werden die Ahnungen eines bessern Erkennens, als das bisherige war, zu einer befriedigenden, schönen Wirklichkeit werden? — U n d wenn es wahr ist, dafs die Hoffnungen des Wahrheitstriebe» nicht ganzlich leer sind, dafs das Sehnen und Streben, des Erkennens nicht ganz vergebens seyn soll, wie wird es denn erreicht werden? wie wird der Mensch zur Wahrheit gelangen? wie wird Philosophie möglich und wirklich zu macheu seyn? — Ohne Zweifel wird jeder leicht einsehen, dafs uns die Beantwortung dieser Fragen in einen weiten Kreis von Unter-

49 tersuchungen ziehen muís, indem es auf nichts geringeres ankommt, als auf eine so genaue Kenntnifs des ganzen menschlichen Erkenntnifs- oder Denkvermögens, dais wir bestimmen und uns zum Bewufstsejn bringeh können, wie in jedem Augenblicke das Denken, allein aus seinen eigenen Gesetzen und Formen,

sich selbst,

und damit zugleich seinen Inhalt, und

zwar auf eine nothwendige nan bedingen müsse.

und allgemeingültige Weise,

ge-

Und olmstreitig sind es höchst schwie-

rige Untersuchungen, die hierzu

erfordert werden, denn was

hätte sonst gehindert, dafs jene Bestimmungen

nicht schon

längst in den, sie bezweckenden, Wissenschaften, in Kritiken der Vernunft, in Fundamentalphilosophien, Theorien des E r kenntnisvermögens ,

Wisseuschaftslchren

u. s. w. geleistet

worden wären? — Es wird also hoffentlich auch nns nicht zum Vorwurfe gereichen dürfen, wenn wir, wie wir schon oben sagten, uns für jetzt noch nicht in diese Untersuchungen einlassen können, sondern sie für eine besondere Arbeit versparen , iu welcher sie allein uns beschäftigen werden.

Für

den gegenwärtigen Ort mag es uns genügen, eine Vorarbeit für dieselben zu unternehmen, nnd zwar, so wie wir bisher den eigentlichen Punkt und Gegenstand der Untersuchung g e nauer bestimmt haben, so jetzt die Art und Weise zu erörtern,

derselben

so dais wir fragen: was für eine Wissenschaft

es seyn müsse, welchc uns über die Möglichkeit einer Philosophie Aufschlufs gebe, welche also die eben geforderten Untersuchungen enthalte? und von welcher Art diese Wissenschaft seyn müsse, zu welcher Klasse der Disciplinen gehörig, von was fiir einem Standpunkte ausgehend,

und mit welchen

Hülfsmitteln ausgerüstet, um 2u einem erfreulichen Resultate zu führen? Die Aufgabe ist: zu zeigen, ob nnd wie eine Wissenschaft, in dem angegebenen strengsten Sinne des Wortes, ein Wissen des wahren möglich sey; die Wissenschaft also, welche Schroidt's Aphorismen.

£

50 sieb mit diesen Untersuchungen befassen würde, würde die Wissenschaft selbst zum Gegenstande haben, eine Wissenschaft von der Wissenschaft seyn; — und so wie wir die Wissenschaft vom Staate eine Staatslehre, die von der Natur Naturlehre, die von Maschinen eine Maschinenlehre n. s. w. nennen, so werden wir völlig mit demselben Rechte unsere gegenwärtige Wissenschaft eine Wissenschaftslehre nennen dürfen; die Frage, die sie an ihre Spitze stellt, und deren Beantwortung ihr einziges Geschäft ist, heifst: ,,wie ist Wissenschaft möglich?" *) Man sieltet deutlich, dafs diese Wissenschaftslehre noch nicht die Philosophie selber ist, sondern deren Vorwissenschaft, eine Propädeutik und Einleitung zu derselben. Denn die Philosophie fragt nicht erst, ob und wie Wissenschaft möglich ist, sie inufs schon wissen oder wenigstens voraussetzen, dafs sie möglich ist, sie will selbst die Wissenschaft im strengsten Sinne des Wortes seyn, will uns die Wahrheit und das Wissen davon schon geben, nicht erst den Weg dazu, und die Möglichkeit, ihn zu gehen, oder die Mittel, auf ihm fortzuschreiten , untersuchen; die Regeln fiir ihr Verfahren ferner, die Methode desselben, welche die Wissenschaftslehre angeben soll, mnfe die Philosophie schon kennen, weil eben sie dieselben schon anwenden soll. Alles dieses mnfs ihr die Lehre von der Wissenschaft schon vorher zubereitet und zurechtgelegt haben, als ihre Dienerinn und Vorläuferinn; und wenn wir diese selbst auch schon eine Wissenschaft nennen, so ist klar, dafs diefs nicht in jenem angegebenen höchsten und strengsten Sinne zu verstehen seyn kann, in welchem vorzugsweise die Philosophie so genannt wird. **) *) Vergl, Fichte über den Begriff der Wissenjchaftsl. S. 11. Aufl. II. **) Bei Fichte ward allerdings die Wissenschaftslebre selbst zur Philosophie oder Metaphysik; wie diefs aber mit ihrer gestellten Aufgabe, und mit Fichtst andern Aeufserungen

51 E s ist ferner klar, dafs die Wissenschafts lehre, in diesem Sinne verstanden, nichts anderes ist, als was Kant die Kritik der Vernunft nannte; denn die Anfgabe, welche diese als die ihrige anerkennt, zu lehren: wie synthetische Urtheile a priori möglich seyen? — ist ganz dieselbe mit der nnsrigen. Denn indem unter apriorischen Urtheilen solche verstanden werden sollen, welche absolute Allgemeinheit und N o t wendigkeit besitzen, so heifst die Frage nicht anders als: wie ist Wissenschaft möglich? — Ganz dieselben Untersuchungen auch sind es, welche man späterhin mit den Namen: Element a r - oder Fundamentalphilosophie, erste Logik, Architektonik u. s. w. belegt hat; welche aber fast alle mehr oder minder den Fehler mit der Kritik der Vernunft und der Wissenschaftslehre gemein hatten, dafs sie sich selbst als Philosophie oder Metaphysik geltend machen wollten, und statt eine Einleitung und Methodenlehre derselben zu seyn, eine Begründung und ein Fundament für sie zu seyn sich anmafsten; nicht zufrieden ihre Lehrerinn zu seyn, gaben sie sich für die Mutter derselben aus. Es findet sich aber, wenn wir die Natur dieser Untersuchungen naher betrachten, noch eine Wissenschaft, die man noch fast immer weit von denselben entfernt gehalten hat, und harmonirt, sehen wir nicht ein. Zwar unterscheidet Fichte von der W l , noch andere Untersuchungen „über die Möglichkeit, die eigentliche Bedeutung und die Regeln" der Metaphysik, (vergl. Begr. d. W L Vorrede zur II. Aufl. S. X,) wir gestehen aber nicht ein zu sehen, wie ferne sich dieselben von der W L . unterscheiden, wenn nämlich letztere das ist, was sie ihrer Aufgabe nach seyn soll. Denn wenn sie die Frage beantworten soll: „wie ist die Wissenschaft möglich?" (Begr. der W L . S. 11, Aufl. II,) so mein-n wir, dafs sie mit Untersuchungen „iiber die Möglichkeit und die Regeln" der Wissenschaft gänzlich identisch ist, denn diese wollen uns sagen: ob und wie Wissenschaft möglich ist. — Dafs übrigens die W L . nur Einleitung und Propädeutik der Philosophie seyn kann, finden w i r jetzt anerkannt von ihrem jetzigen Repräsentanten: J. H. Fichte, ßeiir, zur Charakteristik der neueren Philosophio 5. 317.

4*

52 welche dessenungeachtet, richtig erwogen, ganz und gar mit denselben zusammenfällt, so dafs eine jede Trennung beider nicht blofs als willkiilirlicb, sondern auch als unrechtmafsig erscheinen innfs; wir meinen die Logik.

Man konnte 6ich

ohne Zweifel nicht überzeugen, [dafs die längst bekannten und behandelten Gegenstände und Fragen

der Logik

mit

den

Nachforschungen über die Möglichkeit der Wissenschaften einerlei sevu sollten, die man nur zn sehr geneigt war für neu anzusehen, und die man überdiefs so leicht in das Gebiet der Metaphysik hinüber zog.

s

Und doch läfst sich kein möglicher

Grund einer Trennung absehen; man folge uns nur in den nächsten Betrachtungen mit vorurteilsfreier Aufmerksamkeit. Die Regeln der Logik haben immer dafür gegolten, und haben diesen einzigen Sinne, dafs sie die Bestimmungen und Gesetze für die Art und Weise des Denkens, namentlich für das Verfahren oder die Methode desselben in seiner Hauptsächlichsten Verrichtung, in der Erbauung von Wissenschaften enthalten sollten-, sie gaben die Vorschriften für das richtige Denken, für die Art und Weise, wie gedacht werden solle. Das Sollen für einen jeden Gegenstand, d. h. die Bestimmung, (kr er nachstreben, oder das Ziel welches er erreichen soll, ist ohne Zweifel seine Vollkommenheit, (welches ein identischer Satz ist); es wird also auch, wcuii von einem Sollen für das Denken die Rede ist, dieses die Vollkommenheit desselben zur Absicht haben.

Die Vollkommenheit des Denkens

ist die Wahrheit, so dafs unser Denken, welches seiner Bestimmung angemessen ist, wahr, d. h. ein Erkennen oder Wissen des wahren, oder,

wenn es zugleich systematische

Form hat, eine Wissenschaft im eigentlichsten Sinne des Wortes seyn wird.

Demzufolge würde die Logik es seyn, welche

die Regeln angebe, nach denen Wissenschaft

möglich

ist.

Betrachten wir auf der andern Seite die Wissenschaftslelue, wie wir oben ihren Begriff festgesetzt haben, so wird

53 dieselbe,

indem sie angiebt,

anf welche Art nud Weise wir

iiir "Wissenschaft gelangen werden,

Regeln für das Deukeu

enthalten müssen; denn mir durch Denken werden wir zur Wissenschaft kommen können,

und

wer die Regeln zur E r -

langung eines Zweckes an die Hand geben will, inuis natürlich Vorschriften fiir den Gebrauch der Mittel dazu ertheileu; und hier ist nicht einmal Zweck uud Mittel verschieden, sondern das Denken ist die Wissenschaft selbst, nur dafs diese die höchste Potenz von jenem ist.

Die Wisseusckaftslehre ist

also nothwendig zugleich Denklehre > und die Deuklehre oder Logik ist unumgänglich zugleich Wissenschaftslehre. Indessen konnte noch vielleicht bezweifelt werden, ob die Logik, in dem Sinne wie sie bisher existirt hat, in dem ganzen Umfange die Absicht habe, oder nur haben könne, welche wir ihr beigelegt haben.

Vielleicht — und diefs ist die all-

gemeinste Ansicht von derselben — beabsichtigt sie nur, eine gewisse Art von Vollkommenheit für das Denken

hervorzu-

bringen, ein bestimmtes und beschränktes Ziel fiir dasselbe zu erreichen, während die Wissenschaftslehre etwa die gänzliche Vollendung des Erkenneiis zur Absicht hat; — und wirklich hat man so meistentheils die Logik angesehen, als eine W i s senschaft, die nur eine sehr beschränkte, eine sehr

UUYOII-

kommue Vollkommenheit des Denkens bezwecke, welche mau denn auch mit dem Namen der formalen Wahrheit,

bezeich-

nete als eine Wahrheit, die eigentlich zum bessern Erkennen gar

nichts

helfe,

und

noch

jeder

möglichen

Unwahrheit

Raum lasse. Gegen diese Einwendung werden wir nicht sowohl an das erinnern, was wir oben gezeigt haben, dafs nämlich die Wahrheit im eigentlichen Sinne,

wenn sie überhaupt möglich

ist, nur formal sevn kann, dafs a l s o , wenn die bisher söge > nannte formale Wahrheit, und die Regeln fiir dieselbe,

aller-

dings als höchst unzureichend erscheinen, diefs nur etwa darin

54 seinen Grund hallen mag, weil besagte Regeln -vielleicht erst auf eine nnvollkommne Weise erkannt sind: — wie werden vielmehr aus dem oben dargestellten Gegensatze der alten und neuen Philosophie eigenen Grand für die Logik aufzeigen, eine Notwendigkeit, welche sie zwingt, so ferne sie nur ihre eigene Existenz retten will, die von uns ihr gestellte Aufgabe als die ihrige anzuerkennen, uud somit sich mit der Wissenschaftslehre für identisch zu erklären. Es ist nämlich niemand mehr bei dem Streite der nenen Philosophie gegen die alte interessirt, und in denselben verwickelt, als eben die Wissenschaft, welche bisher unter dem Namen der Logik existirt hat.

Denn diese enthält, indem sie

überhaupt die Regeln und Gesetze des Denkens darstellt, namentlich auch Vorschriften für die Art des Vorstellens, welches über die blofse Empirie, über das bloüse Bestimmtwerden hinans, selbsttätig und den eigenen Kräften vertrauend E r kenntnisse zn erzeugen versucht; es machen sogar diese Vorschriften, zu denen namentlich die ganze Lehre von Schlüssen Und Beweisen geführt, den bei weitem gröfsern lind wichtigern Theil der alten Logik aus.

Ist nun unwidersprechlich

gewifs, dafs nach alter, realistischer Weise jede, auch die geringste Selbsttätigkeit

des Denkens, die über das gegebene

hinausgeht, vom Uebel ist: so sind natürlich auch alle die Regeln und Vorschriften, welche sich auf dieselbe beziehen, nicht blofs durchaus unnütz, sondern sogar höchst verderblich, indem jede ihrer Anwendungen zur Unwahrheit führen mufs. E s bleibt sodann für den Realismus nichts übrig, als eine gänzlich passive Empirie; zu einer solchen aber bedürfen wir keiner Logik.

Würde also keine andere Weise des Denkens

möglich sevn, als die alte realistische, so würde die Logik mit der altcu Philosophie zugleich völlig ihre Existenz eingebüfst haben, sie müfste als eine durchaus antiquirte Wissenschaft betrachtet werden, von der auch jede Spur, jede Erin-

55 nerang, wie eine Pest fiir das Denkeu, müfste gemieden werden.

Sie kann, so wie die Philosophie selbst, mir leben und

atlunen, wo es ein rationales, freies Denken giebt; so wichtig also,

nie ihr eignes Leben ist, mufs ihr die Möglichkeit ei-

nes solchen seyn, die erste F r a g e also, die sie schon

znr

Sicherung ihrer eigenen Existenz thnn mufs, die die erste Bedingung ihrer

eigenen Möglichkeit enthält,

mufs die seyn,

welche sie init der Wissenschaftslehre identificirt: wie ist W i s senschaft möglich ? -

Will die Logik das nicht, will sie, wie

bisher, in ihrem beschränkten Kreise verharren, so giebt sie damit sich selbst auf; sie ist nichts, wenn

sie nicht Wissen-

schaftslehre ist, und nur indem 6ie die Möglichkeit der Philosophie

nachweiset,

kann

sie selbst

zur Wirklichkeit

ge-

langen. Hieraus nun ergiebt sich uns die Idoe dessen, was die Logik s e j n soll.

Ist

sie nämlich Wissenschaftslehre

und

Denklehre, und ist Wissenschaft und ein eigentliches Denken mir noch auf dem Wege des Idealismus möglich, so wie wir ihn oben bezeichnet haben: so wird sie die Wissenschaft von der Möglichkeit des Idealismus seyn müssen.

Also eine Denk-

lehre, welche die Torschriften sacht für ein Denken, was iu reiner und freier Selbsttätigkeit besteht, für ein Denken, was, unabhängig

von

allen

gegebenen Objekten,

allgemeingültig

unter allen Umständen eines und dasselbe, und für alle Zeiten und Oerter gleich nothwendig und zureichend bleibt, für ein "Vorstellen, welches rein durch seine eigenen Gesetze sich so genau bestimmt, dafs es stets nur Eines und ein wahres seyn kann.

Wenn die Logik das wird geleistet haben,

so

dafs sie ein Denken gefunden, welches einzig nur durch sie so bedingt wird, dafs ganz und gar kein Raum für äufsere Bestimmungen und Zufälligkeiten, wie die der Objekte sind> übrig bleibt: — dann wird sie sich mit Ehren einer Wissenschaft, wie die Sittenlehre ist, an die Seite stellen können;

5& denn das was liier von der Denklehre für das Denken geleistet werden soll, Unabhängigkeit Ton allen áufsern Umständen nnd Zufälligkeiten,

eine .durchgängige Bestimmung nur

durch die eigenen Gesetze, 11. s. w., — lehre für das Handeln längst —

das hat die Sitten-

wenigstens zu leisten ver-

sucht, sie hat es stets als ihre

Aufgabe anerkannt.

Eine

solche Denklehre wird dann eine Wissenschafts-, und Walirheitslekre heifsen dürfen, so wie die Sittenlehre zugleich eine Tugendlehre s e j n soll. Man bemerkt wohl dafs der Logik, wenn man ihren bisherigen Zustand mit dieser ihrer Idee vergleicht, noch vieles zu leisten übrig ist, dacht haben.

woran sie bis dahin kaum nur mag g e -

Denn freilich giebt

sie Regeln und Gesetze,

dié linter allen Umständen gültig und dieselben bleiben;

aber

diese sind keiuesweges von der Art, dafs sie ein vollständiges und durchgängiges

Bestimmt«erden

des Vorstellens

hervor-

brächten, so dafs für keine Verschiedenheiten noch Abweichungen Raum bliebe; diese lassen im Gegentheil allen und jeden Bedingungen durch zufallige Umstände, allen und jeden T ä u schungen und Unwahrheiten, allen Widersprüchen und verschiedenen Ansichten die völligste Freiheit.

E s ist also die

erste Nothwendigkeit die, dafs die Logik, wenn sie überhaupt das leisten will, was von ihr gefordert wird, — und das mufs sie, um nur ihre Existenz zu erhalten —

wenn sie also über-

haupt nur existiren will, noch bedeutende Fortschritte mache, noch um vieles ihren bisherigen Zustand

ändere nnd bessere.

Freilich wird es ihr sauer ankommen, jetzt noch in ihrem A l ter, nachdem sie schon kalt und steif in der gewohnten Weise geworden, auf Besserung ihres Wandels zu denkeu, jetzt noch, nachdem sie Jalirtausende geruhet, und noch dazu in einer höchst selbstgefälligen Ruhe, und nachdem sie 6eit Aristoteles gänzlich des Fortschreitens eutwölmt noch die Krücke zur Hand nehmen,

worden ist, —

jetzt

nnd von néuem gehen

57 lernen zn sollen.

Aber was thnt man nicht, um sein Leben

zu erhalten! Das

letzte Stündlein herannahen zu sehen, und

alle Hoffnung des Lebens aufzugeben, dazu kann sich doch die gute alte Logik noch nicht entschliefseil, es wird also wohl kein anderer Rath seyn, als die bittre Arznei zu nehmen, die morschen Gebeine in Bewegung zu setzen, und Fortschritte zu versuchen nach besten K r ä f t e n ;

vielleicht dafs die neue

Uebnng auch neue Kräfte, neues Leben wieder giebt! E s kann uns natürlich, nach allem gesagten hier nicht mehr darum zu tliun seyn, uns in den vielbesprochenen Streit einzulassen,

ob die Logik schon fertig und eine

Wissenschaft sey,

oder

ob sie überhaupt

noch Fortschreiten

k ö n n e ; *) denn nach obigem inu£s es für jeden genug seyn,

vollendete

überzeugend

dafs sie entweder sich znm Fortschreiten ent-

6chliefsen mufs, oder aufgehört hat zu existiren.

Ist sie fertig,

d. h. kann sie nicht mehr fortschreiten, so wird sie auch im vollsten Sinne des Wortes fertig seyn, oder vielmehr,

man

wird mit ihr fertig geworden seyn, d. h. sie ist gänzlich a b gethan, ihre Existenz hat sich in nichts aufgelöset, sie ist heimgegangen zn ihren Vätern, als da sind Astrologie, Magie, Goldmacherkunst

und ähnliche, man wird ihrer nicht weiter

gedenken. Ist nun aber die Notwendigkeit fortzuschreiten, nnd neue Gesetze für das Denken zu entdecken, der Logik freilich g e w i f s ; so

möchte i h r doch die Bemerkung, welche ihr

Fortschreiten verwehren solle, dafs nämlich seit

das

Aristoteles

keine neue und weitere dergleichen Gesetze entdeckt worden sind, so sehr doch zu allen Zeilen die Aufmerksamkeit der Wissenschaft darauf

mufste gerichtet s e y n , — diese Bemer-

k u n g sagen wir, mufs ihr wenigstens zeigen, dafs ihr Unternehmen von einer bedeutenden Schwierigkeit seyn mufs.

Denn

•) Vergl. des Verfasser» Ideen zu einer erneuerten Kritik der V e r n u n f t , Bd. J, E i n l .

58 wie dürften wir hoffen, mit leichter Mühe da etwas genes zu entdecken, wo der Forschnngsgeist yon zwei Jalrtausenden nichts mehr gefunden hat ? nnd wirklich ist der Uiretand, dafs eine Wissenschaft seit so langer Zeit ihren Kreis rieht erweitert hat, wohl geeignet, das Yorurtheil zu erweckei, dafs sie ihn erschöpft habe.

Aber vielleicht — und diefs lebt unsere

Bedenklichkeit — hat die Logik

die Gesetze des Denkens

zwar alle gefunden, d. h. der Anzahl nach sie vollständig dargestellt, aber — und das ist mehr als wahrscheinlich, wie uns denn auch die Erfahrung einst es bestätigen vird — sie hat sie nicht gehörig ihrem ganzen Umfange nara erkannt, ihre Anwendung nicht in ihrer völligen Ausdehnung verstanden, und nur darum nicht das geforderte geleistet, nämlich •das Denken in jedem seiner einzelnen Theile duret seiue eigenen Gesetze zu bestimmen.

Es würde also, um die Logik

zu verbessern oder zu vervollständigen, nicht eigentlich darauf ankommen,

noch mehr und neue Vorschriften für das

Denken zu finden, als vielmehr darauf, die vorhandenen nnd bekannten richtiger zu würdigen, in einem weitem Umfange anzufassen, nnd nähere Bestimmungen ihrer Anwendung, ihrer Ausdehnung u. s. w. zu entdecken; eine Arbeit die keineswegs von unabsehbarer Weitläufigkeit seyn kann. Wohin haben wir nun unsere Blicke zu richten um diese Untersuchungen anzustellen! wo liegt das Feld unserer Betrachtungen ? die Sphäre, in der die Logik sich bewegt? der Ort also, den sie unter den übrigen Wissenschaften einnimmt? zu welcher Klasse derselben wird sie gehören"? und was für einen Standpunkt wird sie einnehmen müssen? Eine Wissenschaft, welche von den Gesetzen des Denkens handelt, wird, indem das Denken eine Tätigkeit des menschlichen Geistes ist, ohne Zweifel mit der Betrachtung dieses Geistes selbst es zu thiiu haben, den sie in einer bestimmten Art seiner Verrichtungen, nämlich in seiner Thfttig-

59 keit des Denkens zu beobachten unternimmt. Wissenschaft von dem menschlichen Geiste,

Wenn nnn die wie gebräuchlich

i s t , Psychologie heilst, so wird demnach, so allgemein man 6ich autch dieser Ansicht zu widersetzen pflegt, die Logik ein Theil dier Psychologie, oder eine der verschiedenen gischen "Wissenschaften s e j n müssen.

psycholo-

Denn man wird doch

auf keime Weise begreiflich machen können, warum, wenn die Untersuichnng des Geistes in die Psychologie gehört, dieselbe Untersuchung die den Geist aber nur von der Seite auffaßt, in so fierne er denkt, nicht gleichfalls der Psychologie angehören ¿sollte.

Gehört etwa die Botanik nicht zur

Naturge-

schichte?, defshalb weil sie die Natur nur in einem ihrer Theile betrachtet? oder die Beobachtung des Blntnmlaufs nicht Physiologie des menschlichen Körpers,

zur

defshalb weil sie nur

eine seiner Verrichtungen zum Gegenstand hat? W o aber werden

wir die Gesetze des Denkens

finden?

wird uns die Beobachtung des Denkens allein sie entdecken lassen? oder was ist es im menschlichen Geiste, was dem Denken diese seine Gesetze giebt? —• E s scheint widersprechend zu seyn, dafs wir, um die Regeln für das Denken zu finden, noch andere Gegenstände, oder wenigstens noch a n dere Thätigkeiten des Geistes zu untersuchen verlangen, als das Denken allein; was brauchen wir z. B . , um die Gesetze des Falles zu erkennen, noch

weiter zu beobachten als das

Fallen selbst? Hier aber ist eine Verschiedenheit nicht aufser Acht zu lassen, die von Bedeutung i s t :

die Gesetze der N a -

tur sind solche, die stets und unter allen Umständen befolgt •werden, man kann sie also unmittelbar aus der Beobachtung der Gegen st'inde, die unter denselben stehen, kennen lernen, indem sie sich immer genau in diesen darstellen.

Dagegen

sind die Gesetze für die Thätigkeiten des Geistes von der Art, dafs sie nur befolgt werden sollen,

welches aber nur in ei-

nem vollkonmnen Zustande des Geistes möglich i s t , dafs si«

60 für gewöhnlich aber eben so oft übertreten als befolgt werden.

Mau betrachte selbst nur die bisherigen Regeln der

Logik, und man wird nicht läugnen honnen, dafs das wirkliche Denken selten ihnen völlig entspricht, die Beobachtung des Denkens allein würde uns also wohl sagen können, wie es ist, in seiner jetzigen Unvollkoinmenheit, aber nicht, wie es seyn soll; was überhaupt ein Gegenstand seyn soll, kann er selbst und allein uns nie lehren.

Was ist es denn aber,

was uns sagt, wie etwas seyn soll, und namentlich in iwserm gegenwärtigen Falle, wie das Denken beschaffen seyn soll? — E s ist diefs dasjenige Vermögen des menschlichen Geistes, welches die Sprache mit dem Namen des Gefühles

belegt,

das Vermögen Lust zur Unlust, angenehmes und unangenehmes zn

empfinden.

Das angenehme,

den Gegenstand der

Lust, verlangt das Gefühl um sich zu haben, das unangenehme zu entfernen, oder ihm eine solche Beschaffenheit zn geben, dafs er angenehm werde, Lust errege; es verlangt demnach, dafs alle Gegenstände so seyen, wie es ihm angenehm ist, sie sollen so seyn, wie das richtige Gefühl verlangt.

Unter den verschiedenen Arten des Gefühles ist nun

auch dasjenige, welches von den verschiedenen Beschaffenheiten des Denkens theils angenehm, theils unangenehm berührt wird, und welches die Sprache das Wahrheitsgefiihl

nennet,

indem die Wahrheit der Vorstellungen es ist, welche ihm Lust, die Unwahrheit, welche ihm Unlust verursacht; die Lust dieses Gefühl heifst Ueberzeugung, die Unlust — Zweifel. Diefs Gefühl ist es, welches dem Denken seine Gesetze vorschreibt: s o , wie es dem Gefühle wohlgefällig ist, sollen die Vorstellungen seyn, also wahr; sie sollen diejenigen Eigenschaften annehmen, welche jenes verlangt, und diese Eigenschaften sind die Kriterien der Wahrheit.

Dieses Sollen auszusprechen, den

Forderungen des Gefühls an die Vorstellungen Worte zu leihen, sind alle Regeln der Logik bisher bemühet gewesen,

Ol und werden es auch fernerhin seyn; so wie die Regeln der Moral nichts anders sind, als die Forderungen des sittlichen Gefühles an die Handlungen, die Vorschriften der Aesthetilc die Ausdrucke der Eigenschaften, welche das Schönheitsgefiihl TOU der Phantasie verlangt,

n. s. w. —

Das Gefühl also,

lind zwar namentlich das Wahrheitsgefühl, ist die Quelle der logischen Gesetze, und so wie bisher die Logik (freilich eigentlich ohne es seihst zu wissen) darin bestanden h a t , das zu bemerken, was unter den Eigenschaften der Vorstellungen den angenehmen oder unangenehmen Empfindungen des W a h r heitsgefühles entsprach, und das angenehme, z. B. Identität, Widerspruchslosigkeit, Allgemeinheit, Notwendigkeit

u. s. w.

als Regel aufzustellen: — so wird auch die, jetzige Logik als Wissenschaftslehre iiur aus solchen psychologischen Beobachtungen des Gefühls bestehen, welche uns aus dem Bemerken desjenigen, was demselben wohlgefällig ist,

entwickeln

•werden, wie das Vorstellen beschaffen 6eyn müsse,

welches

dem Wahrheitssinne völlig nnd in dem ganzen möglichen Umfange gefallen werde, welches also in jeder Hinsicht vollkommen das leisten werde, was nur die Idee der Wahrheit oder Wissenschaft im strengsten Sinne fordern kann. *) Einen wichtigern Punkt haben wir hier zu erörtern: man pflegt eine Unterscheidung der Wissenschaften als stehend a n zunehmen in philosophische und nichtphilosophische oder empirische; (und zwar sehr mit Recht, nur dafs man noch nicht über das einig- werden k a n n , was eigentlich den Unterschied macht;) es wird also auch die Frage an uns kommen können : zu welcher von diesen beiden Arten die Logik oder Wissenschaftslehre gehöre, ob zur Philosophie oder nicht? ob sie, wenn sie auch, wie oben gezeigt, nicht die Grundlage der *) Vergl. Ideen z. e. erneuerten K r i t . der V e r n u n f t , Bd. I , A b i c h n , X I . der Ginleitung, und S. 63 ff.

62 Philosophie selber ist, nicht etwa unter die mancherlei abgegleiteten philosophischen Wissenschaften zu rechnen sey? Hier Ulm läfst sich leicht zeigen, dafs sie Logik, so wie sie nicht die G r u n d l a g e oder Grundlehre der Philosophie war, so auch ganz, und gar nicht einmal eine philosophische Wissenschaft seyn kann noch darf. Denn in welchem Sinne sollte sie philosophisch seyn, oder philosophiren? — Dafs es nach der alten realistischen Weise durchaus nicht mehr möglich sey, ist durchweg gezeigt worden, nnd eben auf der Behauptung dieser Unmöglichkeit gründet die Wissenschaftsichre ihr eigenes Daseyn; sie wird also doch nicht einer Weise sich bedienen, die sie selbst als Lug und Trug erkannt hat. Ob nun aber, und wie, auf eine neue idealistische Weise philosophirt werden könne und dürfe? das ist ja eben die Frage, welche sie verhandelt; sie kann also auch nicht nach gewissen neuen Regeln und Weisen verfahren; die 6ie als gültig und tauglich voraussetzt, da sie eben die Tauglichkeit derselben untersuchen soll; diefs würde auf einen Cirkelschlufs hinauslaufen, indem ein -wissenschaftliches Verfahren, sich und seine Tauglichkeit durch sich selbst beweisen würde. Die alte Philosophie existirt nicht mehr, die neue aber noch nicht, d. h. für die Wissenscbaftslehre, indem sie es ja ganz und gar dahin gestellt seyn läfst, ob der Idealismus schon sich verwirklicht hat, oder nicht; wie könnte sie also einer Philosophie angehören, die nicht vorhanden ist 1 — Man glaube auch nicht etwa, dafs die Nichtexistenz der alten so wie der neuen Philosophie noch Raum etwa für eine mittlere übrig lasse; denn ob nur überhaupt Philosophie möglich sey, untersucht erst die Logik; es giebt für sie noch kein schon gültiges und geprüftes oder einer Prüfung nicht bedürftiges, d. h. durch sich selbst gewisses philosophisches Verfahren, und von der Art müfste doch dasjenige seyn, dessen sie sich bedienen, und auf welches sie sich verlassen sollte. Denn

G3 sollte das Verfahren iler Wissenschaftslehre selbst noch wieder einer Prüfung bedürfen, auf welche Weise sollte denn diese vollzogen werden?

und würde diese Weise nicht wieder

einer Prüfung unterliegen müssen ?

diese

aber

noch

einer

neuen, diese wieder einer andern; und so würde bis ins unendliche fort jede Prüfung eine neue verlangen, so dafs wir nie au das Ende der Prüfungen, nnd somit zugleich nie zum Anfange des Philosophirens selbst gelangen würden. E s liifst sich noch ein anderer, nicht minder einleuchtender Grund nachweisen, welshalb die Logik keine philosophische Wissenschaft

seyu kann.

Die Philosophie soll — das

wird doch wohl mit allgemeiner Uebereinstimmung gefordert — eine streng deinonstrirende Wissenschaft s e j n , in der alle einzelne und niedere Theile und Siitze nur in so ferne Gültigkeit haben,

als sie mit Notwendigkeit aus

allgemeinern

und höhern, nnd diese wieder aus den höchsten

abgeleitet

sind; das allgemeine iuufs vor dem einzelnen, die Grundsätze früher als die aus ihnen abgeleiteten vorhanden sevn.

Nun

würde die Logik oder Wissenschaftslehre, die nur einen sehr speciellen Gegenstand aus den unendlich vielen der Philosophie hat, demnach auch nur einer der speciellern, also abgeleiteten, Theile der Philosophie sevn, also anch nnr nach den allgemeinern Theileu, namentlich nach der ersten Grundlage derselben möglich sevn können.

Da nun diese, wie die L o -

gik voraussetzen mufs, noch nicht existirt, wie wird sie selbst vorhanden

sevn können? — Eine solche Wissenschaftslehre,

welche Philosophie sevn will vor aller Philosophie, würde allerdings dem Menschen gleichen, welcher schwimmen lernen will, ehe er ins Wasser gehe. — soll anch die Logik einst zur

Nun kann freilich, und

philosophischen Wissenschaft

werden, aber nur erst, wenn die allgemeine Philosophie vorhanden ist, aus der sie wird abgeleitet werden können. aber wird ihre F r a g e :

Dann

wie ist Wissenschaft möglich? nicht

64 ihren jetzigen Sinn haben, nach welchem sie uns erst die Mittel nnd Wege an die Hand geben soll, die Wissenschaft zn erreichen, so da£s sie mit andern Worten heiisen -würde: wie werden wir die gesuchte oder geforderte Wissenschaft wirklich machen? — sondern die Logik wird dann ein Rückblick auf den zurückgelegten Weg seyn, und ihre Frage wird mit andern Worten lauten; wie haben wir die vorhandene fertige Wissenschaft wirklich gemacht? — Dann freilich, bei den Vorhandenseyn der Philosophie kann wohl auch über die Möglichkeit derselben „philosophirt" werden, *) nur aber nicht auf dem jetzigen Standpunkte der Wissenschaftslehre, wo sie erst Einleitung luid Vorwissenschaft der eigentlichen Wissenschaft seyn soll und will, denn vor der Philosophie kann es keine Philosophie geben. Es sind uns hiermit zweiérlei Erfordernisse für das Erkennen in der Logik angegeben. Erstlich muís dasselbe ein solches 6eyn, welches der Prüfung nicht weiter bedarf, also entweder schon geprüft und bewährt gefunden ist, oder (da noch nichts geschehen ist, was uns von einer solchen Prüfung überzeugte; und wer stände uns für die Wahrheit dieser Prüfung ein?) durch sich selbst gewifs und gültig genug ist, um keiner Prüfung benöthigt zu seyn und allen Anfechtnugen seiner Gattung zu entgehen. Diefs ist nöthig, damit die Wiseenschaftslehre jenen gerügten Regrefs der Prüfungen ins unendliche Yenneide. — Das zweite Erfordernils ist, dais das Erkennen der Logik kein philosophisches sey, denn sonst ist durchaus jener Cirkel unvermeidlich, dais die Philosophie sich, ihr Verfahren, ihre Principien und Grundlagen durch sich selbst zu beweisen sucht; ein Cirkel aber ist ein durchaus unleidliches Uebel für die Speculation, und man hat grofse Ursache, gegen eiue solche auf seiner Hut zu seyn, und nicht •) Vtrgl. Fichte, Begr. d. W L . Vorr. S. X.

ihn

65 ihn für etwas so unschuldiges zu erklären, oder gar ihn so als recht- nnd gesetzmäfsig aufzustellen, wie diefs vou Fichte geschieht, *) der ihn sehr wohl sieht, ihn aber zu beseitigen nicht für nüthig hält oder nicht vermag. — Wo aber ist nns eine solche Art des Erkennens gegeben, die genannte beide Erfordernisse in sich vereinigt? Ohne Zweifel wild uus hierzu kein anderes Erkennen übrig sejn, als das rein empirische; denn dieses ist das einzige, welches von den ausführlich besprochenen Mängeln des realistischen Erkennens frei ist (und realistisch wird unser E r kennen doch seyn müssen, da in Ansehung des Idealismus noch erst nach dessen Möglichkeit gefragt wird), wenigstens sind seine Mängel von der Art, dafs sie nicht mit den verlangten Erfordernissen in Widerspruch stehen. Freilich fehlt der Empirie die völlige Allgemeinheit nnd Notwendigkeit ihrer Sätze, die ist aber auch nicht das, was verlangt wurde,; dafür leidet sie aber auch nicht an dem, fiir die Wissenschaftslehre allerdings grofsen Fehler, philosophisch zu seyn. Was aber die Hauptsache ist, so ist 6ie ein, in gewissem Grade durch sich selbst gewisses und gültiges Erkennen, welches einer weitern Bewährung oder Prüfung nicht weiter bedarf, noch auch fähig ist. Denn die Erfahrung, die Thatsachen des Bewnfstseyns sind, sofern sie sich nur nicht anniafsen, ein Erkennen des Allgemeinen und Notwendigen, des Wesens der Objekte zu seyn, sondern so lange sie sich eben nur für das geben, was sie sind, nämlich für blofse Thatsachen des Bewnfstseyns, — von solcher Gewifsheit und Ueberzeugung für jedermann, dais niemand sieb ihnen entziehen kann. Ihnen gesteht auch der Skeptiker eine Gewalt über sich zu, die er nicht ablängnen kann, nur freilich unter der Bedingung, dafs die Erfahrung 6ich nicht als Wissenschaft, im eigentlichen Sinne des Wortes, nicht als Erkenntnifs des Wesens der Dinge geltend zu machen A. a. O. 8. 36 — 39. und S. 55. ff, Schmidt'« Aphorismen.