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German Pages 294 [296] Year 2012
ZT* saur
Dortmunder Beiträge Zur Zeitungsforschung Band 38 Herausgegeben von Hans Bohrmann Institut für Zeitungsforschung der Stadt Dortmund
Annette Uphaus-Wehmeier
Zum Nutzen und Vergnügen Jugendzeitschriften des 18. Jahrhunderts Ein Beitrag zur Kommunikationsgeschichte
K G S a u r MünchenNew YorkLondonParis 1984
GEDRUCKT MIT UNTERSTÜTZUNG DER WESTFÄLISCHEN WILHELMS-UNIVERSITÄT (Münster), DER ANTON-BETZ-STIFTUNG, DER RHEINISCHEN POST (Düsseldorf) UND DER STIFTERVEREINIGUNG DER PRESSE (München)
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Uphaus-Wehmeier, Annette: Zum Nutzen und Vergnügen, Jugendzeitschriften des 18. Jahrhunderts : e. Beitr. zur Kommunikations= geschichte / Annette Uphaus-Wehmeier. — München ; New York ; London ; Paris : Saur, 1984. (Dortmunder Beiträge zur Zeitungsforschung ; Bd. 38) ISBN 3-598-21295-X NE: GT
D 6 © 1984 by Κ. G. Saur Verlag KG, München Satz: SatzStudio Pfeifer, Germering bei München Druck/Binden: Hain-Druck GmbH, Meisenheim/Glan Printed in the Federal Republic of Germany ISBN 3-598-21295-X
Inhalt
Vorwort des Herausgebers
9
Vorwort der Verfasserin
11
0.
Einleitung
13
1.
Sozial- und kommunikationsgeschichtliche Voraussetzungen
15
1.1. 1.2.
1.3.
Die Entdeckung von Kindheit und Jugend Die Popularisierung der neuen pädagogischen Ideen durch die moralischen Wochenschriften und ihre Bedeutung für die Entwicklung des Zeitschriftenwesens Wochenblätter für Eltern — zum Besten der Kinder
2.
Die Jugendzeitschrift — ein neues mittel entwickelt sich
2.1. 2.2.
Definition Probleme einer Geschichtsschreibung aus der Retrospektive von zwei Jahrhunderten Entwicklungsskizze
2.3.
3.
15
22 27
Kommunikations31 31 36 40
Die Jugendzeitschrift: ,Bedürfnis der Zeit' oder die Entdeckung der Jugend als eine ,publizistisch relevante Rezipientengröße'?
45
3.1. 3.2. 3.3.
Die publizistische Situation 1 7 7 0 - 1 7 8 9 Das Zielpublikum Die Kommunikatoren
45 49 53
4.
Wie (sich) Philanthropen eine Kinderzeitung vorstellen, was sie damit beabsichtigen und an wen sie sich wenden — Fallbeispiel für eine zielgruppenorientierte Planung einer Jugendzeitschrift: Die Kinderzeitung in den pädagogischen Unterhandlungen' 1777-1778 60
5.
Die Erscheinungsformen
5.1. 5.2. 5.3.
Wochenblatt Zeitung Monatsschrift
der Jugendzeitschrift
67 69
71 73 5
6.
Die Wochenblätter
6.1. 6.1.1. 6.1.2. 6.1.3. 6.1.4. 6.1.5. 6.1.6. 6.1.7. 6.2.
Einzeldarstellungen ,Leipziger Wochenblatt für Kinder' .Niedersächsisches Wochenblatt für Kinder' .Hamburgisches Wochenblatt für Kinder' .Der Kinderfreund' ,Für deutsche Mädchen' .Moralische Erzählungen für die Jugend' .Neues Wochenblatt für Kinder und Kinderfreunde' Allgemeine Beschreibung und zusammenfassende Bewertung
^77 77 82 85 88 92 95 97
7.
Die Zeitungen
103
7.1. 7.1.1. 7.1.2. 7.1.3. 7.1.4. 7.1.5.
103 103 108 113 117
7.2.
Einzeldarstellungen .Jugendzeitung' .Kinderzeitung' .Chronik für die Jugend' .Wochenblat für die Schulen' .Dessauische Zeitung für die Jugend und ihre Freunde' und .Deutsche Zeitung für die Jugend und ihre Freunde' .Zeitung für die Jugend' und .Braunschweigische Jugendzeitung' Zusammenfassende Bewertung
134 136
8.
Die Monatsschriften
140
8.1. 8.1.1. 8.1.2. 8.1.3. 8.1.4.
Einzeldarstellungen .Monatsschrift für Kinder' .Monatsschrift für Kinder und ihre Freunde' .Kinderakademie' Jugendphilosophie zur Aufklärung des Verstandes und Bäßerungdes Herzens' .Bibliothek für Jünglinge und Mädchen' Jugendfreuden' .Hebe' .Museum für Kinder' Anmerkungen zu den .Kinderfreunden' P.A. Winkopps .Politische und moralische Unterhaltungen für die Jugend und ihre Freunde'
140 140 142 144
Zusammenfassende Bewertung Außer Konkurrenz .Etwas zum Thee und Kaffee für Teutschlands Mädgen und Jünglinge'
157
7.1.6.
8.1.5. 8.1.6. 8.1.7. 8.1.8. 8.1.9. 8.1.10. 8.2. 8.3. 6
77
100
122
148 150 152 154 155 156 157
159
9.
Vertriebsformen
161
9.1. 9.2. 9.3.
Kalkuliertes Risiko: Pränumeration und Subskription Vertrieb: Wege, Regeln, Hindernisse Jugendzeitschriften und ihre Herausgeber: Reisebegleiter auf Zeit
161 165
10.
Publikum
175
10.1. 10.2.
Zum Quellenwert von Subskribenten- und Pränumerantenverzeichnissen Auswertung der Subskribenten- und Pränumerantenverzeichnisse von acht Jugendzeitschriften: Käuferstruktur, Auflage, regionale Verbreitung
179
10.2.1.
,Jugendzeitung'
179
10.2.2.
Monatsschrift für Kinder und ihre Freunde'
und Rezeption
10.2.3. 10.2.4. 10.2.5. 10.2.6.
Moralische Erzählungen für die Jugend' ,Kinderakademie' .Chronik für die J ugend' .Jugendphilosophie zur Aufklärung des Verstandes und Βäßerung des Herzens' 10.2.7. .Bibliothek für Jünglinge und Mädchen' 10.2.8. .Jugendfreuden' 10.3.
172
176
181
182 184 186 188 189 190
Die Jugendzeitschrift des 18. Jahrhunderts: Populäres Kommunikationsmittel der .gebildeten, polierten Stände'
193
11.
Dokumentation
197
12.
Anmerkungen
222
13.
Literaturverzeichnis
270
Bildanhang
285
Personenregister
291
Register
der Zeitschriften-
und Zeitungstitel
293
7
Verzeichnis der Übersichten, Schaubilder und Tabellen Schaubild Vertreter des Philanthropismus
18
Skizze Verlagsorte der Jugendzeitschriften
43
Tabelle Anzahl der Zeitschriften-Neugründungen
46
Synopse Die Erscheinungsformen der Jugendzeitschrift mit ihren Merkmalsausprägungen
75
Synopse Vertriebsformen der Jugendzeitschrift
171
Tabellen Subskribenten- und Pränumeranten-Verzeichnisse - .Jugendzeitung" 1 7 8 2 - 1 7 8 4 - Monatsschrift für Kinder und ihre Freunde 1782 - Moralische Erzählungen für die Jugend 1 7 8 2 / 8 3 - Kinderakademie 1 7 8 4 - 1 7 8 5 - Chronik für die Jugend 1785 - Jugendphilosophie 1 7 8 6 / 8 7 - Bibliothek für Jünglinge und Mädchen 1786/87 - Jugendfreuden 1789
180 182 183 185 187 188 190 191
Tabelle Acht Jugendzeitschriften und ihre Käufer im Vergleich
192
8
Vorwort des
Herausgebers
Die Entwicklung der deutschen Tageszeitungen und Zeitschriften ist bis heute nur in den Grundlinien erforscht und bekannt. Da ein Interesse an Pressegeschichtsschreibung erst mit dem A u f k o m m e n der Zeitungswissenschaft in den 20er Jahren unseres Jahrhunderts entstanden ist, hat die Zeitungs- und Zeitschriftenforschung die positivistische Aufarbeitung des Gegenstandes, wie sie für die Geschichtsschreibung weiter Bereiche im 19. Jahrhundert charakteristisch ist, nicht durchgespielt. Deshalb ist noch viel Einzelarbeit zu tun, deren Ergebnisse zugleich häufig sicher geglaubte Vorstellungen über historische Abläufe oder kausale Zusammenhänge erheblich modifizieren. Ausschlaggebend für solch weittragende Ergebnisse wissenschaftlicher Einzelstudien ist die Tatsache, daß für jede solide historische Untersuchung heute der Nachweis aller Aussagen am empirischen Material der Zeitungs- und Zeitschriftenbände geführt werden muß, während in früheren Jahrzehnten offenbar auch mehr oder weniger sachkundige zeitgenössische Einschätzungen als Basis der Urteilsbildung dienten. Pressehistorische Arbeit heute dient aber nicht nur der Ermittlung beliebiger historischer Einzelheiten. Ein Nacharbeiten des Positivismus ist weder möglich noch sinnvoll, sondern pressehistorische Fragestellungen stehen im Zusammenhang mit einem Konzept der öffentlichen Kommunikation, das die Journalisten und die Verlage, die Formen und die Inhalte, die Leserstruktur und die Wirkungen im Zusammenhang mit dem Alltag einer historischen Epoche thematisiert. Deshalb steht im Mittelpunkt pressehistorischen Arbeitens auch nicht die Zeitungs- oder Zeitschriftenmonographie, sondern Untersuchungen, die ein sachlich und zeitlich abgegrenztes Stück des Pressewesens, einen Typus innerhalb der geschichtlichen und kulturgeschichtlichen Zusammenhänge erörtern. Das kann die Parteipresse der Sozialdemokratie im 19. Jahrhundert ebenso sein, wie die Gewerkschaftspresse bzw. die periodischen Publikationen der Druckund Mediengewerkschaften oder die satirischen Zeitschriften des Vormärz. Wichtig ist dabei, daß ein genügend interessantes und genügend umfassendes Gebiet ausgewählt und in den gesellschaftlichen Zusammenhang hineingestellt wird. In diesem Kontext erst entwickeln sich die notwendigen Maßstäbe, wenn Auflagenhöhen eingeschätzt, Kosten abgeschätzt, Abonnementspreise beurteilt, Lebensdauer von Zeitungen und Zeitschriften festgestellt und ihr Publikumskreis ermittelt werden sollen. Der Fülle der Fragen entspricht allerdings durchgängig ein erheblicher Mangel an zugänglichen Quellen, da Redaktions- und Verlagsunterlagen häufig nicht überliefert sind und den Standards empirischer Sozialforschung entsprechende Daten über die Leserschaft erst aus den letzten Jahrzehnten zur Verfügung stehen. Der Pressegeschichtsschreibung gehen deshalb zunächst immer Bemühungen voraus, eine ausreichende Quellenbasis zu erschließen. J e weiter wir in der Geschichte zurückgehen, bleiben als wichtigste Zeugnisse die expliziten oder impliziten Selbstaussagen von Verlegern, Herausgebern, Journalisten. Der Pressehistoriker muß einerseits mit philologischer Genauigkeit, diese Quellen und v.a. die Zeitungs- und Zeitschriftennummern mustern. Annette Uphaus-Wehmeier hat sich dieser doppelten Mühe unterzogen, als sie die Frühgeschichte der Jugendzeitschriften in der Aufklärungsepoche bis zur Französischen Revolution aufarbeitete. Sie hat 43 Jugendzeitschriftentitel in Deutschland ermittelt und versucht, sie soweit wie möglich eingehend zu beschreiben. Schon das Auffinden einzelner Exemplare war kompliziert, nur selten konnten 9
vollständige Reihen erschlossen werden. Durch Mitteilungen aus Rezensionszeitschriften, einer damals typischen Literaturgattung, konnten manche Details geklärt oder zumindest die Fragen formuliert werden, die zur Klärung beitrugen. Im Ergebnis wurde die Geschichte der Jugendzeitschriften in der Aufklärungszeit völlig neu geschrieben; die in der wissenschaftlichen Literatur bislang gängigen Urteile über diese Periodika erwiesen sich allesamt als problematisch. Die Untersuchung von Annette Uphaus-Wehmeier legt es dringend nah, auch andere Gebiete der Zeitschriftengeschichte unvoreingenommen neu zu erforschen. Eine neue Bearbeitung mancher Gebiete der Zeitungsgeschichte dürfte zu ähnlichen Ergebnissen führen. Die vorliegende Untersuchung, zu deren Quellenbasis auch die Sammlungen des Instituts für Zeitungsforschung einige Zeitschriftenbände beisteuern konnte, lag der Philosophischen Fakultät der Universität Münster als Dissertation vor. Für Zuschüsse, die die Drucklegung im Rahmen unserer Schriftenreihe ermöglicht haben, danke ich der Westfälischen Wilhelms-Universität, Münster, der Anton-Betz-Stiftung der Rheinischen Post, Düsseldorf, und der Stiftervereinigung der Presse, München. Im Dezember 1983
10
Hans Bohrmann
Vorwort der
Verfasserin
Die vorliegende Untersuchung über die Anfänge der Jugendzeitschrift in Deutschland wurde 1982 von der Philosophischen Fakultät der Westfälischen WilhelmsUniversität als Dissertationsschrift angenommen. Danken möchte ich allen, die zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben: Meinem Doktorvater Prof. Dr. Winfried B. Lerg, der die Dissertation initiiert, betreut und gefördert hat und Dr. Erich Strobach, der seine unschätzbare Privatsammlung alter Kinderbücher zur Verfügung stellte und wichtige bibliographische Informationen gab. Für anregende Gespräche und wertvolle Hilfestellungen bei der Quellenrecherche danke ich Prof. Dr. Paul Raabe von der Herzog-August-Bibliothek, Wolfenbüttel, und Dr. Martin Welke, Deutsche Presseforschung der Universität Bremen sowie Dr. Gabriele Toepser-Ziegert, Dortmund, für die sorgfältige und kritische Rezension des Manuskripts. Die großzügige Förderung und Unterstützung durch die Anton-Betz-Stiftung der Rheinischen Post e.V., Düsseldorf und der Stiftervereinigung der Presse e.V., Bonn, haben die Publikation in dieser Form erst ermöglicht. Ich widme die Arbeit in Dankbarkeit meinen Eltern. Bonn, im Winter 1983
Annette Uphaus-Wehmeier
11
0 . Einleitung
Im Urteil über die ersten Jugendzeitschriften zeigte man sich selten einmütig. „Die .Wochenschreiber' leimten nach altem Handwerksbrauche Verse zusammen, wie sie 40 J a h r e vorher Mode waren oder pfuschten nach berühmten Mustern in Prosa, wie etwa ein Dorfschneider nach einer ihm unter die steifen Finger geratenen Herrschaftshose seine bäurischen Pantalons b a u t . Aber sie hatten ein unverschämtes Maul und wußten ein lockendes Schild auszuhängen: Moral, T u g e n d , Aufklärung und neue Erziehung", 1 schrieb Ludwig Göhring 1904. Wesentlich härter noch ging ein J a h r später O t t o Hild mit den Jugendzeitschriften ins Gericht, außer d e m ,Leipziger Wochenblatt für Kinder' und dem .Kinderfreund' sei letztlich alles „ U n k r a u t " gewesen: „Keine verdient auch nur noch mit Namen genannt zu w e r d e n . " 2 J o a c h i m Kirchner sparte bei seiner Bewertung 1958 auch den .Kinderfreund' nicht aus: „ E s dürfte unserer Generation völlig unverständlich sein, wie eine so verweichlichte, moralinhaltige Lektüre jemals Kinderherzen erfreuen k o n n t e . " 3 Bezüglich einer anderen Jugendzeitschrift blickte er „mit Verwunderung auf die Genügsamkeit des damaligen Publikums ..., das sich an einem derartigen Machwerk freuen k o n n t e . " 4 1 9 7 4 sah man in den ersten Zeitschriften für Kinder einen Versuch, „die Kleinen auf den vor Moral und Edelmut triefenden Leim der Sozialisation zu l o c k e n " ; 5 der J u g e n d sei ein „Einheitsbrei aus Tugend und L i e b e " 6 vorgesetzt worden. Das Urteil Göhrings von Beginn des Jahrhunderts wurde als „Zusammenfassung ... aus einseitig literaturkritischer Sicht, doch nichtsdestoweniger z u t r e f f e n d " bewertet. 7 Zieht man zu diesen Ausführungen noch die Aussage des Publizistikwissenschaftlers Wilmont Haacke aus dem J a h r e 1956 hinzu, der in Bezug auf die historische Erforschung bestimmter Zeitschriftentypen feststellte, daß auf dem Gebiet der Jugendzeitschriften „des Guten genug g e t a n " sei, 8 könnte man zu der Erkenntnis gelangen, daß die Geschichtsschreibung der Jugendzeitschrift offensichtlich bereits abgeschlossen sei und daß genügend sichere und umfangreiche Kenntnisse vorliegen, die derartige Beurteilungen erlaubten. Weit gefehlt! Die Überprüfung der jeweils angegebenen Quellen und der neueren Literatur erbrachte ein gegenteiliges Ergebnis: es existierte nicht eine einzige differenzierte Studie über die Jugendzeitschriften des 18. J a h r h u n d e r t s , die Arbeit Ludwig Göhrings bestimmte Titel- und Zahlenangaben und Bewertung. 9 Zwar war in den zitierten Darstellungen angedeutet worden, daß der damalige Zeitgeist eine Rolle gespielt habe, ohne daß die Konsequenz gezogen wurde, die Jugendzeitschrift einmal im K o n t e x t mit ihrer Zeit, der Aufklärung, zu sehen und zu prüfen, welche Möglichkeiten und Bedingungen sich ihr stellten. Kirchner sprach von der offensichtlichen Genügsamkeit des damaligen Publik u m s : wie sah dieses Publikum aus? Hängt die Genügsamkeit nicht auch von dem Vorhandensein und der Qualität der Alternativen a b ? Warum, wäre zum Beispiel Göhring zu fragen, war es verlockend, wenn mit Moral, Tugend, Aufklärung und neuer Erziehung geworben wurde; waren sie lediglich Reizwörter oder bedeuteten sie mehr? 13
Und war es denn wirklich nur eine „gute Portion seligen Aufklärungsdusel", 1 0 die die rasche Akzeptanz des neuen Kommunikationsmittels bewirkte? Aufgrund der schmalen Basis von Sekundärliteratur war das Wissen über die Anfänge der Jugendzeitschrift — abgesehen von den Vor-Urteilen — sehr gering. Zwar liegen zu den zwei bisher bekanntesten Jugendzeitschriften des 18. Jahrhunderts Studien vor, doch behandelten diese literaturwissenschaftlichen Arbeiten keine kommunikationshistorischen und publizistikwissenschaftlichen Aspekte. 1 1 Unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen sind die Jugendzeitschriften entstanden, wer hat sie gemacht, wie sahen sie aus, wo waren sie zu haben und wer hat sie gelesen — waren ungeklärte Fragen. Ziel dieser Arbeit ist es, eine umfassende und gleichzeitig differenzierte Darstellung der Jugendzeitschriften des 18. Jahrhunderts zu versuchen, was nur durch die Erschließung der Primär-Quellen möglich sein konnte. Durch die Autopsie der Jugendzeitschriften konnten Erkenntnisse gewonnen werden, die über das spezielle Thema hinaus von Relevanz sind für die Geschichte des Zeitschriftenwesens im Zeitalter der Aufklärung. Bereits die ersten Quellenrecherchen brachten Überraschungen über die Vielfalt des Zeitschriftentyps, über die Kommunikatoren, über die frühen Ansätze von Medienpädagogik u n d von publikumsgerechter Informationsvermittlung; gleichzeitig fand das überlieferte Vor-Urteil Bestätigung, daß Tugend, Moral und Aufklärung zentrale Begriffe für die Jugendzeitschriften und ihre Herausgeber bildeten; ein Befund, der nicht verwundern darf. Denn Zeitschriften für die J u gend spiegeln — wie andere Kommunikationsmittel auch — das Selbstverständnis ihrer Epoche wider. Mit dem Ende der Aufklärung, markiert durch den Ausbruch der französischen Revolution im J a h r e 1789, 1 2 schließt auch der Untersuchungszeitraum dieser Arbeit ab. Die Kommunikationswissenschaft hat in den letzten Jahren ein neues Verständnis von der Geschichte der Medien und damit eine neue Disziplin entwickelt: die Kommunikationsgeschichte. Publizistische Geschichtsschreibung als Kommunikationsgeschichte bedeutet die Abkehr von der isolierten, deskriptiven Darstellung eines publizistischen Mittels und die Hinwendung zu Fragen nach der publizistischen Gesamtsituation, nach Publikum und Rezeption — jeweils im sozialgeschichtlichen Kontext. Die folgende Darstellung über die Anfänge der Jugendzeitschrift in Deutschland ist ein Schritt in diese Richtung, ein Beitrag zur historischen Kommunikationsforschung.
14
1. Sozial- und kommunikationsgeschichtliche Voraussetzungen
Sozialgeschichte wird verstanden als „Geschichte der Gesellschaft, genauer der sozialen S t r u k t u r e n , Abläufe, Bewegungen". 1 K o m m u n i k a t i o n ist ein Bestandteil dieser Geschichte der Gesellschaft. Die neuere Diskussion über die Begriffe von Sozial- und Kommunikationsgeschichte u n d ihre Beziehung zueinander führte zu der Erkenntnis, „daß die publizistischen Mittel gesellschaftliche Einrichtungen darstellen, deren Geschichte deshalb als Sozialgeschichte gelten d a r f . " 2 V o n Zeitungswissenschaft und Publizistik wurde Zeitschriftengeschichte o f t mals (miß)verstanden als „Geschichte der Zeitschriftentitel" ; J eine dieser Auffassung entsprechende Geschichte der Jugendzeitschrift würde mit dem J a h r e 1770 beginnen, als die erste deutschsprachige Jugendzeitschrift erschien. 4 Die Betrachtung setzt hier jedoch zu Beginn des 18. J a h r h u n d e r t s ein, untersucht Entstehungsvoraussetzungen u n d soziokulturelle Grundlagen, ohne deren Berücksichtigung ein — bereits dargestelltes —5 verzerrtes Bild dieses neuen Zeitschriftentyps entstünde.
1.1. Die Entdeckung
von Kindheit
und Jugend
Die Jugendzeitschrift ist ein ,Kind' eines J a h r h u n d e r t s , das sich selbst rühmte, es sei ,das philosophische' u n d ,das pädagogische' u n d sich selbst als ,erleuchtetes' Zeitalter bezeichnete: das J a h r h u n d e r t der Aufklärung. 6 Schon vor der J a h r h u n d e r t w e n d e hatte die Aufklärung ihren Anfang genommen; die E p o c h e der Aufklärung u m f a ß t den Zeitraum von 1680 bis 1789 u n d wird in vier Perioden unterteilt: In die Übergangsphase (1680—1720/30), die Frühaufklärung ( 1 7 2 0 / 3 0 ) , die Hochaufklärung ( 1 7 5 0 - 1 7 7 0 ) u n d die Spätaufklärung ( 1 7 7 0 - 1 7 8 9 ) . 7 Wegbereiter der deutschen Aufklärung, die sich später als in England, Frankreich u n d Holland entwickelte, waren Christian Thomasius und Christian Wolff. 8 Die von Wolff geprägte rationalistische Philosophie war die vorherrschende Geisteshaltung in der ersten Hälfte des a c h t z e h n t e n J a h r h u n d e r t s , V e r n u n f t war „zugleich Formal- u n d Materialprinzip der Aufklärungsphilosophie: sie erkennt durch V e r n u n f t , daß die Welt aus der V e r n u n f t eines Urwesens Ursprung u n d Form hat".9 Man vertrat die Auffassung, daß alle Menschen von Natur aus gleich u n d mit V e r n u n f t begabt seien u n d daß es somit an ihnen selbst läge, die Wirklichkeit nach natur- u n d v e r n u n f t g e m ä ß e n Prinzipien zu gestalten. „Vernunft und Tugend sind kein Vorzug der Geburt und des Standes: sondern der Person", 10 gab die ,Deutsche Zeitung für die J u g e n d u n d ihre Freunde' ihren Lesern als ,gute Lehre' auf den Weg. Kennzeichnend für die damalige Zeit war, daß man sich mit den Inhalten, Zielen und Grenzen der A u f k l ä r u n g p e r m a n e n t auseinandersetzte, u n d dies lange bevor die ,Berlinische Monatsschrift' im J a h r e 1784 die Frage stellte: „Was ist Aufklärung?" In seiner A n t w o r t brachte Immanuel Kant den Begriff der Aufklärung „zu klassischem A u s d r u c k " , 1 1 u n d daher seien auch hier die berühmten Sätze aufgeführt; 15
ungeachtet der Kritik, daß die K a n t ' s c h e Abhandlung bereits der ,Schwanengesang' der deutschen Aufklärung gewesen s e i . 1 2 ,,Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. ... Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der VVahlspruch der A u f k l ä r u n g . " 1 3 In der Erziehung wurde das Mittel zur Überwindung dieser Unmündigkeit gesehen, „Erziehung ist Bildung des Menschen zur G l ü c k s e l i g k e i t " . 1 4 Das Interesse konzentrierte sich auf eine Gruppe, die man bisher kaum als eigenständig erkannt und berücksichtigt hatte und bei der man sich nun die größte Wirksamkeit der Erziehung e r h o f f t e : die Kinder und Jugendlichen. Der Herausgeber der ,Chronik für die J u g e n d ' machte sie auf ihre gesellschaftliche Bedeutung aufmerksam: „Aus Kindern werden Leute! das heißt so viel: Aus der jüngeren bildet sich die ältere Menschenwelt. ... Von eurer Bildung, je nachdem ihr gute oder ... böse Menschen werdet, hängt das Glück oder Unglück künftiger Zeiten und Menschengeschlechter ab." 1 Im Bereich der Familie vollzogen sich im achtzehnten J a h r h u n d e r t wichtige Veränderungen. Die Großfamilie als dominierende Form der Lebensgemeinschaft, für die der Begriff „das ganze Haus" geprägt wurde, und in der keine Trennung zwischen Haushalt und Arbeitsbereich bestand, wurde den Bedürfnissen der sich wandelnden wirtschaftlichen und sozialen Anforderungen nicht mehr g e r e c h t . 1 6 Die bisher autarke Einheit des ,ganzen Hauses' verlor ihre produktive ö k o n o m i s c h e F u n k t i o n , die Kleinfamilie gewann — besonders im Bürgertum — an Bedeutung und hatte neue Aufgaben zu erfüllen: Erziehung und Ausbildung der K i n d e r . 1 7 „In ihrer verbliebenen R e s t f u n k t i o n übernimmt die bürgerliche Familie also die Aufgabe, ihre Kinder .aufzuklären'. Diese können sich wiederum aufklären lassen, da sie von der familiären Gesamtarbeit entlastet sind. Solche Möglichkeiten und Notwendigkeiten führten zur Entstehung der Kinder- und Jugendliteratur in der S p ä t a u f k l ä r u n g . " 1 8 Die .Entdeckung von Kindheit und J u g e n d ' gilt als eine der „großen und bleibenden geistigen Leistungen dieser E p o c h e " ; 1 9 eine in dieser Pauschalierung umstrittene T h e s e , 2 0 die in differenzierter F o r m als Kennzeichnung für verschiedene Prozesse, die sich unter dem Einfluß der Aufklärungspädagogik vollzogen, j e d o c h ihre Berechtigung findet: — Kindheit und J u g e n d wurden erstmals Gegenstand systematischer Beobachtung und wissenschaftlicher E r f o r s c h u n g . 2 1 („Es ist viel gewöhnlicher, Kinder zu haben, als zu wissen, was Kinder sind.") 2 2 —
Kindheit und Erwachsenenleben, die sich bisher nur wenig voneinander abh o b e n , entfernten sich durch die veränderten Lebensbedingungen soweit voneinander, daß eine Konstitution von Kindheit und J u g e n d sich zwingend daraus e r g a b . 2 3 — E n t d e c k t wurde „... die junge Generation ... als Hoffnung auf eine bessere Z u k u n f t , welche vor allem auch durch erzieherische Maßnahmen, Bildung des Einzelnen ebenso wie Volkserziehung auf breiter Basis, gestaltend herbeigeführt werden k a n n . " 2 4 Die Pädagogik der Aufklärung nahm ihren Anfang mit den Schriften des englischen Philosophen J o h n L o c k e . 1 6 9 3 veröffentlichte er ,Some thoughts concerning education'. Die — 1 7 1 0 in deutscher Sprache erschienenen — b e d a n ken über Erziehung' waren sein für die Pädagogik einflußreichstes Werk. Für L o c k e glich die Kinderseele einer .tabula rasa', Erziehung vermochte alles zu bewirken; Erziehungsziele waren Tugend, Lebensklugheit, Lebensart und K e n n t n i s s e . 2 5 16
Wie er glaubte auch Jean-Jacques Rousseau an die Allmacht der Erziehung, jedoch stellte sich bei ihm die Vernunft nicht mehr als zentraler Begriff dar, er proklamierte das Gefühl und forderte eine individuelle Erziehung, die der Natur folgen und entsprechen sollte. 26 Rousseau gehörte zwar der Aufklärung an, überwandt aber ihren Rationalismus. In seinem 1762 erschienenen Werk ,Emile, ou de l'e'ducation' schilderte er in Romanform die Erziehung eines Jungen in fünf Lebensstufen. Rousseau war es, der den Eigenwert und die Eigengesetzlichkeit des Kindes erkannte und die ,,kopemikanische Wende zum Kinde" vollzog. 27 Die Gedanken Lockes und Rousseaus wurden von den Philanthropisten aufgegriffen, Anhänger einer pädagogischen Reformbewegung, die im letzten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts in Deutschland entstanden war und sich zur Hauptströmung der deutschen Aufklärungspädagogik entwickelte: dem Philanthropismus (auch Philanthropinismus). Wesentliches Merkmal der philanthropischen Bewegung war das utilitaristische Aufklärungsprinzip und dessen konsequente Anwendung als Maßstab und Richtschnur für die Erziehung. Das Bildungsideal des Philanthropismus war ein aufgeklärt — bürgerliches. 28 Kindheit und Jugend wurden betrachtet als „Vorbereitungszeit für nützliche Geschäftigkeit im Haus, Handel und Gewerbe, in Staat und Kirche, ... als Zeitraum des Einübens bürgerlicher Tugenden und praktisch brauchbarer Qualifikationen". 29 Begründer des Philanthropismus war Johann Bernhard Basedow; in seinen 1768 erschienenen .Vorstellungen an Menschenfreunde und vermögende Männer über Schulen, Studien und ihren Einfluß in die öffentliche Wohlfahrt' klagt er das bestehende Erziehungs- und Schulwesen an und legte konkrete Vorschläge für deren Reform vor. 30 Sein vierbändiges .Elementarwerk' war beispielgebend für weitere Elementarwerke und wurde — in Anlehnung an den berühmten .Orbis pictus' von Johann Amos Comenius aus dem Jahre 1658 31 — gerühmt als der .Orbis pictus des 18. Jahrhunderts'. 32 · In dem 1774 von Basedow gegründeten Philanthropin in Dessau sollten die philanthropischen Erziehungsgrundsätze in praktischem Unterricht erprobt werden. Der internatsähnlichen .Schule der Menschenfreundschaft', die ihre Gebühren nach dem Einkommen der Eltern ausrichtete, war anfangs großer Erfolg beschieden. Nach verschiedenen institutsinternen Umstrukturierungen verlor sie mehr und mehr an Zuspruch, bis sie 1793 geschlossen wurde. Die philanthropistische Bewegung war für die Entwicklung der Jugendliteratur und der Jugendzeitschrift in vielerlei Hinsicht bedeutsam: Indem sie sich gegen die alte Buchstabiermethode und das stupide Auswendiglernen an den Schulen wandte, förderte sie die Bildung der Kinder zu Lesern; J3 aus ihren Reihen rekrutierte sich eine Vielzahl von Jugend- und Erziehungsschriftstellern und sie gestand der Jugend Unterhaltungslektüre zu. So äußerte Ernst Christian Trapp: „Ich möchte wissen, was die arme Jugend, die nun einmal ein Heiz und eine rastlose Thätigkeit hat, bei dem langweiligen Unterricht, und in den noch langweiligeren Abendstunden thun soll, als entweder Unfug treiben, oder Bücher lesen, die nach ihrem Geschmack sind."
Durch die Verbindung von Unterrichtung praktischer Fähigkeiten und Vermittlung allgemeiner Lehrinhalte versuchten die Philanthropisten Kinder und Jugendliche auf ihre spätere Stellung ids nützliche Bürger des Staates vorzubereiten. „Die Bildung des Menschen muß auf die Art und zu dem Grade betrieben werden, als es die Bedürfnisse der Gesellschaft, worin sie leben sollen, erfordert."
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Diese Gesellschaft wurde im 18. Jahrhundert vom aufstrebenden Bürgertum geprägt, war jedoch noch immer eingebettet in die feudal-absolutistische Staats- und Ständeordnung. Sie stellte den Rahmen und steckte die Grenzen ab, innerhalb derer sich die Aufklärung bewegen und die neue Pädagogik ihre Theorien umsetzen konnte. Auch die .Entdeckung von Kindheit und Jugend' fand dort ihre Relativierung. Deutschland im 18. Jahrhundert stellt sich dar als ein Konglomerat von vielen Kleinstaaten und Territorien, die von den Territorialherren partikularistisch und weitgehend souverän regiert wurden. Der durch die Kurfürsten gewählte Kaiser, das Oberhaupt des Reiches, übte nur geringe politische Macht aus; die Territorialherren bestimmten über Gerichtsbarkeit, Münz-, Zoll- und Postwesen, so daß das Reich wirtschaftlich ebenso uneinheitlich wie es politisch zersplittert war. 3 6 Die Bevölkerung von 25 Millionen Menschen war politisch-rechtlich untergliedert in die Stände Adel, Klerus und Bürgertum. Adel und Klerus waren privilegiert; rechtlos blieb die Masse der Bevölkerung, 75%, die die Landbevölkerung stellten; sie galten in den Reichsständen als durch ihre Grundherren repräsentiert. 7 Gesellschaftlich unterschied man zwischen Adel, Bürger und Bauern, wobei jede Schicht in sich wiederum stark untergliedert war. Ein wichtiges Kriterium zur Differenzierung innerhalb der gesellschaftlichen Schichten war der Bildungsstand, die .gesitteten Stände' (Adel, Akademiker, Großbürger) grenzten sich durch das höhere Bildungsniveau von dem Volk ab. 3 8 Im Bürgertum verlief eine klare Grenze zwischen dem höheren und niederen Bürgertum; zum höheren Bürgertum zählten Beamte, Gelehrte, Kaufleute und Unternehmer, zum niederen Bürgertum, dem Kleinbürgertum, gehörten Handwerker, Schulmeister, Gastwirte und Krämer, am untersten Ende standen die Gesellen und Lehrlinge, Tagelöhner und Dienstboten. 3 9 Ein wichtiges Element des Bürgertums bildete die Gruppe der Beamten, Lehrer und Geistlichen. Unter dem Einfluß von Staatsdienern und Freiberuflern „wurde Bildung ein so wesentliches Element des Bürgertums als ganzem, daß man gelegentlich sogar besondere Wendungen benutzte (Bildungsbürgertum oder gehobene Schicht), um diese Gesellschaftsschicht von Personen ohne Bildung zu unterscheiden." 4 0 Mit der vom Bürgertum getragenen Aufklärung begann die Krise des absolutistischen Staates, öffentlich wurde die Frage nach der Legitimität von geistiger und politischer Herrschaft gestellt. 41 Diesen Strömungen kam der Staat mit der .Aufklärung oder der Revolution von oben' entgegen, der Absolutismus wurde zum aufgeklärten Absolutismus. Er hatte auf verschiedenen Gebieten zahlreiche Reformen initiiert und durchgeführt, der Feudalismus wurde auf politischer, nicht jedoch auf sozialer Ebene entmachtet. 4 2 „Die ständische Gesellschaft sollte durch den aufgeklärten Absolutismus nicht abgeschafft, sondern effizienter gemacht werden." 4 3 Im übertragenen Sinne trifft diese Feststellung auch für den Reformbereich Erziehung und Unterricht zu: „Die Wichtigkeit des Erziehungswesen für den Staat erhellet aus dem Nutzen, dem es ihm bringen soll." 4 4 Es lag nicht im Interesse des Staates, allen eine umfassende Bildung zuteil werden zu lassen, sondern nur die für ihren Stand angemessene und notwendige. Das Schulwesen war in den einzelnen deutschen Staaten unterschiedlich strukturiert; vereinzelt wurde die allgemeine Schulpflicht schon im 17. Jahrhundert eingeführt, in den protestantischen Gebieten wurde sie strenger als in den katholischen gehandhabt. 4 5 1763 bestimmte Friedrich der Große in seinem .General-Landschul-Reglement', daß Mädchen und Jungen vom fünften bis zum dreizehnten oder vierzehnten Lebensjahr die Schule besuchen sollten. Die Eltern wur19
den ermahnt, die Kinder im S o m m e r nicht zum Viehhüten zu schicken u n d selbst zur Erntezeit den täglichen Schulbesuch zu ermöglichen. 4 6 Die Realität entsprach allerdings nicht diesen Vorstellungen, Kindern aus den unteren Bevölkerungsschichten war ein regelmäßiger Schulbesuch nicht möglich. Sie wurden als Arbeitskräfte bei der Feldarbeit gebraucht oder m u ß t e n auf andere Weise zum Lebensunterhalt der Familie beitragen. Viele Eltern k o n n t e n das Schulgeld nicht aufbringen; es betrug 1786 mindestens zwischen dreizehn u n d vierundzwanzig Groschen im J a h r . 4 7 Die M i n d e s t e i n k o m m e n , die für eine einfache Lebenshaltung erforderlich waren, lagen zwischen einhundert u n d einhundertdreißig Reichstalern, dreiviertel des E i n k o m m e n s m u ß t e für Lebensmittel aufgebracht werden, auf Ausgaben für Kleidung u n d Wohnung entfiel der größte Teil des restlichen Lohnes; der Kauf von Büchern oder Zeitschriften blieb somit ein unerschwinglicher L u x u s . 4 8 Die Gliederung des Schulwesens entsprach der ständischen Gliederung der Gesellschaft. Die Volks- u n d Elementarschulen bildeten die Kinder des gemeinen Volkes aus, der Adel schickte seine Söhne in die Ritterakademien, die gelehrten Schulen, Lateinschulen u n d Gymnasien waren d e m höheren Bürgertum vorbehalt e n . 4 9 Im Zuge der Industriepädagogik e n t s t a n d e n die sogenannten Industrieschulen, w o Elementarunterricht u n d praktische Arbeit verbunden w u r d e n , u m die Schüler .industries' zu b i l d e n . 5 0 Die Universitäten bildeten das „Schleusenwerk des sozialen Aufstiegs in die Reihen des Klerus u n d der Bürokratie", 5 1 ein großer Teil ihrer Absolventen fand jedoch keine adäquate Stellung u n d verdiente seinen Lebensunterhalt als Hofmeister oder I n f o r m a t o r für Kinder des Adels u n d des höheren Bürgertums. Eine Errungenschaft der Aufklärungspädagogik war die stärkere Beachtung der Mädchenerziehung. Bisher f a n d sie nur im Hause u n t e r Leitung von Gouvernanten u n d Hofmeistern statt oder in den sogenannten .französischen Pension e n ' , 5 2 n u n wurde sie als öffentliches Anliegen behandelt. Sie erhielt allerdings nicht den gleichen Stellenwert wie die Erziehung der J u n g e n , Schulordnungen aus dieser Zeit stellten geringere A n f o r d e r u n g e n an die Mädchen, schrieben weniger Schuljahre vor oder erhoben nur für sie Schulgeld. 5 3 Typisch für die Aufklärungsepoche war der Kampf u m die Schulaufsicht; besonders die Philanthropen setzten sich für eine Minderung des geistlichen Einflusses u n d für eine staatliche L e n k u n g ein. Den in den siebziger J a h r e n verstärkten Reformbestrebungen war unterschiedlicher Erfolg beschieden. Generell wurden im Volksschulwesen keine großen Verbesserungen erreicht, „der Geist u n d die Pädagogik des Philanthropismus zogen nicht in die Dorfschule e i n . " 5 4 Das Bürgertum hingegen h a t t e sich die seinen Bedürfnissen entsprechenden Schulen geschaffen u n d pädagogische G e d a n k e n der A u f k l ä r u n g , wie die säkularisierte Schule, kindgemäßer Unterricht, spielerisches Lernen u n d Ansätze sexueller Aufklärung adaptiert. 5 5 Von der Kindheit u n d der J u g e n d im a c h t z e h n t e n J a h r h u n d e r t zu reden, ist wenig z u t r e f f e n d . Kindheit u n d J u g e n d müssen, damals wie h e u t e , im R a h m e n des jeweiligen sozialen Umfeldes dargestellt werden. Die Schilderung der Gesellschaftsstruktur u n d des Erziehungswesens haben deutlich gemacht, daß eine bürgerliche Kindheit mit einer bäuerlichen nur wenig gemein hat. „Wo sind die Kinder?" fragte Georg J o a c h i m Zollikofer 1778, „in den meisten sogenannten guten und großen Häusern finde ich keine. Aber junge Herren und junge Damen in Kinderkleidung und mit kindischem Sinn, die Menge! ... Unglückliche Kinder, die nie ganz als Kinder behandelt worden sind, die herrschen und gebieterisch herrschen lernten, ehe sie zu gehorchen wußten!" 5 6 20
In den oberen Schichten von Bürgertum und Adel wurden die Kinder verhätschelt, schon früh mit Monsieur und Mademoiselle angeredet und als kleine Erwachsene behandelt. Auch bei der untersten Gesellschaftsschicht, dem niederen Volk, war die Frage berechtigt: Wo sind die Kinder? Die Antwort könnte u n d müßte hier lauten: auf dem Feld, in der Fabrik, auf der Straße — bei der Arbeit. Zeugnisse über Kinderarbeit aus der vorindustriellen Epoche sind in großer Zahl vorhanden; auch in einer Jugendzeitschrift wurde dieser Aspekt erwähnt, ohne jedoch nach den Ursachen zu fragen. ,Anschaulich' wurde das Leben eines armen Kindes geschildert: „Dieß muß schon oft seinen Aeltem Brod verdienen helfen, so bald es nur die Hände rühren kann. Geh einmal auf das Land! Der kleine Bauemjunge oder das Mädchen hütet schon die Gänse oder Schaafe, liest seinem Vater die Steine vom Acker auf, oder jätet das Unkraut aus. Gehet in die Werkstätte: z.B. bey einem Leineweber: Kinder von fünf bis sechs Jahren krämpeln schon Wolle, spinnen und stricken." 57 Die Industriepädagogik hatte „die Herausbildung eines sozialen Status Kindheit für die Kinder der abhängig arbeitenden Schichten ... verhindert." 5 8 Eine Jugendzeit war für sie ebenfalls nicht vorgesehen; im .Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten' wurde davon ausgegangen, daß „die Kindheit mit dem vollendeten siebten Lebensjahr endete u n d die Kinder der niederen Bevölkerung sodann ins Erwerbsleben einzutreten h ä t t e n " . 5 9 Die Mehrzahl der Kinder und Jugendlichen, die aus den unteren Bevölkerungsschichten stammten, hatte also keine Kindheit und Jugend im eigentlichen Sinne erlebt, sie schied als potentielles Publikum für die Jugendzeitschrift aus. 6 0 Die noch zu leistende Definition und Beschreibung der Jugendzeitschrift erfordert eine Bestimmung dessen, was im 18. Jahrhundert unter den Termini Kind und Jugend verstanden wurde. J o h a n n Christoph Adelung, bekannter Sprachgelehrter und Herausgeber einer Jugendzeitschrift, führte in seinem Wörterbuch folgendes dazu an: „Das Kind. ... Im gewöhnlichen Verstände, da Personen von ihrer Geburt an bis zum zehenten Jahre Kinder genannt werden. 6 1 Die Jugend, ... der Zustand da man jung ist. 1. Eigentlich im Gegensatze des Alters. ... 2. Am häufigsten und gewöhnlichsten, von der kurzen, seit der Geburt eines Geschöpfes verflossener Dauer. Die Jugend eines Kindes. ... Die Jugend ist überhaupt dem Alter entgegengesetzt." 6 2 Auch in anderen Begriffsbestimmungen besteht Konsens darüber, daß Jugend einen Überbegriff für Kindheit und Jugend darstellt, als Abgrenzung zum Erwachsenenalter. 6 3 Des weiteren wurde differenziert in Kindheit und eigentliche Jugend. Eine eindeutige Bestimmung ist sehr diffizil (wie der o.a. Ausdruck J u g e n d eines Kindes' zeigt), da die Worte im damaligen Sprachgebrauch synonym verwandt und nicht eindeutig zugeordnet wurden. Anhand einiger Zeitschriftentitel läßt sich diese Problematik verdeutlichen: Da gab es z.B. die .Kinderakademie. Eine Monatsschrift zur Aufklärung des Verstandes, und Bildung des Herzens der J u g e n d ' 6 4 oder die Jugendfreuden. Eine Monatsschrift für Kinder.' 6 5 Aufgrund der fehlenden Eindeutigkeit der Begriffe im Sprachgebrauch der damaligen Zeit wurde es als wenig sinnvoll erachtet, für diese Arbeit ex post eine mehr oder weniger präzise Abgrenzung zu konstruieren. Daher werden auch hier die Begriffe synonym und wechselweise gebraucht, gleichzeitig wird jedoch die 21
Möglichkeit offengelassen, immer dann, wenn der Zusammenhang es erforderlich und notwendig macht, deutlich zwischen Kind und Jugend zu unterscheiden. Eine solche Differenzierung richtet sich nach dem Basedow'schen Vorschlag aus dem Elementarwerk, er begrenzt die Kindheit auf das Alter bis zum zwölften Lebensjahr und die Jugend bei den Mädchen auf das Alter bis sechzehn, bei den Jungen bis siebzehn J a h r e . 6 6
1.2. Die Popularisierung der neuen pädagogischen Ideen durch die moralischen Wochenschriften und ihre Bedeutung für die Entwicklung des deutschen Zeitschriftenwesens Im Zuge der Aufklärung entstanden die moralischen Wochenschriften, die zur mächtigsten Zeitschriftenbewegung des 18. Jahrhunderts aufstiegen. 6 7 „Anwendung der neuen philosophischen Ideen auf das Leben und die Gesellschaft: die moralischen Wochenschriften" überschrieb Karl Biedermann seine Ausführungen über diesen Zeitschriftentyp und hob damit auf dessen wichtigste Funktion a b 6 8 ; das Selbstverständnis der moralischen Wochenschriften brachte das .moralische Fernglas' beispielhaft zum Ausdruck, als es 1732 sein Motto formulierte: „Der Weg zum Guten soll allein der Inhalt dieser Blätter sein." 69 Für die Entstehung der Jugendzeitschrift waren die moralischen Wochenschriften in zweifacher Hinsicht bedeutsam: sie griffen die pädagogischen Ideen der Aufklärung auf und machten sie zu einem ihrer Schwerpunktthemen, und sie erzogen — mittel- und unmittelbar — ein Publikum für periodische Unterhaltungslektüre und bildeten die Grundlage für die Entwicklung des nichtgelehrten Zeitschriftenwesens. Vorbilder der deutschen moralischen Wochenschriften waren die in London erschienenen Blätter von Richard Steele und Joseph Addison: — ,The Tatler', der von April 1709 bis Januar 1711 dreimal wöchentlich herauskam, The Spectator', der täglich außer sonntags von März 1711 bis J u n i 1712 erschien und ,The Guardian', der von Steele allein herausgegeben wurde(1713). Die bald darauf in Deutschland herausgegebenen Blätter wurden lange Zeit als bloße Imitationen und Nachfolger der englischen Zeitschriften betrachtet, eine Bewertung, die nicht zuletzt daraus resultierte, daß die erste deutsche moralische Wochenschrift, der Hamburger ,Vernünfftler' (1713—1714) eine Zusammenstellung von Stücken aus dem ,Tatler' und .Spectator' darbot 7 und daß zudem viele moralische Wochenschriften die englischen Vorbilder erwähnten. 7 1 Schon bevor 1964 die .Erbaulichen Ruh=Stunden' von J o h a n n Frisch aus dem Jahre 1676 entdeckt und in ihnen eine Frühform der moralischen Wochenschriften erkannt w u r d e 7 2 , hatten Zweifel an dem englischen Import bestanden. (So versuchte E.-A. Kirschstein 1936 zu zeigen, daß sich „in Deutschland — zunächst ganz unabhängig von England — die Entwicklung der nichtgelehrten Zeitschrift allmählich unter dem Einfluß der allgemeinen kulturgeschichtlichen Situation und des erwachenden Bürgertums zu dem Typ der Moralischen Wochenschrift hindrängte." 7 3 In England und Deutschland fand eine Parallelentwicklung statt, wobei sich die deutschen Wochenschriften in Erscheinungsweise, Inhalt, Gestaltung und ihrem soziokulturellen Kontext von den englischen unterschieden. 7 4 Die periodischen Sittenschriften, wie die moralischen Wochenschriften auch genannt wurden, erschienen zumeist in Wochenstücken von einem Bogen Umfang 22
zu einem Preis von sechs Pfennig. Titelblatt und Register wurden zum Ende eines Halbjahres- oder Jahrbandes ausgegeben, einige von ihnen scheinen vornehmlich in Buchform verbreitet gewesen zu sein. 7 s Auch die Neuauflagen der erfolgreichen Wochenschriften weisen auf geringen Aktualitätsbezug hin; den publizistischen Kriterien der Periodizität, Kontinuität und Publizität werden die moralischen Wochenschriften gerecht. 76 Eine typische moralische Wochenschrift ist gekennzeichnet durch eine originelle Titelgebung, einen anonymen und fiktiven Verfasser 77 , einen epischen Charakter in den verschiedenen Formen (wie Abhandlungen, Satiren, Briefen, Erzählungen), die Einheit des Stückes, keinerlei Aufteilung in Sparten und Rubriken, das Fehlen von Illustrationen, Motti und häufige Wiederholung des Stoffes. 7 8 In den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts erschienen die bedeutendsten deutschen moralischen Wochenschriften, die renommierteste war der Hamburger .Patriot' (1724—26), er erlebte vier Auflagen bis 1765 und erreichte bei der ersten Ausgabe bereits eine Auflage von fünfeinhalb tausend Exemplaren. 79 Johann Christoph Gottsched war der Herausgeber der .Vernünftigen Tadlerinnen' (1725— 26), die ihre Auflage mit zweitausend bezifferten und ebenfalls (1738 und 1748) neu aufgelegt wurden, 8 0 und des .Biedermanns' (1727—29). 1721 bis 1723 erschienen in Zürich die .Discourse der Mahlern', in zweiter Auflage 1746 als die ,Mahler der Sitten'. Die Angaben über die Gesamtzahl der moralischen Wochenschriften divergieren, was nicht etwa an einer ungenügenden bibliographischen Erfassung der Blätter liegt, sondern in der schwierigen Bestimmung und Zuordnung von Zeitschriften zu dieser Gruppe begründet ist. In seiner .zeitungskundlichen Untersuchung' erfaßte Oberkampf 557 Blätter, wovon er nur 83 als .echte moralische Wochenschriften' bewertet, weitere 102 bezeichnet er als moralische Wochenschriften im weiteren Sinne. 81 Unter dem qualitativen Aspekt sind die zwanziger und dreißiger Jahre als Blütezeit zu nennen, die beiden darauffolgenden Jahrzehnte zeichneten sich durch die Quantität der Produktion aus. Ab 1760 begann sich das Ende der Sittenschriften abzuzeichnen. 82 Die moralischen Wochenschriften wollten die „Aufsicht über die Sitten und das häußliche Betragen" übernehmen 8 3 ; ihr erklärtes Ziel war, die Menschen zu tugendhaften und glücklichen Bürgern zu erziehen, sie zu bessern, indem die Laster kritisiert und karikiert und das Gute, Tugendhafte, lobend herausgestellt wurde. Mit aufklärerischem Impetus wurden allgemeine Fragen von Moral und Philosophie behandelt, Zu- und Mißstände innerhalb der Gesellschaft beleuchtet; Heirat und Ehe, Modefragen und -torheiten, Aberglauben und deutscher Sprachgebrauch stellten die Themen. Ganz besonderen Eifer zeigte man auf dem Gebiet der Erziehung, dessen Verbesserung jedem Wochenschriften-Verfasser am Herzen zu liegen schien. „Die durchgehende bey uns versäumte, oder vielmehr ganz irrig angestellte Kinder=Zucht ist die erste und mächtigste Ursache unsers mannichfaltigen Unglücks", klagte der Patriot. 84 Der Glaube der Aufklärung, daß eine gute Erziehung alles vermag, wurde von den moralischen Wochenschriften konsequent vertreten. Es ist interessant zu beobachten, wie sich Lockes Vorstellung von der kindlichen Seele als einer .tabula rasa' in den Blättern in vielerlei Modifikationen wiederfindet. Der .Patriot' vergleicht die jungen Gemüter mit .einem rohen Wachs=Klumpen' oder einem .unbeschriebenen weissen Papiere'. 85 Die .Vernünftigen Tadlerinnen' bezogen sich offensichtlich darauf, als sie schrieben: „Man hat unlängst 23
gesagt, die Herzen junger Kinder wären ein zartes Wachs", 8 6 an anderer Stelle ist von .leeren Tafeln unseres Gemüthes' die R e d e 8 7 . Als einen weichen Klumpen Ton wollten die ,Mahler' die Kindesseele verstanden wissen, 8 8 während die .Zellischen Vernünftigen Tadler' die Kinder mit einem ungeschliffenen Diamanten verglichen. 8 9 Die Bedeutung der moralischen Wochenschriften als pädagogische Reformschriften' 9 0 bestand nicht in einer eigenen Erziehungstheorie, sondern in der Popularisierung der aufklärerisch-pädagogischen Gedanken in allgemeinverständlicher Form. Daß sie auf eine umfassende, differenzierte Auseinandersetzung und theoretisch fundierte Abhandlungen über Pädagogik verzichteten, gehörte zu ihrem Charakter, der praktischen und lebensbezogenen Ratschlägen den Vorzug gab — was ja nicht zuletzt ihren Erfolg ausmachte. In deutlicher Sprache prangerten die .Vernünftigen Tadlerinnen' Fehlverhalten von Eltern und Lehrern an, Kritikpunkte, die von den moralischen Wochenschriften immer wieder aufgegriffen wurden: „Eine Mutter denket Wunder was sie gethan hat, wenn sie das Kind zur Welt gebiehret. Hierauf vertraut sie es der Aufsicht einer leichtfertigen Metze an, die ihm sogleich mit der Milch* die Liebe zu den Lastern einflößet. Kaum kann es lallen, so schickt man es in eine Schule, allwo die bösen Beispiele anderer Kinder, und die unvernünftige Unterweisung eines eigennützigen Lehrers, dasselbe vielmehr zur Dummheit als zur Wissenschaft führen. Zu Hause wird es auch mehr durch henkermäßige Strafen, als durch gründliches Oberzeugen vom Bösen zum Guten, wo nicht gar von diesem zu jenen geführt." 91 Die moralischen Wochenschriften setzten sich für eine bessere Ausbildung der Mädchen ein, wobei ihnen ein gewisses Maß an Gelehrsamkeit zugestanden wurde. Die Auffassung, daß ein Mädchen primär dazu erzogen werden sollte, dem Manne zu gefallen, wie sie Rousseau vertreten hatte, war bei den Wochenschriften nicht anzutreffen. 9 2 Neben der Verbreitung bekannter Erziehungsgrundsätze eines J o h n Locke oder Fénelon 9 3 und der Empfehlung entsprechender L e k t ü r e 9 4 , zeichneten sich die moralischen Wochenschriften durch ihren fortschrittlichen Charakter aus. Schon vor Beginn der philanthropistischen Bewegung formulierten und propagierten die Wochenschriften Forderungen und Thesen wie: — eine gemäßigte elterliche Autoritätsausübung, — eine stärkere Berücksichtigung der kindlichen Natur und Psyche, — eine höhere Bewertung des kindlichen Spieles und der Freude am Lernen, — körperliche Betätigung und Abhärtung sowie die Verbesserung des Unterrichtes. 9 5 Auch das Utilitaritätsprinzip und die Erziehung zu einem gemeinnützigen Leben wurde bereits von den Wochenschriften vertreten. „Die Kinder gehören ja den Eltern nicht, daß sie daraus machen mögen, was sie nur wollen, sondern vielmehr der Republick, zu deren Dienste sie daraus machen müssen, was sie nach aller Möglichkeit können." 96 Nachdem die Erziehung zu einem der Hauptanliegen der moralischen Wochenschriften geworden war, dauerte es nicht allzu lang, bis ein Blatt herauskam, das sich in ganz besonderem Maße dieser Aufgabe widmen und dieses schon im Titel zum Ausdruck bringen wollte: 1731 erschienen im Schlesischen Schweidnitz ,Die vor sich und ihre Kinder sorgfältigen Mütter', die in ihrer Zueignungsschrift ihre Ziele bekanntgaben: „Sie (diese gegenwärtigen Blätter, A.U.) sind eigentlich unserm Weiblichen Geschlechte/und denen daher stammenden Kindern zum Vortheil geschrieben/als deren gesamtes Wohl wir darinnen nach allen möglichen Kräften zu befördern suchen." 97 24
Das halbmonatlich ausgegebene Blatt befaßte sich sehr viel mit gesundheitlich-medizinischen Fragen. Die Schädlichkeit des Tee- und Kaffeetrinkens, der kalten Getränke, des Schnürens und Schminkens und natürlich auch das .Ammensäugen' stellten einen großen Teil des Inhalts. Die bereits erwähnte Problematik der eindeutigen Bestimmung einer Zeitschrift als moralische Wochenschrift scheint in diesem Fall besonders groß gewesen zu sein. Häufig gelten die .Mütter' als frühe Frauenzeitschrift 98 , als pädagogische Zeitschrift 9 oder als ,zu unbedeutende' moralische Wochenschrift im weiteren Sinne 1 0 0 . Die ,Mütter' selbst hofften auf Interesse von vielen Seiten, von Frauen und Männern, Älteren und Jüngeren, „und vielleicht scheuen auch wohl Medici selbst diesen unsern weiblichen Versuch von Medizinisch=Moralischen Dingen so gar nicht". 1 0 1 Offensichtlich vermuteten die — fiktiven — Mütter auch Jugendliche unter ihren Lesern; bei der Beantwortung eines Leserbriefes zu einem heiklen Thema gaben sie zu bedenken: „Die Leser dieser Blätter sind nicht alle gleich. Wir möchten nicht gerne einen einzigen durch unsere Worte argem und eben so wenig die Jugend dadurch reitzen/als die Wollust lüstern machen."102 Im Juni 1734 kam das als Gegenstück zu den .Müttern' konzipierte Blatt ,Die vor sich und ihre Söhne sorgfältigen Väter' heraus 1 0 3 , das „dem bedürftigen männlichen Geschlechte einen reinen Geschmack von seiner Leiberpflege und Lebensordnung beybringen" wollte und für eine natürliche und männliche Lebensart eintrat. 1 0 4 Die ,Väter' wollten lehren, „wie man sich in der Jugend, im Alter, zu Hause, auf Reisen, in der Feme, in mancherley Ländern, in unterschiedner Luft, bey verschiednen Wetter, in verschiedlichen Gewerben und Geschäften, im Essen, im Trinken und in allen Lebensordnungen bey gesunden und kranken Tagen zu verhalten."105 Außerdem befaßte man sich mit Naturlehre und -geschichte, dem menschlichen Körper und Funktionen der Organe und mit der deutschen Sprache und Rechtschreibung. Die ,Väter' konzentrierten sich allzu sehr auf orthographische Probleme und widmeten der Naturkunde übergroßes Interesse und entsprechenden Raum. 1 0 6 Daß die ,Mütter' und ,Väter' als erste ausschließlich der Erziehung verschriebenen Wochenschriften gewürdigt werden 1 0 7 , liegt also nicht in den Inhalten der beiden Blätter begründet, sondern in den prägnanten Titeln; die ,Väter' haben dabei offensichtlich von ihrem Gegenstück profitiert. In diesem Zusammenhang muß daher noch eine andere moralische Wochenschrift erwähnt werden, der der Ruhm gebührt „ihre Feder selten tief in die Pädagogik getaucht zu haben" 1 0 8 : ,Die Matrone' (1728-30). Dieses Blatt setzte sich besonders für eine bessere Bildung der Mädchen ein, denen es eine ebensolche Gelehrsamkeit wie dem männlichen Geschlecht zutraut. Die .Matrone' forderte die Errichtung von Armenschulen, eine sorgfältigere Ausbildung der Lehrer 1 0 9 und hielt ein Plädoyer für die öffentlichen Schulen, dem jedoch — eingedenk der bestehenden Mängel — die Einschränkung folgt: „so rede ich nicht eben von Leuten vom ersteren Rang des Standes und des Vermögens, daß sie ihre Kinder in denselben lehren lassen sollen." 1 ι υ Bemerkenswert ist die von der ,Matrone' selbst angestellte Überlegung, daß es genug Schriften über die Sittenlehre gäbe, davon allerdings nur wenige auch von den Frauen und von der Jugend gelesen würden. 111 Diesem Mißstand wollte sie entgegenwirken. Die pädagogische Wirksamkeit der moralischen Wochenschriften wird hoch eingeschätzt, ist jedoch nur schwer faßbar, da der wichtige Reformbereich des 25
häuslichen Lebens und der Familie, auf den die Wochenschriften abzielten, ein der Forschung unzugängliches Gebiet darstellt. Der gewisse Conrad Sorgenlos, der in der ,Liste einiger durch die Patriotischen Blätter verursachten Veränderungen' auftauchte und angab, seine Kinder von nun an besser erziehen zu wollen und zu können, ist leider nur eine fiktive Gestalt! 1 1 2 In bezug auf die moralischen Wochenschriften von journalistischer Massenbeeinflussung' zu sprechen 1 1 3 ist eine ebenso wagemutige Behauptung wie jene, die den Wochenschriften ein Bemühen zuspricht, „möglichst tief ins Volk einzudrängen". 1 1 4 Die moralischen Wochenschriften richteten sich — und dies charakterisiert sie ebenso wie ihre moralische Tendenz — an die Gesellschaftsschicht, deren Leben und Treiben sie widerspiegelten und deren Sitten sie zu bessern trachteten: das Bürgert u m . 1 1 5 Wenn sie angaben, auch für den gemeinen Mann schreiben zu wollen, so war es nur ein formelles Versprechen, das inhaltlich nicht eingehalten wurde. Selbst wenn die unteren Schichten finanziell und intellektuell in der Lage gewesen wären, die moralischen Wochenschriften zu rezipieren, hätten sie sie wenig interessant gefunden, waren doch die Themen dieser Blätter für sie nicht relevant und ohne Bezug auf ihren Alltag. Für die Kommunikationsgeschichte liegen die hervorragenden Leistungen der moralischen Wochenschriften, die ihren Lebenszeitraum überdauerten, in der Heranbildung von Lesern und in ihrer .fundamentalen' Funktion für die Entwicklung des Zeitschriftenwesens. Obwohl primär das Kommunikationsmittel des Bürgertums bildeten die moralischen Wochenschriften einen wichtigen Faktor in dem außerordentlich langwierigen Prozeß der Ausbreitung des selbstverständlichen Umganges mit gedruckten Kommunikationsmitteln. 1 1 6 Bis zu den periodischen Sittenschriften bestand das Angebot an periodischer Lektüre nur aus Zeitungen, gelehrten und historisch-politischen Zeitschriften. Unterhaltende Lektüre war verpönt. Die moralischen Wochenschriften bildeten den „Übergang vom gelehrten zum belletristischen J o u r n a l i s m u s " 1 1 7 und vereinigten beide Tendenzen auf gemeinverständlicher Grundlage. 1 1 8 Sie boten auf einem oder einem halben Bogen unterhaltend-belehrenden Lesestoff und schufen damit Leserpotentiale, denen Bücher zu umfangreich u n d Zeitungen zu trocken waren. Im Namen der Frauen hatten bereits die ,Vernünftigen Tadlerinnen' geklagt: „Wenn man nun die Schule verläfit, so verläßt man, wofern ich etwa ein Gebetbuch ausnehme, zugleich alle Bücher. ... Die Schriften, die zur Verbesserung des Verstandes und Willens etwas beytragen können, dünken uns zu schwer, zu unverständlich, zu trocken, zu ernsthaft, und zu verdrießlich. Und da man unsere Seele niemals zum Nachdenken gewöhnt hat: so wird es uns sauer, solche Bücher, welche mit Überlegung gelesen seyn wollen, zu verstehen; so daß wir sie wieder von uns werfen, wenn wir sie kaum in die Hände genommen haben." 119 Außer dem mittelbaren Effekt, daß sich die Leser an die Rezeption von Periodika gewöhnten, übten die moralischen Wochenschriften durch Bücherempfehlungen und Hinweise auf den Nutzen von Lektüre direkte Lesepädagogik aus, wobei „das lesende Frauenzimmer, mit der rechten Lektüre versorgt, ... eine Lieblingsvorstellung der Moralischen Wochenschriften" ist. 1 2 0 Auch der Jugend wurde Lektüre zugestanden, doch kam es auf die Auswahl der Stoffe an; zu den nicht empfehlenswerten zählten die Romane und auch die Zeitungen. Der .Biedermann' kritisierte: „Alle Menschen verbindet die Natur sich selbst zu erkennen, und nach ihren Gesetzen zu leben. Der Reichste hat die größten Pflichten zu beobachten. Dieses aber erlernet man nicht aus 26
nachlässiger Lesung neuer Zeitungen, vielweniger aus abgeschmackten Brief=Stellern. Weil aber hiedurch das liebe Söhnchen nicht an¡*estrenget wird ...; ... so ist man mit solcher tiefen Einsicht in die Gelehrsamkeit zufrieden." Als oberste Maxime galt, die Jugend niemals ohne Aufsicht und Anleitung von Eltern oder Lehrern lesen zu lassen. In welchem Ausmaß auch die Jugend die moralischen Wochenschriften gelesen hat, läßt sich nicht bestimmen. Hinweise fanden sich ja bei den .Müttern' und der .Matrone'. Da die moralischen Wochenschriften als ,Familienblätter ihrer Zeit' beurteilt w e r d e n 1 2 2 , ist davon auszugehen, daß sie auch der Jugend in die Hände fielen (nicht gegeben wurden!). Nicht belegbar ist allerdings die Darstellung, daß einige Wochenschriften, z.B. der .Patriot' oder die .Tadlerinnen' schon frühzeitig eigene Sparten .zum Vergnügen, zur Bildung des Herzens und Geschmackes der Kinderwelt' brachten. 1 2 3 Als sich ab 1760 der Typ der moralischen Wochenschriften aufzulösen begann, hatten sich bereits, indem die Blätter unterschiedliche Schwerpunkte entwikkelten, Ansätze zu einer Differenzierung des Zeitschriftenwesens angedeutet. In den moralischen Wochenschriften wurzelt das gesamte nicht gelehrte oder fachlich ausgerichtete Zeitschriftenwesen 1 2 4 ; und sie haben zudem durch ihre Spezialisierung auf allgemein-wissenschaftliche Fragen auch „bei der Entstehung einer populärwissenschaftlichen, nur ein bestimmtes Gebiet pflegenden Publizistik Pate gestanden". 1 2 5 In der 1961 entwickelten .Stammtafel der Deutschen Zeitschrift' werden die moralischen Wochenschriften als Grundlage für Familien-, Frauen-, Mode- und Jugendzeitschriften dargestellt. 1 2 6 Die Bewertungen der Wochenschriften als frühe Frauen- und Familienblätter sind bereits skizziert worden; die pädagogischen Ambitionen und Inhalte der moralischen Wochenschriften führten zu der These, daß sie zum großen Teil in pädagogische Schriften übergingen. 1 2 7 Für die pädagogischen Zeitschriften hatten schon die gelehrten Zeitungen und entsprechende Inhalte in verschiedenen Blättern vor den moralischen Wochenschriften die Vorarbeit geleistet. 1 2 8 Doch waren es die Sittenschriften, die die ,Generaldebatte des pädagogischen Journalismus' eröffneten und die Leser durch ihre ,angenehm verzuckerten Dosen von Pädagogik' empfänglich für die pädagogischen Zeitschriften m a c h t e n . 1 2 9
1.3.
Wochenblätter
für Eltern — zum Besten der
Kinder
Gegen Ende der Ära der moralischen Wochenschriften entstanden zwei Zeitschriften, die auf dem Weg zur Jugendzeitschrift wichtige neue Akzente setzten. Von November 1759 bis Ende 1763 erschien in Berlin das .Wochenblatt zum Besten der K i n d e r ' 1 3 0 , in Stuttgart kam 1771 die .Wochenschrift zum Besten der Erziehung der Jugend' heraus. 1 Das Beste für die Jugend lag beiden am Herzen — mit unterschiedlichen Konzeptionen wandten sie sich an Eltern und Erzieher. Das .Wochenblatt zum Besten der Kinder' wurde von dem dreiundzwanzigjährigen Pfarrer Samuel Krickende herausgegeben 1 3 2 ; im Blatt selbst wurde der Name nicht genannt, es war stets von ,den Verfassern' die Rede, da „diese ... nicht ihre Namen, sondern ihre guten Absichten bekannt wissen" wollten. 1 3 3 Als man im ersten Stück die Beweggründe für die Herausgabe eines solchen Wochenblattes darlegte, vermittelte man einen realistischen Eindruck von dem damaligen Lektüreangebot für die Jugend: 27
„Es ist uns immer sehr fremde vorgekommen, daß man Kinder, die doch einen so wichtigen Theil der lebenden Menschen ausmachen, und die Pflanzschule der künftigen Welt von Erwachsenen und Bürgern sind, bey einer so erstaunlichen Fruchtbarkeit von Schriften noch immer zu sehr vergißt und zurücksetzt. Nicht, als ob etwa Werke über die Erziehung und Lehrbücher für dies zarte Alter selten waren. Aber der ersteren Werke sind doch mehrentheils nur für Aeltem und Erzieher geschrieben; die letzteren aber so eingerichtet, daß sie aufs höchste das Gedächniß, oder den Verstand der Kinder bilden sollen. Ihr Herz dagegen und ihre Sitten werden gemeinhin der Bildung anderer überlassen, von denen kaum die Helfte sich selbst glücklich ausgebildet und verbessert hat." Aufgeschlossenen Eltern stünden nur weitläufige Büchersammlungen zur Verfügung. 1 3 5 Aus diesen Gründen entschieden sich ,die' Verfasser für das Kommunikationsmittel Wochenblatt. Es folgte eine nahezu klassische Beschreibung seiner positiven Eigenschaften: Es mache wenig Kosten, sei „allgemein, zugänglich für die Bedürfnisse der Erziehung, leicht in seiner Abfassung, und zur Anwendung b e q u e m " . 1 3 6 Kurz darauf wird mit dem Hinweis auf die „den Wochenschriftstellern zur Regel gemachte Mannigfaltigkeit" 1 3 7 noch auf das Postulat der Varietät des Inhalts abgehoben. 1 3 8 Wie sich Krickende den Gebrauch seines Wochenblattes vorstellte und was er durch den Titel ,... zum Besten der Kinder' ausdrücken wollte, erkläuterte er so: „Ob wir es gleich für die Kinder bestimmen: so sieht doch ein jeder ohne Erklärung ein, daß wir es den Kindern durch die Hände der Aeltem zugedacht wissen wollen." Das Wochenblatt richtete sich also an Eltern und Kinder; die zweifache Intention, die Eltern bei ihrer Aufgabe zu unterstützen, „ihre Kinder auf die Pfade der Glückseligkeit zu führen" und gleichzeitig „Mentors der Jugend zu s e i n " 1 4 0 , spiegelt sich im Inhalt wider. Einmal wurden die Aufgaben der Eltern, der Lehrer und des Staates aufgezeigt, zum anderen aber auch die Kinder auf ihre Pflichten gegenüber Eltern und Lehrern aufmerksam gemacht. Neben den Erziehungsstücken wurden auch ,angenehme Einschaltungen' und .zufällige Stücke' abgedruckt, so z.B. ein Schreiben des Herrn Kinderfreund, ein Name, der die Jugendzeitschrift in den siebziger und achtziger J a h r e n begleitete. 1 4 1 Außerdem gab es weitere Briefe, Lieder, Fabeln, Gedichte und Kindergeschichten, die durchaus als Lesestoff für Kinder angesehen werden konnten. Die Kinder wurden auch direkt angesprochen, z.B. als ihr Verhalten den Lehrern gegenüber erörtert wurde: „Wolle doch Gott nicht, liebste Kinder! daß ihr eures Lehrers Dienste so pöbelhaft, oder vielmehr so niederträchtig unbescheiden beurteilet . . . " 1 4 2 Man zweifelte nicht daran, daß Kinder neben den Eltern und Lehrern die Leserschaft des Wochenblattes ausmachten, der man natürlich größtmöglichen Nutzen verschaffen wollte. 1 4 3 Einen derartigen Effekt bestritt J o h a n n Gottfried Herder, der mit dem Wochenblatt hart ins Gericht ging: „Dies ist ein Wochenblatt zum Besten der Kinder? Sollen Kinder es lesen? Der Titel lügt, oder es ist ihnen mit allen seinen Abhandlungen, Fabeln und Gedichten eine Qual! Sollen Eltern es lesen? Haben sie dazu Zeit? Ist dies ihnen zu wissen nöthig? Gibt es ihnen, worinn sie Rath wollen und brauchen, kurz und gut Rath? Spricht es die Sprache der Eltern, die ans Herz dringt? Nein! Für Hofmeister mag das ein Buch (Hervorhebung A.U.) seyn, die langweilig, wie die Verfasser, denken wollen." 144 Vermutlich lag es an dem Titelteil ,zum Besten der Kinder', daß das Wochenblatt in einigen Fällen als selbständige Kinder- und Jugendzeitschrift aufgeführt wurde. 1 5 Etwas irreführend sind die geläufigen Angaben zur Erscheinungsdauer des Blattes mit 1760—69. Der vierte u n d letzte Teil des Wochenblattes erschien erst nach einer mehr als fünfjährigen Unterbrechung im J a h r e 1769, herausgegeben von dem Arzt J o h a n n Georg Friedrich Franz. 1 4 6 28
Für das Krickende'sehe Wochenblatt hatte zunächst offensichtlich Nachfrage bestanden. Die Verzögerung bei der Auslieferung des zweiten Abschnittes von Teil drei entschuldigte man in einer Nachricht an die Leser vom 16. April 1763: „Von den Ursachen, die uns gehindert haben, diesen Abschnitt zur vorigen Messe (vermutlich die Leipziger Michaelis-Messe, A.U.) zu liefern, ist eine mit gewesen, daß wir die Ausgabe einer neuen Auflage vom ersten Abschnitte des ersten Theils zu besorgen g e h a b t . " 1 4 7 Eine Erklärung für die .Verzögerung' von mehreren Jahren kann leider nicht gegeben werden ... 4 8 Die .Wochenschrift zum Besten der Erziehung der Jugend', deren erstes Stück im Januar 1771 erschien, hatte ihren Titel augenscheinlich in Anlehnung an das Berliner .Wochenblatt zum Besten der Kinder' gewählt, was nicht die einzige Übernahme blieb; Ähnlichkeiten im Vorwort und der — gekennzeichnete — Nachdruck von ganzen Stücken, wie z.B. die .Gedanken bei der Geburt eines Kind e s ' 1 4 9 , weisen auf das Musterbeispiel Krickendes hin. Allerdings bemühte man sich bei der Wochenschrift, dem interessierten Publikum gleich ein ganzes Erziehungssystem an die Hand zu geben, das auf den Grundsätzen von Miller basierte. 5 Auch bei den anderen Stücken hatte der Herausgeber Christian Gottfried Böckh — ebenfalls im anonymen Plural auftretend — auf bewährte Schriftsteller zurückgegriffen. Im ersten Stück gab Böckh bekannt, daß man nicht etwa den vielen Schul- und Erziehungsschriften eine weitere hinzufügen wolle, sondern „die Menge derselben unter einen Hauptplan bringen, und das Vorzüglichste, das über eine Erziehungs=Materie geschrieben worden, in einer ununterbrochenen Reihe dem Leser vorlegen, damit er in dieser Wochenschrift alles Vorzügliche, was bisher über diese Materie geschrieben worden, beysammen hat." 1 5 1 Wie schon Krickende schien auch Böckh die Form der Wochenschrift als .der sicherste Canal' zur Übermittlung dieser Inhalte 1 5 2 , besonders unter dem Aspekt, daß man Personen von allen Ständen erreichen wollte. 1 5 3 Dementsprechend sollte die Schreibart ausgerichtet werden; vorbeugend wurde erklärt, daß, wenn sich Verständlichkeitsprobleme ergäben, doch „jede Dorfgemeinde ihren Pfarrer (habe), von dem sie sich die Erklärung einer nicht verstandenen Stelle wird ausbitten und erwarten dürfen." 1 S 4 Daß die Stuttgarter Wochenschrift „von einem braven Mann zu Tübingen sofort nachgedruckt" w u r d e 1 5 5 , trug zur Verbreitung des Blattes sicherlich einen nicht geringen Teil bei. Fast beiläufig erwähnte der Herausgeber zum Schluß seiner einleitenden Bemerkungen das Moment, das diese Wochenschrift gegenüber anderen auszeichnete und sie so fortschrittlich machte: „Dies wären also die Haupt=Materien, die man in dieser Wochenschrift nach und nach zu erwarten hat, und denen wir auf jedem Bogen, theils zur Abwechslung, theils zur Unterhaltung der Eltern mit ihren Kindern Etwas Lehrreiches und Angenehmes für die Jugend selbst hinzu thun werden." 156 Sehr wahrscheinlich hat der Ausdruck ,etwas hinzutun' zu der späteren falschen Darstellung geführt, daß es sich um Beilagen gehandelt h a b e . 1 5 7 In den Inhaltsverzeichnissen wurden die .angehängten theils prosaisch, theils poetischen lehrreichen Stücke für Kinder' gesondert verzeichnet. Der den Kindern pro Heft zugedachte Lesestoff variierte im Umfang, mal bestand er lediglich aus einem Gedicht von einer halben Seite, dann wiederum füllte ein Beitrag wie ,Die Näschereien, ein kleines dramatisches Stück, von Herrn Moisy' sieben Seiten eines Wochenstückes. 1 5 9 29
Der schwankende Umfang der Kinderseiten führte zu der These, daß die Stücke für Kinder auch die Funktion von Lückenbüßern innehatten, die die 16 Seiten eines Wochenstückes auffüllen*sollten und bei genügend anderen Beiträgen also überflüssig erschienen. 1 6 0 Als Beispiel für die Stoffauswahl soll das dritte Stück gelten: es enthielt zwei Anekdoten über Sokrates 1 6 1 , eine über ,Nöthiges Schulgeräthe' 1 6 2 , ein Gedicht „Für Kinder, die Gespenster f ü r c h t e n " 1 6 3 und eine Ballade aus ,Leydings Handbibliothek für Kinder . Ein großer Teil der Fabeln und Lieder stammte von bekannten Dichtern der damaligen Zeit, z.B. von Geliert, Gleim, Weiße, Lessing und Schubart; der bereits erwähnte Moisy war mit einer Reihe von Kinderdramen vertreten. 1 6 5 Wer sich hinter dem Kürzel C.G.B, verbarg, war nur unschwer zu erraten. Die Böckh'schen Gedanken und Anmerkungen wurden von der Allgemeinen deutschen Bibliothek (zit. A.d.B.) als das bei weitem Schlechteste der Zeitschrift beurteilt. 1 6 6 Als die .Wochenschrift zum Besten der Erziehung der Jugend' nach vier Bänden mit insgesamt 104 Stücken Ende 1772 ihr Erscheinen einstellte, war nicht mangelnde Resonanz die Ursache, „denn das Unternehmen fand allgemeinen Anklang und wurde von dem aufstrebenden Verlag Cotta=Stuttgart getragen." 1 6 7 Noch 1787 wurde sie in Prag nachgedruckt, eine relativ unbekannte Ausgabe. 1 6 8 Nach Beendigung der Wochenschrift übernahm Böckh, seit 1772 Diakon in Nördlingen, die Herausgabe der .Allgemeinen Bibliothek für das Schul- und Erziehungswesen in Deutschland' 1 6 9 . Er hatte die Wochenschrift ,gleichsam als Vorübung' darauf b e n u t z t . 1 7 0 Der Versuch Böckhs, durch das Kommunikationsmittel Zeitschrift Eltern, Lehrer und Kinderfreunde bei der Erziehung der Kinder zu unterstützen und gleichzeitig die Jugend mit Lektüre zu versorgen, wurde skeptisch aufgenommen. Ihre ansonsten positive Rezension Schloß die A.d.B. mit den Worten: „Sonst müssen wir noch bemerken, daß eine und dieselbe Schrift nicht zugleich für Lehrer und Aeltem und für die Jugend bestimmt seyn sollte. Was für erstere geschrieben wird, muß die Jugend bey weitem nicht immer lesen." 1 7 1
Böckh selbst hatte offensichtlich zu dem Zeitpunkt eine stärkere Berücksichtigung der Jugend oder eine Spezialisierung auf diese Zielgruppe nicht ins Auge gefaßt; daher ist es durchaus glaubhaft, wenn in seiner .Allgemeinen Bibliothek' das 1772 erstmals erschienene .Leipziger Wochenblatt für Kinder' freudig als ,ein glücklicher Einfair begrüßt w u r d e . 1 " Wenn Göhring kommentierte, daß dieser „erste literarische Schaukelstuhl .... der ewig zwischen zwei Zielen auf- und a b w i p p t e " 1 7 3 , nichts erreichte, befand er sich im Irrtum; denn indem die Stuttgarter Wochenschrift die öffentliche Diskussion darüber auslöste, ob Lektüre ,zwei Herren dienen könne', schuf sie ein günstiges Klima für die ersten Jugendzeitschriften. Das .Wochenblatt für rechtschaffene Eltern', 1772—73 in Nürnberg von dem Hofmeister J o h a n n Paul Sattler herausgegeben 1 7 4 bezog weder direkt noch indirekt Kinder in seine Leserschaft mit ein; daher ist die Klassifizierung Oberkampfs, der dieses Blatt zu den moralischen Wochenblättern für Kinder zählte, zu korri-
30
2.
Die Jugendzeitschrift — ein neues Kommunikationsmittel entwickelt sich
„Anstatt mutig auf dem Wege weiter zu schreiten, der die Eltern durch Aufklärung und jegliche Belehrung über Erziehung zu Erziehern machen sollte, überstürzte man sich, rannte bis zum Extrem: durch dasselbe Mittel gleich die Kinder zu anderen Menschen machen zu wollen. Die Kinder! Die Kinder! J a was schreiben wir denn für die Erwachsenen, da wir die Kinder selbst vor uns haben; da ist der richtige Weg: wir müssen uns direkt an die Kleinen wenden. Also nun für die Jugend! ... Kraft des Vererbungsgesetzes bekam das neue literarische Unikum die Eigenschaften der Mutter, der moralischen Wochenschrift: es kam auch wöchentlich oder monatlich, und so hatte man wieder ganz von selbst die sonderbarste Form, die der Jugendzeitschrift." 1 Mit diesen Sätzen kommentierte Otto Hild in der ihm eigenen prägnanten Ausdrucksweise die Entstehung der Jugendzeitschrift in Deutschland. Die Jugendzeitschrift als ein .neues literarisches Unikum in der sonderbarsten Form' zu bezeichnen, ist zwar in gewisser Weise eine Charakterisierung, für eine Definition jedoch keineswegs hinreichend. Daß mit den Zeitschriften für Kinder und Jugendliche ein neues publizistisches Mittel entstand, hatten auch die zeitgenössischen Beobachter erkannt; Unsicherheit bestand allerdings in der begrifflichen Bestimmung und Einordnung des Kommunikationsmittels, was in ähnlicher Weise auch noch für gegenwärtige Arbeiten zutrifft. In der fehlenden Definition und in der Nicht-Berücksichtigung der Spezifika von Jugendzeitschriften des 18. Jahrhunderts liegen die Schwierigkeiten der bibliographischen Erfassung begründet und führten zu strenger, pauschalierter Beurteilung durch Rezensenten und Chronisten.
2.1.
Definition
Der Begriff Jugendzeitschrift bezeichnet einen besonderen Typ von Zeitschrift, einem publizistischen Mittel, dessen Definition ein bis heute ungelöstes Problem darstellt. Versuche zur Begriffsklärung hat es in großer Zahl und mit unterschiedlichen Ansatzpunkten gegeben. 2 Besonders die frühe Zeitungswissenschaft widmete sich diesem Problem mit großer Akribie, wobei sie teilweise ihren Ausweg in NegativDefinitionen wie „Zeitschrift ist alles das, was nicht Zeitung ist" suchte. 3 Einer der wesentlichen Gründe für die Definitionsschwierigkeiten liegt darin, daß der Begriff Zeitschrift nicht etymologisch gewachsen ist 4 , er „ist — auffallenderweise — weit jünger als der von diesem Wort bezeichnete Zweig periodischer Publizistik selbst". 5 Der früheste Beleg für das Wort Zeitschrift stammt aus dem Jahre 1751, in den allgemeinen Sprachgebrauch ist es jedoch viel später eingegangen. 6 Von Zeitschriften des 17. und des 18. Jahrhunderts zu sprechen, bedeutet also, periodische Erscheinungen ex post mit einem Begriff zu prädikatisieren, über dessen Bestimmungskriterien damals wie heute kein Konsens bestand. 31
Unter den analysierten Jugendzeitschriften fand sich mit der Jugendphilosophie' aus dem Jahre 1786 die erste und einzige Jugendzeitschrift, die sich selbst als Zeitschrift bezeichnete. 7 Zeitschriften des 18. Jahrhunderts kennzeichneten sich im Titel als Abhandlungen, Beiträge, Blätter, Journal, Magazin, Zeitung, Wochen- oder Monatsschrift — um nur einige zu nennen. 8 Die fehlende Eindeutigkeit des Begriffs Zeitschrift mag dazu geführt haben, daß bei bisherigen Arbeiten über die Geschichte der Jugendzeitschrift Definitionsversuche dieses Kommunikationsmittels unterblieben oder umgangen worden sind. 9 Selbst Arbeiten wie über das »Leipziger Wochenblatt für Kinder', „eine Studie über die älteste deutschsprachige Kinderzeitschrift", 10 und über Weißes ,Kinderfreund', der bekanntesten Jugendzeitschrift, verzichteten auf eine entsprechende Definition; 11 erklärbar dadurch, daß beide Darstellungen unter literaturgeschichtlichen Aspekten geschrieben und die Jugendzeitschrift primär als Teilgebiet der Jugendliteratur betrachtet wurden. Bei jedem Definitionsansatz für den Begriff Zeitschrift muß als Prämisse gelten, daß eine a-historische Definition nicht möglich ist und nicht sinnvoll sein kann. Joachim Kirchner entwickelte aus dieser Erkenntnis heraus eine Begriffsbestimmung für die Zeitschrift des 17. und 18. Jahrhunderts: „Die Zeitschrift des 17. und 18. Jahrhunderts ist eine mit der Absicht der unbegrenzten Dauer begründete, in mehr oder weniger regelmäßigen Zeitabschnitten erscheinende und für einen im allgemeinen begrenzten Interessentenkreis durch mechanische Vervielfältigung hergestellte Publikation, deren einzelne Stücke als die (periodisch) wiederkehrenden Teile eines einheitlich geleiteten Ganzen erkennbar sind, und die innerhalb ihres besonderen Fach- oder Wissensgebietes eine Mannigfaltigkeit des Inhaltes anstrebt." 1 2 Kirchner ordnete der Zeitschrift sieben Merkmale zu, durch die sie gekennzeichnet wird und sich gegenüber Buch und Zeitung abgrenzen läßt: 1 3 Als Abgrenzung zum Buch — Periodizität; Unregelmäßigkeiten bei den Erscheinungsintervallen dürfen auftreten, die zeitlichen Abstände können bis zu einem Jahr umfassen. — Absicht der unbegrenzten Dauer; sie muß im Unterschied zu Fortsetzungswerken vorhanden sein. — Publizität; Voraussetzung hierfür ist die mechanische Vervielfältigung. — Einheitlicher Charakter aller Stücke; in Titelfassung, Umfang (ebenfalls ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zu Fortsetzungswerken und Sammlungen), Inhalt (der zumeist in einem Programm festgelegt wird), Tendenz sowie Form und Anordnung des Stoffes. — Kollektivität des Inhalts; die Verschiedenartigkeit des Inhalts hebt die Zeitschrift von Almanachen und Kalendern ab. Als Abgrenzung zur Zeitung — Geringere Aktualität; während die Zeitung Tagesneuigkeiten verbreitet, erörtert die Zeitschrift bereits bekannte Tatsachen. Die Zeitung erscheint numeriert und datiert mit einem ,schematischen, stereotypischen Gepräge', 14 bei den Zeitschriften fehlt diese Übersichtlichkeit in der Darbietung des Stoffes. 32
— Begrenzter Leserkreis u n d begrenztes Interesse; im Gegensatz zur Zeitung, für die die .Allgemeinheit des Interesses' ein wesentliches Merkmal ist, t r i f f t es für die Zeitschrift nur bedingt zu. Inwieweit sind diese Merkmale z u t r e f f e n d u n d ausreichend für eine Bestimm u n g der Zeitschrift als Teil des K o m p o s i t u m s Jugendzeitschrift? Die von Kirchner postulierte Absicht zur unbegrenzten F o r t f ü h r u n g einer Zeitschrift als Merkmal der Zeitschrift des 17. u n d 18. Jahrhunderts ist nicht zu15 16 treffend, was auch für den Bereich der Jugendzeitschrift nachgewiesen wird. Den anderen Kriterien ist prinzipiell zuzustimmen, jedoch ist darauf hinzuweisen, daß auch Zeitschriften numeriert u n d datiert erschienen sind. Sehr wichtig ist das Merkmal des einheitlichen Charakters aller Zeitschriftenausgaben (von Hagemann als Kontinuität bezeichnet). 1 7 Der Kirchner'sche, bereits 1928 entwickelte u n d bis heute maßgebliche Ansatz zur Zeitschriftendefinition reicht allerdings für eine präzise Bestimmung der Jugendzeitschrift nicht aus, vielmehr stellt er einen Minimal-Konsens dar. Periodische Schriften für die J u g e n d müssen diese Kriterien erfüllen, um als Zeitschriften klassifiziert zu werden; aber nicht alle, die diese Voraussetzungen erfüllen, sind Jugendzeitschriften. Als Zeitschriften für die J u g e n d werden in dieser Arbeit nur solche Periodika bewertet, die in höchstens vierteljährlichem Abstand erschienen; die Periodizität wird hier also weitaus enger eingegrenzt als bei Kirchner und entspricht in diesem P u n k t der Zeitschriftendefinition Hagemanns von 1 9 5 7 . ' 8 Die Eingrenzung auf einen höchstens vierteljährlichen Abstand in der Zeitschriftenausgabe resultierte aus der Überlegung, daß das, was das Kommunikationsmittel Zeitschrift gegenüber der Jugendliteratur im allgemeinen u n d Periodika im besonderen abhob, primäres Merkmal zu sein hatte; genau diesen Aspekt b e t o n t e der Rezensent des .Leipziger Wochenblatts für Kinder': „Ein glücklicher Einfall die Lektüre unter Kindern zu reitzen und zu unterhalten. Wenn man den Kindern ein ganzes Buch, es sey auch noch so geschmeidig, unter die Hände giebt, so werden sie desselben gar bald überdrüssig. Aber alle Wochen ein Blatt von einem halben Bogen (Hervorh A.U.) werden sie mit vieler Begierde erwarten, und inzwischen das Stück, das sie schon haben, mehr als einmal durchlesen, bis das neue ankommt." 1 9 Bei einem Abstand von mehr als einem Vierteljahr war dieser E f f e k t sicherlich nicht mehr gegeben, u n d auch der geringe U m f a n g der Zeitschrift b o t einen permanenten Leseanreiz. Die enge Eingrenzung ermöglicht es, die .periodische Presse im weiteren Sinne' auszuschließen; 2 0 was für die Jugendzeitschrift des 18. J a h r h u n d e r t s sehr wichtig war. Diese Art von Periodika erfreute sich großer Beliebtheit u n d viele von ihnen, besonders die Almanache, .Weihnachtsgeschenke' u n d .Bibliotheken' unterschieden sich „nur durch die Buchform von den Wochenschriften". 2 1 Schon 1787 klagte ein Pädagoge: „Da giebt es unter zahllosen Formen und Namen: Kinderalmanache, -Zeitungen, -joumale, -Sammlungen, -romane, -komödien, -dramas, -geographien, -historien, -physiken, -logiken, -katechismen, -reisen, -moralen, -grammatiken und Lesebücher für Kinder in allen Sprachen ohne Zahl, Kinderpoesien, Kinderpredigten, Kinderbriefe, Kindergespräche, und wie sonst noch alle der literarische Puppenkram heißen mag, der alljährlich besonders unter dem für die lieben Eltern und Basen anlokkenden Nebentitel: Weihnachtsgeschenk für die lieben Kinder zu Markte gebracht wird." 22 Es ist interessant festzustellen, daß bei der Aufzählung der „zahllosen Formen und N a m e n " der Begriff Zeitschrift fehlt! 33
Wenn dann die Jugendzeitschriften zu Ende eines Halbjahres oder Jahres mit Titelblatt und Inhaltsverzeichnis versehen und gebunden worden waren (was der Forschung heute zu Gute kommt) oder als Neuauflage in Buchform erschienen, wurden sie als Bücher gehandelt und verzeichnet (was der Forschung Probleme stellt). An einem Beispiel soll demonstriert werden, wie ähnlich sich Periodika im weiteren Sinne und Zeitschriften sind, die in einem Jahresband zusammengefaßt wurden. Von 1782 bis 1790 erschienen in sieben Bänden die .Abwechslungen für Kinder zu einer angenehmen und nützlichen Selbstbeschäftigung'; die 1782, 84, 85, 86, 87, 88 und 90 herausgekommenen Teile variierten im Umfang von zehn bis 16 halben Bogen. 23 Das ursprünglich geplante Halbjahresintervall wurde nicht eingehalten. 24 Am Inhaltsverzeichnis ist eine gewisse Schematik erkennbar, nach einer bestimmten Zeit wiederholten sich einzelne Elemente. Rätsel, deren Auflösungen einige Seiten später folgten, und Fortsetzungen innerhalb eines Bandes gaben der Schrift den Charakter eines Zeitschriftenjahrgangs. „Innhalt Der Besuch und Spaziergang. — Räthsel 1.2. — Morgengedanken. — Abendgedanken. — Gedanken zwischen Morgen und Abend. — Der geizige Knabe. Erster Brief. — Anmerkungen für Kinder aus diesem Briefe. - Auflösung des ersten und zweiten Räthsels. — Morgengedanken. ..." 25 Dieser Aufbau wurde relativ stringent weiterverfolgt, im ersten Bändchen insgesamt siebenmal. Bei diesem Inhalt zeigte sich auch, daß die Mannigfaltigkeit des dargebotenen Stoffes kein Abgrenzungsmerkmal der Zeitschrift zu einem Fortsetzungswerk darstellt. Mit den Aufforderungen zur Mitarbeit und Reaktionen auf Kritik 26 sowie dem Abdruck von Leserbriefen sind Stil- und Inhaltselemente vorhanden, die auch die Zeitschriften aufwiesen. Kirchner ordnete die .Abwechslungen' den Zeitschriften zu, 2 7 während eine derartige Klassifikation aufgrund des enggefaßten Periodizitätsbegriffes hier nicht zulässig ist. Der Sinn von einer Festschreibung publizistischer Wesensmerkmale und einer entsprechenden Definition der Zeitschrift ist in zunehmendem Maße von der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft in Frage gestellt worden. 2 8 Ohne in .terminologischen Purismus' 29 verfallen zu wollen, ist es dennoch notwendig, eine möglichst exakte Definition von dem Begriff der Jugendzeitschrift des 18. Jahrhunderts zu entwickeln. Daß dabei auf den engen Periodizitätsbegriff abgehoben wurde, ergab sich auch aus der Forderung, daß .Zeitschrift' nur bestimmt werden könne, „wenn sie als Mittel der sozialen Kommunikation aufgefaßt wird, dessen Bedeutung jeweils von der Summe publizistischer Möglichkeiten innerhalb einer Epoche abzuleiten ist." 3 0 Eine derartig ausgerichtete Darstellung gab Joachim Heinrich Campe 1788 im .Braunschweigischen Journal', als er auf einen auszugsweise veröffentlichten Brief Christian Garves antwortete. 3 1 Die ausführliche Entgegnung Campes auf den ,Einwurf wider die Nützlichkeit periodischer Schriften' ist ein kommunikationsgeschichtlich außerordentlich interessantes Zeugnis für den Stellenwert der Zeitschrift im 18. Jahrhundert. Wert und Nutzen dieses Kommunikationsmittels waren Gegenstand öffentlicher Diskussionen. 32 In seiner Apologie für die Zeitschrift (im Aufsatz selbst wird der Begriff zweimal verwandt), 3 führte Campe u.a. sechs ,Arten von Nutzen' an, durch die sich die Zeitschrift auszeichnet: 34
1. Größere
Zugänglichkeit
„Ein wohlausgesonnenes und zweckmäßiges Mittel, nützliche Kenntnisse jeder Art aus den Köpfen der Gelehrten durch alle Stände zu verbreiten." 34 2. Größere
Flexibilität
„Wie manche interessante und gemeinnützige Idee ... würde ... vielleicht unwiederbringlich verloren gehn, wenn der denkende Kopf erst jedesmal auf eine, vielleicht nimmer erscheinende Gelegenheit warten sollte, sie in eins oder das andere seine größeren Werke einzuschieben'" 35 3.
Soziabilität
„Einsamkeit macht muthlos; gesellschaftliche Verbindung kühn." 36 4. Erleichterte
Rezeption
durch redundante
Darstellungsweise
„Wie viel gute und achtung9würdige Menschen, die keine Zeit haben, größere Werke ... für sich und ihren Geist zu nützen, finden etwan am Abend eines in rastloser Thätigkeit verlebten Tages in einem Journalaufsatze von etlichen Bogen Erholung, Vergnügen und Nutzen; werden dadurch über wichtige Angelegenheiten der Menschheit, die auch die ihrigen sind, aufgeklärt und zum eigenen Nachdenken gereizt." 37 5. Herstellung von
Öffentlichkeit
Es konnte „wol nicht leicht eine bequemere Anstalt erdacht werden ..., die verschiedenen Stimmen denkender Köpfe über wichtige, aber noch streitige Puñete zu sammeln. ... Dies ... muß nothwendig den öffentlichen Untersuchungsgeist reizen." 38 6. Größere
Relevanz
Es wird „darin mehr, als in anderen Werken, Rücksicht auf die jedesmaligen Bedürfnisse der Zeit genommen."JV Der ,reale Bedeutungsinhalt' 4 0 dessen, was für das 18. Jahrhundert als Jugendzeitschrift bezeichnet wird, läßt sich erst anhand der konkreten Darstellung einzelner Jugendzeitschriften verdeutlichen; als Definition im Sinne einer terminologischen Abgrenzung soll gelten: 4 1 Die Jugendzeitschrift des 18. Jahrhunderts ist eine durch mechanische Vervielfältigung publizierte periodische Schrift, die speziell für die Jugend geschrieben wurde und sich explizit an sie wendet. Sie erscheint in bestimmten, höchstens vierteljährlichen Abständen bogenweise oder broschiert; die Einzelstücke weisen in Form, Inhalt und Gestaltung einen einheitlichen Charakter auf. Der Zeitschriftentyp wurde gekennzeichnet durch die Angabe des Zielpublikumsjugend. Im Bereich der Jugendliteratur wurde dementsprechend der Begriff der .spezifischen' oder ,intentionalen' Jugendliteratur eingeführt. 4 2 Für die Jugendzeitschrift gilt ebenso wie für die Jugendliteratur, daß „nicht immer deutlich (war), wie eng oder wie weit der Begriff .Jugend' gebraucht wurde, welche Altersgruppe also der Autor meinte." 4 3 Entsprechend der Bestimmung in Kap. 1.1. dieser Arbeit wird Jugend verstanden als Oberbegriff für Kinder und heranwachsende Jugendliche; damit werden Zeitschriften ausgegliedert, die sich an junge Leute wandten und die als ,Ledigenpresse' bezeichnet wurden. 4 4 Die Begrenzung auf diese Lebensphase trifft auch bei den Jugendzeitschriften der Gegenwart zu, deren Leser sich vornehmlich aus der Altersstufe bis siebzehn Jahre rekrutieren. 4 5 35
Wenn also beide Teile des Kompositums Jugendzeitschrift aus ihrem historischen Kontext her definiert werden, so ist eine Definition für gegenwärtige Jugendzeitschriften auf die des 18. Jahrhunderts übertragbar: Jugendzeitschriften sind demnach „Zeitschriften für Kinder und heranwachsende Jugendliche. Sie beschäftigen sich mit Themen, die einen solchen Leserkreis unterhalten, belehren und bilden oder auch für gewisse Tendenzen begeistern können. Meist ist Unterhaltung mit Belehrung verbunden, gegebenenfalls mit Propaganda." 4 6
2.2. Probleme einer Geschichtsschreibung zwei Jahrhunderten
aus der Retrospektive
von
Bei der Erforschung von Kommunikationsmitteln der Vergangenheit ist man angewiesen auf die Zeugnisse dieser Zeit, die uns überliefert wurden. Einmal und primär geht es um die Quellen, die Jugendzeitschriften selbst, zum anderen muß man zurückgreifen auf die Urteile zeitgenössischer Beobachter, die die Schriften registriert und bibliographisch erfaßt haben. 4 7 Zu diesen beiden Problembereichen, die sich in modifizierter Form jeder kommunikationshistorischen Untersuchung stellen, kristallisierten sich für den Forschungsgegenstand .Jugendzeitschrift im 18. Jahrhundert' mehrere Aspekte heraus, die im folgenden dargestellt werden sollen: ein notwendiger Vorbericht zur Einschätzung bisheriger Arbeiten und der anschließenden Entwicklungsskizze. Pro blemfeld Quelle /Ü berliefern ng Aus dem Spezifikum von Jugendzeitschriften, daß sie von Kindern und Jugendlichen gelesen werden, resultiert die Hauptschwierigkeit, die sich der gegenwärtigen Jugendliteratur- und Jugendzeitschriftenforschung stellt. Damals wie heute strapaziert die Jugend ihre Bücher und Zeitschriften mehr als die Erwachsenen. Was allgemein für Jugendliteratur gilt, daß sie nämlich „als ein vom Leser selbst oft kurze Zeit nach der Lektüre als ein überholtes Erziehungsmittel und Lesematerial angesehenes Gut ... in die Mülltonnen und auf die Abfallhaufen ... wanderten", trifft für die Zeitschriften als ein von vornherein nicht für lange Lebensdauer produziertes, weniger aufwendiges Druckerzeugnis in weitaus höherem Maße zu. (Kurzlebigkeit von Zeitschriften also oftmals in zweifacher Hinsicht!) Zumal wenn die Zeitschriften nicht gebunden, also nur bogenweise vorhanden waren und eine Aufbewahrung im Bücherschrank als wenig zweckmäßig erschien. Vollständige Zeitschriftenjahrgänge, mit sämtlichen Umschlag- oder Titelseiten und allen Zugaben sind nur selten anzutreffen. Als Ernst Christian Trapp sein .Wochenblat für die Schulen' in eine monatlich erscheinende, broschierte Schrift umwandeln wollte, führte er die Nachteile der in Bogen ausgegebenen Zeitschriftenstücke an: „Auch wird es Menschen begegnet sein, daß sie die einzeln kommenden Bogen verlieren, und nachher kein ganzes Quartal, vielweniger einen ganzen Jahrgang zusammen bringen können. Oft fallt ein solcher Bogen untern Tisch, wird von der Aufwärterin als Makulatur angesehen, und weggeworfen. Das alles fällt bei gehefteten Bogen weg." 49 Da lange Zeit die Jugendliteratur in Bibliotheken „zu der Gruppe der minderwichtigen Literatur ... (gehörte), ... der man sich zu enüedigen suchte", 5 0 und auch kein Interesse an ihrer wissenschaftlichen Erforschung bestand, existierte keine umfassende Bibliotheks- oder Archivsammlung. s 1 Die systematische Sammlung 36
von Zeitungen und Zeitschriften setzte sich erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts durch. Auch als bibliophile Sammelobjekte waren die Zeitschriften für die Jugend von geringerer Bedeutung. Während Bilderbücher und illustrierte Kinder- und J u gendbücher ästhetisch reizvolle Sammelobjekte darstellten, galten die Zeitschriften, oft nicht geschnitten eingebunden, ohne Illustrationen und mit schlichterem Einband als weniger wertvoll, besonders die ,Zeitungen' wirkten unscheinbarer. Doch kommt gerade den privaten Sammlern das Verdienst zu, eine Reihe von Jugendzeitschriften aufgespürt, bewahrt und zugänglich gemacht zu haben. 5 2 Problemfeld
Bibliographie
Die Notwendigkeit einer übersichtlichen Bibliographie der zunehmenden Zahl von Zeitschriften wurde bereits im 18. Jahrhundert erkannt. (Erste Übersichten gab es schon am Ende des 17. Jahrhunderts.) 5 3 1 7 9 0 erschien in Leipzig das .Allgemeine Sachregister über die wichtigsten deutschen Zeit- und Wochenschriften' von J.H.C. Beutler u n d J . C . F . Guts-Muths, dem ,voran als Einleitung ein raisonnirendes litterarisches Verzeichniß aller in diesem Jahrhundert bis jetzt erschienenen periodischen Blätter, nach Dezennien gearbeitet ...' gestellt war. Da es alle bis 1789 „erschienenen und von Deutschen besorgten periodischen Sammlungen einzelner Abhandlungen und Aufsätze, welche in mehreren Volumen, Fascikeln, Theilen, Heften und Stücken periodisch erschienen s i n d " , 5 4 umfassen wollte, konnte es zwar für eine Bestimmung des Begriffs Zeitschrift nicht dienen, wie Joachim Kirchner darlegte, 5 5 müßte allerdings alle Periodika für die Jugend berücksichtigt haben. Das Verzeichnis weist hier jedoch große Lücken auf. Für den Zeitraum 1760—70 wurden in der Rubrik Erziehungswissenschaft fünf Schriften aufgeführt, 1770—1780 einundzwanzig und 1780—1790 fünfunddreißig; unter .Erziehungswissenschaft' wurden sowohl pädagogische Schriften, Zeitschriften für Eltern als auch solche für die Jugend subsumiert. Trotz seiner Mängel ist das Verzeichnis von Bedeutung, da es knappe Inhaltsangaben liefert, die Schriften kritisiert und Preise und Neuauflagen notierte. Vollständigkeit reklamierten die beiden Bücherlexika von Wilhelm Heinsius und Christian Gottlob Kayser, das erste für das gesamte 18. Jahrhundert, das zweite für die zweite Jahrhunderthälfte. Sie gelten ids Ersatz für die fehlende Nationalbibliographie dieser Zeit. 5 6 Doch auch hier gehen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander. Stichprobenartige Untersuchungen ergaben eine enorme Diskrepanz zwischen der realen Buchproduktion und der bibliographischen Erfassung durch die beiden Lexika. 5 7 Beide verzeichneten auch Schriften, die nie existierten, da sie sich auf Verlagskataloge stützten, die in dieser Beziehung sehr unzuverlässig waren. 5 8 Heinsius und Kayser berücksichtigten beide Kinder- und Jugendbücher und Jugendzeitschriften, doch die Fehler- und Versäumnisquote wird auch hier dem allgemeinen Niveau entsprochen haben. Hinzu kommt, daß es sich bei den Zeitschriften zumeist um ,verfasserlose' Schriften handelte, und hier schneiden beide Verzeichnisse besonders schlecht a b . 5 9 (Leider erst) mit dem Jahre 1785 setzt der Berichtszeitraum des weit weniger bekannten .Allgemeinen Repertorium der Literatur' von Johann Samuel Ersch ein, das sich durch Präzision und Ausführlichkeit auszeichnet. 6 0 Ersch führte seinen .Apparat von Kinderschriften' getrennt von pädagogischen und anderen Erziehungsschriften auf und differenziert innerhalb dieser Sparte sowohl nach dem Inhalt als auch nach Adressaten. 6 1 Lückenlos ist jedoch auch das Repertorium nicht. 37
Neben genauen Angaben zu Seitenzahlen, Umfang sowie Neben- und Untertiteln wies Ersch auf Rezensionen der jeweiligen Schrift hin, wobei er die Tendenz der Kritik (positiv oder negativ) vermerkte. Das rezensions- und kritikfreudige 18. Jahrhundert verfolgte natürlich auch die vielfältigen Erscheinungen der Jugendliteratur, zunächst noch sehr wohlwollend, später eher unwillig über die Vielzahl der Produktionen. 6 2 Auch die Zeitschriften wurden besprochen, jedoch nur die jeweiligen Bandausgaben, und da der aufklärerische Literaturkritiker „für die neue Gattung Jugendliteratur' in seiner richterlichen Funktion noch keine spezifischen Regeln vorfindet", 6 3 stand er dem neuen, nicht begrifflich erfaßten Kommunikationsmittel Jugendzeitschrift unsicher gegenüber. Daß periodische, vom Umfang geringere Schriften sich nach anderen Maßstäben richten und mit ihnen gemessen werden sollten, erkannte z.B. die A.d.B. nicht. Im Gegensatz dazu verknüpften die Rezensenten mit dem bekannten Begriff Zeitung bestimmte Erwartungen und Anforderungen, die sie dann auf die .Kinderzeitung' übertrugen. 6 4 Ausschließlich mit Kinder- und Jugendschriften beschäftigte sich die .Kinderbibliothek für Altern und Erzieher oder Nachrichten von den neuesten guten Kinderschriften', die in vier Teilen 1780—1783 in Frankfurt erschien. Der Verfasser, Georg Friedrich Götz, wollte durch die Rezensionen von guten Kinderschriften eine Orientierungshilfe geben, da „wir ... seit einigen Jahren so sehr mit Büchern überhäuft worden (sind), daß es Aeltern und Erziehern öfters schwerfällt, wenn sie aus denselben einige für ihre Kinder und Zöglinge auswählen wollen." 6 5 Götz ordnete die ab 1770 erschienenen Schriften in vier Klassen, die ersten drei umfaßten Schriften für bestimmte Altersstufen, die letzte enthielt die Schriften, die jeder Altersstufe gerecht wurden. Bemerkenswert ist, daß auch den Jugendzeitschriften große Aufmerksamkeit gewidmet wurde, so besprach man im ersten Teil 1780 fünf Zeitschriften, also einen großen Teil der bis dahin nachweislich publizierten. Die A.d.B. kommentierte in bezug auf die ,Kinderbibliothek': „eine ziemlich überflüssige Arbeit ... Rezensionen von Kinderbüchern haben wir die Menge und bessere, als diese." 6 6 Ob sie damit ihre eigenen meinte, sei dahingestellt. Die A.d.B. zeigte innerhalb ihrer Abteilung .Erziehungswissenschaften' großes Interesse an den Jugendschriften, ihre Rezensenten waren selbst Pädagogen und/ oder Jugendschriftenautoren. 6 7 Die Rezensionen der A.d.B., des bedeutendsten Rezensionswerks der damaligen Zeit, sind ein Spiegel der Kritik des 18. Jahrhunderts an der Jugendliteratur. 6 8 Für diese Arbeit steht die Kritikfunktion hinter der Informationsfunktion zurück. In einigen Fällen liefern die Rezensionen die einzigen Angaben inhaltlicher und formaler Art über heute nicht mehr auffindbare Jugendzeitschriften. Doch fanden sehr viele hier überhaupt keine Erwähnung, insgesamt zweiundzwanzig der bibliographierten Titel blieben unberücksichtigt. Neben denen der A.d.B. wurden noch die Kritiken der .Allgemeinen Bibliothek für das Schul- und Erziehungswesen in Deutschland' in die Untersuchung miteinbezogen. 7 0 Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß keine umfassende bibliographische Darstellung der periodischen Presse des 18. Jahrhunderts vorliegt. Die zuvor beschriebene Problematik des Zeitschriftenbegriffs hätte eine Jugendzeitschriftenbibliographie erst gar nicht ermöglicht. Studien aus dem 19. Jahrhundert befaßten sich nur am Rande mit d e n j u g e n d zeitschriften, als eigener Bereich wurden sie nicht behandelt. 7 1 In dieser Misere liegt der Grund dafür, daß in Arbeiten von Beginn dieses Jahrhunderts an bis zu jenen heutigen Datums zurückgegriffen wird auf eine Dar38
Stellung aus dem Jahre 1904. Ludwig Göhrings Arbeit über ,die Anfänge der Jugendliteratur im 18. Jahrhundert' widmete den periodischen Jugendschriften erstmals besondere Aufmerksamkeit und großen Raum. Aus einer 1888 und 1889 im .Praktischen Schulmann' veröffentlichten Artikelreihe hervorgegangen, zählt seine Arbeit zu den grundlegenden für die historische Jugendliteraturforschung, was durch den Nachdruck des Buches (1967) belegt wird. 72 Die Anfänge der Jugendzeitschrift beschrieb Göhring so (im Anschluß an die Darstellung des .Leipziger Wochenblatts für Kinder' als erster Kinderzeitschrift) : „1774 begannen sich die Schleusen zu öffnen, aus welchen sich die Sintflut der Kinderzeitschriften ergoß ... Von den vielen periodischen Schriften des 18. Jahrhunderts — so viel mir bekannt geworden, sind es außer Nachdrucken bis 1789 etwa 29, von da ab bis zu Ende des Jahrhunderts 10 gewesen — hat sich nur ein verschwindend kleiner Prozentsatz über das bescheidendste Mittelmaß erhoben, eine einzige sich nur vor Vergessenheit bewahren können: Weißes .Kinderfreund'."" Göhrings Zahlenangaben wurden — meist kommentarlos — übernommen, oftmals nicht beachtend, daß das .Leipziger Wochenblatt' und der .Kinderfreund' in der Zahl 29 nicht enthalten waren. 7 Göhring selbst gab nicht bekannt, auf welche Quellen und/oder Sekundärliteratur er sich bei der Auflistung der 29 Titel stützte und nach welchen Kriterien er sie als Zeitschriften klassifizierte. 75 (Bei ihm wurde der Begriff .periodische Jugendschriften' offenkundig synonym mit .Zeitschrift' verwandt. Der kurze Hinweis auf Almanache am Ende des Kapitels erfolgte nur unter dem Aspekt, „daß ein findiger Verleger einem Ladenhüter einen neuen Titel gab und ihn so als Almanach das Glück suchen ließ, das er als Wochenschrift nicht finden konnte.") 7 6 Eine erste Überprüfung der 29 Titel ergab, daß Göhrings Aufstellung in mehrfacher Hinsicht Ungenauigkeiten birgt: Nicht alle Zeitschriften sind erwähnt worden; 77 außerdem gab es falsche Angaben bezüglich Erscheinungsjahr, Titel und Klassifizierung. So handelte es sich bei den .Schriften an Karolinchen. Eine Zeitschrift von Ahorner' (1787) um die .Briefe an Karolinchen. Eine Erziehungsschrift von Joseph Ahorner', die in zwei Bänden von 192 und 168 Seiten in den Jahren 1786 und 1787 erschienen sind. 78 Dennoch stellt die über siebzig Jahre alte Arbeit Göhrings die wichtigste Darstellung des Gesamtkomplexes Jugendzeitschrift des 18. Jahrhunderts' dar und lieferte erste Anhaltspunkte für die weitere Forschung. Anhand der Jugendschriften-Rezenaionen in der A.d.B. versuchte Sophie Köberle 1924, die Jugendliteratur zur Zeit der Aufklärung' darzustellen. 79 Als Teilbereich der moralischen Jugendschriften wurden die .Wochenschriften' behandelt. In ihrer Einleitung kritisierte Köberle an Göhring, daß er ausführlich nur das .Leipziger Wochenblatt für Kinder' und den .Kinderfreund' behandelt habe; 80 dieser Kritik hat sie sich jedoch ebenfalls zu unterziehen. Daß Köberles Bibliographie nicht alle Jugendzeitschriften umfassen konnte, resultierte aus der — zuvor dargestellten — Beschränkung der A.d.B.; negativ anzumerken bleibt, daß sie die vorhandene Quelle nicht ausgeschöpft hat, in vielen Fällen lagen noch zusätzliche, bei ihr nicht aufgeführte Rezensionen vor. 81 Mit der seit 1969 in drei Bänden erschienenen Bibliographie der .Zeitschriften des deutschen Sprachgebietes bis 1900' von Joachim Kirchner, 82 wurde den Pressehistorikern ein lang vermißtes, wichtiges Hilfsmittel in die Hand gegeben. Die Jugendzeitschriften siedelte Kirchner innerhalb der Sparte .Pädagogische Zeitschriften' an, die ein sehr weitgefächertes Zeitschriftengebiet umspannt.
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Allgemein wird die Zuweisung Kirchners zu einzelnen Fachgruppen als „fragwürdig und o f t irreführend" kritisiert, 8 3 was auch daraus resultieren mag, daß er nur einige Zeitschriften selbst eingesehen hat. Bei den .Pädagogischen Zeitschriften' sind rein pädagogische Zeitschriften und Jahrbücher zu finden, aber auch ,Die vor sich und ihre Kinder sorgfältigen Mütter' und die bereits dargestellten Elternzeitschriften, Schulschriften und die Jugendzeitschriften. Die Einordnung als Zeitschrift erfolgte natürlich auf der von Kirchner entwickelten Begriffsbestimmung. 8 4 Außerordentlich nützlich und hilfreich sind die Standortangaben, selbst wenn sie nicht immer gültig sind, geben sie aber häufig noch den Ansatzpunkt für eine weitere Suche. Verbunden mit dem „überraschenden Wandel der theoretischen und historischen Anteilnahme, ja des massiven öffentlichen Interesses" an der Kinder- und 85 Jugendliteratur , setzten in den letzten Jahren konkrete Bemühungen ein, die Kinder- und Jugendbücher der Vergangenheit, und somit auch des 18. Jahrhunderts, bibliographisch zu erfassen. Neben bereits laufenden Einzelprojekten 8 6 wurde 1977 der Plan gefaßt, eine .Bibliographie der Deutschen Kinderbücher' als Gemeinschaftsarbeit der deutschen Kinderbuchsammler und der Institute für Kinder- und Jugendliteraturforschung zu entwickeln. 8 7 Auch die Kinder- und Jugendzeitschrift — wenngleich kein eigenständiger Forschungsbereich — wird davon profitieren.
2.3.
Entwicklungsskizze
Dem im Oktober 1772 erstmals erschienenen .Leipziger Wochenblatt für Kinder' von J o h a n n Christoph Adelung, das bislang als erste deutschsprachige Jugendzeitschrift gewürdigt wurde, 8 8 steht diese Auszeichnung nicht zu. — Die erste Jugendzeitschrift Nachweise
Deutschlands:
Vermutungen
— Hypothesen
—
Es gibt Indizien dafür, daß bereits im Jahre 1768 der Versuch einer periodischen Jugendschrift unternommen wurde. Bevor die chronologische Übersicht mit dieser Schrift einsetzt, soll noch auf Darstellungen eingegangen werden, die andere Zeitschriften bis 1768 als Jugendzeitschrift deklarierten. Umstritten ist die Existenz des .Mädchenfreundes', der 1755 in Berlin bei Birnstiel erschienen sein soll. Bibliographisch erfaßt in sieben Verzeichnissen, 8 9 wird der .Mädchenfreund' von Martens als eine nur geplante moralische Wochenschrift aufgeführt, von der J o h a n n Georg Sulzer bereits viele Stücke ausgearbeitet hatte, und an der so bekannte Literaten wie Gleim, Ramler und Bodmer mitarbeiten wollten. 9 0 Aufschlüsse über den Inhalt der Zeitschrift finden sich nicht, „ohne Belang" kommentierte Kawczynski. 9 1 Gesetzt den Fall, daß der .Mädchenfreund' existiert hätte, ist die Einordnung der Schrift ein weiteres Problem. War sie nun „bestimmt für junge Mädchen" 9 2 oder aber tatsächlich eine Jugendzeitschrift? 9 3 Die Diskussion darüber bleibt müßig, denn die Belege bei Martens und die fehlenden inhaltlichen Beschreibungen werden als Beweis dafür gewertet, daß es den ,Mädchenfreund' niemals gegeben hat. 40
„Für Kinder" soll laut Oberkampf das .Breslauische Wochenblatt vor das J a h r 1760' b e s t i m m t gewesen sein; n u n sind zwar von dieser Wochenschrift 52 Stücke herausgekommen, u m eine Kinderzeitschrift hat es sich allerdings nicht gehandelt. 9 4 Eine nicht belegte Feststellung u n d vermutlich eine Verwechslung ist, daß „Adelung (1761) mit dem ,Wochenblatt für die J u g e n d ' die selbständige J u g e n d zeitschrift begründet h a t . " 9 5 Hinzuweisen bleibt noch auf die Wochenschrift ,Für Hamburgs T ö c h t e r ' (Hamburg 1768), die Kirchner zu den pädagogischen Z e i t s c h r i f t e n 9 6 u n d Göhring zu den religiösen u n d moralischen Erbauungsschriften für die J u g e n d zählte/7 In diesem Fall handelt es sich j e d o c h eindeutig u m eine Frauenzeitschrift, worauf auch die Herausgeberin Ernestine H o f f m a n n abgezielt hatte. In d e m ersten Stück, das quasi nur aus einem V o r w o r t bestand, schrieb sie: „Diese Blätter sind Euch bestimmt — Euch, die Ihr den bessern, wenigstens den schönem Theil der Schöpfung ausmacht, Euch sind sie bestimmt, wer Ihr auch seyn mögt; rosenwangichte Mädchen ... oder Euch, zärtliche Gattinnen ... oder Euch, noch zärtlichere, sorgsame, mir ehrwürdige Mütter, die Ihr jede kleine Schrift aufforscht ... und sucht, ob nichts für ... Eure zarten geliebten Zöglinge daraus zu nützen sey." 9 8 Mit „Hamburg, den 7. J u n i u s 1 7 6 8 " signierte J o h a n n Dietrich Leyding seine Vorrede zum ersten Teil der .Handbibliothek für Kinder u n d junge Leute. Zur Ausbreitung der Religion, der Tugend, der Wahrheit, der Sitten, des Geschmacks u n d des Witzes.' V o n der .Handbibliothek' lag n u r eine Ausgabe der zweiten Auflage 1770 vor, daher k o n n t e n die Angaben des Herausgebers im V o r w o r t von 1768, das auch der zweiten Auflage vorangestellt war, nicht überprüft w e r d e n . 9 9 Wöchentlich, „alle Dienstage", sollte ein halber Bogen ausgegeben werden, die ersten vier Stücke erschienen zugleich. 1 0 0 Der erste Band u m f a ß t 26 .Blätter' (insgesamt 208 Seiten), beim zweiten wurde mit d e m 27. Blatt die Zählung aufgenommen. Dafür, daß die .Handbibliothek' stückweise erschienen ist, spricht die .Nachricht' zu Ende des 1. Teiles: „Der Haupttitel und das Register zum ersten Theil werden mit dem allernächsten ausgegeben. Die Leser können diesen Theil, nach ihrer Bequemlichkeit, entweder allein, oder mit dem folgenden zusammen binden lassen·. Die Anzahl der Theile wird gerade seyn." 1 0 1 (Hervorhebung: A.U.) Beutler/Guts-Muths vermerkten ebenfalls, daß der Herausgeber die einzelnen Stücke (von 1768) 1770 in zwei Teilen gesammelt h a b e ; 1 0 2 Götz sprach sogar bei der Rezension der vermehrten u n d verbesserten Auflage noch von „dieser Wochenschrift".103 Besondere Beachtung schienen die wöchentlichen Ausgaben der .Handbibliot h e k ' nicht g e f u n d e n zu h a b e n ; die A.d.B. registrierte bei der Rezension der Auflage von 1770 nur, daß die Schrift ,,/aut der Vorrede zum ersten Theile bereits mit d e m 7ten J u n . 1768 halbe Bogenweiß d e m Hamburgischen Publico mitgetheilet w o r d e n " s e i 1 0 4 (Hervorhebung: A.U.). Authentische Zeugnisse (in Form von Einzelstücken der 68er Auflage) waren auch der A.d.B. offensichtlich nicht b e k a n n t . Die Handbibliothek bestand überwiegend aus Stücken (Fabeln, Gedichten, Schauspielen) b e k a n n t e r Dichter u n d Schriftsteller wie Geliert, Klopstock u n d Weiße. 0 5 Diese Beiträge w u r d e n positiv beurteilt, im Gegensatz zu den Produktionen Leydings; die Zusammenstellung w u r d e als „planlose C o m p i l a t i o n " gewertet.106' Der Herausgeber b e m ü h t e sich, ein möglichst breites Publikum anzusprechen, was auf Kosten der Kinder u n d Jugendlichen gine. Snrache u n d Inhalt der ,Hand41
bibliothek' waren darauf ausgerichtet, Eltern u n d Erzieher nicht nur als Vermittler, sondern auch als Leser zu e r r e i c h e n . 1 0 7 Dadurch versuchte er, dem vorgezeichneten Schicksal von J u g e n d s c h r i f t e n zu entrinnen, daß die Leser unweigerlich durch z u n e h m e n d e s Alter aus d e m Leserkreis ausschieden. „Noch findet er nöthig zu bemerken, daß nicht alle Stücke für die ersten Kinder= oder Jugendjahre gewählt, oder abgefaßt seyn werden. Er wünschte, daß seine kleinen Leser oder Leserinnen ihre jugendliche Handbibliothek auch in einem reifem Alter noch mit Vergnügen mögten lesen wollen." 108 Die so o f t erwähnte Original-Ausgabe der .Handbibliothek' aus d e m J a h r e 1768, als sie wöchentlich erschienen sein soll, ist nicht mehr nachweisbar. A u f g r u n d der Quellensituation k o n n t e die Leyding'sche Schrift nicht eindeutig als Jugendzeitschrift identifiziert werden u n d bleibt bei der Darstellung u n d Auswertung der J u g e n d z e i t s c h r i f t e n im R a h m e n dieser Arbeit unberücksichtigt. Anderes gilt für die .Monatsschrift für Kinder', die im J a h r e 1770 gegründet wurde.109 Der erste, entscheidende Hinweis auf die Existenz einer solchen frühen Jugendzeitschrift, die in keiner einschlägigen Bibliographie verzeichnet war, f a n d sich in d e m ,Katalog der Dauerleihgabe des S t a d t m u s e u m s Bautzen an die Deutsche S t a a t s b i b l i o t h e k ' . 1 1 0 Auf Anfrage bestätigte die Deutsche Staatsbibliothek d e n Besitz der .Monatss c h r i f t ' . 1 1 1 Insgesamt sind von der Schrift n u r die Ausgaben von O k t o b e r bis Dezember 1770 erhalten. Das erste Monatsstück von einem Bogen 8 U m f a n g ist vermutlich im J u l i 1770 erschienen (das Oktoberstück begann mit Seite 49). G e d r u c k t u n d verlegt wurde die .Monatsschrift' bei August Heinrich Winkler. Eine Ortsangabe fehlt, doch da Winkler Buchdrucker u n d -beförderer in Bautzen war (vormals Budissin), 1 1 2 ist es wahrscheinlich, daß die Zeitschrift d o r t auch herausgekommen ist. Dafür spricht auch, daß sich die Schrift im S t a d t m u s e u m Bautzen b e f a n d . Das den letzten drei Stücken des J a h r e s 1770 beigebundene Inhaltsverzeichnis geht bis S. 192; abzüglich des Bogens, der dem „Nachtrag zur Monatsschrift für Kinder 1 7 7 0 " vorbehalten war, sind 1771 fünf Bogen, also vermutlich fünf Monatsausgaben veröffentlicht w o r d e n . Bescheiden u n d nahezu u n b e m e r k t von den zeitgenössischen Beobachtern hatte die Jugendzeitschrift in Deutschland ihren A n f a n g g e n o m m e n . U n b e k a n n t bleibt der Herausgeber der .Monatsschrift für Kinder', d e m der — späte — R u h m gebührt, die erste J u g e n d z e i t s c h r i f t auf den Weg gebracht zu haben u n d das zu einem Z e i t p u n k t , wie er t r e f f e n d e r nicht h ä t t e sein k ö n n e n ... - 1 1 3 Titelseite des vierten Stücks der .Monatsschrift für Kinder': Die älteste erhaltene Ausgabe einer deutschen J u g e n d z e i t s c h r i f t . 1 1 4 Nachdem mit der .Monatsschrift für Kinder' die Ära der J u g e n d z e i t s c h r i f t e n unspektakulär ihren A n f a n g g e n o m m e n h a t t e , verhalf das 1772 erschienene .Leipziger Wochenblatt für Kinder' dem neuen K o m m u n i k a t i o n s m i t t e l zu größerer R e p u t a t i o n u n d Popularität. V o n 1770 bis 1789 erschienen insgesamt 43 J u g e n d z e i t s c h r i f t e n in Deutschland, genauer im deutschsprachigen R a u m . (Die österreichischen Titel wurden miteinbezogen.)115 Mehr als die Hälfte davon, nämlich 25 Zeitschriften, k o n n t e n eingesehen werden, zumindest Einzelstücke oder Kopien. Bei den übrigen 18 Titeln m u ß t e n weitere zeitgenössische Quellen oder Sekundärliteratur neueren Datums als Belege ben u t z t werden, die eine Klassifikation als Zeitschrift e r m ö g l i c h t e n . 1 1 6 Die Entwicklung der Jugendzeitschrift durchlief zwei Phasen: 42
Verlagsorte
der
Jugendzeitschriften
O gegründet 1770 bis 1779 • gegründet 1780 bis 1789
43
In ihrem ersten Lebensjahrzehnt (bis 1779) erschienen neun Jugendzeitschriften, im zweiten J a h r z e h n t entstanden dreiunddreißig, mehr als dreimal soviel. Einer gemäßigten Anfangsphase folgte eine f u l m i n a n t e zweite Produktivitätsstufe. Auch bezüglich der regionalen Verteilung waren klare Unterschiede erkennbar, h o b e n sich die beiden Lebensjahrzehnte voneinander ab, wie die folgende Skizze verdeutlichen wird. Bis auf eine A u s n a h m e (das 1777 in Wien gegründete .Wochenblatt für die österreichische J u g e n d ' ) lagen die Verlagsorte der in den siebziger J a h r e n erschienenen J u g e n d z e i t s c h r i f t e n in der nördlichen Hälfte Deutschlands, H a m b u r g n a h m eine exponierte Stellung ein. Diese Beobachtung entspricht der Unterscheidung in die n o r d d e u t s c h e n , .aufgeklärteren' Länder auf der einen u n d in die süddeutschen, konservativeren Länder u n d gleichzeitig auch der Richtung des Bildungsgefälles. Die protestantische Hansestadt H a m b u r g zählte zu den b e d e u t e n d s t e n S t ü t z p u n k t e n des Buchhandels dieser J a h r e . 1 1 7 In der zweiten Dekade f a n d e n die Länder in Süddeutschland Anschluß, standen aber — was die Zahl der Neugründungen betraf — der nördlichen Hälfte immer noch nach. In bezug auf ihre Existenzdauer k o n n t e sich die J u g e n d z e i t s c h r i f t mit neun Titeln, die ein J a h r u n d länger bestanden haben, mit fünf, die zwei J a h r e u n d mehr, mit drei Blättern, die drei J a h r e u n d länger, mit einem, das über vier J a h r e u n d mit drei Zeitschriften, die sieben J a h r e u n d länger existiert haben, durchaus neben den anderen Zeitschriftentypen sehen lassen! Für die Zeitschrift des 18. J a h r h u n d e r t s war Kurzlebigkeit ein typisches Merkmal.118 So notierte eine Zeitschrift t r e f f e n d : „Die Herren Verfasser der Wochenschriften werden selten älter, als ein Jahr; und die, so etwas länger leben, verdienen ebenso wohl angemerkt zu werden, als die Hundertjährigen, von denen uns die im Winter so mager werdenden Zeitungen Nachricht geben." 1 1 9 Als erstes Resümee bleibt festzustellen, daß die Jugendzeitschrift in ihren ersten beiden Lebensjahrzehnten eine bemerkenswerte Entwicklung g e n o m m e n hat, sowohl was die Zahl der Neugründungen als auch ihre Lebensdauer b e t r a f .
44
3.
Die Jugendzeitschrift ,Bedürfnis der Zeit' oder die Entdeckung der Jugend als eine .publizistisch relevante Rezipientengröße'?
„Wie hat sich doch die Scene seit einigen Jahren verändert! Mitten unter allem Vorrath von Kenntnissen aller Art, dessen sich die Gelehrten in Europa seit manchen Jahren zu erfreuen haben, und der täglich von ihnen vermehrt wird, lebte die Jugend in der größten Armuth. Die fünf Hauptstücke des Katechismus, ein Rechenbuch, ein Vokabelbuch, ein Donat, und ein armseliges Kompendium der Universalhistorie, waren in den meisten Schulen ihre tägliche von ihnen verabscheuete Speise ... Jetzt schreiben einige der besten Köpfe und rechtschaffensten Männer, ein Rochau und Weiße, für die verlassene Jugend." 1 Was Ernst Christian T r a p p 1778 in einer Rezension des .Kinderfreundes' als Veränderung der (Buchmarkt-)Scene so freudig registrierte, war noch zehn J a h r e zuvor eine Fiktion, bereits Mitte der siebziger J a h r e eine sich abzeichnende Entwicklung 2 u n d in den achtzigern mehr ein Ärgernis denn ein Positivum 3 : Eigens für die J u g e n d w u r d e n Schriften mit Unterhaltungscharakter produziert, die von lesefreudigen Kindern und Jugendlichen in z u n e h m e n d e m Maße rezipiert wurden. Besonders die Jugendzeitschrift schien sich großer Beliebtheit zu erfreuen; ein neues K o m m u n i k a t i o n s m i t t e l das 1770 fast u n b e m e r k t auf den Markt kam, war b e k a n n t geworden. Ein , J u g e n d z e i t s c h r i f t e n s c h w a l l " — so die Chronisten — schien Deutschland zu überfluten 4 . Die folgende Analyse der — in Kap. 2.3. dargestellten — Entwicklung ist zugleich eine kritische Auseinandersetzung' mit d e m M o t t o , das sich viele der Jugendzeitschriften respektive ihre Herausgeber in ähnlicher Weise auf ihre Fahnen geschrieben h a t t e n , wie es im folgenden von J o h a n n Hinrich Röding im .Hamburgischen Wochenblatt für Kinder' formuliert w u r d e : „Hier mal ich, o geliebte Jugend, Dir Scherz und Emst, das Laster und die Tugend, Der Wissenschaften hohen Werth, Und was Dir nützet und Dich lehrt. Komm, lies, der Tugend folg, das Laster flieh, Dies sey der Lohn für meine Müh." (Hervorhebung A.U.)
3.1. Die publizistische
Situation
1770 bis 1789
Da die Jugendzeitschrift im 18. J a h r h u n d e r t mehr als Element der Jugendliteratur denn als ein Zeitschriftentyp b e t r a c h t e t wurde, sah man auch den sprunghaften Anstieg in der Zahl der Zeitschriftentitel für die J u g e n d nur im R a h m e n der sich entwickelnden spezifischen Jugendliteratur. Ein Blick auf die gesamte Zeits c h r i f t e n p r o d u k t i o n dieser Zeit h ä t t e das Erstaunen über den ,Boom' der Jugendzeitschriften — sowohl bei den Rezensenten u n d Kritikern des 18. als auch bei jenen des 20. J a h r h u n d e r t s — relativiert. Die Zeitschriftenproduktion des 18. J a h r h u n d e r t s verzeichnet (nach Anzahl der Zeitschriftentitel) einen stetigen Wachstumsprozeß: 6 45
Jahrzehnt bis 1700 1701 - 1710 1711 - 1720 1721 - 1730 1731 - 1740 1741 - 1750 1751 - 1760 1761 - 1770 1771 - 1780 1781 - 1790
Anzahl der Zeitschriften-Neugründungen 58 64 119 133 176 260 331 410 718 1225 3494
Quelle: Kirchner, Joachim, Die Grundlagen des Deutschen Zeitschriftenwesens, T. 2, Leipzig 1931, S. 323. Auffallend ist die Zunahme in den letzten drei Jahrzehnten, für das achte Jahrzehnt (1771 bis 1780) ist ein Anstieg von 75 Prozent gegenüber dem siebten Jahrzehnt zu verzeichnen, zahlenmäßig noch übertroffen im neunten Jahrzehnt, in dem über 500 Titel mehr erschienen sind, eine abermalige Steigerung um 70 Prozent. Die zwei Entwicklungsphasen der Jugendzeitschrift (neun Titel bis 1780 und weitere 34 bis 1789) entsprechen dem allgemeinen Trend der Zeitschriftenproduktion; die Zuwachsrate von 280 Prozent liegt jedoch über dem Durchschnitt, wobei noch zu berücksichtigen ist, daß die selbst ermittelte Zahl der Jugendzeitschriften aufgrund des ,engen' Zeitschriftenbegriffs eher als zu niedrig angesetzt anzusehen ist. Ein anderes, differenzierteres Bild entsteht beim Vergleich zu den einzelnen Fachgruppen, der wiederum nur mit dem o.a. Vorbehalt durchzuführen ist. Kirchner selbst hatte innerhalb seiner statistischen Übersicht über 21 Fachgruppen keine Sparte Jugendzeitschriften' eingerichtet, sondern sie — wie auch in seiner Bibliographie — unter die .pädagogischen Zeitschriften' subsumiert. 7 Die pädagogischen Zeitschriften erlebten im neunten Jahrzehnt eine Steigerung von 100 Prozent gegenüber den J a h r e n 1771 bis 1780, wo 35 Zeitschriften herausgekommen waren. Beide Zuwachsraten (die Kirchner'sche von 100 Prozent und die selbst ermittelte von 280 Prozent) sind nicht als besonders auffällig einzustufen: Die Zahl der philososphischen Zeitschriften stieg um 150 Prozent, die der medizinischen und naturwissenschaftlichen um mehr als 200 Prozent, die Militärwissenschaften verbesserten ihren Anteil um 330 Prozent, 430 und 460 Prozent betrugen die Zuwachsraten der Musik- und Cameralwissenschaften; der enorme Anstieg von 850 und 900 Prozent bei den historisch-politischen 8 und den Freimaurerzeitschriften wird dadurch relativiert, daß hier die niedrigsten Ausgangszahlen (eins und zwei) vorlagen. Die Konstituierung und Ausprägung von wissenschaftlich-fachlichen Blättern weist auf die zunehmende Spezialisierung und Differenzierung des Zeitschriftenwesens hin. Im ständigen Vordringen begriffen und mit Abstand den ersten Rang unter den Fachgruppen behauptend zeigten sich die Unterhaltungszeitschriften, die vornehmlich von der großen Zahl an Wochenschriften profitierten. Der Vormarsch der schönen Wissenschaften, wie, als sollte mit einer einzigen Bezeichnung eine ganze geschichtliche Vorlesung gehalten werden, die unterhaltende 46
Lektüre genannt w u r d e " 9 , kennzeichnete auch die Entwicklung bei der Bücherp r o d u k t i o n , die ähnlich verlief. Die Meßkataloge verzeichneten für die J a h r e von 1763 bis 1805 zehnmal so viele Bücher wie für den gleichen Zeitraum ab 1 7 2 1 . 1 0 Innerhalb der verschiedenen Sachgebiete des Buchmarktes fand eine Verschiebung in der Rangfolge der Produktionszahlen statt, wie anhand einer Auswertung der Leipziger Meßkataloge nachgewiesen werden k o n n t e : Der Anteil der theologischen, juristischen und der gelehrten Schriften ging stark zurück, w ä h r e n d die sogenannten „Schönen Künste und Wissenschaften" den ersten Platz eroberten, gefolgt von den populär-moralisch-philosophischen Schriften u n d den Erziehungs- u n d Unterrichtsbüchern, die sich vom 15. Rang 1740 über den 14. Platz 1770 bis auf den zweiten Platz verbessert h a t t e n . Der Anteil der lateinisch abgefaßten Schriften ging von 27,6 Prozent (1740) auf 14,2 Prozent (1770) zurück. 1 1 Aufschwung u n d Veränderungen des Buch- u n d Zeitschriftenwesens waren Indikatoren u n d Konsequenzen einer soziokulturellen Entwicklung von epochaler Bedeutung, die als .Leserevolution' in die (Kommunikations-)Geschichte eingegangen ist. 1 2 Über das Ausmaß dieser Revolution streiten sich — im wahrsten Sinne des Wortes — die Gelehrten. Konkrete Zahlen über Alphabetisierung, die Grundbedingung für Lektürekonsum, fehlen; bereits 1785 klagte ein Mitarbeiter der .Berliner Monatsschrift': „Noch kenne ich keine Tabelle, wo die Anzahl der halb oder ganz Erwachsenen, die nicht schrieben oder gar nicht einmal etwas zusammenhängendes lesen können, aufgeführt wäre."13 Auch liegen nur unzureichende Belege über Art u n d U m f a n g der individuellen Lektüre einzelner oder bestimmter Bevölkerungsgruppen vor, denn sowohl autobiographische .Lektüreberichte' als auch die Auswertung von Bücherbesitz u n d -Verzeichnissen können nicht als repräsentativ gelten. 1 4 Die Schätzungen über den Anstieg der Alphabetenzahl divergieren erheblich; 1 5 eine wichtige Rolle bei der kritischen Bewertung von Leserzahlen spielt die Qualität des Lesens; so wird davon ausgegangen, daß die Masse der Bevölkerung zwar elementar lesefähig war, jedoch nicht flüssig lesen oder beim Lesen den Stoff geistig verarbeiten k o n n t e . 1 6 Eine A n n a h m e von 50 Prozent Alphabeten unter der Bevölkerung für die Zeit bis 1800 erscheint unrealistisch, 1 7 während ein Wachstum von 15 auf 25 Prozent in der Zeit von 1770 bis 1800 zwar optimistisch, aber eher der Situation entsprechend zu sein schien. 1 8 Als Leser im engeren Sinne k o n n t e n nur etwa zehn Prozent der erwachsenen Bevölkerung gelten. 1 Im letzten Drittel des J a h r h u n d e r t s wurde das P h ä n o m e n Lesen z u m vieldiskutierten T h e m a in der Öffentlichkeit; die Ausführungen des Herausgebers Böckh in der .Chronik für die J u g e n d ' aus d e m J a h r e 1785 stehen stellvertretend für viele dieser A r t u n d zeigen zudem beispielhaft die unterschiedlichen K o m p o n e n t e n auf, die die b e d e u t s a m e Wandlung im Lesen als Gesamtkomplex u m f a ß t e . „Bekanntlich wird heut zu Tag, besonders auch unter dem Volke, unter Erwachsenen und Jungen, viel, und mehr als jemals, gelesen ... Unser junges und altes Volk (wird) mit zu viel Schriften und Journalen Uberhäuft — Doch dieß möchte noch angehen, weil der Lesenden auch viel und ihre Bedürfnisse und Geschmack nicht weniger mannigfaltig sind." 20 Postuliert werden hier — die Verbreitung des Lesens beim .Volk', — die Lektüre durch alle Altersstufen, — gesteigerter U m f a n g der Lektüre, 47
— die Produktion von Lesestoffen, die unterschiedliche Bedürfnisse berücksichtigten. Gleichzeitig wird — auch dies ist typisch für die Entwicklung in den achtziger Jahren — schon negativ die ,Über'-Produktion von Presseerzeugnissen vermerkt.Die ,Leserey' wurde als legitimes und allgemeines Bedürfnis anerkannt, und zwar auch solcher Lesestoffe, die der Unterhaltung dienen sollten. 2 1 Es waren die moralischen Wochenschriften, die dieses Bedürfnis geweckt und gefördert und eine neue Lesepädagogik entworfen hatten. 2 2 Das Lesebedürfnis verlangte und bekam Befriedigung durch neue Lesestoffe, was wiederum eine Veränderung des Lesens an sich mit sich brachte. Gegen Ende des Jahrhunderts vollzog sich der Übergang von der intensiven zur extensiven Lektüre, das bedeutet vereinfacht, daß das mehrmalige Lesen weniger Bücher durch einmaliges Lesen vieler Schriften, wenn auch nicht verdrängt, so doch überlagert wurde. 2 3 Neue Lese- und Kommunikationsformen entstanden. Der Wunsch, möglichst viel Lesestoff zu einem niedrigen Preis konsumieren zu können, führte zu der Gründung von Lesegesellschaften (verbreitet ab 1770), Zusammenschlüsse mehrerer Personen zum gemeinsamen Lektürekauf, und zu Lesekabinetten, die über eigene Lesezimmer verfügten. 2 4 Vorwiegend waren die Lesegesellschaften Einrichtungen des Bürgertums, in der ,Deutschen Zeitung für die Jugend' wurde allerdings auch über eine, von einem Schulmann geleitete, Lesegesellschaft auf dem Lande berichtet, mit der Bemerkung abschließend: „Man sieht aber doch, ... daß auch der Bauer geistiger Vergnügen fähig ist." 2 S ... Schon bald mehrten sich Berichte und Klagen über die neue Freizeitbeschäftigung; aus dem Jahre 1789 stammt dieser Kommentar: „Die Mädchen, statt sich in der Küche oder an der Kunkel zu beschmuzzen — lesen; der Knabe, statt sich mit lateinischen Vokabeln zu martern — liest; der Kaufmann liest, der Geistliche liest, der Advokat liest, der Arzt liest, der Offizier liest, der Edelmann liest! O die edle Lesesucht!" 26 Die .Idylle von der lesenden Nation', wie Schenda ironisch formulierte, war indes nur eine realitätsferne Idylle, die von schwärmerischen Zeitgenossen gerne gezeichnet wurde. 2 7 Dabei muß jedoch berücksichtigt werden, daß dieser Eindruck einer die ganze Bevölkerung erfassenden Leserevolution entstehen konnte, weil vorher die Lektüre den Gelehrten vorbehalten war. Die Änderung des Leseverhaltens, der Übergang zur extensiven Lektüre und die Konsumtion von Unterhaltungsschriften als Freizeitbeschäftigung war noch auf das Bürgertum beschränkt. Parallel dazu entwickelte sich die Verbreitung des Lesens und des Lesenlernens unter dem Volk. Das Schlagwort .Lesesucht' (auch Lesewut, Leseseuche), mit dem man diese Entwicklung kennzeichnete, dokumentierte ,,... zunächst einmal nichts anderes... als die Überraschung der Zeitgenossen angesichts der Tatsache, daß jetzt mehr als je zuvor und auch in anderen Bevölkerungsgruppen als zuvor gelesen w u r d e . " 2 8 Konträr dazu steht die Auffassung, der Begriff .Lesesucht' sei als ein Propagandawort zu werten. Schenda sah folgende Entwicklung: Das ursprünglich .falsche' Konsumbedürfnis Lesen hat sich — im Zuge der Aufklärung — zu einem echten Bedürfnis entwickelt, das nun wieder von den Herrschenden eingeschränkt werden sollte, da das Lesen ihnen suspekt und das neue Lesepublikum als eine neue Macht zu gefährlich erschien. 2 9 Das Kommunikationsmittel Zeitschrift war maßgeblich an der Verbreitung der Leserevolution beteiligt; es war .Schrittmacher' der extensiven Lektüre 3 0 . Die Zeitschrift zeichnete sich gegenüber dem Buch durch leichtere Zugänglichkeit, 48
geringeren Preis, Redundanz in der Darstellung, größere Aktualität und Flexibilität sowie ihren Informationsgehalt aus und schuf durch ihre Periodizität .regelmäßige' Leser. Trotzdem wurde gerade die Zeitschrift besonders verdächtigt, das Lese(r)niveau zu senken: seitdem die Journale, Monats- und Wochenschriften immer mehr und mehr überhand nahmen, ... (wurde) ... das Leichte dem Gründlichen, das Vergängliche dem Dauernden, das Gefällige dem Ernsthaften ... (vorgezogen) ... und so wurde das Wachstum einer großen Lesermenge erst recht gefördert, der Geschmack am Lesen immer allgemeiner." 31
3.2.
Das
Zielpublikum
Daß Veränderungen im Zeitschriftenwesen oftmals durch Wandlungen in der Gesellschaft erklärt und begründet wurden, 3 2 ist bereits dargelegt worden. So war die Grundvoraussetzung für die Entstehung der Jugendzeitschrift die »Entdeckung der Jugend', die Konstituierung eines eigenen Lebensraumes für Kinder und Jugendliche, zu dem auch die spezifischen Jugendschriften zählten. Zur Gründungszeit der Jugendzeitschrift befand sich die Jugend in einer günstigeren Situation als je zuvor: Ab 1 770 fanden die Gedanken der Aufklärung die größte Verbreitung, die Bildungs- und Schulreformbestrebungen zeigten erste Erfolge und der Philanthropismus erreichte seine höchste Popularität. Die Jugend profitierte besonders davon, daß um 1770 der gesamte Komplex SchuleErziehung-Buch-Leser in eine neue Phase trat. 3 4 Die rasch anwachsende Produktion von spezifischer Jugendliteratur war die Konsequenz einer weiteren .Entdeckung', nämlich der Entdeckung der „...Jugend als Freizeitlesepublikum unterhaltend-belehrender Lektüre." 3 5 Neben den Büchern, Almanachen, Märchen- und Fabelsammlungen setzte sich die Zeitschrift als Lesestoff für die Jugend durch. Das neue publizistische Mittel hatte Erfolg, wobei weniger der Inhalt sondern vielmehr die Kontinuität des Angebotes an periodischer Lektüre auf wenigen Bogen entscheidendes Kriterium war; die extensive Lektüre hatte sich dabei auch bei der Jugend durchgesetzt, wie in einer AdB-Rezension festgestellt wurde: „Wenn man einmal die Kinder ans Lesen gewöhnt hat — und bey unsem Stadtkindern ist ja dies leider! fast die einzige Beschäftigung außer den Lehrstunden, woran man sich gewöhnen kann — so werden sie bald mit den Büchem fertig, die bisher für sie geschrieben wurden, und wollen immer etwas Neues."36 Die Jugendzeitschrift konnte dieses Bedürfnis befriedigen. Bei der enthusiastischen Beifallsbekundung, die angeblich drei Kinder dem Zeitschriftenherausgeber Böckh zukommenließen, (unterzeichnet mit „Poldchen, Fränzchen und Ich"), schien es sich zwar um eine Wunschvorstellung des Verfassers zu handeln, der .Leserbrief' zeigt jedoch deutlich Funktionen und Freizeitwert der Jugendzeitschrift auf: „Recht vielen Dank bringen wir Ihnen, daß Sie uns auf eine so angenehme Art zu unterhalten wissen. Wir lesen Ihre Zeitungen so gern, so gern, daß wir Sie bitten müssen, sie fortzusetzen. Denn was sollten wir sonst in den langen Winterabenden außer den Schulstunden und an den langen Feiertagen anders anfangen? Ja! die Lust zum Spielen vergeht, wenn wir uns lange damit unterhalten haben, und es verlangt einem wider nach Abwechslung; und ohne Beschäftigung können wir doch nicht seyn, und in der Gesellschaft erwachsener Personen mögen wir 49
uns nicht lange aufhalten, weil sie oft von Dingen sprechen, wovon wir nichts verstehen, oft aber so still und ernsthaft sind, daß einem Zeit und Weile lang wird. Großen Dank also, großen Dank für Ihre Kinderzeitungen; dabei wird uns die Zeit nicht lang." 37 Selbst die übliche Negativ-Kritik der ersten deutschsprachigen Jugendzeitschriften räumt ein, daß die Jugendzeitschrift offensichtlich einem Bedürfnis der Jugend entsprungen ist. 3 8 .Bedürfnis' allein ist nur ein unzureichender Faktor, Entstehung und Entwicklungsverlauf eines publizistischen Mittels oder Typs zu erklären, 3 9 bei der Jugendzeitschrift ist — wie bei der Jugendliteratur im allgemeinen — zu berücksichtigen, daß es nicht allein, ja nur sehr wenig auf das Bedürfnis der eigentlichen Leser ankommt, sondern daß die Jugendzeitschrift den Erwartungen und Ansprüchen einer anderen Gruppe gerecht werden mußte: Den Eltern und somit den Käufern. Die Kinder waren abhängig von dem Bildungs- und Lesebewußtsein ihrer Eltern („,Mediensozialisation') ; deren Einstellung gegenüber dem Kommunikationsmittel war durch folgende Faktoren positiv beeinflußt: — die Eltern der Jugendlichen waren durch die wachsende Zahl von Zeitschriften an die periodische Lektüre und das publizistische Mittel gewöhnt, dadurch gestanden sie auch ihren Sprößlingen diese Art Lektüre zu; — die Eltern sahen in der Zeitschrift ein Bildungsmittel, das ihren Kindern in pädagogisch vorteilhafter Form unterhaltende Belehrung vermittelte; — es galt als .schick', Zeitschriften zu lesen. Sicherlich hat Prestigedenken (man konnte es sich leisten, eine Zeitschrift für seine Kinder zu halten) einige Eltern zum Kauf bewogen. Die ,neue Mode' wurde in der ,Bibliothek für Jünglinge und Mädchen' persifliert, die als eine der „Verhaltungsregeln für vornehme Leute" angab: „Wir müssen auf alle Joumaele aboniren, dürfen aber keins lesen; auch müssen wir alles, was periodisch ist, es sei schätzenswerth oder nicht, den Bedienten unter Händen lassen, denn diese verstehen sich weit besser, als wir darauf. Den Preis von jedem Hefte, und den Titel, müssen wir indessen doch genau wissen." 40 Auch im eigentlichen Kommunikations- und Rezeptionsprozeß bildeten die Eltern eine zwischengeschaltete Instanz, als Vermittler der Zeitschrifteninhalte und damit auch als Rezipienten. Die Kommunikatoren (Herausgeber und Verleger) hatten ein zweifaches Zielpublikum zu berücksichtigen: — Zielgruppe Leser = Konsumenten = Kinder und Jugendliche — Zielgruppe Käufer = Vermittler = Eltern. Der Erfolg einer Jugendzeitschrift beruhte also auf dem Anklang, den sie bei den Kindern fand und die die Eltern dann wieder um diese Schrift baten, aber auch auf Gefallen oder Nicht-Gefallen bei den Eltern. 4 1 Unumwunden gab beispielsweise der Herausgeber der ,Hebe' zu, wessen Meinung für ihn relevant war: „Und da der gute Name und das Wohl eines Schriftstellers allein von dem Geschmack der erwachsenen Leser abhängen; so muß er sich nothwendig nach ihrem Geschmack bequemen." 42 So erklärte Göhring den außerordentlichen Erfolg des .Kinderfreundes' auch dadurch, daß er den Eltern genauso gut, wenn nicht sogar besser als den Kindern gefallen habe. 4 3 Daß es nicht nur auf das Urteil der eigentlichen Leser, der Kinder, ankam, zeigt auch folgende Äußerung der Herausgeber der .Kinderakademie': so wollen wir dennoch den lauten Ruf des Publikums, worunter vorzüglich Aeltem, Erzieher und Lehrer den Ton angeben mußten, erwarten, ob wir diese Monatsschrift aufs künftige Jahr fortsezen, oder davon abstehen sollen." 44 50
T r o t z dieser Beispiele muß allerdings festgestellt werden, daß es die J u g e n d war, die hier zur .publizistisch relevanten R e z i p i e n t e n g r ö ß e ' 4 5 avancierte; sie konnte ihren Einfluß j e d o c h nur mittelbar — über ihre Eltern als Käufer — geltend machen. Auch handelte es sich — und dies ist bereits in Kapitel 1.1. dargestellt worden — um eine bestimmte Gruppe von J u g e n d , deren Wünsche man eiligst in vielfältiger Art und Weise zu erfüllen suchte. Nur die .bürgerliche' J u g e n d konnte die Zugänglichkeits- und Verfügbarkeitskriterien der Jugendzeitschrift erfüllen: Sie, respektive die Elternschaft, besaßen das Geld, die Zeitschriften zu kaufen, die Freizeit, sie zu lesen und die intellektuelle Fähigkeit, sie zu rezipieren. 4 6 Die wichtige Rolle der Eltern war den K o m m u n i k a t o r e n natürlich bewußt und wurde — logischerweise — mit einkalkuliert. Es lassen sich mehrere Formen der Ansprache der Eltern unterscheiden: Direkt oder
explizit
Als Subskribenten oder Käufer wurden immer die Eltern und Erziehungsberechtigten angesprochen („die Herren Liebhaber und S u b s k r i b e n t e n " ) 4 7 und man unterschied konkret in „junge L e u t e " , für die die Zeitschrift bestimmt war, und in „die wirklichen Herren S u b s k r i b e n t e n " , wie es die J u g e n d p h i l o s o p h i e ' in einer Nachricht t a t . 4 8 Eine klare Trennung zog auch das .Wochenblatt für die Schulen': „Nun noch ein Wort an euch, meine kleinen Leser und Leserinnen. Denn was ich bisher gesagt habe geht eigentlich diejenigen an, die euch dies Wochenblatt kaufen, eure Eltern und Lehrer." 4 9 Für Adelung schien es unzweifelhaft zu sein, daß die Eltern die Zeitschriften ihrer Kinder lasen, um sich zu informieren, was bei der Neuheit dieses publizistischen Mittels (das .Leipziger Wochenblatt für Kinder' erschien 1 7 7 2 ) auch zutreffend gewesen sein wird. Adelung begann — als Replik auf erste Reaktionen und Rezensionen seines W o c h e n b l a t t e s 5 0 — das achte Stück m i t : „An die Aeltem und Vorgesetzten von der Absicht und dem Gebrauch dieses Wochenblattes." 5 1 Der Kritik, daß einige Stücke für Kinder zu schwer sind, begegnete er, daß „...doch jedes Kind von einigem Stande Erwachsene um sich hat, denen dessen Erziehung anvertrauet ist, die es bey schweren Stellen um Rath fragen, und dadurch Gelegenheit zu vielen nützlichen und angenehmen Erläuterungen geben kann." 5 2 Ebenso wie Adelung gingen auch die Herausgeber von späteren Jugendzeitschriften von einer Erklärer- und Vermittlerfunktion der Eltern aus. 5 3 Indirekt
oder
implizit
Ohne ausdrücklich darauf zu verweisen, richteten sich die K o m m u n i k a t o r e n bei allen Nachrichten und Hinweisen zu verkaufstechnischen Fragen an die elterliche Käuferschaft. Die Bücheranzeigen und Verlagsnachrichten auf den Umschlagseiten zielten ebenfalls auf die Erwachsenen ab, denn wen interessierte sonst schon „Plenks AnfangsgTÜnde der Hebammenkunst. B o n n 1 7 8 7 " ? 5 4 oder die Schrift von Aloysius Merz, die die Frage behandelte: „Hat wohl die Hartnäckigkeit und Verwegenheit der Naturalisten, der Freidenker und aller Unchristen eine ihres Gleichen? (Augsburg 1 7 8 6 ) " 5 5 Neben der direkten und indirekten Ansprache der Eltern und Erzieher machten die Kommunikatoren noch von einer weiteren Möglichkeit Gebrauch, die Käu-
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ferschaft zu erreichen. In der ,Kinderzeitung' wurde an die Kinder und Jugendlichen appelliert: „Ihr werdets daher mir und ihm (dem Verleger, A.U.) zu gefallen thun, und eure liebe Eltern bitten, daß sie künftighin das, was sie wochenweis für die Zeitung auslegten, zu Anfang eines jeden Vierteljahrs mit 36 Kreuzern auf einmal bezahlen möchten." S6 Form und Inhalt der Jugendzeitschriften kamen den Interessen und Erwartungen der Eltern entgegen, die auf die Bildung ihres bürgerlichen Nachwuchses bedacht waren, sahen sie doch darin eine „Investition in die Z u k u n f t ihrer Klasse (Bildung als Aufstiegsvehikel)". 5 7 Das deklarierte Ziel der Herausgeber, Belehrung, Wissen neben Unterhaltung zu vermitteln, also „den Verstand zu mehren und das Herz zu b i l d e n " 5 8 , konnte Zustimmung erwarten; reine Unterhaltung, die nur die Freizeit verschönern sollte, war immer noch verpönt. Als besonders gefährlich galt das Lesen von Romanen, wovor mit ernsten Worten gewarnt wurde. Jungen Mädchen gab man folgendes zu bedenken: „Schon der Umgang mit Mannspersonen unmittelbar nach dem Lesen der Romane ist bedenklich, geschweige mit solchen, für welche ihr Herz eingenommen ist. Es versteht sich also auch, daß ich das gemeinschaftliche Lesen unter zwey Personen verschiedenen Geschlechts nicht für rathsam halte." 59 Die Herausgeber nahmen für sich in Anspruch, die „Art der Bedürfnisse" 6 0 der Jugend zu kennen und ihnen gerecht zu werden; es scheint jedoch eher so, daß den Kindern die Lesemotivationen unterstellt wurden, die die Kommunikatoren bei den Eltern als gewünschte Leseerfolge ihrer Sprößlinge vermuteten. „Denn sehet nur, liebe Kinder! ihr leset, um euch verständiger, klüger und besser zu machen." 61 „Aut prodesse volunt aut delectare poetae" — diese von der Aufklärung so popularisierten Worte des Horaz (Epistolae II, 333) waren auch für die Herausgeber der Jugendzeitschriften richtungweisend. .Nutzen und Vergnügen' — und zwar in dieser Rangfolge — sollten die Zeitschriften bringen; in vielen Vorworten und Einleitungen wurde diese Zweckbestimmung formuliert, die für die damalige Pädagogik charakteristisch war und auch die feste Eingliederung der Jugendzeitschrift im Gefüge ihrer Zeit verdeutlicht. 6 2 Das besonders von den Philanthropen postulierte Erziehungsziel wurde der Jugend als eigenes Bestreben suggeriert, das „Verlangen, einst nützliche Bürger zu werden ... (sollte) ... Nahrung erhalten". 6 3 Ganz präzise formulierte das .Niedersächsische Wochenblatt' das von ihm adaptierte Erziehungsbestreben der (bürgerlichen) Zeit. „Das, was Ihre Väter und Anverwandte jetzo sind, sollen Sie auch werden; nützliche Mitglieder der menschlichen Gesellschaft, rechtschaffene unbeugsame Richter, gewissenhafte Advocaten, treue Bedienten des Königs, erbauliche Prediger, verdienstvolle Schulleute, Officiere, Hofleute, Kaufleute, nach Ihrem Stande, nach Ihrem Genie, nach Ihrem Fleiße, nach Ihrer Geschicklichkeit, nach günstigen Umständen, die man das Glück nennt." 64 Eine in dieser Exaktheit seltene Bestimmung des Zielpublikums! Das Lesen der Jugend wurde zwar durchgehend als „edler Zeitvertreib" 6 5 propagiert, dem Lesebewußtsein der Zeit entsprechend, doch gleichzeitig wurde immer auf die maßvolle Lektüre der richtigen Lesestoffe hingewiesen. „Unordentliche Lektüre", vor allem natürlich das Romanlesen, verführte zum Müßiggang und — wie man seit jeher weiß: — Müßiggang ist aller Laster Anfang. 6 6
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3.3.
Die
Kommunikatoren
,Eine auserwählte Schar von edelmütigen Kinderfreunden, deren einziges Streben es ist, die Kinder und die Jugend zu erfreuen und ein angemessenes Scherflein zu deren guter Erziehung beizutragen' — dieses Selbstportrait zeichneten viele der Herausgeber der Jugendzeitschriften von sich. 6 7 In den Vorreden gaben sie Ausk u n f t über ihre Motivationen. Die — für das 18. Jahrhundert typischen — Vorreden boten den Herausgebern die Möglichkeit, sich zu profilieren, ihrem Werk eine „Legitimation mit auf den Weg in die Öffentlichkeit zu geben" und einen ersten Kontakt zu den Rezipienten herzustellen. 6 8 Unter diesem Aspekt sind auch die Erklärungen der Jugendzeitschriften-Herausgeber zu werten. Erbauliche Unterhaltungen, die sie mit Kindern geführt hatten, lieferten demnach Stoff dafür oder zumindest die Inspiration. Die Idee, eine Zeitschrift zu publizieren, entstand demzufolge nur aus dem Wunsch, diese fruchtbaren Gespräche vielen Kindern weiterzuvermitteln. So entwickelten sich aus den MittwochabendErzählungen des älteren Freundes das Wochenblatt .Moralische Erzählungen für die Jugend'. Die Überlegung von Kühl war: „Das alles läfit sich ja wohl bey anderen Kindern auch gebrauchen, und wie schön und herrlich wär's nicht, wenn alle — alle Kinder recht viel schöne Lehren faßten ,.." 6 9 Ähnlich war die Gedankenführung bei den Verfassern der .Kinderakademie' ; damit „die wohlgesitteten, und rechtschaffenen Kinder nicht nur in unserer Stadt, sondern im ganzen Vaterlande daran Theü nehmen können: so wollen wir ihnen bei dem Ende eines jeden Monats eine kleine Schrift in die Hände liefern, in welcher sie alles Schöne, und Lehrreiche finden sollen, was binnen der Zeit bei unsren Versammlungen vorgelesen oder erzählet worden ist." 70 Der Herausgeber der ,Hebe' entbehrte die gewohnte Gesellschaft seiner jungen Freunde' so sehr, daß er Ersatz für die direkte Kommunikation suchen mußte: „Meine innigste Sehnsucht gab mir Veranlassung zu dem Entschlüsse, mich ins künftige in Gesellschaft einiger eben so gesinnter Jugendfreunde schriftlich mit Ihnen zu unterhalten. Und so entstand diese Schrift ..." 71 Tobias Wahrmann schließlich, Herausgeber der J u g e n d f r e u d e n ' , wurde als Konrektor vorgestellt, der sich — bereits siebenundsiebzigjährig — gerne mit seinen Nichten und Neffen und deren Freunden beschäftigte und als ,Onkel Tobi' außerordentlich beliebt war. Die .monatlichen Lieferungen' der J u g e n d f r e u d e n ' sollten davon berichten. 7 2 Direkte Kommunikation sollte durch das publizistische Mittel der Zeitschrift veröffentlicht und dadurch selbst zum Gegenstand indirekter Kommunikation werden. Der erhoffte Verdienst oder Gewinn sollte allein darin bestehen, zu dem Glück und Wohl der Jugend etwas beigetragen zu haben. Typisch ist die Bemerkung des Herausgebers des .Hamburgischen Wochenblattes für Kinder' im Vorbericht: „Für meine Bemühung bin ich genug belohnt, wenn ich erfahren werde, daß ich hie und da bey Ihnen einigen Nutzen dadurch gestiftet habe." 73 Die Kommunikatoren waren sich bewußt, welche bedeutsame Aufgabe und Verantwortung sie mit der Herausgabe einer Zeitschrift für die Jugend übernommen hatten. Über den unmittelbaren Nutzen für die Jugend hinaus wirkten ihre Bemühungen sogar zum Wohle für das Vaterland! Die drei Jahrgänge ihrer erfolgreichen Monatsschrift beendeten die Herausgeber der ,Kinderakademie' mit folgendem Satz: 53
„Und dieses Bewußtsein, dieß süße Bewußtsein, Etwas für Religion, für den Staat, für unser Vaterland geleistet zu haben, soll stets unser Throst, unsre größte Belohnung sein." 74 Der hohe Glaube von Aufklärung und Pädagogik, daß die Bildung junger Menschen eines der vordringlichsten Anliegen eines jeden einzelnen und des Staates sein sollte, spiegelt sich in diesem Bekenntnis wider, selbst wenn es von den Herausgebern nicht ganz so ernst genommen wurde. Wer und was waren sie nun wirklich, die den Bedarf der leselustigen Jugend an Jugendzeitschriften mit Zeitungen, Wochen- und Monatsschriften, .Unterhaltungen' und ,Bibliotheken' deckten? Leider nur selten ist eine solch präzise Angabe zu finden: ,Jugendphilosophie ... Des zweiten Jahrgangs Erstes H e f t . Herausgegeben von J o h a n Leonard Thelen, der Theologie Licentiaten, und Professor des hiesigen Lorenziener Kollegiums." 7 5 Bei den eingesehenen Zeitschriften gaben sich immerhin 12 Herausgeber namentlich zu erkennen; ein wesentlicher Unterschied zu den Moralischen Wochenschriften, wo der Herausgeber nur in Ausnahmefällen im Blatt selbst genannt wurde 7 6 und ein Gegenbeweis zu der These, daß die Jugendzeitschriften ganz der Tradition dieser Gattung verpflichtet gewesen sein sollen. 7 7 Fehlte die Namensnennung, wurde fast immer von den Herausgebern gesprochen. 7 8 Die meisten Namen waren direkt auf das Titelblatt (des Bandes) gesetzt, unter den darauffolgenden Einleitungen, Widmungen oder auf den Umschlägen; noch zwei weitere Male mit Berufsangaben. 7 9 Die naheliegende Vermutung, daß die Herausgeberangaben am häufigsten bei erfolgreichen, bekannten Herausgebern zu finden waren, die auf ihr Renommée als Werbemittel vertrauten, bestätigte sich nicht. Zwar wurde Ernst Christian Trapp als Verfasser des .Wochenblatts für die Schulen' genannt, aber bekannte Persönlichkeiten wie Adelung oder Weiße wiederum nicht. Auf der anderen Seite konnten bestimmt nur wenige mit dem Namen Thelen positive Erwartungen verknüpfen, wobei in diesem Fall vermutlich der Beruf das Vertrauen — der Eltern — wecken sollte. Es fanden sich Hinweise dafür, daß in Anzeigen eher der Herausgeber-Name aufgeführt wurde. Ein Beispiel hierfür ist das ,Museum für Kinder', zu dem nur in den Bücherlexika Heinsius und Kayser sprärliche und zudem teilweise falsche Angaben ohne Herausgebernennung gemacht w u r d e n 8 0 , und wo Kirchner hinter den Herausgeber Karl Friedrich Sinapius ein Fragezeichen setzt, 8 1 das in der d e u t schen Zeitung' jedoch genau annonciert wurde. „Das Museum für Kinder, welches Herrn Proconsul Sinapius in Schmiedeberg herausgiebt, ist nützlich zu lesen. Jedes Heft, deren schon sieben erschienen sind, kostet 4 gr." 82 Auch im Falle Rudolf Zacharias Beckers wich man nicht von den damaligen Gepflogenheiten ab und verzichtete auf eine Herausgebernennung. Und das, obwohl zum Zeitpunkt der Gründung der ,Dessauischen Zeitung für die Jugend und ihre Freunde' Becker zu frühem Ruhm gekommen war. 1780 hatte ihn die Berliner Akademie der Wissenschaften für seine Antwort auf die jährlich gestellte Preisfrage mit dem ersten Preis ausgezeichnet. 8 3 Die Frage: „Kann irgend eine Art von Täuschung dem Volke zuträglich sein, sie bestehe nun darinnen, daß man es zu neuen Irrtümern verleitet, oder die alten eingewurzelten fortdauern läßt?" hatte Becker ohne Einschränkungen mit „Nein" beantwortet. In den gesonderten Avertissements für die ,Dessauische Zeitung' wurde der Name Becker allerdings genannt. 8 5 In der .Dessauischen Zeitung' selbst wurde der Herausgeber erst erwähnt, als er diese Funktion gar nicht mehr ausübte. Eine kleine Notiz gab bekannt: 54
„Dessau, den 15. November. Das Institut hat schon anstatt des Herrn Beckers, der Dessau verlassen will, und also nicht mehr der Verfasser dieser Dessauischen Jugendzeitung bleibt, einen andern Mann, durch den es die Fortsetzung derselben von diesem Stücke an, besorgen wird. W." 86 Die Hamburger .Bibliothek' zierte sich etwas mit der Preisgabe ihrer Herausgeber. Das erste Monatsstück mit einer Ansprache der Verfasser an die Leserinnen und Leser, in der sie sich als „zwei Männer ..., die selbst vor nur kurzer Zeit vom Jünglinge zum Manne überreiften", vorstellten. 8 7 Eine Angabe, die der renommierte A.d.B. nichts entgegenzusetzen hatte und von ihr übernommen wurde. 8 8 In der Widmung an die .Herzogliche Durchlaucht Louise Friederike', (das Blatt wurde zusammen mit dem Bandtitelblatt zum Ende des Jahrganges geliefert), ,enttarnte' sich dann das Verfassergespann als A.F.J. von Kameke. Bereits in der ersten Subskribentenliste tauchte er als ,Assistenz=Rath von Kameke in Stendal' auf, ohne daß jedoch der Hinweis auf die Verfasserschaft gegeben wurde. Bei der ,Bibliothek' ist man auf die in der Zeitschrift selbst gegebenen Fakten angewiesen; der Verfasser schien ein unbekannter Mann zu sein, über den die A.d.B. mutmaßte, daß er wohl noch sehr jung sein müsse. 89 Dem Herausgeber der Jugendzeitung', der als solcher in der .Zeitung' nicht bekannt gemacht wird, schien es ebenfalls Spaß zu machen, seinen Namen gedruckt lesen zu können, aber nicht als Herausgeber auf dem Titelblatt, sondern ganz bescheiden in der Menge der Pränumeranten als ,Conrektor Hüther, hieselbst'. 9 0 Das Moment der ,fiktiven Verfasserschaft', das Martens als Haupt-Charakteristikum der Moralischen Wochenschriften herausstellte, 9 1 war bei den Jugendzeitschriften nicht besonders ausgeprägt. Bekanntestes Beispiel ist der .Kinderfreund', dessen fiktive Familie Christian Felix Weiße in Anlehnung an den englischen .Spectator' konzipiert hatte. 9 2 Die beiden eben erwähnten Jünglinge, die sich als Verfasser der .Bibliothek' ausgaben, traten nur zu Beginn in Erscheinung. Permanent durchzieht hingegen die Gestalt des guten ,Onkel Tobi' alias Tobias Wahrmann die J u g e n d f r e u d e n ' . Die Darstellung der beruflichen Werdegänge der Kommunikatoren beschränkt sich auf 22 Herausgeber. Bei den übrigen lag keine Herausgeberangabe vor, und/ oder sie wurden wegen scheinbarer Unbedeutung nicht bio-bibliographisch erfaßt.93 Viele von ihnen — und das verwundert nicht — hatten beruflich mit dem Bereich Erziehung und Schule zu tun. Sie waren Lehrer (wie Becker, Curio, Günther Röding, Thelen und Voß), Konrektor (wie Hüther und Wahrmann), GymnasialProfessor (Wehnert), Diakon (Böckh) oder gar Professor für Pädagogik (Trapp). .Kandidaten' 9 4 waren Kühl ( - des Ministeriums), Müchler ( - der Rechte) und Müller ( - des Predigtamts). Ein Proconsul (Sinapius), ein Sprachforscher (Adelung), ein gräflicher Sekretär (Benzler), ein Kreissteuereinnehmer (Weiße), ein Assistenz-Rat (von Kameke), ein Hofrat (von Schütz), ein Berg- und Münzrat (von Flurl) und ein ehemaliger Mönch (Winkopp) vervollständigten die Berufspalette. 9 5 Die Kommunikatoren verfügten in der Regel also über eine berufliche Basis und besaßen finanziellen Rückhalt. Zumindest den Pädagogen unter ihnen kam eine Nebenerwerbsquelle sehr gelegen oder war sogar fast lebensnotwendig. „Aus N o t " — schreibt Göhring — habe der Lehrer Röding seine schriftstellerische Arbeit betrieben. 9 6 Die schlechte Bezahlung der Lehrer kritisierte die .Deutsche Zeitung': „Die Besoldung der Professoren des lutherischen Gymnasiums ist netto 72 thlr nebst 1 Malter Roggen und Gerste!" 97 55
Für die anderen läßt sich, was ihre Motivationen und Dispositionen zu der Herausgabe einer Jugendzeitschrift angeht, folgende Vermutung aufstellen: Einmal ist wahrscheinlich, daß jemand, der bereits als Erziehungs- und Jugendschriftsteller in Erscheinung getreten ist, sich des für die Jugend neu entdeckten Mediums Zeitschrift bediente (,Prädisposition' Jugend); zum anderen ist es möglich, daß Zeitschriften-Herausgeber auf das erfolgversprechende neue Zielpublikum Jugend einschwenkten (,Prädisposition' Zeitschrift). Diese Überlegung wird durch den Nachweis derartiger Prädispositionen bei sechzehn Herausgebern bestätigt, mit Einschränkungen allerdings, wie eine differenzierte Analyse ergab. Interessantestes Ergebnis war, daß sich die Herausgebergruppen der beiden Entwicklungsphasen der Jugendzeitschrift unterschieden: — aille (der fünf bekannten) Kommunikatoren des ersten Jahrzehnts 9 8 hatten vor der Herausgabe einer Zeitschrift bereits anderes für die Jugend geschrieben; — die .professionellen' Zeitschriftenherausgeber traten allesamt erst in den Jahren ab 1779 in Erscheinung. Ebenso wie die zunehmende Differenzierung der Jugendzeitschriften in den achtziger Jahren sind dies Indizien dafür, daß sich die Jugendzeitschrift in ihrem zweiten Lebensjahrzehnt etabliert hat und .kommerzialisiert' wurde. Bei der zweiten Gruppe der Kommunikatoren ist eine Einschränkung des Begriffes .Prädisposition' bei drei Herausgebern notwendig. Für sie war die Jugendzeitschrift das Erstlingswerk, dem weitere Zeitschriften (nicht für die Jugend!) folgten. Karl Müchler gab als junger Mann von 22 Jahren 1785 die .Lehrreichen Nebenstunden' heraus, von denen bis 1786 sechs Quartale erschienen. Erst viel später trat er wieder als Zeitschriftenherausgeber in E r s c h e i n u n g . " Auch für Christian Daniel Voß (,Braunschweigische Jugendzeitung') 1 0 0 und Friedrich Wilhelm von Schütz (,Der sanftmütig lehrende Kinderfreund' und .Wöchentliche Unterhaltungen für Jünglinge und Mädchen') bildeten die Jugendzeitschriften den Beginn ihrer Herausgebertätigkeit. 1 0 1 Aus der Feder eines routinierten Publizisten stammten hingegen die beiden Wochenblätter .Moralische Erzählungen für die Jugend' und .Moralisches Wochenblatt für die Jugend'. Gottlieb Timotheus Michael Kühl hatte sich bereits als Herausgeber von Theaterzeitschriften einen Namen gemacht. 1 0 2 Er schien allerdings einen etwas zweifelhaften Ruf genossen zu haben. Über ihn wurde nämlich wenig Gutes berichtet. So wurde er als .frühreifer, charakterloser Predigersohn' bezeichnet, der skandalöse Schmähschriften veröffentlicht haben sollte. 1 0 3 Vermutlich waren die Jugendzeitschriften für ihn nur ein .Seitensprung' in ein anderes Fachgebiet, das in den achtziger Jahren in Mode gekommen war. Ähnliches mag auch für Peter Adolph Winkopp zugetroffen haben, der 1786 in Wien die Monatsschrift ,Der neue Kinderfreund' herausgab. Er war vor allem durch die Herausgabe des .Deutschen Zuschauers' (1785 bis 1789) bekannt geworden.104 Eine für einen Jugendzeitschriften-Herausgeber geradezu beispielhafte Karriere machte Christian Gottfried Böckh, der seinem Vorsatz, „seine Kräfte der Erziehung und Bildung der Jugend zu w i d m e n " , 1 0 5 bis an sein Lebensende treu geblieben ist. Von 1771 bis 1772 gab er die .Wochenschrift zum Besten der Erziehung der Jugend' heraus, die als erste Erziehungsschrift Stücke für Kinder enthielt. 1 0 6 Im Anschluß daran gab der Diakon aus Nördlingen (ehedem Hofmeister, Pfarrer und Rektor) die .Allgemeine Bibliothek für das Schul- und Erziehungswe56
sen in Deutschland' heraus, die bis 1 7 8 6 bestand. 1 7 8 0 trat er dann mit seiner ersten Zeitschrift für die J u g e n d an die Öffentlichkeit, mit der bekannten Nürnberger ,Kinderzeitung', die er 1 7 8 3 abschloß. V o n 1 7 8 5 bis 1 7 8 8 folgte die .Chronik für die J u g e n d ' , mit der er an den Erfolg der ,Kinderzeitung' anknüpfen konnte. Neben Böckh und von Schütz sind als Herausgeber von mehreren Jugendzeitschriften zu nennen: Nikolaus Hüther
1779 bis 1786: 1788 bis 1789:
Timotheus Kühl
Okt. 1782 bis März 1783: 1783: 1775 bis 1777: 1778 bis 1779: 1786:
Johann Hinrich Röding
Jugendzeitung' .Politische und moralische Unterhaltungen' .Moralische Erzählungen' .Moralisches Wochenblatt' .Hamburgisches Wochenblatt' ,Der Zögling' .Leseblatt für die Jugend'
Der Werdegang des Lemgoer J o h a n n Lorenz Benzler bietet ein interessantes Beispiel für die Integration von Kommunikationsprozessen im soziokulturellen Umfeld. Benzler mußte sein Studium wegen Schwerhörigkeit abbrechen und wurde vom Buchhändler Helwing mit Abschreib- und Korrekturarbeiten b e s c h ä f t i g t . 1 0 7 1 7 7 0 gab er die .Fabeln für Kinder' h e r a u s . 1 0 8 V o n seinem Freund, Christian Wilhelm Dohm, der seit 1 7 7 1 am Philanthropin in Dessau angestellt war, wurde Benzler aufgefordert, ebenfalls dort eine Stelle anzunehmen. Benzler lehnte jedoch ab, da ihm aufgrund des Basedow'schen Naturells eine Arbeit unter dessen Leitung nicht möglich e r s c h i e n . 1 0 9 Den Basedow'schen Ideen und dem Philanthropismus blieb er jedoch weiterhin verbunden. . In dem von ihm herausgegebenen .Lippischen Intelligenzblatt' warb er für die philanthropischen I d e e n . 1 1 0 Als eine der Hauptabsichten des Blattes bezeichnete er 1 7 7 3 „die Beförderung einer vernünftigen sittlichen Erziehung der K i n d e r " . 1 1 1 Im darauffolgenden J a h r erschien dann sein .Niedersächsisches Wochenblatt für Kinder' in Hannover. Auf diese Zeitschrift hatte er zuvor ( 1 7 7 3 ) , wie es aus werbewirksamen Gründen geboten schien, in seinem Intelligenzblatt nicht hingewiesen. Das Gebiet der Kinder- und Jugendliteratur war im 18. Jahrhundert eine Domäne der M ä n n e r , 1 1 2 und so überraschte es nicht, daß sich bei den Jugendzeitschriften keinerlei Hinweis auf eine weibliche Herausgeberschaft oder Mitarbeit fand. Das Durchschnittsalter der Herausgeber lag bei 3 2 J a h r e n , mit 2 2 J a h r e n war Müchler der jüngste, Weiße mit 4 9 J a h r e n der ä l t e s t e . 1 1 3 Bei Zeitschriftenunternehmen des 18. Jahrhunderts und besonders bei den Moralischen Wochenschriften war es keine Seltenheit, daß der Herausgeber — zumindest zu Beginn — allein den Inhalt seines Blattes zu bestreiten h a t t e . 1 1 4 Daß einige Kommunikatoren sich als .Verfasser' bezeichneten oder die Begriffe .Herausgeber' und .Verfasser' synonym verwandten, ist jedoch kein Indiz für die Alleinverfasserschaft, sondern weist vielmehr darauf hin, daß keine klare Abgrenzung zwischen beiden Funktionen gezogen und/oder diese als nicht wichtig erachtet wurde. Damals war es beispielsweise durchaus üblich, fremde Stücke ohne Kennzeichnung des Autors in die Zeitschrift einzurücken, Probleme des Urheberrechts waren noch nicht gelöst. 1 l s Wie groß jeweils der Anteil an selbstverfaßten Beiträgen und das Ausmaß der redaktionellen Arbeit war, läßt sich nicht konkret bestimmen. Die häufigen Bitten um Mitarbeit der Leser entsprangen nicht nur dem Bemühen um eine wechselseitige Kommunikation, sondern oft auch nur der profanen Notwendigkeit, die Stücke mit Inhalt zu füllen. Die Enttäuschung, die bei folgen57
der Ä u ß e r u n g Tobias Wahrmanns z u m A u s d r u c k k o m m t , ist u n t e r diesem Aspekt einzuschätzen. „Ich habe gleich im Anfange meiner Jugendfreuden den Wunsch geäußert, daß öffentliche und Privatlehrer mich mit Anekdoten und Karakterzügen aus der Jugendwelt beehren möchten, weil diese, nach meiner Meinung, am meisten auf junge Herzen wirken; allein bis jetzt ist mein Wunsch noch ohne Erfüllung geblieben." 116 Der a n o n y m e Herausgeber der ,Monatsschrift für Kinder u n d ihre F r e u n d e ' bezeichnete sich als „Verfasser u n d Sammler dieser M o n a t s s c h r i f t " . 1 1 7 Nach welcher Manier eine J u g e n d z e i t s c h r i f t zusammengestellt w u r d e , beschrieben die Herausgeber der , K i n d e r a k a d e m i e ' , allerdings erst im letzten Stück ihrer Zeitschrift: ,,... so unterzogen wir uns der Arbeit, und (man wird uns deßwegen keines literarischen Raubes beschuldigen) machten aus den Schriften eines Weiße, Campe, Pet. Millers, Raffs,Rochows und unzählig anderer zweckmäßige Auszüge, reinigten sie in Rücksicht auf Religion von den Schlackern, machten unsere eigene Beiträge dazu, arbeiteten sie in eine andere Gestalt um, und brachten diese bereicherte Sammlung unsrer vaterländischen Jugend zum Geschenke dar." J o h a n n Lorenz Benzler b e z e i c h n e t e seine F u n k t i o n b e i m ,Niedersächsischen W o c h e n b l a t t für Kinder' einmal als . D i r e k t i o n ' ; viele Beiträge habe er nicht selbst v e r f a ß t . 1 1 9 Begriffe wie redigieren, R e d a k t i o n u n d R e d a k t e u r zur F u n k t i o n s b e schreibung der K o m m u n i k a t o r e n w u r d e n bei den J u g e n d z e i t s c h r i f t e n nicht verwandt. Für die Herausgabe des ,Lippischen Intelligenzblattes' h a t t e er 100 Thaler jährlich b e z o g e n , 1 2 0 wieviel er mit der .Direktion' des W o c h e n b l a t t e s verdiente, ist u n b e k a n n t . Natürlich verfolgten die K o m m u n i k a t o r e n auch materielle Interessen, ihre Tätigkeit sollte schließlich n i c h t n u r m i t d e m so o f t e r w ä h n t e n ideellen L o h n vergolten w e r d e n , s o n d e r n sich auch in anderer F o r m .bezahlt m a c h e n ' . D o c h h a t t e m a n aus G r ü n d e n der K o n v e n t i o n in den Einleitungen u n d V o r r e d e n die materiellen Interessen u n e r w ä h n t gelassen u n d die ideellen M o t i v a t i o n e n vorgeschoben. Z e i t s c h r i f t e n r e d a k t e u r e erhielten zumeist ein festes J a h r e s g e h a l t , A u t o r e n h o norare für Z e i t s c h r i f t e n a u f s ä t z e gingen selbst bei b e k a n n t e n Persönlichkeiten n u r selten über dreieinhalb Thaler für den Bogen h i n a u s . 1 2 1 In einem Fall ist die H ö h e des Verdienstes eines J u g e n d z e i t s c h r i f t e n h e r a u s g e b e r s b e k a n n t : 3 0 0 Thaler jährlich bezog R.Z. Becker für die ,Dessauische Zeitung' v o m P h i l a n t h r o p i n . 1 2 2 „Dies ist genug für m e i n e Bedürfnisse", b e f a n d Becker in einem Brief 3 u n d d a m i t stand er, wie der Vergleich zur L e h r e r b e s o l d u n g u n d zu Benzlers Gehalt zeigt, nicht schlecht da. Welche Vor- u n d Nachteile der Selbstverlag d e n K o m m u n i k a t o r e n b r a c h t e , zeigt exemplarisch die Schilderung Beckers in einem Brief an die Fürstin von Gallitzin, als er seine zweite J u g e n d z e i t s c h r i f t verlagsungebunden herausgab: „Ich habe also vor der Hand kein anderes Etablissement, als die Ausgabe der Jugendzeitung (...). Diese gebe ich auf meine Kosten heraus, und verdiene damit so viel, als ieh und zwey Schwestern,
die mir meine
Eltern
hinterlassen
haben,
zur Nothdurft.
brauchen;
welches d a n n
freylich eben nicht viel ist. ... Uebrigens ist dieses Etablissement, das ich mir auf solche Art nothgedrungen ... gemacht habe, zwar mit vieler Arbeit und wenig Lohn, aber auch mit so viel Annehmlichkeiten höherer Art, besonders mit einer ausgebreitetem Wirksamkeit verbunden, als ich bey keinem öffentlichen Amte haben könnte, daß ich mir nie ein anderes wünschen würde; wenn es nicht blos auf dem veränderlichen Geschmacke des Publikums beruhte, und der Gefahr ausgesetzt wäre, bey der ersten Unpäßlichkeit die mir zustoßen dürfte, ins Stocken zu gerathen, und mich ohne Ressource zu lassen. Doch würde diese Sorge wegfallen, wenn 58
der Debit des Blatts nur erst allgemeiner ausgebreitet wäre; so daß ich mir einen Gehülfen associiren könnte." 124 (Hervorhebung A.U.) Die Frage, inwieweit Verleger als Initiatoren von Jugendzeitschriften in Erscheinung getreten sind, und welchen Anteil sie an Planung und Konzeption hatten, muß bis auf eine Ausnahme unbeantwortet bleiben. 1 2 S Der Leipziger Verleger Siegfried Lebrecht Crusius bemühte sich, nachdem das bei ihm verlegte .Leipziger Wochenblatt für Kinder' des Sprachgelehrten Adelung im Dezember 1774 sein Erscheinen einstellte, einen Nachfolger dieses erfolgreichen Wochenblattes auf den Markt zu bringen. 1775 kündigte er im Ostermeßkatalog ein .Neues Leipziger Wochenblatt für Kinder' an, voreilig, denn dieses Blatt ist nie erschienen. 1 2 6 Christian Felix Weiße, der Herausgeber des .Kinderfreundes', berichtet in seiner Selbstbiographie, daß Crusius daraufhin mit der Bitte an ihn herangetreten sei, eine neue Zeitschrift für die Jugend zu verfassen. 1 2 ' Das so überaus erfolgreiche Konzept seines Kinderfreundes stammte von Weiße allein. Bei Crusius erschienen in den darauffolgenden Jahren viele bekannte Jugendund Erziehungsschriften, darunter auch weitere Jugendzeitschriften. 1 2 8 Über entsprechende Aktivitäten anderer Verleger ist nichts bekannt; dennoch ist es wahrscheinlich, daß auch andere Verleger, die bei den Jugendzeitschriften einen neuen erfolg- und zukunftsträchtigen Markt vermuteten, sich um Herausgeber bemühten. So wird dann auch im „buchhändlerischen Spekulationsgeist" eine der Ursachen für die große Zahl der Neuerscheinungen auf diesem Gebiet gesehen. 1 2 9 Unter den Verlegern der Jugendzeitschriften sind viele große, bekannte Namen der Buchhandels- und Verlagsgeschichte vertreten: Korn in Breslau (.Tagebuch für Kinder'), Röder in Wesel (.Jugendzeitung'), Stage in Augsburg (.Chronik für die Jugend'), Donatius in Lübeck (.Moralische Erzählungen'), Felsecker in Nürnberg (.Kinderzeitung'), Bödner in Schwerin (,An die Jugend'), Severin in Weißenfels ( J u g e n d f r e u d e n ' ) , Helwing in Hannover (.Niedersächsisches Wochenblatt für Kinder'), Crusius in Leipzig (.Leipziger Wochenblatt für Kinder', ,Der Kinderfreund', ,Neues Wochenblatt für Kinder und Kinderfreunde'), Levrault in Straßburg (.Oberrheinische Unterhaltungen für Kinder'), Trattner in Wien (.Wochenblatt für die österreichische Jugend'), und in Hamburg Reuss (,Hamburger Wochenblatt für Kinder'), Herold (,Der Zögling'), Matthiesen (,Der sanftmüthig lehrende Kinderfreund' — in Commission —, ,Leseblatt für die J u gend', .Wöchentliche Unterhaltungen für Jünglinge und Mädchen') und Michaelsen (.Bibliothek für Jünglinge und Mädchen' — in Commission). 1 3 0 Hamburg, das hier mit vier Verlagen und sieben Titeln vertreten ist, nimmt auch in der Gesamtübersicht der größten Verlage bei den pädagogischen Zeitschriften den ersten Rang ein. 1 3 1
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< Wie (sich) Philantrophen eine Kinderzeitung vorstellen, was sie damit beabsichtigen und an wen sie sich wenden — Fallbeispiel für eine zielgruppenorientierte Planung einer Jugendzeitschrift: Die Kinderzeitung in den ,Pädagogischen Unterhandlungen'
1777-1778
Die beiden bekanntesten philantropischen Erziehungsschriftsteller, J o h a n n Bernhard Basedow und Joachim Heinrich Campe, gaben im April 1777 das erste Stück ihrer .Pädagogischen Unterhandlungen' heraus, in denen Berichte über das Dessauische Philanthropin, Diskussionen über erziehungsrelevante Themen und Aufsätze allgemeiner Art veröffentlicht werden sollten. 1 Zu Beginn des ersten Stückes stellten sie einen ausführlichen Plan der Zeitschrift vor. „Einen Versuch von Wichtigkeit" nannten die Herausgeber „Anfang und Proben einer Kinderzeitung", die innerhalb des pädagogischen Blattes in unregelmäßiger Folge erscheinen sollte. 2 Zu diesem Versuch äußerten sich Basedow und Campe ausführlicher als zu den anderen neun Themenkomplexen, da sie „mehr als einen Zweck bey Verfertigung dieser Zeitungen vor Augen haben." 3 Dadurch, daß zum ersten Male überhaupt öffentlich Überlegungen darüber angestellt wurden, wie eine Zeitung für Nicht-Erwachsene auszusehen habe, gewannen die Ausführungen der beiden Philanthropen zusätzlich an Bedeutung. Den Lesern wurden die Funktionen der Kinderzeitung erläutert, wobei philanthropische Erziehungsbestrebungen weitaus mehr zum Tragen kamen als etwa publizistische Merkmale. Drei Funktionen wurden hervorgehoben: 1. Die Zeitung sollte Information und Unterhaltung in kindgemäßer Form (d.h. dem Alter und der Auffassungsgabe entsprechend) darbieten. „Erstlich ist es gut und nützlich, daß die Kinder, wenn sie ein gewisses Alter erreicht haben, mit den vorzüglichsten Begebenheiten ihrer Zeit bekannt gemacht werden; eine Absicht zu deren Erreichung die gewöhnlichen Zeitungen, sowohl ihres vermischten, größtentheils unwichtigen Inhalts, als auch ihrer Schreibart wegen, kein bequemes Mittel sind. Unsere Kinderzeitung hingegen soll in einer leichten Schreibart bloß solche Begebenheiten und Anecdoten erzählen, welche den Kindern zu lesen und zu wissen schon jetzt nützlich sind." 5 2. Publizität sollte als ein Erziehungsmittel eingesetzt werden. „Euer Kind hat diese oder jene fehlerhafte Gewohnheit angenommen; ihr ermahnt es, diese Gewohnheit abzulegen, widrigenfalls die Zeitungsschreiber es erfahren und durch Beschreibung derselben andere Kinder öffentlich davor warnen würden."6 Gegebenenfalls sollte die Drohung wahrgemacht werden. Gute Taten sollten ebenfalls veröffentlicht werden, um zur Nachahmung zu ermuntern. Falls reale Beispiele fehlen sollten, würden sie durch solche aus Romanen oder eigener Erfindung ersetzt werden. (Das ,öffentlichmachen' von guten oder schlechten Leistungen als Belohnung oder Strafe wurde bei den Philanthropen allgemein als Erziehungsmaßnahme geschätzt. 7 ) 60
3. Die Kinderzeitung stellte eine Alternative für erwachsene Leser dar. „Da übrigens in dieser Kinderzeitung keine sehr merkwürdige, alle interessirende Begebenheiten ausgelassen werden sollen: so wird sie auch von Männern und Frauenzimmern gelesen zu werden verdienen, welche entweder aus Widerwillen gegen den gewöhnlichen steifen Zeitungston, oder ihrer Geschäfte und Zerstreuungen wegen, andere Zeitungen nicht lesen wollen oder können, und gleichwohl in der Kenntniß der jedesmaligen Weltumstände nicht gern zurück bleiben möchten." 8 Durch die A u f n a h m e der Kinderzeitung in die pädagogischen Unterhandlungen' betrieben die Herausgeber eine frühe F o r m von Marktforschung: die Resonanz darauf sollte Aufschluß darüber geben, ob sich die Herausgabe einer eigenständigen Kinderzeitung lohne. Das Risiko w u r d e kleingehalten: — Durch Pränumeration sollte das Projekt finanziell abgesichert werden: „Findet diese (Kinderzeitung A.U.) Beyfall, und meldet sich zwischen Ostern und Ausgang Septembers eine hinlängliche Anzahl solcher Leser, welche darauf pränumerieren wollen; so soll alsdann ein ordentlicher Jahrgang derselben angefangen werden." 9 — Bei dem neuen P r o d u k t k ö n n t e man auf die Erfahrungen a u f b a u e n , die man mit der unselbständigen Kinderzeitung gemacht hat, u n d die in Rückmeldungen signalisierten Publikumswiinsche berücksichtigen. — Die potentiellen Käufer der neuen J u g e n d z e i t s c h r i f t 1 0 wurden durch die .Pädagogischen Unterhandlungen' zu einem großen Teil zielgerichtet angesprochen. Die Strategie von Basedow und Campe war im Bereich der Zeitschriftenuntern e h m e n des 18. J a h r h u n d e r t s offensichtlich eine Ausnahme; für diese Zeit wurde ansonsten die Feststellung g e t r o f f e n : „Es war mehr oder weniger Zufall, wenn eine Zeitschrift .einschlug*. Uber die S t r u k t u r des Marktes haben sich die Produzenten kaum Gedanken g e m a c h t . " 1 1 Die .Pädagogischen Unterhandlungen' wurden von pädagogisch interessierten Menschen gekauft und gelesen, die — der philanthropischen Grundlinie entsprechend — ihren Kindern u n d Zöglingen die Lektüre zugestanden oder näherbringen wollten. Der m o d e r n e n Idee einer Zeitung für Kinder werden sie am ehesten aufgeschlossen gegenübergestanden haben. Gefiel den Kindern und Jugendlichen die Zeitung, so war es a n z u n e h m e n , daß die bildungsbewußten Eltern auch später das eigenständige Periodikum k a u f t e n . Insofern würden sich Käufer u n d Leser der neuen Jugendzeitschrift zu einem erheblichen Teil aus d e n e n der .Pädagogischen Unterhandlungen' rekrutieren u n d die geplante Schrift k ö n n t e von Erfolg u n d Auflagenhöhe der .Unterhandlungen' profitieren. Wie sich die Leserschaft des pädagogischen Blattes zusammensetzte, läßt sich anhand der Pränumerantenverzeichnisse annähernd rekonstruieren. 1 2 Allerdings handelte es sich hier nicht u m eine gewöhnliche Form von Vorausbestellung. R u n d die Hälfte der 2 8 4 Pränumeranten kam dem A u f r u f der Institutsleitung nach u n d zahlte mehr als den erforderlichen Mindestbetrag von zwei Thalem (ohne Vertriebskosten). Die Überschüsse flössen dem Philanthropin zu, das auf derartige Subventionen angewiesen war. Die Zusammensetzung der wohltätigen (und sicherlich wohlhabenden) Käuferschaft barg keine Überraschung, der überwiegende Teil zählte zum höheren Bürgertum, Adel u n d Klerus; insgesamt 19% der Pränumeranten waren adelig. 1 3 Ein Publikum, das auch den Erwartungen der Herausgeber zu entsprechen schien. Im Anschluß an eine A n e k d o t e über einen König w u r d e n die jungen Leser der Kinderzeitung direkt angesprochen: 61
„Merkt euch diese Geschichte, ihr jungen Prinzen, und ihr anderen kleinen Leute, die ihr vielleicht einmal Räthe oder Minister der Fürsten w e r d e t . " 1 4 P r o m i n e n t e N a m e n w a r e n in d e n P r ä n u m e r a n t e n l i s t e n z u f i n d e n , u . a . b e s t e l l t e ein „ H e r r P r o f e s s o r K a n t , in K ö n i g s b e r g " 2 6 E x e m p l a r e 1 5 ; K a n t g e h ö r t e allerdings a u c h z u d e n A u t o r e n , d i e Beiträge f ü r d i e p ä d a g o g i s c h e n U n t e r h a n d l u n g e n ' lieferten.16 Die 2 8 4 P r ä n u m e r a n t e n b e s t e l l t e n 4 8 7 E x e m p l a r e ; diese garantierte A b n a h m e z a h l von k n a p p f ü n f h u n d e r t Stück u n d eine h ö h e r zu veranschlagende A u f l a g e n z a h l w a r f ü r e i n e p ä d a g o g i s c h - p h i l a n t h r o p i s c h e Z e i t s c h r i f t ein d u r c h a u s beachtlicher Erfolg.17 I n s g e s a m t a c h t m a l e r s c h i e n d i e K i n d e r z e i t u n g 1 8 , n a c h d e n e r s t e n vier S t ü c k e n w u c h s ihr U m f a n g v o n d u r c h s c h n i t t l i c h 10 S e i t e n auf 2 0 - 2 7 S e i t e n . 1 9 D e n e r s t e n .Versuch' begleiteten folgende Zeilen: „Man denkt sich bey dieser Kinderzeitung Leser von sieben bis fünfzehn Jahren; und wird daher den Ton der Erzählung bald herab, bald höher stimmen, je nachdem man zu Kleinem oder größern Kindern reden wird. Man hat die folgenden Artikel so geordnet, daß diejenigen voran stehen, die für junge Kinder gehören." 2 0 D a ß e i n e , Z e i t u n g ' , d i e i n n e r h a l b eines m o n a t l i c h b i s v i e r t e l j ä h r l i c h e r s c h e i n e n d e n B l a t t e s g e d r u c k t w u r d e , sich v o n d e n n o r m a l e n Z e i t u n g e n allein s c h o n d u r c h i h r e n A k t u a l i t ä t s c h a r a k t e r a b h e b e n m u ß t e , w a r n a h e l i e g e n d . 2 1 Wie diese Z e i t u n g f ü r K i n d e r a u s s a h , w e l c h e T h e m e n sie b e h a n d e l t e u n d w e l c h e T e n d e n z sie k e n n z e i c h n e t e , sollen d i e A n f a n g s z e i l e n aller im 1. S t ü c k e n t h a l t e n e n A r t i k e l a u f z e i g e n : 2 2 „Berlin. In einem Dorfe, nicht weit von hier, hat sich neulich eine klägliche Geschichte ereignet ... Wien. Bey einem Spaziergange kam neulich zu einem Manne ... Zürich. Es ist ein großer Irrthum, wenn man meynt, daß nur vornehme Leute edel denken und handeln können. ... Das hat neulich einer unserer Landsleute bewiesen. London. Seit der Niederlage, die eins unserer Corps bey Trenton, in Amerika, von den Colonisten erlitten hat, sind die Freunde der Regierung so zuversichtlich nicht mehr, als sie vorher waren. Paris. In dieser Welt ist Gutes und Böses — des Guten mehr, des Bösen weniger — überall mit einander vermischt. Hier zu Paris zum Exempel leben viele ehrliche Leute, aber es halten sich hier auch einige Spitzbuben auf. Das hat man neulich in der Comödie erfahren. Neapolis. Es kommen immer viele Bittschriften an den König. ... Als nun neulich ein neuer Premierminister ... Aus dem Preußischen. Uns Leuten hier zu Lande kommt es ganz unglaublich vor, wenn wir aus andern Ländern von 33000 Bittschriften hören, welche Unterthanen eingereicht haben sollten, ohne eine Antwort zu erhalten. So viele Bittschriften wartet unser Monarch nicht ab: denn wo nur eine etwas erhebliche Noth der Unterthanen sich zeiget, da wird auch sogleich, oft ohne Bittschrift, die nöthige Hilfe gesandt. Stockholm. Ein Greis bat vor einigen Tagen ..." Die a n d e r e n s i e b e n S t ü c k e d e r K i n d e r z e i t u n g s i n d ä h n l i c h g e s t a l t e t . Man versuchte hier, d e m A n s p r u c h , über „alle interessierende Begebenheiten a u s d e r n e u e s t e n W e l t g e s c h i c h t e " zu b e r i c h t e n 2 3 u n d Z e i t u n g s c h a r a k t e r a u f z u w e i -
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sen, d a d u r c h g e r e c h t zu w e r d e n , i n d e m m a n Z e i t b e s t i m m u n g e n m i t a k t u e l l e m A s p e k t wie .neulich' e i n f ü h r t e u n d j e d e m Ereignis einen H a n d l u n g s o r t z u o r d n e t e . Bei B e r i c h t e n aus a n d e r e n d e u t s c h e n S t ä d t e n o d e r a u s d e m A u s l a n d w u r d e n d u r c h F o r m u l i e r u n g e n w i e ,wir h a b e n h i e r ' o d e r . u n s e r L a n d e s v a t e r ' A s s o z i a t i o n e n z u Korrespondentenberichten geweckt. Diese E l e m e n t e s o l l t e n d e n E i n d r u c k v o n A k t u a l i t ä t u n d A u t h e n t i z i t ä t vermitteln. Als z u k u n f t w e i s e n d w e r t e t e H . M a r x d i e „ A u f n a h m e v o n B e r i c h t e n aus d e n g e g e n w ä r t i g e n W e l t e r e i g n i s s e n . Es liegt d a r i n ein A n s a t z z u l e b e n s n a h e r p o l i t i s c h staatsbürgerlicher Kenntnis- u n d Urteilsgewinnung."24 Tatsächlich war die Kinderz e i t u n g in d e n . P ä d a g o g i s c h e n U n t e r h a n d l u n g e n ' ein P i o n i e r a u f d i e s e m G e b i e t , d o c h ist d a s M a r x ' s c h e U r t e i l zu r e l a t i v i e r e n , d e n n viele A r t i k e l e n t h i e l t e n k a u m oder keine Informationen. M a n b e m ü h t e sich s e h r , d e m C h a r a k t e r e i n e r Z e i t u n g zu g l e i c h e n ; G e s c h i c h t e n aus früheren Zeiten verband m a n mit .neueren' Ergänzungen. I m 6. S t ü c k 1 7 7 8 s c h r i e b C a m p e im A n s c h l u ß a n e i n e S c h i l d e r u n g ü b e r e i n e B e g e b e n h e i t aus d e m J a h r e 1 6 8 0 : „Hiermit stimmt nun eine neuere Nachricht, die wir in einem unserer öffentlichen Blätter (St. James chronicle) lesen in den mehresten Puncten überein. Es wird darinn erzählt, daß Robert Jameison, da er im Jahr 1774 ,.." 2 5 Z e i t g e s c h i c h t l i c h e Bezüge u n d i n f o r m a t i v e I n h a l t e w i e s e n n u r einige A r t i k e l a u f . Aufmerksamkeit widmete man dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg.26 D a s E n d e d e r H e r r s c h a f t des M a r q u i s d e P o m b a i in P o r t u g a l b o t A n l a ß u n d S t o f f f ü r u m f a n g r e i c h e B e r i c h t e , d i e d e n j u n g e n L e s e r n h e l f e n s o l l t e n , sich ein U r teil ü b e r d i e u m s t r i t t e n e P e r s o n d e s M a r q u i s z u b i l d e n , ü b e r d e n in d e n . ö f f e n t lichen Blättern' G e r ü c h t e unterschiedlicher A r t k u r s i e r t e n . 2 7 Die Herausgeber der Kinderzeitung verurteilten dessen M a c h t s t r e b e n u n d Ehrgeiz, u n d führten den K i n d e r n d i e s c h l i m m e n K o n s e q u e n z e n e i n e r d e r a r t i g e n L e b e n s f ü h r u n g vor Augen.28 Alle S t ü c k e d e r K i n d e r z e i t u n g w a r e n d u r c h s e t z t m i t m o r a l i s c h e n u n d p ä d a g o gischen L e h r e n u n d G r u n d s ä t z e n , o f t m a l s mit einer d i r e k t e n A n r e d e der j u n g e n L e s e r u n d e i n e m A p p e l l a n sie v e r b u n d e n . A u c h T o d e s m e l d u n g e n hochgestellter Persönlichkeiten w u r d e n mit moralischen Erkenntnissen verknüpft. Der d u r c h eine große „ E r h i t z u n g auf d e m Carneval" verursachte T o d einer B a r o n e s s e s o l l t e ein w a r n e n d e s Beispiel g e b e n , „ m i t V o r s i c h t alle L u s t b a r k e i t e n z u g e n i e ß e n , d a m i t sie d e r G e s u n d h e i t u n d d e m L e b e n n i c h t g e f ä h r l i c h w e r d e n " 2 9 ; w ä h r e n d d a s a u f o p f e r u n g s v o l l e L e b e n e i n e r v e r s t o r b e n e n F e l d m a r s c h a l l i n d i e Kind e r a n s p o r n e n sollte, „ d u r c h f r ü h e n F l e i ß in n ü t z l i c h e n Ü b u n g e n s e i n e n E l t e r n d e r e i n s t e b e n so n ü t z l i c h z u w e r d e n . " 3 0 S e l t e n a n z u t r e f f e n w a r e n a u s f ü h r l i c h e B e t r a c h t u n g e n zu E r z i e h u n g s t h e m e n . E i n m a l w u r d e z u r F r a g e S t e l l u n g g e n o m m e n , „ o b es b e s s e r s e y , m i t K i n d e r n zu vernünfteln, o d e r einen blinden G e h o r s a m von ihnen zu f o r d e r n . " 3 1 Der Verfasser, C a m p e , e n t s c h i e d sich f ü r d e n M i t t e l w e g . , T y p i s c h p h i l a n t h r o p i s c h ' k a n n m a n seine Ä u ß e r u n g e n b e z e i c h n e n , d i e f ü r d i e E l t e r n u n d E r z i e h e r b e s t i m m t w a r e n : „Sagt man den Kindern niemals den Grund der Befehle, die man ihnen giebt, so unterdrückt man die Entwickelung ihrer jungen Vernunft, macht sie sklavisch d e n k e n . " 3 2 Eine F o r m von H o f b e r i c h t e r s t a t t u n g w a r d u r c h g e h e n d v e r t r e t e n , Kaiser, König u n d Fürsten w u r d e n gehuldigt.33 Verständliches Eigeninteresse vertrat die euphor i s c h e S c h i l d e r u n g e i n e s S c h ü l e r s d e s D e s s a u e r P h i l a n t h r o p i n s ü b e r ein F e s t m i t d e r F ü r s t e n f a m i l i e ( F ü r s t L e o p o l d F r i e d r i c h F r a n z v o n A n h a l t D e s s a u h a t t e d i e Er63
richtung des Philanthropins g e f ö r d e r t ) ; 3 4 d o c h hätte m a n mit d e n L o b p r e i s u n g e n u n d Würdigungen etwas b e h u t s a m e r verfahren und dadurch auch glaubwürdiger wirken können. Kritik an der S t a n d e s o r d n u n g fehlte gänzlich, entsprechend der philanthropischen Linie. Die ungerechte G e s e l l s c h a f t s o r d n u n g , bei denen einige privilegiert u n d viele benachteiligt w u r d e n , schien überwunden zu sein — j e d e n f a l l s im Umkreis des Dessauer Instituts: „Es gab eine Zeit, (und an manchen Orten mag diese Zeit noch seyn) wo diejenigen, die durch Geburt oder Stand einen äußerlichen Vorzug vor den übrigen Menschen hatten, sich einbildeten, daß sie auch in der Tat von ihnen unterschieden wären, und daß die geringem Stände der Menschen, welche man mit wenigem Ceremonien begegnet, zu einer niedrigem Klasse von Geschöpfen gehörten, an denen nicht viel gelegen wäre." Gleichzeitig fehlte es allerdings auch nicht an Hinweisen wie , J e höher der Stand, desto schwerer die Pflichten!" 3 6 und „wie gut es für die Menschen sey, daß sie nicht, ohne Obrigkeit, sich selbst überlassen sind."
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Den L e s e r n w u r d e von erbarmenswürdigen Z u s t ä n d e n iri f r e m d e n L ä n d e r n berichtet, z.B. über die Sklavenhaltung beim Z u c k e r a b b a u auf S t . D o m i n g o . „O ihr jungen Freunde, denkt ja, so oft ihr Zucker genießt, an den beweinenswürdigen Zustand derer, durch deren Hände er zuerst gegangen i s t . " 3 8 Unkritisch gab m a n sich dagegen bei einer Geschichte über einen j u n g e n Edelm a n n , der durch die Besichtigung einer Fabrik dazu angeregt wurde, ein Handwerk zu erlernen. Der Adlige w u r d e gelobt; seine A r b e i t s m o t i v a t i o n , daß nämlich in der Fabrik „ K i n d e r , K n a b e n u n d M ä d c h e n , von seinem Alter u n d weit j ü n g e r " schwer arbeiteten, w u r d e nicht hinterfragt oder k o m m e n t i e r t . 3 9 Eine anders tendierte Berichterstattung war allerdings auch nicht zu erwarten gewesen u n d hätte nicht der allgemeinen Linie des damaligen Pressewesens e n t s p r o c h e n . Die K i n d e r z e i t u n g in den .Pädagogischen Unterhandlungen' wird bewertet als: eine Mischung v o n moralischen G e s c h i c h t e n , A n e k d o t e n u n d zeitgeschichtlichen Begebenheiten, begleitet von historischen u n d naturkundlichen Erläuterungen, w o b e i die erzieherische A b s i c h t der Herausgeber in allen Stücken z u m A u s d r u c k k a m . Die moralisch-didaktische N u t z a n w e n d u n g sollte durch direkte A n s p r a c h e der j u n g e n Leser u n d A p p e l l e zum Handeln unterstützt werden. Den der Zeitung p r o g r a m m a t i s c h zugewiesenen F u n k t i o n e n (vgl. o b e n S . 60 f) w u r d e nicht nachgekommen. Inwieweit k o n n t e m a n n u n von d e m ,Probelauf' der Kinderzeitung profitieren, wie war es u m das geplante selbständige P e r i o d i k u m für Kinder u n d J u g e n d liche gestellt? Seit der A u s g a b e des 1. Stücks der .Pädagogischen Unterhandlungen* 1777 hatten sich einige V o r a u s s e t z u n g e n geändert. Als das K o n z e p t der Zeitschrift vorgestellt w u r d e , war die Welt innerhalb des Philanthropins noch in O r d n u n g ; d o c h schon bald traten Ereignisse ein, die auch die U n t e r h a n d l u n g e n ' beeinflußten u n d vermutlich auch für die F o r m der geplanten Kinderzeitung von B e d e u t u n g waren. Die .Unterhandlungen' erschienen bereits nach d e m vierten Stück 1777 nicht mehr in m o n a t l i c h e n Intervallen; im vierten Stück, das nur fünf B o g e n statt wie bisher sieben u m f a ß t e , wurde „ N o t a B e n e " ausgeführt: „Eine unserm Curator Campe zugestoßene aber schon beynahe völlige wieder gehobene Krankheit, ist die Ursache der verringerten Bogenzahl dieses Stücks, und dürfte vielleicht der 64
vielen, diesehalb aufgeschobenen Geschäfte wegen, auch eine Verzögerung des nächstfolgenden Stückes nach sich ziehen; deswegen man in diesem Fall zum voraus um Nachsicht bittet." 40 Die präventive Bitte um Nachsicht war wohlangebracht, denn im J a h r 1777 erschien kein weiteres Stück mehr, was der ,Allgemeinen deutschen Bibliothek' Anlaß zur Besorgnis gab: „Aber seit einigen Monaten (wir schreiben dieß in der Mitte des Decembers 1777) ist gar nichts weiter von dieser lesenswürdigen Schrift erschienen. Sollte ihre Fortsetzung durch einige Begebenheiten unterbrochen oder gar ganz abgebrochen seyn, die das Institut dieses Jahres betroffen hat?" 41 Die angedeuteten Begebenheiten und die im 4. Stück vorgeschobene Krankheit Campes waren Umschreibungen für den Fortgang Campes vom Dessauer Institut im September 1777. Auch 1778 wurden noch Stücke vom Campe in der Kinderzeitung abgedruckt. 4 2 War bis zum 4. Stück 1777 Campe mit dem Redigieren der Zeitung beauftragt, 4 3 so hatte später der Lehrer Regge seinen Platz eingenom44
men. Regge arbeitete bis einschließlich des 8. Stücks der .Pädagogischen Unterhandlungen' an der Kinderzeitung mit. 4 5 Die .Pädagogischen Unterhandlungen' waren durch die .innerbetrieblichen' Querelen und Kompetenzstreitigkeiten am Philanthropin 4 6 aus ihrem monatlichen Erscheinungsrhythmus gebracht worden. Ende des 7. Stücks 1778 — als Herausgeber firmierte nunmehr das .Dessauische Erziehungs=Institut' — wurde bekanntgegeben, daß zukünftig drei Stücke zugleich jedes Quartal geliefert würden. „Zur Ersparung der Geschäfte und Versendungskosten" wie es hieß. 4 7 Bei der kommenden Ostermesse sollten die noch fehlenden Stücke des ersten Jahrganges herauskommen. 4 8 Die geschilderten Umstände, vor allem das Fehlen Campes, werden dazu geführt haben, von dem ursprünglichen Plan einer Jugendzeitschrift in Form einer Zeitung Abstand zu nehmen. Im 12. und letzten Stück 1778 gab man bekannt: „Der Verzug der pädagogischen Unterhandlungen war diesmal unvermeidlich, weil er von Personen und Umständen herrührt, die wir nicht so ganz bestimmen konnten. Für die Zukunft denken wir mehr sichre Maasregeln zu nehmen, um der Erwartung unsrer Leser Genüge zu leisten. Des zweyten Jahrgangs erstes Quartal soll im Julius ausgegeben werden, und wie jedes der drey folgenden, interessante Materien für die Erzieher, für das Publikum und für Zöglinge e n t h a l t e n , d o c h so, daß das, was der. Zöglingen bestimmt ist, aus den vier Quartalen von dem Uebrigen abgesondert und zusammengebunde werden könne, als ein neues, angenehmes u n d nützliches Lesebuch für Kinder und Jünglinge. "49
Das kurz darauf erscheinende .Philanthropische Lesebuch für die Jugend und ihre Freunde' war also kein eigenständiges Periodikum (wie man aufgrund der bibliographischen Erfassung hätte vermuten können), sondern nur ein Teil der .Pädagogischen Unterhandlungen' und nicht getrennt zu beziehen. 5 0 Zunächst existierten 3 Schriften: neben dem .Lesebuch' noch das .Philanthropische Journal für die Erzieher und das Publikum' und die .Pädagogischen Unterhandlungen'. Von den letzteren blieb vermutlich nur noch der Titel übrig, denn erwähnt wurden schließlich nur noch das ,Lesebuch' und das J o u r n a l ' , die sich letztlich doch noch verselbständigt zu haben scheinen, wie folgende Anzeigen aus der .Dessauischen Zeitung für die Jugend und ihre Freunde' von 1783 belegen: „In der künftigen Ostermesse sollen mit dem 2ten Quartale des Philanthropischen Journals zugleich das 2te und 3te Heft des Lesebuchs auf einmal ausgegeben werden." S2 65
Und ein halbes J a h r später: „Das Erziehungsinstitut gibt zu dieser Messe von den pädagogischen Unterhandlungen nur das 3te Stük des Journals für Erzieher heraus. Das 4te Stük von demselben und vom Lesebuch wird um Ostem 1784 den 5ten Jahrgang beschließen."53 Detaillierte Angaben zum .Philanthropischen Lesebuch' können nicht gegeben werden, da es nicht zugänglich war. Beiträge zum Lesebuch lieferten u.a. Christian Heinrich Wolke, du Toit und Basedow als Institutsangehörige; „auch auswärtige Hilfe verschmäht man nicht. Wetzel stellt große Abschnitte seines Robinson zur Verfügung," gibt Marx an. 5 4 Einen guten Überblick über den Inhalt des ,Lesebuchs' gab eine Rezension in der A.d.B., die die Stoffe in sechs Bereiche gliederte: 1) Dramatische Aufsätze (wenig vertreten) ; 2) historische Aufsätze; 3) ascetische Reden; 4) poetische Stücke (häufig anzutreffen); 5) Stücke zur Unterrichtung und 6) pädagogische und moralische Aufsätze (inklusive der Nachrichten aus dem Philanthropin). 5 Von der Idee einer Kinderzeitung hatte man sich nicht trennen können und fügte ,Stücke einer Kinderzeitung' in das Lesebuch ein! 5 6 Mit der Ausgabe des vierten Quartals 1784 wurde das ,Lesebuch' abgeschlossen; es hatte o f t zeitliche Verzögerungen gegeben, zwischen der Ausgabe des dritten Quartals des 5. Jahrganges und dem letzten Stück verging ein ganzes Jahr! Das ,Lesebuch' ist also wegen mangelnder Eigenständigkeit und unregelmäßigem Erscheinen nicht zu den Jugendzeitschriften zu zählen. Die Strategie, die Campe und Basedow 1777 im Auge gehabt hatten, als sie eine Kinderzeitung in die .Pädagogischen Unterhandlungen' aufnahmen und damit kostengünstige und werbewirksame Probestücke einer geplanten Zeitschrift zur Hand hatten, war klug und erfolgversprechend. Daß das Planziel nicht erreicht wurde, lag daran, daß zwar das (Ziel-)Publikum eine kalkulierbare Größe darstellte, aber offensichtlich nicht die Kommunikatoren.
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5. Die Erscheinungsformen der Jugendzeitschrift
Die Jugendzeitschrift des 18. Jahrhunderts entwickelte sich zu einem äußerst heterogenen Zeitschriftentyp. Die Erscheinungsweisen variierten von zweimal wöchentlichem bis zweimonatlichem Erscheinen, die Einzelstücke reichten von einem halben bis zu acht Bogen Umfang, Gestaltungsweisen und Ausstattungen differierten (um nur die wichtigsten äußeren Merkmale zu nennen); unterschiedlich waren auch die jeweiligen Zielpublika und die Inhalte der Zeitschriften, die oftmals von den Herausgeberpersönlichkeiten geprägt worden waren. Mit der Fülle an Kombinationsmöglichkeiten dieser Ausprägungen präsentierte sich die Jugendzeitschrift in einer erstaunlichen Vielfalt, die es zu ordnen galt. Ebensowenig wie es die Typologie des Zeitschriftenwesens gibt, 1 existieren festgeschriebene ,Typologien' von einzelnen Zeitschriftentypen. Daß der Terminus .Typologie' für beide Bereiche angewandt wird, ist bezeichnend für die mangelnde begriffliche Eindeutigkeit auf dem Gebiet der Presseforschung. 2 Dieser Sprachgebrauch wird als problematisch bewertet und nicht übernommen. Die Ansätze für ,Typologien' von bestimmten Zeitschriftengattungen werden — je nach Untersuchungsgegenstand und Erkenntnisinteresse — sehr unterschiedlich angelegt und begründet. Sehr geläufig ist die Differenzierung nach inhaltlichen Schwerpunkten, 3 seltener dagegen ein Vorgehen, wie es Marx für die pädagogische Presse entwickelte, die er nach den theoretischen Grundsatzpositionen der Herausgeber und Verfasser klassifizierte. 4 Die Kriterien für seine ,Typologie der politischen Zeitschrift' wurden von Hubert Max nicht erläutert; 5 ganz ungewöhnlich ging E.-M. Kirschstein vor, die die Familienzeitschrift in die drei Typen: Ober-, Mittel- und Unterschichten (entsprechend den Leserschichten!) einteilte. 6 Für die Jugendzeitschrift der Gegenwart bleibt eine .Typologie' umstritten, einige richten sich nach Trägerschaften, andere nach Inhalten und Fachgebieten oder nach pädagogisch-didaktischen Funktionen aus. 7 Für die Jugendzeitschrift des 18. Jahrhunderts wurden mehrere Gruppierungsmöglichkeiten in Betracht gezogen: 1) Die Aufgliederung nach Zielpublika (Altersstufen oder Geschlechter); 2) nach Zielen und Inhalten (Belehrung, Unterhaltung, Unterrichtung); 3) nach der Tendenz der Zeitschrift entsprechend der Position des Herausgebers (philanthropisch, konfessionell gebunden, religiös). Schieden die beiden ersten Ansätze aus, weil derartige Abgrenzungen und Gewichtungen nur in sehr wenigen Fällen überhaupt angestrebt wurden, so wurde der dritte Ansatz verworfen, da bei vielen Zeitschriften zu wenig Exemplare vorhanden waren, um eindeutig eine Position erkennen zu können. Bei solchen Zeitschriften, die nicht mehr einsehbar waren, war dieses generell unmöglich. Gesucht wurde eine sinnvolle Einteilung, mit der der größte Teil der Jugendzeitschriften erfaßt werden konnte und die gleichzeitig auch klare Abhebungen ermöglichte. Nach der Durchsicht aller zugänglichen Zeitschriften und der Rezensionen bot sich folgende Perspektive an: Die Jugendzeitschrift des 18. Jahrhunderts läßt sich gliedern in die Erscheinungsformen: Wochenblatt, Zeitung und Monatsschrift. 67
J e d e dieser Erscheinungsformen ist idealiter gekennzeichnet durch b e s t i m m t e Ausprägungen von vier Merkmalen: 1) 2) 3) 4)
Titelkennwort u n d / o d e r Apposition, Erscheinungsweise u n d Stückumfang, Erscheinungsbild u n d A u f m a c h u n g , ,Selbstverständnis'.
Die Termini Wochenblatt, Zeitung u n d Monatsschrift sind also nicht identisch mit einer Einteilung nach der Dichte der Periodizität, die als „rein äußerlich u n d l ü c k e n h a f t " abqualifiziert w u r d e . 8 Z u d e m wurde bereits darauf hingewiesen, daß Wochenblätter auch zweimal in der Woche erscheinen k ö n n e n (wie das .Leipziger Wochenblatt für Kinder') u n d Monatsschriften zweimonatlich (wie die .Monatsschrift für Kinder u n d ihre Freunde'). Für das gesamte Zeitschriftenwesen des 18. J a h r h u n d e r t s wurde festgestellt: „Die Bezeichnungen Monatsschrift, Wochenschrift oder -blatt sind im Laufe der Zeitschriftenentwicklung des 18. J a h r h u n d e r t s zu feststehenden Begriffen für ganz bestimmte Zeitschriftentypen geworden, so die Monatsschrift für wissenschaftliche Veröffentlichungen, die Bezeichnung Wochenschrift hauptsächlich für moralkritische Blätter u n d Unterhaltungsschriften". 9 Im übertragenen Sinne u n d anderen inhaltlichen Kennzeichnungen gilt Ähnliches auch für die ,Typen' der Jugendzeitschrift. Als Titelkennwort von Zeitschriften war die ,Zeitung' gegen Ende des 18. J a h r h u n d e r t s sehr gebräuchlich, dadurch sollte das .Nachrichtenmäßige' des Inhalts b e t o n t werden. 1 Auch G r o t h wies darauf hin, daß Zeitschriften, die sich im Titel .Zeitung' nennen, sich durch ein höheres Maß an Aktualität abheben wollen. 1 1 Daß es zwar ungewöhnlich, d e n n o c h aber sinnvoll u n d legitim ist, .Zeitungen' als Erscheinungsform eines Zeitschriftentyps zu kennzeichnen, zeigten u.a. auch die Rezensionen der A.d.B.. Als die .Deutsche Zeitung für die J u g e n d u n d ihre Freunde' rezensiert wurde, hob die A.d.B. hervor: „Zeitungen liegen sonst außer dem Gesichtskreis der A.d.B.. Blätter aber, die mit gewöhnlichen Zeitungen weiter nichts als den Titel und die Folge von Nachrichten aus verschiedenen Orten, gemein haben, und blos diese Überschrift führen, um desto leichter gewisse Kenntnisse, Grundsätze und Nachrichten unter eine Classe von Lesern zu bringen, für die sie bestimmt sind, verdienen doch wohl darin eine Erwähnung." 12 (Zuvor h a t t e man bereits die ,Kinderzeitung' u n d ihren Anspruch, eine Zeitung darzustellen, kritisch analysiert. 1 3 ) Bei einer weiteren Rezension der .Deutschen Zeitung' w u r d e ihr ein „immer höhern Rang u n t e r unsern deutschen Z e i t s c h r i f t e n " zugesprochen. 1 4 Konstitutives Merkmal für die Bestimmung einer Erscheinungsform ist jenes, das mit ,Selbstverständnis' bezeichnet wird. Fehlten entsprechende Aussagen u n d Bewertungen der K o m m u n i k a t o r e n , so w u r d e n Rezensentenmeinungen herangezogen. Das .Wochenblatt für die Schulen' beispielsweise war vom Titelkennwort, von Erscheinungsweise u n d Stückumfang eher den Wochenblättern zuzuordnen. Der Herausgeber, T r a p p , sprach innerhalb des .Wochenblatts' j e d o c h von „dieser Zeit u n g " , 1 3 u n d es ist zweifelsohne als Zeitung (innerhalb der Jugendzeitschriften) zu klassifizieren. Christian Felix Weiße u n d seine Zeitgenossen sahen im .Kinderf r e u n d ' ein Wochenblatt, obwohl von ihm kurze Zeit nach seiner Gründung nur alle Vierteljahre ein Bändchen erschienen ist. 1 6 Die Apposition „ein Wochenb l a t t " blieb auf den Titelblättern. 68
5.1.
Wochenblatt
Unter allen Erscheinungen der periodischen Presse des 18. Jahrhunderts hatte das Wochenblatt eine besondere Bedeutung, mit dem Begriff Wochenblatt oder Wochenschrift wurde das Aufblühen des Zeitschriftenwesens verknüpft. 1 7 Im ,.prägnanten S i n n e " 1 8 galt der Begriff den moralischen Wochenschriften der Frühaufklärung, bei ihrem Niedergang und weitergehender Differenzierung des Zeitschriftenwesens blieb das Wochenblatt als Kennzeichnung eines ganz bestimmten Zeitschriftentyps bestehen. Durch seine ursprünglich enge Verwandtschaft zu den moralischen Blättern hatte das Wochenblatt immer schon mittels Titel oder Apposition seinen Inhalt zu charakterisieren versucht. Anders als z.B. bei der Monatsschrift verband man mit dem Terminus Wochenblatt ganz bestimmte Erwartungen und Erfahrungen. Wochenblätter für Kinder und Jugendliche konnte man — zumindest was die Form anging — in Beziehung setzen zu und vergleichen mit den bisher bekannten Wochenblättern. Bei der Rezension der .Lehrreichen Nebenstunden' setzte sich der Rezensent mit der Bedeutung der Wochenblätter im Kommunikationsgefüge der damaligen Zeit und ihrem neueren Einsatz für das jugendliche Publikum in geradezu beispielhafter Weise auseinander: „Wochenblätter sind allerdings vielmahls das glückliche Mittel gewesen, moralische Grundsätze, Aufklärung und niizliche Kenntnisse unter einer Classe von Lesem zu verbreiten, denen man durch Schriften anderer Art weniger beykommen kann; sie haben überdem den Nutzen, daß sie Ekel und Widerwillen für eine anhaltende Leetüre verhüten, und durch Kürze und Neuheit zum Lesen reizen. ... Auch dasjenige, was man der lesenden Jugend, es sey zur Bildung ihres Herzens, oder zur Erweiterung ihrer Kenntnisse, in die Hände zu geben wünscht, in wöchentlich ausgehende Bogen zu zerschneiden, ist um so viel mehr zu billigen, weil junge Leute sich mehr vor einem Buch als einem einzelnen Bogen fürchten: auch haben bereits bewährte pädagogische Schriftsteller diese Lehrart mit Beyfall versucht." 19 Insgesamt zehn Jugendzeitschriften tragen die Bezeichnung Wochenblatt im Titel (sechs) oder als Apposition und Nebentitel (vier). Daß der .Kinderfreund', die berühmteste Jugendzeitschrift der Zeit, nicht auf die Apposition Wochenblatt verzichtete, sah B. Hurrelmann als Indiz dafür, daß die Bekanntgabe der Erscheinungsweise eine untergeordnete Rolle spielte, die Bezeichnung Wochenblatt „signalisiert die Wahl einer dem erwachsenen Publikum des 18. Jahrhunderts bekannten Gattung, die in ihrem Inhalt und ihrer Darbietungsweise bereits eine feste Tradition entwickelt h a t t e . " 2 0 Einmal kam bei den Jugendzeitschriften eine traditionsreiche Wortverbindung vor: .Moralisches Wochenblatt' nannte Timotheus Kühl sein Blatt (über das keine weiteren Informationen zu ermitteln waren), nachdem bereits seine erste Jugendzeitschrift das Attribut .moralisch' im Titel führte (.Moralische Erzählungen für die Jugend'). Bei den Wochenblättern war man bezüglich der Titelgebung um Originalität nicht bemüht. Man begnügte sich mit der Angabe der Zielgruppe: für Kinder oder für die Jugend, einmal machte die Zielgruppenbestimmung den Gesamttitel aus, „An die J u g e n d " hieß eine Zeitschrift. Verbindlich waren diese Angaben o f t nicht, im Inhalt war eine andere zu finden. 2 1 Häufig wurden Erscheinungsort oder regionale Eingebundenheit in die Titelgebung eingebracht, z.B. das .Leipziger' und das .Hamburgische Wochenblatt für Kinder', das .Niedersächsische Wochenblatt' und das für die .österreichische J u gend' sowie die oberrheinischen und oberösterreichischen Unterhaltungen. .Unterhaltungen' waren als Titelworte sehr beliebt; 2 2 die .Nebenstunden' im Zeitschriftenwesen als Kennzeichnung von Mußestunden und Stunden der Ent69
Spannung b e k a n n t , " wurden bei den Zeitschriften für die Jugend mit dem Zusatz .lehrreich' verknüpft: .Lehrreiche Nebenstunden. Eine Wochenschrift für die Jugend beyderley Geschlechts.'. Der .Kinderfreund' Weißes wurde (neben Rochows Lesebuch 2 4 ) prägend für die ganze Epoche und im Titel von weiteren Jugendzeitschriften verwandt, z.B. ,der sanftmüthig lehrende Kinderfreund'. Im 19. und auch noch im gegenwärtigen Jahrhundert erschien der Begriff Kinderfreund im Titel von Jugendzeitschriften, darunter auch von solchen, die durchaus keine .konservativen' Ambitionen hatten. 2 5 In der Regel erschienen von den Wochenblättern ein- bis zweimal wöchentlich ein Stück von einem halben oder einem Bogen 8 Umfang, wobei das Höchstaber auch Durchschnittsmaß ein Bogen pro Woche war. Lediglich das .Hamburgische Wochenblatt', die .wöchentlichen Unterhaltungen für Jünglinge und Mädchen' und der .sanftmüthig lehrende Kinderfreund' brachten nur ein Wochenstück von einem halben Bogen heraus. Die Wochenstücke dieser drei Zeitschriften wurden daher auch in Halbjahresbänden zusammengefaßt, während die übrigen als Quartalsbände gebunden wurden, einem Modus entsprechend, den der Herausgeber des .Mädchens', das wöchentlich à einem halben Bogen erschien, nach Abschluß des 24. Stücks so beschreibt: „Zählen Sie einmal unbeschwert Ihre Blätter, wenn Sie sie richtig abgeholet und keines verleget haben; so müssen Sie nothwendig 24 halbe und 12 ganze Bogen heraus bringen, und das 26 ist nach den ordinairen Wochenblätter Maasstabe netto ein Band." (Hervorhebung A.U.) Die Einzelstücke der Wochenblätter waren bis auf eine Ausnahme 2 7 datiert und numeriert, die einzelnen Beiträge wurden mit inhaltsbezogenen Überschriften versehen, nur bei dem ,Kinderfreund' war noch die .traktatähnliche' Form der moralischen Wochenschriften vorzufinden. 2 8 Der durchschnittliche Bogenpreis betrug einen Groschen, die .Moralischen Erzählungen' waren mit einem Bogenpreis von knapp über 1/2 Groschen die billigste, bei dem .Wochenblatt für die österreichische Jugend' kostete der Jahrgang 2t 16gr und übertraf den Bogenpreis von einem Groschen um knapp drei Pfennig. Den Viertel- oder Halbjahresbänden wurden Titelblätter mit Kupferbildchen und Inhaltsverzeichnisse beigegeben, Register — wie bei den Zeitungen — fehlten gänzlich. Auf Anmerkungen wurden in den meisten Fällen verzichtet. Einige Wochenblätter waren mit zusätzlichen Kupfern oder Notenblättern ausgestattet. 2 9 Leider waren mehr als die Hälfte der als Wochenblatt klassifizierten Jugendzeitschriften nicht mehr nachweisbar oder zugänglich. Zu einigen gab es außer spärlichen bibliographischen Nachweisen keinerlei Informationen, zu den übrigen lagen Rezensionen und/oder Sekundärliteratur vor. Ob eine Zeitschrift wöchentlich erschienen ist, ließ sich nicht immer bestimmen, da die .Einsicht' fehlte; dafür, daß außer dem ,Kinderfreund' weitere Zeitschriften das ,Wochenblatt' als Aushängeschild benutzten und vierteljährlich herauskamen, gibt es keine konkreten Beweise, ein derartiger Verdacht besteht bei dem .Neuen Wochenblatt für Kinder und Kinderfreunde', er konnte allerdings weder bewiesen noch widerlegt werden.
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5.2.
Zeitung
Die ersten selbständigen Zeitungen für Kinder und Jugendliche erschienen Ende der siebziger Jahre, als sich die Jugendzeitschrift in ihrer Erscheinungsform des Wochenblatts bereits etabliert hatte. Erst nachdem die Jugend mit den periodischen Schriften vertraut gemacht worden war und man .Versuche' mit Proben von Kinderzeitungen angestellt hatte, 3 1 konnte es sinnvoll sein, diese Erscheinungsform auf den Markt zu bringen. Wahrscheinlich entstand die konkrete Idee, Zeitschriften in Zeitungsform zu produzieren, erst dann, als Klagen über steigende Quantität und mangelnde Qualität der Periodika Herausgeber und Verleger über neue alternative Formen nachsinnen ließ. Allerdings hatte man sich jedoch schon viel früher Gedanken darüber gemacht, ob und wie Kinder und Jugendliche .gewöhnliche' Zeitungen rezipieren sollten. Das, was heute als Errungenschaften moderner Forschung und Lehre vom Pädagogik und Kommunikationswissenschaften erscheint, der Einsatz von Medien im Unterricht, Medienpädagogik und -didaktik sind keineswegs so neu, was folgender .Exkurs' aufzeigen soll. Es ist in der Tat erstaunlich, daß lange bevor Erziehungs- und Bildungsreformen einsetzten und man sich erstmals mit geeigneter Lektüre und Lehrmitteln für diese Gruppe zu beschäftigen begann, bekannte Journalisten, Pädagogen und Zeitungskundler des 17. Jahrhunderts sich mit dem Nutzen von Zeitungen für die Jugend auseinandersetzten. 3 2 Im Jahre 1669 warb der Journalist Georg Greilinger (um 1620—77) für den Einsatz seines .Nordischen Mercurius' als Lehrmittel für die Jugend. Er gab bekannt, daß er hundert Exemplare seiner Zeitung von den früheren Jahrgängen hat mehr drucken lassen, die nun zu einem niedrigen Preis an solche Schulmeister abgegeben werden sollten, die den Kindern neben den damals einzig gebräuchlichen religiösen Büchern auch Lektürestoff anbieten wollten, „um der Welt Zustand/wie auch der Länder/Flüsse und Städte Nahmen darauß bekannt zu m a c h e n " . 3 3 Die Zeitungslektiire sollte nicht der Information über außergewöhnliche Ereignisse dienen, sondern primär Grundkenntnisse allgemeiner Natur vermitteln. In seiner 1676 erschienenen Schrift ,Schediasma curiosum de lectione novellarum' verteidigte Christian Weise (1642—1708), Pädagoge, Theologe und Dichter, die Zeitungen gegen die zahlreichen Angriffe wegen der Verbreitung der Lektür e . 3 4 Ausführlich legte Weise hier Vorteile und Nutzen dar, die der Jugend durch das Zeitungslesen entstünden. Weil man alles, was in der Politik wissenswert sei, aus den Zeitungen erfahre, sei es wünschenswert, daß auch die Jugend sie läsen und darüber mit ihren Altersgenossen diskutierten. 3 5 „Ob Knaben und Mägdlein auch Zeitungen kaufen/lesen und sich damittragen sollen? scheinet fast eine Magistralische Frage zu seyn", stellte Kaspar von Stieler ( 1 6 3 2 - 1 7 0 7 ) in seinem Buch über Zeitungslust und -Nutz (1695) fest. 3 6 Er gab weiter zu bedenken: „Denn was wäre ihm wohl die Zeitung Nütze/da ihnen weder die Personen/noch Oerter/noch einige Welthändel bekant s e y n ? " 3 7 Stielers Einwand war zutreffend. Diese Argumentation führten fast ein Jahrhundert später Böckh, Trapp und Becker ins Feld — als sie Zeitungen für die J u gend vorstellten, die Rücksicht auf dieses Lesealter nahmen und notwendige Erklärungen und Anmerkungen enthielten. Daß Kaspar von Stieler diese Lösungsmöglichkeit nicht erwähnt und vermutlich auch gar nicht in Betracht gezogen hatte, kann nicht verwundern; zu einer Zeit, da es weder Literatur noch Periodika 71
für die Jugend gab, wäre eine solche Idee utopisch gewesen und über die Vorstellungskraft der .Pioniere' hinausgegangen! Im Zuge der Reformbestrebungen des Schulwesens im 18. Jahrhundert setzten sich Pädagogen für die Verwendung der Zeitung ein, ihre Vorschläge fanden jedoch weitaus mehr Resonanz und wurden, wenn auch nur begrenzt, realisiert. Wohl bedenkend, daß es mit der Bildung der Schulmeister selbst nicht zum Besten gestellt war, schlug Friedrich Hähn 1 7 6 0 vor: „Es ist einem Schulmeister aus verschiednen Ursachen sehr vortheilhaftig, wenn er die Zeitungen mit Verstand, flüssig, ohne Anstoß und langes Besinnen kan lesen: daher er wohl thun wird, wenn er sich dergleichen Zeitungs-Blätter aufsuchet, für sich selbst ein solches Blatt zwei, dreymal durchlieset, und es endlich in der Schule den Kindern vorlieset, sie aber auch nachlesen lasse." 38 In einigen Fällen avancierte die Zeitung tatsächlich zum Hilfsmittel im Unterricht der höheren Schulen, an den Universitäten wurden ,Zeitungs-Collegii' gehalten. 3 9 Die Philanthropen zeigten sich auch in dieser Beziehung besonders fortschrittlich: sie empfahlen die Einrichtung einer ,Zeitungsstunde', die am Philanthropin auch durchgeführt, dann eingestellt und später von Trapp wieder eingeführt wurde. 4 0 Trapp propagierte das Zeitungslesen und so war es nur ein logisch-konsequenter Schritt, daß er ein eigenes Blatt herausgab: Das ,Wochenblat für die Schulen', in dem er seine Vorstellungen realisieren konnte. Im J a h r darauf entschloß sich sein philanthropischer Mitstreiter und Volksaufklärer Rudolf Zacharias Becker ebenfalls, eine Zeitung für die Jugend herauszugeben, er hatte in dieser Form das geeignete Mittel zur Bildung und Aufklärung der Jugend gefunden. Welche Vorbehalte gegenüber den Zeitungen bestanden, veranschaulicht das Rätsel, das der ,Kinderfreund' seinen jungen Lesern aufgab: „Viel Neues sag' ich dir, denn diefi ist meine Pflicht; Viel Wahres? Ja, das weiß ich öfters selber nicht." 41 Die Zeitungen für die Jugend sind eindeutig zu den Jugendzeitschriften zu zählen, nicht zu den normalen, gewöhnlichen Zeitungen. Die Jugendzeitungen haben sich selbst gegenüber den normalen Zeitungen abgegrenzt und sich nie als Konkurrenz dazu aufgefaßt, wie die Darstellung der Einzeltitel aufzeigen wird. Zuvor soll jedoch kurz die Zeitung des 18. Jahrhunderts beschrieben werden, um eine Vergleichsbasis zu bekommen für die Jugendzeitungen; um darzulegen, worin die Unterschiede lagen und was sie von dem publizistischen Mittel Zeitung übernommen haben. Die Zeitungen (für Erwachsene!) erschienen in der Regel drei- bis viermal in der Woche, zwar gab es bereits 1718 eine täglich außer samstags erscheinende Zeitung, doch setzte sich das tägliche Erscheinen erst nach der Französischen Revolution durch. 4 2 Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts war das Quartformat gebräuchlich. 4 3 Der Zeitungskopf war ausgeprägter geworden, doch eine individuelle Titelgebung setzte sich erst im 19. Jahrhundert durch. 4 4 Einen Umbruch im heutigen Sinne gab es nicht, Zweispaltigkeit war die Regel. 4 5 Bei der Stoffunterteilung begnügte man sich mit der Angabe des Ortes (Berlin vom ...). 4 6 Rubriken waren selten, Schlagzeilen oder große Überschriften fehlten. Auch wichtige Nachrichten wurden 72
weder hervorgehoben noch an erster Stelle piaziert. Groth zeigte dies am Beispiel der Berichterstattung über den Tod Friedrich II. (17.8.1786), die in den meisten Zeitungen nur wenige Zeilen umfaßte und auf Kommentare und ausführliche Würdigungen verzichtete. 4 7 Die Quellen der Zeitungen waren Nachrichtendienste und eigene Korrespondenten, häufig druckten die Zeitungen auch voneinander ab. 4 8 Bis in die letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts hinein besaßen die Zeitungen einen ausgeprägten Nachrichtencharakter, auf ,Raisonnements' wurde verzichtet. 4 9 Lokalberichterstattung wurde lange Zeit nicht als Aufgabe für Zeitungen eingeschätzt. 50 Wie sahen nun die Zeitungen für die Jugend aus? Sie erschienen einmal wöchentlich in Stücken von einem Bogen oder zweimal in der Woche à einem halben Bogen, überwiegend im Oktav-Format. Ausnahmen bildeten die ,Dessauische' und die .Deutsche Zeitung für die Jugend', die im Querformat und zudem noch zweispaltig erschienen. Der Bogenpreis lag durchschnittlich knapp unter einem Groschen, billigste Zeitung war das .Wochenblat für die Schulen' mit einem Stück- und Bogenpreis von einem halben Groschen. Die meisten Zeitungen wurden in Quartalsbänden zusammengefaßt, bei der Jugendzeitung' gab es Monatshefte. Bei den drei Jugendzeitungen, wo die Umschlagseiten noch erhalten waren, dienten sie u.a. für Bücherankündigungen. Als besonderes Merkmal der Jugendzeitungen sind die Beilagen zu nennen, die zu drei Zeitungen ausgegeben wurden. Bei der Wesel'schen Jugendzeitung' gehörte die Beilage zum festen Programm, nach Ablauf der Pränumerationszeit konnte man die Zeitung nur zusammen mit ihr kaufen. Anders verfuhr man bei der .Deutschen Zeitung', wo die Beilagen in unregelmäßiger Folge und schwankendem Umfang unentgeltlich herausgebracht wurden. Die Augsburger .Chronik' schließlich gab zwei Jahre monatlich eine Beilage mit Leserbriefen und entsprechenden Antworten des Herausgebers aus, die gesondert zu bestellen und zu bezahlen war. Individuelle, originelle Titel waren auch bei dieser Erscheinungsform der Jugendzeitung nicht anzutreffen. Gleich zwei Zeitungen nannten sich .Jugendzeitung', einige andere fügten im Titel noch den Erscheinungsort hinzu (z.B. .Prager Kinderzeitung' und .Braunschweigische Jugendzeitung').
5.3.
Monatsschrift
Von dem ersten Versuch, der .Monatsschrift für Kinder' im Jahre 1770 abgesehen, entstanden die Monatsschriften für die Jugend in den achtziger Jahren und setzten sich als Erscheinungsform des neuen Kommunikationsmittels Jugendzeitschrift erst an dritter und damit letzter Stelle durch. Im Zeitschriftenwesen der damaligen Zeit hatte die Bezeichnung Monatsschrift viel später als Wochenblatt und Zeitung einen festen Platz eingenommen, erst ab 1760. 5 1 Somit traf für den Bereich der Jugendzeitschriften genau die Beobachtung zu, die für den Gesamtbereich der Zeitschriften dieser Zeit gemacht wurde: „Als die ersten Monatsschriften erschienen, war die Beschaffung von periodischer Lektüre dem Leser der Moralischen Wochenschrift zur Gewohnheit geworden, so daß er bereit war, etwas mehr für eine neue Zeitschrift zu bezahlen". Im Gegensatz zum Wochenblatt war die Monatsschrift im Titel von wissenschaftlichen Zeitschriften anzutreffen. 5 3 Oft wurde er mit Journal gleichgesetzt, was auch für die Jugendzeitschriften zutraf. 73
Die Monatsschrift ,Hebe' bezeichnete sich selbst als J o u r n a l 5 4 und wurde als J o u r n a l für die Jugend' annonciert. 5 5 Von der ,Bibliothek' wurde in einer Rezension als einem Journal gesprochen. 5 6 Setzt man Journal synonym mit Monatsschrift, so unterschied man bereits im 18. Jahrhundert die drei Erscheinungsformen, wie sie hier für die Jugendzeitschrift entwickelt worden sind: Die .Deutsche Zeitung' sprach in bezug auf die Presse der damaligen Zeit von „Zeitungen, Wochenblätter und Journalen". 5 Die Titel der Monatsschriften hoben sich deutlich von denen der anderen Erscheinungsformen ab: Man zeigte sich hier individueller, anspruchsvoller. Es gab eine ,YJmátrakademie' und eine Jugendphilosophie'; mit der Bibliothek für Jünglinge und Mädchen' und dem Museum für Kinder' waren zwei sehr beliebte Zeitschriftentitelworte des 18. Jahrhunderts vertreten. 5 8 Die Monatsschrift ,Hebe' gilt als eines der frühesten Beispiele für eine klassisch-mythologische Titelgebung, wie sie später in Klassik und Romantik üblich wurde. 9 Als Titelkennwort kam Monatsschrift zweimal vor (.Monatsschrift für Kinder', .Monatsschrift für Kinder und ihre Freunde'), als Apposition bei der .Kinderakademie', der .Bibliothek' und dem .Neuen Kinderfreund'. Die Monatsschriften umfaßten durchschnittlich zwei bis acht Bogen 8 und erschienen monatlich bis zweimonatlich. Diese Erscheinungsintervalle bewegten sich im Rahmen dessen, was J . Wilke in seiner Untersuchung der literarischen Zeitschriften des 18. Jahrhunderts als „eine(r) dem eigentlichen Mediencharakter angemessenein), .natürliche' Periodizität" verstanden wissen wollte. 6 0 Zu den Einzelstücken der Monatsschriften wurden jeweils Titelblätter ausgegeben (außer bei der .Kinderakademie'), bei einigen gab es Inhaltsverzeichnisse und farbige Umschläge pro Monatsstück. 6 1 Joachim Heinrich Campe bezeichnete die J o u r n a l e ' einmal als „Büchlein mit gefärbtem Umschlage". 6 2 Dadurch erhielten die einzelnen Zeitschriftenstücke einen Heftcharakter und vermittelten auch äußerlich den Eindruck eines in sich abgerundeten Stückes. Ein Eindruck, der auch im Inhalt angestrebt wurde, obwohl auf Fortsetzungsbeiträge nicht verzichtet wurde. Den Ausdruck .Heft' verwandten einige Zeitschriften für ihre Monatsausgaben (.Bibliothek', Jugendphilosophie' und ,Ν euer Kinderfreund'). Die Monatsschriften verzichteten auf exakte Datumsangaben und druckten lediglich die Monatsnamen. Sie wurden als Quartals-, Halbjahres- oder Jahresband gebunden.
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