Zu den Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen nach der Föderalismusreform [1 ed.] 9783428531493, 9783428131495

Die im Jahr 2006 unter großen politischen Anstrengungen verabschiedete Föderalismusreform ist seither Gegenstand eines r

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German Pages 372 Year 2009

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Zu den Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen nach der Föderalismusreform [1 ed.]
 9783428531493, 9783428131495

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1144

Zu den Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen nach der Föderalismusreform Von Katrin Gerstenberg

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

KATRIN GERSTENBERG

Zu den Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen nach der Föderalismusreform

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1144

Zu den Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen nach der Föderalismusreform

Von Katrin Gerstenberg

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat diese Arbeit im Jahre 2009 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Werksatz, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-13149-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde an der juristischen Fakultät der Albert-LudwigsUniversität Freiburg im Januar 2009 als Dissertation angenommen. Zunächst bedanke ich mich ganz herzlich bei meinem Doktorvater Professor Dr. Thomas Würtenberger, vor allem für seine jederzeitige Hilfsbereitschaft und für die wissenschaftlichen Freiräume, die er mir gewährte. Professor Dr. Rainer Wahl danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Die darin enthaltenen wertvollen Anregungen habe ich in meiner letzten Überarbeitung zu berücksichtigen versucht. Für die beträchtliche Mühe des Korrekturlesens und für viele hilfreiche Anmerkungen bin ich in erster Linie meinem Lebensgefährten Heiner Römhild und meiner Mutter Margot Schubert-Gerstenberg, daneben auch Barbara Seeling und Hans-Georg Römhild zu großem Dank verpflichtet. Meinen Kolleginnen am Lehrstuhl Professor Dr. Thomas Würtenberger möchte ich für die schöne gemeinsame Zeit danken, Anicee Abbühl insbesondere dafür, dass sie mir bei Fragen der internationalen Terrorismusbekämpfung stets mit Rat beiseite stand. Schließlich danke ich dem deutschen Bundesrat für die schnelle und unbürokratische Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses. Mein ganz besonderer Dank gilt nicht zuletzt all denjenigen, die mich über die Dissertation hinaus auf meinem Lebensweg begleiten und unterstützen: meiner Familie und meinen Freunden. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Hamburg, im Mai 2009

Katrin Gerstenberg

Inhaltsverzeichnis Einführung

17

Erster Abschnitt Gegenstand der Untersuchung A. Klärung der Begrifflichkeiten – Föderalismus / Bundesstaat . . . . . . . . . . . . . . . B. Synonyme Verwendung der Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17 19 21

Zweiter Abschnitt Ziel der Untersuchung

21

Dritter Abschnitt Gang der Untersuchung

22

Erstes Kapitel Der Weg zur Föderalismusreform

24

Erster Abschnitt Grundgesetzliche Verankerung des Bundesstaatsprinzips A. Hintergründe für die Schaffung eines Bundesstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Beratungsverlauf und Ausgestaltung der bundesstaatlichen Ordnung . . . . . . . . I. Herrenchiemseer Verfassungskonvent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Parlamentarischer Rat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bundesrat oder Senat? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verteilung der Verwaltungskompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Charakterisierung des grundgesetzlichen Bundesstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24 25 28 29 33 35 39 43 44

8

Inhaltsverzeichnis Zweiter Abschnitt Geschichtliche Entwicklung des Föderalismus in der Bundesrepublik

A. Entwicklung zum unitarischen Bundesstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bedeutungszuwachs des Bundes bei den Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Selbstkoordinierung von Bund und Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Stellung des Bundesrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Hintergründe für die Unitarisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Im Besonderen: Der „kooperative“ Bundesstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Wahrung des Status quo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Enquete-Kommission Verfassungsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorschläge für den Bereich der Gesetzgebungskompetenzen . . . . . . 2. Vorschläge für den Bereich der Verwaltungskompetenzen . . . . . . . . II. Stillstand in der verfassungsrechtlichen Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . D. Ansätze einer Reföderalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kommission Verfassungsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gemeinsame Verfassungskommission des Bundestages und Bundesrates III. Die Verfassungsreform von 1994 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51 52 53 61 62 69 72 72 74 75 76 78 79 81 83 85 88

Dritter Abschnitt Gründe für die Föderalismusreform A. Verfassungsrechtliche Reformgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Beeinträchtigung des Bundesstaatsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. „Gliederung des Bundes in Länder“ – Annäherung unter dem Blickwinkel einer funktionellen Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Funktionen der bundesstaatlichen Ordnung für das Demokratieund Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Funktionen der bundesstaatlichen Ordnung für die Funktionsfähigkeit des politisch-administrativen Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bedenken gegen eine funktionelle Herangehensweise . . . . . . . . . 2. „Gliederung des Bundes in Länder“ – Annäherung unter dem Blickwinkel einer institutionellen Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bedeutung für die verfassungsrechtliche Entwicklung der bundesstaatlichen Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beeinträchtigung des Demokratieprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. „Entparlamentarisierung“ und Verunklarung politischer Verantwortlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90 90 91 94 95 98 100 102 105 108 108

Inhaltsverzeichnis 2. Verfassungsrechtliche Bewertung anhand des Demokratieprinzips . . a) Funktionsverlust der Parlamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zuordnung politischer Verantwortlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bundesstaats- und Demokratieprinzip als Optimierungsgebote? . . . . . . . B. Realpolitische Reformgründe des verfassungsändernden Gesetzgebers . . . . . . I. Eingeschränkte Handlungsfähigkeit des Bundes und der Länder . . . . . . II. Fehlende Europatauglichkeit des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung zu Art. 72 Abs. 2 GG und Art. 75 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Altenpflege-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kampfhunde-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ladenschluss-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Juniorprofessur-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Studiengebühren-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Auswirkungen auf das bundesstaatliche Kräfteverhältnis zwischen Bund und Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9 111 111 114 116 117 120 121 122 123 125 125 126 128 129

Vierter Abschnitt Die Föderalismusreform A. Initiativen im Vorfeld der Föderalismuskommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausgangsposition der Länder – Leitlinien der Ministerpräsidenten . . . . II. Antwort der Bundesregierung – Position des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung . . . . . . I. Einsetzung der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zusammensetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verfahrensablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zusammenfassung der Ergebnisse: Vorschlag der Vorsitzenden vom 13. Dezember 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zu den Gesetzgebungskompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zu den Verwaltungskompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Fortgang nach dem Scheitern der Föderalismuskommission . . . . . . . . . . C. Aufnahme des Reformvorhabens in den Koalitionsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . D. Ausarbeitung des Gesetzentwurfes zur Änderung des Grundgesetzes . . . . . . . E. Verabschiedung der Föderalismusreform durch Bundestag und Bundesrat . . .

131 131 135 136 138 139 141 144 145 150 151 154 154 156 159 160

10

Inhaltsverzeichnis Zweites Kapitel Ziele der Föderalismusreform

162

Erster Abschnitt Ziele nach der Gesetzesbegründung

162

A. Oberziel – Ausbalancierung zwischen Solidarität und Kooperation auf der einen und Wettbewerb auf der anderen Seite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 I.

Schaffung klarer Verantwortlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168

II.

Stärkung der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit von Bund und Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170

B. Oberziel – Erhöhung der Europatauglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Zweiter Abschnitt Weitere Zielsetzungen des verfassungsändernden Gesetzgebers

171

Drittes Kapitel Die Verfassungsänderungen im Bereich der Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen

173

Erster Abschnitt Zu den Gesetzgebungskompetenzen

174

A. Die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 I.

Erweiterung des Gesetzgebungskatalogs, Art. 73 GG . . . . . . . . . . . . . . . 177 1. Überführung aus der Rahmengesetzgebung: Schutz deutschen Kulturgutes (Art. 75 Abs. 1 Nr. 6 GG) sowie das Melde- und Ausweiswesen (Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 2. Überführung aus der konkurrierenden Gesetzgebung: Waffen- und Sprengstoffrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 4a GG), Versorgung und Fürsorge für Kriegsbetroffene (Art. 74 Abs. 1 Nr. 10 GG) sowie das Atomrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11a GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 3. Neuer Kompetenztitel – Präventivbefugnisse für das Bundeskriminalamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 a) Der Weg des Zustandekommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 b) Auslegung des Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184

II.

Übergangsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187

B. Die ausschließliche Gesetzgebung der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 I.

Kompetenzänderungen zugunsten der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

Inhaltsverzeichnis 1. Übertragung aus der Rahmengesetzgebung: Teile des Hochschulwesens (Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a GG) sowie das Pressewesen (Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Übertragung aus der Rahmen- und konkurrierenden Gesetzgebung: Teile des öffentlichen Dienstrechtes (Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GG) und das Besoldungs- und Versorgungsrecht (Art. 74a GG) . . . . . . . . a) Beratungsverlauf in der Föderalismuskommission . . . . . . . . . . . . b) Auslegung der Statusrechte und -pflichten in Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Übertragung aus der konkurrierenden Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . a) Straf- und Untersuchungshaftvollzug (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) . b) Versammlungsrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG) . . . . . . . . . . . . . . . c) Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm (Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG) d) Kompetenzen mit regionalem Bezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Heimrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Recht des Ladenschlusses, der Gaststätten, der Spielhallen, der Schaustellung von Personen, der Messen, der Ausstellungen und der Märkte (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) . . . . . . . . . . . . . . cc) Gesetzgebungsmaterien aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG . . . . . . II. Übergangsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beibehaltung des Status quo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regionale Arbeitsmarktpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Krankenhausfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bodenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Notariat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Konkurrierende Gesetzgebung, Art. 72 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Erforderlichkeitsgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anforderungen des Art. 72 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsfolge – Sperrwirkung der Bundesgesetzgebung . . . . . . . . . . . . a) Voraussetzungen der Sperrwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Umfang der Sperrwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wegfall der Erforderlichkeit, Art. 72 Abs. 4 GG und 125a Abs. 2 GG a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tatbestandliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Dreifache Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Im Besonderen: Freigabeermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Auswirkungen der Ermessensentscheidung des Bundes . . . . d) Einordnung des Art. 93 Abs. 2 GG in das System bundesverfassungsgerichtlicher Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

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206 208 210 212 212 213 214 214 215 216 217 218 221 222 222 223 224 225 225 226 231 233

12

Inhaltsverzeichnis II.

Vorranggesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beratungsverlauf in der Föderalismuskommission . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterschiede zur ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes . . . . . . 3. Voraussetzung und Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Abweichungsgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Frühere Ideen zu einer Art „Abweichungsgesetzgebung“ . . . . . . . . . 2. Der Weg zur Abweichungsgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beratungsverlauf in der Föderalismuskommission zu dem Themenkomplex Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Durchbruch in den Nachverhandlungen – Abweichungsgesetzgebung im Umweltrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Korrekturen im weiteren Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . d) Aufnahme der Hochschulzulassung und -abschlüsse in die Abweichungsgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verfassungsrechtliche Ausgestaltung der Abweichungsgesetzgebung a) Konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes unter Freistellung von der Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abweichungsbefugnis der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Beschränkungen des materiellen Abweichungsrechts der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Ohne das Recht der Jagdscheine (Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ohne die allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes, das Recht des Artenschutzes oder des Meeresnaturschutzes (Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Ohne stoff- oder anlagenbezogene Regelungen (Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ermessensentscheidung der Länder und Rechtsfolgen eines „Abweichens“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kompetenzqualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Aufhebung der Rahmenkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einvernehmlicher Wunsch nach Streichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Übergangsvorschrift der Art. 125a Abs. 1 GG und Art. 125b Abs. 1 GG E. Zusammenfassung der übrigen Änderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

235 236 239 240 241 242 244 248 251 252 254 256 256 259 260 263

264 266 267 270 272 272 274 274

Inhaltsverzeichnis

13

Zweiter Abschnitt Zu den Verwaltungskompetenzen A. Beratungsverlauf zur Ausgestaltung des Art. 84 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . B. Rechtslage nach dem neuen Art. 84 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Abweichungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beschränkungen des formellen Abweichungsrechts der Länder . . . . 2. Ermessensentscheidung der Länder und Rechtsfolgen eines „Abweichens“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Zustimmungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Besonderes Bedürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung . . . . . . . . 2. Beschränkung auf Ausnahmefälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zustimmung des Bundesrates nach Art. 84 Abs. 1 Satz 6 GG . . . . . .

275 275 280 281 281 283 284 285 286 287

Viertes Kapitel Die Neuordnung unter dem Blickwinkel der Reformziele

288

Erster Abschnitt Ziele nach der Gesetzesbegründung A. Schaffung klarerer Verantwortlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Reduktion zustimmungsbedürftiger Bundesgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Hinwendung zum Trennsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Stärkung der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . II. Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Öffentliches Dienstrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bildungs- und Hochschulwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kompetenzen mit regionalem Bezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Oberziel – Ausbalancierung zwischen Solidarität und Kooperation auf der einen und Wettbewerb auf der anderen Seite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Oberziel – Erhöhung der Europatauglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

289 289 289 291 294 294 296 297 300 301 302 306

Zweiter Abschnitt Weitere Zielsetzungen des verfassungsändernden Gesetzgebers

308

Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310

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Inhaltsverzeichnis

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365

Abkürzungsverzeichnis AG AU BMBF BMF BMI BMJ BMU BMVBW BMVEL CdS ChBK ChE EZFF HdbStR HdbVR Kommissionsdrs. MdA MD MdL PAU PG StK B StK BR StM BW StR

Arbeitsgruppe Arbeitsunterlage Bundesministerium für Bildung und Forschung Bundesministerium der Finanzen Bundesministerium des Innern Bundesministerium der Justiz Bundesministerium für Umweltschutz, Naturschutz und Reaktorsicherheit Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Chefs der Staats- bzw. Senatskanzleien Chef des Bundeskanzleramtes „Chiemseer Entwurf“ Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung Handbuch des Staatsrechts Handbuch des Verfassungsrechts Kommissionsdrucksache Mitglied des Abgeordnetenhauses Ministerialdirektor Landtagsmitglied Projektgruppenarbeitsunterlage Projektgruppe Staatskanzlei Berlin Staatskanzlei Bremen Staatsministerium Baden-Württemberg Staatsrat

Einführung Erster Abschnitt

Gegenstand der Untersuchung Die 52. Änderung des Grundgesetzes betraf, fast muss man schon sagen wie stets, die bundesstaatliche Ordnung. 38 der insgesamt 52 Grundgesetzänderungen hatten unmittelbaren und mittelbaren Bundesstaatsbezug 1. Das Bundesstaatsprinzip, darüber kann angesichts dieses Befundes kein Zweifel bestehen, ist in einem hohen Maße anpassungsbedürftig, aber auch anpassungsfähig. Dieses Mal zeigen die Veränderungen jedoch in eine Richtung, die in der Geschichte des Grundgesetzes noch nicht allzu oft eingeschlagen wurde. Die Neuerungen führen nicht zu einer einseitigen Stärkung des Bundes, sondern auch zu einer Erweiterung der Gestaltungsspielräume der Länder. Erstmals werden daher ernsthafte Bemühungen ersichtlich, zu einem ausgewogeneren Verhältnis in dem jedem Bundesstaat eigenen Spannungsfeld zwischen Autonomie und Solidarität, Vielfalt und Einheit, Subsidiarität und Integration zu gelangen. Konkret enthielt das am 30. Juni 2006 von der Großen Koalition verabschiedete Föderalismusreformgesetz Änderungen zu den Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen sowie zu europarechtlichen und finanzverfassungsrechtlichen Fragestellungen. Nicht alle diese Änderungen werden im Rahmen dieser Arbeit behandelt. Die bereits jetzt entschiedenen Einzelfragen zur Finanzverfassung lassen sich besser im Zusammenhang mit den geplanten übrigen finanzverfassungsrechtlichen Veränderungen darstellen. Mit diesem „Herzstück“ jeder bundesstaatlichen Kompetenzverteilung beschäftigt sich derzeit eine weitere Föderalismuskommission, die Ende dieses Jahres ihre Ergebnisse vorlegen soll, die sodann in einer weiteren Stufe als Föderalismusreform II umzusetzen sein werden 2. Auch die europarechtlichen Neuerungen bleiben ausgeklammert,

1 Bauer / Jestaedt, Grundgesetz, S. 34: mindestens 35 der 44 Grundgesetzänderungen hatten bis zum Jahre 1997 unmittelbaren oder mittelbaren Bundesstaatsbezug. 2 Die ebenfalls mit 16 Mitgliedern von Bundestag und Bundesrat besetzte „Gemeinsame Kommission zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen“ wurde im Dezember 2006 von Bundestag und Bundesrat eingesetzt, vgl. BT-Drs. 16/3885 und BRDrs. 913/06, und nahm im März 2007 ihre Arbeit unter Vorsitz des SPD-Fraktionsvorsitzenden Struck und des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Oettinger auf.

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Einführung

allein aus dem Grunde, dass sie einen in sich abgeschlossenen und spezifischen Themenkomplex darstellen, dem eine eigene Arbeit gewidmet werden müsste. Es bleibt als Gegenstand damit zwar nicht das Herzstück, aber doch nicht wesentlich unwichtigere Bereiche einer bundesstaatlichen Zuständigkeitsaufteilung, die Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen. Was sich in diesem Bereich durch die Grundgesetzänderung gewandelt hat, lässt sich durchaus, um mit den Worten des ehemaligen Bundesratspräsidenten Weichmann über die Finanzreform von 1969 zu sprechen 3, als „tiefgreifend und weitreichend“ charakterisieren. Insbesondere der Abschnitt über die Gesetzgebung des Bundes hat eine grundlegende Umgestaltung erfahren. Es wurden nicht nur viele Kompetenztitel neu zugeordnet, sondern vor allem auch die Gesetzgebungssystematik verändert. An der Spitze dieser Neugestaltung steht die Ersetzung der Rahmengesetzgebung durch eine neue Unterart der konkurrierenden Gesetzgebung. Bei dieser sogenannten Abweichungsgesetzgebung kann der Bund Vollregelungen erlassen, die nicht den Anforderungen der Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG genügen müssen. Als Ausgleich dafür ermöglicht Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG den Ländern zur Verwirklichung eigener gesetzgeberischer Gestaltungsvorstellungen von diesen Bundesgesetzen abweichende Regelungen zu treffen, die dem Bundesrecht in Ausnahme zu Art. 72 Abs. 1 GG und Art. 31 GG in der Anwendung vorgehen. Auch unabhängig von einem solchen länderseitigen Abweichungsrecht unterliegen die Materien der konkurrierenden Gesetzgebung jedoch nicht mehr einheitlich der Kompetenzausübungsschranke des Art. 72 Abs. 2 GG. Künftig werden deshalb drei Arten der konkurrierenden Gesetzgebung mit unterschiedlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen zu unterscheiden sein. Auf dem Gebiet der Verwaltungskompetenzen sind die Veränderungen zwar im Umfang geringer, in einem entscheidenden Punkt jedoch nicht unbedeutender. Auch hier ist den Ländern im Anwendungsbereich des Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG ein „formelles“ Abweichungsrecht von bundesgesetzlichen Behörden- und Verfahrensregelungen eingeräumt worden. Das von vielen Seiten als Blockadeinstrument identifizierte Zustimmungsrecht zu entsprechenden Bundesregelungen ist im Gegenzuge prinzipiell entfallen. Mit diesen Ausführungen ist grob umrissen, in welchen beiden Themenkreisen sich die vorliegende Arbeit bewegt. Die Begriffe Föderalismus und Bundesstaat sind in diesem kurzen Abschnitt unreflektiert nebeneinander und synonym geIhre Aufgabe besteht darin, zum einen Vorschläge zur Modernisierung der Bund-LänderFinanzbeziehungen, zum anderen zur Modernisierung und Entflechtung der Aufgaben in der öffentlichen Verwaltung zu erarbeiten. 3 So der damalige Bundesratspräsident Weichmann in der 338. Sitzung des Bundesrates, Stenografische Berichte, S. 108.

1. Abschn.: Gegenstand der Untersuchung

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braucht worden. Für die zutreffende Verwendung in der weiteren Arbeit soll deshalb in der gebotenen Kürze geklärt werden, ob sich der Bedeutungsgehalt beider Begriffe deckt.

A. Klärung der Begrifflichkeiten – Föderalismus / Bundesstaat Eine exakte Definition der Begriffe Föderalismus und Bundesstaat bereitet trotz zahlreicher Klärungsversuche immer noch große Schwierigkeiten. Gerade der Inhalt des Föderalismusbegriffs (lat. „foedus“, Bund, Bündnis) ist vielschichtig und durch philosophische, soziologische, politische und rechtliche Ansätze geprägt 4, denen hier nicht im Einzelnen nachgegangen werden kann. Für den Rahmen dieser Arbeit ist lediglich von Interesse, ob die Begriffe Föderalismus und Bundesstaatlichkeit synonym verwendet werden können oder ob eine strikte Trennung geboten ist. Dies hängt davon ab, in welchem rechtswissenschaftlichen Kontext man sich bewegt 5. Die allgemeine Staatslehre stellt beide Begriffe als deskriptive Idealtypen nebeneinander und geht von einer begrifflichen Abgrenzungsnotwendigkeit aus 6. Der „Föderalismus“ bezeichne ein politisches Organisationsprinzip, während der Rechtsbegriff „Bundesstaatlichkeit“ einen bestimmten Staatstypus festlege 7. Eine nähere Bestimmung des Föderalismus als Ordnungsvorstellung sucht man vornehmlich aus der Gegenüberstellung zu dem Unitarismus 8 zu erreichen. Der Föderalismus erfordere in Abgrenzung zu diesem den Zusammenschluss gleichberechtigter und eigenständiger Glieder zu einer übergreifenden politischen Gesamtheit unter Beibehaltung der Autonomie der mitwirkenden Glieder 9. Er ziele 4 Dass der Föderalismus ein Gestaltungsprinzip jeglicher Gemeinschaftsordnung ist, ist mittlerweile unumstritten, vgl. Wyduckel, in: Duso (Hrsg.), Konsens, S. 259; Zippelius / Würtenberger, Dt. Staatsrecht, S. 143 Rn. 8; Stern, in: Recht als Prozess, S. 322 ff.; Süsterhenn, in: Süsterhenn (Hrsg.), Verfassung, S. 28; Deuerlein, Föderalismus, S. 12 ff.; bei Bülck, VVDStRL 1964 als internationales Ordnungsprinzip diskutiert. 5 Die nun folgende Systematisierung hat Šarˇcevi´c, Bundesstaatsprinzip, S. 11 ff. vorgenommen. 6 Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 5 Rn. 4; Kimminich, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band I, S. 1115 Rn. 4; Herzog, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 GG Rn. 14; Stern, Staatsrecht – Band I, S. 660. 7 Herzog, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 GG Rn. 14.; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 20 GG Rn. 6; Laufer / Münch, Föderatives System, S. 14 ff.; Frenkel, Föderalismus – Band 1, S. 92 ff.; Ermacora, Allg. Staatslehre – Zweiter Teilband, S. 625 f.; Pernthaler, Allg. Staatslehre, S. 419; Vogel, in: Benda (Hrsg.), HdbVR, S. 1043 Rn. 2. 8 Prinzip zentral organisierter, geschlossener, monolithischer Staatlichkeit, vgl. Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 6 Rn. 4. 9 Šarˇcevi´c, Bundesstaatsprinzip, S. 14; Schmalenbach, Föderalismus, S. 3 ff.

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Einführung

darauf, „zusammengesetzte Staatsgebilde vor dem Aufgehen im Einheitsstaat zu bewahren“ 10, zugleich soll aber auch die politische Existenz des Bundes gesichert und nicht jegliche unitarische Kraft verhindert werden 11. Deshalb verwirklicht sich die politische Idee des Föderalismus rechtlich nicht nur in einem völkerrechtlichen Zusammenschluss in Form eines Staatenbundes, sondern auch und vor allem in einem Bundesstaat 12, wo sich die Kraft des Föderalismus mit der des Unitarismus „verbindet und versöhnt“ 13. Die Bedeutung des Bundesstaatsbegriffs ergibt sich nach dem Begriffsverständnis der Allgemeinen Staatslehre aus der Abgrenzung zum Staatenbund 14 einerseits und zum Einheitsstaat 15 andererseits. Der Bundesstaat ist danach eine durch die Verfassung geformte staatsrechtliche Verbindung von Staaten in der Weise, dass die Teilnehmer Staaten bleiben oder sind (Gliedstaaten), aber auch der organisierte Staatenverband selbst (Gesamtstaat) die Qualität eines Staates besitzt 16. Er verlangt also die Existenz doppelter Entscheidungszentren 17. In der (besonderen) Staatsrechtslehre werden die Begriffe des Föderalismus und des Bundesstaates dagegen nicht zwingend unterschieden 18. Dies liegt daran, dass im Zentrum ihrer Betrachtungen nicht der Staat als abstraktes Gebilde steht, sondern stets auf eine konkrete Verfassung Bezug genommen wird. Der Bundesstaat und der Föderalismus müssen sich aus dieser Perspektive nicht aus sich selbst heraus, losgelöst von einer bestimmten Verfassung, erklären. Vielmehr 10

Beyerle, in: Goerres-Gesellschaft (Hrsg.), FS Porsch, S. 128. „Föderalismus kann nicht ohne ein gewisses Maß von Unitarismus bestehen“, Hesse, in: Ritterspach (Hrsg.), FS Müller, S. 155 f.; Würtenberger, in: Duso (Hrsg.), Konsens, S. 355: „Dem Föderalismus ist partikularistische Abkapselung fremd“. 12 Der Bundesstaat als Leitbild des Föderalismus: Zippelius, Allg. Staatslehre, S. 400; Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG – Band 2, Art. 20 GG Rn. 25. Dort auch der Hinweis, dass der Föderalismus eine unitarische Stoßrichtung haben kann; als Beispiel dafür gilt der Übergang der USA vom Staatenbund zum Bundesstaat gegen Ende des 18. Jahrhunderts. 13 Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 6 Rn. 4. 14 Zippelius / Würtenberger, Dt. Staatsrecht, S. 142 Rn. 3: Eine Verbindung von Staaten durch einen völkerrechtlichen Vertrag, die zwar einen Teil ihrer Aufgaben überträgt, aber selbst keine Staatsqualität hat. 15 Zippelius / Würtenberger, Dt. Staatsrecht, S. 142 Rn. 4. 16 Inzwischen h. M.: BVerfGE 1, 14 (34); 13, 54 (74 ff.); 34, 9 (19); 72, 330 (385 f.); Stern, Staatsrecht – Band I, S. 644; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 GG Rn. 55. Zu den früheren, begrifflich-konstruktiven Bemühungen zur Erfassung des Bundesstaates, Schnapp, in: v. Münch / Kunig, GG – Band 2, Art. 20 GG Rn. 8 ff. 17 Scheuner, in: Listl (Hrsg.), Staatstheorie, S. 418. 18 Šarˇcevi´c, Bundesstaatsprinzip, S. 16 ff; Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG – Band 2, Art. 20 GG Rn. 24 schlägt zur Vermeidung von Missverständnissen vor, den jeweiligen Ländernamen vor „Föderalismus“ zu setzen, also von dem deutschen, österreichischen etc. Föderalismus zu sprechen. 11

2. Abschn.: Ziel der Untersuchung

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werden die Begriffe stets im Kontext der jeweiligen Verfassung verwandt 19 und von ihr mit Leben erfüllt. Sie repräsentieren die darin vorgenommene Gewaltenbalancierung 20, die entscheidend durch die Verteilung der Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Rechtsprechungskompetenzen, die Finanzverfassung und die Mitwirkungsbefugnisse der Länder bei der Bundeswillensbildung geprägt wird. Der jeweilige Bundesstaat stellt sich dabei als Ausformung sui generis dar; er ist Zeit und Raum verhaftet 21.

B. Synonyme Verwendung der Begriffe Die jetzige Föderalismusreform hat die den deutschen bundesstaatlichen Typus prägenden Bereiche partiell umgestaltet. Das Thema dieser Arbeit ist deshalb ein originär staatsrechtliches, so dass es sinnvoll erscheint, die Begrifflichkeiten der besonderen Staatsrechtslehre zu verwenden. Föderalismus und Bundesstaat werden demzufolge in der weiteren Arbeit grundsätzlich nicht unterschieden 22.

Zweiter Abschnitt

Ziel der Untersuchung Es soll untersucht werden, ob mit der Föderalismusreform die vom verfassungsändernden Gesetzgeber verfolgten Ziele – im Kern die Neuaustarierung der föderalen Elemente der Kooperation und Solidarität auf der einen, des Wettbewerbs auf der anderen Seite – erreicht wurden. Die Ausgangsfrage lautet dementsprechend, inwieweit mit den vorgenommenen Grundgesetzänderungen die Ziele der Föderalismusreform verwirklicht worden sind. Um dieser Kernfrage auf den Grund zu gehen, ist es notwendig, sich mit verschiedenen Aspekten zu befassen, von denen an dieser Stelle aber nur die wichtigsten aufgezeigt werden.

19 Stern, Staatsrecht – Band I, S. 647; Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 5 Rn. 5. 20 Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG – Band 2, Art. 20 GG Rn. 25; Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 9 Rn. 8. 21 Stern, Staatsrecht – Band I, S. 648; vgl. auch Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 4 Rn. 1: „Der Bundesstaat des Grundgesetzes ist Staatsform deutscher Herkunft und deutscher Prägung“. 22 Die Bezeichnung als Föderalismusreform ist im Sinne der besonderen Staatsrechtslehre verwandt als treffend anzusehen.

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Einführung

Als Bezugsrahmen für die Einordnung der Ziele können ausschließlich die Ursprungsfassung des Grundgesetzes und die sich daran anschließende, tatsächliche bundesstaatliche Entwicklung dienen. Durch sie wird nachvollziehbar, aus welchem Grunde der verfassungsändernde Gesetzgeber sich die in der Gesetzesbegründung enthaltenen Ziele setzte und auf welche bundesstaatlichen Themenfelder mit ihnen Bezug genommen wird. Dabei wird die bis dato sehr einseitig verlaufene föderale Geschichte Anlass zu der Frage geben, ob die Notwendigkeit einer Reform und damit auch ihre Zielvorgaben möglicherweise sogar verfassungsrechtlich geboten waren oder doch „nur“ auf einer politischen Entscheidung beruhten. Kann durch die Untersuchung der vorgenannten Punkte ein Verständnis für die Zielsetzungen des verfassungsändernden Gesetzgebers entwickelt werden, so bilden die umfassende Darstellung der Grundgesetzänderungen und die Erörterung ihrer rechtlichen Folgewirkungen den Maßstab für die Beantwortung der Ausgangsfrage. Anhand der Grundgesetzänderungen im Einzelnen und ihrer Summe wird zu beurteilen sein, ob sich die Zielsetzungen des verfassungsändernden Gesetzgebers durch die Föderalismusreform erfüllt haben.

Dritter Abschnitt

Gang der Untersuchung Zur Bearbeitung der soeben skizzierten Kernfrage wird die Arbeit in vier Kapitel untergliedert. Im ersten Kapitel wird der Weg zur Föderalismusreform nachgezeichnet. Sowohl die Hintergründe für die Schaffung eines Bundesstaates, als auch seine Entwicklung werden zwar nicht in allen Details, aber in den wesentlichen Grundzügen dargestellt. Den rechtlichen Schwerpunkt bildet der Anlass der Reform. In diesem Zusammenhang wird insbesondere geprüft, ob in der Verfassungslage vor der Reform ein Verstoß gegen das Bundesstaats- und das Demokratieprinzip zu sehen war. Anschließend wird ein kurzer Überblick über die maßgeblichen politischen Initiativen im Vorfeld der jetzigen Bundesstaatsreform gegeben. Von besonderem Interesse ist dabei die Zusammensetzung und Arbeit der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, die die entscheidenden Vorarbeiten zur Verabschiedung der Grundgesetzänderungen geleistet hat. In einem zweiten Kapitel befasst sich die Arbeit mit den Reformzielen und zwar mit den ausdrücklich in der Gesetzesbegründung aufgeführten und den sonstigen Zielsetzungen. Es gilt zu untersuchen, in welchem Verhältnis die in der Gesetzesbegründung angesprochenen Reformziele zueinander stehen und ob mit ihnen eine Entscheidung zugunsten eines „echten“ Wettbewerbsföderalismus getroffen werden sollte.

3. Abschn.: Gang der Untersuchung

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Den Hauptteil der Arbeit nimmt das dritte Kapitel ein, das die tatsächlich vorgenommenen Grundgesetzänderungen umfassend, auch unter Berücksichtigung der angedachten Alternativen, darstellt und rechtlich bewertet. Nicht so sehr die einzelnen Kompetenztitel als vielmehr das grundsätzliche Regelungskonzept des Gesetzgebers sollen dabei ins Licht gerückt werden. Rechtliche Schwierigkeiten, die die Grundgesetzänderung mit sich bringt, werden aufgeworfen und einer verfassungskonformen und soweit möglich mit den Zielen des verfassungsändernden Gesetzgebers in Einklang stehenden Lösung zugeführt. Schließlich nimmt sich das vierte Kapitel der Frage an, ob mit der Neuordnung der Kompetenzen die in Kapitel zwei aufgeworfenen Reformziele verwirklicht worden sind. Dieser Teil dient gleichzeitig dazu, ein Resümee zu ziehen und die Grundgesetzänderung abschließend zu bewerten.

Erstes Kapitel

Der Weg zur Föderalismusreform Im folgenden Kapitel wird, um die Zielsetzungen der Bundesstaatsreform in den richtigen Kontext einbetten zu können, der – in einem sehr weit verstandenen Sinne – Weg zur Föderalismusreform nachgezeichnet. Am Anfang steht die Grundentscheidung des Parlamentarischen Rates für eine spezifische Art der Kompetenzverteilung sowie für die Konstituierung des – im internationalen Vergleich einzigartigen – Bundesrates. Eine Reihe von Gründen, allen voran der allerseits stark ausgeprägte Wille zur Einheitlichkeit, hat dazu geführt, dass sich auf der Grundlage dieser Strukturen und mit ihrer Hilfe bis Anfang der siebziger Jahre eine weitgehende Unitarisierung im Bundesgebiet einstellte. Obwohl die negativen Folgen dieser Entwicklung, wie etwa der Bedeutungsverlust der Landesparlamente oder die „Politikverflechtung“, nicht im Verborgenen blieben, gelang es erst mit der Verfassungsänderung von 1994 Korrekturen im bundesstaatlichen Verfassungsgefüge vorzunehmen. Weder den durch sie vorgeblich gestärkten Ländern noch dem Bund ermöglichten sie aber, angemessen auf die Bedürfnisse und Notwendigkeiten der heutigen Zeit zu reagieren. Auf beiden Seiten wuchs der Wille, sich dieses Themas nochmals und grundlegender anzunehmen. In der einmütigen Entscheidung für die Konstituierung der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung hat dieser gemeinsam erkannte Handlungsbedarf schließlich seinen Ausdruck gefunden.

Erster Abschnitt

Grundgesetzliche Verankerung des Bundesstaatsprinzips Den Ausgangspunkt der geschichtlichen Entwicklung bildet die Entscheidung des Parlamentarischen Rates für den bundesstaatlichen Aufbau und seiner konkreten Ausformung. Auch hierbei wird es weniger um Einzelfragen, als mehr um die grundsätzliche Regelungsstruktur gehen. Von Interesse ist vor allem, auf wen die maßgeblichen Sachentscheidungen zurückzuführen und ob und gegebenenfalls zwischen welchen Beteiligten Konfliktlinien verlaufen sind. Ein besonderes Augenmerk gilt es auf den oft kritisierten Einfluss der Alliierten zu richten, der,

1. Abschn.: Grundgesetzliche Verankerung des Bundesstaatsprinzips

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wie sich zeigen wird, gleichwohl nicht verhindern konnte, dass die Weichen zu einem unitarischen Bundesstaat bereits bei der Entstehung des Grundgesetzes gestellt wurden 1.

A. Hintergründe für die Schaffung eines Bundesstaates Die Ausarbeitung einer Verfassung sollte nach dem Frankfurter Dokument Nr. 1 2 einer von den Ministerpräsidenten der elf westdeutschen Länder 3 einzuberufenden Verfassungsgebenden Versammlung obliegen. In ihrer Antwortnote nahmen die Ministerpräsidenten die ihnen übertragenen Vollmachten unter einer entscheidenden Einschränkung an 4. Sie wollten dem zu schaffenden Gebilde unter der gegenwärtigen Spaltung und Besetzung Deutschlands keinen Staats-, sondern lediglich „Provisoriumscharakter“ verleihen 5. Um dies auch nach außen hin zu verdeutlichen, sollte anstelle einer Verfassungsgebenden Versammlung ein Parlamentarischer Rat eingesetzt werden, der sich auf die Ausarbeitung eines „Grundgesetzes“ zu beschränken hatte. Obwohl sie sich sowohl in dieser mehr terminologischen Frage als auch bei dem Abstimmungsmodus über das Grundgesetz 6 – keine zunächst von den Alliierten als unverzichtbar angesehene Volksabstimmung, sondern Ratifikation durch die Landtage – durchsetzen konnten, mussten sie sich in der Kernfrage den Londoner Bedingungen unterwerfen und den Weg in die Gründung eines Weststaates akzeptieren 7.

1 Golay, Federal Republic, S. 108: „In the result, the Allied influcence on the Basic Law was comparatively slight“. Eine Ausnahme stellte insoweit die Durchsetzung der Länderfinanzverwaltung dar; diese Einschätzung teilt auch, Grzeszick, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 GG Rn. 57. 2 Es wurde in Anlehnung an das Schlusskommuniqué der Londoner Sechs-MächteKonferenz von einer politischen Arbeitsgruppe der Militärgouverneure verfasst, vgl. Wernicke / Booms, Parlamentarischer Rat – Band 1, S. 30 Fn. 3. 3 Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Württemberg-Hohenzollern, Hamburg, Bayern, Bremen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden, Hessen und Baden. 4 Wernicke / Booms, Parlamentarischer Rat – Band 1, S. 143 ff. Diese markierte am 10. Juli 1948 den Schlusspunkt der dreitägigen Koblenzer Verhandlungen. 5 „Die Einberufung einer deutschen Nationalversammlung und die Ausarbeitung einer deutschen Verfassung sollen zurückgestellt werden bis die Voraussetzungen für eine gesamtdeutsche Regelung gegeben sind und die deutsche Souveränität in ausreichendem Maße hergestellt ist“, so die Formulierung in der Anlage 1, Wernicke / Booms, Parlamentarischer Rat – Band 1, S. 145. 6 Diese Frage wurde zunächst offen gelassen, letztendlich aber im deutschen Sinne entschieden, nachdem die Militärgouverneure Rücksprache mit ihren Regierungen gehalten hatten, Wagner, in: Wernicke (Hrsg.), Band 1, S.LII.

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

Trotz dieser anfänglichen Schwierigkeiten konnte der Parlamentarische Rat seine Arbeit, wie in dem Dokument Nr. 1 vorgesehen, am 1. September 1948 in Bonn aufnehmen und wählte den späteren Bundeskanzler Adenauer zu seinem Vorsitzenden 8. Nach der Fertigstellung und der Annahme des Grundgesetzentwurfes 9, der Genehmigung durch die Alliierten und den Abstimmungen in den Landtagen 10, fertigte der Parlamentarische Rat die Urschrift des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 aus und noch am selben Tag erfolgte die Verkündung. Ins Leben getreten ist die Bundesrepublik allerdings erst nach Durchführung der ersten Bundestagswahl am 14. August 1949 mit der Konstituierung des Bundestages in Bonn am 7. September 1949 11. Mit der Entscheidung für dieses Grundgesetz ist gleichzeitig die Entscheidung für eine bundesstaatliche Ordnung gefallen. Erstmals in der deutschen Verfassungsgeschichte wurde diese nicht lediglich vorausgesetzt, sondern explizit in Art. 20 Abs. 1 GG festgeschrieben und darüber hinaus in Art. 79 Abs. 3 GG für unantastbar erklärt. Der Parlamentarische Rat hatte bei dieser Frage im Ergebnis keinerlei Entscheidungsspielraum. Denn die westlichen Besatzungsmächte hatten in dem Frankfurter Dokument Nr. 1 die verbindliche 12 Vorgabe gemacht, „eine Verfassung auszuarbeiten, die für die beteiligten Länder eine Regierungsform des föderalistischen Typs schafft, die am besten geeignet ist, die gegenwärtig zerrissene deutsche Einheit schließlich wieder herzustellen und die Rechte der beteiligten Länder schützt sowie eine angemessene Zentralinstanz schafft...“ 13. 7 So auch Scheuner, in: Listl (Hrsg.), Staatstheorie, S. 389: „Die Bundesrepublik hat faktisch den Weg zu eigener Staatlichkeit von Anfang an beschritten“. Die Einigung wurde zwischen Alliierten und Ministerpräsidenten am 26. Juli 1948 auf der sog. Frankfurter Schlusskonferenz erzielt, vgl. Mußgnug, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band I, S. 326. Ihr war nach der ablehnenden Reaktion der Alliierten auf die Koblenzer Beschlüsse eine zweite Ministerpräsidentenkonferenz am 21. / 22. Juli 1948 auf dem Jagdschloss Niederwald vorausgegangen. 8 Der Parlamentarische Rat wurde aus 65 stimmberechtigten Abgeordneten gebildet, die nach von den Ministerpräsidenten aufgestellten Grundsätzen von den Landtagen gewählt wurden. Dabei fielen 19 Sitze auf die CDU, acht Sitze auf die CSU, 27 Sitze auf die SPD, fünf Sitze auf die FDP und je zwei Sitze auf die KPD, das Zentrum und die DP. 9 Am 8. Mai 1949 stimmten 53 Mitglieder für und zwölf gegen die Annahme des Grundgesetzes. 10 Zehn der elf Länderparlamente nahmen das Grundgesetz an, Bayern enthielt sich. 11 Mußgnug, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band I, S. 346 Rn. 88 ff. 12 Sie hatten in demselben Dokument die Möglichkeit zur Ratifizierung der Verfassung von ihrer Genehmigung abhängig gemacht. 13 Wernicke / Booms, Parlamentarischer Rat – Band 1, S. 30. Der nicht veröffentlichte Gesamtbericht des Londoner Abkommens enthielt hierzu noch genauere Vorgaben, die am 22. November 1948 anlässlich der beginnenden Befassung des Hauptausschusses mit dem Entwurf des Grundgesetzes auf Betreiben Frankreichs dem Parlamentarischen Rat

1. Abschn.: Grundgesetzliche Verankerung des Bundesstaatsprinzips

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Die Alliierten hatten dabei allerdings unterschiedliche Vorstellungen von der konkreten Ausgestaltung des föderalen Staatsaufbaus, die von den jeweiligen Interessen geprägt wurden 14. Frankreich, für das seine eigene Sicherheit vor möglichen Aggressionen Deutschlands zunächst der entscheidende Gesichtspunkt war, favorisierte eine extrem föderalistische, ja staatenbündlerische Form 15. Dagegen ließen sich die Amerikaner und Briten von der Überlegung leiten, dass nur eine gut ausgestattete Zentralinstanz, die in der Lage ist, die drängenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme zu lösen, den möglichen Expansionstendenzen der Sowjetunion standhalten kann 16. Dieser Gesichtspunkt hatte für sie absoluten Vorrang und war nicht verhandelbar, so dass Frankreich von seiner Maximalforderung abrücken musste, wenn es nicht getrennte Wege gehen wollte. Unabhängig und bereits vor Bekanntgabe der Frankfurter Dokumente hatten sich aber auch die CDU / CSU 17 und die SPD 18 sowie natürlich die wieder belebten und neu gebildeten Länder zu der Fortsetzung der föderalistischen Tradition Deutschlands bekannt 19. Diese hat spätestens, lehnt man eine Einordnung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation nach dem Westfälischen Frieden von 1648 als Staatenbund ab, Anfang des 19. Jahrhunderts mit der Gründung des Rheinbundes und des Deutschen Bundes begonnen. In der nie in Kraft getretenen Paulskirchenverfassung von 1849 war zur Verwirklichung der deutschen Einheit dann erstmals eine bundesstaatliche Organisationsform vorgesehen. Tatsächlich realisiert wurde diese in der Gründung des Norddeutschen Bundes von 1867 und schließlich in dessen Erweiterung 20 zum Deutschen Reich von 1871. zugeleitet wurden, Wernicke / Booms, Parlamentarischer Rat – Band 1, S. 31 Fn. 9; sie sind abgedruckt in: Schick / Kahlenberg, Parlamentarischer Rat – Band 8, S. 37 f. 14 Vgl. hierzu die Ausführungen von Wagner, in: Wernicke (Hrsg), Band 1, S. XV ff. 15 Golay, Federal Republic, S. 8. 16 Golay, Federal Republic, S. 7 ff; Düwell, in: Huhn (Hrsg.), Föderalismus, S. 130 f.: Außerdem hätte eine andere Entscheidung nach Auffassung der USA und Großbritanniens einer effektiven Umsetzung des Marshallplans entgegengestanden. 17 Ley, Föderalismusdiskussion, S. 20 f. 18 Nürnberger Richtlinien vom 29. Juni/2. Juli 1949, abgedruckt in: Antoni, Sozialdemokratie – Band 1, S. 323 ff. Allerdings beruhte diese Entscheidung bei der SPD nicht auf einer inneren Überzeugung, sondern wurde aufgrund der Bildung der Länder in den Jahren 1946/47 als unausweichlich angesehen, vgl. Zündorf, Föderalistischer Gedanke, S. 85 f. Vor diesem Hintergrund erscheint die später geäußerte Vermutung Friedrichs unwahrscheinlich, dass die Verfassungsrichtlinie für einen föderalen Aufbau allein deshalb Eingang in das Dokument Nr. 1 gefunden habe, weil CDU und SPD immer wieder dafür eingetreten seien, Schick / Kahlenberg, Parlamentarischer Rat – Band 9, S. 49. 19 V. Lex, in: Süsterhenn (Hrsg.), Verfassung, S. 51 und Altmeier, in: Süsterhenn (Hrsg.), Ordnung, S. 19 ff. Für die deutsche Bevölkerung stellte diese Frage allerdings keine Herzensangelegenheit dar. Vielmehr waren Vorbehalte eher weit verbreitet, siehe hierzu Boldt, ZSE 2003, S. 510 und Weber, Spannungen, S. 288. So befürworteten 1953 noch 60 % der Bevölkerung die Auflösung aller Länderregierungen, vgl. Grube, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2001, S. 102 mit dem Hinweis auf Umfragen des Allensbacher Instituts.

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

Auch in der Weimarer Republik wurde trotz massiver Bestrebungen, einen Einheitsstaat zu gründen, 21 an dem Bundesstaatsprinzip festgehalten. Gerade nach den abschreckenden Erfahrungen des Dritten Reiches erschien es daher trotz des Fehlens historisch gewachsener Länder als geeignetes Organisationsprinzip. Die Aufteilung der Staatsgewalt auf mehrere Entscheidungszentren zur Verhinderung von Machtkonzentrationen entsprach im besonderen Maße dem verstärkten Bedürfnis nach der Sicherung individueller Freiheiten. Zudem bot der föderative Staatsaufbau auch eine günstige Ausgangslage für eine spätere Wiedervereinigung 22. Lebhaft umstritten zwischen den Mitgliedern des Parlamentarischen Rates, aber auch zwischen dem Parlamentarischen Rat und den Alliierten war nach alledem nicht das „Ob“ 23, sondern das „Wie“ der bundesstaatlichen Organisationsstruktur. Dabei wechselten die Konfliktlinien je nach föderalistischer Fragestellung, von denen im Rahmen dieser Arbeit jedoch nur die Verteilung der Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen sowie die Ausgestaltung der Zweiten Kammer interessieren.

B. Beratungsverlauf und Ausgestaltung der bundesstaatlichen Ordnung Mit der künftigen Verfassungsgebung in der Bundesrepublik hatten sich schon vor der Konstituierung des Parlamentarischen Rates verschiedene Instanzen beschäftigt. Als besonders bedeutsam für die Beratungen des Rates erwiesen sich neben den verfassungspolitischen Programmen der Parteien die Arbeiten des zwischen dem 10. und dem 23. August 1948 tagenden Herrenchiemseer Verfassungskonvents 24. 20

So die überwiegende Ansicht. Es gibt jedoch auch Anhänger der Theorie, dass mit den Novemberverträgen ein neuer Bundesstaat begründet wurde, vgl. Erichsen, in: Bundesrat (Hrsg.), Bundesrat, S. 21. 21 Der Preußsche Entwurf für den Verfassungstext tendierte deutlich zu einem dezentralisierten Einheitsstaat, was sich wohl vor allem aus der Angst vor der Hegemonialstellung Preußens begründete, Kimminich, in: Benda (Hrsg.) Föderalismus, S. 14. 22 Düwell, in: Huhn (Hrsg.), Föderalismus, S. 128: Diese Auffassung teilten auch die Amerikaner. Sie sollte sich als richtig erweisen, vgl. die Ausführungen des Präsidenten des Landtags von Sachsen-Anhalt, in: http://www.landtag.ltsh.de/aktuell/daten _aktuell/luebecker-konvent/doku_foederalismus-konvent.pdf: „In den Wendetagen von 1989/1990 machte die föderative Besinnung ein wesentliches Element der Anziehungskraft der deutschen Verfassung aus“; Vogel, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2001, S. 18 mit Hinweis auf ein Zitat des letzten Ministerpräsidenten der DDR de Maizière: „Die Länderstruktur ist eine Grundbedingung für die deutsche Einheit“; so auch die Einschätzung von Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 195 Rn. 343 ff. 23 Die föderalistische Struktur dagegen als Besatzungsdiktat geißelnd, Abromeit, Einheitsstaat, S. 39 und Weber, Spannungen, S. 58.

1. Abschn.: Grundgesetzliche Verankerung des Bundesstaatsprinzips

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I. Herrenchiemseer Verfassungskonvent Dieser war von den westdeutschen Ministerpräsidenten auf Grund einer privaten Vereinbarung einberufen und mit von ihnen entsandten Verfassungsspezialisten in Form einer „wissenschaftlichen Studiengesellschaft“ 25 besetzt worden 26. Zu erklären ist diese Initiative wohl am besten aus einer Art Verantwortungsgefühl der Ministerpräsidenten für die zukünftige Entwicklung Deutschlands 27. Sie hatten die Phase der deutschen Nachkriegsentwicklung bis dahin maßgeblich durch ihr Handeln mitbestimmt 28, waren sie es doch gewesen, denen die Alliierten die Vorbereitung der Staatsgründung in die Hände gelegt hatten. Nunmehr wollten sie die Arbeit des Parlamentarischen Rates durch diese Vorarbeiten erleichtern 29, teilweise sicherlich auch in ihrem Sinne beeinflussen 30. Dementsprechend bestand die Aufgabe des Herrenchiemseer Konvents darin, „einen Verfassungsentwurf auszuarbeiten, der dem Parlamentarischen Rat als Unterlage dienen sollte“ 31. Er sollte nach übereinstimmender Auffassung der Konventsteilnehmer nicht als Regierungsvorlage formuliert werden, denn in diesem Fall wären die Ministerpräsidenten in ihrem Recht zur unabhängigen Stellungnah24 Die Bezeichnung als „Verfassungskonvent“ scheint von dem Tagungsleiter und Chef der Bayerischen Staatskanzlei Pfeiffer zu stammen, Bucher, in: Wernicke (Hrsg.), Band 2, S. LXV; vgl. dazu die Eröffnungsrede Pfeiffers zum Verfassungskonvent am 10. August 1948, Wernicke / Booms, Parlamentarischer Rat – Band 2, S. 53. 25 So Pfeiffer auf der Konferenz der westdeutschen Ministerpräsidenten auf dem Jagdschloss Niederwald, vgl. Wernicke / Booms, Parlamentarischer Rat – Band 1, S. 381. 26 Die Abhaltung des Konventes war von den Ministerpräsidenten am 15. / 16. Juli 1948 auf ihrer Konferenz im Jagdschloss Niederwald beschlossen worden, geht aber wohl auf eine Initiative des hessischen Ministerpräsidenten Stock vom 1. Juli 1948 zurück. Jedes der elf westdeutschen Länder entsandte einen Sachverständigen. Ein Vertreter Berlins durfte, ohne stimmberechtigt zu sein, an den Sitzungen und Debatten teilnehmen. Dazu ausführlich Bucher, in: Wernicke (Hrsg.), Band 2, S. VII ff. 27 Vgl. hierzu die einleitenden Worte Pfeiffers zu dem Ergebnis des Verfassungskonvents, Wernicke / Booms, Parlamentarischer Rat – Band 2, S. 90: „Erfüllt von dem Gefühl der Verantwortung dafür, dass das zu schaffende Grundgesetz in guter Durcharbeitung rasch zustande kommen soll...“. Darauf deutete auch bereits die in seiner Eröffnungsrede zum Verfassungskonvent am 10. August 1948 zum Ausdruck kommende Hoffnung hin, dass die Arbeiten des Gremiums zu einer erhöhten Akzeptanz in der Bevölkerung führen würden, Wernicke / Booms, Parlamentarischer Rat – Band 2, S. 56. 28 Die Mehrheit der Ministerpräsidenten sah sich durch die Frankfurter Dokumente in die Rolle eines vorläufigen Treuhänders des deutschen Volkes versetzt, Wagner, in: Wernicke (Hrsg.), Band 1, S. XXX ff. Vgl. dazu auch Hanebeck, Bundesstaat, S. 155 ff. 29 Eröffnungsrede Pfeiffers zum Verfassungskonvent am 10. August 1948, Wernicke / Booms, Parlamentarischer Rat – Band 2, S. 56. 30 Dies galt insbesondere für Bayern, vgl. Wengst, in: März (Hrsg.), Weichenstellung, S. 47. 31 So Stock auf der Konferenz der Ministerpräsidenten der westdeutschen Besatzungszonen auf dem Jagdschloss Niederwald vom 21. – 22. Juli 1948, in: Wernicke / Booms, Parlamentarischer Rat – Band 1, S. 262.

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

me 32 vor dem Parlamentarischen Rat möglicherweise beeinträchtigt gewesen 33. Im Übrigen führte die vage Aufgabenbeschreibung zu erheblichen Unsicherheiten, wie man mit den verfassungspolitischen Fragestellungen verfahren sollte 34. Das Ergebnis der Zusammenkunft bestand schließlich in einem dreiteiligen Bericht mit einem darstellenden Teil, einem Grundgesetzentwurf und einem kommentierenden Teil. Er war – wenig überraschend, bedenkt man wer die „Auftraggeber“ waren – in einem betont föderalistischen Geist 35 gehalten. Für die streitig gebliebenen politischen Fragen enthielt der Entwurf Mehrheits- und Minderheits- bzw. Alternativvorschläge mit ihren jeweiligen Argumenten. Die Ministerpräsidenten bezogen zu den Ergebnissen des von ihnen eingesetzten Konvents keine Stellung und übergaben sie dem Parlamentarischen Rat lediglich als Arbeitsmaterial 36. Im Grunde hielten sie sich mit dieser Vorgehensweise an ihre eigenen Absichtsbekundungen, was den Zweck der Verfassungskommission betraf. Nur der Vorsitzende der CDU in der britischen Zone, Adenauer, hatte intern kurzfristig die völlig legitime Idee, dem Herrenchiemseer Entwurf „näher zu treten“ und ihn im Parlamentarischen Rat als Verhandlungsgrundlage zu nutzen, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass „er gut sei“ und die SPD mitziehe 37. Dazu war diese jedoch nicht bereit 38, so dass sich auch dieses 32

Dieses Recht hatten sich die Ministerpräsidenten in ihrer Antwortnote zu den Frankfurter Dokumenten vom 10. Juli 1948 gemäß den Koblenzer Beschlüssen in der Anlage eins (Stellungnahme zu dem Dokument Nr. 1) eingeräumt, Wernicke / Booms, Parlamentarischer Rat – Band 1, S. 147 Nr. 6. 33 Siehe dazu die Ausführungen Brills in der 2. Plenarsitzung am 11. August 1948, Wernicke / Booms, Parlamentarischer Rat – Band 2, S. 86; vgl. in derselben Sitzung Pfeiffer, Wernicke / Booms, Parlamentarischer Rat – Band 2, S. 88; ausdrücklich auch Stock in seinem Übersendungsschreiben an die Ministerpräsidenten vom 31. August 1948, Wernicke / Booms, Parlamentarischer Rat – Band 1, S. 380 Fn.61. 34 So z. B. Schmid in der 2. Plenarsitzung am 11. August 1948, Wernicke / Booms, Parlamentarischer Rat – Band 2, S. 67; vgl. auch Bucher, in: Wernicke (Hrsg.), Band 2, S. XXXII und LXVII f. mit der These, dass dadurch letztlich die Lösung politischer Fragestellungen im Vordergrund stand. 35 Oeter, Integration, S. 114; Wagner, in: Wernicke (Hrsg.), Band 1, S. LVI; Bucher, in: Wernicke (Hrsg.), Band 2, S. XXXI und CVI. Dies ist unter anderem auf die abschließende Zusammenstellung durch die sog. Redaktionskommission unter der Leitung Pfeiffers zurückzuführen, die die Ergebnisse der Unterausschüsse zum Teil zugunsten föderalistischer Lösungen veränderte, vgl. Bucher, in: Wernicke (Hrsg.), Band 2, S. CIX ff. 36 Eine Diskussion wurde für untunlich gehalten, so ausdrücklich Stock bei der Konferenz der Ministerpräsidenten auf dem Jagdschloss Niederwald am 31. August 1948, Wernicke / Booms, Parlamentarischer Rat – Band 1, S. 399. 37 Bucher, in: Wernicke (Hrsg.), Band 2, S. CXXII f. 38 Unverständlich ist, warum das ablehnende Verhalten der SPD so dargestellt wird, als wäre ein illegitimer Vorgang verhindert worden, in diese Richtung aber Wagner, in: Wernicke (Hrsg.), Band 1, S. LVI: „(...) hatte sich die SPD mit Erfolg zur Wehr gesetzt.“. Eine Bindungswirkung wäre auch bei der Übereinkunft, den Entwurf als Grundlage heranzuziehen, nicht entstanden.

1. Abschn.: Grundgesetzliche Verankerung des Bundesstaatsprinzips

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Vorhaben wieder zerschlug. Der Herrenchiemseer Entwurf war damit formal nicht mehr als das, als was ihn die Ministerpräsidenten bezeichnet hatten: eine Arbeitshilfe 39. Tatsächlich hat er die Beratungen des Parlamentarischen Rates aber in vielen Teilen entscheidend beeinflusst und vorherbestimmt, wobei dies hauptsächlich in den Bereichen gilt, in denen es den Teilnehmern gelang, den damals bestehenden Verfassungskonsens zu Papier zu bringen 40. In den politisch besonders umstrittenen Fragen haben dagegen die verfassungspolitischen Programme der Parteien eine wesentlich größere Bedeutung erlangt. Dies trifft insbesondere auch auf weite Bereiche des Bund-Länder-Verhältnisses zu, namentlich auf die Fragen nach der Ausgestaltung der Präambel, die Vorschrift zur Länderneugliederung, die Finanzverfassung und die Rolle der Zweiten Kammer. Die Mehrzahl der Parteien 41 war im Gegensatz zu den eher föderalistisch eingestellten Teilnehmern des Konventes noch dem Gedanken der Weimarer Reichsreformbewegung und ihrer kritischen Einstellung gegenüber föderalen Strukturen verhaftet 42, was der Diskussion in diesen Bereichen insgesamt eine deutlich unitarische Stoßrichtung gab. Interessanterweise gehörte die Verteilung der Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen nicht zu diesen umstrittenen Themengebieten. Hierzu herrschte zwischen den Parteien unabhängig von ihrem sonstigen Verhältnis zur Struktur des Bundesstaates weitgehend Einigkeit 43. Deshalb wurde der entsprechende Teil des Herrenchiemseer Verfassungsentwurfes 44 im Parlamentarischen Rat einmütig als Basis herangezogen und bildete bei den weiteren Beratungen die entscheidende Diskussionsgrundlage 45. 39

Zutreffend Mußgnug, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band I, S. 329. Gallwas, in: März (Hrsg.), Weichenstellung, S. 90. 41 Eine Ausnahme stellten die bayerische CSU und die süddeutschen CDU-Politiker dar. Der vornehmlich von ihnen dominierte Diskussionszirkel „Ellwanger Kreis“ legte einen entsprechend föderalistisch gehaltenen Verfassungsentwurf vor, siehe hierzu Ley, Föderalismusdiskussion, S. 54 ff. 42 Kilper / Lhotta, Föderalismus, S. 155. Zu der Reichsreformbewegung und ihrem Höhepunkt 1927/1928, vgl. Oeter, Integration, S. 66 ff. Anders Katzenstein, DÖV 1958, S. 593, der davon ausging, dass das Grundgesetz unter Verhältnissen zustande kam, die dem zentralistischen Gedanken abgeneigt waren. 43 Für die SPD Antoni, Sozialdemokratie – Band 1, S. 70, für die FDP Lamberty, Liberale, S. 109 und für die CDU / CSU Ley, Föderalismusdiskussion, S. 127 ff. Anders wohl Mußgnug, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band I, S. 340 Rn. 71. 44 Dieser Themenkomplex war bereits nach fünf Tagen relativ abgearbeitet, Wernicke / Booms, Parlamentarischer Rat – Band 2, S. 180. Dennoch gab es umstrittene Einzelfragen, so z. B. die Bundeskompetenz für Staatsangehörigkeit, Enteignung und Eingriffe in die Wirtschaft oder die Errichtung von Bundesoberbehören, vgl. hierzu die Alternativvorschläge im Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, Wernicke / Booms, Parlamentarischer Rat – Band 2, S. 585 f., 606; ausführlich zu der Arbeit des zuständigen Unterausschusses Bucher, in: Wernicke (Hrsg.), Band 2, S. LXXXII ff., insbesondere S. LXXXVII. 45 Werner, in: Wernicke (Hrsg.), Band 3, S. XVII. 40

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

Ohne auf die sogleich noch im Rahmen der Arbeiten des Parlamentarischen Rates erfolgende Darstellung der Kompetenzverteilung im Einzelnen einzugehen, ist es an dieser Stelle doch erwähnenswert, was diese in föderalistischen Fragestellungen ungewohnte Übereinstimmung der Parteien ausmachte. Dazu ist es notwendig, seinen Blick auf die „Technik“ der Kompetenzverteilung zu richten. Die Politikwissenschaften haben dazu zwei „idealtypische“ Möglichkeiten herausgearbeitet, wobei in der Verfassungsgebung keine jemals in Reinform verwirklicht wird, sondern sich beide bis zu einem gewissen Grade vermischen. In Betracht kommt einmal eine Aufteilung nach Politikfeldern. In diesem sogenannten Trennsystem ist die jeweilige Ebene für einen bestimmten sachlichen Bereich sowohl gesetzgebungs- als auch vollzugsbefugt. In dem Interdependenzsystem werden die Kompetenzarten dagegen nach funktionalen Gesichtspunkten verteilt, das heißt der Bund ist vorwiegend für die Gesetzgebung, die Länder sind vorwiegend für den Gesetzesvollzug – nicht nur ihrer eigenen, sondern auch derjenigen des Bundes – zuständig 46. Der Verfassungskonvent hatte Letzteres zugrunde gelegt, ohne sich über die beiden grundsätzlichen Alternativen überhaupt Gedanken gemacht und sich bewusst für ein System entschieden zu haben 47. Zu erklären ist dies mit verfassungsgeschichtlichen Gründen, denn bereits in der Paulskirchen-, der Reichs- und der Weimarer Reichsverfassung war in der Tendenz diese Art funktionaler Aufgabenteilung enthalten 48, ohne dass der Bund von Beginn an jedoch schwerpunktmäßig gesetzgebungsbefugt war 49. In der Konzentration der Vollzugskompetenzen bei den Gliedstaaten wurde ursprünglich ein Mittel zur Sicherung ihrer eigenen Existenz gesehen 50. Auch wenn dieser Gedanke bei den Beratungen des Herrenchiemseer Verfassungskonvents keine tragende Rolle mehr gespielt haben dürfte, wurde diese traditionelle Auf46 Kilper / Lhotta, Föderalismus, S. 64. Deshalb als „funktionaler bzw. horizontaler Föderalismus“, Golay, Federal Republic, S. 28 oder „integrierter Bundesstaat“ bezeichnet, Helms, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2006, S. 121; Lerche, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 83 GG Rn. 8 beschreibt es als „Verzahnungssystem“. 47 Das gilt dementsprechend auch für die Beratungen des Parlamentarischen Rates, vgl. Werner, in: Wernicke (Hrsg.), Band 3, S. XXXIII. 48 Von Badura, Staatsrecht, als „Kontinuität der rechtstechnischen Gestaltungen“ bezeichnet, S. 336. 49 So war der Katalog der Bundesgesetzgebungskompetenzen in der Reichverfassung von 1871 noch recht übersichtlich, konnte aber durch einfaches Gesetz erweitert werden. Die Weimarer Reichsverfassung wies dem Reich dann bereits in sehr großem Umfang Gesetzgebungszuständigkeiten zu. 50 Zu diesen Überlegungen bei der Ausarbeitung der Paulskirchenverfassung, Heitsch, Ausführung, S. 27 f. und bei der Verfassung des Norddeutschen Bundes, Erichsen, in: Bundesrat (Hrsg.), Bundesrat, S. 20 f. mit Verweis auf ein Zitat von Lavergne-Peguilhen (Die conservative Soziallehre, Mittelst Erörterung von Tagesfragen, Erstes Heft 1868, S. 39): Dadurch „dass (...) für die der Competenz des Bundes unterliegenden Gegenstände der Schwerpunkt der Administration den Landesbehörden verbleibt“, „fehle es der Bundesgewalt (...) an Organen, durch welche sie die Autonomie ihrer Glieder gefährden könnte“.

1. Abschn.: Grundgesetzliche Verankerung des Bundesstaatsprinzips

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teilung gerade auch im Hinblick darauf, dass Rechtsprechung und Verwaltung mit „überkommenen und abgeklärten Fassungen leichter arbeiten als mit völlig neuen“ 51, übernommen. Diese Aufteilungsmethode ließ sich mit fast allen verfassungspolitischen Programmen der Parteien in Einklang bringen, obwohl die Meinungen zu der Frage, wie stark die Gliedstaaten bzw. der Zentralstaat sein sollten, weit auseinanderklafften. Sowohl in die Konzepte der SPD und der FDP mit einer dezentralen Verwaltung, ansonsten aber starken Zentralgewalt 52, als auch in die Vorstellungen der CDU / CSU mit weitgehenden Gesetzgebungszuständigkeiten des Bundes 53, ansonsten aber starken Ländern, ließ sie sich fast nahtlos einfügen. Insgesamt handelte es sich deswegen um keinen hart umstrittenen Komplex, zumal die Übereinstimmung in den Grundsätzen auch bei den Einzelfragen eine Orientierung an dem „Prinzip der sachlichen Zweckmäßigkeit“ 54 möglich gemacht hatte. II. Parlamentarischer Rat An den Arbeiten des Parlamentarischen Rates waren die unterschiedlichsten Gremien beteiligt. Zu nennen sind hier die jeweiligen Fachausschüsse 55, der Hauptausschuss 56, das verbindlich entscheidende Plenum und zur Durchsetzung 51

Niclauß, Demokratiegründung, S. 189. Siehe dazu die Nürnberger Richtlinien vom 29. Juni/2. Juli 1949, abgedruckt in: Antoni, Sozialdemokratie – Band 1, S. 323 ff., insbesondere 324 und 326; für die SPD bildeten die umfangreichen Gesetzgebungszuweisungen an den Bund die Basis für die angestrebte Neugestaltung der Sozial- und Wirtschaftsordnung, Niclauß, Demokratiegründung, S. 184 ff.; insgesamt war das Föderalismusverständnis der SPD ein recht Formales, das sich in der Forderung nach der Existenz der Länder erschöpfte und ansonsten darauf abzielte, so viel „demokratische Zentralgewalt“ wie irgend möglich durchzusetzen, vgl. Antoni, Sozialdemokratie – Band 2, S. 65 f.; zu der Einstellung bei der FDP, Lamberty, Liberale, S. 109 ff. 53 Diese wurden vor dem Hintergrund der tagespolitischen Aufgaben der Nachkriegszeit als notwendig und der Struktur des modernen Lebens entsprechend (so Strauß (CDU) in der 3. Sitzung des Zuständigkeitsausschusses am 23. September 1948, Wernicke / Booms, Parlamentarischer Rat – Band 3, S. 43) erachtet, Niclauß, Demokratiegründung, S. 193. 54 So die Forderung Schmids in der 2. Plenumssitzung am 8. September 1949, Schick / Kahlenberg, Parlamentarischer Rat – Band 9, S. 43. 55 Mit den für diese Arbeit relevanten Themen beschäftigte sich der Fachausschuss „Zuständigkeitsabgrenzung“ und der Fachausschuss für „die Organisation des Bundes“. Der erst genannte Fachausschuss bestand aus zehn stimmberechtigten Mitgliedern und tagte vom 29. September 1948 bis zum 15. Oktober 1948 in insgesamt 13 Arbeitssitzungen, der zweite bestand aus zwölf Mitgliedern und tagte allein oder in Kombination mit einem anderen Fachausschuss insgesamt 32 Mal im Zeitraum vom 15. September 1948 bis 20. Januar 1949. 52

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

der eigenen Vorgaben die alliierten Militärgouverneure 57. Im Laufe der Beratungen sind noch drei weitere, zunächst nicht vorgesehene Ausschüsse hinzugekommen und zwar die sogenannten interfraktionellen Ausschüsse 58 und der allgemeine Redaktionsausschuss 59. Sie wurden hauptsächlich koordinativ tätig und erleichterten insbesondere in der Schlussphase die Kompromissfindung zwischen den einzelnen Fraktionen. Für die Zwecke dieser Arbeit ist es nicht erforderlich, den der Endfassung des Grundgesetzes zugrunde liegenden Entscheidungsprozess in allen Details und seiner gesamten Komplexität darzustellen. Ausreichend ist es vielmehr, sich auf die wesentlichen Etappen zu beschränken. Die Verteilung der Gesetzgebungsund Verwaltungskompetenzen war, die Gründe dafür wurden bereits beschrieben, in ihren Grundzügen zwischen den Parteien 60 unumstritten. Der Konflikt wurde auf einem anderen Feld ausgetragen, denn die geplante Verteilung gab den alliierten Militärgouverneuren Anlass zu wiederholtem Eingreifen 61. Die Amerikaner, denen das Interdependenzsystem und seine funktionale Ausgleichswirkung fremd waren, sahen in der Überlegenheit des Bundes im Bereich der Gesetzgebungskompetenzen die Gefahr einer übermäßig zentralistischen Ausgestaltung des Grundgesetzes 62. Die Franzosen schlossen sich dieser Kritik an, auch wenn es ihnen dabei nicht, wie den Amerikanern, um den „idealen“ föde56 Der Hauptausschuss stellte aus den Vorarbeiten der Fachausschüsse ab dem 11. November 1948 den Entwurf des Grundgesetzes zusammen. 57 Werner, in: Wernicke (Hrsg.), Band 3, S. XXV. 58 Nach einer Reihe von erfolglosen interfraktionellen Besprechungen wurde auf Vorschlag Adenauers zunächst am 26. Januar 1949 ein inoffizieller Unterausschuss der interfraktionellen Konferenz, der sog. „Fünfer-Ausschuss“, später, nach dessen Auflösung, der sog. „Siebener-Ausschuss“ gebildet, vgl. Feldkamp, in: Stelzl (Hrsg.), Band 11, S. XXV ff. 59 Dieser Ausschuss bestand aus drei Mitgliedern und fungierte als Mittlerstelle zwischen Fach- und Hauptausschuss. Er sollte sich eigentlich auf formale Redaktionsarbeiten beschränken, nahm dann aber auch inhaltliche Veränderungen vor. 60 Die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates wurden zwar von den Landtagen gewählt, verstanden sich aber gleichwohl als Repräsentanten der Parteien und nicht der Länder, Boldt, ZSE 2003, S. 512. 61 Während das erste, als Aide-Mémoire bezeichnete Memorandum vom 22. November 1948 lediglich zur Erläuterung des Inhalts des ersten Frankfurter Dokuments dienen sollte und keine verbindlichen Anweisungen enthielt, wurden in dem zweiten Memorandum vom 2. März 1949 konkrete Änderungswünsche geäußert, die es unmissverständlich zu beachten galt. Sie sind abgedruckt in: Schick / Kahlenberg, Parlamentarischer Rat – Band 8, S. 37 ff., 131 ff. Das die auf der Londoner Sechs-Mächte-Konferenz beschlossenen Prinzipien enthaltende erste Memorandum gab unter anderem zu bedenken, dass die Bundesgesetzgebung sich nicht auf das Erziehungswesen, kulturelle und kirchliche Angelegenheiten und die Selbstverwaltung erstrecken und sich auf den Gebieten des öffentlichen Gesundheitswesens, der öffentlichen Wohlfahrt und der Polizei auf bestimmte Aspekte beschränken sollte. 62 Golay, Federal Republic, S. 27 f., 99; Mußgnug, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band I, S. 341 Rn. 77.

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ralen Aufbau, sondern mehr um die Verwirklichung eigener Ziele ging 63. Um den Erfolg der Arbeit des Parlamentarischen Rates gerade auch im Hinblick auf den sich verschärfenden Ost-West-Konflikt nicht zu gefährden, verzichteten die Außenminister 64 letztendlich aber auf eine strenge Überprüfung nach ihren Vorstellungen und gaben an die Militärgouverneure die Parole einer „wohlwollenden Würdigung“ in der Frage der Gesetzgebungskompetenzen aus 65. Bei der Kompetenzverteilung ergab sich zudem das Problem, dass zwischen ihr und der Ausformung der Zweiten Kammer ein enger, unlösbarer Zusammenhang hergestellt worden war 66. So hatte die CDU / CSU ihre grundsätzliche Bereitschaft, die Gesetzgebungsmacht beim Bund zu konzentrieren, unter anderem an die Bedingung geknüpft, dass den Ländern als Kompensation Mitwirkungsrechte bei der Bundesgesetzgebung eingeräumt werden 67. Auch im Bereich der Verwaltungskompetenzen war die Ausgestaltung der Zweiten Kammer für verschiedene Regelungsaspekte von Bedeutung 68. Wegen dieses Zusammenhangs erscheint es sinnvoll, zunächst die Einigung in der Frage der Zweiten Kammer nachzuzeichnen. In diesem föderalen Hauptstreitpunkt verliefen die Konfliktlinien „klassisch“ zwischen den einzelnen Parteien. 1. Bundesrat oder Senat? Über die Entscheidung, auf der Bundesebene neben dem Bundestag ein Organ zur Vertretung des „Elements Land“ zu statuieren, bestand zwischen den Parteien zwar Einigkeit 69. Sowohl seine Zusammensetzung als auch der Umfang seiner 63

Golay, Federal Republic, S. 97 f. Dafür hatte vor allem der britische Außenminister Bevin gesorgt, Antoni, Sozialdemokratie – Band 2, S. 85. Das Hauptziel der Briten bestand darin aus Kostengründen schnellstmöglich die Besatzungsherrschaft abzubauen, vgl. Golay, Federal Republic, S. 100, 106. 65 Diese Mitteilung der Außenminister von Frankreich, England und den Vereinigten Staaten ist abgedruckt in: Schick / Kahlenberg, Parlamentarischer Rat – Band 8, S. 244; sie datiert auf den 8. April 1949, ihr Inhalt wurde dem Parlamentarischen Rat aus taktischen Gründen jedoch erst am 22. April 1949 bekannt gegeben. 66 Werner, in: Wernicke (Hrsg.), Band 3, S. XXXIII. 67 So Strauß in der 3. Sitzung des Zuständigkeitsausschusses am 23. September 1948, Wernicke / Booms, Parlamentarischer Rat – Band 3, S. 43. 68 Beispielsweise wurde die Frage, ob im Rahmen der bundeseigenen Verwaltung und der bundesunmittelbaren Selbstverwaltung der Erlass von Ausführungsvorschriften der Zustimmung der Zweiten Kammer bedarf, unmittelbar von deren Ausgestaltung abhängig gemacht, vgl. die Diskussion in der 16. Sitzung des Zuständigkeitsausschusses am 18. November 1948, Wernicke / Booms, Parlamentarischer Rat – Band 3, S. 620 ff. 69 Lehr in der 3. Sitzung des Kombinierten Ausschusses am 21. September 1948 unter Bezugnahme auf den Bericht über den Herrenchiemseer Verfassungskonvent, vgl. Stelzl / Weber, Parlamentarischer Rat – Band 13/1, S. 49. 64

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

Mitwirkungsbefugnisse bei der Gesetzgebung waren aber umstritten 70. So war zu letzterer Frage von der CDU und CSU eine Ausgestaltung als echte Zweite Kammer gefordert worden 71 mit der Folge, dass Gesetze nur durch den übereinstimmenden Beschluss beider Häuser hätten verabschiedet werden können, während die SPD dem Föderativorgan grundsätzlich nur ein suspensives Vetorecht zubilligen wollte 72. Obwohl für den Einfluss des Organs Land und damit für das föderative Prinzip von ungeheurem Gewicht 73, war es nicht diese Streitfrage, sondern die Diskussion um die Zusammensetzung, die die entscheidende Initiativhandlung hervorbrachte. Insoweit waren nicht nur zwischen der SPD und der CDU / CSU, sondern auch innerhalb der CDU / CSU unterschiedliche Auffassungen vertreten worden. Die SPD 74 und die norddeutschen Vertreter der CDU 75 favorisierten einen Senat nach amerikanischem Vorbild bzw. einen sogenannten „Halbsenat“, der (auch) von den Landtagen gewählt und damit (auch) aus von den Landesregierungen unabhängigen Senatoren gebildet werden würde. Die CSU und die süddeutsche CDU wollten dagegen an dem der deutschen Tradition entsprechenden – im internationalen Vergleich einmaligen – Bundesrat, der sich aus praktisch weisungsgebundenen Mitgliedern der Landesregierungen zusammensetzt, festhalten 76. Im Kern lag den divergierenden Meinungen ein unterschiedliches Demokratie- und Bundesstaatsverständnis zugrunde. Die Anhänger des Bundesratmodells bezweckten mit der Ministerialbürokratie ein Gegengewicht zu dem „Parlamentsabsolutismus“ 77 und sahen eine adäquate, nicht durch Parteikonflikte überlagerte Interessenvertretung der Länder nur durch diese Besetzung gewährleistet 78. Die Senatsvertreter wollten hingegen umgekehrt jedwede Beein70 Ausführlich zum Beratungsverlauf Morsey, in: Bundesrat (Hrsg.), Bundesrat, S. 65 ff. 71 Ley, Föderalismusdiskussion, S. 91. 72 Antoni, Sozialdemokratie – Band 2, S. 66 f. Dahinter standen unterschiedliche Demokratieverständnisse, von Niclauß, Demokratiegründung, S. 140 ff. als Konzept der konstitutionellen Demokratie einer-, der sozialen Mehrheitsdemokratie andererseits bezeichnet. 73 Büttner / Wettengel, in: Stelzl (Hrsg.), Band 13/1, S. LXIII mit dem Hinweis auf diese Einschätzung Menzels. 74 Antoni, Sozialdemokratie – Band 2, S. 67. 75 Wobei kein CDU- oder CSUler offen für einen reinen Senat, sondern stets für die gemischte Variante eintrat, vgl. Ley, Föderalismusdiskussion, S. 77. 76 Ley, Föderalismusdiskussion, S. 78. Zu den einzelnen Argumenten für die beiden Alternativen, vgl. den Bericht über den Verfassungskonvent, abgedruckt in: Wernicke / Booms, Parlamentarischer Rat – Band 2, S. 539 ff. 77 Der Begriff ist anscheinend 1946 erstmals in der Diskussion aufgetaucht, Niclauß, Demokratiegründung, S. 75. 78 Siehe hierzu die Ausführungen von Strauß und Schwalber in der 3. Sitzung des Kombinierten Ausschusses am 21. September 1948, Stelzl / Weber, Parlamentarischer

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trächtigung des demokratischen Prinzips, wie sie durch die Ministerialbürokratie befürchtet wurde, verhindern 79 und selbst ein in hohem Maße den demokratischen Grundsätzen entsprechendes Organ schaffen. Verkürzt dargestellt stand bei Letzteren das demokratische, bei Ersteren das föderative Prinzip im Vordergrund 80. Um fraktionsintern eine einheitliche Linie zu finden, wurde in einer Sitzung der CDU / CSU am 23. September 1948 über die verschiedenen Modelle probeweise abgestimmt 81. Dabei fand sich zunächst eine knappe Mehrheit für die Bundesratslösung, die jedoch zwei Wochen später zugunsten einer vermittelnden Lösung 82 wieder aufgegeben wurde. Der bayerische Ministerpräsident Ehard, vehementer Verfechter der Bundesratslösung, wollte sich mit dieser, auch von der FDP unterstützten und damit aussichtsreichen Variante nicht abfinden und suchte deshalb den persönlichen Kontakt zu der SPD, genauer zu dem stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Fraktion Menzel 83. In einem am 26. Oktober 1948 geführten inoffiziellen Gespräch, dem zur Legende gewordenen Abendessen im Bonner Hotel „Königshof“, handelten die Parteivertreter denjenigen Kompromiss aus, der letztendlich in seinen entscheidenden Grundzügen Eingang in das Grundgesetz gefunden hat. Während Menzel dabei in der Frage der Zusammensetzung nachgab und der Bundesratslösung seine Zustimmung erteilte 84, verzichtete Ehard auf die gleichberechtigte Mitwirkung des Föderativorgans im Gesetzgebungsverfahren und erklärte sich mit einem suspensiven Vetorecht einverstanden 85. Rat – Band 13/1, S. 58 ff. und S. 71. Ausführlich zu den Vorzügen des Bundesratsmodells, Süsterhenn, in: Wilke (Hrsg.), Bundesrat, S. 161 ff. 79 Antoni, Sozialdemokratie – Band 2, S. 67; vgl. die Äußerung von Wagner in der 3. Sitzung des Kombinierten Ausschusses am 21. September 1948, Stelzl / Weber, Parlamentarischer Rat – Band 13/1, S. 54. Von den Senatoren war ein geringerer Widerstand gegen die Gesetzgebungstätigkeit der unmittelbar gewählten Legislative zu erwarten. 80 Antoni, Sozialdemokratie – Band 2, S. 66 und Zündorf, Föderalistischer Gedanke, S. 62 f.: Für die SPD galt „so viel Parlament als möglich“, für die CDU / CSU „so viel Bundesrat als möglich“. 81 Ausführlich dazu Ley, Föderalismusdiskussion, S. 77 ff. 82 Dieses von v. Mangoldt und Lehr in die Diskussion eingebrachte Modell sah vor, dass der Bundesrat von den Landesregierungen und von den Landtagen gewählt würde. Es handelte sich daher um eine Mischung aus Bundesrats- und Senatslösung. 83 Ley, Föderalismusdiskussion, S. 81 ff. 84 Menzel erklärte später, dass „der Einsatz für den Bundesrat unter Ablehnung von dessen Gleichberechtigung eine Teilung der Souveränität in der Gesetzgebung verhindert und dem Bundestag die politische Entscheidungsbefugnis belassen habe“, siehe hierzu Morsey, in: Bundesrat (Hrsg.), Bundesrat, S. 74 Fn. 37. 85 Erstaunlich, wenn man bedenkt, mit welcher Energie Ehard die Bundesratslösung vorangetrieben hat, ist, dass sechs der insgesamt acht CSU-Abgeordneten und die Bayerische Landtagsmehrheit dem Grundgesetz ihre Zustimmung versagten, vgl. Morsey, in: Bundesrat (Hrsg.), Bundesrat, S. 77.

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In der SPD stieß diese Vereinbarung auf Zustimmung und bereits am 23. November 1948 wurde offiziell von dem Senatsprinzip Abstand genommen 86. In der CDU / CSU gestaltete sich eine Einigung nach dem Alleingang Bayerns dagegen weitaus schwieriger. Schließlich fiel die Entscheidung aufgrund der unnachgiebigen Haltung der CSU zwar zugunsten der Bundesratsvariante, entgegen dem Ehard-Menzel-Kompromiss sollte in der Frage der gleichberechtigten Mitwirkung aber auf dem ursprünglichen Standpunkt beharrt werden 87. Dafür fehlte es im Parlamentarischen Rat unabhängig von den Stimmen der SPD an einer ausreichenden Anzahl von Mitstreitern 88, so dass sich die Unionsfraktion darauf verlegte, in möglichst vielen Einzelbereichen eine Gleichberechtigung des Bundesrates zu erzielen. In der „Fortsetzung der Gleichberechtigungsdiskussion“ 89 hatte die CDU / CSU zunächst einen beachtlichen Katalog an Zustimmungstatbeständen durchsetzen können, der später als Kompensationsgrundlage für das durch das Märzmemorandum erzwungene Nachgeben der SPD in der Frage der Länderfinanzverwaltung diente 90 und dadurch stark reduziert wurde 91. Eine gleichberechtigte Mitwirkung war schließlich nur ausnahmsweise, nämlich 86 Sie behielt sich jedoch vor, auf die Senatslösung zurückzukommen, wenn die CDU / CSU mit ihren Bestrebungen nach einer gleichberechtigten Zweiten Kammer durchkommen würde, Antoni, Sozialdemokratie – Band 2, S. 226. Ob allein das Nachgeben Ehards in der Frage der Gleichberechtigung oder darüber hinaus auch noch andere Gründe eine Rolle gespielt haben, ist ungewiss. Viel spricht dafür, dass auch Teile der SPD der Bundesratslösung nicht abgeneigt waren. Denn der SPD-Entwurf für eine „Westdeutsche Satzung“ vom 16. August 1948 enthielt selbst diese Alternative, abgedruckt in: Antoni, Sozialdemokratie – Band 1, S. 220. Eine entsprechende Vermutung findet sich auch bei Morsey, DÖV 1989, S. 477. Den Vorwurf, dass Ehard zusätzlich eine unitarische Finanzverfassung in Aussicht gestellt habe, erhob Adenauer, als er die Frage aufwarf, „wie man für ein Linsengericht die wirksame Sicherung des Föderalismus verkaufen“ könne. Die Einschätzung Adenauers teilte Niclauß, Demokratiegründung, S. 150. 87 Dieses Ergebnis wurde in einer Fraktionssitzung am 26. November 1948 erzielt. Gleichwohl gab es weiterhin Versuche der Halbsenatsanhänger, ihre Vorstellungen zu realisieren, die jedoch allesamt im Sande verliefen, vgl. Ley, Föderalismusdiskussion, S. 85 ff. 88 Siehe hierzu die Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 26. November 1948 und die vom Hauptausschuss in erster Lesung angenommene Fassung vom 10. Dezember 1948, Schick / Kahlenberg, Parlamentarischer Rat – Band 7, S. 64, 114 f. Die FDP hätte nur bei einer Halbsenatslösung die Gleichberechtigung der Zweiten Kammer befürwortet, Ley, Föderalismusdiskussion, S. 87. 89 Niclauß, Demokratiegründung, S. 154. 90 Dieser Zusammenhang bestätigt die Vermutung von Niclauß, Demokratiegründung, S. 156, dass der Katalog der Zustimmungsgesetze ursprünglich für ein Entgegenkommen der CDU / CSU in der Bundesfinanzverwaltung von der SPD / FDP gebilligt worden war. 91 Vgl. dazu die Fassung in der 4. Lesung des Hauptausschusses vom 5. Mai 1949, in der die übrig gebliebenen Zustimmungstatbestände auf die einzelnen relevanten Artikel verteilt worden waren. Golay, Federal Republic, S. 106, 108 qualifizierte dies als die bedeutendste, wenngleich unbeabsichtigte mittelbare Auswirkung der Intervention der Alliierten.

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in den 14 enumerativ im Grundgesetz aufgezählten Fällen, vorgesehen 92. Es handelte sich dabei um Bereiche, „in denen der Interessenbereich der Länder durch bundesgesetzliche Regelungen besonders stark berührt wird“ 93, zum einen bei Regelungen, die in die Verwaltungskompetenzen der Länder eingreifen und zum anderen bei solchen, die die Finanzverteilung zwischen Bund und Ländern betreffen 94. Die Stellung des Bundesrates war damit gegenüber dem Weimarer Reichsrat, der keinerlei Zustimmungsrechte im Gesetzgebungsverfahren hatte 95, verbessert worden. Welche Bedeutung und Tragweite die Zustimmungstatbestände, insbesondere Art. 84 Abs. 1 2. Halbsatz GG, für den Bundesrat tatsächlich entfalten sollten, war damals indessen nicht vorausgesehen worden. 2. Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen Der Herrenchiemseer Vorschlag, die Grundregel der Länderzuständigkeit in Art. 30 GG und speziell für die Gesetzgebungskompetenzen in Art. 70 Abs. 1 GG (Art. 32 ChE 96) erstmals in der deutschen Verfassungsgeschichte ausdrücklich festzulegen 97, wurde ohne weiteres übernommen. Der traditionellen deutschen Methode der Kompetenzverteilung folgend strebte man jedoch von Anfang an 92

Die Anzahl schwankt je nach Zählweise: Art. 79 Abs. 2 GG, Art. 29 Abs. 7 Satz 1 und 2 GG, Art. 84 Abs. 1 GG, Art. 84 Abs. 5 Satz 1 GG, Art. 85 Abs. 1 GG, Art. 87 Abs. 3 Satz 2 GG, Art. 105 Abs. 3 GG, Art. 106 Abs. 3 Satz 2 GG; Art. 106 Abs. 4 Satz 2 GG, Art. 107 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 108 Abs. 2 Satz 2 GG, Art. 134 Abs. 4 GG, Art. 135 Abs. 5 GG und Art. 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 3 GG. Vor diesem Hintergrund ist die Bezeichnung als Zweite Kammer unzutreffend, vgl. BVerfGE 37, 363 (380); Stern, Staatsrecht – Band I, S. 744; Scholz, in: Wilke (Hrsg.), Bundesrat, S. 270. Anders aber Ziller, in: Wilke (Hrsg.), Bundesrat, S. 345 f. und Süsterhenn, in: Wilke (Hrsg.), Bundesrat, S. 167, nach deren Meinung eine irgendwie geartete Mitwirkung bei der Gesetzgebung für ein Zweikammersystem ausreicht. Inhaltlich lassen sich aus dieser Debatte ohnehin keine Konsequenzen für die Stellung des Bundesrates gewinnen, so dass es sich im Grunde um eine rein terminologische Frage handelt. 93 BVerfGE 1, 79. 94 So die Einteilung bei Haghgu, Zustimmung, S. 41 mit dem Hinweis, dass nicht jedes Bundesgesetz mit besonderer Beeinträchtigung der Länderinteressen der Zustimmung des Bundesrates unterworfen wurde. Im ChE war bei der sich im Ergebnis durchsetzenden „abgeschwächten Bundesratslösung“ die Zustimmung nur für sog. „systemverschiebende“ Gesetze vorgesehen. Das waren praktisch nur solche, die in die Verwaltungskompetenz der Länder eingriffen, Bericht des dritten vom Herrenchiemseer Verfassungskonvent gebildeten Unterausschusses, Wernicke / Booms, Parlamentarischer Rat – Band 2, S. 290 f., 304. Die zweite Gruppe kam erst durch die Beratungen des Parlamentarischen Rates hinzu. 95 Huber, Verfassungsgeschichte – Band IV, S. 383 f.: Er konnte gegen ein vom Reichstag beschlossenes Gesetz nur aufschiebenden Einspruch einlegen (Art. 74 WRV). 96 In dem ChE waren die Gesetzgebungszuständigkeiten in den Art. 32 –37 geregelt. Die Verortung in den Art. 70 ff. GG wurde erst in der 4. Lesung des Hauptausschusses am 5. Mai 1949 beschlossen, Schick / Kahlenberg, Parlamentarischer Rat – Band 7, S. 548 f.

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umfangreiche Zuweisungen an den Bundesgesetzgeber an, so dass für die Anwendung des Art. 70 Abs. 1 GG verhältnismäßig wenig Raum verbleiben sollte 98. Mit Ausnahme der Frage nach einer polizeilichen Kompetenz des Bundes 99 und des Umfangs der Kulturhoheit der Länder 100, bereitete die Erarbeitung der Kompetenzkataloge vor diesem Hintergrund kaum Schwierigkeiten. Die vier Kompetenztypen der WRV, die ausschließliche, die konkurrierende, die Bedarfs- und die Grundsatzgesetzgebung, sollten auf zwei Kompetenzarten reduziert und um die angesichts der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung notwendig gewordenen Kompetenzmaterien ergänzt werden. Zum einen war dies die in Art. 71 GG verankerte ausschließliche Gesetzgebung. Hierzu hatte man den Kompetenzkatalog des Art. 35 ChE unter einigen Erweiterungen und Konkretisierungen 101 vollständig in Art. 73 GG übernommen. Zum anderen die Vorranggesetzgebung des Art. 72 GG 102, die später nach dem Vorbild des Art. 7 der WRV wiederum die „neutralere“ Bezeichnung als konkurrierende Gesetzgebung erhielt 103. Sie diente als Auffangtatbestand für die freiwerdenden Kompetenztitel der abgeschafften Kompetenzarten und in dem ChE waren ihr noch 38 Positionen zugeordnet worden. In der endgültigen Fassung enthielt der Katalog des Art. 74 GG dann zwar „nur“ noch 23 Positionen, was aber weniger auf einer inhaltlichen Kürzung, als auf einer sprachlichen Straffung beruhte. Im Gegenteil, die teilweise beschränkten Regelungsmöglichkeiten des Bundes in dem ChE 104 wurden in dem Fachausschuss größtenteils aufgehoben und der Ka97 Diese Verteilungsmethode – Residualkompetenz der Länder, ausdrücklich aufgezählte Kompetenzen des Bundes – wird bei dem erstmaligen Zusammenschluss zu einem Bund gewählt und ist aus verfassungshistorischen Gründen übernommen worden, Merten, in: Blanke (Hrsg.), Bundesstaat, S. 73. 98 Zu dieser Einschätzung kam bereits der Herrenchiemseer Verfassungskonvent in Bezug auf seinen Vorschlag zur Vorranggesetzgebung. Wörtlich heißt es in dem Bericht des zweiten vom Herrenchiemseer Verfassungskonvent eingerichteten Unterausschusses, dass „in diesem Bereich nicht eine substantielle Gewährleistung zu Gunsten des Landes bestehe“, vgl. Wernicke / Booms, Parlamentarischer Rat – Band 2, S. 247. 99 Werner, in: Wernicke (Hrsg.), Band 3, S. XXVI ff. 100 So konnte die SPD weder beim Rundfunk (Art. 73 Nr. 7 GG: „Fernmeldewesen“) noch bei der Förderung der wissenschaftlichen Forschung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG) durchsetzen, dass auch die jeweilige organisatorische Seite der Bundeskompetenz unterfiel, Antoni, Sozialdemokratie – Band 2, S. 244 f. und 248. 101 Dazu Antoni, Sozialdemokratie – Band 2, S. 242 ff. 102 Diese Bezeichnung hatte der Herrenchiemseer Verfassungskonvent treffenderweise gewählt, Bericht des zweiten Unterausschusses, Wernicke / Booms, Parlamentarischer Rat – Band 2, S. 247. 103 Vgl. die Vorschläge des Allgemeinen Redaktionsausschusses zur Fassung für die 3. Lesung des Hauptausschusses vom 2.-5. Mai 1949, Schick / Kahlenberg, Parlamentarischer Rat – Band 7, S. 513 f. Damit reagierte der Allgemeine Redaktionsausschuss wohl auf die im Märzmemorandum zum Ausdruck kommende Kritik der Militärgouverneure, Niclauß, Demokratiegründung, S. 191.

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talog der „Vorranggesetzgebung“ um zusätzliche Kompetenzfelder erweitert 105. Zudem wurde auf Vorschlag des interfraktionellen Fünferausschusses noch ein dritter Kompetenztypus, die Rahmengesetzgebung in Art. 75 GG aufgenommen und teilweise mit neuen, teilweise mit bis dahin in der „Vorranggesetzgebung“ eingeordneten Kompetenzmaterien angereichert 106. Die für die Gesetzgebungsmacht des Bundes entscheidende Frage, unter welchen Voraussetzungen er von seiner „Vorrang“- und Rahmengesetzgebung Gebrauch machen dürfe, wurde von dem Parlamentarischen Rat zunächst unter wörtlicher Übernahme des entsprechenden Artikels der ChE beantwortet. Art. 34 ChE hatte folgende Fassung: „Im Bereich der Vorranggesetzgebung behalten die Länder das Recht der Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch gemacht hat. Der Bund soll nur das regeln, was einheitlich geregelt werden muss“. Diese zugegebenermaßen sehr unpräzise und „zur angemessenen Wahrung der Stellung der Länder in einem föderativen System“ 107 nicht geeignete Formulierung war es, die die Kritik der 104 So sollte der Bund nur die „Grundsätze“ des allgemeinen Enteignungsrechts (Fassung b), der Landeszugehörigkeit, der öffentlichen Fürsorge, des Flüchtlingswesens und der Bodenverteilung, des Siedlungs- und Heimstättenwesens sowie des Wohnungsrechts regeln dürfen, Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, Wernicke / Booms, Parlamentarischer Rat – Band 2, S. 585 f. Der Fachausschuss sah die Beschränkung auf den Erlass von Grundsätzen nur noch für letzt genannten Bereich und für die Jagd, die Hochsee- und Küstenfischerei sowie das landwirtschaftliche Pachtwesen vor, Stand vom 18. November 1948, Wernicke / Booms, Parlamentarischer Rat – Band 3, S. 643. 105 Insgesamt zu den Veränderungen gegenüber dem ChE, Antoni, Sozialdemokratie – Band 2, S. 247 ff. 106 Mit der Bezeichnung als Rahmengesetzgebung sollte verdeutlicht werden, dass auch unmittelbar geltendes Recht erlassen werden durfte. Dies war bei der Grundsatzgesetzgebung der Weimarer Reichsverfassung umstritten gewesen, vgl. BVerfGE 4, 115 (128 f.). Der Ausschuss hatte folgende Materien für die Rahmengesetzgebung vorgeschlagen: die Rechtsverhältnisse der im öffentlichen Dienst der Länder und Körperschaften des öffentlichen Rechts stehenden Personen (Nr.1), das Jagdwesen, den Naturschutz und die Landschaftspflege (Nr. 2), die Bodenverteilung, die Raumordnung und den Wasserhaushalt (Nr. 3) und das Melde- und Ausweiswesen (Nr. 4), vgl. Änderungsvorschläge des Fünfer-Ausschusses vom 31. Januar – 5. Februar 1949, Schick / Kahlenberg, Parlamentarischer Rat – Band 7, S. 300. Diese wurden von dem Plenum vollständig übernommen und auf Vorschlag des Siebener-Ausschusses noch um die allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse und des Films (Nr. 1a) ergänzt, Änderungsvorschläge vom 17. März 1949, Schick / Kahlenberg, Parlamentarischer Rat – Band 7, S. 459. 107 Memorandum der Militärgouverneure zum Grundgesetzentwurf vom 2. März 1949, abgedruckt in: Schick / Kahlenberg, Parlamentarischer Rat – Band 8, S. 131 ff. Zudem sollte nach den Vorstellungen der Alliierten die Gesetzgebungskompetenz zur Regelung des Presse- und Lichtspielwesens und des öffentlichen Dienstes in den Ländern entfallen. Der Parlamentarische Rat ist dem nicht gefolgt und hat beide Sachgebiete in der Rahmengesetzgebung belassen, die Bedürfnisklausel aber dafür auf die Rahmengesetzgebung erstreckt, Antoni, Sozialdemokratie – Band 2, S. 316.

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Militärgouverneure in ihrem Märzmemorandum heraufbeschwor. Der Parlamentarische Rat war aber nicht gewillt, den konkreten Formulierungsvorschlag der Alliierten zu übernehmen 108, sah er darin eine Art formeller Umkehrung der bisherigen Regelung 109 und befürchtete, einen Zustand unerträglicher Rechtszerplitterung Tür und Tor zu öffnen 110. Stattdessen versuchte er – zunächst erfolglos 111 – den Änderungswünschen mit der sogenannten Bedürfnisklausel Rechnung zu tragen 112. Diese war durch ihre Nummer 3 so weit gefasst worden, dass dem „Bundesverfassungsgericht verwehrt werden konnte, hier einzugreifen“ 113 und eine Beschränkung der Bundesgewalt ausgeschlossen war 114. Der neu formulierte Art. 72 Abs. 2 GG räumte dem Bund ein Gesetzgebungsrecht ein, „soweit ein Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung besteht, weil 1. eine Angelegenheit durch die Gesetzgebung einzelner Länder nicht wirksam geregelt werden kann oder 2. die Regelung einer Angelegenheit durch ein Landesgesetz die Interessen anderer Länder oder der Gesamtheit beeinträchtigen könnte oder 3. die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit, insbesondere die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse über das Gebiet eines Landes hinaus sie erfordert“. Dass Art. 72 Abs. 2 GG in dieser Form schließlich doch aufgenommen wurde, beruhte auf dem Einlenken der Alliierten, die ein Scheitern des Grundgesetzes verhindern wollten 115. In ihrem Genehmigungsschreiben vom 12. Mai 1949 behielten sie sich allerdings vor, diesen Artikel in der besprochenen restriktiven Weise 116 auszulegen 117, wovon aber nie Gebrauch gemacht wurde. 108 Sie lautete: „Die Länder behalten die Gesetzgebung auf den nachstehend aufgezählten Gebieten, außer wenn es offenbar für ein einziges Land unmöglich ist, wirksame Gesetze zu erlassen, oder wenn solche Gesetze, falls erlassen, den Rechten oder Interessen anderer Länder schädlich wären. In solchen Fällen, und vorausgesetzt, dass die Interessen der verschiedenen Länder offenbar, unmittelbar und im Ganzen berührt sind, hat der Bund das Recht, die nötigen und angemessenen Gesetze zu erlassen.“, vgl. Memorandum der Militärgouverneure zum Grundgesetzentwurf vom 2. März 1949, abgedruckt in: Schick / Kahlenberg, Parlamentarischer Rat – Band 8, S. 131 f. 109 Sitzungen des Siebenerausschusses vom 3. und 4. März 1949, Stelzl / Kahlenberg, Parlamentarischer Rat – Band 11, S. 110. 110 Auf diese Gefahr hatten der Vorstand des deutschen Richterbundes in Nord- und Westdeutschland und die Dekane der westdeutschen Rechtswissenschaftlichen Fakultäten in ihren Stellungnahmen hingewiesen, Sörgel, Konsensus, S. 309 ff. 111 Die von dem Siebenerausschuss vorgeschlagenen Änderungen stießen zunächst auf Ablehnung, vgl. die Besprechung mit alliierten Vertretern am 25. März 1949, Schick / Kahlenberg, Parlamentarischer Rat – Band 8, S. 212 und die folgende Mitteilung der Außenminister vom 5. April 1949, S. 218. 112 Der Siebenerausschuss machte keinen Hehl daraus, im Wesentlichen an der bisherigen Regelung festhalten zu wollen, Sitzungen vom 3. und 4. März 1949, Stelzl / Kahlenberg, Parlamentarischer Rat – Band 11, S. 110. 113 So die Äußerung von Strauß in: Institut zur Förderung Öffentlicher Angelegenheiten, Bundesrecht, S. 176; vgl. dazu auch Majer, EuGRZ 1980, S. 102. 114 Gruson, Bedürfnisklausel, S. 28 und die Äußerung Zinns in: Institut zur Förderung Öffentlicher Angelegenheiten, Bundesrecht, S. 98.

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3. Verteilung der Verwaltungskompetenzen Im Bereich der Verwaltungskompetenzen war zur Konkretisierung des Art. 30 GG eine grundsätzliche Länderzuständigkeit für die Ausführung der Bundesgesetze und zwar als eigene Angelegenheit vorgesehen, Art. 83 GG. Im Gegensatz und als Ausgleich zu den Gesetzgebungskompetenzen sollten die Ausnahmen von diesem Grundsatz möglichst gering ausfallen und die Vollzugskompetenzen eindeutig bei den Ländern konzentriert werden. In diesem Aufgabenbereich sollten die Länder in erster Linie ihre Bedeutung als reale Machtfaktoren 118 entfalten. In Art. 84 GG wurde die Regelform der ländereigenen Ausführung näher konkretisiert und unter anderem explizit festgelegt, dass die Behördenorganisation und das Verwaltungsverfahren Sache der Länder ist, Art. 84 Abs. 1 2. Halbsatz GG. Im Unterschied zu der Weimarer Reichsverfassung 119 konnte der Bund nunmehr nur noch mit Zustimmung des Bundesrates in die Organisationsgewalt der Länder eingreifen 120. Das Aufsichtsrecht des Bundes war auf eine reine Rechtsaufsicht beschränkt, jede Einmischung in Ermessensfragen ausgeschlossen worden. Die „Auftragsverwaltung“, also Verwaltung nach Weisung des Bundes mit weitergehenden Bundesbefugnissen war nur für bestimmte, enumerativ aufgezählte Ausnahmefälle vorgesehen 121. Gleiches galt im Prinzip für die bundeseigene Verwaltung mit dem, allerdings entscheidenden, Unterschied, dass 115

Zu der Ermächtigung einer „wohlwollenden Würdigung“ in dem Schreiben der Außenminister vom 8. April 1949, Schick / Kahlenberg, Parlamentarischer Rat – Band 8, S. 244. 116 Die Militärgouverneure hatten Art. 72 Abs. 2 GG mit Zustimmung von Vertretern des Parlamentarischen Rates wie folgt auf Englisch interpretiert: „(...) Because the maintenance of legal or economic unity demands it in order to promote the economic interests of the federation or to insure reasonable equality of economic opportunity to all persons“, Besprechung mit den Militärgouverneuren am 25. April 1949, Schick / Kahlenberg, Parlamentarischer Rat – Band 8, S. 256. 117 Schreiben der Militärgouverneure an Adenauer vom 12. Mai 1949, Schick / Kahlenberg, Parlamentarischer Rat – Band 8, S. 274 Nr.7. 118 So Süsterhenn in der 2. Sitzung des Plenums am 8. September 1948, Schick / Kahlenberg, Parlamentarischer Rat – Band 9, S. 64. 119 Die Kompetenz zur Regelung der Behördenorganisation und des Verwaltungsverfahrens wurde dort mit der Annextheorie begründet, Triepel, in: van Calker (Hrsg.), Festgabe Laband, S. 297 f. und Anschütz, Verfassung, Schlussbemerkung zu Art. 6 –11 WRV. Von dieser Möglichkeit hatte das Reich allerdings in nicht all zu großem Umfang Gebrauch gemacht, da es sich über Art. 14 WRV direkt einschalten konnte, Mußgnug, in: Jeserich (Hrsg.), Verwaltungsgeschichte – Band IV, S. 337. 120 Das Zustimmungserfordernis, so später das Bundesverfassungsgericht, soll „die Grundentscheidung der Verfassung zugunsten des föderalistischen Staatsaufbaus mit absichern und verhindern, dass Systemverschiebungen im bundesstaatlichen Gefüge im Wege der einfachen Gesetzgebung herbeigeführt werden“, BVerfGE 55, 274 (319); 105, 313 (331).

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eine spätere Errichtung bundeseigener Verwaltung möglich gemacht wurde. Der zunächst erfolgreiche Vorschlag, diese Errichtung wenigstens von der Zustimmung des Bundesrates abhängig zu machen 122, wurde später durch den Hauptausschuss, insbesondere durch die Einflussnahme der SPD 123, verworfen 124. Art. 87 Abs. 3 GG beinhaltet damit eine fakultative Verwaltungskompetenz des Bundes für Bereiche, die seiner Gesetzgebungskompetenz unterliegen. Die aber für die Mehrzahl aller Verwaltungsagenden notwendige 125 Errichtung bundeseigener Mittel- und Unterbehörden hatte man anders als im Rahmen des Art. 14 WRV 126 an zusätzliche Voraussetzungen geknüpft. Eine Wiederauflage der „Verreichlichung“ der Verwaltung ist damit zumindest deutlich erschwert worden 127. Dennoch veranlassten die Möglichkeiten des Bundes in Art. 84 und 87 GG die Militärgouverneure in ihrem Genehmigungsschreiben zu der Bemerkung, dass das Grundgesetz „dem Bund sehr weitgehende Vollmachten auf dem Gebiet der Verwaltung“ eingeräumt habe 128, die zur Verhinderung einer Machtkonzentration der strengen Beobachtung der Hohen Kommissare unterlägen.

C. Charakterisierung des grundgesetzlichen Bundesstaates Abschließend stellt sich die Frage, wie man den deutschen Bundesstaat in der Ursprungskonzeption des Grundgesetzes treffend charakterisieren kann. Dabei wird hier – ohne die Finanzverfassung – allerdings nur ein Teilbereich beleuchtet. Eine generelle, alle föderalen Gesichtspunkte berücksichtigende und damit abschließende Interpretation ist deshalb nicht möglich. Im Hinblick auf die Entwicklung zu einem unitarischen Bundesstaat ist von besonderem Interesse, inwieweit diese bereits im Grundgesetz angelegt war. Hesse hat die Charakte121

Zu der diesbezüglichen Diskussion in der 20. Sitzung des Zuständigkeitsausschusses am 2. Dezember 1948, Wernicke / Booms, Parlamentarischer Rat – Band 3, S. 729 ff. In Weimar wurde die Reichsauftragsverwaltung, auch als „Mediatverwaltung“ bezeichnet, von der h.M. als ein Fall des Art. 14 2. HS WRV anerkannt, Anschütz, Verfassung, Art. 14 Nr.4. 122 Wernicke / Booms, Parlamentarischer Rat – Band 3, S. 752: Neufassung zu der Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung, vom Zuständigkeitsausschuss beschlossen am 1. und 2. Dezember 1948, Artikel 116 Abs. 2. 123 Antoni, Sozialdemokratie – Band 2, S. 318. 124 Siehe hierzu Füßlein, JöR 1951, S. 651. 125 Köttgen, JöR 1954, S. 74 f. 126 Dort konnten auch Mittel- und Unterbehörden durch einfaches Gesetz errichtet werden. Zu den drei Hauptformen der Reichszentralverwaltung, Huber, Verfassungsgeschichte – Band IV, S. 481. 127 Mußgnug, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band I, S. 341 Rn. 74. 128 Schreiben der Militärgouverneure vom 12. Mai 1949, Ziffer 6, vgl. Schick / Kahlenberg, Parlamentarischer Rat – Band 8, S. 274.

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risierung des deutschen Bundesstaates als unitarischer Bundesstaat anhand von drei Kriterien vorgenommen: der Einfluss des Bundes im Bereich der Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen, die Selbstkoordinierung der Länder und die bedeutende Stellung des Bundesrates. Häufig in diesem Zusammenhang ist die Behauptung anzutreffen, dass Grundgesetz habe anfangs das Bild eines dualen Bundesstaats abgegeben 129, das sich erst nach und nach durch Verfassungsänderungen und die Verfassungspraxis in das eines unitarischen Bundesstaates verwandelt habe. Dies ist sicherlich unzutreffend, wenn damit auf das angelsächsische Bundesstaatsmodell des englischen Gelehrten Wheare Bezug genommen wird. Dieses beruht auf der Vorstellung von „co-ordinate und independent spheres“ 130, das heißt, die staatlichen Ebenen stehen gleichberechtigt, aber voneinander unabhängig nebeneinander. Diese duale Stellung der staatlichen Ebenen hat zum einen die Konsequenz, dass die Kompetenzen nach dem Trennsystem verteilt werden, und zwar so, dass sich Bund und Länder in den einzelnen Bereichen annähernd gleich stark gegenüberstehen 131. Zum anderen – und dieser Aspekt wurde von Wheare besonders betont – wird nach dem Idealtypus weder von dem Zentralstaat auf die Länder noch von den Ländern auf den Zentralstaat Einfluss genommen 132. Schon ein flüchtiger Blick in das Grundgesetz genügt, um festzustellen, dass der darin zum Ausdruck gekommene Bundesstaat beide Voraussetzungen in keiner Weise erfüllt. Zwar wurden die Kompetenzen im Grundgesetz, insoweit noch in Übereinstimmung mit dem angelsächsischen Bundesstaatsmodell, strikt dem Bund oder den Ländern zugewiesen 133. Dies geschah aber nicht in einer vertikalen, dem Trennsystem entsprechenden Weise, die zur Konsequenz gehabt hätte, dass für bestimmte Politikfelder entweder die Gewalten (Legislative, Exekutive und Judikative) des Zentralstaates oder diejenigen des Gliedstaates zuständig 129

So Bauer, in: Dreier, GG – Band 2, Art. 20 GG Rn. 23 und unter http://www.fes .de/fes-forum/pdf/f_bauer.pdf, „Der erschütterte Bundesstaat“, S. 2 mit der Bezeichnung als „separativer Föderalismus“; Dolzer, VVDStRL 1999, S. 12: „offener Dualismus“; in diese Richtung auch Papier, in: Bundesrat (Hrsg.), Verfassungskonvent, S. 342; Schmalenbach, Föderalismus, S. 6; Calliess, DÖV 1997, S. 890; Böckenförde, in: Jekewitz (Hrsg.), Verfassung, S. 183; inhaltlich ähnlich, aber mit dem Schlagwort des „föderativen Trennsystems“, Schneider, NJW 1991, S. 2449. Für die Finanzverfassung mag diese Annahme dagegen zutreffend sein, siehe hierzu Hofmann, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band I, S. 405 Rn. 74 ff. 130 Wheare, Federal government, S. 11. 131 Sanden, Föderale Strukturen, S. 149; Helms, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2006, S. 121. 132 Wheare, Federal government, S. 15. 133 Scharpf / Reissert / Schnabel, Kooperativer Föderalismus, S. 1: „Das politische System der Bundesrepublik ist durch eine sehr ausgeprägte vertikale und horizontale Differenzierung der Entscheidungsstrukturen gekennzeichnet“; a. A. dagegen Kilper / Lhotta, Föderalismus, S. 159: „Zurückhaltende Differenzierung der staatlichen Entscheidungsebene“.

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wären. Im Grundgesetz wurde die Mehrzahl wichtiger Gesetzgebungsmaterien vielmehr der konkurrierenden Gesetzgebung zugeordnet, einer Kompetenzart, mit der der Bund die Länder aus ihrem zunächst bestehenden Gesetzgebungsrecht vollständig verdrängen kann. Die Möglichkeiten in diesem Bereich liegen also auf Seiten des Bundes, während der Vollzug von Bundesgesetzen im Regelfall und als Ausgleich für die schwache Stellung im Gesetzgebungsbereich den Ländern überantwortet ist. Diese komplementäre, gerade nicht an dem Trennsystem ausgerichtete Schwerpunktsetzung hat aber die Konsequenz, dass der Bund von der Vollzugstätigkeit der Länder abhängig und ein Zusammenwirken beider Ebenen insofern unerlässlich ist. Zugleich ruft diese Abhängigkeit ein Bedürfnis nach der für einen dualen Bundesstaat unerwünschten Einflussnahme hervor und gehört in Form der Bundesaufsicht und ihrem gestaffelten Kontrollund Weisungsinstrumentarium zum Grundtatbestand des deutschen Föderalismus. Auch die Gliedstaaten nehmen in Gestalt einer Länderkammer Einfluss auf den Zentralstaat, was aber im Gegensatz zu der Kompetenzordnung und ihren Folgen keine spezifisch deutsche Eigenart, sondern selbst in den als dual geltenden Bundesstaaten – entgegen den idealtypischen Vorstellungen Wheares 134 – zu finden ist. Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass der betrachtete Ausschnitt der bundesstaatlichen Ordnung nicht die Charakteristika eines dualen Bundesstaates im angelsächsischen Sinne aufweist 135. Es existieren jedoch auch Versuche, einen eigenständigen deutschen dualen Bundesstaatsbegriff zu entwickeln 136. Bezeichnend dafür soll die restlose und strenge Aufteilung sämtlicher staatlicher Aufgaben auf Bund oder Länder 137 sowie die betont länderfreundliche Ausgestaltung des Grundgesetzes sein 138. Zweifelhaft ist aber, ob letztere Voraussetzung überhaupt gegeben ist. Die Frage nach den unitarischen bzw. föderalen 139 Elementen ist relativ, weil sie entschei134 Wheare, Federal government, S. 16. Solange das „federal principle“ vorherrschend ist und nur wenige Durchbrechungen erfährt, erscheint ihm die Bezeichnung als „federal Constitution“ noch gerechtfertigt. 135 So auch Süsterhenn, in: Wilke (Hrsg.), Bundesrat, S. 189; Münch, in: Meier-Walser (Hrsg.), Föderalismus, S. 89; Berlit, in: v. Arnim (Hrsg.), Föderalismus, S. 68. 136 Darauf weist Gunlicks, in: v. Arnim (Hrsg.), Föderalismus, S. 43 hin. In diesem Sinne wohl: Bauer unter http://www.fes.de/fes-forum/pdf/f_bauer.pdf, „Der erschütterte Bundesstaat, S. 2 und Schneider, NJW 1991, S. 2. 137 Dies wird ebenfalls als Trennsystem bezeichnet, vgl. Lhotta / Höffken / Ketelhut, in: Hrbek (Hrsg.), Föderalismus-Reform, S. 17. 138 Hrbek / Eppler, Deutschland vor der Föderalismus-Reform, Dokument Nr. 9, Papier: „Föderalismus auf dem Prüfstand“, S. 124; Schmalenbach, Föderalismus, S. 8: „mit starken föderalen Strukturen“; Bauer, in: Dreier, GG – Band 2, Art. 20 GG Rn. 23; Schneider, NJW 1991, S. 2449 und Ehard, in: Süsterhenn (Hrsg.), Ordnung, S. 110. Auch das Bundesverfassungsgericht teilt diese Auffassung, vgl. BVerfGE 3, 58 (158); 4, 178 (189); 6, 367 (382); 41, 88 (118); 60, 175 (209); 64, 301 (317); 96, 345 (368 f.); 98, 145 (157). 139 In diesem Zusammenhang wird der Begriff nicht im Sinne der besonderen Staatsrechtslehre, sondern in demjenigen der allgemeinen Staatslehre verwandt.

1. Abschn.: Grundgesetzliche Verankerung des Bundesstaatsprinzips

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dend von dem gewählten Vergleichsmaßstab – gegenüber dem ausgesprochen unitarisch ausgerichteten Weimarer Reich hat unstreitig eine Reföderalisierung stattgefunden 140 – abhängt. Dennoch soll im Folgenden versucht werden, in den betrachteten Bereichen eine wertende Bilanz unmittelbar aus dem Grundgesetz selbst zu ziehen. Als Argument für eine betont länderfreundliche Ausgestaltung wird zumeist die Grundregel der Länderzuständigkeit in Art. 30 GG, 70 Abs. 1 GG, 83 GG herangezogen 141. Dies mag ein Beleg für die formelle Betonung der Länderfreundlichkeit, nicht jedoch für eine materiell länderfreundliche Ausgestaltung des Grundgesetzes sein. In diesem Zusammenhang ist vielmehr maßgeblich, in welchem Umfang Kompetenzen als „Ausnahme“ von diesen Grundregeln auf den Bund verlagert wurden und zudem über welches Gewicht der Bundesrat verfügt. Zu der Kompetenzaufteilung zeichnet das Grundgesetz, wie im Rahmen der Ausführungen zu einem dualen Bundesstaat bereits beschrieben, ein differenziertes Bild. Im Bereich der Verwaltung stimmen die eng umgrenzten Ausnahmefälle von der landeseigenen Ausführung mit Art. 83 GG überein, während für Art. 70 Abs. 1 GG durch die umfangreichen Zuweisungen an den Bund für die Länder ein verhältnismäßig kleines Anwendungsfeld verbleibt. Könnte man beide Aufgabenbereiche als einander gleichwertig bezeichnen, führte diese komplementäre Schwerpunktsetzung zu einem annähernden Gleichgewicht zwischen Bund- und Länderbefugnissen 142. Die Gesetzgebung, daran besteht in einem modernen, sozialen Rechtsstaat kein Zweifel, ist eines der wesentlichen Mittel zur Steuerung des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens 143. Aber auch die Verwaltung kann, wenn sie in der Lage ist, autonome administrative Entscheidungen zu treffen – und davon ging der Parlamentarische Rat bei der Konzeption des Grundgesetzes 140 Vgl. dazu Scheuner, in: Listl (Hrsg.), Staatstheorie, S. 443 und Bauer, in: Dreier, GG – Band 2, Art. 20 GG Rn. 18. Im Vergleich zu Weimar waren dem Bund weniger Gesetzgebungs- und Verwaltungszuständigkeiten zugewiesen worden. Zugleich war die Rolle des Bundesrates trotz der Tatsache, dass er nicht als gleichberechtigte Kammer ausgestaltet worden war, gestärkt worden. Zu den verringerten Gesetzgebungskompetenzen des Bundes, vgl. die Ausführungen Grewes in: Institut zur Förderung Öffentlicher Angelegenheiten, Bundesrecht, S. 35 f. 141 Bauer unter http://www.fes.de/fes-forum/pdf/f_bauer.pdf, „Der erschütterte Bundesstaat“, S. 2. 142 So Halstenberg, in: Bundesrat (Hrsg.), Bundesrat, S. 129 und Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 119 Rn. 199. 143 Kretschmer, in: Schäfer (Hrsg.), Schwerpunkte, S. 100. Fn. 7; Harbich, Bundesstaat, S. 127; Lichtenstein, Gesetzgebung, S. 1; Hesse, Unitarischer Bundesstaat, S. 16; Noll, Gesetzgebungslehre, S. 58: Gesetzgebung ist „eine der wichtigsten Aufgaben, wenn nicht die wichtigste Aufgabe der Politik“.

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

aus – einen erheblichen Beitrag zur politischen Gestaltung leisten 144. In der Theorie stehen sich beide Bereiche deshalb gleichberechtigt gegenüber. Die Entscheidung, inwieweit sich dieses theoretisch mögliche Gleichgewicht zugunsten des Bundes verschieben würde, war im Grundgesetz jedoch einseitig dem Bund zugewiesen worden. So konnten die Länder die Ausübung der in weitem Umfang bei dem Bund liegenden Gesetzgebungsbefugnisse in keiner Weise steuern, sondern mussten im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung akzeptieren, was er ihnen überließ. Die spezielle Verzahnung des Grundgesetzes, nach der die Länder für die Ausführung der vom Bund erlassenen Gesetze zuständig sind, machte die Weite administrativer Entscheidungsfreiräume von der Regelungsdichte der Bundesgesetzgebung abhängig. Sollte der Bund dazu übergehen, alle sachlichen Entscheidungen selbst zu treffen, würde sich die Aufgabe der Länder hauptsächlich auf „Rechtsanwendung im Sinne der Feststellung und Verkündung dessen, was Rechtens ist“ 145 beschränken. Anders als die Länder auf die Gesetzgebung des Bundes, konnte der Bund zudem durch zahlreiche Ingerenzbefugnisse auf die Verwaltungstätigkeit der Länder Einfluss nehmen. Mehr noch, ermöglichte ihm die Generalklausel des Art. 87 Abs. 3 GG sogar ohne Zustimmung des Bundesrates, die bundeseigene Verwaltung auf Kosten der Landesverwaltung auszubauen. Die Frage, in welchem Ausmaß zentralstaatliche Regelungen oder Verwaltungsformen getroffen werden würden, lag nach der Konzeption des Grundgesetzes in den Händen des Bundes. Schon das allein barg zweifellos ein hohes Unitarisierungspotential. Aber auch das zweite wesentliche Kriterium für die Frage, wie föderativ ein Bundesstaat ausgestaltet ist, sprach für eine unitarische Entwicklung. Im Gegensatz zu vielen anderen Föderalstaaten 146 steht der deutsche Bundesrat nicht mit weitgehend identischen legislativen Entscheidungs- und Vetorechten als zweite Kammer neben dem Parlament, sondern hat nur in enumerativ aufgezählten Fällen ein gleichberechtigtes Mitwirkungsrecht. Seiner formalen Position nach ist er daher nicht als in besonderem Maße länderfreundlich zu bezeichnen 147. Für die daraus resultierende unitarische Wirkung war nicht, wie man zunächst vermuten könnte, ursächlich, dass der Bund in den zustimmungsfreien Fällen das 144 Vgl. dazu BVerfGE 55, 274 (318 f.): „Sie (die Kompetenzaufteilung, Anm. d. Verf.) verteilt politische Macht und setzt ihrer Ausübung einen verfassungsrechtlichen Rahmen, der diese Machtverteilung aufrechterhalten und ein Zusammenwirken der verschiedenen Kräfte sowie einen Ausgleich widerstreitender Belange ermöglichen soll“; die politische Dimension anerkennend, Heitsch, Ausführung, S. 196. Die Verwaltungsaufgabe dagegen als unterlegen bezeichnend v. Arnim, in: v. Arnim (Hrsg.), Föderalismus, S. 22; Bullinger, DÖV 1970, S. 766: „Sie war schon im Ansatz dazu angetan, die Länder mehr als unpolitische Selbstverwaltungskörperschaften höherer Ordnung erscheinen zu lassen“. 145 Flume, in: Smend (Hrsg.), FS Smend, S. 77 Fn. 39. 146 Etwa in der Schweiz, den USA, Kanada, Australien oder Belgien. 147 Helms, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2006, S. 127 ff.

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alleinige Letztentscheidungsrecht hatte. Denn dort ging es schon gar nicht um Regelungen, die einen vornehmlich föderalen Bezug aufwiesen. Vielmehr war zu erwarten, dass sich die unitarische Tendenz bei Bundesgesetzen auswirken würde, die besonders in die Länderhoheit eingreifen und daher eine Zustimmung des Bundesrates erforderlich machen würden. Denn anders als eine gleichberechtigte Zweite Kammer, die sämtliches Bundesrecht mitgestalten kann, gewinnt ein in seinen Mitwirkungsbefugnissen beschränktes föderatives Organ nur bei seiner Zustimmung eine solche gleichberechtigte Gestaltungsoption. Gerade aus der Begrenzung der Mitwirkungsrechte auf besonders die Länderhoheit tangierende Regelungen resultierte daher der unitarische Zug. An der Feststellung, dass der Prozess der Unitarisierung im Grundgesetz hinsichtlich zwei der drei von Hesse aufgestellten Merkmale angelegt war, kommt man deswegen nicht vorbei 148. Von einer zumindest auch materiell betont föderalen Ausgestaltung kann dagegen keine Rede sein, so dass schon die Voraussetzungen eines dualen deutschen Bundesstaates, unabhängig davon ob man diese Voraussetzungen für diese Kategorisierung überhaupt für geeignet hält, nicht gegeben sind. Zweifelhaft ist allerdings, ob im Grundgesetz auch das spätere, den unitarischen Bundesstaat prägende Kennzeichen der Kooperation enthalten war. Hierbei ist es zunächst sinnvoll, sich bewusst zu machen, was der Begriff bedeutet. Kooperation bezeichnet die Zusammenarbeit verschiedener Partner 149 und nicht lediglich ein aufeinander abgestimmtes, koordinatives Verhalten 150. In der Ursprungsfassung des Grundgesetzes waren Vorschriften, die eine solche Zusammenarbeit zum Gegenstand hatten, nur vereinzelt zu finden 151. Die mit Abstand bedeutsamsten regeln die gleichberechtigte Mitwirkung des Bundesrates in den 148 So auch die Einschätzung von Hesse, Unitarischer Bundesstaat, S. 16; Ehard, in: Süsterhenn (Hrsg.), Ordnung, S. 100: „Das Grundgesetz selbst bietet aber auch Einbruchstellen und Ansatzpunkte für zentralistische Zielsetzungen und Entwicklungen“; Altmeier, in: Süsterhenn (Hrsg.), Ordnung, S. 20; von Kilper / Lhotta, Föderalismus, S. 99, 151 ff. als bestenfalls asymmetrischer Föderalismus bezeichnet. 149 Dudenredaktion, Duden, S. 544. Kisker, Kooperation, S. 3 und ihm folgend Rudolf, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 1016 f. Rn. 21 ff. grenzen die kooperative Koordination von der direktiven Koordination ab. Während sich ersteres Begriffspaar wohl mit der im hiesigen Sinne verstandenen Kooperation weitgehend deckt, soll sich die direktive Koordination durch die Bestellung eines zu einseitigen Regelungen befugten Koordinators auszeichnen. 150 Dudenredaktion, Duden, S. 544; im Bereich der Rahmengesetzgebung existierten Gremien, die die Arbeit des Bundes und der Länder koordinierten, vgl. dazu den Redebeitrag des Hamburger Bürgermeisters von Beust, Föderalismuskonvent der deutschen Landesparlamente, http://www.landtag.ltsh.de/aktuell/daten_aktuell/luebecker-konvent/doku _foederalismus-konvent.pdf. 151 Zu nennen sind etwa Art. 35 GG über die Rechts- und Amtshilfe sowie Art. 91 GG über die Polizeihilfe, vgl. Rudolf, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 1017 Rn. 25.

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

Fällen der Zustimmungsgesetzgebung 152. Obwohl es hierbei an sich um die Zusammenarbeit zweier Bundesorgane geht, erscheint es aufgrund der Zusammensetzung des Bundesrates aus Mitgliedern der Länderregierungen überzeugend von einer Entscheidungsfindung verschiedener Partner zu sprechen. Im Bereich der Rahmengesetzgebung und an der Schnittstelle Gesetzgebung – Verwaltung ist dagegen keine Kooperation erforderlich, da jede Ebene selbständig die ihr von der Verfassung übertragenen Aufgaben wahrnehmen kann 153. Dort ist lediglich ein Verhalten geboten, das die einzelnen Maßnahmen aufeinander abstimmt. Zuzugeben ist, dass beide Formen in dieselbe Richtung gehen und die Koordination eine Art Vorstufe zur, was die Intensität des Zusammenwirkens betrifft, noch weitergehenden Kooperation darstellt. Eine Kooperation im eigentlichen Sinne war im Grundgesetz demnach nur in wenigen Vorschriften enthalten 154, während die Mehrzahl staatlicher Aufgaben innerhalb der drei materiellen Staatsfunktionen (Gesetzgebung, Verwaltung, Finanzen) eher strikt auf die eine oder die andere Ebene verteilt war 155. Insbesondere gilt dies für den Verwaltungsbereich, der anders als in den Vorgängerverfassungen organisatorisch und funktionell zwischen Bund und Ländern 152 Ebenso Helms, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2006, S. 124: „Das Herz der ebenenübergreifenden Entscheidungsverflechtung in föderativen Systemen bildet die Struktur und Stellung zweiter Kammern“; Huber, Bund-Länder-Verhältnis, in: Blanke (Hrsg.), Bundesstaat, S. 21: „Dreh- und Angelpunkt dieses Systems (Entscheidungsverbund, Anm. d. Verf.) ist der Bundesrat“; vgl. auch Sturm / Zimmermann-Steinhart, Föderalismus, S. 23; Frowein, in: Benda (Hrsg.) Föderalismus, S. 56; Stern, Staatsrecht – Band I, S. 754 und Lerche, VVDStRL 1964, S. 70. 153 Kisker, Kooperation, S. 16; Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 58 Rn. 103. Anders aber Hesse, in: Ritterspach (Hrsg.), FS Müller, S. 150, 156, der hierin institutionalisierte Kooperationsformen erblickte. Insoweit zustimmend Scheuner, in: Listl (Hrsg.), Staatstheorie, S. 399 f. und das Bundesverfassungsgericht, vgl. BVerfGE 111, 226 (247). 154 Anders aber die überwiegende rechts- und politikwissenschaftliche Literatur, vgl. dazu Stern, Staatsrecht – Band I, S. 754: „Verbundsystem“; Huber, Föderalismusfalle, S. 5: „Entscheidungsverbund“; Hanebeck, Bundesstaat, S. 309; Abromeit, Einheitsstaat, S. 39; Kilper / Lhotta, Föderalismus, S. 110 und S. 206; Hrbek, in: Hrbek (Hrsg), Deutschland vor der Föderalismus-Reform, S. 7; Margedant, Föderalismusreform, S. 9; Sturm, in: Meier-Walser (Hrsg.), Föderalismus, S. 112. Ebenfalls unzutreffend Oeter, Integration, S. 475, der den Drang der Länder nach Kooperation als „logisches Folgeprodukt des im Grundgesetz niedergelegten bundesstaatlichen Verflechtungsmodells“ bezeichnet. Diese These widerlegt er im nächsten Satz selbst, wenn er auf die tatsächliche, nicht auf der Grundlage des Grundgesetzes durchgeführte Kooperationspraxis verweist. 155 Dies hat vor allem Scheuner immer wieder betont: Scheuner, in: Listl (Hrsg.), Staatstheorie, S. 399, S. 431, S. 439 und S. 443: „Es ist die Versteifung der Zusammenarbeit von Bund und Ländern, die der Verfassungsordnung ihr Signum gibt“. Ebenso Halstenberg, in: Bundesrat (Hrsg.), Bundesrat, S. 139: „Föderalismus der getrennten Verantwortung“; Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 12 Rn. 15 und S. 111 Rn. 188.

2. Abschn.: Geschichtliche Entwicklung des Föderalismus

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getrennt ist und ein Zusammenwirken nur in den ausdrücklich im Grundgesetz vorgesehenen Fällen zulässt 156. Diese strenge Verteilung war es neben der angeblich betont föderalen Ausgestaltung schließlich auch, die die Bezeichnung als deutscher dualer Bundesstaat aufkommen ließ. Dass sich in der Staatspraxis ein ausgeprägter Wille zu gemeinsamen Entscheidungsfindungen entwickelte und eine Zusammenarbeit zur Bewältigung der wirtschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Herausforderungen als notwendig erachtet wurde, lässt sich folglich nicht auf das Grundgesetz zurückführen. Im Gegenteil, dessen starre Aufgabenzuweisung machte die gewünschte Zusammenarbeit auf verfassungsrechtlicher Grundlage zunächst unmöglich und führte zu einer nicht vorhergesehenen ausufernden Kooperationspraxis, die erst im Zuge der Verfassungsänderung von 1969 teilweise verfassungsrechtlich legalisiert wurde. Allein die ob der Beteiligung des Bundesrates notwendige Kooperation genügt daher nicht für die These, dass der bundesdeutsche Föderalismus seit jeher als kooperativer Föderalismus konzipiert war 157. Genauso wenig wie eine „Zweite Kammer“ der Charakterisierung als dualer Bundesstaat entgegensteht, ist ihre Existenz zwingend mit der Qualifikation als kooperativer Bundesstaat verbunden. Im Ergebnis war der grundgesetzliche Bundesstaat deswegen weder überwiegend von dualen noch überwiegend von kooperativen Elementen geprägt, jedoch augenscheinlich unitarische Züge. Auch an dieser Stelle bestätigt sich daher die bereits eingangs getroffene Feststellung, dass jeder Bundesstaat eine Mischung sui generis ist.

Zweiter Abschnitt

Geschichtliche Entwicklung des Föderalismus in der Bundesrepublik Schon in den ersten Jahren der Bundesrepublik zeigte sich, dass der Bund von seinen, ihm durch das Grundgesetz eingeräumten Möglichkeiten ausgiebig Gebrauch machte. Damit lag er, zumindest was den Bereich der Gesetzgebung 156 Scheuner, in: Listl (Hrsg.), Staatstheorie, S. 439 ff.; Weber, Spannungen, S. 305 f. So auch jüngst wieder das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil zu den Arbeitsgemeinschaften nach § 44 SGB II vom 20. Dezember 2007 (2 BvR 2433/04; 2 BvR 2234/ 04), in dem es seiner Rechtsprechung zur sog. Mischverwaltung treu blieb, vgl. zu dieser Rechtsprechung BVerfGE 63, 1 (38). 157 Zu diesem Ergebnis kommt auch Grzeszick, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 GG Rn. 141.

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

betraf, genau auf der von den Verfassern des Grundgesetzes erwünschten Linie 158, die sich auf diesem Wege den Aufbau einer wirksamen Wirtschafts- und Sozialordnung erhofft hatten. Ein Vorwurf kann ihm deshalb nur schwerlich gemacht werden 159. Erstaunlich mutet hingegen eine andere Tatsache an: Die Selbstkoordinierung der Länder, und zwar nicht nur in Bereichen, in denen sie im Wege des vorauseilenden Gehorsams einer Bundesregelung zuvor kommen wollten, sondern auch in originär der Länderzuständigkeit unterfallenden Sachgebieten 160. Dass sie sich ganz generell für eine auf Einheitlichkeit angelegte Politik einsetzten, bestätigt auch die Arbeitsweise des Bundesrates. Bei seinen Entscheidungen stand ebenfalls nicht die Wahrnehmung gliedstaatlicher Interessen, sondern die Einflussnahme auf die Bundespolitik im Vordergrund. Im Jahre 1962 verfasste Konrad Hesse nach eingehender Analyse dieser die bundesstaatliche Wirklichkeit prägenden Kriterien die bis heute Gültigkeit beanspruchende Schrift über den „unitarischen Bundesstaat“ 161. Das Zurücktreten regionaler Besonderheiten zugunsten fortschreitender Angleichung des Rechtszustandes und der Lebensverhältnisse des gesamten Bundesgebietes, das zwar auch, aber nicht nur zentralistische Züge enthält und deswegen eine besondere, für den deutschen Bundesstaat eigentümliche Entwicklung bildet, soll im Folgenden anhand der drei Kriterien Hesses näher beleuchtet und bis in die heutige Zeit verfolgt werden. Anschließend werden die Bemühungen, die diesem Zustand entgegenzuwirken versucht haben, dargestellt. Dieser Rückblick auf frühere Reformversuche ist zum einen deshalb hilfreich, weil später umgesetzte Vorschläge ihre Wurzeln oftmals in der Vergangenheit haben, zum anderen weil durch ihn die zeitabhängige Idealisierung bestimmter, später als untauglich erkannter Reformmodelle zutage tritt.

A. Entwicklung zum unitarischen Bundesstaat Die erste Feststellung Hesses bezog sich auf den Konzentrationsprozess von Gesetzgebungs- und Verwaltungsaufgaben beim Bund 162.

158 In dieser Frage waren sich die beiden großen Parteien einig, vgl. Strauß (CDU) in der 3. Sitzung des Zuständigkeitsausschusses am 23. September 1948, Wernicke / Booms, Parlamentarischer Rat – Band 3, S. 43 und Antoni, Sozialdemokratie – Band 2, S. 65 f.: „zentrale Lenkung“. 159 Hesse, Unitarischer Bundesstaat, S. 16. 160 Hesse, Unitarischer Bundesstaat, S. 19. 161 Hesse, Unitarischer Bundesstaat, S. 1 ff. 162 Hesse, Unitarischer Bundesstaat, S. 14 ff.

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I. Bedeutungszuwachs des Bundes bei den Gesetzgebungsund Verwaltungskompetenzen Die Weichen für ein Übergewicht des Bundes im Bereich der Gesetzgebung waren schon allein durch die Übergangsregelung des Art. 125 GG gestellt 163. Die Vorschrift regelt die Transformation von vorkonstitutionellem Recht in Bundesrecht im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung und bewirkte angesichts der Tatsache, dass solches Recht in weitem Umfang existierte, dass den Ländern von Beginn an wenig gesetzgeberischer Gestaltungsspielraum verblieb 164. Von der nicht durch transformiertes Reichsrecht besetzten konkurrierenden Gesetzgebungs-, aber auch von den Rahmengesetzgebungskompetenz machte der Bund in den Anfangsjahren zügig und auch zunehmend detaillierten Gebrauch 165. Weder die Beschränkung auf die „Rahmengesetzgebung“ noch die für Art. 72 und Art. 75 GG geltende Bedürfnisklausel waren ihm dabei ein Hindernis. Hinsichtlich der Rahmengesetzgebung verlangte das Bundesverfassungsgericht zwar, dass den Ländern ein Regelungsspielraum „von substantiellem Gewicht“ 166 verblieb. Gleichzeitig sollten aber die Rahmenvorschriften nur als Ganzes durch die Landesgesetzgebung „ausfüllungsfähig und ausfüllungsbedürftig“ sein müssen 167. Diese unklare Definition versetzte den Bundesgesetzgeber in die Lage, die entscheidenden Einzelfragen verbindlich selbst zu regeln und den Ländern lediglich ein Spektrum unbedeutender Randfragen zur Ausfüllung zu überlassen. Mit Ausnahme des sich tatsächlich auf Rahmenvorschriften beschränkenden Bundesraumordnungsgesetzes 168 und der nicht in Anspruch genommenen Kompetenz zur Regelung des Presse- und Filmwesens sowie der Bodenverteilung hat er von seiner Rahmengesetzgebungskompetenz umfangreich Gebrauch gemacht 169 und die Länder auf die Rolle ergänzender, nicht richtungsweisender Rechtssetzung verwiesen 170. 163

Lichtenstein, Gesetzgebung, S. 33; Friedrich, ZParl 1971, S. 453. Dieses Reichsrecht musste nicht den Anforderungen der Bedürfnisklausel genügen, vgl. BVerfGE 1, 283 – „Ladenschlussgesetz“, Urteil vom 20. Mai 1952, was aber in der Interpretation des Bundesverfassungsgerichts ohnehin keine Einschränkung bedeutet hätte. 165 AU 0043, Bestandsaufnahme zum Gebrauchmachen vorhandener Gesetzgebungskompetenzen des Bundes vom 1. März 2004. Der Bund hat folgende Kompetenztitel der konkurrierenden bzw. Rahmengesetzgebung nicht genutzt: die Staatsangehörigkeit in den Ländern (Art. 74 Abs. 1 Nr. 8 GG, im Zuge der Verfassungsänderung von 1994 aufgehoben), die Überführung in Gemeineigentum (Art. 74 Abs. 1 Nr. 15 GG), das Presse- und Filmwesen (Art. 75 Abs. 1 Nr. 2 GG, letztgenannter Teilbereich wurde 1994 ebenfalls gestrichen) und die Bodenverteilung (Art. 75 Abs. 1 Nr. 4 GG). 166 Diese Anforderung stellte das Bundesverfassungsgericht bereits in seiner Entscheidung zum „Besoldungsgesetz NRW“ auf, BVerfGE 4, 115 (129 ff.), Urteil vom 1. Dezember 1954. 167 BVerfGE 4, 115 (129). 168 Siehe dazu Lichtenstein, Gesetzgebung, S. 45 ff. 164

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

Die auf Drängen der Alliierten umformulierte Kompetenzausübungsregel des Art. 72 Abs. 2 GG, die ein Tätigwerden des Bundes im Bereich der konkurrierenden und der Rahmengesetzgebung an materielle Anforderungen knüpfen sollte, erwies sich in der Staatspraxis ebenfalls als wirkungslos. Ein Bedürfnis nach „Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit, insbesondere der Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ ließ sich praktisch immer begründen, zumal das Bundesverfassungsgericht 1953 die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm als ihrer Natur nach nicht justitiabel und damit im politischen Ermessen des Bundesgesetzgebers stehend erklärte 171. Die 3. Variante des Art. 72 Abs. 2 GG wurde im Gegenteil eher als Weisung, Bundesgesetze zu erlassen aufgefasst 172 und diente damit als Beförderer und nicht als Bremse der Unitarisierung. Das Ziel der Mitglieder des Parlamentarischen Rates, Art. 72 Abs. 2 GG „jede unangenehme“, meint die Bundesgewalt beschränkende „Wendung soweit wie möglich zu nehmen“ 173, konnte durch die Interpretation des Bundesverfassungsgerichts und deren Folgen uneingeschränkt erreicht werden 174. Der 169 Würtenberger, Art. 72 Abs. 2 GG, S. 26; besonders deutlich in dem BRRG vom 1. Juli 1957, das deshalb auch teilweise für verfassungswidrig gehalten wurde, vgl. Hesse, in: Ritterspach (Hrsg.), FS Müller, S. 156 Fn. 32. Dagegen meinte Katzenstein, DÖV 1958, S. 596 f. in der Staatspraxis nach dem einschlägigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts Zurückhaltung bei der Inanspruchnahme des Art. 75 GG zu erkennen; so auch Haas, in: Bundesrat (Hrsg.), 10 Jahre Bundesrat, S. 125 für die Arbeit des Bundesrates. 170 Von einem „durchaus relevanten eigenen legislatorischen Spielraum“, ging Bender, in: Cappenberger Gespräche (Hrsg.), Enquete-Kommission, S. 17 aus, wobei diese Einschätzung wohl aus einem Vergleich zur konkurrierenden Gesetzgebung resultierte. 171 BVerfGE 1, 264 (272 f.) – Gesetz zur Ordnung des Schornsteinfegewesens vom 30. April 1952. Diese, für das Bundesverfassungsgericht nicht verbindliche, Interpretation hatten vorher bereits die Vertreter des Bundesjustizministeriums und der Landesjustizministerien informell vereinbart, Münch, in: Meier-Walser (Hrsg.), Föderalismus, S. 94. 172 Beispielhaft dafür ist die Begründung der Bundesregierung in ihrem Bericht über strukturelle Probleme des föderativen Bildungssystems vom 23. Februar 1978, BT-Drs. 8/ 1551, S. 63; vgl. auch Scheuner, in: Listl (Hrsg.), Staatstheorie, S. 425 und S. 445: „Art. 72 Abs. 2 GG als eigentlicher Träger der Vereinheitlichung“; von Kilper / Lhotta, Föderalismus, S. 162 deswegen als Eingriffsermächtigung bezeichnet. 173 So die Stellungnahme von Strauss in: Institut zur Förderung Öffentlicher Angelegenheiten, Bundesrecht, S. 176. 174 Diese Auslegung ist nicht ohne Kritik geblieben, vgl. Maunz, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 72 GG Rn. 17 ff. In der Tat spricht viel dafür, dass das Bundesverfassungsgericht mit dieser Rechtsprechung dem Willen des Parlamentarischen Rates gerecht werden wollte, dieser von den Alliierten „in das Grundgesetz hineingedrängten“ Klausel keine Wirksamkeit zu kommen zu lassen, Calliess, DÖV 1997, S. 895 Fn. 65 mit Hinweis auf Herzog, Was bedeutet das Subsidiaritätsprinzip wirklich? Vortrag vom 16. Februar 1993 im Informationsbüro des Freistaates Bayern in Brüssel, Manuskript, S. 14; in diesem Zusammenhang ist auch von der „Wiedergutmachung von Besatzungsunrecht“ gesprochen worden, Merten, in: Blanke (Hrsg.), Bundesstaat, S. 77. Völlig anders aber die Einschätzung von Stern, Staatsrecht – Band I, S. 679: „Vom Parlamentarischen Rat war diese Entwicklung an sich nicht intendiert“; insoweit zustimmend Mußgnug, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band I, S. 341 Rn. 73.

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Vollständigkeit halber sei hier noch angefügt, dass auch die, allerdings nur in engen Grenzen anerkannten ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes 175 und die weite Auslegung einzelner Kompetenztitel 176 den Konzentrationsprozess beim Bund begünstigten. Ausschlaggebende Bedeutung ist diesen Punkten indessen – anders als der Tatsache, dass der Bundesgesetzgeber eine Vielzahl zusätzlicher neuer Gesetzgebungskompetenzen durch Verfassungsänderungen eingeräumt bekam 177 – nicht zugekommen. Fast alle gesellschaftlich irgendeine Brisanz entfaltenden Staatsaufgaben 178, meist im Zusammenhang mit dem technischen Fortschritt entstanden, sind in die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit eingeordnet worden. Sogar traditionell der Länderhoheit unterfallende Bereiche wie die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens (Art. 75 Abs. 1 Nr. 1a GG) 179 und das Dienst- und Besoldungsrecht für Landesbeamte (Art. 74a GG) 180 wurden auf ihn übertragen und auf dieser Grundlage entsprechende Bundesgesetze erlassen. Die Kehrseite dieses Konzentrationsprozesses wurde schon frühzeitig, zumindest in der rechtswissenschaftlichen Literatur, registriert. Die optimale Ausnutzung der Bundeskompetenzen hatte die Gesetzgebungsmöglichkeiten der Länder in den Materien, die eigentlich beiden Staatsebenen Regelungsmöglichkeiten eröffnen sollten, immer weiter zusammenschrumpfen lassen 181. Im Kern beschränkte sich die Landesgesetzgebung deshalb bald auf den Bereich der ausschließlichen Landeszuständigkeiten 182, das heißt im Wesentlichen auf das Organisationsrecht, das Kommunalrecht, das Polizeirecht, das Kulturrecht ein175 Aus der Natur der Sache, kraft Sachzusammenhangs oder als Annexkompetenz, siehe dazu Lichtenstein, Gesetzgebung, S. 78 ff. 176 Exemplarisch sei auf das Recht der Wirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG), BVerfGE 5, 25 (28 f.) und den Begriff der Sozialversicherung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG) verwiesen. Diese weite Auslegung hat die Zustimmung des Bundesrates gefunden, Haas, in: Bundesrat (Hrsg.), 10 Jahre Bundesrat, S. 124. 177 Allerdings gingen diese Verfassungserweiterungen selten auf Kosten der herkömmlichen Landeszuständigkeit. Vielmehr betrafen sie häufig begriffliche Klarstellungen bzw. zur Zeit der Ausarbeitung des Grundgesetzes noch nicht vorausgesehene neue Fragestellungen, Ziller, Bundesrat, S. 92; Ehard, in: Süsterhenn (Hrsg.), Ordnung, S. 111. 178 Vgl. Anhang I, S. 314 f. 179 Durch das 22. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 12. Mai 1969. 180 Durch das 28. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 18. März 1971. 181 AU 0043, Bestandsaufnahme zum Gebrauchmachen vorhandener Gesetzgebungskompetenzen des Bundes vom 1. März 2004. Den Länder sind im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung nur noch Rand- und Restmaterien (vor allem im Wirtschafts- und Umweltrecht) verblieben, im Bereich der Rahmengesetzgebung haben sie in der Mehrzahl der Fälle keinen eigenen, bedeutsame Fragen betreffenden Gestaltungsspielraum. Zur Umschreibung dieses Zustandes haben sich die Begriffe „Bedeutungsverlust“, „politische Auszehrung“, „Aushöhlung“ oder auch „Depossedierung“ der Landesparlamente herausgebildet. Anders allerdings Friedrich, ZParl 1971, S. 454, der im Jahre 1971 insgesamt noch ein „beachtliches gesetzgeberisches Potential“ der Länder konstatierte.

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schließlich des Schulwesens und das Landesverfassungsrecht. Schon Ende der fünfziger Jahre war dieses gesetzgeberische Potential durch Erst- und Neukodifikationen weitgehend ausgeschöpft 183. Die Landesparlamente beschäftigten sich in den letzten Jahrzehnten deshalb auch mehr mit Nebensächlichkeiten, als mit wirklich bedeutsamen Gesetzesprojekten, obgleich zwischenzeitlich durchaus Raum für grundlegende Novellierungen gewesen wäre 184. Neben dem zugegebenermaßen schmalen Bereich eigener Gesetzgebungszuständigkeiten ist es nämlich ebenfalls eine Tatsache, dass die Länderparlamente ihre Möglichkeiten in der Gesetzgebung keineswegs ausnutzten 185. In den letzten 20 Jahren ist dieser, nicht voll ausgeschöpfte gesetzgeberische Gestaltungsspielraum durch die Europäisierung des nationalen Verfassungsgefüges weiter eingeengt worden 186. So sind das Rundfunkrecht 187, das Bildungswesen und die Kultur 188 als Bereiche originärer Landeszuständigkeit inzwischen partiell unionsrechtlich überlagert 189. Als Fazit bleibt festzuhalten, dass die Länder nur noch einen Restposten eigener 182 Eine differenziertere Untergliederung findet sich bei Lichtenstein, Gesetzgebung, S. 50 ff. 183 Friedrich, ZParl 1971, S. 451 ff. Dass die Zahl der verabschiedeten Landesgesetze bis Ende der sechziger Jahre trotzdem nicht gesunken ist, wie eine exemplarische Untersuchung in Nordrhein-Westfalen zeigt, lässt zumindest einen bedeutungsmäßigen Rückgang der Landesgesetzgebung vermuten; ebenso Schäfer in seinem Redebeitrag in: ZParl 1971, S. 278. 184 Dazu Landtagspräsident Baumgarten aus Niedersachsen in: ZParl 1971, S. 292 und Meyer, in: Greß (Hrsg.), Landesparlamente, S. 46 ff. mit Beispielen für den Hessischen Landtag. 185 Klatt, in: Greß (Hrsg.), Landesparlamente, S. 89: „parlamentarische Funktionsdefizite“; Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 117 Rn. 197; Kilper / Lhotta, Föderalismus, S. 201: „Selbstentmachtung der Landesparlamente“; Greß, in: Greß (Hrsg.), Landesparlamente, S. 178 mit dem Hinweis auf eine Seminarveranstaltung der deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen, bei der die Frage gestellt wurde: „Haben wir eigentlich genügend Föderalisten unter den Landtagsabgeordneten?“ (Protokoll 1984, S. 105). Die Landtage selbst teilten diese Einschätzung, vgl. Lemke, in: Jekewitz (Hrsg.), Verfassung, S. 207 f. 186 Bis zur Einführung des Art. 23 GG Ende 1992 konnte der Bund über Art. 24 Abs. 1 GG ohne eine von Verfassungs wegen vorgesehene Beteiligung der Länder Hoheitsrechte an supranationale Einrichtungen übertragen. Insgesamt gesehen sind trotz dieser „offenen Flanke des Föderalismus“ (Kilper / Lhotta, Föderalismus, S. 211) aber vor allem die Handlungsspielräume des Bundes durch die europäische Rechtssetzung eingeengt worden, vgl. hierzu Teufel, Bewährungsprobe, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2005, S. 19; LT-Vorlage NW 10/2722 (Erster Berichtsteil der nordrhein-westfälischen Gutachterkommission von 1991), S. 139 ff. Zu den unterschiedlichen Einschätzungen mit weiteren Nachweisen, Hanebeck, Bundesstaat, S. 259; Kadelbach, VVDStRL 2007, S. 17 Fn. 40. 187 Der Rat der Europäischen Union hat eine Richtlinie zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Ausübung der Rundfunktätigkeit erlassen (RL 89/552), ABl. 1989 L 298, S. 23. 188 Huber, Föderalismusfalle, S. 4. So sind durch den Maastrichter Vertrag europäische Kompetenznormen über die Bildungs- (Art. 126 EGV), Berufsbildungs- (Art. 127 EGV) und Kulturpolitik (Art. 128 EGV) eingeführt worden.

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Gesetzgebungszuständigkeiten besaßen, während der Bund schon seit Jahrzehnten den Löwenanteil an sich gezogen hatte. Empfindlich gestört wurde das bundesstaatliche Gleichgewicht vor allem aber durch die Einflussnahme des Bundes auf die Verwaltungstätigkeit der Länder. Nicht überraschend und im Grundgesetz durch die ursprüngliche Verteilung angelegt war, dass der Vollzug landeseigener, von jeglichem Bundeseinfluss freier Landesgesetze sich auf einen bescheidenen Umfang beschränkte. Als eigentliches und schwerpunktmäßiges Betätigungsfeld hatte man den Ländern den Vollzug der Bundesgesetze überlassen. Auch hier zeichnete sich jedoch rasch ab, dass sich der Bundesgesetzgeber der Einflussnahme nicht enthalten konnte 190. So regelte er im Interesse einer einheitlichen Ausführung häufig, weitaus häufiger als von den Gründungsvätern angenommen, bereits im Bundesgesetz die eigentlich in die Zuständigkeit der Länder fallende Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren (Art. 84 Abs. 1 2. Halbsatz GG) mit. Die Inanspruchnahme dieser Gesetzgebungskompetenz ist womöglich das treffendste Exempel, um die „Normierungswut“ des Bundesgesetzgebers zu belegen 191. Durch den Erlass von Verwaltungsvorschriften nach Art. 84 Abs. 2 GG bzw. durch die Befugnis zur Erteilung von Einzelweisungen in Art. 84 Abs. 5 Satz 1 GG wurde dem Bundesgesetzgeber zudem ermöglicht, die Entscheidungen der Länderverwaltung auch inhaltlich zu beeinflussen 192. Nicht nur durch diese Fälle sachlicher Bundesingerenz 193, sondern generell durch die große Anzahl vollziehungsbedürftiger Bundesgesetze wurden die verwaltungsrechtlichen Handlungsspielräume der Länder massiv eingeschränkt. Denn die Bundesgesetze enthielten aufgrund der ständig wachsenden Regelungsdichte häufig nur noch einen eng begrenzten Entscheidungsspielraum auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite 194, der 189

In diesem Zusammenhang ist schon recht früh von der Landesblindheit des Unionsrechts die Rede gewesen, Ipsen, in: v. Caemmerer (Hrsg.), Europäisches Recht, S. 256 ff. 190 Dazu beigetragen hat aber auch der vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Grundsatz des Grundrechtsschutzes durch Verfahren, BVerfGE 53, 30 – „MühlheimKärlich“, Urteil vom 20. Dezember 1979 und die weite Auslegung der Begriffe „Regelung des Verwaltungsverfahrens“ und „Behördeneinrichtung“, vgl. BVerfGE 55, 274 (321); 75, 108 (152); 105, 313 (313 f.). 191 Dadurch wurde auch dieser Bereich der Landesgesetzgebung stark beschnitten. Sachlich notwendig sollen solche Regelungen nach Aussage eines beamteten Staatssekretärs nur in ca. 1 % aller Bundesgesetze sein, vgl. die Äußerung des Bundestagsabgeordneten Röttgen, Stenografischer Bericht der 8. Kommissionssitzung am 8. Juli 2004, S. 178. 192 Zu einer Anwendung der Instrumentarien der Bundesaufsicht (Art. 84 Abs. 3 und 4 GG) ist es dagegen bisher noch nicht gekommen. Vgl. zu den Gründen, Oeter, Integration, S. 443. Es wurde aber in anderer, nicht ausdrücklich im Grundgesetz vorgesehener Weise Einfluss genommen, z. B. durch Rundschreiben, siehe zu weiteren speziellen Formen Köttgen, JöR 1954, S. 88 f. 193 Köttgen, JöR 1954, S. 87.

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

durch die Intensivierung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle und dort vor allem durch die volle gerichtliche Überprüfbarkeit auf Tatbestandsebene 195 noch zusätzlich eingeengt wurde. Der schon 1962 entwickelten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die einheitliche Geltung der Bundesgesetze erhebliche Verschiedenheiten des Vollzugs in den Ländern verbietet, sollte vor diesem ohnedies auf Einheitlichkeit angelegten Hintergrund keine übermäßige Bedeutung zukommen 196. Neben der Einflussnahme auf die Landesverwaltung wurde das Verwaltungsmonopol der Länder auch durch den Ausbau der Bundesverwaltung in Frage gestellt. So schuf der Bund sich besonders in dem ersten Jahrzehnt eigene Verwaltungsorganisationen über die Generalklausel des Art. 87 Abs. 3 GG 197 und dehnte die Bundesauftragsverwaltung – allerdings mit Zustimmung des Bundesrates – auf weitere Sachgebiete aus 198. Der eigentlich vom Verfassungsgeber als „Notkompetenz gedachte“ Art. 87 Abs. 3 GG 199 hat damit einen erheblichen Anwendungsbereich erfahren, ohne dass indes die vielfach geäußerte Befürchtung,

194 Bullinger, DÖV 1970, S. 765; Weber, Spannungen, S. 302: „Charakter verwaltender Detailpläne“; Scheuner, in: Listl (Hrsg.), Staatstheorie, S. 396 der feststellte, dass das „Ideal durchgängig bestimmter Verwaltungsentscheidungen“ im Bereich der vorsorgenden Leistungsverwaltung auch für den Bürger eine Verengung bedeutete. 195 Zu der in den fünfziger Jahren von dem Bundesverwaltungsgericht vorgenommenen Abspaltung des unbestimmten Rechtsbegriffes auf Tatbestandsebene aus der Ermessenslehre mit der Folge der vollen gerichtlichen Kontrollmöglichkeit, BVerwGE 2, 295 (301); 324, 328. Ausführlich dazu Oeter, Integration, S. 429 ff. 196 BVerfGE 11, 6 (17) – „Dampfkesselentscheidung“, Urteil vom 15. März 1960; Bullinger, DÖV 1970, S. 766: „Das Bundesverfassungsgericht hat damit den föderalistischen Wert der Verwaltungszuständigkeit der Länder negiert“; ablehnend auch Hanebeck, Bundesstaat, S. 267. 197 Einen Überblick über die Anzahl der Bundesoberbehörden gibt die Online-Seite des Bundesverwaltungsamtes, http://www.bund.de/nn_351508/DE/BuB/Behoerden/Bund /Institutionen-desBundes/Bundesoberbehoerden/Bundesoberbehoerden-knoten.html: Insgesamt sind dort 67 Bundesoberbehörden aufgezählt. Die Tatsache, dass in den letzten Jahrzehnten nur wenige neu geschaffen wurden, darf nicht zu der Annahme verleiten, dass der Ausbau der Bundesverwaltung nicht vorangeschritten sei. Denn der Bund hat die Aufgaben der bestehenden Bundesoberbehörden stetig ausgeweitet, vgl. Schodder, Gewaltenteilung, S. 52. Von besonderem Gewicht für das Vordringen des Bundes in die Verwaltungshoheit ist daneben die auf Grundlage des Art. 87 Abs. 2 GG errichtete obligatorische mittelbare Bundesverwaltung im Bereich der Sozial- und Rentenversicherungen und, allerdings nur temporär, die von der DDR übernommene Treuhandanstalt, Papier, in: Bundesrat (Hrsg.), Verfassungskonvent, S. 344 f. 198 Insgesamt sind fünf neue Formen der Bundesauftragsverwaltung nach Inkrafttreten des Grundgesetzes eingeführt worden: Art. 120a Abs. 1 GG, Art. 87b Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 87c GG, Art. 87d Abs. 2 GG und 104a Abs. 3 Satz 2 GG. Mit letztgenannter Vorschrift ist im Zuge der 21. Verfassungsreform von 1969 eine Generalklausel für die Errichtung einer Bundesauftragsverwaltung geschaffen worden. 199 Britz, DVBl. 1998, S. 1171.

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dass das Regel-Ausnahme-Verhältnis des Art. 83 GG in sein Gegenteil verkehrt wird, Wirklichkeit geworden wäre 200. In diesen Zusammenhang ist auch die sogenannte Fondsverwaltung 201 einzuordnen, obschon diese zugleich Teil der Kooperationspraxis zwischen Bund und Ländern ist. Darunter wird eine „nur durch das Haushaltsgesetz autorisierte Gewährung finanzieller Hilfen des Bundes“ an die Länder (sogenannte Zuschüsse) oder an Private (sogenannte Subventionen) verstanden 202. Diese, verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzte, 203 finanzielle Unterstützung wurde an die Länder meist zur Erfüllung bestimmter Aufgaben gewährt 204, wobei die zweckmäßige Verwendung durch Richtlinien und Ingerenzbefugnisse des Bundes sichergestellt wurde 205. Dadurch verschaffte sich der Bund maßgeblichen Einfluss auf die Durchführung der mitfinanzierten Länderaufgaben. In ihren Auswirkungen war die „Fondsverwaltung“ demnach mit der Bundesauftragsverwaltung vergleichbar, stellte aber im Gegensatz zu dieser eine vom Grundgesetz nicht vorgesehene Mischverwaltung zwischen Bund und Ländern dar 206. Dies konnte auf Länderseite nicht dauerhaft ohne Widerstand bleiben 207 und führte 1969 im Zuge der Finanzreform mit der Einführung der Gemeinschaftsaufgaben und der Investitionshilfekompetenz nach Art. 104 Abs. 4 GG sowie mit der Normierung des Konnexitätsprinzips in Art. 104a Abs. 1 GG zu einer teilweisen Legalisierung der Rechtslage. Gleichwohl konnten auch damit nicht sämtliche Unsicherheiten in diesem Bereich beseitigt werden 208. Der vom Bund als „interne Richtschnur“ verwendete, jedoch nie zum Abschluss gekommene Entwurf des sogenannten Flurbereinigungsabkommens 209 geht jedenfalls über den vom 200 So hat der Bund von seiner Möglichkeit nach Art. 87 Abs. 3 Satz 2 GG eigene Mittel- und Unterbehörden zu errichten noch nie Gebrauch gemacht. 201 Zu der Fondsverwaltung allgemein Köttgen, Fondsverwaltung,. 202 Kisker, Kooperation, S. 35 in Anlehnung an Köttgen, Fondsverwaltung, S. 18. 203 Unklar war, wie sich diese gesetzesersetzenden Förderungsprogramme in die Kompetenzverteilung des Grundgesetzes einfügen ließen, insbesondere ob eine Gesetzgebungsoder eine Verwaltungskompetenz des Bundes vorliegen musste. In der Praxis hat der Bund finanzielle Unterstützung jedenfalls auch für solche Aufgaben gewährt, für die er keine Gesetzgebungskompetenz innehatte, z. B. für die Förderung des Sports oder bedeutender Kulturinstitute und -einrichtungen, vgl. Kisker, Kooperation, S. 35 f. 204 Boldt, in: Huhn (Hrsg.), Föderalismus, S. 146: Schon in den fünfziger Jahren belief sich die Höhe der finanziellen Hilfen auf Milliarden. 205 Kisker, Kooperation, S. 35. 206 Kommission für die Finanzreform, S. 14. 207 Vgl. einen entsprechenden Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz im Juni 1963, Kommission für die Finanzreform, S. 15. 208 Dazu Kisker, Kooperation, S. 37 ff. 209 Dieser Entwurf wurde im Jahre 1971 von einer Verhandlungskommission des Bundes und der Länder ausgearbeitet, abgedruckt bei: Frey, in: BMF (Hrsg.), Finanzbeziehung, S. 75 ff. Dabei wurde der entsprechende Vorschlag der Troeger-Kommission

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Grundgesetz und vom Bundesverfassungsgericht 210 vorgegebenen Rahmen hinaus 211. Bis heute existieren daher Formen parakonstitutioneller Mischfinanzierungen und Mischverwaltungen 212. Für das Gleichgewicht der bundesstaatlichen Kräfte hatte die „Unterwanderung des Verwaltungsmonopols der Länder“ 213 erhebliche Auswirkungen. Nach der Konzeption des Parlamentarischen Rates sollten die Länder als Ausgleich für die Konzentration der Gesetzgebungskompetenzen beim Bund im Verwaltungsbereich ihren Tätigkeitsschwerpunkt haben. Diese eigentlich gegenüber der Gesetzgebung gleichwertige Funktion ist durch den Ausbau der Bundesverwaltung und vor allem durch den immensen Einfluss des Bundes auf die Landesverwaltung entwertet worden. Sollten die Länder mit der landeseigenen Verwaltung nach der Vorstellung der Gründungsväter „Eigenbereiche autonomer administrativer Entscheidung“ 214 übertragen bekommen, wandelten sich diese durch die Masse der detaillierten Bundesgesetze gepaart mit der verstärkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle in eine überwiegend rechtlich gebundene Vollzugstätigkeit 215. Der Eigenwert der Verwaltung als traditionelles Element der Länderstaatlichkeit ist dadurch weitgehend verschwunden, worin Hesse „die Tendenz der Unitarisierung mit besonderer Schärfe hervortreten“ sah 216.

mit einigen Änderungen übernommen. Dieser Vorschlag war in Anlehnung an den dem Art. 30 GG zugrunde liegenden Leitgedanken verfasst worden, dem Bund die ungeschriebene gesetzesfreie Finanzierungszuständigkeit für alle Aufgaben zuzuerkennen, die von den Ländern aus zwingenden sachlichen Gründen nicht erfolgreich wahrgenommen werden konnten, siehe dazu, Kommission für die Finanzreform, S. 26 f., 178 ff. 210 Zwar hat das Bundesverfassungsgericht die Existenz ungeschriebener Verwaltungskompetenzen anerkannt. Dies gilt jedoch nur in solchen Fällen, in denen mit einem Verwaltungsvollzug der Länder „die Erreichung des angestrebten Ziels (...) von vorneherein ausgeschlossen wäre“, BVerfGE 41, 291 (312). 211 Stern, Staatsrecht – Band I, S. 751; Maunz, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 104a GG Rn. 18; Vogel, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band I, S. 19. 212 Flemming, Föderalismus, S. 207 und Fn. 1 mit Beispielen. 213 Köttgen, JöR 1954, S. 82; Hanebeck, Bundesstaat, S. 263 weist daraufhin, dass inzwischen auch die Verwaltungskompetenzen teilweise durch Europarecht überlagert werden. 214 Oeter, Integration, S. 142. 215 Haas, in: Bundesrat (Hrsg.), 10 Jahre Bundesrat, S. 133; Bullinger, DÖV 1970, S. 765: „Den Ländern wird oft nur der Ausspruch vorgeformter Entscheidung überlassen“; Schodder, Gewaltenteilung, S. 65 f.; die Länder in diesem Bereich deswegen eher als hochpotenzierte Selbstverwaltungskörperschaften bezeichnend, Stern, Staatsrecht – Band I, S. 672. 216 Hesse, Unitarischer Bundesstaat, S. 16; Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 123 Rn. 209: Gefahr für die föderative Balance.

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II. Selbstkoordinierung 217 von Bund und Ländern Selbst in den Bereichen, in denen den Ländern eigener Gestaltungsspielraum verblieb, so stellte Hesse fest, verständigten sich zunächst hauptsächlich die Länder untereinander (Dritte Ebene), später zunehmend auch 218 der Bund und die Länder (Vierte Ebene) auf ein gemeinsames Vorgehen 219. Im Zentrum dieser Koordinierungstätigkeit standen, ab Mitte der sechziger Jahre auch für die Zusammenarbeit mit dem Bund 220, die Ministerpräsidenten- und Fachministerkonferenzen 221. Diese Kooperationsform war keineswegs neu und wurde bereits nach dem 2. Weltkrieg ab dem Jahre 1946, also noch vor Gründung der Bundesrepublik, genutzt 222. Die in diesen Konferenzen verabschiedeten Beschlüsse und Empfehlungen waren in der großen Mehrzahl der Fälle Ausgangspunkt weiterer Koordinierungsmaßnahmen 223. So wurden die rechtlich verbindlich wirkenden Staatsverträge 224, die teilweise die Errichtung gemeinsamer Einrichtungen zum Gegenstand hatten, 225 und Verwaltungsabkommen 226 in der Regel auf der Grundlage dieser 217 Diese Bezeichnung wird in Anlehnung an Hesses Charakterisierung aufgegriffen. Treffender wäre aufgrund der Zusammenarbeit der Begriff der Kooperation. 218 Davor gab es bereits Formen der Zusammenarbeit. Die wichtigsten, die Errichtung gemeinsamer Einrichtungen regelnden Abkommen aufgezählt bei Lichtenstein, Gesetzgebung, S. 112 f. und bei der Kommission für die Finanzreform, S. 11 f; vgl. auch Rau, in: Bundesrat (Hrsg.), Verfassungskonvent, S. 20: Ende des 20. Jahrhunderts beläuft sich die Zahl der Bund-Länder-Kommissionen, also der den Ministerkonferenzen zugeordneten administrativen Gremien, die sich überwiegend mit der Koordinierung untergesetzlicher Normen beschäftigen, auf über 300. 219 Zu der inzwischen allgemein bejahten Frage, ob eine solche Zusammenarbeit überhaupt verfassungsgemäß ist, vgl. Oeter, Integration, S. 477; so schon früh Herzog, JuS 1967, S. 197 ff.; zu den Grenzen Kisker, Kooperation, S. 114 ff. Die Zulässigkeit der Zwischenländerkooperation erreicht dann ihre Grenzen, wenn eine völlige Selbstpreisgabe unter Ausschaltung der politischen Verantwortung und damit auch der parlamentarischen Kontrolle vorliegt, Groß, DVBl. 1969, S. 125 und Grzeszick, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 GG Rn. 159 ff. 220 Feuchte, AöR 1973, S. 476. 221 Rudolf, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 1022 Rn. 37; Klatt, VerwArch 1987, S. 87: „Die organisatorische Grundstruktur der horizontalen bzw. vertikalen Beziehungen“. Derzeit existieren 18 Ressortministerkonferenzen, vgl. die homepage des Bundesrates, abrufbar unter http://www.bundesrat.de/cln_099/nn_8770/DE/gremien-konf /fachministerkonf/fachministerkonf-node.html?__nnn=true. 222 Diese Praxis war auch schon zu Zeiten der Weimarer Republik anzutreffen, siehe hierzu Eicher, Landesparlamente, S. 37 f. 223 Rudolf, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 1030 Rn. 57 und S. 1033 Rn. 64, der die Beschlüsse als dem Vertragsrecht zuzuordnende Kooperationsabsprachen qualifiziert, die zur unmittelbaren Anwendung noch einer innerstaatlichen Umsetzung bedürfen. 224 Staatsverträge sind dadurch gekennzeichnet, dass sie der Zustimmung des Parlaments bedürfen, Rudolf, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 1030 Rn. 58.

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Beschlüsse gefasst. Auch der Erlass im Wesentlichen gleichlautender Landesgesetze 227 und die in vielen Bereichen sachlich angeglichenen Verwaltungsvorschriften und -praxis gingen auf Vorarbeiten der Konferenzen und vor allem ihrer Arbeitsausschüsse zurück. Von dieser auf Vereinheitlichung bzw. Rechtsangleichung angelegten Kooperationspraxis waren dabei nicht lediglich unbedeutende oder nur durch Finanzhilfen mittelbar vom Bund steuerbare Bereiche betroffen 228. Vielmehr zog sie sich durch nahezu alle der noch in Länderzuständigkeit befindlichen Gebiete. Die Länder sahen darin einerseits einen Weg, dem auf ihnen lastenden kostenverursachenden Druck der durch das Leitbild der einheitlichen Lebensverhältnisse entfachten Überbietungskonkurrenz zu entgehen 229, andererseits diente die Koordinierung zur Abwehr einer Kompetenzbeanspruchung durch den Bund. Einen Eindruck, in welcher Größenordnung sich diese Kooperationspraxis bewegt(e), vermittelt eine Auszählung des Landes Baden-Württemberg, nach der die Landesministerialbürokratie in 928 länderübergreifenden Gremien und Arbeitsgruppen vertreten ist 230. III. Stellung des Bundesrates Bezeichnend für das Bild eines unitarischen Bundesstaates war nach Hesse schließlich die starke Stellung des Bundesrates, insbesondere im Gesetzgebungsverfahren 231. Dieser hatte in einer gegenläufigen Entwicklung zu den Ländern im 225 Beispielsweise der Staatsvertrag über die Vergabe von Studienplätzen vom 20. Dezember 1972, der Staatsvertrag über die Errichtung des Zweiten Deutschen Fernsehens vom 6. Juni 1971 oder die ständige Konferenz der Kultusminister (KMK). 226 Unter diesen Begriff fallen alle sofort anwendbaren Verträge, die nicht der Zustimmung des Parlaments bedürfen, die also von der Exekutive in eigener Zuständigkeit geregelt werden können, Rudolf, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 1031 Rn. 58. 227 Dies gilt beispielsweise für die Landesverwaltungsverfahrensgesetze, welche vom Bund rezipiert wurden oder für die an einem Musterentwurf orientierten Landespolizeigesetze und Landesbauordnungen. Auch die dadurch erzielte Übereinstimmung ging manchen jedoch noch nicht weit genug, so z. B. Schäfer, in: Schäfer (Hrsg.), Schwerpunkte, S. 7. 228 Hesse, Unitarischer Bundesstaat, S. 19. 229 Am Beispiel der regionalen Wirtschaftspolitik, Scharpf / Reissert / Schnabel, Kooperativer Föderalismus, S. 78 f. 230 Rau, in: Bundesrat (Hrsg.), Verfassungskonvent, S. 20. Im Zeitraum von 1949 bis 1960 hatte Schneider, VVDStRL 1961, S. 36 ff. 500 Beschlüsse der Kultusministerkonferenz der Trizone bzw. der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Bundesrepublik gezählt. Dies zeigte schon damals die große Bedeutung der Kooperationstätigkeit im Kulturwesen. 231 Hesse, Unitarischer Bundesstaat, S. 21 ff. Auch bei Verwaltungs- und Regierungsmaßnahmen war er beteiligt, z. B. bei dem Erlass allgemeiner Verwaltungsvorschriften etwa nach Art. 84 Abs. 2 GG.

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Zuge der Vereinheitlichungstendenzen des Bundes mehr und mehr Bedeutung erlangt 232. Dies galt unabhängig von der hohen Anzahl an Zustimmungsgesetzen. Denn die häufig, auch auf Anregung des Bundesrates 233, von ihrem Gesetzesinitiativrecht Gebrauch machende Bundesregierung griff bei der Ausarbeitung einer Regierungsvorlage gerne auf den Sachverstand der Länderverwaltungen zurück 234. Schon allein dieser Umstand sicherte den Ländern einen gewissen Einfluss, der durch das Prozedere nach Art. 76 Abs. 2 GG (sogenannter erster Durchgang), bei dem der Bundesrat eine Vielzahl erfolgreicher 235 Änderungswünsche nicht nur allgemein politischer, sondern auch fachlicher, rechtstechnischer und redaktioneller Art geltend gemacht hat, vermehrt wurde 236. Der Hauptgrund für die Bedeutung des Bundesrates lag aber in der vom Parlamentarischen Rat nicht vorausgesehenen Masse an zustimmungsbedürftigen Gesetzen. So lag die Anzahl der mit Zustimmung des Bundesrates verabschiedeten Gesetze nicht, wie erwartet, bei ca. 10% 237, sondern bereits in der ersten Wahlperiode bei 41,8% 238. In den späteren Wahlperioden stieg diese Zahl weiter an und pendelte sich schließlich zwischen 50% und 60 % ein 239. Sein großes politisches Gewicht verdankte der Bundesrat vor allem zwei Zustimmungstatbeständen und der besonderen Art und Weise, wie mit ihnen verfahren wurde. Zum einen die damals wie heute in über der Hälfte der Fälle die Zustimmungsbedürftigkeit auslösenden bundesgesetzlichen Entscheidungen über das formelle Organisations- und Verfahrensrecht, Art. 84 Abs. 1 2. Halbsatz GG 240. Zum an232

Hesse, Unitarischer Bundesstaat, S. 22. Generell ist feststellbar, dass der Bundesrat zumindest in den Gründungsjahren den Erlass von Bundesgesetzen eher vorangetrieben, denn zu stoppen gesucht hat, v. Lex, in: Süsterhenn (Hrsg.), Verfassung, S. 55: z. B. den Erlass eines Apothekengesetzes oder eines Gesetzes über den Wasserhaushalt. Allein im Kulturwesen hat er sich gegen einen Übergriff des Bundesgesetzgebers entschieden zur Wehr gesetzt. 234 Katzenstein, DÖV 1958, S. 598. 235 Mit dem Hinweis, dass die Vorarbeiten zu einer solchen Beurteilung nicht geleistet seien, Herzog, in: Bundesrat (Hrsg.), Bundesrat, S. 239. 236 Katzenstein, DÖV 1958, S. 598. Dieser Durchgang wird treffend auch als „politischer Durchgang“ bezeichnet, Kilper / Lhotta, Föderalismus, S. 125. 237 So Herzog, in: Bundesrat (Hrsg.), Bundesrat, S. 242; Rau, in: Bundesrat (Hrsg.), Verfassungskonvent, S. 19. 238 Berücksichtigt sind nur diejenigen Gesetze, bei denen die Zustimmung des Bundesrates in der Eingangsformel des verkündeten Gesetzes ausdrücklich erwähnt ist, also nicht die Streitfälle. 239 Vgl. dazu die Statistischen Angaben, in: v. Münch / Kunig, GG – Band 2, Art. 50 GG S. 918. Allerdings dürfte dieser Prozentsatz bei politisch bedeutsamen Vorhaben deutlich höher liegen. So schätzt Dolzer, VVDStRL 1999, S. 15 ihn auf ca. 90%. 240 V. Lex, in: Süsterhenn (Hrsg.), Verfassung, S. 57 wähnte den Bundesrat durch die Vorschrift des Art. 84 Abs. 1 GG schon 1952 in einer Schlüsselposition. Art. 84 Abs. 1 233

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deren und eher von qualitativer 241 Bedeutung die verfassungsändernden Gesetze, Art. 79 Abs. 2 GG. Ausschließlich auf diese beiden Fälle, die die Rolle des Bundesrates in einem unitarischen Bundesstaat eindrucksvoll belegen, beziehen sich die folgenden Ausführungen. Auffällig ist, dass der Bundesrat hierzu regelmäßig seine Zustimmung erteilte, ja die Verfassungsänderungen sogar teilweise selbst anregte 242. Dafür lassen sich mehrere Gründe, auch sachlicher Natur, anführen. Die Verfassungsänderungen entsprachen nicht selten den Interessen der Länder, weil mit ihnen finanzielle Entlastungen 243 und Verantwortungsabgabe an den Bund verbunden waren 244. Wichtigster Faktor dürfte jedoch gewesen sein, dass der Bundesrat in beiden Fällen (letztlich) auf die inhaltliche Ausgestaltung der Bundesregelung Einfluss nehmen konnte. Für die Organisationsregelungen des Bundes ergab sich diese Konsequenz stets, für die Verfassungsänderungen nur dann, wenn sich der Bundesrat einen neuen Zustimmungstatbestand einräumen ließ. Dies hat der Bundesrat häufig und teilweise auch in systemwidriger Weise 245 zur Bedingung seiner Zustimmung zu einer den Bund begünstigenden Verfassungsänderung gemacht 246. So ist die Anzahl der Zustimmungstatbestände seit 1949 von einstmals 14 auf nunmehr über 60 gestiegen 247. Zwar hat sich dieser Zuwachs nicht wesentHalbsatz 2 GG löste in dem Zeitraum von 1950 bis 1966 in durchschnittlich 53,64% der Fälle die Zustimmungsbedürftigkeit aus. Eine überragende Rolle nahm daneben noch Art. 105 Abs. 3 GG ein, der in 29,49 % für die Zustimmungsbedürftigkeit verantwortlich war. Zusammen ergab das eine Quote von 83,13 %, die allerdings bei Vermeidung von Doppelzählungen um ein paar Prozentpunkte niedriger gelegen haben dürfte (die Zahlen sind dem Anhang von Rössler, Zustimmungsgesetzgebung, entnommen). An diesen Zahlen hat sich wenig geändert, wie eine Statistik für den Zeitraum von 1981 bis 1999 belegt. Danach war Art. 84 Abs. 1 Halbsatz 2 GG in 58,1 %, Art. 105 Abs. 3 GG in 28,5% der Fälle für die Zustimmungsbedürftigkeit verantwortlich. Das ergibt bereinigt um die Doppelzählungen einen Wert von 81,6 %. Dästner, ZParl 2001, S. 296 hat für diese Statistik die Tagesordnungen des Bundesrates ausgewertet. 241 Dästner, ZParl 2001, S. 296: Im Zeitraum von 1981 –1999 haben Verfassungsänderungen nur in 1,4 % der Fälle die Zustimmungsbedürftigkeit ausgelöst. 242 Als Beispiele dafür gelten das Versorgungs- und Besoldungsrecht der Landesbeamten, Kretschmer, in: Schäfer (Hrsg.), Schwerpunkte, S. 99 Fn. 5, die Abfallbeseitigung, Friedrich, ZParl 1971, S. 457 Fn. 16 und aus neuerer Zeit die Gentechnologie, vgl. BRDrs. 404/88; 522/88; 535, 88. Von einem „zäh geführten Verteidigungskampf um seine Kompetenzen“ kann vor diesem Hintergrund keine Rede sein, so aber Scheuner, in: Listl / Rüfner (Hrsg.), Staatstheorie, S. 402. 243 So wohl bei der Gesetzgebungskompetenz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19a GG) und zur Abfallbeseitigung, Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG), vgl. Scheuner, in: Listl / Rüfner (Hrsg.), Staatstheorie, S. 411. 244 Kretschmer, in: Schäfer (Hrsg.), Schwerpunkte, S. 117. 245 Das heißt, die neuen Zustimmungstatbestände haben sich nicht in das anfängliche „duale“ System eingefügt. Beispiele dafür sind: Art. 109 Abs. 3 GG, Art. 91a Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 74a GG, Art. 23 GG und Art. 74 Abs. 2 GG, vgl. dazu Dästner, ZParl 2001, S. 305.

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lich auf die Quote der zustimmungsbedürftigen Gesetze ausgewirkt. Die auch heute noch hauptsächlich die Zustimmungsbedürftigkeit auslösenden Vorschriften, Art. 84 Abs. 1 2. Halbsatz GG und Art. 105 Abs. 3 GG, existieren schon seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes 248. Nur in ca. 11,5 % der Fälle 249 ist die Zustimmungspflichtigkeit auf die nach 1949 in das Grundgesetz eingeführten Zustimmungstatbestände zurückzuführen. Allerdings konnten diese im Zuge der Verfassungsänderungen an den Bund übertragenen Aufgaben in einigen Fällen auch mit einem einmaligen gesetzgeberischen Engagement bewältigt werden. Der Mitgestaltungswunsch des Bundesrates dürfte sich daher trotz des Fehlens quantitativer Relevanz nicht selten erfüllt haben. Im Anwendungsbereich des Art. 84 Abs. 1 GG hatte die inhaltliche Mitgestaltung die vom Bundesrat vertretene 250 und später vom Bundesverfassungsgericht 251 bestätigte Einheitstheorie 252, wonach ein Gesetz im Ganzen zustimmungsbedürftig ist, sobald bereits ein Teil des Gesetzes dem Zustimmungserfordernis unterfällt, möglich gemacht. Nach der darauf aufbauenden Mitverantwortungstheorie 253 sollte sogar ein Änderungsgesetz, das selbst keine zustimmungsaus246 Friesenhahn, in: Bundesrat (Hrsg.), Bundesrat, S. 255; Kilper / Lhotta, Föderalismus, S. 169. Anders Halstenberg, in: Bundesrat (Hrsg.), Bundesrat, S. 150, der die Annahme, dass die Einräumung neuer Zustimmungstatbestände dem Bundesrat die Zustimmung erleichtert habe, für „einen gefährlichen Irrtum“ hielt. 247 Haghgu, Zustimmung, S. 36. 248 Die häufig anzutreffende These, dass die Vermehrung der Zustimmungstatbestände zu der hohen Zustimmungsquote geführt habe, ist deshalb nicht haltbar, vgl. Schodder, Gewaltenteilung, S. 126; Dästner, ZParl 2001, S. 292 ff. So beispielsweise aber Hrbek, in: Hrbek (Hrsg.), Deutschland vor der Föderalismus-Reform, S. 11; Borchard / Margedant, in: Borchard (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 11; Oberreuter, in: Borchard (Hrsg.), Föderalismus, S. 122; Dolzer, VVDStRL 1999, S. 15; Huber, Föderalismusfalle, S. 5; Grimm, in: BMI (Hrsg.), Bewährung, S. 53, 58, der daher die Verflechtung dadurch zu reduzieren können meint, dass die Zustimmungstatbestände in Richtung des Anfangsbestandes zurückgeführt werden. 249 Dästner, ZParl 2001, S. 297. 250 Haas, in: Bundesrat (Hrsg.), 10 Jahre Bundesrat, S. 128. 251 St. Rspr., vgl. BVerfGE 8, 274 (294) – „Preisgesetz-Entscheidung“, Urteil vom 12. November 1958: „Gesetz als gesetzgebungstechnische Einheit“; 24, 184 (194); 55, 274 (319); ausdrücklich offengelassen aber in BVerfGE 105, 313 (339). 252 Dafür, sogar „ohne jeden Zweifel“: Herzog, in: Bundesrat (Hrsg.), Bundesrat, S. 242; ebenso Sachs, VVDStRL 1999, S. 62. Ablehnend dagegen Schneider, in: Wilke (Hrsg.), Bundesrat, S. 290 ff.; Heitsch, Ausführung, S. 218 ff. und jüngst, Haghgu, Zustimmung, S. 178 ff. 253 Zuerst entwickelt wohl von Kutscher, DÖV 1952, S. 713; die Meinung des Bundesrates findet sich z. B. in BT-Drs. IV/2865, S. 11; insoweit zustimmend Herzog, in: Bundesrat (Hrsg.), Bundesrat, S. 244. Die Bundesregierung und der Bundestag traten dieser Auffassung entschieden entgegen, vgl. BT-Drs. IV/2865, S. 12. So auch die h. M. in der Literatur, vgl. nur Schneider, in: Wilke (Hrsg.), Bundesrat, S. 297; Ossenbühl, in: Wilke (Hrsg.), Bundesrat, S. 313 ff.; Friesenhahn, in: Bundesrat (Hrsg.), Bundesrat, S. 267.

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lösenden Vorschriften eines Zustimmungsgesetzes ändert, zustimmungspflichtig sein. Dieser Auffassung hat sich das Bundesverfassungsgericht allerdings nicht angeschlossen. Nur für den Fall, dass infolge der Gesetzesänderung den nicht ausdrücklich geänderten Vorschriften über das Verwaltungsverfahren eine wesentlich andere Bedeutung und Tragweite zukommt, wird das Zustimmungserfordernis anerkannt 254. Der Bundesrat nahm bei Art. 84 Abs. 1 GG in aller Regel also die die Zustimmungsbedürftigkeit auslösenden verfahrensrechtlichen Bestimmungen hin und eröffnete sich dadurch die Möglichkeit auf den die Länderinteressen gerade nicht besonders berührenden, materiellen Inhalt des Bundesgesetzes Einfluss zu nehmen 255. Ob diese Kompensationsgeschäfte mit der Rolle des Bundesrates als föderativem Organ 256 und mit seiner vom Grundgesetz vorgesehenen Aufgabe der Mitwirkung der Länder bei der Willensbildung des Bundes (Art. 50 GG) verfassungsrechtlich vereinbar sind, scheint zunächst fraglich. Die Formulierung des Grundgesetzes legt auf den ersten Blick nahe, dass im Bundesrat die spezifischen Interessen der Länder zur Geltung gebracht werden. In wenigen Einzelfällen wird zwar auch die Mitgestaltung des (materiellen) Bundesgesetzes der Erfüllung von Länderinteressen dienen können. In den übrigen Fällen ist entscheidend, ob es dem Bundesrat erlaubt ist, bei seiner Entscheidung Bundesinteressen – denn nichts anderes tut er, indem er das Bundesgesetz nach seinen Vorstellungen materiell mitgestaltet – zu berücksichtigen. Weiterhelfen könnte hierbei die Überlegung, dass der Bundesrat nicht nur föderatives, sondern gleichzeitig Bundesorgan ist 257, das heißt, er ist dem Wohl der Bundesrepublik insgesamt verpflichtet und soll in seinem Aufgabenbereich „das Ganze und nicht die Teile“ 258 repräsentieren. Diese Funktion wird insbesondere daran sichtbar, dass er auch bei Einspruchsgesetzen, die die Länderinteressen jedenfalls vom Grundsatz her nicht berühren sollen, im Gesetzgebungsverfahren beteiligt ist 259. 254

BVerfGE 37, 363 (363 ff.) – „Bundesrats – Entscheidung“, Urteil vom 25. Juni 1974. Damit wurde der andauernde „verfassungsrechtliche Grabenkrieg“ beigelegt, Schäfer, in: Ule (Hrsg.), Recht, S. 22. 255 Den Umgang des Bundesrates mit Gesetzen, die aufgrund bundesgesetzlicher Behörden- und Verfahrensvorschriften zustimmungsbedürftig waren, hat Limberger empirisch untersucht. Er konstatierte ein „normzweckinädaquates Begründungsverhalten“ des Bundesrates, das heißt dessen Entscheidungen wurden in erster Linie von den materiellen Teil des Gesetzes betreffenden allgemeinpolitischen, rechtlichen und / oder finanzpolitischen Gesichtspunkten geleitet, Limberger, Bundesrat, S. 71 ff., 125. 256 Diese Bezeichnung rechtfertigt sich aus der Zusammensetzung des Bundesrates mit Mitgliedern der Länderregierungen, vgl. dazu BVerfGE 8, 104 (120); Stern, Staatsrecht – Band I, S. 726. 257 H. M., vgl. BVerfGE 8, 104 (120); Maunz / Scholz, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 50 Rn. 5; Korioth, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG – Band 2, Art. 50 GG Rn. 13 m.w. N. 258 Maunz, Dt. Staatsrecht, S. 207. 259 Klein, in: Wilke (Hrsg.), Bundesrat, S. 361 f.; Korioth, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG – Band 2, Art. 50 Rn. 18.

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Inwieweit dieser Aspekt des Bundesinteresses bei Entscheidungen im Rahmen der Zustimmungsgesetze einbezogen werden darf, wird allerdings nicht einheitlich beurteilt. Die Palette der hierzu vertretenen Meinungen ist groß. Sie reicht von der Ansicht, dass nur die spezifischen Länderinteressen 260 eine Rolle spielen dürfen, über die Vorstellung, dass ein Ausgleich zwischen Bundesund Landesinteressen herbeizuführen ist 261 bis zu der Auffassung, dass nur das Bundesinteresse (aus Sicht und unter Einbeziehung der Verwaltungserfahrung der Länder) berücksichtigt werden darf 262. Zutreffend dürfte dagegen sein, überhaupt keine verfassungsrechtliche Pflicht zu einer wie auch immer gearteten Interessenvertretung anzunehmen 263, da die Kategorie der „Interessen“ für das Grundgesetz keinen Maßstab darstellt 264. Die dem Abstimmungsverhalten der Landesregierungen zugrunde liegende Motivation ist aus verfassungsrechtlicher Sicht unerheblich, ganz abgesehen von den unlösbaren praktischen Problemen, die eine andernfalls notwendige Gesinnungserforschung mit sich bringen würde 265. Entscheidend kann allein sein, dass der Bundesrat auf der Grundlage der Verfassung handelt. Bis auf ganz wenige, evidente Ausnahmen existieren hierfür keine Grenzen 266. Dies ist mittlerweile für die damit in engem Zusammenhang stehende, lange Zeit umstrittene Frage der Zulässigkeit (bundes-) parteipolitisch 260 So bereits im Jahre 1951: Maunz, Dt. Staatsrecht, S. 210; Jahn, in: Wilke (Hrsg.), Bundesrat, S. 375 ff.; „Der Bundesrat als Hüter der Länderinteressen“, v. Ditfurth, Zustimmung, S. 145; in diese Richtung auch Ehard, in: Süsterhenn (Hrsg.), Ordnung, S. 100, wenn er es als die „vornehmste verfassungspolitische Aufgabe des Bundesrates“ ansieht, „für die Wahrung des föderativen Staatsaufbaus einzutreten und sich gegen zentralistische Tendenzen zur Wehr zu setzen“; ebenso Schmalenbach, Föderalismus, S. 44; Margedant, APuZ 2005, S. 21; Strohmeier, ZParl 2004, S. 717 f.; Hermes, in: Dreier, GG – Band 3, Art. 84 GG Rn. 50; Wilms, ZRP 2003, S. 90; Nierhaus / Rademacher, LKV 2006, S. 386. 261 Fundis, Gesetzgebung, S. 31 ff. und Kisker, in: Bundesrat (Hrsg.), Bundesrat, S. 163, der Bundesratsangelegenheiten aber terminologisch unzutreffend als Bund-Länder-Angelegenheiten bezeichnet. 262 Vgl. Sachs, VVDStRL 1999, S. 48; Lange, in: Wilke (Hrsg.), Bundesrat, S. 235 ff., der die Interessenvertretung des Bundesrates mit den allgemeinen Organpflichten einer juristischen Person vergleicht. 263 So auch Robbers, in: Sachs, GG, Art. 50 GG Rn. 13; Bauer, in Dreier, GG – Band 2, Art. 50 GG Rn. 17; vgl. dazu die Äußerung Friesenhahns in: Cappenberger Gespräche (Hrsg.), Enquete-Kommission, S. 93 f.: „Nirgendwo steht geschrieben, dass die Mitglieder des Bundesrates verfassungsrechtlich gebunden sind, nur nach Länderinteressen abzustimmen und ihre gesamtpolitische Meinung die Stimmabgabe nicht beeinflussen dürfe“; Klein, in: Wilke (Hrsg.), Bundesrat, S. 360 ff.; Scheuner, in: Listl (Hrsg.), Staatstheorie, S. 414; Hrbek / Eppler, Deutschland vor der Föderalismus-Reform, Dokument Nr. 9, Papier: „Föderalismus auf dem Prüfstand“, S. 126; Bullinger, DÖV 1970, S. 766 f.; Dolzer, VVDStRL 1999, S. 15. 264 Haghgu, Zustimmung, S. 122. 265 Schodder, Gewaltenteilung, S. 147. 266 Scheuner, in: Listl (Hrsg.), Staatstheorie, S. 414; als Beispiel kann eine Obstruktionspolitik, die ausschließlich auf die Lähmung anderer Bundesorgane zielt, angeführt werden.

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motivierten Abstimmungsverhaltens anerkannt 267. Ob es dem Bundesrat also darum geht seinen Einfluss auf die materielle Bundesgesetzgebung auszubauen oder die die Länderhoheit in besonderem Maße berührenden Regelungen oder Verfassungsänderungen ganz abzuwenden, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht unerheblich. Dass aber gerade die Beteiligung an den materiellen Entscheidungen des Bundesgesetzgebers in der Arbeit des Bundesrates in den Vordergrund gerückt war und mehr noch, dass gerade darin die föderale Interessenvertretung gesehen wurde 268, offenbart die Wirkungsweise eines unitarischen Bundesstaates wie kaum eine andere Tatsache. Die Bewahrung eigener gesetzgeberischer und exekutiver Spielräume durch die Ablehnung entsprechender Bundesregelungen und Verfassungsänderungen wurde in der Regel überhaupt nicht als echte Handlungsalternative wahrgenommen 269, sondern die Zustimmung als unvermeidliche Notwendigkeit gesehen, die es durch eine möglichst große Einflussnahme abzumildern galt 270. Auch der Bundesgesetzgeber unterlag im Übrigen dieser Sicht, wenn er 267 Korioth, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG – Band 2, Art. 50 GG Rn. 18; Robbers, in: Sachs, GG, Art. 50 GG Rn. 16; Krebs, in: v. Münch / Kunig, GG – Band 2, Art. 50 Rn. 6; Weckerling-Wilhelm, in: Umbach / Clemens, GG – Band II, Art. 50 GG Rn. 3; Stern, Staatsrecht – Band I, S. 745; Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 161 Rn. 278; Dolzer, VVDStRL 1999, S. 16, kritisch dann aber auf S. 22; ausführlich Schodder, Gewaltenteilung, S. 144 ff.; Hanebeck, Bundesstaat, S. 313 ff. Der Einfluss der Parteien auf den Bundesrat ist schon früh thematisiert worden, Schneider, NJW 1954, S. 940 und Hennis in: ZParl 1971, S. 290. Die Verquickung von Konkordanzdemokratie einerseits, Parteienwettbewerb andererseits führt zu einem „Strukturbruch“, vgl. zu dieser These, Lehmbruch, Parteienwettbewerb, S. 82. 268 Vgl. Herzog, in: Wilke (Hrsg.), Bundesrat, S. 194; Ehard, in: Süsterhenn (Hrsg.), Ordnung, S. 102 ff.; Halstenberg, in: Bundesrat (Hrsg.), Bundesrat, S. 150; Haas, in: Bundesrat (Hrsg.), 10 Jahre Bundesrat, S. 127 ff. und Scheuner, in: Listl (Hrsg.), Staatstheorie, S. 446: „Durch die weite, von ihm durchgesetzte Handhabung des Begriffs „Zustimmungsgesetz“ hat sich der Bundesrat bei einem großen Teil aller wesentlichen Gesetze das Zustimmungsrecht gesichert und damit den Ländern eine wirksame Verteidigungswaffe für ihr Anliegen an die Hand gegeben“. 269 Haas, in: Bundesrat (Hrsg.), 10 Jahre Bundesrat, S. 134, der den Wunsch des Bundesrates nach Verminderung der Zahl und des Umfangs der Eingriffe in die landeseigene Verwaltung artikulierte, ohne diese naheliegendste Lösungsmöglichkeit überhaupt in Betracht zu ziehen. Vgl. auch heute wieder Rauber, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 37 und 41 f.: Den Ländern sei es bei der Föderalismusreform besonders wichtig gewesen, die Gestaltungsmacht über ihr „Hausgut“, die Verwaltung, zu erhalten. Hätte der Bundesrat entsprechende Bundesregelungen gelegentlich abgelehnt, hätten die Länder auch bei bisheriger Verfassungslage Gestaltungsspielräume erlangt. 270 Der Vorschlag, den Kreis zustimmungsbedürftiger Gesetze auf alle Gesetzgebungsmaterien der konkurrierenden Kompetenz auszudehnen, ging auf einen offiziellen Länderwunsch zurück, vgl. Lemke, Neuorientierung, S. 13 f. Friedrich, ZParl 1971, S. 457 stellte hierzu richtig fest, dass es dem Bundesrat in erster Linie um „die Verbesserung der Bedingungen für die Umschaltung aus der Länderkompetenz in die zentralstaatliche Mitdirektionskompetenz“ ging.

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immer wieder die hohe Anzahl zustimmungsbedürftiger Gesetze beklagte, deren Reduzierung er aber allein durch einen entsprechenden Regelungsverzicht in der Hand gehabt hätte 271. Zudem bleibt es ihm unbenommen, ein Gesetz in einen materiellen und einen verfahrensrechtlichen Teil aufzuspalten, um auf diesem Weg die Einflussnahme des Bundesrates auf materiellrechtliche Fragen zu verhindern. Er muss dann lediglich versuchen hinsichtlich der verfahrensrechtlichen Bestimmungen die Zustimmung des Bundesrates zu gewinnen 272. IV. Hintergründe für die Unitarisierung Schließlich bleibt die Frage, welche Ursachen diesen von Hesse festgestellten Entwicklungen zugrunde lagen. In diesem Zusammenhang sind in erster Linie die sachlichen „Notwendigkeiten der Zeit“ 273 zu nennen. Nur der Bund war in der unmittelbaren Nachkriegsphase in der Lage die Kriegsfolgenbeseitigung und den Wiederaufbau für das gesamte Bundesgebiet zu bewältigen. Daneben erforderten die durch die Entwicklung des Verkehrs und der Technik rasch zusammenwachsenden Lebensräume sowie das wirtschaftliche Leben in einer arbeitsteiligen Industriegesellschaft in einem großen Umfang bundesweite Regelungen 274. Mit diesen objektiven Erfordernissen lassen sich zwar viele, aber keinesfalls alle Vereinheitlichungsmaßnahmen erklären 275. Als Triebfeder für die weitergehende Unitarisierungspraxis muss wohl die Forderung nach der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse angesehen werden 276. In der Verfassung war dieses, nicht im Rang eines Verfassungsgebotes stehende Postulat 277 in dem 1994 abgeschafften Art. 72 Abs. 2 GG verankert und ist heute noch in Art. 106 Abs. 3 Nr. 2 GG zu finden. Im Zusammenspiel mit dem seit jeher in der deutschen Bundesstaatsgeschichte weit verbreiteten unitarischen Gedankengut 278, aber auch der Neigung 271 Auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur kam diese Sicht zum Vorschein: Herzog, in: Bundesrat (Hrsg.), Bundesrat, S. 243 sah den Bundesrat in eine Zwangslage versetzt, wenn dieser das Bundesgesetz eigentlich nicht wollte, aber nur unter Berufung auf untergeordnete Verfahrensbestimmungen zu Fall bringen konnte. Die Möglichkeit des Bundes auf diese untergeordneten Bestimmungen zu verzichten, schien ihm keine Alternative zu sein. 272 St. Rspr., BVerfGE 34, 9 (28); 37, 363 (379 ff.); 39, 1 (35); 55, 274 (319); 75, 108 (150); 105, 313 (338). 273 Hesse, Unitarischer Bundesstaat, S. 21. 274 Hesse, Unitarischer Bundesstaat, S. 13; Grimm, in: BMI (Hrsg.), Bewährung, S. 53. 275 Dies belegt auch ein Vergleich mit den Entwicklungen anderer bundesstaatlich verfasster Industrienationen, Heitsch, Ausführung, S. 115. 276 Scheuner, in: Listl (Hrsg.), Staatstheorie, S. 425: „Der moderne Sozialstaat erweist sich als Motor zentraler Entscheidungen“; der Sozialstaat verlange „gebieterisch“ die weitgehende sachliche Unitarisierung, so Hesse, Unitarischer Bundesstaat, S. 13. 277 Dazu Boysen, Gleichheit, S. 119 ff. Auch aus dem Sozialstaatsprinzip lässt sich eine solch weitgehende Forderung nicht ableiten.

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zu rechtsstaatlicher Perfektion veranlasste es die Staatspraxis zu weitgehender Harmonisierung, insbesondere im Sozialbereich 279. Hinzu trat in den sechziger Jahren im Namen der Effizienzsteigerung der Hang zu Technokratie und allumfassender Planung, der einen zusätzlichen Vereinheitlichungsschub auslöste. Die Länder hatten alledem nicht viel entgegenzusetzen, unterlagen sie doch denselben Vorstellungen und scheuten sich nicht selten davor, Verantwortung für individuelles, nicht aufeinander abgestimmtes Handeln zu übernehmen 280. Gleichzeitig schränkten auch die einheitlich gewährleisteten Grundrechte den Gestaltungsspielraum der Länder ein 281. Dies wird insbesondere deutlich in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum numerus-clausus vom 18. Juli 1972. Darin stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass der allgemeine Gleichheitssatz in Art. 3 GG die Länder ausnahmsweise zu einer Gleichbehandlung über ihren Kompetenzbereich hinaus zwingen kann, wenn es sich bei einer in die Zuständigkeit des Landesgesetzgebers fallenden Materie um einen Lebenssachverhalt handelt, der typischerweise über die Landesgrenzen hinaus greift und eine für alle Staatsbürger der Bundesrepublik in allen Bundesländern gewährleistete Rechtsposition berührt 282. In der modernen Wohlstandsgesellschaft stießen die unitarischen Bestrebungen der Staatspraxis auf große Resonanz 283, was sie umgekehrt weiter beförderte. Die Bürger waren nicht mehr bereit sich mit ins Gewicht fallenden sozialen Un278

Dies gilt vor allen Dingen für die Bürokratien von Bund und Ländern, Oeter, Integration, S. 515 ff. Beispielhaft für diese Vorbehalte in der Staatsrechtslehre stehen die Ausführungen Webers, Spannungen, S. 301 ff., der unter anderem bedauerte, dass dem Bund nicht weitergehende Gesetzgebungszuständigkeiten eingeräumt wurden. Püttner machte in der Aussprache über das Thema parlamentarisches Regierungssystem und Bundesrat, VVDStRL 1999, S. 97 darauf aufmerksam, dass der Föderalismus schon seit jeher in Norddeutschland absolut unpopulär war. 279 So stellte dieser seit den fünfziger Jahren mit gut 30% den größten Posten im Haushaltsplan des Bundes dar, Boldt, in: Huhn (Hrsg.), Föderalismus, S. 146. 280 LT-Vorlage NW 10/2722 (Erster Berichtsteil der nordrhein-westfälischen Gutachterkommission von 1991), S. 48: „Mangelndes Empfinden föderativer Eigenständigkeit“; Eicher, Landesparlamente, S. 107 mit dem Hinweis, dass die Unitarisierung als administratives Abwehrinstrument gegen Forderungen der Bevölkerung eingesetzt wurde. Auch ansonsten wurden wichtige Entscheidungen teilweise der Exekutive überlassen, Flemming, Föderalismus, S. 279 Fn. 1 mit solchen Beispielen für den Bayerischen Landtag. 281 Dazu in neuerer Zeit, Boysen, Gleichheit, S. 86 ff. Beispielweise sind die verbleibenden Ermessensspielräume der Länderexekutive durch die Geltung der Grundrechte weiter eingeengt worden, Scheuner, in: Listl (Hrsg.), Staatstheorie, S. 451. 282 BVerfGE 33, 303 (352). Im konkreten Fall ging es um die Vereinbarkeit von landesrechtlichen Vorschriften über Zulassungsbeschränkungen zum Hochschulstudium mit dem Grundgesetz. Eine sog. Landeskindervergünstigung wurde aus den oben erwähnten Gründen als Verstoß gegen den i.V. m. Art. 12 GG anzuwendenden allgemeinen Gleichheitssatz und damit als verfassungswidrig gewertet. Auf die Gefahr eines „Grundrechtsschutzes gegen bundesstaatliche Vielfalt“ wies Kisker in seinem gleichnamigen Beitrag hin, Kisker, in: Püttner (Hrsg.), FS Bachof, S. 47 ff.

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gleichheiten bei Einkommen, Arbeitsbedingungen, Bildungsmöglichkeiten, Sozialleistungen und kulturellen Angeboten abzufinden 284 und erwarteten deshalb die Erfüllung neuer wichtiger Aufgaben in erster Linie vom Bund. Darüber hinaus fühlte sich eine Vielzahl von Bürgern in dem jeweiligen Bundesland nicht verwurzelt – eine Folge der Wanderbewegungen innerhalb des Bundesgebietes sowie des großen Zustroms von Flüchtlingen und Vertriebenen und der dadurch bedingten Durchmischung der Bevölkerung nach dem 2. Weltkrieg 285. Nicht mit den Ländern, sondern mit dem Bund konnten sie sich daher in erster Linie identifizieren. Die Parteien und Verbände strebten die Umsetzung politischer Ziele vor diesem Hintergrund, aber auch, weil sie selbst Bestandteil der unitarischen Kultur waren, hauptsächlich auf Bundesebene an 286. Verstärkt wurde diese Zentralisierungstendenz, nachdem sich die Parteipolitisierung in der Politik des Bundesrates niedergeschlagen hatte und das Interesse an einem für die jeweilige Partei günstigen Ausgang des Landtagswahlkampfes wuchs 287. Dies zeigt sich nicht zuletzt an dem immer größer werdenden Engagement von Bundespolitikern und an dem wachsenden Gewicht bundespolitischer Themen in Landtagswahlkämpfen 288.

283 Die Betonung eigenständiger Landespolitik wäre vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund auf massive Empörung gestoßen, Scharpf, „Föderale Politikverflechtung: Was muss man ertragen – was kann man ändern?“, April 1999, abrufbar unter www.mpi-fgkoeln.mpg.de/pu/workpap/wp99-3/wp99-3.html, S. 6. 284 Würtenberger, Art. 72 Abs. 2 GG, S. 35. 285 Dies war bald nicht mehr die maßgebliche Motivation. Bereits in den sechziger Jahren hatte sich eine Akzeptanz für das föderale System entwickelt, Grube, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2001, S. 102 mit Hinweis auf eine Umfrage des Allensbacher Instituts. 286 Vgl. Hesse, Unitarischer Bundesstaat, S. 13; Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 159 Rn. 274; Sturm, in: Meier-Walser (Hrsg.), Föderalismus, S. 113; LT-Vorlage NW 10/2722 (Erster Berichtsteil der nordrhein-westfälischen Gutachterkommission von 1991), S. 48. Selbst die regional organisierten Verbände versuchten ihre Interessen eher auf Bundesebene durchzusetzen, Scheuner, in: Listl (Hrsg.), Staatstheorie, S. 445. 287 Daher auch ihre Bezeichnung als Bundesratswahlen, vgl. Klein, in: Wilke (Hrsg.), Bundesrat, S. 351; zugespitzt Abromeit, Einheitsstaat, S. 64 f.: „Die Landesparteien wurden an die Kette gelegt. (...) Nicht die Länder beeinflussten die Bundespolitik, sondern die Bundesparteien die Landespolitik“. Paradoxerweise hat also gerade die Rolle des föderativen Bundesorgans zu mit bundespolitischen Themen aufgeladenen Landtagswahlkämpfen geführt. 288 Benz, APuZ 2003, S. 34: „Einheitliche Programmatik für Bundes- und Landesebene“; Würtenberger, in: Duso (Hrsg.), Konsens, S. 363. Die Landtagswahlentscheidungen werden als Konsequenz daraus bei weiten Teilen der Bevölkerung von der bundespolitischen Präferenz bzw. von der Zufriedenheit mit der Bundesregierung abhängig gemacht. Es ist der Bund, von dem die wesentlichen politischen Impulse ausgehen. Er ist nach Abromeit, Einheitsstaat, S. 70 der „Kristallisationspunkt politischer Orientierung“.

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V. Resümee Versucht man all diese Entwicklungen in einer Kernaussage zusammenzufassen, so zeigte sich die Natur des deutschen Bundesstaates weniger in einer jeweils eigenständigen Politik, sondern in der Tatsache, dass die auf Einheitlichkeit zielenden Entscheidungen gemeinsam unter Berücksichtigung unterschiedlicher Auffassungen und Interessen getroffen wurden 289. Anders ausgedrückt beeinflusste die durch die bundesstaatliche Ordnung vorgegebene Vielfältigkeit der Initiativen das Ergebnis des einen Entscheidungsverfahrens, nicht aber die Anzahl der Entscheidungen. In der Bundesrepublik ist damit im Grunde, soweit der bundesstaatliche Aufbau es zuließ – und bisweilen auch darüber hinaus – einheitsstaatliche Politik betrieben worden 290, die aber vermöge der bundesstaatlichen Strukturen, insbesondere des Bundesrates, keine Zentralisierung bedeutete 291. Das jedem Bundesstaat eigentümliche Spannungsfeld zwischen Autonomie und Solidarität, Vielfalt und Einheit, Subsidiarität und Integration hatte sich einseitig zugunsten der letzteren Komponente verschoben, was treffend mit der Bezeichnung als Beteiligungsföderalismus zum Ausdruck gebracht wurde 292.

B. Im Besonderen: Der „kooperative“ Bundesstaat In den Sechzigern gerieten die vertikale Koordination, vor allem die gemeinsamen Einrichtungen von Bund und Ländern 293 und die Dotationspraxis des Bundes mit ihren unsystematischen Mischverwaltungs- und Mischfinanzierungstatbeständen in den Blickpunkt der Politik und der Rechtswissenschaft; ein Bereich, der wegen seiner hauptsächlichen Bedeutung für die Finanzverfassung 289

Diese Tatsache ist es wohl die Lerche, Verfassungsfragen, S. 12 als Homogenität im Verfahren bezeichnete und in der er die Rechtfertigung für die bundesstaatliche Ordnung sah. 290 Abromeit, Einheitsstaat, S. 124. 291 Pointiert charakterisierte Abromeit den deutschen Bundesstaat in ihrem gleichnamigen Buch als verkappten Einheitsstaat. Auch Weber, Spannungen, S. 61 ff. sprach von dem bloß fiktiven Charakter der föderativen Ordnung und sah in den Ländern nicht mehr als autonome Selbstverwaltungs- oder Gebietskörperschaften. In diesen Ansichten schwingt die Vorstellung mit, dass ein Bundesstaat eine bündische Grundlage haben muss. 292 Böckenförde, in: Jekewitz (Hrsg.), Verfassung, S. 185. Mit der Apostrophierung als „Exekutivföderalismus“ (Lehmbruch, Parteienwettbewerb, S. 106 ff.), „gouvernementaler Bundesstaat“ (Stern, Staatsrecht – Band I, S. 755) und „Regierungen-Bundesstaat (Böckenförde, in: Jekewitz (Hrsg.), Verfassung, S. 186) wird verdeutlicht, dass seitens der Länder über den Bundesrat und die Kooperationsgremien die Landesregierungen, nicht aber die Landtage mitgewirkt haben. 293 „Deutscher Bildungsrat“ (VA vom 15. Juli 1965), „Wissenschaftsrat“ (VA vom 5. September 1957) und „Abkommen zur Förderung von Wissenschaft und Forschung“ (VA vom 4. Juni 1964).

2. Abschn.: Geschichtliche Entwicklung des Föderalismus

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hier nur gestreift werden kann. Im Jahre 1964 wurde als Reaktion auf diese verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzte Praxis die aus Experten von Bund und Ländern gebildete sogenannte Troeger-Kommission zur Vorbereitung einer Verfassungsreform eingesetzt. Sie richtete ihre Vorschläge an dem von ihr als „Föderalismus unserer Zeit“ 294 bezeichneten, schon seit geraumer Zeit und in weitem Umfang praktizierten, kooperativen Föderalismus aus. Tatsächlich ist dieser, der amerikanischen Föderalismusdiskussion entlehnte Begriff 295 mit dem Troegerschen Abschlussbericht zu einem neuen Leitbild der Bundesstaatlichkeit avanciert. Den Boden dafür bereitete die sich in den sechziger Jahren in Abkehr von liberalen Doktrinen durchsetzende Vorstellung eines planenden und vorsorgenden Sozialstaates. Der kooperative Föderalismus fügte sich in dieses Bild ein, versprach er doch, einen „Ausgleich zwischen einer klaren Aufgabenabgrenzung“ und der zur effektiven und sachgerechten Aufgabenerfüllung in einem modernen Planungs-, Lenkungs- und Vorsorgestaat notwendigen „bundesstaatlichen Kräftekonzentration“ zu leisten 296. Konkret beinhalteten die Vorschläge der Troeger-Kommission die Schaffung einer Generalklausel für Gemeinschaftsaufgaben, die Einführung eines Großen Steuerverbundes und Bestimmungen über das Zusammenwirken von Bund und Ländern im Bereich der Konjunkturpolitik 297. In ihrer Einzelausgestaltung auf Widerstand stoßend, dauerte es noch drei weitere Jahre bis die Finanzreform verabschiedet werden konnte. Mit der Einführung der Gemeinschaftsaufgaben (Art. 91 a, b GG) 298 und der Investitionshilfekompetenz des Bundes (Art. 104a Abs. 4 GG) wurde die Dotationswirtschaft institutionalisiert und der kooperative Föderalismus erhielt erstmals auch in größerem Umfang Einzug in die Verfassung.

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Kommission für die Finanzreform, S. 20. Am Anfang dieses sog. „Cooperative federalism“ stand die Rechtsprechungswende des obersten Bundesgerichtes im Jahre 1937, die den Weg für die Bundesgesetzgebung des New Deal bereitete. Mit dem New Deal nahm die problembezogene, punktuelle und zweckgebundene Gewährung von Finanzhilfen an die Gliedstaaten, den sog. „grants in aids“ ständig zu und führte zu einer gesteigerten Zusammenarbeit (vergleichbar mit der deutschen Fondswirtschaft, wobei die Praxis in den USA allerdings keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnete). Ihren Höhepunkt erreichte sie in den sechziger und siebziger Jahren, ausführlich dazu Gunlicks, in: v. Arnim (Hrsg.), Föderalismus, S. 45 ff. 296 Kommission für die Finanzreform, S. 20. 297 Kommission für die Finanzreform, S. 34 ff., 56 ff. 298 In Art. 91a GG waren Mitwirkungs- und Mitfinanzierungsrechte des Bundes bei der Erfüllung folgender Länderaufgaben vorgesehen: Ausbau und Neubau von Hochschulen einschließlich der Hochschulkliniken, Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur sowie Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes. Art. 91b GG ermächtigte den Bund und die Länder bei der Bildungsplanung und bei der Förderung von Einrichtungen und Vorhaben der wissenschaftlichen Forschung von überregionaler Bedeutung zusammenzuwirken. 295

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

Relativ schnell war die bis dato „tiefgreifendste und weitreichendste Reform des Grundgesetzes“ 299 jedoch Kritik ausgesetzt. Die Befürchtung, man habe vor allem die Kompetenzen des Bundes erweitert und nicht eine dem kooperativen Prinzip entsprechende gleichberechtigte Zusammenarbeit selbständiger Partner in das Grundgesetz aufgenommen, wurde laut 300. Im Jahre 1976 haben Scharpf, Reissert und Schnabel dazu unter einem politikwissenschaftlichen Blickwinkel die negativ besetzte Theorie der Politikverflechtung 301 entwickelt und damit nachhaltig auf die weitere Debatte eingewirkt 302. Die Arbeit bietet allerdings nicht den Raum, um auf die Einzelheiten dieser Kritik, die mit der Ausgestaltung der Gemeinschaftsaufgaben und Finanzhilfen zusammenhingen, einzugehen. Sie fand ohnehin lange Zeit keine Resonanz in der Verfassungspraxis, der Zeitgeist verlangte weiterhin nach mehr Einheitlichkeit.

C. Wahrung des Status quo Gleichwohl hatte sich eine gewisse Unsicherheit in der Politik bemerkbar gemacht, wie sich die Veränderungen im bundesstaatlichen Verfassungsgefüge mit der föderalen Ordnung vereinbaren ließen. Dabei entsprangen diese Zweifel keineswegs allein der Sorge um die Stellung der Länder, sondern beruhten zu einem nicht unerheblichen Teil auf den Befürchtungen, dass dem Bund noch nicht ausreichend Kompetenzen eingeräumt worden waren 303. 299 So Bundesratspräsident Weichmann, Stenografischer Bericht der 338. Sitzung des Bundesrates, S. 108. 300 Vgl. Hesse, in: Ritterspach (Hrsg.), FS Müller, S. 144 ff., 150 ff.; Kisker, Kooperation, S. 281 ff., insbesondere S. 293 und S. 300; Halstenberg, in: Bundesrat (Hrsg.), Bundesrat, S. 140; Kewenig, in: Bundesrat (Hrsg.), Bundesrat, S. 446; anders aber Scheuner, in: Listl (Hrsg.), Staatstheorie, S. 401 der dem Übergang zum kooperativen Föderalismus positiv gegenüberstand. 301 Scharpf / Reissert / Schnabel, Kooperativer Föderalismus, S. 230 ff. Hingewiesen wurde insbesondere darauf, dass der hohe Konsensbedarf dieses Systems dazu zwinge, Strategien zur Minimierung des Konsensbedarfes zu entwickeln, was letztlich zu Problemlösungsdefiziten und damit zu einer Selbstblockierung des politischen Systems führe. 302 Die Staatsrechtslehre und auch die jetzige Gesetzesbegründung – „Die bundesstaatliche Ordnung leidet an einer übermäßigen institutionellen Verflechtung von Bund und Ländern“ – haben den Begriff der Politikverflechtung in der Folgezeit übernommen. Mit der These der „Politikverflechtungsfalle“ aus dem Jahre 1985 hat Scharpf seinen kritischen Standpunkt nochmals unterstrichen und ein Bewusstsein für die Schwierigkeit einer Reform der bundesstaatlichen Ordnung geschaffen. Darunter verstand er „eine zwei oder mehr Ebenen verbindende Entscheidungsstruktur, die aus ihrer institutionellen Logik heraus systematisch (...) ineffiziente und problemunangemessene Entscheidungen erzeugt und die zugleich unfähig ist, die institutionellen Bedingungen ihrer Entscheidungslogik zu verändern – weder in Richtung auf mehr Integration noch in Richtung auf Desintegration.“, Scharpf, PVS 1985, S. 350.

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Um sich einen Überblick über die Auswirkungen der Grundgesetzänderungen der letzten 25 Jahre zu verschaffen und die weiteren Anpassungsbedürfnisse des Grundgesetzes an gegenwärtige und zukünftige Erfordernisse festzustellen 304, wurde aus diesem Grunde am 8. Oktober 1970 vom Bundestag nach § 74a der GO BT eine Enquete-Kommission, „die Enquete-Kommission Verfassungsreform“, eingesetzt. I. Enquete-Kommission Verfassungsreform Die Enquete-Kommission bestand aus sieben Mitgliedern des Bundestages, sieben von den Ländern benannten Persönlichkeiten und zunächst fünf, später sieben Sachverständigen, hatte also einen völlig anderen Zuschnitt als die 1991 und 2003 einberufenen Kommissionen 305. Der thematische Schwerpunkt ihrer Arbeit war es, zu dem allseits als reformbedürftig erachtetem Verhältnis von Bund und Ländern Vorschläge zu erarbeiten 306. Bei diesem Versuch geriet die Enquete in einen Zielkonflikt. Sie wollte den Substanzverlust der Länder, der nach eigener Feststellung bis in die Nähe des durch Art. 79 Abs. 3 GG gewährleisteten Kernbereichs geschrumpft war 307, aufhalten, ein Anliegen, das der gesamten Kommissionsarbeit zugrunde gelegt werden sollte 308. Gleichzeitig aber sah sie aufgrund verschiedener tatsächlicher und zukünftiger Entwicklungen immer noch ein „kräftiges Bedürfnis nach einheitlichen Regelungen im Bundesgebiet“ 309. Mit ihrem Vorschlag der horizontalen Erweiterung, zugleich aber vertikalen Beschränkung der Bundeskompetenzen auf das unbedingt Erforderliche 310 suchte sie einen Ausgleich zwischen diesen beiden Polen zu erreichen. Die konkrete Ausgestaltung der Änderungsempfehlungen offenbart, dass die Kommission auch bei den Gesetzgebungskompetenzen von dem Denkansatz des kooperativen Föderalismus nicht unbeeinflusst geblieben ist. Nicht nur im Planungsbereich, wie der neuen alle staatlichen Aufgabenplanungen integrierenden Rahmenplanung (Art. 28a GG neu) 311 und der Investitionsfinanzierung 303 Vgl. dazu die „Große Föderalismusanfrage“ von 41 Abgeordneten der CDU „betreffend der Weiterentwicklung des föderalen Systems“, die auf eine einseitige Stärkung der Bundesgewalt zielte, BT-Drs. 5/3009 neu. Dazu die Antwort der Bundesregierung vom 20. März 1969, BT-Drs. 5/4002 sowie die Stellungnahme von Lerche, Verfassungsfragen. 304 BT-Drs. 7/5924, S. 2. 305 BT-Drs. 7/5924, S. 4. 306 BT-Drs. 7/5924, S. 1. Bei Kewenig, in: Bundesrat (Hrsg.), Bundesrat, S. 457 ff. ist der von der Kommission zu diesem Bereich entwickelte Themenkatalog zu finden. 307 BT-Drs. 7/5924, S. 126 f. 308 BT-Drs. 7/5924, S. 231. 309 BT-Drs. 7/5924, S. 123. 310 BT-Drs. 7/5924, S. 130. 311 Dies als Rückführung der Bund-Länder-Planung betrachtend, Stern, in: Cappenberger Gespräche (Hrsg.), Enquete-Kommission, S. 62.

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

(Art. 104b GG neu), sondern auch im Gesetzgebungsbereich würde künftig eine intensive Abstimmung von Bund und Ländern erforderlich werden. Der Schlussbericht stellt in Bezug auf das Bund-Länder-Verhältnis damit ein typisches, dem Zeitgeist des kooperativen Föderalismus entsprechendes und dem Planungsgedanken verhaftetes Ergebnis dar 312. Weitergehende, radikalere Lösungen fanden weder in der einen noch in der anderen Richtung 313 eine Mehrheit und hätten sich in das damals herrschende Leitbild nicht einfügen lassen. Bemerkenswert ist jedenfalls, mit welchen grundsätzlichen Möglichkeiten sich die Kommission auf dem Weg zu „ihrer“ Lösung auseinandersetzte und welchen Arbeits- und Ideenaufwand sie betrieb 314. Auf ihre Arbeit ist hinsichtlich einzelner Vorschläge deshalb später immer wieder zurückgegriffen worden. 1. Vorschläge für den Bereich der Gesetzgebungskompetenzen Der Kern der Komissionsempfehlung betraf Art. 72 GG und hat nachhaltig die weitere Reformdebatte der nächsten 20 Jahre bestimmt. Mit Ausnahme des ersten Absatzes sollte dieser Grundgesetzartikel vollständig umgestaltet werden. Die Bedürfnisklausel sollte durch die Reduzierung auf drei Tatbestandsvoraussetzungen und die Ersetzung des Bedürfnisses durch den Begriff der Erforderlichkeit verschärft und justitiabler gemacht werden. Folgender Wortlaut war für Art. 72 Abs. 2 GG vorgesehen: „Der Bund ist in diesem Bereich zur Gesetzgebung befugt, wenn und soweit die für die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet erforderliche Rechtseinheit, die Wirtschaftseinheit oder die geordnete Entwicklung des Bundesgebietes nur durch eine bundesgesetzliche Regelung zu erreichen ist“ 315. An die Stelle der inzwischen als statisch und überinterpretiert empfundenen Wahrungsaufgaben sollten also drei Zielvorstellungen („zu erreichen“) treten. Das machte eine zusätzliche Einschränkung für den Begriff der Rechtseinheit erforderlich, da andernfalls jedes Bundesgesetz mit der Begründung, nur dadurch könne die Rechtseinheit erreicht werden, erlassen 312 Stern, in: Cappenberger Gespräche (Hrsg.), Enquete-Kommission, S. 72 sah in ihm kurioserweise einen „im Grundsatz dualistischen Föderalismus“ verwirklicht, „der weniger die Verbindung zu einem überhöhenden Ganzen betont als die Existenz von two centers of government, die unterschiedlich ineinander greifen und sich zu einer komplexen Organisation verdichten“. 313 Wie z. B. eine Rückverlagerung von Gesetzgebungsmaterien auf die Länder. Man konnte keine größeren, in sich geschlossenen Sachbereiche finden, die zur Übertragung geeignet erschienen, BT-Drs. 7/5924, S. 128. 314 In BT-Drs. 7/5924, S. 127 f. ist eine Auflistung verschiedener Lösungsmodelle unter den drei großen Überschriften Neuverteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten, Selbstkoordinierung der Landesgesetzgebung und Stärkung der Länderrechte im Gesetzgebungsverfahren enthalten. 315 BT-Drs. 7/5924, S. 123.

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werden könnte 316. Ausschließlich die „für die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet erforderliche Rechtseinheit“ sollte dem Bund daher ein Gesetzgebungsrecht verleihen können. Der als eigentlicher Träger der Vereinheitlichungsbestrebungen 317 bezeichnete Passus „Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ war damit ersetzt worden, konnte man doch weder einheitliche Lebensverhältnisse im Bundesgebiet feststellen, noch deren Erreichung als ein realistisches und wünschenswertes Ziel ansehen 318. In Art. 72 Abs. 3 GG wollte man die sich aus den Begrifflichkeiten „soweit ... erforderlich“ ergebende Verpflichtung des Bundes, sich auf Regelungen zur Erreichung der in Abs. 2 vorgegebenen Ziele zu beschränken, noch einmal ausdrücklich normieren und klarstellen, dass „das Weitere der Landesgesetzgebung überlassen“ bleibt. In welcher Form „das Weitere“ geregelt werden konnte, hatte man absichtlich offen gelassen, doch die Erwähnung der Konsequenzen eines Richtliniengesetzes in Art. 72 Abs. 4 GG sollte die Präferenzen der Kommission deutlich machen 319. Schließlich war in Art. 72 Abs. 5 GG die Entscheidungskompetenz des Bundesverfassungsgerichtes über das Vorliegen der Voraussetzungen der Absätze 2 und 3 vorgesehen, also der Bundesverfassungsgerichtslösung 320 gefolgt worden. Der eigentliche Sinn der Vorschrift war ein Appell an das Bundesverfassungsgericht, seine Wächterfunktion wahrzunehmen 321. Diese abgestuften Regelungsmöglichkeiten des Bundesgesetzgebers sollten einheitlich für alle, nicht in die ausschließliche Zuständigkeit eingeordneten Materien gelten, weswegen die Materien der Art. 74 GG, 74a GG und 75 GG in dem Katalog der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit zusammengefasst worden waren 322. Als Ausgleich für die Verschiebung in die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz sollte für die Materien des Art. 75 GG mit Ausnahme des Jagd-, Melde- und Ausweisrechts in Art. 74 Abs. 2 GG ein Zustimmungserfor316

BT-Drs. 7/5924, S. 131. Kilper / Lhotta, Föderalismus, S. 151. 318 BT-Drs. 7/5924, S. 131. 319 BT-Drs. 7/5924, S. 132. Von Stern, in: Cappenberger Gespräche (Hrsg.), EnqueteKommission, S. 60 als interföderative Gesetzgebung bezeichnet, die darauf angelegt sei, durch den Landesgesetzgeber ergänzt zu werden. 320 In einem abweichenden Sondervotum einiger Kommissionsmitglieder wurde diese Lösung allerdings nicht als zur Stärkung der Länderstaatlichkeit geeignet angesehen. Erforderlich seien stärkere Mitwirkungsrechte des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren, wobei hierfür drei Lösungsvarianten in Frage kämen, vgl. BT-Drs. 7/5924, S. 135 ff. Für die Bundesratslösung auch Lichtenstein, Gesetzgebung, S. 173 f. 321 BT-Drs. 7/5924, S. 131 f. 322 BT-Drs. 7/5924, S. 133. Diese Zusammenfassung stieß bei einzelnen Kommissionsmitgliedern auf Bedenken: „Herbe Einbuße für die Gesetzgebungshoheit der Länder“, vgl. hierzu das Sondervotum von Klein, BT-Drs. 7/5924, S. 139. Ebenso Lichtenstein, Gesetzgebung, S. 170 und stellvertretend für die ablehnende Haltung der Länder, Bender, in: Cappenberger Gespräche (Hrsg.), Enquete-Kommission, S. 17. 317

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

dernis des Bundesrates statuiert werden 323. Auch dieser Vorschlag entsprach der bisherigen Entwicklungslinie, den Verlust eigener Länderzuständigkeiten durch ein Mitgestaltungsrecht auf Bundesebene zu kompensieren. Die wissenschaftliche Öffentlichkeit, insbesondere aber die Länder 324 haben die Wirksamkeit dieser Vorschläge im Hinblick auf die Stärkung der Länderstaatlichkeit vielfach kritisch beurteilt 325. Bezweifelt wurde, dass eine Konkretisierung des Art. 72 Abs. 2 GG geglückt war 326 und mehr noch dass eine Inpflichtnahme des Bundesverfassungsgerichts gelingen würde 327. Die Erfahrungen mit der Grundgesetzänderung von 1994 zeigen im Nachhinein allerdings, dass diese Bedenken wohl nicht berechtigt waren. Art. 72 Abs. 2 GG wurde dort in ganz ähnlicher Weise in die Verfassung übernommen und das Bundesverfassungsgericht hat dem Wunsch des verfassungsändernden Gesetzgebers nach Justitiabilität Rechnung getragen. Es bleibt trotzdem reine Spekulation, ob sich dieser Rechtsprechungswandel auch schon unter dem damaligen Zeitgeist hätte vollziehen können. 2. Vorschläge für den Bereich der Verwaltungskompetenzen Die Regelungen des VIII. Abschnittes des Grundgesetzes hielt die Kommission letztlich für so ausgewogen, dass sie auf die Empfehlung wesentlicher Änderungen verzichtete 328. Weder sollten die Regelungsmöglichkeiten des Bundesgesetzgebers für den Behördenaufbau und das Verwaltungsverfahren der Länder 323

BT-Drs. 7/5924, S. 125, 133. Bender, in: Cappenberger Gespräche (Hrsg.), Enquete-Kommission, S. 16, der in den Vorschlägen einen Konflikt mit Art. 79 Abs. 3 GG sah. 325 Selbst die Kommission hatte sie in zwei Sondervoten verneint, BT-Drs. 7/5924, S. 135 ff. und 139; kritisch auch Lichtenstein, Gesetzgebung, S. 168 ff.; Abromeit, Einheitsstaat, S. 73; LT-Vorlage NW 11/182 (Zweiter Berichtsteil der nordrhein-westfälischen Gutachterkommission von 1991), S. 25 und Kretschmer, in: Schäfer (Hrsg.), Schwerpunkte, S. 128, der durch die neu auftretenden Abgrenzungsschwierigkeiten vor allem eine Stärkung der Fachleute und nicht der Parlamente vermutete. Zuversichtlich dagegen Stern, in: Cappenberger Gespräche (Hrsg.), Enquete-Kommission, S. 59. 326 Fiedler, DÖV 1977, S. 582 bescheinigte insbesondere der „geordneten Entwicklung des Bundesgebietes“ eine generalklauselartige Weite; auch Bender, in: Cappenberger Gespräche (Hrsg.), Enquete-Kommission, S. 17 befürchtete ein Leerlaufen der Bestimmungen; ebenso Lichtenstein, Gesetzgebung, S. 168. 327 Maunz, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 72 GG Rn. 25. Fragwürdig schien insbesondere, ob das Gericht die Aufgabe mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln überhaupt bewältigen könne, vgl. das Sondervotum BT-Drs. 7/5924, S. 135 ff.; Wahl, AöR 1978, S. 509. Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Zeidler sah darin kein unlösbares Problem, hielt aber die Überprüfungspflicht des Bundesverfassungsgerichts in diesem nicht mit Maßstäben des Rechts zu beurteilenden Bereich grundsätzlich nicht für geglückt, in: Cappenberger Gespräche (Hrsg.), Enquete-Kommission, S. 97 f.; dagegen gingen Friesenhahn und Stern von der Justitiabilität des Art. 72 GG aus, vgl. dazu in: Cappenberger Gespräche (Hrsg.), Enquete-Kommission, S. 95 und S. 60. 328 BT-Drs. 7/5924, S. 144. 324

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in Art. 84 Abs. 1 2. Halbsatz GG gestrichen 329 noch die „bisherige, sehr sparsame“ 330 Errichtung neuer Bundesbehörden von der Zustimmung des Bundesrates abhängig gemacht werden. Den einzigen Ansatz einer Entflechtung enthielt der Schlussbericht der Kommission in einem Sondervotum zu den Aufgaben des Bundesrates. Das Sondervotum 331 hielt die Möglichkeiten, die der Bundesrat im Rahmen bundesgesetzlicher Behörden- und Verfahrensregelungen (Art. 84 Abs. 1 GG) durch die Geltung der Einheitsthese gewonnen hatte, im Hinblick auf seine verfassungsrechtlich vorgesehene Funktion nicht für systemkonform. Das unüberwindbare Veto im Rahmen des Art. 84 Abs. 1 GG sollte als Korrektur zu dieser Fehlentwicklung auf diejenigen Teile des Gesetzes beschränkt werden, die Behördenund Verfahrensregelungen enthielten (sogenannte Trennungslehre), während die anderen, materiellen Gesetzesteile nachträglich vom Bundestag sollten bestätigt werden können 332. Erfolg war diesem Vorschlag ungeachtet seiner „formalen Einfachheit und inneren Schlüssigkeit“ 333 nicht beschieden. II. Stillstand in der verfassungsrechtlichen Entwicklung Der erst nach fast sechs Jahren 1976 fertig gestellte Schlussbericht der Enquete-Kommission 334 fiel in eine Zeit, in der die Planungs- und Reformeuphorien der späten Sechziger und der frühen Siebziger deutlich abgeklungen waren 335. Die Politik, die sich von Anfang an mit wenig Engagegement an der Arbeit der Kommission beteiligte 336, hatte vor diesem Hintergrund jegliches Interesse an einer Umsetzung – sowohl der Planungstatbestände als auch der neu geordneten Gesetzgebungszuständigkeiten – verloren. Was blieb, war die in der ersten 329 Der gleichartigen Gesetzesausführung komme unter dem Postulat der Schaffung gleichartiger Lebensverhältnisse eine ebenso große Bedeutung zu wie der materiellen Gleichbehandlung durch das Gesetz selbst, vgl. BT-Drs. 7/5924, S. 145. 330 BT-Drs. 7/5924, S. 145. 331 Es wurde von nahezu der Hälfte der Mitglieder unterstützt, BT-Drs. 7/5924, S. 102 ff. 332 BT-Drs. 7/5924, S. 103: Art. 77 Abs. 5 GG (neu) sollte folgenden Wortlaut haben: „Verweigert der Bundesrat einem Gesetz die Zustimmung, das neben Regelungen, die die Zustimmungspflicht begründen, auch andere Regelungen enthält, so kann der Bundestag das Gesetz mit dem nicht zustimmungspflichtigen Inhalt bestätigen. Die Bestätigung bedarf eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages“. 333 Wahl, AöR 1978, S. 504. 334 Das Mandat der Kommission war mit dem Ende der 6. Legislaturperiode ausgelaufen. Der neue Bundestag setzte aber eine sowohl in der Zusammensetzung als auch in der Aufgabenstellung ähnliche Enquete-Kommission ein. 335 Oeter, Integration, S. 318. 336 Verfassungspolitische Zielsetzungen haben in den Parteiprogrammen der siebziger Jahre keine prominente Stellung eingenommen, Wahl, AöR 1978, S. 521.

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

Wahlperiode bereits vorgenommene Realisierung einzelner, alles in allem unbedeutender Empfehlungen der Enquete-Kommission 337. Trotzdem ist ihre Arbeit zumindest rückblickend nicht ohne Auswirkungen geblieben. Die Vorschläge zu Art. 72 GG wurden in wesentlichen Punkten durch die Verfassungsreform von 1994 umgesetzt. Erst zu diesem Zeitpunkt sollte eine Korrektur in dem verschobenen bundesstaatlichen Kräfteverhältnis erfolgen. In den Jahren zuvor verharrte man auf dem status quo; die den Bundesstaat betreffenden Grundgesetzänderungen waren in diesem Zeitraum so gering wie nie zuvor. Das soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass es nach wie vor Kräfte gab, die die Kompetenzkonzentration beim Bund weiter auszubauen suchten 338. Auf der anderen Seite standen die Kritiker des kooperativ-unitarischen Bundesstaates, die nicht nur in den Reihen der Staatsrechtslehrer, sondern vor allem auch bei den Politikern der Länder zu finden waren 339. Insbesondere von der Konferenz der Landtagspräsidenten 340 wurde in den zwei Jahrzehnten relativen Stillstandes immer wieder die Reformnotwendigkeit angemahnt und eine Stärkung der Länderparlamente gefordert. Die Fraktionsvorsitzendenkonferenz von CDU / CSU, SPD und FDP und der nordrhein-westfälische Landtag griffen diesen Problemkreis auf und setzten 1985 eine interfraktionelle Arbeitsgruppe (Martin-Kommission) 341 bzw. 1988 eine Gutachterkommission (Ziegler-Kommission) 342 ein, beides Foren, die sich intensiv mit der „Erhaltung und Fortentwicklung der bundesstaatlichen Ordnung“ 343 auseinandersetzten. 337 Verankerung des Petitionsausschusses, Art. 45c GG (32. Gesetz zur Änderung des GG vom 15. Juli 1975), Ende der Wahlperiode nur mit Zusammentritt des neuen Bundestages, Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG (33. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 23. August 1976), vgl. Rohn / Sannwald, ZRP 1994, S. 66 Fn. 4. Lediglich einige Landtage bzw. Landesregierungen verabschiedeten auf der Grundlage dieses Berichts Resolutionen, siehe Klatt, in: Greß (Hrsg.), Landesparlamente, S. 78. 338 Vgl. dazu die Bestrebungen der Bundesregierung eine Gesetzgebungskompetenz in Zentralbereichen des Schulwesens und im Bauordnungsrecht zu schaffen, Oeter, Integration, S. 328 f. Eine gewisse Wende schien sich mit dem Regierungswechsel von 1982 abzuzeichnen, bei dem Bundeskanzler Kohl betonte, dass die Kompetenzen des Bundes nicht länger extensiv zu Lasten der Länder ausgelegt und in Anspruch genommen werden dürften, vgl. die Regierungserklärung Kohls vom 4. Mai 1983, BT-Plenarprotokoll 10/4, S. 66. 339 Ein Register parlamentarischer Reformvorschläge zum Föderalismus zwischen 1983 und 2003 findet sich bei Thaysen, APuZ 2003, S. 17 f. 340 Beschlüsse der Landtagspräsidentenkonferenz von 1978 (Rudolf, in: Rüthers (Hrsg.), Freiheit, S. 349 f.) und 1983 (ZParl 1983, S. 357 ff.). Bei den Landesregierungen stießen diese Ideen nur vereinzelt auf Resonanz. 341 Nach ihrem Vorsitzenden Albrecht Martin bezeichnet. Der auf das Jahr 1985 datierte Abschlussbericht ist unter dem Titel „Kompetenzen der Landtage“ abgedruckt als Drucksache des Landtags Rheinland-Pfalz, 10/1150. 342 Nach ihrem Vorsitzenden van Nes Ziegler bezeichnet. Die 1991 vorgelegten Berichte der Kommission sind abgedruckt beim Landtag Nordrhein-Westfalen in LT-Vorlage NW 10/2722 (Teil Eins) und LT-Vorlage NW 11/182 (Teil Zwei). Zusammenfassend dargestellt bei: Lhotta, ZParl 1991, S. 264 ff.

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D. Ansätze einer Reföderalisierung Mitte der achtziger Jahre gewannen die Bund-Länder-Fragen an Dringlichkeit und in der Staatspraxis war eine, wenn auch vorsichtige Hinwendung zu mehr Konkurrenz und Konfrontation zu verzeichnen 344. Den verfassungsrechtlichen Forderungen nach einer Bundesstaatsreform verlieh aber erst die sich abzeichnende Wiedervereinigung die entscheidende politische Schubkraft 345. Die westdeutschen Landesregierungen 346 wussten dabei ihre Stellung im Bundesrat zu nutzen 347, um ihre Belange offensiv zu vertreten. Sie erreichten damit auf ungewöhnliche Weise eine Aufnahme ihres dringlichsten Anliegens, die Revitalisierung des Föderalismus, in den Einigungsvertrag. In Art. 5 des am 31. August 1990 geschlossenen Einigungsvertrages heißt es: „Die Regierungen der beiden Vertragsparteien empfehlen den gesetzgebenden Körperschaften des vereinten Deutschlands, sich innerhalb von zwei Jahren mit den im Zusammenhang mit der deutschen Einigung aufgeworfenen Fragen zur Änderung oder Ergänzung des Grundgesetzes zu befassen, insbesondere auch in Bezug auf das Verhältnis zwischen Bund und Ländern entsprechend dem Gemeinsamen Beschluss der Ministerpräsidenten vom 5. Juli 1990 348 ...“. Als Grundlage für die Neuordnung der Beziehungen war damit eigentümlicherweise ein politischer Beschluss genannt worden, einen augenfälligeren Beweis für die außergewöhnlich starke Verhandlungsposition der Länderregierungen dürfte es kaum geben 349. Die in diesem Eckpunktebeschluss geforderte Rückbesinnung auf einen entschieden föderativ 343 So der offizielle Name der nordrhein-westfälischen Kommission, vgl. LT-Vorlage NW 10/2722, S. 1. 344 Bauer, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band I, S. 771 Rn. 105; Schneider, NJW 1991, S. 2450 f. So wurden z. B. die finanziellen Hilfen beim Studentenwohnraumbau, beim Städtebau und Krankenhausbau zurückgenommen, vgl. den Finanzbericht des Bundesministeriums für Finanzen 1988, S. 96. Die Länder empfanden dies als Rückgabe des Schwarzen Peters, vgl. die LT-Vorlage NW 11/182 (Zweiter Berichtsteil der nordrheinwestfälischen Gutachterkommission von 1991), S. 168, da dieser Rückzug nicht mit einer entsprechend besseren Finanzausstattung der Länder einherging. 345 Vogel, in: Benda (Hrsg.), HdbVR, S. 1052 Rn. 23; Sturm / Zimmermann-Steinhart, Föderalismus, S. 134: „Window of opportunity“; Nierhaus / Rademacher, LKV 2006, S. 385. 346 Die Konferenz der Landtagspräsidenten hatte dagegen keinen Erfolg bei der Anmeldung eines Mitspracherechts, vgl. 65. Konferenz vom 27.-30. Mai 1990 in München. 347 Ausführlich zu dem Beratungsverlauf über den Einigungsvertrag Oschatz / Podschull, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2002, S. 144 ff., 148: „immenser Einfluss der Länder“. 348 Die „Eckpunkte“ der Bundesländer abgedruckt, in: ZParl 1990, S. 461 ff.; häufig auch als Eckwerte-Beschluss bezeichnet, vgl. Sanden, Föderale Strukturen, S. 187. 349 Kloepfer, Verfassungsänderung, S. 101 f.; zu dieser Einschätzung gelangte auch das Bundesverfassungsgericht, vgl. BVerfGE 106, 62 (138). Dagegen konstatierte Schneider, NJW 1991, S. 245 das Fehlen einer wirksamen Interessenvertretung, insbesondere der ostdeutschen Länder im Einigungsprozess.

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geprägten Bundesstaat sollte im Bereich der Gesetzgebungskompetenzen zum einen durch die von der Enquete-Kommission bereits 1976 vorgeschlagene Verschärfung der Bedürfnis- in eine Erforderlichkeitsklausel, zum anderen durch eine Neuabgrenzung der Kompetenzkataloge von Bund und Ländern erreicht werden 350. Zudem sollten alle Bundesgesetze, die von den Ländern auszuführen oder mit Kostenfolgen für die Länder verbunden sind, dem Zustimmungserfordernis unterfallen 351. Die Empfehlung des Art. 5 Einigungsvertrag führte erst ca. anderthalb Jahre später, am 16. Januar 1992 zu der Konstituierung einer „Gemeinsamen Verfassungskommission“ – ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik – bestehend aus jeweils 32 Mitgliedern von Bundestag und Bundesrat 352. Diese verhältnismäßig lange Zeitdauer erklärte sich aus den unterschiedlichen Interessen und Vorstellungen, die die Parteien hinsichtlich Zusammensetzung, inhaltlichen Vorgaben, Auftrag und Verfahrensweise des einzusetzenden Gremiums vertraten 353. Wesentlich zügiger, nämlich schon am 1. März 1991, gelang es dagegen dem Bundesrat seine Kommission Verfassungsreform einzusetzen 354. Schon das Ergebnis dieser Kommission gab zu erkennen, dass die Rahmenbedingungen für eine substantielle Aufwertung der Gestaltungsspielräume der Länder trotz der zunächst erweckten Hoffnungen nicht gegeben waren 355. Die neuen Bundesländer hatten angesichts der offenen Fragen in der Finanzverfassung und einer Vielzahl zu bewältigender Aufgaben wenig Interesse an einer Verlagerung, vor allem kostenintensiver Gesetzgebungskompetenzen 356. Aber auch viele der westdeutschen Länder standen Veränderungen, die für sie mit Mehrarbeit oder 350

ZParl 1990, S. 462 ff. ZParl 1990, S. 463. 352 BT-Drs. 12/1590 und BR-Drs. 741/91. Als Vorsitzende wurden der Bundestagsabgeordnete Scholz (CDU) und der Präsident des Senats und Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg Vorscherau (SPD) gewählt. 353 BT-Drs. 12/6000, S. 6. Die SPD und die Grünen favorisierten die Einsetzung eines Verfassungsrates, über dessen Verfassungsvorschlag (auch das) Volk entscheiden sollte (BT-Drs. 12/415 und BT-Drs. 12/563). Im Kern ging es bei diesem Streit um die Frage, ob die Vollendung der deutschen Einheit die Schöpfung einer neu zu legitimierenden gesamtdeutschen Verfassung erfordere, Berlit, JöR 1996, S. 22 ff. 354 BR-Drs. 103/91, S. 2: Die Kommission wurde auf Antrag aller Länder eingesetzt und bestand aus 32 Mitgliedern. Jedes Land wurde durch seinen Ministerpräsidenten und ein anderes von der Landesregierung benanntes Mitglied repräsentiert. 355 So sollte lediglich Art. 74 Abs. 1 Nr. 8 GG (Staatsangehörigkeit in den Ländern) und Art. 75 Abs. 1 Nr. 2 GG (Allgemeine Rechtsverhältnisse der Presse und des Films) gestrichen, Teilmaterien des Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG in die Rahmenkompetenz verlagert und Art. 75 Abs. 1 Nr. 1a GG (Allgemeine Grundsätze des Hochschulwesens) konkretisiert werden, BR-Drs. 360/92, S. 12. 356 Schmalenbach, Föderalismus, S. 119; vgl. dazu die Ausführungen des sächsischen Ministers Heitmann und der brandenburgischen Ministerin Birthler, Stenografischer Bericht der 11. Sitzung am 15. Oktober 1992, S. 16 f. 351

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finanziellem Mehraufwand verbunden wären, ungeachtet ihrer anders lautenden Absichtsbekundungen tendenziell ablehnend gegenüber 357. Zwischen der öffentlichen Rhetorik und den tatsächlich angestrebten Reformmaßnahmen bestand nach wie vor eine große Diskrepanz 358. Es sollte deswegen zu einem typischen Verhandlungsergebnis des schon seit Jahrzehnten praktizierten Beteiligungsföderalismus kommen. Im Vordergrund stand der Ausbau exekutiver Mitwirkungsbefugnisse im Verfahren der Bundesgesetzgebung durch die Schaffung neuer Zustimmungstatbestände 359. I. Kommission Verfassungsreform Der Prüfungsauftrag der Kommission Verfassungsreform orientierte sich an Art. 5 Einigungsvertrag, wobei der Schwerpunkt auf verfassungsrechtlichen Fragen zur Stärkung des Föderalismus in Deutschland und Europa liegen sollte 360. Im Kontext dieser Arbeit ist es nicht von Interesse, die in Bezug auf das Bund-Länder-Verhältnis erzielten Ergebnisse des Abschlussberichts vom 14. Mai 1992 361 umfassend darzustellen 362. Sie wurden in den Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission von der Länderseite als grundsätzliche Positionsbestimmung genutzt und allgemein als Diskussionsgrundlage herangezogen 363, aber wegen der naturgemäß länderfreundlicheren Ausgestaltung 364 nur in Teilen in die abschließenden Vorschläge übernommen. Das trifft auch auf die Empfehlungen im Bereich der Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen zu, obwohl zu den Gesetzgebungskompetenzen, wie bereits angedeutet, 357 Siehe dazu die Äußerung der hessischen Staatsministerin Hohmann-Dennhardt, Protokoll der 3. Kommissionssitzung am 2. April 1991, S. 11. Deshalb bestand zwischen den Ländern weitgehend Interessenhomogenität, Oschatz / Podschull, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2002, S. 153. 358 Zu dem „symbolischen Föderalismus“, der einem an den bisherigen Strukturen orientierten „rationalized federalism“ weicht, sobald es um die Erarbeitung konkreter Reformvorschläge geht: Kilper / Lhotta, Föderalismus, S. 256 ff. 359 Kilper / Lhotta, Föderalismus, S. 265: Länder zielten auf die „totale Beteiligung“. 360 BR-Drs. 360/92, S. 2. 361 Bericht der Kommission Verfassungsreform unter dem Titel „Stärkung des Föderalismus in Deutschland und Europa sowie weitere Vorschläge zur Änderung des Grundgesetzes“, BR-Drs. 360/92. 362 Siehe hierzu ausführlich Asmussen / Eggeling, VerwArch 1993, S. 230 ff.: Im Einzelnen wurden die Fragenkomplexe Verwaltungsaufbau und Verwaltungskompetenzen, Gesetzgebungsverfahren, Gesetzgebungskompetenzen, internationale Beziehungen, Zusammenlegung von Wahlterminen sowie die Möglichkeiten einer Neugliederung für den Raum Berlin / Brandenburg behandelt. 363 Abschlussbericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12/6000, S. 6. 364 So auch Sannwald, DÖV 1994, S. 631: „Aus der Sicht der Bundesländer verständlicherweise recht einseitige Empfehlungen“.

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auch von der Kommission Verfassungsreform keine neuartigen Ansätze und weitgreifenden Änderungen anvisiert wurden 365. Gerade die Rückübertragung von Gesetzgebungskompetenzen wurde kaum diskutiert und letztlich auf minimale Korrekturen beschränkt. Als Dreh- und Angelpunkt für die Auszehrung der Länderzuständigkeiten hatte man abermals Art. 72 GG identifiziert und darauf die Reformbemühungen konzentriert. Anknüpfungspunkt für den Eintritt der Sperrwirkung in Art. 72 Abs. 1 GG sollte nicht mehr das Gebrauchmachen des Bundesgesetzgebers von seinem Gesetzgebungsrecht, sondern der konkrete Regelungsumfang der jeweiligen Gesetzesregelung sein 366. Vor allem aber die Änderung des Art. 72 Abs. 2 GG diente zur Reglementierung der Bundeskompetenz. Denn das insoweit von der Enquete-Kommission übernommene Erforderlichkeitskriterium sollte durch den Bundesgesetzgeber gesondert in einem Gesetz festzustellen sein, wobei für diese Feststellung als zusätzliches verfahrensrechtliches Element die Zustimmung des Bundesrates vorgesehen war 367. Zur Sicherung des Rahmencharakters der Rahmenkompetenz war der Erlass von ins Einzelne gehenden und erschöpfenden Regelungen in Anlehnung an den Vorschlag der Martin-Kommission kategorisch ausgeschlossen worden 368. Die Vorschläge zu den Verwaltungskompetenzen waren im Vergleich zu den Gesetzgebungsänderungsempfehlungen grundsätzlicherer Natur, hatten in der Gemeinsamen Verfassungskommission damit jedoch erst recht keine Aussicht auf Erfolg 369. Aus dem Eckpunktebeschluss hatte man die Idee übernommen, eine Zustimmungspflicht für alle Bundesgesetze, die von den Ländern als eigene Angelegenheit oder im Auftrage des Bundes ausgeführt werden, einzuführen 370. Außerdem sollte die Errichtung von Bundesoberbehörden oder neuen bundesunmittelbaren Körperschaften und Anstalten des Öffentlichen Rechts durch Bundesgesetz nach Art. 87 Abs. 3 GG an die Zustimmung des Bundesrates gebunden werden 371.

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Asmussen / Eggeling, VerwArch 1993, S. 245 ff. BR-Drs. 360/92, S. 10. Kritisch dazu, Asmussen / Eggeling, VerwArch 1993, S. 247. 367 BR-Drs. 360/92, S. 11 Rn. 59: „Verfahrensrechtliches Feststellungserfordernis, das das Problem der Entscheidung über die Bundeskompetenz, einer politischen Lösung zuführt“. 368 BR-Drs. 360/92, S. 11. Siehe hierzu LT-Drs. RP 10/1150, S. 3. 369 BT-Drs. 12/6000, S. 42 f. 370 BR-Drs. 360/92, S. 9 f.: Der eigentliche Hintergrund für die Aufnahme dieses Vorschlags dürfte wohl finanzieller Natur gewesen sein, vgl. Asmussen / Eggeling, VerwArch 1993, S. 242. 371 BR-Drs. 360/92, S. 15. 366

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II. Gemeinsame Verfassungskommission des Bundestages und Bundesrates Die Gemeinsame Verfassungskommission setzte sich ebenfalls mit dem beitrittsbedingten Anpassungsbedarf des Grundgesetzes auseinander 372, wobei nach „ihrem Selbstverständnis“ nicht nur die im Einigungsvertrag genannten Materien, sondern auch andere aktuelle verfassungsrechtliche Fragen Diskussionsgegenstand sein sollten 373. Der auf den 28. Oktober 1993 datierte Abschlussbericht der Gemeinsamen Verfassungskommission blieb in seinen „reföderalisierenden“ Ergebnissen zu den Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen noch hinter den Vorschlägen der Bundesratskommission zurück 374. Angesichts der ohnehin schon wenig weitreichenden Vorschläge der Ländervertreter betraf dies indes eher Einzel- und Detailfragen. Dieses „Weniger“ war dabei nicht etwa auf parteipolitische Gegensätze zurückzuführen 375. Die Konfliktlinie verlief institutionell, das heißt zwischen Bund und Ländern, in der Kommission repräsentiert durch Bundestag bzw. Bundesrat 376. Um zu konkreten Ergebnissen zu gelangen erwies sich diese Konstellation gegenüber der parteipolitisch geprägten Frontenstellung vom Grundsatz her allerdings als vorteilhaft 377. Die bisherige Regelungssystematik und die Zuständigkeitskataloge sollten nach den Empfehlungen der Gemeinsamen Verfassungskommission nahezu unangetastet bleiben 378. Anders als noch die Enquete-Kommission von 1976, die für eine Aufhebung der Rahmenkompetenz geworben hatte, war sich die Gemein372 Ihr kam ausschließlich beratende Funktion zu. Die Grundgesetzänderungsempfehlungen sollten, nachdem sie mit Zweidrittel-Mehrheit gefasst wurden (!), den gesetzgebenden Körperschaften vorgeschlagen werden; zur Arbeit der Kommission ausführlich, Dt. Bundestag (Hrsg.), Gemeinsame Verfassungskommission, S. 20 ff. und Berlit, JöR 1996, S. 17, 29 ff. 373 BT-Drs. 12/6000, S. 10; Kloepfer, Verfassungsänderung, S. 23 wertete dieses Selbstbefassungsrecht als Überschreitung der eingeräumten Kompetenzen. 374 Schwer vereinbar mit der These Bremers, Gemeinsame Verfassungskommission, S. 323 Fn. 485, dass das offensive Auftreten der Länder die Bundesparlamentarier von Anfang an in die Defensive gedrängt hätte. 375 So auch Scholz, Reform, S. 10 und Jahn, DVBl. 1994, S. 180. 376 Dementsprechend war in den Protokollen der Berichterstattergespräche von der Bundesseite einerseits, von den Bundesratsmitgliedern andererseits die Rede, Dt. Bundestag, Verfassungsdiskussion nach der dt. Einigung S. 656 ff. 377 Dies hat Bremers, Gemeinsame Verfassungskommission, S. 325 aus der Tatsache gefolgert, dass ein Großteil der Änderungsempfehlungen das Bund-Länder-Verhältnis betraf. Tendenziell gegensätzlich dazu ist die These der Pfadabhängigkeit, nach der der einmal eingeschlagene und institutionell stabilisierte Entwicklungspfad schwer wieder zu verlassen ist, Lehmbruch, Parteienwettbewerb, S. 180. 378 Lediglich „periphere Verschiebungen“ Selmer, JuS 2006, S. 1053.; v. Stetten, in: Letzgus (Hrsg.), FS Helmrich, S. 309: „Korrekturen in den Katalogen der Art. 74 und 75 GG eher bescheiden“.

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same Verfassungskommission einig, dass es nur um eine schärfere Konturierung und nachhaltige Sicherung des Rahmencharakters gehen konnte 379. In Art. 75 Abs. 1 GG wollte man einfügen, dass Rahmenvorschriften in der Regel nur noch an die Gesetzgebung der Länder adressiert werden können, die entsprechende Umsetzungsverpflichtung war in Art. 75 Abs. 3 GG vorgesehen. Lediglich in Ausnahmefällen sollten Rahmenvorschriften in Einzelheiten gehende oder unmittelbar geltende Regelungen enthalten dürfen (Art. 75 Abs. 2 GG), was im Vergleich zu dem Vorschlag der Bundesratskommission eine Aufweichung bedeutete. Der Schwerpunkt der Änderungen lag auch hier auf Art. 72 Abs. 2 GG. „Die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz sollten konzentriert, verschärft und präzisiert werden mit dem Ziel, die als unzureichend empfundene Justitiabilität der Bedürfnisklausel durch das Bundesverfassungsgericht zu verbessern“ 380. Praktisch vollzog sich die Umgestaltung in enger Anlehnung an den Vorschlag der Enquete-Kommission. Die einzelnen Tatbestände der Bedürfnisklausel waren in einem Grundtatbestand mit zwei Alternativen zusammengefasst und der Begriff des Bedürfnisses durch das Erforderlichkeitskriterium abgelöst worden, wodurch die Darlegungs- und Begründungslast für die Inanspruchnahme der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz beim Bund erhöht werden sollte 381. Als Anlass und umfangmäßige Begrenzung („wenn und soweit“) für eine Bundesregelung sollte entweder die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse oder die Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse dienen, beides Alternativen, die auslegungsbedürftige, unbestimmte Rechtsbegriffe enthielten 382. Nicht gefolgt war man der politischen Lösung der Kommission Verfassungsreform, die dem Bundesrat eine Feststellungsbefugnis hinsichtlich der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG Der Bund sollte zwei neue konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeiten über die Staatshaftung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 25 GG) und die Fortpflanzungsmedizin, Gentechnologie und Organtransplantation (Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 GG) erhalten. Zu Gunsten der Länder sollte der Schutz deutschen Kulturguts gegen Abwanderung in das Ausland (Art. 74 Abs. 1 Nr. 5 GG) in die Rahmenkompetenz verlagert, aus der konkurrierenden Gesetzgebung die Staatsangehörigkeit in den Ländern (Art. 74 Abs. 1 Nr. 8 GG) und – im Gegensatz zu den Wünschen der Kommission Verfassungsreform – lediglich das Recht der Entschließungsbeiträge (Teilbereich aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG) und aus der Rahmenkompetenz die allgemeinen Rechtsverhältnisse des Films (Teilbereich aus Art. 75 Abs. 1 Nr. 2 GG) gestrichen werden, BT-Drs. 12/6000, S. 34 ff. Im Gesetzgebungsverfahren wurde die Empfehlung der Gemeinsamen Verfassungskommission, die Rahmengesetzgebungskompetenz im Hochschulwesen auf die Bereiche „Zulassung zum Studium, Studiengänge, Prüfungen, Hochschulgrade sowie wissenschaftliches und künstlerisches Personal“ zu beschränken, nicht umgesetzt, BT-Drs. 12/6000, S. 35. Zu den Gründen Sannwald, DÖV 1994, S. 636. 379 BT-Drs. 12/6000, S. 35. 380 BT-Drs. 12/6000, S. 33. 381 Berlit, JöR 1996, S. 39. Anders aber Rybak / Hofmann, NVwZ 1995, S. 232: Das Kriterium der Erforderlichkeit hat neben dem gesamtstaatlichen Interesse keine eigene Bedeutung.

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einräumen wollte. Um dem also allein zur Überprüfung berufenen Bundesverfassungsgericht eine zusätzliche Kontrollmöglichkeit zu eröffnen, wurde die Einführung eines neuen verfassungsgerichtlichen Verfahrens (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a GG) mit dem Bundesrat, den Landesregierungen und den Landesparlamenten als Antragsberechtigten vorgeschlagen 383. In Art. 72 Abs. 1 GG hatte man gegenüber der Kommission Verfassungsreform eine schwächere Formulierung gewählt, die die zeitliche Sperrwirkung jetzt eindeutig auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Bundesgesetzgebung verlegte („Gebrauch gemacht hat“) 384, die Frage nach einer inhaltlichen Sperrwirkung jedoch offen ließ 385. Um nicht nur den Abfluss weiterer Landeskompetenzen durch die verschärften Voraussetzungen der Art. 72 GG, 75 GG zu verhindern, sondern die konkurrierende Gesetzgebung gegebenenfalls wieder zugunsten der Landesgesetzgebung zu öffnen, war eine sogenannte Rückholklausel (Art. 72 Abs. 3 GG neu) vorgesehen. Danach sollte der Landesgesetzgeber bei nachträglichem Wegfall der Erforderlichkeit durch Bundesgesetz dazu ermächtigt werden können, eine bundesgesetzliche Regelung zu ersetzen. Mit dem Vorschlag, in diesen Fällen zusätzlich eine Ergänzungsbefugnis der Länder zu normieren und dem Bundestag lediglich ein nachträgliches Einspruchsrecht einzuräumen, konnten sich die Länder nicht durchsetzen 386. Die Möglichkeit einer unabhängig vom Bundesgesetzgeber ausübbaren Aufhebungsund Ergänzungsbefugnis sollte allerdings bei der wegen der vorgeschlagenen Änderungen notwendig gewordenen Übergangsvorschrift, Art. 125a GG, bestehen 387. 382 Sehr kritisch Sannwald, DÖV 1994, S. 632 f.:„Dem Bund stehe im Zweifel die Gesetzgebungskompetenz nicht zu“. Rybak / Hofmann, NVwZ 1995, S. 231 gingen dagegen nach wie vor, wenn auch von einem nunmehr begrenzten politischen Ermessensspielraum aus. Im Hinblick auf die „Kann“ – Regelungen der Art. 72 Abs. 3 GG und Art. 125a Abs. 2 GG zustimmend, Berlit, JöR 1996, S. 40. Dieses Argument erscheint jedoch nicht überzeugend, weil das „kann“ sich auf die Rechtsfolgenseite bezieht. Daraus können keine Rückschlüsse darüber gezogen werden, ob ein Beurteilungsspielraum auf der Tatbestandsebene des Art. 72 Abs. 2 GG besteht. 383 BT-Drs. 12/6000, S. 36. 384 Vorher war umstritten, ob dieser Zeitpunkt oder der Zeitpunkt der Einbringung des Gesetzesentwurfs in das parlamentarische Beratungsverfahren maßgeblich war. Letzterer Ansicht folgte das Bundesverfassungsgericht, BVerfGE 34, 9 (29). 385 BT-Drs. 12/6000, S. 33: Nach der Gesetzesbegründung soll eine gewisse materielle Komponente bezüglich des Regelungsumfangs enthalten sein, wobei sich diese aus den Worten „durch Gesetz“ ergeben soll. Soweit das Gesetz entsprechende Anhaltspunkte enthält, ist von einer abschließenden bundesgesetzlichen Regelung auszugehen. Im Grunde wird damit an die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung angeknüpft, die diese Frage bisher durch eine Gesamtwürdigung des betreffenden Normbereichs entschieden hat, vgl. BVerfGE 7, 342 (347); 49, 343 (358); 67, 299 (324). Eine Änderung in der Sache war mit dieser Einfügung also nicht verbunden. So auch Schmalenbach, Föderalismus, S. 84. 386 BT-Drs. 12/6000, S. 34. Dies hätte bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Bund und Ländern zu einem nicht hinnehmbaren Konfliktpotential und damit zu Rechtsunsicherheit geführt.

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

III. Die Verfassungsreform von 1994 Obwohl die Vorschläge der Gemeinsamen Verfassungskommission im Ergebnis nicht auf eine gravierende Änderung des bundesstaatlichen Kompetenzgefüges abzielten und von Bundestag und Bundesrat gemeinsam erarbeitet worden waren, bedurfte es erst der Einberufung des Vermittlungsausschusses 388, bevor sie mit dem 42. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes am 6. September 389 bzw. 23. September 1994 verabschiedet werden konnten 390. Im Vermittlungsausschuss wurde den erneut aufgekommenen Bedenken der beiden Regierungsfraktionen 391 jedoch lediglich insoweit Rechnung getragen als Art. 72 Abs. 2 GG um die Zielbestimmung „der Wahrung der Wirtschaftseinheit“ ergänzt 392 und Art. 125a GG in zwei Absätze aufgespalten wurde, wobei der zweite Absatz strukturell Art. 72 Abs. 3 GG nachgebildet und zudem für beide Absätze die Ergänzungsbefugnis der Länder gestrichen worden war. Im Übrigen reaktivierte der Vermittlungsausschuss den Vorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission. Nichts könnte deutlicher die tiefe Verwurzelung unitarischer Denkmuster demonstrieren, als dieses Verfahren zur Grundgesetzänderung. Der erste Versuch seit der Entstehung des Grundgesetzes, die eingetretene Machtverschiebung im Bund-Länder-Verhältnis zu korrigieren, war von massiven Widerständen seitens des Bundestages, insbesondere der Koalitionsparteien, begleitet. Dabei stand nicht einmal eine grundlegende Neubestimmung des Bund-Länder-Verhältnisses im Raum, vielmehr versuchte man anhand der bestehenden Kompetenzstruktur durch eine Präzisierung der Kompetenztypen, mehr Möglichkeiten für eine Wahrnehmung von Gesetzgebungsrechten durch die Länder zu erreichen. Hätte sich der Bundestag mit seinen Bedenken hinsichtlich Art. 72 Abs. 2 GG durchzu387

BT-Drs. 12/6000, S. 36. Beschluss des Bundesrates vom 26. August 1994, BR-Drs. 742/94; BT-Drs. 12/ 8399, S. 2. 389 Der Bundestag stimmte in namentlicher Abstimmung mit 576 Stimmen bei nur 13 Gegenstimmen und einer Enthaltung zu; vgl. BT-Plenarprotokoll 12/241, S. 21283 D. 390 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. Oktober 1994, BGBl. I S. 3146; in Kraft getreten am 15. November 1994. 391 Die Bundesregierung hatte in ihrer Stellungnahme vor dem Rechtsausschuss auf „erhebliche Gefahren für die Handlungsfähigkeit des Gesamtstaates und die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland“ durch die Verschärfung des Art. 72 Abs. 2 GG hingewiesen, BT-Drs. 12/7109, S. 14; BT-Drs. 12/8165, S. 31. Die Empfehlung des Rechtsausschusses lautete deswegen den interfraktionellen Gesetzesentwurf in vier verschiedene Teile aufzuspalten und die Art. 72 GG, Art. 75 GG und Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a GG den Bedenken entsprechend zu streichen, BT-Drs. 12/8165, S. 6 ff, S. 13 ff. und 31 ff. Zu dem „Zersägen“ der Vorlage, Kloepfer, Verfassungsänderung, S. 105 ff. 392 BT-Drs. 12/8423, S. 5. Dies ging auf einen Vorschlag der SPD-Fraktion zurück, um dadurch die Bundeskompetenz zur Regelung der beruflichen Bildung zu erhalten, BTDrs. 12/8165, S. 31 f. 388

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setzen vermocht, hätte von einem vergrößerten Gestaltungsspielraum der Länder wohl schwerlich die Rede sein können. Auch so bestand Ungewissheit darüber, wie die Verfassungsänderungen, insbesondere Art. 72 Abs. 2 GG und Art. 75 Abs. 2 GG, zu interpretieren waren und wie sie sich in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auswirken würden 393. Erst acht Jahre später kam es zu einem Verfahren, in dem die Neufassung des Art. 72 Abs. 2 GG eine ausschlaggebende Rolle spielte, die Altenpflegeentscheidung. Darin wurde das Gericht dem Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers von 1994 gerecht und erklärte die Erforderlichkeitsklausel für voll justitiabel. Die Entscheidung fiel in eine Zeit, in der die Reformdebatte bereits wieder voll in Gang gekommen war. Die Verfassungsänderungen von 1994 schienen vielen nicht weit genug zu gehen 394, zumal bis zu diesem Urteil nur spekuliert werden konnte, ob sie überhaupt zu irgendwelchen Veränderungen in der Staatspraxis führen würden. Zudem waren einige wichtige, als dringend reformbedürftig empfundene Themen wie die Finanzverfassung bei den Reformüberlegungen von 1994 vollständig ausgeklammert geblieben. Unzählige, in dieser Geballtheit noch nie da gewesene Stimmen 395 aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft meldeten sich deshalb bereits ab Mitte der neunziger Jahre zu dem Thema Bundesstaatsreform zu Wort, wobei ein Blick auf die einzelnen Positionen ein breites Spektrum an Reformideen offenbart 396. Nicht von dieser Aufbruchsstimmung 393 Kritisch hinsichtlich der Wirksamkeit, Münch, in: Meier-Walser (Hrsg.), Föderalismus, S. 107; Jarass, NVwZ 1996, S. 1042; Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 11 Fn. 18 unter Bezugnahme auf seine frühere Haltung. Zuversichtlich dagegen, Calliess, DÖV 1997, S. 895 ff.; Schmalenbach, Föderalismus, S. 103 ff. mit dem Hinweis auf die ähnlich gelagerte Rastede-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, BVerfGE 79, 127 (127 ff.). Sannwald, DÖV 1994, S. 632 erwartete mit der Umsetzung „einen tiefgreifenden Eingriff in die Gesetzgebungskompetenzen des Bundes“ und sollte damit Recht behalten. 394 Der bayerische Ministerpräsident Stoiber bezeichnete sie später im Rahmen der nächsten Föderalismuskommission als „nicht so gelungen“, 1. Kommissionssitzung am 7. November 2003, S. 4; vgl. auch Dolzer, VVDStRL 1999, S. 18: „halbherziger Ansatz zur Revitalisierung der Eigenstaatlichkeit der Länder“; Hrbek, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2004, S. 150: „marginale Korrekturen“; Jun, ZParl 2004, S. 565; Kilper / Lhotta, Föderalismus, S. 266; Sturm, Föderalismus, S. 43. Dagegen die Einschätzung Oschatz / Podschull, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2002, S. 153, dass die Länder auf dem Gebiet der Gesetzgebung wesentlich gestärkt worden seien. 395 Vgl. dazu v. Arnim, in: v. Arnim (Hrsg.), Föderalismus, S. 19; Berlit, in: v. Arnim (Hrsg.), Föderalismus, S. 65; Thaysen, APuZ 2003, S. 14; Hrbek, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2004, S. 151 f. Eine politikwissenschaftliche Erklärung für diese gesteigerte Aufmerksamkeit war die von den Politikern gewählte thematische Verknüpfung der Föderalismusdiskussion mit der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland (sog. AgendaBuilding), Münch, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2001, S. 142. 396 Eine Zusammenfassung wichtiger Reformkonzepte findet sich bei Hrbek / Eppler, Deutschland vor der Föderalismus-Reform. Der Eindruck, dass der Föderalismus sich in der Krise befinde, war zwischenzeitlich Allgemeingut geworden.

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

angesteckt wurde, wie zumeist, wenn die Föderalstruktur Deutschlands Diskussionsgegenstand ist, die Bevölkerung 397. Dies lässt sich später eindrucksvoll an der geringen Anzahl von Bürgereingaben im Rahmen der Kommissionsarbeit ablesen 398.

Dritter Abschnitt

Gründe für die Föderalismusreform In dem folgenden Abschnitt werden die Beweggründe für die Föderalismusreform aufgezeigt. Dabei ist zu ermitteln, ob sie aufgrund der oben dargelegten, bisherigen Entwicklung verfassungsrechtlich zwingend geboten war oder auf verfassungspolitischen Gründen beruhte. In verfassungsrechtlicher Hinsicht könnte sich aus dem Bundesstaats- und dem Demokratieprinzip die Reformnotwendigkeit ergeben. Auf politischer Ebene waren es die eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten bei der Gesetzgebung, die fehlende Europatauglichkeit des Grundgesetzes und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den im Zuge der Verfassungsänderung von 1994 eingeführten Art. 72 Abs. 2 GG und Art. 75 GG, die die Reformbedürftigkeit in aller Schärfe hervortreten ließen.

A. Verfassungsrechtliche Reformgründe Zunächst stellt sich die Frage, ob sich die Notwendigkeit einer Reform der bundesstaatlichen Ordnung verfassungsrechtlich begründen lässt. Dies wäre jedenfalls dann der Fall, wenn die bisherige Entwicklung des Beteiligungsföderalismus zu einer Beeinträchtigung des Bundesstaats- oder Demokratieprinzips geführt hätte. Auch falls sich dies als unzutreffend herausstellen sollte, könnte sich aus diesen Prinzipien zumindest eine bestimmte Anleitung im Sinne einer Optimierung der Verfassungsrechtslage ergeben.

397 Schmidt-Jortzig, APuZ 2005, S. 6 f. Die einzige Ausnahme stellte die „Stiftungsallianz Bürgernaher Bundesstaat“ dar, die sich das Ziel gesetzt hatte, die Föderalismuskommission als Impulsgeber und zivilgesellschaftliches Forum zu begleiten, Hrbek / Eppler, Deutschland vor der Föderalismus-Reform, Dokument Nr. 12, S. 143 ff. 398 Während die Zahl sich bei der Gemeinsamen Verfassungskommission insgesamt auf 800 000 (!) belief (BT-Drs. 12/6000 S. 13), waren es bei der Föderalismuskommission gerade einmal 200 Bürgereingaben, Dt. Bundestag, Bundesstaatskommission, S. 29.

3. Abschn.: Gründe für die Föderalismusreform

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I. Beeinträchtigung des Bundesstaatsprinzips Die verfassungsrechtlichen Kompetenzerweiterungen zugunsten des Bundes und die Institutionalisierung des kooperativen Föderalismus 399 haben die eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung der Länder immer weiter zusammenschrumpfen lassen, eine Entwicklung deren Vereinbarkeit mit dem in Art. 79 Abs. 3 GG für unantastbar erklärten bundesstaatlichen Kernbestand zu hinterfragen ist. Nicht an dieser Vorschrift können dagegen die aus der Verfassungswirklichkeit resultierenden Verschiebungen in dem bundesstaatlichen Kräfteverhältnis gemessen werden, da Art. 79 Abs. 3 GG ausweislich des Wortlautes lediglich für Verfassungsänderungen gilt. Der in Art. 79 Abs. 3 GG enthaltene Kernbestand lässt sich alleine anhand der „konkreten Grundkonzeption des Bundesstaates der Bundesrepublik Deutschland“ 400 nicht mit Hilfe einer abstrakten Bundesstaatstheorie ermitteln. In Art. 79 Abs. 3 GG wird in dreifacher Weise auf diesen spezifisch deutschen bundesstaatlichen Kern Bezug genommen. Ausdrücklich dürfen die Gliederung des Bundes in Länder sowie die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung durch Verfassungsänderungen nicht berührt werden. Daneben wird durch den allgemeinen Verweis auf Art. 20 GG aber auch das Bundesstaatsprinzip in seinen Grundzügen für unantastbar erklärt. Diesem Verweis kommt bezüglich des Bundesstaatsprinzips vor dem Hintergrund der expliziten Erwähnung seiner zwei wesentlichen Grundzüge indes keine eigenständige Bedeutung zu 401. Zwar wird in Art. 20 Abs. 1 GG zwischen dem Bundesstaats-, dem Demokratie- und dem Sozialstaatsprinzip ein unlösbarer Zusammenhang hergestellt („demokratischer und sozialer Bundesstaat“). Aber selbst wenn sich der bundesstaatliche Kerngehalt nur mit Blick auf und im Zusammenhang mit diesen anderen Verfassungsprinzipien bestimmen lassen sollte 402, sind diese durch die allgemeine Bezugnahme auf Art. 20 GG eigenständig und nicht nur durch die in Art. 20 GG hergestellte Verknüpfung mit dem Bundesstaatsprinzip von der „Ewigkeitsgarantie“ des Art. 79 Abs. 3 GG erfasst. Im Hinblick auf die geringen legislatorischen Befugnisse der Länder steht entgegen teilweise vertretener Ansicht 403 nicht in Frage, ob die grundsätzliche 399

Insbesondere zu diesem Aspekt Kisker, Kooperation, S. 300. Lerche, Verfassungsfragen, S. 45. 401 Ebenso Hanebeck, Bundesstaat, S. 284 ff., unter Wiedergabe der darauf hindeutenden Entstehungsgeschichte. Anders dagegen die h. M., ohne darzulegen, welche weiteren Grundsätze aus dem Bundesstaatsprinzip zu entnehmen sind, vgl. Pieroth, ZRP 2008, S. 90; Dreier, in: Dreier, GG – Band 2, Art. 79 Abs. 3 GG Rn. 21 und 47; Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 166 f. Rn. 287; Eicher, Landesparlamente, S. 70; Stern, Staatsrecht – Band I, S. 171; Hesse, AöR 1973, S. 8. 402 So Hesse, AöR 1973, S. 8. 403 Herzog, JuS 1967, S. 196. 400

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung berührt ist. Denn der Begriff der „Mit“-wirkung macht deutlich, dass hiermit nur die Beteiligung an der Bundesgesetzgebung, nicht dagegen die eigenständige Landesgesetzgebung gemeint sein kann 404. Allein der Fortbestand der Gliederung des Bundes in Länder markiert daher die Grenze für die beschriebenen Verfassungsänderungen zugunsten des Bundes. Dabei führt nicht jegliche qualitative Veränderung der Machtverhältnisse zu einer Beeinträchtigung des Fortbestandes 405. Der deutsche Bundesstaat ist, wie jeder Bundesstaat, keine statische, unveränderliche, sondern im Gegenteil eine in hohem Maße wandlungs- und anpassungsfähige Staatsform. Das Bundesstaatsprinzip ist ein dynamisches Strukturprinzip und entwickelt sich als solches, abhängig von verschiedenen Bedingungen 406, stetig weiter 407. Dem verfassungsändernden Gesetzgeber ist es deshalb in einem gewissen Umfang durchaus erlaubt, Zuständigkeitsverschiebungen und sonstige Änderungen im Bund-LänderVerhältnis vorzunehmen 408. Sogar die Auflösung einzelner bestehender Bundesländer ist mit Art. 79 Abs. 3 GG vereinbar, wie die Neugliederungsvorschriften der Art. 29 GG, 118a GG belegen, solange nur nicht die bundesstaatliche Struktur an sich aufgehoben wird 409. Die Bemühungen, belastbare Maßstäbe für die Frage zu entwickeln, wann die Grenze der zulässigen Verfassungsänderungen überschritten ist, haben zwei unterschiedliche Ausgangspunkte. Das Bundesverfassungsgericht 410, aber auch viele Stimmen in der Literatur, stellen die entweder aus den Bestimmungen des Grundgesetzes 411 oder die aus 404 Dies entspricht der überwiegenden Literaturauffassung, vgl. Harbich, Bundesstaat, S. 131; Hesse, AöR 1973, S. 18; Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 176 Rn. 307 und Hanebeck, Bundesstaat, S. 291. 405 Katzenstein, DÖV 1958, S. 594; Scheuner, in: Listl (Hrsg.), Staatstheorie, S. 444. 406 Im Einzelnen können das sein: das Selbstbewusstsein von Bund und Ländern, die Kraft und der Wille, die verfassungsrechtlich gebotenen Möglichkeiten wahrzunehmen, aber auch sich ändernde politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Verhältnisse, vgl. hierzu Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 10 Rn. 11. 407 Stern, Staatsrecht – Band I, S. 663. 408 Pieroth, ZRP 2008, S. 92; Harbich, Bundesstaat, S. 126. 409 Nach h. M. müssen mindestens drei Bundesländer fortbestehen, Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 79 Abs. 3 GG Rn. 8; Pieroth, ZRP 2008, S. 91; Dreier, in: Dreier, GG – Band 2, Art. 79 Abs. 3 GG Rn. 21; darüber hinaus Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 170 Rn. 295, der eine erhebliche Verringerung für unzulässig hält. Für diese Frage gewinnen die Funktionen des Bundesstaates, worin auch immer man sie sehen mag, Bedeutung. Anders als bei „der Gliederung des Bundes in Länder“ enthält der Verfassungstext hierfür keinen Maßstab, um zu einer sachgerechten Lösung zu kommen. Ausführlich dazu Würtenberger, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 425 Rn. 27: entscheidend für diese Frage sollen Effektivität und Leistungsfähigkeit der bundesstaatlichen Ordnung sein. 410 BVerfGE 1, 14 (34) – „Südweststaat“, Urteil vom 23. Oktober 1951; 34, 9 (20 ff.) – „Hausgutentscheidung“, Urteil vom 26. Juli 1972.

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der Allgemeinen Staatsrechtslehre gleichsam vorrechtlich 412 hergeleitete Qualität der Länder als Staaten in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen 413. Art. 79 Abs. 3 GG verbiete danach eine Verfassungsänderung, durch die die Länder die Qualität von Staaten oder ein Essentiale der Staatlichkeit einbüßen. Ob die Länder Staatscharakter haben oder zu „höchstpotenzierten Gebietskörperschaften“ in einem dezentralisierten Einheitsstaat herabgesunken sind, lässt sich nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seiner Hausgutentscheidung nicht formal danach bestimmen, dass sie eine eigene Verfassung besitzen 414 und über irgendein Stück vom Gesamtstaat unabgeleiteter Hoheitsmacht verfügen, also irgendeinen Rest von Gesetzgebungszuständigkeit, Verwaltungszuständigkeit und justitieller Zuständigkeit ihr eigen nennen können 415. Damit nicht nur eine leere Hülse von Eigenstaatlichkeit übrig bleibe, sei vielmehr erforderlich, dass den Ländern ein Kern eigener Aufgaben als „Hausgut“ unentziehbar verbleibe 416. Diesem vermeintlich formalen, allein auf den organisationsrechtlichen Aspekt abstellenden Ansatz hat Hesse eine materielle Herleitung des unabänderlichen Kernbereichs gegenübergestellt 417. Ebenso wie die übrigen Gewährleistungen des Art. 79 Abs. 3 GG verfolge auch das bundesstaatliche Organisationsprinzip keinen Selbstzweck, sondern wolle bestimmte Funktionen gewährleisten, die die Verfassung als wesentlich für das Gemeinwesen ansehe. Es sollen demnach die 411 So die h. M., vgl. Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 39 Rn. 65 und S. 171 Rn. 297; Heitsch, Ausführung, S. 94; Grzeszick, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 GG Rn. 16. 412 V. Mangoldt, Bonner Grundgesetz, Art. 20 GG S. 588: „Die Bundesrepublik ist ein Bundesstaat im spezifischen Sinne der Allgemeinen Staatslehre“; Stern, Staatsrecht – Band I, S. 169: „Die Länder müssen Staaten bleiben wie es dem Wesen der Bundesstaatlichkeit entspricht.“ 413 Wieder anders Möllers, Staat, S. 362 ff. und 371, der die Staatlichkeit der Länder mit ihrer normativen Demokratiefähigkeit, also ihrer Fähigkeit Legitimation zu stiften und zu Grundrechtseingriffen zu ermächtigen, begründet. Generell gegen die Kategorie der Staatlichkeit, Hanebeck, Bundesstaat, S. 44 ff., 356. 414 BVerfGE 4, 178 (189). 415 So Möllers, Staat, S. 371 f. mit (unzutreffendem) Verweis auf genau diese Entscheidung. 416 BVerfGE 34, 9 (9). Die Ähnlichkeit zu der Rechtsprechung zum Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung ist unverkennbar, BVerfGE 79, 129 (146) – RastedeEntscheidung, Beschluss vom 23. November 1988; in diese Richtung auch Lerche, Verfassungsfragen, S. 43 ff: Die bundesstaatliche Fassade sei nicht ausreichend; die Forderung des Art. 79 Abs. 3 GG will vielmehr substantiell verstanden werden und erfordere deswegen, dass die effektive Länderstaatlichkeit in ihren wesentlichen und typischen Funktionen erhalten bleibe. 417 Zunächst Kisker, Kooperation, S. 109, der aber nur in einem Klammerzusatz darauf hinwies, dass Länder i. S. d. Art. 79 Abs. 3 GG Gebilde sein müssen, die in der Lage sind, ihre Demokratisierungs- sowie ihre Innovations- und Gewaltenbalancierungsfunktion auszuüben. Grundlegend dann Hesse, AöR 1973, S. 8 ff.; ihm folgend Eicher, Landesparlamente, S. 70.

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

sachlichen Zwecke der bundesstaatlichen Ordnung sein, die die Grenzen einer Verfassungsänderung bestimmen 418. 1. „Gliederung des Bundes in Länder“ – Annäherung unter dem Blickwinkel einer funktionellen Betrachtung An dieser Stelle gewinnt der in der deutschen Bundesstaatsdebatte immer wieder aufgeworfene Streit um die Funktionen des Bundesstaates überhaupt erst staatsrechtliche Relevanz. Im Vergleich zu anderen traditionsgeprägten, föderalen Staaten ist eine solche Debatte, zumindest in dem in der Bundesrepublik geführten Ausmaß, einzigartig 419. Der Grund dafür liegt maßgeblich in den äußeren Umständen, unter denen die Bundesrepublik entstanden ist. Die Entscheidung zugunsten eines bundesstaatlichen Aufbaus wurde nicht zur Erhaltung und Integration historisch-politischer Individualitäten, sondern „der guten Ordnung des Gesamtverbandes willen“ 420 getroffen. Die Schaffung der Länder als Kunstgebilde aus der Hand der Alliierten 421, aber auch der durch Krieg, Flucht, Vertreibung und Abwanderung aus der DDR fehlende Sinn für landsmannschaftliche Besonderheiten ließen die Länder ihre Eigenschaft als „historisch gewachsene Staatswesen“ 422 verlieren. Das Fehlen dieser identitätsstiftenden Voraussetzungen, das sich im Grundgesetz durch den vormaligen Neugliederungsauftrag (Art. 29 GG) besonders manifestierte 423, führte zur Suche nach anderen, nicht auf die regionalen Besonderheiten abstellenden 424 Rechtfertigungsmöglichkei418

Hesse, AöR 1973, S. 8. Zu diesem besonderen Legitimationsdruck Oeter, Integration, S. 393 ff.: Dies gilt insbesondere im Vergleich zu den Vereinigten Staaten von Amerika und der Schweizerischen Eidgenossenschaft; vgl. dazu auch Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 185 Rn. 322 und Hanebeck, Bundesstaat, S. 65. 420 Kisker, Kooperation, S. 104. 421 Dazu Hesse, Unitarischer Bundesstaat, S. 12. Lediglich Bayern und die Stadtstaaten Bremen und Hamburg sind historisch gewachsen. Von der Bevölkerung wurde der Zuschnitt der einzelnen Länder deshalb als willkürlich empfunden, Kilper / Lhotta, Föderalismus, S. 84. 422 Hesse, Unitarischer Bundesstaat, S. 12. 423 In einem bündischen System ist gerade die Unverletzlichkeit der Glieder wesentlich, vgl. Weber, Spannungen, S. 61. 1976 wurde der Neugliederungsauftrag aufgehoben und durch eine Neugliederungsmöglichkeit ersetzt. 424 Entgegen Hesse gingen Scheuner und Kisker stets davon aus, dass der Föderalismus seine entscheidende Legitimationsgrundlage in der territorialen Differenzierung hatte, vgl. Scheuner in der Aussprache zu Föderalismus als nationales und internationales Ordnungsprinzip, VVDStRL 1964, S. 122: „Das Phänomen Föderalismus ... als eine zweckmäßige Einrichtung vom Standpunkt des Ganzen anzusehen verletzt bereits das Grundprinzip des Föderalismus“. Andernfalls, ohne das Landesbewusstsein, hätte der Bundesstaat seine Funktion gegenüber dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip nicht entfalten können, vgl. Kisker, Kooperation, S. 112. So auch tendenziell Isensee, in: 419

3. Abschn.: Gründe für die Föderalismusreform

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ten. Die Staatsrechtslehre hat hierzu eine Fülle von Ansätzen entwickelt, von denen vor allem zwei Bedeutung erlangt haben 425. Der innere Grund für einen bundesstaatlichen Aufbau wird in dem einen Ansatz in der Verstärkung des Rechtsstaats- und Demokratieprinzips, in dem anderen in der Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems gesucht. Beiden ist gemein, dass sie die Vorteile der Föderalstruktur für das gesamte Gemeinwesen in den Vordergrund ihrer Betrachtung stellen, in Umkehrung traditioneller Bundesstaatsverständnisse also die Existenz der Gliedstaaten und nicht die des Bundes rechtfertigen. Diese Herangehensweise entspricht dem unitarischen, am Ideal der Rechtseinheit orientierten Vorverständnis der Staatsrechtslehre, das Oeter in einer neueren Abhandlung erstmals in seinem ganzen Ausmaß offen gelegt hat 426. a) Funktionen der bundesstaatlichen Ordnung für das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip Nach der von Hesse in der Schrift zum „unitarischen Bundesstaat“ entwickelten Deutung ist die Legitimation des föderalen Aufbaus in der Bundesrepublik in der „Ergänzung und Verstärkung der Elemente der Demokratie und des sozialen Rechtsstaates“ 427 zu finden und sichert damit mittelbar die personale Freiheit des Bürgers 428. Zunächst noch aus der tatsächlichen Wirklichkeit abgeleitet 429, versuchte Hesse diese These alsbald mit der grundgesetzlichen Stellung des Bundesstaatsprinzips zwischen dem Sozialstaats- und Demokratieprinzip normativ zu untermauern 430. Im Zentrum seiner Betrachtungen stand dabei die zusätzliche gewaltenteiIsensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 191 Rn. 335, wenn er die von Hesse entwickelte Funktion als „abgemagerte Figur“ bezeichnet, „die mehr oder weniger nützliche Hilfsund Zubringerdienste (...) leistet, aber keinen relativen Eigenwert erkennen lässt“. 425 Zu dieser Zweiteilung: Stern, Staatsrecht – Band I, S. 658. Diese beiden Ansätze letztlich auf den Freiheitsschutz des Bürgers zurückführend, Heitsch, Ausführung, S. 8 f. Weitere, mehr ideologisch gefärbte Rechtfertigungen werden etwa in dem Subsidiaritätsprinzip oder der Anthropologie gesucht. Ablehnend dazu Lerche, Verfassungsfragen, S. 10; Kölble, ZRP 1968, S. 8; Würtenberger, in: Duso (Hrsg.), Konsens, S. 359 ff.; Hesse, AöR 1973, S. 10 und Eicher, Landesparlamente, S. 71. 426 Grundlegend: Oeter, Integration, S. 9, S. 381 ff. und S. 393 ff.; auch Bullinger, DÖV 1970, S. 762 Fn. 9 wies zu Recht darauf hin, dass bereits in Weimar starke Tendenzen der Unitarisierung und Zentralisierung zu spüren waren; vgl. dazu ebenfalls Huber, Gutachten, in: 65. Juristentag, D 47. 427 Hesse, Unitarischer Bundesstaat, S. 32. 428 So Stern, Staatsrecht – Band I, S. 658; Kisker, in: Benda (Hrsg.) Föderalismus, S. 25; Kimminich, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band I, S. 1126 Rn. 22; Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 151 Fn. 260 ff.; Heitsch, Ausführung, S. 8. 429 Hesse, Unitarischer Bundesstaat, S. 26 ff. 430 Hesse, AöR 1973, S. 12 ff.

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

lende Wirkung des deutschen Bundesstaates 431. Neben die horizontale Gewaltenteilung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative trete eine sog. vertikale Gewaltenteilung 432, das heißt, jede der drei Gewalten werde durch entsprechende Zuweisungen des Grundgesetzes noch einmal zwischen Bund und Ländern geteilt und das System der „checks and balances“ auf diese Weise verstärkt. Zusätzlich – vor allem diesen Aspekt sah Hesse in einem unitarischen Bundesstaat in den Vordergrund treten 433 – werde durch die Beteiligung der Länder über den Bundesrat an den Entscheidungen des Zentralstaates die horizontale Gewaltenteilung 434 intensiviert. Der reale gewaltenbalancierende Faktor, der im Bundesrat und gegenüber den unitarischen Bundesorganen sowie der Bundesbürokratie Geltung erlange, sei weniger das in dem überkommenen Sinne nicht mehr vorhandene föderale Element 435, sondern die Erfahrung und der Sachverstand der Landesministerialbürokratien 436. In diesem „besonderen, letztlich im Prinzip des Rechtsstaats wurzelnden Amtsauftrag“ 437 sah Hesse den Kern der Legitimationsgrundlage für die Selbständigkeit der Länder. 431 Dieser Gedanke ist schon in den Federalist Papers aus den Jahren 1787/88 zu finden. Obwohl die tatsächlich gewaltenteilende Wirkung des bundesstaatlichen Aufbaus auch schon vorher in der deutschen Bundesstaatsgeschichte erkannt worden war, war Hesse der erste, der damit die Selbständigkeit der Gliedstaaten legitimierte. Ablehnend gegenüber diesem Ansatz Scheuner, in: Listl (Hrsg.), Staatstheorie, S. 427, der für diese Wirkung keine Aufgliederung in doppelte, demokratisch legitimierte politische Entscheidungszentren für erforderlich hielt. Ebenso Lerche, VVDStRL 1964, S. 83 und 85. 432 Dieser Aspekt wurde vor allem in den Beratungen des Parlamentarischen Rates betont, vgl. Ausführungen von Süsterhenn in der 2. Plenumssitzung des Parlamentarischen Rates am 8. September 1948, Schick / Kahlenberg, Parlamentarischer Rat – Band 9, S. 57; ebenso Schwalber in der 3. Plenumssitzung einen Tag später, siehe Schick / Kahlenberg, Parlamentarischer Rat – Band 9, S. 94. Vgl. auch BVerfGE 12, 229. 433 Darüber hinausgehend Schodder, Gewaltenteilung, S. 119 f., der der vertikalen Gewaltenteilung im unitarischen Bundesstaat nahezu jegliche Funktion abgesprochen hat. 434 Andere sehen auch die Möglichkeit eines zusätzlichen vertikalen Gewaltenteilungseffektes durch den Bundesrat, vgl. Eicher, Landesparlamente, S. 52; Stern, Staatsrecht – Band I, S. 170. Aufgrund der Parteipolitisierung soll dieser aber weitgehend verloren gegangen sein. Übrig bleibe mit der Intensivierung der horizontalen Gewaltenteilung lediglich ein funktionell einheitsstaatliches Element der Gewaltenteilung, Schodder, Gewaltenteilung, S. 183 ff. In diese Richtung auch Dolzer, VVDStRL 1999, S. 23. 435 Gerade in finanziellen Fragen waren es aber die Länder, die im Bundesrat in „fast staatenbündischer Geschlossenheit operierten“, Hesse, AöR 1973, S. 30; Dolzer, VVDStRL 1999, S. 16; Schodder, Gewaltenteilung, S. 118, 156 f. 436 Hesse, Unitarischer Bundesstaat, S. 24, 27 unter Hinweis auf ihren bestimmenden Einfluss in den Ausschüssen des Bundesrates; so auch Ziller, Bundesrat, S. 53 f. und Grzeszick, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 GG Rn. 185 f. Allerdings wird dabei übersehen, dass die politisch umstrittenen Angelegenheiten schon seit jeher von den Länderregierungen selbst nach parteipolitischen Erwägungen entschieden wurden und zudem auch die Länderbürokratie den politischen Kräften unterliegt. Erstmals sichtbar wurde dies Anfang der siebziger Jahre, als die Mehrheiten im Bundesrat und Bundestag auseinander fielen und zudem eine allgemeine Polarisierung des Parteienwettbewerbs eintrat, vgl. Schodder, Gewaltenteilung, S. 120 ff., 134 ff.

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In Bezug auf das Demokratieprinzip sei die föderalistische Staatsstruktur insofern förderlich, als sie sowohl die inneren Strukturen der Parteien als auch die der Verbände auflockere und dadurch die Entfaltung verschiedener, voneinander abweichender Auffassungen und Meinungen ermögliche 438. Die regionalen Partei- und Verbandsgremien könnten im Vergleich zu entsprechenden Organisationen in Zentralstaaten ungleich selbständiger und unabhängiger agieren. Ein weiterer Vorteil, der den dem Demokratieprinzip inne wohnenden Anspruch der Minderheit, zur Mehrheit werden zu können, gerecht werde, sei die Chance der oppositionellen Bundespartei Regierungspartei auf Landesebene zu werden. Zudem erlaube die Existenz der Gliedstaaten eine sachgerechte Aufgabenwahrnehmung vor Ort. Die jeweiligen örtlichen und regionalen Besonderheiten könnten in besonderem Maße berücksichtigt werden und die Bürger hätten „die Möglichkeit bewusster Erfassung, bewusster Anteilnahme und Mitbestimmung an den staatlichen Dingen“ 439, kurzum zusätzlicher demokratischer Mitspracherechte. In einem unitarischen Bundesstaat mit wenig Gestaltungsspielraum für die Länder sei diese Wirkung jedoch nur in abgeschwächter Form vorzufinden 440. Gleiches gelte für die politische Vielfalt und den politischen Wettbewerb, die den Bürger aufgrund der Vergleichsmöglichkeiten prinzipiell in die Lage versetze, die Politik zu kontrollieren und im eigenen Sinne zu beeinflussen 441. Diese potentiellen Funktionen für das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip erforderten nach Hesse, unabhängig von dem Gewicht ihrer tatsächlichen Ausprägung 442, dass eine Mehrzahl von Zentren demokratisch legitimer politischer Entscheidung als annähernd gleichgewichtige Partner erhalten bleibe 443. Dafür sei es notwendig, dass die Länder „über die Durchführung politisch vor437 Hesse, Unitarischer Bundesstaat, S. 29. Kritisch zu dieser These, Scheuner, in: Listl (Hrsg.), Staatstheorie, S. 426 f. 438 Dazu explizit für die deutschen Parteien, Weber, Spannungen, S. 290. 439 Hesse, Unitarischer Bundesstaat, S. 31. 440 Hesse, AöR 1973, S. 13; darüber hinaus ging Kisker, in: Benda (Hrsg.) Föderalismus, S. 31 ff. sogar von einer Gefährdung des Demokratieprinzips durch den Beteiligungsföderalismus aus. 441 Würtenberger, in: Duso (Hrsg.), Konsens, S. 366; Heitsch, Ausführung, S. 11; Kisker, Kooperation, S. 106 f. wies auf eine enge Verbindung zwischen Wettbewerb und Gewaltenteilungsprinzip hin. Dies mag insofern zutreffen, als die vertikale Gewaltenteilung Voraussetzung für Wettbewerb zwischen den einzelnen staatlichen Ebenen ist. Den Nutzen des Wettbewerbs für das Rechtsstaats- oder Demokratieprinzip hatte er damit indes noch nicht herausgearbeitet. 442 Hesse, AöR 1973, S. 13 f. 443 Hesse, AöR 1973, S. 14 ff. übernommen von Scheuner, in: Listl (Hrsg.), Staatstheorie, S. 427; h. M. in der Literatur: aus dem in Art. 28 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 2 GG niedergelegten Erfordernis die Länder nach gewaltenteilenden demokratischen Grundsätzen aufzubauen ableitend, Heitsch, Ausführung, S. 99; aus dem Charakter als Länder, Hanebeck, Bundesstaat, S. 293; aus der Staatsqualität der Länder, Harbich, Bundesstaat, S. 125: „Die territorialen Gemeinwesen als politisch kraftvolle Faktoren“; Herzog, JuS

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

geformter oder weithin unpolitischer Aufgaben hinaus Entscheidungen treffen können, die als richtungsweisend für das Zusammenleben in der staatlichen Gemeinschaft empfunden werden und deshalb einen tief greifenden Prozess demokratischer Meinungs- und Willensbildung auszulösen vermögen, im Landesparlament, in der Tagespresse, in Versammlungen und im Versuch der Interessenten und ihrer Verbände, auf die zuständigen Landesorgane einzuwirken“ 444. Dieser Aufgabenbereich als bundesstaatlicher Kernbestand des Art. 79 Abs. 3 GG bestimme Ausmaß und Grenzen zulässiger Grundgesetzänderungen. b) Funktionen der bundesstaatlichen Ordnung für die Funktionsfähigkeit des politisch-administrativen Systems Ein anderer, auf Untersuchungen der Wirtschafts-, Verwaltungs- und Sozialwissenschaften zurückgreifender Ansatz ist in den letzten Jahren in den Vordergrund der bundesstaatlichen Funktionenlehre gerückt. Nach dieser systemtheoretisch orientierten Sichtweise 445 ist die Kernfunktion des bundesstaatlichen Aufbaus in der Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems zu sehen 446. Die Mehrebenenstruktur des föderalen Staatsaufbaus als „evolutionär höchst fortschrittliche Struktur“ 447 erweise sich dafür besonders in zweifacher Hinsicht als vorteilhaft. Sie diene zunächst der Stabilisierung des Gesamtsystems, da mit der Auffächerung auf mehrere demokratische Entscheidungsebenen unterschiedlichste Interessen und Belange der Bevölkerung berücksichtigt werden könnten 448. Andererseits trage sie maßgeblich zur Steigerung der Effizienz der staatlichen Aufgabenerfüllung bei. Die entscheidungsrelevanten Informationen 1967, S. 196: „Garantie einer kräftigen, zu echter politischer Entscheidungstätigkeit befähigenden Kompetenz“; Bullinger, DÖV 1970, S. 761: „Regionale Gemeinwesen mit begrenzten politischen Leitungsfunktionen“ unter Verweis auf die dadurch zu erhaltende Durchsetzungsfähigkeit gegenüber den Bundesparteiorganisationen; ebenso Kisker, Kooperation, S. 300; Klein, DVBl. 1981, S. 664; Stern, Staatsrecht – Band I, S. 169. 444 Bullinger, DÖV 1970, S. 761. 445 Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 188 Rn. 329; Heitsch, Ausführung, S. 9. 446 Vgl. dazu Kölble, ZRP 1968, S. 9: „Die föderative Struktur als zweckgerechte aufgabenorientierte Form der Staatsorganisation“ unter Verweis auf Erfahrungen im Parallelbereich der Wirtschaftsorganisationen; Kisker, Kooperation, S. 113; Kisker, in: Benda (Hrsg.) Föderalismus, S. 26. In diese Richtung auch Lerche, VVDStRL 1964, S. 81 ff., S. 96 f. Fn. 109; S. 102, der aus Art. 79 Abs. 3 GG das Gebot ableitete, den Neugliederungsauftrag aus Art. 29 GG im Sinne einer Perfektionierung des Bundesstaates zu erfüllen; Mayntz, AöR 1990, S. 241 mit dem Hinweis darauf, dass in der Sozialwissenschaft schon seit längerem die Vorzüge mehrstufiger Entscheidungsstrukturen in bestimmten Konstellationen anerkannt seien. 447 Mayntz, AöR 1990, S. 235. 448 Ronneberger, in: Achterberg (Hrsg.), FS Scupin, S. 315. Bewährt hat sich diese Funktion bei der Bewegung des Regionalismus, die den deutschen Bundesstaat anders

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könnten in einem föderalen System aufgrund der dezentralen Ebenen besser und schneller recherchiert und selektiert, die Gefahr von Fehlinformationen dementsprechend reduziert werden 449. Die Aufgabenwahrnehmung vor Ort verringere die Komplexität der Entscheidungsprozesse, verlagere den politischen Problemdruck ausschließlich auf eine staatliche Ebene und vermeide dadurch eine Überlastung der Konfliktverarbeitungskapazität des Gesamtstaates 450. Gleichzeitig werde aufgrund der vertikal differenzierten Strukturen aber auch die Problemlösungsfähigkeit des Gesamtsystems erhöht, da die Subsysteme oftmals besser einschätzen könnten, ob in ihrer jeweiligen Region Problemlösungsbedarf bestehe und wie die passende, auf ihre speziellen Schwierigkeiten ausgerichtete Problemlösungsstrategie aussehen müsse 451. Nicht zuletzt wegen dieser auf die jeweiligen Bedürfnisse abgestimmten Entscheidungen seien die Kosten ihrer Vorbereitung und Durchführung geringer und damit die Verteilung öffentlicher Güter insgesamt effizienter 452. Positiv auf die Leistungsfähigkeit des Gesamtstaates wirke sich darüber hinaus der infolge des föderalen Aufbaus ermöglichte Wettbewerb um die beste politische Entscheidung zwischen den Gliedstaaten untereinander und im Verhältnis zum Bunde aus 453. Auf diesem Wege könne die Tragfähigkeit einer politischen Lösung erst im kleinen Rahmen erprobt und Erfahrungen gesammelt werden 454. Dies stieße einen Prozess von „Trial-and-Error“ an, bei dem sich diejenige Problemlösung eines Landes durchsetzen könne, die das staatliche Handeln im Interesse der Menschen optimiere 455. Aufgrund dieser Lernfähigkeit ist es als einige europäische Einheitsstaaten nicht erschütterte, vgl. Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 197 Rn. 348. 449 Ronneberger, in: Achterberg (Hrsg.), FS Scupin, S. 320 f.; Calliess, DÖV 1997, S. 891; Feld, in: Blanke (Hrsg.), Bundesstaat, S. 174. 450 Ronneberger, in: Achterberg (Hrsg.), FS Scupin, S. 316, 322; Stern, Staatsrecht – Band I, S. 665; Kilper / Lhotta, Föderalismus, S. 59. 451 Mayntz, AöR 1990, S. 239; so auch Calliess, DÖV 1997, S. 892; Würtenberger, in: Duso (Hrsg.), Konsens, S. 365. 452 So die ökonomische Theorie des Föderalismus, vgl. Neumann / v. d. Ruhr, in: Jarass (Hrsg.), EG-Umweltschutz, S. 84; Feld, in: Blanke (Hrsg.), Bundesstaat, S. 174: reduzierte Frustrationskosten; Jun, ZParl 2004, S. 568. Im Kern befassen sich die ökonomische Theorie des Föderalismus und die modernere Theorie des öffentlichen Gutes und der externen Effekte damit, wie die staatlichen Aufgaben in einem bestehenden Bundesstaat zu verteilen sind, um effizient erfüllt und „gerecht verteilt“ zu werden, siehe dazu Wust, Föderalismus, S. 3 f. und Frey, Föderalismus, S. 16 ff. 453 Kilper / Lhotta, Föderalismus, S. 60: wirtschaftlicher, kultureller und politischer Polyzentrismus. Eine besondere Ausprägung erfährt dieser Gedanke bei Tiebout, Journal of Political Economy 1956, der ihn auf alle Bereiche staatlicher Tätigkeit übertragen will. 454 „Laboratory federalism“, Oates, Journal of Economic Literature 1999, S. 1132; Beispiele für diese Funktion in der Bundesrepublik bei Müller, in: 44. Bitburger Gespräche, Föderalismusreform, S. 10 f. 455 Mayntz, AöR 1990, S. 235, 239.

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

der Bundesstaat, in dem ideale Bedingungen für eine innovative Reformpolitik herrschen 456. Bevor auf die Frage, welche Konsequenzen sich aus diesem sachlichen Zweck für die Definition des bundesstaatlichen Kernbereichs ergeben würden, eingegangen werden kann, stellt sich in diesem Zusammenhang zunächst ein anderes Problem. Inwiefern können außerverfassungsrechtliche Funktionen, etwa politischer oder ökonomischer Art, überhaupt dazu dienen, den Kernbereich des Art. 79 Abs. 3 GG näher zu definieren? Dass der Gedanke einer ökonomischen Zweckmäßigkeit dem Grundgesetz in diesem Bereich jedenfalls nicht fremd ist, beweist Art. 29 Abs. 1 Satz 1 GG, der als Neugliederungsziel ausdrücklich die Leistungsfähigkeit der Länder bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben benennt und als Maßstab für eine Neugliederung unter anderem explizit die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit aufführt. Zudem ist auch in anderen Bereichen wie etwa bei der Garantie der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG eine Heranziehung außerverfassungsrechtlicher Vorstellungen zur näheren Bestimmung anerkannt worden 457. Allerdings handelt es sich in diesem Fall um einen offenen Verfassungsbegriff, dessen Bedeutungsgehalt sich erst unter Berücksichtigung derartiger, der Verfassung gleichsam vorgelagerter Anschauungen erschließen lässt. Das Bundesstaatsprinzip hat seine Ausformung dagegen in den organisationsrechtlichen Vorschriften des Grundgesetzes erhalten 458. Diese müssen den Maßstab bei der Frage bilden, wann die Gliederung des Bundes in Länder berührt ist. Für eine Ergänzung um systemtheoretische Überlegungen bleibt deshalb kein Raum 459. c) Bedenken gegen eine funktionelle Herangehensweise Gleiches muss aber auch für eine an der Verfassungslage unter dem Grundgesetz orientierten Funktionenanalyse, wie sie Hesse vorgenommen hat, gelten. Eine Funktionsanalyse ist nie absolut, sondern von verschiedenen Faktoren – sowohl in tatsächlicher als auch in wertender Hinsicht – abhängig 460. Das zeigt sich 456 Kisker, Kooperation, S. 93; Ronneberger, in: Achterberg (Hrsg.), FS Scupin, S. 317. Zu der Methode des Benchmarkings, mit der die erzielten Ergebnisse der einzelnen Bundesländer verglichen werden könnten, Würtenberger, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 418 Rn. 10 ff. 457 Vgl. zu den Einflüssen der Religion und der Aufklärung, Zippelius / Würtenberger, Dt. Staatsrecht, S. 228 Rn. 1 ff. 458 Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 168 Rn. 289: „Der Bundesstaatsbegriff gehört nicht zu den Schleusenbegriffen, die auf verfassungsexterne Systeme verweisen und deren Substanz in das Verfassungsrecht einströmen lassen“. 459 Hesse, AöR 1973, S. 10. 460 Nach Hesse, AöR 1973, S. 9 war es deshalb auch nicht möglich, „einen starren Mindestbestand an organisatorischen Strukturen oder Kompetenzen zu entwickeln, (...),

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nicht zuletzt daran, dass über die Frage, welche Funktionen der deutsche Bundesstaat erfüllt, keine Klarheit herrscht 461 sowie an den sich wandelnden Realitäten. So ist die Ausgangsthese Hesses, dass das partikularstaatliche Eigenbewusstsein der Länder und ihrer Bevölkerung verschwunden sei, heute nicht mehr zutreffend 462. Im Gegensatz zu den Anfangsjahren wird das Bundesstaatsprinzip fast nicht mehr in Frage gestellt 463. Der überaus erfolgreiche wirtschaftliche Wiederaufbau Deutschlands nach dem 2. Weltkrieg wirkte sich positiv auf die Zufriedenheit mit dem politischen System aus und schuf dadurch die Voraussetzungen für eine Identifikation der Bevölkerung mit ihrem jeweiligen Bundesland. Die wirtschaftlichen, geographischen, kulturellen, aber auch mentalen Besonderheiten konnten deshalb in den einzelnen Ländern zu einem Gefühl der Zusammengehörigkeit sowie zu einer eigenen politischen Kultur führen 464. Besonders deutlich wird dies an der Neugliederungsfrage (Art. 29 GG), deren der ein für allemal jeder Verfassungsänderung entzogen ist“. Kritisch gegenüber einer solchen zweckrationalen Betrachtungsweise, Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 173 Rn. 301. 461 Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 198 Rn. 349 nimmt eine Konkordanz der verschiedenen Legitimationstypen an; so auch Bauer, in: Dreier, GG – Band 2, Art. 20 GG Rn. 30: „gemischtes Bundesstaatsverständnis“. 462 So in der Tendenz schon 1970 Bullinger, DÖV 1970, S. 762; heute h. M, vgl. Huber, Föderalismusfalle, S. 20; Heitsch, Ausführung, S. 10; Papier, in: Bundesrat (Hrsg.), Verfassungskonvent, S. 350; Würtenberger, in: Duso (Hrsg.), Konsens, S. 361; Lerche, in: Kirchhof (Hrsg.), Grundgesetz, S. 81 f.; Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 192 f. Rn. 337 ff.; Eicher, Landesparlamente, S. 71 Fn. 171; Kisker, in: Benda (Hrsg.) Föderalismus, S. 35 f.; siehe auch die Begründung der Länder Baden-Württemberg, Bayern und Hessen zu dem Normenkontrollantrag über das Finanzausgleichsgesetz, BVerfGE 101, 158 (198): „Mit einer gewissen historischen Berechtigung könne die Bewahrung der historischen Individualität der verschiedenen Länder und der regionalen Pluralität Deutschlands als wichtiges Ziel der bundesstaatlichen Ordnung gelten“. Auch das Bundesverfassungsgericht scheint diese Meinung zu teilen, wenn es von der „Bewahrung der Individualität der Länder“ spricht, BVerfGE 101, 158, (222). Kritisch dagegen Sachs, VVDStRL 1999, S. 46. 463 So wünschten sich 1992 nach einer Umfrage des Allensbacher Instituts für Demoskopie nur noch 6,5 % die Auflösung der föderativen Ordnung, während es Anfang der fünfziger Jahre noch ca. 60 % waren. Die ausdrücklichen Befürworter sind von damals 20% auf heute über 70 % gestiegen. Dies war allerdings kein sich langsam entwickelnder Prozess. Bereits 1960 stieß die föderative Struktur auf breite Akzeptanz, vgl. Grube, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2001, S. 102 f. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auf die fast schon rituell wiederholte Phrase „der Bundesstaat hat sich grundsätzlich bewährt“, Halstenberg, in: Bundesrat (Hrsg.), Bundesrat, S. 144; Stern, in: Cappenberger Gespräche (Hrsg.), Enquete-Kommission, S. 55; BT-Drs. 5/4002; Rau, in: Bundesrat (Hrsg.), Verfassungskonvent, S. 33; Lübecker Erklärung der deutschen Landesparlamente, Dokument 3, in: Hrbek / Eppler, Deutschland vor der Föderalismus-Reform, S. 36; Bauer, DÖV 2002, S. 845. 464 Greß, in: Greß (Hrsg.), Landesparlamente, S. 175 ff. Dies gilt auch für die ostdeutschen Länder, bei deren Bildung an den früheren Bestand angeknüpft wurde, vgl. Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 195 Rn. 344. Siehe außerdem die Bemerkung

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

Umsetzung sich bisher mit einer Ausnahme 465 als politisch unmöglich erwiesen hat. Dieser Wandel der bundesstaatlichen Wirklichkeit hätte Hesse den bundesstaatlichen Kernbereich möglicherweise anders, mehr den regionalen Aspekt in den Vordergrund stellend, definieren lassen. Im Ergebnis darf die Bestimmung des Kernbereichs des Art. 79 Abs. 3 GG jedenfalls nicht von sich wandelnden und unklaren Funktionen abhängig gemacht werden, sondern muss dauerhaft festgelegt werden. 2. „Gliederung des Bundes in Länder“ – Annäherung unter dem Blickwinkel einer institutionellen Betrachtung Diesen Weg schlägt das Bundesverfassungsgericht in seiner Hausgutentscheidung ein. Entgegen der Kritik Hesses stellt es dabei nicht nur auf den formalen, organisationsrechtlichen Charakter der Länderstaatlichkeit ab, sondern fordert mit dem unentziehbaren „Hausgut“ ein darüber hinausgehendes, materielles, die Staatlichkeit auffüllendes Merkmal 466. Das Bundesverfassungsgericht ist allerdings insoweit inkonsequent, als es – obwohl es die Organisationshoheit zu diesem unentziehbaren Hausgut der Länder zählt – die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Besoldung und Versorgung der Landesbeamten als Teil dieser Organisationshoheit 467 dennoch für verfassungsgemäß erklärte. Einschränkend verlangte das Bundesverfassungsgericht bei entsprechenden, auf Art. 74a Abs. 1 GG beruhenden Regelungen zwar die Beachtung des Grundsatzes des bundesfreundlichen Verhaltens 468. Es forderte daher, dass „die Regelungen der Besoldung und Versorgung der Landesbeamten so getroffen werden, dass den Ländern die Möglichkeit offen bleibt, im Zuge von Reformen und strukturellen Änderungen ihrer Organisation Ämter mit neuem Amtsinhalt einschließlich ihrer der Struktur der BundesbesoldungsBöhmers, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2006, S. 18: „Identität leitet sich nicht ausschließlich aus der Geschichte ab, über ihre Ausprägungen entscheiden mindestens ebenso sehr Gegenwart und Zukunft eines Landes“. 465 Der Zusammenschluss der Länder Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern und Südbaden nach Art. 118 GG zu dem Südweststaat Baden-Württemberg. 466 Entgegen der Ansicht von Pieroth, ZRP 2008, S. 92 wird der Begriff der Staatlichkeit daher nicht nur deskriptiv verwandt, sondern er dient zur Herleitung konkreter Schlussfolgerungen. So auch Klein, DVBl. 1981, S. 664; Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 41 Rn. 69 und Heitsch, Ausführung, S. 20. 467 „Beim Landesbeamtenrecht ist zu beachten, dass im Bundesstaat ein besonders starkes und legitimes Interesse der Länder als Dienstherren besteht, das Recht ihrer Beamten selbst zu ordnen. Die Beamtenschaft ist ein bedeutsames Element der eigenstaatlichen Organisation der Länder“, BVerfGE 4, 115 (136). Vgl. auch die Ausführungen Wilhelms, ZBR 1971, S. 133 zu der Bedeutung dieses Regelungsbereiches. 468 Dieser Grundsatz muss ungeachtet der scheinbar einseitigen Terminologie auch von dem Bund im Verhältnis zu den Ländern beachtet werden, BVerfGE 1, 299 (315).

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ordnung für Landesbeamte entsprechenden besoldungsrechtlichen Einstufung in eigener Verantwortung zu schaffen“ 469. Im Ergebnis diente der Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens damit jedoch lediglich dazu, weitergehende mittelbare Auswirkungen der bundesgesetzlichen Regelungen auf die Organisationshoheit der Länder zu vermeiden. Die Regelungskompetenz zur Besoldung und Versorgung der eigenen Landesbeamten blieb den Ländern dagegen trotz seiner Geltung in vollem Umfang entzogen. Diese inkonsequente Rechtsprechung resultiert aus dem Versuch, das unentziehbare Hausgut im Bereich der Gesetzgebungskompetenzen mit Hilfe eines gegenständlich umgrenzten, ausnahmslos zugewiesenen Aufgabenfeldes zu bestimmen („Land muss die freie Bestimmung über seine Organisation unentziehbar verbleiben“) 470. Dass sich dieser Weg schwer verwirklichen lässt, darauf weist schon die ursprüngliche Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen im Grundgesetz hin. Obwohl Einigkeit darüber herrscht, dass die Kulturhoheit „den innersten Kern der Staatlichkeit der deutschen Länder“ 471 ausmacht und daher wohl dem unentziehbaren Hausgut zuzurechnen ist, ist dem Bund auf diesem Gebiet nicht jegliche Tätigkeit verwehrt. So hat er beispielsweise schon seit jeher die Gesetzgebungszuständigkeit für den Bereich der wissenschaftlichen Forschung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 2. Alt. GG) 472. Vor dem Hintergrund, dass auch die ureigenen Angelegenheiten der Länder bereits in der Ursprungsfassung des Grundgesetzes nicht ausschließlich den Ländern überlassen waren, erscheint es 469

BVerfGE 34, 9 – Hausgutentscheidung vom 26. Juli 1972. Die Einschränkung durch den Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens hatte zuvor schon Wilhelm, ZBR 1971, S. 136, allerdings für die Länder, entwickelt. Er war zu dem Ergebnis gekommen, dass der Bund in bestimmten Bereichen – insbesondere auf den Gebieten des Bildungswesens und der kommunalen Ämter – keine umfassenden Besoldungsregelungen erlassen könne, ohne gegen Art. 79 Abs. 3 GG zu verstoßen. Daher sollte er sich diesbezüglich auf „allgemeine Grundsätze“ beschränken, an die die Länder aufgrund der Pflicht zur Bundestreue ihr eigenes Recht anpassen müssten (sog. „Anpassungsverpflichtung“). 470 Ebenfalls gegen die Auffassung, dass ganz bestimmte Kompetenzen in Länderzuständigkeit verbleiben müssen, Hanebeck, Bundesstaat, S. 294, 299 ff. 471 Harbich, Bundesstaat, S. 129. Vgl. auch Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 128 Rn. 217 und S. 131 Rn. 223, der sie als sinn- und identitätsstiftend für den deutschen Föderalismus bezeichnet; Schodder, Gewaltenteilung, S. 42; Wilhelm, ZBR 1971, S. 135. Explizit für die Länderhoheit auf dem Gebiet des Schulwesens, BVerfGE 6, 346 (346 f.). 472 Außerdem hatte der Bund auf diesem Gebiet in Art. 73 Nr. 9 GG die ausschließliche Kompetenz über den gewerblichen Rechtsschutz, das Urheberrecht und das Verlagsrecht, in Art. 74 Abs. 1 Nr. 5 GG die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz über den Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland und in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 und 12 GG über das Wirtschafts- und Sozialrecht (außerschulische berufliche Bildung), vgl. BVerfGE 55, 274 (274) sowie in Art. 75 Nr. 2 GG die Rahmenkompetenz über die allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse. Zu Verwaltungs- und Finanzierungszuständigkeiten auf diesem Gebiet, vgl. Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 128 Rn. 217.

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

sinnvoller, zur Bestimmung der Grenze des Art. 79 Abs. 3 GG eine Gesamtbetrachtung aller Länderkompetenzen vorzunehmen 473. Zum einen müssen die gesamten Länderkompetenzen dabei in ihrer Summe die Größe des Hausguts erreichen, zum anderen dürfen sie jedoch auch in den drei materiellen Funktionen, die der Gesetzgebung, der Verwaltung und der Rechtsprechung, ein gewisses Mindestniveau nicht unterschreiten 474. Mit einer solchen Interpretation lässt sich einerseits das erforderliche Maß an Flexibilität erzielen, andererseits schließt sie aber auch aus, dass eine der drei Gewalten auf einen einzigen Posten reduziert würde. Letzteres wäre nämlich im Prinzip möglich, wollte man alleine auf die Summe des Hausguts abstellen, wenn dafür gleichzeitig der Kompetenzbestand einer anderen Gewalt aufgewertet würde. Aufgrund der Tatsache, dass eine losgelöste, auf ein einzelnes Kompetenzfeld bezogene Betrachtung nicht möglich ist, ist die Grenze zwischen einer gerade noch zulässigen und einer bereits unzulässigen Verfassungsänderung zwar schwer zu ziehen. Andererseits fügt sich diese den Gesamtbestand der Länder berücksichtigende Auslegung in die von der Staatsrechtslehre bevorzugte Lesart des Art. 79 Abs. 3 GG, ohne sich, wie die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, zu ihren eigenen Prämissen in Widerspruch setzen zu müssen. Nach dieser Auffassung ist Art. 79 Abs. 3 GG als Ausnahmevorschrift und zur Vermeidung einer Konfrontation mit der Zwei-Drittel-Mehrheit der Volksvertretung grundsätzlich restriktiv zu interpretieren 475.

473 Zu der Maßgeblichkeit einer Gesamtbetrachtung Hesse, AöR 1973, S. 18; Bullinger, DÖV 1970, S. 767 und Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 174 Rn. 302. 474 Zumeist wird die Erhaltung der Länder, unabhängig davon, ob man für die Bestimmung des Art. 79 Abs. 3 GG auf ihre Staatsqualität oder, wie Hesse, auf ihre Funktionen abstellt, allein mit der Existenz eines Mindestbestandes politischer Gesetzgebungsbefugnisse gleichgesetzt. Denn nur dort könnten die Länder ihr von der Verfassung vorausgesetztes politisches Eigengewicht entfalten, vgl. Eicher, Landesparlamente, S. 49. Konkret sollte die Gesetzgebung nach Harbich, Bundesstaat, S. 128 f. deshalb in Bereichen erhalten bleiben, in denen, wie etwa im Kulturwesen, politische Entscheidungen getroffen werden können; Bullinger, DÖV 1970, S. 762 f., 767 und Hesse, AöR 1973, S. 16 ff. stimmten dem im Grunde zu, wollten den konkreten Umfang des Mindestbestandes aber von den Länderkompetenzen in Gemeinschafts- und Planungsaufgaben abhängig machen. Eine solch einseitige, allein auf die gesetzgebende Funktion der Länder abstellende Betrachtung kann nicht überzeugen. Nach der ursprünglichen Konzeption des Grundgesetzes war es gerade die Überlegenheit im Verwaltungsbereich, die die Länder ins annähernde Gleichgewicht gegenüber dem Bund bringen sollte. Auch und insbesondere diese Funktion ist daher bei der Frage, ob die Grenze des Art. 79 Abs. 3 GG erreicht ist, zu berücksichtigen. Vgl. dazu Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 122 f. Rn. 209: „Die Substanz ihrer Staatlichkeit liegt weniger in der Selbstbestimmung über die Staatsaufgaben als in der Selbstbestimmung über das Vollzugsinstrumentarium“. 475 Vgl. dazu Bryde, in: v. Münch / Kunig, GG – Band 3, Art. 79 Rn. 28; Dreier, in: Dreier, GG – Band 2, Art. 79 Abs. 3 GG Rn. 19 GG; Stern, Staatsrecht – Band I, S. 168; Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 79 Abs. 3 GG Rn. 6; Pieroth, ZRP 2008, S. 90;

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3. Bedeutung für die verfassungsrechtliche Entwicklung der bundesstaatlichen Ordnung Die soeben entwickelten Maßstäbe sind nunmehr auf die im vorangegangenen Kapitel aufgezeigten Verfassungsänderungen anzuwenden. In der Gesamtbetrachtung ist somit zu berücksichtigen, dass sich sowohl die Gesetzgebungsals auch die Verwaltungszuständigkeiten der Länder seit der Entstehung des Grundgesetzes reduziert, die Mitwirkungsbefugnisse des Bundesrates dagegen vermehrt haben. Es ist vor diesem Hintergrund kaum verwunderlich, dass im Zusammenhang mit den Grenzen des Art. 79 Abs. 3 GG die Überlegung aufkam, ob der verringerte Bestand eigener Länderkompetenzen durch die Mitwirkung über den Bundesrat kompensiert werden könne, die Länder also auch in dieser Beteiligung ihre Staatsnatur verwirklichen könnten 476. Inzwischen ist aber weitgehend anerkannt 477, dass es an der für eine solche Kompetenzkompensation notwendigen Äquivalenz zwischen Verlust und Zugewinn 478 fehlt. Dies ergibt sich zunächst aus folgenden Erwägungen: Der Bundesrat wirkt lediglich bei der Bundesgesetzgebung mit, hat also im Gegensatz zu den Ländern im Bereich ihrer eigenen Aufgabenwahrnehmung keine Vollkompetenz. Im AbstimmungsverfahHanebeck, Bundesstaat, S. 289. Dementsprechend soll ein „Berühren“ nach Art. 79 Abs. 3 GG nur „bei einer prinzipiellen Preisgabe der Grundsätze, nicht aber, wenn ihnen im allgemeinen Rechnung getragen wird und sie nur für eine Sonderlage aus evidenten sachlichen Gründen systemimmanent modifiziert werden“, vorliegen, BVerfGE 30, 1 (24 f.). 476 So Ziller, Bundesrat, S. 92; Böckenförde, in: Jekewitz (Hrsg.), Verfassung, S. 184 f., der „die staatliche Tätigkeit des Bundes dadurch gewissermaßen in sich selbst föderalisiert“ sah; Klein, in: Wilke (Hrsg.), Bundesrat, S. 365 f.; Smend, Abhandlungen, S. 270; auch heute noch Sachs, VVDStRL 1999, S. 47. In Bezug auf die etwas anders gelagerte Situation bei den Gemeinschaftsaufgaben: Scheuner, in: Listl (Hrsg.), Staatstheorie, S. 447 und der Bund-Länder-Planung: Bullinger, DÖV 1970, S. 772 f. und Hesse, AöR 1973, S. 30 ff. Letzt genannter hatte in demselben Aufsatz seine Meinung, dass eine Kompensation verloren gegangener Gesetzgebungsrechte über den Bundesrat möglich sei (Hesse, Unitarischer Bundesstaat, S. 23), revidiert, Hesse, AöR 1973, S. 38 und damit seine Bundesstaatstheorie insgesamt relativiert. 477 Möllers, Staat, S. 372 f. unter Betonung der Staatsqualität der Länder; Dolzer, VVDStRL 1999, S. 17; Schmalenbach, Föderalismus, S. 50; Lerche, in: Kirchhof (Hrsg.), Grundgesetz, S. 86; Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 120 Rn. 203; Scholz, in: Wilke (Hrsg.), Bundesrat, S. 255; Schodder, Gewaltenteilung, S. 127 ff.; Eicher, Landesparlamente, S. 53; Kewenig, in: Bundesrat (Hrsg.), Bundesrat, S. 477; Hesse, AöR 1973, S. 35 ff. 478 Klein, DVBl. 1981, S. 661 ff. versuchte in seinem Aufsatz erstmals für diese Argumentationsfigur klar umrissene Maßstäbe zu entwickeln. Voraussetzung sei ein faktisch defizitärer Rechtszustand (Ausgleichswürdigkeit), der auf rechtmäßige Weise ausgeglichen werden könne (Ausgleichszulässigkeit). In der Struktur sind diese Voraussetzungen den Analogievoraussetzungen also ganz ähnlich.

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

ren des Bundesrates gilt nach Art. 52 Abs. 3 Satz 1 GG das Mehrheitsprinzip, das heißt das einzelne Land kann seine Vorstellungen gegebenenfalls – entgegen dem föderalistischen Einstimmigkeitsprinzip 479 – nicht zur Geltung bringen. Und schließlich ist der Bundesrat nach Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GG mit Mitgliedern der Landesregierungen besetzt, während andernfalls die Landesparlamente entscheiden. Grundsätzlicher Art ist der Einwand, dass das politische Gewicht des Bundesrates von demjenigen der Länder abhänge 480. Nur in dem Maße, in denen die Länder über gewichtige Eigenkompetenzen verfügen, können sie sich als reale und nicht nur als Machtfaktoren der Bundesparteien im Bundesrat behaupten 481. Aufgrund dieses Abhängigkeitsverhältnisses ist eine Kompensation ausgeschlossen. Nicht bezweifeln wird man aber können, dass der Verlust autonomer Gestaltungsmöglichkeiten durch die Einführung eines Zustimmungstatbestandes bis zu einem gewissen Grad abgemildert wird 482. Diese Überlegung ist im Weiteren zu berücksichtigen. Die im Grundgesetz angelegte Verteilung, wonach die Vollzugstätigkeit schwerpunktmäßig den Ländern und die Gesetzgebungstätigkeit schwerpunktmäßig dem Bund zugeordnet ist, ist durch den Unitarisierungsprozess nicht aufgehoben worden 483. Der Ausbau der Bundesverwaltung ist nicht in einem Maße fortgeschritten, dass nunmehr der Bund in beiden Bereichen dominieren würde. Die Länder sind nach wie vor für die weit überwiegende Anzahl der Bundesgesetze vollzugszuständig 484. Dass der politische Entscheidungsspielraum aufgrund der regelungsintensiven Bundesgesetze und der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung erheblich reduziert wurde, ist keine Frage, die an Art. 79 Abs. 3 GG zu messen wäre. Diese Vorschrift schützt vor Verfassungsänderungen, die die Gliederung des Bundes in Länder berühren, nicht dagegen vor einer sich in der Verfassungswirklichkeit abzeichnenden Gleichgewichtsverschiebung, die in der Ursprungsfassung durch die 479 Zu der föderativen Gleichheit, Bauer, in: Dreier, GG – Band 2, Art. 20 GG Rn. 37; Grzeszick, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 GG Rn. 113. 480 So Bullinger, DÖV 1970, S. 767; zustimmend Hesse, AöR 1973, S. 38; Halstenberg, in: Bundesrat (Hrsg.), Bundesrat, S. 150. 481 Lerche, Verfassungsfragen, S. 40 f.; Bullinger, DÖV 1970, S. 767; Kisker, Kooperation, S. 294; Hesse, AöR 1973, S. 38. 482 Bullinger, DÖV 1970, S. 767; Bauer, in: Dreier, GG – Band 2, Art. 20 GG Rn. 24; Robbers, in: Sachs, GG, Art. 50 GG Rn. 13. 483 Dabei ist „Referenzgröße der Kompetenzbestand, wie ihn das Grundgesetz zu Anfang vorsah, in seiner Fassung vom 23. Mai 1949 (...)“, Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 174 Rn. 302. 484 Dafür sprechen auch die Beschäftigtenzahlen in Bund und Ländern. So betrug der Anteil der Beschäftigten des Bundes an der Gesamtzahl der Beschäftigten von Bund und Ländern zwischen 1971 und 1999 relativ konstant um die 20%, vgl. Schmid, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2002, S. 219. Kritisch dagegen Kilper / Lhotta, Föderalismus, S. 172.

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funktionale Aufgabenzuweisung bereits angelegt war. Am Rande sei hierzu angemerkt, dass sich in den letzten Jahren zudem eine erneute Akzentuierung der Entscheidungsspielräume der Verwaltung abzeichnet 485. Vor allem im Umweltund Wirtschaftsverwaltungsrecht ist angesichts der hohen Komplexität der zu regelnden Sachverhalte eine Tendenz zu offenen, lediglich Abwägungsdirektiven für die Verwaltung enthaltenden Normen feststellbar 486. Für die Frage, ob das Level des Hausguts unterschritten worden ist, hat die immer noch beherrschende Stellung der Länder im Verwaltungsbereich wesentliche Bedeutung. Wäre das in der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung zum Ausdruck kommende Gleichgewicht, auch wenn es in der Realität nicht das vom Parlamentarischen Rat gewünschte Ausmaß erreicht hat 487, durch ein Übergewicht oder auch nur eine Gleichberechtigung des Bundes im Verwaltungsbereich aufgehoben, wäre die Grenze des Art. 79 Abs. 3 GG erreicht 488. Allein der schmale Bereich der Gesetzgebungskompetenzen und der dazugehörigen Vollzugskompetenzen der Länder könnte nicht die geforderte Hausgutschwelle überschreiten. Als Ausgleich für den Verlust der Vollzugszuständigkeiten müsste den Ländern in einem solchen Fall ein Mehr an Gesetzgebungsrechten eingeräumt werden. Da im Verwaltungsbereich jedoch keine Umkehrung zugunsten des Bundes stattgefunden hat, war unter Berücksichtigung der angewachsenen „abmildernd“ wirkenden Zustimmungsrechte des Bundesrates die Größe des Hausgutes noch gewahrt. Allerdings darf in den einzelnen Aufgabengebieten zudem ein gewisses Mindestniveau nicht unterschritten werden. Ob diese Voraussetzung für die Gesetzgebungszuständigkeiten der Länder noch gegeben war, könnte zweifelhaft sein. Mit der Gesetzgebungszuständigkeit für die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens (Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a GG) und den Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91a Abs. 1 Nr. 1 und Art. 91b GG sind weitere Teile des Kulturwesens, mit der Gesetzgebungszuständigkeit für die Besoldung und Versorgung der Landesbeamten (Art. 74a Abs. 1 GG) ein wesentlicher Teil der Organisationshoheit der Länder auf den Bund übertragen worden. Der in diesem Zu485

Hanebeck, Bundesstaat, S. 268 ff. Hanebeck, Bundesstaat, S. 269. Vgl. dazu auch Zippelius / Würtenberger, Dt. Staatsrecht, S. 486 Rn. 1. 487 Von einem austarierenden Gleichgewicht geht Mußgnug auch heute noch aus, vgl. seine Ausführungen in der Aussprache zum Thema parlamentarisches Regierungssystem und Bundesrat, VVDStRL 1999, S. 98 f. Kritisch in seiner Replik, Sachs, S. 113; dagegen bejaht auch Huber, in: Blanke (Hrsg.), Bundesstaat, S. 33 die Kompensationskraft des „Exekutivföderalismus“ bis zu einem gewissen Grad. 488 Ebenso Pieroth, ZRP 2008, S. 91; anders Harbich, Bundesstaat, S. 126 f., der der Auffassung ist, dass die Vollzugszuständigkeit der Länder für die Bundesgesetze unter keinen Umständen dem Kernbereich des Art. 79 Abs. 3 GG unterfallen könne; ihm zustimmend Dreier, in: Dreier, GG – Band 2, Art. 79 Abs. 3 GG Rn. 25. 486

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sammenhang häufig erweckte Eindruck, dass den Ländern im Grunde kaum mehr gesetzgeberische Spielräume verblieben sind, erscheint in Anbetracht der Vielzahl erlassener Landesgesetze zwar überzogen. Dennoch dürfte die Übertragung der Gesetzgebungszuständigkeit für die Besoldung und Versorgung die äußerste Grenze dessen dargestellt haben, was mit Art. 79 Abs. 3 GG zu vereinbaren war 489. Das durch das Mindestniveau bezweckte Ziel, den Ländern in allen drei Bereichen ein wesentliches, substantielles Betätigungsfeld zu erhalten, war für den Gesetzgebungsbereich gerade noch – nur unter der für das Besoldungs- und Versorgungsrecht gemachten Einschränkung des Bundesverfassungsgerichts – gewährleistet. Mit der Verfassungsänderung von 1994 wurde der Wendepunkt dieser bedenklichen Entwicklung erreicht, da der Bund seine Gesetzgebungszuständigkeiten von da an nur noch unter verschärften Voraussetzungen wahrnehmen durfte. Es lässt sich abschließend festhalten, dass zu keinem Zeitpunkt die Gliederung des Bundes in Länder berührt war und daher kein Verstoß gegen dieses Kernelement des Bundesstaatsprinzips vorlag. II. Beeinträchtigung des Demokratieprinzips Die Entwicklung zu einem unitarischen Bundesstaat könnte sich auf das in Art. 20 Abs. 1 GG verankerte und durch Art. 79 Abs. 3 GG in seinen Grundzügen für unabänderlich erklärte Demokratieprinzip ausgewirkt haben. Um dieser Frage verfassungsrechtlich auf den Grund zu gehen, werden zunächst die für das Demokratieprinzip möglicherweise relevanten, tatsächlichen Folgen des unitarischen Bundesstaates aufgezeigt. 1. „Entparlamentarisierung“ und Verunklarung politischer Verantwortlichkeiten Die Unitarisierung hatte einen Bedeutungsverlust der Länderparlamente und des Bundesparlamentes sowie eine Zunahme intransparenter politischer Entscheidungen zur Folge. Alle drei Charakteristika eines unitarischen Bundesstaates haben sich negativ auf die Aufgabenwahrnehmung durch die Länderparlamente ausgewirkt 490. 489

So auch Wilhelm, ZBR 1971, S. 133; Vogel, in: Benda (Hrsg.), HdbVR, S. 1066 Rn. 56. Dagegen geht Degenhart, in: Dolzer / Vogel, Bonner Kommentar, Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG Rn. 12 davon aus, dass Art. 79 Abs. 3 GG berührt war, ohne daraus aber irgendwelche Konsequenzen zu ziehen; ebenso Eicher, Landesparlamente, S. 109 f. 490 „Ein bestimmtes Maß an Unterlegenheit des Landesparlamentes ist bereits in der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung (des Verwaltungsföderalismus, Anm. d. Verf.) angelegt“, Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 120 Rn. 201. Dieser Machtverlust betrifft die Parlamente an sich und nicht nur die parlamentarische Opposition.

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Unmittelbar einsichtig ist diese Konsequenz für die Konzentration von Gesetzgebungskompetenzen beim Bund. Aber auch dessen verstärkte Einflussnahme auf die Verwaltungsaufgaben der Länder und der damit verbundene Entzug der Gesetzgebungsmöglichkeit über Behörden- und Verfahrensregelungen haben dazu beigetragen. Diesen Machtzuwachs überhaupt erst ermöglicht und dadurch ebenfalls den Gestaltungsspielraum der Länderparlamente geschwächt, hatte die Praxis des Bundesrates, seine Mitwirkungsrechte als Mittel zu nutzen, die eigene Einflussnahme auf die Bundespolitik zu vergrößern. Schließlich ging die – teilweise auch verfassungsrechtlich institutionalisierte – Kooperation zwischen Bund und Ländern bzw. den Ländern untereinander zu Lasten der Länderparlamente. Sie wurde in erster Linie von der Exekutive betrieben, verfügte diese doch über die erforderlichen Daten und das Kontaktprivileg „in der Außenpolitik“ 491. Die Landtage hatten zwar formal das Gesetzgebungsrecht behalten, weshalb für die Wirksamkeit von Staatsverträgen ihre Zustimmung erforderlich war. In nicht seltenen Fällen wurden die ausgehandelten Gesetzesentwürfe und Staatsverträge aber mit der Begründung vorgelegt, der Text sei koordiniert und deswegen tabu 492. Die Mehrzahl der Länderparlamente nahm diese Beschränkung aus Gründen der Vertragstreue ohne wesentliche Widerstände hin 493. Zusätzlich behinderte die Kooperationstätigkeit die Ausübung der Kontrollfunktion der Landesparlamente, da ein unter allen Exekutiven ausgehandelter Kompromiss einer konkreten, individuellen Zurechenbarkeit deutliche Grenzen setzte. Neben den Länderparlamenten ist auch das Bundesparlament infolge der Unitarisierung in seiner Entscheidungsgewalt beschränkt worden. Die große Anzahl zustimmungsbedürftiger Gesetze machte regelmäßig ein Zusammenwirken von Bundestag und Bundesrat erforderlich. Die Entscheidungsfindung wurde dadurch erheblich erschwert und verlangsamt, weil in der Regel komplexe Paket- und Koppelungsgeschäfte zur Berücksichtigung aller Interessen notwendig waren. Besonders in Zeiten unterschiedlicher parteipolitischer Mehrheitsverhältnisse in Bundestag und Bundesrat 494 waren es vermehrt nur noch informelle Absprachen Dies wäre aber die Konsequenz, wenn Parlamentsmehrheit und Regierung eine Organeinheit bilden würden; so die sog. monistische Betrachtungsweise, Gehrig, DVBl. 1971, S. 633 Fn. 18; Oppermann, VVDStRL 1975, S. 64. Gegen diese Ansicht, Eicher, Landesparlamente, S. 56 ff. 491 Kisker, Kooperation, S. 123 ff. 492 Hesse, Unitarischer Bundesstaat, S. 20. 493 Friedrich, ZParl 1971, S. 454; „Ratifikationslage der Landesparlamente“, Kilper / Lhotta, Föderalismus, S. 202. 494 Dass es in solchen Zeiten tatsächlich zu einer gewissen Parteipolitisierung gekommen ist, belegt die empirische Untersuchung Strohmeiers, ZParl 2004, S. 722 ff. Interessanterweise zeigte sich diese eher durch regierungskonformes Verhalten in den Zeiten gleichgerichteter Mehrheitsverhältnisse als durch besonderes Blockadeverhalten in Zeiten

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der Parteiführungen oder die Anrufung des Vermittlungsausschusses, die ein für alle Seiten akzeptables Ergebnis hervorbringen konnten 495. Dabei handelte es sich nicht selten um Minimalkonsense, denen kein in sich schlüssiges Gesamtkonzept zugrunde lag, sondern die eher nach dem „do ut des – Prinzip“ zustande kamen 496. In – allerdings nur sehr vereinzelten – Fällen sind politisch bedeutsame Gesetzesvorhaben aufgrund parteipolitischer Gegensätze sogar gescheitert 497. Die Kooperation und die spezifische Arbeitsweise des Bundesrates zeigten sich auch deshalb als problematisch, weil sie eine Verschleierung politischer Verantwortlichkeiten begünstigten. Die in beiden Fällen ob der Beteiligung verschiedener Akteure notwendigen Kompromisse wurden häufig nicht öffentlich – in Kooperationsgremien oder im Vermittlungsausschuss – ausgehandelt 498. Die Parlamente stimmten lediglich über die dort erzielten Ergebnisse ab, ohne eine inhaltliche Diskussion zu führen, eine Konsequenz, die bei den Änderungsvorschlägen des Vermittlungsausschusses aus der grundgesetzlichen 499 Ausgestaltung des Verfahrens, bei den Kooperationsabsprachen aus faktischen Zwängen resultierte. Die fehlende Diskussion in den Parlamenten führte zu einer „volonté des tous“, also zu einer organisierten Verantwortungslosigkeit 500. Sobald ein Erfolg erzielt wurde, rechnete ihn sich jeder zu, bei einem Misserfolg sollte dagegen stets der andere verantwortlich sein 501. Für den Wähler war diese Situation misslich, weil nur noch schwer feststellbar war, auf welchen Einfluss ein Gesetzesprojekt oder eine bestimmte Koordinationsmaßnahme zurückging.

unterschiedlicher Mehrheitsverhältnisse. Insgesamt wurde der Bundesrat in den 59 Jahren seit Bestehen der Bundesrepublik ca. 17 Jahre lang von der jeweiligen Oppositionsmehrheit und ca. 15 Jahre von der jeweiligen Regierungsmehrheit beherrscht. In dem übrigen Zeitraum hingen die Mehrheitsverhältnisse von dem Abstimmungsverhalten der „neutralen“ Länder ab. Errechnet aus den Daten von Schindler, Datenhandbuch: 1949 bis 1982, S. 2440 ff. und Feldkamp / Ströbel / Schindler, Datenhandbuch: 1994 bis 2003, S. 581 f. 495 Dafür spricht die Anzahl der einberufenen Vermittlungsverfahren, die sprunghaft angestiegen ist, sobald die Mehrheitsverhältnisse in Bundestag und Bundesrat divergierten. So lag die Quote im Zeitraum von 1972 bis 1980 bei ca. 21% und im Zeitraum von 1994 bis 2002 bei ca. 15 %. In der Mehrzahl der Fälle werden die Beschlüsse des Vermittlungsausschusses vom Bundestag akzeptiert. 496 BT-Drs. 16/813, S. 7; Scharpf, Der deutsche Föderalismus – reformbedürftig und reformierbar?, http://www.mpi-fg-koeln.mpg.de/pu/workpap/wp04-2/wp04-2.html, S. 2: „Bestenfalls widersprüchliche und verkorkste Kompromisse“. 497 So z. B. die sog. Große Steuerreform unter der Regierung Kohl im Oktober 1997 und das Zuwanderungsgesetz unter der Regierung Schröder im Juni 2002. 498 Nach § 6 Abs. 3 Satz 2 GOVA ist für Nichtausschussmitglieder grundsätzlich ein besonderer Zulassungsbeschluss erforderlich. 499 Art. 77 Abs. 2 Satz 5 GG und § 10 Abs. 2 GOVA; der Vermittlungsausschuss erarbeitet lediglich einen Einigungsvorschlag, den der Bundestag insgesamt annehmen oder ablehnen kann. 500 Huber, Föderalismusfalle, S. 13.

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2. Verfassungsrechtliche Bewertung anhand des Demokratieprinzips Bei der Frage, inwiefern das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG durch die beschränkten Handlungsspielräume der Parlamente und die Verschleierung eindeutiger politischer Verantwortlichkeiten berührt wurde, ergeben sich folgende Überlegungen. a) Funktionsverlust der Parlamente Als Kernelement des Demokratieprinzips normiert Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG, dass alle Staatsgewalt – dies gilt selbstverständlich auch für die Länder 502- vom Volke ausgeht. In welchem Umfang die Staatsgewalt aber vom Bund bzw. von den Ländern ausgeübt wird, hat, solange sie nur überhaupt vom Volk ausgeübt wird, keine Bedeutung für das Demokratieprinzip. Insofern stellen sich die Kompetenzverschiebungen zugunsten des Bundes in demokratischer Hinsicht nicht als Gefahr dar. Anderes könnte aber bezüglich der Kooperationstätigkeit gelten 503, die möglicherweise sowohl die Gesetzgebungsfunktion als auch die Kontrollfunktion der Länderparlamente einschränkt. Zu berücksichtigen ist indes, dass die Länderparlamente rechtlich in keiner Weise an die getroffenen Absprachen gebunden sind, so dass ihre Gesetzgebungsfunktion zumindest nicht in einer das Demokratieprinzip gefährdenden Weise beeinträchtigt wird. Die insoweit aufgrund der faktischen Zwänge eintretende Schwächung wird man um der effektiven Aufgabenwahrnehmung willen hinnehmen müssen 504. Im Ergebnis mit ähnlichen Erwägungen verneinen lässt sich die Frage, ob die parlamentarische Kontrollfunktion behindert wird. Die Landesregierungen nehmen aus eigener Bestimmung an den Kooperationsabsprachen teil 505 und sind deshalb für den von ihnen mitgetragenen Kompromiss voll verantwortlich. Die in Bezug auf die Kontrollfunktion wesentliche Möglichkeit des Sichtbarmachens von Verantwortlichkeiten 506 bleibt daher auch in diesen Fällen in vollem Umfang erhalten. 501 V. Arnim, in: v. Arnim (Hrsg.), Föderalismus, S. 25. Im Englischen als „creditclaiming“ und „scape-goating“ bezeichnet. Nicht zuletzt das Scheitern der Föderalismuskommission selbst und die sich daran anschließenden, für Außenstehende schwer nachvollziehbaren Schuldzuweisungen geben hierfür ein eindrucksvolles Beispiel ab. 502 BVerfGE 83, 60 (71); 93, 37 (66). 503 Kisker, Kooperation, S. 120 ff. hatte die negativen Auswirkungen der Kooperationstätigkeit unter die Punkte „Fremdbestimmung“ und „basisferne Herrschaft“ gefasst. 504 In diese Richtung Kisker, Kooperation, S. 135. Dagegen mit dem Vorwurf der dezisionistischen Betrachtungsweise, Eicher, Landesparlamente, S. 59: Willensbildung und Entscheidung sind als einheitlicher Prozess zu betrachten. Zur Entparlamentarisierung politischer Entscheidungen allgemein, Zippelius / Würtenberger, Dt. Staatsrecht, S. 93. 505 Anders aber Eicher, Landesparlamente, S. 69. 506 Eicher, Landesparlamente, S. 69.

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Auf Bundesebene war es die nicht vorausgesehene Stellung des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren, die wiederholt Anlass zu der bereits überwunden geglaubten 507 Frage gab, ob sie überhaupt mit dem Demokratieprinzip vereinbar sei 508. Ausgangspunkt derartiger Überlegungen ist die Feststellung, dass sich die – mittelbare – demokratische Legitimation des Bundesrates nicht von der Aktivbürgerschaft des Bundes, sondern von der von dieser streng zu unterscheidenden Aktivbürgerschaft der Länder ableite 509. Die Mitwirkung des Bundesrates an den Entscheidungen der Bundesstaatsgewalt stelle sich vor diesem Hintergrund als eine Beteiligung fremder Kräfte und damit als demokratisches Defizit dar. Dieses Defizit werde allerdings durch die deutsche Besonderheit, dass die gleichen Parteien auf Landes- und Bundesebene vertreten seien, politisch überlagert und neutralisiert 510. Nach diesem Verständnis müsste jede Beteiligung einer durch Gliedstaaten legitimierten Zweiten Kammer an Entscheidungen der Zentralgewalt zu einem Defizit an demokratischer Struktur führen. Schon der Ansatzpunkt dieser These, und erst recht deren Konsequenz, vermag aber in keiner Weise zu überzeugen. Die Summe der einzelnen Landesvölker ist mit dem Volk des Bundes identisch, so dass der Legitimationsursprung stets das Gesamtvolk ist 511. Es ist deswegen keine fremde Kraft, auf die der Bundesrat sich zurückführen lässt, auch wenn sich der ihm zugrunde liegende Legitimationsvorgang von der Wahl des Bundestages unterscheidet. Allerdings wird das Prinzip des parlamentarischen Regierungssystems im Grundgesetz wegen der dort ebenfalls vorgesehenen Mitwirkung des Bundesrates bei der Gesetzgebung nicht auf idealtypische Weise verwirklicht. Eine solche Verwirklichung in Reinform ist überhaupt nur in einem Einheitsstaat anzutreffen, etwa in dem britischen Westminster-Modell. Darin hat die durch das Volk „zur Herrschaft auf Zeit“ demokratisch legitimierte Regierungspartei es alleine in der Hand, ihr Regierungsprogramm umzusetzen, während die Oppositionspartei auf Überwachung und Kontrolle beschränkt ist 512. Die wesentliche Teilhabe des 507 Grundlegend zu einer Antinomie zwischen Demokratie und Bundesstaat, Schmitt, Verfassungslehre, S. 388 f. Ablehnend gegenüber dieser Fehldeutung, Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 161 Rn. 278 und Hanebeck, Bundesstaat, S. 278 ff. 508 Zweifelnd Weber, Spannungen, S. 80; vgl. auch Scharpf, „Föderale Politikverflechtung: Was muss man ertragen – was kann man ändern?“, April 1999, www.mpi-fg-koeln .mpg.de/pu/workpap/wp99-3/wp99-3.html, S. 3. 509 Böckenförde, in: Jekewitz (Hrsg.), Verfassung, S. 190. 510 Böckenförde, in: Jekewitz (Hrsg.), Verfassung, S. 190. 511 Stern, Staatsrecht – Band I, S. 737; Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 37 Rn. 62 und S. 162 Rn. 278; Dreier, in: Dreier, GG – Band 2, Art. 20 GG Rn. 95; gegen dieses als zentralistisch bezeichnete Demokratieverständnis, Hanebeck, Bundesstaat, S. 271 ff.: Es bestehen zwei getrennte, eigenständige Legitimationssubjekte und kein dahinter stehendes einheitliches Gesamtvolk. 512 Scharpf, „Föderale Politikverflechtung: Was muss man ertragen – was kann man ändern?“, April 1999, www.mpi-fg-koeln.mpg.de/pu/workpap/wp99-3/wp99-3.html, S. 2.

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Parlamentes an der Staatslenkung (Staatsleitungsteilhabe) 513 als eines der zwei 514 typusbestimmenden Merkmale des parlamentarischen Regierungssystems wird dort in allerhöchstem Maße ohne jegliche Abschwächung realisiert. Die grundgesetzlich vorgesehene Mitwirkung des Bundesrates im Falle der Zustimmungsgesetzgebung begrenzt dagegen die Entscheidungsfreiheit der Bundestagsmehrheit. Dies gilt nicht nur, wenn im Bundesrat die Opposition in der Mehrheit ist und der Zwang zur materiellen Allparteienregierung besteht 515, sondern darüber hinaus auch dann, wenn beispielsweise eine Orientierung an Länderinteressen erfolgt. Denn auch in letzterem Fall ist die Regierungsmehrheit gegebenenfalls gezwungen, von der umfassenden Verwirklichung ihres Regierungsprogramms Abstand zu nehmen 516. Eine Beeinträchtigung des Prinzips des parlamentarischen Regierungssystems ist damit indes nicht verbunden 517. Dieses Prinzip erlaubt Systemvarianten, das heißt die beiden wesentlichen Kernelemente können, soweit sie nur grundsätzlich und in ausreichendem Umfang erhalten bleiben, auf unterschiedliche Weise ausgestaltet werden 518. Das Grundgesetz weist dem Bundestag trotz der in bestimmten Fällen vorgesehenen gleichberechtigten Mitbestimmung des Bundesrates einen wesentlichen Anteil an der Staatsleitung zu. Auch die Zunahme der zustimmungspflichtigen Bundesgesetze stellt das geforderte Maß an Teilhabe des Parlamentes nicht in Frage 519. In der Bundesrepublik hat das parlamentarische Regierungssystem durch die Normierung der Zustimmungstatbestände als Aus513

Stern, Staatsrecht – Band I, S. 956. Die Abhängigkeit der Bundesregierung von dem Vertrauen des Parlamentes (sog. Vertrauenserfordernis) ist das andere wesentliche Kernelement, das aber durch die Mitwirkung des Bundesrates nicht berührt wird, Stern, Staatsrecht – Band I, S. 956. 515 Nur in diesem Kontext aber Böckenförde, in: Jekewitz (Hrsg.), Verfassung, S. 191. Kritisch gegenüber diesem Begriff, Sachs, VVDStRL 1999, S. 59. In diesem Fall wird auch die Rolle der Opposition im Bundestag verändert, da sie sich für ein einheitliches politisches Auftreten mit der Mehrheit im Bundesrat koordinieren muss. 516 Zu dem Vorteil einer solchen Mäßigung, die sich dem Ideal des allseitigen Einverständnisses annähert, Sachs, VVDStRL 1999, S. 59. 517 So auch Stern, Staatsrecht – Band I, S. 1016. Anders Böckenförde, in: Jekewitz (Hrsg.), Verfassung, der sodann darauf abstellt, dass das Demokratieprinzip generell und auch im Grundgesetz, wie sich aus Art. 20 Abs. 2 GG ergibt, kein parlamentarisches Regierungssystem voraussetzt. Auch das demokratische Mehrheitsprinzip wird durch die Mitwirkung des Bundesrates nicht beeinträchtigt, da es in einem demokratischen Bundesstaat eben nur dort uneingeschränkt gilt, wo die Verfassung es zulässt, so aber Huber, in: Blanke (Hrsg.), Bundesstaat, S. 24. 518 Schneider, in: Benda (Hrsg.), HdbVR, S. 539 Rn. 2. 519 Kritisch Dolzer, VVDStRL 1999, S. 21 ff. bei dem deutlich zum Vorschein kommt, dass er das parlamentarische Regierungssystem dadurch massiv bedroht sieht. In diese Richtung auch Hermes, in: Dreier, GG – Band 3, Art. 84 GG Rn. 34 und 50 und Röttgen / Boehl, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 19 f., die aber das im Grundgesetz nicht verwirklichte Westminster-Modell bei ihrer Bewertung zugrunde legen. 514

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

fluss des Bundesstaatsprinzips lediglich eine spezielle Ausprägung erfahren 520, stellt also eine zulässige Systemvariante dar 521. An dieser Stelle kommen die Elemente einer gemischten Verfassung zum Tragen, in der die föderale Legitimation ergänzend neben die demokratische tritt 522. Ebenfalls in Einklang mit dem Demokratieprinzip steht die aus dieser Konstellation gelegentlich resultierende Folge 523 der Einberufung des Vermittlungsausschusses. Dieser besitzt selbst keine Entscheidungsbefugnis, sondern gibt lediglich Empfehlungen ab, die die gesetzgebenden Körperschaften entweder annehmen oder ablehnen können. Der endgültige Gesetzesbefehl bleibt daher den Gesetzgebungsorganen vorbehalten. b) Zuordnung politischer Verantwortlichkeiten Fragwürdiger ist, ob die erschwerte Zuordnung politischer Verantwortlichkeiten, die aus der Diskussionsverlagerung in den Vermittlungsausschuss oder in Kooperationsgremien resultiert, mit dem Demokratieprinzip vereinbar ist. Die Demokratie, so führt das Bundesverfassungsgericht in seiner Maastricht-Entscheidung aus, ist von einer „ständigen freien Auseinandersetzung zwischen sich begegnenden sozialen Kräften, Interessen und Ideen, in der sich auch politische Ziele klären und wandeln und aus der heraus eine öffentliche Meinung den politischen Willen vorformt 524 “ abhängig. Aufgabe des Parlamentes ist es dabei „Forum für Rede und Gegenrede“ 525 zu sein; es soll eine entsprechende Sachdiskussion in der Bevölkerung anstoßen und dadurch eine kollektive Mei520 Würtenberger, in: Duso (Hrsg.), Konsens, S. 363. Kritisch hierzu Dolzer, VVDStRL 1999, S. 19 ff. 521 Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 162 Rn. 278 leitet daraus das Erfordernis einer Konkordanzdemokratie ab. Anders aber Huber, Föderalismusfalle, S. 17 f., der eine strukturelle Präponderanz des demokratischen Prinzips und damit auch einen strukturellen Vorrang des Bundestages vor dem Bundesrat annimmt. So bereits schon das Sondervotum Schäfers zum Schlussbericht der Enquete-Kommission, BT-Drs. 7/5924, S. 109. Diese Annahme ist angesichts des gleichberechtigten Nebeneinanders von Demokratie- und Bundesstaatsprinzip in der Verfassung jedoch nicht überzeugend. Ablehnend auch Stern, Staatsrecht – Band I, S. 739; Sachs, VVDStRL 1999, S. 44. 522 Stern, Staatsrecht – Band I, S. 735 und 740: Einflussrechte des Bundesrates sind „primär föderativ und erst sekundär demokratisch“ legitimiert; Zippelius / Würtenberger, Dt. Staatsrecht, S. 143 Rn. 14; Sachs, VVDStRL 1999, S. 44 und in: Sachs, GG, Art. 20 GG Rn. 61; Heitsch, Ausführung, S. 209; treffend erscheint die Bezeichnung Mertens in der Aussprache zu dem Thema parlamentarisches Regierungssystem und Bundesrat, VVDStRL 1999, S. 125: „Parlamentarisch föderatives Regierungssystem“. 523 Dass seine Anrufung der Regelfall ist, lässt sich statistisch nicht belegen. So aber die Behauptung von Jahn, in: Wilke (Hrsg.), Bundesrat, S. 379. 524 BVerfGE 89, 155 (185) – Maastricht-Entscheidung, Urteil vom 12. Oktober 1993. 525 BVerfGE 10, 4 (13); 70, 324 (358); 103, 44 (63). Zu der Öffentlichkeit als wesentlicher Bestandteil des demokratischen Prinzips, vgl. Stern, Staatsrecht – Band I, S. 962;

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nungsbildung ermöglichen. Diese Kommunikationsfunktion – die im Übrigen in beiden Richtungen, also auch vom Parlament zum Volk stattfindet 526 – erfordert es, dass „die Entscheidungsverfahren der Hoheitsgewalt ausübenden Organe und die jeweils verfolgten politischen Zielvorstellungen allgemein sichtbar und verstehbar sind“ 527. Nur solange das gewährleistet ist, können die Wahlen ihre für die Demokratie konstitutive Funktion in zweierlei Hinsicht erfüllen: Zum einen retrospektiv, indem der Bürger die Regierung durch seine Abwahl zur Verantwortung ziehen bzw. ihr mit seiner Wiederwahl seine Zustimmung ausdrücken kann (Kontrollfunktion), zum anderen prospektiv, indem er durch die Wahl einer bestimmten Partei mit ihrem spezifischen Programm die Grundlinien der Politik beeinflussen kann 528. Ist für den Wähler dagegen nicht erkennbar, auf wen die Politik zurückzuführen ist bzw. mit wem und welchem Programm die Politik in Zukunft gestaltet wird, fehlt ihm eine wichtige Entscheidungsgrundlage für sein „doppelfunktionales“ Wahlverhalten. Dies fördert politisches Desinteresse und die Gefahr von Wahlenthaltungen. Schlimmstenfalls kann es zur Entfremdung von dem politischen System und zu dessen Destabilisierung führen 529. Allerdings wird der endgültige legislative Sanktionsbefehl sowohl bei der Einberufung des Vermittlungsausschusses als auch bei Kooperationsabsprachen von den öffentlich tagenden Parlamenten, gegebenenfalls unter Mitwirkung des Bundesrates getroffen 530. Das Gebot der Öffentlichkeit als Teil des Demokratieprinzips wird dabei nicht nur formell verwirklicht, indem die endgültigen Entscheidungen in den öffentlich tagenden Parlamenten fallen, sondern auch materiell, weil sein Sinn und Zweck gewahrt bleibt. Die Öffentlichkeit soll die Erkenn- und Verstehbarkeit der getroffenen politischen Entscheidungen gewährleisten und den Bürger dadurch eine gezielte Ausübung seines Wahlrechts ermöglichen. Da in den beschriebenen Fällen das Abstimmungsthema mitgeteilt und zudem das Abstimmungsverhalten der einzelnen Abgeordneten für Jedermann sichtbar gemacht wird 531, sind diese Voraussetzungen erfüllt. Die teilweise Verlagerung der Sachdiskussionen aus den Parlamenten heraus mag zwar die züPieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20 GG Rn. 11; Dreier, in: Dreier, GG – Band 2, Art. 20 GG Rn. 83. 526 Magiera, Parlament, S. 156. Zu dieser Rückkoppelung, Heitsch, Ausführung, S. 126 f. 527 BVerfGE 89, 155 (185). 528 Grimm, in: BMI (Hrsg.), Bewährung, S. 54 f. 529 Sturm / Zimmermann-Steinhart, Föderalismus, S. 133. 530 Der Vermittlungsausschuss als „nichtverantwortliches Vorbereitungsorgan“, Sachs in der Aussprache zu dem Thema parlamentarisches Regierungssystem und Bundesrat, VVDStRL 1999, S. 110. 531 So ebenfalls Sachs, VVDStRL 1999, S. 60 mit dem Hinweis, dass der Eingang der eigenen, programmatischen Vorstellungen in das Gesetz deutlich gemacht werden kann.

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

gige Zuordnung eindeutiger politischer Verantwortlichkeiten erschweren 532; eine Verletzung des Demokratieprinzips kann darin indes nicht gesehen werden 533. III. Bundesstaats- und Demokratieprinzip als Optimierungsgebote? Auch wenn das Demokratie- und Bundesstaatsprinzip durch die bisherige verfassungsrechtliche Entwicklung nicht beeinträchtigt worden sind, könnten sie doch als Optimierungsgebote auf eine bestimmte Ausgestaltung des Grundgesetzes hinwirken. Das Bundesstaatsprinzip ist jedoch kein „gleichsam vorgefertigtes, konfektioniertes System“ 534, das a priori ein feststehendes Konzept erfordert. Vielmehr erfährt es erst durch die Ausformung in der jeweiligen Verfassung seine konkrete Gestalt. Außerhalb der Grenzen des Art. 79 Abs. 3 GG ist seine Komposition daher dem Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers anheim gestellt. Das Bundesstaatsprinzip kann aus diesem Grunde keine Anleitung zu einer speziellen Konzeption geben, sondern umgekehrt lässt sich erst aus der konkreten Verfassungslage das Wesen des jeweiligen Bundesstaates erschließen 535. Dem Demokratieprinzip dagegen wohnt mit seinem zentralen Anliegen, die freie Selbstbestimmung des Volkes zu gewährleisten (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG), eine solche Direktionskraft inne 536. Es zielt auf eine Verfassungsordnung, die es dem Bürger ermöglicht, Verantwortungen schnell und eindeutig zuzuordnen, um auf diese Weise seinen Anspruch auf Selbstbestimmung in höchstem Maße verwirklichen zu können 537. Aus dieser Funktion kann dennoch kein Handlungs532 Die Verantwortung für ein nach dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses zustande gekommenes Gesetz muss die zustimmende Mehrheit des Bundestages alleine gegenüber dem Wahlvolk tragen. Eine gemeinsame Verantwortung zwischen Bundesrat und Bundestag gibt es nicht, da beide Organe in unterschiedliche parlamentarische Verantwortungszusammenhänge eingebunden sind, anders aber Sachs, VVDStRL 1999, S. 59 f. Kritisch dazu Heitsch, Ausführung, S. 201. 533 So auch Hanebeck, Bundesstaat, S. 314 mit dem Argument, dass das Grundgesetz mit der Einrichtung des Vermittlungsausschusses genau diese Form der Verunklarung von Verantwortlichkeit vorsieht. 534 Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 6 Rn. 5. 535 Dagegen soll das Bundesstaatsprinzip nach Huber, in: Blanke (Hrsg.), Bundesstaat, S. 26 einer Verfassungslage widerstreiten, bei der die Länder in die Nähe des von Art. 79 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich missbilligten Zustandes geraten. 536 Huber, Föderalismusfalle, S. 18; ders., Gutachten, in: 65. Juristentag – Band 1, D 36 f. und D 40; entgegen Huber lässt sich ein Gebot dergestalt, dass der Bundestag gegenüber dem Bundesrat ein möglichst großes Maß an Entscheidungsgewalt inne haben sollte, mangels eines Vorranges des Demokratieprinzips nicht ableiten; ablehnend auch Hanebeck, Bundesstaat, S. 85. 537 Huber, in: Blanke (Hrsg.), Bundesstaat, S. 24, 55; Kadelbach, VVDStRL 2007, S. 38: „Das im demokratischen Prinzip normativ verwurzelte Ideal der Autonomie (...)

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gebot des verfassungsändernden Gesetzgebers hergeleitet werden 538. Dies würde die Wirkungskraft des Demokratieprinzips übersteigen. Allerdings gibt es dem verfassungsändernden Gesetzgeber bei seinem Handeln einen verfassungspolitischen Maßstab an die Hand; die Föderalismusreform erweist sich in dieser Hinsicht daher zugleich als wichtiges Demokratieprojekt 539.

B. Realpolitische Reformgründe des verfassungsändernden Gesetzgebers Die negativen Konsequenzen der unitarischen Entwicklung, wie sie gerade zuvor beschrieben wurden, waren über Jahre bekannt, ohne jedoch zu durchgreifenden Reformschritten geführt zu haben 540. Ganz im Gegenteil verhalf die Wiedervereinigung dem kooperativen Föderalismus angesichts der finanziellen Abhängigkeit der neuen Länder sogar wieder zu neuer Blüte 541. Was also hatte sich verändert, dass nach all dem Zuwarten Ende der Neunziger ein Klima entstand, das eine Neuordnung der bundesstaatlichen Ordnung als nahezu unerlässlich erscheinen ließ? Insgesamt haben im Wesentlichen drei Umstände zu dem Aufbau des politischen Reformdruckes beigetragen: die eingeschränkte Handlungsfähigkeit aller staatlichen Ebenen, die fehlende Europatauglichkeit des Grundgesetzes und die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung zu den 1994 neu gefassten Art. 72 Abs. 2 GG und Art. 75 Abs. 2 GG. In diesem Zusammenhang ist es zunächst notwendig, sich die äußeren Gegebenheiten und Umbrüche der neunziger Jahre vor Augen zu führen. Die Arbeitslosenquote war zwischenzeitlich auf über 10% gestiegen und es zeigte sich, dass die sozialen Sicherungssysteme aufgrund der veränderten Altersstruktur und des Verlustes von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen nicht hält indessen dazu an, den Grad der Verflechtung gering zu halten“; Kluth, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Einleitung Rn. 37. 538 Dagegen Huber, in: Blanke (Hrsg.), Bundesstaat, S. 22 ff.: Entflechtung als Verfassungsgebot. 539 So die Formulierung von Röttgen / Boehl, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 20. 540 Berlit, in: v. Arnim (Hrsg.), Föderalismus, S. 70 konstatierte deswegen kein Konzeptions-, sondern ein Umsetzungsdefizit. Das bestehende System hatte auch eine Reihe von Vorteilen mit sich gebracht. So beruhten die verabschiedeten Vorhaben beispielsweise stets auf einem breiten Konsens, was Radikallösungen verhinderte und die Lasten notwendiger Reformen gleichmäßig verteilte, Grimm, in: BMI (Hrsg.), Bewährung, S. 55. 541 Bauer, DÖV 2002, S. 841; Münch, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2001, S. 117: „Situative Zentralisierung“ infolge der deutschen Wiedervereinigung; vgl. auch den Redebeitrag der mecklenburg-vorpommerischen Landtagspräsidentin Bretschneider, Föderalismuskonvent der deutschen Landesparlamente, http://www.landtag.ltsh.de/aktuell/daten _aktuell/luebecker-konvent/doku_foederalismus-konvent.pdf.

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

zukunftsfähig waren. Die daraus resultierenden, steigenden Sozialausgaben und die Folgen der Wiedervereinigung belasteten die öffentlichen Haushalte, was den Entscheidungsspielraum der öffentlichen Hand merklich reduzierte, zumal seit dem Inkrafttreten des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes 542 eine Verschuldensobergrenze bestand. Verschärfend trat der intensivierte internationale Standortwettbewerb hinzu, eine Folge der rasant voranschreitenden Europäisierung und Globalisierung und der bis heute anhaltenden stärker werdenden Vernetzung im Wirtschafts-, Finanz- und Informationsbereich. Die nationale Ebene konnte den differenzierten Bedürfnissen der einzelnen Wirtschaftszweige, die unmittelbar mit dieser soeben beschriebenen Entwicklung einhergingen, nur noch sehr eingeschränkt gerecht werden 543. Im innerdeutschen Raum markierte der Beitritt der ostdeutschen Länder zur Bundesrepublik eine einschneidende Zäsur in der Föderalismusentwicklung. Waren die alten Bundesländer in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht, aber auch was den Politikstil anbetraf eher homogen strukturiert 544, hatte sich diese Situation durch die Wiedervereinigung grundlegend verändert 545. Besonders augenfällig wird dieser Befund, wenn man sich mit der Finanzsituation der einzelnen Bundesländer befasst. Das jahrzehntelang in der Politik dominierende Ziel der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse war aufgrund der gravierenden Differenzen in weite Ferne gerückt. Aber nicht nur tatsächlich, sondern auch mental hatte man sich zumindest auf der westdeutschen Seite in den reicheren Bundesländern von dieser Vorstellung, die politisch eine Orientierung an dem schwächsten Glied erfordert hätte 546, distanziert 547. In den Vordergrund gerückt waren stattdessen die Chancen unterschiedlicher Landespolitik, gern unter dem 542 Die 1992 beschlossenen, aber erst 1999 in Kraft getretenen Maastrichtkriterien. Die Staatsverschuldung darf danach nicht mehr als 3 % des BIP betragen. 543 Darauf hat vor allem Scharpf immer wieder hingewiesen, „Der deutsche Föderalismus – reformbedürftig und reformierbar?“, Mai 2004, http://www.mpi-fg-koeln.mpg.de /pu/workpap/wp04-2/wp04-2.html, S. 2 f.; vgl. auch Clement, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2002, S. 18: Inflexible bundeseinheitliche Regelungen als Hemmschuh im Wettbewerb um Investitionen und Arbeitsplätze; „für die Wirtschaft ein echter Standortnachteil“, Blanke / Schwanengel, in: Blanke (Hrsg.), Bundesstaat, S. 19. 544 Münch, in: Meier-Walser (Hrsg.), Föderalismus, S. 90. 545 Heraufbeschworen wurde das Bild eines„asymmetrischen Föderalismus mit zwei Geschwindigkeiten“, Benz, in: Seibel (Hrsg.), Verwaltungsreform, S. 460; in diese Richtung ebenfalls Abromeit, Einheitsstaat, S. 124: „Zwei-Klassen-Föderalismus“ und Kilper / Lhotta, Föderalismus, S. 252 f. 546 Schon die vorläufige Finanzverfassung vom 16. Mai 1990 zeugte davon, dass die westdeutschen Länder vornehmlich ihre eigenen Interessen verfolgten und nicht bereit waren, zugunsten der neu zu schöpfenden Ostländer auf eigene Vorteile zu verzichten, Abromeit, Einheitsstaat, S. 85 ff. 547 Deutlich wird dies an Spannungen in den Fragen des Finanzausgleichs; Jeffery, in: Meier-Walser (Hrsg.), Föderalismus, S. 53 ff. zählte daneben als weitere Indizien für den Wandel zu einem neuen Föderalismusverständnis folgende Punkte auf: die Differen-

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Schlagwort des „Wettbewerbsföderalismus“ zusammengefasst. Gleichzeitig hat auch der Prozess der Europäischen Integration zu einer Rückbesinnung auf regionale Besonderheiten geführt 548. Zu verdanken ist dies der vom Europäischen Parlament in ganz Europa angestoßenen Bewegung des Regionalismus 549 und der erfolgreichen Verankerung des Subsidiaritätsprinzips in den Verträgen von Maastricht 550 und Amsterdam sowie in dem von dem Europäischen Konvent ausgearbeiteten Verfassungsentwurf 551. Das regionale Bewusstsein der Politiker hatte im Zuge dieser Entwicklungen in allen Ländern, nicht nur in den das Leitbild des Wettbewerbsföderalismus propagierenden, deutlich zugenommen 552. Mithin kam es auch innerhalb der Parteien zu inhaltlichen Differenzen zwischen Politikern der Bundes- und Landesebene 553 und folglich zu dem, was amerikanischen Politikwissenschaftlern als Garantie eines wirkungsvollen Föderalismus gilt 554, nämlich zu einem stärker dezentralisierten Parteiensystem 555.

zierung der Wirtschaftskraft, unterschiedliche Politikgestaltung, neue Kompetenzpolitik, Betonung von landeseigenen Politikinteressen in der Europapolitik, Bayerisches AgendaSetting und ein veränderter, mehr länderfokussierter Parteienwettbewerb. 548 Mayntz, AöR 1990, S. 233: „Überraschende Gleichzeitigkeit von Globalisierung und neu erwachendem Regionalismus, der (...) föderalistische Strukturen mit neuem Leben erfüllen könnte“; dazu auch Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 131 Rn. 221 mit dem Hinweis, dass Ende der siebziger Jahre eine Wende zur Bewahrung der natürlichen und kulturellen Umwelt stattgefunden hat. Zu den Gründen, Mayntz, AöR 1990, S. 243 f. 549 Von ihm stammt das Konzept des Europas der Regionen, Kilper / Lhotta, Föderalismus, S. 233 ff. Diese Tendenzen sind zwar grundsätzlich unabhängig von dem jeweiligen Staatsaufbau, lassen sich aber besser in ein Bundesstaats- als in ein Einheitsstaatssystem integrieren. 550 Siehe hierzu Kilper / Lhotta, Föderalismus, S. 225 ff. 551 Hanebeck, Bundesstaat, S. 35 f.; Kadelbach, VVDStRL 2007, S. 17. 552 Vgl. exemplarisch die Äußerung des Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt Böhmer in der 1. Sitzung der Föderalismuskommission am 7. November 2003, S. 15 f.: „Jetzt (...) halte ich es für durchaus zumutbar, die Eigenverantwortung der Länder zu erhöhen“. 553 Dazu Benz, APuZ 2003, S. 35 ff. 554 Riker, Federalism, S. 51, 87 ff.; zu dieser Verknüpfung auch Bullinger, DÖV 1970, S. 762: „Regionale Parteien und politischer Entscheidungsspielraum der Länder stehen in einer Wechselbeziehung und sind in dieser Beziehung unerlässliche Elemente eines demokratischen Bundesstaates“. 555 Vgl. Jun, ZParl 2004, S. 560; Detterbeck / Renzsch, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2002, S. 70 ff. versuchten dies anhand folgender Anzeichen zu belegen: Veränderungen im Wahlverhalten bei Landtagswahlen, im Parteiensystem und in der Organisation innerhalb der Parteien sowie seltenere Übereinstimmung bei der Regierungsbildung von Bundesund Landesebene.

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I. Eingeschränkte Handlungsfähigkeit des Bundes und der Länder Unter diesen veränderten Rahmenbedingungen wirkten sich die Strukturen des Beteiligungsföderalismus, insbesondere die eingeschränkte Handlungsfähigkeit der einzelnen Ebenen 556, negativ aus. Der Begriff des „Reformstaus“ machte die Runde. Der Bund konnte aufgrund des häufigen Kompromisszwanges mit dem Bundesrat nicht schnell und flexibel die dringend notwendigen Wirtschafts- und Sozialreformen verabschieden 557. Der Eindruck, dass regelmäßig Gesetzesvorhaben an der fehlenden Zustimmung des Bundesrates gescheitert sind, lässt sich zwar anhand der Statistik nicht belegen. So sind 906 Gesetze in dem Zeitraum von 1990 bis 2002 als zustimmungspflichtige Gesetze verkündet worden und lediglich 27 an der fehlenden Zustimmung des Bundesrates gescheitert; dies entspricht einer Quote von 2,98%. In der innerhalb dieses Zeitraums liegenden 13. und 14. Wahlperiode, in der die Oppositionsparteien aus dem Bundestag im Bundesrat über eine Mehrheit verfügten, war der Prozentsatz entgegen dem aufgrund der Parteipolarisierung zu erwartenden Ergebnis mit 2,72 % sogar noch etwas geringer 558. Auch der Vergleich mit den siebziger Jahren (1972 – 1980), in denen unter umgekehrten politischen Vorzeichen ebenfalls die Mehrheiten im Bundestag und Bundesrat divergierten und 3,67 % der Gesetzesvorhaben an der fehlenden Zustimmung des Bundesrates gescheitert sind 559, bestätigt, dass der Bundesrat in den Neunzigern zumindest quantitativ keine Blockadepolitik betrieben hat. Allerdings ist diese statistische Auswertung nur bedingt aussagekräftig. Zum einen bleiben die Fälle unberücksichtigt, in denen der Bundestag ein Gesetzesvorhaben schon im Vorhinein aufgrund einer drohenden Zustimmungsversagung inhaltlich an die Vorstellungen des Bundesrates angepasst bzw. ganz aufgegeben hat 560. Zum anderen lässt die rein quantitative Betrachtung keine Aussage über Bedeutung und Tragweite der gescheiterten Gesetzesvorhaben zu. Während 556 Von Scharpf, „Föderale Politikverflechtung: Was muss man ertragen – was kann man ändern?“, April 1999, www.mpi-fg-koeln.mpg.de/pu/workpap/wp99-3/wp99-3.html, S. 4 als Problemlösungsfähigkeit politischer Systeme bezeichnet. 557 Dolzer, VVDStRL 1999, S. 24 macht darauf aufmerksam, dass der Bund die Länder angesichts der angespannten Haushaltslage nicht mehr mit finanziellen Gegenleistungen zu einer Zustimmung bewegen konnte. 558 Im Zeitraum von 1994 bis 2002 wurden 627 als Zustimmungsgesetze verkündet und 17 Gesetze scheiterten an der fehlenden Zustimmung, vgl. Feldkamp / Ströbel / Schindler, Datenhandbuch: 1994 bis 2003, S. 575, 579 f. 559 Zwischen 1972 und 1980 wurden 446 als Zustimmungsgesetze verkündet und 17 Gesetze scheiterten an der Zustimmung des Bundesrates, vgl. Schindler, Datenhandbuch: 1949 bis 1982, S. 686, 713 ff. 560 So hat die Opposition im Bundesrat beispielsweise bei dem „Gesetz zur Begrenzung der Bezüge im Krankheitsfall“ unter der Regierung Kohl oder bei der vorgezogenen

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das „freiwillige“ Nachgeben des Bundestages statistisch nicht beziffert werden kann, ist der Inhalt der gescheiterten Gesetzesvorhaben bekannt 561. Bei deren Durchsicht zeigt sich schnell, dass insbesondere zwischen 1994 und 1998 fast ausschließlich wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Gesetzesvorhaben gescheitert sind. Es handelte sich also gerade um solche politische Sachthemen, denen sich unter den oben dargestellten veränderten Rahmenbedingungen dringend hätte angenommen werden müssen. Dies erklärt, warum die Mitwirkung des Bundesrates und die von ihm „erzwungene Alternative von faktischer Großer Koalition und politischem Stillstand“ 562 besonders in den neunziger Jahren als reformbedürftig wahrgenommen wurde. Den Ländern, die durch die gewandelte Situation zu neuem Tatendrang erwacht waren, fehlte es schlichtweg an gesetzgeberischen und finanziellen Gestaltungsmöglichkeiten, um auf die neuen Herausforderungen angemessen reagieren zu können. Zwei für eine Reform der bundesstaatlichen Ordnung grundlegende Handlungsparameter hatten sich daher in der Zwischenzeit verändert: Für den Bund war die Senkung der Anzahl der zustimmungsbedürftigen Bundesgesetze, für die Länder die Erweiterung ihres Gestaltungsspielraums zu einem elementaren Interesse geworden. Erstmals wurden aus diesem Grunde die Merkmale des unitarischen Bundesstaates ernsthaft zu Disposition gestellt und die Weichen für eine umfassende Verfassungsänderung gestellt 563. II. Fehlende Europatauglichkeit des Grundgesetzes Auch aus der Perspektive der Europatauglichkeit wurden Korrekturen am bundesstaatlichen Kompetenzgefüge für dringend erforderlich gehalten, sowohl was die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik auf der europäischen Ebene als auch was die Implementation des Europarechts anbelangte 564. So hatte sich der 1992 eingeführte Art. 23 GG 565, der die Mitwirkung der Länder in EG-AngelegenheiSteuerreform, Hartz IV oder der Gesundheitsreform unter der Regierung Schröder in der Öffentlichkeit explizit auf ihre Vetoposition hingewiesen. In den daraufhin stattfindenden informellen „Koalitionsrunden“ ist man ihren Wünschen entgegengekommen. 561 Vgl. hierzu den Anhang II, S. 316 f. 562 Schubert, ZSE 2005, S. 126. 563 In der politikwissenschaftlichen Terminologie gesprochen hat der Problemdruck die institutionelle Pfadabhängigkeit, die Akteurspräferenzen und die psychologisch motivierte Risikoaversion überwinden können, zu diesen drei Erklärungsansätzen für das Scheitern bisheriger Reformen, Jun, ZParl 2004, S. 565 ff; Lhotta / Höffken / Ketelhut, in: Hrbek (Hrsg.), Föderalismus-Reform, S. 24. Stoiber hat die Föderalismusreform in diesem Zusammenhang immer wieder als „Mutter aller Reformen“ apostrophiert, vgl. seine Äußerung in der Welt vom 8. März 2006, „Die Ministerpräsidenten verzichten freiwillig auf Macht“, im Interview mit Leersch. 564 Müller-Graff, in: Pitschas (Hrsg.), Verfassung, S. 714. 565 38. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 21. Dezember 1992.

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ten zum Gegenstand hatte, in der Staatspraxis als äußerst hinderlich erwiesen 566. Zudem beruhten mittlerweile knapp 40% der Gesetze des Bundestages auf europäischen Impulsen 567. Die innerstaatliche Kompetenzordnung, vor allem die häufig von EU-Richtlinien betroffene Rahmengesetzgebung mit ihren hintereinander geschalteten Gesetzgebungsverfahren, war für eine schnelle und effiziente Umsetzung denkbar ungeeignet. Insgesamt konnte das Grundgesetz dem inzwischen erreichten Integrationsstand Deutschlands in der Europäischen Union und dem daraus erwachsenden Bedürfnis nach Flexibilität und Reaktionsgeschwindigkeit nicht gerecht werden 568. III. Die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung zu Art. 72 Abs. 2 GG und Art. 75 GG Schließlich hat die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung zu dem durch die Verfassungsänderung von 1994 verschärften Art. 72 Abs. 2 GG und dem neu eingeführten Art. 75 Abs. 2 GG die Reformdebatte maßgeblich beeinflusst. Dies gilt weniger für den Dialog im Vorfeld der Föderalismuskommission als für ihren konkreten Beratungsverlauf. Das Bundesverfassungsgericht hatte zwar schon in seiner ersten Entscheidung zu dem neu gefassten Art. 72 Abs. 2 GG im Jahre 2002 die volle gerichtliche Überprüfbarkeit betont und damit zumindest formal eine Kehrtwende seiner bisherigen Rechtsprechung vollzogen 569. Das dort überprüfte Altenpflegegesetz hielt es jedoch auch mit der von ihm restriktiv interpretierten Erforderlichkeitsklausel für vereinbar, so dass den politischen Akteuren zunächst verborgen blieb, welche Sprengkraft mit dieser Rechtsprechung verbunden war. Erst als es Mitte 2004 die vom Bundesgesetzgeber angestrebte Einführung der Juniorprofessur an den Art. 75 Abs. 2 GG und 566 Die dort niedergelegte Mitwirkung von Bund und Ländern in Entscheidungsverfahren der EG war gekennzeichnet durch langwierige und schwierige Koordinierungsprozesse innerhalb des Bundes und zwischen Bund und Ländern, weshalb Deutschland häufig überstimmt wurde oder sich enthalten musste (sog. „German vote“). 567 Berechnet für die 15. Wahlperiode (2002 – 2005) anhand der Datenbank des Deutschen Bundestages GESTA. Zur Kategorie der „europäischen Impulse“ wurden dabei nicht nur europäische Richtlinien, sondern beispielsweise auch – Anpassungen auf nationaler Ebene notwendig machende – Verordnungen oder Ratsentscheidungen und Ratsbeschlüsse gezählt, Töller, ZParl 2008, S. 13, 17. Unberücksichtigt bleiben in dieser verbesserten Erfassungsmethode aber diejenigen Europäisierungseffekte, die durch die europäischen Verordnungen, die keine Anpassung von nationalen Gesetzen erforderlich machen, ausgehen. Zum Vergleich: In der 3. Wahlperiode (1957 –1961) gab es gerade einmal dreizehn EU-Vorlagen, so Bundespräsident Rau in seinem Redebeitrag auf dem Föderalismuskonvent der deutschen Landesparlamente, http://www.landtag.ltsh.de /aktuell/daten_aktuell/luebecker-konvent/doku_foederalismus-konvent.pdf. 568 Ausführlich dazu Huber, in: Pitschas (Hrsg.), Verfassung, S. 598 ff.: das Grundgesetz als Verfassung eines in sich „ruhenden und sich selbst genügenden Nationalstaates“. 569 BVerfGE 106, 62 (135 ff.).

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Art. 72 Abs. 2 GG scheiten ließ, traten die Konsequenzen der neuen bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung in das volle Bewusstsein der politischen Akteure. Wie der Vorsitzende des mit der Entscheidung zur Juniorprofessur befassten Zweiten Senats Hassemer bereits in der mündlichen Verhandlung richtig voraussah 570, hat dieses Urteil die Richtung des weiteren Beratungsverlaufs entscheidend geprägt. 1. Altenpflege-Urteil In der einstimmig ergangenen Grundsatzentscheidung vom 24. Oktober 2002 ging es um die Verfassungsmäßigkeit „des Gesetzes über Berufe in der Altenpflege sowie zur Änderung des Krankenpflegegesetzes“. Konkret stand die Vereinbarkeit des Artikel 1 dieses Gesetzes, „das Gesetz über die Berufe in der Altenpflege (AltPflG)“ mit Art. 70 GG, hilfsweise mit Art. 72 Abs. 2 GG in Frage. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts konkretisierte im Rahmen dieser Entscheidung zum einen die Tatbestandsmerkmale des Art. 72 Abs. 2 GG, zum anderen stellte er ihre vollumfängliche Justitiabilität fest. Er nahm damit den Auftrag des verfassungsändernden Gesetzgebers von 1994 an, die Vorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG zum Schutz der Länder vor weiterer Aushöhlung ihrer Zuständigkeiten auf ihre Einhaltung zu überprüfen. Diese Rechtsprechungswende begründete er in erster Linie und sehr ausführlich mit dem Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers, aber auch mit dem Sinn und Zweck und dem neuen Wortlaut der geänderten Norm 571. Die Zielbestimmungen konkretisierte der Senat im Hinblick auf das Kriterium der Erforderlichkeit sehr restriktiv 572. Das Ziel der „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ erfordere mehr als eine Verbesserung der Lebensverhältnisse und ermächtige den Bund erst zum Eingreifen, „wenn sich die Lebensverhältnisse der Länder in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinander entwickelten oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichne“ 573. „Die Wahrung der Rechtseinheit“ könne nicht schon 570 Hassemer hatte dort angedeutet, dass das Gericht sich mit seinem Urteil zur Juniorprofessur möglicherweise an der allgemeinen Reformdebatte beteiligen werde, Batt, ZParl 2004, S. 760 Fn. 34. 571 Den Vorwurf der „falschen Interpretation“ erhob Bundesministerin Zypries, Stenografischer Bericht der 9. Kommissionssitzung am 14. Oktober 2004, S. 237. 572 Kommissionsdrs. 0077, Thesen – Zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 72 Abs. 2 GG, 75 GG vom 28. September 2004, Bundestagsabgeordneter Bachmaier u. a., S. 3: „Nur eine Art Katastrophe könne den Bund zuständig machen“; ebenso Geis / Krausnick, in: Borchard (Hrsg.), Föderalismus, S. 219; Breuer, in: Grote (Hrsg.), Ordnung, S. 178: „quasi-polizeiliche Mißstands- oder Gefahrenprämisse“. 573 BVerfGE 106, 62 (144).

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

dann zur Begründung einer bundesgesetzlichen Regelung herangezogen werden, wenn in den Ländern unterschiedliche Rechtslagen bestünden. Vielmehr sei eine bundesgesetzliche Regelung erst erforderlich, wenn die grundsätzlich dem bundesstaatlichen Aufbau eigene und notwendige Gesetzesvielfalt auf Länderebene „eine Rechtszersplitterung mit problematischen Folgen darstelle, die im Interesse sowohl des Bundes als auch der Länder nicht hingenommen werden könne“ 574. Die dritte Zielvorgabe schließlich, die „Wahrung der Wirtschaftseinheit“ liege im gesamtstaatlichen Interesse, wenn es um die Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums der Bundesrepublik gehe 575. Anders als die vorherigen Zielvorgaben definierte der Senat sie also als positiven Wert und senkte die Anforderungen dadurch etwas ab. Neben der inhaltlichen Bestimmung der Zielvorgaben äußerte sich der Senat zur Reichweite der gerichtlichen Kontrolle. Sie beziehe sich auf alle Merkmale des Art. 72 Abs. 2 GG und gehe über eine bloße Vertretbarkeitskontrolle hinaus 576. Dabei dürften die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG nicht nur an dem vom Bundesgesetzgeber selbst definierten Gesetzesziel überprüft werden, sondern müssten auch an den tatsächlichen Auswirkungen des Gesetzes beurteilt werden. Die Überprüfung umfasse sowohl die Frage, ob eine Regelung des Bundesgesetzgebers zum Schutz der in Art. 72 Abs. 2 GG genannten Rechtsgüter zulässig sei („wenn ... erforderlich“) als auch die Frage, in welchem Umfang die Regelung getroffen werden könne („soweit ... erforderlich“). Das Kriterium der Erforderlichkeit trage dem grundsätzlichen Vorrang der Länder (Art. 30 GG und Art. 70 GG) im Kompetenzgefüge des Grundgesetzes Rechnung und verweise den Bundesgesetzgeber auf den geringstmöglichen Eingriff in das Gesetzgebungsrecht der Länder. Es erlaube eine bundesgesetzliche Regelung nur so weit, als ohne sie die im konkreten Fall in Anspruch genommene Zielbestimmung nicht oder nicht ausreichend erreicht werden könne. Anders gewendet: Eine Bundeskompetenz bestehe nicht, wenn landesrechtliche Regelungen zum Schutz der Rechtsgüter des Art. 72 Abs. 2 GG ausreichten 577. Dafür genüge allerdings nicht jede theoretische Handlungsmöglichkeit der Länder, insbesondere nicht die Möglichkeit gleich lautender Ländergesetze. Denn Art. 72 Abs. 2 GG wolle nicht bundeseinheitliche Bundes- von bundeseinheitlicher Ländergesetzgebung abgrenzen, sondern vielmehr den Ländern eigenständige Kompetenzräume für partikular-differenzierte Regelungen eröffnen 578. Schließlich ging das Gericht auf die Unumgänglichkeit prognostischer Einschätzungen, von denen 574

BVerfGE 106, 62 (145). BVerfGE 106, 62 (146). 576 BVerfGE 106, 62 (148). 577 BVerfGE 106, 62 (149). 578 So schon Rybak / Hofmann, NVwZ 1995, S. 232; anders Sannwald, DÖV 1994, S. 633. 575

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das Vorliegen der Erforderlichkeit im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG abhänge, ein. Dem Bundesgesetzgeber sei bei der Feststellung künftiger Entwicklungen ein Prognosespielraum eingeräumt, soweit die Prognose auf sorgfältig ermittelten Sachverhaltsannahmen beruhe, sie sich auf ein angemessenes Prognoseverfahren stützen lasse, konsequent verfolgt werde und keine sachfremden Erwägungen enthalte 579. Für das den Beruf der Altenpflege bundeseinheitlich regelnde Altenpflegegesetz waren die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts erfüllt 580. Zwar könne es den ersten beiden Zielbestimmungen nicht genügen. Jedoch liege das Kriterium der „Wahrung der Wirtschaftseinheit“, wie grundsätzlich bei Bundesgesetzen im Bereich der beruflichen Bildung 581, vor. 2. Kampfhunde-Urteil In seinem Urteil zum Bundesgesetz zur Bekämpfung gefährlicher Hunde (BgefHundG) vom 16. März 2004 bestätigte der Erste Senat die vom Zweiten Senat entwickelte neue Rechtsprechung 582. Unter Bezugnahme auf die Altenpflegeentscheidung wiederholte er, dass die Erforderlichkeitsklausel der vollen verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliege 583. Der durch das BgefHundG eingeführte § 143 StGB, wonach sich strafbar macht, wer entgegen landesrechtlicher Vorschriften einen Kampfhund züchtet oder damit Handel betreibt, sei mit der Kompetenzausübungsregel des Art. 72 Abs. 2 GG unvereinbar. Es sei schon nicht erkennbar, welche der in Art. 72 Abs. 2 GG genannten Zielvorgaben der Gesetzgeber mit dieser Regelung verfolge. Unabhängig davon sei die bundesgesetzliche Regelung des § 143 Abs. 1 StGB jedenfalls für keines der in Art. 72 Abs. 2 GG erwähnten Ziele erforderlich 584. 3. Ladenschluss-Urteil Das Urteil zum Ladenschlussgesetz vom 9. Juli 2004 enthielt weitere grundsätzliche Ausführungen zu Art. 72 Abs. 2 GG 585. Gegenstand der Entscheidung 579

BVerfGE 106, 62 (152 f.). Kritisch Hanebeck, Bundesstaat, S. 353 und Boysen, Gleichheit, S. 66. 581 BVerfGE 106, 62 (147). Die Zielvorgabe „Wahrung der Wirtschaftseinheit“ war unter anderem gerade deswegen in den Verfassungstext aufgenommen worden, um die Bundeskompetenz zur Regelung der beruflichen Bildung zu erhalten, vgl. BT-Drs. 12/ 8165, S. 31 f. 582 BVerfGE 110, 141 (174 ff.). 583 BVerfGE 110, 141 (175). 584 BVerfGE 110, 141 (175). 580

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

war unter anderem die Frage, ob der Bundesgesetzgeber im Jahre 1996 zur Änderung des Ladenschlussgesetzes befugt war. Dazu stellte das Bundesverfassungsgericht zwar fest, dass eine bundesrechtliche Regelung des Ladenschlusses nicht erforderlich im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG sei. Allerdings unterfalle das noch vor der Verfassungsänderung von 1994 unter der Bedürfnisklausel des Art. 72 Abs. 2 GG erlassene Ladenschlussgesetz dem Anwendungsbereich des Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG und gelte deshalb als Bundesrecht fort 586. Auf das fortgeltende Bundesrecht fänden alle für Bundesrecht maßgebenden verfassungsrechtlichen Vorschriften mit Ausnahme des Art. 72 Abs. 2 GG Anwendung, so dass der Bundesgesetzgeber zu einer Änderung befugt sei 587. Dass Art. 72 Abs. 2 GG für Änderungen keine Geltung erlangen soll, begründete das Gericht mit dem Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers. Dieser könne keinen Stillstand und damit eine Versteinerung einer einmal geschaffenen Rechtslage gewollt haben. Da die Länder bundesgesetzliche Regelungen aber erst nach einer Freigabe durch den Bund ersetzen dürften, vgl. Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG, es ihnen, wie der Wortlaut „ersetzen“ verdeutliche, zudem verwehrt sei, einzelne Vorschriften des Bundesgesetzes zu ändern, müsse die Änderungsbefugnis dem Bundesgesetzgeber zugestanden werden. Allerdings sei sie „eng auszulegen und an die Beibehaltung der wesentlichen Elemente der in dem fortgeltenden Bundesgesetz enthaltenen Regelung geknüpft“. Zu einer Neukonzeption des Rechtsgebiets seien dagegen allein die Länder befugt. Das bezüglich eines Freigabegesetzes bestehende grundsätzliche Ermessen des Bundesgesetzgebers verenge sich dabei unter Berücksichtigung des Grundsatzes bundes- und länderfreundlichen Verhaltens dann auf eine Freigabepflicht, wenn „die bloße Modifikation der Regelung aufgrund sachlicher Änderungen nicht mehr ausreiche oder der Bund aus politischen Erwägungen eine Neukonzeption für erforderlich halte“ 588. Hinsichtlich des geänderten Ladenschlussgesetzes kam das Bundesverfassungsgericht zu dem Ergebnis, dass der Bundesgesetzgeber sich in den Grenzen seiner Änderungsbefugnis gehalten habe und es daher verfassungskonform sei. 4. Juniorprofessur-Urteil Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Fünften Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes und anderer Vorschriften (5. HRGÄndG) vom 27. Juli 2004 war Art. 72 Abs. 2 GG ein weiteres Mal von tragender Bedeutung. Gleichzeitig befasste sich das Gericht in dieser Entscheidung erstmalig mit der 585

BVerfGE 111, 10 (10 ff.). BVerfGE 111, 10 (28 f.). 587 In der Literatur war vertreten worden, Art. 72 Abs. 2 GG auf Gesetzesänderungen nicht anzuwenden, wenn die wesentliche Substanz des bisherigen Gesetzes erhalten bleibe, Aulehner, DVBl. 1997, S. 985. 588 BVerfGE 111, 10 (31). 586

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Neufassung des Art. 75 GG. Der Zweite Senat erklärte das 5. HRGÄndG für mit Art. 70 GG, 75 GG in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG unvereinbar und damit nichtig. Dieser Entscheidung kommt deshalb besondere Bedeutung zu, weil erst mit ihr die Tragweite der Verfassungsänderung von 1994 voll erfasst wurde. Das Bundesverfassungsgericht ging in diesem Urteil zunächst auf den Rahmencharakter des Gesetzeswerkes ein. Dieser sei nur dann gegeben, wenn für die Länder innerhalb des Regelungsbereiches ein normativer Spielraum verbleibe, der von substantiellem Gewicht sei 589. Mit der Schaffung des Art. 75 Abs. 2 GG im Zuge der Verfassungsänderung von 1994 solle die Befugnis des Bundesgesetzgebers zu erschöpfenden Teilregelungen beschränkt werden. Das Gericht konkretisierte diesen Gedanken dahin gehend, dass Art. 75 Abs. 2 GG in formeller Hinsicht einen erhöhten Rechtfertigungszwang des Bundesgesetzgebers begründe, wenn er von der Ausnahme des Art. 75 Abs. 2 GG Gebrauch machen wolle. Materiell dürften detaillierte Vollregelungen in quantitativer Hinsicht nicht dominieren und in qualitativer Hinsicht nicht den Rahmencharakter des Gesetzes durchbrechen. Als Rechtfertigung für punktuelle Vollregelungen reiche nicht mehr allein ein besonders starkes und legitimes Interesse aus, vielmehr müssten die Vollregelungen vor dem Hintergrund des in Art. 75 Abs. 2 GG angelegten Regel-Ausnahme-Verhältnisses schlechthin unerlässlich sein 590. Darüber hinaus seien auch bei der Rahmengesetzgebungskompetenz die Beschränkungen aus Art. 72 Abs. 2 GG (vgl. Art. 75 Abs. 1 Satz 1 GG) zu beachten. Obwohl Rahmenvorschriften die Gesetzgebungskompetenz der Länder weit weniger verdrängten als dies bei Ausnutzung der konkurrierenden Gesetzgebung der Fall sei, müssten bei der Rahmengesetzgebung die gleichen Anforderungen an das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG gestellt werden wie bei Art. 74 GG und 74a GG. Zur Bestimmung dieser Voraussetzungen wiederholte das Gericht ausnahmslos und ausführlich die maßstabbildenden Grundsätze der Altenpflegeentscheidung 591. Das 5. HRGÄndG, das seinen Schwerpunkt in der Einführung der Juniorprofessur als verpflichtende Regelqualifikation hatte, wurde diesen restriktiven Anforderungen nach Ansicht der Senatsmehrheit 592 nicht gerecht. Es enthalte detaillierte Vorschriften über den Qualifizierungsweg für eine Professur mit nur 589

BVerfGE 111, 226 (249). BVerfGE 111, 226 (252). 591 BVerfGE 111, 226 (252 ff.). 592 Die Entscheidung ist mit 5: 3 Stimmen ergangen. In ihrem Sondervotum kritisierten die Richterinnen Osterloh und Lübbe-Wolf und der Richter Gerhard die Ausführungen der Senatsmehrheit an allen entscheidenden Punkten. Nach ihrer Ansicht hat das Bundesgesetz die Grenzen des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a GG eingehalten, die Voraussetzungen des Art. 75 Abs. 2 GG erfüllt und war im gesamtstaatlichen Interesse zur Wahrung der Wirtschaftseinheit erforderlich im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG. 590

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

marginalen Gestaltungsmöglichkeiten der Landesgesetzgeber, so dass mehr als „allgemeine“ Grundsätze des Hochschulwesens im Sinne von Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a GG geregelt worden seien 593. Für eine Ausnahme nach Art. 75 Abs. 2 GG sei der Bundesgesetzgeber den Beweis einer qualifizierten Notwendigkeit schuldig geblieben 594. Das gesetzgeberische Ziel der Juniorprofessur könne darüber hinaus keine der Vorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG erfüllen. Auch Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG scheide als Grundlage für eine Gesetzgebungsbefugnis des Bundes aus. Denn die Regelungen über die Juniorprofessur stellten nicht lediglich eine Modifikation des Hochschulrahmengesetzes dar, sondern seien vielmehr als grundlegende Neukonzeption der Personalstruktur zu qualifizieren 595. 5. Studiengebühren-Urteil Eine weitere Aufsehen erregende Entscheidung, in der Art. 72 Abs. 2 GG eine Rolle spielte, ist das Urteil zum Sechsten Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes (6. HRGÄndG) vom 26. Januar 2005. Durch dieses Gesetz sollte der Grundsatz der Gebührenfreiheit des Erststudiums und die Verpflichtung zur Bildung verfasster Studierendenschaften in das Hochschulrahmengesetz aufgenommen werden 596. Zwar scheiterte die Regelung diesmal nicht an ihrem Rahmencharakter und an dem Überschreiten „allgemeiner Grundsätze“ im Sinne des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a GG. Doch genügte das 6. HRGÄndG nach Ansicht des Zweiten Senats nicht der nach Art. 75 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG anzuwendenden Erforderlichkeitsklausel und wurde dementsprechend für nichtig erklärt 597. Für die Auslegung des Art. 72 Abs. 2 GG wurden wiederum die in den vorangegangenen Entscheidungen entwickelten Grundsätze herangezogen 598. Gleiches galt auch für die nachfolgenden Fälle, in denen Art. 72 Abs. 2 GG von Relevanz war, etwa in der Entscheidung zum Risikostrukturausgleich oder zum Hufbeschlaggesetz 599. Zu einer Nichtigkeitserklärung ist es dabei aber nicht mehr gekommen, was aber angesichts der Regelungsgegenstände keine Überraschung darstellte.

593

BVerfGE 111, 226 (259 ff.). BVerfGE 111, 226 (264 f.). 595 BVerfGE 111, 226 (268 ff.). 596 BVerfGE 112, 226 (231 f.). 597 BVerfGE 112, 226 (242 und 251). 598 BVerfGE 112, 226 (243 ff. und 251 f.). 599 BVerfGE 113, 167 (167 ff.) – Risikostrukturausgleich vom 18. Juli 2005; BVerfG Aktenzeichen 1 BvR 2186/06 – Hufbeschlaggesetz vom 3. Juli 2007. 594

3. Abschn.: Gründe für die Föderalismusreform

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6. Auswirkungen auf das bundesstaatliche Kräfteverhältnis zwischen Bund und Ländern Ob mit dieser Rechtsprechung wirklich eine Kehrtwende vollzogen wurde, wurde und wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur verschiedentlich in Frage gestellt 600. Darauf wird in einem späteren Zusammenhang noch näher einzugehen sein. Jedenfalls hatte sie auch unabhängig davon nachhaltige Auswirkungen auf die Machtstellung des Bundes und der Länder, eine Tatsache, die nach den zurückhaltenden Reaktionen auf die Verfassungsänderung von 1994 nicht unbedingt vorauszusehen war. Der Bundesgesetzgeber konnte sich nunmehr nicht mehr darauf verlassen, dass das Bundesverfassungsgericht seine Gesetze mit dem Hinweis auf seinen Ermessensspielraum einfach passieren lassen würde. Wie intensiv es die gerichtliche Überprüfung des Tatsachenmaterials und der Prognoseentscheidungen gestalten und ob eine Regelung letztlich den Anforderungen des Art. 72 Abs. 2 GG und Art. 75 Abs. 2 GG genügen würde, war für ihn schwer abzuschätzen. Der Wandel in der Rechtsprechung bedeutete deshalb einen erheblichen Unsicherheitsfaktor bei dem Erlass neuer Bundesgesetze. Dies galt umso mehr als den Ländern mit dem Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a GG eine Möglichkeit an die Hand gegeben worden war, die auf Grundlage der konkurrierenden und der Rahmengesetzgebung erlassenen Bundesregelungen speziell auf ihre Vereinbarkeit mit Art. 72 Abs. 2 GG überprüfen zu lassen. Allein die Drohung mit einer solchen Klage würde den Ländern die Durchsetzung eigener föderativer Wünsche und Vorstellungen bei der Abfassung eines Gesetzesvorhabens deutlich erleichtern. Über der Gesetzgebungstätigkeit des Bundes im Bereich der konkurrierenden und Rahmengesetzgebung schwebte seither das „Damoklesschwert“ 601 der Verfassungsgerichtsbarkeit. Schon diese mittelbare Funktion des Verfassungsrechts 602, insbesondere dessen indirekte Steuerungswirkung ist es, die zu einer Stärkung der Länder bzw. umgekehrt zu einer Schwächung des Bundes geführt hat. Nicht nur auf den Erlass neuer Bundesgesetze, sondern auch auf das Altrecht hatte die höchstrichterliche Rechtsprechung erheblichen Einfluss. Durch die Feststellung der umfassenden Justitiabilität der Erforderlichkeitsklausel erlangte der im Zuge der Verfassungsreform von 1994 eingeführte Art. 125a Abs. 2 Satz 1 600 Vgl. dazu Hanebeck, Bundesstaat, S. 351; Boysen, Gleichheit, S. 65 ff. Eine uneingeschränkt positive Bewertung findet sich dagegen bei Merten, in: Blanke (Hrsg.), Bundesstaat, S. 78: „Meilenstein auf dem Weg zur Stärkung des Föderalismus und zur Sicherung der Gesetzgebungsbefugnisse der Länder“; siehe auch Stettner, in: Dreier, GG – Band 2, Art. 72 GG Rn. 17: „(...) Wende (...) ist definitiv vollzogen“. 601 Batt, ZParl 2004, S. 759. 602 Dazu Berlit, JöR 1996, S. 39.

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

GG erstmals praktische Bedeutung. Auch hier herrschte Unsicherheit, wie viele alte Bundesgesetze den Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG in der Auslegung des Bundesverfassungsgerichts genügen bzw. wie viele andernfalls dem Anwendungsbereich des Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG unterfallen würden 603. Nach diesem Artikel galt Bundesrecht, das aufgrund der bis zum 15. November 1994 geltenden Bedürfnisklausel erlassen worden ist, wegen der Änderung des Art. 72 Abs. 2 GG jedoch nicht mehr erlassen werden könnte, als Bundesrecht fort. Die Ersetzungsbefugnis für dieses Recht lag bei den Ländern, allerdings erst nach einer Ermächtigung durch den Bundesgesetzgeber, vgl. Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG. Dazu ist es bis dato noch nie gekommen 604. Dem Bund stand also mangels Erforderlichkeit im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG kein Gesetzgebungsrecht mehr zu, die Länder konnten ihres mangels Ermächtigung nicht ausüben. Da der Bund nicht verlässlich beurteilen konnte, welche Gesetze unter Art. 125a Abs. 2 GG fielen, war ihm bei vielen Altgesetzen generell unklar, ob und in welchem Umfang er Veränderungen vornehmen durfte. Es drohte als Konsequenz zu der neuen Rechtsprechung eine Versteinerung des Altrechts 605. Das Bundesverfassungsgericht versuchte dieser Entwicklung in seiner Ladenschlussentscheidung zwar dadurch entgegenzuwirken, dass der Bund die Änderungsbefugnis auch im Anwendungsfeld des Art. 125a Abs. 2 GG behalten sollte 606. Für eine grundlegende Neukonzeption bei fehlender Erforderlichkeit im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG blieb es jedoch bei der problematischen Blockadesituation. Die durch die Altenpflegeentscheidung eingeleitete Rechtsprechungslinie war deshalb für den Erlass neuer Gesetze wie auch für das Altrecht von großer Bedeutung. Die von ihr hervorgerufene Verunsicherung hat wesentlich zur Neugestaltung der Gesetzgebungskompetenzen beigetragen. Auf Seiten des Bundes wuchs das Interesse, die der Erforderlichkeit unterfallenden Materien auf ein Minimum zu beschränken. Es war somit unter anderem die dem ausdrücklich bekundeten Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers von 1994 Rechnung tragende neue Judikatur, die die Reformnotwendigkeit jetzt umso deutlicher un603 Kommissionsdrs. 0077, Thesen – Zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 72 Abs. 2, 75 GG vom 28. September 2004, Bundestagsabgeordneter Bachmaier u. a., S. 5. 604 AU 0002, Bericht zur innerstaatlichen Kompetenzordnung vom 17. Dezember 2002, Bund / Länder-Arbeitsgruppe „Innerstaatliche Kompetenzordnung“, S. 40: Eine Gesetzesinitiative der Länder Bayern, Baden-Württemberg und Hessen, die sich auf 19 Einzelgesetze bezog, ist im Bundestag der Diskontinuität zum Opfer gefallen, vgl. BRDrs. 77/98 und BT-Drs. 14/2442; von Huber wurde die Vorschrift deshalb zutreffend als „law in the books“ betitelt, in: Blanke (Hrsg.), Bundesstaat, S. 29. 605 Vgl. zu dieser „Pattsituation“, PAU-1/0015, Die Bedeutung des BVerfG-Urteils zur Juniorprofessur für die Diskussion um eine Kompetenzverlagerung im Bereich der Rahmengesetzgebungskompetenzen des Art. 75 GG vom 7. September 2004, Staatskanzlei Düsseldorf. 606 BVerfGE 111, 10 (28 f.).

4. Abschn.: Die Föderalismusreform

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terstrich. Die Verfassungsänderung von 1994 wird durch diese Tatsache in ein besonderes Licht gerückt: Die möglichen Konsequenzen, die aus der Neufassung der Bedürfnisklausel resultieren würden, hat der damalige verfassungsändernde Gesetzgeber entweder nicht bedacht. Oder – schlimmer noch – er hat nicht damit gerechnet, dass sich die Verschärfung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts niederschlägt, ist also mit anderen Worten von einer Fortführung der bisherigen Rechtspraxis ausgegangen, so dass die Verfassungsänderung letztlich lediglich einen symbolischen Akt dargestellt hätte.

Vierter Abschnitt

Die Föderalismusreform Die politischen Entscheidungsträger standen aus den soeben geschilderten Gründen unter einem erheblichen Reformdruck. Zunächst reagierte, wie im deutschen Bundesstaat üblich, die Exekutive auf diese Situation, erkannte aber zuletzt, dass für eine erfolgreiche Reform eine Beteiligung des Bundestages unumgänglich war. So mündeten die Reformbemühungen schließlich in der Konstituierung der Föderalismuskommission am 16. und 17. Oktober 2003, mit der zum zweiten Mal seit der Wiedervereinigung ein aus Bundestag und Bundesrat paritätisch besetztes Gremium geschaffen wurde, das nunmehr allerdings endlich „einen Wendepunkt in den langjährigen Bemühungen, unsere bundesstaatliche Ordnung neu zu ordnen“ 607 herbeiführen sollte. Dieses Ziel wurde erst einmal verfehlt, da an dem Tag, an dem die Entscheidung über die Beschlussempfehlung getroffen werden sollte, das Scheitern der Kommission bekannt gegeben wurde. Die Neuwahlen ein dreiviertel Jahr später, aus denen eine Große Koalition hervorging, schafften die Basis dafür, dass das Projekt Föderalismusreform doch noch zum Erfolg geführt werden konnte. Am 1. September 2006 ist das Föderalismusreformgesetz mit Änderungen an insgesamt 25 Grundgesetzartikeln in Kraft getreten.

A. Initiativen im Vorfeld der Föderalismuskommission Die Initiative zur „Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung“ wurde zuerst von den Ministerpräsidenten ergriffen. Bereits im Dezember 1998 kamen sie auf ihrer Jahreskonferenz in Potsdam überein, die Aufgaben-, Ausgaben- und 607

So der bayerische Ministerpräsident Stoiber, Stenografischer Bericht der 1. Kommissionssitzung am 7. November 2003, S. 4.

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

Einnahmenverteilung einer Überprüfung zu unterziehen 608. Bevor in Verhandlungen über dieses Projekt eingetreten wurde, wollte man jedoch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Normenkontrollklagen verschiedener Länder 609 zum Finanzausgleichsgesetz abwarten 610. In diesem Urteil 611 hat das Gericht dem Gesetzgeber aufgegeben, bis Ende 2002 ein verfassungsergänzendes Maßstäbegesetz mit den wesentlichen Grundsatzentscheidungen für den Finanzausgleich und bis 1. Januar 2005 ein überarbeitetes Finanzausgleichsgesetz zu verabschieden 612. Der Zwang, einen für alle Beteiligten tragfähigen Kompromiss in der Frage des Finanzausgleichs innerhalb des eng gesteckten Zeitrahmens zu finden, führte zunächst zu einem Stillstand der in Gang gebrachten Initiative. Erst mit der Verabschiedung des „Maßstäbegesetzes“ 613 und des Solidarpaktfortführungsgesetzes 614 im Jahre 2001 erhielt das Reformvorhaben auf der Ministerpräsidentenkonferenz vom 24. bis 26. Oktober 2001 neuen Auftrieb. Die Regierungschefs vereinbarten dort, auf der Grundlage der Ergebnisse der CdSArbeitsgruppe „Föderalismus-Bilanz“ 615 Verhandlungen mit dem Bund über die Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung aufzunehmen und trafen sich zu diesem Zwecke am 20. Dezember 2001 mit dem Bundeskanzler. Regierungschefs beider Ebenen betonten in der Besprechung die Notwendigkeit einer Überprüfung des Verhältnisses zwischen Bund und Ländern im Hinblick auf die Zweckmäßigkeit und Effizienz der Aufgabenerfüllung und die Zuordnung der politischen Verantwortlichkeiten 616. Man verständigte sich auf die Bildung einer gemeinsamen Verhandlungskommission und eines ihr zugeordneten Bund-Länder-Lenkungsausschusses „Föderalismusreform“ 617 sowie auf die Einsetzung der 608

Angestrebt zur „Fertigstellung“ dieses Reformvorhabens war der 1. Januar 2005. Baden-Württemberg und Bayern hatten im Juli 1998 gegen die gegenwärtige Regelung des Finanzausgleichs geklagt. Dieser Klage schloss sich das Land Hessen im Januar 1999 an. 610 Renzsch, in: Hrbek (Hrsg.), Föderalismus-Reform, S. 9; einige Länder versprachen sich verfassungsgerichtliche Unterstützung von dem Urteil. 611 BVerfGE 101, 158 – „Länderfinanzausgleich“, Urteil vom 11. November 1999. 612 V. Münch, NJW 2000, S. 2644 mit Zitaten verschiedener Politiker, die belegen, dass das Urteil die Diskussion um die bundesstaatliche Ordnung weiter angefacht hat. 613 BGBl. I S. 2302. 614 BGBl. I S. 3955 ff. 615 Zu den in dem Diskussionspapier aufgeworfenen Ideen, LT-Drs. MecklenburgVorpommern 3/2898, S. 8 ff. 616 AU 0002, Bericht zur innerstaatlichen Kompetenzordnung vom 17. Dezember 2002, Bund / Länder-Arbeitsgruppe „Innerstaatliche Kompetenzordnung“, S. 4. 617 Auf Bundesseite bestehend aus dem Chef des Bundeskanzleramts und den Staatssekretären aus dem BMI, BMJ und BMF, auf Länderseite aus den Chefs der Staatsbzw. Senatskanzleien der Länder Bayern, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen sowie dem Chef der Staats- bzw. Senatskanzlei des jeweiligen Vorsitzlandes, vgl. LT-Drs. MV 3/2898, S. 2. 609

4. Abschn.: Die Föderalismusreform

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Arbeitsgruppen „Finanzen“ und „Innerstaatliche Kompetenzordnung“. Bis Ende 2003 sollten von den Arbeitsgruppen konkrete, konsensfähige Vorschläge unterbreitet werden, die gesetzliche Umsetzung der Reform bis Ende 2004, ungefähr zeitgleich mit der Willensbildung um eine europäische Verfassung, abgeschlossen sein 618. Eine solche Abstimmung beider Reformprozesse war sinnvoll, da nur so ein harmonisches Gesamtkonzept entwickelt werden konnte. Mit dem Aufgabenfeld der Gesetzgebungskompetenzen und der Zustimmungsbedürftigkeit von Bundesgesetzen wurde nach einem Beschluss des Lenkungsausschusses vom 18. April 2002 619, wie unschwer schon aus der Namensgebung erkennbar, die Arbeitsgruppe „Innerstaatliche Kompetenzordnung“ betraut. Zwar wurde von ihr bzw. ihren Untergruppen am 17. Dezember 2002 ein Bericht mit Problembeschreibungen zu den einzelnen Teilaspekten vorgelegt, konsensfähige Ergebnisse waren darin indes noch nicht enthalten 620. Die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten der Landesregierungen trafen daraufhin die Absprache, den Bericht jeweils getrennt politisch zu bewerten und bis April 2003 Positionen für die weiteren Verhandlungen zu entwickeln 621. Die Landtage wollten den Fortgang der Föderalismusreform nicht in die Hände der Exekutiven legen, ohne sich noch einmal zu Wort zu melden 622 und ihre aber im Wesentlichen mit den Reformwünschen der Landesregierungen übereinstimmenden Vorstellungen zu artikulieren 623. Die Forderung nach unmittelbarer Beteiligung wurde – wohl angesichts der erfolglosen früheren Versuche 624 – gar nicht erst erhoben 625.

618 AU 0002, Bericht zur innerstaatlichen Kompetenzordnung vom 17. Dezember 2002, Bund / Länder-Arbeitsgruppe „Innerstaatliche Kompetenzordnung“, S. 4. 619 AU 0002, Bericht zur innerstaatlichen Kompetenzordnung vom 17. Dezember 2002, Bund / Länder-Arbeitsgruppe „Innerstaatliche Kompetenzordnung“, S. 5. 620 Dt. Bundestag, Bundesstaatskommission, S. 15. 621 Hrbek / Eppler, Deutschland vor der Föderalismus-Reform, S. 26. 622 Zuvor hatten die Präsidenten der deutschen Landtage auf einer Konferenz am 23. Mai 2000 in Heringsdorf ein Diskussionspapier zu dem Thema „Weiterentwicklung und Stärkung des Föderalismus“ verfasst, das eine an dem Subsidiaritätsprinzip orientierte Neuordnung der einzelnen Kompetenztitel enthielt, Stärkung des Föderalismus, S. 4. 623 So ausdrücklich der Präsident des Schleswig-Holsteinischen Landtags Arens in seinem Redebeitrag, Föderalismuskonvent der deutschen Landesparlamente, http://www .landtag.ltsh.de / aktuell / daten_aktuell / luebecker-konvent / doku_foederalismus-konvent .pdf, S. 50. 624 Von den Arbeiten der Gemeinsamen Verfassungskommission blieben sie trotz ihres ausdrücklichen Beteiligungswunsches ausgeschlossen, BR-Plenarprotokoll 637/91, S. 637. Der Bundesrat hatte ihre Beteiligung abgelehnt, Schmalenbach, Föderalismus, S. 56. 625 Ausführlich zu der Vorgeschichte mit den Ausführungen des die Einsetzung des Konventes anregenden Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtages Arens, Thaysen, ZParl 2004, S. 518 ff.

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

Die Landtage wählten für ihre Reaktion ein der deutschen Verfassungsgeschichte bisher unbekanntes und sehr symbolträchtiges Forum. Sie hielten einen Föderalismuskonvent ab, an dem nicht nur die Präsidenten, sondern auch die Fraktionsvorsitzenden der deutschen Landesparlamente, insgesamt damit beinahe 200 Repräsentanten, beteiligt waren. Ergebnis dieser Zusammenkunft am 31. März 2003 in Lübeck war die einstimmige, partei- und fraktionsübergreifende Verabschiedung der „Lübecker Erklärung“ 626, in der die Forderung nach einer Stärkung der Länder und insbesondere ihrer Parlamente in der Bundesrepublik und in der Europäischen Union erhoben wurde 627. Zur Verwirklichung dieses Ziels wurde eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet, so für den innerdeutschen Raum z. B. die Einführung einer Vorranggesetzgebung, die Überführung geeigneter Kompetenztitel in die Länderkompetenz und eine strikte Selbstüberprüfung des Bundes 628. Dass diese Empfehlungen recht abstrakt gehalten waren, erklärt sich daraus, dass es dem Konvent weniger um konkrete Inhalte ging – auf die sich in einem solch großen Gremium nur schwer zu einigen gewesen wäre 629 – als darum, ein Signal an die Entscheidungsträger in Bundestag und Bundesrat zu senden. Die speziellen Bedürfnisse der Landtage sollten mit Nachdruck in deren Gedächtnis gerufen werden. Die Landtagsabgeordneten beabsichtigten die Arbeit des Konvents die nächsten zwölf Monate fortzuführen, um sich innerhalb dieses Zeitrahmens auf konkrete Reformschritte zu verständigen 630. Zudem wurde eine Verhandlungskommission eingesetzt 631, die das Anliegen der deutschen Landesparlamente nach außen, insbesondere gegenüber der exekutivisch besetzten Bund-Länder-Kommission und dem Europäischen Konvent kommunizieren sollte 632. Nach der im selben Jahr erfolgten Konstituierung der Föderalismuskom626 Hrbek / Eppler, Deutschland vor der Föderalismus-Reform, Dokument 3, Lübecker Erklärung der deutschen Landesparlamente: „Bekenntnis zum Föderalismus und zur Subsidiarität – Landesparlamente stärken!“. 627 Der Kontakt zu den im Verfassungskonvent der EU vertretenen deutschen Mitgliedern ließ sich ohne Weiteres verwirklichen, unterstützten diese doch eine Einbindung der deutschen Landesparlamente in den Konventsprozess, Thaysen, ZParl 2004, S. 526. 628 Hrbek / Eppler, Deutschland vor der Föderalismus-Reform, Dokument 3: Lübecker Erklärung, S. 38 III Nr. 2: So sollte der Bundesgesetzgeber prüfen, ob eine eingeschränkte Geltungsdauer bei dem Erlass neuer Rechtsvorschriften, die Schaffung von Öffnungsklauseln im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung und die Freigabe von Bundesgesetzen (Art. 72 Abs. 3 GG, Art. 125a Abs. 2 GG) möglich ist. 629 Thaysen, ZParl 2004, S. 530 vermutete daher, dass die Einigkeit nur mit Hilfe „dilatorischer Formelkompromisse“ herbeizuführen war. 630 Diese Zeitspanne ergab sich aus der Idee, die Vorschläge des Konvents noch in der laufenden 15. Wahlperiode in den deutschen Bundestag einzubringen, zu beraten und zu verabschieden. 631 Zusammengesetzt aus vier Vertretern der Landtagspräsidentenkonferenz und sieben Landtagsfraktionsvertretern, vgl. http://www.landtag.ltsh.de/aktuell/daten_aktuell /luebecker-konvent/doku_foederalismus-konvent.pdf, Föderalismuskonvent der deutschen Landesparlamente, nach V. „Beschluss“.

4. Abschn.: Die Föderalismusreform

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mission wurde sie in ein „Legitimations-, Beratungs- und Rückkoppelungsgremium“ 633 für die dortigen Repräsentanten der Landtage umgewandelt und in dieser Funktion ist es ihr gelungen, ein konkretes Konzept zur Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen zu entwickeln 634, das schlussendlich die Zustimmung aller Landtagspräsidenten fand 635. I. Ausgangsposition der Länder – Leitlinien der Ministerpräsidenten Drei Tage vor der Verabschiedung der Lübecker Erklärung hatten die Ministerpräsidenten der Länder am 27. März 2003 auf dem Bericht der Bund / LänderArbeitsgruppe aufbauende Leitlinien für die Verhandlungen mit dem Bund zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung verfasst 636. Die darin zum Ausdruck gekommene grundsätzliche Positionierung war in der Föderalismuskommission zunächst Ausgangspunkt der Länder für die einzelnen Themenkreise und Grundlage für das im Mai des nächsten Jahres erstellte neue Positionspapier. Es lohnt sich deshalb, einen genaueren Blick auf die Leitlinien zur innerstaatlichen Kompetenzordnung zu werfen. An der Systematik der Kompetenzordnung sollten zwei grundlegende Veränderungen vorgenommen werden: Zum einen sollte die Rahmengesetzgebung aufgehoben und zum anderen der neue Kompetenztypus einer verfassungsunmittelbaren Zugriffsgesetzgebung auf ausgewählte Materien der konkurrierenden und der ehemaligen Rahmengesetzgebung eingeführt werden 637. Konkret sollten dort neben dem Bund auch die Länder befugt sein, eigene, in der Anwendung stets vorrangige landesgesetzliche Regelungen zu treffen. Die Diskussion um den dafür neu einzuführenden Positivkatalog sollte sich auf folgende Gegenstände erstrecken: als „große“ Bereiche das Umweltrecht (ohne Abfallbeseitigung und Luftreinhaltung), Teile des öffentlichen Dienstrechts, des Bildungswesens (die 632 Http://www.landtag.ltsh.de/aktuell/daten_aktuell/luebecker-konvent/doku_foederal ismus-konvent.pdf, Föderalismuskonvent der deutschen Landesparlamente, nach V. „Beschluss“. 633 Thaysen, ZParl 2004, S. 533. 634 Dieses bereits am 17. März 2004 beschlossene Konzept wurde am 26. April 2004 von den Landtagspräsidenten Arens, Glück, Grimm, Lieberknecht und Spotka in die Kommission eingebracht, Kommissionsdrs. 0038. 635 Erklärung von Quedlinburg vom 18. Mai 2004, eingebracht als Kommissionsdrs. 0051 am 2. Juni 2004, S. 3. 636 Hrbek / Eppler, Deutschland vor der Föderalismus-Reform, Dokument 1, „Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung – Leitlinien für die Verhandlungen mit dem Bund“, S. 26 ff. 637 Hrbek / Eppler, Deutschland vor der Föderalismus-Reform, Dokument 1, Leitlinien der Ministerpräsidenten, S. 27 ff.

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens, die Förderung der wissenschaftlichen Forschung und die außerschulische berufliche Bildung) und der öffentlichen Fürsorge, als kleinere Bereiche das Notariatswesen, das Versammlungsrecht, teilweise das Wohnungswesen, die Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung und die Heilberufe 638. Es wurde in einem noch nie da gewesenen Umfang die Forderung nach Gesetzgebungsmöglichkeiten der Länder, auch auf sehr bedeutsamen Gebieten, erhoben. Dass dabei ein derart breiter Konsens bestand, lässt sich mit den Besonderheiten des neuen Kompetenztypus begründen. Dieser ermöglicht jedem Land, verpflichtet es aber nicht eigenständige Regelungen zu erlassen. Die Länder können also je nach politischer Überzeugung und ökonomischer Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft frei entscheiden, ob, auf welchem Gebiet und in welchem Umfang sie abweichende Regelungen treffen. Machen sie von diesem Recht keinen Gebrauch, müssen sie keine negativen Folgen fürchten, da der Bundesgesetzgebung insoweit eine Auffang-Wirkung zukommt. Letztlich sind mit der Zugriffsgesetzgebung für die Länder die Vorteile, nicht aber die Nachteile der ausschließlichen Landesgesetzgebung verbunden. Daher konnten sich auch die leistungsschwächeren Länder im Prinzip diesem Vorschlag anschließen, wenn auch in einzelnen Bereichen die Ansichten hinsichtlich des konkreten Umfangs divergierten 639. Weitaus vager waren die Vorstellungen bei den Verwaltungskompetenzen, für die lediglich allgemein festgehalten worden war, dass die Möglichkeiten zur Stärkung der Organisationsgewalt in Zukunft geprüft werden sollten. Auch für die Frage der Zustimmungsbedürftigkeit von Bundesgesetzen wollte man erst die Position des Bundes abwarten. II. Antwort der Bundesregierung – Position des Bundes 13 Tage später, nämlich am 9. April 2003 legte die Bundesregierung ihren Standpunkt zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung dar 640. Im Bereich der Gesetzgebungskompetenzen kam für sie, genau wie für die Länder, eine Auflösung der Rahmengesetzgebung in Betracht. Ablehnend zeigte sie sich gegenüber den von den Ländern vorgeschlagenen verfassungsunmittelbaren Zugriffsrechten. Dem Ziel einer Entflechtung näher sei es, einzelne Materien voll638

Clement, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2002, S. 22 hatte sich 2002 für eine Einräumung auf diejenigen Materien, die für eine aktive Infrastrukturpolitik der Länder entscheidend seien, ausgesprochen. 639 So schätzte Hamburgs Bürgermeister von Beust, dass Differenzen in 25% der insgesamt in den Leitlinien angesprochenen Vorhaben bestünden, vgl. seinen Redebeitrag auf dem Föderalismuskonvent der deutschen Landesparlamente, http://www.landtag.ltsh .de/aktuell/daten_aktuell/luebecker-konvent/doku_foederalismus-konvent.pdf. 640 Hrbek / Eppler, Deutschland vor der Föderalismus-Reform, Dokument 2, „Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung. Position des Bundes“, S. 32 ff.

4. Abschn.: Die Föderalismusreform

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ständig in die Zuständigkeit der Länder oder die des Bundes zu übertragen 641. Als zur Abgabe an die Länder geeignete Materien wurden lediglich die Allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse, das Notarwesen (mit Ausnahmen), das Jagdwesen und die lokale Freizeitlärmbekämpfung, also Randmaterien genannt. In die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes sollten mit dem Umweltschutz und Wasserhaushalt, dem Verbraucherschutz sowie dem Arzneimittelbereich wesentlich bedeutsamere Sachgebiete übergehen 642. Das zentrale Anliegen der Bundesregierung war es indes eine Reduzierung der Mitwirkungsbefugnisse des Bundesrates zu erreichen. In die Diskussion brachte sie dafür den Vorschlag ein, dass im Falle bundesgesetzlicher Öffnungsklauseln auf Zustimmungserfordernisse verzichtet werden könne 643. Weitreichender und grundlegender war die bereits in einem Sondervotum der Enquete-Kommission erhobene Forderung, in Art. 84 Abs. 1 GG die Trennungslehre verfassungsrechtlich zu verankern. Danach wären künftig nur diejenigen Teile eines Bundesgesetzes zustimmungsbedürftig, die die Einrichtung der Behörden und / oder das Verwaltungsverfahren regeln. Insgesamt entsprachen die Positionspapiere – wenig überraschend – dem jeweilig empfundenen Reformbedarf und zielten darauf, die eigene Handlungsfähigkeit zu stärken. Schon hierbei wurde erkennbar, was die Grundlage für einen erfolgversprechenden Kompromiss zwischen Bund und Ländern über die angestrebte Verfassungsänderung sein könnte: ein Verzicht der Länder auf ihre Zustimmungsrechte im Bundesrat im Gegenzug zu neuen Gestaltungsfreiheiten auf dem Gebiet der Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen 644. Die Chance für das Zustandekommen eines derartigen Tauschgeschäftes war dabei gerade im Vergleich zu den Verfassungsreformbestrebungen Anfang der neunziger Jahre deutlich höher, da die Länder mit den Zugriffsrechten eine Kompetenzart gefunden hatten, die für sie alle ausreichend attraktiv war und ein gemeinsames Anliegen darstellte 645. 641 Hrbek / Eppler, Deutschland vor der Föderalismus-Reform, Dokument 2, Position des Bundes, S. 33. 642 Daneben war noch die Übertragung des Melde- und Ausweiswesens sowie des Schutzes deutschen Kulturguts vor Abwanderung ins Ausland in die ausschließliche Zuständigkeit des Bundes vorgesehen. 643 Hrbek / Eppler, Deutschland vor der Föderalismus-Reform, Dokument 2, Position des Bundes, S. 33 ff. 644 In der Föderalismuskommission ist dieses Tauschgeschäft auch ausdrücklich von den Ländervertretern anvisiert, vgl. die Äußerungen der Ministerpräsidenten Stoiber, Teufel und Steinbrück, Stenografischer Bericht der 1. Kommissionssitzung am 7. November 2003, S. 5, 8 und 11 und von der Bundesjustizministerin Zypries anerkannt worden, S. 20. Ministerpräsident Teufel sah in einer entsprechenden Einigung den „Schlüssel für den Erfolg der gesamten Kommission“, Stenografischer Bericht der 2. Kommissionssitzung am 28. November 2003, S. 26.

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

B. Die Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung Auf der nächsten Sitzung der Ministerpräsidentenkonferenz am 26. Juni 2003 nahm der Bundeskanzler teil und es setzte sich die Erkenntnis durch, dass die Einbeziehung des Bundestages in das Reformvorhaben unerlässlich sei und die Möglichkeit einer gemeinsamen Föderalismus-Kommission deshalb geprüft werden müsse 646. Kurze Zeit später haben sich die Fraktionsvorsitzenden der SPD und der CDU / CSU geeinigt, im Herbst desselben Jahres eine gemeinsame Verhandlungskommission von Bundestag und Bundesrat zur Erarbeitung von Reformvorschlägen einzusetzen 647. Auch in dieser Hinsicht war der Zeitpunkt günstig gewählt, da beiden großen politischen Lagern kurz hintereinander die jeweilige Oppositionsmehrheit im Bundesrat gegenüber gestanden hatte und die Erinnerung an die damit verbundenen Schwierigkeiten noch frisch war. Auf beiden Seiten bestand daher ein ausgesprochen starkes Interesse, die Mitwirkungsrechte des Bundesrates zu verringern. In der Frage der Zusammensetzung konnte sich der Wunsch der Grünen und der FDP, einen Konvent nach europäischem Vorbild mit gleichberechtigter Beteiligung auch der Bundesregierung, der Landtage und der Kommunen abzuhalten 648, nicht durchsetzen. Abermals stand also lediglich das politisch Machbare und nicht eine kreative Verfassungsdiskussion, wie sie ein breit angelegter Verfassungskonvent unter Einbeziehung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen möglicherweise zu leisten vermocht hätte, im Vordergrund. Im Nachhinein wurde diese Tatsache für das Scheitern der Kommission bzw. für die nicht als ausreichend erachteten Ergebnisse verantwortlich gemacht 649. So wurde kriti645

Allein der öffentliche Erwartungsdruck hinsichtlich einer Reform des Bundesrates dürfte die Ministerpräsidenten nicht zu einem solchen Schritt veranlassen können. So aber die Vermutung von Fischer, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2005, S. 102. 646 Hrbek / Eppler, Deutschland vor der Föderalismus-Reform, Dokument 13, Einleitung zu dem Einsetzungsbeschluss des Bundesrates, S. 147: Bereits am 18. Juni 2003 hatte der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Müntefering den Vorschlag gemacht, im Herbst eine „umfassende Debatte zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung im Bundestag und zusammen mit dem Bundesrat zu führen sowie das Verfahren zur Einrichtung einer Verfassungskommission zu klären“, vgl. BT- Plenarprotokoll 15/51, S. 4202 B. 647 Am 8. Juli 2003 richtete der Vorsitzende der SPD-Fraktion ein entsprechendes Schreiben an die anderen Bundestagsfraktionen, bereits einen Tag später signalisierte die CDU / CSU ihre Zustimmung, vgl. Thaysen, ZParl 2004, S. 531. 648 Vgl. dazu Schubert, ZSE 2005, S. 127 mit Verweis auf einen Artikel im Tagesspiegel am Sonntag vom 3. August 2003. 649 Die Zeit 51/2004 vom 9. Dezember 2004, „Kurz vor Schluss: Ein Wutanfall“, Krupa, S. 11: Dort wurde die Frage aufgeworfen, ob „man die Frösche fragen darf, wenn man den Sumpf trocken legen will“; siehe auch Hrbek, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch

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siert, dass die institutionelle Frontenstellung zwischen Bundestag und Bundesrat als den hauptsächlich an den Vorarbeiten Beteiligten eine an sachlichen Erwägungen und Zielen ausgerichtete Debatte verhindert habe. Die Verhandlungen seien durch taktische, strategische Verhaltensweisen geprägt gewesen und hätten Sachzwängen unterlegen, die sich aus den Spielregeln der politischen Klasse ergeben hätten 650. Ergebnisse hätten dementsprechend nur im Wege von Tauschgeschäften oder auf der Grundlage des kleinsten gemeinsamen Nenners erzielt werden können 651. All dieser zum Teil berechtigten Kritik zum Trotz erscheint die Einrichtung einer Gemeinsamen Verfassungskommission in Bund-Länder-Angelegenheiten eine sichere Variante, um zu umsetzungsfähigen Reformvorschlägen zu gelangen. Bei einem anderen Teilnehmerzuschnitt wäre zu befürchten gewesen, dass sich die gesetzgebenden Körperschaften nicht mit dem gefundenen Ergebnis identifiziert hätten und es deshalb, wie etwa bei der Enquete-Kommission von 1973 geschehen, schlichtweg ignoriert oder zumindest völlig verändert hätten. In anderen Bereichen mögen Vorschläge außerhalb der „politischen Klasse“ eine anregende Wirkung entfalten, bei der Frage der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern indessen sind deren spezifische Interessen betroffen, so dass es sinnvoll erscheint, ihnen die Verhandlungsführung zu übertragen. I. Einsetzung der Kommission Am 16. Oktober 2003 beschloss der Bundestag 652, einen Tag später der Bundesrat 653 die Einsetzung einer gemeinsamen Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 654. In der konstituierenden Sitzung am 7. November 2003 wurde der Vorsitz der Kommission als Ausdruck der Parität der beiden Bänke auf den bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Stoiber und den Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfrak2006, S. 143; Renzsch, in: Hrbek (Hrsg.), Föderalismus-Reform, S. 94. Anders aber später Renzsch, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2006, S. 114. In diesem Beitrag kommt er zu dem Ergebnis, dass das „alternative Verfahren der Entscheidungsvorbereitung“ nicht vom politischen Wettbewerb beherrscht war und es daher nicht in erster Linie um die Verfolgung institutioneller Eigeninteressen ging. 650 Für die vergleichbare Lage bei den Beratungen zur Verfassungsänderung von 1994, Benz, DÖV 1993, S. 883 ff. und Kilper / Lhotta, Föderalismus, S. 261. 651 Siehe dazu Schultze, APuZ 2005, S. 19. 652 Der entsprechende Antrag ist in BT-Drs. 15/1685 enthalten. 653 Der entsprechende Antrag ist in BR-Drs. 750/03 enthalten; die Beschlusstexte wurden im Vorfeld zwischen Bundestag und Bundesrat abgestimmt, vgl. Dt. Bundestag, Dokumentation der Bundesstaatskommission, S. 17. 654 Inoffiziell wurde sie als „Bundesstaatskommission“, als „KOMBO“ bzw. als „Föderalismuskommission“ bezeichnet, vgl. Sturm / Zimmermann-Steinhart, Föderalismus, S. 13. Im Weiteren wird letzterer Begriff verwandt.

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tion Müntefering übertragen. Nicht zuletzt diese Personalentscheidung zeigt, welch hoher Stellenwert der Kommissionsarbeit von den Parteien eingeräumt wurde. Gleichzeitig stellte sie einen guten und vor allem auch einflussreichen Kontakt zu den Parteien sicher, so dass die in der Kommission vertretenen Positionen weitgehend auf deren Rückhalt stießen 655. Inhaltlich wiesen die Beschlusstexte der Kommission die Aufgabe zu, Vorschläge zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung zu erarbeiten. Dabei sollte sie sich an den Zielen der Verbesserung der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit von Bund und Ländern, der deutlicheren Zuordnung politischer Verantwortlichkeiten sowie der Steigerung der Zweckmäßigkeit und Effizienz der Aufgabenerfüllung orientieren 656. Von Anfang an ausgeklammert blieben dagegen aus Rücksicht auf die Empfängerländer die Fragen nach einer Reform des Finanzausgleichs und des bestehenden Steuerverbundes, außerdem das Thema einer Neugliederung 657. Diese Aufspaltung hat immer wieder zu Kritik geführt 658, die nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Die finanzielle Ausstattung der Länder spielt eine ganz erhebliche Rolle für die Frage, welche Aufgaben sie übernehmen wollen und vor allem auch können. Diesen Zusammenhang hinwegzureden ginge an der Realität vorbei. Gleichwohl ist der gewählte Ansatz verständlich. Eine noch komplexere Themensammlung hätte eine Einigung in weite Ferne rücken lassen und zudem den 2001 gefundenen Kompromiss über den bis einschließlich 2019 gesetzlich festgelegten Solidarpakt II und den Länderfinanzausgleich wie655

Der Kontakt zu den jeweiligen Parteien erfolgte über informelle Gremien und Gruppen, die zur Vorbereitung und Koordination der einzelnen Standpunkte dienten, Jun, ZParl 2004, S. 562 Fn. 16. Genaueres ist darüber nicht bekannt geworden. 656 BT-Drs. 15/1685, S. 1: Besondere Aufmerksamkeit sollte dabei der Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen, der künftigen Mitwirkungsrechte der Länder in der Bundesgesetzgebung und der Überprüfung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern gewidmet werden. 657 Ausdrücklich für richtig erachtet wurde dieses Vorgehen von Bundesjustizministerin Zypries, Stenografischer Bericht der 1. Kommissionssitzung am 7. November 2003, S. 19; von Teufel, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2005, S. 18 und Müller, in: 44. Bitburger Gespräche, Föderalismusreform, S. 12 ff. Vgl. zu dem Thema der Neugliederung die Äußerung des Bundestagsabgeordneten Bosbach, Stenografischer Bericht der 1. Kommissionssitzung am 7. November 2003, S. 10. Von der FDP wurde später der erfolglose Versuch unternommen, das Thema doch noch auf die Tagesordnung der Kommission zu setzen, vgl. Protokollvermerk Gespräche der Obleute am 13. Oktober 2004, S. 2. Die Neugliederungsfrage wird auch in der Föderalismuskommission II nicht behandelt. 658 Burgbacher, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 283; Hesse, ZSE 2005, S. 110 bezeichnete diese Begrenzung als „Selbstamputation“; kritisch auch Margedant, APuZ 2005, S. 26, Sturm, in: Borchard (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 96; Glauben, DRiZ 2005, S. 34; Fischer, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2005, S. 103 hinsichtlich der Neugliederungsfrage; Hrbek, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2006, S. 142; Merten, in: Blanke (Hrsg.), Bundesstaat, S. 81; Oschatz, in: Blanke (Hrsg.), Bundesstaat, S. 96; Blanke / Schwanengel, in: Blanke (Hrsg.), Bundesstaat, S. 18. Verteidigend dagegen: Thaysen, ZParl 2004, S. 539 und Decker, ZParl 2004, S. 542.

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der in Frage gestellt. Bei der vereinbarten Vorgehensweise bestand wenigstens die Hoffnung einen ersten Erfolg zu erreichen, der sich positiv auf die weiteren und wesentlich schwieriger zu erreichenden Reformmaßnahmen auswirken könnte. Zudem hat sie den Vorteil, dass sich der jeweilige Finanzbedarf dann mit Blick auf die neue Aufgabenverteilung ermitteln lässt 659. Die Vorschläge der im Dezember des darauf folgenden Jahres gescheiterten Kommission wurden in der Föderalismusreform bis auf wenige Änderungen vollständig übernommen. In ihr wurde die maßgebliche Vorarbeit zu der Grundgesetzänderung erbracht. Im Folgenden wird sich deswegen näher mit ihrer Zusammensetzung und ihrem Verfahrensablauf befasst, während die einzelnen Vorschläge nur grob skizziert und erst anlässlich der verabschiedeten Verfassungsänderung ausführlich behandelt werden. II. Zusammensetzung Mit Blick auf die eingeräumten Befugnisse lassen sich die an der Arbeit der Kommission mitwirkenden Personen in vier verschiedene Gruppen einteilen: zunächst die 32 „Mitglieder“, die ausgestattet mit Rede-, Antrags- und Stimmrecht den Kern der Zusammensetzung bildeten und je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat berufen wurden 660. Die Auswahl seitens des Bundestages orientierte sich dabei an dem Stärkeverhältnis der einzelnen Fraktionen 661, die für den Bundesrat handelnden Landesregierungen entsandten ausnahmslos ihre Regierungschefs 662. Neben diesem Entscheidungszentrum gab es „beratende Mitglieder“ und „ständige Gäste“, denen Antrags- und Rederechte zukamen. Bundesregierung und Landtage beriefen dem Einsetzungsbeschluss gemäß vier 663 bzw. sechs 664 beratende Mitglieder. Die ständigen Gäste, drei an der Zahl, wurden von den Präsidien der kommunalen Spitzenverbände gestellt. 665 Schließlich 659 Zu der Forderung der Gesetzgebungskompetenzübertragung an die Länder mit der zweiten Stufe der Föderalismusreform eine diesbezügliche Steuerautonomie folgen zu lassen, Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 20 GG Rn. 17. 660 Dieses „Vermittlungsausschuss-Modell“ hatten die Länder gegen das von der Bundesseite präferierte „Hauptausschuss-Modell“ durchgesetzt, Kröning, RuP 2005, S. 16. 661 Acht Mitglieder stellte die SPD (Bachmaier, Hacker, Kröning, Müntefering, Runde, Schwall-Düren, Simm und Wiefelspütz), sechs die CDU / CSU (Bosbach, Friedrich, Neumann, Röttgen, Strobel und Tillmann), jeweils eines die FDP (Burgbacher) und die Grünen (Sager). 662 Neun Ministerpräsidenten wurden von der CDU / CSU (Teufel, Stoiber, von Beust, Koch, Wulff, Müller, Milbradt, Böhmer und Althaus) und sieben von der SPD (Wowereit, Platzeck, Scherf, Ringstorff, Steinbrück, Beck und Simonis) entsandt. 663 Der Chef des Bundeskanzleramts Steinmeier, die Bundesjustizministerin Zypries, der Bundesfinanzminister Eichel und die Bundesverbraucherschutzministerin Künast. 664 Die Auswahl war den Landtagen überlassen worden. Sie einigten sich auf zwei Landtagspräsidenten (Arens aus Schleswig-Holstein und Spotka aus Sachsen-Anhalt)

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nahmen als letzte Gruppe die nur zur Rede befugten Sachverständigen teil 666. Mit Ausnahme der Letzteren wurden für alle Mitwirkenden Stellvertreter benannt. Insgesamt war damit eine Vielzahl an Personen in die Arbeit der Kommission involviert, wobei die Entscheidung über die Änderungsvorschläge den auch später für eine Verfassungsänderung verantwortlichen Mitgliedern des Bundestages und Bundesrates vorbehalten war. Dass die Bundesregierung nicht in den Entscheidungsprozess eingebunden war, sollte sich angesichts der Tatsache, dass sie die maßgeblichen Positionen für die Bundesseite verfasste, als ungünstig erweisen 667. Sie fühlte sich nicht für das Gelingen der Arbeit verantwortlich und sah daher zunächst keine Veranlassung eigene konstruktive Lösungsvorschläge zu unterbreiten 668. Vielmehr zog sie sich auf ihre Rolle als beratendes Mitglied zurück und hielt es in dieser Funktion offenbar lange Zeit für ausreichend, die Forderungen der Länder ohne Gegenvorschlag abzuwehren. Nicht zutreffend ist hingegen die Annahme, dass die Hauptleidtragenden der deutschen Föderalismusentwicklung, die Landtage, zur Durchsetzung eigener Machtinteressen von den Länderexekutiven ausgeschaltet worden waren 669. Wenngleich die Landtage möglicherweise mehr hätten erreichen können 670, verbuchten sie ihre Einbeziehung in die Arbeit der Föderalismuskommission mit Rede- und Antragsrecht als Erfolg 671. Zudem stimmten die Vorstellungen der Landesregierungen mit den Positionen der Landtage auch nach deren eigener Einschätzung im Wesentlichen überein 672, so dass sie sich durch diese gut vertreten sahen. und vier Fraktionsvorsitzende unterschiedlicher Parteien (Rüttgers aus Nordrhein-Westfalen, Drexler aus Baden-Württemberg, Hahn aus Hessen und Kretschmann aus BadenWürttemberg). 665 Ernannt wurde das jeweilige geschäftsführende Präsidialmitglied des Deutschen Städtetags (Articus), des Deutschen Landkreistags (Henneke) und des Deutschen Städteund Gemeindebundes (Landsberg). 666 Die zwölf Sachverständigen, Professoren der Rechts-, Wirtschafts- und Politikwissenschaften, wurden einstimmig berufen. Im Einzelnen waren es: Benz, Grimm, Homburg, Huber, Kirchhof, Meyer, Pohl, Scharpf, Schmidt-Jortzig, Schneider, Scholz und Wieland. 667 Dieses Defizit wurde in der Föderalismuskommission II behoben, indem die Regierungsfraktionen für ihre insgesamt sechs Mitglieder zwei aus der Bundesregierung entsandten. 668 Vgl. dazu auch die Ausführungen von Schubert, ZSE 2005, S. 132 und Hrbek, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2006, S. 143. 669 So aber Sturm / Zimmermann-Steinhart, Föderalismus, S. 139. 670 So die Einschätzung Thaysens, ZParl 2004, S. 532. 671 Siehe hierzu Landtagspräsident Spotka, Stenografischer Bericht 1. Kommissionssitzung am 7. November 2003, S. 21 und Lieberknecht, in: Blanke (Hrsg.), Bundesstaat, S. 3. 672 Landtagspräsident Spotka, Stenografischer Bericht 1. Kommissionssitzung am 7. November 2003, S. 20 und Lieberknecht, in: Blanke (Hrsg.), Bundesstaat, S. 3.

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In der Kernzusammensetzung ausschließlich mit professionellen Politikern aus Bundesrat und Bundestag 673 wie auch in der Frage, mit welchem Quorum Beschlüsse in Sachfragen gefasst werden konnten (Zwei-Drittel-Mehrheit!), bestand eine Parallele zu der Gemeinsamen Verfassungskommission von 1991. Damit sollten, genauso wie damals, Lösungen gefunden werden, bei denen eine hohe Chance auf Realisierung bestand und gleichzeitig der Druck auf die gesetzgebenden Organe verstärkt wurde. Für die Beschlüsse der Kommission hieß das aber auch, dass eine wenigstens teilweise Einigung sowohl zwischen den mit der gleichen Mitgliederzahl vertretenen Parteien der Bundestagskoalition und Bundestagsopposition 674 als auch zwischen Bund und Ländern erforderlich war. Es war abzusehen, dass die unterschiedliche Interessenlage der Teilnehmer hier zu erheblichen Schwierigkeiten führen würde 675. Dabei verlief die Konfliktlinie, wie schon bei der Gemeinsamen Verfassungskommission von 1991, in erster Linie zwischen Bund und Ländern, jeweilig repräsentiert von Bundestag(smehrheit) bzw. Bundesrat 676. Es sind die potentiell selbst von der Reform Betroffenen, die sich hier als „institutionell konkurrierende Verfassungsorganvertreter“ 677 gegenüberstehen und bei den Verhandlungen ihre institutionellen Eigeninteressen verfolgen. In den einzelnen Dokumenten wird diese in den Bundesorganen „versinnbildlichte Polarität von Zentralität und Föderalität“ 678 insbesondere daran offenkundig, dass stets von den Vertretern der Länder einerseits, von den Vertretern des Bundes andererseits die Rede war. Die Länder untereinander präsentierten sich dagegen zumindest nach außen hin in relativer Geschlossenheit 679. Den Ministerpräsidenten war es unter Federführung der Länder Bayern und Bremen gelungen ein aktualisiertes Positionspapier zu erstellen 680, das keineswegs als ein Kompromiss auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner bezeichnet werden kann. Ungeachtet der gewaltigen Inter673

Die Föderalismuskommission hatte allerdings nur halb so viele Mitglieder wie die Gemeinsame Verfassungskommission (BT-Drs. 12/6000, S. 9) und entsprach damit den Vorstellungen, die die CDU / CSU und FDP schon 1991 hinsichtlich der Zusammensetzung der Gemeinsamen Verfassungskommission vertreten hatten (BT-Drs. 12/567). 674 Jeweils 16 Mitglieder, vgl. die Tabelle bei Schubert, ZSE 2005, S. 131. 675 Der Vorsitzende Müntefering hat hierfür das Bild des „achteckigen Verhandlungstisches“ geprägt, Stenografischer Bericht der 8. Kommissionssitzung am 8. Juli 2004, S. 163. 676 So auch die Wahrnehmung von Röttgen / Boehl, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 25 und Benneter / Poschmann, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 184; vgl. dazu Jun, ZParl 2004, S. 569 ff. und seine idealtypische Einteilung in sog. Wettbewerbsföderalisten einerseits und sog. Flexibilisier andererseits. Erstere seien eher auf Seiten der Länder, letztere auf Seiten des Bundes zu finden. 677 Bremers, Gemeinsame Verfassungskommission, S. 325 ff. 678 Kilper / Lhotta, Föderalismus, S. 261. 679 So auch Teufel, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2005, S. 16. 680 Kommissionsdrs. 0045, Positionspapier der Ministerpräsidenten vom 6. Mai 2004.

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essenunterschiede zwischen wirtschaftlich starken und wirtschaftlich schwachen Ländern, westdeutschen und ostdeutschen Ländern, Stadtstaaten und Flächenstaaten hatte man die schon ein Jahr zuvor aufgestellten Forderungen übernommen und sich zu einem neuen Gestaltungsföderalismus bekannt. Um der Gemeinsamkeit willen hatten die Länder einzelne ihrer individuellen Änderungswünsche zurückgestellt und Positionen mitgetragen, die nicht auf der eigenen Agenda standen 681. Gleichwohl zeigten die Beratungen, dass in manchen Bereichen durchaus unterschiedliche Vorstellungen über den anzustrebenden gesetzgeberischen Entscheidungsspielraum der Länder herrschten 682. Die Parteigegensätze zwischen SPD / Grünen (sogenannte A-Seite) und CDU / CSU / FDP (sogenannte B-Seite) haben bei den Auseinandersetzungen insgesamt eine untergeordnete Rolle gespielt. Dass Parteikonflikte bei der Verteilung der Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen generell von nachrangiger Bedeutung sind, bestätigt nicht nur ein Blick auf die Beratungen des Parlamentarischen Rates, sondern auch die Tatsache, dass die jeweiligen Regierungsfraktionen unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit an der Erhaltung möglichst weitreichender Kompetenzen interessiert sind, also in ihrer Funktion als konkurrierender Verfassungsorganvertreter agieren. III. Öffentlichkeit Im Zusammenhang mit der oben beschriebenen Kritik an der Zusammensetzung der Kommission steht der Vorwurf, die Kommission habe sich zu einer „Insider“-Veranstaltung 683 entwickelt und deswegen nicht in ausreichendem Maße das Interesse der Bevölkerung mobilisiert. Dabei hatte sich die Föderalismuskommission im Gegensatz zu früheren Gremien ausdrücklich zum Leitsatz 681 Kommissionsdrs. 0045, Positionspapier der Ministerpräsidenten vom 6. Mai 2004, S. 2; vgl. die Ausführungen des Ministerpräsidenten Böhmer, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2006, S. 22: „Sachsen-Anhalt ist bereit, dies (die Übertragung des öffentlichen Dienstrechts, Anm. d. Verf.) mitzutragen, weil wir die Solidarität dieser Länder in anderen für uns existentiellen Fragen brauchen“. 682 Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein distanzierten sich in vielen Fragen von der vereinbarten Position und traten unter Betonung der Priorität einheitlicher (!) Lebensverhältnisse wiederholt für eine starke Bundeskompetenz ein. Dies gilt beispielsweise bei der Diskussion um das öffentliche Dienstrecht, Protokollvermerk der 2. Sitzung der AG 1 am 12. Februar 2004, S. 3 f., um die regionale Arbeitsmarktpolitik, Protokollvermerk der 7. Sitzung der AG 1 am 30. September 2004, S. 26, um die berufliche Bildung und die Kinder- und Jugendhilfe, vgl. Stenografischer Bericht der 9. Kommissionssitzung am 14. Oktober 2004, S. 225, 233 und 236. Mecklenburg-Vorpommern war das einzige Land, das der Föderalismusreform im Bundesrat seine Zustimmung verweigerte, Schleswig-Holstein enthielt sich. 683 Sturm / Zimmermann-Steinhart, Föderalismus, S. 149. Zustimmend Renzsch, in: Hrbek (Hrsg.), Föderalismus-Reform, S. 94.

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der Transparenz bekannt 684 und die Kommissionssitzungen in Ausnahme zu § 69 GO-BT von Beginn an der Öffentlichkeit zugänglich gemacht 685. Tatsächlich hat die maßgebliche Arbeit dann aber in den nicht öffentlich tagenden Arbeitsgruppen, Projektgruppen und dem erweiterten Obleutegremium stattgefunden. Selbst von den im Grundsatz öffentlichen Kommissionssitzungen wurden mehr als die Hälfte nicht öffentlich abgehalten. Im Nachhinein wurden zwar alle Dokumente, Protokolle und schriftlich fixierten Verhandlungen publiziert. Der eigentliche Entscheidungsprozess hat sich aber unter Ausschluss und ohne Einwirkungsmöglichkeit der Öffentlichkeit vollzogen. Allerdings ist zweifelhaft, ob das in der Tat geringe Interesse der Bevölkerung – es wurden lediglich 200 Bürgereingaben gezählt – durch mehr Öffentlichkeit hätte geweckt werden können. Die bundesstaatliche Ordnung ist kein Thema, das die Menschen politisch zu begeistern vermag. Dies muss in den Auswirkungen für das Gelingen einer Reform nicht nur negativ sein. Zwar enthalten diese Fragen daher kaum Profilierungspotential für Politiker und ein Erfolg erscheint deshalb weniger erstrebenswert. Andererseits kann die Debatte ohne die ständige Begleitung der Öffentlichkeit weitaus sachlicher geführt werden 686. IV. Verfahrensablauf Die weiteren verfahrensmäßigen und organisatorischen Fragen waren in der konstituierenden Sitzung den sogenannten Obleuten übertragen worden. Diese waren auf Seiten des Bundestages die jeweiligen Fraktionssprecher 687, auf Seiten des Bundesrates je zwei Vertreter der A- und B- Länder 688. Zusammen mit den beiden Vorsitzenden Müntefering und Stoiber bildeten sie das sogenannte Obleutegremium, dem in seiner erweiterten Zusammensetzung in der Endphase der Kommissionsarbeit die Aufgabe oblag, den Entwurf für eine Beschlussempfehlung der Kommission auszuarbeiten. Die maßgeblichen Vorarbeiten, auf die dort zurückgegriffen wurde, waren in den Arbeits- und Projektgruppen geleistet worden. Bereits in ihrer zweiten von insgesamt elf Plenumssitzungen beschloss die Kommission auf Vorschlag der Obleute zwei Arbeitsgruppen, eine für den The684 Vorsitzender Müntefering, Stenografischer Bericht der 1. Kommissionssitzung am 7. November 2003, S. 3 f. 685 Zu dieser Entscheidung, vgl. Stenografischer Bericht der 1. Kommissionssitzung am 7. November 2003, S. 23. 686 Zu der Öffentlichkeitsdistanz als Verständigungsvoraussetzung bei der Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission, Bremers, Gemeinsame Verfassungskommission, S. 358 ff. 687 Kröning (SPD), Bosbach (CDU / CSU), Sager (Bündnis 90/Die Grünen) und Burgbacher (FDP). 688 Für die SPD: Scherf (Bremen) und Steinbrück (Nordrhein-Westfalen), für die CDU / CSU: Müller (Saarland) und Milbradt (Sachsen).

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menbereich „Gesetzgebungskompetenzen und Mitwirkungsrechte“ und eine für den Themenkomplex „Finanzbeziehungen“ einzusetzen 689. Mitte Mai 2004 zeichnete sich jedoch ab, dass mit dieser Arbeitsweise das hoch gesteckte Ziel, bis Ende des Jahres 2004 Ergebnisse vorzulegen, nur schwer erreichbar sein würde, weswegen auf Empfehlung der Vorsitzenden sieben zusätzliche Projektgruppen eingerichtet wurden 690. Bestehend aus je vier Personen der Bundestags- und Bundesratsbank 691 sollten sie Problempunkte näher beleuchten und hierzu Vorschläge erarbeiten, auf deren Grundlage Texte für Änderungen des Grundgesetzes entworfen werden konnten. Im Einzelnen beschäftigten sich die Projektgruppen mit folgenden Gebieten: Projektgruppe 1 „Art. 84 GG / Materielle Zugriffsrechte / Europa“, Projektgruppe 2 „Öffentlicher Dienst / Innere Sicherheit“, Projektgruppe 3 „Bildung und Kultur“, Projektgruppe 4 „Umwelt- und Verbraucherschutzrecht“, Projektgruppe 5 „Regionale Themen“, Projektgruppe 6 „Finanzthemen“ und Projektgruppe 7 „Hauptstadt“. Während die vorangehende Phase der Kommissionsarbeit eher durch allgemeine Stellungnahmen und erste Grobpositionierungen geprägt war – etwas anderes wäre angesichts der Größe der Arbeitsgruppen 692 und der Vielzahl an Themen auch kaum möglich gewesen – gelang es in den Projektgruppen diejenigen Reformvorschläge herauszufiltern, die eine Chance auf die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit hatten. Diese zweite Phase dient daher als Ausgangspunkt für den im dritten Kapitel wiedergegebenen Beratungsverlauf zu den einzelnen Grundgesetzänderungen. Obwohl die Projektgruppen zu einer erheblichen Konkretisierung der Vorstellungen beigetragen haben, waren auch nach Abschluss ihrer Arbeit noch viele Fragen offen und es fehlte ein alle Einzelansätze bündelnder Gesamtansatz. Aus diesem Grunde wurden die beiden Vorsitzenden im Oktober 2004 mit der Aufgabe betraut, einen Kompromissvorschlag im Kreis des erweiterten Obleutegremiums 693 zu verfassen 694. In dieser relativ großen Runde – es hätte für die 689 Für beide Arbeitsgruppen wurden jeweils vier Koordinatoren (je zwei aus Bundestag bzw. Bundesrat von der A- bzw. B-Seite), also ein „Kleeblatt“ benannt, das für die Organisation der Arbeitsgruppe zuständig war, Stenografischer Bericht der 2. Kommissionssitzung am 28. November 2003, S. 25. Für die AG 1 waren dies: Bachmaier (SPD), Röttgen (CDU / CSU), Teufel (Baden-Württemberg) und Wowereit (Berlin). Den Arbeitsgruppen waren keine bestimmten Mitglieder zugeordnet worden, so dass Mitglieder und Gäste abwechselnd je nach Interesse teilnehmen konnten. 690 Protokollvermerk Obleutegespräch am 14. Mai 2004, S. 1 und Anlage 1. 691 Jeweils ein Vertreter der vier Bundestagsfraktionen und jeweils zwei Ländervertreter der A- bzw. B- Seite. 692 So war bei den Beratungen in der AG 1 nicht selten eine dreistellige Personenzahl anwesend, vgl. Krings, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 67 Rn. 23. 693 Zu den beiden Vorsitzenden und den acht Obleuten sind die jeweils vier Koordinatoren der Arbeitsgruppen hinzugekommen, so dass insgesamt 18 Leute an den Konsultationsrunden teilgenommen haben.

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erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit nur noch vier weiterer stimmberechtigter Mitglieder bedurft – wurden die in den Projekt- und Arbeitsgruppen erzielten Ergebnisse zusammengeführt und im Zuge eines gegenseitigen Gebens und Nehmens auf vielen Feldern Lösungen gefunden. Als Datum für die endgültige Entscheidung über die Beschlussempfehlung war der 17. Dezember 2004 vorgesehen 695. Anstelle des Ergebnisses wurde an diesem Tag das überraschende 696 Scheitern der Kommission bekannt gegeben, da es nicht gelungen war, sich auf ein gemeinsames Reformkonzept zu einigen. Als unüberbrückbares Hindernis hatte sich in der offiziellen Lesart die auch schon im Vorentwurf der Vorsitzenden strittig gebliebene Bildungsfrage herauskristallisiert. Während in den dort ebenfalls als ungelöst bezeichneten Bereichen der Inneren Sicherheit, der Mitwirkung der Länder in Europafragen und der EU-Haftung vermutlich eine Einigung, wenn auch nur im Wege eines offenkundigen Kompromisses hätte erzielt werden können 697, gestaltete sich die Problematik um das Umweltrahmenrecht schon weitaus schwieriger 698. Gänzlich unversöhnlich standen sich die Ansichten aber im Bildungswesen gegenüber. Da der vom Bundesrat entsandte Vorsitzende Stoiber die Verständigung auf eine gemeinsame Beschlussvorlage von dieser als für die Länderstaatlichkeit essentiell angesehenen Frage abhängig gemacht hatte 699, musste die Arbeit der Kommission zunächst ohne jedes, zumindest offizielles Ergebnis bleiben. Inhaltlich ging es bei dem Streit um die Bildungspolitik um zwei Themengebiete: das Hochschulrahmenrecht und die Gemeinschaftsaufgaben. Wenngleich auch zu den Gesetzgebungszuständigkeiten im Hochschulwesen (Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a GG) keine Übereinstimmung erzielt werden konnte, spricht viel dafür, dass hier ohne die Frontenstellung bei der Gemeinschaftsaufgabe Bildungsplanung eine Annäherung möglich gewesen wäre. Zwischenzeitlich hatte man sogar eine Kompromisslösung gefunden, wonach der Bund von 694 Protokollvermerk über Gespräche der Obleute am 13. Oktober 2004, S. 2; vgl. die Bemerkung des Vorsitzenden Stoiber, dass die Vorsitzenden eine Redaktionskonferenz bevorzugt hätten, Stenografischer Bericht der 10. Kommissionssitzung am 4. November 2004, S. 253. 695 Protokollvermerk über Gespräche der Obleute am 13. Oktober 2004, S. 2. 696 Noch vier Tage vorher informierten die beiden Vorsitzenden die Öffentlichkeit über einen von ihnen erstellten konkretisierten Vorschlag, SZ vom 13. Dezember 2004, „Einigung über Reform des Föderalismus“, Prantl / Fahrenholz, www.sueddeutsche.de /deutschland/artikel/574/44530/. 697 Vorsitzende Müntefering und Stoiber, Stenografischer Bericht der 11. Kommissionssitzung am 17. Dezember 2004, S. 279 und 282. 698 Vorsitzender Müntefering, Stenografischer Bericht der 11. Kommissionssitzung am 17. Dezember 2004, S. 279. 699 Vorsitzender Stoiber, Stenografischer Bericht der 11. Kommissionssitzung am 17. Dezember 2004, S. 281.

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

einer neuen konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz zur Regelung der Hochschulzulassung, Hochschulabschlüsse und Qualitätssicherung solange Gebrauch machen können sollte, bis die Länder diese Bereiche in einem Staatsvertrag regeln würden 700. Davon hat der Bund – aus nicht bekannten Gründen – letzten Endes wieder Abstand genommen und eine uneingeschränkte konkurrierende Gesetzgebungskompetenz gefordert, für die allerdings ein neuer Zustimmungstatbestand des Bundesrates eingeführt werden sollte 701. Für die Länder, die das Hochschulwesen zur Abrundung ihrer Bildungskompetenzen beanspruchten, kam dagegen höchstens die bereits vorher bestehende Rahmenkompetenz und diese auch nur noch begrenzt auf die Bereiche der Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse in Betracht 702. Als völlig unüberbrückbar erwiesen sich die Differenzen hinsichtlich der Gemeinschaftsaufgabe Bildungsplanung. Während die Länder darauf drängten die „Bildungsplanung“ des Art. 91b GG vollständig aufzuheben 703, wollten die Regierungsfraktionen des Bundes diesen Begriff durch den Passus „bedeutsame Vorhaben im Bildungswesen“ oder eine ähnliche Formulierung ersetzen 704. Anstatt sich dieses hochbrisanten, weil auch besonders aktuellen Themas anzunehmen, wurde es bis zuletzt aus den Verhandlungen ausgeblendet 705. Zusätzliche Unstimmigkeiten traten schließlich noch darüber auf, in welchem Umfang die Mittel aus der gestrichenen Bundesfinanzierung des Hochschulbaus an die Länder gehen sollten 706.

700 Sprechzettel der Vorsitzenden für die 2. Konsultationsrunde am 26. November 2004, S. 2 f. 701 So der Vorsitzende Müntefering, Stenografischer Bericht der 11. Kommissionssitzung am 17. Dezember 2004, S. 279 und der Bundestagsabgeordnete Krings, Stenografischer Bericht der 8. Kommissionssitzung am 8. Juli 2004, S. 188. 702 Vorsitzender Stoiber, Stenografischer Bericht der 11. Kommissionssitzung am 17. Dezember 2004, S. 282. 703 Kommissionsdrs. 0045, Positionspapier der Ministerpräsidenten vom 6. Mai 2004, S. 8. 704 Vorsitzender Müntefering, Stenografischer Bericht der 11. Kommissionssitzung am 17. Dezember 2004, S. 279. 705 Vgl. dazu Münch, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2005, S. 159. Die konträren Positionen waren bereits zu Tage getreten, als die SPD-Bundestagsabgeordneten Kröning und Runde eine Erweiterung der Gemeinschaftsaufgabe Bildungsplanung dergestalt vorschlugen, dass künftig bei der gesamten „Fortentwicklung des Bildungswesens“ zusammengewirkt werden können sollte, vgl. Kommissionsdrs. 0057 vom 10. Juni 2004. Bei den Ländern stieß dieser Vorschlag einhellig auf Ablehnung. 706 Stenografischer Bericht der 11. Kommissionssitzung am 17. Dezember 2004, S. 279: Die Länder forderten, der Bund solle seinen Anteil von 925 Millionen Euro jährlich zu mindestens 80 % den Ländern überweisen, der Bund war dagegen zur Abgabe von höchstens 50 % bereit.

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Es ist indes kaum anzunehmen, dass allein sachliche Divergenzen in dieser einen Frage das Gesamtprojekt scheitern ließen. Hinter der Diskussion stand mehr als ein von Argumenten geleiteter Disput über die Zuordnung des Bildungsthemas. Es ging um handfeste machtpolitische Interessen sowohl der Landesals auch der Bundesseite, die zusätzlich noch von parteipolitischen Gegensätzen überlagert wurden 707. So hatte vor allem der Druck auf den die Länderseite repräsentierenden Vorsitzenden Stoiber in der Woche vor der abschließenden Beschlussfassung deutlich zugenommen 708. Die Länder waren dem Bund bei seinen beiden zentralen Zielen – der Reduzierung der Zustimmungsquote des Bundesrates und der Einschränkung des Anwendungsbereiches des Art. 72 Abs. 2 GG – entgegengekommen, hatten selbst aber bisher lediglich auf einem von drei Feldern ihren Wunsch nach autonomer Gestaltung durchsetzen können. Ohne den Bildungsbereich als dem für sie bedeutsamsten Politikfeld und die Möglichkeit, ihn auf Landesebene mit eigenen Vorstellungen ausfüllen zu können, sahen insbesondere die CDU-Ministerpräsidenten 709 keine Chance auf eine Einigung. Dies war keineswegs überraschend und im Laufe der Kommissionsarbeit immer wieder angekündigt worden 710. Zur Aufgabe ihrer machtvollen Position im Bundesrat und damit generell auf nationaler Ebene waren sie nur gegen einen angemessenen Ausgleich bereit 711.

707 Nicht überzeugend ist dagegen die Vermutung von Sturm / Zimmermann-Steinhart, Föderalismus, S. 144 f., dass der Streit in der Bildungsfrage nur ein willkommener Anlass war, von den erzielten Ergebnissen wieder loszukommen. Sich gegen derartige Unterstellungen verwahrend, Müller, in: 44. Bitburger Gespräche, Föderalismusreform, S. 16. 708 Vgl. dazu DER SPIEGEL 52/2004 „Die Blamage“ vom 20. Dezember 2004, Darnstädt u. a., S. 22 ff. 709 Siehe hierzu die Äußerungen des Vorsitzenden Stoiber, Stenografischer Bericht der 11. Kommissionssitzung am 17. Dezember 2004, S. 281, des Ministerpräsidenten Koch, in: DER SPIEGEL 52/2004 „Die Blamage“ vom 20. Dezember 2004, Darnstädt u. a., S. 24: „Wer so etwas (die Gemeinschaftsaufgabe Bildungsplanung, Anm. d. Verf.) fordert, der muss wissen, dass eine Einigung unmöglich ist“, des Ministerpräsidenten Teufel, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2005, S. 15 und 18, der darauf hinweist, das die Kompromissbereitschaft der Länder überstrapaziert wurde und die Bildungskompetenzen fast nur noch einen symbolischen Preis dargestellt hätten und des Ministerpräsidenten Müller, in: 44. Bitburger Gespräche, Föderalismusreform, S. 17 f. 710 Vgl. zu der Verknüpfung zwischen der Bildungsfrage und dem Erfolg der gesamten Kommissionsarbeit, Landtagsabgeordneter Kretschmann, Ministerpräsident Teufel und StR Hoffmann in der 7. Sitzung der AG 1 am 30. September 2004, Protokollvermerk, S. 14 f. In der 9. Kommissionssitzung am 14. Oktober 2004 äußerte Teufel dann wörtlich, dass die Gemeinschaftsaufgabe Bildungsplanung eine „Soll-Bruchstelle der gesamten Kommissionsarbeit“ darstelle, Stenografischer Bericht, S. 224. 711 So auch Münch, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2005, S. 160 f.; zu polemisch dagegen Schultze, APuZ 2005, S. 17, wenn er den Ministerpräsidenten unterstellt, dass sie „die Selbstdarstellung auf der nationalen (Medien-)Bühne und den Einfluss auf die Bundespolitik weiter genießen wollen“ und deswegen eine Einigung verhindert hätten. Ähnlich Sturm / Zimmermann-Steinhart, Föderalismus, S. 144 f.

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

Der Bund wiederum betrachtete die Bildungspolitik als „Schlüssel für die Zukunftsfähigkeit des Landes“ 712. Eine Übertragung an die Länder hätte daher nicht nur das Aus der auf der Grundlage der Gemeinschaftsaufgabe Bildungsplanung bisher aufgestellten Modellprogramme bedeutet 713, sondern dem Bund insgesamt ein wichtiges Betätigungsfeld im globalen Wettbewerb um die besten Köpfe genommen. Zu dem Verzicht auf einen solch wahlkampftauglichen Themenkomplex konnte man sich vor dem anstehenden Bundestagswahlkampf 2005 und unter dem Eindruck der jüngeren PISA-Ergebnisse nicht durchringen. Vielmehr wurde die Bildungspolitik von Bundeskanzler Schröder und Bundesbildungsministerin Bulmahn vor dem Scheitern der Föderalismuskommission in den Medien immer wieder als nationales Thema in den Vordergrund gerückt und mit dieser Strategie des „going public“ die Fronten zusätzlich verhärtet 714. V. Zusammenfassung der Ergebnisse: Vorschlag der Vorsitzenden vom 13. Dezember 2004 Auch wenn die Kommission keinen offiziellen Beschluss gefasst hat, ist es der erweiterten Obleuterunde doch in den meisten Teilen gelungen 715, zu einer Lösung zu gelangen. Den bestehenden Konsens zwischen Bund und Ländern sowie zwischen der A- und B-Seite zu Papier gebracht, haben die beiden Vorsitzenden in ihrem gemeinsamen Vorentwurf vom 13. Dezember 2004 716. Im Wesentlichen 717 ist er auf dem Stand des letzten Sprechzettels der Vorsitzenden, 712 Bundeskanzler Schröder, in: DER SPIEGEL 52/2004 „Die Blamage“ vom 20. Dezember 2004, Darnstädt u. a., S. 23; vgl. auch die Äußerung des Vorsitzenden Müntefering, dass es sich um „eines der wichtigsten Felder für die Zukunftsfähigkeit des Landes überhaupt“ handele, Stenografischer Bericht der 8. Kommissionssitzung am 8. Juli 2004, S. 195. 713 Beispielsweise das BLK-Modellversuchsprogramm SINUS, das vom Bund mit 16 Millionen Euro bezuschusst wurde, Münch, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2005, S. 160. 714 Siehe hierzu Große Hüttmann, in: Hrbek (Hrsg.), Föderalismus-Reform, S. 170. So z. B. die öffentliche Bekundung der Bildungsministerin Bulmahn in Folge der PISA II-Studie eine grundlegende Strukturreform der Schulformen und die Abschaffung der Hauptschule anzustreben, SZ vom 8. Dezember 2004, „Bulmahn will die Hauptschule abschaffen“, Finetti / Rubner, http://www.sueddeutsche.de/jobkarriere/berufstudium/artikel /318/44274/. Davor waren schon neue Finanzierungsmodelle für „Eliteuniversitäten“ vorgestellt worden. Kritisch gegenüber dem Vorgehen der Bundesregierung Böhmler, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 152. 715 Lediglich für die fünf oben genannten Themenkomplexe – von insgesamt 18 Projekten – war noch keine einvernehmliche Lösung gefunden worden, AU 104 – neu –, Vorschlag der Vorsitzenden vom 13. Dezember 2004. 716 Vgl. dazu Anhang III, S. 318 ff. 717 Im Vergleich zu dem Beratungsstand im Sprechzettel der Vorsitzenden für die 3. Konsultationsrunde sollten noch das Heimrecht und der Strafvollzug in die ausschließliche Länderzuständigkeit überführt werden. Zugunsten des Bundes war für das Arbeits-

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beinhaltete aber konkrete Grundgesetzänderungsempfehlungen. Er dient deshalb als Grundlage für die Darstellung der erarbeiteten Vorschläge zu den Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen. 1. Zu den Gesetzgebungskompetenzen Der Vorsitzendenentwurf enthielt gerade auch im Vergleich zu früheren Kommissionsempfehlungen in einem verhältnismäßig großen Umfang Änderungen in der Zuordnung einzelner Kompetenzmaterien. So hätten insgesamt allein zwölf Materien in die ausschließliche Zuständigkeit der Länder und fünf in die des Bundes übergehen sollen. Auf die Übertragung letzterer einigte man sich ohne weitere Diskussionen, da lediglich Bereiche verschoben werden sollten, die auch schon bislang ausschließlich vom Bundesgesetzgeber geregelt worden waren. Weder war mit diesem Vorschlag daher eine tatsächliche Stärkung des Bundes noch eine Schwächung der Länder verbunden 718. Die Verhandlungen über die Zuordnung von Sachmaterien in die Länderzuständigkeit gestalteten sich dagegen wesentlich schwieriger. Die einigermaßen geschlossene Front der nach einer Vielzahl von Gesetzgebungsmaterien strebenden Länder 719, sah sich einer unkoordinierten Bundesseite gegenüber 720, so dass eine gezielte Kompromisssuche nicht möglich war. Weder innerhalb der Bundesregierung, noch zwischen ihr und den sie tragenden Bundestagsfraktionen, noch innerhalb des Bundestages war eine Abstimmung erfolgt und eine gemeinsame Verhandlungsführung vereinbart worden. Die Bundesministerien, die keine bereichsübergreifende Gesamtkonzeption im Auge hatten, sondern sich ausschließlich auf ihren Fachbereich fokussierten, verschärften mit ihren stets destruktiven Stellungnahmen zu den in den Projektgruppen vorgetragenen Länderforderungen die Fronten 721. Auf besonderen Unmut bei den Ländern stieß vor allen Dingen die immer wieder vorgebrachte Unterstellung, dass eine Übertragung auf sie zu einem Absenken der Standards, sogar zu einer Gefährdung der grundgesetzlichen Vorgaben führen könnte 722. Die Bundesregierung hat darecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG) und die Statusrechte und -pflichten (Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG) eine Befreiung von der Erforderlichkeitsklausel vorgesehen. Zudem sollte dem Bund die Regelungszuständigkeit für das Bergarbeiterwohnungsbaurecht und das Bergmannssiedlungsrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG) erhalten bleiben. 718 Schubert, ZSE 2005, S. 138 sah darin gleichwohl eine Relativierung der beabsichtigten Dezentralisierung der Gesetzgebungsbefugnisse. 719 Kommissionsdrs. 0045, Positionspapier der Ministerpräsidenten vom 6. Mai 2004, S. 5 ff. Dieses Papier enthielt primär Vorschläge zu Vollübertragungen. Mit ihrem zweiten Positionspapier passten sich die Ministerpräsidenten an die Entflechtungslinie der Kommission an. 720 So auch Schmitz, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 252. Demgegenüber hat Kröning die Bundesseite als geschlossen wahrgenommen, vgl. RuP 2005, S. 15 f. 721 Siehe hierzu Hrbek, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2006, S. 143.

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

durch unverhohlen ihr Misstrauen gegenüber der politischen Leistungsfähigkeit der Länder zum Ausdruck gebracht. Erst das Scheitern der Gesetzesregelungen zur Juniorprofessur am 27. April 2004 vor dem Bundesverfassungsgericht, zu einem Zeitpunkt als die Beratungen bereits in vollem Gange waren, führte zu einem Umdenken. Angesichts der unter der restriktiven Auslegung des Bundesverfassungsgerichts unsicher gewordenen konkurrierenden und Rahmengesetzgebungskompetenz wuchs das Interesse auf Seiten des Bundes, möglichst viele Kompetenztitel von dem Erforderlichkeitskriterium zu befreien. Die Liste der zur Übertragung an die Länder vorgeschlagenen Gesetzgebungsmaterien fiel in den abschließenden Beratungen zwischen den Vorsitzenden deshalb unerwartet lang aus und umfasste sogar bis dahin nicht diskutierte Bereiche 723. Bei der Verhandlungsmasse des Bundes handelte es sich aber vorwiegend um Teilmaterien der konkurrierenden Gesetzgebung, denen qualitativ keine große Bedeutung zukommt. Inhaltlich blieb die Liste damit hinter den in den früheren Leitlinien aufgestellten Vorstellungen der Länder zurück und wurde zudem nur verkürzt in den Vorsitzendenentwurf übernommen. Die Länder hatten ihr im Laufe der Kommissionsarbeit entwickeltes Ziel, ganze Politikfelder zur autonomen Gestaltung zu erhalten, lediglich im Bereich des öffentlichen Dienstrechts erreicht 724. Das Entgegenkommen des Bundes bei den Gesetzgebungskompetenzen führte auf der Länderseite dennoch zu dem vom Bund gewünschten Erfolg. Die Länder boten dem Bund die Befreiung von den Anforderungen der Erforderlichkeitsklausel infolge des Zugeständnisses nicht mehr nur noch gegen die Einräumung eines Abweichungsrechts, sondern auch in Fällen offensichtlicher Erforderlichkeit bundesgesetzlicher Regelungen an. Diese letztere Voraussetzung sahen sie bei 15 Kompetenztiteln der konkurrierenden Gesetzgebung gegeben. Höchst kontrovers beurteilt und intensiv diskutiert in der Föderalismuskommission wurde die Frage nach der Einführung von materiellen Zugriffsrechten. Letztlich hat dieser neue Kompetenztypus dann keinen Eingang in den Vorent722 Vgl. die Ausführungen der Bundesministerin Zypries in der 1. Sitzung der AG 1 am 15. Januar 2004, Protokollvermerk S. 7; kritisch dazu Böhmler, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 278; Burgbacher, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 282 und Krings, in Kluth (Hrsg.) Föderalismusreform, S. 78. 723 Siehe hierzu die Vorstellung der erst zu diesem Zeitpunkt abgesprochenen Position der Bundesregierung von Bundesjustizministerin Zypries auf der Regierungs-Pressekonferenz am 10. November 2004, http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/mitschrift/96 /743496/multi.htm und der Sprechzettel der Vorsitzenden für die 1. Konsultationsrunde am gleichen Tag, S. 4. Das Kanzleramt hatte die einzelnen Ressorts dazu aufgefordert, sich in einer Art „Beichtstuhlverfahren“ auf das „Kerngeschäft“ zu beschränken, vgl. Scharpf, ZSE 2005, S. 99. 724 Zu diesem Ziel, das sich primär noch auf den Bildungssektor und sekundär auf die Kompetenzen mit Regionalzusammenhang bezog, vgl. den Sprechzettel der Vorsitzenden für die 1. Konsultationsrunde am 10. November 2004, S. 2.

4. Abschn.: Die Föderalismusreform

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wurf gefunden 725. Im Hinblick auf die Vorgehensweise der Kommission, die Gesetzgebungskataloge zunächst daraufhin zu durchforsten, was eindeutig der jeweiligen Seite zugeordnet werden kann (Trennsystem) 726 und erst in einem zweiten Schritt subsidiär die Einräumung von Zugriffsrechten in Erwägung zu ziehen, kamen für eine entsprechende Einordnung zuletzt nur noch die Materien des Umweltrechts in Betracht 727. Unter dem Oberbegriff des „materiellen Zugriffsrechts“ standen im Wesentlichen drei Vorschläge zur Debatte, wobei sich die Empfehlung Stünker / Röttgen 728 (sogenannte „Abweichungsgesetzgebung“ 729) als erfolgversprechendste Variante durchsetzte 730. Danach sollte von Art. 72 GG lediglich dessen erster Absatz unverändert erhalten bleiben. An die Stelle der Erforderlichkeitsklausel sollte ein Abweichungsrecht der Länder treten, für das eine Beschränkung auf bestimmte, noch zu bezeichnende Gesetzgebungsmaterien vorgesehen war. Der Bund würde nach diesem Vorschlag nicht von der Gesetzgebung ausgeschlossen, wenn die Länder von ihrem Abweichungsrecht Gebrauch machen, und könnte seinerseits wieder tätig werden. Im Verhältnis von Bundes- und Landesrecht sollte also stets das nachfolgende Recht im Sinne der lex-posterior-Regel anwendbar sein. Diese Rückholmöglichkeit des Bundes war es, die auf massive Bedenken der Länder stieß. Aus den Unterlagen geht allerdings nicht hervor, ob die Einigung auf ein Abweichungsrecht daran oder an der Haltung der Bundesseite, die diesem Kompetenztypus grundsätzlich kritisch gegenüberstand, scheiterte. Dass die Rahmengesetzgebung des Art. 75 GG noch in dem Vorentwurf enthalten war, war allein der Tatsache geschuldet, dass sich nicht über die Zuordnung der umweltrelevanten Materien und des Hochschulwesens geeinigt werden konnte 731.

725

AU 104 – neu –, Vorentwurf der Vorsitzenden vom 13. Dezember 2004, S. 6 ff. Protokollvermerk der 1. Sitzung der AG 1 am 15. Januar 2004, Anhang, S. 1. 727 Kurzzeitig wurde die Einführung eines Zugriffsrechts auch im Bereich des öffentlichen Dienstes diskutiert, vgl. PAU-2/0008, Gesetzgebungskompetenzen im öffentlichen Dienst-, Besoldungs- und Versorgungsrecht, Sächsisches Staatsministerium der Justiz vom 24. September 2004, S. 1. Hier konnte man sich jedoch am Ende der Verhandlungen auf eine weitgehende Zuweisung an den Landesgesetzgeber einigen, AU 104 – neu –, Vorentwurf der Vorsitzenden vom 13. Dezember 2004, S. 3. 728 PAU- 1/0017 „Eckpunkte zu einer Neufassung des Art. 72 GG“ vom 27. September 2004. 729 So die Bezeichnung des Bundestagsabgeordneten Bachmaier, vgl. Stenografischer Bericht der 9. Kommissionssitzung am 14. Oktober 2004, S. 205. 730 Siehe dazu den Ergebnisvermerk der 7. Sitzung der PG 1 am 28. September 2004, S. 2: Die Länder Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt sahen darin jedenfalls eine Diskussionsgrundlage. Siehe auch den Stenografischen Bericht der 9. Kommissionssitzung am 14. Oktober 2004, S. 205 und den Sprechzettel der Vorsitzenden für die 2. Konsultationsrunde am 26. November 2004, S. 8. 726

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

2. Zu den Verwaltungskompetenzen Dem zentralen Ziel der Bundesregierung, eine Reduktion der zustimmungsbedürftigen Gesetze durch Änderung des Art. 84 GG zu erreichen, war man bei Beendigung der Kommissionsarbeit sehr nahe gekommen. Die Länder hatten den Verzicht auf ihre Mitwirkungsrechte im Bundesrat in ihrem aktualisierten Positionspapier vom 6. Mai 2004 an vier Bedingungen geknüpft 732. Der Bund sollte künftig auf die Regelung der Behördeneinrichtung verzichten und den Ländern auf seine nach wie vor möglichen Verfahrensregelungen ein Zugriffsrecht einräumen. Zudem sollte ein neuer Zustimmungstatbestand für Gesetze mit „erheblichen“ Kostenfolgen für die Länder eingeführt 733 und den Ländern substantielle eigene, politische Gestaltungsmöglichkeiten übertragen werden. Die Ministerpräsidenten hatten hier Maximalforderungen formuliert, bei deren Durchsicht deutlich wird, dass es ihnen nicht nur, wie gelegentlich behauptet 734, um die Zurückgewinnung eigener Gestaltungsmacht über die Verwaltungshoheit ging. Vielmehr wollten sie für den Verzicht der durch die Einheitstheorie ermöglichten Mitbestimmung auf den materiellen Inhalt der Bundesgesetze, eigene inhaltliche Gestaltungsmöglichkeiten erhalten. Paradoxerweise war es daher gerade die die unitarische Entwicklung über Jahre hinweg befördernde Einheitsthese, die den Ländern eine starke Verhandlungsposition zur Rückgewinnung eigener legislativer Spielräume verschaffte. Der Bund erklärte sich von diesen vier Forderungen mit der Verankerung eines formellen Zugriffsrechts in Art. 84 Abs. 1 GG und der Schaffung eines neuen Zustimmungstatbestandes – der für ihn eine Relativierung der eigenen Zielsetzung bedeutete – einverstanden. Weder wollte er jedoch das Recht zur Behördenregelung gänzlich fallen lassen noch – und dieser Punkt sollte sich als entscheidend für das Scheitern der Föderalismuskommission herausstellen – war er bereit, den Ländern mehr als eines der drei angestrebten Politikfelder zur autonomen Gestaltung zu übertragen. VI. Fortgang nach dem Scheitern der Föderalismuskommission Die Konsequenzen, die aus dem Scheitern der Kommission gezogen wurden, waren unterschiedlicher Art 735, wenngleich sich in einem Punkt jedoch alle einig 731

Vgl. hierzu die Feststellung des Vorsitzenden Müntefering, dass die „Rahmenkompetenz aufgehoben wird“, Stenografischer Bericht der 8. Kommissionssitzung am 8. Juli 2004, S. 163. 732 Kommissionsdrs. 0045, Positionspapier der Ministerpräsidenten vom 6. Mai 2004, S. 2 f. 733 Der Bürgermeister von Bremen, Scherf, hatte sich bereits in der 1. Kommissionssitzung für einen solchen neuen Zustimmungstatbestand eingesetzt, Stenografischer Bericht der 1. Kommissionssitzung am 7. November 2003, S. 18. 734 Vgl. dazu insbesondere Rauber, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 37 und 50.

4. Abschn.: Die Föderalismusreform

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waren 736: Die Bemühungen um die Reform des Bundesstaates müssten, sei es durch die Verabschiedung des in den wesentlichen Grundzügen bereits erstellten Verfassungsreformvorschlages oder eines – möglicherweise in einem Verfassungskonvent zu erarbeitenden 737 – „neuen“ Verfassungsänderungsvorschlages 738, weiter geführt werden. Schon auf dem „Job-Gipfel“ am 17. März 2005 kamen Bundeskanzler Schröder, die CDU-Vorsitzende Merkel und der bayerische Ministerpräsident Stoiber dem Aufruf des Bundespräsidenten Köhler vom 15. März 2005 nach und vereinbarten, die Verhandlungen fortzusetzen. Mitte April verständigten sich die ehemaligen Vorsitzenden, Müntefering und Stoiber, die gemeinsame Kommissionsarbeit wieder aufzunehmen. Dabei wurde jedoch ein gegenüber der Arbeitsweise der Föderalismuskommission anderer Ansatz gewählt: Während die Arbeit der Föderalismuskommission der Öffentlichkeit zugänglich war, sollten jetzt im kleinsten Kreis, in der Art eines „rechtlich freischwebenden Vorsitzendenverfahrens“ 739 nicht-öffentliche Gespräche geführt werden 740. Bis zu der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 22. Mai 2005 gelang es den an diesen Gesprächen Beteiligten viele der im Dezember noch offenen Fragen zu klären. Dies lässt sich nicht zuletzt daraus entnehmen, dass für Ende Mai bereits eine Sondersitzung der Ministerpräsidenten-Konferenz geplant war, die die Ergebnisse der informellen Beratungsrunde hätte bestätigen sollen. So schien sowohl eine Einigung in der Bildungspolitik als auch im Umweltrecht, für das eine Abweichungsbefugnis der Länder eingeführt werden sollte, in Reichweite 741. Die Ankündigung von vorgezogenen Bundestagsneuwahlen am Tag der Landtagswahl zwang das Gremium jedoch zur Unterbrechung seiner Zusammenarbeit, so dass die Föderalismusreform nicht mehr in der 15. Legislaturperiode abgeschlossen werden konnte.

735

Vor allem wurde darin die Bestätigung gesehen, dass sich die Bundesrepublik in der „Politikverflechtungsfalle“ befinde, Schultze, APuZ 2005, S. 17 und Sturm / ZimmermannSteinhart, Föderalismus, S. 144 f. 736 Schmidt-Jortzig, APuZ 2005, S. 12; zu den verschiedenen Reaktionen Hrbek, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2006, S. 139 f. 737 Dafür Hesse, ZSE 2005, S. 117 ff.; so auch der Bundestagsabgeordnete Burgbacher, vgl. Becker, in: Hrbek (Hrsg.), Föderalismus-Reform, S. 149. 738 Schultze, APuZ 2005, S. 13. Diese Variante hielten auch Sturm / ZimmermannSteinhart, Föderalismus, S. 149 für aussichtsreich. 739 Stock, ZUR 2006, S. 116. 740 Die Gespräche wurden maßgeblich von dem Amtschef der Bayerischen Staatskanzlei Schön und dem Müntefering-Vertrauten Holtschneider geführt. Eine Einbindung der Regierungsfraktionen hat scheinbar zum Verdruss des Grünen Koalitionspartners nicht stattgefunden, vgl. Sager, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 117. 741 Hrbek, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2006, S. 146. Der dort getroffene Kompromiss über die Forschungsförderung hatte bereits vor der Sommerpause 2005 die lang ausstehende Einigung in der Exzellenzinitiative herbeigeführt, vgl. dazu Kröning, RuP 2006, S. 12.

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

C. Aufnahme des Reformvorhabens in den Koalitionsvertrag Der überraschende Ausgang der Wahl zum 16. Deutschen Bundestag am 18. September 2005, der eine Entscheidung für eine Große Koalition zwischen SPD und CDU / CSU nach sich zog, bot die idealen Bedingungen für eine rasche Umsetzung der weit gediehenen Arbeiten zur Föderalismusreform. Bereits kurz nach der Wahl beschloss die Große Koalition, die Föderalismusreform als erstes großes Reformprojekt auf ihre Agenda zu setzen und sie als Annex zum Koalitionsvertrag zu vereinbaren. Von Beginn an stand fest, dass sie zur Umsetzung dieses Projektes auf die Zustimmung der FDP angewiesen sein würde 742. Deshalb wurde deren Bedingung, dieser Reform eine zweite über die Neugestaltung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern folgen zu lassen, in den Koalitionsvertrag aufgenommen 743. Die gerade stattfindenden Beratungen über die Föderalismusreform II sind daher nicht zuletzt auf diesen Einsatz der FDP zurückzuführen 744. Zur Fertigstellung des „ersten“ Vorhabens setzte die Große Koalition eine aus Vertretern von Bund und Ländern gebildete ressortunspezifische Koalitionsarbeitsgruppe „Föderalismus“ unter der Leitung des designierten CDU-Bundesinnenministers Schäuble und des SPD-Generalsekretärs Benneter ein 745. Nach vier Treffen zwischen dem 24. Oktober und dem 7. November 2005 war es ihr möglich, unter Zugrundelegung des Vorsitzendenpapiers 746 und eines Berichts über den im Mai 2005 erreichten „vorläufigen Verhandlungsstand“ 747 die im Vorjahr 742 Die FDP war zu diesem Zeitpunkt in fünf Landesregierungen vertreten, so dass die Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundesrat von ihrer Zustimmung abhing, Kröning, RuP 2006, S. 9. 743 Koalitionsvertrag vom 18. November 2005, www.cdu.de/doc/pdf/05_11_11_Koalit ionsvertrag.pdf, S. 109: Anfang 2006 sollte mit entsprechenden Beratungen begonnen werden. Nach Meinung der FDP war eine Föderalismusreform ohne Reform der Finanzverfassung „reine Verfassungslyrik“. 744 Obwohl die Große Koalition nach den zwischenzeitlich abgehaltenen Landtagswahlen nicht mehr auf die Stimmen der Länder, in denen die FDP mitregierte, angewiesen war, verfolgte sie diesen Plan weiter. 745 Röttgen / Boehl, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 29. Auf Seiten der CDU / CSU waren noch der erste parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion Röttgen, der Justitiar Friedrich, der sächsische Innenminister de Maizière sowie die Ministerpräsidenten Stoiber und Rüttgers, auf Seiten der SPD der Partei- und Fraktionsvorsitzende Müntefering, der Kanzleramtschef Steinmeier, der Bundestagsabgeordnete und Obmann der SPD in der Föderalismuskommission Kröning, der Regierende Bürgermeister von Berlin Wowereit, der Ministerpräsident Beck sowie die Bundesjustizministerin Zypries beteiligt. 746 AU 104 – neu –, Vorschlag der Vorsitzenden vom 13. Dezember 2004. 747 Röttgen / Boehl, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 29: Der Bericht wurde von den Unterhändlern der Vorsitzenden Müntefering und Stoiber erstellt.

4. Abschn.: Die Föderalismusreform

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noch nicht geglückte Gesamteinigung zu erzielen. Ebenso wie die Nachverhandlungen im Frühjahr 2005 sind diese Gespräche nicht öffentlich dokumentiert, über ihren Inhalt ist wenig bekannt. Das daher in dem Weg seines Zustandekommens kaum nachvollziehbare Ergebnis der Arbeitsgruppe ist in der mit Grundgesetzformulierungen und Begleittexten versehenen Anlage 2 des Koalitionsvertrages enthalten 748. Am 11. November 2005 hatten sich die Koalitionäre auf den Inhalt dieses Koalitionsvertrages mit dem Titel „Gemeinsam für Deutschland – mit Mut und Menschlichkeit“ verständigt 749. Es folgten die Zustimmungsbeschlüsse der Parteitage von SPD, CDU und CSU am 14. November 2005 und sodann die Unterzeichnung durch die Parteivorsitzenden am 18. November 2005. Auch in der Ministerpräsidentenkonferenz am 14. Dezember 2005 traf dieses Ergebnis auf uneingeschränkte, positive Resonanz. Man kam dort mit der Bundeskanzlerin überein, das förmliche Gesetzgebungsverfahren parallel in Bundestag und Bundesrat einzuleiten 750 und es bis zur parlamentarischen Sommerpause abzuschließen. Inhaltlich entsprach der Anhang 2 des Koalitionsvertrages den Vorschlägen des Vorsitzendenentwurfes 751 und beinhaltete darüber hinaus Lösungen für die dort noch offenen Punkte. Von zentraler Bedeutung für die Einigung auf den umstrittensten Gebieten des Bildungs- und Umweltrechts war die Einführung der schon in der Föderalismuskommission sehr intensiv diskutierten Abweichungsgesetzgebung. Diese sollte als dritter Unterfall der konkurrierenden Gesetzgebung in Art. 72 Abs. 3 GG eingefügt werden und sich auf diejenigen Materien der aufzuhebenden Rahmengesetzgebung beziehen, die nicht der ausschließlichen Bundes- oder Landeszuständigkeit zugeordnet werden konnten. Folgender Wortlaut war für sie vorgesehen: „Hat der Bund von seiner Gesetzgebungsbefugnis Gebrauch gemacht, können die Länder durch Gesetz hiervon abweichende Regelungen auf folgenden Gebieten treffen. 1. Jagdwesen, soweit es sich nicht um das Recht der Jagdscheine handelt; 2. Naturschutz und Landschaftspflege, soweit es sich nicht um Grundsätze des Naturschutzes, das Recht des Artenschutzes oder des Meeresnaturschutzes handelt; 3. Bodenverteilung; 748 Vgl. zu den Veränderungen gegenüber dem Vorentwurf der Vorsitzenden, Anhang IV, S. 324 ff. 749 Koalitionsvertrag vom 18. November 2005, www.cdu.de/doc/pdf/05_11_11_Koalit ionsvertrag.pdf. 750 „Ministerpräsidenten stimmen Föderalismusreform zu“, www.baden-wuerttemberg .de/sixcms/detail.php?id=112020&referer=85737. Dabei wurde vereinbart, dass das Paket nicht wieder aufgeschnürt werden dürfe. 751 Es wurden lediglich geringfügige Änderungen vorgenommen. So wurde aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG ausdrücklich die Schaustellung von Personen ausgenommen und der Begriff der Abfallbeseitigung in Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG durch den Begriff der Abfallwirtschaft ersetzt. Außerdem sollten noch die Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung von der Erforderlichkeitsklausel befreit werden.

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1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

4. Raumordnung; 5. Wasserhaushalt, soweit es sich nicht um stoff- oder anlagenbezogene Regelungen handelt; 6. Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse.“ 752

Nach dem daran anschließenden Satz, Art. 72 Abs. 3 Satz 2 GG, sollten Bundesgesetze auf diesen Gebieten grundsätzlich frühestens sechs Monate nach ihrem Erlass in Kraft treten. Eine Regelung zu dem Verhältnis von abweichendem Bundes- und Landesrecht war dagegen noch nicht enthalten, auch wenn angesichts der Verhandlungslinie des Bundes außer Frage stand, dass dem Bund eine Rückholmöglichkeit zustehen sollte 753. Zu der Gesamteinigung über die Kompetenzverteilung im Bildungswesen zählte zudem die Ersetzung des Begriffes „Bildungsplanung“ durch den Passus „auf Grund von Vereinbarungen zur Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen Vergleich und diesbezüglichen Berichten und Empfehlungen“, Art. 91b Abs. 2 GG 754. Aus dem ebenfalls im Vorentwurf umstritten gebliebenen Gebiet der inneren Sicherheit wählte die Koalitionsarbeitsgruppe zwar eine inhaltlich begrenzte und vermittelnde Empfehlung aus, die aber die Gesetzgebungskompetenz des Bundes gegenüber dem letzten Stand in der Föderalismuskommission deutlich erweiterte 755. Ergänzend hatte die Koalitionsarbeitsgruppe in Art. 125a GG Übergangsvorschriften für das mangels Kompetenzgrundlage nicht mehr erlassfähige Bundes- und Landesaltrecht ausgearbeitet. Schließlich sollte den Ländern durch ein neues Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2b GG die Möglichkeit eingeräumt werden, die Freigabe zur Ausübung ihrer Gesetzgebungszuständigkeit bei fehlender Erforderlichkeit im Sinne des Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG vor dem Bundesverfassungsgericht zu erzwingen.

752 Vgl. den Koalitionsvertrag vom 18. November 2005, www.cdu.de/doc/pdf/05_11 _11_Koalitionsvertrag.pdf, Anlage 2, S. 10. 753 Siehe hierzu Röttgen / Boehl, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 30 und Stünker, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 101. Die Vermutung Kespers, NdsVBl. 2006, S. 149, dass die Koalitionsarbeitsgruppe die Frage des Verhältnisses von Bundes- und Landesrecht offen gelassen habe, ist daher unzutreffend. 754 Vgl. den Koalitionsvertrag vom 18. November 2005, www.cdu.de/doc/pdf/05_11 _11_Koalitionsvertrag.pdf, Anlage 2, S. 20. 755 Auch zu der Frage der Mitwirkung der Länder in Europafragen und der EU-Haftung hatte man einen Kompromiss erzielen können, vgl. den Koalitionsvertrag vom 18. November 2005, www.cdu.de/doc/pdf/05_11_11_Koalitionsvertrag.pdf, Anlage 2, S. 26 ff.

4. Abschn.: Die Föderalismusreform

159

D. Ausarbeitung des Gesetzentwurfes zur Änderung des Grundgesetzes Die Anlage 2 zu dem Koalitionsvertrag wurde nicht unverändert in den Gesetzesentwurf übernommen 756. Die endgültige Abfassung der Gesetzestexte oblag einer von der Bundesregierung und den Ministerpräsidenten eingesetzten Redaktionskonferenz, wieder ein Gremium, das nicht öffentlich tagte und im kleinsten Kreis verhandelte. Es bestand aus Fachleuten der federführenden Bundesministerien (BMI, BMJ, BMF, ChBK) und der vier koordinierenden Länder (Bayern, Bremen, Berlin und Nordrhein-Westfalen) und wurde von Beratern der Koalitionsfraktionen geleitet 757. Bei der Formulierung der Gesetzesbegründung wurde offenbar, dass neben Unzulänglichkeiten in den Übergangsvorschriften 758 zwei gravierende Auslegungsdifferenzen zwischen Bund und Ländern über das formelle und materielle Abweichungsrecht bestanden und dass daher erneut auch inhaltliche Modifikationen von Nöten waren 759. Das Mandat der Redaktionskonferenz reichte jedoch nicht aus, um solche größeren inhaltlichen Unstimmigkeiten auszuräumen. Es musste deshalb erneut eine politische Runde, bestehend aus Vertretern der Bundesregierung, des Bundestages und des Bundesrates zusammentreten, die nach mühsamen Verhandlungen am 9. bzw. 16. Februar 2006 eine Gesamteinigung erzielen konnte 760. Für die Abweichungsbefugnisse von Bundesaltrecht entwarf sie eine eigene Übergangsvorschrift, Art. 125b GG, die eine Klärung der strittigen Fragen herbeiführte. Während die Länder hierzu weitgehend ihre Vorstellungen durchsetzen konnten, gelang es dem Bund im Anwendungsfeld des Art. 84 Abs. 1 GG eine Rückholmöglichkeit zu seinen Gunsten zu verankern. Gesetzestechnisch wurde dies dadurch bewerkstelligt, dass in Art. 84 Abs. 1 Satz 3 GG auf Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG verwiesen wurde, in dem mittlerweile ausdrücklich die lex-posterior-Regelung („Auf den Gebieten des Satzes 1 geht im Verhältnis von Bundes- und Landesrecht das jeweils spätere Gesetz vor“) aufgenommen worden war. 756 Vgl. zu den Veränderungen gegenüber dem Anhang des Koalitionsvertrages, Anhang V, S. 326 ff. 757 Röttgen / Boehl, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 31: Insgesamt ist diese Redaktionsgruppe zu sieben Sitzungen zusammengekommen. 758 Art. 125a Abs. 1 GG wurde um weitere einschlägige Vorschriften ergänzt und für die aufgehobene Rahmengesetzgebung wurde die Übergangsvorschrift des Art. 125b Abs. 1 GG eingefügt. Außerdem wurde das gerichtliche Verfahren auf die Fälle des Art. 72 Abs. 4 GG erstreckt, in Art. 93 Abs. 2 GG verankert und von einer weiteren Voraussetzung abhängig gemacht. Ansonsten fanden noch einige Umformulierungen statt, die für den Inhalt ohne Belang waren. 759 Dazu Röttgen / Boehl, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 31 f. 760 Holtschneider / Schön, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 6.

160

1. Kap.: Der Weg zur Föderalismusreform

Zum dritten Mal hatten die entscheidenden Beratungen damit außerhalb des Parlamentes stattgefunden. Diese Vorgehensweise stieß bei einigen Bundestagsabgeordneten auf massive Kritik, verständlicherweise insbesondere bei denjenigen, die dem ausgearbeiteten Reformentwurf ablehnend gegenüber standen 761.

E. Verabschiedung der Föderalismusreform durch Bundestag und Bundesrat Der auf der Ministerpräsidentenkonferenz im Dezember 2005 getroffenen Vereinbarung folgend brachten die beiden Fraktionen der Großen Koalition und vier Länder gleich lautende Gesetzesentwürfe zur Änderung des Grundgesetzes 762 sowie ein Föderalismusreform-Begleitgesetz mit den notwendigen Folgeregelungen auf einfachrechtlicher Ebene am 7. März 2006 in Bundestag 763 und Bundesrat 764 ein. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens fanden zwischen dem 15. Mai und dem 2. Juni 2006 Anhörungen vor dem Rechtsausschuss des Bundestages und dem Innenausschuss des Bundesrates 765 statt. Diese wurden nicht nur von den Oppositionsparteien, sondern auch von Sachverständigen genutzt, um teilweise schwerwiegende Bedenken an einigen Elementen des Gesetzesentwurfes, insbesondere an den geplanten Neuerungen im Umwelt- und Bildungsrecht, anzubringen 766. Da es sich jedoch bei dem Gesetzesvorhaben um fein abgestimmte Kompromisslösungen handelte, hätte jede größere Änderung zu einem Ungleichgewicht geführt und das gesamte Reformwerk gefährdet 767. Daher überrascht es 761

Siehe dazu Hrbek, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2006, S. 149. Das Reformvorhaben betraf 25 Grundgesetzartikel. 763 BT-Drs. 16/813 und 16/814. 764 BR-Drs. 178/06 und 179/06. 765 Sitzungsprotokolle der 12. bis 20. Sitzung des Rechtsausschusses des Bundestages. Eine vergleichbar umfangreiche Anhörung hat es bislang in der Geschichte des Bundestages nicht gegeben. Die Oppositionsparteien hätten Anhörungen vor den jeweils zuständigen Fachausschüssen, die mehr die Einzelaspekte und nicht so sehr das Gesamtanliegen in den Blick genommen hätten, präferiert, vgl. Sager, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 133. Kritisch gegenüber der gewählten Vorgehensweise auch Stock, ZG 2006, S. 244 ff. 766 Es wurden mehr als 100 Sachverständige eingeladen, die sich schriftlich und mündlich äußern konnten. 767 So hatten die Ministerpräsidenten sich bereits im Vorhinein auf ihrer Sonderministerpräsidentenkonferenz am 6. März 2006 darauf verständigt, Änderungen nur im gegenseitigen Einvernehmen zuzulassen, Hrbek, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2006, S. 149. Kritisch zu dem unter Zeit- und Konsensdruck von statten gehenden Verfahren der Grundgesetzänderung, Degenhart, in: Dolzer / Vogel, Bonner Kommentar, Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG Rn. 67; Kesper, NdsVBl. 2006, S. 158; Selmer, JuS 2006, S. 154 f. 762

4. Abschn.: Die Föderalismusreform

161

nicht, dass mit den von dem federführenden Rechtsausschuss empfohlenen 13 Änderungen 768 ausschließlich Randkorrekturen verbunden waren. Der ursprüngliche Gesetzesentwurf blieb in allen wesentlichen Grundentscheidungen unberührt. In diesem Zusammenhang erwähnenswert ist lediglich die Beibehaltung der Bundeskompetenz für das Notariat, das Absenken der zunächst erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit des Bundesrates für eine Fristverkürzung im Rahmen des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 GG auf ein einfaches Zustimmungserfordernis und die Einschränkung der Sechs-Monats-Frist im Anwendungsbereich des Art. 84 Abs. 1 Satz 3 GG auf Fälle, in denen anders als bei Art. 72 Abs. 3 Satz 2 GG ein Land tatsächlich eine abweichende Regelung getroffen hat 769. Im erneut aufkommenden großkoalitionären Streit über die Gemeinschaftsaufgabe Bildungsplanung und Forschungsförderung ist die Union einer zentralen Forderung der SPD-Bundestagsfraktion entgegengekommen 770. Nach Art. 91b Abs. 1 Nr. 2 GG sollten der Bund und die Länder danach bei der Förderung von Vorhaben der Wissenschaft und Forschung an Hochschulen zusammenwirken können, wenn alle Länder zugestimmt haben (Art. 91b Abs. 1 Satz 2 GG) 771. Am 30. Juni 2006 wurde das 52. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes in der von dem Rechtsausschuss empfohlenen Fassung mit nahezu allen Stimmen der Fraktionen von CDU / CSU und SPD im Bundestag verabschiedet. Am 7. Juli 2006 stimmte der Bundesrat dem Gesetzesvorhaben zu 772. Das Föderalismusreformgesetz ist am 31. August 2006 im Bundesgesetzblatt (BGBl. I S. 2034) verkündet worden und gemäß Art. 2 einen Tag später in Kraft getreten. Das Föderalismusreform-Begleitgesetz ist am 11. September 2006 (BGBl. I S. 2098) verkündet worden und enthielt nach Art. 22 unterschiedliche Zeitpunkte für sein Inkrafttreten.

768

BT-Drs. 16/2010; vgl. hierzu Anhang VI, S. 329 f. BT-Drs. 16/2010, S. 6. 770 Vgl. SPIEGEL-ONLINE, „Koch bestätigt Einigung bei Föderalismusreform“, vom 19. Juni 2006, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,422244,00.html. Vgl. dazu auch Sager, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 130 ff. 771 BT-Drs. 16/2010, S. 6. 772 BR-Drs. 462/06. Lediglich Mecklenburg-Vorpommern stimmte gegen die Reform und Schleswig-Holstein enthielt sich. 769

Zweites Kapitel

Ziele der Föderalismusreform Für die Beurteilung der Föderalismusreform ist die vom verfassungsändernden Gesetzgeber mit ihr verfolgte Zielsetzung von maßgeblicher Bedeutung. Das Zweite Kapitel befasst sich daher mit der Frage, welche Ziele sich der verfassungsändernde Gesetzgeber setzte und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. Dabei ist zwischen den ausdrücklich in der Gesetzesbegründung aufgeführten Zielen, die im Wesentlichen an den zu der Reform führenden Gründen ansetzen, und den nicht ausdrücklich aufgenommenen, aber dennoch verfolgten Zielen zu unterscheiden.

Erster Abschnitt

Ziele nach der Gesetzesbegründung Nach der Gesetzesbegründung soll die Föderalismusreform „demokratie- und effizienzhinderliche Verflechtungen zwischen Bund und Ländern abbauen und wieder klarere Verantwortlichkeiten schaffen und so die föderalen Elemente der Solidarität und der Kooperation einerseits und des Wettbewerbs andererseits neu ausbalancieren. Insgesamt geht es um eine nachhaltige Stärkung der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit sowohl des Bundes als auch der Länder“ 1. Zur näheren Konkretisierung dieser allgemein gehaltenen Ausführungen wurde in der Gesetzesbegründung auf eine frühere Erklärung der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidenten vom 14. Dezember 2005 Bezug genommen 2. Die Regierungschefs hatten sich dort auf folgende Ziele verständigt: „– Stärkung der Gesetzgebung von Bund und Ländern durch eine deutlichere Zuordnung der Gesetzgebungskompetenzen und Abschaffung der Rahmengesetzgebung – Abbau gegenseitiger Blockaden durch Neubestimmung der Zustimmungsbedürftigkeit von Bundesgesetzen im Bundesrat 1 2

BT-Drs. 16/813, S. 7. BT-Drs. 16/813, S. 7.

1. Abschn.: Ziele nach der Gesetzesbegründung

163

– Abbau von Mischfinanzierungen und Neufassung der Möglichkeiten für Finanzhilfen des Bundes unter Bekräftigung der Zusagen aus dem Solidarpakt II für die neuen Länder und – die Stärkung der Europatauglichkeit des Grundgesetzes durch eine Neuregelung der Außenvertretung und Regelungen zu einem nationalen Stabilitätspakt sowie zur Verantwortlichkeit für die Einhaltung von supranationalem Recht“. Insgesamt stimmen die in der Gesetzesbegründung angegebenen Reformziele – wenig überraschend, bedenkt man, dass die Reform überwiegend auf den Vorarbeiten der Kommission beruhte – in den entscheidenden Teilen mit denen der Föderalismuskommission überein, setzten aber gleichwohl etwas andere Akzente 3. Interessant ist vor allem die zuvor noch nicht erfolgte Aufnahme des Wettbewerbsgedankens in die Zielbestimmungen. Dieser Gedanke erhielt erst im Laufe der Arbeit der Föderalismuskommission konsensfähige Konturen, weswegen ihn die Große Koalition dann in ihre Gesetzesbegründung einfließen lassen konnte. Versucht man die Zielvorgaben der in der Gesetzesbegründung abgegebenen Erklärung zu ordnen und sie zueinander ins Verhältnis zu setzen, zeigt sich, dass die Ziele auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt sind und eine Art Hierarchie bilden. An oberster Stelle dieses Zielgeflechts steht die Neuaustarierung der föderalen Elemente auf der einen und die damit in keinem Zusammenhang stehende und auch nur in dem konkretisierenden Regierungsbeschluss aufgezählte Stärkung der Europatauglichkeit auf der anderen Seite. Das für diese Arbeit wichtigere Ziel ist die Ausbalancierung der bundesstaatlichen Pole, auf das sich die Gesetzesbegründung auch in ihren weiteren Zielbeschreibungen maßgeblich bezieht. So sind die Schaffung klarer Verantwortlichkeiten und die Stärkung der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit diesem Oberziel zuzuordnen, dienen sie doch der Herstellung des angestrebten Gleichgewichts der föderalen Elemente und sind daher als Mittel zu seiner Erreichung ihm untergeordnete Zielsetzungen. Eine Stufe tiefer enthält die Gesetzesbegründung auch für die untergeordneten Zielvorgaben – die Schaffung klarer Verantwortlichkeiten und die Stärkung der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit – Mittel zu ihrer Verwirklichung, also erneut untergeordnete Ziele, die hier zwecks Unterscheidbarkeit als Zwischenziele bezeichnet werden. Zum einen sind dies die Einzelpunkte in dem konkretisierenden Regierungsbeschluss der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidenten (mit Ausnahme der Stärkung der Europatauglichkeit), zum anderen der gleich in dem Einleitungssatz angesprochene Abbau der Politikverflechtung. 3 Die Vorschläge der Föderalismuskommission sollten an den Zielen orientiert sein, die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit von Bund und Ländern zu verbessern, die politischen Verantwortlichkeiten deutlicher zuzuordnen sowie die Zweckmäßigkeit und Effizienz der Aufgabenerfüllung zu steigern, vgl. die Einsetzungsbeschlüsse, BT- Drs. 15/ 1685 und BR-Drs. 750/03 (Beschluss).

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2. Kap.: Ziele der Föderalismusreform

A. Oberziel – Ausbalancierung zwischen Solidarität und Kooperation auf der einen und Wettbewerb auf der anderen Seite Nach der Gesetzesbegründung soll am Ende der Reform eine neue Balance zwischen den föderalen Elementen der Solidarität und der Kooperation einerseits und des Wettbewerbs andererseits stehen. Dies und die Stärkung der Europatauglichkeit sind die beiden Oberziele der Föderalismusreform. Wenig geglückt ist der Ort, an dem diese Zielbeschreibung in der Gesetzesbegründung erfolgt, da der Anschein erweckt wird, als würde dieses Ziel lediglich mit der Schaffung klarer Verantwortlichkeiten in Zusammenhang stehen. Auch die Stärkung der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit ist jedoch Voraussetzung für ein neues Gleichgewicht der föderalen Elemente. Konkret verlangt dieses Oberziel angesichts einer vom Beteiligungsföderalismus beherrschten Wirklichkeit eine Stärkung der wettbewerblichen und einen Abbau der kooperativen Elemente. Dafür ist es notwendig, die Möglichkeiten aller Ebenen zu eigenständiger und selbstverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung zu erweitern. Bei der Realisierung der beiden nachgeordneten Ziele ist dieses Gebot zu berücksichtigen. So wäre es beispielsweise nicht mit dem Oberziel der Neuausbalancierung vereinbar, vornehmlich die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit des Bundes zu stärken oder die Verantwortlichkeiten vor allem durch die Übertragung zusätzlicher Aufgaben auf den Bund klarerer zuzuordnen. Vor dem Hintergrund, dass im Vorfeld der Föderalismusreform immer wieder der Begriff des „Wettbewerbsföderalismus“ bemüht worden ist, könnte fraglich sein, ob der verfassungsändernde Gesetzgeber mit der ausdrücklichen Aufnahme des Wettbewerbselements in die Gesetzesbegründung einen Übergang zu dieser „Föderalismusform“ anstrebte. Bevor diese Frage sachgerecht beantwortet werden kann, ist der Inhalt des Begriffes des Wettbewerbsföderalismus zu klären. Der potentielle Vorteil eines Bundesstaates, politische Vielfalt zu fördern und den Wettbewerb zwischen den Ländern um die beste politische Lösung zu entfachen 4, ist schon seit langem bekannt und hat Eingang in beide maßgeblichen Ansätze zur Legitimierung des Bundesstaates gefunden 5. Lediglich der Bezugspunkt divergiert, da in dem verfassungsrechtlichen Ansatz auf die aus dem Wettbewerb resultierenden Vorteile 4 Diesen Aspekt betonte selbst die den kooperativen Föderalismus einführende Troeger-Kommission: „Nicht zuletzt hat die Staatspraxis des letzten Jahrzehnts gezeigt, welch fördernde Kraft auf den verschiedensten Gebieten dem Föderalismus durch den Wettbewerb der Länder um die beste Lösung auch heute noch zukommt“, Kommission für die Finanzreform, S. 10. 5 Dagegen sieht Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 189 Rn. 330 ff. in dem Wettbewerbsgedanken einen eigenen, selbständigen Legitimationsansatz, dem er

1. Abschn.: Ziele nach der Gesetzesbegründung

165

für die Demokratie abgestellt wird, in dem systemtheoretischen Ansatz mehr auf die Effizienzvorteile für das Gesamtsystem. Der bereits in den achtziger Jahren vereinzelt in der öffentlichen Diskussion auftauchende Begriff des Wettbewerbsföderalismus (Konkurrenzföderalismus, kompetitiver Föderalismus) 6 könnte allein dazu gedient haben, diesen über lange Zeit vernachlässigten Vorteil der bundesstaatlichen Ordnung pointiert in den Blickpunkt zu rücken. So wie in den sechziger Jahren besonders der Gesichtspunkt der Kooperation betont und zum Leitbild erklärt worden ist, könnte nunmehr derselbe Versuch unter umgekehrten Vorzeichen unternommen worden sein. Nicht mehr der Solidaritätsgedanke und das Prinzip der Einheitlichkeit, sondern der Grundsatz der Subsidiarität und der Anspruch auf größere Vielfalt wären demnach die Leitprinzipien. Inhaltlich würde ein so verstandener Wettbewerbsföderalismus auf die Erweiterung der gesetzgeberischen und finanziellen Handlungsspielräume der Länder 7, nicht aber auf die Schaffung eines der privaten Wirtschaft vergleichbaren völlig freien Marktsystems zielen. Andererseits könnte der Begriff auch gerade die Übertragung eines marktwirtschaftlichen Modells auf die staatlichen Ebenen und damit die Verwirklichung des Wettbewerbs in seiner reinsten Form implizieren. Darin könnte der Bürger als Konsument die staatlichen Leistungen in allen Bereichen als Produkt mit den erhobenen Steuern, Beiträgen und Abgaben als Preis vergleichen und seine Entscheidung, etwa hinsichtlich Wohnort oder Investitionsvorhaben, von dem Ergebnis dieses Vergleiches abhängig machen. Nach Tiebout 8, und eingeschränkt auch nach der sogenannten Theorie des ökonomischen Föderalismus 9, führt ein derartiges System zu einer effektiven Verteilung öffentlicher Güter 10. Zudem werde die Politik durch die Möglichkeit des Bürgers, die verschiedenen staatlichen Leistungen direkt zu vergleichen und bei Unzufriedenheit abzuwandern, gezwungen, den Präferenzen des Bürgers besonders gerecht werdende Leistungen anzubieten. Insofern wirke der fiskalische Wettbewerb gleichfalls als wirksames Disziplinierungsinstrument 11. Grundbedingung zur Etablierung dieses Systems wäre allerdings zum einen, dass die Länder hinsichtlich Einallerdings nur geringes legitimatorisches Potential zugesteht. Damit trägt er der aktuellen Diskussion Rechnung, bei der die im Text beschriebene Tatsache, dass dieser Gedanke keineswegs neu und bereits in den „alten“ Legitimationsansätzen enthalten ist, freilich oftmals in Vergessenheit gerät. 6 Vgl. dazu Klatt, APuZ 1982, S. 21 ff. 7 Bauer, DÖV 2002, S. 843. 8 Tiebout, Journal of Political Economy 1956, S. 416 ff. 9 Auch die ökonomische Theorie des Föderalismus geht von einer uneingeschränkten Konkurrenzsituation aus, Neumann / v. d. Ruhr, in: Jarass (Hrsg.), EG-Umweltschutz, S. 83. Dazu grundlegend: Oates, Fiscal federalism, S. 30. 10 Dies gilt allerdings nur solange keine externen Effekte auftreten und Leistungen in kleinen Einheiten produziert werden können, vgl. Jun, ZParl 2004, S. 568 f. und Neumann / v. d. Ruhr, in: Jarass / Neumann (Hrsg.), EG-Umweltschutz, S. 84 ff.

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2. Kap.: Ziele der Föderalismusreform

wohnerzahl, Gebietsgröße, Wirtschaftskraft und finanzieller Leistungsfähigkeit annähernd gleichwertig sind 12, zum anderen, dass sie fiskalisch autonom sind 13. Entsprechende Überlegungen würden also radikalere Reformschritte, wie etwa eine Neugliederung der evident ungleichen Bundesländer, erfordern 14. Nicht aus der Verwendung des Wettbewerbsbegriffs, sondern aus den konkreten Reformvorschlägen lässt sich ableiten, inwieweit ein solcher Systemwechsel zu einem Wettbewerbsföderalismus in allen staatlichen Bereichen vollzogen werden sollte. Betrachtet man die im Vorfeld der Reform unter diesem Stichwort erfolgten Positionierungen der einzelnen Politiker, lässt sich feststellen, dass sie nicht auf eine solche grundlegende Veränderung zielten 15. Am ehesten in diese Richtung gehen noch die Länder Bayern, Baden-Württemberg und Hessen in ihrer Begründung zum Normenkontrollantrag des Finanzausgleichsgesetzes, in der die Möglichkeit der Neugliederung explizit angesprochen wird. Aber selbst dort wird nicht für eine völlige Aufhebung des horizontalen Finanzausgleichs, sondern lediglich für seine Beschränkung eingetreten 16. Das Bundes11 Tiebout, Journal of Political Economy 1956, S. 416 ff.; Feld, in: Blanke (Hrsg.), Bundesstaat, S. 178. Dieser Vorteil ist allerdings von allgemein informierten und rational entscheidenden Individuen, von sog. „homi oeconomici“ abhängig, Neumann / v. d. Ruhr, in: Jarass (Hrsg.), EG-Umweltschutz, S. 88. 12 Merten, in: Blanke (Hrsg.), Bundesstaat, S. 81; Würtenberger, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 418 Rn. 12. 13 Hrbek / Eppler, Deutschland vor der Föderalismus-Reform, Dokument Nr. 9, Papier: „Föderalismus auf dem Prüfstand“, S. 130. 14 So Sturm / Zimmermann-Steinhart, Föderalismus, S. 30 f.; Wilms, ZRP 2003, S. 87. In diese Richtung auch mit der aus dem Grundsatz der Bundestreue angeblich resultierenden Nebenpflicht, einer Neugliederung durch Staatsvertrag zuzustimmen, falls Ausgleichszahlungen auch nach Jahrzehnten nicht zur finanziellen Eigenständigkeit der Länder geführt haben, Arndt, in: Meier-Walser (Hrsg.), Föderalismus, S. 33 ff. Anders Feld, in: Blanke (Hrsg.), Bundesstaat, S. 200: keine zwingende Voraussetzung. 15 Vgl. dazu den Redebeitrag des Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtags Arens auf dem Föderalismuskonvent der deutschen Landesparlamente, http:/ /www.landtag.ltsh.de/aktuell/daten_aktuell/luebecker-konvent/doku_foederalismus-konv ent.pdf, S. 54. Von der großen Mehrheit der wissenschaftlichen Lehre wird diese Position geteilt, vgl. Kirchgässner: „Reformstau durch ein Zuwenig an Föderalismus“, Hrbek / Eppler, Deutschland vor der Föderalismus-Reform, Dokument Nr. 11, S. 140 ff.; Benz, APuZ 2003, S. 37; Calliess, DÖV 1997, S. 889; von Kadelbach, VVDStRL 2007, S. 23 und 42 als „abgemilderter Konkurrenzföderalismus“ bezeichnet. Mit den Argumenten, die gegen die Übertragung eines vollumfänglichen Wettbewerbssystems auf die staatlichen Ebenen sprechen, muss sich deswegen nicht auseinandergesetzt werden. 16 BVerfGE 101, 158 (199 f.). Siehe zu den der Klage vorausgehenden gemeinsamen Initiativen dieser Länder, Margedant, Föderalismusreform, S. 15 ff. mit dem Hinweis auf ein Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 91 vom 14. November 1996, S. 991 f.: keine „Absage an Gemeinsamkeiten, an Chancengerechtigkeit, an Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, an einen gerechten Finanzausgleich“. Vgl. ebenfalls das im Juli 1999 verfasste gemeinsame Positionspapier „Modernisierung des Föderalismus – Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der Länder“.

1. Abschn.: Ziele nach der Gesetzesbegründung

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verfassungsgericht formuliert in seiner Entscheidung dazu einen Grundsatz, der paradigmatisch für die weitere Debatte steht: „Er (der Finanzausgleich, Anm. d. Verf.) hat die richtige Mitte zu finden zwischen der Selbständigkeit, Eigenverantwortlichkeit und Bewahrung der Individualität der Länder auf der einen und der solidargemeinschaftlichen Mitverantwortung für die Existenz und Eigenständigkeit der Bundesgenossen auf der anderen Seite“ 17. In unterschiedlicher Akzentuierung – die reicheren westdeutschen Länder sowie die CDU / CSU 18 und FDP 19 betonten eher den Aspekt der Eigenverantwortlichkeit, die ärmeren ostdeutschen Länder 20 wie auch die SPD 21 und die Grünen dagegen mehr den Solidaritätsgedanken – lag den bundesstaatlichen Reformvorschlägen zu allen Themenbereichen diese gemäßigte Einstellung zugrunde. Begriffszusätze wie „solidarischer“, „fairer“, „kooperativer“, „sozialpolitischer“ Wettbewerbsföderalismus oder die Bezeichnung als „Gestaltungsföderalismus“ 22 machen dies besonders deutlich. In die deutsche Bundesstaatsdebatte hat damit ein Schlagwort Einzug erhalten, das für eine Reföderalisierung, nicht aber für eine strikte Abkehr von dem bisher praktizierten kooperativen Föderalismus und dementsprechend für einen Übergang zu einem echten Wettbewerbssystem steht 23. Dabei wird mit Wettbewerb, interessanterweise genau wie damals mit der Kooperation, eine gesteigerte Effizienz- und Leistungsfähigkeit verbunden 24. Es scheinen, so kann man nur vermuten, vornehmlich ökonomische Gründe und Notwendigkeiten zu sein, die Einfluss auf ein bestimmtes Föderalismusverständnis nehmen. 17

BVerfGE 101, 158 (198). Vgl. dazu Fischer, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2005, S. 104 und Hrbek, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2006, S. 153. 19 Beispielhaft dafür steht die Stellungnahme des Bundestagsabgeordneten Burgbacher, Stenografischer Bericht der 1. Kommissionssitzung am 7. November 2003, S. 16. 20 Vgl. die Ausführungen des Ministerpräsidenten Böhmer, Stenografischer Bericht der 1. Kommissionssitzung am 7. November 2003, S. 15 f. 21 Siehe hierzu Fischer, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2005, S. 104; explizit für den Wettbewerb eintretend Clement, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2002, S. 29; eindeutig ablehnend dagegen Ministerpräsident Ringstorff, Hrbek, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2006, S. 155. 22 SPD-Ministerpräsident Höppner, in: Bundesrat (Hrsg.), Verfassungskonvent, S. 14 ff.; CDU-Ministerpräsident Vogel, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2001, S. 23; CDUMinisterpräsident Böhmer, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2006, S. 21 und 23; vgl. auch die Position der Bundesregierung, den Bericht der Enquete-Kommission des Bayerischen Landtags und die Kommission Verfassungsreform & Regierungsfähigkeit, in: Hrbek / Eppler, Deutschland vor der Föderalismus-Reform, Dokument Nr. 2, S. 32, Nr. 4, S. 44 und Dokument Nr. 7, S. 89 und 106; auch der FDP-Angehörige Burgbacher, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 282 gebrauchte das Adjektiv „fair“; ebenso Rauber, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 42. 23 In diesem Sinne auch Calliess, DÖV 1997, S. 899. Die Bezeichnung ist wegen ihrer programmatischen Unklarheit immer wieder kritisiert worden, Bauer, „Der erschütterte Bundesstaat“, http://library.fes.de/pdf-files/do/04241.pdf, S. 59; Bauer, DÖV 2002, S. 837 und 844; Münch, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2001, S. 127; Dolzer, VVDStRL 1999, S. 18 der deshalb das „Leitbild der solidarischen Eigenverantwortlichkeit“ bevorzugt. 18

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2. Kap.: Ziele der Föderalismusreform

In der Gesetzesbegründung ist der maßvolle Gedanke des Bundesverfassungsgerichts aufgegriffen und eine neue Balance zwischen Kooperation einerseits und Wettbewerb andererseits gefordert worden 25. Der verfassungsändernde Gesetzgeber wollte damit beiden strukturbestimmenden Elementen eines Bundesstaates, dem Prinzip der bundesstaatlichen Vielfalt und der bundesstaatlichen Einheit gerecht werden. Es sollten daher mit der Föderalismusreform keine Verfassungsänderungen vorgenommen werden, die zu dem Gegenteil eines unitarisch-kooperativen Bundesstaates, einem föderal-kompetitiven Bundesstaat geführt hätten. Zielsetzung war es vielmehr, die im Laufe der Jahrzehnte teils durch Verfassungsänderungen, teils durch die Verfassungswirklichkeit eingetretene Schieflage des im Bundesstaatsprinzip angelegten Spannungsverhältnisses rückgängig zu machen und das von dem Parlamentarischen Rat entworfene Gleichgewicht zwischen Bund und Ländern wieder herzustellen. I. Schaffung klarer Verantwortlichkeiten Die Reform soll „demokratie- und effizienzhinderliche Verflechtungen zwischen Bund und Ländern abbauen und wieder klarere Verantwortlichkeiten schaffen“. Damit ist eines der beiden dem Oberziel unmittelbar untergeordneten Ziele angesprochen. Anders als es dieser Satz suggeriert, stehen der Verflechtungsabbau und die Schaffung klarerer Verantwortlichkeiten nicht als gleichberechtigte Ziele nebeneinander. Vielmehr dient der Abbau der demokratiehinderlichen Verflechtungen dazu klarere Verantwortlichkeiten zu schaffen, ist also nur ein Mittel zur Herbeiführung dieses übergeordneten Zieles. Allerdings wird der Begriff der „Verflechtung“ in einem bestimmten Kontext verwandt und gibt dadurch Anhaltspunkte, an welchen Stellen der bundesstaatlichen Ordnung Korrekturen vorgenommen werden sollten. Zum ersten Mal aufgetaucht ist er, um die spezifische Zusammenarbeit bei den im Jahre 1969 eingeführten Gemeinschaftsaufgaben (Art. 91a GG und 91b GG) zu beschreiben 26. Später wurde unter ihn auch die in den Zustimmungsfällen bestehende gleichberechtigte Mitwirkung des Bundesrates gefasst. Ansatzpunkt und Mit24 Siehe hierzu die Äußerung Clements, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2002, S. 19: Leistung und Effizienz sind die eine, Vergleich und Wettbewerb die andere Seite derselben Medaille. 25 Vgl. dazu auch die Ausführungen der Mitglieder der Föderalismuskommission in der 1. Kommissionssitzung am 7. November 2003, Ministerpräsident Steinbrück, S. 12; Bundestagsabgeordnete Sager, S. 14; Ministerpräsident Böhmer, S. 15 f. und in der 2. Kommissionssitzung am 28. November 2003, Bundestagsabgeordneter Steenblock, S. 35. In der Föderalismuskommission hatte sich zunehmend der Begriff des Gestaltungsföderalismus durchgesetzt, der dem Zustand des Beteiligungsföderalismus gegenübergestellt wurde, vgl. dazu Ministerpräsident Teufel in der 4. Sitzung der AG 1 am 1. April 2004, Protokollvermerk S. 14. 26 Vgl. dazu Scharpf / Reissert / Schnabel, Kooperativer Föderalismus, S. 230 ff.

1. Abschn.: Ziele nach der Gesetzesbegründung

169

tel zur Erreichung des Ziels der klareren Verantwortlichkeiten ist daher der Abbau von Mischfinanzierungen und von zustimmungsbedürftigen Bundesgesetzen, also genau von denjenigen Tatbeständen, die die Öffentlichkeitsfunktion des Demokratieprinzips beeinträchtigt haben. Ausdrücklich bestätigt wird diese Zielrichtung in dem konkretisierenden Beschluss der Regierungschefs, der beides ausdrücklich als „Reformziele“, nach dem hier übergeordneten Bezugsrahmen als „Zwischenziele“ zu bezeichnen, aufführt. Im Bereich der Gesetzgebungskompetenzen beabsichtigte der verfassungsändernde Gesetzgeber, klarere Verantwortlichkeiten durch eine stärkere Hinwendung zu dem sogenannten Trennprinzip zu schaffen, das heißt die Gesetzgebungskompetenzen nach Möglichkeit eindeutig entweder dem Bund oder den Ländern zuzuordnen. Diese Linie hatte die Föderalismuskommission in ihren Beratungen zugrunde gelegt und die Kompetenzkataloge auf Materien durchgesehen, die für eine ausschließliche Zuordnung geeignet waren. An eine strikte Verwirklichung dieses Prinzips war aber zu keinem Zeitpunkt gedacht 27, da dafür auch eine Aufhebung der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit erforderlich gewesen wäre. Auf diese, ein Mindestmaß an Differenziertheit und Flexibilität garantierende Kompetenzart 28, wollte man jedoch angesichts des Umstandes, dass in einem Kompetenztitel zusammengefasste Themenfelder aus verschiedenen Aspekten bestehen können, die teils zentraler, teils dezentraler Lösungen bedürfen, nicht verzichten. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat die Ergebnisse der Föderalismuskommission nahezu vollständig übernommen und sich damit die dort verfolgte Linie zu eigen gemacht. Dies klingt auch in dem ersten von den Regierungschefs vereinbarten Punkt an, wenn es dort heißt: „Stärkung der Gesetzgebung von Bund und Ländern durch eine deutlichere Zuordnung der Gesetzgebungskompetenzen und der Abschaffung der Rahmengesetzgebung“. Dabei ergibt sich aus der Oberzielsetzung des verfassungsändernden Gesetzgebers, dass die Schaffung klarer Verantwortlichkeiten in einer Weise zu realisieren war, die zu einer neuen Balance der föderalen Elemente beiträgt.

27 Die Länder hatten sich dieser Haltung des Bundes in der Föderalismuskommission angeschlossen, 1. Sitzung der AG 1 am 15. Januar 2004, Anlage, S. 1. Anfangs hatten sie noch Zugriffsrechte präferiert, siehe dazu die Ausführungen der Ministerpräsidenten Stoiber und Steinbrück, Stenografischer Bericht der 1. Kommissionssitzung am 7. November 2003, S. 5 und 11. Anders aber von Beginn an Ministerpräsident Teufel, S. 9, der sie im Hinblick auf das Entflechtungsziel nur als „zweitbeste Lösung“ bezeichnete. 28 Art. 72 GG soll ein gewisses Maß an Elastizität und Anpassungsfähigkeit vermitteln, Niclauß, Demokratiegründung, S. 206; „wichtiges Scharnier einer flexiblen Kompetenzverteilung“, vgl. Huber, in: Blanke (Hrsg.), Bundesstaat, S. 28.

170

2. Kap.: Ziele der Föderalismusreform

II. Stärkung der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit von Bund und Ländern Die Stärkung der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit von Bund und Ländern stellt das zweite dem Oberziel direkt untergeordnete Ziel dar. Die Gesetzesbegründung ist an dieser Stelle ungenau, scheint die Stärkung der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit doch eine Zusammenfassung aller übrigen Reformziele zu sein („Insgesamt geht...“). Zum einen ist die Zuordnung klarer Verantwortlichkeiten jedoch ein eigenes Ziel auf gleicher Ebene, das nicht, wie die Stärkung der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit, um der Effizienz, sondern um der Demokratie willen verfolgt werden sollte. Zum anderen ist die Neuausbalancierung der föderalen Elemente ein der Stärkung der Handlungsund Entscheidungsfähigkeit übergeordnetes Ziel. Der Bund sollte nach dem Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers in erster Linie durch eine Reduzierung der Zustimmungsrechte des Bundesrates handlungs- und entscheidungsfähiger gemacht werden 29, wobei dies mit Hilfe einer Neufassung des Art. 84 Abs. 1 GG gelingen sollte. Daneben war in dem konkretisierenden Regierungsbeschluss aber auch eine Stärkung der Gesetzgebung des Bundes vorgesehen. Vor dem Hintergrund der bereits bestehenden Kompetenzkonzentration beim Bund erstaunt diese Zielsetzung. Erklären lässt sich sie sich, wenn man sich die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 72 Abs. 2 GG und Art. 75 Abs. 2 GG und ihre Auswirkungen auf die Bundesseite in Erinnerung ruft. Es wird das Betreiben der Bundesseite gewesen sein, von diesen Restriktionen eine größtmögliche Freistellung, etwa durch eine „deutlichere Zuordnung“ in die Bundeskompetenz, zu erreichen. Für das Ziel, gewichtige Kompetenzverschiebungen zugunsten der Länder vorzunehmen, um so deren Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit zu verbessern, finden sich dagegen in der Gesetzesbegründung keine ausdrücklichen Hinweise. Vielmehr ist der entsprechende Abschnitt in dem konkretisierenden in Bezug genommenen Beschluss einseitig auf die Stärkung der Bundesseite zugeschnitten, weil die Wortwahl einer „deutlicheren Zuordnung“ keine Rückverlagerung und erst recht keine Zugriffsrechte, sondern ein Festhalten an der bestehenden Kompetenzlage impliziert. Ungeachtet dieser bundesfreundlichen Formulierung in dem konkretisierenden Regierungsbeschluss war jedoch die Rückgabe legislativer Befugnisse, primär durch Rückübertragung, subsidiär durch die Schaffung von Zugriffsrechten, als Mittel zur Erweiterung der autonomen Entscheidungs29 In seltsamem Kontrast dazu steht die Äußerung des Bürgermeisters von Bremen Scherf, dass alle zusammen davon überzeugt seien, dass es zu einer Aufwertung des Bundesrates kommen müsse, Stenografischer Bericht der 1. Kommissionssitzung am 7. November 2003, S. 18. Das bezieht sich wohl aber nicht auf die quantitative, sondern auf die qualitative Beteiligung, die nach seiner Meinung durch ein Zustimmungsrecht in Fällen, in denen finanzielle Auswirkungen für die Länder entstehen, gesichert werden sollte.

2. Abschn.: Weitere Zielsetzungen

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befugnisse der Länder vorgesehen. Andernfalls ist nicht ersichtlich, wie das Ziel, den Ländern einen größeren Handlungs- und Entscheidungsspielraum einzuräumen, überhaupt in erwähnenswerten Umfang – neben dem explizit aufgeführten Abbau der Mischfinanzierung – hätte erreicht werden können. Auch hier überlagert die vom verfassungsändernden Gesetzgeber verfolgte Intention, ein neues Gleichgewicht der föderalen Elemente zu schaffen, die Art und Weise der Zielverwirklichung. Sie ist nur dann im Sinne des verfassungsändernden Gesetzgebers erfüllt worden, wenn sie dem Oberziel gerecht wird und nicht zu einer einseitigen Stärkung des Bundes führt.

B. Oberziel – Erhöhung der Europatauglichkeit Das zweite Oberziel, die Stärkung der Europatauglichkeit, schließlich war nicht in den allgemein gehaltenen Zielbestimmungen, sondern nur in dem heranzuziehenden, konkretisierenden Beschluss als eigenständiger Punkt aufgeführt 30. Theoretisch könnte man sie auch in weiten Teilen unter das vorherige Ziel, die Stärkung der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit fassen. Aufgrund ihres speziellen Bezugsrahmens und des begrenzten Themengebietes erscheint es aber adäquater, sie als eigene, unabhängige Zielsetzung aufzuführen 31. Explizit in dem Beschluss als Änderungsfelder aufgezählt waren die Neuregelung der Außenvertretung (Art. 23 Abs. 2 bis 7 GG) und Regelungen zu einem nationalen Stabilitätspakt. Ebenfalls in diesen Zusammenhang ist die Aufhebung der zur Umsetzung europäischer Richtlinien ungeeigneten Rahmenkompetenz einzuordnen.

Zweiter Abschnitt

Weitere Zielsetzungen des verfassungsändernden Gesetzgebers Obwohl in der Gesetzesbegründung nicht ausdrücklich als Ziel genannt, könnte der verfassungsändernde Gesetzgeber bei der Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen ein rational nachvollziehbares Regelungskonzept 32 verfolgt haben. 30

BT-Drs. 16/813, S. 8. Für die Bundesregierung stellte dieses Ziel als Ansprechpartner in Brüssel einen sehr wichtigen Punkt dar, vgl. die Ausführungen der Bundesjustizministerin Zypries, Stenografischer Bericht der 1. Kommissionssitzung am 7. November 2003, S. 19. 32 Huber, in: Pitschas (Hrsg.), Verfassung, S. 609. 31

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2. Kap.: Ziele der Föderalismusreform

Die Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten hatte der Parlamentarische Rat in enger Anlehnung an die Weimarer Reichsverfassung vorgenommen 33. Es waren deshalb in einem Großteil der Fälle allein historische Gründe, die für die Zuordnung in die ausschließliche, konkurrierende und Rahmengesetzgebung maßgeblich waren. Ein Regelungskonzept dergestalt, dass die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes Sachmaterien beinhaltet, die nur national geregelt werden können, die konkurrierende Gesetzgebung solche, für die möglicherweise, aber nicht zwingend ein einheitliches Regelungsbedürfnis besteht und die Rahmenkompetenz diejenigen, die jedenfalls keiner einheitlichen Vollregelung bedürfen, lag der Kompetenzverteilung nicht zugrunde. Vor diesem Hintergrund wurde sie denn auch immer wieder als wenig geglückt bezeichnet. Es liegt deshalb nahe, dieses historische Zufallsprodukt bei einer grundlegenden Reform der Gesetzgebungskompetenzen durch ein rationales Konzept zu ersetzen. Der verfassungsändernde Gesetzgeber machte es sich daher ungeachtet der fehlenden Erwähnung in der Gesetzesbegründung zum Ziel, übergeordnete Ordnungskriterien für eine Neuverteilung zu finden. Ohne solche Kriterien wäre eine sinnvolle Diskussion über die einzelnen Kompetenztitel, insbesondere über deren Einordnung, schlichtweg nicht möglich gewesen.

33 Stettner, in: Dreier, GG – Supplementum, Art. 74 GG Rn. 2 und Friedrich, ZParl 1971, S. 450: „Den Vorwurf, im ganzen distanzlos an die überkommenen Muster und Kompetenzfixierungen sich gehalten zu haben, kann man jedenfalls den Bonner Verfassungsvätern auch bei Berücksichtigung ihrer an Perspektiven armen Lage kaum ersparen“.

Drittes Kapitel

Die Verfassungsänderungen im Bereich der Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen Das folgende Kapitel als Kernstück der Arbeit stellt die durch die Föderalismusreform vorgenommenen Änderungen im Bereich der Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen dar und bewertet sie in rechtlicher Hinsicht. Dabei soll der Schwerpunkt im Gesetzgebungsbereich weniger auf der Exegese, als vielmehr auf der Analyse der Regelungssystematik der neuen Kompetenztypen und auf der Entstehungsgeschichte der einzelnen Kompetenztitel und -typen liegen. In letzterem Zusammenhang werden auch die angedachten alternativen Lösungswege berücksichtigt, da die Vergangenheit lehrt, dass bei künftigen Reformbemühungen oftmals auf solche früheren Vorschläge zurückgegriffen wird und sie daher noch von Wert sein können. Die Entstehungsgeschichte ist im Bereich der Gesetzgebungskompetenzen von besonderer Bedeutung 1. Sie legt die Absicht und den Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers hinsichtlich der Reichweite des jeweiligen Kompetenztitels offen. Auf sie muss bei der Interpretation neben den auch weiterhin anzuwendenden anderen Auslegungsmethoden ein besonderer Akzent gesetzt werden 2. Diese Betonung ist angesichts der der Kompetenzverteilung zugrundeliegenden besonderen Interessenkonstellation durchaus gerechtfertigt. Bei der Kompetenzverteilung geht es immer auch um die Verteilung staatlicher Macht auf Bund und Länder 3. Sie treten sich im Prozess der Grundgesetzänderung als institutionelle Verfassungsorgane gegenüber und tarieren dabei das bundesstaatliche Kräfteverhältnis neu aus. Die Auslegung der Kompetenztitel vornehmlich unter Berücksichtigung des Willens des verfassungsändernden Gesetzgebers bedeutet daher auch, das Ergebnis dieses Aushandlungsprozesses zu respektieren. 1

BVerfGE 4, 7 (13), 12, 205 (226); 98, 106 (120); Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 70 GG Rn. 6; Degenhart, NVwZ 2006, S. 1215; Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 70 GG Rn. 53; Zippelius / Würtenberger, Dt. Staatsrecht, S. 460 Rn. 7. Das besondere Gewicht der historischen Interpretation hat das Bundesverfassungsgericht auch in seiner Auslegung der aus der WRV übernommenen Kompetenztitel bestätigt, wenn es entscheidend auf die Merkmale des „Traditionellen“ bzw. des „Herkömmlichen“ abstellt, vgl. BVerfGE 42, 20 (29); 61, 149 (175); 67, 299 (314 ff., 319 ff.), 75, 108 (146). 2 Stettner, in: Dreier, GG – Band 2, Art. 70 GG Rn. 24. 3 „Kompetenzfragen sind Machtfragen“, Breuer, in: Grote (Hrsg.), Ordnung, S. 168.

174

3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

Erster Abschnitt

Zu den Gesetzgebungskompetenzen Bevor mit der Darstellung und der Untersuchung der einzelnen Kompetenztypen begonnen wird, wird ein Überblick über die grundsätzliche legislative Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern gegeben. Der Bund als Gesamtstaat und die Länder als Gliedstaaten sind einander in der Weise zugeordnet, dass die staatlichen Kompetenzen zwischen ihnen abschließend und komplementär aufgeteilt sind. Nach der Grundregel des Art. 70 Abs. 1 GG sind die Länder für die Gesetzgebung zuständig, soweit das Grundgesetz nicht dem Bunde Gesetzgebungsbefugnisse verleiht. Für den legislativen Bereich stellt Art. 70 Abs. 1 GG damit eine Spezialvorschrift gegenüber der allgemeinen Kompetenzabgrenzungsnorm des Art. 30 GG dar. Der Bund hat die enumerativ im Grundgesetz aufgeführten Kompetenzen, während die Länder automatisch für den nicht benannten Rest (Residual-Kompetenzen) zuständig sind. Diese Verteilung begründet ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten der Länder 4, das aber durch die umfangreichen Zuweisungen an den Bund weder normativ noch faktisch jemals existierte 5. Anhand welcher Kompetenzarten die Abgrenzung zwischen Bund- und Ländergesetzgebungszuständigkeit erfolgt, ist abschließend in Art. 70 Abs. 2 GG geregelt, das heißt alle dort nicht aufgezählten Kompetenztypen müssen als Unterfall der genannten Alternativen eingeordnet werden 6. Dem Bund stehen nach Art. 70 Abs. 2 GG als Kompetenztypen die ausschließliche und die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zur Verfügung. Diese Verteilungsmethode – Residualkompetenz der Länder, enumerative Kompetenzen des Bundes – wurde weder in der Föderalismuskommission noch in dem späteren Verfahren der Grundgesetzänderung angetastet. Innerhalb dieser unveränderten Struktur hat man sich 4

BVerfGE 111, 226 (247). Uhle, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 72 GG Rn. 13. Art. 70 Abs. 1 GG verteilt die Gesetzgebungskompetenzen lückenlos auf Bund und Länder, so dass für eine Zuständigkeitsvermutung zugunsten der Länder kein Raum ist, vgl. dazu Rinck, in: Ritterspach (Hrsg.), FS Müller, S. 290 f., 298; Stettner, in: Dreier, GG – Band 2, Art. 70 GG Rn. 40; Degenhart, in: Sachs, GG. Art. 70 GG Rn. 7; in diesem Sinne aber BVerfGE 26, 2 (97); Maunz, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 70 GG Rn. 29 ff.; Zippelius / Würtenberger, Dt. Staatsrecht, S. 460 Rn. 5. 6 Dies galt – nicht unbestritten, vgl. BVerfGE 111, 226 (247); Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 70 GG Rn. 14 m.w. N. in Fn. 55 – für die Rahmenkompetenz und gilt heute noch für die Grundsatzgesetzgebung und die neu eingeführte Abweichungsgesetzgebung, vgl. dazu Uhle, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 71 GG Rn. 13; Vogel, in: Benda (Hrsg.), HdbVR, S. 1065 Rn. 53. Unzutreffend ist es deshalb von einer Umstrukturierung in ein „duales Kompetenzverteilungsregime“ zu sprechen. Ein solches bestand bereits vor der Föderalismusreform, vgl. aber Kotulla, NVwZ 2007, S. 490. 5

1. Abschn.: Zu den Gesetzgebungskompetenzen

175

aber grundsätzliche Gedanken über die Frage gemacht, wie bei der Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen vorzugehen ist. In der Föderalismuskommission konnte sich die von der Bundesseite bereits in ihrem Positionspapier vom April 2003 verfolgte Linie, soweit wie möglich eine ausschließliche Zuordnung in die Bundes- bzw. Länderzuständigkeit vorzunehmen (Trennprinzip), durchsetzen 7. Dieser Ansatz entsprach dem Ziel des verfassungsändernden Gesetzgebers, klarere Verantwortlichkeiten zu schaffen, weitaus mehr als die nunmehr nur noch subsidiär diskutierte Möglichkeit der Einräumung von Zugriffsrechten. Allerdings waren allein mit der Entscheidung für eine größtmögliche Verwirklichung des Trennprinzips noch keine Kriterien für die Abschichtung der Kompetenzkataloge gewonnen. Diese Lücke haben die länderseitig der Arbeitsgruppe 1 vorstehenden Vorsitzenden, der baden-württembergische Ministerpräsident Teufel und der Berliner Bürgermeister Wowereit, gefüllt, indem sie ein als Diskussionsgrundlage gedachtes Arbeitspapier mit entsprechenden Maßstäben einbrachten. Darin waren das Subsidiaritätsprinzip („so viel Vielfalt wie möglich, so viel Einheit wie nötig“) 8, die Eigenstaatlichkeit der Länder, die Regionalität und Ortsnähe sowie die Europatauglichkeit als relevante Gesichtspunkte für eine Einordnung in die Bundes- oder Landeszuständigkeit aufgeführt 9. Ausgehend von diesen Kriterien wurden in dem Arbeitspapier folgende für eine Bundeszuständigkeit sprechende Oberpunkte entwickelt: seine Organisationshoheit, Sicherung der Handlungsfähigkeit des Gesamtstaats nach außen und nach innen, Sicherung rechtlicher Voraussetzungen des Zusammenlebens, grundlegende Rahmenbedingungen wirtschaftlicher Betätigung und die Sicherung einer grundlegenden überregionalen Infrastruktur der Bundesrepublik. Eine Länderkompetenz war bei der Wahrnehmung ihrer Organisationshoheit, der Regelung von Sachverhalten mit überwiegend regionalen oder örtlichen Bezügen, der Kulturhoheit und der allgemeinen Gefahrenabwehr vorgesehen 10. Es sollte anstelle einer punktuellen Betrachtung der Kompetenzkataloge daher ein funktionell-inhaltlicher Ansatz, der sich an ganzen, in sich geschlossenen Politikfeldern orientierte, gewählt werden 11. Die einzelnen Kompetenztitel waren diesen Oberpunkten bewusst pauschal zugeordnet worden, ohne die verschiede7

Protokollvermerk der 1. Sitzung der AG 1 am 15. Januar 2004, Anlage S. 1. Dazu in der 1. Kommissionssitzung am 7. November 2003, Ministerpräsident Teufel, S. 8, Bundestagsabgeordneter Bosbach, S. 10, Ministerpräsident Steinbrück, S. 12 und Bundestagsabgeordneter Burgbacher, S. 16. 9 Tatsächlich hat auch die fiskalische Dimension bei den geplanten Veränderungen eine ganz entscheidende Rolle gespielt, vgl. Koch, DVBl. 2008, S. 806 und die Feststellung in der Gesetzesbegründung, dass die Neuordnung entlastend für die öffentlichen Haushalte wirke, BT-Drs. 16/813, S. 23. 10 AU 0015, Arbeitspapier: Funktionale Systematisierung der Zuständigkeiten von Bund und Ländern vom 20. Januar 2004, Staatssekretäre Böhmler und Schmitz, S. 3 ff. 11 Diese Idee geht wohl auf einen Vorschlag des Bundestagsabgeordneten Röttgen in der 1. Sitzung der AG 1 am 15. Januar 2004, S. 2 zurück. Dort hatte er für die Länder drei 8

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

nen Gesetzgebungstypen zu berücksichtigen. Mit den von Baden-Württemberg und Berlin vorgeschlagenen Abgrenzungskriterien und Oberpunkten erklärten sich die Kommissionsmitglieder mehrheitlich einverstanden, so dass sie bei den weiteren Beratungen zugrunde gelegt wurden 12. Die Länderseite verfolgte das funktionell-inhaltliche Konzept der Übertragung ganzer Kompetenzblöcke sogar bis zum Ende der Verhandlungen. So wurde es in dem ersten Sprechzettel der Vorsitzenden als ihr besonderes Anliegen bezeichnet, die Organisations- und Personalhoheit, die Bildung und Hochschule sowie die Kompetenzen mit besonderem Regionalbezug insgesamt zur Regelung zu erhalten, 13, wobei der letztere Bereich gegenüber den beiden zuvor genannten für sie eine untergeordnetere Rolle einnahm 14. Hoch umstritten in der Kommission blieb aber, welche Kompetenztitel welchen Oberpunkten zugeordnet werden sollten. Auch mit Hilfe der entwickelten Maßstäbe ließ sich keine eindeutige und allgemein gültige Entscheidung treffen. Es hängt von vielen verschiedenen Faktoren und ihrer Gewichtung zueinander ab, ob man zu der Einschätzung gelangt, dass der Zentralstaat oder der Gliedstaat besser in der Lage ist, eine bestimmte staatliche Aufgabe zu erfüllen. Letztlich steht dahinter zu einem nicht unerheblichen Teil eine verfassungspolitische Bewertung. Beispielsweise ist die Frage, ob die Europäisierung der nationalen Rechtsordnung für starke Bundeskompetenzen 15 oder umgekehrt angesichts der durch sie bereits verwirklichten Vereinheitlichung gerade für die Einräumung von Landeskompetenzen spricht, völlig unterschiedlich beurteilt worden 16. Auch wann das Subsidiaritätsprinzip oder der Gesichtspunkt der Regionalität eine Einordnung in die Länderzuständigkeit nahelegten, wurde höchst kontrovers diskutiert. Vor letzterem Hintergrund erwies sich die Abgrenzung zwischen den für eine Bundeszuständigkeit sprechenden Rahmenbedingungen wirtschaftlicher Betätigung große, zur Übertragung geeignete Politikbereiche identifiziert. Später haben die Länder sich diesen Vorschlag zu Eigen gemacht. 12 Protokollvermerk der 2. Sitzung der AG 1 am 12. Februar 2004, S. 2. 13 Sprechzettel der Vorsitzenden für die 1. Konsultationsrunde am 10. November 2004, S. 2 f. 14 Vgl. dazu Ministerpräsident Teufel, Ergebnisvermerk der 7. Sitzung der AG 1 am 30. September 2004, S. 15 und Staatssekretär Böhmler, Protokollvermerk der 4. Sitzung der AG 1 am 1. April 2004, S. 24: das Wirtschaftsrecht „zähle nicht zu den Bereichen, in denen man zu einer umfassenden Länderzuständigkeit neige“. 15 So Wilms, ZRP 2003, S. 88 ff. und Friedrich, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 241 hinsichtlich des Wirtschaftsrechts. 16 So Ministerpräsident Steinbrück, Stenografischer Bericht der 1. Kommissionssitzung am 7. November 2003, S. 11 f.; der nordrhein-westfälische Justizminister Gerhards, Protokollvermerk der AG 1 am 15. Januar 2004, S. 4; speziell für das Umweltrecht, Ministerpräsident Teufel in der 3. Sitzung der AG 1 am 11. März 2003, Protokollvermerk, S. 22.

1. Abschn.: Zu den Gesetzgebungskompetenzen

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einerseits, und dem für eine Ländereinordnung sprechenden regionalen Bezug andererseits als besonders schwierig. Dabei wurde der in dem Arbeitspapier aus dem Subsidiaritätsprinzip abgeleitete Grundsatz, dass die Beweislast, ob und wo eine einheitliche Regelung notwendig sei, beim Bund liege 17, längst nicht von allen Kommissionsmitgliedern akzeptiert 18. Das Arbeitspapier war bei dieser streitanfälligen Einordnung aber jedenfalls insofern von Nutzen, als es der sich später mit diesen Fragen beschäftigenden Projektgruppe 5 als Umgrenzung ihres Beratungsgegenstandes diente.

A. Die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes In Art. 71 GG sind Begriff und Rechtsfolgen des Kompetenztypus der ausschließlichen Bundeszuständigkeit geregelt. Allein der Bund ist für die in Art. 73 GG aufgezählten Regelungsgebiete zuständig, ohne an weitere Voraussetzungen gebunden zu sein. Landesgesetze in diesen Bereichen sind unabhängig davon, ob der Bund von seiner Gesetzgebungsbefugnis Gebrauch gemacht macht, aufgrund der Sperrwirkung des Art. 71 GG von Verfassungs wegen unzulässig und nichtig 19. I. Erweiterung des Gesetzgebungskatalogs, Art. 73 GG Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat den Katalog der ausschließlichen Zuständigkeiten um fünf Kompetenztitel erweitert und einen inhaltlich ergänzt. Lediglich ein Kompetenztitel ist neu in das Grundgesetz eingefügt worden, während die übrigen Sachmaterien aus der konkurrierenden und der aufgehobenen Rahmengesetzgebung in Art. 73 GG überführt wurden. Mit Ausnahme des neuen Kompetenztitels bestanden über diese Verschiebungen keine Differenzen und sie haben in dem gesamten Reformprozess eine sehr untergeordnete Rolle gespielt.

17 AU 0015, Arbeitspapier: Funktionale Systematisierung der Zuständigkeiten von Bund und Ländern vom 20. Januar 2004, Staatssekretäre Böhmler und Schmitz, Anlage 2 unter 1. 18 Vgl. exemplarisch die dazu gemachte Äußerung der Bundestagsabgeordneten Simm, dass der Bund sich das Gesetzgebungsrecht „ersessen habe“, Stenografischer Bericht der 8. Kommissionssitzung am 8. Juli 2004, S. 198. 19 H. M., vgl. Dreier, in: Dreier, GG – Band 2, Art. 31 GG Rn. 24; Uhle, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 71 GG Rn. 34.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

1. Überführung aus der Rahmengesetzgebung: Schutz deutschen Kulturgutes (Art. 75 Abs. 1 Nr. 6 GG) sowie das Melde- und Ausweiswesen (Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 GG) Aus der Rahmenkompetenz wurde der Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland als Art. 73 Abs. 1 Nr. 5a GG eingefügt und der bereits bestehende Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 GG um das Melde- und Ausweiswesen ergänzt. Beide Bereiche waren trotz ihrer Einordnung in die Rahmenkompetenz weitgehend durch Bundesgesetze geregelt 20, das Melde- und Ausweiswesen durch das Gesetz über Personalausweise von 1950 21 und durch das Melderechtsrahmengesetz von 1980 22, der – allerdings nur private, nicht der öffentliche – Kulturgüterschutz durch das Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung von 1955 23. Angesichts des engen Sachzusammenhangs zwischen dem Melde-/ Ausweiswesen und den übrigen Gegenständen des Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 GG und des Schwerpunktes des Kulturgüterschutzes in den Auslandsbeziehungen, waren die Ministerpräsidenten und der Bund schon im Vorfeld der Föderalismuskommission überein gekommen, dass eine Einordnung in die ausschließliche Zuständigkeit des Bundes erfolgen müsse. 2. Überführung aus der konkurrierenden Gesetzgebung: Waffen- und Sprengstoffrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 4a GG), Versorgung und Fürsorge für Kriegsbetroffene (Art. 74 Abs. 1 Nr. 10 GG) sowie das Atomrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11a GG) Auch über die Verschiebung der vorherig der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz unterfallenden Bereiche des Waffen- und Sprengstoffrechts, der Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen und der Fürsorge für ehemalige Kriegsgefangene sowie des Atomrechts 24 in Art. 73 Abs. 1 Nr. 12 GG, Art. 73 Abs. 1 Nr. 13 GG und Art 73 Abs. 1 Nr. 14 GG wurden keine längeren 20 Es existierten zwar zu dem Melde- und Ausweiswesen ausfüllende Landesgesetze, die besonders im Ausweiswesen aber nur Randbereiche betrafen. Der Kulturgüterschutz war erst mit der Verfassungsänderung von 1994 in die Rahmenkompetenz eingeordnet worden, so dass das noch auf der Grundlage der konkurrierenden Gesetzgebung erlassene und nach Art. 125a Abs. 2 GG weitergeltende Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955 ohnedies keinen Rahmencharakter hatte, vgl. zu dem Umfang der ergänzenden Landesgesetze, AU 0043, Bestandsaufnahme zum Gebrauchmachen vorhandener Gesetzgebungskompetenzen des Bundes vom 5. März 2004, Bundesregierung, S. 147 f. 21 In der Fassung vom 21. April 1986, BGBl. 1986 I S. 548. 22 BGBl. 1980 I S. 1429. 23 BGBl. 1955 I S. 501.

1. Abschn.: Zu den Gesetzgebungskompetenzen

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Diskussionen geführt. Der Bundesgesetzgeber hatte auf diesen Gebieten schon vor Jahrzehnten abschließende Regelungen erlassen, deren Notwendigkeit die Länder vollumfänglich anerkannten. 3. Neuer Kompetenztitel – Präventivbefugnisse für das Bundeskriminalamt Im Zuge der durch die Bedrohungen des internationalen Terrorismus ausgelösten aktuellen Sicherheitsdebatte ist die einzige neue Vorschrift der gesamten Föderalismusreform in das Grundgesetz eingefügt worden. Nach dem neuen, die bereits in Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG bestehenden Zuständigkeiten ergänzenden, Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG hat der Bund die ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis für die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt in Fällen, in denen eine länderübergreifende Gefahr vorliegt, die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht. Auf diese Fassung wie auch überhaupt in dieser Frage konnte sich erst in der von der Großen Koalition eingesetzten Koalitionsarbeitsgruppe „Föderalismus“ geeinigt werden 25. a) Der Weg des Zustandekommens In der Föderalismuskommission selbst blieb die Normierung derartiger Präventivbefugnisse dagegen bis zuletzt umstritten 26, was sicherlich zu einem gewissen Grad auch dem Verhandlungsverlauf geschuldet war. Mit dem Themenbereich der Inneren Sicherheit sollte sich die unter Leitung des sächsischen Justizministers de Maizière stehende Projektgruppe 2 befassen, die allerdings gleich zu Beginn beschloss, sich dieses Themas erst nach der Sommerpause und nur sofern der Bund hierzu Vorschläge unterbreiten würde, anzunehmen 27. Die in der Projektgruppe vertretenen Länder standen einer Kompetenzerweiterung zugunsten des Bundes im Gefahrenabwehrrecht zurückhaltend gegenüber. Trotz der Herausforderungen durch den internationalen Terrorismus sollte am Status quo festgehalten werden 28. Obwohl bereits mehrfach zu einem früheren Zeit24 Breuer, in: Grote (Hrsg.), Ordnung, S. 173 hält diese Übertragung angesichts des beschlossenen Atomausstiegs nicht für plausibel. Ob es dabei bleibt, muss allerdings erst noch abgewartet werden, zudem wird die Frage der nuklearen Entsorgung noch lange Bedeutung haben. 25 Vgl. hierzu den Koalitionsvertrag vom 18. November 2005, www.cdu.de/doc/pdf/05 _11_11_Koalitionsvertrag.pdf, Anlage 2, S. 11. 26 Vorbemerkung, AU 104 – neu –, Vorschlag der Vorsitzenden vom 13. Dezember 2004, S. 1. 27 Ergebnisvermerk der 1. Sitzung der PG 2 am 10. Juni 2004, S. 1. 28 Siehe hierzu Große Hüttmann, in: Hrbek (Hrsg.), Föderalismus-Reform, S. 152 und Staupe, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 170.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

punkt angekündigt 29, wurde ein zwischen den Regierungsparteien abgestimmtes Positionspapier erst nach ausdrücklicher Aufforderung des Vorsitzenden Müntefering 30 in der 10. Kommissionssitzung am 4. November 2004 eingebracht, das sich zudem auf den der Inneren Sicherheit zugehörigen Bereich des Zivil- und Katastrophenschutzes beschränkte 31. Bei dem zumindest politisch brisanteren Thema einer Bundeskompetenz für das Gefahrenabwehrrecht waren die beiden Regierungsparteien, SPD und Grüne, immer noch nicht auf einen gemeinsamen Nenner gekommen 32. Gleichwohl gelangte der Standpunkt des als starker Befürworter einer entsprechenden Ausweitung auftretenden Bundesinnenministers Schily in die Debatte. Der regierende Bürgermeister von Berlin Wowereit hatte die in einem Brief an die Bundesjustizministerin Zypries 33 artikulierten und anschließend auch mehrfach in den Medien geäußerten 34 Forderungen Schilys aufgegriffen und der Kommission in der 10. Kommissionssitzung als eigenen Vorschlag unterbreitet 35. Die weitestgehende und erste Fassung stammte damit „formal“ von einem 29 Vgl. den Protokollvermerk der 7. Sitzung der AG 1 am 30. September 2004, S. 17 und die Bemerkung des Bundestagsabgeordneten Kröning in der 9. Kommissionssitzung am 14. Oktober 2004, Stenografischer Bericht, S. 223. 30 Stenografischer Bericht der 9. Kommissionssitzung am 14. Oktober 2004, S. 237. 31 AU 0094, Verfassungsänderungsbedarf auf dem Gebiet des Zivil- und Katastrophenschutzes vom 4. November 2004, Bundestagsabgeordneter Wiefelspütz. 32 Das wird auch in der 10. Kommissionssitzung am 4. November 2004 sehr deutlich, wenn die SPDler auf der einen Seite die Notwendigkeit präventiver Vorfeldbefugnisse des BKA betonen und dafür bereit sind, den Weg einer Verfassungsänderung zu gehen, die Grünen dagegen an der bestehenden Verfassungslage festhalten wollen, vgl. Wiefelspütz und Zypries, S. 251 und 254, sowie Ratzmann und Sager, S. 253 und 254. Auch später konnte diese Kluft nicht überwunden werden, wie die ablehnenden Reaktionen der Grünen auf den Vorschlag des Staatssekretärs des Innenministeriums Diwell zeigen, vgl. PAU2/0019, Beratungen der Projektgruppe 2 zum Themenkomplex „Innere Sicherheit“ vom 24. November 2004, de Maizière, S. 2 f. Die Grünen wollten Verbesserungen „nur“ auf einfachgesetzlicher Basis erzielen, PAU-2/0014, Föderale Sicherheitsarchitektur erhalten vom 12. November 2004, Bundestagsabgeordneter Ratzmann, S. 2. 33 Siehe dazu den Artikel der SZ vom 17. Juni 2004, „Schily will Länder in Sicherheitsfragen entmachten“, Ramelsberger, vgl. http://www.sueddeutsche.de/deutschland/artikel /657/33624/. In dem Brief hatte Schily angeregt, dass sich die Bundesregierung „mit eigenen Vorschlägen für mögliche Grundgesetzänderungen (in der Föderalismuskommission, Anm. d. Verf.) zu Wort melden“ solle. 34 Vgl. beispielsweise das Interview Schilys mit DER SPIEGEL 40/2004, S. 36 ff. Zu dieser Strategie des „going public“, Große Hüttmann, in: Hrbek (Hrsg.), FöderalismusReform, S. 153 ff. 35 Stenografischer Bericht der 10. Kommissionssitzung am 4. November 2004, S. 248. Die Grünen hatten sich durch dieses Vorgehen ersichtlich ausgebootet gefühlt, vgl. die Bewertung des Bundestagsabgeordneten Ratzmann, S. 253: „parteipolitisches Spielchen“. Vermutet wurde, dass Wowereit diesen Vorschlag wegen zu erwartender finanzieller Entlastungen und der zunehmenden politischen Bedeutung der Bundeshauptstadt unterstützte, AU 0097, Verfassungsänderung auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit, Landtagsabge-

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Ländervertreter. Ihr folgten fünf weitere Vorschläge, die mit einer Ausnahme 36 alle nach Beendigung der Projektgruppenarbeit eingebracht wurden. Anders als über das ebenfalls in der Projektgruppe 2 behandelte öffentliche Dienstrecht konnte über die Präventivbefugnisse daher keine intensive, grundsätzliche Diskussion mehr geführt und auch keine eventuellen Einigungschancen ausgelotet werden 37. Die späte und zudem noch auf einen Teilausschnitt begrenzte Reaktion der Bundesregierung rief deshalb von verschiedenen Seiten heftige Kritik hervor 38. Inhaltlich zielte der Vorschlag Wowereits auf eine Erweiterung des Katalogs der konkurrierenden Gesetzgebung um „die Bekämpfung des (internationalen) 39 Terrorismus und die international organisierte Kriminalität“ 40. Wie auch schon die öffentlichen Vorstöße Schilys trafen diese Forderungen auf den entschiedenen Widerstand der übrigen Bundesländer, der Grünen und der FDP 41. Die von Wowereit angegebene Begründung, dass Kompetenzdefizite des Bundes zu Sicherheitslücken führen würden, wurden unter Hinweis auf das Ergebnis einer von der Innenministerkonferenz bereits im Februar desselben Jahres in Auftrag gegebenen Untersuchung bezweifelt 42. Doppelte Zuständigkeiten, die durch eine nahezu umfassende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für präventive Befugnisse („Terrorismus und international organisierte Kriminalität“) zwangsläufig entstünden, seien im Hinblick auf die föderale Struktur des Grundgesetzes und das Ziel der Föderalismuskommission, klare Verantwortlichkeiten zuzuordnen, vielmehr strikt zu vermeiden 43. ordnete Hahn und Wolf, S. 5. Tatsächlich hat der Berliner Innensenator Körting die Pläne Schilys schon seit jeher begrüßt, Große Hüttmann, in: EZFF (Hrsg.) Jahrbuch 2005, S. 180. 36 Der Bundestagsabgeordnete Bosbach brachte seinen Vorschlag in die letzte Projektgruppensitzung ein, vgl. 5. Sitzung der PG 2 am 12. November 2004, S. 2. 37 Die Vorschläge dienten den Vorsitzenden für ihre Schlussberatungen als Orientierungshilfe, vgl. Ergebnisvermerk der 5. Sitzung der PG 2 am 12. November 2004, S. 4. 38 Siehe hierzu die Ausführungen der Bundestagsmitglieder Strobl, Burgbacher, Röttgen, des MdA Ratzmanns und des sächsischen Staatsministers de Maizière, Stenografischer Bericht der 10. Kommissionssitzung am 4. November 2004, S. 249 f. 39 Mit dieser Präzisierung erklärte sich Wowereit in der 5. Sitzung der PG 2 am 12. November 2004 einverstanden. 40 Flankierend, um die Handlungsfähigkeit der Zentralstellen sicherzustellen, sollte in Art. 87 Abs. 1 Satz 3 GG ein generelles Weisungsrecht gegenüber den nach Art. 73 Nr. 10 GG zur Zusammenarbeit verpflichteten Landesbehörden normiert werden, PAU 2/0012, Verfassungsänderungsbedarf auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit vom 5. November 2005. 41 Ergebnisvermerk der 5. Sitzung der PG 2 am 12. November 2004, S. 2. 42 PAU 2/0014, Föderale Sicherheitsarchitektur erhalten vom 12. November 2004, MdA Ratzmann, S. 2; AU 0097, Verfassungsänderung auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit, Landtagsabgeordnete Hahn und Wolf, S. 4. Dieser letzten Stellungnahme entsprach die Position der FDP-Bundestagsfraktion, Ergebnisvermerk der 5. Sitzung am 12. November 2004, S. 1.

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Hinter den deutlich weniger weit reichenden fünf anderen Vorschläge zu einer Kompetenzerweiterung, von denen allerdings drei inhaltsgleich waren 44, stand der Gedanke, die aus der föderalen Struktur entstehenden Sicherheitslücken bei der Bekämpfung des Terrorismus zu schließen, nicht aber eine umfassende Gesetzgebungskompetenz des Bundes im präventiven Bereich zu begründen. Dementsprechend sollte die ausschließliche 45 Gesetzgebungskompetenz inhaltlich auf den Bereich der internationalen Terrorismusbekämpfung begrenzt werden und auch dort nur für bestimmte, einzeln aufgezählte Anwendungsfälle gelten 46. Unterschiedlich beurteilt wurde, um welche Fälle es sich dabei handeln sollte und ob dem Bundesrat bei solchen Gesetzen ein Zustimmungsrecht eingeräumt werden müsse. Die inhaltsgleichen und zugleich engsten Formulierungsvorschläge – einer im Übrigen durch einen Ländervertreter eingebracht 47 – enthielten zwei Alternativen, in denen eine Gesetzgebungsbefugnis des Bundes vorgesehen war: „für die Abwehr solcher Gefahren ..., für die noch kein örtlicher Bezug zu bestimmten Ländern besteht oder ein betroffenes Land um Unterstützung durch das Bundeskriminalpolizeiamt ersucht“. Den Fall einer länderübergreifenden Gefahr genügen lassen und zudem auf ein von den zuvor genannten Vertretern gefordertes Zustimmungsrecht des Bundesrates verzichten wollte dagegen das Bundesinnenministerium 48. Eine Abstimmung mit dem Koalitionspartner war wohl auch zu diesem Zeitpunkt nicht erfolgt, denn es folgte prompt ein ablehnendes Schreiben der Grünen Ströbele und Ratzmann, in dem zudem auf die negative Entscheidung der Innenministerkonferenz zu Präventivbefugnissen des Bundeskriminalamts hingewiesen wurde 49. Den Grünen ging im Prinzip jeder Vorschlag, der eine Grundgesetzänderung erforderte, zu weit 50. 43 PAU 2/0014, Föderale Sicherheitsarchitektur erhalten vom 12. November 2004, MdA Ratzmann, S. 2. 44 Zuerst in der Projektgruppensitzung am 12. November 2005 vorgeschlagen von dem Bundestagsabgeordneten Bosbach, Ergebnisvermerk der 5. Sitzung der PG 2 am 12. November 2004, S. 2; drei Tage später eingebracht von MD Schön, PAU 2/0015, Vorschläge für Grundgesetzänderungen zum Thema „Innere Sicherheit“; zuletzt von dem Bundestagsabgeordneten Strobl am 29. November 2005 mit der geringfügigen Änderung, dass Art. 73 GG nicht durch eine Nr. 9a, sondern durch eine Nr. 10 ergänzt werden sollte, PAU 2/0020 – neu –, Überlegungen zur Verbesserung der Sicherheitsarchitektur. 45 Diesbezüglich über den Wowereitschen Vorschlag hinausgehend. 46 Für diesen Vorschlag sah auch der Sprecher der PG 2 de Maizière Chancen auf eine Zwei-Drittel-Mehrheit, vgl. Ergebnisvermerk der 5. Sitzung der PG 2 am 12. November 2004, S. 2. 47 PAU 2/0015, Vorschläge für Grundgesetzänderungen zum Thema „Innere Sicherheit“ vom 15. November 2004, MD Schön. 48 PAU 2/0016, Formulierungsvorschlag zur Änderung des Grundgesetzes vom 19. November 2004, Staatssekretär Diwell. 49 PAU 2/0019, Beratungen der Projektgruppe 2 zum Themenkomplex „Innere Sicherheit“ vom 24. November 2004, de Maizière, S. 3; zu dem Ergebnis der Innenministerkonferenz, SZ vom 19. November 2004, „Länder lehnen zusätzliche Kompetenzen für BKA ab“, Wiegand, http://www.sueddeutsche.de/deutschland/artikel/338/43295.

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Den größten gesetzgeberischen Spielraum hätte der Bundesgesetzgeber schließlich nach dem zeitlich letzten und wohl dann erst recht nicht von den Ländern und Grünen mitgetragenen Vorschlag gehabt, der die Bundeskompetenz sowohl in allen vorherigen Fällen als auch bei dem Gebotensein eines sofortigen Handelns bejahte 51. Obwohl diese Vorschläge im Grunde nur aneinander gereiht und nicht ausdiskutiert wurden, haben die Vorsitzenden in ihren Konsultationsrunden zunächst einen für die Länder akzeptablen Kompromiss erzielen können 52. Darin war man den Ländern entgegengekommen und hatte die Voraussetzungen, unter denen der Bund ein Gesetzgebungsrecht haben sollte, gegenüber den vorherigen Vorschlägen weiter verschärft. Der Bund sollte die ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis über „die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt in Fällen, in denen eine länderübergreifende Gefahr vorliegt und die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht“ haben. Die letzte Alternative war aus Ländersicht ohnehin unproblematisch, da für ein Eingreifen des Bundeskriminalamtes letztlich ihr Wille maßgeblich sein würde. Für die erste Alternative bestünde eine Bundeskompetenz nur, wenn kumulativ eine länderübergreifende Gefahr und die Nichterkennbarkeit einer zuständigen Landespolizeibehörde vorlägen. Überraschenderweise war das Kompetenzfeld der Inneren Sicherheit in dem zehn Tage später erstellten Vorentwurf der Vorsitzenden als einer der fünf ungeklärten Punkte aufgezählt. Die Länder wären dem Bund wohl nur im Rahmen eines umfassenden Gesamtkompromisses entgegengekommen 53. Zudem und auch das dürfte eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben, verschärfte sich der koalitionsinterne Streit in der Endphase der Kommissionsarbeit. So zog Schily öffentlich die Kompetenz der Grünen zur Beurteilung dieser Frage in Zweifel 54. Als Reaktion darauf bestärkten diese 55 am 15. Dezember 2004 noch einmal, dass 50 PAU 2/0019, Beratungen der Projektgruppe 2 zum Themenkomplex „Innere Sicherheit“ vom 24. November 2004, de Maizière S. 2: „Grüne stehen einer Erweiterung der Kompetenzen des Bundes durch Grundgesetzänderung ablehnend gegenüber“. 51 PAU 2/0018, Überlegungen zur Veränderung der Sicherheitsarchitektur vom 23. November 2004, Bundestagsabgeordneter Wiefelspütz. 52 Sprechzettel der Vorsitzenden für die 3. Konsultationsrunde am 3. Dezember 2004, S. 8. 53 Vgl. dazu Große Hüttmann, in: EZFF (Hrsg), Jahrbuch 2005, S. 178 und 186. 54 Er äußerte wörtlich: „Was von den Grünen in dieser Frage geäußert wird, ist fragwürdig“, vgl. SPIEGEL ONLINE, „Grüne zoffen sich mit Schily“, vom 15. Dezember 2004, www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,332931,00.html. 55 So die Bundestagsmitglieder Sager und Ströbele, die Justizministerin von SchleswigHolstein Lütkes und der stellvertretende Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen Vesper, vgl. SPIEGEL ONLINE, „Grüne zoffen sich mit Schily“, vom 15. Dezember 2004, www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,332931,00.html.

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mit ihnen eine solche Grundgesetzänderung nicht zu machen sei. Es ist daher zu vermuten, dass die SPD auch aus Rücksicht auf ihren Koalitionspartner die Aufnahme einer entsprechenden Gesetzgebungskompetenz in den Vorentwurf nicht nachdrücklich vorantrieb. Eine Einigung war ein knappes Jahr später in der Koalitionsarbeitsgruppe „Föderalismus“ unter den veränderten politischen Rahmenbedingungen einer zukünftigen Großen Koalition möglich. Zwar drohten die Beratungen auch zu diesem Zeitpunkt noch einmal in eine Sackgasse zu geraten. Doch als der Verhandlungsführer der CDU / CSU Schäuble vorschlug, die ebenfalls umstrittene Neuordnung des Katastrophenschutzes zurückzustellen, gelang der endgültige Durchbruch 56. Die darin erarbeitete jetzt gültige Fassung des Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG ist weiter gefasst als der letzte Formulierungsvorschlag in dem Sprechzettel der Vorsitzenden, unter Berücksichtigung aller eingebrachten Vorschläge aber ein Mittelweg. Die ausschließliche Bundeskompetenz besteht nicht mehr nur kumulativ bei einer länderübergreifenden Gefahr und der Nichterkennbarkeit der Zuständigkeit einer Landesbehörde, sondern alternativ bei dem Vorliegen einer der beiden Fälle. b) Auslegung des Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG Inhaltlich wirft der neue Kompetenztitel viele ungelöste Fragen auf und ist deshalb Gegenstand heftiger Kritik. Nicht ganz zu Unrecht wird er als „die wohl unklarste ... Verfassungsänderung“ 57 der Föderalismusreform bezeichnet. In der Tat ist es dem verfassungsändernden Gesetzgeber nicht nur nicht gelungen, die schon bisher im Zusammenhang mit dem Bundeskriminalamt bestehenden Ungereimtheiten zu beseitigen, sondern zu einer weiteren Verkomplizierung der Rechtslage beizutragen. Die ausschließliche Regelungskompetenz des Bundes ist begrenzt auf die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus in drei explizit aufgezählten Fällen. Ihre Konkretisierung bereitet keine größeren Schwierigkeiten. Die letzte Variante begründet die Bundeskompetenz, wenn die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht. Eine länderübergreifende Gefahr in der ersten Variante erfordert, dass sich die Gefahr auf mehr als ein Land bezieht 58. Die dritte Variante, die Nichterkennbarkeit einer zuständigen Landespolizeibehörde, liegt schließlich vor, wenn sich die Betroffenheit eines Landes, obgleich sachliche Anhaltspunkte auf eine mögliche Straftat hindeuten, noch nicht ermitteln lässt 59. 56 57 58 59

Kröning, RuP 2006, S. 15. Heintzen, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 48 Rn. 90. Weitere Konkretisierungen bei Tams, DÖV 2007, S. 374. BT-Drs. 16/813, S. 12.

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Für die sachliche Reichweite der Vorschrift von entscheidender Bedeutung ist vor allem, wie der dem Grundgesetz bisher unbekannte und alle drei Fälle umklammernde Passus zur „Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus“ auszulegen ist. Zur näheren Bestimmung des Begriffs „Terrorismus“ verweist die Gesetzesbegründung auf die in dem Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Union zur Terrorismusbekämpfung vom 13. Juni 2002 enthaltene Definition 60, während die internationale Komponente auf Deutschland begrenzte terroristische Phänomene ausschließen soll 61. Zugleich wird jedoch die Entwicklungsoffenheit dieses Begriffspaares betont. Dieser Hinweis ist an sich überflüssig, geht doch das Bundesverfassungsgericht ohnehin nicht davon aus, dass die jeweiligen Gesetzgebungsmaterien durch die in diesem Zusammenhang besonderes Gewicht beanspruchende historische Auslegung „unabänderlich festgelegt seien“ 62. An der für das Grundgesetz notwendigen Bestimmtheit des Begriffes Internationaler Terrorismus kann, betrachtet man die an anderen Stellen in den Kompetenzkatalogen zu findenden zum Teil noch wesentlich unpräziseren Kompetenztitel 63, nicht gezweifelt werden 64. Die Bezugnahme auf die auf internationaler Ebene anerkannte Auslegung, die zudem auch Eingang in das nationale Recht gefunden hat 65, ermöglicht die Erfassung des wesentlichen Begriffsinhalts. Es wird die Aufgabe der Rechtswissenschaft und des Bundesverfassungsgerichts sein, einzelne gleichwohl bestehende Unklarheiten auszuräumen. Mit der „Abwehr von Gefahren“ ist ein typischer Begriff des Polizeirechts in das Grundgesetz eingeführt worden. Auch wenn eine entsprechende Absicht nicht ausdrücklich vom verfassungsändernden Gesetzgeber erklärt wurde, spricht viel dafür, dass damit auch dessen Inhalt und Reichweite übernommen werden sollte. Zur polizeirechtlichen Gefahrenabwehr gehört nach nicht unbestrittener 60

2002/475/JI, ABl. 2002 L 164. Art. 1 Abs. 1 dieses Beschlusses definiert als terroristische Straftaten solche vorsätzlichen Handlungen, „die durch die Art ihrer Begehung oder den jeweiligen Kontext ein Land oder eine internationale Organisation ernsthaft schädigen können, wenn sie mit dem Ziel begangen werden, die Bevölkerung auf schwer wiegende Weise einzuschüchtern oder öffentliche Stellen oder eine internationale Organisation rechtswidrig zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören“. 61 BT-Drs. 16/813, S. 12. Ob die Einschränkung auf den „Internationalen Terrorismus“ eingrenzende Wirkung entfaltet, wird angesichts der von der Polizei zu treffenden Beurteilung ex-ante bezweifelt, vgl. Heintzen, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 50 Rn. 97. 62 BVerfGE 106, 62 (105). 63 Zu denken ist an das Recht der Wirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) oder den Luftverkehr (Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG). 64 So auch Tams, DÖV 2007, S. 373. 65 In § 129a StGB wurde das internationale Verständnis weitgehend übernommen.

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Meinung auch die Gefahrenvorsorge, das heißt die Verhütung von Straftaten sowie die Vorsorge für die Strafverfolgung 66. Zwar lassen sich die diesen Bereich betreffenden Vorfeldbefugnisse nicht in die herkömmliche Polizeirechtsdogmatik einordnen 67. Deswegen aber eine neue, als aliud neben der klassischen Gefahrenabwehraufgabe stehende Kategorisierung vorzunehmen, ist nicht angezeigt 68. Auch bei der Gefahrenvorsorge geht es im Ergebnis um die Abwehr von Gefahren, lediglich der Zeitpunkt, in dem entsprechende Maßnahmen ergriffen werden, ist ein anderer. Wegen dieser einheitlichen Zielsetzung ist auch die Vorfeldarbeit der Polizei sozusagen als vorgelagerter, ergänzender Aufgabenbereich als von dem Gefahrenabwehrbegriff umfasst anzusehen 69. Die Regelungskompetenz des Bundes erstreckt sich daher auch auf Maßnahmen der Gefahrenvorsorge durch das Bundeskriminalamt. Das zentrale Problem im Zusammenhang mit dem neuen Kompetenztitel ist, dass versäumt wurde, die Gesetzgebungskompetenz des Bundes durch eine entsprechende Verwaltungskompetenz in Art. 87 Abs. 1 GG zu ergänzen. Will man dem eindeutigen Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers gerecht werden und die Existenz eines nicht vollziehbaren BKA-Gesetzes verhindern, muss die Verwaltungskompetenz in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes hineingelesen werden 70. Obschon das an sich systemwidrig ist und die separaten Abschnitte über die Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen vielmehr eine strikte Trennung nahe legen, scheint eine solche Lesart mit dem Wortlaut des Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG „durch das Bundeskriminalpolizeiamt“ vereinbar. Andernfalls 66 Ebenso Kluth, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 73 GG Rn. 9 mit dem Hinweis auf den dieses Verständnis zum Ausdruck bringenden § 1 des Muster-Entwurfes eines einheitlichen Polizeigesetzes; Heintzen, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 50 Rn. 98; Baldus in seinem Rechtsgutachten zur Vorbereitung der Anhörung des Rechtsausschusses am 17. Mai 2006, S. 9; konträr dazu die Auffassung von Poscher in seinem Rechtsgutachten, S. 3 f. 67 Es liegt weder eine konkrete Gefahr vor noch lassen sich Störer ermitteln. 68 So aber, Lisken, Handbuch des Polizeirechts, S. 303 Rn. 5. 69 Ausführlich dazu Abbühl, Der Funktionenwandel des Bundeskriminalamtes (im Erscheinen). 70 So auch Tams, DÖV 2007, S. 369; Kluth, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 73 GG Rn. 10. Baldus und Poscher in ihren Rechtsgutachten zur Vorbereitung der Anhörung des Rechtsausschusses am 17. Mai 2006, S. 8 bzw. S. 3. Ein anderer Weg wäre, die entsprechenden Verwaltungsbefugnisse des Bundes über Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG zu begründen, vgl. den diesbezüglichen Vorschlag Wowereits PAU-2/0012, Verfassungsänderungsbedarf auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit vom 5. November 2004, S. 1. Dagegen spricht aber, dass Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG hinsichtlich des Bundeskriminalpolizeiamtes eine speziellere und auf die Zentralstellenfunktion begrenzte Verwaltungskompetenz enthält. Nicht überzeugend ist es auch, die Verwaltungskompetenz aus Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG direkt herzuleiten („Zentralstelle für die Kriminalpolizei“). Die Zuweisung von Präventivbefugnissen lässt sich mit dem Wortlaut („Kriminalpolizei“) als äußerster Grenze der Auslegung schwer vereinbaren, so aber Heintzen, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 49 Rn. 95 und Stettner, in: Dreier, GG – Supplementum, Art. 73 GG Rn. 52.

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wäre diese Erwähnung überflüssig, da sie für die inhaltliche Reichweite der Gesetzgebungskompetenz des Bundes keine Bedeutung hat. Eine vergleichbare Regelung ist zudem in dem bereits seit Entstehung des Grundgesetzes existierenden Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG enthalten („sowie die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes). Auch wenn diese Bestimmung lediglich eine unnötige Wiederholung der in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG systemgerecht normierten Verwaltungskompetenz des Bundes darstellt und daher nur deklaratorischer Natur ist 71, belegt sie, dass eine solche Durchbrechung der Zuständigkeitssystematik zumindest nicht gänzlich unüblich ist. II. Übergangsregelungen Die für diese Grundgesetzänderungen einschlägigen Übergangsvorschriften für bereits erlassenes Bundes- und Landesrecht finden sich in den durch die Föderalismusreform neu in das Grundgesetz eingefügten Art. 125a Abs. 3 GG und Art. 125b Abs. 1 GG 72. Nach Art. 125a Abs. 3 GG gilt erlassenes Landesrecht, das aufgrund der Veränderungen in Art. 73 GG nicht mehr als Landesrecht erlassen werden könnte, fort. Die angeordnete Rechtsfolge für solches, nicht mehr kompetenzgerecht erlassfähiges Landesrecht ist eine dreifache: die Fortgeltung und zwar in der Qualität als Landesrecht sowie die jederzeitige Ersetzungsbefugnis des Bundes ohne Ermächtigung des Landesgesetzgebers, vgl. Art. 125a Abs. 3 Satz 2 GG. Relevant könnte diese Vorschrift – abgesehen von ihrer Bedeutung für künftige Verschiebungen in die ausschließliche Bundesgesetzgebung – für die das Meldeund Ausweiswesen ausfüllende Landesgesetzgebung sein. Dagegen hat sie für die aus der konkurrierenden Gesetzgebung in die ausschließliche Bundesgesetzgebung verschobenen Materien kein Anwendungsfeld, da diesbezüglich keine Landesregelungen existieren. Allerdings ist für Bundes- und Landesrecht, das auf der Rahmengesetzgebung basiert, in Art. 125b Abs. 1 GG eine weitere Übergangsvorschrift enthalten. Danach gilt Bundesrecht, das aufgrund der Rahmenkompetenz in der bis zum 1. September 2006 geltenden Fassung erlassen worden ist und auch danach noch als Bundesrecht erlassen werden könnte, gemäß Art. 125b Abs. 1 Satz 1 GG als Bundesrecht fort. Die Befugnisse und Verpflichtungen der Länder zur Gesetzgebung bleiben nach Art. 125b Abs. 1 Satz 2 GG in den Grenzen des 71

Vgl. dazu Abbühl, Der Funktionenwandel des Bundeskriminalamtes. Für die auf der konkurrierenden Gesetzgebung basierenden Bundesgesetze bedurfte es keiner Übergangsvorschrift, da sie auch nach der Verschiebung in die ausschließliche Bundeskompetenz als Vollregelungen erlassen werden können. Eines Umkehrschlusses zu Art. 125a Abs. 1 Satz 1 und Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG bedarf es daher nicht, so aber Heintzen, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 42 Rn. 73. 72

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fortbestehenden Rahmenrechts bestehen, bis der Bundesgesetzgeber von seiner neuen Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht hat 73. An der Notwendigkeit dieser Regelung könnten Zweifel angebracht sein, ist für die Fortgeltung des nicht mehr erlassfähigen Landesrechts doch bereits Art. 125a Abs. 3 GG anwendbar und für das sich weiterhin in Bundeszuständigkeit befindliche Bundesrecht eine Übergangsvorschrift an sich überflüssig. Sie lässt sich jedoch mit dem besonderen Charakter der Rahmengesetzgebung erklären, nach dem die Rahmengesetze des Bundes auf eine Ausfüllung durch die Länder angewiesen sind. Bei einer Übergangsregelung, die lediglich die Fortgeltung des Landesrechtes angeordnet hätte, wäre diese Verpflichtung entfallen, so dass die Länder ihre ausfüllenden Landesgesetze ersatzlos hätten streichen können, ohne eine Neuregelung durch den Bund abwarten zu müssen. Diese gesetzgeberische Verpflichtung der Länder, von der eine sinnvolle Gesamtregelung im Bereich der Rahmengesetzgebung abhängt, wird durch die Anordnung in Art. 125b Abs. 1 Satz 2 GG sichergestellt. Freilich ist dieser Vorschrift implizit zu entnehmen, dass das den Befugnissen und Verpflichtungen gerecht werdende ausfüllende Landesrecht fortgilt. Insofern hätte zwar nicht auf den speziell auf die Eigenart der Rahmengesetzgebung zugeschnittenen Art. 125b Abs. 1 GG, andersherum aber möglicherweise auf Art. 125a Abs. 3 GG verzichtet werden können. Jedoch ist dieser Vorschrift aufgrund der neu geschaffenen Gefahrenabwehrkompetenz des Bundes für das Bundeskriminalamt ein eng umgrenzter Anwendungsbereich zuzuerkennen 74.

B. Die ausschließliche Gesetzgebung der Länder Nach Art. 70 Abs. 1 GG haben die Länder das Recht zur Gesetzgebung, soweit der Bund nicht nach dem Grundgesetz gesetzgebungsbefugt ist. Diese Regelungstechnik garantiert eine lückenlose Aufteilung der Gesetzgebungskompetenzen und ermöglichte dem verfassungsändernden Gesetzgeber allein durch die Streichung des jeweiligen Bundeskompetenztitels eine Übertragung an die Länder herbeizuführen. In Fällen, in denen lediglich ein Teilbereich eines umfassenden Kompetenztitels auf die Länder übergehen sollte, hat der verfassungsändernde Gesetzgeber sich der Ausklammerungsmethode bedient und explizit ins Grundgesetz aufgenommen, welche Bereiche nicht mehr von der Bundeskompetenz umfasst sind („ohne...“). Dabei wurden die ausgeklammerten Kompetenzmaterien normativ-rezeptiv, das heißt durch die Benennung eines vorgefundenen Normbereichs zugewiesen 75. In der Regel ist ihr Inhalt in seinen Grundstrukturen daher mit Hilfe der einfachgesetzlichen Ausformung zu bestimmen 76. 73

BT-Drs. 16/813, S. 21. Vgl. dazu die Ausführungen im Vierten Kapitel unter C. 75 Zu der faktisch-deskriptiven und normativ-rezeptiven Bezeichnung einer Kompetenzmaterie, Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 70 GG Rn. 51 f. 74

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I. Kompetenzänderungen zugunsten der Länder Die Länder sind nach der Föderalismusreform auf insgesamt zwölf weiteren Sachgebieten gesetzgebungsbefugt. Einige der nunmehr vorgenommenen Übertragungen entsprechen Vorschlägen, die schon wiederholt in der Vergangenheit, insbesondere in den achtziger Jahren von den beiden bekannt gewordenen Reformgremien unterbreitet wurden 77, während andere erstmals im Rahmen der Föderalismuskommission diskutiert wurden. 1. Übertragung aus der Rahmengesetzgebung: Teile des Hochschulwesens (Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a GG) sowie das Pressewesen (Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GG) Erst in den Verhandlungen der großkoalitionären Arbeitsgruppe „Föderalismus“ im Herbst 2005 konnte die für die Länder essentielle Frage des Hochschulwesens zu ihren Gunsten entschieden werden. Die Rahmenkompetenz für die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens, auf dem Höhepunkt des kooperativen Föderalismus mit der Verfassungsänderung von 1969 eingeführt, entfällt. An ihre Stelle tritt eine auf den Ausschnitt der Hochschulzulassung und der Hochschulabschlüsse begrenzte konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit. Von dieser darf der Bund Gebrauch machen ohne an die Voraussetzungen der Erforderlichkeitsklausel gebunden zu sein, da den Ländern ihrerseits ein vollumfängliches Abweichungsrecht zusteht. Nicht nur die Hochschulorganisation, sondern auch die bis zuletzt in der Föderalismuskommission umstrittene und wegen der absehbaren Entwicklung zu weitgehend autonomen Hochschulen zukunftsträchtige Qualitätssicherung 78 ist daher in Zukunft nahezu ausschließlich den Regelungen der Länder vorbehalten. Aus der Rahmenkompetenz einvernehmlich und ohne jedwede Diskussion gestrichen und damit nach der Regel des Art. 70 Abs. 1 GG automatisch in die Länderzuständigkeit überführt wurden die allgemeinen Rechtsverhältnisse der 76 Vgl. BVerfGE 109, 190 (280); Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 70 GG Rn. 44 und 47. Für eine „enge Interpretation“ der ausgeklammerten Teilmaterien, Kluth, in: Kluth (Hrsg), Föderalismusreform, Art. 74 GG Rn. 3. Zutreffend dürfte dagegen eine strikte Auslegung sein, vgl. zu diesem Topos BVerfGE 12, 205 (228 f.); 26, 281 (297 f.); 42, 20 (28); 61, 149 (174). 77 So hatte bereits die Martin-Kommission in dem Jahr 1985 eine Streichung der allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse, des landwirtschaftlichen Pachtwesens und des Siedlungs- und Heimstättenwesens gefordert, vgl. LT-Drs. RP 10/1150, S. 4. Die nordrhein-westfälische Gutachterkommission sprach sich darüber hinaus noch für die Streichung des Versammlungsrechts aus, vgl. LT-Vorlage NW 11/182 (Zweiter Teil von 1991), S. 35 ff. 78 Dazu Hansalek, NVwZ 2006, S. 669; Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 31. Zu dem Beratungsverlauf im Bildungswesen ausführlich unter C. III. 2. d.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

Presse. Der Bund hatte auf der Grundlage des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GG nie ein Presserechtsrahmengesetz erlassen, wodurch die mangelnde Notwendigkeit einer bundeseinheitlichen (Rahmen-)Regelung nur zu deutlich unterstrichen wurde. 2. Übertragung aus der Rahmen- und konkurrierenden Gesetzgebung: Teile des öffentlichen Dienstrechtes (Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GG) und das Besoldungs- und Versorgungsrecht (Art. 74a GG) Eines der zentralen Anliegen der Länder war es, das öffentliche Dienstrecht einschließlich des Besoldungs- und Versorgungsrechts für die Landesbeamten und Landesrichter als „ureigene Angelegenheit der Länder“ 79 künftig im Wesentlichen selbst zu regeln. Da dieser Themenkomplex in der Föderalismuskommission und im Gesetzgebungsverfahren stets zusammen erörtert wurde, wird die ansonsten durchgeführte strikte Aufteilung nach der Herkunftskompetenzart an dieser Stelle aufgegeben. Die Geschichte des öffentlichen Dienstrechts der Landesbeamten und Landesrichter ist durch eine stetige Ausweitung der Gesetzgebungskompetenzen des Bundes gekennzeichnet. Ursprünglich verfügte der Bund lediglich über das Recht, Rahmenvorschriften über die Rechtsverhältnisse der im öffentlichen Dienste der Länder, Gemeinden und anderer Körperschaften des öffentlichen Rechtes stehenden Personen (Art. 75 Nr. 1 GG) und Richter (Art. 98 Abs. 3 Satz 2 GG) zu erlassen 80. Im Besoldungsbereich erwies sich das auf diesen Vorschriften basierende Bundesbesoldungsgesetz vom 27. Juli 1957 nach übereinstimmender Ansicht von Bund und Ländern nicht als ausreichend 81. In den Ländern hatte sich ein, von diesem Gesetz nicht zu verhindernder Besoldungswettlauf entwickelt, der zwischen den Ländern und im Verhältnis zum Bunde zu einem ständigen Harmonisierungsdruck nach oben führte. Der in Reaktion darauf schon frühzeitig unternommene Versuch des Bundes, in das Gesetz Besoldungsobergrenzen für die Länder aufzunehmen, scheiterte am Bundesverfassungsgericht 82, das eine 79

BVerfGE 4, 115 (127). Auf der Grundlage des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GG hat der Bund 1957 das sehr detaillierte Beamtenrechtsrahmengesetz und 1974 die im Bundespersonalvertretungsgesetz enthaltenen Rahmenvorschriften über die Personalvertretungen in den Ländern erlassen, auf der Grundlage des Art. 98 Abs. 3 Satz 2 GG 1961 das Deutsche Richtergesetz. 81 Vgl. dazu die Kommission für die Finanzreform, S. 43 mit Verweis auf eine Sitzung der Ministerpräsidenten am 25. November 1965, in der sie sich für eine Vereinheitlichung des Besoldungswesens ausgesprochen hatten. 82 Dem Verfahren lag ein Antrag der Bundesregierung zugrunde, das Besoldungsgesetz Nordrhein-Westfalens, in dem die Besoldung der Landesbeamten gegenüber der der Bundesbeamten verbessert worden war, wegen der Überschreitung des vom Bundesgesetzgeber gezogenen Rahmens für unvereinbar mit dem Grundgesetz zu erklären. Nach 80

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solche Regelung für nicht mehr von der Rahmengesetzgebung gedeckt ansah. Es blieb zur Abhilfe dieses Zustandes der Weg der Verfassungsänderung, der im Zuge der Finanzreform von 1969 beschritten wurde und der zur Erweiterung des Art. 75 GG um zwei Absätze führte 83. Dem Bund wurde darin ermöglicht, in Rahmengesetzen die Struktur und die Bemessung der Besoldung einschließlich der Bewertung der Ämter sowie Mindest- und Höchstbeträge mit Zustimmung des Bundesrates verbindlich festzulegen. Die sogleich vom Bund angestrengte Harmonisierung 84 verlief jedoch aus verschiedenen Gründen 85 nicht so erfolgreich wie erwartet. 1971 kam es deswegen auf Initiative der Bundesregierung zu einer erneuten Verfassungsänderung 86, mit der eine konkurrierende Bundeskompetenz über die Besoldung und Versorgung (Art. 74a GG) eingeführt 87 und Art. 75 Abs. 2 und 3 wiederum aufgehoben wurde. Nach der grundgesetzlichen Ausgangslage hatte der Bund daher das Recht im Bereich der Besoldung und Versorgung Vollregelungen, im sonstigen öffentlichen Dienstrecht Rahmenvorschriften zu erlassen. a) Beratungsverlauf in der Föderalismuskommission Anders als zum Zeitpunkt der Verfassungsänderung von 1971 wollte die Mehrzahl der Länder das öffentliche Dienstrecht ihrer Landesbeamten mittlerweile wieder in weiten Teilen selbst regeln. Interessanterweise lag dieser Forderung das gleiche Bestreben zugrunde, das ehemals zu der Übertragung der Gesetzgebungskompetenz für die Besoldung und Versorgung auf den Bund geführt hatte. Ansicht des Gerichts überschritten jedoch die bundesgesetzlichen Regelungen ihrerseits die Rahmengesetzgebungskompetenz und waren deshalb ungültig, BVerfGE 4, 115 (129). 83 22. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 12. Mai 1969, BGBl. I S. 363. Die Verfassungsänderung geht auf einen Vorschlag der Troeger-Kommission zurück, Kommission für die Finanzreform, S. 44. 84 Zweites Besoldungsneuregelungsgesetz vom 14. Mai 1969, BGBl. I S. 365. 85 Der den Ländern verbleibende Gestaltungsspielraum und ein unübersichtliches und teilweise auch gegen das Bundesrahmenrecht verstoßendes System von Zulagen verhinderte die gewünschte Vereinheitlichung. So belief sich der Besoldungsrückstand des Bundes bei Einführung des Art. 74a GG nach damaligen Schätzungen auf 5%, Clemens, ZBR 1970, S. 308. 86 28. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 18. März 1971, BGBl. I S. 206. Vom damaligen Präsidenten des Bundesrates (!) als „Geburtsstunde der Besoldungseinheit in der Bundesrepublik“ bezeichnet, Stenografischer Bericht der 383. Sitzung des Bundesrates am 12. März 1971, S. 79. Lediglich Bayern hat im Bundesrat seine Zustimmung versagt. Ende des Jahres 1974 wurde zusätzlich in einer, allerdings rechtlich nicht bindenden „Gemeinsamen Erklärung“ aller Regierungschefs auf jedwede „kostenwirksame strukturelle Maßnahme“ im Bereich des öffentlichen Dienstes verzichtet, Lecheler, ZBR 2007, S. 23. 87 Bereits im Entstehungsjahr der Vorschrift hat der Bund auf der Grundlage dieser Kompetenz das Bundesbesoldungsgesetz und 1976 dann das Beamtenversorgungsgesetz erlassen.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

Die Personalausgaben für die im öffentlichen Dienst Beschäftigten, die mit ca. 40 % 88 einen erheblichen Teil der Länderhaushalte binden, sollten begrenzt werden 89. Aufgrund der Überbietungssituation zwischen den Ländern war dieses Ziel in den Sechzigern durch bundeseinheitliche Besoldungsbestimmungen zu erreichen. Heute galt es dagegen nicht einen ständigen Wettlauf nach oben zu verhindern, sondern Freiräume zur Anpassung an die eigenen, angespannten haushaltspolitischen Möglichkeiten zu schaffen 90. Dabei stand für die Länder allerdings von vornherein fest, dass für bestimmte Komplexe des öffentlichen Dienstrechts zur Sicherung des Kerns des Berufsbeamtentums und eines Mindestmaßes an Mobilität der Bediensteten 91 nach wie vor bundeseinheitliche Regelungen erforderlich waren. In den Leitlinien der Ministerpräsidenten vom 27. März 2003 waren dazu folgende Bereiche aufgezählt 92: − Wesen, Voraussetzungen, Rechtsform der Begründung, Arten, Dauer sowie Nichtigkeits- und Rücknahmegründe des Beamtenverhältnisses einschließlich des Vorbereitungsdienstes, − Abordnungen und Versetzungen der Beamten zwischen den Ländern und zwischen Bund und Ländern (Sicherstellung eines bundeseinheitlichen Rechtsinstituts), − Voraussetzungen und Formen der Beendigung des Beamtenverhältnisses (vor allem Tod, Entlassung, Verlust der Beamtenrechte, Entfernung aus dem Dienst nach den Disziplinargesetzen), − statusprägende Pflichten der Beamten und Folgen der Nichterfüllung, − wesentliche Rechte der Beamten, − Bestimmung der Dienstherrenfähigkeit, − Spannungs- und Verteidigungsfall und − Verwendungen im Ausland. Dieser Ansatz wurde in der sich mit diesem Themenkomplex beschäftigenden Projektgruppe 2 unter Leitung von de Maizière weiterverfolgt. Den drei dort 88 Die angegebenen Zahlen schwanken. Nach Staupe, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 163 machen die Personalausgaben zwischen 25% und 40%, nach Koch, DVBl. 2008, S. 805 zwischen 40 % und 50 % aus. 89 Vgl. dazu die Kommission für die Finanzreform, S. 43: „Bei dem Gewicht der finanziellen Belastung (...) kann auf eine Harmonisierung nicht verzichtet werden.“ 90 Zu diesem Hintergrund Degenhart, in: Dolzer / Vogel, Bonner Kommentar, Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG Rn. 8. 91 So später die Begründung der Projektgruppe, Ergebnisvermerk der 4. Sitzung der PG 2 am 28. September 2004, S. 2. 92 Hrbek / Eppler, Deutschland vor der Föderalismus-Reform, Dokument 1, Leitlinien der Ministerpräsidenten, S. 28.

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ernsthaft diskutierten 93, allesamt von der Länderseite eingebrachten Vorschlägen war dementsprechend gemein, dass zur Sicherung eines Mindestmaßes an Mobilität ein „statusrechtlicher Kernbestand“ von dem Bundesgesetzgeber zu regeln sein würde 94. Unterschiedlich war dagegen der sich aus den Vorschlägen ergebende Handlungs- und Gestaltungsspielraum der Länder für die übrigen Teile des öffentlichen Dienstrechts. Nach dem ersten und weitreichendsten Modell war dafür eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder vorgesehen. Dieses „eingeschränkte“ – weil für die statusrechtlichen Grundnormen eine Bundeskompetenz vorsehende – Trennmodell setzte sich in der Projektgruppe gegenüber dem Bandbreiten- und dem Zugriffsmodell durch 95. Letzteres, das ein Zugriffsrecht der Länder auf alle Teile des öffentlichen Dienstrechtes beinhaltete, sollte nur subsidiär wieder aufgegriffen werden, falls sich die dem von der Kommission allgemein verfolgten Trennprinzip entsprechende Lösung nicht würde behaupten können 96. Nach dem Bandbreitenmodell hätte der Bundesgesetzgeber neben der Zuständigkeit für die statusrechtlichen Grundnormen auch die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für das Besoldungs- und Versorgungsrecht behalten, sich dort allerdings auf die Bestimmung von „Bandbreiten“ beschränken müssen. Dieses Modell hätte für die Länder den geringsten Gestaltungsspielraum bedeutet und war deswegen am ehesten mit der Position der Bundesregierung zu vereinbaren. Sie plädierte in ihrer Stellungnahme zur Verhinderung einer wieder aufkommenden Bezahlungskonkurrenz für eine Beibehaltung der Bundeskompetenz im Besoldungs- und Versorgungsrecht 97. Augenscheinlich hat sie damit 93 Zu den drei Modellen, PAU-2/0007 vom 3. Oktober 2004, de Maizière. Zwei dieser Vorschläge waren auf einer Sonderkonferenz der Ministerpräsidenten am 6. Mai 2004 entwickelt worden und sind in dem auf denselben Tag datierten Positionspapier der Ministerpräsidenten enthalten. Sie sind in PAU-2/0001 vom 8. Juni 2004, S. 1 und 6 von einer von den Chefs der Staats- und Senatskanzleien eingesetzten Arbeitsgruppe unter der Federführung BE, BY, NW, NI, SH noch einmal für die Projektgruppe 2 konkretisiert worden. In der 1. Sitzung der PG 2 am 10. Juni 2004 wurde schließlich noch der Vorschlag unterbreitet, bis auf den statusrechtlichen Kernbestand alles in Länderzuständigkeit zu geben, vgl. dazu den Protokollvermerk, S. 2. 94 Vgl. zu diesem Konsens den Protokollvermerk der 1. Sitzung der PG 2 am 10. Juni 2004, S. 2. 95 Ergebnisvermerk der 3. Sitzung der PG 2 am 9. September 2004, S. 1. 96 PAU-2/0008, Gesetzgebungskompetenzen im öffentlichen Dienst-, Besoldungs- und Versorgungsrecht, Sächsisches Staatsministerium der Justiz vom 24. September 2004, S. 1. 97 PAU-2/0005, Positionspapier zu Kompetenzfragen im Dienstrecht, BMI und PAU2/0010, Stellungnahme des BMI zum Öffentlichen Dienstrecht vom 29. September 2004, S. 4. Stattdessen schlug die Bundesregierung zunächst einfachgesetzliche Öffnungsklauseln und Bezahlungsbandbreiten vor. Später, nachdem sie durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 72 Abs. 2 GG unter Druck geraten war, erklärte sie sich dagegen widerstrebend zu der Übertragung bereit, vgl. dazu Bundesjustizministerin Zypries auf einer Pressekonferenz am 10. November 2004, http://archiv.bundesregierung .de/bpaexport/mitschrift/96/743496/multi.htm, S. 2.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

aber keinen Widerhall in der Projektgruppe gefunden, denn die Entscheidung zugunsten des Trennmodells ist laut Protokollvermerk einmütig getroffen worden 98. Bis zuletzt umstritten blieben dagegen die Fragen rund um den statusrechtlichen Kernbestand 99, der – insoweit bestand jedenfalls Konsens – nur mit der Zustimmung des Bundesrates sollte geregelt werden dürfen 100. Zum einen war jedoch unklar, welche Bereiche inhaltlich unter den statusrechtlichen Kernbestand zu fassen waren, zum anderen, wie er in der Verfassung zu bezeichnen war. Erst in den abschließenden Vorsitzendenrunden konnte hierzu Einigkeit erzielt werden, wobei auch an dieser Stelle auffällt, dass sich die jeweils länderfreundlichere Variante durchgesetzt hat. Inhaltlich wollte man den schon von den Ministerpräsidenten im März 2003 aufgestellten Katalog, angepasst im Hinblick auf die Dienstverhältnisse der Landesrichter, übernehmen und ihn in der Gesetzesbegründung als Begleittext zu der neuen Bundeskompetenz wiedergeben. Der sogar von einigen Bundesländern unterstützten 101 Forderung der Bundesregierung, diesen Katalog aus Gründen der Mobilitäts- und Qualitätssicherung um Elemente des Laufbahnrechts 102 zu ergänzen, wurde nicht entsprochen. Im Gegenteil wurde das Laufbahnrecht ausdrücklich als nicht von der Bundeskompetenz umfasst aufgezählt 103. Auch aus den Vorschlägen zur Bezeichnung der „grundlegenden Statusfragen“ 104 hatten die Vorsitzenden mit den „Statusrechten und -pflichten“ diejenige Fassung gewählt, die am ehesten zum Ausdruck brachte, dass dem 98 Die Mehrheit des Bundestages unterstützte die Position der Bundesregierung nicht, vgl. die Stellungnahme des Bundestagsabgeordneten Wiefelspütz in der 1. Sitzung der AG 1 am 15. Januar 2004: „Der Bund würde sich hiergegen (gegen eine entsprechende Übertragung, Anm. d. Verf.) nicht sperren“; später sah er beim Bund diesbezüglich sogar eine „Bringschuld“ vorliegen, Stenografischer Bericht der 8. Kommissionssitzung am 8. Juli 2004, S. 180. 99 Anlage 1, S. 2 und 4 zu dem Ergebnisvermerk der 4. Sitzung der PG 2 am 28. September 2004. 100 Ergebnisvermerk der 2. Sitzung der PG 2 am 29. Juni 2004, S. 1. Damit erklärte sich auch die Bundesregierung einverstanden, PAU-2/0005, Positionspapier zu Kompetenzfragen im Dienstrecht, BMI, S. 3. 101 So Schleswig-Holstein, vgl. Ergebnisvermerk der 3. Sitzung der PG 2 am 9. September 2004, S. 2. Schon vor der Konstituierung der Föderalismuskommission hatten sich Hamburg und Niedersachsen in den MPK-Leitlinien für eine bundesgesetzliche Zuständigkeit im Bereich des Laufbahnrechts ausgesprochen, Hrbek / Eppler, Deutschland vor der Föderalismus-Reform, Dokument 1, Leitlinien der Ministerpräsidenten, S. 28. 102 PAU-2/0005, Positionspapier zu Kompetenzfragen im Dienstrecht, BMI, S. 2. 103 Sprechzettel der Vorsitzenden für die 2. Konsultationsrunde am 26. November 2004, S. 2. 104 Zur Debatte standen: „der grundlegende Status“, später in „Statusrechte und -pflichten“ umformuliert, „die grundlegenden Inhalte der Rechtsverhältnisse“ und „die grundlegenden Inhalte der Dienstverhältnisse“, vgl. PAU-2/0008, „Gesetzgebungskompetenzen im öffentlichen Dienst-, Besoldungs- und Versorgungsrecht vom 24. September 2004, de Maizière, S. 2.

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Bundesgesetzgeber lediglich der Kern der Beamtenrechtsstellung zur Regelung überlassen werden sollte 105. Darüber hinaus ordneten sie die Statuskompetenz nicht wie von der Projektgruppe empfohlen 106 in die ausschließliche, sondern in die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz ein 107 und ermöglichten den Ländern auch auf diese Weise zumindest etwas größere Gestaltungsspielräume. Dieser im Ergebnis sehr länderfreundlich ausgestaltete Vorschlag der Vorsitzenden wurde im weiteren Gesetzgebungsverfahren lediglich geringfügig redaktionell verändert, bevor er durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes als Nr. 27 in folgender Fassung in den Katalog der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit eingefügt wurde: „Die Statusrechte und -pflichten der Beamten der Länder, Gemeinden und anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts sowie der Richter in den Ländern mit Ausnahme der Laufbahnen, Besoldung und Versorgung“. Nach Art. 74 Abs. 2 GG bedürfen Gesetze nach Abs. 1 Nr. 27 GG, gleichsam in Weiterentwicklung des aufgehobenen Art. 74a Abs. 2 GG, der Zustimmung des Bundesrates. Die Art. 74a GG, Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GG und Art. 98 Abs. 3 Satz 2 GG wurden im Zuge der Grundgesetzänderung aufgehoben mit der Folge, dass das sonstige öffentliche Dienstrecht nach der Grundregel des Art. 70 Abs. 1 GG nunmehr in die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder fällt. b) Auslegung der Statusrechte und -pflichten in Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG Die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes im öffentlichen Dienstrecht für die Landesbeamten und -richter wird durch den Begriff der Statusrechte und pflichten gegenständlich umgrenzt. Diese Umschreibung legt prima facie zwei mögliche Auslegungen nahe. Eng verstanden könnte der Begriff sich lediglich auf die sich aus dem Beamtenverhältnis ergebenden individuellen subjektiven Rechte und Pflichten des Beamten beziehen, während bei extensiver Auslegung der gesamte Beamtenstatus an sich erfasst wäre 108. Ein Blick auf die in der Gesetzesbegründung enthaltene, oben dargestellte konkretisierende Aufzählung offenbart jedoch, dass keiner dieser beiden Definitions105 Sprechzettel der Vorsitzenden zur 2. Konsultationsrunde am 26. November 2004, S. 2; vgl. hierzu die Ausführungen des Projektgruppenmitglieds MD Schön und der Bundestagsabgeordneten Strobl und Wiefelspütz, Ergebnisvermerk der 4. Sitzung der PG 2 am 28. September 2004, S. 2. 106 Ergebnisvermerk der 3. Sitzung der PG 2 am 9. September 2004, S. 3. 107 In dem Vorentwurf der Vorsitzenden hatte Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG folgenden Wortlaut: „Die Statusrechte und -pflichten der Angehörigen des öffentlichen Dienstes der Länder, Gemeinden und anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen, mit Ausnahme der Laufbahnen, Besoldung und Versorgung“, AU 104 – neu – vom 13. Dezember 2004, S. 3. 108 Siehe dazu Bochmann, ZBR 2007, S. 4.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

ansätze dem klaren Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers entspricht. Zum einen sind in der Aufzählung nämlich auch Regelungsbereiche aufgeführt, die sich auf die Begründung des Statusverhältnisses als solches beziehen 109. Insofern muss die Bezeichnung mehr umfassen als allein die subjektiven Rechte und Pflichten des einzelnen Beamten 110. Zugleich kann er aber auch nicht den Beamtenstatus an sich zum Inhalt haben, da dieser mit dem Terminus der Rechtsverhältnisse übereinstimmt, auf dessen Verwendung der verfassungsändernde Gesetzgeber bewusst verzichtet hat 111. Vielmehr sollte ausweislich der Gesetzgebungsgeschichte mit den Statusrechten und -pflichten die Begrenzung der Bundeskompetenz auf den Kern der Beamtenrechtsstellung, wie er sich aus den in Art. 33 Abs. 1 bis 5 GG vorgeprägten „hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums“ ergibt, verdeutlicht werden 112. So enthält die Gesetzesbegründung auch explizit den Hinweis, dass die bereits zuvor in die Länderzuständigkeit fallenden und die lediglich statusberührenden Rechtsgebiete sowie die aus dem Beamten- oder Richterdienstverhältnis abgeleiteten Rechte nicht von diesem Kern erfasst sein sollen 113. Die Konsequenz einer weiten Auffassung, nach der alle nicht die Besoldung, Versorgung oder Laufbahnen betreffenden Bereiche in die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers fallen, ist aus diesem Grunde abzulehnen 114. Angemessen ist es bei der Auslegung der Statusrechte und -pflichten auf die vom verfassungsändernden Gesetzgeber vorgenommenen Konkretisierungen zurückzugreifen, die aber keinesfalls als abschließend zu verstehen sind 115. Es gilt die schon an anderer Stelle zitierte Rechtsprechung, dass die Entstehungsgeschichte und der Wille des verfassungsändernden Gesetzgebers für die Auslegung der Kompetenztitel zwar von herausragender Bedeutung sind, aber gleichwohl nicht zu einer unabänderlichen Festschreibung führen. Dies hat in besonderem Maße für den öffentlichen Dienst seine Richtigkeit, der eine stetige Fortentwicklung erfährt 116. In Zweifelsfällen und bei sich neu ergebenden Abgrenzungsfragen ist maßgeblich auf den mit der Schaffung der Bundeskompetenz 109 Beispielsweise die Voraussetzungen zur Begründung des Dienstverhältnisses und Fragen seiner Ausgestaltung. 110 Diese terminologischen Bedenken wurden bereits in der Föderalismuskommission erhoben, aber angesichts der mit der Begriffswahl verbundenen Vorteile zurückgestellt, Staupe, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 167. 111 So auch Stettner, in: Dreier, GG – Supplementum, Art. 74 GG Rn. 134 und Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 23 Rn. 39. 112 Vgl. der Ergebnisvermerk der 4. Sitzung der PG 2 am 28. September 2004, S. 2 f. 113 BT-Drs. 16/813, S. 14; Degenhart, NVwZ 2006, S. 1214. 114 So aber Bochmann, ZBR 2007, S. 5. 115 Degenhart, in: Dolzer / Vogel, Bonner Kommentar, Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG Rn. 30 f. 116 Vgl. Lecheler, ZBR 2007, S. 18.

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verfolgten Sinn und Zweck, die länderübergreifende Mobilität zu gewährleisten und den Kern des Berufsbeamtentums 117 zu sichern, abzustellen. 3. Übertragung aus der konkurrierenden Gesetzgebung Aus dem Kompetenzkatalog der konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 74 Abs. 1 GG) wurden lediglich Teilbereiche einzelner Kompetenzfelder und kein vollständiger Kompetenztitel in die Länderzuständigkeit überführt. a) Straf- und Untersuchungshaftvollzug (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) Von der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG ist der Straf- und Untersuchungshaftvollzug 118 auf die Länder übertragen worden. In der Föderalismuskommission war dieser Kompetenztitel zunächst nicht als eine auf die Länder verlagerungsfähige Materie in Erwägung gezogen worden. Im Gegenteil, in dem Arbeitspapier zur Systematisierung der Gesetzgebungszuständigkeiten vom 20. Januar 2004 hatte ihn die Länderseite der Sicherung grundlegender rechtlicher Voraussetzungen des Zusammenlebens und damit eindeutig dem Bund zugeordnet 119. Erst in dem 1. Sprechzettel der Vorsitzenden tauchte die Idee einer Länderzuständigkeit und zwar als Vorschlag des Bundes auf 120. Sie war Bestandteil seines kurz vor Ende der Kommissionsarbeit unterbreiteten Angebots und diente dazu, die Länder zu einem Entgegenkommen in Bezug auf die Freistellung von Art. 72 Abs. 2 GG zu bewegen. Der in dem Papier angekündigte Diskussionsbedarf mit den Ländern scheint zunächst zu einem negativen Ausgang geführt zu haben 121, denn der nächste Sprechzettel zählte den Strafvollzug wieder explizit als nicht auf die Länder zu übertragenden Bereich auf. Im letzten Sprechzettel wurde an dieser Einordnung zwar nichts geändert, aber eine weitere Prüfung der Länder angekündigt. Diesmal wurde ihr ein positives Ergebnis bescheinigt. Der Vorsitzendenentwurf und ihm folgend die Anlage 2 117 Dieser Zweck ist nicht in der Gesetzesbegründung aufgeführt, ergibt sich aber aus der Gesetzgebungsgeschichte. Insoweit ist es unproblematisch, dass das BeamtStG des Bundes sich nicht auf das für die Mobilität unabdingbare Mindestmaß beschränkt. 118 Der Strafvollzug umfasst den Vollzug von Freiheitsstrafen und freiheitsbeschränkenden Maßnahmen der Sicherung und Besserung, vgl. die einfachgesetzliche Ausgestaltung in § 1 StVollZG vom 16. März 1976. 119 AU 0015, Arbeitspapier „Funktionale Systematisierung der Zuständigkeiten von Bund und Ländern“ vom 20. Januar 2004, Staatssekretäre Böhmler und Schmitz, S. 3. 120 Sprechzettel der Vorsitzenden für die 1. Konsultationsrunde am 10. November 2004, S. 3. 121 Die ablehnende Haltung der Justizminister der Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein war bekannt, Maelicke, Stellungnahme zur Anhörung vor dem Rechtsausschuss am 17. Mai 2006, S. 4.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

der Koalitionsvereinbarung sahen für den Straf- und Untersuchungshaftvollzug eine ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit der Länder vor. Nach dieser sprunghaften Vorgeschichte ist es nicht überraschend, dass trotz dieses Anhanges in der Koalitionsvereinbarung selbst noch ein Bundesjugendstrafvollzugsund ein Bundesuntersuchungshaftvollzugsgesetz angekündigt wurden 122. Erhebliche rechtspolitische Bedenken gegen die Einordnung in die Länderzuständigkeit wurden im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens vor allem von den Experten angemeldet 123. Vor dem Hintergrund des erst 1977 nach langjährigen Bemühungen in Kraft getretenen Bundesstrafvollzugsgesetzes erschien ihnen eine erneute Auflösung der lang ersehnten Rechtseinheit schlichtweg sinnwidrig 124. Zugleich sahen sie dadurch die Verwirklichung der Grundrechte, namentlich des Gleichbehandlungsgebots aus Art. 3 Abs. 1 GG und des sich aus Art. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip ableitbaren Resozialisierungszieles gefährdet. Hinsichtlich des Resozialisierungszieles sei zu befürchten, dass die Länder die für eine erfolgreiche Resozialisierung notwendigen Mittel zur Sanierung ihrer Haushalte kürzen würden 125. Im Justizvollzugsrecht entstünde nicht der viel gepriesene Wettbewerb der Ideen, sondern vielmehr ein Wettbewerb nach dem „Schäbigkeitsprinzip“, der für die Gefangenen deutlich schlechtere Haftbedingungen zur Folge hätte 126. Es gilt jedoch zu beachten, dass die Länder genauso wie der Bund dazu verpflichtet sind, ein wirksames Konzept der Resozialisierung zu entwickeln und den Strafvollzug darauf aufzubauen 127. Der Strafvollzug muss sich auch bei der Ausgestaltung durch den Landesgesetzgeber daran ausrichten, die Voraussetzungen für ein verantwortliches Leben in Freiheit zu schaffen 128. 122 Koalitionsvertrag vom 18. November 2005, www.cdu.de/doc/pdf/05_11_11_Koalit ionsvertrag.pdf, S. 122. 123 Vgl. dazu Müller-Dietz, ZRP 2005, S. 156 ff.; Cornel, NK 2005, S. 42 f.; die Äußerungen des Vorsitzenden des Deutschen Richterbundes Arenhövel, vgl. SZ vom 13. Dezember 2004, „Gleiches Niveau der Justiz in Gefahr“, Prantl; Maelicke, Stellungnahme zur Anhörung vor dem Rechtsausschuss am 17. Mai 2006, S. 5 mit dem Hinweis darauf, dass sich alle namhaften Verbände und Fachorganisationen, die Kirchen, die Gewerkschaften, über 100 Lehrstuhlinhaber für Strafrecht, Strafprozessrecht, Strafvollzugsrecht und Kriminologie sowie 14 ehemalige Bundes- und Landesjustizminister gegen eine Übertragung ausgesprochen hätten. Bereits während der Beratungen der Föderalismuskomission ist ein Antrag auf Streichung dieses Änderungsvorschlages gestellt worden, AU 0116, Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug vom 16. Dezember 2004, MdA Ratzmann. 124 Müller-Dietz, ZRP 2005, S. 157 ff. und Seebode, Gutachterliche Stellungnahme vom 16. Mai 2006, S. 2. 125 So Maelicke, Stellungnahme zur Anhörung vor dem Rechtsausschuss am 17. Mai 2006, S. 5 und Thiele, JA 2006, S. 718. 126 Köhne, ZRP 2006, S. 195 f. Gegen diese Vermutung, Lückemann, Stellungnahme zur Anhörung vor dem Rechtsausschuss am 17. Mai 2006, S. 8 f. 127 BVerfGE 98, 169.

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Ein reiner Verwahrvollzug oder ein Herabsinken unter das für eine erfolgreiche Resozialisierung notwendige Mindestniveau ist durch diese bundesverfassungsgerichtlichen Vorgaben ausgeschlossen. Der Einwand des Art. 3 Abs. 1 GG ist schon alleine deshalb unzutreffend, weil Art. 3 Abs. 1 GG sich prinzipiell nur an den nach der grundgesetzlichen Verteilung zuständigen Gesetzgeber richtet 129. Eine über alle Ländergrenzen hinausgehende Gleichbehandlung im Strafrecht wird von dem Grundgesetz nicht gefordert. In der Realität bewirkt die Bindung der Länder an die grundgesetzlichen und europäischen Vorgaben gleichwohl, dass annähernd gleichwertige Haftbedingungen trotz der Einordnung in Länderzuständigkeit bestehen bleiben 130. Unter den auch für sie geltenden gemeineuropäischen Standards sind die EMRK, die Vereinbarung über die Strafvollzugsgrundsätze von 1987, die von der Anti-Folter-Kommission des Europarates entwickelten Grundsätze und das Grünbuch über die Angleichung, die gegenseitige Anerkennung und die Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen in der Europäischen Union, zu nennen 131. In den auf Geheiß des Bundesverfassungsgerichts 132 am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen 133 Jugendstrafvollzugsgesetzen sind diese grundgesetzlichen und europarechtlichen Vorgaben umgesetzt worden und haben ungeachtet aller Differenzen in Einzelheiten 134 zu einer vergleichbaren Rechtslage in den Ländern geführt 135. Ein „Wettbewerb der Schäbigkeit“ hat, wie auch die Kritiker dieser Übertragung einvernehmlich einräumen, nicht stattgefunden 136. 128

BVerfGE 109, 133. St. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts, BVerfGE 10, 354 (371); 106, 62 (145) und h. M. in der Literatur, Boysen, Gleichheit, S. 102 f. m.w. N. 130 So auch Robbers, Stellungnahme zur Anhörung vor dem Rechtsausschuss, S. 1. Dabei wird es, wie im Übrigen auch schon bisher, in Einzelfragen, beispielsweise bei dem offenen Vollzug, bei Urlaub und Haftlockerungen, zu unterschiedlichen Ausgestaltungen kommen. Die grundsätzliche Gleichwertigkeit wird dadurch nicht in Frage gestellt. 131 Vgl. Robbers, Stellungnahme zur Anhörung im Rechtsausschuss, S. 4 f.; MüllerDietz, ZRP 2005, S. 159, der die Übertragung vor diesem europarechtlich determiniertem Hintergrund als „anachronistisch“ bezeichnet. Viele Sachmaterien sind heute jedoch europarechtlich überlagert, so dass eine Rückübertragung an die Länder mit diesem Argument regelmäßig auszuschließen und stattdessen wohl eher die Auflösung des „anachronistischen“ Bundesstaates zu fordern wäre. 132 BVerfG NJW 2006, S. 2093. Darin hatte das Bundesverfassungsgericht dem Landesgesetzgeber aufgegeben bis zum 1. Januar 2008 für den Vollzug der Jugendstrafe eine gesetzliche Grundlage zu schaffen. 133 Lediglich in Baden-Württemberg ist das Jugendstrafvollzugsgesetz früher in Kraft getreten, nämlich am 1. August 2007. 134 Mit Ausnahme Bayerns, Hamburgs und Niedersachsens haben alle Länder ein eigenständiges Jugendstrafvollzugsgesetz geschaffen. Unterschiede bestehen beispielsweise im Anspruch auf Einzelunterbringung, in der Formulierung von Bildungszielen und der Ausgestaltung des gerichtlichen Rechtsschutzes, vgl. dazu Meier, RDJB 2007, S. 144 ff. 129

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

Mit der Feststellung, dass die gegen eine Aufhebung der Bundeskompetenz vorgebrachten Gründe nicht überzeugen, ist allerdings nicht zwingend die Befürwortung einer Kompetenzverlagerung verbunden. Vielmehr sind regionale Besonderheiten, die in diesem Bereich eine Kompetenzabschichtung zugunsten der Länder begründen könnten, gerade nicht ersichtlich. Allenfalls der Umstand, dass der Strafvollzug auch der Verhinderung künftiger Straftaten dient und insoweit eine Schnittstelle zu der Materie des Polizei- und Ordnungsrechts besteht, könnte hierbei als sinnvolles Übertragungskriterium angeführt werden 137. Der Strafvollzug dient jedoch nicht nur der Generalprävention 138, sondern allen im materiellen Strafrecht festgelegten Strafzwecken 139, insbesondere der Resozialisierung 140. Dieser enge Zusammenhang von materiellem Strafrecht und Strafvollzug ist es, der für eine Zusammenlegung beider Gesetzgebungskompetenzen in Bundeshand spricht, um auf diese Weise ein aufeinander abgestimmtes Regelungskonzept zu gewährleisten. Nicht zu überzeugen vermag schließlich die Argumentation, dass der Bundesgesetzgeber weder seiner Verpflichtung zur Fortschreibung des Strafvollzugsgesetzes nachgekommen sei noch ein Jugendstrafvollzugsgesetz und Untersuchungshaftvollzugsgesetz erlassen habe 141. Nicht die Qualität einer konkreten gesetzgeberischen Maßnahme, sondern sachbezogene Kriterien sind zur Abgrenzung der Gesetzgebungszuständigkeiten heranzuziehen. Für die Abgabe des Strafvollzugs lassen sich solche nicht finden 142. Auch wenn sie keine Gefahr für die Verwirklichung der Grundrechte bedeutet, an die die Länder selbstverständlich genauso wie der Bund gebunden sind, ist sie wegen der engen Verknüpfung mit dem materiellen Strafrecht als wenig sinnvoll zu bezeichnen 143. 135 Neun Bundesländer hatten sich auf einen einheitlichen Entwurf eines Jugendstrafvollzugsgesetzes verständigt (Berlin, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Thüringen). 136 Ostendorf, ZRP 2008, S. 14 und 18; Meier, RDJB 2007, S. 154. 137 So Nierhaus / Rademacher, LKV 2006, S. 390. 138 So aber Lückemann, Stellungnahme zur Anhörung vor dem Rechtsausschuss am 17. Mai 2006, S. 4 f. 139 Vgl. dazu Robbers, Stellungnahme zur Anhörung vor dem Rechtsausschuss, S. 4. 140 BVerfGE 35, 235. 141 In diesem Sinne Lückemann, Stellungnahme zur Anhörung vor dem Rechtsausschuss am 17. Mai 2006, S. 4 f. 142 Insbesondere das Konnexitätsprinzip und die besondere Sachkompetenz der Länder könnten bei der Aufgabenverteilung im deutschen Bundesstaat theoretisch stets als Kriterien für eine Übertragung angeführt werden. Sie dennoch als maßgeblich wählend, Lückemann, Stellungnahme zur Anhörung vor dem Rechtsausschuss am 17. Mai 2006, S. 1 f. und Aumüller, Stellungnahme zur Anhörung vor dem Rechtsausschuss am 17. Mai 2006, S. 1. 143 Ebenso Seebode, Gutachterliche Stellungnahme vom 16. Mai 2006, S. 1. Positiv im Hinblick auf die durch die Übertragung ermöglichte experimentelle Suche nach neu-

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b) Versammlungsrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG) Ferner wurde aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG das Versammlungsrecht gestrichen und damit in die Länderzuständigkeit überführt. Davon unberührt bleibt ausweislich der Gesetzesbegründung das auf einer Kompetenz kraft Natur der Sache beruhende Bundesgesetz über befriedete Bezirke für Verfassungsorgane des Bundes 144. Diese gesetzgebungstechnisch leicht durchzuführende Entscheidung 145 ist erst im Rahmen der Vorsitzendenverhandlungen getroffen worden und beruhte auf Seiten des Bundes ebenfalls auf einem Gegengeschäft mit den Ländern. Anders als bei dem Strafvollzug ist diese Übertragung wegen der systematischen und funktionalen Zuordnung zu dem in Länderhoheit liegenden Polizeirecht jedoch uneingeschränkt zu begrüßen. Weder die demokratische Bedeutung der grundrechtlich gewährleisteten Versammlungsfreiheit 146 noch die Problematik gewalttätiger und extremistischer Versammlungen 147 erfordern ein deutschlandweit einheitliches Versammlungsrecht. Es kann nur erneut betont werden, dass die Länder die Vorgaben des Art. 8 Abs. 1 GG ebenso zu beachten haben wie der Bund. Zudem ist das Versammlungsrecht maßgeblich durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 8 GG geprägt 148, der Gestaltungsspielraum bei dem Erlass neuer Versammlungsgesetze dementsprechend gering. Bayern, das als erstes Bundesland hierzu am 22. Juli 2008 ein Gesetz beschlossen hat 149, hat diese Grundsätze allerdings nicht ausreichend beachtet. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb in einer Eilentscheidung am 17. Februar 2009 Teile des – deutlich verschärften 150 – bayerischen Versammlungsgesetzes vorläufig außer Kraft gesetzt oder mit einschränkenden Maßgaben versehen 151. en Organisationsformen, Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 34; Robbers, Stellungnahme zur Anhörung vor dem Rechtsausschuss, S. 5; Aumüller, Stellungnahme zur Anhörung vor dem Rechtsausschuss am 17. Mai 2006, S. 6 ff. 144 BT-Drs. 16/813, S. 12. 145 Die Projektgruppe 2 „Innere Sicherheit“ hatte diese Frage in die Schlussverhandlungen der Kommission verschoben, Ergebnisvermerk der 1. Sitzung der PG 2 am 10. Juni 2004, S. 1. 146 So der Bundestagsabgeordnete Röttgen, Protokollvermerk der 5. Sitzung der AG 1 am 14. Mai 2005, S. 15. 147 In diese Richtung Huber, in: 65. Juristentag, D 66 und der Bundestagsabgeordnete Wiefelspütz, Protokollvermerk der 5. Sitzung der AG 1 am 14. Mai 2004, S. 14. 148 Das Bundesverfassungsgericht hat beispielsweise folgende Grundsätze aufgestellt: keine Anmeldepflicht bei Spontandemonstrationen, Berücksichtigung der Kooperation des Veranstalters, Schutz der Versammlungsfreiheit friedfertiger Teilnehmer, BVerfGE 69, 315 (348) – Brokdorf, Beschluss vom 14. Mai 1985. 149 Vgl. das bayerische Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 15, S. 421 ff., http://www .bayern.landtag.de/www/ElanTextAblage_WP15/GVBl/GVBl-2008-Nr-15.pdf. Das bayerische Versammlungsrecht ist am 1. Oktober 2008 in Kraft getreten.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

c) Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm (Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG) Nicht mehr erfasst von der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz ist schließlich noch der Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm, der aber auch schon bislang mangels gesetzgeberischer Aktivität des Bundes teilweise in Landesimmissionsschutzgesetzen geregelt war. Bereits vor der Einsetzung der Föderalismuskommission hat der Bund seine Zustimmung zu einer entsprechenden Übertragung signalisiert 152, so dass in diesem Punkt rasch Einigkeit erzielt werden konnte 153. Nach der Empfehlung des Rechtsausschusses wurde die zunächst gewählte Formulierung in Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG „ohne Sport und Freizeitlärm und Lärm von Anlagen mit sozialer Zweckbestimmung“ aus redaktionellen Gründen durch „ohne Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm“ ersetzt 154. Für die Auslegung dieses Passus ergibt sich daraus, dass unter ihn auch Lärm fällt, der von einer Anlage im Sinne des § 3 Abs. 5 BImSchG ausgeht, soweit er nur schwerpunktmäßig verhaltensinduziert ist 155.

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Siehe dazu die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts, 1 BvR 2492/08 vom 17. 2. 2009 Absatz-Nr. 114. 151 BVerfG, 1 BvR 2492/08 vom 17. 2. 2009: Den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hatten Landesverbände von Gewerkschaften, Parteien und anderen nichtstaatlichen Organisationen, die regelmäßig Versammlungen veranstalten, gestellt. 152 Hrbek / Eppler, Deutschland vor der Föderalismus-Reform, Dokument 2, Position des Bundes, S. 33. 153 Vgl. Ergebnisvermerk der 2. Sitzung der PG 4 „Umwelt- und Verbraucherschutzrecht“ am 25. Juni 2004, S. 2. 154 BT-Drs. 16/2010, S. 6. Von der ursprünglichen Formulierung sollten „Regelungen zur Bekämpfung des Lärms von sozialen Einrichtungen, Sport- und Freizeitanlagen wie Kindergärten, Jugendheimen, Spielplätzen, Sportstätten und -stadien, Theatern und Aufführungsorten sowie Veranstaltungs- und Festplätzen, Hotels und Gaststätten“ umfasst sein, vgl. BT-Drs. 16/813, S. 13. Die jetzige Formulierung geht auf einen Vorschlag des Arbeitskreises für Umweltrecht (AKUR) zurück, vgl. Hansmann, NVwZ 2007, S. 17. 155 Das heißt die Länder sind im Unterschied zur bisherigen Rechtslage auch in Fällen, in denen durch menschliches Verhalten hervorgerufene Immissionen nach den hergebrachten immissionsschutzrechtlichen Kriterien als anlagebedingt zu qualifizieren sind, weil sie typischerweise bei dem Anlagenbetrieb entstehen, gesetzgebungsbefugt. Ebenso Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, S. 256; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 74 GG Rn. 315; Stettner, in: Dreier, GG – Supplementum, Art. 74 GG Rn. 122. Dagegen interpretiert Hansmann, NVwZ 2007, S. 18 ff. die Neuformulierung unter Berücksichtigung des herkömmlichen Sprachgebrauchs in der Weise, dass die Gesetzgebungszuständigkeit für den gesamten anlagenbezogenen Lärm weiterhin beim Bund verbleibt; so auch Kotulla, NVwZ 2007, S. 490 f., Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 74 GG Rn. 103 und Sauer, NordÖR 2008, S. 481 f.

1. Abschn.: Zu den Gesetzgebungskompetenzen

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d) Kompetenzen mit regionalem Bezug Die Kompetenzen mit regionalem Bezug stellten einen der drei Bereiche dar, den die Länder als ganzes Politikfeld zur autonomen Gestaltung erhalten wollten. Die hierzu erzielten Erfolge sind nicht nur in der Föderalismuskommission, sondern auch im Verfahren der Grundgesetzänderung bescheiden ausgefallen 156. Danach haben die Länder aus der öffentlichen Fürsorge (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG) die Gesetzgebungszuständigkeit für das Heimrecht, aus dem Wirtschaftsrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) die Zuständigkeit für den Ladenschluss, die Gaststätten, die Spielhallen, die Schaustellung von Personen, die Messen, die Ausstellungen und die Märkte und aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG das Recht zur Regelung der Flurbereinigung, des landwirtschaftlichen Grundstücksverkehrs und Pachtwesens sowie des Siedlungs- und Heimstätten- und Teile des Wohnungswesens. Auf den ersten Blick mag das beachtlich klingen, bei genauerer Betrachtung wird aber deutlich, dass es sich mit wenigen Ausnahmen 157 um unbedeutende und politisch uninteressante Splittermaterien handelt 158. Überraschend ist dieses Ergebnis nicht, bedenkt man, dass das Wirtschafts- und Sozialrecht bereits vom Parlamentarischen Rat fast ausnahmslos auf den Bundesgesetzgeber übertragen worden war. Es ging also nicht, wie beispielsweise im öffentlichen Dienstrecht oder im Bildungswesen, darum, an den Bund im Zuge der Unitarisierung übertragene Gesetzgebungszuständigkeiten wiederzuerlangen, sondern sie sollten überhaupt erstmals in die Länderzuständigkeit überführt werden. Damit hatte vor allem der Bund, aber auch einige Länder erhebliche Schwierigkeiten 159. Wie schon bei der Schaffung des Grundgesetzes erschienen ihnen einheitliche Bedingungen für ein funktionierendes Wirtschafts- und Sozialleben unbedingt erforderlich. Unterstützung bekamen sie von den Wirtschafts- und Sozialverbänden 160, die allerdings ohnedies an der Beibehaltung des status quo interessiert waren, da sie einen zentralen Ansprechpartner auf Bundesebene 16 verschiedenen Ansprechpartnern auf Länderebene vorzogen. 156 Anders aber die Einschätzung von Friedrich, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 246. 157 Das Ladenschluss- und das Gaststättenrecht sind sowohl wirtschafts- als auch regionalpolitisch interessant. 158 „Merkwürdiger Pointillismus“, Breuer, in: Grote (Hrsg.), Ordnung, S. 175. 159 Die Länder hatten sich zu ihrer weitgehenden Positionierung im Wirtschafts- und Sozialrecht nach eigenen Angaben nur „durchringen“ können; zu diesen Schwierigkeiten, Staatssekretär Böhmler, Stenografischer Bericht der 8. Kommissionssitzung am 8. Juli 2004, S. 197; Friedrich, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 241, der pauschal im Recht der Wirtschaft „klare Vorteile für einheitliche Regelungen“ sieht. 160 Speziell zu der hohen Aktivität der Sozialverbände, Becker, in: Hrbek (Hrsg.), Föderalismus-Reform, S. 143 f. und Ministerpräsident Teufel, Stenografischer Bericht der 9. Kommissionssitzung am 14. Oktober 2004, S. 231.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

Allgemein ist festzustellen, dass sich die Herangehensweise von Bund und Ländern an die einzelnen Kompetenzfelder sowohl im tatsächlichen Ablauf als auch in der jeweiligen Argumentation häufig glich. Das als starker Befürworter entsprechender Übertragungen auftretende Baden-Württemberg entwarf, teilweise in Zusammenarbeit mit Berlin, ein Positionspapier, dessen Forderungen nach Reföderalisierung die Bundesregierung in ihrer darauf folgenden Stellungnahme ablehnte. Von den Ländern wurde zur Begründung einer Zuständigkeitsverlagerung typischerweise auf den örtlichen Bezug, das Konnexitätsprinzip und ihre besondere Sachnähe bei der Aufgabenwahrnehmung abgestellt. Die Bundesseite bemühte dagegen die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit und die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse als Argument für das Erfordernis bundeseinheitlicher Regelungen 161. Bei den einzelnen Themengebieten werden diese allgemeinen Argumentationstopoi nicht wiederholt und sich auf das speziell die einzelnen Kompetenztitel betreffende Vorbringen beschränkt. Inhaltlich sollte sich die Projektgruppe 5 unter der Leitung des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Teufel in Anlehnung an die von Baden-Württemberg und Berlin in ihrem Arbeitspapier getroffene Systematisierung 162 mit der regionalen Arbeitsmarktpolitik, dem Wohnungswesen, der öffentlichen Fürsorge und nach eigenem Wunsch mit dem Recht der Wirtschaft befassen 163. Schon in der zweiten Projektgruppensitzung wurde dieser Aufgabenkreis auf Vorschlag der Arbeitsgruppe 1 um die Bereiche Verkehr, Bodenrecht, Raumordnung und Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung erweitert 164. Die Vielzahl an Themen 165 führte dazu, dass sich die Projektgruppe zwischen dem 16. Juni 2004 und dem 29. September 2004 insgesamt sechsmal traf, was im Vergleich zu den anderen Projektgruppen verhältnismäßig häufig war. aa) Heimrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG) Aus der öffentlichen Fürsorge ist in Zukunft das Heimrecht ausgeklammert. In der Projektgruppe hatten sich die Länder daneben für die Übertragung bzw. alternativ für die Einräumung eines Zugriffsrechts auf einen maßgeblichen Teil 161 Darauf weist hinsichtlich des Wirtschaftsrechts auch Schmitz, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 259 hin. 162 AU 0015, Arbeitspapier: Funktionale Systematisierung der Zuständigkeiten von Bund und Ländern vom 20. Januar 2004, Staatssekretäre Böhmler und Schmitz, S. 5; die dort genannten umweltrelevanten Materien (Lärmbekämpfung, Jagdwesen, Naturschutz und Landschaftspflege) wurden in einer eigenen Projektgruppe erörtert. 163 Ergebnisvermerk der 1. Sitzung der PG 5 am 16. Juni 2004, S. 1. 164 Ergebnisvermerk der 2. Sitzung der PG 5 am 8. Juli 2004, S. 1. 165 Von dem baden-württembergischen Ministerpräsident Teufel deswegen als „Gemischtwarenladen“ betitelt, Stenografischer Bericht der 9. Kommissionssitzung am 14. Oktober 2004, S. 230.

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der subsidiären öffentlichen Lebensunterhaltsleistungen 166 und auf ergänzende öffentliche Leistungen im Bereich der Bildung und Erziehung (Kinder- und Jugendhilfe) eingesetzt 167. Während sie die Kinder- und Jugendhilfe zur Abrundung ihrer Bildungskompetenzen anstrebten, begründeten sie die Forderung nach dem Sozialhilferecht im Kern mit einem typischen Argument der Bundesseite, nämlich mit der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse 168. Angesichts der unterschiedlichen Lebenshaltungskosten und Lebensverhältnisse im Bundesgebiet sei eine differenzierte Ausgestaltung der Sozialhilfe zu ihrer Erreichung notwendig 169. Bei der Bundesregierung und infolge deren ablehnender Stellungnahme auch bei den der Bundesseite angehörigen Projektgruppenmitgliedern stießen diese Forderungen fast ausnahmslos auf Ablehnung 170. Die Länder rüttelten hier an einem sensiblen, den Kern des grundgesetzlichen Sozialstaatsprinzips betreffenden Bereich, für den einheitliche Bundesregelungen von der Bundesseite als unerlässlich angesehen wurden 171. Die sehr langen und ausführlichen Stellungnahmen der Bundesministerien geben eindrücklich Auskunft darüber, für wie elementar die Beibehaltung der Bundeskompetenz eingeschätzt wurde 172. Dass auf diesem Gebiet kein Entgegenkommen zu erwarten war, ist daher schnell offenkundig geworden. 166

Darunter fällt in erster Linie das Sozialhilferecht, daneben beispielsweise aber auch Hilfen für Asylbewerber oder die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Der zunächst ebenfalls noch diskutierte Bereich der Grundsicherung der Arbeitssuchenden wurde später angesichts der durch Hartz IV getroffenen Festlegungen ausgeklammert, Ergebnisvermerk der 3. Sitzung der PG 5 am 27. August 2004, S. 3. 167 Kommissionsdrs. 0045, Positionspapier der Ministerpräsidenten vom 6. Mai 2004, S. 6; PAU-5/0001, Arbeitspapier für die 1. Sitzung der Projektgruppe vom 15. Juni. 2004, StM BW sowie PAU-5/0003, Konkretisierung der Länderposition zur „Öffentlichen Fürsorge“ vom 25. Juni 2004, StM BW. Von der noch in den MPK-Leitlinien vom 27. März 2003 aufgestellten Forderung, ein Zugriffsrecht auch in bestimmten Bereichen des Kinder- und Erziehungsgeldes eingeräumt zu bekommen, war zwischenzeitlich Abstand genommen worden. 168 PAU-5/0001, Arbeitspapier für die 1. Sitzung der Projektgruppe vom 15. Juni. 2004, StM BW, S. 4 und 6. 169 PAU-5/0001, Arbeitspapier für die 1. Sitzung der Projektgruppe vom 15. Juni 2004, StM BW, S. 2 ff. 170 3. Ergebnisvermerk der PG 5 am 27. August 2004, S. 2 f. 171 Mit den Sozialdemokraten wäre eine solche Verlagerung nicht machbar gewesen. Wie schon im Rahmen der Diskussion um die Materien Strafvollzug und Versammlungsrecht wurde auch hier häufig der Eindruck erweckt, dass bei einer Übertragung auf die Länder die Vorgaben des Grundgesetzes nicht mehr eingehalten würden. 172 PAU-5/0004, Stellungnahmen zu: Konkretisierung der Länderposition, BMGS, BMWA, BMFSFJ und PAU-5/0010, Konkretisierung der Erwägungen für die Beibehaltung einer Bundeskompetenz im Bereich der Öffentlichen Fürsorge vom 26. August 2004, BMGS, BMFSFJ, BMWA. Betont wurde neben der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse insbesondere der Referenzcharakter des Sozialhilferechts, Ergebnisvermerk der 2. Sitzung der PG 5 am 8. Juli 2004, S. 2.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

Lediglich im Heimrecht zeichnete sich in der Projektgruppe eine Annäherung ab. In diesem Bereich konnte die Bundesregierung mit den von ihr vorgebrachten, gegen eine Übertragung sprechenden Gründen 173 nicht überzeugen. Vielmehr hat der Hinweis der Länder auf die Altenpflegeentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die zu einer spezifischen Konstellation des Heimgesetzes erging, Zweifel hinsichtlich der Erforderlichkeit einer Bundesregelung aufkommen lassen 174. Im Rahmen der abschließenden Beratungen hat der Bund der Abgabe an die Länder schließlich zugestimmt. Ob dafür den Ausschlag gab, den Eindruck einer politisch motivierten Blockade im Bereich der „öffentlichen Fürsorge“ vermeiden zu wollen, wie vermutet wurde 175, oder nicht doch eher die eigene Interessendurchsetzung, was die Freistellung von Art. 72 Abs. 2 GG anging, im Vordergrund stand, lässt sich nicht abschließend beurteilen. Für die das Heimrecht betreffenden zivilrechtlichen Fragestellungen sind die Länder auch nach der Föderalismusreform nicht gesetzgebungsbefugt 176. Das Privatrecht ist, wie sich aus den Art. 1 Abs. 2 EGBGB, 55 EGBGB, 218 EGBGB ergibt, vom Bundesgesetzgeber abschließend geregelt. Daher besteht für die Länder in diesem Bereich die Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG. Inhaltlich lässt sich der Regelungsgegenstand des Heimrechts anhand der Bestimmungen des Heimgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. November 2001 umgrenzen. bb) Recht des Ladenschlusses, der Gaststätten, der Spielhallen, der Schaustellung von Personen, der Messen, der Ausstellungen und der Märkte (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) Aus dem Recht der Wirtschaft wurden die in der Überschrift genannten Teilmaterien ausgeklammert. Auch in diesem Bereich hatten die Länder in weitaus größerem Umfang die Übertragung einer Vollkompetenz oder die Einräumung eines Zugriffsrechts gefordert. Konkret bezog sich der in der Projektgruppe unterbreitete Vorschlag auf das Handwerksrecht, das allgemeine Gewerberecht, das Gaststättenrecht, das Schornsteinfegerrecht, das Ladenschlussrecht und das In173 PAU-5/0004, Stellungnahmen zu: Konkretisierung der Länderposition, BMGS, BMWA, BMFSFJ und PAU-5/0010, Konkretisierung der Erwägungen für die Beibehaltung einer Bundeskompetenz im Bereich der Öffentlichen Fürsorge vom 26. August 2004, BMGS, BMFSFJ, BMWA, S. 23 ff. Im Einzelnen wurden vorgebracht: Verbraucherschutz-, Qualitätssicherungs-, und Bürokratiegründe und die Tatsache, dass das Heimgesetz zivil- und öffentlichrechtlich einen zusammengehörigen Lebenssachverhalt regele, der bei einer Übertragung nur des öffentlichen Heimrechts an die Länder in sinnwidriger Weise auseinander gerissen würde. 174 6. Ergebnisvermerk der PG 5 am 29. September 2004, S. 4. 175 Böhmler, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 274. 176 So aber Drasdo, NVwZ 2008, S. 641.

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dustrie- und Handelskammerrecht 177. Für all diese Materien stellten die Länder eine überwiegend örtliche Radizierung, teilweise zudem einen ordnungsrechtlichen Bezug fest. Die Bundesseite beurteilte das erwartungsgemäß anders und ging mit einer Ausnahme von der Notwendigkeit bundeseinheitlicher Regelungen aus 178. Nur der Ladenschluss, der ohnehin seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr einer Neukonzeption durch den Bundesgesetzgeber zugänglich war, erschien ihr zur Übertragung geeignet. Diese Position wurde zwar nach den Sitzungen der von der Projektgruppe einberufenen „kleinen“ Gruppe 179 aufgeweicht. Danach war für die Bundesseite auch eine Verlagerung des Gaststättenrechts, des Schornsteinfegerwesens und der rein lokal bezogenen Regelungen aus den Titeln II und IV der Gewerbeordnung vorstellbar 180. Im Handwerksrecht sah sie, ohne den kurz zuvor gefundenen Kompromiss über den Meisterzwang zu gefährden, dagegen nach wie vor keine Möglichkeit zur Abgabe an die Länder 181. Gleiches galt im Ergebnis auch für das Recht der Industrie- und Handelskammer 182. Die Sprechzettel der Vorsitzenden spiegelten diesen Verhandlungsstand wider, enthielten darüber hinaus aber auch eine Aufzählung der örtlich radizierten Sachverhalte des Gewerberechts: das Recht der Privatkrankenanstalten, die Schaustellung von Personen, Spielhallen, Messen, Ausstellungen und Märkte 183. Das Schornsteinfegerrecht und das Recht der Privatkrankenanstalten wurden später von der Liste der übertragbaren Materien gestrichen 184. An dem erstgenannten Sachgebiet verloren die Länder das Interesse als deutlich wurde, dass der Bund nicht gewillt war, die Schadensersatzkosten für den Zusammenbruch der Zusatz-Altersversorgung der Bezirksschornsteinfeger zu übernehmen. Der Vorschlag der Vorsitzenden glich damit im Umfang der späteren Grundgesetzänderung 185, in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG war aber aus 177 PAU-5/0002, Konkretisierung der Länderposition zum „Recht der Wirtschaft“ vom 24. Juni 2004, StM BW / StK B, S. 2 ff. 178 PAU-5/0006, Stellungnahmen zu: Konkretisierung der Länderposition, BMBF, BMWA, S. 4 ff. 179 Die Einsetzung wurde in der 3. Projektgruppensitzung beschlossen. Die Gruppe bestand aus je einem Vertreter der Bundesregierung, der Länder Baden-Württemberg und Berlin sowie der Bundestagsseite und sollte Übertragungsmöglichkeiten auf die Länder prüfen, Ergebnisvermerk der 3. Sitzung der PG 5 am 27. August 2004, S. 2. 180 So die Ausführungen des MR Schönleiters (BMWA), Ergebnisvermerk der 5. Sitzung der PG 5 am 17. September 2004, S. 4. 181 PAU-5/0020, Stellungnahme zur Gewerbeordnung und Handwerksordnung vom 28. September 2004, BMWA, S. 6. 182 PAU-5/0015, Stellungnahme zum Recht der Industrie- und Handelskammer vom 9. September 2004, BMWA, S. 2 ff. 183 Sprechzettel der Vorsitzenden für die 1. Konsultationsrunde am 10. November 2004, S. 3. 184 Sprechzettel der Vorsitzenden für die 2. Konsultationsrunde am 26. November 2004, S. 4. 185 AU 0104 – neu –, Vorschlag der Vorsitzenden vom 13. Dezember 2004, S. 4.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

verfassungsästhetischen Gründen zunächst auf die explizite Nennung der „Schaustellung von Personen“ verzichtet worden 186. Die sachliche Reichweite der in die Länderzuständigkeit verschobenen Bereiche ist unter Rückgriff auf die bisher durch den Bundesgesetzgeber unter diesen Begrifflichkeiten geregelten Sachkomplexe zu bestimmen 187. Der Regelungsumfang für die Schaustellung von Personen, die Spielhallen 188 und ähnliche Unternehmen sowie die Messen, Ausstellungen und Märkte kann daher anhand der entsprechenden Vorschriften (§ 33 a; § 33 i; §§ 64 – 71b, also der IV. Titel) der Gewerbeordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Februar 1999 ermittelt werden. Im Prinzip gilt für das Ladenschluss- 189 und das Gaststättenrecht 190 das gleiche, allerdings nur soweit die Vorschriften auf Grundlage des Wirtschaftskompetenztitels des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG erlassen wurden 191. Bei Abgrenzungsschwierigkeiten ist auf die Absicht des verfassungsändernden Gesetzgebers abzustellen, diejenigen Fälle auszugliedern, die einen besonderen regionalen Bezug aufweisen 192. cc) Gesetzgebungsmaterien aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG Von dem Kompetenzfeld des Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG wurden das Recht der Flurbereinigung, der landwirtschaftliche Grundstücksverkehr und das landwirtschaftliche Pachtwesen ausgenommen. Darauf hatte man sich im Rahmen der Diskussion um die Föderalisierung der Förderung land- und forstwirtschaftlicher Erzeugung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG) geeinigt, die ihrerseits allerdings fruchtlos verlief 193. 186 AU 0104 – neu –, Vorschlag der Vorsitzenden 13. Dezember 2004, S. 6; darauf weisen Holtschneider und Schön in dem Beitrag von Friedrich, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 240 Fn. 8 hin. 187 Vgl. dazu Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 74 GG Rn. 47; ausführlich Höfling / Rixen, GewArch 2008, S. 5 ff.; zu den aus der Gewerbeordnung entnommenen Teilbereichen, PAU-5/0020, Stellungsnahme zur: Gewerbeordnung vom 28. September 2004, BMWA, S. 4 f. 188 Diskutiert, aber letztlich verneint wird von Schmitz, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 250 Fn. 17, ob davon auch das sog. Automatenspiel umfasst ist. 189 Vgl. das Ladenschlussgesetz in der Bekanntmachung vom 2. Juni 2003. 190 Vgl. das Gaststättengesetz in der Bekanntmachung vom 20. November 1998. 191 So enthält beispielsweise § 17 BLadSchlG eine auf der Grundlage des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG ergangene arbeitsrechtliche Regelung. Zu weiteren auf anderen Kompetenzgrundlagen erlassenen Vorschriften siehe Höfling / Rixen, GewArch 2008, S. 6 ff. 192 Höfling / Rixen, GewArch 2008, S. 5. 193 Zur Überführung des Forstrechts erklärte sich die Bundesseite wegen der europarechtlichen Einbindung und der Erhaltung einheitlicher Schutz- und Qualitätsniveaus nicht bereit, PAU-5/0009, Stellungnahme zu: Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung vom 19. August 2004, BMVEL, S. 1, 3.

1. Abschn.: Zu den Gesetzgebungskompetenzen

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Daneben sind das Siedlungs- und Heimstättenwesen 194 und Teile des Wohnungswesens in die Länderkompetenz gegeben worden. Das Wohnungswesen stellte einen heftig umstrittenen Gegenstand dar 195. In einer von der Projektgruppe auch hierzu eingesetzten „kleinen“ Gruppe 196 unter der Leitung MecklenburgVorpommerns kam man geschlossen zu dem Ergebnis, die unstreitig in Zukunft bestehende Länderkompetenz für das Zweckentfremdungsrecht und das Fehlbelegungsrecht 197 um den Regelungsbereich des Wohnungsbindungsgesetzes und des Wohnungsgenossenschafts-Vermögensgesetzes zu erweitern 198. Dagegen sollte die Altenschuldenhilfe, das Wohngeld und die soziale Wohnraumförderung in Bundeszuständigkeit verbleiben 199. Baden-Württemberg und weitere Länder teilten diese von Mecklenburg-Vorpommern unterstützte Position hinsichtlich der beiden letzt genannten Gebiete jedoch ausdrücklich nicht 200. Sachlich begründeten sie diese weitergehende Forderung bei der sozialen Wohnraumförderung mit dem Bedürfnis nach regionalen Differenzierungen. Das Wohngeld als Teilbereich der öffentlichen Fürsorge (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG) müsse aus denselben Motiven wie die sonstige öffentliche Fürsorge in die Länderzuständigkeit überführt werden. Damit war den Ländern, wie generell in diesem Bereich, kein Erfolg beschieden. Die Verlagerung der sozialen Wohnraumförderung konnten sie dagegen in den Konsultationsrunden durchsetzen 201. Der im weiteren Gesetzgebungsverfahren übernommene Vorsitzendenvorschlag sieht eine konkurrierende Bundeszuständigkeit damit „nur“ für das Wohngeldrecht, das Altschuldenhilferecht, das Wohnungsbauprämienrecht, noch ergänzt um das Bergarbeiterwohnungsbaurecht und das Bergmannssiedlungsrecht vor.

194 Auf diese Übertragung wurde sich in den abschließenden Beratungen verständigt, Sprechzettel der Vorsitzenden für die 1. Konsultationsrunde am 10. November 2004, S. 3. 195 PAU-5/0003, Konkretisierung der Länderposition zum „Wohnungswesen“ vom 25. Juni 2004, StM BW, S. 5 ff. und PAU-5/0005, Stellungnahme zu: Konkretisierung der Länderposition zum Wohnungswesen, BMVBW, S. 1 ff. 196 Ergebnisvermerk der 3. Sitzung der PG 5 am 27. August 2004, S. 3. 197 Die Abgabe dieser Materien akzeptierte der Bund, vgl. PAU-5/0005, Stellungnahme zu: Konkretisierung der Länderposition zum Wohnungswesen, BMVBW, S. 1 ff. 198 PAU-5/0019, Sitzung der „kleinen Gruppe“ zum Thema Wohnungswesen am 17. September 2004, Staatskanzlei Mecklenburg-Vorpommern, S. 1 f. 199 PAU-5/0019, Sitzung der „kleinen Gruppe“ zum Thema Wohnungswesen am 17. September 2004, Staatskanzlei Mecklenburg-Vorpommern, S. 1 f.: Bundeskompetenz zur Wahrung gleichwertiger Lebensverhältnisse bzw. bei der sozialen Wohnraumförderung zur Garantie des Fortgangs der Wohnungsmodernisierung notwendig. Trotz gegenteiliger Bekundungen standen dahinter vermutlich finanzielle Erwägungen, vgl. die Ausführungen des Staatssekretärs Tidick, Ergebnisvermerk der 3. Sitzung der PG 5 am 27. August 2004, S. 3. 200 Ergebnisvermerk der 6. Sitzung der PG 5 am 29. September 2004, S. 2. 201 Sprechzettel der Vorsitzenden für die 2. Konsultationsrunde am 26. November 2004, S. 3.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

II. Übergangsregelungen Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG bestimmt, dass als Bundesrecht erlassenes Recht, das wegen der Änderung des Art. 74 Abs. 1 GG oder der Aufhebung der Artikel 74a GG, 75 GG oder 98 Abs. 3 Satz 2 GG nicht mehr als Bundesrecht erlassen werden könnte, als Bundesrecht fortgilt. Die praktische Relevanz dieser bereits im Zuge der Verfassungsänderung von 1994 eingeführten Vorschrift hat durch die Föderalismusreform und die soeben beschriebenen Verschiebungen in die Länderzuständigkeit erheblich an Bedeutung gewonnen 202. Für Bundesrecht, das aufgrund der Änderung oder Aufhebung der genannten Artikel nicht mehr kompetenzgerecht in Kraft gesetzt werden könnte, ordnet Art. 125a Abs. 1 GG drei Rechtsfolgen an 203: die Fortgeltung dieses Rechts, die Erhaltung der Qualität als Bundesrecht und die jederzeitige Ersetzbarkeit durch Landesrecht ohne Ermächtigung durch den Bundesgesetzgeber, vgl. Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG. Ob und in welchem Umfang die Länder von ihrem Recht zur Ersetzung Gebrauch machen, steht, genau wie die Frage, zu welcher inhaltlichen Regelung sie dieses Recht nutzen, in ihrem Ermessen. Dabei ist allerdings unklar, ob es für ein „Ersetzen“ ausreicht, das Bundesrecht aufzuheben, ohne eine eigene inhaltliche Regelung zu treffen (Negativgesetzgebung der Länder). Der Begriff der „Ersetzung“ spricht, genauso wie die Entstehungsgeschichte der Norm, eher gegen die Möglichkeit einer reinen Negativgesetzgebung 204. Die von der Gemeinsamen Verfassungskommission vorgeschlagene Formulierung „aufheben und ergänzen“ 205, die demnach ausdrücklich eine entsprechende Befugnis eingeschlossen hätte, ist im Verfahren vor dem Vermittlungsausschuss gegen das von dem Rechtsausschuss empfohlene Wort „ersetzen“ ausgetauscht worden. Dennoch ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift, dass von einer Ersetzung auch im Falle der Negativgesetzgebung auszugehen ist 206. Die Übergangsvorschrift dient dazu Rechtsklarheit zu schaffen, nicht dazu, den nach der Neuverteilung zuständigen Gesetzgeber zu einem Handeln zu verpflichten, das ihm nach der sonstigen Kompetenzlage 202 Eine Aufzählung der erfassten Regelungsgebiete findet sich bei Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 125a GG Rn. 2. 203 Vgl. hierzu Uhle, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 125a GG Rn. 19 und 24 ff.; Wolff, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG – Band 3, Art. 125a GG Rn. 9. Dagegen geht Kirn, in: v. Münch / Kunig, GG – Band 3, Art. 125a GG Rn. 3a trotz des insoweit eindeutigen Wortlauts davon aus, dass das dem Art. 125a Abs. 1 GG unterfallende Recht unmittelbar zu Landesrecht wird. 204 In diese Richtung scheint auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Ladenschlussentscheidung zu Art. 125a Abs. 2 GG zu tendieren, wenn es fordert, dass „der Landesgesetzgeber die Materie in eigener Verantwortung zu regeln hat“, vgl. BVerfG, NJW 2004, S. 2364. 205 BT-Drs. 12/6000, S. 18. 206 So auch Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 125a GG Rn. 6; ebenso ohne nähere Begründung, Schwarz, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 59 Rn. 119; im Einzelfall zulässig nach Uhle, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 125a GG Rn. 30.

1. Abschn.: Zu den Gesetzgebungskompetenzen

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nicht obliegt. Gesetzgebungskompetenzen begründen in der Regel aber nur ein Recht und keine Pflicht zu einem gesetzgeberischen Tätigwerden. Lediglich in bestimmten Einzelfällen kann sich dieses Recht, etwa aufgrund von Vorgaben aus den Grundrechten oder Staatszielbestimmungen, zu einer Pflicht verdichten 207. Parallel zu diesen Grundsätzen ist im Anwendungsbereich des Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG ausschließlich bei solchen zwingenden Gesetzgebungsaufträgen eine Sachentscheidung des Landesgesetzgebers zu fordern, während in der Mehrzahl der Fälle eine Ersetzung durch eine reine Negativgesetzgebung erfolgen und damit die Situation hergestellt werden kann, die bestünde, wenn der zuständige Gesetzgeber beschlösse, von einer Kompetenz keinen Gebrauch zu machen. Die Befugnis zur Änderung einzelner Vorschriften des fortgeltenden Bundesrechts liegt beim Bundesgesetzgeber, obgleich er aufgrund der kompetenzrechtlichen Neuzuordnungen an sich nicht mehr rechtssetzungsbefugt ist 208. Dies ergibt sich aus Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck der Norm. Der Landesgesetzgeber sollte nicht, wie zunächst von der Gemeinsamen Verfassungskommission vorgeschlagen, die Befugnis zur „Ergänzung“ des fortbestehenden Bundesrechts erhalten 209. Vielmehr wählte der verfassungsändernde Gesetzgeber von 1994 bewusst das Wort „ersetzen“, das anders als ein „ergänzen“ erfordert, dass der Landesgesetzgeber zumindest einen „abgrenzbaren Teilbereich der Materie in eigener Verantwortung regelt“ 210. Der dahinter stehende Sinn und Zweck war es, eine andernfalls entstehende, dem System der Gesetzgebung zumindest bis dahin fremde Mischlage aus Bundes- und Landesrecht zu vermeiden. Da eine auch bereichsweise Neukonzeption durch die Länder gegebenenfalls einen längeren Zeitraum in Anspruch nimmt, ist zur Vermeidung einer nicht zeitgemäßen Rechtslage eine Änderungsbefugnis des Bundes unmittelbar aus Art. 125a Abs. 1 GG anzuerkennen 211. Diese ist eng auszulegen und darf keinesfalls zu einer grundlegenden Neukonzeption des fortgeltenden Bundesrechts führen. Der Bund kann das Bundesrecht daher lediglich unter Beibehaltung der wesentlichen Strukturen an veränderte Verhältnisse anpassen 212. 207 Stettner, in: Dreier, GG – Supplementum, Art. 70 GG Rn. 26; Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 70 GG Rn. 63 unter Hinweis auf den Wortlaut des Art. 70 Abs. 1 GG; Schwarz, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 61 Rn. 124. 208 So die überwiegende Meinung in der Literatur, vgl. Uhle, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 125a Abs. 1 GG; Wolff, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG – Band 3, Art. 125a GG Rn. 12; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 125a GG Rn. 7; Rengeling, DVBl. 2006, S. 1547; von einer solchen Befugnis geht auch der verfassungsändernde Gesetzgeber aus, vgl. BT-Drs. 16/813, S. 20. 209 BT-Drs. 12/6000 S. 18 sowie die Begründung auf S. 36. 210 So das Bundesverfassungsgericht in seiner Ladenschlussentscheidung zu Art. 125a Abs. 2 GG, BVerfG, NJW 2004, S. 2364. 211 Anders Degenhart, NVwZ 2006, S. 1215 und in: Sachs, GG, Art. 125a GG Rn. 7: kein Bedürfnis, da die Länder ohne weiteres zur Ersetzung befugt sind.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

Dem Bundesgesetzgeber ist es zudem erlaubt, das von ihm erlassene Recht aufzuheben, damit kein dauerhaftes Nebeneinander von Landes- und partiellem Bundesrecht existiert 213. Nach der Gesetzesbegründung hat der Bund den Ländern durch entsprechende Inkrafttretensvorschriften einen angemessenen langen Zeitraum für die eigene Gesetzgebung einzuräumen 214. Was dabei unter einem angemessenen Zeitraum zu verstehen ist, lässt sich nicht einheitlich für alle zu ersetzenden Gesetze bestimmen. Maßgebliche Bedeutung dürfte der Komplexität der Reglungsmaterie und der davon abhängenden Umsetzungsdauer zukommen 215. Für die auf der Rahmengesetzgebung basierenden Bereiche der Bundesgesetze, die weiterhin in die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers fallen, namentlich die Statusrechte und -pflichten der Landesbeamten und -richter 216 sowie die Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse findet die Übergangsvorschrift des Art. 125b Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 GG Anwendung. Die entsprechenden Gesetzesbestimmungen gelten daher als Bundesrecht fort, zugleich bleiben die Befugnisse und Verpflichtungen der Länder zur (ausfüllenden) Gesetzgebung bestehen. III. Beibehaltung des Status quo Bei der Vielzahl der in der Projektgruppe 5 diskutierten Gesetzgebungsmaterien ist es nicht verwunderlich, dass einige Bereich nur am Rande gestreift wurden und keine Verständigung erzielt werden konnte. 1. Regionale Arbeitsmarktpolitik Die regionale Arbeitsmarktpolitik war für die Länder von den in der Projektgruppe 5 behandelten Materien allerdings von hervorgehobener Bedeutung 217. 212

Vgl. zu dieser Einschränkung, BVerfG, NJW 2004, S. 2364. BT-Drs. 16/813, S. 20. Die Aufhebungskompetenz ergibt sich aus Art. 125a Abs. 1 GG selbst und nicht aus einer ungeschriebenen Kompetenz kraft zeitlichen Annexes, so aber Lindner, NVwZ 2007, S. 180. 214 BT-Drs. 16/813, S. 20. 215 Schmitz, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 251 will als Anhaltspunkt die Fristen des Art. 125b GG heranziehen. 216 Dass die ehemalige Rahmenkompetenz des Art. 98 Abs. 3 Satz 2 GG, nach der der Bund Rahmenvorschriften über die Rechtsstellung der Richter in den Ländern erlassen durfte, in Art. 125b Abs. 1 GG nicht genannt ist, ist wohl auf ein Redaktionsversehen zurückzuführen. Auf die statusrechtlichen Bestimmungen des auf dieser Grundlage ergangenen Deutschen Richtergesetzes, ist Art. 125b Abs. 1 GG deswegen entsprechend anzuwenden, vgl. Zippelius / Würtenberger, Dt. Staatsrecht, S. 442 Rn. 24. 217 Sprechzettel der Vorsitzenden für die 1. Konsultationsrunde am 10. November 2004, S. 2. 213

1. Abschn.: Zu den Gesetzgebungskompetenzen

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Nach ihren Vorstellungen sollte die aktive Arbeitsmarktpolitik mit vorrangig regionalem Bezug (nicht jedoch die Arbeitsvermittlung) aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG entweder in die Länderzuständigkeit übergehen oder auf sie ein Zugriffsrecht eingeräumt werden 218. Durch diesen Schritt sollte eine engere Abstimmung mit der regionalen Wirtschafts- und Strukturpolitik ermöglicht werden. Außerdem sollten so die Mittel, auch durch den Wettbewerb der Länder untereinander, effizienter und effektiver eingesetzt werden 219. Die Bundesseite stand diesem Vorschlag angesichts der Tatsache, dass die neue Aufgabenwahrnehmung durch Steuermittel des Bundes hätte kompensiert werden sollen, von Beginn an ablehnend gegenüber 220. Auch in der von der Projektgruppe eingesetzten „kleinen Gruppe“ 221 konnte keine Annäherung erreicht werden 222. Die Arbeitsgruppe 1 beschloss daraufhin mit dem bis Ende Dezember noch teilweise in der Gesetzgebung befindlichen Hartz IV Erfahrungen zu sammeln und diese in die Verhandlungen mit einzubeziehen 223. Die Länder erarbeiteten dafür ein auf den 22. November 2004 datiertes Arbeitspapier, das durch Übergangsregelungen einen stufenweisen Weg bis zur endgültigen Übertragung der Zuständigkeit vorsah 224. Diese Überlegungen haben jedoch keinen Eingang in den Vorsitzendenvorschlag gefunden. Im Gegenteil, die einzige dort vorgesehene Neuerung in Bezug auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG sollte dem Bundesgesetzgeber sein gesetzgeberisches Tätigwerden erleichtern, indem es nicht mehr den Anforderungen der Erforderlichkeitsklausel genügen musste. 2. Krankenhausfinanzierung Für den in Art. 74 Abs. 1 Nr. 19a 1. Alternative GG eingeordneten Bereich der „wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser“ sahen weder die Länder noch der Bund Änderungsbedarf 225. 218 Kommissions-Drs. 0045, Positionspapier der Ministerpräsidenten vom 6. Mai 2004, S. 7. Konkretisiert in PAU-5/0007 neu, „Konkretisierung der Länderposition regionale aktive Arbeitsmarktpolitik“ vom 2. September 2004, StM BW / StK B, S. 1 ff.: Die aktive Arbeitsmarktpolitik ist im Wesentlichen mit den Ermessensleistungen der aktiven Arbeitsförderung (§ 3 Abs. 5 SGB III) gleichzusetzen und umfasst Leistungen an den Arbeitgeber, den Arbeitnehmer und den Träger von Arbeitsförderungsmaßnahmen, nicht jedoch das Arbeitslosengeld oder sonstige „passive“ Lohn- oder Entgeltersatzleistungen. 219 PAU-5/0007 neu, „Konkretisierung der Länderposition regionale aktive Arbeitsmarktpolitik“ vom 2. September 2004, StM BW / StK B, S. 5 f. 220 PAU-5/0011, Stellungnahme zur: Regionalen aktiven Arbeitsmarktpolitik vom 26. August 2004, BMW, S. 2 ff. 221 Ergebnisvermerk der 4. Sitzung der PG 5 am 10. September 2004, S. 3. 222 Ergebnisvermerk der 6. Sitzung der PG 5 am 29. September 2004, S. 1. 223 Protokollvermerk der 7. Sitzung der AG 1 am 6. Oktober 2004, S. 23. Diese Vorgehensweise wurde von dem Bundestagsabgeordneten Kröning angeregt. 224 Auszüge dieses unveröffentlichten Dokuments sind abgedruckt bei Schmitz, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 265 ff.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

3. Verkehr Im Kern ging es bei dem Themenbereich „Verkehr“ um die Frage, ob die Länder die Infrastrukturverantwortung sowohl für die Bundesstraßen als auch für den Schienennahverkehr erhalten sollten. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG sollte nach Meinung einiger Länder auf Bundesautobahnen und in ihrer Bedeutung vergleichbare Bundesstraßen beschränkt werden 226. Es fehlte jedoch an einer einheitlichen Front 227, die sich der eine Veränderung ablehnenden Bundesseite 228 hätte entgegenstellen können. Auf dem Gebiet des Eisenbahnwesens war für die Bundesseite bei Strecken mit lediglich regionaler Bedeutung die Schaffung von einfachgesetzlichen Öffnungsklauseln denkbar 229, während Baden-Württemberg auch die Option einer verfassungsrechtlichen Verankerung ins Spiel brachte 230. Diese Ideen wurden jedoch nicht weiter vertieft. 4. Bodenrecht Zu der Regelungsmaterie des Bodenrechts (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG), im Wesentlichen Kompetenzgrundlage für die Regelungen des Baugesetzbuches, vertraten nicht nur der Bund und die Länder, sondern auch die Länder untereinander verschiedene Positionen. Die Bundesregierung 231 und dieser explizit folgend Mecklenburg-Vorpommern 232 wollten die Bundeskompetenz wegen der engen Verzahnung mit anderen bundesgesetzlichen Regelungsbereichen erhalten. Demgegenüber forderte die Mehrzahl der Länder eine weitgehende Übertragung 225 So explizit in PAU-5/0021, Stellungnahme zur Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 19a GG vom 28. September 2004, BMGS, S. 4; Protokollvermerk der 7. Sitzung der AG 1 am 30. September 2004, S. 25. 226 Die Bundesstraßen haben ihre Bedeutung für den Fernverkehr durch den flächendeckenden Ausbau der Bundesautobahnen in weitem Umfang verloren. Häufig sind diesbezügliche Straßenbauprojekte regional begrenzt, etwa bei Umgehungsstraßen. Vgl. dazu PAU-5/0013, Möglichkeiten von Zuständigkeitsübertragungen auf die Länder im Bereich des Verkehrs vom 8. September 2004, StM BW, S. 1 ff.; so auch die Bundestagsabgeordneten Steenblock und Burgbacher, Ergebnisvermerk der 4. Sitzung der PG 5 am 10. September 2004, S. 4; Burgbacher, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 283 f. 227 Ergebnisvermerk der 6. Sitzung der PG 5 am 29. September 2004, S. 2. 228 PAU-5/0012, Stellungnahmen zu: Regionale Verkehrsthemen vom 26.August 2004, BMVBW, S. 3. 229 Ergebnisvermerk der 4. Sitzung der PG 5 am 10. September 2004, S. 4. 230 PAU-5/0013, Möglichkeiten von Zuständigkeitsübertragungen auf die Länder im Bereich des Verkehrs vom 8. September 2004, StM BW, S. 4. 231 PAU-5/0012, Stellungnahme zu: Bodenrecht und Raumordnung vom 26. August 2004, BMVBW, S. 4 ff. Dort auch die Forderung nach einer Wiedereinführung der konkurrierenden Zuständigkeit für das Recht der Erschließungsbeiträge. 232 Ergebnisvermerk der 5. Sitzung der PG 5 am 17. September 2004, S. 1.

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in ihre Zuständigkeit 233. Eine Verständigung in dieser Frage konnte in der Projektgruppe nicht erreicht werden, zumal die Länder gegenüber der Bundesseite nicht als geschlossene Einheit aufzutreten vermochten 234. Im Rahmen der abschließenden Verhandlungen schlug die Bundesseite sogar vor, das Bodenrecht in die ausschließliche Bundeskompetenz zu übertragen 235. Die Länderseite ist dem insoweit entgegengekommen, als das Bodenrecht nach der Föderalismusreform nicht mehr den Voraussetzungen der Erforderlichkeitsklausel unterfällt 236. 5. Notariat Überraschend mutet auf den ersten Blick an, dass die Sachmaterie „Notariat“ aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG nicht gestrichen wurde. Es handelt sich dabei um einen von vier (!) Kompetenzbereichen, bei denen sich neben den Ländern 237 auch der Bund schon vor Konstituierung der Föderalismuskommission eine Abgabe an die Länder hatte vorstellen können 238. Dabei ist es zunächst mit der Maßgabe geblieben, dass der Bund das Beurkundungsrecht behalten sollte 239. Erst die vor dem Rechtsausschuss geäußerte massive Kritik der Sachverständigen veranlasste den Bund und die Länder, dieses Ergebnis zu revidieren und von der Verschiebung des Notariats in Länderhand gänzlich abzusehen 240. Die Sachverständigen hatten genau wie bereits zuvor die FDP-Bundestagsfraktion 241 im Rahmen der Föderalismuskommission bei einer Abtretung an die Länder eine Rechtszersplitterung und einen Beurkundungsstandard, der sich nach dem Land mit dem niedrigsten Regelungsniveau ausrichtet, befürchtet. Der Rechtsausschuss begründete die Änderung des Gesetzesentwurfs dagegen mit dem zwischen dem Notariat und den anderen Materien des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG bestehenden Sachzusammenhang 242. 233

PAU-5/0016, Möglichkeiten einer Föderalisierung in den Bereichen Bodenrecht und Raumordnung vom 15. September 2004, StM BW, S. 2. 234 Protokollvermerk der 7. Sitzung der AG 1 am 30. September 2004, S. 24. 235 Sprechzettel der Vorsitzenden für die 1. Konsultationsrunde am 10. November 2004, S. 4. 236 Vgl. dazu den Sprechzettel der Vorsitzenden für die 2. Konsultationsrunde am 26. November 2004, S. 9. 237 Hrbek / Eppler, Deutschland vor der Föderalismus-Reform, Dokument 1, Leitlinien der Ministerpräsidenten, S. 27: Damals forderten sie noch ein Zugriffsrecht. 238 Hrbek / Eppler, Deutschland vor der Föderalismus-Reform, Dokument 2, Position des Bundes, S. 33. 239 AU 0104 – neu –, Vorschlag der Vorsitzenden vom 13. Dezember 2004, S. 4. 240 BT-Drs. 16/2010, S. 6. 241 So kurz vor der letzten Kommissionssitzung in AU 0114, Antrag zur Kommissionssitzung am 17. Dezember 2004, Bundestagsabgeordnete Funke und Burgbacher, S. 2 f. Vgl. auch Burgbacher, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 285. 242 BT-Drs. 16/2069, Bericht des Rechtsausschusses, S. 42.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

C. Konkurrierende Gesetzgebung, Art. 72 GG In Art. 72 GG sind Begriff, Voraussetzungen und Rechtsfolgen der konkurrierenden Gesetzgebung geregelt. Sie ermöglicht als die praktisch bedeutsamste Kompetenzart schon ihrem Wortlaut nach den „konkurrierenden“ Zugriff von Bundes- und Landesgesetzgeber auf die in Art. 74 GG geregelten Materien. Damit war jedoch vor der Föderalismusreform keine echte Parallelzuständigkeit 243 verbunden, vielmehr bestand zwischen dem Zugriff des Bundes- und Landesgesetzgebers ausschließlich eine „unechte Konkurrenz“ 244. Die Länder konnten ihre Legislativbefugnisse nur ausüben, solange und soweit der Bund nicht durch Gesetz von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht hatte (vgl. Art. 72 Abs. 1 GG). Anders gewendet hatte der Bund es unter den Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG in der Hand, die Länder völlig aus ihrer Zuständigkeit zu verdrängen. Durch die Verfassungsänderung hat diese Struktur jetzt eine grundlegende Umgestaltung erfahren. Art. 72 GG legt nicht mehr einheitliche Voraussetzungen und Rechtsfolgen für ein Tätigwerden des Bundesgesetzgebers im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung fest. Vielmehr ist in Zukunft zwischen drei Erscheinungsformen der konkurrierenden Gesetzgebung zu unterscheiden 245: die weiterhin der Erforderlichkeitsklausel unterfallende konkurrierende Gesetzgebung (Erforderlichkeitsgesetzgebung); die abweichungsfeste, nicht der Erforderlichkeitsklausel unterfallende konkurrierende Gesetzgebung (Vorranggesetzgebung) und schließlich die nicht an die Voraussetzungen der Erforderlichkeitsklausel gebundene, konkurrierende Gesetzgebung mit Abweichungsrecht der Länder (Abweichungsgesetzgebung) 246. Auch wenn Voraussetzungen und Rechtsfolgen für diese drei Typen divergieren, ist der Ausgangspunkt der konkurrierenden Gesetzgebung für alle drei der gleiche: Die Länder sind in Anknüpfung an die Regelung des Art. 70 Abs. 1 GG nach Art. 72 Abs. 1 GG gesetzgebungsbefugt, bis der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht hat.

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Oeter, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG – Band 2, Art. 72 GG Rn. 3. Stettner, in: Dreier, GG – Band 2, Art. 72 GG Rn. 10 und Kunig, in: v. Münch (Hrsg.), GG – Band 3, Art. 72 GG Rn. 1. 245 „Trias der konkurrierenden Gesetzgebung“, Ipsen, NJW 2006, S. 2803. 246 Ebenso Mayen, DRiZ 2007, S. 52; Stettner, in: Dreier, GG – Supplementum, Art. 74 GG Rn. 15. Die Bezeichnungen divergieren. So unterscheidet Uhle, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 72 GG Rn. 7 zwischen der konditionierten konkurrierenden Gesetzgebung, der unkonditionierten konkurrierenden abweichungsfesten Gesetzgebung und der unkonditionierten, konkurrierenden abweichungsoffenen Gesetzgebung. Ihm folgend Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 72 GG Rn. 4 b. Ipsen, NJW 2006, S. 1542 hat die Begrifflichkeiten Bedarfsgesetzgebung, Kernkompetenz und Abweichungsgesetzgebung geprägt. 244

1. Abschn.: Zu den Gesetzgebungskompetenzen

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I. Erforderlichkeitsgesetzgebung In Art. 72 Abs. 2 GG ist nunmehr explizit aufgezählt, bei welchen Sachmaterien das Gesetzgebungsrecht des Bundes von dem Vorliegen der Erforderlichkeit im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG abhängig ist. Von den insgesamt 33 Kompetenztiteln der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit unterfallen künftig nur noch zehn dieser Kompetenzausübungsschranke 247. Im Einzelnen erstreckt sie sich auf folgende Kompetenzfelder: − das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer (Art. 74 Abs. 1 Nr. 4 GG); − die öffentliche Fürsorge (ohne das Heimrecht) (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG); − das Recht der Wirtschaft (Bergbau, Industrie, Energiewirtschaft, Handwerk, Gewerbe, Handel, Bank- und Börsenwesen, privatrechtliches Versicherungswesen) ohne das Recht des Ladenschlusses, der Gaststätten, der Spielhallen, der Schaustellung von Personen, der Messen, der Ausstellungen und der Märkte (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG); − die Regelung der Ausbildungsbeihilfen und die Förderung der wissenschaftlichen Forschung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG); − die Überführung von Grund und Boden, von Naturschätzen und Produktionsmitteln in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 15 GG); − die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und die Regelung der Krankenhauspflegesätze (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19a GG); − das Recht der Lebensmittel einschließlich der ihrer Gewinnung dienenden Tiere, das Recht der Genussmittel, Bedarfsgegenstände und Futtermittel sowie den Schutz beim Verkehr mit land- und forstwirtschaftlichem Saat- und Pflanzgut, den Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge sowie den Tierschutz (Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG); − den Straßenverkehr, das Kraftfahrwesen, den Bau und die Unterhaltung von Landstraßen für den Fernverkehr sowie die Erhebung und Verteilung von Gebühren oder Entgelten für die Benutzung öffentlicher Straßen mit Fahrzeugen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG); − die Staatshaftung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 25); − die medizinisch unterstützte Erzeugung menschlichen Lebens, die Untersuchung und die künstliche Veränderung von Erbinformationen sowie Regelungen zur Transplantation von Organen, Geweben und Zellen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 GG).

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Art. 72 Abs. 2 GG als Kompetenzausübungsschranke, vgl. BVerfGE 106, 62 (135).

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

1. Anforderungen des Art. 72 Abs. 2 GG Der Bund hat auf diesen Sachgebieten nur dann das Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht. Die bereits im Jahre 1994 in dieser Form in das Grundgesetz eingefügte Klausel wurde inhaltlich durch die Föderalismusreform nicht geändert, so dass die zu ihr entwickelten Auslegungsmaßstäbe unverändert Geltung beanspruchen 248. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Grundsatzentscheidung zum Altenpflegegesetz aus dem Jahr 2002 die umfassende Justitiabilität dieser Vorschrift – anders als zu der „weicheren“ Vorgängervorschrift – anerkannt 249. Der Bundesgesetzgeber hat im Hinblick auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG daher keinen von verfassungsgerichtlicher Kontrolle freien gesetzgeberischen Beurteilungsspielraum 250. Die Konkretisierungen der drei Zielvorgaben hat das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die Erforderlichkeit in sehr restriktiver Weise vorgenommen. Eine Bedrohung gleichwertiger Lebensverhältnisse sei erst dann anzunehmen, wenn sich die Lebensverhältnisse in den Ländern in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinander entwickelt hätten oder sich eine derartige Entwicklung abzeichne 251. Die Wahrung der Rechtseinheit ermächtige den Bundesgesetzgeber zum Tätigwerden, wenn eine 248 Für eine restriktivere Handhabung finden sich keinerlei Anhaltspunkte, weder in der Gesetzesbegründung noch in den Materialien der Entstehungsgeschichte. Diese Frage wirft aber Thiele, JA 2006, S. 716 auf. 249 BVerfGE 106, 62 (135 ff.). Grundlegend zu Art. 72 Abs. 2 GG, Würtenberger, Art. 72 Abs. 2 GG. 250 Dogmatisch unzutreffend ist es dagegen, darin eine Reduzierung des Ermessensspielraums des Bundesgesetzgebers zu sehen, so aber Calliess, DÖV 1997, S. 896. In dem fraglichen zweiten Halbsatz des Art. 72 Abs. 2 GG sind unbestimmte Rechtsbegriffe auf Tatbestandsebene enthalten, da sie für sich genommen keine Rechtsfolgen begründen und daher allenfalls Beurteilungsspielräume bestehen könnten. Ermessen hat der Bund hinsichtlich der Frage, ob er bei Vorliegen der Voraussetzungen der Erforderlichkeitsklausel ein entsprechendes Bundesgesetz erlässt, Calliess, DÖV 1997, S. 894. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu der alten Bedürfnisklausel, in der ebenfalls stets von einem Ermessensspielraum des Bundes die Rede war, stammt noch aus einer Zeit als zwischen dem nur begrenzt justitiablen Ermessen auf Rechtsfolgenseite und den voll justitiablen unbestimmten Rechtsbegriffen auf Tatbestandsebene nicht differenziert wurde. 251 BVerfGE 106, 62 (144). Zu Recht weist Calliess, DÖV 1997, S. 896 darauf hin, dass der Bund nunmehr nicht nur zur Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse, sondern sogar schon zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse tätig werden darf. Damit sind die Anforderungen an ein Tätigwerden des Bundes im Grunde abgesenkt worden. Der klare Wille des verfassungsändernden Gesetzgebers, den Bundesgesetzgeber mit der Neufassung zu beschränken, erfordert jedoch eine restriktive Auslegung. Das Bundesverfassungsgericht ist dieser Anforderung in seiner Rechtsprechung gerecht geworden.

1. Abschn.: Zu den Gesetzgebungskompetenzen

219

Gesetzesvielfalt auf Länderebene eine Rechtszersplitterung mit problematischen Folgen darstelle, die im Interesse sowohl des Bundes als auch der Länder nicht hingenommen werden könne 252. Lediglich für die dritte Zielbestimmung stellte der Senat weniger enge Voraussetzungen auf. Die Wahrung der Wirtschaftseinheit legitimiere den Bund schon dann zu Regelungen, wenn es um die Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraumes gehe 253. Das „gesamtstaatliche Interesse“ ist nach dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte des Art. 72 Abs. 2 GG sowohl auf die Rechtseinheit als auch auf die Wirtschaftseinheit zu beziehen 254. Im gesamtstaatlichen Interesse ist eine Bundesregelung, die sich in ihrer Bedeutung und Auswirkung nicht nur auf einzelne Länder beschränkt, die mit anderen Worten nicht nur im Interesse einzelner Länder liegt 255. Im Hinblick auf eine dieser Zielbestimmungen muss das Bundesgesetz und zwar mit Blick auf jede einzelne Regelung („soweit“) erforderlich sein. Dieses Kriterium wird dogmatisch unterschiedlich als Element des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes 256, als Konkretisierung des Subsidiaritätsprinzips 257 oder „als Prinzip zielgerichteter Effizienz“ 258 eingeordnet. Im Ergebnis ist man sich einig, dass eine bundesgesetzliche Regelung dieses Kriterium erfüllt, wenn das anvisierte Ziel durch gesetzgeberisches Handeln der Länder nicht erreichbar ist. Vergleichsmaßstab für die Bestimmung der Erforderlichkeit ist damit immer die alternative Möglichkeit der Landesgesetzgebung 259. In diesem Zusammenhang wird diskutiert, ob die Möglichkeit der Selbstkoordinierung der Länder zur Verneinung der Erforderlichkeit führt. Dem ist das Bundesverfassungsgericht unter Verweis auf den Sinn des Art. 72 Abs. 2 GG entgegengetreten. Da durch eine selbstkoordinierte Landesgesetzgebung keine eigenständigen Kompetenzräume für partikular-differenzierte Regelungen gesichert werden, ist die

252

BVerfGE 106, 62 (145 f.). BVerfGE 106, 62 (146 f.). 254 Vgl. dazu Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 72 GG Rn. 21 f.; Stettner, in: Dreier, GG – Band 2, Art. 72 GG Rn. 23; Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 72 GG Rn. 12; anders aber Umbach / Clemens, in: Umbach / Clemens, GG – Band II, Art. 72 GG Rn. 39. 255 Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 72 Rn. 12; Calliess, DÖV 1997, S. 896. 256 So die wohl vorherrschende Literaturmeinung, vgl. nur Stettner, in: Dreier, GG – Band 2, Art. 72 GG Rn. 18 f.; Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 72 GG Rn. 11; Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 72 GG Rn. 17; Calliess, DÖV 1997, S. 895; Uhle, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 72 GG Rn. 37; Schmahl, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2006, S. 225. 257 Siehe hierzu Jarass, NVwZ 1996, S. 1042; Zippelius / Würtenberger, Dt. Staatsrecht, S. 462 Rn. 20; Schmidt-Jortzig, in: Blanke (Hrsg.), Bundesstaat, S. 61; Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 153 Rn. 262; im Ergebnis ebenso Umbach / Clemens, in: Umbach / Clemens, GG – Band II, Art. 72 GG Rn. 24. 258 So Würtenberger, Art. 72 Abs. 2 GG, S. 168 f. 259 BVerfGE 106, 62 (149). 253

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

Selbstkoordinierung unter Berücksichtigung des Sinnes des Art. 72 Abs. 2 GG kein schonenderes Mittel als bundeseinheitliche Regelungen 260. Die Beurteilung, ob die Erforderlichkeit im Hinblick auf die Zielvorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG vorliegt, macht regelmäßig gesetzgeberische Tatsachenbewertungen und Prognosen erforderlich. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber deswegen einen Prognosespielraum zugebilligt, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Im Einzelnen müssen sorgfältig ermittelte Sachverhaltsannahmen zugrunde gelegt, ein methodisch angemessenes und konsequent verfolgtes Verfahren angewandt und die tragenden Gesichtspunkte mit hinreichender Deutlichkeit offen gelegt werden. In die Prognose dürfen zudem keine sachfremden Erwägungen einfließen 261. Bei der Frage, welche Tatsachenermittlungen für die Prognoseentscheidung relevant sind, ist dem Gesetzgeber ein gewisser Einschätzungsspielraum eingeräumt 262. Gleiches gilt für das Konzept und die konkrete Ausgestaltung des Gesetzes 263. Das Bundesverfassungsgericht hat damit ungewöhnlich breite Ausführungen zu der eröffneten Kontrolldichte gemacht. Der Umstand, dass Art. 72 Abs. 2 GG dennoch Raum für politische Entscheidungen lässt, hat Zweifel an der Wirksamkeit der Erforderlichkeitsklausel aufkommen lassen 264. So soll die Altenpflegeentscheidung, in der die Erforderlichkeit letztlich bejaht wurde, als Beleg für die fehlende Bereitschaft des Bundesverfassungsgerichts dienen, bei der Subsumtion des Sachverhalts die eigens aufgestellten, hohen Anforderungen zu beachten. Einen gegenteiligen Beweis könne weder das Kampfhunde-, noch das Juniorprofessur- oder das Studiengebührenurteil erbringen, sei das Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG in diesen Fällen doch evident gewesen 265. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht kein einziges Bundesgesetz an der alten Bedürfnisklausel scheitern lassen, ist also stets davon ausgegangen, dass sich der Bundesgesetzgeber in den Grenzen des nicht justitiablen „Ermessens“ gehalten hat. Ohne die Änderung des Art. 72 Abs. 2 GG und der der damit verfolgten Intention gerecht werdenden bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung wäre in diesen geschilderten Evidenzfällen nicht anders verfah260 BVerfGE 106, 62 (150); zustimmend Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 72 GG Rn. 19; Umbach / Clemens, in: Umbach / Clemens, GG – Band II, Art. 72 GG Rn. 25; anders Stettner, in: Dreier, GG – Band 2, Art. 72 GG Rn. 20 bei real existierender koordinierter Landesgesetzgebung; vgl. auch Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 72 GG Rn. 18 und Zippelius / Würtenberger, Dt. Staatsrecht, S. 463 Rn. 25. 261 BVerfGE 106, 62 (152 f.). 262 BVerfGE 106, 62 (151). 263 BVerfGE 106, 62 (149). 264 Vgl. hierzu Boysen, Gleichheit, S. 65 f.; das Gegenteil nimmt Geis / Krausnick, in: Borchard (Hrsg.), Föderalismus, S. 223 f. an: „zu effektiv“; ebenso Breuer, in: Grote (Hrsg.), Ordnung, S. 178. 265 So Boysen, Gleichheit, S. 66 und 69.

1. Abschn.: Zu den Gesetzgebungskompetenzen

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ren worden. Insofern hat sich sehr wohl eine Kehrtwende in dem Umgang mit Art. 72 Abs. 2 GG vollzogen. Zuzugeben ist indes, dass dem Bund durch die eingeräumten Prognose- und Einschätzungsspielräume nach wie vor politische Gestaltungsspielräume verbleiben. Das ist der Konzeption des Art. 72 Abs. 2 GG, der mit den Zielvorgaben der „gleichwertigen Lebensverhältnisse“ oder der „Rechts- oder Wirtschaftseinheit“ stets eine politische Einschätzung erfordert, in gewisser Weise immanent. Die dem Bundesgesetzgeber nunmehr obliegende Begründungslast 266 hinsichtlich der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG und die auf dieses Vorbringen gestützte verfassungsrechtliche Überprüfung anhand konkretisierter Zielvorgaben setzen diesen Prognosespielräumen jedoch deutliche Grenzen 267. 2. Rechtsfolge – Sperrwirkung der Bundesgesetzgebung Die Rechtsfolge, die sich aus einem gesetzgeberischen Tätigwerden des Bundes ergibt, ist in Art. 72 Abs. 1 GG geregelt. Die Länder verlieren in dem Umfang, in dem der Bund von seiner konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht hat („soweit“), ihre Gesetzgebungszuständigkeit („Sperrwirkung der Bundesgesetzgebung“ 268). Nicht nur nach Eintritt der Sperrwirkung verabschiedete Landesgesetze sind mangels Gesetzgebungskompetenz nach Art. 72 Abs. 1 GG unzulässig und nichtig. Auch für vor Eintritt der Sperrwirkung erlassenes Landesrecht ergibt sich diese Rechtsfolge aus Art. 72 Abs. 1 GG. Auf einen Normwiderspruch im Sinne des Art. 31 GG kommt es in diesen Fällen nach nicht unbestrittener Meinung nicht an 269. Der Eintritt der Sperrwirkung ist jedoch von gewissen Voraussetzungen abhängig (a). Zudem ist der Umfang der Sperrwirkung zu klären (b).

266 Damit ist keine Darlegungs- und Beweislast im prozessualen Sinne gemeint. Der Bund muss jedoch exakt vortragen, warum das in Frage stehende Bundesgesetz erforderlich ist. Ansonsten geht die Nichterweislichkeit dieser Behauptung zu seinen Lasten, vgl. dazu BVerfGE 111, 10 (28 f.); Stettner, in: Dreier, GG – Band 2, Art. 72 GG Rn. 17; Wilms, ZRP 2003, S. 88; für eine Darlegungslast im prozessualen Sinn, Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 72 GG Rn. 21; gegen eine solche Pflicht: Umbach / Clemens, in: Umbach / Clemens, GG – Band II, Art. 72 GG Rn. 27. 267 Zu dieser Einschätzung kommt auch Uhle, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 72 GG Rn. 40. 268 Oeter, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG – Band 2, Art. 72 GG Rn. 53. 269 Genauso Oeter, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG – Band 2, Art. 72 GG Rn. 82; Stettner, in: Dreier, GG – Band 2, Art. 72 GG Rn. 31; Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 72 Rn. 11; anders hingegen: BVerwG NVwZ 1993, 1197 f.; Zippelius / Würtenberger, Dt. Staatsrecht, S. 464 Rn. 34.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

a) Voraussetzungen der Sperrwirkung Nach dem Wortlaut des Art. 72 Abs. 1 GG muss ein auf der Grundlage der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit erlassenes Bundesgesetz vorliegen 270. Dieses Bundesgesetz darf an keinem Wirksamkeitsmangel leiden, das heißt es muss insbesondere auch die Anforderungen des Art. 72 Abs. 2 GG erfüllen 271. Der Bundesgesetzgeber muss von seiner Gesetzgebungszuständigkeit „Gebrauch gemacht haben“, er muss also für eine Materie eine Regelung getroffen haben 272. Nicht ausreichend dafür sind inhaltsleere, lediglich mit Ziel- und Wertvorstellungen verbundene 273 oder gar zur bloßen Verhinderung der Landesgesetzgebung gedachte bundesrechtliche Bestimmungen („Sperrgesetze“) 274. b) Umfang der Sperrwirkung Der Umfang der Sperrwirkung bestimmt sich nach einer zeitlichen („solange“) und nach einer inhaltlichen Komponente („soweit“). In zeitlicher Hinsicht ist nach der klarstellenden Neufassung des Art. 72 Abs. 1 GG im Jahre 1994 („durch Gesetz Gebrauch gemacht hat“) auf den Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens und folglich auf den Zeitpunkt der Verkündung abzustellen. In inhaltlicher Hinsicht hat der Einschub dagegen keine Klärung gebracht, so dass nach wie vor die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Kriterien heranzuziehen sind 275. Wann der Bundesgesetzgeber für eine Materie eine erschöpfende und damit abschließende Regelung getroffen hat, ist nach dem Bundesverfassungsgericht im Wege einer an der objektivierten Auslegung orientierten Gesamtwürdigung des betreffenden Normkomplexes zu ermitteln 276. Bei dieser Frage sei in erster Linie „auf das Bundesgesetz selbst, sodann auf den hinter dem Gesetz stehenden Regelungszweck, ferner auf die Gesetzgebungsgeschichte und die Gesetzesmaterialien abzustellen“ 277. Eine erschöpfende Regelung kann dabei nicht nur dann angenommen worden, wenn der Bund eine Sachfrage vollumfänglich positiv geregelt hat, sondern auch, wenn er absichtlich auf die Regelung bestimmter 270 Darunter fallen auch Gesetze im materiellen Sinne, Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 72 GG Rn. 18. 271 Stettner, in: Dreier, GG – Band 2, Art. 72 GG Rn. 24. 272 Vgl. dazu BVerfGE 85, 134 (142); 102, 99 (114). 273 BVerfGE 49, 343 (359). 274 BVerfGE 34, 9 (28); a. A. Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 72 GG Rn. 6. 275 Nicht erforderlich ist, dass das Bundesgesetz selbst ausdrücklich entsprechende Anhaltspunkte enthält. Dieser von der Verfassungskommission Bundesrat 1991 gemachte Vorschlag wurde von der Gemeinsamen Verfassungskommission nicht aufgegriffen. 276 BVerfGE 7, 342 (347); 20, 238 (248); 49; 343 (358); 67, 299 (324). 277 BVerfGE 109, 190 (230) unter Bezugnahme auf BVerfGE 98, 265 (300 f.) und BVerfGE 102, 99 (114 f.).

1. Abschn.: Zu den Gesetzgebungskompetenzen

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Sachfragen verzichtet hat (Negativregelungen). Das ergibt sich bereits daraus, dass der Gesetzgeber die Wahl hat, bestimmte Bereiche bewusst regelungsfrei zu lassen 278. Abhängig davon, ob die Gesamtheit oder lediglich Teilbereiche einer Materie erschöpfend geregelt wurden, hat die Sperrwirkung für die Länder einen unterschiedlichen Umfang. In ersterem Falle ist der Landesgesetzgeber auf dem betroffenen Sachgebiet insgesamt gesperrt, während die zweite Alternative ihm die Regelung der nicht durch den Bundesgesetzgeber normierten Sachfragen offen lässt. 3. Wegfall der Erforderlichkeit, Art. 72 Abs. 4 GG und 125a Abs. 2 GG Im Zusammenhang mit der Erforderlichkeitsgesetzgebung stehen die im Zuge der Verfassungsänderung von 1994 eingeführten und der Rückeröffnung landesgesetzgeberischer Gestaltungsspielräume dienenden Art. 72 Abs. 4 GG und Art. 125a Abs. 2 GG. Nach Art. 72 Abs. 4 GG kann durch Bundesgesetz bestimmt werden, dass eine bundesgesetzliche Regelung, für die eine Erforderlichkeit im Sinne des Absatzes 2 nicht mehr besteht, durch Landesrecht ersetzt werden kann. Gemäß Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG gilt Recht, das auf Grund des Artikels 72 Abs. 2 GG in der bis zum 15. November 1994 geltenden Fassung erlassen worden ist, aber wegen Änderung des Artikels 72 Abs. 2 GG nicht mehr als Bundesrecht erlassen werden könnte, als Bundesrecht fort. Durch Bundesgesetz kann nach Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG bestimmt werden, dass es durch Landesrecht ersetzt werden kann. Beiden Vorschriften sind damit Bezugspunkt und Rechtsfolgen gemein. Sowohl Art. 72 Abs. 4 GG als auch Art. 125a Abs. 2 GG setzen voraus, dass die in Frage stehenden Bundesgesetze auf der Grundlage eines Kompetenztitels erlassen wurden, der dem Anwendungsbereich der Erforderlichkeitsklausel unterfällt. Ist dies nach den Änderungen durch die Föderalismusreform nicht mehr zutreffend (Vorranggesetzgebung), kann weder Art. 72 Abs. 4 GG noch Art. 125a Abs. 2 GG einschlägig sein 279. Der Anwendungsbereich beider Vorschriften ist durch die weit reichende Geltung der Vorranggesetzgebung daher beträchtlich reduziert worden. 278

Siehe dazu Oeter, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG – Band 2, Art. 72 GG Rn. 69. Degenhart, NVwZ 2006, S. 1211; Uhle, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 72 GG Rn. 56. Für Bundesgesetze auf Sachgebieten, die in die ausschließliche Länderzuständigkeit verschoben wurden und Art. 72 Abs. 2 GG nicht erfüllt ist, ist Art. 125a Abs. 2 GG ebenfalls nicht anwendbar. Vielmehr gilt für sie allein die Übergangsvorschrift des Art. 125a Abs. 1 GG. Dagegen geht Sauer, Jura 2007, S. 546 davon aus, dass Art. 125a Abs. 2 GG grundsätzlich greift und lediglich von dem spezielleren Art. 125a Abs. 1 GG verdrängt wird. 279

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

Der entscheidende Unterschied zwischen Art. 72 Abs. 4 GG und Art. 125a Abs. 2 GG liegt in einer zeitlichen Komponente. Von Art. 72 Abs. 4 GG werden Fälle erfasst, in denen die Erforderlichkeit eines Bundesgesetzes im Sinne des neu formulierten Art. 72 Abs. 2 GG zunächst gegeben war, aber nachträglich entfallen ist. Art. 125a Abs. 2 GG bezieht sich dagegen auf vor der Verfassungsänderung von 1994 erlassenes Bundesrecht, das aufgrund der Verschärfung des Art. 72 Abs. 2 GG nicht mehr erlassen werden könnte. Im Einzelnen ergibt sich folgende Zuordnung: a) Anwendungsbereich Für Bundesgesetze, die auf Grund der ab dem 15. November 1994 oder ab dem 1. September 2006 geltenden Fassung erlassen wurden oder werden, kann einzig und allein Art. 72 Abs. 4 GG einschlägig sein, wenn die Erforderlichkeit für das Bundesgesetz nachträglich entfällt. Bei Bundesgesetzen, die auf Grund der vor dem 15. November 1994 geltenden Fassung erlassen wurden, gilt es zu unterscheiden. Genügte das noch unter der Geltung der Bedürfnisklausel erlassene Bundesrecht der 1994 eingeführten Erforderlichkeitsklausel nicht, ist Art. 125a Abs. 2 GG anzuwenden. Sofern das Bundesrecht zum Zeitpunkt der Grundgesetzänderung die Anforderungen des heutigen Art. 72 Abs. 2 GG erfüllte, sind dagegen zwei Konstellationen denkbar. Entweder die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG liegen auch heute noch vor. Dann ist Art. 125a Abs. 2 GG nicht anwendbar. Das ist nunmehr durch die vom verfassungsändernden Gesetzgeber vorgenommene Einfügung des Passus „aber wegen Änderung des Artikels 72 Abs. 2 GG nicht mehr als Bundesrecht erlassen werden könnte“ im Sinne der ohnehin schon herrschenden Literaturmeinung 280 klargestellt worden. Oder die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG sind zwischenzeitlich entfallen. Diese Fallgestaltung lässt sich auch nach der textlichen Präzisierung durch die Föderalismusreform nicht eindeutig zuordnen. Maßgeblich für die Anwendung des Art. 125a Abs. 2 GG ist insoweit, ob es sich um Altrecht handelt, das „wegen Änderung des Artikels 72 Abs. 2 GG nicht mehr als Bundesrecht erlassen werden könnte“. Stellt man auf den heutigen Zeitpunkt ab, was die Verwendung des Wortes „könnte“ nahe legt, muss dies bejaht werden. Andererseits wird mit dem Passus „wegen der Änderung des Artikels 72 Abs. 2 GG“ an die durch die Verfassungsreform von 1994 verschärfte Erforderlichkeitsklausel angeknüpft. Wird hierin der entscheidende Bezugspunkt des neu eingefügten Satzes gesehen, würde solches Altrecht nicht dem Anwendungsbereich des Art. 125a Abs. 2 GG unterfallen. Denn in diesem Fall wäre nicht die Änderung des Art. 72 Abs. 2 GG 280

Uhle, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 125a GG Rn. 33. Die vorherige, missverständliche Fassung beruhte auf einem Redaktionsversehen.

1. Abschn.: Zu den Gesetzgebungskompetenzen

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unmittelbar ursächlich dafür, dass das Altrecht nicht mehr als Bundesrecht erlassen werden könnte. Letztlich lässt der Wortlaut beide Interpretationen zu, so dass andere Argumente ausschlaggebend sein dürften. Inhaltlich ist aufgrund des nachträglichen Wegfalls der Erforderlichkeit eine größere Nähe zu den Fällen des Art. 72 Abs. 4 GG gegeben 281. Zudem ist Art. 125a Abs. 2 GG, wie sich aus der systematischen Stellung ergibt, als Übergangsvorschrift konzipiert und soll nach seiner Entstehungsgeschichte lediglich dasjenige Bundesrecht erfassen, das nach der Verfassungsänderung von 1994 nicht mehr hätte erlassen werden können. b) Tatbestandliche Voraussetzungen Tatbestandliche Voraussetzung des Art. 72 Abs. 4 GG ist, dass die Erforderlichkeit im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG hinsichtlich keiner der drei Zielvorgaben mehr besteht. Nicht ausreichend für ihren Wegfall ist, dass eines der Ziele bereits erreicht wurde, solange das Bundesgesetz nur weiterhin zur Zielbewahrung erforderlich ist 282. Für die Anwendung des Art. 125a Abs. 2 GG muss Bundesrecht vorliegen, das unter der Geltung des Art. 72 Abs. 2 GG in der bis zum 15. November 1994 gültigen Fassung erlassen worden ist und wegen der Änderung des Art. 72 Abs. 2 GG nicht mehr als Bundesrecht erlassen werden könnte. c) Dreifache Rechtsfolge Die Rechtsfolge ist in beiden Fällen eine dreifache 283. Zunächst ordnen Art. 72 Abs. 4 GG und Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG die Fortgeltung des Bundesrechtes an (Weitergeltungsanordnung). Während Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG diese Rechtsfolge ausdrücklich enthält, ergibt sie sich bei Art. 72 Abs. 4 GG aus einem Umkehrschluss zu der inhaltlichen Regelung. Da den Ländern ein gesetzgeberisches Tätigwerden erst nach einer Freigabe durch den Bundesgesetzgeber erlaubt ist, muss bis dahin das Bundesrecht zwingend fortgelten. Darin zeigt sich zugleich die zweite Rechtsfolge der Art. 72 Abs. 4 GG, Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG: Das Bundesrecht behält, nachdem die Voraussetzungen der beiden Vorschriften eingetreten sind, seinen Charakter als Bundesrecht (Ranganordnung). Die dritte und interessanteste Rechtsfolge ist, dass der Bundesgesetzgeber durch Bundesgesetz 284 bestimmen kann, dass das Bundesrecht durch Landesrecht ersetzt werden 281 Zu dieser Einordnung gelangen auch Uhle, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 125a GG Rn. 36; Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 72 GG Rn. 46 und v. Coelln, in: Maunz, Kommentar zum BVerfGG, § 13 BVerfGG Rn. 65 f. 282 Oeter, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG – Band 2, Art. 72 GG Rn. 116; Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 72 Rn. 47. 283 Ausführlich dazu Uhle, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 125a GG Rn. 32 und 37 ff.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

kann (Freigabemöglichkeit) 285. Die Sperrwirkung der weitergeltenden Bundesgesetze nach Art. 72 Abs. 1 GG bleibt demnach solange bestehen, bis der Bundesgesetzgeber ein Freigabegesetz erlässt 286. Auf diese dritte Rechtsfolge beziehen sich die folgenden Ausführungen. aa) Im Besonderen: Freigabeermessen Der Erlass eines Freigabegesetzes liegt nach dem Wortlaut beider Vorschriften im Ermessen des Bundesgesetzgebers. Das Ermessen bezieht sich zum einen auf das „ob“, zum anderen auf das „wie“ des Erlasses 287. Letzteres ermöglicht dem Bundesgesetzgeber, den Umfang des freizugebenden Bundesrechts – umfassend oder partiell – zu bestimmen. Im Einzelfall kann dieses grundsätzlich bestehende Ermessen allerdings beschränkt werden. So hat das Bundesverfassungsgericht zu Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG entschieden, dass es sich wegen des Grundsatzes des bundes- und länderfreundlichen Verhaltens zu einer Freigabepflicht verdichtet, wenn eine bloße Modifikation der Regelung auf Grund sachlicher Änderungen nicht mehr ausreicht oder der Bund aus politischen Erwägungen eine Neukonzeption für erforderlich hält 288. Diese Grundsätze gelten ebenso für den strukturell vergleichbaren Art. 72 Abs. 4 GG. Obwohl weder Art. 72 Abs. 4 GG 289 noch Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG durch die Föderalismusreform inhaltlich verändert wurden, enthält der Gesetzesentwurf Ausführungen zu der Frage, wann der Bund zum Erlass eines Freigabegesetzes verpflichtet sein soll. Eine Ermächtigung soll danach jedenfalls dann zu erteilen sein, wenn der Bundesgesetzgeber positive Kenntnis von der fehlenden Erforderlichkeit hat, was insbesondere anzunehmen sein soll, sobald das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung inzident zu einer entsprechenden Bewertung gekommen ist 290. Fraglich ist, ob der in diesen Erläuterungen zum Ausdruck kommende Wille des verfassungsändernden Gesetzgebers mit 284 Eine Rechtsverordnung ist nicht ausreichend, Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 72 GG Rn. 83. 285 Dieses Freigabeinstitut wurde aus Gründen der Rechtssicherheit aufgenommen. Es soll Streit darüber vermeiden, ob die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG erfüllt sind. 286 Vgl. dazu Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 125a GG Rn. 8; Wolff, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG – Band 3, Art. 125a GG Rn. 18; v. Coelln, in: Maunz, Kommentar zum BVerfGG, § 13 Rn. 65j und § 97 Rn. 4. 287 Dies war vor der Föderalismusreform unstreitig, vgl. Uhle, in: Kluth (Hrsg.), Art. 72 GG Fn. 210 m.w. N. 288 BVerfGE 111, 10 (31). Uhle unterscheidet daher zwischen einer objektiv und einer subjektiv begründeten Freigabepflicht, vgl. in: Maunz / Dürig, GG, Art. 125a GG Rn. 45. 289 Lediglich aufgrund einer Folgeänderung wurde der vormalige Absatz drei zu Absatz vier. 290 BT-Drs. 16/813, S. 21 zu Art. Art. 125a GG.

1. Abschn.: Zu den Gesetzgebungskompetenzen

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der nach wie vor bestehenden Ausgestaltung als Ermessensvorschrift zu vereinbaren ist. Denn Voraussetzung für eine Freigabe durch Bundesgesetz ist gerade, dass der Bundesgesetzgeber zu der Einschätzung gelangt, die Erforderlichkeit liege nicht vor 291. „Positive Kenntnis“ kann also, will man die unverändert als Ermessensvorschriften formulierten Art. 72 Abs. 4 GG und Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG („kann“) ernst nehmen, nicht mit dieser Einschätzung gleichgesetzt werden. Andererseits werden auch als Ermessensvorschriften ausgestaltete Normen bisweilen in einen Anspruch auf gebundene Entscheidungen umgedeutet. Für eine solche Interpretation könnte das Ziel der Föderalismusreform, die Elemente des Wettbewerbs zu stärken, streiten. Müsste der Bund stets ein Freigabegesetz erlassen, hätte er von der fehlenden Erforderlichkeit Kenntnis, würde der Gestaltungsspielraum der Länder aller Voraussicht nach beträchtlich erweitert. Allerdings werden solche Umdeutungen in gebundene Entscheidungen im Staat-Bürger-Verhältnis mit der Geltung der Grundrechte begründet 292. Das Verhältnis von Bund zu Ländern zeichnet sich dagegen nicht durch solche subjektiven Rechte aus, sondern wird durch die Zuständigkeitsverteilung des Grundgesetzes bestimmt 293. Hinter den Ländern stehen nicht den Grundrechten vergleichbare Rechte, die ohne weitere Anhaltspunkte eine derartige, den ausdrücklichen Wortlaut übergehende Interpretation zulassen. Zwar kann die vom verfassungsändernden Gesetzgeber verfolgte Intention, die Elemente des Wettbewerbs zu stärken, in Zweifelsfragen als teleologisches Argument herangezogen werden und den Ausschlag für eine entsprechende Auslegung geben 294. Allein die Ausführungen in der Gesetzesbegründung vermögen einen solchen Zweifelsfall – ohne jegliche Änderungen des Grundgesetztextes – jedoch nicht zu begründen. Ein Anhaltspunkt für eine Umdeutung in einen Anspruch auf Freigabe könnte aber womöglich an einer anderen Stelle des Grundgesetzes zu finden sein. Im Zuge der Föderalismusreform ist in Art. 93 Abs. 2 GG ein neues Verfahren eingeführt worden, das den Ländern prima facie die Möglichkeit einräumt, die Freigabe zur Ausübung ihrer Gesetzgebungszuständigkeit vor dem Bundesverfassungsgericht zu erzwingen. Dies könnte auf das materielle Recht ausstrahlen und Rückwirkungen auf die hier in Frage stehende Interpretation haben. Daher soll bereits in diesem Zusammenhang auf die neue Verfahrensart eingegangen werden. Nach Art. 93 Abs. 2 GG, §§ 13 Nr. 6 b, 97 BVerfGG können der Bundesrat, eine Landesregierung oder die Volksvertretungen eines Landes vor dem 291 292

So auch Oeter, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG – Band 2, Art. 72 GG Rn. 117. Vgl. z. B. den Anspruch auf Erteilung eines Bauvorbescheides wegen Art. 14 Abs. 1

GG. 293

Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 68 Rn. 121. Zu einer Überwölbung der Auslegungsmethoden durch das Konzept des kompetitiven Föderalismus, Calliess, DÖV 1997, S. 899. 294

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

Bundesverfassungsgericht bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 4 GG oder des Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG einen Antrag auf Freigabe für die Ländergesetzgebung stellen. Als Ausfluss des Rechtsschutzbedürfnisses bestimmt Art. 93 Abs. 2 Satz 3 GG, dass ein solcher Antrag lediglich dann zulässig ist, wenn eine Gesetzesvorlage nach Art. 72 Abs. 4 GG oder nach Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG im Bundestag oder Bundesrat abgelehnt oder über sie im Bundestag nicht innerhalb eines Jahres beraten und Beschluss gefasst wurde 295. Nach dem Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers soll der jeweilige Antragsteller dabei nicht mit dem Urheber der gescheiterten Gesetzesvorlage identisch sein müssen 296. Das Bundesverfassungsgericht überprüft in diesem Verfahren, ob die Erforderlichkeit eines Bundesgesetzes vorliegt, zuvor als logische Vorfrage, ob es sich überhaupt um einen Fall der konkurrierenden Gesetzgebung in der Variante der Erforderlichkeitsgesetzgebung handelt 297. Prüfungsmaßstab ist Art. 72 Abs. 2 GG in seiner jetzigen Fassung, das heißt der Begriff der Erforderlichkeit ist als unbestimmter Rechtsbegriff einer umfassenden gerichtlichen Kontrolle unterworfen. Stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass das Bundesgesetz den Anforderungen des Art. 72 Abs. 2 GG nicht genügt, ersetzt diese Entscheidung ein für die Freigabe nach Art. 72 Abs. 4 GG oder nach Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG notwendiges Bundesgesetz. Sie hat damit nicht, wie von einigen Autoren angenommen, positive Gesetzeskraft 298, sondern stellt eine gesetzesersetzende verfassungsgerichtliche Entscheidung dar 299. Davon geht auch der verfassungsän295 Die Notwendigkeit dieses „Vorverfahrens“ wurde bezweifelt, vgl. Rechtsausschussprotokoll 12 vom 15. / 16. Mai 2006, Sachverständiger Pestalozza, S. 326. Vor dem Hintergrund der gesetzesersetzenden Wirkung der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung ist es aber als nahezu unumgänglich anzusehen, zunächst der originär zuständigen Legislative eine Handlungsmöglichkeit zu eröffnen. Ausführlich zu den im Zusammenhang mit diesem Vorverfahren auftretenden Fragen, v. Coelln, in: Maunz, Kommentar zum BVerfGG, § 97 Rn. 31 ff. 296 BT-Drucks. 16/813, S. 18. Nach § 97 Abs. 1 BVerfGG obliegt den Antragstellern die Darlegungslast für das Vorliegen der Antragsvoraussetzungen nach Art. 93 Abs. 2 Satz 3 GG. 297 Die von Aulehner, DVBl. 1997, S. 984 zu Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a GG vertretene Auffassung, dass diese Frage nicht zu überprüfen sei mit der Konsequenz, dass das Bundesverfassungsgericht Art. 72 Abs. 2 GG auch anwenden muss, wenn keine Materie der konkurrierenden Gesetzgebung vorliegt, ist nicht überzeugend. In diese Richtung bei dem neuen Verfahren auch Kluth, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 93 GG Rn. 4. Für eine derartige Überprüfung dagegen v. Coelln, in: Maunz, Kommentar zum BVerfGG, § 13 Rn. 65s und § 97 Rn. 61 f, der vom Prüfungsumfang zudem die Frage umfasst sieht, ob das Bundesgesetz im Zeitpunkt seines Erlasses mit Art. 72 Abs. 2 GG vereinbar war, vgl. § 97 Rn. 63 ff. 298 In positiver Gesetzeskraft erwächst eine die Verfassungsmäßigkeit bestätigende Entscheidung, vgl. Bethge, in: Maunz, Kommentar zum BVerfGG, § 31 Rn. 281 ff. und

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dernde Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung aus, wenn er ihr neben der Bindungswirkung des § 31 Abs. 1 BVerfGG eine spezifische Wirkung zuschreibt 300. Diese Bestimmung ist damit ein Novum in der Funktionenordnung des Grundgesetzes 301, das die bei Verfahren der Normüberprüfung an sich übliche Gesetzeskraft der Entscheidung (§ 31 Abs. 2 BVerfGG) bei Weitem übersteigt und im Hinblick auf den Gewaltenteilungsgrundsatz des Art. 20 Abs. 2 GG kritisch zu bewerten ist 302. Zu klären ist, wie sich dieses Verfahren auf das in Art. 72 Abs. 4 GG und Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG ausweislich des Wortlauts unverändert bestehende Ermessen des Bundesgesetzgebers auswirkt. Das Bundesverfassungsgericht ist bei seiner Prüfung auf die Frage beschränkt, ob die Erforderlichkeit des Bundesgesetzes vorliegt. Kommt es zu dem Ergebnis, dass dem nicht so ist, ersetzt diese Feststellung das Freigabegesetz des Bundes, ohne dass es auf eine Ermessensentscheidung des Bundes ankommen würde. Die Länder haben über den Weg des Art. 93 Abs. 2 GG also die Möglichkeit, die Freigabe ihrer Gesetzgebungszuständigkeit ohne Ermessensausübung des Bundes zu erzwingen und damit das in Art. 72 Abs. 4 GG und Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG normierte Ermessen zu unterlaufen. Dass dieser Widerspruch vom verfassungsändernden Gesetzgeber nicht gesehen worden ist, kann mit Fug und Recht bezweifelt werden 303. Weitaus wahrscheinlicher ist, dass sich die die neue Verfahrensart entwerfende Koalitionsarbeitsgruppe nicht darauf einigen konnte, die Art. 72 Abs. 4 GG und Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG an die Regelung des Art. 93 Abs. 2 GG anzupassen und das Ermessen des Bundesgesetzgebers aufzuheben 304. Letztlich hat man die

v. Coelln, in: Maunz, Kommentar zum BVerfGG, § 97 Rn. 92; gleichwohl diese Bezeichnung wählend Degenhart, NVwZ 2006, S. 1211; Nierhaus / Rademacher, LKV 2006, S. 392; Stöbener, JURA 2008, S. 332. 299 Nierhaus / Rademacher, LKV 2006, S. 392 sprechen in diesem Zusammenhang von einer „gesetzesvertretenden verfassungsgerichtlichen Entscheidung“; Klein / Schneider, DVBl. 2006 S. 1556: „verfassungsgerichtliche Ersatzvornahme“; Sannwald, in: SchmidtBleibtreu, GG, Art. 72 Abs. 4 GG Rn. 88: „Ersatzgesetzgebung durch Richterspruch“; v. Coelln, in: Maunz, Kommentar zum BVerfGG, § 13 R. 65 m: „Normsurrogation kraft gerichtlicher Feststellungsentscheidung“. Zu den unterschiedlichen Formen der Tenorierung je nach Konstellation, ebd., § 97 Rn. 68 ff. 300 BT- Drucks. 16/814, S. 13. 301 Degenhart, NVwZ 2006, S. 1211. 302 Siehe v. Coelln, in: Maunz, Kommentar zum BVerfGG, § 13 Rn. 65o und 95: „Massiver Übergriff in den originären Funktionsbereich der Legislative“. 303 So die Vermutung von Klein / Schneider, DVBl. 2006, S. 1555 und v. Coelln, in: Maunz, Kommentar zum BVerfGG, § 97 Rn. 87. Dagegen spricht auch, dass in den Anhörungen vor dem Rechtsausschuss darauf hingewiesen wurde, dass Art. 93 Abs. 2 GG den Ländern „subkutan ein materielles Recht“ einräume, so der Sachverständige Meyer, Rechtsausschussprotokoll 12 vom 15. / 16. Mai 2006, S. 11. 304 Vgl. dazu Uhle, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 72 GG Rn. 60.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

Verantwortung für eine harmonische Auslegung der Staatsrechtslehre und dem Bundesverfassungsgericht überlassen. Zwei Wege bieten sich an, den Widerspruch dieser Bestimmungen aufzulösen 305. Entweder räumt man den materiellen Vorschriften den Vorrang vor der Verfahrensvorschrift ein und verpflichtet das Bundesverfassungsgericht im Rahmen seiner Ersetzungsentscheidung das dem Bundesgesetzgeber eingeräumte Ermessen entgegen dem Wortlaut zu beachten und sich daher auf die Überprüfung von Ermessensfehlern zu beschränken 306. Oder man misst der neuen Verfahrensart und den erwähnten Ausführungen in der Gesetzesbegründung zu der Ermessensausübung größeres Gewicht bei und deutet Art. 72 Abs. 4 GG und Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG entgegen dem Wortlaut in einen echten, einklagbaren Anspruch auf Freigabe um 307. An dieser Stelle gewinnt die Absicht des verfassungsändernden Gesetzgebers an Bedeutung, die Länder in ihren Gestaltungsspielräumen zu stärken. Nicht das Verhältnis von materiellem Recht zu Verfahrensregelungen 308, sondern der Grundgedanke der Föderalismusreform ist es, der bei dieser Frage den Ausschlag geben muss. Allerdings war der Wille des verfassungsändernden Gesetzgebers, was die Frage der Ermessensausübung in Art. 72 Abs. 4 GG und Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG betraf, nicht frei von Ambivalenzen. Dies zeigt sich nicht nur an der unterbliebenen Aufhebung des Freigabeermessens, sondern auch an dem in der Gesetzesbegründung enthaltenen Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie daran, dass die Verschiebung in Absatz 4 in der Gesetzesbegründung lediglich als „Folgeänderung“ bezeichnet wurde 309. Hätte der verfassungsändernde Gesetzgeber jegliche Ermessensausübung des Bundes künftig ausschließen wollen, wäre es überflüssig gewesen, die Fälle aufzuzählen, in denen das Bundesverfassungsgericht eine Ermessensreduktion aus dem Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens herleitet 310. Dieser ambivalenten Situation gerecht wird eine Auslegung, die das bundesgesetzgeberische Freigabeermessen als eine Art „intendiertes Ermessen“ begreift. 305 V. Coelln, in: Maunz, Kommentar zum BVerfGG, § 97 Rn. 87 f. und 96 f. hält eine widerspruchsfreie Lösung dagegen nicht für geboten. Nach seiner Ansicht sollen beide Bestimmungen ihrem Wortlaut gemäß zur Anwendung kommen; in diese Richtung auch Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 72 GG Rn. 49 f. 306 Dafür Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 72 Abs. 4 GG Rn. 88a GG. 307 Dafür Klein / Schneider, DVBl. 2006, S. 1555; Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 72 GG Rn. 24; Stöbener, JURA 2008, S. 331; Stettner, in: Dreier, GG – Supplementum, Art. 72 GG Rn. 60. 308 So aber Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 72 GG Rn. 88a GG. 309 BT-Drs. 16/813, S. 12. 310 Darauf weist auch Uhle, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 72 GG Rn. 60 hin.

1. Abschn.: Zu den Gesetzgebungskompetenzen

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Die Einfügung des Verfahrens nach Art. 93 Abs. 2 GG und die Ausführungen in der Gesetzesbegründung haben zum Ausdruck gebracht, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 4 GG und des Art. 125a Abs. 2 GG prinzipiell ein Freigabegesetz erlassen werden soll. Im Grundsatz ist diese Entscheidung gewollt und nur in nicht näher benannten Einzelfällen soll davon abgesehen werden können. Dieser Interessenlage entspricht die aus dem Verwaltungsrecht bekannte Rechtsfigur des „intendierten Ermessens“ 311. Das Bundesverfassungsgericht ist daher, kommt es bei einem Verfahren nach Art. 93 Abs. 2 GG zu dem Ergebnis, dass die Erforderlichkeit des Bundesgesetzes nicht gegeben ist, angehalten über den Wortlaut hinaus zu prüfen, ob der Bundesgesetzgeber zu Recht von einer atypischen Konstellation ausgegangen ist. Erst die zusätzliche Feststellung, dass kein derartiger atypischer Fall vorliegt, ersetzt ein Bundesgesetz nach Art. 72 Abs. 4 GG oder Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG. bb) Auswirkungen der Ermessensentscheidung des Bundes Macht der Bundesgesetzgeber von seiner Freigabemöglichkeit keinen Gebrauch, ist unklar, wer das fortgeltende Bundesrecht an sich wandelnde Verhältnisse anpassen kann. Es gelten dieselben Erwägungen wie im Rahmen des Art. 125a Abs. 1 GG, nur dass hier noch erschwerend hinzutritt, dass aufgrund des Freigabeerfordernisses eine Versteinerung einer einmal eingetretenen Rechtslage droht. Da nicht davon auszugehen ist, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber mit seiner Entscheidung, die Länder lediglich zu einer „Ersetzung“ zu ermächtigen, einen solchen Zustand eintreten lassen wollte 312, ist dem Bundesgesetzgeber die Änderungsbefugnis hier erst recht zuzubilligen 313. Anders als bei Art. 125a Abs. 1 GG ergibt sich die Zuständigkeit des Bundes zur Änderung jedoch bereits aus seiner Gesetzgebungszuständigkeit, denn mit Ausnahme des Art. 72 Abs. 2 GG finden alle für Bundesrecht maßgebenden verfassungsrechtlichen Normen auf nach Art. 125a Abs. 2 GG fortgeltendes Bundesrecht Anwendung 314. Dabei ist es dem Bund allerdings auch in diesem Zusammen311

Vgl. dazu BVerwGE 72, 1 (6). BVerfGE 111, 10 (30). 313 So ausdrücklich das Bundesverfassungsgericht in seiner Ladenschlussentscheidung, BVerfGE 111, 10 (28 ff.); dieser Meinung wird in der Literatur überwiegend gefolgt: Uhle, in: Maunz / Dürig, Art. 125a GG Rn. 40 Fn. 3 m.w. N.; Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 72 GG Rn. 53 und Art. 125a GG Rn. 9; Kirn, in: v. Münch / Kunig, GG – Band 3, Art. 125a GG Rn. 5; vgl. auch Rengeling, DVBl. 2006, S. 1546; diese Änderungsbefugnis dagegen kritisch als „Kompetenz kraft Fortsetzungszusammenhangs“ bezeichnend, Poschmann, NVwZ 2004, S. 1320; ablehnend auch Lindner, NJW 2005, S. 401, der den Ländern über Art. 72 Abs. 1 GG eine Änderungskompetenz zusprechen will; ihm folgend Schmahl, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2006, S. 227. 314 BVerfGE 111, 10 (30). 312

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

hang verwehrt eine grundsätzliche Neukonzeption vorzunehmen; er hat sich auf eine Modifikation der bestehenden Regelungen zu beschränken 315. Erlässt der Bund ein Freigabegesetz, hat er aus Gründen der Rechtssicherheit das zu ersetzende Bundesgesetz ausdrücklich zu bezeichnen 316. Den Ländern ist ausweislich des Wortlautes der Art. 72 Abs. 4 GG und Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG hinsichtlich der Rückholentscheidung Ermessen eingeräumt („kann“) 317. Das Ermessen bezieht sich sowohl auf das „ob“ 318 als auch auf das „wie“ der Ersetzung. Die Länder sind also einerseits nicht zu einer Ersetzung verpflichtet, andererseits steht es ihnen frei, über Umfang – umfassend oder partiell – und Inhalt des ersetzenden Rechts zu bestimmen. Allerdings erfordert eine partielle Ersetzung, dass sich das ersetzende Landesrecht auf einen „abgrenzbaren Teilbereich“ 319 bezieht und nicht lediglich Änderungen an einzelnen Bundesregelungen vornimmt. Denn die Änderungsbefugnis ist, wie soeben beschrieben, dem Bund vorbehalten. Bei einem partiellen „Ersetzen“ muss das fortgeltende Bundesrecht zudem in sinnvoller Weise bestehen bleiben können 320, das heißt es darf kein Flickenteppich unzusammenhängender oder gar in sich widersprüchlicher Regelungen entstehen. Unter die weite Formulierung „Landesrecht“ fallen Landesgesetze und Rechtsverordnungen 321, eine Ersetzung kann also auch durch den Erlass einer untergesetzlichen Regelung erfolgen. Unklar ist dagegen, welche Anforderungen erfüllt sein müssen, damit von einem „Ersetzen“ gesprochen werden kann. Jedenfalls steht dieser Begriff anders als das „Abweichen“ des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG nicht dem Erlass eines mit dem Bundesgesetz inhaltsgleichen Landesgesetzes entgegen 322. Aber auch eine reine Negativgesetzgebung der Länder ist zulässig, solange nicht ausnahmsweise eine verfassungsrechtliche Pflicht der Länder zur Gesetzgebung besteht 323. In dem Umfang, in dem der Landesgesetzgeber von

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BVerfGE 111, 10 (31). Uhle, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 72 GG Rn. 58; Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 72 GG Rn. 48. 317 Uhle, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 72 GG Rn. 61 m.w. N. in Fn. 222. 318 Unter bestimmten Umständen, namentlich aus grundgesetzlichen oder landesverfassungsrechtlichen Vorgaben, kann sich das Ermessen zu einer Gesetzgebungspflicht verdichten, vgl. Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 72 GG Rn. 50. 319 So die Formulierung in BVerfGE 111, 10 (30). 320 Uhle, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 72 GG Rn. 61. 321 Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 72 GG Rn. 17; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 72 Abs. 4 GG Rn. 91; Uhle, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 72 GG Rn. 62; anders Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 72 GG Rn. 52 und in NVwZ 2006, S. 1211. 322 H.M., vgl. BVerfGE 111, 10 (30); Degenhart, NVwZ 2006, S. 1211; Uhle, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 125a GG Rn. 46. 316

1. Abschn.: Zu den Gesetzgebungskompetenzen

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seinem Ersetzungsrecht Gebrauch macht, wird das Bundesrecht derogiert und verliert unwiederbringlich seine Gültigkeit. d) Einordnung des Art. 93 Abs. 2 GG in das System bundesverfassungsgerichtlicher Verfahren Das Verfahren nach Art. 93 Abs. 2 GG wirft auch in sonstiger Hinsicht eine Reihe von Fragen auf 324. Nach der Gesetzesbegründung zu den einfachgesetzlich notwendig gewordenen Folgeänderungen im BVerfGG soll es sich dabei der Sache nach um einen speziellen Fall der Bund-Länder-Streitigkeit handeln 325. Dem verfassungsändernden Gesetzgeber ist dabei insoweit zuzustimmen, als dem Verfahren in tatsächlicher Hinsicht ein Interessenkonflikt zwischen Bund und Ländern zu Grunde liegt. Dies muss aber keineswegs zwingend auch prozessual für eine Bund-Länder-Streitigkeit sprechen 326. Vielmehr werden Interessenkonflikte zwischen Bund und Ländern häufig, wenn nicht sogar in der Mehrzahl der Fälle im Wege der abstrakten Normenkontrolle ausgetragen 327. Ein Vergleich mit den wesentlichen Charakteristika der beiden Verfahrensarten ist daher aussagekräftiger als die Bezeichnung in der Gesetzesbegründung. Bei der Bund-Länder-Streitigkeit handelt es sich um ein kontradiktorisches Verfahren, das einen Antragsgegner voraussetzt. Ferner bilden Individualpositionen seinen Streitgegenstand. Beide Kriterien sind für Art. 93 Abs. 2 GG, in dem selbst, wie zu Recht kritisiert wurde 328, die Details der prozessualen Ausgestaltung enthalten sind 329, nicht erfüllt. Für dieses Verfahren ist im Rahmen der Begründetheit nicht maßgeblich, ob subjektives Recht verletzt wurde 330, sondern es geht um das Vorliegen objektiver Voraussetzungen. Ungeachtet seiner speziellen und bisher unbekannten Rechtsfolge handelt es sich folglich um ein ausschließlich objektives Beanstandungsverfahren in Gestalt einer modifizierten abstrakten Normenkontrolle 331. Dafür spricht nicht zuletzt auch die Vergleichbarkeit hinsichtlich des Teilnehmerzuschnitts und des beschränkten Prüfungsge323 Vgl. dazu ausführlich unter B. II. So auch Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 72 GG Rn. 91 b; im Einzelfall zulässig, Uhle, in: Kluth (Hrsg.), Art. 72 GG Rn. 61. Ablehnend dagegen Degenhart, NVwZ 2006, S. 1211 und in: Sachs, GG, Art. 72 GG Rn. 52 und Art. 125a GG Rn. 12, obgleich er diese Möglichkeit im Rahmen des Art. 125a Abs. 1 GG anerkennt. 324 Ausführlich dazu, v. Coelln, in: Maunz, Kommentar zum BVerfGG, § 97. 325 BT-Drs. 16/814, S. 13. 326 Siehe hierzu Rozek, in: Maunz, Kommentar zum BVerfGG, § 76 Rn. 76. 327 Klein / Schneider, DVBl. 2006, S. 1555 Fn. 54. 328 V. Coelln, in: Maunz, Kommentar zum BVerfGG, § 97 Rn. 2. 329 Art. 93 Abs. 2 GG enthält 104, Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GG als nächst längste Absätze enthalten lediglich 38 Worte. 330 Vgl. dazu v. Coelln, in: Maunz, Kommentar zum BVerfGG, § 97 Rn. 28.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

genstandes des 1994 als Unterfall der abstrakten Normenkontrolle eingeführten Verfahrens in Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a GG 332. Angesichts dieser Einordnung ist es unverständlich, dass für das Verfahren eigens ein zweiter Absatz im Grundgesetz geschaffen wurde und die einfachgesetzliche Konkretisierung in einem separaten Abschnitt (16. Abschnitt; § 97 BVerfGG) und nicht als Unterfall der abstrakten Normenkontrolle (§§ 76 ff. BVerfGG) erfolgte 333. Mit Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a GG bestehen keine sich überschneidenden Anwendungsbereiche 334. Das Bundesverfassungsgericht prüft in diesem Verfahren, ob ein Bundesgesetz die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG erfüllt 335. Bei dem unter die Art. 72 Abs. 4 GG und Art. 125a Abs. 2 GG fallenden Bundesrecht ist schon tatbestandlich vorausgesetzt, dass es diesen Anforderungen nicht gerecht wird. Zugleich ordnen diese Vorschriften die Weitergeltung des Bundesrechts an. Ein Antrag, festzustellen, dass derartiges Bundesrecht wegen des Fehlens der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG verfassungswidrig sei, könnte ob dieser ausdrücklich im Grundgesetz vorgesehenen Weitergeltungsanordnung also niemals begründet sein. Sinnvollerweise wird bei dem Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a GG daher lediglich überprüft, ob im Zeitpunkt des Erlasses die Erforderlichkeit im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG gegeben war 336. 331 Ebenso Klein / Schneider, DVBl. 2006, S. 1555; dagegen geht Papier, NJW 2007, S. 2147 von einer Mischform zwischen einer abstrakten Normenkontrolle und einem Normenqualifizierungsverfahren aus; v. Coelln, in: Maunz: Kommentar zum BVerfGG, § 97 Rn. 12 sieht darin ein neuartiges Verfahren der Normsurrogation; für eine BundLänder-Streitigkeit: Kluth, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 93 GG Rn. 3 und Schwarz, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 55 Rn. 109. 332 So die Einordnung der h. M., Renck, JuS 2004, S. 773 f.; Klein, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 93 GG Rn. 48 k; Rybak / Hofmann, NVwZ 1995, S. 234; Menzel, DVBl. 1997, S. 641; Winkler, NVwZ 1999, S. 1292; Schmalenbach, Föderalismus, S. 115; vgl. der Regierungsentwurf zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes vom 14. März 1997, BR-Drs. 165/97, S. 5; a. A. aber Aulehner, DVBl. 1997, S. 982 f.: „eigenständiges, zwischen den föderativen Streitigkeiten und der abstrakten Normenkontrolle zu verortendes Verfahren“. 333 Siehe hierzu die Äußerungen des Sachverständigen Pestalozza, Rechtsausschussprotokoll 12 vom 15. / 16. Mai 2006, S. 326. 334 Das Verhältnis zwischen der abstrakten Normenkontrolle in Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG und ihrem Unterfall in Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a GG ist umstritten. Die Gesetzgebungsgeschichte und Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen dafür, beide Verfahren gleichberechtigt nebeneinander zur Anwendung kommen zu lassen. So auch Renck, JuS 2004, S. 774; Rybak / Hofmann, NVwZ 1995, S. 234; Sannwald, DÖV 1994, S. 636; kritisch Aulehner, DVBl. 1997, S. 983; ablehnend Winkler, NVwZ 1999, S. 1293. 335 Zu weitgehend ist es, die Prüfungsbefugnis auf die Frage zu erstrecken, ob Art. 125a Abs. 2 GG unterfallendes Bundesrecht der – ohnehin nicht justitiablen – Bedürfnisklausel gerecht wurde, so aber Menzel, DVBl. 1997, S. 642. Kritisch Rozek, in: Maunz, Kommentar zum BVerfGG, § 76 Rn. 83. 336 In diesem Sinne Rozek, in: Maunz, Kommentar zum BVerfGG, § 76 Rn. 92; v. Coelln, in: Maunz, Kommentar zum BVerfGG, § 97 Rn. 9; a. A. der Sachverständige

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II. Vorranggesetzgebung Wie sich einem Umkehrschluss zu Art. 72 Abs. 2 GG entnehmen lässt, hat der Bundesgesetzgeber auf allen dort nicht explizit aufgezählten Gebieten die Gesetzgebungskompetenz, ohne an die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG gebunden zu sein. Laut der Gesetzesbegründung gingen Bund und Länder bei diesen Materien übereinstimmend von der Erforderlichkeit bundesgesetzlicher Regelungen aus 337; sie wird unwiderlegbar vermutet 338. Mit dieser Freistellung hat der verfassungsändernde Gesetzgeber die unerwartet nachhaltigen und in dieser Schärfe unerwünschten Auswirkungen der Verfassungsänderung von 1994 in weiten Teilen wieder korrigiert. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Materien: − das bürgerliche Recht, das Strafrecht, die Gerichtsverfassung, das gerichtliche Verfahren (ohne das Recht des Untersuchungshaftvollzugs), die Rechtsanwaltschaft, das Notariat und die Rechtsberatung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG); − das Personenstandswesen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 2 GG); − das Vereinsrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG); − die Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 6 GG); − die Kriegsschäden und die Wiedergutmachung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 9 GG); − die Kriegsgräber und Gräber anderer Opfer des Krieges und Opfer von Gewaltherrschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 10); − das Arbeitsrecht einschließlich der Betriebsverfassung, des Arbeitsschutzes und der Arbeitsvermittlung sowie die Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG); − das Recht der Enteignung, soweit sie auf den Sachgebieten der Artikel 73 und 74 in Betracht kommt (Art. 74 Abs. 1 Nr. 14 GG); − die Verhütung des Missbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 16 GG); − die Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung (ohne das Recht der Flurbereinigung), die Sicherung der Ernährung, die Ein- und Ausfuhr Pestalozza, in: Rechtsausschussprotokoll 12 vom 15. / 16. Mai 2006, S. 326; Jochum, ZRP 2002, S. 257 und Sturm, in: Sachs, GG, Art. 93 GG Rn. 106 ff., der unter Missachtung von Art. 72 Abs. 4 GG davon ausgeht, dass der spätere Wegfall der Erforderlichkeit zur Verfassungswidrigkeit führt. 337 BT-Drs. 16/813, S. 9; Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 72 GG Rn. 5: „Erforderlichkeit von Verfassungs wegen gegeben“. 338 Nicht überzeugend Stettner, in: Dreier, GG – Supplementum, Art. 72 GG Rn. 25, der im völligen Gegensatz zu den Ausführungen in der Gesetzesbegründung annimmt, dass „hier gerade nicht erforderliche Gesetzgebung zugelassen wird, die aber durch ungeschriebene Verfassungsgrundsätze zu begrenzen ist“.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

land- und forstwirtschaftlicher Erzeugnisse, die Hochsee- und Küstenfischerei und den Küstenschutz (Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG); den städtebaulichen Grundstücksverkehr, das Bodenrecht (ohne das Recht der Erschließungsbeiträge) und das Wohngeldrecht, das Altschuldenhilferecht, das Wohnungsbauprämienrecht, das Bergarbeiterwohnungsbaurecht und das Bergmannssiedlungsrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG); Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren, Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe, sowie das Recht des Apothekenwesens, der Arzneien, der Medizinprodukte, der Heilmittel, der Betäubungsmittel und der Gifte (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG); die Hochsee- und Küstenschifffahrt sowie die Seezeichen, die Binnenschifffahrt, den Wetterdienst, die Seewasserstraßen und die dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 21 GG); die Schienenbahnen, die nicht Eisenbahnen des Bundes sind, mit Ausnahme der Bergbahnen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 23 GG); die Abfallwirtschaft, die Luftreinhaltung und die Lärmbekämpfung (ohne Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm) (Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG); die Statusrechte und -pflichten der Beamten der Länder, Gemeinden und anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts sowie der Richter in den Ländern mit Ausnahme der Laufbahnen, Besoldung und Versorgung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG). 1. Beratungsverlauf in der Föderalismuskommission

Die Idee, Bereiche der konkurrierenden Gesetzgebung von der Erforderlichkeitsklausel zu befreien, entstand erst im Laufe der Kommissionsarbeit. In die Diskussion eingebracht wurde sie nicht etwa vom Bund, sondern von den Ministerpräsidenten der Länder 339. Sie verbanden dieses Angebot mit der Forderung nach der Einräumung eines Zugriffsrechts auf die freigestellten Materien. Der Bund ließ sich aufgrund seiner tief greifenden Bedenken gegenüber verfassungsrechtlichen Zugriffsrechten darauf zunächst nicht ein und beharrte auf einer konsequenten Abschichtung nach dem Trennprinzip 340. Erst als die Länder ihm – ob als Anreiz oder als Druckmittel gedacht, mag dahingestellt bleiben – die restriktive Auslegung der Art. 72 Abs. 2 GG und Art. 75 Abs. 2 GG durch das Bundesverfassungsgericht, insbesondere in der kurz zuvor ergangenen Entschei339

Kommissionsdrs. 0045, Positionspapier der Ministerpräsidenten vom 6. Mai 2004,

S. 3. 340 Ergebnisvermerk der 2. Sitzung der PG 1 am 25. Juni 2004, S. 2, Ergebnisvermerk der 3. Sitzung der PG 1 am 1. Juli 2004, S. 2 und Ergebnisvermerk der 4. Sitzung der PG 1 am 30. August 2004, S. 2.

1. Abschn.: Zu den Gesetzgebungskompetenzen

237

dung zur Juniorprofessur, in Erinnerung riefen, kam Bewegung in die Sache 341. Zwischenzeitlich schien sich auch die Bundesseite näher mit den aus dieser Rechtsprechung resultierenden Konsequenzen befasst zu haben und kam in der folgenden Projektgruppensitzung zu dem Ergebnis, dass sowohl für sie als auch für die Länder (!) erhebliche Rechtsunsicherheiten bestünden und zudem eine Versteinerung des Bundesrechts drohe. Für diejenigen Bereiche, die nicht klar zugeteilt werden könnten, sei daher die schon im Mai 2004 von den Ländern vorgeschlagene Lösung aufzugreifen und die Schaffung verfassungsrechtlicher Abweichungsmöglichkeiten bei gleichzeitiger Freistellung von Art. 72 Abs. 2 GG zu diskutieren 342. Innerhalb kürzester Zeit war es also ein zentrales Anliegen der Bundesseite geworden, den Anwendungsbereich des Art. 72 Abs. 2 GG möglichst weitgehend einzuschränken 343. Der hierzu nach wenigen Tagen unterbreitete Vorschlag, der eine vollständige Streichung der Erforderlichkeitsklausel vorsah, ohne den Ländern jedoch für alle Materien des Art. 74 Abs. 1 GG ein Abweichungsrecht zu gewähren 344, fand bei den Ländern nicht die erhoffte Zustimmung. Zu weiteren Zugeständnissen in der Frage eines Zugriffsrechts nicht bereit, gelang es dem Bund in den abschließenden Vorsitzendenverhandlungen schließlich mit einem neuen Angebot sein Ziel zu erreichen. Anders als noch nach Abschluss der Projektgruppenarbeit erwartet, konnte er sich in dem 1. Sprechzettel bei vielen und teilweise bis dahin überhaupt nicht zur Debatte gestellten Materien eine Übertragung in die Länderzuständigkeit vorstellen 345. Im Gegenzug schlug er zur Befreiung von den Restriktionen des Art. 72 Abs. 2 GG aber auch umfangreiche Zuordnungen in seine ausschließliche Zuständigkeit vor 346. Um letzteres zu verhindern, ohne den Bund zugleich zu einem Abstandnehmen von ersteren Vorschlägen zu veranlassen, erklärten sich die Länder damit 341

Ergebnisvermerk der 4. Sitzung der PG 1 am 30. August 2004, S. 2. Ergebnisvermerk der 5. Sitzung der PG 1 am 20. September 2004, S. 1 f. 343 Vgl. Stünker, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 94. 344 PAU-1/0017 „Eckpunkte zu einer Neufassung des Artikels 72 GG“ vom 27. September 2004, Bundestagsabgeordnete Stünker / Röttgen. 345 Im Einzelnen handelte es sich um das Versammlungsrecht, den Strafvollzug, Teile der Gerichtsorganisation, den Beratungshilfeausschnitt aus der Rechtsberatung, das Wasserverbänderecht, den Küstenschutz und Teilbereiche des Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG, die Kriegsgräber und Gräber anderer Opfer des Krieges und Opfer von Gewaltherrschaft sowie schließlich um das Siedlungs- und Heimstättenwesen. Hintergrund dieses weitreichenden Angebotes war, dass sich die Bundesregierung, nachdem sie durch die Juniorprofessurentscheidung des Bundesverfassungsgerichts massiv unter Druck geraten war, doch zu einer gemeinsamen Positionierung zusammengefunden hatte, vgl. dazu Bundesjustizministerin Zypries auf einer „Regierungs-Pressekonferenz“ am 10. November 2004, http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/mitschrift/96/743496/multi.htm, S. 1 f. 346 Sprechzettel der Vorsitzenden für die 1. Konsultationsrunde am 10. November 2004, S. 3 f. 342

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

einverstanden, nicht mehr nur im Austausch gegen materielle Abweichungsrechte, sondern auch in Fällen offensichtlicher Erforderlichkeit bundesgesetzlicher Regelungen einer Befreiung von Art. 72 Abs. 2 GG zuzustimmen 347. In dem zweiten und dritten Sprechzettel konkretisierten die Länder, für welche Bereiche sie diese Voraussetzung gegeben sahen 348, alles Materien, bei denen auch die Länder Landesregelungen für nicht sonderlich erstrebenswert hielten 349. Dem Bund, dem die damit verbundene Entlastung von den Anforderungen des Art. 72 Abs. 2 GG noch nicht weit genug ging 350, setzte zusätzlich die Freistellung zweier weiterer Kompetenztitel – einer davon war das besonders wichtige Arbeitsrecht – durch 351. Dagegen hatte er im Recht der Wirtschaft, das eine Vielzahl politisch wie wirtschaftlich für die Länder bedeutsamer Materien umfasst 352, mit einem entsprechenden Anliegen keinen Erfolg. Erst in den Nachverhandlungen zur Föderalismuskommission im Frühjahr und Herbst 2005 konnte eine Verständigung auf die Ausgestaltung und den Umfang der Abweichungsrechte im Einzelnen erzielt werden. Die Anlage 2 des Koalitionsvertrages zwischen CDU / CSU und SPD enthält dem Ausgangspunkt der Diskussion entsprechend auf folgenden weiteren Gebieten eine Befreiung von der Erforderlichkeit: Jagdwesen, Naturschutz und Landschaftspflege, Bodenverteilung, Raumordnung, Wasserhaushalt sowie Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse 353. Unabhängig von der Einräumung eines Abweichungsrechts 347

Sprechzettel der Vorsitzenden für die 1. Konsultationsrunde am 10. November 2004, S. 8. 348 Bei fast allen Materien, die der Bund in seine ausschließliche Kompetenz überführen wollte, gingen die Länder von dem Vorliegen der offensichtlichen Erforderlichkeit aus. Lediglich das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer, das Recht der Wirtschaft, das Arbeitsrecht, das Recht der Lebensmittel und die Regelungen zur medizinisch unterstützten Erzeugung menschlichen Lebens sollten nach wie vor Art. 72 Abs. 2 GG unterfallen, vgl. Sprechzettel der Vorsitzenden für die 3. Konsultationsrunde am 3. Dezember 2004, S. 10. 349 Nach der Gesetzesbegründung war das gesamtstaatliche Interesse an einer einheitlichen Regelung bei diesen Materien allgemein anerkannt, vgl. BT-Drs. 16/813, S. 7. Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 13 Rn. 23 f. weist darauf hin, dass die Einordnung mehr über „die Wahrnehmung einzelner Materien als politisch sensibel aussagt“ als über das tatsächliche Vorliegen der Erforderlichkeit. 350 Vgl. dazu die Ergänzung II des Sprechzettels der Vorsitzenden für die 3. Konsultationsrunde am 3. Dezember 2004, S. 18. Der Vorschlag, den Bund von den Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG freizustellen, soweit der Bund die Länder zu abweichenden Regelungen ermächtigt (Art. 72 Abs. 3 GG neu), fand auf der Länderseite angesichts der Abhängigkeit von „Bundes Gnaden“ keine Zustimmung. 351 AU 104 – neu –, Vorschlag der Vorsitzenden vom 13. Dezember 2004, S. 8 f. Daneben waren die Statusrechte und -pflichten der Angehörigen des öffentlichen Dienstes (Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG) in die Liste der freigestellten Materien aufgenommen worden. 352 Schmitz, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 248. 353 Vgl. Koalitionsvertrag vom 18. November 2005, www.cdu.de/doc/pdf/05_11_11 _Koalitionsvertrag.pdf, S. 17 f.

1. Abschn.: Zu den Gesetzgebungskompetenzen

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und damit entgegen der ursprünglichen Länderforderung 354 sollten schließlich noch die Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung als Teilbereiche des Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG von dem Anwendungsbereich des Art. 72 Abs. 2 GG ausgenommen werden. Der Gesetzesentwurf hat dieses Ergebnis unverändert übernommen. Im weiteren Gesetzgebungsverfahren ist der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses folgend zur Stärkung der Handlungsfähigkeit des Bundes im Umweltrecht schließlich noch die Abfallwirtschaft und damit letztendlich der gesamte Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG von den Anforderungen des Art. 72 Abs. 2 GG freigestellt worden 355. 2. Unterschiede zur ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes Wenn man die neue Vorranggesetzgebung betrachtet, kommt man nicht umhin, sich zu fragen, warum die dort eingeordneten Materien nicht in die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes verschoben wurden. Die von den Ländern vorgetragene und vom verfassungsändernden Gesetzgeber übernommene Begründung, dass in diesen Fällen die Bundesgesetze offensichtlich erforderlich seien, hätte für eine Übertragung in diese bestehende Kompetenzart gesprochen. Wie in dem kommentierenden Band zur Föderalismusreform zu lesen ist, war Hintergrund dieser Entscheidung, dass Teilbereiche der in den neuen Kompetenztypus verschobenen Materien weiterhin regional geregelt werden können sollten 356. Als Beispiel wurde hierfür das dem „Bürgerlichen Recht“ des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG unterfallende und bisher von den Ländern regional geregelte Nachbarrecht angeführt 357. Solche Überlegungen treffen bereits nicht auf alle von der Erforderlichkeit befreiten Materien zu. So haben die Länder bislang keinerlei Gesetzgebungsaktivitäten auf den Gebieten der Art. 74 Abs. 1 Nr. 2 GG (Personenstandswesen), Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG (Vereinsrecht), Art. 74 Abs. 1 Nr. 6 GG (Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen), Art. 74 Abs. 1 Nr. 9 und 10 GG (Kriegsfolgelasten) und des Art. 74 Abs. 1 Nr. 16 GG (Verhütung des Missbrauchs wirtschaftlicher Macht) entfaltet 358. Die von den Ländern vorgebrachten Gründe können die hier unterbliebene Verschiebung in die ausschließliche Zuständigkeit nicht erklären. Zudem – und das spricht ganz generell gegen die Einführung einer neuen Kompetenzart – lässt auch die ausschließliche Gesetzgebung Raum für den re354 Sprechzettel der Vorsitzenden für die 3. Konsultationsrunde am 3. Dezember 2004, S. 11 Fn. 3. 355 BT-Drs. 16/2069, Bericht des Rechtsausschusses vom 29. Juni 2006, S. 42. 356 Gerhards, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 113. 357 Gerhards, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 113. 358 Siehe hierzu AU 0043, Bestandsaufnahme zum Gebrauchmachen vorhandener Gesetzgebungskompetenzen des Bundes vom 5. März 2004, Bundesregierung.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

gionalen Besonderheiten Rechnung tragende Landesregelungen 359. Der Bund hat die Möglichkeit, Öffnungsklauseln für die Länder in entsprechende Bundesgesetze aufzunehmen. Zwar sind die Länder, um gesetzgeberisch tätig werden zu können, von einer solchen Entscheidung des Bundesgesetzgebers abhängig. Dasselbe gilt im Prinzip jedoch auch für die „entriegelte konkurrierende Gesetzgebung“ 360, mit der dem Bund der voraussetzungslose und nach seinem Gutdünken erfolgende Zugriff auf die Materien der Vorrangkompetenz ermöglicht wird. Lediglich die Art und Weise, wie der Gestaltungsspielraum der Länder entsteht, divergiert 361. Für die ausschließliche Gesetzgebung sind die Länder grundsätzlich und unabhängig davon, ob der Bund bereits ein Gesetz erlassen hat, gesperrt und dürfen erst nach einer ausdrücklichen Ermächtigung des Bundes gesetzgeberische Regelungen treffen. Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung sind sie dagegen „solange und soweit“ zuständig, wie der Bund keine Regelung erlassen hat. In dem einen Fall ist mithin eine ausdrückliche Ermächtigung erforderlich, während im anderen bereits der Verzicht ausreicht. Ob dieser dogmatische Unterschied die Einführung einer neuen Kompetenzart rechtfertigt, darf bezweifelt werden. Das Ziel der Reform, eine übersichtlichere Rechtslage zu schaffen, hätte ganz im Gegenteil für eine konsequente Verschiebung in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz bzw. bei den Gebieten, in denen Länderregelungen tatsächlich eine Rolle spielen, für einen Verbleib in der „alten“ konkurrierenden Gesetzgebung gesprochen 362. Dass stattdessen eine zusätzliche Kompetenzunterart eingeführt wurde und damit weitere Differenzierungen erforderlich werden, ist wohl vornehmlich darauf zurückzuführen, dass den Ländern eine Übertragung in die ausschließliche Bundeskompetenz zu gravierend und endgültig erschien. Bei dieser Vielzahl an Materien waren sie nur zu der Abgabe in die gegenüber der ausschließlichen Bundeskompetenz vermeintlich weniger eingreifende Vorranggesetzgebung bereit. 3. Voraussetzung und Rechtsfolge Der Bund kann für die in die Vorranggesetzgebung eingeordneten Materien voraussetzungslos Regelungen erlassen. Die Rechtsfolge des bundesgesetzgeberischen Tätigwerdens ist auch hier der Eintritt der Sperrwirkung. Es gilt das zur Erforderlichkeitskompetenz Gesagte – mit Ausnahme der die Erforderlichkeitsklausel betreffenden Ausführungen 363 – entsprechend. 359 Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 71 GG Rn. 7; Stettner, in: Dreier, GG – Band 2, Art. 71 GG Rn. 11; Uhle, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 71 GG Rn. 16: „Flexibilitäts- und Föderalreserve der Kompetenzordnung“. 360 Schmidt-Jortzig, in: Henneke (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 83 Fn. 8. 361 Unverständlich deswegen Schmidt-Jortzig, in: Henneke (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 83 Fn. 8: „Dogmatische Unterschied (...) bleibt gänzlich unklar“. 362 So auch Nierhaus / Rademacher, LKV 2006, S. 391; Papier, NJW 2007, S. 2146.

1. Abschn.: Zu den Gesetzgebungskompetenzen

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III. Abweichungsgesetzgebung Die Einführung der Abweichungskompetenz in Art. 72 Abs. 3 GG ist eine der nachhaltigsten Veränderungen, die durch die Föderalismusreform bewirkt wurde. Bei ihr handelt es sich um einen dem Grundgesetz bislang unbekannten Kompetenztypus, der, wie die systematische Stellung im Grundgesetz zeigt, als Unterart der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz konzipiert wurde. Die Abweichungsgesetzgebung unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von der herkömmlichen konkurrierenden Gesetzgebung. Eine bundesgesetzliche Regelung löst in Ausnahme zu Art. 72 Abs. 1 GG keine Sperrwirkung für die Länder aus. Vielmehr darf der Landesgesetzgeber nach einem Tätigwerden des Bundes „abweichende“ Regelungen treffen, vgl. Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG. Damit besteht zwischen Bundes- und Landeszuständigkeit auf den der Abweichungsgesetzgebung unterfallenden Gebieten erstmals eine echte Konkurrenz, „eine originär gleichgeordnete legislative Verantwortung zwischen Bund und Ländern“ 364. Die Länder können diese neue Befugnis in Anspruch nehmen, um eigene Konzeptionen zu verwirklichen und auf ihre unterschiedlichen strukturellen Voraussetzungen und Bedingungen zu reagieren. Ob sie von dieser Möglichkeit Gebrauch machen oder nicht, unterliegt der verantwortlichen politischen Entscheidung des jeweiligen Landesgesetzgebers 365. Die Aufzählung der Materien in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG ist abschließend: − das Jagdwesen (ohne das Recht der Jagdscheine) (Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GG); − den Naturschutz und die Landschaftspflege (ohne die allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes, das Recht des Artenschutzes oder des Meeresnaturschutzes) (Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG); − die Bodenverteilung (Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GG); − die Raumordnung (Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GG); − den Wasserhaushalt (ohne stoff- oder anlagenbezogene Regelungen) (Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG); − die Hochschulzulassung und die Hochschulabschlüsse (Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 GG).

363 Dagegen will Stettner, in: Dreier, GG – Supplementum, Art. 72 GG Rn. 24 auch in den Fällen der Vorranggesetzgebung eine Angemessenheitsprüfung als dritte Stufe der Verhältnismäßigkeitskontrolle zulassen. Diese Auslegung widerspricht jedoch dem klaren Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers und findet keinerlei Stütze im Verfassungstext. 364 Klein / Schneider, DVBl. 2006, S. 1552. 365 BT-Drs. 16/813, S. 11.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

Die in Klammern gesetzten Teilbereiche sind von der Abweichungsgesetzgebung der Länder ausgeschlossen und werden deshalb von der Gesetzesbegründung als „abweichungsfeste Kerne“ bezeichnet 366. Art. 72 Abs. 3 Satz 2 GG enthält die Regelung, dass Bundesgesetze auf den Gebieten des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG frühestens sechs Monate nach ihrer Verkündung in Kraft treten, soweit nicht mit Zustimmung des Bundesrates anderes bestimmt ist. Mit dieser Karenzzeit 367 soll den Ländern zum einen die Möglichkeit gegeben werden, ihre eigenen Gesetzgebungsvorstellungen zu verwirklichen, ohne dass zuvor in ihrem Territorium das Bundesrecht Anwendung findet, zum anderen sollen kurzfristig wechselnde Rechtsbefehle an den Bürger vermieden werden. Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG bestimmt schließlich, dass im Verhältnis von Bundes- und Landesrecht das jeweils spätere Gesetz vorgeht. Das spätere Gesetz bricht also nicht das vorangegangene, sondern geht lediglich in der Anwendung vor. Sofern es aufgehoben wird, hat diese Festlegung eines „alternierenden Anwendungsvorrangs“ 368 daher die Konsequenz, dass das zeitlich frühere wieder zur Anwendung gelangt. Die Ausgestaltung des Abweichungsrechtes ist das Ergebnis eines langen Diskussionsprozesses, mit dem sich nunmehr befasst wird (1). Auch welche Voraussetzungen und Rechtsfolgen für das Abweichungsrecht gelten, wirft Fragen auf, die zu beantworten sind (2). 1. Frühere Ideen zu einer Art „Abweichungsgesetzgebung“ Die Verankerung eines verfassungsunmittelbaren Zugriffsrechts ist zwar ein Novum im Grundgesetz 369. Der Gedanke eines solchen Zugriffsrechts ist dem deutschen Rechtssystem aber keineswegs fremd 370. So lassen sich im einfachen Recht schon seit langem bundesrechtliche Öffnungsklauseln finden 371 und auch dem Grundgesetz selbst sind derartige rechtliche Konstruktionen seit der Verfassungsänderung von 1994 nicht mehr unbekannt. Nach der damals eingefügten 366 Von Degenhart als abweichungsfeste Sektoren charakterisiert, NVwZ 2006, S. 1213. 367 BT-Drs. 16/813, S. 11. Dieser Begriff stammt von Ipsen, NJW 2006, S. 2804. 368 Klein / Schneider, DVBl. 2006, S. 1552. 369 Zur Bezeichnung des neuen Kompetenztypus wurden neben den geläufigsten Begriffen der Zugriffs- und Abweichungsgesetzgebung auch die Termini „Parallelgesetzgebung“, „Leitgesetzgebung“, „Auffanggesetzgebung“, „Vorranggesetzgebung“ oder „umgekehrte konkurrierende Gesetzgebung“ gewählt. Damit waren teilweise inhaltliche Unterschiede in Einzelfragen verbunden. 370 Von einem „gewissen Bruch im System von Art. 30, 31 und 70 ff. GG“ spricht dagegen Huber, in: Blanke (Hrsg.), Bundesstaat, S. 31. Selbst wenn man diese Einschätzung teilen würde, ist ein Systembruch nicht per se als negativ zu bewerten. 371 Beispielsweise § 68 Abs. 1 VwGO.

1. Abschn.: Zu den Gesetzgebungskompetenzen

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Übergangsvorschrift des Art. 125a Abs. 1 GG gilt Bundesrecht, für das der Bund keine Gesetzgebungskompetenz mehr besitzt, fort, kann aber jederzeit und unmittelbar durch Landesrecht ersetzt werden. In der deutschen Verfassungsgeschichte sind immer wieder Ideen bezüglich eines Zugriffsrechts entwickelt worden, die aber bislang nicht über das Planungsstadium hinausgekommen sind. So enthielt schon die nie in Kraft getretene Frankfurter Reichsverfassung von 1849 einen Art. 8 § 66, der vorsah, dass „Reichsgesetze den Gesetzen der Einzelstaaten vorgehen, insofern ihnen nicht ausdrücklich eine nur subsidiäre Geltung beigelegt ist“ 372. Bei einer angeordneten subsidiären Geltung des Reichsrechts sollten die Einzelstaaten also die Möglichkeit haben, abweichende Regelungen zu treffen. Die Idee einer subsidiären Bundeszuständigkeit entsprach wegen des Erfordernisses der ausdrücklichen Beilegung allerdings eher bundesgesetzlichen Öffnungsklauseln als dem jetzt normierten verfassungsunmittelbaren Zugriffsrecht. Im Rahmen der Bestrebungen zu einer Reform der Weimarer Reichsverfassung ab 1927 wurde von Herrfahrdt die Idee des Zugriffsrechts aus der Paulskirchenverfassung wieder aufgegriffen und derart modifiziert, dass nun nicht mehr das Reich, sondern die Länder selbst die Subsidiarität eines Reichsgesetzes anordnen können sollten. Nach seinem Vorschlag sollten Reichsgesetze in allen Ländern in Kraft treten, „soweit nicht das einzelne Land im Reichsrat einen Vorbehalt macht“ 373. In jüngerer Zeit wurde die Idee eines Zugriffsrechts von dem Hamburger Senator Heinsen in die Diskussion gebracht 374. Als Mitglied der Enquete-Kommission Verfassungsreform gab er in ihrem Schlussbericht ein Sondervotum ab, in dem er sich für ein Abweichungsrecht der Länder im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung aussprach. Der Bundestag sollte gegen eine „ergänzende“ bzw. „ersetzende“ landesrechtliche Regelung innerhalb von drei Monaten nach deren Zuleitung Einspruch erheben können. Folge eines solchen Einspruchs war nach Heinsens Vorstellung, dass das Abweichungsgesetz keine Gesetzesqualität erlangen würde 375. Nachdem dieser Vorschlag jahrelang in Vergessenheit geraten ist 376, erlebte er in einem auf den 8. Juli 1999 datierten 372 Zu weiteren Ansätzen Dietsche / Hinterseh, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2005, S. 187 ff. 373 Vgl. dazu Dietsche / Hinterseh, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2005, S. 193 f. 374 BT-Drs. 7/5924, S. 137 f. 375 BT-Drs. 7/5924, S. 37 f. Einen ohne diese Einschränkungen und damit dem in der Föderalismuskommission diskutierten Zugriffsrecht ähnlichen Vorschlag hatte damals bereits der rheinland-pfälzische Landtag in seiner Stellungnahme zu dem Schlussbericht der Enquete-Kommission unterbreitet. Danach sollten die Länder im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz „das Recht erhalten, die Gesetze, die der Bund erlassen hat, entweder ohne Einschränkungen oder beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen abzuändern oder für nicht anwendbar zu erklären“ (subsidiäre Bundesgesetzgebung), LT RP Drs. 8/2780. 376 Im Jahre 1991 hat die nordrhein-westfälische Gutachterkommission diesen Vorschlag wortwörtlich in ihren Abschlussbericht übernommen, LT-Vorlage NW 11/182 (Teil Zwei), S. 34.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

Positionspapier der Ministerpräsidenten der Länder Baden-Württemberg, Bayern und Hessen eine Renaissance 377. Die Begründung Heinsens zu den Vorteilen einer Abweichungsgesetzgebung fügte sich nahtlos in das von ihnen propagierte Leitbild eines Wettbewerbsföderalismus und könnte aus ihrer Feder geflossen sein, wenn es da heißt: Mit dem Abweichungsrecht entstünde ein „Wettbewerb um die effizientesten Gesetze“, da „die Möglichkeit, neue Regelungen im räumlich überschaubaren Bereich eines Landes zu erproben und dadurch einen politischen Wettbewerb zwischen den Ländern und den Parteien zu eröffnen, ein hervorragender Motor des Fortschritts im gesamtem Bundesgebiet ist. Wenn sich nun – wie häufig – in einem Lande aus der Erfahrung mit der Anwendung eines Bundesgesetzes der politische Wille zu einer Reform ergibt, die Zweckmäßigkeit dieser Reform aber ohne praktische Erprobung nicht sofort allgemein anerkannt wird und daher eine Novellierung des Gesetzes nicht zu erwarten ist, kann es sinnvoll sein, die Erprobung im Bereich eines Landes zu ermöglichen“ 378. In der Folgezeit gab es eine Flut gleich lautender oder ähnlicher Vorschläge, die hier nicht im Einzelnen dargestellt werden können. Bedeutsam für den Fortgang der weiteren Verhandlungen ist jedoch, dass sich alle Länder die Forderung nach der Schaffung von Zugriffsrechten zu Eigen machten und beharrlich auf ihre Umsetzung drängten. Aus der Perspektive der Länder ist das durchaus verständlich, boten solche Zugriffsrechte für sie doch nur Vorteile. Mit der Auffanggesetzgebung des Bundes im Hintergrund haben sie die völlig freie Entscheidung darüber, ob und in welchem Umfang sie von ihnen Gebrauch machen 379. 2. Der Weg zur Abweichungsgesetzgebung In der Föderalismuskommission hat sich dieser Thematik die Projektgruppe 1 unter Vorsitz des Bundestagsabgeordneten Stünkers angenommen. An fünf von insgesamt sieben Sitzungen beschäftigte sie sich zumindest auch mit der Frage der Zugriffsrechte, was eindrücklich die beherrschende Stellung dieses Themenkomplexes belegt. Die ersten hierzu unterbreiteten Vorschläge stammten von den Justizministern der Länder Nordrhein-Westfalen 380 und Niedersachsen 381 und enthielten ein verfassungsunmittelbares Zugriffsrecht der Länder für noch näher zu bestimmende Gesetzgebungsmaterien. Bund und Länder sollten in diesem Be377

„Modernisierung des Föderalismus – Stärkung der Eigenverantwortung der Länder“. Zur Notwendigkeit einer leistungs- und wettbewerbsorientierten Reform des Föderalismus, Bonn 1999. 378 BT-Drs. 7/5924, S. 137 f. 379 Vgl. dazu PAU-1/0003, Positionspapier für die Projektgruppe 1 vom 9. Juni 2004, Justizministerin des Landes Niedersachsen Heister-Neumann, S. 2. 380 PAU-4/0001, Thesen zur Umsetzung von EU-Recht vom 7. Juni 2004, Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen Gerhards, S. 1.

1. Abschn.: Zu den Gesetzgebungskompetenzen

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reich unabhängig voneinander ein volles Gesetzgebungsrecht – für den Bund ohne Erforderlichkeitsnachweis – besitzen. Im Verhältnis von Bundes- zu Landesrecht war ein einseitiger Anwendungsvorrang des Landesrechts in seinem jeweiligen Hoheitsgebiet vorgesehen, das heißt auch bei einer nachträglichen Novellierung des Bundesgesetzes sollte das Landesrecht seinen Anwendungsvorrang beibehalten. Die Letztentscheidung über die Frage, welches Recht Anwendung findet, war daher ausschließlich den Ländern vorbehalten worden. Zu einer Formulierung konkretisiert und auf eine breitere Zustimmungsbasis gestellt wurde diese erste Grobpositionierung durch einen Vorschlag der Länder Bayern, Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt 382. Für die als „Parallelgesetzgebung“ bezeichnete Zugriffsgesetzgebung war eine neue, eigenständige Kompetenzart vorgesehen (Art. 72a GG neu), wobei der dazugehörige Kompetenzkatalog an die Stelle der aufzuhebenden Rahmenkompetenz in Art. 75 GG treten sollte. Kurze Zeit später unterbreitete der sächsische Justizminister de Maizière im Nachgang zu der sich ebenfalls mit diesem Thema befassenden Arbeitsgruppenund Kommissionssitzung seine Vorstellung zur Ausgestaltung eines Zugriffsrechts 383. Anders als der Ländervorschlag in der Projektgruppe sah er keine Notwendigkeit für eine neue Kompetenzkategorie, sondern wollte Art. 72 GG vielmehr um die neue Variante einer „umgekehrten konkurrierenden Gesetzgebung“ 384 ergänzen. Während dieser Vorschlag aber keinen Widerhall bei den übrigen Ländern fand, wurde die formale Kritik de Maizières an der Bezeichnung als Leit- bzw. Parallelgesetzgebung 385 in einer überarbeiteten Fassung des Ländervorschlags beherzigt und wieder der ursprüngliche Begriff der Zugriffsgesetzgebung gewählt 386. Derweil sich die Länder mit beträchtlichen Mühen der Erarbeitung einer rechtlich einwandfreien Lösung widmeten, verharrte die Bundesseite auf ihrer Ausgangsposition und wies die Ländervorschläge stets mit der Bemerkung 381 PAU-1/0003, Positionspapier für die Projektgruppe 1 vom 9. Juni 2004, Justizministerin des Landes Niedersachsen Heister-Neumann, S. 1 ff. Das unter der Bezeichnung als „Leitgesetzgebung“ ebenfalls konkrete Vorschläge enthaltende zweite Papier des Justizministers des Landes Nordrhein-Westfalen, Gerhards, wurde in der Projektgruppe nicht erörtert, PAU-1/0011, Arbeitspapier für die Projektgruppe 4 vom 22. Juni 2004, S. 7 f. 382 Anlage 1 des Ergebnisvermerks der 3. Sitzung der PG 1 am 1. Juli 2004. 383 AU 0078, Zugriffsrecht vom 9. Juli 2004. 384 In dieser Konstellation ist diese Titulierung noch zutreffend. Ungeachtet der nunmehr bestehenden Rückholmöglichkeit des Bundes und damit des fehlenden Letztentscheidungsrechts der Länder weiterhin diese Beschreibung wählend, Nierhaus / Rademacher, LKV 2006, S. 389. 385 AU 0078, Zugriffsrecht vom 9. Juli 2004, S. 3. 386 PAU-1/0013, Zur Verankerung und Systematik des Gesetzgebungstyps der „Zugriffsgesetzgebung“ vom 24. August 2004.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

zurück, dass eine Kompetenzabschichtung mit Blick auf die Reformziele vorzuziehen sei 387. Erst nachdem ihr die negativen Folgen der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 72 Abs. 2 GG bewusst wurden, sah sie sich genötigt, sich nunmehr ernsthaft mit der von den Ländern aufgestellten Verknüpfung – Einschränkung der Erforderlichkeitsklausel gegen die Einräumung von Abweichungsrechten – auseinanderzusetzen 388. Der Ländervorschlag kam für sie wegen der fehlenden Rückholmöglichkeit des Bundes jedoch nicht in Betracht 389, weshalb die Bundestagsabgeordneten Stünker und Röttgen Ende September 2004 eine eigene, an den Gedanken der Änderungsempfehlung zu Art. 84 GG orientierte Fassung vorlegten 390. Sie enthielt in Art. 72 Abs. 2 GG ein Abweichungsrecht der Länder für einen Katalog noch näher zu bestimmender Materien. Inhaltlich hatte dieser Vorschlag viel mit dem Arbeitspapier de Maizières gemein, war in zwei Punkten aber weitaus bundesfreundlicher ausgestaltet worden. Zum einen sollte, obgleich nicht für alle Materien der konkurrierenden Gesetzgebung ein Abweichungsrecht vorgesehen war, die Erforderlichkeitsklausel generell aufgehoben werden. Zum anderen sollte die lex-posterior-Regel gelten und somit novelliertes Bundesrecht abweichendes Landesrecht in seiner Anwendung verdrängen können. Einen Tag später brachte der Bundestagsabgeordnete Steenblock einen weiteren, wieder mehr auf der bisherigen Linie der Bundesseite liegenden Vorschlag ein 391. Er empfahl die Einführung verfassungsrechtlich verankerter Öffnungsklauseln und wollte die Artikel der ausschließlichen und konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz um entsprechende Regelungen ergänzen. Diese Idee wurde von den in der Projektgruppe vertretenen Ländern 387 Ergebnisvermerk der 3. Sitzung der PG 1 am 1. Juli 2004, S. 1 f.; Ergebnisvermerk der 4. Sitzung der PG 1 am 30. August 2004, S. 1 f.; vgl. auch PAU-1/0014, Stellungnahme der Bundesregierung zum Ländervorschlag einer Zugriffsgesetzgebung vom 26. August 2004. Hingewiesen wurde insbesondere darauf, dass dies den Reformzielen der Transparenz und Entflechtung widerspreche und zudem zu Rechtsunsicherheiten durch eine neue Form der Mischgesetzgebung führe. 388 Ergebnisvermerk der 5. Sitzung der PG 1 am 20. September 2004, S. 2. 389 Vgl. Ergebnisvermerk der 7. Sitzung der AG 1 am 30. September 2004, S. 2; der Bundestagsabgeordnete Steenblock befürchtete bei der Realisierung dieses Vorschlags sogar eine Umwandlung in einen Staatenbund, vgl. ebd. S. 5. Für widersprüchlich erachtete sie der Bundestagsabgeordnete Röttgen, da sie letztlich eine Form ausschließlicher Landesgesetzgebung darstelle, aber gleichwohl nicht in diesen Kompetenztypus eingeordnet werde, vgl. seine Äußerung in der 7. Sitzung der AG 1 am 30. September 2004, S. 8. 390 „Eckpunkte zu einer Neufassung des Art. 72 GG“, PAU-1/0017 vom 27. September 2004. In diese Richtung hatte sich zuvor schon der Bundestagsabgeordnete Kröning in der 5. Sitzung der PG 1 am 20. September 2004 geäußert, vgl. den entsprechenden Ergebnisvermerk, S. 2. 391 PAU-1/0018, Vorschlag zur Regelung von verfassungsrechtlich verankerten Öffnungsklauseln vom 28. September 2004. Auf diese Möglichkeit hatte die Bundesseite immer wieder aufmerksam gemacht.

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einhellig als Regelungsmöglichkeit „von Bundes Gnaden“ 392 abgelehnt. Allein ein sich unmittelbar aus der Verfassung ergebendes Zugriffsrecht sei akzeptabel, nicht jedoch einfachgesetzliche Öffnungsklauseln, wie sie nach diesem Vorschlag faktisch bestünden 393. Der Stünker / Röttgen-Vorschlag wurde dagegen geteilt aufgenommen. Während Bremen, Bayern und Sachsen-Anhalt in dem Grundsatz, dass das jeweils spätere Gesetz Anwendungsvorrang haben sollte, eine faktische Beendigung der gesetzgeberischen Tätigkeit des Landesgesetzgebers befürchteten, sahen Niedersachsen und Nordrhein-Westfallen in dem Vorschlag einen interessanten Ansatz 394. Schließlich kam man überein, dass eine abschließende Bewertung erst erfolgen könne, wenn die diesem „Zugriffsrecht“ unterfallenden Materien feststünden. Deswegen sollten der Arbeitsgruppe 1 drei Modelle, der Länder-, der Stünker / Röttgen- und der Steenblocksche Vorschlag, zur weiteren Debatte vorgelegt werden 395. Weder hier noch bei der Präsentation der Arbeitsergebnisse in der 9. Sitzung der Kommission am 14. Oktober 2004 konnte diesbezüglich jedoch eine Einigung erzielt werden. Aus den Sprechzetteln der Vorsitzenden geht hervor, in welchen Bereichen am ehesten ein Kompromiss möglich gewesen wäre. Als Diskussionsgrundlage hatte sich der Stünker / Röttgen-Vorschlag durchgesetzt, allerdings ohne denjenigen Teil, der eine vollständige Aufhebung der Erforderlichkeitsklausel für alle Materien des Art. 74 GG vorsah. Nach dem Entgegenkommen der Länder, bei offensichtlicher Erforderlichkeit einer Befreiung zuzustimmen, konnte diese Forderung von der Bundesseite nicht mehr aufrechterhalten werden. Letztlich spitzte sich die Auseinandersetzung um ein Abweichungsrecht auf die umweltrelevanten Materien der Rahmenkompetenz zu 396. Aus welchem Grund gerade in diesem Bereich ein Abweichungsrecht besonders nahe lag, ist anhand der Arbeiten der Projektgruppe 4 „Gesetzgebungskompetenzen im Umwelt- und Verbraucherschutzrecht“ und der für die Materien „Bodenverteilung und Raumordnung“ (Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GG) verantwortlichen Projektgruppe 5 darzustellen.

392 So der Bundestagsabgeordnete Bachmaier bei der Vorstellung der Ergebnisse der PG 1, vgl. Stenografischer Bericht der 9. Kommissionssitzung am 14. Oktober 2004, S. 205. 393 Ergebnisvermerk der 7. Sitzung der PG 1 am 29. September 2004, S. 2. 394 Ergebnisvermerk der 7. Sitzung der PG 1 am 29. September 2004, S. 2; vgl. die zustimmenden Ausführungen des nordrhein-westfälischen Justizministers Gerhards zu dem Stünker / Röttgen-Vorschlag, Stenografischer Bericht der 9. Kommissionssitzung am 14. Oktober 2004, S. 209. 395 Ergebnisvermerk der 7. Sitzung der PG 1 am 29. September 2004, S. 3. 396 Im Einzelnen ging es um das Jagdwesen, den Naturschutz und die Landschaftspflege (Art. 75 Abs. 1 Nr. 3 GG) sowie um die Bodenverteilung, die Raumordnung und den Wasserhaushalt (Art. 75 Abs. 1 Nr. 4 GG).

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

a) Beratungsverlauf in der Föderalismuskommission zu dem Themenkomplex Umwelt Nach der verfassungsrechtlichen Ausgangslage waren die umweltrelevanten Kompetenztitel des Bundes auf die ausschließliche, die konkurrierende und die Rahmenkompetenz mit ihren jeweils unterschiedlichen Anforderungen verteilt. Insbesondere die Einordnung der zudem noch besonders wichtigen Kompetenztitel Naturschutz und Wasserhaushalt in die Rahmengesetzgebung erwies sich und zwar in zweifacher Hinsicht als ungünstig. Zum einen beruht das Umweltrecht in besonderem Maße – zu etwa 80% 397 – auf europarechtlichen Vorgaben, die eine rasche Umsetzung in nationales Recht erfordern. Dafür ist die Rahmengesetzgebung mit ihren zwei hintereinander geschalteten Gesetzgebungsverfahren auf Bundes- und Landesebene aber denkbar ungeeignet 398. Zum anderen durften in ihrem Anwendungsbereich keine Vollregelungen ergehen, eine Beschränkung, die verhinderte, dass 1997 ein von allen Seiten begrüßtes einheitliches Umweltgesetzbuch verabschiedet werden konnte 399. Die Länder erkannten in der Föderalismuskommission von Anfang an das Bedürfnis sowohl nach einem einheitlichen Umweltgesetzbuch als auch nach einer vereinfachten Umsetzung von EU-Richtlinien an. Sie wollten die dafür notwendigen Materien der Rahmengesetzgebung, die ihnen Raum für regionale Differenzierungen ließ, aber nicht ohne jegliche verfassungsrechtliche Kompensation auf den Bund übertragen 400. Den idealen Ausgleich für diesen Interessenkonflikt bot nach ihrer Ansicht ein verfassungsunmittelbares Zugriffsrecht, weshalb sie im Unterschied zu vielen anderen Sachgebieten in einmütiger Geschlossenheit an einer entsprechenden, schon in den Leitlinien vom März 2003 401 formulierten Forderung über die gesamte Kommissionsarbeit hinweg festhielten. Konkretisiert wurde die Länderposition von dem Justizminister NordrheinWestfalens Gerhards, der auch die Rolle als Projektgruppensprecher übernom397

Eppler, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2006, S. 203. Die Länder konnten mit der Detailgesetzgebung praktisch erst dann beginnen, wenn der Bund sein Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen hatte. 399 Vgl. dazu Eppler, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2006, S. 206 f. Es gibt allerdings auch Stimmen, die behaupten, dass die Kompetenzlage schon damals ein entsprechendes Vorhaben getragen hätte, ebd. S. 208 Fn. 35. 400 Ergebnisvermerk der 2. Sitzung der PG 4 am 25. Juni 2004, S. 1. 401 Neben den umweltbezogenen Materien der Rahmengesetzgebung (Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und 4 GG) sollte es sich auf einen bestimmten Ausschnitt der Lärmbekämpfung (Teilbereich aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG) erstrecken, vgl. Hrbek / Eppler, Deutschland vor der Föderalismus-Reform, Dokument 1, Leitlinien der Ministerpräsidenten, S. 27 f.; bekräftigt in ihrem nächsten Positionspapier, vgl. Kommissionsdrs. 0045 vom 6. März 2004, S. 7. Mit der Abgabe des lokalen Sport- und Freizeitlärms erklärte sich der Bund einverstanden, so dass diese Materie damit vom Tisch war, vgl. Ergebnisvermerk der 2. Sitzung der PG 4 am 25. Juni 2004, S. 2. 398

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men hatte. In dem zweiten, von ihm erstellten Arbeitspapier schlug er für die umweltrelevanten Materien der Rahmengesetzgebung mit Ausnahme des Jagdwesens (Naturschutz, Landschaftspflege, Bodenverteilung, Raumordnung und Wasserhaushalt) die Einordnung in die neue Kompetenzkategorie vor, für die er zugleich zwei Ausgestaltungsmöglichkeiten unterbreitete 402. Der noch in dem Positionspapier vom Mai 2004 enthaltene Ansatz, von dem Zugriffsrecht das Anlagen- und Produktrecht auszunehmen, wurde darin nicht weiter verfolgt 403. Auf der Bundesseite fanden die Länderideen keine Akzeptanz. Vielmehr wollte der Bund die umweltbezogenen Gesetzgebungsmaterien zur Umsetzung des medienübergreifenden Ansatzes des europäischen Umweltrechts und um die wirtschaftlichen Interessen nach einem einheitlichen Anlagenzulassungsrecht zu berücksichtigen in einem Titel der konkurrierenden Gesetzgebung bündeln. Für diesen neuen Art. 74 Abs. 1 Nr. 24a GG war folgender Wortlaut vorgesehen: „das Recht der Umwelt, insbesondere die Abfallwirtschaft, der Bodenschutz, die Luftreinhaltung, der Klimaschutz, die Chemikaliensicherheit, die Lärmbekämpfung, der Naturschutz und die Landschaftspflege, der Wasserhaushalt sowie der Schutz vor nicht ionisierender Strahlung“ 404. In der ebenfalls partiell mit Umweltmaterien befassten Projektgruppe 5 trat die Bundesseite entsprechend diesem Vorschlag für eine Überführung der Raumordnung in die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit ein 405. Im Kern konzentrierte sich die Diskussion damit auf die umweltrelevanten Materien der Rahmengesetzgebung und zwar auch auf das Jagdwesen, nachdem man von der anfänglichen Übereinkunft, dieses in die ausschließliche Länderzuständigkeit zu verschieben, wegen der engen Verzahnung mit den Sachgebieten 402 PAU-4/0002, Arbeitspapier für die PG 4 „Umwelt- und Verbraucherschutzrecht“ vom 22. Juni 2004, Formulierungsvorschlag A und B. Das Saarland hielt unter Subsidiaritätsgesichtspunkten darüber hinaus auch eine Verlagerung der Abfallwirtschaftsplanung, des betrieblichen Umweltschutzes und der Entsorgungsstrukturen (Teilbereiche aus dem Gebiet der Abfallbeseitigung) in die neue Kategorie für diskussionswürdig, vgl. PAU4/0004, Formulierungsvorschlag für Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG vom 17. August 2004. Ablehnend Mecklenburg-Vorpommern, vgl. in demselben Papier auf der letzten Seite. 403 Mit dieser Beschränkung hatte man zunächst auf eine Idee des Saarlands zurückgegriffen. Dieses hatte vorgeschlagen, dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit für das Anlagen- und Produktrecht, den Ländern die übrigen Bereiche des Umweltrechts zuzuordnen, vgl. AU 0040, Ersetzung der umweltspezifischen Kompetenztitel durch einen Kompetenztitel „Zulassung von Anlagen und Produkten“ vom 25. Februar 2004, Ministerpräsident Müller. 404 PAU-4/0003, Vorschlag für einen übergreifenden Titel „Umwelt“ vom 26. Juni 2004, BMU, BMJ, BMI und PAU-4/0008, Notwendige Regelungsmaterien des Bundes im Umweltbereich, BMU. 405 PAU-5/0012, Regionale Verkehrsthemen, Bodenrecht, Raumordnung vom 26. August 2004, BMVBW, S. 9 ff. Die Materie der Bodenverteilung spielte dagegen wegen ihrer weitgehenden praktischen Bedeutungslosigkeit keine Rolle, Ergebnisvermerk der 5. Sitzung der PG 5 am 17. September 2004, S. 2.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

Naturschutz und Landschaftspflege Abstand genommen hatte 406. Eine Verständigung über die unterschiedlichen Positionen konnte in der Projektgruppe nicht erreicht werden. Anders als es sich die Länder erhofft hatten, bewegte auch die Auswertung der Juniorprofessurentscheidung den Bund nicht dazu, ihrer Forderung entgegenzukommen 407. Zu mehr als zu verfassungsrechtlich verankerten Öffnungsklauseln erklärte sich dieser nicht bereit 408. Letztlich wurde daher in der Projektgruppe beschlossen, die umweltbezogenen Kompetenztitel der Rahmengesetzgebung im Zusammenhang mit den drei in der Projektgruppe 1 erarbeiteten Vorschlägen zu Zugriffsrechten zu erörtern 409. Die Einsicht, dass die Länder dem eigenen Vorschlag nicht zustimmen würden, die Beibehaltung des Status quo umweltfachlich andererseits unverantwortlich wäre, dürfte den Bund dazu animiert haben, sich erneut dem Trennprinzip zuzuwenden und im Rahmen der Vorsitzendenverhandlungen einen weiteren Vorschlag zur Aufteilung der Kompetenzen im Umweltrecht herauszugeben. Die Länder waren ungeachtet substantieller Angebote 410 jedoch nicht mehr von der Forderung nach einem Zugriffsrecht abzubringen. Der Bund dagegen konnte sich, wenn überhaupt, nur die Umsetzung des Stünker / Röttgen-Vorschlags, nicht aber des von den Ländern vertretenen Modells vorstellen. Um die lex-posterior-Regelung für die Länder erträglicher zu machen und ein von vielen befürchtetes gesetzgeberisches „Ping-Pong“ zu Lasten der Bürger zu vermeiden, ist dazu der Vorschlag entwickelt worden, eine SechsMonats-Frist für das Inkrafttreten des Bundesrechts einzuführen 411. In dieser Zeit, so die Idee, könnten die Landtage eine abweichende Entscheidung treffen, 406

Ergebnisvermerk der 5. Sitzung der PG 4 am 14. Oktober 2004, S. 1. Siehe hierzu PAU-4/0006, Die Bedeutung des Bundesverfassungsgerichtsurteils zur Juniorprofessur für die Diskussion um eine Kompetenzverlagerung im Bereich der Rahmengesetzgebungskompetenzen des Art. 75 GG vom 7. September 2004, Staatskanzlei Düsseldorf. Darin wurden die aus dieser Rechtsprechung resultierenden negativen Konsequenzen für die Handlungsfähigkeit des Bundes beschrieben; auch Benneter / Poschmann, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 182 kommen zu dem Ergebnis, dass sich der Bund daraufhin von seiner Maximalforderung hätte verabschieden müssen. 408 Ergebnisvermerk der 4. Sitzung der PG 4 am 9. September 2004, S. 2 f. 409 Ergebnisvermerk der 5. Sitzung der PG 4 am 14. Oktober 2004, S. 2. 410 Sie sollten im Bereich Naturschutz die Kompetenz für Anforderungen im Bereich der Land- und Forstwirtschaft, Natur- und Landschaftsschutzgebiete, die Landschaftsplanung und den Biotopverbund, bei der Wasserwirtschaft die Kompetenz für die Wasserschutzgebiete, die Bewirtschaftung der Gewässer und die wasserwirtschaftliche Planung, im Bereich der Raumordnung die Kompetenz für die Landesplanung erhalten, vgl. den Sprechzettel der Vorsitzenden für die 3. Konsultationsrunde am 3. Dezember 2004, Ergänzung I, S. 17. 411 Sie stammt wohl von dem Staatssekretär Böhmler, vgl. Protokollvermerk der 7. Sitzung der AG 1 am 30. September 2004, S. 9 und wurde von dem Bundestagsabgeordneten Röttgen aufgegriffen, vgl. Stenografischer Bericht der 9. Kommissionssitzung am 14. Oktober 2004, S. 214. 407

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die als späteres Gesetz gegenüber dem Bundesrecht Anwendungsvorrang genießen würde. Lediglich für Eil- oder sonstige Notfälle sollte mit der qualifizierten Mehrheit im Bundesrat auch ein sofortiges Inkrafttreten des Bundesgesetzes geregelt werden können 412. Das Zugeständnis der Länder im Jagdwesen (Erteilung und Versagung von Jagdscheinen), Naturschutz (Artenschutz) und Wasserhaushalt (stoff- und anlagenbezogene Regelungen) partiell den Forderungen des Bundes im Trennmodell entsprechende Einschränkungen ihres Zugriffsrechts in Kauf zu nehmen, änderte an der Pattsituation zwischen Bund und Ländern nichts mehr 413. In dem Vorsitzendenvorschlag ist die Gesetzgebungskategorie des Abweichungsrechts deshalb nicht enthalten, vielmehr sind die umweltbezogenen Materien weiterhin der Rahmenkompetenz zugeordnet 414. Es lässt sich nicht nachvollziehen, ob die Länder die für den Bund unerlässliche Rückholmöglichkeit nicht akzeptierten oder ob die Prüfung des Bundes hinsichtlich der Schaffung von Abweichungsrechten generell negativ ausfiel 415. Der auf den 16. Dezember datierte Kompromissvorschlag des Bundestagsabgeordneten Benneter auf der Basis des Abweichungsmodells konnte zwischen den Vorsitzenden wegen des Scheiterns der Kommission nicht mehr erörtert werden 416. Er hätte auf der Länderseite ohnehin keine Zustimmung gefunden, da mit ihm praktisch die stets abgelehnte Querschnittskompetenz im Umweltrecht eingeführt worden wäre und ein Abweichungsrecht nur für Materien vorgesehen war, für die die Länder bereits nach dem Trennmodell eine ausschließliche Kompetenz erhalten hätten 417. b) Durchbruch in den Nachverhandlungen – Abweichungsgesetzgebung im Umweltrecht Der entscheidende Durchbruch in den inhaltlich stark verwobenen Themen Abweichungs- und Umweltrecht gelang in der informellen Gesprächsrunde im 412 Sprechzettel der Vorsitzenden für die 2. Konsultationsrunde am 26. November 2004, S. 8. 413 Sprechzettel der Vorsitzenden für die 3. Konsultationsrunde am 3. Dezember 2004, S. 9. 414 AU 104 – neu –, Vorschlag der Vorsitzenden vom 13. Dezember 2004, S. 8. 415 Von Letzterem geht Gerhards aus, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 114. Allerdings enthält der Sprechzettel der Vorsitzenden für die 3. Konsultationsrunde am 3. Dezember 2004, S. 10 den Hinweis, dass die Länder die lex-posterior-Regel insgesamt für schwer vermittelbar hielten. 416 AU 0113, Vorschlag für eine Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen im Umweltbereich. 417 Dies zeigte sich deutlich in den Nachverhandlungen, vgl. hierzu Benneter / Poschmann, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 184 und Gerhards, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 204 f.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

Frühjahr 2005. Mit dem „ob“ des Abweichungsrechts für die umweltrelevanten Materien hatte sich die Bundesseite zu diesem Zeitpunkt mangels Alternative abgefunden 418, allerdings nur unter der Bedingung, dass ihr eine Rückholmöglichkeit eingeräumt würde 419. Das Fehlen der lex-posterior-Regelung in der später entworfenen Anlage 2 des Koalitionsvertrages darf daher nicht zu der Annahme verleiten, dass diese Frage noch nicht eindeutig entschieden war. Andernfalls wäre auch die Übernahme der in den Konsultationsrunden entwickelten SechsMonats-Frist in die Anlage 2 kaum zu erklären, da deren Geltung nur sinnvoll ist, wenn spätere Bundesgesetze auch in Ländern mit abweichenden Regelungen in der Anwendung vorgehen können 420. Die im Herbst 2005 zusammengetretene Koalitionsarbeitsgruppe befasste sich angesichts dieses Konsenses in der Grundgestaltung daher vor allem mit der Definition der von der Abweichungsgesetzgebung ausgeschlossenen Kerne. Während die Länder- und die Unionsseite an der in den Sprechzetteln entwickelten Position festhielten, forderte die Bundes- und SPD-Seite darüber hinausgehend eine Erweiterung um die „Ziele und Grundsätze“ im Naturschutzrecht und die „vorhabenbezogenen Regelungen“ im Wasserhaushaltsrecht 421. Als die Verhandlungen wieder festzufahren drohten, schloss man in der letzten Sitzung schließlich den Kompromiss, den „Meeresnaturschutz“ und lediglich die „Grundsätze“, nicht dagegen die „Ziele des Naturschutzes“ abweichungsfest auszugestalten 422. In einem Begleittext zu dem Koalitionsvertrag, der später in der Gesetzesbegründung wiedergegeben werden sollte, war die von dem Bundeskanzleramt auf allgemeinen Konsens gestoßene Konkretisierung der „Grundsätze des Naturschutzes“ aufgenommen worden. c) Korrekturen im weiteren Gesetzgebungsverfahren In der mit der endgültigen Fassung der Gesetzesentwürfe beschäftigten Redaktionsarbeitsgruppe traten unterschiedliche Vorstellungen des Bundes und der 418

Vgl. Stünker, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 101. Röttgen / Boehl, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 30; Stünker, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 101; Rüttgers, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 208. Die Rückholmöglichkeit des Bundes wurde inzwischen auch von einigen Ländern aus Gründen der Europatauglichkeit – ohne sie wäre eine rasche und einheitliche Umsetzung der EU-Richtlinien nicht möglich gewesen – befürwortet, vgl. dazu Gehards, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 204. 420 So auch Röttgen / Boehl, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 32. 421 Nach Rüttgers, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 206 stimmte die Haltung der Union regelmäßig mit der der Länder überein, während Benneter / Poschmann, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 184 die Wahrnehmung hatten, dass unabhängig von der Parteizugehörigkeit die Linie zwischen Bund und Ländern verlief. 422 Siehe hierzu Rüttgers, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 207. 419

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Länder hinsichtlich der Neuregelung des Art. 84 GG zu Tage, was ein erneutes Zusammentreffen der Koalitionsarbeitsgruppe erforderlich machte. Anlässlich dieser Verhandlungen wurde in Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG die lex-posterior-Regel ausdrücklich aufgenommen und in einer Übergangsvorschrift die Befugnis der Länder festgelegt, auf den in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG genannten Gebieten auch von bereits nach alter Rechtslage erlassenen Bundesgesetzen abzuweichen. Allerdings war diese nach dem neuen Art. 125b Abs. 1 Satz 3 GG bestehende Möglichkeit für einzelne Materien zeitlich hinausgeschoben worden 423. Für den Naturschutz und die Landschaftspflege (Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG) sowie den Wasserhaushalt (Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG) sah Art. 125b Abs. 1 Satz 3 GG ein Abweichungsrecht erst vor, wenn der Bund ab dem Zeitpunkt der Verkündung der Grundgesetzänderung von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht hat, spätestens jedoch ab dem 1. Januar 2010 424. Durch dieses Moratorium wollte man dem Bund die Gelegenheit geben, ein Umweltgesetzbuch zu erlassen, bevor abweichende Regelungen der Länder existierten 425. Schließlich betrafen die Änderungsempfehlungen des Rechtsausschusses noch einige Punkte der Abweichungsgesetzgebung und des Umweltrechts, nachdem die Sachverständigen diesbezüglich deutliche Kritik angebracht hatten. In Art. 72 Abs. 3 Satz 2 GG sollte das qualifizierte Mehrheitserfordernis für ein früheres Inkrafttreten des Bundesrechts gestrichen werden, da insofern auch eine einfache Mehrheit zur Interessenwahrung der Länder als ausreichend angesehen wurde 426. Für Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG insgesamt, also auch für den Bereich der Abfallwirtschaft, hatte man zur Stärkung der Handlungsfähigkeit des Bundes eine Befreiung von dem Erforderlichkeitskriterium vorgesehen 427. Zudem wurde vorgeschlagen, in Art. 125b Abs. 1 Satz 3 GG nach dem „wenn“ ein „soweit“ einzufügen 428, um den Bund in die Lage zu versetzen, zwingend notwendige Änderungen an bestehenden Gesetzen vorzunehmen, ohne dass dadurch zugleich das gesamte Bundesgesetz für abweichende Länderbestimmungen geöffnet werde 429. Zugunsten der Länder sollte der abweichungsfeste Kern in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG durch die Voranstellung des Wortes „allgemeine“ vor den Passus „Grundsätze des Naturschutzes“ im Grundgesetztext selbst und nicht, wie zunächst vorgesehen, nur in der Gesetzesbegründung enger gefasst werden 430. 423 Vgl. dazu Rüttgers, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 209 f.; Röttgen / Boehl, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 31 f. 424 BT-Drs. 16/813, S. 5. 425 BT-Drs. 16/813, S. 21. 426 BT-Drs. 16/2010, S. 6 und S. 42. Dieses ursprüngliche Quorum qualifizierte Meyer als dem „Raritätenkabinett der Verfassungsgeschichte“ angehörend, Rechtsausschussprotokoll 12 vom 15. / 16. Mai 2006, S. 30. 427 BT-Drs. 16/2010, S. 6. 428 BT-Drs. 16/2010, S. 7. 429 BT-Drs. 16/2069, S. 42.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

d) Aufnahme der Hochschulzulassung und -abschlüsse in die Abweichungsgesetzgebung Die politischen Rahmenbedingungen unter einer Großen Koalition ermöglichten es schließlich, auch für die politisch brisante Bildungsfrage eine Lösung zu finden. Nachdem in der von ihr eingesetzten Koalitionsarbeitsgruppe schnell klar wurde, dass den Ländern hinsichtlich der umweltbezogenen Materien der Rahmengesetzgebung ein Abweichungsrecht eingeräumt würde, lag der Kompromiss bei dem Hochschulwesen auf der Hand 431. Bei der Einordnung der Hochschulzulassung und -abschlüsse in den neuen Kompetenztypus könnte der Bund legeferieren, ohne an die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG gebunden zu sein, die Länder würden als Kompensation dafür die gewünschten gesetzgeberischen Gestaltungsspielräume erhalten. In der Föderalismuskommission hatte sich mit diesem Thema die Projektgruppe 3 „Bildung und Kultur“ unter Leitung des Bundestagsabgeordneten Krings beschäftigt. Bei der Bildung handelte es sich um einen der drei von den Ländern als ganzes Politikfeld erstrebten Bereiche. Es war ihr Anliegen, die Kompetenzen im Bildungs- und Erziehungswesen bei sich zu bündeln, also die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit für den Kindergarten bis zur Hochschule, wie es plastisch formuliert wurde, zu erhalten 432. Die Forderung bezog sich vor allem auf das der Rahmenkompetenz unterliegende Hochschulwesen, aber auch die Bereiche der Ausbildungsförderung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 1. Alt. GG), der außerschulischen beruflichen Bildung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 und 12 GG) und der Förderung wissenschaftlicher Forschung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 2. Alt. GG) waren von ihnen zur Diskussion gestellt worden 433. Die Ausgangslage, um im Hochschulwesen zu einer Einigung zu gelangen, war an sich nicht schlecht. Sowohl der Bund als auch die Länder verfolgten das politische Ziel, die Hochschulautonomie durch die Aufhebung des Art. 75 Abs. 1 Nr. 1a GG zu stärken 434. Beide waren sich einig, dass es Bereiche im Hochschulbereich gibt, die länderübergreifender einheitlicher Regelungen bedürfen. Sogar die Frage, welche das sind – Hochschulzulassung, Hochschulabschlüsse und Qualitätssicherung – wurde mit Ausnahme des Dienstrechts des wissenschaftli430

BT-Drs. 16/2010, S. 6. Siehe dazu Stünker, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 102. 432 Kommissionsdrs. 0045, Positionspapier der Ministerpräsidenten vom 6. Mai 2004, S. 8. Vgl. auch Hrbek / Eppler, Deutschland vor der Föderalismus-Reform, Dokument 2, Leitlinien der Ministerpräsidenten, S. 27 f. Damals traten sie noch für die Einräumung eines Zugriffsrechts ein. 433 Kommissionsdrs. 0045, Positionspapier der Ministerpräsidenten vom 6. Mai 2004, S. 8 f. 434 Vgl. die Ausführungen des Vorsitzenden Müntefering, Stenografischer Bericht der 8. Kommissionssitzung am 8. Juli 2004, S. 163. 431

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chen und künstlerischen Personals 435 einheitlich beurteilt 436. Eine unüberwindbare Kluft tat sich jedoch auf als zu entscheiden war, wie die Einheitlichkeit in diesen Bereichen herbeizuführen ist 437. Die Länder beabsichtigten sich weitgehend selbst zu koordinieren etwa im Wege von Staatsverträgen oder über Absprachen in der Kultusministerkonferenz 438. Der Bund lehnte diese Instrumentarien als schwerfällig, ineffizient und blockadeanfällig ab 439 und forderte stattdessen eine in Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG einzufügende Bundeskompetenz mit folgendem Wortlaut: „das Hochschulwesen insbesondere zur Sicherung von Mobilität, Qualität oder internationaler Wettbewerbsfähigkeit (...)“ 440. An diesen konträren Positionen änderte sich auch nach Beendigung der Projektgruppenarbeiten nichts mehr. Das Angebot des Bundes, von seiner konkurrierenden Kompetenz nur so lange Gebrauch machen zu können, bis die Länder die Hochschulzulassung, Hochschulabschlüsse und Qualitätssicherung in einem Staatsvertrag regeln würden, war lediglich ein kurzzeitiges Nachgeben und wohl nicht richtig durchdacht 441. Schon in dem dritten Sprechzettel der Vorsitzenden standen sich die Positionen wieder unversöhnlich gegenüber, zumal der Bund nunmehr sogar das Hochschulzugangsrecht einschließlich der Studiengebühren für sich beanspruchte 442. In der Vorbemerkung des Vorsitzendenentwurfes ist das Hochschulrecht deshalb als ein strittig gebliebener Punkt enthalten, wobei es erstaunt, dass die später gewählte und von den Ländern schon in ihren Leitlinien vom März 2003 vorgeschlagene Variante eines Abweichungsrechts in der Föderalismuskommission nicht einmal im Ansatz diskutiert wurde.

435 Während der Bund hier ebenfalls die Notwendigkeit bundeseinheitlicher Regelungen sah und dafür später sogar eine ausschließliche Bundeskompetenz forderte, vgl. Ergebnisvermerk der 5. Sitzung der PG 3 am 29. September 2004, sprachen sich die Länder für einen Gestaltungsspielraum aus, vgl. PAU-3/0016, Umfassende Länderkompetenzen für Bildung, Schule, Hochschule vom 24. September 2004, StK BR, S. 4. 436 Ergebnisvermerk der 2. Sitzung der PG 2 am 8. Juli 2004, S. 2. 437 Vgl. dazu Ergebnisvermerk der 3. Sitzung der PG 3 am 25. August 2004, S. 4. 438 PAU-3/0005, Position der Länder zum Thema „Hochschulwesen“ vom 2. Juli 2004, StK BR, S. 2. 439 PAU 3/0012, 2. Stellungnahme zum Hochschulwesen vom 24. August 2004, BMBF, S. 3. 440 PAU-3 / 0008, Hochschulwesen, BMBF; PAU-3/0012, 2. Stellungnahme zum Hochschulwesen vom 24. August 2004, BMBF, S. 4. 441 Siehe dazu den Sprechzettel der Vorsitzenden für die 2. Konsultationsrunde am 26. November 2004, S. 2 f. 442 Sprechzettel der Vorsitzenden für die 3. Konsultationsrunde am 3. Dezember 2004, S. 2 und die Anlage. Der Meinungsumschwung auf Bundesseite hatte zur Folge, dass einige Länder die Notwendigkeit einheitlicher Regelungen im Hochschulrecht überhaupt in Frage stellten, vgl. SZ vom 6. Dezember 2004, „Kriegserklärung des Bundes“, Grassmann; Sager, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 120 beschreibt die durch diese Forderung ausgelöste Aufregung auf Länderseite.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

Bei der Ausbildungsförderung, der außerschulischen beruflichen Bildung und der Förderung wissenschaftlicher Forschung zeichnete sich in der Föderalismuskommission die Beibehaltung des Status quo ab 443. Bezüglich der Forschungsförderung kam bereits die Projektgruppe angesichts der Bedeutung der Bundesaktivitäten in diesem Bereich überein, keine Veränderung vorzuschlagen 444. Von der Idee der Länder, die Kosten der finanziell geteilt getragenen Ausbildungsförderung in einer Hand zu konzentrieren, wurde Abstand genommen, nachdem weder die Länder noch der Bund sich dazu bereit erklärten 445. Mit dem Argument, dass die außerschulische berufliche Bildung schwerpunktmäßig dem Bildungswesen zuzuordnen sei, konnten die befürwortenden Länder den Bund, der einen engeren Zusammenhang mit dem Wirtschaftsrecht sah, nicht überzeugen 446. 3. Verfassungsrechtliche Ausgestaltung der Abweichungsgesetzgebung Nachdem nunmehr der Entwicklungsverlauf zu der Statuierung einer Abweichungsgesetzgebung nachvollzogen wurde, sollen im Folgenden ihre Voraussetzungen und Rechtsfolgen erörtert werden. Dabei ist zwischen einem gesetzgeberischen Tätigwerden des Bundes und der Länder zu unterscheiden. a) Konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes unter Freistellung von der Erforderlichkeit Der Bund hat auf den Gebieten des Art. 74 Abs. 1 Nr. 28 bis Nr. 33 GG die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit, ohne an die Voraussetzungen der Erforderlichkeitsklausel gebunden zu sein. Hinsichtlich der abweichungsfesten Kerne wurde, wie auch bei der sonstigen Vorranggesetzgebung, von der offensichtlichen Erforderlichkeit bundesgesetzlicher Regelungen ausgegangen 447. Wiewohl die Gesetzesbegründung den Anschein erweckt, dass dies auch für die der Abweichungsgesetzgebung der Länder unterfallenden Gebiete gilt, ist diese Annahme unzutreffend. Vielmehr hat man bei der Einräumung eines Abweichungsrechts deshalb eine Freistellung von Art. 72 Abs. 2 GG vorgesehen, weil 443 Sprechzettel der Vorsitzenden für die 2. Konsultationsrunde am 26. November 2004, S. 3. 444 Ergebnisvermerk der 5. Sitzung der PG 5 am 29. September 2004, S. 3; vgl. hierzu Böhmler, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 144. 445 Vgl. dazu und zum Folgenden Böhmler, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 142 f. 446 Siehe den Protokollvermerk der 7. Sitzung der AG 1 am 30. September 2004, S. 12. 447 Sie ebenfalls systematisch der Vorranggesetzgebung zuordnend, Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 74 GG Rn. 2. Unzutreffend daher Franzius, NVwZ 2008, S. 493, wenn er die unwiderlegbare Vermutung der Erforderlichkeit pauschal für Art. 72 Abs. 3 GG ablehnt.

1. Abschn.: Zu den Gesetzgebungskompetenzen

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man bei diesen Gesetzgebungsmaterien gerade umgekehrt davon ausging, dass bundeseinheitliche Regelungen nicht erforderlich sind und deshalb Raum für föderative Unterschiede besteht 448. Die Gesetzesbegründung gibt die verschiedenen Beweggründe des verfassungsändernden Gesetzgebers, die zur Befreiung von Art. 72 Abs. 2 GG geführt haben, daher nur unvollständig wieder 449. Die Definition der neu in die konkurrierende Gesetzgebung eingefügten Materien bereitet keine Schwierigkeiten, soweit es sich um die umweltrelevanten Bereiche handelt. Die aus der gestrichenen Rahmengesetzgebung bereits bekannten Begriffe sind vollständig übernommen worden, so dass auf deren Auslegung zurückgegriffen werden kann 450. Mit der Hochschulzulassung und den Hochschulabschlüssen in Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG haben dagegen neue definitionsbedürftige Termini Eingang in das Grundgesetz gefunden. Nach der Gesetzesbegründung hat der Bund mit der Kompetenz über die Hochschulzulassung „die Möglichkeit, insbesondere bei bundesweit zulassungsbeschränkten Studiengängen Vorgaben für die Ermittlung und vollständige Ausschöpfung der vorhandenen Ausbildungskapazitäten der Hochschulen sowie für die Vergabe der Studienplätze und Auswahlverfahren einheitlich zu regeln“ 451. Von diesem Begriff ausdrücklich nicht erfasst sollen die Kompetenz zur Regelung von Studiengebühren sowie die Kompetenz zu Regelungen bezüglich des Hochschulzugangs sein, da im Hinblick auf Letzteren ein enger Zusammenhang mit dem sich in der Zuständigkeit der Länder befindenden Schulwesen bestehe 452. Mit den „Hochschulabschlüssen“ soll der Bund „im Interesse der Gleichwertigkeit einander entsprechender Studienleistungen und Studienabschlüsse“ in die Lage versetzt werden „die Abschlussniveaus und die Regelstudienzeiten zu regeln“ und so einen Beitrag zur Verwirklichung des in der Bolognaerklärung vom 19. Juni 1999 für das Jahr 2010 angestrebten einheitlichen europäischen Hochschulraums leisten 453. Aus diesem Zusammenhang ergibt sich, dass mit der Befugnis zur Regelung der Abschlussniveaus auch inhaltliche Fragen der Studiengänge festgelegt werden können 454. 448 Vgl. dazu PAU-1/0003, Positionspapier für die PG 1 vom 9. Juni 2004, Justizministerin des Landes Niedersachsen Heister-Neumann, S. 5; Gerhards, in: Holtschneider (Hrsg), Bundesstaat, S. 111. Überzeugend sind daher die Ausführungen von Nierhaus / Rademacher, LKV 2006, S. 391 und Klein / Schneider, DVBl. 2006, S. 1552. 449 BT-Drs. 16/813, S. 9. Vgl. zu diesem vermeintlichen „unauflösbaren regelungsinternen Widerspruch“, Kotulla, NVwZ 2007, S. 491; Degenhart, NVwZ 2006, S. 1212 und in: Sachs, GG, Art. 72 GG Rn. 42; Stettner, in: Dreier, GG – Supplementum, Art. 72 GG Rn. 47 und Art. 74 GG Rn. 3; Uhle, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 72 GG Rn. 48 und 66; Köck / Wolf, NVwZ 2008, S. 356. 450 Ebenso Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 72 GG Rn. 43. 451 BT-Drs. 16/813, S. 14. 452 BT-Drs. 16/813, S. 14. 453 BT-Drs. 16/813, S. 14.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

Bundesgesetze auf den in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG genannten Gebieten treten grundsätzlich erst sechs Monate nach ihrer Verkündung in Kraft (vgl. Art. 72 Abs. 3 Satz 2 GG), um den Landesgesetzgebern in dieser Zeit Gelegenheit zum Erlass abweichenden Landesrechts zu geben, durch das die Anwendung des Bundesrechts in ihrem Territorium verhindert wird. Dahinter steht die Überlegung kurzfristig wechselnde Rechtsbefehle an den Bürger zu vermeiden. Fraglich könnte sein, ob sich dieser mit der Anordnung des verzögerten Inkrafttretens des Bundesgesetzes verfolgte Sinn und Zweck bei uneingeschränkter Geltung der lex-posterior-Regel verwirklichen lässt. Diese ist in Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG statuiert und legt fest, dass im Verhältnis von Bundes- und Landesrecht das jeweils spätere Gesetz vorgeht. Stellt man nun für die Anwendung des lex-posterior-Grundsatzes auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens ab, würde ein innerhalb der sechs Monate in Kraft getretenes Landesgesetz von dem erst nach sechs Monaten in Kraft tretenden Bundesgesetz in der Anwendung verdrängt. Der Sinn und Zweck dieses Aufschubes, den Ländern eine abweichende Regelung zu ermöglichen, ohne dass das Bundesgesetz in dem abweichungswilligen Bundesland jemals zur Anwendung kommt, wäre bei wortgetreuer Auslegung nicht zu realisieren. Diese Schwierigkeiten lassen sich jedoch vermeiden, wenn der lex-posterior-Grundsatz auf den Zeitpunkt der Verkündung und nicht erst auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens bezogen wird. Einwände, die dieser Lösung entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich, so dass ihr zur Verwirklichung der gesetzgeberischen Intention der Vorzug zu geben ist 455. Darüber hinaus könnte zweifelhaft sein, ob dieser, die Inkrafttretensregelung des Art. 82 Abs. 2 GG modifizierende, Retard-Effekt 456 auch für diejenigen Gesetzesteile gilt, von denen die Länder ohnehin nicht abweichen dürfen. Nach Wortlaut und systematischem Zusammenhang findet die Sechsmonats-Frist auf diese Regelungen keine Anwendung, da in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG ausdrücklich auf die den Ländern zur Abweichung offen stehenden Materien Bezug genommen wird. Gegen das verzögerte Inkrafttreten der abweichungsfesten Kerne spricht auch ganz entscheidend der mit Art. 72 Abs. 3 Satz 2 GG verfolgte Sinn und Zweck. Die Länder sollten innerhalb dieses Zeitraums die Gelegenheit erhalten, abweichende Regelungen mit Anwendungsvorrang zu erlassen. Diese Möglichkeit besteht bei den abweichungsfesten Kernen jedoch schon gar nicht, 454

Vgl. dazu Hansalek, NVwZ 2006, S. 669 f.; Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 32 Rn. 57; Kluth, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 74 GG Rn. 31. 455 So auch Germann, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 84 GG Rn. 50. Anders Stettner, in: Dreier, GG – Supplementum, Art. 72 GG Rn. 50 und Sauer, Jura 2007, S. 545, die auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens abstellen. Während Stettner trotz des entgegenstehenden Sinns der Regelung dann einer wortgetreuen Auslegung folgt, will Sauer abweichende Landesgesetze auch bei früherem Inkrafttreten dem Bundesrecht in der Anwendung vorgehen lassen. 456 Klein / Schneider, DVBl. 2006, S. 1552.

1. Abschn.: Zu den Gesetzgebungskompetenzen

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so dass ein Aufschub des Inkrafttretens seinen Zweck nicht erreichen könnte. Die Karenzzeit gilt daher nicht für die abweichungsfesten Kerne 457. Mit Zustimmung des Bundesrates kann die Karenzzeit verkürzt oder ausgeschlossen werden. Die Zustimmungspflichtigkeit bezieht sich nicht auf das Gesetz als Ganzes, sondern nur auf die Frage der Fristverkürzung 458, wie sich aus Wortlaut („soweit“), Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck dieser Regelung ergibt. b) Abweichungsbefugnis der Länder Das Abweichungsrecht der Länder kommt erst zum Tragen, wenn der Bundesgesetzgeber in Bezug auf eine der in Art. 72 Abs. 3 GG aufgezählten Materien von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht hat. Ist er dagegen noch nicht gesetzgeberisch tätig geworden, ergibt sich die Zuständigkeit der Länder nach der Grundstruktur des Art. 72 GG ohne weitere Beschränkungen unmittelbar aus Art. 72 Abs. 1 GG. Für die Frage, wann der Bundesgesetzgeber von seiner Gesetzgebungszuständigkeit „Gebrauch gemacht hat“ ist in zeitlicher Hinsicht maßgeblich, dass das Gesetz verkündet worden ist und in sachlicher Hinsicht, dass ein bestimmter Sachverhalt ausdrücklich – auch negativ – geregelt wurde 459. Insoweit kann auf die in diesem Abschnitt gemachten Ausführungen unter C. I. 2. zu dem Eintritt der Sperrwirkung verwiesen werden. Allerdings dürfte dieser Voraussetzung in der Praxis keine große Bedeutung zukommen. Der Bund hat auf der Grundlage der Rahmenkompetenz zu allen in die Abweichungsgesetzgebung eingeordneten Materien Rahmengesetze erlassen, die nach der Übergangsvorschrift des Art. 125b Abs. 1 Satz 1 GG weitergelten. In Art. 125b Abs. 1 Satz 3 GG ist geregelt, wann die Länder erstmals von ihrer Abweichungsbefugnis Gebrauch machen dürfen. Für das Jagdwesen, die Bodenverteilung und die Raumordnung haben die Länder die Möglichkeit zur Abweichung mit dem Inkrafttreten der Grundgesetzänderung erhalten. Im Bereich des Naturschutzes und der Landschaftspflege, dem Wasserhaushalt sowie der Hochschulzulassung und der Hochschulabschlüsse erst dann, wenn und soweit der Bund ab dem 1. September 2006 von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht hat, für die umweltrelevanten Materien jedoch spätestens ab dem 457

Ebenso Battis, DVBl. 2007, S. 157. Da es sich um eine Schutzfrist für die Länder handelt, ist die Zustimmung des Bundesrates lediglich für eine Fristverkürzung erforderlich, vgl. Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 72 GG Rn. 31 GG. 459 Vgl. dazu Oeter, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG – Band 2, Art. 72 GG Rn. 59. Im Interesse der Rechtsklarheit sollte der Bundesgesetzgeber bereits in seinem Bundesgesetz deutlich machen, ob und inwieweit den Ländern Raum für eigene Regelungen nach Art. 72 Abs. 1 GG bleibt. 458

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

1. Januar 2010, für die Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse spätestens ab dem 1. August 2008. Die Länder sind wegen des fortgeltenden Bundesrechts also nur in dem Umfang nach Art. 72 Abs. 1 GG gesetzgebungsberechtigt, in dem der Bund Regelungslücken gelassen hat. Andernfalls steht ihnen lediglich die Befugnis zur Abweichung nach Art. 125b Abs. 1 Satz 3 GG unter den dort festgelegten zeitlichen Restriktionen 460 zu. Insoweit könnte zweifelhaft sein, ob die sich aus Art. 72 Abs. 3 GG ergebenden Anforderungen auch für eine Abweichung von Altrecht gelten. Art. 125b Abs. 1 GG selbst enthält hierzu keine Aussage. Allerdings könnte der Umstand, dass in ihm eine abweichende Regelung anders als ihm Rahmen des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG nicht an ein Gesetz geknüpft ist, für eine gegenüber Art. 72 Abs. 3 GG eigenständige Regelung sprechen. Die Folge wäre, dass die Länder gegebenenfalls durch den Erlass einer Rechtsverordnung und zudem von den die abweichungsfesten Kerne betreffenden Bundesrahmenregelungen abweichen dürften. Der Charakter des Art. 125b GG als Übergangsvorschrift steht einer solchen Auslegung jedoch entgegen. Art. 125b GG ist als Komplementärbestimmung zu Art. 72 Abs. 3 GG zu begreifen, die Voraussetzungen und Rechtsfolgen dieser Norm teilt 461. aa) Beschränkungen des materiellen Abweichungsrechts der Länder Die Abweichungsgesetzgebung muss mehrfache Anforderungen erfüllen. Zunächst müssen die Länder ihre abweichenden Vorstellungen ausweislich des Wortlauts des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG in einem förmlichen Landesgesetz regeln. Eine Rechtsverordnung ist demnach nicht ausreichend. Der Landesgesetzgeber muss in dem Landesgesetz genau bezeichnen, von welcher Norm oder von welchen Normkomplexen des Bundesgesetzes er abweichen will. Zwar wurde eine diesbezügliche Pflicht trotz der expliziten Anmahnung einiger Sachverständiger 462 nicht in das Grundgesetz aufgenommen. Sie ergibt sich aber auch ohne ausdrückliche Festlegung aus dem Gebot der Normenklarheit 463. Nur auf diese Weise lässt sich feststellen, ob ein Landesgesetzgeber 460

„Temporäre Veränderungssperre“, Kotulla, NVwZ 2007, S. 492. A. A. Glaser, NuR 2007, S. 441. 462 So Huber und Pestalozza, Rechtsausschussprotokoll 12 vom 15. / 16. Mai 2006, S. 40 und 51. 463 Vgl. dazu die die Föderalismusreform begleitende Entschließung, in der sich Bund und Länder verpflichten, abweichendes Landesrecht fortlaufend gemeinsam mit dem Bundesrecht, von dem abgewichen wird, in einer für die Rechtsanwender zugänglichen Weise zu dokumentieren. Gedacht ist dabei an eine Veröffentlichung in dem Dokumentationssystem „juris“, BT-Drs. 16/2052, S. 9. Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, S. 255 hält dies für unzureichend. 461

1. Abschn.: Zu den Gesetzgebungskompetenzen

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von seinem Recht zur Abweichung Gebrauch machen will, ob er sich an die grundgesetzlichen Vorgaben hält und welches Recht in der Anwendung vorgeht. Salvatorische Klauseln, die pauschal darauf verweisen, dass bei fehlender Übereinstimmung zwischen Bundes- und Landesrecht von dem Abweichungsrecht Gebrauch gemacht wurde, sind dafür nicht ausreichend 464. Inhaltlich muss es sich bei den Landesgesetzen um „abweichende Regelungen“ handeln. Dies umschließt etwa die Befugnis das Bundesgesetz abzuändern, zu konkretisieren oder zu erweitern. In dreierlei Hinsicht könnte eine Beschränkung dieses grundsätzlich vollumfänglich bestehenden landesgesetzgeberischen Gestaltungsspielraums zu diskutieren sein. Die erste Konstellation betrifft den Fall, dass die Länder allein die Nichtanwendbarkeit des Bundesrechts anordnen (Negativgesetzgebung). Das kann in der Form geschehen, dass das gesamte Bundesgesetz aufgehoben wird, aber auch in der Form, dass nur Normgruppen bzw. einzelne Normen für nicht anwendbar erklärt werden. Angezweifelt wird, ob in solchen Fällen überhaupt eine Regelung vorliegt, da dafür eine Entscheidung in der Sache erforderlich sei 465. Eine Regelung zeichnet sich jedoch nicht durch eine Sachentscheidung, sondern durch die Festlegung von Rechtsfolgen aus. Diese Voraussetzung ist nicht nur erfüllt, wenn inhaltliche Bestimmungen positiv getroffen werden, sondern auch dann, wenn negativ auf sie verzichtet wird, so dass einer Negativgesetzgebung Regelungsqualität zuzuerkennen ist. Darüber hinaus müsste sie aber auch von dem Begriff des „Abweichens“ gedeckt sein. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird unter „Abweichen“ eine „eingeschlagene Richtung verlassen“ oder auch „verschieden sein, sich unterscheiden“ verstanden. Die Anordnung, dass die bundesgesetzliche Regelung, sei es im Ganzen oder in Teilen, nicht anwendbar ist, lässt sich in diesem Sinne unter den Begriff des „Abweichens“ subsumieren. Maßgeblich für die Zulässigkeit der Negativgesetzgebung dürfte letztlich der mit der Abweichungsgesetzgebung verfolgte Sinn und Zweck sein. Die Länder sollten durch Art. 72 Abs. 3 GG eigene gesetzgeberische Konzeptionen verwirklichen können 466. Die alleinige Aufhebung bundesgesetzlicher Regelungen stellt aber auch und gerade in Form eines absichtsvollen Regelungsverzichts eine eigene gesetzgeberische Gestaltungskonzeption dar 467. 464 Fischer-Hüftle, NuR 2007, S. 80; Franzius, NVwZ 2008, S. 495. Von dem Abweichungsrecht kann also nur explizit Gebrauch gemacht werden. Für versteckte Abweichungen gelten die üblichen Regeln, also insbesondere die Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG. 465 So Degenhart, NVwZ 2006, S. 1213 und in: Sachs, GG, Art. 72 GG Rn. 43; Franzius, NVwZ 2008, S. 494; Hendrischke, NuR 2007, S. 455; Köck / Wolf, NVwZ 2008, S. 356. 466 BT-Drs. 16/813, S. 11. 467 Ebenso Sauer, Jura 2007, S. 544; Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 72 GG Rn. 30; Sannwald, in Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 72 GG Rn. 80 i; im Ergebnis auch, Uhle, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 72 GG Rn. 51.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

Dass die Länder von der Möglichkeit einer reinen „Abschaffungsgesetzgebung“ 468 regelmäßig Gebrauch machen werden, ist nicht zu befürchten. Sie sind in gleicher Weise wie der Bund an verfassungs-, europa- und völkerrechtliche Vorgaben gebunden 469 und müssen deshalb in bestimmten Bereichen gesetzgeberisch tätig werden. Die Gefahr einer auf die abweichungsfesten Kerne reduzierten Bundesgesetzgebung ist vor diesem Hintergrund als gering einzuschätzen. Die zweite fragliche Konstellation liegt vor, wenn der Landesgesetzgeber ein zu dem Bundesgesetz inhaltsgleiches Landesgesetz erlässt. Dies könnte von der Abweichungsbefugnis der Länder dann umfasst sein, wenn allein in dem Tätigwerden eines anderen Gesetzgebers ein Abweichen, gleichsam in formeller Hinsicht gesehen werden könnte 470. Bei einer solchen Betrachtungsweise käme dem Begriffsmerkmal der „abweichenden“ Regelung jedoch keinerlei begrenzende Wirkung zu, da das Handeln durch einen anderen Gesetzgeber der Konstruktion einer echten konkurrierenden Zuständigkeit immanent ist. Überdies spricht wiederum entscheidend der Sinn und Zweck der Abweichungsgesetzgebung – die Wiederholung des Bundesgesetzes dient nicht der Verwirklichung eigener Regelungskonzepte – gegen eine solche Sicht. Eine „abweichende“ Regelung ist daher nur anzunehmen, wenn auch materiell von einem Bundesgesetz abgewichen wird 471. Dabei ist es jedoch unschädlich, neben abweichenden Landesregelungen das unverändert bleibende Bundesrecht im Landesgesetz zu wiederholen. Vielmehr ist eine solche Handhabung unter dem Gesichtspunkt der Rechtsklarheit sogar wünschenswert, ist dann doch für eine Sachmaterie einheitlich Landesrecht anwendbar. Schwierigkeiten bereitet schließlich die Konstellation, in der der Bundesgesetzgeber durch einen „absichtsvollen Regelungsverzicht“ von seiner Zuständigkeit Gebrauch gemacht hat. In diesen Fällen wird eine Einschränkung des Abweichungsrechts diskutiert, weil ein abweichendes Landesgesetz „eine Umgestaltung (Erweiterung) des Bundesgesetzes“ 472 zur Folge hätte. Genauso wie es dem Landesgesetzgeber aber erlaubt ist, von positiven Regelungen abzuweichen, kann er auch von bewussten Nichtregelungen abweichen und dadurch das Bundesgesetz umgestalten. Das Bundesgesetz muss weder in der einen noch in der anderen 468

Vgl. die Befürchtung von Fischer-Hüftle, NuR 2007, S. 81. BT-Drs. 16/813, S. 11. Weitergehende Beschränkungen aus verfassungsrechtlichen Grundsätzen bestehen dagegen nicht, anders Mayen, DRiZ 2007, S. 54. 470 So Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 72 GG Rn. 30; Sannwald, in: SchmidtBleibtreu, GG, Art. 72 GG Rn. 80 i; Frenz, Jura 2007, S. 167; Ipsen, NJW 2006, S. 2804; Glaser, NuR 2007, S. 441. 471 So auch Uhle, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 72 GG Rn. 51; Stettner, in: Dreier, GG – Supplementum, Art. 72 GG Rn. 51; Mayen, DRiZ 2007, S. 54. 472 In diesem Sinne Fischer-Hüftle, NuR 2007, S. 81; Stettner, in: Dreier, GG – Supplementum, Art. 72 GG Rn. 52; ebenso Franzius, NVwZ 2008, S. 494, der allerdings davon ausgeht, dass in solchen Fällen keine Sperrwirkung nach Art. 72 Abs. 1 GG eintritt. 469

1. Abschn.: Zu den Gesetzgebungskompetenzen

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Richtung in seinem Regelungsumfang erhalten bleiben 473. Zuzugeben ist indes, dass Probleme bei der Frage auftreten können, ob und in welchem Umfang der Landesgesetzgeber von einem Bundesgesetz abgewichen ist, insbesondere weil eine Bezeichnung der von der Abweichung verdrängten bundesgesetzlichen Normen nicht möglich ist. Allerdings kann anhand verschiedener Kriterien ermittelt werden, ob ein bewusster Regelungsverzicht des Bundesgesetzgebers vorliegt und auf welchen tatsächlichen Bereich er sich bezieht. Diesen kann und muss der Landesgesetzgeber, will er sein Abweichungsrecht wahrnehmen, angeben. Als Negativvoraussetzung darf sich die Abweichungsgesetzgebung der Länder nicht auf die in Klammern gesetzten Teilbereiche, also nicht auf die sogenannten abweichungsfesten Kerne erstrecken 474, die da sind: (1) Ohne das Recht der Jagdscheine (Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GG) Das „Recht der Jagdscheine“ lässt sich in seiner Reichweite vornehmlich mit Hilfe der im vierten Abschnitt des Bundesjagdgesetzes befindlichen Regelungen (§§15 – 18a BJagdG) umreißen 475, erfasst also insbesondere die Regelungen zur Erteilung sowie über die Versagung und Entziehung der Jagdscheine.

473 Anders Fischer-Hüftle, NuR 2007, S. 81, der den Bundesgesetzgeber im Falle einer späteren Regelung nicht damit belasten will, die in der Anwendung verdrängten Landesregelungen ausfindig zu machen. Dieser Annahme liegt die Vorstellung zugrunde, dass die konkurrierende Gesetzgebung in erster Linie Gesetzgebung des Bundes ist. Auch wenn dies in der Realität zutreffen mag, sind es nach der Systematik die Länder, denen der erste Zugriff gebührt. Die Abweichungsgesetzgebung ist daher nicht eine Ausnahme zu der Grundregel, sondern eine Rückausnahme zu der Ausnahme und stellt damit die Grundregel partiell wieder her. Dagegen ebenfalls die Abweichungsgesetzgebung als Ausnahmetatbestand bezeichnend, Kesper, NdsVBl. 2006, S. 150 und Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, S. 256 mit der Konsequenz, das Abweichungsrecht eng, die abweichungsfesten Kerne demgegenüber weit zu interpretieren. 474 Bei einem Verstoß gegen diese Voraussetzung wird das Bundesverfassungsgericht die sich aus der Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG ergebende (Teil-) Nichtigkeit des Landesgesetzes feststellen, vgl. zu diesem Problemkreis Sauer, Jura 2007, S. 544 f. Diskutiert wird, ob für die Raumordnung trotz der fehlenden Normierung eines abweichungsfesten Kerns Bereiche von der Abweichungsgesetzgebung ausgenommen werden. Dafür Battis, DVBl. 2007, S. 158 f. Angesichts des klaren Wortlauts ist dies abzulehnen. Die Bundeskompetenz für die Bundesraumordnung kraft Natur der Sache bleibt unberührt, vgl. zu dieser Kompetenz BVerfGE 3, 407 (427 f.). 475 Glaser, NuR 2007, S. 441; nähere Konkretisierungen bei Sannwald, in: SchmidtBleibtreu, GG, Art. 72 GG Rn. 80 i.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

(2) Ohne die allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes, das Recht des Artenschutzes oder des Meeresnaturschutzes (Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG) Zur Definition der Grundsätze des Naturschutzes wird in der Gesetzesbegründung auf die in Anlage 2 der Koalitionsvereinbarung vom 18. November 2005 enthaltene Formulierung Bezug genommen: „Die Kompetenz für die Grundsätze des Naturschutzes gibt dem Bund die Möglichkeit, in allgemeiner Form bundesweit verbindliche Grundsätze für den Schutz der Natur, insbesondere für die Erhaltung der biologischen Vielfalt und zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes festzulegen. Nicht davon erfasst sind beispielsweise die Landschaftsplanung, die konkreten Voraussetzungen und Inhalte für die Ausweisung von Schutzgebieten, die gute fachliche Praxis für die Land- und Forstwirtschaft und die Mitwirkung der Naturschutzverbände“ 476. Zunächst könnte man der Ansicht sein, dass diese Erklärung nur insofern von Wert ist, als sie jedenfalls negativ aufzählt, was eindeutig nicht unter die Grundsätze des Naturschutzes fällt. Indes macht die Bezugnahme auf die Erhaltung der biologischen Vielfalt und die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes einen wesentlichen Punkt deutlich. Ein Grundsatz im Sinne des Grundgesetzes kann auch, wie ein Vergleich mit der Formulierung in § 1 BNatSchG zu erkennen gibt, ein Ziel im Sinne des BNatSchG sein 477. Im Hinblick auf den Entstehungsprozess des abweichungsfesten Kerns mutet diese Feststellung freilich erstaunlich an, denn Bestandteil der Gesamteinigung im Umweltrecht war gerade, die Ziele des Naturschutzrechtes nicht abweichungsfest auszugestalten. Dass dieser Begleittext des Koalitionsvertrages dennoch auf die Zustimmung der Länder stieß, lässt vermuten, dass es ihnen maßgeblich auf die Negativauflistung ankam 478. Im Ergebnis wäre eine andere Auslegung auch gar nicht möglich gewesen, da die Grundsätze die Ziele konkretisieren und sie insoweit mit enthalten. Die Diskussion um die Grundsätze des Naturschutzrechtes rankt sich insbesondere um die Frage, ob von diesem Passus grundlegende Instrumente des Naturschutzes erfasst sein können. Dies wird sowohl für die Eingriffsregelung 479, als auch für die in der Gesetzesbegründung explizit davon ausgenommene Land476

BT-Drs. 16/813, S. 11. Vgl. dazu Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 72 GG Rn. 80 m; Hendrischke, NuR 2007, S. 455; Köck / Wolf, NVwZ 2008, S. 358. 478 Vgl. ausführlich zu dem Beratungsverlauf und den einzelnen vertretenen Positionen Rüttgers, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 207 f. 479 Benneter / Poschmann, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 192; Kotulla, NVwZ 2007, S. 493; Stüer, DVBl. 2007, S. 1545; Hendrischke, NuR 2007, S. 457; Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, S. 257; Franzius, NVwZ 2008, S. 496; Köck / Wolf, NVwZ 2008, S. 359; Otto / Sanden, NuR 2007, S. 804. Vgl. insoweit auch die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage in BT-Drs. 16/767 vom 27. Februar 2006, S. 5 f. 477

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schaftsplanung unter Berufung auf den mit der Festlegung des abweichungsfesten Sektors verfolgten Normzweck, einen wirksamen Naturschutz sicherzustellen, nahezu einhellig bejaht 480. Jedoch betont das die Grundsätze ergänzende Begriffsmerkmal „allgemeine“, auch ohne einen höheren Verallgemeinerungsgrad der schon wesensimmanent allgemeinen Grundsätze zu bewirken 481, dass der Bund nur zurückhaltend von seinem Recht zur Normierung des abweichungsfesten Kerns Gebrauch machen darf. Diese Einschränkung ist auf Empfehlung des Rechtsausschusses aufgenommen worden, nachdem die Befürchtung geäußert wurde, der Bund werde die Rahmengesetzgebung über die „Grundsätze“ im Wege einer gleich detaillierten, abweichungsfesten Grundsatzgesetzgebung fortführen 482. Der Bund muss den Ländern im Vergleich zur vormaligen Rahmengesetzgebung also ein Mehr an Konkretisierungen überlassen, indem er entsprechende Regelungen weder bis ins letzte Detail noch in seiner bisherigen rahmenrechtlichen Ausprägung abweichungsfest ausgestaltet. Der Artenschutz und der Meeresnaturschutz sind vollständig von der Abweichungsgesetzgebung ausgeschlossen, wobei nach der Gesetzesbegründung der jagdrechtliche Artenschutz nicht von dem Recht des Artenschutzes umfasst sein soll 483. Unter Artenschutz ist in Anlehnung an die einfachgesetzlichen §§ 39 ff. BNatSchG die Erhaltung der Vielfalt wildlebender Tiere und Pflanzen und damit auch der Schutz ihrer Lebensräume und Lebensstätten zu verstehen 484. Der Meeresnaturschutz beinhaltet den maritimen Arten- und Gebietsschutz sowie die naturschutzfachliche Bewertung bei der Realisierung von Vorhaben im maritimen Bereich. Die fehlende Abweichungsmöglichkeit in diesem Bereich soll dem Bund ermöglichen, verbindliche Regelungen zum maritimen Biodiversitätsschutz zu erlassen 485. Inhaltlich umfasst der Begriff des „Meeres“ bzw. „maritim“ 480

Stüer, DVBl. 2007, S. 1545; Hendrischke, NuR 2007, S. 458; Fischer-Hüftle, NuR 2007, S. 83; Kotulla, NVwZ 2008, S. 489; Köck / Wolf, NVwZ 2008, S. 88. So auch der Referentenentwurf des UGB III, vgl. § 8. Konsentiert ist dabei, dass aufgrund des unlösbaren Zusammenhangs zwischen Naturschutz und Landschaftspflege, auch Grundsätze der Landschaftspflege abweichungsfest ausgestaltet werden können. 481 Vgl. dazu Fischer-Hüftle, NuR 2007, S. 82: „redundant“; Kotulla, NVwZ 2007, S. 492; Hendrischke, NuR 2007, S. 456; Köck / Wolf, NVwZ 2008, S. 358; Otto / Sanden, NuR, S. 803; anders wohl Stettner, in: Dreier, GG – Supplementum, Art. 72 GG Rn. 55. 482 Vgl. Benneter / Poschmann, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 192. Dass diese Besorgnis begründet war, bestätigen die Ausführungen Kotullas, der nur diejenigen Konkretisierungen, die auch schon innerhalb der Rahmengesetzgebung von den Ländern vorgenommen werden konnten, der Abweichungsgesetzgebung zugänglich machen will, vgl. NVwZ 2007, S. 493. 483 BT-Drs. 16/813, S. 11. 484 Siehe hierzu Kotulla, NVwZ 2007, S. 493; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 72 GG Rn. 80 n. 485 BT-Drs. 16/813, S. 11.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

nicht nur den Bereich der Ausschließlichen Wirtschaftszone (§ 38 BNatSchG), sondern auch die Küstengewässer innerhalb der von der Bundesrepublik als Hoheitsgebiet beanspruchten Zwölf-Seemeilen-Zone 486. (3) Ohne stoff- oder anlagenbezogene Regelungen (Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG) Abweichungsfest ausgestaltet sind mit stoff- und anlagenbezogenen Regelungen Kernbereiche des Gewässerschutzrechtes. Die Gesetzesbegründung ist bei der Definition der stoff- und anlagenbezogenen Regelungen wenig hilfreich, enthält sie doch lediglich eine Erklärung, wann eine auf Stoffe oder Anlagen „bezogene“ Regelung vorliegt. Das soll der Fall sein, wenn Gegenstand der Regelung stoffliche oder von Anlagen ausgehende Einwirkungen auf den Wasserhaushalt sind 487. Als „Stoff“ bezeichnet man grundsätzlich alle chemischen Elemente und ihre Verbindungen, einschließlich der Gemische, Gemenge und Lösungen unabhängig von ihrem jeweiligen Aggregatzustand 488. Eine stoffliche Einwirkung ist in Anlehnung an das WHG jedenfalls bei die Beschaffenheit des Wassers gefährdenden Stoffen und Abwassereinleitungen anzunehmen 489. Darüber hinaus ist sie auch dort zu bejahen, wo es im WHG um den zu bewahrenden qualitativen Zustand des Gewässers geht, also um sogenannte Wasserqualitätsziele 490. Der Begriff der „Anlage“ ist unter Berücksichtigung des Ziels, das mit der Schaffung dieses abweichungsfesten Kerns verbunden war, zu interpretieren. Der Bund sollte insbesondere die integrierte Anlagengenehmigung als Kernstück eines Umweltgesetzbuches, das einheitliche materielle und verfahrensrechtliche Anforderungen voraussetzt, abweichungsfest regeln können. Der Anlagenbegriff ist deswegen weit auszulegen und nicht nur als eine wasserspezifische Anlage im Sinne des WHG zu verstehen. Er umfasst alle künstlich hergestellten Einrichtungen, die geeignet sind, nachteilig auf das Gewässer einzuwirken 491. Regelungen, die von Anlagen ausgehende Einwirkungen zum Gegenstand haben, sind nicht nur solche über den Betrieb einer Anlage, sondern auch jene über die Errichtung, Stilllegung und Beseitigung einer Anlage 492. 486 So Kotulla, NVwZ 2007, S. 493; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 72 GG Rn. 80 o. 487 BT-Drs. 16/813, S. 11. 488 Kotulla, NVwZ 2007, S. 493. 489 Ginzky / Rechenberg, ZUR 2006, S. 347. 490 So Benneter / Poschmann, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 192; Kotulla, NVwZ 2007, S. 494. 491 Ausführlich Benneter / Poschmann, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S.189ff.; Ginzky / Rechenberg, ZUR 2006, S. 346 f.; Kotulla, NVwZ 2007, S. 494. 492 Ginzky / Rechenberg, ZUR, S. 347; Benneter / Poschmann, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 189.

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bb) Ermessensentscheidung der Länder und Rechtsfolgen eines „Abweichens“ Ob die Länder ihr Abweichungsrecht wahrnehmen, ist ihnen ausweislich des Wortlauts des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG („können“) freigestellt. Jedes Land kann daher für sich entscheiden, ob es von diesem Recht Gebrauch machen will. Wird nur in einem Teil der Länder von dem Bundesgesetz abgewichen, kommt es zur Entstehung (landesexternen 493) partiellen Bundesrechts, da in den übrigen Ländern die bisherige bundesrechtliche Regelung unverändert zur Anwendung gelangt. Genau wie die Frage des „ob“, steht auch der Umfang der abweichenden Landesregelungen nach der grundgesetzlichen Ausgestaltung im politischen Ermessen der Länder. Entschließt sich ein Land nur partiell von der bundesgesetzlichen Regelung abzuweichen, führt dies zu (landesinternem 494) partiellem Bundesrecht, dessen Existenz vom Grundgesetz durch die Ausgestaltung des Art. 72 Abs. 3 GG implizit zugelassen wird. Unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit könnte zu diskutieren sein, ob die Länder zum Mindesten in abgrenzbaren Teilbereichen von ihrem Abweichungsrecht Gebrauch machen müssen. Dagegen sprechen jedoch sowohl die Entstehungsgeschichte – ein entsprechender Vorschlag wurde gerade nicht übernommen 495 – als auch der Sinn und Zweck der Abweichungsbefugnis, mit der eine Reaktion auf unterschiedliche strukturelle Anforderungen und Bedingungen ermöglicht werden sollte. Diese werden in der Regel aber kein umfängliches Abweichen erfordern. Anders als im Rahmen des Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG können die Länder daher auch nur punktuelle Änderungen an bestehenden Bundesgesetzen vornehmen 496. Die Länder müssen bei einem punktuellen Abweichen allerdings dergestalt von ihrem Recht Gebrauch machen, dass insgesamt ein sinnvolles und zusammenhängendes Gesetzeswerk bestehen bleibt. Die nicht von der Abweichung erfassten Bundesvorschriften dürfen in ihrer Funktion nicht beeinträchtigt werden 497. Im Verhältnis von Bundesrecht zu Landesrecht geht das jeweils spätere Gesetz nach Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG vor. Nach der Gesetzesbegründung ist diese Vor493

So die Bezeichnung von Uhle, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 125a Abs. 2 GG Rn. 48. Uhle, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 125a GG Abs. 2 Rn. 48. 495 Vgl. hierzu PAU-1/0013, Zur Verankerung und Systematik des Gesetzgebungstyps der „Zugriffsgesetzgebung“ vom 24. August 2004, BY, BR, NS, NW und SA, S. 3 unter b): danach sollten die Länder verfassungsrechtlich dazu angehalten werden, nur in „Sachzusammenhängen“ von ihrem Zugriffsrecht Gebrauch zu machen. 496 So auch Stettner, in: Dreier, GG – Supplementum, Art. 72 GG Rn. 51; Stöbener, JURA 2008, S. 329 f.; Schmahl, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2006, S. 232 allerdings mit dem Hinweis, dass dadurch die im Ladenschlussurteil noch vermiedene dem Grundgesetz fremde Mischlage zwischen Bundes- und Landesrecht verfassungsrechtlich zementiert werde. 497 Fischer-Hüftle, NuR 2007, S. 81. 494

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

schrift eine Ausnahme zu dem Grundsatz des Art. 31 GG „Bundesrecht bricht Landesrecht“ 498. Präziser ist das Verhältnis beider Normen mit der Charakterisierung des Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG als Spezialnorm umschrieben, da die Kompetenznormen der Art. 70 ff. GG bei Normenkollisionen der Anwendung des Art. 31 GG als leges speciales vorgehen 499. Der Grundsatz des Art. 31 GG hat daher ein äußerst begrenztes Anwendungsfeld und kommt nur zum Tragen, wenn es um das Verhältnis von kompetenzgemäßem Bundesrecht zu kompetenzgemäßen Landesrecht geht 500. Im Bereich der Abweichungsgesetzgebung haben der Bund und die Länder ein auf den gleichen Gegenstand bezogenes Gesetzgebungsrecht, von dem sie nebeneinander Gebrauch machen können. Der inhaltliche Widerspruch von abweichendem Landesrecht zu Bundesrecht 501 würde nach Art. 31 GG in der Weise gelöst, dass stets das Landesrecht als nichtig zu betrachten wäre 502. Da diese Rechtsfolge dem Wesen der Abweichungsgesetzgebung auch nicht nur annähernd gerecht werden könnte, enthält Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG eine speziellere und auf das Abweichungsrecht zugeschnittene Lösung. Die Rechtsfolge des Art. 31 GG wird dort durch die ausdrückliche Anordnung des Anwendungsvorrangs („geht vor“) in zweifacher Hinsicht modifiziert 503. Zum einen tritt an die Stelle der Nichtigkeitsfolge ein Anwendungsvorrang des zuletzt erlassenen Gesetzes. Das verdrängte Gesetz bleibt also in Kraft und findet bei Wegfall des zeitlich nachfolgenden Gesetzes wieder Anwendung. Zum anderen setzt sich nicht zwingend das Bundesrecht durch, sondern es kann vielmehr auch das Landesrecht vorgehen.

498 BT-Drs. 16/813, S. 11. Dagegen soll das Abweichungsrecht nach Germann als verfassungsrechtliche Sperre für einen abschließenden Gebrauch der Bundeskompetenz im Sinne des Art. 72 Abs. 1 GG fungieren, vgl. seine Ausführungen dazu in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 84 GG Rn. 36 ff. 499 Zu diesem Verhältnis Huber, in: Sachs, GG, Art. 31 GG Rn. 4; Vogel, in: Benda (Hrsg.), HdbVR, S. 1059 Rn. 41; Gubelt, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 31 GG Rn. 1 f.; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 31 GG Rn. 1. Demgegenüber geht März, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG – Band 2, Art. 31 GG Rn. 21 davon aus, dass es sich bei der Kompetenzfrage um eine logisch vorgelagerte Frage handelt. Ablehnend, Gubelt, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 31 GG Rn. 17. 500 Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 132 Rn. 224; Hanebeck, Bundesstaat, S. 238; Dreier, in: Dreier, GG – Band 2, Art. 31 GG Rn. 19. 501 Tatbestandlich setzt die Anwendung des Art. 31 GG einen Normwiderspruch voraus, vgl. BVerfGE 36, 342 (363); 40, 296 (327). 502 Die Rechtsfolge des Art. 31 GG ist umstritten. Die herrschende Literaturmeinung nimmt eine Derogation des Landesrechts an, das heißt das bestehende Landesrecht wird nichtig und darf zudem nicht wieder erlassen werden, vgl. Dreier, in: Dreier, GG – Band 2, Art. 31 GG Rn. 43; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 31 GG Rn. 5. Dagegen will das BVerfG je nach Einzelfall entscheiden, welche Konsequenzen sich aus diesem Begriff ergeben, BVerfGE 36, 342 (365). 503 In diesem Sinne auch Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 72 GG Rn. 32; ähnlich Huber, in: Sachs, GG, Art. 31 GG Rn. 5.

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Der in Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG niedergelegte lex-posterior-Grundsatz wirkt sich dagegen nicht unmittelbar auf das Verhältnis zu Art. 31 GG aus 504. Er gestaltet den Anwendungsvorrang lediglich auf bestimmte Weise aus, aber auch ohne ihn läge die doppelte Ausnahme zu Art. 31 GG vor. Mit seiner Geltung wird das gewünschte Ergebnis erzielt, dass nicht nur abweichendes Landesrecht Anwendungsvorrang genießen kann, wie es die Länder zunächst vorgeschlagen hatten, sondern gegebenenfalls auch Bundesrecht 505. Kommen im Zusammenhang mit abweichenden Landesregelungen grundrechtsrelevante Streitigkeiten auf, ist Rechtsschutz nicht nur über das Bundesverfassungsgericht, sondern – zumindest in Ländern mit ausgebauter Verfassungsgerichtsbarkeit – auch über das Landesverfassungsgericht zu erlangen. Für die Auslegung sind dann Bundes- und Landesgrundrechte heranzuziehen 506. Der Bundesgesetzgeber bleibt auch nach einem Tätigwerden des Landesgesetzgebers gesetzgebungsbefugt. Aus der Geltung des lex-posterior-Grundsatzes ergibt sich, dass die abweichende Landesgesetzgebung keine Sperrwirkung für den Bundesgesetzgeber entfaltet. Man könnte allerdings auf den Gedanken kommen, dass der Bund bei der Ablösung eines abweichenden Landesgesetzes lediglich nach Art. 72 Abs. 3 GG gesetzgebungsbefugt ist und er, genau wie der Landesgesetzgeber, nur ein „abweichendes Bundesgesetz“ erlassen darf. Dafür bietet aber weder der Text des Grundgesetzes Anhaltspunkte noch ist ein systematischer Grund ersichtlich, warum die Kompetenzgrundlage des Art. 72 Abs. 1 GG keine Anwendung mehr finden sollte. Vielmehr ermächtigt Art. 72 Abs. 1 GG den Bund, auch nachdem die Länder ihr Abweichungsrecht wahrgenommen haben, sowohl zu Änderungen an bestehenden Bundesgesetzen als auch zu einem vollständigen Neuerlass. Dabei muss er von seinem Gesetzgebungsrecht in einem förmlichen Gesetz Gebrauch machen, vgl. Art. 72 Abs. 1 GG. Seine Gesetze treten gemäß Art. 72 Abs. 3 Satz 2 GG grundsätzlich frühestens sechs Monate nach ihrer Verkündung in Kraft. Inhaltlich sind dem Bund zwar keine Grenzen aus dem Wortlaut 504 So aber Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 18 Rn. 33. Der lexposterior-Grundsatz ist ein allgemein anerkannter Rechtsgrundsatz, der gewöhnlich das Verhältnis mehrerer Gesetze eines Gesetzgebers (des Bundes oder des jeweiligen Landes) bestimmt, vgl. Dreier, in: Dreier, GG – Band 2, Art. 31 GG Rn. 37 und Kesper, NdsVBl. 2006, S. 150 Fn. 48. 505 Anders die Sachverständigen Meyer und Pestalozza, die bei einer erneuten Bundesregelung Art. 31 GG anwenden wollen, vgl. Rechtsausschussprotokoll 12 vom 15. / 16. Mai 2006, S. 41 und 46. Dagegen spricht jedoch der eindeutige Wortlaut des Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG, der einen Anwendungsvorrang des nachfolgenden Rechts festlegt, ohne zwischen Bundes- und Landesrecht zu unterscheiden. 506 Klein / Schneider, DVBl. 2006, S. 1553 machen darauf aufmerksam, dass es für die Frage des Rechtsschutzes deshalb ganz maßgeblich auf die Einordnung als Bundes- oder Landesrecht ankommt.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

der Ermächtigungsgrundlage gesetzt. Gleichwohl hindert ihn der Grundsatz des länderfreundlichen Verhaltens an einer wortgleichen Wiederholung des ersten Bundesgesetzes 507, da er ansonsten die gesetzgeberischen Bemühungen der Länder ohne weiteres konterkarieren könnte. Über den Umfang der die abweichende Landesgesetzgebung verdrängenden Regelungen hat der Bund Entscheidungsfreiheit. Fraglich ist, wie es sich auswirkt, wenn der Bund lediglich eine von der Abweichung betroffene Vorschrift des Bundesgesetzes novelliert. In einem solchen Fall hat das vollständige Bundesgesetz der Anwendung des abweichenden Landesgesetzes vorzugehen 507a . Dafür streitet nicht nur der Wortlaut des Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG, nach dem das spätere „Gesetz“ und nicht nur die spätere Vorschrift den Anwendungsvorrang begründet, sondern überdies maßgeblich das aus dem Rechtsstaatsprinzip entspringende Gebot der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Ohne diese Ablösung in toto entstünde eine kaum mehr zu überblickende Rechtslage, bei der zwischen Bundesrecht, abweichendem Landesrecht und dieses wiederum partiell überlagerndem Bundesrecht zu unterscheiden wäre. Der generelle Vorrang gegenüber abweichendem Landesrecht tritt allerdings nicht ein, wenn der Bund lediglich Gesetzesteile ändert, für die kein abweichendes Landesrecht existiert 508. Dies gilt auch dann, wenn der Bund gleichzeitig seinen Geltungswillen hinsichtlich der von abweichenden Landesregelungen in der Anwendung verdrängten eigenen Gesetzespassagen kundtut. Denn im Grunde liegt hier – für die von der Abweichung betroffenen Bereiche – lediglich eine Wiederholung der bereits vorhandenen Regelungen im Bundesgesetz vor, die unter Beachtung des Grundsatzes des länderfreundlichen Verhaltens nicht zulässig ist. IV. Kompetenzqualifikation Nach der Grundgesetzänderung ist die Frage nach der kompetenzrechtlichen Qualifikation von Gesetzen aktueller denn je, da es nunmehr auch innerhalb der konkurrierenden Gesetzgebung verschiedene Kompetenzarten mit unterschiedlichen Voraussetzungen gibt. Gesetzesvorhaben werden häufig auf verschiedene Kompetenztitel gestützt, beispielsweise ist das Recht der Wirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) oftmalig auch für andere Kompetenzfelder relevant. Diese als „Mosaikkompetenz“ oder „Kompetenzmix“ bezeichnete Kombination ist im Gegensatz zu einer Doppelzuständigkeit zwischen Bund und Ländern 509 verfassungsrechtlich unproblematisch 510. 507

Ebenso Mammen, DÖV 2007, S. 378; anders aber Stöbener, JURA 2008, S. 329. So wohl auch die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/813, S. 11; ebenso FischerHüftle, NuR 2007, S. 80; Stettner, in: Dreier, GG-Supplementum, Art. 72 GG Rn. 51; Franzius, NVwZ 2008, S. 495. 508 Auf den Einzelfall abstellen will Mayen, DRiZ 2007, S. 54. 507a

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Unklar ist hingegen, an den Anforderungen welches Kompetenztypus ein Gesetzesvorhaben zu messen ist, das beispielsweise der Vorranggesetzgebung und der Erforderlichkeitsgesetzgebung unterfällt 511. Denkbar wäre es – je nach dem, wo der stärkere Sachzusammenhang bzw. der Schwerpunkt 512 des Gesetzesvorhabens liegt – das Erforderlichkeitskriterium auf das ganze Gesetz zu erstrecken oder genau umgekehrt auf die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG insgesamt zu verzichten 513. Eine anhand dieser Kriterien erfolgende abschließende Zuordnung in einen der beiden Kompetenztypen, wie sie das Bundesverfassungsgericht in Abgrenzungsfällen zwischen Bundes- und Landeszuständigkeit vornimmt, ist jedoch nicht erforderlich, da eine alternative, sich gegenseitig ausschließende Zuordnung im Gegensatz dazu gerade nicht erreicht werden muss 514. Noch weniger einleuchten will eine Interpretation, nach der unabhängig von diesen Abgrenzungskriterien Art. 72 Abs. 2 GG entweder auf das gesamte Gesetzesvorhaben oder überhaupt nicht angewandt werden soll 515. In dem einen wie im anderen Fall könnte eine noch so untergeordnete Regelung, die Voraussetzungen des vollständigen Gesetzeswerkes bestimmen und damit die Einordnungsentscheidung des verfassungsändernden Gesetzgebers, entweder als Vorrang- oder als Erforderlichkeitsgesetzgebung, konterkarieren. Sachgerecht ist es daher, die jeweiligen Teilregelungen an den für sie geltenden Ausübungsschranken zu messen 516. Dafür sind die gesetzgeberischen Vorschriften den jeweils einschlägigen Kompetenztiteln genau zuzuordnen. 509 Das Verbot der Doppelzuständigkeiten von Bund und Ländern für einen Gegenstandsbereich kann nach der Einführung der Abweichungsgesetzgebung in dieser Absolutheit keine Geltung mehr beanspruchen, vgl. zu diesem Verbot unter der früheren Rechtslage: BVerfGE 36, 193 (202 f.); 61, 149 (204): Doppelzuständigkeiten gibt es nicht, sie sind dem GG „fremd“; vgl. dazu Rozek, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG – Band 2, Art. 70 Abs. 1 GG Rn. 11. So immer noch für die jetzige Verfassungslage, Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 70 GG Rn. 62. 510 Rozek, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG – Band 2, Art. 70 Abs. 1 GG Rn. 57; Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 70 GG Rn. 58. 511 Die folgenden Ausführungen gelten auch für die Kombination von ausschließlicher Bundeskompetenz und Erforderlichkeitskompetenz. Bei einem Zusammenspiel von ausschließlicher Bundeskompetenz und Vorranggesetzgebung haben sie dagegen keine Relevanz. 512 Vgl. BVerfGE 97, 228 (251); 97, 332 (341 f.).; 98, 145 (158), 98, 265 (299). 513 In diese Richtung Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 72 Rn. 9; Degenhart, NVwZ 2006, S. 1210; Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 70 GG Rn. 8; Höfling / Rixen, GewArch 2008, S.4. 514 So auch Stettner, in: Dreier, GG – Supplementum, Art. 70 GG Rn. 36. 515 Diese Möglichkeit bringt Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 72 GG Rn. 9 zur Sprache. 516 Davon scheint auch die Bundesregierung auszugehen, vgl. den Bericht über die Auswirkungen der Föderalismusreform auf die Vorbereitung von Gesetzesentwürfen der Bundesregierung, BT-Drs. 651/06, S. 5. Ebenso Stettner, in: GG – Supplementum, Art. 70 GG Rn. 36.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

D. Aufhebung der Rahmenkompetenz Nach Art. 75 Abs. 1 Satz 1 GG hatte der Bund das Recht, Rahmenvorschriften für die Gesetzgebung der Länder zu erlassen. Unter Rahmenvorschriften verstand man an die Länder adressierte Regelungen, die allgemeine Grundsätze und Richtlinien zum Inhalt hatten. Grundsätzlich waren die Länder nach Art. 75 Abs. 3 GG zur Ausfüllung des vorgegebenen Rahmens verpflichtet und nur in Ausnahmefällen durften die bundesgesetzlichen Vorschriften in Einzelheiten gehende oder unmittelbar geltende Regelungen enthalten, vgl. Art. 75 Abs. 2 GG. Diese Gesetzgebungskompetenz wurde durch die Grundgesetzänderung nunmehr ersatzlos gestrichen. Das ist, wenn man die Tatsache berücksichtigt, dass die Rahmengesetzgebung ihre Vorläufer bereits in Art. 4 Ziff. 4 der Reichsverfassung von 1871 und Art. 10 und 11 der Weimarer Verfassung von 1919 hatte, ein gravierender Einschnitt in der grundgesetzlichen Entwicklungsgeschichte. I. Einvernehmlicher Wunsch nach Streichung Dessen ungeachtet befürworteten Bund und Länder, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven, die einvernehmliche Aufhebung der Rahmenkompetenz 517. Für den Bund stellte sie vor allem bei seiner Verpflichtung zur Umsetzung von EG-Richtlinien, die sich gerade besonders häufig auf die umweltrelevanten Materien der Rahmenkompetenz bezogen, ein Hindernis dar. Die Notwendigkeit zweier hintereinander geschalteter und aufeinander abzustimmender Gesetzgebungsverfahren erwies sich dabei als ineffizient und langwierig 518. Nach dem Scheitern der vom Bundesgesetzgeber angestrebten Einführung der Juniorprofessur an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, verlor die Rahmenkompetenz auch aus diesem Grunde an Attraktivität für den Bund. Die dort vorgenommene restriktive Auslegung der 1994 eingeführten Art. 75 Abs. 2 GG und Art. 72 Abs. 2 GG barg für ihn eine erhebliche Unsicherheit hinsichtlich der zulässigen Regelungsdichte künftiger Rahmengesetze. 517 Auch die Mehrzahl der Sachverständigen teilte diese Position. Die Einführung einer Grundsatz- oder Richtliniengesetzgebung, wie sie vereinzelt zur Gewährleistung der notwendigen Flexibilität vorgeschlagen wurde, hätte die mit der Rahmengesetzgebung verbundenen Abgrenzungsschwierigkeiten nicht gelöst, sondern nur auf eine andere Ebene verlagert. Vgl. zu entsprechenden Überlegungen: Scholz, Deutschland, S. 156 f. sowie in Kommissionsdrs. 0005, Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung am 12. Dezember 2003, S. 4 und Benz in Kommissionsdrs. 0010, Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung am 12. Dezember 2003, S.5. 518 Mehrmals hatte die verzögerte Umsetzung Vertragsverletzungsverfahren gegen den Bund zur Folge. Im Vergleich zu dem Durchschnitt der EU fiel die Umsetzungsquote der Bundesrepublik aufgrund dieser internen Abgrenzungsschwierigkeiten schlecht aus, Müller-Graff, in: Pitschas (Hrsg.), Verfassung, S. 709 f.; vgl. auch den Zwanzigsten Jahresbericht über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts vom 21. November 2003, KOM (2003), 669 endg., S. 82.

1. Abschn.: Zu den Gesetzgebungskompetenzen

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Auf der Länderseite hatte dagegen umgekehrt gerade die dieser Rechtsprechung vorausgehende Entwicklung zu dem Wunsch nach Streichung der Rahmengesetzgebung geführt. Der Bund hatte die Rahmengesetzgebung vor der Verfassungsänderung von 1994 und der ihr zur vollen Geltung verhelfenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fast vollständig zu Lasten der Länder ausgeschöpft. Obgleich die restriktive Auslegung des Bundesverfassungsgerichts in der Juniorprofessurentscheidung diese Praxis in Zukunft unterbinden würde, hielten die Länder an ihrer Ausgangsposition fest und traten weiterhin für die Aufhebung des Art. 75 GG ein 519. Denn die auf der Grundlage der Rahmengesetzgebung bereits erlassenen Bundesgesetze galten nach Art. 125a Abs. 2 Satz 1 und 3 GG auch ohne die Anforderungen des 1994 verschärften Art. 72 Abs. 2 GG und des neu eingefügten Art. 75 Abs. 2 GG zu erfüllen, fort. Zwar war die grundlegende Neukonzeption eines unter diesen Anwendungsbereich fallenden Bundesgesetzes alleine den Ländern vorbehalten, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Ladenschlussentscheidung feststellte 520. Damit die Länder von ihrem Recht zur Ersetzung Gebrauch machen konnten, musste der Bund aber zunächst die Kompetenz freigeben (Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG), eine Entscheidung bei der ihm prinzipiell Ermessen eingeräumt war und die er bis dato noch nie getroffen hatte. Hinsichtlich des Altrechts blieb es daher – bis der Bund ein Freigabegesetz erlassen würde – bei den über die Grenzen der Art. 75 Abs. 2 GG und Art. 72 Abs. 2 GG hinausgehenden Bundesrahmengesetzen. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass die Länder weiterhin an der Aufhebung des Art. 75 GG interessiert waren. Sie versuchten die zu ihren Gunsten verbesserte Situation dazu zu nutzen, den durch die Juniorprofessurentscheidung unter Druck geratenen Bundesgesetzgeber zu der Einräumung von Zugriffsrechten zu bewegen 521. Das ist ihnen jedoch im Rahmen der Föderalismuskommission nicht gelungen, so dass die Kategorie der Rahmengesetzgebung in dem Vorschlag der Vorsitzenden trotz der Einmütigkeit hinsichtlich ihrer Aufhebung noch enthalten war. Nachdem man sich in den informellen Gesprächsrunden im Mai 2005 und in der Koalitionsarbeitsgruppe von CDU / CSU und SPD im Oktober 2005 für die strittig gebliebenen Materien auf ein Abweichungsrecht verständigen konnte, ist die Rahmenkompetenz schließlich endgültig entfallen.

519 Das Urteil wurde am 27. Juli 2004 gefällt, zu einem Zeitpunkt also, als die Beratungen bereits in vollem Gange waren, vgl. BVerfGE 111, 226. 520 BVerfGE 111, 10 (31). 521 PAU-01/0015, Die Bedeutung des BVerfG-Urteils zur Juniorprofessur für die Diskussion um eine Kompetenzverlagerung im Bereich der Rahmengesetzgebungskompetenzen des Art. 75 GG vom 7. September 2004, Staatskanzlei Düsseldorf.

274

3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

II. Übergangsvorschrift der Art. 125a Abs. 1 GG und Art. 125b Abs. 1 GG Für die auf Grund des aufgehobenen Art. 75 GG erlassenen Gesetze gilt es zu unterscheiden: Können sie auch nach dem Inkrafttreten der Grundgesetzänderung noch als Bundesrecht, also entweder auf der Grundlage des Art. 71 GG oder auf der Grundlage des Art. 72 Abs. 1 GG, erlassen werden, ist Art. 125b Abs. 1 GG die einschlägige Übergangsvorschrift. Dazu im Einzelnen unter C. III. 3. b. Zu der Frage, wann die Länder von ihrem materiellen Abweichungsrecht bezüglich des Altrechts Gebrauch machen können, vgl. ebenfalls C. III. 3. b. Auf den Gebieten, auf denen der Bund nach der Föderalismusreform nicht mehr gesetzgebungsbefugt ist, gelten die bestehenden Bundesgesetze nach Art. 125a Abs. 1 GG fort. Dazu ausführlich unter B. II.

E. Zusammenfassung der übrigen Änderungen An dieser Stelle sollen die Kompetenzänderungen zusammengefasst werden, mit denen lediglich Randkorrekturen und sprachliche Klarstellungen verbunden waren 522. Einen dieser Bedeutung entsprechenden Stellenwert nahmen sie bei den Beratungen der Föderalismusreform ein. In den Gesetzesentwurf wurden die Vorschläge aus dem Vorsitzendenpapier eins zu eins übernommen und ohne inhaltliche Veränderungen verabschiedet. Zu nennen in dieser Gruppe ist Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG, der wie folgt formuliert wurde: „(...) Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe, sowie das Recht des Apothekenwesens, der Arzneien, der Medizinprodukte, der Heilmittel, der Betäubungsmittel und der Gifte“. Erfasst ist somit nicht mehr nur der „Verkehr“, sondern das „Recht“ der genannten Gegenstände 523. Neben der Neuaufnahme des Apothekenwesens, liegt hierin eine punktuelle Kompetenzerweiterung 524. Auch bei Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG wurde der „Verkehr“ durch das „Recht“ ersetzt sowie die zur Lebensmittelgewinnung dienenden Tiere in den Kompetenztitel aufgenommen 525. Er hat jetzt folgenden Wortlaut: „das Recht der Lebensmittel einschließlich der ihrer Gewinnung dienenden Tiere, das Recht der Genussmittel, 522

Dazu ausführlich Kluth, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 74 GG Rn. 8 ff. BT-Drs. 16/813, S. 13: Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG erfasst nunmehr auch solche Arzneimittel, die von Ärzten, Zahnärzten und Heilpraktikern zur unmittelbaren Anwendung bei eigenen Patienten hergestellt werden. 524 Von einer erheblichen Erweiterung geht Stettner aus, in: Dreier, GG – Supplementum, Art. 74 GG Rn. 95. 525 BT-Drs. 16/813, S. 13: Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG ermächtigt im Gegensatz zu vorher zur Regelung von amtlichen Untersuchungen von Tieren auch in zeitlichem Abstand vor der Schlachtung sowie generell von Hausschlachtungen. 523

2. Abschn.: Zu den Verwaltungskompetenzen

275

Bedarfsgegenstände und Futtermittel sowie den Schutz beim Verkehr mit landund forstwirtschaftlichem Saat- und Pflanzgut, den Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge sowie den Tierschutz“. Nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG unterfällt künftig die Erhebung und Verteilung auch von Entgelten der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes. In Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG ist der Begriff der „Abfallbeseitigung“ durch den Begriff der „Abfallwirtschaft“ ersetzt worden, um den Umfang des Kompetenztitels im Sinne der ohnehin schon bestehenden bundesverfassungsgerichtlichen Auslegung klarzustellen 526. Schließlich wurde anstatt der Formulierung „die künstliche Befruchtung beim Menschen“ in Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 GG der Passus „die medizinisch unterstützte Erzeugung menschlichen Lebens“ gewählt. Dadurch sollte verdeutlicht werden, dass alle Bereiche moderner Fortpflanzungsmedizin von diesem Kompetenztitel umfasst sind 527. Außerdem fallen künftig auch die Regelungen zur Transplantation von „Zellen“ unter Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 GG.

Zweiter Abschnitt

Zu den Verwaltungskompetenzen Im Bereich der Verwaltungskompetenzen konzentrierten sich die Reformbemühungen allein auf Art. 84 Abs. 1 GG. Aufgrund der zahlreichen Verfahrensund Behördenregelungen des Bundes im Anwendungsfeld der Landeseigenverwaltung, die nur mit Zustimmung des Bundesrates erlassen werden konnten, stellte Art. 84 Abs. 1 2. Halbsatz GG den zentralen Verflechtungstatbestand dar. Es war daher ein Kernanliegen des verfassungsändernden Gesetzgebers, insbesondere der Bundesseite, hier zu einer Einschränkung zu gelangen.

A. Beratungsverlauf zur Ausgestaltung des Art. 84 Abs. 1 GG In der Föderalismuskommission konnte diese Frage, die allgemein als weichenstellend für den Erfolg der gesamten Kommissionsarbeit angesehen wurde 528, in ihren Grundzügen verhältnismäßig zügig geklärt werden. Es zeichnete sich ab, dass nur ein Mittelweg in Betracht kommen würde, da der Bund nicht 526

BVerfGE 98, 106 (120). BT-Drs. 16/813, S. 14. 528 Ein „Knackpunkt“, vgl. Bundestagsabgeordneter Schmidt und der sächsische Staatsminister de Maizière, Stenografischer Bericht der 2. Kommissionssitzung am 28. November 2003, S. 28 und 42. 527

276

3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

bereit war, auf jegliche Regelungskompetenz, insbesondere im Verfahrensrecht, zu verzichten, für die Länder dagegen weder die Streichung der Zustimmungsbedürftigkeit unter sonstiger Beibehaltung der Regelungszuständigkeit des Bundes noch die Verankerung der Trennungsthese hinnehmbar war 529. In der sich mit diesem Themenkomplex befassenden Projektgruppe 1 „Art. 84 GG / Materielle Zugriffsrechte“ wurden sogleich in der ersten Sitzung am 10. Juni 2004 zwei die bisherigen Überlegungen in der Arbeitsgruppe 1 konkretisierenden Vorschläge zu einem formellen Zugriffsrecht unterbreitet 530, die in den wesentlichen Elementen anders als die Vorschläge zu materiellen Zugriffsrechten die Zustimmung aller Projektgruppenmitglieder fanden. Der Bund sollte danach weiterhin zumindest zur Regelung des Verwaltungsverfahrens befugt sein. Für entsprechende Regelungen war nicht mehr wie bisher ein Zustimmungsrecht des Bundesrates, sondern ein Zugriffsrecht der Länder vorgesehen. Ungeklärt blieb zunächst, ob diese Lösung auch für die Behördenorganisation gelten sollte oder ob der Bund diesbezüglich vollständig auf eine Regelungskompetenz zu verzichten hätte 531. Im letzteren Falle sollte er jedenfalls – und auch darüber konnte schnell Einigkeit hergestellt werden 532 – hinsichtlich der Behördeneinrichtung nicht mehr auf die Kommunen durchgreifen können. Diese Bundespraxis hatte bei kostenwirksamen Gesetzen zur Folge gehabt, dass weder der Bund noch die Länder den Kommunen zur Erstattung der Kosten verpflichtet waren. Der Bund nicht, da im Grundgesetz direkte Finanzbeziehungen zwischen Bund und Kommunen nicht vorgesehen sind 533, die Länder nicht, da das in den Landesverfassungen verankerte Konnexitätsprinzip nur bei eigenen Gesetzen greift. In den Vorschlägen zu einer Neufassung des Art. 84 Abs. 1 GG war schließlich noch die Frage aufgeworfen worden, ob der Bund mit Zustimmung des Bundesrates in außergewöhnlichen Fällen 534, etwa bei engen sachlichen Verknüp529

PAU-1/0003, Positionspapier für die PG 1 vom 9. Juni 2004, Justizministerin des Landes Niedersachsen Heister-Neumann, S. 9. Auch die Bundesregierung hielt eine Einführung der Trennungsthese anders als noch in ihrer Positionsbestimmung vom April 2003 angesichts der Janusköpfigkeit mancher Regelung für wenig sinnvoll, vgl. Staatssekretär Geiger, Protokollvermerk der AG 1 am 15. Januar 2004, S. 12. 530 PAU-1/0002, Bericht zu Art. 84 Abs. 1 GG vom 9. Juni 2004, Bundestagsabgeordnete Stünker / Röttgen u. a. und PAU-1/0003, Positionspapier für die PG 1 vom 9. Juni 2004, Justizministerin des Landes Niedersachsen Heister-Neumann. 531 Ergebnisvermerk der 2. Sitzung der PG 1 am 25. Juni 2004, S. 2. Für einen völligen Verzicht: PAU-1/0003, Positionspapier für die PG 1 vom 9. Juni 2004, Justizministerin des Landes Niedersachsen Heister-Neumann, S. 7; Bundestagsabgeordneter Röttgen, PAU1/0002, Bericht zu Art. 84 Abs. 1 GG vom 9. Juni 2004, S. 2. 532 Ergebnisvermerk der 1. Sitzung der PG 1 am 10. Juni 2004, S. 1. 533 Eine analoge Anwendung des Art. 104a Abs. 2 GG auf die kommunalen Gebietskörperschaften wurde abgelehnt, vgl. Ipsen, NJW 2006, S. 2802. 534 Gedacht war an eine Größenordnung von 5 %, vgl. hierzu den Sachverständigen Scholz, Stenografischer Bericht der 8. Kommissionssitzung am 8. Juli 2004, S. 172.

2. Abschn.: Zu den Verwaltungskompetenzen

277

fungen zwischen materiell- und verfahrensrechtlichen Regelungen, das Zugriffsrecht der Länder ausschließen können sollte. Zwar sprach sich die Mehrheit der Projektgruppenmitglieder gegen eine solche Sperrklausel aus 535. Die ausdrücklich aufgenommene anders lautende Meinung zweier Bundestagsabgeordneter 536 demonstrierte jedoch, dass hierzu durchaus auch andere Positionen vertreten wurden 537. Im Rahmen der in den abschließenden Verhandlungen geführten Diskussion um das Umweltrecht wurde die Notwendigkeit abweichungsfesten Verfahrensrechts für eine einheitliche Vorhabenzulassung als Kernstück eines Umweltgesetzbuches dann von allen Seiten anerkannt 538. Dies und die Tatsache, dass die bundesverfassungsgerichtliche Auslegung des Ausnahmefalles in Art. 75 Abs. 2 GG eine Möglichkeit aufzeigte, wie eine Sperrklausel formuliert werden könnte, um eine befürchtete extensive Anwendung in Beibehaltung der bisherigen Staatspraxis zu vermeiden 539, hat den Anstoß dafür gegeben, schließlich doch eine Sperrklausel zuzulassen. Durchsetzen konnte sich die Bundesseite auch hinsichtlich des Rechts, weiterhin Behördeneinrichtungen regeln zu dürfen, allerdings ohne Durchgriff auf die Kommunen und mit Abweichungsmöglichkeit der Länder 540. In einer entscheidenden Forderung war man allerdings der Länderseite entgegenkommen. Diese hatte bereits in ihrem Positionspapier vom 6. Mai 2004 den 535

Ergebnisvermerk der 2. Sitzung der PG 1 am 25. Juni 2004, S. 2; Bundestagsabgeordnete Stünker und Röttgen in: PAU-1/0002, Bericht zu Art. 84 Abs. 1 GG vom 9. Juni 2004; vgl. auch die die Begründung der Bundesregierung zurückweisende Stellungnahme des Justizministers des Landes Nordrhein-Westfalen Gerhards, PAU-1/0007 vom 22. Juni 2004. Diese Position wurde auf der Länderseite zunächst einvernehmlich vertreten, StR Hoffmann, Protokollvermerk der 5. Sitzung der AG 1 am 1. Juli 2004, S. 7. 536 Bundestagsabgeordnete Steenblock und Funke, Ergebnisvermerk der 2. Sitzung der PG 1 am 25. Juni 2004, S. 2. Auf eine Sperrklausel hatte zuvor schon die Bundesregierung hingewirkt, da andernfalls die „unverzichtbaren materiellen Standards des Bundesrechts untergraben und ausgehöhlt“ werden könnten, vgl. Protokollvermerk der 4. Sitzung der AG 1 am 1. April 2004, S. 8 und die späteren Stellungnahmen des BMVEL und des BMJ, in welchen Fällen einheitliche verbindliche Verfahrensregelungen erforderlich seien, PAU1/0005 und PAU-1/0006. 537 Vgl. zu den drei Formulierungsvorschlägen für eine solche Sperrklausel, PAU1/0008 – neu –, Vorschläge zur Neufassung von Artikel 84 Abs. 1 GG nebst Folgeänderungen vom 25. Juni 2004, Bundesregierung. 538 Sprechzettel der Vorsitzenden für die 1. Konsultationsrunde am 10. November 2004, S. 1. 539 Röttgen / Boehl, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 25. Siehe zu dieser Befürchtung, der nordrhein-westfälische Justizminister Gerhards und der sächsische Staatsminister de Maizière, Stenografischer Bericht der 8. Kommissionssitzung am 8. Juli 2004, S. 167 f. 540 Sprechzettel der Vorsitzenden für die 1. Konsultationsrunde am 10. November 2004, S. 1. Wegen dieser Möglichkeit musste in Bezug auf den Durchgriff auf die Kommunen eine explizite Ausnahme im Verfassungstext vorgesehen werden, vgl. Sprechzettel der Vorsitzenden für die 2. Konsultationsrunde am 26. November 2004, S. 1.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

Verzicht auf Mitwirkungsrechte im Bundesrat unter anderem an die Schaffung eines neuen Zustimmungstatbestandes für Gesetze mit „erheblichen“ Kostenfolgen für die Länder gekoppelt, da solche Gesetze bisher über das Zustimmungsrecht des Art. 84 Abs. 1 GG beeinflusst werden konnten. Von dem Bund wurde dieses Kompensationsbedürfnis dem Grunde nach anerkannt und lediglich unter die Prämisse gestellt, dass das erstrebte Ziel einer Reduzierung der Quote der zustimmungsbedürftigen Gesetze auf maximal 40 % nicht gefährdet werden dürfe 541. Letztlich konnte in der Föderalismuskommission damit allein in einem Punkt keine einvernehmliche Lösung gefunden werden. Während die Länder auf einen einseitigen Anwendungsvorrang ihres abweichenden Landesrechts beharrten 542, beanspruchte der Bund eine Rückholmöglichkeit 543, mit der Bundesrecht auch abweichendem Landesrecht wieder in der Anwendung vorgehen können sollte. Diese Differenz kommt in dem Vorsitzendenvorschlag darin zum Ausdruck, dass der von den Ländern gewünschte Zusatz „Regelungen der Länder gehen den Regelungen des Bundes nach Satz 2 vor“ in Klammern gesetzt und weiterer Klärungsbedarf angekündigt wurde 544. Die Koalitionsarbeitsgruppe hat den Vorschlag der Vorsitzenden dann ohne diese Ergänzung, im Übrigen aber unverändert übernommen. Die unterschiedlichen Vorstellungen sind damit jedoch nicht in Einklang gebracht worden, wie die Redaktionskonferenz später feststellen musste 545. Bund und Länder hatten beide ihre Ausgangsposition beibehalten. Erst die von der Redaktionskonferenz erneut einberufene Arbeitsgruppe hat eine endgültige Klärung dieser Rechtsfrage und zwar im Sinne der Bundesseite herbeigeführt. Rechtsmethodisch wurde dafür in Art. 84 Abs. 1 Satz 4 GG ein Verweis auf den nunmehr ausdrücklich für die materiellen Abweichungsrechte geltenden Anwendungsvorrang des nachfolgenden Rechts aufgenommen. Im Gegenzug hatten die Länder durchgesetzt, dass Bundesgesetze über die Behördenorganisation und das Verwaltungsverfah541 Sprechzettel der Vorsitzenden für die 2. Konsultationsrunde am 26. November 2004, S. 1. Art. 104a Abs. 4 GG hat in der endgültigen Fassung folgenden Wortlaut: „Bundesgesetze, die Pflichten der Länder zur Erbringung von Geldleistungen, geldwerten Sachleistungen oder vergleichbaren Dienstleistungen gegenüber Dritten begründen und von den Ländern als eigene Angelegenheit oder nach Absatz 3 Satz 2 im Auftrag des Bundes ausgeführt werden, bedürfen der Zustimmung des Bundesrates, wenn daraus entstehende Ausgaben von den Ländern zu tragen sind.“ 542 Vgl. dazu schon PAU-1/0003, Positionspapier für die PG 1 vom 9. Juni 2004, Justizministerin des Landes Niedersachsen Heister-Neumann, S. 10. 543 Vgl. dazu die Protokollerklärung des Bundestagsabgeordneten Kröning, Ergebnisvermerk der 2. Sitzung der PG 1 am 25. Juni 2004, S. 2. 544 AU 104 – neu –, Vorschlag der Vorsitzenden vom 13. Dezember 2004, S. 2. 545 Siehe dazu Röttgen / Boehl, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 31 f.; Rüttgers, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 209 f.

2. Abschn.: Zu den Verwaltungskompetenzen

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ren – genau wie in der materiellen Parallelvorschrift des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 GG – grundsätzlich erst sechs Monate nach ihrer Verkündung in Kraft treten würden. Schließlich wurde noch entschieden, dass die Länder von alten Behördenund Verfahrensregelungen des Bundes abweichen können sollten – ebenfalls ein Punkt, der sich als strittig herausgestellt hatte 546. Die Länder waren von Beginn an von dieser Möglichkeit ausgegangen, da sich die in dem Anhang 2 des Koalitionsvertrages aufgenommene Übergangsvorschrift des Art. 125a Abs. 1 GG ausschließlich auf das vereinbarte Verbot der Aufgabenübertragungen an die Kommunen (Art. 84 Abs. 1 Satz 5 GG und Art. 85 Abs. 1 Satz 2 GG) beziehe und es der Bund andernfalls durch den Nichterlass neuer Gesetze in der Hand hätte, sie von ihrem Recht auszuschließen 547. Der Bund hingegen hatte argumentiert, dass die Länder bei den alten Gesetzen über den Bundesrat beteiligt waren und dass daher nur im Falle neu erlassener Bundesgesetze ein Abweichungsrecht der Länder einzuräumen sei 548. In der die grundsätzliche Abweichungsmöglichkeit von Altrecht statuierenden Übergangsregelung des Art. 125b Abs. 2 GG ist allerdings insoweit eine Begrenzung vorgesehen, als die Länder von Verfahrensregelungen bis zum 31. Dezember 2009 nur dann abweichen können, wenn der Bund ab dem 1. September 2006 Änderungen an den jeweiligen Bundesgesetzen vorgenommen hat 549. Diese Beschränkung soll dem Bund ermöglichen, seinen Normenbestand zu überprüfen und ihn gegebenenfalls mit Hilfe der Sperrklausel abweichungsfest auszugestalten 550. Trotz dieser intensiven Beschäftigung mit Art. 84 GG, war noch nicht die endgültige Fassung gefunden worden. Der Rechtsausschuss nahm die in den Anhörungen geäußerte Kritik an der Ausgestaltung des verzögerten Inkrafttretens eines Bundesgesetzes in seiner abschließenden Beschlussempfehlung in zweierlei Hinsicht auf 551. Zum einen sollte für ein sofortiges Inkrafttreten nicht mehr eine Zwei-Drittel-Mehrheit, sondern nur noch eine ebenfalls zur Interessenwahrnehmung der Länder als ausreichend erachtete einfache Mehrheit des Bundesrates notwendig sein 552. Zum anderen sollte die Sechs-Monats-Frist anders als im Rahmen des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 GG nur in denjenigen Fällen greifen, in 546

Rüttgers, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 209. Röttgen / Boehl, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 31. 548 Röttgen / Boehl, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 31. 549 Sobald der Bund allerdings eine Änderung an Verfahrensregelungen vorgenommen hat, dürfen die Länder von allen Verfahrensregelungen des betroffenen Stammgesetzes abweichen, BT-Drs. 16/813, S. 21. 550 BT-Drs. 16/813, S. 21. 551 Diese Änderungen wurden in einer letzten Verhandlungsrunde in der Nacht vom 20. auf den 21. Juni 2006 zwischen den Koalitionsparteien beschlossen und dem Rechtsausschuss in einem Änderungsvorschlag unterbreitet, Röttgen / Boehl, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 33 und Ausschussdrs. Nr. 16(6)48. 552 BT-Drs. 16/2010, S. 6. 547

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

denen ein Land bereits tatsächlich von Bundesrecht abgewichen ist. Andernfalls, so die Befürchtung, würden nahezu alle Bundesgesetze nur verzögert in Kraft treten können, weil in ihnen sehr häufig Verfahrensregelungen enthalten seien 553. Für dieses Entgegenkommen war den Ländern durch eine Änderung des Art. 125b Abs. 2 GG ermöglicht worden, bereits ein Jahr früher von alten Verfahrensregelungen des Bundes abzuweichen. Art. 84 Abs. 1 GG hatte damit in der endgültigen Fassung folgenden Wortlaut: „Führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, so regeln sie die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren. Wenn Bundesgesetze etwas anderes bestimmen, können die Länder davon abweichende Regelungen treffen. Hat ein Land eine abweichende Regelung nach Satz 2 getroffen, treten in diesem Land hierauf bezogene spätere bundesgesetzliche Regelungen der Einrichtung der Behörden und des Verwaltungsverfahrens frühestens sechs Monate nach ihrer Verkündung in Kraft, soweit nicht mit Zustimmung des Bundesrates anderes bestimmt ist. Artikel 72 Abs. 3 Satz 3 gilt entsprechend. In Ausnahmefällen kann der Bund wegen eines besonderen Bedürfnisses nach bundeseinheitlicher Regelung das Verwaltungsverfahren ohne Abweichungsmöglichkeit für die Länder regeln. Diese Gesetze bedürfen der Zustimmung des Bundesrates. Durch Bundesgesetz dürfen Gemeinden und Gemeindeverbänden Aufgaben nicht übertragen werden“ 554. Für letztere Bestimmung ist Art. 125a Abs. 1 GG die einschlägige Übergangsvorschrift, während Art. 125b Abs. 2 GG die Abweichungsmöglichkeit von bereits erlassenem Bundesrecht regelt. Danach können die Länder von alten Behörden- und Verfahrensregelungen des Bundes abweichende Regelungen treffen, „von Regelungen des Verwaltungsverfahrens bis zum 31. Dezember 2008 aber nur dann, wenn ab dem 1. September 2006 in dem jeweiligen Bundesgesetz Regelungen des Verwaltungsverfahrens geändert worden sind.“

B. Rechtslage nach dem neuen Art. 84 Abs. 1 GG Die Länder sind im Rahmen der Landeseigenverwaltung – wie es der Grundnorm des Art. 83 GG und ihrer umfassenden Organisationsgewalt entspricht 555 – unverändert für die Regelung der Einrichtung der Behörden und des Verwaltungsverfahrens zuständig. Der Bund kann seine ebenfalls auf diesen Gebieten bestehende Gesetzgebungskompetenz 556 nach der Neufassung des Art. 84 Abs. 1 553

Vgl. dazu Rüttgers, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 212. Das Verbot der Aufgabenübertragung an die Kommunen wurde wortgleich auch in Art. 85 Abs. 1 Satz 2 GG übernommen. Zu den in diesem Zusammenhang bestehenden Fragen, Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 84 GG Rn. 25 ff.; Germann, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 84 GG Rn. 104 ff. 555 Hermes, in: Dreier, GG – Band 3, Art. 84 Rn. 20; Dittmann, in: Sachs, GG, Art. 84 GG Rn. 3. 554

2. Abschn.: Zu den Verwaltungskompetenzen

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GG nunmehr auf zwei Wegen ausüben: entweder über das Abweichungsmodell oder das an die alte Rechtslage anknüpfende Zustimmungsmodell 557. I. Das Abweichungsmodell Wählt er das Abweichungsmodell, dann bedürfen Regelungen über die Behördeneinrichtung und / oder das Verwaltungsverfahren nicht mehr der Zustimmung des Bundesrates. Das Recht der Länder unmittelbar auf die Bundesregelungen Einfluss zu nehmen, wurde durch das Recht ersetzt, von den bundesgesetzlichen Bestimmungen abweichende Regelungen zu treffen 558. Diese dürfen sich nicht auf das gesamte Bundesgesetz, sondern lediglich auf den ihre Organisationshoheit berührenden Teil beziehen, wie die Verknüpfung im Gesetzestext („davon“) verdeutlicht 559. Im Unterschied zur früheren Rechtslage unter der Geltung der Einheitsthese können die Länder bei dem Abweichungsmodell daher auf den materiell-rechtlichen Teil des Gesetzes, soweit sie nicht gleichzeitig über ein materielles Abweichungsrecht verfügen, keinen Einfluss mehr nehmen. Diesbezüglich und auch hinsichtlich der folgenden Voraussetzungen gilt für die Abweichungsbefugnis der Länder von Bundesaltrecht nach Art. 125b Abs. 2 GG dasselbe. Allerdings erlangt wegen der zeitlich aufgeschobenen Abweichungsmöglichkeit bei verfahrensrechtlichem Altrecht zusätzlich die schwierige Abgrenzung zwischen den Begriffen „Verwaltungsverfahren“ und „Einrichtung der Behörden“ erstmals Bedeutung 560. 1. Beschränkungen des formellen Abweichungsrechts der Länder Es stellt sich zunächst die Frage, ob die Länder nur in einem förmlichen Gesetz von ihrem Abweichungsrecht Gebrauch machen können. Nach der Gesetzesbegründung soll dies der Fall sein, da es um die Abweichung von einem 556 Umstritten ist, ob sie sich als Annexkompetenz zu den materiellen Gesetzgebungskompetenzen oder konstitutiv aus Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG ergibt, vgl. dazu Hermes, in: Dreier, GG – Band 3, Art. 83 GG Rn. 20 ff.; Heitsch, Ausführung, S. 181 ff. Sie kann jedenfalls nur akzessorisch ausgeübt werden, das heißt der Bund muss die dazugehörigen materiellen Regelungen bereits erlassen haben oder gleichzeitig erlassen, vgl. Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 84 GG Rn. 2. 557 So die Unterteilung von Trute, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 78. 558 Zu der im Ergebnis zu bejahenden Frage, ob das Abweichungsrecht auch dann besteht, wenn das Gesetz auf Grund des neuen Art. 104a Abs. 4 GG im Ganzen zustimmungsbedürftig ist, Thiele, JA 2006, S. 719. Anders dagegen, Rühlicke, JURA 2006, S. 236. 559 Kahl, NVwZ 2008, S. 711. 560 Dazu Hermes, in: Dreier, GG – Band 3, Art. 84 GG Rn. 24 ff.; Dittmann, in: Sachs, GG, Art. 84 GG Rn. 7 ff; Trute, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 82 Rn. 166 ff.; Germann, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 84 GG Rn. 30 f.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

Bundesgesetz geht 561. Darin klingt der Gedanke des actus contrarius an. Dieser Grundsatz ist in seiner Anwendung jedoch auf verschiedene Rechtsakte eines Rechtsanwenders beschränkt und hat daher im Verhältnis zweier unterschiedlicher Rechtssetzer keine Bedeutung 562. Vielmehr ist in Art. 84 Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz GG und Art. 125b Abs. 2 GG anders als in der parallel gestalteten Vorschrift des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG gerade nicht ausdrücklich vorgesehen, dass eine abweichende Regelung durch Gesetz getroffen werden muss, so dass insoweit auch Rechtsverordnungen genügen könnten. Dagegen spricht jedenfalls nicht der in Art. 84 Abs. 1 Satz 4 GG enthaltene Verweis auf die lex-posterior-Regel des Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG 563. Denn auch wenn dort explizit nur Gesetze erwähnt sind, sollte die entsprechende Anwendung dieser Vorschrift allein dazu dienen, die Rechtsfolge, das heißt den lex-posterior-Grundsatz auf Art. 84 Abs. 1 GG zu übertragen. Hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen ist Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG lex specialis 564. Es handelt sich bei Art. 84 Abs. 1 Satz 4 GG demnach um eine Rechtsfolgen-, nicht um eine Rechtsgrundverweisung. Entscheidend dürfte im vorliegenden Zusammenhang sein, dass die Organisationsgewalt der Länder nach Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG nicht pauschal den Länderparlamenten zugewiesen ist, sondern die Frage, wer sie ausüben kann, nach der Verfassung des jeweiligen Landes zu beurteilen ist 565. Das Abweichungsrecht stellt die Grundregel, dass die Länder im Bereich der Landeseigenverwaltung über die Organisationshoheit verfügen, wieder her, so dass für das Abweichungsrecht die gleichen Grundsätze zu gelten haben 566. Die Länder sind daher bei der Umsetzung ihres Abweichungsrechts nicht auf den Erlass förmlicher Gesetze beschränkt. Nicht vereinbar mit Wortlaut, Sinn und Zweck des Abweichungsrechts ist es, eine mit dem Bundesgesetz lediglich inhaltsgleiche Regelung zu erlassen 567. Ferner müssen die Länder bei der Wahrnehmung ihres formellen Abweichungsrechts genau bezeichnen, von welcher Bundesregelung sie abweichen 568. Schließlich ergeben sich Probleme hinsichtlich der Reichweite des Abweichungsrechts bei sogenannten doppelgesichtigen Normen. Darunter fallen Nor561

BT-Drs. 16/813, S. 15. Kahl, NVwZ 2008, S. 713; a. A. Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 84 GG Rn. 8. 563 So aber Germann, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 84 GG Rn. 70. 564 Ebenso Kahl, NVwZ 2008, S. 713. 565 So Dittmann, in: Sachs, GG, Art. 84 GG Rn. 16. 566 In diesem Sinne Dittmann, in: Sachs, GG, Art. 84 GG Rn. 16; a. A. Germann, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 84 GG Rn. 70. 567 Vgl. Kahl, NVwZ 2008, S. 713; Dittmann, in: Sachs, GG, Art. 84 GG Rn. 16; a. A. Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 84 GG Rn. 8: formell andere Regelung ausreichend. 568 Anders Germann, in: Kluth (Hrgs.), Föderalismusreform, Art. 84 GG Rn. 86: „zweckmäßig, aber nicht geboten“. 562

2. Abschn.: Zu den Verwaltungskompetenzen

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men, deren materiell-rechtlicher Gehalt zugleich das korrespondierende Verwaltungsverfahren festlegt 569, also beispielsweise ein Antragserfordernis: Es ist regelmäßig materielle Voraussetzung für die Geltendmachung eines Anspruchs auf eine Geldleistung oder Erteilung einer Genehmigung und gleichzeitig eine Festlegung verfahrensregelnder Art. Soweit den Ländern in diesen Bereichen auch ein materielles Abweichungsrecht nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG eingeräumt ist, bestehen keine Bedenken gegen abweichende Landesregelungen. In den übrigen Fällen ist den Ländern der Erlass abweichenden Landesrechts dagegen verwehrt, könnten sie doch andernfalls über die Hintertür des Verfahrensrechts ein verfassungsrechtlich nicht vorgesehenes materielles Abweichungsrecht wahrnehmen 570. Die Abweichungsbefugnis der Länder soll sich ausweislich des Wortlauts („davon“) auf Behörden- und Verfahrensregelungen beschränken und gerade keine Mitgestaltung mehr bei materiellen Rechtsfragen ermöglichen. Der Bundesgesetzgeber wird dadurch zwar prinzipiell in die Lage versetzt, die doppelgesichtigen Verfahrensregelungen ohne Zustimmung des Bundesrates abweichungsfest auszugestalten. Zur Vermeidung dieser Konsequenz, die gegenüber der früheren Rechtslage, bei der die Länder immerhin ein Zustimmungsrecht besaßen, eine Verschlechterung darstellt, könnte daran zu denken sein, den Bundesgesetzgeber in derartigen Konstellationen auf das Zustimmungsmodell des Art. 84 Abs. 1 Satz 5 und 6 GG zu verpflichten. Für eine solche Verpflichtung finden sich jedoch weder Anhaltspunkte im Grundgesetz noch steht sie im Einklang mit dem Ziel des verfassungsändernden Gesetzgebers, die Anzahl der zustimmungsbedürftigen Gesetze erheblich zu reduzieren. Denn in den nicht seltenen Fällen, in denen ungewiss ist, ob eine doppelgesichtige Norm vorliegt, würde der Bundesgesetzgeber vorsorglich den Weg über Art. 84 Abs. 1 Satz 5 GG beschreiten. Es stünde zu befürchten, dass der gewollte Ausnahmecharakter des Zustimmungsmodells unter Berufung auf die Pflicht, nach Art. 84 Abs. 1 Satz 5 GG vorgehen zu müssen, in sein Gegenteil verkehrt würde. Die Verpflichtung auf das Zustimmungsmodell ist aus diesen Gründen keine tragfähige Alternative. Im Ergebnis wird daher bei doppelgesichtigen Normen hinzunehmen sein, dass der Bundesgesetzgeber sie über das Abweichungsmodell abweichungsfest ausgestalten kann, ohne dass die Länder als Kompensation dafür ein Zustimmungsrecht erhalten. 2. Ermessensentscheidung der Länder und Rechtsfolgen eines „Abweichens“ Genau wie im Rahmen des Art. 72 Abs. 3 GG steht es dem Landesgesetzgeber frei, ob und in welchem Umfang er von seiner Abweichungsbefugnis Gebrauch macht. 569

BVerfGE 55, 274 (321), 75, 108 (252). Ebenso Kahl, NVwZ 2008, S. 714; Pieroth in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 84 GG Rn. 8; Dittmann, in: Sachs, GG, Art. 84 GG Rn. 15; davon geht auch die Bundesregierung aus, vgl. BT-Drs. 651/06, S. 12. 570

284

3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

Der Bundesgesetzgeber hat ein Rückholrecht, das heißt er kann seinerseits das abweichende Landesrecht durch eine entsprechende Bundesregelung verdrängen, wobei er sich jedoch nicht auf die inhaltsgleiche Wiederholung der vorherigen Bundesregelung beschränken darf 571. Sobald ein Land von seiner Abweichungsbefugnis Gebrauch gemacht hat, treten in diesem Land hierauf bezogene spätere bundesgesetzliche Regelungen der Einrichtung der Behörden und des Verwaltungsverfahrens frühestens sechs Monate nach ihrer Verkündigung in Kraft (Art. 84 Abs. 1 Satz 3 GG). Anders als bei den materiellen Abweichungsrechten gilt der „Retard-Effekt“ daher nicht bei erstmaligen Behörden- und Verfahrensregelungen des Bundes und auch später nur für diejenigen Länder, die tatsächlich abweichende Regelungen erlassen haben. Die Frist kann mit Zustimmung des Bundesrates verkürzt werden, wobei die Zustimmung des Bundesrates nur hinsichtlich der Fristverkürzung erforderlich ist 572. Wie sich aus dem Hinweis auf Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG ergibt (vgl. Art. 84 Abs. 1 Satz 4 GG), geht im Verhältnis von Bundes- und Landesrecht das jeweils spätere Recht, bezogen auf den Zeitpunkt der Verkündung 573, in Ausnahme zu dem Grundsatz des Art. 31 GG in der Anwendung vor. II. Das Zustimmungsmodell Wählt der Bundesgesetzgeber das Zustimmungsmodell, kann er mit Zustimmung des Bundesrates das Verwaltungsverfahren, nicht aber die Einrichtung der Behörden abschließend regeln, das heißt ein Abweichungsrecht der Länder ausschließen. Ein solcher Ausschluss ist nur in Ausnahmefällen und nur „wegen eines besonderen Bedürfnisses nach bundeseinheitlicher Regelung“ möglich. Die Sperrklausel ist daher explizit als Ausnahme von dem als Regelfall gewollten Abweichungsmodell konzipiert worden und enthält gegenüber der vorherigen Fassung gleich mehrere begrenzende Kriterien 574. Liegen die Voraussetzungen des Art. 84 Abs. 1 Satz 5 GG vor, steht es dem Bundesgesetzgeber gleichwohl offen, nach dem Abweichungsmodell vorzugehen 575.

571

Vgl. dazu bei der materiellen Abweichungsbefugnis unter C. III. 3. b. aa); so auch Germann, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 84 GG Rn. 94. 572 Siehe Trute, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 81 Rn. 162; Dittmann, in: Sachs, GG, Art. 84 GG Rn. 14; Kahl, NVwZ 2008, S. 712. 573 Germann, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 84 GG Rn. 50. 574 Daher für eine enge Auslegung, Bundesregierung, BT-Drs. 651/06, S. 11. 575 Kahl, NVwZ 2008, S. 714: Zudem können Verfahrensregelungen eines Gesetzes in abweichungsoffene und abweichungsfeste Regelungen aufgeteilt werden; vgl. die entsprechende Auffassung der Bundesregierung, BT-Drs. 651/06, S. 10.

2. Abschn.: Zu den Verwaltungskompetenzen

285

1. Besonderes Bedürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung Aus dem Wortlaut der Vorschrift ergeben sich abgestufte Bedingungen für eine Regelungsbefugnis des Bundesgesetzgebers. Zunächst ist Grundvoraussetzung, dass ein besonderes Bedürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung besteht. Mit dieser Formulierung werden Erinnerungen an die bis zum 15. November 1994 geltende Bedürfnisklausel geweckt, die das Bundesverfassungsgericht für grundsätzlich nicht justitiabel erklärt hatte. Diese Rechtsprechung war jedoch den besonderen Umständen, unter denen Art. 72 Abs. 2 GG Eingang in das Grundgesetz gefunden hat, geschuldet. Deshalb kann aus ihr nicht gefolgert werden, dass dem Bundesgesetzgeber auch im Rahmen des Art. 84 Abs. 1 Satz 5 GG ein nicht justitiabler Beurteilungsspielraum zusteht und lediglich eine Evidenzkontrolle stattfindet 576. Vielmehr legen bereits der Wortlaut – es muss sich um ein besonderes Bedürfnis handeln – und die systematische Stellung als Ausnahmeregelung eine restriktive Handhabung dieses Begriffsmerkmals nahe. Darauf zielte auch der Wille des verfassungsändernden Gesetzgebers und der Sinn und Zweck der Vorschrift, nach dem zustimmungsbedürftige Gesetze im Anwendungsbereich des Art. 84 Abs. 1 GG nur noch in eng umgrenzten Ausnahmefällen ergehen sollen. Die Vorschrift unterliegt folglich der umfassenden Justitiabilität durch das Bundesverfassungsgericht, was einen Einschätzungsspielraum, wie die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung zu Art. 72 Abs. 2 GG belegt, nicht ausschließt 577. Inhaltlich liegt ein besonderes Bedürfnis jedenfalls dann vor, wenn unterschiedliches Verfahrensrecht zu negativen Rückwirkungen auf die einheitliche Anwendung des materiellen Rechts führt 578. Dies ist regelmäßig bei doppelgesichtigen Normen anzunehmen, nicht aber wenn es um den

576 So aber Trute, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform., S. 85 Rn. 172; Germann, in: Kluth (Hrsg.), Art. 84 GG Rn. 76; Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 84 GG Rn. 11; Dittmann, in: Sachs, GG, Art. 84 GG Rn. 21; Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 84 GG Rn. 9, der zugleich aber ein „Wächteramt“ des Bundesverfassungsgerichts annimmt; Thiele, JA 2006, S. 718; Häde, JZ 2006, S. 934: die Zustimmungsbedürftigkeit als die wesentliche Hürde. Vgl. auch die Stellungnahmen der Sachverständigen Möller und Huber, Rechtsausschussprotokoll 12 vom 15. / 16. Mai 2006, S. 3 und 9. 577 Ebenso Kahl, NVwZ 2008, S. 717; Stöbener, JURA 2008, S. 334. Gegen diese Auffassung spricht nicht, dass ein zunächst vorgeschlagenes besonderes Normenkontrollverfahren (PAU-1/0008 – neu –, Vorschläge zur Neufassung von Art. 84 Abs. 1 GG vom 25. Juni 2004, Bundesregierung, S. 2) nicht in das Grundgesetz aufgenommen wurde. Diese Frage kann in einem abstrakten Normenkontrollverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG oder in einem Bund-Länder-Streit nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG geklärt werden; dennoch diese Konsequenz ziehend Dittmann, in: Sachs, GG, Art. 84 GG Rn. 21. 578 Dazu Dittmann, in: Sachs, GG, Art. 84 GG Rn. 22 mit näheren Konkretisierungen. Zu weitgehend Trute, wenn er aus der materiellen Einordnung in die Vorranggesetzgebung Konsequenzen für das Einheitlichkeitsbedürfnis der Organisationsregelungen ziehen will, vgl. in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 83 Rn. 169; in diese Richtung auch Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 84 GG Rn. 9.

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3. Kap.: Die Verfassungsänderungen

sogenannten „Grundrechtsschutz durch Verfahren“ geht, da die Länder diesen genauso sicherstellen können wie der Bund. 2. Beschränkung auf Ausnahmefälle Auch wenn ein besonderes Bedürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung gegeben ist, darf der Bundesgesetzgeber jedoch nicht stets, sondern nur in Ausnahmefällen das Verwaltungsverfahren abweichungsfest ausgestalten. Das Vorliegen eines besonderen Bedürfnisses begründet nicht den Ausnahmefall 579. Vielmehr sollte mit diesem Begriffsmerkmal, wie die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift zeigt, eine weitere Eingrenzung erreicht werden. Dabei hat man den Begriff des Ausnahmefalles in Anlehnung an seine restriktive Interpretation bei der Rahmengesetzgebung übernommen 580. Das Bundesverfassungsgericht hat das Vorliegen eines Ausnahmefalles im Sinne des Art. 75 Abs. 2 GG davon abhängig gemacht, dass der Bundesgesetzgeber in formeller Hinsicht einem erhöhten Rechtfertigungszwang gerecht wird und in materieller Hinsicht bestimmte qualitative und quantitative Kriterien erfüllt sind 581. Während die formelle Einschränkung auf Art. 84 Abs. 1 Satz 5 GG übertragbar ist, ist das qualitative Kriterium speziell auf die Rahmengesetzgebung zugeschnitten und im Zusammenhang mit Art. 84 Abs. 1 Satz 5 GG wegen des Fehlens eines geeigneten Bezugspunktes nicht anwendbar. Dagegen lässt sich parallel zu der Konkretisierung des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich des quantitativen Kriteriums bei der Rahmengesetzgebung sagen, dass die abweichungsfeste Ausgestaltung – bezogen auf die Fälle, in denen ein besonderes Bedürfnis vorliegt – nicht dominieren darf 582. Diese Voraussetzungen sollen nach dem ausdrücklichen Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers regelmäßig bei Regelungen des Umweltverfahrensrechts gegeben sein, um dem Bund dadurch die Möglichkeit zu eröffnen, Vereinfachungen bei umweltrechtlichen 579 So wohl auch die Auffassung der Bundesregierung, wenn sie erläutert, dass zum Ausschluss des Abweichungsrechts der Ausnahmefall und das besondere Bedürfnis dargetan werden müssen, BT-Drs. 651/06, S. 14; ebenso der Sachverständige Pestalozza, Rechtsausschussprotokoll 12 vom 15. / 16. Mai 2006, S. 25. Indes ist Trute zuzugeben, dass es in der Tat nicht recht einleuchten will, in Fällen eines besonderen Bedürfnisses unterschiedlich vorgehen zu müssen, vgl. in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 81 Rn. 163. Andererseits kann der Bund aufgrund des Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG auf jeden Fall die erforderlichen Regelungen erlassen. Es handelt sich also nicht um eine Allesoder-Nichts-Entscheidung. Für einen lediglich „appellativen Charakter“ des Merkmals „Ausnahmefall“, Dittmann, in: Sachs, GG, Art. 84 GG Rn. 20. 580 Vgl. Röttgen / Boehl, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 25. 581 BVerfGE 111, 226 (251 f.). 582 Demgegenüber hat Kahl, NVwZ 2008, S. 715 Bedenken hinsichtlich der Anwendung des quantitativen Kriteriums. Unklar bleibt, worauf er das qualitative Kriterium beziehen will.

2. Abschn.: Zu den Verwaltungskompetenzen

287

Zulassungsverfahren vorzunehmen 583. Da dieser Wille keinerlei Niederschlag im Grundgesetz selbst gefunden hat, kann daraus keine Beweislastumkehr dergestalt hergeleitet werden, dass die Länder begründen müssten, warum kein Ausnahmefall vorliege 584. Vertretbar erscheint jedoch einen Beweis des ersten Anscheins zuzulassen, der, wie die Wortwahl „regelmäßig“ verdeutlicht, jedoch nicht von der Pflicht zur Einzelfallprüfung entbindet. 3. Zustimmung des Bundesrates nach Art. 84 Abs. 1 Satz 6 GG Verfahrensrechtlich bedarf ein auf Art. 84 Abs. 1 Satz 5 GG gestütztes Bundesgesetz der Zustimmung des Bundesrates, Art. 84 Abs. 1 Satz 6 GG. Noch ungeklärt ist, ob sich die Zustimmung des Bundesrates lediglich auf den verfahrensrechtlichen Teil des Bundesgesetzes oder wie bisher unter der Anwendung der Einheitsthese auf das gesamte Bundesgesetz bezieht. Für Letzteres spricht nicht nur der Wortlaut des Art. 84 Abs. 1 Satz 6 GG, nach dem „diese Gesetze“ und nicht etwa nur die verfahrensrechtlichen Bestimmungen der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, sondern auch und vor allem, dass die Verankerung der Trennungsthese unterblieben ist, obwohl sich der verfassungsändernde Gesetzgeber der Auswirkungen der Einheitsthese bekanntermaßen bewusst war 585. Der Bundesrat kann seine Zustimmung nach Art. 84 Abs. 1 Satz 6 GG daher auch weiterhin aus materiellrechtlichen Gründen versagen. Dem Bundesgesetzgeber bleibt es aber unbenommen, den formell-rechtlichen, zustimmungsbedürftigen Teil des Bundesgesetzes von dem materiellrechtlichen Teil abzuspalten.

583

BT-Drs. 16/813, S. 15 unter Bezugnahme auf die Koalitionsvereinbarung vom 18. November 2005. 584 So aber Benneter / Poschmann, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 193. 585 Ebenso Dittmann, in: Sachs, GG, Art. 84 GG Rn. 24; Kahl, NVwZ 2008, S. 717; Germann, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 84 GG Rn. 78; Rauber, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 49. Dagegen sieht Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 84 GG Rn. 12 in der Verfassungsänderung einen Anlass zur Korrektur dieser Rechtsprechung; so auch Trute, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 85 Rn. 173; Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 84 GG Rn. 6.

Viertes Kapitel

Die Neuordnung unter dem Blickwinkel der Reformziele Das letzte Kapitel befasst sich mit der in dieser Arbeit zu klärenden Kernfrage, ob der verfassungsändernde Gesetzgeber mit den vorgenommenen Grundgesetzänderungen im Bereich der Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen seine Ziele erreicht hat. In diesem Zusammenhang ist es unverzichtbar, die in dem zweiten Kapitel aufgezeigten Zielsetzungen getrennt auf ihre Verwirklichung zu untersuchen. Zunächst werden die in der Gesetzesbegründung ausdrücklich aufgeführten untergeordneten Ziele – die Schaffung klarerer Verantwortlichkeiten und die Stärkung der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit von Bund und Ländern – betrachtet, sodann ob ihre Realisierung zu einer neuen Balance der föderalen Elemente geführt hat. Soweit ein Bezug zu den Gesetzgebungsund Verwaltungskompetenzen besteht, wird danach in aller Kürze auf das zweite Oberziel, die Stärkung der Europatauglichkeit, eingegangen. Den Abschluss bildet die Frage, ob das in der Gesetzesbegründung nicht erwähnte Ziel, die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen anhand eines rationalen Regelungskonzeptes vorzunehmen, verwirklicht wurde. Bei der Bewertung ist zu berücksichtigen, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber mit seinen Zielen im Prinzip kein bestimmtes, fixes Ergebnis verfolgte, sondern nur eine Kompetenzordnung anstrebte, die die Ziele in höherem Maße verwirklichen würde als die bisherige. Dies bedeutet zwar zugleich eine Relativierung der vom verfassungsändernden Gesetzgeber verfolgten Ziele, mittelbar auch der mit dieser Arbeit anvisierten Zielkontrolle. Ein anderer Ansatz, die Ergebnisse der Föderalismusreform zu messen, ist gleichwohl nicht vorzuziehen. Die Verteilung der Kompetenzen beruht im Wesentlichen auf politischen Entscheidungen, lediglich vereinzelt kann ein objektiver Maßstab angelegt werden. Eine solche politische Bewertung sollte mit der vorliegenden Arbeit nicht geleistet werden. Eine Ausnahme von der Relativität der Zielsetzungen gilt zudem hinsichtlich des Oberziels der Ausbalancierung der föderalen Elemente, das auf die Schaffung eines konkreten Zustandes angelegt war. Dem verfassungsändernden Gesetzgeber ging es dabei allerdings nicht um die Umwandlung des unitarisch-kooperativen Bundesstaates in einen föderal-kompetitiven Bundesstaat. Vielmehr sollte unter Beibehaltung der vom Parlamentarischen Rat entworfenen Grundkonzeption, also eines zentralen Gesetzgebungs- und födera-

1. Abschn.: Ziele nach der Gesetzesbegründung

289

len Verwaltungsstaates, eine Rückbesinnung auf die ursprüngliche, annähernd gleich gewichtete Aufgabenverteilung erfolgen. Dies ist bei der Beurteilung der Reformziele nicht aus den Augen zu verlieren.

Erster Abschnitt

Ziele nach der Gesetzesbegründung Zuvörderst werden die vom verfassungsändernden Gesetzgeber ausdrücklich in der Gesetzesbegründung aufgeführten Zielsetzungen untersucht.

A. Schaffung klarerer Verantwortlichkeiten Mit der Föderalismusreform sind dann klarere Verantwortlichkeiten geschaffen worden, wenn für den Bürger eindeutiger erkennbar wird, wer für ein Gesetzesvorhaben verantwortlich ist. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat für dieses Ziel an den zwei wesentlichen Verflechtungssträngen, den Mischfinanzierungen und der hohen Anzahl zustimmungsbedürftiger Bundesgesetze, angesetzt, wobei im Rahmen dieser Arbeit lediglich auf den zweiten Punkt näher eingegangen wird. I. Reduktion zustimmungsbedürftiger Bundesgesetze Als das Haupteinfallstor zustimmungsbedürftiger Bundesgesetze identifiziert, ist Art. 84 Abs. 1 GG von dem verfassungsändernden Gesetzgeber grundlegend umgestaltet worden. Künftig kann der Bund Behörden- und Verfahrensregelungen und – was noch wesentlich wichtiger ist – die aufgrund der Geltung der Einheitsthese bisher ebenfalls zustimmungsbedürftigen materiellen Regelungen ohne Zustimmung des Bundesrates treffen. Im Gegenzug muss er lediglich die sich auf Behörden- und Verfahrensregelungen, nicht dagegen auch auf materielle Regelungen erstreckende Abweichungsmöglichkeit der Länder in Kauf nehmen. In von bestimmten Voraussetzungen abhängigen Ausnahmefällen kann er dieses Abweichungsrecht für Verfahrensregelungen mit Zustimmung des Bundesrates ausschließen, wobei dann der Bundesrat unter der unvermindert Geltung beanspruchenden Einheitsthese zugleich auf materielle Regelungen des Gesetzes Einfluss nehmen kann. Der frühere Regelfall ist nunmehr aber auf bestimmte Ausnahmekonstellationen beschränkt und soll daher nach der Gesetzesbegründung zu einer Reduzierung der Zustimmungsquote auf ca. 35 bis 40 % führen 1. 1

BT-Drs. 16/813, S. 14.

290

4. Kap.: Die Neuordnung unter dem Blickwinkel der Reformziele

Ob dieses Ziel erreicht wird, hängt maßgeblich von zwei Faktoren ab. Zum einen ist entscheidend, wie sich der neu eingeführte Zustimmungstatbestand des Art. 104a Abs. 4 GG auswirkt, zum anderen in welchem Umfang von der als Ausnahme gedachten Sperrklausel Gebrauch gemacht wird. Die von dem wissenschaftlichen Dienst des Bundestages unter Zugrundelegung der geplanten Änderungen errechnete hypothetische Zustimmungsquote von ca. 25 % für die 14. und 15. Wahlperiode zeichnet kein realistisches Bild 2, bleibt der zweite Aspekt als Unsicherheitsfaktor dort doch bewusst ausgeblendet. Inzwischen gibt es erste statistische Auszählungen, nach der die zustimmungspflichtige Quote im Zeitraum vom 1. September 2006 bis 31. August 2007 44,2 % betrug, während sie sich nach der alten Rechtslage auf 59,2 % belaufen hätte 3. Dabei ist die Reduktion allein auf die im Bundesgesetzblatt I verkündeten Gesetze zurückzuführen, die Anzahl der im Bundesgesetzblatt II als zustimmungspflichtig verkündeten Gesetze blieb dagegen im Vergleich zur vorherigen Rechtslage unverändert 4. Konkret bedeutet das, dass in den im Zusammenhang mit völkerrechtlichen Übereinkünften und Verträgen stehenden und deshalb im Bundesgesetzblatt II verkündeten Gesetzen Verfahrensregelungen stets abweichungsfest geregelt wurden, entsprechende Gesetze also nach wie vor der Zustimmung des Bundesrates bedurften. Bei den innenpolitisch bedeutsamen, im Bundesgesetzblatt I verkündeten Gesetzen hat man demgegenüber in zahlreichen Fällen auf dieses Instrumentarium verzichtet. Nach der alten Rechtslage wären 38 Gesetze aufgrund von Behörden- oder Verfahrensregelungen zustimmungspflichtig gewesen, jetzt waren es nur noch vier 5. Gerade für die politisch heiklen Themen, bei denen sich die Zustimmungspflichtigkeit des gesamten Gesetzes als ausgesprochen hinderlich erwiesen hatte, ist also eine signifikante Reduzierung feststellbar. Lediglich 33,6 % aller im Bundesgesetzblatt I verkündeten Gesetze bedurften in dem genannten Zeitraum der Zustimmung des Bundesrates 6. Die vielfach geäußerte Be2

Georgii / Borhanian, Zustimmungsgesetze nach der Föderalismusreform – Wie hätte sich der Anteil der Zustimmungsgesetze verändert, wenn die vorgeschlagene Reform bereits 1998 in Kraft getreten wäre? Vom 15. Mai 2006, http://www.bundestag.de/parlament /gremien/foederalismus/wirkung.pdf, S. 3. 3 BT-Drs. 16/8688, Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage BT-Drs. 16/ 6499 – Auswirkungen der ersten Stufe der Föderalismusreform vom 2. April 2008, S. 2. 4 BT-Drs. 16/8688, Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage BT-Drs. 16/ 6499 – Auswirkungen der ersten Stufe der Föderalismusreform vom 2. April 2008, Anlage 2 S. 34: Bei den im Bundesgesetzesblatt II verkündeten Gesetzen beläuft sie sich auf 72,5%. 5 BT-Drs. 16/8688, Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage BT-Drs. 16/ 6499 – Auswirkungen der ersten Stufe der Föderalismusreform vom 2. April 2008, Anlage 2 S. 42. 6 BT-Drs. 16/8688, Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage BT-Drs. 16/ 6499 – Auswirkungen der ersten Stufe der Föderalismusreform vom 2. April 2008, Anlage 2 S. 42.

1. Abschn.: Ziele nach der Gesetzesbegründung

291

fürchtung 7, dass dieser Erfolg durch eine extensive Inanspruchnahme des neuen Art. 104a Abs. 4 GG zunichte gemacht würde, hat sich bislang nicht bewahrheitet. Der auf ihn fallende Anteil von 10,7% entspricht in etwa dem Anteil, den der bis zum 1. September 2006 geltende und im Kern vergleichbare Art. 104a Abs. 3 Satz 3 GG ausmachte 8. Das von dem verfassungsändernden Gesetzgeber erstrebte Ziel dürfte sich daher vorerst erfüllt haben. Allerdings ist der betrachtete Zeitraum zu kurz, um bereits eine gesicherte Aussage treffen zu können. Zudem liegt mit der Großen Koalition politisch eine atypische Situation vor, die zu verzerrten Ergebnissen führen könnte 9. Eine Tendenz wird man dieser Statistik gleichwohl nicht absprechen können. Falls sie sich im weiteren Verlauf bestätigen sollte, ist hierin eine zentrale Errungenschaft der Föderalismusreform zu sehen 10, die maßgeblich zu der Schaffung klarer Verantwortlichkeiten beiträgt. II. Hinwendung zum Trennsystem Darüber hinaus wollte der verfassungsändernde Gesetzgeber mit einer möglichst weitgehenden Hinwendung zu dem Trennsystem die politische Zurechenbarkeit verbessern. Dafür hat er konsequenterweise die Rahmenkompetenz mit ihren zwei hintereinander geschalteten Gesetzgebungsverfahren aufgehoben. Diesem auf Koordination angelegten Kompetenztypus war es immanent, dass ein und dieselbe Sachmaterie von zwei verschiedenen Gesetzgebungsebenen ineinander greifend geregelt wurde. Der vom Bund vorgegebene Rahmen wurde von den Ländern konkretisiert. Sowohl die Länder waren daher von den Vorgaben des Bundes abhängig als auch der Bund von der Ausfüllung durch die Länder. Die Verantwortung bei einer derartigen, ineinander greifenden Aufgabenerfüllung konnte nicht eindeutig zugeordnet werden. Möglicherweise führt jedoch auch das neue Abweichungsrecht sowohl im formellen als auch im materiellen Recht zu einer Verunklarung der Verantwortlich7 Vgl. dazu die Äußerungen der Sachverständigen Möller und Meyer, Rechtsausschussprotokoll 12 vom 15. / 16. Mai 2006, S. 13, 31 und 36. 8 BT-Drs. 16/8688, Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage BT-Drs. 16/ 6499 – Auswirkungen der ersten Stufe der Föderalismusreform vom 2. April 2008, S. 3 und Anlage 2 S. 42. 9 Die statistische Auswertung der einzelnen Wahlperioden spricht allerdings nicht dafür, dass in Zeiten unterschiedlicher parteipolitischer Mehrheiten die Zustimmungsquote gravierend steigt. So waren in der 7. und 8. Wahlperiode 53,2% und 53,7%, in der 13. und 14. Wahlperiode 59,6 % und 55,6 % aller Gesetze zustimmungsbedürftig, dies entspricht in etwa dem Durchschnitt; vgl. die Zahlen bei v. Münch / Kunig, GG, Art. 50 GG. Es besteht jedoch die Gefahr, dass die Länder vermehrt mit ihrem „Abweichungsrecht“ drohen und der Bund sich dazu gezwungen sieht, entweder die Forderungen der Länder bereits im Vorfeld zu berücksichtigen oder die Verfahrensregelungen abweichungsfest auszugestalten. 10 Vgl. Röttgen / Boehl, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 17.

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4. Kap.: Die Neuordnung unter dem Blickwinkel der Reformziele

keiten. Der Bund hat in den dieser Kompetenzart unterfallenden Bereichen die Befugnis, Vollregelungen zu erlassen, ist also nicht auf eine ergänzende Rechtssetzung der Länder angewiesen. Die Länder können von den Bundesregelungen nach ihrem freien Ermessen – bei der materiellen Abweichungsgesetzgebung jedoch nur bis zu den Grenzen der abweichungsfesten Kerne – abweichen. Für eine Sachmaterie sind nicht, wie bei der gestrichenen Rahmengesetzgebung, zwei Gesetzgebungsebenen hintereinander, sondern parallel zuständig. Allerdings besteht auch bei der Abweichungsgesetzgebung die Möglichkeit, dass für eine Sachmaterie teilweise Bundesrecht und teilweise Landesrecht Anwendung findet. Es ist zu erwarten, dass die Länder nur in denjenigen Teilen von der Bundesregelung abweichen werden, in denen sie der Auffassung sind, eine politisch bessere Lösung gefunden zu haben. Aber selbst wenn ein Land eine Materie des Art. 72 Abs. 3 GG vollständig abweichend regeln wollte, bliebe es in den Bereichen der abweichunsgfesten Kerne bei bundesgesetzlichen Vorschriften. Im Falle ihrer Aktivierung wird die Abweichungsgesetzgebung daher unweigerlich zu einer Mischlage aus Bundes- und Landesrecht führen 11. Wäre hierin eine Verunklarung der Verantwortlichkeiten zu sehen, dann wäre das Gesetzesziel durch die Einführung der Abweichungsgesetzgebung konterkariert worden. Die Ausgestaltung der Abweichungsgesetzgebung mit der partiellen Abweichungsmöglichkeit der Länder, der Festlegung der abweichungsfesten Kerne und eines Anwendungsvorrangs, der gegebenenfalls zum Wiederaufleben einer zeitlich früheren Regelung führt, erschwert sicherlich die Suche nach dem anwendbaren Recht und stellt erhöhte Anforderungen an den Rechtsanwender 12. Dies gilt umso mehr, als der Bund die Möglichkeit hat, das Landesrecht seinerseits wieder in der Anwendung zu verdrängen. Ein gesetzgeberisches „Ping-Pong“, wie es immer wieder als Horrorszenario an die Wand gemalt wurde 13, erscheint dennoch, wenn man den Aufwand eines Gesetzgebungsverfahrens berücksichtigt, als äußerst unwahrscheinliche Alternative 14. Zudem können die Pflicht zur 11 „Geltungsmix“, Starck, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 4. In einer negativen Konnotation mit dem Begriff der Rechtszersplitterung oder des Flickenteppichs umschrieben, vgl. dazu Breuer, in: Grote (Hrsg.), Ordnung, S. 180; Mayen, DRiZ 2007, S. 54; Uhle, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 72 GG Rn. 66. 12 Erhöhte „Informationskosten des Rechtsanwenders“, Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 17 Rn. 31; Louis, ZUR 2006, S. 343 befürchtet daher eine Überforderung des für den Vollzug zuständigen gehobenen Dienstes. 13 Vgl. dazu die Ausführungen der Sachverständigen Huber, Grimm und Scholz und des Bundestagsabgeordneten Steenblock, Stenografischer Bericht der 9. Kommissionssitzung am 14. Oktober 2004, S. 207, 213, 216. Kritisch auch Mayen, DRiZ 2007, S. 55. 14 Ebenso Thiele, JA 2006, S. 717; Klein / Schneider, DVBl. 2006, S. 1553: Phantomrisiko; Papier, NJW 2007, S. 2147; Stettner, in: Dreier, GG – Supplementum, Art. 72 GG Rn. 49.

1. Abschn.: Ziele nach der Gesetzesbegründung

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Bezeichnung der verdrängten Normen und die Tatsache, dass ein nachfolgendes Bundesgesetz ein abweichendes Landesgesetz in toto in der Anwendung verdrängt, helfen eine unübersichtliche Rechtslage zu vermeiden 15. Im vorliegenden Zusammenhang ist indes entscheidend, dass die Verantwortlichkeiten, hat man die anwendbaren Vorschriften einmal gefunden, eindeutig zuzuordnen sind. Anders als bei der Rahmengesetzgebung sind nicht Bund und Länder zusammen für das umfassende Gesetzeswerk verantwortlich, sondern jede Ebene für sich allein. Dies ergibt sich schon aus der grundsätzlich anderen Anlage beider Gesetzgebungstypen. Während sich bei der Rahmengesetzgebung die Regelungen ergänzten und nur zusammen ein Ganzes ergaben, werden mit der Abweichungsgesetzgebung unterschiedliche und in Konkurrenz tretende Gesetzeskonzeptionen verwirklicht 16. Nicht das Ineinander, sondern das Gegeneinander steht bei diesem Kompetenztyp im Vordergrund. Das Land übernimmt, macht es von seinem Abweichungsrecht nur partiell Gebrauch, grundsätzlich auch die Verantwortung für das in Anwendung bleibende Bundesgesetz 17. Denn für das Land besteht die Möglichkeit, es durch eigene gesetzgeberische Regelungen zu verdrängen. Nimmt es diese Option nicht wahr, ist darin eine Bestätigung der bundesgesetzlichen Vorschriften zu sehen. Gleichzeitig werden durch diese Ausführungen aber auch die Grenzen der Verantwortungszurechnung im Anwendungsfeld der materiellen Abweichungsgesetzgebung deutlich. Da das jeweilige Land von den abweichungsfesten Kernen nicht abweichen, also keine ihm zurechenbare Entscheidung hinsichtlich der Anwendung des Bundesrechts treffen kann, ist für den abweichungsfesten Kern allein und stets der Bundesgesetzgeber verantwortlich. In dem einen wie im anderen Fall sind die Verantwortlichkeiten jedenfalls eindeutig verteilt. Diese Ausführungen können jedoch nicht uneingeschränkt für alle Materien der materiellen Abweichungsgesetzgebung ihre Richtigkeit beanspruchen. Für den Naturschutz und die Landschaftspflege (Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG) kann der Bundesgesetzgeber allgemeine Grundsätze abweichungsfest ausgestalten. Damit wird ihm in ganz ähnlicher Weise wie bei dem früheren Art. 75 GG ermöglicht, die Rahmenbedingungen unabänderlich festzulegen und den Ländern lediglich die Konkretisierungen zu überlassen 18. In diesen Fällen sind die 15

„Notwendig ist“ sicherlich „eine sorgfältige gesetzessystematische und redaktionelle Begleitung der Gesetzgebungsaktivität auf allen Ebenen“, Kesper, NdsVBl. 2006, S. 150. Dennoch befürchtet Papier, NJW 2007, S. 2148 ein „beispielsloses Normenwirrwarr“. Der Sachverständige Kirchhof fühlt sich gar an „eine Grabung in den neun Schichten Trojas“ erinnert, Rechtsausschussprotokoll 12 vom 15. / 16. Mai 2006, S. 10. 16 Von Michael, JZ 2006, S. 884 ff. schlagwortartig mit dem Begriff des „experimenteller Bundesstaates“ umschrieben. 17 So auch Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 18 Rn. 33. 18 Kritisch auch Klein / Schneider, DVBl. 2006, S. 1554; „Fortsetzung der überkommenen Rahmengesetzgebung mit anderen Mitteln“, Kotulla, NVwZ 2007, S. 493; Oeter, in:

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4. Kap.: Die Neuordnung unter dem Blickwinkel der Reformziele

Länder an das vom Bund entwickelte Konzept gebunden und können gerade kein eigenes, unter Umständen gegenläufiges Gesetzgebungsprogramm verwirklichen. Es ist wie schon im Anwendungsbereich des Art. 75 GG aufgrund dieses Ineinandergreifens unklar, wer letztlich für die getroffenen Regelungen die Verantwortung trägt. Obwohl die Abweichungsgesetzgebung also an sich geeignet ist, eindeutige Verantwortungen zuzuordnen 19, ist sie in diesem einen Punkt in einer Weise ausgestaltet worden, die kaum Verbesserungen gegenüber der vorherigen Rechtslage erwarten lässt.

B. Stärkung der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit Bei dem nächsten Ziel der Steigerung der Entscheidungseffizienz ist zwischen den Veränderungen zugunsten des Bundes und den Veränderungen zugunsten der Länder zu unterscheiden. I. Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit des Bundes Die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit des Bundes sollte sowohl durch eine Reduzierung der zustimmungsbedürftigen Gesetze als auch durch eine eindeutigere Zuordnung der Gesetzgebungskompetenzen gestärkt werden. Wie bereits im Rahmen des vorherigen Zieles erläutert, deuten die ersten statistischen Erhebungen auf eine deutliche Reduzierung der zustimmungspflichtigen Gesetze hin. Die Neufassung des Art. 84 Abs. 1 GG hat sich zudem gerade auf die innenpolitisch bedeutsamen Gesetzesvorhaben ausgewirkt, so dass sich der diesbezügliche Handlungsspielraum des Bundes, auch wenn das genaue Ausmaß noch nicht abzusehen ist, auf jeden Fall vergrößert hat. Dagegen wird sich das Ziel des verfassungsändernden Gesetzgebers dadurch zugleich eine spürbare Verkürzung des Gesetzgebungsverfahrens zu erreichen, aller Voraussicht nach nicht verwirklichen lassen 20. In einer kürzlich hierzu durchgeführten Untersuchung wurde festgestellt, dass die Dauer der Einspruchsgesetzgebung nur unwesentlich von Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 18 Rn. 33; Papier, NJW 2007, S. 2148; Huber, in: Pitschas (Hrsg.), Verfassung, S. 607. Zu dieser „interessanten Spannungslage“, Kloepfer, VerwArch 2008, S. 218. 19 Diese Auffassung wird von der Mehrheit der rechtswissenschaftlichen Literatur nicht geteilt, vgl. Nierhaus / Rademacher, LVK 2006, S. 389: das Ziel der klareren Verantwortlichkeiten wird „nachgerade ad absurdum geführt; ebenfalls ablehnend Kesper, NdsVBl. 2006, S. 151 und 158, die durch die Reform das Gegenteil verwirklicht sieht; Selmer, JuS 2006, S. 1056; Klein / Schneider, DVBl. 2006, S. 1556; Breuer, in: Grote (Hrsg.), Ordnung, S. 180 f.; Stettner, in: Dreier, GG – Supplementum, Art. 72 GG Rn. 53; Papier, NJW 2007, S. 2148; Mayen, DRiZ 2007, S. 54. Dagegen äußert sich Germann, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 84 GG Rn. 133 verhalten positiv; zuversichtlich Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 18 Rn. 32. 20 BT-Drs. 16/813, S. 15.

1. Abschn.: Ziele nach der Gesetzesbegründung

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der der Zustimmungsgesetzgebung abweicht 21. Eine Verringerung zustimmungsbedürftiger Gesetze geht daher nicht zwingend mit einer relevanten Verkürzung des Gesetzgebungsverfahrens einher. Demgegenüber hat eine Reihe von Veränderungen bei den Gesetzgebungskompetenzen einen positiven Effekt auf die Handlungsfähigkeit des Bundes. In diesem Zusammenhang sind insbesondere die Freistellung von der Erforderlichkeitsklausel bei insgesamt 23 Titeln der konkurrierenden Gesetzgebung und die Verschiebung der umweltrelevanten Materien in die konkurrierende Gesetzgebung als wesentlich anzusehen. Von der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 72 Abs. 2 GG und Art. 75 GG ging ein erheblicher Unsicherheitsfaktor für den Bund aus, der durch den begrenzten Anwendungsbereich des Art. 72 Abs. 2 GG an Sprengkraft verloren hat und in Bezug auf die Rahmengesetzgebung mit ihrer Aufhebung sogar gänzlich entfallen ist. Allerdings gehen die nunmehr bestehenden Möglichkeiten des Bundes speziell im Umweltbereich vielen Experten nicht weit genug 22. Die einmalige historische Chance einen Querschnittskompetenztitel „Umweltrecht“ einzuführen sei verpasst worden 23 und die nach wie vor „fragmentierte Kompetenzordnung“ 24 berge die Gefahr, dass der von den europarechtlichen Vorgaben geforderte medienübergreifende Ansatz schon in der Gesetzgebung nicht verwirklicht werden könne 25. Zumindest aber würden die als Kompensation zu der neuen Vollkompetenz des Bundes eingeräumten Abweichungsmöglichkeiten der Länder für die umweltrelevanten Materien des Art. 75 GG einer sinnvollen Regelung des geplanten Umweltgesetzbuchs zuwiderlaufen 26.

21 „Was bringt die Föderalismusreform? Wahrscheinliche Effekte der geänderten Zustimmungspflicht“, Oktober 2006, Burkhart / Manow, www.mpifg.de/pu/workpap/wp06 -6/wp06-6.html, S. 13 und 17: Für die Ergebnisse wurden die Gesetze der 14. und 15. Wahlperiode quantitativ ausgewertet. Eine andere Einschätzung findet sich bei Ipsen, NJW 2006, S. 2805. 22 Statt vieler: SRU, Der Umweltschutz in der Föderalismusreform, Stellungnahme vom Februar 2006, unter: http://umweltrat.de/03stellung/downlo03/stellung/Stellung _Foederalismusreform_Feb2006.pdf; vgl. auch Kotulla, NVwZ 2007, S. 495: „Der Umweltschutzsektor ist denkbar schlecht geeignet, um längst überholte, bekanntermaßen ineffektive Relikte der föderalen Kompetenzordnung auch weiterhin aufrecht zu erhalten“; ausführlich zu der Kritik Eppler, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2006, S. 216 ff. 23 Vgl. Epiney, NuR 2006, S. 411. 24 Scheidler, WiVerw 2008, S. 53. 25 Siehe hierzu beispielsweise die Äußerung des Sachverständigen Möllers, Rechtsausschussprotokoll 12 vom 15. / 16. Mai 2006, S. 59; Ekardt / Weyland, NVwZ 2007, S. 739. Speziell zu den Schwierigkeiten vor dem Hintergrund der europarechtlichen Anforderungen, Epiney, NuR 2006, S. 403 ff. 26 Hingewiesen wurde außerdem auf die Gefahr eines „Ökodumpings“ in Form eines „race to the bottom“, vgl. Epiney, NuR 2006, S. 411; Otto / Sanden, NuR 2007, S. 805; Stock, NuR 2006, S. 119. Einen Deregulierungswettbewerb für unwahrscheinlich haltend,

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4. Kap.: Die Neuordnung unter dem Blickwinkel der Reformziele

In der jetzigen Wahlperiode ist das Projekt Umweltgesetzbuch nicht über einen Referentenentwurf hinausgekommen und damit bereits im Vorbereitungsstadium gescheitert. Das BMU hat wegen politischer Widerstände auf Seiten der Union von einem entsprechenden, seit dem Jahr 2006 vorangetriebenen Vorhaben Abstand genommen 27. Das vom verfassungsändernden Gesetzgeber durch die Übergangsvorschrift des Art. 125b GG eingeräumte Zeitfenster, von dem ein gewisser politischer Handlungsdruck erzeugt werden sollte, ist nicht genutzt worden 28. Trotz aller im Einzelfall sicherlich auch berechtigter Kritik an den Neuerungen im Umweltrecht dürfte durch die weit gediehenen Vorarbeiten dennoch eines klargestellt worden sein: Die neue Kompetenzlage schafft grundsätzlich die Voraussetzungen für den Erlass eines Umweltgesetzbuches, eine Tatsache, die angesichts der leidvollen Vorgeschichte zumindest positiv gewürdigt werden sollte 29. Nicht zu einer substantiellen Aufwertung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums beigetragen hat die Verschiebung von Kompetenztiteln in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Hierbei handelte es sich um Bereiche, die auch bisher schon weitgehend durch Bundesrecht geregelt waren 30. II. Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit der Länder Die Handlungsfähigkeit der Länder sollte nach dem Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers vor allem durch die Eröffnung gesetzgeberischer Handlungsspielräume verbessert werden. Durch die Föderalismusreform wurden zwölf Gesetzgebungsmaterien in die ausschließliche Zuständigkeit der Länder übertragen und für sechs weitere Materien ein Abweichungsrecht eingeräumt. Allein die Quantität der Länderregelungen zugänglichen Materien ist aber für eine substantielle Erweiterung der Handlungsfähigkeit nicht ausreichend. So muss Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, S. 254. Angesichts der historischen Verdienste der Länder um den Umweltschutz ist dieser Vorwurf außerdem unberechtigt, dazu Kloepfer, ZG 2006, S. 256 f. 27 Am 1. Februar 2009 erklärte Bundesumweltminister Gabriel das Scheitern des Umweltgesetzbuches, vgl. dazu seine Stellungnahme unter http://www.bmu.de/pressemitteilu ngen/aktuelle_pressemitteilungen/pm/43013.php. 28 Der Referentenentwurf des Umweltgesetzbuches ist abrufbar unter http://www.bmu .de/umweltgesetzbuch/downloads/doc/40448.php. Das Projekt „UGB 2009“ der 16. Legislaturperiode sollte aus insgesamt sechs Büchern bestehen. Einen Überblick gibt Szczekalla, DVBl. 2008, S. 305 ff. 29 In diesem Sinne Frenz, NVwZ 2006, S. 747; Benneter / Poschmann, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 187 f. 30 So auch Heintzen, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 43 Rn. 74. Ebenfalls nicht ausschlaggebend sind die partiellen Kompetenzerweiterungen der Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 und 20 GG, da sie lediglich die zusätzliche Regelung von politisch weitgehend bedeutungslosen Randgebieten ermöglichen, a. A. wohl Stettner, in: Dreier, GG – Supplementum, Art. 70 GG Rn. 6.

1. Abschn.: Ziele nach der Gesetzesbegründung

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bezweifelt werden, dass beispielsweise Gebiete wie das bundesverfassungsgerichtlich determinierte Versammlungsrecht oder das Pressewesen geeignet sind, dieses Ziel zu erreichen. Vielmehr ist dafür erforderlich, dass es sich um qualitativ bedeutsame Politikfelder handelt, die von gewissem politischen Gewicht sind und die Verwirklichung eigener Konzeptionen zulassen. Zu diesen besonders attraktiven Politikbereichen zählte nach Auffassung der Länder vor allem das öffentliche Dienstrecht und das Bildungs- und Hochschulwesen sowie, allerdings untergeordnet, die Kompetenzen mit regionalem Bezug 31. 1. Öffentliches Dienstrecht Für das öffentliche Dienstrecht der Landesbeamten und Landesrichter sind mit Ausnahme der Statusrechte und -pflichten künftig ausschließlich die Länder zuständig. Der Wunsch der Länder ist diesbezüglich also in Erfüllung gegangen. Zwar hat der Bund für die Statusrechte und -pflichten nicht mehr nur eine Rahmenkompetenz, sondern eine konkurrierende Kompetenz in der Art der Vorranggesetzgebung. Die Gefahr, dass er von dieser Zuständigkeit ausufernd Gebrauch macht, ist jedoch aus verschiedenen Gründen als gering einzustufen. Die Besoldung, Versorgung und das Laufbahnrecht sind im Grundgesetz explizit als von den Statusrechten und -pflichten nicht umfasst aufgezählt. Ein Übergreifen in diese Bereiche durch eine extensive Auslegung des Passus Statusrechte und -pflichten ist angesichts dieser grundgesetzlichen Klarstellung ausgeschlossen 32. Im Übrigen verleihen die Entstehungsgeschichte und die Gesetzesbegründung diesen Begriffen Konturen und dienen zu ihrer Umgrenzung. Schließlich ist dem Bundesgesetzgeber bei Erlass eines entsprechenden Gesetzes auch dadurch eine Grenze gezogen, dass ein Bundesgesetz über die „Statusrechte und -pflichten“ der Zustimmung des Bundesrates, Art. 74 Abs. 2 GG, bedarf 33. Eine Bestätigung für die Zurückhaltung des Bundesgesetzgebers ist das am 19. Juni 2008 verkündete Gesetz zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern 34. Es stellt eine modernisierte und in einigen 31

Sprechzettel der Vorsitzenden für die 1. Konsultationsrunde am 10. November 2004,

S. 2. 32 Wie nötig diese Klarstellung war, lässt sich daran erkennen, dass ihrer ungeachtet eine entsprechend weite Auslegung gefordert wird, vgl. die Stellungnahme des dbb vom 4. August 2006; die Stellungnahme des DGB vom 10. August 2006 und die Stellungnahme Verdis vom 17. Juli 2006, siehe hierzu BT-Drs. 16/4027, S. 39 f. 33 Allerdings wurde das BeamtStG auf Anregung des Bundesrates sogar zunächst erweitert. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens änderte sich die Meinung der Mehrheit des Bundesrates wieder, so dass nach Anrufung des Vermittlungsausschusses die ursprünglich von der Bundesregierung entworfene Fassung verabschiedet wurde, vgl. die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses BT-Drs. 16/8910. 34 BGBl. I 2008 Nr. 24 S. 1010. Wenige Vorschriften sind bereits einen Tag nach der Verkündung in Kraft getreten, der Großteil ist am 1. April 2009 in Kraft getreten.

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4. Kap.: Die Neuordnung unter dem Blickwinkel der Reformziele

Punkten um Vollregelungen ergänzte Variante des Beamtenrechtsrahmengesetzes dar, das ersichtlich von dem Bemühen geprägt ist, nicht in den neuen Zuständigkeitsbereich der Landesgesetzgeber überzugreifen 35. In dieser Form ist es nahezu einhellig auf Ablehnung gestoßen, da der Zweck des Gesetzes, die Mobilität der Beamten zu gewährleisten, nicht erfüllt worden sei 36. Damit setzt sich die fast durchweg an der Grundgesetzänderung geübte Kritik fort. Obschon mit der Rückübertragung weiter Teile des öffentlichen Dienstrechts einer der schwerwiegendsten und verfassungsrechtlich äußerst bedenklichen Eingriffe in die ureigensten Angelegenheiten der Länder rückgängig gemacht wurde, hat sie fast ausschließlich negatives Echo erfahren 37. Der Rückfall in die Kleinstaaterei und in einen Zustand der Rechtszersplitterung wurde befürchtet, also einmal mehr in der Geschichte der Bundesrepublik die tief verwurzelten Ängste der Unitarier geweckt 38. Weniger zugespitzt, aber ebenfalls in diese Richtung weist auch die Frage, warum die die Einführung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz von 1971 tragenden Erwägungen heute keine Geltung mehr beanspruchen sollten 39. Im Kern sollten mit dieser damaligen Grundgesetzänderung Besoldungsunterschiede zwischen den einzelnen Staaten und die damit einhergehenden Schwierigkeiten eingedämmt werden. Es sind jedoch gerade diese Vielfalt und Uneinheitlichkeit, die einem bundesstaatlichen Aufbau immanent sind 40. Der damaligen Grundgesetzänderung lag der Wunsch zugrunde, eine Rechtslage herzustellen, die der eines Einheitsstaates und den damit verbundenen Vorteilen entsprach. Will man die Ziele der Föderalismusreform ernst nehmen und ein Stück weit von diesem Denken Abstand nehmen, gibt es keinen Bereich, der sich besser für eine Übertragung in die Länderzuständigkeit geeignet hätte, als dieser „Teil des sichtbaren Staates“ 41. 35

„Ein von laufbahnrechtlichen Inhalten bereinigtes, geschlechtsneutral formuliertes Nachfolgegesetz zum Beamtenrechtsrahmengesetz...“, Bochmann, ZBR 2007, S. 7. 36 Bochmann, ZBR 2007, S. 16; Wolff, DÖV 2007, S. 509. 37 Vgl. dazu Pechstein, ZBR 2006, S. 285 und 288: „Die Hoffnung ruht insoweit auf dem Instrument der Länderkooperation“; Bochmann, ZBR 2007, S. 14 f.: „grober verfassungspolitischer Fehler“; Lecheler, ZBR 2007, S. 23, der insbesondere die Auflösung der Geschlossenheit des Beamtenstatus kritisiert; die Stellungnahme Kempens zur Anhörung vor dem Rechtsausschuss am 13. Mai 2006, S. 1. Tendenziell auch die Stellungnahme Schnellenbachs zur Anhörung vor dem Rechtsausschuss am 8. Mai 2006, S. 3. 38 Vgl. die Stellungnahme Kempens zur Anhörung vor dem Rechtsausschuss am 13. Mai 2006, S. 2 und 3 und Knopp, NVwZ 2006, S. 1219. 39 So Degenhart, NVwZ 2006, S. 1214; Degenhart, in: Dolzer / Vogel, Bonner Kommentar, Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG Rn. 66; Pechstein, ZBR 2006, S. 285. 40 Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 37: „Ungleichheiten sind das nötige Salz in der Suppe föderalen Wettbewerbs“. 41 Wilhelm, ZBR 1971, S. 133, wonach sich der Staat in den Personen realisiere, die für ihn handeln. Ebenso in der Beurteilung Staupe, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 164.

1. Abschn.: Ziele nach der Gesetzesbegründung

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Dafür spricht im Übrigen nicht nur der Staatscharakter der Länder, sondern auch eine Reihe von sachlichen Argumenten. Die Zusammenlegung von Aufgabenträgerschaft und Kostenverantwortung als Ausdruck des Konnexitätsprinzips, die angesichts der Höhe der Personalkosten in diesem Fall besonders geboten ist, führt zu einer eindeutigen Zuordnung politischer Verantwortlichkeiten, dient also einem unmittelbaren Ziel der Föderalismusreform. Entgegen anders lautender Meinungen sind mit den Anpassungsmöglichkeiten an die jeweilige Haushaltslage nicht lediglich negative Folgen verbunden. Vielmehr wird den Ländern ermöglicht ihre Personalkosten in ein ausgewogenes Verhältnis zu den sonstigen Ausgaben zu bringen, was neue finanzielle Freiräume schaffen, zumindest jedoch die Streichung von anderen Haushaltsposten verhindern kann. Dem vielfach an die Wand gemalten Besoldungswettlauf nach unten 42 sind Schranken gesetzt, da der auch die Länder bindende Art. 33 Abs. 5 GG einen Anspruch auf amtsangemessene Alimentation gewährt. Zudem wirkt sich der Verfassungsgrundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens begrenzend auf die Gestaltungsspielräume der Länder aus. Sie müssen „jedenfalls so viel Rücksicht auf die Besoldungsverhältnisse in Bund und Ländern nehmen, dass eine Erschütterung des gesamten Finanzgefüges von Bund und Ländern vermieden wird“ 43. Diese Einschränkung hatte das Bundesverfassungsgericht zu der Rechtslage vor der Einfügung des Art. 74a GG aufgestellt und sie hat nach der Föderalismusreform wieder uneingeschränkte Gültigkeit 44. Um dem der Verschiebung zugrunde liegenden Wettbewerbsgedanken Geltung zu verschaffen, ist keine zurückhaltende Anwendung geboten 45. Auch schon zuvor ließ dieser Grundsatz den Ländern Raum für unterschiedliche landesgesetzliche Regelungen. Als größter Vorteil der Grundgesetzänderung erweist sich letztendlich, dass die Länder besonders auch mit dem Laufbahnrecht die Möglichkeit erhalten, das Dienstrecht an ihre spezifischen Strukturerfordernisse anzupassen. Insgesamt sind die neuen Gesetzgebungsmöglichkeiten der Länder im öffentlichen Dienstrecht und die zurückhaltende Regelungsdichte des Beamtenstatusgesetzes daher zu begrüßen 46. 42 Vgl. dazu Knopp, NVwZ 2006, S. 1219: „Unter dem Gesichtspunkt erforderlicher Einsparungen aufgrund leerer Kassen ist nahezu alles vorstellbar.“; Knopp / Schröder, NJ 2007, S. 99 sieht Vorboten geplanter Einsparungen bereits im Sonderzuwendungsrecht und im Urlaubsgeld; Stellungnahme Kempens zur Anhörung vor dem Rechtsausschuss am 13. Mai 2006, S. 3; Bochmann, ZBR 2007, S. 15; Thiele, JA 2006, S. 715; Nierhaus / Rademacher, LKV 2006, S. 388. 43 BVerfGE 4, 115 (141). 44 Vgl. hierzu Lecheler, ZBR 2007, S. 23, Bochmann, ZBR 2007, S. 6. 45 So aber Degenhart, in: Dolzer / Vogel, Bonner Kommentar, Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG Rn. 64. 46 In diese Richtung auch Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 36 Rn. 64: „Befreiungsschlag zu Gunsten der Länder“; Stettner, in: Dreier, GG – Supplementum, Art. 74 GG Rn. 133; Staupe, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 171.

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4. Kap.: Die Neuordnung unter dem Blickwinkel der Reformziele

2. Bildungs- und Hochschulwesen Im Bildungsbereich haben die Länder ebenfalls einen Kompetenzzuwachs zu verzeichnen, auch wenn dieser gemessen an den ursprünglichen Forderungen eher gering ausfällt. So befindet sich die Gesetzgebungszuständigkeit für die außerschulische berufliche Bildung, die Ausbildungsbeihilfen und die Forschungsförderung unverändert in Bundeshand. Lediglich die ehemals in die Rahmenkompetenz eingeordneten „allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens“ sind begrenzt auf das Recht der Hochschulzulassung und der Hochschulabschlüsse in die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz mit Abweichungsrecht, der Rest in die ausschließliche Länderzuständigkeit verschoben worden. Der Bund kann in diesem Teilbereich nunmehr, ohne an die Anforderungen des Art. 72 Abs. 2 GG gebunden zu sein, Vollregelungen erlassen. Von diesen können die Länder unbeschränkt abweichen, ein abweichungsfester Kern existiert nicht. Diese Lösung stellt zu dem in der Schlussphase der Föderalismuskommission gemachten Länderangebot, für diese Materie eine Rahmenkompetenz zu akzeptieren, eine Verbesserung zugunsten der Länderseite dar. Die Länder sind nicht auf die Ausfüllung eines bundesgesetzlichen Rahmens beschränkt, sondern können in den Grenzen des grundrechtlich gewährleisteten Mindeststandards 47 und der europäischen Vorgaben unbeschränkt von den bundesgesetzlichen Vorschriften abweichen. Ihre Handlungsfähigkeit im Hochschulwesen ist dadurch entschieden gestärkt worden. Dass zugleich auch die Begrenzung des Bundesgesetzgebers auf Rahmenvorschriften und „allgemeine Grundsätze“ entfallen ist und er somit in die Lage versetzt wird, die entscheidenden Stellschrauben für die „tertiäre“ Ausbildung 48 umfassend zu regeln, ändert an dieser Feststellung nichts. Auch ist die verstärkte Handlungsfähigkeit der Landesgesetzgeber nicht deshalb zu bezweifeln, weil diese womöglich von ihren Abweichungsrechten keinen Gebrauch machen 49. Abzustellen ist insoweit allein auf die entsprechende Möglichkeit und nicht die tatsächliche Inanspruchnahme, wie schon die Wortwahl („-fähigkeit“) impliziert. Die Bundesregierung hat am 23. Juli 2007 zur Stärkung der Freiheit und Autonomie der Hochschulen den Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Hochschulrahmengesetzes zum 1. Oktober 2008 in den Bundestag eingebracht 50. Im Bereich der Hochschulzulassung und der Hochschulabschlüsse sah die Bundesregierung derzeit keinen Regelungsbedarf, da die notwendigen Anpassungen 47 Art. 5 Abs. 3 GG und Art. 12 Abs. 1 GG, vgl. Huber, Gutachten, 65. Juristentag, D 61 und D 73 und BVerfGE 35, 79 ff. und 33, 303 ff. 48 Huber, RDJB 2007, S. 5. 49 In diese Richtung aber Huber, RDJB 2007, S. 6. 50 BT-Drs. 16/6122; BR-Drs. 352/07.

1. Abschn.: Ziele nach der Gesetzesbegründung

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bereits auf der Grundlage der alten Rahmenkompetenz erlassen und in Landesrecht umgesetzt worden seien. Ähnlich wie im Bereich des Besoldungs- und Versorgungsrechts wurde auch die Stärkung der Länderkompetenzen im Hochschulwesen überwiegend kritisch begleitet 51, sah man doch die im Bildungswesen notwendige Mobilität durch eine „fundamental differierende Hochschulgesetzgebung“ 52 in Gestalt des berühmten „race to the bottom“ gefährdet. Bei der Bildungs- und Kulturpolitik handelt es sich jedoch geradezu um das klassische und originäre Betätigungsfeld der Länder. Es ist nicht ersichtlich, wie eine substantielle Aufwertung der Gesetzgebungskompetenzen der Länder ohne diese Rückübertragung hätte erreicht werden können. 3. Kompetenzen mit regionalem Bezug Bei den als drittem Politikfeld angestrebten Kompetenzen mit regionalem Bezug haben die Länder wenig erreicht. Aus dem Wirtschafts- und Fürsorgerecht sind ihnen mit dem Heimrecht, Teilen des Wohnungswesens, dem Recht des Ladenschlusses, der Gaststätten, der Schaustellung von Personen, der Spielhallen, Messen, Ausstellungen und Märkte lediglich sehr eng umgrenzte Teilbereiche übertragen worden, die nicht als substantieller Gewinn zu bezeichnen sind. Der noch in den abschließenden Beratungsrunden der Föderalismuskommission unternommene Versuch, Zuständigkeiten für die regionale aktive Arbeitsmarktpolitik und die ergänzenden öffentlichen Leistungen im Bereich der Bildung und Erziehung (Teilbereich aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG) durchzusetzen 53, blieb erfolglos. Die Gründe dafür liegen nicht allein in der abwehrenden Haltung des Bundes. Viel entscheidender dürfte gewesen sein, dass die Interessenlage der Länder in diesen Bereichen nicht übereinstimmte und diesem Kompetenzfeld auch generell keine oberste Priorität eingeräumt wurde. Insgesamt ergibt sich also ein gemischtes Bild, wenn man die geforderten Politikfelder mit den tatsächlichen Erfolgen vergleicht. Während die Länder ihr Ziel im Hinblick auf die Organisations- und Personalhoheit vollständig erreichen konnten, wurden im Bildungs- und Hochschulwesen nur Teilerfolge, bei den Kompetenzen mit regionalem Bezug sogar nur Minimalkonsense erzielt. 51 Vgl. Nierhaus / Rademacher, LVK 2006, S. 389 f.; Kluth, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 74 GG Rn. 29; Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 74 GG Rn. 126; Hansalek, NVwZ 2006, S. 669; Stock, ZUR 2006, S. 117 und S. 119; Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 32 Rn. 58; zu der massiven Kritik, vgl. auch Sager, in: Holtschneider (Hrsg,), Bundesstaat, S. 177, 131 und 134 f. 52 Breuer, in: Grote (Hrsg.), Ordnung, S. 176. 53 Sprechzettel der Vorsitzenden für die 1. Konsultationsrunde am 10. November 2004, S. 2.

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4. Kap.: Die Neuordnung unter dem Blickwinkel der Reformziele

Gleichwohl kann nicht bezweifelt werden, dass die Länder durch die Grundgesetzänderung handlungs- und entscheidungsfähiger gemacht wurden. Dafür reicht eine Verbesserung gegenüber der vorherigen Situation aus, die sich hier zweifelsohne aus den dargestellten Verschiebungen ergibt.

C. Oberziel – Ausbalancierung zwischen Solidarität und Kooperation auf der einen und Wettbewerb auf der anderen Seite Wie sich gezeigt hat, wurden durch die Föderalismusreform sowohl klarere Verantwortlichkeiten geschaffen als auch die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit von Bund und Ländern gestärkt. Es stellt sich abschließend die Frage, ob dies in einer dem Oberziel der Ausbalancierung der föderalen Elemente gerecht werdenden Weise geschah und dieses wichtigste Ziel der Föderalismusreform damit erreicht wurde. Dazu müsste ein Zustand eingetreten sein, in dem zwischen der gemeinsamen und der alleinigen und eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung von Bund und Ländern ein annäherndes Gleichgewicht besteht. Auf Seiten der Länder kann dieser Freiraum allein dann erreicht worden sein, wenn ihnen in einem nicht unerheblichen Umfang Gesetzgebungszuständigkeiten übertragen wurden, ohne dass man sie ihnen an anderer Stelle wieder genommen hat. Einen solchen Verlust stellen sicherlich nicht die in die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes verschobenen Materien dar. Es handelte sich um Bereiche, an denen die Länder weder Interesse hatten noch Länderregelungen eine Rolle spielten. Als in diesem Zusammenhang prekär könnte sich aber der einzig neu geschaffene Kompetenztitel der Föderalismusreform, Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG, erweisen, mit dem der Bund die Möglichkeit hat, für das Bundeskriminalamt unter bestimmten Voraussetzungen Befugnisse zur Gefahrenabwehr des internationalen Terrorismus zu normieren. Ausweislich der Gesetzesbegründung sollen die traditionell in die Länderzuständigkeit fallenden Gesetzgebungskompetenzen zur Gefahrenabwehr dadurch unberührt bleiben 54. Rechtsdogmatisch sind diese Ausführungen jedoch mehr als zweifelhaft. Nach dem Wesen der ausschließlichen Bundesgesetzgebung sind auf den ihr unterfallenden Sachgebieten Landesregelungen eo ipso unzulässig. Mit der Einführung des Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG ist den Ländern deshalb in 54 BT-Drs. 16 / 813, S. 12; vgl. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 73 GG Rn. 122 d; Stettner, in: Dreier, GG – Supplementum, Art. 73 GG Rn. 51; Heintzen, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 51 Rn. 101; auch Kluth, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 73 GG Rn. 12 ist der Ansicht, dass die Frage, ob die „Polizeihoheit der Länder“ relativiert wird, von der praktischen Handhabung dieser Kompetenz abhängt.

1. Abschn.: Ziele nach der Gesetzesbegründung

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dem Umfang die Gesetzgebungszuständigkeit für das Gefahrenabwehrrecht entzogen worden, in dem es dem Bundesgesetzgeber eingeräumt wurde. Für die in diesem Kompetenztitel aufgezählten Fälle besitzen die Länder keine originäre Gesetzgebungszuständigkeit mehr. Die Polizeigesetze der Länder galten nach der Übergangsvorschrift des Art. 125a Abs. 3 Satz 1 GG zunächst in vollem Umfang fort, sind auf den verlustig gegangenen Gebieten aber durch den Erlass des BKA-Gesetzes 55 zumindest formal 56 ersetzt worden (vgl. Art. 125a Abs. 3 Satz 2 GG). Da es in den Länderpolizeigesetzen keine speziell auf den internationalen Terrorismus zugeschnittenen Maßnahmen gibt, hat eine „Ersetzung“ durch das BKA-Gesetz nicht zur Folge, dass einzelne Abschnitte der Polizeigesetze ihre Geltung verlieren. Lediglich der Anwendungsbereich der allgemeinen Gefahrenabwehrmaßnahmen wird infolge des BKA-Gesetzes beschränkt. Diese Besonderheit mag eine Erklärung dafür liefern, dass der rechtsdogmatisch als zwingend anzusehende Eingriff in die Polizeihoheit der Länder nicht thematisiert wird. Von welcher Reichweite er ist, hängt maßgeblich von der Definition der einzelnen Anwendungsfälle des Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG ab. Als Einfallstor könnte sich dabei die 1. Variante erweisen, ist eine länderübergreifende Gefahr in Fällen des internationalen Terrorismus doch regelmäßig zu bejahen. Die begrenzende Wirkung dieses Merkmals ist, wie in dem Gesetzgebungsverfahren zu Recht immer wieder betont wurde, sehr gering, auch wenn ihm nicht jegliche Funktion abgesprochen werden kann 57. Die Gesetzgebungskompetenz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus ist deshalb in weiten Teilen auf den Bund übergegangen. Der Erlass eines Gesetzes auf der Grundlage des Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG bedarf der Zustimmung des Bundesrates, Art. 73 Abs. 2 GG. Auch dies ist ein Hinweis, dass hier eine originäre Länderzuständigkeit übertragen wurde und als Ausgleich dafür, wie auch bei früheren Verfassungsänderungen üblich, ein Schutz- und Kompensationstatbestand eingebaut wurde. Die gemeinhin anzutreffenden Äußerungen, dass die Länderpolizeien weiterhin zuständig bleiben, lassen sich vor diesem Hintergrund lediglich dadurch erklären, dass der Bund von seiner Möglichkeit nach Art. 71 2. Halbsatz GG Gebrauch gemacht und die Länder zur Gesetzgebung ermächtigt hat mit der Folge des Auflebens der vollumfänglichen Anwendbarkeit der landesgesetzlichen 55

„Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt“ vom 25. Dezember 2008, BGBl. I S. 3083 ff. Das Gesetz ist zum 1. Januar 2009 in Kraft getreten. 56 Zu der bundesgesetzlichen Ermächtigung an die Länder gesetzgeberisch tätig zu werden, vgl. die nächste Seite. 57 Auf die Gefahr einer Allzuständigkeit hinweisend Kolmey, Stellungnahme zur Anhörung vor dem Rechtsausschuss vom 8. Mai 2006, S. 6, Poscher, Stellungnahme zur Anhörung vor dem Rechtsausschuss, S. 6 sowie Brillo, Stellungnahme zur Anhörung vor dem Rechtsausschuss vom 5. Mai 2006, S. 2.

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4. Kap.: Die Neuordnung unter dem Blickwinkel der Reformziele

Gefahrenabwehrmaßnahmen. So heißt es in dem durch das überarbeitete BKAGesetz unverändert gebliebenen § 1 Abs. 3 BKAG, dass „die Verfolgung sowie die Verhütung von Straftaten und die Aufgaben der sonstigen Gefahrenabwehr Sache der Länder bleiben, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist“. Für den Bereich des internationalen Terrorismus ist nichts anderes bestimmt, wie der neu eingefügte § 4a Abs. 2 Satz 1 BKAG klarstellt 58. Die Entscheidung der Länder, ob sie aufgrund dieser Ermächtigung ihre Landespolizeigesetze wieder vollumfänglich, also auch zur Anwendung in Fällen des internationalen Terrorismus, aufleben lassen, steht nicht in ihrem Ermessen. Vielmehr verengt sich dieses gewöhnlich bestehende Recht 59 aufgrund der Bindung an den Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens auf eine entsprechende Pflicht. Die Wahrung und Erfüllung der Verfassung fällt in die Gesamtverantwortung von Bund und Ländern; sie sind daher dazu verpflichtet, bei der Ausübung ihrer Kompetenzen das Auftreten von Sicherheitslücken zu vermeiden. Insgesamt fügt sich diese auf Zentralisierung und Kooperation (vgl. Art. 73 Abs. 2 GG) zielende Verfassungsänderung 60 nicht in die vom verfassungsändernden Gesetzgeber verfolgten Reformziele ein. Für das Polizeirecht scheint sie vielmehr eine Entwicklung anzustoßen, die in anderen Bereichen gerade wieder zurückgenommen werden sollte. Weitere Gestaltungsmöglichkeiten hat der Bund durch die Überführung eines Großteils der Materien der Rahmengesetzgebung in die konkurrierende Gesetzgebung und durch die Reduzierung der Erforderlichkeitsprüfung auf insgesamt nur noch zehn Kompetenztitel gewonnen. Das wichtige Fürsorgerecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG) und das noch wesentlich bedeutsamere Wirtschaftsrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) fallen allerdings auch jetzt noch unter die Kategorie der Erforderlichkeitsgesetzgebung 61. Zudem ist bei der Mehrzahl der freigestellten Materien davon auszugehen, dass die sie betreffenden Bundesgesetze den Anforderungen des Art. 72 Abs. 2 GG genügt hätten 62. Das Scheitern der Einführung der Juniorprofessur und des Verbotes von Studiengebühren hat 58 § 4a Abs. 2 Satz 1 BKAG lautet: „Die Befugnisse der Länder und anderer Polizeibehörden des Bundes bleiben unberührt“. 59 Siehe hierzu Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 71 GG Rn. 6; Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 71 GG Rn. 12. 60 „Kooperationskompetenz“, Heintzen, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 48 Rn. 92. 61 Vor diesem Hintergrund erscheint die Feststellung Stettners, dass die „Erforderlichkeitsprüfung in eine eher randständige Position gedrängt wurde“ nicht überzeugend, in: Dreier, GG – Supplementum, Art. 72 GG Rn. 31; in diese Richtung auch Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 72 GG Rn. 4 und Isensee, in: Isensee (Hrsg.), HdbStR – Band VI, S. 120 Rn. 200. 62 Ebenso Nierhaus / Rademacher, LKV 2006, S. 391; anders dagegen Degenhart, NVwZ 2006, S. 1210.

1. Abschn.: Ziele nach der Gesetzesbegründung

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vielerorts den Eindruck entstehen lassen, dass der Bund infolge der Verschärfung des Art. 72 Abs. 2 GG kaum mehr handlungsfähig ist 63. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass diese Gesetze auf einer Rahmenkompetenz, die zudem noch auf allgemeine Grundsätze beschränkt war, beruhten. Hier hätte es einer besonderen gesetzgeberischen Zurückhaltung bedurft, in der sich der Bund nicht geübt hat. Die Freistellung von den Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG hat den Handlungsspielraum des Bundes deshalb nicht in einem Ausmaß erweitert, wie es zunächst möglicherweise den Anschein hat 64. Für den Bundesgesetzgeber ist gleichwohl zumindest der psychologische Unsicherheitsfaktor beseitigt worden. Auf Kosten der Länder geht in erster Linie folglich die neue Gefahrenabwehrkompetenz. Die im Zuge der Aufhebung des Art. 75 GG vorgenommenen Verschiebungen in die konkurrierende Gesetzgebung stellen sich dagegen als win-win Situation dar, da auch die Länder einen vergrößerten Handlungsspielraum vorzuweisen haben. Von Bundesregelungen über die Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse, die Bodenverteilung und Raumordnung können sie uneingeschränkt, von Regelungen über das Jagdwesen weitgehend und von Regelungen über den Naturschutz, die Landschaftspflege und den Wasserhaushalt begrenzt abweichen. Ungeachtet dieser Beschränkungen stellt dies gegenüber der vorherigen Rechtslage eine erhebliche Verbesserung dar, vor allem auch unter dem Aspekt, dass die Länder abgesehen von dem Naturschutzrecht eigene, nicht durch einen Rahmen abgesteckte Konzepte verwirklichen können 65. Nicht zuletzt die Regelung des verzögerten Inkrafttretens des Bundesrechts wirkt sich zudem – jedenfalls in Fällen, in denen ein Abweichungswille existiert – zugunsten der Länder aus 66. Zusammen mit den sonstigen neuen Gesetzgebungszuständigkeiten und nicht zu vergessen, der vor allem als politisches Druckmittel geeigneten Möglichkeit, 63 Vgl. dazu die Ausführungen des Sachverständigen Meyer in der 3. Kommissionssitzung am 12. Dezember 2003, S. 62; ebenso Häde, JZ 2006, S. 932; Huber, in: Pitschas (Hrsg.), Verfassung, S. 611; Uhle, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreform, Art. 72 GG Rn. 65. 64 In diesem Sinne auch Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 39 Rn. 66; anders dagegen Stettner, in: Dreier, GG – Supplementum, Art. 72 GG Rn. 23, der es deswegen unverständlich findet, dass die Länder dieser Freistellung zugestimmt haben. 65 So auch Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 16 Rn. 28; Ipsen, NJW 2006, S. 2805; Kesper, NdsVBl. 2006, S. 151; anders Klein / Schneider, DVBl. 2006, S. 1554 und S. 1556, die den Zugewinn der Länder als eher symbolischer Natur bezeichnen; ebenfalls skeptisch, Stettner, in: Dreier, GG – Supplementum, Art. 74 GG Rn. 3 im Hinblick auf die engmaschigen europarechtlichen Vorgaben. 66 An dieser Regelung, die den Gestaltungsspielraum des Bundesgesetzgebers beschneidet, ist massive Kritik geäußert worden; sie wurde sogar als „parlamentswidrig“ bezeichnet, vgl. die Stellungnahmen der Sachverständigen Meyer und Möllers, Rechtsausschussprotokoll 12 vom 15. / 16. Mai 2006, S. 11 f.; unter Effizienzgesichtspunkten sinnwidrig, Sanden, Föderale Strukturen, S. 887; ebenfalls skeptisch Klein / Schneider, DVBl. 2006, S. 1553 und Franzius, NVwZ 2008, S. 493.

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4. Kap.: Die Neuordnung unter dem Blickwinkel der Reformziele

über das Bundesverfassungsgericht eine Freigabe nicht erforderlicher Bundesgesetze zu erzwingen, ist das Recht der Länder zur eigenen und alleinigen Aufgabenwahrnehmung, auch wenn der durch die Übertragung eines – zudem noch relativ kleinen – Ausschnitts der Polizeihoheit bewirkte Kompetenzverlust in Rechnung gestellt wird, entscheidend erweitert worden 67. Ja, man wird sogar sagen können, dass die Länder noch zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte des Grundgesetzes so weitgehende gesetzgeberische Möglichkeiten hatten wie nach dieser Grundgesetzänderung. Nicht nur ihre Organisationshoheit wurde durch die Rückübertragung des öffentlichen Dienstrechts und die neuen Gestaltungsmöglichkeiten im Verwaltungsvollzug in einem bisher unbekannten Umfang gestärkt, sondern auch ihr Selbstbestimmungsrecht im Bildungswesen befindet sich nach Inkrafttreten der Föderalismusreform auf einem international führenden Niveau. Aus dieser Perspektive betrachtet hat die Grundgesetzänderung die Voraussetzungen für eine neue Balance der föderalen Elemente geschaffen. Auf der Seite des Bundes ist eine eigenständige Aufgabenwahrnehmung mit einer Reduzierung der zustimmungsbedürftigen Gesetze gleichzusetzen. Auch hier scheint sich ein Erfolg abzuzeichnen, wie die bisher zugegebenermaßen noch nicht gesicherte Quote von 44,2% dokumentiert. Sollte sie sich über einen längeren Zeitraum in dieser Größenordnung bewegen, wäre mit der Grundgesetzänderung auch insoweit eine Zäsur geschaffen worden, die als historisch in der Geschichte der Bundesrepublik bezeichnet werden könnte. Zieht man als Vergleichsgröße die vom Parlamentarischen Rat entworfene Ausgangslage heran, wird man sagen müssen, dass es dem verfassungsändernden Gesetzgeber gelungen ist, eine neue Balance der föderalen Elemente herzustellen.

D. Oberziel – Erhöhung der Europatauglichkeit Die Aufhebung der Rahmenkompetenz, die eine zügige Umsetzung von EURichtlinien unmöglich machte, und die Einordnung ihrer europarechtlich relevanten Materien in die konkurrierende Gesetzgebung in Gestalt der Abweichungsgesetzgebung ist ein wesentlicher Schritt hin zu einem europafreundlicheren Grundgesetz. Der Bund ist künftig in der Lage, europarechtliche Vorgaben vollständig und vor allem auch, ohne an die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG gebunden zu sein, umzusetzen. Dabei muss für eine fristgerechte Umsetzung der EU-Vorgaben nicht das jeweilige Verhalten der Landesgesetzgeber abgewartet werden. Vielmehr ist dem Transformierungserfordernis des Art. 249 Unterabs. 3 EGV mit dem ersten, den EU-rechtlichen Vorgaben vollständig gerecht 67 Diese Einschätzung teilt Häde, JZ 2006, S. 933. Völlig anders Stettner, in: Dreier, GG – Supplementum, Art. 74 GG Rn. 3: „Die föderalistische Unterbilanz zu Lasten der Länder dürfte durch die Föderalismusreform noch verschlimmert worden sein“; kritisch auch Zippelius / Würtenberger, Dt. Staatsrecht, S. 144 Rn. 17.

1. Abschn.: Ziele nach der Gesetzesbegründung

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werdenden Umsetzungsakt Genüge getan 68. Insofern ist die konkurrierende Gesetzgebung gegenüber der Rahmengesetzgebung von wesentlichem Vorteil, der durch etwaige Nachteile der nunmehr bestehenden Abweichungsmöglichkeiten keinesfalls nivelliert wird 69. Wenn in diesem Zusammenhang die grundsätzliche Befugnis der Länder zur Abweichung genannt wird, muss dem entgegengehalten werden: Auch die Länder sind an die europäischen Richtlinien gebunden. Ihr Abweichungsspielraum ist begrenzt, sie können bei einer „Überimplementation“ das europarechtlich erforderliche Minimum regeln, im umgekehrten Falle über das europarechtlich Erforderliche hinausgehen. Die Neigung der Bundesländer, europarechtswidrige Gesetze zu erlassen oder sie europarechtswidrig zu vollziehen, dürfte, nachdem sie nunmehr innerstaatlich nach Art. 104a Abs. 6 GG zur Tragung der Haftungskosten verpflichtet werden können, ohnehin äußerst gering sein 70. Sollten sie im Einzelfall dennoch gegen Europarecht verstoßen – wovon die Literatur offensichtlich regelmäßig ausgeht 71 – führt dies zu einem Anwendungsvorrang entweder des unmittelbar geltenden Europarechts oder des die EU-Richtlinien umsetzenden und insoweit den Anwendungsvorrang des Europarechts verkörpernden Bundesrechts 72. Allenfalls kritikwürdig unter dem Gesichtspunkt der Europatauglichkeit ist, dass Bundesrecht frühestens nach Ablauf der Sechs-Monats-Frist in Kraft tritt und zwar grundsätzlich selbst dann, wenn die Länder von ihrer Abweichungsbe68 Vgl. Kloepfer, ZG 2006, S. 273; Kotulla, NVwZ 2007, S. 492; kritisch Häde, JZ 2006, S. 937, da der EuGH eine Umsetzung fordere, „die den Erfordernissen der Eindeutigkeit und Bestimmtheit des Rechtszustands voll gerecht wird“, EuGH Rs. 102/79 (Kommission / Belgien), Slg. 1980, S. 1473 Rn. 11. 69 So aber Degenhart, NVwZ 2006, S. 1215; Breuer, in: Grote (Hrsg.), Ordnung, S. 180; Mayen, DRiZ 2007, S. 55; von einer Unvereinbarkeit mit europäischem Verwaltungsrecht gehen Ekardt / Weykand, NVwZ 2006, S. 741 aus. Positiv dagegen Benneter / Poschmann, in: Holtschneider (Hrsg.), Bundesstaat, S. 188; Eppler, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2006, S. 215; Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 40 Rn. 68 und Müller-Graff, in: Pitschas (Hrsg.), Verfassung, S. 726 mit dem Hinweis darauf, dass in Fällen ausschließlicher Landeskompetenz keine spezifischen Umsetzungsschwierigkeiten bestünden und sie deshalb auch bei diesem neuen Kompetenztypus nicht zu erwarten seien. 70 Zu dieser Disziplinierungswirkung, Kloepfer, ZG 2006, S. 272; Frenz, NVwZ 2006, S. 747; Mammen, DÖV 2007, S. 377; Franzius, NVwZ 2008, S. 494. 71 Vgl. die Ausführungen Kotullas, NVwZ 2007, S. 492: „Der Vollzug rechtswidriger Länderregelungen und damit die Herausbildung einer verfassungs- wie EU-rechtswidrigen Verwaltungspraxis ist nicht von vornherein auszuschließen“. 72 So auch Frenz, NVwZ 2006, S. 747; Otto / Sanden, NuR 2007, S. 805; Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 26 Rn. 46; Franzius, NVwZ 2008, S. 496. Im Ergebnis ebenso, aber aus einem Verstoß gegen den Grundsatz der Bundestreue herleitend, Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, S. 254. Darüber hinausgehend nimmt Kotulla, NVwZ 2007, S. 492 sogar einen Geltungsvorrang des Bundesrechts an.

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4. Kap.: Die Neuordnung unter dem Blickwinkel der Reformziele

fugnis keinen Gebrauch machen wollen. Hierdurch können europäische Richtlinien womöglich nicht immer fristgerecht umgesetzt werden, wenngleich nicht in demselben Maße Verzögerungen zu erwarten sind, wie bei der Rahmengesetzgebung mit ihren zwei hintereinander geschalteten Gesetzgebungsverfahren. In diesen Fällen besteht zudem die Möglichkeit mit der Zustimmung des Bundesrates das sofortige Inkrafttreten des Bundesgesetzes zu vereinbaren, ein Weg, der zur Beachtung europarechtlicher Umsetzungsfristen wohl in der Regel gewählt wird 73. Befürchtungen, dass die Länder dies torpedieren, erscheinen angesichts des relativ geringen eigenen Gestaltungsspielraums als unbegründet. Bedenken an der Fristenregelung des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 GG werden schließlich noch aus einem anderen Grunde hervorgebracht. Sofern es im konkreten Fall bei der Sechs-Monats-Frist bleibt, haben die Länder die Möglichkeit abweichende Regelungskonzeptionen in Kraft zu setzen, was im Falle eines späteren Vertragsverletzungsverfahrens die Überprüfung von Bundes- und Landesrecht erforderlich macht 74. Das war im Rahmen des Art. 75 GG jedoch nicht anders, so dass insoweit zwar keine Verbesserung, aber auch keine die Vorteile der Abweichungsgesetzgebung aufwiegende Verschlechterung eingetreten ist.

Zweiter Abschnitt

Weitere Zielsetzungen des verfassungsändernden Gesetzgebers Den Abschluss dieses Kapitels bildet die Frage, ob die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen nach der Grundgesetzänderung einem bestimmten Regelungskonzept folgt. Dazu ist es sinnvoll, sich noch einmal die Kriterien ins Gedächtnis zu rufen, anhand derer die Neuzuordnung auf Bundes- bzw. Länderebene vorgenommen werden sollte. Beide Ebenen sollten diejenigen Gesetzgebungskompetenzen erhalten, die ihre Personal- und Organisationshoheit betrafen. Ansonsten waren – grob gesprochen – Gesetzgebungskompetenzen des Bundes für überregionale 75, Gesetzgebungskompetenzen der Länder für regionale 76 Sachverhalte vorgesehen. Der erste Aspekt fand durch die Überführung 73

BT-Drs. 16/813, S. 11, nach der es sich um „Eilfälle“ handelt. Vgl. Scharpf, Thesenpapier zur Anhörung des Rechtsausschusses zum Thema „Föderalismusreform“ vom 12. Mai 2006, S. 19. 75 Im Einzelnen: Sicherung der Handlungsfähigkeit des Gesamtstaates, grundlegender rechtlicher Voraussetzungen, grundlegender Rahmenbedingungen wirtschaftlicher Betätigung und grundlegender Infrastruktur. 76 Im Einzelnen: Kulturhoheit, Polizeihoheit und sonstige Sachverhalte mit überwiegend regionalem Bezug. 74

2. Abschn.: Weitere Zielsetzungen des verfassungsändernden Gesetzgebers

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großer Teile des öffentlichen Dienstrechts für Landesbeamte und Landesrichter in die Länderzuständigkeit weitgehend Beachtung. Für den zweiten, alle übrigen Kompetenzmaterien betreffenden Punkt kann dies dagegen nicht behauptet werden. Bei konsequenter Befolgung dieses Zuordnungsprinzips hätten der Bund bzw. die Länder die ausschließliche Zuständigkeit über die rein überregionalen bzw. rein regionalen Kompetenzfelder erhalten müssen. Diejenigen Materien, die Raum für regionale Regelungen lassen, bei denen sich aber ein Bedürfnis nach überregionalen Regelungen ergeben kann, hätten in den Typus der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit eingeordnet werden müssen. Blickt man nun auf das Ergebnis der Föderalismusreform zeigt sich folgendes Bild: Die in die ausschließlichen Zuständigkeiten eingeordneten Sachbereiche folgen den obigen Leitprinzipien. Es hätte jedoch noch einige weitere Materien gegeben, die ausschließlich hätten zugeteilt werden können, die aber letztendlich in dem Katalog der konkurrierenden Zuständigkeit verblieben sind. So eignet sich das gesamte Kriegsfolgenrecht, das Personenstandswesen, das Vereinsrecht, das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer sowie die Verhütung des Missbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung für eine Übertragung in die ausschließliche Zuständigkeit des Bundes, existieren doch auf diesen Gebieten keinerlei ergänzende Landesregelungen 77. Auch abgesehen von diesen verhältnismäßig eindeutigen Fällen, hätte eine weitergehende Abschichtung erreicht werden können. Dass man hier nicht zu besseren Ergebnissen gekommen ist, liegt sicherlich auch daran, dass anders als im Bereich der Personal- und Organisationshoheit trefflich darüber gestritten werden kann, wann ein überregionaler und wann ein regionaler Bezug vorliegt. Eine trennscharfe Abgrenzung ist unmöglich, die Einordnung wird oftmals davon abhängen, wo der einzelne Akteur den Schwerpunkt der Gesetzgebungskompetenz vermutet 78. Der Bund war also im Zweifel der Ansicht, es handele sich um eine überregionale Angelegenheit, während die Länder das Gegenteil annahmen. Das Ergebnis lief deshalb auf einen Verbleib bzw. eine Einordnung in die konkurrierende Zuständigkeit hinaus, wobei abhängig von der Übereinstimmung hinsichtlich des überregionalen Bezuges eine Einteilung in Art. 72 Abs. 1 GG ohne Erforderlichkeit, Art. 72 Abs. 1 GG mit Erforderlichkeit und als „worst-case“ in Art. 72 Abs. 1 GG mit Abweichungsbefugnis der Länder erfolgte.

77 Siehe hierzu AU 0043, Bestandsaufnahme zum Gebrauchmachen vorhandener Gesetzgebungskompetenzen des Bundes vom 5. März 2004, Bundesregierung. 78 Zu der Mehrebenenproblematik, dass heute in vielen Bereichen, teils regionale, teils nationale und teils supranationale Regelungen erforderlich sind, Scharpf „Recht und Politik in der Reform des deutschen Föderalismus“, Juni 2005, abrufbar unter http://www .mpifg.de/pu/workpap/wp05-6/wp05-6.html, S. 15 ff.

Schlussbetrachtung Die Föderalismusreform stellt die einschneidenste Veränderung im Bereich der Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen seit der Entstehung des Grundgesetzes dar. Nicht nur zahlenmäßig sind die bisher meisten Artikel betroffen 1, sondern auch inhaltlich ist Erhebliches bewegt worden. In dem ersten Kapitel wurde der Weg zu der Einsetzung der Föderalismuskommission nachgezeichnet, der nur zu deutlich gemacht hat, wie einseitig die Entwicklungsgeschichte des Grundgesetzes bisher verlaufen ist. Vor diesem Hintergrund ist die häufig zu lesende Einschätzung, dass sich eigentlich nichts verändert habe, durchaus überraschend 2. Verfassungsrechtlich hat sich nämlich eine Menge getan. Beide Ebenen haben nunmehr in einem noch nie bekannten Umfang, die Möglichkeit allein und unabhängig voneinander gesetzgeberisch tätig zu werden. Ungewiss ist allerdings, ob davon auch Gebrauch gemacht wird, und das ist möglicherweise auch der Grund, der die zurückhaltende Bewertung erklärt. Die politische Kultur der Bundesrepublik ist nach wie vor auf Einheitlichkeit ausgerichtet. Das wird nicht zuletzt an so aktuellen Themen wie dem Nichtraucherschutz deutlich, für den von allen Seiten, sogar von einzelnen Ministerpräsidenten eine bundeseinheitliche Regelung gefordert wird. Die Zustimmung zu dem föderalen Aufbau beruht im Wesentlichen darauf, dass die Landesregierungen als greifbarer, näher an den Bürgern und damit vertrauenswürdiger wahrgenommen werden 3. Sie findet aber noch immer dort ihre Grenzen, wo die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in Frage gestellt wird 4. Die jeweiligen Länderregierungen müssten daher beträchtlichen Mut aufbringen, um sich diesen Bedürfnissen der Bevölkerung entgegenzustellen und gegebenenfalls eine Wahlniederlage riskieren. 1

Es wurden Änderungen an insgesamt 25 Grundgesetzartikeln vorgenommen. Vgl. Nierhaus / Rademacher, LKV 2006, S. 395: „Minimalkonsens“; „keine wesentlichen Fortschritte“, Kesper, NdsVBl. 2006, S. 158; dezidiert kritisch auch Selmer, JuS 2006, S. 1058 f. und Breuer, in: Grote (Hrsg.), Ordnung, S. 182. 3 Grube, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2004, S. 166. 4 Vgl. dazu Grube, in: EZFF (Hrsg.), Jahrbuch 2001, S. 107 ff. mit einer statistischen Erhebung, nach der am ehesten im Bereich des Polizeirechts Unterschiede akzeptiert werden können; zu dem Ergebnis, dass 90 % der Befragten sich für vergleichbare Standards im Bildungswesen aussprechen, kommt eine neuere Umfrage des Infas-Instituts im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung, vgl. SZ vom 11. Februar 2008 „Ungeliebter Föderalismus“, Hulverscheidt. 2

Schlussbetrachtung

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Ob dieser Weg gegangen wird, scheint angesichts der bisherigen Entwicklung, in der sich die Länder nicht durch besondere Risikobereitschaft und Verantwortungsbereitschaft ausgezeichnet haben, mehr als fraglich. Darauf ruht die Hoffnung all derjenigen, die schon die Ziele der Föderalismusreform nicht geteilt haben und grosso modo die alte Kompetenzlage erhalten oder sogar nur einseitig die Handlungsmöglichkeiten des Bundesgesetzgebers erweitern wollten, kurzum die Hoffnung der Unitarier 5. Jedenfalls ist es nicht unwahrscheinlich, dass etwa der neue Kompetenztypus der Abweichungsgesetzgebung weniger zur Verwirklichung eigener Gestaltungskonzeptionen genutzt wird, als mehr zu weiteren vorgelagerten und informellen Gesprächsrunden führt, in denen der Bund die Interessen der Länder schon bei der Gesetzgebung berücksichtigt und die Länder sodann im Gegenzuge verzichten, von ihrer Abweichungsbefugnis Gebrauch zu machen 6. Zwar besteht nicht mehr wie im Falle der Zustimmungsbedürftigkeit von Bundesgesetzen ein rechtlicher Zwang zum Kompromiss. Politisch kann er sich aber allemal ergeben, wenn die Länder ein Abweichen in Aussicht stellen, das der Bund unbedingt vermeiden will 7. Eine solche Entwicklung würde indessen nicht nur das Ziel, klarere Verantwortlichkeit zu schaffen, konterkarieren, indem an die Stelle des Vermittlungsausschusses eine noch weniger durchschaubare politische Prozedur tritt 8, sondern auch an dem Zustand des deutschen Föderalismus als Beteiligungsföderalismus nichts ändern. In der Verfassungswirklichkeit finden sich bereits erste Anzeichen einer „politischen Prozeduralisierung“ 9. Der Bund und die Länder haben bei der Ausarbeitung des Entwurfes eines einheitlichen Umweltgesetzbuches eine „BundLänder-Arbeitsgruppe UGB“ gebildet, um ihre Vorstellungen aufeinander abzustimmen 10. Bis jetzt ist von keinem Land eine Abweichungsabsicht weder in Bezug auf materielle Regelungen noch in Bezug auf formelle Regelungen be5 So resümiert ein von dem Zentrum für Rechts- und Verwaltungswissenschaften der BTU Cottbus veranstaltetes Symposium, dass die Föderalismusreform nur dann ein Erfolg werden könne, wenn die Länder verstärkt zusammenarbeiteten, Küchenhoff, NJ 2007, S. 108; ebenso speziell für das Hochschulrecht, Hansalek, NVwZ 2006, S. 670. Mit dem Appell, dass der Landesgesetzgeber das Instrument der Abweichungsgesetzgebung zurückhaltend und umsichtig nutze, Scheidler, WiVerw 2008, S. 76. 6 Siehe hierzu Schultze, APuZ 2005, S. 17; Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, S. 249 und 253. 7 Vgl. Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 16 Rn. 29: die Drohung einer Abweichung als „bargaining chip“. 8 So Fischer-Hüftle, NuR 2007, S. 79. 9 Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, S. 253. 10 Beschluss der Umweltministerkonferenz am 23. / 24. Mai 2006, Kloepfer, VerwArch 2008, S. 204. Darauf deutet zudem eine Erklärung der Bundesregierung hin, nach der bei einer beabsichtigten abweichungsfesten Ausgestaltung der Verfahrensregeln mit den Ländern eine Verständigung im Vorfeld gesucht werden soll, BT-Drs. 651/

312

Schlussbetrachtung

kannt geworden 11. Zwar ist es wohl noch zu früh, daraus schlussfolgern zu wollen, dass sie von diesen Rechten auch in Zukunft keinen Gebrauch machen, zumal die teilweise bestehenden Moratorien erst nach und nach auslaufen. Die Tendenz einer zurückhaltenden Inanspruchnahme ist dennoch nicht zu verkennen. Es ist daher zu vermuten, dass die Länder ihre verfassungsrechtlichen Möglichkeiten bei weitem nicht ausschöpfen werden. In den Bereichen, in denen die Länder nunmehr ausschließlich gesetzgebungsbefugt sind, werden sie im Laufe der Zeit Gesetze erlassen. Dabei wird aber weiterhin – zumindest in den bedeutsamen Materien – im Wege der Kooperation eine Abstimmung gesucht werden 12. Dagegen wird die Abweichungsbefugnis aller Voraussicht nach nur vereinzelt genutzt, begrenzt auf Fälle, in denen den Ländern rechtspolitisch ein deutlich anderes Regelungskonzept als dasjenige des Bundes vor Augen schwebt 13. Davon ist insbesondere bei Behörden- und Verfahrensregelungen nicht allzu oft auszugehen, so dass diesbezüglich eine noch stärkere Dominanz des Bundes festzustellen sein wird 14. Die wesentliche Bedeutung der Abweichungsgesetzgebung wird daher wohl in ihrem Potential als Druckmittel liegen, mit dem – wieder einmal – Einfluss auf die Ebene des Bundes gewonnen wird. Wer dahingegen von den verfassungsrechtlichen Möglichkeiten des neuen Gestaltungsföderalismus in erster Linie Gebrauch machen wird, lässt die bisherige föderale Entwicklung der Bundesrepublik erahnen. So hat der Bundesgesetzgeber schon am 19. Juni 2008 das Beamtenstatusgesetz verabschiedet; am 25. Dezember 2008 folgte die Erweiterung des BKA-Gesetzes um den Bereich der internationalen Terrorismusbekämpfung 15. Aus der Perspektive des Demokratieprinzips ist eine solche Entwicklung, gleichsam in Fortführung der letzten 60 06, S. 11. Auch im Jagdrecht zeichnet sich ein solcher Weg ab, um einen „bunten Flickenteppich unterschiedlicher Jagdregelungen in Deutschland“ zu vermeiden, vgl. die Erklärung des BMELVs, http:/www.bmelv.de/cln_044/nn_753672/DE/12-Presse /Pressemitteilungen/2007/012-Bundesjagdgesetz.html_nnn=true. 11 Vgl. BT-Drs. 16/8688, Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage BTDrs. 16/6499 – Auswirkungen der ersten Stufe der Föderalismusreform vom 2. April 2008, S. 4. 12 Zu der bisherigen Gesetzgebungsaktivität der Länder, BT-Drs. 16/8688, Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage BT-Drs. 16/6499 – Auswirkungen der ersten Stufe der Föderalismusreform vom 2. April 2008, S. 9. 13 So auch die Vermutung von Kloepfer, ZUR 2006, S. 339; Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, S. 254; Oeter, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 16 Rn. 29 mit dem Hinweis auf die dadurch im Vergleich zur Rahmengesetzgebung reduzierten gesetzgeberischen Transaktionskosten. Auf die Gefahr eines Zweiklassensystems, in dem in erster Linie die leistungsstarken Länder solche Tendenzen entwickeln könnten, macht Häde, JZ 2006, S. 933 aufmerksam. 14 In diese Richtung Trute, in: Starck (Hrsg.), Föderalismusreform, S. 77 Rn. 154. Demgegenüber sieht Mammen, DÖV 2007, S. 379 hierin ein für den föderalen Wettbewerb wichtiges Gebiet.

Schlussbetrachtung

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Jahre sogar zu begrüßen. Denn in der Bevölkerung herrscht ein großer Wunsch nach Einheitlichkeit, der es geradezu als ein Gebot der Selbstbestimmung erscheinen lässt, diesem Bedürfnis gerecht zu werden. Zugleich offenbart sich hieran aber auch ein Ansatzpunkt, wie der Gestaltungsföderalismus nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Verfassungswirklichkeit gelebt werden kann: Die Schaffung eines Bewusstseins in der Bevölkerung, welche Vorteile und Möglichkeiten die föderale Vielfalt bieten kann.

15 „Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt“ vom 25. Dezember 2008, BGBl. I S. 3083 ff. Dagegen ist das Projekt eines einheitlichen Umweltgesetzbuches zwischenzeitlich gescheitert. Der Referentenentwurf für das „UGB 2009“ ist abrufbar unter http://www.bmu.de/umweltgesetzbuch /downloads/doc/40448.php.

Anhang I. Verfassungsrechtliche Erweiterungen der Gesetzgebungskompetenzen des Bundes seit 1949 4. Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 26. März 1954

Art. 73 Nr. 1 GG geändert

7. Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 19. März 1956

Verteidigung und Wehrpflicht Wehrverfassung

10. Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 23. Dezember 1959

Art. 74 Abs. 1 Nr. 11a GG eingefügt

Kernenergie

13. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 16. Juni 1965

Art. 74 Abs. 1 Nr. 10 GG Kriegsfolgenrecht geändert und Art. 74 Abs. 1 Nr. 10a GG eingefügt

15. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 8. Juni 1967

Art. 109 GG geändert

Haushaltsrecht

22. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 12. Mai 1969

Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG geändert

Regelung der Ausbildungsbeihilfen

Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG geändert

Straßenverkehrsrecht

Art. 74 Abs. 1 Nr. 19a GG eingefügt

Wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser

Art. 75 Abs. 1 Nr. 1a GG eingefügt

Allgemeine Grundsätze des Hochschulwesens

28. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 18. März 1971

Art. 74a GG eingefügt

Besoldung und Versorgung im öffentlichen Dienst (für die Länder)

29. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 18. März 1971

Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG geändert

Tierschutz

Anhang

315

30. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 12. April 1972

Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG eingefügt

Abfallbeseitigung, Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung

31. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. Juli 1972

Art. 74 Abs. 1 Nr. 4a GG eingefügt

Waffenrecht

Art. 73 Nr. 10c GG geändert

Schutz gegen Bestrebungen, die auswärtige Belange der BRD gefährden

34. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 23. August 1976

Art. 74 Abs. 1 Nr. 4a GG geändert

Sprengstoffrecht

40. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 20. Dezember 1993

Art. 73 Nr. 6 und 6a GG geändert bzw. eingefügt

Eisenbahn- und Schienenwegerecht

42. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. Oktober 1994

Art. 74 Abs. 1 Nr. 25 GG eingefügt

Staatshaftungsrecht

Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 GG eingefügt

Gen- und Transplantationsrecht

316

Anhang

II. An der Zustimmung des Bundesrates in der 7. und 8. sowie in der 13. und 14. Wahlperiode gescheiterte Gesetzesvorhaben: Von 1972 bis 1976 (7. Wahlperiode): 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes Gesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften Berufsbildungsgesetz Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes und anderer Gesetze Gesetz zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes und des Zivildienstgesetzes Partnerschaftsgesetz Gesetz zur Regelung steuerrechtlicher und anderer Fragen der Ausbildungsplatzförderung 8. Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Apothekenwesen Von 1976 bis 1980 (8. Wahlperiode): 1. 4. Gesetz zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes 2. Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen 3. Gesetz über eine Volks-, Berufs- und Arbeitsstättenzählung 4. Gesetz zum Schutz vor Verkehrslärm von Straßen- und Schienenwegen 5. Gesetz zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes 6. Gesetz über die Sozialversicherung der selbständigen Künstler und Publizisten 7. Staatshaftungsgesetz 8. 35. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Staatshaftung) 9. 1. Gesetz zur Fortentwicklung des Strafvollzuges Von 1994 bis 1998 (13. Wahlperiode): 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes Gesetz zur Begrenzung der Bezügefortzahlung bei Krankheit Steuerreformgesetz 1998 Steuerreformgesetz 1999 Gesetz zur Ergänzung des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes Gesetz zur Reform der Arbeitsförderung Gesetz zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes Gesetz zur Neuordnung der Krankenhausfinanzierung 1997 Gesetz zur Weiterentwicklung der Strukturreform in der gesetzlichen Krankenversicherung 10. Gesetz zur Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung Von 1998 bis 2002 (14. Wahlperiode): 1. Gesetz zur Anpassung der Dienst- und Versorgungsbezüge 2. Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes 3. Gesetz zur Ergänzung des Lebenspartnerschaftsgesetzes und anderer Gesetze

Anhang

317

4. 1. Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts 5. Gesetz zur tariflichen Entlohnung bei öffentlichen Aufträgen und zur Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen 6. Gesetz zur Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen 7. Verbraucherinformationsgesetz und Gesetz zur Nutzung von Daten zum Verbraucherschutz

318

Anhang

III. Föderalismuskommission: Vorschlag der Vorsitzenden vom 13. Dezember 2004 (Änderungen fett) Art. 72 Abs. 2 GG neu: Der Bund hat in diesem Bereich das Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechtsoder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht. Dies gilt nicht auf den Gebieten des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1, 2, 3, 6, 9, 10 a, 12, 14, 16, 17, 18, 19, 21, 23 und 27. Art. 73 GG neu: Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über: 1. die auswärtigen Angelegenheiten sowie die Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung; 2. die Staatsangehörigkeit im Bunde; 3. die Freizügigkeit, das Passwesen, das Melde- und Ausweiswesen, die Ein- und Auswanderung und die Auslieferung; 4. das Währungs-, Geld- und Münzwesen, Maße und Gewichte sowie die Zeitbestimmung; 5. die Einheit des Zoll- und Handelsgebietes, die Handels- und Schifffahrtsverträge, die Freizügigkeit des Warenverkehrs und den Waren- und Zahlungsverkehr mit dem Auslande einschließlich des Zoll- und Grenzschutzes; 5a. den Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland; 6. den Luftverkehr; 6a. den Verkehr von Eisenbahnen, die ganz oder mehrheitlich im Eigentum des Bundes stehen (Eisenbahnen des Bundes), den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes sowie die Erhebung von Entgelten für die Benutzung dieser Schienenwege; 7. das Postwesen und die Telekommunikation; 8. die Rechtsverhältnisse der im Dienste des Bundes und der bundesunmittelbaren Körperschaften des öffentlichen Rechtes stehenden Personen; 9. den gewerblichen Rechtsschutz, das Urheberrecht und das Verlagsrecht; 10. die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder a) in der Kriminalpolizei, b) zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes (Verfassungsschutz) und c) zum Schutze gegen Bestrebungen im Bundesgebiet, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, sowie die Einrichtung eines Bundeskriminalamtes und die internationale Verbrechensbekämpfung;

Anhang

319

11. die Statistik für Bundeszwecke; 12. das Waffen- und das Sprengstoffrecht; 13. die Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen und die Fürsorge für die ehemaligen Kriegsgefangenen; 14. die Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken, die Errichtung und den Betrieb von Anlagen, die diesen Zwecken dienen, den Schutz gegen Gefahren, die bei Freiwerden von Kernenergie oder durch ionisierende Strahlen entstehen, und die Beseitigung radioaktiver Stoffe. Artikel 74 GG neu: (1) Die konkurrierende Gesetzgebung erstreckt sich auf folgende Gebiete: 1.

das bürgerliche Recht, das Strafrecht, die Gerichtsverfassung, das gerichtliche Verfahren (ohne Untersuchungshaftvollzug), die Rechtsanwaltschaft und die Rechtsberatung; 2. das Personenstandswesen; 3. das Vereinsrecht; 4. das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer; 4a. [vgl. Art. 73 Nr. 12 neu] 5. [aufgehoben] 6. die Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen; 7. die öffentliche Fürsorge ohne das Heimrecht; 8. [aufgehoben] 9. die Kriegsschäden und die Wiedergutmachung; 10. [vgl. Art. 73 Nr. 13 neu] 10a. die Kriegsgräber und Gräber anderer Opfer des Krieges und Opfer von Gewaltherrschaft; 11. das Recht der Wirtschaft (Bergbau, Industrie, Energiewirtschaft, Handwerk, Gewerbe, Handel, Bank- und Börsenwesen, privatrechtliches Versicherungswesen) ohne das Recht des Ladenschlusses, der Gaststätten, der Spielhallen, der Messen, der Ausstellungen und der Märkte; 11a. [vgl. Art. 73 Nr. 14] 12. das Arbeitsrecht einschließlich der Betriebsverfassung, des Arbeitsschutzes und der Arbeitsvermittlung sowie die Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung; 13. die Regelung der Ausbildungsbeihilfen und die Förderung der wissenschaftlichen Forschung; 14. das Recht der Enteignung, soweit sie auf den Sachgebieten der Art. 73 und 74 in Betracht kommt; 15. die Überführung von Grund und Boden, von Naturschätzen und Produktionsmitteln in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft; 16. die Verhütung des Missbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung;

320

Anhang

17. die Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung (ohne das Recht der Flurbereinigung), die Sicherung der Ernährung, die Ein- und Ausfuhr land- und forstwirtschaftlicher Erzeugnisse, die Hochsee- und Küstenfischerei und den Küstenschutz; 18. den städtebaulichen Grundstücksverkehr, das Bodenrecht (ohne das Recht der Erschließungsbeiträge) und aus dem Wohnungswesen das Wohngeldrecht, das Altschuldenrecht, das Wohnungsbauprämienrecht, das Bergarbeiterwohnungsbaurecht und das Bergmannssiedlungsrecht; 19. Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren, Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe, sowie Recht des Apothekenwesens, der Arzneien, der Medizinprodukte, der Heilmittel, der Betäubungsmittel und der Gifte; 19a. die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und die Regelung der Krankenhauspflegesätze; 20. das Recht der Lebensmittel einschließlich der ihrer Gewinnung dienenden Tiere, das Recht der Genussmittel, Bedarfsgegenstände und Futtermittel sowie den Schutz beim Verkehr mit land- und forstwirtschaftlichen Saat- und Pflanzengut, den Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge sowie den Tierschutz; 21. die Hochsee- und Küstenschifffahrt sowie die Seezeichen, die Binnenschifffahrt, den Wetterdienst, die Seewasserstraßen und die dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen; 22. den Straßenverkehr, das Kraftfahrwesen, den Bau und die Unterhaltung von Landstraßen für den Fernverkehr sowie die Erhebung und Verteilung von Gebühren für die Benutzung öffentlicher Straßen mit Fahrzeugen; 23. die Schienenbahnen, die nicht Eisenbahnen des Bundes sind, mit Ausnahme der Bergbahnen; 24. die Abfallbeseitigung, die Luftreinhaltung und die Lärmbekämpfung (ohne Sportund Freizeitlärm und Lärm von Anlagen mit sozialer Zweckbestimmung); 25. die Staatshaftung; 26. die medizinische unterstützte Erzeugung menschlichen Lebens, die Untersuchung und die künstliche Veränderung von Erbinformationen sowie Regelungen zur Transplantation von Organen, Geweben und Zellen; 27. die Statusrechte und -pflichten der Angehörigen des öffentlichen Dienstes der Länder, Gemeinden und anderen Körperschaften des öffentlichen Rechtes, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen, mit Ausnahme der Laufbahnen, Besoldung und Versorgung. (2) Gesetze nach Absatz 1 Nr. 25 und Nr. 27 bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.“ Art. 75 GG neu: (1) Der Bund hat das Recht, unter den Voraussetzungen des Artikels 72 Rahmenvorschriften für die Gesetzgebung der Länder zu erlassen über:

Anhang 1. 1a. 2. 3. 4. 5. 6.

321

[] die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens; [] das Jagdwesen, den Naturschutz und die Landschaftspflege; die Bodenverteilung, die Raumordnung und den Wasserhaushalt; [] []

Artikel 72 Abs. 3 gilt entsprechend. (2) Rahmenvorschriften dürfen nur in Ausnahmefällen in Einzelheiten gehende oder unmittelbar geltende Regelungen enthalten. (3) Erlässt der Bund Rahmenvorschriften, so sind die Länder verpflichtet, innerhalb einer durch das Gesetz bestimmten angemessenen Frist die erforderlichen Landesgesetze zu erlassen.“ Art. 84 GG neu: (1) Führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheiten aus, so regeln sie die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren. Sofern Bundesgesetze etwas anderes bestimmen, können die Länder davon abweichende Regelungen treffen. [Regelungen der Länder gehen den Regelungen des Bundes nach Satz 2 vor.] In Ausnahmefällen kann der Bund wegen eines besonderen Bedürfnisses nach bundeseinheitlicher Regelung das Verwaltungsverfahren ohne Abweichungsmöglichkeit für die Länder regeln. Diese Gesetze bedürfen der Zustimmung des Bundesrates. Durch Bundesgesetze dürfen Gemeinden und Gemeindeverbänden Aufgaben nicht übertragen werden. (2) Die Bundesregierung kann mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen. Art. 85 Abs. 1 GG neu: Führen die Länder die Bundesgesetze im Auftrage des Bundes aus, so bleibt die Einrichtung der Behörden Angelegenheit der Länder, soweit nicht Bundesgesetze mit Zustimmung des Bundesrates etwas anderes bestimmen. Durch Bundesgesetze dürfen Gemeinden und Gemeindeverbänden Aufgaben nicht übertragen werden. Folgende Kompetenztitel des Art. 74 GG werden vom Erforderlichkeitskriterium nach Art. 72 Abs. 2 GG ausgenommen: Nr. 1. Nr. 2. Nr. 3.

Bürgerliches Recht, Strafrecht, Gerichtsverfassung, gerichtliches Verfahren, Rechtsanwaltschaft und Rechtsberatung Personenstandswesen Vereinsrecht

322

Anhang

Nr. 6. Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen Nr. 9. Kriegsschäden und Wiedergutmachung Nr. 10 a. Kriegsgräber und Gräber anderer Opfer des Krieges und Opfer von Gewaltherrschaft Nr. 12. Arbeitsrecht, Sozialversicherung Arbeitsrecht einschließlich der Betriebsverfassung, des Arbeitsschutzes und der Arbeitsvermittlung sowie die Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung. Nr. 14. Das Recht der Enteignung, soweit sie auf den Sachgebieten der Art. 73 und 74 GG in Betracht kommt Nr. 16. Verhütung des Missbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung Nr. 17. Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung (ohne Flurbereinigung), Sicherung der Ernährung, Ein- und Ausfuhr land- und forstwirtschaftlicher Erzeugnisse, Hochsee- und Küstenfischerei und Küstenschutz Nr. 18. Städtebaulicher Grundstücksverkehr, Bodenrecht (ohne das Recht der Erschließungsbeiträge) und aus dem Wohnungswesen das Wohngeldrecht, das Altschuldenhilferecht, das Wohnungsbauprämienrecht, das Bergarbeiterwohnungsbaurecht und das Bergmannsiedlungsrecht Nr. 19. Maßnahmen gegen gemeingefährliche und übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren, Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe, Verkehr mit Arzneien, Heil- und Betäubungsmitteln und Giften Nr. 21. Hochsee- und Küstenschifffahrt sowie Seezeichen, Binnenschifffahrt, Wetterdienst, Seewasserstraßen und die dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen Nr. 23. die Schienenbahnen, die nicht Eisenbahnen des Bundes sind, mit Ausnahme der Bergbahnen Nr. 27. die Statusrechte und -pflichten der Angehörigen des öffentlichen Dienstes der Länder, Gemeinden und anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen, mit Ausnahme der Laufbahnen, Besoldung und Versorgung. Kompetenzverlagerungen in die ausschließliche Gesetzgebung der Länder: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

Versammlungsrecht Strafvollzug (einschließlich Vollzug der Untersuchungshaft) Notariat (einschließlich Gebührenrecht, aber ohne Beurkundungsrecht) Heimrecht Ladenschlussrecht Gaststättenrecht Spielhallen / Schaustellung von Personen Messen, Ausstellungen und Märkte Landwirtschaftlicher Grundstücksverkehr Landwirtschaftliches Pachtwesen

Anhang 11. 12. 13. 14. 15.

323

Flurbereinigung Siedlungs- und Heimstättenwesen Sport-, Freizeit- und sog. sozialer Lärm (Anlagen mit sozialer Zweckbestimmung) Die allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse Aus dem Wohnungswesen das Wohngeldrecht, das Altschuldenhilferecht, das Wohnungsbauprämienrecht, das Bergarbeiterwohnungsbaurecht und das Bergmannsiedlungsrecht.

Kompetenzverlagerungen in die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes: 1. Waffen- und Sprengstoffrecht (bisher Art. 74 (1) Nr. 4a) 2. Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen und Fürsorge für die ehemaligen Kriegsgefangenen (bisher Art. 74 (1) Nr. 10) 3. Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken, Errichtung und Betrieb von Anlagen, die diesen Zwecken dienen ... (bisher Art. 74 (1) Nr. 11a) 4. Melde- und Ausweiswesen (bisher Art. 75 (1) Nr. 5) 5. Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland (bisher Art. 75 (1) Nr. 6).

324

Anhang

IV. Anhang des Koalitionsvertrages vom 18. November 2005 – Veränderungen zum Vorschlag der Vorsitzenden durch den Anhang des Koalitionsvertrages (Änderungen fett) Art. 72 Abs. 2 GG neu: „Auf den Gebieten des Art. 74 Abs. 1 Nrn. 4, 7, 11, 13, 15, 19a, 20, 22, 24 außer Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung, 25, 26 hat der Bund das Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht.“ Art. 72 Abs. 3 GG neu: „Hat der Bund von seiner Gesetzgebungsbefugnis Gebrauch gemacht, können die Länder durch Gesetz hiervon abweichende Regelungen auf folgenden Gebieten treffen. 1. Jagdwesen, soweit es sich nicht um das Recht der Jagdscheine handelt; 2. Naturschutz und Landschaftspflege, soweit es sich nicht um Grundsätze des Naturschutzes, das Recht des Artenschutzes oder des Meeresnaturschutzes handelt; 3. Bodenverteilung; 4. Raumordnung; 5. Wasserhaushalt, soweit es sich nicht um stoff- oder anlagenbezogene Regelungen handelt; 6. Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse. Bundesgesetze auf diesen Gebieten treten frühestens sechs Monate nach ihrem Erlass in Kraft, soweit nicht mit Zustimmung von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates anderes bestimmt ist.“ Art. 72 Abs. 3 alt wird Abs. 4 neu. Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG neu: „die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalpolizeiamt in Fällen, in denen eine länderübergreifende Gefahr vorliegt, die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht;“ Art. 73 Abs. 2 GG neu: „Gesetze nach Absatz 1 Nr. 9a bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.“

Anhang

325

Art. 74 Abs. 1 GG neu: Nr. 11 das Recht der Wirtschaft (Bergbau, Industrie, Energiewirtschaft, Handwerk, Gewerbe, Handel, Bank- und Börsenwesen, privatrechtliches Versicherungswesen) ohne das Recht des Ladenschlusses, der Gaststätten, der Spielhallen, der Schaustellung von Personen, der Messen, der Ausstellungen und der Märkte; Nr. 24 die Abfallwirtschaft, die Luftreinhaltung und die Lärmbekämpfung (ohne Sportund Freizeitlärm und Lärm von Anlagen mit sozialer Zweckbestimmung); Art. 84 Abs. 1 GG neu: „Führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, so regeln sie die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren. Sofern Bundesgesetze etwas anderes bestimmen, können die Länder davon abweichende Regelungen treffen. [gestrichen wurde: „Regelungen der Länder gehen den Regelungen des Bundes nach Satz 2 vor.“] In Ausnahmefällen kann der Bund wegen eines besonderen Bedürfnisses nach bundeseinheitlicher Regelung das Verwaltungsverfahren ohne Abweichungsmöglichkeit für die Länder regeln. Durch Bundesgesetz dürfen Gemeinden und Gemeindeverbänden Aufgaben nicht übertragen werden.“ Art. 125a GG neu: „(1) Recht, das als Bundesrecht erlassen worden ist, aber wegen der Änderung des Artikel 74 Abs. 1 oder des Artikel 75 Abs. 1 oder des Artikel 84 Abs. 1 Satz 5 oder des Artikel 85 Abs. 1 Satz 2 oder der Streichung des Artikel 74a oder des Artikel 98 Abs. 3 Satz 2 nicht mehr als Bundesrecht erlassen werden könnte, gilt als Bundesrecht fort. Es kann durch Landesrecht ersetzt werden. (2) Recht, das aufgrund des Art. 72 Abs. 2 in der bis zum 15. November 1994 geltenden Fassung erlassen worden ist, aber wegen Änderung des Art. 72 Abs. 2 nicht mehr als Bundesrecht erlassen werden könnte, gilt als Bundesrecht fort. Durch Bundesgesetz wird bestimmt / kann bestimmt werden, dass es durch Landesrecht ersetzt werden kann. Auf Antrag des Bundesrates oder einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes stellt das Bundesverfassungsgericht fest, ob die Voraussetzungen nach Satz 1 vorliegen. Die Feststellung dieser Voraussetzungen ersetzt ein Bundesgesetz nach Satz 2. (3) Recht, das als Landesrecht erlassen worden ist, aber wegen Änderung des Art. 73 GG nicht mehr als Landesrecht erlassen werden könnte, gilt als Landesrecht fort. Es kann durch Bundesrecht ersetzt werden.“

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Anhang

V. Entwurf zur Änderung des Grundgesetzes vom 7. März 2006 – Veränderungen zum Anhang des Koalitionsvertrages Artikel 1 Änderung des Grundgesetzes Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt III, Gliederungsnummer 100 – 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch das Gesetz vom 26. Juli 2002 (BGBl. I S. 2863), wird wie folgt geändert: 1. – 4. [ ] 5. Artikel 72 wird wie folgt geändert: a) In Absatz 2 werden die Wörter „Der Bund hat in diesem Bereich das Gesetzgebungsrecht“ durch die Wörter „Auf den Gebieten des Artikels 74 Abs. 1 Nr. 4, 7, 11, 13, 15, 19a, 20, 22, 24 (ohne das Recht der Luftreinhaltung und der Lärmbekämpfung), 25 und 26 hat der Bund das Gesetzgebungsrecht“ ersetzt. b) Nach Absatz 2 wird folgender Absatz 3 eingefügt: „(3) Hat der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht, können die Länder durch Gesetz hiervon abweichende Regelungen treffen über: 1. das Jagdwesen (ohne das Recht der Jagdscheine); 2. den Naturschutz und die Landschaftspflege (ohne die Grundsätze des Naturschutzes, das Recht des Artenschutzes oder des Meeresnaturschutzes); 3. – 4. [ ] 5. den Wasserhaushalt (ohne stoffoder anlagenbezogene Regelungen); 6. [ ]

Bundesgesetze auf diesen Gebieten treten frühestens sechs Monate nach ihrer Verkündung in Kraft, soweit nicht mit Zustimmung von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates anderes bestimmt ist. Auf den Gebieten des Satzes 1 geht im Verhältnis von Bundes- und Landesrecht das jeweils spätere Gesetz vor.“ c) [ ] 6. [ ] 7. Artikel 74 wird wie folgt geändert: a) Absatz 1 wird wie folgt geändert: aa) In Nummer 1 werden die Wörter „und den Strafvollzug“ gestrichen, nach dem Wort „Verfahren“ die Wörter „(ohne das Recht des Untersuchungshaftvollzugs)“ eingefügt und die Wörter „das Notariat“ durch die Wörter „das Recht der Beurkundung (ohne das Gebührenrecht der Notare)“ ersetzt. bb) – ii) [ ] jj) Die Nummern 18 und 19 werden wie folgt gefasst: „18. den städtebaulichen Grundstücksverkehr, das Bodenrecht (ohne das Recht der Erschließungsbeiträge) und [gestrichen: „aus dem Wohnungswesen“] das Wohngeldrecht, das Altschuldenhilferecht, das Wohnungsbauprämienrecht, das Bergarbeiterwohnungsbaurecht und das Bergmannssiedlungsrecht;“ 19. [ ]

Anhang

8. 9.

10. 14.

kk) [ ] ll) In Nummer 22 werden nach dem Wort „Gebühren“ die Wörter „oder Entgelten“ eingefügt. mm) – nn) [ ] oo) Nach Nummer 26 werden die folgenden Nummern 27 bis 33 angefügt: „27. die Statusrechte und -pflichten der Beamten der Länder, Gemeinden und anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts sowie der Richter in den Ländern mit Ausnahme der Laufbahnen, Besoldung und Versorgung; 28. – 33. [ ]“ [] Artikel 84 Abs.1 wird wie folgt gefasst: „(1) Führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, so regeln sie die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren. Wenn Bundesgesetze etwas anderes bestimmen, können die Länder davon abweichende Regelungen treffen. Artikel 72 Abs. 3 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. In Ausnahmefällen kann der Bund wegen eines besonderen Bedürfnisses nach bundeseinheitlicher Regelung das Verwaltungsverfahren ohne Abweichungsmöglichkeit für die Länder regeln. Diese Gesetze bedürfen der Zustimmung des Bundesrates. Durch Bundesgesetz dürfen Gemeinden und Gemeindeverbänden Aufgaben nicht übertragen werden.“ –13. [ ] Artikel 93 wird wie folgt geändert: a) Absatz 2 wird wie folgt gefasst:

327

„(2) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet außerdem auf Antrag des Bundesrates, einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes, ob im Falle des Artikels 72 Abs. 4 die Erforderlichkeit für eine bundesgesetzliche Regelung nach Artikel 72 Abs. 2 nicht mehr besteht oder Bundesrecht in den Fällen des Artikels 125a Abs. 2 Satz 1 nicht mehr erlassen werden könnte. Dies Feststellung, dass die Erforderlichkeit entfallen ist oder Bundesrecht nicht mehr erlassen werden könnte, ersetzt ein Bundesgesetz nach Artikel 72 Abs. 4 oder nach Artikel 125a Abs. 2 Satz 2. Der Antrag nach Satz 1 ist nur zulässig, wenn eine Gesetzesvorlage nach Artikel 72 Abs. 4 oder nach Artikel 125a Abs. 2 Satz 2 im Deutschen Bundestag abgelehnt oder über sie nicht innerhalb eines Jahres beraten und Beschluss gefasst oder wenn eine entsprechende Gesetzesvorlage im Bundesrat abgelehnt worden ist.“ b) [ ] 15. – 20. [ ] 21. Artikel 125a wird wie folgt gefasst: „Artikel 125a (1) Recht, das als Bundesrecht erlassen worden ist, aber wegen der Änderung des Artikels 74 Abs. 1, der Einfügung des Artikels 84 Abs. 1 Satz 6, des Artikels 85 Abs. 1 Satz 2 oder des Artikels 105 Abs. 2a Satz 2 oder wegen der Aufhebung der Artikel 74 a, 75 oder 98 Abs. 3 Satz 2 nicht mehr als Bundesrecht erlassen werden könnte, gilt als Bundesrecht fort. Es kann durch Landesrecht ersetzt werden.

328

Anhang

(2) Recht, das aufgrund des Art. 72 Abs. 2 in der bis zum 15. November 1994 geltenden Fassung erlassen worden ist, aber wegen Änderung des Artikels 72 Abs. 2 nicht mehr als Bundesrecht erlassen werden könnte, gilt als Bundesrecht fort. Durch Bundesgesetz kann bestimmt werden, dass es durch Landesrecht ersetzt werden kann. (3) Recht, das als Landesrecht erlassen worden ist, aber wegen Änderung des Artikels 73 nicht mehr als Landesrecht erlassen werden könnte, gilt als Landesrecht fort. Es kann durch Bundesrecht ersetzt werden.“ 22. Nach Artikel 125a werden die folgenden Artikel 125b und 125c eingefügt: „Artikel 125b (1) Recht, das auf Grund des Artikels 75 in der bis zum ... [einsetzen: Tag nach der Verkündung dieses Gesetzes] geltenden Fassung erlassen worden ist und das auch nach diesem Zeitpunkt als Bundesrecht erlassen werden könnte, gilt als Bundesrecht fort. Befugnisse und Verpflichtungen der Länder zur Gesetzgebung bleiben insoweit be-

stehen. Auf den in Artikel 72 Abs. 3 Satz 1 genannten Gebieten können die Länder von diesem Recht abweichende Regelungen treffen, auf den Gebieten des Artikels 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, 5 und 6 jedoch erst, wenn der Bund ab dem ... [einsetzen: Tag nach der Verkündung dieses Gesetzes] von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht hat, in den Fällen der Nummern 2 und 5 spätestens ab dem 1. Januar 2010, im Fall der Nummer 6 spätestens ab dem 1. August 2008. (2) Von bundesgesetzlichen Regelungen, die auf Grund des Artikels 84 Abs. 1 in der vor dem ... [einfügen: Tag nach Verkündung dieses Gesetzes] geltenden Fassung erlassen worden sind, können die Länder abweichende Regelungen treffen, von Regelungen des Verwaltungsverfahrens bis zum 31. Dezember 2009 aber nur dann, wenn ab dem ... [einsetzen: Tag nach der Verkündung dieses Gesetzes] in dem jeweiligen Bundesgesetz Regelungen des Verwaltungsverfahrens geändert worden sind.“

Anhang

329

VI. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses vom 28. Juni 2006

Der Bundestag wolle beschließen, 1. den Gesetzentwurf – Drucksache 16/ 813 – mit folgenden Maßgaben, im Übrigen unverändert anzunehmen: a) Artikel 1 Nr. 5 wird wie folgt geändert: aa) In Buchstabe a wird die Angabe „24 (ohne das Recht der Luftreinhaltung und der Lärmbekämpfung),“ gestrichen. bb) In Buchstabe b wird der neu gefasste Absatz 3 wie folgt geändert: aaa) In Satz 1 Nr. 2 wird vor dem Wort „Grundsätze“ das Wort „allgemeinen“ eingefügt. bbb) In Satz 2 werden die Wörter „von zwei Dritteln der Stimmen“ gestrichen. b) Artikel 1 Nr. 7 wird wie folgt geändert: aa) Buchstabe a Doppelbuchstabe aa wird wie folgt gefasst: ‚aa) In Nummer 1 werden die Wörter „und den Strafvollzug“ gestrichen und nach dem Wort „Verfahren“ die Wörter „(ohne das Recht des Untersuchungshaftvollzugs)“ eingefügt.‘ bb) In Buchstabe a Doppelbuchstabe mm werden in der neu gefassten Nummer 24 die Wörter „(ohne Sport und Freizeitlärm und Lärm von Anlagen mit sozialer Zweckbestimmung)“ durch die Wörter „(ohne Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm)“ ersetzt.

c) In Artikel 1 Nr. 9 wird der neu gefasste Artikel 84 Abs. 1 des Grundgesetzes wie folgt geändert: aa) Nach Satz 2 wird folgender Satz eingefügt: „Hat ein Land eine abweichende Regelung nach Satz 2 getroffen, treten in diesem Land hierauf bezogene spätere bundesgesetzliche Regelungen der Einrichtung der Behörden und des Verwaltungsverfahrens frühestens sechsMonate nach ihrer Verkündung in Kraft, soweit nicht mit Zustimmung des Bundesrates anderes bestimmt ist.“ bb) Im neuen Satz 4 wird die Angabe „2 und“ gestrichen. d) In Artikel 1 Nr. 13 wird der neu gefasste Artikel 91b Abs. 1 des Grundgesetzes wie folgt gefasst: „(1) Bund und Länder können auf Grund von Vereinbarungen in Fällen überregionaler Bedeutung zusammenwirken bei der Förderung von: 1. Einrichtungen und Vorhaben der wissenschaftlichen Forschung außerhalb von Hochschulen; 2. Vorhaben der Wissenschaft und Forschung an Hochschulen; 3. Forschungsbauten an Hochschulen einschließlich Großgeräten. Vereinbarungen nach Satz 1 Nr. 2 bedürfen der Zustimmung aller Länder.“ e) In Artikel 1 Nr. 16 Buchstabe b wird der neu gefasste Absatz 4 wie folgt gefasst: „(4) Bundesgesetze, die Pflichten der Länder zur Erbringung von Geld-

330

Anhang

leistungen, geldwerten Sachleistungen oder vergleichbaren Dienstleistungen gegenüber Dritten begründen und von den Ländern als eigene Angelegenheit oder nach Absatz 3 Satz 2 im Auftrag des Bundes ausgeführt werden, bedürfen der Zustimmung des Bundesrates, wenn daraus entstehende Ausgaben von den Ländern zu tragen sind.“ f) In Artikel 1 Nr. 17 wird im neu eingefügten Artikel 104b des Grundgesetzes der Absatz 1 wie folgt geändert: aa) Nach dem Wort „kann“ werden die Wörter „, soweit dieses Grundgesetz ihm Gesetzgebungsbefugnisse verleiht,“ eingefügt. bb) Satz 2 wird gestrichen.

g) In Artikel 1 Nr. 22 wird der neu eingefügte Artikel 125b des Grundgesetzes wie folgt geändert: aa) In Absatz 1 Satz 3 werden nach dem Wort „wenn“ die Wörter „und soweit“ eingefügt. bb) In Absatz 2 wird die Angabe „2009“ durch die Angabe „2008“ ersetzt. 2. den Gesetzentwurf – Drucksache 16/ 814 – mit folgender Maßgabe, im Übrigen unverändert anzunehmen: In Artikel 13 wird in § 5 Abs. 4 die Angabe „3“ durch die Angabe „4“ ersetzt.

Anhang

331

VII. Synoptische Darstellung der Grundgesetzänderung im Bereich der Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen bisherige Fassung

Neufassung

Art. 72 [konkurrierende Gesetzgebung]

Art. 72 [konkurrierende Gesetzgebung]

(1) Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat.

(1) unverändert

(2) Der Bund hat in diesem Bereich das Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht.

(2) Auf den Gebieten des Artikels 74 Abs. 1 Nr. 4, 7, 11, 13, 15, 19a, 20, 22, 25 und 26 hat der Bund das Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht. (3) Hat der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht, können die Länder durch Gesetz hiervon abweichende Regelungen treffen über: 1. das Jagdwesen (ohne das Recht der Jagdscheine); 2. den Naturschutz und die Landschaftspflege (ohne die allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes, das Recht des Artenschutzes oder des Meeresnaturschutzes); 3. die Bodenverteilung; 4. die Raumordnung; 5. den Wasserhaushalt (ohne stoffoder anlagenbezogene Regelungen); 6. die Hochschulzulassung und die Hochschulabschlüsse.

332

Anhang bisherige Fassung

Neufassung Bundesgesetze auf diesen Gebieten treten frühestens sechs Monate nach ihrer Verkündung in Kraft, soweit nicht mit Zustimmung des Bundesrates anderes bestimmt ist. Auf den Gebieten des Satzes 1 geht im Verhältnis von Bundes- und Landesrecht das jeweils spätere Gesetz vor.

(3) Durch Bundesgesetz kann bestimmt werden, daß eine bundesgesetzliche Regelung, für die eine Erforderlichkeit im Sinne des Absatzes 2 nicht mehr besteht, durch Landesrecht ersetzt werden kann.

(4) unverändert

Artikel 73 [Gebiete der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes]

Artikel 73

Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über:

(1) Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über:

1.

1.

unverändert

2.

die auswärtigen Angelegenheiten sowie die Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung; die Staatsangehörigkeit im Bund;

2.

unverändert

3.

die Freizügigkeit, das Paßwesen, die Ein- und Auswanderung und die Auslieferung;

3.

4.

das Währungs-, Geld- und Münzwesen, Maße und Gewichte sowie die Zeitbestimmung; die Einheit des Zoll- und Handelsgebietes, die Handels- und Schifffahrtsverträge, die Freizügigkeit des Warenverkehrs und den Waren- und Zahlungsverkehr mit dem Auslande einschließlich des Zoll- und Grenzschutzes; den Luftverkehr;

4.

die Freizügigkeit, das Passwesen, das Melde- und Ausweiswesen, die Ein- und Auswanderung und die Auslieferung; unverändert

5.

unverändert

6.

unverändert

5.

6.

Anhang bisherige Fassung 6a. den Verkehr von Eisenbahnen, die ganz oder mehrheitlich im Eigentum des Bundes stehen (Eisenbahnen des Bundes), den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes sowie die Erhebung von Entgelten für die Benutzung dieser Schienenwege; 7. das Postwesen und die Telekommunikation; 8. die Rechtsverhältnisse der im Dienste des Bundes und der bundesunmittelbaren Körperschaften des öffentlichen Rechtes stehenden Personen; 9. den gewerblichen Rechtsschutz, das Urheberrecht und das Verlagsrecht;

10. die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder a) in der Kriminalpolizei, b) zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes (Verfassungsschutz) und c) zum Schutze gegen Bestrebungen im Bundesgebiet, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, sowie die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes und die internationale Verbrechensbekämpfung; 11. die Statistik für Bundeszwecke.

333 Neufassung

6a. unverändert

7.

unverändert

8.

unverändert

9.

unverändert

9a. die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalpolizeiamt in Fällen, in denen eine länderübergreifende Gefahr vorliegt, die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht; 10. unverändert

11. unverändert 12. das Waffenstoffrecht;

und

das

Spreng-

334

Anhang bisherige Fassung

Neufassung 13. die Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen und die Fürsorge für die ehemaligen Kriegsgefangenen; 14. die Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken, die Errichtung und den Betrieb von Anlagen, die diesen Zwecken dienen, den Schutz gegen Gefahren, die bei Freiwerden von Kernenergie oder durch ionisierende Strahlen entstehen, und die Beseitigung radioaktiver Stoffe. (2) Gesetze nach Absatz 1 Nr. 9a bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.

Artikel 74 [Gebiete der konkurrierenden Gesetzgebung]

Artikel 74

(1) Die konkurrierende Gesetzgebung erstreckt sich auf folgende Gebiete:

(1) Die konkurrierende Gesetzgebung erstreckt sich auf folgende Gebiete:

1.

das bürgerliche Recht, das Strafrecht und den Strafvollzug, die Gerichtsverfassung, das gerichtliche Verfahren, die Rechtsanwaltschaft, das Notariat und die Rechtsberatung;

1.

2.

das Personenstandswesen;

2.

das bürgerliche Recht, das Strafrecht, die Gerichtsverfassung, das gerichtliche Verfahren (ohne das Recht des Untersuchungshaftvollzugs), die Rechtsanwaltschaft, das Notariat und die Rechtsberatung; unverändert

das Vereins- und Versammlungsrecht; 4. das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer; 4a. das Waffen- und das Sprengstoffrecht; 5. (aufgehoben)

3.

das Vereinsrecht;

4.

unverändert

5.

unverändert

6.

6.

unverändert

7.

die Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen; die öffentliche Fürsorge;

7.

8.

(aufgehoben)

8.

die öffentliche Fürsorge (ohne das Heimrecht); unverändert

9.

die Kriegsschäden und die Wiedergutmachung;

9.

unverändert

3.

4a. [verschoben nach Art. 73 Nr. 12]

Anhang bisherige Fassung 10. die Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen und die Fürsorge für die ehemaligen Kriegsgefangenen; 10a. die Kriegsgräber und Gräber anderer Opfer des Krieges und Opfer von Gewaltherrschaft; 11. das Recht der Wirtschaft (Bergbau, Industrie, Energiewirtschaft, Handwerk, Gewerbe, Handel, Bank- und Börsenwesen, privatrechtliches Versicherungswesen);

11a. die Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken, die Errichtung und den Betrieb von Anlagen, die diesen Zwecken dienen, den Schutz gegen Gefahren, die bei Freiwerden von Kernenergie oder durch ionisierende Strahlen entstehen, und die Beseitigung radioaktiver Stoffe; 12. das Arbeitsrecht einschließlich der Betriebsverfassung, des Arbeitsschutzes und der Arbeitsvermittlung sowie die Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung; 13. die Regelung der Ausbildungsbeihilfen und die Förderung der wissenschaftlichen Forschung; 14. das Recht der Enteignung, soweit sie auf den Sachgebieten der Artikel 73 und 74 in Betracht kommt; 15. die Überführung von Grund und Boden, von Naturschätzen und Produktionsmitteln in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft; 16. die Verhütung des Missbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung;

335 Neufassung

10. [verschoben nach Art. 73 Nr. 13]

10a. unverändert

11. das Recht der Wirtschaft (Bergbau, Industrie, Energiewirtschaft, Handwerk, Gewerbe, Handel, Bank- und Börsenwesen, privatrechtliches Versicherungswesen) ohne das Recht des Ladenschlusses, der Gaststätten, der Spielhallen, der Schaustellung von Personen, der Messen, der Ausstellungen und der Märkte; 11a. [verschoben in Art. 73 Nr. 14]

12. unverändert

13. unverändert

14. unverändert

15. unverändert

16. unverändert

336

Anhang bisherige Fassung

Neufassung

17. die Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung, die Sicherung der Ernährung, die Einund Ausfuhr land- und forstwirtschaftlicher Erzeugnisse, die Hochsee- und Küstenfischerei und den Küstenschutz;

17. die Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung (ohne das Recht der Flurbereinigung), die Sicherung der Ernährung, die Einund Ausfuhr land- und forstwirtschaftlicher Erzeugnisse, die Hochsee- und Küstenfischerei und den Küstenschutz; 18. den städtebaulichen Grundstücksverkehr, das Bodenrecht (ohne das Recht der Erschließungsbeiträge) und das Wohngeldrecht, das Altschuldenhilferecht, das Wohnungsbauprämienrecht, das Bergarbeiterwohnungsbaurecht und das Bergmannssiedlungsrecht; 19. Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren, Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe, sowie das Recht des Apothekenwesens, der Arzneien, der Medizinprodukte, der Heilmittel, der Betäubungsmittel und der Gifte; 19a. unverändert

18. den Grundstücksverkehr, das Bodenrecht (ohne das Recht der Erschließungsbeiträge) und das landwirtschaftliche Pachtwesen, das Wohnungswesen, das Siedlungs- und Heimstättenwesen;

19. die Maßnahmen gegen gemeingefährliche und übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren, die Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe, den Verkehr mit Arzneien, Heil- und Betäubungsmitteln und Giften;

19a. die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und die Regelung der Krankenhauspflegesätze; 20. den Schutz beim Verkehr mit Lebens- und Genußmitteln, Bedarfsgegenständen, Futtermitteln und landund forstwirtschaftlichem Saat- und Pflanzgut, den Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge sowie den Tierschutz;

21. die Hochsee- und Küstenschiffahrt sowie die Seezeichen, die Binnenschiffahrt, den Wetterdienst, die Seewasserstraßen und die dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen;

20. das Recht der Lebensmittel einschließlich der ihrer Gewinnung dienenden Tiere, das Recht der Genussmittel, Bedarfsgegenstände und Futtermittel sowie den Schutz beim Verkehr mit land- und forstwirtschaftlichem Saat- und Pflanzgut, den Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge sowie den Tierschutz; 21. unverändert

Anhang

337

bisherige Fassung

Neufassung

22. den Straßenverkehr, das Kraftfahrwesen, den Bau und die Unterhaltung von Landstraßen für den Fernverkehr sowie die Erhebung und Verteilung von Gebühren für die Benutzung öffentlicher Straßen mit Fahrzeugen; 23. die Schienenbahnen, die nicht Eisenbahnen des Bundes sind, mit Ausnahme der Bergbahnen; 24. die Abfallbeseitigung, die Luftreinhaltung und die Lärmbekämpfung;

22. den Straßenverkehr, das Kraftfahrwesen, den Bau und die Unterhaltung von Landstraßen für den Fernverkehr sowie die Erhebung und Verteilung von Gebühren oder Entgelten für die Benutzung öffentlicher Straßen mit Fahrzeugen; 23. unverändert

25. die Staatshaftung 26. die künstliche Befruchtung beim Menschen, die Untersuchung und die künstliche Veränderung von Erbinformationen sowie Regelungen zur Transplantation von Organen und Geweben.

24. die Abfallwirtschaft, die Luftreinhaltung und die Lärmbekämpfung (ohne Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm); 25. unverändert 26. die medizinisch unterstützte Erzeugung menschlichen Lebens, die Untersuchung und die künstliche Veränderung von Erbinformationen sowie Regelungen zur Transplantation von Organen, Geweben und Zellen; 27. die Statusrechte und -pflichten der Beamten der Länder, Gemeinden und anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts sowie der Richter in den Ländern mit Ausnahme der Laufbahnen, Besoldung und Versorgung; 28. das Jagdwesen; 29. den Naturschutz und die Landschaftspflege; 30. die Bodenverteilung; 31. die Raumordnung; 32. den Wasserhaushalt;

(2) Gesetze nach Absatz 1 Nr. 25 bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.

33. die Hochschulzulassung und die Hochschulabschlüsse. (2) Gesetze nach Absatz 1 Nr. 25 und 27 bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.

338

Anhang bisherige Fassung

Neufassung

Artikel 84 [Landeseigene Verwaltung – Bundesaufsicht]

Artikel 84

(1) Führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheiten aus, so regeln sie die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren, soweit nicht Bundesgesetze mit Zustimmung des Bundesrates etwas anderes bestimmen.

(1) Führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheiten aus, so regeln sie die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren. Wenn Bundesgesetze etwas anderes bestimmen, können die Länder davon abweichende Regelungen treffen. Hat ein Land eine abweichende Regelung nach Satz 2 getroffen, treten in diesem Land hierauf bezogene spätere bundesgesetzliche Regelungen der Einrichtung der Behörden und des Verwaltungsverfahrens frühestens sechs Monate nach ihrer Verkündung in Kraft, soweit nicht mit Zustimmung des Bundesrates anderes bestimmt ist. Artikel 72 Abs. 3 Satz 3 gilt entsprechend. In Ausnahmefällen kann der Bund wegen eines besonderen Bedürfnisses nach bundeseinheitlicher Regelung das Verwaltungsverfahren ohne Abweichungsmöglichkeit für die Länder regeln. Diese Gesetze bedürfen der Zustimmung des Bundesrates. Durch Bundesgesetz dürfen Gemeinden und Gemeindeverbänden Aufgaben nicht übertragen werden.

(2) – (5) [...]

(2) – (5) unverändert

Artikel 85 [Auftragsverwaltung]

Artikel 85

(1) Führen die Länder die Bundesgesetze im Auftrage des Bundes aus, so bleibt die Einrichtung der Behörden Angelegenheit der Länder, soweit nicht Bundesgesetze mit Zustimmung des Bundesrates etwas anderes bestimmen.

(1) Führen die Länder die Bundesgesetze im Auftrage des Bundes aus, so bleibt die Einrichtung der Behörden Angelegenheit der Länder, soweit nicht Bundesgesetze mit Zustimmung des Bundesrates etwas anderes bestimmen. Durch Bundesgesetz dürfen Gemeinden und Gemeindeverbänden Aufgaben nicht übertragen werden.

(2) – (4) [...]

(2) – (4) unverändert

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Sachregister Abfallwirtschaft 239, 275 Abstrakte Normenkontrolle 233 f. Abweichungsfeste Kerne 242, 251 ff., 258, 263 ff. Abweichungsgesetzgebung – Bewertung 291 ff., 305 ff., 311 f. – formelle 275 ff., 281 ff. – materielle – Ausgestaltung 241 f., 256 ff. – Vorgeschichte 242 ff. Abweichungsmodell 280 ff. Abweichungsrecht, siehe Abweichungsgesetzgebung Actus contrarius, Gedanke des 281 Agenda-Building 89 Aide-Mémoire 34 Allgemeiner Redaktionsausschuss 34 Alliierte, Einfluss auf das GG 27, 34 f., 41 ff. Anlagen- und Produktrecht 249 Annextheorie 43 Anwendungsvorrang 242, 245 ff., 267 f., 270, 278, 284, 292, 307 Arbeitsgruppe „Gesetzgebungskompetenzen und Mitwirkungsrechte“ 145 Arbeitsgruppe „Innerstaatliche Kompetenzordnung“ 132 Artenschutz, siehe Naturschutz Atomrecht 178 Auffanggesetzgebung 242, 244 Ausschließliche Gesetzgebung – der Länder 188 ff. – des Bundes 177 ff., 239 f., 302 ff. Ausstellungen, Recht der 203, 206 ff., 301

Bayerisches Versammlungsgesetz 201 Beamtenrechtsrahmengesetz 190 Beamtenstatusgesetz 297 f. Beamtenversorgungsgesetz 191 Bedarfsgesetzgebung, siehe Erforderlichkeitsgesetzgebung Bedürfnisklausel des Art. 72 Abs. 2 GG – Entstehung 41 f. – Entwicklung in der Praxis 54, 220 – Reformvorschlag der Enquete-Kommission 76 – Reformvorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission 86 – Reformvorschlag der Kommission Verfassungsreform 84 Behördenorganisation 275 ff. Benchmarking 100 Berufsbeamtentum 192 Besoldungs- und Versorgungsrecht 102 f., 190 ff., 297 ff. Beteiligungsföderalismus 72, 83, 120, 168, 311 Bildungswesen – Gemeinschaftsaufgabe Bildungsplanung 148, 158, 161 – Hochschulwesen 147 f., 189, 241, 254 ff., 259, 300 ff., 305 BKA-Gesetz 303 f. Bodenrecht 204, 214 f. Bodenverteilung 241, 248 ff., 259, 305 Bund-Länder-Planung 75 Bund-Länder-Streitigkeit 233 Bundesaufsicht 46, 57 Bundesbesoldungsgesetz 190

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Sachregister

Bundesfreundliches Verhalten, siehe Bundestreue Bundeskriminalamt, Präventivbefugnisse für das 158, 179 ff., 302 ff. Bundesrat – Bedeutung in der Praxis 62 ff. – Bewertung der Neufassung des Art. 84 GG 289 ff., 294 – Charakterisierung in der Ursprungsfassung 48 f. – Entstehung 35 ff. – Kompensation durch Mitwirkung im 105 – Neufassung des Art. 84 GG 280 ff. – Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip 109 ff. – Versagung der Zustimmung 120 – Ziel der Verringerung zustimmungsbedürftiger Bundesgesetze 168 f. – zulässiges Abstimmungsverhalten im 66 f. Bundesstaat – als Begriff 19 f. – angelsächsisches Modell 45 f. – Charakterisierung in der Ursprungsfassung 44 ff. – Entwicklung zum unitarischen 52 ff. – Funktionen – für das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip 95 ff. – für die Funktionsfähigkeit des politisch-administrativen Systems 98 ff. – geschützter Kernbereich 91 ff. – Hintergründe bei der Entstehung 26 f. – Kompetenzverteilung im 39 ff., 174 – Kooperativer 72 ff. Bundesstaatskommission, siehe Föderalismuskommission Bundesstaatsprinzip 26, 91 ff., 116 Bundesstrafvollzugsgesetz 198 Bundestag, Beschränkung der Entscheidungsgewalt 109 ff.

Bundestreue, Grundsatz der 102, 126, 226, 270, 304 Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen – Altenpflege-Urteil 123 ff. – Hausgut-Urteil 102 – Juniorprofessur-Urteil 126 f. – Kampfhunde-Urteil 125 – Ladenschluss-Urteil 125 f. – Länderfinanzausgleichs-Urteil 132 – Maastricht-Urteil 114 – Numerus-clausus-Urteil 70 – Studiengebühren-Urteil 128 Demokratieprinzip – als Optimierungsgebot 116 f. – Beeinträchtigung durch den Bundesrat 112 ff. – Beeinträchtigung durch die erschwerte Zuordnung politischer Verantwortlichkeiten 114 ff. – Beeinträchtigung durch Kompetenzverschiebungen 111 – Beeinträchtigung durch Kooperation 111 Deutsche Einheit, siehe Wiedervereinigung Deutscher Bund 27 Deutsches Reich 27 Doppelgesichtige Normen 282 f. Dotationspraxis, siehe Fondswirtschaft Drittes Reich 28 Dualer Bundesstaat 45 ff. Eckpunktebeschluss 81 EG-Richtlinien 122, 248, 272, 306 ff. Ehard-Menzel-Kompromiss 38 Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse, Leitbild der 42, 54, 69, 118, 310 Einheitsstaat 20, 28, 72, 112 Einheitstheorie 65, 79, 281, 287, 289 Einigungsvertrag 81 Ellwanger Kreis 31 Enquete-Kommission 75 ff., 243 Entflechtung, Gebot der, siehe Schaffung klarerer Verantwortlichkeiten Ziel der

Sachregister Entparlamentarisierung 108 ff. Entstehungsgeschichte, Bedeutung bei der Auslegung von Kompetenztiteln 173 Erforderlichkeitsgesetzgebung 217, 304 Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG 86 ff., 122 ff., 217 ff. Ermessensspielraum, eingeschränkter 58 Europäische Integration, siehe Europäisierung Europäischer Konvent 119, 134 Europäisierung, Auswirkungen der 56, 118 f., 121, 176 Europatauglichkeit 121, 171, 175, 306 ff. Finanzreform 73, 191 Finanzverteilung 31, 72 f., 89, 118, 140 f., 156 Fiskalischer Wettbewerb 165 Flurbereinigung, Recht der 203, 208 Flurbereinigungsabkommen 59 Föderalismus – als Begriff 19 f. – asymmetrischer 45 ff. – funktionaler 32 – horizontaler 32 – kooperativer 72 ff. – ökonomische Theorie des 99, 165 – separativer 45 Föderalismuskommission – Einsetzung 138 ff. – Ergebnisse 150 ff. – Initiativen im Vorfeld 131 ff. – Öffentlichkeit 144 f. – Scheitern 147 ff., 154 f. – Verfahrensablauf 145 ff. – Zusammensetzung 141 ff. Föderalismuskonvent 134 Föderalismusreform – Bewertung 288 ff. – Verabschiedung 160 f.

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– Verfassungsänderungen bei den Gesetzgebungskompetenzen 173 ff. – Verfassungsänderungen bei den Verwaltungskompetenzen 275 ff. – Ziele 162 ff. Föderalismusreform-Begleitgesetz 160 f. Föderativer Staatsaufbau, siehe Bundesstaat Fondswirtschaft 59 f., 73 Frankfurter Schlusskonferenz 26 Gaststättenrecht 203, 206, 301 Gefahrenabwehr, Polizeilicher Begriff der 185 Gemeinschaftsaufgaben 73, 148 ff., 161 German vote 122 Gesetzesersetzende verfassungsgerichtliche Entscheidung 228 Gesetzgebungskompetenzen – ausschließliche 177 ff. – konkurrierende 216 ff. – Rahmenkompetenz 272 ff. – ungeschriebene 55 Gestaltungsföderalismus 144, 167, 313 Gewaltenteilung 96, 229 Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 GG 70, 198 Globalisierung 118 Going public, Strategie des 150, 180 Grundrechte, Einengung der Gestaltungsspielräume durch 70 Grundrechtsschutz durch Verfahren 286 Grundsatz des Art. 31 GG 267 ff. Grundsatzgesetzgebung 40, 272 Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit, Ziel der Stärkung der 170 f., 294 ff. Hauptausschuss 33, 44 Hausgut der Länder 93, 102 ff. Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 27 Heimrecht 203 ff., 301

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Sachregister

Hochschulwesen, siehe Bildungswesen Inkrafttreten der Bundesgesetze 250, 253, 258 f., 279 f., 284 Innere Sicherheit 147, 158, 179 ff. Intendiertes Ermessen 230 Interfraktionelle Ausschüsse 34, 41 Internationale Terrorismusbekämpfung, siehe Bundeskriminalamt Jagdschloss Niederwald 26, 29 Jagdwesen 241, 249 ff., 259, 263, 305 Jugendstrafvollzugsgesetze 199 Justitiabilität des Art. 72 Abs. 2 GG – in der Praxis bis zur Altenpflegeentscheidung 2002 54 – in der Praxis nach der Altenpflegeentscheidung 2002 122 ff., 218 ff. – Verfassungsänderung 1994 88 f. – Vorschlag der Enquete-Kommission 76 ff. – Vorschlag der Gemeinsamen Verfassungskommission 86 f. – Vorschlag der Kommission Verfassungsreform 84 Katastrophenschutz 180, 184 Kernkompetenzen, siehe Vorranggesetzgebung Koalitionsarbeitsgruppe „Föderalismus“ 156 ff. Koalitionsvertrag (18. November 2005) 156 ff. Koblenzer Beschlüsse 26, 30 KOMBO, siehe Föderalismuskommission Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, siehe Föderalismuskommission Kommunen, Verbot der Aufgabenübertragung auf die 276 Kompetenzmix 270

Kompetenzqualifikation 270 f. Kompetenzverteilung, Technik der 32 f., 45 Kompetitiver Föderalismus, siehe Wettbewerbsföderalismus Konkordanzdemokratie 68, 114 Konkurrenzföderalismus, siehe Wettbewerbsföderalismus Konkurrierende Gesetzgebung – Abweichungsgesetzgebung 216, 241 ff. – Erforderlichkeitsgesetzgebung 216 ff. – Vorranggesetzgebung 195, 216, 235 ff. Konnexitätsprinzip 204, 299 Kooperation – Entwicklung in der bundesstaatlichen Praxis 61 f., 72 ff. – im Zusammenhang mit den Zielen der Föderalismusreform 164 ff., 302 ff. – in der Ursprungsfassung des GG 49 ff. – Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip 109 ff. Kooperativer Bundesstaat 72 ff. Koordination 49 f. Krankenhausfinanzierung 213 Kriegsbetroffene, Versorgung und Fürsorge für 178 Kulturhoheit der Länder 40, 103, 175 Ladenschlussrecht 203, 206 ff., 301 Länderfreundliches Verhalten, siehe Bundestreue Landschaftspflege, siehe Naturschutz Landtage, Bedeutungsverlust der 55 f., 108 ff. Landwirtschaftlicher Grundstücksverkehr und Pachtwesen 203, 208 Laufbahnrecht 194, 299 Leitgesetzgebung 242, 245 Lex-posterior-Grundsatz 246, 250 ff., 269, 278, 284 Londoner Sechs-Mächte-Konferenz 25, 34

Sachregister Lübecker Erklärung 134 f. Märkte, Recht der 203, 206 ff., 301 Martin-Kommission 80, 189 Märzmemorandum 34 ff., 38 Mediatverwaltung 44 Medienübergreifender Ansatz im Umweltrecht 249, 295 Meeresnaturschutz, siehe Naturschutz Mehrebenenstruktur 98 Melde- und Ausweiswesen 178 Memoranden – Nr. 1 (22. November 1948), siehe AideMémoire – Nr. 2 (2. März 1949), siehe Märzmemorandum Messen, Recht der 203, 206 ff., 301 Militärgouverneure, siehe Alliierte Ministerpräsidenten, Position der 135 f., 143 Ministerpräsidentenkonferenzen 61, 131 ff., 157 Mischverwaltung 59, 72 Mitverantwortungstheorie 65 Moratorium 253, 259 f., 279 ff. Mosaikkompetenz 270 Naturschutz 241, 247 ff., 259, 264 ff., 305 Negativgesetzgebung 210 f., 232, 261 f. Neugliederung der Länder 92, 101, 140, 166 New Deal 73 Norddeutscher Bund 27 Normenklarheit, Gebot der 260, 282 Notariat 215 Nürnberger Richtlinien 27, 33 Obleute 145 Obleutegremium 146 Öffentliches Dienstrecht 190 ff., 297 ff., 306 Öffentlichkeit, Gebot der 115

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Öffnungsklauseln 240, 246, 250 Ökonomische Theorie des Föderalismus 99, 165 Optimierungsgebote, Bundesstaats- und Demokratieprinzip als 116 Organisationsgewalt der Länder 43, 102 f., 175, 275 ff., 306 Parallelgesetzgebung 242, 245 Parlamentarischer Rat – beteiligte Gremien 33 – Entscheidung Bundesrat / Senat 35 ff. – Rahmendaten 26 – Verteilung der Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen 39 ff. Parlamentarisches Regierungssystem 112 ff. Parteien – Dezentralisierung 119 – Haltung zum Bundesstaat 27, 31 ff. – in der Föderalismuskommission 144 – Rolle in der bundesstaatlichen Praxis 71 – -wettbewerb 68 Parteipolitisierung 71, 109 Partielles Bundesrecht 212, 226, 267 Paulskirchenverfassung 27, 32, 243 Pfadabhängigkeit, These der 85, 121 Ping-Pong-Gesetzgebung 250, 292 PISA 150 Politikverflechtung 74, 163, 168 ff. Politikverflechtungsfalle 74, 155 Polizeihoheit der Länder 175, 302 ff. Polizeirecht 179 ff., 302 ff. Präventivbefugnisse des BKA 147, 158, 179 ff. Pressewesen 190, 297 Preußsche Entwurf 28 Prognosespielraum 125, 220 Querschnittskompetenz im Umweltrecht 251

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Sachregister

Rahmengesetzgebung – Aufhebung 162, 169, 272 ff. – Entwicklung der 41, 53, 122 – Übergangsvorschrift 187, 212, 274 Raumordnung 241, 247 ff., 263, 305 Rechtsaufsicht 43 Rechtsausschuss 160 f. Rechtsklarheit, Gebot der 210, 262, 267, 270 Rechtssicherheit, Gebot der 232, 267, 270 Rechtsstaatsprinzip 95 f. Redaktionskonferenz 159 f. Regelungsdichte, Intensivierung der 58 Regionale Arbeitsmarktpolitik 204, 212, 301 Regionalismus, Bewegung des 98, 119 Reichsverfassung 32 Residualkompetenz der Länder 40, 174 Resozialisierung 198 Rheinbund 27 Richtliniengesetzgebung 272 Rückholklausel – bei der Abweichungsgesetzgebung 246, 252, 269, 278 f., 284 – bei Wegfall der Erforderlichkeit 87, 232 Salvatorische Klausel 261 Schaffung klarerer Verantwortlichkeiten, Ziel der 116, 162 f., 168 ff., 289 ff. Schaustellung von Personen, Recht der 203, 206 ff., 301 Schutz deutschen Kulturgutes 178 Selbstbestimmung, Gebot der 116, 313 Selbstkoordinierung, siehe Kooperation Selbstverwaltungskörperschaften, Kriterien für 93 Senat 35 ff. Siedlungs- und Heimstättenrecht 203, 208 Sozialrecht 203 ff., 301 Sozialstaat 69, 73

Sperrklausel bei Art. 84 GG 276 ff., 284 ff. Sperrwirkung der Bundesgesetzgebung 177, 221 ff., 240 Spielhallen, Recht der 203, 206 ff., 301 Staatenbund 20 Staatsqualität der Länder 93, 102 ff. Staatsvertrag 61, 148, 255 Stoff- oder anlagenbezogene Regelungen, siehe Wasserhaushalt Straf- und Untersuchungshaftvollzug 197 ff. Strukturbruchthese 68 Subsidiaritätsprinzip 95, 119, 175 f., 219 Symbolischer Föderalismus 83, 131 Systemverschiebende Gesetze 39 Transparenz, Gebot der, siehe Schaffung klarerer Verantwortlichkeiten, Ziel der Trennprinzip in der Föderalismuskommission 169, 175, 193, 250 f. Trennungslehre 79, 137, 287 Troeger-Kommission 73 f. Übergangsregelungen – Art. 125a Abs. 1 GG 210 ff., 274 – Art. 125a Abs. 2 GG 223 ff. – Art. 125a Abs. 3 GG 187 – Art. 125b Abs. 1 GG 187 f., 212, 259 f., 274 – Art. 125b Abs. 2 GG 279 ff. Umweltrecht – abweichungsfeste Kerne im 263 ff. – Bewertung der Verfassungsänderungen im 295 f. – in der Föderalismuskommission 248 ff., 277 – Projekt – Umweltgesetzbuch 248, 296 – Verfassungsänderungen im 202, 241, 256 ff. Unbestimmter Rechtsbegriff 58, 218 Unitarischer Bundesstaat

Sachregister – Entwicklung 51 ff. – Hintergründe 69 ff. – in der Ursprungsfassung des GG 44 ff. – Infragestellung 121 Unitarismus 19 Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a GG 234 Verfahren nach Art. 93 Abs. 2 GG 158, 227 ff. Verfassungsreform 1994 88 f., 131 Verhaltensbezogener Lärm 202 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 219 Verkehr 204, 214 Vermittlungsausschuss 88, 110, 114 ff. Versammlungsrecht 201, 297 Versteinerung des Altrechts 126, 130, 231, 237 Verunklarung politischer Verantwortlichkeiten – durch die Abweichungsgesetzgebung 292 ff. – Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip 110, 114 ff. Verwaltungsabkommen 61 Verwaltungsgerichtliche Kontrolle, Intensivierung der 58 Verwaltungskompetenzen – Bundesauftragsverwaltung 43, 58 – Bundeseigene Verwaltung 43, 48, 58 f. – Ländereigene Verwaltung 43, 275 ff. – ungeschriebene 60 Verwaltungsmonopol der Länder – Beeinträchtigung 57 ff. – Konzeption des Parlamentarischen Rates 43 ff. Verwaltungsverfahren 57, 280 ff.

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Verwaltungsvorschriften 57, 62 Vorentwurf der Vorsitzenden, siehe Vorsitzendenvorschlag Vorranggesetzgebung 40, 216, 235 ff., 295 Vorsitzendenvorschlag 150 ff. Waffen- und Sprengstoffrecht 178 Wasserhaushalt 241, 248 ff., 259, 266, 305 Wegfall der Erforderlichkeit 87, 223 ff. Weimarer Reichsrat 39 Weimarer Reichsreformbewegung 31 Weimarer Reichsverfassung 32, 243 Weimarer Republik 28 Westfälischer Friede 27 Westminster-Modell 112 f. Wettbewerbsföderalismus 99, 119, 164 ff. Wiedervereinigung 28, 81, 117 f. Wirtschaftsrecht 203, 206, 301 ff. Wohnungswesen 203, 209, 301 Ziegler-Kommission 80, 189 Zugriffsgesetzgebung 135 f., 244 ff. Zuständigkeitsausschuss 33 ff. Zuständigkeitsvermutung zugunsten der Länder 174 Zustimmungsbedürftigkeit nach dem GG 39, 64 ff., 284 ff. Zustimmungsmodell nach Art. 84 Abs. 1 Satz 5 GG 281, 284 ff. Zustimmungsquote 63 f., 289 ff. Zustimmungstatbestand des Art. 104a Abs. 4 GG 277, 290 f. Zustimmungsverweigerung des Bundesrates 120 Zweite Kammer 35 ff.